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Transgression, Tragik und Metatheater:

2014
978-3-8233-7828-0
Gunter Narr Verlag 
Lothar Willms

Die vorliegende Publikation versucht eine Neuinterpretation des antiken Dramas mithilfe von Transgression, Tragik und Metatheater. Diese Begriffe werden in einem ersten theoretischen Teil ausführlich diskutiert und vor einem strukturalistischen Hintergrund neu gefaßt. Im Hauptteil werden mit dem so gewonnenen hermeneutischen Rüstzeug fünf zentrale Stücke des antiken Dramas ausführlich interpretiert, wobei der Schwerpunkt auf der attischen Tragödie liegt (Aischylos' Perser, Sophokles' Oidipus Tyrannos, Euripides' Medea und Bakchen, Senecas Phaedra). Kurzinterpretationen beleuchten drei ausgewählte Komödien. Als Gesamttendenz ergibt sich so ein Rückgang der Tragik zugunsten des Metatheaters.

Lothar Willms Transgression, Tragik und Metatheater Versuch einer Neuinterpretation des antiken Dramas Transgression, Tragik und Metatheater DRA RR MA Neue Serie · Band 13 Studien zum antiken Drama und zu seiner Rezeption Herausgegeben von Bernhard Zimmermann in Zusammenarbeit mit Juan Antonio López Férez (Madrid), Giuseppe Mastromarco (Bari), Bernd Seidensticker (Berlin), N.W. WW Slater (A (( tlanta) a , Alan H. Sommerstein (Nottingham), Pascal Thiercy (Brest). Lothar Willms Tra rr n aa sgress ss ion, Tra rr g aa ik und Meta tt t aa heat aa er Ve VV rsuch einer Neuinterpretation des antiken Dramas Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 1862-7005 ISBN 978-3-8233-6828-1 Halt sunt li pui e li val tenebrus, Les roches bises, les destreiz merveillus. Le jur passerent Franceis a grant dulur. La chanson de Roland (66. Laisse, v. 814 816) Über den Atlantik 1 Die Wattelandschaft unter uns: als würde sie jeden Sturz auffangen und dämpfen. Auch hier wie anderswo trügt der Schein. Die Wahrheit ist wir fürchten immer wir sind von Knossos gestartet und wissen es nicht. Zwischen den Kontinenten wird keiner heimisch. Günter Kunert 1 Kunerts Antike. Eine Anthologie. Hg. von Bernd Seidensticker, Antje Wessels. Paradeigmata 2. Freiburg i. Br. 2004, 107. - Vorwort Die hier vorgelegte Untersuchung ist die überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Fassung meiner Habilitationsschrift, die am 5.10.2010 bei dem Dekanat der philosophischen Fakultät eingereicht und am 19.1.2011 von der Habilitationskonferenz der philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen wurde. Seither erschienene Literatur konnte nicht systematisch berücksichtigt werden. Ebensowenig kann angesichts der Spannweite der behandelten Themen der Anspruch erhoben werden, daß sämtliche irgendwie thematisch relevante Sekundärliteratur erfaßt wurde. Der Schwerpunkt liegt auf klassischen und rezenten, originellen Deutungen, mit denen eine ausführliche und hoffentlich konstruktiv-kritische Auseinandersetzung lohnend schien. Da ich etliche ihrer Autoren persönlich kenne und menschlich wie wissenschaftlich sehr schätze, ist es mir ein Herzensanliegen, hervorzuheben, daß ich diese Form der Rezeption als Anerkennung herausragender wissenschaftlicher Güte verstanden sehen möchte. 2 Denn nur die offene intensive Diskussion kann die Forschung voranbringen. Mit demselben Geist nachgerade spielerischer Offenheit und Entdeckerfreude stelle ich meine Ergebnisse der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vor, zu denen ich nach Abwägung aller Gründe und Gegengründe gelangt bin, auf die ich in der Sekundärliteratur gestoßen bin oder die mir in den Sinn kamen. Ich verstehe diese Thesen und Argumente als Diskussionsbeiträge und Denkanstöße für weitere Forschung, nicht als fixe Ergebnisse, die akzeptiert oder verworfen werden müssen. Diese Arbeit verdankt ihre Entstehung der bis heute vielfältig nachwirkenden Faszination und Inspirationskraft des antiken Theaters. Die Idee, damals nur Plautus’ Komödien als Spiel mit einer semiotisch-strukturalistisch konfigurierten Identität zu deuten, kam mir nämlich beim Besuch einer originalsprachigen Aufführung von Plautus’ Menaechmi, die im Sommer 2005 im Auditorium Maximum der Universität Trier stattfand. Wichtige Denkanstöße gab mir die Berner Tagung Diskurs und Fragment im Spannungsfeld von Prä- und Postdramatik. Performative Strategien zwischen Antike und Postmoderne (6.-8.7.2007) des an den Universitäten Basel und Bern angesiedelten ProDoc: Intermediale Ästhetik. Spiel - Ritual - Performanz, deren Besuch mir freundlicherweise Herr Prof. Anton H. Bierl (Basel) ermöglichte, wofür ich ihm ganz herzlich danke. Damit komme ich zu der freudigen Pflicht vielfältiger Danksagungen. Den Reigen eröffnet mein Habilitationsmentor Herr Prof. Gerrit Kloss, der mich nach der Lektüre des Exposés und der ersten Seiten der vorliegenden Arbeit im Juni 2007 bestärkte, auf dem richtigen Weg zu sein und ein lohnenswertes Projekt zu verfolgen, und außerdem das Habilitationsverfahren in knappstem Zeitrahmen als spiritus rector begleitete und ein Gutachten beisteuerte. Dafür sei ihm ganz herzlich gedankt. Herrn Prof. Jonas Grethlein gebührt ein großer Dank, weil er trotz eines Forschungsaufenthaltes an der Brown-University ein Gutachten 2 Vgl. Walter Nicolais Widmung an Andreas Spira und Arbogast Schmitt mit dem Zusatz „auch wenn sie anders über die Sache denken“ (Zu Sophokles’ Wirkungsabsichten. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 89. Heidelberg 1992, 5). viii schrieb und wertvolle Verbesserungsvorschläge machte. Allen weiteren Mitgliedern der Habilitationskommission (Prof. Manfred Berg (Dekan), Prof. Martin Gessmann (jetzt Offenbach a.M.), Prof. Gerhard Poppenberg, Prof. William Sax, Prof. Jürgen-Paul Schwindt) sei für ihre Mühewaltung und bereitwillige Unterstützung gedankt. Mein ganz besonderer Dank gilt Herrn Prof. Bernhard Zimmermann, der als externer Gutachter fungierte und diese Schrift rasch und unkompliziert in die Reihe DRAMA aufnahm. Herr Dominic Meckel, M.A. und Herr Kevin Bruhns haben mich bei der Erstellung des Personen-, Sach- und Begriffsregisters tatkräftig unterstützt, wofür ich ihnen ganz herzlich danke. Frau Marie-Charlotte von Lehsten und v.a. Herrn Dominic Meckel, M.A. danke ich nicht minder herzlich für die gewissenhafte Erstellung des Index locorum und die sorgfältige Korrektur großer Teile dieses Bandes. Es versteht sich, daß alle verbliebenen Fehler allein mein Versehen sind. Beim Narr-Francke-Attempto- Verlag sei herzlich meinem Lektor Herrn Dr. Bernd Villhauer und Frau Karin Burger in der Herstellung für die außerordentlich gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gedankt, von der die Qualität dieses Bandes erheblich profitiert hat. Schließlich bin ich der Geschwister-Boehringer-Ingelheim-Stiftung für Geisteswissenschaften zu besonderem Dank verpflichtet, die mit einem großzügigen Druckkostenzuschuß das Erscheinen dieses Bandes ermöglicht hat. Lothar Willms Heidelberg, im Juli 2014 Vorwort Inhalt Teil I: Einleitung: Haupttermini, Methodik und analytischer Apparat 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung ............................................................................. 1 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit ........................ 9 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur ......... 9 1.2 Transgression ........................................................................................15 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität ...............16 1.2.2 Dramatische Transgression und Narratologie .............................27 1.2.3 Tragödie, Transgression und Gesellschaft ..................................30 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White .................................................................32 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention .........................39 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität ............................................................45 1.4.1 Methodische und forschungsgeschichtliche Problematik und Aktualität.....................................................................................45 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung ......................................................54 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller ................58 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch.....67 1.4.5 Tragik, soziale Integrität und Religion........................................73 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik.....78 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi .....................87 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt ...................................................................................94 1.5 Komik, Doppelung und Iteration .......................................................105 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen ...............................................................................................110 2.1 Aristoteles’ Poetik ..............................................................................110 2.1.1 Handlungsstruktur, Mimesis, Transgression und Eliminierung ..112 2.1.2 und Tragik .................................................................114 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik ........................................128 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz .............................................129 2.2.1 Performanz ................................................................................131 2.2.2 Ritual.........................................................................................137 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik ..............................................143 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotischtransgressive Ästhetik ...............................................................146 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik ..........................156 x 2.4 Die Zeichennutzer: Dramatische Kommunikationsstruktur, Pragmatik, Ambivalenz, Ironie und Naivität ....................................164 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle .............................................169 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression ........................172 3.1 Zu einer Poetik des Raumes ...............................................................172 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression .......................179 3.3 Metatheater als poetische Transgression ...........................................184 Teil II: Exemplarische Einzelinterpretationen 1. Aischylos’ Perser: Transgression zwischen Topologie und Theologie, Poetik, Politik und Pädagogik ............................................199 1.1 Forschungsstand, Aufbau, Narratologie und Perspektive ................199 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem ......................................................................................204 1.3 Susa und Athen: Szenische Transgression der Meerengen .............213 1.4 Transgressive Zwangssemiogenese und ihr Scheitern .....................215 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung ................................................................................217 1.6 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung ...............................222 1.7 Nekromantie als Intratheater und Dareios’ Geist als Gott-Vater ....229 1.8 Xerxes: Vom Gott-/ Großkönig über den idiot de la famille der intratheatralischen Nekromantie zum oder: Tragik, Vergänglichkeit und Jugend ........................................233 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung ....................................249 1.10Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität .............................................................................266 1.11Fazit und Ausblick ..............................................................................280 2. Sophokles’ König Oidipus: Transgression, Hermeneutik, Kontingenz und poetische Mimesis .......................................................283 2.1 Einleitung: Bisherige Interpretationen und der vorliegende Ansatz .............................................................................283 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas: Identitätssuche zwischen Diptychon, Dreiweg und Spur ...........................................288 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung ....................................................................295 2.3.1 Einleitung und Problemstellung ................................................295 2.3.2 Phase eins: Der Chor und der Priester.......................................299 2.3.3 Phase zwei: Teiresias und Kreon ..............................................301 2.3.4 Phase drei: Iokaste.....................................................................309 2.3.5 Phase vier: Der Hirte .................................................................319 2.3.6 Fazit und die alles sehende Zeit ................................................321 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität ...........................324 2.4.1 Kollision am Dreiweg ...............................................................326 Inhalt xi 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie ..............................................................331 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression...................................338 2.4.4 Paradoxon, und (se)mantische Binnenhermeneutik ...................................................................343 2.4.5 Transgression und Orakel: Fehldeutungen und Autoritätsrestauration................................................................................346 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? .......................................................................................370 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung ..................................................................................379 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung .............................379 2.6.2 Mimesis und Aristoteles............................................................399 2.7 Fazit: Monstrosität der Transgression, paradoxe Tragik, Restauration der mantischen Autorität und mimetisches Metatheater .....................402 3. Euripides’ Medea: Transgression zwischen Psychologisierung, Perversion und Intratheater und die Tragik der Entzweiung ..........405 3.1 Einleitung: Personenkonstellation, Handlungsverlauf und Systematik der Interpretation .............................................................405 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater ..........................................................................................411 3.2.1 Die Eingangsszene: Die soziale Scheinredintegration des Transgressionsopfers und der späteren Transgressorin .............411 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos..........................................412 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts...............................................................................421 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression ............................................................................434 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason: Intratheatralischer Triumph der Transgressorin und fragwürdige Restauration ..........................442 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression .....454 3.4 Tragik und dimidiata dyas .................................................................457 3.5 Gender, Inversion und Perversion .....................................................459 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf .............................................................................468 3.7 Fabula docet oder Iason als Anti-Odysseus .....................................478 4. Euripides’ Bakchen: Metatheater, Transgression, Souveränität und Differenz ............................................................................................481 4.1 Einleitung ............................................................................................481 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf ...............................................................................485 4.3 Souveränität, Metatheater und Wunderbares ....................................493 4.4 Transgression und Eliminierung ........................................................497 4.5 Tragik ..................................................................................................501 Inhalt xii 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung 523 4.7 Girard, Zusammenfassung und Ausblick ..........................................530 5. Interludium: Die antike Komödie .........................................................533 5.1 Aristophanes’ Frösche: Komisches Metatheater als Metatragödie .533 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia .......................................536 5.3 Plautus’ : Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose und das Spiel mit der Identität ............................................546 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa ........................................557 6.1 Das Ende der Tragödie und des Tragischen? ...................................557 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen ............561 7. Senecas Phaedra: Der furor als Merkmal und Motor von Transgression und Drama und die Poetik der Distanz ................................577 7.1 Forschungsstand und Problemstellung ..............................................577 7.2 Analyse des Dramas anhand von furor, Monstrosität und Diskontinuität .....................................................................................589 7.2.1 Hippolytus’ Auftritt: Extravaganz des Objekts der libidinösen Transgression ............................................................................589 7.2.2 Typen und Verteilung des furors im Drama .............................590 7.2.3 Phaedra und die Amme: Offenbarung der transgressiven Libido (furor) und Instrumentalisierung der Exponentin philosophischer Lehre ...............................................................593 7.2.4 Hippolytus als pseudophilosophisch exaltierter misogyner Anachoret ..................................................................................610 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung....................................615 7.2.6 Diskontinuitäten, Chthonik und Monstrosität infolge des Wütens der Transgression .........................................................625 7.2.7 Hippolytus’ transgressive Eliminierung ....................................631 7.2.8 Hippolytus’ Konfrontation mit dem Seeungeheuer...................639 7.2.9 Hippolytus’ juridische und physische Integritätsrestaurierung, Phaedras Selbsteliminierung und Theseus’ Charakterschwäche ....................................................644 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors ............................................................................................660 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 671 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra ............................................................684 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne .........................................................................706 7.6.1 Fazit ..........................................................................................706 7.6.2 Formal-komparatistischer Ausblick .......................................713 8. Zusammenfassung und Ausblick ...........................................................721 8.1 Zu einer strukturalistischen Poetik und Hermeneutik der Transgression ...............................................................................................721 Inhalt xiii 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression .....................................723 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer ........728 8.4 Die verschränkte Diachronie von Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst .................................................................736 8.5 Methodischer Ausblick ......................................................................743 9. English Summary: Transgression, the Tragic, and Metatheater .....749 10. Literaturverzeichnis ...............................................................................755 1. Nachschlagewerke, Reihen, Fragmentausgaben und abgekürzt zitierte Literatur ...................................................................................755 2. Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare antiker bis frühneuzeitlicher Autoren ................................................................................757 3. Sekundärliteratur..................................................................................766 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister .................................................805 12. Index locorum ...........................................................................................903 Inhalt Teil I: Einleitung: Haupttermini, Methodik und analytischer Apparat 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung Das antike Theater konstituierte eine der drei Großgattungen der abendländischen Dichtung, die in der Antike oftmals als Leitgattung fungierte (Arist. Poet. 1461b 26-1462b 19). Dies lag sicher nicht zuletzt an seiner Öffentlichkeitswirksamkeit qua vormodernes Massenmedium und seiner entsprechenden quantitativen Produktivität. 1 Dabei sei dahingestellt, ob sich der Erfolg des Theaters sozialhistorisch daraus erklären läßt, daß die öffentliche Aufführung des Schauspiels der besonderen Rolle der Öffentlichkeit in der klassischen Polis Athen entsprach, oder ob er auf anthropologische Konstanten zurückzuführen ist, die bereits Aristoteles mit der Vorliebe der Menschen für den Gesichtssinn formulierte - da dieser die meisten Informationen liefere (Arist. Metaph. 980a 20-27). Unstrittig ist jedenfalls, daß das Theater/ Drama wegen der Darstellung (verbal) handelnder und interagierender Menschen, über die es ebenfalls bereits Aristoteles definiert hat, vor einem kollektiven Publikum einen anderen Superlativ verdient hat, nämlich denjenigen der anthropologischsten Gattung, 2 die am ehe- 1 Hellmut Flashar zitiert Hochrechnungen, nach denen das 5. Jh. 1260 Tragödien hervorgebracht habe, die etwa 180 Bände an Oxfordausgaben füllen würden. Die Anzahl der Tragödien des 4. Jh.s könne man „mindestens auf die Hälfte ansetzen“ (Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1-23, h. 3 f.). 2 Dieser gebührt ihm auch in diachron-stammesgeschichtlicher Hinsicht. Denn das Theater integriert kumulativ alle drei Stadien der Menschwerdung, die Merlin Donald ausgemacht hat (Origins of the Modern Mind. Three Stages in the Evolution of Culture and Cognition. Cambridge, Mass. 1991). Dies beginnt bereits beim ersten entscheidenden Schritt der Anthropogenese, dem mimetischen Stadium, das (und nicht erst die Entstehung der Sprache) bereits den Homo erectus klar von allen Vorgängern abgegrenzt habe (1991: 162-200). Donald definiert die mimetische Fähigkeit als Vermögen, bewußt aus eigenem Antrieb darstellende Handlungen zu erzeugen, die nicht sprachlicher Natur sind. Donald zählt hierunter ausdrücklich Tänze und pantomimisches Theater in Antike und Mittelalter auf (1991: 169), wobei die Tänze im antiken Chor wiederkehren. Zur mimetischen Kultur gehörten auch Rituale (1991: 198), die in der heutigen Dramentheorie eine beachtliche Rolle spielen (s. 2.2.2 Ritual). Der visiomotorische Ausdruck, den Donald als dominant in der mimetischen Kultur ausmacht (1991: 177), ist theatralisch und spiegelt die Aufwertung des Körpers in der modernen Theatertheorie und -praxis. Auch die nächste (und für den heutigen Menschen charakteristische) Stufe, die mythologische, welche die Sprache und Erzählungen über die Welt und insgesamt das Denken in und mit Zeichen kennzeichnen (1991: 201-268), ist im antiken Theater durch den Mythos als überwiegenden Stoff präsent. Schließlich findet sich das dritte Stadium, das theoretische, in dem symbolische Zeichensysteme außermental durch die schriftliche Fixierung gespeichert werden und so eine theoretische Reflexion ermöglicht wird (1991: 269-360), in der schriftlichen Niederlegung des Dramentextes sowie in der metatheatralischen Reflexion über das Theater selbst und, wie oben erwähnt, die condicio humana wieder. 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 2 sten geeignet ist, die condicio humana und deren Abgründigkeit auszuloten und zur Reflexion über diese anzuregen. 3 Trotz seiner im Verhältnis zur Produktion kümmerlichen Überlieferung stellen das antike Drama und insonderheit die attische Tragödie bis heute ein zentrales Forschungsfeld der klassischen Philologie dar. Im Laufe dieser eingehenden Erforschung ist eine Vielfalt von traditionellen und modernen Interpretationsmethoden zur Anwendung gekommen. Gegenwärtig lassen sich neben zahlreichen Einzelforschungen fünf Hauptströmungen der Beschäftigung mit dem antiken Drama unterscheiden: die praktisch-quellenkundliche, welche die Aufführungspraxis untersucht und eine große Nähe zur Archäologie und Alten Geschichte aufweist; die performativ-ritualorientierte, welche gleichsam den theoretischen Überbau für die Erforschung der Aufführungspraxis liefert und in Überschneidung mit der Religionswissenschaft die rituelle und mythologische Seite des antiken Dramas betrachtet; drittens ebenfalls eher kulturwissenschaftliche Fragen nach Geschlecht und Stadt, welche, da sie von gesellschaftlichen Gruppen ausgehen, soziologische und im Falle der Stadt auch politisch-historische Implikationen haben; und viertens die zumal im deutschsprachigen Raum immer wieder aufbrechende Frage nach Schicksal, Handlungsspielraum und „Schuld“ der Dramenfiguren (s. dazu 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Sie stellt wohl die pointierteste Fragestellung innerhalb eines größeren Problemfeldes dar, das auch die weitverbreiteten Untersuchungen von Einzelcharakteren und Handlungssträngen umfaßt. Nur sie greift von diesen vier Richtungen die - auch im Ansatz dieser Untersuchung - zentrale Frage nach dem inneren Funktionieren des Dramas auf, die bereits Aristoteles ins Zentrum seines Tragödienverständnisses gerückt hat. Trotz eines unverkennbar philosophischen Moments, das sich um den Problemkreis ‚Willensfreiheit‘ rankt und leicht anachronistisch geraten kann, ist dieser Ansatz derjenige, der von den bisher besprochenen am ehesten das Prädikat ‚literaturwissenschaftlich‘ verdient, da er sich nicht in kulturell-materialem Ad- und Substrat erschöpft, sondern ein wichtiges Merkmal der inneren Verfaßtheit dieser literarischen Texte zum Gegenstand der Betrachtung erhebt. Derartige Untersuchungen sind freilich nicht gegen die Gefahr gefeit, über die Suche nach konzeptueller und begrifflicher Präzisierung aus dem Blick zu verlieren, daß sie es nicht mit philosophischen, sondern literarischen Texten zu tun haben, deren Charakteristikum nicht die Eindeutigkeit, sondern die Mehrdeutigkeit ist. 4 Einzig genuin literaturwissenschaftlich ist die fünfte Richtung, die Charles Segal neben den Cambridge Ritualists und der Psychoanalyse erwähnt, nämlich die Analyse der formalen Gestaltung der griechischen Tragödie, wie sie in Deutschland in den 1930er Jahren und in den USA von den New Criticists betrieben worden sei. 5 3 Jean-Marie Domenach, Le retour du tragique. Paris 1967, 8 f. 4 Bei Christoph Menkes exzellenter Studie Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. Frankfurt a.M. 2005 stehen die philosophische Lektüre des OT (2005: 13-101) und die Tragödientheorie (2005: 103-157) eher nebeneinander, als daß sie sich durchdringen. 5 Tragedy and Society. A Structuralist Perspective. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Myth, Poetry, Text. Ithaca 1986, 21-47, h. 21 f. 0. Einleitung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 3 In der Gegenwart wird das Bedürfnis spürbar, die heuristische Tragweite und Vereinbarkeit dieser methodischen Vielfalt zu klären. 6 Hier will die vorliegende Untersuchung einsetzen. Statt des sozial(geschichtlich)en Kontextes oder ritualmythologischen Subtextes, die bislang mit beachtlichen Resultaten im Zentrum der Forschungsrichtungen standen, so verschieden sie auch sein mögen, will sie mit einer literaturwissenschaftlichen Interpretation dem (Dramen-)Text zu seinem Recht verhelfen und greift damit ein gegenwärtig spürbares Bedürfnis auf. 7 Dabei sollen die traditionellen Fundamentalkategorien Tragik und Komik des antiken Dramas auf strukturalistischer Grundlage mit Hilfe der eher postmodernen Figur der Transgression neubestimmt und so eine neue Grammatik 8 dieser Großgattung geschrieben werden, die bislang Gegensätzliches oder Disparates zu einer einheitlichen Sichtweise zusammenführt, ohne die früheren Einzelpositionen, Herangehensweisen und Ergebnisse aufzuheben. Die hier gewählte Herangehensweise, die am prägnantesten als ‚handlungsstrukturalistisch’ zu etikettieren wäre, ist wissenschaftsgeschichtlich keineswegs eine creatio ex nihilo, die wie Athene vollausgebildet dem Haupt des Zeus entsprießt. Die folgende methodisch-terminologische Einleitung soll sie in die allgemeine Theatertheorie und die Reflexionen über das antike Drama, vorzugsweise über die Tragödie und den Begriff des Tragischen, die bis in die klassische Philosophie selbst zurückreichen, einbetten, um auf diesem Wege Parallelen, Unterschiede und Innovationen herauszuarbeiten und zu begründen. Um das Verständnis zu erleichtern, seien an dieser Stelle der analytische Apparat 9 dieser Arbeit, d.h. ihre Grundbegriffe und methodischen Grundsatzentscheidungen, sowie die argumentative Funktion der einzelnen Kapitel der Einleitung kurz vorausgeschickt. Dabei soll auch das systematische Verhältnis der hier vorgestellten Termini geklärt werden. Den Anfang unserer Vorschau mögen methodische Grundentscheidungen und Begriffe bilden, die so fundamental sind, daß ihnen kein eigenes Kapitel gewidmet wurde. Was den Gegenstand der Untersuchung angeht, so unterschei- 6 Vgl. Gyburg Radke, Tragik und Metatragik. Euripides’ Bakchen und die moderne Literaturwissenschaft. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 66. Berlin 2003, 1-30 und Rita Felski (Hg.), Rethinking Tragedy. Baltimore, Md. 2008. Douglas L. Cairns, Introduction: Archaic Thought and Tragic Interpretation. In: Ds. (Hg.), Tragedy and Archaic Greek Thought. Swansea 2013, ix-liv, h. ix f. bietet einen Überblick über die bisherigen Richtungen der Forschung und weist zugleich auf ihr Alter und die Notwendigkeit der Weiterentwicklung hin, die sein Einleitungsbeitrag und die Beiträge des von ihm herausgegebenen Sammelbandes in einem wichtigen Punkt wegweisend in Angriff nehmen. 7 Vgl. Richard B. Rutherford, Greek Tragic Style: Form, Language and Interpretation. Cambridge 2012, xi: „My own emphasis is on the dramas as poetic texts.” 8 Bereits Anton F. Harald Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie. Politische und ‚metatheatralische‘ Aspekte im Text. Diss. München 1990. Classica Monacensia 1. Tübingen 1991, 186 Anm. 27 spricht von einer „tragischen ‚Grammatik‘“, ohne dort näher auf diesen Terminus einzugehen. 9 Nach Gert Hübners ebenso anschaulicher wie treffender Formulierung „bestückt“ das Vorstellen des „analytische[n] Instrumentarium[s]“ den „Werkzeugkasten“ für die späteren Einzelinterpretationen (Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im „Eneas“, im „Iwein“ und im „Tristan“. Habil. Bamberg 2001/ 2002. Bibliotheca Germanica 44. Tübingen 2003, 11). 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 4 det die vorliegende Arbeit stärker als der gewöhnliche Sprachgebrauch, der oft auf eine funktionale Synonymie hinausläuft, idealtypisch zwischen dem Drama, d.h. der im Text ohne Autorenkommentare geschilderten Handlung verschiedener Akteure, und dem Theater, d.h. dem Schauspiel, das diese Handlung einem realpräsenten oder implizierten Publikum bietet. Der Hybridcharakter der untersuchten Gattung als (Wort-)Drama und Theater birgt damit zwar ein terminologisches Dilemma hinsichtlich eines gemeinsamen Hyperonyms: Die Genusgleichheit von ‚Drama‘ und ‚Theater‘ macht grammatisch eine rein additive Schrägstrichlösung praktikabel (Theater/ Drama). 10 Die mimetische Großgattung, wie sie auch genannt werden kann, da selbst der gelesene literarische Text der antiken Dramen mangels übergeordneten Erzählers das Auftreten und Interagieren handelnder Einzelpersonen imaginiert, würde so zu einer ‚Müller-Lüdenscheid‘-Gattung. Dies ließe sich vermeiden, wenn man sich mit einer neologistischen Verschmelzung dieser Zusammenrückung abfände (‚Theadrama‘). Doch entspricht dieser Hybridcharakter sachlich exakt den Saussureschen Charakteristika der langue als fait linguistique und fait social (CLG 29-35). Die terminologische Not ist damit eine analytische Tugend: Grenzüberschreitung und Ambivalenz sind in der Struktur dieser Gattung angelegt. Sie ist damit besonders geeignet, unter strukturalistischen Prämissen mit der Figur der Transgression untersucht zu werden. Diese (post)strukturalistische Herangehensweise an das antike Theater kann sich auf keinen Geringeren als Roland Barthes berufen, dessen literaturwissenschaftliche Anfänge in der klassischen Philologie liegen und der ausgehend von der Beschäftigung mit dem griechischen Drama den Übergang vom Strukturalismus zum Poststrukturalismus einleitete. 11 Die begriffliche Unterscheidung zwischen Drama und Theater ist grundlegend für eine methodische Weichenstellung: Die vorliegende Arbeit ist, wie bereits angedeutet, einem werkästhetischen Ansatz verpflichtet, d.h. den Gegenstand der Untersuchung bildet der überlieferte antike Dramentext. Produktions- und rezeptionsästhetische Gesichtspunkte, die sonst zu Spekulationen über das Bewußtsein längst Verstorbener auszuarten drohen, sollen nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie sich am Text festmachen lassen (für die Rezeptionsästhetik s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Bei der Produktionsästhetik sind dies intra- oder intertextuelle Alternativen, die eine bestimmte Bedeutung auf dem Wege der Kontrastierung oder gar von Minimalpaaroppositionen hervortreten lassen, ohne deshalb Rückschlüsse über Wirkungsabsichten des Autors zu erlauben. 10 Für eine weitere begriffliche Ziselierung der Konstituenten von Drama und Theater s. 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik in 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Dramenästhetik. 11 So Gerhard Neumann, Begriff und Funktion des Rituals im Feld der Literaturwissenschaft. In: Ds., Sigrid Weigel (Hgg.), Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München 2000, 19-52, h. 32 ohne Textnachweis. Als äußerst fruchtbar für das Analyseraster der vorliegenden Arbeit könnte sich jedenfalls Barthes’ Rückgriff auf Lucien Tesnières Konzept der Inszeniertheit des Zeichens erweisen (2000: 33), wenn man es an das Drama knüpft, statt wie Barthes vom klassischen Strukturalismus in die allgemeine Kultursemiotik (2000: 34) auszuschweifen. 0. Einleitung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 5 Die Unterscheidung von Drama und Theater zieht eine weitere nach sich, nämlich diejenige der Interaktionsformen zwischen den dramatischen Akteuren und solchen zwischen dem Schauspiel und seinen Rezipienten. Die erstgenannte tritt hier als Binnenpragmatik hervor, die letztgenannte, da sie über die Bühne erfolgt, als Bühnenpragmatik. Ebenso sei zwischen Binnen- und Bühnenhermeneutik unterschieden. Während die Bühnenhermeneutik vom antiken und modernen Zuschauer oder Leser oder aber dem modernen Literaturwissenschaftler abhängt und teils über die Rezipientenlenkung in den Text eingeschrieben ist, wird die Binnenhermeneutik von den Figuren vorgenommen und hat dadurch eine besondere Relevanz für das (Selbst-)Verständnis der Dramentexte. 12 Noch aufschlußreicher ist ihre Pragmatik, wenn die Geltungsansprüche konkurrierender Deutungen ausgehandelt werden. Die methodisch-terminologische Einleitung gliedert sich in drei thematische Blöcke. Der erste Themenblock stellt das Instrumentarium der Dramenanalyse vor. 13 Ihr Herzstück ist die Transgression. 14 Sie ist der zentrale Begriff und das integrative Konzept dieser Arbeit und kann trotz ihrer postmodernen Beliebtheit auf eine reiche Forschungsgeschichte in der modernen Theorie zurückblicken (1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White). In dieser Arbeit wird sie unter drei Aspekten betrachtet: einem topologisch-geographischen, einem soziojuridisch-mimetischen und einem ästhetischen (1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität). Als Handlungsfigur ist sie besonders für die Dramenanalyse geeignet. Sie verletzt eine Ordnung und entspringt ihr, wobei diese Ordnung nach dem Verständnis dieser Arbeit durch Grenzziehungen konstituiert wird. Die Ordnungs- und Identitätsstiftung durch Abgrenzung ist ein genuin strukturalistischer Ansatz, dem die vorliegende Arbeit verpflichtet ist und auf dem eine strukturalistische Semiotik fußt. Die Semiotik, nicht bloß strukturalistischer Obödienz, bildet neben dem Strukturalismus 15 den zweiten wichtigen theoretisch-methodischen Hinter- 12 Gleicht man diese Begriffe mit den Termini von Kenneth L. Pike ab, nimmt die Bühnenhermeneutik also den etischen und die Binnenhermeneutik den emischen Standpunkt ein (Language in Relation to a Unified Theory of the Structure of Human Behavior. Ianua linguarum Series maior 24. Den Haag 2 1967, 37). Der Brückenschlag zu Pikes Begrifflichkeit bietet sich auch deshalb an, weil er seine Begriffspaar analog zu dem strukturalistischen ‚phonemisch‘ und ‚phonetisch‘ geprägt hat (1967: 37) und die vorliegende Untersuchung für ihr Modell zur Dramenanalyse an diese Richtung der Sprachwissenschaft anknüpft. 13 Dieser sowie 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik und 3.3 Metatheater als poetische Transgression seien dem eiligen Leser empfohlen, der nicht an den ästhetisch-theoretischen Grundlagen, sondern nur an dem terminologisch-konzeptuellen Rüstzeug der Dramenanalyse interessiert ist. 14 Auch die Verlagsankündigung (voraussichtliches Erscheinungsdatum laut Verlag: 30.9.2014) des Sammelbandes Niklas Bender, Max Große, Steffen Schneider (Hgg.), Ethos und Form der Tragödie. Germanistisch-romanistische Monatsschrift, Beiheft 60. Heidelberg 2014 nennt die „Verfehlung des Helden“ und „die Gefährdung der Ordnung“ als Thema der Tragödie seit der Antike. 15 Die in dieser Arbeit verwendeten strukturalistischen Grundbegriffe (langue, parole, Zeichen, signifiant, signifié, syntagmatisch, paradigmatisch, Minimalpaaropposition, operationale Verfahren, diachron, synchron) können hier aus Platzgründen nicht entwickelt werden, auch wenn sie vielleicht nicht allen klassischen Philologen geläufig sind. Für ihre Darstellung sei etwa auf 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 6 grund dieser Arbeit. Die in der vorliegenden Untersuchung unternommene perspektivische Weitung von der Transgression, deren Herkunft und Bedeutung ein topologisches Moment innewohnt, zur Semiotik wird nicht nur inhaltlich dadurch nahegelegt, daß Zeichen und Weg zwei Punkte verbinden, sondern auch durch die Etymologie des deutschen Wortes ‚Sinn‘ insinuiert, die nicht nur psychologische, sondern wie die Transgression topologisch-direktionale Elemente birgt. 16 Nur im Verbund mit anderen Handlungsfiguren ist die Transgression in der Lage, die Handlungsstruktur (Näheres s. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur) von Dramen zu beschreiben. Die Handlungsfiguren bilden den Grundstock des Apparats, den die Dramenanalyse dieser Arbeit in Anschlag bringt, und sollen im ersten Großabschnitt der Einleitung vorgestellt werden. Sie werden hier in Handlungsstationen und Handlungsmerkmale unterschieden. Handlungsstationen wie Transgression, Eliminierung, Restauration oder Iteration bestehen in konkreten Einzelhandlungen. Handlungsmerkmale wie Tragik oder Komik charakterisieren solche Einzelhandlungen; ihr Vorliegen läßt sich jedoch nur mit Blick auf andere Elemente der Gesamthandlung klären. Die Artikulation der Handlungsstationen unterscheidet sich in Tragödie und Komödie. Während die Transgression in der Tragödie in die für diese charakteristische Eliminierung mündet, verbindet sie sich in der Komödie (und Komik) mit Doppelung und Iteration. Die Transgression verletzt die Integrität deshalb in der Tragödie in einer viel elementareren Dimension als in der Komödie. Die Restauration als Gegenbewegung zur Transgression kann die von dieser verletzte Integrität und soziale Ordnung wiederherstellen. In der Komödie verzichtet sie, so sie denn stattfindet, abermals auf die Eliminierung. Bei den Handlungsmerkmalen tritt in dieser Arbeit die Komik gegenüber der Tragik zurück. Die Tragik faßt die vorliegende Untersuchung als Unterform der Transgression auf. Bei einer tragischen Transgression wird das ethisch-rationale Subjekt durch die Handlungsstruktur in seiner Funktion beeinträchtigt und hebt sich dabei - nicht selten in einer Rollenperformanz - selbst auf. Oft opfert es bei der tragischen Transgression eine fremde physische Integrität, um seine eigene soziale Jörn Albrecht, Europäischer Strukturalismus. Ein forschungsgeschichtlicher Überblick. Tübingen, Basel 2 2000 verwiesen, für ihre Verbindung mit der Literaturtheorie auf Jonathan Culler, Structuralist Poetics. Structuralism, Linguistics and the Study of Literature. London 1975. 16 Kluge/ Seebold s.v. sehen „die etymologischen Verhältnisse“ als „unklar“ an. Sie stellen die konkrete und abstrakte Bedeutung unentschieden nebeneinander und erwähnen, das ahd. Verb sinnan habe „reisen, sich begeben, trachten nach“ bedeutet, im Keltischen fänden sich die Parallelen air. sét und kymr. hynt ‚Weg‘. Pfeifer s.v. Sinn und sinnen geht jedoch von einem konkreten idg. Etymon *sent- „eine Richtung nehmen, gehen“ aus, das nicht nur lokalen Lexemen wie dt. senden, ahd. sind „Weg, Richtung, Seite“ und awest. hant- „gelangen (lassen)“, sondern auch psychologischen wie lat. sentire und lit. sintéti „sich entschließen, denken“ zugrunde liege. Pfeifer reproduziert damit den Kenntnisstand in Pokorny 908 s.v. sent-, der zwar „eine Richtung nehmen, gehen“ und „empfinden, wahrnehmen“ als Grundbedeutungen angibt, die konkrete jedoch als die „eigentliche[n]“ ansieht. Ähnlich erwägt das LIV 483 s.v. *sent zwar zwei ursprünglich verschiedene Wurzeln, hält eine Entwicklung von der konkreten zur psychologischen Bedeutung über die Zwischenstufe „(Wild) nachgehen“, „aufspüren“ jedoch durchaus für möglich. In Wodtkos aktuellstem Nachschlagewerk fehlt ein entsprechender Eintrag. 0. Einleitung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 7 zu wahren, verliert aber dabei seine moralische (1.4 Tragik, Konflikt und Integrität). Komik und Komödie beruhen zwar wie die Tragödie und die Tragik auf der Transgression, operieren jedoch anders als diese statt mit der Eliminierung mit der Verdoppelung (1.5 Komik, Doppelung und Iteration). Da - wie die Rhetorik auf der Grammatik - die Handlungsmerkmale Tragik und Komik auf Transgression, Eliminierung, Verdoppelung und Restauration aufbauen, verdienen sie im eigentlichen Sinne die Bezeichnung ‚Figuren der Handlung‘, 17 auch wenn diese gelegentlich den besagten vier Handlungsstationen zuteil werden mag. Die individuellen Ausprägungen von Tragik und Komik bei einem Dramatiker lassen sich schließlich als letzter Schritt der Individuation mit der Stilistik analogisieren. Der zweite thematische Block weitet den Horizont und bettet den semiotischhandlungsstrukturellen Ansatz dieser Untersuchung in einen breiteren dramentheoretischen und ästhetischen Zusammenhang ein. Dieser weitere Rahmen erlaubt es auch, die beiden ersten Kapitel dieses thematischen Blocks zwei verwandten oder konträren Ansätzen zu widmen, die wegen ihrer Prominenz und thematischen Relevanz für das Drama eine eigene Besprechung verdienen, während sonst die bisherige Forschung zumeist fortlaufend parallel mit der Entfaltung des eigenen semiotischen und strukturalistischen Analyseapparates diskutiert werden kann. Zuerst wird Aristoteles’ Poetik diskutiert, die nicht nur chronologisch vorgängig ist, sondern wegen ihrer Nähe zum bisher entwickelten Instrumentarium der Dramenanalyse eine Scharnierfunktion zum vorausgehenden thematischen Block erfüllt. In ihr nehmen nämlich Handlung(sstruktur) und Transgression einen zentralen Platz innerhalb des Tragödienverständnisses ein. Der Stageirit kann deshalb als Ahnherr und Stichwortgeber der hier vertretenen Dramenkonzeption in Anspruch genommen werden. (Nicht fruchtbar machen läßt sich allerdings sein Zeichenverständnis.) Dagegen lassen sich die in der gegenwärtigen Kultur-, Dramen- und ästhetischen Theorie beliebten Kategorien ‚Ritual‘, ‚Opfer‘ und ‚Performanz‘ nur modifiziert mit dem analytischen Grundstock dieser Arbeit harmonisieren, da sie im geläufigen Verständnis auf periphere soziale Phänomene des Dramas qua literarisches Kunstwerk abheben (2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz). Gleichwohl helfen sie, den hier vertretenen Ansatz schärfer herauszuarbeiten und in Details zu bereichern. So ist insbesondere der auf diese Weise gewonnene Begriff der (Rollen-)Performanz grundlegend, um das Tragikverständnis dieser Arbeit zu formulieren. Das Herzstück des zweiten thematischen Blocks bildet der Abschnitt 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik, der eine semiotisch-strukturalistische Dramenästhetik formuliert und gegen andere Ansätze positioniert. Dazu lotet er das spannungsreiche Verhältnis des Zeichens, das eo ipso etwas Mittelbares und Abstraktes ist, zu stärker unmittelbaren Phänomenen aus wie der Mimesis, die 17 Diese terminologische Anlehnung an Gregory W. Dobrov, Figures of Play. Greek Drama and Metafictional Poetics. Oxford 2001 ist mit der Logik seines Sprachgebrauchs vereinbar, da er Metatheater, mise en abyme und das Interdrama der Komödie als Figuren des Spiels bezeichnet (2001: 14-18), also analytisch noch eine Stufe tiefer als der Sprachgebrauch der vorliegenden Arbeit unter die Einzelhandlung steigt. 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung 8 für die Dramenästhetik grundlegend ist, und der Ästhetik, die hier vornehmlich in ihrer phänomenologischen Konfigurierung relevant ist. Zwei kürzere Kapitel schließen sich inhaltlich an: Das vorangehende Kapitel hatte den Zeichennutzer und die Pragmatik unberücksichtigt gelassen. Diese Aspekte und weitere mit dem dramatischen Zeichennutzer verbundene behandelt das folgende (2.4 Die Zeichennutzer: Dramatische Kommunikationsstruktur, Pragmatik, Ambivalenz, Ironie und Naivität). Die Maske ist schließlich, da sie die dramatische Person auf der Bühne materialisiert, die systemische Schnittstelle zwischen Mimesis, Phänomenologie und Dramensemiotik (2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle). Die dramentheoretische Grundlagenforschung schafft die Voraussetzung für den letzten thematischen Block der Einleitung, dessen drei Kapitel die poetologisch-ästhetische Dimensionen der Transgression beleuchten. Deren Rolle in dramenpoetischen Texten läßt sich adäquat nur auf der Grundlage einer Poetik des Raumes oder zumindest des Raumes in dramatischen Texten verstehen (3.1 Zu einer Poetik des Raumes). Die Transgression selbst ist nicht bloß auf den soziojuridischen und topologischen Bereich beschränkt. Vielmehr kann man die Kunst und die Poesie als Durchbrechen des Alltäglichen und seiner Sinnzusammenhänge zu neuen semiotisch-ästhetischen Dimensionen und deren Erschaffen begreifen (3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Im Falle des Dramas lassen sich die verschiedenen Formen gattungsspezifischer Metapoetik und Metafiktionalität, die gegenwärtig terminologisch ungeschieden unter dem Stichwort ‚Metatheater‘ zirkulieren, als poetische Transgression auffassen (3.3 Metatheater als poetische Transgression). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur Während, wie im vorausgehenden Kapitel ausgeführt, die heutige Forschung überwiegend den historischen Kontext oder den rituellen Subtext des antiken Dramas betrachtet, soll hier die Tiefenstruktur der Dramentexte erhellt werden. Der Blick auf die innere Verfaßtheit der literarischen Texte ist, überflüssig zu sagen, das Signum einer literaturwissenschaftlichen Herangehensweise an das antike Drama. 1 Dazu bietet sich die strukturalistische Methodik besonders an, da sie produktions- und rezeptionsästhetische Aspekte zugunsten einer synchronen Analyse der konstitutiven Elemente und ihrer Verbindung zurückstellt. 2 Sie ermöglicht es, durch ein Verfahren, das man als literatursemiotisch bezeichnen kann, die literarischen Zeichen des Sprachkunstwerks zu bestimmen. Ihre Herangehensweise hebt damit auf die Werkästhetik ab. Diese Arbeit steht somit programmatisch und theoretisch der immanenten Interpretation nahe, wie sie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von Wolfgang Kayser vertreten wurde, der in der Literaturwissenschaft ein theoretisches Element sah. 3 Ihn führt Markus Schauer neben Emil Staiger 4 als Eideshelfer für seinen werkästhetischen und textimmanenten Zugang zur attischen Tragödie an, 5 mit dem er bereits eine Dekade zuvor einen ähnlichen Ansatz wie die vorliegende Arbeit wählt. Der Rückgriff auf Kayser und Staiger wird durch die kritische Distanz zu zwei nachfolgenden, in den siebziger Jahren des 20. Jh.s vorherrschenden Perspektiven der Literaturwissenschaft gerechtfertigt: die Reduktion literarischer Werke auf ihren sozialen Kontext und ihre nivellierende Subsumtion unter die Kategorie ‚Text‘. Beide Sichtweisen drohen den eigentlichen Gegenstand dieser Wissenschaft aus dem Blick zu verlieren, das literarische Sprachkunstwerk, das gewiß ein Text ist, allerdings ein literarischer, dessen Komplexität diejenige von Alltagstexten weit übersteigt. Diese Komplexität wird hier anknüpfend an die Lite- 1 Diese tritt in Patricia E. Easterling (Hg.), The Cambridge Companion to Greek Tragedy. Cambridge 1997 auffallend zurück. Nur Patricia E. Easterling, Form and Performance. In: Ds. (Hg.), The Cambridge Companion to Greek Tragedy. Cambridge 1997, 151-177 befaßt sich mit formalen Fragen und Peter Burian, Myth into muthos: The Shaping of the Plot. In: Patricia E. Easterling (Hg.), The Cambridge Companion to Greek Tragedy. Cambridge 1997, 178-208 widmet sich einem Ansatz, der in den Bereich der Handlungsstruktur fällt, aber immer noch quellenkundlich angehaucht ist. 2 Gérard Genette, „Structuralisme et critique littéraire“, in: Ds., Figures I. Paris 1966, 145-170, h. 155-157. 3 Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft. Bern, München 15 1971, vgl. S. 11: „Das Studium der Literatur setzt bei dem Studierenden eine gewisse theoretische Begabung voraus.“ 4 Er führt dafür dessen Grundbegriffe der Poetik. Zürich 8 1968 an. 5 Tragisches Klagen. Form und Funktion der Klagedarstellung bei Aischylos, Sophokles und Euripides. Diss. München 2001. Classica Monacensia 26. Tübingen 2002, 20 f. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 10 raturwissenschaft der siebziger Jahren des 20. Jh.s strukturalistisch-semiotisch beschrieben. Dies unterscheidet sich methodisch, aber nicht theoretisch von Kayser (1971: 5): „Eine Dichtung lebt und entsteht nicht als Abglanz von irgend etwas anderem, sondern als in sich geschlossenes Gefüge [Kurs. von mir].“ Ein strukturalistischer Ansatz darf allerdings ein kommunikativ-pragmatisches und formalistisch-operationales Moment nicht vernachlässigen und wird davon ausgehen, daß sich die volle Komplexität der Dichtung erst im Dialog mit ihrer Umgebung erkennen läßt. Die Auffassung vom dialogischen Charakter auch eines semiotisch gedeuteten Sprachkunstwerks steht im Widerspruch zu Schauers fundamentaler Skepsis gegenüber der Möglichkeit, intertextuelle Bezüge schlüssig nachzuweisen. Diese Reserviertheit ist sicherlich eine verständliche und im Zeitkontext durch das damalige Wuchern von Intertextualitätstheorien nicht unberechtigte Reaktion. Zudem schlägt dieser Dissens nicht voll bis zur Ebene der Gattung durch, da Schauer Bezüge zwischen Texten einer Gattung für plausibel hält, also das Konzept des Interdramas, von dem auch die vorliegende Arbeit ausgeht (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression), nicht gänzlich ablehnt, auch wenn er sogleich Zweifel an Bezügen zwischen Tragödie und Komödie anmeldet (2002: 21 f.). Die politische Lektüre eines Dramas, der etwa Egon Flaig Sophokles’ Oidipus Tyrannos unterzieht, beruht auf dessen beiden Spezifika ‚Handlung‘ und ‚Öffentlichkeit‘, beschränkt sich aber, sofern sie sich nicht in zeitgenössischen Hintergründen oder Intentionen erschöpft, auf die Zeichen, die dem politischen Diskurs zu eigen sind (z.B. ‚Tyrann‘) (Näheres s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression der OT-Interpretation). Unspezifisch ist gegenüber einer solchen textzentrierten Herangehensweise trotz nicht zu diskutierender sachlicher Richtigkeit das ritualmythologische archetypische Substrat, dem eine anthropologische Literaturtheorie bzw. der archetypal criticism nachspüren. 6 Dieser Ansatz bietet zwar gut strukturalistisch eine Gattungsgrammatik, mit der die Rhetorik der Einzeldramen arbeitet. Die von ihm ermittelten Motive sind jedoch in der Tragödie ubiquitär und beschreiben - anders als das vorliegende Modell - keine kohärenten Handlungsabläufe. Auch die Suche nach einem psychoanalytischen Subtext der Dramenhandlung, wie ihn etwa Freud bei Sophokles’ Oidipus Tyrannos aufgespürt hat, droht sich im allgemeinen menschlichen Wünschen zu verlieren, da der Kunst unterstellt wird, sie artikuliere von Künstler und Zuschauer verdrängte Wünsche. Mit dem Wünschen gelangt man freilich in den kaum zu überprüfenden Raum des Innenlebens von Künstler und Zuschauer, das auch für die Ausblendung der historischen und emotionalen Rezeptionsästhetik maßgeblich ist (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Dagegen lassen sich psychoanalytische Symbole, ohne den in ihnen verborgenen Wünschen nachzuspüren, 7 am Text festmachen. 6 So auch George Steiner, The Death of Tragedy. New Haven, London 1996, x. 7 Hier zeigt sich eine Artikulation der scheinbar disparaten Grundkategorien von Strukturalismus (‚Zeichen‘) und Psychoanalyse (‚Begehren‘), die auch im Fetischismus anzutreffen ist. Doch inwieweit die Semiose ein Mechanismus der Verdrängung ist, da Freuds Phasen der Körperregionen und der frühkindliche Spracherwerb parallel verlaufen, bleibt für die Entwicklungspsychologen schwierig zu beantworten. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur 11 Der strukturalistisch-literatursemiotische Ansatz der vorliegenden Untersuchung rückt zur Erfassung der inneren Verfaßtheit literarischer Dramentexte die beiden namengebenden Spezifika dieser Gattung im europäischen Kulturraum, die das dramatische Theater, wie Brecht es in Abgrenzung von seinem epischen Theater nannte, bis zu dessen Aufkommen konstituierten 8 und die bereits Aristoteles’ Tragödiensatz formuliert hat (Poet. 1449b 24-26: … ), die Handlung (‚Drama‘) und die (re)präsentative Mimesis (‚Theater‘) in das Zentrum der Betrachtung. Sie berücksichtigt aber auch die Besonderheiten des jeweiligen Dichters und literarischen Kunstwerks, mithin die generische und individuelle Handlungsstruktur, in der sich Formales und Inhaltliches verbinden, da nach der Darstellung und Artikulation der allgemeinen und wiederkehrenden Handlungsfiguren Transgression, Eliminierung, Doppelung und Iteration gefragt wird. Die Handlungsstruktur beruht damit auf der syntagmatisch-sequentiellen Abfolge paradigmatisch und syntagmatisch geschiedener Handlungsschritte, deren Verhältnis die Verfassung der Handlungsstruktur 9 konstituiert und denen Rollen und Figurenkonstellationen zugrunde liegen. Die literaturwissenschaftliche Legitimität dieser werk- und teils auch produktionsästhetischen Herangehensweise ist mit derjenigen anders gelagerter, etwa rezeptionsästhetischer Ansätze kompatibel. 10 Billigerweise darf nicht übergangen werden, daß der Versuch einer Dramenpoetik auf strukturalistischer Grundlage ein Wagnis darstellt. Der Grund dafür liegt darin, daß dieses Unterfangen zwar kein Neuland betritt, sich aber dennoch auf nicht ausreichend gesichertem Grund bewegt. Herta Schmids Untersuchung ist zwar dem Titel nach einschlägig, 11 bleibt jedoch auf ihren Gegenstand, Tschechows Theater, zugeschnitten, dessen Eigenheiten sie über Abweichungen vom Grundtypus der dramatischen Gattung erhellt (1973: 457 ff.), wobei sie den Gattungsbegriff in Anlehnung an Muka ovský strukturalistisch bestimmt (1973: 8 Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 20. Auch George Steiner, The Death of Tragedy. New Haven, London 1996, x weist auf die Spezifik der attischen Tragödie gegenüber außereuropäischer Performanzkunst hin. 9 Es versteht sich, daß diese Handlungsstruktur der Dramen(texte) etwas ganz anderes ist als das, was Thomas Schröder als Handlungsstruktur von Texten auffaßt, nämlich das Zusammenspiel der einzelnen Satzhandlungen innerhalb eines Textes zu einer Gesamthandlung (Die Handlungsstruktur von Texten. Ein integrativer Beitrag zur Texttheorie. Habil. Tübingen 2000. Tübingen 2003, 7). Diese Herangehensweise hebt den Ansatz der Sprechakttheorie auf die Ebene der Textlinguistik (2003: 8). Jede sprachliche Äußerung wird so als Handlung aufgefaßt und in einem (atomistischen) Konstituentenmodell (2003: 7) zu einer Struktur zusammengefügt. Bei dialogischen Texten, die wie die Dramentexte ohne hierarchisierende Instanz funktionieren, ist ein derartiges Verfahren schwierig. Das Strukturverständnis der vorliegenden Untersuchung ist aber nicht bloß additiv, sondern auch semiotisch und funktional. Dieses semiotische Verständnis betrifft auch die Elemente der Struktur: Die Sprache wird nicht grundsätzlich als Handlung aufgefaßt, sondern die Gattung ‚Drama‘ bringt es mit sich, daß die einzelnen sprachlichen Äußerungen auf Handlungen referieren und die Einzelhandlungen sind, über die sich die Gesamthandlung vollzieht. 10 S. etwa die rezente und profunde Analyse von Karl Heinz Bohrer, Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage. München 2009. 11 Strukturalistische Dramentheorie. Semantische Analyse von echovs ›Ivanov‹ und ›Der Kirschgarten‹. Diss. Konstanz 1972/ 73. Skripten Literaturwissenschaft 3. Kronberg (Ts.) 1973. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 12 15-28). Das Fehlen einer allgemeinen und universell applizierbaren strukturalistischen Dramentheorie erklärt sich theoriegeschichtlich daraus, daß die strukturalistisch-semiotische Poetik paradigmatisch von den verschiedenen als postmodern zusammengefaßten Strömungen wie Dekonstruktion und Diskursanalyse in der Meinungsführerschaft und Debattendominanz abgelöst wurde, bevor sie trotz verschiedenster Ansätze und Ausformulierungen ein kanonisches und über experimentelle Anwendung hinaus gesichertes Inventar interpretatorischer Methoden ausgebildet hatte, 12 von praktikablen Gattungspoetiken ganz zu schweigen (mit Ausnahme der Lyrik, die zu formalen Analysen besonders einlud). Die Verdrängung der strukturalistisch-semiotischen Poetik aus dem Brennpunkt der literaturtheoretischen Debatten ist vielleicht eine Reaktion auf dieses, möglicherweise grundsätzlich nicht zu behebende Defizit. Die theoretischen Probleme einer strukturalistisch-semiotischen Literaturwissenschaft sollen hier in 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression behandelt und in 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik stärker auf die Dramenästhetik zugeschnitten werden. Dekonstruktion und Diskursanalyse können jedenfalls mit dem sprachlichen bzw. sozialen Aspekt der Transgression in das strukturalistische Modell redintegriert werden. Im englischsprachigen Raum haben Charles Segal strukturalistische 13 und Simon Goldhill dekonstruktivistische 14 Ansätze für die Deutung der attischen Tragödie fruchtbar gemacht. Auch wenn sie dabei noch nicht die Handlungsstruktur oder Transgression gesondert in den Blick genommen haben, ist diese Arbeit diesen beiden Interpreten verpflichtet: Der Begriff der Transgression internalisiert über die Mimesis Segals mythologische und soziologische Aspekte in die Dramenhandlung und baut bei dieser textorientierten literatursemiotischen und (neo)strukturalistischen Verfahrensweise auf Goldhill auf, der sich für seinen ähnlich gelagerten Ansatz, welcher der unendlichen Bedeutung des Textes nachgeht (1984: 4), auf Barthes und auf Derridas in Saussures Tradition stehende différance beruft (1984: 1-7). Die klassische Philologie des deutschsprachigen Raumes bleibt dagegen bei der an sich berechtigten Kritik stehen, Lévi-Strauss’ strukturalistische Mythenlektüre vernachlässige die Tatsache, daß der Mythos eine narrative Sequenz darstelle. 15 Hier bewegt sich die Analyse der Handlungsstruktur von Dramen weitgehend in traditionellen Bahnen. Allenfalls gewisse begriffliche und konzeptuelle Parallelen zum vorliegenden Ansatz sind zu finden. Hellmut Flashar 12 Ein solches bleibt auch Genette 1972 schuldig. 13 Tragedy and Society. A Structuralist Perspective. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Myth, Poetry, Text. Ithaca 1986, 21-47 und Greek Myth as a Semiotic and Structural System and the Problem of Tragedy. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Myth, Poetry, Text. Ithaca 1986, 48- 74. 14 Language, Sexuality, Narrative. The Oresteia. Diss. Cambridge [s.a.]. Cambridge 1984. 15 Sabine Föllinger, Genosdependenzen. Studien zur Arbeit am Mythos bei Aischylos. Teilw. zugl. Habil. Mainz 1999. Hypomnemata 148. Göttingen 2003, 15 referiert diese Kritik und verweist für sie auf Fritz Graf, Griechische Mythologie. Eine Einführung. München, Zürich 1985, 50-52 und Ada Neschke-Hentschke, Griechischer Mythos und strukturale Anthropologie. Kritische Anmerkungen zu Claude Lévi-Strauss’ Methode der Mythendeutung. Poetica 10 (1978) 135-153, h. 149, die von „Erzählsequenz“ spricht. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur 13 spricht mit Blick auf die ebenfalls in der vorliegenden Arbeit bemühte aristotelische Poetik von „Handlungsstruktur“ (s. 2.1.1 Handlungsstruktur, Mimesis, Transgression und Eliminierung in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Walter Jens macht bei Aischylos ein vierschrittiges Schema des dramatischen Gesamtaufbaus aus, das entsprechend der Konstitution eines analytischen Dramas auf die Erwartungshaltung und Rezeptionsästhetik abzielt: Der erste Abschnitt biete die Erwartung einer Enthüllung, der zweite kreise das Problem näher ein und führe zur Entscheidung hin, der dritte bringe diese und der vierte beschreibe die Lage der von der Katastrophe Betroffenen oder „künde[t] nach der Interpretation des Geschehens eine sich aus der unterschiedlichen Deutung des vorliegenden Tatbestandes ergebende Weiterentwicklung an“. 16 Das Substantiv „Struktur“ im Titel dieses Beitrags zielt auf das idealistisch-organische Konzept des (Dramen-) Aufbaus, da hier holistisch das gesamte Dramengeschehen in Schritte zergliedert wird, bei denen der nächste sich aus dem vorhergehenden entwickelt. Das stärker paradigmatisch orientierte und hier verfochtene Konzept der Handlungsstationen greift dagegen einzelne markante Schritte des Geschehens heraus. Traditionell und nicht sonderlich analytisch sind auch die „Bauformen“ 17 in einem von Jens herausgegebenen Sammelband gefaßt (Eingang, Epeisodion, Chorlied, Tragödienschluß, Rhesis usw.). 18 Nur Josef Kopperschmidt („Die Hikesie als dramatische Form“, S. 321-346) hebt wie Markus Schauer mit der Klage auf eine inhaltliche Handlung ab, die zudem ebenfalls die Not eines Akteurs zum Ausdruck bringt. Schauer knüpft mit dem letzten Element seiner terminologischen Trias Baueinheit, Bauelement und Bauform erklärtermaßen an diesen Sammelband an, beschränkt diesen Ausdruck jedoch auf Formales (2002: 337-339). Baueinheit und Bauelement können bei Schauer jeweils inhaltlich wie formal bestimmt sein. Die Baueinheit ist dabei die übergeordnete Größe. Inhaltlich wäre sie eine typische Szene, formal ein Dramenteil wie ein Amoibaion oder ein Prolog. Durch die inhaltlich klargefaßte Themenstellung ‚Klage‘, die einen Dramenabschnitt er- und umfaßt, kann sich Schauers Heuristik mit der traditionellen Dichotomie inhaltlich vs. formal begnügen und braucht keine inhaltlich-operationalen Tiefenkategorien wie Transgression, Eliminierung etc., die auf den Verlauf des gesamten Dramas und seine Figurenkonstellation zielen. Eine Harmonisierung mit dem dramenanalytischen Apparat der vorliegenden Arbeit ist deshalb in diesem Punkt nicht sinnvoll. Sie ist allerdings in einem anderen möglich. Denn Schauer definiert die Bauform als „die formale Gestaltung einer Baueinheit“. Innerhalb seines Analyserasters nimmt er also eine ähnliche Unterschei- 16 Strukturgesetze der frühen griechischen Tragödie (1955). In: Hildebrecht Hommel (Hg.), Wege zu Aischylos. 2 Bde. Darmstadt 1974, Bd. 1, 86-103, h. 101-103. 17 Uvo Hölscher, Zur Erforschung der Strukturen in der Odyssee. In: Joachim Latacz (Hg.), Zweihundert Jahre Homer-Forschung. Rückblick und Ausblick. [Vorträge auf dem zweiten Colloquium Rauricum, 16. bis 19. August 1989 in Augst]. Colloquium Rauricum 2. Stuttgart 1991, 415-422, h. 415 hält gleichwohl diesen Ausdruck für genauer als „Struktur“, die er als „Modewort, das oft Präzision und Strenge affektiert, wo die Klarheit des Begriffs fehlt“, abtut, ohne den heuristischen Mehrwert von ‚Bauformen‘ zu präzisieren. 18 Die Bauformen der griechischen Tragödie. Beihefte zu Poetica 6. München 1971. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 14 dung wie die vorliegende Untersuchung zwischen ‚Handlungsstation‘ und ‚Handlungsmerkmal‘ vor. Auch wenn die Kategorien der beiden Klassifikationen nicht deckungsgleich sind, so stimmen sie doch darin überein, daß sowohl ‚Baueinheit‘ als auch ‚Handlungsmerkmal‘ formal-abstrakte Charakteristika auf der paradigmatischen Achse einer weiteren, material faßbaren dramatischen Einheit sind, die auf der syntagmatischen Ebene anzusiedeln ist. Das dramenanalytische Instrumentarium der deutschsprachigen klassischen Philologie bleibt im Ergebnis also wenig innovativ und eher auf der Oberfläche von Text und Geschehen. Dagegen hat es in der Literaturwissenschaft und den neueren Philologien nicht an Versuchen gefehlt, neue Beschreibungsmodelle auf der Grundlage moderner Theorien zu entwickeln. Im Folgenden seien Anknüpfungspunkte des vorliegenden Ansatzes an formalistisch-strukturalistische Modelle vorgestellt, die neben der eher spärlich vertretenen Dramentheorie der Analyse von Erzähltexten gewidmet sind, die ja mit dem Drama die Handlung als materiale Grundlage teilen. Die Kategorie der Handlungsstruktur knüpft an das Sujet an, unter dem der russische Formalismus die Abfolge mehrerer Erzählmotive verstand. 19 Vladimir Propp abstrahierte vom Sujet, d.h. der Diskursebene, und machte auf der Ebene der Geschichte (russ. fabula) bis zu 31 (! ) feste, hauptsächlich mit Buchstaben bezeichnete Handlungsschritte aus. 20 Von diesen wie von den von Propp formalisierten Aktanten 21 können eigene auch im antiken Drama ausgemacht und mit der hier zugrunde gelegten Handlungsstruktur in Einklang gebracht werden. Das Verlassen des Hauses durch ein Familienmitglied (a) oder den Helden ( ) entspricht der lokalen Transgression, das Erteilen und Verletzen eines Verbots, das an den Helden ergeht, durch diesen (b und c) der sozialen Transgression. Der Gegenspieler des Helden läßt sich mit dem Antagonisten identifizieren, doch ist dies eine narratologische Universalie, da ohne einen solchen jede erzählte Handlung fade bliebe. Dagegen fehlt der Schenker übernatürlicher Hilfsmittel ebenso sehr wie diese selbst im antiken Drama, soweit dessen Handlung sich am orientiert. Die Kennzeichnung (M) und v.a. Wiedererkennung des Helden (E) finden sich in der griechischen Literatur im Epos wie in der Tragödie und Komödie. Die Lösung der gestellten Aufgabe durch den Helden (Lö) liegt im Oidipus Tyrannos in der fernen Vergangenheit. Auch die Überwindung des Gegenspielers (S) und des anfänglichen Unglücks (L) unterscheiden die Märchenstruktur von dem eliminatorischen Scheitern des Helden in der Tragödie. Die Punkte lassen die erhöhte Komplexität einer Kunstform erkennen, wie v.a. die attische Tragödie sie darstellt und die sich auch in der zu untersuchenden Modalität der hier in den Blick genommenen Handlungsschritte äußert (Tragik, Psychologi- 19 Viktor Šklovskij, Der Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren. In: Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Hg. und eingeleitet von Jurij Striedter. München 4 1988, 38-121, h. 39. 20 Morphologie des Märchens. Frankfurt a.M. 1975, 102-105. Zu Propp vgl. Jochen Vogt, Grundlagen narrativer Texte. In: Grundzüge der Literaturwissenschaft. Hg. von Heinz Ludwig Arnold und Heinrich Detering. München 7 2005, 287-307, h. 290-293. Zur Kritik an Propps strukturalistisch inspirierter Erzählanalyse vgl. Radke 2003: 27 Anm. 68. 21 Für beide vgl. Morphologie des Märchens. Frankfurt a.M. 1975, 31-66. 1.2 Transgression 15 sierung, innerer Zusammenhang zwischen den einzelnen Schritten). So kehren Aischylos’ Perser Propps von Greimas formalisiertes narratives Schema chronologisch wie resultativ um. 22 Fruchtbar ist denn auch die Übertragung von Algirdas Julien Greimas’ Aktantenmodell 23 auf das Drama, die bereits Anne Ubersfeld an etlichen der hier besprochenen Tragödien (Oidipus Tyrannos, Racines Phèdre) vorgeführt hat, 24 weil sie eine genaue Beschreibung der Figurenkonstellation und ihrer Konflikte erlaubt. Weniger ergiebig für die Praxis der Dramenanalyse, wenn auch dramentheoretisch anschlußfähig, ist dagegen trotz der größeren Gattungsrelevanz Étienne Souriaus Versuch, die Dramenhandlung zu formalisieren. Souriau bestimmt eine dramatische Situation als strukturale Figur, die zu einem gegebenen Moment der Handlung durch ein System von Kräften konstituiert werde. Diese Kräfte seien dramatische Funktionen und verliehen jeder Figur, die als ihr Träger fungiere, eine dramaturgische Funktion. 25 Sie können nur innerhalb eines von ihnen gebildeten Systems koexistieren (1970: 142). Souriau sieht damit wie die vorliegende Arbeit getreu dem strukturalistischen Prinzip der Identität durch Abgrenzung die Figurenkonstellation als prägendes Moment und Motor der Handlung an. Der entscheidende Unterschied liegt darin, wie Souriau diese Funktionen bestimmt. Die sechs Funktionen, die er mit astrologischen Symbolen entsprechend ihrer wechselseitigen konstellativen Definition und Interaktion benennt (1970: 117), sind weder so konkret wie die sozialen Rollen, welche die Figuren verkörpern und auf welche die vorliegende Arbeit abhebt, weil sie den Konflikt begründen und bestimmen, noch so abstrakt und doch griffig wie Greimas’ Aktantenmodell. Trotz einer in Abgrenzung und Weiterentwicklung zu Propp entwickelten kasuistischen Komplexität und entsprechend eingeschränkten Anwendbarkeit kann Claude Bremonds Modell der Handlungsrollen insofern theoretisch an die vorliegende Arbeit angeschlossen werden, als Bremond die Struktur der Erzählung (d.h. in unserem Fall des Dramas) als Abfolge von Handlungsrollen betrachtet. 26 1.2 Transgression Die Transgression wird in der vorliegenden Arbeit von einem etischen Standpunkt nach modernen Konzepten untersucht (vgl. 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe; Aufbau der Einleitung). Das heißt nicht, daß den 22 Marianne I. Hopman, Layered Stories in Aeschylus’ Persians. In: Jonas Grethlein, Antonios Rengakos (Hgg.), Narratology and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature. Berlin 2009, 357-376, h. 359. Näheres s. 1.6 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung in der Perser-Interpretation. 23 Du sens. Essais sémiotiques. 2 Bde. Paris 1970, Ndr. 1981, 1983, Bd. 1, 157-270. Sémantique structurale. Recherche de méthode. Paris 1966, Ndr. 1986, 172-191. 24 Lire le théâtre. Paris 2 1996, 49-79; v.a. 54, 72. Näheres s. 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas in der OT-Interpretation und 7.1 Forschungsstand und Problemstellung in der Interpretation von Senecas Phaedra. 25 Les deux cent mille situations dramatiques. Paris 1970, 55. 26 Elisabeth Gülich, Wolfgang Raible, Linguistische Textmodelle. Grundlagen und Möglichkeiten. München 1977, 207-214. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 16 Dramentexten blind fremde Konzepte übergestülpt werden sollen. Wo möglich, findet eine Verortung im Dramentext über Lexik und Binnenhermeneutik sowie ein Abgleich mit dessen Konzepten statt. Diese Vorgehensweise verheißt mehr und systematischere Erkenntnisse als eine rein emische, die das antike Wortfeld ( , , , ; die Bildungsweise von letzterer entspricht derjenigen von ‚Transgression‘) vollständig aufarbeiten müßte, was sicher ein reizvolles Desiderat wäre (für einen ersten Einstieg s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention). 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität Die Postmoderne definiert sich nicht zum geringsten Teil als Poststrukturalismus. Dies mag erklären, warum neben der Dekonstruktion die Transgression zu ihren Lieblingsfiguren gehört, ist doch die Transgression über die überschrittene Ordnung bestimmt, 27 die, ausgehend von der Sprachwissenschaft, strukturalistisch beschrieben wurde. Da die Transgression nicht nur begrifflich und soziopragmatisch, sondern auch wissenschaftsgeschichtlich und paradigmatisch die Struktur und ihre Grenzen zugleich voraussetzt und überschreitet, 28 setzt der Ansatz der vorliegenden Arbeit zwar ähnlich dem sog. 29 Poststrukturalismus 30 27 Martin Stegu beschreibt dagegen in seinem Kapitel „Postmoderne und Grenzüberschreitung“ (in: Postmoderne Semiotik und Linguistik. Möglichkeiten, Anwendungen, Perspektiven. Sprache im Kontext 4. Frankfurt a.M. 1998, 35-42) synkretistische Verfahren. 28 Auf die performative Ambivalenz der Transgression im Verhältnis zur Grenze weist bereits Michel Foucault hin (Préface à la transgression (1963). In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 1, 261-278, h. 264 f.): Die Transgression überschreitet („franchir“) nicht nur die Begrenzung („limite“), sondern beider Existenz realisiert sich nur in der momentanen Kreuzung dieser beiden Größen. 29 Für das Paradoxon, daß die französischen Denker, die außerhalb ihrer Heimat als Galionsfiguren des Poststrukturalismus gehandelt werden, sich - ebensowenig wie die französische Öffentlichkeit - dieser Richtung zurechnen, s. Johannes Angermüller, Nach dem Strukturalismus. Theoriediskurs und intellektuelles Feld in Frankreich. Bielefeld 2007, 9-13. Er beruft sich auf Michel Foucault, Structuralisme et poststructuralisme (1983). In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 2, 1250-1276, der den Strukturalismus unter den Formalismus subsumiert und in einem diskursgeschichtlichen Dialog mit dem Marxismus sieht (2001: 1250-1252). Foucaults Einordnung als Poststrukturalist wird dadurch gerechtfertigt, daß er seine intellektuelle Identität via negationis bestimmt, er sei nie Marxist, Freudianer oder Strukturalist gewesen (2001: 1254). Auf den geistigen Epochenbegriff der Postmodernität reagiert Foucault verwundert-differenzierend (2001: 1265: „Qu’est-ce qu’on appelle la postmodernité? Je ne suis pas au courant.“), geschweige denn, daß er sich hier verortet. Daß, angeregt durch Nietzsche, sein Projekt die Frage nach Subjekt und Vernunft in ihrer Geschichtlichkeit ist (2001: 1255), zeigt indes deutlich, daß er mit Vernunft und Subjekt zwei moderne Fragestellungen offen weiterdenkt, also um die Grenze der Moderne oszilliert, ohne ihren Boden dauerhaft zu verlassen. Seine Denkweise entspricht also exakt seinem Begriff der Transgression (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White) und ist im dialektisch-synthetischen Sinne genuin postmodern. 30 Stefan Münker, Alexander Roesler, Poststrukturalismus. Stuttgart 2000, IX. Vgl. Sigrid Weigel, Einleitung der Sektion „Schrift - Gedächtnis - Differenz“, in: Gerhard Neumann (Hg.), Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft. [DFG-Symposion 1995]. Berichtsbände Germanistische Symposien 18. Stuttgart 1997, 18-22, h. 18 f. Auf das kritische 1.2 Transgression 17 das strukturalistische Modell voraus, legt den Schwerpunkt der Analysen jedoch auf die transgressiven Phänomene. Da freilich die Beliebtheit des Begriffs ‚Transgression‘ in die terminologische Beliebigkeit auszuufern droht, sei er hier gemäß seiner etymologischen Bedeutung auf die Grenzüberschreitung, die zwei bloß kognitiv geschiedene Entitäten voraussetzt, aber durchaus akzeptiert sein kann, sowie auf die Grenzverletzung eingeschränkt, die sich durch die Verletzung von Normen und Konventionen sowie mögliche Sanktionen jedweder Art auszeichnet und zusätzlich eine Integrität beeinträchtigt. Davon zu scheiden, aber operational identisch, sind andere transitive Phänomene, wie die Transzendenz, 31 zu der auch die Semiose zählt, da sie die Gegenstände aus der Immanenz einer tautologischen Identität löst, oder der rituell organisierte Übertritt in einen neuen Lebensabschnitt, wie Geburt, Initiation, Hochzeit oder Tod, auch wenn sich hierbei in der sozialen oder dramatischen Praxis Berührungspunkte zur Transgression ergeben (Näheres s. 2.2.2 Ritual in 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz). Der Begriff der Transgression ist genauso vielfältig wie die zugrunde liegende verletzte Ordnung und erzeugt in ihr ebenso mannigfaltige Risse und Bruchstücke. Es empfiehlt sich deshalb, die Art der Transgression durch entsprechende Attribute zu spezifizieren (topologisch, religiös, juridisch, sozial, poetisch). 32 Diese Breite des Begriffs macht die Transgression zu einer idealen Figur, um verschiedenste Aspekte des antiken Dramas zu erfassen und zu einer einheitlichen Deutung dieser Gattung, an deren Facettenreichtum kaum eine andere heranreicht, zusammenzuführen, freilich ohne den exklusivierenden Anspruch auf Wesenserfassung oder Totalität zu erheben. Die Einschlägigkeit der Transgression für die Dramenanalyse gilt um so mehr, als auch sie passend zur Bezeichnung der analysierten Gattung eine Handlung beschreibt. Die generische Einschlägigkeit der Transgression für das Drama läßt sich noch thematisch präzisieren: In den beiden Großgattungen, die vor ihm in der griechischen Literatur Erbe des Strukturalismus bei gleichzeitiger Radikalisierung und Revolutionierung hebt auch Manfred Franks Bezeichnung des Poststrukturalismus als „Neostrukturalismus“ ab (Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt a.M. 1984, 31 f.). Ebenso geht Jonathan Culler davon aus, daß die Dekonstruktion entgegen den Annahmen der Poststrukturalisten den Strukturalismus nicht widerlegt, sondern zwar die Unmöglichkeit eines widerspruchsfreien semiotischen Systems gezeigt habe, dabei jedoch trotz der Unmöglichkeit einer Synthese die semiotisch-strukturalistischen Grundunterscheidungen zugrunde gelegt habe, die so ihre analytische Bedeutung behielten (The Pursuit of Signs. Semiotics, Literature, Deconstruction. London 1983, x f.). 31 Auch sie rekonkretisiert Jürgen Paul Schwindt topologisch als „(Trans-)Skandenz“ (Zeiten und Räume in augusteischer Dichtung. In: Ds. (Hg.), La représentation du temps dans la poésie augustéenne - Zur Poetik der Zeit in augusteischer Dichtung. Internationales Kolloquium der Forschergruppe La poésie augustéenne. Heidelberg 2005, 1-18, h. 15-18). 32 Das letztgenannte Attribut spielt eine untergeordnete Rolle bei Kleopatra Ferla, Von Homers Achill zur Hekabe des Euripides. Das Phänomen der Transgression in der griechischen Kultur. Diss. Freiburg 1995. München 1996, die am Beispiel Medeas ähnliche Subtypen der Transgression unterscheidet. Ihre Arbeit ist auch in der theoretischen Grundlegung trotz eines literaturwissenschaftlichen Unterkapitels (1996: 6-10: „Die ästhetische Erfahrung nach Jauß“) stärker soziologisch ausgerichtet (1996: 11-17), auch wenn sie beide Disziplinen sinnvoll ins Gespräch bringt (1996: 10). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 18 blühten, dem Epos und der Lyrik, ist die Figur, aus deren Perspektive die Darstellung erfolgt, stets das Opfer einer (sozialen) Transgression oder zumindest Integritätsverletzung, man denke etwa an Achill oder Odysseus, der sogar die Transgressoren richtet und so die frühere soziale Ordnung wiederherstellt. Das lyrische Ich bei Sappho erfleht wie Achill (Il. 1.348-428) göttlichen Beistand, um ihre (seelische) Integrität wiederherzustellen, welche die Zurückweisung durch eine Spröde bedroht (V 1, v.a. v. 20), wobei diese Wiederherstellung der seelischen Integrität im erotischen Kontext bei ihr auch andernorts ohne einen göttlichen Dritten, sondern mit einem männlichen Nebenbuhler wichtig ist (V 31) oder auf eine räumliche Trennung von einer Geliebten reagiert (V 94). Dagegen ist die Hauptperson der hier zu besprechenden attischen Tragödien stets selbst der Täter der für das Stück zentralen Transgression, auch wenn ihr manchmal eine soziale Integritätsverletzung vorausgeht (Xerxes, Oidipus, Medea, Pentheus). Aias, der bei Alkaios Kassandra vergewaltigt, obwohl sie beim Athena-Heiligtum Schutz gesucht hat, ist nur ein scheinbares Gegenbeispiel aus der Lyrik für einen Transgressor, weil das lyrische Ich zu ihm - wie zu den anderen Transgressoren Myrsilos und den Verräter Pittakos (V 129 v. 13 ff., 28) - in deutliche Distanz tritt und mit den beiden göttlichen und menschlichen Eliminierungsversuchen als Reaktion auf die Tat (V 298, v. 1-7, 25-27) einen Handlungsverlauf schildert, der dem hier für die Tragödie idealtypisierten sehr nahekommt. Auch mit der zweiten Aspekt der mimetischen Großgattung, dem Theater, das statt auf die Tat auf das Schauspiel, das Publikum und die Sichtbarkeit abhebt, harmoniert die Transgression. Denn eine Tat wird nur dadurch zum Vergehen, daß ein anderer (und sei es der Täter selbst) sie wahrnimmt und verurteilt. (Deshalb ist die Binnenhermeneutik ein wichtiges Diagnostikum für das Vorliegen einer Transgression.) Auch der Präsenzcharakter des Theaters ist besonders gut geeignet, einen Akt der Unmittelbarkeit darzustellen, der die Vermittlung durch soziale Mechanismen suspendiert und wie er in der Transgression vorliegt. Die Transgression ist nicht nur ein Phänomen der Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit, sondern auch der Diskontinuität, der Fragmentierung, des Bruchs, der Sinnlichkeit (sie tritt an synästhetischen und aisthetischen Seiten der Transgression hervor), der Willkür und Gewalt(tätigkeit). All diese Aspekte der Transgression brechen mit der Linearität, wie sie dem sprachlich verfaßten Logos eigen ist (vgl. Saussure CLG 103), wobei die rücksichtslose Kraft der Transgression die Linearität auch zur Doppelung auffalten kann (zur Ambivalenz als semantischer Konsequenz dieser Tektonik s. das Ende von 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik). 33 Als topologisch fundierter Akt verbindet die Transgression Räumlichkeit (Spatialität), womit sie sich in den sog. spatial turn einfügt, 34 Zeitlichkeit und Sequentialisierung. Mag man der theoretisch- 33 Für die Transgression und Nietzsches Begriffspaar dionysisch - apollinisch s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt. 34 Vgl. dazu Wolfgang Hallet, Birgit Neumann, Raum und Bewegung in der Literatur. Zur Einführung. In: Dss. (Hgg.), Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009, 11-32. Die einschlägigen Beiträge befassen sich statisch 1.2 Transgression 19 heuristischen Tragweite und dem tatsächlichen Innovationspotential sog. turns wegen ihrer immer schnelleren Abfolge mit einer gewissen Skepsis begegnen, so bleibt doch festzuhalten, daß das Theater qua optische oder imaginäre Darstellung sprachlichen Handelns räumlich situierter Figuren nicht nur an den spatial, sondern auch den linguistic und iconic turn anschlußfähig ist. Wissenschaftsgeschichtlich performiert die Transgression ihren eigenen Begriff, da sie wiederholt Fachgrenzen überschritten hat mit dem Ergebnis, daß sie heute ein interdisziplinär gelagerter Terminus ist. So übernimmt der Ethnologe Claude Lévi-Strauss unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Ferdinand de Saussures Cours de linguistique générale aus der Phonologie das Abgrenzungsverfahren mit Hilfe von Oppositionen in die Ethnologie, da beide Disziplinen unbewußte Sachverhalte beschrieben, 35 und unter Berufung auf die Saussuresche Arbitrarität des Zeichens und seine Unterscheidung zwischen langue und parole auf die sprachliche Verfaßtheit des Mythos hin weist (1964: 230 f.), der ja seinerseits den Stoff der Tragödie liefert. Dies legitimiert nun die Übernahme der ursprünglich ethnologisch verorteten und strukturalistisch konfigurierten Figur ‚Transgression‘ in die Literaturwissenschaft, die ja bereits versucht hat, den Strukturalismus aus Lévi-Strauss’ Ethnologie zu importieren. 36 Die Transgression ist insofern strukturalistisch verfaßt, als sie sich als Mißachtung einer oder mehrerer kombinatorischer bzw. distributiver Beschränkungen (restriction combinatoire) formulieren läßt, welche die Taxonomie jedes Sprachsystems auf phonetischer, morphologischer, semantischer, syntaktischer und stilistischer Ebene charakterisieren und für das Funktionieren des Zeichengebrauchs unabdingbar sind. Wie die Transgressionen und Tabus werden die Kombinationsbeschränkungen auf der syntagmatischen Ebene wirksam. Das läßt sich etwa am Inzestverbot zeigen, das für die Transgression im OT kardinal ist: Zwei Verwandte ersten Grades lassen sich nicht über das Prädikat ‚sexuelle Aktivität‘ verbinden. Mit dem Import einer sprachwissenschaftlich geprägten Figur aus der Ethnologie in die Literaturwissenschaft soll allerdings nicht zwei aktuellen Tendenzen Vorschub geleistet werden, dem Aufgehen der Literaturwissenschaft in den Kulturwissenschaften oder zumindest einer von diesen geprägten Literaturwissenschaft. 37 Statt einer bloßen Übernahme ist die methodische und konzeptuelle mit dem Raum im Theater / Drama und werden deshalb in dem thematisch entsprechenden Abschnitt (3.1 Zu einer Poetik des Raumes) dieser Einleitung besprochen. 35 Anthropologie structurale. Paris 1964, 27-29. Oppitz 1993: 63 schlägt dagegen ein Fortschreiten vom bewußten zum unbewußten Modell nach dem Verfahren der Phonologie und Psychoanalyse vor. 36 Gérard Genette, „Structuralisme et critique littéraire“, in: Ds., Figures I. Paris 1966, 145-170, h. 145-149. 37 Vgl. Antons Bierls programmatischen Beitrag Walter Burkert - ein Religionswissenschaftler als Inspirationsquelle für eine moderne Gräzistik und kulturwissenschaftlich geprägte Literaturwissenschaft. In: Ds., Wolfgang Braungart (Hgg.), Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert. MythosEikonPoiesis 2. Berlin 2010, 1-44. Zu den Möglichkeiten, Voraussetzungen und Grenzen der Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft s. Matthias Luserke-Jaqui, Medea. Studien zur Kulturgeschichte der Literatur. Tübingen 2002, 29-58. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 20 Weiterentwicklung der beiden Disziplinen im fruchtbaren Dialog anzustreben, wie Gerhard Neumann sie, pragmatisch kongenial, im Duett mit Sigrid Weigel 38 und später anhand der Transgression selbst mit Rainer Warning 39 skizziert. Weigel und Neumann gehen bei diesem interdisziplinären Austausch letztlich von einer Dominanz des schriftlich-hermeneutischen Methodenparadigmas aus, wenn sie von einer Lesbarkeit des kulturellen Textes sprechen (2000: 9 f.). Die Dechiffrierbarkeit des kulturellen Textes beruht auf seinem Charakter als „Bedeutungsgewebe“, die Kultur „enthält die differenten Wort- und Körpersprachen in einem Gemeinwesen und damit jene Symbol- und Zeichenwelten, die menschliche Selbstorganisation allererst ermöglichen“ (2000: 11 f.). Die Semiotik wird also wie im Verständnis der vorliegenden Arbeit zur Grundlage der Hermeneutik, die ihrerseits als wertvolles Erbe der Literaturwissenschaft angesehen wird, dessen „geschärftes Organon“ es dieser ermöglicht, sich in den interdisziplinären Dialog mit den übrigen semiotisch konfigurierten Kulturwissenschaften einzubringen (2000: 13). Dabei scheint nach Weigels und Neumanns Auffassung eine solche hermeneutisch und semiotisch aufgerüstete Literaturwissenschaft in der Lage zu sein, nachgerade zur Leitwissenschaft der Kulturwissenschaften zu avancieren. Als Ahnherr dieser interdisziplinären Felderweiterungen der Literaturwissenschaft fungiert Roland Barthes, der, ausgehend von der Literaturwissenschaft, „alle nur denkbaren semiotischen Systeme der Lebenswelten Europas […] als Bestandteile eines allumfassenden »Reichs der Zeichen« verstanden“ habe (2000: 12), also die Semiotik von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus kulturwissenschaftlich universalisiert hat. Analog zu dieser kulturwissenschaftlichen Generalisierung der Semiotik wurde die Kultur ja zur Grundlage der gesellschaftskonstituierenden Interaktionen gemacht. Mehr noch wird der Literatur „im Kontext der Semantisierung der Kultur“ eine Rolle zugeschrieben, welche der Luhmannschen Operation der Komplexitätsreduktion gegenläufig sei (2000: 15): „Sie wird zum Organon von Differenzierung, Übersetzung und Verschiebung, von Fortschreibung, Transgression von Grenzen und Bruch mit der symbolischen Ordnung und den codierten Bedeutungen.“ Gerade dieses Zitat dürfte zeigen, wie die Selbstvergewisserung der Literaturwissenschaft im Dialog mit der Kulturwissenschaft auch das heuristische Instrumentarium dieser Arbeit bereichern und an kulturwissenschaftliche Fragestellungen anknüpfen kann. Die Themen, welche die Kulturwissenschaft der Literaturwissenschaft nach Neumann und Weigel liefert (2000: Einen harten wissenschaftsgeschichtlichen Denkanstoß zur NS-Wissenschaftspolitik liefert dagegen Dietrich Mack (Ansichten zum Tragischen und zur Tragödie. Ein Kompendium der deutschen Theorie im 20. Jh. München 1970, 119): „Die Geisteswissenschaft geht auf in die Universitas biologischer Kulturforschung.“ 38 Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. In: Dss. (Hgg.), Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München 2000, 9-16. 39 Gerhard Neumann, Rainer Warning, „Einleitung. Transgressionen. Literatur als Ethnographie“, Dss. (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 7-16. Von den Einzelstudien dieses Sammelbandes ist Bernhard Teuber, Der un/ darstellbare Kindermord. Tragische Transgression und Ethnographie der Tragödie am Beispiel der Medea (2003: 243-255) generisch relevant und wird entsprechend in den Kapiteln der Einleitung zur Transgression und zum Ritual sowie bei der Interpretation von Euripides’ Medea Berücksichtigung finden. 1.2 Transgression 21 14), sind dabei auch in dieser Untersuchung durch ihre Verbindungen zum Analyseapparat relevant (wobei diese hier eingeklammerten relevanzstiftenden Faktoren nicht immer mit denjenigen übereinstimmen, die Neumann und Weigel bei den betreffenden Themen anführen): Sexualität (als Feld von Normierung und Transgression), die Konstruktion der Geschlechterdifferenz (als von Transgression und Rollenwechsel betroffene Norm), „die Einstellung gegenüber dem oder den Fremden (als Begründung und Abgrenzung des Eigenen)“ (so besonders in Aischylos’ Persern), Aggressionsverhalten (als Vollzug der Transgression) und Todeserfahrung (hier eher faktisch als physische Eliminierung). Der Anspruch einer semiotisch verfaßten Literaturwissenschaft, als kulturwissenschaftliche Leitdisziplin zu fungieren, ist im besagten Vorwort, das Gerhard Neumann zusammen mit Rainer Warning verfaßt hat 40 und das manche Thesen aus dem vorhergehenden aufgreift und präzisiert, nicht mehr erkennbar. Gleichwohl bietet auch dieser Beitrag der vorliegenden Untersuchung Ansatzpunkte für Anknüpfungen und präzisierende Abgrenzungen. Drei Strömungen machen die Autoren für die Annäherung von Kultur- und Literaturwissenschaft verantwortlich, die sie sogar in Kuhnscher Tradition als „Paradigmenwechsel“ apostrophieren (2003: 7 f.): zum ersten das Interesse, auch der Philologie, an Ritualisierungen in einem sehr allgemeinen Sinne. Da sie hierunter auch Phänomene der Karnevalisierung, Theatralität und Inszenierung verstehen und nicht nur extratextuell-pragmatisch den sozialen Motor der Zeichenproduktion und -verwendung, sondern auch binnenpragmatisch „Generatoren von Handlungs- und Erzählungsmustern in dichterischen Texten“ in den Blick nehmen, gestalten sie durchaus den Ritualbegriff so um, daß er für die vorliegende textorientierte Dramenanalyse anschlußfähig wird (Näheres s. 2.2.2 Ritual in 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz). Der stärkeren Berücksichtigung des Körpers, die Neumann und Warning als zweiten Faktor ausmachen, trägt die vorliegende Untersuchung dreifach Rechnung. Sie macht ihn und seine Bewegung zum Generator des Raumes im Theater (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White sowie 3.1 Zu einer Poetik des Raumes), dann erhebt sie ihn zum signifiant des anthropologischen Zeichens (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller) und drittens fungiert er nicht nur als Instrument der Transgression, sondern nicht selten auch als Objekt der lokalen und physischen Eliminierung. Ein grundlegender Unterschied zur vorliegenden Arbeit liegt jedoch darin, daß sie den Transgressionsbegriff nicht auf das Diagnostikum der Grenze beschränken (2003: 13), sondern die Brücke hinzunehmen (2003: 13) und ihn um Phänomene des Wechsels und des Übergangs erweitern, wie „das Überwechseln beispielsweise zwischen den Künsten, den Medien, den Diskursen“ (2003: 10), die hier als transitorisch abgegrenzt werden, weil sie keine Grenzverletzung im strengen Sinne vollziehen. Selbst der geologische und genealogische Transgressionsbegriff bleibt nicht unbemüht (2003: 11). Neumann und Warning sehen den begrifflichen Klärungsbedarf selbst (2003: 13): „Das Spektrum der Begriffe, die sich an die Vorstellung der Transgression anschließen, ist freilich sehr weit und gliederungsbedürf- 40 Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 7-16. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 22 tig: Transfusion, Transfundierung, Übersetzung, Passage, Heterotyp, Heterochronie, Transposition, enharmonischer Wechsel, Negotiation, Durchquerung, Parergonalität.“ Die hier aufgezählten Phänomene sind, mit Ausnahme der Parergonalität, die sich für die Interpretation des Metatheaters als poetische Transgression fruchtbar machen läßt, nach dem Verständnis der vorliegenden Untersuchung Vollzugsformen, Begleiterscheinungen oder Folgen der Transgression, aber nicht deren begrifflich-operationaler Inhalt. Dies gilt strenggenommen auch für die Traduktionen und Subversionen von Codes, die Neumann und Warning den Transgressionen zuschreiben, die als Gegenbewegung zum Ritual fungierten (2003: 10), da nach dem Verständnis der vorliegenden Arbeit die Transgression Zeichen- und Sozialgefüge sowie deren Funktion nicht nur unterläuft, sondern massiv beeinträchtigt. In dieser Arbeit soll es, um die Positionsbestimmung der literaturwissenschaftlichen Herangehensweise im Dialog mit der Kulturwissenschaft am Thema Transgression zu konkretisieren, darum gehen, neben der Untersuchung der Transgression als Handlung, die bereits in der literaturwissenschaftlichen Handlungsanalyse des Dramentextes verankert ist und darin außerliterarische Aspekte wie psychologische Motivation und Normkonformität des Figurenhandelns berücksichtigen muß, die poetischen und ästhetischen Seiten der Transgression zu beleuchten. Ebenso gilt, daß die Transgression, die aufgrund ihrer interdisziplinären Wissenschaftsgeschichte imstande ist (Näheres s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White), die einzelnen altertumswissenschaftlichen Fächer miteinander ins Gespräch zu bringen, hier trotz eines gesellschaftswissenschaftlichen Ursprungs und selbst in der Literatur noch sozialen Inhalts durch ihre Einschreibung und dominante Position in ein literarisches Kunstwerk vom fait social zum fait littéraire wird. Entsprechend liegt der Unterschied zwischen einer ethnologisch-soziologischen und einer literaturwissenschaftlichen Lektüre literarischer Texte, welche die Tran gression behandeln, darin, daß jene diese Texte als Quelle und Zeugnisse für ein textexternes Erkenntnisinteresse heranzieht, während die Literaturwissenschaft die Eigengesetzlichkeit ihres fiktionalen Gegenstandes im Blick hat und unter dieser Prämisse die Transgression als literarische Realität untersucht. Nach diesen forschungsgeschichtlichen und methodischen Präliminarien seien nachfolgend die Kernthesen der vorliegenden Untersuchung zu Begriff und Funktionsweise der Transgression vorgestellt: Sie stört die Ordnung oder resultiert aus deren externer oder interner Störung. Eine Ordnung läßt sich über vier Hauptfiguren des menschlichen Denkens, Gegenstände in Beziehung zu setzen, bestimmen. Es sind dies die zeitliche Abfolge, der instrumentell-kausale Nexus, die qualitativ-typologische Klassifikation, zu der als Denkfigur auch die materielle Teilhabe und elementare Subsumtion gehören, und die symbolische Stellvertretung, die Repräsentation, bei der ein Gegenstand einen anderen evoziert. Nur die beiden letztgenannten Ordnungsfaktoren sind strukturbildend. s 1.2 Transgression 23 Unter einer Struktur 41 wird hier die Art verstanden, in der mehrere Elemente zusammengefügt sind, deren Gefüge mehr ist als die Summe seiner Teile. 42 Dieses Mehr, das sich im weitesten Sinne als ‚Funktion‘ bezeichnen läßt, kann kausal-instrumentell wie im Falle von Naturwissenschaft und Gesellschaft oder semiotisch wie im Falle von Sprache, Literatur und Kunst im allgemeinen sein. Alle vier geschilderten Formen der Transgression können in dieser Arbeit ausgemacht werden, doch soll die symbolische Stellvertretung zusammen mit einem weiteren strukturalistischen Kernsatz, der Identität durch Abgrenzung, die beide dem Saussureschen Zeichenbegriff zugrunde liegen, den Grundstock des Analyseapparats bilden. Ihre Selbstdekonstruktion und Rekonstitution durch die dramatische Praxis und die sich daraus ergebenden verschiedenen Spielarten der Identität durch Differenz und symbolische Relation 43 im Drama sollen als eine einheitliche Fragestellung in dieser Arbeit untersucht werden. Die beiden Basisgegebenheiten Repräsentation und Identität durch Abgrenzung schaffen ein Deutesystem aus Zeichen, das keinesfalls statisch ist, sondern nur performativ in der Anwendung lebt und durch sie weiterentwickelt wird. 44 Da langue und Struktur nur in der parole und Konjunktur existieren (CLG 37), sind sie untrennbar mit dem performierenden Subjekt verbunden, das für seine Konstruktion seinerseits der Struktur bedarf und diese bei der Performanz in Bewegung bringt und fragmentiert. Diese Praxis löst nicht selten durch den Fortfall oder das Hinzutreten von Elementen (signifiants, Sinnträger, Schauspieler, Figur) eine Verschiebung im bisherigen Gefüge aus, die auch die Zuordnung von Bedeutungsträgern und Bedeutung (signifiés, Rolle; Position, (Verhaltens-) Typ, Näheres zur dramatischen Semiose s. 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik) erfaßt und sich in der Transgression realisiert. Dieser Vorgang läßt sich auch als différance und trace bezeichnen, weil sie sich wie bei Derrida aus der Unmöglichkeit der clôture ergibt, 45 da langue und Struktur nur in der 41 Zum Problem eines fachübergreifenden, konsistenten und valablen Strukturbegriffs vgl. Michael Oppitz, Notwendige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthropologie. Frankfurt a.M. 2 1993, 17-71 und Jean Piaget, Der Strukturalismus. Olten, Freiburg i.Br. 1973. 42 Ein System wäre dagegen nicht die Art der Zusammenfügung, sondern das funktionale Gefüge selbst. 43 Für diese beiden Möglichkeiten der Identitätskonstitution s. Ferdinand de Saussure, Wissenschaft der Sprache. Neue Texte aus dem Nachlaß. Hg. und mit einer Einleitung versehen von Ludwig Jäger. Übersetzt und textkritisch bearbeitet von Elisabeth Birk und Mareike Buss. Frankfurt a.M. 2003, 76 (Zeichenrelation; Saussure illustriert hier die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens und der sprachlichen Identität anhand eines hypothetischen Beispiels, der primo obtutu absurden Zuordnung verschiedener Nutztiere zu Platten aus unterschiedlichen Metallen), 80 (Zeichenrelation, wechselseitige Abgrenzung der Zeichen). 44 Jan Muka ovský, Über Strukturalismus. Übersetzt von Walter Schamschula. In: Aleksandar Flaker, Viktor Žmega (Hgg.), Formalismus, Strukturalismus und Geschichte. Zur Literaturtheorie und Methodologie in der Sowjetunion, CSSR, Polen und Jugoslawien. Kronberg/ Taunus 1974, 86-99, h. 86 f. 45 Diese wird in übergreifenden Darstellungen gerne ohne genauen Nachweis als Derridas Theorem kolportiert, sei es als Stoßrichtung der theoretischen Diskussion (Manfred Frank, Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt a.M. 1984, 88 [„Angriff auf den Gedanken strukturaler Geschlossenheit“]) oder hermeneutische Grundgegebenheit (Terry Eagleton, Einführung in die Literaturtheorie. Aus dem Englischen von Elfi Bettinger und Elke Hentschel. Stuttgart 4 1997, 111 f.). Derrida selbst nahm wissenschaftsgeschichtlich durchaus die Möglichkeit einer clôture 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 24 parole und Konjunktur existierten. Auf die Herleitung der Transgression aus der existentiellen Performanz von Zeichen und subjektiver Identität und deren Struktureinbettung stützt sich denn auch der Tragikbegriff der vorgelegten Arbeit (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller), während die poetische Transgression der tropologischen Rede in ihrer Eigenmächtigkeit durch den Aufbruch der Monosemie einen semantischen Zugewinn bietet (s. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik). Die deregulative Dynamik, welche die subjektive Performanz der Identitäten und Deutesysteme entwickelt, betrifft sämtliche Deutesysteme, welche die antike Komödie und die Tragödie konstituieren, Sprache, literarische Konventionen, gesellschaftliche Normen und Weltordnung. Das für den Handlungsverlauf dieser dramatischen Großgattungen wichtigste System ist jedoch die Konstellation der Personen, da deren Handeln qua literarische Akteure bzw. Subjekte 46 die Gattung trägt. Ihr Handeln ist dabei wesentlich sprachlicher Natur. Dieser Rückgriff auf die Sprechakttheorie, wie ihn Kloss für das Komische in der attischen Komödie durchgeführt hat (2001: 10-33), entkräftet Hans-Thies Lehmanns Argument, die antike Tragödie lasse sich nicht über den Dramenbegriff beschreiben, da die Handlungen vor dem Bühnengeschehen lägen oder Boten außerhalb der Bühne stattgehabte Handlungen dort berichteten. 47 Im statischen Idealfall halten sich die Figuren gegenseitig durch Abgrenzung und Beziehungsverhältnisse in ihren sozialen Rollen, wie Ehemann - Ehefrau, Vater - Sohn. Die Veränderung der Personenkonstellation erzeugt jedoch einen Konflikt, nicht selten mehrerer Figuren (signifiant) um dieselbe Rolle (signifié), der die dramatische Handlung oft erst in Gang bringt und sie vorantreibt. 48 Die Verortung des Kon- an, wenn sich für ihn die historische clôture des Zeitalters des Zeichens abzeichnet, das allerdings nie enden werde (De la grammatologie. Paris 1967, Ndr. 2002, 25). Im Kapitel „La clôture du gramme et la trace de la différence“ (Marges de la philosophie. Paris 1972, Ndr. 2003, 73-78) stellt Jacques Derrida sich kritisch zu Heideggers Verfahren, durch Rückgriff auf die Antike „la clôture grecque-occidentale-philosophique“ zu denken (2003: 75), und deutet das Verwischen der Spur, das eine Form der Spur sei, als autopoetisch-performative (Selbst-)Transgression (2003: 76 f.): „C’est à cette seule condition que la métaphysique et notre langue peuvent faire signe vers leur propre transgression.“ 46 Anders als bei Peter V. Zima, Das literarische Subjekt zwischen Spätmoderne und Postmoderne. Tübingen 2001 impliziert ‚literarisches Subjekt‘ bei mir weder Souveränität und Identität noch eine feste anthropologische, außerliterarische Referenz, sondern hebt auf die Rolle als Träger des dramatischen Geschehens ab, ohne die das Drama sich nicht entfalten kann. 47 Theater und Mythos. Die Konstitution des Subjekts im Diskurs der antiken Tragödie. Teilw. zugl. Habil. Gießen [s.a.]. Stuttgart 1991, 50 f. Zumindest in seinem Referat des europäischen (frühneuzeitlichen? ) Theaterverständnisses spricht Lehmann gleichberechtigt von „Vergegenwärtigung von Reden und Taten auf der Bühne durch das nachahmende dramatische Spiel“ (Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 20). 48 Ein klares Beispiel sind Euripides’ Hippolytos und noch besser Senecas Bearbeitung Phaedra: Die Begierde läßt die Stiefmutter danach trachten, ihren Stiefsohn an die Leerstelle des abwesenden Gatten zu ziehen. Steen Jansen, Die Einheit der Handlung in Andromaque und Lorenzaccio. In: Heinz Blumensath (Hg.), Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Köln 1972, 333-359, h. 338 f. sieht dagegen eher entsprechend der traditionellen Dramenanalyse die Handlung durch Konflikte getrieben, die aus Oppositionsverhältnissen erwachsen, die nicht auf Identitäten, sondern auf konfligierenden Intentionen beruhen. 1.2 Transgression 25 flikts in der sozialen Rolle und Figurenkonstellation impliziert selbstredend keine sozialgeschichtliche Auswertung der fraglichen Dramen. Vielmehr soll mit diesem Verfahren die Funktionsweise des Handlungsmotors beleuchtet werden. Die Rückführung der Transgression auf Rollen- und Identitätskonflikte in der Figurenkonstellation 49 überwindet zwei statisch-deterministische Deutemuster der Grenzverletzung (und erlaubt so ihre Verbindung), zum einen essentialistische, zumeist tautologische Herleitungen der Transgression aus dem Charakter bzw. Handlungsdispositionen des Protagonisten (für ähnliche Verortungen von Aristoteles’ s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation), die sich doch erst in seinem Handeln während des Stückes zeigen, zum anderen einen statischen Rollendeterminismus, nach dem eine Figur entsprechend der gerne, wenn auch zumeist plakativ verkürzten Marxschen Formel „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“ 50 ein gewisses, dieser (sozialen) Rolle entsprechendes Verhalten zeigen müsse. Denn die Zuordnung von Figur und Rolle ist in unserem Modell keinesfalls statisch, sondern kann ebenso sehr subjektivem Streben oder Weichen, die erst die mentale und faktische Haltung zu den Mitakteuren bestimmen, wie dem Druck der Figurenkonstellation geschuldet sein. Die Übertragung des Zeichenmodells auf die Figurenidentität erlaubt es zudem, deren Konflikte nicht nur nach dem Modell der konjunkturellen Synonymie, bei der mehrere Sinnträger demselben Bedeutungsinhalt zugeordnet sind, sondern auch nach demjenigen der Polysemie zu beschreiben, 51 bei der ein Sinnträger mehrere Bedeutungen hat, die sich im Falle des Dramas gegenseitig ausschließen. So wurzelt etwa Medeas Konflikt darin, daß sie nicht zugleich rächende Gattin und liebende Mutter sein kann. Das komplexe Verhältnis von Drama und Gesellschaft betrifft auch die performierten und transgredierten Rollen. Ihren Bezugsrahmen bilden nicht die literarischen Figuren, sondern die sozialen Rollen, welche die Schauspieler verkörpern, performieren und überschreiten. 52 Das Verhältnis des Theaters zur 49 Für die nicht referentielle, sondern koreferentielle syntagmatische Identität von Figuren innerhalb eines literarischen Textes, d.h. ein Rekurrenzphänomen s. Fotis Jannidis, Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Habil. München 2002. Narratologia 3. Berlin 2004, 137-148. Auf der Ebene der Wahrnehmung durch die anderen Figuren, konkret durch Alcumena wird diese Binnenidentität in Plautus’ Amphitruo im Falle des Titelhelden und des Göttervaters eine Rolle spielen (wobei man auch hier mit einem semiotisch-strukturalistischen Identitätsbegriff präzisere Ergebnisse erzielen kann, da demselben äußerlichen signifiant eben zwei Bühnenfiguren statt einer entsprechen). Jannidis’ Identität gehört jedenfalls zur ontologischen Identität, die zusammen mit der eidetischen bei der Transgression im OT eine große Rolle spielt. 50 „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort (1859). MEW Bd. 13 [Januar 1859 - Februar 1860] Berlin 3 1969, 7-11, h. 8 f. 51 Diese Phänomene einer nicht ein-eindeutigen Zuordnung behandelt de Saussure nur unsystematisch ohne terminologische Präzisierung und stark diachron-etymologisch (CLG 160). 52 Vgl., ebenfalls aufbauend auf Lévi-Strauss, Charles Segal, Greek Tragedy and Society: A Structuralistic View. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 21-47, der die Zerstö- , 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 26 Gesellschaft ist dabei eine künstlerisch-kreative Mimesis, 53 welche den Gesetzen des folgt, 54 nicht aber ein soziologischer Realismus. Die fraglichen Rollen sind häufig Geschlechterrollen, insbesondere in manchen Tragödien (Sophokles’ König Oidipus, Euripides’ Hippolytos) und der gesamten Neuen Komödie einschließlich ihrer römischen Adaptionen die Position des Vaters, um deren Besetzung es geht. 55 Der Vater ist dabei der Patriarch in der Familie, d.h. im Oikos, und, sofern diese königlich ist, der Monarch in der Polis. Die Familie ist jedenfalls das primäre soziale System, in dem diese Rollen verankert sind. Diesen Bezugsrahmen des Dramas hat schon Aristoteles (Poet. 1453b 19-22), aber auch die Psychoanalyse ausgemacht, die überdies auf die Rolle des Vaters abhebt 56 und als nützlich für eine philosophische Tragödieninterpretation erachtet wurde. 57 Bereits in Sur Racine (1963) beschrieb Roland Barthes die Handlung in den Tragödien dieses Dramatikers als Konflikt der Söhne mit dem Vater, die nach dessen Tod um seine Position kämpften. 58 Sehr nahe zu den Thesen der vorliegenden Arbeit stellt er fest, die Abwesenheit des Vaters bedeute Unordnung, seine Rückkehr schaffe Schuld (S. 89), d.h. eine Transgression, die aus einem Rollenkonflikt resultiert. Weitere Gegensätze, die auch auf der Bühne die Gesellschaft und die Interaktion von Selbst und Anderem strukturieren, sind das Alter und die ethnische Zugehörigkeit. Auf deren Funktion einzugehen, rechtfertigen nicht nur die ethnologisch-ethnographischen Wurzeln der strukturalistischen Betrachtung sozialer Beziehungen, die auch die Mythenforschung einbezieht, 59 und des Begriffes ‚Transgression‘, sondern auch die interkulturell-lokalen Grenzüberschreitungen des griechischen Dramas, an denen das abendländi- rung des gesellschaftlichen Codes durch den ihn überlagernden literarischen in der Tragödie herausarbeitet (1986: 24 f.). 53 Vgl. Ernest W. B. Hess-Lüttich, „The theatre in society: society in the theatre“, in: Soziale Interaktion und literarischer Dialog II. Zeichen und Schichten in Drama und Theater: Gerhart Hauptmanns ‚Ratten‘. Philologische Studien und Quellen 98. Berlin 1985, 13-22, der anhand Shakespeares das metatheatralische Potential dieser Wechselbeziehung aufzeigt (1985: 13) und für einen Dialog von Literaturwissenschaft und Soziologie über das Theater plädiert (1985: 15). 54 Vgl. dazu Gerrit Kloss, Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit im 9. Kapitel der aristotelischen „Poetik“. RhM 146 (2003) 160-183. 55 Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war während der Akme der attischen Tragödie tatsächlich von einer konfliktreichen Neuaushandlung und Restauration infolge der sizilischen Katastrophe geprägt, vgl. Barry S. Strauss, Fathers and Sons in Athens. Ideology and Society in the Era of the Peloponnesian War. London 1993, der das Drama als eine Möglichkeit zur Vermittlung dieses Konfliktes ansieht (1993: 100 f.). 56 Leo Kaplan, Zur Psychologie des Tragischen (1912). In: Psychoanalytische Literaturinterpretation. Aufsätze aus „Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften“ (1912-1937). Hg. und eingeleitet von Jens Malte Fischer. Tübingen 1980, 33-63, h. 40; 36 f. 57 Richard Francis Kuhns, Introduction: Tragic Experience and Tragic Vision, Old World and New. In: Ds., Tragedy. Contradiction and Repression. Chicago 1991, 1-9, h. 1. 58 In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 2: Œuvres 1962-1967. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 51-196, h. 63-65. 59 Vgl., aufbauend auf Lévi-Strauss, Michael Oppitz, Notwendige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthropologie. Frankfurt a.M. 2 1993. 1.2 Transgression 27 sche Muster des Orientalismus bis in die Antike zurückdatiert wurde (Näheres s. die Interpretation von Aischylos’ Persern). Der Prozeß der De(kon)struktion und Rekonstitution des Sinngefüges ist durch seine Subjektsbasiertheit mit Machtfragen verknüpft, die im Verlaufe des Dramas ausagiert werden. Die suprasubjektive Rekonstitution des Sinngefüges hängt durch das gattungsbedingte Fehlen einer zentralen Instanz wie eines Erzählers, das Roland Barthes’ provokante These vom Tod des Autors (1968) zumindest auf der Ebene der elementaren Gattungskoordinaten entspricht, 60 rein von dieser Figurenpragmatik ab, die sich auch auf die Binnenhermeneutik erstreckt. Bei der Interpretation der Dramen muß deshalb sorgsam unterschieden werden, ob der Kommentar eines Einzelschauspielers oder auch des Chores (zur Diskussion um seine genaue Rolle in der attischen Tragödie s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation) allgemeine Zustimmung findet oder für sich steht. Nur im ersten Fall kann er für die Gesamtaussage des Stückes (aber nicht die Absicht des Dramenautors) - so letztlich auch Bachtin 61 - bemüht werden, im letzteren müßte er dazu durch andere Indizien erhärtet werden und bietet nur einen sicheren Anhaltspunkt für die Figurenzeichnung. Wenn im folgenden Aischylos, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Menander, Plautus und Seneca auktoriale Funktionen zugeschrieben werden, so ist dies nicht Ausdruck einer literaturtheoretischen oder methodischen Naivität, die ein problematisch gewordenes Konzept perpetuiert. Vielmehr ist eine solche Wortwahl zumeist ästhetisch-stilistischen Gründen geschuldet, da eine Formulierung zu umständlich schien, die - entsprechend der scheinbaren Tautologie von Heideggers paradoxem Diktum „Die Sprache spricht“ 62 im Vortrag Die Sprache von 1950 63 - den Text sprechen läßt. Nur dort, wo sie stilistisch vertretbar schien, wurde diese unpersönliche Formulierung gewählt. 1.2.2 Dramatische Transgression und Narratologie Schon Bachtins narratologische Analysekategorie der Stimme läßt erkennen, daß das Drama sich bereits auf der formalen Ebene für Erzählanalyse besonders gut eignet, da die Stimmen der Sprecher die Rede bereits syntagmatisch untergliedern und so eine materielle Grundlage für die intentionale Polyphonie schaffen. Gerade diese durchgehende Subjektivierung und Sequentialisierung des 60 In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 3: Œuvres 1968-1971. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 40-45, h. 45. Dt.: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. und kommentiert v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart 2000, 185-193, h. 192. 61 Bei den wenigen Aussagen, die Bachtin zum Drama macht, konstatiert der russische Literaturwissenschaftler, daß sich im Drama die Autorenstimme nicht im Wort realisiere (Peter von Möllendorff, Grundlagen einer Ästhetik der alten Komödie. Untersuchungen zu Aristophanes und Michail Bachtin. Diss. München 1994. Classica Monacensia 9. Tübingen 1995, 67). 62 Vgl. dazu Claus-Artur Scheier, Die Sprache spricht. Heideggers Tautologien. Zeitschrift für philosophische Forschung 47 (1993) 60-74. 63 In: Unterwegs zur Sprache. Text der durchgesehenen Einzelausgabe mit Randbemerkungen des Autors aus seinem Handexemplar. Hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Bd. 12 von Gesamtausgabe. Abt. 1, Veröffentlichte Schriften 1910-1976. Frankfurt a.M. 1985, 7-30, h. 10. r 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 28 dargestellten Geschehens und das Fehlen einer vereinheitlichenden formalen Erzählerinstanz 64 machen auch das antike Drama zu einem besonders reizvollen Gebiet der Narratologie. Die komplexe dramatische Narratologie betrifft auch die Darstellung der Transgression: Sie ist entweder (selten) ein Schritt der mimetischen Bühnenhandlung (‚Aktem‘), wobei ihre Hintergründe und Folgen nicht immer linear dargeboten werden, oder wird (zumeist) in die Diegesis verbannt. Diese narratologische Distanzierung ist oft Ausdruck einer evaluativen des Dramas oder nimmt auf moralische Tabus des Zielpublikums Rücksicht (Weiteres zur diegetischen Darstellung der Transgression und Teubers Thesen dazu s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White). Die Narratologie erweist sich damit als kongeniales Mittel für eine adäquate und differenzierte Darstellung der Transgression, deren Nuancen dramensemiotisch relevant sind. Sie geschieht im Falle der Diegesis meistens in Form eines Botenberichts. Manchmal kommt aber auch die Rede einer namentlich bekannten und dramatisch interagierenden Figur zum Einsatz (s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der OT-Interpretation). Ein weiterer Unterschied liegt darin, ob die berichtete Transgression vor Beginn der Bühnenhandlung eingetreten ist (so im OT) oder während vollzogen wird (so der Mord an Kreon und seiner Tochter in Euripides’ Medea). Nicht von ungefähr dient der OT denn auch John Gould als Eröffnungsbeispiel für die Diskrepanz zwischen der „story time“ der zugrunde liegenden Fabel und der „discourse time“ der szenisch dargestellten Ereignisse (vgl. Dunns Referat von Goulds Systematik [2009: 338]). 65 Dieser Unterschied ist auch für die Bewertung der Transgression relevant, die man der diegetischen Darstellung der Transgression entnehmen kann (vgl. 2.4.1 Kollision am Dreiweg in der OT-Interpretation): Ist die Transgression zeitlich parallel zu dem Bühnengeschehen, ist ihre Darstellung in der Diegesis ein Mittel der Distanzierung. Ist sie zeitlich 64 Diese hat durchaus zu der These Anlaß geboten, es gebe keine Narratologie des antiken Dramas, sondern, in Form der Figurenreden, nur eine im antiken Drama (so Irene J. F. de Jong in ihrer Einleitung zu Ds., René Nünlist, Angus Bowie (Hgg.), Narrators, Narratees, and Narratives in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 257. Studies in Ancient Greek Narrative 1. Leiden 2004, 6 f.). Auch Francis Dunn, der sich de Jongs Argumentation in diesem Punkt anschließt, kritisiert unter Verweis auf diesen formalen Aspekt zu Recht als „too easily“ (Sophocles and the Narratology of Drama. In: Jonas Grethlein, Antonios Rengakos (Hgg.), Narrato ogy and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature. Berlin 2009, 337- 355, h. 337 f.), daß Andreas Markantonatos diese Leerstelle mit dem Dramenautor oder dem Regisseur füllt (Tragic Narrative. A Narratological Study of Sophocles’ Oedipus at Colonus. Berlin, New York 2002, 1-28, h. 5). Markantonatos 2002: 2 hatte versucht, die seit Platon kanonische kategoriale Unterscheidung zwischen Mimesis und Diegesis (R. 392d-397b) von der Gattungsebene zu unterschiedlichen narrativen Modi weiterzuentwickeln (zu diesen beiden „modes narratifs“ s. Yves Reuter, L’analyse du récit. Ouvrage publié sous la direction de Daniel Bergez. Paris 2003, 39, vgl. Seymour Chatmans Unterscheidung zwischen diegetischem und mimetischem Narrativ [Coming to Terms. The Rhetoric of Narrative in Fiction and Film. Ithaca 1990, 114 f.]). 65 Myth, Ritual, Memory, and Exchange. Essays in Greek Literature and Culture. Oxford 2001, 319-334, h. 319 f. dieser l 1.2 Transgression 29 vorgängig, bleibt die Diegesis das einzige Mittel der Wiedergabe und damit kein sicheres Indiz für die Verurteilung. 66 Die typologische Vielfalt narrativer Merkmale im Drama, welche die Narratologie aufzeigt, läßt sich weiter für die Analyse der Transgression fruchtbar machen. Denn auch andere narrative Elemente der dramatischen Figurenrede haben einen Bezug zur Transgression, so Atossas Traumerzählung 67 in den Persern, die nicht nur die Transgression bildlich iteriert, sondern auch in Form einer ahnungsvollen Prolepse 68 die Eliminierung vorwegnimmt, die eine Folge oder Vollzugsform der Transgression darstellt (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention). Mehr noch weist die Erzähltechnik des antiken Dramas mit dem episierenden Metadrama, zu dem Prolog, Epilog und Chor gerechnet werden, 69 die eine metatheatralische Funktion erfüllen können (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression), sogar Elemente poetischer Transgression auf. Die Narratologie kann hier einen Beitrag zur terminologischen Erfassung einer Subkategorie der dramatischen Metafiktionalität und Selbstreflexion leisten (‚Metatheater‘), 70 ein Feld, in dem eine verwirrende Vielfalt konkurrierender Ausdrücke herrscht. Es ist eine aufschlußreiche Erkenntnis zur theoretischen Abgrenzung von Metadrama und Metatheater, daß die beiden besagten dramaturgischen Mittel wegen ihrer Diegese formal in den Bereich des Metadramas fallen, aber funktional nicht nur metadramatisch sind, weil sie die Handlung vorhersagen, sondern im Falle des transszenischen Metatheaters überdies metatheatralisch sind, weil sie das erklären, was der Zuschauer sehen wird. Weiterhin hat durch die Ankündigung des künftigen Geschehens auch die eher intratheatralische Regiefunktion, die Medea ausübt, eine narratologische Seite. 71 Inwieweit die Unterscheidung von individuell-authentischer Homodiegese und konventionalisierter Heterodiegese, die geeignet ist, die Widersprüche von Hamlets revenge speech aufzulösen, 72 ein Mittel wäre, die Brüche in Medeas Monolog und Entscheidungsfindung zu erklären, die sich vor dem Hintergrund früherer Reden über und mit dem vollzieht, bedürfte einer näheren Untersuchung. 73 66 Obwohl die Kategorien story und plot, wie der OT sinnfällig macht, also durchaus für die Darbietung der Transgression qua Handlungsschritt relevant sind, ist der Ausdruck ‚Handlungsstruktur‘ in der vorliegenden Arbeit auf die inhaltlich-semiotische Seite beschränkt. 67 Ansgar Nünning, Roy Sommer, Drama und Narratologie. Die Entwicklung erzähltheoretischer Modelle und Kategorien für die Dramenanalyse. In: Vera Nünning, Ansgar Nünning (Hgg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier 2002, 105-128, h. 122. 68 Zur Prolepse in der dramatischen Erzähltechnik s. Markantonatos 2002: 3, 10. 69 S. Nünning/ Roy 2002: 113. 70 Dunn 2009: 343 f. macht an - auch nach Auffassung der vorliegenden Arbeit - metatheatralischen Verfahren wie der Ankündigung der Handlung im Prolog und ihrer nachfolgenden Lenkung durch einen internen Regisseur deutlich, daß es sehr wohl trotz des Fehlens eines Erzählers eine Narratologie des antiken Dramas gebe. 71 Vgl. dazu Nünning/ Roy 2002: 118 f. 72 Nünning/ Roy 2002: 117 f. 73 Dunn 2009: 341 f. legt dagegen eine formale Kategorisierung der Diegese zugrunde, wenn er die euripideischen Prologsprecher als homodiegetisch einstuft, da sie auch als dramatis personae im folgenden Stück agierten, wobei die Götter als Prologsprecher wie Aphrodite im Hippolytos - mit Ausnahme der Bakchen - nicht in der Weise an der Dramenhandlung teilnähmen 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 30 1.2.3 Tragödie, Transgression und Gesellschaft Das Fehlen einer zentralen sinnstiftenden Instanz im attischen Drama (sieht man von den besagten Prologsprechern bei Euripides ab), als welche der Erzähler narrativer Texte fungiert, schafft nicht nur eine nachgerade postmoderne generische Dezentriertheit des Dramas, sondern läßt sich durchaus historisch verorten. Denn es ist wohl kein Zufall, daß eine Gattung, deren Merkmal die performativpräsentative Mimesis (dies unterscheidet sie vom späteren platonischen Dialog) der Konstituierung von Deutungsmustern in verbaler Interaktion ist, in einer Polis zu der Zeit blühte, als deren Politik samt Rechtsfindung, ja Identität in hohem Maße öffentlich verbal ausagiert wurden. 74 Situativ-performativ betrachtet bietet das attische Drama die Mimesis einer öffentlichen Rede vor demselben Publikum, das in der Volksversammlung angesprochen wurde. Indes: Ebensowenig, wie sich die literarische Funktionsweise und die diachrone Entwicklung einer derart öffentlichen Gattung wie der attischen Tragödie ohne ihr extratextuelles Umfeld verstehen lassen, erübrigt oder delegitimiert gar diese Einbettung eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise an den literarischen Text, 75 die dessen semiotische Struktur herausarbeitet. Der Adressatenbezug ist nicht nur der pragmatischen Seite des semiotischen Ansatzes, sondern auch der untersuchten Gattung inhärent. Ihr Konstituens ist nämlich das (fiktiv) öffentlich gesprochene Wort physisch vorgestellter oder imaginativ evozierter Figuren, welches das Theater ausmacht und das dem Drama unter den drei Großgattungen die größte gattungsimmanente Publizität wie etwa die Amme in der Medea. Letztere unterscheidet sich von den besagten Göttern radikal durch ihre Einflußlosigkeit auf das folgende Geschehen, so daß sie anders als diese keinerlei metatheatralische Funktion ausübt. 74 Für eine differenzierende Betrachtung des Verhältnisses von Tragödie und attischer Demokratie s. Leslie Kurke (The Cultural Impact of (on) Democracy. Decentering Tragedy. In: Democracy 2500? Questions and Challenges. Ed. by Ian Morris and Kurt Raaflaub. Archaeological Institute of America. Colloquia and conference papers 2. Dubuque 1998, 155-169), die anhand eines Vergleichs der Darstellung von Agamemnons Handeln und Schicksal in Aischylos’ gleichnamiger Tragödie und in Pindars elfter Pythischer Ode, die allerdings dem Tragiker nachzeitig ist, die egalitäre Ideologie als unspezifisch für die demokratische Literatur überführt und schließlich das gemeinsame Spezifikum von Tragödie und imperialem Athen in der Aneignung des Anderen verortet (Näheres dazu s. das Kap. 1.11 Fazit und Ausblick zu Aischylos’ Persern). Christian Meier, Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München 1988, 67 weist auf den bemerkenswerten Umstand hin, daß in Athen nicht wie in sizilischen Griechenstädten das Publikum, sondern eine Jury über die Tragödien abstimmte. Das demokratische Procedere reichte also nicht bis zur offiziellen rezeptionsästhetischen Beschlußfassung. 75 Kurke 1998: 160-162 sieht wie Mark Griffith (The King and Eye: The Role of the Father in Greek Tragedy. PCPhS 44 (1998) 20-84, h. 45-47, 64 f.) die Tragödie und ihre öffentliche Aufführung als ein Medium, in dem die Polis Athen die Umgangsformen und jeweiligen Verhaltensmuster von aristokratischer Elite und Demos aushandelte. Kurkes und Griffiths legitime und hochinteressante soziologisch-diskursgeschichtliche Herangehensweise sieht bei dieser sozialen Kommunikation von der literaturwissenschaftlichen Instanz des Autors ab. Dies entspricht dem Theorem vom Tod des Autors und läßt die literarische Gestaltung und Eigengesetzlichkeit zurücktreten, um die es der vorliegenden Arbeit geht und die als formalistischwerkästhetische Kategorien literaturtheoretische Funktionen des Autors übernehmen können. 1.2 Transgression 31 verleiht (zum Verhältnis von Drama und Theater s. das Kap. 0. Einführung: Forschungsstand, Methode, Grundbegriffe und Aufbau der Einleitung). Die bedeutendste historische Verortung der attischen Tragödie, die man ‚kulturevolutionär‘ nennen könnte, stammt von Jean-Pierre Vernant. Ihm zufolge ist sie ein Dokument und Vehikel des Übergangs von der religiös-heroischen Welt zu einer Gesellschaft des Rechts und ziviler Institutionen. 76 Sie habe dabei durch die so ausagierten Widersprüche als ein geistesgeschichtlicher Katalysator fungiert, der die Ablösung vom mythischen Denken und die Entwicklung der Konzeption und die Modalitäten einer subjektiv-individuellen Verantwortung 77 ermöglicht habe, die auch von Aristoteles und in der juristischen Kasuistik, etwa der Tötung eines Menschen, begrifflich gefaßt worden sei 78 und deren Modalitäten in der Tragödie ja in der Tat feinziseliert und nicht selten so aporetisch sind, daß man hier das Wesen des Tragischen verortet hat. Dies hängt damit zusammen, daß die Widersprüche des alten religiösen und neuen juristischen Denkens in der Tragödie ausgetragen werden. Der Abschluß dieses geistesgeschichtlichen Prozesses falle mit ihrem Schwinden im 4. Jh. zusammen. 79 Vernant identifiziert also den literarischen Ort des Prozesses, den Eric Robertson Dodds als Übergang von der Schamzur Schuldkultur ansieht. 80 Die Transgression als Thema der Tragödie hat demnach geistesgeschichtlich eine eminente Rolle gespielt. (Die vorliegende Arbeit wird allerdings einen literaturwissenschaftlichen Standpunkt einnehmen und untersuchen, wie die Transgression, ihre Bewertung und 76 Joachim Küpper, Diskurs-Renovatio bei Lope de Vega und Calderón. Untersuchungen zum spanischen Barockdrama. Mit einer Skizze zur Evolution der Diskurse in Mittelalter, Renaissance und Manierismus. Habil. München 1987. Tübingen 1990, 12 Anm. 21 verweist für das Konzept, literarische Texte stilisierten ein „Weltmodell“, auf Jurij M. Lotman, Die Struktur literarischer Texte. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil. München 4 1993, 301 („Das Kunstwerk, das selbst begrenzt ist, stellt ein Modell der unbegrenzten Welt dar“; a. S. 22-27, v.a. S. 26, das von „der Modellierung der Welt durch den Autor“ spricht). 77 Vgl. Jean-Pierre Vernant, Ébauches de la volonté dans la tragédie grecque. In: Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1104-1132. 78 Tensions et ambiguïtés dans la tragédie grecque. In: Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1086- 1103. Referat und Kritik dieser These bietet Flaig 1998: 28-39, dessen gewiß anregender essayistischer Stil mit allerlei komparatistischen Digressionen aus dem Bereich der kulturellen Anthropologie freilich kaum auf Vernants fundierte Argumentation eingeht. Da Flaig einen sozialhistorischen Ansatz verficht, erübrigt sich im Rahmen dieser literaturwissenschaftlichen Arbeit eine detaillierte grundsätzliche Auseinandersetzung mit seiner Kritik an Vernant. Die Tragfähigkeit der Interpretationen der beiden Althistoriker sollen ohne agonale Konfrontation am OT untersucht werden. 79 «Œdipe» sans complexe. In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1133-1152, h. 1135 f. 80 From Shame-Culture to Guilt-Culture. In: Ds., The Greeks and the Irrational. Berkeley 8 1973, 28-63. Kritisch dazu Douglas L. Cairns, Aid s. The Psychology and Ethics of Honour and Shame in Ancient Greek Literature. Oxford 1993, 1-47. Auch Bernard Williams, Shame and Necessity. Sather Classical Lectures 57. Berkeley 3 1993, 5 steht der Sicht auf die griechische Geistesgeschichte, die er „progressivist“ nennt und mit dem Übergang von der Schamzur Schuldkultur illustriert, ablehnend gegenüber. Vernants evolutionäre Sichtweisen zum tragischen Bewußtsein lehnt er gleichfalls ab (1993: 16 f.). Nach Eva-Maria Engelen, Eine kurze Geschichte von ‚Zorn‘ und ‚Scham‘. Archiv für Begriffsgeschichte 50 (2008) 41-73, h. 54 f. versetzt die Annahme der Schuld den Menschen „in ein sehr viel intellektuelleres Verhältnis zu den Anderen als die Scham es tut, die wir anderen gegenüber empfinden.“ 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 32 ihre Verantwortlichkeiten Gegenstand der Binnenhermeneutik werden, der damit eine wichtige Rolle beim Verständnis der Transgression zukommt.) Die antiken Debatten, die innerhalb und mit Hilfe der attischen Tragödie um die Modalitäten der Verantwortung für die Transgression geführt wurden, erklären, warum in der modernen Tragödieninterpretation die ‚Schuld‘, oft mit dem Attribut ‚tragisch‘, eine derart herausragende Stellung einnimmt. 81 Die Synchronie von Scham- und Schuldkultur ist allerdings nur ein möglicher, geistesgeschichtlicher (Hinter-)Grund, warum es in der Tragödie zu Konflikten von Werten kommt, die für gleichrangig erachtet werden. Ein solcher Konflikt, wie er dem an Hegel angelehnten Tragikkonzept der konfligierenden Integritäten und Rollen zugrunde liegt, von dem die vorliegende Arbeit ausgeht, ist, obwohl er in seiner rezeptionsästhetischen Dimension von den Werten des historischen Zielpublikums abhängt (das nicht einmal mit der Gesellschaft identisch sein muß), eine Frage der literarischen Konstruktion und wie der tragische Charakter einer Transgression nicht zeitgebunden. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White Die vorliegende Arbeit nimmt die Transgression in der antiken dramatischen Literatur unter inhaltlichen und formalen Aspekten in den Blick, d.h. als soziojuridischen Inhalt und formal-poetisches Verfahren. Diese beiden Aspekte formulieren bereits die theoretischen Erwägungen französischer Denker, und sie finden (von) dort zunehmend ihren Weg in die Beschreibung von Literatur und auch des (antiken) Dramas. Daß die Transgression bereits in einem rezenten Beitrag von Bernhard Teuber auf die antike Tragödie angewandt wurde 82 und ihr hermeneutisches Potential schon in einer breiter angelegten Studie für die französische Klassik - in enger Anlehnung an Teubers vorgenannten Beitrag - ausgelotet wurde, 83 läßt ein vergleichbares Unterfangen für das antike Drama aussichtsreich erscheinen. 81 Die historische Angemessenheit und damit heuristische Ergiebigkeit der Analysekategorie Schuld bestreitet jüngst Jonas Grethlein (The Greeks and Their Past. Poetry, Oratory and History in the Fifth Century BCE. Cambridge 2010, 102 f.). In der Tat scheint die englische Junktur „tragic flaw“ wesentlich besser als ihre scheinbare deutsche Entsprechung „tragische Schuld“ für die Analyse antiker Dramen geeignet, da sie auf eine Unvollkommenheit abhebt, die von Fritz etwas vorschnell vielleicht im Charakterlichen verortet („Tragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie“, in: Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 1-112, h. 1). Man könnte sich aber auch in einer etwas freieren Interpretation als eine Unzulänglichkeit auffassen, die durch die außergewöhnliche Konstellation der Handlungsstruktur zum Vorschein kommt, welche die tragische Transgression hervorbringt, d.h. nur durch eine außergewöhnliche Handlungsstruktur kann die besagte Unzulänglichkeit in der tragischen Transgression hervortreten (vgl. den Anfang von 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung). 82 Der un/ darstellbare Kindermord. Tragische Transgression und Ethnographie der Tragödie am Beispiel der Medea. In: Gerhard Neumann, Rainer Warning (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 243-255. Für eine nähere Besprechung s. 2.2.2 Ritual in der Einleitung. 83 Matei Chihaia, Institution und Transgression. Inszenierte Opfer in Tragödien Corneilles und Racines. Diss. München 2000. Romanica Monacensia 61. Tübingen 2002. 1.2 Transgression 33 Teuber stützt sich auf Georges Bataille, welcher der einflußreiche Archeget der französischen Transgressionstheorie war. Er ist sowohl für die inhaltliche wie die ästhetische Form der Transgression fruchtbar. Bereits er bestimmte das Thema der griechischen Tragödie als eine „transgression tragique de la loi“. 84 Mehr noch steht der poetisch-kreative Transgressionsbegriff dieser Arbeit, der die Schaffung eines fiktionalen Raumes als Transgression auffaßt, unverkennbar in Batailles Schuld, auch wenn Batailles entsprechende Transgressionskonzepte phylogenetisch und kulturgeschichtlich ausgerichtet sind. Er sah nämlich, so Teuber 2003: 245 f., den Ursprung und den sozialen Rahmen der Kunst in der Transgression der Arbeit und des Alltags, die im religiösen Fest stattfinde. 85 Diese Form der Transgression als vitale Manifestation und Verausgabung im Rahmen eines Festes kondensiert sich im Potlach der amerikanischen Ureinwohner, 86 und es ist durchaus legitim, das im Rahmen eines Dionysosfestes aufgeführte attische Drama als eine solche transgressive Vitalitätsmanifestation anzusehen. Eine dionysische Deutung der Aufführungsbedingungen des attischen Dramas (MacInnes 1994: 54 weist auf ein dionysisches Element in Batailles ästhetischem Programm hin) 87 bewegt sich jedenfalls auf einer anderen Ebene als eine im Kern undionysische Lektüre von dessen Stücken, wie sie die vorliegende Arbeit vertritt (s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt). Kunst und Spiel erhebt Bataille, anknüpfend an Huizinga, zum Indikator der Anthropogenese, der Entwicklung vom Homo faber zum Homo sapiens und ludens. 88 Es sei angemerkt, daß bereits die magisch- 84 La littérature et le mal. Paris 1957. Œuvres complètes. Paris 1979, Ndr. 2003, Bd. 9, 169-316, h. 179. 85 Lascaux ou la Naissance de l’Art. Genf 1955. Œuvres complètes. Paris 1979, Ndr. 2003, Bd. 9, 7-101, h. 40 f. 86 Vgl. Mary Drach MacInnes, Taboo and Transgression. The Subversive Aesthetics of Georges Bataille and "Documents". Diss. Boston 1994 [Mikrofiche], 56 f. Sie arbeitet denn auch den großen Anteil der Ethnographie an der Genese von Batailles Ästhetik in den Documents: Archéologie, beaux-arts, ethnographie, variétés (1929/ 30) heraus (1994: 53-104), womit Bataille auf einer Linie mit der französischen Avantgarde gelegen habe (1994: 9-52). Daß die Ethnographie ein Kunstobjekt nicht mehr als ästhetisches Phänomen, sondern als rituellen Gegenstand betrachtete oder es über seinen ökonomischen Kontext bestimmte, unterstützte die entidealisierende und entmusealisierende Sicht der Documents auf die Kunst (1994: 85-92, vgl. S. 54: „Art became a ‚document‘ of culture.“). Beide Sichtweisen wollen die Herauslösung der Kunst aus ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen und ihrem Sitz im Leben rückgängig machen und werden so zu Archegeten der Ritual- und Performanzästhetik. Sie sind eine wertvolle Bereicherung des Blicks auf die antike Literatur und bildende Kunst, die bereits nahezu zeitgleich Heidegger ins Bewußtsein gehoben hat (s. 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz), und eher eine einschlägige Reaktion auf die idealistische soziopragmatische Konstruktion von Kunst im 19. Jh. als eine Fundamentalalternative zur hier vertretenen transgressiven Ästhetik. Ihr geht es um die modale Funktionsweise von Kunst, den ritualorientierten Ethnographen um deren Pragmatik. Beide definieren diese Bewegung über die Überschreitung des Alltäglichen. 87 „He developed a program that advocated the base and sought to reinvest art with a primal, Dionysian element.“ 88 Lascaux ou la Naissance de l’Art. Genf 1955. Œuvres complètes. Paris 1979, Ndr. 2003, Bd. 9, 7-101, h. 38 f. Dieses Faktum wäre geeignet, MacInnes’ Vorbehalte gegen Batailles anti-idealistische Ästhetik zu zerstreuen (1994: 60-68), die sich durchaus an der bassesse festmachen läßt (s. 1.5 Komik, Doppelung und Iteration). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 34 religiösen Rituale mit Masken und (Tier-)Mimesis Mittel aufweisen, die in der mimetisch-(re)präsentativen Semiose des Theaters zum Einsatz kommen. Der Münchner Romanist knüpft an Batailles Transgressionskonzept Grundthesen zur Transgression, die als Basis für deren Ästhetik dienen könnten: Die Transgression sei ea ipsa un/ darstellbar. Dies äußere sich im sexuellen Bereich in der tropologischen Sprache der Erotik, die im Gegensatz zur mimetischen Darstellung der Pornographie stehe, treffe aber auch auf die abendländische Tragödie zu, die den Mord, der in ihrem Zentrum stehe, nicht darstelle (2003: 247- 9). Der erhabene Stil der Tragödie, der sich bereits in der antiken Verwendung von „tragisch“ für diesen Stil zeige, so seine metapoetische Lesart, sei ein Indiz dieser Undarstellbarkeit (2003: 249 f.). Bei Teuber ist die Transgression ihrem Wesen nach sozial und wird nur zum Gegenstand der Ästhetik und Kunst, aber nicht zu deren Mittel, wenn man von der Gattungsregel absieht, den Mord qua Undarstellbares nicht darzustellen. 89 Doch die tropologische Rede kaschiert nicht nur die Transgression, vielmehr hat sie qua poetisches Zeichen mit der Transgression das transitive Element gemein. Dies geschieht einmal dadurch, daß sie - wie jedes andere Zeichen auch - die materiale Immanenz des signifiant transzendiert, dann dadurch, daß sie qua poetisches Zeichen die usuellen Zuordnungen zu einem signifié überschreitet. Zudem transzendiert der erhabene Stil die Stilkonventionen der Alltagssprache, wie die soziale Transgression die alltäglichen Praxen durchbricht. Batailles Überlegungen zur Transgression wurden von Leiris, Blanchot und Foucault aufgegriffen und weiterentwickelt. Michel Leiris kreuzte sie mit der Ethnologie. 90 Batailles Theorien zu Opfer und Transgression wurden von seinem Freund Maurice Blanchot auf Schreiben und Lesen übertragen, 91 also die beiden Seiten des literarischen Zeichengebrauchs. Dieser Transfer rechtfertigt es, ja hält dazu an, bei transgressiven rituellen Opfern (Iphigenie) und zu rituellen Opfern stilisierten Transgressionen (Medeas Kinder, Phaedras Selbstmord) die literarisch-ästhetische Seite zu beleuchten. Was die soziopragmatische Dimension angeht, erscheint Blanchot die Transgression als Möglichkeit, sich der Macht zu entziehen. 92 Diese Sicht exemplifiziert Medeas topologisch-evasive Transgression (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason). Didier Martens, der außerhalb der illustren Genealogie der französischen Meisterdenker steht, aber zumindest bei der bildenden Kunst für die Transgression den Brückenschlag zur Antike wagt, hebt die Transgression ganz in die (Rezeptions-)Ästhetik. Er begreift nämlich Animation und Illusion der griechischen Vasen, die das Tongefäß verwandelten, als transgressive Erfahrungen, die 89 Zur fehlenden optischen Darstellung von physischer Gewalt in der erhaltenen attischen Tragödie s. Simon Goldhill, Der Ort der Gewalt: Was sehen wir auf der Bühne? In: Bernd Seidensticker, Martin Vöhler (Hgg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik. Berlin 2006, 149-168, h. 154 f. 90 Irene Albers, Helmut Pfeiffer (Hgg.), Einleitung. In: Michel Leiris - Szenen der Transgression. München 2004, 12-14. 91 John W. Gregg, Maurice Blanchot and the Literature of Transgression. Princeton 1994, 15, vgl. 17. 92 „L’expérience-limite“, in: L’entretien infini. Paris 2003, 117-418, h. 308 Anm. 1. 1.2 Transgression 35 dazu einlüden, mit dem Blick konzeptuelle Bereiche zu übertreten, die gewöhnlich als unüberschreitbar gälten. 93 Animation und konzeptuelle Grenzüberschreitung lassen sich auf die Ästhetik der Transgression im Drama übertragen: Die Animation als ästhetische Form der Transgression kann im Drama der Darstellung der soziojuridischen dienen. Dies gilt im Falle der Sequentialisierung in einzelne Schritte, die der Schilderung der Transgression ein filmisches Element verleiht, so bei Oidipus’ narratio des Dreiwegmassakers oder noch mehr bei Iphigenies Opferung in Aischylos’ Agamemnon, die ein betont optisches Moment hat. 94 Dagegen wird diese mimetische Illusion vom Metatheater als Typ poetischer Transgression durchbrochen. Normsetzung sowie die kulturelle und institutionelle Repression der sozialen Transgression sind neben der Diskursgeschichte das Leitmotiv von Michel Foucaults Werk, der wissenschaftsgeschichtlich selbst die Transgression performiert, weil er die Grenzen von Marxismus, Semiotik und Strukturalismus überschreitet und doch diese Richtungen aufhebt. 95 Dabei entwickelt er in seiner Frühschrift Préface à la transgression (1963) 96 im Dialog mit dem jüngst verstorbenen Georges Bataille einen philosophisch-sanfteren und weniger antithetischen und soziologischen Begriff der Transgression, den er ganz in der Spur Batailles als mit Ausgabe („dépense“), Exzeß und Grenze bzw. Begrenzung („limite“) verwandt ansieht und der synthetisierend-totalisierend die Widersprüche ablöst (S. 276). Solch ein vitalistisch-exuberanter und widerspruchsferner Transgressionsbegriff ist selbstredend kaum mit einem hegelianischen, sondern allenfalls einem nietzscheanischen Konzept des Tragischen vereinbar (s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt). Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, daß der Terminus ‚Transgression‘ zumal im Französischen die allgemeine Bedeutung ‚Grenzüberschreitung‘ hat und seine Geläufigkeit nicht zu der in dieser Arbeit vorgenommenen begrifflichen Abgrenzung zur ‚Grenzverletzung‘ einlädt. Sein Hinweis, die Transgression verhalte sich zur Grenze nicht wie schwarz zu weiß, verboten zu erlaubt, außen und innen, das Ausgeschlossene zum geschützten Innenraum, sondern wie ein Bohrer (S. 265: „vrille“; die Foucault-Übersetzung von Gondek wählt die treffende Wiedergabe „bohrendes Verhältnis“), 97 zeigt zu Recht den poststrukturalistischen Charakter der Transgression, da die Grenze die genannten Größen statisch 93 Une esthétique de la transgression. Le vase grec de la fin de l’époque géométrique au début de l’époque classique. Académie Royale de Belgique. Mémoire de la Classe des Beaux-Arts Collection in-8¹ Série 3 T. 2. Brüssel 1992, 21. 94 Für eine eingehende, vergleichende Besprechung dieser beiden Szenen s. 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression im Kap. über Euripides’ Medea. 95 Charles C. Lemert, Garth Gillan, Michel Foucault. Social Theory and Transgression. New York 1982, 1 f. 96 In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 1, 261-278. Dt.: Vorrede zur Überschreitung In: Michel Foucault, Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Bd. 1. Aus den Französischen von Michael Bischoff, Hans-Dieter Gondek und Hermann Kocyba. Frankfurt a.M. 2001, 320-342. 97 Die Ambivalenz solcher Werkzeuge bei gleichzeitiger Identität bemerkte bereits Heraklit (DK 22 B 59): 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 36 abgrenzt und strukturell konstituiert, während die Transgression die Grenze zwischen ihnen performativ realisiert und aufhebt (s.o. auch für Foucaults entsprechende Beobachtung). Zudem kann die Transgression nicht nur die Grenze zwischen derart plakativ abgegrenzten Gegensätzen, die in der vorliegenden Untersuchung vielfältig zur Beschreibung der Transgression im antiken Drama herangezogen werden, sondern auch Minimalpaaroppositionen betreffen. Viele Charakteristika und verwandte Phänomene der Transgression, die Foucault in dieser Schrift entwickelt, werden auch in dieser Arbeit zum Tragen kommen. So sieht er die Transgression als eine Geste an, welche die Grenze betreffe (S. 264). Der Begriff der Geste wird relevant werden, um in Euripides’ Medea und Senecas Phaedra die Souveränität der Transgression und deren künstlerische Implikation zu fassen. Foucault weist denn auch auf die Souveränität und Singularität der Transgression hin (für eine Diskussion dieses Merkmals s. 2.2.1 Performanz). Foucaults Verdünnung des Begriffs der Transgression zu einem eher transitorischen Phänomen der Grenzüberschreitung geht damit einher, daß er sie von den Größen des Subversiven, Negativen und Dämonischen abkoppelt (S. 265-267), welche in dieser Arbeit in teilweiser Anknüpfung an Auslegungstraditionen der klassischen Philologie (konkret Karl Reinhardts Begriff des Dämonischen) zum Einsatz kommen, um die Brisanz der eklatanten Transgression der attischen Tragödie zu beschreiben. In Anlehnung an Batailles Sonnenbegriff klassifiziert Foucault die Transgression als solare Kehrseite („l’envers solaire“) der satanischen Negation (S. 267). Auch wenn diese doch sehr speziellen Diskurse sich nicht tel quel auf die attische Tragödie übertragen lassen, ist es doch eine markante Übereinstimmung, daß die prominenten Transgressorinnen Medea und Phaedra nach der Darstellung der betreffenden Dramen vom Sonnengott abstammen. Foucaults Zurückdrängung der Antithese im Begriff der Transgression geht nicht so weit, daß er ihn zur Grenzüberwindung verschiebt und als Rückkehr in ein Land auffaßt, in dem alle Widersprüche aufgehoben werden (S. 267). Wenn Foucault allerdings die Transgression als Rückkehr und als Öffnung zu einem Raum auffaßt, in dem das Göttliche gespielt werde (S. 267), so erfaßt er mit diesem Raumschaffen ein Merkmal, das in dieser Arbeit primär der künstlerisch-poetischen Transgression zugeschrieben wird, welche sich an die soziale anknüpfen kann. Außerdem weist Foucault darauf hin, daß für die Transgression eine vergleichbare Sprache fehle, wie sie die Dialektik für die Widersprüche darstelle (S. 269). Damit bestätigt er einerseits theoretisch die Unsagbarkeit der Transgression im dramatischen Dialog und die logosdisruptive Wirkung, welche die Transgression dramatisch entfaltet, und zeigt andererseits die Notwendigkeit ihrer poetisch-metaphorischen Formulierung auf, welche die Dramen bieten und bei der die poetische die soziale Transgression beschreibt. Und wenn er die Entdeckung der Rückkehr durch die und in der Transgression als Beleg dafür wertet, daß die Philosophie immer griechischer werde, und den undialektischen Charakter der Transgression auf Erkenntnishorizonte zurückführt, die Nietzsches Figuren des Tragischen und Dionysos eröffnet hätten (S. 267), so ist dies immerhin ein Anreiz, die Tragfähigkeit seines Transgressionsbegriff anhand einer Analyse des antiken Dramas auszuloten, auch wenn diese Untersuchung klar die Begriffe von Transgression und Tragik über Widersprü- 1.2 Transgression 37 che definiert. Der Bruch des (philosophischen) Subjekts, den Foucault an Batailles Juxtaposition reflexiver und belletristischer Texte verortet (S. 271), ist in der vorliegenden Arbeit ein Merkmal der Tragik, die sich an die Widersprüche knüpft, aus denen die Transgression resultiert. An die Stelle der Dialektik tritt Foucault zufolge bei Bataille die Selbstreflexion, die eine Transgression des eigenen Seins und eine Infragestellung der eigenen Grenzen darstelle (S. 272 f.). Bataille wird exemplarisch für die Transgression der Sprache, welche die Philosophie zum Versagen des sprechenden Subjekts geführt habe (S. 277). Gerade bei der Optik, deren Augenkonzeption eine nichtdialektische Sprache der Philosophie ermögliche (S. 275), wird deutlich, daß Foucaults Bataille-Interpretation die Transgression eher als Grenzüberschreitung denn als Grenzverletzung auffaßt (S. 273 f.). Zweifelsohne spielt die Optik, und sei es nur ex negativo beim regelpoetischen Verbot der Gewaltdarstellung, eine zentrale Rolle bei der generischen Konstitution des Schauspiels (selbst als Lesedrama), weil der Betrachter in den Dramentext eingeschrieben ist, aber auch, was für die soziojuridische Transgression als Dramenstoff vielfältig zu zeigen sein wird, bei seiner individuellen Konzeption. Auch wenn Foucault später die Transgression als Möglichkeit der Übertretung totalisierter moderner Individualitäts- und Rationalitätskonzepte ansah, 98 so steht diese Beobachtung eines historischen Sachverhalts moderner Gesellschaften nicht im Widerspruch zu der These, daß jede Transgression insofern ein Akt der Individualisierung ist, als sie die sonst durch die übrigen Mitglieder der Gesellschaft verkörperte Norm unterläuft und den Betreffenden minorisiert sowie innerhalb des sozialen Mikrokosmos auf der Bühne individualisiert. Zudem schafft die Transgression durch ihre Faktizität eine biographische Differenz zwischen ihrem Akteur (und in gewisser Weise auch ihrem Objekt) und dem Rest der Gesellschaft. Auf der Normen- und Rollenebene annulliert sie jedoch praktisch-konjunktural Differenzen zwischen dem Erlaubten und Tabuisierten und den Rollen, die der Transgressor nicht mehr erfüllt, man denke an das Inzesttabu, das aus der spezifischen Rolle als Kind/ Elternteil erwächst. Diese differenzannullierende Wirkung hat René Girard bereits für die Gewalt und die mit ihr einhergehenden Verbrechen des Vatermords und Inzests anhand des OT erkannt. 99 Die vorgestellten klassischen französischen Denker der (Post-)Moderne haben eher nobilitierende Gedankensplitter für das Analyseraster der vorliegenden Arbeit geliefert. Dagegen entwerfen die beiden britischen Autoren Peter Stallybrass und Allon White ein neostrukturalistisches Modell zur Verortung der Transgression, 100 das mit horizontaler und vertikaler Achse die Raumkategorien eines kartesischen Koordinatensystems zugrunde legt und damit eine wertvolle Grundlage für die Topologie der Transgression sowie in Dramen- und Literaturtheorie liefert (vgl. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes). Der vorliegenden Arbeit 98 Petra Neuenhaus-Luciano, Individualisierung und Transgression. Die Spur Batailles im Werk Foucaults. Pfaffenweiler 1999, 91-111. 99 La Violence et le Sacré. Paris 1972, Ndr. 1987, 113. 100 The Politics and Poetics of Transgression. London 1 1986 = Ithaca 5 1995. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 38 kann es als Ausgangsbasis für ein holistisches strukturalistisches Modell dienen, um die Transgression und ihre verschiedene Typen zu beschreiben. Stallybrass und White legen bei ihrer Analyse als Fundamentalopposition den Unterschied zwischen oben und unten zugrunde, welcher die diskursive Konstruktion der (bürgerlichen) Gesellschaft bereits in der antiken Literaturgeschichte, 101 aber vor allem in vier symbolischen Bereichen strukturiere, nämlich den seelischen Formen, dem menschlichen Körper, dem geographischen Raum und der sozialen Ordnung (1995: 3). Bei einer Konstruktion von Hierarchien wird die ontologische Horizontalität diskursiv in eine strukturelle Vertikalität verwandelt, so meine Formulierung. Nach Stallybrass und White funktioniert diese Konstruktion nicht über eine simple (ebenfalls horizontale) Exklusion, sondern eine Unterdrückung, in welcher das Andere und Untere präsent bleibt und systemisch die notwendige Basis für die Überlegenheit des Oberen bildet (1995: 5). Mehr noch kann es so zum unterschwellig Begehrten werden. (Stallybrass und White bemühen hier treffend die Beobachtungen, die Edward Said zur politischen Funktionsweise des westlichen Orientbildes gemacht hat. 102 ) Freuds Schichtenmodell der Seele und seine Fundamentalkategorie des Begehrens werden so elegant mit dem Strukturalismus und einer dialektisch-strukturalistischen Identitätskonstruktion (1995: 163) verschmolzen. In der evasiven Bewegung des Begehrens wird die Transgression verortet, wobei weniger das Konzept, das auf Foucaults oben referierte Ausführungen zurückgeführt wird, als dessen bürgerliche Romantisierung in Frage gestellt wird (1995: 200). Das hier skizzierte Modell läßt sich sicherlich zur präziseren Beschreibung der Rolle der sozialen Transgression in der Komik einsetzen (s. 1.5 Komik, Doppelung und Iteration), zumal seine Autoren einen Schwerpunkt auf das Bachtinsche Konzept der Karnevalisierung legen. Um ein holistisches Modell zur Beschreibung des gesamten Dramas zu gewinnen, bedarf es jedoch einiger Ergänzungen und Abänderungen. Diese betreffen zuerst die Perspektive: Stallybrass und White leisten auf der gesamtgesellschaftlichen oder zumindest schichtenspezifischen Ebene des Bürgertums eine Diskursanalyse Foucaultscher Prägung. Hier muß dieses Modell jedoch auf den innerliterarischen dramatischen Kosmos verengt werden, welcher dank der Mimesis ein miniaturisiertes Abbild der Welt darstellt. Der so geschaffene dramatisch-szenische Raum kommt schwerlich ohne die horizontale Achse aus. Ihn füllt oder schafft der Körper der Schauspieler, der zum Zeichenträger der gesamten theatralischen Mimesis wird und somit die zentrale Position wahrt, die er bei Stallybrass und White einnimmt. Körper und Raum dienen nicht nur den verschiedenen Bewegungstypen, die als hodologische Varianten der Transgression fungieren, sondern auch dem Ausagieren der sozialen Ordnung, deren Rollenkonflikte die Dramenhandlung vorantreiben und in unserem Modell die Transgression anstoßen. Damit wäre Stallybrass’ und Whites dritte Kategorie integriert. Deren vierte, die 101 Als Aufhänger für ihre Politik und Ästhetik der Transgression (bzw. Ausgrenzung) dient ihnen Aulus Gellius’ klassisches Diktum über die klassischen, den proletarischen entgegengesetzten Schriftsteller (19,8,15). 102 Orientalism. Western Conceptions of the Orient. London 2003, 3, 7. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention 39 Seele, spielt eine eminente Rolle bei der Binnenhermeneutik der Transgression und der damit implizierten Konstruktion von Normgerechtheit. Die vertikale Achse ist im dramatischen Raum mit den himmlischen Göttern und ihrem Eingreifen sowie im szenischen Raum den di ex machina vertreten und kann mit den chthonischen nach unten verlängert werden. Dies ist in Senecas Phaedra der Fall, wo sie eine besondere Rolle spielt, weil der Autor dieses Dramas der Literatur, v.a. des hohen Stils, den auch Stallybrass und White als Parameter aufnehmen (1995: 3), eine apollinische Inspiration und anagogische Funktion zugesprochen hat (s. 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik in der Interpretation dieses Dramas). Auch wenn Dionysos’ Verlangen in den Fröschen einen Tragiker aus der Unterwelt wieder an die Oberwelt holt, wobei die Richtung des Begehrens exakt Stallybrass und White entspricht, ist das Begehren im Gegensatz zu diesem beiläufigen komisch-homoerotischen Motiv der Komödie ebenfalls nur in der Phaedra das zentrale Movens der Handlung und der Transgression, bewegt sich dort allerdings in der Horizontalen. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention Die Funktionsweise der Transgression und der dramatischen Handlungsstruktur sollen nachfolgend mit den Termini Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention präzisiert werden. Eliminierung und Restauration sind wie die Transgression (und Iteration) Einzelhandlungen und als solche Schritte oder Stationen der Gesamthandlung. Am wichtigsten ist von ihnen die Eliminierung, welche die antike Rhetorik als schema oder solözistisches vitium unter dem Namen detractio bzw. kannte (Quint. inst. 1,5,38-40; 52 f.) und die im Strukturalismus als operational-diagnostisches Verfahren der Ermittlung von Minimalpaaroppositionen dient. Sie ist in dieser Arbeit Vollzugsform und Folge der Transgression, tritt also gleich in zwei Handlungsschritten auf. Begrifflich sollen sie dadurch unterschieden werden, daß, wo der Deutlichkeit halber geboten, die mit der Transgression einhergehende Eliminierung transgressive Eliminierung als solche benannt wird, während die ihr nachfolgende die Eliminierung schlechthin oder die posttransgressive Eliminierung ist. Vergleichbare kosmologische Folgen einer Transgression nahm bereits das frühgriechische Denken an. Für Heraklit zieht eine auch topologisch verletzte Norm kosmologische Sanktionen durch die Erinyen nach sich. 103 Anaximander 103 DK 22 B 94: Komposita aus + sind die morphologisch und semantisch exakte Entsprechung von ‚Transgression‘ und haben wie diese eine topologische Grundbedeutung. Sie sind jedoch eher selten, vgl. ebenfalls mit absolutem mythologisch-religiösem Ordnungsgaranten S. Ant. 604 f. - / Doch schon bei Homer lassen sich selbst die Götter durch Opfer nach der Transgression milde stimmen (Il. 9.499-501, v.a. 501: ). Zu [sic! ], und Transgression s. Ferla 1996: 1-6. Die wohl bedeutendste und umfassendste Studie zur Hybris von Nicolas R. E. Fisher (Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece. Warminster 1992) resümiert rezeptionsästhetisch-aristotelisierend im Abschnitt „Hy- 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 40 verzichtet auf Mythologie und Topologie zugunsten der Chronologie, formuliert aber den notwendigen Nexus von Entstehen und Vergehen als kosmologische Sanktion für Unrecht, 104 also eine moralisch-juridische Bewertung der Transgression. Wenn die überliefernde spätantike Quelle, der Neuplatoniker Simplikios, nach dem Zitat dem Milesier eine ziemlich poetische Ausdrucksweise attestiert, so zeigt er noch ein Bewußtsein für den Ursprung dieser Formulierung in Mustern der sozialen Interaktion, die auch die Handlung der Homerischen Epen prägen und sich damit bereits vor dem Drama literarisch manifestiert haben. Die Gattungen Tragödie und Komödie unterscheiden sich im wesentlichen durch die geringere Rolle oder das gänzliche Fehlen der Eliminierung in letzterer. Anders als in der Tragödie geht in der Komödie die Transgression nicht notwendigerweise mit einer (physischen) Eliminierung einher und zieht auch keine solche nach sich. Außerdem wird eine Ordnung, welche die Transgression gestört hat, wenn überhaupt, 105 ohne Eliminierung von Personen (wieder)her- bris and Athenian Drama“ (S. 506-511), daß Tragik umgekehrt proportional zur begangenen Hybris sei (1992: 509) und die Bestrafung einer solchen nicht sonderlich tragisch sei, wie der Schicksals(um)schlag eines Bösewichts von Aristoteles nicht als tragisch, sondern als - eingestuft worden sei (1992: 506) (für die Diskussion um das bei Aristoteles s. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia). In Einklang mit dem Tragikkonzept der vorliegenden Arbeit nennt er dabei auch das Verfolgen legitimer Ziel und führt Oidipus und Medea als Beispiele an (1992: 508 f.). Doch eine Objektivierung der Tragik, wie sie die vorliegende Arbeit in Anschluß an Hegel mit Hilfe der Integritätskonflikte unternimmt, bietet er nicht. Statt dessen läßt er ex negativo einen Satellitenbegriff der Tragik in der vorliegenden Arbeit (wie Ambivalenz) anklingen, wenn er von „unambiguous and grave hybris“ und deren Bestrafung spricht (1992: 508). Seine Nuancierung der Hybris für die einzelnen Figuren und die v.a. bei Euripides selbst zur Hybris mutierende Sanktion, welche auf die Hybris (bzw. in der Terminologie dieser Arbeit die Transgression) antwortet (1992: 509 f.), können im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur ansatzweise anhand der Bakchen diskutiert werden (s. 4.4 Transgression und Eliminierung; ansonsten gehen Fishers und die hier vertretenen Ergebnisse beiwege vielfach konform). Schon jetzt läßt sich vor dem Hintergrund dieser Verkettung von Hybris und Sanktion jedoch festhalten, daß Hybris und Tragik nicht bloß, wie bei Fisher, in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis gesehen werden können, sondern nach dem genuinen Tragikverständnis der vorliegenden Arbeit sich im geläufigen Handlungsmuster der Tragik zusammenschließen, da die Hybris im zwischenmenschlichen Zusammenhang v.a. bei Homer eine Verletzung der sozialen Integrität bedeutet (Gerhard Thür, Art. Hybris. DNP 5 (1998) 771 f.: „absichtlich entehrende[s] Verhalten[s] einschließlich körperlicher Übergriffe“), deren Bewahrung oder Wiederherstellung in den hier untersuchten Tragödien ein häufiges Ziel der tragischen Transgression ist (Oidipus, Medea). Fisher widmet Medea keinen eigenen Abschnitt (vielleicht weil das Lexem hybris in dieser Tragödie zu marginal ist [v. 1060 f.: … ], obschon es in den Komplex der tragischen Entscheidung verwoben ist) und behandelt beim OT aus ähnlichen lexikalischen Gründen (1992: 329: „Hybris occurs in just one context in this play […].“) ausführlich das zweite Stasimon (1992: 329-342; s. 2.4.5 Transgression und Orakel). 104 Simp. in Ph. 24,13-20 D. (= DK 12 B 1, Ar 163 Wö.): [ ] [ ] [ ] - [ ]. 105 Kloss wendet gegen Stierles These, der Zielpunkt einer Komödie sei die „Wiederherstellung vernünftiger Zustände, einer geordneten kulturellen Welt“ (1976: 251), zu Recht ein, diese Auffassung orientiere sich zu sehr an Menander, welcher die europäische Komödie nachhaltig geprägt habe (2001: 14). Bei den Komödien des Aristophanes seien die Ausgänge dagegen in einigen Fällen uneindeutig (Ekklesiazusen) oder in einzelnen Punkten offen (Ritter, Vögel u.a.). 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention 41 gestellt - so eine strukturalistische Lesart des guten bzw. schlechten Ausgangs und des „großen Leids“ ( ) der Aristotelischen Poetik (1452b 11, 1453b 18). Aristoteles gebraucht sowohl negativ in bezug auf die Komödie (1449a 35) als auch an der erstgenannten Stelle affirmativ für die Tragödie das Lexem „verderbenbringend“ ( ), das dem technischen Terminus Eliminierung bereits erstaunlich nahekommt, während Poet. 1453a 35-39 das Fehlen von Tötungen als Merkmal der Komödie bezeichnet. Rh. 1385b 13-16 knüpft an ein derartiges Geschehen die emotionale Reaktion , 106 mit welcher der Zuschauer auch in der Poetik auf das Geschehen reagieren soll. Neben der von Aristoteles beschriebenen physischen Eliminierung stehen als weitere Formen die soziale und die lokale. Der Ausdruck ‚Eliminierung‘ vermeidet die normative Überdeterminierung und überzogene Erwartungen an die poetische Gerechtigkeit, wie ‚Bestrafung‘ und ‚Sanktion‘ sie wecken würden. Tatsächlich ist die restaurativ-sanktionierende (physische) Eliminierung des Transgressors durch einen (menschlichen) Dritten nur im Epos (das Paradebeispiel ist der Freiermord in der Odyssee) unproblematisch. In der attischen Tragödie sanktionieren mit solchen physischen Fremdeliminierungen bloß bei Euripides (Hippolytos, Bakchen) die geschädigten Gottheiten in eigener Sache (wie im Falle des Odysseus) religiöse Transgressionen, doch besteht hier eine Symmetrie zwischen Transgression und Eliminierung, da sie dieselbe Gottheit betreffen, und diese Tragödien des letzten Tragikers bieten nicht zuletzt wegen der religiösen Art des Delikts eine gewandelte Tragik. Die eliminatorische Fremdsanktion durch eine unproblematische, ja legitime Instanz trifft dagegen auffallenderweise nicht die transgressiven Protagonisten der hier zu besprechenden Tragödien Xerxes, Oidipus und Medea. Damit wird auf die bühnenpragmatische Befriedigung von Rachegelüsten oder zumindest Forderungen nach (poetischer) Gerechtigkeit verzichtet. Ihnen sowie der Fremdeliminierung steht die differenzierte Kausalitätsattribution entgegen, die charakteristisch für die tragische Transgression und die Tragik überhaupt ist. Diese Differenziertheit wurzelt im tragischen Integritätenkonflikt, der beiden Parteien ein berechtigtes Interesse zubilligt, und erstreckt sich denn auch auf die Eliminierung, welche alle tragischen Transgressoren infolge ihrer Tat betrifft (allein aus diesem fehlenden Grund ist Xerxes nach dem Verständnis der vorliegenden Arbeit kein solcher): Die Fremdeliminierung des Transgressors wird in der Orestie und der Antigone als Transgression dargestellt und im Falle Kreons und Klytaimnestras allein dadurch problematisiert, daß diese Figuren selbst in ihrem Gefolge von massiver physischer Eliminierung betroffen sind. Orests Eliminierung folgt nur durch göttliches Eingreifen keine weitere. Die Götter erscheinen bei den posttransgressiven Eliminierungen also als ordnungswahrende Instanz. Das tun sie auch im Falle des Oidipus, wenn auch abgeschwächt, da sie vermittelt über die Handlungsstruktur wirken und der Transgressor die Eliminierung - wie im Falle des Aias - selbst vollzieht. Oidipus eliminiert sich wie Medea lokal, doch fehlen bei ihr jegliche göttliche Anstöße, die auf eine Wahrung oder Wiederherstellung der Ordnung hinausliefen. 106 - . 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 42 Diachron ist also eine Abschwächung (von der physischen zur lokalen) und eine Aneignung der posttransgressiven Eliminierung durch den tragischen Protagonisten festzustellen, welche dessen souveränen Spiel-Raum gegenüber dem generischen Handlungsschema erweitert. Die Eliminierung ist nicht nur wegen ihres Facettenreichtums ein adäquates terminologisches Korrelat zur gleichermaßen multidimensionalen Transgression, sondern mit dieser bereits etymologisch-begrifflich über die Schwelle verbunden, die von der Transgression verletzt und dadurch aktualisiert wird. Mehr noch: die Grundbedeutung von elimino „bringe über die Schwelle“ (WH I 803 s.v. limen) und deutlicher bei Ernout/ Meillet (359 s.v. limen) „chasser du seuil, expulser, bannir“ 107 legt den Gegensatz von innen und außen zugrunde und beinhaltet das Entfernen aus dem Inneren. Dabei ist diesem Akt bisweilen ein normativer oder penetrativer Grenzverstoß vorausgegangen. 108 Einmal wird er sogar lexikalisch an die Schwelle geknüpft. 109 Eliminierung und Transgression ermöglichen ein tieferes Verständnis und die konzeptuelle Integration der Gewalt, die manche moderne Interpreten in den Fokus ihrer Deutung rücken. 110 Bei dem vorliegenden Ansatz ist sie der eliminatorische Faktor der Transgression und wird durch Normverstoß und Eliminierung erhellt und strukturiert. Da diesen beiden Handlungsmomenten Gewalt innewohnt, werden sie umgekehrt durch die Typologie der Gewalt in der Tragödie differenziert, die Bernd Seidensticker entwirft (physische, psychische und strukturelle Gewalt sowie als deren Sonderform die göttliche Gewalt). 111 Ihre systemische Stelle hat die Gewalt in den Friktionen zwischen Struktur und individuellem Handeln. Denn die Transgression stört die Ordnung und zeigt die Spannung zwischen dem System und seiner sozialen Basis und situativen Performanz. Die zentrale Rolle von Transgression und Ordnungsstörung im antiken Drama zeigt sich auch daran, daß viele um ein Verbrechen orientiert sind, was analytischen Dramen einen kriminologischen Einschlag gibt (z.B. Oidipus Tyrannos). Der Blick auf den mimetisch-poetischen Umgang mit den sozialen Rollen und Normen (nicht deren quellenkundliche Auswertung) macht über deren fiktive Transgression und Restitution die Moral, die ein antiaristotelischer Positivismus ganz aus der Tragödie(nbetrachtung) verbannen wollte, 112 in doppelter Hinsicht wieder zu deren notwendigem Bestandteil: als Objekt der Trans- 107 Schwächer de Vaan s.v. limen „to go outdoors, let out“. 108 Vgl. Hans Rubenbauer ThlL Bd. 5,2 (1931-53) Sp. 388 Z. 35-69, z.B. Tert. nat. 2,7,11 p. 107,14 (Criminatores deorum poetas eliminari Plato censuit, ipsum Homerum [...] civitate pellendum), Ps.-Ambr. prec. 2,2 (homines de paradiso eliminavit). 109 Sidon. carm. 15,124 f. (s.o. ThlL): Exclusi prope Cynicos, sed limine restant; / ast Epicureos eliminat [...] Virtus. 110 V.a. René Girard, La Violence et le Sacré. Paris 1972, Ndr. 1987. Vgl. Radke 2003: 3 zu Euripides’ Bakchen. 111 Distanz und Nähe: Zur Darstellung von Gewalt in der griechischen Tragödie. In: Ds., Martin Vöhler (Hgg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik. Berlin 2006, 91-122, h. 98 f. 112 Vgl. dazu Radke 2003: 27 f. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention 43 gression und der kognitiven Affirmation 113 bei Schauspieler und Zuschauer im Sinne des aischyleischen (Ag. 177). Diese Restauration der Moral, d.h. des normativen Teils des soziokulturellen Systems, geschieht im subjektiven Gedankenverlauf des Stücks in der Anagnorisis. Bei diesem „Umschlag aus Unwissenheit in Wissen“ (Poet. 1452a 30 f.: - ) handelt es sich um eine Re-Identifikation. Dabei wird einer Figur ein bislang unbekanntes signifié, oft zuungunsten eines anderen, zugeschrieben. Transgression und Eliminierung sind auf der individuellen Ebene an der Integrität faßbar. Auf sie zielt eine Intention der Selbsterhaltung, die auch im Drama vorausgesetzt und dargestellt wird. 114 Die Integrität hat wie das Zeichen eine materielle, physische, und eine ideelle, soziale oder moralische, Seite (Näheres s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller), wobei beider Verbindung die Identität des Menschen ausmacht. Sie wird bei ihrem Subjekt und ihrem Objekt in den vorgenannten drei Bereichen physisch, sozial oder moralisch durch Transgression und Eliminierung verletzt. Die Bereiche und Personen, die von ihr betroffen sind, können von Fall zu Fall in den unterschiedlichsten Kombinationen variieren und sollen bei den Einzelinterpretationen dargestellt werden. Die verletzte moralische und soziale Integrität können auch durch die lokale oder gar physische Eliminierung des betreffenden Subjekts oder Objekts restauriert werden. Ebenso zerstört seine physische Eliminierung wegen des materiellen und soziokulturellen Fortlebens in der Erinnerung der Nachwelt (memoria) nicht den Zeichencharakter. Der Fortbestand ist ein wesensmäßiger Aspekt auch der Integrität, da ihre Grundbedeutung ‚Unversehrtheit‘ die Gefährdung durch Beschädigung impliziert. Hierbei ist auf der zeitlich-syntagmatischen Achse die Integrität als Permanenz faßbar. 115 Die vorgestellte Terminologie integriert die Kategorien der bisherigen Dramenanalyse und bringt ihnen gegenüber einen Zugewinn an Präzision. So integriert, erweitert und transformiert die Integrität den bisherigen Begriff ‚Charakter‘. In individueller Perspektive scheint das aristotelische „Moral“verständnis, 116 das Intentionen, Abwägungen, Entscheidungen und ihre Folgen untersucht, 117 mit einer handlungstheoretischen Interpretation von Dramen bestens 113 Platon äußert sich dagegen skeptisch hinsichtlich der sittlichen Wirkung der Tragödie, die er eher für schmeichlerische Rhetorik hält (Grg. 502b-d). Im Staat (R. 595ab) soll sie als … … ausgeschlossen werden. 114 Die Fruchtbarkeit des Selbsterhalts in modernen Debatten und sein differenziertes Verhältnis zur Vernunft (vgl. Hans Ebeling (Hg.), Subjektivität und Selbsterhaltung. Frankfurt a.M. 1976) befreien ihn vom Ruch, eine bloße Neuauflage der stoischen Oikeiosislehre zu sein (für eine stoizierende Interpretation dieses Begriffs s. Klaus Müller, Selbsterhaltung. Ein stoisches Korrektiv spätmoderner Kritik am modernen Subjektgedanken. In: Alexander Arweiler, Melanie Möller (Hgg.), Vom Selbst-Verständnis in Antike und Neuzeit. Transformationen der Antike 8. Berlin 2008, 381-395). 115 Die semiotische Permanenz der Erinnerung soll anhand der Trümmer der Argo besprochen werden, von denen Iason nach Medeas Vorhersage in Euripides’ gleichnamigem Stück erschlagen werden wird (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason im Medea-Kapitel). 116 Zur neuzeitlichen Diskussion, ob und welche Moral die antike Tragödie habe, vgl. Kurt von Fritz, Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, VII-XXIII. 117 Poet. 1450b 8-10, 1454a 17-19. Vgl. dazu Radke 2003: 27. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 44 vereinbar. Da die Existenz der Struktur in der Performanz das von Strukturalismus 118 und nachfolgend Poststrukturalismus verbannte Subjekt 119 zwanglos in den Strukturalismus reimportiert, ist eine Handlungs- und Systemtheorie, deren Ausgangspunkt die subjektgebundene, praktisch-appetitive Intention ist, 120 mit einem strukturalistischen Ansatz der Dramenanalyse vereinbar. Dies gilt um so mehr, als Luhmann selbst in seiner letzten Vorlesung erwägt, die Spieltheorie könne sich als Unterform der Systemtheorie erweisen, da auch Spiele Grenzen, Strukturen und Operationen hätten. 121 Handlungs- und systemtheoretisch läßt sich das Scheitern, über das früher Tragik und Komik bestimmt wurden, 122 aus dem Konflikt der Intention eines kognitiv-emotionalen Systems mit den zu ihr kontingenten soziokulturellen und kosmologischen Systemen beschreiben. Der Begriff der Intention ist dabei grundlegend für die Analyse der Interaktion der Charaktere in Einzelszenen und das Funktionieren von Tragik und Komik auf dieser Mikroebene. Das Scheitern wird in der Tragik neben der subjektiven Intention auch auf die objektive Eliminierung bezogen. Die Termini Eliminierung sowie die Negation von Integrität und Intention sind also ein Versuch, das Scheitern begrifflich genauer zu fassen. Die Eliminierung beschreibt überdies präzise den Vorgang der Transgression und dessen, was die frühere Tragödientheorie unter dem Begriff ‚Katastrophe‘ 123 verwaltete, und verbindet so beide Termini. 118 Stefan Münker, Alexander Roesler, Poststrukturalismus. Stuttgart 2000, 20. 119 Für seine anti-postmoderne Rehabilitierung von philosophischer Warte s. Manfred Frank, Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität. Stuttgart 1991, 158-205. 120 Luhmann vertrat dagegen in phänomenologischer Nachfolge (Knudsen 2006: 17 f.) einen kognitiven Intentionsbegriff, den er sogar über das Ziehen von Unterschieden definierte (Sven- Eric Knudsen, Luhmann und Husserl. Systemtheorie im Verhältnis zur Phänomenologie. Diss. Hamburg 2006. Epistemata - Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie 414. Würzburg 2006, 313 ff.). 121 Niklas Luhmann, Einführung in die Theorie der Gesellschaft. Heidelberg 1 2005, 18. 122 Z.B. Schmitt Poetik 123 f., Jürgen Söring, Tragödie. Notwendigkeit und Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse. Stuttgart 1982, 11. 123 Vgl. Söring 1982: 11: „tragische Katastrophe“. Die einschlägigen begriffsgeschichtlichen Lexika, ÄGB, HWP und HWR, weisen dieses Stichwort in der Tat nicht auf, wie von Olaf Briese und Timo Günther bemerkt (Katastrophe. Terminologische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Archiv für Begriffsgeschichte 51 (2009) 155-195, h. 155), die allerdings auch nicht herausarbeiten, ab wann die heutige schulpoetische negative Bedeutung sich durchsetzte. Eine Ausnahme bildet der Artikel ‚catastrophe‘ von Anne Souriau in Étienne Souriau (Hg.), Vocabulaire d’esthétique. Publié sous la direction d’Anne Souriau. Paris 1990, 322-324, der dokumentiert, daß die Begriffsverengung zum negativen Ausgang in Frankreich zwischen der Klassik des 17. Jh.s und der Encyclopédie stattfand, welche die Einstufung ‚Katastrophe‘ für Dramen mit gutem Ausgang (Corneilles Cinna oder Racines Bérénice) nicht mehr zuließ. ‚Katastrophe‘ wurde noch in der antiken Komödientheorie und bei Scaliger für die glückliche Wendung gebraucht, was wissenschaftsgeschichtlich die Kategorie ‚Restauration‘ dieser Arbeit rechtfertigt. Bei der Übertragung des Wortes von der Dramenanalyse auf die Lebens- und Geschichtsdeutung steht es für den üblen Ausgang, so bei Poseidonios, der das Ende des sizilischen Sklavenkriegs als ‚tragische Katastrophe‘ charakterisiert (Frg. 206 Th.), und Lukian, der schreibt, daß das Ende der „Tragödie Alexanders so [d.h. unrühmlich] und dies die Katastrophe des gesamten Dramas war“ [Übers. Timo Günther] (Alex. 60: .). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 45 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 1.4.1 Methodische und forschungsgeschichtliche Problematik und Aktualität Die Tragik ist sowohl hinsichtlich ihrer Begriffs- und Forschungsgeschichte als auch des hier vertretenen Verständnisses das komplexeste Konzept, mit dem die vorliegende Untersuchung operiert. 124 Da es nicht an Überblicken über seine Ideengeschichte fehlt, 125 seien hier nur die Tragikkonzepte eingehender besprochen, an denen sich der für diese Arbeit zugrunde gelegte Begriff schärfen läßt. 126 Im folgenden wird vor diesem Hintergrund ein vierschrittiges Verfahren gewählt: Einleitend werden die Grundkoordinaten des hier vertretenen Verständnisses von Tragik vorangeschickt und die methodischen und forschungsgeschichtlichen Probleme, aber auch die Aktualität einer solchen Tragikkonzeption erörtert. Dieses Unbehagen an der Tragik speist sich wohl nicht zuletzt aus der weitgehenden Unzulänglichkeit etlicher eher unbekannter Ansätze der Nachkriegszeit, die ebensowenig wie die Etymologie dieses Wortes etwas zu seiner Bestimmung beitragen. Die drei nächsten Schritte besprechen dagegen, indem sie in lockerer chronologischer Ordnung die immense zeitliche Lücke schließen, substantiellere Ansätze. Dabei stellt die zweite Etappe, anknüpfend an Schiller und Hegel die konfliktorientierte Tragikkonzeption dieser Arbeit vor. Sie wird in einem dritten Schritt zu Submerkmalen und affinen Konzepten positioniert und in einem vierten anhand von Pascals und Szondis Tragikkonzeptionen über die verwandten, da ebenfalls konfliktbasierten Begriffe ‚Paradox‘ und ‚Dialek- (Briese und Günther sind zurückhaltender bei ihrer Deutung dieser beiden Stellen und sich selbst bei der Poseidonischen Semantik nicht sicher [2009: 163: „[T]ragische Wendung? […] Wendung des Tragischen? “]. Ersteres ist wohl wahrscheinlich.) Daneben sind Substantiv und Verb bei Aischylos und Sophokles für eine Wendung des dramatischen Geschehens anzutreffen, die v.a. bei Sophokles auch eliminatorischer Natur und bei Aischylos mit Leid verknüpft sein kann (Briese/ Günther 2009: 155-163). 124 Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 10 nennt das Tragische treffend „ein notorisches Vexierproblem“. 125 Reinhard Loock, Art. Tragische, das. HWP 10 (1998) 1334-1345. Roland Galle, Art. Tragisch/ Tragik. ÄGB 6 (2005), 117-171. Szondi 1964: 13-62 (Schelling bis Benjamin). Dietrich Mack, Ansichten zum Tragischen und zur Tragödie. Ein Kompendium der deutschen Theorie im 20. Jh. München 1970, 47-111. Mack bleibt wegen seiner Affinität zur christlichen Tragik (1970: 127-131) schwierig auf die polytheistische oder gar atheistische Tragödie der Antike zu übertragen. Ihrem Weltbild steht die posttheistische Moderne näher; doch zu deren Richtungen nimmt Mack, soweit er sie vorstellt, gleichzeitig eine markierte Distanz ein. Matei Chihaia, Institution und Transgression. Inszenierte Opfer in Tragödien Corneilles und Racines. Diss. München 2000. Romanica Monacensia 61. Tübingen 2002, 9-32 bietet eine gute Zusammenfassung verschiedener Tragödientheorien (vgl. dazu Ulrich Profitlich (Hg.), Tragödientheorie. Texte und Kommentare. Vom Barock bis zur Gegenwart. Reinbek bei Hamburg 1999). 126 Auch Bohrers Besprechung der modernen Tragikkonzepte von Hegel, Kierkegaard, Nietzsche und Benjamin arbeitet deren Verhältnis zu seinem Ansatz heraus (2009: 11-32). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 46 tik‘ konturiert und schließlich in einem fünften von zeitlich späteren und andersgelagerten Ansätzen abgegrenzt. Die Bedeutung von ‚Tragik‘, ‚tragisch‘, ja selbst von ‚Tragödie‘ hat sich in der Alltagssprache stark abgeschliffen und bewegt sich im Deutschen im semantischen Feld ‚großes, unverschuldetes Unglück‘. Der inflationäre, unscharfe Gebrauch von ‚tragisch‘ und ‚Tragik‘ zeigt sich auch daran, daß selbst in der Literaturwissenschaft ‚tragisch‘ als Attribut zu Figuren der Tragödie tritt, etwa in der Junktur „tragischer Held“. 127 Dagegen ist ‚tragisch‘ in dieser Arbeit nicht bloß, wie auch bisweilen bereits in der Antike, das Adjektiv zu ‚Tragödie‘ oder deren Stilmerkmal ‚erhaben‘, 128 sondern hat eine eigene spezifische Bedeutung. 129 Die Tragik wird nämlich entsprechend dem handlungsstrukturalistischen Ansatz dieser Arbeit - wie auch die Gattung Tragödie - primär über die Handlung und ihre Spezifika bestimmt und als eine besondere Form der Transgression aufgefaßt, die der Kürze halber ‚tragische Transgression‘ genannt werden soll. Erst sekundär läßt sich ‚tragisch‘ auf die Figuren beziehen, welche die Tragik performieren und manifest machen. Das Verhältnis von Gattung und Tragik läßt sich folgendermaßen präzisieren: Die Handlungsstationen Transgression, Eliminierung (und teils auch die Restauration) resultieren aus einer Alterierung der Personenkonstellation und ihrer Rollen und charakterisieren die Handlungsstruktur der Tragödie qua Gattung, deren Grammatik sie konstituieren, wie die Verdoppelung zusammen mit der Transgression die Handlungsstruktur und Grammatik der Komödie. Diese Handlungsstationen bilden nur die Voraussetzungen eines tragischen (oder komischen) Handlungsverlaufs. Deshalb weist nicht jedes Drama, das der Gat- 127 Noch Fuhrmann übersetzt notgedrungen (Arist. Poet. 1453a 7) mit „So bleibt der Held [Hervorheb. von mir] übrig, […].“ Hellmut Flashar bietet dieselbe Übersetzung wie Fuhrmann (Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1-23, h. 14), nennt aber über ein Jahrzehnt später die Bezeichnung der einen Figur, um die es Aristoteles bei der Dramenanalyse gehe, in der Literatur als „Held“ „pauschal und irreführend“ (Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. In: Ds. (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum 5. Stuttgart 1997, 50-64, h. 59). Schmitt Poetik 18 übersetzt dagegen treffend „Charakter“, Halliwell, noch treffender, da nicht mit ‚Charaktereigenschaften‘ zu verwechseln, „person“ ( 2 1999) bzw. „figure“ (1987). Die Quintessenz dieser Ausführungen stimmt mit Bernhard Zimmermann, Drama. In: Ds. (Hg.), Handbuch der griechischen Literatur der Antike. Bd. 1: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit. HdA 7.1. München 2011, 451-474, 484-610, 664-800, h. 540-542 überein, der den Verzicht auf die Ausdrücke ‚tragischer Held‘ und ‚Held‘ insgesamt sowie ‚Person‘ zugunsten von ‚Figur‘ fordert und ‚Charakter‘ als Identität der Figur definiert, der sich „aus den Beziehungen zu den anderen Figuren im Text und aus ihrer Einstellung ( ) zu dem […] ‚tragischen Thema‘“ ergebe. 128 Für die Antike vgl. Reinhard Loock, Art. Tragische, das. HWP 10 (1998) 1334-1345, h. 1334. Richard B. Rutherford Greek Tragic Style: Form, Language and Interpretation. Cambridge 2012 hebt dagegen nicht auf ‚tragisch‘ als Stilmerkmal ab (in seinem Register fehlt denn auch ein Eintrag pathos o.ä.), sondern untersucht den Stil und die vielfältigen Merkmale des Sprachgebrauchs in der Tragödie. 129 Diese Unterscheidung zwischen Gattungsmerkmal und einer dort sogar zur „structure fondamentale de l’univers“ erhobenen Kategorie des Tragischen macht Jean-Marie Domenach, Le retour du tragique. Paris 1967, 21 auch im Französischen aus. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 47 tung Tragödie zuzurechnen ist, zwingend Tragik auf. 130 Die Transgression bildet dabei ideengeschichtlich den Anknüpfungspunkt für die Schuld im Begriff der Tragik, die Eliminierung für das Leid und, zumeist in Verbindung mit dem Unverschulden des von der Eliminierung betroffenen Subjekts und v.a. Objekts, für die alltagssprachliche Verwendung von ‚tragisch‘, ‚Tragik‘ und selbst auch ‚Tragödie‘ für ein großes Unglück. Will man nun die Tragik inhaltlich präzisieren, so bietet sich chronologisch zuerst die Etymologie des Wortes ‚tragisch‘ an. Doch sie ist bis heute nicht befriedigend geklärt und kann deshalb wenig zur Klärung dieses Begriffs beitragen. Allerdings lassen sich die verschiedenen Hypothesen mit dem Konzept der Transgression in Einklang bringen. Bereits die volksetymologisch anmutende Deutung der als ‚Bocksgesang‘, 131 die Ulrich von Wilamowitz- Moellendorff aus Aristoteles’ Nachricht entwickelt, die Tragödie sei aus dem entstanden (Poet. 1449a 19-24), 132 legt eine Grenzüberschreitung des Menschen zum Tier zugrunde, die hier wegen ihres rituell-mimetischen Charakters die Integrität des Menschen nicht beeinträchtigt, während die antike Philosophie tierisches Verhalten des Menschen, das nicht als spielerisch markiert war, als Aufgeben seiner menschlichen Identität ansah. 133 Eine alternative syntaktische Deutung dieser entsprechend den griechischen Kompositionsgesetzen mehrdeutigen Herleitung der Substantive bzw. von ‚Bock‘ und ‚singen‘ 134 ist Walter Burkerts ‚Gesang anläßlich eines Bockopfers‘. 135 Diese Interpretation rückt das (Opfer-)Ritual in die Mitte des Tragödienverständnisses, die Transgression wird ihm untergeordnet, wenn man davon ausgeht, daß die sonst als Transgression zum Erhalt der gesellschaftlichen Ordnung verbannte eliminatorische Gewalt im Ritual religiös sanktioniert und legitimiert wird (s. 2.2.2 Ritual). Allerdings ist Burkerts Deutung des Kompositums alles andere als unumstritten. 136 130 Für die Unterscheidung von Gattung („tragic drama“) und Merkmal der Handlung eines Einzelstücks („tragedy“) s. George Steiner, The Death of Tragedy. New Haven, London 1996, xi, der nur wenigen erhaltenen griechischen Tragödien Tragik zubilligt und dabei fast dieselbe Auswahl wie die vorliegende Arbeit trifft (Sieben gegen Theben, OT, Antigone, Hippolytos und Bakchen). Ähnlich restriktiv ist in der modernen Forschung die Auswahl der attischen Tragödien, in denen eine im aristotelischen Sinne vorliege (s. 2.6.2 Mimesis und Aristoteles in der OT-Interpretation). 131 S. mit weiteren Nachweisen Bernhard Zimmermann, Art. Tragödie. DNP 12,1 (2002) 734-740, h. 734. 132 Euripides Herakles. Berlin 1889, Bd. 1: Einleitung in die attische Tragödie, 81-85. 133 S..2.2 Typen und Verteilung des furors im Drama im Kap. zu Senecas Phaedra. 134 Vgl. Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen 2 2003, 55. 135 Greek Tragedy and Sacrificial Ritual. GRBS 7 (1966) 87-121, h. 88. Dieser Deutung billigt Bernhard Zimmermann, Die griechische Tragödie. Eine Einführung. Düsseldorf 2 1992, 13 die größte Wahrscheinlichkeit zu. Unentschieden ist Christiane Sourvinou-Inwoods Zustimmung (Tragedy and Athenian Religion. Lanham, Md. 2003, 141): „There can be no doubt that Burkert’s interpretation of tragodos as equivalent to epi tragoi aidon, that is, either singer at the sacrifice of a billy goat, or singer for the prize of a billy goat, or both together, is right.“ 136 So hebt Latacz 2003: 55 f. darauf ab, daß Burkert selbst in seiner deutschen Version (und übrigens auch wörtlich identisch bereits in der englischen (S. 113): „Our information about goatsacrifice to Dionysus is scanty.“) die Beleglage für ein Bocksopfer beim Dionysoskult weit nüchterner beurteile („Griechische Tragödie und Opferritual“, in: Ds., Wilder Ursprung. Opfer- 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 48 John J. Winkler leitet dagegen die von ‚im Stimmbruch sein, die Stimmlage wechseln‘ ab. Die seien deshalb, da niemand im Stimmbruch singen könne, metaphorisch durch den Lebensabschnitt der (sozialen) Pubertät charakterisiert, wobei der Bock die Ambivalenz dieses Lebensabschnitts und die daraus resultierenden moralischen Risiken und disziplinarischen Herausforderungen verkörpere. 137 Diese These referiert Pierre Vidal-Naquet quellennah und führt sie weiter aus: Auch der Chor werde demnach metaphorisch als meckernd angesehen, was den Bezug zum Bock erkläre, dessen Stimme ständig im Stimmbruch zu sein scheine. Diese Auffassung stuft Vidal-Naquet aber im Popperschen Sinne als nicht falsifizierbar und damit auch nicht verifizierbar ein. 138 Sie ist insofern sehr reizvoll, als sie einem biologischen (und sozialen) Übergangszustand eine institutionelle Permanenz im tragischen Chor verleiht und den Tragödiengesang selbst mit einer permanenten dynamisch-produktionsästhetischen Grenzüberschreitung in Verbindung bringt. Sachlich krankt diese Herleitung daran, daß auch von abzuleiten ist, 139 also den Bereich der durchsichtigen Volksetymologie nicht verläßt. Den Vorzug der lectio difficilior bzw. obscurior hat es, von der hethitischen Wurzel tarkw-/ tarw- ‚tanzen‘, ‚rasen‘ herzuleiten. 140 Trifft sie zu, dann würde das Vorderglied von nicht nur allgemein eine Handlung, sondern eine dionysische Transgression bezeichnen. Gestützt wird diese Etymologie dadurch, daß das nächste semantische Äquivalent der Transgression, die , ebenfalls von einem hethitischen Etymon (*hu(wa)ppar- ‚Mißhand- ritual und Mythos bei den Griechen. Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 22. Berlin 1990, 13-39, h. 25: „Unsere Zeugnisse über das Bocksopfer für Dionysos sind spärlich.“). 137 The Ephebe’s Song: Tragôidia and Polis. In: Ds., Froma I. Zeitlin (Hgg.), Nothing to Do with Dionysos? Athenian Drama in its Social Context. Princeton 1990, 20-62, v.a. 58-62. 138 Retour au chasseur noir. In: Jean-Pierre Vernant, Ds., La Grèce ancienne. Bd. 3: Rites de passage et transgressions. Paris 1992, 248. 139 Frisk II 916 s.v. , Chantraine 1088 s.v. , Beekes 1498 s.v. . 140 Diese Etymologie wurde von Anton Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. Ritual und Performativität. Unter besonderer Berücksichtigung von Aristophanes’ Thesmophoriazusen und der Phalloslieder fr. 851 PMG. Habil. Leipzig 1998. BzA 126. München 2001, 33 Anm. 54 für die Drameninterpretation erschlossen. Er beruft sich auf Konrad H. Kinzl, Zur Vor- und Frühgeschichte der attischen Tragödie. Einige historische Überlegungen. Klio 62 (1980) 177-190, h. 180, der sich hierfür seinerseits - auch nach Bierls Referat - an Oswald Szemerényi angelehnt hat (The Origins of Roman Drama and Greek Tragedy. Hermes 103 (1975) 300-332, h. 319- 330). Szemerényi rekonstruiert für und heth. tarkw-/ tarwzusammen mit lat. torvus ein IE Etymon *torgwos (1975: 326 f.). Diese Deutung hat in den etymologischen Wörterbüchern kaum Echo und noch weniger Beifall gefunden. Aus chronologisch verständlichen Gründen referiert Frisk II 917 s.v. die antike und moderne Ableitung „von dem Bock, der als Preis dem Sieger in dem ältesten dramatischen Agon zugefallen sein soll“. Beekes II 1498 s.v. bietet bloß eine wörtliche Übersetzung von Frisks referiertem Artikel. Ebenso hält er exakt wie dieser s.v. (II 916 bzw. II 1497) für die nach demselben Muster wie zu verkürzte Form von . Chantraine 1088 s.v. vertritt ebenfalls diese Herleitung, referiert aber 1089 s.v. zusätzlich noch die Deutung ‚wer wegen eines Bockopfers singt und tanzt‘ und verweist als einziger auf Szemerényi, dessen Erklärung er allerdings „hardie“ nennt. Pokorny (II 133) und Wodtko (778) berücksichtigen nicht. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 49 lung‘) 141 hergeleitet und die ältere Ableitung von idg. *ud- ‚nach oben‘ + *g w r ‚schwer‘ 142 verworfen wird, welche die Semantik des Über(schreitens) und präziser noch einer destruktiven Kausalität birgt, die hinter Reinhardts tragikaffinem Konzept des Dämonischen 143 und Szondis Tragikverständnis steht. 144 Ähnlich affin, aber unzulänglich sind die meisten Versuche, die in der Nachkriegsgeschichte zu Bestimmung des Tragischen unternommen wurden und von denen die wenigsten der vermeintlichen modernen Heimat der Tragik entstammen, dem deutschen Sprachraum (George Steiner, Jürgen Söring, Bradley Dom Berke, Richard B. Sewall, Domenach). Diese sollen im folgenden besprochen und auf formale oder inhaltliche Parallelen zum vorliegenden Ansatz abgeklopft werden. Ins Auge sticht bei ihnen die Universalität des Tragischen, das epocheübergreifend auf alle Bereiche des menschlichen Lebens Anwendung findet, nicht nur literarisch-fiktionale Artefakte, sondern auch gut hegelianisch die Geschichte. 145 Auch der geschichtsphilosophische Versuch entwickelt wie die vorliegende Arbeit und die meisten anderen, nur literarischen Tragikkonzepte zuerst theoretisch einen Begriff des Tragischen, der anschließend - nur an der Gattung Tragödie 146 oder der Texten der gesamten Literatur 147 - exemplifiziert wird. Am nächsten steht dem Projekt der vorliegenden Arbeit zumindest formalprogrammatisch Bradley Dom Berke, 148 der auf sprachwissenschaftliche Grundbegriffe („grammar“) und Verfahren sowie die Semiotik (1982: 1) und Greimas’ Aktantenmodell zur Analyse der Tragödie und Beschreibung des Tragischen zurückgreift und sein Verständnis des Tragischen gegenüber anderen Lebenseinstellungen (Nihilismus) abgrenzt, die im Falle des Existentialismus (1982: 6) auch in dieser Untersuchung herangezogen werden. Dabei berührt Berke einen Punkt, der erst bei der Diskussion über die weitreichende Entbzw. Abwicklung des antiken Dramas in Senecas Tragödien relevant werden wird: Anders als die genannten Richtungen setzt die Tragik systemisch-strukturelle Werte und Legitimitäten voraus. Mit dem Ausdruck ‚tragischer Mythos‘ bezeichnet Berke die tragischen Handlungselemente innerhalb des Plots einer Tragödie, die nicht mit diesem in seiner Gesamtheit identisch sind (1982: 26). Aus einem ‚Lexikon‘ genannten Korpus von Tragödien, die von Sophokles, Shakespeare und Racine 141 Oswald Szemerényi, The Origins of the Greek Lexicon: Ex oriente lux. JHS 94 (1974) 144- 157, h. 154. Diese Herleitung hat noch keinen Eingang in Beekes II 1524 f. s.v. gefunden, der bloß eine vorgriechische Etymologie vermutet und Frisks Ansicht referiert. Für eine direkte Herleitung aus dem Idg. s. Alexander S. Nikolaev, Die Etymologie von altgriechischem . Glotta 80 (2004) 211-230. 142 Frisk II 954 s.v. Chantraine 1110 s.v. referiert Frisk und Szemerényi. 143 S. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik. 144 S. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik und 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi. 145 Domenach 1967: 75-205. 146 Jürgen Söring, Tragödie. Notwendigkeit und Zufall im Spannungsfeld tragischer Prozesse. Stuttgart 1982. Söring erhebt allerdings ausdrücklich nicht den Anspruch, das individuelle Tragikkonzept der von ihm besprochenen Autoren herauszupräparieren (1982: 14). 147 Richard B. Sewall, The Vision of Tragedy. Tragic Themes in Literature from the Book of Job to O’Neill and Miller. New York 3 1990. 148 Tragic Thought and the Grammar of Tragic Myth. Bloomington (Ind.) 1982. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 50 stammen, versucht er nun eine Grammatik des tragischen Mythos zu destillieren. Diese Grammatik konzipiert er - im Gegensatz zum taxonomischen und funktionalistischen Ansatz der vorliegenden Arbeit - nach dem Modell von Chomskys GTG, da sie seiner Meinung nach sogar die Generierung weiterer Tragödien erlaube (1982: 1). Chomsky steht auch Pate für Berkes Konzeption der tragisch-ästhetischen Bühnenkommunikation (1982: 22-24: „innate“), wobei er den Unterschied zwischen Mimesis und Symbol und dessen Polyvalenz in der Tradition von Peirce’ Terminologie ignoriert. Sein Konzept der Tragik als einer Selbstvernichtung (1982: 9, 24) ist durchaus mit unserem Verständnis als einer situativ nezessitierten autoreferentiellen Integritätsverletzung vereinbar und hebt wie die vorliegende Arbeit auf die kriminell-transgressive und destruktive Devianz des tragischen Subjekts gegenüber der sozialen Ordnung ab (1982: 10). Doch bestimmt Berkes Grammatik die Funktionen der Figuren ähnlich vage wie Souriau (s. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur) - unausgesprochen nach dem weitgehend kausalen Prinzip von Charles J. Fillmores Kasusgrammatik - über die praktische Rolle im Handlungsverlauf (1982: 28-32). Wie Souriau schematisiert er die Handlungsstruktur algebraisch (für Euripides’ Hippolytos und Racines Phèdre s. S. 83-86), indem er sie in 27 verschiedenen Möglichkeiten als Abfolge dieser mit Versalien verschlüsselten Funktionen darstellt (1982: 32-37), die er in natürliche Sprache übersetzt (1982: 38-43). Auch das Tragikverständnis der weiteren Studien zu diesem Thema widerspricht nicht dem hier vorgestellten, sondern wird von ihm terminologisch und konzeptionell weiterentwickelt. Die Parallelen bewegen sich also im inhaltlichen Bereich. Dies gilt auch für Domenach (1967: 5-69), der weniger originell als Berke, aber durch die Anlehnung an Tragikkonzeptionen der deutschen Romantik (Hölderlin) und des deutschen Idealismus (Hegel) klarer umrissene Konzepte als der abschließend vorzustellende Söring aufweist, was auch auf die Einbettung des begrifflichen Umfeldes der Tragik (Dialektik, unfreiwillige Schuld [1967: 21-31; 25: „faute commise innocemment“] 149 und eingeschränkte Freiheit [1967: 26; 32-45]) und dieses selbst (Theater) zutrifft. Sie wird von der Transgression bzw. abgegrenzt (1967: 25), was auf die hier untersuchten Tragödien zutrifft, in denen sich Kausalitäten und Modalitäten der Transgression bzw. nachweisen lassen, die sich auf derselben analytischen Ebene wie das bewegen, was die vorliegende moderne Interpretation als tragisch auffaßt. Zutreffend verbindet sein Tragikverständnis Hegels und Vernants Kategorien: Für ihn sind der Bereich des Tragischen die Widersprüche, doch wahre es dabei die Ambiguität, weil die klare Abgrenzung der Dialektik ihr fehle (1967: 6). Donemachs Profil legt statt einer abgrenzenden Vorstellung im Haupttext eher eine beiläufige und beifällige Einordnung in den Fußnoten nahe. Sörings Tragödientheorie geht wie die vorliegende Arbeit entsprechend dem Gattungskonstituens vom Handeln aus, das er im Homerischen Spannungsfeld mit göttlichen Intentionen und Interventionen sowie schicksalhaften Bestimmungen und Grenzziehungen positioniert (1982: 20-30). Er vertritt damit ein 149 1976: 26: „La faute n’est pas une simple conséquence de ma volonté.“ 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 51 Konzept, das Tragik ausschließlich suprasystemisch definiert, während die vorliegende Untersuchung sie hauptsächlich über die Soziabilität der condicio humana an eine anthropologische und soziostrukturelle Ebene angebunden (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller). Sörings Tragikverständnis kommt der Fatalität nahe - in diese Richtung weist auch der auf S. 52 aufgegriffene Untertitel „Notwendigkeit und Schicksal“. So wertet er (1982: 51) Tyche als „ein Indiz der ausdrücklich reflektierten Abhängigkeit von unbegriffenen Mächten, deren undurchschaubar gewordenem Walten der Mensch sich ohn-mächtig [Bindestrich im Orig.] ausgesetzt sieht.“ Dieses existentialistisch angehauchte Tragikverständnis findet sich in den hier untersuchten attischen wie römischen Tragödien nicht wieder, in denen die Willensfreiheit gewahrt bleibt und der Mensch - selbst im Bewußtsein eliminatorischer Konsequenzen - eine Wahl treffen kann. Söring unterfüttert sein Tragikverständnis nachfolgend allerdings mit an Hegel angelehnten Interpretationen verschiedener Fragmente Anaximanders und Heraklits (darunter der beiden eingangs des vorangehenden Abschnitts (1.3) vorgestellten Fragmente) sowie mit der Besprechung eines Passus aus einer Pindar-Ode (Ol. 12) (1982: 33-49). Sein Verständnis bewegt sich also im Bereich eingeschränkter und sogar sich selbst einschränkender Subjektivität (immerhin spricht er von „Selbstverstrickung des Handelns“ [1982: 50]), was der Desubjektivierung als Tragikmerkmal in der vorliegenden Arbeit entspricht. Eine ähnlich fatalistische Verkürzung liegt auch George Steiners Verständnis von Tragik zugrunde, der sie als „the dramatic testing of a view of reality in which man is taken to be an unwelcome guest“ bzw. „metaphysics of desperation“ (1996: xi) auffaßt. Es formuliert die schicksalhafte Überwältigung, die Reinhardt mit dem Dämonischen einer äußeren, göttlichen Kraft zuschreibt, von der Warte des betroffenen Menschen und steht zwischen dem archaischen Pessimismus und der Tragik als Desubjektivierung. Daß diese beiden Kategorien nicht identisch sind und Steiner damit das Wesen des Tragischen in der attischen Tragödie verfehlt, zeigt ihr paralleles Auftreten in Aischylos’ Persern. Insgesamt bieten also weder Berke noch Söring noch Steiner eine Möglichkeit, das hier zu entwickelnde Tragikverständnis zu bereichern oder gar zu präzisieren. Das gilt auch weitgehend für Sewall, der gleich zu Beginn das Tragische zu einer Stimmung und einem Lebensgefühl erklärt (vgl. S. 4) und seinen Verzicht auf eine Definition der Tragödie erklärt (1990: xi), die er vage über Schicksal(skampf), Leid und Klage bestimmt (1990: 6). Seine Methode, Begriffe aus und am Text zu entwickeln (1990: xii), wird in dieser Arbeit allenfalls für paratragische Handlungsmerkmale wie Perversion oder Paradoxie zur Anwendung kommen. Wenn er die Tragödie über die zeitweilige Störung der Ordnung bestimmt (1990: 1), dann stimmt er inhaltlich mit der konjunkturalen Transgression der strukturellen Ordnung überein, welche diese Untersuchung zur Grundlage der Tragödie macht. In einem Punkt, welcher der Gerechtigkeit und Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben soll, bietet er tatsächlich eine Präzisierung zum Tragikverständnis der vorliegenden Arbeit. Er sieht die tragische Figur in einer Jaspersschen Grenzsituation an den Grenzen ihrer Souveränität (1990: 5). Damit fügt er die Außensicht auf die existentielle Integrität hinzu, die in der tragischen Entscheidungssituation auf dem Spiel steht 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 52 und durch das Treffen der transgressiven Entscheidung teilweise verletzt wird, und knüpft sie an den für die Transgression grundlegenden Begriff der Grenze. Die Unzulänglichkeit der hier vorgestellten Versuche der Nachkriegszeit (Szondis substantieller soll später gesondert besprochen werden, da er den vorliegenden Ansatz dialogisch bereichern kann) erklärt wohl das grundsätzliche oder methodische Unbehagen an der Tragik, das nachfolgend als methodischer Einstieg in die eigentliche Wesenserörterung vorgestellt und diskutiert werden soll. Den vorgestellten Tragikkonzepten und auch der vorliegenden Arbeit ist gemeinsam, daß in ihnen die Tragik ein modernes Deutemuster ist, dem die Fähigkeit zugeschrieben wird, Tiefenstrukturen der antiken Tragödientexte - oder, im Falle der vorgestellten Konzepte, anderer Zeiten, literarischer Texte oder sogar der Geschichte - zu erhellen, ohne zwingend vorauszusetzen, daß diese Muster von der Binnenhermeneutik der Dramen expliziert werden. Gegen diese Auffassung lassen sich in der aktuellen Diskussion zumindest systematisch zwei Vorbehalte feststellen: Ohne das Tragische in die Asservatenkammer der Geistesgeschichte zu verbannen, mahnt Simon Goldhill seine Historisierung an, da es ein Produkt der deutschen Romantik sei, und fordert die stärkere Berücksichtung des soziokulturellen Rahmens der attischen Tragödie bei deren Interpretation. 150 Diese beiden historisierenden Hinweise sind gewiß ebenso richtig wie Goldhills folgende Warnungen, vorschnell über das Tragische zu urteilen. Daß er bei ihnen bereits nicht bloß auf den sozialen Kontext, sondern auf die Dramentexte selbst, nämlich die Diskrepanz zwischen ihrer Differenzierung und den Platitüden zurückgreift, mit denen die Dramencharaktere mit Leid und sozialer Unruhe zurechtzukommen versuchten, liest sich wie ein konzedierender Fingerzeig auf den handlungsstrukturalen Ansatz der vorliegenden Arbeit und ihren Anspruch, den Dramentexten gegen ihr Aufgehen im soziokulturellen Kontext zu ihrem Recht als autonomes Kunstwerk zu verhelfen. Inwieweit die strukturalistische Aktualisierung und Differenzierung von Tragikkonzepten des deutschen Idealismus, welche die vorliegende Arbeit unternimmt, deren heuristischen Wert aufleben läßt sowie zeit- und textgemäß ist, mag jeder Leser selbst beurteilen. Dies gilt letztlich auch für die Parade des zweiten Einwandes, der nicht grundsätzlicher, sondern methodischer Natur ist. Pierre Judet de la Combe warnt davor, daß selbst Deutungen der Tragödie, die auf den philosophisch verwurzelten Tragikbegriff verzichteten, noch implizit und unreflektiert Interpretamente eines solchen philosophisch aufgeladenen Tragikbegriffs enthielten, ja diese reifizierten. Selbst die Wahl zwischen den beiden seiner Meinung nach möglichen Herangehensweisen an die Tragödie, 151 der rezeptionsästhetischen, die den Sinn in die Hände des Zuschauers lege, und der werkästhetischen, die den Sinn in der Handlung ansiedle und so die Möglichkeit der Tragik schaffe, be- 150 Generalizing About Tragedy. In: Rita Felski (Hg.), Rethinking Tragedy. Baltimore, Md. 2008, 45-65, h. 61 f. Peter Szondis Versuch über das Tragische (Frankfurt a.M. 2 1964, Näheres dazu s. 1.4.6 und 1.4.7) bemüht Goldhill 2008: 52 nur für das Diktum, seit Aristoteles gebe es eine Poetik der Tragödie, aber erst seit Schelling eine Philosophie des Tragischen (1964: 151). 151 Den Gegensatz einer philosophischen Lektüre der attischen Tragödie und ihrer rezeptionsästhetischen Deutung, die emotional gefaßt wird, spitzt Bohrer 2009 zu (s. 1.4.8). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 53 ruhe auf einer impliziten Philosophie. 152 Diesem aporetischen Dilemma suchte er durch einen Rückgriff auf die Binnenhermeneutik zu entkommen (2000: 105- 107). 153 Sein Vorschlag lenkt den Blick auf einen eminent wichtigen Aspekt, weil so die Texte selbst zu Wort kommen, und verdient Beachtung und Berücksichtigung bei der Interpretation. Und doch ist dies nur ein scheinbarer Ausweg, da auch hierbei Konzepte identifiziert werden, die nicht der Literatur selbst entstammen, zumal wohl keine Tragödie selbst das Lexem ‚tragisch‘ bietet. ‚Tragisch‘ ist bereits in seinen Anfängen ein Wort der philosophischen Sprache, ohne daß damit sein Inhalt entsprechend dem -Konzept, welches das Wesen aus der Herkunft erklärt, auf diese Disziplin festgelegt werden soll. Daß die Sache in der griechischen Tragödie entstanden ist, 154 ändert nichts daran, daß sie begrifflich erst von der Philosophie erfaßt wurde. Schließlich war der erste bedeutende Repräsentant von Reflexionen über die Tragödie und das Tragische der Philosoph Aristoteles, mit dem die Begriffsgeschichte des Tragischen bereits in der Antike einsetzt (s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Judet de la Combes Abneigung gegen philosophische Interpretationsmodelle ist nicht nur aus diesem begriffsgeschichtlichen, sondern auch einem strukturellen Grund m.E. nicht gerechtfertigt. Die Philosophie ist nämlich nach meinem Dafürhalten dank ihrer präzisen und differenzierten Terminologie durchaus in der Lage, elaborierte Deutungsmuster zu liefern, die geeignet sind, die Komplexität literarischer Texte zu beschreiben. Dies gilt auch in besonderem Maße für ein derart vielschichtiges und facettenreiches Phänomen wie das Tragische. Es wird hier - entsprechend Judet de la Combes Unterscheidung der Interpretationsmöglichkeiten der Tragödie - in der Handlungsstruktur 155 verortet. Diese ist an sich insofern nicht rein philosophisch, als sie durchaus eine ästhetische Seite hat und nicht einmal über die von der Handlung performierte Mimesis einen Wahrheitsanspruch erhebt. Daß das hier vertretene Tragikverständnis dasjenige Hegels strukturalistisch weiterschreibt, sei vorweg eingeräumt. Inwieweit dadurch ein Erkenntnisgewinn erzielt wird und ob dieses Tragikverständnis nicht doch kryptoneostoisch ist (s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt), mögen die Leser selbst entscheiden. Eine klare begriffliche Abgrenzung (wenn auch nicht vollständige Trennung) des hier entwickelten Tragikverständnisses als strukturell bedingte Modalität der Transgression von Aristoteles’ -Begriff und von dem Konzept der tragischen Schuld (s. 2.1 Aristoteles’ Poetik und 2.1.2 und Tragik) soll Goldhills berechtigten Bedenken methodisch Rechnung tragen und gleichzeitig 152 Entre philosophie et philologie. Définitions et refus du tragique. In: Carmen Morenilla, Bernhard Zimmermann (Hgg.), Das Tragische. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 9. Stuttgart, Weimar 2000, 97-107, h. 97-99. 153 Er bespricht A. Ag. 1560-75, wo der Chor und Klytaimnestra den Mord an Agamemnon kommentieren, und E. Med. 128-130, wo die Amme die kommende Katastrophe analysiert und wo Judet de la Combe Abstriche an der binnenhermeneutischen Tragik macht. Eine solche Analyse seines tragischen Zwiespalts nimmt weiterhin in A. Ag. 205-217 der tragische Akteur selbst vor, nämlich Agamemnon, dessen Rede wörtlich in einem Chorlied zitiert wird. 154 Domenach 1967: 7. 155 So bereits Peter Szondi, Versuch über das Tragische. Frankfurt a.M. 2 1964, 61. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 54 den Grund für eine Anwendung dieser erneuerten Tragikkonzeption auf die Phänomene vornehmlich der attischen Tragödie legen. Daß Aristoteles in einem eigenen Kapitel behandelt wurde, ist nicht nur dem Streben nach einem systematischen, übersichtlichen Aufbau geschuldet, sondern hat auch inhaltliche Gründe: Seine Tragödienkonzeption ist anders als Hegels Tragikverständnis, das in dieser Arbeit weiterentwickelt werden soll, wenig ergiebig für das Thema Konflikt. 156 Ein konfliktbasiertes Tragikverständnis abstrahiert und verinnerlicht den Konflikt, der sonst im Drama zwischen den Bühnenfiguren ausgetragen wird. Doch bereits dieser Konflikt ist nicht nur ein sozialer, bei dem die Kontrahenten in einer ähnlich exklusiven Konstellation wie bei der Tragik einander ausschließende Ziele verfolgen, sondern hat auch eine psychologische Seite, da ihre Intentionen in Widerspruch zueinander treten. Unvereinbarkeit und Widersprüchlichkeit, auch der Intentionen einer Figur untereinander oder zum Handlungsausgang, 157 lassen sich durchaus für das Tragikverständnis der vorliegenden Arbeit fruchtbar machen. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung Aus dem vorangehenden Abschnitt nehmen wir die Verortung in der Handlungsstruktur und den Konflikt als Merkmale einer tragischen Transgression mit. Eine generische Grundvoraussetzung für eine tragische Transgression, die in der Gattung Tragödie wurzelt, besteht darin, daß die tragische Transgression mit einer existentiellen Eliminierung oder elementaren physischen Integritätsverletzung einhergeht. Das strukturalistische Begriffspaar Struktur und Konjunktur ist hilfreich, um die Besonderheit der tragischen Transgression - auch gegenüber der bloßen Transgression - und die Rolle zu präzisieren, welche die Handlungsstruktur und der Konflikt dabei spielen. Dazu muß man etwas weiter ausholen: Jede Transgression wurzelt in Friktionen zwischen individuellem Handeln und gesellschaftlichen Normen (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention), doch sind die Diskrepanzen zwischen Struktur und Konjunktur im Falle einer tragischen Transgression komplexer. Bei der bloßen Transgression sind sie lediglich diagnostisch und nomothetisch, im Fall der tragischen Transgression kommt es beim Verhältnis von Konjunktur und Struktur auf die Kausalität der Transgression an. Die Transgression konstatiert das objektive 156 Michelle Gellrich, Tragedy and Theory. The Problem of Conflict since Aristotle. Princeton 1988, ix. 157 Daß die Tendenzen von Pentheus’ Handeln „nicht einer verbrecherischen Gesinnung entspringen, sondern in ihrer Motivation nachvollziehbare Verfehlungen von an sich guten Handlungsintentionen sind“ (2003: 31), ist neben der Diskrepanz zwischen dem, was die Hauptfigur Pentheus subjektiv erwartet und dann objektiv durch Dionysos erfährt, das handlungsnächste Kriterium, das Gyburg Radkes Skizze eines aristotelisierenden Tragikverständnisses (dazu wird - gewiß einschlägig - nur pauschal auf das 13. Kap. der Poetik verwiesen) von Euripides’ Bakchen herausarbeitet (Tragik und Metatragik. Euripides’ Bakchen und die moderne Literaturwissenschaft. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 66. Berlin 2003, 31-34). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 55 factum brutum und die Faktizität der Normverletzung, 158 die Tragik fragt nach den situativen und subjektiven (Hinter-)Gründen ihres Zustandekommens. Diese beiden Ebenen der tragischen Transgression finden ihren Niederschlag in der klassisch-modernen Definition der Tragik, bei ihr werde die Bühnenfigur durch die Transgression unschuldig schuldig. 159 Das Paradoxon der Tragik kommt hier durch die lexikalische Formulierung zustande (und nicht, wie hier angenommen (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik), durch das Scheitern der Intention): Die Schuld liegt (wie die Transgression) auf der objektiven, die Unschuld auf der subjektiven Ebene. (Die Kategorie der Schuld ist allerdings ungeeignet, um die Tragik, zumindest in der antiken Tragödie, zu beschreiben, und soll deshalb hier nicht zum Einsatz kommen.) Das Begriffspaar von Struktur und Konjunktur erlaubt es auch, im Verbund mit dem Konzept des Subjekts eine erste, etwas weiter gefaßte Definition der Tragik zu formulieren, die im weiteren Verlauf durch den Integritätenkonflikt präzisiert werden soll: Tragisch ist eine Transgression dann, wenn sie auf eine konjunkturelle Einschränkung der Funktion als ethisch-rationales Subjekt des Transgressors zurückgeht, die in der Struktur der Handlung wurzelt. 160 Sie schlägt sich in der Konjunktur der Transgression nieder und wird von der Sozialstruktur sowie Personen- und Konfliktkonstellation wesentlich mitbestimmt, die wie im Falle der bloßen Transgression durch den Fortfall oder das Hinzutreten von Figuren beeinflußt werden. Diese klobige Definition erfordert eine nähere Erläuterung. Sie kommt dadurch zustande, daß verschiedene Konstellationen als untragisch ausgeschlossen werden müssen. Eine Transgression, die der uneingeschränkten Souveränität des Betreffenden entspringt, ist per se nicht tragisch, sondern moralisch böse. Untragisch ist die Transgression auch, wenn die Beeinträchtigung des Status als ethisch-rationales Subjekt in die Souveränität des Transgressors fällt, weil ein selbstverursachter oder selbst zu verantwortender Defekt wie im Falle der Trunkenheit oder bei Senecas Phaedra vorliegt, die grundlos eine transgressive Leidenschaft aufkeimen läßt, statt sie wie Euripides’ Phaidra, wenn auch erfolglos, zu bekämpfen. Daß die Einschränkung situativ-konjunktural ist, schließt alle Fälle aus, in denen sie in der Struktur des Transgressors wurzelt, die wesenhaft über die Faktoren bestimmt ist, die über seinen Status als ethisch-rationales Subjekt entscheiden. Solche strukturellen Defekte, die in der Person des Betreffenden selbst liegen und seinen Status als ethisch-rationales Subjekt a limine untergraben, sind verminderte intellektu- 158 Dies wird bei der Interpretation des OT (s. 2.4.5 Transgression und Orakel und 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? der Interpretation dieser Tragödie) und der Bakchen (s. 4.4 Transgression und Eliminierung) relevant werden. 159 Vgl. Kurt von Fritz, „Tragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie“, in: Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 1-112, h. 12. Noch nach Ilona Opelt liegt eine Schicksalstragödie vor, wenn der Protagonist unschuldig-schuldig werde (Senecas Konzeption des Tragischen. In: Eckard Lefèvre (Hg.), Senecas Tragödien. Wege der Forschung 310. Darmstadt 1972, 92-128, h. 92 f.). Diese Definition des Tragischen über das Schicksal verkürzt jenes. 160 Schon von Fritz 1962: 12 hob darauf ab, daß die Unvollkommenheit der Hauptfiguren der attischen Tragödie dadurch zustande komme, daß sie „in Situationen gestellt [würden], die über ihre Kraft und ihre moralische Einsicht hinausgehen.“ 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 56 elle Leistungsfähigkeit und charakterliche Defizite. Eine situative Einschränkung der Kognition liegt dagegen bei Oidipus vor, 161 dem seine soziale Umwelt wichtige Informationen über seine Herkunft vorenthält. Oidipus will den geweissagten Verbrechen ausweichen, bringt sich jedoch genau dadurch in die Lage, sie unwillentlich und unwissentlich zu begehen. Der konjunktural-kontingente Charakter der Dysfunktion als ethisch-rationales Subjekt impliziert, daß der Transgressor außerhalb der transgressiven Konjunktur, die in der Handlungsstruktur wurzelt, durchaus in der Lage ist, als solches zu agieren und zu funktionieren. In vielen Tragödien (u.a. im OT) stellt der Transgressor dies in der Anagnorisis unter Beweis. Die Struktur des Transgressors hat dabei nichts mit äußeren Charakteristika wie Körpergröße und -kraft oder Abstammung zu tun. Auch sie werden durch die Forderung nach einer situativen Einschränkung des Subjektsstatus von der tragischen Transgression ausgeschlossen. Daß die situative Einschränkung in der Handlungsstruktur wurzelt, überführt kontingentsituative Defekte des Transgressors als untragisch, etwa einen Unfall, der die sinnliche und mentale Wahrnehmung der Umwelt verzerrt. Fassen wir zusammen: Tragisch ist eine Transgression dann, wenn sie weder der Souveränität noch sozialen Akzidentien des Transgressors oder seiner körperlichen, geistigen oder charakterlichen Verfassung entspringt, sondern einzig auf einer situativen Einschränkung seiner Funktion als ethisch-rationales Subjekt beruht, die in der Handlungsstruktur und nicht in einem souveränen oder kontingenten konjunkturalen Defekt des Transgressors wurzelt. Die Verortung der tragischen Desubjektivierung in der Handlungsstruktur bedeutet keinen monokausalen Sozialdeterminismus, welcher einseitig den Grund für das Verbrechen entsprechend der Milieutheorie in der sozialen Umwelt erblickt, sondern geht von einer Interaktion zwischen dem tragischen (De)Subjekt und seiner sozialen Umwelt aus. Mag die Willensfreiheit bei manchen Formen der Desubjektivierung nicht gewahrt sein (Wahn), so ist sie es doch bei zumindest einem Schritt des tragischen Subjekts innerhalb der Handlungsverkettung, die zur Transgression führt. Wenigstens diachron ist selbst diese Tragik damit faktisch eine Form der Selbstaufhebung des Subjekts, da das Subjekt zu ihr durch sein Handeln beiträgt, selbst wenn dieser Aspekt nicht auf der Handlungsoberfläche und in der Binnenhermeneutik sämtlicher tragischer Handlungsverläufe deutlich zutage treten sollte. Theoretisch wird innerhalb des hier vorgestellten Tragikverständnisses die Selbstaufhebung durch das Konzept der Performanz unterstützt. Tragik liegt bei diesem Modell dann vor, wenn ein rational-moralisches Subjekt sich selbst durch seine Performanz aufhebt, die dadurch notwendig ist, daß das Subjekt nur autoperformativ existiert. Diese Performanz impliziert Rollen und Integritäten (Näheres s. den folgenden Unterabschnitt) und involviert andere menschliche, aber auch göttliche Subjekte. Dies entspricht nicht nur der skizzierten Personenkonstellation, sondern beruht auch auf der dramatischen Mimesis der Gesellschaft und den Grundgegebenheiten der condicio humana (für eine genauere Formulierung mit Hilfe des strukturalisti- 161 Wolfgang Schadewaldt, Der «König Ödipus» des Sophokles in neuer Deutung. In: Ds., Hellas und Hesperien. 2 Bde. Zürich 2 1970, Bd. 1, 466-476, h. 467. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 57 schen Zeichenbegriffs s. den nächsten Unterabschnitt). Das Handeln dieser anderen Akteure ist kontingent zu demjenigen des betreffenden Subjekts und beeinträchtigt dieses und seine Performanz. Die Tragik wurzelt also in der Systemintegration und sozialen Einbettung des Menschen, die Teil der condicio humana ist, 162 ohne daß sie deshalb im Einzelfall durch diese nezessitiert würde. Gleichwohl ist es wegen der Verwurzelung des Tragischen in der sozialen Integration wohl kein Zufall, daß es nach einer weitverbreiteten Auffassung mit dem Ende der klassischen Poliszeit aus dem griechischen Drama schwand, 163 als Konflikte des Übergangs von der archaischen zur klassischen Sozialstruktur und Weltsicht ausagiert waren (s. den folgenden Unterabschnitt zu Vernant). Es wäre verlockend, den für die Tragik eingeforderten Subjektstatus als poetische Integrität zu beschreiben, die eine Figur charakterisiert, während die poetische Gerechtigkeit das Ergebnis eines Geschehensablaufs bewertet, 164 doch sind diese beiden Kategorien terminologisch irreführend. Sie sind nämlich trotz ihres Attributs nicht genuin poetisch, da sie die Integrität in der Dichtung mit Hilfe gesellschaftlicher Kriterien beschreiben. Das einzige poetische Moment ist bei ihnen also die Mimesis. Treffend ist die Verbindung von Integrität mit dem Attribut ‚poetisch‘ bzw. besser ‚dichterisch‘ wohl bei Fragen der Darstellungsweise, auch wenn hierbei abermals moralische Kriterien zum Tragen kommen (s. 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem in der Perser-Interpretation). Ähnlich kommen die Vorstellungen, die hinter dem Subjektstatus der tragischen Figur stehen, sicherlich dem sehr nahe, was man in der Neuzeit unter ‚Würde‘ versteht, doch soll auf diesen Begriff ebenfalls verzichtet werden, da auch er in die Irre zu führen droht. Dies liegt an seiner Komplexität und geistesgeschichtlichen Tradition: Einerseits steht die Würde der Erhabenheit nahe, die das Tragische an ein Stilmerkmal heranführt (dies gilt um so mehr für die ‚Größe‘, auf die aus diesem Grund ebenfalls zugunsten von ‚Integrität‘ verzichtet werden soll), andererseits ist die tragische Würde etwas (nahezu noch aristokratisch) sehr Individuell-Literarisches, das 162 Ulf Heuner nennt denn auch das „Bezugsgewebe“ (diesen Ausdruck und das dahinter stehende Konzept der Sozialintegriation entnimmt er Hannah Arendts Buch Vita activa oder Vom tätigen Leben [München 1 2002, 225 f.; daneben benennt sie dieses Konzept als „Gewebe menschlicher Bezüge“ und „Bezugssystem“]), in welches das tragische Handeln eingewoben sei, „eine conditio [sic! ] humana“ (Tragisches Handeln in Raum und Zeit. Raum-zeitliche Tragik und Ästhetik in der sophokleischen Tragödie und im griechischen Theater. Diss. Leipzig 1999. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 14. Stuttgart 2001, 188). 163 Näheres zu den literatur- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekten dieser Entwicklung s. 6.1 Das Ende der Tragödie und des Tragischen? des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa. 164 Vgl. Kurt von Fritz, „Tragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie“, in: Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 1-112. Eric Robertson Dodds, On Misunderstanding the Oedipus Rex. In: Ds., The Ancient Concept of Progress and other Essays on Greek Literature and Belief. Oxford 1973, 64-77, h. 67 f. verwirft das Konzept der poetischen Gerechtigkeit in klaren Worten für Aristoteles und die griechische Tragödie. Für letztere tat dies bereits von Fritz (1962: 15, 49 f.). Zur poetischen Gerechtigkeit bei Menander vgl. Martha Krieter-Spiro, Sklaven, Köche und Hetären. Das Dienstpersonal bei Menander. Stellung, Rolle, Komik und Sprache. Diss. Basel 1993. BzA 93. Stuttgart 1997, 122-132. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 58 sich dadurch von der essentialistischen Universalität unterscheidet, welche die anthropologische Würde der frühen Neuzeit und ihre juridische Kodifikation als konstitutionelle Letztbegründung staatlichen Handelns kennzeichnet. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller Der komplexeste Fall der Tragik und der (handlungs)strukturell bedingten Einschränkung der Funktion des ethisch-rationalen Subjekts liegt dann vor, wenn eine Transgression aus einem Konflikt dramenintern gleichrangiger Normen, Rollen, Identitäten und Integritäten erwächst. Die Relevanz und Artikulation dieser Begriffe sollen im folgenden verfeinert und auf den Integritätenkonflikt zugespitzt werden. Mit dem Normenkonflikt klinkt sich dieses Tragikverständnis beim deutschen Idealismus und der deutschen Klassik in die Begriffsgeschichte des Tragischen ein und findet hier ihre nächsten geistigen Wahlverwandten. Bereits Schiller bestimmte das Wesen des Tragischen in einem Normenkonflikt, bei dem eine Figur zwischen zwei ethisch gleichrangige Normen gestellt ist, die einander jedoch ausschließen, wobei sie bei jeder Option gleichzeitig wider die Neigung handeln. (Schiller verweist hier auf Chimène und Rodrigue in Corneilles Cid.) Dabei verlangte er von der Figur für das Mitgefühl ein viel höheres Maß an moralischer Integrität als Aristoteles (Poet. 1453a 7- 12). 165 Hegel ergänzte diesen Normenkonflikt um die soziale Interaktion der Figuren und den Schuldbegriff, der bei Schiller auffallend fehlt. Dagegen sieht er von der Intention ab, die für den Dramatiker eine höhere praktische Relevanz hat. Schließlich ist dieser an der psychologischen Zeichnung eher interessiert als der Philosoph, dessen Augenmerk auf objektiven Widersprüchen liegt: 166 „Das ursprünglich Tragische besteht nun darin, daß innerhalb solcher Kollision beide Seiten des Gegensatzes für sich genommen Berechtigung haben, während sie andererseits dennoch den wahren positiven Gehalt ihres Zwecks und Charakters nur als Negation und Verletzung der anderen, gleichberechtigten Macht durchzubringen imstande sind und deshalb in ihrer Sittlichkeit und durch dieselbe ebensosehr in Schuld geraten [Kurs. im Orig.].“ 167 Auch die Perspektive auf den Konflikt wandelt sich bei Hegel radikal: Bei Schiller implizierte der Normenkonflikt eine Pflicht, bei Hegel hebt der Ausdruck ‚Berechtigung‘ auf das subjektive Recht ab. Abgesehen von den moralisch aufgeladenen Termini „Sittlichkeit“ und „Schuld“, auf welche diese Untersuchung zugunsten von ‚Norm‘ bzw. ‚Ethos‘ und ‚Verletzung der Integrität‘ verzichten will, kommt Hegels Verständnis jedoch dem hier gewählten Ansatz 165 Über die tragische Kunst. NA, Bd. 20, 155-157. Zu Schillers Tragikverständnis vgl. ausführlich Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 68-82. Auch Schelling stellt hohe ethische Anforderung an das Handeln des tragischen Protagonisten (Hösle 2009: 83). 166 Zu Hegels Auffassung der Tragödie und Begriff des Tragischen vgl. Christoph Menke, Tragödie im Sittlichen. Gerechtigkeit und Freiheit nach Hegel. Frankfurt a.M. 1996, v.a. 19-73 und Hösle 2009: 82-90. 167 Ästhetik. 2 Bde. Hg. von Friedrich Bassenge. Frankfurt a.M. 1955, Bd. 2, 549. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 59 sehr nahe, weil es die Handlungsstruktur betrachtet, statt auf der Ebene kulturwissenschaftlicher Äußerlichkeiten zu verharren oder wie Rolf Breuer, dessen Titel einen der vorliegenden Arbeit verwandten Ansatz verheißt, bei der kommunikationstheoretischen Performanz des Konfliktes und seiner modallogischen Formulierung stehenzubleiben. 168 Über sämtliche modallogischen Ziselierungen des Konflikts gerät bei Breuer dessen existentielle Dimension aus dem Blick. 169 Schließlich ist ein Konflikt nur dann tragisch, wenn er die moralische Integrität des Protagonisten bedroht oder wenn er diese, was nicht selten der Fall ist, vernichtet. Immer steht auch die eigene oder zumeist eine fremde physische Integrität auf dem Spiel, was in der Tragik der griechischen Tragödie eine besondere Ausprägung findet (s.u.). Hegels „Verletzung“ entspricht dagegen exakt der Transgression und der von ihr betroffenen Integrität als Leitbegriffen der vorliegenden Arbeit, während seine Wortwahl „Negation“ ins Bewußtsein ruft, daß der Normenkonflikt nicht rein akademisch suspendiert werden kann, sondern notwendig in eine Auflösung mündet. Deren Resultat erscheint bei Hegels Interpretation von Sophokles’ Antigone rein alltagssprachlich als „Tod“ (Bd. 2, 568). Diese Formulierung entspricht der hier vorgeschlagenen ‚physischen Eliminierung‘ und inhaltlich subsumtiv Aristoteles’ „schwerem Leid“ (Poet. 1452b 11-13). Hegels rechtsphilosophischer Ansatz des Tragikverständnisses ist durch Jean-Pierre Vernants zivilisationsgeschichtliche Studien erneuert worden. Der französische Forscher rückte die Ambivalenz in das Zentrum seiner Interpretation der attischen Tragödie, und zwar nicht zuletzt diejenige zwischen unterschiedlichen Ebenen des Rechts, wobei das alte göttliche und das jüngere bürgerliche Recht der Polis einander entgegenstanden. 170 Bereits Reginald P. Winnington-Ingram sah zumindest „the tragic paradox“ bei Aischylos und Sophokles dadurch gewährleistet, daß sie wegen ihrer Nähe zum archaischen Denken das Verhältnis von freiem Willen und höherem (göttlichem) Einwirken als 168 Tragische Handlungsstrukturen. Eine Theorie der Tragödie. München 1988, 9-46. 169 „Tragische Handlungsstrukturen und die Definition der Tragödie“ (1988: 47-78). Daß es Tragik auch außerhalb der Tragödie, in anderen literarischen Werken und selbst in der Geschichte und im Leben gebe (1988: 52 f.), ist ebenso richtig wie die Feststellung, daß Tragik im 20. Jh. problematisch sei. Für das Verständnis der antiken Tragödie als Gattung wie als Einzelstück (s. das Kap. über Aischylos’ Perser, v.a. 1.8 Xerxes) ist Herodots tragische Geschichtsschreibung eine wertvolle Kontrastfolie. Auch etliche Episoden in Ovids Metamorphosen, einem Werk, dessen Narratologie eher sprunghaft als stringent verfährt und dessen Stil leicht und flüssig wirkt, ja manchmal tändelnd, weisen tragische Elemente auf (für den formalen Aspekt von Ovids Anleihen bei der mimetischen Großgattung s. Dan Curley, Tragedy in Ovid. Theater, Metatheater, and the Transformation of a Genre. Cambridge 2013, v.a. 2-7). Doch dies auszuführen ist hier nicht der Ort. 170 Tensions et ambiguïtés dans la tragédie grecque. In: Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1086- 1103, h. 1095. Heuner 2001: 194 argumentiert, das griechische Theater der klassischen Zeit habe dadurch, daß es Menschen wie bei der politischen Entscheidungsfindung versammelte, institutionell eine Möglichkeit „zur Überwindung der realen Tragik“ geboten, die Heuners Lektüre verschiedener Sophokles-Tragödien in „der raum-zeitlichen Verschiebung zwischen Vollzug und Kenntnisnahme der gegnerischen Tat“ verortet (2001: 189), also Aspekten, die man als Unterformen und Präzisierung der desubjektivierenden Handlungsstruktur der vorliegenden Arbeit ansehen kann. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 60 problematisch darstellten, anstatt es - wie später Platon - in die beiden Extreme der absoluten ethischen Freiheit und totalen Fremdbestimmung durch höhere Mächte aufzulösen. 171 Vor demselben zivilisationsgeschichtlichen Hintergrund soziopolitischer und intellektuell-kultureller Umbrüche (2005: 336) hat Mark Griffith jüngst vier in der attischen Tragödie konfligierende Autoritäten ausgemacht: die politisch-militärische ( bzw. ), die häusliche ( ), die religiöse und die kulturell-epistemologische. 172 Er spricht allerdings nicht von tragischen Konflikten, sondern macht nur Widerstand von Hauptfiguren gegen Autorität aus, dessen Motive dem Publikum „groß“, akzeptabel und legitim erschienen, der jedoch scheitere und das Publikum zur Identifikation mit den unbedeutenderen überlebenden Figuren einlade (2005: 348 f.). Dergleichen rezeptionsästhetische Spekulationen seien hier außen vor gelassen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die Ziele der großen Gestalten, die Griffith als „independence, honor, and happiness“ aufzählt, mit dem Begriff der (sozialen) Integrität, besser beschrieben werden können, mit dem die vorliegende Untersuchung die Tragik formuliert. Anhand von Martha Craven Nussbaum 173 hat Josef Früchtl das im Grunde hegelianische Verständnis (vgl. S. 326) der Tragik als „Normenkollision“ repristiniert. 174 Nussbaum bespricht denn auch Aischylos’ Agamemnon (2001: 32- 38) und Sieben gegen Theben (2001: 38-46) sowie Sophokles’ Antigone (2001: 171 Tragedy and Archaic Greek Thought. In: M. J. Anderson (Hg.), Classical Drama and its Influence. Essays presented to H. D. F. Kitto. New York 1965, 31-50, h. 50. 172 Authority Figures. In: Justina Gregory (Hg.), A Companion to Greek Tragedy. Oxford 2005, 333-351, h. 335 f. 173 The Fragility of Goodness. Luck and Ethics in Greek Tragedy and Philosophy. Cambridge 1 1986, 2 2001, 25-84. 174 Ästhetische Erfahrung und moralisches Urteil: Eine Rehabilitierung. Habil. Frankfurt 1994. Frankfurt a.M. 1996, 324-330, v.a. 324. Das zweite Moment der Tragödie, das Früchtl bei Nussbaum (2001: 45 f.) hervorhebt (1996: 325 f.), ist das Lernen durch Leiden(schaft), das ein tieferes Verständnis der condicio humana vermittle, die Grenzen der rein kognitiven Erkenntnis übersteige (so ihre Interpretation der Aischyleischen Formel [Ag. 177]) und das Nussbaum unter Anknüpfung an Aristoteles’ und von den Figuren auf die Erfahrung der Zuschauer ausdehnt. Diese Sicht beschreibt durchaus eine denkbare Funktionsweise der Tragödie, bei der die Kunst eine neue Erfahrung eröffnet, verläßt jedoch den Kreis des Tragischen, da sie (abgesehen von dem emotionsästhetischen Aspekt) dem eliminatorischen Leiden einen höheren (existential)philosophischen Sinn verleiht. Und doch transzendiert sie das tragische Dilemma nur vordergründig: Nach Nussbaum vergegenwärtigen Verlust und Leiden (hier Iphigenies durch Agamemnon) jenseits des präeliminatorischen Wissens um die Tochterschaft (also die objektive Verbindung) die (emotionale) Bindung (2001: 45 f.). Hierdurch wird eine Seite des tragischen Dilemmas post festum gestärkt und das Dilemma letztlich aktualisiert. Denn Leiden und Bedauern hätten Agamemnon auch im Falle der gegenteiligen Entscheidung überkommen, die den Verlust seiner sozialen Integrität mit sich gebracht hätte. Nussbaums vage aristotelisierende subjektive Sichtweise rückt hier an diejenige Schmitts heran, bei dem posteliminatorisches und postdezisives Leiden vormals nicht ausreichend präsente familiäre Bindungen vergegenwärtigt (s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt). In beiden Fällen droht das objektive tragische Dilemma als bloß subjektive Fehlentscheidung wahrgenommen zu werden. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 61 51-82), drei Tragödien, in denen auch nach Auffassung der vorliegenden Untersuchung ein Konflikt gleichrangiger Normen (oder Legitimitäten) vorliegt. 175 Es muß allerdings angemerkt werden, daß ein Konflikt gleichrangiger moralischer Normen, Ansprüche oder Legitimitäten, der bei Schiller, Hegel und dessen modernen Nachfolgern nachgerade als das Wesen des Tragischen angesehen wird, die Konstellation nur weniger griechischer Tragödien treffend beschreibt, so Antigone als Vertreterin des Oikos und Kreon als der Sachwalter der Polis oder Orests Pflicht, den Vater zu rächen und die Mutter zu ehren. Eine viel größere Zahl an Fällen deckt das Interpretationsmuster des Integritätenkonflikts ab, das im Folgenden näher ausgeführt werden soll. Die Integrität setzt den Wandel von der Pflicht zur Berechtigung fort, der sich von Schiller zu Hegel vollzog, indem sie (darin der objektiven Transgression ähnlich) das berechtigte Ziel objektiviert. Außerdem erlaubt es der Begriff der Integrität, weitere Ziele zu erfassen oder die Ziele genauer zu benennen. Diese Arbeit unterscheidet, ohne den Anspruch zu erheben, damit das terminologisch-heuristische Potential der Integrität zu erschöpfen und weitere Formen auszuschließen, die physische, psychische, rituell-religiöse und soziale Integrität, wobei letztere in die (sozio)moralische und soziopragmatische differenziert werden muß, allein weil diese beiden Unterformen bei Euripides’ Medea in Konflikt treten. Bei der (sozio)moralischen Integrität geht es um die Normkonformität, bei der soziopragmatischen um die Behauptung als Subjekt in der sozialen Interaktion, wobei es deren mimetische Transposition in die Dramenhandlung erlaubt, hier von ‚dramatischem Subjekt‘ zu sprechen. Mit Ausnahme der moralischen Integrität sind diese Typen Neuerungen gegenüber dem Tragikkonzept des Normenkonfliktes, die rituell-religiöse differenziert die moralische. Wie bei der soziopragmatischen Integrität bereits angeklungen, ist die Integrität das Wesensmerkmal und der Lackmustest des Subjekts, ohne daß sich bei den übrigen Spielarten eine ähnlich feste Korrelation zwischen den Untertypen der Integrität und des Subjekts und dessen Funktionen herstellen ließe. Nur die (sozio)moralische Integrität läßt sich eindeutig der ethischen Seite des Subjekts zuordnen. Dank ihrer Vielschichtigkeit ist die Integrität ein besseres Beschreibungsmodell für den tragischen Konflikt als die reine Moralität der Frühmoderne. Bei Agamemnon, der seine Tochter Iphigenie opfern soll, konfligieren etwa das Streben, dem Bruder Genugtuung zu verschaffen, und damit die eigene soziale Integrität zu wahren, mit dem Leben, d.h. der physischen Integrität der eigenen Tochter. 176 Euripides’ Medea will ihre soziale Integrität als gleichwertiges 175 Früchtls Versuch, die Aktualität tragischer (ethischer) Konflikte nachzuweisen, bietet zwar im doxographischen Teil etliche bedenkenswerte und anregende Überlegungen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ausdiskutiert werden können, gleitet jedoch bei seinen eigenen Argumentationen ins Kasuistisch-Banale ab (1996: 326-330). 176 Diese Konstellation muß gegen Nussbaum betont werden, die Agamemnons Dilemma mit demjenigen Abrahams vergleicht (1986: 35): In beiden Fällen müsse ein guter und bislang unschuldiger Mann entweder ein unschuldiges Kind töten, um einem göttlichen Gebot zu gehorchen, oder die schwerere Schuld des Ungehorsams und des Frevels auf sich nehmen. Im folgenden schildert sie dann Agamemnons erstaunliche Darstellung seiner Entscheidung. Polytheismus und soziale Implikation sind jedoch entscheidende Unterschiede zwischen den beiden Situationen, die Agamemnons Tragik vergrößern und Abrahams minimieren: Bei Abraham 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 62 Interaktionssubjekt wahren, statt sich zum Schacherobjekt männlichen Handelns degradieren zu lassen, opfert diesem Streben jedoch mit den Kindern nicht nur deren physische Integrität, sondern auch ihre eigene genetische Permanenz und moralische Integrität als Mutter (vgl. v. 967 f.). Beide Fälle haben also den tragischen Konflikt von eigener sozialer Integrität und physischer Integrität von Angehörigen (hier der eigenen Kinder) gemeinsam, der auch Oidipus’ Dreiwegmassaker im OT und, religionspolitisch abgewandelt, Pentheus’ Kampf gegen Dionysos in den Bakchen zugrunde liegt. Die zwei Seiten dieser tragischen Konfliktkonstellation, die soziale Integrität und die physische der Angehörigen, weisen einen klaren Sozialbezug auf und bieten damit eine besondere Ausprägung, welche die soziale Einbettung des Menschen bei der Tragik spielt. Gelöst wird dieser Konflikt bei der tragischen Transgression dadurch, daß die fremde physische Integrität für die Wahrung der eigenen sozialen geopfert wird. Die geschilderten Entweder-Oder-Konstellation betrifft die Handlungsoptionen und sagt primär nichts über die Willensfreiheit aus, als deren Kriterium die grundsätzliche Fähigkeit, eine Handlung zu unterlassen, angesehen werden darf. Die funktionale Einschränkung des Subjektstatus ist also nicht zwingend auf dieser Ebene zu verorten, auch wenn dies unter gewissen anderen Umständen denkbar ist, etwa bei manchen Fällen der handlungsstrukturellen Dysfunktion des Subjekts zum Zeitpunkt der Transgression, die gleichwohl in Willensfreiheit getroffene Entscheidungen der Vergangenheit voraussetzen. Die alternative Entscheidung geht vielmehr davon aus, daß zwei Integritätsgüter, die für die Identität des Entscheidungsträgers konstitutiv sind, nach seiner Auffassung (und der Binnenhermeneutik) gleichwertig oder zumindest gleichermaßen werthaftig sind. Man könnte deshalb auch soweit gehen, Tragik als die konjunkturale Monosemierung einer strukturell zumindest ambi-, wenn nicht sogar polyvalenten Identität zu sehen, die dadurch eintritt, daß die Integritäten, über welche diese Identität konstituiert wird, - wie das Subjekt - nur performativ existieren. Dies bedeutet freilich nicht, daß allein die performative Existenz Subjekt und Integrität notwendigerweise zur Selbstaufhebung triebe, auch wenn die Integrität eine besondere Affinität zur Performanz hat, weil ihr wesenhafter Existenzmodus das Bewahren ist. Denn nur in einer kontingenten Konjunktur eliminiert die Performanz eine Bedeutung. Subjekt und Integrität heben sich nicht durch innere, sondern systemische Widersprüche auf. Da die Integritäten konstitutiv für das Subjekt sind, erhellt der Integritätenkonflikt die Hintergründe der tragischen verlangt der eine Gott sein Geschenk zurück, seine Position ist also ungleich stärker als diejenige der Artemis. Die wundersame substitutive Rettung Isaaks zeigt denn auch, daß Abrahams Entschluß, das eigene Kind zu opfern, richtig und seine Entscheidungsalternative nicht tragisch war. Der einzige Opponent ist die (egoistische) Liebe des Vaters zum spätgeborenen Stammhalter. Die Liebe zum Kind ist bei Agamemnon ebenfalls der (einzige) Antipode zu dessen Opfer (v. 207-211), doch sprechen bei Agamemnon eine Vielzahl von Faktoren und Göttern für das Opfer der eigenen Tochter, so neben Artemis die Verpflichtung gegenüber dem Bruder, die Rolle als Heerführer (v. 212: ) und die Verletzung des von Zeus garantierten Gastrechts. Diese Verknüpfung aus Göttlichem und Gesellschaftlichem schwächt allerdings eher seine Position, als daß sie diese kumulativ stärkt. Am meisten schwächt das Motiv, die eigene soziale Integrität zu wahren, das allerdings charakteristisch für die Tragik der griechischen Tragödie ist, Agamemnons Entscheidung. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 63 Selbstaufhebung des Subjekts und präzisiert diese: Die Transgression resultiert hier daraus, daß ein Ziel, das suprasubjektiv wünschenswert, soziostrukturell vorgegeben oder essentiell-konstitutiv ist und in einer Integrität besteht, in einer gegebenen Situation nur unter Verletzung einer anderen Integrität oder Norm bzw. Überschreitung einer Grenze erreicht werden kann. Die performative Selbstaufhebung, die ein Merkmal der Tragik ist und in den ihr zugrunde liegenden Widersprüchen und wechselseitigen Ausschlüssen wurzelt, betrifft deshalb auch die Integrität. Integrität und Subjekt spielen freilich eine unterschiedliche Rolle bei der tragischen Selbstaufhebung: In einer tragischen Situation können zwei Formen der Integrität nicht gleichzeitig gewahrt werden und koexistieren, sie stehen also in einem praktisch-performativen Widerspruch zueinander und heben einander dabei auf, während das Subjekt als vollziehende Instanz der Eliminierung einer solchen Integrität fungiert, die konstitutiv für es selbst ist. Plakativ formuliert, beruht Tragik also darauf, mehrere zu sein (bzw. sein zu müssen im Falle gleichwertiger Normansprüche oder sein zu wollen in Falle der sozialen Selbstbehauptung), aber nur einer sein zu können, weil die Klärung der Identitätsfrage wegen der Notwendigkeit einer Identität nicht in der Schwebe gelassen werden kann. Oder anders ausgedrückt: Was nur ein Sowohl-Als auch sein kann, muß ein Entweder-Oder werden. Hinter beiden korrespondierenden Konjunktionen steht die soziale Einbettung des Menschen. Sie wurzelt in der condicio humana und bringt das strukturelle Sowohl-Als unterschiedlicher Integritäten und Rollen mit sich, die mit verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft verbunden sind und die in der situativen Performanz existieren. Die soziale Interaktion, bei der kontingente Elemente hinzutreten oder fortfallen, führt zu einer Konjunktur, in der eine Figur nicht gleichzeitig die Identitäten aller Gruppen performieren kann, zu denen sie gehört. Aus dem Sowohl-Als auch wird so eine Entweder-Oder-Entscheidung. Dieses komplexe Tragikkonzept soll ein Brückenschlag zu Saussures Zeichentheorie verdeutlichen und vertiefen. Der performativen Existenz entspricht das Theorem, daß die langue nur in der parole faßbar sei (CLG 37). Auch die Koexistenz des Sowohl-Als auch läßt sich mit Saussures Illustrierung der beiden Seiten des Zeichens über die untrennbar verbundenen Seiten eines Blattes Papier vergleichen (CLG 157). In der Tat lassen sich die verschiedenen Formen der Integrität auf der anthropologischen Ebene dem signifiant und dem signifié des Saussureschen Zeichenbegriffs zuordnen: Die physische Integrität entspricht dem signifiant; sie kann in dieser Funktion qua materialer Sinnträger allen übrigen Formen der Integrität qua signifiés gegenübergestellt werden. 177 Mit dieser 177 Für die Ausrichtung der anthropologischen Integrität an Saussures Zeichenbegriff vgl. Verf., Platon, Popper und die Integrität - Versuch eines Neuansatzes mit Giorgio Agamben. In: Andreas Eckl, Clemens Kaufmann (Hgg.), Politischer Platonismus. Würzburg 2008, 151-165, h. 153. Die Einordnung der psychischen Integrität nach den Kategorien signifiant und signifié ist delikat. Nur ein (post)sokratisch-platonischer Dualismus kann sie zum signifié schlagen. Der Sprachgebrauch des Epos (Il. 1.3 u.a.) und auch noch der Tragödie (E. Med. 968) versteht dagegen unter der das Leben, also die physische Integrität, die dem signifiant entspricht. Freilich spielt in der attischen Tragödie die psychische Integrität nicht beim Konflikt der Ent- 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 64 Abgrenzung wird eine bereits antike und jüngst wieder aktualisierte Grenzziehung aufgegriffen: Anknüpfend an die lexikalischen Dublette vs. des Griechischen und deren bereits antike Theoretisierung in Aristoteles’ Politik (1278b 23-30, 1252b 30) 178 hat Giorgio Agamben wirkmächtig 179 die Dichotomie von Leben als biologischem und kulturellem Faktum formuliert. 180 Die entspricht also der physischen Integrität und teilt mit ihr die Funktion als materialer Sinnträger (signifiant), der kann als Oberbegriff für die übrigen Integritäten und wie dieser als Äquivalenz des signifié fungieren und erfaßt überdies den biographischen Aspekt im Sinne einer Akkumulation verschiedener Taten, Integritäten und Identitäten, die ein Mensch bzw. eine Figur im Laufe ihres bisherigen (Bühnen-)Lebens angehäuft hat. Er ist damit die systematische Stelle, an der die handlungsstrukturelle Dysfunktion des ethisch-rationalen Subjekts verortet werden kann. Der Transfer dieses hier semiotisch interpretierten Gegensatzpaares auf die Dramentheorie wird dadurch erleichtert, daß Aristoteles selbst die Tragödie als Mimesis nicht nur von Menschen, sondern auch von Handlungen und des Lebens ( ) definiert (Poet. 1450a 15-17). Eine semiotische Sichtweise auf den menschlichen Körper als Sinnträger, wie sie hier mit der Deutung von und physischer Integrität als signifiant impliziert wird, legt bereits die theatralische Semiose nahe, die selbst in der Fiktion des Dramentextes ganz auf dem Körper als optischem Sinn- und akustischem Wortträger des sprachlichen Sinnes beruht. Die semiotische Anthropologie und ihr zentraler Terminus ‚Integrität‘ greifen zudem den humanistischen Ansatz früherer Tragödieninterpretationen auf und präzisiert ihn, etwa indem sie zwei seiner Konzepte, die Moralität und die condicio humana, in einem integralen Modell systematisiert. Schließlich wird eine semiotische Formulierung der Tragik durch die Verfassung gerade des literarisch-künstlerischen Zeichens nahegelegt, das sich einer eindeutigen schematisch-algebraischen Wesensbestimmung entzieht und so die Souveränität des Interpreten wie die tragische Handlungssituation diejenige des Akteurs unterläuft, was bereits Heraklit erkannte (DK 22 B 93): Daß der dunkle Denker aus Ephesos die souveränitätsunterlaufende Ambivalenz der Semiotik anhand der (Se)Mantik formuliert, die einen göttlichen Sender hat, läßt die desubjektivierende Nähe zur Tragik hervortreten, ja, im OT funktioniert die Tragik sogar über die (Se)Mantik. scheidungsgüter, welcher der Transgression zugrunde liegt, sondern nur bei deren Erklärung eine Rolle, etwa wenn sie von Figuren auf Wahnsinn o.ä. des Transgressors zurückgeführt wird. 178 Der Begriff der als vitales Leben, das eine gewisse qualitative Prägung erfahren kann, ist auch in Metaph. 1050a 36-1050b 2 erkennbar: 179 Vgl. Martin G. Weiß (Hg.), Bios und Zoë. Die menschliche Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 2009, 7. 180 Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen von Hubert Thüring. [Orig.: Il potere sovrano e la nuda vita] Erbschaft unserer Zeit 16. Frankfurt a.M. 1 2002 = 2004, 11 f. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 65 Neben der Identität durch Relation, die hinter dem Nexus von signifiant und signifié steht, läßt sich noch das zweite strukturalistische Identitätskonzept, diejenige durch Abgrenzung, für die Tragik fruchtbar machen. Es impliziert, daß nichts isoliert existieren kann, sondern seine Identität erst durch die Abgrenzung von etwas anderem erhält, und korreliert damit der sozialen Einbettung des Menschen, die hier in der condicio humana verankert wird und als anthropologischer Anknüpfungspunkt der Tragik dient. 181 Bereits Aristoteles formulierte in der Politik die systemische soziale Integration als Teil der condicio humana über das strukturalistische Prinzip der Identität durch Abgrenzung. Dies hat bereits Vernant herausgearbeitet, der Aristoteles’ These für die Deutung der griechischen Tragödie, hier des OT, erschließt. Mehr noch, paßt Aristoteles’ Verdeutlichung der sozialen Einbettung mit Spielsteinen (Pol. 1253a 6 f.) (Näheres s. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression in der OT-Interpretation) exakt zur hier vertretenen Parallelisierung von Zeichen und Mensch. Aristoteles’ massiv essentialistisch-normative Argumentation in dieser Passage, die sich am durchgehenden Gebrauch von fu&sij sowie am Auftreten von fau~loj zeigt, ist gewiß nicht mit den Saussureschen Thesen zur Arbitrarität der Zuordnung von signifiant und signifié vereinbar, doch ist dies ein rein paradigmatischer Gegensatz und kein systematischer Widerspruch, da es ja an der fraglichen Stelle aus der Politik um die soziale Einbettung des Menschen geht, die ebenfalls mit dem Naturbegriff essentialisiert wird (Pol. 1253b 2 f.: o( a1nqrwpoj fu&sei politiko_n zw| ~on). Wenn Aristoteles die natürliche Existenz der Stadt (Pol. 1252b 30: pa~sa po&lij fu&sei e1stin) damit begründet, die Stadt entstehe um des Lebens und bestehe um des guten Lebens willen (Pol. 1252b 28-30: ginome/ nh me\n tou~ zh~n e3neka, ou]sa de\ tou~ eu} zh~n), dann läßt er im kollektiven Rahmen exakt jene Dichotomie zwischen zwh& und bi/ oj anklingen, die im vorangehenden auf der individuellen Ebene mit signifiant und signifié sowie der physischen Integrität einerseits und dem Bündel der verschiedenen kulturellen Integritäten andererseits korreliert wurde, selbst wenn er auch für die Seite des bi/ oj den Stamm zhgebraucht. Aristoteles läßt sich nun mit dem semiotisch-strukturalistischen Ansatz dieser Arbeit verschmelzen und weiterentwickeln: Die soziale Einbettung des Menschen, welche die vorliegende Arbeit axiomatisch in seiner vorfindlichen condicio humana verortet, was Aristoteles noch über den Naturbegriff essentialisierte, schlägt sich darin nieder, daß er sowohl zum physischen Überleben als auch für ein menschengemäßes Leben die Gemeinschaft anderer Menschen braucht. Seine physische und kulturellen Integritäten und das anthropologische signifiant und signifié können nicht isoliert existieren. Bei der Tragik 181 Wenn die vorliegende Arbeit also die Tragik in der sozialen Einbettung des Menschen und diese in der condicio humana begründet sieht, fungiert letztgenannte nur als säkulares heuristisches Axiom, um einen regressus ad infinitum (Natur, Gott) zu vermeiden, keinesfalls aber als anthropologische Letztbegründung, die etwas über die absolute Unvermeidbarkeit der Tragik in systemischer oder situativer Hinsicht besagen soll. Daß die Tragik vielmehr über die sozialen Rollen funktioniert, welche sich aus der sozialen Einbettung ergeben, ohne von ihr vorgegeben zu sein, deutet bereits ihre historische Kontingenz an. Daß sie im Einzelfall für außergewöhnliche Menschen wie Heilige und stoische Weise vermeidbar ist, hängt auch damit zusammen, daß eine Bedingung für sie darin besteht, daß die Willensfreiheit grundsätzlich gewahrt bleibt. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 66 führt nun ein kontingentes Ereignis wie der Hinzutritt oder der Fortfall eines dramatischen signifiant dazu, das meist mit dem tragischen Akteur nicht identisch ist (Medea wird allerdings durch ihre drohende Eliminierung zur Rächerin ihrer selbst), daß das Rollengefüge der Identität durch Abgrenzung in Bewegung gerät und dieses tragische signifiant zusätzlich zu dem bisherigen eigenen ein weiteres signifié ausfüllen soll, welches dasjenige des anderen dramatischen signifiants ist, sofern dessen Bewegung die Verschiebung angestoßen hat. 182 Bisweilen wird aber auch die Erfüllung eines eigenen signifié problematisch, das oft (etwa im Falle Medeas) in der soziopragmatischen Integrität und Subjekthaftigkeit besteht. Bei ihr steht der Status als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft und damit ein elementares soziales signifié auf dem Spiel, dessen Verlust die soziale Einbettung auf das signifiant reduzieren würde. In beiden skizzierten Konstellationen führt der so entstandene Konflikt zweier nicht koexistenter signifié zur transgressiven Eliminierung eines signifié: Durch die Wahrung ihrer sozialen Position und Identität auf Kosten der physischen Integrität eines Anverwandten verlieren viele tragische Protagonisten ihr familiäres signifié und die daran geknüpfte moralische Integrität, was im folgenden näher ausgeführt werden soll. Die Tragik und auch die nachfolgend darzustellende Heroik sind in unserer Definition also komplexe Phänomene, die theoriegeschichtlich Semiotik, Existentialismus, Marxismus und struktural-anthropologisch konfigurierte Ethnologie verbinden und gegenüber neueren Ansätzen anschlußfähig sind. Die Semiotik ist dabei das Basale, weil sie die Grundlage für ein anthropologisches Modell bildet, das Körper und Geist, Biologie und Kultur der Menschen als die Sinnträger bzw. Sinngehalt eines Zeichens auffaßt. Deshalb kann dieses Modell generell als semiotische Anthropologie etikettiert werden, die darin strukturalistisch ist, daß sie die Identität zwar über die Semiose definiert, aber durch die Abgrenzung herausarbeitet, und sich durch dieses methodisch klar umrissene Konzept von einer diffusen kulturellen Anthropologie absetzt, wie sie heute als Schlagwort en vogue ist. Da das hier skizzierte Modell in die Literatur eingebettet ist, die mit literarischen Zeichen operiert und gedeutet wird, bietet sich im literarischen Zusammenhang die Bezeichnung ‚anthropologische (Literatur-)Semiotik‘ an, deren umgekehrte Lexemhierarchisierung die Dominanz des Zeichens ausdrückt. Das anthropologische Zeichen ist kein statisches idealtypisches Beschreibungsmodell, sondern lebt wie das sprachliche in seiner Performanz. Diese ist im Drama qua Darstellung von Handlungen konstitutiv. Die zeichenperformierende Handlung wird aber in unserem Ansatz auch mit Hilfe von Existentialismus, Marxismus und struktural-anthropologisch konfigurierter Ethnologie näher beschrieben. Die beiden letztgenannten spezifizieren das Handeln über die Figur des Austausches, der in dieser Arbeit das Verhältnis der physischen und der übrigen Integritäten erfaßt. Lévi-Strauss’ Ethnologie kommt dem Ansatz der vorliegenden Arbeit schon sehr nahe, weil sie strukturalistische Methoden auf die Anthropologie überträgt. Dieses Verfahren betrifft jedoch diverse soziale 182 So soll Hippolytus in Senecas Phaedra zusätzlich zu seiner Sohnesrolle nach dem Wunsch seiner Stiefmutter die Position des abwesenden Vaters einnehmen. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 67 Praktiken. Dagegen ist der Existentialismus geeignet, die existentielle Tragweite der menschlichen Handlungen zu erfassen, welche die verschiedenen Integritäten betreffen. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch Der physischen Integrität und ihrer Distribution in der Handlung des Dramas kommt bei der an Ende des vorangehenden Kapitels beschriebenen existentialsemiotischen Anthropologie eine Schlüsselstellung zu. Die Alternative, welche die tragische Transgression ausmacht, ist nämlich durch ein besonderes Merkmal gekennzeichnet, das bereits im vorangehenden Unterabschnitt erwähnt wurde und im Vergleich mit einer anderen Integritätsalternative hervortritt, die wegen ihres zumindest implizierten Erstvorkommens in der Ilias die heroische genannt werden soll. 183 Bei den in dieser Arbeit untersuchten Fällen von Tragik der attischen Tragödie opfert der Akteur eine fremde physische Integrität, um seine soziale Integrität zu wahren; bei der Heroik opfert er die eigene physische Integrität und wahrt dabei eine andere Integrität. So tötet Homers Achill Hektor, um seinen Freund Patroklos zu rächen, obwohl er damit seinen eigenen, für diesen Fall vorherbestimmten Tod besiegelt (Il. 18.96). Inwieweit er damit einer Freundespflicht Genüge tut und so seine soziale Integrität wahrt oder aber seinem willfährt, sei dahingestellt. Explizit nimmt er jedoch den Tod für den Ruhm in Kauf (Il. 18.120 f.), entscheidet sich also für die soziale und gegen die physische Integrität. Von dieser vorherbestimmten Alternative, die ihm seine Mutter Thetis offenbart habe, hat er bereits in Il. 9.410-416 Kenntnis. Der Aspekt der Integrität gesellt sich hier durch die Verbform zu beiden Losen (v. 9.413, 415). Die Bedeutung dieses Vers hebt nämlich auf die Bedrohung der Integrität ab und damit auf das Gegenteil des Bewahrens, des ihr inhärenten modus operandi. Am Attribut zu wird der Aspekt der Permanenz lexikalisch faßbar, die hier unbegrenzt ist, während die physische Integrität bloß lange währt. Dem Sokrates der Platonischen Apologie, der Il. 18.96 wörtlich zitiert, dient Achills Inkaufnahme des Todes als Exempel für sein eigenes Handeln (Ap. 28bd), welches das eigene Leben der moralischen Integrität opfert. Dazu nimmt er selbst in einem wörtlichen Zitat aus der fraglichen Ilias-Passage signifikante Änderungen vor. Achill hatte seinen Todeswunsch mit der unterlassenen Hilfe für den Freund begründet (Il. 18.98 f.), bei Sokrates will er nach Bestrafung des Unrechthandelnden sterben. Anschließend klagt Achill (Il. 18.101-106), er sei trotz seiner Kampfesbefähigung bis dahin dem Schlachtgeschehen ferngeblieben und sitze unnütz bei den Schiffen, statt das Leben des Patroklos und anderer 183 Der Unterschied zwischen Tragik und Heroik verdient allein deshalb eine begriffliche Präzisierung, weil die nationalsozialistische Dramentheorie die Tragödie auf das Heroische reduziert hat, das seinerseits biologistisch gefaßt wird (Mack 1970: 120 f.). Das in ihrer Autoreferentialität verortete aporetisch-reflexive Moment der Tragik, das einer einseitigen Verurteilung des Transgressors widerrät und keine forsche Dezision oder totale Exklusion legitimiert, ist mit dem Impetus einer totalitären Ideologie nicht vereinbar, sondern ein wichtiges Adjuvans einer demokratischen Kultur in Diskurs und Praxis. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 68 Gefährten zu retten, entwickelt also ein praktisches Nutzenkalkül, das auf die physische Integrität zielt. Hier bringt Sokrates ein Moment der Ehre ( - ), d.h. der sozialen Integrität, ins Spiel. Er expliziert also die Adelsethik, die sein Rationalismus paradigmatisch und à la longue so sehr transformiert, daß man von einer Aufhebung im Hegelschen Sinne sprechen könnte. Diese Zuspitzung ändert jedoch nichts an der grundlegenden Gemeinsamkeit von Epos und philosophischer Rede, dem Opfer des eigenen Lebens, der eigenen physischen Integrität, für die soziale oder moralische Integrität, die auch über die physische Integrität anderer Gemeinschaftsmitglieder bestimmt sein kann. Bei diesem Tausch dominiert bei Achill der Egoismus, bei Sokrates tritt der Altruismus hinzu. Altruismus und Egoismus gehen bereits bei Gorillas Hand in Hand, deren junge Männchen ihr Leben für die Rettung der Herde aufs Spiel setzen und bisweilen sogar opfern, allerdings systemisch aus reproduktivem Interesse, um sich Weibchen zur Fortpflanzung zu empfehlen, die nämlich im dichten Dschungel nicht überwacht und gewaltsam zur Gefolgschaft gezwungen werden können, sondern nur durch protektive Leistungsfähigkeit überzeugt werden können. 184 Das Christentum hat mit den Märtyrern, die in der Nachfolge von Jesu Opfertod stehen, der am Kreuz für die Erlösung der gesamten Menschheit gestorben ist, dem Opfer des eigenen Lebens eine höhere Weihe gegeben und solchermaßen, auch wenn die Märtyrer ein Lohn im Himmel erwartet, den altruistischen Opfertod in der abendländischen Kultur so tief verankert, daß er bis heute als Vorbild auch literarisch und dramatisch nachwirkt. (Man denke an Fontanes Ballade John Maynard.) Allerdings unterscheiden sich das Märtyrertum eines Menschen und sein Integritätswechsel sowohl von der Tragik als auch von der näher verwandten Heroik. Held und Märtyrer haben eine viel umfassendere moralische Integrität gemeinsam und unterscheiden sich durch sie von der tragischen Figur, die immer eine Transgression begeht, die der Grund ihrer Tragik wird. Allerdings gibt der Märtyrer seine physische Integrität nicht, wie der Held, für diejenige der Mitglieder der Gemeinschaft, sondern für seine eigene moralische Integrität, die über das Festhalten an seinen subjektiv lauteren Überzeugungen gegen einen mit Eliminierung drohenden und diese auch vollziehenden Machthaber bestimmt ist. Der Märtyrer liegt damit im Spannungsfeld zwischen einer Individualität, die zumeist eine religiöse Komponente hat, und der Politik. Sein Wesen liegt etymologisierend darin, daß er entsprechend der griechischen Grundbedeutung dieses Wortes seine Ansichten mit seinem Leben, seiner und physischen Integrität, bezeugt. Der Typus des Märtyrers hat sich auch in einer stattlichen Zahl von Märtyrerdramen literarisch manifestiert. 185 Märtyrer- 184 Vitus B. Dröscher, Weiße Löwen müssen sterben. Spielregeln der Macht im Tierreich. Hamburg 1989, 92-96. 185 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928). In: Ds., Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser Bd. 1,1. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a.M. 1991, 251-256 streift oder impliziert etliche der hier ausgeführten Gedanken. So referiert er den Unterschied zwischen Märtyrerdrama und klassischer Tragödie, von 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 69 elemente können nicht zuletzt wegen des starken christlichen Einflusses auf die abendländische Kultur jedoch auch außerhalb dieses Kontextes und auch außerhalb reiner Märtyrerhandlungen auftreten und dabei mit heroischen oder tragischen Handlungssträngen verwoben sein. Im Film aus der Mitte des letzten Jahrzehnts Sophie Scholl - Die letzten Tage (2005) schließt sich an den heroischen, aber gescheiterten Versuch der Protagonistin, das Volk gegen die Untaten und das Verderben der Tyrannei aufzurütteln, ein Märtyrerende an, weil sie auf das Angebot des Staatsanwalts, ihr Leben zu retten und von ihren Ansichten abzurücken, nicht eingeht. Ebenso hält Sokrates vor dem versammelten demokratischen Souverän an seinen Ansichten und seiner Lebensführung selbst um den Preis der Eliminierung fest. Märtyrerelemente gibt es sogar in der attischen Tragödie parallel zur Tragik. Durch den unauflösbaren Konflikt zweier gleichrangiger Normen (und auch Integritäten, derjenigen der Polis, also der genuin politischen, und der rituell-religiösen, die sich auf die Familie konzentriert) handeln in Sophokles’ Antigone beide Kontrahenten tragisch, doch die namensgebende Protagonistin vollzieht ihre tragische Transgression als Märtyrerin für ihre Ansichten, weil sie sich über das herrscherliche Verbot im Wissen um die angedrohten eliminatorischen Konsequenzen ihrer Tat hinwegsetzt. Daß sie die Transgression im Wissen um deren Sanktion vollzog (v. 453-455), 186 nähert sie dem heroischen Typus eines Achill oder Sokrates an und erklärt nicht zuletzt ihr fortwährendes Weiterleben auf der europäischen Bühne. Daneben kannte die heidnische Antike mit dem freiwilligen Opfer moralisch integrer einzelner Menschen für die physische und religiöse Integrität des Kollektivs auch den Typus der Heroik. Dieses Austauschverhältnis findet sich zuerst als soziale Praktik, die in der Schamkultur verwurzelt ist. Als Epimenides Athen aus Anlaß einer Pest von den alten Verbrechen ( ) mit menschlichem Blut reinigte ( ), welche die frevlerische Ermordung des Tyrannisaspiranten Kylon ( ) verursacht hatte, hätten zwei Jünglinge namens Kratinos und Ktesibios (der zweite Name fehlt bei Athenaios) sich freiwillig hingegeben ( ) für die Erde, die sie genährt hatte (Athen. 602cd, D.L. 1.110). Die skizzierte Handlungskonstellation hat an diesem Beispiel synchron Gültigkeit, obwohl es der Aspekt der Reinigung und Befleckung diachron genetisch in die Tradition des Sündenbocks einreiht, 187 der qua Negativum eliminiert wurde. Diese Tradition ist auch noch bei einem Beispiel feststellbar, das Herodot für die Zeit der Perserkriege überliefert (7.134.2 f.): Zwei edle Spartaner, Sperthies, der Sohn des Aneristos, und Bulis, der Sohn des Nikolaos, erklärten sich freiwillig ( ) bereit, ihr Leben dem Großkönig als Genugtuung ( ) für den Mord an seinen Gesandten anzubieten, dem die Literaturkritik ausgehe, die christlich-mittelalterliche Prägung des Märtyrerdramas sowie die Opposition des Märtyrers gegen den Tyrannen. 186 Antigone begründet in diesen Versen ihr Handeln damit, Kreons sterbliche Gebote vermöchten nicht die ungeschriebenen Gebote der Götter zu überholen ( ), attestiert ihnen also die Unfähigkeit zur nomothetischen Überlegenheit, die transgressiv-topologisch formuliert wird. 187 Jean-Pierre Vernant, Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1174. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 70 als die Stadt durch einen Ausrufer öffentlich fragte, ob ein Spartaner bereit sei, für Sparta zu sterben. Der Hintergrund war, daß die Spartaner wegen des Gesandtenfrevels kein günstiges Opfer mehr hatten erlangen können. Freiwilligkeit und heroisches Selbstopfer sind in dieser Episode klarer überliefert als im Athener Beispiel. Noch deutlicher wird der heroische Aspekt allein durch die militärische Färbung in einem römischen Fall, den Varro (ling. 5,148) und Livius überliefern (7,6,1-6): Als auf dem Forum ein Spalt aufklaffte und das Orakel sagte, er werde sich nur nach dem Opfer dessen schließen, was dem römischen Volk am meisten Kraft verleihe, habe sich M. Curtius, um der postilio nachzukommen (so Varro) bzw. die Permanenz des römischen Staates zu gewährleisten, in voller Rüstung auf seinem Pferd in den Spalt gestürzt, der sich darauf geschlossen habe. Dagegen ist es ein Kennzeichen der tragischen Transgression der attischen Tragödie, daß die eigene physische Integrität nicht geopfert wird. In dieser literarischen Kunstform betrifft die Eliminierung, die mit der tragischen Transgression einhergeht - wenn bei ihrem Vollzug überhaupt menschliche Opfer zu beklagen sind (vgl. das wahnhaft-substitutive Wüten in Sophokles’ Aias) - systemisch bloß die eigenen Anverwandten, 188 was bereits in Aristoteles’ Poetik anklingt (Poet. 1453b 19-22). Nur die Eliminierung, die sich nachfolgend aus der Transgression ergibt, kann den Protagonisten der Transgression selbst betreffen. Das bestätigen, wenn auch unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen etwa so prominente Figuren wie Sophokles’ Aias und Antigone im Falle der physischen sowie Oidipus und Medea im Falle der lokalen Eliminierung. Die Eliminierung einer fremden physischen Existenz schließt die Tragik und überhaupt die hier zu untersuchenden Handlungsabläufe der Tragödie für Analysen in Anlehnung an Giorgio Agamben auf, der in Anlehnung an Walter Benjamins Prägung ‚nacktes Leben‘ die Souveränität als die strukturell exzeptionelle Verfügung über das Leben bestimmte (2002: 14, 30 f., 39). Erst in Euripides’ Alkestis, die als Vertreterin eines Satyrspiels geeignet ist, die eherne Kausalität tragischer Notwendigkeit zu unterlaufen, wird das heroisch-altruistische Opfer des eigenen Lebens für ein fremdes, das die eigene moralische Integrität der Protagonistin auch kontrastiv zu anderen Figuren erhöht, in wunderbarer Weise mit beider Restauration belohnt. Marxistisch-kapitalistisch gesprochen wird das Opfer der Integrität in diesem Drama zu einer Investition, weil es resultativ alle beiden 188 Allerdings deutet sich, wie Leslie Kurke, The Cultural Impact of (on) Democracy. Decentering Tragedy. In: Democracy 2500? Questions and Challenges. Ed. by Ian Morris and Kurt Raaflaub. Archaeological Institute of America. Colloquia and conference papers 2. Dubuque 1998, 155-169, h. 160 herausarbeitet, in A. Ag. 60-67 eine leise Kritik am Opfer zahlreicher Griechen für die Wiedergewinnung der individuell-aristokratischen Ehre der Atriden an. Während der Tod anonymer Heroenmassen und Heerscharen in der Ilias unproblematisiert der literarischen Konstruktion epischer Größe diente (vgl. Il. 1.10), würde demnach die Tragödie der jungen attischen Demokratie das Opfer der kollektiven physischen Integrität für die aristokratische soziale Integrität nicht billigen. Indes werden die Atriden in dem fraglichen Passus der Parodos insofern nicht belastet, als Zeus Xenios sie gesandt hat, also eine verletzte religiöse Norm, und das Geschehen darauf in iliadischer Reminiszenz als ’ charakterisiert wird (v. 68). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 71 physischen Integritäten wahrt und einen ideellen Zugewinn moralischer Integrität mit sich bringt. Gänzlich untragisch ist dagegen, um der systematischen Vollständigkeit halber den Integritätstausch abzurunden, der Tragik und Heroik zugrunde liegt, eine andere Form des Austauschs im literatursoziologischen Rahmen, dem die Tragödie ihre performative Existenz als Schauspiel verdankt. Gemeint ist die Konvertierung von materiellen Ressourcen in Sozialprestige, welche die Funktion des Choregen mit sich bringt. 189 In Pierre Bourdieus Terminologie wird hierbei ökonomisches Kapital in soziales verwandelt. Dabei wird das Kunstwerk selbst zur (beliebigen) (Zwischen-)Station eines Austauschprozesses (wenn auch noch nicht zur ökonomischen Ware wie in der Kulturindustrie, deren Betrieb den Wert des Kulturprodukts über das investierte Finanzkapital inszeniert 190 ). Gleichwohl können an seine Stelle im Zirkulationsprozeß auch andere öffentlich-kulturelle Dienstleistungen treten, wie in Rom Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe. Denn obwohl hierbei ein Individuum etwas für das Gemeinwohl opfert, haben Einsatz und Gewinn der beiden Seiten keine existentielle, sondern nur eine finanzielle bzw. ästhetische Dimension. Da die liberalitas in der weiteren Geschichte eine geschätzte und erfolgreich zur Herrschaftsakzeptanz eingesetzte Fürstentugend war, sei dieses Austauschmuster das aristokratische genannt. Es ist durchaus komplexer als der Zirkulationsprozeß der Kulturindustrie, da dort das in das Kunstwerk investierte Kapital erneut in paradigmatischer Tautologie in finanzielles Kapital umgemünzt wird, während es hier in soziales Kapital konvertiert wird. Es ist übrigens ein von Kurke bei ihrer Engführung von Aischylos’ Agamemnon und Pindars elfter pythischer Ode, die beide egalitäre normative Korrektive aristokratischen Verhaltens seien, nicht bemerkter Unterschied, daß, wie Kurke selbst herausarbeitet (1998: 163), die finanzielle Seite der Dichtung den Epinikien inhärent ist, weil schließlich ihr Dichter den Lohn des aristokratischen Auftraggebers für seine eigene ökonomische Existenz braucht. Dieser Nexus des Austauschs schimmert in der Tat an der von Kurke zitierten poetologischen Stelle durch. Der Sprecher des Chorliedes apostrophiert die Muse, es sei ihre Aufgabe, sich für die Auftraggeber, den Sieger und seinen Vater, deren Heiterkeit und Ruhm aufleuchte, zu bemühen, wenn sie übereingekommen sei, ihre silberne Stimme gegen Lohn zu gewähren (v. 41-44). 191 Hier wird die Dichtung anders als im Falle der Tragödie zur Ware, die Muse zur Lohnarbeiterin (lat. meretrix). Die pekuniäre Ummünzung der Dichtung wird 189 Vgl. Kurke 1998: 163-165. Kurke sieht in dieser Rahmenbedingung sogar eine extradramatische Ironie zum Luxus, wie er im Agamemnon etwa in Form des roten Teppichs zur aristokratischen Selbstinszenierung ohne öffentlichen Nutzen ausgestellt werde. 190 Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. New York 1944, Frankfurt a.M. 1969, 131 f.: „Der einheitliche Maßstab des Wertes besteht in der Dosierung der conspicuous production, der zur Schau gestellten Investition. […] Dieser Arbeitsgang [sc. der die Übereinstimmung von Wort, Bild und Musik produziert] ist der Triumph des investierten Kapitals.“ 191 / ’ { } / / / . 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 72 besonders deutlich daran, daß der poetischen Stimme die Eigenschaft des begehrten Münzmetalls zugeschrieben wird. Das qualitative Resultat des Austauschs ist damit essentialistisch im Wesen der Dichtung angelegt, wie auch die Eigenschaften der Gepriesenen nicht als Persuasionszweck der Dichtung genannt, sondern als Faktum beiläufig erwähnt werden. Hier wird das Zweckdenken also in persuasivem Interesse sprachlich verschleiert. Die Konfliktlösung, der bürgerliche modus vivendi und das Versöhnliche, das Kurke bei der epinikischen Dichtung als generischen Gegensatz zur Tragödie ausmacht, die Konflikte formuliere und zuspitze, aber Aporien zurücklasse (1998: 163, v.a.: „Aeschylus poses but never resolves a crisis of values, of economic systems“), operieren also, weil das Siegeslied metapoetisch seinen eigenen sozioökonomischen Produktionsprozeß offenlegt, fern der tragischen Existentialität, bei der die physische Integrität auf dem Spiel steht und welche bereits thematisch dem bloß sportlichen Wettkampf des Epinikions denkbar fernsteht. Auf diese Authentizitätsunterschiede zwischen den beiden Gattungen läßt sich der Preis der Dike im Agamemnon beziehen, die falschmünzerische Kraft des Reichtums nicht mit Lob bedenkt (v. 779 f.: - / ), wie Kurke herausarbeitet (1998: 161 f.): Die Tragödie gibt sich nicht mit vordergründigen pekuniären Lösungen zufrieden, sondern entlarvt kraft ihres Normbegriffs, der auch die Transgression zu einem ihrer zentralen Themen macht, die semiotische wie kapitalzirkuläre Gehaltlosigkeit des Reichtums, in dessen Dienst sich das epinikische Chorlied beflissentlich wie ein Tagelöhner stellt. Auch wenn dieser literaturgeschichtlich anachronistische Brückenschlag die intertextuelle Chronologie von Aischylos’ Agamemnon und Pindars elfter pythischer Ode umkehrt und einen Dialog zwischen Tragödie und Epinikion nur konstruiert, so wird diese Kontrastierung in gewisser Weise durch den reichlichen Gebrauch eben der Metaphorik falschen Edelmetalls in frühneuzeitlichen poetologischen Debatten gerechtfertigt. 192 Die unlösbaren Widersprüche, welche die Tragödie zum Gegenstand hat, werden nach deren Bild also durch die pekuniären totalisierenden Operationen des Epinikions ebensowenig substantiell gelöst wie durch eine klassenlose Gesellschaft auf der anderen Seite der Skala sozialer Organisationsformen, die historisch nur als Projektion und Konstrukt der Moderne existiert und in der Antike auf das Dionysische und die Polis-Fiktion der Alten Komödie beschränkt war. Stellt man in Rechnung, daß in Euripides’ Medea und Aischylos’ Agamemnon, wo Iphigenie geopfert wird, um Helena wiederzuerlangen, 193 der patriar- 192 So Christian Grünnagel („Katzengold und Trompe-l’œil“, in: Klassik und Barock - Pegasus und Chimäre. Französische und spanische Literatur des 17. Jahrhunderts im Dialog. Diss. Heidelberg 2009. Heidelberg 2010, 35-72) in einer Arbeit, deren Analyseapparat ebenfalls, hier für die poetologischen Auseinandersetzungen, an Bourdieus Kapitalienzirkulation anknüpft (2010: 23-26). 193 Kurke 1998: 160 verkürzt hier abermals die Tragik, wenn sie Agamemnon bei Iphigenies Opfer eine „terrible perversion of the ‘exchange of women’” vorwirft, da Agamemnon an der von ihr zitierten Stelle (v. 206-217) beide Handlungsmöglichkeiten als für ihn inakzeptabel und übelbehaftet darstellt und sich bei seiner schwankenden Entscheidung in einem nachgerade klassischen tragischen Zwiespalt befindet, den Kurke theoretisch als inneres Merkmal der Tragödie einstuft (1998: 163: „the irreconcilable conflict of values“). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 73 chalische Austausch von Frauen eine Rolle spielt, dessen Dysfunktion der Auslöser für die Handlung der Ilias ist, so wird klar, daß Tragik und Heroik, so wie die vorliegende Arbeit sie auffaßt, in den großen und vieldiskutierten Themenkreis von Austausch und Reziprozität gehören. 194 Er erhellt zudem ihre Spezifik, da der Einsatz nur bestimmte Güter umfaßt und der Tausch Einschränkungen unterliegt. 1.4.5 Tragik, soziale Integrität und Religion Dieser Abschnitt soll das im vorangehenden entwickelte Tragikverständnis in den Bereichen soziale Integrität und Religion absichern. Heroik und Märtyrertum sind auch bei der sozialen Integrität wertvolle Kontrastfolien, um die Spezifik der Tragik in der attischen Tragödie herauszupräparieren. Deren Extremfall ist das Opfer der physischen Integrität eines Anverwandten zur Wahrung der eigenen sozialen Integrität, mag dies nun wissentlich wie in Aischylos’ Agamemnon und Euripides’ Medea oder unwissentlich wie im OT geschehen, wobei dieser Extremfall im Agamemnon und im OT durch zusätzliche Verpflichtungen bzw. den Versuch, die prognostizierte Transgression zu vermeiden, gemildert wird. Diese Motivkonstellation erscheint dem modernen Menschen wohl eher als rücksichtslose, ehrversessene Verbohrtheit. Dieselbe Einschätzung dürfte auch das bloße Beharren auf der eigenen sozialen Integrität treffen, selbst wenn ihr nicht wie einem Moloch das Leben von Anverwandten geopfert wird. 195 Mit der Ächtung des Duells, die sich freilich über mehrere Jahrhunderte aufklärerisch-zivilisierender Bestrebungen erstreckte, scheint die soziale Integrität im Westen endgültig obsolet und in der Asservatenkammer sozialgeschichtlicher Werte verschwunden, wenigstens jedoch kein Wert mehr zu sein, um dessentwillen das Leben von Menschen aufs Spiel gesetzt oder gar geopfert werden darf. Die tragischen Protagonisten der griechischen Tragödie erscheinen von dieser Warte wie trotzige Kinder, die nicht gelernt haben, nachzugeben. Das entscheidende Problem dieser Sichtweise liegt darin, daß sie blind für ihre eigene mentalitätshistorische Kontingenz ist. Sie übersieht, daß die Forderung nach Selbstverleugnung, nach Demut (ahd. ‚Knechtsinn‘ 196 ) das Ergebnis einer bis heute nachwirkenden zweitausendjährigen Prägung der westlichen Zivilisation durch das Christentum ist. (Hier verhilft Nietzsches Kritik dieser Weltreligion, deren kritische Haltung selbst im Umfeld seiner Dramentheorie anklingt (Näheres s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt), zu einer erhellenden Distanz bei der Betrachtung der attischen Tragödie.) Es gehört nun einmal zum Wesen der tragi- 194 Vgl. etwa Richard Seaford, Reciprocity and Ritual: Homer and Tragedy in the Developing City-State. Oxford 1994. 195 Wie wichtig die soziale Integrität zumindest bei Sophokles ist, wird daran augenfällig, daß in zweien seiner Tragödien, dem Aias und dem Philoktet, in denen kein Verwandter stirbt, die soziale Integrität des Protagonisten das zentrale Moment ist, das sich als Ausgangspunkt für ein angepaßtes Tragikkonzept eignet. 196 Kluge 170 s.v. (zu demütig) „der die Gesinnung eines Gefolgsmanns, Dieners hat“. Ebenso Pfeifer 213 s.v., der als Grundbedeutung des Adjektivs „dienstwillig“ angibt und es von germ. *þewa ‚Sklave, Knecht‘ und ahd. muoti ‚gesinnt‘ ableitet. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 74 schen Eliminierung, daß sie vermieden werden kann, dies jedoch Heilige oder (stoische) Weise erfordert, die Altruisten und / oder Asoziale sind, da die gewöhnlichen gesellschaftlichen Güter für sie nichts zählen. Auch wenn Aristoteles nicht als Ahnherr des hier verfochtenen Tragikkonzeptes des Integritätenkonfliktes vereinnahmt werden kann (s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik), so ist ein Passus aus der Nikomachischen Ethik (1135b 19-29), den Arbogast Schmitt (Poetik 452) zur Klärung seines dramentheoretischen -Begriffs heranzieht (s. den genannten Abschnitt), äußerst hilfreich, um den Stellenwert der sozialen Integrität im damaligen griechischen Denken (Aristoteles steht der Adelsethik axiologisch und chronologisch viel näher als die Stoiker, die ganz mit den lebensweltlichen Gütern brechen) und damit auch ihre konfliktauslösende und transgressive Rolle zu verstehen, die hier für die attische Tragödie herausgearbeitet wurde. Wer ein Unrecht aus Zorn oder anderen Leidenschaften, die notwendiger- oder natürlicherweise den Menschen zustießen, begehe, handele zwar unrecht, sei aber nicht ungerecht oder charakterlich verdorben. Der Ursprung ( ) liege nicht bei demjenigen, der im Zorn handele, sondern bei demjenigen, der ihn in Zorn versetzt habe, und der Zorn reagiere auf ein vermeintliches Unrecht, also eine Verletzung der sozialen Integrität, deren Wahrung als legitim erachtet wird. (Die vollkommene Rückführung affektgeleiteter Transgressionen auf die soziale Umwelt ist gleichwohl etwas anderes als ihre Verortung in der sozialen Interaktion, welche die vorliegende Arbeit als Kriterium der Tragik ansieht.) Diese positive Sichtweise des Affekts steht vor dem Hintergrund der peripatetischen Metriopathie. Die kryptochristliche und kryptostoische Sichtweise 197 ignoriert dagegen, daß der intensionale Umfang und die praktische Relevanz (dazu zählt auch der Tod als Sanktion) der sozialen Integrität soziokulturell und historisch variiert, was im Wesen eines sozialen Wertes liegt (doch selbst die physische Integrität ist in diesen beiden genannten Punkten Schwankungen unterworfen), ihr Vorhandensein selbst jedoch eine nahezu konstante Größe ist. So sind selbst in den postmodernen westlichen Gesellschaften ‚Respekt‘, ‚Anerkennung‘ und nicht zuletzt die (Menschen-)Würde, die in vielen Einzelfällen als argumentative oder juristische Letztinstanz dient, 198 soziale Güter, die idealiter für sämtliche Mitglieder und Gruppen der Gesellschaft reklamiert werden. Das Streben nach Wertschätzung („esteem“) gilt manchen Forschern heute als anthropologische Universalie 199 und mangelnde Anerkennung kann den Menschen sogar in den Selbstmord treiben. 200 197 Vgl. Epiktets Dialog mit den Streithähnen Agamemnon und Achill (1.22.5-8). Mehr noch relativiert er den Ehrverlust und den Kriegsgrund, den Helenas Entführung für Agamemnon darstelle (3.22.36 f.). 198 Doch gibt es durchaus Überlegungen, die Menschenrechte von der Menschenwürde abzukoppeln (Jeremy Waldron, Is Dignity the Foundation of Human Rights? New York University School of Law. Public Law & Legal Theory Research Paper Series Working Paper No. 12-73, January 2013 [http: / / ssrn.com/ abstract=2196074]). 199 Douglas L. Cairns, Honour and Shame: Modern controversies and ancient values. Critical Quarterly 53,1 (2011) 23-41, h. 26. 200 Cairns 2011: 28. Vgl. Heinrich von Kleist an Marie von Kleist, Berlin, 10. November 1811 (Von der Würde des Menschen. Texte zum Nachdenken. Hg. v. Hans-Joachim Simm. Frankfurt a.M. 1999, 60 f.). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 75 Dieser zivilisationsgeschichtliche Brückenschlag über mehr als zwei Jahrtausende zur Ehrenrettung der Tragik in der attischen Tragödie sei mit einem Stück dramatischer Komparatistik beschlossen: Die Protagonisten antiker Tragödien, die im Extremfall die physische Integrität ihrer Anverwandten ihrer eigenen sozialen opfern, handeln integrer als Gutierre in Calderóns Tragödie El médico de su honra, 201 der seine Frau Mencía, da diese durch den nächtlichen Besuch des Infanten (zum Ehebruch kam es nicht) seine Ehre besudelt habe, umbringt, indem er einen Barbier dazu verleitet, sie übermäßig zur Ader zu lassen. Vordergründig handelt er rationaler, ist bei ihm doch der Verwandte, der geopfert wird, die Ursache oder zumindest der Ansatzpunkt der sozialen Integritätsverletzung. Dies ist in der attischen Tragödie nur bei Orests Mutter Klytaimnestra und Oidipus’ Vater Laios, nicht aber bei Agamemnons Tochter Iphigenie und Medeas Kindern der Fall. (Ausschlaggebend ist für diese (Rollen-)Verteilung also, ob es sich bei den Anverwandten um Eltern oder Kinder der Transgressoren handelt.) Der entscheidende Unterschied zwischen Calderón und der attischen Tragödie liegt jedoch darin, daß es in dieser nicht bloß um den Ruf, das eigene Bild in der Gesellschaft, 202 geht, sondern daß die soziale Integrität - wie im Falle Agamemnons und Orests - eine religiöse Implikation hat und in allen Fällen neben der bloßen sozialen Integrität die Entscheidung durch Praktisch- Pragmatisch-Existentielles beeinflußt ist, das in dieser Schwere bei Calderón fehlt: 203 Bei Agamemnon steht praktisch das Auslaufen der Kriegsflotte auf dem Spiel, er selbst pragmatisch unter dem Druck der versammelten Heerführer. 204 Oidipus wird als einsamer Wanderer rüde physisch aus Laios’ Reisegruppe heraus attackiert und erschlägt seinen Vater unwissentlich im Affekt. Medea ist eine schutzlose, heimatlose Fremde, die mit ihrem einheimischen Mann die wichtigste Stütze einbüßt, außer Landes gejagt werden soll und der zeitweise sogar die eigenen Kinder genommen werden sollen. Klytaimnestra hat nicht nur über Jahre hinweg nachweislich Buhlschaft getrieben, sondern überdies ihren heimkehrenden Gatten heimtückisch ermordet. Bei aller hypothetisch denkbaren sozialgeschichtlichen Varianz 205 wiegt Mencías (vermeintliches) Vergehen doch 201 Vgl. dazu ausführlich Joachim Küpper, Diskurs-Renovatio bei Lope de Vega und Calderón. Untersuchungen zum spanischen Barockdrama. Mit einer Skizze zur Evolution der Diskurse in Mittelalter, Renaissance und Manierismus. Habil. München 1987. Tübingen 1990, 383-455 („Der Ehrenkasus als ‘Emblem’ einer geschädigten Welt. Calderóns El médico de su honra als Erwiderung auf die nominalistische Prämisse und als Problematisierung höfischer Zweckrationalität“). 202 Vgl. Küpper 1990: 383 über den Eindruck auf die heutigen Rezipienten: „[d]ie kühl kalkulierte Hinrichtung einer Heldin, deren Verstoß, so scheint es, einzig auf der Ebene der Apparencen eine Realität hat, […]“ 203 Vgl. die Handlungsübersicht bei Christoph Strosetzki, Calderón. Stuttgart, Weimar 2001, 47- 49 und in v. 1871-73 (Gutierre): Médico de mi honra / me llamo, pues procuro mi deshonra / curar; [...] in 2047 f.: Pues médico me llamo de mi honra, / yo cubriré con tierra mi deshonra (Aparte), v. 2063-2098. 204 Dies bleibt bei Epiktets zitierter Relativierung (3.22.36 f.) unberücksichtigt. 205 Küpper 1990: 383 f. weist zu Recht die mimetische Deutung mit dem Argument zurück, das Siglo de Oro sei in der Frage des Ehebruchs tatsächlich eher von Laxismus statt von Rigorismus geprägt gewesen, und verwirft selbst die denunziatorische, das Drama problematisiere den zeitgenössischen Ehrenkodex (1990: 385-389). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 76 weit weniger schwer und hat neben der Ehre keine weiteren Implikationen. 206 Die Handlung wird allerdings dadurch kompliziert und Gutierres Spielraum eingeschränkt und er selbst bis zu einem gewissen Grad entlastet, daß der Infante der (vermeintliche) Liebhaber seiner Frau ist. Dessen Treulosigkeit wiegt um so schwerer, als Gutierre ein treuer Vasall des Königs ist und der Infante nach einem Sturz vom Pferd in Gutierres Haus Aufnahme gefunden und bei dieser Gelegenheit seine Jugendliebe Mencía wiedergesehen hat. Die hierarchischen Zwänge der Feudalgesellschaft ersetzen also die suprasystemischen des Götterapparats in der attischen Tragödie. Trotz aller Ziselierungen in den Modalitäten der Eliminierung bleibt Gutierres einziges Motiv die eheliche Verletzung seiner sozialen Integrität. Wie Theseus in Euripides’ Hippolytos erliegt er dem falschen Eindruck, den ein Brief erweckt (v. 2462-69), doch verflucht dieser voreilig im Affekt einen vermeintlichen Vergewaltiger, während Gutierre nach Indizien für die Untreue seiner geliebten Frau (v. 2472-74) fahndet, die ihre Unschuld beteuert (v. 2485: Una mujer no mates inocente.) und die Möglichkeit nicht ergeift, mit der Anwesenden das Mißverständnis aufzuklären. 207 Theseus findet seine Frau, die ihre falsche Anklage mit ihrem Tod beglaubigt hat. Gutierre bestimmt seiner Frau schriftlich trotz seiner Liebe den Tod rein aus verletzter Ehre. 208 Daß er ihr dabei die Frist von zwei Stunden mitteilt, die sie noch zu leben habe, zeigt seine metatheatralische, untragische Souveränität. Daß er sich mit der Entscheidung über das Leben eines anderen Menschen ein göttliches Vorrecht anmaßt, zeigt sein dramatisch ironischer Hinweis, sie möge als gute Christin sterben. 209 Dieser Vergleich mit dem spanischen Barockdrama konnte also deutlich herausarbeiten, daß reine „Ehrenmorde“ sowohl der attischen Tragödie als auch dem hier vertretenen Tragikkonzept fremd sind. 210 Für 206 Insofern greift hier Epiktets zitierte Relativierung (3.22.36 f.). 207 Vgl. Strosetzki 2001: 49 zur Passage zwischen v. 2495 und 2496: „Widerspruch und Aussprache sind unmöglich.“ Küpper 1990: 386 hebt dagegen die verschiedenen planvollen Schritte hervor, die Gutierres bei seiner Urteilsbildung und vor Vollstreckung der Strafe vollzieht. 208 El amor te adora, el honor te aborrece; y así el uno te mata, y el otro te avisa. Dos horas tienes de vida; cristiana eres, salva el alma, que la vida es imposible. Diese Verse stehen laut Strosetzki 2001: 49 „außerhalb der Zählung, steht zwischen Vers 2495 und 2496“, ebenso bei Ana Armendáriz Aramendía. 209 Pace Küpper 1990: 386, der anachronistisch christliche Deutungen, die vom christlichen Liebesgebot ausgehen, problematisiert. 210 Hierbei geht es nur um die explizierte Handlungsmotivation innerhalb der Stücke - pace Küpper 1990, der entsprechend seinem anspruchsvollen Projekt, anknüpfend an Foucault (1990: 17 f.) den Barock als „Diskurs-Renovatio“ herauszupräparieren, die im Zuge der Gegenreformation neu-alte Formen der Weltdeutung begründet habe (1990: 21 f.), untersucht, inwieweit in Calderóns Stück konkurrierende epochale Prinzipien der Geordnetheit von Weltdeutung und Gesellschaft, von Rationalität, zum Tragen kommen (1990: 389 ff.). Küppers Ansatz ließe sich hervorragend fruchtbar machen, um die Hintergründe von Transgression und Tragik in der attischen Tragödie zu analysieren, die Vernant im Übergang von der archaischen zur klassischen Kultur verortet (s. 1.2.3 Tragödie, Transgression und Gesellschaft), doch wäre dies ein eigenes Forschungsprojekt, das weit über die hier praktizierte Beschreibung und Klassifizierung von Handlungsstrukturen hinausgeht. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 77 das gewiß reizvolle Projekt, es so weiterzuentwickeln, daß es die Tragik im gesamten europäischen Drama beschreiben kann, ist hier nicht der Raum. Schwerwiegender als etwaige (moralische), mentalitätsgeschichtlich bedingte Vorbehalte gegenüber der Lauterkeit und Tragik der Figuren der attischen Tragödie wären inhaltliche Nachfragen und Einwände, die insbesondere die nachfolgend zu klärende Rolle von Göttern und Religion für das vorgestellte Tragikmodell betreffen. Diese Frage hat in der früheren Forschung beachtliche Aufmerksamkeit gefunden, 211 und sie soll hier keinesfalls - unter eleganter Berufung auf Aristoteles’ Poetik (s. das Ende von 2.1.2 und Tragik im entsprechenden Kap.) - komplett ausgeklammert werden, sondern wurde nur zurückgestellt. Dies geschah deshalb, weil die generell abnehmende Evidenz der Wirkung und Autorität der Götter in der attischen Tragödie und im antiken Drama (s. 8.4 Die verschränkte Diachronie von Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst in der Zusammenfassung) sich auch bei der Tragik niederschlägt: Dadurch sind Götter und Religion zwar vielfältig mit dem skizzierten Idealmodell der Tragik verwoben, haben darin jedoch keinen festen systematischen Platz. Dies zeigt sich am plakativsten an der Weglaßprobe in Euripides’ Medea, deren Tragik ganz ohne olympische Götter funktioniert. Am ehesten sind sie die souveränen Garanten der (Welt-)Ordnung und des (Welt-)Geschehens, aus deren Geregeltheit und Struktur die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten entspringen, die der Tragik zugrunde liegen. Dies zeigt sich selbst noch in Euripides’ Bakchen, in denen Dionysos durch massive metatheatralische Intervention seine göttliche Autorität restauriert, und ex negativo in Plautus’ Amphitruo, wo der Göttervater eine eliminatorische Wendung für das Opfer seiner sexuellen Transgression abwendet. In beiden Dramen hebeln die Götter mit Hilfe des Wunderbaren die ehernen Gesetze der Kausalität aus. Die Götter sind in diesem Fall also die Metallreifen, welche den Dampfkessel der tragischen Maschinerie zusammenhalten, nicht aber deren Teil. Dies zeigt sich etwa bei Iphigenies Opferung, die nicht wie bei Isaak einem göttlichen Gebot Folge leistet, sondern nur für die Ausfahrt des Heerzugs erforderlich wird. Der eigentliche Integritätenkonflikt spielt sich damit zwischen dem Leben der Tochter und der Pflicht als Oberkommandierender des griechischen Aufgebots und Bruder ab. Sehr oft garantieren die Götter auch die konfligierenden sozialen Normen (wie in der Atridentrilogie) oder zumindest eine von ihnen oder, nicht so anachronistisch säkular formuliert, göttliche und menschliche Ge- und Verbote bilden eine archaische Einheit und konfligieren nicht kategorial, sondern nur referentiell im Einzelfall. Ein gutes Beispiel hierfür ist Oidipus, der seine (sozialen) Transgressionen als Befleckung wahrnimmt, d.h. Verletzung seiner rituell-religiösen Integrität. Tragische Loyalitäts- und Integritätskonflikte allein zwischen der göttlichen und menschlichen Ebene wie bei Isaaks Opferung, die Jahwe Abraham befiehlt, scheinen dagegen selten zu sein, obwohl das Pantheon neben Oikos und Polis eine weitere potentiell konfliktträchtige Ebene von Legitimität, Autorität, Loyalität und Integrität schafft. Allenfalls in Euripides’ Bak- 211 Z.B. Peter-Rudolf Schulz, Göttliches und menschliches Handeln bei Aischylos. Diss. Kiel 1962. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 78 chen scheint ein weder räumlich noch zeitlich aufzulösender Konflikt zwischen der Integrität von Polis und Oikos, die Pentheus verteidigt, und Dionysos’ Anspruch auf göttliche Ehren zu bestehen, der seine Autorität und die religiöse Integrität der Mysten berührt. Doch ist diese letzte Tragödie in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall, etwa durch die massive metatheatralische Präsenz des Dionysos selbst gegenüber dem Hippolytos, Euripides’ anderer Asebie-Tragödie. Deren Handlungsverlauf, die Eliminierung eines (religiösen) Transgressors, vertritt das Grundschema der Gattung Tragödie in Reinform, ist aber nicht per se tragisch, weil ähnliches in dem Mythos Titanen und Giganten widerfährt. Ebenso ist die gottgesandte Verblendung gewiß eine konjunkturelle Einschränkung des Status als ethisch-rationales Subjekt, tragisch wird sie jedoch nur, wenn sie in die Handlungsstruktur eingebettet ist. Demgegenüber ist Apolls Orakel im OT eine verfeinerte Grundlage für die Dysfunktion des ethisch-rationalen Subjekts im Integritätskonflikt, da Oidipus durch seine Fehlinterpretation seinem eigenen Irrtum erliegt. Abschließend läßt sich festhalten, daß die Götter vielfältig den Rahmen für den tragischen Konflikt schaffen, aber nur selten dessen Bestandteil sind. Sie sind mithin oft eine notwendige, aber selten eine hinreichende Voraussetzung der Tragik. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik Nach der methodisch-komparativen Einordnung der Tragik am Ende von 1.4.3 und ihrer systematisierenden Vernetzung mit anderen Formen des (Integritäts-) Tauschs in 1.4.4 soll der Vergleich mit anderen (Handlungs-)Merkmalen das Verständnis der Tragik und ihrer Funktionsweise vertiefen. Während die Eliminierung, die der Tragik zugrunde liegt, eine konjunkturale Operation der Komplexitätsreduktion ist, kennzeichnet die Tragik selbst ein äußerst hoher Komplexitätsgrad; sie ist zwar ein Charakteristikum der transgressiven Eliminierung, doch führt sie die strukturelle Komplexität der condicio humana vor Augen und reduziert sie eliminatorisch, weil das Sowohl-Als auch der systemischen und faktischen Sozialeinbettung zu einem alternativen Entweder-Oder wird, deren eine Rolle durch die Transgression eliminiert wird. Diese konjunkturale eliminatorische Komplexitätsreduktion der strukturellen condicio humana ist wesenhaft für die Tragik. Diese ist noch komplexer als die Heroik, weil sie auf der Bündelung vieler Merkmale beruht, die sich entweder auf subjektbezogene Aspekte der Tragik, die durch die Aufhebung des Subjekts im Selbstvollzug vertreten werden, oder objektive beziehen, die hier im Integritätenkonflikt verankert werden. Diese beiden Aspekte bleiben insofern objektivierend, als sie die Handlung von außen beschreiben. Im Drama tritt jedoch noch der subjektivperzeptive Aspekt über die (Selbst-)Beobachtung der Akteure hinzu, der sich etwa im Aprosdoketon niederschlägt, das die subjektive Erfahrung der Kontingenz beschreibt (z.B. A. Pers. 265, 1006, E. Med. 225: ). 212 Daß die Tragik ein äußerst komplexes und abstraktes Handlungsmerkmal ist, können zwei grammatisch-linguistische Vergleiche illustrieren, der eine strukturali- 212 Vgl. dazu Grethlein 2010: 83-85. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 79 stisch, der andere traditionell: Überträgt man strukturalistische Kategorien wie Segment, Phonem und Morphem auf die Dramenanalyse, entspricht die Tragik dem letztgenannten und ist damit ein Phänomen dritter Ordnung (Näheres s. 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik). Hilfreich ist auch ganz basal-pedester die Analogie der syntaktischen Funktionen. (Insofern wird hier tatsächlich und wortwörtlich der Anspruch der vorliegenden Untersuchung eingelöst, eine Grammatik der Tragödie zu schreiben.) Die Tragik erfüllt hierbei die Funktion eines Adverbs, weil sie die Art charakterisiert, in der das (ethischrationale) Subjekt eine Handlung (Transgression, Eliminierung) vollzieht. Man muß deshalb bei der folgenden näheren Bestimmung und Abgrenzung der Tragik über weitere Begriffe zwischen konstitutiven Trägern der Tragik und konkurrierenden oder Submerkmalen unterscheiden. Der konstitutive Träger ist das ethisch-rationale Subjekt, dessen rationale Funktion der Intention und dessen ethische Seite der Integrität zugeordnet werden kann (Näheres s.u.), zwei Faktoren, die damit zu noch elementareren Konstituenten der Tragik werden und über die auch die Heroik bestimmt wird. Der Tragik kann jedoch ein ganzer Schwarm von Merkmalen zugeordnet werden, die alle der Heroik fehlen: Zu nennen sind hier neben dem bereits erwähnten Aprosdoketon die Autoreferentialität, selbstgenerierte und erfahrene Kontingenz, Negativität, Kontraproduktivität und Gegenläufigkeit. Daneben tritt ein Reigen von Schwesterbegriffen, die wie die Tragik Figuren sind, die zur Kennzeichnung von Handlungen und genauer von Transgressionen herangezogen werden können, nämlich Paradoxie, Perversion, Subversion, Ironie und Monstrosität. Die Gegenläufigkeit kennzeichnet neben der Tragik auch Paradoxie, Perversion, Subversion und Ironie. Diese Figuren unterlaufen wie Tragik und Monstrosität 213 die binär-lineare Rationalität. Bei der Interpretation einzelner Dramen werden sich die Nähe, aber auch die Unterschiede dieser Prädikate zur Tragik en détail zeigen. Die Monstrosität ist, da sie eine Abweichung vom Normgerechten darstellt, ein zentrales Merkmal der Transgression qua Normüberschreitung. Das Monstrum kann dabei das (reproduktive) Produkt vornehmlich einer sexuellen Transgression (so der Minotaurus) oder eine binnenhermeneutische Identifikation des Transgressors durch seine Umwelt (Medea, Phaedra) 214 sein. Auch die Dekonstruktion hat mit der Tragik die Unausweichlichkeit der Gegenläufigkeit in der Performanz gemeinsam: 215 Die Zerlegung des Gegen- 213 Rolf Parr, Monströse Körper und Schwellenfiguren als Faszinations- und Narrationstypen ästhetischen Differenzgewinns. In: Achim Geisenhanslüke, Georg Mein (Hgg.), Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen. Literalität und Liminalität 12. Bielefeld 2009, 19-42, h. 19 f. 214 Michael Niehaus, Das verantwortliche Monster. In: Achim Geisenhanslüke, Georg Mein (Hgg.), Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen. Literalität und Liminalität 12. Bielefeld 2009, 81-101, h. 81 nennt dieses „unsichtbare Monster […] das monstre moral - das Sittenmonster, das Verhaltensmonster“. 215 Im schließenden Abschnitt von „Le théâtre de la cruauté et la clôture de la représentation“ (2003: 341-368) nimmt Jacques Derrida dagegen das Tragische nicht performativ, sondern theatertechnisch-syntagmatisch als abschließendes Ende der Aufführung wahr (L’écriture et la différence. Paris 1967, Ndr. 2003, 368): „Penser la clôture de la représentation, c’est penser le tragique.“ 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 80 standes kann sich nur als dessen Rekonstruktion vollziehen. Mit dem Dämonischen, das Karl Reinhardt ins Zentrum seiner OT-Interpretation rückt (s. 2.4.5 Transgression und Orakel im Kap. zu dieser Tragödie), hat das Tragische die Negativität, die Desubjektivierung, die Integritätsverletzung und die Kontingenzerfahrung gemein. Anders als im Falle der Dämonie ist die deterministische notio necessitatis, die in der Negation der Willensfreiheit besteht, dagegen kein Merkmal der Tragik, sondern nur die unvermeidliche Wahl zwischen zwei Handlungsoptionen, von denen jede eine Integritätsverletzung birgt. Diese Notwendigkeit läßt sich mit Jean-Paul Sartre auf die Formel bringen: Die existentielle menschliche Freiheit der Wahl umfaßt nicht die Freiheit von der Wahl. 216 Das elementarste Merkmal der Tragik ist die Selbstbezüglichkeit. Sie setzt sich klar von den übrigen Merkmalen ab, die ein konzeptuelles Kontinuum um die Negativität bilden: Diese charakterisiert subjektiv das Scheitern der Intention, das darin besteht, daß das Ergebnis der Handlung kontingent zur Intention ist, die diese leitete (so bei Oidipus im OT und Euripides’ Medea), und objektiv die Integritätsverletzung und Eliminierung. Die Gegenläufigkeit hebt darauf ab, daß die transgressive Handlung das Gegenteil des Erstrebten erreicht, eine Diskrepanz, die paradox ist. Dagegen bezeichnet die Perversion die mit dem moralischen Integritätsverlust verbundene Rollen- und Funktionsverkehrung. Während die Gegenläufigkeit unabhängig von einer Intention auftreten kann und auch Figuren wie Paradoxie und Perversion kennzeichnet, ist die Kontraproduktivität auf Fälle beschränkt, in denen das Gegenteil des Erstrebten erreicht wird, freilich ohne daß dieser Vorgang eine Negation impliziert. Was die Autoreferentialität angeht, so schlägt sich ihre besagte Sonderstellung auch darin nieder, daß sie - im Gegensatz zu den vorgenannten Merkmalen der Tragik - nicht dem Adverb, sondern dem Genus verbi entspricht. Vielleicht ist es kein Zufall, daß die Autoreferentialität bereits eine Diathese des griechischen Verbalsystems ist. Doch liefert dieser grammatische Umstand allenfalls eine mentalitätsgeschichtliche Voraussetzung, aber keinen zwingenden Grund für das Entstehen von Tragik im griechischen Drama, da das Altindische ebenfalls über ein Medium verfügte und dessen Autoreferentialität sogar grammatikalisch terminologisierte ( tmanepada ‚Wort für einen selbst‘, d.h. reflexiv), ohne daß sich freilich in der altindischen Literatur eine Gattung Tragödie, 217 geschweige denn eine dramatische Tragik, entwickelt hätte. Der hermeneutische Rückgriff auf eine Verbalkategorie hat allerdings keinen geringeren Archegeten als Gérard Genette, dessen Narratologie nicht nur auf die hier bemühte Diathese (1972: 225-267: „voix“), sondern auch den Modus (1972: 183-224: „mode“) und drei Zeitaspekte zurückgriff (1972: 77-121: „ordre“, 1972: 122-144: „durée“, 1972: 145-182: „fréquence“), die in die Kategorie ‚Tempus‘ fallen. 218 216 L’être et le néant. Paris 1943, Ndr. 1969, 558 f. 217 Klaus Mylius, Geschichte der altindischen Literatur. Leipzig 1983, 211. 218 Figures III. Paris 1972. Die Kategorie des Tempus ist jüngst für die altertumswissenschaftliche Interpretation fruchtbar gemacht worden von Jonas Grethlein, Christopher Krebs (Hgg.), Time and Narrative in Ancient Historiography. The “Plupast” from Herodotus to Appian. Cambridge 2012. Diese Figur erschließt Jonas Grethlein bereits in The Hermeneutics and Poetics of Memory in Aeschylus’ Persae. Arethusa 40 (2007) 363-396, h. 380 für die Auslegung der attischen 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 81 Ungeachtet der Schwierigkeiten ihrer generisch-komparatischen Parallelisierung liefert die Autoreferentialität einen wichtigen Aspekt, um zusammen mit der Intention das Funktionieren der Tragik auf der Ebene des Subjekts zu präzisieren. Dieser Blickwinkel schärft das vorliegende Tragikverständnis auch durch die Einbeziehung früherer Tragikkonzepte. Da die Tragik ein Phänomen der konjunkturellen Dysfunktion ist, muß man sich für ihr exaktes Verständnis die Funktionsweise derjenigen Größe anschauen, deren Funktionieren strukturell vorausgesetzt wird. Hierbei handelt es sich um das ethisch-rationale Subjekt. Darunter wird hier eine menschliche oder göttliche Person verstanden, die imstande ist, souverän und autonom Ziele zu erkennen und zu verfolgen, deren Notwendigkeit suprasubjektiven Normen oder Erfordernissen des individuellen oder kollektiven Selbsterhalts entspringt. Der Kern seiner Subjekthaftigkeit ist also die richtige Ausrichtung seiner Intention, die hier über einen Typus der Integrität beschrieben wird, und das Erreichen des hiermit abgesteckten Ziels. Die (transgressive) Abweichung von diesem liegt bildlich bereits dem Begriff der zugrunde (s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Sie erweist sich im Falle der drei Beispiele tragischer Transgressionen, die in dieser Arbeit besprochen werden sollen, als kontingent zur integritätswahrenden Intention. So tötet Oidipus am Dreiweg unbekannterweise seinen Vater, obwohl er dies vermeiden wollte, indem er nicht zu seinen (vermeintlichen) Eltern zurückkehrt. Medea tötet ihre Kinder, obwohl sie sich des Verlustes bewußt ist, nimmt dies aber in Kauf, um ihre soziale Integrität gegen Iason wiederherzustellen. Und auch Pentheus, der wegen seines theomachen Integritätenkonfliktes einen Sonderfall darstellt, büßt ungewollt sein Leben bei dem Versuch ein, die kulturelle Integrität seines Königreiches gegen den Taumel der rasenden Bakchen zu verteidigen. Die komplexe Phänomenologie der Intentionenkontingenz in den genannten Fällen läßt bereits erkennen, daß es allein für die heuristische Praxis problematisch ist, die Tragik auf einen Intentionenkonflikt zu reduzieren. Ein einfacheres und praktikableres Kriterium ist der zugrunde liegende Integritätenkonflikt. Er hält das Bewußtsein wach, daß die situative Dysfunktion des ethisch-rationalen Subjekts auch bei der Ausrichtung und Realisierung der Intention kein törichtes Versagen ist. Eine Brücke zwischen Intentionen und Integrität schlägt der Begriff des Interesses, weil er die Integrität auf die individuelle Ebene herunterbricht, ohne sie wie im Falle der Intention den dramaturgischen Zufällen der subjektiven Figurengestaltung auszuliefern. Diese Probleme, die der Intentionenkonflikt in der hermeneutischen Praxis mit sich bringt, lassen sich nachfolgend an einem Fallbeispiel verdeutlichen. Schmitt resümiert nämlich den tragischen Konflikt der griechischen Tragödie als Konflikt verschiedener Intentionen (1997: 43). So konfligiere etwa die Absicht des Kreon der Sophokleischen Antigone, seine unbestechliche Amtsfüh- Tragödie: In den Persern verhalte sich die Vorvergangenheit, welche die Regentschaft des Dareios darstelle, zur Vergangenheit der Tragödienhandlung wie diese zur Zeit der Aufführung. - Daß das Französische mit der Angleichung des participe passé die Kategorie Genus auch beim Tätigkeitswort kennt, legitimiert die Genderperspektive, welche die vorliegende Arbeit in die Interpretation der Handlung des antiken Dramas einbringt, als Fortschreibung von Genettes grammatisch basiertem Ansatz in der Literaturwissenschaft. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 82 rung, d.h. in der Terminologie der vorliegenden Arbeit seine politische Integrität, durch die Bestrafung Antigones unter Beweis zu stellen, mit der Intention, seine Familie zu erhalten, d.h. die physische Integrität seines Sohnes Haimon und seiner Frau Eurydike, die sich nach Antigones Tod in einer Kettenreaktion eliminieren. Die familiäre Seite des in dieser Arbeit angesetzten tragischen Integritätenkonflikts liegt damit unverkennbar vor, die persönliche Integrität erscheint politisch gewandet. Inwieweit Kreon auch seine soziale Integrität gefährdet sieht, da ihm seine politische Autoritiät als neuer Amtsinhaber bedroht scheint (v. 289-303) und die Konfrontation mit einer Frau stattfindet (v. 484 f., 525), kann hier nicht geklärt werden. Unverkennbar personalisiert sich jedoch bei Kreon der für diese Tragödie typische Konflikt von Polis und Oikos. Die Gegenläufigkeit von Kreons Intention wird erst durch die Folgen sichtbar, die durch die Verwirklichung der ersten eintreten. Schmitts Aristotelismus, der hier seine Interpretation der auf den Befund der Tragödien überträgt, bringt es jedoch mit sich, daß er die Aus- und Auflösung dieses Konflikts als intellektuelle Fehlleistung des betreffenden Akteurs deutet (ähnlich diagnostiziert er bei Oidipus Voreiligkeit im Urteil), der auf die eine subjektive Intention „fixiert“ gewesen sei und darüber ihr konfliktuöses Verhältnis zu seinen anderen Intentionen „nicht genug geprüft ha[be], und somit nicht geklärt ha[be], welcher Intention er eigentlich folgen wollte.“ Diese Sichtweise, die aus dem objektiven synchronen Wertekonflikt einen subjektiven, bloß diachron realisierten Intentionenkonflikt macht (bei dem Konzept des Interesses kann dagegen auch synchron ein Konflikt unabhängig von der aktuellen Intention des Betreffenden bestehen), läßt die tragischen Akteure zwangsläufig als intellektuell oder charakterlich defizitär erscheinen, was ihre von Aristoteles geforderte grundsätzliche Integrität (Poet. 1453a 7-9, 15-17) zumindest beeinträchtigt und dem in dieser Arbeit vertretenen Tragikkonzept der situativen Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts widerspricht. Gerade im OT, bei dessen Interpretation Schmitts Position näher besprochen werden soll (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie), steigert sie sich bei Egon Flaig bis zu der Absurdität, Oidipus hätte sich im Wissen um die Unkenntnis, wer sein Vater ist, einfach jedes Totschlags enthalten müssen, um den Eintritt des Weissagung zu vermeiden (1998: 120). 219 Auch Schmitts Argumentation impliziert zumindest, die Eliminierungen seien vorhersehbar und vermeidbar gewesen, auch wenn er dies nicht ausspricht. Dies sowie seine Thesen lassen sich am zitierten Beispiel Kreons überprüfen, den er ebenfalls bemüht. Dieser sei auf die Bestrafung Antigones fixiert gewesen und habe nicht gemerkt, was der Verlust Haimons für ihn bedeuten würde. Tatsächlich droht Haimon seinem Vater andeutungsweise mit seinem Tod (v. 751: ’ ’ ). Der erste Fall kann jedoch auch als Drohung gegen Kreon verstanden werden und wird von diesem als Frechheit abgetan. Haimons Abschiedsworte 219 Die Absurdität solcher kontrafaktischen alltagslogischen Empfehlungen hat bereits Eric Robertson Dodds mit klaren Worten offengelegt (On Misunderstanding the Oedipus Rex. In: Ds., The Ancient Concept of Progress and other Essays on Greek Literature and Belief. Oxford 1973, 64-77, h. 68). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 83 deuten den Selbstmord ebenfalls an (v. 762-765), doch hat Kreon Anlaß, sie als emotionale Reaktion eines jungen Menschen einzustufen. Ersteres legt zumindest der Kommentar des Chores zum Abgang nahe (v. 766 f.: - ). Den Tod des Sohnes bringt er nur als Strafe durch Kreon ins Gespräch, die dieser auf Antigone eingrenzt (v. 770 f.). Rein sachlich hat Schmitt also nicht Unrecht, daß das Drama die situative Möglichkeit aufscheinen läßt, daß Kreon seine gefährliche Meinung ändert. Doch bestand für Kreon bloß eine hypothetische Möglichkeit, den Tod seines Sohnes vorherzusehen und abzuwenden, als wahrscheinlich ( ) wird dies im Drama nicht dargestellt. In der folgenden Szene warnt dann Teiresias Kreon ausdrücklich, er werde bald einen Blutsverwandten als Toten haben (v. 1064-67). Der Chor rät Kreon daraufhin nachdrücklich, Polyneikes zu bestatten und Antigone zu befreien (v. 1100 f.) - und selbst die Vorgänge zu begleiten. Schweren Herzens folgt Kreon diesem Rat ohne Einschränkung (v. 1108-1114). Dieser Sinneswandel befreit Kreon nicht nur vom Makel beratungsresistenter Intransigenz, sondern sichert auch seine moralische wie kognitive Integrität. Daß das Drama seinen Sinneswandel derart inszeniert und an die soziale Interaktion, ja Intervention knüpft, zeigt überdeutlich, daß Kreon Haimons Tod schwerlich als realistische Option vorhersehen konnte, weil andere ihm diese Möglichkeit verdeutlichen müssen. Eurydikes Selbstmord liegt gänzlich jenseits seines Horizontes. Kreons Tragik kann aber schwerlich auf einer Option beruhen, die als Verstoß gegen das einzustufen wäre. Nach der vorangehenden Analyse des Tathergangs darf man eher von einer handlungsstrukturellen Beeinträchtigung seiner kognitiven Funktion ausgehen. Inwieweit diese bei der vorangehenden Entscheidung, Antigone hinzurichten, vorliegt, könnte nur eine genaue Lektüre des entsprechenden Teils dieser Tragödie klären. Demgegenüber scheint es praktikabler, die Tragik entsprechend der Unterscheidung der Sprechakttheorie zwischen der Redeabsicht (Illokution) und deren Folgen (Perlokution), die durchaus von der Redeabsicht abweichen können, als eine Integritätsverletzung zu bestimmen, die trotz des Strebens nach Integritätswahrung eintritt, weil zwei Integritäten nicht gleichtzeitig gewahrt werden können. Die tragische Integritätsverletzung ist also bei dieser objektivierenden Sichtweise, die Resultate konstatiert und eidetisch-handlungstheoretisch mit den Intentionen vergleicht, die den Handlungen zugrunde lagen, welche diese Folgen gezeitigt haben, genauso kontingent zur Intention wie die Perlokution zur Illokution. Der Begriff der Kontingenz umgeht dabei die diachronen Identitätsprobleme, die bei Schmitts Intentionenanalysen zutage getreten sind, und außerdem die ontologischen, die im folgenden untersucht werden sollen. Szondi hat nämlich anhand des OT, wenn auch nicht in derart terminologisierter Form, die Tragik inhaltlich vergleichbar über eine Gegenläufigkeit der Absicht bestimmt (1961: 65): „[N]icht im Untergang vollzieht sich die Tragik, sondern darin, daß der Mensch auf dem Weg untergeht, den er eingeschlagen hat, um dem Untergang zu entgehen.“ Die hodologische Metapher läßt erkennen, wie sehr diese Definition auf den OT zugeschnitten ist und eine Identität der Integrität bei Ziel und gegenläufiger Wirkung voraussetzt. Bei unserer Definition ist dagegen nicht als Bedingung postuliert, daß es sich um dieselbe Form 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 84 von Integrität bei derselben Person handelt. Dadurch wird auch Kreons oben geschilderte Tragik erfaßt: Sein legitimes Bemühen, die Polis zu erhalten, zerstört seinen eigenen Oikos. Unter die weitergefaßte Definition fällt aber auch ein Fall wie Medeas Mord an ihren Kindern, mit dem sie ihre sozialpragmatische Integrität als Subjekt gegen die Versuche von Iason und Kreon, sie zum Objekt zu degradieren, wahrt und zugleich mit der physischen Integrität der Kinder ihre genealogische und soziomoralische zerstört. Angesichts des prominenten Entscheidungsmonologs, der Medeas Schwanken zwischen diesen Zielen auf die Bühne bringt, könnte Schmitts Kriterium allenfalls eine momentane oder phasenweise Ausblendung der kollateralen (Selbst-)Schädigung infolge ihrer Racheintention ansetzen. Domenach gibt denn auch die passendste Definition der Tragik, die mit der Intention und deren Gegenläufigkeit operiert (1967: 25): „[I]l est tragique que je fasse le mal précisément en voulant faire le bien, il est tragique que je doive écraser la liberté d’un autre pour conquérir la mienne… La politique est pleine de ces contradictions monstreuses […].“ Mag der zweite Fall von Tragik, den Domenach entwickelt, auch seinem historisch-politischen Interesse geschuldet sein, so illustriert er dennoch treffend den weitergefaßten Begriff der Tragik, der wie im Falle Medeas über eine nichtidentitäre Integrität bei Intention und Ergebnis bestimmt ist. Domenachs erste Definition wird in dieser Arbeit mit den verschiedenen Facetten der Integrität präzisiert („bien“, „mal“) und zeigt auch, daß das erstrebte Ziel in den Augen des (Binnen-)Publikums integer und akzeptabel sein muß (m.a.W. daß systemisch im Gegensatz zum absurden Theater substantielle, sinnstiftende Werte vorausgesetzt werden), ein subjektiver Aspekt, der bewußt gewählt wurde, um die Abstraktion und Divergenz philosophischer Begriffe des Guten und Schlechten zu umgehen. Hierbei können sowohl beim Binnenwie beim Bühnenpublikum interepochale und interkulturelle Abweichungen auftreten, die zumindest in der Rezeption die Tragik zerstören können. Sie kann deshalb nur über die Binnenhermeneutik der Akteure und des Chores dramenimmanent gewährleistet werden. Szondis Definition der Tragik bringt allerdings einen Erkenntnisgewinn über das Verhältnis von Tragik und Paradoxie. Die Paradoxie der Tragik ist dann am größten, wenn die geschädigte Integrität dieselbe wie diejenige ist, auf deren Bewahrung die Handlung abzielt. Treten dagegen wie im Falle Medeas die Integritäten auseinander und wird die Handlung willentlich und wissentlich vollzogen, so entsteht Raum für die Perversion, die systemisch selbstredend als integritätswidriges Charakterbzw. Verhaltensmerkmal konträr zur Tragik ist. Die Perversion besteht bei Medea zum einen in der sadistischen Freude über den Vollzug ihrer Rache (sie betrifft also nur bedingt das Verhältnis von Intention und Folge, bei dem hier eine Kontinuität der Haltung besteht, während sonst ein Entsetzen über eine mögliche überraschende Diskrepanz eintritt). Zum anderen liegt sie im Falle der Kinder in der binnenhermeneutisch deutlich markierten Diskrepanz zwischen ihrer früheren integritätsschaffenden und lebensspendenden und ihrer jetzigen lebenszerstörenden Tätigkeit, die der Funktion einer Mutter in der Darstellung des Stückes widerspricht (s. 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression in der Medea-Interpretation). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 85 Bislang haben wir nur in statischen Momentaufnahmen die Diskrepanz zwischen Intention und Handlungsausgang betrachtet. Beide sind aber im Falle der Tragik durch die Tätigkeit des tragischen Akteurs verbunden, weswegen es wohl kein Zufall ist, daß die Tragik erstmals im Drama manifest wurde, dessen griechischer Name ‚Handlung‘ bedeutet. Der Selbstbezug der Tragik hat damit zwei nur analytisch, aber nicht praktisch zu trennende Seiten: Den Selbstvollzug und die Selbstschädigung, die bei der Integritätsverletzung der Mitmenschen allein über die Verletzung der eigenen moralischen Integrität eintritt, wobei durch den Verwandtenmord der griechischen Tragödie eine Beeinträchtigung der eigenen, weitergefaßten familiären Integrität hinzukommt. Der tragische Akteur ist damit zugleich aktionales Subjekt und Objekt der Handlung, was an sich nicht tragisch ist, da es auch bei der Seelenselbstbildung der antiken Philosophie der Fall ist. 220 Doch gewinnt er seine Tragik nur über die so bewirkte Integritätsverletzung, während die antike Psychagogie auf die seelische Integrität abzielte. Und anders als diese, welche den Menschen zum Subjekt machen will, das gegenüber der Kontingenz souverän ist und seine menschliche Existenz zur Vollendung bringt, geht die Tragik auch bei ihrem Selbstvollzug mit einer performativen Desubjektivierung einher, die in der Kontingenz und systemischen Existenz wurzelt. Zudem geht es bei der antiken Psychagogie nicht nur um Autoreferentialität, sondern diese bildet die Grundlage für Autoreflexivität, die bei der mimetischen Großgattung nur als Teil der dramatischen Metapoetik (‚Metatheater‘) anzutreffen ist. Der Selbstvollzug ist auch charakteristisch für das Verhältnis der Tragik zur (inneren) Kontingenz, die zusätzlich durch die eingeschränkten Wahlmöglichkeiten als äußere Kontingenz die tragische Situation der Integritätswahl prägt: Bei der tragischen Wahl wird der Mensch sich selbst zum Schicksal, das er performiert. Dieser Zusammenhang liegt den verkürzenden Bestimmungen der Tragik über das Schicksal und höhere Mächte zugrunde. Diese können Teil der äußeren situativen Kontingenz sein, die existentiell durch die Soziabilität des Menschen gegeben ist. Auch ein so viel bemühtes Phänomen wie die tragische Ironie (Allgemeines zur dramatischen Ironie s. 2.4 Die Zeichennutzer: Dramatische Kommunikationsstruktur, Pragmatik, Ambivalenz, Ironie und Naivität) beruht auf der Diskrepanz zwischen dem intentional-subjektiven, nicht nur sprachlichen Handeln und seiner situativen Einbettung. 221 Insofern ist es analytisch von der tragischen 220 Vgl. Ilsetraut Hadot, Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung. Diss. Berlin 1965. Berlin 1969, 162-164 („Die Funktion der Selbsterkenntnis und des Willens“). Grundlegend ist Pierre Hadot, Exercices spirituels et philosophie antique. Préface d’Arnold I. Davidson. Bibliothèque de L’évolution de l’humanité 41. Paris 2002, z.B. 30-33. Für die Selbsterkenntnis bei Epiktet s. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 143. Für die Selbstbezüglichkeit des seelischen Zentrums bei Epiktet und Mark Aurel s. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 452-454. Für Epiktet in formaler Hinsicht vgl. Barbara Wehner, Die Dialogstruktur in Epiktets Diatriben. Diss. Freiburg i.Br. 1998/ 99. Philosophie der Antike 13. Stuttgart 2000, 79-105 („Das Selbstgespräch“). Weiterführend für den inneren Dialog vgl. Christopher Gill, Personality in Greek Epic, Tragedy, and Philosophy. The Self in Dialogue. Oxford 1996, 15. 221 Nach verschiedenen tastenden Versuchen der Romantiker, die zumeist ihrem eigenen Ironiekonzept sowie der Rolle von Autor und Welt verhaftet blieben, formulierte Connop Thirlwall 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 86 Paradoxie zu scheiden, die auf der Gegenläufigkeit von Intention und erzieltem Ergebnis basiert. Etymologie und gattungsbedingtes Vorkommen beschränken die tragische Ironie allerdings weitgehend auf den sprachlichen Bereich. Hierbei bietet sich besonders ein analytisches Drama wie die erforschende Handlung des OT an, bei welchem der tragische Protagonist die Tragweite seiner Worte und seines Handelns aufgrund der ihm (noch) nicht ganz bekannten (eigenen) Situation (noch) nicht ermessen kann, während die paradoxe Seite der Tragik stärker in der erforschten Handlung zum Tragen kommt. Bei der tragischen Ironie ist also die kognitive Seite des ethisch-rationalen Subjekts eingeschränkt. Als Arbeitsdefinition für die Einzelinterpretationen der antiken Dramen sei abschließend festgehalten: Tragisch kann nur eine Transgression sein, und zwar eine eliminatorische oder zumindest eine, welche die physische Integrität massiv beeinträchtigt. Diese notwendige Grundvoraussetzung der Tragik ist bereits ein Wesensmerkmal der Gattung Tragödie. Eine hinreichende Bedingung liegt darin, daß beim Vollzug der Transgression der Status des Transgressors als ethisch-rationales Subjekt durch die Handlungsstruktur eingeschränkt ist. Eine besondere Form der Tragik und handlungsstrukturellen Dysfunktion des Subjekts ist der Integritätenkonflikt. Bei ihm zerstört das Streben nach Wahrung einer Integrität, die in seiner Intention oder Konstitution begründet ist, eine andere Integrität. Die zu wahrende Integrität ist in den hier betrachteten und als tragisch eingestuften Dramen der attischen Tragödie die soziale, während die eigene moralische Integrität durch die Transgression Schaden nimmt und stets die physische Integrität eines anderen zerstört wird. Faktisch hebt die Integrität sich also bei der Tragik in ihrem Vollzug auf. Das gilt auch für das Subjekt, das diese Aufhebung der Integrität vollzieht, über die seine Identität definiert ist, aber auch - zumindest diachron - im Falle der unspezifischen handlungsstrukturellen Desubjektivierung, da dieser Prozeß - wie auch die Entscheidung im Integritätenkonflikt generell - die Willensfreiheit zumindest an einem Punkt voraussetzt. Wie stark der Aspekt der Selbstaufhebung, welcher der Tragik immanent ist, in der Binnenhermeneutik und Darstellung der einzelnen Tragödien zum (On the Irony of Sophocles. The Philological Museum 2 (1833) 483-536) dieses Konzept (Ernst Behler, Klassische Ironie, romantische Ironie, tragische Ironie. Zum Ursprung dieser Begriffe. Darmstadt 1972, 134-154). Doch ganz so einfach, wie Behler die Sache darstellt, ist sie nicht. Thirlwall prägte die entsprechende Junktur, verband sie jedoch mit einem etwas anderen, fatalistischen Konzept (1833: 493): „[…] the contrast betwenn man with his hopes, fears, wishes, and undertakings, and a dark, inflexible fate, affords abundant room for the exhibition of tragic irony […].“ Er fährt jedoch fort, dies sei nicht erhabenste („loftiest“) Form der Ironie und Sophokles habe auf Höheres gezielt. Für den OT arbeitet er etwa als Ironie den Kontrast zwischen Oidipus’ Größe und vermeintlicher Weisheit und seinem tatsächlichen Elend und Blindheit heraus (1833: 498). Thirlwall konnte bei seinen Überlegungen auf die Analysen Friedrich Gottlieb Welckers zurückgreifen (1833: 515-520, 536 f.), der zwar nicht von tragischer Ironie gesprochen, jedoch gesehen hatte, daß Aias seinen Selbstmord nur in „versteckte[r] Sprache“ ankündigte (Über den Ajas des Sophokles. RhM 3 (1829) 43-92; 229-264 [hier zitiert nach Kleine Schriften. Bd. 2. Bonn, 1845, 264-355, h. 307]). Welcker und Thirlwall haben also beide das moderne Konzept der tragischen Ironie formuliert, ohne diese als solche zu benennen. Dies geht letztlich auch aus Menke 2005: 63-66 („Exkurs: Das Konzept tragischer Ironie“) hervor, der Thirlwall kritisch weiterdenkt und noch andere Theoretiker berücksichtigt. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 87 Tragen kommt, wird deren Interpretation im zweiten Teil dieser Arbeit zeigen. Dabei bleibt auch zu untersuchen, ob es eine unspezifische handlungsstrukturelle Dysfunktion gibt oder ob sie nur im Verbund mit dem Integritätenkonflikt in Erscheinung tritt. Weiterhin soll der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Kombination die Submerkmale der Tragik (Autoreferentialität, selbstgenerierte und erfahrene Kontingenz, Negativität, Aprosdoketon, Kontraproduktivität und Gegenläufigkeit) und mit die ihr verwandten Phänomene (Paradoxie, Perversion, Subversion, Ironie und Monstrosität) auftreten. 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi Der im Vorhergehenden herausgearbeitete Nexus von Tragik und Paradoxie über Konflikte läßt sich bis zu Blaise Pascal zurückverfolgen, in dessen Denken bereits vor Hegel die Gegensätze eine eminente Rolle spielten. Als erster und in einer klassisch und wegweisend für die weitere Forschung gewordenen Form hat Hugo Friedrich Pascals Denken in Gegensätzen mit der Analysekategorie des Paradoxes beschrieben. Dieses definiert er als „die Formel, mit welcher die Vereinigung zweier Unvereinbarkeiten an einem einzigen Subjekt oder Objekt als in der Gleichzeitigkeit verwirklicht gedacht oder ausgedrückt wird,“ 222 mithin als einen objektiven Verstoß gegen den Satz vom Widerspruch. 223 Anders als bei Hegels Dialektik werden die Gegensätze also nicht aufgehoben. Diese Erkenntnis ist Lucien Goldmann zu verdanken, der Friedrichs Deutemuster ‚Paradox‘ beibehält und dessen systematisch-strukturierendes Moment mit dialektischen Konzepten formuliert. 224 Die Dynamik von Pascals paradoxem Denken grenzt er hierbei von derjenigen der klassischen Dialektik Hegelscher Prägung ab: Die Gegensätze einer Welt ohne Gott, die unvermittelt als Paradox zutage treten, mündeten bei Pascal in eine „synthèse“. 225 Sie werde anders als bei Hegel nicht 222 Pascals Paradox. Das Sprachbild einer Denkform. Zeitschrift für romanische Philologie 56 (1936) 322-370, h. 334 (vgl. S. 342). 223 Vgl. Irène Elisabeth Kummers Definition (Blaise Pascal. Das Heil im Widerspruch. Studien zu den Pensées im Aspekt philosophisch-theologischer Anschauungen, sprachlicher Gestaltung und Reflexion. Berlin 1978, 42). So definiert auch Vlad Alexandrescu (Le paradoxe chez Blaise Pascal. Préface de Oswald Ducrot. Bern 1997, 16-19) das von ihm „sceptique“ genannte Paradox (1997: 12). 224 Le Dieu caché. Étude sur la vision tragique dans les Pensées de Pascal et dans le théâtre de Racine. Paris 1962 (spätere Nachdrucke), 216-220. 225 Zu Recht weist Karlheinz Stierle (Gespräch und Diskurs. Ein Versuch im Blick auf Montaigne, Descartes und Pascal: In: Ds., Rainer Warning (Hgg.), Das Gespräch. München 1984, 297- 334, h. 329) darauf hin, daß Pascal keine „vermittelnde oder synthetisierende Position“ zwischen den Gegensätzen suche, die er als Ausdruck der condition humaine auffasse. - Der vordergründig widersprüchliche Sprachgebrauch der Interpreten zur Pascalschen „Synthese“ läßt sich am besten durch die Unterscheidung in formal und inhaltlich in Einklang bringen: Der Widerspruch zwischen These und Antithese wird bei Pascal nicht durch eine Entscheidung zwischen den beiden sich ausschließenden Optionen oder durch die Eliminierung einer der beiden aufgelöst, sondern durch ein Drittes. Insofern kann man im formalen Sinne wie Goldmann von einer Synthese sprechen. Inhaltlich ist dieses Dritte von These und Antithese grundverschieden. Dies unterscheidet Pascal von Hegel, der diesen dritten Schritt der Dialektik nicht „Synthese“, sondern „Vermittlung“ und „Aufhebung“ nannte (Hansgeorg Hoppe, Art. Synthesis; synthetisch. HWP 10 (1998) 818-823, h. 821). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 88 erneut zur These einer unendlich fortschreitenden Dialektik (vgl. S. 238 und S. 240), sondern bleibe statisch, paradox und tragisch (1962: 218 f.). 226 Unter Tragik wird also auch hier der vermittlungslose Zusammenstoß von Gegensätzen verstanden, der mit unaufhebbaren Widersprüchen einhergeht. Indes bietet bereits der älteste der drei großen attischen Tragiker ein Beispiel dafür, daß die Normen- und Rollenkonflikte und die Eliminationen, in denen sie manifest werden, sich nicht in einer Reihe wie ein Geschlechterfluch fortsetzen 227 (eine Dynamik, die übrigens eher der Hegelschen Infinitesimaldialektik als der Pascalschen statisch-singulären Paradoxie entspricht), sondern aufgehoben werden. 228 Es sind dies Aischylos’ Eumeniden, in denen der Muttermörder Orest vor dem Athener Areopag freigesprochen wird (566-799). Die Aufhebung stellt zugleich eine Vermittlung dar. Sie mag attischem Lokalpatriotismus huldigen, 229 ist jedoch nicht nur dramaturgisch durch das wegweisende Mittel der dea ex machina bemerkenswert, welche die Lösung bringt, sondern durch den zivilisatorischen Paradigmenwechsel von der individuellen Rache zum kollektiven Recht. 230 Die Transgression Athenas, welche die Erinyen überzeugt, begründet mimetisch die Transzendenz der Blutrache und besiegelt die Innovation der juridisch-verbalen Entscheidungsfindung. Anders als die komische Vermeidung der Eliminierung durch Doppelung bedeutet die Vermeidung der Eliminierung in der Tragödie also eine paradigmatische Innovation, die man als weitere Form der Transgression einstufen kann, ebenfalls im Bereich der Nomothesie, dort allerdings nicht als eine normative, sondern eine transformative. Freilich tut man gut daran, trotz dieses empirischen Vorkommens einer „klassischen“ Dialektik im zugrunde gelegten Dramenkorpus, bei der die Span- 226 Diese Ausführungen entsprechen wörtlich mit gewissen Anpassungen Verf., Blaise Pascal und die antike Stoa: Paradox, Dialektik und Modernität. In: Barbara Neymeyr, Jochen Schmidt und Bernhard Zimmermann (Hgg.), Stoizismus in der europäischen Philosophie, Literatur, Kunst und Politik. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Moderne. 2 Bde. Berlin 2008, Bd. 2, 1017-1046, h. 1019-1022. 227 Zu diesem und dem Geschlechterfluch überhaupt s. jetzt Renaud Gagné, Ancestral Fault in Ancient Greece. Cambridge 2013, 394-445. 228 Für Berührungspunkte zwischen strukturaler und dialektischer Analyse s. Michael Oppitz, Notwendige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthropologie. Frankfurt a.M. 2 1993, 65-71. 229 Latacz 2003: 130 (vgl. v. 976-987). 230 Ablehnend zu dieser Deutung Bohrer 2009: 309-313. Für ihn ist sie von außen aus der historischen Situation an die Tragödie herangetragen und nicht in deren Struktur angelegt. Christian Meiers von Bohrer gleichfalls abgelehnte Ansicht, „der Vollzug der Handlung [müsse] die Wiederherstellung der Ordnung bringen“ (Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München 1988, 149), steht näher an der vorliegenden Arbeit als an Hegel, weil er anders als Hegel nur eine Wiederherstellung der Zivilisation über die Wiederausgrenzung des Animalischen annimmt, also ein Rückgängigmachen der Transgression statt eines zivilisatorischen Paradigmenwechsels. Meiers weitere Deutung „Der Übertreter muß sterben, sein Tod ist das Opfer, durch das die Dinge wieder ins Lot kommen“ wird durch die vorliegende Arbeit und Fishers Studie (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention) in dieser Form nicht bestätigt, da von den hier untersuchten Tragödien ein automatischer Nexus zwischen Transgression und physischer Fremdeliminierung des Transgressors (salopp könnte man ihn den ‚Sheriff-Automatismus‘ nennen), die gleichzeitig als restaurierende Sanktion fungiert und etwaige rezeptionsästhetische Gelüste nach poetischer Gerechtigkeit befriedigt, nur in Euripides’ Bakchen besteht, die als Asebie- und letzte Tragödie eine besondere Stellung innehaben. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 89 nung der Gegensätze in einer paradigmatischen Innovation aufgehoben wird, theoretisch an dem Unterschied zwischen Tragik und Dialektik festzuhalten, da im Falle der Tragik der Widerspruch eine eliminatorische Dynamik entfaltet (wäre er gänzlich statisch, so eignete er sich nicht als Motor einer Dramenhandlung). Diese Dynamik legt auch Peter Szondis Bestimmung des Tragischen als eine Sonderform des Dialektischen zugrunde, die nicht nur wegen der Bedeutung, die diesem Literaturwissenschaftler 231 und seinem Beitrag zur Tragik 232 beigemessen wird, sondern auch ihrer Relevanz für unsere Frage und ihre tiefe Verankerung in den (post)idealistischen deutschen Tragikkonzeptionen, als deren Quintessenz sie trotz aller Bescheidenheit auftritt, hier ausführlich als Grundlage der näheren Diskussion zitiert werden soll (1964: 60): [D]as Tragische ist ein Modus, eine bestimmte Weise drohender und vollzogener Vernichtung, und zwar die dialektische. Nur der [Kurs. im Orig.] Untergang ist tragisch, der aus einer Einheit der Gegensätze, aus dem Umschlag des Einen in sein Gegenteil, aus der Selbstentzweiung erfolgt. Aber tragisch ist auch nur der Untergang von etwas, das nicht untergehen darf, nach dessen Entfernung die Wunde sich nicht schließt. Szondis letztgenannte Bestimmung der Tragik über Werthaftigkeit des Eliminierten ist unproblematisch. Ähnliches wurde bereits oben im vorausgehenden Abschnitt dieses Kapitels anhand von Berke entwickelt. Anders verhält es sich mit der Sichtweise, die Auflösung der Gegensätze, die den tragischen Konflikt begründen, sei deshalb eine dialektische, weil sie sich auf dem Wege des Umschlags in das Gegenteil vollziehe. In der Tat ist der Terminus ‚Umschlag‘ in modernen Theorien der Dialektik seit Hegel nicht ungeläufig, um die Art der Auflösung der Gegensätze zu beschreiben, die im dritten Schritt der Dialektik erfolgt: „G. W. F. H EGEL bestimmt das Verhältnis von Inhalt und Form als gegenseitiges «Umschlagen derselben ineinander», und dies ist eine ihrer «wichtigsten Bestimmungen».“ 233 Inhalt und Form gehören zwar in den Bereich der Hermeneutik, sind jedoch keine kontradiktorischen Gegensätze wie Rettung und Vernichtung, die Szondi bemüht und bei denen in der Tragödie das Umschlagen einseitig und endgültig ist. Diese beiden Unterschiede zwischen dem dialektischen Umschlagen bei Szondi und Hegel könnten noch dafür herhalten, eine spezifisch tragische Dialektik zu begründen. Allerdings weckt gerade die Anwendung des dialektischen Umschlags auf das Verhältnis von Form und Inhalt den Eindruck, daß es sich bei dieser Bestimmung der Ableitung der Gegensätze eher um eine Verlegenheitslösung handelt, welche die eigentliche Problematik und Sachlage mit einem terminologischen Etikett kaschiert, ohne sie überzeu- 231 Bernd Seidensticker, Peripeteia and Tragic Dialectic in Euripidean Tragedy. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 377-396, h. 377. 232 Bernd Seidensticker, Peripetie und tragische Dialektik. Aristoteles, Szondi und die griechische Tragödie. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Antike Dramentheorien und ihre Rezeption. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 1. Stuttgart 1992, 240-263, h. 240. 233 S. dazu sowie die folgenden Aussagen Reinhold Hülsewiesche, Art. Umschlag. HWP 11 (2001) 91-94, h. 92 f. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 90 gend zu lösen bzw. auf den Punkt zu bringen. Seine eigentliche Blüte erfährt der dialektische Umschlag denn auch in der tout compte fait doch eher als spekulativ und messianisch einzustufenden Marxschen und nachfolgenden marxistischen Geschichtsphilosophie, was das Konzept eines dialektischen Umschlags nicht per se diskreditiert, wohl aber seine Anwendung auf den Verlauf eines fiktionalen Sprachkunstwerks erschwert, selbst wenn dem Drama und der Geschichte gleichermaßen Handlungen zugrunde liegen. Für die Dialektik Hegelscher Prägung, auf die Szondi mit „Selbstentzweiung“ unverkennbar anspielt, ist neben der Entzweiung auch deren Aufhebung zentral. 234 Dieser Begriff ist denn auch geeignet, die Spezifik der dialektischen Auflösung der Gegensätze und deren Unterschied zur tragischen zu verdeutlichen. Hegel beruft sich ausdrücklich auf die Äquivozität von ‚negieren‘ und ‚bewahren‘, die das Verb ‚aufheben‘ im Deutschen habe (eine andere hat übrigens sein Äquivalent tollere auch im Lateinischen, wo es für ‚negieren‘ und, ganz im Hegelschen Sinne, ‚auf eine höhere Stufe heben‘ steht), und bestimmt darüber die Reaktion der Gegensatzpaare in der Dialektik: Die Gegensätze werden dabei negiert, die Wahrheit in den konträren Einzelbegriffen jedoch erhalten. 235 Dieser konservativ-transformative Aspekt der dialektischen Funktionsweise ist also etwas ganz anderes als die durchweg negativ-eliminatorische Lösung der Gegensätze in der Tragik. Tragik und Dialektik haben deshalb nur eine kontradiktorisch-triadische Matrix gemeinsam (insofern hat Szondi mit seiner Annäherung der beiden Begriffe nicht unrecht). Die unterschiedliche Funktionsweise innerhalb dieser Matrix ist der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Vermittlungsmodi der Widersprüche, der allenfalls bei Adornos negativer Dialektik porös wird. 236 (Sie formulierte allerdings auch den zunehmenden Pessimismus über den Gang der Weltgeschichte, dem der marxistische geschichtsphilosophische Optimismus gewichen war.) Szondis dialektisches Tragikverständnis ist nicht nur fruchtbar, um das Verhältnis von Dialektik und Tragik zu klären, es liefert auch mit Umschlag und Peripetie eine diskussionswürdige Möglichkeit, die Funktionsweise des Integritätenkonflikts genauer zu fassen, über den hier Tragik, Heroik und Märtyrertum bestimmt werden. In den beiden letztgenannten Fällen wird die eigene physische Integrität zur Wahrung anderer Integritäten geopfert, im Falle der Heroik der physischen anderer und im Falle des Märtyrertums der Integrität der eigenen Überzeugungen. Beide Opfer heben die moralische Integrität des Betreffenden auf ein höheres Niveau; geht man davon aus, daß die eigene physische Integrität nicht zugleich mit den anderen Integritäten gewahrt werden kann, für die sie geopfert wird, bietet es sich an, diese Transfiguration als ‚Umschlag‘ im Sinne der höheren Ebene der Dialektik zu bezeichnen, zu welcher der Gegensatz führt. Treffender scheinen für dieses Verhältnis die Bezeichnungen ‚Opfer‘, da mit der eigenen physischen Integrität das Leben zugunsten anderer Integritäten aufgegeben wird, oder ‚Tausch‘ oder auch, wenn man die Integritäten als Bourdieusche 234 Helmut K. Kohlenberger, Art. Dialektik. HWP 2 (1972) 189-193 (Hegel), h. 189. 235 Hans Friedrich Fulda, Art. Aufheben. HWP 1 (1971) 618-620, h. 619. 236 S. dazu den Art. Dialektik. HWP 2 (1972) 221-223 (Redaktion), h. 221 f. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 91 Kapitalien ansieht, ‚Konvertierung‘, da der Opfernde eine höhere Form der Integrität im Gegenzug erhält. Der moralisch integre Charakter eines solchen Austauschverhältnisses ist im Falle der Tragik gestört, da bei ihr nur eine fremde, aber nie die eigene physische Integrität geopfert wird. Eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Tragik ist auch der Verlust der moralischen Integrität des Akteurs durch die Transgression. Hier hakt Szondis Konzept des Umschlags ein, der auf einem Übermaß moralischer Qualitäten beruht. Dieses Schema deutet sich schon in den Formulierungen ‚Selbstentzweiung‘ und ‚Umschlag des Einen in sein Gegenteil‘ an, die eben nicht auf die Familie als Bezugsrahmen der Entzweiung zielen. Es wird offensichtlich bei Szondis Fehllektüre von Aristoteles’ Poetik. Nach Szondi geht nämlich für Aristoteles im berühmten Passus über die des mittleren Charakters, die in der besten Tragödie für die Peripetie vom Glück zum Unglück ursächlich sei (Poet. 1453a 7-17), „die Verschuldung dialektisch aus einer freilich nur angedeuteten Tugendhaftigkeit“ hervor (1961: 57). Bereits Seidensticker hat gegen diese Auffassung grundsätzlich festgehalten, daß charakterliche Defizite (also innerhalb der moralischen Kategorie das exakte Gegenteil von Szondis Attribut der Tugendhaftigkeit) nicht für den Sturz des Protagonisten, sondern allenfalls für dessen und darüber für den Sturz verantwortlich seien (1992: 242 f.). Dabei hat Szondi sehr wohl diese indirekte Kausalität des Ethos über die gesehen. Seidensticker hat auch durchaus recht, wenn er darauf hinweist, daß es Aristoteles in der fraglichen Passage nur um die Schlechtigkeit gegangen sei. 237 Und Seidensticker 1992: 243 f. verweist ebenfalls zu Recht darauf, daß Szondi 1961: 57 f. an der zweiten von ihm bemühten Aristoteles-Stelle (Poet. 1453b 14-22), an der als Bedingung für die emotionsästhetische Wirkung der Tragödie postuliert wird, daß das Leid innerhalb von Nahverhältnissen geschehe und in der Szondi „eine Dialektik von Haß und Liebe“ erblickt, diese mit Lessings und Schillers nachfolgend herangezogenem Tragikverständnis überblende, bei denen das Sittliche selbst zum Quell des Schadens und Mitleids werde. Diese Überblendung der Antike durch die Moderne ist gerade auch bei Szondis Interpretation der ersten Stelle aus Aristoteles’ Poetik festzustellen, an welcher der Stageirit die Schlechtigkeit als Ursache der Peripetie zurückweist, während Szondi die „Tugendhaftigkeit“ dafür verantwortlich macht. Auch an der zweiten Stelle ist die „Liebe“ ( ) nicht ursächlich für den Haß, vielmehr sieht Aristoteles eine Diskrepanz zwischen dem Beziehungsstatus und dem faktischen Verhältnis der Betreffenden, weil nicht der Feind den Feind, sondern einander Nahestehende ( ) einander umbrächten (Poet. 1453b 15-22). (Implizit legt Aristoteles hier die Korrelation von Handlung und Status der Popularethik 238 zugrunde.) Diese Diskrepanz ist kein aus einer inneren Dynamik der betreffenden Eigenschaft er- 237 In der Tat ist der mittlere Charakter (Poet. 1453a 7) wie die an der genannten Poetik- Stelle eine notwendige Bedingung für die schönste Tragödie, aber nicht die Ursache der (Näheres s. 2.1.2 und Tragik). 238 Vgl. Mary Whitlock Blundell, Helping Friends and Harming Enemies. A Study in Sophocles and Greek Ethics. Cambridge 1989, 26-59. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 92 wachsender Umschlag, sondern eine Verkehrung von Status und Handlung, welche diese Arbeit auch rein etymologisch-operational als Perversion bezeichnet. Ein Umschlag im kausalen und nicht bloß paradigmatischen Sinne findet bei der Diskrepanz zwischen Intention und tatsächlich erzielter Wirkung statt, die Szondi 1961: 65 ja treffend wie die vorliegende Arbeit im OT sieht und die hier als Paradoxie eingestuft wird. Szondis Figur des Umschlags ist also nicht geeignet, die dialektische Funktionsweise der Tragik, sondern nur zwei von deren Unterarten zu beschreiben. Dabei soll nicht übergangen werden, daß Szondis Modell des Umschlags durch Hypertrophie, auch wenn in beiden Fällen nichts spezifisch Dialektisches vorliegt, der Abfolge der attischen Tragödie von und (A. Ag. 750-771) nahekommt. Das organische Element dieser Wucherung wird besonders deutlich im Aufblühen ( ) der Hybris, das Aischylos’ Perser beschreiben (v. 820-822). 239 Es formuliert eine Eigengesetzlichkeit, die sich Vorhersage und Kontrolle entzieht und die Souveränität des Subjekts unterläuft. Sie steht auch hinter tragikaffinen Konzepten wie dem Dämonischen, sei es nun göttlicher oder seelisch-irrationaler Natur. Über solche psychologischen Konzepte, zu denen auch die Willensfreiheit zählt, kann die Eigengesetzlichkeit durchaus als tiefere binnenhermeneutische Erklärung der tragischen Transgression dienen. Was den tragischen Integritätenkonflikt ausmacht, in dem die Tragik dieser Transgression besteht, vermag diese Eigengesetzlichkeit jedoch nicht zu erfassen. Deren eliminatorische Funktionsweise läßt sich besser mit dem mechanischen Modell der Weiche beschreiben, als deren Fehlstellung Max Kommerell die verdeutlichte, während die darausfolgende Peripetie mit der Entgleisung des Zuges zu vergleichen sei. 240 Die Weiche (oder gut antik der Dreiweg im OT) ist nun bestens geeignet, um den Konflikt der Integritäten zu veranschaulichen, bei dem nur ein Strang der Integritäten (die eigene soziale Integrität) gewahrt werden kann, während der andere eliminiert wird (die physische Integrität der Nahestehenden, die eigene moralische Integrität). Der Punkt dieser Kollision ist die Transgression. Insgesamt ist also Szondis dialektischer Begriff des Umschlags schwerlich geeignet, die objektive Tiefenstruktur des Tragischen zu beschreiben, welche die vorliegende Arbeit im Integritätenkonflikt verortet, der im Verlauf der Handlung eliminatorisch gelöst wird. Der Umschlag bzw. die Peripetie ist und bleibt eher ein Begriff der dramat(urg)ischen Oberflächenstruktur der Handlung, welche die tragische Tiefenstruktur realisiert und deren tragischer Charakter anhand der hier besprochenen Tragödien zu erörtern ist. Bereits Seidensticker 1992: 242- 244 hat richtig nachgewiesen, daß die beiden Stellen aus Aristoteles’ Poetik (1453a 7-17, 1453b 14-22), an denen Szondi 1961: 57 f. sein dialektisches Tragikverständnis festmacht, dieses eben nicht untermauern, und den Umschlag einer Handlung ins Gegenteil an einem anderen Passus dieser Schrift (1452a 22- 239 / / . 240 Lessing und Aristoteles. Untersuchung über die Theorie der Tragödie. 5. Aufl., mit Berichtigungen und Nachweisen. Frankfurt a.M. 1984, 125. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 93 29: ) verankert (1992: 244-253). Er verlagert damit ebenfalls Szondis Figur der tragischen Dialektik von der Tiefenstruktur der Handlung an die dramaturgische Oberfläche. Daß die Tragik hier eigentlich nicht zu verorten ist, wird schon daran deutlich, daß für Seidensticker Aristoteles „der erste Theoretiker der dramatischen Dialektik“ ist (1992: 244). Der Stageirit spricht, so muß man denn auch zu Szondis Ehrenrettung festhalten, von allen drei von Szondi und Seidensticker angeführten Stellen nur im Umfeld der ersten, von Szondi bemühten (Poet. 1453a 7-17), die den Eintritt des Umschwungs ( ) an den Fehler des charakterlich mittleren Protagonisten knüpft, von ‚tragisch‘ (Poet. 1452b 37, 1453a 28). Während die Tragik auf der objektiven Ebene der Handlungsstruktur zu verankern ist, bewegt sich in allen drei in dieser Arbeit ausführlich untersuchten attischen Tragödien die Peripetie - ganz gemäß Aristoteles’ Koppelung an die Anagnorisis (Poet. 1452a 32 f.) und deren Bestimmung als (Poet. 1452a 30 f.) - auf der davon unabhängigen Ebene der subjektiven Erkenntnisse und Entschlüsse der maßgeblichen dramatis personae. So liegt die Peripetie in Euripides’ Medea im Entschluß der Protagonistin zum Kindermord (Iasons spätere Einsicht hierein ist die eigentliche Anagnorisis), 241 im OT in der Einsicht, welche die Hauptperson in ihre wahre genealogische Identität und die sich aus ihr ergebende transgressive Vergangenheit gewinnt. Erst die Unkenntnis der erstgenannten führte in erforschter wie erforschender Handlung zu jener paradoxen Diskrepanz zwischen Intention und Wirkung, auf der die Tragik dieser Tragödie beruht. Die Trennung von Peripetie und Tragik wird in Aischylos’ Persern manifest: Der Umschwung der Handlung ist auch hier die Botschaft von der Niederlage, die bange, ahnungsvolle Unwissenheit in schreckliche Gewißheit umschlagen läßt, während dem treibenden Akteur der Handlung, dem geschlagenen Perserkönig, keine Tragik im enggefaßten Sinne dieser Arbeit zugesprochen werden kann. Die Peripetien sind in allen drei Tragödien mit dem Auftritt einer weiteren Figur verbunden (Aigeus, Boten aus Salamis und Korinth) und in ihrer Folge kontingent oder die Folge von Ereignissen, die sich zum Konflikt kontingent verhalten, während Tragik und Dialektik über die Matrix einander ausschließender Gegensätze funktionieren. Verbunden sind Peripetie und Tragik nur über die Transgression, die der Tragik zugrunde liegt und 241 Ebenso verhält es sich mit Tragik, Peripetie und Anagnorisis in Euripides’ hier nur kürzer besprochenen Bakchen, die ansonsten wegen ihrer theophanen Agenda und der Verteilung des tragischen Handlungsschemas auf mehrere Figuren (s. 4.5 Tragik in der Interpretation dieser Tragödie) einen Sonderfall darstellen und auf die deshalb auch nicht alles hier über die drei anderen Tragödien Gesagte zutrifft. Tragik und Peripetie sind diesem Drama in derselben Weise wie in den drei anderen attischen Tragödien geschieden und nur über die Eliminierung statt die Transgression verbunden. Wie in der Medea fallen Peripetie und Anagnorisis deutlich auseinander. Die Peripetie liegt in dem Punkt, an dem Pentheus seinen Widerstand gegen den Fremden aufgibt und beginnt, mit ihm zusammenzuarbeiten (v. 810), was seine Eliminierung einleitet. Der Umschlag erfolgt hier aristotelisch gesprochen zur Freundschaft, doch verharrt Pentheus in der Unkenntnis. Seine Anagnorisis fällt dagegen mit seiner Eliminierung zusammenund ändert nichts mehr am Verlauf der Handlung. Dies gilt auch für Agaues Einsicht in ihre Transgression, welche die eigentliche Anagnorisis dieser Tragödie darstellt. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 94 zu der sich der tragische Protagonist bei der Peripetie entschließt oder in die er bei dieser Gelegenheit Einsicht gewinnt. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt Bis zu Nietzsches alle Grenzen einreißendem dionysischem Rausch in der Tragödienkonzeption und noch darüber hinaus hat der Hegelsche Konflikt zwischen Normen oder zumindest zwei Dingen, von denen eins ein ethisches Positivum ist, die Tragikdiskussion bestimmt, ohne daß hier um der bloßen Vollständigkeit halber jeder einzelne Vertreter durchgehechelt werden müßte. 242 In paradigmatischer, nicht chronologischer Hinsicht bildet Walter Benjamin ein chimärisches Bindeglied zwischen Nietzsche und den Opfertheorien der Tragödie auf der einen und der Dialektik Hegelscher Prägung auf der anderen Seite. Indem er entsprechend der Hegelschen Geschichtsphilosophie die sich historisch wandelnde Rolle des Opfers in der Tragödie in den Blick nimmt, 243 bereitet er den Boden für Vernants Verständnis des Tragischen (s. 2.4 Die Zeichennutzer: Dramatische Kommunikationsstruktur, Pragmatik, Ambivalenz, Ironie und Naivität). Da es der vorliegenden strukturalistischen Arbeit primär um die Synchronie der attischen Tragödie und erst danach um deren diachrone Binnen- und Weiterentwicklung bei dem römischen Stoiker Seneca geht, böte Benjamin in der Tat einen Ansatz, um über die Operation der Eliminierung die Vorgeschichte und das als Ferment wirksame archaische Substrat der attischen Tragödie mit der Figur des Opfers, die der Ritualforschung entstammt, dialektisch zu versöhnen. Doch das ist der Stoff für eine eigene Untersuchung, der den Rahmen der vorliegenden sprengt. Die Elaboriertheit seiner Tragödienkonzeption und deren systematische Stellung in der Theorie der Tragödie 244 und des Tragischen sichern Friedrich Nietzsche und seinem Verständnis des Tragischen einen Platz in dieser Theorie und Genealogie des Tragischen. Geistesgeschichtlich fungiert Nietzsches Tragödien- und Tragikverständnis als Scharnier, da er darin der Antipode Hegels und der Stichwortgeber moderner antiidealistischer Ansätze ist. Die Cambridge Ritualists entwickelten sein Theorem weiter, die Protagonisten der Tragödie seien nur „Masken“ des Dionysos, des einzigen „Bühnenhelden“ 245 (vgl. 2.2.2 Ritual), 242 Zu Schopenhauers Verständnis der Tragödie s. Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 90-95. Zu Max Schelers Aufsatz Zum Phänomen des Tragischen (1915) (In: Vom Umsturz der Werte. Abhandlungen und Aufsätze. Bd. 3 von Gesammelte Werke. Hg. von Maria Scheler. 4., durchgesehene Auflage Bern 1955, 149-169) s. Szondi 1961: 50-52. 243 Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928). In: Ds., Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser Bd. 1,1. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a.M. 1991, 285 f. 244 Vgl. dazu Michael S. Silk, Joseph P. Stern, Nietzsche on Tragedy. Cambridge 1981 und, wenn auch essayistisch, Hösle 2009: 95-114. 245 KSA Bd. 1, 71, 63 (Die Geburt der Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 95 eine Sichtweise, die James I. Porter in brillanter Ironie als paradigmatische Wiederaufnahme des platonischen Idealismus entlarvt. 246 René Girard repristiniert paradigmatisch Nietzsches Idee der Gewalttat, 247 Karl Heinz Bohrer den Ästhetizismus 248 und den Schrecken, den der Basler klassische Philologe das „tonicum“ der Tragödie als Kunstwerk genannt habe (2009: 12). 249 Und selbst Interpreten, die den Logozentrismus der seit Aristoteles dominierenden Dramenpoetik aufbrechen und auf die reichlich vertretenen adiskursiven und körpergebundenen Symbolsprachen auch des antiken Dramas verweisen, können sich auf Nietzsche berufen. 250 Daß die vorliegende Arbeit theoretisch wie interpretatorisch diese drei Richtungen problematisiert, bringt sie in keine systemische Opposition zu ihrem geistigen Vater, da die Erben mit ihm selektiv und radikalisierend verfahren. So spitzt Bohrer noch den Antihegelianismus Nietzsches zu, indem er dessen Versöhnungselemente kritisiert (2009: 28 f.), die dem hier zugrunde gelegten Handlungsschritt der Restauration entsprechen. Die Vereinseitigungen der Nietzsche- Epigonen, wie man sie angesichts ihres eklektischen Rezeptionsverhaltens wohl nennen darf, am Werk des Meisters zeigen sich nicht zuletzt darin, daß sie Nietzsches begrifflichen Dreiklang aus apollinisch, dionysisch und dialektisch und die weitgespannte kulturgeschichtliche Artikulation dieser drei Grundprinzipien, die Nietzsche entwirft, 251 außen vor lassen. Konkret bestimmt Nietzsche 246 The Invention of Dionysus. An Essay on The Birth of Tragedy. Stanford (Calif.) 2000, 95 f. 247 KSA Bd. 13, 410 (Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1888, Nr. 10 Was ist tragisch). An dieser Stelle, die Bohrer anführt (2009: 12), ist freilich von der Gewalttat keine Rede, vielmehr wird die Kunst als „das große Stimulans des Lebens, ein Rausch am Leben, ein Wille zum Leben“ gepriesen (S. 409). 248 KSA Bd. 1, 30: „Der Mensch ist [sc. im Dionysosfest] nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden.“ 249 KSA Bd. 13, 410. Hier strapaziert Bohrer Nietzsche über oder versteht ihn gründlich falsch. In dem von ihm zitierten nachgelassenen Fragment nennt Nietzsche das Mitleid und Bohrers Schrecken, von denen die Tragödie nach Auffassung des Aristoteles purgiere, „depressive Affekte“, während die anderen Affekte „tonisch“ und die Tragödie ein „tonicum“ seien, was Schopenhauer nicht verstanden habe (vgl. dazu weiterführend Joan B. Llinares, Sobre lo trágico en Schopenhauer y Nietzsche. In: Carmen Morenilla, Bernhard Zimmermann (Hgg.), Das Tragische. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 9. Stuttgart, Weimar 2000, 123-145, der nur auf Nietzsche und die Tragödie eingeht [2000: 133-145]). Auch daß „es die Gewalttat und das Leiden selbst sind, die das Tragische in der Tragödie ausmachen“ (Bohrer 2009: 12), geht nicht aus dieser von Bohrer zitierten Passage (KSA Bd. 13, 410) hervor. 250 KSA Bd. 1, 33 f. 251 Gewiß ist, wie Günter Wohlfart nachweist (Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie oder: Griechenthum und Pessimismus. Nachwort von Günter Wohlfart. Stuttgart 1993, 165), „[d]as berühmte Gegensatzpaar ›Apollinisch-Dionysisch‹ [...] mitnichten eine Erfindung Nietzsches“. Seine Wurzeln liegen im Mythos von Dionysos Zagreus, den die Titanen zerrissen und der von Apoll auf Zeus’ Geheiß, der sie mit einem Blitzstrahl erschlagen hatte, auf dem Parnaß bestattet wurde. Dieser Mythos ist in Klemens von Alexandreias Protrepticus 2.17.2-18.2 überliefert und wird aus dieser Quelle in Friedrich Creuzers Symbolik und Mythologie der alten Völker besonders der Griechen (4 Tle. 1810-12). 3 Aufl. Leipzig 1836-43, Tl. 4, S. 36, 97, 116 rezipiert (Wohlfart 160 f.). Nietzsche kannte wohl alle drei Vorgänger (Wohlfart 163 f.), doch es bleibt sein Verdienst, das Gegensatzpaar zur Anknüpfung seiner eigenen Philosophie und zur Grundlage einer Tragödiendeutung gemacht zu haben. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 96 das Verhältnis der drei Prädikate folgendermaßen: Das in den olympischen Göttern Homers faßbare Apollinische habe das überschwenglich Dionysische gemäßigt und sich mit ihm in der griechischen Tragödie verbunden - die Dialektik des Apollinischen und Dionysischen fungiert als integratives Element des antiken Dramas, mit dieser Dialektik steht Nietzsches diachrone und synchrone Sicht noch in der Schuld Hegels. 252 Rein lexikalisch weist er selbst dem Dialektischen jedoch eine andere Rolle zu: Er sieht es verächtlich als Erfindung des Sokrates 253 und rückt es an den Rationalismus der griechischen Philosophie heran, verbindet es also mit jenem rationalen Zug, den er für den Tod der Tragödie verantwortlich macht (s. 6.1 Das Ende der Tragödie und des Tragischen? ). Gewiß mag diese Artikulation der drei Prädikate zivilisationsgeschichtlich problematisch sein und bleibt für die diachronen Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung allenfalls in Reserve. Für die synchronen Interpretationen dieser Arbeit und das Verständnis der Tragödien als Kunstwerke liefern diese Prinzipien und die ihnen angegliederten Begriffe wie der Traum für das Apollinische und der Rausch für das Dionysische, 254 denen also ein Element der Transgression, dort der mantischen, hier der sympotischen Ekstase gemeinsam ist, jedoch ein wertvolles Raster. Die soziale Transgression gehört vom theoretisch-systematischen Standpunkt als Tat zum Dionysischen, ihre Planung und Durchführung sowie drameninterne und literaturwissenschaftliche Hermeneutik sind jedoch dem Apollinischen zuzurechnen. Die Transgression verbindet also das komplementäre Gegensatzpaar, dessen Zusammenspiel Nietzsches Deutung der attischen Tragödie zugrunde gelegt hat und exemplifiziert so die zumindest implizit dialektische Hermeneutik, die er an diesem Gegensatzpaar entworfen hat. Außerdem kann Nietzsches Insistieren auf dem ästhetischen Wert der Tragödie über den Begriff der poetischen Transgression mit dem Ansatz dieser Arbeit vereinbart werden (vgl. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Gegen eine allzu forsche Vereinnahmung Nietzsches über den Begriff der Transgression mag sich der Einwand erheben, daß eine Arbeit, welche die emotionale Wirkung der Tragödie ausklammert, deren zentrale Analysekategorien die Transgression und die Handlung sind und die Hegel als geistigen Ahnherrn für ihr Tragikkonzept reklamiert, sich nicht ohne weitere Klärung Nietzsches Gegenentwurf anverwandeln könne. Schließlich verankert er die Wirkung der Tragödie im Pathos statt in der Handlung 255 und sieht entsprechend der radikal anti- oder zumindest amoralischen Ausrichtung seiner Philosophie von der Norm ab. 256 Außerdem verortet er das Tragische der Tragödie in der antipessimistischen dionysischen Bejahung des Fragwürdigen und Furchtbaren, 257 allge- 252 Dreimal spricht er von „Versöhnung“ zwischen Apoll und Dionysos, einmal von einer „Grenzlinie“ der beiden (KSA Bd. 1, 32). 253 KSA Bd. 6, 69-72. 254 KSA Bd. 1, 26. 255 KSA Bd. 1, 85. 256 So verweist er - zu Recht - auf die moralische Indifferenz der Griechen, die alles vergöttlicht hätten, „gleichviel ob es gut oder böse ist“ (KSA Bd. 1, 35). 257 KSA Bd. 6, 79 (Götzendämmerung, Die „Vernunft“ der Philosophie). 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 97 mein des Lebens „selbst noch in seinen fremdesten und härtesten Problemen“ sowie des Vergehens und Vernichtens. 258 Bei diesem vitalistischen Tragikverständnis, welches das Problematische durch Bejahung aufhebt, während es bei Hegel und in der vorliegenden Arbeit im Kontradiktorischen bzw. Entweder- Oder verankert wird, bleibt von der Transgression nur noch die ihr inhärente Eliminierung. Im allgemeinen dionysischen Rausch, wie ihn auch die altorientalischen Völker gekannt hätten, sei die Norm nicht überschritten, sondern aufgehoben worden. 259 Dagegen sei die Sublimierung dieser Bewegung ins Künstlerische durch die künstlerische Überwindung des principium individuationis, also die Aufhebung aller Unterschiede, 260 das zivilisatorische Verdienst der Griechen gewesen. 261 Das Dionysische wird damit der Vektor des Ausnahmezustandes. Ja, Nietzsche sieht „als zentralen Gegenstand der Tragödie die Grausamkeit“. 262 Diese Einschätzung bettet er in seine These ein, „[f]ast Alles, was wir ‚höhere Cultur‘ nennen, beruht auf der Vergeistigung und Vertiefung von Grausamkeit“. Selbst die Süße des tragischen Mitleids führt er auf Grausamkeit zurück. 263 Das Theater wäre seinem Wesen nach also mit Antonin Artauds Formel ein théâtre de la cruauté, das Leiden und Sehen sadistisch-voyeuristisch zusammenschließt. Diese Einschätzung bestätigt auch Nietzsches nivellierende Fortsetzung, die gänzlich von Mimesis, Transgression und deren diegetischer Darstellung absieht, da ihm zufolge sich „der Römer in der Arena, der Christ in den Entzückungen des Kreuzes, der Spanier Angesichts [sic! ] von Scheiterhaufen und Stierkämpfen“ an der Grausamkeit ergötzten. In jedem Fall mahnt abschließend der Dissens, der zwischen Nietzsche und Hegel über die Rolle der Normativität in der attischen Tragödie herrscht, zu einer genauen Lektüre der hier besprochenen Tragödien, um festzustellen, inwieweit die fraglichen Taten als Normverstöße wahrgenommen werden oder bzw. und als Leiden beklagt werden. Die Binnenhermeneutik hat also das letzte Wort, ob eine Tat als Transgression zu gelten hat. In scharfer Wendung gegen die Hegelsche Definition des Tragischen über die Norm sucht es Karl Heinz Bohrer in der Erscheinung, dem Schrecklichen und der Plötzlichkeit. 264 Emphatisch will er „Kunst, nicht Geschichtsphilosophie“ (2009: 11 ff.) und wendet sich in der folgenden Einleitung gegen die Reduktion der Tragödie auf Teleologie und Begriffe (2009: 11-32) 265 und „geschichtsphilosophische[n] Perspektiven […] im Sinne Hegels“ (2009: 23). Damit nimmt er - wenn auch unter völlig anderen Prämissen und mit abweichen- 258 KSA 6, 312 (Ecce homo, Die Geburt der Tragödie 3.). 259 KSA Bd. 1, 32. 260 Vgl. die kulturkreisübergreifende Schilderung für das Dionysosfest (KSA Bd. 1, 29 f.). 261 KSA Bd. 1, 33. 262 Roland Galle, Tragödie und Aufklärung. Zum Funktionswandel des Tragischen zwischen Racine und Büchner. Literaturwissenschaft - Gesellschaftswissenschaft 24. Stuttgart 1976, 29 f. 263 KSA Bd. 5, 166 (Jenseits von Gut und Böse Nr. 229). 264 Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage. München 2009, 190: „Der Ausdruck des Tragischen ist die Form, in der das Erscheinen seine besonders reine und intensive Essenz erlangt.“ 265 Vgl. Karl Heinz Bohrer, Das Verschwinden der Tragödie. Christoph Menkes philosophische Studie über ihre Gegenwart. Merkur 60 (2006) 346-353. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 98 den interpretatorischen Konsequenzen - eine ähnlich antirationalistische Frontstellung („Glauben an die Aufklärung und die damit verbundene alleinseligmachende Rationalität“) wie Anton Bierl ein, der die Annahme eines historischen Paradigmenwechsels zurückweist oder zumindest stark abschwächt („Vom Mythos zum Logos“). 266 Ein solcher Paradigmenwechsel fand beim Übergang von der Schamzur Schuldkultur statt und brachte über eine differenzierte Kausalattribution einen Zuwachs an (sozialer) Rationalität mit sich - unbeschadet der weit größeren Komplexität dieses Begriffs, die hier nicht ausgelotet werden kann. Die Spuren dieses Übergangs sollen auch in der vorliegenden Arbeit anhand der Transgression in Anlehnung an Vernants Forschungen im OT nachgewiesen werden (s. 2.4.5 Transgression und Orakel und teils auch 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? zu dieser Tragödie). Außerdem positioniert sich Bohrer indirekt auch gegen den Begriff der sozialen Transgression, mit dem die vorliegende Arbeit operiert. Bohrer stellt recht apodiktisch seine „Ästhetik des Schreckens“ als theatralisches Novum nicht nur dem mythologischen Substrat gegenüber, sondern auch der Deutung der Tragödie als mythologische Erzählung 267 und deren strukturalistischer Interpretation (2009: 222). Bohrers Beweisführung verknüpft dabei in unzulässiger Weise den mythologischen Charakter und transgressiven Inhalt der Tragödie: „Wäre die attische Tragödie tatsächlich eine mythologische Erzählung, dann wäre die stattgehabte Darstellung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch bzw. seine Verbrechen das zentrale Thema.“ Dies wird man mit Blick auf den Oidipus Tyrannos und viele andere Tragödien nicht ernsthaft bestreiten können, und die Literatur zur Rolle der Götter in der griechischen Tragödie füllt Bände. Bohrer verwechselt selbst in seinem eigenen ästhetischen Radikalismus Thema und Spezifikum. Auch hier würde eine Weglaßprobe der betreffenden Handlungsstränge, die von Transgressionen und der Rolle der Götter bei diesen handeln und nach Bohrer nicht zum zentralen Thema gehören, rasch zeigen, wie dürr die griechische Tragödie ohne sie würde (und damit Bohrers Reduktionismus offenbaren). Bohrers fundamentalästhetischer Isolationismus vernachlässigt zudem den kausalen Nexus zwischen Verbrechen, Sühne und Klage und damit auch den Aspekt, daß in der griechischen Tragödie die Darstellung(sweise) der Transgression zentral ist. Dagegen macht Bohrer als den „eigentlich tragischen Kern des attischen Dramas […] seinen ästhetisch-epiphanen Impuls“ aus (2009: 11). Obwohl Bohrers Werk insofern performativ ist, als sein argumentativer Stil von pointierter Erscheinung und Plötzlichkeit geprägt ist, weil er seine Thesen plakativ formuliert und in klarer Abgrenzung herausarbeitet, können m.E. unsere beiden Ansätze nebeneinander existieren oder sich sogar bereichern. Sie betrachten nämlich dieselben Phänomene aus unterschiedlichen Winkeln, was durch die Viel- 266 Literatur und Religion als Rito- und Mythopoetik. Überblicksartikel zu einem neuen Ansatz in der Klassischen Philologie. In: Ds., Rebecca Lämmle, Katharina Wesselmann (Hgg.), Literatur und Religion. Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen. MythosEikonPoiesis 1. 2 Bde. Berlin 2007, Bd. 1, 1-76, h. 1. 267 Diese Ansicht macht Bohrer bei Charles Segal, Greek Tragedy and Society: A Structuralistic View. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Myth, Poetry, Text. Ithaca 1986, 21-47, h. 26 aus. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 99 schichtigkeit eines Kunstwerks ermöglicht wird. Denn die Plötzlichkeit entspricht genau der in dieser Arbeit vertretenen Poetik der Transgression, des Okkasionellen, Innovativen und Singulären. Die Erscheinung, das Schreckliche und die Plötzlichkeit sind zudem in den von Bohrer besprochenen Szenen (2009: 185-218) Figuren der poetischen Transgression und Elemente, mit denen Transgression oder Eliminierung sprachlich-dramatisch inszeniert werden. Ja, die poetische Transgression ist, wie man in Weiterentwicklung von Bernhard Teuber formulieren kann (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression), das einzig adäquate Mittel zur Darstellung der sozialen. Damit zeigt Bohrer ein wichtiges Moment auf, das am Beispiel des Oidipus Tyrannos näher besprochen werden soll (s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der Interpretation dieser Tragödie). Indem Bohrer den Schrecken an der Gestaltung von Textpassagen aufzeigen kann, vor allem an der verbalen Reaktion der Figuren, sichert er sich gegen die Bedenken gegen eine emotionale Rezeptionsästhetik (vgl. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik) ab und führt die Ästhetik auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurück. Es muß allerdings kritisch angemerkt werden, daß Bohrers Versuch, das Tragische als „eine Ästhetik des Schreckens“ (2009: 35, 192) zu bestimmen, die Handlungsstruktur ausblendet, in die es eingebettet ist und der selbst die Ästhetik des Tragischen nicht zum geringsten ihre Wirkung verdankt. Diese Wesensbestimmung reduziert 268 das Tragische auf sein Manifestwerden in der Katastrophe und dabei auf die theatralische Präsentation, also ihre Ausgestaltung in der Inszenierung und Rhetorik. 269 Läßt man das Dramatische im Tragischen außer acht, läuft man zudem Gefahr, die attische Tragödie zu einem opéra lyrique 270 herabzustufen. 271 Die Präponderanz des Gesangs in Bohrers Verständnis des Tragischen setzt Nietzsches Archäologie der Tragödie aus dem Geiste der Musik fort. Auch wenn der Gesang bereits im zweiten Kompositionsglied der Tragödie enthalten ist, kann er nicht als deren Spezifikum angesehen werden. Dagegen wird eine mögliche Diskrepanz von poetischer Großgattung und Stil (man könnte vielleicht auch ‚Texttimbre‘ sagen) bereits von Emil Staiger angenommen, der hierfür auf eben auf das lyrische Drama verweist. 272 Umgekehrt sind das Theatralische (vgl. 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotisch-transgressive Ästhetik) und Dramatische nicht auf die Hybridgattung Theater/ Drama be- 268 Vgl. Bohrers Argumentation auf S. 214 („Unübersehbar ist, daß der Höhepunkt des Dramas in der Erscheinung [Hervorhebung im Original] des Oedipus in der letzten Szene liegt.“). 269 Dem Einwand, sein Verständnis von Tragik erfasse nur Wirkung und Effekt, nicht aber die Sache selbst, tritt Bohrer entgegen (2009: 31): „Tragischer Schrecken und tragische Trauer entspringen der Performance einer besonderen Sprache, die unabhängig von der Handlung und einer tragischen Schuld in Erscheinung [Hervorh. im Orig.] tritt.“ 270 Zu diesem vgl. weiterführend Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 94 f. und v.a. Peter Szondi, Das lyrische Drama des Fin de siècle. Hg. von Henriette Beese. Studienausgabe der Vorlesungen. [Aus dem Nachlaß von Peter Szondi hg. von Jean Bollack mit Henriette Beese u.v.a.] 4. Frankfurt a.M. 1975. 271 Nicht von ungefähr entwickelt Bohrer seine Theorie des Tragischen anhand von Baudelaire (2009: 35-184). Bohrer schreibt treffend dazu (2009: 16): „Das Tragische lebt hier wie dort poetisch von Intensitätsrhetorik, die nicht gattungsgebunden ist.“ 272 Grundbegriffe der Poetik. Zürich 8 1968, 8. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 100 schränkt. Dabei beruht die geläufige Vorstellung des Dramatischen (vgl. Staigers Überschrift des entsprechenden Kapitels „Dramatischer Stil: Spannung“ [1968: 143]) auf der Wahrnehmung eines sequentialisierten Geschehens, ist also rezeptionsästhetische Sicht auf das in dieser Arbeit vertretene Dramenverständnis als Abfolge von Handlungen. Dabei muß anerkannt werden, daß die Bohrersche Erscheinung wie Dieter Merschs Kategorie des (Sich-)Zeigens qua Handlungen, die etwas bzw. den Akteur sichtbar machen, das Dramatische und Theatralische kombiniert. Mit der Autoreferentialität weisen sie bereits ein wichtiges, aber nicht ausschlaggebendes Element der Tragik auf. Das generisch Vorgängige vor dem Theatralischen - zumindest innerhalb der antiken Schauspiele, die keine pantomimischen performances waren - ist jedoch das Dramatische, da auch das dramenkonstitutive Wort eine Handlung ist. Aktuell und anschlußfähig ist Bohrers Theorie auch dadurch, daß sein Terminus ‚Erscheinung‘ in der aktuellen Ästhetik geläufig ist. 273 Die Epiphanie, die sich als dramaturgische Momentaufnahme von Horst Bredekamps Bildakt auffassen läßt, 274 ist ihre kongeniale dramaturgische Hypostase und mit allen zeitgenössischen Tendenzen kompatibel, die dem Körper eine bedeutende Rolle in der Inszenierung zubilligen, 275 der auch bei der Rekonstruktion der Inszenierung der attischen Tragödie zunehmend Beachtung findet (Wiles 1997: 121). Die Plötzlichkeit ist ihrerseits in ähnlicher Weise wie das Tragische an die dramatische Sequentialisierung gebunden und existiert syntagmatisch wie paradigmatisch nur in dieser. Denn damit etwas plötzlich sein kann, muß es sich vom Vorausgehenden brüsk unterscheiden 276 (vgl. Aristoteles’ Bemerkung, das 273 Martin Seel, Ästhetik des Erscheinens. München 2000 = Frankfurt a.M. 2003. Für einen Transfer auf die Dramentheorie kommen am ehesten seine drei Dimensionen des Erscheinens (bloßes, atmosphärisches und artistisches) in Frage (2000: 148-169). Letzteres umfaßt die beiden ersten Dimensionen (2000: 156), doch ist der Hinweis auf die Gegenwart, die dem artistischen Erscheinen und den Kunstwerken durch die Darbietung eigne und welche die vorgenannten darböten (2000: 156-159), für die Theateraufführung ebenso zutreffend wie an sich unspektakulär. Seels „doppelte Gegenwärtigkeit der Objekte der Kunst“, die „eine besondere Gegenwart her[stellen] und […] eine besondere Gegenwart dar[bieten]“ (2000: 159), läßt sich jedoch gut auf die Doppelnatur der mimetischen Großgattung als Theater und Drama beziehen. 274 Dieses Konzept stellte Bredekamp im Rahmen seiner Heidelberger Gadamer-Professur 2005 vor. Der Vortrag zirkulierte lange Zeit bis zu seiner monographischen Ausarbeitung nur im Manuskript (s. Wolfram Hogrebe, Der doppelte Tod. Eine Miszelle. In: Bild/ Geschichte. Festschrift für Horst Bredekamp. Hg. von Philine Helas, Maren Polte, Claudia Rückert und Bettina Uppenkamp. Berlin 2007, 133-138, h. 133 Anm. 2). Jedenfalls hebt Bredekamps Konzept des Bildakts analog zum Sprechakt auf das kommunikative Potential einer mimetisch-referentiellen Handlung ab (Hogrebe 136). Diesen Gedanken entwickelt Horst Bredekamp denn auch in der mittlerweile vorliegenden schriftlichen Ausarbeitung seiner Theorie (Theorie des Bildaktes. Über das Lebensrecht des Bildes. Frankfurt a.M. 2010, 48-56, v.a. 51 f.), der nach eigenem Bekunden nicht die Wörter, sondern die Sprechenden durch die Bilder ersetzt und auf die Wirkung des Bildes auf den Rezipienten abhebt. 275 Vgl. Erika Fischer-Lichte (Hg.), Verkörperung. Tübingen 2001. 276 Eine derart banale Definition klingt bei Karl Heinz Bohreries nicht expliziertem und in die theoretischen Debatten verwobenem Verständnis allenfalls an (Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins. Frankfurt a.M. 3 1998, 9 f.): „Das »Plötzliche« [Kurs. im Orig.] ist also nicht bloß Kategorie für die Phänomenalität des Kunstwerks in wirkungsästhetischer Hin- 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 101 Drama müsse ein Ganzes sein, dieses bestehe aus Anfang, Mitte und Ende, sowie v.a. die sequentielle Definition dieser Teile [Poet. 1450b 26-31]). Wie die alltagssprachliche parole sind die einzelnen Szenen nur in ihrer syntagmatischen Abfolge verstehbar. Warum die dramatis personae Schrecken ästhetisch performieren, bleibt bei Bohrers Abwertung des Handlungsverlaufs unverständlich. Ohne diese Motivation aus dem sachlichen Handlungsverlauf würde ihre Schreckensperformanz jedoch keinen Schrecken vermitteln, sondern wie in einem absurden Theaterstück Befremden auslösen. Bohrers Blick auf die Tragödie droht sich auf die mit ihren Emotionen zu verengen. Wenn Bohrer exklusiv auf die emotionalen Seiten der griechischen Tragödie als deren Spezifikum abhebt und explizit einen kognitiv-dialogischen Progreß 277 ausschließt, vernachlässigt er entschieden deren Rolle als Movens der Handlung zumal in den Epeisodia, ohne welche die Tragödie zu einem Singspiel, zu einer zusammenhanglosen Abfolge isolierter Lieder herabsänke. Sinngebung und Weltsicht aus der Tragik zu verbannen (2009: 20 f., 23, 185 f., 196) wird zudem wesentlichen Zügen der attischen Tragödie und auch des Tragischen nicht gerecht, da Bohrer bei den besprochenen Passagen aus Aischylos’ Agamemnon (v. 1382- 1392, 1481-1496, 228-241) die ahnungsvollen Vordeutungen und die theologische Seite des Normverstoßes und des sich fortpflanzenden Geschlechterfluchs 278 vernachlässigt (2009: 189-202, v.a. 193 f.). Auch in der Wiedererkennung zeigt sich, daß die Erkenntnis ein entscheidendes Moment der antiken Tragödie und ihrer Handlung ist. Bohrer beleuchtet die Ästhetik des Schreckens in der Tragödie, bietet jedoch keine Poetik des Tragischen, da er dessen Bindung an die Transgression ausblendet und nur seine inszenierungsästhetische Performanz und Phänomenologie erhellt. Bohrers Verschiebung des Tragischen aus der Handlungsstruktur ins Stilistische 279 trifft literatur- und begriffsgeschichtlich erst auf die dramatische Theorie und Praxis der kaiserzeitlichen Stoa zu (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa sicht, sondern markiert auch die Sperre gegen einen geschichtsphilosophisch oder systemtheoretisch entstellten Zeitbegriff [Kurs. von mir].“ Søren Kierkegaard, den Karl Heinz Bohrer („Die Systematik des »Plötzlichen« bei Kierkegaard, Scheler, Heidegger und Carl Schmitt“, in: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978, 336-343, h. 336) zitiert, definierte dagegen das Plötzliche von allen in diesem Kapitel von Bohrer besprochenen Denkern am nächsten zu der hier vorgeschlagenen Begriffsbestimmung als „die Negation der Kontinuität“, welch letztere auch der Kommunikation eigen sei (Der Begriff der Angst (1844). In: Die Krankheit zum Tode, Furcht und Zittern, Die Wiederholung, Der Begriff der Angst. Unter Mitwirkung von Noels Thulstrup und der Kopenhagener Kierkegaard-Gesellschaft hg. v. Hermann Diem und Walter Rest. Köln 1956, 599). Sehr gut passend zu den hier angestellten Überlegungen zu Plötzlichkeit und Zeit sowie zu Karl Reinhardts Kategorie des Dämonischen wird dieses von Kierkegaard an der besagten Stelle (1956: 599) „als das Plötzliche bestimmt, wenn auf die Zeit reflektiert wird.“ 277 „[D]ie Angstrede [kann] als pathetische Ausdrucksform neben die Epiphanie des Schreckens treten. Sie und nicht ein dialogischer Progreß bestimmt das tragische Drama.“ (2009: 335) 278 Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung von Sabine Föllinger, Genosdependenzen. Studien zur Arbeit am Mythos bei Aischylos. Teilw. zugl. Habil. Mainz 1999. Hypomnemata 148. Göttingen 2003. 279 Bereits Emil Staiger bestimmte den dramatischen Stil über „[d]ie Sprache des Pathos“ (Grundbegriffe der Poetik. Zürich 8 1968, 144). 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 102 zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen). Gleichermaßen ist sein im weitesten Sinne phänomenologischer Ansatz in der Dramenästhetik weniger für das Tragische als für das Performative fruchtbar (s. 2.2.1 Performanz). Während Bohrers Theorie weitgehend nur auf den Teil der Tragödie nach der Anagnorisis, Schmitt zielt, betrachtet Arbogast Schmitt nur den Teil davor. (Da in diesen die Transgression fällt, ist er deshalb grundsätzlich für die vorliegende Arbeit anschlußfähiger.) Auch er wendet sich gegen die neuzeitliche Vorstellung, für die er Hegel, Goethe und Schiller anführt, das Tragische bestehe in einem „unausgleichbaren Gegensatz“, 280 der den Handelnden bei jeder Entscheidung fehlen lasse; neu ist Schmitts geistesgeschichtliche Einbettung, diese Sichtweise sei das „Produkt der massiven Stoarezeption zu Beginn der Neuzeit“ (1988: 10). Ein Konflikt zwischen Freiheit und Notwendigkeit für das individuelle Handeln trete erst dann auf, wenn man von einer durchgehend, auch bis ins menschliche Innenleben kausal geordneten Welt ausgehe, was die antike Stoa getan habe (1988: 10 f.). Als Beleg für seine geistesgeschichtliche Verortung führt Schmitt freilich nur Titel an, die den barocken Neostoizismus und die dramaturgische Rezeption Senecas belegen. Der Einfluß der antiken Stoa auf die Theorie des Tragischen der Neuzeit und v.a. der deutschen Klassik und des deutschen Idealismus geht daraus jedoch nicht hervor. Gegen Schmitts Argumentation müssen vom systematischen Standpunkt sogar massive Bedenken angemeldet werden. Das auch hier vertretene moderne Tragikkonzept des Integritätenkonflikts und der Desubjektivierung hat mit dem stoischen Determinismus lediglich gemeinsam, daß ein personales Subjekt genötigt ist, eine Handlung zu vollziehen. Der Zwang und die moralische Valenz dieser Handlung unterscheiden sich jedoch massiv. Was die Desubjektivierung betrifft, so wird in der Stoa das Subjekt nur von einer höheren göttlich-kosmischen Macht in Form der Vorsehung, die den Kosmos durchwaltet, überwältigt und entgegen seinen möglicherweise schlechten Impulsen zum Guten gezwungen. Diese Konstellation ist am prominentesten in Kleanthes’ iambischem Trimeter niedergelegt (SVF I 527), ist jedoch auch in seinem Zeus-Hymnos anzutreffen (SVF I 537, v. 280 Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen ‚König Ödipus‘. RhM 131 (1988) 8-30, h. 10. Seine dort entwickelten Ansichten erweitert er in zwei anderen Beiträgen: Arbogast Schmitt, Tragische Schuld in der griechischen Antike. In: Günther Eifler, Otto Saame (Hgg.), Die Frage nach der Schuld. Vorträge, Studium Generale der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz (Mainzer Universitätsgespräche Sommersemester 1987 u. Wintersemester 1987/ 88), 1991, 157-192. Arbogast Schmitt, Wesenszüge der griechischen Tragödie: Schicksal, Schuld, Tragik. In: Hellmut Flashar (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum V. Stuttgart, Leipzig 1997, 5-49, v.a. 36-43 („Tragik und Schuld“). Sie werden wie der hier vorgestellte und kritisch besprochene Beitrag in ähnlich kritischer Weise von Michael Lurje, Die Suche nach der Schuld. Sophokles’ Oedipus Rex, Aristoteles’ Poetik und das Tragödienverständnis der Neuzeit. Teilw. zugl. Diss. Bern 2001. BzA 209. München, Leipzig 2004, 263-275 vorgestellt und besprochen, was hier ein näheres Eingehen auf sie erübrigt. Für Schmitts Tragikverständnis in seinem rezenten monumentalen Poetik- Kommentar s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik und 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia. 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität 103 8-15). In der antiken Tragödie verletzt die Handlung dagegen immer eine Norm oder eine Integrität, ist also transgressiv. Zudem erfolgt diese Überwältigung nicht nur durch suprasubjektive Mächte wie Götter, sondern, wie im Falle Medeas (und von Senecas Phaedra) auch durch innere Mächte, wie den und den furor, die das Subjekt zuvor genährt hat oder hat wachsen lassen. Solche determinierenden äußeren oder inneren Kräfte fehlen im Falle des Normenkonflikts, den das moderne Verständnis von Tragik zugrunde legt. Er beruht darauf, daß zwei Normen einander ausschließen, also logisch-ontologisch auf dem Satz vom Widerspruch. Tragisch wird diese objektiv-strukturelle Unmöglichkeit der Nomothesie erst dadurch, daß ein ethisch-rationales Subjekt diese einander ausschließenden Ge- und Verbote konjunkturell erfüllen soll. 281 Es ist durch deren normativen Impetus also genötigt, - unabhängig von der Möglichkeit des Nichthandelns oder anderen Handlungsoptionen - eine Norm zu verletzen. Moralisches Handeln setzt so etwas wie die Willensfreiheit voraus. Dies tun bereits Platon und Aristoteles. Die Stoa hatte besondere argumentative Anstrengungen unternommen, um die Willensfreiheit mit ihren deterministischen Theoremen zu vereinbaren, 282 also einen konzeptuellen Widerspruch aufzuheben. Dabei vernachlässigt Schmitt übrigens, daß die lückenlose Bestimmtheit, auch des Innenlebens, eine Innovation Chrysipps gegenüber dem Schulgründer ist (LS I 392) und daß die Vorherbestimmung der wichtigsten Grundstationen des Lebens, wie Zenon sie annimmt, bereits viel früher bei den Griechen anzutreffen ist. 283 Der tragische Normenkonflikt und die Willensfreiheit setzen beide ein moralischrationales Subjekt voraus, doch ansonsten unterscheiden sie sich fundamental. Das Konzept der Willensfreiheit sichert die souveräne Entscheidung des Subjekts gegenüber äußeren Kräften, der tragische Normenkonflikt etikettiert dagegen Handlungsoptionen. Selbst die Vorherbestimmtheit des Handelns und der tragische Normenkonflikt unterscheiden sich noch: Bei der Vorherbestimmung ist ein konkretes faktisches Handeln unvermeidlich, bei dem tragischen Normenkonflikt kann das Subjekt noch zwischen zwei moralisch verwerflichen Handlungen wählen, ist also nicht auf eine konkrete Handlung festgelegt. Lediglich die Qualifikation des Handelns ist unvermeidlich. 281 Die interessante Frage, warum moralische Ge- und Verbote einander überhaupt ausschließen können, steht auf einem anderen Blatt. 282 S. dazu Susanne Bobzien, Determinism and Freedom in Stoic Philosophy. Oxford 1998, 234- 329. 283 Den Begriff und die damit verknüpfte Vorstellung kannten die Griechen schon weit vor den Stoikern. Deren Neuerung bestand in der Annahme, das unentrinnbare Schicksal werde von einer vernünftigen Vorsehung durch den göttlichen Weltlogos gelenkt. S. Anthony Arthur Long, David N. Sedley, The Hellenistic Philosophers. Vol. 1: Translations of the Principal Sources with Philosophical Commentary. Vol. 2: Greek and Latin Texts with Notes and Bibliography. Cambridge 1987, Bd. 1, 392 und Modestus van Straaten, Menschliche Freiheit in der stoischen Philosophie. Gymnasium 84 (1977) 501-518, h. 502, der für den vorstoischen Begriff eines unentrinnbaren Schicksals auf Hom. Il. 16.431-446, 22.167-181 ( ) sowie Hdt. 1.91.1 ( ) verweist. Zur Frage von Determinismus und Willensfreiheit vor und bei Aristoteles vgl. Wolfgang Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft. Philosophie der Antike 5. Stuttgart 1998, 201-213. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 104 Auch Schmitts eigener Begriff des Tragischen ist nicht exakt ausgearbeitet. Daß „ein vermeidbares, aber aus Charakter und Denkhaltung heraus verständliches Fehlverhalten selbst zur Ursache vielfältiger Verstellungen und Verzerrungen der richtigen Perspektive auf die Wahrheit werde“, wie es bei Oidipus, Iokaste und dem Chor in Sophokles’ Oidipus Tyrannos anzutreffen sei (Näheres zu Schmitts Deutung dieser Tragödie s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation), nennt er „ein tragisches Scheitern“, das sich durch Aristoteles’ -Theorie erklären lasse (1988: 28). Das tragische Scheitern sei im Fall des Oidipus Tyrannos durch die tragischen Fehler und verursacht (1988: 17). Die Semantik der aristotelischen ist, da die Poetik dieses Substantiv bloß einmal für Merkmale des Dramas verwendet, derart interpretabel, daß eine Harmonisierung 284 mit dem klassischen (oder - wie in dieser Arbeit - mit einem anderen) modernen Tragikbegriff durchaus möglich erscheint und man Stellen aus anderen Schriften heranziehen muß, um zu einem kohärenten Begriff zu gelangen. Dabei sei dahingestellt, ob durch dieses Verfahren ein Begriff gewonnen werden kann, der die Tragik, d.h. das generische Spezifikum der attischen Tragödie, zu erfassen in der Lage ist (Näheres s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). Bei Aristoteles haben die freilich nichts mit der zu tun (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation). Durch diesen Brückenschlag implementiert Schmitt statt der Unumgänglichkeit des Fehlverhaltens, die der moderne Tragikbegriff zugrunde legt, ein drängendes subjektives Element. Die „selbstverschuldete[r] Unwissenheit“, die Schmitt 1988: 28 bei der Applikation der aristotelischen bei dem Chor des Oidipus Tyrannos ausmacht, ist - ebenso wie der „offenbar unzureichende[n] Gebrauch, den Ödipus von seiner Geisteskraft macht“ (1988: 13) - ebenfalls ein modernes Element, erinnert sie doch eher an Kants Schrift ‚Was ist Aufklärung? ‘. Platon vertrat dagegen das Theorem, daß jede Seele die Wahrheit nur unfreiwillig entbehre (Sph. 228c: ). Auch hier implementiert Schmitt also ein weiteres modernes Element, 285 um die Kausalität der Transgression näher zu bestimmen, einmal zuungunsten, dann zugunsten der Souveränität des Subjekts. Dadurch kommt ihm das Verdienst zu, die Frage nach der Rolle der Kausalität für die Tragik in den Blickpunkt gerückt zu haben. Deshalb sei hier abschließend darauf hingewiesen, daß der Tragikbegriff der vorliegenden Arbeit wie Schmitt (vgl. 1997: 9 ff.) davon ausgeht, daß die Transgression zwar durch ge- 284 Zieht man - wie diese Arbeit - die objektivierende Bedeutung ‚Fehlverhalten‘, ‚Normverletzung‘ für zumindest als Nuance in Betracht, könnte dieses Fehlverhalten immer noch einem klassischen Normenkonflikt der neuzeitlichen Tragik geschuldet sein. Selbst die engste, kognitiv-subjektive und keineswegs unumstrittene Deutung der (‚Fehlurteil‘), die - darin ist Schmitt grundsätzlich Recht zu geben - hinsichtlich des moralischen Urteils nicht mit dem modernen Tragikbegriff eines Normenkonflikts vereinbar ist, läßt sich mit diesem bei einem praktisch-sachlichen Irrtum durchaus harmonisieren. 285 Für den unterschwelligen Modernismus von Schmitts Repristinierung der klassischen Philosophie vgl. Rüdiger Bubner, Gnomon 76 (2004) 19-23, h. 22. Rez. von: Arbogast Schmitt, Die Moderne und Platon. Stuttgart 2003 (jetzt 2 2008). 1.5 Komik, Doppelung und Iteration 105 wisse Faktoren begünstigt und provoziert wird, nämlich Rollenperformanz und Positionenvakanz, die Willensfreiheit als anthropologisches Postulat jedoch nicht berührt. Um das Vorliegen von Tragik feststellen zu können, muß deshalb darauf geachtet werden, ob die Tragödien selbst Handlungsalternativen zur Transgression erkennen lassen, durch welche die Tragik strukturalistisch gesprochen distinktiv wird. Interessanterweise scheint Schmitt später das Scheitern seiner aristotelisierenden Interpretation der attischen Tragödie implizit zu korrigieren, wenn er sich dem Tragikbegriff der vorliegenden Arbeit annähert (1997: 43): „[D]er Intentionenkonflikt [ist] das, was an der Stelle des tragischen Konflikts der neuzeitlichen Tragödie steht.“ Dabei ist eine bedingte Motivation, wie sie der Tragik zugrunde liegt, durchaus auch in Schmitts Augen mit der Freiheit der Handlung vereinbar. 286 Diese Annäherung setzt sich in der Folge fort: Die situativen rationalen und ethischen Insuffizienzen, die er in seinem rezenten Kommentar zu Aristoteles’ Poetik anhand der Nikomachischen Ethik herauspräpariert, um Aristoteles’ -Begriff in der Poetik zu präzisieren, entsprechen den handlungsstrukturellen, konjunkturellen Dysfunktionen des ethisch-rationalen Subjekts, welche diese Arbeit als eine Form der Tragik ansieht. 287 1.5 Komik, Doppelung und Iteration Bereits Sigmund Freud liefert mit seiner Unterscheidung zwischen ‚Komik‘ und ‚Witz‘ wichtige Ansätze für eine Theorie zur Analyse komischen Sprechens in der dramatischen Literatur: Die Komik bedarf zur ihrer Realisierung nur eines (menschlichen) Objekts und eines Rezipienten, die Vermittlung durch einen Dritten, der die komische Begebenheit weitererzählt, ist für ihr Zustandekommen unerheblich; beim Witz ist dieser Erzähler „zur Vollendung des lustbringenden Vorgangs unentbehrlich; […] Der Witz wird gemacht, die Komik wird gefunden, und zwar zu allererst an Personen, erst in weiterer Übertragung auch an Objekten, Situationen u. dgl.“ 288 Der Witz liegt also im Bereich der Produktionsästhetik, ja sensu stricto der Poetik (er wird gemacht), die Komik im Bereich der Rezeptionsästhetik (sie wird gefunden). Diese Bestimmung schließt nicht aus, daß entsprechend der komplexen Kommunikationssituation des Theaters die Komik stärker werkästhetisch von einem späteren Hermeneuten am Text nachgewiesen wird. Freuds Unterscheidung ist jedenfalls auch für die komplexe, mehrstufige Theaterkommunikation fruchtbar: Das Komische fällt in die Bühnenpragmatik und Kommunikation mit den Rezipienten, der Witz läßt sich in der Binnenpragmatik der Bühnenfiguren verorten (s. die hier vorgelegte Analyse des Prologs von Aristophanes’ Fröschen). Doch auch in der Mikroskopie des 286 Vgl. Schmitt 1997: 31: „Das Wissen um die Motive einer Handlung ist also indifferent gegenüber der Möglichkeit, daß diese Handlung frei oder unfrei ist.“ 287 Näheres s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik. 288 Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewußten (1905). In: Psychologische Schriften. Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Bd. 4. Frankfurt a.M. 1 1972 = 10 1996, 9-219, h. 169. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 106 Witzes bleibt Freud in seiner Schrift zu diesem Thema produktionsästhetischsprachorientiert: So kann Hellmut Flashar zeigen, daß Freuds Analyse des Witzes als „eine Verkürzung des sprachlichen Ausdrucks“, also einer schöpferischen sprachlichen Devianz, Ausführungen in Aristoteles’ Rhetorik (1412b 20- 23) zum Witz ( bzw. ) nahekomme und sich auch auf Aristophanes anwenden lasse. 289 Als Beispiel führt Flashar Wespen (v. 895, 899, 903) an, wo ein Hund, der einen Käse gestohlen hat, Labes heißt, was auf und den Feldherrn Laches anspielt, der 425 v. Chr. wegen Unterschlagung angeklagt wurde. 290 Bei dem von Flashar skizzierten komischen Verfahren werden also auch Transgressionen binnenpragmatisch formuliert und referentiell insinuiert. Wie im Vorausgehenden zwischen den Merkmalen der Gattung Tragödie und dem Tragischen so muß auch im Folgenden zwischen den Merkmalen der Gattung Komödie und dem Komischen 291 unterschieden werden. Komik und Komödie trennt jedoch ein gemeinsames Charakteristikum von der Tragik und Tragödie: Das Fehlen einer existentiellen Eliminierung. Deshalb liegt der Unterschied zwischen diesen beiden Gattungen und Handlungsmerkmalen im Schritt von der Darstellung der Kontingenzerfahrung zur anthropologisch-produktionsästhetischen, 292 wobei wie im Falle der Tragik diese Kontingenz zumeist einer Intention des Betroffenen widerspricht. Im Unterschied zur Tragik, die immer mit einer Einschränkung des souveränen Status als ethisch-rationales Subjekt einhergeht, ist im Verhältnis zum Lachenerregenden 293 selbst dramenintern der Status des Subjekts und des Objekts möglich. Auch in der Komödie bleibt die Personenkonstellation das entscheidende Movens der Handlung. Doch beim unterschiedlichen Umgang mit der Position des Vaters zeigt sich bereits ein grundlegender Unterschied zwischen Komödie und Tragödie: In der Tragödie regiert der Mangel, die harte Beschränkung durch die ehernen Gesetze und die Gegliedertheit des Seins durch Grenzen, die nur durch suprasystemische Intervention (deus ex machina) aufgehoben werden können und deren Geltung durch die Eliminierung im Falle einer Transgression affirmiert wird. In der Komödie können diese Gesetze systemimmanent suspendiert werden, die durch die Transgression heraufbeschworene Eliminierung tritt nicht ein. 294 Das häufigste Verfahren der komischen Suspendierung ist die Doppelung, die in verschiedenen Ausprägungen eine Figur der antiken Rhetorik ist 289 Komik und Alte Komödie. MH 53 (1996) 83-90, h. 84 f. Skeptisch dazu Kloss 2001: 4 f. 290 So auch Nikoletta Kanavou, Aristophanes’ Comedy of Names. A Study of Speaking Names in Aristophanes. Teil. zugl. Diss. Oxford 2005. Sozomena 8. Berlin 2011, 90. 291 Bernhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung. Grundlagen und Interpretationen. Tübingen 1992, 3-125 verbindet beide. 292 Vgl. Hermann Lübbe, Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung. In: Gerhart von Graevenitz, Odo Marquard (Hgg.), Kontingenz. Poetik und Hermeneutik 17. München 1998, 35-47. 293 Vgl. Peter von Möllendorff, Grundlagen einer Ästhetik der alten Komödie. Untersuchungen zu Aristophanes und Michail Bachtin. Diss. München 1994. Classica Monacensia 9. Tübingen 1995, 45-49 („Ästhetik und Lachen“). 294 Vgl. Arist. Poet. 1449a 34 f.: . 1.5 Komik, Doppelung und Iteration 107 (Lausberg Handbuch 310-322). Rückt man vom Kriterium der Identität ab und beschränkt sich auf die reine Operation des Hinzufügens, so ist wie im Falle der Eliminierung die adiectio bzw. ein schema bzw. solözistisches vitium der antiken Rhetorik (Quint. inst. 1,5,38-40; 52 f.), die wie die ihr entsprechende Expansion der Ermittlung strukturalistischer Minimalpaaroppositionen dient. Die Duplizierung tritt bereits bei der Verdoppelung der Position des pater familias durch die Hochzeit des Sohnes ein, welche ihm die Vaterschaft durch die biologische Reproduktion im damaligen patriarchalischen sozialen Rahmen ermöglicht, und stellt eine elementare Operation der Komödie dar. Semiotisch betrachtet, reproduziert sie die Gedoppeltheit, die im identitätsstiftenden Nexus zwischen Bedeutung und Bedeutungsträger vorliegt. Bereits hier zeigt sich, daß sie ein komikübergreifendes Phänomen ist. Die Doppelung tritt denn auch in der Tragödie auf (Medeas zwei Kinder), fällt dort jedoch der reduktiven tragischen Eliminierung zum Opfer, ist also kein generisches Spezifikum. Als eher paradigmatisches Phänomen ist sie von der Iteration zu unterscheiden, die auf der chronologisch-syntagmatischen Achse verortet ist. 295 Die komische Doppelung ist nicht nur ein patentes Mittel, um die Ordnung wiederherzustellen, sondern löst auch die vorausgehende Verwicklung ganz wesentlich aus, weil zuerst statt der Positionen die um sie konkurrierenden Personen verdoppelt werden. Die Suche nach der ursprünglichen Identität und das Streben, sie wiederherzustellen oder ihr wieder zur Geltung zu verhelfen, sind deshalb ein wichtiges und zwar kognitives, nicht dramatisches Moment der Handlung in der Neuen Komödie und ihren römischen Adaptationen (auch in der Tragödie aus anderen Gründen, vgl. Oidipus). Strukturalistisch gesprochen müssen die Schauspieler im analytischen Drama entscheiden, ob ein relevanter bzw. distinktiver Unterschied zwischen ansonsten ähnlichen Dingen vorliegt. Der Zuschauer wird dagegen in Plautus’ Amphitruo mit eben einem solchen Unterschied durch das Geschehen geleitet, der metatheatralisch thematisiert und phantastisch (d.h. unter Außerkraftsetzung des ) annulliert wird (v. 140- 147). 296 Die Suspendierung der aus der Alltagserfahrung bekannten Grenzziehungen in der Komödie legt die Doppelung und symbolische Bezogenheit im Rahmen der Gattung Komödie frei. Bereits in ihrer Herausbildung ist sie stark auf eine andere Gattung ausgerichtet, die Tragödie, die als zweite Ebene wie andere Gattungen des hohen Stils in der literarischen Praxis der Komödie durch das 295 Vgl. Massimo Fusillos Definition, deren Anforderungen an die Identität noch über die konzeptuelle (Medeas zwei Kinder) hinausgeht und mit Körper und Namen beide Seiten des anthropologischen Zeichens umfaßt (L’altro e lo stesso. Teoria e storia del doppio. Florenz 1 1998, 8): „si parla di doppio quando, in un contesto spaziotemporale unico, cioè in un mondo possibile creato dalla finzione letteraria, l’identità di un personaggio si duplica: un uno diventa due; il personaggio ha dunque due incarnazioni: due corpi che rispondono alla stessa identità e spesso allo stesso nome.“ 296 Für einen anderen Begriff von Phantastik, der am Beispiel des OT darauf abhebt, daß durch die Mythologie gebannte reale Schrecklichkeit durch die Konfrontation der Mythologie mit der Realität rehorrifiziert werde, s. Gerrit Kloss, Mythos und Realität: Paradoxe Phantastik in antiken Texten. In: Nicola Hömke, Manuel Baumbach (Hgg.), Fremde Wirklichkeiten. Literarische Phantastik und antike Literatur. Heidelberg 2006, 143-159, h. 150-155. 1. Handlungsfiguren: Der Analyseapparat dieser Arbeit 108 intertextuelle Verfahren der Parodie immer aufgehoben bleibt. Die oberflächliche Bedeutung des Textes bleibt bestehen und notwendige Voraussetzung, sie erhält nur vor der Folie eines anderen Textes einen neuen, tieferen Sinn. Die Grenzen zwischen zwei literarischen Entitäten und Gattungen werden dabei nicht aufgehoben, sondern durch die Transgression aktualisiert. 297 Es ist wohl das jenseits des Erheiternden, das immer vom individuellen Humorgeschmack abhängt, am besten im Text zu verankernde Spezifikum der Komik, daß sie einen Sinnzusammenhang herausgreift und seine Geltung suspendiert, nicht annulliert. Dadurch wird der Raum für eigene Sinnzusammenhänge geschaffen. Diese vorübergehende Aufhebung unterscheidet die Komik vom Bestreben der Kritik oder des Spotts, die alle auf eine dauerhafte Aufhebung zielen. Doch selbst die zeitweilige Existenz des komischen Ausnahmezustands setzt notwendigerweise das Suspendierte voraus. Die Komik ist keine Kriech-, sondern eine Schlingpflanze, die sich wie eine Klette oder das Efeu am knorrigen Stamm des von ihr (voraus)gesetzten Sinns emporwindet. Die Tragödie erhebt nicht den absoluten Anspruch faktualer Literatur auf außerliterarische Referenz, doch ihre Fiktionalität impliziert mimetisch diese Illusion, die Poetik der Komödie untergräbt diese Illusion und schafft mit komischen, phantastischen und metatheatralischen Elementen eine weitere Ebene der Fiktionalität, die das Bewußtsein ihrer spielerischen Bezogenheit und Fiktionalität aufrechterhält. Das Komische ist nur deshalb komisch, weil es zu verstehen gibt, daß es nicht das Eigentliche, sondern ein Spiel ist. Die Bezogenheit auf ein konkretes Anderes ist ein sinnstiftendes Junktim wie zwischen signifiant und signifié. Diese Alloreferentialität und das Präsupponieren eines festen Standorts unterscheidet die Komik von der dekonstruktivistischen Auflösung in dezentrierte Verweisgitter. 298 Anders als die Dekonstruktion hebt sie nur zeitweise das Band zwischen signifiant und signifié auf. Die Komik ist wie die Ironie eine Form des uneigentlichen Sprechens, doch anders als bei der Komik ist es das Wesensmerkmal der Ironie, daß das Gesagte nicht mit dem Gemeinten identisch ist. 299 Das identitätsstiftende Band zwischen signifiant und signifié wird also konjunktural gelockert, ohne daß die Ironie wie das Komische implizit von der tatsächlichen Gültigkeit des in Frage gestellten Deutesystems und ihrem eigenen hypothetischen Charakter ausgeht. Deshalb kann sie als Stilmittel innerhalb einer komischen Situation, aber auch als Mittel der Kritik und ernsthafter Diskussion außerhalb der Komik Verwendung finden. 297 So auch Oliver Taplin zum Fortbestand der Gattungsgrenzen zwischen Komödie und Tragödie trotz ihrer Überschreitung (Comedy and the Tragic. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 188-202, h. 189: „[B]oundaries are a prerequisite of transgression.“ 298 Vgl. Stefan Münker, Alexander Roesler, Poststrukturalismus. Stuttgart 2000, 30. 299 So zumindest das auf die klassische Rhetorik zurückgehende Konzept der Ironie, das erst von der romanischen Ironie aufgebrochen und erweitert wurde, die damit eine begriffsgeschichtlich folgenreiche Entwicklung anstieß (Ernst Behler, Klassische Ironie, romantische Ironie, tragische Ironie. Zum Ursprung dieser Begriffe. Darmstadt 1972, 9-11). Für Ironiekonzepte der Romantik, Nietzsches, Kierkegaards sowie der postexistentialistischen Epoche s. Susanne Schaper, Ironie und Absurdität als philosophische Standpunkte. Diss. Gießen 1993. Epistemata Reihe Philosophie 159. Würzburg 1994, 4-70 bzw. 110-160. 1.5 Komik, Doppelung und Iteration 109 Die Ironie nimmt wie die Komik in einer gespielten Demutsgeste eine Froschperspektive gegenüber einem gewählten Gegenstand ein, dessen massiven Geltungsanspruch sie untergräbt. Die Ironie zielt auf den Einsturz des so entstandenen Hohlraums, ist also sensu stricto subversiv, die Komik bringt ihn zum Klingen. 300 Während Komik und komische Ironie eher subjektive Geltungsansprüche unterhöhlen, offenbaren Tragik und tragische Ironie 301 die Abgründigkeit der menschlichen Existenz und bringen sie im Integritätsverlust zum Einsturz. Die Inversion, die in der Verkehrung aller gewöhnlichen Zuordnungen und Rollen besteht, die verkehrte Welt, ist ein probates Mittel der Komik; die Perversion qua auf Invertierung beruhende Annullierung der moralischen Integrität ist der Tragik vorbehalten. Vom rezeptionsästhetischen und humorkritischen Standpunkt eher banale Formen der Komik wie Kalauer, Gewaltdarstellung und Zoten, die vornehmlich in der Alten Komödie 302 und bei Plautus auftreten, lassen sich ebenfalls als solche spielerische Grenzüberschreitung innerhalb des Systems begreifen. Der Kalauer spielt in einer typologisierungsbedürftigen Vielfalt mit dem für die Sinn- und Identitätsstiftung zentralen Nexus zwischen signifiant und signifié und erheitert nicht selten durch die Verrätselung der köperbezogenen Tabuthemen Sexualität und Gewalt. Die Auflösung dieser Verrätselung läßt sich mit Algirdas Julien Greimas als Bruch der Isotopieebenen beschreiben. 303 Ein eindeutiger Nachsatz, der die Sprechabsicht eines Vorsatzes konterkariert, 304 macht dabei unerwartet dessen Doppeldeutigkeit 305 offenbar. Die Bedeutungsverengung von ‚zwei-deutig‘ auf die sprachliche Evokation und äquivok kaschierte Transgression sexueller Tabus ist ein klares sprachgeschichtliches Zeugnis für diese Funktion von Äquivozität. Die Zote, in der Nachfolge Freuds psychologisierend als Ventil der soziokulturellen Disziplinierung gedeutet, überschreitet wie die viel- 300 Die Komik unterscheidet sich damit von subversivem Verfahren der bassesse, das Georges Bataille in Le langage des fleurs (1929) (Œuvres complètes. Paris 1979, Ndr. 2003, Bd. 1, 173- 178) entwickelt und nicht nur das Hohe und Erhabene unterminiert (Mary Drach MacInnes, Taboo and Transgression. The Subversive Aesthetics of Georges Bataille and "Documents". Diss. Boston 1994 [Mikrofiche], 54 f.), sondern auch niedere Werte wie Erotik, Ekel und Gewalt feiert (MacInnes 1994: 67), also denselben Bezug zur zivilisatorisch verdrängten Körperlichkeit wie die Komik aufweist, und durch diese Überschreitung von Konventionen zum Instrument der Befreiung wird (MacInnes 1994: 67) und damit dieselbe kathartische Funktion wie die Komik ausübt. 301 Für diese beiden Phänomene s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung, 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller und 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik. 302 S. dazu Stephen Halliwell, Greek Laughter. A Study in Cultural Psychology from Homer to Early Christianity. Cambridge 2008, 215-263. 303 Vgl. Ds., L’isotopie du discours. In: Ds., Sémantique structurale. Recherche de méthode. Paris 1966, Ndr. 1986, 69-101. 304 Zur Deutung der Komik als Scheitern einer Absicht s. Gerrit Kloss, Erscheinungsformen komischen Sprechens bei Aristophanes. Habil. Göttingen 1999. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 59. Berlin 2001, 12. 305 Zur Rolle der Doppeldeutigkeit und ihrer Auflösung in der Funktionsweise des Komischen, auch bei körperbezogenen Tabuthemen, s. Uwe Wirth, Ambiguität im Kontext von Witz und Komik. In: Frauke Berndt, Stephan Kammer (Hgg.), Amphibolie - Ambiguität - Ambivalenz. Modelle und Erscheinungsformen von Zweiwertigkeit. Würzburg 2009, 321-332. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 110 fältigen Formen der dramatischen Gewaltdarstellung (mimetisch, verbal-performativ, verbal-antizipatorisch) spielerisch die sozialen Grenzen, 306 deren praktische Aufhebung das Ende der bestehenden Soziokultur markieren würde und deren Transgression in der Tragödie zur Eliminierung des verletzenden Elements führt. Die komische Außerkraftsetzung doppelt ihrerseits das Spiel, das jedes Theater qua mimetische Kunst (Repräsentation durch Präsentation) betreibt und verleiht der Komödie ein wesenhaft größeres metatheatralisches Potential als ihrer Schwestergattung, das bereits in der Parabase der Alten Komödie einen festen formalen Sitz hatte und in Plautus’ Amphitruo wahrscheinlich seine größte antike Entfaltung fand. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 2.1 Aristoteles’ Poetik Wenn eine Arbeit zum antiken Drama mit dem Wort ‚Transgression‘ im Titel ein Kapitel über Aristoteles’ Poetik aufweist, so droht dieser äußerliche Zusammenfall aufgrund der bisherigen Forschungen zu diesem Themenkomplex eine Reihe falscher Erwartungen zu wecken, denen vorab entgegengetreten werden soll: Dieses Kapitel will nur den Nachweis erbringen, daß eine strukturalistischsemiotische Dramenanalyse, wie diese Arbeit sie verfolgt, mit Grundannahmen von Aristoteles’ Poetik vereinbar ist. Diese vielleicht verblüffende oder provokante paradigmatische Übereinstimmung ist ihr einziges Argumentationsziel. 307 Inwieweit dagegen Aristoteles einen oder gar den einzig richtigen Zugang zur attischen Tragödie bietet, kann hier nicht grundsätzlich diskutiert werden, auch wenn Hellmut Flashar gute Gründe dafür geltend gemacht hat, Vorsicht bei der Repristinierung Aristotelischer Konzepte für die Interpretation der attischen Tragödie walten zu lassen. 308 Noch viel weniger kann Aristoteles’ Relevanz für 306 Die evasiv-karnevaleske Transgression kann als Ventil für das dienen, was in der sozialen Ordnung und ihrer psychischen Verinnerlichung verdrängt und unterdrückt wird (vgl., aufbauend auf Bachtin, Peter Stallybrass, Allon White, The Politics and Poetics of Transgression. London 1 1986 = Ithaca 5 1995, 6-26). 307 Ein ähnliches Projekt verfolgt Josef Früchtl, Ästhetische Erfahrung und moralisches Urteil: Eine Rehabilitierung. Habil. Frankfurt 1994. Frankfurt a.M. 1996, der den Neoaristotelismus Nussbaumscher Prägung mit der Postmoderne verbindet (1996: 10), also zwei weiter fortgeschrittene Stufen der beiden hier zugrunde gelegten Richtungen, und dabei auch die Tragödie und das Tragische bespricht (1996: 324-330). 308 Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. In: Ds. (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum 5. Stuttgart 1997, 50-64, h. 53, 55 und 61 betont methodisch und faktisch die Differenz und weist auf den zeitlichen Abstand von 75 bis 100 Jahren hin, die, je nach Datierung, zwischen der Abfassung der Poetik und der Erstaufführung des OT lägen, der die Idealtragödie nach der Auffassung dieser Schrift darstellt (Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1-23, h. 2). Flashars Bemerkung, Ari- 2.1 Aristoteles’ 111 das Verständnis der attischen Tragödie - aus Gründen des Platzes wie der thematischen Kohärenz - am Komplex von tragischer Schuld 309 und 310 umfassend exemplifiziert werden. Mag der Stageirit zwei Leitfragen dieser Arbeit berühren, nämlich Transgression und Tragik, so würde er doch nach Fragestellung wie Umfang den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Auch wenn die folgende Analyse für den genannten Komplex und insbesondere das Verständnis der relevante Aspekte zum Vorschein bringen mag, liegt auch hier der Schwerpunkt des Interesses auf dem dramentheoretischen Abgleich. Zu diesem Brückenschlag fühle ich mich dagegen durch Hellmut Flashars These ermutigt, die Poetik des Aristoteles sei nicht primär eine Anleitung für den Dichter, sondern eine und wende sich „an den gebildeten Polisbürger, dem für seinen Umgang mit Dichtung Information und Orientierung gegeben wird.“ 311 Diese rezeptionsästhetische Orientierung der Gesamtschrift paßt gut zu ihrem gleichartigen Schwerpunkt auf , und bei der Definition und Diskussion der Tragödie (Poet. 1449b 24-28), auch wenn dieser Aspekt für unsere Poetik-Lektüre aus grundsätzlichen literaturwissenschaftlich-methodischen Erwägungen sekundär ist (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik). Sie wollte also zur intellektuellen Betrachtung und Auseinandersetzung mit Dichtung anregen und fungiert somit als Ahnfrau der literaturwissenschaftlichen Herangehensweise dieser Arbeit. Der Tragödie sind drei Viertel des Textes der Aristotelischen Poetik gewidmet, und auch gegenüber dem Epos wird sie als Leitgattung herauspräpariert. 312 Die Anlage dieser stoteles’ Poetik sei „eine Literaturtheorie ganz eigener Art, insbesondere durch ihre philosophischen Implikate“ (1984: 13), zielt in dieselbe Richtung. Gegen eine dogmatische Deutung der attischen Tragödie von Aristoteles aus spricht gerade im Bereich der Handlungsstruktur auch der Umgang des Stageiriten mit deren empirischen Material, den Flashar beobachtet (1984: 14): „Die vorgeführten Handlungsmodelle werden deduktiv entwickelt, nicht aus dem Tragödienmaterial abstrahiert.“ Nach den Ergebnissen der von Flashar angeregten Dissertation von Werner Söffing (Deskriptive und normative Bestimmungen in der Poetik des Aristoteles. Diss. Bochum 1977. Beihefte zu Poetica 15. Amsterdam 1981, 265) entsprechen nur der OT, die Trachinierinnen des Sophokles und die Bakchen des Euripides den „deskriptiven und normativen Bestimmungen in der Poetik des Aristoteles“ (Flashar 1984: 15). 309 Vgl. den kurzen Überblick bei Dietrich Mack, Ansichten zum Tragischen und zur Tragödie. Ein Kompendium der deutschen Theorie im 20. Jh. München 1970, 135-139. 310 Diese Fragestellung hat drei Ebenen: Aristoteles’ , deren Interpretation, die seit der Wiederentdeckung der Poetik andauert, und die Relevanz dieses Konzepts für das Verständnis der griechischen Tragödie, die Jan Maarten Bremer alle drei mit positivem Ergebnis v.a. für Sophokles untersucht (Hamartia. Tragic Error in the Poetics of Aristotle and in Greek Tragedy. Amsterdam 1969, 196). Suzanne Saïd bleibt skeptisch gegenüber der Übereinstimmung zwischen Poetik und OT (La faute tragique. Paris 1978, 22-31) und deutet die tragische Schuld eher i.S. Vernants aus Ambiguität, Spannungen und Normkonflikten, deren Bewußtwerdung in der Tragödie erfolge (1978: 507-509). Michael Lurje, Die Suche nach der Schuld. Sophokles’ Oedipus Rex, Aristoteles’ Poetik und das Tragödienverständnis der Neuzeit. Teilw. zugl. Diss. Bern 2001. BzA 209. München, Leipzig 2004 verabschiedet und historisiert die aristotelisierende Interpretation des OT umfassend (s. dazu auch 2.6.2 Mimesis und Aristoteles im Kap. zu dieser Tragödie). 311 1997: 54. Gut ein Jahrzehnt früher sah er jedoch „Dichter und Dichtung der eigenen Zeit“ als die Hauptadressaten dieser (1984: 12). 312 Flashar 1984: 1 f. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 112 Schrift erklärt also nicht nur ihre immense Nachwirkung auf die Theorie und Praxis der neuzeitlichen Tragödie und die moderne Deutung der attischen, sondern rechtfertigt auch ihre prominente Behandlung in einer modernen Untersuchung über das attische Drama. Die Einzelinterpretationen dieser Arbeit berücksichtigen dabei, wo vorhanden, Aristoteles’ Beiträge zu den verschiedenen attischen Tragödien als Anregung und Ausgangspunkt, da er auch bei seinen theoretischen Ausführungen das dramat(urg)ische Profil der einzelnen Gattungsvertreter im Blick behält. 2.1.1 Handlungsstruktur, Mimesis, Transgression und Eliminierung Der strukturalistisch-semiotische Analyseapparat dieser Arbeit führt Faktoren zusammen, deren funktionale Relevanz bereits Aristoteles beobachtete. Auch er rückte die Handlung 313 in das Zentrum seines Verständnisses der mimetischen Großgattung und faßt diese damit wie die vorliegende Arbeit als Drama auf, während er der optischen Darbietung, d.h. dem Theater, eine nachrangige Rolle zusprach (s. 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz). So sah er allgemein handelnde Menschen als Gegenstand künstlerischer Mimesis (Poet. 1448a 1: ) und derjenigen der Tragödie im besonderen an (Poet. 1449b 24-26: … ), stellte also einen wesensmäßigen Bezug zwischen der Darstellung, die wie der Zeichengebrauch auf etwas anderes referiert, und dem Handeln her und deutet so die Verbindung zwischen Zeichen und Handlung an, die für eine semiotisch-strukturalistische Dramenanalyse grundlegend ist. Dies wird noch dadurch unterstrichen, daß er die Definition des Mythos, den er die und die Seele der Tragödie nannte (Poet. 1450a 38 f.), als ‚die Zusammensetzung der Handlung‘ (Poet. 1450a 4 f. bzw. 15, 1453b 2 f.: bzw. ) an der letztgenannten Stelle mit der Eigenschaft der Tragödie als Mimesis nicht nur von Menschen, sondern auch von Handlungen ( ) und des Lebens begründet. Seine Definition des Mythos hebt zudem auf sequentielle Faktoren ab, die auch der strukturalistische Begriff ‚syntagmatisch‘ erfaßt, ein Verfahren, das in der vorliegenden Arbeit auch die paradigmatische Seite beleuchten soll. Flashar wählt denn auch mit „Handlungsstruktur“ für den Aufbau der Handlung, der im Brennpunkt von Aristoteles’ Interesse stehe, exakt denselben Begriff (1984: 12), der auch für den Analyseapparat der vorliegenden Untersuchung zentral ist. Ja, Aristoteles ermittelt die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der dargestellten Handlung dadurch, daß kein Teil umgestellt oder fortgelassen werden kann (Poet. 1451a 30-35). Er nimmt also die strukturalistischen Verfahren der Permutations- und Weglaßprobe vorweg, mit denen die strukturalistische Linguistik die distinktiven Merkmale ermittelt. Auch gesondert von der Handlung ist Aristoteles’ Verständnis der Mimesis für die vorliegende Arbeit anschlußfähig. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst von Stephen Halliwells Forschungen zum Begriff der Mimesis bei Aristoteles. 313 Vgl. dazu Manfred Fuhrmann, Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles, Horaz, ‚Longin‘. Düsseldorf 3 2003, 24-27. 2.1 Aristoteles’ 113 Dies beruht darauf, daß er die Fiktionalität, den realitätsschaffenden Charakter und überhaupt das künstlerische Schaffen im Begriff der Mimesis stärkt und die irreführende Wiedergabe ‚Nachahmung‘ ablehnt. 314 Seine Wortwahl schlägt dabei sogar einen Bogen zu Performanz und Theater 315 und verstärkt so Aristoteles’ Einschlägigkeit für unsere Untersuchung, zumal wenn man den (re)präsentativen Charakter der Mimesis in Rechnung stellt. Halliwells poetisches Mimesisverständnis stützen die Prädikate (Poet. 1448a 26) und (Poet. 1447b 15 f.), die Homer anders als oder sogar im Gegensatz zu Empedokles erhält. Ein solchermaßen gewandeltes Bild der Poetik entkräftet allein durch Modifikation der Textinterpretation die theaterprogrammatisch-avantgardistische Kritik, die Hans-Thies Lehmann an der Mimesis qua „Nachahmung“ übt. 316 Das aristotelische Mimesiskonzept wird also - wie der furor poeticus (s.u.) - sogar mit der transgressiven Poetik der vorliegenden Arbeit vereinbar. Wenn Aristoteles auch das Kinderspiel als bezeichnet (Poet. 1448b 5- 9), so macht er damit diesen Begriff und seine Dramenkonzeption für moderne Spieltheorien anschlußfähig, die ja auch für die Theatertheorie fruchtbar gemacht wurden (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention). Er fordert ferner, das schwere Leid müsse sich innerhalb der Familie ereignen (Poet. 1453b 19-22), 317 und steckt damit einen ähnlichen sozialen Rahmen des Dramas wie der Ansatz der vorliegenden Untersuchung ab (auch für dieses seiner Meinung nach bei Aristoteles wichtige dramatische Phänomen wählt Flashar mit „Figurenkonstellation“ denselben Terminus wie die vorliegende Arbeit [1984: 12]). Dabei knüpft er sowohl die Tragödie als auch die Komödie an ein Substantiv zu der Wurzel -, das funktional wie semantisch der Transgression sehr nahekommt. 318 Er unterscheidet jedoch beide Subgattungen des Dramas durch die Eliminierung, welche der Fehler in der Komödie nicht nach sich ziehe. 319 Er verbindet damit wie Platon, der Sokrates im Symposion 314 The Aesthetics of Mimesis. Ancient Texts and Modern Problems. Princeton 2002, 152, 172: „created artifact, as the product of an artistic shaping artistic materials […] capacity to signify and “enact” the patterns of supposed realities“. 315 Aristotle’s Poetics. A Study of Philosophical Criticism. London 1986, 125: „mimesis as enactment […] enactive mimesis“. 316 Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 54-56. 317 Für die Diskussion um die Rolle der Polis, deren Fehlen mit biographischen und politischen Umständen erklärt wird, s. Edith Hall, Is there a Polis in Aristotle’s Poetics? In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 297-309, v.a. 301-306 und Malcolm Heath, Should there have been a Polis in Aristotle’s Poetics? CQ 59 (2009) 468-485. 318 Für den Versuch einer genaueren Begriffsbestimmung und eines Bedeutungsabgleichs s. den folgenden Unterabschnitt. Chihaia 2002: 12-15 bespricht die - nach der - ohne konkreten Brückenschlag zur Transgression. Bei dem von Philodem Po.1 col. 131 Z. 12 f. referierten Ausdruck des Andromenides einer [ ] handelt es sich nicht nur um eine Konjektur (Jensen konjizierte , das nach Janko länger als die Lücke ist), sondern um eine poetologische Forderung nach formaler sprachlicher Korrektheit. 319 Vgl. Arist. Poet. 1449a 34 f.: . Diese Qualität fehlt bei Richard Jankos Rekonstruktion der Behandlung des Lachens im verlorenen Teil der Poetik, der von der Komödie handelte (Aristotle on comedy. Towards a reconstruction of Poetics II. Berkeley 1984, 94 f.). 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 114 fordern läßt, derselbe Autor müsse sich auf das Verfassen einer Tragödie und Komödie verstehen (223d), die beiden dramatischen Untergattungen und differenziert sie wie die vorliegende Arbeit aufbauend auf einem gemeinsamen Handlungselement. 2.1.2 und Tragik Ein heikles Kapitel ist die genaue semantische Eingrenzung der und ihr Vergleich mit den analytischen Termini dieser Arbeit, die am Ende des letzten Unterabschnitts verschoben wurde. Aristoteles’ Forderung, der Umschlag vom Glück ins Unglück dürfe nicht durch Schlechtigkeit ( ) und Gemeinheit ( ), also zwei strukturelle Charakterfehler des Protagonisten, eintreten, sondern durch einen individuellen, konjunkturellen Fehler (Poet. 1453a 9 f.: ’ ), der im folgenden „groß“ genannt wird (Poet. 1453a 15 f.), kommt der hier vorgeschlagenen Verortung des entscheidenden Handlungsmoments der Tragödie in Transgression und Devianz bereits sehr nahe. Dies gilt um so mehr, wenn man die zugegebenermaßen kontrovers diskutierte Semantik von an die konkrete Homerische Bedeutung des praktischen Verfehlens eines Ziels heranrückt 320 (statt sie anachronistisch stoisch oder gar christlich aufzuladen) und in ihr das Verfehlen eines vorgegebenen Ziels erblickt. Daß - wie auch (1460b 19) - sonst in der Poetik nur für handwerkliche dichterische Fehler steht (1454b 35, 1460b 15, 17), spricht für die Bedeutung ‚Normverletzung‘, rückt sie aber wegen der Verzahnung von Produktions- und Rezeptionsästhetik bei Aristoteles (s.u.) an ‚Verfehlung‘ heran. 321 Es muß allerdings angemerkt werden, daß die bildliche Semantik von sich eher mit derjenigen von Devianz deckt, weil beide das Verfehlen eines subjektiv anvisierten oder objektiv vorgegebenen Ziels implizieren, also eine parallele Bewegung suggerieren, während die Transgression das frontale Überschreiten einer Schwelle in einen objektiv verbotenen Raum visualisiert. 322 Zudem soll nicht unterschlagen werden, daß trotz aller hier bemühten Parallelen 320 Flashar 1984: 21 nennt diese Bedeutung („das Ziel (metaphorisch) verfehlen“) neben „einen Fehler machen“ und „falsch handeln“ bzw. „Schuld auf sich laden“ als im 5. Jh. geläufig und bei Aristoteles anzutreffen. Schon Platon zog den Bogenschützen als Vergleich für die freiwillige oder unfreiwillige Verfehlung der Seele heran (Hp. Mi. 375ab). In Antiphons Tetralogien (2.2.3), wo es um die Differenzierung der individuellen Kausalität bei der Tötung geht, die auch im OT mit der religiösen -Konzeption konkurriert, tritt die abstrakte Bedeutung im realen Kontext des Speerwurfs auf, wo im Gymnasium ein anderer in die Flugbahn des bereits geworfenen Speeres läuft und so getötet wird. So beging der Läufer einen Fehler gegen sich ( ’ ). 321 Daß Aristoteles in diesem Kontext den inhaltlichen Unterschied ( ) von Normkonformität ( ) in Politik und Dichtung vorausschickt (1460a 13-15) (vgl. dazu Heath 2009: 468 f.), tut dem keinen Abbruch, da es sich hierbei um eine inhaltliche Füllung der elementareren begrifflichen Kategorien normkonform vs. normdeviant handelt, die hier bei der Klärung der Bedeutung der zur Debatte stehen. 322 Michel Foucault (Préface à la transgression (1963). In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 1, 261-278, h. 265) spricht denn auch beim Verhältnis von Grenze und Transgression von einem „croisement“. 115 die Transgression allgemein eine objektive Grenz- und Normverletzung bezeichnet, während die deren subjektive Modalitäten spezifiziert. Dafür gibt es neben der bereits erwähnten ausdrücklichen Ablehnung von strukturellen Charakterdefiziten (für die - m.E. verfehlte - Verknüpfung der mit dem Charakter s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation), die im weiteren Rahmen für die Semantik der bereits ins Individuell-Subjektive weisen, ein weiteres kontrastiv-kontextuelles Indiz, nämlich den Vergleich mit dem Ausdruck „Schreckliches tun“, da dieser die Transgression objektiv und intersubjektiv bestimmt. Oidipus dient - wie auch Thyest, Alkmeon, Orest und Telephos - Aristoteles als Beispiel dafür, daß die schönste Tragödie diejenige sei, bei der ein moralisch mittelmäßiger Mann einen Umschlag vom Glück ins Unglück durch eine (große) Verfehlung ( ’ [ ]) erleide (Poet. 1453a 7-23). Daß sich der generalisierende Zusatz zur Aufzählung dieser Charaktere (Poet. 1453a 21 f.) am ehesten auf das schwere Leid beziehen läßt, geht aus der Gleichheit des Stammes hervor. Ein weiteres Indiz für diesen Bezug liefert das Kapitel 14 dieser Schrift, wo die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Opfer und Täter als Voraussetzung dafür herausgearbeitet wird, daß das schwere Leid als und (zwei Parallelbezeichnungen zu und ) wahrgenommen wird (Poet. 1453b 14-22), wobei Oidipus - anders als Medea - das Schreckliche unwissentlich tue ( ) und erst später die Verwandtschaftsbeziehung erkenne (Poet. 1453b 27-31). Während , - und durch ihre emotionale Semantik an die Rezeptionsästhetik gebunden sind, ist eine stärker objektivierende Qualifikation, die gleichwohl an ein kollektives Urteil geknüpft ist, welches das Publikum oder die Gesellschaft fällen kann. „Schreckliches tun“ ist also ein Ausdruck, welcher der Transgression und der mit ihr verbundenen Eliminierung und Integritätsverletzung sehr nahe kommt, weil er wie die Transgression auf die sachliche Seite einer kollektiv begründeten Norm abhebt. Vor diesem Hintergrund würde es eine schwierig zu erklärende Redundanz konstruieren, die mit der Transgression zu identifizieren. Diese Überlegungen zeigen auch, wie eng in der Poetik rezeptionsästhetische Erwägungen mit werk- und implizit auch produktionsästhetischen verknüpft sind (Näheres s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik). Als subjektiv-situativer Aspekt einer objektiv unstrittigen Transgression gedeutet, umreißt Aristoteles’ dasselbe Bedeutungsfeld wie die Tragik nach dem Verständnis der vorliegenden Arbeit. In der Tat steht die im Zentrum einer Theorie des Tragischen, soweit eine solche sich aus verschiedenen Stellen der Poetik herauspräparieren läßt. (Trotz dieser unbestreitbaren Schwierigkeiten stimmt es nicht ganz, daß Aristoteles nur der Autor einer Poetik der Tragödie, nicht aber einer Theorie des Tragischen ist.) 323 Doch soll Aristote- 323 Peter Szondi, Versuch über das Tragische. Frankfurt a.M. 2 1964, 7. The Poetics of Aristotle. Translation and Commentary by Stephen Halliwell. London 1987, 126, Simon Goldhill, Gen- 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 116 les hier nicht vorschnell für die eigene Tragiktheorie vereinnahmt werden. Erforderlich ist vielmehr ein genauer Abgleich seiner und der hier vertretenen Ansichten. Dieser setzt eine exakte Bestimmung von Aristoteles’ - und Tragikkonzept voraus, die für beide mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Das liegt im Falle der daran, daß der Versuch, ihre Bedeutung in der Poetik selbst anhand des Kontextes zu bestimmen, eine recht beachtliche semantische Spannweite und keinen präzisen Begriff ergeben hat und die Forschung für eine Präzisierung auf andere Schriften des Stageiriten zurückgreift, was die Einschlägigkeit und Evidenz für die Bedeutung in der Poetik vermindert. Eric Robertson Dodds kommt durch einen Vergleich von Poet. 1453a 7-23 mit der Rhetorik 1374b 6 f. 324 und EN 1135b 12 f. 325 zum Ergebnis, daß die wie an diesen beiden Stellen das „an offence committed in ignorance of some material fact and therefore free from or “ sei. 326 Das werde von der unrechten Handlung ( ) abgegrenzt. Dies geschieht im folgenden (EN 1135b 16-20). 327 Flashar 1984: 22 weist zusätzlich auf die Abgrenzung des vom Unglück bzw. Mißgeschick ( ) an der fraglichen EN-Stelle hin und paraphrasiert sie: „ ist demgemäß eine fehlerhafte Handlung, bei der die Ursache des Falschen in der eigenen Person liegt, die jedoch ohne Vorsatz begangen ist und nicht auf Böswilligkeit beruht.“ Er schließt danach aus dieser Parallele gegen Kurt von Fritz’ 328 eine Seite zuvor ohne konkreten Seitennachweis referierte Ergebnisse von „einem intellektuellen Irrtum[s] als untypisches Versagen in eralizing About Tragedy. In: Rita Felski (Hg.), Rethinking Tragedy. Baltimore, Md. 2008, 45- 65, h. 49. Für bereits platonische Ansätze zum Verständnis des Tragischen s. Stephen Halliwell, Plato’s Repudiation of the Tragic. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 332-349, h. 336-340. Von ihnen läßt sich die Verbindung mit dem Tod in die Eliminierung paraphrasieren, die nach Auffassung der vorliegenden Arbeit bereits ein Merkmal der Tragödie ist, während die Perspektive der Restriktionen unterworfenen menschlichen Existenz sich im Nexus von Transgression und Eliminierung sowie in der eingeschränkten Wahl zwischen zwei Integritätstypen wiederfindet, die hier als grundlegend für die Tragik herausgearbeitet werden soll. 324 < > . 325 ’ : Diese Unkenntnis der Identität trifft in besonderem Maße auf den OT zu. 326 On Misunderstanding the Oidipus Rex. In: Ds., The Ancient Concept of Progress and other Essays on Greek Literature and Belief. Oxford 1973, 64-77, h. 67. 327 ( ) […]. 328 „Tragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie“, in: Ds., Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 1-112. Von Fritz zitiert freilich EN 1135b 16-20, meint jedoch, diese Stelle sowie EN 1110b 29 f. seien nicht sonderlich günstig für die intellektuellen Auslegungen, und tritt die Flucht nach vorne an, indem er die Bedeutung von aus den griechischen Tragödien zu ermitteln versucht (1962: 5), allerdings nicht aus dem lexikalischen Vorkommen in diesem dramatischen Korpus, sondern durch reine Interpretation, ein m.E. hoffnungsloses Unterfangen, um nicht zu sagen: methodisch aberwitziges Vorgehen. Auch nach der Besprechung etlicher Tragödien bleibt sein Begriff vage, obwohl er betont, daß dieses Wort bei Aristoteles „etwas ganz Präzises“ sei (1962: 20 f.). 117 einer ungewöhnlichen Situation“, daß „die Hamartia sehr wohl eine ethische Komponente hat und keineswegs nur einen ‚intellektuellen Irrtum‘ meint.“ Wie dem auch sei, nimmt das - wie die vorliegende Arbeit im Falle der handlungsstrukturell begründeten tragischen Desubjektivierung - eine Differenzierung der Verantwortlichkeit und - wie der tragische Integritätenkonflikt der vorliegenden Untersuchung - durch die Abgrenzung vom eine solche der Legitimität vor, beide zugunsten des Transgressors. Die situative Dysfunktion grundsätzlicher Kompetenzen, welche die vorliegende Arbeit als Charakteristikum der Tragik betrachtet, arbeitet Schmitts Interpretation des 13. Poetik-Kapitels als Merkmal der „tragischen Verfehlung (Hamartia)“ noch deutlicher als Dodds und Flashar anhand anderer EN-Stellen heraus (Poetik 450-476). Deren philologisch-lexikalische Einschlägigkeit und Evidenz, die Schmitt nicht thematisiert, ist zumeist geringer als im Falle der von Dodds und Flashar besprochenen, welche auf Aristoteles’ Definition eines von demselben Stamm wie abgeleiteten Substantivs zurückgreifen konnten. 329 Sie läßt sich gleichwohl nicht zwingend anfechten, wie die folgende Diskussion beiläufig nachweisen will, die aus Gründen der Nachvollziehbarkeit Schmitts systematischem Aufbau folgt. Grundlegend für Schmitts (Poetik 453) Analysen ist eine Stelle aus der Nikomachischen Ethik (EN 1110b 18-1111a 2), die Fehler beim Handeln unterscheide, die aus Unwissenheit ( ’ ) begangen würden, d.h. aus sachlicher Unkenntnis, die unverschuldet ist (ein Beispiel hierfür wäre der OT), und solche, die in Unwissenheit ( ) erfolgten [Kurs. von mir]. Bei ihnen nutze der Betreffende Wissen, das er „zwar hat oder leicht haben könnte“ - Aristoteles sagt hier nur über die betreffende Handlung, sie geschehe nicht mit Wissen, sondern in Unwissenheit ( ’ ) - „aus bestimmten Gründen [...], z.B. aus Leichtsinnigkeit oder aus emotionaler Erregtheit“ nicht (Aristoteles spricht hier von den Bewußtseinstrübungen Rausch und Zorn [ ]). Diese beiden punktuellen Formen der Unwissenheit darf man also als situative Einschränkungen der kognitiven Kompetenz betrachten. Sie entsprechen damit im intellektuell-kognitiven Bereich der Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts, welche diese Arbeit, sofern sie in der Handlungsstruktur wurzelt, als Merkmal der Tragik ansieht (s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung). Für die Taten aus Unwissenheit ( ’ ) entwirft Aristoteles im vorangehenden eine differenzierte Kasuistik von Nichtfreiwilligkeit und Unfreiwilligkeit (EN 1110b 18-23), 330 ein „Fehler“ in Unwissenheit 329 Dieses lexikalische Manko hat schon Lurje 2004: 292 mit Blick auf Francesco Robortellos Kommentar der Poetik aus dem Jahre 1548 moniert („Robortello hat nicht nachgewiesen, daß das Wort hamartia bei Aristoteles tatsächlich solches Handeln aus Unwissenheit bedeutet bzw. bedeuten kann.“), der bereits die EN-Stelle, die Schmitt - freilich ohne dies mit einem Wort zu erwähnen - zum Ausgangspunkt seiner -Interpretation macht, zur Präzisierung des -Begriffs in der Poetik herangezogen hatte. Anschließend verweist er auf die lexikalische Einschlägigkeit der von Dodds und Flashar bemühten EN-Stelle, welche die drei Tatbestände Unrecht, Verfehlung und Versehen abgrenzt. 330 Als unfreiwillig wird die Reue eingestuft ( ). Einen Sinneswandel hält bereits Homer nach der Transgression für möglich, wenn er die Bitten ( ) der A (Majuskel bei West) nachfolgen sieht (Il. 9.502-504). 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 118 ( ) ist Schmitt zufolge „nicht als ganzer unfreiwillig, da man für ihn einen Teil Eigenverantwortung trägt“ (Poetik 453). Die beiden genannten Formen der situativen Unwissenheit werden von Charakterfehlern abgegrenzt, die an einer späteren Stelle (EN 1113b 16 f.) tout court als freiwillig und an der vorliegenden ebenfalls gut intellektualistisch als generelles Nichtwissen aufgefaßt werden (EN 1110a 28-33). 331 Es ist äußerst verstörend, daß, was Schmitt vollkommen ignoriert, 332 der aus dieser Stelle wörtlich zitiert (Poetik 451) und sogar bei den beiden Formen des Handelns aus Unwissen (EN 1110b 25) mit „beim Handeln einen Fehler machen“ wiedergibt (Poetik 453), 333 also eine Entsprechung von in die Paraphrase schmuggelt, nur dieses Nichtwissen, das für die Charakterfehler verantwortlich sei, nicht aber das situative Unwissen als bezeichnet wird, wo die Poetik doch Charakterfehler und scharf voneinander abgrenzt (s.o.). Allein der Zusatz verhindert einen ausschließenden Widerspruch zur Poetik, weil er die Möglichkeit impliziert, daß Aristoteles von mehreren Subspezies der ausging. Dieser terminologische Pluralismus läßt jedoch keine Kohärenz des - Begriffs in Aristoteles’ Gesamtwerk erwarten und Schmitts Vorgehen, die der Poetik mit Hilfe der EN zu präzisieren, als wenig aussichtsreich erscheinen oder stellt zumindest die Möglichkeit massiv in Frage, zu philologisch gesicherten Ergebnissen zu gelangen. Diese Stelle läßt also nur dahingehend einen Rückschluß auf die der Poetik zu, daß diese intellektuell ist (so die Konsequenz aus Schmitts Anknüpfung an das Nichtwissen, die in einem gewissen Gegensatz zur ethischen Komponente steht, die Flashar außerdem in der erblickt), weil die vorliegende es auch ist und, was noch einschlägiger ist, durch die intellektualistische Erklärung von Charakterfehlern den ethischen Intellektualismus des Aristoteles verbürgt. (Schmitt Poetik 469 wendet sich deshalb und vor dem Hintergrund seiner eigenen Anküpfung der an das Nichtwissen m.E. nicht recht überzeugend gegen Positionen der Forschung, nach denen Aristoteles noch „den griechischen Wissens- oder Logosoptimismus“ 334 teile.) Die Einschlägigkeit dieser Passage für das Verständnis der in der Poetik wird aber auch dadurch gewährleistet, daß Mitleid und Verzeihung ( ) nur der Unwissenheit im Einzelfall zugebilligt werden (EN 1111a 1 f.), da die erste Form der Anteilnahme in der Poetik allein demjenigen zugestanden wird, der durch eine und nicht 331 EN 1110b 28-30: 332 Von Fritz 1962: 5 paraphrasiert zwar diese Stelle einschließlich der (charakterlichen) , sieht jedoch nicht den Widerspruch zur Poetik. 333 Möglicherweise wurde er dabei durch Dirlmeier fehlgeleitet, der bereits bei der vorangehenden Passage, welche die Unfreiwilligkeit des Handelns aus Unwissenheit differenziert (EN 1110b 18-23), zweimal „Fehlender“ übersetzt (S. 46), ohne daß im griechischen Original o.ä. stünde. 334 Schmitt zitiert hier ohne Seitenangabe Christof Rapp, Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit. In: Otfried Höffe (Hg.), Aristoteles. Die Nikomachische Ethik. Berlin 1995, 109- 133, wo ich weder diesen Gedanken noch diesen Wortlaut finden konnte. 119 charakterliche Defizite einen Umschlag vom Glück ins Unglück erlebt (1453a 2-10). Etwas besser ist es um die lexikalische Einschlägigkeit an zwei anderen Stellen bestellt, die Schmitt heranzieht, weil an ihnen die Wurzel für die Handlungskonstellation steht, die Schmitt als erhellende Parallele für die Poetik bemüht. Wer im Zorn ein Unrecht ( ) begehe, handele zwar unrecht ( ) und begehe dabei einen Fehler ( ), sei aber nicht ungerecht oder charakterlich schlecht (EN 1135a 20-29). In der Tat findet sich hier dieselbe Unterscheidung zwischen einem grundsätzlichen charakterlichen Defekt und einem okkasionell-situativen Fehlverhalten ( ) wie in der Poetik. Indes handelt es sich hierbei um ein Beispiel (EN 1135a 20 f.: ) für eine unrechte Handlung ( ), die in der vorangehenden Passage, die hier bereits unter Rückgriff auf Dodds und Flashar besprochen wurde, von dem abgegrenzt wird. Das Merkmal des affektgeleiteten , das Schmitt Poetik 452 zitiert, nämlich der Umstand, daß der Anfang ( ) der Tat außerhalb des Täters bei demjenigen liege, der den Zorn verursacht habe, widerspricht eklatant der Definition des in EN 1135b 18 f., bei dem die Ursache des normwidrigen Tatbestandes ( … ) in dem Betreffenden liege. Daß bei der Analyse des affektgeleiteten Unrechts mit koordiniert wird, also eine reale Handlung, die Aristoteles hier als faktisches Fundament sowohl dem wie dem und dem zugrunde legt, läßt für die objektivierende Bedeutung ‚deviantes, normwidriges Verhalten‘ vermuten, die weiter oben ja auch für die Poetik diskutiert wurde. Unter dieser Prämisse ist es nicht ausgeschlossen, das affektgeleitete Verhalten als subjektiven Hintergrund der in der Poetik heranzuziehen, ohne daß dafür ein zwingendes textimmanentes Indiz vorläge. Oder anders formuliert: Die eher weitgefaßte Semantik der Wurzel in der Poetik und im diskutierten Passus ermöglicht es trotz der abweichenden Definition von im vorangehenden, die vorliegende Stelle für Umstände und Hintergründe der in der Poetik zu bemühen. Etwas anderes ist der Transfer auf die eigene Dramentheorie und die Analyse attischer Tragödien, der nicht so strengen philologischen Kriterien wie die Erhellung des -Begriffs genügen muß, sondern sich mit der Übereinstimmung von Handlungskonstellationen begnügen kann. Ein solcher Brückenschlag zum Drama wird dadurch nahegelegt, daß Aristoteles’ EN die soziale Interaktion mit einbezieht und insbesondere den Zorn als Reaktion auf ein Unrecht interpretiert, das dem Zürnenden nach dessen Auffassung widerfahren sei (EN 1135b 28 f.: ). Schmitt kann hier glaubhaft den Bogen zu Euripides’ Medea spannen, weil „Euripides […] in seinem Drama von vielen Seiten her deutlich gemacht [hat], dass Medeas Handeln nur auf ein Unrecht reagiert“ (Poetik 452). Für die Dramentheorie der vorliegenden Arbeit ist diese EN-Stelle sehr wertvoll, weil sie gut zeigt, daß in zeitlicher Nähe der attischen Tragödie die Verletzung der sozialen Integrität als nachvollziehbarer Anlaß einer Transgression angesehen wurde, wo doch die vorliegende Untersuchung in der Verletzung oder Gefährdung der sozialen Integrität das auslösende Moment der tragischen Transgression in der attischen Tragödie erblickt, dem 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 120 sogar die physische Integrität von Anverwandten geopfert werden kann (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller und 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch). Weiterhin unterscheidet Aristoteles laut Schmitt Poetik 457 die grundsätzliche Zügellosigkeit ( ) von der punktuellen Unbeherrschtheit ( - ) (EN 1147b 20-1149a 20), bei der grundsätzlich vorhandenes Wissen nicht gebraucht wird (EN 1147a 1-24). Aristoteles erklärt eine ethisch-dsziplinäre Dysfunktion also intellektualistisch. Schmitt Poetik 457 nuanciert, die Zügellosigkeit sei „Zeichen allgemeiner Schlechtigkeit“ und wer ihr folge, begehe keine . „Auch die tragische Hamartia [Kurs. im Orig.] und die Unbeherrschtheit sind nicht dasselbe.“ Diese Abgrenzung ist noch untertrieben: Aristoteles bemerkt, die werde nicht nur als , sondern auch als Form der Schlechtigkeit getadelt, als die sie schlechterdings oder teilweise angesehen werde. Ein Brückenschlag zur der Poetik scheint damit mehr als fragwürdig. Gleichwohl bietet diese Stelle das ethische Pendant zur punktuellen kognitiven Minderleistung, so daß beide Aspekte eines ethisch-rationalen Subjekts und seiner Dysfunktion, die in dieser Arbeit ein Merkmal einer tragischen Transgression ist, in der EN eine Entsprechung finden. Der -Begriff hinter den Phänomenen, die Schmitt an den besprochenen EN-Stellen zur Erhellung der „tragische[n] Hamartia“ der Poetik heranzieht, ist, sofern er sich überhaupt feststellen läßt und nicht in Widerspruch zu Definitionen dieses Lexems in der EN oder dem Inhalt der in der Poetik steht, also mit demjenigen der Poetik nur dadurch kompatibel, daß er gleichermaßen weit gefaßt ist (‚normdeviantes Verhalten‘). Von einer wirklich stichhaltigen Präzisierung kann dagegen keine Rede sein. Einzig das Mitleid ist ein fester Brückenkopf, um die filigrane Kasuistik von Nichtwissen und (Un-) Freiwilligkeit der EN auf den Handlungsverlauf der Idealtragödie nach dem Kap. 13 der Poetik und damit auch die zu übertragen (für die Kasuistik von Unwissen und teilweiser Unfreiwilligkeit als Voraussetzung des in der Poetik zentralen Affekts des in der EN s. Schmitt Poetik 452 f.), doch bleiben auch hier beachtliche Diskrepanzen, da das Mitleid in der EN mit der Verzeihung, in der Poetik dagegen mit dem Schrecken bzw. der Furcht (bei dieser Nuancierung leistet Bohrers gleichfalls einseitige Perspektive gute Dienste) koordiniert wird. Arbogast Schmitts eigene Definition der bleibt ähnlich vage wie deren Begriff an den von ihm besprochenen EN-Stellen. Dabei greift er erstaunlich wenige der später aus der EN gewonnenen Phänomene auf bzw. ersetzt sie durch andere. Das tragische Handeln nach Aristoteles definiert er als das Scheitern aufgrund einer Hamartia, die ein „tragischer Fehler“ bzw. ein „verständlicher Fehler“ „in schwerer Situation“ eines „grundsätzlich guten Charakter[s]“ sei. Erst danach läßt er - freilich nur mit der Wut - die Affekthandlung der EN anklingen, wenn er von „Fehlgriff“ spricht und Emotionen wie Liebe, Eifersucht, Wut und Enttäuschung als „[v]erstehbare Gründe“ für das Scheitern nennt (Poetik 123 f.). Der grundsätzlich gute Charakter des Fehlenden ist allenfalls eine mißverständliche, aber nicht grundsätzlich falsche Beschreibung von Aristoteles’ Empfehlungen in der Poetik (beide sind parallele Merkmale der schön- 121 sten Tragödie bzw. genauer ihres Umschwungs; da die ihn herbeiführt (Poet. 1453a 9 f., 1453a 13-16: ), ist sie ein wesentlicheres Merkmal, während der mittlere Charakter eine notwendige Voraussetzung ist) und nicht derart geradewegs falsch wie die Ableitung der Verfehlung aus dem Charakter des Betreffenden, die Schmitt sonst vertritt (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation). Von der schweren Situation findet sich m.W. bei Aristoteles nichts. Wir haben sie jedoch als Implikat bzw. Begleitumstand der sozialen Integrität ausgemacht, die beim tragischen Integritätenkonflikt bedroht ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist Deianeira in Sophokles’ Trachinierinnen, die Schmitt für den emotionalen Nichtgebrauch eines grundsätzlich vorhandenen Wissens (hier das Gift in Herakles’ Pfeilen und dem Blut des Kentauren) bemüht (Poetik 453-455), da ihr Handeln, das unabsichtlich zur physischen Eliminierung ihres Gatten führt, dadurch angestoßen wird, daß Herakles eine neue junge Frau aus dem Krieg mitbringt, durch die sie ihre soziale Position (und damit im weitesten Sinne auch ihre soziale Integrität) bedroht sieht. 335 Die (soziale) Integrität ist zudem ein wesentlich objektiverer und klarer umrissener Begriff als Schmitts „Verständnis“, das starken historischen, interkulturellen, intersubjektiven und sogar biographischen Schwankungen bei ein und derselben Person unterliegen kann. Insgesamt ist Schmitts Definition der mit der in dieser Arbeit vertretenen Interpretation sowohl der (individueller, konjunktureller Fehler) wie der Tragik (handlungsstrukturell bedingte Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts) kompatibel, auch wenn oder gerade weil sie nicht so präzise wie diese ist. Dagegen unternimmt Lurje (2004: 299 f.), den Schmitt nur spärlich rezipiert (s.u.), einen beachtlichen Brückenschlag und Abgleich zwischen den definitorischen Bestimmungen des in EN und Rhetorik sowie den Konzepten (Un)Freiwilligkeit und Unwissen der EN: „ [entspricht] den in EN III 1 behandelten unfreiwilligen Handlungen aufgrund von Unwissenheit [Lurje gibt hiermit ’ wieder] genau. […]. Wie bei den aus Unwissenheit vollzogenen Handlungen liegen auch beim hamartema das bewegende Prinzip und die Ursache im Handelnden selbst. Er handelt jedoch nicht aufgrund der moralischen Schlechtigkeit, sondern aus Unwissenheit ( ’ ) 336 über konkrete handlungsrelevante Umstände […].“ Daß die Ursache bei dem unfreiwilligen Handeln aufgrund von Unwissenheit im Handelnden selbst liege, entwickelt Lurje 2004: 290 f. selbst aus der EN und EE v.a. anhand der Kriterien für das Freiwillige und nennt dies „den zentralen, wenn auch bislang zu wenig beachteten Unterschied [sc. zur unfreiwilligen Handlung unter Zwang]“. Beim Nichtwissen ist es verwirrend, daß (was sich bereits oben bei Dodds und Flashar 335 Diese Juxtaposition von Schmitts und meiner Interpretation der Trachinierinnen enthält selbstredend kein Werturteil, welche Deutung dem Drama, seinem Text und seiner Tiefenstruktur angemessener sei. Dies erfordert eine Diskussion, die im Rahmen dieser Arbeit - allein aus Platzgründen - nicht geführt werden kann (für Ansätze s.u.). Doch ist schon jetzt klar, daß unsere beiden Ansätze unterschiedliche Aspekte beleuchten, Schmitts subjektive, meiner objektive. 336 Vgl. EN 1135b 12 f. (Wortlaut s.o.). 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 122 ankündigte) nun mit ’ der dritte Ausdruck für ein (punktuelles) Nichtwissen im Umfeld der bzw. des auftaucht. Da sich sowohl ’ in EN 1135b 12 f. als auch in EN 1110b 24- 1111a 1 auf handlungsrelevantes Einzelwissen beziehen, darf man diese beiden Ausdrücke als deckungsgleich betrachten, zumal sie wohl dieselbe syntaktische Funktion haben (Begleitumstand der übergeordneten Handlung). Doch auch ’ wird in der freilich sicher unechten 337 Rhetorik an Alexander 1427a 30-35, wie von Lurje 2004: 296 zitiert, zur Definition sogar der herangezogen ( ’ - ) (die aus der EN bekannte Trias lautet dort allerdings , und ) und Lurje 2004: 300 postuliert sogar die Identität von Fällen, die über ’ und ’ spezifiziert werden. 338 Verfehlungen können die Menschen jedenfalls sowohl in Unwissenheit ( ) und zugleich aus Unwissenheit ( ’ ) als auch nur in Unwissenheit ( ) begehen, wobei nur der erste Fall verzeihlich ist, während dies auf den zweiten nicht zutrifft, wenn er auf einen widernatürlichen, nicht menschlichen Affekt zurückgeht (EN 1136a 5-9). So wenig eindeutig wie der Sprachgebrauch und die Fallunterscheidungen sein mögen, so ergeben sie doch eine kumulative Evidenz für eine kognitionspsychologische Deutung der - zumindest außerhalb der Poetik. Eine Präzisierung des bisher in der Forschung gewonnenen Begriffs des und seiner expliziten Definition bei Aristoteles über das Nichtwissen und die Ursache im Handelnden selbst (vgl. EN 1135b 12-20, Näheres und Wortlaut s.o.) leistet Lurjes Brückenschlag jedoch nicht. Schwerer noch als die philologischen Unsicherheiten wiegen Bedenken gegenüber dem nicht erst von Schmitt gewählten Vorgehen, die der Poetik mit Hilfe anderer Schriften des Aristoteles zu präzisieren, die sich aus der massiven Diskrepanz der begrifflichen Komplexität zwischen Poetik und EN in bezug auf die speisen. Schmitt Poetik 451 wirft Robortello und Lurje 2004: 291 f. vor, Aristoteles’ Abwägungen und Nuancierungen der (Un)Freiwilligkeit und daran anknüpfend lobens- oder tadelnswerter Handlungen in der EN nicht hinreichend zu berücksichtigen (für diese und einen Hinweis auf Schmitts Rekonstruktionen s.o.). 339 (Übrigens spricht allein der Umstand, daß die Gelehr- 337 Hellmut Flashar, Aristoteles. In: Ds. (Hg.), Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos. Bd. 3 von Die Philosophie der Antike. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Hg. v. Helmut Holzhey. Basel 2 2004, 167-492, h. 275. 338 Lurje 2004: 300 Anm. 65 nivelliert weiter den Unterschied zu ’ : „ cum gen. bezeichnet nie ein streng geschiedenes Nebeneinander, sondern immer ein Unter- und Miteinander und daher häufig nicht nur die Art und Weise, sondern auch das Mittel [Kurs. im Orig.], durch das etwas ausgeführt wird oder geschieht.“ 339 Schmitt ist insofern zuzustimmen, als Lurje 2004: 291 f. nur für die Trunkenheit, nicht aber den Affekt anhand von EN 1113b 30-33 nachweisen kann, daß sie eine selbstverschuldete Unwissenheit darstelle. Bei der Besprechung von EN 1135b 11-25 klammert Lurje 2004: 294-297 den Affekt, auf dessen unrechtsmotivierende Rolle Schmitt hinweist, zur intensionalen Bestimmung der - philologisch vollkommen zu Recht - gänzlich aus und konzentriert sich auf die Abgrenzung von Unrecht, Verfehlung und Versehen. Der Billigkeit, ja wissenschaftlichen Redlichkeit halber muß angemerkt werden, daß Lurje 2004: 286-292 bei seiner Robortello-Besprechung die Nuancierungen der Aristotelischen Analysen in der EN detailliert 123 ten bis heute noch zu keinem Konsens über die (Be)Deutung der EN für die gefunden haben, obwohl dieser Ansatz seit der Renaissance betrieben wird, erheblich gegen seine heuristische Ergiebigkeit. Die Voraussetzung, um einen solchen Abgleich zwischen der in der Poetik und Aristoteles’ ethisch-rhetorischen Schriften sinnvoll zu betreiben, wäre eine umfassende Aufarbeitung eines konsistenten -Begriffs in den letztgenannten. Doch diese fehlt m.W. bis heute 340 und kann angesichts von annähernd 100 Belegstellen in EN, EE, MM und Rhetorik in der vorliegenden Arbeit auch nicht geleistet werden.) Es ist allerdings bemerkenswert, daß die filigrane Kasuistik von Nichtwissen 341 und Unfreiwilligkeit, welche die EN entwickelt, in der Poetik kein Pendant und keinen Aufhänger findet, am wenigsten bei der , die unkommentiert wie ein erratischer Block im Zentrum der Kriterien für die schönste Tragödie steht. Daß sie nicht klarer begrifflich konturiert wird (die einzige Präzisierung ist das Attribut ‚groß‘ bei ihrem zweiten Auftreten [Poet. 1453a 15 f.]), nicht einmal durch Querverweise auf andere Werke, scheint kaum ein Versäumnis zu sein, das der gewiß nicht immer bis ins letzte durchgearbeiteten Redaktion der Poetik geschuldet ist, 342 sondern eher der Rücksicht auf das textliche Profil und Material der Tragödien zu entspringen, mit dem Aristoteles ja in der Poetik eingehend arbeitet. Tatsächlich spielt der Wortstamm in der Binnenhermeneutik etlicher Sophokles- und Euripides-Tragödien eine Rolle. In den Trachinierinnen fehlt in dem Passus im Munde des Hyllos, den Schmitt zitiert (Poetik 454), jedoch das Nichtwissen, nur die Unfreiwilligkeit der Verfehlung wird betont (v. 1122 f.). 343 Die Unfreiwilligkeit entspricht mehr oder nachzeichnet, auch der Nicht-Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit im Falle des Handelns aus Unwissenheit, und textnah herausarbeitet, in welcher Konstellation nach Aristoteles Mitleid angebracht sei, nämlich bei Unkenntnis konkreter Dinge (2004: 288 f.). Lurjes Deutung ist damit philologisch wohlabgesichert, während Schmitt im folgenden seine Argumentation nur mit der für die philologisch sehr fragwürdigen Interpretation der Stelle des affektinduzierten Unrechts stützen kann. Schmitts Umgang mit Lurje und Robortello ist insofern bemerkenswert, als er - zumindest nach Lurjes Überblick über die Entwicklung der -Deutung von Schmitt und seinen Schülern (2004: 263-275) - die fraglichen EN-Stelle(n) über das Nichtwissen erst seit Erscheinen von Lurjes Untersuchung einbezieht (Poetik 450 ff.), während der EN-Passus zur (Näheres s.o.) bereits zuvor in Schmitts Schule herangezogen wurde (Lurje 2004: 269). 340 Reinhold Glei, Art. Schuld. HWP 8 (1992) 1442-46, h. 46 nennt nur Titel zu Aristoteles und der Tragödie. Bremer 1969: 52-56 begnügt sich mit dem statischen Verhältnis von ‚verfehlen‘, ‚irren‘ und ‚einen (moralischen) Fehler begehen‘ („offend“) bei den Rednern, Platon und Aristoteles. 341 Das (Un-)Wissen bei der Transgression erörtert Aristoteles ohne Bezug zur eher aus systematischen Gründen (Poet. 1453b 27-37). In diesem Zusammenhang wird erwähnt, daß, was Schmitt Poetik 451 zitiert, Euripides’ Medea ihre Kinder „mit Wissen und Einsicht“ (Fuhrmann) tötet (Poet. 1453b 27-29: ). Das ist also das genaue Gegenteil der verschiedenen Formen des Nichtwissens, die Aristoteles in der EN erörtert. Diese sind für die Medea nur insofern relevant, als ein Zürnender in Unwissenheit ( ) handelt (EN 1110b 24-27) und der Zorn in EN 1135a 20-29 durch Unrecht der sozialen Umwelt induziert wird, was Schmitt Poetik 452 zufolge auch in Euripides’ Medea der Fall sei. Mit der Poetik hat dieser Brückenschlag zwischen EN und Euripides jedoch nichts zu tun. 342 Vgl. Donini 127 Anm. 207 zu Kap. 18. 343 / ’ ’ . 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 124 minder unspezifisch dem fehlenden Vorsatz, welcher das bei Aristoteles zusätzlich zum Unwissen charakterisiert (s.o.). Das eingeschränkt freiwillige Unwissen, welches das Spezifikum der Interpretation der in der Poetik ist, die Schmitt anhand der EN vornimmt, findet hier keine Parallele. Die zweite Äußerung des Hyllos, die Schmitt bemüht, hebt sogar auf die Integrität von Deianeiras Absichten ab (v. 1136: ’ ). Bei der Binnenhermeneutik der in Euripides’ Bakchen (v. 1120 f.) spielen Nichtwissen und Unfreiwilligkeit keine Rolle, sie, v.a. das Nichtwissen, sind nur situativ präsent. In seinem Hippolytos (v. 319-324) geht es wieder allein um die Unfreiwilligkeit der Verfehlung, für die Nichtumsetzung des als richtig ( ’) Erkannten (v. 380-385) werden dagegen Lust und Trägheit verantwortlich gemacht. Diese Analysen loten die Grenzen des ethischen Intellektualismus aus (Näheres s. 7.2.3 Phaedra und die Amme in der Interpretation von Senecas Phaedra), den doch Aristoteles in der EN auch im Falle der Charakterdefizite vertritt. Auch die teils von der EN divergierende Spezifik der Binnenhermeneutik der in den besprochenen Tragödien legt die Vermutung nahe, daß Aristoteles aus Kompatibilitätsrücksichten den Begriff der in der Poetik nicht enger gefaßt und die Kasuistik der EN außen vor gelassen hat. 344 Die Unsicherheiten, mit denen die Rekonstruktion von Aristoteles’ Tragikkonzeption in der Poetik behaftet bleibt, sind der vielschichtigen Argumentation vieler der betreffenden Stellen geschuldet. Sie kommt nicht zuletzt dadurch zustande, daß in dieser Schrift durch die idealen Tragödienwirkungen und Rezeptions- und Produktionsästhetik kurzgeschlossen und mit Beispielen aus der dichterischen Praxis illustriert werden. Dies ist schon an der zentralen Stelle der Poetik der Fall, die am eindeutigsten Aristoteles’ Tragikverständnis formuliert: Ihm zufolge erscheinen ( , ) diejenigen Tragödien (und Euripides) als die tragischsten, in denen sich ein Umschlag vom Glück ins Unglück ereigne (Poet. 1453a 27-30). 345 Daß das Handlungsmerkmal ‚tragisch‘ gesteigert werden kann, läßt eine Abstufung erkennen, die hier implizit 344 Daß Schmitt dagegen nicht nur die Schriften des Aristoteles untereinander und mit der dramenliterarischen Praxis in einer widerspruchsfreien Einheit sieht, sondern in dieses Konglomerat noch historische Beispiele (Poetik 449 f.: Hitler und Stalin im Zusammenhang mit dem - ) und Alltagserfahrungen (Poetik 464: „Ist der Fototermin weit entfernt oder fast unerreichbar, wird die Meinung, dass Süßes dick macht, ohne Präsenz und daher gefühls- und handlungsirrelevant sein, die gerade präsente Wahrnehmung des Süßen dagegen stark.“) mengt, braucht hier nicht weiter ausgeführt und widerlegt zu werden. Nur soviel sei angemerkt, daß diese Einheit allein durch die Ablehnung bzw. Denunziation moderner und stoischer (Poetik 469) Ansichten zusammengehalten wird. 345 Flashar relativiert, daß sich Aristoteles’ Urteil über Euripides als den tragischsten Dichter auf diesen einen Punkt beschränke und gegen die guten Ausgänge der Tragödien des 4. Jh.s richte (1984: 7 f.). Zumindest irreführend ist es deshalb, wenn Bohrer Aristoteles’ Lob für Euripides für sein eigenes Konzept des „ekstatisch Erscheinenden“ (Kurs. im Orig.) bemüht, das dieser Tragiker Bohrer zufolge verwirklicht habe (2009: 228). Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 46 sieht in dieser Aristoteles-Stelle fälschlicherweise ein generelles Lob für Euripides. 125 normativ ist. Das Prädikat ‚tragisch‘ bezieht sich hier nur auf den empfohlenen Umschwung ins Unglück. Daß er durch einen (großen) individuellen Fehler ( ’ [ ]) verursacht ist (Poet. 1453a 9 f., 15 f.), wird nur für die schönste Tragödie verlangt. Deshalb ist es wegen der argumentativen Einheit des 13. Kapitels und zur Abgrenzung von anderen -Konzepten durchaus statthaft, wie Schmitt Poetik 450 die als „tragische Verfehlung“ zu paraphrasieren oder gar tout court den Ausdruck „tragische Hamartia“ (Kurs. im Orig.) zu gebrauchen (Poetik 457), 346 doch kann - streng philologisch - die nicht für Aristoteles’ Tragikkonzept in Anspruch genommen werden. Ähnlich behutsam bis aporetisch muß der Abgleich von Aristoteles’ - - und Tragikkonzept mit demjenigen der vorliegenden Arbeit ausfallen, der nun unternommen werden soll, bevor ein kurzer Rückblick über die gesicherten Ergebnisse zur diesen Abschnitt beschließen soll. Das Resultat dieses Vergleichs wird sich weitgehend auf Affinitäten von Handlungsmerkmalen und Vorstellungen beschränken und keine Begriffe als deckungsgleich identifizieren. Doch ist ein derart differenziertes Vorgehen besser als eine vorschnelle Vereindeutigung und handsärmlige Vereinnahmung. Die magere Ernte liegt nicht nur an den Unsicherheiten und Schwierigkeiten, mit welchen die Rekonstruktion der beiden genannten aristotelischen Konzepte und ihres Verhältnisses behaftet ist, sondern zugegebenermaßen auch an dem komplexen Tragikmodell dieser Untersuchung, bei dem eine tragische Transgression entweder durch die situative Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts, die in der Handlungsstruktur wurzelt (s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung), oder einen Integritätenkonflikt zustande kommt (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller). Letzterer bleibt bei Aristoteles ohne Parallele. Nur die physische Integritätsverletzung bzw. Eliminierung innerhalb der Familie ist Teil des idealtypischen Handlungsschemas der Tragödie, zu dem auch die gehört und mit dem ebenfalls das Tragische konzeptionell über das Leiden verknüpft wird (s.u.). Mit dem Handlungsschema, das Aristoteles v.a. im 13. Kapitel der Poetik für die tragische entwickelt, kommt er dagegen in wichtigen Punkten der vorliegenden Untersuchung und va. ihrer Konzeption der handlungsstrukturellen Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts nahe. Die tragische Transgression stimmt insofern mit der überein, als beide subjektive Momente der Devianz in den Blick nehmen, während die bloße Transgression auf das objektive factum brutum der Normverletzung abhebt. Diese objektive Nuance läßt sich zumindest als Nebenbedeutung auch in der wiederfinden (s. den Anfang dieses Abschnitts). Das Attribut ‚tragisch‘ erlaubt es also der Transgression, neben der objektiven Facette der deren subjektive zu erfassen zu 346 Dies entspricht dann im weiteren Rahmen Aristoteles’ Sprachgebrauch, der an zwei Stellen im Gattungssinne ‚zur Tragödie gehörig‘ und in bloßer Abgrenzung vom Epos verwendet (Poet. 1461b 26, 1462a 1-4). Doch ist diese generische Bedeutung, die mit Aristoteles’ klassifikatorischem Denken übereinstimmt, weiter gefaßt als die spätere formal-stilistische, die auch bei der Stoa anklingt (s. s. 1.4.1 Methodische und forschungsgeschichtliche Problematik und Aktualität im Tragik-Kapitel dieser Einleitung und 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen). 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 126 differenziert zu benennen. Mehr noch entspricht die punktuelle Devianz der grosso modo der situativen Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts bei der Transgression, welche diese Arbeit als eine Form der Tragik ansieht. Die Punktualität der wird durch ihre Abgrenzung von der charakterlichen Schlechtigkeit und der parallelen Spezifkation der geforderten charakterlichen Eigenschaften verbürgt (Poet. 1453a 7-10, 15-17). Die Situation, in welche die tragische Dysfunktion des ethisch-rationalen Subjekts eingebettet ist, gehört in der Tragikkonzept dieser Arbeit zur Handlungsstruktur. Auch die weist eine Affinität zur Handlung(sstruktur) auf. Während allerdings für diese Untersuchung die Dysfunktion in der Handlungsstruktur wurzeln muß, um tragisch zu sein, leitet Aristoteles die nicht ausdrücklich aus der Handlungsstruktur ab, sondern sieht sie nur in eine Handlungskonstellation 347 eingebettet (vgl. im 13. Kap. 1453a 3, 23: ), zu welcher als handlungsfremdes Element der mittlere Charakter des tragischen Protagonisten sowie neben der als weiteres handlungsstrukturelles Merkmal der Umschwung vom Glück ins Unglück gehören. Dieser gerät in der Poetik auch in einem anderen Passus außerhalb der vorgenannten Stelle und dort außerhalb des Kontextes der , der dem 13. Kapitel und damit dem Herzstück dieser Schrift entstammt, in eine Nähe zum Tragischen. Das Tragische und Menschenfreundliche ( ), so heißt es im 18. Kapitel, nach dem die Dichter strebten, erreichten sie in erstaunlicher Weise. Dies geschehe dann, wenn bei der Peripetie ein Kluger, der wie Sisyphos zugleich moralisch schlecht ist, getäuscht werde (Poet. 1456a 21 f.). 348 Mögen die Interpretation dieser Passage und ihre Einschlägigkeit für Aristoteles’ eigenes Tragikverständnis auch mehr als fraglich und letztere nach Auffassung dieser Arbeit gar nicht gegeben sein, 349 so wird doch an ihr zumindest in einem besonderen Fall ein Nexus von Tragik, struktureller kognitiver Kompetenz und situativer kognitiver Fehlleistung textlich greifbar, der auf der kognitiven Seite exakt dem in der vorliegenden Arbeit vertretenen und bereits oben generell für die bemühten Tragikver- 347 Der mittlere Charakter als Merkmal des tragischen Protagonisten verbietet es strenggenommen, vereinnahmend tout court als „Handlungsstruktur“ wiederzugeben, auch wenn die unmittelbare Nähe von (Poet. 1453b 2 f.) ein deutliches Indiz dafür ist, als Kurzform davon aufzufassen aufzufassen und als „structure“ (Lucas 146, Halliwell 1999: 70) bzw. sogar „plot-structure“ (Halliwell 1987: 44) wiederzugeben. Diese Verkürzung suggeriert auch Fuhrmanns Übersetzung 39, 41 „Zusammenfügung“ bzw. „zusammengefügt“ und „Zusammenfügung der Geschehnisse“. Schmitt Poetik 17 f. übersetzt sogar „eine so angelegte Handlung“ bzw. „Gestaltungsprinzip“, beidemale zu frei, weil die erste Wiedergabe der Handlung, die doch erschlossen ist, das Übergewicht verleiht, während die zweite diesen Zusammenhang und überhaupt das kompositorisch-strukturelle Moment verwischt. 348 Vgl. Arist. Poet. 1456a 19-23: < > 349 Dafür sowie für die zugrunde liegenden inhaltlich-syntaktischen Schwierigkeiten dieses Passus, die Diskussion um die Bedeutung von und das Verhältnis dieser beiden Begriffe ‚tragisch‘ und ‚menschenfreundlich‘ in Aristoteles’ Poetik s. das Kap. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia. 127 ständnis entspricht. Unbestreitbar enthält dieser Passus jedenfalls denselben Gegensatz von struktureller kognitiver Kompetenz und situativer kognitiver Fehlleistung, den unser Tragikkonzept voraussetzt. Das 14. Kapitel läßt schließlich eine Verbindung des Tragischen, ebenfalls außerhalb der , mit dem Leiden erkennen, 350 welches das Unglück des 13. Kapitels variiert und konkretisiert. Höchstwahrscheinlich hat man sich unter dem Leiden das schwere Leid vorzustellen, das in Mordfällen oder -plänen innerhalb der Familie bestehe, wie es kurz zuvor heißt (Poet. 1453b 19-22). Das Tragische wird damit klarer als in der oben interpretierten Passage zu Euripides, welche diesen wegen seiner Umschwünge vom Glück ins Unglück den tragischsten Dichter nennt (Poet. 1453a 27-30), über die physische Eliminierung bestimmt, während die Eliminierung in der vorliegenden Arbeit qua Merkmal der Transgression nur ein Substrat der Tragik ist. Auch in den übrigen aristotelischen Schriften außerhalb der Poetik, die gerne zur Erhellung der herangezogen wurden (v.a. die EN), läßt sich die Vorstellung einer situativen Dysfunktion kognitiver Kompetenzen erkennen. Im ethischen Bereich schied der Stageirit in diesen Traktaten eine situative Dysfunktion von grundsätzlichem Unvermögen, die ebenfalls insofern punktuell ist, als vorhandenes Wissen nicht genutzt wird. Im kognitiven Bereich vertritt er damit dasselbe Konzept wie die vorliegende Arbeit bei der Tragik, die hier auf die konjunkturelle Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts zurückgeführt wird; im ethischen Bereich entspricht der Dysfunktion nach dem hier vertretenen Tragikverständnis Aristoteles’ Konzept einer situativen Unbeherrschtheit, die intellektualistisch aus der Nichtanwendung grundsätzlich vorhandenen Wissens erklärt wird. Die philologische Evidenz der Poetik wie der EN ist gleichwohl zu schwach, um diese Konzepte so sicher mit der und Aristoteles’ Tragikverständnis zu verknüpfen, daß diese aristotelischen Begriffe tel quel als Stichwortgeber des hier vertretenen Tragikkonzeptes reklamiert werden könnten. Als Quintessenz läßt sich jedoch festhalten, daß die entsprechend der Handlungsorientierung der Poetik - wie die Tragik und Transgression in der vorliegenden Arbeit - an einen Handlungsverlauf (1453a 3, 23: - ) geknüpft ist, statt im Charakter verankert zu werden. Sie wird in dieser Schrift nicht psychologisch analysiert und aufgefächert, sondern beschreibt eine punktuelle Normdevianz, die sicherlich auch eine subjektive Modalität umfaßt. Diese punktuelle subjektive Normdevianz ist die einzige Gemeinsamkeit der mit der handlungsstrukturellen, situativen Dysfunktion eines ethischrationalen Subjekts. Die der Poetik schreibt, so läßt sich ausblickend anmerken, in der Dramentheorie die Säkularisierung fest, 351 die in der attischen Tragödie dadurch stattgefunden hat, daß bei Sophokles und Euripides (auch) die 350 Arist. Poet. 1453b 38 f.: . 351 Auch Flashar 1984: 12 konstatiert in der Poetik „die Nichtberücksichtigung von Besonderheiten und Eigenarten der Tragödie des 5. Jahrhunderts wie der religiösen Weltsicht der Tragödiendichter“ und korreliert sie mit der Tragödie des 4. Jhs. 2.1 Aristoteles’ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 128 statt der in der archaischen Tragödie zentralen, zumeist gottgegebenen 352 Fehlverhalten beschreibt und erklärt. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik Abschließend sei kurz auf Aristoteles’ Produktions- und Rezeptionsästhetik eingegangen, die für unsere Untersuchung nicht so ergiebig wie seine handlungsorientierte Werkästhetik sind. Mehr noch als mit der Mimesis bietet der Stageirit mit dem furor poeticus bereits ein produktionsästhetisches Konzept (Poet. 1455a 32-34), 353 das die ethologische Grundlage der poetischen Transgression darstellt (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Anders verhält es sich mit seiner rezeptionsästhetischen Theorie, die auf die emotionale Reaktion des Publikums abhebt. Diese Arbeit will die Handlungsstruktur untersuchen, da diese bis heute an den überlieferten Texten greifbar ist, während die Nachrichten über die Reaktion des antiken Publikums spärlich sind (Hdt. 6.21.2) und das Urteil und zumal die Empfindungen des Rezipienten individuell verschieden sind. Ihnen allzu großzügig Raum zu geben, hieße subjektiver Spekulation das Tor zu öffnen und mit der intersubjektiven Nachprüfbarkeit ein wissenschaftliches Grundkriterium zur Disposition zu stellen. Der mit dieser Beschränkung einhergehende Verzicht, eine Art literaturwissenschaftlicher Kryonik, welche die Texte herunterkühlt, um ihre Strukturen wie Eiskristalle sichtbar zu machen, blendet mit dem Pathos und mit dem Erhabenen Faktoren aus, in denen das Tragische und das Wesen der Tragödie verortet wurden und deren Erfahrung (und damit Realität) fast jeder moderne Tragödienrezipient bestätigen könnte. Doch lassen sich Pathos und Erhabenheit, am besten anhand ihrer Konzeption in der antiken Literaturtheorie, nur über die Rhetorik nachvollziehbar am Text nachweisen. Wegen dieser heuristischen Kautelen wird Aristoteles’ elaborierte emotional-psychagogische Rezeptionsästhetik im Rahmen dieser Untersuchung weitgehend außen vor bleiben, auch wenn er selbst in einem Punkt einen rezeptionsästhetischen Universalismus vertrat, erhoffte er sich doch eine reinigende Wirkung der Theatermusik selbst auf einfache Menschen, die neben den freien und gebildeten das Theaterpublikum bildeten (Pol. 1342a 18- 22). 354 Doch handelt es sich hierbei eben um nichtdiskursive Eindrücke fern der Handlungsstruktur ( ). Faßt man und als ‚Betroffenheit‘ und ‚Bestürzung‘ auf, 355 so lassen sich hiermit Erfahrungen 352 Zu dieser und ihrem göttlichen Ursprung vgl. Eric Robertson Dodds, Agamemnon’s Apology. In: Ds., The Greeks and the Irrational. Berkeley 8 1973, 1-27, h. 2-8. 353 . 354 Alan H. Sommerstein, Greek Drama and Dramatists. London 2002, 6 weist darauf hin, daß die Zusammensetzung des Publikums und die Stimmung einer Athener Theateraufführung eher einem Fußballspiel als einem weihevollen modernen bildungsbürgerlichen Musentempel entsprachen. 355 Wie bei Wolfgang Schadewaldts (Furcht und Mitleid? Zur Deutung des Aristotelischen Tragödiensatzes. In: Ds., Hellas und Hesperien. 2 Bde. Zürich 2 1970, Bd. 1, 194-236, h. 209) Wiedergabe „Jammer“ bzw. „Schauder“ (so auch Fuhrmanns Übersetzung 1994: 19) wird damit 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 129 beschreiben, die vielleicht noch ein moderner Rezipient der attischen Tragödie machen kann, doch auch diese These ist nicht gegen die Gefahr der Verallgemeinerung eigener subjektiver Eindrücke gefeit. Was die empathische Seite der beiden aristotelischen Rezeptionsemotionen anbelangt, so mag die theatralische Mimesis dazu geeignet sein, die Empathie des Rezipienten zu fördern, weil sie ihm einen Menschen als Gegenüber präsentiert, also soziale Interaktionsformen von allen literarischen Genera am deutlichsten simuliert. Als abschließende Konsequenz für die hermeneutische Praxis sollen rezeptions- und emotionsästhetische Aspekte - wie bereits im Falle von Pathos und Erhabenheit angedeutet - nur soweit berücksichtigt werden, als sie in den Text eingeschrieben sind, d.h. sie aus Äußerungen der Einzelschauspieler oder des innerdramatischen Rezipienten, nämlich des Chores, hervorgehen. Hier bietet die attische Tragödie mit Klagen und Mitleid im Gefolge der Anagnorisis von Transgression oder Eliminierung ein weites Feld. 356 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz Die vorliegende Untersuchung richtet wie Aristoteles bei der Definition der Tragödie und ihrer Wirkung 357 das Hauptaugenmerk auf die Handlung und den Text und stellt die historische Inszenierungspraxis 358 zurück. Diese Perspektive entspringt keinem Grundsatzurteil über das Wesen der antiken Tragödie oder gar einer essentialistischen dramatischen Regelpoetik, sondern trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, daß von diesem integralen Gesamtkunstwerk, 359 dessen stärker auf die Vehemenz der Emotionen abgehoben und zusätzlich dazu die Brüskheit der Ereignisse betont, auf die sie reagieren. 356 Für den gemeinsamen Schmerz der literarischen Figuren als seit den Homerischen Epen bestehendes Motiv s. Charles Segal, Catharsis, Audience, and Closure in Greek Tragedy. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 149- 172, h. 149 f. 357 Die Wirkung ( ) der Tragödie kommt auch ohne Aufführung zustande (Poet. 1450b 18 f.: ). Das Schauderhafte und Jammervolle können aus der Aufführung ( ), sollten aber aus der Handlungsstruktur erwachsen (Poet. 1453b 1-3: ). Poet. 1462a 9-13 spricht einer reinen Lesetragödie dieselbe Wirkung zu. Vgl. dazu Anastasio Kanaris de Juan, Reflexiones sobre la opsis aristotélica. In: Carmen Morenilla, Bernhard Zimmermann (Hgg.), Das Tragische. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 9. Stuttgart, Weimar 2000, 109-121, ferner aktuell differenzierend Grigoris M. Sifakis, The Misunderstanding of Opsis in Aristotle’s Poetics. In: George W. M. Harrison, Vayos Liapis (Hgg.), Performance in Greek and Roman Theatre. Mnemosyne Suppl. 353. Leiden 2013, 45-61 und David Konstan, Propping up Greek Tragedy: The Right Use of Opsis. In: George W. M. Harrison, Vayos Liapis (Hgg.), Performance in Greek and Roman Theatre. Mnemosyne Suppl. 353. Leiden 2013, 63-75. 358 Vgl. dazu jetzt George W. M. Harrison, Vayos Liapis (Hgg.), Performance in Greek and Roman Theatre. Mnemosyne Suppl. 353. Leiden 2013. 359 Angesichts der ästhetischen Universalität und Kohärenz der attischen Tragödie und Komödie ist die fragmentarische Semantik der alternativen Bezeichnung für ein Drama ‚Stück‘ referentiell allenfalls unter dem intertextuellen Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zur Gattung Drama gerechtfertigt. Rein aus Gründen der variatio greift diese Arbeit deshalb auf ‚Stück‘ gelegentlich zurück (vgl. frz. pièce), da es im Deutschen kein Äquivalent zum engl. play gibt, das treffend 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 130 Aufführung zu verfolgen Aristoteles noch vergönnt war, nur das Libretto überliefert ist und Musik und Tanz u.ä. allenfalls mühsam und bruchstückhaft rekonstruiert werden können. 360 Leichter läßt sich bisweilen die historische Inszenierung anhand von Hinweisen im Text oder der Kenntnis der Bühnentechnik rekonstruieren und deshalb auch berücksichtigen. 361 Doch auch bei der erstgenannten Überlieferungskonstellation, welche die Terminologie der vorliegenden Arbeit als ‚transverbales mimisch-gestisches Metatheater‘ bezeichnet wird (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression), sind wir auf den Dramentext angewiesen, da die historische Inszenierung in ihn teilweise eingeschrieben ist. Das gilt auch für die Inszenierung im allgemeinen, die man gewöhnlich eher ganz dem Theater zuschlagen würde, als präsentative Subspezies der Poetik, auf deren schöpferischen Gestus hier abgehoben wird 362 (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Daß das antike Drama für uns also nur in seinem verschriftlichten Skelett faßbar ist, darf jedoch nicht den Blick auf seine einmalige mündliche Performanz verstellen. Nicht von ungefähr griff Pier Paolo Pasolinis Manifesto per un nuovo teatro von 1968 in einem kühnen Sprung über die Tradition des modernen Theaters, wie sie in Shakespeare und dem Renaissancetheater wurzele, für sein Theater des gesprochenen Wortes (teatro di parola) auf das Theater der attischen Demokratie zurück (§ 7). 363 Die Unterscheidung zwischen überliefertem Dramentext und (Wieder-)Aufführung läßt sich auch mit Marshall McLuhan Begriffspaar hot vs. cool medium beschrieben. Heiße Medien liefern dem Rezipienten viel Information und lassen wenige Lücken, welche dieser füllen muß, bei kühlen ist es genau umgekehrt. 364 Demnach können die für uns reanimierbare bloß gesprochene Performanz des antiken Dramentextes und mehr noch das reine Lesedrama mit McLuhan als cool media auf die Fiktionalität abhebt, und ‚Schauspiel‘ hier entsprechend seinem ersten Kompositionsglied für das Theatralische reserviert wird. 360 Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes. In: Ds., Holzwege. Frankfurt a.M. 8 2003, 1-74, h. 26 faßt diesen Umstand stärker als musealisierende Isolation der antiken Kunst aus ihrem lebensweltlichen Kontext auf: „Die »Ägineten« in der Münchener Sammlung, die »Antigone« des Sophokles in der besten kritischen Ausgabe, sind als die Werke, die sie sind, aus ihrem eigenen Wesensraum herausgerissen.“ Auch wenn der Musealisierung die Performanz fehlt und die so steril konservierten Kunstwerke eines kreativen Rezipienten bedürfen, um wieder zum Leben erweckt zu werden, teilt zumindest die Ausstellung der bildenden Kunst (nicht die unaufdringliche textkritische Ausgabe) mit dem Theater den Modus der visuellen Präsentation. 361 S. dafür Oliver Taplin, The Stagecraft of Aeschylus. The Dramatic Use of Exits and Entrances in Greek Tragedy. Oxford 1977. 362 Martin Seel, Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs. In: Josef Früchtl, Jörg Zimmermann (Hgg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens. Frankfurt a.M. 2001, 48-62, h. 48: „Jede Inszenierung ist eine ästhetische Operation.“ Allerdings unterscheidet Seel zwischen nichtkünstlerischen und künstlerischen Inszenierungen (2001: 57-60). 363 Nuovi argomenti, n.s., 9, gennaio-marzo 1968. In: Tutte le opere. Edizione diretta da Walter Siti. Saggi sulla letteratura e sull’arte. A cura di Walter Siti e Silvia De Laude. 2 Bde. Mailand 1999, Bd. 2, 2483 f. Vgl. Epict. 1.29.43: . 364 Understanding Media. The Extensions of Man. London 1964, Repr. 2006, 24-35, v.a. 24 f. 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 131 bezeichnet werden, weil die Phantasie des Rezipienten viel ergänzen muß, während das illusionsreiche Gesamtkunstwerk als hot medium einzustufen wäre. 365 Die private Lektüre der reizarmen Bleiwüste, die eine kritische Ausgabe bietet, ist also in viel höherem Maße ein kreativer Akt als die passive Rezeption eines opulent sinnengesättigten Schauspiels, bei dem der Part des kreativen Hermeneuten überwiegend dem Regisseur zufällt. 2.2.1 Performanz Der Unglücksfall, daß das antike Drama ästhetisch fragmentiert tradiert wurde, d.h. die sehr bruchstückhafte Überlieferung seiner Inszenierung, erübrigt jedoch keine literaturtheoretische Auseinandersetzung mit den gegenwärtig in der antiken Dramenforschung, aber auch in der modernen Aufführungspraxis, beliebten Kategorien ‚Ritual‘ und ‚Performanz‘. 366 Während die dramatisch-strukturalistische Perspektive dieser Arbeit Beobachtungen aus Aristoteles’ Poetik zu einer neuen, einheitlichen Sicht zusammenfügt, kennzeichnet das Verhältnis zu Ritual und Performanz eine wechselseitige Klärung durch genauere Abgrenzung der jeweiligen Begriffe und Erkenntnishorizonte. Dabei läßt sich die harmonisierende und modernisierende Aristoteles’ Interpretation sogar auf Performanz ausdehnen, indem man einen Performanzbegriff ante litteram bei dem Stageiriten aufspürt. Die Begriffe ‚Performanz‘ und ‚performativ‘ charakterisieren bereits das - zumindest potentielle - Wesen der überlieferten dramatischen Texte der Antike selbst qua darstellender Kunst, da ihnen die Aufführung als Möglichkeit eingeschrieben ist. Die darstellende Seite des Dramas hat bereits Aristoteles, aufbauend auf Platon (R. 595ab), 367 in seiner berühmter Tragödiendefinition als mimetisch erfaßt (Poet. 1449b 24). Der mimetische Charakter läßt sich semiotisch dahingehend deuten, daß sich im Theater die Repräsentation über die Präsentation vollzieht (dieser Nexus wird im Verlaufe dieser Arbeit auch durch den Ausdruck ‚(Re-)Präsentation‘ wiedergegeben), 368 d.h. entspre- 365 Diese Unterscheidung beruht auf der Anzahl der sinnlich-materiellen Kanäle, über welche die Informationsvermittlung läuft. Für McLuhan scheint dagegen der Sättigungsgrad innerhalb eines Kanals das entscheidende Kriterium zu sein (2006: 24: „A hot medium is one that extends one single sense in “high definition”.“). So stufte er das Radio als heißes, das Telefon dagegen als kühles Medium ein, während das Fernsehen ihm im Gegensatz zum heißen Film als kühles Medium galt. Das gesprochene Drama entspricht nach seiner Logik eher dem Rundfunk. Doch die Einstufung ist auch bei ihm letztlich eine Frage der identitätsstiftenden Opposition, die er auch aus der Mediengeschichte schöpft. So nennt er selbst das phonetische Alphabet im Gegensatz zu ergänzungsbedürftigen Hieroglyphen- und Ideogrammschriften ‚heiß‘, und das reproduzierbare, aber vergängliche Papier ‚heiß‘ im Gegensatz zum Stein als Dokumentationsmedium. Der geschriebene Dramentext wäre nach dieser Logik also auch heiß. 366 Bierl 2001: 15 räumt billigerweise ein, daß Performance „sich einer eindeutigen Definition entzieht“ und „äußerst schwer zu fassen“ sei und zitiert auf S. 25 Anm. 36 seiner Arbeit gar Bert O. States’ Kritik (Performance as Metaphor. Theatre Journal 48 (1996) 1-26, h. 3), der Performance-Begriff weise keine klare Definition auf, weil seine Bedeutung von einem zum jeweils nächsten Feld (Theater, Ritual, Parade, Protest, Terrorismus) sich immer weiter verschiebe. 367 Vgl. dazu Jürgen H. Petersen, Mimesis - Imitatio - Nachahmung. Eine Geschichte der europäischen Poetik. München 2000, 24 f. 368 Moderne Theatertheorien harmonisieren das Verhältnis von „Präsenz“ und „oppressiver“ „Repräsentation“ des Dramentextes durch den Verweis auf die präsente Leiblichkeit des 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 132 chend dem Verhältnis von langue und parole in dieser manifest wird (CLG 37). Dieser Aspekt des Vollzugs der Struktur ( ) in der Konjunktur ließe sich auch als Per-Formanz bezeichnen. 369 Der Performanzbegriff ist übrigens keineswegs so unaristotelisch, wie es prima specie scheinen mag, kennt doch auch der Stageirit die Vorstellung, daß bei den Tätigkeiten, die neben der kein weiteres haben, die in ihnen selbst liege. Als diese performativen Tätigkeiten nennt er das Sehen, Betrachten, Leben und die Glückseligkeit, die eine bestimmte Form des Lebens sei (Metaph. 1050a 21-1050b 2), also Kategorien, die der szenisch-dramatischen Performanz sehr nahe stehen (für das Leben vgl. Poet. 1450a 16 f.). Ihr ist der Gebrauch ( ). Ihnen stehen die produktiven Tätigkeiten gegenüber, bei denen zusätzlich zu der Tätigkeit etwas erzeugt wird ( ), wie beim Bau eines Hauses. Doch nicht nur bei (onto-)logischen Kategorien, auch in literaturtheoretischem Kontext spricht Aristoteles von (Arist. Rh. 1411b 24-1412a 10). Das Vor-Augen-Führen ( ) der Metapher geschehe durch die Darstellung von Tätigem (Rh. 1411b 24 f.), 370 die sei Bewegung (Rh. 1412a 10). Die Semiose ist an dieser Stelle im Vergleich zum in der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten Verständnis dramatischer Semiotik nachgerade umgekehrt: In Aristoteles’ Rhetorik evoziert ( ) der bildliche Ausdruck ein Geschehen vor dem inneren Auge des Rezipienten, im Drama konstituiert das unmittelbar präsentierte, weitgehend verbal performierte Geschehen das literarische Zeichengefüge, das seinerseits durchaus mit Metaphern operiert (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). In der Dramensemiotikist das Geschehen also das Bezeichnende, bei Aristoteles das Bezeichnete, hat also kein performatives Potential. Daß Aristoteles seine - und -Begriffe nicht auf die Tragödie anwendet, obwohl er doch ihre Wirkung ausführlich diskutiert und nennt (Poet. 1450b 18-20), dient, ebenso wie der Nichttransfer seiner modernen, Saussure nahekommenden Zeichentheorie 371 auf die Tragödie dieser Arbeit eher als eine systemimmanente Einladung zum Brückenschlag denn als eine gezielt widerratende Lücke. Aristoteles für eine performative Deutung der literarischen Theatersemiose anhand des Begriffes der fruchtbar zu machen, wird übrigens durch zwei prominente sprachtheoretische Aristoteles-Rezipienten nahegelegt: Wilhelm von Humboldt und Eugenio Coseriu. Der rumänischstämmige Tübinger Romanist, der selbst von einem „humboldtianischen Strukturalismus“ ausgegangen war, 372 verfeinert die an Aristoteles anknüpfende These seines idealistischen Schauspielers, vgl. dazu Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004, 255-261. 369 Vgl. Aristoteles Metaph. 1050b 2 f.: Vgl. Sen. epist. 58,21: idos in opere est, idea extra opus, nec tantum extra opus est, sed ante opus. 370 . 371 Die Wörter haben ihre Bedeutung nur aufgrund einer Übereinkunft ( ) (Int. 16a 19) und benennen nichts von Natur, sondern erst, wenn sie zum geworden sind (Int. 16a 27 f.). 372 Humboldt und die moderne Sprachwissenschaft. In: Arnol’du Stepanovi u ikobava. Tbilissi 1979, 20-29, h. 20. Wiederabgedruckt in: Eugenio Coseriu, Schriften (1965-1987). Eingeleitet 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 133 Vorgängers aus dem 19. Jh., die Sprache sei nicht , sondern , unter ausdrücklichem Rückgriff auf den Stageiriten zu einer Klassifikation der einzelnen Aspekte der Sprache nach und . 373 Dabei tritt noch seine Trias universell, historisch und individuell hinzu. 374 Auffallenderweise verzichtet Coseriu dabei - möglicherweise aus nachvollziehbaren Gründen der Klarheit und Komplexitätsökonomie - gänzlich auf strukturalistische Terminologie, doch wäre eine Anknüpfung vielfach zwanglos möglich. Das Sprechen , das Sprechenkönnen, das Coseriu noch nach seiner eigenen Klassifikationstrias untergliedert (Christmann 1988: XVIII spricht deshalb von „Kreuzklassifikation“), entspricht der Saussureschen faculté de langage (CLG 25 f.). Die historische Ebene des Sprechens , das „Sprechenkönnen gemäß der Tradition einer Gemeinschaft“ (1974: 38), ist die Subklasse in Coserius Systematik, in der sich am ehesten die sonst heimatlose langue ansiedeln ließe. Doch an ihrem Beinaheverschwinden und der lexikalischen Prominenz des Sprechens zeigt sich die Dominanz des Handelns, die auch dem Performativen zugrunde liegt, auch wenn dieser Begriff hier bei Coseriu in Ermangelung einer klaren Vorstellung des zu performierenden fehlt. Das Sprechen ’ und ’ beschreibt Aspekte der Saussureschen parole. Letzteres bezieht sich dabei auf „die Totalität der Texte“ (1974: 39), ist also für die Literaturwissenschaft und die Dramentexte von Belang, die gesprochene Rede fingieren, wobei Coseriu einschränkt, die Sprache sei „nie eigentlich “. Die Alltagssprache vollzieht die langue in der parole (CLG 37) und hat nur in der Botschaft eine Repräsentation. Das Theater hat zwar denselben Anschein, doch tritt im Theater qua Bühne der literarischen Gattung Drama eine weitere Ebene der fiktionalen Stellvertretung ein, die Substitution der gedachten durch handelnde (Poet. 1449b 26, 36 f.) und sprechende Menschen. Unterschiede zwischen Aristoteles, der aktuellen Inszenierungspraxis und dem hier zugrunde gelegten strukturalistischen Ansatz ergeben sich daraus, was als Sinnträger fungiert. In der modernen Inszenierungspraxis dienen häufig Körper und Raum als Sinnträger. 375 Die Botschaft wird direkt über optische und nonverbale akustische und hg. von Jörn Albrecht. Bd. 1 von: Energeia und Ergon. Tübinger Beiträge zur Linguistik 300. Tübingen 1988, 3-11, h. 3. Zu Coserius „humboldtianischen Strukturalismus“ und überhaupt zu seinem Verhältnis zum Strukturalismus und Ferdinand de Saussure s. Hans Helmut Christmann, Tübinger Worte an und über Eugenio Coseriu. In: Eugenio Coseriu, Schriften (1965-1987). Eingeleitet und hg. von Jörn Albrecht. Bd. 1 von: Energeia und Ergon. Tübinger Beiträge zur Linguistik 300. Tübingen 1988, XIII. 373 Eugenio Coseriu, Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprachwandels. Übersetzt von Helga Sohre. [Orig.: Sincronía, diacronía e historia. El problema del cambio lingüístico. Montevideo 1958] Internationale Bibliothek für allgemeine Linguistik 3. München 1974, 37-39. 374 Christmann 1988: XVIII. Vgl. Coseriu 1974: 38: „[D]as Sprechen [ist] eine universelle Tätigkeit, die von besonderen Individuen als Glieder historischer Gemeinschaften realisiert wird [Kurs. im Orig.].“ 375 Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004, 129-186 bzw. 187- 227. Ds., Performance-Kunst und Ritual: Körper-Inszenierungen in Performances. In: Gerhard 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 134 Signale vermittelt. Dieser Performanzbegriff, der an englisch to perform und performance (‚Aufführung‘) anknüpft, dessen Begriff wiederum an ‚Theatralität‘ heranreicht oder sich damit deckt, 376 rückt so an ‚Happening‘ und ‚Event‘ heran. 377 Aristoteles schiebt die Gedankenführung ( ), zu der das von Worten ( ) Bewirkte gehöre, in die Rhetorik ab (Poet. 1456a 33- 37). Der Logos ist auch bei seiner Definition der Tragödie sekundär, wird sie bzw. die Nachahmung der Handlung doch nur als bestimmt (Poet. 1449b 25). Ein semiotischer Ansatz greift dagegen, unterstützt durch die Kontingenzen der Überlieferung, auf das Wort als entscheidenden Sinnträger zurück. Diese Arbeit will dabei v.a. die mimetische Performanz einer (sozialen) Rolle und die Bedeutung dieser Performanz für die Transgression und Tragik betrachten. Der ästhetischen Gestaltung dieser Handlungsfiguren und -merkmale kommt hierbei eine zentrale Rolle zu. Zu ihrer Analyse bietet sich im Einzelfall der Rückgriff auf performative Ästhetiken an, deren zwei kurz nach der Jahrtausendwende vorgelegt wurden. Allerdings ist deren explizite wie faktische Kompatibilität mit dem Ansatz dieser Arbeit nicht durchgehend gegeben und beschränkt sich bisweilen eher auf Theoretisch-Gattungssystemisches. Dieter Mersch tritt an, Derridas Dekonstruktion zu überwinden, die er als „Radikalisierung der Saussure’schen Zeichentheorie“ auffaßt, 378 und bringt dazu einen phänomenologischen Ansatz in Anschlag, für den er sich ausdrücklich auf Heidegger 379 berufen kann und der letztlich mit der Semiologie verschmolzen werden soll (2002: 12-16). Bei allem tiefen Respekt, ja Hochachtung, die zu zollen man Mersch für sein in der ästhetischen Diskussion von über zwei Jahrtausenden tiefverwurzeltes, stringentes System teils neubeschriebener Begriffe nicht umhinkommt, muß doch angemerkt werden, daß seine zentralen Begriffe ‚Ereignis‘ und ‚Aura‘ mit dem Ansatz und Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit sowie den Überlieferungsgegebenheiten des antiken Dramas kaum in Einklang gebracht werden können. Mersch hebt gleich zu Anfang auf die Intentionsfreiheit des Ereignisses ab, die es von der Handlung unterscheide (2002: 9). Tragik und Komik werden in der vorliegenden Arbeit aber erst über ihre Kontingenz zur Intention bestimmt, die einer Handlung zugrunde liegt (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik). Auch die Aufführung der hier behandelten antiken Dramen war in den seltensten Fällen und Teilen ein improvisiertes Ereignis, sondern zumeist eine Veranstaltung, deren ver- Neumann, Sigrid Weigel (Hgg.), Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München 2000, 113-129. Erika Fischer-Lichte (Hg.), Verkörperung. Tübingen 2001. 376 Vgl. dazu Joachim Fiebach, Art. Performance. ÄBG 4 (2002) 740-758, h. 754-757. 377 Vgl. hierzu Dieter Mersch, „Vom Werk zum Ereignis. Zur „performativen Wende“ in der Kunst“, in: Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2002, 157-244. 378 So Mersch nach eigenem Bekunden auch im Kap. „Ereignis und Präsenz“, in: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 357-381. 379 Für Heideggers phänomenologisches Kunstverständnis s. 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik. 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 135 bale und nonverbale Teile auf- und untereinander minutiös abgestimmt wurden. Wegen der Intentionalität von Veranstaltung und Handlung ist Merschs Versuch, die Performativität von der Intention abzukoppeln, nicht sachgerecht. Auch die Sprechakttheorie [Kurs. von mir], die Fischer-Lichte zufolge die Archegetin des Performativen war (2004: 31), verbindet dieses mit der Handlung (vgl. den Titel von John L. Austins grundlegendem Werk How to do things with words. Oxford 1962 [Kurs. von mir]). Die These, durch Sprache werde gehandelt, läßt bereits eine parallele Vielschichtigkeit auch des performativen Handelns erkennen, die bei Mersch, der den Zeichencharakter nicht nur bei der Performanz zurückdrängt (s. 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotisch-transgressive Ästhetik), nicht berücksichtigt wird. Dabei vollziehen die explizit wie die implizit performativen Sprechakte 380 wie ‚ich taufe dich auf den Namen xy‘, ‚Ich verspreche, um fünf Uhr dort zu sein‘ oder ‚Der Hund ist bissig‘ parallel zum und nur vermittels des lokutionären und propositionalen (bzw. bei Searle phonetischen, phatischen und rhetischen) Aktes ihre illokutionäre Botschaft 381 bzw. ihren nomothetischen Charakter, wie Mersch es formulieren würde. Mersch sieht den Bedeutungsinhalt des Performativitätsbegriffs der Sprachphilosophie durchaus und grenzt seinen artistischen davon ab (2002: 245 f.), nähert sich also zumindest terminologisch dem formalen Kunstbegriff an, der auch in dieser Arbeit eine Ausgangsbasis der Produktionsästhetik bildet. Sein Performanzbegriff muß also ohne die Merkmale ‚Intention‘ und ‚Semiose‘ und bloß mit einer fraglichen Bindung an die Nomothesie bestehen. Ihr einziger Zug, der sie vom bloßen Geschehen trennt, ist die Singularität, die sich in dem von Mersch parallel zur Performanz gebrauchten Ausdruck ‚Ereignis‘ kondensiert (2002: 245 f.), das bereits für den späteren Heidegger kein Geschehen war, sondern entsprechend seiner gut phänomenologischen Etymologie ‚Eräugnis‘ „ein einzigartiges An- und Zueignen, das Sichübergeben des ins E. zurückgedachten « Seins » an das Denken“. 382 Der um seinen semiotischen und intentionalen Gehalt entleerte Begriff des Performativen dient Mersch offenbar dazu, die Heideggersche Ontologie mit der aktuellen avantgardistischen Kunstprogrammatik und -praxis zu versöhnen. Mit dem oben entwickelten Begriff einer werkästhetischen, kunstwerkimmanenten semiotischen Per-Formanz ist er dagegen schwerlich kompatibel. Entsprechend der skizzierten Tendenz zur performativen Verschmelzung von Heidegger und Avantgarde und im Zuge der antisymbolischen Kunsttheorie hebt Mersch auch die Ersetzung des Werks durch „Vollzug, Akt, Performanz oder Ereignis“ in der Kunsttheorie und -praxis hervor (2002: 167). Freilich war in Heideggers früher Kunsttheorie, wie sie in der 1935/ 6 entstandenen und 1950 veröffentlichten Schrift Der Ursprung des Kunstwerkes niedergelegt ist, das Werk nicht nur dem Titel nach, sondern für die gesamte Argumentation der ersten zwei von drei Kapiteln noch zentral. 383 Davon abgesehen, gibt es durchaus einen Weg, den Performanzbegriff mit einer 380 S. Gottfried Hornig, Art. Performativ. HWP 7 (1989) 253-255. 381 Bußmann s.v. Sprechakttheorie. 382 Dieter Sinn, Art. Ereignis. HWP 2 (1972) 608 f. 383 Der Ursprung des Kunstwerkes. In: Ds., Holzwege. Frankfurt a.M. 8 2003, 1-74, h. 5-44. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 136 semiotischen Kunsttheorie und Hermeneutik zu versöhnen, dann nämlich wenn man die produktions- und rezeptionsästhetische Seite des künstlerischen Zeichens einbezieht, die unser werkästhetischer an Saussure angelehnter Zeichenbegriff bislang aus Skepsis gegenüber ihrer Erkennbarkeit und ihrem Erkenntniswert für die Interpretationspraxis ausgeblendet hatte. Diese beiden Aspekte des literarischen Kommunikationsprozesses jedoch performieren - auch entsprechend Saussures oben zitiertem Satz von der langue in der parole - erst das literarische Zeichen, das auch unabhängig von der Performanztheorie ohne Produzent und Rezipient inexistent oder tot ist. Die Transgression darf dagegen vom Standpunkt des sozialen Codes als kontingentes, deviantes Geschehnis angesehen werden. Inwieweit sie trotz ihrer Zentralität in der Gesamthandlung das Spezifikum ‚Einzigartigkeit‘ des Ereignisses erfüllt, bedarf jedoch mit Blick auf den dramatischen Befund primo obtutu näherer Diskussion. Die Perspektive der hier besprochenen Dramen scheint jedoch auf eine thematische Fokussierung auf eine Transgression hinauszulaufen, die als entscheidendes Ereignis fungiert. Aischylos’ Perser weisen in der Tat mit der großköniglichen Überschreitung der Meerengen eine Transgression auf, die geographische, imperialistische und religiöse Aspekte bündelt. In Euripides’ Hippolytos und Bakchen erkennen Menschen den göttlichen Geltungs- oder gar Statusanspruch nicht an und begehen dadurch die entscheidende Transgression. Sie wird dafür im Hippolytos die Stiefmutter in transgressiver Leidenschaft zum religiösen Transgressor entflammen. Dagegen begeht Oidipus mit Vatermord und Mutterinzest gleich zwei Transgressionen in der erforschten Handlung, die durch den zeitlichen Abstand zur eigentlichen erforschenden Handlung der Tragödie und ihre komplementäre thematische Geschlossenheit - beide Elternteile werden zu Opfern, einmal am Ende des Lebens (Laios), einmal bei dessen Anfang (Iokaste) - jedoch zu einer Einheit zusammenrücken. Als kognitiver Gegenstand dominiert der Mord am Dreiweg die erforschende Handlung, auch wenn diese mit Oidipus’ Hybris gegen Kreon, Teiresias und Apolls Orakel eigene Transgressionen aufzuweisen hat. Medeas Morde an der Königstochter und den eigenen Kindern lassen sich zumindest als Neben- und Initialsowie Haupttransgression auffassen. Dieser Gewichtung entsprechen der Umfang und die Komplexität von Medeas Inszenierung dieser beiden Transgressionen. Die epiphane Inszenierung der Transgression ist in der Medea, wo sie den Kindermord betrifft, wie im OT und in Senecas Phaedra singulär. Es ist also die poetische Darstellung, welche über die dramatische Singularität der Transgression entscheidet und ihr das Ereignismerkmal der Einzigartigkeit verleiht (s. 2.2.2 Ritual). Dabei geht es nicht nur um die reine Struktur und Werkästhetik. Vielmehr inszenieren alle drei Transgressoren in den besagten Dramen ihre Tat und agieren somit als Schöpfer von deren innerdramatischer Erscheinung und deren Künstler. Epiphanie und Erscheinung der Transgression sind wie Benjamins Aura ausstrahlende Merkmale. Dem Ereignis ordnet Mersch nämlich auf der rezeptionsästhetischen Seite den auf Walter Benjamin zurückgehenden Terminus ‚Aura‘ zu (2002: 9). Für Benjamin beruhte die Aura auf der Wahrneh- 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 137 mung der Einzigartigkeit des Kunstwerks, 384 das bei ihm auch diesen Namen trägt und noch nicht wie in den gegenwärtigen Performanzästhetiken dem Ereignis gewichen ist. Die Singularität des Kunstwerks ist mit seiner Deutung als okkasionelle Abweichung vom Usuellen und seiner semiotischen Irreduzibilität wohl vereinbar (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). 2.2.2 Ritual Großer Beliebtheit erfreut sich in den Kulturwissenschaften neben der Performanz auch das Ritual. Beide Begriffe sind analytisch verknüpft: Die Performanz dient der Beschreibung des Rituals, da dieses wie jede andere soziale oder symbolische Handlung nur in seinem Vollzug besteht. Das Ritual wird als eine symbolische Handlung aufgefaßt, die eine starke gesellschaftliche Normativität besitzt (Stichwort: Tabu). 385 Die drei gemeinsamen Aspekte ‚Symbol‘, ‚Handlung‘ und ‚Norm‘ nötigen deshalb nachgerade zu einer Integration des Ritualbegriffs in das Analyseraster einer strukturalistisch verfaßten Poetik der Transgression. Durch den Übergang vom Menschenzum Tieropfer birgt das (Opfer-)Ritual zivilisationsgeschichtlich ein elementares substitutives und semio(gene)tisches Moment, 386 das der rituell geforderten Grenzüberschreitung abhilft und das sich in der künstlerischen und literarischen Darstellung des Opfers fortsetzt. 387 Während sich diese(s) sich durchaus in der attischen Tragödie feststellen läßt (so bei Euripides’ Medea, Näheres s.u.), beruht in ihr die Transgression manchmal auch auf der Revertierung dieser Substitution (z.B. in Euripides’ Bakchen im Falle des Pentheus). Eine weitere Zusammenführung wird jedoch durch grundlegende Unterschiede, die im Gegenstand ‚antikes Drama‘ liegen, erschwert und ist häufig auf derselben Beschreibungsebene nicht möglich. Kein geringerer als Saussure selbst sah die Sprache als ein Zeichensystem wie u.a. die symbolischen Riten an, stufte sie jedoch als wichtigstes ein (CLG 33). Das Ritual verdankt wie die Alltagssprache seine Symbolik, Gültigkeit und Normativität der Iteration, 388 das antike Drama ist dagegen bereits in seiner Aufführungspraxis, seiner Performanz, in seiner klassischen Phase singulär. Der performativen Singularität des klassischen Dramas entspricht die Singularität, welche als Merkmal der Poetizität herausgearbeitet werden soll (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Immerhin präparieren Yatromanolakis / Roilos 2004: 21 f. die 384 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 6 1973, 19. 385 Vgl. Mary Douglas, Ritual, Tabu und Körpersymbolik. [Orig.: Natural Symbols. Explorations in Cosmology] London 2 1973. Frankfurt a.M. 4 2004, 13, 15. Definitorische Schwierigkeiten räumt billigerweise Bierl 2001: 25 ein: „[D]ie Begriffe Performance und Ritual [sind] zugegebenermaßen äußerst schwer zu fassen.“ 386 Diesen Zusammenhang entwickeln Alexander Honold, Anton Bierl, Valentina Luppi, „Zur Einleitung: Ritualfundierung und Zeichendynamik des Opfers“ in. Dss. (Hgg.), Ästhetik des Opfers. Zeichen/ Handlungen in Ritual und Spiel. Paderborn 2012, 7-13 h. 8 anhand von Isaaks (Nicht-)Opfer. 387 Honold/ Bierl/ Luppi 2012: 11. 388 Richard Seaford, Reciprocity and Ritual: Homer and Tragedy in the Developing City-State. Oxford 1994, xi f. nennt zusätzlich zu diesen drei konstitutiven Elementen des Rituals noch die Herstellung einer Beziehung der Vollziehenden zu einer übermenschlichen Macht. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 138 Absetzung von dem Alltäglichen als gemeinsames Zeichen von Ritual und poetischer Sprache heraus. Doch gilt dies nur auf der konventionalisierten Gattungs- und Aufführungsebene von Dichtung, von der sich die individuelle Gestaltung des einzelnen Sprachkunstwerks abgrenzt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen bleibt der Spielraum für die Integration der gegenwärtig beliebten Ritualpoetik 389 in ihrer aktuellen, auf die Aufführung ausgerichteten Konfiguration eng. Die pragmasemiotischen Möglichkeiten einer Ritualpoetik, die bei Yatromanolakis / Roilos pragmatisch-performativer Neudefinition von „meaning“ (2004: 4 f.) und ihrer Verknüpfung der Ritualpoetik mit Interdiskursivität (2004: 24 f.) anklingen, könnten durch eine abgrenzende Einbeziehung pragmatischer Zeichentheorien aktiviert werden. Das heuristische Potential einer literaturwissenschaftlich ausgerichteten Ritualpoetik, das bei Yatromanolakis / Roilos aufscheint, kann im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit nicht ausgeschöpft, sondern im Dialog mit Wolfgang Braungart (s.u.) nur angedeutet werden. Transgression und Ritual sind nur dann kosituativ und nahezu deckungsgleich, wenn man Georges Batailles weichen Transgressionsbegriff zugrunde legt (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White). Ansonsten haben die Transgression und die Rituale, welche Übergänge zwischen elementaren Lebensabschnitten wie Geburt, Erwachsenwerden, Heirat und Tod markieren, 390 zwar die Grenzüberschreitung, die sich im Falle der Rituale durchaus topologisch und architektonisch material an Schwellen, Türen und Grenzen manifestieren kann (Van Gennep 1909: 19- 33, für die rituelle Überschreitung von Zeitgrenzen vgl. Yatromanolakis / Roilos 2004: 25 f.), und den Widerspruch zur Ordnung von Polis und Pantheon gemeinsam. Allerdings ist dieser Widerspruch bei den Übergangsriten vorläufiger Art, bei der Transgression jedoch definitiver. 391 Die Transgression ist sensu stricto nicht bloß eine Grenzüberschreitung, sondern eine Grenzverletzung, oft eliminatorisch und bildet deshalb das operationale Substrat des Tragischen, das Ritual ist dagegen dialektisch-integrativ. Es mutet wie ein Versuch an, die transgressiv-deviante Energie einzuhegen und in ordnungskonforme Bahnen zu lenken. Umgekehrt bieten die oben genannten existentiellen Übergänge zwischen Lebensabschnitten wegen ihrer von Ritual versuchsweise gezähmten Prekarität im Drama nicht selten Anlässe zur Transgression, man denke an die zahlreichen sexuell-reproduktiven Vergehen vom Inzest bis zum Kindermord, die gewaltsamen physischen Eliminierungen und nicht zuletzt die mit Transgression (Xerxes) oder zumindest devianten Insuffizienzen (Hippolyt) einhergehenden Übergänge ins Erwachsenenleben und die Position des Patriarchen (Oidipus). 389 Dimitrios Yatromanolakis, Panagiotis Roilos „Provisionally Structured Ideas on a Heuristically Defined Concept: Toward a Ritual Poetics“, in: Dss. (Hgg.), Greek Ritual Poetics. Hellenic Studies 3. Cambridge, Mass. 2004, 3-34. 390 S. ausführlich Arnold Van Gennep, Rites de passages. Paris 1909 (passim). 391 So Jean-Pierre Vernant, Pierre Vidal-Naquet in ihrem Vorwort (La Grèce ancienne. Bd. 3: Rites de passage et transgressions. Paris 1992, 9 f.). 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 139 Das attische Drama wurde Dionysos zu Ehren und wahrscheinlich auch als Gabe für ihn dargebracht, ist aber selbst kein Kulttext, wie ein Dithyrambos, 392 aus dem Jane Ellen Harrison das Drama mit Aristoteles hervorgehen läßt, 393 oder die Veden, auch wenn es einzelne kultische Elemente darstellt, zu denen Orakel, Gebete und Riten gehören. Das religiös-dionysische Ritual kann das attische Drama mithin umschreiben, indem es die Umstände der Aufführung bestimmt, aber nicht beschreiben. 394 Denn selbst wenn man wie die Cambridge Ritualists in der Nachfolge Nietzsches 395 (vgl. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt) postuliert, daß der Dionysos-Mythos bzw. der Mythos eines gestorbenen und wiederauferstandenen Gottes das archetypische Substrat der Tragödienhandlung sei und dabei sogar einzelne Handlungsschritte korreliert, 396 ist das für das Verständnis eines Stückes Relevante seine individuelle Gestaltung, 397 in der die Handlungsstruktur eine prominente Stellung hat. Für diese sind Opfer und Ritual wie der Mythos nur ein Substrat, das die Individualität der künstlerischen Gestaltung des jeweiligen Dramas bloß deutlicher hervortreten läßt. 398 Aus diesen Gründen tritt eine Poetik der Trans- 392 Renate Schlesier, Der göttliche Sohn einer menschlichen Mutter. Aspekte des Dionysos in der antiken griechischen Tragödie. In: Anton Bierl, Rebecca Lämmle, Katharina Wesselmann (Hgg.), Literatur und Religion. Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen. MythosEikonPoiesis 1. 2 Bde. Berlin 2007, Bd. 1, 303-334, h. 307, 309. 393 Ancient Art and Ritual. New York 1913. Ndr. London 1951, Westport, Conn. 1969, 75-79, 123 f. 394 Für einen fundierten und kritischen Forschungsüberblick über die verschiedenen ritualorientierten Ansätze s. Rainer Friedrich, Everything to Do with Dionysos? Ritualism, the Dionysiac, and the Tragic. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 257-283. 395 Hierbei handelt es sich um Ähnlichkeiten des Deutungsansatzes (Friedrich 1996: 260 hebt durchaus Unterschiede hervor). Der konkrete wissenschaftsgeschichtliche Rezeptionszusammenhang muß hier offenbleiben. Bierl 2007a: 8 f. spricht, was die zentrale Stellung von Euripides’ Bakchen angeht, von „Anlehnung an F. Nietzsche“. 396 Friedrich 1996: 259-261. Friedrich 1996: 260 zitiert hier Gilbert Murrays Schema (die Kursivierungen stammen von ihm) 1. Agon bzw. Wettbewerb des Jahresgottes gegen seinen Gegner, Licht gegen Finsternis, 2. Pathos des Jahresgottes bzw. ritueller oder Opfertod mit Steinigung oder , 3. Botenbericht über den Tod, der selten unmittelbar dargestellt werde, 4. Threnos oder Wehklage, 5. und 6. Anagnorisis bzw. Wiedererkennung, gefolgt von der Wiederherstellung und Wiedergeburt des Gottes und seiner Epiphanie bzw. genauer Theophanie (Ritual Forms in Greek Tragedy. In: Jane Ellen Harrison, Themis. A Study of the Social Origins of Greek Religion. London 1963, 341-363, h. 342 f.). 397 Vgl. Bohrer 2009: 222: „Überhaupt stellt sich die Frage, ob strukturalistische Analogisierung von tragischem Helden und mythischem Doppelgänger zur Einsicht in das Tragische beiträgt.“ 398 Diese klare heuristische Schärfung der Poetizität über Mythos und Ritual findet sich nicht bei Anton Bierl, Literatur und Religion als Rito- und Mythopoetik. Überblicksartikel zu einem neuen Ansatz in der Klassischen Philologie. In: Ds., Rebecca Lämmle, Katharina Wesselmann (Hgg.), Literatur und Religion. Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen. MythosEikonPoiesis 1. 2 Bde. Berlin 2007, Bd. 1, 1-76, h. 1-7. Der Basler Gräzist vertritt zwar nicht die Ansicht, die aufführungsgebundene frühe griechische Literatur sei durch ihren rituellen Kontext determiniert. Doch bestreitet er aufgrund dieser Kontextualisierung und Performanz nicht nur die Autonomie auch der dramatischen Literatur, sondern überhaupt deren Status als Literatur, der diesen Texten „erst im Zuge literaturgeschichtlicher Betrachtung“ zugesprochen worden sei (2007: 5). Renate Schlesier verortet die Autonomie der fraglichen Texte dagegen treffend „in einem radikal individuellen Perspektivismus“ (2007: 310). 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 140 gression keinesfalls, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, zu sich selbst in Widerspruch, wenn sie sich von ethnologischen Theoremen wie Ritual und Opfer distanziert. Zudem performieren die Schauspieler primär kein iteratives Ritual, das lediglich den Rahmen der Aufführung bietet, sondern ein singuläres Kunstwerk. Der Begriff des Spiels verbindet das iterativ regularisierte Ritual, die Innovation, Improvisation, aber auch die Mimesis und Repräsentation. Er eignet sich also besonders zur Beschreibung des antiken Dramas. Ruth Sondereggers Positionierung gegen eine ästhetische Hermeneutik 399 und die dadurch implizierte Negation eines semiotischen Spielbegriffs wird dadurch relativiert, daß das Schauspiel mit den usuellen Zeichen und im Falle des Metatheaters seinen eigenen Konventionen spielt. Wolfgang Braungart versucht dagegen über die Inszeniertheit und ästhetische Elaboriertheit einen kulturwissenschaftlichen Ritualbegriff von einem biologisch-ethologischen und sozialen abzugrenzen und wendet sich gegen die Reduzierung des Ritualbegriffs in den Kultur- und Sozialwissenschaften auf Konvention, Ordnung und Wiederholung, 400 ein berechtigter Einspruch gegen die bloße Reproduktion gesellschaftswissenschaftlicher Analysekategorien in der Literaturwissenschaft, dem die vorliegende Arbeit im Falle der Transgression dadurch Rechnung tragen will, daß sie deren ästhetische Seiten und poetische Transpositionen beleuchtet. Doch sind Inszeniertheit und ästhetische Elaboriertheit sozialhabituale bzw. formalistische Charakteristika jedweder Kunst und erfassen in Verbindung mit dem Ritualbegriff nur den Literaturbe- und -vertrieb - es sei denn, man verortet diesen ästhetischen Ritualbegriff in den Kunstwerken selbst, ohne sie zu bloßen Reflexen sozialer oder religiöser Rituale zu reduzieren. Ein in die literarischen Kunstwerke selbst implementierter ästhetischer Begriff des Rituals 401 kann in dieser Arbeit die performative Seite von Topologie und Phraseologie und im Drama die Funktion und feste Abfolge der einzelnen Teile beschreiben. Während hier doch die Iteration des Rituals und sein daran geknüpfter symbolischer Gehalt nicht verneint werden können, kann die Transposition des religiösen Rituals auch der ästhetischen Singularisierung der Transgression als literarisch-dramatisches Ereignis dienen. Gerade an Euripides’ Medea soll gezeigt werden, wie die Transgression des Kindermordes als Schlachtopfer inszeniert wird und dadurch eine hohe synästhetische Elaboriertheit aufweist (s. 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression in der Interpretation dieser Tragödie), das ursprünglich religiöse 399 Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst. Frankfurt a.M. 2000. 400 Ritual und Literatur. Habil. Gießen 1993/ 94. Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 53. Tübingen 1996, 43-48. 401 Vgl. das Vorwort von Gerhard Neumann, Rainer Warning (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 7 f. Gerhard Neumann, Begriff und Funktion des Rituals im Feld der Literaturwissenschaft. In: Ds., Sigrid Weigel (Hgg.), Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München 2000, 19-52, h. 36- 38, der entsprechend der Themenstellung dieses Sammelbandes das Verhältnis von Ethnographie, Kultur- und Literaturwissenschaften verhandelt (s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität), behandelt die Theatralität und Inszenierung dagegen als Merkmale der sozialen Rituale. 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz 141 Ritual des Opfers also anhand seiner eliminatorischen Komponente, die es mit der Transgression teilt, zum (literar)ästhetischen Ereignis wird. Dabei schlägt sich sein vormaliger sozialer Rahmen literarisch in der Performanz vor Binnen- und Bühnenpublikum nieder. Walter Benjamin bringt die religiöse und ästhetische Ritualfunktion im Bereich der Kunst in eine historische (und evolutionäre? ) Sukzession, statt wie hier in eine strukturell-perspektivische Hierarchie, wenn er der auratischen Daseinsweise des Kunstwerks seine zuerst religiöse, dann ab der Renaissance ästhetische Ritualfunktion zuordnet. 402 Braungart sieht in Selbstzweckhaftigkeit und Selbstbezüglichkeit eine Verwandtschaft des Rituals „mit dem als autonom verstandenen Kunstwerk“ (1996: 101). Diese These findet in der attischen Tragödie eine Bestätigung durch die Koinzidenz von Ritual und Intratheater in Aischylos’ Persern und Euripides’ Medea, wobei hier das religiöse Ritual, das nur in den Persern performiert, aber bereits in der Medea in einer pervertierenden Umcodierung nur zitiert wird, zum Ausgangspunkt einer Entwicklung literarischer Autonomie wird, die vom Intrazum Metatheater fortschreitet. Ohne ausdrücklichen Bezug auf die Cambridge Ritualists, sondern aufbauend auf Georges Bataille und René Girard, hat Bernhard Teuber jüngst den Versuch unternommen, die antike Tragödie vom Opferritual her zu deuten. Dieser Brückenschlag erfolgt mit Hilfe der Transgression, was Teubers Ansatz für die vorliegende Arbeit in höchstem Maße einschlägig macht. Daß Teuber manches nur thesenartig skizziert und oft Belege schuldig bleibt, tut seiner kühnen und erfrischend inspirierenden, aber dennoch stringenten Argumentation keinen Abbruch. Anknüpfend an die beiden vorgenannten französischen Denker vertritt der Münchner Romanist die These, „daß im Zentrum jeder Tragödie die gewaltsame Tötung eines im Prinzip Unschuldigen stehe, wodurch die Bühnenhandlung die Züge einer Opferung annehme, die Aufführung selbst zur Aktualisierung eines solchen Opferrituals gerate.“ 403 Dies führt Teuber nur an einem Tragödienstoff vor, der kindermordenden Medea. In einem früheren Beitrag hieß es dagegen, die Handlung laufe auf „den gewaltsamen Tod eines tragischen Helden oder seiner Mitspieler“ zu. 404 Die Tötung des Opfertiers sei dabei, so Teuber, eine Transgression des allumfassenden Tötungsverbotes, welches das gesellschaftliche Zusammenleben erst ermögliche. Die empirische Gültigkeit dieser an sich richtigen Beobachtung sei dahingestellt, 405 zutreffend ist jedenfalls die sich 402 Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 6 1973, 20. 403 Der un/ darstellbare Kindermord. Tragische Transgression und Ethnographie der Tragödie am Beispiel der Medea. In: Gerhard Neumann, Rainer Warning (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 243-255, h. 243. 404 Die frühneuzeitliche Tragödie als Opfer auf dem Theater? Inszenierungsformen ritueller Gewalt im spanischen Barock und in der französischen Klassik. In: Gerhard Neumann, Sigrid Weigel (Hgg.), Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München 2000, 79-99, h. 84. 405 In Stammesgesellschaften von Jägern und Sammlern sind gewaltsame Todesfälle bei Männern eher die Regel als die Ausnahme (Jared Diamond, Arm und Reich. Aus dem Amerikanischen von Volker Englich. [Orig. Guns, Germs, and Steel. The Fates of Human Societies. New York 1997] Frankfurt a.M. 2 1999, 339). Erst die erheblich höhere Populationsdichte von Ackerbauern erzwingt eine Aggressionsökonomie. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 142 anschließende Feststellung, daß das Ritual die Transgression reguliert und sanktioniert, also, wie ich es nennen möchte, die Gewalt zivilisiert. Wichtige Elemente, so möchte ich anmerken, sind dabei der religiöse Bezug, welcher im wahrsten Sinne ein transzendentes Moment in die regellos wütende Gewalt bringt, und die Öffentlichkeit des Opfers, das vor der versammelten Gemeinschaft stattfindet. Durch diese höhere Zweckmäßigkeit und Sanktionierung ist aber die Gewalt kein Regelverstoß mehr, sondern wird als ein fest institutionalisierter Teil in das soziale System integriert, der qua etabliertes soziokulturelles Verfahren in Krisensituationen die Ordnung wahren oder wiederherstellen soll. 406 Die Transgression wird also dadurch, daß die ihr innewohnende Gewalt mit Hilfe des Rituals in das soziokulturelle System integriert wird, zum Motor von dessen Innovation (vgl. 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi), aber selbst dadurch eliminiert. Transgression und Ritual sind also zivilisationsgenetisch verknüpft, schließen einander aber begrifflich aus. Ganz anders verhält es sich mit den in der Tragödie dargestellten Gewalttaten und Morden. Mit dem Opfer gemeinsam haben sie nur das kollektive Publikum und das Bewußtsein um die grundsätzliche Illegitimität von Gewalt, da ihre optische Präsentation bisweilen als problematisch empfunden wurde 407 und sie von einer späteren (post)hellenistischen Regelpoetik gänzlich hinter die Bühne verbannt wurde (vgl. Hor. ars 185: ne pueros coram populo Medea trucidet). Doch gerade dies zeigt ebenso wie ihr individueller Vollzug im Drama, daß sie eine Normübertretung darstellen. Der Unterschied zwischen öffentlichem Opferritual und individuellem Abschlachten tritt augenfällig in Pasolinis Medea hervor, wo Medea eingangs das Opfer eines jungen Mannes verfolgt, der in einem Sparagmos zerstückelt als Fruchtbarkeitsritual auf die Felder verstreut wird. Teuber hebt bei diesen beiden Filmszenen nur auf den Unterschied von dargestellt und nichtdargestellt ab, welch letzteres Merkmal die tragische Transgression charakterisiere (2003: 254). Dies vereinfacht nicht nur die Entwicklung der dramaturgischen Praxis und des Publikumsgeschmacks zur Zeit der attischen Tragödie schematisch. 408 Außerdem läßt Teuber als weiteren Unterschied außer acht, daß 406 Die restaurativ-integrative (und kommunikative) Funktion des Opfers als soziales Verfahren betont auch Segal 1986: 27 f. 407 Andreas Mehl, Mord im Theater: Euripides’ zwei „Medeen“ und einige Folgerungen. In: Michael Hillgruber, Rainer Lenk, Stefan Weise (Hgg.), Hypotheseis. Festschrift für Wolfgang Luppe zum 80. Geburtstag. Archiv für Papyrusforschung 57/ 2 (2011) 274-288, h. 275 weist anhand neuer Zeugnisse und der Neuinterpretation bereits bekannter überzeugend heraus, daß Euripides mit Rücksicht auf das Publikum seine Medea so umgearbeitet habe, daß in der zweiten, uns erhaltenen Version der öffentlich Mord an den eigenen Kindern, den noch die erste Version zeigte, getilgt sei. 408 Mehl 2011: 279-287 arbeitet gegen die achrone communis opinio der modernen Forschung treffend heraus, daß erst zur Zeit von Euripides’ Medea die Konvention faßbar werde, Mord und Gewalttaten nicht offen zu zeigen. (Ob sich hier die Unterscheidung der vorliegenden Arbeit zwischen (eliminatorischer) Transgression und Eliminierung fruchtbar machen ließe, steht auf einem anderen Blatt.) Näheres, v.a. die interpretatorischen Konsequenzen für Euripides’ Medea, s. das Unterkapitel 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression bei der Besprechung von Euripides’ Medea. Der Verzicht auf die Darstellung der Gewalttat geht mit demjenigen auf den Tod überhaupt in der Tragödie des 4. Jh.s einher, den Ari- 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 143 das Fruchtbarkeitsopfer jährlich wiederkehrt, während Medeas Tat nicht nur individuell und geheim, sondern auch singulär bleibt und außerhalb der Ordnung steht. Das Opferritual stand bereits im Mittelpunkt von Teubers früherem Beitrag, in dem er René Girards Opfertheorie mit Hilfe von Bataille abschwächte und auf je zwei frühneuzeitliche spanische und französische Dramen anwandte. Girards Theorie, das Opfer entspringe Perturbationen sozialer Rollenoppositionen (crise sacrificielle), die ein bellum omnium contra omnes nach sich zögen und deren Gewalt nur durch die Ausschaltung eines Sündenbocks beendet und institutionalisiert werde, entspricht genau dem hier vertretenen sozialen Mechanismus, die Eliminierung folge auf Rollen- und Positionskonflikte und münde in eine neue Ordnung. Freilich wird der Lynchmord am Sündenbock, der Sparagmos, nach Girard „im Ritual wiederholt und im Mythos rationalisiert“. 409 Auch für Girards Lektüre der griechischen Tragiker, die bei der Interpretation des OT (s. 2.1 Einleitung: Bisherige Interpretationen und der vorliegende Ansatz in der Interpretation dieser Tragödie) und von Euripides’ Bakchen näher besprochen werden soll, gilt, daß sie durchaus ein kulturgeschichtliches Substrat dieser Gattung aufzeigen, 410 aber nicht ihre literarischen Wesenszüge und das Funktionieren ihrer Handlung erfassen kann. Tragödien auf den Widerschein gesellschaftlicher Praktiken und archaischer Riten zu reduzieren mutet wie eine Neuauflage der platonischen Einstufung der darstellenden Nachahmung als (R. 602c 1 f.) in der hermeneutischen Praxis an und vernachlässigt die Autonomie des poetischen Textes. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik Dieses Kapitel will zuerst kurz die Fülle von Zeichenbegriffen vorstellen, die das Abendland seit der Antike hervorgebracht hat. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den unterschiedlichen Kriterien, nach denen diese Konzepte klassifiziert werden (Keller: repräsentationistisch vs. instrumentalistisch, Mersch: semiotisch vs. semiologisch). Das Augenmerk soll dann im folgenden Hauptteil auf die Anwendbarkeit dieser Zeichenbegriffe auf das antike Drama gerichtet werden. Dies gilt auch für die Frage nach einem spezifischen Zeichenbegriff für das Kunstverständnis, wobei jüngst von Dieter Mersch die Materialität eines solchen ästhetischen Zeichens thematisiert wurde. Die Auseinandersetzung mit Mersch ist dabei keine abstrakte Debatte, die um der kunstphilosophischen Vollständigkeit und theoretischen Absicherung willen geführt werden müßte. Vielmehr bietet Mersch - unter Berücksichtigung aktueller Zeichentheorien - die systematische Ausarbeitung einer phänomenologischen Ästhetik, die bereits Bert O. States für das Theater unter Zurückweisung von dessen semiotischer Interpreta- stoteles kritisiert (Hellmut Flashar, Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1-23, h. 8). 409 Teuber 2000: 82 f. 410 Vgl. Teuber 2000: 83: „Die Tragiker selbst sind demnach lediglich Beobachter erster Ordnung, während Girard […] den Standpunkt eines Beobachters der Beobachter einnehmen will.“ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 144 tion entwickelt und theoretisch anspruchsvoll verankert hat 411 und welche durch dessen mimetischen Charakter eine besondere Relevanz gewinnt. 412 Eine phänomenologische (Theater-)Ästhetik stellt also eine theoretische wie - vor dem Hintergrund ihrer Fundiertheit - pragmatische Herausforderung eines semiotisch-strukturalistischen Ansatzes in der Drameninterpretation dar. Der älteste zeichentheoretische Gegensatz, den Rudi Keller entwickelt, besteht zwischen einem repräsentationistischen und einem instrumentalistischen Zeichenbegriff. Der instrumentalistische hebt auf den Werkzeugcharakter der Sprache ab und wird, so Keller, neben drei anderen, bis heute gültigen Erkenntnissen (Arbitrarität der Zeichen, Handlungscharakter des Redens, Funktionsbestimmung der Sprache über Kommunikation, Klassifikation und Repräsentation) bereits in Platons Kratylos 413 erarbeitet. 414 Die bei Platon noch implizite Unterscheidung zwischen der linguistischen Ebene der Zeichen, der epistemischen der kognitiven Korrelate und der ontologischen der Dinge wird nach Keller (1995: 36 f.) erstmals von Aristoteles eingangs De interpretatione (16a 3-8) anhand von getroffen, 415 der damit zum ersten Vertreter der repräsentationistischen Zeichenauffassung wird. Der Stageirit geht hierbei bereits sehr modern von vier Elementen des Zeichengebrauchs aus: Schrift, Laut, Bewußtseinsinhalt ( ) und Dinge ( ). Bewußtseinsinhalte und Dinge werden als universell-identisch angesehen. Zwischen ihnen besteht ein Ähnlichkeitsverhältnis ( ). Ein symbolisches Verhältnis ( ), das durch eine konventionelle Zuordnung charakterisiert ist und mit der Relation von (eigentlichem) Zeichen und Gegenstand genau dem entspricht, was Charles S. Peirce als symbolisches Zeichen benannte, 416 besteht dagegen zwischen Bewußtseinsinhalten und Lauten sowie, entsprechend der phonetisierten Alphabetschrift des Griechischen, zwischen Lauten und Schrift. Das genuine sprachliche Zeichenverhältnis zwischen Laut und Bewußtseinsinhalt faßt der Stageirit auch unter den zeichentheoretisch einschlägigen Terminus . Bereits Aristoteles leistet mit diesem Substantiv den Brückenschlag zwischen Zeichen- und Dramentheorie. Er sprach in der Poetik mit Bezug auf die Tragödie in zwei Zusammenhängen von Zeichen, und zwar einmal in bezug auf die Wiedererkennung, deren schlechteste durch Zeichen geschehe (1454b 19-30: , vgl. 1455a 19 f.), während er der Wiedererkennung, die sich aus der Handlung selbst ergibt, den vom Dichter ersonnenen und denjenigen anhand von Erinnerung und Schlußfolgerungen ( ) den Vorzug gibt (Poet. 1454b 19-1455a 411 Great Reckonings in Little Rooms. On the Phenomenology of Theater. Berkeley 1987, 1-47. 412 States 1987: 6. 413 Vgl. dazu die profunde Analyse von Andreas Eckl (Sprache und Logik bei Platon. Habil. Bonn 2002. Bd. 1: Logos, Name und Sache im Kratylos. Würzburg 2003, Bd. 2: Ideenlogik und Logik der grammatischen Form im Sophistes. Würzburg 2011). 414 Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen Wissens. Tübingen 1995, 35. 415 - 416 Karl-Otto Apel, Der Denkweg von Charles S. Peirce. Eine Einführung in den amerikanischen Pragmatismus. Frankfurt a.M. 1975, 225 f. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 145 21). Dieser Begriff, der das Zeichen veräußerlicht (die Identität wird auch bei der Erinnerung und den Schlußfolgerungen anhand gewisser zeichenartiger Merkmale festgestellt) und marginalisiert, findet sich noch in Poet. 1462a 5-8, wo die Zeichen qua Elemente der Performanz von Schauspiel, Rhapsodenvortrag und Gesang als Bereich produktionsästhetisch negativer Übertreibung ( - ) erscheinen, was trotz der Ablehnung einen sehr modernen theatersemiotischen Zeichenbegriff erkennen läßt. Beide negativen Äußerungen (auch Pol. 1340a 28-40 sieht die optische Darstellung nur als Zeichen ethischer Züge, die akustische dagegen als deren ) sind jedoch kein Argument gegen einen Seitenblick auf die Poetik im Rahmen einer strukturalistischen Lektüre des antiken Dramas, weil Aristoteles einen weitgehend materiell-körperlich-sinnlichen Zeichenbegriff zugrunde legt. Doch auch damit läßt er aktuelle kunstästhetische Theorien und Debatten anklingen. Bereits Gotthold Ephraim Lessing vollzieht den Brückenschlag von der Zeichenzur Dramentheorie, wenn er in einem Brief an Friedrich Nicolai vom 26.5.1769 schreibt: „denn in dieser [der dramatischen Dichtung] hören die Worte auf willkührliche Zeichen zu seyn, und werden n a t ü r l i c h e [Sperrdruck im Original] Zeichen willkührlicher Dinge.“ 417 Eugenio Coseriu, der hier Lessing für die Geschichte des Zeichenbegriffs erschließt, kann hier noch einen weiteren Passus aus dem 17. Kapitel des Laokoon (1766) beibringen, 418 an dem der große Aufklärungsdichter allgemein im Bereich der Poesie von der Linearität und Arbitrarität der Zeichen ausgeht, um daraus die Möglichkeit der Dichtung abzuleiten, räumliche Körper zu beschreiben. 419 Dies ist nicht nur ein interessanter Brückenschlag von der bildenden zur Sprachkunst, sondern impliziert auch deren Universalität gegenüber der Materialität der bildenden Kunst und ist damit an hochaktuelle Debatten unserer Zeit anschlußfähig, die wir bei der Besprechung Dieter Merschs näher kennenlernen werden. Einstweilen bleibt jedoch bei Lessings Transfer der Zeichentheorie auf das Drama festzuhalten, daß er wie diese Arbeit von einer Gestuftheit der Zeichen ausgeht: Die (willkürlichen) sprachlichen Zeichen werden ihrerseits im Drama zu Zeichen für Dinge. Daß Lessing die sprachlichen Zeichen in dieser Funktion ‚natürlich‘ nennt, liegt wohl an der theatralischen Mimesis und dem ihr in der Tragödie und ab der Neuen Komödie eigenen Realismus und daran, daß die sprachlichen Zeichen und ihre Referenzzuordnungen für die Bühnenkunst - auch deshalb - ein nicht mehr leicht zu änderndes Vorfindliches sind. 417 Sämtliche Schriften. Hg. v. Karl Lachmann und Franz Munkner. Bd. 17, Leipzig 3 1904. Ndr. Berlin 1968, S. 291 Z. 20-22. 418 L’arbitraire du signe. Zur Spätgeschichte eines aristotelischen Begriffes. Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 204 (1962) 81-112, h. 85. 419 „[...] die Zeichen der Poesie sind nicht bloß aufeinander folgend, sie sind auch willkürlich; und als willkürliche Zeichen sind sie allerdings fähig, Körper, so wie sie im Raume existieren, auszudrücken.“ Sämtliche Schriften. Hg. v. Karl Lachmann und Franz Munkner. Bd. 9, Stuttgart 3 1893, S. 101 Z. 4-7. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 146 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotischtransgressive Ästhetik Dieter Merschs ästhetisch-phänomenologischer Zeichenbegriff öffnet diesen an seinen liminalen Extremen, zum Infrarot und Ultraviolett, und ist damit theoretisch transgressiv: Er hebt nicht nur im Bereich des signifiant auf die Materialität und sinnliche Wahrnehmung des Zeichens ab, was mit seiner sensualistischen re-etymologisierten Verständnis der Ästhetik als des „Aisthetischen“ korreliert (2002: 18), sondern betont mit dem Bereich des Unsagbaren auch dessen referentielle Grenzen. 420 Seine Doxographie ignoriert Kellers pragmatisches Kriterium zugunsten des Zeichenkonstituens. Er sieht Aristoteles und Gottlob Frege, die bei Keller als Repräsentationisten gelten (2002: 43-57), zusammen mit Ludwig Wittgenstein, der bei Keller als Instrumentalist firmiert (2002: 58-70; Platon fehlt bei Mersch), als Vertreter der semiotischen Tradition, zu der Wilhelm von Ockham, Charles Sander Peirce und Nelson Goodman gehörten und die das Zeichen über seinen Repräsentations- und Substitutionscharakter bestimme. Dagegen sei de Saussure zusammen mit seinen Nachfolgern Roman Jakobson, Roland Barthes, Jacques Lacan und Jacques Derrida der semiologischen Denkschule zuzurechnen, die Zeichen als „Stelle innerhalb eines Differenzsystems erklärt“. 421 Die Formalisierung dürfe hier nicht durch eine Funktion, sondern „nach dem Schema der Algebra [Kursiv. im Orig.] in Form einer Matrix erfolgen“. 422 Mersch konstatiert die grundsätzliche Differenz dieser beiden Theorien trotz wissenschaftsgeschichtlicher Konvergenz. 423 In der Tat sind die beiden Aspekte nur theoretisch zu isolieren, für einen erfolgreichen Zeichengebrauch können sie nicht getrennt werden (hier rächt sich Merschs Absehen von pragmatischen Aspekten). Denn die Abgrenzbarkeit zweier Sinnträger ist die unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Semiose, wie wir am Beispiel der Doppelgängerdramen binnendramatisch und -pragmatisch sehen werden. Die beiden genannten semiotischen Richtungen des Pragmatismus und Strukturalismus koinzidierten „in der Vernachlässigung oder Reduktion der Materiali- 420 Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2002, 17, vgl. das Zitat aus einer Mitteilung Adornos an Benjamin im Frontispiz auf S. 7: „Ich bin der Überzeugung, daß unsere besten Gedanken allemal die sind, die wir nicht ganz denken können.“ 421 Das ist freilich eine Vereinfachung von Saussures Zeichenmodell, der - von Derrida nicht zur Kenntnis genommen - erst in seinen nachgelassenen Notes item einen neuen Zeichenbegriff erwog, der auf den Nexus signifiant und signifié verzichtet und den Sinn nur noch durch Abgrenzung (Seme vs. Paraseme) stiftet (Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlass. Texte, Briefe und Dokumente. Gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Johannes Fehr. Frankfurt a.M. 1 1997, 358-364), so Manfred Frank (Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt a.M. 1 1983 = 6 2001, 89 f.). Mit dem Begriff der transversalen Identität, die primär auf der syntagmatischen Abfolge der Segmente beruht und darauf aufbauend die Identität durch Abgrenzung und Zeichen konstituiert (Ferdinand de Saussure, Wissenschaft der Sprache. Neue Texte aus dem Nachlaß. Hg. und mit einer Einleitung versehen von Ludwig Jäger. Übersetzt und textkritisch bearbeitet von Elisabeth Birk und Mareike Buss. Frankfurt a.M. 2003, 80), bricht Saussure den Zeichen- und Identitätsbegriff weiter auf. 422 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 13 f. 423 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 14 f. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 147 tät.“ 424 Mersch entphysikalisiert seinen Begriff von Materialität und rückt ihn ans Phänomenologisch-Existentielle heran: Unter Materialität sei „kein vordergründig Stoffliches zu verstehen, vielmehr etwas, was sich von dort her erst ereignet: Erscheinen, das kein „Etwas“ beinhaltet, keine Erscheinung-als, sondern vornehmlich ein Wirken, das geschieht [Kursivierungen und Anführungszeichen im Orig.].“ 425 Indes ist bereits Saussures Zeichenbegriff sowohl als signifié als auch als signifiant insofern der philosophischen Phänomenologie verpflichtet, als er das sprachliche Zeichen nicht als Sache und Namen, sondern - wie Aristoteles - als Konzept sowie akustisches Abbild auffaßt, wobei letzteres nicht der materielle Ton, sondern „l’empreinte psychique de ce son, la représentation que nous en donne le témoignage de nos sens“ sei (CLG 98). 426 Mersch stößt sich vor allem an Saussures These von der Arbitrarität der Zuordnung von signifiant und signifié, die er in der Tradition der abendländischen Metaphysik und des europäischen Idealismus verankert (2002: 136 f.). Dagegen macht er nun doch wieder - ganz in der Spur des Stageiriten - die physikalische Materialität des Zeichens stark (2002: 138): „Kein Zeichen vermöchte etwas zu sagen oder auszudrücken, würde es sich nicht ebenso manifestieren - als Laut, der benennt, als Spur oder Zeichnung im Sand, die auf ein Anderes verweisen, als symptomatische Veränderungen der Haut, die eine Krankheit anzeigen, oder als auf dem Gesicht aufgetragene Schminke, die etwas zu verbergen oder anzustellen trachtet.“ Merschs Hinweis hat auch für die mimetische literarische Großgattung ihre Berechtigung. Ihre beiden Sinnträger Optik (Theater) und Akustik (Dramentext), deren Dualität dem hybriden Charakter der Gattung als Vorstellung des gesprochenen Wortes entspringt, sind selbst in der literarischen Fiktion sinnlich-aisthetischer Natur. Die von Mersch betonte Notwendigkeit der material-sinnlichen Wahrnehmbarkeit des Zeichenträgers und des sensualistischen Elements der Semiose kommt in der Ambivalenz des deutschen Substantivs ‚Sinn‘ bestens zum Ausdruck. Freilich zielt Mersch hier auf sämtliche Zeichentheorien ab: Seine tour d’horizon reicht von Saussure (Laut) und Derrida (Spur) über Peirce’ index (Hautveränderung) 427 bis zu Barthes (Schminke). Der Universalität und Multiversabilität seiner Kritik bzw. seines Gegenentwurfs opfert er die Spezifik eines ästhetischen Zeichenbegriffs. Dabei besteht für einen solchen, transgressiven, durchaus Raum: Er ist im unmittelbaren Erleben des ästhetischen Objektes anzusiedeln, das von vorfindlichen Zeichensystemen abstrahiert, diese transzendiert und dabei andere, unmittelbare Merkmale bzw. Markierungen als relevant 424 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 135. 425 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 134. 426 Saussures Terminologie erinnert hier sehr stark an die stoische Definition der als (SVF I 58, 484, II 53, 56, 458) bzw. auch noch (SVF II 59) (wobei gewiß eingeräumt werden muß, daß die an den genannten Stellen keine semiotische Implikation hat), wie denn auch sein Begriffspaar signifiant / signifié das stoische / widerspiegelt (SVF II 136-169; vgl. D.L. 7.43 & 62 [fehlen SVF]). 427 S. dazu Apel 1975: 225-227. Für das Verhältnis von Peirce’ dreigliedrigem Zeichenbegriff, v.a. des Index zu Luis Prietos Unterscheidung der verbalen wie nichtverbalen Zeichen in nichtintentionale (Indices) und (Signale) s. Ubersfeld 1996: 22 f. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 148 erachtet, wobei ein notwendiger Nexus zwischen konkretem Erleben und spezifischer Materialität dahingestellt sei. Mersch läßt eher beiläufig einen solchen Zeichenbegriff anklingen (2002: 83): „Kunst [drückt] ihr Symbolisches dadurch aus, daß sie sich sinnlich verkörpern muß, so daß von ihr das Materielle, durch die [sic! ] sich ihre Signifikanz allererst ausstellt, nicht subtrahiert werden kann.“ Hier deutet sich Merschs forcierte, nachgerade programmatische Opposition von künstlerisch-phänomenologischer Materialität und Symbolischem an. Sie stellen eine Bürde für den Transfer seiner Theorie auf das Theater dar, der wegen dessen Präsenz und Sinnlichkeit so vielversprechend scheint, da das Theater parallel zu diesen Merkmalen vom symbolisch verfaßten Dramentext dominiert wird. Für eine Anwendung auf die antike Bühnengattung kann der Rezipient keinen Transfer vornehmen, sondern muß Merschs Modell kreativ adaptieren, freilich auf die Gefahr hin, sich dem Vorwurf der Verbiegung Merschs oder seiner selbst auszusetzen. Jedenfalls bietet das Theater als Schauspiel einen klaren Anknüpfungspunkt für die bei Mersch präponderante Kategorie des Bildes. Es ist selbst in der Evokation durch den Dramentext die filmgleiche, aber sprachlich artikulierte Abfolge einzelner Bilder. Ja, Theater wie Drama funktionieren elementar nur über die physische wie suggestive Vorstellung materialer Schauspieler, die erst zu Medien des Dramentextes werden. Sie sind damit diejenige Großgattung, die sich konstitutiv unabdingbar und am meisten über die Optik vollzieht. Ihre Fiktionalität ist damit in hohem Maße bildschaffend. Das bildschaffende Vermögen faßt die vorliegende Arbeit also als Subspezies der Fiktion und vis poetica auf. Auch wenn es ohne Künstler und Rezipient nicht existieren kann, wird das Kunstwerk als sein Sitz angesehen. 428 Entsprechend Merschs Kategorien des Sagens und Zeigens, auf die wir im weiteren Verlauf dieses Unterabschnitts zu sprechen und im nächsten Unterabschnitt 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik näher eingehen werden, läßt sich das Bildschaffen der Theateraufführung als bildzeigend und dasjenige des Dramentextes als bildsagend einstufen. Diese beiden Qualifikationen sind anders als das oben eingeführte ‚bildschaffend‘ reproduktiv. Als Oberbegriff für den reproduktiven Umgang mit Bildern bietet sich ‚Bildgebung‘ an, während das Erschaffen von Bildern als ‚bildschöpfend‘ zu bezeichnen wäre. In dieser Arbeit bleibt der Ausdruck ‚imaginativ‘ der Bildschöpfung vorbehalten, die über den Dramentext erfolgt, sei dies nun mimetisch oder diegetisch durch Schilderungen vor oder hinter der Bühne simultan zum Bericht der Figur stattfindender Ereignisse in Form einer Ekphrasis (für einen an das Drama angepaßten dynamisierten Begriff dieser rhetorischen Figur s. 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression in der Zusammenfassung). (Denn neben der Mimesis erfolgt die Bildgebung in der Diegesis.) Auch die Theatralität bzw. das Theatralische als der stilistische Modus, der dem Theater zugeordnet, aber nicht auf es beschränkt ist (s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt), läßt sich nicht 428 Wolfgang Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a.M. 1 1993, 2 2001, 292-411 abstrahiert dagegen von der Etymologie des Adjektivs ‚imaginär‘ und scheint das Fiktive produktionsästhetisch und das Imaginäre rezeptionsästhetisch zu bestimmen. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 149 auf die Optik reduzieren. Sein Wesenskern ist zwar das Zeigen und Sehen-Machen, das jedoch auch diegetisch in der Ekphrasis geschehen, in anderen Gattungen anzutreffen sein und außerhalb des Theaters in öffentlich-sequentialisierten Aufführungen und Ritualen stattfinden kann. 429 Das Zur-Schau-Stellen, das Ostentative, das qua Geste und Habitus auch sprachlich erfolgen kann und eine Emphatisierung des Zeigens darstellt, das der Theatralität zugrunde liegt, kennzeichnet dagegen die Theatralik (vgl. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung und 7.6.2 Formal-komparatistischer Ausblick in der Phaedra-Interpretation), der faute de mieux ebenfalls das Adjektiv ‚theatralisch‘ zugeordnet ist. Zumeist faßt Dieter Mersch im Kapitel „Wirkung und Aura der Kunst“ 430 die hier diskutierte Wirkung, v.a. anhand der darstellenden Kunst, phänomenologisch und antisymbolisch oder sogar als inhärente Subvertierung und Verabschiedung des Symbolischen. Diese These vertritt er kompromißlos und dezidiert. Den in dieser Arbeit vorgestellten transgressiven ästhetischen Zeichenbegriff formuliert Mersch in dieser Antithese (2002: 82; Kurs. im Orig.): „Anzeige einer Grenze als unmögliche Anzeige sowie ihre Überschreitung als ihre unmögliche Überschreitung, die gleichwohl imstande ist, zu jenem anderen Territorium hinüberzuleiten, das die Kunst bewohnt: das Sichzeigen als das Andere des Sagens.“ Adorno, auf den Christoph Menke-Eggers zurückgreift, um die auch in der vorliegenden Arbeit vertretene transgressive Ästhetik mit Hilfe der Begriffe Souveränität und Vernunft zu formulieren, 431 dient Mersch als Kronzeuge für seine antihermeneutische Ästhetik (2002: 82). 432 Und doch sind der Status als „Rätsel“ und die „Unbegreiflichkeit“, die Adorno in Merschs wörtlichen Zitaten den Kunstwerken zuschreibt, durchaus mit dem ihnen in demselben Atemzug abgesprochenen Status als „hermeneutische Objekte“ vereinbar, 433 und zwar dann, wenn man wie die vorliegende Arbeit die semantische Irreduzibilität als ein Wesensmerkmal (wenn auch nicht als erschöpfendes Alleinstellungsmerkmal) von Kunst ansieht (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Die Interpretation beschreibt dann immer einzelne Strahlen der Ekstasis oder Aura des Kunstwerks (vgl. Mersch 2002: 18) oder wie man dessen rezeptive Manifestationen auch immer benennen will. Ich spreche bewußt von ‚beschreiben‘ und ‚verstehen‘, statt von ‚begreifen‘ und ‚erfas- 429 Vgl. S. 7 f. im Vorwort, das Gerhard Neumann zusammen mit Rainer Warning verfaßt hat (Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 7-16). 430 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 75-99. 431 Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt a.M. 1988, 10: „Souverän ist demnach die ästhetische Erfahrung, sofern sie sich nicht in das ausdifferenzierte Gefüge der pluralen Vernunft einordnet, sondern sie überschreitet.“ 432 Mersch steht hier in einer langen illustren Reihe der Gegenwartsästhetik, s. das doxographische Referat bei Martin Seel, Die Macht des Erscheinens. Texte zur Ästhetik. Frankfurt a.M. 2007, 27 f., der in diesem Kapitel einen beachtenswerten Versuch unternimmt, die ästhetische Hermeneutik zu rehabilitieren und neu zu begründen (2007: 27-38: „Ästhetik und Hermeneutik. Gegen eine voreilige Verabschiedung“). 433 Ästhetische Theorie (1970). Frankfurt a.M. 1997, 179: „Kunstwerke sind nicht von der Ästhetik als hermeneutische Objekte zu begreifen; zu begreifen wäre, auf dem gegenwärtigen Stand, ihre Unbegreiflichkeit.“ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 150 sen‘, weil diese haptisch-manuellen Metaphern der intellektuellen Aneignung, wie sie in vielen anderen indoeuropäischen Sprachen geläufig sind (lat. concipere, engl. grasp, frz. saisir, gr. , ngr. ) und in Form der in der induktiv-empirischen Erkenntnistheorie der Stoa sogar terminologisiert wurden, 434 eine Totalität suggerieren, die zu leisten kein wissenschaftlicher Verstehensversuch beanspruchen kann (vgl. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression). Das Konzept eines poetisch-ästhetischen Zeichens besagt nicht, daß die Kunst eine Alltagsreferenz reproduziert und daß ihr Wesen und dasjenige des poetisch-ästhetischen Zeichens in der Referenz auf ein Objekt außerhalb ihrer verankert werden. Die strukturalistische Unterscheidung von Signifikat und Referenz ist also grundlegend für die Konstitution eines poetisch-ästhetischen Zeichenbegriffs. Diese strukturalistische Differenzierung der Bezugnahme auf ein Anderes entkräftet Merschs fundamentale Ablehnung des Symbolischen, die durch die methodologische Zurückdrängung des Individuellen und der künstlerischen Freiheit durch den heuristischen Fokus auf dem Konventionellen und Gesellschaftlichen bei einem Semiotiker wie Umberto Eco 435 erklärbar, aber nicht hinreichend begründet wäre. Außerdem ermöglicht die genannte Unterscheidung den Verzicht auf die Kategorie ‚Wahrheit‘, mit welchem die Ästhetik seit Hegel Zeit die Kunst in Verbindung, um nicht zu sagen: belastet hat. 436 Die Kunst qua autonome Poiesis (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression) konstituiert ihre eigene Realität und schafft ihren Sinn selbst. Treffend bestimmt das alte, von modernen Kritikern einer hermeneutischen Ästhetik bemühte Wort 437 vom Eigensinn der Kunst, 438 deren vielbeschworene Autonomie über das Semiotische. Ebenso treffend definiert Seel die ästhetische Erfahrung als ebenfalls eigenteleologische Bewegung, „die darauf zielt und ihren Sinn darin findet, die Bewegung der aufgenommenen Werke zu verfolgen“ [Kurs. im Orig.] (2007: 33 f.). Gegen Merschs antisymbolische Aisthetik muß geltend gemacht werden, daß die Literaturwissenschaft, deren Gegenstände, die Sprachkunstwerke, mit der Sprache ein Material verwenden, das bereits sinngesättigt wie kein anderes Kunstmaterial ist, Gefahr liefe, ihren Erkenntnishorizont extrem zu verengen, wollte sie sich nur auf sinnlich-spontane Erlebnisse beschränken und vom Sinn verab- 434 Vgl. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 356 f. (mit weiterführender Literatur). 435 Die Gliederung des filmischen Kode. In: Heinz Blumensath (Hg.), Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Köln 1972, 363-384, h. 364-366. 436 Rüdiger Bubner, Einführung. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Erster und zweiter Teil. Mit Einführung hg. v. Rüdiger Bubner. Stuttgart 1971, 3-27, h. 12 f. 437 Ruth Sonderegger, die den Schwerpunkt innerhalb des Kompositums eher auf das ‚eigen‘ als auf den ‚Sinn‘ (Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst. Frankfurt a.M. 2000, 10: „autonome Eigengesetzlichkeit“, S. 12 variiert „eigenlogisch autonom“, „Autonomie“ und „Eigensinn“) legt, weil sie die (Nicht-)Verstehbarkeit, deren Unzulänglichkeit anhand von Gadamers Hermeneutik und Derridas Dekonstruktion vorgeführt wird, zugunsten der Schlegelschen Kategorie des Spiels in der Ästhetik zurückdrängen will (2000: 8-12). 438 Vgl. Beethoven 1820: „Wahre Kunst ist eigensinnig, läßt sich nicht in schmeichelnde Formen zwängen.“ 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 151 schieden, der auf einer zweiten Ebene von den Sprachkunstwerken geschaffen wird. 439 Adorno rehabilitiert denn auch implizit die Hermeneutik, indem er auf die Sprache und die von Mersch 440 - auch unter Rückgriff auf die Schlußworte von Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus (Nr. 7) 441 - zugunsten des Zeigens problematisierte Kategorie des Sagens zurückgreift, um die Rätselhaftigkeit nicht nur der sprachlichen Kunstwerke zu benennen (1997 (1970): 182): „Daß Kunstwerke etwas sagen und mit dem gleichen Atemzug es verbergen, nennt den Rätselcharakter unterm Aspekt der Sprache.“ Diese Paradoxie der Semiose (bereits Wittgenstein konnte die Grenzen des Sagbaren nur mit Hilfe der Sprache und über sie benennen) gilt, wenn man das Verborgene mit dem Unausgesprochenen glossiert, letztlich selbst für jeden Zeichengebrauch der Alltagssprache, und um so mehr für den poetischen Sprachgebrauch. Die Gegenläufigkeit, die das Paradoxon performiert und hier in der Semiose feststellbar ist, charakterisiert ebenso die Tragik (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik). Fest steht jedenfalls, daß die hier in Anlehnung an Mersch skizzierte ästhetische Erfahrung, wenn man diesen eingebürgten Begriff statt der Merschschen Aisthesis verwenden darf, 442 wie die mystische nur diskursiv manifest, fixiert und vermittelt werden kann. 443 Sie bietet also allenfalls solipsistisch einen Ausweg aus dem Bannkreis der symbolisch verfaßten Kultur und Anthropologie, wie er in Ernst Cassirers berühmter Formel vom animal symbolicum zum Ausdruck kommt. 444 Die funktionale Universalität und Unentrinnbarkeit der Sprache, die André Martinet aus der Kombinierbarkeit der sprachlichen Elemente zum Ausdruck neuer, auch poetischer Erfahrungen erklärt 445 und die Stefan Georges Diktum „so lernt ich traurig den verzicht: / kein ding sei wo das wort 439 Für die Vermählung (vgl. S. 9) der bis in die Gegenwart gegeneinander ausgespielten Kategorien Ästhetik und Hermeneutik auf dem Felde der Literaturwissenschaft vgl. Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 3 1984. 440 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 81. 441 „Wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen“ Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Bd. 1 von: Werkausgabe. Für diese Ausgabe wurde der Text neu durchgesehen von Joachim Schulte. 8 Bde. Frankfurt a.M. 1989, 85. 442 Vgl. Joachim Küpper, Christoph Menke, Einleitung. In: Ds. (Hgg.), Dimensionen ästhetischer Erfahrung. Frankfurt a.M. 2003, 7-15. 443 Es fragt sich deshalb, ob ein solcher ekstatischer Kunstbegriff, dessen praktische Legitimität außer Frage steht, nicht besser auf die Semiose verzichtet, die immer mit einer Diskursivierung einhergeht. Dieser Verzicht würde freilich den Bereich eines solchen Kunstbegriffs auch weitgehend der Wissenschaft entziehen, selbst wenn Mersch zusammen mit Michaela Ott diese Grenze als Produkt des 19. Jh.s entlarvt und anhand neuester Kunstpraktiken aufweicht (Einleitung. In: Dieter Mersch, Michaela Ott (Hgg.), Kunst und Wissenschaft. Paderborn 2007, 9- 31). 444 Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur. Aus dem Englischen übersetzt von Reinhard Kaiser. Hamburg 2 2007, 51. 445 Éléments de linguistique générale. Paris 4 1996, 17 f. Auf diesen totalisierenden, souveränen Umstand führt Giorgio Agamben (Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen von Hubert Thüring. [Orig.: Il potere sovrano e la nuda vita] Erbschaft unserer Zeit 16. Frankfurt a.M. 1 2002 = 2004, 31) die Struktur des Rechts zurück: „Die Sprache ist der Souverän, der in einem permanenten Ausnahmezustand erklärt, daß es kein Außerhalb der Sprache gibt, daß Sprache stets jenseits ihrer selbst ist.“ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 152 gebricht.“ 446 kondensiert, wird im antiken Dramentext besonders deutlich, wo selbst die nonverbale Sprache der Gestik und Mimik als transverbales Metatheater (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression) in den Text eingeschrieben ist. Die fragmentarische Überlieferung des antiken Dramas konstituiert dabei eine Dominanz der verbalen ästhetischen Zeichen über die nonverbalen, 447 welche bei diesem Gesamtkunstwerk u.a. durch Musik, Tanz und Skenographie besonders ausgeprägt waren 448 und die ein hervorragendes Studienfeld für die moderne multisensuale Theatersemiotik 449 böten. Die Überlieferung bringt da- 446 Letzte Verse des Gedichts DAS WORT (aus: Das neue Reich (1928). Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 9. Stuttgart 2001, 107), in dem es ebenfalls um die Unmöglichkeit geht, das sprachlich dauerhaft einzufangen, was durch topologische Grenzüberschreitung gewonnen wurde und den gewöhnlichen Erfahrungshorizont überschreitet (vgl. die beiden ersten Verse). Es lautet vollständig: Wunder von ferne oder traum Bracht ich an meines landes saum Und harrte bis die graue norn Den namen fand in ihrem born - Drauf konnt ichs greifen dicht und stark Nun blüht und glänzt es durch die mark . . . Einst langt ich an nach guter fahrt Mit einem kleinod reich und zart Sie suchte lang und gab mir kund : ›So schläft hier nichts auf tiefem grund‹ Worauf es meiner hand entrann Und nie mein land den schatz gewann . . . So lernt ich traurig den verzicht : Kein ding sei wo das wort gebricht. 447 Jan Muka ovský, Zum heutigen Stand einer Theorie des Theaters (1941). In: Texte zur Theorie des Theaters. Hg. und kommentiert von Klaus Lazarowicz und Christopher Balme. Stuttgart 1991, 87-99, h. 93 sieht den dramatischen Text auch als eigene, selbständige Kategorie gegenüber der Aufführung, was bei ihm keine ontologische Hierarchie dieser beiden Größen nach sich zieht. Vielmehr betont er ihre historisch und individuell jeweils wechselnde Dominanz. 448 Nach Muka ovský (1941) 1991: 89 f. integriert und transformiert auch das moderne Theater die übrigen Künste. 449 S. dazu die umfangreichen Forschungen von Erika Fischer-Lichte: Das System der theatralischen Zeichen. Bd. 1 von: Semiotik des Theaters. Tübingen 3 1994. Die Aufführung als Text. Bd. 3 von: Semiotik des Theaters. Tübingen 3 1995. Erika Fischer-Lichte (Hg.), Verkörperung. Tübingen 2001. Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2004. Erika Fischer-Lichte (Hg.), Praktiken des Performativen. Berlin 2004. Zu ihr s. ferner Ernest W. B. Hess-Lüttich, Soziale Interaktion und literarischer Dialog II. Zeichen und Schichten in Drama und Theater: Gerhart Hauptmanns ‚Ratten‘. Philologische Studien und Quellen 98. Berlin 1985, 13-60, der - entsprechend der zeitgenössischen Dominanz des Textbegriffs „[d]as komplizierte Verhältnis von dramatischem Text als sprachlich fixiertem Zeichensystem und theatralem Text als Realisat multimedial kopräsenter Zeichensy- 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 153 mit eine zusätzliche Hierarchisierung der Verweisstruktur: Der ganz gemäß Derridas Theoremen unendlich auslegbare und durch Aufführungen realisierbare Dramentext 450 evoziert den Anblick der physisch oder (absent)imaginär präsenten Figur, die ihrerseits zur Trägerin der sinnbringenden Stimme wird. 451 Doch ist hier weder der Ort noch der Raum für eine grundsätzliche Diskussion und Würdigung von Merschs tiefschürfenden Ansätzen und Ausführungen. Vielmehr soll ihre Anwendbarkeit auf die dramatische Literatur der Antike ausgelotet werden. 452 Hier läßt sich - wie bei jeder Sprachkunst - auf deren lautliche und metrische Gestaltung hinweisen, deren ästhetische Bedeutung quer und vorgängig zur phonologischen ist, 453 auch wenn sie noch nicht wie im Dadaismus, auf den Mersch in diesem Zusammenhang der stimmlich-ästhetischen Dimension der Sprache verweist, davon getrennt ist. 454 Die Stimme, die Mersch hier bespricht, 455 ist konstitutiv für die Gattung des antiken Dramas, nicht nur durch dessen Performativität bei der Aufführung, sondern durch dessen Dialogizität selbst bei der Lektüre. Ihre besondere ästhetisch-poetische Rolle bei der Darstellung der Transgression - auch ex negativo - soll bei der Besprechung der Einzeldramen untersucht werden, so im Oidipus Tyrannos (s. 2.4.1 Kollision am Dreiweg) und in Euripides’ Medea (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts und 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression). Doch bevor wir in die detailreiche Diskussion einsteigen, wie Merschs Theorien im einzelnen auf das Theater übertragen werden können, gilt es States zu besprechen, der sich eher im Allgemeinen einer phänomenologischen Theatertheorie bewegt. Trotz der gemeinsamen Frontstellung mit Mersch gegen eine semiotisch-symbolische Sicht der Kunst oder gerade in deren konsequenter Durchführung ist bei States, der die phänomenologische Ästhetik auf das Thea- steme“ (1985: 48) in einem komplizierten Schema (1985: 40) darzustellen versucht und in beiden Bereichen die Ästhetik hinter die Semiotik zurücktreten läßt. Auch er verzichtet auf eine ontologische Hierarchisierung dieser beiden Zeichensysteme und beschränkt seine Untersuchung auf den dramatischen Text und „die in ihm symbolisch codierten theatralen Zeichen“, geht also von einer Konstellation aus, die den überlieferten antiken Dramentext kennzeichnet. 450 So die bereits ganz grammatologische Sichtweise von Steen Jansens Versuch einer strukturalistischen Theatertheorie (Esquisse d’une théorie de la forme dramatique. In: Langages 12 (1968), [numéro spécial: ] Linguistique et littérature. 71-93, h. 72). Ähnlich Richard Hornby, „Text and Performance“, in: Script into Performance. A Structuralist View of Play Production. Austin 1977, 92-109, h. 108 f., der zwar die Vorgängigkeit des Dramentextes herausarbeitet, aber die Inszenierung als selbständige Leistung sieht, die er mit dem Herausmeißeln einer Skulptur aus einem Marmorblock vergleicht (1977: 102 f.) und welche die Anlagen des Textes realisiere (1977: 108). 451 Vgl. Doris Kolesch, Ästhetik der Präsenz: Theater-Stimmen. In: Josef Früchtl, Jörg Zimmermann (Hgg.), Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens. Frankfurt a.M. 2001, 260-275. 452 Für eine Zeichentheorie des Theaters s. Anne Ubersfeld, Lire le théâtre. Paris 2 1996, 20-32. 453 Algirdas Julien Greimas, Pour une théorie du discours poétique. In: Ds. (Hg.), Essais de sémiotique poétique. Avec des études sur Apollinaire, Bataille, Baudelaire, Hugo, Jarry, Mallarmé, Michaux, Nerval, Rimbaud, Roubaud. Paris 1972, 6-24, h. 11 f. 454 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 114. 455 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 100- 125. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 154 ter anwendet, der Akzent auf der Materialität und der damit gegebene Ansatz für ein aisthetisches Zeichen abgeschwächt. Und trotz einer anspruchsvollen und lehrreichen Verortung in (kunst)philosophischen Debatten tritt States auch sonst durch einen begrifflichen Reduktionismus und eine konzeptuelle Einengung hervor. Die siamesischen Zwillinge seines hybriden Gegenstandes, Drama und Theater, trennt er und konzentriert sich auf das Theater und seine mimetische Bildlichkeit, die eine phänomenologische Herangehensweise im Gegensatz zur semiotischen bei der Lektüre fördere (1987: 27 f.). So behandelt er die Requisiten der Aufführung, wie Möbel (1987: 40-43), oder einen Hund auf der Bühne (1987: 32-34), sowie Kinder als Schauspieler in der elisabethanischen Zeit (1987: 31 f.). All diese Momente der Aufführung dienen nach States der Verfremdung vom Alltäglichen und Gewöhnlichen, die für sein antisemiotisch-phänomenologisches Kunstverständnis zentral ist (1987: 12). Doch eben die Distanz vom Konventionellen und Alltäglichen ist auch das Merkmal des ästhetischen Zeichenbegriffs der vorliegenden Arbeit. Dieses gemeinsame Grundverständnis von Kunst wird daran augenfällig, daß sich States wie diese Untersuchung (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression) auf Šklovskijs Definition der Kunst als Verfremdung beruft (1987: 21). Das ästhetische Zeichen wird über seine Differenz zum konventionellen Zeichen konstituiert. Der ästhetische, das Usuelle paradigmatisch transzendierende Charakter ist seine primäre Bedeutung. Erst darauf aufbauend kann es einen weiterreichenden semantischen Gehalt erlangen, auch im Verhältnis zu anderen ästhetischen Zeichen, was sich in einer Großgattung wie dem Drama, die per definitionem eine ausreichende Länge aufweist (Arist. Poet. 1449b 24 f.), gut nachweisen läßt. Sein Wesen ist also die Singularität. Insofern verfängt States’ Verweis auf das Kriterium der Iteration, das Jacques Derrida für das Zeichen aufstelle (1987: 25), 456 nicht. Da States keinen paradigmatischen Unterschied zwischen dem gewöhnlichen kommunikativen und dem ästhetischen Zeichen sieht, ist er geneigt, den Universalitätsanspruch der Semiotik 457 als imperialistisches Selbstvertrauen einzustufen (1987: 7). Daß States anders als diese Arbeit den Brückenschlag zur ästhetischen Semiotik nicht leistet, liegt nicht zuletzt daran, daß er entsprechend der amerikanischen Tradition den pragmatisch-instrumentellen Zeichenbegriff Peircescher Prägung zugrunde legt (1987: 23 f.). Das führt ästhetisch dazu, daß er selbst Horaz’ utile und dulce (ars 343) als Ausdruck eines semiotischen und phänomenologischen Kunstverständnisses wertet (1987: 9 f.), obwohl hier ohne Bezug auf einen Zeichencharakter nur von einem Nutzen die Rede ist. Auch bei einem konkreten Beispiel, dem Bus für die Heimfahrt von der Arbeit, geht es nur um die praktische Bedeutung, während die Sonne ihn in ein verfremdendes Licht tauchen könne, das seine kompakte Dinglichkeit und seine Form hervortreten lassen könne, die auch ein Künstler sehe (1987: 8 f.). Doch funktioniert auch der ästhetische Zeichenbegriff über eine solche Aufhebung der usuellen indexalen 456 „Le théâtre de la cruauté et la clôture de la représentation“, in: L’écriture et la différence. Paris 1967, Ndr. 2003, 341-368, h. 361. 457 Vgl. Umberto Eco, „Die pansemiotischen Metaphysiken“, in: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Frankfurt a.M. 1977, 111-114. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 155 Zeichenfunktion. Das schlagendste Beispiel hierfür ist vielleicht Picassos Skulptur eines Stiers im Porträt, das aus dem Sattel und der Lenkstange eines Fahrrades montiert ist. Diese beiden Gegenstände verlieren in der Montage ihre haptische Erfahrung und praktische Funktion der Fortbewegung, die sie wie der Bus im Alltag haben, und referieren optisch-mimetisch auf etwas völlig anderes. Die Schau hat die Tat abgelöst. Die beiden Performanzmodi des Theater/ Dramas werden also getrennt. Das nachgerade geniale Künstlertum dieser Montage entfaltet sich auf drei Ebenen, die entsprechend den officia oratoris benannt werden können: Die inventio ist die Auswahl der beiden Teile und ihre Lösung aus dem Alltagskontext, die dispositio die Anordnung der Lenkstange oberhalb des breiteren Sattelendes. Im Bereich der elocutio entspricht innerhalb der virtutes dicendi die elegante Ökonomie dieser Semiogenese der perspicuitas und brevitas. Daß es das von States geschilderte unmittelbare intuitive sinnlich-ästhetische Er-Leben 458 gibt, das durch die Überschreitung der bisherigen Wahrnehmung plötzlich hervortritt (vgl. Bohrers Ästhetik der Plötzlichkeit [s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt]), sei dabei unbestritten, ebenso, daß die mimetisch-dramatische Illusion nur durch die Annullierung des theatersemiotischen Zeichencharakters funktioniert: Der Schauspieler spielt nicht mehr eine Figur, er verkörpert sie nachgerade, indem er zu ihrer Hypostase wird und sie zu sein scheint (so der phänomenologische Aspekt der Mimesis). Nur durch diese Illusion und Versenkung kann der Zuschauer (oder Leser) sich auf die sprachlich-literarische Semiose konzentrieren, die auf der basalen theatralisch-mimetischen aufruht. Dabei funktioniert das Theater jedoch nicht als eine bloße Abfolge nur erbaulicher oder beeindruckender Tableaux (auch wenn solche selbst emblematisch durch die sprachlich-literarische Fiktion visuell suggestiv erzeugt werden können), wie States’ Insistieren auf der Ikonizität suggeriert (1987: 19 f.), sondern von Sprechakten und Handlungsschritten („Drama“), deren Komposition einen dramensemiotischen Gehalt und einen ästhetischen Eigenwert hat. Diese Semiose kann sogar interdramatisch verlaufen, wie das Beispiel eines antiken Verkehrsmittels, nämlich des Wagens zeigt, der die Transgression und Eliminierung in verschiedenen Tragödien symbolisiert oder performiert (s. 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung im Kap. über Aischylos’ Perser). Wenn States auf den ästhetischen Wert des Klangs bei Wiederholungsfiguren verweist (1987: 25 f.), der durch keine Zeichensystematik erfaßt werde, so ignoriert er die gesamte formalistisch-strukturalistische Poetik, die neben dem Vers solche Elemente der klassischen Rhetorik begierig aufgegriffen hat. 459 Insgesamt sind die Gegensätze zwischen semiotischer und phänomenologischer Ästhetik vielleicht doch nicht so unüberbrückbar, sondern eher eine Frage der rhetorischen Empha- 458 Der Bindestrich, den bereits der von States bemühte Scheler (s. die drittnächste Fußnote) setzte, um die Einstellung (ausdrücklich nicht Methode) der Phänomenologie zu charakterisieren (1957: 380), trägt States’ Stärkung der Mimesis über den Gedanken der Hineinnahme des Lebens ins Theater Rechnung (1987: 13). 459 Vgl. z.B. Jean-Claude Coquet, Poétique et linguistique. In: Algirdas Julien Greimas (Hg.), Essais de sémiotique poétique. Avec des études sur Apollinaire, Bataille, Baudelaire, Hugo, Jarry, Mallarmé, Michaux, Nerval, Rimbaud, Roubaud. Paris 1972, 26-44. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 156 tisierung. So streicht States - auf einer Linie mit Mersch - die Körperlichkeit des Theaters als Medium und Bedeutungsträger heraus (1987: 27) und billigt dem theatralischen Bild einen nosologisch formulierten semiotischen Gehalt zu (1987: 23 f.), 460 freilich ohne an diesen Stellen einen spezifisch ästhetischen Zeichenbegriff zu entwickeln. Abschließend läßt sich festhalten, daß die gesamte ästhetische Phänomenologie, ganz gleich ob von Bohrer, States oder Mersch verfochten, einen antisemiotischen Sensualismus des desemantisierten materialen Signifikants 461 vertritt oder impliziert, während der hier vertretene ästhetische Symbolbegriff dem Signifikat eine weitere semantische Ebene hinzufügt. Er ist damit idealistisch 462 statt sensualistisch. Phänomenologie und Semiotik sind m.E. nicht, wie States 1987: 8 annimmt, auf derselben Ebene komplementäre Sichtweisen auf die Kunst und die Welt, sondern funktional geschieden: Während die Phänomenologie ein Modell zur Beschreibung der unmittelbaren Wahrnehmung von Kunst und Schönheit liefert, die jedoch schwierig zu kommunizieren und zu verifizieren ist, bietet die Semiotik ein Modell zur wissenschaftlichen Beschreibung von Kunstwerken. 463 Die Semiotik vertritt also einen werkästhetischen, die Phänomenologie einen rezeptionsästhetischen Ansatz, der grundsätzlich methodischheuristische Probleme mit sich bringt (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik). 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik Doch kommen wir zur Transferierbarkeit von Merschs Theorien auf das Drama zurück, die in der größeren Elaboriertheit seiner Thesen trotz geringerer thematischer Einschlägigkeit beruht. Die von Mersch vertretene Parallelität oder Dualität von Sagen einerseits und Zeigen, 464 die auch etymologisch in lat. dico ‚sage‘ und gr. hervortrete, Erscheinen und Sehen andererseits - in den indoeuropäischen Sprachen wiesen „die verschiedenen Worte [sic! ] für Zeichen 465 wie semeion, 466 deixis, signum 467 usw. gleichzeitig auf den Bereich des 460 „In the image, one might say, we swallow the semiotic process whole and imagination catches its disease.“ 461 States 1987: 23 zitiert hier in englischer Übersetzung Max Scheler für die fortwährende Entsymbolisierung, der Welt welche die phänomenologische Philosophie sei (Phänomenologie und Erkenntnistheorie. In: Schriften aus dem Nachlaß. Bd. 1: Zur Ethik und Erkenntnistheorie. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Mit einem Anhang hg. von Maria Scheler. Bd. 10 von Gesammelte Werke. Bern 1957, 377-430, h. 384). 462 Vgl. Eco 1977: 111 f. 463 Ähnlich unterscheidet Roman Ingarden das „ästhetische Erleben eines Kunstwerks“ von dem „betrachtenden Erkennen seiner ästhetischen Konkretisation“ (Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks. Darmstadt 1968, 342 f.). 464 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 137 f. 465 Auch dieses deutsche Wort geht wie got. taikns ‚Zeichen, Wunder‘ und engl. token über die o- Abtönung *doi auf die Wurzel *dei - ‚zeigen‘ zurück (WH I 348, s.v. dico, Pokorny 189 s.v. dei -, Kluge/ Seebold 905 s.v. Zeichen, Pfeifer s.v. Zeichen; Ernout/ Meillet 173 f. s.v. dico erwähnt nur got. taikns und ahd. zeig n, de Vaan 170 s.v. dico got. ga-teihan ‚anzeigen, verkünden‘ und ahd. z han ‚zeihen‘). 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 157 Sagbaren wie des Sichtbaren hin“ - trifft besonders auf die theatralische Mimesis zu. 468 In ihr verschmelzen Deixis und Semiose, da sie zugleich Präsentation von Körper und Stimme und Repräsentation des mit diesen beiden Ausdrucksmitteln Bezeichneten ist. Etwas in physischer Präsenz Gezeigtes wird so wie in der bildenden Kunst und letztlich auch im neuzeitlichen Film, der eine Abfolge von Bildern ist und so mit dem Theater das Merkmal der Sequentialisierung teilt, zum Zeichen für Abwesendes und Imaginiertes, wobei die körperliche (und nicht nur materielle) Präsenz ein Unikum des Theaters ist. Bei allen drei Künsten, der bildenden, dem Film und dem Theater, die durch Mimesis und Realismus gekennzeichnet sind, funktioniert die Semiose über die optische Entsprechung, das Peircesche icon. Daß die theatralische Mimesis auf der optischen Präsentation basiert, schlägt sich im Griechischen darin nieder, daß zur Wurzel - ‚(mimische) Darstellung, Bild, Skulptur‘ und davon abgeleitet dor. ‚Schauspieler‘ gebildet sind, das - anders als ‚Mime‘ nach Frisk I 355 f. s.v. „[f]ür sich steht“. 469 Die Repräsentation der optischen Mimesis bedarf unbedingt der Präsentation. Nur anwesend kann der Schauspieler Polos den Oidipus verkörpern, 470 die Statue oder ein Gemälde die Venus abbilden. Allerdings referieren sie dabei auf Abwesendes oder bloß Gedachtes. Im Falle der optischen Mimesis sind Zeigen und Bedeuten trotz ihrer hier wechselseitigen Bedingtheit verschiedene Modi des Verweisens. Die optische Mimesis vereint Karl Bühlers Deixis am Phantasma und seine demonstratio ad oculos (für diese beiden Begriffe s. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes). Die demonstratio ad oculos existiert jedoch auch unabhängig von der Deixis am Phantasma. Sie ist das Ursprüngliche, auf dem die Repräsentation in diesem Fall aufruht. 471 An diesem Punkt zeigt sich der entscheidende Unterschied zwischen Merschs und dem hier zugrunde gelegten Modell: Mersch operiert mit der 466 Dieses Wort hat neben ‚Zeichen, Kennzeichen‘ und ‚Siegel‘ in der Tat noch die konkrete Bedeutung ‚Spur‘ (LSJ 1593 s.v.), die - wie das Etymon von signum (s. die nächste Fußnote) - einen Anknüpfungspunkt für dekonstruktivistische Auslegungen bietet. 467 In seiner Herkunft von secare (WH II 535 s.v. signum, Ernout/ Meillet 625 s.v. signum, de Vaan 563 s.v. signum) wird die materielle Kennzeichnung augenfällig, die bei Odysseus’ Narbe und Derridas trace wiederkehrt. 468 Vgl. dazu Gerhard Neumann, Roland Barthes’ Theorie des Deiktischen. In: Dieter Mersch (Hg.), Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens. München 2003, 53-74, h. 54-56. Die Erschütterung der Zeichen, die Barthes bei der Seismologie von Brechts epischem Theater ausmacht (der folgende und überwiegende Teil des Artikels befaßt sich mit Barthes’ Analysen von Rahmung in der japanischen Kultur), wird im hier untersuchten antiken Drama durch die Transgression ausgelöst. 469 Chantraine S. 247 und Beekes S. 309 führen die vorgenannten Substantive dagegen ohne Binnendifferenzierung als Ableitungen s.v. auf. 470 Zur hier psychagogisch gewandeten theatralischen Mimesis von Polos und Oidipus s. Epict. Diatr. frg. 11. Zu diesem berühmten Tragödienschauspieler des späten 4. Jh.s v.Chr. und seiner realistischen Darstellungsweise s. Horst-Dieter Blume, Art. Polos [2]. DNP 10 (2001) 38 f. 471 Indem das Theater das Zeigen zur Grundlage für das Sagen macht, wiederholt es funktional gestuft den Primat des Zeigens vor dem Sagen, der sich an Tieren und Kleinkindern offenbart (Reinhardt Brandt, Sagen und Zeigen / Text und Bild. In: Dieter Mersch (Hg.), Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens. München 2003, 93-100, h. 93). 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 158 Gleichzeitigkeit und Parallelität der Verweisarten, 472 ich hebe für die Analyse des Dramas auf ihre Gestuftheit und Artikuliertheit ab, bei der jede Stufe zur Grundlage für eine neue Verweisebene wird. Zumindest im Bereich der Etymologie ist Merschs parallelistische Sichtweise jedoch unrichtig. Bei der ie. Wurzel *dei - ‚zeigen‘ ist die im Italischen und Germanischen (dt. zeihen, 473 engl. teach) „vertretene Bed. ‚sagen‘ jedenfalls aus ‚zeigen, mit Worten hinweisen‘ entwickelt“. 474 Entsprechend der hier entwickelten Theatertheorie ist die Präsentation also auch in der historischen Semantik der Referenz vorgängig, beider Parallelität im Lateinischen ist das sekundäre Ergebnis einer Bedeutungsentwicklung. Auch hier bewahrheitet sich, daß geistesgeschichtlich die Abstrakta metaphorisch aus dem Sinnlich-Material-Konkreten abgeleitet sind (vgl. dt. (ein)sehen und der Gebrauch von sehen für ‚verstehen‘ in anderen modernen indoeuropäischen Sprachen). Die Gestuftheit der Verweisarten ist eminent zum Verständnis des Dramas und des Sprachkunstwerks überhaupt. Denn eine auf die optische Mimesis ausgerichtete Betrachtung erfaßt nur Aspekte, die das Theater mit der Performance, 475 der Pantomime und dem Stummfilm teilt, die Sprache als Trägerin von Literatur bleibt unberücksichtigt. Doch der Schauspieler steht nicht bloß auf der Bühne wie eine Statue auf einem Podest oder läuft herum wie ein Fußballspieler in einem Stadion, sondern er gibt Laute von sich (mögen die Leser diese Banalität verzeihen, die gleichwohl Merschs konzeptuelle Kompaktheit differenzieren soll), und diese Laute sind zumeist keine bloße animalische Stimme (deren seltenes Vorkommen, das die Außergewöhnlichkeit der Transgression und der mit ihr einhergehenden Integritätsverletzung widerspiegelt, gewinnt sein besondere Bedeutung nur durch die Abgrenzung von der sonst vorherrschenden Sprache), sondern artikulierte, unterscheidbare, die so ihrerseits zu Zeichen werden können. 476 Die einzelnen Handlungen, die hier entsprechend der eingebürgerten Nomenklatur für die semiotischen Atome eines kulturellen Feldes ‚Akteme‘ genannt werden sollen und fast immer Sprechakte sind, bilden die kleinsten Einheiten des Dramas, deren Abfolge es syntagmatisch konstituiert 472 Da diese Verweisarten auf Mimesis oder Semiose beruhen, könnte man sie analog zum fusionierenden Neologismus ‚Theadrama‘ für die mimetische Großgattung aus Theater und Drama zu Se(mio)mimesis verschmelzen, um einen Oberbegriff für diese unterschiedlichen Verweisarten zu gewinnen. 473 Dt. zeigen ist hierzu eine Intensivbildung (Kluge s.v.) mit grammatischem Wechsel (Pfeifer s.v.). 474 WH I 348 f. s.v. dico (dies schreibt de Vaan s.v. dico nicht, doch die bei ihm dargebotenen Beleglage läßt nur diesen Schluß zu), so auch Ernout/ Meillet 172 s.v. dix, dicis f. [etc.] und Pokorny 188 s.v. dei -; ai. di áti ‚zeigt, weist‘ und av. da s- ‚zeigen‘ verbürgen die ursprüngliche Bedeutung (so auch LIV 92 s.v. de ). Unergiebig ist dagegen aus verständlichen Gründen Wodtko, da sie nur die Nomina behandelt. 475 Vgl. die Beispiele bei Erika Fischer-Lichte, Performance-Kunst und Ritual: Körper-Inszenierungen in Performances. In: Gerhard Neumann, Sigrid Weigel (Hgg.), Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München 2000, 113-129. 476 Für das sprachliche Zeichensystem als Grundlage der Poetik vgl. Algirdas Julien Greimas, „La linguistique structurale et la poétique“, in: Du sens. Essais sémiotiques. 2 Bde. Paris 1970, Ndr. 1981, 1983, Bd. 1, 271-283, h. 271, 273. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 159 und auf denen alle paradigmatisch komplexeren (traditionellen) dramatischen Größen wie Figurenzeichnung, Transgression, Eliminierung, Verdoppelung und Handlungsmerkmale wie Tragik und Komik beruhen. Ebenso fußen im Falle der Sprache alle komplexeren Größen auf Phonem, Morphem und Segment, aus deren Zusammenspiel nach Auffassung einer poetischen Semiotik ein komplexes poetisches Zeichen entstehen kann. 477 Das Aktem entspricht bei der Analyse der Handlungsstruktur dem Segment, die Handlungsstationen Transgression, Eliminierung und Verdoppelung dem Phonem 478 sowie die Handlungsmerkmale Tragik und Komik dem Morphem. Allein die Tatsache, daß Eliminierung und Verdoppelung über die Zugehörigkeit zu Tragödie und Komödie entscheiden, macht sie wie die Phoneme zu bedeutungsunterscheidenden Merkmalen. Man kann mit allerhand terminologischen Neologismen, die allerdings nur der theoretischen Systematik dienen und nicht bei der interpretatorischen Praxis zum Einsatz kommen sollen, wo es um die praktische Handlungsfunktion der hier vorgestellten Begriffe geht, die mit Transgression, Eliminierung und Verdoppelung ebenfalls terminologisiert ist, die Analogie zwischen strukturalistischer Sprachanalyse und Dramensemiotik festigen: Die Akteme konstituieren entsprechend der Doppelnatur der mimetischen Großgattung als Drama und Theater verbale und nonverbale höhere Einheiten. Die nonverbalen, zu denen Gesten, Tanz und Musik zählen, seien hier ‚Theatreme‘ genannt, 479 die verbalen ‚Mytheme‘. 480 Zu diesen höheren Einheiten, deren Terminologisierung an dieje- 477 Greimas 1972: 10 f. Vgl. Charles William Morris, Esthetics and the Theory of Signs. The Journal of Unified Science 8 (1939) / Erkenntnis 8 (1939) 131-150. Ndr.: Charles William Morris, Writings on the General Theory of Signs. Approaches to Semiotics 16. Den Haag 1971, 415-433 [Dt.: Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik der Zeichentheorie. Aus dem Amerikanischen von Roland Posner unter Mitarbeit von Jochen Rehbein. Mit einem Nachwort von Friedrich Knilli. Frankfurt a.M. 1988, 91-118, h. 91], h. 415: „[T]he work of art is perceived as a sign which is […] itself a structure of signs.“ Seine nachfolgende Bestimmung des ästhetischen Zeichens als ikonisch (1971: 420) trifft sicherlich auf das Theater zu, bleibt jedoch schwierig auf den Dramentext zu übertragen. Immerhin sieht er die Bühne als „sign vehicle“, das - wie der Bilderrahmen - auf den Zeichenstatus des Kunstwerks hinweise (1971: 421), und schafft so implizit die Möglichkeit einer semiotischen Hierarchisierung der theatralisch-dramatischen Zeichen. 478 Auf dieser taxonomisch höheren Ebene bewegen sich auch Helmut Bonheims „Narreme“ (Shakespeare’s Narremes. Shakespeare Survey 53 (2000) 1-11, h. 1: „recurring patterns of action, place and time we call narremes [Kurs. im Orig.]“, vgl. S. 2: „configurations of character, plots, themes“), die er aus der Erzählin die Dramenanalyse transferiert und die Ansgar Nünning, Roy Sommer, Drama und Narratologie. Die Entwicklung erzähltheoretischer Modelle und Kategorien für die Dramenanalyse. In: Vera Nünning, Ansgar Nünning (Hgg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier 2002, 105-128, h. 124 Anm. 15 als „Handlungsstrukturen“ wiedergeben. Sie bewegen sich jedoch auf einem ähnlichen Abstraktionsgrad wie die von Propp oder Souriau ausgemachten Handlungsmuster. 479 Sie entsprechen intensional und taxonomisch Pier Paolo Pasolinis „Kineme“, die ebenfalls das visuelle und gestisch-motorische Äquivalent der sprachlichen Phoneme bilden (s. dazu und zu ihrer Kritik Eco 1972: 374 f.: „Bilder der verschiedenen erkennbaren Objekte“) und wegen des überlieferungsbedingten Logozentrismus auf den Sprechaktemen beruhen. 480 Bei der Theateraufführung und selbst in einem vom Übersetzer durch Regieanweisungen interpretierten Text (die einzige Form der mise en page bzw. des paginalen Raums [Janine Hauthal, Von den Brettern, die die Welt bedeuten, zur ›Bühne‹ des Textes: Inszenierungen des Raumes im Drama zwischen mise en scène und mise en page. In: Wolfgang Hallet, Birgit 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 160 nige der Hybridgattung Theater/ Drama geknüpft ist, 481 gehören Transgression, Eliminierung und Verdoppelung. Diese drei Handlungsmerkmale verteilen sich auf Mimesis und Diegesis. Um diese Feinheit abzubilden, sind zwei Begriffe vonnöten, nämlich Mimem und Narrem. 482 Einfach wird es endlich auf der abstraktesten Ebene: Tragik und Komik ließen sich, da sie das Drama und seine namensgebende Handlung charakterisieren, als ‚Drameme‘ benennen. Auch darf im Falle des Theaters nicht der semiotische Unterschied zwischen Mimik, Gestik, Tanz und Stimmführung auf der einen und der Sprache auf der anderen Seite aus dem Blick geraten, auch wenn diese Elemente gewiß in der antiken Performanz organisch zu einem auch ästhetisch-semiotischen Gesamtkunstwerk zusammengewirkt haben (doch wird die Anwendung von Merschs Begriff der Präsenz (2002: 134) durch dieselben Überlieferungslücken wie die Performanz eingeschränkt, s. 2.2 Ritual, Opfer, Mythos und Performanz). Das, was uns vom antiken Drama vorliegt, ist eine artikulierte Form der Stimme, die schriftlich fixiert wurde, die parole. Ließe man in den Textausgaben der antiken Dramen nur das stehen, was Merschs Präsenzkriterien entspricht, blieben nur leere Seiten übrig. Anders als die besagten Ausdrucksformen, die mit der physischen Präsenz operieren, ist Sprache wesensmäßig ein Zeichen und in der Lage, jenseits der Deixis bzw. Referenz eindeutig auf physisch Abwesendes zu referieren. Das wird im Drama an den Botenberichten augenfällig, in welche die gewaltsame Transgression und physische Eliminierung in jeder der hier besprochenen Tragödien zumindest einmal gekleidet werden. 483 In den Punkten Universalität, Präzision und Komplexität ist das sprachliche Zeichensystem jedem anderen überlegen, und dieses Faktum stattet es auch bei der Kunst mit einem erheblich größeren semiotischen Potential aus. Mimik und Gestik haben zwar eine feste psychosoziale usuelle Bedeutung, doch als theatralische Zeichen behalten sie diese meist, während das sprachliche Zeichen sich in der Kunst weitere Bedeutungen erschließt, sei es als solches oder im Textverbund mit anderen auf einer neuen emergierenden Ebene (für die Emergenz s.u.). 484 Der Nutzen von Merschs Zeichenbegriff bleibt mithin wegen seiner extremliminalen Konfiguration und Vernachlässigung der sprachlich-literarischen Spezifika für die literarische und dramatische Semiotik beschränkt, die durch einen hohen Grad an Komplexität und Abstraktion gekennzeichnet ist. Neumann (Hgg.), Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009, 371-397, h. 390 f.], die im Zusammenhang mit dem antiken Drama auftritt) bilden die Theatreme einen parallelen Kode zu den Mythemen. 481 Wenn man bereit ist, sich mit deren neologistischer phonetischer Verschmelzung als ‚Theadrama‘ anzufreunden, wird man die Bezeichnung dieser Bausteine als ‚Theadrameme‘ akzeptabel finden. 482 Hier wird eine reetymologisierende Neubestimmung dieses bislang eher allgemeinen und bloß zur Bezeichnung von Handlungsmustern auf das Drama übertragenen Ausdrucks vorgenommen, um die Systematik nicht mit einem weiteren Neologismus (Diegem) zu belasten. 483 Z.B. Aischylos’ Perser (v. 249-514), Oidipus Tyrannos (v. 1237-1285), Euripides’ Bakchen (v. 1024-1152), Medea (v. 1135-1230) und Hippolytos (v. 1153-1254) und Senecas Phaedra (v. 991-1122). 484 Vgl. Greimas 1970: 272, der aus der (syntagmatischen) Schließung („clôture“) der literarischen Texte die Möglichkeit ableitet, daß die ausgewählten Inhalte einen neuen Sinn gewinnen. 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 161 Wir haben bereits gesehen, daß das Theater durch den doppelten Zeichengebrauch begründet wird: Die Präsentation der Schauspieler, die in optischer Mimesis Figuren verkörpern, 485 ermöglicht die akustische Mimesis der sprachlichen Zeichen, die eine weitere Ebene eröffnen, auf der sich das Drama - abgesehen von den eher seltenen optisch-mimetischen Handlungen auf der Bühnen - abspielt. 486 Dieses wird seinerseits durch einen doppelten Gebrauch dieser sprachlichen Zeichen konstituiert: Einmal die durchgehende Präsentation oder bei Lesedramen zumindest Mimesis der parole, die aus sprachlichen Zeichen besteht, sodann die künstlerische Gestaltung dieser Zeichenkette zu literarischen und präziser dramatischen Zeichen, die das Kunstwerk bilden und die wir bei der bisherigen Betrachtung des Theaters ausgespart haben. Während die parole einen sinnlichen Zeichenträger hat, bilden ihre Zeichen das immaterielle signifiant der literarischen und dramatischen Zeichen, die wegen ihrer Komplexität und Polyvalenz mit den romantischen Symbolen identifiziert werden können. Durch diese Möglichkeit zur hypothetisch infiniten Fortsetzung unterscheiden sich Zeichen und Semiose vom Medium. Ein Medium ist der materiale Träger eines signifiants, also das beschriebene Blatt oder der Schall, das signifiant dessen sinnlich wahrnehmbare Gestaltung. Eine derartige klare Definition ist angesichts des inflationären, mehrdeutigen und nachgerade verwirrenden Gebrauchs von ‚Medium‘ 487 um so notwendiger. Der Unterschied zwischen Medium und signifiant wird besonders augenfällig an der Textgeschichte der klassisch-antiken Literatur, die uns die Texte der antiken Dramen erhalten hat und deren wechselhafte mediale Überlieferungsträger von der Papyrusrolle über den Pergamentkodex bis zum Wiegendruck auf Papier reichen und sich im digitalen Zeitalter elektronisch in Volltextdatenbanken fortsetzen, während die von ihnen transportierte Schrift als Sinnträger - abgesehen von textkritischen Problemen - denselben Text tradiert. Für die auf physischer Präsenz des signifiant basierende Kunstform des Theaters hat dagegen erst die Moderne technische Übertragungs- und Konservierungsmedien gefunden, welche die Grenzen von Raum und Zeit überbrücken. 485 Für eine genaue Analyse der semiotisch-mimetischen Gestuftheit bei Schauspieler und Rolle s. 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle. 486 Anne Ubersfeld, Lire le théâtre. Paris 2 1996, 24-32 hebt dagegen in ihrem Modell auf die Parallelität des Saussureschen Zeichens in Text und Aufführung ab und weist auf mögliche Diskrepanzen im Referenten (1996: 27 f.). Eingangs vertritt sie jedoch dasselbe Modell wie die vorliegende Arbeit, wenn sie auf die „superposition“ statt bloßer Koexistenz der theatralischen Zeichen hinweist (1996: 24). Diese Beziehung der Zeichen, die sie Substitution nennt, spezifiziert sie allerdings auf der paradigmatischen Achse: Selbst das voodooartige Emblem eines Feindes oder eine andere Person, die ihn vertritt, bleiben bei ihrem Beispiel innerhalb des Paradigmas ‚Feind‘. Auch das Waschwasser, das die Tränen repräsentiert, bleibt Wasser. Ein semantischer Zugewinn findet also nicht statt (1996: 24 f.). Die Materialität, auf die auch Mersch abhebt, bespricht sie vornehmlich anhand von Requisiten, die eine soziale Symbolik haben, wie ein Diadem (1996: 28-30). 487 S. Dieter Mersch, Einleitung: Wort, Bild, Ton, Zahl - Modalitäten mentalen Darstellens. In: Ds. (Hg.), Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens. München 2003, 9-49, h. 9, der auch die Abgrenzung vom Zeichen vornimmt (S. 11): „[D]er Begriff des Mediums ist zugleich eingeführt, um gegenüber dem Zeichen die materielle Seite der Symbolisierung zu unterstreichen: […].“ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 162 Abschließend wollen wir einen Blick auf das Verhältnis von Zeichentheorie und Transgression werfen. Die pragmatische Komponente, die Kellers Klassifikation der Zeichenbegriffe ins Licht treten läßt, ist auch für die Beschreibung der dramatischen Transgression von Nutzen. So steht innerhalb der Fülle neuzeitlicher Zeichentheorien de Saussures strukturellem Zeichenbegriff Peirce’ funktionaler gegenüber, der den Interpreten mit einbezieht (Apel 1975: 225 f.). Für unsere Analyse des antiken Dramas lassen sich beide Konzepte entsprechend der Beschaffenheit dieser Gattung kombinieren: Der Saussuresche Zeichenbegriff eignet sich zur Beschreibung der strukturellen Normen, die in der Performanzpraxis transgrediert werden, der Peircesche pragmatische, von Charles William Morris 488 aufgegriffene 489 zur Analyse dieser performativen Handlungsreihe und der sozialen Interaktion. Die Transgression ist auch hilfreich bei der Bestimmung eines poetischen Zeichenbegriffs. Der poetisch-tropologische Zeichengebrauch überschreitet nämlich die Konventionen des alltäglichen in doppelter Weise (vgl. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression): Zum einen erschließt er Bedeutungen, die das Zeichen bislang nicht hatte, zum anderen läßt er Bedeutungen, die sonst von der aktuellen Denotation unterdrückt werden, als Konnotationen mitschwingen oder in gleichberechtigter Ambivalenz zur zweiten Denotation aufsteigen. Diese Überwindung des usuellen Zeichens und Aufwertung sowie Aktualisierung der unterdrückten Konnotationen teilt die poetische Transgression mit dem romantischen Symbolbegriff. 490 (Dieter Mersch gebraucht dagegen „Zei- 488 Foundations of the Theory of Signs. Chicago 1938. Ndr.: Charles William Morris, Writings on the General Theory of Signs. Approaches to Semiotics 16. Den Haag 1971, 13-71, h. 45: „By ‘pragmatics’ is designated the science of the relation of signs to their interpreters.“ 489 Apel 1975: 234. 490 Für den semantischen Überschuß des Symbols bei Kant, Goethe, den Gebrüdern Schlegel, Schelling und Friedrich Creuzer s. Heinz Hamm, Art. Symbol. ÄGB 5 (2003) 805-840, h. 812- 820. Bereits Kant schrieb dem Symbol eine semantische Irreduzibilität zu (Kritik der Urteilskraft § 59), vgl. Manfred Frank, Einführung in die frühromantische Ästhetik. Vorlesungen. Frankfurt a.M. 1989, 88. Friedrich Schleiermacher, Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens (1813). In: Hans Joachim Störig (Hg.), Das Problem des Übersetzens. Aufl. Darmstadt 2 1969, 38-70, h. 65-67 weist immerhin auf die von ihm „Irrationalität“ genannte Inkommensurabilität der Sprachen bzw. ihre unterschiedlichen Monemgrenzen hin, die in der Plastizität der Sprache, ihrer Weiterbildung durch einen einzelnen für eine Situation wurzle (S. 42-44), in Kunst und Philosophie ausgeprägt seien und eine getreue Übersetzung vereitelten. Heidegger referiert dagegen in der 1935 / 36 entstandenen Schrift Der Ursprung des Kunstwerkes etymologisierend bloß die Auffassung, das Wesen der Kunst liege in deren symbolischer Funktion (In: Ds., Holzwege. Frankfurt a.M. 8 2003, 1-74, h. 4), und fordert unter Rückgriff auf seine existentialistische Ontologie (S. 25: „Das Kunstwerk eröffnet auf seine Weise das Sein des Seienden.“), das Kunstwerk als Ort der Wahrheit zu verstehen (Hamm 830), die er über gr. definiert (S. 37: „die Unverborgenheit des Seienden“), wobei er das frühromantische Konzept eines Wahrheitspotentials der Kunst aktualisierte, ohne auf dieses Konzept zu referieren, das ihm bekannt gewesen sein dürfte (Andreas Barth, Inverse Verkehrung der Reflexion. Ironische Textverfahren bei Friedrich Schlegel und Novalis. Diss. Tübingen 2000. Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft 14. Heidelberg 2001, 359-365). Heideggers phänomenologisch zu nennender Ansatz, demzufolge das Werk, auch das Sprachkunstwerk, das Potential seines materialen Substrats zur Geltung bringe (2003: 34), spricht der Kunst nicht nur eine referentielle, singuläre Tiefe zu, die ebenfalls den romantischen Symbol- 2.3 Zeichenbegriff, Mimesis und Ästhetik 163 chen“ und „Symbol“ synonym. 491 ) Sie schafft damit eine Versöhnung von Gegensätzen, während sie bei der sozialen Transgression zu sich wechselseitig ausschließenden und zur monosemierenden Eliminierung drängenden Widersprüchen werden. Die poetische Transgression transzendiert den tragisch-eliminatorischen Mechanismus, der hinter der sozialen Transgression wirkt, durch das poetische Schaffen eines neuen, eigenen Feldes, annulliert ihn jedoch nicht in seinem eigenen, sondern performiert den dritten Schritt des dialektischen Musters („Synthese“), der auch im Bereich der dargestellten sozialen Transgression die Widersprüche aufheben könnte (s. 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi). In der Tat kann die poetische Transgression, das Entstehen des komplexen, irreduziblen poetisch-ästhetischen Zeichensystems aus der nach Monosemierung strebenden Alltagssprache (beider Trennung ist gleichwohl ein idealtypisches Konstrukt, da auch die Alltagssprache für ihre Universalität auf Innovationen angewiesen ist, die poetisch-metaphorische Figuren anwenden) viel besser als mit dem Muster der Dialektik als Emergenz beschrieben werden. 492 Nach Wägenbaur ist der Emergenzbegriff innerhalb der Literaturwissenschaft aus zwei Gründen besonders treffend für das Drama (2002: 155): Zum einen sei die Emergenz „mit dem Theatralischen, dem mise en scène, strukturell verwandt“, da das Schauspiel im Theater sich in Raum und Zeit für den Augenblick performiere. Damit wird die Emergenz an den für die moderne Theatertheorie eminenten Begriff der Performanz angedockt (s. 2.2.1 Performanz). Weniger wichtig für die Analyse des antiken Dramas ist Wägenbaurs zweite These von „der strukturellen Verwandtschaft von Emergenz und der Metapher von der ‘Welt als Bühne’“ (also dem Konzept des theatrum mundi), da diese Metapher (wie jede Metapher wesensmäßig) den Bereich der Gattung Drama zugunsten der Kulturgeschichte verläßt, die Wägenbaur als eigentliches Feld dieser Metapher anführt. Die Vielschichtigkeit ist also ein Wesenszug des ästhetisch-poetischen Zeichens. Es auch als psychoanalytisches Symbol zu lesen ist die organische Konsequenz dieser Polyvalenz und entspricht den Gepflogenheiten des russischen Formalismus, der die Verfremdung des Aktes und der Geschlechtsteile als künstlerische Darstellung ansah. 493 begriff kennzeichnet, sondern kommt dessen Aktualisierung der schlummernden Konnotationen sehr nahe. 491 Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. Habil. Darmstadt 2000. München 2002, 12 Anm. 4. 492 Zu dieser und ihrer ästhetischen Dimension s. Thomas Wägenbaur, Emergenz in Kommunikation, Ästhetik und Literaturwissenschaft - oder was es heißt, daß nur als ästhetisches Phänomen das Dasein der Welt gerechtfertigt sei. In: Maria Moog-Grünewald (Hg.), Das Neue. Eine Denkfigur der Moderne. Heidelberg 2002, 143-157. 493 Viktor Šklovskij, Kunst als Verfahren. In: Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Hg. und eingeleitet von Jurij Striedter. München 4 1988, 5-35, h. 30 f. Für double entendre in russischen folkloristischen Hochzeitsliedern s. Roman Jakobson, Linguistics and Poetics. In: Thomas A. Sebeok (Hg.), Style in Language. Cambridge, Ma. 2 1964 ( 1 1960), 350-377, h. 369 f. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 164 2.4 Die Zeichennutzer: Dramatische Kommunikationsstruktur, Pragmatik, Ambivalenz, Ironie und Naivität Bislang wurde das Zeichen in Ästhetik und Drama aus der isoliert-abstrakten Perspektive Saussures wahrgenommen und die Zeichennutzer weitgehend ausgeblendet. Der vorliegende Abschnitt will sie in den Blick nehmen und folgt damit dem pragmasemiotischen Ansatz, den Bühlers und Jakobsons Sprachfunktionen oder Peirce’ Pragmatismus vertreten. Bisher haben wir denn auch die Äquivozität im wesentlichen nur auf der Werkebene betrachtet, d.h. derjenigen des Dramentextes. Selbst wenn dabei der Urheber und der Rezipient bewußt ausgeblendet wurden, so ist dies die einzige Ebene des Zeichengebrauchs und der Kommunikation, die bei dieser Betrachtung impliziert wurde. Auf dieser Ebene unterscheidet sich das Modell, das zur Beschreibung der ästhetisch-poetischen Kommunikation zugrunde gelegt wird, ohne die kein Kunstwerk existiert, praemissis praemittendis paradigmatisch nicht von dem Bühlerschen Organonmodell, das zur Beschreibung nichtästhetischer Kommunikation zum Tragen kommt. Mit ihm läßt sich jedoch beim Theater nur die Bühnenkommunikation zwischen Autor und Schauspielern auf der einen und dem physisch präsenten Primär- oder für die Schriftform implizierten Sekundärpublikum beschreiben, das sich auch in rein narrativer Literatur findet. 494 Um auch die Binnenkommunikation zwischen den auf der Bühne dargestellten Figuren zu beschreiben, muß dieses Modell geöffnet und erweitert werden. Bildlich stellt man sich dies am besten so vor: Der Rücken des aufgeschlagenen Buch veranschaulicht den Zeichencharakter des Dramentextes (der Referenzaspekt der Kommunikation wird in unserem Modell dagegen nicht dargestellt). 495 Die beiden Buchhälften verlängern sich nun wie auseinanderstrebende Schenkel eines Dreiecks, freilich ohne daß dem durch sie gebildeten Winkel eine begrenzende Dreieckseite gegenüberstünde. Auf der einen Geraden werden die Sender, auf der anderen die Empfänger plaziert. Am nächsten am Dramentext stehen einander auf diesen Achsen auf gleicher Höhe die Figuren mit ihrer dramatischen Binnenkommunikation sowohl als Sender als auch als Empfänger gegenüber. Dann folgen auf der Achse des Senders der Autor und der Regisseur, auf derjenigen des Empfängers erst das physisch präsente Primärpublikum der Aufführung, dann das Lesepublikum und schließlich der literaturwissenschaftliche Hermeneut. 494 Für ein komplexes Modell dieser Kommunikation narrativer Texte s. Dieter Janik, Die Kommunikationsstruktur des Erzählwerks. Ein semiologisches Modell. Bebenhausen 1973, 12 f. 495 Das hier angesetzte Dreieck ist eine leichte Abwandlung von Karl Bühlers graphischen Modellen (Die Darstellungsfunktion der Sprache. Mit einem Geleitwort von Friedrich Kainz. Jena 1934. Ndr. Stuttgart 1982 = 1999). Auf Fig. 1 (S. 25) gehen von der als kleiner unterlegter Kreis dargestellten Sprache als Organon drei gestrichelte Linien aus, an deren Endpunkten drei weiße Kreise stehen, die „einer“, „der andere“ und „die Dinge“ überschrieben sind. Bei der zweiten Version des Modells auf S. 28 (Fig. 3) steht das Sprachzeichen als Dreieck abermals im Mittelpunkt. Von seinen Seiten gehen „Linienscharen“ aus, die Bühlers Funktionen in bezug auf Sender, Empfänger und Gegenstände und Sachverhalte symbolisieren. Sowohl bei Bühlers zwei als auch bei meinem Modell steht das Zeichen im Mittelpunkt und ist der Punkt, von dem die Verbindungslinien zu Sender und Empfänger ausgehen. 2.4 Die Zeichennutzer 165 Das skizzierte Modell der dramatischen Kommunikation kann helfen, das häufige Auftreten der Ambivalenzen im Theater und ihre Realisierung sowie die so entstehende dramatische Ironie zu beschreiben (für die tragische Ironie als deren Unterform s. das Ende von 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik). Die Ambivalenzen stehen im Zentrum von Vernants Untersuchungen der attischen Tragödie. Sie beruhen auf unterschiedlichen Ebenen des Verständnisses. Diese Doppelbödigkeit sei das Ergebnis der historischen Situation, in der die attische Tragödie geblüht habe: In ihr waren verschiedene Ebenen, wie die religiöse, politische und private, noch nicht so scharf getrennt. Ein Wort könne deshalb von einzelnen Figuren auf verschiedenen Ebenen gedeutet werden und werde so zum Quell des Mißverständnisses (s.u.). Die konjunkturelle Binnenhermeneutik vollzieht also die strukturelle Ambivalenz. Während die Figuren, weil sie einen Aspekt übersehen, in dramatischer Naivität agieren, wohnt ihrem Handeln mit Blick auf dessen systemische Ambivalenz eine dramatische Ironie inne, die von einem außenstehenden Betrachter erkannt werden kann und im Falle des Intratheaters durch die anderen Figuren geschaffen wird. Es ist bei der Ambivalenz wie bei der Komik, die ja ebenfalls nicht zum geringsten Teil auf Ambivalenz beruht, und so vielen anderen literarischen Phänomenen müßig, darüber zu spekulieren, ob oder inwieweit sie vom Autor in den Text hineingelegt wurden oder vom Leser hineingelesen werden. Allerdings darf man kaum annehmen, daß der Dramenautor bei der Abfassung des Stückes genauso naiv wie seine Figuren war, die doch seine Geschöpfe sind. Insofern ist Roland Barthes’ Argumentation, der sich bei seiner Auflösung der Kategorie des Autors auf Vernants Studien 496 als Beleg für die Wichtigkeit des Lesers im literarischen Kommunikationsprozeß beruft, der die Zweideutigkeiten verstehe, 497 ebenso richtig wie letztlich für das Verständnis der Komplexität der theatralischen Kommunikation unergiebig. Denn auch auf der Rezipientenseite unterscheidet Barthes nicht zwischen dem Leser und Hörer der Stücke. (Mit dieser Wortwahl wird der visuelle Aspekt ausgeblendet, dessen semiotische Relevanz sich selbst im Dramentext nachweisen läßt.) Barthes’ Opposition zwischen den naiven Akteuren und den erkennenden Rezipienten wird auch nicht dem Fall unterschiedlicher Wissenshorizonte der Bühnenfiguren gerecht. Die Götter im antiken Drama haben immer einen Wissensvorsprung vor den Menschen, selbst wenn sie ihn scheinbar preisgeben (so Apoll gegenüber Laios und Oidipus), und sie erzeugen diesen häufig durch Intratheater oder setzen ihn darin um. Vernant selbst berücksichtigt die unterschiedlichen Wissenshorizonte der Akteure bei seiner Typologie der tragischen Ambivalenzen: 498 Die lexikalische 496 Tensions et ambiguïtés dans la tragédie grecque. In: Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1086- 1103, h. 1094-1100. 497 La mort de l’auteur (1968). In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 3: Œuvres 1968-1971. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 40-45, h. 45. Dt.: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. und kommentiert v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart 2000, 185- 193, h. 192. 498 Jean-Pierre Vernant, Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1153-1158. 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 166 Ambivalenz 499 bestehe in der Homonymie; sie liege etwa bei der Auseinandersetzung zwischen Kreon und Antigone vor, die unter das positive bzw. das religiöse Recht verstünden. In diesem Fall dienten die auf der Bühne gesprochenen Worte nicht der Verständigung, sondern offenbarten die unüberwindbaren Gegensätze. Für den zweiten Typ dient der Wissensvorsprung als Beispiel, den Klytaimnestra vor Agamemnon hat, als sie ihn empfängt (A. Ag. 908-974). Er erlaubt es, Phänomene des Intratheaters mit Vernants Theorie zu erfassen, welche die vorliegende Arbeit vornehmlich anhand von Euripides’ Medea untersuchen will. In beiden von Vernant entwickelten Fällen werden die Dramenkonflikte, denen teils auch moralische Widersprüche zugrunde liegen, über die Ambivalenz der Sprache ausgefochten, 500 im ersten Falle derjenigen der langue, deren Mehrdeutigkeit in der parole offenbar wird, im zweiten Fall wird die parole von einer Nutzerin unterhöhlt. Der dritte Typus der tragischen Ambivalenz, der bei Vernant durch Oidipus im OT vertreten wird und in dem dieser Tragödie gewidmeten Kapitel der vorliegenden Arbeit näher besprochen werden soll (s. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression), entspricht dem, was man traditionell unter ‚tragischer Ironie‘ versteht, weil der Protagonist sich der Ambivalenz seiner Worte nicht bewußt ist. Vernants Untersuchungen liefern mit dem Konzept unterschiedlicher Deutungsebenen und den daraus resultierenden Ambivalenzen eine treffende Beschreibung für die Doppelbödigkeit und Brüchigkeit der Sprache und die Störungen in deren kommunikativer Funktion, die zu Transgression und Eliminierung führen oder mit diesen einhergehen. Insofern sind sie eine wertvolle Ergänzung und Vertiefung der vorliegenden Arbeit. Ihr Konzept des Tragischen scheint sich allerdings in diesen Kommunikationsstörungen zu erschöpfen, da ‚tragisch‘ zumeist als Attribut zu ‚Ambivalenz‘ oder ‚Bewußtsein‘ auftritt und insgesamt anscheinend nur die unspezifische Bedeutung ‚zur Tragödie gehörig‘ hat. Während sich das Tragische bei Vernant im Bereich der zivilisationshistorisch gestörten Kommunikation bewegt (Barthes zufolge deckt Vernant das 499 Frauke Berndt, Stephan Kammer, Amphibolie - Ambiguität - Ambivalenz. Die Struktur antagonistisch-gleichzeitiger Zweiwertigkeit. In: Dss. (Hgg.), Amphibolie - Ambiguität - Ambivalenz. Modelle und Erscheinungsformen von Zweiwertigkeit. Würzburg 2009, 7-30 versuchen der begriffsperformativen Pragmatik durch den unterschiedslosen Gebrauch der drei Ausdrücke für Zweiwertigkeit durch eine Bereichsdistribution abzuhelfen, indem sie die Amphibolie der Rhetorik, die Ambiguität der Philosophie und die Ambivalenz der Psychologie zuordnen. In der Nachfolge Vernants gebraucht diese Arbeit ‚Ambivalenz‘ als allgemeinen Oberbegriff für nicht eindeutige Zuordnungsrelationen bei Figuren(rollen) und sprachlichen Äußerungen. Diese Entscheidung trägt auch der sprachlichen Praktikabilität und Einheitlichkeit Rechnung, da es mit ‚ambivalent‘ im Deutschen ein brauchbares Adjektiv gibt, während Ambiguität kein solches aufzuweisen hat. Wenn die Ambivalenz sensu stricto vorliegt, also im Gegenstand verankert ist, wie bei dem momentanen Status einer Figur (etwa Oidipus vor der Verifizierung seiner transgressiven Identität), wird sie als Zweiwertigkeit bezeichnet; liegt sie dagegen eher auf im Urteil des (binnenkommunikativen) Rezipienten, wie im Falle sprachlicher Äußerungen, ist die Bezeichnung ‚Mehrdeutigkeit‘ (oder Äquivozität) angebracht. 500 Simon Goldhill untermauert denn auch die Zentralität des Wortes in der attischen Tragödie, indem er sie innerhalb des linguistic turn des 5. Jh.s verortet, in dem die Sprache zunehmend Gegenstand von Reflexion und Problematisierung geworden sei (Reading Greek Tragedy. Cambridge 1986, Ndr. 1992, 1-32). 2.4 Die Zeichennutzer 167 Zweideutige in der griechischen Tragödie auf; in dem fortgesetzten Mißverständnis, das sich daraus ergibt, daß die Figuren jenes einseitig verstehen, sieht der französische Literaturkritiker anschließend tout court das Tragische), 501 bestimmt es die vorliegende Arbeit über die Handlungsstruktur, in der die individuelle Intention zwischen verschiedenen Arten von Integrität wählt und damit auf der existentiellen Ebene über und einzelner Figuren entscheidet. Die Brüchigkeit der Sprache der Tragödie tritt besonders durch den Vergleich mit der epischen Sprache hervor, deren deckende Vordergründigkeit absoluter Gegenwart und fehlende Hinter- und Abgründigkeit Erich Auerbach herausgearbeitet hat. 502 Gewiß muß an diesem Vergleich manches nuanciert werden: Auerbach selbst dient die Sprache des Alten Testaments, also einer ganz anderen Sprachfamilie und eines benachbarten, aber doch klar geschiedenen Kulturkreises als Kontrastfolie, ganz zu schweigen von den Unterschieden in der Thematik (das Opfer Isaaks ließe sich ertragreicher als mit der Wiedererkennung des Odysseus durch seine Amme Eurykleia (Od. 19.386-502) mit Iphigenies Opferungvergleichen, die Aischylos’ Agamemnon in v. 205-249 schildert) und der gänzlich verschiedenen Intention und Weltsicht der verglichenen Texte; und die Zwischenzeit wird manches an Auerbachs treffenden Beobachtungen relativiert oder differenziert haben. 503 Daß Auerbach den Homerischen Stil und sein vermeintlich schlichtes Menschenbild beschreibt, hier jedoch die Kommunikationsstörungen der Figurenrede in der Tragödie im Vordergrund stehen, fällt nicht so sehr ins Gewicht, da das Drama material nur aus solcher besteht und die Ambivalenzen auch oder gerade in Chorliedern auftreten und durch die vielschichtigen Rezeptionsebenen realisiert werden. Außerdem fragmentiert und überblendet die Tragödie die epische Sprache und schafft durch dieses teils explizierte (für die Fleischstückchen vom Mahle Homers s. 1.6 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung im Kap. zu Aischylos’ Persern) intertextuelle Verfahren weitere Sinnebenen, 504 mag man für diese Tektonik der diachronen Literatursemiotik nun wie Vernant gesellschaftliche Kräfte oder innerliterarische Entwicklungen verantwortlich machen. (Zu nennen wären hier das Streben nach variatio und aemulatio oder schlichtweg unterschiedliche Gattungsgegebenheiten wie die Figurenrede und die polisöffentliche Aufführung.) Der Unterschied zwi- 501 La mort de l’auteur (1968). In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 3: Œuvres 1968-1971. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 40-45, h. 45. Dt.: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hg. und kommentiert v. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko. Stuttgart 2000, 185- 193, h. 192. 502 Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (1946/ 49). Tübingen 10 2001, 9, 15. 503 Er selbst verweist im Nachwort autoapologetisch auf die besonderen Entstehungsumstände seiner Studie, die er während des Zweiten Weltkriegs in Istanbul ohne Fachliteratur und teilweise einschlägige Ausgaben geschrieben habe (2001: 518). 504 Vgl. die in den entsprechenden Kapiteln dieser Arbeit ausgedeuteten Parallelen zwischen Agamemnon einerseits und Xerxes in den Persern (s. 1.8 Xerxes) sowie dem Protagonisten des Oidipus Tyrannos (s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ) andererseits oder zwischen Achill und Euripides’ Medea (s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion) sowie zwischen Odysseus und dem Iason dieser Tragödie (s. 3.7 Fabula docet oder Iason als Anti-Odysseus). 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 168 schen der glatten Oberfläche des Epos und den Auffaltungen der Tragödie zeigt sich auch darin, daß in jenem manches an struktureller Komplexität angelegt, aber noch wesensverschieden ist, was in dieser voll ausgebildet ist (für den Gegensatz zwischen dem episch-heroischen und tragischen Integritätstausch s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch). Verstellungen der Odyssee unterscheiden sich etwa vom Intratheater des Dramas durch das Fehlen von Absprache und eingeweihtem Binnenpublikum und münden in der Restauration der eigenen Integrität statt deren Verletzung. Die Auffaltungen des Dramendiskurses lassen sich mit Gilles Deleuzes Modell der Falte beschreiben. Zur Probe aufs Exempel eignet sich Euripides’ Medea, da in dieser Tragödie die Zweifaltigkeit der gemeinsamen Kinder nicht nur eine besondere, tragische Rolle spielt, sondern auch lexikalisch klar faßbar als solche formuliert wird (v. 1136: ). 505 Außerdem faltet Medea, wie bereits oben zu Vernant angedeutet, die Sprache durch ihr Intratheater und ihre strategischen Ambivalenzen dialogisch auf (und bringt sie gerade durch diese Subvertierung zum Einsturz). Deleuze hebt aber bei seinen eher spärlichen Ausführungen zu Semiotisch-Diskursivem (ein Großteil des Schrift ist Architektonisch-Materiellem oder der Leibnizschen Philosophie gewidmet) unter Rückgriff auf Walter Benjamins Untersuchungen „Allegorie und Trauerspiel“ 506 auf die Allegorie und auch das Trompe-l’œil 507 im Emblem ab. 508 Neben der Falte ist das Rhizom eine Figur Deleuze’, die eine Form der Abweichung von der linearen und binären Rationalitätbeschreibt, wie sie die strukturalistische Semiotik zugrunde legt. 509 Sie soll bei der Interpretation des Oidipus Tyrannos zum Einsatz kommen (s. 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas). 505 Näheres s. 3.4 Tragik und dimidiata dyas in der Interpretation dieser Tragödie. 506 Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928). In: Ds., Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser Bd. 1,1. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a.M. 1991, 336-365. 507 Vgl. dazu Christian Grünnagel „Katzengold und Trompe-l’œil“, in: Klassik und Barock - Pegasus und Chimäre. Französische und spanische Literatur des 17. Jahrhunderts im Dialog. Diss. Heidelberg 2009. Heidelberg 2010, 35-72. Für eine epistemologisch-philologietheoretische Nutzbarmachung des Trompe-l’œil s. Isabella Tardin Cardoso, Trompe-l’œil. Philologie und Illusion. Franz Römer zum Abschied aus dem Dekanat. Fakultätsvorträge der Philologisch- Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 7. Göttingen 2011, 33-80. 508 Le pli. Leibniz et le Baroque. Paris 1988, 170-172. So illustriert das Stachelschwein die Devise Von nah und von fern, da es seine Stacheln von nah aufstellt („hérisse ses piquants“), aber auch von fern seine Borsten schießt (so die Übersetzung von „lance sa soie“ bei Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock. Aus dem Französischen von Ulrich Johannes Schneider. Frankfurt a.M. 2002, 205). 509 Gilles Deleuze, Félix Guattari, Rhizom. Aus dem Französischen von Dagmar Berger, Clemens- Carl Haerle, Helma Konyen, Alexander Krämer, Michael Nowak und Kade Schacht. [Orig.: Rhizome. Introduction. Paris 1976] Internationale marxistische Diskussion 67. Berlin 1977, 16f. 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle 169 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle Von allen materiellen Utensilien, die im Rahmen einer Theateraufführung der dramatisch-mimetischen Illusion dienen, von Kulissen, Requisiten, Kostümen, ist die Maske im antiken Theater zweifellos das wichtigste theatralische Zeichen und von der höchsten semiotischen Komplexität. Ihre Aisthetik verbindet die beiden konstitutiven sinnlichen Elemente der Hybridgattung ‚Drama/ Theater‘ (ihre Materialität ordnet sie jedoch eher dem Schauspiel qua konkreter Aufführung zu), spricht sie doch Augen und Ohren des Rezipienten an, weil sie sichtbar ist und durch sie gesprochen wird. Sie verdoppelt eidetisch das Gesicht, ohne es zu reproduzieren, und schafft so semiotisch eine neue Identität. 510 Die Abweichung zwischen Gesicht und Maske läßt die Fiktionalität des Dramas und die Verfremdung, 511 aber auch die Möglichkeit zur Verstellung erkennen, die der griechische Sprachgebrauch nicht kannte, der mit auf den optischfiktiven Aspekt abhob 512 und so die eingangs erwähnte theatralische Funktion der Maske herausstrich. Bereits in der Aufführungspraxis bestand keine eineindeutige Zuordnung zwischen Schauspieler und Maske, woraus vielfältige theatersemiotische Effekte resultieren konnten. 513 Gleichzeitig ist sie das augenfällige Symbol der dramatischen Mimesis, weil sie der materiale Sinnträger der Rolle und Figur ist, die der Schauspieler verkörpert. Diese Zusammenhänge werden an der Bedeutungstrias des griechischen Wortes ‚Gesicht‘, ‚Maske‘, ‚Rolle‘ deutlich, 514 wobei die Maske zwischen dem erst- und der letztgenannten eine mimetische Scharnierfunktion erfüllt. Auf der Rolle, die in der Zuordnung von Schauspieler und Figur besteht, ruhen mehrere Rollen und Funktionen auf. (Fast möchte man die Metaphorik in Panaitios’ persona-Lehre rückgängig und diese für die Dramenanalyse fruchtbar 510 Vgl. Maurizio Bettini (Hg.), La maschera, il doppio e il ritratto. Strategie dell’identità. Rom- Bari 2 1992. 511 Für die Differenz zwischen Darsteller und dargestellter Rolle, auf welche die Maske hinweist, statt eine totale Illusion zu schaffen, s. Anton Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. Ritual und Performativität. Unter besonderer Berücksichtigung von Aristophanes’ Thesmophoriazusen und der Phalloslieder fr. 851 PMG. Habil. Leipzig 1998. BzA 126. München 2001, 18. Durch das Thematisieren der Differenz von mimetischem signifiant und signifié hat die Maske also eine metatheatralische Wirkung. John Emigh, Masked Performance. The Play of Self and Other in Ritual and Theatre. Philadelphia 1996, 277, der südostasiatische Theaterpraktiken untersucht, sieht denn auch - und zwar ebenfalls mit Blick auf das griechische Theater - bei der Maske nur eine Überlappung, aber keine Kongruenz zwischen dem Selbst und dem Anderen. 512 David Wiles, Mask and Performance in Greek Tragedy. From Ancient Festival to Modern Experimentation. Cambridge 2007, 1. 513 S. Mark Ringer, Electra and the Empty Urn. Metatheater and Role Playing in Sophocles. Chapel Hill 1998. Näheres s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung im Kap. zum OT. 514 Vgl. Claude Calame, Vision, Blindness, and Mask: The Radicalization of the Emotions in Sophocles’ Oedipus Rex. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 17-37, h. 27 f., der dem distanzierenden Aspekt in der optischen Semantik den Vorzug vor dem (mimetisch) identifikatorischen gibt: „prosôpon can be understood both as ‘that which is close to the eyes’ and ‘that which faces the eyes’ (of another).“ 2. Zeichen, Ästhetik und Pragmatik: Die dramentheoretischen Grundlagen 170 machen. 515 ) Die mehrschrittige Gestuftheit von Mimesis und Semiose (beide werden hier als (re-)präsentatitive Verweisarten zusammengefaßt), welche bereits am Beispiel der Hybridgattung Theater/ Drama vorgeführt wurde (s. 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik), setzt sich also im personalen Bereich bei Schauspieler, Figur, Rolle und Funktionen fort. Dabei gibt es allerdings zwei Unterschiede, die aus Gründen der Übersichtlichkeit für eine gesonderte Behandlung im Rahmen des vorliegenden Kapitels sprechen und vor der weiteren begrifflichen Auffächerung der Rollen und Funktionen behandelt werden müssen: Die Rolle der optischen Mimesis kann anders als bei der gesamtdramatischen (Re-)Präsentation auf den höheren Ebenen nicht unberücksichtigt bleiben, da die nonverbale Aktion der Figuren auf ihnen optisch wahrnehmbar ist, und oftmals fallen mehrere Kategorien der Figuren(re)präsentation in eine der gesamtdramatischen. Dadurch daß ein Mensch einen anderen Menschen in optischer Mimesis im Theater darstellt, wird er zum Schauspieler (signifiant) und jener zu einer Figur (signifié), etwa dem Oidipus in Sophokles’ zwei Tragödien. Die Rolle besteht im (re)präsentativen Nexus zwischen diesen beiden Zeichenteilen. Der optische Charakter der Rolle zeigt sich nicht nur daran, daß der Körper als Sinnträger fungiert, sondern auch in Plautus’ Amphitruo (Näheres dazu s. das entsprechende Kapitel): Dort wird ein optisch wahrnehmbares Kostümteil zum Unterscheidungsmerkmal zwischen den ansonsten identischen göttlichen und menschlichen Figuren. Allerdings erfolgt die Identifikation der Figuren im antiken Theater zumeist über die parole der Schauspieler, entweder durch sie selbst bei einer Vorstellung oder ihre Mitspieler als Ankündigung oder Anrede. Auf der Zuordnung von Schauspieler und Figur ruht nun wie auf Atlas und zeitweise auch Herakles die weitere (Re-)Präsentation im Bereich der Figuren. Die Figur, die dramenmimetische Rolle, fungiert hier als signifiant für die weiteren signifiés, d.h. Rollen und Funktionen, die zwar der Figur im Rahmen einer semiotisch gefaßten Identität zugeordnet sind, aber ihrerseits nicht semiotisch aufeinander aufruhen, sondern eine zunehmende Abstraktion aufweisen und überwiegend ebenfalls über die von den Schauspielern performierte parole konstituiert werden. Das elementarste signifié ist hierbei die soziale Position der Figur. Daß sie von dieser geschieden ist, zeigt sich daran, daß sie im Verlaufe der erzählten oder gespielten Handlung erworben oder verlorengehen kann, etwa wenn Oidipus die Königsherrschaft durch den Sieg über die Sphinx erlangt oder nach der Entdeckung seiner transgressiven Identität seine Vaterrolle an seinen Schwager Kreon übergibt. Bereits hier zeigt sich, daß die sozialen Rollen entsprechend der dargestellten Gesellschaft nach Oikos (Vater, Mutter, Kinder etc.) und Polis (König, Seher, Priester etc.) untergliedert sind, wobei die private Position des Patriarchen und die öffentliche des Monarchen in der attischen Tragödie, wie am Falle Oidipus’ ersichtlich, zusammenfallen und die Friktionen zwischen den beiden Ebenen nicht zum geringsten zu den dramatischen Konflikten beitragen und den Fortschritt der Handlung erklären können. Deren Hauptauslöser ist 515 Für den antiken Personenbegriff, die Maske und die panaitianischen Personen s. Regine Kather, Person. Die Begründung menschlicher Identität. Darmstadt 2007, 12-16. 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle 171 jedoch der Fortfall oder Hinzutritt einer Figur, welche die soziale Position einer anderen Figur einnimmt. Hier zeigt sich: Die sozialen Positionen werden nicht nur über die Zuordnung zu einer Figur, sondern auch über die Abgrenzung von anderen bestimmt. Ihre Identität ist also über die beiden Formen strukturalistischer Identitätszuweisung gesichert. Neben den sozialen Positionen stehen noch soziale Funktionen, die situativ ausgeübt werden (wie Kalchas’ Rolle als Opferpriester im Agamemnon) und nicht immer an die Performanz einer sozialen Position geknüpft sind (so gerade im religiösen Bereich der Opfernde wie Atossa in den Persern und Iokaste im OT oder der wie Oidipus und Kreon im OT und Theseus in Euripides’ Hippolytos). Die dramatische Figurenkonstellation muß begrifflich-systematisch von dem sozialen Gefüge des Dramas getrennt werden, auch wenn eine hermeneutische Trennung im Einzelfall zu unnötigen Komplikationen führt. In der dramatischen Praxis ruht die dramatische Figurenkonstellation nämlich auf dem sozialen Gefüge auf und setzt seine Verschiebungen fort, es ist aber bedeutend dynamischer als dieses. Die dramatische Figurenkonstellation wird durch die Konflikte und Allianzen konstituiert, welche die Handlung antreiben. Da sie sich von der bloßen Mimesis der sozialen Rollen unterscheiden, bewegen sich bereits auf der oben erwähnten Ebene der literarisch-künstlerischen Gestaltung. Zu ihr zählen ferner (Verhaltens-)Typen und dramatische Funktionen. Beide sind mit der dramatischen Figurenkonstellation und der Handlung verwoben. Erstgenannte läßt sich als ethische Rolle bezeichnen. Sie ist Teil der literarischen Figurenzeichnung. Innerhalb der ethischen Rolle lassen sich soziale Verhaltenstypen wie das tyrannische Gebaren, das Oidipus im OT zeigt, von genuin ethischen Verhaltenstypen unterscheiden wie der Medea in Euripides’ gleichnamigem Stück attestierten . Bei ihnen kann man nur von markanten Verhaltensmustern sprechen. Charaktertypen werden dagegen erst in der Neuen Komödie virulent. Die ethische Rolle kann durchaus mit den normativen Implikationen der sozialen Rollen in Konflikt treten, etwa wenn die Könige Oidipus, Kreon in der Antigone oder Pentheus in den Bakchen tyrannisch agieren. Auch Medeas kollidiert mit ihrer Mutterrolle. Auch in ihr liegt also ein transgressives Potential. Sie ist innerhalb der dramatischen Illusion ebenso frei gewählt wie die literarische Rolle bzw. Identität, die eine Figur bei der Verstellung annimmt, und kann dadurch zum Träger von Intra- oder gar Metatheater werden. 516 Ein differenzierender Blick auf diesen Phänomenkomplex tut deshalb not. Der Prototyp und Archeget der erfolgreichen Verstellung ist der listenreiche Odysseus, 517 der durch Verschleierung seiner ontologischen und sozialen Identität und Absichten diese um so besser restaurieren bzw. durchsetzen kann. Das Drama kennt die unterschiedlichsten falschen Rollen und Identitäten, die in der attischen Tragödie vornehmlich ethischer bzw. soziomo- 516 S. dazu Richard Hornby, „Role Playing within the Role“, in: Drama, Metadrama, and Perception. Lewisburg 1986, 67-87, h. 67 („[A] character for some reason takes on a role that is different from its usual self.“). 517 S. dazu Achim Geisenhanslüke, „Lob des Odysseus“, in: Masken des Selbst. Aufrichtigkeit und Verstellung in der europäischen Literatur. Darmstadt 2006, 29-60. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 172 ralischer Natur sind, weil sie die Kongruenz von sozialer Rolle und Verhalten enthalten (Medea spielt die einsichtige Ehefrau, Phaedra die keusche), und die in Nea und Palliata wie in der Odyssee die ontologische Identität betreffen. Sie alle reproduzieren die dramatische Rollenmimesis, doch nur wenn die Kriterien Absprache, d.h. Konventionalisierung des Zeichens, und intradramatisches Publikum hinzutreten, kann man sensu stricto von Intratheater sprechen. Die ethische Rolle bzw. Identität kann aber auch der Figur über die dramatische Semiose zugeteilt werden, zu der etwa auch die Binnenhermeneutik gehört. Sie orientiert sich dabei nicht nur an Verhaltenstypen wie Medeas oder sozialen Typenbegriffen wie dem Tyrannen, sondern nicht selten an mythologischen Gestalten (so Iasons Versuche, Medeas transgressive Identität mit Hilfe des Meerungeheuers Skylla konzeptuell einzuhegen). 518 Sozialer Typenbegriff und mythologische Gestalt fallen deshalb in den Bereich der ethischen Rolle, weil für sie eine markante Verhaltensweise emblematisch ist, die auch bei der fraglichen Bühnenfigur ausgemacht wird. Die Einhegung mit Hilfe solcher äußerer emblematischer Rollenmuster, bei denen eine physisch distinkte Figur für das Verhalten einer Dramenfigur steht, erfaßt die Protoplasmatik der Persönlichkeit (vgl. Zeitlin 1980: 55: „nothing is more changeable than personality“) mit Hilfe eines vorfindlichen Zeichens, bei dem bereits eine konventionelle Korrelation zwischen äußerer Gestalt und Verhalten besteht. Zu den dramatischen Funktionen zählen selbstredend diejenigen, die Souriau definiert hat, aber auch Greimas’ Aktantenrollen oder Bremonds Handlungsrollen (s. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur). Sie funktionieren über Kausalität und (Inter-)Aktion und beschreiben eine Rolle, welche die Figur innerhalb der dramatischen Figurenkonstellation im Dramenverlauf ausübt. Dazu zählt auch die - anders als die ethische genuin theaterspezifische - Rolle v.a. als Regisseur, aber auch als Akteur oder Zuschauer eines Intra- oder Metatheaters. Zusammen mit der Rolle als tragischer Transgressor bewegen sie sich auf einer höheren Ebene als die vorgenannten, da sie auf ihnen aufbauen können, ohne daß dies immer der Fall oder erforderlich wäre, und stellen den Gipfelpunkt literarisch-künstlerischer Gestaltung im Bereich der Figuren dar. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 3.1 Zu einer Poetik des Raumes Der Raum ist neben der Bewegung und der Grenze eine Basisgegebenheit für das Zustandekommen nicht nur einer lokalen Transgression. Eine Poetik der Transgression im strengen topologischen Sinne muß deshalb auf einer Poetik oder zumindest einer literaturwissenschaftlichen Theorie des Raumes aufru- 518 Weitere Beispiele s. Froma I. Zeitlin, The Closet of Masks. Role-Playing and Myth-Making in the Orestes of Euripides. Ramus 9 (1980) 51-77, h. 55-57. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes 173 hen. 519 Wie in der modernen Physik sind Raum und Zeit in der Literatur keine absoluten Kategorien, sondern an das Vorhandensein von Gegenständen und genauer an deren Veränderung geknüpft. Systemisch gesehen ist nicht etwas im Raum, sondern der Raum um etwas. Selbst der leere Raum ist durch die Abwesenheit eines Inhalts definiert. Dieses dynamisch-relationale Raum- und Zeitverständnis trifft von den drei Großgattungen per definitionem am meisten auf die mimetische zu, da das Drama eo ipso in Handlung besteht. Noch einschlägiger entsteht zudem im Theater, der zweiten Unterform der mimetischen Großgattung, jeder Raum im strengen topologischen Sinne (und nicht bloß als Äquivalent für einen abstrakten Bereich, den Bourdieu ‚Feld‘ genannt hätte 520 ) erst durch das Auftreten von Figuren und deren Bewegung, 521 selbst wenn er formal durch Grenzen konstituiert wird. Dieses dynamische Raumkonzept verbindet die Transgression mit dem spatial turn, der ebenfalls Räume nicht statisch, sondern dynamisch, nicht als Behältnis, sondern „als Ergebnis von sozialen Relationen, von Praktiken und Machtverhältnissen“ bestimmt, 522 also in Anknüpfung an die Konstellation und Interaktionen der Personen, in der die vorliegende Arbeit die Dynamik der Handlung verortet. Die topologische Transgression verbindet Bewegung und Grenzüberschreitung und kann gleichzeitig die normative realisieren (so die Überschreitung der Meerengen durch Xerxes’ in Aischylos’ Persern). Andere Bewegungen, die in dieser Arbeit untersucht werden, sind die Devianz als Abweichung von einem vorgegebenen Weg, die Evasion als Bewegung, die einen geschlossenen Kreis verläßt, und die Extravaganz, bei der sich an dieses Verlassen noch die ziellose Bewegung im Außenraum anschließt. Wie die Transgression haben sie eine topologisch-vektorale und zumeist auch eine normative Dimension. Sie können alle drei die Transgression und die Eliminierung realisieren, wobei die Evasion und die Extravaganz topologische Subtypen der Transgression sind. Das Theater ist durch seine lokale Dimension der Aufführung, die in seiner optischen Mimesis wurzelt, zweifellos die topologischste Gattung. 523 Da es auf 519 Für aktuelle Tendenzen vgl. die dramenspezifischen Beiträge (S. 305-374) in Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek Narrative 3. Leiden 2012, die unter den hier besprochenen Stücken der entsprechenden Dramatiker berücksichtigt wurden. Rush Rehm setzt von seiner zehn Jahre zuvor entwickelten Typologie (s.u.) den szenischen, extraszenischen, distanzierten und reflexiven Raum fort (Sophocles. In: Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek narrative 3. Leiden 2012, 325-339, h. 325). 520 Markus Schwingel, Bourdieu zur Einführung. Hamburg 6 2009, 85. 521 Aus der Bewegung der Schauspieler erklärt auch Jan Muka ovský, Zum heutigen Stand einer Theorie des Theaters (1941). In: Texte zur Theorie des Theaters. Hg. und kommentiert von Klaus Lazarowicz und Christopher Balme. Stuttgart 1991, 87-99, h. 94 die Konstitution dessen, was er „dramatischer Raum“ nennt. 522 Janine Hauthal, Von den Brettern, die die Welt bedeuten, zur ›Bühne‹ des Textes: Inszenierungen des Raumes im Drama zwischen mise en scène und mise en page. In: Wolfgang Hallet, Birgit Neumann (Hgg.), Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Bielefeld 2009, 371-397, h. 372. 523 Dies klingt gleich eingangs auch bei Benjamin Wihstutz, „Einleitung“, in: Erika Fischer- Lichte, Ds. (Hgg.), Politik des Raumes. Theater und Topologie. Paderborn, München 2010, 7- 13, h. 7 an. Ansonsten ist dieser Sammelband für die topologische Theorie des antiken Dramas 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 174 den Raum anders als gelegentlich auf die Sprache nicht verzichten könne, geht Wiles sogar so weit, das Theater - wie Platons Plan von Atlantis - als Foucaultsche Heterotopie einzustufen (1997: 3). Unter einer solchen verstand der französische Sozialphilosoph den Ort einer Gesellschaft, der eine realexistierende Utopie ist und an dem alle übrigen Orte dieser Kultur, von denen er radikal verschieden ist, zugleich dargestellt, bestritten und umgekehrt werden („représentés, contestés et inversés“). 524 Eine solche experimentelle und explorative Funktion des Theaters als intellektuelles Laboratorium und reflexiver Freiraum, in dem gefahrlos andere Ideen und Konstellation vorgeführt und durchgespielt werden können, werden wir verschiedentlich bei den Analysen des antiken Dramas kennenlernen, so bei dem Blick auf den ethnisch-kulturell Anderen in Aischylos’ Persern (s. 1.11 Fazit und Ausblick), dem Blick in Medeas Innenleben, den Euripides’ gleichnamige Tragödie gewährt (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts), und Senecas Dramen, welche die schlimmste menschliche Transgressivität inszenieren (s. 7.6.1 Fazit der Phaedra-Interpretation). Diese Funktion als explorativer Raum wurzelt im fiktional-mimetischen Charakter des Theaters und seines Raumes. Konkreter ist der Raum in der Literaturwissenschaft und Dramentheorie, der uns hier interessiert, durch zwei Kategorien strukturiert: Einerseits durch (Re-)Präsentation bzw. Mimesis sowie Spiel im weitesten Sinne, welche die Fiktionalität und Poetizität der betreffenden Räume begründen, und andererseits durch die Grenzziehung, welche in der Transgression manifest wird. Paradigmatisch entsprechen sie den beiden Saussureschen Verfahren, die Identität des Zeichens zu bestimmen: Die Grenzziehung zielt auf die Identität durch Opposition, die (Re-)Präsentation auf den Nexus zwischen signifiant und signifié. Da die Transgression nur innerhalb eines Raumtypus erfolgen kann (sonst wäre sie eine Transzendenz oder zumindest ein Sondertyp), sei zuerst die (re-)präsentative Typologie des Raumes entwickelt. In der Theorie des (antiken) Dramas hat bereits eine intensive Debatte über den Raum stattgefunden, deren Resultat verschiedene Raumtypen sind. Sie soll im folgenden aufbauend auf Marianne I. Hopman 525 referiert und gegebenenfalls angepaßt werden. Anne Ubersfeld 526 und Michael Issacharoff 527 führten die Unterscheidung in dramatischen, theatralischen und szenischen Raum ein. Unter letzterem wird der konkrete Raum auf der Bühne verstanden (Ubersfeld 1996: 114-117). Der szenische Raum ist, so unterscheidet auch Ubersfeld 1996: 117, entsprechend der theatralischen Mimesis und dem Zeichencharakter zugleich kaum ergiebig, weil er überwiegend auf die Architektur und Inszenierungspraxis des neuzeitlichen und zeitgenössischen Theaters abhebt. 524 Des espaces autres (1984). In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 2, 1571-1581, h. 1574 f. Ohne klare Anbindung an die Theatertheorie referiert Rehm 2002: 19 Foucaults Konzept der Heterotopie und bietet allerhand zeitgenössische und historische Beispiele. 525 Revenge and Mythopoiesis in Euripides’ Medea. TAPhA 38.1 (2008) 155-183, h. 158-160. 526 Lire le théâtre. Paris 2 1996, 113-149. 527 Space and Reference in Drama. Poetics Today 2.3 (1981), 211-224. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes 175 Spielraum und gespielter Raum (‚Bretter, die die Welt bedeuten‘ oder bloß der Raum vor dem Palast in Theben). Er ist physikalisch wie semiotisch die Grundlage für die weitere (Re-)Präsentation, sowohl der Figuren bzw. Schauspieler als auch der Raumtypen. Die konstitutive Gestuftheit von Mimesis und Semiose in Theater und Drama (s. 2.3.2 Strukturalistisch-semiotische Dramenästhetik) setzt sich also folgerichtig im Falle des Raumes fort. ‚Theatralischer Raum‘ dient Ubersfeld als allgemeiner Oberbegriff für das durch die (re-)präsentative Mimesis Geschaffene, den szenischen wie den dramatischen Raum (1996: 124): „L’espace théâtral est une réalité complexe construite d’une façon autonome, et le mime (icône) à la fois de réalités non théâtrales et d’un texte théâtral (littéraire) ; [...].“ Issacharoff versteht unter „theater space“ dagegen die architektonische Gestaltung der Spielstätte, zu der auch der Bühnendekor gehöre (1981: 212). Ubersfeld bespricht die dramatischen Räume ohne eine klare Definition (1996: 138-140), doch der Plural, die Einbeziehung selbst der Zeit in den dramatischen Raum (1996: 138: „Les catégories du temps elles-mêmes font partie de l’espace dramatique entendu en ce sens large.“) und dessen Organisation in binären Oppositionen sprechen dafür, in ihm das begriffliche Äquivalent von Issacharoffs Terminus zu sehen, der folgende Definition gibt (1981: 214): „Dramatic space is the study of space as a semiotic system in a given play.“ Der dramatische Raum wird also im Bereich der literarischen Fiktionalität angesiedelt, des Saussureschen signifié (Issacharoff 1981: 212 ordnet ihn dagegen der parole zu, während szenischer und theatralischer Raum der langue entsprächen, sein Distinktionsmerkmal ist also die dichterische Individualität). David Wiles bringt die drei Räume nach Ubersfeld denn auch auf eine einfache, griffige Formel: Der theatralische Text ist das Gebäude, der szenische die Bühne und der dramatische der Text. 528 Issacharoff unterteilt den dramatischen Raum in mimetischen und diegetischen (1981: 215): Der mimetische werde dem Publikum sichtbar gemacht und auf der Bühne dargestellt, der diegetische werde von den Figuren erzählt. Die beschränkten Darstellungsmöglichkeiten des szenischen Raumes bringen es mit sich, daß die meisten topologischen Transgressionen des antiken Dramas in Figurenerzählungen und damit im diegetischen Raum dargestellt werden. Issacharoff selbst beschreibt den Unterschied zwischen mimetischem und diegetischem Raum mit „showing“ und „telling“, Merschs Kategorien ‚Sagen‘ und ‚Zeigen‘ sind hier also klar geschieden. Doch diese Trennung geht bei Issacharoffs Auffächerung des mimetischen Raum verloren (1981: 216): Er und seine Objekte können gezeigt werden und gleichzeitig Gegenstand des Diskurses sein, der dann eine Indexfunktion bekomme (für weitere Kombinationen der Merkmale ‚Zeigen‘ und ‚diskursiv‘ und ‚metadiskursiv‘ vgl. die Tabelle auf 1981: 216). Das Verbale sei dabei auf das Visuelle bzw. Sichtbare zentriert. Da ein Code auf einen anderen referiere, werde das Theater autoreflexiv. Die Sprache sei aber auch wegen der fehlenden Referenz nonverbaler Codes der dominante 528 Tragedy in Athens. Performance space and theatrical meaning. Cambridge 1997, 15. Bereits Muka ovský (1941) 1991: 95 definiert den dramatischen Raum implizit über die theatralische Fiktion, wenn er den Zuschauerraum in ihn mit einbezieht. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 176 Code. Issacharoff muß den Terminus ‚mimetischer Raum‘ in dieser semiotischen Konfigurierung offensichtlich deshalb einführen, weil seinem Bühnenraum der Zeichencharakter fehlt. Er glossiert seinen „stage space“ (nicht „scenic“) denn auch als „scenography or stage and set design“ (1981: 212). Da die vorliegende Arbeit bereits beim theatralischen (s.u.) und szenischen Raum Bespielung und mimetischen Zeichencharakter als Wesenskonstituens ansetzt, faßt sie auch den Terminus ‚mimetischer Raum‘ in einem weiteren Sinne als Issacharoff, sofern nicht ausdrücklich auf dessen Begriff verwiesen wird. Der mimetische Raum dieser Arbeit ist - anders als der diegetische Raum als sprachlich evozierter und imaginierter tatsächlicher Raum - nicht räumlich-konkret, sondern hebt auf den fiktionalen Bereich ab, in dem sich das dargestellte Bühnengeschehen vollzieht. Er beruht auf dem Zeichencharakter des szenischen und dramatischen Raumes. Zusammen mit dem szenischen Raum bildet der mimetische Raum in der klassischen attischen wie neuzeitlichen Tragödie einen Raum, der wie die mittelalterliche Himmelshalbkugel durch die Fixsternsphäre durch das Ende der Bühne vom Zuschauerraum abgeschlossen und in sich geschlossen ist. Erst das Metatheater durchbricht diese Grenze, was man nach dem Verständnis dieser Untersuchung als Mittel der dramaturgischen Transgression klassifizieren kann (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression). Lowell Edmunds ist skeptisch gegenüber Issacharoffs These von der Dominanz des verbalen Codes im Drama, greift aber dessen Modell auf und erweitert es, indem er den diegetischen Raum unterteilt: zum einen in solchen, der für die Charaktere auf der Bühne, aber nicht für die Zuschauer sichtbar sei, zum anderen in einen für beide Gruppen unsichtbaren. 529 Später führt er als weitere Kategorie den deiktischen Raum ein, bei dem Worte sich auf Dinge beziehen, die sich auf der Bühne (also im szenischen Raum) befinden. 530 Auch ihn unterteilt er nach der Sichtbarkeit für Publikum und Schauspieler in Dinge, die beide 529 Theatrical Space and Historical Place in Sophocles’ Oedipus at Colonus. Lanham 1996, 24-26. So bereits Ds., The Blame of Karkinos: Theorizing Theatrical Space. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Antike Dramentheorien und ihre Rezeption. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 1. Stuttgart 1992, 214-239, h. 223. 530 S. die systematische Übersicht über Edmunds’ Raumkonzeption http: / / wwwrci.rutgers.edu/ ~edmunds/ Divs.html. Eine weitere Übersicht (Lowell Edmunds, Sounds Off Stage and On Stage in Aeschylus, Seven Against Thebes. In: Antonio Aloni, Elisabetta Berardi, Giuliana Besso, Sergio Cecchin (Hgg.), Atti del Seminario Internazionale Sette a Tebe. Dal Mito alla Letteratura. Torino 21-22 Febbraio 2001. Bologna 2002, 105-115, h. 114 f.) ist hier von geringerer Relevanz, weil sie statt von diegetischem von exegetischem Raum spricht und v.a. den sog. akustischen Raum, der durch nonverbale Äußerungen konstituiert wird, differenziert. Dessen Systematik läßt sich zwar auf die hier besprochenen Tragödien und sogar ihre Transgressionen und deren Folgen anwenden (Oidipus’ Schreie in der postidentifikatorischen Phase des OT, die der Bote dem Chor berichtet (v. 1260, 1265), sind „vocal sound ad phantasma“, die Todesschreie von Medeas Kindern dagegen „vocal sound ad aures“ (v. 1270a) und der Donner, der Alcumenas Niederkunft in Plautus’ Amphitruo begleitet (v. 1094-1096), „nonvocal sound ad phantasma“), doch fragt sich, ob dieses Grenzgebiet zwischen Topologie und Narratologie nicht besser in der Narratologie angesiedelt wäre. Fest steht jedenfalls, daß diese unterschiedlichen Laute klar geschiedenen Aspekten der Transgression entsprechen: Medeas Kindermord deren faktischem Vollzug, Oidipus’ Schreie ihrer Erkenntnis und v.a. der Erkenntnis ihrer sozialen Folgen und der Donner im Amphitruo ihrer faktischen Folge(nlosigkeit). 3.1 Zu einer Poetik des Raumes 177 Gruppen sehen können, und solche, die nur für die Schauspieler sichtbar sind und die das Publikum sich vorstellen muß. Bei der Benennung dieser beiden Kategorien greift Edmunds mit leichter Variation Karl Bühlers Begriffe Deixis am Phantasma und demonstratio ad oculos auf. Ersterer bezeichnet sichtbare, letzterer vorgestellte Dinge. 531 Edmunds ordnet konsequenterweise dem Raum, den das Publikum sehen kann, die Bezeichnung Deixis ad oculos und demjenigen, den es sich vorstellen muß, den Terminus Deixis ad phantasma zu. Edmunds’ feine terminologische Ziselierung ist gleichwohl unter zwei Aspekten nicht unproblematisch. Daß die Schauspieler Gegenstände sehen, die auf und nicht hinter der Bühne sind, während sie dem Publikum verborgen bleiben, scheint dramaturgisch schwierig zu bewerkstelligen. Eine entsprechende Konstellation ist bei der cistula in Plautus’ Amphitruo denkbar, wo Sosia dem eponymen Protagonisten auf dessen Nachfrage berichtet, daß keine Schale in der besagten Kiste sei (v. 787-792). Die Einschränkung der Deixis am Phantasma auf die Bühne in Edmunds’ Systematik entspringt zudem allenfalls ihrer Opposition zur demonstratio ad oculos. Hopman 2008: 159 referiert denn auch bloß stichpunktartig die Begriffe von Lowell Edmunds’ theatralischer Raumkonzeption und erwähnt, daß Karl Bühlers Deixis am Phantasma die Fähigkeit der Sprache bezeichne, Dinge und Orte in der Vorstellung der Rezipienten zu evozieren, was ja zweifellos auch auf den diegetischen Raum zutrifft. Rush Rehm, der in dem Kapitel „Theories of Spaces“ seiner Monographie über den Raum in der griechischen Tragödie 532 den auf- und anregenden, aber für unsere dramentheoretische Grundlegung nicht einschlägigen Versuch unternimmt, antike Raumtheorien auf die attische Tragödie anzuwenden, stuft den heuristischen Wert von Issacharoffs und v.a. Edmunds semiotischem Modell als gering ein, da es bloß auf taxonomische Vollständigkeit ziele (2002: 1 f.). Er selbst unterscheidet zusätzlich zum theatralischen und szenischen Raum noch den extraszenischen, den distanzierten, den selbstreferentiellen (metatheatralischen) sowie den reflexiven (2002: 20-25, 270). Rehm vertritt inhaltlich denselben Begriff des theatralischen Raums wie Ubersfeld (Aufführungsgeschehen im Theater) und Issacharoff (Gebäude) und verbindet sie performativ (2002: 20): „The theater becomes a theatrical space when it “houses” a dramatic performance [Kursivierung und Anführungszeichen im Original].“ 533 Dem hier bereits bekannten szenischen Raum stellt Rehm mit einer treffenden Prägung den extraszenischen gegenüber, der sämtliche physisch präsenten und ebenfalls semiotisch besetzten Räume außerhalb der Bühne umfaßt, also etwa das Palastinnere, aber auch den Raum auf dem (2002: 21). Präziser wäre die Benennung ‚postszenisch‘ für das Palastinnere, während der Raum auf dem als ‚supraszenisch‘ etikettiert werden könnte. Auch wenn Rehm die heuristische Tragweite strukturalistischer binärer Oppositionen im Zusammenhang mit dem 531 Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Mit einem Geleitwort von Friedrich Kainz. Jena 1934. Ndr. Stuttgart 1982 = 1999, 125. 532 The Play of Space. Spatial Transformation in Greek Tragedy. Princeton 2002, 273-296. 533 Die Be- und Erspielung des szenischen Raumes, v.a. der Orchestra durch den Chor, untersucht Graham Ley, The Theatricality of Greek Tragedy. Playing Space and Chorus. Chicago 2007 vornehmlich anhand von Aischylos’ Dramentexten. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 178 hier faßbaren Gegensatz zwischen innen und außen nuanciert (2002: 21 f.), so ist die Grenze zwischen offener Bühne und Haus für die Darstellung und den Vollzug der Transgression wichtig. Der ist also nicht nur der dramatische, sondern auch der szenische Ort der Transgression, sofern sie nicht in den diegetischen Raum verlagert wird. Treffend hebt denn auch das neunte Kapitel „La dialectique du dehors et du dedans“ (S. 191-207) von Gaston Bachelards Werk La poétique de l’espace ([1957] Paris 4 1989) bereits eingangs auf die wechselseitige dialektische Bedingtheit von innen und außen ab (S. 191), die jeder Grenzziehung zugrunde liegen. Unter distanziertem Raum versteht Rehm einen realexistierenden, aber im Gegensatz zum szenischen und extraszenischen Raum nur sprachlich evozierten, für den Rehm den Dreiweg oder Korinth im Oidipus Tyrannos als Beispiel anführt (2002: 22). Sieht man von der Frage des Chors im Oidipus Tyrannos nach dem Sinn seines Tanzens ab (das ja den Boden und den Aufführungsanlaß berührt), falls die Ehrfurcht vor den Göttern schwindet (v. 896), ist Rehms Begriff des metatheatralischen Raums nicht spezifisch topologisch und umfaßt auch intra- und intertheatralische Aspekte (2002: 23). Auch mit dem reflexiven Raum, welcher die Reflexion zeitgenössischer Aktualität und damit den sozialen Bezug des attischen Dramas als Spiegel der Gesellschaft umfaßt, setzt Rehm die Lösung von der Topologie fort (2002: 23-25), wobei diese Funktion für das attische Drama schwerlich abgestritten werden kann. So treffend also Rehms Unterscheidung zwischen szenischem und extraszenischem Raum ist, weil sie anders als Edmunds’ Kriterien Bühne und Sichtbarkeit auf objektive lokale Gegebenheiten des antiken Dramas abhebt, so diskussionsbedürftig scheint sein distanzierter Raum. Es fragt sich, ob man ihn man nicht besser mit Edmunds und Issacharoff als ‚diegetischen‘ (oder aber ‚erzählten Raum‘) bezeichnet. Allerdings überschneiden sich Rehms objektive und Edmunds’ und Issacharoffs subjektiv-narratologische Kriterien insofern, als der postszenische Innenraum des Hauses in den allermeisten Fällen für die Zuschauer nicht einsehbar ist und ihnen nur durch die Erzählungen der Schauspieler vermittelt wird (etwa die Geschehnisse um Oidipus’ Blendung im OT), er also sensu stricto auch diegetisch ist. Deshalb ist es vom Standpunkt der theatertheoretischen Systematik statthaft, von einem postszenisch-diegetischen und einem distanziert-diegetischen Raum zu sprechen. Für die hermeneutische Arbeit dieser Untersuchung ist es allerdings praktikabler, die Bezeichnung ‚diegetischer Raum‘ auf den distanzierten zu beschränken, da er ausschließlich über Erzählungen vermittelt wird, und diese Darstellungsweise, sofern der Fall, beim postszenischen verbal zu explizieren, statt terminologisch zu fixieren. Der Analyseapparat der vorliegenden Arbeit kann also folgende Raumbegriffe der Gattung Theater zugrunde legen: Der globalste ist dabei der theatralische Raum, der mit dem Theatergebäude die Aufenthaltsorte von Schauspielern und Zuschauern umfaßt und zu dem der Theaterbau erst durch seine Bespielung wird, wie Rehm treffend definiert (erst dann kann er sensu stricto performativ als ‚Spielstätte‘ bezeichnet werden). Der szenische Raum umfaßt dagegen nur die Bühne und ist ebenfalls nicht bloß materiell definiert, sondern durch seinen mimetischen Zeichencharakter, der gleichfalls erst in der Bespielung zum Tragen kommt. Er ist nicht typologisch, sondern nur durch die materielle Gestal- 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression 179 tung der Bühne vom extraszenischen Raum geschieden, mit dem Rehm das Palastinnere oder das bezeichnet, die man als postszenisch bzw. supraszenisch unterscheiden kann. Der nicht mimetisch gezeigte, sondern bloß sprachlich evozierte und referenzierbare Raum wird dagegen als ‚diegetischer‘ oder ‚erzählter Raum‘ bezeichnet. Recht weitgefaßt ist dagegen Ubersfelds und Issacharoffs ‚dramatischer Raum‘, der durch den Dramentext geschaffen wird und auf den hier wegen seiner begrifflichen Beliebigkeit weitgehend verzichtet werden soll. Als Oberbegriff des durch den Zeichencharakter des dramatischen und szenischen Raums geschaffenen fiktionalen Bereichs dient in dieser Arbeit der mimetische Raum. Obwohl dieser Terminus scheinbar noch globaler und raumferner als ‚dramatischer Raum‘ ist, 534 wird er hier deshalb bevorzugt, weil er mit der Mimesis die präsentative Grundlage der theatralischen Semiose im Blick behält. Der selbstreflexive bzw. metatheatralische und reflexive Raum, den Rehm einführt, bezeichnet letztlich nur Funktionen des mimetischen, dessen Durchbrechung das dramaturgische Metatheater konstituiert. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression Bei dieser Untersuchung geht es um die dichterische Gestaltung des Konfliktverlaufs im fiktional-mimetischen Raum anhand der hier skizzierten strukturalistischen und handlungstheoretischen Kategorien. Es kann und soll also nicht umfassend und endgültig geklärt werden, was die Poetizität des antiken Dramas sei, denn diese Frage führt nahezu unausweichlich in die bislang aporetische Grunddebatte der Ästhetik, was die Kunst an sich und die Literatur qua Sprachkunst im allgemeinen seien. Vielmehr soll die Funktionsweise der Poetizität antiker dramatischer Texte vornehmlich an der Handlung nach dem hier gewählten Ansatz gezeigt werden. Diese Beschränkung des Argumentationsziels hat zum einen pragmatische Gründe wie die Zielsetzung und den Rahmen dieser Arbeit. Er läßt keine ästhetisch-poetologische Grundlagenforschung zu, deren Breite und Innovation geeignet sein könnte, die bisherige Theorie hegelianisch aufzuheben, 535 sondern erheischt nur die Explikation der zugrunde gelegten ästhetisch-poetologischen Prämissen. Zum anderen entspringt die gewählte Beschränkung des Argumentationsziels gleichwohl einer grundsätzlichen Auffassung über das Wesen des Kunstwerks, nämlich einem ästhetischen Skeptizismus: Nach diesem beruht die Aporie über das Wesen von Kunst und Literatur nicht zuletzt auf deren irreduzibler Unbestimmbarkeit, die in der Komplexität der poetischen Struktur gründet, die durch die poetische Transgression des Alltäglichen bloß generiert wird, sich aber nicht in ihr erschöpft. Ein Kunstwerk 534 Die Gesamtheit dessen, was durch den Mimesis und Semiose im Drama erschaffen, also nicht nur die (bespielbaren) Räume, sondern auch die Figuren und ihre Konstellation, ließe sich auch als ‚dramatischer Kosmos‘ bezeichnen. ‚Kosmos‘ hebt dabei auf die (schöne) Ordnung ab, die hier über den Strukturbegriff gefaßt wird und deren Ästhetik im nächsten Kapitel behandelt werden soll. 535 Vgl. Dieter Mersch, Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen. Frankfurt a.M. 2002. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 180 läßt sich deshalb immer wieder neu beschreiben, aber nie erschöpfend und endgültig in seinem Wesen erfassen. 536 Das Wesen der Kunst läßt sich semiotisch als irreduzible Potentialität definieren. 537 Sie beruht auf dem Symbolcharakter der Kunst. Bei einem Symbol bezeichnet, so Paul Ricœur, ein buchstäblicher Sinn einen figuralen. 538 Jede Interpretation reduziert Ricœur zufolge die Ambiguität des Symbolischen gemäß ihrem eigenen spezifischen Muster, 539 was ihrer Kohärenz keinen Abbruch tue, 540 wie denn bereits für Luhmann jede Wahrnehmung von Systemen mit einer Komplexitätsreduktion an ihrem Gegenstand einhergeht und zugleich den Sinn mit „Verweisungsüberschüssen“ ausstattet. 541 Jede Deutung, die einen Absolutheitsanspruch erhebt, indem sie ein Kunstwerk seinem Wesen nach auf eine einzige Bedeutung reduziert und der Interpretation das Siegel aufdrückt, kommt also dem Versuch gleich, das Haupt der Medusa mit einer Schlange zu identifizieren, und würde den Tod der Hermeneutik nach sich ziehen, deren Aufgabe Ricœur treffend in der Interpretation des Symbolischen sieht. 542 Die lange Tradition, die auf eine semiotisch operierende Hermeneutik zurückblicken kann, 543 entschärft Gérard Genettes Gegensatz von literarischem Strukturalismus und intuitiver Hermeneutik, welche die Kongruenz von Bewußtseinsinhalten anstrebe. 544 Die Hermeneutik entschlüsselt also die Zeichen, welche die Poesie 536 Anders leitet Radke 2003: 20 aus der einmaligen Aufführung einen eindeutigen Sinn der griechischen Tragödien ab und übersieht dabei, daß diese historische Sinnstiftung singulär und für moderne Interpreten kaum rückholbar ist. 537 Vgl. Walter Falk, Vom Strukturalismus zum Potentialismus. Ein Versuch zur Geschichts- und Literaturtheorie. Freiburg i.Br. 1976, 285-377, der allerdings die Potentialität an das aristotelische und somit das Verhältnis zur Wirklichkeit knüpft. Diese „Möglichkeit zu sinnhaftem Menschsein“ sei zuerst nur in der Seele des Dichters und werde von diesem mit Hilfe von verfremdeter Darstellung adäquat mitgeteilt (1976: 297-300). Dieses Modell, das den Strukturalismus überwinden will, geht von historistischen Gegebenheiten aus und verfährt selbst stark psychologisierend. 538 Le conflit des interprétations. Essais d’herméneutique. Paris 1969, 16. 539 Jan M. Broekman, Strukturalismus. Moskau - Prag - Paris. München 1971, 114. 540 Paul Ricœur, De l’interprétation. Essai sur Freud (1965). Paris 2001, 518 f. 541 Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bde. Frankfurt a.M. 1 1997, Bd. 1, 143 f. 542 Le conflit des interprétations. Essais d’herméneutique. Paris 1969, 16. 543 Peter Szondi, Einführung in die literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 1 1975, 99 ff. (Georg Friedrich Meiers [1718-1777] Versuch einer Allgemeinen Auslegungskunst). Nach August Boeckh, Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften. Hg. von Ernst Bratuscheck. 2. Aufl. besorgt von Rudolf Klussmann. Leipzig 1886, 77 f. bezieht sich die Hermeneutik auf „ein Zeichen des Erkannten […] wie alle sprachliche Mittheilung, Schriftzeichen […].“ Gunter Gebauer, Der Einzelne und sein gesellschaftliches Wissen. Untersuchungen zum symbolischen Wissen. Berlin 1981, 27 f. faßt das hermeneutische Problem des Sinn-Verstehens in Anlehnung an Morris’ fünfgliedriges Zeichenmodell der Sinn-Semiosis „als ein allgemeines semiotisches Problem“. 544 „Structuralisme et critique littéraire“, in: Ds., Figures I. Paris 1966, 145-170, h. 158-160. Die grundsätzliche Kompatibilität von Hermeneutik und Strukturalismus über die Semiotik und das Symbol erübrigt auch Genettes nachfolgenden Versuch, sie durch die Abgrenzung unterschiedlicher Forschungsfelder (exotisch-ethnologische und Randliteratur für den Strukturalismus, kanonische Werke für die Hermeneutik) oder als unterschiedliche Modi komplementärparzelliert zu harmonisieren (1966: 159-163). 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression 181 geschaffen hat. 545 Beide sind demnach semiotisch verfaßt. Neben der literaturwissenschaftlichen Hermeneutik der Transgression soll in der vorliegenden Untersuchung auch die drameninterne in den Blick genommen werden, welche die einzelnen Figuren vornehmen und die deshalb der kompetitiven Binnenpragmatik unterliegt. 546 Auch Ricœurs Stufung von buchstäblichem und figuralem Sinn, die ihren hermeneutikgeschichtlichen Ursprung in der Lehre vom vierfachen Sinn der Heiligen Schrift hat, 547 legt es nahe, das Wesen eines Kunstwerks im Einzelfall am besten über seine Abweichung vom Allgemeinen zu bestimmen, also das Singuläre und Individuelle, selbst wenn diese Züge hier nicht mehr entsprechend der romantischen Genieästhetik auf eine rekonstruierte Künstlerpersönlichkeit projiziert, sondern am Sprachkunstwerk selbst festgemacht werden und hierbei das strukturalistische Verfahren der Identitätsfindung und Ermittlung der distinktiven Merkmale durch Abgrenzung zum Einsatz kommt. Die analytische Grundfigur der performativen Strukturtransgression läßt sich nicht nur in der Handlung, dem zentralen Inhalt des Dramas, verorten, sondern kann auch vielfältige Aspekte der dramatischen Poetizität beschreiben. So wird etwa die Erhabenheit der Tragödie durch die Abweichung der Sprache und Charaktere von der Alltagssprache und -welt erzeugt, ein Gedanke, der bereits in Aristoteles’ Poetik anklingt (1449b 25 f., 28-31; 1453a 16). Auch Verschiebungstropen wie die Metapher sind poetische Transgressionen des usuellen Signifikats. Die Metapher eignet sich hervorragend zur Beschreibung sozialer Transgressionen, hat doch bereits Paul Ricœur in seiner siebten Betrachtung auf die Gewalttätigkeit der Metapher hingewiesen, da sie ihre Referenz auf den Trümmern der wörtlichen Referenz erwerbe. 548 Die Transgression ist das Signum der Kunst, des Poetischen schlechthin, wenn man dieses als singuläres Durchbrechen der Alltäglichkeit versteht. Allerdings erfaßt diese Anknüpfung an die Transgression nur den Ausgangspunkt der poetischen Bewegung und bietet durch die Bestimmung von Kunst und Poetik via negationis nur eine negative Ästhetik. Eine Poetik der Transgression will diese freilich nicht in der Nachfolge Šklovskijs und vor allem Jakobsons auf Abweichung von der usuellen Struktur reduzieren, 549 die durch 545 Dieter Janik, „Zeichen - Zeichenbeziehung - Zeichenerkennen“, in: Literatursemiotik als Methode. Die Kommunikationsstruktur des Erzählwerks und der Zeichenwert literarischer Strukturen. Tübingen 1985, 75-88, h. 75 f. 546 Vgl. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason und 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression in der Medea-Interpretation. 547 Vgl. dazu und zu seiner Aktualität für die gegenwärtige Hermeneutik Horst-Jürgen Gerigk, Lesen und Interpretieren. Göttingen 2002, 119-134. 548 La métaphore vive. Paris 1975, 279: „De même que l’énoncé métaphorique est celui qui conquiert son sens comme métaphorique sur les ruines du sens littéral, il est aussi celui qui acquiert sa référence sur les ruines de ce qu’on peut appeler, par symétrie, sa référence littérale.“ 549 Vgl. Lutz Rühling, Fiktionalität und Poetizität. In: Heinz Ludwig Arnold, Heinrich Detering (Hgg.), Grundzüge der Literaturwissenschaft. München 7 2005, 25-51, h. 41 f. Dieses Spezifikum entkräftet den möglichen Einwand, der russische Formalismus sei bloß eine Neuauflage der hellenistischen Poetik des Neoptolemos aus Parion, der von der sprach und sie (neben dem Dichter) in das als formal-sprachliche Gestaltung und die als inhaltlich-stoffliche Gestaltung unterteilte (Phld. Po.5 col. 13,32-6,28, so Roswitha Simons, Art. Neoptolemos [9]. DNP 8 (2000) 833 f.). 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 182 das Verfahren der Verfremdung ( c pa e ) erzielt wird. 550 Eine Deviationsbzw. Devianzpoetik impliziert freilich eine Nähe von Künstler und Kriminellem, 551 die auf der Rezipientenseite dadurch nahegelegt wird, daß der (Vieh-)Dieb Hermes (h. Merc. 68-86) 552 als Patron der Übersetzer fungiert, und sich im Werk am tragischen Transgressor zu manifestieren scheint und deshalb sehr ergiebig für die dramatische und intratheatralische Analyse der Ästhetik der Transgression zu sein verspricht. Sie bewegt sich also im Bereich der Detailhermeneutik der Transgression in der Literatur, während eine Poetik der Transgression ein literaturtheoretisches Grundkonzept ist. In Absetzung vom russischen Formalismus und seiner bloß via negationis bestimmten Devianzpoetik soll denn auch die Poetik allgemein und diejenige der Transgression über den positiven Zielpunkt der künstlerischen Bewegung als Schaffung eines fiktionalen Raums und als Gestaltung der fiktionalen Struktur, als Schöpfung von dichterischen Texten und Zeichen begriffen werden, also als poetische Semiogenese. Die Poetik beschränkt sich also nach diesem Konzept nicht wie in der Deviationsästhetik auf eine lineare Abweichung von einer usuellen Norm, sondern sie schafft einen eigenen Raum. Topologie und Geometrie unterscheiden sich also bei den beiden Ästhetiken beträchtlich. Dieser poetisch-schöpferische Transgressionsbegriff wuchert keineswegs zur Transzendenz, von welcher der Begriff der Transgression ja definitorisch abgegrenzt wurde (s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität in der Einleitung), sondern er wendet in der Poetologie den Satz an, daß die Bewegung den Raum schafft (s. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes). Auch steht er im Einklang mit anderen Denkern, nicht zuletzt den russischen Formalisten. Bereits Viktor Šklovskij hat in ausdrücklicher Anlehnung an Aristoteles die Distanz der dichterischen zur Alltagssprache betont und dabei die Semantik des Poetischen durch die vorausgehende Verwendung von „Schöpfer“ [ e ] implizit reetymologisiert. 553 In Anlehnung an Poseidonios ergänzte in diese Unterscheidung um eine semantisch-mimetische Referenz des (D.L. 7.60 = Frg. 458 Th.: […] […] ). 550 Vgl. dazu Victor Erlich, Russischer Formalismus. Aus dem Englischen übersetzt von Marlene Lohner. [Orig.: Russian Formalism. History - Doctrine. ’s-Gravenhage 1955] Frankfurt a.M. 1973, 195. 551 Vgl. Horst Bredekamp, Der Künstler als Verbrecher. Ein Element der frühmodernen Rechts- und Staatstheorie [aus einem Vortrag hervorgegangen, der am 14. Februar 2005 in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung gehalten wurde]. Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung 90. München 2008, v.a. 68-77 („Das Prinzip der Inversion“). Für den Kriminellen als Faszinosum der Literatur und praktisches Vorbild dandyhafter Literaten des 19. Jh. und frühen 20. Jh.s s. Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978, 32-41, v.a. 33 (zu Oscar Wildes Dorian Gray): „Das Verbrechen ist ganz zurückgenommen in die Person des Künstler-Täters. […] So wird das Verbrechen als ästhetische Handlung verstanden.“ 552 Vgl. dazu Athanassios Vergados, The Homeric Hymn to Hermes. Introduction, Text and Commentary. Texte und Kommentare 41. Berlin 2013, 283-286. 553 Kunst als Verfahren. In: Russischer Formalismus. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Hg. und eingeleitet von Jurij Striedter. München 4 1988, 5-35, h. 31. Russ.: Texte der russischen Formalisten. Mit einer einleitenden Abhandlung hg. v. Jurij Striedter. Bd. 1: Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste 6. München 1969, 3-35, h. 30. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression 183 Dieter Merschs gleichfalls reetymologisierte ‚Aisthetik‘ könnte man unter Rückgriff auf Hans Robert Jauß, der bereits gräzisierend ‚Poiesis‘ und ‚Aisthesis‘ schrieb, 554 hier von ‚Poietik‘ sprechen. Der poetische Transgressionsbegriff entspricht ganz der Affinität der ästhetischen Moderne, die sich zumeist avantgardistisch definierte, und gipfelt im Surrealismus, der mit dem „transgressiven Gestus einer Freilegung unerschlossener Tiefen der Imagination und des Traumes“ operierte. 555 Wenn Jakobson die poetische Sprachfunktion darin erblickt, daß latente Strukturen, die in der Alltagssprache überhört würden, ins Bewußtsein treten bzw. die Äquivalenz, die in jener auf der paradigmatischen Achse angesiedelt sei, in die syntagmatische gelange, 556 also in der konjunkturellen Ko-Präsenz struktureller semantischer Ambi- oder Polyvalenzen, so vernachlässigt dieses Verständnis von Poetik deren grenzensprengende Innovationskraft, die nicht bloß Valenzen der Alltagssprache kombiniert, sondern wie die Dialektik das Alte und Gegensätzliche im Neuen aufhebt. Während der sterile Schematismus und Formalismus 557 strukturalistischer Poetiken in der interpretatorischen Praxis für generalisierende Beschreibungen (wie hier auch die Handlungsstruktur) gute Dienste leisten kann, so läßt sich die poetische und hermeneutische Kreativität, mit der ein performierendes Subjekt die semiotische Irreduzibilität auslotet, theoretisch besser auf der Grundlage des Modells der generativen Transformationsgrammatik beschreiben, die mit Performanz und Kompetenz den Sprecher als linguistisches Subjekt wiederentdeckt. Eine Anleihe bei den russischen Formalisten zur Beschreibung antiker Literatur wird in gewisser Weise jedoch dadurch nahegelegt, daß die antiken Ausdrücke für ‚Kunst‘ (gr. , lat. ars) stets die handwerkliche Seite im Blick haben, 558 ja, das lateinische Wort ars wohl mit dem deutschen ‚Art‘ sogar urverwandt ist. 559 Es soll dementsprechend darum gehen, die Komplexität poe- 554 Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 3 1984, 103-165. 555 Irene Albers, Helmut Pfeiffer (Hgg.), Einleitung. In: Michel Leiris - Szenen der Transgression. München 2004, 11 f. 556 Elmar Holenstein, Roman Jakobsons phänomenologischer Strukturalismus. Frankfurt a.M. 1975, 168. 557 Roman Jakobson, Linguistics and Poetics. In: Thomas A. Sebeok (Hg.), Style in Language. Cambridge, Ma. 2 1964 ( 1 1960), 350-377, h. 358-377. 558 Martin Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes. In: Ds., Holzwege. Frankfurt a.M. 8 2003, 1-74, h. 46 bestreitet diese und nimmt statt dessen die epistemologische in den Blick: „Das Wort nennt vielmehr eine Weise des Wissens.“ Zumindest als Bezugswort des Genitivattributs sind die beiden Substantive im Rahmen der intellektualistischen Ethik austauschbar (Epict. 1.15.2: , Cic. fin. 3,4: ars est enim philosophia vitae, Tusc. 2,12: philosophus [...] artem [...] vitae professus, Sen. epist. 95,7: sapientia […] ars vitae est vs. Epict. 4.1.63: , 4.1.118: , Mus. Frg. 3 He. S. 10 Z. 6 f.: ). 559 Vgl. WH I 70 s.v. und Pokorny 57 s.v. ar-, der lat. ars und mhd. art, das noch die dem lat. Äquivalent zugrunde liegende ursprüngliche Bedeutung „Zusammenfügung, Gabe richtig zusammenzufügen“ aufweise, unter den t-Bildungen zur Wurzel „ar- ‚fügen, passen‘“ (S. 55) anführt. Diese umfassende Darstellung ist von späteren etymologischen Wörterbüchern nur dahingehend modifiziert worden, daß das rekonstruierte Etymon an die Laryngaltheorie angepaßt wurde (*h 2 erh 3 -t-). Von ihm werden sowohl lat ars als auch dt. Art abgeleitet, ohne daß diese beiden Substantive in einem dieser überwiegend einzelsprachlichen Lexika etymologisch gleichgesetzt würden. So sind für die dt.-lat. Nominalentsprechung unergiebig Ernout/ Meillet 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 184 tisch-dramatischer Strukturen wie bei einem Kristallgitter 560 transparent zu machen, Dichtung und Lichtung 561 der Texte zu verbinden. Die Poetik bündelt die verschiedensten Aspekte wie in einem Brennglas, die Hermeneutik zerlegt sie prismatisch. Selbst die Diskrepanz als das entscheidende Moment eines vermeintlich so frivolen Phänomens wie der Komik, das durch Transgression generiert wird, verpufft bei der Aneinanderreihung von Pointen und gewinnt durch die Komplexität ihrer Binnen- und Außenbezüge, etwa bei der möglichst engen Parodie eines Prätextes und der Schaffung einer eigenen Logik, die in sich kongruent, aber zur Alltagslogik diskrepant ist. Die strukturell-textuelle Funktionsweise der Komik fußt also auch auf dem Spiel mit dem , dessen Strukturen sie durch Kopieren, Invertieren und Parodieren ad absurdum führt. 3.3 Metatheater als poetische Transgression Diese Arbeit deutet das Metatheater, das für die attische Tragödie zuerst an der Figur des Dionysos 562 und am Chor 563 verortet wurde, als poetische Transgression. 564 Damit löst sich die Transgression aus der anachronistisch anmutenden strukturalistischen Enge, die ihr vielleicht in ihrer sozialen Ausprägung eigen war, und tritt in den Bereich der postmodernen Theorie. Dabei erweist sich die Autoreferentialität, die bereits gute Dienste geleistet hat, um die Tragik als besondere Ausprägung der sozialen Transgression herauszuarbeiten, abermals als hilfreich. Denn die Selbstbezüglichkeit der Kunst ist ein wichtiges Konzept aktueller ästhetischer Debatten und dabei selbst das Ergebnis dichterischer Selbstreflexion: Bereits in einem Tagebucheintrag aus dem Jahre 1893 prägte André Gide den bis heute gebräuchlichen Ausdruck mise en abyme für die Wi- s.v., die lat. ars als *ti-Ableitung zur Wurzel „*er- (ar-)“ ansehen, und de Vaan s.v., der ein idg. Etymon *h 2 r-tí- „the fitting“ rekonstruiert, von dem auch gr. herstamme (so bereits Kluge/ Seebold s.v., die lat. ars unberücksichtigt lassen), aber keine germanischen Parallelen erwähnt. Einen Irrweg beschreitet nur Pfeifer s.v., der lat. ars ebenfalls unberücksichtigt läßt und dt. Art von idg. *ar( ) „pflügen“ ableitet, zu dem auch lat. arare und gr. gehörten. Doch zu Recht trennt das LIV, das aus konzeptionellen Gründen keines der in Frage stehenden Substantive bietet, eine Wurzel „*h 2 erh 3 ‘aufbrechen, pflügen’“ (S. 243) von „*h 2 er ‘sich (zusammen)fügen“ (S. 240 f.). Wodtko 788 behandelt lat. ars nicht und bietet nur ein Lemma „*h 2 erh 3 ‘aufbrechen, pflügen’“ (S. 322-328), aber keines für *h 2 er (vgl. S. 317). 560 Für die Struktur als Kristallgitter s. Manfred Frank, Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt a.M. 1984, 88. 561 Zu diesen beiden Begriffen vgl. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, 59-63, 40. 562 Anton F. Harald Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie. Politische und ‚metatheatralische‘ Aspekte im Text. Diss. München 1990. Classica Monacensia 1. Tübingen 1991, 20-25 und 111-226 (Dionysos als Theatergott). 563 Peter Wilson und Oliver Taplin untersuchen die theatralische Selbstreferentialität anhand von „choros and mousike“ (The ‘Aetiology’ of Tragedy in the Oresteia. PCPhS 39 (1993) 169-180, h. 169). 564 Bereits Gerhard Neumann, Rainer Warning (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 14 f. spielen mit dem Gedanken, daß „Parergonalität - die vielfache Durchquerung von Rahmungen - [sich] als die Form der Transgression schlechthin [erwiese]“. Eine solche Rahmung ist selbstredend die Aufführung auf der Bühne im ursprünglichen und eigentlichen Sinne. Dagegen schafft die mise en abyme, deren dramenspezifische Form hier als ‚Intratheater‘ etikettiert wird, einen Rahmen nach innen. 3.3 Metatheater als poetische Transgression 185 derspiegelung des Gesamtwerks der Literatur und bildenden Kunst in einem seiner Teile. 565 Die weitere Theorie- und Forschungsgeschichte rechtfertigt auch in diesem Falle begriffsgeschichtlich, daß die vorliegende Arbeit mit dem Strukturalismus ein Konzept sprachwissenschaftlichen Ursprungs für literaturwissenschaftliche Analysen gewählt hat. Die Selbstbezüglichkeit wurde nämlich m.W. zuerst von der modernen Logik bei der Sprache festgestellt und auch in wegweisender Weise für die weiteren Begriffsprägungen mit dem Präfix metabezeichnet. Dabei reflektiert die Metasprache („metalanguage“) auf die Sprache als Objekt. Roman Jakobson" der diese Begriffsgeschichte referiert, formuliert anhand dieses Begriffspaares seinen Terminus der metasprachlichen Funktion („metalingual function“). 566 Es war Roland Barthes, der in einer kleinen Notiz Littérature et méta-langage (1964) 567 die Unterscheidung zwischen méta-langage und langage-objet auf die Literatur übertrug und sie - wie jede andere Sprache auch - analog in littérature-objet und méta-littérature unterschied, wobei sie in betrachtetes und betrachtendes Objekt zerfalle. (Barthes spricht hier ausdrücklich davon, daß die Literatur sich verdopple, das Metatheater ist damit innerhalb der operationalen Systematik der vorliegenden Untersuchung ebenfalls eine Verdoppelung.) Dieses Nachdenken („réfléchir“) der Literatur über ihr Wesen (und nicht bloß über einzelne ihrer Figuren) (sprich: die Autoreflexivität) sei eine rezente Entwicklung, die erst mit dem bürgerlichen Roman bei Flaubert beginne und sich seither rasant über Mallarmé, Proust und den Surrealismus bis zum nouveau roman radikalisiere (Robbe-Grillet). Hier mag man angesichts der reichlichen impliziten Poetik der antiken Literatur seit Homer (s.u.) und Hesiod 568 sowie der Autoreferentialität vieler frühneuzeitlicher Texte (Zaiser 2009: 14 f.) Vorbehalte geltend machen. Barthes’ These, die Literatur werde sich als littérature-objet durch das fortschreitende Wuchern der méta-littérature selbst zerstören, da sie seit hundert Jahren ein gefährliches Spiel mit ihrem eigenen Tod treibe, hat sich jedenfalls seither nachweislich empirisch nicht bewahrheitet, auch wenn es durchaus denkbar ist, daß die Möglichkeiten zur paradigmatischformalen Innovation eines Tages erschöpft sind und so eher die méta-littérature an ihre Grenzen stößt. Barthes selbst hat, worauf Rainer Zaiser hinweist (2009: 10), fast ein Jahrzehnt später (1968) das Konzept vom Tod in der Literatur auf die Instanz des Autors eingeengt. Eher könnte man pointiert behaupten, daß das 565 Journal 1889-1939. Paris 1948, 41. Gregory W. Dobrov, Figures of Play. Greek Drama and Metafictional Poetics. Oxford 2001, 15 hat diese Stelle für die Diskussion der dramatischen Metapoetik des antiken Dramas erschlossen. 566 Linguistics and Poetics. In: Thomas A. Sebeok (Hg.), Style in Language. Cambridge, Ma. 2 1964 ( 1 1960), 350-377, h. 356-358. 567 [Essais critiques (1964), 271-525]. In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 2: Œuvres 1962-1967. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 362 f. Diesen Stellenhinweis verdanke ich Rainer Zaiser, Inszenierte Poetik. Metatextualität als Selbstreflexion von Dichtung in der italienischen Literatur der frühen Neuzeit. Ars rhetorica 22. Berlin 2009, 9. 568 Vgl. dazu Gerrit Kloss, Are Vocation Texts Fictional? On Hesiod’s Helicon Experience. In: Hanna Liss, Manfred Oeming (Hgg.), Literary Construction of Identity in the Ancient World. Proceedings of the Conference Literary Fiction and the Construction of Identity in Ancient Literatures: Options and Limits of Modern Literary Approaches in the Exegesis of Ancient Texts. Heidelberg, July 10-13, 2006. Winona Lake, Indiana 2010, 245-261. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 186 von Barthes angestoßene Wuchern von Konzepten und terminologischen Neuerungen mit dem Präfix meta-, welche die Selbstbezüglichkeit der Literatur und Analysen von deren Vorkommen in den Sprachkunstwerken verschiedenster Gattungen, Epochen und Zungen betreffen, die Literaturwissenschaft zu erdrücken droht. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß Innovation und Relevanz des Konzepts der Selbstbezüglichkeit der Kunst nicht unwidersprochen geblieben sind. So sieht Joachim Küpper in Aristoteles’ Tragödiensatz eine positive Wertung der Fiktion, erstens wegen der ihr zugeschriebenen heilsamen Wirkung in Form der Katharsis und zweitens weil die Fiktion - anders in der neuzeitlichen philosophischen Ästhetik - keiner weiteren Legitimation über die Autonomie der Kunst bedürfe. Diese Autonomie werde über die Autoreferentialität der Kunstwerke konstruiert, was die gesamte mimetische Kunst als trivial ausgrenze. 569 Mangels Belegen bleiben die von Küpper angegriffenen Theorien kaum zu fassen (entweder erhält sie für allgemein bekannt oder die betreffenden interpretatorischen Praktiken für allgemein verbreitet) und die konkrete Legitimität seiner Kritik kaum nachzuprüfen. Fest steht m.E. jedenfalls, daß die Autonomie der Kunst und die Autoreferentialität von Kunstwerken jedes für sich wertvolle Konzepte sind, die nicht durch eine zweifelhafte Verquickung beschädigt werden sollten und die beide auch unabhängig voneinander existieren können. Jene kann sich über diese konstruieren, aber auch über den souveränen Umgang der Mimesis bei der Darstellung und mit ihren Gegenständen. Bei der Innovation der Selbstbezüglichkeit des Kunstwerks weist Alessandro Schiesaro augenzwinkernd darauf hin, daß Selbstreflexivität von Literatur ebensowenig wie Sex eine Entdeckung seit 1968 sei, sondern sie bereits die klassische Antike erkannt habe, und führt hierfür das Scholion zu Il. 3.126-128 an, daß Helena, indem sie ein Tuch webe, das die Kämpfe zwischen Griechen und Trojanern darstelle, einen würdigen Archetypos der poetischen Kunst des Dichters selbst herstelle ( - [126- 127]). 570 Dieser Fall poetischer Selbstreflexivität darf sogar als mise en abyme angesehen werden. So beliebt diese in der (post-)modernen Kunst(deutung) ist, findet sie sich gleichwohl bereits in zwei Figuren der vorgriechischen bildenden Kunst, die auf Kreta 571 und Zypern 572 gefunden wurden. Selbst das Metatheater, 569 Verschwiegene Illusion. Zum Tragödiensatz der Aristotelischen Poetik. Poetica 38 (2006) 1- 30, h. 2 f. 570 The Passions in Play. Thyestes and the Dynamics of Senecan Drama. Cambridge 2003, 1 Anm. 2. 571 In der minoischen Keramik stellt die sog. Göttin von Myrtos (Frühminoisch IIB, Abb. s. Costis Davaras, Hagios Nikolaos Museum. Athen ca. 1982, Fig. 13) eine bauchige Figur dar (Kost s Davaras, Führer zu den Altertümern Kretas. Übersetzung aus dem Englischen: Wolfgang Schürmann. Deutschsprachige überarbeitete und erweiterte Ausgabe. Athen 2003, 236 referiert ihre Deutung als Hausgöttin), die selbst einen Krug umschlingt, welcher den einzigen Ausguß des Gefäßes bietet. 572 Noch genauer als der kretische Fund entspricht dem Idealtypus der mise en abyme morphologisch eine 15,6 cm große zypriotische Steatit-Figur aus dem Chalkolithikum (3 Jt. v.Chr.), die im Distrikt Paphos gefunden wurde und im Zypern-Museum in Nikosia aufbewahrt wird (Nr. 1934/ III-2-2). Ihre Arme sind kreuzförmig zum Körper ausgebreitet, um der Genauigkeit der 3.3 Metatheater als poetische Transgression 187 um das es im vorliegenden Abschnitt geht, wurde bereits in einem Scholion zu E. Tr. 36 bemerkt - und moniert. 573 Alter und Geläufigkeit der mimetischen Selbstdoppelung auch in darstellenden Kunstwerken adeln dieses Phänomen gleichwohl, wappnen es gegen Küppers Vorbehalte und spornen zur genauen Abgrenzung und Beschreibung dramenliterarischer Autoreflexivität an. Die Autoreflexivität (in) der Literatur wird gemeinhin (und so auch in der vorliegenden Arbeit) unter den Stichwörtern ‚Metafiktion‘ bzw. ‚Metapoetik‘ 574 verwaltet; in Drama und Theater firmiert sie unter ‚Metatheater‘. Dieser Terminus hat, seit ihn Lionel Abel 575 anhand von Shakespeares Theaterstücken formuliert hat, eine rasante Verbreitung in der Dramenanalyse gefunden und dabei - ähnlich wie die Transgression - an begrifflicher Schärfe eingebüßt, was jüngst Zaiser moniert und kritisch mit opulenter Bibliographie (2009: 40 Anm. 21) dargestellt hat (2009: 39-47). Dieser Fehler ist dem Terminus ‚Metatheater‘ nur bedingt in die Wiege gelegt. Gewiß ist Zaiser zuzustimmen, wenn er kritisiert, daß Abels Definition 576 auf das irreführende Konzept des theatrum mundi 577 zurückgreift (2009: 41). Doch ist Abels Definition ansonsten pertinent („unlike figures in tragedy, they are aware of their own theatrality“) und steht auch im Einklang mit der engeren Definition von Metatheater der vorliegenden Arbeit. Sie ist allenfalls auf die Ebene des gesamten Dramas, nicht aber auf das außerdramatische Weltgeschehen erweiterbar. 578 Beschreibung halber eine anachronistische interpretatio Christiana zu bemühen, und sie trägt ihrerseits eine ebensolche kreuzförmige Figur auf der Brust (für eine große, farbige Abbildung s. Antikes Zypern: Kunstwerke aus dem Cyprus Museum in Nicosia. Aufnahmen von Franco Cianetti. Texte von Kyriakos Nicolaou. Zürich 1970. Kulturelle Monatschrift 7 (1970) 456- 528, h. 459, Abb. 2 oder Basos Karagi rg s, The Cyprus Museum. Translated from Greek by A.H. Kromholz and S. Foster Kromholz. Nicosia 1989, 17, Abb. 10). Die mise en abyme ist hier also ein Hinweis auf die Amulettfunktion und damit den Sitz im Leben, erfüllt also keine künstlerisch-semiotische Funktion. 573 . 574 Zaiser 2009: 32 f. definiert mit reichlichen bibliographischen Angaben in diesem Sinne ‚Metatextualität‘ („Oberbegriff für alle Erscheinungsformen der literarischen Fiktion […], die die Poetologie des Textes in diesem selbst zum Gegenstand der Reflexion machen“). Da texttheoretische Ansätze jedoch die fiktive und ästhetische Spezifik literarischer Texte allzu leicht durch die Subsumtion unter eine Kategorie, die auch Zeitungsartikel und Gerichtsurteile umfaßt, zu verwischen drohen, verzichtet die vorliegende Arbeit weitgehend auf diesen Terminus. 575 Metatheatre. A New View of Dramatic Form. New York 3 1966. 576 1966: 60: „[A]ll of them [sc. der Dramen, die Abel als „metaplays“ einstuft] are theatre pieces about life seen as already theatralized.“ 577 Kritisch dazu auch Niall W. Slater, Plautus in Performance. The Theatre of the Mind. Amsterdam 2000, 10. 578 Diese definitorische und arbeitspraktische Einschränkung beschränkt sich auf die Dramendeutung. Die dem Metatheater eigene Durchbrechung der mimetischen Illusion und überhaupt Infragestellung der grundlegenden Prämissen einer eingefahrenen Sichtweise und des jeweiligen Systems, seien diese nun literarisch, kulturell, intellektuell, gesellschaftlich, ökonomisch oder politisch, begünstigt eine heilsame gegenüber voreiligen Urteilen und Entschlüssen, die in vielen Dramen „tragisch“ enden, und birgt ein gewaltiges Reflexions- und Innovationspotential auch außerhalb des Theaters. Bereits Abel 1966: 111 hat ganz recht diese konstruktivistischen Implikationen des Metatheaters erkannt und im Vergleich zur Tragödie her- 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 188 Das begriffliche Imbroglio von ‚Metatheater‘ soll im folgenden durch zwei Präzisierungen entwirrt werden: Erstens durch eine schärfere definitorische Konturierung dieses Begriffs als dramenspezifische Metapoetik und zweitens durch eine Terminologisierung seiner Subtypen, die bislang allenfalls konzeptionell geschieden unter ‚Metatheater‘ firmieren (Metatheater: Thematisierung der Gattung oder des vorliegenden Theaterstücks und ihrer Spezifika, Intratheater: Theater im Theater, Intertheater: intertextueller Bezug auf andere Dramen). Bereits Abel bestimmt das Spiel im Spiel, also das, was hier als Intratheater verstanden werden soll, als Unterform des Metatheaters (1966: 60) und legt damit das Projekt der vorliegenden Arbeit nahe, nämlich die verschiedenen ausgearbeitet (die Bemerkungen zu ihr wurden im nachfolgenden Zitat fortgelassen): „Metatheatre gives by far the stronger sense that the world is a projection of human consciousness. […] Metatheatre glorifies the unwillingness of the imagination to regard any image of the world as ultimate. […] Metatheatre makes human existence more dreamlike by showing that fate can be overcome. […] Metatheatre assumes there is no world except that created by human striving, human imagination. […] For metatheatre, order is something continually improvised by men. […] Metatheatre makes us forget the opposition between optimism and pessimism by forcing us to wonder.“ Den letzten Satz, der das reflexive Potential des Metatheaters besonders gut ausdrückt und ihm den Impuls zuschreibt, der seit Platon und Aristoteles als Anfang der Philosophie angesehen wird (Elenor Jain, Tobias Trappe, Art. Staunen; Bewunderung; Verwunderung. HWP 10 (1998) 116-126, h. 116), läßt Gyburg Radke bei dem Zitat fort, das sie von der fraglichen Abel-Passage gibt (Tragik und Metatragik. Euripides’ Bakchen und die moderne Literaturwissenschaft. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 66. Berlin 2003, 324 Anm. 533). Vielleicht mißdeutet sie deshalb in dem Anhang „Zum Theatrum mundi“ (2003: 324-340) die außertheatralischen Implikationen des Metatheaters als unreflektierten Skeptizismus, den sie nach Art des Sophisten Gorgias (DK 82 B 3 [= S.E. M. 7.65]) formuliert (S. 325: „Die Welt selbst ist für uns nicht erkennbar, erkennbar ist nur ein Schein, eine Illusion, die wir für die wirkliche Welt halten.“). Die zweite, anthropologisch-epistemologische Implikation, die sie im Metatheater erblickt (2003: 325: „Ebenso wie die Erkenntnis, die wir von der Welt haben, ist auch unsere Vorstellung von der Freiheit unseres Handelns bloßer Schein. Tatsächlich gibt es weder (absolut) freies Handeln noch absolut (freies) Erkennen.“), ist durch die angeführten Abel-Zitate nicht gedeckt, sondern wird wie das erstgenannte skeptische aus einem Zitat zum theatrum mundi entwickelt (Franz Link, Götter, Gott und Spielleiter. In: Ds., Günter Niggl (Hgg.), Theatrum mundi. Götter, Gott und Spielleiter im Drama von der Antike bis zur Gegenwart. Literaturwissenschaftliches Jahrbuch Sonderband 1981. Berlin 1981, 1-47, h. 46), das hier im ganzen Satzzusammenhang wiedergebeben werden soll: „Neben diesen Versuchen der Sinnstiftung stehen […] der Versuch des Theaters, im Spiel Sinn zu stiften, und der Versuch, die Sinnlosigkeit des Lebens als Spiel zu dokumentieren.“ Radkes Behauptung wird durch dieses Zitat also nicht gedeckt, das ohnehin durch seinen Bezug auf Fragestellungen, die aus dem absurden Theater erwachsen, ebenso schwierig zu interpretieren und zu transferieren wie Links gesamter umfangreicher Beitrag ist. Links vorangehende Sätze zeigen aber deutlich auf, daß er im modernen Theater den metatheatralischen Einsatz des theatrum mundi aufgespürt hat. Auch eingangs seines Beitrags macht er klar, daß es ihm um die „Weiterentwicklung der Metapher“ des Welttheaters vornehmlich in der Praxis des modernen Theaters geht, wobei „sie auf der Bühne in Spiel umgesetzt wird“ (1981: 1 f.). Trotz dieses genealogischen und instrumentellen Nexus trennt er also theatrum mundi und Metatheater konzeptionell klar. Die zweite, anthropologisch-epistemologische Implikation belegt Radke des Metatheaters mit einem Zitat aus Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 10 1984, 152 über die klassische französische und deutsche Tragödie. Damit wird klar, daß dem Metatheater etwas zugeschrieben wird, was eigentlich die Tragik charakterisiert, nämlich die Einschränkung und Bedingtheit freien menschlichen Handelns (pace Link 1981: 1, der zu Recht bei dem Sonderfall des göttlichen Spielleiters im theatrum mundi „die Frage nach Freiheit und Schicksal“ aufgeworfen sieht). 3.3 Metatheater als poetische Transgression 189 Verwendungsweisen von ‚Metatheater‘ bzw. und die unterschiedlichen seither konstatierten Formen dramatischer Autoreferentialität terminologisch auszudifferenzieren. Eine solche begriffliche Auffächerung tut offensichtlich not, da auch Zaisers rezente Studie trotz einer bedenkenswerten typologischen Unterscheidung, die teils in die nachfolgende dieser Arbeit integriert werden kann (2009: 51-53), 579 nichts dergleichen referiert oder entwickelt. Vorab sei darauf hingewiesen, daß nicht jede Bezugnahme im Drama auf einen anderen Text oder jedes Phänomen von Metafiktion bzw. Metapoetik im Drama in den Bereich dessen fällt, was gemeinhin unter ‚Metatheater‘ verstanden wird und in dieser Arbeit unter der Behelfskonstruktion ‚dramatische Metapoetik‘ oder ‚dramenliterarische Autoreferentialität‘ rubriziert wird. Bei den besagten Erscheinungen handelt es sich entweder um Intertextualität im Drama (so bei einer Bezugnahme auf eine andere literarische Gattung oder deren konkrete Texte, wie Homer [für Aischylos s. 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer in der Zusammenfassung] oder die Chorlyriker 580 ) oder um Metapoetik bzw. Metafiktion im Drama (so bei dramenunspezifischen Bezügen auf Produktions- oder Rezeptionsästhetik). Auch diegetische Doppelungen des Dramenstoffs en miniature wie Atossas Traum in Aischylos’ Persern oder Oidipus’ narratio des Tathergangs am Dreiweg im OT erfüllen zwar die Kriterien für thematische mises en abyme, 581 aber nicht für die gattungsspezifische mimetische Autoreferentialität. Eine solche nennt Gide denn auch bei seiner Definition von mise en abyme als erstes literarisches Beispiel, nämlich die Komödienszene im Hamlet (1948: 41), also ein Spiel im Spiel bzw. Intratheater (s.u.). Als grobe Orientierung und Arbeitsdefinition läßt sich also ‚Metatheater‘ oder ‚dramenliterarische Autoreferentialität‘ als jedwede Form der Selbstbezugnahme des Theaters bzw. Dramas auffassen, sei dies nun dessen (re-)präsentativmimetische Funktionsweise (Metatheater), deren Doppelung en miniature im Spiel im Spiel (Intratheater) oder die Bezugnahme auf andere Dramentexte. Die 579 Zaiser unterscheidet drei Ebenen bzw. „Inszenierungsmodi der poetologischen Selbstreflexion im Drama“: Die erste ist die „Vermittlungsinstanz“, die mangels (ver)einheitlich(end)en Erzählers im Drama von einzelnen Figuren ausgeübt werden könne (hierbei ist im antiken Drama besonders an den Chor zu denken). Diese Vermittlungsinstanz ist im Drama der bevorzugte Sitz des genuinen Metatheaters. Die zweite Ebene, die Figurenrede, ist im Falle des von Zaiser ausgemachten Rollenbewußtseins ebenfalls der Sitz von Metatheater qua Fiktionalitätsbewußtsein. Der zweite Fall ihres Auftretens, das explizite Reden über das Theater, ist ein spezieller Subtypus, da Zaiser hier verlangt, daß die Handlung im Milieu des Theaters spielen müsse. Läßt man diese Forderung fallen, nähert sich dieser Subtypus dem Intratheater an, das bei Zaiser ausdrücklich als dritte Ebene bzw. dritter Inszenierungsmodus unter dem gängigen Etikett „mise en abyme“ vertreten ist. 580 Aischylos’ frühe Schaffenszeit bringt es mit sich, daß im Falle von Pindar die intertextuelle Bezugnahme von dem Chorlyriker ausgeht (s. 1.2.3 Tragödie, Transgression und Gesellschaft) und bei Simonides Chronologie und mögliche Bezugnahme unsicher sind (vgl. Hopman 2009: 360-362). 581 Moshe Ron, The Restricted Abyss: Nine Problems in the Theory of Mise en Abyme. Poetics Today 8 (1987) 417-438, h. 436 beschränkt die mise en abyme auf „an iconic figure peculiar to narrative“ und bestimmt ihre Funktionsweise über die Erzählung: „Any dihegetic segment which resembles the work where it occurs, is said to be placed en abyme [Kurs. im Orig.].“ 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 190 Selbstreflexivität der mimetischen Großgattung, deren Spezifikum die mimetische oder fiktive Vorstellung öffentlicher Rede ist, wird nämlich durch deren Hybridcharakter als Dramentext (‚Drama‘) und Schauspiel (‚Theater‘) noch komplizierter. In der Forschung konkurrieren deshalb die beiden Ausdrücke ‚Metatheater‘ und ‚Metadrama‘. 582 Gregory Dobrov weist in einem Abschnitt mit dem Titel „Metatheater“ (2001: 9-11) darauf hin, daß ‚Metadrama‘ und ‚Metatheater‘ trotz ihres theoretischen Unterschieds oft austauschbar und gelöst von der Semantik ihrer Etyma gebraucht werden. 583 Diese kritiklose Feststellung wird man nur ungern als Lizenz zu einer ähnlichen Verwirrung der Ausdrücke in der eigenen interpretatorischen Praxis werten. Doch so richtig es ist, auch für das antike Drama und die vorzustellenden Subtypen dramatisch-theatralischer Metafiktionalität theoretisch an dem besagten Unterschied festzuhalten, so steril und unpraktikabel wäre dieses Beharren, ohne einen Blick auf die literaturgeschichtlichen Erscheinungsformen dieser Gattung in ihrer ersten historischen Epoche und die sich daraus ergebenden Anwendungsmöglichkeiten und Modalitäten zu werfen. Ein unumstößliches Faktum ist die Tatsache, daß aus der Antike weitestgehend nur der Dramentext erhalten ist. (Mögen die Leser diesen abermaligen Rückgriff - nach der Debatte um die heuristische Reichweite der Performanz (s. 2.2.1 Performanz) - auf derart positivistisch-pedestre Gegebenheiten bei der Diskussion dramentheoretischer Probleme verzeihen.) Deshalb ist die unter ‚Theater‘ verstandene performative Aufführung des antiken Schauspiels fast nur noch am Drama, d.h. dem Text faßbar. Mit einer vergleichbaren Priorisierung des gesprochenen Wortes löst Zaiser 2009: 40 unter Rückgriff auf seinen Metatextualitätsbegriff dieses generische Dilemma definitorisch dadurch, daß er Metatheater an Reflexionen über die „Darstellungsmöglichkeiten von Sprache und Text“ knüpft, deren Zusammenbruch „im Extremfall die Negation der verbalen Semiotik des Dramas zugunsten einer am Medium der Bühne orientierten nicht-verbalen Zeichensprache zur Konsequenz hat“. Er stellt also einen operational-funktionalen Zusammenhang zwischen den beiden Formen mimetischer Metafiktion her und berührt den Bereich dessen, was in dieser Arbeit als ‚transverbales Metatheater‘ etikettiert wird, nämlich die textimmanenten Regieanweisungen. Allerdings sind sämtliche hier behandelten griechischen Theaterstücke nicht als Lesedramen konzipiert, sondern waren zur Aufführung bestimmt. Die Theatralität ist also in den Dramentext eingeschrieben. Deshalb läßt sich auch die genuine Metatheatralität an diesem festmachen (so an der Dominanz des Wortfeldes ‚sehen‘ im OT, s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der Interpretation dieser Tragödie). 582 Richard Hornby, Drama, Metadrama, and Perception. Lewisburg 1986, 31 moniert das Fehlen einer klaren Definition bei Abel und bietet, ohne den Wechsel des zweiten Kompositumbestandteils zu begründen, selbst nur eine recht allgemeine („Briefly, metadrama can be defined as drama about drama; it occurs whenever the subject of a play turns out to be, in some sense, drama itself“), die er auf der folgenden Seite mit der Aufzählung verschiedener Typen inhaltlich füllt, zu denen Formen des Intratheaters, d.h. der theatralischen mise en abyme („play within the play […] Role playing within the role“) und dieselbe Operation wie das Metatheater gehören („Self reference“). 583 Dobrov 2001: 9. 3.3 Metatheater als poetische Transgression 191 Es paßt sehr gut zu dieser literaturhistorischen Argumentation, daß just für Senecas Dramen, deren Aufführung und Aufführbarkeit umstritten ist (s. das Fazit der Interpretation seiner Phaedra), Alessandro Schiesaro, der im letzten Jahrzehnt die bislang literaturtheoretisch anspruchsvollste Studie zu diesem Korpus vorgelegt hat, von ‚Metadrama‘ statt von ‚Metatheater‘ spricht, um Phänomene mimetisch-generischer Metafiktionalität begrifflich zu erfassen (2003: 14). 584 Der Teufel steckt allerdings auch hier im terminologischen Detail. So reserviert Schiesaro ‚Metatheater‘ mit Abel für das Theater im Theater, also das Intratheater nach der Terminologie der vorliegenden Arbeit, das für Abel, wie gesehen, allerdings nur einen Teil des Metatheaters ausmacht. Nachfolgend bestreitet Schiesaro das Vorkommen von Metatheater bei Seneca und definiert es über den Zusammenbruch der dramatischen Illusion, also die Sonderform des Metatheaters, welche die vorliegende Arbeit als ‚transszenisch‘ benennt. Für sein Verständnis von ‚Metadrama’ lehnt sich der italienische Forscher dagegen an Manfred Schmeling an, der - ohne expliziten Rückgriff auf Barthes, aber in faktischer Fortsetzung von dessen Terminologie und konzeptueller Unterscheidung der Literatur im allgemeinen - mit „théâtre-objet“ und „metathéâtre“ das nichtreflektierte Theater bzw. das Spiel im Spiel bezeichnet (also nach Auffassung der vorliegenden Arbeit das Intratheater). 585 Schiesaro definiert das Metadrama als „moments when the play, through a variety of devices, reflects on itself and its functioning“, also das, was die vorliegende Arbeit allgemein als ‚Metatheater‘ etikettiert. Als Beispiel für ein solches Metatheater bei Seneca könnte man etwa die Regietätigkeit einer Dramenfigur anführen, wie die Furie sie im Prolog des Thyestes, dadurch ausübt, daß sie Tantalus an die Oberwelt zwingt (v. 1-121). Neben dem Prolog, den Schiesaro dort kurz erwähnt und im weiteren Verlauf des Buches eingehend bespricht (2003: 26-36), bringt er noch weitere Beispiele für sein Konzept von Metadrama aus dem Binnenteil des Dramas bei (2003: 14 f.), doch müßten diese, da sie nicht das gesamte Stück, sondern nur einzelne Handlungsstränge betreffen, wohl eher als Intratheater eingestuft werden. Das Theatralitätsbewußtsein, das Schiesaro bei einzelnen Figuren des Thyestes ausmacht (2003: 15), fällt noch unter Abels Definition von Metatheater. Daneben umfaßt Schiesaros Definition von ‚Metadrama‘ strenggenommen auch Fälle von Metafiktion im Drama ohne besonderen Bezug auf die Gattungsspezifika, etwa wenn diegetische Techniken des Dramas thematisiert werden. Die heuristische Reichweite von ‚Metadrama‘ scheint als Ergebnis dieser Diskussion eher eingeschränkt als klar umrissen. Nur wenn man es als Meta-Drama auflöst, läßt es sich Bezugnahme des Dramas auf sich selbst und die ihm in dieser Arbeit etymologisierend und in Abgrenzung vom Theater zugeschriebenen Merkmale auffassen. Das Metadrama umfaßt dann Fälle, in de- 584 Cedric A. J. Littlewood gebraucht dagegen beide Termini sachlich unabgegrenzt nebeneinander und bietet nur insofern eine Distribution in den Paratexen, als Metadrama im Sachindex (S. 328) und Metatheater in den Überschriften (S. vii) erscheint (Self-Representation and Illusion in Senecan Tragedy. Oxford 2004). 585 Métathéâtre et intertexte. Aspects du théâtre dans le théâtre. Paris 1982, 5. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 192 nen auf die Fiktionalität des (Sprech-)Aktes oder der Handlung und ihrer Kausalität Bezug genommen wird. Nach diesen doxographisch-analytischen Präliminarien sollen im folgenden, wie angekündigt, verschiedene Formen der dramatischen Metapoetik vorgestellt und terminologisch differenziert werden, die in der bisherigen Forschung unter dem viel(seitig) gebrauchten Begriff ‚Metatheater‘ verwaltet werden. Hier sei unter ‚Metatheater‘ eine gattungsspezifische Unterart der Metafiktion 586 verstanden, mit der das Theater sich selbst thematisiert, also eine Operation der generischen Autoreferentialität und Autoreflexivität. 587 Diese Selbstthematisierung birgt eine mehr oder minder harte oder subtile Transgression der Gattungskonventionen im allgemeinen und der mimetischen Illusion im besonderen. Im OT wird auf die mimetische Illusion und die Theatralität subtil alludiert und diese so subvertiert. Den Brückenschlag zwischen Transgression und Selbstthematisierung der dramatischen Gattung leistet bereits Simon Goldhill, der im Kap. „Genre and Transgression“ die Selbstreflexivität nicht nur über die Manipulation der Gattungskonventionen definiert, sondern dieses Verfahren ausweislich der Artikelüberschrift als (generische) Transgression einstuft. 588 Das Metatheater ist im (antiken) Drama in verschiedenen Subtypen anzutreffen. Die subtile Ausprägung des OT (s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der Interpretation dieser Tragödie) ließe sich als ‚mimetisches Metatheater‘ klassifizieren. Bei ihm wird die mimetische Illusion nur thematisiert, aber nicht durchbrochen, was nicht zuletzt durch die Lexeme ‚sehen‘ und ‚zeigen‘ geschieht. Drei weitere Unterformen könnte man als dramaturgisch bezeichnen. Für die erste verwendet die vorliegende Untersuchung den Ausdruck ‚transverbal-intraszenisches bzw. binnenpragmatisches Metatheater‘. Es liegt dann vor, wenn der Dramentext nonverbale Bühnenhandlungen wie Mimik oder Gestik thematisiert. Bei ihm handelt es sich im Falle des antiken Dramas zumeist um eine in den Text integrierte Regieanweisung. Nur durch ihre verbale Formulierung ist sie metatheatralisch bzw. besser metadramatisch, da die an sich bloß optisch wahrnehmbaren Handlungen, auf die sie referiert, sensu proprio theatralisch sind. Dagegen soll die Interaktion mit dem Publikum, welche die mimetische Illusion am härtesten transgrediert, unter der Bezeichnung ‚transszenisches bzw. bühnenpragmatisches Metatheater‘ verwaltet werden. Es hat eine hodologische Variante, die als dritter Subtypus des dramaturgischen Metatheaters anzusehen ist. Sie umfaßt Momente der Inszenierung wie das Durchbrechen der Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne durch die Bewegung der Schauspieler, wofür mir allerdings kein antikes Beispiel bekannt ist. Unter ‚Metatheater‘ wird auch eine Form der literarischen Transgression verstanden, die bloß eine Spielart der Intertextualität im Theater ist und die man besser ‚Interdrama‘ nennen würde, weil sie die Bezugnahme auf andere dramati- 586 Vgl. Dobrov 2001: 9 f. 587 Vgl. Slaters Definition (2000: 10): „theatrically self-conscious theatre, i.e., theatre that demonstrates an awareness of its own theatrality.“ 588 Reading Greek Tragedy. Cambridge 1986, Ndr. 1992, 244 f. 3.3 Metatheater als poetische Transgression 193 sche Texte meint. 589 (Strenggenommen wäre wegen der sich überschneidenden Lebensdaten und Schaffensperioden der drei großen attischen Tragiker auch die Referenz auf andere Aufführungen denkbar, die man als sensu stricto als ‚Intertheater‘ klassifizieren könnte, doch bleibt läßt sich hier der Nachweis nur in Einzelfällen führen. 590 ) Davon abzugrenzen ist eine weitere Form der literarischen Transgression, 591 die auch gerne unter der Rubrik ‚Metatheater‘ verwaltet wird, das Spiel im Spiel bzw. Theater im Theater, bei dem die Schauspieler in andere Rollen schlüpfen (s. 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle) und das man treffender ‚Intratheater‘ nennen würde. 592 Diese Form dramatischer Metapoetik wird treffend als mise en abyme klassifiziert, da sie das Theater formal dupliziert, 593 und läßt sich folgendermaßen vom Metatheater abgrenzen: Übernimmt eine Bühnenfigur die Funktion des Regisseurs, so handelt es sich um Intratheater, wenn davon nur eine oder mehrere Szenen betroffen sind, so bei den Eliminierungen, die mit Medeas Rache einhergehen, oder auch den meisten Intrigen des servus callidus. Orchestriert dagegen eine Bühnenfigur die gesamte Handlung wie Dionysos in den Bakchen, muß man von Metatheater sprechen, da eine Theaterfunktion nicht bloß punktuell ausgeübt, sondern somit die Schaffung der szenischen Illusion reflektiert wird. (Diese dramenschaffende Tätigkeit geht strenggenommen sogar über diejenige eines Regisseurs hinaus, der bloß eine textlich vorgegebene Handlung für die Bühne adaptiert, und verdient die Bezeichnung ‚metadramatisch‘.) Wird die Illusion durchbrochen, vorzugsweise dadurch, daß eine Bühnenfigur im Prolog - wie Merkur in Plautus’ Amphitruo - erklärtermaßen die Funktion des Regisseurs übernimmt, wird die Reflexion der szenischen Illusion 589 So Bruno Gentilis Definition (Theatrical Performances in the Ancient World. Hellenistic and Early Roman Theatre. London Studies in Classical Philology 2. Amsterdam 1979, 15): „plays constructed from previously existing plays.“ In diese Kategorie fallen auch die zahlreichen, teils palimpsestischen Bezüge auf andere Tragödien, die Froma I. Zeitlin in Euripides’ Orestes aufspürt und ohne weiterreichende terminologische Klassifikation unter der Rubrik „self-consciousness“ verwaltet, die sonst als Kriterium des Metatheaters gilt (The Closet of Masks. Role- Playing and Myth-Making in the Orestes of Euripides. Ramus 9 (1980) 51-77, h. 53-55). 590 Oliver Taplin, The Stagecraft of Aeschylus. The Dramatic Use of Exits and Entrances in Greek Tragedy. Oxford 1977, 14 arbeitet heraus, daß in Aristophanes’ Fröschen Aischylos und Euripides die Inszenierungen des anderen genau beachten, doch bleibt fraglich, ob dieser Umstand nicht Teil der ingeniösen paratragischen Komik ist. Lucia Athanassaki, Art and Politics in Euripides’ Ion: The Gigantomachy as Spectacle and Model of Action. In: Ana María González de Tobia (Hg.), Quinto Coloquio internacional. Mito y Performance. De Grecia a la Modernidad. La Plata 2009, 199-241, h. 227-234 kann einen komplexeren Fall nachweisen, nämlich daß die Inszenierung von Euripides’ Ion auf den Text von Aischylos’ Eumeniden Bezug nehme. 591 Bereits A. Schoeman, Mercury and Metatheatre. The «antelogium» in Plautus’ «Amphitruo». Akroterion (University of Stellenbosch, Südafrika) 1998 (43) 32-42, h. 32 unterscheidet ohne die hier vorgeschlagene Begrifflichkeit diese drei Verwendungsweisen von ‚Metatheater‘, die auch Slater 2000: 10 schildert. 592 Mark Ringer, Electra and the Empty Urn. Metatheater and Role Playing in Sophocles. Chapel Hill 1998, 7 verwaltet unser Intratheater unter „Metatheater“. 593 Vgl. Dobrov 2001: 15, der mise en abyme als „metarepresentational strategy whereby a miniature theatrical situation [Hervorheb. im Orig.] is embedded within a larger, similarly structured dramatic framework“ definiert. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 194 durch explizite Thematisierung noch verstärkt, so daß die ‚harte‘, transszenische Form des Metatheaters vorliegt. Diese drei Formen der Textlichtung qua doppelbödiger Bezogenheit setzen die Darstellung der sozialen Transgression durch die Akteure auf einer höheren poetischen Ebene fort und können von der Komik vielfältig genutzt werden. Die klassische Tragödie eines Aischylos und Sophokles kennt Intratheater und Interdrama, setzt aber das Metatheater behutsam und selten in seiner harten Form ein (etwa, soweit authentisch, in den Schlußworten des Chores, um eine erzieherisch-systemaffirmative Wirkung zu erzielen). Der letzte Tragiker nimmt hier naturgemäß eine Sonderstellung ein. Seine Elektra weist kritische Bezüge auf Aischylos’ Choephoren und Sophokles’ Elektra auf, 594 ist also interdramatisch. Das massive Auftreten von Metatheater in seinen Bakchen, also in der letzten Tragödie des jüngsten Tragikers, zeigt in der Überschreitung ein erhöhtes Bewußtsein für die Grenzen der Gattung und kann als ein Wegbereiter des sich anbahnenden Wandels zur Neuen Komödie qua neuer dramatischer Form gewertet werden. Ebensowenig wie Tragödie und Metatheater literaturgeschichtlich stehen Tragik und Metatheater systematisch im Widerspruch zueinander. Sie beruhen vielmehr beide auf unterschiedlichen Formen von Transgression, die Tragik auf der soziokosmischen der referierten Welt, das Metatheater auf der Transgression der Gattungskonventionen und der mimetischen Illusion. Und ebenso wie diese Arbeit zwischen den Gattungen Tragödie und Komödie und den Handlungsmerkmalen Tragik und Komik unterscheidet, trennt sie die Formen der Metakomödie und Metatragödie, die eine Subspezies des Metatheaters sind und die entsprechenden Gattungen und ihre Merkmale thematisieren und reflektieren, von der Metakomik und der Metatragik, welche die Handlungsmerkmale ‚Komik‘ und ‚Tragik‘ zum Gegenstand machen und widerspiegeln. Eine Metatragödie liegt etwa auch dann vor, wenn die nach dem Gattungsverständnis der vorliegenden Arbeit konstitutive Integritätsverletzung oder Eliminierung (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention), die sich aus der Transgression ergibt, durch eine höhere Instanz sistiert werden, etwa durch die dea ex machina Athena in den Eumeniden oder durch Jupiters Epiphanie in Plautus’ Amphitruo (Näheres s. die Interpretation dieser Komödie), während Metakomik in der Humorkritik der Alten Komödie anzutreffen ist (s. die Interpretation von Aristophanes’ Fröschen). Metatragik weist Senecas Phaedra auf, wo anders als in Euripides’ erhaltener Parallelversion die Transgression nicht in tragischer Desubjektivierung vollzogen, sondern souverän und ostentativ bejaht wird. Diese Arbeit wird bei der Interpretation der einzelnen Stücke auch die Gelegenheit bieten, jenseits der hier entworfenen Typologie und Nomenklatur nach der Funktion, Reichweite und Verschränkung 595 der soeben vorgestellten For- 594 So Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen 2 2003, 360 f. und genauer Dobrov 2001: 18 f. 595 Ann G. Batchelder vermeidet den Ausdruck ‚Metatheater‘ und gebraucht nur an zwei Stellen „metatragic“ in einem Zitat aus Charles Segal für die metatragische Symbolik der Urne in Sophokles’ Elektra (The Seal of Orestes. Self-Reference and Authority in Sophocles’ Electra. Lanham 1995, 6, 35), also im hier als allgemeinsten ausgemachten Sinne, der Fiktionalitäts- 3.3 Metatheater als poetische Transgression 195 men dramatischer Metapoetizität zu fragen. Rush Rehm vertritt die These, das Metatheater der attischen Tragödie operiere angesichts ihrer starken soziopolitischen und religiösen Einbettung nicht so sehr auf einer ästhetischen Ebene (d.h. dem theatralischen Spiel um seiner selbst willen) und weise auf keine „Krise der Repräsentation“ hin, bei der sich das Drama auf seine eigene und andere Aufführungen beziehe und so einer eskapistischen reinen Unterhaltung diene. Vielmehr fessele es den Zuschauer durch eine besondere Darstellung an den Gegenstand und schärfe sein Bewußtsein für die theatralische Bedeutungsemergenz und vertiefe deren Dimensionen (2002: 23). Lassen wir entsprechend dem semiotischen Ansatz dieser Arbeit die kontextuellen Aspekte beiseite, so läßt sich Rehms Ansatz einer Erweiterung der dramatisch-mimetischen Semiose sicherlich erfolgversprechend weiterverfolgen. Das Verhältnis zwischen dieser und der dramatischen Metapoetik kann hierbei affirmativ oder ironisch sein und somit ganz neue Möglichkeiten der dramatischen Ironie eröffnen. Eine Anbindung an die dramatische Semiose ist vor allem bei kleinschrittigeren Formen der dramatischen Metapoetik hermeneutisch sinnvoll. Ist eine derartige Sinngebung bei größeren, das ganze Stück betreffenden nicht möglich, spricht m.E. nichts dagegen, Formen dramatischer Autoreferentialität als Akt poetischer Souveränität stehen zu lassen, wofür allein der thetisch-deiktische Charakter des Theaters spricht. Es bleibt im Einzelfall zu prüfen, inwieweit der so entstandene Riß in der Mimesis und Abstand des Rezipienten vom Geschehen eine reflexive Distanz erzeugt. Neben der Funktion des Metatheaters ist abschließend noch ein Wort zu seinen Mitteln angebracht, d.h. denjenigen Vehikeln, welche die dramatische Illusion thematisieren oder gar durchbrechen. Hierbei scheint das Konzept des shifters aussichtsreich zu sein, das Roman Jakobson entwickelt hat, der ja bereits eingangs dieses Kapitels für die Konzeptualisierung sprachlich-literarischer Selbstreflexion bemüht wurde. Shifter diskutiert der russische Sprachwissenschaftler im Zusammenhang mit der doppelten Funktion von Botschaft und Code, die gebraucht werden oder Gegenstand der Referenz sein könnten. Er fährt fort: „Thus a message may refer to the code or to another message, and on the other hand, the general meaning of a code unit may imply a reference (renvoi) [Kurs. im Orig.] to the code or the meaning.“ Zur letzteren Gruppe zählen die shifter. Unter ihnen versteht er in Anknüpfung an seine Vorgänger eine besondere Klasse grammatischer Einheiten, deren allgemeine Bedeutung nicht definiert werden kann, ohne daß man sich auf die Botschaft bezieht, und führt als Beispiele die Personalpronomina an. 596 Diese Bestimmung der shifter über die Personalpronomina wurde von Claude Calame auf die Analyse der griechi- thematisierung in einer dramatischen Gattung. Wenn sie Aigisth und Orest in der von ihr untersuchten Tragödie als zwei konkurrierende Dramatiker vor dem Hintergrund der früheren Behandlungen dieses Stoffes beschreibt (1995: 2, vgl. 6), so dient die Intertextualität dem Herauspräparieren des Intratheaters. Ähnliches wird die Interpretation der vorliegenden Arbeit von Euripides’ Medea, aufbauend auf Hopmans Rekonstruktionen zur Mythopoiesis der Kolcherin, zutage fördern (s. 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression und teils auch 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason). 596 Russian and Slavic Grammar. Studies 1931-1981. Berlin 1984, 41-58, h. 41-43. 3. Poetisch-ästhetische Dimensionen der Transgression 196 schen Literatur übertragen. 597 Unter Berufung auf Jakobson und Calame hat Anton Bierl die shifter-Theorie auf das antike Drama und hier konkret die doppelte Rolle des Chores als Teil der Mimesis und deren Indikator bezogen. Diese Funktion geschehe über shifter wie das Präsens und die deiktische Referenz auf die Gegenwart, die Bezüge zur Gegenwart der Aufführung herstellten. 598 Diese shifter können dabei aber auch die mimetische Illusion durchbrechen und damit als Vehikel des Metatheaters im engeren Sinne dieser Arbeit fungieren. Mit Jakobsons referierter Systematik, die auch den Bezug einer Botschaft auf eine andere kennt, kann aber zusätzlich ein intertextuelles Phänomen wie das Intertheater, aber auch das Intratheater erfaßt werden, das auf einer kleineren Ebene ähnlich wie das Metatheater funktioniert. Neben den Funktionen der dramatischen Metapoetik gilt es also auch im Verlaufe dieser Arbeit nach deren Mitteln Ausschau zu halten. 597 The Craft of Poetic Speech in Ancient Greece. Translated from the French by Janice Orion. Preface by Jean-Claude Coquet. Ithaca 1995, 5-10. Mein knappes doxographisches Referat greift hier aus Calames komplexer Erörterung nur die Punkte heraus, welche für die vorliegende Arbeit relevant sind. 598 Der Chor in der Alten Komödie. Ritual und Performativität. Unter besonderer Berücksichtigung von Aristophanes’ Thesmophoriazusen und der Phalloslieder fr. 851 PMG. Habil. Leipzig 1998. BzA 126. München 2001, 18 f. und 38 f. Teil II: Exemplarische Einzelinterpretationen Die strukturalistisch-semiotische Deutung des antiken Dramas anhand der Transgression soll an exemplarisch ausgewählten Stücken vorgeführt werden. Jeder große Dramatiker wird mit mindestens einem Schauspiel vertreten sein. Auf diese Weise soll das jeweils typologisch Neue gezeigt werden, das dieser Ansatz an Einzeldramen beleuchten kann. Dies geschieht am besten an Stücken, die bereits über eine reiche Auslegungsgeschichte verfügen. Im Dialog mit ihr können textnah der heuristische Mehrwert der gewählten Herangehensweise sowie die Funktion und Interaktion der geschilderten Analysefiguren Transgression, Eliminierung, Tragik und Metatheater beleuchtet werden. Sie bilden die Leitlinien der Interpretation und die Kristallisationspunkte für die Unterkapitel innerhalb der Besprechungen der einzelnen Stücke. Ihre Anordnung folgt nach einem Einleitungskapitel, welches für das betreffende Drama das Analyseraster dieser Arbeit mit den Fragestellungen der bisherigen Forschung ins Gespräch bringt sowie die Personenkonstellation und den globalen Handlungsverlauf skizziert, grosso modo dem Dramenverlauf. Dies gilt sowohl für die textnahe Besprechung einschlägiger Einzelszenen als auch für die sich anschließenden synthetischen Kapitel der Globalbesprechung, sofern sich eine solche Unterteilung in diese zwei Hauptteile als sinnvoll erweist (so bei Euripides’ Medea und Senecas Phaedra). Jede Besprechung folgt grob thematischen Blöcken, die, wie angedeutet, um Transgression und Eliminierung bzw. Doppelung und Restauration und ggf. deren Spezifika wie Tragik, Monstrosität und Extravaganz gruppiert werden, also den Stationen, die nach Auffassung dieser Arbeit die Handlung kausal und chronologisch strukturieren. Denn die Abfolge der Szenen ist nicht bloß eine Frage der linearen Reihung, vielmehr ist die syntagmatische Verkettung der Szenenarchitektur - entsprechend dem Verständnis der Handlungsstruktur (s. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur in der Einleitung) - nicht nur kausal und chronologisch, sondern auch paradigmatisch relevant. Erfolgt eine Unterteilung in Einzel- und Globalbesprechung, werden intratheatralische Züge bei den betreffenden Einzelszenen im Zuge der Besprechung des Handlungsverlaufs beleuchtet und das Metatheater Teil der Globalbesprechung sein. 1. Aischylos’ Perser: Transgression zwischen Topologie und Theologie, Poetik, Politik und Pädagogik . (Heraklit DK 22 B 43) 1.1 Forschungsstand, Aufbau, Narratologie und Perspektive Aischylos’ Perser aus dem Jahre 472 v.Chr. sind nicht nur die älteste erhaltene Tragödie, sondern eine, die bis in die Gegenwart eine Vielzahl unterschiedlichster Deutungsansätze erfahren hat, die sich grob in drei Gruppen gliedern lassen: Den traditionell-tragischen 1 und universalhumanistischen Deutungen stehen spezifischere gegenüber. Sie sind teils politisch und orientalistisch. 2 Vor einem anderen Hintergrund, nämlich Ritus, Mythos und Religion stehen eine rezente ritualpoetische 3 und, darauf aufbauend, eine ritualmythologische. 4 In ihr ist bereits die dritte, die literaturwissenschaftliche Ebene faßbar: Sie vertreten jüngst eine erinnerungspoetisch-hermeneutische und poetologische 5 sowie eine narratologisch-emotionsästhetische 6 Interpretation. Als vierte Methode ist eine psychoanalytische Herangehensweise an die Perser versucht worden. 7 Die teilweise nicht unerheblichen Widersprüche dieser unterschiedlichen Lesarten beruhen - 1 Sie stellt Manfred Joachim Lossau, Aischylos. Studienbücher Antike 1. Hildesheim, Zürich, New York 1998, 34-42 zusammen. 2 Edith Hall, Inventing the Barbarian. Greek Self-definition through Tragedy. Oxford 1989 = 1991, 56-100. Thomas Harrison, The Emptiness of Asia. Aeschylus’ Persians and the History of the Fifth Century. London 2000. Zum Orientalismus vgl. Isolde Kurz, Vom Umgang mit dem anderen. Die Orientalismus-Debatte zwischen Alteritätsdiskurs und interkultureller Kommunikation. Würzburg 2000, h. 11- 35, 111-231. 3 Susanne Gödde, Zu einer Poetik des Rituals in Aischylos’ Persern. In: Ds., Theodor Heinze (Hgg.), Skenika. Beiträge zum antiken Theater und seiner Rezeption, Darmstadt 2000, 31-47. 4 Anton Bierl, Zwischen dem Selbst und dem Anderen. Aischylos’ Perser und das Politische in der griechischen Tragödie. In: Erika Fischer-Lichte Matthias Dreyer (Hgg.), Antike Tragödie heute. Vorträge und Gespräche zu den Antike-Inszenierungen am Deutschen Theater. Blätter des Deutschen Theaters 6, 2007. Berlin 2007, 47-62, v.a. 61 f. Dem Autor bin ich sehr dankbar für die frühe Überlassung eines Sonderdrucks seines Beitrags, der meine eigene Gedankenentwicklung sehr angeregt hat, selbst wenn ich dabei teils zu anderen Ergebnissen gelangt bin. 5 Jonas Grethlein, The Hermeneutics and Poetics of Memory in Aeschylus’ Persae. Arethusa 40 (2007) 363-396. Nur auf den Aspekt der memoria und Vergangenheitskonstruktion hebt Ds., „Tragedy: Aeschylus, Persae“, in: Ds. The Greeks and their Past. Poetry, Oratory and History in the Fifth Century BCE. Cambridge 2010, 74-104 ab. 6 Marianne I. Hopman, Layered Stories in Aeschylus’ Persians. In: Jonas Grethlein, Antonios Rengakos (Hgg.), Narratology and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature. Berlin 2009, 357-376. 7 Richard Francis Kuhns, Loss and Mourning in Aeschylus’ Persians. In: Ds., Tragedy. Contradiction and Repression. Chicago 1991, 11-34, h. 12: „My method will be largely psychoanalytic […].“ , 1. Aischylos’ 200 mit Ausnahme des Orientalismus - auf verschiedenen Deutungsebenen und können teilweise durch eine Lesart der struktural-handlungstheoretischen und poetischen Transgression aufgehoben werden. Diese Harmonisierung ist nur möglich, wenn die einzelnen referierten Deutungen in sich konsistent sind, und schließt deshalb Kritik im Einzelfall nicht aus. Bereits bei der „klassischen“ Frage nach Aufbau und Anlage des Dramas, die schulmäßig am Anfang jeder Interpretation steht und maßgeblich für deren Perspektive ist, erweist sich ein theatersemiotischer Ansatz als fruchtbar, auch und gerade in Abgrenzung und Eingliederung historischer, ritualorientierter und orientalistischer Lektüren. Seit Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs Urteil, die Perser zerfielen in drei in sich geschlossene Akte, die nur „unzureichend“ verbunden seien, schwebt über der Handlung der Perser das Verdikt der fehlenden Stringenz, 8 das noch bis zu Bierls ritualmythologischer Lektüre von Aufbau und Anlage der Perser aus dem Jahre 2007 nachzuwirken scheint. Daß hinter Tod, Opfer und Trauerritualen eine Tendenz zur Auflösung stehe, die sich auch auf die Zwangsverbindung der Kontinente durch die Schiffsbrücke und die Sprache erstrecke, die in unartikulierte Trauerlaute zerfalle, 9 ist eine richtige Beobachtung, gerade im Bereich der sprachlichen Ordnung, deren signifiants keine referentielle, sondern nur noch eine expressive Funktion ausüben. Doch berücksichtigt Bierls These von der „multiperspektivische[n]“ (59) und „prädramatischen Performance“ (2007: 61) die Integrations- und Gestaltungskraft der im Stück selbst vorgetragenen tragisch-theologischen Deutung nicht. Sie erscheint bei der Beschreibung von Dareios’ nekromantischer Epiphanie „als unerwartete[n] Deutung im Muster griechischer Theo-Ideologie“ bloß in einem Satz (Bierl 2007: 61). Zweimalig wird bei der Schilderung, wie die persische Macht sich auflöse (v. 591- 597), das Verb gebraucht. Doch bietet der Text keinerlei Hinweise darauf, daß diese Wortwahl auf die dionysische Lysis Bezug nehme, d.h. die Konjunktur aktualisiert nicht diese Elemente der semantischen Struktur. Der son hat in diesem Kontext keinen rituellen sens, die konkrete kulturelle Bedeutung ist eine bloß an den Wortkörper geknüpfte Assoziation. Vielmehr weist Bierl selbst zu dieser Stelle auf den politischen Hintergrund der Isegoria hin. 10 Da die Ursachen der Auflösung in der frevelhaften Überschreitung der Meerengen liegen, kann die hier vorgelegte semiotisch-strukturalistische Interpretation eine Erklärung für die von Bierl beschriebenen Phänomene liefern: Die Trauer, die sich lebensweltlich-kultureller Formen bedient, 11 reagiert auf die Eliminierung und Integritätsverletzung, welche die Transgression verursacht hat. Um „das ganze Funktionieren dieser Tragödie [zu] erklär[en]“, bedarf es also keines Rückgriffs auf „die rituelle Einbindung in den Dionysoskult“. 12 8 Die Perser des Aischylos. Hermes 32 (1897) 382-398, h. 382. 9 Bierl 2007: 59 f. 10 Bierl 2007: 59 f. 11 Vgl. Bierl 2007: 55. 12 Bierl 2007: 54. 1.1 Forschungsstand, Aufbau, Narratologie und Perspektive 201 Über das Konzept der dionysischen Performance bestimmt Bierl 2007: 54 auch die „prädramatische Theaterform“ bei Aischylos, „die nicht Charakter und Handlung in den Vordergrund rückt, ebenso wenig auf deutlicher Fiktion, Repräsentation oder thetischer Aussageintention beruht, sondern als bildgesättigte Performance Ethos und Pathos vermittelt.“ Was die Fiktionalität betrifft, so fehlen metafiktionale, d.h. metatheatralische (nicht intratheatralische, s. 1.7 Nekromantie als Intratheater und Dareios’ Geist als Gott-Vater) Elemente in diesem Drama gänzlich. Daß der Perserkönig gleichzeitig „im Hier und Jetzt“ ein athenischer Bürger ist, 13 wird nirgends metatheatralisch evoziert und wird der komplexen interkulturellen dramatischen Semiose dieser Tragödie nicht wirklich gerecht. Charakter bzw. individuelle Dispositionen und Handlung einer Figur, des Perserkönigs Xerxes, prägen den für das Stück konstitutiven Akt der Transgression. Die These, die Szenen des Stücks seien „nur assoziativ verbunden[en]“, 14 mag für sich bei der Artikulation der Einzelszenen stimmen, trägt jedoch nicht der inneren Logik des Gesamtaufbaus Rechnung, der einer folgt. 15 Daß das Stück handlungsarm ist, liegt nicht etwa an einem prädramatischen, 16 sondern analytischen Charakter. 17 Eine gewisse archaische Statik des Verlaufs ist sicherlich mit dem Fehlen des dritten Schauspielers zu erklären und ein Merkmal des Frühdramatischen, nicht des Prädramatischen, das besser geeignet ist, um die Vorformen des attischen Dramas zu charakterisieren. Die Niederlage der Perser bei Salamis durchläuft im Verlaufe des Stücks verschiedene Stadien im Bewußtsein der Akteure: Sie wird zuerst als Antwort auf banges Fragen durch einen Boten erfahren, dann von Dareios’ Geist erklärt und schließlich von Xerxes und dem Chor rituell „bewältigt“ bzw. emotional verarbeitet. Diese Entfaltung schlägt sich lexikalisch im Verb in Atossas Aufforderung an den Boten nieder, das gesamte Leiden zu entrollen (v. 294 f.). Diese Entfaltungsmetapher ist in gewisser Weise das Gegenstück und die Vorbereitung zum Motiv des Risses und Zerreißens (s. 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung). Bei der mentalen Entfaltung des Geschehens findet ein Staffelwechsel der Perspektive innerhalb des Hofes und der königlichen Familie statt, der das Geschehen des Heerzuges immer näher 13 Bierl 2007: 59. 14 Bierl 2007: 59. 15 Zum komplexen und harmonischen Aufbau der Perser s. Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 2 1956, 61 f. In der dritten Auflage von 1972 gibt er Wilamowitz’ Kritik an der Konsistenz des Aufbaus teilweise recht. 16 Erratisch-apodiktisch bleibt auch Hans-Thies Lehmanns These, nicht nur die frühesten rekonstruierten dramatischen Aufführungen der Griechen (so die Auffassung der Altertumswissenschaft), sondern das gesamte Theater müsse als „prä-dramatisch“ begriffen werden (Theater und Mythos. Die Konstitution des Subjekts im Diskurs der antiken Tragödie. Teilw. zugl. Habil. Gießen [s.a.]. Stuttgart 1991, 2). 17 Diesen kognitiven Aspekt, der mit der Nachricht von der Niederlage beginne und einer einseitig orientalistischen Deutung widerrät, stellt auch Markus Schauer, Tragisches Klagen. Form und Funktion der Klagedarstellung bei Aischylos, Sophokles und Euripides. Diss. München 2001. Classica Monacensia 26. Tübingen 2002, 60 f. heraus: „Das gesamte Handlungsgeschehen der stellt einen sich nach und nach vollziehenden Erkenntnisprozeß dar, […].“ Persae 202 bringt: Vom Chor der Berater zur Königinmutter Atossa, von ihr zum verstorbenen Regenten Dareios und dann zu Xerxes als dem Akteur des Zugs. Hierbei beschreibt das Stück als einzige Handlung eine gegenläufige Bewegung zur Transgression, nämlich die Rückkehr des Boten und des Königs selbst. Diese Regression ist neben der Anagnorisis ein weiteres Element der Restauration. Hierbei wird mit Xerxes’ Rückkehr auch die Lücke geschlossen, die sein Griechenlandzug am Hof hinterlassen hatte. Atossas Nekromantie mutet wie der Versuch an, die vakante Stellung des Patriarchen zu besetzen. Daß es sich dabei um ihren verstorbenen Gatten handelt, erspart eliminatorische Vater-Sohn-Konflikte, wie sie nach Phaidras gleichgerichtetem Versuch Theseus’ Rückkehr mit seinem Sohn bei Euripides und Seneca verursacht, offenbart aber auch die Unzulänglichkeit ihres Sohnes. Aischylos’ Perser sind nicht nur die erste, sondern überdies die einzige vollständig erhaltene Tragödie, die ein zeitgeschichtliches Ereignis auf die Bühne bringt. Dieser Mythos, der nicht auf Erzählungen aus grauer Vorzeit, sondern auf die als zeitgenössisch erlebte, außerliterarische Gegenwart referiert, gibt den Stoff für eine komplexe Gestaltung des Chronotopos vor, welche die Handlung strukturiert. Dieses zeitgeschichtliche Thema präjudiziert jedoch noch keine rein politische Lektüre, wie sie etwa Thomas Harrison anhand von Herodot und Thukydides unter Absehen von sämtlichen dramatischen und literaturwissenschaftlichen Kategorien vornimmt. Die nächste Vergleichsfolie liefern die - leider nur fragmentarisch überlieferten - übrigen Tragödien, die ebenfalls zeithistorische Themen der Perserkriege behandeln (Phrynichos’ Einnahme von Milet und Phönissen), sodann in konzentrischen Kreisen der Gattungsverwandtschaft die Behandlung dieses Themas in anderen literarischen Genres wie Epigramm, Chorlied und Elegie (s. dazu Hopman 2009: 360 f.). Dann erst folgen die Historiker als Kontrastfolie der geschichtlichen Darstellung. 18 Die Lizenzen gegenüber dem Zeitgeschehen, die ein Vergleich mit der Version der Historiker ermitteln kann, lassen schließlich auf einen klaren dichterischen Gestaltungswillen in der Deutung der Ereignisse schließen. 19 Handlung und Chronotopos sind mit diesem Stoff jedenfalls eindeutig umrissen: Es geht um Xerxes’ Zug nach Griechenland, seine Überschreitung der Meerengen, die Asien von Europa trennen, und seine Niederlage bei Salamis. 20 In diese Geschehnisse sind mit Vor- und Rückblicken die Niederlagen der Perser bei 18 Vgl. Emma Clough, Bryn Mawr Classical Review 2001.04.09. Rez. Thomas Harrison, The Emptiness of Asia. Aeschylus’ Persians and the History of the Fifth Century. London 2000. 19 Barbara Court, Die dramatische Technik des Aischylos. Diss. Köln 1994. Stuttgart; Leipzig 1994, 43-66. So auch Desmond J. Conacher, Aeschylus. The Earlier Plays and Related Studies. Toronto (1974) 1996, 3 f. Diesen verkennt Harrison 2000: 85 gänzlich, wenn er den Chor tadelt, weil er durch die Nekromantie den Respekt für Dareios auf dessen Sohn Xerxes übertragen habe, wo Dareios doch für die Niederlage von Marathon verantwortlich sei. Daß das Stück diese Kausalität unterschlägt, dient der Kontrastierung von Vater und Sohn, was Harrison denn auch mit Suzanne Saïd einräumt und mit zwei kaum überzeugenden Gegenbeispielen aus dem Feld zu schlagen sucht. 20 Dies ist nach Föllinger 2003: 241 (s.d. für die einzelnen Angaben der Sekundärliteratur und deren Differenzierung im Detail) die communis opinio, die zusätzlich Xerxes’ Handeln als bzw. aus Hybris erkläre. 1. Aischylos’ 1.1 Forschungsstand, Aufbau, Narratologie und Perspektive 203 Marathon (v. 474 f.) und Plataiai (v. 816 f.) gespiegelt. Daß von diesen epochalen Schlachten Salamis zum Thema der Tragödie erhoben wurde, läßt sich auf der bühnenpragmatischen Ebene sicherlich vielfältig innenpolitisch ausdeuten (Harrison 2000: 85), kann jedoch bereits im zeitgeschichtlichen Stoff verankert werden, der selbst einen Bezug zur Transgression und zum Theater herstellt: Nur bei dieser Großschlacht hatte ein Perserkönig die Meerengen zwischen Europa und Asien überschritten 21 und war unmittelbar als Zuschauer (v. 465) und nicht als Kombattant zugegen. Die erzähltechnische Transgression der Chronologie, welche diese Fokussierung der Schlachten mit sich bringt und die ein aus der Odyssee bekanntes Verfahren aufgreift, geht mit einer weiteren narratologischen Verfeinerung einher: Wir haben es, wie oben bereits angedeutet, mit einem analytischen Drama zu tun. Anders als im OT, wo erforschte und erforschende Handlung um Jahre auseinanderklaffen, schafft zeitgeschichtliche Thematik eine größere zeitliche Nähe des nur wenig später berichteten Geschehens zur fragenden Bühnenhandlung. 22 Die Handlung gliedert sich so in zwei Stränge: Xerxes’ Niederlage in Griechenland wird von der eigentlichen Handlung auf der Bühne, die nach Susa verlegt ist, erfahren, gedeutet und betrauert. Daß die Daheimgebliebenen noch nichts von der Niederlage wissen, ist eine Neuerung gegenüber Phrynichos’ Phoinissai 23 und eine weitere Verfeinerung der künstlerischen Gestaltung. 24 Xerxes’ Rückkehr nach Susa vereint die beiden Handlungsstränge. 25 Auf der Ebene der Dynamik der Figurenpragmatik ist der Chor das integrative Rückgrat der Handlung. Er interagiert mit sämtlichen drei Mitgliedern des Königshauses, deren Auf- und Abtritt die Tragödie in drei Teile gliedert, die jeweils von einem Achämeniden dominiert werden: Zuerst tritt Atossa als einzige daheim verbliebene Vertreterin des Herrscherhauses auf (v. 155-680), dann beschwört sie Dareios’ Geist herauf (v. 681-851). Nach dem gleichzeitigen Abtritt der beiden Eltern beherrscht Xerxes’ Leiden die Bühne (v. 908-1077). Diese eher formal-rezeptionsästhetische Gliederung nach aufmerksamkeitsbindenden Figuren deckt sich nur im letzten Teil mit der ebenfalls dreigliedrigen Einteilung nach mimetischen Hinzutritten, die Topologie und Hodologie für die Handlung relevant machen. Beide Gliederungsschemata verleihen der Tragödie eine Dramaturgie der Kontingenz und Emergenz, die auf der formalen Seite die im Drama drastisch erfahrene Kontingenz der militärischen Katastrophe spiegelt. Die eigentliche Bühnenhandlung kann gemäß diesen topo- und hodologischen Kriterien nach zwei Hinzutritten von außen in drei Großabschnitte geglie- 21 Xerxes’ Griechenlandzug ist somit spektakulärer als Dareios’ Feldzug gegen die Skythen, den Aischylos’ dramatische Gestaltung geflissentlich verschweigt (Conacher 1996: 8) (s. 1.8 Xerxes). 22 Nach Conacher 1996: 15 ist die Niederlage zum Zeitpunkt des Bühnengeschehens bereits eingetreten. 23 Hopman 2009: 371 Anm. 24. 24 Zur kunstvollen Dramaturgie und zum reifen Aufbau der Perser, die keineswegs die Züge eines Frühwerk trügen, s. William G. Thalmann, Xerxes’ Rags. Some Problems in Aeschylus’ Persians. AJPh 101 (1980) 260-282, h. 260 f. Zum Aufbau der Perser und v.a. den auch von Thalmann debattierten Abtritten Atossas s. Court 1994: 19-43. 25 So auch Hopman 2009: 358, 363 f., die von „War Story and Pothos Story“ spricht. 204 dert werden: Den ersten füllen das Bangen und die düsteren Erwartungen der Daheimgebliebenen (v. 1-245), der zweite umfaßt die Nachricht von der Niederlage, die ein Bote überbringt, und deren Deutung durch die Daheimgebliebenen (v. 246-906), der dritte wird schließlich durch Xerxes’ Rückkehr eröffnet, deutlich markiert durch den gleichzeitigen Abtritt seiner Mutter, der sogar einen Wechsel des Protagonisten mit sich bringt, und bietet die endgültige hermeneutisch-pragmatische und rituelle Bewältigung der Niederlage durch Xerxes und den Chor (v. 908-1077), die ein Trauerspiel im eigentlichen Sinne ist. Diese drei Schritte des Handlungsverlaufs der Tragödie entsprechen dabei dem Schema Transgression, Eliminierung und rituelle Neujustierung der inneren Ordnung, an dem sich auch grob der Aufbau der vorliegenden Untersuchung orientiert. Der zweitgenannte Schritt zerfällt in eine Darstellung in Form eines Botenberichts und eine tiefere Deutung durch eine Nekromantie des toten Dareios, die als Intratheater eine Form der dramenpoetischen Transgression ist. Dabei stehen der Transgressor Xerxes und die Rolle von Tragik und Jugend bei seiner Transgression im Mittelpunkt. Als vierter Punkt folgt die eher spekulative Frage nach der Botschaft und der möglichen Wirkung der Perser. Sie ist mit der Perspektivierung der ethnischen Alterität verwoben, die den orientalistischen Thesen zugrunde liegt und welche als Fragestellung auch die vorangehende Besprechung der Tragödie begleiten wird. Doch vor dem Eintritt in den Verlauf und die Wirkung des Dramas müssen dessen perspektivische und theatersemiotische Grundgegebenheiten erörtert werden, zu denen das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem, aber auch konkreter die Verlagerung der Bühne ins ferne Susa als weitere Form der dramenpoetischen Transgression gehört. 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem In den Persern funktioniert die dramatische Semiose über ein komplexes Wechselspiel zwischen dem Eigenen und dem Fremdem, dem Anwesenden und Abwesenden, nah und fern, Vergangenem und Gegenwärtigem, das, wie im weiteren Verlauf der Interpretation zu zeigen, der dramatischen Semiose und Kommunikation einen reflexiven Charakter verleiht. Bei diesem Wechselspiel handelt es sich um eine besondere Darstellung des zeitgeschichtlichen Stoffes und seiner Elemente, die es kongenial organisiert, es ist aber nicht durch diesen Stoff vorgegeben. Die zeitgeschichtliche Thematik macht die Perser noch über das theatralische Gattungskonstituens hinaus in besonderer Weise zu einer Tragödie der Gegenwart und Gegenwärtigkeit und bezieht die Zuschauer in einem viel größeren Maße als ein mythologischer Stoff ein. Die Figuren auf der Bühne sind ihre Zeitgenossen, sie selbst figurieren in den Botenberichten und haben das referierte Geschehen selbst erlebt. Die Gestaltung des Dramas läßt sich deshalb nur dann in voller Tiefe begreifen, wenn man zusätzlich zu der in dieser Arbeit favorisierten Werkästhetik auch bühnenpragmatische Gesichtspunkte und den historischen Erfahrungshorizont der Zuschauer berücksichtigt. Denn vor allem die Rezeptionsästhetik ist hier anders als bei den mythologischen Stoffen nicht 1. Aischylos’ 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem 205 bloß hypothetisch, sondern wird durch die Zeitzeugenschaft des Publikums nahegelegt. 26 Solche Lesarten können, wenn sie sich am Text festmachen lassen, ohne die sichere Antwort auf die produktionsästhetische Frage bestehen, ob sie denn auch vom Tragiker intendiert seien. Die Verankerung im Text ist dabei eine methodische condicio sine qua non. Alle rezeptionsästhetischen Erwägungen, die sie nicht erfüllen, sind von stark verminderter Evidenz gegenüber allen Auslegungen, welche dieser Forderung genügen, da sie ins Spekulative abzugleiten drohen. Die Nachrichten über die Reaktionen des historischen Publikums bieten dagegen kaum eine belastbare Grundlage. Daß Phrynichos wegen der Darstellung heimischer Übel in der Einnahme Milets mit einer Geldstrafe belegt wurde (Hdt. 6.21.2), zeigt jedenfalls, auf welche Empfindlichkeiten eine Tragödie mit einem Stoff aus den Perserkriegen Rücksicht zu nehmen hatte, doch bleibt der solchermaßen abgesteckte Rahmen so weit, daß er der Interpretation kaum weiterhilft. 27 Daß Aischylos’ Tetralogie dagegen den ersten Preis gewann, ist kein sicheres Indiz dafür, daß die Perser einen (vermeintlichen) Chauvinismus des attischen Publikums bedient hätten, 28 da diese politische Tra gödie von drei mythologischen Stücken eingerahmt wurde (Phineus, Glau kos Potnieus sowie dem Satyrspiel Prometheus Pyrkaios). 29 Diese Selbstadressierung ist in das eingangs erwähnte Wechselspiel zwischen Eigenem und Fremdem eingebettet: Bei den Orten und Personen stellt das Gegenwärtige und Eigene das Abwesende und Fremde dar, das seinerseits das Eigene und das historisch-dramatische Ereignis erfährt, deutet und verarbeitet, das mit der eigenen Beteiligung und in der unmittelbaren räumlichen Nachbarschaft zur Spielstätte geschehen ist. Hierbei wird ersichtlich, daß die theatralische Darstellung die militärischen Kontrahenten, die in der historischen Realität physisch in engstem Kontakt standen, weit trennt und sie nur in der Erzählung aufeinander treffen läßt. Die Tragödie verfährt also bildlich gesprochen wie ein Ringrichter, der zwei Boxer in ihre jeweilige Ecke schickt. Das Wechselspiel (oder, um der variatio halber eine weitere Sportmetapher zu wählen: Ping-Pong- Spiel) der literarischen Darstellung zwischen Eigenem und Fremdem schafft so eine reflexive Distanz. Die in der mimetischen Fremde gesprochenen Worte richten sich nicht nur binnenpragmatisch an die dargestellten Fremden, sondern bühnenpragmatisch an das eigene Publikum. Insgesamt stellt das Eigene das Fremde dar und wird doch von diesem gespiegelt; das so erzeugte Bild steht nicht isoliert für sich, sondern wird auf das eigene Publikum zurückgeworfen. Daraus läßt sich für die Interpretation der Tragödie die konkrete Hypothese 26 Harrison 2000: 56 versteigt sich allerdings zu der Spekulation, daß die Schauspieler für die Verse, die Athen loben (v. 230-245), noch heute bei einer Aufführung dort Szenenapplaus bekämen. 27 Vgl. dazu Christopher Pelling, Aeschylus’ Persae and History. In: Ds. (Hg.), Greek Tragedy and the Historian. Oxford 1997, 1-19, h. 18. 28 Allerdings bringt dieses Argument nicht einmal Harrison vor, der bei der eigentlichen Analyse der Tragödie oft sehr am Text vorbei interpretiert. Er ist sogar skeptisch gegenüber dem Argument, die Erstplazierung der Trilogie bürge für die historische Authentizität der Perser (2000: 27 f.). 29 Für die Rekonstruktion der Zusammensetzung der Tetralogie und ihren inneren Zusammenhalt s. Föllinger 2003: 239 f. 206 ableiten, daß die Darstellungsweise der Perser auch dazu dient, Einfluß auf die im Theater versammelten attischen Zuschauer zu nehmen. Die komplexe Perspektive des Dramas mit einem fremden Binnen- und einem eigenen Bühnenpublikum schafft vielfältige Möglichkeiten zu Doppelbödigkeit und Reflexion der Theatersemiose. So wertet Grethlein (2007: 374) die divergierende Aufnahme als metapoetisch, welche die persische Niederlage bei den drameninternen Adressaten am Achämenidenhof und dem intendierten Athener Publikum erfahren dürfte, was er auch am Text festmachen kann (v. 248: ; vgl. v. 1033 f.: XO.: / : - ’ ). Dies gelte auch für die Doppelbödigkeit des … in v. 759-761, das Xerxes nach Ansicht seines Vaters Dareios mit dem Leeren der Stadt Susa vollbracht habe. Diese Junktur spiele ironisch auf das epische (vgl. Il. 9.413) an, das sich die Griechen erworben hätten. Das Ausgreifen des Dramas in die historische Welt wird von zwei anderen dramaturgischen Figuren einer perruptiven Transgression flankiert und unterstützt, nämlich von der narratologischen Durchbrechung der linearen Temporalität und von der dramaturgischen Überschreitung des szenischen Raums. Beide Kunstgriffe brechen klare Zuschreibungen, Oppositionen und Identitäten auf. Diese Flexibilisierung oppositiver Identitäten ist von besonderem Interesse, da das Drama von scheinbar identitätsstiftenden Gegensatzpaaren aller Art durchdrungen ist: Griechenland und Persien, Europa und Asien, männlich und weiblich, alt und jung, Mensch und Gott. 30 Doch auch die lokale und zeitliche Präsenz des dargestellten Geschehens konterkariert seine szenische Distanzierung an den Achämenidenhof im fernen Susa und macht es damit zu einem idealen Vehikel potentiell pädagogischer Selbstreflexion kollektiver Identitäten. Identität und Alterität können so in ein facettenreiches Wechselspiel treten, statt einander in starren Oppositionen zu fixieren. Auch die Zeit ist, wie angedeutet, ähnlichen Verwerfungen ausgesetzt, wie sie die kataklystisch (un-)vermittelbaren ontologischen und topologischen Gegensätze betrifft. Dies mag bei einem zeitgeschichtlichen Drama, das temporale Immanenz verspricht, überraschen, wurde jedoch von Grethleins Untersuchung erhellt, welche die (inter)subjektive Konstruktion von Vergangenheit, die memoria, in den Blickpunkt rückt. Damit bietet er eine wertvolle Ergänzung zum Blick auf den Raum, den die Transgression ea ipsa einnimmt. Außerdem lassen sich Grethleins Beobachtungen auch für die Theatersemiose fruchtbar machen. Die Unüberbrückbarkeit, welche nach Auffassung der vorliegenden Arbeit die Transgression in geographisch-politischer Hinsicht offenbart, entdeckt Grethlein als Grundgegebenheit der Vergangenheitskonstruktion der Tragödie (2007: 368): „There is an unbridgable gap between events as they occur and events as they are reconstructed by memory and then unfolded in narrative.“ Dagegen sieht er (2007: 368) anhand des Stammes eine Entsprechung in der 30 So auch Nancy Sorkin Rabinowitz, Greek Tragedy. Malden, Mass. 2008, 90. Bei ihr fehlt der Gegensatz zwischen jung und alt, den Föllinger 2003 und die vorliegende Arbeit in den Mittelpunkt rücken. 1. Aischylos’ 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem 207 Reihung von Truppen und Bericht (v. 430: ). Die syntagmatische Reihung der Erzählung wird also nicht fragmentiert. Dies ergänzt die bisherigen Beobachtungen zum Funktionieren des theatersemiotischen Wechselspiels zwischen Eigenem und Fremdem. Die Unsagbarkeit und Unbeschreibbarkeit des Geschehens, die Grethlein aus der Perspektive der lückenhaften Erinnerung herausarbeitet (2007: 369 f.), bezieht sich auf die Eliminierung, die sich aus der Transgression ergibt, und reproduziert diese beiden Phänomene auf der Ebene der Sprache. Doch besiegelt dies nicht das Ende der Semiose, wie auch Grethlein - ohne semiotische Implikation - die diagnostische Funktion der vergangenen Ereignisse für die Gegenwart anhand von v. 818-826 herauspräpariert (2007: 370 f.), vielmehr werden (v. 819: ), so Dareios, die materiellen Reste der Eliminierung eine Warnung vor der Transgression ( ) bedeuten (v. 818-820). Die memoria wird also mit der Semiose konstruiert, die noch einen materiellen Sinnträger zugrunde legt. Auch bei der Binnenhermeneutik funktioniert die Theatersemiose also weiter. Von den zahlreichen Gegensätzen, welche die Tragödie behandelt, hat der ethnisch-kulturelle in der jüngsten Forschung die meiste Beachtung gefunden. Schon seit Anfang des 20. Jh.s bewegt die Frage die Gemüter, ob und inwieweit die Darstellung der Tragödie die siegreichen Griechen auf- und die geschlagenen Perser abwertet. 31 Die semantische Implikation oppositiver Identitäten erlangt damit eine besondere Brisanz. Die besagte Frage ist von humanistischen Gelehrten zumeist verneint worden, 32 während die unter dem Namen Orientalismus 33 firmierende, zu den postcolonial studies gehörende Richtung sie seit ihren Anfängen bejaht, so bereits der Vater dieser Richtung, Edward W. Said. 34 Die strukturalistische Semiotik liefert mit Saussures zwei jeweils in signifiant und signifié gehälfteten und einander an einer Spitze zugewandten Ovalen (vgl. CLG 99, dort allerdings in anderer argumentativer Funktion) ein Modell, um die Komplexität des Funktionierens und der Modalitäten der oppositiven Identitäten zu veranschaulichen. Entscheidend für die Beurteilung des möglichen Orientalismus der Perser sind etwa die Fragen, ob Orient und Okzident qua signifié nur zwei kontrastierende und durch Opposition abgegrenzte Modelle sind oder ob dieser Gegensatz objektiv wertend aufgeladen wird, ferner ob (auch in diesem Fall) zwischen dem Bild des Orients und Okzidents und ihren jeweiligen Bewohnern ein quasi essentialistisches Verhältnis konstruiert wird oder ob die Beziehung zwischen signifiant und signifié sich eher nach dem Saussureschen 31 Vgl. dazu Gödde 2000: 31-33. 32 Vgl. Gilbert Murray, Aeschylus the Creator of Tragedy. Oxford 1940, 127: „This greatness of spirit in Aeschylus’ treatment of the enemy remarkable.“ 33 Für eine umfassende Darstellung, Diskussion und Widerlegung der orientalistischen Perser- Interpretation s. Gödde 2000: 31-37. Ferner Mark Griffith, The King and Eye: The Role of the Father in Greek Tragedy. PCPhS 44 (1998) 20-84, h. 44-57. Alan H. Sommerstein sieht Widersprüche und orientalistische Merkmale beim Chor, gelangt jedoch bei seiner Synkrisis zu dem Ergebnis, daß die persischen Figuren nicht sonderlich schlecht gezeichnet seien (Aeschylean Tragedy. Bari 1996, 73-96, h. 96). 34 Orientalism. Western Conceptions of the Orient. London 2003, 21 und 56 f. 208 Postulat der Arbitrarität und Konventionalität gestaltet (CLG 100-102), die grundsätzlich eine Neuzuordnung erlauben. Daß das Drama auf die für die Binnenwie Bühnenpragmatik wohlfeile Interpretation einer essentiellen Überlegenheit der Griechen über die Perser verzichtet, ist ein bemerkenswerter, erklärungsbedürftiger Zug. Ein methodisches Defizit orientalistischer Ansätze bei der Auslegung der Perser besteht denn auch darin, daß sie den dialogischen Charakter der oppositiven Identitäten verkennen. Die im Dramentext massiv präsenten und für seine Semantik virulenten Gegensätze von Mensch und Gott, alt und jung geraten darüber in Vergessenheit und werden nur in die Deutung mit einbezogen, wenn sie in vermeintlich abschätziger Weise mit dem Grundgegensatz kombiniert werden (orientalischer Gottkönig, verweich/ blichte Orientalen). Der ethnisch Andere wird in den Persern unter dem Aspekt der militärischen Transgression, ja Aggression in den Blick genommen. Daß dies ebenso wie die Asymmetrie in Fakten und Legitimität zwischen Griechen und Persern bereits im zeitgeschichtlichen Stoff vorgegeben ist, wird von Aischylos’ orientalistischen Interpreten nicht hinreichend berücksichtigt oder sogar anachronistisch verkehrt. Mit einem Vergleich zu den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs öffnet Harrison 2000: 62 die Büchse der Pandora, kann man doch bei interepochalen Vergleichen trefflich salbadern, ohne zu einem wirklich einschlägigen Ergebnis zu gelangen, weil sich die Geschichte nie wiederholt. Den neuzeitlichen Aspekt von Harrisons Vergleich („Like the British in the dark days of Second World War (standing alone - except with the peoples of the Empire) the Greeks are all that lie between Xerxes and world domination“) mögen Berufenere beurteilen. Die Introspektion, die er hier ausgehend von seinem Eigenen statt der sonst üblichen Distanzierung wählt, lenkt im Falle der Griechen jedoch den Blick auf eine historische Konstellation, die von höchster Relevanz ist, um die Darstellungsweise der Perser in der gleichnamigen Tragödie sachgerecht einzuschätzen: In existentieller Not und unter Aufbietung aller Kräfte konnten die verbündeten griechischen Stadtstaaten des Festlandes den Angriff des Achämenidenreiches zurückschlagen, das sich als stolzer Erbe der orientalischen Großreiche inszenierte und deren Machtmittel aufbieten konnte. Dies wird auch in den Persern selbst deutlich (v. 33-57). Anders als Großbritannien in Harrisons Darstellung konnten ihnen dabei nicht einmal die eigenen Kolonien beistehen, da die Städte der Magna Graecia während des Xerxes-Feldzugs gegen Karthago zu kämpfen hatten. 35 Said berücksichtigt diese Ausgangslage, die doch alle Zutaten für dekolonialisierendes Befreiungspathos hat, nicht und sieht nur, daß - historisch korrekt - die Griechen als siegreich und die vormals siegreichen Perser - das stimmt nur bis 494 v.Chr. - als unterlegen dargestellt wurden (2003: 56). Die Perser mögen eine Station in der Entwicklung des westlichen Orientalismus sein, aber diese embryonalen Ansätze unterscheiden sich ebenso wie die histori- 35 Vgl. Hermann Bengtson, Griechische Geschichte von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit. HdA III.4. München 5 1977, 170, 185. Diese Doppelbedrohung bestand unabhängig davon, ob die „beide[n] Aggressionen […] aufeinander abgestimmt [waren], wie Bengtson meint (S. 185), und auch unabhängig von dem orientalistischen Pathos des nicht näher gekennzeichneten Mommsen-Zitats, das Bengtson dort bemüht. 1. Aischylos’ 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem 209 sche Situation von dem, was in seinen späteren Ausformungen die Bezeichnung ‚Ideologie‘ verdient, weil dieses Spätere nicht mehr auf die Abwehr eines benachbarten östlichen Aggressors, der nur durch zwei Meerengen getrennt war, sondern auf die Unterwerfung orientalischer Völker abzielte, die durch immer größere Gewässer von dem ‚Westen‘ getrennt waren (Alexanderzug, Kreuzzüge, Kolonialismus). 36 Insofern ist der Fokus auf der Transgression der Meerengen, den die vorliegende Arbeit in der Darstellung der historischen Ereignisse in den Persern hervorhebt, für das Verständnis der Tragödie wie für die historischdiachrone Differenzierung des mentalitätsgeschichtlichen Modells ‚Orientalismus‘ erhellend, indem es anachronistische Rückprojektionen subvertiert. Die in den Persern anklingenden Bemühungen Athens, mit Hilfe des attischdelischen Seebundes die kleinasiatischen Griechen zu befreien (v. 872-906), 37 werden als Anfänge des attischen Imperialismus gedeutet (Harrison 2000: 64; 29 f.). Als Beleg dafür dient Hall 1989: 59 die zwangsweise Unterbindung von Naxos’ Austrittsversuch im Jahre 468 v.Chr. - also vier Jahre nach der Aufführung der Perser. 38 Ansonsten gewinnt man den Eindruck, daß gerade im Falle Halls (Saids Bemerkungen bleiben zu versprengt und Harrison zu einseitig und historisch) die Unterschiede zu den nicht- oder gar anti-orientalistischen Interpretationen weniger auf der Einschätzung der Sachlage als auf der terminologischen Etikettierung beruhen, die sich etwa im zitierten Passus aus Hall an „empire“ und „ideology“ festmachen lassen. Wie später von Mark Griffith 1998: 44-48 auch unter Bezug auf die Perser ausführlich entwickelt, 39 sieht Hall die innenpolitische Implikation der Auseinandersetzung mit den Persern (1989: 58 f.): Aristokraten und Tyrannen hegten politische Sympathien für das Perserreich, das sie - im Falle der kleinasiatischen Griechenstädte erfolgreich - unterstützte. Die zum damaligen Zeitpunkt noch keineswegs festinstallierte attische Demokratie sah sich so einer doppelten, innenwie außenpolitischen, Bedrohung gegenüber. Die Anonymisierung der Athener und der Kontrast von athenischer 36 Auch Griffith weist zu Recht auf die im Vergleich zu neuzeitlichen Fremdbildern wesentlich geringere Entfernung hin, die den ethnisch Anderen in den Persern und bei den Griechen vom Eigenen trennten (1998: 52). Selbst im späteren, wesentlich offensiveren und offen essentialisierenden Hippokratischen Traktat Über Winde, Wasser und Gegenden bzw. Über die Umwelt ( ) sowie in Aristoteles’ Politik fehlten die für den neuzeitlichen Rassismus so charakteristischen Bezüge auf vererbte Körpermerkmale. 37 Vgl. Anthony J. Podlecki, The Political Background of Aeschylean Tragedy. Ann Arbor 1966. Ndr. London 2000, 11 zu v. 872-900. 38 Harrison schafft es dagegen, von Atossas Frage an den Chor, ob Athen die Stadt sei, auf deren Unterwerfung ihr Sohn so erpicht sei, und der Antwort des Chores, im Erfolgsfalle werde ganz Griechenland dem Großkönig untertan (v. 233 f.), also zwei Versen (2000: 61), den Bogen über Herodot bis zum Melierdialog für den Nachweis zu spannen, daß die Athenzentriertheit der Perser nicht nur auf die Vergangenheit ausgerichtet sei, da bei Thukydides wie bei Herodot die Vorherrschaft über Griechenland an den Beitrag in den Perserkriegen gekoppelt werde. Diese ideologiegeschichtliche Syllepse unterschlägt wesentliche Unterschiede zwischen den zeitlich weit getrennten Texten: Was in den Persern nur das strategische Kalkül einer äußeren Bedrohung ist, wird erst bei den Historikern explizit zur Legitimation eines innergriechischen Vorrangs, der bei Thukydides in brutale Unterdrückung der eigenen Landsleute umschlägt. 39 Gegen ihn kann Harrison 2000: 105-108 trotz der Ankündigung einer umfassenden Problematisierung nur versprengte Einwände und Differenzierungen im Detail vorbringen. 210 Demokratie und persischem Absolutismus in den Persern gewinnen vor diesem Hintergrund einen ganz neuen Sinn. Dies gilt auch für Atossas verwundert-naive Fragen nach Athen (v. 230-245). Sie sind ebensowenig deplaziert 40 wie die Tatsache, daß Priamos sich von Helena im zehnten Kriegsjahr die Anführer der Griechen von der Mauer aus vorstellen läßt (Il. 3.161-208). Vielmehr zeigen sie den Athenern ihre eigenen demokratischen Einrichtungen in einem wunderbaren, verfremdenden Licht. Literarisch geht es also nicht um (negative) Figurenzeichnung, sondern um die Bühnenpragmatik mit Hilfe des verfremdenden Einsatzes epischer Expositionstechniken. Hierbei findet eine paradoxe Umkehrung des ethnologischen Fokus statt: Der andere, der durch die Verlegung der Bühne nach Susa erforscht wird, 41 fragt selbst nach demjenigen, dem er präsentiert wird. Insofern wären Atossas Fragen sogar geeignet, beim Publikum dasselbe Interesse am ethnisch Anderen zu wecken. Die Idealisierung des Großkönigs als weise in späteren Prosatexten, auf die Griffith hinweist (1998: 47 f.) - auch Hall widmet ihr Schlußkapitel der Subvertierung des Gegensatzes durch barbarische Griechen und edle Barbaren (1989: 201-223) -, beschränkt sich in den Persern jedenfalls auf Dareios und dient so der Konstruktion des Gegensatzes von alt und jung, der erheblich klarer als beim Ethnos wertend aufgeladen ist. Inwieweit der Kontrast zwischen dem schlichten (dorischen) Kleidungsstil (v. 182 f.) und dem Kleider- und sonstigen Luxus der Perser auf den von Thukydides (1.6.3 f., 1.6.6) berichteten und wie in der Tragödie mit einem Kompositum von bezeichneten ( ) „orientalisch verweichlichten“ Lebensstil der eigenen Oberschicht in der orientalisierenden Phase und deren Medismos zielt (Griffith 1998: 45-47), läßt sich am Text der Perser nicht mit Sicherheit nachweisen. 42 Griffith schließt hieraus, daß das Fremde doch nicht so fern war und dem Eigenen näherstand (1998: 46), 43 doch wird hier eher das unerwünschte Eigene als fremd ausgegrenzt und eine geschlossene eigene Identität via negationis (aber nicht negativ! ) über den Anderen zusammen mit einer dichotomischen Distribution konstruiert, welche die kulturellen mit den ethnisch-geographischen Oppositionen deckungsgleich machen will. Diese Operation, die das Identische als das Nicht-Andere bestimmt und damit ebenso verfährt wie Nikolaus von Kues, der das Nicht-Andere (non aliud) zur universellen (Selbst-)Definition 44 und sogar zur präziseren Definition 40 Für solche Forschermeinungen s. Harrison 2000: 58. Er selbst reiht dieses dramatische Mittel getreu seiner Methode in die griechische Historiographie ein und überführt es als wirklichkeitsfremde Selbstverherrlichung (2000: 58-60). 41 Diese kognitive Haltung gegenüber dem ethnisch Anderen arbeitet auch Pelling als Konsequenz dessen heraus, daß die Polarität zwischen Griechen und Persern in dieser Tragödie zwar nicht gänzlich annulliert, aber doch subtil reflektiert und human-universell aufgehoben werde (1997: 18). 42 Ein literarisches Indiz liefern zwei spätere Stellen (Ag. 689-693, Pi. P. 11.31-35), an denen der Griechin Helena zugeschrieben wird. Daß dieses Merkmal bei Pindar v.a. auf die Trojaner zutrifft, läßt die normativ ab- und ausgrenzende Funktion dieser Opposition erkennen. 43 Dabei geht er allerdings zu weit, wenn er Xerxes mit einem verwöhnten aristokratischen Sohn identifiziert (1998: 45). 44 Vom Nichtanderen Kap. 1,3-5. 1. Aischylos’ 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem 211 Gottes 45 erhebt, ist eine Abgrenzung, welche die Geographie - entsprechend dem Insistieren der Tragödie auf den Grenzen zwischen den Kontinenten - semantisiert, d.h. essentialistisch zum Sinnträger der Kultur macht, aber keinesfalls zwingend eine Abwertung des Anderen. Eine differenziert-gemäßigte orientalistische Perspektive ist also theoretisch sowohl mit dem strukturalistischen Ansatz dieser Arbeit als auch wohl mit den Persern vereinbar. Die dezidierte Ablehnung der vorliegenden Untersuchung richtet sich gegen einzelne orientalistische Lesarten, die mit Schlagwörtern wie ‚Ideologie‘ und ‚Imperialismus‘ suggerieren, die Perser zeichneten den ethnisch Anderen als essentiell und nicht bloß situativ militärisch unterlegen (für diese vertikale, auch von Said vertretene Identitätskonstruktion vgl. Griffiths Formulierung „sub-Greek“ [1998: 44] und 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White in der Einleitung) und riefen ohne äußeren Anlaß zur außenpolitischen Expansion auf. Den praktisch-politischen Impuls, den diese Deutungen in den Persern ausmachen, rücken sie mit dieser Wortwahl an Thukydides’ und mehr noch über die Implikation eines unmotivierten und willkürlich-spontanen Charakters an das Konzept des Bösen heran, das in den Analysen dieser Arbeit erst bei der Dramatisierung des stoischen Konzepts von der Entstehung der Leidenschaften virulent wird (s. 7.2.3 Phaedra und die Amme in der Phaedra-Interpretation). Im Abendland wurde dieses Konzept erstmals von der christlichen Anthropologie ausformuliert. In deren geistesgeschichtlicher Tradition, so könnte man argwöhnen, scheinen die orientalistischen Interpreten unreflektiert zu stehen, weil sie ein Konzept anachronistisch auf eine Epoche übertragen, in welcher für dieses die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen fehlten. 46 Den bewußtseinsprägenden Impulsen der historischen Situation - handlungstheoretisch reagieren die historischen Akteure auf die Impulse ihrer Umwelt, statt spontan in diese einzugreifen - wird diese Sichtweise jedenfalls nicht gerecht. Der unter großen Opfern und Mühen abgewehrte Angriff des persischen Weltreichs auf das kleine Griechenland gehört nun einmal zum Erfahrungshorizont von Tragödienautor und -publi- 45 Vom Nichtanderen Kap. 2,7. 46 Gewiß finden sich schon bei Aischylos Fälle einer individuellen Letztverantwortung für Transgressionen, denen wie im Falle des Bösen ein Moment des Spontanen zugrunde liegt. Doch anders als bei diesem bleiben diese Fälle bei Aischylos handlungstheoretisch stark kontextualisiert. Wenn Agamemnon sich zu einer alleswagenden Sinnesweise umentscheidet, Iphigenies Opferung anzuordnen (Ag. 221: ), dann ist dieser Entschluß an dieser Stelle und selbst in diesem Satzgefüge (v. 218) in einen textlich klar ausgeführten tragischen Konflikt und seine Handlungsimpulse eingebettet. Wenn Laios und Iokaste trotz Warnung des delphischen Orakels in unvernünftiger Lust Oidipus zeugen (Th. 741-757), dann entspricht dieses unbeherrschte Verhalten eher der archaischen Torheit, wie sie aus dem Anfang der Odyssee bekannt ist (1.7-9). Hier sind es sinnliche Verlockungen, welche zur Transgression führen, keine spontane Bosheit, wobei im Falle von Oidipus’ Zeugung die Trunkenheit als Bewußtseinstrübung hinzukommt. Die Willensfreiheit ist also sowohl im archaischen und tragischen wie im christslichen Menschenbild mit seinem Konzept des Bösen analytisch gewahrt, doch ist sie im christlichen absolut und im archaischen und im archaischen und tragischen relativ. 212 kum. 47 Sie entstammen der Polis, welche die größten Opfer und Anstrengungen zur Abwehr der existentiellen Gefahr erbracht hat. Kein feindlicher Soldat hat im Verlaufe der Perserkriege spartanischen Boden betreten, während die Athener bei der zweiten Invasion sogar ihre Stadt evakuieren und deren Zerstörung mit ansehen mußten. Unter diesen Umständen wäre selbst ein schwülstiger Triumphgesang verständlich, der die Griechen zu heroischen Siegern über die dämonisierten Aggressoren stilisiert. Daß dies nicht vorliegt, ist selbstredend kein Beleg für Aischylos’ menschliche Größe oder die moralische Überlegenheit der griechischen Zivilisation in der Antike, deren humane Gesinnung pfleglich mit dem geschlagenen Gegner umgegangen sei. 48 Es ist in allererster Linie wohl der Gattung der Tragödiegeschuldet, die formal und motivisch qua literarisches Gesamtkunstwerk wohl die komplexeste Gattung ist und deren intrikate Semiose ein kompliziertes Spiel mit Identität und Differenz auch im Falle des ethnisch Anderen erlaubt, bei dem im Fall der Perser Edward Said durchaus - allerdings bei fortbestehender, illusionär verschleierter Distanzierung 49 - die bedrohungmindernde und nähestiftende Wirkung sieht (2003: 21). Das Theater ist in Saids Augen eher ein Instrument einer kanonisierten Fremdbeschreibung (2003: 57) als einer Erkundung der Alterität. Die Komplexität der Semiose ist ebensowenig ein Garant gegen eine subtile Parteinahme, wie Kunst per se moralisch neutral oder zumindest integer ist, eine Annahme, die Harrison zu Recht als modernes idealistisches Trugbild entlarvt (2000: 111). Das sich hier auftuende Problemfeld einer poetischen bzw. besser dichterischen Integrität, 50 deren Fragestellung die gesellschaftlichen normativen Kategorien, welche die poetische Gerechtigkeit an der Einzelfigur aushandelt (Näheres s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung in der Einleitung), auf eine generische Ebene hebt, kann selbstredend hier nicht umfassend erörtert werden. Das eher formalistisch-operationale Kunstverständnis dieser Arbeit würde es grundsätzlich erlauben, eine Darstellungsweise bei entsprechender semiotischer Komplexität als künstlerisch einzustufen, selbst wenn sie den Gegenstand in ein schlechtes Licht tauchte. Einseitige und unzulässig verallgemeinernde Bilder sind dabei allerdings nicht mit der semiotischen Differenziertheit des Theaters und erst recht nicht mit der Tragik vereinbar, die traditionell und auch in dieser Arbeit im Konflikt zweier gleichwertiger Größen verankert wird (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller der Einleitung), selbst wenn die Tragik aus pädagogischen Gründen in den Persern unterentwickelt ist. Eine Dichtung, die unbilligerweise die Integrität ihres mimetischen Ge- 47 Für Harrison 2000: 51 f. machen dagegen Aischylos’ biographische Erfahrungen und persönliche Verluste eine Identifikation mit dem geschlagenen Gegner unwahrscheinlich, eine pauschale biographistische Argumentation. 48 Für Vertreter dieser Auffassung s. Griffith 1998: 44. 49 „The dramatic immediacy of representation in The Persians obscures the fact that the audience is watching a highly artificial enactment of what a non-Oriental has made into a symbol for the whole Orient.“ 50 Den Ausdruck ‚poetische Integrität‘ reserviert die theoretische Systematik der vorliegenden Arbeit für eine Dramenfigur, nicht die dichterische (Gesamt-)Gestaltung (s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung der Einleitung). 1. Aischylos’ 1.3 Susa und Athen: Szenische Transgression der Meerengen 213 genstandes verletzt, würde ihre eigene untergraben. Mehr noch: Wenn die Tragödie ihren eigenen Gegenstand, den Fremden, herabsetzte, statt ihn (als) würdig darzustellen und vielleicht auf eine Fallhöhe zu bringen, würde sie sich ihres eigenen stilistischen Tonicums, der Erhabenheit, berauben (Näheres s. 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität). Umgekehrt zielt es jedoch an ihrem Charakter vorbei, wenn man die komplexe Semiose, statt sie zum apologetischen Rückzugsgebiet und apotropäischen Palladium zu stilisieren, nur als Mittel der Manipulation ansieht (Harrison 2000: 115). Die vorangehenden allgemeinen, teils aporetischen Differenzierungen dürften gezeigt haben, daß über die ideologisch-politische wie poetische Haltbarkeit der orientalischen Lesart nur eine genaue Textlektüre entscheiden kann, wie sie Harrison (2000: 56 ff.: v. 230-245) und Said (2003: 56: v. 548-557) für jeweils eine Textstelle bieten, die bereits anders interpretiert wurde (s. 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem) oder am Beginn von 1.8 Xerxes besprochen werden soll. 1.3 Susa und Athen: Szenische Transgression der Meerengen Der Großkönig ist in Aischylos’ Persern nicht der einzige, der die Meerengen überschreitet (Näheres s. den folgenden Abschnitt). Denn unsere Tragödie führt die lokal-normative Grenzüberschreitung in einer literarischen Transgression, der Verlegung des auf der Bühne dargestellten szenischen bzw. mimetischen Raums ins ferne Persien, vor, 51 eine szenische Transgression, die man auch als Transszenierung bezeichnen könnte. Diese Situierung verkehrt nicht nur die Perspektive im Vergleich zu Simonides’ elegisch-lyrischer Darstellung desselben Geschehens, 52 sondern mutet wie eine dramaturgische Iteration der großköniglichen Hybris an. Ja, diese Spiegelung der Transgression in die Praxis des Dramatikers scheint diesen in eine Linie mit dem stürmischen Xerxes zu stellen. Für den Interpreten stellt sich also die verstörende Frage, ob der Dichter die Norm in derselben Weise wie der Frevler überschreitet, mithin dem Typus des schöpferischen Künstler-Kriminellen entspricht, der in der Einleitung skizziert wurde (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung). Primo obtutu unterscheidet Großkönig und Dramatiker nur die Richtung der Hellespont-Überschreitung. Die entscheidenden Unterschiede liegen jedoch darin, daß die Transgression der Tragödie eine poetische ist. Dabei geht es nicht nur um den bloß kategorialen Unterschied zwischen poetischer und militärischpolitischer Tätigkeit. Die Vorrangigkeit der Dichtung zeigt sich bereits daran, daß ihre Transgression diejenige des Herrschers mimetisch erst ermöglicht und in einem besonderen Blickwinkel darstellt. Diese individuelle Gestaltung und Funktion der poetischen Lizenz darf nicht über ihre Tradition aus dem Blick geraten. Gewiß folgen Aischylos’ Perser, wenn sie die Schlacht von Salamis aus 51 Ähnlich exotisch ist nur Der gefesselte Prometheus, Euripides’ Helena und Iphigenie auf Tauris. Das Gros der attischen Tragödien spielt im Bereich der Ägäis, d.h. in oder vor anderen Griechenstädten der damaligen Zeit. 52 Vgl. dazu Hopman 2009: 361. 214 persischer Perspektive darstellen, einer dramatischen Konvention, die mit Phrynichos’ Phoinissai begründet wurde. 53 Doch auch hier kommt die individuelle Gestaltung ins Spiel, da denkbar ist, daß die Perser diese dramaturgische Tradition als Möglichkeit dramenpoetischer aemulatio nutzten. Daß bei Aischylos anders als bei Phrynichos eingangs kein Eunuch auftritt (s. die Hypothesis der Perser), läßt bereits eine individuelle Ausgestaltung der Bühnenverlegung erkennen. Doch während wir über die weitere Anlage und Ausrichtung der Phoinissai wegen ihrer fragmentarischen Überlieferung nur unzureichend unterrichtet sind, ist die Funktion der poetischen Lizenz in den vollständig erhaltenen Persern klar erkennbar. Das Geschehen, das in unmittelbarer Nähe zum Aufführungsort stattfand, wird so aus ausreichender Distanz betrachtet, die es nicht nur verfremdet (vgl. Šklovskijs formalistischen c pa e ; s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung), sondern auch eine bessere Reflexion, ja Pädagogisierung 54 ermöglicht. Das semiotisch äußerst fruchtbare Spannungsverhältnis zwischen dargestelltem und realem Raum ist der entscheidende Unterschied zwischen dem Tragiker und dem real okkupierenden und kulturell überschreibenden Großkönig, dessen Annexionsversuch und Realpräsenz in Attika dem Drama vorangeht. So fungiert die demgegenüber als dramatisch-mimetische Widerspiegelung der militärischen Reconquista (s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung), der mimetische Raum als ethnographisches Teleskop, das den Anderen beobachtet, ja vor dem heimischen Publikum vorführt. Daß der entfernte Raum Griechenlands hinter dem szenischen Raum Persiens dominiert, ermöglicht den Kontrast der politischen Systeme von demokratischem Athen und hierarchischem Achämenidenreich 55 und läßt konkreter über die hierarchisierende Perspektive, welche diesem Kunstgriff inne- 53 Grethlein 2007: 377 begründet die notwendige Distanzierung gattungsgeschichtlich nur mit dem Mißerfolg von dessen , die nach Hdt. 6.21.2 dargestellt habe, verweist aber auch darauf, daß Verfahren der Distanzierung für die erfolgreiche Rezeption dieser wie jeder (vgl. S. 388) Tragödie erforderlich seien. 54 Dieser stark normative Ausdruck statt ‚Paränese‘ wird durch das leitmotivische Insistieren auf der Jugend und den Gebrauch von im Mund von Atossa (v. 177, 189, 197, 211, 227, 233, 352, 473, 476) und Dareios (v. 717 [pl.], 739, 744, 751, 782) fast schon erfordert, dabei in den vorgenannten Fällen (ohne in v. 529, 609, 847 im Munde Atossas und in v. 834 in Dareios’) mit Possessivpronomen (auch im Munde des Boten in v. 356) oder Genetiv des Personalpronomens (v. 850 [Atossa]), das den so bezeichneten über die Relation zum Elternteil bestimmt. Auf das Appellativum hob bereits Föllinger 2003: 256 ab: „Der ›generation gap‹ wird auf der sprachlichen Ebene dadurch deutlich, daß Xerxes zweimal mit und neunzehnmal mit angesprochen wird: Er ist »das Kind schlechthin«.“ (Föllinger zitiert für diese Bezeichnung Birger Hutzfeldt, Das Bild der Perser in der griechischen Dichtung des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. Diss. Hamburg 1997/ 98. Serta Graeca (Beiträge zur Erforschung griechischer Texte) 8. Wiesbaden 1999, 75, der auch die genannten lexikalischen Frequenzangaben bietet). Anders als in iberischen Königshäusern, wo die nichtregierenden Kinder des Königs noch im Erwachsenenalter den offziellen Titel Infant trugen, behält Xerxes also noch als Herrscher die informelle Bezeichnung Kind, die ihn nach Alter und Beziehung zu den Eltern zurückstuft. Zur didaktischen Funktion der attischen Tragödie (bereits in der antiken Deutung! ) s. Grethlein 2007: 378 und Anm. 34 für die moderne Diskussion dazu. 55 Rush Rehm, Aeschylus. In: Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek narrative 3. Leiden 2012, 307-324, h. 308. 1. Aischylos’ 1.4 Transgressive Zwangssemiogenese und ihr Scheitern 215 wohnt, m.E. die faktische Überlegenheit Athens erkennen, welche die Handlung des Stückes vorführt. Die Verlegung der Bühne nach Susa illustriert, ja performiert dabei ein strukturalistisches Axiom: Identität existiert nur in der Alterität. Dieser dramaturgische Kunstgriff bereitet die kulturelle Hellenisierung des dargestellten Anderen im Verlaufe des Stücks vor. Schließlich läßt sich die poetische Lizenz der Bühnenverlagerung als metatheatralisches Mittel zur Illustrierung der Tragik werten, und zwar nicht nur der besagten Transgression, sondern auch der alternativlosen Notwendigkeit zu dieser (zumindest unter illustrativ-pädagogischen Prämissen des Stückes), insofern sich ein suprasubjektiv vorgegebenes Ziel nur unter Verletzung einer Grenze erreichen läßt. Daß dies gerade bei Xerxes’ Transgression nicht der Fall ist, die deshalb nicht als tragisch gelten kann (s. 1.8 Xerxes), hebt die Tragödie und ihre transgressive Gestaltung weiter über deren Hauptfigur hinaus. Diese (moralische) Überlegenheit der Tragikers zeigt sich konkret darin, daß durch das Fehlen der Tragik die szenische Transgression vor allem als poetisches Mittel dient, um die eigene universalisierte normative Ordnung zu affirmieren, 56 da sie die Folgen von Transgression und Eliminierung aus einem bislang verschlossenen Blickwinkel vorführt. 1.4 Transgressive Zwangssemiogenese und ihr Scheitern Die Gegensätze, die das Drama durchziehen, werden nicht bloß statisch konstruiert. Vielmehr ist ihre Überschreitung konstitutiv für die Handlung. Zentral ist dabei die lokale und normative Grenzüberschreitung, die Xerxes’ Griechenlandzug darstellt, mitsamt ihren zerstörerischen Folgen für die Ordnung. 57 Dabei tritt der traditionelle Frevelbestand der Tempelschändung ans Ende zurück (v. 807-812), auch wenn er terminologisch einschlägig als bezeichnet wird und die ebenfalls eliminatorische Katastrophe der Schlacht von Plataiai nach sich zieht (v. 808: , v. 803-806, 816 f.). Doch auch hier ist die kontinentale Grenzüberschreitung zeitlich vorgängig und syntaktisch eng mit der Tempelschändung in Delphi selbst verwoben (v. 809 f.: ’ / ). Die leitmotivisch beherrschende Transgression ist dagegen der Hellespont-Übergang bzw. die Überbrückung dieses Gewässers. 58 Sie ist nicht nur das 56 Aischylos’ poetische Transgression praktiziert hier eine eigene Form der ethnologischen Immersion, wie ich sie nennen möchte, freilich ohne wie Michel Leiris den Standpunkt eines objektiven Beobachters aufzugeben (Peter Phipps, Michel Leiris: Master of Ethnographic Failure. In: Ursula Rao, John Hutnyk (Hgg.), Celebrating Transgression. Method and Politics in Anthropological Studies of Culture. A Book in Honour of Klaus Peter Köpping. New York 2006, 183-194, h. 183), da die Tragödie ein tragisches und hellenozentrisches Weltbild wahrt. 57 Sie hat bereits John R. Wilson, Territoriality and its Violation in the Persae of Aeschylus. In: Greek Tragedy and its Legacy. Essays presented to D. J. Conacher. Ed. by Martin Cropp, Elaine Fantham, S.E. Scully. Calgary 1986, 51-57 auch unter Einbeziehung von Atossas Traum, aber ohne den hier gewählten semiotischen Ansatz herausgearbeitet. 58 V. 65-72, 100-106, 126-131; 722 f., 736, 744-750, 798 f. (Das Semikolon trennt die Parodos von der Nekromantie.) Hopman 2009: 359 f., die auch im Traum der Atossa dieses Motiv sieht, verweist auf dessen Rolle, die sich mit der Entwicklung des Stückes wandle und die man m.E. 216 Mittel der Zwangssemiogenese, sondern auch selbst deren literarisch-visuelles Symbol, vergleichbar mit dem roten Teppich im Agamemnon, 59 also einem anderen Artefakt, das eine hodologische Funktion hat. Daneben wird der pragmatische Aspekt des Zwangs dadurch expliziert, daß Dareios’ Geist die militärisch-geographische Transgression als Versuch deutet, als Sterblicher die göttlichen Gewässer Hellespont und Bosporos zu versklaven (v. 744-750). 60 Darin klingt an, daß dieses Unternehmen unverrückbare Grenzen nicht nur überschreitet, sondern aufzuheben trachtet (dieser Akt gelingt nur temporär in der Komödie). Dieses Unterfangen wird auch bei Griechenland, hier gleich als leitmotivischer Auftakt zu Anfang und in einer variierten Reminiszenz des Homerischen , das ebenfalls auf die Versklavung abzielt (Il. 6.463, Od. 14.340, 17.323), als Unter-Jochung dargestellt (v. 50), die auch den Hellespont betrifft (v. 72). Gödde weist treffend darauf hin, daß der Ausdruck (v. 71) nicht mehr nur die Fragilität, sondern auch die Gewaltsamkeit des Unternehmens in den Blick nehme. 61 Gerade am Bild des Joches läßt sich festmachen, daß sich das gesamte Unternehmen auch als Versuch einer gewaltsamen Sinnstiftung, einer ver-rückten Zwangssemiogenese, lesen läßt, bei der zwei Erdteile semiotisch verklammert werden: Europa steht nicht mehr für die Poliswelt und Asien nicht mehr nur für die Perserherrschaft. Das signifiant „der Griechen Land“ 62 soll nicht mehr die Poliswelt, sondern eine Satrapie, die Herrschaft des Großkönigs repräsentieren. Xerxes agiert als Subjekt dieser Zwangssemiogenese, für sein Handeln sind die Griechen Objekt. Daß der Konflikt um den Subjekt-Objekt-Status nicht nur politisch, sondern auch kulturell ist und damit eine semiotische Lesart rechtfertigt, zeigt der Schlachtruf der griechischen Salamis-Kämpfer (v. 402-405). 63 Eine strukturalistische Semiotik bietet damit mit einem Kaleidoskop vergleichen könnte. Auch in Konstantinos Kavafis’ Gedicht - (1899) ist das Verlassen des Eigenen und das Eindringen in das Fremde der zentrale Punkt (v. 5 f.). Diese Bewegung entspringt jedoch eher einem unersättlichen ennui an den eigenen schönen Städten (v. 3 f.) als der Hybris. Den intertextuellen Bezug zu Aischylos’ Persern macht das Zitat von in v. 10, 12 und 20 dieses Gedichts augenfällig. 59 Conacher 1996: 25. 60 Auch Christiane Sourvinou-Inwood, Tragedy and Athenian Religion. Lanham, Md. 2003, 222 f. erblickt in Xerxes’ Unterjochung des Hellespont eine Überschreitung („transgression“) menschlicher Grenzen, welche die göttliche Natur Poseidons mißachte und die göttliche Strafe in Form der Niederlage bei Salamis nach sich ziehe, sie sieht also den Nexus von Transgression und Eliminierung. 61 2000: 45 Anm. 41. So auch Kuhns 1991: 14: „Xerxes attempts to “yoke” two cultures, an act of violation.“ 62 Diese Formulierung hebt die Verknüpfung von kultureller Semiose und Machtfragen hervor. Sie wurde in syntaktischer und lexikalischer Anlehnung an Martin Heideggers Modulieren von „Land des Abends“ über „Abend-Land“ zu „abendländisch“ gewählt (Der Spruch des Anaximander. In: Ds., Holzwege. Frankfurt a.M. 8 2003, 321-373, h. 326), das ebenfalls auf die kulturelle Identität und deren universelle Expansion im Zusammenhang mit dem antiken Griechenland abhebt und dennoch die Gefahr des Untergangs, astronomisch wie kulturell, impliziert, freilich aus innerer Logik und nicht durch einen äußeren Transgressor wie in der Handlung der Perser. 63 [...] 1. Aischylos’ 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung 217 ein Instrumentarium, um die pragmasemiotischen Hintergründe und Zusammenhänge von Aspekten der scheinbar unvereinbaren Lesarten Tragik (Subjekt, Objekt) bzw. Tragödie (Transgression, Eliminierung) und Orientalismus (ethnisch-kulturelle Differenz) zu vereinen: Mit dem Unterfangen, die kulturelle Identität Griechenlands zu diktieren, sein signifié zu bestimmen, versucht der Perserkönig, sich zum Subjekt der Semiose und die Hellenen zu deren Objekt zu machen. Die Transgression soll die kulturelle Differenz eliminieren und die politische etablieren. Damit ist die Differenz bei dieser militärischen Transgression wie bei einer sozialen auf die soziokulturelle Grammatik und den Transgressor verteilt, da auch die soziale Transgression Unterschiede der sozialen Grammatik annulliert und gleichzeitig einen biographischen zwischen dem Transgressor und den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft aufrichtet (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White in der Einleitung). Dieser Unterschied betrifft per se nicht den hierarchischen Status. Nur im OT stigmatisiert der Totschlag an Laios Oidipus und macht zugleich den Weg für sein Königtum frei. Am Dreiweg wie in Euripides’ Medea, behaupten sich die Transgressoren zudem als soziales Subjekt und wehren sich gegen ihre Reduzierung zum sozialen Objekt. Sie haben also eine Rolle wie die Griechen und nicht wie Xerxes in den Persern. Diese Konstellation läßt bereits erahnen, daß Xerxes’ dem Opponenten in der tragischen Transgression entspricht und selbst kein tragischer Transgressor ist. 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung Die Tragödie prägt mit der Schiffsbrücke als Emblem der Zwangssemiogenese nicht nur ein literarisches Zeichen, sondern sie läßt auch von ihren Akteuren Zeichen entziffern, die auf den Ausgang der Zwangssemiogenese und die Gründe für diesen hindeuten. Das Subjekt der Binnenhermeneutik ist die Witwe des verstorbenen und Mutter des abwesenden Großkönigs Atossa. Sie agiert dadurch unbeschadet ihrer over-protection des heißspornigen Filius als loyale Platzhalterin des abwesenden Monarchen und erfüllt so eine ähnliche Handlungsfunktion wie Penelope. 64 Ihr Traum, in dem eine dorisch gekleidete Frau anders als ihre persisch gekleidete Schwester sich von Xerxes nicht an einen Wagen spannen läßt (v. 191: ), sondern den Wagen zertrümmert und . 64 So auch das positive Bild in der Forschung, das Harrison 2000: 77 referiert. Nachfolgend versucht er, dieses zu schwärzen (2000: 77-82; v.a. S. 81: „[T]he Queen emerges as selfish, superficial, and petulant“ und das nachfolgende Zitat Halls [1996: 7]: „[T]he Athenians thought that [Kurs. im Orig.] Persian queens were psychopathetically heartless, status-conscious and obsessed with sartorial display“). Dabei projiziert er entweder Bilder späterer griechischer Prosaliteratur auf den Text (Haremsintrigen, effeminierende Dominanz der Frauen, vgl. Maria Brosius, Women in Ancient Persia 559-331 BC. Oxford 1996, 195-199) oder verdrehen diesen. Der Vorwurf, Atossa interessiere sich nur für ihre Familie und den Bestand ihrer Herrschaft (Harrison 2000: 79 f.), wird durch Odysseus’ Frau entkräftet: Wo sorgt sich Penelope um die Rückkehr der Gefährten ihres Gatten? 218 mitschleift, das Joch zerbricht (v. 196: ) und Xerxes zu Fall bringt (v. 176-200), nimmt das gewaltsame Scheitern der politisch-kulturellen Zwangssemiogenese vorweg (vgl. v. 594: ). 65 In ihrem Traum wird augenfällig, daß Gewalt Gewalt gebiert und durch sie vergeht. Susanne Gödde hat treffend - auch anhand dieser Szene (2000: 38 f.) - herausgearbeitet, daß das Zerreißen, v.a. des eigenen Gewandes als Trauergeste und Reaktion auf den Verlust, welche die persischen Frauen (v. 537-539) sowie Xerxes selbst wiederholt vollziehen (v. 199, 468, 1030) und zu der er den Chor auffordert (v. 1060), ein Leitmotiv des Stückes ist. Es iteriere mimetisch die Zerstörung der Ordnung, die der Tod als „Lösung der Glieder“ bedeute und welche durch die Fragilität, aber auch Gewaltsamkeit der Schiffsbrücke angedeutet werde (2000: 44-46; vgl. v. 1040 = 1047 = 1066: ). Die beiden Frauen der Unterjochungsszene mögen zwar Schwestern (und somit in klarem Gegensatz zum späteren imperialistischen Orientalismus zu einer friedlichen Koexistenz nachgerade bestimmt) sein, doch bereits das klassisch semiotische Merkmal der unterschiedlichen Kleider 66 ist ein Indiz, ein Zeichen, für ihre unterschiedliche Mentalität und kulturelle Identität, die sich in der gegensätzlichen Reaktion auf den Unterjochungsversuch des Perserkönigs äußern. 67 In dem besagten Traum der Atossa spielt der Wagen eine wichtige Rolle für unsere zentralen Handlungsstationen Transgression und Eliminierung, die er nicht nur bereits in der ältesten erhaltenen Tragödie innehat, sondern in den übrigen hier untersuchten behauptet. Hier ist er ein Symbol der Transgression und der ihr folgenden Eliminierung, im Oidipus Tyrannos liefert er wegen des Platzbedarfs und der asymmetrischen Geschwindigkeit zwischen Fahrenden und Fußgänger den Anlaß der Transgression (Näheres s. 2.4.1 Kollision am Dreiweg in der OT-Interpretation), für Euripides’ Medea fungiert er als ein (fantastisches) Mittel der lokalen Selbsteliminierung nach der Transgression (Näheres s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Interpretation dieser Tragödie); in seinem Hippolytos und Senecas Phaedra dient er als Instrument, um den vermeintlichen Transgressor physisch zu eliminieren (Näheres s. 7.2.8 Hippolytus’ Konfrontation mit dem Seeungeheuer in der Interpretation dieser Tragödie). Zwei Aspekte ragen dabei heraus: die schnelle Fortbewegung, die einen Anknüpfungspunkt für die ebenfalls topologische Transgression und lokale Selbsteliminierung darstellt, und die Gefährlichkeit, auf welche die Eliminierung Bezug nimmt. Diese beiden Aspekte haben gewiß ein fundamentum in re, das vielleicht bis in indoeuropäische Zeit zurückreicht, doch trifft diese Tradition eben auch auf die Wagenmetaphorik zu. 68 Grenzüberschreitung und nachfolgende Eliminierung eines ebenfalls zu jungen und unerfahrenen Wagenlenkers finden sich jedenfalls bereits im 65 Einen guten Überblick über das Motiv der Unterjochung im Verlaufe dieser Tragödie bietet Rehm 2012: 309. 66 Vgl. Roland Barthes, Système de la mode (1967). In: Ds., Œuvres complètes. Hg. v. Éric Marty. Bd. 2: Œuvres 1962-1967. Paris 2002, 895-1231. 67 So auch Kuhns 1991: 15: „Historically and culturally the two cultures cannot pull together; they are yoked mistakenly by Xerxes’ imperialist ambition.“ 68 Markus Asper, Onomata allotria. Zur Genese, Struktur und Funktion poetologischer Metaphern bei Kallimachos. Diss. Freiburg i.Br. 1994. Hermes Einzelschriften 75. Stuttgart 1997, 23 f. 1. Aischylos’ 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung 219 Mythos von Phaëthon, der die Kontrolle über den Sonnenwagen seines Vaters Helios verliert und, weil er dadurch droht die Welt anzuzünden, von Jupiters Blitz eliminiert wird (Ov. met. 2,47-332). Der Wagen ist also ein fast traditionelles Symbol und Motiv bei Transgression und Eliminierung, Gefährlichkeit und Selbstüberschätzung, Funktionen, die er auch bei Aischylos’ Persern hat. In diesem Stück vollzieht sich der Auftritt Atossas und möglicherweise auch des Xerxes auf einem Wagen (vgl. v. 1000 f.: [Chor] / ), dessen Ausgestaltung im ersten Fall Reichtum und Segen, im zweiten Fall die Niederlage vor Augen führt. 69 Zwischen der szenischen und (se)mantischen Semiotik findet also eine Codeüberlagerung statt: Beide stehen für die lokale Transgression und ihre eliminatorischen Folgen. Die (se)mantische Deutung und Aneignung der Ereignisse setzt sich auch in einem düsteren Vorzeichen fort, das Atossa kurz nach dem Wagentraum beim Versuch eines apotropäischen Opfers beobachtet (v. 205-210): Ein Falke ( - ) stürzt sich hier auf einen Adler, der zum Herd des Apoll geflohen war ( ’), und zerrauft mit den Krallen dessen Haupt. Der Adler läßt diese Aggression über sich ergehen. Dieses portentum bietet genau den Schritt in Richtung Interpretationsbedürftigkeit der Identitäten, die George Devereux bei Atossas Traum vermißt hatte und die seiner Meinung nach gute und große Dichtung trennt. 70 Doch wäre die Annahme, daß beim Wagengleichnis „nur“ gute Dichtung vorliegt, kein interpretatorischer Fortschritt, weil sie ihrerseits erklärungsbedürftig und ebenso unzureichend wie die sich dann als einzig mögliche aufdrängende Erklärung wäre, daß hier gute und großartige Dichtung kontrastiv-erhellend nebeneinandergestellt werden. Wahrscheinlicher ist vielmehr, daß die beiden Bilder nur zusammen richtig verstanden werden können und deshalb im Drama unmittelbar aufeinanderfolgen. Daß zuerst im Traum die realen Akteure auftreten, während danach im Vorzeichen Vögel erscheinen, ist eher als Mittel der Rezeptionslenkung anzusehen, welche der Unsicherheit entgegenwirkt, die durch die zunehmende Abstraktion von der konkreten Realität entsteht, da das Wagenbild das Personal und die Rollenzuordnung für die Deutung des Vogelzeichens vorgibt. (Grammatikalisch gesprochen tritt erst im zweiten Vorzeichen ein allegorisch-irreales Subjekt statt eines realen auf, damit die agonale Aussage in beiden Fällen für den realen Ausgang des Kriegs einschlägig bleibt. 71 ) In der Tat ist das Vogelvorzeichen in besonderem Maße interpretationsbedürftig. Gödde 2000: 39 f. arbeitet die tragische Ambivalenz dieses Vorzeichens heraus, da „die Zuweisung von Aggressor- und Opferrolle, von Schuld und Verantwortung, wie so oft in Tragödien, nicht eindeutig“ sei: Der 69 Graham Ley, The Theatricality of Greek Tragedy. Playing Space and Chorus. Chicago 2007, 13 f. 70 Dreams in Greek Tragedy. An Ethno-Psycho-Analytical Study. Oxford 1976, 1-23, h. 4: „A stylized heraldic lion representing Scotland is only an allegory; a realistic lion [Kursiv. im Orig.] chasing an adolescent dreamer through endless corridors is the stuff of dreams and of great poetry.“ 71 Vgl. die paradoxe Bifokalisierung statt der hier vorliegenden Ambivalenz in Shakespeares Macbeth (v. 4): When the battle’s lost, and won. 220 Adler sei aufgrund des späteren Kriegsverlaufs mit Xerxes zu identifizieren (auch die Größenverhältnisse der beiden Greifvögel sprechen für diese Deutung, außerdem sahen die Griechen in dem Adler nicht nur den Vogel des Zeus, sondern auch den Wappenvogel des Großkönigs 72 ), doch mißachte der Falke das den Griechen heilige Recht der Hikesie. Freilich würden, so Gödde 2000: 40, „Mißachtung und Plünderung von Heiligtümern in diesem Drama […] den Persern und nicht den Griechen angelastet (809-812).“ Hall 1996: 125 führt denn auch die Interpretation aus, Apoll verwehre Xerxes den Schutz, da er Tempel in Delphi geplündert habe (Hdt. 8.35-39). Auch auf der Athener Agora habe Xerxes den Tempel des Apoll Patroos zerstört. Daran, daß Xerxes mit einem Frevel gegen Apoll behaftet war, konnte also für das Athener Publikum kein Zweifel bestehen. Die genannte Herodot-Stelle bietet denn auch eine markante Parallele zum vorliegenden portentum, da dort die nach Delphi vorrückenden, von Xerxes zur Plünderung ausgeschickten Perser unter Wunderzeichen durch Naturgewalten und später von den geflohenen Delphern selbst erschlagen werden. Gödde endet dagegen mit der aporetischen Frage, ob das Vogelzeichen Xerxes sowohl die Rolle des Angreifers wie Verfolgten zuspreche und damit den Zug gegen Griechenland als Kampf gegen sich selbst darstelle. Diese Sichtweise ist durchaus mit der hier vertretenen vereinbar, in der Eliminierung des Heeres, das als Instrument der Transgression und der Herrschaft fungiert, eine Selbstschädigung des Xerxes zu erblicken, doch übersieht Gödde die eigentlich eindeutige und symmetrische Allegorie. Der Falke ( ) wird nämlich bereits in einem Omen der Odyssee als „Apolls schneller Bote“ bezeichnet und tritt ebenfalls siegreich auf, indem er eine Taube rupft (Od. 15.525-528: ), was er wie in den Persern mit dem Adler tut, worauf Hall 1996: 126 hinweist. Die Odyssee liefert denn auch eine markante Parallele dafür, daß ein menschlicher Rächer geradezu zur Hypostase des rächenden Apolls wird. Odysseus’ Freiermord erfüllt den Wunsch der Magd Eurynome bzw. Penelopes, Apoll möge mit seinem Bogen die Freier bzw. den gegen Odysseus übermütigen Antinoos strafen (Od. 17.493-497). 73 Ebenso hypostasieren der Falke und die Griechen den rächenden Apoll. Ein eindeutiges Greifvogelvorzeichen vor einer Gewaltanwendung im persisch-politischen Kontext bietet auch Hdt. 3.76.3, wo den schwankenden sieben Verschwörern gegen die Mager sieben Habichte ( ) erscheinen, die zwei Geierpaare verfolgen, zerrupfen und zerfleischen 72 Hall 1996: 125. 73 Die theonomische Sichtweise des Epos, nach welcher Odysseus mit dem Freiermord an sozial Gleichrangigen nachgerade eine göttliche Mission erfüllt, ist diametral zu der sozialpsychologischen und ästhetischen, wenn Horkheimer und Adorno beim Hängen der Mägde in Od. 22.465-473 die Emotionslosigkeit des Zivilisationsprozesses mit der impassibilité der Schilderung untermauern (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. New York 1944, Frankfurt a.M. 1969, 87 f.). Zum geringen Interesse bei dieser Sanktion an dem Umstand, daß Mägde Vergewaltigungsopfer waren, s. Georg Wöhrle, Sexuelle Aggression als Motiv in den homerischen Epen. In: Michael Reichel, Antonios Rengakos (Hgg.), EPEA PTE- ROENTA. Beiträge zur Homerforschung, Festschrift für Wolfgang Kullmann zum 75. Geburtstag. Stuttgart 2002, 231-238, h. 237. Die Begründung, daß sie Schande über Telemachs Haupt und dasjenige seiner Mutter gebracht hätten (Od. 22.462-464), weist eher in die Schamkultur. 1. Aischylos’ 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung 221 ( ). Die Verschwörer schreiten daraufhin zur Tat, sehen in dem Vorzeichen also offensichtlich eine eindeutige Rollenverteilung. Zudem ist auch eine lineare Auslegung des Gleichnisses denkbar, da zwei Beobachtungen zu Göddes Interpretation ergänzt werden können. (Grundsätzlich ist gleichwohl das vorliegende Vorzeichen in der archaischen griechischen Literatur nicht das einzige Greifvogelgleichnis mit sozialer Implikation, das auf den ersten Blick problematisch ist, man denke an Hesiods Fabel von dem Habicht, welcher der klagenden Nachtigall in seinen Fängen das Recht des Stärkeren verkündet, während Hesiod in den nachfolgenden Versen seinen Bruder zur Achtung vor dem moralischen Recht und zur Scheu vor Frevel ermahnt (Op. 202-218).) Zum einen ist es Atossas Deutung, daß der Adler flieht, also bereits zu dem Zeitpunkt, als der Falke noch gar nicht erwähnt wird, vor diesem ausweicht. Zum anderen könnte die Tatsache, daß der Adler dem Altar ( ) des Apoll 74 zustrebt, auch durch Opferreste motiviert sein, deren Existenz Roussel 1960: 85 annimmt. Der Adler, der eigentlich als Vogel des Zeus an einem Altar des Apoll ohnehin nichts zu schaffen hat, wäre also auf genau derselben Ebene wie die Perser ein Tempelräuber, während das Motiv des verletzten Tempelasyls im übrigen Drama keine Rolle spielt. Auf einer abstrakteren Ebene dringt der Adler wie Xerxes transgressiv lokal (und wohl auch normativ) in den Bereich des anderen ein und wird von diesem physisch sanktioniert. Besonders sinnfällig wird dies sowie die Sanktionierung des religiösen Frevels und die funktionale Entsprechung von Falke und Griechen an der Parallele von zu den , welche die Salamiskämpfer verteidigen sollen (v. 404). Das textfremde moralische Dilemma, ob die Hikesie durch den Tempelraub verwirkt wird, erübrigt sich damit für den Falken. Broadhead 1960: 83, der rezeptionsästhetisch spekuliert, daß Xerxes’ vereitelte Pläne gegen Delphi dem griechischen Publikum den Wunsch nach Umkehrung der Rollenverteilung habe einflößen können, deutet denn auch den Angriff auf den Schutzflehenden (so interpretiert er ’ (v. 205) ohne Ambivalenz) als ohne tragische Verwerfung unheilverkündend („ominous“). Die Sichtung der verschiedenen historischen wie mantischen Parallelen hat also gezeigt, daß in der antizipatorischen Interpretation der Transgression die ethnischen Identitäten und theonomischen Rollenverteilungen konstant sind. Die Oppositionen und Rechtstitel werden, anders als von Gödde angenommen, nicht verwischt, eine tragische personale Selbstschädigung ist nicht erkennbar. Das Vorzeichen evoziert die physische (Gegen-)Aggression, welche die Griechen gegen die Transgressoren und Invasoren unternommen haben und die von den Persern nicht abgewehrt wurde. Ihre ausführliche Darstellung im Botenbericht soll uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. 74 Für diese Zuordnung vgl. G oeneboom 1960: 56, der darauf hinweist, daß das eigentlich chthonische dichterisch auch für den Götteraltar verwendet werde. r 222 1.6 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung Der Bote, der die Nachricht von der Niederlage bei Salamis bringt, löst die angsterfüllte Erwartung durch schreckliche Gewißheit ab. Mit der Abfolge Transgression - Eliminierung weisen die Perser exakt die Handlungsstruktur auf, die in der Einleitung als Charakteristikum der Tragödie postuliert wurde: Das reale Instrument 75 der Transgression, das Perserheer, das diese von dem göttlichen Suprasystem garantierte Ordnung stört, wird eliminiert. Dies geschieht nicht nur militärisch in den zwei geschilderten oder alludierten See- und Landschlachten von Salamis und Plataiai, sondern auch bei der Überschreitung eines Gewässers, und zwar des durch göttliches Wirken erst gefrorenen und dann im Sonnenlicht tauenden Strymon (v. 495-507). Dieses Motiv, das Aischylos wohl erfunden hat (Conacher 1996: 8 Anm. 8), fungiert als Kontrast und Ergänzung zur Schiffsbrücke über den Hellespont. Das Zufrieren habe selbst Gottlose zur Niederwerfung vor den Göttern bewegt (v. 497-499). Diese Nachricht ist ein deutliches Zeichen, daß solche Ehren nur Göttern wegen ihrer Wirkmächtigkeit: gebühren, nicht aber fehlbaren menschlichen Monarchen (v. 151). Wie bei der Überquerung der Meerengen wird ein Gewässer durch eine feste Oberfläche passierbar, damals bei der Transgression, jetzt beim Rückzug der geschlagenen großen Armee, doch ist das Motiv der göttlichen Wirksamkeit und des göttlichen Trugs (so auch Conacher 1996: 19) im Vergleich zu den Meerengen betont, bei denen es nur um eine geographische wie religiöse Transgression ging, die Menschen verüben. Die Götter werden so als kosmische Subjekte rehabilitiert. Die Störung der kosmischen Ordnung ist so groß, daß sie auf das persische Mutterland rückzuwirken droht: Es steht zu befürchten, daß ihr Subsystem und die Basis der Transgression, die persische Ordnung, statt in Hellas eingeführt zu werden, nun in Asien selbst zusammenbricht (v. 584-597). Auch hier kommt die Joch-Metapher - unmittelbar vor dem Freiheitsdiskurs (Redefreiheit v. 593) - zum Einsatz: Das Joch der Wehrkraft ist gelöst (v. 594). Bereits die räumliche Eliminierung der persischen Männer durch den Auszug läßt deren Frauen allein ( ) zurück (v. 139). Der verfehlte Versuch, Gegensätzliches politisch-militärisch zu verklammern, läßt selbst die Bindung zwischen Männern und Frauen derselben Ethnie zerbrechen. Der Zusammenbruch der Oppositionen, welche die Transgression eingeläutet hat, setzt sich fort (vgl. treffend Grethlein 2010: 81 f. „The rupture of continuity and regularity“). Die Völker Asiens schicken sich an, von Objekten der großköniglichen Herrschaft zu politischen Subjekten zu werden. Hierin mag man einen Reflex der Befreiung der kleinasiatischen Griechen sehen (s. 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem). Es ist nicht zu bestreiten, daß bei der Schilderung der Schlacht die unterlegenen Invasionsstreitkräfte und die siegreichen Griechen ein unterschiedliches 75 Ähnlich interpretiert Hopman 2009: 359 entsprechend Greimas’ Aktantenmodell das Perserheer als Adjuvant der Handlung, als deren Subjekt Xerxes, als deren Objekt Griechenland, als Adressant Dareios, als Adressat Xerxes und als Opponenten, zumindest in der erzählten Kriegshandlung, die Griechen. 1. Aischylos’ 1.6 : Darstellung der Eliminierung 223 Verhalten an den Tag legen. 76 Entschlossenheit und Zuversicht der Griechen sind in doppelter Weise durch die Situation bedingt: Sie kämpfen zum einen laut ihrem Schlachtruf für die Freiheit ihres Vaterlandes, ihrer Kinder, Frauen und Heiligtümer; für sie steht alles auf dem Spiel (v. 402-405). Zum anderen haben sie die Invasionsflotte im Sund von Salamis in eine Falle gelockt. Sie erheben nun ihr von den Felsen widerhallendes Schlachtgeschrei und blasen zum Angriff (v. 388-391, 392-395). Diese iterierten Lautäußerungen sind also keine bedeutungsleeren Klänge, sondern haben bereits im Verlauf der Dramenhandlung eine praktische Bewandtnis, da sie für Freund und Feind den Angriff signalisieren. Daneben steht die dramenästhetische Seite, die der Art der Handlung angemessen ist: Anders als die tragische innerfamiliäre Eliminierung beim Dreiwegmassaker des OT wird die militärische in den Persern akustisch begleitet und dadurch entsprechend den epischen Darstellungskonventionen als heroisch ausgewiesen. 77 Dabei wird der Ruhm gleich über eine weitere Iteration in den Text eingeschrieben. Der Widerhall des eigenen Geschreis in der Heimat verweist sogar deutlich auf den autoenkomiastischen Ruhm des Athener Publikums und steht in markantem Kontrast zur Klageresponsion von Xerxes und Chor in der Schlußszene (v. 1048: ). Daß die - auch textlich - zwischen den Griechen eingekeilten Barbaren Furcht aufgrund der Täuschung ergreift, der sie erlegen sind (v. 391 f.), ist ebenso aus der Situation psychologisch verständlich und kann schwerlich als Indiz für eine orientalistische Zeichnung als dumm oder feige herhalten. Daß die Griechen ihren Angriff über den rechten Flügel geordnet beginnen (v. 400: ) und die Invasionsflotte in ungeordneter Flucht endet (v. 422: ’ ), ist zweifellos ein lexikalisch markanter Gegensatz, jedoch ebenfalls aus der Situation erklärbar. 78 Auch bei der Darstellung der Kontrahenten im gesamten Botenbericht sollte man die dramenästhetische Seite nicht aus dem Blick verlieren. Bohrers binnendramatische emotionsästhetische Kategorie des Schreckens schafft eine bemerkenswerte axiale (A)Symmetrie zwischen den Kombattanten, die bislang übersehen wurde: Dem terror Persicus der eingeschlossenen Invasionstruppen steht der (ebenso besinnungslose) furor Graecus bei Landung und Massaker auf Psyttaleia gegenüber. Das Entsetzen über den übermächtigen Feind erstreckt sich bei den Persern nicht nur auf den Vollzug der Niederlage, sondern auch auf deren Aufnahme in der Hauptstadt. So begründet Atossa ihren Auftritt zur Nekromantie des Dareios mit dem Entsetzen 76 Vgl. die Gegenüberstellung bei Conacher 1996: 18 f. 77 Das hier bemühte episch-heroische Handlungsmuster ist begrifflich von dem heroischen Integritätentausch zu scheiden, der von der Tragik abgegrenzt wurde: Der zentrale Wert dieses Handlungsmusters ist die soziale Integrität. Sie steht genetisch bei der epischen Gestalt Achill am Anfang des heroischen Integritätstauschs, doch ist dessen entscheidendes Merkmal das Opfer der eigenen physischen Integrität, die im episch-heroischen Muster nur aufs Spiel gesetzt wird. Die Gewichtung von physischer und sozialer Integrität ist in den beiden Arten von Heroik also genau umgekehrt. 78 Der Vorwurf des Orientalismus ließe sich hier nur durch die signifikante Abweichung gegenüber anderen Fluchtszenen, etwa aus der Ilias, erhärten. 224 über die Übel, das sie ergriffen habe (v. 606: ). Der handlungsstrukturelle Ansatz der vorliegenden Arbeit erlaubt sogar mit Hilfe einer noch weiteren Abstraktion von den Kontrahenten zu den Handlungsstationen und ihrer Relokalisierung eine tiefere Symmetrie von Handlung und Orten aufzudecken: Salamis als Ort der Eliminierung korrespondiert notwendig mit den Meerengen als Ort der Transgression, während der zugefrorene und auftauende Strymon beide Funktionen vereint lokalisiert. Das eliminatorische Verhalten der Griechen wird so in einer höheren Ordnung und Symmetrie der Handlung aufgehoben. In dieselbe Richtung argumentiert Pelling 1997: 6-9, wenn er die Eliminierungen von Salamis und Psyttaleia als Konsequenz der Verkehrung von Land und Meer ansieht, die Xerxes mit der Verwandlung der Meerengen in Land begonnen habe und die aus den persischen Landkämpfern Seeleute gemacht habe. Die Schlachtenbeschreibung und das Gemetzel, welches die Griechen anrichten (v. 424-428, 450-464), sind, um von der Handlungsanalyse zur poetischen Aussage und Darstellung zu kommen, trotz oder gerade wegen der eindeutigen faktischen Rollenverteilung zwischen Griechen und Invasoren als unilinear autoenkomiastisch eingestuft worden. 79 Andere Interpreten haben die Kritik nicht gegen den Text gerichtet, sondern sie in ihm verankert, so daß das einheimische Publikum eine gegenteilige Botschaft erhielte. Eine universalisierende Warnung, welche der universellen theonomischen Perspektive korreliert, an das eigene attische Publikum läßt sich aus der periphrastischen Bezeichnung von Salamis als „Insel des Aias“ herauslesen (v. 596 f.). 80 Gerade die vorausgehende Erwähnung der „blutgetränkten Scholle“ ist dabei eine deutliche Anspielung auf Aias’ Ende, der in Wahn verfiel und sich in sein eigenes Schwert stürzte, worauf Bierl treffend hingewiesen hat (2007: 60). Daß Aias dies nach seiner Wahnsinnstat, der irrtümlichen Ermordung einer Schafherde statt der Atriden und des Odysseus, tut (S. Aj. 815-865), zeigt, wie nahe Bewußtseinstrübung und Transgression den Athenern selbst stehen. Die Warnung vor zukünftiger Hybris schließt den Stolz auf vergangene Waffentaten nicht aus, sondern paßt bestens zu ihm: In Rom flüsterte man dem Triumphator ein Respice post te! hominem te memento! (Tert. apol. 33,4) zu. Die reflexive Deutung verleiht dem Text damit eine Ambivalenz und wäre damit als die interpretatio difficilior vorzuziehen. Sie liegt allerdings (ebensowenig wie bei dem Greifvogelvorzeichen) nicht in jedem Punkt der Schlachtschilderung vor. Gödde 2000: 45 f. erblickt „Maßlosigkeit“ bereits darin, daß die Griechen bei Salamis mit den Schiffstrümmern auf die Leichen der Perser eingeschlagen hätten (v. 425 f.), doch läßt das Stöhnen und Jammern im nächsten Vers darauf schließen, daß hier 79 Hall 1989: 80 leitet mit der Erwähnung des gegensätzlichen Verhaltens die ebenfalls konträre charakterliche Zeichnung von Persern und Griechen im gesamten Stück ein. 80 Vgl. S. Aj. 134 f. ( / ), 596 ff. ( ). Diese Beobachtung wird dadurch ergänzt, daß Grethlein 2010: 89 f. in den nachfolgenden Versen (v. 598-605), die allgemein vor dem Trug des Glücks warnen, eine Warnung an die aktuell erfolgreichen Griechen sieht. 1. Aischylos’ 1.6 : Darstellung der Eliminierung 225 Verwundeten oder Ertrinkenden der Garaus gemacht wird, die Griechen also nicht wie Achill den Leichnam des geschlagenen Feindes schänden. Gleichwohl bleibt Göddes Hinweis auf die Logik der fortschreitenden Zerstörung (und damit die makabre Ästhetik der Fragmentierung) hinter dem Massaker zutreffend (2000: 45 f.): „Bruchstücke von bereits Zerstörtem werden zu Waffen weiterer Zerstörung der bereits Getöteten.“ Die zerstörerische Wirkung von Fragmenten wird bei Euripides’ Medea wiederkehren (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason). Mit einer autoenkomiastischen und reflexiven Botschaft sind die Deutungsmöglichkeiten der Schlachtenbeschreibung noch nicht ausgeschöpft. Bierl hat seine These, die Perser stellten Tod und Opfer dar (2007: 60 f.), auch mit zwei Stellen aus der (Ab-)Schlachtenbeschreibung bei Salamis untermauert, hinter denen er Elemente ritueller Opfervorstellungen erblickt, doch scheinen sie mir diese Interpretation nur unvollkommen zu stützen. Hier wäre an erster Stelle die für ein rituelles Opfer charakteristische „Reziprozität“ zu nennen. In v. 595-597 steht nämlich nicht, daß Salamis’ blutgetränkte Erde etwas zurückgibt bzw. „den griechischen Bewohnern Fruchtbarkeit und Segen“ schenkt. 81 Dieser Gedanke fehlt auch in v. 816 f. (es sei denn, man bemüht die zereale Semantik), wo der blutige Opferkuchen, den die dorische Lanze auf Plataiais Erde bewirken wird, nur als proportional zu den zuvor beschriebenen persischen Freveln beschrieben wird, wie auch Bierl anmerkt. Sein Hinweis, daß in Plataiai die Erde auch griechisches Blut als Opfer erhalten habe, läßt sich nicht im Text wiederfinden. Gleiches gilt für die „Blüte der Jugend“ in v. 595. Gerade die leitmotivische und deshalb interpretatorisch relevante Verteilung der Metapher der „Blüte“ (s. 1.8 Xerxes) feit diesen Hinweis gegen den Vorwurf lexikalisch-philologischer Beckmesserei. Die Blüte wird bei der Feststellung, die Überführung ins kollektive Gedächtnis geschehe in den Persern „anhand von Bildern und Symbolen, die allesamt im Klageritual, Tod und Opfer gründen,“ 82 aber auch bei der vorangehenden Untersuchung nicht berücksichtigt. Allenfalls kann man also hinter dem Ausdruck „Opferkuchen“ die archaische Hoffnung vermuten, die erzürnten Götter durch dieses Blutopfer wieder gnädig zu stimmen. M.E. handelt es sich hierbei jedoch um eine düstere Metapher dieses vaticinium ex eventu, die durch den religiösen Kontext evoziert wird. Die Erde als Opferkuchen zu bezeichnen ist dabei wegen dessen zerealer Zusammensetzung und Demeters Nähe zur fruchtbringenden Scholle eine naheliegende Wendung. Am Bild des Opferkuchens und der dorischen Lanze läßt sich m.E. treffend zeigen, daß rituelles Vokabular geeignet ist, die theologische mit der zeitgenössischen politisch-militärischen Ebene zu verzahnen. Dieses in seiner Geschehensdynamik nachgerade filmische und daher wie ein Ritual performative Bild läßt sich nämlich im Sinne der hier vorgestellten Interpretation als Metapher für die militärische Eliminierung des Transgressors an der religiösen Ordnung deuten. Die griechische militärische Stärke wird dabei zum Werkzeug, das die Wiederherstellung des religiös sanktionierten Koordinatensystems durchführt, welche die Perser verletzt 81 Bierl 2007: 60 f. 82 Bierl 2007: 61. 226 haben. Die Schlacht gerät zum sühnenden Schlachtopfer (v. 816: - ). Daß selbst dieser Versuch einer integrativen Deutung nicht beanspruchen kann, die hermeneutische Irreduzibilität der Lanzen-Opferkuchen-Metapher zu erschöpfen, zeigt eine weitere Interpretationsmöglichkeit, die hier vorgestellt werden soll, bevor ihr Verhältnis zu den bisherigen Deutungsvorschlägen geklärt werden kann. Diese weitere Lesart kann für das Verständnis deshalb besonders befruchtend wirken, weil sie - anders als die bislang diskutierten Interpretationen - die explizite Ebene verläßt und in die un(ter)bewußte hinabsteigt. Obwohl es sich bei ihr um eine sexualmetaphorische handelt, bietet der (Bild-) Text im Sinne der Jungschen Symbol-Chiffrentheorie klare, in der zeitgenössischen Kultur verankerte Anhaltspunkte. So ist die Lanze ( ) sowohl in der griechischen wie in der lateinischen Literatur eine gängige Phallosmetapher. 83 Sie teilt diese Funktion mit dem Schwert, 84 das auf der Eurymedon-Vase im Griff des griechischen Jünglings an seinen erigierten Penis evoziert wird, eine Geste, die einen an seiner Tracht als Perser kenntlich gemachten, vorgebückten Mann in Entsetzen versetzt. Dieses ikonographische Zeugnis ist nicht nur deshalb so wertvoll für die tiefenpsychologische Interpretation, weil es ebenfalls szenisch-bildlich gestaltet ist, sondern weil es die Aktualität phallokratischer Sichtweisen der Persersiege im damaligen Griechenland illustriert, welche durch die Inschrift verstärkt wird: < > . 85 Eine derart derbe Explikation homoerotischer Subjekt-Objekt-Konstruktionen, die einen großen Raum in der altattischen Komödie einnehmen sollte, verbot sich freilich in der Tragödie trotz ihres dionysischen Ursprungs, wo sie eine Transgression des gesellschaftlich-literarischen decorum bedeutet hätte. Mag man dieses ikonographische Dokument auch als Zeugnis des „orientalism“ [doppelte Anführungszeichen im Orig.] lesen, 86 so bleibt doch festzuhalten, daß das Soziale das Nationale überlappt oder gar überlagert: Der Jüngling wird als Angehöriger der Unterschicht dargestellt. 87 Daß nicht nur der Jüngere, sondern auch ein sozial Niederer den Älteren und Fremden sexuell bedroht, wo doch sonst der Ältere den aktiven sexuellen Part innehabe, hat man zwar als „Ver- 83 Jeffrey Henderson, The Maculate Muse. Obscene Language in Attic Comedy. New Haven 1975, 120, James N. Adams, The Latin Sexual Vocabulary. London 1982, 17, 19-21. 84 Henderson 1975: 122, Adams 1982: 20 f. (bietet auch griechische Beispiele). 85 Eine epigraphische und philologische Besprechung der Inschrift bietet Konrad Schauenburg, . MDAI Ath. Abt. 90 (1975) 102-127, h. 103), eine Abbildung findet sich daselbst auf Tafel 25, wiedergegeben bei Carola Reinsberg, Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. München 1989, 177 Abb. 98. Von Kenneth James Dover (Greek Homosexuality. London 2 1989, 105) wurde dieses Zeugnis für die Geschlechterforschung erschlossen, auf ihn verweist ohne Abbildung John J. Winkler (The Constraints of Desire. The Anthropology of Sex and Gender in Ancient Greece. New York 1990, 51). 86 Jonas Grethlein, Die Griechen-Barbaren Dichotomie im Horizont der conditio humana. Heidelberger Jahrbücher 54.2010 (2012) [Hilgert, Markus (Hg.), Menschen-Bilder: Darstellungen des Humanen in der Wissenschaft] 135-147, h. 135. 87 So Margaret C. Miller, I am Eurymedon: tensions and ambiguities in Athenian war imagery. In: David M. Pritchard (Hg.), War, Democracy and Culture in Classical Athens. Cambridge 2010, 304-338, h. 325. 1. Aischylos’ 1.6 : Darstellung der Eliminierung 227 schärfung der Ikonographie“ und zusätzliche sexuelle Demütigung des Persers gedeutet. 88 Indes hat Miller treffend nachgewiesen, daß der Gegensatz zwischen männlichem Griechen und effeminiertem Barbar nur beiläufig ist (2010: 307). Der niedere Sozialstatus erniedrigt zwar den Perser zusätzlich, aber auch den Griechen selbst, der aus der Perspektive der Athener Elite wahrgenommen wird (Miller 2010: 338). Die alte Elite fürchtete sich vor dem wachsenden Einfluß der Flotte und der sie tragenden Ruderer aus der Unterschicht (Miller 2010: 307). Die sensu litterali erniedrigende Inschrift läßt sich nämlich auch auf einen rudernden Griechen beziehen, zumal, wenn der Krug beim Ausschenken gekippt wurde, sich auch der Grieche vorbeugte (Miller 2010: 337). Nicht Alter oder Ethnizität, sondern die soziale Zugehörigkeit hierarchisiert und organisiert also die Gegensätze semiotisch, und das geschieht von einem extra- und heterodiegetischen Standpunkt. Daß über die soziale Abwertung auch der (einheimische) Jüngling ridikülisiert wird, paßt zur jugendkritischen Perspektive der Perser, die über Xerxes auf die eigene Jugend zielte (s. 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität). Im Bild der Perser wird das sexuelle Objekt, das traditionell trotz der kausalen Implikationen der Präposition lokal-positional konstruiert wird (v. 817: ), mit weiblichen Attributen versehen. Die Erde (v. 817: ) ist seit den Anfängen der griechischen Literatur ein mythologischer Inbegriff des fruchtbaren Mutterschoßes. Der, wie er bislang übersetzt wurde, „blutgetränkte Opferkuchen“, ist nach LSJ 1356 s.v. ad locum kein solcher, sondern „a reeking mass of slaughter“, 89 also das Resultat eines spitzen Gegenstandes. Sucht man nun nach einem übergeordneten Muster der drei isolierten Bildelemente dieser szenischen Sequenz, so werden sie am besten mit dem Vorgang der Defloration beschrieben. 90 Diese sexualsymbolische Interpretation eröffnet eine tiefere Ebene unterhalb der bisherigen Deutungen und fügt sich zu ihnen, ohne mit ihnen in Widerspruch zu treten. Bereits hier erscheint die Penetration, wenn auch im Gegensatz zur Komödie nur symbolisch, als eine Spielart der Transgression, einer Transgression freilich, bei deren Integritätsverletzung der „strafende Phallos“ 91 den vormaligen politisch-religiösen Transgressor eliminiert, während sie bei der Defloration der Reproduktion, ja Duplizierung (s. 3.4 Tragik und dimidiata dyas in der Interpretation von Euripides’ Medea) den Weg ebnet. Diese Verteilung von männlich und weiblich zwischen Orient und Okzident findet in der griechischen Assoziation von Orien- 88 Grethlein 2012a: 135 f. 89 Lat. placenta leitet sich dagegen von ab (Frisk II 550 f., WH II 313, Beekes 1202 s.v. , - , Ernout/ Meillet 511; bei de Vaan fehlt das Wort ganz), dem nach Frisk II 550 f. eine Gutturalerweiterung des bei vorliegenden Stammes zugrunde liegt (bei Beekes fehlt diese Verbindung). 90 Textfern symbolisch spricht Griffith 1998: 54 von einer virtuellen Defloration, welche die geschlagenen Invasionstruppen durch die griechischen Speere, Ruder und die felsige Küste selbst erlitten. 91 Vgl. Hans Peter Obermayer, Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit. Tübingen 1998, 190-213. 228 tal(isch)em und Effeminiertheit 92 ein Äquivalent. Neben der transgressionspoetischen und orientalistischen Lesart ist die sexualsymbolische noch mit einer ritualorientierten Interpretation vereinbar, gestalteten sich doch Opfer und Defloration (im Gefolge der Eheschließung) beide in der Antike nach einem festen Ritual. Die Lexik der Perser bietet zwei markante Anhaltspunkte, an denen sich diskutieren läßt, ob sich der militärische Verlust der Männlichkeit zu einem Paradigma höherer Ordnung bei der Deutung dieser Tragödie ausbauen läßt. Statt auf Verwundung, Penetration und Integritätsverlust zielen diese beiden Bilder allerdings eher auf die Eliminierung. Daß Persien die Blüte seiner Jugend verloren hat, greift nur auf einer oberflächlichen lexikalischen Ebene die Defloration auf und ist ansonsten fest in der epischen Metaphorik militärischer Verluste verankert (s. 1.8 Xerxes). Daß der Brückenschlag zur Defloration lexikalisch spekulativ wäre, unterstreicht auch die Tatsache, daß, sofern überhaupt ein Urheber für den Verlust der Blüte des Landes genannt wird, dieser nicht wie bei Plataiai die Griechen, sondern der Großkönig selbst ist. Die beklagte Männerleere (v. 730: , vgl. v. 119: ’ ) legt zum anderen nahe, daß Persien sensu stricto entmannt wurde. 93 Die Lanze, durch welche der gesamte Heerbann zugrunde ging (v. 729), ist hierbei ein augenfälliger Brückenschlag zur Entjungferung durch die dorische Lanze, wobei allerdings Kastration und passive Penetration zwei verschiedene, wenn auch in der Antike häufig nicht getrennte Formen des Männlichkeitsverlustes sind. Der Topos vom orientalischen Eunuchen, den noch Phrynichos’Phoinissai durch eine Figur bedienten 94 (vgl. die Hypothesis der Perser), wird so in eine militärisch-politische Symbolik transformiert. Auch die implizite Poetik der Beschreibung von Salamis zeigt, daß Bierls abschließende Gesamtdeutung der Perser als „prädramatische[n] Performance“ nuanciert werden muß. Das Geschehen wird nicht bloß „im Rahmen des Dionysosfestes in seiner ganzen Gewalt und auflösenden Energie ästhetisierend, performativ und pathetisch in vielen Stimmen und Perspektivierungen […] durchgespielt“, 95 sondern als theologisches Lehrstück in der Perspektive der Besiegten unter Rückgriff auf die literarische Tradition Homers und der frühgriechischen Lyrik (s. 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität) dargestellt. Das Ereignis selbst wird eben nicht in einer kolossalen Naumachie durchbzw. nachgespielt, d.h. rein mimetisch iteriert, sondern in verschiedenen Botenberichten wiedergegeben und von den Akteuren gestuft erfragt, erfahren und reflektiert. Der Begriff der „Performance“ bleibt unspezifisch (vgl. 2.2.1 Performanz in der Einleitung) und kann wohl wenig dazu bei- 92 Vgl. dazu Hall 1989: 119 Anm. 59, 127, 209. Für die Assoziation von Orient und Weiblichkeit vgl. Said 2003: 137 f., 182, 220 auch autobiographisch-sinnlich-stereotypisierter, wie im Falle Flauberts (2003: 187). Der Orient ist Said zufolge passend zur vorliegenden Argumentation in der westlichen Vorstellung des 19. Jh.s durch eine „feminine penetrability“ charakterisiert (2003: 206). 93 Für das Bild des orientalischen Eunuchen s. Hall 1989: 209. 94 Dies wertet Hall 1989: 73 als orientalistisch. 95 Bierl 2007: 61 f. 1. Aischylos’ 1.7 Nekromantie als Intratheater und Dareios’ Geist als Gott-Vater 229 tragen, die Besonderheit des aischyleischen Dramas zu beschreiben. Mimetischdramatisch performiert werden dagegen in dieser Tragödie die literarischen Vorgänger, allen voran Homer. 96 Diese inszenierende Intertextualität und Gattungstransposition ist neben der Verlegung der Bühne nach Susa eine wichtige Form im eigentlichen Sinne poetischer Transgression, da sie einen neuen literarischen Raum für die tradierten Stoffe, Motive und Sichtweisen schafft. Diese sind die epischen Elemente eines ansonsten analytischen und dramatischen Theaters. 97 Denn Aischylos zerlegt Homer nicht nur, sondern integriert die so fragmentierten Elemente in einen neuen Verlauf. 98 Die ihm bei Athen. 347e zugeschriebene poetologische Metapher, seine Tragödien seien „Schnitten 99 vom großen Mahle Homers“ ( … ), spiegelt das Bild von der dorischen Lanze, welche die Schlachtmasse durchbohrt. Die intertextuelle schöpferische Tätigkeit des Dichters und die Eliminierung infolge der Transgression werden parallelisiert. In den Persern haben beide die Transgression zum Gegenstand. Die Ästhetik des (Ab-)Schlachtens in den Persern erhält so eine höhere Verankerung in einer Poetik der Fragmentierung. 1.7 Nekromantie als Intratheater und Dareios’ Geist als Gott- Vater Die Nachricht von der transgressiven, katastrophalen eliminatorischen Niederlage in der Fremde sprengt derart die bisherigen Erfahrungen, daß Abhilfe und Erklärung der Krise nur noch eine gleichfalls transgressiv-transzendente Operation versprechen, die Nekromantie von Dareios’ Geist, welche die Grenze zu Unterwelt und Vergangenheit überschreitet und theatralisch wie theologisch die vertikale Achse ins Spiel bringt. Dareios’ Auftreten aus der Unterwelt überbrückt qua rituelle und intratheatralische Grenzüberschreitung die Diskrepanz zwischen Mensch und Gott und jenes Unterlegenheit unter diesen, die aus den Versen 93-100 spricht. Wenn Dareios in göttlichen Termini oder in großer Nähe zu den Göttern beschrieben wird (Griffith 1998: 59 Anm. 128), so ist dies, da sie aus Dareios’ Transgression ins Jenseits resultiert, kein Beleg für das orientalistische Bild eines Gottkönigtums, sondern zeigt vielmehr, daß er als Vehikel für die Rückverlagerung des Göttlichen aus dem Politischen ins Religiöse fungiert und damit komplementär die Desillusionierung über das Regierungsverhalten 96 S. dazu mit reichlicher Forschungsliteratur Andreas Bagordo, Reminiszenzen früher Lyrik bei den attischen Tragikern. Beiträge zur Anspielungstechnik und poetischen Tradition. Habil. Freiburg i.Br. 2001. Zetemata 118. München 2003, 22 f. 97 Zur Episierung im modernen Drama s. Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 41-43 und Peter Szondi, Theorie des modernen Dramas 1880-1950. Frankfurt a.M. 7 1970, 13. 98 Zu Aischylos’ Integration der Homerischen Epen in die Tragödie vgl. John Herington, Poetry into Drama. Early Tragedy and the Greek Poetic Tradition. Sather Classical Lectures 49. Berkeley 1985, 138-144. 99 ist von abzuleiten (Frisk II 875 s.v. , Chantraine 1065 s.v. , Beekes 1466 s.v. ) und bezeichnet ursprünglich Fisch-, später auch Fleischscheiben (LSJ 1774 s.v.). 230 seines Sohnes flankiert. Xerxes verliert so den Nimbus des Gottkönigs an seinen verstorbenen Vater. Die Transgression zur Transzendenz, welche die Nekromantie darstellt, hat eine ähnliche Suggestivkraft und pädagogisch-diagnostische Funktion wie die Verlegung des Schauplatzes nach Persien, da sie unmittelbar die Akteure präsentiert, an denen die Deutung der Ereignisse manifest wird. Mehr noch entwikkelt der Dialog mit Dareios die umfassendste Interpretation der geschilderten politischen Geschehnisse, die das Stück zu bieten hat. Form und Inhalt korrespondieren: Das Ritual und Intratheater der Nekromantie ist das passende Vehikel für Dareios’ theonomische Botschaft. Derart starke dramaturgische Mittel wie Nekromantie und Intratheater sind nicht bloßer Theaterdonner oder Effekthascherei. Sie erfüllen die dramensemiotische Funktion, der so herausgehobenen Figur und der Sichtweise, die sie verkündet, Autorität und Glaubwürdigkeit zu verleihen, 100 wobei Dareios’ intellektuelle Autorität bereits sachlich durch den Aufenthalt in der Unterwelt gestärkt wurde (Griffith 1998: 59). Die Autorität des Vaters Zeus und des Vaters Dareios verschmelzen (Griffith 1998: 60 f.). Pelling 1997: 14-16 arbeitet denn auch heraus, daß Dareios’ Botschaft (im Gegensatz zu seiner befremdlichen Erscheinung) griechischem Denken entspreche. Für die Interpretation der Tragödie hat die Nekromantie von Dareios’ Geist damit eine kardinale Position. In seiner Binnenhermeneutik tritt der Gegensatz zwischen Griechenland und Asien, der in der Tragödie und auch hier durchaus virulent ist, hinter die Transgression des Großkönigs und v.a. den Gegensatz zwischen jung und alt zurück. 101 Der Geist des verstorbenen Großkönigs kann zwar nicht als Sprachrohr des ersten großen Tragikers angesehen werden 102 (dies wäre ein Rückfall in allzu personal-auktoriale Deutemuster von Literatur), wohl aber als Medium der aischyleischen Theologie. 103 Der religiöse Bezugsrahmen bleibt der griechische Götterhimmel, ruft doch auch der Chor den „Zeus König“ als Urheber des Verderbens an (v. 532), während zuvor, so die Ansicht des Chores in der Parodos, die Moira den Persern den Sieg verliehen hatte (v. 102-107). Ferner schleuderte Dareios zufolge Zeus das Ende auf seinen Sohn (v. 739 f.). Dieser richtet schließlich an den Göttervater die unerfüllbare Bitte, er möge mit seinen Männern untergegangen sein (v. 915-917). 104 Da der verstorbene Großkönig 100 Diese dramensemiotische Funktion des Intratheaters ignoriert Grethlein 2010: 84 f., wenn er die interpretatorische Relevanz von Dareios’ Äußerungen relativiert, obwohl er doch die formale Besonderheit der Dareios-Szene über mise en abyme und Metatheater herausgarbeitet hat. 101 Ihn hat bereits, anknüpfend und in Weiterentwicklung von Suzanne Saïds historischer Deutung (Darius et Xerxès dans les Perses d’Eschyle. Ktèma 6 (1981) 17-38), Sabine Föllinger, „Der Konflikt zwischen Vater und Sohn: Xerxes als Neuerer und Versager“, in: Genosdependenzen. Studien zur Arbeit am Mythos bei Aischylos. Teilw. zugl. Habil. Mainz 1999. Hypomnemata 148. Göttingen 2003, 254-267 erkannt, für das Verständnis dieser Tragödie fruchtbar gemacht und dabei die Grundlinien der vorliegenden perspektivisch-strukturalistischen Interpretation vorweggenommen. 102 Ablehnend auch Grethlein 2007: 386 (mit den Vertretern dieser These) und 2010: 84. 103 Vgl. Robert Bees, Aischylos. Interpretationen zum Verständnis seiner Theologie. Zetemata 133. München 2009, 44-72. 104 Bierl 2007: 61 sieht dagegen am Ende „Xerxes […] symbolisch in den Tod schreite[n].“ Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttin- 1. Aischylos’ 1.7 Nekromantie als Intratheater und Dareios’ Geist als Gott-Vater 231 auch die Herrschaft eines Mannes über Asien als Geschenk des Zeus ansieht (v. 762-764), wird das griechische kosmische System in einem naiven Ethnozentrismus zu einer universalen Ordnung verallgemeinert, deren Gültigkeit auch in einer interpretatio Graeca die Perser anerkennen, statt den Sieg als Sieg der griechischen Götter zu deuten. Durch den Rückgriff auf Zeus als Garanten der Weltordnung kann das historische Geschehen universalisiert und als deren Restauration gedeutet werden. 105 Die Nekromantie wird durch die theonomische Deutung, welche die jenseitige Autorität Dareios in ihr vortragen kann, auf der Ebene des gesamten Stükkes zum Vehikel der Anagnorisis, die wenigstens intellektuell die Ordnung wiederherstellt. Dies gilt auch auf der pragmasemiotischen Ebene: Das Scheitern des transgressiven Heerzuges affirmiert die Meerengen als Grenze zwischen Griechenland und dem Perserreich. Die Autorität des in Lumpen heimkehrenden heißspornigen jungen Großkönigs ist gegenüber der im Hause verbliebenen Königinmutter geschwächt, er selbst erkennt teilweise die Ursachen für das Verhängnis. Es bleibt allenfalls insofern eine vage Hoffnung darauf, daß Xerxes mit fortschreitendem Alter zur Besinnung kommt, als Dareios die Alten des Rates ‚Gefährten seiner Jugend‘ nennt (v. 681). Dies ist auch ein Moment des soziopragmatischen Funktionierens sprachlicher Kommunikation, da, so Griffith 1998: 58, mit dieser Anrede sowie der koordinierten vorausgehenden (v. 681) die Bande der aristokratischen Reziprozität hergestellt werde. Der Brückenschlag erfolgt dabei nicht nur innerhalb der erzählten, sondern auch der gespielten Zeit, da der Chor sich in v. 2 als vorstellt. Die Übereinstimmung besteht also nicht nur zwischen den Figuren, sondern auch den Zeitstufen, wo die personalen Bande eine Kontinuität finden. Die zeitliche Dimension konstituiert dabei die Solidarität der Alten gegen den jungen Großkönig. Sie ermöglicht aber auch eine Verlängerung der Loyalität gegenüber dem Großkönig von der Vergangenheit in die Zukunft, ihren Transfer vom Vater auf den Sohn, so daß der Rückhalt der Monarchie bei den Untertanen durch diese Krisensituation hindurch gerettet wird. Daß das pragmatische Funktionieren der sprachlichen Kommunikation, das beim Dreiwegsmassaker des OT nicht gegeben ist und im Falle von Theseus’ Fluch, der ebenfalls die jenseitige Ebene involviert, zur Eliminierung führt, die (Wieder-)Herstellung der sozialen Beziehungen gewährleistet, zeigt bereits der perlokutive Erfolg der des Chores bei der Nekromantie (v. 687, vgl. Griffith 1998: 58), der daran sinnfällig wird, daß Dareios’ Geist sie bei seinem Erscheinen erwähnt. Bereits hier zeigt sich, daß das Klagen eben nicht nur irgendein konventionelles Ritual, sondern auch nicht zuletzt eine sprachliche Äußerung ist, die eine Kommunikation ermöglicht. Diese Funktion wird bei dem Dialog des redintegrativen Kommos, den der heimkehrende Großkönig mit den gen 2 1956, 62 Anm. 1 (fehlt in der dritten Auflage) lehnt Ernst Bickels (Geistererscheinungen bei Aischylos. RhM 91 (1942), 123-164, h. 123-132) These ab, „Xerxes im Unglück der Niederlage sei aus dem Adrastos-Kultspiel von Sikyon entnommen.“ 105 Reginald P. Winnington-Ingram, „Zeus in Persae“, in: Studies in Aeschylus. Cambridge 1983, 1-15, h. 2 f. 232 Alten des Kronrats führt, zur vollen Entfaltung kommen (vgl. Griffith 1998: 63 und den nächsten Abschnitt). Bereits Grethlein hat den Nachweis erbracht, daß der Auftritt von Dareios’ Geist ein Spiel im Spiel und damit ein Fall von ‚Metatheater‘ sei, wie er es nennt (nach der Terminologie der vorliegenden Arbeit würde man eher von ‚Intratheater‘ sprechen). Dabei handele es sich um einen theaterformalen Subtypus der mise en abyme (2007: 379), was Grethlein damit begründet, daß Dareios’ Nekromantie ein auf der Bühne performiertes Ritual 106 sei (2007: 380). Diese Interpretation stützt er durch den Verweis auf Elemente der Inszenierung (2007: 380): Der Chor beschreibe bei der Beschwörung Dareios’ Gewand (v. 660 f.) und bitte ihn, hinaufzukommen (v. 658 f., 662), was einer Regieanweisung gleichkomme (2007: 380). 107 Dabei agiert er freilich nicht gänzlich unabhängig, da Atossa ihn zur Nekromantie aufgefordert hat, ohne die einzelnen Schritte vorzugeben (v. 619-621). Ihre Rolle entspricht derjenigen des Produzenten beim modernen Film, die soziale Hierarchie bleibt auch bei der gestuften Initiative des Intratheaters gewahrt. Doch Grethlein bleibt ausdrücklich nicht bei einer solchen formal-dramaturgischen Analyse der mise en abyme stehen. Zwar lassen die Definitionen der mise en abyme, die Grethlein zitiert (2007: 379), offen, ob sich dieses poetische Verfahren auf den Inhalt oder die Form bezieht. 108 Grethlein weist jedoch darauf hin, daß Dällenbach bei seiner ausgefeilten Typologie der mise en abyme (1977: 57-148) die Ähnlichkeit dieser poetischen Synekdoche mit dem Ganzen auf der Ebene des énoncé, der énonciation und des Codes verorte (2007: 380) bzw. „auf der Ebene des récit, der Figurenzeichnung, der Themen, der Motive, des Sprachgebrauchs usw.“ 109 Grethlein macht nun in der Dareios-Szene eine stückspezifische Form der mise en abyme aus, den Umgang mit den Zeitstufen, da Dareios die Vorvergangenheit („pluperfect“) zu dem vergangenen, berichteten Schlachtgeschehen und der Gegenwart der Aufführung 106 Für diese Gleichsetzung kann Grethlein auf Richard Hornby, Drama, Metadrama, and Perception. Lewisburg 1986, 21 verweisen, der zu Henry IV zu dem Ergebnis kommt: „Ultimately, Falstaff depicts Shakespeare’s entire culture.“ Vgl. dessen Kapitel „The Ceremony within the Play“ (S. 49-66). 107 Phillip Mitsis, Xerxes Entrance: Irony, Myth, and History in the Persians. In: Language and the Tragic Hero. Essays on Greek Tragedy in Honor of Gordon Kirkwood. Ed. by Pietro Pucci. Atlanta 1988, 103-119, h. 112 hebt dagegen nur auf die Figurenzeichnung und nicht die dramatische Technik ab, wenn er Dareios „a particularly extravagant incarnation of Barthes’ authorgod“ nennt. 108 „[E]st mise en abyme toute enclave entretenant une relation de similitude avec l’œuvre qui la contient.“ (Lucien Dällenbach, Le récit spéculaire. Essai sur la mise en abyme. Diss. Genf 1976. Paris 1977, 18) Gerald Prince, A Dictionary of Narratology. Lincoln 2 2003 s.v. „A miniature replica of a text embedded within that text; a textual part reduplicating, reflecting, or mirroring (one or more than one aspect of) the textual whole.“ Dies entspricht übrigens genau der Beschreibung, die Gödde 2000: 39 von Atossas Traum vornimmt („Atossas Traum führt die gesamte Perser-Tragödie en miniature [Kurs. im Orig.] vor.“), der bereits von Rachel Aélion, Songes et prophéties d’Eschyle. Une forme de mise en abyme. LALIES 3 (1984) 133- 146, h. 136 f. als mise en abyme eingestuft wurde (vgl. Grethlein 2007: 380 Anm. 41), selbst wenn Gödde selbst nicht von mise en abyme spricht und hier kein Intratheater vorliegt. 109 Rainer Zaiser, Inszenierte Poetik. Metatextualität als Selbstreflexion von Dichtung in der italienischen Literatur der frühen Neuzeit. Ars rhetorica 22. Berlin 2009, 37 Anm. 13. Vgl. die tabellarische Übersicht bei Dällenbach 1977: 141 (vgl. 139). 1. Aischylos’ Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 233 darstelle (2007: 380: „In doubling its own relation to the present of the performance“). Dank dieser narratologischen Komplexität kann die Dareios-Szene zu einem Instrument der Hermeneutik der memoria werden (Grethlein 2007: 381) und damit auch zu einem Mittel, um Transgression und Eliminierung zu interpretieren. Paradoxerweise fungiert der Chor zwar als interner Regisseur des Schauspiels der mise en abyme, nicht jedoch als dessen Zuschauer und Interakteur, weil er sich nicht traut, den Geist anzusehen oder anzureden (v. 694 f.), also aus Furcht mit Sehen und Sagen die beiden Vollzugsmodi des Theaters bzw. Dramas verweigert. Bei seinem Auftritt ist Dareios’ Geist also eine Bohrersche Erscheinung, weil er den Chor als internen Zuschauer in praktische Scheu (v. 694 f.) und Angst (v. 700 f.) versetzt. Doch beruht zumindest die Scheu des Chores nicht allein auf einer Ästhetik des jenseitigen Schreckens, sondern wird ganz soziopragmatisch mit dem früheren Respekt vor dem Herrscher begründet (v. 696). Die Furcht vor dem Anblick hat hier also nichts mit der Monstrosität des Wahrnehmungsobjekts zu tun, sondern beruht auf dessen respektgebietender Aura. Rein auf der Ebene der Aufführung läßt sich festhalten, daß durch die frühe Architektur der Spielstätte Dareios’ Erscheinung am Rand der Terrasse, die sich zwei Meter erhob, eindrucksvoller war, als noch keine Skene oder provisorisches Schauspielhaus („playhouse“) am Rande der Orchestra errichtet worden war. 110 1.8 Xerxes: Vom Gott-/ Großkönig über den der intratheatralischen Nekromantie zum oder: Tragik, Vergänglichkeit und Jugend Dareios’ Nekromantie hat nicht nur eine formal-dramenästhetische Funktion, sie leistet auch einen zentralen Beitrag zur intellektuellen binnenhermeneutischen Aufarbeitung des Desasters, die dessen tieferen Ursachen und Verantwortlichkeiten nachspürt. Eine solche intellektuelle Ausarbeitung kann auf die ausführliche plastische Schilderung der Niederlage folgen, in deren sinnlicher Plastizität die Ästhetik des Schreckens im Vordergrund stand. Diese Ursachen, sowohl in der expliziten Binnenhermeneutik als auch in der Darstellungsperspektive der Tragödie, will dieser Abschnitt herausarbeiten. Die Frage nach diesen Ursachen ist kardinal für die Deutung des Stückes: Die Rolle, welche die ethnisch-kulturelle Zugehörigkeit dabei spielt, entscheidet über seinen orientalistischen Charakter, diejenige der Götter hat Auswirkungen auf seine mögliche Tragik und ist mit der Kontingenz verwoben, die jüngst Grethlein ins Spiel gebracht hat. Grundsätzlich gilt es hierbei zwischen mono- und plurikausalen Modellen zu unterscheiden. Ferner ist am besten zwischen dem Verursacher, also dem unmittelbar vollziehenden Akteur bzw. Transgressor, und dem oder den letztverantwortlichen Faktoren zu trennen, die personaler oder sachlicher Natur sein kön- 110 Margarete Bieber, History of the Greek and Roman Theatre. Princeton 2 1961, 57 (mit Abbildung [Fig. 230, S. 56, vgl. Fig. 223, S. 55]). 1.8 idiot de la famille 234 nen. Ein derart komplexes Modell entwickelt in der Tat, wie im Verlaufe dieses Abschnitts zu zeigen, die nicht minder fein ziselierte Binnenhermeneutik, deren unterschiedliche Positionen durch die Pragmatik und den Verlauf der Tragödie auch hierarchisch strukturiert werden. Die verschiedenen Stimmen sind also wohlorchestriert. Die interpretatorische Aufarbeitung der Katastrophe leitet der Chor in den ersten Worten des ersten Stasimons ein, das auf die Nachricht von der Niederlage folgt (v. 548-557): In diesen Worten kristallisiert sich das, was die vorliegende Interpretation als die Essenz der Perser ansieht und dieser Abschnitt in weiterem Rahmen entwikkeln soll, nämlich eine klare persönliche Zuschreibung der Verantwortlichkeit für die erlittene Eliminierung an einen vollziehenden Transgressor. Die Binnenhermeneutik deutet Xerxes’ Zug nach Griechenland und seine vernichtende Niederlage als Transgression gegen die theonomische Weltordnung. Außerdem arbeitet die drameninterne Interpretation mit tragischen Elementen sowie dem Aspekt von Jugendlichkeit und Vergänglichkeit. Die Analyse von Transgression und Eliminierung ist also engstens mit dem Bild des Xerxes in der Tragödie verknüpft. Das genaue Zusammenspiel und eine mögliche Verschachtelung oder Hierarchie dieser Motive will dieser Abschnitt erhellen. Während der geschlagene Großkönig als Objekt der Binnenhermeneutik durch den festgelegt ist, wandelt sich der Interpret, was den Monarchen kaleidoskopartig beleuchtet. Xerxes durchläuft so während der drei Abschnitte der Tragödie entsprechend den Figuren, über deren Sicht oder Interaktion er definiert wird, drei Phasen, in deren Verlauf sein Bild sich als Reaktion auf die von ihm zu verantwortende Transgression und Eliminierung stark wandelt: War er vor der Nachricht der Niederlage für den Chor noch der gottgleiche Großkönig, so wird er danach in den Augen seiner Mutter und des von ihr aus der Unterwelt heraufgerufenen Vaters zum jugendlichen Heißsporn, der das väterliche Erbe verspielt hat, bevor er nach seiner Heimkehr in Lumpen und nach dem peinlichen Tadel durch den Chor als Anführer des Kommos eine gewandelte rituelle Führungsposition wiedererlangt. Die zitierte heftige Anklage des Chores bereits nach der Nachricht von der Niederlage zeigt, daß die Wahrnehmung des Xerxes in der ersten Phase nicht von der wahrnehmenden Figur, sondern von dem Informationsstand über Transgression und Eliminierung, hier über die Niederlage, strukturiert wird und in eine Subphase vor und nach dieser zerfällt. (Ein ähnliches Zwei-Subphasen- Modell weist ja auch die Interaktion zwischen Chor und König in der dritten Phase auf.) Im Zentrum der Detailinterpretation des vorliegenden Abschnitts 1. Aischylos’ 235 wird die zweite Phase stehen, deren intratheatralische Aspekte im vorausgehenden behandelt wurden. Der dritten wird dann wegen ihrer sachlichen Differenziertheit und herausgehobenen Stellung der folgende Abschnitt gewidmet. Mit der These von der personalen Ätiologie der Eliminierung konkurrieren zwei Erklärungsmodelle, Grethleins Kontingenz und der Orientalismus, die beide nicht zwischen Vollzug und Letztverantwortung unterscheiden und deren heuristischer Wert und hermeneutische Integrierbarkeit ausgelotet werden sollen, bevor das hier vertretene plurikausale personale Modell entwickelt wird. Das skizzierte inhaltlich wie formal-narratologisch komplexe Modell ist, wie dieser Abschnitt im einzelnen zeigen will, wegen seiner Differenziertheit wohl am ehesten geeignet, Grethleins Einwände gegen die traditionell diskutierte Kausalattribution an menschliche oder göttliche personale Akteure aufzufangen, die er mit dem pluriformen und polyphonen Charakter der Tragödie begründet. Außerdem vermag es hoffentlich, auch seine These integrativ weiterzuentwikkeln, die Perser schilderten „contingency of chance“, die am Scheitern der Erwartungen manifest werde (2010: 83, 102 f., vgl. 8). Diese Einstufung erklärt und legitimiert sich aus dem diachron-bipolaren Analyseraster, das Grethlein entwirft, um die Entwicklung der Vergangenheitskonstruktion im alten Griechenland zu beschreiben. Die Alternative ist bei Grethlein - in Anlehnung an Rüdiger Bubners entsprechende Unterscheidung 111 - die Handlungskontingenz, bei der die Kontingenz als Rahmen für Handlungen aufgefaßt werde (2010: 7). Anders als in der Moderne, in der die Kontingenz als „freedom of action“ erfahren worden sei, habe im alten Griechenland die „contingency of chance“ und ihre destabilisierende Wirkung im Vordergrund gestanden, so Grethlein im Fazit seines Buches (2010: 289). Daß der Erfolg einer Handlung kontingent zur Intention ist, wie bei der Transgression in den Persern der Fall, scheint durch die Adaptation dieses Modells bei Grethlein nicht erfaßt zu werden. 112 Dabei ist diese Diskrepanz zwischen Absicht und erzielter Wirkung, die nach Auffassung dieser Arbeit eine Voraussetzung für die Tragik ist (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik in der Einleitung), ein wichtiger Punkt in Bubners Handlungskontingenz, den er sogar ebenfalls mit dem Han- 111 Geschichtsprozesse und Handlungsnormen. Untersuchungen zur praktischen Philosophie. Frankfurt a.M. 1984. Einschlägig ist hier das Kapitel „Handlungskontingenz“ (S. 35-47). 112 Grethlein 2010: 7 bleibt in diesem Punkt nicht eindeutig bestimmbar: „Where things are neither impossible nor necessary, human beings can act, but are at the same time constrained by chance.“ „At the same“ zielt wohl auf das Handeln, läßt sich aber auch auf die condicio humana beziehen. Im folgenden entwickelt Grethlein die binäre Opposition von „contingency of chance“ und „contingency of action“. Beide Formen der Kontingenz seien jedoch an eine Spannung zwischen Erwartung und Erfahrung geknüpft, und Diskrepanzen zwischen diesen beiden Größen könnten auch bei Handlungen auftreten. Die Interpretation der Perser macht die Zufallskontingenz an der condicio humana und nicht primär am menschlichen Handeln fest (Grethlein 2010: 85). Dagegen kennt Jonas Grethlein, Das Geschichtsbild der Ilias. Eine Untersuchung aus phänomenologischer und narratologischer Perspektive. Habil. Freiburg 2004. Hypomnemata 163. Göttingen 2006, 31 eine Kontingenz, die sich „in der Einschränkung des Handelns durch Zufall äußert“ und die „sich darin [zeigt], daß etwas Unerwartetes die eigenen Pläne durchkreuzt“, also durchaus ein Äquivalent dessen, was die vorliegende Untersuchung in Anlehnung an Bubner unter einer ‚Handlungskontingenz‘ versteht, die dann vorliegt, wenn Absicht und Folgen auseinanderklaffen. Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 236 deln historischer Herrscher illustriert (1984: 41-43). Zwischen seinen beiden Beispielen besteht jedoch ein markanter Unterschied, der auch für das Verständnis der Perser relevant ist: Im Falle Cäsars, der an den Iden des März von den Verschwörern ermordet wurde, schaffte der Besuch in der Kurie nur die Voraussetzung dafür, daß die Dolche der Mörder ihn trafen. Ludwig XVI. gab dagegen mit der Einberufung der Generalstände, einem außergewöhnlichen Ereignis, da diese seit 1614 nicht mehr zusammengetreten waren, den Anstoß zu den Ereignissen, die in die französische Revolution mündeten und ihn den Kopf kosteten. Sein Handeln war zudem eine einmalige, überlegte Tat, während Cäsars Besuch in der Kurie eher eine Routine des alltäglichen Politikbetriebs war. Cäsars Fall unterscheidet sich also nur dadurch von der Zufallskontingenz, die etwa anzunehmen wäre, wenn er im Bette von einem Balken erschlagen wurde, daß er lokal-materiell durch eine Handlung des Betreffenden ermöglicht wurde. Ludwig XVI. leitete dagegen einen politischen Prozeß ein, der anders ausging als beabsichtigt. Der gemeinsame Bereichsrahmen von Handlung, Intention und Resultat sowie der impulsive kausale Nexus zwischen Handlung und Resultat rechtfertigen hier im vollen Sinne die Bezeichnung ‚Handlungskontingenz‘. Eben ein solcher Fall liegt in den Persern vor, wo ein Feldzug, den der Herrscher veranlaßt und der bisherige Grenzen überschreitet, statt zu Eroberung und Machterweiterung zu Niederlage und Machtverlust, selbst im Inneren, führt. Wie wenig es in den Persern um die Zufallskontingenz geht und wie sehr die transgressive Handlungskontingenz in den Vordergrund gerückt wird, zeigt auch die verwunderte Nachfrage von Dareios’ Geist, ob eine Epidemie ( ) oder innere Unruhe ( ) für den Untergang der persischen Machtmittel verantwortlich sei (v. 715), den Atossa zuvor beklagt hat (v. 713 f.). Bei der Epidemie handelt es sich um ein Naturereignis, dem nach Darstellung der Ilias und des OT gewiß ein monarchisches Fehlverhalten zugrunde liegen kann, der Bürgerkrieg ist ein innenpolitischer kollektiver Prozeß, bei dessen Ursachen das Fehlverhalten eines Tyrannen ebenfalls eine Rolle spielen kann (z.B. Alkaios V 129). Bei dem außenpolitisch-militärischen Debakel, das Atossa und der Chor nun erklären wollen, besteht dagegen wegen der geographisch-militärischen Transgression trotz deren religiöser Dimension auf der realpraktischen Ebene ein eindeutiger, monokausaler Nexus zwischen der verfehlten politischen Entscheidung des Alleinherrschers und der so ausgelösten staatlichen Katastrophe. Auch sonst bietet die Transgression einen heuristischen Mehrwert: Sie ist der Faktor, um und durch den die meisten der verschiedenen Momente, die Grethlein als Anhaltspunkte für die Zufallskontingenz in den Persern ausmacht (2010: 83-85), organisiert sind. Weil die verschiedenen Akteure der Binnenhermeneutik keine absolut in sich schlüssige und geschlossene Version über den individuellen Anteil des Xerxes und die Rolle der Götter bei der Ursachenforschung des militärischen Desasters präsentieren, sieht Grethlein die Zufallskontingenz als alternatives, übergreifendes Deutemuster und Kern dieser Tragödie (2010: 85). 113 Doch die unmittelbare Ursache der eliminatorischen Katastrophe ist Xerxes’ militärisch-geographische und religiöse Transgression. Sie ist das 113 „To sum up, contingency of chance is at the core of Persae.“ 1. Aischylos’ 237 Scharnier zwischen den tieferen Ursachen, denen die verschiedenen Akteure nachgehen, einerseits und dem Debakel und seinen verschiedenen Aspekten andererseits. Billigerweise muß man einräumen, daß dies eine handlungstheoretische Analyse des Plots der Perser ist. Der Chor, Atossa und Xerxes ziehen durchaus eine direkte Verbindung zwischen dem Wirken der Götter und der Katastrophe, wie Grethlein herausarbeitet (2010: 84). Insofern nehmen Grethleins und die hier vertretene Argumentation und Analyse schlichtweg zwei verschiedene Standpunkte ein. Doch offenbart ein näherer Blick auf die Details von Grethleins Analyse Einschränkungen in deren Reichweite. So geht sein Plädoyer für die Zufallskontingenz mit einem kausalanalytischen Analyseraster einher, das die individuelle Verantwortung nur unter dem subjektiven Aspekt der (tragischen oder moralischen) Schuld erfassen kann. Die Transgression beschreibt dagegen - entsprechend der oben getroffenen Unterscheidung zwischen Handlungskontingenz und Zufallskontingenz - rein objektiv die individuelle Rolle, die eine Einzelperson innerhalb und für das Geschehen spielt. Grethlein diskutiert diesen individuellen Anteil unter dem subjektiven Aspekt einer moralisch aufgeladenen Letztverantwortung (2010: 83: „Moral fault or contingency of chance? “), die er als nicht durchgehende Lesart der Binnenhermeneutik ansieht (2010: 85) - parallel lehnt er den Schuldbegriff der deutschsprachigen klassischen Philologie ab, er sei unangemessen für das klassische Griechenland (2010: 102), ein berechtigter wissenschaftsgeschichtlicher Einwand, dem das modifizierte Konzept einer individuellen Kausalität, das die Transgression bietet, allerdings wohl besser gerecht wird als eine unpersönliche Größe wie die Zufallskontingenz. Bei Grethlein tritt die individuelle Verantwortung schließlich hinter das Wirken der Götter zurück, das als Form der Zufallskontingenz auf einer anderen Ebene gewertet wird (2010: 85). Dieser Subsumtion eines Textphänomens unter eine Kategorie des eigenen Analyserasters wird man kaum widersprechen wollen 114 - schließlich betreibt diese Arbeit mit der Transgression dasselbe, allerdings mit dem genannten Unterschied, daß Grethlein näher am Text ist, weil er die Binnenhermeneutik und nicht die Handlungsstuktur wie die vorliegende Untersuchung einer emischen Lektüre unterzieht. Problematisch scheint es dagegen, wenn die Kontingenz in der Binnenhermeneutik gewissermaßen reifiziert wird, indem auf eher äußerlich-phänomenologische Diskontinuitäten in dieser abgehoben wird. Dies geschieht einmal durch den Hinweis auf durchaus vorhandene Abweichungen in der theonomischen Sicht, welche die einzelnen Figuren äußern, bei denen aber individuelle Akzentuierungen und spätere Entwicklungen nicht ausgeschlossen werden (2010: 83-85). In der Tat gibt es für die von Grethlein bemühten Diskrepanzen plausible dramat(urg)ische Gründe: So liegen die Aussagen des Chores und Atossas vor Dareios’ Auftritt. Dessen binnenhermeneutische Autorität relativiert Grethlein mit nicht überzeugenden Gründen (2010: 84 f.) (s. 1.7 Nekromantie als Intratheater und Dareios’ 114 In der Einleitung sichert er sich ab, daß er Termini gebrauche, die der untersuchten Epoche unbekannt gewesen seien. , das Äquivalent seines Begriffs ‚Zufall‘, sei bei Hesiod und Lysias faßbar und im Hellenismus prominent, gleichwohl habe er sich für ‚Kontingenz‘ entschieden (2010: 5 Anm. 29). Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 238 Geist als Gott-Vater) - allein die Komplexität seiner Interpretation, die alle anderen in der Tragödie übertrifft, verleiht ihr ein besonderes Gewicht. Xerxes’ abweichende Deutung ist ein markanter Teil der Figurenzeichnung. Sie bleibt apologetisch und allein dadurch fragwürdig, daß er der Verantwortliche für das Debakel ist, was seine Autorität massiv erschüttert, und zudem gegen den Konsens der anderen Figuren steht (Näheres s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung). Seine individuelle Position als Transgressor korreliert also mit seiner isolierten Sicht und illustriert die Einschlägigkeit des hier vertretenen Deutemusters der Transgression. Ähnlich wie im Falle von Bierls Ritual und Bohrers epiphanem Schrecken droht so die feinziselierte Architektur der Tragödie in Chronologie und Figurenzeichnung zugunsten eines Deutemusters eingeebnet zu werden, das auf periphere Phänomene abhebt und sie dekontextualisiert, während die Transgression diese in eine strukturierte Interpretation integriert. Zum anderen wertet Grethlein die Vielnamigkeit, mit der die Binnenhermeneutik die göttliche Ebene beschreibt ( ), als Schwierigkeit der Namensfindung und damit als Indiz für die Unsicherheit des menschlichen Lebens (2010: 85). „Linguistic denotation conveys control, its vagueness expresses helplessness“, fährt er unter Verweis auf Hans Blumenberg 115 („illuminating reflections“) fort. Dies träfe nur dann zu, wenn die genannten göttlichen Größen systemisch referenzlos wären oder in einem ungeklärten oder gar widersprüchlichen Verhältnis stünden, mithin ihr konjunktureller Gebrauch semantisch kontingent wäre. Dies ist allerdings mythologisch und aischyleisch nicht der Fall. 116 Letztgenanntes wird im Verlauf dieses Abschnitts gezeigt werden. 117 Die klare Gliederung der Kausalstruktur und Bannung des Schreckens unter verschiedene gliedernde Namen schafft im Gegenteil eine tröstliche Souveränität gegenüber der Katastrophe, die zuvor qua factum brutum eine diffuse Bedrohung darstellte, 118 die Binnenhermeneutik verleiht wie die Historiographie in Bubners Modell (1984: 45) dem zuvor Kontingenten einen Sinn, beide erreichen dies durch das identische Mittel der Kausalanalyse. Aischylos’ Perser schreiben so die Geschichte eines zeitgenössischen Ereignisses. 115 Arbeit am Mythos. Frankfurt a.M. 3 1984, 40-67. 116 Wie wenig es bei Aischylos um blinde Kontingenz geht, zeigt der Vergleich mit Sophokles: Binnenhermeneutisch ist dort die Kontingenz in der Antigone (v. 1158 f.: / ’ ) und im OT lexikalisch durch das Vorkommen von und v.a. / gesichert (s. 2.4.5 Transgression und Orakel im Kap. zum OT). Da es sich hierbei ebenfalls um einen Tragiker handelt, der in derselben Gattung wenig später tätig war, ist hier ein terminologisches Argument durchaus aussagekräftig. 117 Vgl. v.a. Geissners Untersuchungen zu bei Aischylos (s. die übernächste Fußnote). Auch im OT heben Unstimmigkeiten auf der Oberfläche der theologischen Aussagen der Figuren nicht die massive mantisch-theologische Sicht der Tragödie auf, die erst in deren Verlauf - auch anhand der genannten Figurenaussagen - entwickelt wird (s. 2.4.5 Transgression und Orakel). 118 Diesen schreckensbannenden und vertrauenstiftenden Effekt arbeitet auch Blumenberg in dem von Grethlein zitierten Kapitel („Einbrechen des Namens in das Chaos des Unbenannnten“) heraus (1984: 41 f., 49), wobei er diese These beim griechischen Polytheismus, den er auch mit Blick auf seine literarische Ausgestaltung ausführlich bespricht (1984: 41 f., 45-48, 52 f.), anklingen läßt (1984: 47 f.). 1. Aischylos’ 239 Die Sinnstiftung und (Wieder-)Herstellung von Souveränität ist zwar idealtypisch von der Transgression unabhängig (auch wenn sie genau über diese funktioniert und sie chronologisch voraussetzt), sie harmoniert aber mit einer anderen Interpretationslinie der vorliegenden Arbeit. Die Wiederherstellung der Ordnung, die Grethleins Modell einer durchgehenden Zufallskontingenz unberücksichtigt läßt, setzt sich nämlich im Trauerritual fort, das den Transgressor redintegriert und die soziale Ordnung restauriert (s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung). Auch die Transgression kann und will also nicht den Anspruch erheben, ein holistisches und endgültiges Interpretament der Perser zu liefern. Die Kontingenz, die Grethlein in den Vordergrund gerückt hat, bleibt auch in Zukunft ein beachtenswertes heuristisches Instrument, allein um Lücken in Text und Interpretation aufzuspüren, die andere Deutungen integrieren können. Dieses befruchtende Potential hat sie im Zusammenspiel mit der Transgression bereits unter Beweis gestellt. Wesentlich schwieriger und eingeschränkter als bei Grethleins Deutemuster der Kontingenz gestaltet sich die hermeneutische Integration des Orientalismus in die Ätiologie der Eliminierung, der nach Auffassung der vorliegenden Arbeit in der Darstellungsweise (aber nur eingeschränkt in der Binnenhermeneutik, s.u.) ausgemacht werden kann. Bereits der genaue Wortlaut der eingangs wörtlich zitierten Klage zeigt, daß Saids Deutung entschieden zu kurz greift, hier spreche Asien nur durch die europäische Imagination (hätte Aischylos ‚echte‘ (kriegsgefangene) Perser auf der Bühne ihre Sichtweise auf den Krieg dartun lassen sollen? ) und werde von dieser als leer und durch Europa besiegt geschildert, nachdem es zuvor eine Bedrohung dargestellt habe (2003: 56). Seine Beobachtungen sind nicht falsch (Europas Bedrohung findet sich freilich nirgends im Stück, sondern nur die Sorge der daheimgebliebenen persischen ‚Feinde‘ um die ausgezogene Armee), sie übersehen nur die entscheidenden pragmatischen und binnenhermeneutischen Differenzierungen innerhalb des dargestellten ethnischen Anderen. Der Chor der Alten übt in dem oben zitierten Passus (v. 548- 557) massive Kritik an dem vormaligen Gottkönig und weist ihm mit der dreifachen Anapher die politische Verantwortung für das Debakel zu, das die maritime Transgression nach sich gezogen hat. Ihm stellt er danach die erfolgreiche Kriegsführung seines verstorbenen Vaters gegenüber, dessen Feldzüge keine Eliminierung nach sich zogen. Insofern bietet diese Passage in nuce die antiorientalistische und paratragische Deutung dieser Arbeit, die den Schwerpunkt auf den pädagogisierten Gegensatz zwischen jung und alt statt auf die ethnisch-kulturelle Antithese legt, wie nachfolgend ausgeführt werden soll. Es ist nicht zu bestreiten, daß die Perser durchaus auf der Ebene der Semiotik des Gesamtdramas asymmetrische Gegensätze zwischen Griechenland und Persien konstruieren und gemäß ihrer auch sonst ausgeprägten Intertextualität, die sich nicht nur gegenüber Homer manifestiert, orientalistische Motive der bisherigen Literatur integrieren (s. 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität). Im Subtext mögen sie dabei raffiniert und manipulativ eine orientalistische Botschaft befördern und dem Nationalstolz der Athener subtil schmeicheln. Auf der expliziten Ebene, in der Binnenhermeneutik des Stückes, der als textlich faßbarer Selbstauskunft ein hoher heuristi- Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 240 scher Stellenwert bei der Interpretation zukommt, lassen die persischen Akteure freilich wenig Raum dafür. Hierbei handelt es sich um eine unmittelbare Folge der Verlagerung der Bühne nach Susa, die somit eine eminente Bedeutung für das Gesamtverständnis erlangt. Somit bleibt als autonomes, selbsttragendes Erklärungsmodell für die eliminatorische Transgression und Niederlage noch die Tragik, die ein dramenumgreifendes Phänomen ist. Obwohl die erste vollständig erhaltene Tragödie, weisen die Perser bereits lexikalisch 119 wie semantisch ein komplexes aischyleisches Konzept des Tragischen 120 auf, 121 dessen Frequenz und Elaboriertheit die orientalistischen Tupfer semiotisch funktionalisiert (Gold, Fall des Gottmenschen, autogenerierter Umschlag der Männerfülle in Männerleere 122 ) und das die Verblendungskonzeption und das Menschenbild der Ilias verfeinert. Doch daß Xerxes als scheiterndes agierendes Subjekt (aber nicht tragischer Transgressor) fungiert, weil er der Urheber der Transgression ist und für die Eliminierung verantwortlich gemacht wird, erfüllt nur die generischen Anforderungen an die Gattung Tragödie. Daß die Eliminierung im Bereich des Eigenen nicht die Angehörigen, sondern das eigene Herr betrifft, weist die Perser zusätzlich als politische Tragödie aus. Die skizzierte Handlungsstruktur erfüllt dagegen nicht, wie im folgenden zu zeigen, die Kriterien für das Handlungsmerkmal und die beiden Formen der Tragik, die in der Einleitung definiert wurden. Zum einen ist Xerxes’ Status als ethisch-rationales Subjekt grundständig durch die kausale Vorgängigkeit seiner Jugend und seine larmoyante und bloß teilweise Einsichtigkeit eingeschränkt (s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung). Damit ist eine Grundvoraussetzung für die allgemeinere Form der Tragik nicht gegeben, deren Ursachen in der Handlungsstruktur verortet wurden. Aber auch ein Normen- oder Integritätenkonflikt und selbst ein moralischer Impetus fehlen bei Xerxes’ Transgression. Ein Vergleich mit dem Agamemnon der Ilias und Oidipus im OT lassen Xerxes’ Rolle und seinen reduzierten Subjektstatus in den Persern klarer hervortreten. Zuerst zur Ilias: Daß Xerxes’ Gestaltung sich (mit deutungsrelevanten Unterschieden) an diejenige des verblendeten griechischen Heerführers Agamemnon anlehnt (Il. 19.86-94), zeigt neben dem diagnostischen Insistieren der alten Autoritäten auf seiner Jugend als Ursache seiner falschen Sinnesart, wie wenig diese Tragödie auf das pauschale Abqualifizieren „des“ Orients zielt. Vielmehr geht es um das Verständnis eines punktuellen militärischen Ereignisses mit einem ursächlichen Akteur: Xerxes. Eine kollektive und sogar politisch-interkulturelle Dimension erlangt der diagnostische Fokus auf dem für Transgression und Eliminierung verantwortlichen Monarchen erst, wenn man berücksichtigt, daß er diesen Schaden wohl nur dank der Regierungsform anrichten kann, die, 119 Für (S. 21-65) und (S. 107-109) s. Franziska Geisser, Götter, Geister und Dämonen. Unheilsmächte bei Aischylos - zwischen Aberglauben und Theatralik. BzA 179. München 2002. 120 Vgl. hierzu Albin Lesky, „Schicksal und Schuld“, in: Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 3 1972, 162-168. 121 Saïd 1981: 18, 21. 122 S. dazu Harrison 2000: 66-71. 1. Aischylos’ 241 so die Vorhersage seiner Mutter, ihm seine Stellung als absoluter Monarch auch im Falle einer Niederlage sichert (v. 213 f.). 123 Diese Vorhersage bewahrheitet die Reaktion der Alten bei seiner Rückkehr: Die Palastrevolution bleibt aus. Die narratologische Prolepse und die Regierungsform vermindern also Xerxes’ Sturz und sein tragisches Potential selbst unter generischen Gesichtspunkten, da ihn weder die physische Eliminierung ereilt noch ihm die soziale droht. Die politische Ordnung der Perser steht in klarem Gegensatz zum freiheitlichen Athen (v. 241 f.). Der Ausgang des Xerxeszuges zeigt also die Überlegenheit der Demokratie und damit der Verfassung der Polis Athen, deren Bürger die Zuschauer bildeten, aber nicht der Athener oder gar des Hellenentums. Die ethnisch-kulturelle Alterität, auf die der Orientalismus einseitig als Herabsetzung des Anderen abhebt, wird für die Erklärung von Transgression und Eliminierung, welche die Tragödie entwickelt, mithin nur in konstitutioneller und daran anknüpfend mentaler Hinsicht wirksam. Kommen wir nun zum OT: In Conachers Schilderung rückt die Entwicklung, die Xerxes’ Bild und Rolle im Verlaufe der Tragödie durchlaufen, stark an die Katastrophe heran, die ein tragischer Protagonist erleidet (1996: 15 f., 21, 28, 30); doch damit reduziert man Tragik auf den aristotelischen Umschlag vom Glück ins Unglück und dessen theatralische Inszenierung und vernachlässigt die bereits von Aristoteles analysierten Modalitäten dieses Umschlags (Poet. 1452b 34-53a 17). Conacher spricht zwar aristotelisierend von der tragischen Katharsis, welche die besondere Perspektivierung der Perser erziele, hebt aber auch auf Xerxes’ ab (1996: 30). Trotz grundsätzlicher Parallelen zum Fall des tragischen Protagonisten gibt es denn auch in den Persern markante Unterschiede, die ein Vergleich mit dem OT zeigt: Beide Tragödien schildern den massiven Machtverlust eines Monarchen und die Desillusionierung über dessen Fähigkeiten. In beiden verliert er seine Position als (Halb-)Gott (das ist die dramensemiotische Funktion des Motivs des orientalischen Gottkönigtums, mit dem die Tragödie spielt) und hat sich äußerlich selbst beeinträchtigt. Doch Oidipus blendet sich, während Xerxes nur seine Kleider zerreißt. Oidipus gibt den Thron auf, während Xerxes an ihm festhält. Oidipus erkennt die faktische Transgressivität seiner vergangenen Handlung, Xerxes teilt trotz heftiger Selbstanklage die Schuldzuschreibungen der übrigen Mitspieler nur eingeschränkt (Näheres für beider Übernahme der Verantwortung für die Transgression s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung). Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Monarchen ist jedoch die Vorgängigkeit der Jugend gegenüber der Tragik, die autoritativ in der mittleren Station von Xerxes’ Entwicklung, der Nekromantie, entfaltet wird und die nachfolgend untersucht werden soll. Neben der effektvollen Inszenierung, die wir im vorausgehenden Abschnitt kennengelernt haben, speist sich Dareios’ Autorität aus genealogischem Vorgang, erfolgreicher Regentschaft und jenseitigem Bezug, den er aktuell zur suprasystemischen göttlichen Ordnung hat - in v. 620, 641 wird er als 123 , / . Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 242 bezeichnet. 124 Daß seine Idealisierung einzigartig in den erhaltenen griechischen Tragödien ist (Griffith 1998: 57), illustriert seine dramensemiotische Funktion als Kontrast zu seinem mißratenen Sohn. Tragik und Orientalismus treten so gegenüber dem Lebensalter und der familiären Position zurück, 125 da Dareios auch nach seinem Tode idealiter noch der Patriarch und Monarch bleibt. Wie sehr der Gegensatz zwischen dem ‚guten‘ väterlichen Regenten und seinem törichten Sohn dichterischer Stilisierung entspringt und damit als literarisch gestaltetes Zeichen und nicht historisches Zeugnis zu lesen ist, 126 zeigt das Motiv der militärisch-politischen Transgression. Dareios nahm zahlreiche Städte ein, ohne den Halys zu überschreiten (v. 865 f.), lobt der Chor. Daß er dies doch tat und selbst nach der Überschreitung des Bosporos und der unteren Donau mit einer (Schiffs-)Brücke nur dank der ionischen Treue aus dem Land der Skythen entkam, wie Herodot mit denselben narrativen Schemata berichtet (4.87 f., 97, 141 f.), die bei der Schilderung des Xerxeszuges zum Einsatz kommen sollten (Saïd 1981: 25-27), wird verschwiegen. Wie sehr Dareios vom Makel eines scheiternden Transgressors reingewaschen wird, zeigt der Umstand, daß die Niederlage von Marathon in v. 244 und 475-477, die doch nach Aggressor und geographisch-politischem Objekt eine Blaupause des Xerxeszuges war, geschildert wird, ohne Dareios’ Verantwortung erkennen zu lassen. 127 Ebenso bleiben 124 Vgl. Bernhard Zimmermann, Drama. In: Ds. (Hg.), Handbuch der griechischen Literatur der Antike. Bd. 1: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit. HdA 7.1. München 2011, 451-474, 484-610, 664-800, h. 551: „Dem göttlichen Bereich zugeordnet und damit mit prophetischer, deutender Kraft ausgestattet ist der aus der Unterwelt heraufgerufene Geist des Dareios in den aischyleischen Persern […].“ 125 Ähnlich schon Murray 1940: 127. 126 Die Vertreter dieser Ansicht nennt mit Literaturangaben Grethlein 2007: 384 Anm. 52. 127 Diese kontrafaktische und konträre Kausalattribution bei der Transgression zwischen Vater und Sohn ist der markante und aussagekräftige Textbefund, weil er eine eindeutige Gestaltung und Rezeptionslenkung erkennen läßt. Vater und Sohn werden durch die interne Abgrenzung und den Gegensatz zur historischen Realität deutlich als literarische Zeichen herauspräpariert. Daß das Athener Publikum wußte, daß Dareios für die Datis-Expedition verantwortlich war, wie Grethlein 2007: 385 und 2010: 84 f. sachlich zu Recht betont, um den Unterschied zwischen Vater und Sohn in der Transgression bzw. Dareios’ Autorität bei der Binnenhermeneutik zu relativieren, steht auf einem anderen Blatt, da es nicht die textimmanente Dramengestaltung, sondern den Erfahrungshorizont des historischen Publikums betrifft. Dieser sah schon bei der Wiederaufführung der Perser in Sizilien auf Einladung Hierons von Syrakus ganz anders aus. Doch können Rücksichten auf das Primärpublikum auch bei der Gestaltung der Schlacht bei Marathon in den Persern nicht bestritten werden: An den beiden Stellen ihrer Erwähnung wird die Leistung der Athener betont. Sie und nicht Dareios sind das aktionale Subjekt. Wenn der Perserkönig an der ersten erwähnt wird (v. 244: ), so geschieht dies fern seinem späteren Auftritt als mantische Autorität. Grethlein ist jedoch insofern Recht zu geben, als dieses textimmanente Indiz zwar nicht die binnenhermeneutische Autorität des Dareios und seiner Botschaft komplett subvertiert (dagegen sprechen das Intratheater und das Vertrauen der Perser in ihn), wohl aber der historischen Realität Tribut zollt, die ein Drama aufgrund seines mimetischen Charakters nicht gänzlich ignorieren oder gar auf den Kopf stellen kann. In subtiler Ironisierung wahrt es so eine Distanz zu Dareios’ Stilisierung und seiner Botschaft, die dem interpretatorisch offenen Charakter eines Kunstwerks angemessen ist und den Rezipienten zum Weiterdenken statt zur bloßen Übernahme seiner Aussage einlädt. M.a.W.: Dareios’ Interpretation der Ereignisse ist nach Darstellung der Tragödie die komplexeste und wahrscheinlichste, aber nicht dogmatisch die einzig mögliche. 1. Aischylos’ 243 Kyros’ fatale Massagetenexpedition und Kambyses gänzlich unerwähnt, der selbst in der persischen Tradition zum Inbegriff der hybriden militärischen und politischen Unvernunft geworden war (Saïd 1981: 37 f.). Suzanne Saïd hat denn auch ganz entsprechend dem transgressiven Ansatz der vorliegenden Untersuchung textnah herausgearbeitet, daß Xerxes bei Herodot in der Kontinuitätslinie des (von den Griechen ideologischerweise diagnostizierten) achämenidischen Imperialismus stehe, wobei gerade im Falle der Operationen gegen Griechenland moderne Historiker die geringere Reichweite des Datisfeldzuges annähmen (1981: 28), während sein Hinausgreifen über Asien bei Aischylos als Bruch mit dem bisherigen Expansionsstreben der Perserkönige dargestellt werde (1981: 18). 128 Bruch und Riß sind also bei dem Tragiker nicht auf die Folgen und Versinnbildlichungen der Transgression beschränkt wie Schiffstrümmer und zerrissene Kleider, sondern werden auch zum Darstellungsprinzip der historiographisch-genealogischen Verortung der Transgression, welche die Differenz und Identität markiert. Der Bruch, den die Perser in die Genealogie der Achämeniden zeichnen und den sie durch den Akzent auf dem Gegensatz zwischen alt und jung noch vertiefen, bricht in markanter Weise auch mit einem sonst bei Aischylos verbreiteten Muster der Tragik: dem Geschlechterfluch. 129 Die genealogisch tradierte, nachgerade kontagiöse Schuld anderer Tragödien (Ch. 696 f.) 130 wird so durch eine individuelle politische Verantwortung eines Machthabers ersetzt. Die Säkularisierung der tragischen Motive (und damit auch die Irrelevanz der Tragik als Erklärungsmuster) wird besonders deutlich daran, daß der irreführende griechische Botschafter vor der Schlacht von Salamis als oder bezeichnet wird (v. 353 f.). Daß Dareios insistiert, die töricht-stürmische Jugend seines Sohnes sei die Ursache der katastrophalen geographischen und religiösen Transgression (v. 744-751, 782), 131 zeigt, daß es darum geht, den Respekt vor der tradierten, metaphysisch verankerten Werteordnung zu bekräftigen - und wohl auch vor deren alten Vertretern im Inneren. Griffith weist treffend darauf hin, daß Xerxes nicht nur als ‚jung‘, sondern auch als ‚stürmisch‘ (v. 74, 718, 754: ) charakterisiert werde (1998: 54). Die etymologische Verbindung des betreffen- 128 Vgl. S. 25: „Le Xerxès d’Hérodote est le véritable héritier de Darius.“ 129 Diesen Kontrast sieht auch Föllinger 2003: 276 f., die gleichwohl auch negative Auswirkungen früherer Generationen auf die jetzige sieht. 130 Vgl. dazu Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 3 1972, 165 f. 131 Ein besonderer Zug der Perser ist, daß der eigene Vater die Inkompetenz der Jugend zur Herrschaft oder allgemeiner zur Amtsausübung feststellt. Sie ist sonst noch später als Motiv geläufig, man denke an die Klage, die Walther von der Vogelweide anläßlich der Wahl des 37jährigen Lotario dei Conti di Segni zum Papst (1198) als letzten Vers seines Gedichts Ich sach mit mînen ougen einem einsamen Klausner in den Mund legt (Lachm. 9,39 = Schweikle Bd. 1, 78): ‚owê der bâbest ist ze junc: hilf, hêrre, dîner kristenheit.‘ Doch anders als bei Xerxes in den Persern gelangte unter dem Pontifikat Innozenz’ III. das mittelalterliche Papsttum zum Gipfel seiner Macht. Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 244 den Adjektivs mit ‚springe‘, 132 auf die er weiter hinweist, verleiht Xerxes eine Disposition zu übermäßiger, potentiell grenzüberschreitender Bewegung. Mag diese Einschätzung auch in der Binnenhermeneutik der Alten liegen und dadurch relativiert werden, so benennt sie doch ein strukturelles Defizit der Persönlichkeit, das handlungsstrukturell bedingte Tragik a limine ausschließt, zumal es durch sein autokinetisches Moment konjunkturellen Faktoren wie der Figurenkonstellation kausal vorgeschaltet ist. Denn bereits die aischyleische Figurenkonstellation minimiert Xerxes’ Möglichkeit, die Position des Patriarchen angemessen auszufüllen, 133 da er mit autoritativen Alten kontrastiert und seine Bezugsperson statt einer Gattin 134 die Königinmutter ist und diese den (Über-)Vater Dareios nicht nur ideell evoziert, sondern mantisch-spiritistisch auf die Bühne ruft. Der alte König dominiert so als signifiant wie als signifié und nimmt den Raum des Sohnes und Nachfolgers ein. Doch ist dies eine Reaktion auf die topologische und funktional-ideelle Vakanz der Position des (fähigen) Monarchen, die Xerxes’ ungestüme Transgression hinterlassen hat. Nur dadurch kann das (Plusquam-)Perfekt von Dareios’ Herrschaft wieder zum Präsens werden. Dareios’ Geist ist zudem anders als Theseus im Phädra-Hippolyt-Stoff kein realer, sondern nur ein ideeller Konkurrent. Seine (R)Evokation durch die übrigen Figuren zeigt also vor allem den Umstand, daß Xerxes aufgrund seiner jugendlichen Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage ist, die Position des Monarchen angemessen auszufüllen. Die Sogwirkung innerhalb der Personenkonstellation liegt in dieser Tragödie also bei der ersetzten wie ersetzenden Figur eindeutig auf der Ebene des signifié. Die geschilderte Präsenz der Mutter und die Dominanz des Vaters - ebenso wie das fortgeschrittene Alter des Chors - korrelieren gewiß harmonisch mit dem Erklärungsmuster ‚Jugend‘ für die Transgression, ohne es freilich notwendig zu generieren. Das Insistieren auf der Jugend bleibt also eine erklärungsbedürftige dichterische Gestaltung des Stoffs, was auch weiterhin der Vergleich mit dem Historiker Herodot erhärten soll. 135 Doch bevor wir nach den Gründen 132 Vgl. Frisk 678 s.v. und Beekes 552 s.v. (< * - ; zum Aoriststamm - oder zu * - - ) sowie vager Chantraine 427 s.v. („C’est également sur le thème à vocalisme o qu’est constitué le vieil adj. épique “). Allerdings bleibt nach WH I 572 s.v. furo bei der Herleitung von lat. furo „besser fern“, das eine zentrale Rolle bei der Interpretation von Senecas Phaedra spielen wird. Dagegen spricht sich Ernout-Meillet 263 s.v. furo für eine Annäherung der beiden Wurzeln aus („[…] on peut rapprocher gr. “), während de Vaan 252 s.v. furo, -ere summarisch doxographisch bleibt („Many etymologies have been proposed“). Sein Ausschluß einer Vorform auf *-ur-, was e oder o ergeben hätte, spricht gegen Pokornys potentielle Ableitung des Stamms furvon *dhus (269 s.v. dhe es-, dh s-, dheus-, dhus- „kann […] sein“). 133 Dagegen sieht Richard Francis Kuhns eine psychoanalytische Reifung des Xerxes im Verlaufe des Stücks, die sich v.a. über seine Fähigkeit zu Klagen vollziehe (1991: 33) und in der Anerkennung vormals mit den Eltern assoziierter Objekte und Normen äußere (1991: 25). 134 Überzogen ist gleichwohl Griffiths allegorischer Bezug, Xerxes habe sich mit dem Zug eine Braut Helle / Hellas erwerben wollen, wofür er die das Stück durchziehenden Ausdrücke für ‚zähmen‘ und ‚(unter)jochen‘ bemüht (1998: 54). 135 Auch bei Xerxes’ Jugend und Unbesonnenheit unterscheidet Harrison 2000: 80 f. nicht zwischen der Tragödie und dem Historiker aus Halikarnassos. 1. Aischylos’ 245 dieser Gestaltung suchen, müssen wir die Prominenz und Dominanz des Jugendmotivs im Verhältnis zu anderen innerdramatischen Erklärungsmustern herausarbeiten. Bereits Dareios’ Anrede an die Mitglieder des Rates läßt deren und sein eigenes fortgeschrittenes Alter erkennen (v. 681 f., vgl. v. 840). Die Transgression des Sohnes wird von Dareios’ Geist zugleich mit der Rückführung auf das jugendliche Alter in einem Polyptoton als intellektuelle Innovation gedeutet (v. 782: ’ ) - aber auch im folgenden Vers als Vergessenheit der väterlichen Anweisungen (v. 783). Es geht also nicht um die Unbesonnenheit einer ganzen Stadt wie bei Phokylides, 136 sondern eines einzelnen Regenten. Die dreimalige florale Metapher (v. 59, 252, 925) verweist nicht nur auf die Jugend der Gefallenen (vgl. v. 512), sondern evoziert auch den jugendlichen Leichtsinn des jungen Königs (s.u.), des „jungen Mannes“, den das Heer umjubelt, wie es gleich eingangs vorausdeutend heißt (v. 13). Aischylos, bei dem der Chor den göttlichen Trug fürchtet (v. 93-100), und Herodot durch die Aufforderung im wiederholten göttlichen Traum (7.12.1 f., 7.14, 7.17.1 f.; vgl. 7.19.1) führen beide die Transgression auf göttliche Einwirkung zurück. Doch sind diese Akte nicht in die Handlungsstruktur eingebettet, weswegen diese religiösen Einschränkungen von Xerxes’ Status als rationales Subjekt nicht als tragisch zu werten sind (s. 1.4.5 Tragik, soziale Integrität und Religion in der Einleitung). Zudem unterscheiden sich die sozialen Hintergründe der Transgression bei beiden Schriftstellern erheblich. Zwar werden in beiden Werken schlechte Ratgeber für die großkönigliche Transgression verantwortlich gemacht. Atossa zufolge haben sie Xerxes durch den Vorwurf, im Gegensatz zu seinem Vater, der mit der Lanze großen Reichtum erworben habe, schwinge Xerxes aus Unmännlichkeit nur drinnen die Lanze und vermehre den Reichtum nicht, zum Kriegszug angestachelt (v. 753-758). 137 Die Transgression ist also ein Ausbruch aus der Inklusion, der - entsprechend der damaligen Orts- und Rollenverteilung 138 - weibliche Züge zugeschrieben werden. Die psychosoziale Erklärung der Transgression - zumindest im Munde einer Figur des Stückes - aus jugendlichem Alter und schlechten Beratern hat bei Aischylos eine starke 136 [...] / . 4 D. (Bd. 1) 137 Vom Textsinn entfernt sich dagegen Kuhns’ psychoanalytisch-ödipale Erklärung, Xerxes habe die Zwangssemiogenese unternommen, um mit seinem Vater zu konkurrieren (1991: 16 f., vgl. 29). Griffith 1998: 45, 53 hebt dagegen textgetreu auf Xerxes’ Versuch ab, sich der Vorfahren als würdig zu erweisen. Allerdings muß festgehalten werden, daß die vermeintlich parallele und soziologische statt ethnische Erklärung mißratener großköniglicher Söhne aus Platons Gesetzen (695c-e), die er hier zusätzlich bemüht (2000: 53), sich eher so von den Persern unterscheidet, daß sie deren geringeren orientalistischen Gehalt erhellt. Denn Platons Erklärung, Kyros und Dareios hätten ihre Söhne verdorben, weil sie sie Frauen zur Erziehung übergeben hätten, womit das orientalistische Klischee der Verweib/ chlichung bedient wird, fehlt in den Persern. 138 Differenzierend dazu vgl. das Vorwort zu Henriette Harich-Schwarzbauer, Thomas Späth (Hgg.), Gender Studies in den Altertumswissenschaften. Räume und Geschlechter in der Antike. Iphis (Beiträge zur altertumswissenschaftlichen Genderforschung) 3. Trier 2005, VII- XIII. Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 246 pädagogische Implikation, während Xerxes bei Herodot nur am Rande sein Aufbrausen gegen den Mahner Artabanos mit seiner Jugend entschuldigt (7.13.2, vgl. 7.18.2). Die Elemente ‚Vergeltung für die väterliche Niederlage bei Marathon und die Einäscherung von Sardes‘ (7.5.2, 7.8 1, 7.11.2), die Herodots tragische Geschichtsschreibung aufweist, sind bei dem Historiker so gestaltet, daß sie nicht nur Xerxes entlasten und sein Bild aufwerten, sondern auch seiner Transgression einen tragischen Charakter verleihen. Sie erfolgt nämlich in Erfüllung der Sohnespflicht und aus der Notwendigkeit der Ehrenrettung, also aus Rollenperformanz und zur Wiederherstellung der sozialen Integrität, die alle drei zitierten Herodot-Stellen mit dem Lexem eindeutig erkennen lassen, einmal sogar in bezug auf sowohl Vater wie Sohn (7.8 1), 139 ein anderes gewiß eher jähzornig in bezug auf Xerxes’ auch innenpolitische Ehre (7.11.2). Die Rache als Motiv für den Angriff auf Griechenland teilt Xerxes zudem bei Herodot mit seinem Vater Dareios (Saïd 1981: 28), was anders als bei Aischylos sein Handeln auch genealogisch legitimiert und ihn in seiner Regierungspraxis als Nachfolger seines Vaters ausweist. Die Einheit von Vater und Sohn bei der sozialen Integrität macht es eher unwahrscheinlich, daß ihr die physische Integrität eines Anverwandten geopfert wird, was der Konstellation des tragischen Integritätenkonflikts entspricht. Doch beschränkt sich diese auf die Tragödie und hat innerhalb der politischen Thematik der Geschichtsschreibung wenig Raum. Bei Aischylos hat das Rache-Motiv keinen Bezug auf Dareios und beschränkt sich auf die ‚Rache für Marathon‘, bei der Atossa jedoch das Scheitern und den Verlust an Männern in den Vordergrund rückt und es nachgerade aus törichter Unersättlichkeit ihres Sohnes erklärt (v. 473-477). Daneben wird hier kontrastiv in einem ambivalenten Genetiv ( ) der Ruhm Athens hervorgehoben (v. 473 f.). Auch die Rollenperformanz ist bei Aischylos nicht tragisch, sondern eher pädagogisch gestaltet. Zwar zielt der Vorwurf der Unmännlichkeit auf eine Rollenperformanz und v.a. die soziale Integrität ab, doch kommt er von außen und intendiert nicht die Erfüllung einer Pflicht gegenüber einem anderen Menschen (wie Oidipus’ Flucht vor der vorhergesagten Transgression). Xerxes reagiert hier nur auf die Reden nicht integrer Personen, um einem Prestigedefizit auszuweichen (v. 757: ’ ). Dies ist im Verhältnis zu den Zweifeln an Oidipus’ königlicher Abkunft, die der Zecher äußert (v. 779 f.), eher geringfügig. Und während Oidipus mit dem Gang nach Delphi danach selbständige Nachforschungen anstellt (v. 785-788), läßt sich Xerxes von diesen Unterstellungen verleiten. Er agiert also im Vergleich zu Oidipus nicht als ratio- 139 Die Legitimität dieses Motivs verkennt Markus Lippold, wenn er den aktuellen Film 300: Rise of an Empire, wenn sie Xerxes, der hier ahistorisch sogar den Tod seines Vaters Dareios durch Themistokles rächen will, deswegen Haß vorwirft (http: / / www.n-tv.de/ leute/ film/ 300-Rise-ofan-Empire-im-Kino-Blut-Eisen-Hass-und-Eva-Green-article12418456.html: „Doch - und das ist der Haken an der Sache - bietet der Film nicht nur schwertschwingende Action, sondern auch eine ganze Menge Hass. Dieser ist das treibende Element aller Figuren: Xerxes will seinen Vater rächen, Artemisia das Schicksal ihrer Familie.“). Daß dieser Film in vielerlei Hinsicht - ebenso wie sein Vorgänger - nicht nur vom altertumswissenschaftlichen Standpunkt Diskussionsstoff bietet, steht dabei außer Frage. 1. Aischylos’ 247 nales Subjekt. Bei Herodot rechtfertigt selbst der Kriegstreiber Mardonios Xerxes gegenüber den Heerzug als Strafe für die Übel, welche die Athener den Persern angetan hätten (7.5.2), und hebt damit auf Xerxes’ politische Autorität qua Regent statt auf seine persönliche Ehre ab. Doch auch der Anteil der göttlichen Ebene an der Transgression gestaltet sich beim Tragiker für Xerxes ungünstiger als beim Historiker, 140 der sie als vom Großkönig unabhängig, konsequent, ja fast arglistig zu dessen Schaden wirkende Kraft darstellt. 141 Bei Aischylos führt dagegen Dareios den Versuch, den Hellespont zu unterwerfen, nicht nur auf die Unkenntnis des Zusammenhangs, der zwischen dem eigenen Eifer und der göttlichen Unterstützung besteht, sondern v.a. auf das jugendliche Ungestüm des Sohnes zurück (v. 744: ’ ). Anders als in den psychologischen Modellen, welche die antike Philosophie seit Platon entworfen hat, stehen Erkenntnis(vermögen) und (An- )Trieb(kontrolle) noch funktional ungeschieden nebeneinander, dem jugendlichen Ungestüm scheint jedoch eine gewisse Priorität zuzukommen. Die Jugendlichkeit tritt als Ursache der Transgression zudem nicht bloß neben die göttliche Ebene, sondern sie ist durch das Verhalten des jugendlichen Ungestüms sogar ausschlaggebend für das verhängnisvolle Wirken der Götter (vgl. Saïd 1981: 18), die das unheilvolle Streben eines Menschen noch unterstützen (v. 742: ). „Die Akzente sind hier verschoben,“ 142 bemerkt Albin Lesky zu dieser Stelle mit Blick auf den „listensinnenden Trug Gottes“ und die verderbenstiftende Wirkung der Gottheit für ein Haus. 143 In der Argumentationshierarchie und Kausalität der Eliminierung wird die Jugendlichkeit damit zum dominanten Moment. Bruno Snell ignoriert sie dagegen, wenn er eine Parallelität von göttlichem Trug und menschlichem Handeln (die letztlich auf eine Entlastung des menschlichen Fehlers als vermeintlich tragisch hinausliefe) rekonstruiert: „Schuld u n d [Sperr. im Orig.] Schicksal knüpfen das Verhängnis: erst in diesem Widerstreit, gegen den unser Verstand sich sträubt, liegt der Kern der aischyleischen Weltdeutung.“ 144 Fassen wir die Ergebnisse zur Rolle, die Tragik und Jugendlichkeit als Ursachen der Transgression spielen, zusammen: Das jugendliche Ungestüm, das Dareios für Xerxes’ Transgression und die Eliminierung des Heeres verantwortlich macht, ist ein strukturelles Defizit seiner Person, das es ihm verwehrt, als ethisch-ratio- 140 Für das (größtenteils ungerechtfertigte) Negativbild des Xerxes, das von der klassischen Antike bis in die moderne Historiographie reicht, s. Pierre Briant, Histoire de l’Empire perse. De Cyrus à Alexandre. Paris 1996, 531-534 und Josef Wiesehöfer, Das antike Persien von 550 v. Chr. bis 650 n. Chr. München 1994, 71-89. 141 Nach Saïd 1981: 22 trennt dagegen Herodot menschliche und göttliche Kausalität, die eher als Verkörperung der historischen Notwendigkeit zu sehen sei, vgl. S. 24: „C’est plutôt une nécessité politique.“ 142 Conacher findet dagegen - zu Recht, aber dennoch irreführend, weil die besagten Typen und Nuancen der Tragik aus dem Blick geraten - in diesem Ausspruch Aischylos’ tragische Theologie so klar wie nirgends sonst formuliert (1996: 23). 143 Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 3 1972, 166. 144 Aischylos und das Handeln im Drama. Habil. Hamburg 1925. Philologus Suppl. 20, Heft 1. Leipzig 1928, 71. Tragik, Vergänglichkeit und Jugend 1.8 248 nales Subjekt zu agieren. Daß es sich nicht um einen momentanen Aussetzer handelte, läßt sein autoapologetisches und selbstmitleidiges Auftreten bei seiner Rückkehr erkennen, das eine diachrone Kontinuität des kognitiven und ethischen Defizits schafft. Ein personales strukturelles Defizit wurde aber in der Einleitung als ein Ausschlußkriterium für die Tragik definiert. Ergänzend dazu sind konjunkturelle Impulse und legitimierende Motive für die Transgression schwach ausgeprägt, die als positives Kriterium für das Vorliegen von Tragik qua Integritätenkonflikt in der Einleitung aufgestellt wurden. Xerxes’ Transgression ist damit doppelt untragisch. 145 Die Vergänglichkeit ist auf der kollektiven Ebene das motivische und analytische Pendant der Jugendlichkeit. Wie diese auf der individuellen Ebene die Transgression des Großkönigs, so beschreibt die Vergänglichkeit die Eliminierung der durch seine Politik Gefallenen. Das, was der persischen Jugend wie ein Naturereignis widerfährt, hat politisch der heißspornige König zu verantworten. Wegen ihrer semiotischen Interaktion mit der Jugendlichkeit und der dadurch minimierten Tragik wird die Rolle der Vergänglichkeit gegenüber dem archaischen Menschenbild weiterentwickelt, wo sie als pathetisches Motiv im Bild der condicio humana diente. Die Vergänglichkeit ist die Hauptbedeutung der dreimaligen floralen Metapher (v. 59, 252, 925), die wegen der literarischen Tradition 146 nicht auf eine reine Widerspiegelung des Vegetationsgottes Dionysos reduziert werden kann, sondern im Stück die Funktion erfüllt, der Handlung als ornatus Größe zu verleihen, die Dramatik und das Ausmaß des militärischen Verlustes faßbar zu machen 147 und eine tragische Erwartung zu wecken. Fein beobachtet Conacher 1996: 11, daß v. 252 ( ’ - ) die Ambivalenz von in der Parodos (v. 60: ’ - ) auflöse, das auch für den letzten Abschied stehen könne. 145 Zu diesem Ergebnis gelangt auch nach einer eingehende Analyse der , die Xerxes und seine Armee im Verlaufe der Tragödie an den Tag legen, Nicolas R. E. Fisher, Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece. Warminster 1992, 262. Fisher begründet diese Einschätzung v.a. damit, daß die Katastrophe aus den Missetaten der genannten Akteure folge, was keine Zweifel an der moralischen Weltsicht mit sich bringe. Dies deckt sich mit den Annahmen und Ergebnissen der vorliegenden Arbeit: Der Sheriff-Automatismus von Transgression und (Fremd-)Eliminierung, wie er in den Persern funktioniert, und die implizite Befriedigung poetischer Gerechtigkeit sind per se nicht tragisch. Gleichwohl greifen seine Analysen zu kurz, weil er die subjektiven Modalitäten der Dysfunktion des ethisch-rationalen Subjekts nicht berücksichtigen kann: Beruhte Xerxes’ Vergehen auf der Handlungsstruktur oder wollte er die Ehre seines Vaters retten, statt als jugendliche Hochmut gebrandmarkt zu werden, und hätte es eine gravierende Konsequenz für ihn oder seine engere soziale Umwelt, ließe es sich als tragisch einstufen. 146 Aischylos’ Tragödie greift hier auf die Ilias zurück, die bereits den Vergleich junger, todgeweihter Männer mit Pflanzen (Il. 18.54-60 [Achill]) oder zusätzlich auch Blumen (17.49- 60 [Euphorbos]) aufweist, vgl. Casey Dué, „Identifying with the Enemy: Love, Loss, and Longing in the Persians of Aeschylus“, in: The captive woman’s lament in Greek tragedy. Austin 2006, 57-90, h. 64-67. Ohne Fatalität wird der Sturz des von Patroklos getroffenen Sarpedon mit dem Niederstürzen gefällter Bäume verglichen (Il. 16.482-484). 147 Vgl. die flur de France, die Karl der Große nach Aussage eines Engels im Rolandslied verloren hat (179. Laisse, v. 2455). 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 249 Vergänglichkeit und Tragik werden durch die Vorstellung des Übergangs geeint, doch dieser ist bei der Tragik verdoppelt, da bei ihr eine Überschreitung für den Übergang zum Nichts verantwortlich ist. Als entscheidender Unterschied wohnt der Vergänglichkeit jedoch ein innerer, notwendiger Drang zur Auflösung inne, der ihr ein Zeitmoment einschreibt und sie von der personal herbeigeführten Eliminierung absetzt. Während diese die Frage nach dem Urheber offenläßt, ja aufwirft, ist sie in der floralen Metaphorik bereits beantwortet. Gleichwohl wird diese theoretische Trennung der Bedeutungssphären an zwei Stellen der Tragödie zugunsten einer Inkriminierung des Xerxes eingerissen. An der dritten Stelle des Blumenmotivs, dessen Eliminierung unpersönlich als ‚schwinden‘ ausgedrückt wird (v. 927: ), geht er nämlich als Urheber für den Verlust der persischen Jugend voran (v. 923 f.). Weiterhin stehen Vegetation und Transgression nicht bloß als hermeneutische Minimalpaare nebeneinander, sondern sind in v. 818-822 nachgerade kausal verknüpft: . Die Hybris, die auch das Präfix als mentale Transgression charakterisiert (v. 820), wird hier mit derselben floralen Metapher wie die Jugend beschrieben (v. 821: ). Damit wird suggeriert, daß die Jugend - entsprechend den Erklärungen, die Dareios’ Geist bietet - letztursächlich für die Hybris ist. Deren zentrale Rolle in der Analyse wird noch dadurch gestärkt, daß ihr Aufblühen mit nachgerade vegetativer Konsequenz die und die Eliminierung erntet. Die Vergänglichkeit erlangt dagegen eine fast vegetationszyklische Lebensbejahung bei der Befragung von Dareios’ Geist, dessen Schlußworte an den Chor der Greise das Memento mori mit dem Carpe diem verbinden (v. 839- 842). 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung Nach der Nekromantie und noch vor Xerxes’ Rückkehr tritt Atossa endgültig ab und macht so den Weg dafür frei, daß Xerxes mit dem Chor allein eine Deutung der Transgression aushandelt und auf dieser hermeneutischen Grundlage nach der außenpolitischen eliminatorischen Katastrophe die innere Ordnung im Kommos rituell neujustiert, in der er eine gewandelte Führungsrolle als (wieder)erlangt. Die Dynamik der Personenkonstellation für Pragmatik, Binnenhermeneutik und Figurencharakteristik soll im folgenden - entsprechend den Ausführungen der methodisch-terminologischen Einleitung (s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität) - ausgeführt werden, bevor ritualorientierte, orientalistische und metatheatralische Deutungen der Schlußszene diskutiert werden. Bereits die Besetzung und dramensyntagmatische Position der Schlußszene zeigt ihre Einbettung in die Figurenkonstellation und -pragmatik und ihre dramensemiotische Funktion. Daß Atossa ihre Absicht nicht wahr macht und keine 250 neuen Kleider für ihren Sohn auf die Bühne bringt, sondern endgültig abtritt, ist keinesfalls bloß ein toter Handlungsstrang, sondern für den weiteren Fortgang des Dramas bedeutsam. So wird die Konfrontation zwischen Sohn und Mutter vermieden und die Neuaushandlung der sozialen Ordnung zwischen dem geschlagenen König und dem Ältestenrat ermöglicht. 148 Die Lösung wird hierbei dadurch vereinfacht, daß aus der politisch-familiären Konfrontation, die Xerxes dem Chor und Atossa zugleich gegenübergestellt hätte, eine rein politische wird, die familiären Komplikationen werden vermieden. Auch dieser dramaturgische Kunstgriff des wetterhäuschengleichen Wechsels von Mutter und Sohn spricht gegen eine ritualsymbolische Ausdeutung von Xerxes’ Abtritt: Das Drama eliminiert die Mutter szenisch statt den Sohn und König soziostrukturell oder gar physisch. Die totale Vermeidung eines szenischen Kontakts von Mutter und Sohn, deren negative Absolutheit der Einhaltung eines Tabus entspricht, ist dabei nachgerade das negative Extrem des inzestuös-transgressiven, den sie in der Diegesis der Oidipus Tyrannos haben. Die vehementen politischen Komplikationen des Oidipus Tyrannos werden durch die szenische Trennung jedenfalls klar vermieden, und in Euripides’ Bakchen büßt der ebenfalls erwachsene Königssohn seine Transgression mit Eliminierung durch seine Mutter. Durch das dramaturgische Vermeiden einer intrafamiliären Eliminierung werden die Perser im antiken Sinne zu einem epischen Theater, da das Epos keine intrafamiliäre Gewalt kannte (s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion in der Medea- Interpretation). Das Politische kann in diesem Drama politisch aufgearbeitet werden und wird nicht mit Familiärem vermengt. Dies zeigt auch deutlich die unterschiedliche Assoziation der beiden Könige mit . Xerxes klagt bei seiner Heimkehr / ’ (v. 933 f.). Oidipus fragt dagegen bei seiner sich erstmals abzeichnenden Täterschaft ’ (v. 822). Er konstatiert also nicht die kollektiven eliminatorischen Folgen seiner Transgression und bezweifelt mitleid- und tröstungheischend seine praktisch-politische Tauglichkeit, sondern wird durch seine Transgression, die hier erst im kollektiv folgenreichen und eigenhändigen Mord an Laios besteht und noch keine intrafamiliäre Dimension hat, in seiner gesamten moralischen Integrität verunsichert. Bohrer verkennt diese kontrastive Parallelstelle und den elementaren Unterschied in der Figurenzeichnung, der sich daran knüpft, wenn er postuliert, Oidipus könne ebenso gut den Ausspruch des Xerxes tun. Bohrers Irrtum wird noch dadurch vermehrt, daß er den fraglichen Vers unter Fortlassung der Bezugswörter von als „Zum Unglück ward ich geboren! “ wiedergibt (2009: 332). 149 Xerxes ist frei von der Opposition zu Familienmitgliedern. Zu ihnen könnten auch eine Gattin oder Schwester zählen, die wegen des Verlustes eines Bruders 148 Nach Marsh McCall, Aeschylus in the Persae. A Bold Stratagem Succeeds. In: Greek Tragedy and its Legacy. Essays presented to D. J. Conacher. Ed. by Martin Cropp, Elaine Fantham, S.E. Scully. Calgary 1986, 43-49, h. 46 wird das Bild des Xerxes dadurch aufgehellt, daß er nur mit dem Chor interagiert, dessen Würde das Stück bisher herausgearbeitet habe. 149 Sommersteins Übersetzung „I see I have been a bane to my nation and my fatherland“ eliminiert eine teleologisch-deterministische Apologetik des Großkönigs. 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 251 der anonymen, im Stück motivisch rekurrierenden Sehnsucht der allein zurückgebliebenen (v. 135-139) und durch den Tod der Männer, auch der Edlen, zurückbleibenden Frauen eine Stimme verleihen könnten. 150 Diese erheben nach der Nachricht der Katastrophe nicht einmal wie zuvor in der anonymen Masse ihre Stimme, sondern werden nur über das Gebäude und die Opposition zum Mann suggeriert (v. 579 f.: ’ - / […]). 151 Um so markanter ist also ihr Verstummen und das Fehlen wenigstens eines substitutiven Sprachrohrs. So kann Xerxes, der allein mit nur wenigen zurückkehrt, 152 seine soziale Identität im Politischen mit dem Chor über das Rituelle neu aushandeln. Die Leere Asiens, die Harrison 2000 zum Leitmotiv seiner Untersuchung erhebt, setzt sich also auch szenisch-familiär fort. Sie ist nach der Dynamik der Figurenkonstellation auch wohl der Grund dafür, warum der geschlagene König der Perser nach seiner Rückkehr redintegriert wird und im Rituellen eine Führungsposition restaurieren und faktisch sogar die vakante Position des Patriarchen einnehmen kann, während der siegreich mit Kassandra heimkehrende Agamemnon des gleichnamigen Stückes von seiner Gattin und deren neuem Liebhaber im Bad gemeuchelt wird, da seine Position bereits besetzt ist, eine Doppelbesetzung, die er im Falle der Ehefrau fortführt. Daß Xerxes die vakante Position des Patriarchen einnimmt, wird auch in der Entwicklung der Personenkonstellation augenfällig: Die Präsenz des Chores, der mit dem Herrscherhaus in einem politischen Loyalitätsverhältnis steht, in allen drei Großabschnitten der Tragödie verbürgt nicht nur deren politischen Charakter und eine personelle Kontinuität, sondern schafft auch eine Matrix, über die Xerxes nach dem Abtritt seiner Eltern qua jetziger Interaktionspartner des Chores als Patriarch definiert werden muß. Oder in Griffiths Formulierung (1998: 63): Die vormaligen Berater des Dareios sind nun diejenigen des Xerxes. Trotz allen vormaligen Insistierens auf Xerxes’ Jugend kann dieser nun dank dem Abgang seiner Mutter in die Position eines vollwertigen sozialen Subjekts hineinwachsen (vgl. Griffith 1998: 57: „[…] avoids the embarrassing prospect of Xerxes’ public infantilization“). Der Abtritt der mütterlichen Autoritätsperson läßt diesen Platz offen. Man könnte sogar soweit gehen und nicht wie Bierl (bloß) Xerxes’ Abtritt (s.u.), sondern auch denjenigen Atossas als symbolischen Tod oder zumindest Hinweis auf den Tod deuten, d.h. die biologische physische Eliminierung, die mit der sozialen im Personengefüge einhergeht. Daß das Elternpaar in die Unterwelt gelangen kann, ist mit Dareios’ Vorgang, der ja aus dieser herausgerufen werden muß, bereits angedeutet. Das in dem Stück prominente Motiv der Vergänglichkeit stützt die Annahme, daß die szenische vorzeitige Eliminierung der Königin ein Hinweis auf deren Sterblichkeit, d.h. physische Eliminierung sein könnte sowie darauf, daß Xerxes durch den Lauf der Zeit zwangsläufig befreit von seinen elterlichen Autoritäten allein zurückbleibt. Nun können wir die Lösung näher betrachten, die auf der politischen Ebene durch den Abgang der Königin ermöglicht wird. Der Hinweis auf die gelöste 150 Sommerstein 1996: 75 sieht Atossa als repräsentativ für die Gattinnen und Mütter der Perser. 151 Die kinderlosen Eltern werden dagegen nachfolgend benannt (v. 580). 152 So Atossas Formulierung in v. 734: 252 Wehrkraft (v. 594) alludiert nicht nur auf ein außenpolitisches Debakel. Die physische Eliminierung des Heeres beraubt vielmehr den zurückgekehrten König seiner Zwangsmittel und erschüttert seine Autorität. Er sieht sich nun den Vorwürfen des Greisenrats gegenüber (v. 922-930), 153 der diesen Verlust (v. 919 f.: / ) beklagt und Xerxes dafür verantwortlich macht (v. 924: ). Dieser Umstand läßt sich nicht nur instrumentell-machtstrategisch, sondern strukturalistisch formulieren: Der Fortfall eines Elements, des Heeres, erzeugt eine Leerstelle. Die emotionale Valenz dieser Lücke wird im -Motiv deutlich, auf dessen zentrale Bedeutung Hopman 2009: 362 f. mit Belegen hinweist („At the core of the performed action is the Persian desire to be reunited with the army.“). Doch anders als der Stiefsohn in Euripides’ Hippolytos steht kein Substitutobjekt zur Verfügung, das die Vakanz schließen könnte. Dies erklärt auch, warum der Chor sich kritisch gegen den heimgekehrten König wendet (vgl. Hopman 2009: 363), wobei er mit der Inkriminierung des Xerxes die Interpretation des Dareios in die hermeneutische Pragmatik des Stückes einbringt. Das Aufbegehren gegen die weltliche Autorität wird also im Aufbau der Tragödie von einer spiritistischen Autorität derselben Dynastie gestützt. Die durch den Fortfall der waffenfähigen jungen Männer gestörte Ordnung und die Deutung des Desasters werden nun zwischen dem König und den Alten neu ausgehandelt. Pragmatisch erfüllt das Trauerritual, in dem König und Chor sich am Schluß vereinen, eine sozial stabilisierende Funktion. Es verhindert, daß aus dem eliminatorisch-katastrophalen Ausgang des außenpolitischen Konflikts ein ähnlich ordnungsstörender innenpolitischer Konflikt erwächst und die politische Ordnung kollabiert, statt nur durch die Eliminierung der militärisch-polizeilichen Zwangsmittel und die Kritik am autoritätsgeschwächten Monarchen zu wanken. Was die Binnenhermeneutik der Schlußszene angeht, so geht die Einigung zwischen Chor und Großkönig mit einer gewissen Änderung, ja letztlich Komplexitätsreduktion gegenüber der bisherigen Vulgata zwischen den Figuren eines fortgeschrittenen Lebensalters einher. Die bisher aus der Ferne diagnostizierten und im Lebensalter verorteten Verhaltensdefizite des amtierenden Monarchen werden zusammen mit der reduzierten Tragik bei seinem Auftritt und seiner erstmaligen Stellungnahme besonders deutlich. Der bisherige Fokus auf seiner Jugendlichkeit richten den Erwartungshorizont so aus, daß seine Abweichung von der ihn belastenden Sichtweise des Chores und seines Vaters als jugendliche Verstocktheit und Bockigkeit wahrgenommen werden können. Der geschlagene Großkönig präsentiert nämlich bei seiner Rückkehr eine geringfügig andere Ursachenanalyse als die bisherige, 154 auch wenn er die eliminatorischen Folgen 153 Vgl. Conacher 1996: 31: „Xerxes, once the king of Kings, is forced, like a criminal at the bar of justice, to answer the relentless questions of the Chorus (956-1001).“ 154 Daß sein Auftritt keineswegs dazu beiträgt, ihn als charakterstark und einsichtig erscheinen zu lassen, läßt auch Harrison 2000: 84 anklingen. In diesem Punkt besteht zwischen ihm und der vorliegenden Interpretation Einvernehmen, während er auch die Integrität und Intelligenz der alten Autoritätsfiguren Chor und Atossa bekrittelt (2000: 76-85). 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 253 seines Handelns für das Kollektiv nicht beschönigt und so unterschwellig seine eigene Kompetenz in Frage stellt (v. 933 f.: / ’ ). Dieser Satz bewegt sich, entsprechend der rein objektivfaktischen Perspektive der Transgression, die von der subjektiven Verantwortlichkeit zu trennen ist, auf der konstatierenden Tatsachenebene. Ein „umfassende[s] Schuldbekenntnis“ 155 (bereits der Ausdruck ist wegen seiner juridischen, christlichen und tragischen Implikationen dreifach unglücklich), das nicht auf die Urheberschaft des factum brutum, sondern die subjektive Letztverantwortung abhöbe, kann man, wie Schauer es tut (2002: 60 f.), in ihm nicht erblikken (ähnlich S. 61 zum Amoibaion: 156 „Xerxes selbst bekennt sich schuldig“). Denn vielfältig sind die Entlastungsstrategien des heimkehrenden Monarchen: Bei ihm ist zwar auch ein für die Katastrophe verantwortlich (v. 911, 942), doch übernimmt er nicht die Sicht, er sei dessen Opfer und Medium (v. 724, 825), die bereits der ahnungsvolle Gesang des Chors in der Parodos vom Trug Gottes, dem ein Sterblicher nicht entrinnen könne (v. 93-100), vorbereitet hatte. Dazu passend weist er jedoch, allerdings ebenfalls entlastend, auf die Unvorhersehbarkeit seines Schicksals hin (v. 908 f.: … - ). Dies verleiht der Eliminierung eine Bohrersche Plötzlichkeit. Die Anagnorisis ist auf der Ebene des transgressiven Protagonisten also unvollständig. 157 Daß er beim Anblick des Chores, der als Bürger charakterisiert wird, weiche Knie bekommt und sein Leiden beklagt (v. 913 f.), 158 ist nicht nur, wie Gruber treffend bemerkt hat (2009: 146 f.), ein Indiz für den (zumindest temporär pragmatischen und ideologischen) Verlust seiner absolutistischen Machtposition, da er anders als in v. 213 angekündigt Rechenschaft ablegen müsse, sondern auch ein Zeichen seiner mangelnden moralischen Einsicht und Glaubwürdigkeit (Gruber spricht dagegen anachronistisch von „Gewissen“): Statt eigen- Grethlein 2010: 85 weist ebenfalls darauf hin, daß im Gegensatz zur vorhergehenden Binnenhermeneutik Xerxes’ Version keine moralische Schuld kenne und der Chor mit den Göttern argumentiere, wertet dies jedoch als Beleg für eine uneinheitliche Sichtweise des Stückes, während diese Umstände hier als Ausdruck der Figurenzeichnung (Xerxes) und, im Falle des Chores, als Konzilianz gedeutet werden, die pragmatisch der Redintegration des heimkehrenden Monarchen dient. 155 Diesen unglücklichen Terminus greift Markus A. Gruber, Der Chor in den Tragödien des Aischylos. Affekt und Reaktion. Diss. Regensburg 2008. Drama (Studien zum antiken Drama und seiner Rezeption) N.S. 7. Tübingen 2009, 150 wörtlich wieder auf, der allerdings nicht Xerxes’ Verstocktheit herausarbeitet. Vielmehr weist er - binnenpragmatisch durchaus treffend, da so die Wiedervereinigung von König und Alten binnenhermeneutisch vorbereitet wird - darauf hin, daß Xerxes mit Moira, Daimon und der Strafe durch Zeus dieselbe Analyse wie der Chor vor Dareios’ Auftritt anstelle (2009: 146 f.). Die hier entwickelte autoapologetische Konfiguration dieser drei Motive sieht er nicht. 156 Dessen Anfang bestimmt Schauer 2002: 44 selbst mit v. 908/ 931 eher offen (sein Ende fällt bei ihm mit demjenigen des Stückes zusammen). Bei einem Einsatz in v. 908 würde es den gesamten Auftritt des Xerxes umfassen. Streng metrisch-formal entsprechen die Verse, die der Chor nach Xerxes’ erster Äußerung (v. 908-916) spricht (v. 919-930), dieser nicht. Szenisch und damit auch interpretatorisch bildet jedenfalls der gesamte Dramenteil vom Auftritt des Xerxes bis zum Schluß der Tragödie eine Einheit. 157 Dies spricht massiv gegen Kuhns’ Versuch, Aristoteles’ Poetik mit Freuds Psychoanalyse bei der Perser-Interpretation zu verbinden (1991: 25). 158 / ’ ’ . 254 ständig seine Verfehlungen einzusehen, verfällt er - wie ein Kind, dessen Gewissen sich noch nicht von der elterlichen Autorität emanzipiert hat - bei der Begegnung mit einer autoritativen Figur in Angst. Daß er diese gewiß unangenehme Konfrontation voller Selbstmitleid als Leid beklagt, wirkt angesichts der gigantischen Verluste, die er zu verantworten hat, nachgerade lächerlich und droht ihm - anders als dem Chor, der sachlich nachvollziehbar die großen Opfer beklagt (s. 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität) - die letzte dramatische Glaubwürdigkeit zu rauben. Dies wird dadurch noch verstärkt, daß er sich anschließend larmoyant gar den Tod wünscht (v. 915 f.), was ihn nicht nur faktisch aus der Verantwortung entließe, sondern auch wie eine mitleidheischende Strategie anmutet, die seine Selbstentlastung flankiert. Sein Mangel an moralischer Größe bzw. sein mangelhaftes Funktionieren als ethisch-rationales Subjekt zeigt abermals der Vergleich mit anderen literarischen Figuren: Agamemnon sieht sich in der Ilias zwar wie Xerxes auch als das unschuldige Opfer ( ’ ) der (Il. 19.86, 88), übernimmt jedoch mit der Entschädigung des von ihm brüskierten Achill die Verantwortung für seine Tat. 159 Auf der Ebene der Figurenpragmatik ist Xerxes’ autoapologetische, eigene Interpretation der Ereignisse jedoch bereits ein Akt der Selbstbehauptung gegenüber der mikroskopisch-reduzierenden Sicht der Älteren in vorangehenden Szenen, die seine gewandelte Führungsposition als vorbereitet. Bei der Pragmatik der Binnenhermeneutik einigen sich Chor und König auf einen Kompromiß, was Xerxes’ Verantwortung für die Niederlage angeht, indem man sich zum Kommos vereint. 160 Nicht nur diese inhaltliche Synthese, sondern auch der Umstand, daß Xerxes nach Hopman 2009: 366 hierbei entsprechend Greimas’ Aktantenmodell vom Opponenten zum Ko-Subjekt wird, indem er sich der Sehnsucht nach den Gefallenen anschließe (v. 987-991, S. 367), was den Handlungsstrang des zum Abschluß („closure“) bringe, legt es nahe, in dieser Entwicklung der Figurenkonstellation und binnenpragmatischen Interpretation der Transgression einen dialektischen Dreischritt zu sehen. Hopmans genaue Lektüre des Schlußteils zeigt (2009: 367 f.), daß dieser keineswegs ein kollektives Bad in der Emotionalität ist, sondern eine feine Entwicklung in Pragmatik und Binnenhermeneutik bietet. Indem Xerxes sich der Trauer des Chores anschließt - mit der introspektiven Artikulation seiner Trauer in v. 991: < > greift er die ebenso formulierte ahnungsvolle Sorge des Chores in der Parodos auf (v. 10): - - kann er zumindest im eine künstlerischrituelle Führungsposition (vgl. Hopman 2009: 368) als (Gödde 2000: 43) (zurück)gewinnen. Zuerst vereinen sich König und Chor sinnfällig in der ersten Plural in der Klage über die Niederlage (v. 1008 f.: ’), 161 welche mit der Anapher dasselbe Stilmittel aufgreift und nachgerade widerruft, mit dem der Chor seine Anklage des geschlagenen jungen Großkönigs 159 Bernard Williams, Shame and Necessity. Sather classical lectures 57. Berkeley 3 1993, 52. 160 Hopman 2009: 364-368. 161 Dies bemerkt auch Harrison 2000: 84. 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 255 unterstrichen hatte (v. 550-552). Dann erteilt der König dem Chor Befehle zum Vollzug des Trauerrituals, denen dieser nachkommt (v. 1046-1077). Daß der König hierbei paradigmatisch bestimmend ist, zeigt sich besonders gut an der wiederholten und befolgten Aufforderung zur Responsion (v. 1040 = 1047 = 1066: ). Seine Bereitschaft zum Gehorsam beschließt der Chor in v. 1049 mit dem Vokativ . Daß es sich hierbei nicht um eine tautologische, sondern dialektisch transformierte Führungsposition handelt, zeigen Xerxes’ Kleider (sehr ähnlich Gödde 2000: 42). Der Perserkönig hatte diese als Trauerreaktion auf die Niederlage bei Salamis zerrissen (v. 468), der Geist des Dareios dies Atossa berichtet (v. 834- 836). Der Fokus der persischen Figuren auf den Kleidern ist dabei kein orientalistisches Motiv, sondern entspringt deren Bewußtsein für die sozialsituative und Rollenadäquatheit der Kleidung (bei der Nekromantie tritt Atossa ohne ihren vormaligen Pomp auf [v. 607-609]). Conacher hat nämlich gegen orientalistische Mißverständnisse darauf hingewiesen, daß die Kleider - wie bereits zu den unterschiedlichen Trachten der Griechin und Perserin in Atossas Traum angemerkt - Teil der ausgeprägten Symbolsprache der Tragödie sind (1996: 28). Die genannte Figurenperspektive hebt dabei das „leitmotiv“ der Tragödie hervor, wie Cecil John Herington das Zerreißen der Kleider treffend nennt. 162 An ihm vollziehe sich die Verschiebung vom Verbalen zum Visuellen in der Schlußszene, ein nach Herington für Aischylos charakteristisches dramaturgisches Mittel (1986: 67, 71 f.). Bei dieser rituellen Geste besteht ein semiotischer Bezug zur Dramenhandlung: Das Zerreißen der kostbaren Kleider symbolisiert den Fall des Perserreichs. 163 Der Plan der Eltern, Xerxes neue, geziemende Kleider zu verschaffen (v. 833, 849-851), zielt auf die Restauration seiner sozialen Position mit Hilfe dieses Zeichens. 164 Daß dieser Plan nicht zur Ausführung kommt, mithin ein „blindes Motiv“ bleibt, wie Gödde es formuliert (2000: 42), ist keine dramatische Sackgasse oder falsche Fährte, wie man in der Vergangenheit befremdet ob der vermeintlichen Inkonzinnität angenommen hat, 165 sondern veranschaulicht durch den Gegensatz zu Dareios’ prächtigem Kostüm (Herington 1986: 70) die persistierende Beschädigung der monarchischen Autorität. Außerdem unterstreichen die weiterhin zerrissenen Kleider semiotisch und dramenmotivisch kontrastiv die gewandelte Führungsposition des Großkönigs im 166 und seine Emanzipation von den Rollen, welche die Eltern paternali- 162 Aeschylus. New Haven 1986, 71. 163 Thalmann 1980: 267 f., Conacher 1996: 15. 164 Thalmann 1980: 278. 165 Vgl. dazu Gödde 2000: 42 Anm. 33. 166 Harrison 2000: 84 f. hebt nur auf die pragmatische Seite der restaurierten Führungsposition ab und beschreibt ihre rituelle nur unter dem Aspekt der Pragmatik („Xerxes almost choreographs the Chorus’ lament“), obwohl das Ritual einen Paradigmenwechsel mit sich bringt. Da er die Tragweite des rituellen Bewältigungsmechanismus ignoriert, kann er umgekehrt auch - rein dramenchronologisch nicht ganz zu Unrecht - anmerken, der Freimut und die geistige Unabhängigkeit des Chores seien nur von kurzer Dauer (2000: 83). Es würde zu weit von den konkreten Figuren abstrahieren, den Chor als kritisch, aber königstreu einzustufen. Vielmehr ist die Position des Chores zu den einzelnen Mitgliedern des Herrscherhauses eindeutig an deren Alter orientiert: Die Elterngeneration Atossa und Dareios erfährt tiefen Respekt und im Falle des Da- 256 stisch vorgegeben haben. Atossas Hinweise auf ihren Sohn vor ihren beiden Abgängen - zuerst als Bitte an den Chor, ihn ins Haus zu schicken (v. 529-531), dann als Ankündigung neuer Kleider (v. 845-851) 167 lenken den Blick auf die Frage, wie Xerxes’ Rückkehr nach Susa sich gestalten wird. 168 Konkreter bereitet der nicht stattfindende textile Restaurationsversuch 169 perspektivisch die eigentliche Restauration der sozialen Ordnung vor. Xerxes berichtet dem Chor seine Reaktion auf die nautische Niederlage (v. 1030, vgl. 1019) und fordert diesen zu demselben Trauergestus auf (v. 1060). König und Kronrat gleichen sich also in der Trauer optisch an, statt die soziale Distinktion zu restaurieren, auch wenn der König der Impulsgeber bleibt; statt einer Restauration bzw. „Rehabilitierung“ findet eine „Reintegration“ des Xerxes statt (Gödde 2000: 42). Die abschließende Parallele, die Hopman 2009: 368 zur Odyssee zieht („Like the Odyssey, Persians ends with the return and reintegration of a king responsible for the death of the ‘flower’ of the land.“), ist wegen ihrer verkürzenden Knappheit nicht ganz stimmig und lädt zu weiterer Interpretation ein. Odysseus kehrt zwar wie Xerxes in Lumpen heim, doch ist er keineswegs in der Weise wie der Perserkönig für den Tod der Jugend des Landes verantwortlich. Dem Zug nach Troja hat er sich nur wegen Palamedes’ List widerwillig angeschlossen. Die meisten Gefährten sind nicht vor Ilion, sondern durch ihre eigene Schuld trotz Odysseus’ gegenteiligen Strebens auf dem Nostos 170 ums Leben gekommen (Od. 1.5-7). Beim sog. Freiermord handelt es sich um eigenmächtige heimische Usurpatoren, keine loyalen Gefolgsleute, die in Erfüllung ihrer Pflicht zur Heeresfolge wie bei Xerxes in der Fremde fallen. Die Mnestorophonie, bei der Odysseus unilateral und gewaltsam seine alte Machtposition als Herrscher restauriert, ist pragmatisch etwas ganz anderes als das verbale Aushandeln einer rituellen Position als primus inter pares im Klagegesang, auch wenn beide Handlungen den heimkehrenden König redintegrieren und ihm eine hervorgehobene Position restaurieren. 171 Doch daß Xerxes hierbei praktisch ins Kollektiv eingebunden ist und keine Tätigkeit ausübt, die ihm allein als Distinktionsmerk- reios religiöse Scheu. Zu Xerxes, der offensichtlich jünger als der Chor ist, verhält sich dieser in Ab- und später auch Anwesenheit dagegen unverhohlen kritisch. Völlig richtig beschreibt Harrison 2000: 85 die Entwicklung auf der Seite der Psychologie der persönlichen Autorität („The Chorus’ reawakened respect for Darius has been transferred to his son“), auch wenn diese sich im Dramentext aus deutlich verschiedenen Quellen speist. 167 Zu ihrer dramatischen Plausibilität s. Conacher 1996: 33-35. 168 Thalmann 1980: 260-267. 169 Harry C. Averys Hypothese, daß Xerxes in v. 1038 ein neues Gewand anziehe, das eine stumme Person ihm bringe - sei es Atossa oder ein Diener (Dramatic Devices in Aeschylus’ Persians. AJPh 85 (1964) 173-184, h. 182 f.), weist Thalmann 1980: 263 zu Recht als ohne Hinweis im Text zurück (so auch Gruber 2009: 152 Anm. 109). 170 Für die Deutung von Xerxes’ Heimkehr als Nostos vgl. Oliver Taplin, The Stagecraft of Aeschylus. The Dramatic Use of Exits and Entrances in Greek Tragedy. Oxford 1977, 123- 127. 171 Vgl. Taplin 1977: 127: „Xerxes evidently goes at the front of the procession.“ Inhaltlich betont er jedoch Xerxes’ Autoritätsverlust, Erniedrigung und Einreihung in seine Mitbürger (1977: 128). 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 257 mal vorbehalten wäre, zeigt den Zerfall der großköniglichen Machtposition, die der historische Dareios durch Distinktionsmerkmale inszeniert hatte. 172 Vom Standpunkt der poetischen Autoreferentialität bleibt die Pragmatik gleichwohl zu Xerxes’ Gunsten asymmetrisch. Neben die mise en abyme der Nekromantie tritt nämlich mit dem Trauerritual, das Xerxes als performiert, eine zweite. Da es das vergangene Geschehen nicht nur emotional verarbeitet, sondern auch referiert, deutet und reflektiert, darf man auch hier von einer mise en abyme sprechen. Dadurch daß es Xerxes, anders als Atossa und Dareios bei der Nekromantie, orchestriert und inszeniert, erlangt er nicht nur eine seine Eltern übertreffende Stellung, sondern wird überdies zum Dramaturgen eines zweiten Intratheaters. Über die Intratheatralität gewinnen die Rituale also eine semantische Funktion innerhalb der syntagmatischen dramatischen Semiose. Die semantische und soziale Funktion des Trauerrituals treten besonders im Vergleich zu ritualmythologischen Deutungen hervor, weist doch die vorliegende Interpretation dem Trauerritual im Kommos der Perser eine soziodynamische Funktion 173 zu. Das dionysisch-ritualmythologische Interpretationsmodell ist so allgemein, daß sich, in einer Art hermeneutischem Sparagmos, Teile seiner Motivik als mythologisches Substrat unter dem konkreten, zur Handlung dramatisierten Mythos fast jeder Tragödie finden lassen. In der vorliegenden Tragödie ist dies der Tod des Königs: 174 „Der Fall des in Hybris verstrickten, gegen die Gottheit kämpfenden Herrschers wird rituell zum Opfer stilisiert.“ 175 Doch kann die Interpretation der Nekromantie keine zwingenden Beweise beibringen, daß später „Xerxes […] in der exzessiven Trauer in den Hades einzugehen [scheint].“ 176 Wäre dem so, so ginge auch der Chor mit dem szenischen Abtritt in den Hades ein, was die Singularität und Einschlägigkeit der Symbolik von Xerxes’ Abtritt unterminieren würde. Griffith 1998: 63 kann denn auch anhand der Entwicklung der Wurzel im Verlaufe der Tragödie zeigen, daß der Chor beim Auszug in den beiden Schlußversen (v. 1076 f.) die von Xerxes beklagte Vakanz von Begleitern (v. 1036) entsprechend Dareios’ Gebot (v. 530) füllt. Wie wenig die Überschreitung der Grenze zum Inneren dabei den Abtritt aus dem Leben und wie sehr sie vielmehr die von der herrscherlich-väterlichen Autorität angeordnete Wiedereinnahme einer Führungsposition symbolisiert, wird topologisch an der Ortsangabe (v. 530) augenfällig, 172 Richard Nelson Frye, The History of Ancient Iran. HdA III.7. München 1984, 106. Vgl. A. Shapur Shahbazi, Art. Darius I the Great. Encyclopædia Iranica 7 (1996) 41-50, h. 47 f. 173 Hierzu s. Burckhard Dücker, Rituale. Formen - Funktionen - Geschichte. Eine Einführung in die Ritualwissenschaft. Stuttgart 2007, 192. Die Sozialdynamik ist bei Dücker eine von mehreren Formen der Ritualdynamik (für diese s. weiterführend Dietrich Harth, Gerrit Jasper Schenk (Hgg.), Ritualdynamik. Kulturübergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns. Heidelberg 2004). 174 Zum Königsopfer s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? in der OT-Interpretation. 175 Bierl 2007: 53. 176 Bierl 2007: 61. Vgl. dagegen Taplin 1977: 128 zur Exodos: „[E]ven in defeat life at home must go on.“ Für andere, ehrenhafte Prozessionen am Ende der Tragödie verweist er auf A. Supp. (1069-)1073 und A. Eu. (1032-)1047. 258 d.h. ‚in den Palast‘, der so als örtliches Symbol der großköniglichen Machtposition dient. Das in der Dramenhandlung substitutiv eliminierte Sühneopfer ist das Heer, nicht der König. Daß der König, der doch nach der Meinung aller übrigen Figuren für das Debakel verantwortlich und nicht bloß irgendein willkürlich ausgewählter Sündenbock ist, nur - entsprechend griechischen politischen Gepflogenheiten - massiv getadelt (vgl. Griffith 1998: 55: „Xerxes must face an anti-encomion, as he slinks home alone, shorn of insignia and accoutrements […].“), aber nicht eliminiert, sondern über die gemeinsame Trauer redintegriert wird, 177 zeigt, wie weit die Handlung des Dramas über archaisch-gewalttätige Rituale hinaus geht, wie René Girard sie zugrunde legt. Dabei wäre der Tod des Königs nach seiner Logik die konsequente Lösung der gravierenden Krise, die Dareios’ Frage mit den klassischen Krisensituationen Pest und Aufruhr in Verbindung bringt (v. 715) und die, durch die militärische Katastrophe heraufbeschworen, bereits die sozialen Oppositionen im Mutterland ins Wanken bringt. Vor dem Hintergrund der gewaltsamen archaisch-rituellen Krisenbewältigung bekommt das Insistieren auf Xerxes’ Jugend eine ganz neue, zivilisierende Bedeutung: Es ermöglicht den Alten Atossa, Chor und Dareios zwar, sich auf Xerxes als ideologischen ‚Sündenbock‘ 178 zu verständigen und so die psychischen Spannungen der Krise zu purgieren und die soziale Ordnung zu wahren, vermeidet aber die praktische Eliminierung, da Xerxes’ Jugend die Transgression nachgerade als ‚Jugendsünde‘ entschuldigt. Da Dareios’ Geist das Erklärungsmuster ‚Jugend‘ affirmiert, das bereits Atossa und der Chor erwogen hatten, und es systematisierend mit der tragisch-transgressiven Sicht verwebt, erweist sich das soziale Verfahren der Nekromantie als wirkungsvolles Mittel zur Lösung der Krise. Ebenso richtig wie unspezifisch ist Bierls Feststellung, das Stück stelle Tod und Opfer dar und performiere Trauerrituale. 179 Denn die Evozierung der konventionellen Trauerrituale ist in der Tragödie eine gängige und mimetisch plausible Reaktion auf das große Leid bzw. in den Termini der vorliegenden Arbeit auf die Verletzung der Integrität infolge der Transgression. Wie bei Bohrers Schrecken handelt es sich dabei also um ein Epiphänomen der Transgression. Wenn Xerxes berichtet, er habe das Gewand als Reaktion auf den Untergang des Heeres zerrissen (v. 1030), so wird eben kein Trauerritual vom Chor auf der Bühne performiert, der sonst als konventioneller Akteur dieser Handlung fungiert. Insgesamt vermag eine Deutung, die auf das Vorhandensein von Ritualen abhebt, also kulturgeschichtliche Aspekte des dritten Teils der Perser zu be- 177 Hopman 2009: 367 f. 178 Hopman 2009: 372. Kühn ist hierbei die These, das Athener Publikum und die Alten in Susa würden durch die Sichtweise geeint, Xerxes sei der Schuldige, da diese im Falle der persischen Akteure bloß eine in der dramatischen Fiktion auf den Gegner projizierte interpretatio Graeca ist. Plausibler ist dagegen, wenn man die damit einhergehenden Spekulationen über die Emotionen des Athener Publikums abzieht, die These, daß diese Schuldzuschreibung diesem die Identifikation mit dem Chor der Alten und damit überhaupt der in der Tragödie gebotenen Sichtweise ermöglichte (Hopman 2009: 375). 179 Bierl 2007: 60 f. 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 259 leuchten. Die Einbettung in Handlungsmuster der eigenen Kultur baut modernen orientalistischen Skrupeln vor, ob die Darstellung des Schmerzes des geschlagenen Feindes nicht eine verdeckte und geschmacklose Form des Triumphes ist. Hopman arbeitet vielmehr heraus, daß der Schmerz der Schlußszene die betreffenden Akteure keineswegs als emotionale, verweichlichte Orientalen zeichne (2009: 373 Anm. 36), 180 da auch andere Männer in der griechischen Tragödie ihrer Trauer Ausdruck verliehen, wofür sie auf Ann Suters Analysen von Kreons Trauer über Haimons Verlust (S. Ant. 1261-1346), Theseus’ Klagen über Phaidras Tod in Euripides’ Hippolytos (v. 811-873) und Orests Beteiligung am Kommos für Agamemnon in den Choephoren verweisen kann. 181 Ergiebiger als die ritualmythologische Deutung ist der bereits angedeutete Blick auf die dramatische Metapoetik. Der topologisch gewandete metatheatralische Aspekt erlangt wiederum beim Auszug eine Bedeutung. Die Klage des Chores beim Auszug aus der Orchestra (v. 1073, in 1069 wird von West athetiert) ist das schließende Gegenstück zur Überschreitung der Meerengen, annulliert also die Transgression mimetisch. Während zuvor ein Lindwurm von einem Heereszug problemlos über die Schiffsbrücke in den zu annektierenden Erdteil marschieren konnte, ist nun selbst die Bühne, welche die heimische Erde repräsentiert, für zwölf Greise schwer begehbar. Hier kehrt derselbe Schwund an Praktikabilität wie beim Zusammenbruch der persischen Autorität im Mutterland wieder, der durch die eliminatorischen Folgen der Transgression ausgelöst wurde. Hopman 2009: 373 geht davon aus, daß bei der Benennung des persischen Landes, über das die Greise schreiten, und das gleichzeitige Deuten auf den Boden des Dionysostheaters die extradiegetische Deixis die dramatische Illusion zusammenbrechen („break down“) lasse, weil, wie bereits Rehm 2002: 20-25, 250 ausgeführt habe, daß der theatralische und szenische Raum mit dem reflexiven und realen verschmelze. Daß diese Bemerkung die genannten Dimensionen enthält, steht außer Frage. Wie sich ihr Verhältnis gestalte, ist eine andere. Dabei geht es grundlegend um die Frage, ob bei diesem komplexen Raumgefüge (realer und reflexiver Raum - Athen, theatralischer Raum - Dionysostheater, szenischer Raum - Bühne / Susa, extradiegetischer Raum - Susa) auch die Semiose kollabiert oder ob eine Distanz zwischen einem Raum als Sinnträger und bezeichneten Räumen zurückbleibt oder konkreter: Kann die Bühne der Spielstätte weiterhin für das persische Land in Susa stehen, und wenn ja, in welcher Weise und mit welchen interpretatorischen Konsequenzen? Gewiß ist Hopmans Beobachtung völlig richtig, daß die extradiegetische Deixis auf das persische Land diejenige am Anfang des Stückes bei der Selbstvorstellung des Chores wieder aufnehme (v. 1 f.: / ’ 180 Harrison 2000: 91 wertet ihn als Zeichen von Effeminierung und behauptet, dies sei der einzige Fall solcher Trauer eines männlichen Chores in der Tragödie. 181 Vgl. die tabellarische Übersicht 2008: 171 f. und das Fazit (S. 171): „Clearly, tragic drama permitted men to lament.“ Nach Griffith 1998: 50 f. unterscheidet sich der Kommos der Perser allenfalls graduell von demjenigen anderer Tragödien, was seiner Meinung nach dessen Akzeptabilität erhöht haben dürfte. 260 ) und die Verschiebung des Attributs ‚persisch‘ von den Akteuren auf den Boden die lokale und ethnische Alterität des Chores vermindere (und damit die emotionale Identifikation des Publikums mit ihm erleichtere). Der Rückzug und die Exodos werden zur Gegenbewegung (man beachte die Bewegungsverben ~ ) der in der Parodos geschilderten Transgression. Und doch fragt man sich, warum gerade die abschließende extradiegetische Deixis die mimetische Illusion einreißen solle. In beiden Fällen vertraut die extradiegetische Deixis vielmehr auf die Suggestivkraft der Sprache, die den mimetischen Raum und die mimetische Illusion erst schafft. Dies gilt ganz besonders für die Exodos, da die Greise nicht stumm abrücken, sondern mit ihrer performativen Äußerung implizit metasprachlich die gesamte theatralische Semiose begründen. Das Wort macht also im mimetischen Anspruch die Bühne, die auf attischem Boden steht, zu persischem Land. Ohne es würde das gesamte komplexe Raumkonzept, das Hopman und Rehm annehmen, selbst nicht existieren. Das Vertrauen auf die Kraft der Sprache wird durch den vorausgehenden Sieg der Redefreiheit selbst in Persien gerechtfertigt. Gleichwohl gibt es Unterschiede zwischen den beiden extradiegetischen Deixeis: Diejenige des Auszugs ist lokal und performativ (dagegen erfolgt die lokale Deixis der Exodos ad oculos). Der Widerspruch zwischen mimetischer Illusion und Realität bricht so auf, insofern die fiktiven persischen Greise realiter bereits auf griechischem Boden stehen. Die Folge ist weniger ein Überfluten der Polis Athen mit der Totenklage der Perser, wie Hopmans emotional-harmonisierende Interpretation annimmt. Der Kontrast zwischen den Attributen von in Parodos und Exodos zeigt allen von Hopman bemühten mimetisch-deiktischen Unterschieden zwischen den beiden Passagen zu Trotz, daß die Eroberungspläne des Perserkönigs spektakulär gescheitert sind, bei denen es um die Inbesitznahme der griechischen Erde ging (vgl. v. 2). Der beschwerliche Auszug des Chores, dessen Ethnizität unbeschadet Hopmans Hinweis durch das Attribut der Erde evoziert wird (schließlich schreiten in der mimetischen Illusion keine griechischen Soldaten oder Gefangenen über den persischen Grund), iteriert den verlustreichen Rückzug des dezimierten Perserheeres aus Griechenland (v. 734-737). Attika bleibt griechisch, die Gefahr durch das Perserheer ist gebannt. Die Greise spiegeln den Rückzug ihrer Landsleute. Daß ihre Semiogenese wohl erfolgreicher als die großkönigliche ist, liegt an der unterschiedlichen Weite des Anspruchs und den eingesetzten Mitteln: Der Perserkönig will gewaltsam in einer geographischen und politischen Transgression Griechenland kulturell neubestimmen, die Greise bleiben trotz ihrer Realpräsenz in Attika im Rahmen der mimetischen Illusion, zumal sie in dieser emblematisch für den Verbleib im Heimatland sind. Das Schreiten hat in der Exodos eine komplexe ethnische, kulturelle und (meta-)theatralische Bedeutung, die nicht allein der Vergleich mit der Parodos erhellt. Vielmehr steht in der Exodos selbst das Kompositum (v. 1072) in bitterer semantischer Opposition zum diskutierten , so jedenfalls de Romilly 112 a.l. Außerdem steht durch die Ähnlichkeit der Bildung und des Klangs in klarem Gegensatz zu (v. 925) und unterstreicht so den persischen Verlust der Wehrhaftigkeit. Diese Parallele ist viel einschlägiger als der (vermeintlich) orientalisierte Gebrauch von in den 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 261 Persern, auf den Hall 177 a.l. verweisen kann. Die weiteren Stellen, die sie diskutiert und mit Ausnahme von E. Med. 830 (s.u.) als Belege für die effeminierende und orientalistische Semantik dieser Junktur wertet (Hekabe und Ganymed in E. Tr. 506 [Hekabe: ’ ], 819- 822), 182 stammen, abgesehen von einem Vers aus Aischylos’ Edonern TrGF Bd. 3 Frg. 60 (Dionysos oder Orpheus), 183 aus einem späteren Autor, nämlich Euripides. Auf Weiblichkeit und tragisch naive Putzsucht hebt das sanfte Schreiten in Euripides’ Medea im Falle eines hellenischen Mädchens ab: Hier schreitet Kreusa sanft ( ) hin und her, nachdem sie Medeas todbringende Geschenke angelegt hat, in ahnungsloser, überschwenglicher Freude über diese (v. 1163-65; nach Groeneboom 196 „ein kokettes Mädchen“). Emotion, Alter und zeitliche Positionierung zur Eliminierung unterscheiden sich allerdings elementar zur vorliegenden Stelle der Perser. Die von Hall verfochtenen, eher plump als elegant-leichtfüßigen orientalistischen Deutungen, die diachron mit dem Herstellen einer Kongruenz von ethnischen und sexuellen Gegensatzpaaren operieren und darüber die Autonomie und Individualität der fraglichen Stellen aus dem Blick zu verlieren drohen, erschüttert Roussells Hinweis, sei wie der Satrap und die Unsterblichen der Name einer persischen Personenklasse, nämlich der Höflinge („Les Habrobates sont les Talons-Rouges de la cour“). Roussell kann sich auf die Überlieferung eines ähnlich klingenden iranischen Eigennamens in X. Cyr. 5.1.2 (vgl. 6.1.46-48) 184 und Bakchylides 3.48 berufen, wo mit Kroisos ebenfalls der König eines östlichen Reiches einem genannten Diener einen Befehl gibt (nämlich den Scheiterhaufen zu entzünden). Die griechische Bedeutung dieses Wortes suggeriert allenfalls die präaristotelisierende Deutung (Pol. 1285a 19-22), die Perser seien ‚Leisetreter‘. Bei der Übernahme dieses Wortes, dessen iranische Form und Bedeutung unbekannt seien, 185 nimmt Roussell eine doppelte griechische „parétymologie“ an. Eine vergleichbare Fehlwiedergabe liegt übrigens auch bei den Unsterblichen vor (gr. , vgl. Hdt. 7.83.1), bei denen apers. anušiya „follower“ (Frye 1984: 109) bzw. „Gefolgsmann, Verbündeter, Helfer“, 186 das in der Behistun-Inschrift häufig für die Anhängerschaft eines Kommandanten gebraucht wird, sei er nun Dareios selbst, 182 Chor.: ’ […]. 183 Vgl. Radt a.l. Die Überlieferung, in der selbst das Vorkommen unseres Substantivs fraglich ist (Radt bietet den korrupten Wortlaut ’ † †; ist Teil verschiedener Konjekturen), erweist sich also als so unsicher, daß sie interpretatorisch kaum belastbar ist, auch wenn es sich in eine orientalistische Deutung gut fügen würde, da Dionysos zumindest in Euripides’ Bakchen als östlicher und eleganter Gott angesehen wird (s. 4.5 Tragik in der Interpretation dieser Tragödie). 184 Nach Leumann/ Snell (s. die nächste Fußnote) „*A(h)ura-d taab Ahura donatus’“. 185 Ablehnend gegenüber Manu Leumanns brieflicher, in Snells Bakchylides-Ausgabe zu 3.48 aufgenommener und von Dietmar Korzeniewski (Studien zu den Persern des Aischylos (II). Helikon 7 (1967) 27-62, h. 61 f.) auf die vorliegende Stelle übertragener Herleitung von apers. *a(h)ura-p ta- „ ab Ahura (Mazda) protectus’“ ist Rüdiger Schmitt, Bakchylides’ und die Iranier-Namen mit Anlaut ABPA/ O-. Glotta 53 (1975) 207-216. 186 Wilhelm Brandenstein, Manfred Mayrhofer, Handbuch des Altpersischen. Wiesbaden 1964, 103. 262 einer seiner Gefolgsmänner oder ein Empörer, 187 mit dem ähnlich klingenden Wort für ‚unsterblich‘ (aw. anaoša) 188 verwechselt worden sei. 189 Was auch immer das tatsächliche altiranische Etymon von gewesen sein mag, so läßt sich ein gewisser Orientalismus in dieser Wiedergabe schlecht bestreiten. Inwieweit die Perser vorgefundene orientalistische Stereotype mit dem nachgerade leitmotivischen Gebrauch dieses ersten Kompositabestandteils bedienen, einsetzen oder gar weiterentwickeln, muß eine genaue Analyse der betreffenden Stellen zeigen, ohne die ein umfassendes Verständnis auch der vorliegenden Stelle nicht möglich ist. Erst dieser synoptische Blick erlaubt es, die volle Bedeutung dieses literarischen Zeichens auch in seiner dramatischen Entwicklung und Entfaltung zu erfassen. Die Tragödie setzt in der Tat beim chronologisch und geographisch Nächststehenden an, wenn sie im Heerzug des Großkönigs den Haufen der Lyder mit verfeinerter Lebensart folgen läßt (v. 41 f.: ’ / ). Die Perser knüpfen hierbei klar an das bisherige Bild der Griechen vom Osten an, das von den geographisch näherstehenden Lyder(könige)n geprägt wurde, in deren Fußstapfen die Perser traten. Doch ist damit die Linse der Rezeptionslenkung so eingestellt, daß damit der gesamte Sprachgebrauch der -Komposita im Drama unter das orientalistische Klischee der Weichlichkeit subsumiert werden muß, was Hall 1989: 81 meint? Eine derartige rezeptionsästhetische Pauschalierung wird allein dadurch unterlaufen, daß der weitere Sprachgebrauch wesentlich differenzierter ist. Er betrifft nicht mehr die Lebensweise eines Ethnikons, sondern einzelne, durch biologische Merkmale wie Alter und Geschlecht abgegrenzte Gruppen innerhalb der fremden Ethnie, die sich in der besonderen Situation befinden, daß die erwachsenen Männer abwesend sind, nicht aber - in markantem Gegensatz zu den Lydern - diese selbst. 190 Denn die zweite Gebrauchsweise eines Kompositums mit als erstem Bestandteil betrifft die sehnsuchtsvolle Trauer der verwitweten Perserinnen nach ihren toten Männern (v. 541-545): 187 S. den Index von Roland Grubb Kent, Old Persian. Grammar, Texts, Lexicon. New Haven 2 1953, 168. 188 Nicholas Sekundas Einwand, das Wort sei im Altpersischen nicht belegt (Achaemenid Military Terminology. Archäologische Mitteilungen aus Iran 21 (1988) 69-77, h. 70), verfängt nicht, da in dieser Sprachstufe nur politisch-administrative Texte vorliegen, in denen der Gebrauch dieser Vokabel - anders als im naheverwandten Awesta - eher unwahrscheinlich ist. 189 Antonino Pagliaro, Riflessi di etimologie iraniche nella tradizione storiografica greca. Renditiconti dell’Accademia nazionale dei Lincei ser. 8 vol. 9 fasc. 5-6 (1954) 133-153, h. 149. Gegen diese Deutung hat Sekunda 1988: 70 zugunsten von Herodots Zuverlässigkeit ins Feld geführt, daß sich im sassanidischen Heer m’dknpt (ap. *amrtak n m patiš) ‚Befehlshaber der Unsterblichen‘ finde, was auf ap. *amrtaka- (< ap. mar- ‚sterben‘) ‚Unsterblicher‘ schließen ließe. Doch ist Pagliaros Meinung weitgehend zur communis opinio geworden (Brandenstein-Mayrhofer 1964: 103, Wiesehöfer 1994: 136, 353). 190 Irreführend ist deshalb Conachers Feststellung, die Komposita mit würden „no less than five times of the Persian host“ gebraucht (1996: 10 f.), wo er sich doch auf dieselben Belegstellen wie die vorliegende Arbeit stützt (1996: 20 Anm. 35). 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 263 . Dies ist m.E. das rätselhafteste Motiv der Tragödie, was nicht zuletzt daran liegt, daß ihre Narratologie der Alterität hier besonders komplex ist, da sie Ethnie, Alter und Geschlecht umspannt. Deshalb greift Hopmans in den allgemeinen subsumierende Deutung zu kurz (2009: 363: „[…] the women’s longing epitomizes a general feeling.“). Die Perserinnen werden sowohl hinsichtlich ihrer Klagen wie ihrer Bettwäsche (! ) über und Verfeinerung charakterisiert. Nach Gödde 2000: 41 werden bei der Schilderung der weiblichen Klage „weder orientalische Lebensart noch weibliche Klagesitten denunziert“, vielmehr folge man „einer gänzlich konsistenten Logik des Lebens“, da die zarte Bettwäsche die sehnsuchtsvolle Trauer noch unterstreiche. Unmittelbar zuvor (v. 537-540) wurde, worauf Gödde hinweist, geschildert, wie die schmachtenden Perserinnen mit zarten Händen ( ) die Schleier als Trauergestus zerrissen hätten. Zumindest mit einem anderen Lexem ist die Zartheit hier ein körperliches Merkmal biologischer Weiblichkeit (vgl. Epict. 1.16.12: ) und nicht orientalischer Dekadenz. Hall 1989: 81 arbeitet denn auch selbst heraus, daß in der lesbischen Dichtung die in bezug auf Frauen, Göttinnen und östliche Götter neutral oder sogar ein Kompliment sei. An diese Positivzeichnung im Falle von Frauen kann die vorliegende Stelle anknüpfen. Es überrascht gleichwohl, daß die Sehnsucht, ja lustvolle Begierde rein lexikalisch in dieser Schilderung die Trauer zurückdrängt. Zwar werden Trauer und Sehnsucht funktionsräumlich voneinander abgegrenzt, weil die Perserinnen die mit Satinbettwäsche bezogenen Betten verlassen haben, doch werden diese lebensfroh als Ort jugendlicher (Liebes-)Freude identifiziert und die Sehnsucht nach rezent vermählten Männern präsentisch mit der Trauer verbunden. Die Begierde und erotisierende Schilderung unterscheiden die Perserinnen vom Motiv der vorzeitig verschiedenen Jugend, das in der floralen Metaphorik für die Gefallenen faßbar wird. Doch lassen sich die Perserinnen nicht nur als Subjekt der Begierde begreifen. Binnenpragmatisch läßt die erotisierende Schilderung im Mund der Alten das Motiv der Lustgreise anklingen, die das Alte Testament in der Geschichte von Susanne im Bade (Sept. Sus 8) und die Ilias bei der Bewunderung von Helenas Schönheit kennt (Il. 3.149- 160). Bühnenpragmatisch werden die Reize der verwitweten Feindesfrauen einem rein männlichen Primärpublikum ausgemalt. Hierin irgendeine Realintention zu erblicken, sei es in Form eines Anreizes zur Eroberung Persiens und seiner Frauen oder aber einer Versöhnung im Sinne der Massenhochzeit von Susa, scheint mir ebenso weit hergeholt und illusorisch wie spekulativ, ja nahezu abstrus. Fest steht jedoch, daß die erotisierende Schilderung der Trauer der Perserinnen und v.a. ihre ungestillte trauererfüllte Begierde (v. 545: ) die Leerstelle durch den Verlust der Männer und die militärische Kastration Persiens deutlich markiert und sich überdies vom Bild der Perser als schroffe Krieger absetzt und geeignet ist, positive Emotionen bei dem männlichen griechischen Publikum zu wecken (neben der Begierde auch Mitleid und Beschützerinstinkte) und so die Kluft im Bild der Völker zu überbrücken. 264 Literarästhetisch entwickelt die Sprache hier jene sinnliche Suggestivkraft, die Roland Barthes 191 in der Beschreibung eines Mahls von Geistlichen bei Stendhal 192 entdeckt hat, der in der Schilderung von Milch, Schnitten, „Sahnekäse aus Chantilly“, 193 Konfitüre aus Bar, Apfelsinen aus Malta und gezuckerten Erdbeeren schwelgt. 194 In beiden Fällen wird, so kann man gegen Merschs ästhetischen Sensualismus und Materialismus festhalten, das literarische Wort zur Quelle des aisthetischen Erlebens. Freilich warnt eine Parallele aus dem zweiten Stasimon des Agamemnon davor, die erotisierende Bühnenpragmatik überzubeanspruchen oder allzu positiv als diegetische Peep-Show zu sehen, die überdies das orientalistische Motiv verfeinerter östlicher Erotik bedient. An dieser Stelle wird Helenas Name aus ihrer verderbenbringenden Wirkung für Männer und Städte erklärt und gleichzeitig mit einer ähnlich erotischen Bedeutung des -Kompositums geschildert, wie sie vom Zephyros aus ihren zarten Kissen fortgeblasen worden sei (Ag. 689-693): - 195 , […] Conacher weist darauf hin, daß auch hier wie in den Persern ein ironischer Kontrast zur martialischen Stärke der Parodos vorliege, da die Griechen und ihr König am Ende in diesem Krieg leiden würden, der um der Gattin eines anderen Mannes geführt werde (Ag. 447-449) (1996: 21). Allerdings sind - anders als im Agamemnon - die Perserinnen in der Binnenpragmatik und -hermeneutik nur Objekte, während der Großkönig allein für ihr und des Reiches Elend verantwortlich ist. Dieser Kontrast der Kausalität wird nicht nur durch eine andere Aischylos-Tragödie, sondern auch den Einsatz des -Motivs in derselben mythologischen Matrix bei Pindar unterstrichen (P. 11.31-35). Die syntaktischen Bezüge sind nicht eindeutig, doch ist es nach Leslie Kurkes Deutung Helena, welche die bringt, die Agamemnon bei der Einnahme Trojas 191 Le Plaisir du texte (1973). In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 4: Œuvres 1972-1976. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 217-261, h. 247. 192 Es handelt sich hierbei, wie ich ergänzend zu Barthes, Neumann und der oben zitierten Barthes-Ausgabe anmerken möchte, um die Épisodes de la vie d’Athanase Auger (publiés par sa nièce) (datiert auf den 19. Juni 1837, in Nivernais) in den Mémoires d’un Touriste (S. 184 f.). (Ette 2010: 450 verweist immerhin auf diese Schrift und die Episode, nicht aber auf die exakte Stelle.) 193 So die übereinstimmende Wiedergabe („fromage à la crème de Chantilly“) in Roland Barthes. Die Lust am Text. Aus dem Französischen von Traugott König. Frankfurt a.M 1974, 67 und Roland Barthes. Die Lust am Text. Aus dem Französischen von Ottmar Ette. Kommentar von Ottmar Ette. Berlin 2010, 59. 194 Gerhard Neumann, Roland Barthes’ Theorie des Deiktischen. In: Dieter Mersch (Hg.), Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens. München 2003, 53-74, h. 53 f. 195 Salmasius . 1. Aischylos’ 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung 265 zerstört (P. 11.33-35). 196 Auch hier ist die wie im Agamemnon für die Eliminierung verantwortlich, und zwar diesmal der östlichen Gegner der Griechen. In den Persern sind diese beiden Momente jedoch auch räumlich getrennt und nur kausal durch den Großkönig verbunden, dem (und nicht pauschal dem dekadenten orientalischen Luxus) die Eliminierung angelastet wird. Die in sehnsuchtsvoller Treue klagenden und auch örtlich konstant-statischen Perserinnen sind ein denkbar großer Kontrast zur griechischen femme fatale und donna mobile Helena, die selbst in einer Transgression über die Meeresengen von West nach Ost geblasen wird. Der Vergleich mit dem Agamemnon und Pindar zeigt also auch beim Motiv der die paratragische Zuspitzung der Perser auf die individuelle politische Verantwortung des Regenten für Transgression und Eliminierung seiner Untertanen. Die der verwitweten Perserinnen ist damit motivisch wie dramenfunktional und -semiotisch das Pendant zur Blüte der männlichen Jugend, deren Xerxes’ Transgression sein Land und dessen Frauen beraubt hat. Die jungen männlichen wie weiblichen Opfer der großköniglichen Politik, die nur anonym und kollektiv diegetisch evoziert werden und damit anders als Chor und Königin kaum zu Komplizen der militärischen Expansion werden können (pace v. 12), sind m.E. wegen ihres klar unverdienten Leidens die idealen Kandidaten für persische Figuren, die geeignet sind, beim athenischen Publikum Mitleid zu erregen. Daß paradoxerweise nicht die sinnliche Unmittelbarkeit schaffende Mimesis, sondern die mit der Suggestivkraft der Sprache operierende Diegese einen Raum für Mitleid schafft, liegt an der zeitgeschichtlichen Identität der mimetisch dargestellten Figuren mit Entscheidungsträgern und deren Umfeld, die politisch für die Transgression verantwortlich sind. Das letzte Vorkommen eines Kompositums mit als erstem Bestandteil in den Persern in der Anweisung, die Xerxes dem Chor gibt (v. 1072: ’ ), synthetisiert die bisherigen lexikalischen Elemente und schafft so einen neuen Sinn. In diesem Passus verschmelzen die vorangehende praktische Klage des Chores (v. 1073) mit den aus v. 541. Erst bei dieser Amalgamierung wird das redundante Lexem ‚persisch‘ wie bei einer Bruchmultiplikation herausgekürzt. Insofern setzt dieser Vers die von Hopman bemerkte Entethnisierung der Akteure ebenso fort wie die dramenverbale Wiederaneignung des attischen Bodens. 197 Die szenenpragmatische und dramensemiotische Verortung spricht eher dagegen, daß die Verbindung von sanftem Schreiten und Klagen in der Aufforderung des Groß- 196 The Cultural Impact of (on) Democracy. Decentering Tragedy. In: Democracy 2500? Questions and Challenges. Ed. by Ian Morris and Kurt Raaflaub. Archaeological Institute of America. Colloquia and conference papers 2. Dubuque 1998, 155-169, h. 162. 197 Diese Verortung in der weitgespannten Semiotik des Dramas und die Pragmatik der Schlußszene sprechen dafür, nicht mit West in v. 1069, sondern erst in v. 1073 zu athetieren. In v. 1069 würde der Chor einen Einwand gegen Xerxes’ Aufforderung im vorausgehenden Vers (v. 1068: ) erheben, der in v. 1074 seine Berechtigung verloren hätte, weil Xerxes im vorausgehenden aus v. 1068 zu modifiziert hat. Wests Athetese würde also die gesamte Pragmatik der Exodos, die sich im Machtkampf um Klagen und Schreiten entfaltet, vollkommen sinnlos machen. 266 königs auf orientalische Weichlichkeit abhebt und die ethnisch-kulturelle Alterität affirmiert. Unstrittig ist dagegen die binnenpragmatische Interpretation, daß Xerxes mit diesem Adjektiv seine Stellung als Subjekt der Handlung und des sozialen Gefüges festigt. Mit dem Befehl zum sanft schreitenden Klagen, das stilistisch-ästhetisch wie die Perserinnen das Leid und die Trauer mildert, glättet er die Härte des persischen Bodens, welche die Alten gegen seine erste Aufforderung zur Exodos in v. 1068 f. vorgebracht hatten. Dabei erteilt er den mit Bezeichneten wie Bakchylides’ Kroisos am Ende seiner literarischen Karriere einen Befehl, der altpersische Sinn dieses Wortes würde seinen Vorrang noch unterstreichen. Angesichts dieser komplexen Beleglage bestreitet Broadhead 245 a.l. denn auch wohl nicht zu Unrecht, daß dieses Adjektiv hier Weichlichkeit bezeichne und verächtlich sei; es stehe vielmehr für den Vollzug konventioneller und künstlerischer Bewegungen. Die Kunst überwindet also die Trauer. Diese Fähigkeit der Kunst zur ästhetischen Alchemie 198 wird in der metatheatralischen Regieanweisung des Großkönigs thematisiert und initiiert, bei der die Sprache den Körper lenkt und wie bei der ihren Primat innerhalb der komplexen Interaktion der theatralischen Zeichen behauptet. Über die Körperkontrolle gewinnt der Chor die Kontrolle über die Emotionen. Die hier erkennbare Urbanität des sanften Schreitens ist auch andernorts faßbar. Wenn in Euripides’ Medea nicht nur die Königstochter, sondern auch die Söhne des Erechtheus im dritten Stasimon sanft durch den Äther schreiten (v. 830: ), dann ist dieses Verhalten wohl eher ein Merkmal attischer Zivilisiertheit (in der Medea im Gegensatz zur verkehrten Welt in Korinth, so Grethlein 2003: 342), das dem Genius loci geschuldet ist, als ein Zeichen barbarischer Dekadenz. Schließlich ließe sich das zarte Schreiten als Teil des takt- und pietätvollen Trauerrituals deuten. Deshalb teile ich nicht Groenebooms Meinung, der „die auf Zehenspitzen sich bewegenden Tänzer [...] in einem bitteren Gegensatz zum vorhergehenden “ sieht (S. 196 f.). Das sanfte Schreiten zeigt also die mimetisch-kulturelle Assimilation der Perser, seine metatheatralische Nennung die Magie der Kunst, die den Schmerz überwindet und, wenn auch kulturimperialistisch und ethnozentrisch, wie die mimetische Verlagerung der Bühne nach Susa als Grundgegebenheit der Tragödie die Grenzen zwischen den Völkern überbrückt und so die Grenzverletzung des ethnisch Anderen im Stoff des Dramas zum Anlaß für Grenzüberwindung macht. 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität Die theatralische Grenzüberwindung zwischen den Völkern vermittelt ein neues Bild des ethnisch Anderen, das mit Aspekten der Botschaft und der Wirkung der 198 Vgl. Charles Baudelaires berühmtes poetologisches Programm für die Fleurs du Mal: Tu m’as donné ta boue et j’en ai fait de l’or. («Projet d’un Épilogue pour l’édition de 1861 [II] v. 31- 34», in: Charles Baudelaire. Œuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Claude Pichois. 2 Bde. Paris 1975, Bd. 1, 192). 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 267 Tragödie verwoben ist. Die grundsätzliche Skepsis dieser Arbeit gegenüber rezeptionsästhetischen Überlegungen, gerade im Falle des antiken Dramas, wird im Falle der Perser, wie bereits in 1.2 Das poetische Spiel mit Nähe und Distanz(ierung), Eigenem und Fremdem ausgeführt, durch die zeitgeschichtliche Thematik konterkariert, die das Publikum zu Zeitzeugen macht. Über die Wirkung, die das Drama auf das präsente Primärpublikum, die im Theater versammelte Athener Bürgerschaft, erzielte, lassen sich anhand in anderen Quellen überlieferter historischer Umstände Mutmaßungen anstellen. Eine mögliche Botschaft muß sich am Text festmachen lassen und kann das gesamte Primärpublikum als Gesellschaft und politischen Akteur, einzelne Politiker und den persischen Kriegsgegner im Blick haben. Wir beginnen hier mit der Innenpolitik. Das attische Publikum als Adressaten der moralischen Botschaft behält bereits die breitgestreute Verwendung des Wortes „Barbaren“ für die Perser im Blick, 199 das somit neben der orientalistisch-verfremdenden noch eine pädagogische Funktion hat. Das Insistieren auf Xerxes’ Jugend ist historisch nur damit zu rechtfertigen, daß er das älteste der mit Atossa gezeugten Kinder war, während Dareios noch drei Kinder aus seiner Ehe mit der Tochter des Gobryes hatte, die vor seiner Thronbesteigung geboren waren (Hdt. 7.2.2). 200 Xerxes’ exaktes Geburtsdatum ist dagegen unbekannt ist. Um so mehr affirmiert der Fokus auf seinem geringen Lebensalter in pädagogischer Disziplinierung die Grenzen zwischen jung und alt in der Gesellschaft, aus der sich das Zielpublikum rekrutiert. 201 Dies mag der Befürchtung entspringen, die siegreiche Jugend möchte in der Gesellschaft einen größeren Platz einfordern. Immerhin war die attische Gesellschaft, verglichen mit Sparta, das Elisabeth Herrmann-Otto sogar eine „Gerontokratie“ nennt (2004: 7), äußerst jugendfreundlich und nachgerade altersdiskriminierend. 202 Gegen einen allzu emanzipatorischen Impetus als Ergebnis der Perserkriege stemmt sich in Aischylos’ Werk nicht nur in den Persern (v. 402-405), wo die Pädagogisierung besonders deutlich darin hervortritt, daß die ‚Kinder der Griechen‘ zu diesem Ziel bestimmt werden, 203 die Bindung der im übrigen griechischen Diskurs hochgeschätzten Freiheit an traditionelle Werte 199 V. 187 (im ausdrücklichen Gegensatz zu Griechenland), 255, 337, 391, 423, 434, 475, 625, 798, 844. Doch führt dieser relativ-antithetische Ausdruck zu einer totalen Distanzierung oder Herabsetzung der so Benannten im Stück, findet doch entsprechend seinem Titel der Stamm -, der eine absolute Semantik hat, 53mal Verwendung. 200 Für die Regelung von Dareios’ Nachfolge s. Briant 1996: 534-538. 201 Damit sei freilich nicht uneingeschränkt die Ansicht Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs übernommen, der sich gegen Aristoteles’ emotive Rezeptionsästhetik wendet (Euripides Herakles. Berlin 1889, Bd. 1: Einleitung in die attische Tragödie, 110). In Aischylos’ Eumeniden ist für ihn „der echte fromme glaube an die gerechtigkeit und das erbarmen der gottheit und der echte stolz auf das herrlichste vaterland.“ 202 Die Ambivalenz des Alters. Gesellschaftliche Stellung und politischer Einfluß der Alten in der Antike. In: Ds., Georg Wöhrle, Roland Hardt (Hgg.), Die Kultur des Alterns von der Antike bis zur Gegenwart. St. Ingbert 2004, 3-17, h. 8-11. 203 Diese Botschaft muß zumindest das Athener Publikum Aischylos’ Dramenwerk entnommen haben. Noch in Aristophanes’ Fröschen preist sich der erste große Tragiker damit, er habe die Athener gelehrt, immer zu siegen, den Bürger zur Tugend erzogen und als Dichter der Jugend den Weg gewiesen (v. 1026 f., 1040-1042, 1055). 268 oder göttliche Instanzen und die Rettung des Kollektivs (Th. 69-77). Daß die theologischen Aspekte der Tragik zugunsten der Erklärung aus der Jugend zurücktreten, läßt sich damit parallelisieren, daß in Sophokles’ Oidipus Tyrannos (Intransigenz [s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der Interpretation dieser Tragödie]) und in Euripides’ Medea ( ) ein bestimmter Charakterzug zumindest eine dispositive Affinität zur Transgression erkennen läßt, auch wenn dieses Deutemuster wegen seiner Tautologiegefahr nur mit Vorsicht angewandt werden kann und die Aktivierung solcher Dispositionen auch in diesen Tragödien situativ ist. Die Perser würden nun die Essentialisierung mit der Koppelung des Fehlverhaltens an ein bewußtseinsäußeres Merkmal eine Stufe weiterführen. Gleichwohl legt v. 12, der die Faszination beschreibt, die der junge Großkönig auf das Heer ( ) ausgeübt hat ( ), 204 nahe, daß das Insistieren auf der Jugend bühnenpragmatisch eine politisch-pädagogische Funktion hat. Der zitierte Halbvers würde vor dem demagogischen Charisma eines jungen Mannes warnen. Diese fatale politische Faszination entspricht der Reinhardtschen Kategorie des Dämonischen. Da der junge Großkönig an unserer Stelle keine aktiv demagogische Rolle spielt, sondern bloß eine ver- (oder: ent-)heerende Faszination ausübt, entschuldigt hier die Kategorie des Dämonischen nicht nur, was bei Egon Flaig als Vorwurf in bezug auf ihre Beliebtheit nach 1945 in Deutschland anklingt, wo sie menschliche Praxis mystifiziert habe, die verführte Masse, 205 sondern obendrein den unfreiwilligen Verführer. Bei Aischylos ist das Entscheidende jedoch nicht die Exkulpierung der Bühnenfiguren, sondern die Warnung an das Theaterpublikum. Die zu diesem Zwecke vorgenommene interpretatio Graeca auf der politischen Ebene, welche die theologische Einverleibung des Fremden flankiert, paßt gut in den pragmatischen Kontext der zweiten Stückhälfte, in welcher der heimgekehrte Xerxes sich entgegen seiner fehlenden Rechenschaftspflicht, die Atossa für den Fall der Niederlage betont (v. 211-214), mit Vorwürfen wegen eben dieser konfrontiert sieht. Die Warnung vor dem jungen Demagogen wird kaum auf Themistokles zielen, der bei seiner Verbannung zur Aufführungszeit der Perser (472/ 471) bereits die Fünfzig überschritten hatte. Es scheint fraglich, ob der Umstand, daß der Sieger von Salamis etwa fünf Jahre zuvor Chorege von Phrynichos’ Konkurrenzdrama Phoinissai gewesen war, Aischylos Anlaß genug zu einer Warnung vor ihm war. Im Gegenteil, Podleckis minutiöse Lektüre bringt anhand umfangreicher Indizien die prothemistokleische Haltung des Dramas ans Licht (2000: 8-26). Auch daß die Tragödie vor ihrem eigenen Choregen warnte, dem jungen Perikles, welcher als der Fortsetzer der Politik des Themistokles angesehen werden kann, scheint eher unwahrscheinlich. Eher könnte das Stück auf Kimon zielen, der gut fünfzehn Jahre jünger als Themistokles war und der mit seinem Operationen in Kleinasien 204 Daß, wie Conacher vermutet, auf den der Alten zu beziehen sei und Xerxes’ Befragung nach seiner Rückkehr anklingen lasse (1996: 10), widerspricht der Figurenzeichnung des Chores, der zu diesem Verhalten erst durch die Niederlage und Dareios’ Kritik an seinem Sohn gelangt. 205 Ödipus. Tragischer Vatermord im klassischen Athen. München 1998, 19. 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 269 genau das tat, wovor das Stück eindringlich warnt, nämlich militärisch die Grenze zwischen Europa und Asien zu überschreiten. 206 Eine solche politische Pädagogik der Transgression wäre bei einer Tragödie, die ein zeitgenössisches militärisch-politisches Ereignis behandelt, zumindest nicht abwegig. 207 Daß die Perser den Großkönig als Verkörperung von Ambitionen und Leistungen, aber auch des Scheiterns von Elite zeichnen, ist nach Griffith in der Wahrnehmung des athenischen Publikums nicht zwingend auf den Achämenidenhof beschränkt, sondern kann sich auch auf die heimische Elite erstrecken (1998: 52). Außenpolitisch impliziert der hellenische theonomische Universalismus keine Autoaffirmation oder gar imperialistische Kampfparänese. Der Jammer der Perser und die Größe der Griechen, die in der verfremdenden Grundsituation der Außenperspektive besonders gut zur Geltung kommen, dienen keiner tautologischen Selbstaffirmation oder Abwertung des Anderen qua solchen oder aufgrund unveränderlicher Merkmale. Aischylos’ Bild des orientalischen Gegenübers bündelt Motive, die seinem Publikum aus der frühgriechischen Lyrik vertraut sein konnten. 208 Diese Motive bilden mit akzidentiellen Wandlungen bis heute die Grundkoordinaten des westlichen Orientbildes, wobei die Selbst- und Fremdzuschreibung sich gut strukturalistisch zu Gegensatzpaaren zusammenfügen. Bei Aischylos implizieren sie jedoch noch keine Irrationalität, 209 die von der eigenen verabsolutierten Logik abweicht, haben also noch keine erkennbar abwertende Färbung. 210 Vielmehr dient wie im Epos die zeitliche, so in diesem Drama die räumliche Distanzierung dazu, den dargestellten Personen und dem Geschehen Größe und Erhabenheit zu verleihen, ein Prozeß, den durchgehende Anleihen bei der Sprache und der tragischen Weltsicht des Epos verstärken. In dieser Gestaltung dienen Alterität und Exotik dazu, die für die Tragödie erfor- 206 Vgl. Gruber 2009: 153: „[I]m Jahre 472 [tat] diese Warnung vor Hybris not, da die Athener so wie Xerxes handelten: Expansiv zur See.“ Grethlein 2010: 89-92 arbeitet treffend anhand einer genauen Lektüre der in die Perser eingewobenen Gnomen heraus, daß die Tragödie zwar nicht - avant la lettre - wie Herodot vor dem Athener Imperialismus, wohl aber vor Hybris und Selbstüberschätzung warne, die das Schicksal der Perser als exemplarisch für die condicio humana vorführe. 207 Harrison 2000: 31-39, 95-102 ist dagegen mit Gründen, die Beachtung verdienen, skeptisch gegenüber der Annahme, die Perser hätten die Unterstützung eines konkreten Athener Politikers gefördert. Diese Ansicht korreliert allerdings mit seiner Argumentationsstrategie, auf die Zurückstellung der innerathenischen und innergriechischen Gegensätze innerhalb der Perser abzuheben, um so deren ideologische Implikation und die Schärfung der Opposition zum Achämenidenreich hervorzuheben (2000: 65: „Panhellenism like Panionianism itself provided a useful veil for such imperialism“). Ohne weiterreichende argumentative Absichten vertritt auch Pelling 1997: 9-13 einen wohlbegründeten Skeptizismus gegenüber allzu konkreten Ausdeutungen, wie v.a. Podlecki sie vertreten hat. 208 Kriegstüchtigkeit: Sappho V 16, Alkaios V 388; Reichtum und Wohlgerüche Asiens: Archilochos 19 W., Sappho V 132, Alkaios V 69; andere politische Struktur: Der Fall Ninives bei Phokylides 4 D. (Bd. 1). 209 Nur die Buntscheckigkeit der Hilfsvölker im Heerzug ( v. 53, 902) geht in die Richtung orientalischer Unüberschaubarkeit und Irrationalität. 210 Nach Benjamin Isaac, The Invention of Racism in Classical Antiquity. Princeton 2004, 275 soll die Erwähnung des Reichtums in der Schilderung der ausziehenden asiatischen Völker nicht wie später deren Weichlichkeit, sondern die eindrucksvolle Macht des Heeres illustrieren. 270 derliche Fallhöhe zu erreichen, 211 die Herabsetzung des Anderen wäre kontraproduktiv 212 und hätte nur im Gattungssystem der Komödie eine Funktion. Später sinkt das Gold zum orientalistischen Topos des „märchenhaften Reichtums“ herab, was bereits in Simonides’ Epigramm auf den Sieg in Marathon anklingt, wo das Gold am Körper nachgerade ein Symbol wird und im Kontext der Schlacht die Kriegstüchtigkeit - anders als in den Persern - subvertiert. 213 In der Komödie stellt dieses Edelmetall dann die eigene hellenische Bestechlichkeit bloß (Ar. Ach. 100). In den Persern ist es dagegen ein Zeichen für die genealogische Nähe (vgl. Hall 1989: 80 f.) zu den Göttern (vgl. v. 80: [Xerxes]), aber auch für die Überfülle, welche der Katastrophe vorausgeht. Dafür spricht sein Fehlen nach deren Bekanntwerden (in v. 159 tritt zum letzten Mal das Lexem auf). Die Fremdheit ist nicht verfremdet, sondern so dargestellt, daß sie noch archaisches Staunen, aber kein Befremden über skurrile Alterität widerspiegelt (wie in Euripides’ Bakchen, s. 4.5 Tragik in der Deutung dieser Tragödie). Zwar wird auch über die Metalle der ethnisch-kulturelle Gegensatz zu Athen konstruiert, dessen Reichtum sich aus Silberminen speist (v. 237 f.). Ob die Wahl der Metalle den orientalischen Luxus mit griechischer Schlichtheit kontrastiert, 214 muß dagegen offenbleiben. Zumindest nach der Sukzession der Geschlechter bei Hesiod ist das Gold eindeutig überlegen (Op. 109-126; vgl. 127 f.: / ’ ). Fest steht jedenfalls, daß die Edelmetalle in der gemünzten Form von Dareikos und Tetradrachme nicht nur zum Zeichenträger werden, sondern auch Geltungsansprüche formulieren und propagieren können, Investitionen und Kapitalisierungen ermöglichen und so insgesamt symbolisch wie ökonomisch Teil des Zirkulationsprozesses des Kapitals werden. Von diesen systematischen Zusammenhängen findet sich den Persern nur eine markante, asymmetrisch auf die Kriegsgegner verteilte Auswahl. Bei den orientalischen Völkern dient das Gold nur dem Schmuck, so des Königspalastes (v. 159, vgl. 3) oder des gesamten Heeres (v. 9: , so die Überlieferung. West setzt jedoch Weckleins Konjektur in den Text.). Für Wecklein und West spricht, daß das Attribut in der weiteren Schilderung des Heerzuges auf Sardes (v. 45) und Babylon (v. 52 f.) beschränkt wird, also wie bei den Persern auf den Ursprungsort der Kontingente. Allerdings wird bei den Persern nur die Residenz (vgl. v. 4: ) als golden bezeichnet, während bei Lydern 211 Die mythologisierende, fast schon amplifikatorische und anthropologisch-existentiell illustrative Darstellung, welche die Tragödie den historischen Ereignissen angedeihen läßt, betont auch Conacher 1996: 5. 212 Bereits Murray 1940: 121-123 bemerkt, daß die Perser trotz ihrer Siegesthematik hohe Dichtung seien. Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 2 1956, 62, der Murray bei seinem Zitat etwas überstrapaziert, leitet den Verzicht der Tragödie auf Chauvinismus aus der universalistischen Perspektive von und ab (in der dritten Auflage von 1972 fehlt diese Bemerkung). 213 (Nr. XXI S. 230 Page = Lykurg In Leocratem 109): / . 214 So Halls Vorspann zu Gold und (1989: 80). 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 271 und Babyloniern die gesamten Städte mit diesem Attribut bedacht werden. Die orientalistische Reichweite des Goldes erstreckt sich damit ebenfalls nur auf diese Völker, nicht aber die Perser selbst. Dafür spricht der parallele Auftritt eindeutig orientalistisch konfigurierter Motive mit eben diesen beiden Völkern. Den Lydern wird in demselben Kontext ohne Einflechtung und Relativierung in die Dramenpragmatik und -semiotik eine weichliche Lebensweise attestiert (v. 41), während das goldreiche Babylon mit der buntscheckigen Masse an Heervolk, die es schickt (v. 52 f.), den orientalistischen Topos der Unübersichtlichkeit und Irrationalität bedient. Während selbst die Perser das Gold nur zu Repräsentationszwecken einsetzen, es also in symbolisches Kapital ummünzen, ist dem attischen Publikum als politischem Entscheidungsträger klar, daß „die Silberquelle, der Schatz der Erde“ (v. 238) auf die Verwendung der Einnahmen der Bergwerke von Laureion für den Flottenbau anspielt, die Themistokles ersonnen und durchgesetzt hatte, also die Investition in militärisches Kapital, das selbst in der Schilderung des Dramas Siegesfrüchte trägt. Es ist also nicht das chemische Element der genannten Edelmetalle, das Griechen und Orientalen unterscheidet, sondern dessen zielstrebiger, kriegsentscheidender Einsatz. Ähnlich verbindet Griffith den Gegensatz der Edelmetalle mit demjenigen der Staatsformen (1998: 45: „as opposed to the democratic silver of the Athenians“). Dieser Unterschied ist in seinem griechischen Teil historisch korrekt, entspricht jedoch den orientalistischen Analysemustern. Die Opposition von freiem Griechenland 215 und persischer Monarchie, 216 die ebenfalls als weiteres orientalistisches Motiv den Ursachen für den Kriegsausgang in der Verfaßtheit der Kontrahenten nachspürt, zeichnet das Perserreich nicht wie später Aristoteles die Herrschaftsform der östlichen Barbaren allgemein (Pol. 1285a 19-22) als Despotie, sondern führt nur die eliminatorische Transgression auf den expansionistischen Zwang eines Regenten zurück, der sich in einem politischen System ohne Kontrolle (v. 213: - ) verhängnisvoll auswirken konnte. Wenn Xerxes den Kapitänen mit Enthauptung droht (v. 371), so rundet diese innenpolitische Grausamkeit seine außenpolitische Transgression zu einem gesamtpolitisch transgressiven Verhaltensmuster ab. Auch hier geht es - hierin vor der Anagnorisis wie im OT - um die tyrannische Amtsausübung eines Monarchen und nicht primär um die orientalische Despotie. Griffith weist darauf hin, daß die Tragödie das den Griechen verhaßte Lexem für das Zeremoniell des Achämenidenhofs vermeide. Statt dessen wähle der Chor in v. 152 mit für sein Verhalten bei Atossas Begrüßung ein Verb, das auch sonst in der Tragödie die inständige Bitte charakterisiere. Er merkt an, daß die orientalistische Wirkung, wie auch bei der Scheu, die der Chor bei Dareios’ Auftritt bezeugt, nicht zuletzt von der Inszenierung abhänge (1998: 48 f.). Die göttliche Aura, die Dareios wegen seiner Transzendenz zugesprochen wird und die tout court orientalistisch als Suggerie- 215 Isaac 2004: 276 relativiert zu Recht, daß es sich hierbei um eine kollektiv-defensive Freiheit i.S. von Immunität von Fremdbestimmung und noch um keine individuelle Freiheit handelt. 216 Ausführlich dazu, wenn auch nicht immer einschlägig, Harrison 2000: 76-91 („Democracy and tyranny“). 272 rung eines persischen Glaubens an ein Gottkönigtum mißdeutet wurde (Harrison 2000: 88 f.), verliert Xerxes nach der Niederlage. 217 Das gewandelte Bild, das die szenische Transgression nach Susa den Athenern vermitteln konnte, läßt sich am besten im Dialog mit Hopmans Deutung der Perser entwickeln, die kohärenter als Bierls (s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung) ist und ebenfalls auf die Emotionalität abhebt. Sie begreift deren Entwicklung jedoch als ein die gesamte Länge des Stückes strukturierendes Moment (2009: 364), wobei der Schwerpunkt auf dem letzten Teil nach Xerxes’ Rückkehr liegt (2009: 364-376). Auf die Richtigkeit und Wichtigkeit ihrer Interpretation der hermeneutisch-emotionalen Interaktion von Chor und Xerxes wurde oben bereits eingegangen. Ihre kohärenten und kühnen Überlegungen zur möglichen emotionalen Reaktion des Athener Publikums (2009: 369-376) betreffen zwar einen Bereich, in dem ich belastbare Aussagen für kaum möglich halte, bieten jedoch dank ihrem Kenntnisreichtum und ihrer Stringenz genügend Denkanstöße, die kritisch weitergedacht werden können, um die hier aufgeworfenen Fragen nach der Funktion der spezifischen Darstellung der Tragödie zu beantworten. Dabei verdient auch Grethlein Berücksichtigung, der ein Jahr nach Hopman unabhängig von ihr die Frage nach dem Mitleid aufgreift und mit eigenen, Beachtung verdienenden Argumenten ebenfalls bejaht (2010: 86-92). 218 Aus der historisch-lokalen Situation der Aufführung leitet Hopman 2009: 370 drei mögliche Grundemotionen ab, 219 mit denen die Athener das Dionysostheater bei Aischylos’ Schauspiel betraten: Stolz über den Sieg (den, wie ich hinzufügen möchte, das nahegelegene Salamis verkörperte), Zorn über die Zerstörung der Akropolis, deren Trümmer den Spielort überragten, 220 und Furcht vor einer erneuten persischen Aggression, deren Abwehr und Zurückdrängung die politisch-militärischen Maßnahmen wie die Gründung des attisch-delischen Seebundes, die Einführung des Straftatbestandes Medismos und die Vorbereitungen des Eurymedon-Feldzuges galten. 221 Demgegenüber rekonstruiert Hopman, der Chor, der durch Redefreiheit und die Rechenschaft, die er von Xerxes verlange, hellenisiert sei, habe wie das Athener Publikum den Großkönig als Schuldigen ausgemacht und so jenem die Möglichkeit geboten, Mitleid für ihn zu empfinden (2009: 374), ja die „Reinigung“ von dem Ärger über den Großkö- 217 So Court 1994: 46 f. mit sämtlichen Belegstellen. 218 „Pity for the Persians“ - man beachte den Verzicht auf das Fragezeichen. 219 Nicole Loraux, Ce que Les Perses ont peut-être appris aux Athéniens. Epokhè 3 (1993) 147- 164, v.a. 164 bietet dagegen nur textferne Spekulationen vornehmlich anhand anderer Tragödien über die allgemein humanistische Wirkung der Perser, welche die Athener Zuschauer aus ihrer Perspektive als Bürger zur Sicht auf das Schreckliche und den Tod, zwei Bereichen des (allgemein) Menschlichen, geführt hätten. 220 Vgl. Rehm 2012: 310: „In the area outside the theater of Dionysus stood material evidence of the Persian invasion of Attica, which ended only seven years before […].“ 221 Diesen positiven defensiven Emotionen stellt Harrison 2000: 104 mit der Rachsucht („vindictiveness“) eine intentional ähnlich gelagerte, aber aggressive und negativ konnotierte gegenüber. Dabei kann und soll jenseits derartiger suggestiver Wertungen rezeptionsästhetischer Spekulationen gar nicht bestritten werden, daß der Fall des Großkönigs das mimetisch erzeugte Bedürfnis nach Genugtuung ( ) befriedigt. 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 273 nig vermittels des Chores habe sogar bei dem Athener Publikum Mitleid mit dem Großkönig ermöglicht (2009: 375). 222 Gegen diese Spekulation spricht ganz elementar, daß der Chor, der als Binnenrezipient eine eminente Rolle bei der Rezeptionssteuerung spielt, keinerlei Mitleid mit Xerxes bekundet, ja nicht einmal selbst walten läßt, da er ihm gegenüber unverhohlen die Verluste beklagt. 223 Weiter meint Hopman, die Trauer des hellenisierten Chores habe den Athenern die eigenen Verluste ins Gedächtnis gerufen und ein Mit-Leid ermöglicht (2009: 374). 224 Abgesehen davon, daß nicht sicher ist, ob die Erinnerung an die eigenen Verluste nicht eher zu einem erneuten Aufwallen der Feindseligkeiten geführt hätte, vertraut Hopmans Argumentation literarisch allenfalls auf die Suggestiv-, ja Sogkraft der theatralischen Mimesis, die einen anderen Ort als die vorgenannten, den fernen Palast des Großkönigs in Susa, vor Augen führt. Grethlein geht sogar so weit, daß er die szenische Distanzierung durch die Verlegung der Bühne nach Susa ins Lager („camp“) der Perser als Voraussetzung dafür ansieht, Aristoteles’ Theorie, Mitleid und Furcht setzten die richtige Mischung von Nähe und Distanzierung voraus (Rh. 1383a 8-12; 1386a 24-26), 225 auf die Perser anzuwenden (2010: 87 f.). 226 Uns interessiert hier die zweite Stelle, an der es um 222 Daß Aischylos die Sympathie des Athener Publikums für Xerxes dadurch gefördert habe, daß er selbst den Großkönig gespielt habe (McCall 1986: 46), bleibt dagegen eine Spekulation im Bereich der historischen Inszenierung. 223 Auf die Wichtigkeit der Bühnenkonstellation für die Rezeption im Falle des Mitleids hat bereits Jonas Grethlein, Die poetologische Bedeutung des aristotelischen Mitleidbegriffs. Überlegungen zu Nähe und Distanz in der griechischen Tragödie. Poetica 35 (2003) 41-67, h. 47 anhand der Asyltragödien hingewiesen: „So, wie die Tragödie Mitleid beim Publikum hervorruft, ist der Supplikant bemüht, das Mitleid des potentiellen Helfers zu erregen.“ 224 Noch weiter in der Aufhebung der Unterschiede geht Kuhns’ ahistorische Universalisierung (1991: 11): „The Persians […] is a representation of a universal expression of grief over the disappearance of a city’s young men.“ 225 Näheres s. Grethlein 2003a. 226 Daß Phrynichos wegen der Darstellung von in der laut Herodot zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, während Aischylos mit der Trilogie, der die Perser angehörten, den ersten Platz gewann, so Grethlein weiter (2010: 87 f., vorsichtiger ist Grethlein 2007: 377, der bei allgemeinen Rezeptionsfragen bleibt), besagt nur allgemein rezeptionsästhetisch etwas über Miß- oder Gefallen des historischen Publikums, nicht aber über dessen Mitleid, es sei denn, man essentialisiert das aristotelische Tragödienverständnis regelpoetisch. Auch Grethleins eigentliche Argumentation, warum Mitleid bei den Emotionen nicht ausgeschlossen werden könne, welche die Perser beim Athener Publikum wahrscheinlich geweckt hätten (diesen rezeptionsästhetischen Kausalnexus formuliert er beim Fazit zu Recht sehr vorsichtig [2010: 92]), bzw. warum die Tragödie dem Athener Publikum Anlaß zur Empathie gegeben habe (2010: 88), beleuchtet zwar wichtige und sachlich richtig verstandene Aspekte (er selbst läßt das Gegensatzpaar Nähe vs. Distanz fallen, doch heben die meisten Argumente auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den dargestellten Besiegten und zuschauenden Siegern ab), doch bleibt deren Aussagekraft für die These gering, daß unser Stück Mitleid geweckt habe. Das schwächste Argument ist das zweite, die Perser seien in einem Rahmen aufgeführt worden, der gewöhnlich Mitleid hervorgerufen habe. Denn hier wird abermals das philosophische, frühestens ein halbes Jahrhundert nach der Aufführung der Perser niedergelegte Tragödienverständnis essentialisiert (pace Gorgias DK 82 B 11.9, den Grethlein 2003a: 41 Anm. 2 noch bemühen kann, für Platon s. 7.1 Forschungsstand und Problemstellung in der Interpretation von Senecas Phaedra). Die anderen Argumente sind eher geeignet, einen essentialistisch-antithetischen Orientalismus zu widerlegen oder zumindest zu nuancieren, als Mitleid als Wirkung zu beweisen, so das in diesem Zusammenhang bemühte goldene Geschlecht 274 das Mitleid geht. Dies empfinde man, so der Stageirit dort, mit Menschen, die einem nach Alter, Charakter, Gewohnheiten, sozialer Stellung und nach Abkunft ( ) ähnlich seien. Indes unterscheidet sich das persische Personal der Tragödie mit Ausnahme des Alters in jedem Punkt von seinem Publikum. Einschlägiger sind Aristoteles’ Ausführungen zum Mitleid in der Poetik, wo sie auf die Tragödie selbst gemünzt sind (1453b 17-22). Dort schließt er Mitleid für den Fall aus, daß Feinde einander schweres Leid zufügten, und empfiehlt dagegen Fälle, in denen Verwandte einander töteten oder nach dem Leben trachteten. Aristoteles formuliert also exakt die gegenteiligen zu den in den Persern vorliegenden Konstellationen als negative oder positive Bedingung des Mitleids: Dort stirbt kein Blutsverwandter von der Hand eines anderen, vielmehr zahlreiche Feinde von der Hand ihrer Feinde. Zudem schafft die (lokale) Distanzierung mit der unmittelbaren Nichtbetroffenheit nur eine notwendige Voraussetzung für Mitleid, ist aber keine hinreichende Bedingung für diese Empfindung. Denn diese szenische transgressive Situierung fungiert auch umgekehrt faktisch als dramaturgisches Mittel, das dem Athener Publikum den geschlagenen Feind in Lumpen und auf dem Tiefpunkt seiner Niederlage vorführt, ein Anblick, der ihm in der Realität durch die Rückkehr des Großkönigs nach der Schlacht von Salamis nicht vergönnt war, auch wenn in solchen Triumphgelüsten sicherlich nicht der Grund für die Verlegung der Bühne nach Susa zu sehen ist. 227 Conacher sieht eine ähnliche präsentative Funktion der Dramaturgie, wenn er in Xerxes’ Auftritt, der durch die Bühnenverlagerung ermöglicht worden sei, ein Mittel erblickt, sein Leiden zu vergegenwärtigen; doch steht dieses für ihn im Dienste der tragischen Erfahrung (1996: 7 f.). Wenn Conacher dort weiterhin schreibt, dank der Szenenverlagerung werde Xerxes mit persischen Augen und Gemütern wahrgenommen, so gilt dies nur auf der mimetischen Ebene des signifiants der Rollen, welche die Schauspieler verkörpern, widerspricht jedoch auf der Ebene des signifié, der ethischen Rolle, Hopmans These von der Hellenisierung bei der politischen Kultur des Chores. Wegen der theatersemiotisch unterschiedlichen Gegenstände der Aussage besteht also kein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen den beiden sympathetischen Positionen. Ihre fehlende Einheitlichkeit läßt gleich- der Perser (2010: 88). Eher die Unterschiede, die für das Scheitern der Transgression maßgeblich sind, betont dagegen das unterjochte Schwesternpaar, das Grethlein als nächstes anführt. Die Gnomen, die den Hauptteil von Grethleins Argumentation bilden (2010: 89-92) und an denen er wichtige Erkenntnisse entwickelt, binden das Geschehen ins Allgemein-Menschliche ein und immunisieren die Perser so gegen jeglichen Verdacht der Dehumanisierung des Gegners, schaffen aber durch diese abstrakte Einordnung auch eine Distanz, die eine individuelle Anteilnahme erschwert (vgl. den Konsolationstopos bei Epict. Ench. 26). Tatsächlich finden sich sämtliche Gnomen, die Grethlein bespricht, vor der emotionsgeladenen Interaktion von Chor und Xerxes im Teil, welcher die Eliminierung interpretiert. Insgesamt runden all diese Beobachtungen das Bild der memoria, dessen Spezifik Grethlein in den Persern herausarbeitet (2010: 95, 97), wertvoll ab und bereichern so die Fragestellung der Untersuchung, für die dieser gegenüber (wie übrigens auch für die Transgression) allenfalls sekundäre Frage nach der Emotion des Primärpublikums sind sie jedoch nicht einschlägig. 227 Ebenso schließt Thalmann 1980: 269 als Beweggründe für Xerxes’ Präsentation in Lumpen aus, die tragische Würde zu vermindern und den besiegten Feind lächerlich zu machen. 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 275 wohl die Präsentation des geschlagenen Feindes vor dem siegreichen heimischen Publikum als entscheidendes, historisch zweifelsfrei feststehendes Moment hervortreten. Gegen eine identische Rezeption der mimetisch dargestellten Perser und des Athener Publikums liefert Xerxes’ Vollendung eines vom Chor begonnenen Kommentars zur Niederlage, das Unglück sei doppelt und dreifach betrüblich, aber ein Grund zur Freude für die Feinde (v. 1033 f.: XO.: / : ’ ), ein massives textinternes Gegenargument, das eine innerdramatische Rezeptionslenkung vornimmt. 228 Daß der Text nur den objektiven Anlaß benennt, spricht allerdings gegen Harrisons naive Formulierung, die eine direkte Kommunikation zwischen Tragiker und Publikum suggeriert (2000: 55: „Devastation for the Persians is delight for the Greeks, as Aeschylus even hints to his audience.“). Auf sichererem, binnendramatischem Boden bewegt sich die Interpretation, daß die Trauerrituale eine Katharsis der dargestellten Figuren ermöglichen und so die Überwindung der psychosozialen Krise sowie die Wiederherstellung der psychischen und sozialen Ordnung innerhalb der Tragödie fördern. 229 Selbst der Dionysosmythos ist in den Persern politisiert: Das Achaimenidenreich wird im Trauerritual wiedergeboren. Die innerdramatische Perspektive scheint mir auch in bezug auf die beiden aristotelischen emotionalen Reaktionen auf die Tragödie fruchtbarer, auch wenn der Stageirit wie Hopman rezeptionsästhetisch argumentiert. Hopman hebt dabei nur auf den ab (2009: 374): Der Chor der Alten leide unverdientermaßen, da er nicht für die Invasion Griechenlands verantwortlich sei, und erfülle damit ein maßgebliches Kriterium für das Mitleid nach Aristoteles (Rh. 1385b 13-16: ; vgl. Poet. 1453a 5: ). Deshalb könne das Athener Publikum im Kommos mit ihm Mitleid empfinden, zumal er noch andere aristotelische Kriterien in der zitierten Passage der Rhetorik erfülle, wie Distanzierung und auch gleichzeitige Nähe durch die griechische Praxis der Redefreiheit. Hopman differenziert hier fein gegenüber ihren Vorgängern. So hatte bereits Harrison 2000: 111 nach Pelling 1997: 16 f., der auf Xerxes’ Fremdheit und verdientes Leiden abhebt, was das Mitleid schwäche, die beiden zitierten Aristoteles-Passagen für die Interpretation der Perser herangezogen und hatte die gegenteilige Einschätzung zitiert, die Opfer seien schuldig, was, wie zu zeigen, uneingeschränkt auf Xerxes zutrifft. Daß Harrison und Hopman 228 Euripides’ Medea ist ein markantes binnenrezeptionsästhetisches Beispiel dafür, daß dieselbe physische Eliminierung von Menschen, die den Opfern neutral bis positiv gegenüberstehen, als schrecklich wahrgenommen wird, während sie einer Figur, die - wie die Athener - massiv unter den Opfern gelitten hat, Freude bereitet (s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion in der Interpretation dieser Tragödie). 229 Zu dieser Funktion des Rituals s. Christof Kalb, Selbstbildung im Leiden. Zur Rekonstruktion beschädigter Identität in Ritual und Kunst. In: Claudia Benthien, Irmela Marei Krüger-Fürhoff (Hgg.), Über Grenzen. Limitation und Transgression in Literatur und Ästhetik. Stuttgart 1999, 161-175, h. 163. Vgl. weiterführend Burckhard Dücker, Rituale. Formen - Funktionen - Geschichte. Eine Einführung in die Ritualwissenschaft. Stuttgart 2007, 61 („rituelle Gemeinschaftserfahrung“). Bereits Kuhns 1991: 27 sieht das (gemeinsame) Jammern als Mittel, um eine andere politische Zukunft zu erkunden. 276 sich auf dieselbe rezeptionsästhetische Beobachtung des Aristoteles berufen, zeigt, auch wenn sie zu diametral verschiedenen Ergebnissen gelangen, die Relevanz des Kriteriums der Berechtigung, das auch die Transgression in den Mittelpunkt rückt. Damit ist auch die Position dieser Arbeit zum Orientalismus vorgezeichnet. Sie beruht eher selten auf einem harten sachlichen Dissens, sondern berührt den status qualitatis: fecit, sed iniure ist das Urteil der Tragödie über den Protagonisten. Demgegenüber scheint die historische Sachlage das gegenteilige Urteil fecit, sed iure über den Tragiker nahezulegen. Unbeschadet der Richtigkeit von Hopmans feinen, aber in ihrer bühnenpragmatischen Wirkung nicht nachprüfbaren Spekulationen über Nähe und Ferne erheben sich zwei Bedenken gegen diese These: Erstens hat der Chor in der Parodos sich zwar nicht kriegstreiberisch und siegeslüstern verhalten oder in Selbstüberschätzung geschwelgt, aber dennoch loyal und emotional an dem Kriegszug Anteil genommen, so daß eine spätere Distanzierung von dem Kriegsherrn eher auf ein emotionales und vektorales Nullsummenspiel hinausläuft. Zweitens zeigt er im Kommos weitgehend bloß Gesten eines Trauerrituals, die der uneinsichtige anordnet. In seinem Falle erlebt nach der Darstellung der Tragödie ein Schlechter einen Umschlag vom Glück ins Unglück, eine Handlungsstruktur ( ), die nach Aristoteles ist, aber weder Jammer noch Schauder erweckt (Poet. 1453a 1-4). (Da Xerxes ein törichter jugendlicher Heißsporn und kein ist, der getäuscht wird, ist sein Schicksal nicht zugleich und [Poet. 1456a 21- 23].) Die einzigen Figuren, die in den Persern geeignet sind, Mitleid und Mitgefühl zu wecken, sind die jugendlichen anonymen Opfer der großköniglichen Hybris. Doch ein näherer Blick auf ihre Darstellung vermag sämtlichen eher textfernen, feingesponnenen Spekulationen über Mitleid mit den Persern den Boden zu entziehen: Denn mit Ausnahme des Großkönigs, welcher der Hauptkriegstreiber war, tritt kein geschlagener Schlachtenheimkehrer in mitleidserregender Verfassung auf. Die Verluste werden vielmehr in die Diegese abgeschoben, die Trauer der Angehörigen im Falle der jungen Witwen seltsam verfremdet, ja erotisiert. Umgekehrt hat keine der hochrangigen Bühnenfiguren, weder Atossa, die sogleich mit der Gewißheit der Niederlage diejenige erhält, daß ihr Sohn lebt (v. 299), noch der Chor oder Xerxes - anders als die meisten Zuschauer - einen Angehörigen auf dem Feldzug verloren (dieser Umstand und Unterschied spricht massiv gegen Hopmans eingangs diskutierte These vom Überspringen der Trauer auf das Publikum) und betrauert diesen Verlust. Doch erst dies würde ihn zu einem glaubwürdigen Gegenstand von Mitleid machen. Beklagt wird zudem weniger der Verlust von Menschen als derjenige von staatlich-militärischen Machtmitteln (v. 1016-1024). Die langen namentlichen Aufzählungen der zahlreichen Gefallenen (v. 302-330, 955-1001) vermögen trotz ihres klagend-vorwurfsvollen Tons ebensowenig wie die zahlreichen Gefallenen in der Ilias Mitleid zu erwecken, da der Rezipient kaum Zeit hat, um sich mit ihnen anzufreunden, und sie dafür auch nicht das erforderliche persönliche Profil erhalten. (Diese Voraussetzungen für Mitleid sind in der Ilias nur bei Hektor und Achill gegeben.) Die staatliche und quantitative Dimension der Verluste bewahren die Trauernden zwar einerseits vor einer Lächerlichkeit, die aus einem 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 277 allzu geringen Objekt der Trauer entspringen könnte, das seinen Wert nur einer Fehleinstellung des Trauernden verdankt, 230 und die orientalistisch ausgedeutet werden könnte. Andererseits entziehen sie auch dem Mitleid jede Grundlage. Da diese Wirkung im ‚kalten‘, unpersönlichen staatspolitischen Gegenstand der Trauer begründet ist und unabhängig von historisch kontingenten Revanchegelüsten des Primärpublikums ist, da dieser in den Text und die Dramenhandlung eingeschrieben ist, bleibt das Mitleidspotential der Perser auch gegenüber einem unvoreingenommenen Publikum beschränkt. Anders verhält es sich mit der Empathie, die Grethlein ins Spiel bringt (2010: 88). Durch die mimetische Präsentation der vormaligen Feinde als Menschen mit Gedanken und Gefühlen, die in eine gemeinsame theonomische Weltordnung eingebettet sind, legen die Perser deren Innenleben frei und laden nachgerade zum spontanen Nachempfinden und Einfühlen ein. Dieser identifikatorische Nachvollzug ist jedoch etwas anderes als Mitleid, das zumindest Nichtidentität und ein gewisses Maß an reflexiver Verarbeitung voraussetzt, was letztlich auch Aristoteles’ Kasuistik über sein Entstehen impliziert. Verläßt man den Bereich positiver personaler Empfindungen und geht auf die Ereignisebene, so wird man zu dem Ergebnis gelangen, daß Erschütterung ob der Entvölkerung eines ganzen Erdteils durch die Torheit eines einzelnen die Emotion ist, die das Bild, das die Tragödie von den Ereignissen zeichnet, am ehesten bei einem unbefangenen Rezipienten auslösen kann. Doch die Erschütterung gehört bereits zu , unserem nächsten Thema. Der , der doch durch die von Hopman geschilderte historische Situation wesentlich näher liegt, bleibt dagegen bei ihr außen vor. Dabei ist angesichts des soeben ausgeführten historischen Umfeldes der Aufführung die plausibelste denkbare Reaktion des Publikums eine gewisse Genugtuung über die Niederlage eines übermächtigen Feindes, der eine existentielle Bedrohung darstellt(e). 231 Nur wer diese ausblendet und sich in einer post- oder neokolonialen Sicherheit wiegt, die den ethnisch und kulturell Anderen implizit-unreflektiert als politisch und militärisch permanent unterlegen wahrnimmt, 232 kann auf den Gedanken verfallen, in den Schilderungen der persischen Niederlage der Perser einen ethnozentrischen Chauvinismus zu sehen. 230 Bei Molière sei etwa an die Suche Harpagons in L’Avare nach seiner Geldkassette (Akt 4, Szene 7), deren tatsächliche Wertlosigkeit die komische Verwechslung mit einer Geliebten offenbart (Akt 5, Szene 3), oder an Arnolphes Sorge in L’école des femmes um das Mädchen Agnès erinnert (v. 309-370), das er sich zur Heirat großgezogen hat, um nicht Opfer eines Ehebruchs zu werden (v. 73-156). 231 Die Wahrnehmung dieser existentiellen Bedrohung steht letztlich hinter der Darstellung griechischer Historiker, die Griechen seien die außenpolitische Priorität des Achaimenidenreichs, die Harrison 2000: 59 f. als Selbsttäuschung und widersprüchlich abtut. 232 Selbst Halls Analyse der Gründe für die Defizite, welche die Erforschung des Orientalismus der Perser aufweise, zeigt, mit welchen hier nicht zu diskutierenden aktuellen Fragestellungen und Herausforderungen die Interpretation der Darstellung ethnisch-kultureller Alterität in den Persern überfrachtet zu werden droht (1989: 72 f.): „In an era which must see the fight against racism and nationalism as crucial to the survival of mankind, there may have been a reluctance to spend time on this artistic expression of one of the most unattractive aspects of classical Greek ideology, its arrogant and insistent chauvinism. But the Greek mind will never be understood unless its faults are accepted alongside its virtues […].“ 278 Wie dem auch sei, können die Merkmale in der Darstellung der Perser, die Hopman aufgreift, wenn man sie gut strukturalistisch ohne schematisierenden Orientalismus in Relation zu dem Bild der Griechen setzt, zu einem besseren Verständnis des Stückes beitragen. Daß der sich mit panhellenischem oder Athener Ausdruck von Sehnsucht und Verlust decke, mag stimmen, läßt sich jedoch nicht im Text der Perser wiederfinden. In der Fremdperspektive werden vielmehr die griechischen Verluste ausgeblendet und die griechischen Waffentaten und Einrichtungen in ein gleißendes heroisch-verfremdendes Licht getaucht. 233 Umgekehrt deckt sich das Bild der Perser so gar nicht mit den Erfahrungen der Perserkriege: Statt einer unübersehbaren Masse von Pfeilen, Speeren (v. 269, 278, 1025) und Rammspornen, die alle zum Angriff auf die Griechen gerichtet waren, und eines Unterwerfung reklamierenden absoluten Potentaten erscheinen nun Alte, welche die Sehnsucht junger Frauen nach ihren im Felde stehenden Männern - bereits Conacher 1996: 20 f. weist auf die kontrastive Schilderung von Kriegern und zarten Frauen hin (v. 132-139) - und die Trauer über deren Verlust referieren (v. 541-545), eine Königinmutter, die einen verstorbenen Großkönig mantisch auf den Plan ruft, und zum Schluß dieser selbst in zerrissener Kleidung, der von Vater und Kronrat für das Debakel verantwortlich gemacht wird und sich mit diesem zur abschließenden Klage vereint. Im Gegensatz zur diegetischen Anonymität der nur kollektiv evozierten Griechen, die gerade im heroisierenden Lichtkegel der Fremdperspektive gleißend erscheinen, verleiht das Drama auch dank den Konventionen der Aufführungspraxis mit Masken - entsprechend der griechischen Ambivalenz von (s. 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle in der Einleitung) - dem geschlagenen Gegner ein Gesicht (vgl. Griffith 1998: 63). Zusätzlich zu dieser differenzierenden Figuren- und Verhaltenszeichnung kommt im Falle des Kommos ein formal-ästhetisches Moment: Dieser bietet durch das Zusammenspiel von Wort, Gesang und Tanz ein optisch-akustisches aisthetisches Vergnügen. Ja, selbst der Ionicus in der Parodos, der nur unter dem Aspekt der Abgrenzung von der Forschung in den Blick genommen wurde, münzt die ethnischkulturelle Alterität zur neuen ästhetischen Erfahrung um. Die Verlegung der Bühne nach Susa erlaubt also nicht nur eine differenzierte und (vermittels der Trauer) humanisierte Sichtweise auf den vormaligen Feind, sie stärkt auch, wenn man die komplementär konträre Darstellung der Griechen und die historische Situation einer massiven erlittenen, mit Mühe abgewehrten und immer noch virulenten militärischen Bedrohung Griechenlands in Rechnung stellt, die (Kampf-)Moral der Adressaten. Denn welche Furcht sollte ein Grieche vor einem Feind empfinden, der die Blüte seiner waffenfähigen Männer verloren hat, seine daraus folgende Wehrlosigkeit beklagt (v. 1023 f.) und sich demoralisiert der Trauer über seine bittere Niederlage hingibt und dessen Herrscher von seinen Eltern als unbesonnener jugendlicher Heißsporn abqualifiziert wird? Der leere Köcher des Xerxes (v. 1020, 1022) korreliert mit der Männerleere ( - 233 Pelling arbeitet mit einem impliziten literaturwissenschaftlichem Strukturalismus heraus, daß die Griechen mit dem (Tages-)Licht, die Perser dagegen mit der Dunkelheit assoziiert werden (1997: 2-6). 1. Aischylos’ 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität 279 ) in v. 730 (Atossa), die der Chor bereits vor der Gewißheit von deren Eliminierung lokal konstatierte (v. 119: ’ ) und der Leere Asiens (v. 549: ). 234 Die nautische militärische Stärke der Ionier ist dagegen nicht nur Vergangenheit (v. 950-954). Vielmehr werden sie noch im Kommos zeitlos ohne Kopula im Anschluß an die Feststellung des persischen Ressourcenverlustes als tapfer gegen die typisch persischen Waffen bezeichnet (v. 1025: ). 235 Diese Schilderung ist auf jeden Fall Balsam für die eigene Kollektivseele, bei der die historischen Fakten ein konfrontatives Denken und Fühlen nahelegen. Weiterhin klingt in diesem Gefälle und dieser Stammesnennung zumindest die Befreiung der ionischen Griechen an, die im attisch-delischen Seebund Gestalt angenommen hatte. 236 Man darf also in den Persern ohne megalomane Vorwegnahme des Alexanderzugs auch ein Element der Kampfparänese erblicken, 237 das bereits im Päan in v. 402-405 deutlich hervorgetreten war. An die verkehrte Ilias 238 von Ost nach West, welche die Völker des Ostens in frevlerischer Verletzung der Weltordnung vollführen, schlösse sich die Iteration der historisch und direktional korrekten durch die Griechen an, deren Ziel ja wie bei der Befreiung der kleinasiatischen Küste nur eine dort befindliche Stadt war. Daß die Griechen dabei über ihre Stamm(es)lande hinaus ins asiatische Festland ausgreifen und die Plünderung von Sardes wiederholen, auf die Dareios’ Befürchtung, die von ihm angesammelten Reichtümer möchten Plünderern anheimfallen (v. 751 f.), hinzuweisen scheint (schließlich fiel dieses Ereignis historisch in seine Regentschaft), bleibt angesichts der eliminatorischen Folgen der interkontinentalen Transgression, welche die Tragödie ausgemalt hat, wenig wahrscheinlich. 239 Abgesehen vom vorherigen Scheitern dieses Unterfangens liefert die Handlung der Perser übrigens ein weiteres Argument dagegen, die Leere Asiens infolge der Eliminie- 234 Dieser Verlust der bisherigen Sinnträger und Machinstrumente ermöglicht die innenpolitischkulturelle Neubestimmung Asiens im Kommos von Großkönig und Alten. Ein lexikalisch reizvoller Brückenschlag zu den Kenomen, die im dänischen Strukturalismus die inhaltslosen, phonologischen Sinnträger im Gegensatz zu den Pleremen bezeichnet, die auf der Inhaltsebene angesiedelt sind, ist jedoch aus inhaltlichen Gründen nur bei der asiatischen Erde möglich, die nun ein politisch-semiotisches Vakuum bildet, während die Männerleere nicht auf die leere Hülle, sondern das fehlende Element abhebt. 235 Ebenso kontrastiert Wilson 1986: 52 die wehrlose Männerleere Persiens mit Athens Situation, dessen Stadt geplündert ist, aber dessen Männer leben. 236 Vgl. Harrison 2000: 64. 237 Harrison 2000: 75 sieht nicht die beruhigende Suggestivkraft hinter der vermeintlich totalen Niederlage der Perser bei Aischylos, sondern wertet sie als hyperbolische Selbstberauschung und Selbstüberschätzung. 238 Zu den iliadischen Handlungselementen der „war story“ s. Hopman 2009: 364 Anm. 13. 239 So auch Harrison 2000: 109. Indes sieht er in der kontrastiven Schilderung der militärischen Stärke sogar die bevorstehende Zerstörung des Achämenidenreichs, eine These, die er mit Dareios’ Angst vor Plünderern und den Komposita mit ‚Gold‘ als erstem Bestandteil untermauert (2000: 73 f.). Daß diese eben nicht zusammen mit der militärischen Schwäche des Perserreichs im zweiten Teil erscheinen, spricht nicht dafür, daß die Schilderung des Reichtums wie die weltlichen Güter, die Papst Urban II. in seinem Aufruf zum ersten Kreuzzug in Aussicht stellt (Dana Carleton Munro, The Speech of Pope Urban II. At Clermont, 1095. The American Historical Review 11 (1906) 231-242, h. 239), das Bühnenpublikum zum Plünderzug nach Osten aufstacheln soll. 280 rung des Zwangssignifikators als eine Einladung zu imperialistischer Okkupation und semiotisch-kultureller Neubeschreibung zu lesen: Diese Neuausrichtung erfolgt bereits dadurch, daß die innenpolitischen Verhältnisse mit rituellem Resultat neu ausgehandelt werden. 1.11 Fazit und Ausblick Abschließend bleibt festzuhalten, daß Aischylos’ Perser kein opulentes Historiendrama 240 vor orientalischer Kulisse, sondern eine politische Tragödie sind, die vor dem Hintergrund einer theonomischen Weltordnung spielt und nicht zuletzt daraus ihre existentielle und politische Aktualität speist. Auch wegen dieser Regelgebundenheit weisen die Perser bereits eine erstaunlich vollständige Typologie der Transgression auf. Sie reicht von der lokalen, territorialen wie mantisch-spiritistischen, über die kulturimperialistisch-semiotische bis zur normativkosmologischen und poetisch-intratheatralischen. Diese Formfülle wird freilich durch einen inneren Zusammenhang geeint. Alle Typen haben ein lokales Element oder werden, wie die beiden letztgenannten, darüber performiert. Diese Formen der Transgression werden in der weiteren Entwicklung des antiken Dramas transformiert und vom Lokalen abstrahiert, so die poetisch-metatheatralische, aber nicht durch weitere, grundsätzlich neue ergänzt. Das Stück spitzt seine zahlreichen Gegensätze (alt - jung, Grieche - Perser, König - Getreue) nicht zu einer unvermittelten Opposition zu, sondern läßt in der Binnen- und Bühnenpragmatik eine dialektische Vermittlung erkennen, etwa in Form der Pädagogisierung der Transgression als jugendliches Ungestüm oder der gemeinsamen Trauer von Großkönig und Alten. Auf dem Wege der konjunkturalen Grenzüberschreitung und ihrer eliminatorischen Folgen werden die systemischstrukturellen Grenzen so stark und umfassend wie in keiner späteren der hier besprochenen Tragödien affirmiert. Die Konfiguration von ethnisch-kultureller Identität und Alterität wird gut mit dem Saussureschen Zeichenmodell erfaßt: Beider Identität klärt sich in der Gegenüberstellung, doch die Zuordnung von signifiant und signifié ist nicht essentialistisch, sondern wandelbar (auch was die anfänglich aus griechischer Sicht vielleicht negativen Züge des anderen und dessen fortschreitende Hellenisierung betrifft). Es geht in den Persern nicht um die asymmetrische Kontrastierung zweiter Kontinente oder Völker als signifiants, sondern auf der paradigmatischen Achse um das kulturelle und v.a. politische signifié, den Vergleich von Demokratie und Monarchie. Er strukturiert den außenpolitischen Konflikt der erzählten und erforschten Handlung des Xerxesfeldzugs, aber auch den internen Konflikt nach der Niederlage. Dabei schält sich die Frage nach der politischen Verantwortung als die Achse heraus, um die das Stück kreist und organisiert ist. Diese Ausrichtung wird dadurch erreicht, daß das jugendliche Ungestüm des zu 240 Föllinger 2003: 241-248 diskutiert differenzierend-kritisch den Status der Perser als historisches Drama. Diese Einstufung ist bei ihr jedoch dadurch gerechtfertigt, daß der sonst übliche mythologische Stoff der griechischen Tragödie der Abgrenzung dient, also eine weitergefaßte Kategorie als die politische Tragödie, die hier zur Debatte steht. 1. Aischylos’ 1.11 Fazit und Ausblick 281 keiner Rechenschaft verpflichteten individuellen Monarchen, der absolut über seine Untertanen gebietet, während sich im siegreichen Athen der Demos frei regiert, in der Ursachenforschung noch dem Komplex de tragischen Scheiterns und der damit verbundenen göttlichen Einwirkung vorgeschaltet wird. Die Perser sind damit gewiß keine dramatisierte Verfassungsdebatte, wie Herodots rund 50 Jahre später verfaßte Historien sie nach Kambyses’ Beseitigung sich in Persien abspielen lassen (3.80.1-83.2), überwinden jedoch - wie die Orestie erst am Ende der Trilogie - die Tragik zugunsten innerweltlicher Erklärungen und Lösungen für die militärische Katastrophe. Dabei spielen zwei Rituale, die Nekromantie des verstorbenen Großkönigs Dareios und der gemeinsame Kommos des in Lumpen heimgekehrten Xerxes mit dem Chor der Alten eine entscheidende Rolle. Dramaturgisch zukunftsweisend werden diese religiös-rituellen Praktiken als Intratheater dargestellt. Die Dynamik des heißdiskutierten Spiels mit der ethnischen Alterität läßt sich am besten mit dem Alexander-Dareios-Mosaik im Neapolitaner Museo Nazionale vergleichen: Unter den Pferden, die den Wagen des Dareios ziehen, liegt dort ein durch seine Mütze als Perser gekennzeichneter Krieger. Wie in den Persern hat den Krieger also der eigene Herrscher auf dem Gewissen. Für die Alteritätsforschung höchst aufschlußreich ist ein anderer Umstand: Der persische Krieger duckt sich unter einen griechischen Schild, in dem sich sein Gesicht spiegelt. 241 Die Identität des ethnisch Anderen ist also nur in der griechischen Wahrnehmung bzw. Darstellung gegeben. Militärischer Sieg und perzeptive Aneignung gehen dabei Hand in Hand, was dramengeschichtlich auch daran augenfällig wird, daß Xerxes’ Zelt, das die Griechen in Plataiai erbeutet hatten, in Athen seit der Aufführung von Phrynichos’ Phoinissai bis zur Errichtung der dauerhaften Skene als Prospekt gedient habe (vgl. v. 1000 f.: / - ). 242 Frei nach Stendhal 243 könnte man an die Mosaikszene eine ethnographische Ästhetik der Tragödie knüpfen: Die Tragödie Perser ist ein Spiegel, der im Land des ethnisch Anderen umherwandert. Stendhals Spiegel und Xerxes’ fahrbares Zelt in den Persern selbst weisen mit der Bewegung eine bemerkenswerte Parallele zur Transgression in den Persern auf, bei Xerxes’ Zelt und dem Dareios-Mosaik kommt noch das Überschreiten der Grenzen zum Anderen hinzu, wobei die beiden Operationen durch ihre gemeinsame ästhetischliterarisch explorative Funktion die Abgrenzung von bildender Kunst und Literatur überwinden, was die implizite Poetik von Xerxes’ Zelt und Stendhals Spie- 241 Herrn Dr. Jost Eickmeyer (Heidelberg) danke ich hiermit ganz herzlich für den freundlichen Hinweis in situ auf die Relevanz dieses Details für die Interpretation der Perser. 242 So Oscar Broneers These (The Tent of Xerxes and the Greek Theater. University of California Publications in Classical Archaeology. Vol. I, No. 12. (1944) 305-312, h. 307 f.), die Leslie Kurke (The Cultural Impact of (on) Democracy. Decentering Tragedy. In: Democracy 2500? Questions and Challenges. Ed. by Ian Morris and Kurt Raaflaub. Archaeological Institute of America. Colloquia and conference papers 2. Dubuque 1998, 155-169, h. 164-166) für ihre These bemüht, das gemeinsame Spezifikum der attischen Tragödie und der imperialen Polis Athen liege in der Aneignung des Anderen. 243 Un roman : c’est un miroir qu’on promène le long d’un chemin. (Le Rouge et le Noir I 13, S. 417) Un roman est un miroir qui se promène sur une grande route. (Le Rouge et le Noir II 19, S. 671). s , 282 gel programmatisch tun. Grenzen werden also künstlerisch nicht bloß verletzt, sondern überwunden, der Weg zur Aneignung des Anderen freigemacht. So schreitet in den Persern, ausgehend von der Theologie, die Hellenisierung wie bei Alexander zum Politisch-Kulturellen fort und bietet trotz vieler politischer Implikationen ein offenes Ende, auch wenn die innerdramatische Personenkonstellation eine neue Ordnung gefunden hat. Gefördert wird diese paradigmatische Transzendenz durch den transgressiv-metatheatralischen Charakter von Xerxes’ fahrbarer Bühne, die das eingangs erwähnte explorative Potential des dramatischen Spiels ausschöpft: Die Tragödie definiert sich mit dieser ambivalenten Autoreferenz als Thespiskarren im Land des Anderen. Gegen Harrison, der in seinen Schlußworten nicht nur vor vorschneller Identifikation mit den Persern warnt, sondern dieses Drama auch gewissermaßen nicht ad usum Delphini freigibt (2000: 115), 244 muß festgehalten werden, daß Aischylos’ Tragödie - allein durch das komplexe Spiel, das sie mit semiotischer Distanzierung und Identitätsstiftung sowie Differenzierung im ethnisch Anderen entfaltet - diesem wesentlich mehr Gerechtigkeit widerfahren läßt als die meiste orientalistische Kritik ihr. Eher verborgen unter der politischen Pädagogik und eingebettet in die üppige Emotionalität des Dramas ist eine Grenzüberschreitung, die wegweisender für die griechische Tragödie und Geistesgeschichte werden sollte als die ebenfalls politisch pädagogisierende und bereits odysseische Nekromantie. Dies sind die Emotionen, die aus dem Inneren des Menschen durch die sprachliche Äußerung einer Figur nach außen dringen. Bereits in v. 10 meint der Chor ahnungsvoll: . In v. 991 bekundet Xerxes nach Bekanntwerden der Katastrophe seine Trauer: < > . Das Innenleben tritt so auf die Bühne und kann in seiner Angst- und Sorgengeprägtheit geschildert werden. 245 Euripides sollte diesen Weg mit Medeas introspektivem Entscheidungsmonolog fortsetzen. Daß die Bühne in den Persern nicht nur der Erkundung der ethnischen Alterität und eigenen Identität, sondern auch des Innenlebens dient, komplementiert die explorative Funktion der Transgression in dieser Tragödie und ist ein weiteres Argument gegen die orientalistische Lesart, sofern man nicht auf den durch die zitierten Verse freilich nicht wirklich zu rechtfertigenden Gedanken verfällt, hier werde orientalische Emotionalität 246 exhibiert. 244 „The Persians then is not a work with which we can, or should, identify too readily. It is not a play that could be performed - to a liberal audience, at least - without blatant anachronism or a chilling detachment.“ 245 Bohrer 2009: 242 verweist hierfür auf v. 115, wo der Chor singt: , v. 161, wo Atossa sagt: (Bohrer übersetzt hier „Furcht“) und v. 290 f. ( / ). 246 Sie zählt freilich nach Hall 1989: 80 zu den Fehlern, welche den Persern zugeschrieben werden. 1. Aischylos’ 2. Sophokles’ König Oidipus: Transgression, Hermeneutik, Kontingenz und poetische Mimesis . (Heraklit DK 22 B 93) 2.1 Einleitung: Bisherige Interpretationen und der vorliegende Ansatz Sophokles’ König Oidipus ist seit Aristoteles der klassische Vertreter der (antiken) Tragödie. Von der Antike bis in die Moderne hat dieses Drama die Interpreten herausgefordert und eine Vielzahl und Vielfalt von Deutungen erfahren, auch außerhalb des Kreises der klassischen Philologie. 1 Angefangen mit Aristoteles’ Untersuchung der Handlungsstringenz über stoische und peripatetische Diskussionen der Willensfreiheit, die an dieser Tragödie festgemacht wurden, reicht die Reihe bis in die moderne Philologie, Alte Geschichte und Kulturgeschichte. Die folgende Interpretation greift exemplarisch etliche herausragende, möglichst aktuelle Vertreter der verschiedenen Ansätze heraus: Gut vertreten sind im weitesten Sinne historische, die auf Gesellschaft und Kultur abheben, so ein religionspolitischer, 2 soziopolitischer, 3 zivilisationsgeschichtlicher 4 und ritualstrukturalistischer. 5 Die Psychoanalyse, die bereits der Altmeister dieser Disziplin auf den OT in Anschlag brachte, 6 rückt dagegen Familie und Individuum in den Mittelpunkt. Zu seinem Recht verhilft ihm die existential-anthropologische Lektüre. 7 An diesen Ansatz schließen sich der aristotelisierende philo- 1 Peter Szondi, Versuch über das Tragische. Frankfurt a.M. 2 1964, 65-70. Richard B. Sewall, The Vision of Tragedy. Tragic Themes in Literature from the Book of Job to O’Neill and Miller. New York 3 1990, 25-43, der durch den Vergleich mit Hiob allerdings die Frage nach der Positionierung zum Leid und Schicksal sowie die Theodizee in den Vordergrund rückt. 2 Eric Robertson Dodds, On Misunderstanding the Oedipus Rex. In: Ds., The Ancient Concept of Progress and other Essays on Greek Literature and Belief. Oxford 1973, 64-77. Dodds’ Hauptverdienst ist die im Titel angekündigte Widerlegung kursierender Fehlinterpretationen dieser Tragödie. 3 Egon Flaig, Ödipus. Tragischer Vatermord im klassischen Athen. München 1998. 4 Jean-Pierre Vernant, Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181. Sein Œdipe à contretemps (1999). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 120-132 bietet dagegen eine Nacherzählung des gesamten thebanischen Mythos, die Sophokles’ Tragödie chronologisch und inhaltlich ergänzt oder ihr sogar widerspricht. Eine exakte Abgrenzung von Mythos und Tragödie in dieser Summa mythologica könnte hier Sophokles’ dramatische Kunst hervortreten lassen. 5 René Girard, La Violence et le Sacré. Paris 1972, Ndr. 1987, 102-129. Zum rituellen Ansatz gehört im weiteren Sinne auch Frederick M. Ahl, Sophocles’ Oedipus. Evidence and Self-Conviction. Ithaca 1991. 6 Sigmund Freud, Die Traumdeutung. Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Bd. 2. Frankfurt a.M. 1 1972 = 10 1996, 260-269. 7 Karl Reinhardt, Sophokles. Frankfurt a.M. 4 1976, 104-144. 2. Sophokles’ 284 sophiegeschichtliche 8 und (hegelianisch) philosophische 9 Standpunkt an. Der rezente schreckens- und erscheinungsästhetische 10 knüpft paradigmatisch an den existential-anthropologischen an. Bereits dieses schlaglichtartige doxographische Referat läßt erkennen, daß diese Ansätze per se weder untereinander noch mit demjenigen der vorliegenden Arbeit inkompatibel sind. Viele beleuchten schlichtweg verschiedene Aspekte, die alle in einem derart facettenreichen Dramentext wie dem Oidipus Tyrannos enthalten sind. Daß eine derart stark mimetische, praktische und öffentliche Gattung wie das Drama politische Strukturen und Kulturen widerspiegelt, welche die historischen Ansätze beleuchten, wird nicht verwundern. Daß man eine Handlung, in deren Zentrum mit Oidipus als Objekt oder Subjekt ein einziger Mensch steht, der diversen sozialen Kontingenzen ausgesetzt ist und mantisch im Dialog mit Apoll steht, unter dem Aspekt der Willensfreiheit oder zumindest zivilisationsgeschichtlich als Zeugnis für die Präzisierung von Konzepten der individuellen Kausalitätsattribution liest, ist ebenfalls per se nicht abwegig. Die skizzierten Lesarten sind - mit Ausnahme des schreckensästhetischen - nicht genuin literaturwissenschaftlich, tragen aber alle zum tieferen Verständnis dieses Sprachkunstwerks und seiner singulären Komplexität bei. Sie ist das Erkenntnisziel der vorliegenden poetisch-handlungsstrukturellen Interpretation. Der OT drängt sich aus mehreren Gründen für eine Analyse mit dem hermeneutischen Apparat der vorliegenden Untersuchung auf: Einmal ist diese Tragödie wirkmächtig von Aristoteles gedeutet worden, was eine Auseinandersetzung des hier vertretenen mit dem aristotelischen Tragödienverständnis und seinen modernen Fortsetzungen an einem konkreten literarischen Objekt ermöglicht. Außerdem weist der OT den Nexus von Transgression und Eliminierung der Tragödie, welchen die vorliegende Arbeit in der Funktionsweise dieser Gattung zu zeigen sucht (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung), mit einer Klarheit auf, die nichts zu wünschen übrigläßt: Die unwissentliche und unwillentliche Usurpation der Position des Vaters führt zu einer massiven Transgression der innerfamiliären Rollen. Ihr folgt die soziale (und später räumliche) Eliminierung des Transgressors. 11 Zwischen diesen bei- 8 Arbogast Schmitt, Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen ‚König Ödipus‘. RhM 131 (1988) 8-30. 9 Christoph Menke, Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. Frankfurt a.M. 2005, 11-109. 10 Karl Heinz Bohrer, Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage. München 2009, 213-225, 313- 335. 11 Diese rein synchrone algebraische Beschreibung der Handlungsstruktur unterscheidet sich von der Diachronie der religionswissenschaftlich-strukturalistischen Analyse des Handlungsverlaufs, die Charles Segal vornimmt. Er deutet nämlich Oidipus als Sakralkönig, der die kosmische Störung behebt, die mit der Seuche einhergeht (Greek Tragedy and Society: A Structuralistic View. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 21-47, h. 29 f.). Zum Zeitpunkt der Aufführung des OT ist die Rolle des Sakralkönigs im Bewußtsein der attischen Demokratie ein archaisches Substrat, virulenter ist diejenige des Tyrannen. Doch auch Oidipus’ tyrannisches Verhalten stört die soziale Ordnung, wie seine Transgression zweifellos die kosmische gestört hat, weil sie die Seuche heraufbeschworen hat. Insofern ist Segals Analyse durchaus mit dem Handlungsablauf Transgression - Ordnungsstörung - eliminatorische Restauration vereinbar, den die vorliegende Arbeit für die Tragödie und den OT annimmt. 2.1 Einleitung: Bisherige Interpretationen und der vorliegende Ansatz 285 den Stationen steht die hermeneutische Tätigkeit des Protagonisten, der in diesem analytischen Drama nach seiner Identität sucht und diese zusammen mit seiner Transgression findet. Transgression und Identität bieten in der Tat einen heuristischen Mehrwert bei der Beschreibung des OT gegenüber anderen Ansätzen, da sie spezifische strukturelle Merkmale dieses literarischen Kunstwerks erfassen. Nachfolgend soll dies in Auseinandersetzung mit Lacan, Girard und allgemein Bohrer gezeigt werden, deren Ansätze oft subsumtiv integriert oder a limine ausgeklammert werden können. Die globale Handlungsstruktur, die, wie beschrieben, durch die beiden Stationen Transgression und Selbsterkenntnis als Transgressor gegeben ist, die jeweils mit Eliminierungen einhergehen, soll - auch anhand der Transgression - dann der folgende Abschnitt näher beleuchten (2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas). Danach klopft der zweite Schritt unserer Untersuchung die erforschende Handlung, die den gesamten ersten Teil des Dramas füllt und in welcher der Protagonist für das Kollektiv, dem er vorsteht, nach der Identität des Transgressors sucht, auf ihre strukturelle Stringenz ab, auch im Handeln ihres Protagonisten (2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung). Der dritte interpretatorische Schritt betrifft die Transgression. Er wird zusammen mit der Kategorie des Tragischen die hermeneutische Tragweite dieser Figur für das Gesamtverständnis der Tragödie überprüfen und, falls erforderlich, durch andere Termini ergänzen (2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität). Daran anknüpfend soll in einem vierten Großabschnitt die Eliminierung als zweiter Schritt unserer dramatischen Matrix unter dem Aspekt der individuellen Integritätsrestauration untersucht werden (2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ). Diese Analyse des Schauspiels erlaubt es dann, die Frage nach seiner Kunst zu diskutieren (2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung), bei welcher das Konzept der dramatischen Selbstreflexion eine tragende Rolle spielt, die in der Einleitung als wichtiges Merkmal der Kunst diskutiert wurde (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression). Abschließend sollen der Begriff der Identität herausgearbeitet und dabei die Analysekategorien Anagnorisis und Peripetie verfeinert werden, in denen Aristoteles dieses Drama neben der Stringenz der Handlung als vorbildlich ansah (2.6.2 Mimesis und Aristoteles). Die Haltung der vorliegenden Auslegung schließt sich im pfleglichen Umgang mit den Vorgängern Wolfgang Schadewaldt an: 12 „Wenn ich an dieser Stelle vom «König Ödipus» des Sophokles in neuer Deutung zu handeln unternehme, so heißt das nicht, daß ich mich für berufen halte, «die» einzig richtige, endgültige Deutung des großen Dramas zu geben.“ In der Interpretationsgeschichte des Oidipus Tyrannos mangelt es dagegen nicht an ikonoklastischen Gesten, die ganze Forschungsrichtungen verwerfen, um der eigenen neuen These zum Durchbruch zu verhelfen. So verwirft Schmitt 1988: 17 die mit philologischem Urgestein wie Schadewaldt, Reinhardt und Dodds bestens 12 Der «König Ödipus» des Sophokles in neuer Deutung. In: Ds., Hellas und Hesperien. 2 Bde. Zürich 2 1970, Bd. 1, 466-476, h. 466. Zwei Seiten später sieht er allerdings Reinhardts existentialistische Deutung, ohne diesen namentlich zu nennen, als mit dieser Richtung „erledig[t]“. 286 vertretene These, der Oidipus Tyrannos stelle „exemplarisch die notwendig in Schein und Wahn befangene Situation des Menschen in seiner prinzipiellen Unterlegenheit unter göttliches Wissen“ dar. Hart geht jüngst Bohrer mit allem, was er zu Dialektik, Schuld und Willensfreiheit sowie (Selbst-)Erkenntnis und Identität zählt (zur letztgenannten rechnet er auch den psychoanalytischen Ansatz [2009: 328 f.]), ins Gericht, um seiner Lesart Geltung zu verschaffen, die Tragik bestehe im Pathos des epiphanen Schreckens und der Angstrede. Die Kompatibilität ritualorientierter Ansätze, wie sie René Girards und Jean-Pierre Vernants „Sündenbock-Theoreme“ böten, „zumindest mit dem ästhetischen Erscheinungs-Charakter [Kurs. im Orig.] von Oedipus als tragischem Opfer“ beurteilt Bohrer positiv, diejenige mit psychoanalytischen, wie sie nach Freud Lacan und der Anti-Oedipus von Gilles Deleuze und Félix Guattari verträten, 13 dagegen negativ (2009: 332 f.). Gerade letzterer hat in der Tat nur den Namen mit der Tragödie des Sophokles gemeinsam und ist bloß ein Dokument fernen Nachwirkens, da der Schwerpunkt dieser Schrift auf der Kritik Freuds und dem Entwickeln einer neuen psychoanalytischen Theorie liegt. Ähnlich denkt Slavoj Žižek Lacans Interpretation des Ödipuskomplexes politisch und soziologisch weiter, behält jedoch den Bezug zum Begriff des Subjekts bei, 14 der für die Tragik grundlegend ist. Bei aller oben angedeuteten wissenschaftlichen Differenziertheit und stilistischen Mäßigung muß die sachlich-argumentative Auseinandersetzung mit Bohrer bei der Interpretation des OT intensiv geführt werden, da er emphatisch ein eigenes Verständnis von Tragik verficht, dessen Grundausrichtung nicht mit demjenigen der vorliegenden Arbeit vereinbar ist. Den heuristischen Mehrwert des hier vertretenen literaturstrukturellen Ansatzes zeigt etwa der Vergleich mit René Girards bereits erwähnter Oidipus-Lektüre. Eine allzu detaillierte Auseinandersetzung mit ihr erübrigt sich allein deshalb, weil es ihm nicht um das Verständnis der sophokleischen Tragödie, eines spezifischen literarischen Kunstwerks, geht, sondern weil er diese Tragödie als Widerschein des Mythos und Beleg für seine Theorie einer crise sacrificielle liest, die im vorliegenden Fall durch den ungesühnten Mord an Laios und die Pest ausgelöst wird (vgl. 1987: 108 f.). Das allgemeine Symptom dieser Krise, die Gewalt aller gegen alle, sei auch im OT nachzuweisen, wo sie durch die Identifikation und Eliminierung eines Sündenbocks gelöst werde. Dazu ebnet er notwendigerweise die Struktur der Tragödie ein, oder, wie Gyburg Radke es zu seiner Lektüre von Euripides’ Bakchen in einem Bonmot formuliert hat, das Girards nachgerade tragische gewaltsame Autoeliminierung aus der Tragödieninterpretation aufdeckt (2003: 3 Anm. 7): „Girard sieht völlig von der Handlung der Tragödie ab und betrachtet das, was er liest, ausschließlich als Dokument einer bestimmten Gesellschaftsform bzw. allgemeinmenschlicher Verhaltensmuster. Seine Interpretation der Bakchen gerät dabei nicht nur zu einer Studie über menschliche Aggression und die Ge- 13 Capitalisme et schizophrénie. Bd. 1: L’Anti-Œdipe. En collaboration avec Félix Guattari. Paris 2 1972. 14 “Whither Oedipus? ”, in: The Ticklish Subject. The Absent Centre of Political Ontology. London 2 2008, 375-483. 2. Sophokles’ 2.1 Einleitung: Bisherige Interpretationen und der vorliegende Ansatz 287 walttätigkeit des Dionysischen, sondern tut auch selbst dem Gegenstand seiner Interpretation nicht wenig Gewalt an.“ Das autoeliminatorische Dilemma läßt sich in der Tat mit Girards eigenen Gedanken und Ansätzen noch genauer fassen: Girard sieht sehr luzide und gut strukturalistisch (darin bietet er eine kongeniale Vertiefung des vorliegenden Ansatzes) die Gewalt als Tilgung der Differenz, was selbstredend auch zumindest temporär und aktuell von der Transgression gilt. Besonders treffend ist diese These bei den Beziehungen der männlichen Familienmitglieder und dem doppelten, konfliktträchtigen sozialen Bezugrahmen ihres Handelns in der Tragödie, von Polis und Oikos, deren Spitze in der Position des Patriarchen und Monarchen zusammenfällt (1987: 111): „C’est la même chose exactement d’être régicide dans l’ordre de la polis et d’être parricide dans l’ordre de la famille. Dans un cas comme dans l’autre, le coupable transgresse la différence la plus fondamentale, la plus élémentaire, la plus imprescriptible. Il devient, littéralement, l’assassin de la différence.“ Mit dem Vatermord, so Girard weiter wohl mit Blick auf Eteokles und Polyneikes, werde eine gewaltsame Wechselseitigkeit zwischen Vater und Sohn hergestellt, welche die Beziehung zum Vater auf eine konfliktuöse Brüderlichkeit reduziere. Problematisch an Girards Ansatz ist nun, daß er die Einebnung der Differenz auf die gesamte Tragödie ausdehnt, indem er überall bloß Gewalt am Werke sieht und deren Formen und Motive - die psychologische Interpretation verwirft er eingangs sogar als Verfälschung des Stückes (1987: 102) - vernachlässigt. Dabei unterscheidet sich die physische Gewalt der erforschten Handlung massiv von der verbalen und angedrohten physischen Gewalt der erforschenden Handlung, die Girard als Symptome einer alle Unterschiede einebnenden Gewalt sieht, welche die Akteure in einen Strudel hineinzieht (1987: 103-108). 15 Letztgenannte ist dabei, was bei Girard gänzlich ausgeblendet bleibt, weitgehend durch den im Raume stehenden Vorwurf der Transgression generiert (Näheres s. 2.3.3 Phase zwei: Teiresias und Kreon). Jean-Pierre Vernants feine und genaue Lektüre des OT vermag dagegen, selbst wenn sie eher einen zivilisationsgeschichtlichen Blickwinkel einnimmt, manches an Girards, Bohrers und Schmitts Deutungen zu korrigieren (bzw. hätte sogar forschungschronologisch helfen können, manche Fehler zu vermeiden) und auch die vorliegende Arbeit zu bereichern. 16 15 V.a. S. 105: „[...], les protagonistes se réduisent tous à l’identité d’une même violence; le tourbillon qui les emporte fait de tous la même chose très exactement.“ Die scheinbar von selbst laufende Eskalation der Gewalt, die Girard ausmacht, mutet wie eine Neuauflage von Reinhardts Kategorie des Dämonischen an, da beide den individuellen Handlungsspielraum von einer suprasubjektiven Macht fast annulliert sehen, vgl. Girard (1972) 1987: 104: „Les trois protagonistes se croient supérieurs au conflit.“ Die Monstrosität der Transgression, mit der die vorliegende Arbeit operiert, geht nur von einer Suggestivkraft aus, die paradoxerweise trotz oder eben aufgrund der Ablehnung der Transgression zur Devianz verleitet, respektiert dagegen die individuelle Handlungsfreiheit und hütet sich vor der Annahme eines kollektiven Taumels. 16 2007: Bd. 1, 1153-1181. 288 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas: Identitätssuche zwischen Diptychon, Dreiweg und Spur Der OT ist ein analytisches Drama - diesen Wesenszug erkannte bereits Friedrich Schiller in einem Brief an Goethe vom 2.10.1787. 17 Seine Handlung wird durch die Suche nach der Identität des Transgressors strukturiert. Wie und wodurch dies im einzelnen geschieht, soll im folgenden untersucht werden. Danach soll die Identität als strukturierender Gegenstand der Suche näher betrachtet werden. Der analytische Charakter des OT bringt es konkret mit sich, daß der Mythos des Oidipus in zwei Teile zergliedert wird, einen vor der Erkenntnis der Transgression und einen danach. Der erstgenannte besteht aus zwei Ebenen: den erzählten und erforschten Taten, die zeitlich vor der Handlung des Dramas liegen, und der eigentlichen dargestellten und erforschenden Dramenhandlung, die den Mythos noch weiter fragmentiert. Denn bei ihr ist nicht die Chronologie, sondern die investigative Logik das Gliederungsprinzip, die sich vom naheliegenden Bekannten zum ferneren Unbekannten vorarbeitet und so die Ahnung zur schrecklichen Gewißheit werden läßt (v. 1182-1185). Als Scharnier der beiden Handlungsebenen und -teile fungiert der Punkt, an dem Oidipus die Gewißheit seiner Täterschaft und genealogischen Identität erlangt und den Aristoteles mit Anagnorisis und Peripetie benannt hat (Poet. 1452a 32 f.). An ihm fügen sich die fragmentarischen Splitter zu einem neuen Selbstbild und die beiden Stränge der erforschenden und erforschten, der gespielten und referierten Handlung zu einer durchgehenden Chronologie der vergangenen Ereignisse zusammen und laufen in einer einheitlichen Handlung fort, die am besten ‚postidentifikatorisch‘ genannt wird und deren Kern die Eliminierung infolge der Transgression ist (Näheres s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ). 18 Während der Protagonist bis zu Anagnorisis und Peripetie 17 „Der Oedipus ist gleichsam eine tragische Analysis. Alles ist schon da, und es wird nur herausgewickelt.“ NA, Bd. 29, 141. Diesen letztgenanten Aspekt greift Schadewaldt treffend auf, wenn er von einem „Enthüllungs-Drama“ spricht (1970: Bd. 1, 468). Diese Enthüllung offenbart nicht nur etwas Skandalöses, sondern auch etwas Schreckliches, weswegen auch für die erforschende Handlung (und nicht nur für den Auftritt des geblendeten Oidipus, s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung) das Prädikat ‚apokalyptisch‘ gerechtfertigt wäre. Schon Freud meinte anknüpfend an v. 108 f. (s.u.) (1996: 266): „Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als in der schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung - der Arbeit einer Psychoanalyse vergleichbar […].“ Ulf Heuner, dem ich diese beiden Zitate verdanke, nuanciert zu Recht, Oidipus decke nicht wie in der Psychoanalyse etwas Unbewußtes, sondern etwas Nicht-Gewußtes auf (Tragisches Handeln in Raum und Zeit. Raum-zeitliche Tragik und Ästhetik in der sophokleischen Tragödie und im griechischen Theater. Diss. Leipzig 1999. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 14. Stuttgart 2001, 65, 68). 18 Diese Handlungsstruktur hat bereits Jean-Pierre Vernant erkannt (2007: Bd. 1, h. 1158). Sie wird von den „dramentheoretischen Begriffen“ ‚Spielzeit‘ und ‚gespielte Zeit‘, die Heuner statt ‚Erzählzeit‘ und ‚erzählte Zeit‘ bevorzugt (2001: 66), nicht erfaßt. Heuner wählt denn auch primäre gespielte Zeit für die erforschende Handlung und tertiäre für die erforschte (2001: 66). Ich bevorzuge die beiden genannten Termini mit einem Partizip von ‚erforschen‘, weil sie mir präziser und einem analytischen Drama angemessener scheinen. Die Unterscheidung zwischen Spielzeit und gespielter Zeit ist dagegen heuristisch nicht so ergiebig. 2. Sophokles’ 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas 289 immer mehr Informationssplitter zu einem Gesamtbild integriert, zerstört er ab der Erkenntnis seiner Transgression seine physische Integrität selbst. Die Handlung hat also einen auf- und absteigenden Verlauf, der OT eine eigene Handlungsstruktur in Form eines Diptychons. Mit diesem Begriff aus der bildenden Kunst hat T. B. L. Webster den Aufbau der drei erstdatierten Dramen Aias, Antigone und Trachinierinnen charakterisiert, da nach dem Tod des Protagonisten in der zweiten Dramenhälfte ein zweiter Handlungsstrang beginne. Außerdem nennt er diese Tragödien „tragedies of action“ im Gegensatz zu den „tragedies of suffering“ genannten, da „the act which causes the disaster“ (d.h. die Transgression) während des Stückes begangen werde. Dem OT, über dessen syntagmatische (Diptychon-)Struktur er kein ausdrückliches Urteil abgibt, 19 weist er eine Mittelposition zu, da die Tat hier vor der Handlung des Stückes begangen worden sei und erst in seinem Verlauf entdeckt werde. 20 Die Diptychonstruktur läßt sich im Oidipus Tyrannos zumindest in einer Ringkomposition der Szenen wiederfinden: Durch seine Blendung und Selbsterkenntnis nähert sich Oidipus körperlich wie intellektuell dem blinden Seher Teiresias an, den er im ersten Teil noch argwöhnisch abgefertigt hat, und bereitet der Metamorphose zum Weisen den Weg, die sich im wesentlichen im Oidipus auf Kolonos vollziehen wird. Kreon, den er ähnlich behandelt hat, vertraut er im zweiten Teil die Regierung und seine Töchter an. Iokaste ist dagegen im zweiten Teil nur in ihrer berichteten Selbsteliminierung präsent. Das Diptychon bildet freilich nur die Parallelität von erforschender Handlung und postidentifikatorischer Phase ab. Es müßte zum Triptychon 21 erweitert werden, um die erforschte Handlung einzubeziehen. Passender ist dagegen ein anderes Bild, das in dem Drama selbst vorkommt und den zentralen Punkt der Transgression bildet, der Dreiweg. Er illustriert v.a. besser die beschriebene dreigliedrige Handlungsstruktur und deren neuralgischen Konvergenzpunkt, da zwei Stränge der Handlung, die erforschte und erforschende, zu einem neuen zusammengeführt werden, Binarität also in Linearität überführt wird. Bereits in der narrativ-dramatischen Anlage der Tragödie zeigt sich also jenes eliminatorische Zusammentreffen zweier Entitäten, das für die Handlung und die paradoxaltragische Struktur des Stückes so zentral ist. Die Topologie symbolisiert also die Handlungsstruktur und das Funktionieren der Transgression. 22 Die Zentralität spricht auch dagegen, den Dreiweg, der, da dort der Vatermord stattfindet, der 19 Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Göttingen 1956, 121 f. sieht dieses Aufbauprinzip im OT dagegen „völlig verlassen“ (in der dritten Auflage von 1972 fehlt diese Feststellung). 20 An Introduction to Sophocles. Oxford 1936, 102 f. 21 Ein solches macht Webster in Euripides’ Andromache und Herakles aus (1936: 103). 22 Rush Rehm, Sophocles. In: Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek narrative 3. Leiden 2012, 325-339, h. 334 beobachtet fein weitere symbolische Implikationen des Dreiwegs, so neben der Präsenz dreier Figuren auf der Bühne in den beiden Szenen mit Oidipus, Kreon und Iokaste sowie mit Oidipus und den beiden Hirten das Rätsel der Sphinx mit ihren drei Lebensphasen des Menschen, bei der, was eines sei, als drei erscheine (wobei das dritte Stadium, so möchte ich hinzufügen, ebenfalls dreiwertig ist). Die Frage nach der Anzahl der Räuber lasse auch die Reduzierung mehrerer Entitäten auf eine erkennen. 290 Konvergenz- und Ausgangspunkt aller Handlungsstränge ist, aufgrund dieser Ähnlichkeit und der Abweichung von der linearen und binären Rationalitätmit Deleuze’ Rhizom gleichzusetzen. Dieses kennt nämlich eben keine „klassischen“ Übergänge von einer Einheit zu zweien (oder umgekehrt), sondern zeichnet sich vielmehr durch ein Wuchern aus, 23 das die Grenzen außer Kraft setzt, die für die eliminatorische Tragik konstitutiv sind. Die Parallelität und Konvergenz der beiden Handlungsstränge läßt sich auch neostrukturalistisch lesen. Oidipus’ Frage, wie man die Mörder des Laios nach so langer Zeit auffinden könne (v. 108 f.): ; zeigt im Chiasmus deutlich die Verzahnung des erforschenden ( - ) mit dem erforschten Handlungsstrang ( ), der zeitlich weit zurückliegt ( ). Am Ausdruck ‚Spur‘, der Oidipus wie einen Jagdhund Witterung aufnehmen läßt, wird die logische Reihung der Beweisglieder manifest, welche die kriminologische Suche voraussetzt. Sie vereitelt das paradoxale Attribut dieser contradictio in adiecto, das passend zu jener einen forensischen Zeichenbegriff zugrunde legt, der sich unter den Peirceschen index subsumieren läßt. Oidipus begibt sich also auf die Suche nach und anhand einer (unsichtbaren) Zeichenreihe. Daß er sich selbst am Ende dieser Kette und eifrig begonnenen Suche finden wird, weist diese beiden Verse als dramatische Ironie aus. 24 Mehr noch: das, was als eine lineare, (chrono)logische Spur gedacht wird, gerät aus der Spur und verweist auf etwas ganz anderes. Es scheint deshalb nicht zu verwegen, in diesen Versen die beiden Bedeutungen von Derridas trace zu erblicken, die konventionelle (Zu-)Ordnung und Reihung sowie die Abweichung von ihr, die différance. 25 Die Kühnheit der neostrukturalistischen Interpretation läßt sich noch fortsetzen: Da die Demontage von Oidipus’ biographischer Identität mit dem Zusammenfügen einer neuen Hand in Hand geht und dieses dieselben Indizien verwendet, kann man den geschilderten Vorgang als Dekonstruktion bezeichnen, wie denn auch Oidipus’ unbedingtes Vertrauen in die Kräfte seines Verstandes und die hier skizzierte systematische Enquête als Logozentrismus eingestuft werden können. Der trace auf der diskursiv-analytischen Ebene entsprechen als weitere performanzbe- 23 Vgl. Gilles Deleuze, Félix Guattari, Rhizom. Aus dem Französischen von Dagmar Berger, Clemens-Carl Haerle, Helma Konyen, Alexander Krämer, Michael Nowak und Kade Schacht. [Orig.: Rhizome. Introduction. Paris 1976] Internationale marxistische Diskussion 67. Berlin 1977, 8 f. Zu Wucherung und Rhizom bei Deleuze s. Stefan Münker, Alexander Roesler, Poststrukturalismus. Stuttgart 2000, 53-55, 79-81. 24 Ebenso arbeitet Charles Segal, „Oedipus Tyrannus“, in: Tragedy and Civilization. An Interpretation of Sophocles. Martin Classical Lectures 26. Cambridge, Mass. 1981, 207-248, h. 220 anhand der zitierten Verse völlig zu Recht heraus, daß sie Oidipus’ selbstbezügliche Doppelrolle als Suchender und Gesuchter, als Jäger und gejagtes Tier, d.h. die Extreme seiner tragischen Position ausdrücken, die erst mit der Entdeckung seiner Identität zusammenfallen. Besonders deutlich wird diese tragische Ironie der Spurensuche in v. 220 f. ( - / ), wo überdies das Peircesche Zeichen sich praktisch wie lexikalisch konkretisiert. 25 Vgl. Stefan Münker, Alexander Roesler, Poststrukturalismus. Stuttgart 2000, 45-48. 2. Sophokles’ 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas 291 dingte Abweichungen die und Devianz auf der hermeneutischen und praktischen. Oidipus ist, wie oben bei der Diptychonstruktur angeklungen, der Protagonist, der das Drama mit wechselnden Antagonisten dominiert und selbst durch diese vielfältige Interaktion charakterisiert wird. Anders als bei Xerxes geschieht diese kaleidoskopartige Ausleuchtung nicht durch den Blick der anderen, sondern die eigene Tat und das eigene Wort. Bereits Max Pohlenz hat diese dramatische Dominanz des „Einzelmenschen“ Oidipus bemerkt, der während der gesamten Handlung präsent sei und das erste und letzte Wort habe. 26 Die gesamte Handlung wird so nicht nur von der Transgression, sondern auch dem Transgressor beherrscht, der in der erforschten Handlung das thematische und in der erforschenden das dramatische Subjekt ist. Die sequentiell geschiedenen Ausdrücke ‚erforschte‘ und ‚erforschende Handlung‘ trennen die Kognition paradigmatisch in die beiden Aspekte Passiv und Aktiv, die medial in der (Selbst-) Erkenntnis des Protagonisten zusammenfallen. Diese Autoreferentialität und Selbstreflexion des analytischen Dramas (aber auch der nachfolgenden Blendung) hat Anne Ubersfeld treffend mit Greimas’ Aktantenmodell beschrieben, nach dem Oidipus Subjekt und Objekt zugleich ist. 27 Während Oidipus gleichzeitig zwei Aktantenrollen einnimmt, durchläuft die Polis (dies wird dramaturgisch wohl dadurch massiv begünstigt, daß sie durch den Chor vertreten wird, der sich im attischen Drama durch eine chamäleongleiche Multifunktionalität auszeichnete) im Verlaufe der Handlung nachgerade im Uhrzeigersinn vier Aktantenrollen, wie Ubersfeld herausarbeitet: Indem nämlich die Polis Oidipus bittet, die Seuche zu bannen und den Mörder des Laios zu finden, nimmt sie die Position des Adressanten (destinateur) ein. Doch indem sie einen Sühneritus anbietet und Oidipus nötigt, sich selbst als Mörder zu verfolgen und zu überführen, durchläuft die Stadt die Rollen des Adjuvanten, Opponenten und Adressaten. Diese Rollen werden auch von Einzelschauspielern ausgeübt: So nimmt auch Kreon die Position des Adjuvanten, Teiresias 28 sowie Iokaste diejenige des Opponenten und Oidipus diejenige des Adressanten ein. Ubersfelds Formulierung, die Stadt kreise den Einzelmenschen Oidipus nach und nach ein, bringt den Sachverhalt auf den Punkt. Oidipus könne sich nur dann weiterhin mit der Stadt identifizieren, wenn er sich, wie in der Selbstblendung und Verbannung geschehen, gegen sich selbst wende. Höchst bemerkenswert ist Ubersfelds abschließende nachgerade intratheatralische Deutung, die Stadt biete sich selbst die dramatische Vorführung von Oidipus’ Schicksal. Die funktionale Totalität des Kollektivs, die Ubersfeld herausarbeitet, steckt die Grenzen der im dramatischen Vordergrund dominanten Individualität des Protagonisten ab und liefert eine Folie, um dessen Tragik aus der unhintergehbaren Soziabilität des Menschen zu verstehen (s. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression), die in der 26 Die griechische Tragödie. 2 Bde. Göttingen 2 1954, Bd. 1, 213. 27 Lire le théâtre. Paris 2 1996, 54. 28 Diese Rolle nimmt der Seher übrigens in fast allen Tragödien gegenüber dem König ein (neben der primären des Mahners) (s. 4.5 Tragik in der Bakchen-Interpretation), da er gegen dessen politische die religiöse Autorität vertritt. 292 Einleitung als Grundlage der Tragik bestimmt wurde (s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung und v.a. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller). Allerdings wird die funktionale Totalität des Kollektivs dadurch abgemildert, daß die Polis - abgesehen von der Rolle als Adressant - nicht der reale, sondern eher der ideelle Aktant ist. Ubersfelds Analyse bestätigt so die Polis als unhinterfragten Bezugsrahmen zumindest der sophokleischen Tragödie. Die göttliche Ebene berücksichtigt Ubersfeld allerdings nur in einer Fußnote als Anregung einer Leserin (Florence Dupont), die sie darauf hingewiesen habe, jenseits der Stadt fungiere die Ordnung der Kultur, die den Inzest verbiete und durch Apolls Orakel manifest werde, als Adressant. Die religiöse Dimension wird bei dieser Sicht also ähnlich wie in Iokastes Rationalisierungen sozialisiert, was nicht der Schlußauffassung des Dramas entspricht. Apoll ist mit dem Auftrag, den Mörder des Laios zu finden, zweifelsfrei der Adressant der erforschenden Handlung. Die Zweifel, die in deren Verlauf an seiner faktischen Relevanz aufkommen, treten ideell in Opposition zu ihm. Bei den Orakelbefragungen wird er dagegen zum Adressaten. Wenn Oidipus und Laios seine Weissagungen in ihr Handeln einfließen lassen, machen sie ihn zum Adjuvanten. Für die Aussage der Tragödie ist es sicher nicht irrelevant, daß diese Instrumentalisierung scheitert. Statt dessen werden Laios und Oidipus als Vollstrecker ihres eigenen Geschicks (‚Schicksal‘ und eher noch ‚Geschick‘ verwendet die hier vorgelegte Interpretation des OT, sofern sie sich nicht vermeiden lassen, nicht in deterministischprädestinativem, sondern in biographischem Sinne für existentiell-eliminatorische Stationen im Leben einer Figur) oder besser ihres prophezeiten 29 zu Adjuvanten von Apolls Weissagung. Der delphische Gott hat also dieselbe aktantiale Multifunktionalität wie die Polis. Sie ist bei ihm allerdings noch universeller, da er in erforschender und erforschter Handlung in Aktion tritt. Zudem ist er in der Logik des Stückes häufiger realer Aktant als die stärker ideelle Polis. Die vier gemeinsamen Handlungsschritte („mythèmes“), die Claude Lévi- Strauss in den Mythen von Kadmos, Oidipus und Antigone ausmacht 30 und die im Oidipus-Mythos und in Sophokles’ Tragödie vollzählig vertreten sind (1. Heirat der Mutter = überbewertete Verwandtschaftsbeziehung, 2. Totschlag des Vaters = unterbewertete Verwandtschaftsbeziehung, 3. Ausschaltung der Sphinx = Ungeheuer und seine Vernichtung, 4. Oidipus ‚geschwollener Fuß‘? = Schwierigkeiten des aufrechten Gangs), betreffen dagegen die tradierten Mythen, keine Tragödienhandlungen (für ähnliche Vorbehalte betreffs der Einschlägigkeit und Spezifik der deutschsprachigen klassischen Philologie gegen Lévi- Strauss’ Ansatz, s. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur in der Einleitung). Zu kurz greift auch Bohrer, der die Rolle des Wissens und der Erkenntnis im OT und seiner Handlung unterschätzt. Gegen Christoph Menkes Deutung (2005: 19), die wie die vorliegende Untersuchung die „Kategorie der «Handlung» und - 29 Näheres zu diesem signifié einer semiotischen Anthropologie s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-) Konflikt: Hegel und Schiller in der Einleitung. 30 Anthropologie structurale. Paris 1964, 235-243; kritisch dazu Thomas A. Schmitz, Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung. Darmstadt 2002, 49 f. 2. Sophokles’ 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas 293 aus ihr abgeleitet - die Kategorie des «Wissens» zur ausschlaggebenden Erklärung des Tragischen in der Tragödie macht“, wendet Bohrer ein, es sei „irritierend, Sophokles’ Oedipus als Paradigma der Tragödie als Wissensform zu verstehen, ohne daß dabei die Tatsache zu ihrem Recht kommt, daß sämtliche anderen Tragödien der drei Tragiker Szenarien des Schreckens, der Angst und der Klage enthalten, nicht aber des Wissens.“ Doch ist dieses Argument - selbst wenn Bohrer hier zusätzlich für die argumentative Auseinandersetzung mit Menke auf seine Rezension (2006: 346-353) verweisen kann (2009: 322) - faktisch, aber auch methodisch und wissenschaftslogisch nicht stichhaltig. Auf der Faktenebene muß geltend gemacht werden, daß das Wissen in Form der Anagnorisis - sei es der eigenen Transgression (Aias) oder der Eliminierungen, die sich aus der eigenen transgressiv-eliminatorischen Sanktion ergeben haben (Kreon in der Antigone) - als prominente Handlungsstation in anderen Sophokles-Tragödien durchaus eine Rolle spielt. Gravierender ist der methodische Einwand: Deduktiv auf die Eigenschaften eines Elements einer Gruppe von deren übrigen her zu schließen ist nur zulässig, wenn ein induktives Urteil anhand dieses Elements nicht möglich ist, und liefert anders als dessen direkte Untersuchung allenfalls ein wahrscheinliches Ergebnis. Im übrigen besagt, um die Kritik an dieser quantifizierenden Argumentation noch etwas weiter zu treiben, das rein positivistische Vorkommen von „Szenarien des Schreckens, der Angst und der Klage“ noch nichts über die hermeneutische Relevanz dieser Merkmale in der attischen Tragödie. (Bohrer bespricht ja auch wie die vorliegende Arbeit nur eine - vielleicht sogar repräsentativere - Auswahl.) Wie gegenüber der ritualmythologischen Deutung gilt es festzuhalten, daß vielleicht das Ubiquitäre das Unmarkierte (Bohrer würde sagen „das Banale“) und das Singuläre das Relevante ist. Nicht nur bei der Handlungsstruktur, sondern auch bei der Präzisierung des Identitätsbegriffs wird der (Neo-)Strukturalismus, abermals gegen Bohrer, gute Dienste leisten. Doch vorab ist die Relevanz der Identitätsfrage zu klären. Bohrer vertritt nämlich zum OT die These (2009: 328): „[D]er in der Forschung reichlich metaphorische Gebrauch der Begriffe «Identität» und «Identitätssuche» [geht] an der tragischen Essenz der Tragödie vorbei.“ Die Tragik wird uns weiter unten beschäftigen; wie wichtig die (Selbst-)Identifikation für den Handlungsverlauf ist, wird fast metadramatisch noch durch einen dramaturgischen Kunstgriff des Sophokles unterstrichen, nämlich „durch die Identifikation des aussetzenden Hirtensklaven mit dem einzig überlebenden Begleiter des Laios und durch die andere Identifikation des korinthischen Hirten mit dem Boten aus Korinth“. 31 Sie ist überdies als zweite metadramatische Parallele ebenso unwahrscheinlich wie Oidipus’ Identität unerwartet. Die an gegebener Stelle zu erörternde Pointe dieser These, die Bohrer an die Identitätssuche knüpft, daß jemand, der den Mut habe, sich selbst zu finden, untergehe, hält 31 Tycho von Wilamowitz-Moellendorff, Die dramatische Technik des Sophokles. Aus dem Nachlass hg. von Ernst Kapp. Mit einem Beitrag von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Berlin 1917, 71. 294 Bohrer für „innerhalb der harmonisierend-humanistischen Version der Oedipus- Tragödie befangen“ und „oberflächlich und sogar banal“ (2009: 328). Bohrers zitierte Bemerkung, die Begriffe „Identität“ und „Identitätssuche“ würden in der Forschung „reichlich metaphorisch“ verwendet (was er unter einem konkreten und metaphorischen Identitätsbegriff versteht, präzisiert er nicht), nötigt nun zu einer Explizierung des in dieser Arbeit zugrunde gelegten Begriffs. Tatsächlich ist die Identität in diesem Stück so komplex, daß sie sich am besten durch die Übertragung des semiotischen Modells von signifiant und signifié auf den Menschen Oidipus beschreiben läßt. Diese anthropologische Semiotik wurde in der Einleitung entworfen (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-) Konflikt: Hegel und Schiller). Dabei ist das signifiant sein Körper, seine nackte physische Existenz ( ), sein signifié sind die genealogischen, sozialen und biographischen Prädikationen ( ), mit denen die erforschende Handlung ihn verbindet. Diese Semiose konstituiert also seine alte wie seine neue Identität. Oidipus wird der Mensch, als der er sich in der Anagnorisis wahrhaft versteht, durch seine vergangenen Taten und seine biologische Abkunft von bestimmten Menschen, die sich in einer sozialen Position befinden. Bei dieser systemischen Herangehensweise kommt mithin primär kein ontologischer, nach dem jede Entität nur mit sich selbst identisch sein kann, oder eidetischer Identitätsbegriff zum Tragen, der verschiedene Entitäten unter Klassen faßt, auch wenn diese Identitätsbegriffe sich in Einzelfällen des Dramas mit ihm überschneiden können, weil sie sich an ein signifiant oder signifié anknüpfen lassen. Das skizzierte Verfahren operiert vielmehr mit einem Identitätsbegriff, der sozialkonstruktivistisch, semiotisch und existentialistisch ist. Ihm zufolge entscheidet nicht das physisch Vorfindliche, sondern die dazu kontingente soziale Position und auf ihr aufbauend die Taten eines Menschen über seine Identität (dies brachte Jean-Paul Sartre auf die berühmte und häufig mißverstandene Formel „L’existence précède l’essence“). 32 Beide sind, selbst wenn sie im Falle der erforschten Handlung des Oidipus nicht willentlich und wissentlich gewählt sind, nicht von dem nackten biologischen Dasein vorgegeben. Ihre Verbindung mit dieser ist so arbiträr wie diejenige zwischen signifiant und signifié. Die einzige Ausnahme hiervon bildet die biologische Elternschaft, die im Drama nicht durch eine sozial konstruierte ersetzt werden kann, sondern mühsam rekonstruiert wird. Mit der Abkunft, die vor der Handlung liegt und an deren Ende ans Licht kommt, hat der Oidipus Tyrannos denselben Fixpunkt der Identität wie die Neue Komödie (s. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia). Hier kommt denn auch der ontologische Identitätsbegriff ins Spiel. Mit ihm läßt sich die Funktionsweise der erforschenden Handlung beschreiben. In ihrem Verlauf wird nämlich der Nachweis erbracht, daß Oidipus mit dem Mann identisch ist, der Laios erschlagen hat, und der von ihm anonym Erschlagene mit Laios identisch ist, dem König von Theben, ferner daß Oidipus mit dem auszusetzenden Kind des thebanischen Herrscherpaares identisch ist, das dessen Spur nach der Übergabe an einen Beauftragten verliert. Oidipus’ Zugehörigkeit zur Familie der Labdakiden, die hierbei zum Vorschein kommt und in seiner genealogischen Identität wurzelt, 32 L’existentialisme est un humanisme (1945). Paris 1970, 24. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 295 entspricht dabei grosso modo der eidetischen Identität, doch ist in der Tragödie nicht diese reine Einordnung in eine Klasse relevant, sondern die spezifische Position, die Oidipus in ihr einnimmt. Wäre es nicht Laios’ und Iokastes Sohn, wären die Transgressionen des Vatermordes und Mutterinzests hinfällig. Bei Oidipus’ ontologischer Identifikation werden individuelle Wissenshorizonte abgeglichen. Dabei entpuppt sich die Deckungsgleichheit ihrer Inhalte. Diese Funktionsweise und nicht irgendein Nichtwahrhabenwollen erklärt die Komplexität und Dauer der erforschenden Handlung, aber auch den Umstand, warum ein analytisches Drama, in dem verschiedene Figuren verbal interagieren, die beste Darbietungsform für diesen Inhalt ist. Übrigens läßt sich abschließend entgegen Bohrers anders lautender These die Tragik des Oidipus durchaus mit dem Begriff ‚Identität‘ beschreiben: Seine moralische Integrität und Identität, auch in diachroner Hinsicht, 33 wird von der durchgehenden Ablehnung der Transgression konstituiert, 34 die er als monströs empfindet. Gleichzeitig führt ihn aber eben diese Ablehnung tragischerwie paradoxerweise in die Transgression und zu deren Entdeckung (Näheres s. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression). 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 2.3.1 Einleitung und Problemstellung Eine gesonderte Untersuchung der erforschenden Handlung legen nicht nur quantitative Gründe nahe, umfaßt sie doch die ersten 1180 Verse bis zur Anagnorisis von insgesamt 1530 Versen und damit über drei Viertel des gesamten Dramentextes. Auch in der Forschung knüpfen sich an diesen numerischen Hauptteil kontroverse Ansichten über die Stringenz der Handlung, den Charakter des Stückes und nicht zuletzt die Einstufung von Oidipus’ Verhalten. In diesen drei Punkten kann das Handlungselement der Transgression zu neuen Einsichten verhelfen. Ihre Monstrosität treibt das Handeln der Akteure an und dominiert so deren Verhalten und das Geschehen. Ebenso hatte die Monstrosität der Transgression paradoxerweise bereits zu ihrem eigenen Vollzug geführt, 33 Der Bezug auf das semiotische Modell macht auch klar, daß das Problem von Oidipus’ Identität trotz seiner diachronen Dimension material-körperbasiert bleibt und nicht die personale Identität betrifft, die eine heikle Frage darstellt, vgl. Dieter Henrich, Identität’ - Begriffe, Probleme, Grenzen. In: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hgg.), Identität. Poetik und Hermeneutik 8. München 1979, 133-186, v.a. 140: „Ein besonders wichtiger Sonderfall der diachronen Identität scheint das Problem der Selbigkeit der Person gegenüber der Abfolge ihrer inneren Vorstellungszustände zu sein.“ Oidipus’ diachrone personale Identität wird durch seine wahrheitsgetreue Erinnerung an die Vergangenheit gewährleistet. Ein Moment der personalen Kontinuität zwischen erforschter und erforschender Handlung sind sicherlich auch sein Intellekt und die Ängstlichkeiten, die er hinsichtlich seiner sozialen Integrität hegt, welche die frühere Forschung ethologisch-moralisierend unter ‚Jähzorn‘ gefaßt hat. Diese Empfindlichkeiten speisen sich aus der Unsicherheit über seine genealogische Identität. 34 Für die durchgehende psychologische Einheit der Oidipus-Figur im Verlaufe der Tragödie s. Vernant 2007: Bd. 1: 1159. 296 weil Oidipus’ und Laios’ Intention auf ihre Vermeidung gerichtet waren. Sie ist damit wie Aristoteles’ die Seele und der Motor der gesamtem, der erforschten wie der erforschenden Handlung. Schmitt hat bei Oidipus eine Voreiligkeit des Urteils ausgemacht, Flaig zusätzlich noch tyrannische Elemente in seinem Verhalten aufgezeigt (s. den nächsten Abschnitt). Diese Beobachtungen sind richtig, doch lassen sich die betreffenden Verhaltensmerkmale - unter Hinzuziehung des Scharfsinns, den Oidipus beim Lösen des Rätsels der Sphinx erfolgreich unter Beweis gestellt hat - erklären: Sie sind situativ-subjektiv und entsprechen rational und forensisch-rhetorisch wie dramaturgisch dem . Dieser Realismus der Mimesis ist nicht nur ein Werk höchster dramaturgischer Kunst, sondern macht das Handeln der Bühnenfiguren für die Zuschauer nachvollziehbar, die ebenfalls Durchschnittsmenschen sind, was bereits bei Aristoteles anklingt (vgl. dazu 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra in der Interpretation von Senecas Phaedra). Nur ihr Wissensvorsprung um die Identität des Transgressors distanziert sie von Oidipus’ tyrannischen Verhaltensweisen. Die skizzierten Fragen haben durch Bohrers rezente Besprechung des erforschenden Dramenverlaufs eine neue Aktualität und Schärfe gewonnen (2009: 313-335). Seine wie Schmitts und Flaigs Sicht ist ein wichtiges Gegengewicht gegen eine verfehlte Idealisierung des Oidipus, die „Oedipus zu einer Version des Archetyps des Helden macht, analog zu Perseus oder Moses oder Siegfried“ (2009: 315). 35 Bohrers Fazit verbindet seine beiden rezeptionsästhetischen Kategorien zu einer Gesamtthese über das Wesen (oder den Verlauf) der Tragödie (2009: 335): „[D]ie Angstrede [kann] als pathetische Ausdrucksform neben die Epiphanie des Schreckens treten. Sie und nicht ein dialogischer Progreß bestimmt das tragische Drama.“ 36 Das letzte Kolon ist leider etwas unklar formuliert: Heißt „bestimmt“ nun „charakterisiert“ oder „treibt voran“ oder beides? Für „treibt voran“ spricht etymologisch das folgende „Drama“, wobei die Wortwahl „tragisches Drama“ wohl auf den Unterschied zwischen der formalen Gattung Tragödie und der Tragik abzielt, die nicht zwingend mit der Gattung konvergieren muß. Doch unmißverständlich ist das Entweder-Oder, in dem Bohrer seine These formuliert. Indes argumentiert er auch eingangs viel konzilianter (und damit klüger), wenn er die Parallelität von dichterisch gestalteter Angstrede und Wahrheitssuche herausarbeitet (2009: 313 f.) und so den einseitigen Eindruck korrigiert, der vielleicht auch bei den Analysen der vorliegenden Arbeit entstehen könnte, der Oidipus Tyrannos sei seiner literarischen Gesamtanlage nach kaum mehr als ein auf die Bühne gebrachter platonischer Dialog (dessen Verfasser die Emotionalität der Tragödie denn auch in höchstem Maße suspekt war). 37 Auch Bohrers folgender Hinweis, der in dieselbe Richtung geht, ist für das Verständnis des Dramas berechtigt und wichtig (2009: 317): 35 Hierfür verweist Bohrer auf Segal 2001: 49, der sich bei seinem Urteil auf den Oidipus-Mythos bezieht und noch Iason, Theseus, Kyros den Großen sowie Romulus und Remus nennt. 36 Schiesaro 2003: 10 kann als Gegenbeispiel zu Sophokles’ OT auf Senecas Drama verweisen, dessen Motor anders als bei seinem griechischen Vorgänger die Angst sei. 37 Näheres s. 7.1 Forschungsstand und Problemstellung in der Phaedra-Interpretation. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 297 „Dialogische Rede bedeutet nicht immer Diskussion, also den Progreß von sich oppositionell zueinander verhaltenden Argumenten, die auf ein Finale hinsteuern. Den Prozeß der Tragödie in einem solchen Dialoggeschehen zu erkennen ist die generelle, von mir nicht geteilte Übereinkunft.“ 38 Die Tragödiendialoge sind - übrigens ebensowenig wie die platonischen Dialoge, welche die sophistischen Opponenten bisweilen mit rhetorischen Mitteln attackieren, die nicht in den Bereich der Sachargumentation gehören (z.B. Prt. 314e-316a, 320c) - kein herrschaftsfreier Diskurs, dessen Akteure allein nach der Wahrheit streben und kein pragmatisches Interesse gegenüber ihrem Interlokutor verfolgen (dieses Verhalten würde ja auch jeder Alltagserfahrung widersprechen und damit die Mimesis untergraben). Dies dürfte sich aus den Analysen der Dialogpartien des Oidipus Tyrannos ergeben, die v.a. im folgenden vorgelegt werden sollen. Doch Bohrers konsequenter Antihegelianismus, der sich ja bereits an seinem Begriff des Tragischen zeigt (2009: 11-13), leugnet zu Unrecht die dialektische Funktionsweise des Dialogs, die sich aus ganz anderen Intentionen seiner Teilnehmer ergibt. Genauso wie Oidipus’ negativ auf die Transgression gerichtete Intention paradoxerweise in der erforschten Handlung zu deren Vollzug führt, so führen nämlich in der erforschenden Handlung die verschiedensten, oft ungläubig-verdrängenden, beschwichtigenden oder entlastenden Intentionen und Informationen des Protagonisten und seiner Mit- und Gegenspieler schließlich zur Entdeckung des Transgressors. 39 Das Geschehen weist also durchaus einen Fortschritt auf, der in einem identitätsoffenbarenden Finale kulminiert (v. 1182). Die Angst vor der Transgression und Eliminierung reagiert dabei auf die einzelnen neu eintretenden Ereignisse, begleitet die weitere Suche und treibt sie letztlich an, auch wenn sie unterschwellig auf ihre Gegenstandslosigkeit hofft. Den von Bohrer nicht gewürdigten und hier nachdrücklich vertretenen impulsiven Zusammenhang zwischen der Transgression und der Furcht vor ihr bei Oidipus hat bereits Andreas Zierl in seinem Kapitel „Furcht vor der Verfehlung und ihrer Erkenntnis“ untersucht. 40 Neben der Furcht vor der eigenen Transgression, d.h. der moralischen Integritätsverletzung, treibt jedoch auch der Zorn des Protagonisten, der über die Verletzung seiner sozialen Integrität erbost ist, sein Handeln entscheidend voran, wie Zierl ebenfalls treffend untersucht hat (1994: 122-135), ja treibt ihn nachgerade, wenn auch in Unkenntnis der wahren Identitäten, in die Transgression am Dreiweg. Die skizzierten Thesen über die Rolle der Furcht und das Verhalten der Akteure bei der Suche nach dem Transgressor soll nun im folgenden eine genaue Analyse des Verlaufs der erforschenden Handlung untermauern. Dabei soll ein- 38 Hierfür verweist Bohrer auf Paul Cartledge, Deep Plays: Theatre as Process in Greek Civic Life. In: Patricia E. Easterling (Hg.), The Cambridge Companion to Greek Tragedy. Cambridge 1997, 3-35, h. 15, der allerdings die nichtsdestominder richtige These einer Parallelität von Gerichtsrede und Tragödie vertritt. 39 Diese Diskrepanz von figuraler Intention und dramatischer Funktion ignoriert Bohrers Hinweis (2009: 323): „Bis hierhin [sc. bis zum zweiten Chorlied] mag ein Handlungsprozeß geschildert sein, aber keine Selbstenthüllung des Helden.“ 40 Affekte in der Tragödie. Orestie, Oidipus Tyrannos und die Poetik des Aristoteles. Berlin 1994, 104-116. 298 mal die situative Rationalität untersucht werden, die sich im Handeln der einzelnen Figuren und auch - wenn auch nur beiläufig - in sozialen und rituellen Praktiken sowie religiösen Vorstellungen finden läßt. Zum anderen sollen die Umbrüche und Aprosdoketa der Handlung 41 herausgearbeitet werden, auf welche die Akteure reagieren. Sie verleihen der Tragödie bereits ein intellektuelles Moment der Plötzlichkeit, die sich durchaus ästhetisch goutieren läßt. Dagegen kann Bohrers emotionale Plötzlichkeit zumindest nicht in Oidipus’ angekündigtem Auftritt nach seiner Selbstblendung gefunden werden. Aber davon mehr in Abschn. 5 dieses Kapitels (2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ). Grob gesprochen lassen sich vier Phasen der umbruchsreichen erforschenden Handlung unterscheiden, die durch zunehmende Gewißheit der politischen Akteure in der Identität des Transgressors gekennzeichnet sind: 42 Die erste Phase ist die vollständige Ahnungslosigkeit, die zweite wird durch Teiresias’ Andeutungen eingeleitet, in der dritten werden diese als mögliche Hypothese von Oidipus akzeptiert, statt wie bisher entrüstet zurückgewiesen, und erhärten sich zusehends. In der vierten gewinnt Oidipus schließlich durch das dialogische Verhör des thebanischen Hirten und Dieners die Gewißheit, derentwegen Iokaste bereits vor dieser Szene abgetreten war. Neben der chronologischen Systematik der Gewißwerdung steht deren ontologische, die kein Geringer als Michel Foucault entwickelt hat: 43 Jeweils zwei Hälften müssen zur Wahrheitsfindung zusammengefügt werden. (Man könnte auch vom Abgleich von Erfahrungshorizonten sprechen.) Sie befinden sich auf drei hierarchischen Ebenen: der göttlichen, der königlichen und derjenigen des einfachen Volkes. „Auf der göttlichen Ebene wird die in dem von Kreon überbrachten Orakel gestellte Frage, wer der Mörder des Laios sei, von dem göttlichen Seher beantwortet.“ 44 Diese Frage klären auch Iokaste und Oidipus, indem sie ihre Erinnerungen austauschen. Die beiden Hirten finden schließlich heraus, wer 41 Für die Peripetien des OT in der erforschenden und erforschten Handlung, die sich auf Einzelhandlungen und die Gesamthandlung erstrecken und in einem Umschlag von Handlungen in ihr Gegenteil bestehen, s. Bernd Seidensticker, Peripetie und tragische Dialektik. Aristoteles, Szondi und die griechische Tragödie. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Antike Dramentheorien und ihre Rezeption. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 1. Stuttgart 1992, 240-263, h. 253-256. 42 Alister Cameron, The Identity of Oedipus the King. Five Essays on the Oedipus Tyrannus. New York 1968, 37 unterscheidet eine Abfolge von drei Fragen, die sich Oidipus im Verlaufe der Tragödie stelle, nämlich: “Who is the murderer, am I the murderer, who am I? ” Der Genauigkeit halber muß man festhalten, daß es sich hierbei um keine klar abgegrenzten Phasen und keine Abfolge handelt. Schließlich blitzt die Frage nach seiner genealogischen Identität bei Oidipus schon in der Teiresias-Szene auf (v. 437), was Cameron auch streift (1968: 48), während seine Identität mit dem gesuchten Mörder erst in der Szene mit Iokaste aufscheint (v. 738). 43 La vérité et les formes juridiques (1974). In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 1, 1406-1514, h. 1421-1438. Meine Darstellung folgt hier Heuners doxographischem Referat (2001: 69). 44 Heuner 2001: 69. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 299 Oidipus ist. Foucault (1974: 1428) weist wie Charles Segal 45 darauf hin, daß diese Form der Wahrheitsfindung analog „zu der griechischen Technik des symbolon [Kurs. im Orig.]“ sei. 46 2.3.2 Phase eins: Der Chor und der Priester In der ersten Phase sind der Chor und Oidipus noch voller Vertrauen darauf, daß er das Problem wird lösen können. Dieses Vertrauen auf seine Kompetenz ist dadurch gerechtfertigt, daß, wie der Priester an der Spitze der Bittgesandtschaft feststellt, der jetzige König die Stadt bereits dank seiner Geisteskraft von der vergleichbaren kollektiven eliminatorischen Bedrohung durch die Sphinx gerettet hat (v. 35-39), mithin eine erfolgreiche Restauration vorzuweisen hat. Der Verweis auf Oidipus’ vorangehende Wirksamkeit übernimmt ein rationales Argumentationsmuster religiöser Rede 47 und läßt bereits hier erkennen, daß die Furcht in der erforschenden Handlung von ihrer Zwillingsschwester, der Hoffnung, begleitet wird und diese beiden Gefühle ineinander umschlagen werden, wobei die Amplitude mit fortschreitender Erkenntnis immer größer wird. Den aufklärerischen Erfolg will Oidipus jedenfalls nun wiederholen (v. 130 f.). Bohrer 2009: 314 tut diese fast schamanistische Erlösungshoffnung kurz ab, wobei er das Attribut der Sphinx (v. 36) mit „graus“ übersetzt (Manuwald („grausam“) und mehr noch Steinmann („gnadenlos“) geben wohl besser den soziopragmatischen Aspekt wieder, der statt eines rezeptionsästhetischen diesem Adjektiv hier innewohnt), hebt aber um so deutlicher auf die Elemente des Schreckens ab. Es ist die Polis und nicht irgendein rezeptionsästhetisches diffuses „man“, wie Bohrer übersetzt, die hin- und herschwankt und ihr Haupt ob der allgemeinen Eliminierung nicht mehr erhebt (v. 22-26). 48 Aus der rhetorisch-dramatischen Ekphrasis der objektiven Eliminierung wird bei Bohrer so die kollektivpsychologische Schilderung eines „Gemütszustand[es]“ (2009: 314). Bohrer würdigt umgekehrt nicht, daß die Klagen und das Stöhnen der Stadt an den Stellen, die er anführt, nur von den auftretenden Figuren berichtet und nicht performiert werden. Doch wird damit narrativ bereits ein Abstand gewonnen, der auch psychologisch relevant ist. Diese Distanzierung wird noch dadurch verstärkt, daß der erste Bericht über das Stöhnen Oidipus in den Mund gelegt ist (v. 4 f.), der sich doch, wofür Bohrer sich auf Reinhardt (1976: 104) beruft, in dieser Szene durch im Vergleich zu seiner sozialen Umgebung signifikante Angstlosigkeit auszeichnet. Dort ist allerdings auch von Päanen und Weihrauch die Rede, die ebenfalls die Stadt erfüllen, also religiösen (und nach unserem heutigen Wissen sogar desinfizierenden) Maßnahmen, denen nach dem 45 „Time and Knowledge in the Tragedy of Oedipus“, in: Sophocles’ Tragic World. Divinity, Nature, Society. Cambridge, Mass. 1995, 138-160, h. 148. Segal verweist auf v. 221, wo - steht. 46 Heuner 2001: 69. 47 Eduard Norden, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede. Leipzig 1913, 152 (zu OT 165 f.). 48 Zur Pest im OT und im besonderen der Anamnese des Dahinsiechens, die an dieser Stelle gemacht wird, s. Robin Mitchell-Boyask, Plague and the Athenian Imagination. Drama, History, and the Cult of Asclepius. Cambridge 2008, 56-66. 300 damaligen Bewußtseinsstand die Zweckrationalität nicht abzusprechen ist. Bohrer gibt die zweite Belegstelle für das allgemeine Klagen („Die Stadt besteht ob der todbringenden Seuche nur noch aus »Wehgeschrei und Grabgesängen«.“) verkürzt wieder, da es an der fraglichen Stelle v. 29 f. in einer pointierten Antithese heißt, durch die Seuche leere sich die Stadt und der schwarze Hades 49 bereichere sich an Wehgeschrei und Grabgesängen. Mit dieser Bemerkung wird die vertikale Achse, deren Ausrichtung zu den Olympischen Göttern das Drama dominiert, nach unten verlängert. Dies ermöglicht gesamtsystemisch, daß die Ambivalenz von Oidipus’ Status vom gottgleichen Retter zum Schandfleck des Landes umschlagen kann (s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ). Bohrers Lektüre des Eröffnungsdialogs privilegiert also die Angstelemente mit verkürzenden und philologisch nicht hinreichend gesicherten Übersetzungen und Paraphrasen. Dieses Interpretationsverfahren geht zu Lasten der rationalen Bewältigung der Not. Die Emphatisierung der Angst, die der Bielefelder Literaturwissenschaftler im ersten Stasimon vornimmt, erzielt den nämlichen Beweiserfolg und operiert dabei nicht nur mit Ausblendungen im zitierten Text, sondern auch mit Auslassungen gegenteiliger Passagen (2009: 315 f.). Innerhalb des von Bohrer zitierten Textstücks ist v. 153 ( ) lexikalisch doppelt gesichert der Angstrede zuzuordnen, doch bereits in v. 155, bei Bohrer in Anknüpfung an die gemeinsame Wurzel mit „heilig vor dir bangend“ übersetzt, läßt den religiös-rituellen Gebetskern dieses Chorliedes erkennen. Die hier bekundete Ehrfurcht gegenüber dem heilenden delischen Päan (v. 154) legitimiert zumindest gebetspragmatisch die Bitte in der ersten Gegenstrophe an den besagten Phoibos sowie Athene und Artemis um dreifache schadenabwehrende Epiphanie (v. 163: ). Diese Bitte läßt Bohrer gänzlich zugunsten der erneuten Angstrede zu Beginn der zweiten Strophe weg. Dieser Teil begründet allerdings mit dem Eingeständnis, daß kein Schwert des Geistes zur Abwehr zu Gebote stehe (v. 167-171), die religiöse Bitte zweckrational und läßt durch den Kontrast zu den Worten des Priesters und des Königs eine Distanzierung von letzterem erkennen, die zumindest gesamtdramaturgisch der von Vernant ausgemachten Tendenz zur (Rück-) Verschiebung von Eigenschaften und Attributen von Oidipus zu den Göttern entspricht (s. 2.4.5 Transgression und Orakel). Das Chorlied, das mit dem Gebet gattungsgeschichtlich wie gattungssystematisch kompatibel ist und gerne die Taten des Herrschers reflektiert, bietet hierfür ein geeignetes Medium. Der Angstcharakter wird weiterhin durch Bohrers zweite markante Fortlassung gestärkt, die den letzten Vers der ersten Strophe betrifft (v. 157). In ihm fordert der Chor nicht nur zweckrational die auf, Antwort auf die beiden vorausgehenden, Unsicherheit ausdrückenden Fragen zu geben, sondern tituliert diese überdies als „Kind der goldenen Hoffnung“ (Lloyd-Jones/ Wilson schreiben ebenfalls mit allegorisierender Majuskel). Bereits in dieser einen Strophe zeigt sich also, daß Angst und Hoffnung in diesem Drama Zwillinge sind - und 49 Zu dieser chthonisch-vitalen Funktion vgl. Charles Segal, „Earth in Oedipus Tyrannus“, in: Sophocles’ Tragic World. Divinity, Nature, Society. Cambridge, Mass. 1995, 199-212. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 301 daß die Hoffnung in diesem Stadium noch dominiert. Auch der brennende Ares, den Bohrer als Symptom der Angst bemüht (2009: 317), ist im Text in eine rituell-religiöse Schadenserklärung und -abwehr eingebettet. Rituelle Praktiken sind im OT also wie in Aischylos’ Persern kein Selbstzweck oder motivgeschichtliches Substrat. In beiden Tragödien sind sie vielmehr rational-konservativ: dort sozial, hier v.a. referentiell-(lebens-)praktisch. 2.3.3 Phase zwei: Teiresias und Kreon Die zweite Phase läutet Teiresias’ Anschuldigung ein, Oidipus sei mit dem gesuchten Transgressor identisch (v. 353, 362) und werde seine Identität, die über Elimination und familiäre Transgression bestimmt sei, noch an diesem Tag entdecken (v. 438, 440). 50 Die unglaubwürdige und unglaubliche Monstrosität der Transgression bringt Oidipus dazu, Teiresias durch Drohungen für den Wiederholungsfall faktisch dazu zu drängen, diesen Vorwurf zu wiederholen, also diskursiv zu iterieren (v. 363: … ). Bereits hier zeigt sich im Kleinen das Scheitern von Oidipus’ Intention, die Transgression zu verhindern oder zu unterdrücken. Doch der Seher zeigt bei seiner Antwort die Demut gegenüber dem Gott der Weissagung, die Oidipus vermissen läßt: Dem delphischen Gott sei es überlassen ( ), Oidipus zu Fall zu bringen (v. 376 f.). Mit diesem Ausweichen dupliziert er nicht nur formal, sondern auch dramenkausal innerhalb der erforschenden Handlung die Rolle, die Apoll in der erforschten spielt: Beide offenbaren die Transgression im voraus und werden so zu deren Impulsgeber, dort ihres Vollzugs, hier ihrer Entdeckung. Denn von nun an kann man Oidipus’ Untersuchung mit der Bohrung eines Tunnels von beiden Enden vergleichen, da er neben dem thebanischen Wissenshorizont um Laios’ Ende, das er bislang mit Hilfe lokal präsenter Zeugen auszuleuchten versuchte, einen Zugang über seinen eigenen biographischen Wissenshorizont hat, der allerdings hinsichtlich seiner vorthebanischen Identität fehlerhaft ist. Daß somit der Ansatzpunkt für die zweite Bohrung fraglich wird, hebt den heuristischen Wert dieses zweiten Ansatzes weitgehend auf, ganz abgesehen von dem Berg an Unbekanntem und Vergessenem, der zwischen den beiden Ansatzpunkten steht und den zweiten so unplausibel erscheinen läßt. Doch da Oidipus’ Biographie zumindest einen Totschlag enthält, wäre die Anschuldigung subjektiv haltbar, auch wenn Oidipus diesen Schluß hier nocht nicht ausdrücklich zieht, sondern erst im Gespräch mit Iokaste, als sich die konkreten Identitätsindizien verdichten. Daß er, statt ruhig Einkehr zu halten und die Anschuldigung des Sehers anhand seiner Vita auf ihre Möglichkeit oder gar Stichhaltigkeit zu prüfen, nur scheinbar paranoid 51 in die Offensive gegen Teiresias geht, wird dramaturgisch 50 Dazu und zu weiteren Stellen, welche die Dauer des OT auf einen Tag festlegen, s. Jürgen Paul Schwindt, Das Motiv der ‚Tagesspanne‘ - Ein Beitrag zur Ästhetik der Zeitgestaltung im griechisch-römischen Drama. Diss. Bonn 1993. Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums N.F. 1. Reihe (Monographien) 9. Paderborn 1994, 58-62. 51 Vgl. Pohlenz 1954: Bd. 1, 210: „Und als nun der gereizte Seher Oedipus selber offen des Mordes bezichtigt, da werden die Athener, für die es lebendige Erfahrung war, daß einem Monar- 302 durch seine vorausgehende Reaktion auf das von Kreon überbrachte Orakel plausibel: Bereits hier vermutete er thebanische Anstifter hinter den Wegelagerern am Dreiweg (v. 124 f.), amplifiziert deren apologetische Mehrzahl also noch weiter, und begründet seine Bereitschaft, den Mord aufzuklären, mit der Befürchtung, der Mörder des Laios könnte auch ihm nach dem Leben trachten (v. 139 f.: … ). Diese beiden Thesen sind nur nach dem Wissensvorsprung, welcher der tragischen Ironie zugrunde liegt und dessen Inhalt Oidipus gänzlich fehlt, der im unklaren über seine genealogische und kriminologische Identität ist, paranoid oder zumindest irrational. Vor dem Hintergrund seines tatsächlichen Wissenshorizontes sind sie höchst rational und lassen ein Gefühl von Bedrohtheit erkennen, das später die Wahrnehmung von Teiresias’ Andeutungen prägt. Denn nach der Aussage des Orakels muß Oidipus davon ausgehen, daß sich die Mörder tatsächlich noch unerkannt in der Mitte der Polis verbergen. Daß sie ihm wie seinem Vorgänger nach dem Leben trachten könnten, ist aufgrund der gemeinsamen exponierten Position wahrscheinlich. Schlußendlich macht es ein kleines Detail, nämlich die Mehrzahl der Räuber (v. 122 f.), höchst unplausibel, daß Oidipus seine Täterschaft in Erwägung zieht, selbst wenn er das Dreiwegmassaker im Hinterkopf hätte. Mehr noch beschuldigt Teiresias den König des unwissentlichen Inzests (v. 366 f.), exponiert also bereits hier die gesamte innerfamiliäre Transgression. Dieser Vorwurf zielt trotz des Plurals ( ) primär auf Iokaste, da von weiteren sexuellen Beziehungen des Oidipus nicht die Rede ist, kann sich aber auch auf die im Inzest gezeugten Kinder beziehen, mit denen Oidipus in seiner transgressiven Naivität einen schändlichen Umgang pflege ( ’). Auch wenn Oidipus selbst dieses Verb in v. 1185 für die sexuelle Transgression gebraucht und LSJ 1222 s.v. beide Stellen zusammen mit anderen wohlgesicherten unter der sexuellen Bedeutung anführen, bleibt die Rede des Sehers von einer bemerkenswerten Ambivalenz, die den Vorhersagen des Orakelgottes fehlt. Oidipus’ paranoide Abwehr der Vorwürfe erklärt sich gerade im Falle des Inzests aus dessen subjektiver Absurdität und Monstrosität, die mit einer massiven sozialen Integritätsverletzung einhergeht. Daß Teiresias diesen Vorwurf als Reaktion auf Oidipus’ Gegenangriff hinzufügt, legt die Vermutung nahe, dieser Anwurf setze das hohe Diffamierungspotential nur zu Rachezwecken ein, läßt ihn also unglaubwürdig erscheinen. Neben der inhaltlichen Monstrosität und Absurdität gibt es noch einen weiteren dramenpragmatischen Grund für Oidipus’ empörte und offensiv-paranoide Reaktion, der m.W. bislang wenig Beachtung gefunden hat: Teiresias erhebt seine Vorwürfe entsprechend der eliminatorisch-epidemologischen Relevanz der Transgression für die gesamte Polis nicht im privaten Zwiegespräch, sondern öffentlich, vor dem Chor als Ältestenrat der Stadt. Die Scham ist insofern öffentlich und eine für das Theater besonders ge- chen größte Gefahr von den eigenen Verwandten drohte, recht gut verstanden haben, daß Oedipus’ Verdacht eine neue Richtung nimmt.“ 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 303 eignete Regung, als sie dem Blick des Anderen entspringt. 52 Oidipus wird also nicht nur faktisch persönlich als inzestuös beleidigt, sondern öffentlich bloßgestellt, nicht nur in seiner moralischen, sondern auch sozialen Integrität herabgesetzt, was ihn für das Amt an der Spitze der Polis, das er innehat, massiv disqualifiziert. Zierl erfaßt denn auch treffend, daß der Zorn im ersten Epeisodion eine Reaktion auf das „als Schmähung und schamlose Entehrung“ charakterisierte „Tun des Gegners“ ist (1994: 123). Das Drama setzt allenfalls die Gewißheit der These, Oidipus sei mit dem Transgressor identisch, die sich aus der Kenntnis des Mythos speist, beim Rezipienten voraus. Es koppelt sich aber in der kognitiven Rezeptionssteuerung vom tradierten Mythos dadurch ab, daß es explizit die These formuliert, Oidipus sei mit dem Transgressor identisch. Bei dem Rezipienten wird durch das Gefälle zwischen der eigenen mythologischen Gewißheit und Oidipus’ Ablehnung die Frage aufgeworfen, wie Oidipus zu der von dem Zuschauer bereits geteilten Gewißheit gelangt. Im Verlaufe der erforschenden Handlung nähert sich Oidipus’ Gewißheitshorizont also demjenigen des Rezipienten an, bis er mit diesem in der Anagnorisis zusammenfällt. Diese wird dadurch nicht nur binnenpragmatisch biographisch für Oidipus, sondern auch bühnenpragmatisch zu einem Augenblick kognitiver Immanenz. Zu seiner Anschuldigung wird der Seher allerdings erst durch Oidipus’ Vermutung provoziert, er selbst stecke hinter dem Tod des Laios (v. 345-349), eine Vermutung, welche die Schuld auf den Beschuldiger spiegelt und zu der den König das beharrliche Schweigen getrieben hat, in das der Seher sich gehüllt hat. Hier wie am Dreiweg handelt Oidipus im Zorn verletzend (v. 345: ’ ). Diese Emotion ist lexikalisch in der Diskussion stark präsent und wechselt zwischen den Kontrahenten hin- und her (v. 334 f., 339), wobei Teiresias sich gegen Oidipus’ Tadel an seiner verwehrt (v. 337 f.) und auch erwartet, daß die spätere Mitteilung seiner inzestuösen Verbindung ihn noch weiter erzürnen wird (v. 364). Oidipus’ Zorn ist also nicht nur für den Vollzug, sondern auch die Entdeckung der Transgression ursächlich. Dieser Zorn ist nicht nur durch Teiresias’ Schweigen, sondern auch teilweise bereits durch die dunkle Andeutung über Oidipus’ Verwicklung in die Übel der Stadt verursacht (v. 328 f., 340). Der vermittelnde Versuch des Chores, die Worte der beiden Kontrahenten als im Zorn gesprochen zu annullieren (v. 404 f.), was nicht nur den Streit schlichten, sondern auch die trotz ihrer Unsagbarkeit ausgesprochene Transgression eliminieren würde, vereint die beiden Kontrahenten undifferenziert - wie Girards Analysekategorie Gewalt - in der emotionalen Konfrontation und scheitert doch an Oidipus’ Wahrheitswillen. Denn der pragmatisch-kooperative Appell des Chores, das Orakel zu lösen (v. 406 f.), führt letzten Endes doch wieder zu Oidipus’ von Teiresias angedeuteten Transgressionen. 52 Vgl. Günter H. Seidler, Der Blick des anderen. Eine Analyse der Scham. Mit einem Geleitwort von Léon Wurmser und einem Vorwort von Otto F. Kernberg. Stuttgart 2 2001, 53-61 (in Anlehnung an Sartre). 304 An der Art, wie Oidipus Teiresias dazu drängt, sein Wissen über die Transgression preiszugeben, zeigen sich zwei für das Verständnis des Stückes markante Dinge erstmalig: Erstens offenbart Oidipus’ Umgang mit Teiresias, daß er die Wahrheit über die Transgression allen Widerständen zum Trotz wissen will, selbst wenn er, um sie zu brechen, sogar Gewalt einsetzen muß. 53 Die Gewalt zur Wahrheit ist die andere Seite seines tyrannischen Gebarens, das etwa bei Flaig und Bohrer nur unter den Aspekten der Verblendung und des Unrechts gegen die soziale Umwelt wahrgenommen wird. Zweitens zeigt Teiresias’ beharrliches Schweigen, auch wenn es durchaus respektablen Rücksichten entspringt (v. 332 f.: ’ ’ ), daß nicht Oidipus seine transgressorische Identität nicht wahrhaben oder wissen will, sondern daß seine soziale Umwelt sie ihm nicht sagen will. Denn auch Iokaste und der Hirte versuchen ihn, aus Furcht, er möchte sein Vergehen entdecken, von der weiteren Suche nach dem Transgressor abzuhalten. Daß dieses Bemühen vergeblich bleibt, zeigt Oidipus’ Wahrheitswillen und seine Gradlinigkeit, die durch die Gegenbeispiele in seiner sozialen Umwelt nur noch heller hervortreten, nicht sein Nichtwahrhabenwollen oder seine Verbohrtheit. 54 Wenn man, wie Schmitt es tut, Oidipus vorwirft, er wolle im Gegensatz zu seiner sozialen Umgebung, die seine transgressive Identität längst erkannt hat, diese nicht wahrhaben (1988: 22 f.), so läßt man den entscheidenden Wissensvorsprung von Oidipus’ thebanischen Interakteuren außer acht, die alle um die Aussetzung des Königskindes wissen. Daß Oidipus nach Teiresias’ Anschuldigung in tyrannische Paranoia gegen seine soziale Umwelt verfällt, deren Kernstück und Höhepunkt das Komplott ist, das er zwischen dem Seher und Kreon argwöhnt, ist kognitionspsychologisch der Monstrosität der Transgression und der Absurdität dieser Identifikation geschuldet, wenn man Oidipus’ damaligen Wissenshorizont zugrunde legt. Allerdings lassen sich psychologische Mechanismen der Abwehr 55 und Verdrängung (v. 1318: ) als Grund für diese Reaktion nicht ausschließen. Schließlich darf vom rein objektiven Standpunkt der Rekonstruktion von Oidipus’ Bewußtseinshorizont nicht verschwiegen werden, daß nicht nur Oidipus’ Vita einen Totschlag aufweist, welcher die Anschuldigung des Sehers denkbar macht, sondern Oidipus überdies der Inzest von dem delphischen Orakel prophezeit wurde. Daß er diesen Schluß nicht zieht, zeigt die Macht der Verdrängung und die Monstrosität der Transgression, die ihm überraschend zur Last gelegt wird und deren monströser Charakter an der Heftigkeit von Oidipus’ 53 Dieser sozial manifeste und vom drohenden Schrecken unbeirrte Wahrheitswille ist etwas anderes als „die Dämonie des Wissenwollens um jeden Preis“, die Schadewaldt 1970: 469-471 im OT ausmacht. Der Aufklärungswille, und sei er in diesem Drama nur kriminalistisch, wird in ihm noch nicht problematisiert. 54 Nach Dodds 1973: 71 sichert Oidipus die Tatsache, daß er sich in der erforschenden Handlung frei und aus lautersten Motiven („from the highest motives“) für die monströse Wahrheit entscheide, die Anteilnahme des Publikums. Dieser Umstand verbürgt neben der konstanten Verurteilung der ihm zur Last gelegten Vergehen seine subjektive moralische Integrität. Diese integritätswahrende Funktion gilt unabhängig davon, daß neben der Rettung der Stadt auch die Sorge um den eigenen sozialen Status Oidipus’ Suche antreibt. 55 Diese verbindet sich mit der Monstrosität in Oidipus’ Reaktion auf Teiresias’ abermalige Anschuldigung (v. 363): ’ 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 305 empörter Abwehr sichtbar wird. Seine eigene Strafandrohung begründet die vehemente Abwehr der Anschuldigung indes nicht: Schließlich hat er im Falle der Selbstanzeige nur die schadenfreie Verbannung angedroht (v. 228 f.: - ), mithin bloß die lokale Eliminierung bei physischer und materieller Integrität. Die Eskalation des Streits zwischen Oidipus und Teiresias ist nicht bloß ein Zeugnis der alle Differenzen tilgenden Gewalt, sondern zeigt die nachgerade kataklystische Verwerfung, welche die individuelle Attribution der Transgression in der Kommunikation anrichtet. Die Brüskheit, die unerwartete Plötzlichkeit von Teiresias’ Anschuldigungen, die wie ein aufprallendes Geschoß explodieren, pariert Oidipus mit ebensolcher sozialer Schroffheit. Der Chor selbst benennt nach dem Abgang des Teiresias die Transgression in einem epexegetischen Intensitätsgenetiv als in höchstem Maße unaussprechlich (v. 465: ’ ), legt also über sie im nachhinein den Schleier sprachlicher Tabuisierung, der den Streit zwischen Seher und König erübrigt hätte und sich aus diesem als praktische Quintessenz ergibt. Mit Teiresias’ Andeutungen steht erstmals eine explizite Hypothese über die Identität des Transgressors im Raume. Als weiteren Beitrag zur Erforschung hat er Oidipus’ Zweifel genährt, indem er auf dessen wahre Eltern hingewiesen hat, was diesen sogleich zu einer Nachfrage veranlaßte (v. 435-437). Diese Reaktion zeigt, daß die Argumentation des Sehers, auch wenn dieser nur um Oidipus’ Trug weiß und dessen vorthebanischen Wissenshorizont nicht kennt, psychologisch wie inhaltlich-persuasiv gleichermaßen zweckdienlich ist, da Oidipus seit dem Anwurf des Zechers und der ausweichenden Antwort des delphischen Orakels seiner genealogischen Identität nicht mehr sicher ist. Die sozialpsychologische Paranoia des vermeintlichen Komplotts wird dadurch intellektuell plausibel: Wäre Oidipus tatsächlich niederer Geburt, wie Iokaste seinen paranoiden Einlassungen zufolge - zu Unrecht - fürchtet (v. 1062 f., 1076-1079), würde dies seiner sozialen Eliminierung aus der Position des Patriarchen Vorschub leisten, wofür natürlich allein die Blutschuld am Mord des Laios reichen würde. Dazu ist es handlungsschematisch und strategisch symmetrisch, daß Oidipus Teiresias (v. 430 f.) und Kreon (v. 622 f.), die er hinter diesem Komplott vermutet, ihrerseits mit Eliminierung bedroht, wobei er die lokale, die Kreon vermutet, noch in die physische steigert. Man beachte in beiden Fällen die dramaturgisch geschickte Parallelität von angeordneter (Teiresias) und tatsächlicher (Kreon) szenischer und angedrohter physischer Eliminierung am Ende der betreffenden Szenen. Die drohenden Eliminatoren - denn das weissagt Teiresias (v. 427 f.) - werden eliminiert (vgl. Oidipus’ reziprok-präventive Formulierung in v. 399-403), die Ordnung und Oidipus’ Position in ihr blieben dann gewahrt. Oidipus’ verblendete Härte wird noch dadurch unterstrichen, daß er sich nur durch Iokastes (v. 646-648) und v.a. des Chores Bitte (v. 660-667) dazu erweichen läßt, Kreon statt mit der auch zur Wahl stehenden physischen Eliminierung nur der mit einer lokalen zu belegen (v. 669-672). Die Diskrepanz zwischen der inneren Stringenz von Oidipus’ Vorgehen und seiner sachlichen Verfehltheit ließe sich etwas überspitzt mit Shakespeares Hamlet auf den Punkt bringen (2.2.200 f.): Though this be madness, yet there is 306 method in’t. Es ist dramatische Ironie, daß die Entdeckung von Oidipus’ Identität seine Befürchtungen hinsichtlich des sozialen Status seiner Herkunft zerstreut, weil sie ihn, den vermeintlichen Fremden, als einheimischen Königssohn ausweist und ihn doch durch seine Identität mit dem gesuchten Transgressor dieser Position beraubt, die ihm legitimerweise zustände. Die dramatische Ironie ist um so größer, als eben diese familiäre Identität ihn zweier Taten überführt, des Vatermordes und Mutterinzests, die nur durch ihren Bezug auf Familienmitglieder Transgressionen sind. Einer Überprüfung am konkreten Dramentext und der mythischen Überlieferung hält hingegen Bohrers These (2009: 318) nicht stand, die „sogenannte »tragische Ironie« der Selbstverdammung durch Verdammung und Verbannung des unbekannten Mörders […]“ sei „ein moderner Gedanke.“ Denn in allen vorausgehenden literarischen Versionen des Mythos, die Bohrer nachfolgend ohne exakte Belegstellen referiert, steht die Täterschaft des Oidipus außer Frage, während die Folgen ihrer Entdeckung anders ausfallen: Das elfte Buch der Odyssee kannte Vatermord und Mutterehe, aber nicht die Selbstblendung (v. 271-280), eine verlorene Tragödie des Aischylos, so Bohrer 2009: 319, dagegen letztere wahrscheinlich schon. 56 Damit variiert auch der Erwartungshorizont, mit dem das Publikum auf Oidipus’ Edikt reagiert. Außerdem beklagt Oidipus selbst, nachdem ihm Iokastes Angaben den Verdacht nahelegen, er selbst könne der Mörder des Laios sein, daß ihn in diesem Falle die von ihm selbst verkündete Sanktion der Verbannung treffen würde (v. 813-820). Bohrer gibt auf zwei aufeinanderfolgenden Seiten zwei nicht harmonisierte und vielleicht auch gar nicht harmonisierbare Einschätzungen des emotionalen Gehalts, den Oidipus’ Sprache bis einschließlich zur Teiresias-Szene aufweist (2009: 318 f.). Zuerst erblickt er „in diesen Reden des Oedipus [sc. der Verfluchung der Mörder des Laios], noch deutlicher in seiner aggressiven Antwort auf die Eröffnungen des Theiresias [sic! ] […] schon das tragische Element, das sich in den Angstgesängen des Chores ausdrückt.“ Auf der nächsten Seite arbeitet er dann heraus, der Machtwille, der hinter Oedipus’ Verhalten in dieser Szene erkennbar sei, stelle für den Zuschauer das Spezifikum von Sophokles’ Tragödie im Vergleich zu den oben genannten Versionen in der Odyssee und bei Aischylos dar, und gelangt zu dem Ergebnis: „Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine tragische »Reaktion« in Oedipus’ Sprache.“ Der Widerspruch wird auch nicht dadurch aufgehoben, daß Bohrer an der ersten Stelle ‚tragisch‘ i.S. seines eige- 56 Bohrers optimistische Behauptung ist kaum durch die Forschung der klassischen Philologie zu verifizieren. Deren Quintessenz bietet Bernhard Zimmermann, Drama. In: Ds. (Hg.), Handbuch der griechischen Literatur der Antike. Bd. 1: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit. HdA 7.1. München 2011, 451-474, 484-610, 664-800, h. 564 f.: „Die Fragmente zu Laios [vgl. TrGF Bd. 3 S. 231 f., Sommerstein 2008: Bd. 3, 124 f.] und Oidipus [vgl. TrGF Bd. 3 S. 287 f., Sommerstein 2008: Bd. 3, 175] sind zu dürftig, als daß man Rekonstruktionen der Handlung anstellen könnte, die nicht Sophokles’ Behandlung der Labdakiden-Sage voraussetzten.“ Nur ein Chorlied in den Sieben (v. 778-784) nährt die Vermutung, daß die Selbstblendung auch in Aischylos’ Oidipus vorkam (Sommerstein 2008: Bd. 1, 144 f.) und der eponyme Protagonist mit ihr auf die Erkenntnis seiner Transgressionen reagierte. Neben Aischylos’ Sieben bieten Aristophanes’ wesentlich spätere Frösche eine weitere Parallelversion des Oidipus- Stoffes (s. Menke 2005: 13-16), die ebenfalls die Selbstblendung bereits in Aischylos’ Mund erwähnt (v. 1195). 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 307 nen emotionsästhetischen Verständnisses gebraucht 57 und sich an der zweiten auf Bollack 1994b: 41 beruft, der „das Tragische als »psychagogische Wirkung« von seiner Verursachung, also Vatermord und Inzest, unterscheidet“ (Bohrer 2009: 319 Anm. 721), also ein ähnlich emotionsästhetisches Verständnis wie Bohrer selbst zugrunde legt. Im ersten Standlied (v. 463-511), das auf die Konfrontation zwischen Teiresias und Oidipus folgt, versucht der Chor die verwirrenden Eindrücke zu ordnen, die sich aus diesem Konflikt zwischen einer politisch-technokratischen und einer religiös-mantischen Autorität um Wahrheit und Verantwortung ergeben. 58 Die soziale Spaltung setzt sich in der inneren des Chores fort, der sich weitgehend auf einen skeptisch-aporetischen Standpunkt zurückzieht (v. 485 f.) und am Schluß als positiv-vermittelndes Ergebnis seinen Glauben an Oidipus’ Integrität bekräftigt (v. 510 f.). Die Unsicherheit spiegelt situativ die Ambivalenz wider, die für die Figur des Oidipus und den Handlungsverlauf, der seine Identität bestimmt, so charakteristisch ist (s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ) und hat eine intellektuelle und eine emotionale Seite. Bohrer hebt nur auf die letztere ab, die er, der deutschen Übersetzung folgend, entsprechend seiner Terminologie als „Angstrede“ einstuft (2009: 320 f.). Denn in den entscheidenden zwei Versen (v. 487 f.: ’ ’ - / ’ ’ ) steht nicht „Ängste“, sondern - , ein Wort, das als vox media hier die Befürchtung umfaßt, 59 von Lloyd- Jones allerdings positiv mit „hope“ übersetzt wird. Diese Emotion wird im folgenden Vers mit retro- und prospektiver Unkenntnis begründet, 60 also zeitlich mit einer kognitiven Immanenz. Die Unruhe des Chores hat ebenso ihren sachlichen Grund im Transgressionsvorwurf des Sehers, dessen Äußerungen denn 57 Die konsequente Verwendung der eigenen Terminologie am konkreten Exempel erhöht freilich nicht die Evidenz der dahinterstehenden begrifflichen Definition (an den daraus folgenden Stringenzansprüchen muß sich auch die Argumentation der vorliegenden Untersuchung messen lassen). Deshalb sei für die argumentative Auseinandersetzung mit Bohrer hier auf den einschlägigen Abschnitt des Begriffskapitels der Einleitung dieser Arbeit zur Tragik verwiesen (1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt), das dort Gesagte gilt dann für jeden Einzelfall. Eine Diskussion der Einzelfälle wäre so aussichtsreich wie die Debatte mit einem Nutzer des literarischen Walisisch, warum dieser oder jener konkrete Einzelgegenstand nun grün, blau, grau oder braun statt gwyrdd, glas oder llwyd sei, da das literarische Walisisch bei diesem Farbspektrum eigene Monemgrenzen zieht (David Crystal, Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Stefan Röhrich, Ariane Böckler und Manfred Jansen. [Orig.: The Cambridge Encyclopedia of Language] Cambridge 2 1997. Darmstadt 1995, 106). 58 Vgl. dazu Mark Griffith, Authority Figures. In: Justina Gregory (Hg.), A Companion to Greek Tragedy. Oxford 2005, 333-351, h. 335, v.a. 345. 59 Steinmann übersetzt auch „Ängste“, Manuwald „Ungewissheit“. Dawe 116 a.l. weist auf die auch intra- (v. 771) und intertextuell gesicherte Ambivalenz dieses Substantivs hin. Allerdings führt er mit Pindar (P. 8.90: ) eine Stelle mit einer eindeutig positiven Bedeutung unseres Wortes in undurchsichtigem Kontext an. Zur trügerischen Hoffnung im OT s. Bernhard Zimmermann, Sein und Schein im König Oidipus des Sophokles. In: Ds. (Hg.), Mythische Wiederkehr. Der Ödipus- und Medea-Mythos im Wandel der Zeiten. Paradeigmata 6. Freiburg i.Br. 2009, 63-79, h. 73. 60 Diese ist das Gegenteil des zeitlichen Panoramablicks, der Kalchas zugeschrieben wird (Il. 1.70). 308 auch objektivierend als bezeichnet werden (v. 482). 61 Daß sie das Objekt zu sind, dessen Subjekt Teiresias ist, verleiht dieser Wendung auch bei einem Abstraktum eine primär objektive Semantik, 62 deren subjektiv-verstörendes Moment sekundär ist. 63 Man muß allerdings festhalten, daß die besprochenen zwei Verse der einzige Fall von klarer Angstrede in einem Chorlied des OT sind. Dem Chor gibt gleichwohl der Verlauf der erforschenden Handlung keinen Anlaß zur Beruhigung: Dies ist eine Folge des politisch und religiös transgressiven Verhaltens, das Oidipus in dieser an den Tag legt. Nach der Kreon-Szene versucht der Chor, zu dessen Gunsten bei Oidipus zu intervenieren und diesen dazu zu bewegen, Kreons Eid zu respektieren (v. 649-657), d.h. ihn von seiner Tendenz zur bewußten Verletzung von Grenzen abzubringen, die er in der erforschenden Handlung an den Tag legt und die sich in der Skepsis gegen die Orakel fortsetzt. Im zweiten Stasimon wendet der Chor sich gegen Tyrannis und schwindenden Respekt vor Göttern und Orakeln. Die langsame Offenbarung von Oidipus’ transgressiver biographischer und genealogischer Identität verfolgt er jedoch mit erstaunlicher Gelassenheit. Erst Iokastes Abgang nach ihrer Anagnorisis quittiert er mit der Befürchtung, aus ihrem Schweigen könnten Übel erwachsen (v. 1074 f.: - ’), reizt allerdings im folgenden Standlied mit Oidipus’ göttlicher Herkunft, die er an die Auffindung im Kithairon knüpft, die letzte, wunderbare Möglichkeit seiner nichttransgressiven Identität aus. Zu kurz greift jedenfalls Bohrers apodiktische Überleitung zwischen dem Chorlied und der Kreon-Szene (2009: 321): „Nicht die Politik, sondern das abermalige und fortschreitende Überwältigtwerden des Chors durch Angstzustände markiert den Prozeß und Fortschritt der Tragödie.“ Die Kreon-Szene bringt freilich keinen Fortschritt bei der Suche nach dem Transgressor, sondern verstärkt nur die tragische Ironie, da dieser sich immer weiter in dessen falsche Identifikation verrennt und seine eigene Urheberschaft weiterhin verkennt. Gleichzeitig schärft sie die Zeichnung des Transgressors als Tyrann (Näheres s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression). Auf der Ebene der Handlung ist diese Szene also retardierend, auf der Ebene der Figurenzeichnung und der Tragik amplifizierend. Zudem spitzt sie die Krise der Polis weiter zu: Zur religiös-epi- 61 Gewiß ist dieses Adjektiv seiner Bildung nach entweder ein Verbaladjektiv zu (* - ) oder eine Ableitung von (Frisk 357 f. s.v., Chantraine 245 f. s.v. gibt als Grundbedeutung „terrible, redoutable“ an und nimmt entweder wie Frisk eine Ableitung von (wie zu ) oder von der Wurzel an, so auch Beekes 310 s.v.), referiert ursprünglich also auf eine subjektive Emotion. Dessen unbeschadet laufen bei seiner Bedeutung in klassischer Zeit und zumal in der Tragödie (LSJ 374 s.v.: „danger, suffering, horror“, flach dagegen DGE 895 s.v. „mal, cosa penosa […] sufrir malos tratos [in Verbindung mit ]“) - wie bei seinen modernen Äquivalenten (schrecklich, terrible usw.) - die objektive exzessive Anomalie und die emotionale Valenz parallel (‚schreckenerregend‘). 62 LSJ 1757 s.v. : „stir, trouble“; Bohrers Übersetzung (2009: 320) schreibt „Furchtbares […] Stört auf der weise Vogeldeuter“. 63 Vgl. aber adverbial Steinmann „Entsetzlich […] verstört mich der weise Vogeldeuter“. Adverbial auch Manuwald, dessen Wiedergabe von („Furchtbar zwar, furchtbar versetzt mich in Schrecken der weise Vogelschauer“) Bohrers Deutung entgegenkommt. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 309 demologischen tritt jetzt noch eine dynastisch-politische, 64 was Iokaste den beiden Streithähnen auch vorwirft (v. 634-636). Auch der Chor, dessen Vertrauen in die politischen und religiösen Autoritäten durch den Streit von Seher und König bereits so arg ramponiert worden war (Flaig 1998: 68), daß er als neutraler Vermittler auftreten mußte (v. 404-407), beschwört mit der religiösen ein Ende der politischen Krise (v. 665-667) und bekräftigt abschließend implizit appellativ sein Vertrauen in den König als vormaligen Retter der Stadt (v. 690-696). 2.3.4 Phase drei: Iokaste Wie immer Bohrer die Rolle der Angst in den beiden Komplottszenen des Oidipus mit Teiresias und Kreon bewertet (man kann, selbst wenn Oidipus keine Angst bekundet oder erkennen läßt, doch im oben skizzierten Sinne von einer Angst davor sprechen, mit Hilfe des Transgressionsvorwurfs aus der Position des Patriarchen eliminiert zu werden), ist ihm doch uneingeschränkt zuzustimmen, daß sie durch den nachfolgenden Dialog mit Iokaste unabweisbar wird 65 und eine völlig neue Berechtigung und Qualität erreicht. Emotion und Kognition gehen Hand in Hand. Damit, daß Oidipus einsieht, daß Teiresias’ Anschuldigungen im Bereich des Möglichen liegen, und sie als Hypothese akzeptiert, wird die dritte Phase der szenischen Selbstüberzeugung und zunehmenden Erhärtung der Identität des Transgressors eingeleitet. Diese kulminiert in der vierten Phase in Oidipus’ Selbstidentifikation, die im Dialog mit dem korinthischen Boten und thebanischen Hirten stattfindet. Ab der dritten Phase fürchtet der Monarch nicht mehr vage um seine soziale Position, er fürchtet sich davor, in Wirklichkeit doch der Transgressor zu sein. 66 Zutreffend ist daher Bohrers Analyse, daß Oidipus im Gespräch mit Iokaste von der Machtin die Angstrede übertrete (2009: 325). Richtig ist auch die sachlich-informatorielle Verankerung dieser Furcht, die Bohrer vornimmt, nämlich Iokastes Mitteilung über den Ort, an dem Laios ermordet worden sei (v. 726-730) (2009: 325). 67 (Daß Oidipus diese Information „in versteckter Form [...] schon früher hätte wahrnehmen können“, bleibt dagegen unbegründet und gehört überdies zu den idealtypischen Überforderungen des Protagonisten, welche die emotionale Steuerung des Erkenntnisprozesses ignoriert.) Oidipus spricht hier allerdings nicht von Angst, sondern von (v. 727) und hebt damit auf die ambivalente Unsicherheit ab. Erkenntnis und Erschrecken fallen hier klar erkennbar in einem Moment zusammen, in dem sie sich parallel und plötzlich vollziehen. Hier zeigt sich Oidipus’ schnelle Auffassungsgabe, die ihm selbst Flaig konzediert, obwohl er ihm hier unberechtigterweise Übereiltheit vorwirft (1998: 117-119). Der Übergang von der Machtin die Angstrede ist sachlich durch neue, zusätzliche 64 Vgl. Flaig 1998: 76: „Die politische Krise in der Polis Theben bricht nun offen aus.“ 65 Bohrer 2009: 325: „Es ist vielmehr für den Prozeß der tragischen Enthüllung entscheidend, daß Oedipus im Gespräch mit Jokaste vom Zustand der Machtrede übertritt in den Zustand der Angstrede.“ 66 So auch Lowell Edmunds, Oedipus as Tyrant in Sophocles’ Oedipus Tyrannus or Oedipus and Athens. Syllecta Classica 13 (2002) 63-103, h. 64. 67 So auch Zimmermann 2009: 70. 310 Informationen begründet, die Oidipus zufällig zuteil werden 68 und welche den Wahrheitsstatus der Kausalattribution der Transgression ändern. Er erfolgt also durchaus rational und billigt auch der früheren, auf einem eingeschränkten Informationsstand beruhenden scheinbar paranoiden Reaktion nachträglich eine Rationalität rational zu. An der Szene mit Iokaste zeigt sich auch deutlich das wechselseitige Zusammenspiel von (kontingenter) Information und kognitivem Subjekt: Zusätzliche, kontingente Informanten und Informationen (hier die Details, die Laios’ Witwe Oidipus über ihren verstorbenen Gatten und die Umstände seines Todes liefert) regen Oidipus zu adäquaten Schlüssen an, die vorher subjektiv nicht plausibel waren und ihn nun zielgerichtet weiterfragen (gegenüber Iokaste) und suchen lassen (nach dem einzigen Überlebenden des Massakers). 69 Oidipus wird nicht durch Teiresias von der sachlichen Berechtigung der düsteren Andeutungen überzeugt (dazu sind diese orakelhaft dunklen Sprüche auch am wenigsten geeignet), sondern überzeugt sich selbst durch eigene Erfahrung, Erkenntnis und Erforschung, daß die früher zurückgewiesenen Anwürfe im Bereich des Möglichen liegen (v. 747). Der fremde Vorwurf wird zur eigenen Hypothese und rechtfertigt so sachlich die angstvolle Unruhe und Verwirrtheit. Oidipus erfragt nun nach der zufälligen Mitteilung des Ortes mit der Systematik eines Verhörs präzisere Angaben. Seine mögliche Identität als Transgressor wird über die Identität von Raum, Zeit und die Eigenschaften des Objekts (Iokaste beschreibt auch Laios’ Wuchs und Haarfarbe sowie die Anzahl seiner Begleiter und spricht von einem Überlebenden) hergestellt (v. 732-752), wobei ihm sein Gedächtnis diese Angaben zur Verfügung stellt (zur libidinösen Identitätsherstellung über die Erinnerung s. 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung in der Interpretation von Senecas Phaedra). Die conclusio über die ontologische Identität der beiden Mordopfer (v. 813-815), der Tunneldurchbruch, ist damit erreicht, auch wenn mit der Zahl der Angreifer noch ein Detail fehlt, das allein Oidipus von der Täterschaft zu trennen scheint (s.u.). Die subjektive Schwere der Indizien geht aus Oidipus’ Kommentar hervor, welcher die Befragung abschließt (v. 754: ’ - ). Hier zeigt sich aber auch, daß eben die zunehmende Evidenz für Oidipus’ wachsende Sorge verantwortlich ist, kommentiert er doch zuvor weitere belastende Indizien mit einem Laut der Selbstklage (v. 738; 744: ), die ihn dann zum Weiterfragen motiviert (v. 747 f.). Es liegt also ein Prozeß der emotionalen und kognitiven wechselseitigen Verstärkung vor. Oidipus’ Wahrheits- und Wissenswille wird in diesem Zusammenspiel von Bohrer, aber auch Schmitt, nicht ausreichend gewürdigt. Gewiß treibt Oidipus bei dieser Befragung kein aufklärerischer „Wissensdurst“, sondern auch „die Angst, daß irgend etwas an des Sehers dunkler Rede sich bewahrheiten könnte“ 68 Daß Iokaste Oidipus den Ort von Laios’ Ermordung im Rahmen einer Rede mitteilt, welche die Zuverlässigkeit von Orakeln untergraben und ihn so beruhigen soll (v. 707-725), dabei aber das Gegenteil, nämlich Oidipus’ plötzliche Beunruhigung (v. 726 f.) bewirkt, ist ein weiteres Element der Intentioninvertierung und Peripetien in der erforschenden Handlung. 69 Um Oidipus’ Wahrheitswillen und die Rolle der Erkenntnis herunterzuspielen, verkürzt Bohrer dieses komplexe Wechselspiel (2009: 327, v.a.: „Die anderen Zeugen bringt der Zufall.“). 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 311 (Bohrer 2009: 325). 70 Allerdings läßt sich dieses Motiv nicht mit letzter Sicherheit aus dem Text belegen, welcher Angst und Erschrecken als Reaktion auf die wachsende Evidenz, aber nicht sicher als Motiv der Befragung bietet. Bohrers ausschließliche Alternative wird auch dem hier festgestellten Wechselspiel von Erschrecken und Weiterfragen nicht gerecht. Die methodische Stringenz von Oidipus’ Befragung ist jedenfalls ein Indiz für eine „Suche nach Aufklärung“, die Bohrer als Motiv verneint, auch um den Preis, daß die zunehmende Evidenz eine unangenehme Annahme bestätigt. Dieses Argument gilt um so mehr für Schmitt. Der Marburger Gräzist geht noch einen Schritt weiter als Bohrer, der die Angst statt der Erkenntnis zum Motor der Befragung macht, und deutet rein auf der Ebene des Erkenntnisinteresses Oidipus’ sachliche und logisch verfahrende Befragung von Iokaste nicht als den „Ausdruck seines unerschrockenen Willens, die Wahrheit in allen Stücken und um jeden Preis zu erfahren“ 71 , sondern erklärt sie daraus, daß der thebanische König der Wahrheit entgehen möchte (1988: 20). Schmitt macht also einen Willen zur Wahrheitsvermeidung aus. Letztlich sehen Schmitt und Bohrer dasselbe, objektiv auf der Transgression beruhende psychologische Phänomen, nämlich die Angst vor deren subjektiver Attribution oder den Wunsch, dieser zu entgehen, unter verschiedenen Gesichtspunkten. Gewiß, Oidipus ist kein Prometheus, der für sein Streben nach Fortschritt und Aufklärung büßt. Es geht ihm nicht um „die“ Wahrheit, sondern um Klarheit über seine Transgression und Identität. Daß er Angst vor der Verifikation seiner Hypothesen hat, er sei doch der gesuchte Mörder, und nach deren Falsifikation strebt, liegt im Wesen der Transgression. Lehmann 1991: 108 erfaßt denn auch richtig die Angst vor der Verifikation der eigenen Transgression als Motor der Handlung dieser analytischen Tragödie, wenn er den „Zug nach vorn in der Tragödie“ (des Sophokles) „aus der Grundstimmung moralischer Ungewißheit und physischer Angst, nicht aus dem Ideal dramatischer Handlung“ erklärt. (Bohrer 2009: 313 Anm. 702 zitiert hiervon nur die physische Angst.) Doch die Falsifikation von Oidipus’ Hypothesen, an der er wegen der Monstrosität der Verbrechen ein Interesse hat, das gewiß in seinen Angstschreien deutlich wird, wäre auch eine Wahrheit, wenn man darunter die Kongruenz von Bewußtsein und Gegenstand versteht. Die Behauptung, daß er die „Wahrheit“ nicht wissen wolle, geht jedoch von einem aprioristischen Wahrheitsbegriff aus, der dem Wissenshorizont des Zuschauers entspricht. 72 Auch der 70 Dieses Motiv wird allerdings nicht von Charles Segal 2001: 83 ausgemacht, der bloß den entsprechenden Vers zitiert (v. 747: ). 71 So Pohlenz’ Sicht (1954: Bd. 1, 217: „Das Tragische, das menschlich Packende ist doch gerade, daß Oedipus selbst die Wahrheit aufdeckt und aufdecken will, noch, als er schon klar erkennt, was sie Furchtbares birgt.“), der hierbei jedoch die doppelt ambivalente Motivation hinter Oidipus’ Weiterfragen verkennt (erhoffte Falsifikation der schrecklichen Ahnung sowie Furcht vor einer niederen Abkunft). Das Verhalten, das Pohlenz dem Oidipus unterstellt, ist zudem eher heroisch als tragisch (man könnte deshalb von einer ‚tragischen Heroik‘ sprechen), weil er ein bewußtes Selbstopfer annimmt. 72 Dies ist der entscheidende Unterschied zu Alain Robbe-Grillets kriminologischem Roman Voyeur, in dessen Verlauf der Leser feststellt, daß der Erzähler der Täter ist. Die explorative Narratologie wäre ansonsten ebenso wie bei La jalousie (ich danke Herrn Prof. Kloss für den Hinweis auf letzteren Roman) einen Vergleich wert. 312 Verlauf der Nachforschungen während der erforschenden Handlung kann wegen ihrer Systematik kaum als Indiz für ein Nichtwissenwollen aufgefaßt werden. Wegen dieser sachlichen Stringenz greift es zu kurz, die Angst des Oidipus vor der Identifikation mit dem Transgressor und dann vor der Verifikation seiner zwangsläufig transgressiven familiären Identität als verstockte Verblendung zu deuten. Vielmehr offenbart sich auch hier die konsequente Ablehnung dieser Transgressionen, die seine moralische Integrität sichert. Schmitts antiaufklärerische Verblendungsbzw. Verdrängungsthese und Bohrers Angsttheorie verdekken beide die emotionswie kognitionspsychologische Plausibilität, die hinter Oidipus’ systematischem Forschen steht, das von dem Wunsch nach Falsifikation bzw. von der Angst vor der Verifikation begleitet, ja getrieben wird. Daß sein Verhalten ganz dem entspricht, mag ein Beispiel aus der Medizin verdeutlichen, wobei diese Disziplin als Vergleichspunkt ja durch die Seuche im OT nicht fernliegt: Oidipus handelt genauso wie ein Patient, dem der Arzt nach einer Vorsorgeuntersuchung eröffnet, er könne an einer gefährlichen Krankheit leiden, und der nun mit Hilfe weiterer Untersuchungen auf einen eindeutigen Befund drängt. Sein Wissensdurst ist dabei von dem Wunsch geleitet, der Verdacht möge sich nicht bestätigen und er möge dem drohenden Übel entrinnen. 73 Dieser Vergleich ist trotz des Unterschieds zwischen einer nach unserem Verständnis kontingenten Krankheit und einer vom Betreffenden verursachten Transgression deshalb subjektiv psychologisch treffend, weil die Transgression durch ihren in der Vergangenheit liegenden Vollzug eine ebenso unabänderliche Tatsache wie die Krankheit geworden ist. Daß das angsterfüllte Streben nach Falsifikation der eigenen Transgression zu deren Verifikation führt, ist ein weiteres Paradoxon des an dieser Figur wahrlich nicht armen Stücks. Oidipus’ Wahrheitswille zeigt sich daran, daß er sich nach dem einzigen Überlebenden erkundigt und nach ihm schicken läßt (v. 765), bevor er Iokaste die letzte Möglichkeit mitteilt, seine Täterschaft zu falsifizieren, die sich an diesen Zeugen knüpft, nämlich die Mehrzahl der Angreifer (v. 842-847). Das mag ein „Strohhalm“ sein, an den er sich „klammert“ (Bohrer 2009: 326), um seine Täterschaft auszuschließen, doch bleibt die Zahl ein um so gewichtigeres logisches Argument, als Oidipus ja sicher um seine Alleintäterschaft weiß. Die übrigen Übereinstimmungen können dagegen auf einem, wenn auch unwahrscheinlichen Zufall beruhen. Oidipus formuliert an der fraglichen Stelle jedenfalls eine klare Fallunterscheidung, bei der die Mehrzahl seine Nichttäterschaft und die Einzahl seine Täterschaft beweisen würde, faßt also beide Möglichkeiten ins Auge und nennt die für ihn unangenehme als letzte, was sie als gewichtigste ausweist (v. 846 f.). Wie diese Fallunterscheidung mit einem tertium non datur die logische Stringenz seiner kognitiven Herangehensweise belegt, so bezeugt deren empirische Stringenz sein Versuch, durch die Befragung des ein- 73 Daß die Wahrheitssuche, auch wenn sie unterschwellig vom Wunsch nach Entlastung geleitet ist, eine solche bleibt, vereinseitigt Bohrer (2009: 327), der überdies in der Perspektive des Mythenkenners die Evidenz der bisherigen Indizien überbewertet: „Oedipus’ Motiv, plötzlich Fragen zu stellen, die er hätte längst stellen können, wenn denn Vernunft ihn geleitet hätte, ist nicht die Suche nach Wahrheit, sondern die Suche nach Entlastung. Allein deshalb läßt er nach dem Zeugen des Geschehnisses am Kreuzweg suchen.“ 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 313 zigen Überlebenden Klarheit über die Zahl der Mörder zu gewinnen und damit eine der Hypothesen zu verifizieren und ihr Gegenteil zu falsifizieren. 74 Allerdings spricht er in v. 835 ( ) vor der Fallunterscheidung positiv von „Hoffnung“, wie im nächsten Vers der Chor, der seine Sorgen durch diese Hoffnung gebannt sieht. Die sachliche Ambivalenz seiner Identität setzt sich bei Oidipus wie im ersten Chorlied emotional-kognitiv in der vox media fort, deren Ambivalenz bereits bei Hesiod aufscheint (Op. 96-98, 498-500), da er in v. 771 von seinen (negativ-transgressiven) Erwartungen spricht. Es ist eine ausgesprochen kunstvolle Dramaturgie, daß der OT das Kommen und Befragen des Hirten, den letzten Überlebenden, den der Protagonist im Rahmen seiner Recherche einbestellt hat, durch die kontingente Ankunft des Boten aus Korinth retardiert. 75 Dieser lockert, ebenfalls ein dramaturgisch gekonnter Kunstgriff, die drohende Tragik durch komische Verhaltenselemente auf 76 und weitet so die Amplitude des Dramas nicht nur in bezug auf Oidipus’ Identität, sondern auch bei der Stimmung in die Extreme, wodurch sich auch die Amplitude des jeweiligen Umschlags erhöht. Die Nachricht und Auskünfte des unerwarteten Boten berühren die zweite Frage von Oidipus’ Identität, die primär nicht seine Transgression am Dreiweg, sondern seine Genealogie betrifft. 77 Das Vorwärtsschreiten der erforschenden Handlung geht also weiter in die Vergangenheit zurück und verhindert gleichzeitig die Klärung einer Identität, die in jüngerer Vergangenheit liegt. Dabei ist die Frage nach der genealogischen Identität kein dramatisches Novum, das den Rezipienten überrumpelt. Sie war von Teiresias angeschnitten und in Iokastes und Oidipus’ narrationes ausführlich exponiert worden. Die tragische Ironie dieser Exposition liegt darin, daß sie mit der Aussetzung von Iokastes und Laios’ Kind und den korinthischen Anschuldigungen, Oidipus sei untergeschoben, die Möglichkeit liefert, die beiden Kinder zu 74 Seine methodische Stringenz, die darin besteht, empirische Nachweise für die Verifikation und Falsifikation einer anhand von Indizien formulierten Hypothesenalternative zu gewinnen, läßt sich durchaus mit den methodischen Postulaten des kritischen Rationalismus vergleichen. Zwar geht es Karl R. Popper bei dem sog. Induktionsproblem darum, wie aus besonderen Sätzen allgemeine Sätze gewonnen werden können, während Oidipus von besonderen Beobachtungen auf besondere Sätze schließt, doch entspricht sein Vorgehen grundsätzlich der „Tätigkeit eines wissenschaftlichen Forschers“, der „Sätze oder Systeme von Sätzen aufzustellen und systematisch zu überprüfen“ hat (Logik der Forschung. Hg. von Herbert Keuth. Gesammelte Werke in deutscher Sprache 3. Tübingen 11 2005, 3). Mit der Falsifizierbarkeit erfüllen Oidipus’ Hypothesen eine Forderung, die Popper als Abgrenzungskriterium für empirische Sätze formuliert (2005: 16-19). Die einzelnen Hypothesen werden dagegen, ebenfalls methodisch stringent, sobald alle Informationen zusammen sind, für sich nach dem Schema eines aristotelischen Syllogismus verifiziert: Laios wurde von einem Mann erschlagen. Oidipus hat seinen Totschlag allein in derselben Gegend zu derselben Zeit begangen. Also war er der Mörder. Oder: Laios wurde von mehreren Männern erschlagen. Oidipus hat seinen Totschlag allein in derselben Gegend zu derselben Zeit begangen. Also war er nicht der Mörder. 75 Vgl. Bohrer 2009: 326: „Oedipus hat den Mordzeugen erwartet und bekommt zunächst den Boten vom Tode Polybos’, des vermeintlichen Vaters.“ 76 Zur Komik und ihrer „kontrastive[n] Synthese“ mit der Tragik in dieser Szene s. Bernd Seidensticker, Palintonos Harmonia. Studien zu komischen Elementen in der griechischen Tragödie. Teilw. Habil. Hamburg 1979. Hypomnemata 72. Göttingen 1982, 85-88. 77 Das Simile der Tunnelbohrung ließe sich wegen der chronologischen Staffelung der beiden Identitätssuchen hier nur noch katachretisch adaptieren. 314 identifizieren und damit bereits hier Oidipus’ wahre genealogische Identität zumindest als spekulative Hypothese zu formulieren. Er selbst spricht diesen Schluß freilich nicht aus und unterläßt es, Iokastes Information mit seinem alten Kenntnisstand zusammenzubringen, da er weiterhin davon ausgeht, er sei der Sohn des Polybos und der Merope und sein Vergehen erschöpfe sich in der Identität des am Dreiweg Ermordeten mit Laios, dessen Bett er überdies besudelt (v. 822: ), ein Vorverweis auf den Inzest (v. 813-827). Die Furcht vor der Transgression ist in der Szene mit dem korinthischen Boten vielfach und lexikalisch fein variiert präsent und erhellt dabei das Bild der vorangehenden Szene oder verstärkt es. Iokaste interpretiert Oidipus’ Aussage (seine dürre narratio der bloßen Handlungsabfolge von Prophezeiung und Heimatvermeidung in v. 791-797 expliziert keine Furcht), wenn sie die Nachricht von Polybos’ Tod kommentiert, diesen habe Oidipus seit langem aus Furcht, ihn zu töten, gemieden (v. 947 f.: … ). Hier wird also bereits die überstürzte praktische Präventionsmaßnahme zur Vermeidung der Transgression, die weit vor dem Bühnengeschehen liegt, auch mit der Angst vor dieser erklärt - die Oidipus doch letztlich in die Lage versetzt, ebendieses gefürchtete Vergehen zu begehen. Tatsächlich sieht auch Oidipus diese determinierende Gewalt der Furcht vor der Transgression, jedoch in tragischer Ironie im falschen Bereich. Als Iokaste ihn nämlich nach der Nachricht vom Tode seines vermeintlichen Vaters darauf hinweist, sie habe ihn zuvor beruhigt (v. 973: ), geht er soweit, daß er sogar seine Furcht vor der Transgression für die kognitive wie emotionale Verirrung verantwortlich macht, die er in der vorausgehenden Szene an den Tag gelegt hat (v. 974: ). Der Transgressor beschreibt mit der hodologischen Metapher dieses Satzes exakt die Devianz generierende Kraft der Angst vor der Transgression, die ihn vor deren Realisierung am Dreiweg beherrschte und die in 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie und 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression dieses Kapitels als Triebfeder des selbstgenerierenden Mechanismus der Transgression herausgearbeitet werden soll. Iokaste hat bereits eingangs der Szene bei ihrem Rauchopfer an den lykischen Apoll noch deutlicher beschrieben, wie aktuelle Schreckensnachrichten die Kognition ihres von Kümmernissen emporgetragenen Gatten lähmen (v. 914-917): Oidipus lasse sich von jeder gegenwärtigen Schreckensnachricht einnehmen (v. 917: ’ ), statt das Neue und Ungewohnte am Alten und Bekannten zu überprüfen (v. 915 f.: ’ ’ / ). Die universelle Beliebigkeit dieser Kümmernisse illustriert die Nichtigkeit und umfassende subjektive Bedrohung (v. 914 f.: / - ). Unbeschadet der nachfolgend zu diskutierenden Probleme des Detailverständnisses im Bereich von Oidipus’ Vergleichen mit der Vergangenheit bleibt festzuhalten, daß Iokaste exakt die Verbindung von überwältigender Nachricht und Furcht beschreibt, auf die es uns hier ankommt. Bohrer sieht dagegen in dieser Schilderung nur Oidipus’ „Angstzustand“ (2009: 326 f.). Er ignoriert dessen Nexus mit der Kognition und die daraus erwachsenden Ver- 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 315 ständnisschwierigkeiten. Denn eben das geschilderte chronologisch komparative Vorgehen charakterisiert Oidipus’ systematische Forschung (auch und gerade in der vorausgehenden Szene mit Iokaste, in der er seine gesamte vorthebanische Vergangenheit enthüllt, soweit sie ihm bekannt ist), was auch Dawe 152 a.l. feststellt und (nicht ganz genau) mit v. 726 f. untermauert, wo Oidipus Iokaste seine Sorge nur wegen des eben Gehörten ausdrückt, die sachlich gewiß das Resultat des Vergleichs mit dem Früheren ist. Es ist grammatikalisch überzeugend und dramensemiotisch plausibel, wenn Dawe 152 a.l. weiter aufgrund dieses Widerspruchs zwischen Oidipus’ vergangenem intellektuellem Vorgehen und dessen aktueller Einschätzung durch eine andere Figur die Übersetzung „and he does not do what a sensible man would do, viz. judge the present in the light of the past“ verwirft (richtig ist allerdings, wenn er die seit den Scholien kursierende und auch von Jebb 125 a.l. vertretene Deutung, da das in grauer Vergangenheit Laios gegebene Orakel falsch sei, müßten dies auch Teiresias’ rezente Sprüche sein, als zu „Delphically“ für Iokaste verwirft) und die intellektuelle Minderleistung, die Iokaste bei Oidipus ausmacht, konkretisierendeinschränkend nur auf die Art des Vergleichs zwischen Gegenwart und Vergangenheit bezieht („and it is not like a man of sense that he judges the recent […] developments […]“), was durch das bloße Vorkommen sowie die Semantik und syntaktische Funktion von ’ nachgerade eingefordert wird. 78 Iokaste geht also davon aus, daß Oidipus sich so sehr von der jeweils aktuellen Schreckensnachricht einnehmen lasse (v. 917), daß er in deren Licht vergangene Ereignisse als furchterregend und sachliche Bestätigung wahrnehme, obwohl sie diese Deutung nicht nahelegten oder gar zwingend erforderten. Ein vernünftiger Mann würde deshalb den Vergleich anders durchführen und zu keinen erschreckenden Ergebnissen gelangen. Iokaste wendet damit dieselbe Strategie wie bei den delphischen Orakelsprüchen an: Unangenehme Äußerungen werden als sachlich verfehlt dargestellt. Damit gelangen wir zum Schlüssel im Verständnis von Iokastes Äußerung: Denn die Lösung des Widerspruchs auf der Textebene, daß Iokaste das emotionale Verhalten ihres Mannes so treffend, dessen investigatives Vorgehen aber so unzutreffend einschätzt, ist wohl eher in der Dramaturgie als in der Aussagenlogik zu suchen: Die emotionale Seite ist wie Iokastes Bagatellisierung des Furchtbaren Teil ihrer Figurenzeichnung. Auch in v. 975 äußert sie den Wunsch, Oidipus möge sich nichts mehr zu Herzen nehmen, wobei die Wiederkehr von als Parallele zu v. 914 ins Auge sticht. Daß sie Oidipus die Rationalität abspricht, charakterisiert ihre eigene Sichtweise in den Augen des Zuschauers, der über mehr Wissen verfügt, als irrational. Daher handelt es sich um tragische Ironie, da sie selbst, noch in Unkenntnis der Identität ihres Sohnes, nicht ermessen kann, in welchem Maße dessen Befürchtungen gerechtfertigt sind und sie selbst durch den gemeinsamen Inzest transgressiv belastet ist. 78 Bollacks Ablehnung von Dawe und seine Gegenthese, Oidipus habe gänzlich die ruhige intellektuelle Überlegung aufgegeben, überzeugt ebensowenig wie seine recht allgemeine, textferne Deutung, Iokaste bedaure, daß Oidipus sich nicht gegen die gegenwärtige Widrigkeit durch die Abstandgewinnung („le recul“) wappnen könne, die wahrhaft königliche Männer auszeichne (598 f. a.l.). 316 Die tragische Ironie kündigt sich bereits darin an, daß das Rauchopfer dem lykischen Apoll gilt, wo doch die Autorität des delphischen und der dieser Gottheit zugeordneten Mantik angezweifelt wird. Gerade der Gebrauch von weist jedoch überdies auf einen weiteren Aspekt hin, der Iokastes Bild auf Kosten von Oidipus’ aufhellt. Dieses Substantiv kann gemäß seiner Grundbedeutung auf Oidipus’ Zorn abzielen, die als intratextuelle Konnotation an der vorliegenden Stelle mitschwingen mag (Solger übersetzt „Mut“, Steinmann dagegen „Herz“, Manuwald läßt ganz fort, gibt jedoch als wörtliche Bedeutung „lässt Oidipus sein Gemüt (in Erregung) hochgehen“ an; Dawe a.l. hebt auf die Polysemie ab, paraphrasiert „state of heightened awareness“). Dies ist um so wahrscheinlicher, als Iokaste Oidipus’ Zorn bei ihren ersten Auftritt als bedrohlich wahrgenommen hat, ja durch den Streit mit Kreon erst aus dem Haus auf die Bühne gerufen wurde (v. 634-638). Vor diesem Hintergrund muten ihre späteren Worte wie eine nachträgliche Rationalisierung von Oidipus’ objektiv irrationalem und für ihren Bruder gefährlichem Verhalten an (v. 639-641). In dem folgenden Dialogstück zwischen Oidipus und Iokaste, das mit Ausdrücken von Furcht ( -) und Sorge ( ) leitmotivisch gespickt ist, versucht Iokaste, die Sorgen ihres Mannes vor dem Mutterinzest (v. 976: ) durch die Empfehlung zu zerstreuen, sich der unergründlichen Kontingenz anzuvertrauen (v. 977-983). Oidipus läßt sich von dieser allgemeinen Überlegung jedoch weder beirren noch beruhigen, sondern insistiert ganz sachlich konkret-fallbezogen darauf, daß die Tatsache, daß seine Mutter lebe, Anlaß zur Sorge (v. 985 f.) bzw. Furcht biete (v. 988). Daß Iokaste den Tod des Vaters zuvor in tragischer Ironie als Lichtblick bezeichnet (v. 987: ), zeigt, wie sehr die Prophezeiung einer monströsperversen Transgression die emotionale Anteilnahme der Kinder an Leben und Sterben ihrer Eltern pervertiert, da die Eliminierung der Eltern die Möglichkeit der eigenen Transgression zu eliminieren scheint. In der Szenenarchitektur wiederholt sich nun die dramatische Kontingenz, die der Auftritt des Boten und die neue Information vom Tode des Polybos darstellen. Der Bote fragt nämlich nach, wegen welcher Frau die beiden in Angst seien (v. 989: ’), und enthüllt Oidipus, daß er sicher nicht der leibliche Sohn des Polybos sei (v. 1016 f.), sondern dem König von Korinth von ihm selbst gegeben worden sei und er Oidipus von einem Hirten des Laios erhalten habe (v. 1040-1044). Die bekannten Verlaufsmuster dieser Tragödie wiederholen sich nun auf emotionaler wie kognitiv-interaktiver Ebene. Wieder bringt eine zufällige Information Oidipus auf die richtige Fährte und wieder hakt er systematisch nach, um den Sachverhalt möglichst weit zu klären (man beachte die Verdichtung dieses Szenenteils in der Stichomythie [v. 1007-1046]). Und wieder meint ein Interlokutor, durch diese neue Information, die Oidipus’ eigener, ihm bis jetzt von seiner sozialen Umwelt vorenthaltener, ja manipulierter Vergangenheit entstammt, ihn von der Furcht zu befreien (wenn auch hier nicht aus verwandtschaftlicher Anteilnahme, sondern schielend auf die penetrant eingeforderte materielle Remunerierung [v. 1002-1004]) (v. 1000: , v. 1002 f.: … ), und bringt ihn doch der schrecklichen Erkenntnis näher. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 317 Doch obwohl die Befragung des korinthischen Boten und Hirten für diese Einsicht einen gravierenden Anhaltspunkt in Form des körperlichen Merkmals der durchbohrten Füße liefert, das die vorenthaltene Biographie physisch materialisiert, während Oidipus wenigstens eine Erinnerung an die Bluttat am Dreiweg hat, bleibt er in und nach dieser Befragung frei von Furcht bezüglich seiner transgressiven Identität. Statt dessen verfällt er gegenüber Iokaste wieder wie gegenüber Teiresias und Kreon in die Unterstellung egoistischer Motive, die seine soziale Geltung betreffen (v. 1054-1075). Auf Iokaste hatte der Chor Oidipus für den Hirten des Laios verwiesen, von dem der korinthische Bote den kleinen Oidipus empfangen habe (v. 1051-1055), was das Mehrwissen der beiden thebanischen Figuren anzeigt. Oidipus’ Ehefrau und Mutter hatte denn auch dank ihrem Informationsvorsprung die ontologische Identität ihres Gatten mit ihrem ausgesetzten Sohn eher als Oidipus erkennen können. Dabei fungierten die durchbohrten Füße als körperliches Indiz (in einer semiotischen Synekdoche gesprochen, hat derselbe körperliche Sinnträger in diachroner Abfolge zwei familiäre Positionen im Verhältnis zu ihr eingenommen). Insbesondere half ihr jedoch die Identifikation, daß Oidipus von einem Hirten des Laios weitergereicht worden war, da sie selbst am Anfang dieser Kette stand. Darauf hatte sie ihn nun aus Wohlwollen (v. 1066) von weiterem Nachforschen und der Wiederholung dieser grausigen Entdeckung abhalten wollen. Iokastes erfolgte Anagnorisis und ihr wohlmeinendes Streben, deren Wiederholung bei Oidipus zu verhindern, weil sie den Schrecken, der dem anderen durch diese Erkenntnis droht, diesem ersparen will, kontrastiert mit Oidipus’ doppeltem, zur Aggression verleitendem Unwissen bzw. Nichterkennen, da er sowohl über die eigene Identität als auch dadurch über die wohlmeinende Absicht der anderen im unklaren ist. Dieser Gegensatz ist ein klarer Fall tragischer Ironie und dient unverkennbar der dramatisch-klimaktischen Zuspitzung sowie der emotionalen Rezeptionslenkung, die in Richtung auf ein verzweifeltes, aporetisches und mit banger Furcht gepaartes Mitleid drängt. Darüber hinaus extrapoliert diese Szene jedoch ganz klar, wie sehr Oidipus’ emotionale (ex negativo) und scheinbar deplazierte soziale Reaktionen von seinem Informationsstand abhängig sind. Die scheinbar paranoide Befürchtung, Iokaste möchte durch seine niedere Herkunft beschämt sein (v. 1062 f., 1078 f.), die unausgesprochen auch Oidipus umtreibt, wird sachlich dadurch genährt, daß Oidipus soeben erfahren hat, daß er kein Königssohn ist, sondern zwischen zwei Hirten weitergereicht wurde. Unabhängig von der emotionalen Reaktion sind Oidipus’ Wissensrückstand und Wissenswille markant und korrelieren miteinander: Die Information, daß der eine Hirte ein Untergebener des Laios war, kann nur Iokaste als Indiz der Abkunft des Kindes (wieder)erkennen, jedoch nicht Oidipus, dem gerade dieses Hintergrundwissen fehlt. Hier zeigt sich, daß man im klassisch kognitiven Sinne von Anagnorisis nur bei Oidipus’ thebanischen Interakteuren sprechen kann, während dieser selbst kognitiv erkennt und allenfalls, wenn man die Tragödie als psychoanalytisches Exemplum oder besser nur Analogon liest, wiedererkennt, da die betreffenden Ereignisse in seiner vorbewußten Säuglingszeit lie- 318 gen. 79 Fest steht jedoch, daß Oidipus die Erkenntnis seiner transgressiven Vergangenheit als vollwertiges ethisch-rationales Subjekt restauriert und es ihm ermöglicht, fürderhin wieder als solches zu agieren (Näheres s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ). Daß Anagnorisis bzw. Erkenntnis bei Mutter und Sohn zeitversetzt erfolgen, wird daran lexikalisch greifbar, daß Iokaste (v. 1071) vor Oidipus (v. 1182) das Signal dieser Erkenntnis, die Interjektion , von sich gibt, mit dem der Protagonist Herakles diese Erkenntnis auch in den Trachinierinnen (v. 1143) markiert. 80 Es ist der Chor, der Iokastes Schweigen und Abgang furchterfüllt ( ’ ) als Quelle von Übeln deutet (v. 1073-1075). Gerade in dieser Szene zeigt sich Oidipus’ unbeirrter Wille zum Wissen, der sich allerdings entsprechend den Unterstellungen gegenüber Iokaste explizit nicht auf seine mögliche Transgression, sondern seine genealogische Identität bezieht, wobei das befürchtete Übel die niedere Geburt ist (v. 1076 f.), 81 und markanterweise mit Peirceschen indexes operiert (v. 1058 f.). 82 Die interpretatorische Aussagekraft dieser Stellen wird noch dadurch erhöht, daß Oidipus an ihnen die für diese Tragödie leitmotivischen Lexeme ‚sehen‘ ( ) bzw. ‚zeigen‘ ( ) mit sich als Subjekt und seiner Herkunft als Objekt gebraucht. Die Erkenntnis der eigenen Identität, deren Relevanz für den OT Bohrer ja gering ansetzt (2009: 327 f.), wird von Iokaste ohne genealogische Spezifikation als negativer Wunsch formuliert (v. 1068: ). Klarstellend gegen Bohrer 2009: 327 muß man hier festhalten, daß Oidipus sehr wohl eine Wahrheitssuche betreibt, auch wenn diese mit der Suche nach der eigenen genealogischen Identität, die Bohrer bemüht (2009: 328) und über deren wahres Ausmaß und transgressive Implikationen er sich dabei nicht im klaren ist, nicht intentional, sondern nur faktisch gegen sich selbst gerichtet ist. Dieser unwissentliche und unwillentliche Zusammenhang ist sicher nicht heroisch im Sinne des in der Einleitung beschriebenen Selbstopfers (s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch) und bietet mit der faktischen, für die soziale Integrität negativen, aber unwissentlichen und unwillentlichen Autoreferentialität des eigenen kognitiven Tuns klare Anhaltspunkte der Tragik, ein Handlungsmerkmal, das Bohrer bei der Wahrheitssuche referierend dahinstellt (2009: 327). Wenn Oidipus nach Iokastes Abgang und vor dem dritten Standlied, das über seine göttliche Herkunft spekuliert (es stützt sich dabei auf seine bislang ge- 79 Das muß eben auch gegen Bohrers Kommentar zu den durchbohrten Füßen, welcher der Allwissenheit des Rezipienten entspringt, geltend gemacht werden (2009: 327: „ein Zeichen, das er bis dahin übersah, offenbar nie bedachte“). 80 Roa G. A. Buxton, Blindness and Limits: Sophokles and the Logic of Myth. JHS 100 (1980) 22-37, h. 25 (für eine vollständige Auflistung aller -Szenen in der attischen Tragödie s. Dorothea Zeppezauer, Bühnenmord und Botenbericht. Zur Darstellung des Schrecklichen in der griechischen Tragödie. Diss. Berlin 2008. BzA 295. Berlin 2011, 249). Die existentialistische Komponente, die Reinhardt 1976: 136 f. im OT als Steigerung gegenüber den Trachinierinnen erblickt („das Fazit des gesamten Seins“), vermag ich nicht zu sehen. Wenn Herakles sein drohendes Ende und Oidipus seine vergangene Transgression erkennt, so liegt dies daran, daß der OT ein analytisches Drama ist. 81 […] ’ / ’ . 82 ’ / ’ . 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 319 naueste genealogische Lokalisierung im Kithairon), sich als ein Kind der Tyche bezeichnet, das die mitgeborenen Monde (oder Monate) klein und groß gemacht hätten (v. 1080-1085), so ist diese allegorische Deutung realistischer als die folgenden Spekulationen des Chores (v. 1098-1109), da sie allegorische Deutung und biologische Abkunft trennt. Dieser Rationalismus zeigt sich auch daran, daß sie nicht nur emotional, sondern auch motivational der Stärkung dient, und zwar hier dem unbeirrbaren Erforschen der eigenen Abkunft (v. 1084 f.), das in der folgenden Szene im Erfolg gipfelt. 2.3.5 Phase vier: Der Hirte Die endgültige Entdeckung der Wahrheit ist in dieser Szene, die mit Oidipus’ vollständiger und abschließender Selbstüberzeugung die vierte Phase der Suche nach dem Transgressor bildet und deren kompositorische und kognitive Komplexität Bohrer 2009: 329 reduziert, dadurch kunstvoll gestaltet, daß der korinthische Bote als Zeuge auf der Bühne bleibt, während der thebanische Hirte als Kenner des thebanischen Hintergrundes die Hauptquelle für Oidipus’ genealogische Identität ist. Dieser dramaturgische Kunstgriff wahrt nicht nur nach Iokastes Abtritt die Dreizahl der Schauspieler, sondern schafft auch dadurch, daß die beiden frühkindlichen Akteure in Oidipus’ Leben einander gegenübergestellt werden, die Möglichkeit zu einer gestuften Identifikation, bei der zuerst der thebanische Hirte als Diener des Laios und Akteur bei der Übergabe und dann Oidipus mit dem Königskind identifiziert wird. Oidipus ist bei diesem Erkenntnisprozeß die treibende und heuristisch organisierende Kraft. Statt zu einer rein sukzessiven Befragung der beiden Zeugen kommt es so zu einer interaktiven, von Oidipus vorangetriebenen Erkenntnis. Sein entschlossenes Verhalten und systematisches Vorgehen in dieser Szene bestätigt seine Ankündigung in der letzten, er sei festen Willens, seine genealogische Identität herauszufinden. Zuerst identifiziert Oidipus also anhand seines fortgeschrittenen Alters den Hirten des Laios als den gesuchten (v.a. v. 1112 f.: / ), d.h. den Diener des Laios 83 und läßt danach den Chor seine Hypothese mit der Begründung bestätigen, daß er ihm durch die vergangene Erfahrung an Wissen überlegen sei (v. 1110-1118, v.a. 1115 f.: [...] / ’ ’ ). Hier wird erstmals im Stück selbst der Vorsprung an Erfahrungswissen expliziert, der nach der hier entwickelten Interpretation Oidipus’ bizarr anmutende soziale Reaktionen und seine vermeintlich begriffsstutzige und die grausige Erkenntnis verzögernde, in Wahrheit aber vorsichtige und systematische Erforschung erklärt. Umgekehrt weiß der Hirte wie Iokaste um Oidipus’ Identität und strebt deshalb anders als sein König willentlich danach, diesen von der Erkenntnis seiner genealogischen Identität abzuhalten. Daß Oidipus und der Hirte nicht nur eine unterschiedliche Einstellung zur Wahrheitsfindung haben (Näheres 83 So auch Dawe 169 a.l. Für diese Einschätzung spricht die Bezeichnung als Hirte (v. 1111) und die Fortsetzung, Oidipus erkenne in den Begleitern des Hirten seine Diener (v. 1114 f.). Daß Oidipus ihn als den Überlebenden des Dreiwegmassakers ansieht, geht aus diesem Wortlaut nicht hervor. 320 s.u.), sondern daß es zwischen ihnen zu einem Konflikt um Wahrheitsermittlung und Wahrheitsvertuschung kommt, wird besonders augenfällig daran, daß Oidipus im weiteren Verlauf des Verhörs aus dem Hirten sein Wissen um die genealogische Identität dieses Kindes und die gesamte thebanische Vorgeschichte gewaltsam herauspreßt (v. 1150-1181). Dabei werden die Kontrahenten nicht nur durch ihre konfligierenden Erkenntnisabsichten, sondern auch durch die Identität der Mittel zusammengefügt, da der Hirte als erster Gewalt einsetzt, wenn auch nur verbale, um den korinthischen Boten zum Schweigen zu bringen (v. 1146), und Oidipus erst daraufhin erklärt, die Worte des Hirten bedürften eher der Züchtigung als diejenigen des Boten (v. 1147 f.). Dramenchronologisch vorgängig zur Identifikation des Kindes war der systematisch und sukzessiv nächste Schritt, bei dem Oidipus den korinthischen Boten, der, da ihm das Hintergrundwissen um Oidipus’ thebanische Abkunft fehlt, ähnlich ahnungslos und entschlossen wie dieser selbst auf die Ermittlung der Wahrheit drängt, bittet, den thebanischen Hirten zu identifizieren (v. 1119 f.). Dieser gibt nun bloß den Kithairon als gemeinsamen Ort der Weide mit seinem korinthischen Kollegen preis - der identische Ort dient hier wie beim Dreiwegmassaker als erster Anhaltspunkt - und mauert bei weiteren Angaben, die bereits die Kenntnis des korinthischen Boten und Hirten betreffen (v. 1127), indem er sie mit Gegenfragen pariert (v. 1129) oder Erinnerungsschwäche vortäuscht (v. 1131). Erst als der Korinther weitere Details angibt, sieht er sich schließlich veranlaßt, ihre damalige Begegnung einzuräumen (v. 1141: ). Bei der Übergabe des Kindes und erst recht bei seiner Identifikation mit dem anwesenden Oidipus mauert der Hirte erneut (v. 1142-1146). Daraufhin erzwingt Oidipus, indem er dem alten thebanischen Hirten die Arme auf den Rücken drehen läßt und ihm bei weiterer Weigerung wie zuvor seinem Schwager Kreon mit der physischen Eliminierung droht (v. 1166), 84 die ganze Geschichte erst von der Übergabe des Kindes, seiner Abstammung von Laios als Vater (v. 1171) und seiner Übergabe zur Tötung, um das Eintreten des transgressiven Orakels zu vermeiden. Damit erst ist auch für Oidipus seine transgressive und genealogische Identität unabweisbar klar (v. 1182-1185). Im Verhör hat er sich systematisch chronologisch und Punkt für Punkt rückwärts vorgearbeitet und so seine Identität mit dem Sohn des Laios bewiesen, über dessen Weitergabe und Orakel Iokaste ihn informiert hatte. Dieses stichomythisch zugespitzte Verhör (v. 1149-1175), dessen Spannung erst mit der Begründung des Hirten, warum er den Befehl des Laios nicht ausgeführt habe, und Oidipus’ selbstidentifikatorischer Erkenntnis gelöst wird (v. 1176-1185), ist also keinesfalls sachlich-logisch, wie Bohrer meint (2009: 329 „die objektiv schon geklärte Frage“), sondern nur dramatisch und pragmatisch eine Verzögerung vor der Aussprache der endgültigen Erkenntnis, wie Oidipus denn auch dem Hirten vorwirft (v. 1160: ’ 84 Vgl. dazu Rachel Hall Sternberg, „The Judicial Torture of Slaves“, in: Tragedy Offstage. Suffering and Sympathy in Ancient Athens. Austin 2006, 146-173. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 321 ). 85 Gegen Bohrer, der diese Szene apodiktisch unter seine eigene These subsumiert (2009: 329: „Was hier erkennbar vom Dichter emphatisiert wird, ist nicht der Wahrheitswille, sondern die langsame Verfertigung der Angst beim Reden“), muß geltend gemacht werden, daß in dieser Szene bloß diegetisch einzig Iokaste, als sie das Kind zur Vernichtung übergibt, eine Furcht unterstellt wird (v. 1175: ’ ) und, noch wichtiger, Oidipus sich, statt Angst zu empfinden, dem objektivierten Schrecklichen der transgressiven Identität stellt, das der Hirte klagend ankündigt und unterdrücken will (v. 1169 f.). 86 Das Verbaladjektiv mit dem vorausgehenden zeigt dabei Oidipus’ unerschrockenen Willen zur grausig-transgressiven Wahrheit. Dieser Wortwechsel läßt auch erkennen, daß das Schreckliche wie das Monströse eine Eigenschaft der Transgression ist. Daß es sowohl zum Reden des Hirten als auch zu Oidipus’ Hören tritt, zeigt deutlich, daß das Schreckliche der Transgression seine sprachliche Kommunikation zu torpedieren droht, und läßt Oidipus’ gewaltsame Erzwingung der Mitteilung und damit der Funktion der Kommunikation auch beim transgressiven Schrecken um so deutlicher als unerschrockenen Wahrheitswillen hervortreten. Positiv sticht Oidipus’ Haltung beim Verhältnis von Transgression und Zwang auch durch den interdramatischen Vergleich heraus: Während es Senecas Phaedra nicht gelingt, ihre Begierde zu unterdrücken, und die Furie im Thyestes Tantalus aus der Unterwelt an die Oberwelt zwingt, um das Kindermahl zu iterieren und zu inszenieren (v. 1-121), also die zukünftige Transgression nicht eingedämmt oder sogar erzwungen wird, erzwingt Oidipus gewaltsam die Mitteilungen, die ihn selbst als früheren Transgressor identifizieren. Der physische Zwang des Herrschers zur Aussprache liefert die logisch zwingenden Argumente für die genealogisch-transgressive Identität. Oidipus bleibt soziopragmatisch dank seiner politischen Überlegenheit der Souverän über die Sprache und kognitiv dank seiner guten Auffassungsgabe über das explizite Wissen. Außerdem übt er, da die erzwungene Information für den Fortgang des Dramas und dessen anfängliche Problemstellung relevant ist, eine metatheatralische Funktion als Regisseur aus. Unterdrückung und Erzwingung haben pragmatisch die sprachliche Kommunikation zum Gegenstand. Bei ihnen geht es um das (Nicht-)Aufdecken. Dadurch fügen sie sich in das Leitthema dieses analytischen Dramas ein, das (Auf-)Zeigen. 2.3.6 Fazit und die alles sehende Zeit Als Fazit dieser detaillierten Analyse der erforschenden Handlung läßt sich festhalten: Kognitives und Emotionales spielen komplex zusammen. Die emotionale Seite schlägt von der anfänglichen paranoiden Abwehr in Angst um. da dieser Umschlag durch zunehmende Indizien bewirkt wird, zeigt er die Rolle des Kognitiven beim Emotionalen. Auf der kognitiven Seite spielen kontingente Infor- 85 Dies spricht gegen die spekulative Projektionsthese, die Bohrer für die vorliegende Szene aufstellt (2009: 329): „Man fragt sich selbst, ob es nicht letzte Ausflüchte sind, die Oedipus dem Hirten vorwirft, die sein eigenes Weiterfragen motivieren.“ 86 .: ’ . / .: ’ ’ . 322 mationen durch die soziale Umwelt und Oidipus’ systematisches Fragen in bezug auf die fragliche und später seine Transgression und Identität zusammen. Hier stehen umgekehrt vielfach (sozio)emotionale Motive im Hintergrund. Insgesamt überführt dieses interaktiv-differenzierte Bild der erforschenden Handlung Schmitts These von Oidipus’ und des Chores verstocktem Nichtwahrhaben oder Bohrers Reduzierung auf die Angstrede als verkürzt und integriert doch diese Ansätze. Oidipus’ paranoid anmutenden Einlassungen gegen Teiresias, Kreon und Iokaste erklären sich ebenso wie seine vermeintliche Begriffsstutzigkeit 87 oder sein scheinbares Nichtwahrhabenwollen, die rein von der Warte des Wissensvorsprungs der thebanischen Interakteure oder der Rezipienten aufscheinen, aus seinem individuellen (Des-)Informationsstand und den Schlüssen, die er zuläßt oder nahelegt. Die scheinbar paranoide Abwehr des zuerst absurd anmutenden Transgressionsvorwurfs wird mit zunehmender Indiziendichte von einem verstärkten Wissenwollen abgelöst. Bei Oidipus verstärkt die wachsende Gewißheit seiner (wahren) transgressiven Identität die Furcht, sie könnte sich endgültig als wahr erweisen. Die Darstellung im Tragödiendialog, der keine auktorial-introspektiven Informationen liefert, bringt es mit sich, daß die Motive für Oidipus’ (Weiter-)Fragen teilweise im dunkeln bleiben. Konstant bleibt während der gesamten erforschenden Handlung Oidipus’ kognitive Kompetenz, auch wenn diese ihn paradoxerweise in die Erkenntnis seiner früheren intellektuellen Fehlleistung führt. Im vierten Standlied heißt es freilich, daß die alles sehende Zeit Oidipus, unabhängig von seinem Wollen ( ’), d.h. intentionenkontingent, ausfindig gemacht und seine ehelose Ehe ( ) und ihn als gleichzeitig Geborenen und Zeugenden verurteilt habe (v. 1213-1215). 88 Diese Aussage, die Oidipus’ eigene Leistung bei der Wahrheitsfindung vollkommen ausblendet, scheint Bohrer und allen ähnlich Argumentierenden recht zu geben. Doch geht es intradramatisch wohl eher darum, durch einen abermals zeitlichen Akteur Oidipus’ reduzierte Größe festzuschreiben, da dieser in v. 1082 f., nachdem er sich selbstherrlich-eskapistisch vor der Befragung des Hirten zum Kind der Tyche erklärt hatte, noch meinte, die bei seiner Geburt mitgeborenen Monde (bzw. Monate) hätten ihn als groß und klein bestimmt. Zudem bleibt auf der kognitiven Seite auch die Rolle Apolls, der nach der Schilderung des Dramas den Prozeß der Wahrheitssuche angestoßen hat und dessen Wissensvorsprung gegenüber Laios und Oidipus in den beiden prätransgressiven Orakeln hervortritt, unerwähnt. Die Zeit ist gewissermaßen die lachende Dritte beim Verhältnis von Gott und Mensch. Gegenüber Apolls punktuellem (Voraus)Wissen wird ihr eine universelle Schau zugeschrieben, die ihr eine metatheatralische Dimension verleiht. Heuner 2001: 99 f. arbeitet die „Selbstbezüglichkeit und Verdoppelung der Zeit“ heraus, die sich „quasi selbst zu[schaue], wie sie die menschlichen Angelegenheiten steuert.“ Eine solche Autoreflexion ist der Kern der stoischen Subjekthaftigkeit (vgl. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der 87 So auch Eckard Lefèvre, Die Unfähigkeit, sich zu erkennen. Sophokles’ Tragödien. Mnemosyne Suppl. 227. Leiden 2001, 127 f. zum Auftritt des korinthischen Boten. 88 Zur Rolle von Zeitangaben im Dramenverlauf des OT s. Segal 1995: 145-148. 2. Sophokles’ 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung 323 Tragik in der Einleitung) und zeigt treffend, daß Oidipus im Vergleich zu diesem Suprasubjekt nicht in voller Souveränität handelt, sondern vielmehr sein Objekt ist. Die Aussage des Chores stellt also - entsprechend dem Charakter eines Chorliedes, das nicht die genaue Kausalattribution in jeder Beziehung analysiert, sondern die Ereignisse reflektiert, kommentiert und insgesamt den Blick weitet - die Frage nach dem personalen Zutun an der Aufdeckung der transgressiven Identität ganz zugunsten einer abstrakten Größe zurück, die sowohl die Rolle der personalen Individuen als auch die äußeren Kontingenzen umfaßt, welche die Wahrheitsfindung angestoßen und ermöglicht haben und auf welche die un- oder besser noch überpersönliche Formulierung denn auch besonders abhebt. Diese Kontingenzen sind eigentlich Koinzidenzen. Auf deren besondere Rolle innerhalb der Handlung des OT hat denn auch bereits völlig zu Recht Douglas Cairns hingewiesen 89 und dabei - in der mimetisch kunstvoll kohärenten Handlungsstruktur dieser Tragödie (s. den Anfang von 2.6.2 Mimesis und Aristoteles und das Ende von 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung) - mehr Zufälle und zufällige Identitäten aufgedeckt, als die bisherige Forschung in Betracht gezogen hat (s. 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas). Dabei geht es nicht nur um Figurenidentitäten wie die des Hirten, der Oidipus aussetzen sollte, mit dem einzigen Überlebenden des Dreiwegmassakers oder die des korinthischen Boten mit dem Hirten, der Oidipus in Empfang nahm und an Polybos weiterreichte, die metadramatisch auf Oidipus’ für den Dramenverlauf zentrale Identität mit dem Mörder des Laios und dem Sohn der Iokaste verweisen (s. den Abschn. 2.2), sondern, so meine Deutung, auch um zeitliche Koinzidenzen. Hier wären unter den von Cairns genannten Ereignissen Polybos’ Tod und die damit verbundene Ankunft des Boten und Zeugen zu nennen, die mit dem Zeitpunkt der Pest zusammenfallen, der weit nach dem Dreiwegmassaker liegt, sowie auch Laios’ und Oidipus’ fataler Zusammenstoß am Dreiweg. Für Cairns bewegen sich diese Koinzidenzen am Rande der dramaturgischen Plausibilität. Er wertet sie statt dessen als Folge einer göttlichen Absicht. Diese These begründet er ex negativo damit, daß die als Erklärung in der Tragödie desavouiert werde. Daß die Pest möglicherweise durch Apolls Wirken auftritt und Oidipus beim Dreiwegmassaker gerade vom delphischen Apollorakel kommt, wäre dagegen ein fragwürdiger Beleg. Plausibler schiene mir der Brückenschlag zur vorliegenden Stelle, da die Binnenhermeneutik dann perfekt mit der Handlungsstruktur übereinstimmt. Der Chor benennt nämlich rückblickend die Rolle, welche zeitliche Koinzidenzen für die Entdeckung von Oidipus’ Täterschaft gespielt haben. Dabei geht es nicht nur um die Diachronie, die über den Abstand zwischen dem Dreiwegmassaker und der späteren Entdeckung von Oidipus’ Täterschaft aufscheint, sondern auch um die Synchronie der besagten Ereignisse innerhalb der erforschenden Handlung. Die „raum-zeitliche[n] Verschiebung“, die Heuner v.a. anhand der Antigone für die Tragik verantwortlich macht (2001: 187), führt also im Falle der göttlichen Ahndung 89 Divine and Human Action in the Oedipus Tyrannus. In: Ds. (Hg.), Tragedy and Archaic Greek Thought. Swansea 2013, 119-172, h. 133 f. 324 der Transgression erst zu der zeitlichen Koinzidenz, welche die katastrophale Entdeckung der Transgression erlaubt. Die Fokussierung auf den unpersönlichen Charakter der Wahrheitsfindung ist also für sich genommen eine statthafte Bewertung des Handlungsverlaufs. Sie ist diesem auch mit Blick auf Oidipus angemessen, wenn man die einzelnen Satzglieder passend in Beziehung setzt und dadurch ’ richtig deutet. Dieses Adjektiv bezeichnet keinen Widerstand, sondern nur ein fehlendes Wollen. Man wird es am treffendsten mit „ohne dass du es wolltest“ (so Manuwald, vgl. LSJ 27 s.v. „involuntarily, constrained“, nur „involuntarily“ zu S. OT 1230, aber DGE 161 I 2 s.v. „forzado, contra su voluntad, de mal grado“, „no deseado, forzado“ zu S. OT 1230) statt mit „gegen deinen Willen“ (so Steinmann) wiedergeben. Es zielt also auf die vielfältigen Kontingenzen des Erkenntnisprozesses, die Oidipus weder vorhersehen oder beabsichtigen konnte. An erster Stelle wäre hier die Pest zu nennen, dann aber auch die Identität des Boten, der die Nachricht von Polybos’ Tod überbringt, mit dem Hirten, der Oidipus an diesen weitergegeben und von Laios’ Hirten empfangen hat (v. 1020- 1044). Faßt man das Adjektiv als „gegen deinen Willen“ auf, weist Dawe 177 f. a.l., der ebenfalls klar den prima specie augenfälligen Widerspruch dieser Aussage zum vorausgehenden Bühnengeschehen sieht, bei dem Oidipus gegen alle Widerstände seine Identität gefunden habe, den Weg zu einem richtigen Verständnis. Von den drei Bedeutungsmöglichkeiten, die er skizziert, hält er diejenige für am wenigsten anfechtbar, daß es niemandes Wille sein könne, den Mutterinzest aufzudecken (vgl. v. 1213 f.), selbst wenn er entschlossen sei, auch die unangenehme Wahrheit zu finden. Auch wenn der Inzest erst bei und nicht schon bei steht, scheint diese Interpretation gangbar zu sein. Sie rückt ähnlich der hier vorgelegten die der Transgression immanente Abwehr in den Vordergrund, welche diese Arbeit auch als Monstrosität rubriziert. Daneben steckt in unseren drei Versen die Paradoxie, die unsere Interpretation als Handlungsmerkmal des OT und insbesondere von Oidipus’ Handeln und Geschick herausgearbeitet hat. Das intentionskontingente Aufgefundenwerden, das unsere drei Verse schildern, ist bereits auf der Inhaltsebene sensu etymologico paradox, d.h. wider Erwarten ( ). Auf der Ebene der Handlungskohärenz ist der Kommentar des Chores, wie bereits betont, prima specie widersinnig und zumindest unerwartet und regt dadurch zum Nachdenken an (vgl. Dawe 177 ad ’ „the word provokes thought“). Schließlich ist die Formulierung des Inzests ein klares stilistisches Paradoxon ( - ). 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität Die Frage, wie der Logozentrismus, den Oidipus im Verlaufe der erforschenden Handlung an den Tag legt, zu bewerten sei, spielt bereits in den subjektiven Problemkomplex der „Schuld“ und Verantwortung hinüber, die Oidipus an Transgression und Eliminierung hat und deren Binnenhermeneutik am Ende des vorausgehenden Abschnitts diskutiert wurde, da in beiden Fällen Oidipus’ Verhalten beurteilt wird. Daß Oidipus mit dem Totschlag seines Vaters und der 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 325 Heirat seiner Mutter zwei massive Transgressionen gegen seine Eltern begeht, steht in der Wertung des Stückes außer Frage. Daß er sie in Unkenntnis seiner und ihrer Identität vollbringt, spricht ihn von der Warte des rein subjektiven Horizonts nach unserer Auffassung vom Mutterinzest frei 90 und reduziert seine Schuld am Dreiweg auf die Frage nach der Legitimität des Totschlags. Hierauf konzentrieren sich denn auch die modernen rechtshistorischen Interpretationen, während der Mutterinzest, wie auch im Stück selbst - möglicherweise entsprechend der Un/ Darstellbarkeit der sexuellen Transgression, 91 aber auch wegen seiner kausalchronologischen Nachrangigkeit - nicht näher betrachtet wird. 92 Mit dem Mutterinzest (v. 791, 826, 1184 f.), für den die griechische Mythenfigur der modernen Psychoanalyse als Archetypos und fungierte, hat die Transgression auch in diesem Stück eine sexuelle Komponente. Sie wiegt um so schwerer, als sie innerhalb des antiken Dramas singulär ist und ein elementares Tabu verletzt, das bereits Primaten 93 und andere höhere Säugetiere beachten. Der Fall wird freilich noch dadurch komplizierter, daß Apoll Oidipus seine Transgression und Laios sein Schicksal vorhergesagt hat und diese durch ihr Verhalten versuchen, dem Vorhergesagten zu entgehen. Soweit die narratio bzw. die kausalchronologische Struktur der Handlung. Ihre Analyse darf nicht primär und ausschließlich anhand denkbarer abstrakter Handlungsalternativen geschehen, die in einem Gedankenexperiment mit dem strukturalistischen Verfahren der Identitätsbestimmung durch Abgrenzung die möglichen Handlungsspielräume der Akteure ausloten. Tunlichst vermieden werden soll dabei der unterschwellig besserwisserische und akkusatorische Ton, in den Schmitt (1988: 22), Flaig (z.B. 1998: 119 f.) und jüngst partiell auch Bohrer (2009: 323, 325) verfallen und der für den pädagogischen Einsatz charakteristisch ist, den die kaiserzeitliche Stoa bei Epos und Tragödie pflegt (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa). Bereits Dodds hat treffend herausgearbeitet, daß derartige lebensweltliche Überlegungen („in real life“), was alles an Vorkehrungen Oidipus v.a. nach der Weissagung des Orakels hätte tun und vor allem lassen müssen, die dramatische Fiktion ignorieren und das interpretatorische Prinzip vernachlässigen, daß, was im Text nicht erwähnt ist, nicht existiert (1973: 68), 94 oder anders gewendet, daß sie es ihrerseits versäumen, nach dem 90 Auch nach Schadewaldt 1970: 467 trifft Oidipus keine Schuld, weil er „all das Furchtbare, das er getan hat, weder vorsätzlich noch fahrlässig, sondern unwissentlich getan“ hat. Schadewaldt gibt damit die Bewertungsformel dieser Arbeit von Oidipus’ Transgression als (un)wissentlich und (un)willentlich vor. 91 Bernhard Teuber, Der un/ darstellbare Kindermord. Tragische Transgression und Ethnographie der Tragödie am Beispiel der Medea. In: Gerhard Neumann, Rainer Warning (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 243-255, h. 247 f. 92 Heuner klammert etwa „den Beischlaf des Ödipus mit seiner Mutter“ aus, da er mehrmals vollzogen worden sei und seine Bedeutung sich aus der Klärung von Oidipus’ Identität ergebe (2001: 66). 93 Andreas Paul, Von Affen und Menschen. Verhaltensbiologie der Primaten. Darmstadt 1998, 14. 94 Das Argument der Textuntreue (hier im Falle von Oidipus’ fehlenden Selbstvorwürfen) wendete bereits Kurt von Fritz gegen solche kontrafaktischen Lektüren ein („Tragische Schuld und 326 Sinn des Ausgesparten zu fragen. Die Analyse der Handlung muß statt dessen v.a. die Darstellung und Bewertung in der Tragödie selbst berücksichtigen, die als analytisches Drama in dieser Hinsicht an Kommentaren der Akteure zu früheren Taten recht ergiebig ist. Zu ihrem positivistisch abgesicherten Recht kommt die strukturalistische Methode dadurch, daß die tödliche Begegnung von Vater und Sohn am Dreiweg in verschiedenen Versionen überliefert ist. 95 Jedes Detail erlangt so eine interpretatorische Bedeutung, sofern es sich von den Parallelüberlieferungen unterscheidet. Zuerst soll nun im folgenden Unterkapitel 2.4.1 der Konflikt am Dreiweg untersucht werden, sodann die ihm kausalchronologisch vorgängige Reaktion der beiden Kontrahenten auf das Apollorakel. Dabei soll in einem ersten Schritt nach der Legitimität der subjektiven Motivation gefragt (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie) und daran anknüpfend die Tragik des Protagonisten und deren Paradoxie entwickelt werden (s. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression), die sich auch außerhalb der Tragik nachweisen läßt (s. 2.4.4 Paradoxon, und (se)mantische Binnenhermeneutik). In einem zweiten Schritt soll erörtert werden, inwieweit das Ausweichen vor dem vom Orakelspruch verkündeten Geschick eine Transgression darstellt (s. 2.4.5 Transgression und Orakel). 2.4.1 Kollision am Dreiweg Egon Flaig hat die wortlose Aggression des Laios und seiner Begleiter daraus erklärt, sie hätten Oidipus aufgrund seines Verhaltens für einen Wegelagerer halten müssen, und bereits hier Oidipus’ Schuld verankert (1998: 14). Die juridisch-sachliche Richtigkeit dieser Interpretation sei dahingestellt. 96 Sie verliert innerhalb des Handlungsverlaufs des Dramas jedoch dadurch an Bedeutung, daß Oidipus’ Anwesenheit an diesem Ort das Ergebnis seines Ausweichens vor dem Götterspruch ist. Gewiß: Hätte Oidipus sich abdrängen lassen, statt jähzornig (v. 807: ’ ) und rachsüchtig-übermäßig (v. 810: ’ ) die Gewalt zu erwidern, hätte er nicht das Verbrechen des Vatermordes begangen. Der Transgression wohnt freilich nur dann ein psychologisch-moralisches Element inne, wenn man Affektkontrolle und Maßhalten als Normen zugrunde legt und stoisch-christlich das Erdulden nicht nur sozialer, sondern auch körperlicher Integritätsverletzung einfordert (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen). Die wortlose, plötzliche Aggression der poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie“, in: Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 1-112, h. 8). 95 Vgl. Herbert Grassl, König Laios trifft auf Ödipus. Überlegungen zur Organisation des Wagenverkehrs im Altertum. GB 24 (2005) 191-196, h. 192 f. (Näheres s. weiter unten). 96 Daß ein einzelner Reisender ohne erkennbare Fernwaffen eine Bedrohung für eine fünfköpfige Reisegesellschaft darstellt, die überdies mit einem Wagen über ein schnelles Fluchtmittel verfügt, scheint absurd. Ihn als Lockvogel einer ganzen Räuberbande anzusehen ist spekulativ, und ihn als solchen zu attackieren scheint wenig probat. Daß der Herold Oidipus zum Räumen der Fahrbahn aufgefordert haben müsse, wie Flaig behauptet (1998: 98), steht nicht im Text, der nur die Gegenwart des Herolds bei der Dreiwegsepisode erwähnt (v. 802). 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 327 Reisegesellschaft 97 macht jedoch Oidipus’ Jähzorn - zumindest in dessen post festum-Darstellung - verständlich. Seine Totschlagsorgie geschieht somit im Affekt. 98 Auch Hesiod fordert noch nicht die biblisch maßvolle Talion, sondern empfiehlt die doppelte Vergeltung (Op. 709-711). 99 Zierl weist darauf hin, daß der Zorn „nicht als grundlose Aufwallung, sondern als prinzipiell berechtigte moralische Empörung über eine willkürliche Verletzung der Ehre oder des Rechts der Person“ erscheine (1994: 125). Dieser Zorn aus verletzter Ehre steht durchaus in epischer und tragischer Tradition (Zierl 1994: 132). Eva-Maria Engelen meint sogar, Oidipus’ Zorn und die Handlung, die aus ihm folge, seien den damaligen Zuschauern nicht als ungerechtfertigt erschienen. 100 Walter Nicolai weist m.E. treffend darauf hin, daß Oidipus wie der „tragische Held“ in allen sieben Sophokleischen Tragödien sich gegen die unbillige Kränkung eines institutionell überlegenen despotischen Amtsinhabers zur Wehr setze, freilich um den Preis einer moralisch fragwürdigen Reaktion und seines eigenen Untergangs. 101 Gegen Jean Bollacks Deutung, die Reisegesellschaft habe Oidipus eine rücksichtsvolle Behandlung verweigert, die ihm als Königssohn zustehe, 102 wendet Flaig ein, nach Alter, Status und Reiseweise 103 sei Oidipus der Inferiore 97 So auch Zierl (1994: 124: „Die Gewalt geht von der Gruppe des Alten aus; […].“) und Nicolas R. E. Fisher (Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece. Warminster 1992, 340: „[A]t each stage the violence and the escalation of violence to an attempt to kill came from Laius’ man and from Laius himself […].“). Flaig 1998: 98 verdreht den Text, indem er die , die Oidipus der Reisegesellschaft zuschreibt und welche die physische Aggression eröffnet, für dessen überempfindliche Interpretation des Gebots hält, den Weg zu räumen. 98 Nach Arist. EN 1110b 26 f. handelt der Zürnende ( ) wie der Trunkene im Unwissen ( ’ ). Näheres dazu s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung. Weiteres zur Legitimität des Zorns ( ) in der klassischen Philosophie s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts in der Medea-Interpretation. 99 Flaig 1998: 104-111 problematisiert, von diesen beiden Prinzipien ausgehend, die gesellschaftszerstörende Gewalt der Eskalation, muß aber selbst herausarbeiten, daß die Rechtsprechung im zeitgenössischen Athen nur bedingt erfolgreich bei ihrem Bemühen war, die Eskalation einzudämmen, wohl weil sie tief im Empfinden breiter Bevölkerungsschichten verankert gewesen sei und ein „Riß“ den Areopag und die Gesellschaft gespaltet habe (v.a. S. 107-110): „Sophokles rührt also an eine wichtige Stelle des sozialen Zusammenhalts der athenischen Bürger untereinander und an einen sehr wunden Punkt im Normbewußtsein dieser Bürger.“ Aus dem von Flaig geschilderten Dilemma des Rechtsempfindens ergibt sich aber auch, daß Oidipus in den Augen des Primärpublikums nicht (gänzlich) schuldig sein konnte. 100 Eine kurze Geschichte von ‚Zorn‘ und ‚Scham‘. Archiv für Begriffsgeschichte 50 (2008) 41- 73, h. 49. 101 Zu Sophokles’ Wirkungsabsichten. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 89. Heidelberg 1992, 7-12. 102 Sophokles - König Ödipus. Übersetzung, Text, Kommentar. Frankfurt a.M. 1994, 186-190. Im Text steht freilich kein Hinweis darauf, daß Oidipus als solcher an seinem Gewand o.ä. zu erkennen gewesen sei. 103 Er spricht von „dem selbstverständlichen und daher ungeschriebenen Gesetz, als Fußgänger einem Wagen auszuweichen“. Jean-Pierre Vernant, Œdipe à contretemps (1999). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 120-132, h. 123 läßt dagegen offen, ob Oidipus zu Fuß oder auf seinem Wagen unterwegs war, und weist darauf hin, daß zwei Wagen am Dreiweg einander nicht passieren konnten. Daß diese Passage sogar zweimal (v. 798) bzw. sein Kompositum (v. 808) für Oidipus’ Bewegung verwendet, spricht nicht nur semantisch, sondern auch literarisch massiv für einen Fußgänger (vgl. LSJ 1637 s.v.). Im Altertum gab es 328 (1998: 111 f.). Freilich hebt Bollack auch auf die statusneutrale rein kinetische Tatsache ab, daß der Troß seine Fahrt fortsetze, ohne auf Oidipus’ Existenz Rücksicht zu nehmen, sieht dies jedoch auch als Mißachtung der ihm gebührenden Behandlung (1994a: 187). Die Aggression der Reisegruppe ist um so unverhältnismäßiger, wenn Oidipus tatsächlich als Fußgänger unterwegs war und als solcher auch verkehrstechnisch keine ernstzunehmende Gefahr darstellte. Zierl weist zu Recht darauf hin, daß „Oidipus’ Verhalten berechtigt, ja im Sinne des adligen Ehrenkodex geradezu gefordert“ sei. Allerdings sei das Massaker an den Dienern „psychologisch immer noch verständlich, moralisch aber zweideutig“. Der entscheidende Punkt, auf den er weiter abhebt, ist jedoch, daß Oidipus’ Verhalten weder von ihm selbst noch einer anderen Dramenfigur oder dem Chor getadelt werde (1994: 125). Die Binnenhermeneutik, die in der Einleitung als wichtiger Indikator für die Transgression definiert wurde (s. 1.2.3 Tragödie, Transgression und Gesellschaft), stuft das Massaker an der Reisegesellschaft also nicht als Transgression ein. 104 Auf den fehlenden Tadel weist bereits Pohlenz 1954: Bd. 1, 213 hin, der wie Zierl Oidipus’ Eskalation als „Zornestat“ sieht und die Tatsache, daß Oidipus den auf einsamer Landstraße zuerst Schlagenden zurückschlage, sogar als Notwehr einstuft, die nach attischem Recht straffrei sei. 105 Er wertet den Ort und die Handlungsabfolge also - zu Recht - in tatsächlich beide Versionen von Oidipus’ Fortbewegungsart, wobei Grassl 2005: 192 f. - anders als hier favorisiert - den OT zum Überlieferungsstrang rechnet, bei dem er sich auf einem Wagen fortbewegt (Dawe und Jebb schreiben nichts zu dieser Frage). Die nachfolgende kritische Durchsicht der Belegstellen, die Grassl für beide Versionen anführt, wird jedoch viele Belege für Oidipus auf dem Wagen als wenig belastbar überführen und nur einen eindeutigen übriglassen, nämlich den von Grassl zuerst bemühten Beleg, Apollod. 3.5.7 (= 3.51: ’ ’ ). Ferner nennt er für Oidipus im Wagen zwei eher zweifelhafte Belege aus Tragikern, nämlich A. Frg. inc. fab. (= TrGF Bd. 3 Frg. 387a: / […]); doch scheinen mir hier die Unsicherheiten über den Sprecher und die imaginierte Situation keine Aussage über Oidipus’ Fortbewegungsmittel zuzulassen, außerdem E. Ph. 37-42, wo die Einordnung fraglich ist (vgl. v.a. 41: ’ ’ ; zudem schickt Oidipus nach dem Totschlag Laios’ zu Polybos). Wesentlich eindeutiger sind dagegen, mit einer Ausnahme (D.S. 4.64.2: ; eigentlich unergiebig für die Frage nach der Fortbewegungsart), die von Grassl angeführten Stellen für Oidipus als Fußgänger: Nic. Dam. FGrH Nr. 90 Frg. 8 (Oidipus kommt auf der Suche nach Pferden nach Orchomenos), Hyg. fab. 67,3 (rex equos immisit et rota pedem eius oppressit), Sen. Oed. 768-772 (v.a. 770 f.: cum prior iuvenem senex / curru superbus pelleret), ferner LIMC Bd. 6,1 S. 186 & Bd. 6,2 S. 87 Art. Laios (Oidipus attackiert Laios als Fußgänger, drei Abbildungen). 104 Auch die Verbannung in die Diegesis (s.u.), gemeinhin ein probates Mittel zur Darstellung der Transgression (s. 1.2.2 Dramatische Transgression und Narratologie in der Einleitung), ist kein valables dramaturgisches Kriterium, da dies die einzige Möglichkeit ist, die längst vergangene Transgression zu evozieren. 105 Vgl. von Fritz 1962: 7: „Niemand in der klassischen Zeit des Griechentums hätte es als ein Verbrechen betrachtet […], wenn jemand an einem einsamen Ort, wo es keine Polizei und keine Gerichtsordnung gibt, einen Fremden, von dem er sich angegriffen und bedroht fühlt, erschlägt. Hier gilt die Regel: Wer zuerst schießt, bleibt am Leben. Jeder Mann aus Texas würde das heutzutage noch ohne weiteres verstehen […].“ Der letzte Satz ist hier als interkulturelles Kuriosum zitiert. Doch noch Corneille bemerkte, Oidipus habe am Dreiweg als „homme de 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 329 umgekehrter Weise wie Flaig. Seine Formulierung von dem fehlenden „Gefühl subjektiver Schuld“ des Oidipus ist allein schon durch die Verbindung von „Gefühl“ und „subjektiv“ mißverständlich, scheint allerdings das Verhalten der Dramenfigur, das bei ihm sehr nach dem geistesgeschichtlich jüngeren Kriterium des Gewissens beurteilt wird, als Indiz für deren forensische Unschuld zu werten. 106 Daß Oidipus in den Augen des Athener Publikums die arrogante, a-soziale, gesellschaftszerstörende und im 4. Jh. radikalisierte Adelsethik problematisiere, so Flaig (1998: 112-115), läßt sich, zumindest in den Augen des Athener Demos, auch umgekehrt lesen: Oidipus’ respektlose, auf die eigene Ehre pochende Eskalation schlägt die aristokratische Arroganz mit ihren eigenen Waffen und überführt sie damit als Phänomen der Selbsteliminierung. Daß der in den Augen des Adligen kleine Mann sich nicht abdrängen läßt und erfolgreich zurückschlägt, könnte die im Theater versammelten Plebejer durchaus mit Genugtuung erfüllt haben. Die Transgression egalisiert die Ungleichheit zwischen Fußgänger und Wagen, der als Instrument der transgressiv-ehrverletzenden aristokratischen Arroganz und als Anlaß der eskalativen Transgression fungiert. Hier deutet sich an: Flaigs profunde mentalitätsgeschichtliche Kontextualisierung kann helfen, die Legitimität von Handlungen in der Tragödie anhand zeitgenössischer Normen zu prüfen, ohne die keine soziale Transgression festgestellt werden kann. Die literarische Darstellung der Transgression liegt - wie die Tragik (trotz des Titels seiner Untersuchung) - jenseits seines Erkenntnisinteresses. Ihm ist es um den fait social bzw. politique, nicht den fait littéraire zu tun (vgl. Flaig 1998: 41-55). Es ist wohl kein Zufall, daß die für das Stück kardinale Grenzüberschreitung, die in elementarer, roher und präzivilisierter Gewalt besteht, außerhalb der Grenzen der Polis in einem „no man’s land [Kurs. im Orig.]“ (so Segal 1980a: 111) stattfindet. Die Polis gewährleistet Rollen und Identitäten, die ihrerseits die Grundlage für soziale Praktiken und Rituale bilden. Im Niemandsland, um dessen privilegierte Nutzung es bei dem Konflikt auch geht, muß die Ordnung von den anonymen Kontrahenten ausgefochten werden, wenn die sprachliche Verständigung versagt. Die Sprachlosigkeit des Gemetzels verweist auf die kommunikative Dysfunktion, die zwischen Oidipus und Apoll auftritt und ebenfalls für die Transgression verantwortlich ist. 107 Gewalt ist also das Ergebnis unzureichenden Sprachgebrauchs. 108 cœur“ gehandelt, indem er sich gegen den Angriff eines Unbekannten verteidigt habe, und trage keinerlei Schuld (von Fritz 1962: 38). 106 Fisher 1992: 341 sieht Oidipus (wie Iokaste) als „essentially innocent“ an, doch geschieht diese Einstufung vor dem Hintergrund seiner Fragestellung nach der hybris. 107 Für Flaig 1998: 123 korrelieren sogar Oidipus’ Kommunikationsverlust und seine (übereilte) Entscheidungsgeschwindigkeit. Charles Segal, La musique du Sphinx. Le problème du langage dans l’Œdipe-Roi (1980). In: Ds., La musique du sphinx. Poésie et structure dans la tragédie grecque. Traduit par Catherine Malamoud et Max-Peter Gruenais. Paris 1987, 107-127 hat umfassend und mustergültig die kommunikative Dysfunktion untersucht, die zwischen Oidipus, den Orakeln und dem Rätsel der Sphinx herrscht und Oidipus’ antithetisch-ambivalente Identität betrifft. Dabei verwendet er wie die vorliegende Arbeit semiotisches Vokabular (1987: 107 330 Dieser Nexus hat nicht nur eine pragmatische, sondern auch eine ästhetische Seite: Die Sprachlosigkeit der dargestellten Transgression verhält sich dabei diametral zu ihrer Darstellung in einem Bericht, 109 in welchem die theatralischen Elemente zugunsten der Stimme zurücktreten. Deren fiktive Kraft, welche die gesamte Erzählung der Massakerszene trägt und diese evoziert, und die Identität von Erzähler und Protagonist sprechen dafür, diese Diegesis paradoxerweise nicht nur wie Atossas Traum als thematische Doppelung des Stoffes en miniature, sprich: mise en abyme, sondern auch auf der formalen Ebene als metadramatisch einzustufen, da das Drama von mimetischen Sprechakten getragen wird. Demgegenüber ist die Schilderung durch ihren Verzicht auf Ton und die Beschränkung auf die Abfolge von Handlungen genuin dramatisch. Die Lautlosigkeit des Massakers ist, selbst wenn sie Oidipus’ knapper, an Zeugenaussagen vor Gericht orientierter Berichtform geschuldet ist, die keine epische Breite und heroische Kampfschilderung zuläßt, ein bemerkenswertes ästhetisches Mittel zur Darstellung der Transgression. Im Homerischen Epos wird dagegen gerne auf den Lärm der Schlacht verwiesen, 110 den auch die Griechen in Aischylos’ Persern vor der Schlacht von Salamis in einem episch gehaltenen Botenbericht erschallen lassen (v. 388-391, 392-395). Der akustische Unterschied der Darstellung zeigt an, daß Oidipus trotz seiner Kampfesleistung keine Heldentat vollbringt, sondern ein Verbrechen begeht. Die von der Figurenrede evozierten Bilder und Handlungen folgen wie in einem (Stumm-)Film aufeinander. Oidipus’ Schilderung ist damit ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie die theatralische Diegesis als Visualisierungsstrategie des Dramas fungieren kann. 111 Das cineastische Mittel des Offs evoziert dabei die soziale Isolation und die totale faktische Differenz, in die der Verbrecher geschleudert wird, 112 und korrespondiert mit dem Fehlen an szenischen Zuschauern (der einzige Überlebende fungiert nur als kriminologischer Zeuge), welche die Tötungsszenen anderer Tragödien beobachten. Allerdings fehlt mit dem szeneninternen Publikum auch der Appell des Opfers und der Impuls zur Hilfe, wie sie bei Medeas Mord an den eigenen Kindern anzutreffen sind, und dadurch die ethische Distanzierung von der Tat sowie ein Hinweis auf ihre Transgressivität. Die Ausschaltung der f.). Segal 1986: 27 sieht auch in Sophokles’ Trachinierinnen ebenfalls ein „failure of mediation“ und das Ende der normalen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern. 108 Diese handlungsanalytische Feststellung impliziert selbstredend nicht die kontrafaktische und banalisierende Schlußfolgerung, Laios und Oidipus hätten einfach nur miteinander reden sollen und die tödliche Gewalt hätte vermieden werden können, da für diese noch weitere Faktoren verantwortlich waren (nicht zuletzt die beiderseitige Unkenntnis der familiären Identität). 109 Näheres zu diesem dramaturgisch-narratologischen Mittel s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung. 110 Oliver Hellmann, Die Schlachtszenen der Ilias. Das Bild des Dichters vom Kampf in der Heroenzeit. Diss. Freiburg 2000. Hermes Einzelschriften 83. Stuttgart 2000, 93. 111 Ausführlich untersucht wurde diese veranschaulichende Wirkung des dramatischen Wortes bei Seneca tragicus (Alexander Kirichenko, Lehrreiche Trugbilder. Senecas Tragödien und die Rhetorik des Sehens. Habil. Trier 2011. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften 2 N.F. 142. Heidelberg 2013, 10 f.). 112 Vgl. Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978, 33, 35. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 331 Wahrnehmung spiegelt nämlich die juristische Tatsache, daß Oidipus den Vatermord unwissentlich begeht. Die gespenstische Lautlosigkeit der Transgression spiegelt dagegen deren Unsagbarkeit qua religiöse Befleckung. Sie ist wie die Transgression singulär und läßt deren faktischen Wesenskern deutlich hervortreten. Das Ausblenden des Tons und das Ausschalten des Gehörs bei der Transgression antizipieren schließlich paradigmatisch die Eliminierung des Gesichtssinns bei ihrer Entdeckung. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie Die (Beweg-)Gründe für Oidipus’ und Laios’ Verhalten, in dessen Zentrum die Transgression des Sohnes steht, und dessen Bewertung entscheiden nicht nur über die Frage nach „Schuldhaftigkeit“ und Tragik der Transgression und das Bild der betreffenden Figuren, sondern auch über den dominierenden Zug, der im Stück ausgemacht wird (Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie). Vielleicht hat die Tatsache, daß die Transgression vor der erforschenden Handlung liegt und somit unabänderlich feststeht, dazu beigetragen, den falschen Eindruck zu erwecken, bei dem Oidipus Tyrannos handle es sich um eine Schicksalstragödie. 113 Pohlenz hat sogar die Auffassung zurückgewiesen, der OT sei eine „Schuldtragödie“ (1954: 213 f.). Seine Ansicht beruht auf seiner Einschätzung des Dreiwegmassakers und von Oidipus’ Reaktion in der erforschenden Handlung als nachvollziehbar, die zwar in der vorliegenden Arbeit weitgehend geteilt wird, aber nicht unumstritten ist. Pohlenz geht jedenfalls bei seinen Argumentationen unausgesprochen (er selbst spricht nur davon, daß in den betreffenden Taten keine tragische Schuld zu suchen sei und daß Oidipus bei dem Dreiwegmassaker kein Bewußtsein einer subjektiven Schuld habe) von dem Begriff und Nichtvorliegen einer juridisch-moralischen Schuld aus, die - anders als die unbestreitbar vorliegende religiöse Schuld - an individuelle Modalitäten geknüpft ist. Doch hängt die detaillierte Erörterung der Frage nach der Schuld mit derjenigen des Charakters zusammen, da dessen negative Züge eine Disposition für individuelles Fehlverhalten bieten. In der Tat wurden als Gründe für Oidipus’ Transgression in der Vergangenheit vielfach von dieser unabhängige subjektive Unzulänglichkeiten des Protagonisten ausgemacht, die durch ihre Konstanz stark ins Charakterliche hinüberreichen. Die vorliegende Arbeit verortet die Gründe für die Transgression nicht außerhalb von ihr in den Akteuren oder äußeren Faktoren, sondern in ihr selbst, nämlich in der Monstrosität, die im Wesen der vorhergesagten Transgression liegt, und in der Fehlauslegung der Orakelsprüche, die der Abscheu vor den monströsen Transgressionen entspringt. Als Einstieg läßt sich rein deskriptiv festhalten, daß Oidipus’ Verhalten auch nach damaligen Maßstäben nicht unproblematisch war. Unbeirrt-intransigent agiert er nämlich nicht nur am Dreiweg, sondern auch im ersten Teil des Dramas 113 So Freud 1996: 266. Dagegen steht der fast einhellige Konsens der klassischen Philologie, so Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 3 1972, 226, Pohlenz 1954: Bd. 1, 216 f., Schadewaldt 1970: 466 f. und Dodds 1973: 70. 332 gegenüber seiner sozialen Umwelt, zuerst Teiresias und Kreon (v. 345-349, 512-630) und schließlich selbst Iokaste (v. 1062 f., 1070, 1078 f.). Da seine Anschuldigungen und Unterstellungen gegenstandslos sind, handelt es sich hierbei objektiv um soziale Transgressionen. Mehr noch: So, wie die Tragödie Oidipus’ Verhalten schildert, mußte er dem Athener Publikum als Tyrann erscheinen. 114 Wohlbemerkt: Oidipus’ Verhaltensmuster entspricht dem, was man in der politischen Ethik unter tyrannisch auffaßte. Sein Tyrannentum ist also eine spezifische Rolle, welche die Figur des Königs Oidipus ähnlich seinem Schwager Kreon in der Antigone spielt 115 (Näheres zu diesem sozialen Verhaltenstyp s. 2.5 Zum Ort der Mimesis: Maske und Rolle in der Einleitung). Gegen Bernard M. W. Knox’ staatsrechtliche Überlegung, Oidipus sei wie Gyges, der als erster den Namen Tyrann in der überlieferten griechischen Literatur getragen habe, durch die Usurpation der Herrschaft an die Macht gelangt, 116 wendet Flaig zu Recht ein (freilich zur Erklärung von v. 873: im umstrittenen zweiten Stasimon), 117 die Machtübernahme sei eine unbeabsichtigte Folge des Vatermordes und sei eher im Sieg über die Sphinx verankert (1998: 63, 85). 118 Die Akzeptanz der lokalen Devianz hätte Oidipus am Dreiweg die moralisch-juridische erspart. Während er gegenüber dem Orakel seinen Weg hätte unverändert fortsetzen müssen, hätte er ihn hier ändern müssen. Erst die Kombination dieser falschen Wegentscheidungen, bei denen beiden Oidipus einem scheinbar Stärkeren nicht nachgibt, führt zum Vatermord und nachfolgend zum Mutterinzest. Weit heikler gestaltet sich die Suche nach den Hintergründen: Ist Oidipus’ geschildertes exzessives Verhalten der letzte Grund für seine Transgression? Oder verhält es sich vielleicht fast eher umgekehrt (dies soll hier dargetan werden soll)? Denn es greift sicherlich zu kurz, den Oidipus Tyrannos auf die banale Volksweisheit des zu reduzieren. Anspruchsvoller wäre es, diese Maxime mit Heraklits Sentenz (DK 22 B 119) zu verbinden und das Stück damit als eine Charaktertragödie zu deuten, 119 bei der sich ein bestimmtes ethisches Prinzip durch seine uneingeschränkte Perfor- 114 Flaig 1998: 64-91, v.a. 86. Edmunds, der das Thema umfassend behandelt, weist sogar nach, daß Oidipus in der Kreon- und Teiresias-Szene der spezifisch athenischen Tyrannisideologie entspricht, die über den Gegensatz zu demokratischen Gleichheit bestimmt ist (2002: 65, 67- 70). 115 Vgl. Ringer 1998: 78 f. 116 Why is Oedipus Called Tyrannos? CJ 50 (1954) 97-102, h. 99. 117 Auch Edmunds 2002: 64 bestreitet, daß dieser Vers auf Oidipus zu beziehen sei, und beruft sich dafür auf die Konventionalität der vorgetragenen Gedanken (S. 82-92, v.a. 88). 118 Dies sowie das von dem Normalschema einer Tyrannenkarriere nach athenischer wie panhellenischer Tyrannenideologie abweichende Ende betont auch Edmunds 2002: 95 f. 119 Nach Flaig 1998: 104 erörtern Aischylos’ und Sophokles’ Tragödien die politische Dimension dieses Satzes, dessen erste und letzte Nomina Flaig einfach durch die lexikalischen Äquivalente „Ethos“ und „Dämon“ wiedergibt, was sie entweder nicht erklärt (Ethos) oder verfremdet (Dämon). Aischylos entlarve diesen Satz in der Orestie und im Agamemnon. Wie es sich mit Sophokles’ Oidipus im OT verhält, bleibt bei Flaigs legitimer, aber einseitiger politischer Lektüre offen. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 333 manz selbst zerstört. 120 In der Tat hat Arbogast Schmitt den Oidipus Tyrannos als Warnung vor einem vorschnellen Urteil gelesen. Darin ist ihm Flaig gefolgt, der die politische Gefahr des übereilten Handelns herausgearbeitet hat. 121 Zudem hat Schmitt diese Voreiligkeit als Ausdruck einer charakterlichen Disposition gedeutet. Das vorschnelle Urteilen und Handeln führe dazu, daß Oidipus die Möglichkeiten zu richtigem Handeln nicht nutze, die er - entgegen den Annahmen, sein Fehlverhalten sei unausweichlich - durchaus habe. 122 Diese vermeidbare, einmalige Fehlhandlung entspreche der aristotelischen (1988: 28). Diese Analyse der Kausalität der Handlungsstruktur entwickelt Schmitt überzeugend am Text der Sophokleischen Tragödie. Sie entspricht durchaus weitgehend der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht. Gleichwohl ist sie nicht frei von Widersprüchen und läßt wichtige Aspekte der Tragödie unbeleuchtet. Auch die philosophie- und tragiktheoretische Einbettung von Schmitts Deutung argumentiert nicht immer stichhaltig oder vernachlässigt gewisse Aspekte (Grundsätzliches s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Benjamin, Bohrer, A. Schmitt in der Einleitung). Da Schmitt einer der profiliertesten Forscher zur antiken Tragödie und Philosophie ist, verdienen seine Thesen eine eingehende Besprechung. Der Marburger Gräzist (1988: 11 f.) referiert die Kritik des Peripatetikers Alexander von Aphrodisias an stoischen Thesen, Laios’ und Oidipus’ Schicksalsverlauf sei durch Apolls Orakel bereits vorherbestimmt, so daß sich ihr eigenes Handeln auf die beschränkt habe, dieses Schicksal anzunehmen, 123 und macht sie zur Grundlage seiner Interpretation des Oidipus Tyrannos. 124 Gerade die , die freilich in dem von Schmitt ange- 120 Die tragische Selbstaufhebung von Integrität und Subjekt findet dagegen immer in einer kontingenten Situation statt. 121 1998: 117-126, v.a. 118: „Ödipus handelt immer schnell, und meistens zu schnell.“ 122 Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen ‚König Ödipus‘. RhM 131 (1988) 8-30, h. 14, 17, 22, 26, 28. 123 Fat. §§ 22-31 (= S. 191,26-204,6 Br.), v.a. § 30 f. [= S. 200,12-204,5 Br. SVF II 940 f.]. Alexander will an der stoischen Tragödienauslegung die Problematik der Verbindung von göttlichem Vorherwissen und Vorherbestimmung illustrieren (§ 30 SVF II 940). Er referiert kommentierend die stoische Position, Apoll habe zur Vollendung des ‚Schicksalsdramas‘ ( ) Laios durch den Orakelspruch die Vorstellung eingegeben, er könne sich gegen den Inhalt der Prophezeiung schützen (§ 31: , = S. 201,32-202,25 Br. = SVF II 941). Alexanders eigener Lösungsvorschlag, die Orakel gäben nur Ratschläge, trifft auf den Wortlaut der Sprüche nicht zu, die im OT Laios und Oidipus gegeben werden, da sie das zukünftige Schicksal der Adressaten zum Inhalt haben. Gegen das Argument der Stoiker, Apoll gebe das Orakel, weil ohne es Laios’ und Oidipus’ Lebenswendung ( ) nicht eingetreten wäre, wendet er nicht zu Unrecht ein, diese Sichtweise mache Apoll zum Urheber ( ) des Geschehens, das er vorhersagt. Treffend ist sein Hinweis, die stoische Deutung mißachte die Fiktionalität der Tragödie (alles § 31 = S. 202,12- 15, 202,27-204,1 Br.). Er läßt damit die Erkenntnis anklingen, daß die Paradoxie und Intrikatheit der kommunikativen Interaktion von Mensch und Gott und der daraus resultierenden Kausalität der Transgression kaum in die rationalen Kategorien der antiken Philosophie gebracht werden kann. 124 So noch Arbogast Schmitt, Wesenszüge der griechischen Tragödie: Schicksal, Schuld, Tragik. In: Hellmut Flashar (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum V. Stuttgart, Leipzig 1997, 5-49, h. 27, 29. 334 führten Passus des kaiserzeitlichen Peripatetikers nur einmal erscheint, und das nicht als stoischer t.t., sondern metadiskursiv als Ziel der eigenen Argumentation (§ 26 S. 196,20 Br.), liefert jedoch ein Theorem, das eine stoische Formulierung von Schmitts Beobachtungen erlaubt. Oidipus’ von Schmitt diagnostiziertes übereiltes Urteilen läßt sich nämlich als übereiltes Erteilen ( ) der Zustimmung deuten, das neben anderen Faktoren für die Fehler im Leben verantwortlich sei (SVF III 172). Nur der , nicht aber der Tüchtige erteile seine Zustimmung übereilt (SVF III 548). Schmitts Insistieren auf Oidipus’ übereiltem Urteil rückt diesen also an einen stoischen heran. Doch das ist er nur unter den Prämissen der kynisierenden stoischen Güterlehre, die den Mutterinzest bagatellisierte (vgl. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa). Legt man dagegen die Wertmaßstäbe der zeitgenössischen attischen Gesellschaft zugrunde, wäre er in stoischer Terminologie ein , da er mit der Ablehnung von Vatermord und Mutterinzest bereits einen wichtigen Schritt zur Vollkommenheit getan hat, auch wenn er diese - hier durch unzureichende Umsetzung in praxi - noch nicht vollständig erreicht hat. 125 Das Insistieren auf Oidipus’ vorschnellem Handeln droht deshalb - neben den vielfältigen Kontingenzen der erzählten Handlung - auch die massiven, teils normenbegründeten Handlungsimpulse aus dem Blick zu verlieren, die von den Situationen ausgehen, in die er sich gestellt sieht. Sie determinieren zwar nicht Oidipus’ Reaktion und schließen nicht ein alternatives Verhalten aus, doch lenken sie es nach dem in eine gewisse Richtung (Schmitt arbeitet nur das als Kriterium von Oidipus’ Urteil heraus [1988: 15, 27]), 126 der zu widerstehen ein hohes, fast übermenschliches Maß an Kaltblütigkeit und Reflektiertheit erfordern würde, ganz abgesehen von den divinatorischen Fähigkeiten, die nötig wären, um die transgressiven Folgen einzuschätzen. Daß Oidipus’ Existenz eine Geworfenheit ist und daß er auf extreme Kontingenzen reagiert, ja Das Argument, Alexander stehe der attischen Tragödie chronologisch näher als das von Schmitt als unreflektiert stoizierend kritisierte moderne Tragikkonzept des unauflösbaren Normenkonflikts (1988: 12), läßt sich freilich auch gegen den Peripatetiker aus Aphrodisias und zu Chrysipps Gunsten anführen. Michael Lurje, Die Suche nach der Schuld. Sophokles’ Oedipus Rex, Aristoteles’ Poetik und das Tragödienverständnis der Neuzeit. Teilw. zugl. Diss. Bern 2001. BzA 209. München, Leipzig 2004, 263 verweist völlig zu Recht auf den Abstand von 600 (! ) Jahren, die Alexander aus Aphrodisias von der attischen Tragödie trennen. Zeitlich näher als Chrysipp ist freilich Aristoteles - trotz eines immer noch beachtlichen Abstandes von 75 bis 100 Jahren - der attischen Tragödie. Wenn dieses Anciennitätsprinzip stichhaltig wäre, dann müßte freilich Platons Kritik am Drama als unmoralisch, affektinspirierend und wahrheitsfern (Näheres zu den beiden letzten Punkten s. 7.1 Forschungsstand und Problemstellung in der Phaedra-Interpretation), der bereits Aristoteles entgegentritt (Hans Wagner, Aesthetik der Tragödie von Aristoteles bis Schiller. Würzburg 1987, 26 f.), das non plus ultra der Tragödieninterpretation sein. 125 Vgl. SVF I 234, III 539 und Peter Steinmetz, Die Stoa. In: Hellmut Flashar (Hg.), Die hellenistische Philosophie. Basel 1994. Bd. 2, 495-716, h. 545, 616. 126 Damit wird Oidipus implizit wiederum als sophistisch charakterisiert. Dazu paßt nicht recht, daß Schmitt 1988: 15 Anm. 18 feststellt, daß Oidipus’ „Denken […] sich durch Unterscheidungsakte [vollzieht]“, also der Denkweise entspricht, die Schmitt als platonisch-aristotelisch ansieht (Die Moderne und Platon. Stuttgart 2 2008, 78). 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 335 mit der Pest eine massive materiale Bedrohung des Kollektivs abwehren muß, schränkt nicht nur seine Handlungsfreiheit, sondern auch die Tragweite des Deutungsmodells ‚übereiltes Handeln‘ ein. Ein Handlungsimpuls geht etwa von Apolls Vorhersage aus, Oidipus werde seinen leiblichen Vater töten und mit seiner Mutter Kinder zeugen (v. 790-793). Im eigentlichen Schauspiel wird Oidipus’ Wahrheitssuche durch die Pest in Gang gesetzt und durch Apolls Rat angetrieben, den Mörder des Laios zu eliminieren, ist also keineswegs ein Spleen oder nur eine egomane Selbstsuche nach der eigenen Herkunft. Konkreter betrachtet fungieren die beiden genannten Orakelsprüche sogar als Motoren der Handlung (wie ein Orakelspruch bereits Laios’ Handlung angestoßen hat): 127 Oidipus muß auf sie reagieren, selbst auf die Gefahr hin, dabei Fehler zu begehen oder aufzudecken. 128 Dieser Hinweis bedeutet keine Generalabsolution für Oidipus entsprechend dem Wort Gottes im Prolog von Goethes Faust (v. 317) „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ Der notwendige Vollzug der Identität impliziert (aber generiert nicht) die Transgression. Nichts zu tun, wie Iokaste empfiehlt (v. 724 f., 1056-72), ist angesichts der sachlichen Notwendigkeit keine Alternative. Ebenso ist die Unbedingtheit der Suche, die von falschen Verdächtigungen begleitet wird und die eigene Transgression ans Licht bringt, nur für den Wissensvorsprung der Zuschauer tragische Ironie, da Oidipus durch eine Transgression fallen wird, die bereits feststeht und von ihm nur bedingt zu verantworten ist. Gegen die Einschätzung, der OT sei eine Charaktertragödie (dagegen schon Schadewaldt 1970: 467) oder zumindest ein Stück, das bloß unbedingtes und übereiltes, also insgesamt unreflektiertes Verhalten problematisiert (was eine starke pädagogische Implikation hätte), erheben sich weitere Einwände. Denn diese unreflektierte Übereiltheit kann zwar als ein durchgehendes Merkmal von Oidipus’ Handeln angesehen werden, die entscheidenden Weichenstellungen der Handlung des Dramas sind jedoch durch den verabscheuungswürdigen Charakter der Transgression motiviert, der kognitive Fehler provoziert, wenn auch nicht notwendig generiert. 129 Er wohnt der Transgression in dem Drama als unangefochtener gesellschaftlicher, göttlich sanktionierter Konsens wesenhaft inne (von den tradierten Vorstellungen wird nur die faktische Relevanz der Götter angezweifelt). Daß Oidipus, Iokaste und der Chor das Verbrechen lange Zeit nicht wahrhaben wollen (bzw. sich an jede Möglichkeit des Zweifels klammern), ist also nicht Ausdruck einer Verblendung, eines Nichtwissenwollens, wie Schmitt meint (1988: 22-24, 28), sondern liegt in der Monstrosität des Verbrechens begründet (Näheres s. 2.3.3 Phase zwei: Teiresias und Kreon). Daß dieses Verhalten auch Iokaste und den Chor (be-)trifft, die nicht mit dem Transgressor identisch sind, relativiert die heuristische Tragweite von Schmitts Interpretationsmuster ‚Charakter‘ für das Verständnis der transgressiven Titelfigur und die 127 So auch Schadewaldt 1970: 474. 128 Vgl. M. Ant. 9.5: . 129 Max Kommerell, Lessing und Aristoteles. Untersuchung über die Theorie der Tragödie. 5. Aufl., mit Berichtigungen und Nachweisen. Frankfurt a.M. 1984, 125 sieht die als Fehlhandlung, welche die Weiche falsch stellt, woraus dann erst mit derselben Notwendigkeit wie das Entgleisen eines Zuges der Umschlag ins Unglück folge. 336 damit verbundene Spezifik des Stückes. Daß Schmitt das Fehlverhalten nicht nur in Oidipus’, sondern sogar auch in Iokastes und des Chores Charakter verankert (1988: 28), 130 verwässert sein Deutungsschema eher als ubiquitär, als es auf dem Wege der Universalisierung abzusichern, da die nichttransgressiven Figuren einen ganz anderen Kenntnisstand als der Transgressor haben. Zu dieser Universalisierung der Charakterfehler paßt nicht, daß Schmitt parallel Aristoteles’ -Theorie bemüht. 131 Denn Aristoteles behandelt die Charaktere in weiter Ferne von der Handlungsstruktur, deren Umschlag durch die verursacht werden soll, nicht durch moralische Tugenden oder Schlechtigkeit (Poet. 1453a 7-10), knüpft sie jedoch diagnostisch-performativ an Worte und Taten, die eine gewisse Grundhaltung ( ) offenbaren (Poet. 1454a 17-19). Diese treffende Beobachtung des Stageiriten läßt die eingeschränkte heuristische Tragweite des Deutungsmusters ‚Charakter‘ erkennen, weil es droht, zu einem Zirkelschluß zu führen. Denn der Charakter einer Figur kann nur aus deren Reden und Handeln erschlossen werden. Bei ihnen handelt es sich um die wichtigsten Phänomene oder dramatischen Manifestationen einer Figur. Sie werden nun wieder auf eine Charakterdisposition zurückgeführt. Damit gelangt man wieder zu Heraklit und einem pädagogischen Impetus der Tragödie, aber auch des dunklen Denkers aus Ephesos. Denn auch Heraklit hebt mit zwar auf die Auswirkungen des ab, die heilsam oder verhängnisvoll sein können, nicht aber auf deren Unabänderlichkeit oder „dämonische“ Fremd- 130 Selbst die fantasievolle Spekulation des Chors, Oidipus sei der Sohn einer Bergnymphe und eines Gottes (v. 1086-1109), formuliert die letzte denkbare Alternative zu Oidipus’ sich verdichtender Identität erst, nachdem die übrigen Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Dieses Verhalten des Chors wird man nur dann wie Schmitt 1988: 28 als „selbstverschuldete[r] Unwissenheit“ abtun, wenn man im Chor in der Nachfolge von Aristoteles’ Poetik (1456a 25-27; für die Funktionen des Chors, zu denen auch das ‚lyrische Sprachrohr des Dichters‘ und das Instrument der Rezeptionssteuerung gezählt werden, vgl. Anton Bierl, Der Chor in der Alten Komödie. Ritual und Performativität. Unter besonderer Berücksichtigung von Aristophanes’ Thesmophoriazusen und der Phalloslieder fr. 851 PMG. Habil. Leipzig 1998. BzA 126. München 2001, 19) eine dramatis persona sieht (dies nennt Schmitt 1988: 25 als Voraussetzung für eine konsistente Interpretation des zweiten Stasimons). Grundsätzlich ist die Frage nach der Funktion des Chores schwierig zu lösen, wobei die einzelnen Hypothesen sich in unterschiedlichem Umfang verifizieren lassen. Während die Intention des Autors allenfalls aus der Gesamtanlage des betreffenden Dramas erschlossen werden könnte und die Haltung des Athener Durchschnittspublikums anhand weiterer Quellen wie etwa der attischen Redner bestätigt werden müßte, läßt sich die Rolle des Chores als Akteur und drameninterner Rezipient klar anhand des Textes bestimmen. Man tut wohl gut daran, jeden Einzelfall gesondert zu betrachten und den Gesamtzusammenhang des Dramas zu berücksichtigen. Billigt man dem Chor eine multiple Funktion zu, zu der auch die Reflexion des Bühnengeschehens gehören kann, das ja während seines Auftritts ruht, dann könnte diese Spekulation des Chores ironisch die Abwegigkeit von Oidipus’ Hoffnung entlarven. 131 Schon Dodds 1973: 67 f. hat - auch mit Blick auf den OT - die Ansicht, Aristoteles’ und das Scheitern der tragischen Hauptfigur habe etwas mit dem Charakter zu tun, entschieden zurückgewiesen und ihren neuzeitlichen (! ) Hintergrund nachgezeichnet. Ebenso lehnte bereits von Fritz ab, daß in der attischen Tragödie „die tragische Situation“ etwas mit dem Charakter zu tun habe (1962: 15 f.). Ebenso bestreitet er einen Zusammenhang zwischen Oidipus’ Charakter und seiner , die er in seinen Transgressionen gegen bzw. mit den Eltern sieht (1962: 11). 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 337 heit (dieser Anachronismus würde mit ‚Dämon‘ gleichsetzen). 132 Das Stück schreibt Oidipus nirgends einen markanten Charakterzug wie Medeas (v. 104, 621, 1028; vgl. 223) zu. 133 Ansonsten zeigen Schmitts richtige Beobachtungen zu festen Verhaltensdispositionen bei Oidipus, daß Sophokles’ Tragödie nicht nur Aristoteles’ Forderung nach Einheitlichkeit der Handlung, sondern auch der Charaktere (Poet. 1454a 24 f.) erfüllt. Allerdings blendet Schmitts Interpretation den Teil der Tragödie nach der Wiedererkennung aus. Die Selbstblendung wird von Oidipus zwar rasch und im Affekt ausgeführt, aber sie ist keinesfalls übereilt, weil Oidipus nun die Gewißheit seiner Transgression und Identität hat, um die er während des gesamten vorausgehenden Stückes gerungen hat, und weil sie in mancher Hinsicht eine angemessene sanktionierende Reaktion auf das Vergehen ist (Näheres s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ). Es geht in der Tragödie wohl weniger um die Kritik eines individuell ethologisier- und moralisierbaren Urteils, sondern darum, die Überschätzung des eigenen Verstandes und menschlichen Wissens zu problematisieren, was durchaus eine anthropologische und reflexive Funktion hat. Dies zeigt sich daran, daß Oidipus während der Suche nach den Mördern des Laios seine eigenen intellektuellen Fähigkeiten überschätzt (vgl. die Warnung des Chores in v. 617). Besonders augenfällig wird dieser (kritisierte) Logozentrismus daran, daß er sich auf die rein rational-diskursive (statt wie bei Herakles physische - wo er doch eigenhändig fünf Männer erschlagen kann) Eliminierung der Sphinx beruft (v. 396-398), eine aufklärerische Tat, die das Rätsel gelöst und die Stadt gerettet hat (v. 443). 134 (Diese Kritik an der Überschätzung des eigenen Verstandes mag, wenn auch unterschwellig, ähnlich wie bei Euripides’ Medea und Hippolytos (s. 7.2.3 Phaedra und die Amme in der Interpretation von Senecas Phaedra) auf die Sophistik zielen.) Daß Oidipus das präzivilisatorische Monstrum, als das die bimorphe Sphinx angesehen werden kann, noch mit Hilfe seines Verstandes eliminiert, während er selbst in der erforschenden wie der erforschten Handlung von der Monstrosität der zu spät erkannten Transgression angetrieben und verfolgt wird, ist sicher kein Zufall, sondern untermauert anhand der unterschiedlichen Rolle des Monströsen die Grenzen der menschlichen Erkenntnis. 135 Diese unterschiedliche Rolle des Monströsen tritt durch den Vergleich mit anderen Dramen deutlicher hervor, in denen das im OT souverän rational gebannte physisch Monströse ein binnenhermeneutisches Interpretament (Medea) oder die Ausgeburt (so der gleichfalls bimorphe Minotaurus in Senecas Phaedra) der 132 Winnington-Ingram 1965: 37 arbeitet sogar heraus, daß der drameninterne Gebrauch von Heraklits Diktum auf den Kopf stelle. 133 Von Fritz 1962: 12 sieht sogar bei den meisten Stücken des Euripides „eine kausale Beziehung zwischen der Unvollkommenheit im Charakter des Helden und seiner “. Die Binnenhermeneutik der Medea verurteilt diesen Charakterzug zumindest unisono (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts). 134 Peter J. Ahrensdorf, „Oedipus the Tyrant and the Limits of Political Rationalism“, in: Greek Tragedy and Political Philosophy. Rationalism and Religion in Sophocles’ Theban Plays. Cambridge 2009, 9-47, h. 15. 135 Zu diesem zentralen Thema des OT s. Zimmermann 2009: 63, 73 f. 338 Transgression ist. Kontrastiv tritt die im menschlichen Irrtum fast autopoetische Monstrosität der Transgression im OT klar hervor. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression Die fast autopoetische Monstrosität der Transgression schlägt sich in deren Paradoxie und Tragik nieder. So ist nicht das Wissen-Wollen, sondern das Vermeiden-Wollen des vom Orakel verkündeten Schicksals, das in Oidipus’ Fall in monströsen Transgressionen (v. 787-797) und bei Laios sowie Iokaste in der Eliminierung (v. 707-722, 1175 f.) besteht, das auslösende Moment einer Kette von Transgressionen des Dramas. Dieser Reaktion kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil ihr bereits Oidipus’ Vater Laios zum Opfer gefallen ist (v. 711-725). Die Transgression des Vatermordes wird überhaupt nur durch dieses parallele Ausweichen ermöglicht, das Vater und Sohn unbekannterweise am Scheidewege zusammenführt. Doch auch Iokaste und der Hirte wissen um die göttliche Weissagung, als sie mit dem Knaben Oidipus die Verantwortung weiterreichen (v. 1162-1181). Sie alle haben - wie seine Zieheltern, die ihm seine wahre Herkunft verheimlichten - dazu beigetragen, daß Oidipus in die Situation geriet, in der er seinen Vater unbekannterweise und ohne es zu wollen erschlug. Die kognitive Seite seiner Funktion als ethisch-rationales Subjekt war also bei dieser Transgression (und auch noch während der erforschenden Handlung) unverkennbar durch die Handlungsstruktur, zu der auch seine Reaktionen auf die verschiedenen Mitteilungen gehören, eingeschränkt, während Oidipus ansonsten (Sphinx, Seuche, nach der Anagnorisis) als vollwertiges ethisch-rationales Subjekt agiert. Der Totschlag des Vaters erfüllt also eindeutig die Kriterien für den weitergefaßten Begriff der Tragik dieser Arbeit. Auch Zierl deckt treffend den vorgängigen Anteil der Mitwelt an Oidipus’ Vergehen auf, die im Falle der Eltern willentlich und wissentlich an ihm wider die Blutsbande gehandelt hat, und gelangt zu dem Schluß (1994: 106): „Die Taten des Oidipus ratifizieren auf so konsequente wie extreme Weise die bereits erfolgte Zerstörung der engsten Familienbande.“ Unabhängig von subjektiven Modalitäten, welche die (Un)Kenntnis der eigenen und väterlichen Identität betreffen, liegt bei dem Totschlag am Dreiweg rein objektiv ein Integritätenkonflikt vor, der die Kriterien des enger gefaßten Tragikbegriffs dieser Arbeit erfüllt: Um seine soziale Integrität zu wahren, eliminiert Oidipus’ Transgression die physische Integrität seines Anverwandten. Daß er über dessen Identität im unklaren ist und wohl auch seine physische Integrität wegen der Aggression, die aus Laios’ Reisegruppe heraus erfolgte, in Notwehr meint wahren zu müssen, sind demgegenüber Besonderheiten dieser Tragödie und ihrer Tragik, die Oidipus entlasten. Die paradoxe Seite als besonderes Merkmal der Tragik in dieser Tragödie tritt dann hervor, wenn man nicht die Motive für das unmittelbare Handeln am Dreiweg, sondern für dasjenige, das diese Situation herbeigeführt hat, in den Blick nimmt: Die Motive und Maßnahmen des Ausweichens sind bei Vater und Sohn für Zeitgenossen legitim: Oidipus’ Vermeiden des Vatermordes und Mutterinzests soll die physische Integrität der Eltern und die eigene moralische sichern (v. 1012) und zerstört sie doch objektiv. Laios’ Handeln ist weniger altruistisch und idealistisch: Er will seinen neugeborenen Sohn töten, um sein eigenes 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 339 Leben zu wahren (v. 707-722, 1175 f.), die fremde physische Integrität wird in einem Akt mantischer Notwehr der eigenen physischen geopfert, während im üblichen Integritätenkonflikt dieses Opfer der eigenen sozialen Integrität dargebracht wird. Laios’ egoistische Motivlage stand im Einklang mit der antiken (Rechts-)Praxis, auch wenn das Motiv selbstredend isoliert ist. Der Familienvater hatte durchaus das Recht, über die Aufzucht seiner neugeborenen Kinder zu entscheiden. Oft spielten materielle Interessen eine Rolle, aber auch die Vertuschung sexueller Verfehlungen, 136 wobei in Sophokles’ Tragödie diese nur Oidipus, nicht aber seinen Eltern geweissagt werden. Winfried Schmitz nennt neben materiellen Motiven für die Komödie noch das Geschlecht, dessentwegen Mädchen ausgesetzt werden konnten. 137 Auch dieses Motiv entfällt bei Oidipus. Die Behinderung, die ebenfalls Anlaß für eine Aussetzung werden konnte (Schmitz 2007: 95), wurde Oidipus von seinen Eltern zugefügt. Nur in Sparta, wo der Ältestenrat einer Phyle diese Entscheidung traf, war nach der - jüngeren Forschungen zufolge fragwürdigen - literarischen Überlieferung das Kriterium die bloße Gesundheit und Überlebenschance der Neugeborenen, 138 also umgekehrt zu Laios’ Verhalten deren und nicht der Eltern physische Integrität. Am Scheidewege trachtet der Vater seinem Sohn abermals - wenn auch unbekannterweise - nach dem Leben. Typologisch unterscheidet sich Laios nicht von Kronos, welcher der Vorhersage, durch die Hand seines Sohnes zu fallen, nicht durch präventive Aggression gegen diesen entgehen kann. Er tritt denn auch bei Sophokles hinter Oidipus zurück, den eine komplexere Integrität zum Ausweichen motiviert. Laios ist nicht so spektakulär wie sein Sohn, weil er diesem beim ersten Mal - anders als dieser bei seinem ersten Attentat - wissentlich und willentlich nach dem Leben trachtet, aber beide Male erfolglos bleibt (vgl. die Abwertung der Nichtausführung in Arist. Poet. 1453b 37-39). Da die Motive von Vater und Sohn legitim sind, greift es also entschieden zu kurz, die Botschaft der Tragödie auf stoische Schicksalsakzeptanz zu reduzieren. Nicht von ungefähr ist Laios (und nicht sein Sohn) bei Epiktet kein psychagogisches Negativexemplum, sondern bloß ein pädagogisch-pragmatisches Analogon (3.1.16). Tragische Helden sind eben keine stoischen Weisen. Sie müssen an den gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit gemessen werden, die noch stark von der shame culture und dem Ehrgefühl geprägt sind (s. 2.4.1 Kollision am Dreiweg), und nicht an der Ethik Zenons und der folgenden Scholarchen. Die Belehrung tragischer Helden über die Torheit ihres Tuns, wie Epiktet sie praktiziert (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa) ist nur dann nicht so lächerlich wie Christine Brückners Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen, wenn man berücksichtigt, daß die epiktetischen Diatriben hier dem eigenen Publikum wohlbekanntes Material heranziehen, um ihre moralischen Lehren zu verdeutlichen, 136 Annika Backe-Dahmen, Die Welt der Kinder in der Antike. Darmstadt 2008, 23. 137 Haus und Familie im antiken Griechenland. Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 1. München 2007, 95. 138 Backe-Dahmen 2008: 22 f. Schmitz 2007: 46 berichtet Entscheidungsträger und Kriterium dagegen ohne forschungsgeschichtliche Relativierung. 340 und es den Adressaten so ermöglichen, epische und tragische Helden auf sittlichem Gebiet zu übertreffen. Wie ein stoischer Weiser bei Vorherwissen an Selbstverstümmelung mitzuarbeiten (Epict. 2.10.5 f.), 139 sprengt als radikales philosophisches Paradoxon jedes alltagsethische und widerspricht selbst der Lehre der Peripatetiker, welche die Ansicht vertraten, lebensweltliche Güter seien für die Glückseligkeit relevant, 140 und spöttelten, der stoische Weise sei seltener als der Phönix. 141 Die Intention des Protagonisten, die während des Stückes konstant negativ auf die monströse Transgression gerichtet ist (v. 813-833), wird zur Ursache der weiteren Transgressionen, die kontingent zur Intention sind. In diesem Paradoxon sind die Essenz des Stückes und die Tragik des Oidipus zu suchen. Dies betrifft, wie nachfolgend zu zeigen, v.a. die zentralen Transgressionen gegen die Eltern, welche in die erforschte Handlung fallen. Die Ablehnung dieser Transgressionen wird auch in der erforschenden Handlung zur Ursache für die Transgressionen gegen die soziale Umwelt und die göttliche Autorität, wobei hier nicht unter dem Aspekt der ontologischen, sondern nur der eidetischen Identität eine Paradoxie vorliegt, da es sich ja hierbei um unterschiedliche Transgressionen handelt, die abgelehnt und vollzogen werden. Trotzdem liegt auch in diesem Fall eine Paradoxie vor, da die Transgression dadurch, daß sie aus integren Grundüberzeugungen abgelehnt wird, sich selbst erzeugt. Die Gegenläufigkeit von Intention und tatsächlich erzielter Wirkung wurde in 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik und 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi der Einleitung als Paradoxie und Untermerkmal der Tragik definiert. Dies ist auch rein etymologisch damit zu begründen, daß hierbei etwas wider die Erwartung des Handelnden eintritt. Andere Interpreten haben diese Diskrepanz zumindest in der erforschenden Handlung des OT als tragische Ironie klassifiziert, so Pohlenz 1954: Bd. 1, 214 f. („[D]as Ziel, dem er mit allen Mitteln zustrebt, [ist] sein eigenes Verderben“), der auf die Eliminierung abhebt. Dagegen hält Szondi mit Blick auf die gesamte Handlung des OT explizit fest, deren Merkmal sei die performative Diskrepanz zur integritätswahrenden Intention (1964: 65). 142 Damit bemüht er zwar nicht die Paradoxie als Merkmal der Tragik, argumentiert aber ganz im Einklang mit den oben entwickelten Analysen und der Scheidung, die das theoretische Modell der vorliegenden Arbeit zwischen der Eliminierung als Merkmal der Gattung Tragödie und zwischen Merkmalen der Tragik vornimmt, welche etwa die Paradoxie darstellt und die wie bei Szondi immer die spezifische Handlung einer einzelnen Tragödie betreffen. Pohlenz hat wiederum versucht, über die tragische Ironie Reinhardts Gegensatz von Schein und Sein zu integrieren, indem er diese als den „Riß, der den objektiven Tatbestand durchzieht“, bestimmt, weil die „Menschen auf der Bühne“ im Schein lebten, der von „der 139 Näheres zu diesem stoischen (? ) Philosophem s. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 975. 140 Marion Clausen, Art. adiaphoron. WAP 7-9, h. 8. 141 SVF III 658 (= Alex. Aphr. Fat. § 28 S. 199,7-18 Br.). 142 „[N]icht im Untergang des Helden vollzieht sich die Tragik, sondern darin, daß der Mensch auf dem Weg untergeht, den er eingeschlagen hat, um dem Untergang zu entgehen.“ 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 341 Wirklichkeit des Seins“ verschieden sei. Die Tragik liege darin, daß „die Aufdeckung der Wahrheit den Untergang bedeutet“. 143 Diese existentialistische Umdeutung der tragischen Ironie entspricht ganz Reinhardts Argumentation (1976: 113 f.). Hier wird klar, daß Pohlenz die tragische Ironie auf die erforschende Handlung bezieht. Dies deckt sich durchaus mit der Terminologie der vorliegenden Untersuchung, welche die tragische Ironie über die Diskrepanz des kognitiven Horizontes zur Situation bestimmt. 144 Im OT ist damit die Paradoxie ein Merkmal der Tragik in der erforschten Handlung und die Ironie in der erforschenden. Paradoxon und Tragik bestehen in einem unauflösbaren Widerspruch, der sich im Falle des Oidipus gemäß einer semiotischen Anthropologie formulieren läßt: 145 Wäre er nach Apolls Vorhersage der Transgression nach Korinth zu seinen vermeintlichen Eltern zurückgekehrt, hätte er seine Identität, die sich über eine integre Intention definierte, aufgegeben. Der physische Mensch Oidipus als Sinnträger hätte nicht mehr für sie gestanden, sondern für etwas anderes, Undenkbares. Das Band zwischen signifiant und signifié wäre auf der existentiell anthropologischen Ebene durch die Transgression zerschnitten worden, das Zeichen zerstört worden. Der Respekt des Kindes vor den (vermeintlichen) Eltern führt Oidipus paradoxerweise in die Transgressionen gegen die realen. Die Performanz der familiären Rolle eines Sohnes ist der Motor des Geschehens, das in die Transgression mündet. 146 Um seine Eltern vor sich zu schützen, muß Oidipus sie verlassen, also die Leerstelle des Sohnes erneut aufreißen, die einst mit ihm gefüllt wurde, was eine klassische Sogdynamik einer defizitären Figurenkonstellation war. Mit dieser Abwendung von seinen vermeintlichen Eltern stellt er sich außerhalb seiner bisherigen sozialen Bezugsysteme in Korinth als frei vagabundierendes Element, 147 wie er bereits aus Oikos und Polis nach seiner Geburt eliminiert wurde, wobei innerhalb des Figurengefüges die (Leer-)Stelle des Sohnes aufgerissen wurde. Die Isolation aus den sozialen Bezugssystemen ist aber grundlegend für die transgressive Rollenfehlperformanz und damit die Tragik des OT. Sie beruht auch in dieser Tragödie auf konjunktureller Fehlperformanz der sozialen Rollen, die aus der strukturellen Einbettung der menschlichen Existenz in soziale Gefüge erwachsen. 148 Durch die kontingente Kombina- 143 1954: Bd. 1, 215. 144 S. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik in 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität der Einleitung. 145 Vgl. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller in 1.4 Tragik, Konflikt und Integrität der Einleitung. 146 Erst als unmittelbarer Auslöser kommt am Dreiweg die Wahrung der eigenen sozialen Integrität hinzu. 147 Flaig subjektiviert bei seiner (Re-)Konstruktion von Oidipus’ Schuld dieses strukturelle Faktum, wenn er feststellt, dieser setze sich über elementare soziale Regeln hinweg (1998: 130). 148 Bereits Jean-Pierre Vernant (Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1176) überträgt Aristoteles’ Theorie, ein Mensch, der nicht durch seine sozialen Beziehungen definiert werde ( ), erlange entweder den Status eines Tieres oder eines Gottes (Pol. 1253a 2-29: ), auf Oidipus. Aristoteles’ Einschätzung ist deshalb für die Dramentheorie so wertvoll, weil er - vor dem Hintergrund seiner These, der Mensch sei wesens- 342 tion dieser zwei räumlich-sozialen Eliminierungen miteinander und mit Laios’ lokaler Eliminierung vor ihrem Zusammentreffen (diese auch in anderen Dramen anzutreffende Abwesenheit des Patriarchen bietet oft den Anlaß der Transgression) gerät Oidipus in die Lage, mit der Tötung seines leiblichen Vaters die Position des Vaters und Königs freizumachen, die er dann mit der massiven Transgression des Mutterinzests besetzen kann. Wurde in Korinth die Leerstelle des Sohnes mit Oidipus gefüllt, so schafft er sich in Theben erst die Vakanz des königlichen Patriarchen, es liegt also eine umgekehrte, künstlich herbeigeführte Dynamik der Figurenkonstellation vor. Doch auch die Performanz dieser Rolle, bei der er die Seuche abwenden muß, läßt Oidipus seine Tragödie entdecken. Dies führt ihn in die lokale Selbsteliminierung und katapultiert ihn erneut in die Heimatlosigkeit. 149 Wenn Oidipus’ Ausweichen vor dem Orakel soeben auf eine respektvolle Haltung gegenüber seinen Eltern zurückgeführt wurde, so führt dies die Tragik nicht hegelianisch auf Pflichterfüllung zurück und impliziert keine moralische Idealisierung des Akteurs und seiner Motive. Die Verse 822-827, in denen Oidipus die Befürchtung äußert, er könne, wenn er sich als der Mörder des Laios erweise und das Land verlassen müsse, nicht einmal seine Heimat betreten, weil er dann Gefahr liefe, sich mit seiner Mutter ehelich zu verbinden und seinen Vater, der ihn gezeugt und aufgezogen habe, zu töten, offenbaren hauptsächlich seine tragische Naivität, weil er noch davon ausgeht, daß sein Ziehmit seinem biologischen Vater identisch ist. Sie implizieren aber auch die drohende Verletzung eines moralischen Reziprozitätsverhältnisses, da die prognostizierten Übeltaten des Sohnes nicht dem entsprechen, was man aufgrund der Wohltaten des (Zieh-)Vaters erwarten dürfte. Allerdings wertet Oidipus die angekündigte Transgression nicht unter solchen bloßen Sentimentalitätsaspekten. Klar im Text nachweisbar motiviert er sein damaliges Ausweichen unmittelbar und nicht post festum mit der drohenden Schande, die der Eintritt der Orakelsprüche gebracht hätte (v. 796 f.). 150 Entsprechend der shame culture hat die religiös-moralische Integrität in Oidipus’ Augen also eine soziale Seite. Daneben motiviert die Wahrung der rein sozialen Integrität, die Teil der Adelsethik ist, sein transgressives Handeln in der erforschten und erforschenden Handlung. Oidipus’ Tragik wird damit in dramatischer wie typologischer Hinsicht breiter, da sowohl in der erforschten als auch in der erforschenden Handlung sein Streben, die soziale und mäßig ein (Pol. 1253a 2 f.), worauf Vernant hinweist - genau das strukturalistische Prinzip der Identität durch Abgrenzung im Sozialen bietet und es überdies mit der Spielmetapher verbindet ( ), die in dieser Arbeit auch für das Theater bemüht wird (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung). Segal 1981: 227 hat die Rollenambivalenz, die letztlich zu Oidipus’ Fall führt, sogar gut strukturalistisch in ein kartesisches Koordinatensystem gebracht, bei dem oben auf der vertikalen Achse Gott, Tyrann und das Glückskind und unten auf ihr das Tier und der Beflecker stehen. Auch die Pole der horizontalen Achse, das Gebirge, die Wildnis und die Namenlosigkeit sowie Stadt, Haus, Zivilisation und Name, sind charakteristisch für die Transgression und werden in diesem Zusammenhang in Euripides’ Bakchen eine zentrale Rolle spielen. 149 Zu Oidipus’ beiden Heimatlosigkeiten und diesem Motiv bei Sophokles vgl. André Bernand, La carte du tragique. La géographie dans la tragédie grecque. Paris 1985, 335-344. 150 ’ / . 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 343 religiös-moralische Integrität zu wahren, dazu führt, daß er sie beide durch den Vollzug der Transgression verliert. Dieses inversive, selbstreferentielle und autoeliminatorische Paradoxon unterscheidet Oidipus’ Tragik - abgesehen von der subjektiven Unkenntnis - deutlich von derjenigen Medeas, die der Wahrung ihres Status als soziales Subjekt ihre genealogische und moralische Integrität opfert. 2.4.4 Paradoxon, und (se)mantische Binnenhermeneutik Der vorliegende Abschnitt hat eine vertiefende Scharnierfunktion: Er vernetzt und vertieft drei Figuren, die im vorangehenden Abschnitt aufgetaucht sind (Paradoxon und ) oder grundlegend für die Untersuchung des folgenden Abschnitts sein werden ((se)mantische Binnenhermeneutik). Teils werden dabei auch sie in den weiteren Rahmen des Gesamtstückes gestellt. Das Paradoxon, wie es am Ende des vorangehenden Abschnitts gezeigt wurde und das in Pascals Denken wegen des ihm innewohnenden unaufgelösten Widerspruchs einen tragischen Charakter hatte (s. 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi in der Einleitung), erweist sich auch außerhalb des eigentlichen Umfeldes der Tragik nachgerade als ein verborgenes Leitmotiv des Oidipus Tyrannos. Bereits Aristoteles hatte den jammer- und schaudererregenden Charakter der Handlungen daran geknüpft, daß sie zugleich wider Erwarten ( ) und doch in folgerichtiger Verkettung ( ’ ) eintreten (Poet. 1452a 1-4). Dies trifft auf die in Sophokles’ Tragödie erforschte (ebenso wie die an sie gekoppelte erforschende) Handlung in besonderer Weise zu, da jeder ihrer Schritte psychologisch nachvollziehbar und praktisch plausibel scheint, sie jedoch im Endergebnis praktisch wie investigativ zu Oidipus’ Transgressionen führt. Deren reproduktive wird in v. 1249 f. aus Iokastes Sicht, die der Bote referiert, in einem Paradoxon und Polyptoton formuliert, welche die inzestuöse Kreuzung der genealogischen Sukzessionslinie in derselben Frau vor Augen führen: . Das Zusammenlaufen zweier Entitäten auf einen Punkt, das sich topologisch am Dreiweg findet, entspricht der Widersprüchlichkeit des Paradoxes, das zwei gegensätzliche Aussagen an demselben Objekt gleichzeitig verwirklicht denkt, und der Konfliktsituation in der Familienstruktur, die durch die transgressive Usurpation der Position des Patriarchen hervorgerufen wird. Ebenso funktioniert die variatio des Chores in v. 1213-1215: . Mit dem Paradoxon des Sehens in der Finsternis operiert v. 1273 f., das, dazu passend und die Herbeiführung dieses Zustandes begründend, die intellektuelle Fehlleistung, die hinter der Transgression steht, mit einem antithetischen Isokolon beleuchtet: . 344 Oidipus’ Augen haben zwar seine nächsten Blutverwandten gesehen, was er wegen der Transgression, die in dieser Situation drohte, besser nicht getan hätte, sie haben aber nicht erkannt, was nötig gewesen wäre, um diese zu verhindern. Die Objekte von sinnlicher Wahrnehmung und Nichterkennen sind also identisch. Die praktische Erfordernis, die aus der gefährdeten Norm erwächst, wird mit und deutlich ins Bewußtsein gerufen. Wie bei Pascal charakterisiert das Paradoxon nicht nur die menschliche Existenz, sondern ist auch der adäquate stilistische Ausdruck dieser anthropologischen Paradoxie. 151 In der Harmonie von Gehalt und Gestalt, um eine paronomastische Formel früherer idealistischer Literaturwissenschaft zu bemühen, ist bereits ein großer Teil der dramatischen Kunst des Sophokleischen Oidipus Tyrannos beschlossen. Neben dem Paradoxon eignet sich eine weitere Figur der Diskrepanz, die , dazu, die Handlung(sstruktur) des OT zu beschreiben. Denn dieser antike Ausdruck paßt, sofern man ihn als Verfehlen des Intendierten auffaßt, bestens, um Laios’ und Oidipus’ Handeln zu charakterisieren. Diese Abweichung vom Intendierten läßt sich als subjektive Devianz auffassen. Oidipus’ Transgression vollzieht sich somit durch eine Devianz. Ein solches Verfehlen wurde in Aristoteles’ -Begriff erblickt. Aber auch dessen subjektivkognitive Komponente läßt sich wiederfinden (Näheres zu beiden - (Be-)Deutungen s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung), da sowohl Laios wie Oidipus Apolls Orakel mißverstehen. 152 Wichtiger als dieser Abgleich mit einem eher weitgefaßten und unsicheren aristotelischen -Begriff ist freilich, daß diese intellektuelle Fehlleistung zudem hermeneutischer Natur ist, da die Worte des Orakels - anders als Apolls Forderung am Anfang der Tragödie, der Mord an Laios müsse gesühnt werden 153 - keine Handlungsanweisung enthalten. 154 Phoibos’ zwei Orakel in der erforschten Handlung, deren Mißdeutung und sein abermaliges Orakel, die Mörder des Laios zu suchen und zu töten (v. 95-98), das am Beginn des Stücks und der 151 Hugo Friedrich, Pascals Paradox. Das Sprachbild einer Denkform. Zeitschrift für romanische Philologie 56 (1936) 322-370, h. 334. 152 Die kognitive Komponente („Denkfehler“) von Aristoteles’ -Begriff haben moderne Interpreten im OT wiedergefunden, während Aristoteles’ Gebrauch dieses Ausdrucks in bezug auf unsere Tragödie eher allgemein bleibt (s. 2.6.2 Mimesis und Aristoteles in der Interpretation dieser Tragödie). Auch Lesky 1972: 226 sieht im OT entsprechend der Semantik der aristotelischen ein Verfehlen, „das seine Wurzel nicht im Moralischen hat“. Oidipus’ Unschuld wird von Dodds vertreten und gilt ihm als Konsens der Forschung (1973: 69). 153 Schmitt 1997: 29 f. unterscheidet die beiden Typen denn auch treffend als vorhersagend bzw. pronuntiativ und imperativisch. 154 Dies übersieht Freud, der dem Orakel den Rat in den Mund legt, die Heimat zu meiden. Daß Freud diesen menschlichen Handlungsspielraum verkennt, spricht dagegen, wie Freud den OT als eine Schicksalstragödie einzustufen, deren „tragische Wirkung […] auf dem Gegensatz zwischen dem übermächtigen Willen der Götter und dem vergeblichen Sträuben der vom Unheil bedrohten Menschen beruhen [soll]“ (1996: 266). Daß Oidipus kämpft, arbeitet dagegen Hermann Pongs heraus (Psychoanalyse und Dichtung. Euphorion 34 (1933) 38-72, h. 54). Er wendet sich dort weiter gegen Freuds These von der „Schicksalstragödie“, seinen psychoanalytischen Reduktionismus und seine Diagnose kindischen Verhaltens bei Oidipus und betont, er handle als König verantwortungsvoll und tue dies erst recht durch die Selbstbestrafung, nachdem er seine Untaten entdeckt habe. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 345 erforschenden Handlung steht und dessen analytischen Charakter begründet, machen den König Oidipus zur apollinischsten griechischen Tragödie. 155 Diese Binnenhermeneutik, die Teil der Wahrheits- und Identitätssuche des analytischen Dramas ist, lädt zu einer semiotischen Interpretation ein, da sie ausdrücklich - klarer als in den Persern, in denen die Figuren ohne reflexiven Kommentar die Entschlüsselung göttlicher (Vor-)Zeichen praktizieren (s. 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung in der Interpretation dieser Tragödie) und in denen es nur eine pädagogische Semiotik gibt, die mit personalen Gegensatzpaaren operiert (s. 1.11 Fazit und Ausblick in der Interpretation dieser Tragödie) - anhand von Zeichen geschieht (v. 710, 1058 f.: ). 156 Wie Wilhelm von Baskerville in Ecos Name der Rose 157 liest Oidipus die Zeichen, um das Verbrechen zu entschlüsseln (vgl. v. 221: ) - freilich sein eigenes. Walter Burkert hat diese Parallele zum Werk eines modernen Semiotikers näher untersucht und tatsächlich mit romaninternen Reflexionen über das Entziffern von Zeichen untermauern können, 158 deren spielerische, changierende und trügerische Ordnung sich allerdings von der Einsicht des OT in die systemische göttlich-mantische Ordnung epochal unterscheidet. Burkert steuert eine weitere wichtige Beobachtung bei, die eine semiotisch-hermeneutische Lesart des OT untermauert und vorantreiben kann, nämlich daß der Name des Sehers von , einer Nebenform zu att. , abzuleiten sei, 159 einem Wort, das auch für die Himmelszeichen stehen könne (2009: 54, vgl. LSJ 1776 s.v.). Selbst wenn die literarische Semantik des OT nicht explizit die Etymologie des Namens Teiresias bemüht, so ist dessen Rolle als Zeichen(an)deuter unverkennbar. Gerufen, um gemäß der göttlichen Botschaft bei der Identifikation des Transgressors zu helfen, ermöglichen seine abstrus erscheinenden Andeutungen Oidipus die Fortsetzung der Suche. Dramaturgisch gesehen übernimmt Oidipus durch die Teiresiasszene die Rolle des Hermeneuten, die er bereits vor der Transgression gegenüber dem delphischen Orakel auch mit Hilfe der Sterne (v. 795) ausgeübt hat. Dabei muß er, so Charles Segal (1986: 25), die Verwerfungen und teils korrespondierenden Verschiebungen im sprachlichen, sozialen, rituellen und familiären Code entschlüsseln, die auch mit den Rätseln der Sphinx und den Orakelsprüchen zusammenhängen. 155 Zum apollinischen Charakter des OT vgl. Schadewaldt 1970: 475 f. 156 Auch Schmitt 1988: 16 (vgl. 28) wendet Verfahren einer literatursemiotischen Hermeneutik an, wenn er gewisse dramaturgische Phänomene als Indizien für die „Intention des Stücks“ deutet, d.h. als literarische Zeichen. 157 Schmitt 1997: 25 Anm. 78 bemüht diese Analogie nur, um den modernen Interpretationen der Tragödie einen nominalistischen „Denkhabitus“ nachzuweisen. 158 Mythen um Oedipus: Familienkatastrophe und Orakelsinn. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Mythische Wiederkehr. Der Ödipus- und Medea-Mythos im Wandel der Zeiten. Paradeigmata 6. Freiburg i.Br. 2009, 43-62, h. 59 f. 159 Frisk II 878 s.v. , Chantraine 1067 s.v. , Beekes 1468 s.v. . 346 2.4.5 Transgression und Orakel: Fehldeutungen und Autoritätsrestauration Kommen wir nun, wie angekündigt, zur Frage, wie sich das Verhältnis von menschlicher Transgression und göttlicher Ebene gestaltet. Sie berührt den bis heute kontrovers diskutierten Fragenkomplex von menschlicher ‚Freiheit‘ und der Rolle der Götter im OT. 160 Ihn kann die nachfolgende Auslegung nicht samt Forschungsdebatte erörtern, wohl aber dank einer Herangehensweise, die auf die Kommunikation zwischen Göttern und Menschen abhebt und bislang in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt wurde, neue Aspekte beleuchten und Argumente beibringen. Heuner weist darauf hin, daß das Göttliche in unserer Tragödie „vierfach in Erscheinung“ trete, und zwar in der Person des Sehers Teiresias und der drei Apollorakel (2001: 72). Sein Auftreten beschränkt sich also weitgehend auf die verbale Kommunikation, welche die Entscheidungsfreiheit des Rezipienten grundsätzlich wahrt. Nur der Priester bringt in der Eingangsszene die Pest mit dem Wirken eines anonymen Gottes in Verbindung (v. 27 f.). 161 Doch auch hierdurch wird zwar ein Handlungsbedarf geschaffen, nicht aber die Handlung determiniert. Treffend klassifiziert Heuner anschließend die zwei Orakelsprüche, die Auskünfte, die Oidipus und Laios erhielten, schilderten ein Geschehen, das sicher in der Zukunft eintreten werde, während der Spruch, der zu Beginn des Stückes überbracht werde, eine „Handlungsalternative[n]“ für die Zukunft eröffne, bei der ein bestimmtes Handeln eine Folge hat und ein anders oder Nichthandeln diese nicht nach sich zieht (2001: 72-79). Die prognostischen Orakel enthalten Oidipus’ Transgression und gehen ihr voraus, das konsultative eröffnet eine Handhabe, um der Eliminierung abzuhelfen, die sich aus der Transgression ergibt. Aufbauend auf Szondi 1964: 66 entwickelt Heuner nun, daß die Versionen, in denen die prätransgressiven Orakel an Laios bei Aischylos und Euripides (Ph. 17-20, v.a. 18 f.: […] / ’ ’ ) 162 formuliert sind, dem alternativen Typ angehörten (2001: 74-76). Ebenso hat schon Dodds herausgearbeitet, daß bei Sophokles das Orakel, das Oidipus (v. 790) und Laios (v. 711-714) erteilt wird, anders als in Aischylos’ Septem (v. 742-757) unbedingt sei (1973: 69 „unconditional“). 163 (Eine Bedingung böte schließlich eine Handhabe, das Eintreten der Weissagung zu verhindern, vgl. Septem v. 750-752: / / ) Die Unausweichlichkeit des Vorhergesagten erhält durch diesen interdramatischen Kontrast bei Sophokles ein besonderes Gewicht. Schuld und Strafe sowie der Geschlechterfluch, so Dodds richtig weiter, fehlten dagegen in Sophokles’ Tragödie. Die Handlungsfreiheit der thebanischen Akteure gegenüber der göttlichen 160 Vgl. die Kritik, die Douglas Cairns jüngst (2013) an Dodds 1973 übt (Näheres s.u.). 161 Für seine problematische oder nicht intendierte Identifikation s. Dawe a.l. 162 Umfassender zu den unterschiedlichen Versionen des Oidipus-Mythos bei den drei großen Tragikern ist Menke 2005: 13-16 (vgl. zu 2.3). 163 So noch Fiona Macintosh, Sophocles: Oedipus Tyrannus. Cambridge 2009, 5 wohl (sie spricht von v. 784) über das Oidipus gegebene Orakel. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 347 Ebene bleibt so in viel größerem Maße gewahrt. Denn das göttliche Vorherwissen und Vorhersagen im OT bedeutet ja in keiner Weise, daß diese oder eine andere Gottheit die betreffenden Ereignisse vorherbestimmt hat oder herbeiführt. Insofern ist Dodds’ Einstufung von Oidipus’ Transgressionen als „fatebound“ (1973: 70) zumindest mißverständlich. Strenggenommen bedeutet es nur, daß die Gottheit diese Geschehnisse als notwendig ansieht (v. 791; Näheres s.u.), nicht einmal, daß sie es tatsächlich sind. Selbst wenn man nicht so weit gehen will und plausiblerweise davon ausgeht, daß Apoll weiß, daß diese Ereignisse - auch durch Oidipus’ Handeln - eintreten werden, bleibt festzuhalten, daß das göttliche Wissen und der göttliche Wille oder gar Veranlassen in bezug auf zukünftige Ereignisse etwas ganz anderes sind. Aber auch die Orakelsprüche schaffen nur den Anlaß für das spätere menschliche Handeln, ohne daß dieses ihre notwendige Folge wäre. Diese richtigen Beobachtungen der Forschung möchte ich mit Aspekten der (fehlerhaften) Binnenhermeneutik und, anknüpfend an die vorangehenden Kapitel, der Monstrosität (und) der Transgression weiterentwickeln. Denn die Auslegung, welche die Mitglieder der thebanischen Königsfamilie den Sprüchen von Göttern und Sehern angedeihen lassen, spielt nicht nur eine prominente Rolle in der erforschten und erforschenden Handlung des OT, sie bringt auch über die Zweifel, welche diese Figuren an der Autorität von Orakel(götter)n, Apoll und Sehern äußern, eine entscheidende Transgression, deren Bedeutung dadurch hervortritt, daß die gegenläufige Restauration der religiösen Autorität ein, wenn nicht das zentrale Moment der erforschenden Handlung ist. Die Rolle, die Monstrosität und Ambiguität in Oidipus’ Fehldeutung spielen, versteht man besser, wenn man - anders als die bisherige Forschung - das Rätsel der Sphinx berücksichtigt, schließlich entstammt dem Mund dieses Monstrums, ebenfalls eine Quelle nichtmenschlicher Einsicht, eine weitere Äußerung, deren Entschlüsselung wie diejenige der vier göttlichen Botschaften die gesamte erzählte und dargestellte Handlung trägt. In einer paradoxen Korrespondenz ebnet die hermeneutische Überwindung des Monstrums Oidipus erst den Weg zum Mutterinzest. Daß Oidipus sich selbstbewußt auf die Entschlüsselung des Rätsels der Sphinx beruft, läßt die Fehlleistung in der Deutung des ersten an ihn ergangenen delphischen Orakelspruchs um so deutlicher hervortreten, die er dadurch im Verlaufe des Dramas selbst aufdeckt, daß er das zu Beginn des Stücks berichtete zweite Apollorakel befolgt. Daß die Schlußworte des Chores die Beschreibung von Oidipus’ Glück mit dem Wissen des Rätsels beginnen (v. 1525), zeigt, wie wichtig dieser Kontrast für die Gesamtdeutung der Tragödie ist. Doch geht es dabei nicht bloß allgemein um intellektuelle Selbstüberschätzung. Diese wird vielmehr an den Grenzen des Verstehens und der subjektiven Hermeneutik überhaupt manifest, da die göttlichen Botschaften einen semiotischen Charakter haben und deshalb eine (Se)Mantik erfordern. Diese Grenzen des Verstehens betreffen auch die Tragödie qua literarisches Zeichensystem, da sie in der 348 Adresse an die Zuschauer vorgetragen werden. 164 Hier ist also am ehesten die literarische Selbstreflexion des Dramas und damit auch ein wichtiger Teil seiner Metatheatralität zu verankern. Die göttlichen Vorhersagen an Laios und Oidipus unterscheiden sich durch ihre inhaltliche Eindeutigkeit von den Orakelsprüchen, die bei Herodot an Kroisos ergehen, sowie von dem Rätsel, das die Sphinx Oidipus gestellt hat. 165 Diese transgredieren durch ihre intendierte Mehrdeutigkeit die Konventionen der Alltagsrede, deren Gültigkeit und Universalität die Fehldeutung dieser Rätsel und Vorhersagen naiv voraussetzt. Bei der Vorhersage, Kroisos werde mit Überschreitung des Halys, also wie in Aischylos’ Persern einer geographisch-militärischen Transgression, ein großes Reich zerstören (1.53.3, 1.91.4), ist die Referenz ambivalent und lädt zu Fehlinterpretationen ein. Das Rätsel der Sphinx und die Referenz auf Kyros als Maultier, das auf seine persisch-medische Abkunft zielt (1.55.2, 1.91.5), zählen dagegen zur Gleichnisrede. Insofern sie das Gemeinte nicht direkt oder klar aussprechen, schaffen diese drei Äußerungen Zeichen, die für dieses Eigentliche, Andere stehen, das erschlossen werden muß. Dadurch sind sie mißdeutbar. Die Vorhersage an Oidipus bietet dagegen insofern einen Anlaß (aber keinen Anstoß) zu falscher Reaktion, als ihr klar ausgesprochener Inhalt eine massive soziale Transgression ist. Man könnte deshalb die These aufstellen, daß die gescheiterte Kommunikation zwischen Gott und Mensch nicht von Sender oder Empfänger dominiert wird, sondern von der Botschaft. Die Transgression entscheidet, indem sie Oidipus’ Fehldeutung provoziert, über die Kommunikation. Auf die Monstrosität der vorhergesagten Transgression reagiert Oidipus mit einer übereilten Flucht, welche die Gelegenheit für die Transgression schafft, die er eigentlich vermeiden wollte. Die Fehldeutung der göttlichen Zeichen führt Oidipus also in die vorhergesagte Transgression, auch weil er über deren monströsen Charakter den Reflexionsanstoß nicht sieht, der in der Weigerung des Orakels, eine Antwort auf seine ursprüngliche Frage zu geben, und deren Begründung liegt. Sein interpretatorischer Fehler liegt darin, daß er trotzdem weiterhin von der falschen Identität seiner Eltern (und damit auch seiner selbst) ausgeht. Oidipus hat die Diskrepanz zwischen seiner Frage nach der Identität seiner Eltern und der prognostischen Antwort des Orakels (v. 787-793), die er zumindest im späteren Referat bemerkt (v. 788 f.), nicht zu weiterem Nachdenken angeregt, obwohl bereits der Zecher ihn auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, Polybos und Merope könnten nicht seine wahren Eltern sein (v. 779 f.). 166 164 Man kann hieran auch die Warnung an moderne Interpreten davor festmachen, das Wesen des sophokleischen Kunstwerks mit der eigenen Deutung zu identifizieren und dessen Offenheit zu vernachlässigen. 165 Vgl. dazu Frederick G. Naerebout, Kim Beerden, “Gods Cannot Tell Lies”: Riddling and Ancient Greek Divination. In: Jan Kwapisz, David Petrain, Mikołaj Szyma ski (Hgg.), The Muse at Play. Riddles and Wordplay in Greek and Latin Poetry. BzA 305. Berlin 2013, 121-147, h. 121 mit weiterführender Literatur. 166 Auf diesen Fehler weist auch Flaig 1998: 119 f. hin. Schmitt 1988: 21 schrieb Oidipus bereits ein „Wissen seines Nichtwissens“ zu, was zu weit geht, da Oidipus aus dem Wort des Zechers und der Auskunftsverweigerung des Orakels, die bloß vage auf seinen sozialen Status referieren könnte, allenfalls Indizien für Zweifel an seiner Identität ziehen kann. Daß der Eintritt von 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 349 In diesem einen Fall hat Oidipus wirklich, wenn auch aus nachvollziehbaren Gründen, die seine Integrität stützen, da der prophezeite Vatermord und Mutterinzest ihm als schrecklich und schimpflich erscheinen (v. 790, 797), übereilt gehandelt und praktisch die falschen Schlüsse gezogen. Laios’ und Oidipus’ hermeneutische Fehlleistung läge dann darin, daß sie aus nachvollziehbaren Motiven die referentielle Sprachfunktion des Orakelspruchs, die schon Dodds und Heuner herausgearbeitet haben, für eine appellative oder, in der Terminologie der Sprechakttheorie, die der Tatsache angemessen ist, daß im OT die göttliche Ebene nur durch Sprechakte in Aktion und Erscheinung tritt, den rhetischen bzw. propositionalen Sprechakt für einen illokutiven gehalten haben. Damit hinge Oidipus’ größter Fehler zusammen: Er verwechselte den Status des Sprechers und den ontologischen Status der Aussage: Hier warnt nicht ein Mensch vor vermeidbarer Gefahr, sondern hier sagt ein Gott das Schicksal voraus (v. 790: ), dessen Nichteintreten die Weltordnung erschüttern würde. Dies gilt zumindest à la longue, wenn man den Gesamtverlauf auch der erforschenden Handlung mit einbezieht. Indes unterscheidet sich die Formulierung der (vermeintlichen) Unausweichlichkeit in der Vorhersage des Orakels gegenüber Vater und Sohn beträchtlich: Wird in Iokastes Referat das zukünftige Geschehen als entsprechend dem archaischen Fatalitätsdenken nezessitiert (v. 713), so wird Oidipus’ Mutterinzest mit dem Modalverb formuliert (v. 791). Sein Verständnis schwankt in der Forschung stark. Szondi deutet es so, „daß der Inhalt […] als Geheiß Gottes auftritt“ (1964: 67). Heuner hat an dieser Sicht Zweifel angemeldet und will „ […] [Auslassung im Orig.] eher in dem Sinne interpretieren, daß Ödipus die furchtbaren Dinge tun muß, weil sie schon feststehen, aber nicht unbedingt, weil die Götter sie festgelegt haben“ (2001: 77). Szondi und Heuner eint gleichwohl die nezessitive Deutung des Modalverbs, die sie ja auch für den Orakelspruch allgemein vertreten. André Sauge erbringt dagegen durch eine Analyse der Semantik von 167 den Nachweis, daß dieses nicht auf Zwangsläufigkeit, sondern äußere Umstände abhebe, die zu einem Geschehen führen könnten, und daß Oidipus die Warnung vor dem Inzest und den Appell zum Nachdenken nicht als solche auffasse. 168 Die Semantik des Verbs impliziert jedenfalls, obwohl sein Gebrauch für göttliche Prognostik gesichert ist, keine Notwendigkeit (s. die Beispiele unten). Der schlagende Orakeln, wie Flaig 1998: 25 f. herausarbeitet, in der Antike meist im figuralen, nicht im litteralen Sinne gesucht wurde, ist für Oidipus’ hermeneutische Fehlleistung irrelevant, da das Orakel ja im wörtlichen Sinne eingetreten ist - und übrigens auch im übertragenen, da ‚mit der eigenen Mutter schlafen‘, wie Flaig nachweist, in der Antike auch als ‚die Herrschaft über die (Heimat-)Erde erringen‘ oder schlichtweg ‚begraben werden‘ gedeutet werden konnte. 167 Die Bedeutung von und seine Abgrenzung von sind ein dorniges Feld. David C. Anderson Wiltshire, The Evidence of against the Authenticity of the Prometheus Vinctus (http: / / apaclassics.org/ images/ uploads/ documents/ abstracts/ Wiltshire.pdf) geht bei seinen beiden Nuancen von einer notio necessitatis aus. Seth Benardete, XRH and EI in Plato and Others. Glotta 43 (1965) 285-298, h. 285 legt dagegen einen subjektiven Charakter („appropriation“) von im Gegensatz zum objektiven zugrunde. Thomas D. Goodell, XRH and EI. CQ 8 (1914) 91-102, h. 95 f. sieht im OT die gesamte Spannweite der Bedeutung vertreten, die Orakelvorhersagen, aber auch „it behoves, is fitting, or seemly, one ought“ umfasse. 168 Sophocle lecteur de Freud. Bern 2009, 39 f. 350 Beweis dafür ist der Umstand, daß diese just bei Sophokles durch als Agens des Vorherzeigens expliziert wird. Auch in v. 825 f. [ ], eine Stelle, die Goodell zu Recht unter den Gebrauch von einem Orakel einordnet (1914: 96), meint Oidipus, die Vorhersage vermeiden zu können, indem er seine Kindheits- und Jugendstätte nicht mehr betritt. Das Orakel wird also auch dort - wie von Sauge angenommen - von Oidipus als bedingt wahrgenommen. Diese Wahrnehmung (man beachte den Optativ in der indirekten Rede) und die gleichwohl falschen praktischen Schlüsse, die Oidipus aus dem Orakelspruch zieht, sind m.E. die entscheidenden Punkte, selbst wenn man der notio necessitatis bzw. prognostica nicht die Berechtigung absprechen will. 169 Apolls Orakel hat neben der sprachlichen und logischen noch eine (meta)theatralische Seite. Daß die Weissagung hier wie in v. 395 ( ) als „Vorherzeigen“ und nicht „Vorhersagen“ benannt wird, paßt zum präsentativen Charakter der dramatischen Gattung. Dieses Verb ( ) wird seit der Odyssee für das Zeigen durch die Götter (Od. 12.394: […] ) und bei Herodot (1.210.1: , 7.37.2: ) und sonst bei Sophokles (Tr. 849 f.) 170 für Orakel und göttliche Enthüllungen verwendet (LSJ 1538 s.v.). Deshalb scheint es eine Überinterpretation, hierin einen Hinweis darauf zu sehen, daß ein Gott die Rolle als Regisseur ausübt, zumal sich diese Deutung nicht aus der Handlungsstruktur des Dramas rechtfertigen läßt. Unbestreitbar paßt diese Wortwahl zum Leitmotiv unseres Dramas, dem Sehen und Zeigen. Sie ist immerhin auch eine lexikalisch-etymologische Relativierung von Bohrers Interpretation, welche die Epiphanie in den Vordergrund rückt, die in der von Bohrer besprochenen Szene nur in den textinhärenten Regieanweisungen vorkommt (v. 1294-1296). Es spricht für die bereits von Friedrich Nietzsche festgestellte Verbindung des Dionysischen mit dem Apollinischen, daß der gesamte apollinische Prozeß der Wahrheitssuche, der die erzählte und gespielte Handlung des Oidipus Tyrannos bestimmt, durch die dionysische Transgression des trunkenen Zechers angestoßen wurde. Auch als die Wahrheitssuche an einen toten Punkt gerät und erst mit dem Eintreffen des Hirten, dem Oidipus zur Tötung übergeben worden war, zur Auflösung kommt (v. 1110 ff.), spekuliert der Chor in intellektueller wie lokaler Evasion (zur Stringenz und Rationalität dieser Spekulation s. das Ende von 2.3.4 Phase drei: Iokaste), der Vater des im Kithairon gefundenen Knaben Oidipus könnte einer der Götter Pan, Apoll, Hermes oder Dionysos gewesen sein (v. 1098-1109). Daß vor dieser Spekulation Phoibos angerufen wird und ihm die Darbietung gewidmet wird (v. 1096 f.), schafft zwar eine gewisse funktionale Opposition zwischen dem Apollinischen und Dionysischen, die jedoch durch die Nennung zweier weiterer männlicher Götter in der möglichen Vaterfunktion unterlaufen wird. Ihre Präsenz sowie erst recht diejenige Apolls zeigt, daß Dionysos nicht der alleinige Gott der transrationalen Evasion aus der lebensweltlich-logischen Aporie, in die das Orakel seines Halbbruders die Handlung geführt hat. Daß gleich mehrere mögliche Väter genannt werden, 169 Dawe a.l. sagt nichts zu dieser Frage. 170 / . 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 351 obwohl biologisch nur ein einziger Gott in Frage kommt, ist eine ähnliche Fehlzuordnung wie im Falle Iokastes, die Oidipus’ Mutter und Gattin ist. Im ersten Falle üben mehrere Figuren dieselbe Funktion aus, die nur eine Figur ausgeübt haben kann, im letzteren übt dieselbe Figur zwei Funktionen aus, die von mehreren Figuren ausgeübt werden müßten. Auf der Ebene der Rollenidentität liegt also bei den Göttervätern eine Synonymie und bei Iokaste eine Polysemie bzw. Polyvalenz vor. Diese funktionale bzw. identitäre Fehlzuordnung ist eine ähnlich der, die Oidipus bei der Sprachfunktion von Apolls Orakelspruch unterläuft, auch wenn es hierbei um eine Klassifikation geht, und ist durch diese verursacht. Nicht erst Oidipus weicht bei seinem Handeln aus, sondern bereits Apoll tut dies de facto bei seiner Antwort. Der Grund dafür sind kaum unredliche Absichten 171 - die Paradoxie des Stückes liegt vielmehr darin, daß auch Apoll durch die Mitteilung der drohenden, aber letztlich kaum abwendbaren Integritätsverluste nach menschlichen Maßstäben seine eigene Integrität wahrt. 172 Die Antwort, mit welcher der Orakelgott dem Fragenden scheinbar die Möglichkeit gibt, den Lauf der Dinge zu ändern, läßt diese erst eintreten, weil der Interpretationsspielraum von Apolls weitreichender Antwort die Möglichkeit zu einer Fehldeutung und Fehlreaktion eröffnet. Der Ausdruck (v. 793) ist dabei ein deutlicher Hinweis auf die Diskrepanz zwischen sozialen 171 Ablehnend auch Heuner 2001: 77 f. Gegen diese Annahme wendet sich auch Schmitt 1997: 27, der freilich Apoll gut aristotelisierend unter Rückgriff auf Alexander von Aphrodisias und textfern die Absicht unterstellt, Oidipus eine Katharsis zu verschaffen. Abgesehen davon, daß diese Sicht den rituellen und den psychagogischen Katharsisbegriff gründlich durcheinandermengt, übersieht sie, daß Oidipus die eigentlichen hybriden Verhaltensweisen, von denen die Entdekkung seines Vergehens ihn purgiert, erst im Laufe der erforschenden Handlung zeigt. 172 Deshalb und vor dem Hintergrund der ausgeführten komplexen (Se-)Mantik und Hermeneutik greift Bohrer entschieden zu kurz, wenn er von dem „Betrug Apollons“ und der „Grausamkeit der Götter“ spricht, welche die Entdeckung von Oidipus’ Identität zutage bringe (2009: 221). Es geht Bohrer bei dieser verkürzten Sicht darum, die Götter zu etwas „ästhetisch Böse[m]“ zu machen (2009: 273). Euripides’ Bakchen und Senecas Dramen sind m.E. besser geeignet, um zu klären, ob diese These etwas zum Verständnis der antiken Tragödie beitragen kann. Dagegen weist Dodds 1973: 76 völlig zu Recht darauf hin, daß der Gedanke, Gott bzw. die Götter seien gerecht, erst von Platon, der Stoa und dem Christentum vertreten werde. Der OT besage nichts über die Gerechtigkeit der Götter nach menschlichen Maßstäben, sondern beschränke sich darauf, ihre Existenz und Verehrungswürdigkeit zu affirmieren (1973: 74). Die Affirmation des delphischen Gottes ordnet Dodds dabei in die Zeitgeschichte ein (1973: 75): Seine Autorität sei während des Archidamischen Krieges, wie Thukydides bezeuge, in Athen gering gewesen, da Delphi als prospartanisch bekannt war. Euripides habe deshalb sogar freie Hand gehabt, Apoll zu kritisieren (Lucia Athanassaki, Art and Politics in Euripides’ Ion: The Gigantomachy as Spectacle and Model of Action. In: Ana María González de Tobia (Hg.), Quinto Coloquio internacional. Mito y Performance. De Grecia a la Modernidad. La Plata 2009, 199- 241, h. 235-238 arbeitet dagegen heraus, daß entgegen den vermeintlichen prospartanischen Sympathien des delphischen Orakels diese Tragödie die Beziehungen zwischen Apoll und Athen betont; sie hätte demnach eine ähnliche proapollinische Stoßrichtung wie der OT). Die Zeitumstände, die Dodds hier beisteuern kann, stützen also deutlich die von mir vertretene Interpretation, der OT wolle Apolls Autorität restaurieren. Allgemeiner sieht auch Schadewaldt 1970: 471 Sophokles’ Anliegen, die Achtung vor den Göttern wiederherzustellen. Knox 1957: 37 beobachtet fein, daß Oidipus die Prophezeiung des Vatermordes fälschlicherweise durch eine symbolische Interpretation von Polybos’ Tod erfüllt sieht: Er habe seinen Vater durch Sehnsucht umgebracht (v. 967-970). Auch diese bequeme Umdeutung untergräbt die Autorität des unwillkommenen Orakelspruchs. 352 und leiblichen Eltern, auf die Oidipus ja bereits durch den Zecher hingewiesen worden war. Interpretationsbedürftig ist auch der primo obtutu befremdliche Kommentar der Auskunftsverweigerung, Oidipus sei dessen, weswegen er gekommen sei (v. 788 f.). Dawe verleiht diesem Ausdruck einen plausiblen, vordergründigen Sinn fast moderner Idiomatik und Pragmatik (139 a.l.: „Phoebus did not accord him the honour of a response“; vgl. die deutsche Wendung „keiner Antwort würdigen“ (vgl. Manuwald „ohne mich (einer Antwort darauf) zu würdigen“) und Schadewaldt „Mich dessen, worum ich gekommen, ungewürdigt“, so auch inhaltlich Steinmann „mir vorenthaltend“). 173 Dieser Kommentar des Oidipus gewinnt in seinem Mund und im Kontext der Tragödie jedoch noch andere Bedeutungsebenen. So zielt dieses Wort auf die Grenze zwischen dem ab, was Sterbliche Götter fragen können und überhaupt wissen dürfen und was nicht. Die Grundbedeutung dieses Adjektivs ist jedoch die mangelnde soziale Dignität. Selbst wenn es nicht Apoll in seiner Antwort, sondern nur Oidipus in seinem späteren Kommentar gewählt hat, hebt es auf die soziale Zurücksetzung ab. 174 Für Oidipus wird Apolls Reaktion also die Zweifel an seiner königlichen Abkunft und die Sorgen um sein Sozialprestige verstärken (vgl. v. 1076-1085), die bereits der Zecher geweckt hatte. Die Verunsicherung über seine soziale Position erklärt wohl auch neben der Überraschung über den Angriff die Wucht, mit der Oidipus auf die Schläge am Dreiweg reagiert. Bislang haben wir Laios’ und Oidipus’ Reaktion auf das Orakel nur auf der menschlichen Ebene betrachtet und als kognitive Fehlleistung charakterisiert, die mit einer akzeptablen Absicht einhergeht. Der religiöse Aspekt wurde dabei nur in diesem subjektiv ethisch-kognitiven Rahmen berührt. Die Transgression involviert jedoch in dieser Tragödie wie in Aischylos’ Persern die suprasystemische religiöse Ebene, die in beiden Stücken mantisch gedeutet wird. Diese Parallele läßt gleichwohl grundlegende Unterschiede hervortreten: Xerxes begeht mit den Tempelschändungen bei seiner topologisch-politischen Transgression einen klar faßbaren religiösen Frevel. Die sich daraus ergebende Eliminierung bei der Schlacht bei Salamis wird mantisch-spiritisch erklärt. Während der Geist des Dareios in den Persern eine komplette Erklärung des Geschehens liefert, müssen die Akteure in Sophokles’ Oidipus Tyrannos vor und nach der sozialen Transgression die göttlichen Zeichen mühsam und unter dem Risiko ihrer Existenz und Integrität selbst entschlüsseln. Es scheint zweifelhaft, inwieweit man Oidipus’ (und Laios’) (se)mantische Fehlleistungen als religiöse Transgression und Frevel einstufen kann. Sie haben keine Apollheiligtümer geschändet oder - wie Agamemnon in der Ilias (1.9-32) - eine Tochter eines Apollpriesters fortgeführt und diesen schimpflich behandelt. Sie haben auch nicht wie Xerxes in Aischylos’ Persern (v. 807-812) Göttertempel zerstört. Zudem hat Apoll nur die Zukunft, das individuelle Geschick, 173 So auch LSJ 270 s.v. a.l. „without the honour of …, not deemed worth of“. So ebenfalls trotz einer unscharfen Lemmabenennung, die auf die fehlende Ehre abhebt („mermado en su honra, no honrado como es debido, menospreciado“), das DGE 588 s.v. a.l. „del que es despachado sin repuesta“. 174 Diese pragmatische Implikation hat Zierls Paraphrase neben der praktischen im Blick (1994: 123: „im eigenen Anliegen scheinbar mißachtet“). 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 353 vorausgesagt und kein Gebot ausgesprochen, über das Vater und Sohn sich hinweggesetzt hätten. (Sein Rat, die Mörder des Laios aufzuspüren und zu bestrafen, wird dagegen von Oidipus bis zur Entdeckung seiner eigenen Identität befolgt.) Die Formulierung des Orakels schafft also keinen Konflikt zwischen zwei normativ gleichrangigen Integritäten wie für Aischylos’ Agamemnon in der gleichnamigen Tragödie, wo die gekränkte Göttin das Opfer der Tochter fordert und so die göttliche Forderung vor dem Hintergrund seiner politischen Rolle als Heerführer der Griechen und der Bündnistreue in einen lebensbedrohlichen Konflikt zur Liebe zwischen Eltern und Kindern tritt (Ag. 206-213). Anders als bei Abraham ist die Tötung des nächsten Blutsverwandten nicht von einem Gott angeordnet und kann nur von diesem verhindert werden, wenn man den göttlichen Willen in bedingungslosem Glauben auszuführen bereit ist. Der neuralgische Punkt, den Laios’ und Oidipus’ Ausweichen auf der religiösen Ebene berührt, ist jedoch der Nexus zwischen Faktizität und göttlicher Autorität. Denn hätte ihr Tun Erfolg gehabt, wäre nicht nur der Spruch des delphischen Orakels Lügen gestraft worden. Dadurch hätte nicht nur das göttliche Zeichen seine Referenz verloren, sondern die Autorität und ideelle Integrität des Orakels wäre beschädigt worden. Zudem wäre die Chronologie transgrediert worden, da vorhergesagte Ereignisse nicht eingetreten wären. 175 Laios und Oidipus scheinen diese Probleme ignoriert zu haben. Zu ihrer bereits beschriebenen Fehleinschätzung des Orakelspruchs gehört wie im Falle von Kroisos’ Sorge um seinen Sohn bei Herodot (1.34.2 f.) auch die irrige, vielleicht bloß unreflektiert implizierte Prämisse, ihrem Schicksal entrinnen zu können. Daß sie ihr Schicksal selbst ausführen und damit ihren Status als handlungssouveränes Subjekt selbst performativ negieren, ist ein weiterer Aspekt ihrer Tragik. Da die Transgression auf die objektive Faktizität und nicht die subjektive Intention abhebt, liegt auch bei dem tätlichen Ausweichen vor dem Schicksal eine faktische Transgression der göttlichen Weltordnung vor, auch wenn sie nicht in frevlerischer oder übermütiger Absicht geschah. Bei der religiösen Transgression (bzw. eigentlich Devianz) annulliert die Faktizität also die (Nicht-)Intentionalität, wie umgekehrt die integre Intention, die hinter dem Ausweichen steht, die soziale Transgression nicht verhindern konnte, sondern geradewegs in sie führte. Die Intention ist also entweder nichtig oder kontraproduktiv. Das Ausweichen ist innerhalb der Handlungsstruktur des Dramas nicht irrelevant, sondern durch die als Folge auftretende soziale Transgression markiert. Die Objektivität der Transgression, hinter der die subjektive Verantwortung des Oidipus zurücktritt, spielt beim religiösen Aspekt seiner Tat eine wichtige 175 Dieser Nexus ist zu Sophokles’ Zeiten noch unproblematisch. Dodds arbeitet heraus, daß das Problem von Willensfreiheit und Determinismus erst von der hellenistischen Philosophie aufgeworfen wurde und daß das göttliche Vorherwissen und die Entscheidungsfreiheit des Menschen einander grundsätzlich bei Homer und im OT nicht ausschlössen (1973: 70 f., vgl. Cairns 2013: 147). Das Paradoxon menschlicher Willensfreiheit und göttlichen Vorherwissens des Geschehens wird später von platonisch geprägten oder beeinflußten Philosophen diskutiert (Max. Tyr. 13, Boeth. cons. 5,5,8-5,6,48; vgl. dazu Schmitt 1997: 30 Anm. 96). 354 Rolle. 176 Im OT gibt es massive Indizien dafür, daß diese Tragödie die Transgression ihres Protagonisten eher gemäß der Schamkultur deutet, die auch den personalen Punkt der Befleckung eliminiert, als gemäß der Schuldkultur, die den Urheber der Transgression sucht und nach der individuellen Verantwortung fragt. 177 Diese Hinweise auf die shame culture liefert die Wortwahl der Akteure: Der Apollspruch verlangt, man solle den Schandfleck des Landes ( - ) beseitigen (v. 97). 178 Der Bote aus Korinth meint, Oidipus fürchte, durch seine Vergehen einen Schandfleck von den Eltern zu empfangen (v. 1012: ). Oidipus selbst spricht von einem solchen Makel (v. 833: ’). Ja sogar der Bote, der Iokastes und Oidipus’ Selbstverletzungen berichtet, äußert zuvor die Ansicht, weder Istros noch Phasis seien in der Lage, dieses Haus reinzuwaschen ( ). (Dabei bezieht er sich durch den Zusatz, die freiwilligen und selbstgewählten Übel seien die schlimmsten, explizit nur auf die Selbstverletzungen und nicht die frisch entdeckten Transgressionen (v. 1227-1231).) Der Nestor dieses Begriffspaares, Dodds selbst, betont denn auch zu Recht die Diskrepanz zwischen Oidipus’ juristisch-subjektiver Unschuld, die ihm vor jedem Athener Gericht wohl einen Freispruch eingebracht hätte, 179 und der Befleckung, von der kein Gericht ihn reinigen könne (1973: 71 f.). Apolls Empfehlung hebt denn auch auf den faktischen Urheber dieses Schandflecks ab, den dieser freilich als Reaktion ebenfalls auf ein Apollorakel verursacht hat. Oidipus entspricht also Lucretia nur in der Selbsteliminierung infolge der Transgression (Näheres zu ihrem Ehrenselbstmord s. 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung in der Interpretation von Senecas Phaedra). Flaig weist nach, daß auf die rituelle Austreibung des Sündenbocks verweise, grenzt diesen aber zu Recht vom Tyrannen ab und vermutet, daß Oidipus es versäumt habe, sich vom des Totschlags entsühnen zu lassen, was im damaligen Griechenland geboten gewesen sei (1998: 126-130), doch beruht diese (Re-)Konstruktion einer individuellen Verantwortung auf einem argumentum ex silentio. Die Suche früherer Interpreten nach der individuellen Verantwortung des Oidipus wird dagegen durch die Anlage des Stücks legitimiert: Die Transgression ist zwar sein zentraler Gegenstand, doch liegt sie selbst in der Vergangenheit und wird im Verlaufe dieses analytischen Dramas langsam ans Licht gebracht. Diese Archäologie trägt aber vor allem dazu bei, die Gewißheit von Oidipus’ Täterschaft zu festigen und erlaubt es auch, seinen Eigenanteil besser einzuschätzen. Doch obwohl die Nachforschungen das Ergebnis nahelegen, daß es sich nach dem status finitionis, der die Tat nach rechtlicher Relevanz einstuft 176 Vgl. Schadewaldt 1970: 472 f., der diesen Gedanken jedoch an die Restauration der göttlichen Autorität anschließt und damit die zeitliche Diskrepanz zwischen persistierender shame culture und der Abwehr sophistisch-politischer Orakelzweifel außer acht läßt. 177 Vgl. Eric Robertson Dodds, From Shame-Culture to Guilt-Culture. In: Ds., The Greeks and the Irrational. Berkeley 8 1973, 28-63. 178 Dazu im OT und v.a. zur Irrelevanz der Intention bei der Befleckung s. Bernard Williams, Shame and Necessity. Sather Classical Lectures 57. Berkeley 3 1993, 59-72. 179 So auch Fisher 1992: 340. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 355 und unter einzelne Straftatbestände subsumiert, entweder um Notwehr oder um Totschlag im Affekt handelt und nach dem status qualitatis, der die (Un-)Rechtmäßigkeit der Tat beurteilt, im Fall der über den Verwandtschaftsgrad bestimmten Verbrechen das vorliegt, was moderne Juristen als erlaubten Tatbestandsirrtum einstufen würden, läßt der Vollzug des eingangs verkündeten göttlichen Strafmaßes am Ende der Tragödie diese subjektiven Aspekte außer acht und hebt nur wie die gesamte Detektivarbeit 180 auf den status coniecturae ab, der fragt, ob der Angeklagte die Tat überhaupt begangen hat. Die Frage nach der Identität des Täters nimmt jedoch nur die Faktizität der Transgression in den Blick. Die Ausblendung dieses subjektiven Faktors, der geeignet ist, die Anteilnahme des Zuschauers zu sichern und einen modernen Interpreten zu verwirren, 181 unterstreicht die Gültigkeit der ehernen göttlichen Gesetze, die keine Abweichung ungesühnt lassen. Die beiläufige Aufdeckung der moralisch mildernden Umstände ist also wegen ihrer Irrelevanz kein dramatischer Luxus, sondern erlaubt es, eben diese Irrelevanz zu performieren. Dieser Gedanke sticht gegen Schmitt, der sich gegen die Relevanz der „objektiven Schuld“ und das Konzept der Schamkultur wendet (1997: 37) und statt dessen auf die subjektiv vorhersehbaren Handlungsfolgen abhebt (1997: 37-43). Indes geht die Bedeutung der objektiven religiösen Befleckung im Gegensatz zur subjektiv kasuistischen Unschuld des Oidipus allein schon daraus hervor, daß sie innerhalb der Handlung die Eliminierung erfordert, und zwar in Apolls Gebot, Oidipus’ Fluch und seiner späteren Bitte sowie in Kreons Vollzug. Sie ist also in der Logik des Dramas keineswegs irrelevant, sondern klar markiert. Die Transgression erweist sich damit nicht nur als geeignet, die Handlungsstruktur dieser Tragödie zu beschreiben, sondern auch dank ihrer Faktizität als Vehikel, um die Rolle von Oidipus’ (tragischer) „Schuld“ oder sagen wir besser: seinem selbstverantworteten Anteil an seinem vielbeklagten Leiden (z.B. v. 1319 f., 1414 f.) in der Tragödie zu erfassen, den frühere Interpreten in Anlehnung an Aristoteles’ - Begriff aus der Poetik debattiert haben (s. 2.6.2 Mimesis und Aristoteles). Die Faktizität der Transgression wird ferner dadurch hervorgehoben, daß Oidipus’ soziale Transgression auch in ihrer Interaktion mit der göttlichen Ebene über die Topologie funktioniert, selbst wenn Hermeneutik und Intention die Bewegung im Raum motivieren. Die Paradoxie und Tragik der Transgression tritt in der Topologie als Aporie zutage. Bereits der von Wissensdurst über die eigene Identität geleitete Gang nach Delphi überschreitet den Isthmos von Korinth und wohl auch den Kithairon und wird wohl auf der Südroute entlang des korinthischen Meerbusens Böotien und die Phokis durchquert haben. Bei seiner Rückkehr aus Delphi stieß Oidipus auf Laios in der Phokis an einem Ort, wo ein 180 Vgl. Schadewaldts Einstufung als „detective story“ (1970: 468 f.). Dodds’ Warnung, der OT sei trotz gewisser Ähnlichkeiten keine Detektivgeschichte, sondern eine dramatisierte Sage (1973: 68: „folktale“), ist berechtigt, da der Kriminalroman seiner Meinung nach als einzige Gattung die Frage nach Dingen zulasse, die nicht im Text seien. Die Ähnlichkeiten mit dem Kriminalroman betreffen v.a. die Stringenz der erforschenden und erforschten Handlung, für das Gesamtverständnis der Tragödie ist die postidentifikatorische Phase aber ebenso wichtig. 181 Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion. Oxford 1983, 317. 356 Dreiweg sowohl von Delphi als auch von Daulia aus zusammenlief (v. 733 f.), er wählt also aller Wahrscheinlichkeit nach die Nordroute. Das Ausweichen- Wollen vor der gottverkündeten Transgression hat wie die politisch-militärische in den Persern eine lokale Dimension, doch anders als in jenem Drama geschieht sie nicht in Form einer genuinen Überschreitung, sondern einer Evasion und Extravaganz: Oidipus läuft förmlich vor seinem Schicksal davon und versucht im wahrsten Sinne des Wortes, das Orakel zu hintergehen. Die fragliche Passage ist denn auch voll mit Bewegungsverben (v. 794-799). Nicht nur Oidipus’ Reaktion auf das Orakel ist eine Fehldeutung von sprachlichen Zeichen. Auch bei dieser Flucht bedient sich der vermeintliche korinthische Königssohn wie ein Seefahrer der Sterne, um seine heimatliche Erde zu fliehen (v. 794-796, v.a. 795: ). 182 Auf der rein lokalen Ebene ist der Zeichengebrauch (hier liegt begrifflich der Peircesche index vor) insofern erfolgreich, als er Oidipus ermöglicht, das örtliche Ziel nicht zu erreichen. Doch sein Name und die Verletzung bei der Aussetzung zeigen an (v. 1031-1036), daß es Oidipus geradezu in die Wiege gelegt ist, nicht vor seinem transgressivdevianten Schicksal davonlaufen zu können, 183 und die Extravaganz führt ihn nachgerade in die erste soziale Transgression, den Vatermord (v. 810-813). Er bietet einen weiteren lokalen Aspekt, die Kollision, kreuzen sich doch die Wege der Kontrahenten (v. 801-809). Dieser lokale Konflikt führt dazu, daß der thebanische König und seine Getreuen den Wanderer gewaltsam aus dem Weg zu treiben versuchen (v. 804 f.). Glücklicherweise sind wir bei der Bewertung der religiösen Dimension von Oidipus’ Handeln nicht auf solche externen Analysen allein angewiesen, wie wir sie bisher entwickelt haben. Denn die Darstellung der Bewußtseinsprozesse, die das analytische Drama selbst entwirft, bietet zu dieser Frage eine deutliche Aussage. Einen klar erkennbaren Affront gegen die Götter legt es nur in die erforschende Handlung. Ein wichtiges Thema in ihr sind explizit Zweifel an der religiösen Ordnung und die Wiederherstellung von deren Autorität. 184 Dabei darf man von den Zweifeln an der Gültigkeit der göttlichen Zeichen, mit denen Iokaste und Oidipus im Verlaufe des Stückes neue Ergebnisse der Nachforschung 182 Für die Sterne als Zeichen s. das Kap. zu Plautus’ Amphitruo. Unsere Wendung zielt auf die Evasion, eine möglichst weite Entfernung in einsame Gegenden. Näheres, v.a. zur Textkritik und zur komplizierten Deutung der Wendung s. die Kommentare von Jebb 108 f., Dawe 140 und Bollack 1990: Bd. 2 486-488. Sie alle sehen nur die lokale Dimension der Evasion und erblicken in der möglicherweise proverbialen Wendung keinen Hinweis auf eine nächtliche Tatzeit des Dreiwegmassakers, was wegen der virulenten Gefahr von Räubern und der stark verschlechterten Sicht die Aggressionen aller Beteiligten erheblich verständlicher machen würde und den Aspekt der Sicherheit, der physischen Integrität, zuungunsten der sozialen, der Ehre und des Vorrangs, in den Vordergrund schöbe. Die schlechten Sichtverhältnisse würden mit dem Ausblenden des Gehörsinns und der fehlenden gegenseitigen (Er-)Kenntnis der Kontrahenten korrelieren. 183 Dies ist in der Genealogie und den Namen auch der Vorfahren verortet, wie man Jean-Pierre Vernant entnehmen kann (Œdipe à contretemps (1999). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 120-132). 184 So bereits Pohlenz 1954: Bd. 1, 218-220 anhand von Iokastes Zweifeln und des zweiten Stasimons sowie Burkert 2009: 57-62. 2. Sophokles’ , 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 357 kommentieren, nicht auf die Haltung schließen, mit der sie in der erforschten Handlung die Orakelsprüche aufnahmen, die den Vatermord und Mutterinzest verkündeten. Für diese Vorsicht sprechen zwei Gründe: Erstens wird bei der knappen Erzählung der Orakelsprüche das Motiv, den Gott zu hintergehen, nicht genannt, sondern die an sich legitime Integritätswahrung, und zweitens spiegeln die entsprechenden Kommentare seismographisch die Entwicklung der Enquête und das daran gekoppelte Auf und Ab von Hoffen und Bangen wider. Das aus Aischylos bekannte Muster von , , und Fall (über erstgenannte spezifiziert auch Schmitt 1988: 17 die „tragischen Fehler“) funktioniert also nur auf der Ebene der erforschenden Handlung. In ihr triumphieren Oidipus und Iokaste in Verblendung und auch sachlich zu Unrecht, die göttlichen Vorhersagen seien nicht eingetreten. Allein daß der weitere Verlauf des Dramas diesen Triumph Lügen straft, erweist ihn als Verfehlung. Dies tritt um so deutlicher hervor, wenn man die integritätswahrende Motivation dagegenhält, welche die Erzählung des Oidipus für sein Verhalten in der erforschten Handlung anführt (s. 2.4.3 Paradoxie und Tragik der Transgression). Diese explizite integre Motivation ist ein markanter Unterschied zum religiösen Frevel in der erforschenden Handlung. Sie hat damit eine subjektive Komponente, während Oidipus’ unfreiwillige soziale Transgression in den Kommentaren der Figuren nur als objektive religiöse Transgression entsprechend der Schamkultur eingestuft wird (s.o.). Iokastes und Oidipus’ mantische Verblendung läßt dagegen um so deutlicher den folgenden Erkenntnisprozeß erkennen, der die Autonomie der religiösen Ebene gegen menschliche Rationalisierungen restauriert. Bemerkenswerterweise steht beim Erkenntnisprozeß, den Mutter und Sohn durchlaufen, nicht die Einsicht in die eigene Schuld (vielmehr bloß die eigene Täterschaft), sondern in die faktische Relevanz der Götter im Vordergrund. Die Rolle der Götter wird hier als ‚faktische Relevanz‘ statt wie sonst gelegentlich als ‚Wirkmächtigkeit‘ bezeichnet, um falsche Assoziationen zum Problemkomplex von Willensfreiheit und Determinismus zu vermeiden und außerdem die menschliche Anerkennung und Verehrung zu implizieren. Die beiden geben damit ihre Zweifel an der religiösen Ordnung auf, die Teiresias und der Chor von Anfang an affirmiert hatten. Bereits als Oidipus dem Chor antwortet, der in der Parodos zahlreiche olympische Götter angerufen hatte, stellt er sich als den tatkräftigen Erfüller dieser Bitten dar (v. 216-218) - man beachte insbesondere die Wiederaufnahme des Lexems : Erleichterung verspricht Oidipus nun für die Übel, ihr Fehlen hatte der Priester in v. 23 beklagt. Der umsichtige Technokrat würde demnach das Wirken der Götter oder zumindest ihre Anrufung erübrigen. 185 Doch stützt die Einsicht der Protagonisten in die faktische Relevanz der Götter, auch für ihr Leben und Handeln, die Ansicht, bei dem Stück handle es sich um eine Schicksalstragödie? Passend zu den herausgearbeiteten Zügen der 185 Florence Yoon, The Use of Anonymous Characters in Greek Tragedy. The Shaping of Heroes. Teilw. zugl. Diss. Oxford 2008. Mnemosyne Suppl. 344. Leiden 2012, 29 erkennt treffend - auch durch den Vergleich mit der Funktion eines anonymen Priesters in anderen attischen Tragödien - eine ähnliche Fokussierung in der Dramaturgie: „[…] Sophocles uses the anonymous Priest in Oedipus Tyrannos to direct the audience’s attention not to the divine, but to the human protagonist.“ 358 shame culture werden in den theologisch relevanten Äußerungen des Dramentextes die Aspekte Prädestination und Theodizee nicht für die eigene Exkulpierung bemüht, ja die eigene Schuld wird nicht thematisiert, 186 obwohl doch zu Beginn der Untersuchung eine solche lexikalisch suggeriert wurde (v. 109: - ). 187 Williams 1993: 58 f. insistiert - entsprechend seiner Skepsis gegenüber allzu wertenden evolutionären Modellen der griechischen Geistesgeschichte - anhand des unmittelbaren Kontextes ( … ) auf dem rational-diagnostischen Charakter der i.S. v. ‚Ursache‘. 188 Von da ist allerdings begriffsgeschichtlich wie kontextuell auch unter den Prämissen der insofern keineswegs irrationalen Schamkultur der Weg zur Schuld vorgezeichnet, wenn man unter diesem Ausdruck die Individuation der Kausalität für die Befleckung und Strafe versteht, die der Stadt widerfahren. Lurje weist denn auch völlig zu Recht auf die markante Leerstelle in der Binnenhermeneutik des Stückes hin, daß nach der Identifikation des Transgressors niemand Oidipus oder die Götter ent- oder beschuldige (2004: 388 f.). Bloß im Kommentar des Boten, der von Oidipus’ und Iokastes Selbstverletzungen berichtet und diese als und qualifiziert (v. 1229-1231), ist e contrario und ex silentio ein deutliches Urteil über die Unfreiwilligkeit der Transgression versteckt. Der OT ist also kein monotheistischer theologischer Traktat, der die menschliche Schuld(fähigkeit) trotz göttlicher Allmacht herauspräpariert, sondern inszeniert die Einsicht in die faktische Relevanz der Götter. Diese faktische Relevanz, die Teil der Binnenhermeneutik ist, geht weit über das bloße Vorherwissen der Geschehnisse und des menschlichen Handelns hinaus, das weiter oben für die Handlungsstruktur entwickelt wurde. In der Handlungsstruktur ist der Anteil der Götter minimalistisch, in der Binnenhermeneutik maximalistisch dargestellt. Diese Diskrepanz kommt auch dadurch zustande, daß die Binnenhermeneutik den Göttern Geschehnisse zuschreibt, welche die vorliegende Deutung der Handlungsstruktur über Paradoxie, Tragik und Monstrosität der Transgression erklärt hat. Aber auch unabhängig von diesen Figuren erfährt die rein faktische Kausalität der Transgression in der Tragödie eine besondere Darstellung, die in den vorangehenden Abschnitten untersucht wurde. Bei der Analyse des Einsichtsprozesses in die faktische Relevanz der Götter soll deshalb auch der Frage nachgegangen werden, wie das kausale Verhältnis der göttlichen Instanzen untereinander und zum Menschen dargestellt wird. Douglas Cairns hat in einer umfangreichen Untersuchung jüngst eindrucksvoll überwiegend anhand der nachfolgend zu besprechenden Stellen der Binnenhermeneutik nachgewiesen, daß hierbei das archaische Welt- und Menschenbild zum Tragen kommt 186 Dies stellt auch Bohrer 2009: 218 fest. 187 Der Chor spricht in v. 510 nur von . 188 Wegen des zeitlichen Abstandes der beiden Tragödien und der gänzlich anderen Situation (Oidipus bittet nach der Erkenntnis seiner Transgression um Asyl) ist es methodisch problematisch, wenn Williams 1993: 70 f. und Schmitt 1997: 38 f. den OC für die binnenhermeneutische Einschätzung heranziehen, der OT sehe Oidipus’ Taten nicht als schuldhaft an (für dramatischkompositorische Verknüpfungen von OT und OC s. Bernd Seidensticker, Beziehungen zwischen den beiden Oidipusdramen des Sophokles. In: Ds., Über das Vergnügen an tragischen Gegenständen. Studien zum antiken Drama. Hg. v. Jens Holzhausen. München 2005, 1-28). 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 359 und das menschliche Handeln in einer Art Überdeterminierung vom göttlichen bestimmt und gewollt wird, die gleichwohl einen Grad menschlicher Freiheit wahre (2013: 135-141). 189 In der Binnenhermeneutik entspricht also nicht nur die Einstufung der Transgression als Befleckung, sondern auch ihre kausale Erklärung dem archaischen Weltbild. Methodisch überzeugend ist Cairns These von den archaischen Elementen des OT insbesondere durch Vergleiche mit Homer (2013: 139 f., 153 f.). Bereits Dodds, dessen OT-Beitrag Cairns bei der Terminologie und interpretatorischen Anwendung von ‚Determinismus‘, ‚schicksalsgebunden‘ und ‚freiem Willen‘ (1973: 70) zu Recht nuanciert (2013: 122- 126), hat andernorts Sophokles’ Zugehörigkeit zur archaischen Weltsicht („the last exponent of the archaic world-view“) angedeutet, nach welcher der Mensch dem göttlichen Mysterium hilflos gegenüberstehe und die ihn erwarte (1973a: 49). 190 Für Reginald P. Winnington-Ingram steht der OT im Spannungsfeld von archaischer und neuerer Weltsicht, die er durch Sokrates und Euripides repräsentiert sieht. 191 Vor diesem Hintergrund ist die Diskrepanz zwischen Binnenhermeneutik und Handlungsstruktur bei der Rolle der Götter kein dramaturgischer Bruch, sondern Zeugnis und künstlerische Widerspiegelung eines geistesgeschichtlichen Umbruchs. Die künstlerische Gestaltung ließe sich daran nachweisen, daß sich die diskrepanten Sichtweisen von Binnenhermeneutik und Handlungsstruktur auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Legt man sie übereinander, so entfällt das harte, nachgerade deterministische Eingreifen der Götter ins menschliche Leben und Handeln der Binnenhermeneutik, während die reine Bewahrheitung des göttlichen Wortes, welche die Handlungsstruktur bietet, zu einer faktischen Relevanz der Götter im Weltgeschehen aufgewertet werden müßte. Die Quintessenz hat schon Dodds formuliert: Die Götter existieren und man muß sie verehren (1973: 74). Der schwere pessimistische Fatalismus des archaischen Weltbildes wird so zu einer aufgeklärt-rationalen Frömmigkeit verfeinert. Diese Bewegung wird sicherlich auch dadurch in der Faktur des Dramas plausibel, daß die Handlungsstruktur sich auf Tatsachen stützt, während die Binnenhermeneutik wechselnde und sich entwickelnde individuelle Ansichten darstellt, ohne sie damit philosophisch als bloße oder aufklärerisch als gesellschaftliches Vorurteil zu diskreditieren oder das Verhältnis von Binnenhermeneutik und Handlungsstruktur (in dieser Frage und generell) an das 189 Die Überdeterminierung legt es nahe, den Maximalismus der binnenhermeneutischen Sicht auf die Kausalität der Ereignisse im Vergleich zum dramaturgischen Minimalismus der Handlungsstruktur mit einem architektonischen Bild zu verdeutlichen: Das Ereignisgefüge der Binnenhermeneutik und ihre Statik entsprechen einer wuchtigen romanischen Basilika, deren Last auf mehreren Teilen ruht, während sich die elegante Statik der Handlungsstruktur mit einer gotischen Kathedralen vergleichen läßt, bei der kein Element zuviel oder zu wenig ist. 190 Festzuhalten bleibt allerdings, daß die im OT marginal ist und für die Deutung der Transgressionen keine Rolle spielt (v. 165, 1205 [Chor], 1284 [Bote]). Dasselbe trifft übrigens auf die „modernere“ und das zu ihr gehörige Verb zu, die nur im Zusammenhang mit Oidipus’ Auseinandersetzung mit anderen Figuren - einmal in tragischer Ironie (v. 621) - fallen (v. 1149). Dieser Befund bestätigt ex negativo die Zwischenstellung dieser Tragödie zwischen alter und neuer Weltsicht. 191 Tragedy and Archaic Greek Thought. In: M. J. Anderson (Hg.), Classical Drama and its Influence. Essays presented to H. D. F. Kitto. New York 1965, 31-50, h. 35 f. 360 sophistische von gesellschaftlichen und anzulehnen. Unbeschadet dieser interpretatorischen Harmonisierung der beiden dramatischen Ebenen ist es doch eine markante, wenn auch geringere inhaltliche Übereinstimmung, daß der Chor das göttliche Wissen um die menschlichen Dinge als sicher ansieht (v. 497-499), was exakt der Handlungsstruktur entspricht. Die nachfolgende Besprechung der Einzelstellen zur Rolle der Götter wird Gelegenheit geben, wo angeraten und geboten auf die Deutungen der genannten anglophonen Gelehrten näher einzugehen. 192 Sie soll selbst auf die Gefahr langatmig wirkender Rückgriffe hin - mit einzelnen inhaltlich-lexikalischen Blöcken - dem Gang des Dramas folgen, um dessen Handlungsgefüge und kunstvoller Faktur, aber auch der dramatischen Funktion Rechnung zu tragen, welche die besprochenen Äußerungen erfüllen und die man zum Verständnis der Redebeiträge berücksichtigen muß. Für dieses Vorgehen spricht auch, daß sich die Erkenntnis in einem Dialog entwickelt, der sich über das gesamte Stück erstreckt und zwischen den königlichen Protagonisten einerseits und Teiresias und dem Chor andererseits entspinnt. Chor und Seher formulieren eine These, Oidipus und Iokaste eine Antithese und schließlich Oidipus und der Chor eine Synthese. Doch diese Synthese ist bloß pragmatischer, nicht inhaltlicher Natur: sie affirmiert bloß die These. Diese antithetisch-substitutive Dialogik erinnert eher an Pascals unvermittelten Zusammenstoß der Gegensätze (s. 1.4.7 Tragik, Paradox und Dialektik: Pascal und Szondi in der Einleitung) als an den klassischen Dreischritt der Dialektik. Doch zum Einzelnen: Während der Chor noch gänzlich ahnungslos ist, deutet der Seher im Gespräch mit Oidipus dunkel dessen Schuld an und sagt ihm seine Eliminierung durch die vorher (v. 442: ’ ). 193 In einem hitzigen Dialog mit Oidipus bemüht er ex negativo für den Fall des Königs eine weitere Schicksalsmacht, die traditionell auf die religiöse Notwendigkeit abhebt und die selbst über den Göttern steht, die Moira (v. 376 f.). 194 Als zukünftiger Ausführender wird dagegen Apoll benannt: . Die beiden Äußerungen lassen nicht nur ein deterministisches Weltbild erkennen, das durch den Aorist die Eliminierung als bereits feststehend charakterisiert, sie wecken auch durch das futurische , das Apolls Handeln charakterisiert, eine gewisse Erwartung. Teiresias tritt bescheiden hinter Apoll zurück, von dessen faktischer Relevanz er überzeugt ist. Gerade gegenüber der (Se-) Mantik, die der Seher Teiresias vertritt, dem so die klassische Rolle des Mah- 192 Nur Winnington-Ingram werde ich dabei weitgehend außen vor lassen, da seine Besprechung der Stellen zu (Un-)Freiwilligkeit, und im OT (1965: 32-41) für mich keinen roten Faden erkennen läßt und sich vielfach damit begnügt, Deutungen abzulehnen, die seiner Meinung nach zu kurz greifen. 193 Ausführlich zur im OT s. Cairns 2013: 145 f. 194 Ausführlich zu ihr im OT und ihren Homerischen Hintergründen s. Cairns 2013: 143-145, 151 f. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 361 ners 195 zufällt, und die er auf eine göttliche Quelle zurückführt, legt der Oidipus der gespielten Handlung, der sich auf seine Dechiffrierleistung gegen die Sphinx beruft, eine unverhohlene hermeneutische Selbstüberschätzung an den Tag: Oidipus insistiert also in tragischer Ironie auf seinem Status als autonomes rationales Subjekt. Seine Selbstüberschätzung stellt die Junktur in einen klaren Kontrast zu der gottesfürchtigen intellektuellen Bescheidenheit (v. 395-398), mit der Sokrates sein und das Wissen überhaupt beschreibt (Ap. 20d 6-23b 4, v.a. 21d 2-8), ebenfalls in verbaler Interaktion mit dem Göttlichen (Ap. 21a 4-7), das rätselhaft spricht (Ap. 21b 4), doch dessen Wahrheit er überprüft und erkennt Iokastes Zweifel zielen dagegen nicht auf die nachträgliche Erkenntnis der Transgression, sondern die Verläßlichkeit ihrer Vorhersage. In falscher Gewißheit konstatiert sie, daß Apoll den Seherspruch nicht erfüllt habe ( ), 196 demzufolge der Vater von der Hand seines Sohnes stürbe und dieser der Mörder seines Vaters würde (v. 720-723). Dagegen beschwichtigt sie den bereits zweifelnden Oidipus später bloß, Apolls Spruch, ihr Gatte werde durch ihr gemeinsames Kind sterben, werde sich durch die Aussage des einzigen Überlebenden des Dreiwegmassakers nicht bewahrheiten (v. 852-854). Ein Spruch der Diener des Orakelgottes (dessen Urheberschaft wird ausdrücklich dahingestellt [v. 711 f: / ’ ’ ]) hatte Laios freilich laut Iokaste bloß vorhergesagt, daß es seine Moira sei, durch seinen Sohn zu sterben (v. 711-714), fungiert also nur als Medium der göttlichen Weltordnung. Die Diskrepanz bei Apolls Verantwortlichkeit zu Teiresias’ Formulierung läßt sich wohl durch den Unterschied der sprechenden Figuren sowie zwischen erforschender und erforschter Handlung erklären. Teiresias bezieht sich auf erstere, Iokaste auf letztere. Zudem hat Moira bei Iokaste unzweifelhaft die Bedeutung ‚individuelles Schicksal‘. 197 Den Versuch, das Laios vom Orakel verkündete Schicksal (v. 713: ) zu umgehen, hatte Iokaste mit rationalistisch-sophistisch anmutender Religionskritik flankiert. Sie äußert sich in ihrer correctio, die den Orakelspruch nicht Apoll, sondern seinen Dienern zuschreibt (v. 711 f.). Die Mantik wird so im Oidipus Tyrannos im Munde einer Figur als Teil der sozialen Welt dargestellt, 198 die Götterebene verliert ihre Autonomie, aber, da die Weissagung 195 Für weitere, auch vorderorientalische und moderne Beispiele dieser Figur s. Irene Frings, Der Weise und der König. Solon und Kroisos bei Herodot und Lukian. Xenia Toruniensia II. Thorn 1996, 1 f. 196 Schmitt 1988: 19 weist treffend gegen Lesky 1972: 227 darauf hin, daß sich Iokastes Zweifel hier - wie ja auch in v. 711 f., wo Lesky völlig zu Recht noch Schonung des Gottes in Iokastes Darstellung sieht - nicht auf den Orakelgott selbst beziehe, auf dessen klares Zeigen sie ja in v. 724 abhebt, um die dunkle Mantik vollends zu diskreditieren. 197 Lloyd-Jones’ und Wilsons Ausgabe schreibt an allen vier Stellen, an denen dieses Substantiv im OT vorkommt, mit Minuskel. 198 Auch Flaig 1998: 69-73 reduziert die Religion auf ein soziales Phänomen, wenn er herausarbeitet, daß Teiresias’ geistliche Autorität innerhalb der griechischen Gesellschaft und Litera- 362 unwirksam ist, auch ihre Relevanz für die Menschen. 199 Iokaste vertraut gegenüber dem Orakel wie Oidipus gegenüber Teiresias auf ihre eigenen Räsonnements und ficht die Gültigkeit der Weissagung an. Doch auch Oidipus triumphiert, als er vom Tode seines korinthischen Ziehvaters Polybos erfährt, dieser habe die Orakelsprüche mit sich genommen und wertlos gemacht (v. 971 f.). 200 Unverkennbar und angesichts dieser Äußerungen nur zu verständlich ist die tur singulär gewesen sei und der Konflikt zwischen geistlicher und weltlicher Macht bei den Griechen auf die Literatur beschränkt gewesen sei, wofür er auf den Anfang der Ilias verweist. 199 Schmitt 1988: 18 sieht im „Dringen des Chors auf Beglaubigung durch den Augenschein und durch logische Plausibilität“ (v. 506-511), mit dem dieser sich nach der Auseinandersetzung mit Teiresias auf Oidipus’ Seite schlägt, den „Geist der Sophistik“. Das kann inhaltlich durchaus wahr sein und wäre ein großes Kompliment für die Sophistik, da der Chor rational argumentiert. Schmitt kann sein negatives Pauschalurteil über die Sophistik („Nicht der rationale Zweifel an der überlieferten Glaubenswahrheit ist das Signum dieser antiken Aufklärung, sondern, wie z.B. Platon im Symposion in scharfer Ironie bloßstellt, die naive Überschätzung, mit der methodischen Beherrschung des Erkennens, Handelns und technischen Produzierens über alles verfügen zu können […].“) weder stringent belegen noch überzeugend am sophokleischen Text festmachen. Denn Platon (Smp. 185e6-188e4) ist aufgrund seiner Voreingenommenheit und notorischen Feindschaft gegen die Sophisten wohl kaum ein verläßlicher Gewährsmann. Im Oidipus Tyrannos geht es nicht um eine Karikatur der Sophistik, wie Platon sie anhand von Randfiguren zeichnet, weil er anders als ein Dramatiker nicht die Möglichkeit hat, ihre Ansichten im mimetischen Raum in praxi scheitern zu lassen, und erst recht nicht um die Manipulation des Kontakts mit den Göttern und die Beherrschung der Seherkunst, sondern gerade umgekehrt um den Zweifel an der Manifestation der Gottheit im Orakel. Diese negationistische Haltung findet sich aber bereits in Protagoras’ berühmtem agnostischem Bekenntnis (DK 80 B 4). 200 Bohrer 2009: 333-335, der zu Recht darauf hinweist, daß die göttliche Autorität am Schluß wiederhergestellt werde, sieht hinter diesen Zweifeln sowie denjenigen an Teiresias’ Seherkraft in v. 395-398 „in Serie das Bewußtsein des Ungewissen, deren unmittelbarer semantischer Ausdruck der Diskurs der Angst ist“ (2009: 335). Mir scheint es fraglich, die Zweifel an der Verläßlichkeit der göttlichen Ordnung als Ausdruck von Ungewißheit zu sehen. Oidipus’ verzweifelter Zweifel ist eher der Angst vor der Transgression geschuldet und auch die beiden weiteren Stellen, die Bohrer anführt, untermauern seine These nicht. Zur zweiten (v. 907-910) schreibt Bohrer: „Der Chor, der Verwahrer der Tradition, nimmt das Thema des Zweifels an göttlicher Prophetie auf.“ Doch diese Deutung greift zu kurz, da der Chor seine tiefe Besorgnis über den schwindenden Respekt für Apoll bekundet, also sehr wohl als Verwahrer der Tradition fungiert. Das Ungewisse, das mit der Besorgnis eine der Bohrerschen Angst verwandte Emotion auf den Plan ruft, ist also nicht göttlicher, sondern abermals gesellschaftlicher (oder religionssoziologischer) Natur. Die grundsätzliche Gültigkeit der göttlichen Ordnung bleibt unberührt. Auch Iokastes Hinweis auf die Ungewißheit des Kommenden und die Herrschaft des Zufalls, welche die Angst erübrige (auf welche Bohrer gar nicht eingeht) und ein Leben aufs Geratewohl nahelege (v. 977-979: ), ist kein bloß konstativer Akt oder, wie Bohrer es formuliert, ein „Hinweis auf eine neue Erfahrung der Ungewißheit die Zukunft betreffend“ (2009: 334), sondern, wie an und dem Potentialis erkennbar, stark appellativ und mit dem Blick auf Oidipus, der beruhigt werden soll, was auch Bohrer sieht, situativ. Iokastes Vorschlag ist überdies angesichts der Not von Polis und Oikos, die durch die Unsicherheiten der Herkunft und möglicherweise verbrecherischen Vita des Herrschers heraufbeschworen wird, keine realistische Option, sondern ein verzweifelter Eskapismus, der dem Kontingenzbewußtsein entspringt. An allen Stellen, die Bohrer anführt, kann man also nicht von der kontingenten Erfahrung von Unsicherheit sprechen, die zu seinem Deutungsmuster der Angstrede passen würde, sondern von menschlicher Aushebelung der theologisch-kosmischen Ordnung durch die Herrschenden, was deren eigener Beruhigung dient und bloß die Untergebenen verunsichert. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 363 Furcht des Chores im zweiten Stasimon (v. 863-910), die Hybris könne sich über die göttliche und soziale Ordnung hinwegsetzen, und die Hoffnung, ein solcher religiöser Frevler möge seine gerechte Strafe finden. 201 Ambivalent ist hierbei der Gebrauch des Wortes Moira im Munde des Chores. Exponiert steht es im ersten Vers des zweiten Stasimons, in dessen erster Strophe der Chor prägnant um Moiras Präsenz und Beistand für sein Festhalten an den göttlichen, nicht menschengemachten Gesetzen bittet (v. 863-872). Aufbauwie inhaltssymmetrisch steht denn auch am Anfang der zweiten Strophe der Wunsch, den Frevler möge eine üble Moira ereilen (v. 883-888). Der Chor wertet Oidipus’ Verhalten während der erforschenden Handlung durchaus als Hybris und stellt seinen Fall als Restauration der göttlichen Ordnung dar. Denn wie in Erfüllung des besagten Wunsches aus der zweiten Strophe des Standliedes fragt der Chor Oidipus eingangs des Kommos (v. 1299-1302): […] Die Moira ist hier, wie manche Interpreten es tun, 202 am besten auf die innerfamiliären Transgressionen zu beziehen, während die Ursache der Selbstblendung in einem Daimon und im Wahnsinn gesucht wird. Auf die wiederholte Frage des Chores nach dem vernichtenden Daimon (v. 1327 f.: - / ) erkennt Oidipus in v. 1329-32 nur in bezug auf seine Blendung an, daß Apoll seine Leiden vollendet habe ( ), er selbst jedoch der Vollstrecker sei ( ). Das Demonstrativum ’, das zu tritt (v. 1330), unterstreicht die rein situative Reichweite dieser Aussage. Gleichwohl ist Apolls Anteil an Oidipus’ Vatermord und Mutterinzest sowie deren Entdeckung durch die Orakel des delphischen Gottes objektiv gegeben. Wie Oidipus’ Äußerung diese Rolle exakt sieht, bedarf sorgfältiger Diskussion und läßt sich wohl nicht immer mit letzter Sicherheit klären. Die lexikalische Parallele zu v. 807 ( ’ ) und die Semantik von legen nahe, daß der Vatermord im Hintergrund steht. (Auch Apolls Forderung in v. 106 f., die für den Tod des Laios Verantwortlichen ( ) 203 zu bestrafen, hebt auf die Selbst- 201 Nach Schmitt 1988: 24 f. (s.d. S. 25 Anm. 35 für weitere Literatur, vgl. außerdem Fishers ausführliche Interpretation [1992: 329-342]) ist dagegen der Chor in seiner Verblendung mit Oidipus gegen Kreon und Teiresias solidarisch. Das Stasimon ist sicherlich ambivalent, aus binnenpragmatisch-diplomatischen Gründen wie aus solchen, die in seiner lyrischen Gattung liegen. Zumal in der zweiten Antistrophe (v. 897-910) zeigt in der Ankündigung des Chors das Kondizionalgefüge (v. 902 f.: / ), daß die universelle soziale Geltung der Orakel auf dem Spiel steht. Diese Zuspitzung soll die Aufmerksamkeit der Adressaten lenken. Die letzten Verse beklagen jedoch den defectus oraculorum (v. 906-910). 202 Vgl. das Referat in Dawes Kommentar a.l. 203 LSJ 280 s.v. a.l. übersetzen zwar „murderer“, bieten aber 275 s.v. zusätzlich die Bedeutung „perpetrator, author“, vgl. 280 s.v. „with one’s own hand“ und DGE 615 s.v. „por sí mismo, a manos de sí mismo“. Die Aspekte ‚Tod‘ und ‚Verantwortung‘ vereint das DGE 602 s.v. („responsable de una muerte, asesino, homicida“), 364 tätigkeit des Menschen ab.) Fest steht auch, daß Oidipus’ Äußerung Apolls faktische Relevanz grundsätzlich anerkennt, die Iokastes Triumph geleugnet und Teiresias’ Vorhersage (v. 376 f.) postuliert hatte - lexikalisch gut faßbar ist dieser Sinneswandel anhand der Tätigkeitsverben, die Apoll an allen drei Stellen zugeschrieben werden. Eine derartige Eindeutigkeit einer religiösen Aussage wie der vorliegenden ist bei Sophokles selten, 204 was Oidipus’ Anerkennung als etwas Besonderes unterstreicht. Ansonsten muß festgehalten werden, daß Oidipus’ Situation als blinder Bettler, aber nicht sein Wortlaut mit Teiresias’ Vorhersage übereinstimmt. Denn Teiresias sagt nur, daß Oidipus durch Apoll fallen (v. 376 f.) und zu einem blinden Bettler werde (v. 454-456), nicht aber, daß er sich durch Apolls Wirken blenden werde. Und selbst die Aufdeckung seiner Transgression, zu welcher doch Apolls eingangs berichtetes Orakel den Anstoß gegeben hatte und die zu Oidipus’ Fall führt, schreibt das vorangehende Chorlied der alles sehenden Zeit zu (v. 1213-1215; Näheres s. 2.3.6 Fazit und die alles sehende Zeit). Diese Detaildiskrepanzen zwischen Teiresias, Chor und Oidipus unterstreichen gleichwohl die Autorität der mantisch-religiösen Ebene, da Teiresias’ Vorhersage faktisch eingetreten ist. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner bleibt, daß Oidipus die mantisch-religiöse Ebene als wirkmächtig anerkennt, deren Relevanz er zuvor bestritten hat. Von den beiden genannten Stellen der erforschenden Handlung, bei denen es um den Eintritt von göttlichen Vorhersagen geht (v. 376 f., 711 f.), unterscheidet die vorliegende jedoch die Einsicht, daß sich göttliches Wirken am eigenen Tun erfüllt, man also entgegen dem Stolz auf die eigene Leistung, den Oidipus gegenüber Teiresias zur Schau trägt, nicht souverän ist. Die Lenkung des menschlichen Handelns durch eine Gottheit geht auch weit über das göttliche Vorherwissen oder Anordnen hinaus, das die Handlungsstruktur in Form der Orakel bietet. Bezöge man Oidipus’ Einschätzung auf die vergangenen Ereignisse und nicht bloß die aktuelle Blendung, ergäbe sich also ein deutlicher, wenn auch erträglicher Widerspruch zwischen Binnenhermeneutik und Handlungsstruktur. Diese Stelle dient Cairns jedenfalls als der wichtigste Beleg für seine These von der Überdeterminierung im OT (2013: 135 f.), für die er eine Homerische Parallele (Il. 16.684-691) beibringt (2013: 139 f.). Zu Recht weist er darauf hin, daß der Chor anschließend Oidipus’ Rede zustimme (v. 1336). Diese Zustimmung läßt sich sicher nicht auf Oidipus’ vorausgehenden Satz beschränken, in dem er die Blendung begründet (v. 1334 f.), sondern umfaßt auch Apolls Anteil daran. Die Zustimmung der Chores, der ein eher unbeteiligter Mitspieler und Beobachter ist, pariert den denkbaren Einwand, an unserer Stelle befinde sich Oidipus im Zustand höchster emotionaler Erregtheit, und stellt einen Konsens innerhalb der Binnenhermeneutik her. Oidipus’ Erregung wird besonders deutlich an der dreimaligen Wortwiederholung in v. 1329 ( , , ), wobei die wiederholten Wörter gerade seine fremdkausale Sicht unterstreichen. Winnington-Ingram 1965: 37 hat darauf hin- ohne die vorliegende Stelle aufzuführen. Für die Bedeutung „autor, responsable“ bietet es nur hellenistische Belege. 204 Felix Budelmann, The Language of Sophocles. Communality, Communication and Involvement. Cambridge 2000, 142. 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 365 gewiesen, daß ein emotionaler Impuls bei Homer und Aischylos auf eine Gottheit zurückgeführt wird und daß die Emotionalität an der vorliegenden Stelle am Verb faßbar ist, das als Prädikat zum in der vorangehenden Frage des Chores tritt (v. 1328: ’ ). Durch (v. 1330) wird Oidipus’ Erkenntnis an Aischylos’ (Ag. 177) herangerückt und archaisiert. Textimmanent werden dadurch die göttliche Autorität restauriert und die Überschätzung des Menschen (Oidipus) zurückgedrängt, daß Ausdrücke, die Oidipus auf dem Gipfel seines Ruhmes charakterisieren, im Verlaufe des Dramas sich von ihm lösen und auf Götter übergehen. 205 Die göttliche Autorität wird auch durch den Übergang vom sprachlichen Wissen, das sich am Rätsel der bimorphen Sphinx entfaltet, zum optischen Wissen göttlichen Ursprungs deutlich, das sich an der Erkenntnis des Orakels im Verlaufe der erforschenden Handlung entwickelt, wie Claude Calame in feiner Textbeobachtung herausarbeitet. 206 Die Stelle, an der Oidipus die faktische Relevanz Apolls für sein eigenes Tun einsieht, ist der passende Ort, um Reinhardts Deutung des OT mit der Kategorie des Dämonischen zu diskutieren. Reinhardt 1976: 143 erkennt richtig, daß diese Stelle zeige, daß die „Nennung Gottes […] ein Teil des Ecce [sei]: Gottesoffenbarung, im Zusammenfall mit Menschenoffenbarung.“ Dahinter trete die Frage nach der Schuld völlig zurück. Diese - an sich nicht falsche - Ausblendung der Frage nach der subjektiven Kausalität und Verantwortung entspricht durchaus der Definition des Dämonischen, die Reinhardt eingangs gibt (1976: 108): „Für Sophokles, wie für den Griechen der älteren Zeit, ist überhaupt das Schicksal niemals eine Determination, sondern spontane Machtentfaltung des Dämonischen, auch dort, wo es vorhergesagt wird, und selbst dort, wo es mit einer dem Geschehen, dem Weltlauf immanenten Ordnung sich vollzieht.“ Es versteht sich, daß die Deutung dieser Arbeit, welche die Einsicht der Protagonisten in die faktische Relevanz der Götter gerade für das eigene Leben in den Vordergrund stellt, mit Reinhardts Kategorie des Dämonischen und dem Übergang vom Schein zum Sein nur dahingehend zu vereinbaren ist, daß Oidipus Einsicht in das überlegene Wissen des Gottes über sein eigenes Geschick gewinnt, das seine eigene Subjekthaftigkeit gegenüber diesem Suprasubjekt kognitiv einschränkt. Diesem Suprasubjekt verleiht Reinhardt mit Formulierungen wie, der OT bewege sich beständig in der „Sinn-Region des unheimlich Umwitternden“, oder die Finsternis, die Oidipus in v. 1313-1318 beklage, sei „zugleich die schicksalhafte, dämonische“ (1976: 139), eine Aura des Numinosen. Dabei betonen an den fraglichen Stellen Verbaladjektive wie und in einer realistischen Kausalanalyse die Nichtbeherrschbarkeit der schmerzhaften Situation, die hier jedoch markanterweise allenfalls Oidipus’ vorausgehende 205 Jean-Pierre Vernant, Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1163 f. 206 Vision, Blindness, and Mask: The Radicalization of the Emotions in Sophocles’ Oedipus Rex. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 17-37, h. 20-22. 366 Äußerung (v. 1311: ) auf den Daimon zurückgeführt hat. Deutet man die Dämonie als Suprasubjekt(haftigkeit), ließe sie sich einerseits in eine existentielle intellektuelle Überlegenheit paraphrasieren, andererseits in eine faktische Relevanz, deren Souveränität von Reinhardts Ausdruck „spontane Machtentfaltung“ amplifiziert wird und die hier in der Gottheit im menschlichen Tun besteht. Die hier vertretene Deutung der göttlichen Manifestation im menschlichen Handeln und Leben unterstützt auch der Gebrauch von an der diskutierten Stelle, wo es um Oidipus’ Erkenntnis des Eigen- und Fremdanteils an seinem Leiden geht (v. 1327-32). Reinhardt läßt diese handfeste lexikalische und semantische Unterstützung seiner Kernthese ungenutzt. Dieses Versäumnis ist um so schmerzlicher, als der OT mit einem 16maligen Vorkommen der Wurzel - (Komposita mit eingerechnet) reichlich Material für die Verifizierung von Reinhardts These, auch in der hier abgewandelten Form, bietet. Die spontane Machtentfaltung ist dabei eine Nuance der faktischen Relevanz der Götter, die nur durch den vorherigen kontrastiv-präparativen Sprachgebrauch zutage tritt. Sie entspricht nicht nur durch diese Notwendigkeit einer Kontextualisierung, sondern auch wesensmäßig Bohrers Plötzlichkeit. Nicht nur an den emphatisch-markierten Stellen der postidentifikatorischen Phase der Tragödie zielt im OT auf die faktische Relevanz oder zumindest die in Frage stehende und restaurierte Autorität der Götter. Die faktische Relevanz für das menschliche Leben wird dabei wie an den bereits zitierten Stellen im Singular formuliert, die Autorität dagegen im Plural. Beide Gebrauchsweisen können in tragischer Ironie auftreten und so die Überlegenheit der göttlichen Wesen unterstreichen. Beginnen wir unsere Besprechung mit der ersteren: Solange Oidipus ahnungslos ist, sind seine Äußerungen von einer tragischen Ironie, die seine Unterlegenheit hervortreten läßt. In v. 244 f. macht er, der wahre Mörder, sich als Verbündeter des zuvor genannten delphischen Gottes ( ) und des Ermordeten anheischig. In der Schlußszene mit Kreon wünscht er diesem, der die Erfüllung seiner Wünsche zusagt, Glück und einen besseren Daimon, als er ihm selbst zuteil geworden sei (v. 1478 f.): / . Diesen Wunsch wird Kreons Konflikt mit Antigone interdramatisch in tragischer Ironie in sein Gegenteil verkehren. Der Adjuvant der Restauration aus dem OT wird zum tragischen Eliminator der anvertrauten jungen weiblichen Verwandten. Doch bereits als Oidipus eine erste Ahnung seiner Täterschaft anwandelt, nennt er sich (v. 816) und schreibt diese einem grausamen Daimon zu (v. 828: - ). Auch in der anthropologisch-universalisierenden Ecce-Passage des Chores, die der textliche Kronzeuge für Reinhardts existentialistische Deutung ist, wird bei der Präsentation von Oidipus’ exemplarischem Geschick dieses auf einen Daimon zurückgeführt (v. 1194) und mit dem früheren guten Geschick (v. 1190: , v. 1198: ) kontrastiert (v. 1189-1201). Der Umschlag wird lexikalisch dadurch greifbar, daß der Chor Oidipus’ transgressive Identität als bezeichnet, der dieser auf Drängen eines Daimons noch seine Blendung hinzugefügt habe (v. 1299-1302). Nicht nur die elterlichen Transgressionen und die Blendung, sondern auch der Anstoß 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 367 zu dieser werden von dem Boten, der sie schildert, einem Daimon zugeschrieben, der dem rasenden Oidipus die erhängte Iokaste gezeigt habe (v. 1258: - ). Kommen wir nun zum Plural. Wenn der Priester in der Bittszene am Eingang der Tragödie Oidipus eine besondere Kompetenz im Umgang mit den Göttern zuschreibt (v. 34: ), dann ist dies nicht nur tragische Ironie, weil die Tragödie Oidipus’ bisherige Mißdeutung des delphischen Orakels aufdecken wird, sondern exponiert bereits das Thema der göttlichen Autorität, in die der Priester noch unhinterfragtes Vertrauen setzt. Deren Restauration kommt darin zum Ausdruck, daß Oidipus seine Blendung damit begründet, der Anblick der heiligen Götterbilder (v. 1378 f.: / ) sei ihm nicht mehr erträglich, während zuvor der Chor im zweiten Stasimon die Strafe der Moira für den Frevler gegen die Göttersitze beschworen (v. 883-891) und Iokaste sogleich mit ihrem Opfer den eingeforderten Respekt gezeigt hatte (v. 911-913). 207 Bei Reinhardts Dämonie stehen die Macht des Schicksals und der Götter nebeneinander, die Tragödie legt den Schwerpunkt auf die göttliche Machtmanifestation. Denn Oidipus (Iokaste tritt zu früh ab, um Einsicht zu zeigen) sieht - anders als Teiresias und der Chor - in seinem Los nicht eine Schicksalsmacht, sondern das Wirken olympischer Götter. So schreibt er seine (Un)Tat, als ihm die erste Ahnung kommt, in einer iliadischen Reminiszenz Zeus zu (v. 738): ; Doch der intertextuelle Rückgriff ist keine identitäre Affirmation des archaischen Weltbildes, so sehr er dessen religiöses Gefühl auch restaurieren mag. Hier wird nicht mehr die Handlung des literarischen Kunstwerks im Medium als Vollendung von Zeus’ Ratschluß dargestellt (Il. 1.5: ’ ), sondern Zeus hat beschlossen, selbst in bezug auf den Sprecher zu handeln. Die Vergangenheitsform findet sich bereits bei Teiresias und läßt eine beginnende Einsicht in die religiöse Verwobenheit der eigenen Existenz erkennen. Die Ilias gebraucht für Zeus, der Oidipus Tyrannos für Apoll. Diese lexikalische Übereinstimmung zeigt, wie Apolls Autorität in der Tragödie aufgewertet werden soll oder muß - wohl auch als Reaktion auf die massiven Zweifel, denen sie ausgesetzt war. Für die unterschiedlichen göttlichen Akteure gibt es zwei parallele Erklärungen: Erstens hat Oidipus bei seinem ersten Verzweiflungsschrei bloß eine dumpfe Ahnung und noch keine Gewißheit und zweitens läßt sich das Verhältnis zwischen Zeus und dem Sohn, den er mit Leto hat, dahingehend harmonisieren, daß Zeus die Rahmenhandlung der Welt bestimmt und Apoll sie verkündet und sich mit dieser Verkündigung gegen die menschlichen Versuche in der Realität durchgesetzt hat. 208 In v. 498 f. erscheinen Göttervater und Sohn in trauter Einheit mit dersel- 207 . 208 Diese Aufgabenverteilung paßt zu Budelmanns Beobachtung, wenn bei Sophokles einer anderen Gottheit als Zeus Einfluß auf die Handlung zugeschrieben werde, erfordere dies eine besondere Fertigkeit im Zeichenlesen (2000: 143). 368 ben Aussage koordiniert, der Verständigkeit und dem Wissen um die Menschen. Wenn die Bezugnahme auf Zeus die Tragödie durchzieht, wie Charles Segal trotz einer eher offenen conclusio herausgearbeitet hat, 209 dann illustriert diese dramatische Pervasivität, daß die Restauration der göttlichen Autorität gegen spekulativen Zweifel sich auf das gesamte auf dem Spiel stehende Bild einer göttlichen Weltordnung erstreckt. Diese semantische Funktion unterstreichen die drei nachdrücklichen Bittverse an Zeus im zweiten Stasimon, ihm, dem überzeitlichen Allherrscher, möge die gegenwärtige Sinn- und Vertrauenskrise nicht entgehen (v. 903-905). Wie bei Herodot bestätigt sich bei Sophokles, der als dessen Freund gilt 210 (auf sicherem Boden stehen jedenfalls die intertextuellen Bezüge zwischen den beiden Werken), 211 die faktische Relevanz der Götter gegen menschliche Verhinderungsbemühungen. Die Akzente sind gleichwohl verschieden. Daß Apoll das Schicksal nur verkünde, man ihm aber nicht entkommen könne, wie die Pythia dem geschlagenen Kroisos bei Herodot bescheidet (1.91.1-3), findet sich im OT ebensowenig wie die Feststellung, daß der Tod eines Blutsverwandten, den Kroisos im Traum gesehen hatte und den Adrastos durch einen Fehlwurf mit der Lanze herbeiführt (1.43.2: ), von dem Gott veranlaßt war, der ihn verkündet hatte (1.34-45). Oidipus unterscheidet sich jedoch darin von Kroisos, daß er selbst zur Einsicht gelangt, daß er sein eigenes Schicksal durch das Wirken der Götter selbst vollzogen hat, und so dem delphischen Folge leistet. 212 Denn auch bei Herodot eliminiert sich der unfreiwillige Transgressor selbst, obwohl Kroisos ihn - anders als im OT - von der Verantwortung freigesprochen hat, die einem Gott zufalle (1.45.2 f.). Die Selbsterkenntnis reicht bereits in die nächste Phase der Handlungsstruktur hinein, die Restauration und Eliminierung umfaßt und die wir im folgenden (Abschnitt) besprechen wollen. Die Entdeckung von Oidipus’ Transgression und Identität, die Teiresias dunkel vorausgesagt hatte, restauriert nicht nur die angefochtene Autorität Apolls, 213 sondern auch diejenige des Sehers Teiresias. Oidi- 209 „The Gods and the Chorus: Zeus in Oedipus Tyrannus“, in: Sophocles’ Tragic World. Divinity, Nature, Society. Cambridge, Mass. 1995, 180-198. 210 So noch Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen 2 2003, 161 und Klaus Meister, Art. Herodotos. DNP 5 (1998) 469-475, h. 470. Bernhard Zimmermann, Art. Sophokles. DNP 11 (2001) 726-735, h. 726 f. erwähnt nichts dergleichen. Auch in den Testimonien, die TrGF Bd. 4 S. 27-95 versammeln, v.a. dem Eintrag der Suda (Test. Nr. 1), konnte ich nichts zur Freundschaft von Tragiker und Historiker finden. 211 Für sie s. Klaus Meister, Art. Herodotos. DNP 5 (1998) 469-475, h. 470. 212 Einen teils abweichenden Vergleich der beiden Prophezeiungen unternimmt Flaig 1998: 22-24. Er will damit Oidipus’ Verantwortlichkeit herausarbeiten. Das gipfelt in der Fehldeutung: „[E]r [sc. Oidipus] hat die Möglichkeit, die Tat zu unterlassen. Er kann, wenn er will, die wörtliche Erfüllung verhindern.“ Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Identität seiner Mutter zweifelsfrei feststünde. Doch dies ist eben nicht der Fall, und Oidipus’ Entschluß, aus Angst vor dem Mutterinzest nicht nach Korinth zurückzukehren, ist gerade angesichts seiner Zweifel kein probates Mittel zu dessen Abwehr. 213 Jean Bollacks Ansicht zu v. 1329 f., in denen Oidipus Apoll als den Daimon benennt, der ihn getrieben habe, daß Apoll mit seinen Orakelsprüchen die Wiederherstellung der Gerechtigkeit verkörpere (Sophokles, König Ödipus. Essays. Frankfurt a.M. 1994, 32 f.), überfrachtet dage- 2. Sophokles’ 2.4 Oidipus’ Transgression: Bewertung und Legitimität 369 pus sieht ein, daß er den Göttern verhaßt ist (v. 1508). Die Bestätigung von Apolls Vorhersage mag das religiöse Weltbild restaurieren. Es ist wohl auch statthaft anzunehmen, daß Oidipus durch seine Selbsterkenntnis und Selbstbestrafung seine Integrität auch in Hinblick auf die göttliche Ebene wiederherstellt. 214 Es bleibt, dazu argumentativ flankierend und auch objektiv gesehen, festzuhalten, daß die göttliche Ebene eine rahmende Einheit des Geschehens stiftet und ihm durch die diskursive Spiegelung und deren Bewahrheitung einen religiös-restaurativen und auch semiotischen Sinn verleiht. 215 Gegen eine semiotische Deutung spricht nicht, daß Apolls Sprüche diskurspragmatisch zu den fatalen Fehlhandlungen von Vater und Sohn Anlaß geboten haben und nicht außerhalb der Verkettung von Zufällen und kleinen menschlichen Fehlentscheidungen stehen, die in der Neuen Komödie ohne göttliches Eingreifen ein gutes Ende nimmt, hier jedoch schlußendlich in Transgression und Eliminierung mündet. Denn die menschlichen Fehlhandlungen waren zumindest in Oidipus’ Fall unverkennbar durch seine hermeneutische Fehlleistung verursacht. Doch nicht nur diese, auch die Kontingenzen der menschlichen Existenz, die auch aus deren Verwobenheit mit der göttlichen Ebene resultieren, zahlreiche Imponderabilia bergen und im Laufe des Stückes ans Licht kommen, desavouieren die hermeneutische Hybris, die Oidipus gegenüber Teiresias an den Tag gelegt hat. Diese Deutung unterstützen die Schlußworte des Chores. Daß zuerst Oidipus das Rätsel lösen konnte, ist für ihn Teil seines vergangenen Glückes. Dann hebt er auf Oidipus’ Wechsel vom Glück ins Unglück ab und warnt wie in Herodots Solon-Kroisos-Episode (1.32 f.) davor, einen Menschen vor dem Ende seines Lebens glücklich zu preisen (v. 1525-1530). Der Chor beschreibt Oidipus’ vormalige glückliche Lebenssituation mit , sein Unglück mit (v. 1526 f.), also mit zwei Wörtern, die auf die Kontingenz und Qualität der individuellen Lebenssituation und anders als nicht auf ihre religiöse Notwendigkeit abheben, was gegen eine allzu fatalistische Deutung der Tragödie spricht. Im fabula docet gibt sich die Tragödie als Lehrstück, das den Zuschauern nicht nur anhand von Oidipus’ Vita exemplarisch die Kontingenzen der menschlichen Existenz präsentiert, sondern auch vor subjektiver Selbstfehleinschätzung warnt. 216 Für diese Deutung spricht die frühere Verwendung von gen die Textevidenz mit Dingen, die über die Anerkennung der göttlichen faktischen Relevanz hinausgehen. 214 So argumentierte bereits Cecil Maurice Bowra, der zwar nicht den Terminus ‚Integrität‘ zum Einsatz bringt, aber die Wiederherstellung sieht (Sophoclean Tragedy. Oxford 1944, Ndr. 1952, 210): „As Oedipus comes to see the truth and to punish himself for his past actions, he makes his peace with the gods.“ 215 Für den semiotischen Charakter der Kommunikation mit der göttlichen Ebene im OT s. 2.4.4 Paradoxon, und (se)mantische Binnenhermeneutik. 216 So auch Schadewaldt 1970: 474 f. zu den Schlußversen. Schmitt 1988: 17 lehnt dagegen die epistemologisch-anthropologischen Interpretationen seiner Vorgänger Schadewaldt [1970: v.a. 475], Reinhardt [1976: 143 f.] und Dodds [1973: 77] ab, das Verhalten des Oidipus illustriere „exemplarisch die notwendig in Schein und Wahn befangene Situation des Menschen in seiner prinzipiellen Unterlegenheit unter göttliches Wissen“, wohl weil er an dem deterministischen Element dieser Deutung Anstoß nimmt (vgl. S. 19: „Diese Hybris ist dem Menschen nicht durch sein Sein auferlegt, […].“). Verzichtet man auf dieses, sind die beiden, auch in dieser 370 : Schließlich hatte sich Oidipus doch selbst in v. 1080 in tragischer Ironie als Kind des Glücks ( ) bezeichnet. Diese dort noch selbstbewußt-trotzigen Worte waren zumindest unbedacht, wenn nicht überheblich, hatte doch der Seher Teiresias Oidipus vorhergesagt, seine habe ihn bereits eliminiert (v. 442: ’ ). So sehr der Verlauf des Dramas Teiresias inhaltlich Recht gibt, so sehr fällt doch der versöhnlichere Wechsel in die allgemeine Außenperspektive in den Blick, den die Schlußworte des Chors bieten. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? Auf die erforschende Handlung folgt die weit kürzere, aber um so handlungs- und emotionsreichere Reaktion auf die Identifikation des Transgressors, der sich selbst blendet und verbannt. Sie läßt sich eher ex negativo als ‚postidentifikatorisch‘ oder intensional als ‚autoaggressiv‘, d.h. eliminatorisch und integritätsverletzend klassifizieren. ‚Kurative‘ oder ‚restaurative Phase‘ würde bereits ein eindeutiges und positives Urteil auch nach der Terminologie dieser Arbeit implizieren. Die hier erkennbaren Schwierigkeiten einer griffigen Benennung weisen auf die Probleme eines angemessenen Verständnisses, das sich vor plakativen Vereinseitigungen hütet. Man tut jedenfalls gut daran, zwei Phasen gedanklich zu trennen, weil man nur so ihre Spezifik und ihre Artikulation erkennen kann: Zuerst reagiert Oidipus nämlich auf die Erkenntnis seiner transgressiven Identität, indem er die massive körperliche Integritätsverletzung der Selbstblendung an sich vornimmt. Sie geschieht im Haus in sozialer Isolation. Erst dann folgt der Wunsch nach Verbannung, der im Dialog mit der sozialen Umwelt verhandelt wird. Wie sinnvoll die analytische Trennung ist, zeigt auch der Umstand, daß diese beiden Phasen mit zwei ganz verschiedenen Ansätzen beschrieben wurden: die Selbstblendung psychoanalytisch, die Selbstverbannung ritualgeschichtlich. Auf beide Phasen nehmen die juridische sowie die ästhetische und intratheatralische Deutung Bezug, die im nächsten Abschnitt behandelt werden soll. Der ritualgeschichtliche Ansatz ist dabei stärker der Schamkultur, der juridische der Schuldkultur zuzurechnen. Beide sind, da sie eine Normverletzung in den Blick nehmen, mit der hier untersuchten Fragestellung nach der Transgression vereinbar. Allerdings erfassen sie viele andere Deutungsmöglichkeiten nicht mit der Klarheit, die der Textbefund gebietet. Insofern bietet der hier gewählte Ansatz mit der Transgression einen heuristischen Mehrwert gegenüber alternativen Interpretationen. Arbeit vertretenen Ansätze durchaus kompatibel. Ein Fehltritt ist nur dann nicht von einer singulären Monstrosität, wenn er im Rahmen der condicio humana bleibt, zu der die Fehlbarkeit gehört. (Sie existiert nur in der Einsicht in die eigenen Fehler, die Oidipus im Verlauf des Stücks ja auch zeigt.) Daß das göttliche (Vorher-)Wissen dem menschlichen Wissen überlegen sei (vgl. v. 497-499), wird hinreichend durch den Verlauf des Stückes und seine vorliegende Besprechung gezeigt. Nur wenn Oidipus’ Fehler und seine Folgen im Bereich des Menschenmöglichen bleiben, läßt es sich in einem fabula docet universalisieren, was Schmitt 1988: 29 wie die vorliegende Arbeit tut. 2. Sophokles’ 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? 371 In der Tat läßt sich mit dem Handlungsmuster, das die vorliegende Untersuchung für die Tragödie zugrunde legt (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung), auch die postidentifikatorische Phase dieses Dramas gut beschreiben: Die Eliminierung affirmiert und restauriert die Normen, welche die Transgression verletzt hat. 217 Wie in Aischylos’ Persern trifft die physische Eliminierung, die aus der königlichen Transgression resultiert, das regierte Kollektiv (v. 22-30, 179). Gewiß bietet das erste Zeugnis der griechischen Literatur eine inhaltlich einschlägigere Parallele, ahndet doch bereits eingangs der Ilias Apoll den herrscherlichen Frevel gegen ihn, indem er Pestpfeile auf das Heer schießt (1.8-52, vgl. v. 169 f.: / ). Indes ist die räumliche Eliminierung des transgredierenden Monarchen eine weitere Parallele zwischen den Persern und dem König Oidipus auf der reinen Handlungsebene. Freilich flieht Xerxes in seine Heimat, Oidipus aber aus ihr. Zudem ist die räumliche Eliminierung des Transgressors von Phoibos verlangt (v. 95-99), von Oidipus als Edikt bekräftigt (v. 224-243) und wird nach der schrecklichen Selbsterkenntnis von Oidipus für sich gefordert (v. 1290, 1436 f., 1518). Wie Agamemnon brüskiert Oidipus innerhalb des eigenen sozialen Gefüges zuerst den Seher, danach einen wichtigen politischen Verbündeten (Il. 1.106-113, 173-187), doch hat er anders als der Heerführer der Ilias die Pest nicht rezent in willentlicher und wissentlicher Hybris gegen einen externen religiösen Vertreter heraufbeschworen (Il. 1.26-32), sondern in ferner Vergangenheit in gänzlicher Unkenntnis der persönlichen und kollektiven Tragweite seiner Tat verursacht. In der Ilias wird die religiös-epidemologische Krise dadurch gelöst, daß die comfort woman des Anführers durch diejenige eines ranghohen Kämpfers ersetzt wird. Hierbei zieht wie bei der Dynamik der Figurenkonstellation, welche die vorliegende Arbeit für das Drama annimmt, der Konflikt um die Besetzung einer Stelle im Figurensystem die Probleme nach sich, welche die weitere Handlung prägen. Denn die Lösung der einen Krise beschwört eine andere, politisch-militärische Krise herauf. Im OT kommt letztere noch zur religiös-epidemologischen hinzu und wird nach ihr gelöst. Außerdem übernimmt Oidipus sofort praktisch mit der Vollstreckung des Urteils Verantwortung für die religiöse Krise und bemüht sich um die Beilegung der politischen. Die Verantwortung mit ihrer Doppelbedeutung von Kausalität und Aufgabe der Problemlösung eignet sich hervorragend zur Charakterisierung der Autoreferentialität im Ablauf dieses Stückes: Oidipus übernimmt durch die Vollstreckung seines Urteils Verantwortung, weil er festgestellt hat, daß er sie trägt. 218 Mit dem Totschlag des Laios lastet eine faktisch gravierende Verantwortung auf ihm, doch wußte er weder um die exakte herrscherliche noch die verwandtschaftliche Identität des Erschlagenen; anders als Xerxes übernimmt er mit der Selbstsanktionierung die volle Verantwortung für seine Transgression. 217 So auch Pohlenz 1954: Bd. 1, 217, der bereits von einer „Durchbrechung“ der kosmisch-religiösen Normen spricht und damit den Nexus zwischen Transgression und Eliminierung in der shame culture treffend erfaßt. 218 Pohlenz 1954: Bd. 1, 217, der dieses Urteil freilich auch mit der Selbstblendung stützt, die man durchaus als hyperbolisch und eskapistisch sehen kann. 372 Während Oidipus sich verstümmelt, eliminiert sich Iokaste nach der gräßlichen Enthüllung physisch selbst (v. 1235, 1263 f.). Der Verlust der praktischnormativen moralischen und rituell-religiösen Integrität zieht bei Mutter und Sohn denjenigen der physischen nach sich, bleibt also wie die sanktionierte Transgression im Objektiven. Daß Oidipus und Iokaste sich nach der Erkenntnis ihrer Freveltaten selbst richten, bewahrt sie vor einer fremden Strafe und erhält sie als selbstverantwortliche Subjekte und dramatische Protagonisten. Oidipus überführt und straft sich selbst und setzt damit seine Rolle als Souverän und Richter fort. Immerhin wirkt die hier als Publikum versammelte Athener Bürgerschaft an der juridischen Urteilsfindung der Polis mit (vgl. Flaig 1998: 100 f.). 219 Die Selbstbestrafung könnte also, wenn man diese rezeptionsästhetische Spekulation wagen will, ein Bedürfnis nach Genugtuung präventiv befriedigen und die Anteilnahme des Publikums erhalten. Sie vollendet auf der Handlungsebene zusammen mit der kriminologischen Suche nach Laios’ Mörder(n) und der Wahrheitsfindung in der Peripetie den Prozeßcharakter dieses analytischen Dramas. 220 Treffend merkt deshalb Jean Bollack an, daß Oidipus in der Verletzung seiner eigenen physischen Integrität seine Rolle als Richter vollende und zum autonomen Subjekt werde, da er keines anderen für diese Tat benötige. 221 Das Opfer der eigenen physischen Integrität stellt faktisch die eigene soziale sowie die physische und religiöse der Stadt wieder her. Oidipus’ Eigentätigkeit darf allerdings interpretatorisch nicht dahingehend überbelastet werden, daß er sich intentional für die Stadt sowohl selbst verstümmelt als auch verbannt. Diese beiden Schritte müssen getrennt werden. Die kollektiv-altruistische Intention der Eigentätigkeit würde den Sündenbock in diesem Fall an den Gekreuzigten heranrücken, der sich für die Sünden und Todesrettung der Menschen opfert und große körperliche Leiden auf sich nimmt. Eine solche anachronistische und verklärende Sichtweise vor dem Hintergrund der in unserem Kulturraum nur allzu bekannten Passionsgeschichte übersieht, 219 Zu thematischen Parallelen von Gerichtsrede und Tragödie und der Identität von beider Publikum s. Paul Cartledge, Deep Plays: Theatre as Process in Greek Civic Life. In: Patricia E. Easterling (Hg.), The Cambridge Companion to Greek Tragedy. Cambridge 1997, 3-35, h. 15. Zur räumlichen Identität und Ausdifferenzierung von Volksversammlung und Theateraufführung s. Heuner 2001: 185. 220 Vgl. dazu Gottfried Greiffenhagen, Der Prozeß des Ödipus. Strafrechtliche und strafprozessuale Bemerkungen zur Interpretation des Oedipus Rex des Sophokles. Hermes 94 (1966) 147- 176, der diesen Vergleich v.a. an Oidipus’ Eröffnungsrede festmacht und durchaus die Besonderheiten der dichterischen Darstellung und ihre Auswirkungen auf seine These im Blick hat (S. 147 f.). Für den Unterschied zwischen der Sprache der Tragödie und des Gerichts verweist Bohrer 2009: 323 auf Jean-Pierre Vernant, Pierre Vidal-Naquet, Myth and Tragedy in Ancient Greece. New York 1988, 32 (= Jean-Pierre Vernant, Tensions et ambiguïtés dans la tragédie grecque. In: Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1086-1103, h. 1088). Dort wird allerdings keineswegs, wie bei Bohrer suggeriert, eine morphologische Antithese, sondern eine Transformation („véritable transmutation“) von juridischer Sprache und Denken in die Tragödie konstatiert, die dort im Zuge eines Funktionswandels einer „confrontation générale des valeurs“ dienten. Vernant vertritt hier also anhand der Inkorporierung des Rechts exakt jenes hegelianische Tragödienverständnis, das Bohrer vehement ablehnt. 221 Sophokles, König Ödipus. Essays. Frankfurt a.M. 1994, 32. 2. Sophokles’ 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? 373 daß Oidipus die Stadt nur von der Befleckung, die er selbst darstellt, nach einem feststehenden, im vorliegenden Fall orakulär bekräftigten Ritus reinigt. Die Autoreferentialität und Faktizität der Transgression setzen sich als entscheidende Momente auch bei deren Sanktionierung ungeachtet dessen oder gerade dadurch fort, daß Oidipus inzwischen zur Erkenntnis der eigenen Identität und Transgression gelangt ist: Wie er die Befleckung unbeabsichtigt verursacht hat, beseitigt er sie, nachdem er sie erkannt hat, entsprechend seinem Edikt und der Forderung des Orakels. Die Entsprechung zwischen königlichem Handeln und göttlicher Forderung schlägt nicht nur kompositorisch eine Brücke zum Anfang, sondern unterstreicht den restaurativen Charakter von Oidipus’ Handeln. Williams sieht durchaus das intentionsindifferente Moment der absoluten Faktizität. Seine Schwierigkeiten, die Merkmale des Befleckungsdenkens (die evolutionäre Unterscheidung von Scham- und Schuldkultur lehnt er ja ab) des OT in ihrer Rationalität der heutigen Zeit zu verdolmetschen, was Attribute wie „magic“ und „supernatural“ bezeugen (1993: 59 f.), rühren daher, daß er die innere operationale Logik der Blutschuld nicht sieht: Das Orakel fordert mit der Eliminierung des transgressiven Eliminators mit mathematischer Logik, bei der minus mal minus plus ergibt, nur die Restauration des Normalzustandes. Der Ausdruck ‚Befleckung‘ ( ) schlägt nur metaphorisch eine hygienische Brücke zur epidemologischen Sanktion und zieht keine kontagiöse Verunreinigung nach sich. Um zur individuellen Seite zurückzukehren: Der „große Sinn“, mit dem Oidipus „die Folgen seines Schicksals zieht“, bietet, so hat Paul Ernst richtig erkannt, einen Anknüpfungspunkt für Stolz und Freude für den Zuschauer, nicht mehr für Mitleid und Furcht. 222 Selbst wenn man solche bühnenrezeptionsästhetischen Spekulationen beiseite läßt und sich an das hält, was ausdrücklich im Text steht, wird Oidipus doch dadurch, daß der Chor auf seine verstümmelte Erscheinung voll Mitleid und Schauder reagiert, in ähnlicher Weise wie der in Lumpen gehüllte Xerxes der Perser sozioemotional redintegriert (v. 1297- 1306). Die Restauration der sozialen Ordnung und die soziale Redintegration des Oidipus vollendet die erneute Begegnung mit seinem Schwager Kreon. Dieser zerstreut gleich mit seinen ersten Worten Oidipus’ bange Befürchtungen, was er seinem Schwager sagen solle, den er doch zuvor mit absurden Vorwürfen zur Transgression angegangen ist: So betont Kreon, er komme weder, um Oidipus zu verlachen noch wegen der früheren Übel zu tadeln (v. 1419-1423). Die vergangene bühnenpragmatische tragische Ironie schlägt also nicht nach dem Kollaps der Doppelbödigkeit in binnenpragmatischen Spott und Ironie um, obwohl sich herausgestellt hat, daß just Oidipus die Tat selbst begangen hat, von der er doch argwöhnte, Teiresias und Kreon hätten sie ihm im Komplott zur Last gelegt (v. 572 f.). Die Wiederkehr von im Munde der beiden Verwandten zeigt, daß die Restauration voraussetzt, die vergangenen Übel auf sich beruhen zu lassen. Die Eliminierung von Oidipus’ Intratheatervorwurf restauriert vor allem die Sprache in ihrer von geargwöhnten Ambivalenzen freien 222 Der Weg zur Form. Abhandlungen über die Technik vornehmlich der Tragödie und Novelle. München 3 1928, 150. 374 Eindeutigkeit und die funktionierende Kommunikation als Basis der sozialen Verständigung. So können die beiden Verwandten in praktisch-verbaler Interaktion die Folgen von Oidipus’ Transgression und Eliminierung regeln. Wie gründlich Oidipus’ Befürchtungen zerstreut werden und der soziale Friede restauriert wird, zeigt Kreons beruhigender Verzicht, Oidipus zu verlachen (v. 1422: ), 223 eine Reaktion, die bei ihren Feinden zu unterbinden Medea sich noch in der Schlußszene beständig sorgen muß (Näheres s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion sowie zu Oidipus’ restaurativem Handeln s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Medea-Interpretation). Trotz Oidipus’ paranoid anmutender Einlassungen gegen Kreon, Teiresias und schließlich Iokaste wird die Einheit des Stücks und der Figur des Oidipus sowie dessen subjektive moralische Integrität durch den durchgehenden, ja leitmotivisch wiederkehrenden Abscheu vor den ihm zur Last gelegten Vergehen gewährleistet, auch bereits bevor er ihrer sicher ist. Dies gilt auf der expliziten verbalen Handlungsebene unbeschadet der Tatsache, daß das Schauspiel wie der Traum den Menschen in die Rolle des Zuschauers versetzt, die ihm ermöglicht, unbewußte Wünsche auszuleben. 224 Auch im Drama selbst beschwichtigt Iokaste Oidipus, viele Menschen träumten davon, mit ihrer Mutter zu schlafen (v. 981 f.), eine Stelle, die Freud bemüht und mit der er die Universalität und Gegenwart der von ihm postulierten Phantasie untermauert, da auch zu seiner Zeit viele Menschen diesen Traum träumten (1996: 268). Doch wurden Träume des Mutterinzests wie alle Träume in der Antike nie wörtlich gedeutet. 225 Iokaste hebt denn auch nur auf das Illusionäre des Traumes ab, nicht die geheimen Wünsche, die er ausdrücken könnte, vernachlässigt jedoch seine (se)mantische Bedeutung als apollinisches Medium, 226 wie sie ja auch die Aussagekraft des Orakels herunterspielt. Von einem archaisierend-ritualgeschichtlichen Standpunkt aus böte es sich an, in der Selbsteliminierung des Königs das klassische Königsopfer zu sehen, mit dem eine kollektive Notsituation abgewendet werden soll. 227 Doch diese Deutung der Eliminierung übersieht als deren Ursache die Transgression, deren sich der König im Stück selbst überführt. Auch das mythengeschichtliche Substrat, das man hinter dieser Tragödie vermutet hat, nach dem Oidipus ein Jahresgott und Iokaste die Mutter Erde gewesen sei, trägt nichts zum Verständnis des 223 Für eine Widerlegung der Athetese der Verse ab 1424, die zuletzt Dawe in der zweiten Auflage seines Kommentars vertreten hat (192 f.), s. Patrick J. Finglass, The Ending of Sophocles’ Oedipus Rex. Philologus 153,1 (2009) 42-62. 224 Leo Kaplan, Zur Psychologie des Tragischen (1912). In: Psychoanalytische Literaturinterpretation. Aufsätze aus „Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften“ (1912-1937). Hg. und eingeleitet von Jens Malte Fischer. Tübingen 1980, 33-63, h. 34 f. 225 Jean-Pierre Vernant, «Œdipe» sans complexe. In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1133- 1152, h. 1151 f. 226 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie Oder: Griechenthum und Pessimismus. Nachwort von Günter Wohlfart. Stuttgart 1993, 19-22 [= KSA Bd. 1, 25-28]. 227 So Jean-Pierre Vernant, Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1172 f. 2. Sophokles’ 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? 375 Sophokleischen Stückes bei, 228 in dem der Mutterinzest durchgehend als Transgression verurteilt wird. Völlig quer zu Sophokles’ Text ist auch René Girards Interpretation, der Vorwurf des Königsmordes und Inzestes sei möglicherweise tatsächlich, wie von Oidipus in seiner abwehrenden Paranoia geargwöhnt, von Kreon und Teiresias in die Welt gesetzt und bleibe an Oidipus hängen, um mit ihm als Sündenbock die crise sacrificielle zu purgieren, die mit der Pest einhergehe. 229 Gegen diese Sichtweise erheben sich schwerwiegende Einwände: Oidipus selbst deckt quasi als königlich-souveräner Richter seine Vergehen auf und richtet sie. Ihre eliminatorischen Konsequenzen stehen durch den Götterspruch fest. Außerdem läßt sich das angeblich pogrom- und lynchjustizartige kollektive Gewaltpotential, das Girard, ähnlich wie Oidipus den Komplott zwischen Seher und Schwager, herbeihalluziniert (1987: 118), nirgends - etwa an der Gestalt des Chores, der ein Kollektivum repräsentiert und ein drameninternes Reflexionsmedium bietet - festmachen; dieser wird im Gegenteil von wachsender Sorge ergriffen. Alles in allem vernachlässigen Girards Thesen die in den Text eingeschriebenen (um nicht zu sagen: eingemeißelten) Kategorien ‚Transgression‘, ‚Identität‘ und die realistische individuelle Kausalitätsattribution für die kollektive Eliminierung, welche die gesamte erforschende Handlung durchzieht. Wenn Girard seine Sündenbocktheorie mit dem an sich richtigen Hinweise untermauert, Oidipus sei nach modernen Kriterien subjektiv juristisch unschuldig (1987: 115), dann übersieht er die objektive religiöse Befleckung, die Oidipus anhaftet. Im Gegensatz zu Girards gewalttätig-nivellierender Interpretation kann Jean- Pierre Vernant in einer minutiösen parallelengesättigten kulturgeschichtlichen Archäologie den Nachweis erbringen, daß die Handlung des OT sehr wohl nach dem Schema des Sündenbocks funktioniert. Er arbeitet nämlich die Ambivalenz des Sündenbocks am oberen oder unteren Ende der vertikalen Achse heraus, die auch Oidipus zu eigen sei, und sieht den Tyrannen, der im Verhalten des Sophokleischen Oidipus überdeutlich ist, sowie das Scherbengericht als Fortsetzung des Sündenbock-Kulturems an. 230 Daß Oidipus das Subjekt wie das Objekt eines Erkenntnisprozesses ist, der dem Umschlag vom gottgleichen Retter zum Sündenbock zugrunde liegt, der für die Not der Stadt alleinverantwortlich ist, eine kausale Ambivalenz, in der ein Gutteil der Tragik in diesem Drama liegt, rückt 228 Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 2 1956, 121. In der dritten Auflage (1972: 219) sieht er den Vegetationsgott als endgültig widerlegt, nimmt allerdings aufgrund von Parallelversionen bei Pindar und Aischylos an, der Stoff sei Sophokles vorgegeben gewesen. 229 La Violence et le Sacré. Paris 1972, Ndr. 1987, 109, 113-118. 230 Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1159-1181. Wiederholt von Charles Segal, Pentheus and Hippolytus on the Couch and on the Grid: Psychoanalytic and Structuralist Readings of Greek Tragedy. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 268-293, h. 272. Da Vernants Modell den Tyrannen integriert, müßte Edmunds’ Kritik zumindest nuanciert werden, das Tyrannenparadigma sei vollständig in der Handung des OT vertreten und werde auch in der Binnenhermeneutik aufgegriffen, während das Sündenbockparadigma nur unvollständig vertreten sei (2002: 94 f.). 376 allerdings bei Vernants kulturgeschichtlicher Lektüre verständlicherweise an den Rand (2007: 1163). Freilich ist Girards Deutung insofern nicht ganz verfehlt, als der unmittelbar zeitlich folgende Botenbericht mit der physischen Integritätsverletzung von Mutter und Sohn zum ersten und einzigen Mal im Verlaufe der Tragödie eliminatorische körperliche Gewalt und die erste nicht in sozialer Interaktion bestehende Tat in die gegenwärtige, auf der Bühne gespielte Handlung bringt. Dagegen lag das Dreiwegmassaker weit zurück. Auch die Gewalt zwischen Oidipus und seinen beiden thebanischen Kontrahenten war verbaler oder physisch-hypothetischer Natur und das gewaltsam erpreßte Geständnis des Hirten wurde zwar unmittelbar gezeigt, entsprang aber bloß temporärem Schmerz (v. 1154). (Den gewaltfreien Abschnitt zwischen dieser und der Gewaltdrohung gegen Kreon [v. 623] läßt Girard geflissentlich aus.) Und anders als an all diesen vorgenannten Stellen entbehrt die Aggression der Selbstmord- und Selbstblendungsszene jeder zweckrationalen Kontrolle, sie ist ein irrationales, emotionsgetränktes Rasen, mit dem das Dionysische sich in dieser Tragödie am deutlichsten manifestiert, und zwar mit seinem gesamten Gewaltpotential. Dabei ist die geistige Unklarheit des Protagonisten in dieser einzigartig apollinischen Tragödie markant: Sofort nachdem die Selbsterkenntnis in und für einen Augenblick Oidipus aus dem unsicheren Wähnen und Ahnen gerissen hat, welche die gesamte erforschende Handlung gefüllt haben, schlägt sie um in verzweifelte Raserei, die erst langsam zum Ende des Stückes abebbt. Über der erfolgreichen Autoaggression der beiden Protagonisten droht die Aggressivität von Oidipus’ Rasen (v. 1258: ) vergessen zu werden - zumal in Interpretationen, welche auf die Rationalität und Moralität der Selbstbestrafung abheben, aber vielleicht auch, weil diese Aggressivität teils nicht zum Vollzug kommt. Mit dem Aufbrechen der von Iokaste verschlossenen Tür (v. 1260-1262) wendet Oidipus nicht nur Gewalt gegen Sachen an, sondern verletzt in exhibitionistischer Weise die Pietät von Iokastes Intimsphäre. 231 Er verlangt zuvor von den Dienern, eine Waffe herbeizuschaffen (v. 1255: ; Dawe a.l. „sword“). Seine sich anschließende Frage nach dem Aufenthaltsort Iokastes und deren nach Rabinowitz 1992: 44 herabsetzende sexualisierte Bezeichnung (v. 1256 f.), die m.E. allerdings v.a. auf das Skandalon des Mutterinzests abhebt und dessen perverse Iteration über eine botanische Metapher in einer Synekdoche körperlich konkretisiert ( … ), weisen seine Frau und Mutter als Objekt seiner Aggression aus (so klar Rabinowitz 1992: 44; mit Verweis auf die Schnelligkeit der Ereignisse vorsichtiger, aber in der Sache ebenso klar Dawe 182 a.l. [„we cannot avoid the answer that he intended to kill his wife/ mother“]). Die genital-konkrete Evozierung des Inzests aktualisiert die phallische Implikation der verlangten Tatwaffe. Objekt und Instrument stimmen bei Transgression und Eliminierung überein und sollen den restaurativen Erfolg der letztgenannten gewährleisten. Bevor Oidipus die Restauration durch lokale Selbsteliminierung (und physische Integritätsverletzung) bewerkstelligt, ver- 231 Vgl. Nancy Sorkin Rabinowitz, Tragedy and the Politics of Containment. In: Amy Richlin (Hg.), Pornography and Representation in Greece and Rome. New York 1992, 36-52, h. 43 f. 2. Sophokles’ 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? 377 sucht er sie durch physische Fremdeliminierung. Rabinowitz zitiert nachfolgend Julia Kristevas Verortung von Oidipus’ Verhalten in der Schamkultur: 232 „Miasma, agos, Jocaste l’est - cela va sans dire. Mais seul Œdipe est pharmakos.“ 233 Doch auch hier ergeht sich die Tragödie nicht in bloßer objektivierender Eliminierung des Schandflecks, an dem das Vergehen sich materialisiert. Vielmehr hat Iokaste durch das Weiterreichen des neugeborenen Oidipus den Anstoß für dessen Verlust des Wissens um die eigene Identität gegeben. Von allen lebenden Personen trägt sie die meiste Verantwortung für Oidipus’ transgressive Biographie. Unverkennbar ist aber auch die psychoanalytische Implikation der verlangten Tatwaffe, zumal wenn man die sexuelle Charakterisierung ihres prospektiven Opfers als … in Rechnung stellt. Diese vergebliche physisch-penetrative Aggression mit einem spitzen Gegenstand präludiert die Selbstblendung, wobei beider tiefenpsychologische Deutungen einander wechselseitig stützen. 234 Bereits der Altmeister der Psychoanalyse hat die Deutung der Blendung als Ersatzkastration, die innerhalb der Logik des Stückes spezifischer als eine solche aufgrund ritualgeschichtlicher Ansätze ist, 235 anhand dieser klassischen Tragödie exemplifiziert. 236 George Devereux untermauert Freuds 232 Powers of Horror. An Essay on Abjection. New York 1982, 85; hier nach dem frz. Original zitiert. 233 Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection. Paris 1980, 102. Kristeva analysiert in ausdrücklicher Anlehnung an Vernants Ambiguitätsthese Oidipus’ Rolle und arbeitet auch auf der Ebene der shame culture die Autoreferentialität von Oidipus’ Handeln heraus (S. 100): „Entrant dans une cité impure - dans un miasma - Œdipe se fait lui-même agos, pour la purifier et devenir katharmos. Purificateur, il l’est donc du fait même d’être agos.“ 234 So läßt sich Calames Vorbehalt gegen psychoanalytische Deutungen von Oidipus’ Selbstblendung als textfern begegnen (1996: 24). 235 Dafür, psychoanalytische Interpretationen der Transgression kritisch zu nuancieren, sie aber bei der Eliminierung zu vertreten, gibt es gute Gründe, wenn man den Wortlaut des Dramas selbst verstehen will: Bei der Transgression macht Freud den Protagonisten zum archetypischen Repräsentanten universeller unbewußter Sehnsüchte, die das Publikum an ihm im mimetischen Raum ausleben kann und welche der Intention, die der Protagonist in der Tragödie bekundet, diametral entgegengesetzt sind (vgl. treffend von Fritz 1962: 13 f.: „Wenn er [sc. Oidipus] einen Oedipuskomplex gehabt hätte, hätte er seinen Stiefvater töten müssen.“), sofern man keinen double bind postuliert, der allerdings auch einer Textgrundlage entbehrt; bei der Blendung hingegen vollzieht der Protagonist die Ersatzkastration selbst, nachdem er seine eigene sexuelle Transgression erkannt hat. Es besteht hier also ein dramenimmanenter Bewußtseinszusammenhang. Oder plakativer ausgedrückt: Beim transgressiven Mutterinzest weiß Oidipus nicht, daß er mit seiner Mutter schläft, bei der Selbstblendung und Selbstverbannung weiß er es dagegen schon. Auch Jean-Pierre Vernant, «Œdipe» sans complexe. In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1133-1152, h. 1133 ff. zeigt den geringen heuristischen Wert von Freuds Interpretation für den Dramentext auf und widerlegt treffend die psychoanalytische Deutung von Didier Anzieu (Œdipe avant le complexe ou l’interprétation psychanalytique des mythes. Les Temps modernes 245 (1966) 675-715), der noch einen Schritt weiter als Freud geht, indem er Oidipus und anderen Figuren des Dramas unterbewußte Wünsche nach Vatermord und Mutterinzest unterstellt. Zu Recht nuanciert Vernant auch durch genaue Lektüre der Mythen Anzieus Versuch, Mutterinzest und Vatermord bereits in Hesiods Theogonie auszumachen, wobei Anzieu von einem abstrakten handlungsstrukturellen, paradigmatischen Standpunkt nicht ganz falsch liegen dürfe (2007: 1140). 236 So Sigmund Freud in seiner Abhandlung über Das Unheimliche (1919) anhand von E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (Psychologische Schriften. Studienausgabe. Hg. von 378 These durch eine eingehende Lektüre des Oidipus Tyrannos und kann den Nachweis erbringen, daß in der griechischen und auch römischen Tradition Blendung eine häufige Sanktion für sexuelles Fehlverhalten war und das Auge symbolisch für Genitalien stehen konnte. 237 Eine indianische Erzählung aus dem Amazonasgebiet wird für den OT dadurch relevant, daß sie eine Handlungsabfolge aufweist, die viel eher mit unserer Tragödie als dessen mythengeschichtliches Substrat harmoniert, nämlich Geschwisterinzest - Scham - Tod - phallische Dysfunktion. Sie kann deshalb eine ethnographische Unterstützung der psychoanalytischen Interpretation liefern. Sie operiert nämlich mit dem Motiv einer symbolischen Vagina dentata (steinbesetzte Maniokraspel, welche die Schwester zwischen ihren Schenkeln hält), 238 also ebenfalls einer symbolischen Kastration im Zusammenhang mit einem Inzest. Daß Oidipus in der Tragödie zwei explizite Begründungen für sein Tun gibt, eine instrumentell-funktionale und eine finale, steht nicht im Widerspruch zu einer psychoanalytischen Deutung, da diese eo ipso eine andere, unterbewußte Ebene berührt und argumentativ durch den Handlungsverlauf und die hier zitierten kulturellen Parallelen abgesichert werden kann. Oidipus rechtfertigt seine Blendung gegenüber dem Chor, der Selbstmord, also die totale Selbsteliminierung, für einen besseren Ratschluß hält, so hätte er Vater und Mutter in der Unterwelt anschauen müssen und müsse außerdem seine im Inzest gezeugten Kinder ansehen (v. 1366-1376). Dodds erklärt diese Argumentation mit seiner paraphrastischen Interpretation, Oidipus wolle alle Sinneskanäle abschneiden, weil er weder Lebenden noch Toten gegenübertreten könne, nur unzureichend, auch wenn sein Verweis auf die Faktizität der religiösen Befleckung, die ihm unbeschadet seiner Unschuld auch nach damaligem Athener Recht anhafte (1973: 71 f.), durch v. 1384 f. gerechtfertigt wird, wo Oidipus rhetorisch fragt, wie er seine Verwandten und die Bürgerschaft mit geraden Augen anschauen könne, wo er sich doch als ein solcher Schandfleck bekanntgemacht habe. Diese Stelle erweist die Scham als Motiv für Oidipus’ Selbstblendung. Die Furcht um den sozialen Status, die bereits die Suche nach den wahren Eltern in der erforschten und erforschenden Handlung angetrieben hat, motiviert Oidipus also auch in der postidentifikatorischen Phase. Parker arbeitet denn auch das Bewußtsein des sozialen Stigmas, das aus der transgressiven Befleckung erwachse und das sich auch in Oidipus’ Angst vor der sozialen Isolation seiner Töchter niederschlage, als zentral für Oidipus’ Reaktion auf die Erkenntnis seiner (transgressiven) Beflek- Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Bd. 4. Frankfurt a.M. 1 1972 = 10 1996, 254 f. 237 Self-Blinding of Oidipous in Sophokles: Oidipous Tyrannos. JHS 93 (1973) 36-49. Buxton, 1980: 25 stimmt ihm hierin mit dem bemerkenswerten methodischen Argument zu, die Psychoanalyse sei am schwächsten, wenn sie alles erklären wolle, und am stärksten, wenn sie das Ungewöhnliche erklären wolle, fragt aber selbst - vollkommen zu Recht und in Einklang mit den interpretatorischen Prämissen der vorliegenden Untersuchung - nach Sophokles’ (d.h. den dramatischen) Gründen für die Darstellung dieser Handlung. 238 Patrice Bidou, On Incest and Death. A Myth of the Tatuyo Indians of North West Amazonia. In: Michel Izard, Pierre Smith (Hgg.), Between Belief and Transgression. Structuralist Essays in Religion, History, and Myth. Translated by John Leavitt. With an Introduction by James A. Boon. Chicago 1982, 129-151, h. 138, 147 f.; 135 Anm. 11. 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 379 kung heraus (1983: 316-318). Markanterweise ist der thebanische König bei der besagten Übersetzung der Scham ins Optische das Subjekt und nicht das Objekt. Seinen Subjektstatus wahrt er auch mit der vorhergehenden Autoreferentialität des sich Anzeigens. Die massive physische Integritätsverletzung der Blendung begründet Oidipus außerdem instrumentell-funktional mit dem vorausgehenden kognitiven Versagen der Augen in der Tragödie (v. 1271-1274) und macht sie so zu einem symbolischen Ersatzopfer, da die eigentliche Fehlleistung bei Oidipus selbst liegt. Doch entsprechen die Augäpfel (v. 1277: ) in Anzahl und Form den männlichen Keimdrüsen. Zudem sagt Oidipus in dieser Szene nicht, daß er mit seiner Mutter geschlafen (vgl. v. 995, 1184 f.), sondern mit ihr Kinder gezeugt hat (v. 1256 f.). Daß Oidipus die Blendung mit den Spangen von Iokastes Gewand vornimmt (v. 1268 f.) und diese mit Blut besudelt (v. 1280 f.), iteriert und transzendiert den Mutterinzest. 239 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung Bei einer Tragödie, für deren Handlung die Transgression derart zentral wie im OT ist, drängt sich die Frage auf, inwieweit dieser Stoff in eine entsprechende poetisch-transgressive Form gekleidet ist. Mark Ringer hat denn auch diverse Elemente des Metatheaters im Oidipus Tyrannos aufgespürt, die bei der folgenden Betrachtung auf ihre Stichhaltigkeit hin abgeklopft werden sollen. 240 Seine Ernte fällt allerdings auch deshalb so reichlich aus, weil er - anders als die vorliegende Arbeit - die dramatische Metapoetizität weder konzeptionell noch terminologisch in Metatheater, Intratheater und Intertheater differenziert. So verwaltet er das Intratheater begrifflich unter der Rubrik ‚Metatheater‘ (1998: 7). Dabei hebt er entsprechend dem Untertitel seines Buches auf die Rollen ab, die v.a. Oidipus spielt und inszeniert. Reicher wird seine Ausbeute auch dadurch, daß er bei der Figurenanalyse recht erhellend interdramatische Aspekte v.a. aus Sophokles’ Antigone berücksichtigt. 241 Verdienstvoll ist, daß Ringer das hermeneutische, v.a. ironische Potential einer Durchbrechung der mimetischen Illusion auslotet, die weniger dramaturgische Gestaltung als technische Einschränkung und Gattungskonvention der Aufführungspraxis war (Ringer spricht deshalb hier auch gemäß dem englischen Sprachgebrauch von „performative“): Die Beschränkung der Bühnenfiguren auf drei führt dazu, daß verschiedene Figuren von demselben Schauspieler gespielt wurden (1998: 81 f.). Hierbei handelt es 239 Für weitere symbolische Iterationen von Mutterinzest und Vatermord in dieser Szene s. Charles Segal, Oedipus Tyrannus. Tragic Heroism and the Limits of Knowledge. New York 2 2001, 109. 240 Electra and the Empty Urn. Metatheater and Role Playing in Sophocles. Chapel Hill 1998, 78- 90. 241 Fraglich bleibt indes, ob man bei den Parallelen zu Aischylos’ Persern, welche die vorliegende Arbeit als interpretatorische Kontrastfolie herangezogen hat, von Intertheater sprechen kann. 380 sich also theatersemiotisch um eine syntagmatisch geordnete Polyvalenz desselben signifiant. Eher schwach und versprengt sind dagegen die Metapoetik bzw. Metatheatralität an zwei anderen Stellen, die Ringer darunter verbucht. Daraus, daß Oidipus die Sphinx einen Rhapsoden nennt (v. 391: … ), schließt Ringer, bei ihrem Zusammentreffen handele es sich um einen Agon zweier Sprach- und Performanzkünstler (1998: 79). Doch benennt der Chor die Sphinx in v. 1199 mit einem ähnlich gebildeten, aber präziseren Kompositum / , das einen weit geringeren metapoetischen Gehalt hat. Diesen zeigt Ringer ferner in vielfältiger Weise bei der Antwort auf (1998: 79), die der Hirte auf Oidipus’ Frage gibt, warum er ihn nicht, wie geheißen, getötet habe. Der Hirte gibt als Erklärung an, er habe Oidipus bedauert (v. 1178: - ). Auch hier sind seine Gründe durchaus bedenkenswert, aber nicht wirklich einschlägig: Gewiß hat das Mitleid des Hirten Oidipus’ Tragödie ermöglicht (wegen dieses handlungskausalen Aspekts spricht man strenggenommen besser von ‚Metadrama‘), gewiß rechnet Aristoteles diese Regung zu den kardinalen Emotionen der Tragödie, gewiß mag auch der Zuschauer (doch gleitet dieses Argument in Spekulationen über die Rezeptionsästhetik ab) dank seinem Wissensvorsprung Mitleid mit Oidipus empfunden haben, als er in der erforschenden Handlung im unklaren über seine monströs-transgressive Identität war. Doch übersieht Ringer, daß das Mitleid nicht, wie auch von Aristoteles gefordert, dem tragischen Transgressor, sondern dem Opfer der Eliminierung galt. Innerhalb der eigentlichen Tragödienhandlung steht der Hirte zu dieser tragischen Transgression dadurch in einem Bezug, daß er Oidipus zur Erkenntnis seines Verbrechens verholfen hat. Erst durch diese (Selbst-)Erkenntnis seiner tragischen Transgression wird Oidipus entsprechend den besagten von Aristoteles später ausgemachten rezeptionsästhetischen Gattungskonstituenten des Mitleids würdig. Die einzige Form von Intratheater, bei der die Inszenierung auf Absprache beruht und die somit ein wichtiges Kriterium dieser Form dramatischer Metapoetizität erfüllt, ist bloß hypothetisch: Oidipus verdächtigt Teiresias und Kreon des Komplotts gegen sich (v. 700-706). Ringer stuft Oidipus’ Unterstellung auch als Intrabzw. nach seiner Terminologie als Metatheater ein, weil hier eine Figur in eine weitere Rolle schlüpft. Er beobachtet nämlich fein, daß bereits das , das Oidipus bei seinem Schwager eingangs der Szene ausmacht (v. 533), „[t]he theatralical nature of Creon’s alleged duplicity“ erkennen lasse, da dieses Wort sowohl ‚Maske‘ als auch ‚Gesicht‘ heiße (1998: 80 f.). Diese Äußerung ist klar metatheatralisch, da sie sich auf derselben Ebene wie eine im Dramentext versteckte Regieanweisung bewegt, die in der Einleitung als transverbales Metatheater klassifiziert wurde (s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression). Sie unterscheidet sich jedoch durch die Ambiguität, die - innewohnt, von einem entsprechenden Fall in Euripides’ Medea (v. 271: , s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos), der klar die Aufführungspraxis des Maskentheaters anklingen läßt. Daß die Aufführungspraxis die Umsetzung dieser versteckten Regieanweisung nachgerade vereitelt, weil die Maske keine Gele- 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 381 genheit zu situativer Mimik läßt, illustriert Oidipus’ tyrannische Paranoia und die fiktionale Suggestivkraft, auf die auch Ringer im Zusammenhang mit dessen Rollen abhebt. Das Metatheater steht hier also als dramaturgisches Mittel im Dienst der Personenzeichnung und des damit verbundenen Dramenverlaufs. Eindeutigere Fälle von Metatheater lassen sich beim Chor finden. Sie betreffen teils seine rituelle Rolle. Daneben bietet die religiöse Ebene bei göttlichen Akteuren einen Anhaltspunkt für Metatheater. Beginnen wir mit einer gattungskonventionellen Form von Metatheater des Chores. Er wendet sich am Ende der Tragödie ausdrücklich an das thebanische Publikum (v. 1524). 242 Der textexplizite binnenpragmatische und der gestisch bühnenpragmatische Adressat klaffen metatheatralisch auseinander. Denn dieser Hinweis auf die exemplarische Wechselhaftigkeit von Oidipus’ Geschick wird, zumal die Einzelschauspieler keine Rolle mehr spielen, mit unmittelbarem Blick auf das athenische Bühnenpublikum gesprochen. Diese optische Orientierung und Ausrichtung auf das Bühnenpublikum unterstreicht der Imperativ ’ (v. 1524). Diese Hinwendung des Chores zum Publikum greift zwar die konventionelle Form des Metatheaters auf, wie sie die Parabase darstellt. Sie durchbricht jedoch anders als diese nicht plump die dramatische Illusion durch direkte Anrede des Publikums, sondern subvertiert sie fein metatheatralisch. Daß das Aufdecken der Illusion gerade am Sehen geschieht, das für die Täuschung innerhalb des Dramas wichtig ist, stellt eine subtile Form stückspezifischer metatheatralischer Autoreferentialität und performativer Autoreflexion dar: Der Zuschauer vollzieht abschließend Oidipus’ Prozeß der Selbstdesillusionierung nach. Daneben wird der Chor in zwei Stasima zum Träger von Metatheater. Solches ist die Ansicht des Chors im zweiten Stasimon, die gesellschaftliche gegen menschliche und göttliche Normen hebe die rituelle Grundlage seines Tanzes auf (v. 895 f.). 243 Die Metatheatralität erweist sich damit als ein Verfah- 242 Über jeder Interpretation der Schlußverse schwebt das Damoklesschwert der Athetese, die Franz Ritter zugeschrieben wird (Sieben unechte schlussstellen in den tragödien des Sophokles. Philologus 17 (1861) 422-436, v.a. 424-428; in Wahrheit ist sie älter, s. Finglass 2009: 55-59). Lloyd-Jones und Wilson referieren sie gleichwohl bloß im Apparat, ohne die fraglichen Verse zu athetieren. Mit einem Referat begnügt sich auch Finglass 2009: 55, 58, der doch sonst für die Echtheit des Schlusses plädiert. Dawe 202 a.l. gelangt zu keinem eindeutigen Urteil. Aufgrund dieser philologischen Unsicherheiten kann man also nur von einer eingeschränkten hermeneutischen Belastbarkeit der Schlußverse ausgehen, ohne sie ganz zu verwerfen. Verschiedene Philologen haben den Schluß bereits ab v. 1424 (Kreons Appell, ins Haus zu gehen) athetiert (Francis Dunn, Ethical Attachments and the End of Sophocles’ Oedipus the King. In: Farouk F. Grewing, Benjamin Acosta-Hughes, Alexander Kirichenko (Hgg.), The Door Ajar. False Closure in Greek and Roman Literature and Art. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften 2 N.F. 132. Heidelberg 2013, 17-28, h. 19), doch hat Dunns Besprechung dieses „Schlußstücks“, welche die Schlußworte des Chores unberührt läßt, die verschiedenen ethischen, juridischen (Präsentation der Kinder vor Gericht, was der juridischen Implikation des OT gut entspricht, auf die hier verschiedentlich abgehoben wird) und mythologischen Kontinuitäten (Fortgang des Labdakidenmythos) treffend herausgearbeitet, welche die Vorstellungen einer vermeintlichen dramenästhetischen Kohärenz unterlaufen, die den Annahmen über falsche oder richtige Dramenschlüsse zugrunde liegen. 243 Den rituellen Aspekt innerhalb der Selbstbezüglichkeit dieser Chorpartie arbeitet auch Albert Henrichs heraus („Why Should I Dance? “ Choral Self-Referentiality in Greek Tragedy. Arion 3,1 (1994 f.) 56-111, h. 65-73). Auch in „Warum soll ich denn tanzen? “ Dionysisches im Chor 382 ren, um nicht nur den rituellen Sitz im Leben, sondern auch die soziale Transgression zu thematisieren, die das Drama als soziale und sakral verankerte Institution bedrohe. Wenn der Chor im dritten Stasimon spekuliert, Oidipus könne der Sohn Apolls, des bergbewohnenden Pan oder des Dionysos und einer der Nymphen vom Helikon sein, mit denen dieser gerne zusammenspiele (v. 1098- 1109), dann ist diese Stelle mehrfach metatheatralisch: Alle drei Götter haben faktisch oder mythologisch-symbolisch zusammen mit Oidipus die Gestalt des Dramas geprägt. Am schwächsten ist der Textbefund im Falle Pans: In seine Rolle schlüpft Oidipus bei seiner schrecklichen Erscheinung. Apoll und Oidipus haben durch ihr Wechselspiel das Drama geschrieben bzw. inszeniert. Am stärksten ist Dionysos’ metatheatralische Rolle, weil der Theatergott mit den Nymphen, die wegen ihrer Heimat am Helikon mit den Musen gleichzusetzen sind, 244 spielt, also eine dem Fest und der Theateraufführung verwandte evasiv-rituelltransgressive Tätigkeit ausführt. Anders als im Falle des Dionysos bietet die Handlung des Dramas reichlich Anhaltspunkte für den verlockenden hermeneutischen Schachzug, dem ethisch und theologisch schwierig zu deutenden Kausalitätsverhältnis, das Apoll und der griechischen Tragödie. Lectio Teubneriana 4. Stuttgart, Leipzig 1996, 55-57 spricht er dieser Frage „chorische Selbstreferentialität“ zu und läßt nicht zu Unrecht, aber etwas deartikuliert das Tanzen, von dem die Choreuten sprechen, aus „ihrer choreutischen Funktion als Chortänzer“ erwachsen (also der rituellen Seite) und die Zweifel am Tanzen „aus ihrer Rolle als thebanische Älteste“, also aus der sozialen Seite. Henrichs läßt jedoch unerwähnt, daß die transgressiven vorangehenden Zweifel der Akteure an der Wirksamkeit der Götter, die der sozialen Dramenhandlung entstammen, dessen theologisch-rituelle Fundamente und damit auch den rituellen Tanz bedrohen. Diese Bedrohung ist um so größer, wenn man mit Christiane Sourvinou-Inwood, Tragedy and Athenian Religion. Lanham, Md. 2003, 50 f. annimmt, daß die Selbstreferentialität des Chores u.a. als das Bewußtsein der Zuschauer aktiviert, daß es sich hierbei um Chöre zu Dionysos’ Ehren handelt. Auch Ringer, der Henrichs zu dieser Passage nicht berücksichtigt (1998: 88 f.), plädiert für die in der Forschung umstrittene Autoreferentialität und damit für die Metatheatralität dieser Passage, für die er sich auf Bernard Knox’ Beobachtung berufen kann: Knox vertritt die Ansicht, diese Worte des Chores würden von Musik und Tanz begleitet. Aus diesen beiden Darbietungen des Chores habe sich die Tragödie entwickelt, die immer noch wie am Anfang ein Akt religiöser Verehrung sei. Deshalb entzöge ihr der Wahrheitsverlust der Orakel den Boden (Oedipus at Thebes. London, New Haven 1957, 47). Ringer 1998: 89 untermauert die Metatheatralität dieses Stasimons zusätzlich vollkommen zu Recht mit chorischem Selbstbezug, da in v. 1092 vorkomme. Doch ist die Spekulation des Chores, Bakchos könne der Vater des im Kithairon ausgesetzten Oidipus gewesen sein (v. 1105-1109), die Ringer nachfolgend bemüht (1998: 89 f.), an sich kaum im Rahmen der Diskussion metatheatralischer Merkmale relevant, da auch Pan, Apoll und Hermes in derselben Antistrophe als mögliche Väter debattiert werden. Alle vier Götter werden als Oidipus’ Vater genannt, da sie eine Affinität zu seinem Fundort aufweisen. Ringer kann sich denn auch nur auf das allgemeine, hier nicht erwähnte Faktum berufen, Dionysos sei der Theatergott. 244 Anton F. Harald Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie. Politische und ‚metatheatralische‘ Aspekte im Text. Diss. München 1990. Classica Monacensia 1. Tübingen 1991, 133. So auch Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, The Sophoclean Dionysos. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ds., Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 273-300, h. 275, 285, die noch auf v. 209-215 als weitere Erwähnung des Dionysos im OT verweist. An dieser Stelle im ersten Chorlied wird Dionysos nach Apoll angerufen, also ebenfalls eine Verbindung zwischen den beiden Brüdern hergestellt. 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 383 Oidipus bei der Transgression haben, durch eine metatheatralische Interpretation zu entgehen: Ihr zufolge fungiert Apoll, dessen drei Orakel die Handlung anstoßen, als Dramaturg. Gegen diese Auslegung könnte man die zu große Affinität zur stoischen Bildsprache geltend machen, die Gott als den Regisseur des theatrum mundi ansieht (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa), dem der Mensch Folge zu leisten habe. Das Kausalverhältnis zwischen Mensch und Gott wäre damit wiederum ethisch-theologisch gedeutet und würde entsprechend dem christlichen Sprichwort „Der Mensch denkt; Gott lenkt“ (vgl. frz. L’homme propose, Dieu dispose) auf die stoische Formel der Schicksalsergebenheit hinauslaufen, die den komplexen Sachverhalt des Stückes zweifelsohne verkürzt. 245 Doch muß die metatheatralische Interpretation nicht an diesem antiken Vorgänger scheitern (durch den Wortlaut des Textes [v. 1258: ] ist die Rolle als Regisseur einer Gottheit nur bei dem Intratheater der autoaggressiven Integritätsverletzungen gesichert, Näheres s.u.), da nach der Deutung der vorliegenden Arbeit Oidipus und Laios das Orakel mißdeutet haben. Aus der Perspektive des Metatheaters hätten sie also die Regieanweisungen mißverstanden. Mark Ringer rettet das Metatheater im theologischen Zusammenhang denn auch mit dem treffenden Hinweis, Oidipus’ Bemühen, sein Schicksal entgegen den göttlichen Weissagungen zu gestalten, stehe in einer metatheatralischen Konkurrenz um die Position des Dramaturgen, wobei der Orakelgott und der Dramenautor Sophokles verschmölzen (1998: 81, 87). Richtig ist auch Ringers Hinweis, daß Oidipus’ intra- und metatheatralische Tätigkeit mit der tyrannischen Rolle zusammenhängt, die er in der Soziopragmatik spielt (1998: 81), da es in beiden Fällen um die Souveränität geht, dort die soziopragmatische, hier die fiktional-poetische. Während Oidipus noch an der dura necessitas scheitert, werden wir die erfolgreiche Aneignung der beiden Souveränitäten bei Euripides’ Medea sehen. Das Intra- und Metatheater der Einzelschauspieler konzentriert sich auf die postidentifikatorische Phase des Dramas. Da Teile der Forschung den Schluß ab v. 1424 und die Schlußworte des Chores (v. 1524-1530) für unecht erklärt haben (Näheres s. 2.4.5 Transgression und Orakel bzw. s.o.), bleibt bei diesen Metatheaterinterpretationen ein unterschiedlich starkes philologisches Caveat. Die dramatische Metapoetik des Schlußteils funktioniert darüber, daß die Einzelschauspieler, vornehmlich Oidipus, Sehen und Zeigen, Hören und Sagen, mithin Grundkonstituenten des Dramas und der Tragödie, an den Tag legen, teils vorenthalten und gestuft artikulieren. Komplettiert wird das Intratheater durch die rezeptionsästhetischen Emotionen Mitleid und Schrecken, mit denen Einzelschauspieler und der Chor auf Oidipus’ Schicksal und sein intratheatralisches Auftreten reagieren. Das Vorenthalten von Sinneseindrücken wird bei der 245 Vgl. die implizit metapoetische Wortwahl der Kritik, die Alexander von Aphrodisias an der stoischen Interpretation dieser Tragödie übt, sie mache Apoll zum Urheber ( ) (Thillet „l’auteur“, Sharples „the author“; eindeutig mimetisch-performativ nur Molina Ayala / Salles „el productor“, d.h. ‚(Film-)Produzent‘, ‚Regisseur‘ [Larousse 1409 s.v.]) des Geschehens (Fat. § 31 (= S. 202,25-203,1 Br.), Näheres zu dieser Alexander-Stelle s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie). 384 folgenden Interpretation als Aisthetik der Eliminierung bezeichnet. Die Grenze, über welche Sehen und Zeigen inszeniert werden, ist die Schwelle zum Palast(inneren). Rehm hat die dramensemiotische Bedeutung dieser Ortswahl im szenischen Raum treffend herausgearbeitet (2012: 330): Durch die erforschende Handlung wird Oidipus und Iokaste in dramatischer Ironie klar, daß der Palast der Ort von Oidipus’ Geburt und ihrer beider Inzest ist. Daß die tätliche Selbstentleibung und -verstümmelung von Mutter und Sohn in seinem Inneren stattfindet, ist die konsequente Lokalisierung der Reaktion auf die eigenen Transgressionen. Dadurch werden die beiden sanktionierenden Verletzungen der eigenen physischen Integrität nicht auf offener Bühne dargestellt, worin Aristoteles dieses Stück als vorbildlich erachtet, 246 sondern dem Blick der Zuschauer entzogen und in einen Botenbericht transponiert (v. 1223-1296). Dieses dramatische Mittel kommt also, so muß man nuancierend gegen Teuber festhalten, 247 im OT nicht bei der Transgression, sondern bei der Eliminierung zum Einsatz. Die Transgression liegt dagegen weit vor der erforschenden Handlung und kann deshalb nur in die Diegesis verbannt dargestellt werden. Zudem ist deren Sprecher anders als beim Botenbericht kein anonymer Dritter, der dramatisch allein die Berichtsfunktion erfüllt, sondern der Protagonist und Transgressor selbst (s. 2.4.1 Kollision am Dreiweg). Doch erscheint sie auch in der Rede (fast) aller anderen Figuren und durchzieht so leitmotivisch das Stück. Bei der Transgression wie der Eliminierung handelt es sich indes gleichermaßen um eine Transposition des Stoffs in eine andere Darstellungsweise, keine poetische Transgression. 246 Poet. 1453b 1-14 (vgl. dazu Schmitt Poetik 511 f.) führt sogar den Oidipus für die Forderung an, das Schauderhafte und Jammervolle dürften nicht durch die Anschauung bzw. Inszenierung ( ; also die Präsentation), sondern durch das Hören der Handlung ( bzw. ) hervorgerufen werden, womit er sich gegen eine verbreitete Ansicht (vgl. Douglas Cairns, A Short History of Shudder. In: Angelos Chaniotis, Pierre Ducrey (Hgg.), Unveiling Emotions II. Emotions in Greece and Rome. Texts, Images, Material Culture. Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien 55. Stuttgart 2013, 77-99, h. 93) stellte und - zumindest in binnenpragmatisch-intratheatralischer Hinsicht - nicht im Einklang mit dem Wortlaut des OT stand (so Cairns’ berechtigter Hinweis [2013: 94]), wo der Chor seine bei Oidipus’ Anblick bekundet (v. 1303-6; s.u.). Zu der mißverständlichen Formulierung der Todesfälle (Poet. 1452b 12; nicht „auf offener Bühne“, sondern „offensichtlich“) vgl. Schmitt Poetik 433, der für den Tod - wie bereits Lucas 134, der nuanciert weitere Beispiele anführt und auch die Sekundärliteratur diskutiert - auf der Bühne auf Sophokles’ Philoktet und Euripides’ Alkestis und Hippolytos verweist. Halliwell hält dagegen an der optischen (Be)Deutung fest (1986 „visible deaths“ (vgl. seinen Kommentar 119 a.l. „direct physical suffering“ und 131 „visual presentation“), 1999 „public deaths“) und verzichtet - wie Lucas 149 bzw. 99 (ad Poet. 1453b 1-14) - darauf, den Widerspruch zwischen der Empfehlung der beiden Stellen auszuräumen. 247 Näheres s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression in der Einleitung. 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 385 Oidipus’ anschließenden Auftritt als Bohrersche Erscheinung inszeniert 248 die Ankündigung des Boten, die auf die optische Erscheinung und Oidipus’ bemitleidenswerten Zustand (v. 1295 f.: […] ’ / - ’ ) abhebt (Ringer 1998: 80). 249 Da die Intratheatralität, die über die theatralische Optik und eine kanonische Form der emotionalen Rezeptionsästhetik funktioniert (vgl. Calame 1996: 26), hier nicht nur auf das thebanische Binnenpublikum, sondern auch in ihrer unspezifischen Formulierung auf das attische Bühnenpublikum zielt (v. 1223-1226: ’ … ’ / … ), das der dramatischen (und nicht bloß intratheatralisch fingierten) Figur Oidipus im verstümmelten Zustand nun auch zum ersten Mal ansichtig wird, ist sie unverkennbar metatheatralisch (Ringer gebraucht wieder nur diesen letzten Terminus). Die leitmotivische Frequenz der Ausdrücke für ‚sehen‘ spielt nicht nur auf den (Selbst-)Erkenntnisprozeß des analytischen Dramas und die zentrale Frage nach der menschlichen Erkenntnisfähigkeit an, sondern kann auch als eine Reflexion des Schauspiels und damit eine weiche Form des Meta-Theaters angesehen werden. 250 Ähnlich deutet Ringer auch die Wiederkehr von (v. 132) und (v. 1184) in Oidipus’ Rede als metatheatralisch (1998: 79). Zu Recht merkt er auch die Ironie an, die hinter dieser Wendung vom Aktiv zum Medium steht, vom Enthüller sei Oidipus selbst zum aufgedeckten Objekt geworden. Da Oidipus in v. 1184 f. seine Verbrechen des Vatermordes und Mutterinzests zusammenfaßt, wird deutlich, daß die Selbsterkenntnis und -reflexion der Figur und die Autoreferentialität der Gattung Hand in Hand gehen. Daß Oidipus den Auftritt nach seiner Blendung auch selbst inszeniere, wertet Ringer zu Recht als Metatheater bzw. Intratheater (1998: 85). Luzide verknüpft er diese metatheatralische Interpretation, die ja auch mit der kausalen Ambiguität des Erscheinens arbeitet, mit Karl Reinhardts These, der Oidipus Tyrannos sei eine Tragödie vom menschlichen Schein und Sein (1976: 108), in deren Verwechslung die Gefahr der menschlichen Hybris (1976: 126) liege (1998: 83). 248 Ringer verweist für den theatralischen Gehalt noch auf Charles Segal, Time, Theatre, and Knowledge in the Tragedy of Oedipus. In: Bruno Gentili, Roberto Pretagostini (Hgg.), Edipo: Il Teatro Greco e la Cultura Europea. Rom 1986, 459-489, h. 465 f., der hier Theatralität als Metatheatralität definiert („self-consciousness of the play as a theatralical spectacle“) und mit Oidipus’ Auftritt nach seiner Selbstblendung untermauert (ebenso Charles Segal, „Time and Knowledge in the Tragedy of Oedipus“, in: Sophocles’ Tragic World. Divinity, Nature, Society. Cambridge, Mass. 1995, 138-160, h. 143 f.). Mangels Belegen muß dagegen offenbleiben, inwieweit die Blendung auch auf der Maske sichtbar gemacht und damit auf das paradoxe Motiv der durch die Blendung gewonnenen inneren Einsicht (vgl. Segal 1980: 139 zur Rollenverkehrung zwischen Oidipus und Teiresias) nachgerade metatheatralisch angespielt wurde, wie Charles Segal andernorts vermutet (Visual Symbolism and Visual Effects in Sophocles. CW 74 (1980) 125-142, h. 126 f.). 249 Oidipus’ Schmerz ist bei seinem Auftritt nur zu erschließen und wird nicht verbal expliziert (s. Felix Budelmann, Körper und Geist in tragischen Schmerz-Szenen. In: Bernd Seidensticker, Martin Vöhler (Hgg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik. Berlin 2006, 123-148, h. 125 f.). 250 Richard Hornby, Drama, Metadrama, and Perception. Lewisburg 1986, 121, 129 scheint anzunehmen, daß die „self-consciousness“ des Dramas in dem Gebrauch der Verben für optische Wahrnehmung liege, der das Thema der Wahrnehmung („perception“) erweitere. 386 Ringer kann die metatheatralischen Implikationen von Reinhardts Interpretation an der ersten Strophe des dritten Stasimons festmachen (v. 1186-1196), mit der Reinhardt treffend seine Deutung untermauert, der OT sei „die Tragödie des menschlichen Scheins“, zu dem das Sein - wie bei Parmenides die zur (DK 28 B 1, v. 29 f.) 251 - hinzugedacht werden müsse (1976: 108). Denn in diesem Passus macht der Chor Oidipus, indem er das Menschengeschlecht apostrophiert (v. 1186: ) zum Exempel (v. 1193: - ) der auf Schein beruhenden condicio humana. Die beiden Bestandteile der Formel Ecce homo, die Präsentation und die condicio humana, auf die Reinhardt seine Interpretation bringt (1976: 143), sind hier augenfällig. Ringer zitiert zwar auch wörtlich und in englischer Übersetzung die besprochenen Verse (v. 1186-1196), macht aber seine identische Interpretation („[T]he Chorus sings its third stasimon, making Oedipus the „paradigm“ of the „tragedy“ of human „seeming“.“) weder an Reinhardt noch am griechischen Text fest (1998: 85). Außerdem hebt er - abermals ohne Anknüpfung an den zitierten Text - darauf ab, im Oidipus Tyrannos werde das theatralische Scheinen zur Enthüllung allen Scheins eingesetzt und analog sei die theatralische Täuschung eine weitere Form des Scheins des menschlichen Lebens (1998: 86). Mit dem metatheatralischen Charakter der anthropologisch universalisierenden Apostrophe (v. 1186: - ) vom thebanischen Binnen- und athenischen Bühnenpublikum, die gleichwohl in dieser Anrede inbegriffen sind, stützt er indes nicht seine Argumentation. Sehen und Erscheinen sind also, wie ausgeführt, das entscheidende Moment, über das Ringers metatheatralische Neuformulierung von Karl Reinhardts anthropologischer Interpretation glückt. Deshalb drängt sich förmlich die Frage auf, ob sich in diesen hermeneutischen Komplex - im Verbund mit Dieter Merschs These der Einheit von Sagen und Zeigen - noch andere Deutungen integrieren lassen, die auf Sehen und Erscheinen abheben, so Karl Heinz Bohrers epiphane Interpretation. 252 Diese Synthese kann aber nur dann zu einem vertieften Verständnis des Dramentextes und seiner scheinbar disparaten oder gar konträren Deutansätze führen, wenn man kein konziliantes assoziatives Konglomerat anrührt, sondern auf Schichtungen und Stufungen innerhalb des Dramas achtet und das genaue Verhältnis der unterschiedlichen interpretatorischen Blickwinkel klärt. Am sperrigsten ist sicherlich Bohrers pointierte Deutung, da sie allein auf Emotionalität und Epiphanie als ästhetisches Phänomen abhebt 253 und einer philosophischen (d.h. inhaltlichen und damit dramatischen) 251 Reinhardt verzichtet auf einen Beleg. 252 Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage. München 2009, 213-225. 253 Dabei zeigt er sich allerdings seinerseits anschlußfähig, weil er sich - doxographisch korrekt - auf Karl Reinhardt als seinen Vorgänger bzw. Wegbereiter beruft. Oidipus’ Haltung im Kommos des OT (v. 1313-1318) sieht Reinhardt nämlich als exemplarisch für „das Schwelgen im Furchtbaren, das Gemeng von Grauen und Wollust“ der attischen Tragödie an (1976: 140). Bohrer 2009: 224 zitiert diese Stelle und bemängelt nur das Fehlen einer „ästhetikrelevante[n] Erklärung“, die Reinhardt noch hätte hinzufügen müssen. Bohrers identitäre Rezeption von Reinhardt erfaßt nicht Punkte, auf welche die vorliegende Arbeit abhebt und die sich nur durch eine Modifikation erschließen. „Schwelgen“ suggeriert eine Opulenz, die Batailles ästheti- 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 387 Lektüre dieser Tragödie eine Absage erteilt (2009: 213 f., 220). Apodiktisch wird abschließend die eigene Lesart affirmiert und Jean Bollacks Deutung des Tragödienteils nach der Selbsterkenntnis, die der hier vertretenen sehr nahekommt (s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? ), als „nicht nachvollziehbar“ abqualifiziert (2009: 225). Gleichwohl mahnt Bohrers Ablehnung der These, Oidipus sei erst durch die Blendung sehend geworden (2009: 330), wie sie Segal vertritt (1980: 126 f.), dazu, bei einer genauen Lektüre des Dramas mit Aristoteles’ Poetik (1452a 20 f.) 254 das postea nicht mit dem propterea zu verwechseln. 255 Bohrer bespricht hier nur Passagen ab Vers 1225 (nur für das Sehen werden frühere Verse zitiert [2009: 219 f.]), also aus dem letzten Fünftel der Tragödie, das zur postidentifikatorischen Phase gehört, und liefert damit eine brillante Analyse der Ästhetik, die deren dénouement enthält, aber keine Deutung, die den exklusiven Anspruch erheben könnte, das Wesen dieser exemplarischen attischen Tragödie zu erfassen. Denn wie der epiphane Schrecken des dénouement ein Epiphänomen der Handlungsstation ‚Selbsteliminierung des Transgressors‘ ist, so reagieren die Elemente der Angst, die Bohrer in der vorausgehenden erforschenden Handlung ausmacht, auf die kollektive Eliminierung durch die Seuche und auf die schrittweise Entdeckung der Identität des verantwortlichen Transgressors, die umgekehrt in einem Wechselspiel durch die Angst vorangetrieben wird (Näheres s. 2.3 Die Suche nach der Identität des Transgressors in der erforschenden Handlung). Die Koppelung von Angst und Schrecken an unterschiedliche Handlungsstationen erklärt besser die Verteilung und Abfolge dieser engverwandten, aber doch bereits sprachlich klar geschiedenen Bedrohungsemotionen in Bohrers Modell als dieses selbst. Denn die Angst ist nicht nur in der stoischen Orthodoxie auf etwas subjektiv Zukünftiges (SVF III 391: ), der Schrecken dagegen auf etwas Vorliegendes, Gegenwärtiges gerichtet (SVF III 407-410). Gewiß läßt sich argumentieren, daß der Schrecken auf die Epiphanie reagiert, die bei der Angst noch nicht stattgefunden hat, die aber zweifellos wie die Anagnorisis ein offenbarendes Element aufweist. Dieses und das auch von Bohrer vertretene Schreckenspotential der Epiphanie sprechen dafür, Bohrers Epiphanie hier als ‚apokalyptisch‘ zu bezeichnen, da sie etwas Schreckliches enthüllt. Indes entfällt die sachliche Grundlage der Angst bereits mit der Anagnorisis. Das vierte Stasimon, das unmittelbar auf die Anagnorisis folgt, ist zwar auf weiten Strecken analytisch-kommentierend, weist aber zum Schluß die Elemente Jammer und den Wunsch, Oidipus nicht erblickt zu haben, auf (v. 1216-1220), die den Fortgang des Dramas prägen sollen. Es erfüllt also bei der Reaktion des dramenimmanenten Rezipienten eine Scharnierfunktion schem Konzept von Transgression entspricht (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White in der Einleitung). Es läßt sich rhetorisch als ausführliche Darstellung mit Hilfe von Metaphern nachweisen und hat innerhalb der Handlungsstruktur insofern seine Berechtigung, als es auf die Erkenntnis der Transgression reagiert. 254 [zu Peripetie und Anagnorisis] . 255 Die von Segal bemühten Verse 1394-1396 sind auch weniger Selbsterkenntnis des früheren, autosubversiv-brüchigen als eine Anklage des Polybos. 388 zwischen der Anagnorisis der Transgression und der Epiphanie der Selbsteliminierung. Diese beiden Stationen sind handlungslogisch und kognitiv verbunden: Die Erscheinung beruht auf der Ent-Scheinung, um Reinhardts Kategorie des Scheins in einem Neologismus aufzugreifen. Der Schein wird also nicht dichotomisch wie bei Reinhardt durch das Sein ersetzt, sondern durch die Anagnorisis mit diesem aufgeladen. Vor ihr ging er von den Objekten der Kognition aus (zu denen man bei dieser subjektiven Perspektivierung auch das kognitive Subjekt selbst rechnen kann), nach ihr geht er vom Subjekt aus und ist dessen sozialpräsentative Manifestation. Fein bemerkt Bohrer, die Tat, der er eine theatersemiotische Rolle zuweist, schaffe im Oidipus Tyrannos und in Aischylos’ Agamemnon eine „kategoriale Differenz“ zwischen auftretendem Gewalttäter und seinem Publikum, selbst wenn diese theatersemiotische Rolle nur perzeptiv-ästhetisch ist (2009: 217). 256 Diese luzide Beobachtung zeigt, wie fruchtbar Bohrers Ansatz trotz seiner emphatischen Sperrigkeit für eine Ästhetik der Transgression und Eliminierung ist: 257 Die Gewalt wird durch die Inszenierung vom Rezipienten distanziert. Weit konkreter bietet Bohrer Anknüpfungspunkte für eine Integration in das metatheatralische Paradigma: Wenn wir Bohrers Nachweis, der Chor reagiere mit Schrecken auf Oidipus’ Erscheinung (2009: 217 f.; v. 1306), mit Ringers Beobachtung kombinieren, daß ein interner Rezipient Mitleid mit dem König bekundet, dann haben wir mit den beiden Emotionen der aristotelischen Rezeptionsästhetik ein wesentlich vollständigeres Tableau, das die intratheatralische Lesart, aber auch die Vermutung stützen mag, daß der Stageirit seine beiden rezeptionsästhetischen Emotionen aus dem Oidipus Tyrannos gewonnen hat, den er auch in anderen Punkten als mustergültig erachtete. Mersch ist besser zu integrieren, da er keine Gesamtinterpretation der attischen Tragödie, sondern eine ästhetisch-semiotische Theorie vorlegt. Ihn eint jedoch mit Bohrer, daß beide die Gestuftheit des Sehens bzw. Erscheinens außer acht lassen. Diese geringe Nuanciertheit zeigt Bohrer bereits beim Begriff des Sehens. So behauptet er, die im Oidipus Tyrannos verwendeten Verben für „erblicken“ und seien „bedeutungsgleiche[n], griechische[n] Varianten“ (2009: 215). Das trifft allenfalls grob für ihr gemeinsames Denotat ‚sehen‘ zu. Semantisch und stilistisch unterscheiden sich diese Verben wie das von Bohrer nicht aufgeführte (v. 1524) durchaus. 258 Bei Homer ist , so Snell 1986: 15, von der freudigen Wahrnehmung des Sehenden begleitet: „[N]ie wird bei kummervollem oder ängstlichem Sehen gebraucht.“ Indes steht es in v. 1376 von dem unerwünschten Anblick, den die im Inzest gezeugten Kinder Oidipus böten. Auch in v. 1254 hat es den Anblick 256 „Wenn Oedipus geblendet die Szene betritt, dann zeichnet sich strukturell das gleiche ab, was im Falle von Klytämnestras Betreten der Szenerie nach der Ermordung Agamemnons stattfindet: beider Figuren blutbeflecktes Äußeres signifiziert eine furchtbare Tat, die zwischen ihnen und den Beobachtern auf der Bühne und vor der Bühne eine kategoriale Differenz setzt.“ 257 Bohrer weist zu Recht darauf hin, daß der (moralische) Unterschied zwischen Mord und Selbstmord in beiden Szenen keine Rolle spiele (2009: 217). 258 Bruno Snell, Die Entdeckung des Geistes. Göttingen 6 1986, 13-15. und sind in der klassischen Prosa ausgestorben (1986: 13). 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 389 zum Gegenstand, den der rasende Oidipus dem Boten bot, ähnlich steht es in v. 1524 in der Schlußbetrachtung von dem Blick, den das Publikum auf Oidipus hat, wobei der Chor den Blick des Publikums verbal antizipiert und vorgibt. Von dem Homerischen Sprachgebrauch ist also bloß geblieben, daß der Sprecher sein eigenes Sehen schildert (vgl. Snell 1986: 15); dessen emotionale Valenz ist nachgerade umgekehrt, wie ja auch die Handlung des Stückes von Peripetien und Aprosdoketa gekennzeichnet ist. kommt dagegen homerisch nicht in der ersten Person vor, weil es eine Art des Sehens charakterisiert, die man an einem anderen beobachtet (Snell 1986: 13-15). Im Oidipus Tyrannos wird dieses Verb in der Tat in Oidipus’ und Teiresias’ Auseinandersetzung nur für das Sehen des anderen gebraucht und formuliert die Paradoxien des Sehens und Nichtsehens. 259 Die verschiedenen Verben für ‚sehen‘ kennzeichnen also durchaus unterschiedliche Arten des Sehens, deren Semantik verschiedene Stationen des Dramas zugeordnet sind. Anders postuliert Bohrer 2009: 219 f. auch für den Teil des Dramas, in dem der Mörder des Laios noch gesucht wird, die Bedeutungsgleichheit der Wörter für ‚sehen‘, auch wenn er richtig bemerkt, „in den zitierten Beispielen [ist] nie ein unmittelbarer Wahrnehmungsakt gemeint, sondern die Kapazität des Sehvermögens selbst.“ Neben den semantischen Unterschieden gilt es ebenso differenzierend auch die narratologisch-perspektivische Stufung des Sehens zu berücksichtigen. Dabei ist zuerst gegen Mersch festzuhalten, daß Sagen und Zeigen/ Sehen, von denen jenes der dramatischen Repräsentation und dieses der theatralischen Präsentation entspricht, zwei verschiedene, aufeinander aufbauende Modi sind, da der Bote berichtet, was er von Iokastes Selbstmord und Oidipus’ Blendung gesehen (und gehört) hat (v. 1237-1296). Diese Darstellung ist bereits ein deutlicher Akt der Distanzierung von der doppelten Selbstbeschädigung der physischen Integritätsverletzung. Beide Darstellungsmodi werden explizit negativ miteinander verbunden, wenn der Bote eingangs sagt, ihm fehle die Sicht und deshalb auch das Schmerzhafteste des Geschehens (v. 1237 f.): - / . Die Eliminierung wird also optisch eliminiert, außerdem die klassische Dämpfung (s. 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors in der Phaedra-Interpretation) explizit formuliert und Bohrers Schrecken in den Diskurs verbannt. (Dabei wird jedoch der grundsätzliche Nexus zwischen Anblick und Schrecklichkeit affirmiert.) Bohrer postuliert, „Oedipus’ eigene Wahrnehmung des furchtbaren Anblicks der toten Gattin und des Dieners Wahrnehmung von der Selbstblendung des Königs [seien] parallelisiert“ (2009: 215) und es werde „nicht unterschieden zwischen Oedipus’ Anblick der Königin und dem Anblick Oedipus’ durch den Diener bzw. durch den Chor und die Zuschauer“ (2009: 219). Doch trifft diese Parallelität und Gleichartigkeit des Sehens bei dem Boten, dem Chor und Oidipus vielleicht auf die Art des Sehens und auch bei der 259 [Oidipus] / . (v. 388 f.), [Teiresias] (v. 413), [Teiresias] / / - . (v. 454-456). 390 Erzählung von der Entdeckung der toten Iokaste zu, 260 nicht jedoch auf die abermals negative Perspektivik des Sehens am Beginn dieser Szene (v. 1252- 1254): 261 Oidipus verhindert durch sein rasches Eintreten in den Vorraum, daß die Dienerschaft, aus deren Perspektive der Bote in der ersten Person Plural erzählt, Iokastes Selbstmord sehen kann. Sehen können sie nur seine physische Bewegung vor dem Tor (v. 1254: ). Treffend erklärt Dawe 183 a.l. den Zusammenhang: Der wütende Oidipus zieht die Aufmerksamkeit auf sich und verhindert so den Anblick von Iokastes Ende. Die beiden eindeutig optischen Verben und lassen sich in der Tat nur (inter)subjektiv, d.h. als Wahrnehmung des Chores, die Oidipus beeinflußt, erklären, da die von Iokaste verschlossenen Türen (v. 1244) erst in v. 1261 f. von Oidipus aufgebrochen werden und so bereits objektiv die Sicht verwehren. Der Blick der Diener ist das Medium, durch das diese Szene wie durch eine Kamera perspektivisch dargestellt wird. Indem der wütende Oidipus die Blicke auf sich zieht, usurpiert er die Funktion eines Kameramannes. Es ist nun eine dritte Person, nämlich nach Deutung des Boten ein , keiner der Männer, der dem rasenden Oidipus das Geschehene zeigt (v. 1258: ). Hier wird der kausale Modus des Sehens, Merschs Zeigen, mit einer lexikalischen Klarheit, die nichts zu wünschen übrigläßt, absolut, d.h. ohne transitives Objekt, faßbar. Durch die Verbindung mit dem Daimon wird das Zeigen eindeutig als Modus der Souveränität markiert. In der Binnenhermeneutik dieser Szene wird also eine Gottheit zum Regisseur. 262 Auch der König Oidipus wird in der Folge praktisch, wenn auch nicht lexikalisch explizit und unfreiwillig, zum Zeiger, als er die Doppeltür aufbricht und so der Dienerschaft den Anblick der erhängten Gattin verschafft (v. 1263: - ). Die Bezeichnung ‚Frau‘ statt etwa ‚Königin‘ betont hierbei Oidipus’ Perspektive. Hierdurch klingt abermals dessen deiktische Funktion an: Die Dienerschaft sieht dank ihrem Herrn und perspektivisch (nicht physiologisch) mit dessen Augen. 263 Wie Oidipus der Dienerschaft durch sein Eintreten die Sicht unbeabsichtigt nahm, so gibt er sie ihr nun unbeabsichtigt wieder. Ebenso war auch sein eigener Anblick der toten Gattin nicht von ihm, sondern einem Daimon verursacht. Das kontingente Sehen der Eliminierung, das im Falle der erhängten Gattin kein bloßes Wahrnehmen eines Objekts, sondern einer Prädikation ist, d.h. eine Form des Erkennens, bei dem zwei Entitäten zusammengesehen werden, ist damit ein motivisches Äquivalent des kontingenzbedingten 260 [Bote] v. 1263: ~ [über Oidipus] v. 1265: ’ […]. 261 . 262 Mit demselben Verb kündigt sogar die Gottheit Athene im Aias an, daß sie Odysseus den wahnsinnigen Aias zeigen werde (v. 66: ). Das foretelling tritt hier also als weiterer Modus metatheatralischer Souveränität zum showing. 263 Richtig erfaßt auch Bohrer den Sachverhalt (dessen narratologische Perspektivierung seine These unterläuft, die Sehakte seien parallel), aber eben nicht den Textbefund (2009: 217): „Oedipus erblickt die tote Gattin, der Bote erblickt Oedipus’ Erblicken.“ 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 391 Erkennens der Transgression, die ebenfalls die Identität mehrerer Entitäten aufdeckt. Die Kontingenz des Zeigens ändert jedoch nichts daran, daß das Aufsprengen der Doppeltür (v. 1261) nicht nur dem späteren leibhaftigen Bohrerschen Erscheinen des Oidipus vor dem Chor, dem Sichzeigen, sondern auch Merschs Kategorie des Zeigens hier eine eminent intratheatralische Funktion verleiht. Das trifft auch bereits lexikalisch auf die Negation der Sicht zu (v. 1253: ). Das Sehenmachen ist mechanisch zugleich ein Akt der topologischen Transgression, ja Penetration. 264 Das gewaltsame Aufsprengen der Doppeltür (v. 1261: ’) symbolisiert das Aufsprengen der Verbindung von Mutter und Sohn, bei dem an der Mutter mit dem Inzest eine transgressive Doppelfunktion stattfand, die nicht nur diese (v. 1249 f.: / ’ ), sondern auch ihr Sohn beklagt (v. 1257: ). Gerade in Iokastes Klage manifestiert sich im noch dazu doppelten Polyptoton, daß die Transgression in der Iteration der Reproduktion derselben Person mit unterschiedlichen Personen besteht, die bereits in anderer Funktion an der Reproduktion beteiligt waren. Die eigene Mutter darf eben nicht die Mutter der eigenen Kinder werden, der eigene Sohn nicht der Vater weiterer Kinder. Die Doppelung, die sich in der Klage fortsetzt - der Chor äußert sein Verständnis, daß Oidipus durch die seelische Erinnerung und die physische Selbstverstümmelung doppelte Übel betrauere und beschreie (v. 1319 f.) 265 -, prägt in dieser Tragödie also Transgression und Eliminierung, selbst in der Iteration der eliminatorischen Selbstblendung. Die mehrfache Iteration ( ) könnte wegen des Enjambements auch als Apokoinu angesehen und auch auf Oidipus’ Begründung für seine Blendung bezogen werden, 266 hat also eine ähnliche Doppelfunktion, wie Iokaste sie reproduktiv ausübt (v. 1275 f.: ’ / ’ ). Wie in Euripides’ Medea (s. 3.4 Tragik und dimidiata dyas in der Interpretation dieser Tragödie) ist die Doppelfunktion insofern tragisch, als sie an die Eliminierung geknüpft ist. An Oidipus’ Gesängen wird bereits ersichtlich, daß die berichtete Eliminierung anders als die berichtete Transgression, die sich in gespenstischer Stille vollzog, von menschlichen Stimmäußerungen begleitet wird (v. 1252). Im Schrecklichen laufen Sehen und Hören nicht nur parallel, sondern sie bauen aufeinander auf, weisen also 264 Rabinowitz 1992: 44, die sehr subtil alle möglichen Elemente von Gewalt gegen Iokaste und ihrer Erniedrigung aufspürt, weist zu Recht auf die gender-spezifischen Unterschiede am Akt des Zeigens und Schauens hin, die sich mit der pornographischen Distribution der Kausalitäten deckten: Der ausgestellte Körper gehöre einer Frau, Zeiger und Zuschauer seien Männer: „The representation of Jocasta’s violation is a form of pornography, and it contributes to the creation of masculine subjectivity.“ 265 ’ / [v.l. ] . 266 Jebbs Übersetzung („refrain“) geht vom Apokoinu aus; den Bezug der Multiplikativadverbien auf das Singen vertritt er im Kommentar und untermauert ihn mit einer treffenden Parallele (S. Aj. 292: ’ ’, ’ ). Dawe 184 a.l. vermerkt hierzu nichts. Bollacks und Manuwalds Übersetzungen beziehen die Frequenzangabe nur auf die Selbstverstümmelung, Steinmanns weist ein Apokoinu auf. 392 abermals das Strukturmerkmal der Gestuftheit auf. Oidipus’ Blendung bietet einen schrecklichen Anblick (v. 1267: ’ ’ ). Zusätzlich zu diesem optisch Schrecklichen ist das akustisch Schreckliche anzutreffen, wenn er just beim Anblick seiner toten Gattin und Mutter schrecklich brüllt (v. 1265), wie er bereits beim funktional deiktischen Aufbrechen der Tür schrecklich geschrieen hat (v. 1260). Im ersten dieser beiden Fälle baut also die Akustik auf der Optik auf, im zweiten geht sie der Optik voran. Die sinnliche Fülle dieser sukzessiven Bikanalität läßt sich noch steigern. Die starke sinnliche, akustische wie optische, ja farbliche (v. 1276: ) Sättigung verleiht nämlich dem Botenbericht eine plastische, nachgerade filmische Ästhetik. Sie kontrastiert auffallend mit der fortschreitenden sinnlichen Selbstverstümmelung des Oidipus, der sich als Reaktion auf die Erkenntnis seiner transgressiven Identität nach dem Gesichtssinn am liebsten auch den Hörsinn rauben würde (v. 1384-90) und dem schließlich nur noch der Tastsinn bleibt, eine Entwicklung fortschreitender sensorischer Selbstentäußerung, die Calame 1996: 23-25 nachgezeichnet hat. Die Transgression katapultiert also aus der sensorischen Normalität in zwei Extreme hinaus. Dramenästhetisch resultiert sie nämlich in der Sättigung, die an Batailles vitalästhetische Transgressionskonzeption erinnert (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White in der Einleitung), figural führt sie zur Negation der Sinne. Mit der Selbstblendung und dem Wunsch, taub zu sein, negiert Oidipus die beiden zentralen Kommunikationskanäle des Schauspiels und des verbal dargebotenen Dramentextes (Calame 1996: 28). Die sensorische Eliminierung hat damit eine metatheatralische Implikation. Oidipus beendet so zumindest für sich selbst das Drama der Transgression. LSJ 747 s.v. führen nur die vorliegende Stelle (v. 1275) unter der Bedeutung „sing a dirge or mournful strain“ an. Das Bild des blinden Sängers, auch wenn er hier diesen Zustand selbst herbeiführt, hat in der griechischen Literatur sicher eine metapoetische Bedeutung, die wegen des klagenden Einschlags an der vorliegenden Stelle als Form der Metatragödie angesehen werden kann. Bohrers Verständnis der griechischen Tragödie als Gesänge von Angst und Klage läßt sich hier also problemlos mit einem metatragischen verbinden, wenn Oidipus als der blinde Sänger seines eigenen Klageliedes auftritt. Der Inhalt des Klageliedes ist jedoch die paradox formulierte Begründung der Blendung, Oidipus’ Augen sollten fürderhin im Dunkeln diejenigen sehen, die sie nicht hätten sehen sollen, und diejenigen nicht erkennen, die sie hätten erkennen sollen (v. 1273 f.: ). Bohrer weist deshalb zwar zu Recht darauf hin, die Analogie von Sehen und Erkennen, mit welcher die Teiresias-Oidipus-Szene operiere, setze sich nicht insofern fort, als Oidipus erst als Blinder sehend geworden sei (2009: 220). Er blendet jedoch die zitierte Begründung aus, die den Verlust des Augenlichts und die mangelnde Erkenntnis bzw. Anagnorisis der Identität der Familienangehörigen korreliert. 267 (Nicht-)Sehen(können) und Erkennen stehen mithin nicht mehr in einem analogischen, sondern in einem argu- 267 Für den Zusammenhang von (Nicht-)Sehen, Blindheit und Erkenntnis bei Sophokles s. Buxton 1980: 22-37. 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 393 mentativen Verhältnis. Erkenntnis und Gesang sind also kausal verbunden, Oidipus wechselt seine Rolle vom Erkennenden zum Sänger. Genuin Dichterisches ist freilich nicht von ihm zu vernehmen. Die soziale und die physische Integritätsverletzung läßt Oidipus nur verbal in einer aposiopetischen Selbstbeschimpfung die Grenzen der sprachlichen Konvention überschreiten (v. 1289, s.u.). Eine poetische Transgression, welche die soziale und die physische Integritätsverletzung sagbar macht, ist dagegen die anschließende Metapher des Boten in den Versen 1278 f., 268 die jedoch wegen ebendieser poetischen Kühnheit von West und Lloyd-Jones und Wilson athetiert wurden. Abschließend läßt sich also festhalten: Die Metapoetik des Sängers erschöpft sich in seiner Rolle als solcher, d.h. im Formalen; das, was er vorträgt, ist davon autonom. Zu diesem im weitesten Sinne Formalen gehört auch das intratheatralische Moment der Blendung, das gegen Bohrers Relativierung der Korrelation von Sehen und Erkennen geltend gemacht werden muß: Die Blendung erfährt nämlich eine besondere Inszenierung, da nicht nur die Eliminierung optisch eliminiert wird, sondern in einer Art performativer Autoreferentialität des Dargestellten, die mehr ist als die bloße Übereinstimmung von Gehalt und Gestalt, der Verlust des Augenlichts den Augen der Zuschauer entzogen wird. Dieses intratheatralische Moment wendet sich im folgenden von der Negation zum Positiven. Oidipus gibt nämlich dem Binnenpublikum die Wahrnehmung seiner physischen Integritätsverletzung (zurück), die er ihm zuvor entzogen hat. Hier tritt Oidipus als Regisseur seines Auftritts in Erscheinung, der blinde Sänger hat also eine intratheatralisch präparative Funktion. Diese Regietätigkeit ist in den Abschluß des Botenberichts eingebettet (v. 1287-1296). Durch den Befehl, die Tür zu öffnen, bleibt Oidipus sozialer und intratheatralischer Souverän, diesmal wohlüberlegt und -begründet. Denn er verfolgt dabei den Wunsch, allen Thebanern den Vatermörder und den Mutter ... (hier steht die oben besprochene Aposiopese und Fluchrede) zu offenbaren und ihn gemäß seinem eigenen Fluch aus dem Lande zu werfen (v. 1287-1291). Transgression und lokale Selbsteliminierung durch Exklusion aus der Polis, nicht irgendein panischer Schrecken, sind also der Anlaß und harte Inhalt des Intratheaters. Das Vergehen wird vor der gesamten Bürgerschaft ausgestellt. Oidipus stellt sich soziopsychologisch selbst an den Pranger. Statt sich in Scham im Inneren des Hauses zu verkriechen, sich bloß durch Inklusion im Oikos - wie Medea eingangs des gleichnamigen Euripides-Dramas aus Gram - lokal selbst zu eliminieren, präsentiert der Transgressor seine Schande der Öffentlichkeit (und steigert sie subjektiv so noch in nachgerade masochistischer Weise, welche die Selbstverstümmelung fortsetzt). Das Intratheater fungiert somit auch in der szenischen Soziopragmatik als Medium, das die Publizität der Transgression herstellt. Allerdings beschränkt sich der Brückenschlag zum Anfang der Tragödie darauf, daß Oidipus die damals angekündigte lokal-eliminatorische Sanktion vollzieht und darum bittet, ihn aus dem Land zu werfen (v. 1290). Denn er präsentiert nicht den eingangs öffentlich gesuchten Mörder des Laios. Hier schließt sich der Kreis also nicht. Die Präsentation von Laios’ Mörder brächte qua Antwort auf 268 ’ / † † . 394 die Leitfrage des Stückes ein dialogisches Element in die Dramaturgie, dessen Fehlen Bohrers Skepsis gegenüber dem dialogischen Progreß in einem Punkt bestätigt. Statt dessen stellt Oidipus mit Vatermord und Mutterinzest sein individuelles, intrafamiliäres Vergehen aus, das nur von ihm begangen werden konnte. Dies ist nur implizit soziopublik, weil auch sein Status als inzestuöser Transgressor auf gesellschaftlicher Normierung beruht, was die öffentliche Darstellung konsequent macht. Der individuelle Aspekt, auf dem die Monstrosität der Transgression beruht, wird also auch bei ihrer Präsentation in den Blick genommen. Die Individualisierung der Transgression erfährt in der Präsentation insofern eine besondere und adäquate Fokussierung, als hier ein einzelner dem Kollektiv gegenübertritt. Mit der Singularisierung in der Transgression und deren Präsentation geht ein verbales Insistieren auf der Singularität einher. Dieses bemüht auch Bohrer als Beleg dafür, daß es Oidipus nicht um Schuld und deren Buße, sondern wie bereits in v. 8 ( ) um „Einzigartigkeit, nun des Leids[,]“ gehe (2009: 218): In v. 1414 f. sage Oidipus, daß keiner der Sterblichen seine Übel zu ertragen ( ) in der Lage sei. Pragmatisch liegt hier allerdings keine „Selbstauszeichnung“ vor, da Oidipus mit dieser Selbstcharakterisierung den Chor bittet, ihn ohne Furcht zu berühren und ins Meer zu werfen. Er will also dessen Bedenken einer kontagiösen archaischen Befleckung, wie die Kreusa-Szene sie in Euripides’ Medea bietet (v. 1202 f., 1206-1217), mit dem Hinweis auf seine Singularität zerstreuen. Die Singularität der Eingangsszene ist nicht durch das hier auch gewährleistete Erfordernis bedingt, den Protagonisten am Eingang des Dramas bühnenpragmatisch zu identifizieren (in diesem Fall hätte auf verzichtet werden können), auf das Dawe a.l. hinweist. Sie muß allerdings in einem entscheidenden Punkte abgeschwächt werden: Bohrer gibt entsprechend Wolfgang Schadewaldts Übersetzung 269 den Positiv superlativisch mit „der Berühmteste“ wieder, während Kurt Steinmann („der Berühmte“) und Bernd Manuwald („der bei allen berühmte Ödipus genannt“) getreuer übersetzen. 270 Oidipus ist hier in seiner horizontalen Orientierung auf die Mitmenschen bescheidener als Odysseus, so Dawes Hinweis a.l., der seinen Ruhm in vertikaler Achse preist (Od. 9.20): . An beiden besagten Stellen des OT geht es um eine Singularisierung gegenüber einer human-pluralen Totalität (vgl. Dawe 71 a.l.: „ is probably masculine, ‘in the eyes of all’, not neuter.“). 271 Sie wird in der Eingangsszene von dem Priester geteilt, der als Sprecher einer solchen human-pluralen Totalität fungiert (v. 40: ). Diese Gemeinsamkeit darf jedoch nicht den Blick auf die Unterschiede verstellen, die bei Bohrers 269 Griechisches Theater. Frankfurt a.M. 1964, 143. 270 König Ödipus. Stuttgart 2002, 5. Vgl. Solgers adäquate poetische Übersetzung (S. 397): „In allem Volke rühmlich Ödipus genannt.“ 271 Diese wird bei zumindest der strukturellen Semantik nach auf eine Gruppe eingeschränkt, da dieses Adjektiv auch als Königsattribut fungiert (Dawe 71 a.l.). Auch hier zeigt sich wieder die Relevanz der sozialen Beziehungen für die Identitätsbestimmung. 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 395 Hinweis auf Kontinuität in Singularität und Erscheinen zu kurz zu kommen drohen (2009: 218): „Er erscheint sich am Anfang und am Ende als einer, der den anderen als etwas erscheint: Selbstauszeichnung im Medium der Wahrnehmung durch andere.“ In v. 8 liegt die Totalität subjektiv im Publikum ( ), in v. 1414 f. wird sie anthropologisch objektiv formuliert ( ). Eine Erscheinung liegt sensu stricto nur in v. 8 vor, in v. 1414 f. präsentiert sich Oidipus seinem Binnenpublikum. Hier ist im eigentlichen Sinne der Reinhardtsche Wechsel vom Scheinen zum Sein im Ecce festzustellen. Denn in v. 8 läßt der Zusatz 272 den vorausgehenden Ruhm von einem fait social zu einem fait (socio)linguistique werden und damit in der syntaktischen Mikrostruktur bereits ganz am Anfang des Dramas dessen kataklystische Peripetie auch bei der Identitätsfrage erkennen. 273 Indem dieser Zusatz auf die sprachlich vermittelte Identität hinweist (und damit gegen Mersch auf die Relevanz des Sagens), läßt er auch ihre Brüchigkeit im Falle des Oidipus anklingen. Denn die Etymologie dieses Namens läßt zudem die umschlagsträchtige Herkunft und Identität ihres hier sprechenden Trägers durchscheinen, der freilich noch nichts von ihr zu ahnen scheint. Dieser Vers wirft also in dramatischer und tragischer Ironie seine Schatten auf die Entdeckung von Oidipus’ wahrer Identität voraus, die in v. 1414 f. offenkundig ist. Zwischen den beiden singularisierenden Selbstvorstellungen besteht durch das ausgeführte Verhältnis der beiden Verse ein tiefer dramaturgischer Zusammenhang tragischer Ironie. Dieses makrostrukturelle Merkmal der Handlung und die von Bohrer favorisierte Erscheinung als singulär stehen also bei der Autosingularisierung des Oidipus im Zentrum der tragischen Kunst. Aber kommen wir zur Ankündigung von Oidipus’ Auftritt in v. 1287-1293 zurück, die der Epiphanie das Bohrersche Moment der Plötzlichkeit nimmt und damit das Intratheater, das sich in der Epiphanie vollzieht, zumindest partiell als dramaturgischen Blocker dieser Kategorie erweist: Die Autoreferentialität prägt Inszenierung und Eliminierung gleichermaßen. Erst danach folgt mit der Ankündigung des Boten (v. 1294) der lexikalische Brückenschlag zu Merschs Kategorie des Zeigens und damit ein weiterer Beleg dafür, daß diese Größe sich bestens zur Beschreibung des Intratheaters eignet. Und erst am Schluß steht die Ankündigung von Oidipus’ mitleiderregendem Anblick (v. 1295 f.). Das Mitleid ist hier anders als bei dem Hirten, der Oidipus aus dieser Regung heraus verschont hat und den Ringer für das Metatheater bemüht, klar 272 Für die komplexe syntaktische Deutung dieses Verses s. Bollack 1990: Bd. 2, 8 f. a.l. Er geht zumindest von einem Apokoinu-Bezug von auf und aus, zwischen denen es steht. Denkbar wäre eine derartige syntaktische Ambivalenz auch bei (vgl. die gleichfalls partizipiale Univerbierung in Od. 12.70 [Getrenntschreibung bei von der Mühll und van Thiel, Zusammenschreibung dagegen bei Allen]), das Jebbs rein alternative Distribution allerdings klar zuordnet (1893: 11). 273 Bohrers phänomenologisches Egalisieren der beiden Stellen übersieht, daß sie auch in anderer Hinsicht ein schlagendes Beispiel für den Umschlag von Oidipus’ Bild sind, der seiner liminalen Identität geschuldet ist (vgl. Jean-Pierre Vernant, Ambiguïté et renversement. Sur la structure énigmatique d’Œdipe-Roi (1972). In: Ds., Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1153-1181, h. 1159 f.). 396 intratheatralisch, weil es sich auf den Anblick der Figur bezieht, die sich als Reaktion auf die Erkenntnis ihrer tragischen Transgression in einen bemitleidenswerten Zustand versetzt hat. Diese Ankündigung zeigt, daß die Zurschaustellung menschlichen Leidens nicht nur Schrecken wecken kann. Auch der Chor reagiert auf Oidipus’ Erscheinung nicht nur mit dem Schrekken, auf den Bohrer auch hier abhebt (2009: 218). 274 Wenn der Chor die Selbstverstümmelung einem Daimon zuschreibt, den Bohrer bloß mit der entsprechenden Erklärung der Bluttat im Agamemnon (v. 1174 f.) 275 parallelisiert (2009: 217), so versucht er, den optischen Schrecken zu rationalisieren. Die Unerträglichkeit von Oidipus’ Anblick und der Schauder 276 rahmen die verzweifelte Suche des Chors nach einer Erklärung (v. 1303-1306). 277 Der optisch induzierte Schrecken und die Suche sind dialogisch, was am Apokoinu von ’ augenfällig wird, das trotz des Kommas in der Ausgabe von Lloyd-Jones und Wilson allein durch die Elision an das folgende participium coniunctum angeschlossen wird. 278 Der letzte Schritt der rationalen Erfassung ( ) läßt wieder die Ambivalenz von Sehen und Erkennen anklingen, und damit neben der Emotionsauslösung einen weiteren wichtigen Aspekt der optischen Wahrnehmung. Wieder ist die optische Negativität anzutreffen, diesmal ergibt sie sich aus der Selbstnegation des schrecklichen Anblicks, der zum Anstoß des Fragens wird. Die Aisthetik des Schreckens ist also keinesfalls isoliert, sondern liefert den Anstoß zur Rationalisierung - und zur dialogischen Diskursivierung in Form der Fragen an Oidipus. Daß der Schauder die Fragen nachgerade erstickt, kommt nicht nur darin zum Ausdruck, daß er die Äußerung des Chores abschließt, sondern auch in der Abfolge der Artikulationsstellen in diesem Wort selbst ( ), die von den Lippen über Zunge und Zahndamm zum Gaumen und damit immer weiter auf die Kehle zu verläuft. 279 Diese Abfolge mag dem vorfindlichen Sprachmaterial geschuldet sein, doch wird sie dadurch zum dichterischen Zeichen, daß das nachfolgende Verb sie ebenfalls aufweist. 280 Die Härte 274 „Der Schauder des Anblicks ist das einzige Wort, das dem Chor in den Sinn kommt.“ 275 Bohrer verzichtet hier auf eine Versangabe. 276 Der epiphane Charakter dieser Szene wird auch dadurch gesichert, daß häufig als Reaktion auf optische oder akustische Wahrnehmung übernatürlicher Epiphanien auftritt (Cairns 2013a: 88), wobei an der vorliegenden Stelle der göttliche Hintergrund hinter den Ereignissen (Cairns 2014: 94) hinzukommt. 277 . 278 Dawe wählt die Textgestaltung und damit dieselbe syntaktische Zuordnung wie Lloyd-Jones und Wilson. 279 Diese ins Innere des Artikulations- und Respirationstraktes gerichtete Bewegung läßt sich selbst dann feststellen, wenn man zugrunde legt, daß die phonetische Terminologie bei der Artikulationsstelle nicht mehr auf die Beteiligung der Kehle (‚Gutturale‘), sondern der Mundhöhle (‚Tektale‘) abhebt. 280 Dieses Wort erhält übrigens den dramentheoretischen Ritterschlag von Aristoteles’ Poetik, wie bereits Calame 1996: 26 bemerkte. Arist. Poet. 1453b 5 gebraucht vor und innerhalb der systematischen Matrix statt . Dabei exemplifiziert just Oidipus’ Stoff 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 397 und das Stakkato des Schauders werden noch dadurch untermalt, daß in beiden Wörtern sämtliche Okklusiva Tenues sind. Dies gerät leicht aus dem Blick, wenn man an die postklassische Aussprache der Aspiratae als Frikative gewöhnt ist, die sich ja auch in den modernen Fortsetzungen von findet, das im Neugriechischen mit unveränderter Bedeutung und in rum. fric ‚Angst‘ weiterlebt. Auch an der Reaktion des Chores läßt sich zeigen, daß die Monstrosität, die der Transgression und der Verletzung der eigenen Integrität innewohnt, einen Anhaltspunkt bietet, um den Ansatz der vorliegenden Arbeit mit denjenigen von Mersch und Bohrer in Einklang zu bringen. Das ästhetische Merkmal des Monströsen ist dabei die Abkehr des Blicks. 281 Diese Abscheu ist dem Bohrerschen Schrecken engverwandt. Das ethische Empfinden wird hierbei aisthetisch vermittelt. Die Unansehbarkeit war bereits dem Geschlecht zu eigen, das Oidipus laut der Prophezeiung zeugen sollte (v. 790-793). 282 Das Monströse wird also in die biologische Matriatur des Inzests verlegt, weil die Transgression, der Tabubruch selbst, schwerlich iterierbar und reproduzierbar ist. Auch der Chor kann den geblendeten Oidipus wegen des Schauders, den er einflößt, nicht ansehen (v. 1303-1306). Die etymologische Bedeutung von m nstrum, das von mon re abzuleiten ist, „Mahnzeichen, Weisung der Götter durch widernatürliches Ereignis“, 283 schlägt eine Brücke von Merschs Zeigen und der religiösmantischen Ebene, die im OT die Handlung vorantreibt, zur späteren Semantik der unansehnlichen Deformität. Kreon unternimmt einen Versuch, Oidipus’ Intratheater zu beenden, indem er ihn ins Haus bittet, da solche Übel zu sehen oder zu hören Familienangehörigen vorbehalten sei (v. 1424-1431: ). Er will also die Grenzen zwischen der Privatheit des Oikos und der Öffentlichkeit der Polis wiederherstellen und dazu jene Wahrnehmungskanäle eliminieren, über die Oidipus’ Verhalten im Botenbericht nach außen vermittelt wurde. Seine Intervention markiert Oidipus’ Intratheater als soziale Transgression und schamverletzend sowie sensu generali exhibitionistisch. Oidipus überbietet die szenische Eliminierung jedoch noch durch den immer noch öffentlichen Wunsch nach territorialer (v. 1436 f.). Dieser vollzieht sich in der Exodos wie in den Persern symbolisch: der Auszug des Königs steht für dessen Exil wie der Auszug des persischen Kronrats für den Abzug der großköniglichen Armee. Oidipus’ Intratheater setzt sich also trotz Kreons Intervention fort. Zudem inszeniert sich Oidipus noch über seine Selbstpräsentation und angekündigte Selbsteliminierung hinaus als metatheatralische Instanz, wenn er sei- ( ) die Forderung, daß diese Emotionen sich rein beim Hören und ohne Aufführung aus der Handlung ( ) einstellen müßten (s.o.). 281 In anderen Fällen läßt der Blick des (weiblichen) Monstrums den Mann erstarren, vgl. Christian Grünnagel, Klassik und Barock - Pegasus und Chimäre. Französische und spanische Literatur des 17. Jahrhunderts im Dialog. Diss. Heidelberg 2009. Heidelberg 2010, 298. 282 . 283 WH II 109 f. s.v., Ernout/ Meillet 413 s.v.; de Vaan 387 s.v. moneo „prodigy, sign, monster“. 398 nen Töchtern vorhersagt, sie würden von keiner Feier (v. 1490: ) und Zusammenkunft ohne verweinte Augen zurückkommen, statt das Schauspiel (v. 1491: ) zu genießen (v. 1489-1491). Oidipus’ monströse Transgression hat nicht nur ihn zur organischen Blendung veranlaßt, sondern wird auch seine Töchter noch über seine Eliminierung hinaus am öffentlichen Anblick hindern. An seinen Töchtern vollzieht Oidipus mit dem Entzug des Schauspiels das Gegenteil dessen, was er seinen Mitbürgern mit seinem schrecklichen Anblick gewährt. Das Thema des (Nicht-)Sehens setzt sich damit fort und bleibt mit dem (Mit-)Leid verbunden. Durch die Fortschreibung des Schauspiels in die Zukunft wird es im diachron-sukzessiven Sinne zu einem Meta-Theater. Fassen wir - auch als Grundlage des nächsten Kapitels - zusammen: Die dramatische Metapoetik konzentriert sich im OT auf die postidentifikatorische Phase und verfährt dort, sofern philologisch unstrittig, subtil und komplex, da sie die Gesetze der Mimesis nicht subvertiert, sondern nur thematisiert. Die dramatische Metapoetik ist dadurch teils dramensemiotisch, daß sie Oidipus’ Selbsterkenntnis nicht bloß darstellt, sondern qua selbstreflexive Figur spiegelt. Daß die Formen dramatischen Selbstbezugs, welche für diese Arbeit wichtige Formen der poetischen Transgression darstellen, in der erforschenden Handlung eher spärlich vertreten sind, hat seinen Grund darin, daß dieses analytische Drama nur dann funktionieren kann, sprich: eins sich aus dem anderen ergibt (vgl. Arist. Poet. 1451a 32-34), wenn das und die mimetische Illusion gewahrt bleiben, die das Metatheater transgrediert. 284 Die Stringenz des explorativen Handelns und des Erforschten bildet wie ein Zeichen die Notwendigkeit der vergangenen Handlungsschritte ab. Des weiteren wird an dieser Tragödie offenkundig, daß das Tragische nur durch die strikte Wahrung der mimetischen Illusion seine Wirkung entfalten kann und vom Metatheater, das sie durchbricht und als Spiel entlarvt, konterkariert wird. Die dramatische Kunst kann im König Oidipus also nicht im per se Transgressiven und Subversiven gesucht werden, sondern in der stimmigen und trotzdem äußerst komplexen Gestaltung der Handlungsstruktur, die in sich kohärent und mit extradramatischen Gesetzmäßigkeiten vereinbar ist (vgl. Arist. Poet. 1451a 36-1451b 33), 285 also in dem Gegenteil dessen, worauf die Komik der Alten Komödie beruht. Die hohe (Handlungs-)Kohärenz dieser Tragödie zeigt sich auch darin, daß Metatheater, Intratheater, dramatische Ironie und andere Formen des Subversiven keine isolierten poetischen Transgressionen sind, sondern oft eine dramensemiotische Funktion haben, weil sie, wie gezeigt, mit der 284 Für die gegensätzlichen modi operandi von Tragödie und Metatheater s. bereits Lionel Abel, Metatheatre. A New View of Dramatic Form. New York 3 1966, 112 f., der bereits bei Ibsens Tragödienstücken gegenüber seinem metatheatralischen Peer Gynt einen realistischen Zug ausgemacht hat (S. 108). 285 Dieser mimetische Realismus des OT steht nicht im Widerspruch zur „mythischen Phantastik“, die Gerrit Kloss in diesem Stück ausgemacht hat, da er diese Kategorie über die spezifische Gestaltung und Abweichung des Dramas von seiner mythischen Vorlage, also eine völlig andere Vergleichsgröße als das hier bemühte konstruiert (Mythos und Realität: Paradoxe Phantastik in antiken Texten. In: Nicola Hömke, Manuel Baumbach (Hgg.), Fremde Wirklichkeiten. Literarische Phantastik und antike Literatur. Heidelberg 2006, 143-159, h. 151-155). 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 399 Botschaft der betreffenden Stelle oder der gesamten Tragödie harmonieren. Die Transgression ist als Tabubruch Gegenstand, aber nicht als Mißachtung mimetischer Erfordernisse Mittel der dramatischen Gestaltung, aus der sie konsequent eliminiert wird. Ja, selbst die soziale Transgression wird aus der Handlung eliminiert und in die Vergangenheit und Erzählung transponiert. Dadurch daß die Transgression in eine äußerst komplexe Handlungsstruktur eingewoben ist, wird auch ihre Kausalität komplex: Ein Mensch erfüllt einen Götterspruch, weil er dem ihm vorhergesagten Verbrechen in einer natürlichen moralischen Regung ausweichen will und dabei jedoch den Götterspruch fehldeutet, Jahre später deckt er sein eigenes Verbrechen, das er in Unkenntnis der verwandtschaftlichen Beziehung zu den involvierten Menschen begangen hat, auf, weil eine göttliche Sanktion gegen das Gemeinwesen, dem er vorsteht, ihn dazu zwingt, und straft sich anschließend selbst. Doch eben in dieser Komplexität der Kausalität liegt die Tragik der Transgression und des Dramas überhaupt und damit auch Sophokles’ dramatische Kunst, 286 die viele Interpreten durch einseitige Deutungen verkannt haben. 2.6.2 Mimesis und Aristoteles Dieser Abschnitt versucht, um seine These kurz vorauszuschicken, den Nachweis zu führen, daß die dramatische Kunst des OT nicht im illusionsdurchbrechenden Metatheater, sondern, neben dessen subtileren Formen, die mit der Theatralität spielen und im vorausgehenden Abschnitt dargelegt wurden, in der Mimesis zu suchen ist, für die bereits Aristoteles’ Poetik diese Tragödie vielfältig als exemplarisch ansah (für die Erzeugung von Mitleid und Schauder durch die Handlung und nicht die Aufführung s. den vorangehenden Unterabschnitt). Aber zum Einzelnen: Der OT bietet nur Varianten des Metatheaters, welche die Gattung und ihre optische Darbietung thematisieren und reflektieren und darin mit dem Inhalt dieses Dramas korrespondieren, in dem Sehen und die Selbsterkenntnis eine zentrale Rolle spielen. Dagegen fehlen transszenische und andere Spielarten des Metatheaters, welche die mimetische Illusion durchbrechen und mit diesem künstlerischen Verfahren die Transgression ins Poetische transponieren. Francis Dunn bespricht denn auch als Beispiele von Metatheater nur den Aias, Philoktet und v.a. die Elektra, bei denen eine Figur, wie in der hier zugrunde gelegten Definition des Metatheaters gefordert, die gesamte Handlung lenkt oder als interner Zuschauer fungiert, 287 während diese Regiefunktion oder Zuschauerrolle im OT auf Oidipus’ Blendung beschränkt ist, die damit zum Intratheater gehört. Parallel zu dem Verzicht auf illusionsdurchbrechendes Metatheater konzentriert sich im OT das Spiel wie die Kunst auf die Mimesis, für die bereits Aristoteles 286 So auch Schmitt 1988: 28, der freilich die „Darstellungsintention“ in den Vordergrund rückt, daß Oidipus’ Schicksal selbstverschuldet sei. 287 Sophocles and the Narratology of Drama. In: Jonas Grethlein, Antonios Rengakos (Hgg.), Narratology and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature. Berlin 2009, 337-355, h. 343-355. 400 Sophokles wertneutral als Beispiel heranzieht (Poet. 1448a 25-28). 288 Diese Verteilung dramaturgisch-dramenästhetischer Gestaltungsprinzipien ist besonders geeignet, die inhaltlichen Merkmale darzustellen, welche die vorliegende Interpretation für den OT herausgearbeitet hat: Das Bewußtsein von Spiel und Mimesis gewährt Abstand zur Frage nach der individuellen Verantwortung für Transgression und Eliminierung. Dabei wird ein Lebenslauf mit seinen unerwarteten und unüberschaubaren Kontingenzen und Entscheidungen von der Geburt bis zu deren Erkenntnis durchgespielt. Obwohl die spezifische Verkettung von Kontingenzen eine individuelle Biographie prägt, ja erzeugt, läßt sich das Stück deshalb als illustratives Spiel über die Paradoxie und Tragik der condicio humana lesen, ihre Gebunden-, Bedingt- und Geworfenheit, welche die Transgression trotz gegenteiliger Intention zu einer Kontingenz macht und auch auf ihrer strukturellen Verklammerung mit der göttlichen Ebene beruht sowie die Performanz des ethisch-rationalen Subjekts konterkariert. So beschränken Oidipus’ Verse 1329-32 seine Rolle auf die faktische Transgression und erkennen dahinter Apolls faktische Relevanz. Bereits Aristoteles’ Poetik hat die Handlungsstruktur zum wichtigsten Merkmal der Tragödie erhoben und eingehend untersucht. Dabei wird das Stück des Sophokles immer wieder als mustergültig angeführt, so in Poet. 1461a 18-1461b 3 für das größere Vergnügen, welche die Tragödie als das Epos durch eine gedrängtere bereite. Gegenüber der eingangs zitierten Stelle (Poet. 1448a 25-28) fällt die Präzisierung in punctis Sophokles und Mimesis auf: Es handelt sich um eine bestimmte Tragödie und einen Zug, den diese aufweist und in dem sie beispielhaft sei. Ähnlich lobt Poet. 1454b 6-8 die Kohärenz der Handlung, das Geschehen ( ) dieser Tragödie enthalte nichts Ungereimtes ( ), es sei denn außerhalb der Tragödie. Nach Poet. 1460a 29-31 liegt dieses darin, daß Oidipus nicht wußte, wie Laios umgekommen war (vgl. v. 726-738). Die Handlung des Oidipus Tyrannos ist für Aristoteles auch wegen der Art des Umschwungs vorbildlich. Er geschieht einmal durch eine (Poet. 1453a 7-23). 289 Wenn zudem mit der Peripetie die Anagnorisis zusammenfalle, 288 Zu Sophokles in Aristoteles’ Poetik vgl. weiterführend Zierl 1994: 94-102. Joachim Küpper, Verschwiegene Illusion. Zum Tragödiensatz der Aristotelischen Poetik. Poetica 38 (2006) 1-30, h. 2 f. nimmt die mimetische Kunst gegen das moderne Konzept der ästhetischen Autonomie in Schutz, das über die Autoreferentialität des Kunstwerks bestimmt sei und das den „von Aristoteles zum Paradigma der Tragödie proklamierte[n] Sophokleische[n] König Ödipus schwerlich zum Kanon zählen könnte“. 289 Trotz dieses expliziten, aber recht spezifischen Brückenschlags zwischen seiner und der attischen Tragödie wird in der Forschung diskutiert, ob und inwieweit sich der spezifische Begriff, den man in Aristoteles’ erblickt, in der attischen Tragödie wiederfinden läßt. Zu Aristoteles’ -Begriff und dessen Bezug zur Erklärung des attischen Dramas s. 2.1 Aristoteles’ Poetik: Handlungsstruktur, Transgression, Eliminierung und Tragik; Rezeptionsästhetik sowie 2.1.2 und Tragik in der Einleitung. Für die Deutungsgeschichte des OT und die Rolle der Schuld s. Lurje 2004: 13-137, der S. 255-277 zwei rezente Philologen bespricht, die den OT mit Hilfe des -Begriffs interpretieren (Schmitt sowie Eckard Lefèvre, dessen Deutung jetzt in aktualisierter Form vorliegt [Die Unfähigkeit, sich zu erkennen. Sophokles’ Tragödien. Mnemosyne Suppl. 227. Leiden 2001, 119-147]). Hellmut Flashar 2. Sophokles’ 2.6 Dramatische Kunst zwischen Mimesis, Metatheater und Aisthetik der Eliminierung 401 wie im Oidipus der Fall, sei sie die schönste (Poet. 1452a 32 f.). Die Erkenntnis der Transgression markiert also die Peripetie dieser Tragödie. Daneben illustriert für Aristoteles der Bote, welcher Oidipus erheitern und von der Sorge um seine Mutter befreien will, diese jedoch verstärkt (v. 994-1050), den Umschlag ins Gegenteil ( ), welcher die Peripetie darstellt (Poet. 1452a 22-26). Die intentionswidrige emotionale Wirkung einer Mitteilung auf ihren Adressaten bietet der OT auch an einer weiteren Stelle, die Aristoteles nicht anführt: So versucht Iokaste Oidipus’ Sorgen wegen des an ihn ergangenen Orakels zu zerstreuen, indem sie ihm erzählt, der an Laios ergangene Seherspruch sei nicht eingetreten, und weckt dessen Sorge durch die Erwähnung des Dreiwegs erst recht (v. 707-727). Die Diskrepanz zwischen Illokution und Perlokution, über welche Kloss die Komik des Sprechens bei Aristophanes als „Mißlingen von Sprechakten“ gedeutet hat (vgl. 2001: 16), ist also ein auffallendes Merkmal dieser Tragödie, das sich aus deren analytischem Charakter ergibt und deshalb die erforschende Handlung betrifft. Diese Diskrepanz ist die sprachliche Ausprägung des vielfältigen Scheiterns der Intention in der erforschten Handlung und, so muß man gegen Schmitts Zurückweisung des Wissensaspekts anmerken, ein Indiz für die Beschränktheit und Kontingenz des menschlichen Wissens. Doch kehren wir zu Aristoteles’ Sicht auf den Oidipus Tyrannos zurück. Nach Poet. 1455a 16-18 vertritt die Anagnorisis des Sophokleischen Oidipus den besten Typus, da sie durch die Handlung selbst (und nicht durch Zeichen nimmt unter Berufung auf die von ihm angeregte Dissertation von Werner Söffing (Deskriptive und normative Bestimmungen in der Poetik des Aristoteles. Diss. Bochum 1977. Beihefte zu Poetica 15. Amsterdam 1981, 206, 237) an, daß nur der OT, die Trachinierinnen des Sophokles sowie die Bakchen und bedingt der Herakles des Euripides eine im aristotelischen Sinne (Söffing 1981: 176-179) aufwiesen (Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1-23, h. 22). Gut ein Jahrzehnt später geht Flashar davon aus, daß die Auffassung, die Arbogast Schmitt und seine Schülerin Viviana Cessi (Erkennen und Handeln in der Theorie des Tragischen bei Aristoteles. Diss. Mainz 1986. Beiträge zur klassischen Philologie 180. Frankfurt a.M. 1987, 250 f.) verträten, richtig sei, daß die bei Aristoteles „einen charakterbedingten, sittlich relevanten Denkfehler bedeute[t]“ und daß dieses Konzept auf den OT zutreffe (Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. In: Ds. (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum 5. Stuttgart 1997, 50-64, h. 56). Lurje 2004: 268-270 hebt auf die wechselseitige Abhängigkeit von Schmitt und Cessi ab, die auf eine petitio principii oder ein Zitierkartell hinausläuft. Es erstaunt deshalb, daß Reinhold Glei, Art. Schuld. HWP 8 (1992) 1442-46, h. 44 Cessis Resultate enzyklopädisch kanonisiert und wörtlich zitiert (1986: 262: „Die läßt sich ohne Widersprüche als ein charakterbedingter und sittlich relevanter Denkfehler verstehen.“). Zehn Jahre später wird dieses Bild in der Begriffsgeschichtsschreibung zu Recht erheblich nuanciert, vgl. Sabine Harwardt, Art. hamartanein/ hamartêma. WAP 177: „In der Poetik des Aristoteles wird der Ausdruck h. [sc. die ] zur Bezeichnung der falschen Einschätzung einer Situation gebraucht, die auf mangelnder Einsicht beruht, aber nicht unmittelbar aus einer Charakterschwäche oder gar sittlicher Schlechtigkeit hervorgeht: […].“ Die Charakterbedingtheit der hat die vorliegende Arbeit in 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie dieses Kapitels gegen Schmitt sowohl für Aristoteles’ Poetik als auch für den OT zurückgewiesen. Die Übereinstimmung von Poetik und OT, auch im Falle der , ist für die vorliegende Arbeit sekundär bis irrelevant, da es ihr um beider Vereinbarkeit mit einer strukturalistisch-semiotischen Dramenanalyse geht. 402 oder Syllogismen) geschehe, wobei die Überraschung sich aus der Wahrscheinlichkeit ergebe. Freilich dient Oidipus seine namengebende Verletzung, also ein ähnlich unverwechselbares körperliches Kennzeichen wie Odysseus’ Beinnarbe (Od. 19.390-393), neben Ort und Zeit des Mordes an Laios sowie dessen Körper und Gefolge (v. 729-755) als Indiz für seine allmähliche Erkenntnis (v. 1031- 1034). Denn es muß gegen Aristoteles angemerkt werden, daß Oidipus nicht schlagartig zur Einsicht seiner Identität und Untaten gelangt, sondern diese Gewißheit unterbrochen durch Phasen der Beruhigung langsam wächst. Die Verletzung ist dabei nicht bloß ein Indiz, sondern auch ein Zeichen für Oidipus selbst, da sein Name aus ihr abgeleitet wird (v. 1034 f.). Des weiteren hebt Aristoteles mit Anagnorisis und Peripetie gewiß auf die zentrale Rolle der Wahrheits- und Identitätssuche in diesem Drama ab, deren iterative und erhellende Bewegung ihn als Philosophen (vgl. Poet. 1451b 5-7) vielleicht besonders fasziniert hat, auch wenn er diese beiden Termini nicht klar benennt, sondern bloß impliziert. In dem Passus, in dem Aristoteles die Anagnorisis und Peripetie des Sophokleischen Stücks lobt, systematisiert er zwar, daß sich die Wiedererkennung auf leblose Dinge, zumeist aber auf Personen beziehe, deren Relation oder Identität von einer anderen Person erkannt werde (Poet. 1452a 29-b 8). Den spezifischen, im Oidipus vorliegenden Fall, daß eine Person nicht nur die Relation zu anderen, sondern überdies ihre eigene Identität erkennt, erfaßt er nicht, wohl aber die Rolle, welche die Kognition bei der Artikulation der beiden Teile des Dramas und im Selbstverständnis des Oidipus spielt. Bis zu seiner Selbsterkenntnis, mit der er sich seine dunkle Vergangenheit aneignet, ist er eine gespaltene Person, doch durch die erfolgreiche Suche behauptet er sich als kognitives Subjekt, das seine und des Stückes Einheit gewährleistet. Die Auflösung des Rätsels um Laios’ Mörder und die Entdeckung seiner eigenen Identität bewahrheitet an Oidipus, der bei Teiresias’ und Kreons vermeintlichem Komplott die Verantwortung bei anderen statt bei sich gesucht hat, den delphischen Imperativ , 290 dem seine Wahrheitssuche bedingungslos gehorcht hat. 291 In demütiger Exegese der Göttersprüche 292 statt in hermeneutischer Hybris finden Oidipus’ Verstandesgaben eine sinnvolle Tätigkeit. 2.7 Fazit: Monstrosität der Transgression, paradoxe Tragik, Restauration der mantischen Autorität und mimetisches Metatheater Die vorgelegte Interpretation hofft den Nachweis erbracht zu haben, daß der OT weder eine Charakternoch eine Schuld- oder Schicksalstragödie ist. Seine zentralen Handlungsmerkmale lassen sich vielmehr mit den Schlagwörtern Monstrosität der Transgression, paradoxe Tragik, Restauration der mantischen Autorität und mimetisches Metatheater beschreiben. Zwar verzichtet Sophokles nicht 290 Vgl. Calame 1996: 29. 291 Vgl. Schadewaldt 1970: 475. 292 Calame 1996: 29 hebt dagegen in einer metatheatralischen Mystik auf die (dramen-)sistierende Funktion der göttlichen Wahrheit ab, die keine Rede, Masken oder Sicht mehr brauche. 2. Sophokles’ 2.7 Fazit 403 darauf, in aller Deutlichkeit die Unausweichlichkeit der von dem Orakel verkündeten Transgression gegen entsprechende menschliche Versuche, der prophezeiten Transgression zu entkommen, zu betonen, also das archaisch-klassische Weltbild und die Souveränität der göttlichen Ebene zu restaurieren, die hier mantischer Natur ist. Doch gleichzeitig wahrt dieses Ausweichen vor der Transgression, dessen Erfolg notwendigerweise die Gottheit Lügen strafen müßte, ohne dies freilich zu intendieren, die individuell-ethische Integrität des Protagonisten. Denn Oidipus’ Transgression ist in erforschter wie erforschender Handlung durch die subjektiv unhinterfragte Monstrosität der ihm vorhergesagten oder vorgeworfenen Transgression bedingt. Das Paradoxon, daß Apolls Ankündigung, als Warnung mißdeutet, die Transgression erst provoziert, läßt sich nicht als self fulfilling prophecy deuten, da sie aufgrund des hermeneutischen Spielraums der Adressaten die Transgression nicht induziert. Ein Korridor alternativen Verhaltens ist aber die Voraussetzung für Tragik. Oidipus’ paradoxe Tragik liegt darin, daß der integre Versuch, vor der monströsen Transgression auszuweichen, die das Orakel ihm prophezeit hat, ihn geradewegs in diese führt. Durch das vorgenannte Paradoxon von Oidipus’ Intention, durch die unaufhebbare Widersprüchlichkeit zwischen integrer Intention und prophezeiter Transgression, illustriert das Stück außerdem diejenige der condicio humana. Allerdings absorbiert die Stringenz und Kohärenz von Sophokles’ dramatisch-mimetischer Gestaltung der Handlungsstruktur einen beachtlichen Teil von Oidipus’ Eigenanteil an der Transgression. Die Handlungsstruktur des OT läßt einen Schritt aus dem anderen folgen und mündet schließlich in die Transgression, ohne daß die Akteure diese Folge absehen können. Oidipus ist nur zum Teil das Subjekt, aber auch das Objekt dieser Handlungskette. Auch auf dieser Einbettung der Transgression in die Handlungsstruktur beruht die Tragik. 293 Die Kunst tilgt also die „Schuld“. Dies wird auch dadurch gewährleistet, daß Oidipus’ Intratheater erst nach dem dénouement einsetzt und dieses Metatheater die Mimesis thematisiert, ohne sie zu durchbrechen. Anders als metatheatralische Figuren wie Senecas Phaedra (s. 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors in der Interpretation dieses Dramas) und v.a. Dionysos in Euripides’ Bakchen sind die Akteure des OT also nicht gegenüber der Handlung (und damit auch der Transgression) souverän. Als Ausblick bietet es sich an, die Perspektive auf das geistesgeschichtliche Umfeld zu weiten: Während sich Euripides’ Tragödien kritisch mit dem sophistisch-sokratischen Satz auseinandersetzen, die Tugend sei lehrbar (s. 3.2.3 Psy- 293 Es dürfte damit klar sein, daß das hier entwickelte Interpretationsmuster von Transgression und ihrer Paradoxie, Tragik und Monstrosität den Gegensatz der OT-Auslegung zwischen „humanists“ und „theologizers“, den Segal 2001: 168 entwickelt, überbrückt oder sogar überwindet (auch Segal skizziert und referiert eine Synthese): Die objektivierende Transgression ist mit der theologischen Sichtweise vereinbar, die auf die Verletzung göttlicher Gebote und Oidipus’ objektive Unschuld abhebt. Auf der subjektiven Seite vermag die Monstrosität der Transgression Oidipus’ Intransigenz zu erklären, welche die „dunkle“ humanistische Sicht hervorhebt. Paradoxie und Tragik der Transgression beschreiben, warum Oidipus’ redliches und teils unerschrockenes Streben, das der heroische Humanismus in den Blick nimmt, bei Eintritt der Transgression scheitert oder bei ihrer Entdeckung ins Verderben führt. 404 chologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts des Medea-Kapitels), wirkt der Geist, der sich im Welt- und Menschenbild des OT zeigt, sokratisch: Zum einen in der Bestätigung, daß Apoll wie im Falle des Sokrates recht behält, und der frommen Restauration der Ehrfurcht vor den Göttern gegen sophistisch-rationalistische Zweifel, zum anderen darin, daß die Transgressionen aus purer Unwissenheit geschehen und nach Einsicht individuell verurteilt werden. Auch wenn es sich bei der Unkenntnis und Einsicht nur um die Verwandtschaftsbeziehungen und nicht die philosophische Wahrheit handelt, bleibt die grundsätzliche Parallele zum sokratischen Intellektualismus in der Ethik bestehen. Dieser erfährt zumindest bei den fraglichen innerfamiliären Verfehlungen, um deren Aufweis es geht, im Dramenverlauf allerdings durch Oidipus’ schroffe Zurückweisung der Wahrheit, mit der Teiresias ihn früh konfrontiert, und seine langwierige Selbstüberzeugung eine positiv wie negativ gewendete Einschränkung: Der Mensch kann nicht von außen aufgeklärt werden, sondern muß sich selbst langsam von einer bitteren Wahrheit, die ihn selbst betrifft, überzeugen. Damit läßt sich das Fazit bekräftigen: Der Oidipus Tyrannos ist weder eine Schicksalsnoch eine Charaktertragödie, sondern ein Lehrstück über das Wirken der Götter in der menschlichen Existenz und die Grenzen der menschlichen Hermeneutik. 2. Sophokles’ 3. Euripides’ Medea: Transgression zwischen Psychologisierung, Perversion und Intratheater und die Tragik der Entzweiung (Heraklit DK 22 B 85) 3.1 Einleitung: Personenkonstellation, Handlungsverlauf und Systematik der Interpretation Die bisher untersuchten Tragödien bieten nur ein Beispiel für den Fall, daß Kinder ihre Eltern töten (OT). Diese Konstellation findet eine klassische Ausprägung im Atridenmythos (Orest, Elektra), den alle drei großen Tragiker in vollständig erhaltenen griechischen Dramen behandelt haben und bei dem der Sohn die Mutter tötet. Den umgekehrten Frevel bieten drei Stücke des Euripides, die als interpretatorische Kontrastfolie berücksichtigt (Hippolytos) oder besprochen werden sollen, so die Bakchen mit Agaue und Euripides’ gleichnamiges Drama mit Medea (431 v.Chr.). 1 Zwischen den drei Müttern, die für den Tod ihrer Kinder verantwortlich sind, gibt es jedoch einen gewichtigen Unterschied: Phaidra und Agaue verschulden den Tod ihres erwachsenen (Stief-)Sohnes. Medea tötet dagegen ihre Nachkommen im Kindesalter, also in einem Stadium, in dem die Eltern-Kind-Beziehung aufgrund des geringen Lebensalters des Kindes und des dadurch besonders relevanten Altersunterschiedes ihre klassisch-elementare Form in praktischer wie sozialer Hinsicht hat. Auch wenn Kindermord in Form der postnatalen Selektion und Aussetzung (vgl. Oidipus) in der Antike lange Zeit akzeptiert war und bis heute in Perversion der elterlichen Sorgepflicht, die sich aus der Schutzbedürftigkeit und Ausgeliefertheit gerade kleiner Kinder ergibt, praktiziert wird, so rührt diese Transgression aus reproduktionsbiologischem Egoismus an ein besonderes Tabu: Wer seine Kinder tötet, tötet sich genealogisch selbst. 2 Auch wenn die Reproduktion das Gegenteil der Eliminierung darstellt, ist die Tötung der eigenen Kinder also kein Nullsummenspiel, sondern eine genetisch-genealogische Selbsteliminierung und hat über diese Integritätsverletzung ein hohes tragisches Potential. Die 1 Andreas Mehl, Mord im Theater: Euripides’ zwei „Medeen“ und einige Folgerungen. In: Michael Hillgruber, Rainer Lenk, Stefan Weise (Hgg.), Hypotheseis. Festschrift für Wolfgang Luppe zum 80. Geburtstag. Archiv für Papyrusforschung 57/ 2 (2011) 274-288, h. 281 argumentiert durchaus bedenkenswert, da die an diesem Datum aufgeführte Tragödie nur den dritten Platz belegt habe, handele es sich wahrscheinlich eher um die erste Version, in der Medea noch ihre Kinder coram publico umbrachte. Nach dieser Argumentation wäre 431 v.Chr. also nur der terminus post quem für die uns vollständig vorliegende zweite Version. 2 Vgl. E. Med. 967 f. und umgekehrt die Rechtfertigung des Fortpflanzungsgebots in Platons Gesetzen mit dem Streben nach Unsterblichkeit, welche die Fortpflanzung den Menschen gewähre (Lg. 721bc, vgl. Mus. Frg. 14 He. S. 72 Z. 1-3). Pessimistisch ist dagegen Heraklit DK 22 B 20 gegenüber der genealogischen Fortpflanzung: ’ ( ) 3. Euripides’ 406 Selbsteliminierung wiegt um so schwerer für eine Mutter, der die Fortpflanzung ein viel größeres biologisches Engagement abverlangt und die ab einem gewissen Alter die eigene Untat nicht durch neuen Nachwuchs wettmachen kann. Diese in Anfang und Ende des Lebens liegenden biologischen Grundgegebenheiten können dazu beitragen, jenseits patriarchalischer Konstruktion von Mutterrolle oder deren feministischer Ablehnung 3 die Tragik von Medeas Transgression besser einzuschätzen 4 und die Faszination zu erklären, die der Medea-Stoff durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart ausgeübt hat, wobei der Anteil von Euripides’ künstlerischer Ausgestaltung an diesem Erfolg eine Frage der Rezeptionsforschung ist. 5 Jenseits von Reproduktionspsychologie und eigener zeitbedingter Positionierung stellt Grethlein (2007: 383) historisch kontextualisierend zu Recht fest, daß Sophokles’ Oidipus Tyrannos und Euripides’ Medea sich insofern gegen die gesellschaftliche Realität stellten, als ihre Transgressionen Konventionen verletzten, auf denen das Leben im Athen des fünften vorchristlichen Jahrhunderts beruht habe. Die historische Gesellschaft, die das Primärpublikum stellt und damit für die Bühnenpragmatik relevant wird, sieht es also als eine Transgression an, wenn Eltern und Kinder einander töten. Grethleins Ausdruck ‚Leben‘ („life“) fängt diese Einschlägigkeit der sozialen Umwelt für die Beurteilung als Transgression gut ein und erfaßt treffend zwei Aspekte, welche die vorliegende Arbeit terminologisch trennt, nämlich die Normen unterworfene und performierende soziale Praxis ( ) und die biologische (und später soziokulturelle) Reproduktion der Gesellschaft ( ) (Näheres s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller in der Einleitung), die damals beide patriarchalisch organisiert waren. Für die objektive Normverletzung spielt es keine Rolle, daß Medea anders als Oidipus ihre Transgression wissentlich und willentlich begeht. Für die Tragik kann dieser Umstand dagegen durchaus relevant werden. Bereits Aristoteles bemüht ihn für die emotionale Rezeptionsästhetik, welche die Tragik textualisiert, wenn er feststellt, das und (1453b 14) liege darin, daß Medea wissentlich ihre Kinder töte (Poet. 1453b 28 f.). 3 Für diese und ihre Entlarvung der Mutterliebe als patriarchalisch-gesellschaftliches Konstrukt s. Ludger Lütkehaus, Der Medea-Komplex. Mutterliebe und Kindermord. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Mythische Wiederkehr. Der Ödipus- und Medea-Mythos im Wandel der Zeiten. Paradeigmata 6. Freiburg i.Br. 2009, 121-133, h. 124 f. Für die Richtigkeit und - mittlerweile damit verbundene - Langweiligkeit feministischer Interpretationen der Medea s. Rush Rehm 2002: 251 f. 4 Anders als die Ehebrecherin, die eine weitere patriarchalische Rolle, nämlich diejenige der treuen Ehefrau, verletzt, schadet die Kindesmörderin nicht nur dem Vater des Kindes, sondern sich selbst. 5 Vgl. Ludger Lütkehaus, Medea und einige ihrer Kinder. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Mythische Wiederkehr. Der Ödipus- und Medea-Mythos im Wandel der Zeiten. Paradeigmata 6. Freiburg i.Br. 2009, 135-151, Claudia Liebrand, Mythos im Film. Pasolinis Medea. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Mythische Wiederkehr. Der Ödipus- und Medea-Mythos im Wandel der Zeiten. Paradeigmata 6. Freiburg i.Br. 2009, 199-222, Matthias Luserke-Jaqui, Medea. Studien zur Kulturgeschichte der Literatur. Tübingen 2002 und Annette Kämmerer, Margret Schuchard, Agnes Speck (Hgg.), Medeas Wandlungen. Studien zu einem Mythos in Kunst und Wissenschaft. Heidelberger Frauenstudien 5. Heidelberg 1998. 3.1 Einleitung 407 Daß Medeas Tötung der eigenen Kinder eine besondere hermeneutische Relevanz hat, wird durch die konkurrierende ältere Version des Mythos unterstrichen, die Korinther hätten sie getötet. Es muß also eine besondere Bewandtnis haben, wenn die Euripides-Tragödie die Verantwortung für den Tod der gemeinsamen Kinder mit Iason der Mutter zuweist. Die literaturgeschichtliche Frage, ob diese Innovation von Euripides selbst stammt oder ob er sie von Neophron übernahm, 6 ist dabei - entsprechend dem Transfer des heuristischen Instruments der Minimalpaaroppositionen auf die Analyse literarischer Motive - für die Bedeutung dieses Motivs sekundär, auch wenn diese noch verstärkt würde, wenn die Tötung der eigenen Kinder eine Innovation der vorliegenden Tragödie wäre. Denn durch diese Tat beschränken sich Medeas Zorn und ihre Rache 7 nicht auf den Mord an Kreon und seiner Tochter, sondern erfassen ein weiteres Glied in der Handlungskette. Medeas Wechsel vom Objekt männlicher Verhandlung zum Subjekt der eigenen Rache wird gestärkt, ihre Tragik intensiviert. 8 Medeas Argument, es sei besser, wenn die Kinder von der Hand ihrer Mutter als derjenigen ihrer Feinde stürben, zumal ihr Tod unumgänglich sei (v. 1060-1064, 1238-1241), ist sicher ein motivgeschichtlicher Rest der älteren Version, deren Kenntnis beim Publikum vorausgesetzt wird. 9 Die Iteration der Verse, in denen Medea ausführt, sie selbst müsse ihre Kinder töten, da ihr Tod unausweichlich sei (v. 1060 f. = 1238 f.), behaftet diesen Komplex mit einem philologischen Problem, das seine hermeneutische Belastbarkeit vermindert. Medeas Befürchtung, ihre Kinder möchten am Hofe in Korinth Schaden erleiden, ist an sich nicht abwegig. Die materielle Möglichkeit dazu bietet der im Stück eingehend verhandelte Verbleib der Kinder dort. Doch nach der Logik der Tragödie drängt sich die Frage auf, warum Medea ihre lebenden Kinder nicht auf dem Drachenwagen evakuieren konnte. Immerhin ist die Rechtfertigung des Kindermordes als Prävention gegenüber den Feinden, dessen (fehlende) handlungsstringente Notwendigkeit kardinal für die Frage ist, ob Medea bei der Entscheidung über den Kindermord klar bei Verstand ist, 10 an seinen Rändern in Euripides’ Tragödie eingepaßt. Medea führt nämlich die Ehrwahrung (v. 1060 f.: … ) und die Mutterliebe (v. 1239: 6 S. dazu Mastronarde 2002: 57-64, der es allerdings für wahrscheinlicher hält, daß die erhaltenen Neophron-Fragmente posteuripideisch sind. 7 Vgl. dazu Anne Pippin Burnett, „Connubial Revenge. Euripides’ Medea“, in: Revenge in Attic and Later Tragedy. Berkeley 1998, 192-224. 8 Medeas Mord an dem König und seiner Tochter wäre bereits dann subjektiv tragisch, wenn sie ihn in dem Bewußtsein von der Gefährdung begangen hätte, die ihren Kindern aus ihm erwüchse. Bereits in diesem Fall hätte sie nämlich ihre genealogische (d.h. eine rückbezügliche Unterform der physischen von Verwandten) und teilweise auch ihre moralische für ihre soziale Integrität gegeben. Die Tragik wäre dagegen in der Handlungsstruktur objektiviert und impliziert (und wäre damit weiter abgeschwächt), wenn Medea diese Folge ihres Anschlags nicht geahnt hätte. 9 Mastronarde 2002: 50-53, v.a. 53. Weitere Spuren der älteren Version fügen sich problemlos in die Logik des Stückes ein, s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason. 10 Michael D. Reeve, Euripides, Medea 1021-1080. CQ N.S. 22 (1972) 51-61, z.B. 55: „Is this ‘gefaßte Klarheit’? “ (zu bzw. gegen Wolfgang Schadewaldt, Monolog und Selbstgespräch. Untersuchungen zur Formgeschichte der griechischen Tragödie. Berlin 1926, Ndr. 1966, 197). 408 ) als Motive an, ihren Feinden im Mord an den Kindern zuvorzukommen. Euripides’ Medea verdient im Rahmen dieser Arbeit nicht nur wegen der besonderen Form der Transgression behandelt zu werden, sondern auch wegen Euripides’ dramatischer Darstellung dieser Grenzverletzung, 11 die ebenfalls deren Bedeutung unterstreicht. Die Tötung der Kinder operiert mit einer apokryphen, die Präsentation ihrer Leichen mit einer epiphanen Ästhetik. Zudem wird erstmals die Transgression intensiv psychologisch dargestellt, reflektiert und problematisiert, 12 statt bloß qua Verblendung aus göttlicher Einwirkung erklärt zu werden. Diese Psychologisierung dokumentiert zweifellos einen epochalen Wandel im griechischen Denken und hat Euripides’ Medea die Aufmerksamkeit der Interpreten gesichert. Bereits in der Antike wurde sie von den Stoikern, 13 beginnend mit Chrysipp, unter psychologischen und psychagogischen Gesichtspunkten besprochen, während die dramentheoretische Lektüre durch Philosophen, wie im Falle des Oidipus Tyrannos - bereits mit Aristoteles’ Poetik einsetzte (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts). Neben diesen antiken Interpretationen der Transgression steht eine aktuelle Anwendung dieses Terminus auf die Medea. 14 Die Auseinandersetzung mit diesen rechtfertigt also neben der Rolle der Transgression in diesem Stück selbst dessen Besprechung im Rahmen des vorliegenden Ansatzes. Die stark psychologisierte Entscheidung, die eigenen Kinder zu töten, bildet den Höhe- und Wendepunkt des Dramas. Man kann Medeas Entscheidung jedoch 11 Bereits Kleopatra Ferla, Von Homers Achill zur Hekabe des Euripides. Das Phänomen der Transgression in der griechischen Kultur. Diss. Freiburg 1995. München 1996, 222-260 macht als Fazit ihrer Besprechung des Stücks eine vielfältige Typologie der Transgression aus (1996: 259: geographisch, rechtlich, geschlechtsspezifisch, verwandtschaftlich). Die psychologische Seite der Transgression, die sie bei der Detailbesprechung jedoch nur kurz behandelt (1996: 253 f.), erwähnt sie dabei nicht. 12 Gerade dieses besondere dramaturgische Gewicht auf der Entscheidung über die Tötung der Kinder widerlegt - zusammen mit der älteren Alternativversion über ihre Mörder - Hopmans implizit aristotelisierende (vgl. Poet. 1453b 22 f.) These, die Kinder müßten sterben, weil das Publikum dies aufgrund der langen mythologischen Tradition erwarte (2008: 175). Hopman argumentiert auf der Ebene des mythologischen Substrats, der causa materialis; die Interpretation muß aber gerade besonderen Merkmalen Rechnung tragen, die in den Text eingeschrieben sind und auf eine spezifische Aussage schließen lassen, also aristotelisch der causa finalis. Gleichwohl ist ihre Deutung verlockend, die im Kindermord eine Einschränkung von Medeas mythopoetischer Souveränität sieht (2008: 179): „Medea’s revenge cannot alter the brutal ‘facts’ of life and death yielded by the mythic tradition; it can only appropriate them.“ Dies ist aber auch der einzige wirklich inhaltliche Dissenspunkt zu Hopmans exzellentem Artikel, ohne dessen Denkanstöße dieses Kapitel wohl nicht in der vorliegenden Form entstanden wäre und dessen mythopoetische und intrapoetische Perspektive hier im Falle des ruhmvollen Epos, das Medea nicht gelingt, zumeist für die Handlungsanalyse und im Falle der Tragödie für die intratheatralische Deutung fruchtbar gemacht werden konnten. Die Tragik, um die es in der vorliegenden Arbeit geht, liegt dagegen außerhalb von Hopmans Beweisziel. 13 Einen Überblick von Chrysipp über Galen und Epiktet bis zur Spätantike bietet John Dillon, Medea among the Philosophers. In: James J. Clauss, Sarah Iles Johnston (Hgg.), Medea: Essays on Medea in Myth, Literature, and Philosophy. Princeton 1997, 211-218. 14 Bernhard Teuber, Der un/ darstellbare Kindermord. Tragische Transgression und Ethnographie der Tragödie am Beispiel der Medea. In: Gerhard Neumann, Rainer Warning (Hgg.), Transgressionen. Literatur als Ethnographie. Freiburg i.Br. 2003, 243-255. 3. Euripides’ 3.1 Einleitung 409 nur dann richtig einschätzen, wenn man die Motive und Alternativen berücksichtigt, die im bisherigen Verlauf des Stücks erkennbar wurden und die bei seiner folgenden Besprechung mit erörtert werden sollen (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos). Nicht nur das Objekt der Transgression, sondern auch die Personenkonstellation und der dramatische Konfliktverlauf, aus denen sich jene ergibt, sind in diesem Stück neu, entsprechen jedoch genau dem in dieser Arbeit zugrunde gelegten innerfamiliären Schema. Der Konflikt betrifft - anders als in den hier besprochenen Dramen - nicht die Position des Vaters und Gatten (und Königs), sondern diejenige von dessen Frau. Iason ersetzt seine Frau Medea durch die Tochter des Königs Kreon. 15 Medea ist also zuerst das Objekt einer drohenden sozialen Transgression und Integritätsverletzung, die von zwei Männern ausgeht. Erst darauf reagiert ihre transgressive Lösung des Konflikts. 16 Sie zerstört beide potentiellen Familien und läßt Iason - wie Kreon in Sophokles’ Antigone - allein und bindungslos zurück, endet er doch mit einer doppelten physischen Eliminierung seiner Kinder und möglichen Braut sowie der räumlichen Selbsteliminierung seiner Frau, welche diese alle wissentlich und willentlich als Rache für ihre erlittene Integritätsverletzung ins Werk gesetzt hat. Soweit die Grundgegebenheiten der Tragödie und die schlaglichtartigen Leitlinien, die ihre Interpretation anhand der Transgression verfolgen wird. Das Leitmotiv, das die nachfolgende Deutung organisiert, die wie bei den anderen Dramen übergreifende Kapitel an eine lockere Besprechung des Handlungsverlaufs anhand markanter Stationen anschließt, wird die Entzweiung und die mit ihr einhergehende Tragik sein, deren motivische Konsequenz und Geschlossenheit ein Novum gegenüber Aischylos’ Persern und Sophokles’ OT darstellt, die nur Formen des Zerbrechens von (Paar-)Bindungen (Perser) oder Störungen der Zweiheit (Oidipus’ Inzest) kennen. Mit der Entzweiung ist mehr als die literarisch banale und psychologisch evidente Tatsache gemeint, daß Iasons Trennung von Medea den Anlaß dafür bietet, daß seine (Ex-)Gattin die gemeinsamen Kinder tötet, um sich an ihrem untreuen Gemahl zu rächen. Die Wortwahl ‚Ent- Zweiung‘ hebt auch nicht nur in Heideggerscher Reetymologisierung auf die Trennung des Paares ab. Mehr noch, beschreibt dieses Substantiv vielmehr eine tiefgreifende Störung des Oikos, der Identität und Persönlichkeit der Protagonistin sowie der Sprache und sozialen Verständigung überhaupt, die schwerwiegende transgressive und eliminatorische Folgen für Oikos und Polis hat (s. 3.4 Tragik und dimidiata dyas). Diese Funktionsstörung der organischen Zweiheit durchzieht das Stück über die Metapher der Meerengen (s. 3.6 Transgression, 15 Für die - hier sekundäre - Diskussion, ob die Hochzeit bereits stattgefunden hat, s. Schwindt, der mit Page (1952: lv f. Anm. 2) gegen Dihle (1977: 10) für den Vollzug plädiert und sich dafür auf v. 17-19 und 586 ff. beruft (1994: 89). Dies würde den symbolischen Wert der Hadeshochzeit, die Medeas vergiftete Brautgeschenke Kreusa bereiten, mindern (sie fände bloß nach statt anstelle der eigentlichen Hochzeit statt), aber Medeas Transgressionen stärker legitimieren: Deren Faktizität entspräche dann der Faktizität der verräterischen Neuverheiratung Iasons. 16 Vgl. Maria Gerolemou, Bad Women, Mad Women. Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie. Diss. München 2010. Classica Monacensia 40. Tübingen 2011, 282 f. 410 Monstrosität und Chronotopos). Ausgelöst und begleitet wird die Entzweiung von einem unilateralen Souveränitätsstreben, bei dem ein Teil versucht, den vormaligen Interaktionspartner, mit dem bislang auf Augenhöhe kooperiert wurde, zu einem Objekt oder gar Instrument zu degradieren und so zu dominieren. Dieser zerstörerische Prozeß, in den Medeas Transgressionen und ihre Tragik als Stationen eingebettet sind und der die Handlung der Tragödie in weiten Teilen ausmacht, beginnt mit Iasons und Kreons Abkommen, der Fremdling aus Iolkos solle die Tochter des Königs an Medeas Statt zur Frau nehmen. Neben dem Verlust des Gatten stehen zeitweise für Medea noch derjenige ihrer Kinder und des Aufenthaltsortes zur Debatte. Medea wird so ihrer sozialen Identität als Ehefrau und Mutter beraubt und auf ihre physische Existenz als Objekt im Geschachere der beiden Männer reduziert. Erst durch diese tabula rasa sozialer Identität kann das so frei gewordene physische signifiant eine neue soziale Identität erhalten, ein signifié, das transgressiv-eliminatorisch ist, von dem verletzten Ehrgefühl und Rachestreben ( ) diktiert ist und entsprechend der Umgebung, der Medea ausgesetzt war, ein männliches Gepräge hat. Invertierung und Pervertierung erweisen sich damit vornehmlich als Folgen und Begleiterscheinungen der Entzweiung (vgl. 3.5 Gender, Inversion und Perversion), nicht aber als eigenständige Merkmale der transgressiven Protagonistin. Das Schema der sozialen Entzweiung wiederholt sich dabei in Medeas Seele: Statt eines organischen Zusammenwirkens verschiedener Kräfte und Größen, das Moralität und Rationalität gewährleisten konnte, dominiert der Medeas Überlegungen und Planungen, wie sie selbst hilflos feststellen muß. Die neue, psychologische Seite der Tragik funktioniert also auch über die Entzweiung (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts). Bis dahin hatte der Medeas neues Sozialverhalten diktiert: Sie mußte ihn gegenüber ihren Widersachern verbergen, um auf seine Verwirklichung hinzuarbeiten (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos). Auch bei dieser Form von Intratheater tritt also eine Entzweiung zwischen der sozialen Maske und den eigentlichen Intentionen auf. Die Verstellung ist aber ein probates Mittel, mit dem Medea ihre pragmatische Souveränität im Dramengeschehen zurückgewinnt, um sie dann durchgehend zu behaupten. Ihre Souveränität innerhalb des Dramas gipfelt darin, daß sie ihre Transgressionen intratheatralisch inszeniert. Auch ihre intratheatralische Souveränität steigert sich dabei: Während sie den Mord an Kreon und seiner Tochter als Regisseurin inszeniert und sich als Primärpublikum und den Zuschauern als Sekundärpublikum mit dem Schreckensboten zu Gehör bringt, schließt sie beim Mord ihrer Kinder, den sie als Ritual darstellt, eigenmächtig die Zuschauer aus (s. 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression). Ihre inszenierte Flucht auf dem Drachenwagen schließlich, bei der sie Iason die Bestattung seiner Kinder verwehrt und ihn endgültig demütigt, manipuliert nicht nur wie zuvor die Gesetze des Theaters ( - ), sondern hebt sie nachgerade aus den Angeln (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason). 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 411 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 3.2.1 Die Eingangsszene: Die soziale Scheinredintegration des Transgressionsopfers und der späteren Transgressorin In der Eingangsszene isoliert sich Medea gramvoll im Haus. Sie wird nur in der Rede ihrer Amme, die ein darstellt und von Euripides erfunden wurde, um Medeas Unglück und die Gefährdung der Kinder zu exponieren, 17 sowie des Erziehers 18 beschrieben. Erst danach läßt Medea sich von innen vernehmen - und äußert sogleich den Wunsch nach Verscheiden, also suizidaler Selbsteliminierung (v. 96 f., vgl. v. 144-147). Die Isolation wird so als Leitmotiv des Dramas und treibender Umstand der Eliminierungen angekündigt. Medea beklagt denn auch den Verlust ihrer Heimat und Verwandtschaft (v. 166 f.). Das räumliche Sprechen von innen bereitet dramaturgisch das Ausagieren von Medeas widerstreitenden Motivationen im Entscheidungsmonolog vor. Durch die Selbstisolation der Protagonistin im Hause dominiert das Akustische also wie in der Transgressionsszene. Die Amme, die selbst soeben das Haus verlassen hat (v. 58), hatte bereits die mangelnde Regulierung von Medeas Emotionen in der sozialen Isolation beklagt (v. 141-143). Doch, vom Chor als Späherin ins Haus geschickt, damit Medea sich durch Anblick und Stimme trösten ließe (v. 173-178), wobei also die beiden Faktoren der späteren Selbstpräsentation psychagogisch lindernd 19 und insgesamt integritätswahrend eingesetzt werden sollen, schildert sie Medeas stieren Blick einer Löwenmutter auf ihre Dienerinnen (v. 187-189), wie sie zuvor mit deren stieren Blick auf die Kinder die Warnung begründet hatte, diese von ihr fernzuhalten, als sie sie wieder ins Haus schickt (v. 92 f., vgl. v. 105). Dramatisch hilfloser lebensweltlicher Klugheit entspricht die Bitte an Medea, die Kinder nicht für die Verfehlung des Vaters zu hassen (v. 116 f.: ). Die Beschreibung des Blicks haben wir bereits bei Oidipus’ Selbstblendung als dramaturgisches Mittel zur Darstellung der Hintergründe physischer Integritätsverletzungen kennengelernt. Dort lieferte der Blick jedoch dazu Informationen, hier ist er ein Symptom des labilen Gemütszustands. Indem die Amme die akustische Aufmerksamkeit auf Medeas Reden und Schreien lenkt (v. 168: ’ [...]; ), die der Chor bereits zur Kenntnis genommen hat (v. 131: ), macht sie Medea bereits jetzt zum Gegenstand einer intratheatralischen Inszenierung. Der Hinweis der Amme ist das akustische Echo einer vorliegenden Äußerung wie das in Aischylos’ Persern ein artikulatorisches. 17 Martin Hose, Studien zum Chor bei Euripides. Diss. Konstanz 1989/ 90. BzA 10 & 20. 2 Bde. Stuttgart 1990 f., Bd. 1, 55. 18 Zu ihnen vgl. Cecelia A. E. Luschnig, „The Slave’s Voice“, in: 2007: 157-175. 19 Eine psychotherapeutische Deutung der Eingangsszene skizziert auch Bohrer 2009: 231, ohne sie selbst zu vertreten. 412 Medea zeigt sich dem Chor, ihrer Amme und dem Erzieher ihrer Kinder erst durch Verlassen des Hauses optisch und redet sie an (v. 214-218), verbindet also wie in der Schlußszene gegenüber Iason Präsentation und Anrede. Das leitende Motiv ist bereits hier ihr Ruf, d.h. ihre soziale Integrität, der am Anfang ihres Eröffnungsmonologs freilich noch zu äußerlicher Sozialkonformität und noch nicht zu gewaltsamer Transgression führt. Hier ist es der Kummer über Iasons Verrat, der Medea leitet, in den beiden anderen Szenen der rächende Zorn. Die medizinische Diagnose der Amme 20 trifft also in dramatischer Ironie durchaus zu (v. 60: ). Wie Oidipus über seine eigene Transgression, so schreit Medea über diejenige Iasons (v. 20-23). In der Eingangsszene war die Gattin noch das Objekt der Emotion und Handlung, der Verrat traf sie unerwartet (v. 225: ), also als subjektive Kontingenz und Aprosdoketon (vgl. dieselbe Wortwahl in Aischylos’ Persern [v. 265, 1006]), und bedroht ihre seelisch-vitale Integrität, da Medea zu sterben wünscht (v. 225-227). Doch in den Schlußversen ihres Eingangsmonologs kehrt sich die physisch-eliminatorische Aggression der gekränkten Gattin nach außen (v. 265 f.), wie sie bereits in ihrer innerhäuslichen Rede gewünscht hat, den Tod Iasons und seiner Braut durch den Zusammenbruch des Hauses zu sehen (v. 163-165). Der voyeuristische Sadismus des Botenberichts kündigt sich hier bereits an. Die Bemühungen von Medeas sozialer Umwelt um eine Redintegration waren nur auf der sinnlich-sprachlichen Ebene, nicht auf der emotionalen erfolgreich. Die innere Entzweiung bestimmt im Folgenden Medeas gespaltenes Verhalten gegenüber der sozialen Umwelt ihrer Widersacher. Gegenüber dieser läßt sie erst in der Schlußszene die Maske fallen, doch unterscheidet sich die so erzielte Authentizität von derjenigen der Eingangsszene: In dieser ging Medeas Leiden noch von der einseitigen Auflösung einer positiven Bindung an Iason und die Kinder durch diesen aus, im hämischen Triumph der Schlußszene sind derart positive Grundbindungen zu lebenden Angehörigen gänzlich vom gekappt, der zudem einseitig Medeas Innenleben und Handeln beherrscht. Medea offenbart also nur ihre Vereinsamung und Verhärmung. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos Die Doppelung kennzeichnet in unserer Tragödie nicht nur die Figurenkonstellation und ihre Entwicklung (vgl. 3.4 Tragik und dimidiata dyas), sondern über die Doppelbödigkeit von Medeas Rede auch auf weiten Strecken den Diskurs der Protagonistin. Eine zumindest etymologische Brücke zwischen diesen beiden Doppelungen schlägt das Lexem , das Medeas Kinder in v. 1136 charakterisiert und seinem Ursprung nach eine Doppellagigkeit bezeichnet. Der Einwand, diese Bedeutung sei hier wie an vielen anderen Stellen zugunsten der 20 Zu den körperlichen Symptomen von Medeas Leidenschaft, wie dem auch hier besprochenen stieren Blick, und ihrer Deutung als Krankheit nach dem Corpus Hippocraticum (v. 109: - ) s. Jackie Pigeaud, La maladie de l’âme. Étude sur la relation de l’âme et du corps dans la tradition médico-philosophique antique. Collection d’études anciennes 31. Paris 2 1989, 376-396. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 413 bloßen Zweiheit verwischt (vgl. LSJ 436 s.v., DGE 1122 s.v.), wofür auch spreche, daß die Zweiheit von Medeas Kindern sonst mit den entsprechenden Ausdrücken und benannt werde, bei denen die semantische Komponente der Zweilagigkeit fehle oder - im Fall von - etymologisch verwischt bzw. strittig sei, 21 wird dadurch entkräftet, daß Medeas Kinder an dieser Stelle als Überbringer vergifteter Gaben fungieren, mithin exakt jene pragmatische Doppelbödigkeit ihrer Mutter unwissentlich vollziehen, was an keiner der anderen Stellen der Fall ist, an denen ihre Duplizität anders benannt wird. Indes ist die Pragmatik an der besagten Stelle nicht bloß doppelbödig, sondern nachgerade pervertiert, da die Geschenke, also Gesten der Friedfertigkeit, des Wohlwollens und der Freundschaft, die Beziehungen aufbauen und festigen, hier der unilateralen grausamen physischen Eliminierung der Beschenkten dienen. Mit dieser Perversion ist die Duplizität der Kinder nicht bloß parallel. In der Junktur (E. Ph. 1354) wird die Gegenläufigkeit in der Funktion der Kinder am Gegensatz von und zumindest interdramatisch manifest. Medea dienen die eigenen Kinder als Mordwaffe gegen andere Kinder. Werden die eigentlichen Racheabsichten den Interlokutoren ganz verschwiegen und verstellt Medea sich vollständig, läßt sich ihr Verhalten als Intratheater klassifizieren. Dieser Terminus wird dadurch gerechtfertigt, daß der Chor in ihre Absichten eingeweiht ist und als Zuschauer fungiert. Das Kriterium des Intratheaters ‚Inszenierung‘ ist damit gegeben. Dieses Intratheater ist entsprechend dem großen Entscheidungsmonolog stärker psychologisch als sozial bedingt, da es nicht wie in der Nea oder der altrömischen Palliata (oder bei dem Komplott, das Oidipus Teiresias und Kreon unterstellt) auf einer zwischen verschiedenen Figuren abgesprochenen Intrige beruht. Wie in diesen stärker inszenierten Fällen von Intratheater ist die Ausrichtung klar sozial, da Medeas Schauspiel ihrer sozialen Umgebung etwas vorspielt. Außerdem schlüpft Medea bei dieser Verstellung in Rollen, die ihren Interaktionspartnern sozial konform sind: Die Medea ultrix wird von der Medea exul verbrämt, wenn sie gegenüber Kreon und 21 Der zweite Bestandteil dieses Kompositums, dem lat. duplus entspricht, bedeutet ‚Falte‘ oder ‚falten‘ (Frisk I 122 s.v. ). Nach Chantraine 274 s.v. , der 93 s.v. wegen der späten Bezeugung von und Vorbehalte gegenüber der Zuordnung zu lat. simplus und duplus geltend macht, wurde dieses Adjektiv zuerst von Stoffen und Gewändern verwendet. Dieser Argumentation folgt Beekes 117 s.v. , der eine direkte Verbindung mit lat. duplus und got. tweifl (Akk.) ‚Zweifel‘ und die Annahme einer gemeinsamen idg. Wurzel *pel- ‚falten‘ für problematisch hält, da und spät bezeugt seien. Ohne Vorbehalte leitet er dagegen von dieser Wurzel ab (339 s.v.). Die Zweilagigkeit spielt dagegen eine geringere Rolle in den Herleitungen von lat. duplex. Bei den Etymologien treten plico ‚falte‘ und plaga ‚Fläche, Gegend‘ zugunsten von plecto ‚flechte‘ zurück. Isoliert ist WHs Auffassung, dieses Adjektive sei nicht von plico ‚falte‘ oder plecto ‚flechte‘ abzuleiten, sondern zu plaga ‚Fläche, Gegend‘ zu stellen (I 383). Damit entspräche es gr. , dessen Hinterglied nur nach Frisk I 397 s.v. am ehesten von abzuleiten ist. Chantraine 274 s.v. schwankt dagegen zwischen und ‚Schlag‘ De Vaan 473 s.v. -plex wendet sich gegen WHs Ableitung und plädiert für *plek- „to plait, twine“ als zweiten Kompositionsglied von duplex (so bereits Ernout/ Meillet 188) und (für das er gleichwohl die Bedeutung „in two layers“ angibt). Beekes 338 s.v. beruft sich auf ihn und optiert für die Herkunft von (und duplex) von . 414 Aigeus mit dieser sozialen Funktion Mitleid erheischt, und Iason spielt sie bei ihrem zweiten Zusammentreffen die einsichtige ehemalige Ehefrau vor, schlüpft also in eine soziomoralische Rolle. Und wie in den besagten anderen Fällen sozial inszenierten Intratheaters wird dessen Status dadurch abgeschwächt, daß diese Verstellung keinen ästhetisch-künstlerischen Zwecken, sondern soziopragmatischen dient. Gleichwohl korreliert dieses erfolgreiche Intratheater nicht nur mit dem Metatheater, mit dem Medea ihre transgressiven Racheakte inszeniert, sondern ist auch die Voraussetzung für deren Gelingen. Freilich erstreckt sich die erfolgreiche Maskerade aufs Verbale. Medeas Mimik verrät sowohl Kreon (v. 271 f.: / ’ […]) als auch Aigeus (v. 689: ’ ) und Iason selbst (v. 446 f.) den Groll gegen ihren Gatten, wobei sie Aigeus diesen Grund selbst offenbart (v. 690). Das transverbale Metatheater unterläuft also Medeas souveräne Inszenierung. Sofern die diskursive Doppelbödigkeit die eigentlichen Racheabsichten anklingen läßt, liegt eine Form von Ironie vor. Indem Medea dem konformen, allgemein akzeptierten Reden einen transgressiven Subtext unterlegt, unterminiert sie das so performierte Regelgefüge, d.h. Nomos und Logos. Diese Fassade stürzt mit der Transgression jäh ein, der Graben zwischen individueller Transgression sowie Nomos und Logos klafft auf, dessen Subvertierung wird offenbar. Medeas Rede ist wie ihr Selbst durch den gespalten. Er tritt im Selbst der originären, usuellen und sozialkonformen Mutterliebe entgegen und wirkt, indem er das Planen pervertiert und instrumentalisiert hat, in der Rede unter der Oberfläche der Sozialkonformität auf seine Verwirklichung hin. Die Spaltung von Medeas Selbst und Rede in mindestens zwei Ebenen wurzelt jedenfalls in der sozialen Interaktion des Dramas. Daß Sprache der Verständigung auf gemeinsame Sichtweisen und Ziele dient, ist ebenso alltäglich wie banal. Daß dabei nicht immer alle Diskursteilnehmer sich in gleichem Umfang einbringen, sondern einer sich auf Kosten anderer teilweise oder ganz durchsetzt, ist gleichfalls alltäglich. Bei der Kommunikation zwischen Medea und ihren Kontrahenten, die, sofern sie für den Handlungsverlauf relevant sind, durchweg Männer sind, wendet die Frau auf dem verbalen Schlachtfeld eine besonders erfolgreiche Kriegslist an: Anfänglich unterlegen, verstellt sie sich, um schließlich über ihre Widersacher faktisch vollständig zu triumphieren. Das explizit Gesagte und Zugestandene entspricht nicht dem Intendierten. Insofern ist Medeas Rede klar ironisch. Da ihre Doppelbödigkeit wohlkalkuliert ist, handelt es sich freilich um keine dramatische oder tragische Ironie, wie sie bei Oidipus auf weiten Strecken vorliegt, wenn er in verblendeter Unkenntnis seiner Identität spricht. Anders als bei der Doppelung (s. den Anfang dieses Unterabschnitts) besteht zwischen den beiden korrelierten bzw. parallelisierten Entitäten keine eidetische Identität, sondern eine Differenz. Ihre Strategie ist dabei Odysseus nicht unähnlich, der nicht nur seine Intention, sondern auch seine Identität geheimhält. Seine Identität als Sohn des Laertes, Vater des Telemach und Gatte der Penelope ermöglicht ihm schließlich die Restauration seiner Position und damit der gesamten Ordnung. Medea eliminiert dagegen die Menschen, über welche sie sich definieren 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 415 könnte, als Feinde. Die soziale Ordnung wird nicht restauriert, sondern subvertiert. Doch schauen wir uns diese Entwicklung im Verlaufe des Stücks einmal genauer an: Die Verstellung beginnt in der Szene mit Kreon (v. 271-356), der Medea gleich zu Beginn mit räumlicher Eliminierung bedroht (v. 272-274). Medea wendet ihre Ausweisung ab, indem sie den König von Korinth um einen einzigen Tag Aufschub bittet. Ihm gegenüber begründet sie diese Bitte mit der Sorge um den Lebensunterhalt ihrer Kinder (v. 340-342), dem Chor offenbart sie ihre wahre Absicht: Sie will in der Tagesfrist ihre drei Feinde, den König, seine Tochter und ihren untreuen Gatten, töten (v. 371-375, vgl. 366 f.). Daß Kreons Ausweisung mit der Sorge um seine eigene Tochter begründet ist (v. 288, 329), die schließlich Medeas Giftanschlag zum Opfer fallen wird, ist dramatische Ironie, die jenseits der diskursiven Ironie der Figuren liegt; daß Medea ihre Bitte um Aufschub mit dem Verweis auf Kreons Kinder, denen sie doch nach dem Leben trachtet, durchsetzt (v. 344 f.), ist dagegen eine pervertierende Instrumentalisierung der Elternliebe (s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion). Der oberflächliche Kompromiß ermöglicht es Medea also, ihre Mordanschläge auf den konzedierenden Monarchen und seine Tochter vorzubereiten; dagegen ist dessen anfänglicher großspuriger Anspruch, der Souverän der Verhandlung zu sein (v. 274: ) und nicht eher nach Hause zu gehen, als bis er Medea außerhalb der Grenzen des Landes geworfen hat (v. 274-276), mit einer Konzession kläglich gescheitert, die seine und seiner Tochter Eliminierung ermöglicht. Der Herrscher verkehrt sich in ein potentielles Opfer, aus der intendierten lokalen Eliminierung des anderen erwächst die eigene physische. Iason will bei dem ersten Zusammentreffen der Eheleute (v. 446-626) keine Asymmetrie performieren, sondern konstruieren. Denn er bewegt sich nicht wie sein mächtiger königlicher Schwiegervater auf der horizontalen Achse der lokalen Eliminierung und tritt nicht wie dieser intransigent mit herrscherlicher Befugnis (v. 274: ) auf, vielmehr geht es ihm um die kulturelle Hegemonie und die Deutungshoheit über sein Verhalten und die Geschichte, die er mit Medea teilt. Die Kolcherin hält die erste lange Rede dieser Szene, in welcher sie Iason seinen Verrat (v. 489) und Treuebruch vorwirft, der besonders schwer wiegt, weil sie für ihn Vater, Bruder und Haus verraten habe (v. 465-519). 22 Es liegt also bei der verratenen Verräterin eine paradoxe syntagmatische Kontinuität der paradigmatischen und pragmatischen Diskontinuität vor. Iason geht auf Medeas Vorwürfe Punkt für Punkt ein. Medeas Hinweis auf ihre Verdienste um ihn auf der Argonautenfahrt hält er die Version entgegen, Aphrodite habe ihm geholfen (v. 526-528; vgl. Hopman 2008: 161 f.) und Eros Medea mit seinen Pfeilen bezwungen (v. 529-531). Medea wird so in Greimas’ Aktantenmodell von einem Adjuvanten Iasons zu einem Objekt Aphrodites, welche Medeas Rolle als Adjuvant einnimmt. Die Kolcherin verliert bei dieser Umdeutung ihre 22 Medeas lauteres und opferbereites Bemühen um soziale Konformität und Integration geht gut aus Maria Gerolemou, „Medeas Wunsch nach Domestizierung“, in: Bad Women, Mad Women. Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie. Diss. München 2010. Classica Monacensia 40. Tübingen 2011, 285-294 hervor. 416 Rolle als symmetrisches Subjekt der Interaktion. Es geht Iason nicht um eine dialogisch-bilaterale Verständigung, sondern eine unilaterale Überredung. Asymmetrisch kennzeichnet er sein Handeln als rational, Medeas Reaktion dagegen als emotional und töricht (v. 457 f., 614). Doch sein Versuch, Medea weiszumachen, die neue Eheschließung entspringe nicht egoistischen Motiven, sondern der altruistischen Sorge um seine frühere Familie (v. 593-597) und er handle weise ( ), maßvoll ( ) und als Freund Medeas und der Kinder (v. 547-550), mißlingt gründlich. Dies liegt zum einen an seiner eigenen Argumentation. Sie gibt die Doppelbödigkeit auf der expliziten Ebene preis und wird von seinen Thesen als sophistische Perversion von Medeas tatsächlichen Vorwürfen und möglichen Einwänden entlarvt. So offenbart er selbst sein egoistisches Streben, als Flüchtling durch die Ehe mit der Königstochter Schutz und Ressourcen zu finden (v. 551-554, 559 f.). Außerdem geht er so weit, angesichts seiner Sorge um die gemeinsamen Kinder Medeas Umgang mit diesen als überflüssig hinzustellen (v. 565): Mit dieser drohenden Wegnahme ebnet er Medeas Bereitschaft den Weg, die Kinder der Rache an ihm zu opfern. Die Dinge stellt er auf den Kopf, wenn er behauptet, Medea habe für seine Rettung mehr bekommen als gegeben (v. 534 f.), also einen Mehrwert erzielt. Seine Argumentation läßt sich in der Tat gut beschreiben, wenn man die Bourdieuschen Kapitalien um die physische Integrität als Tauschgegenstand erweitert. Medea, so behauptet Iason, habe Ruhm bei den Griechen gewonnen, also soziales Kapital, das er Gold, also ökonomischem Kapital, vorzöge (v. 539- 544) - er argumentiert hier also rein hypothetisch und egozentrisch. Dagegen widerlegt er sich selbst, wenn er behauptet, Medea sei aus einem Barbarenland nach Griechenland gekommen und habe Recht und Gesetze kennen gelernt, die nicht nach dem Recht des Stärkeren ausgerichtet seien (v. 536-538: ). Schließlich praktiziert er, der Hellene, eben dieses Recht des Stärkeren gegen seine entwurzelte Gattin aus dem fernen Kolchis. Zum anderen verfängt gegenüber Medea, die selbst soeben Kreon erfolgreich überredet hat, die Rhetorik nicht. Für sie hat er die verletzt (Gill 1996: 154-174). 23 Sie weist ihn denn auch auf den entscheidenden soziopragmatischen Fehler hin, der in seinem Unilateralismus liegt: Sein Vorgehen war mit ihr nicht abgesprochen und geschah heimlich vor den (v. 586 f.). 24 An dieser Stelle wird besonders deutlich, daß Iason die Sprache nicht zur praktischen Verständigung genutzt hat, sondern nur nachträglich zur Selbstdarstellung einsetzt. Statt - wie immerhin Kreon - das genus deliberativum zu bemühen, verfällt er ins genus iudiciale und hier in den status qualitatis. Eine Verständigung findet weder ideologisch noch praktisch statt. Medea akzeptiert sein Hilfsangebot nicht, von 23 V. 469 f.: , / - [...]. - Das Substantiv verwendet in der Tragödie nur der Chor, der damit seine Anteilnahme an Medeas Leid bekundet (v. 138). 24 / . Iasons Vertrauensbruch wird selbst in der nicht mehr gerechtfertigten Vertraulichkeit deutlich (v. 499): [...]. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 417 Freunden Hilfe für sie und ihre Kinder auf der Flucht zu erbitten (v. 616-618). Daß diese Bitte durch das Senden von geschieht, macht das Scheitern der Kommunikation bereits auf semiotischer Ebene augenfällig. Iasons Angebot ist denn auch ein wohlfeiler Trost. Medeas Klage über ihre Verbannung (v. 604) wird damit kaum abgeholfen. Warum setzt Iason, wenn er doch eigentlich ein Arrangement (oder fast schon eine ménage à trois) im Sinn zu haben vorgibt (v. 559 f.), sich nicht bei seinem Schwiegervater für Medeas Verbleib in Korinth ein? In dieser Szene verheimlicht Medea ihrem Gatten nur ihre Mordabsichten, ihren Haß hält sie nicht zurück und lebt ihren verbal offen aus (vgl. v. 473 f.). Offenheit und intransigente Konfrontation gehen - wie in der Schlußszene - Hand in Hand. Die Differenzen scheinen unüberbrückbar, ein gemeinsamer Nenner wird nicht gefunden. Die Spaltung in zwei isolierte Akteure ist offensichtlich. Dieser Riß wird sich durch die Transgressionen und Eliminierungen bis zum Streit um deren Bewertung in der Schlußszene fortsetzen. Auch wenn Medea keine Ziele erreicht, läßt sie sich von diesem Mann nicht verbal überwinden und in eine inferiore Position abdrängen, sie bleibt ein souveräner Diskursteilnehmer. Sie beendet das Gespräch, indem sie Iason ironisch-sarkastisch zu seiner Braut fortschickt und im letzten Satz in einer ironischen Paradoxie die Verkehrung dieses Freudenanlasses anklingen läßt (v. 623-626: […] ’ / - ). Sie selbst wird diese dunkle Andeutung bewahrheiten. Dies ermöglicht eine Wiederaufnahme der Andeutung, bei der im Triumph die Doppelbödigkeit kollabiert: In der Schlußszene schickt sie Iason fort, um seine Gattin zu begraben (v. 1394). Während dieser Schlagabtausch unentschieden ausgeht, erreicht Medea ihre Ziele bei dem nächsten Mann, dem athenischen König (v. 663-757). Sie schildert wahrheitsgemäß und wie Iason gegenüber mit emotionaler Offenheit ihre mißliche Lage - die Treulosigkeit ihres Gatten und die drohende Ausweisung (v. 690-706) und erlangt in Verbindung mit dem Versprechen, seiner Kinderlosigkeit abzuhelfen (v. 708-730), so das Asyl, das ihre Transgression erst ermöglicht. 25 Anders als in der vorausgehenden Szene mit Iason findet hier also eine echte Kooperation statt. Daß Medea in dem entscheidenden Punkt unaufrichtig ist, weil sie ihre Mordabsichten verschweigt, ist die Voraussetzung für die Pervertierung von Aigeus’ Asylangebot und Kinderwunsch in den Mord an den mit Iason gemeinsamen Kindern (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts). Auch dieses Gespräch beschließt Medea mit einer Vorausdeutung auf ihre Transgression, die hier den Zusammenhang zwischen dieser und dem gewährten Asyl klar erkennen läßt (v. 757 f.). Auch hier liegt keine Verstellung mehr, ein bloßes Verschweigen der tieferen Absicht, sondern eine abgründige Ambivalenz vor. In der zweiten Szene mit Iason (v. 866-975) verstellt sich Medea - anders als in der ersten und in der Schlußszene - vollständig. Der Grund hierfür ist klar: 25 Der Chor meldet freilich Zweifel an, ob das Asyl nicht durch den Kindermord hinfällig wird (v. 846-855). 418 Iason soll daran mitwirken, daß Kreusa Medeas Brautgeschenke annimmt, und so zu einem unfreiwilligen Instrument von Medeas Rache werden. Zu diesem pervertierten Status hat Iason seine mangelnde Bereitschaft zur symmetrischen Kooperation in der vorausgehenden Szene gebracht. Um diese Instrumentalisierung zu erreichen, muß sich Medea so sehr verleugnen und ideologisch an das Gegenüber anpassen wie in keiner anderen Szene. Die ideologische Asymmetrie ist also umgekehrt zur praktischen. Medea übernimmt nämlich in einer Art Mimikry das negative Bild, das Iason von ihr zeichnet. Warf dieser ihr in der letzten Szene Dummheit vor (v. 457 f., 614), so räumt sie, um ihren Sinneswandel zur vordergründigen Kooperation zu erklären, nun ihre und die Vergeblichkeit ihres Zornes ein (v. 882 f.) und begründet ihr vorgetäuschtes Nachgeben damit, sie habe sich eines Besseren besonnen (v. 892 f.), eine wahrhaft abgründige Ironie, da sie tatsächlich ihre Rachepläne vom Mord an Iason zum Mord an den Kindern verschärft hat. Statt seine Argumentation auf Medeas Individualität und ihre gemeinsame Beziehung zu beschränken, hatte Iason sie über den generellen schematischen Gegensatz Grieche vs. Barbarin klassifiziert - und implizit abgewertet. Medea kopiert dieses Verfahren und spielt eingehend auf der Klaviatur des Klischees der weiblichen Emotionalität und Irrationalität (v. 889 f., 928), worin Iason ihr verständnisvoll folgt (v. 909: ), der denn auch zufrieden ihre weibliche Normenkonformität konstatiert (v. 913: ) und den Verbleib der gemeinsamen Kinder in Korinth konzediert (v. 916 f.). Daß er dabei bereits an deren neue Brüder denkt, ist bittere dramatische Ironie, die in seinem Fall auf Unkenntnis des Kommenden beruht und Teil seiner arroganten Ignoranz ist (v. 959-961). Sein naiver Egoismus zeigt sich darin, daß er sich vom erwünschten Aufwachsen der Kinder verspricht, sie mögen seinen Feinden überlegen sein (v. 918-921), wo sie doch in der Gegenwart das Werkzeug seiner Feindin sind. In diesen inferioren Status versetzt Medea ihren ehemaligen Gemahl mit dem bitteren ideologischen Opfer ihrer Weiblichkeit, das misogyne patriarchalische Stereotypen vorauseilend akzeptiert und ihre transgressive Vermännlichung in der Rache vorbereitet. Er ist noch eine größere Selbstaufgabe als im Falle ihrer Fremdheit, denn es ist ja der Ehebund, den Iason aufkündigt und der auf ihrer Weiblichkeit beruht. Der Gegensatz von Griechin und Barbarin gibt dagegen bloß den Ausschlag zugunsten ihrer Rivalin. Doch Medeas Verstellung instrumentalisiert und subvertiert nicht nur die Sprache, sondern manipuliert sensu stricto auch Rituale, wenn sie ihre Kinder bittet, Iasons rechte Hand als Zeichen der Versöhnung zu ergreifen (v. 899). Durch die Aufforderung an die Adresse der Kinder, das Haus zu verlassen (v. 894 f.), hatte sie zuvor die praktische Regie der Szene geführt, also ihr Intratheater klar erkennbar fortgesetzt. Bereits hier wird die Instrumentalisierung der eigenen Kinder für Medeas Racheplan faßbar, die in ihrem Schlachtopfer gipfeln wird. Doch das verborgene Innere blitzt einmal kurz auf und wird verbal explizit, die Doppelbödigkeit offenbar (v. 899 f.: / ). Am deutlichsten wird der Bruch der Fassade im nonverbal-mimischen Metatheater, da Medea ihre Tränen nicht zurückhalten kann (v. 901-905). Hier ist sie nicht mehr Herrin des Geschehens, sondern wird von 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 419 ihrem Inneren überwältigt, diesmal von der Mutterliebe anstatt des . Die Authentizität des sorgsam verborgenen Gefühls bricht sich in dem Augenblick Bahn, wo ihre eigene Tragik im Kindermord offenbar wird. Doch die Rührung ist dramatisch ambivalent, läßt sie sich doch auf die vordergründig ausgemachte lokale Eliminierung beziehen, während Medea eigentlich die spätere physische im Sinn hat. Die schmerzhafte Verschränkung von tragischer Ironie und Verstellung wird besonders deutlich im Wunsch, die Kinder mögen lange Zeit leben (v. 901), dessen Nichteintritt Medea längst in Erwägung zieht und in der folgenden Monodie endgültig beschließen wird. Hier wird deutlich, daß sich Medeas Souveränität und Tragik in dieser Szene gleichermaßen aus dem Vorherwissen der eigenen Transgression speisen, das sie Iason voraushat. Der Chor, bereits eingeweiht (v. 816), ist auch zu Tränen gerührt und äußert den ahnungsvollen Wunsch, es möge kein größeres Übel als das jetzige eintreten (v. 906 f.), hat also auch die Zukunft wohl im Blick, freilich ohne Medeas Doppelbödigkeit. Nur Iason fragt, warum Medea weine und nicht mit Freuden seine egoistischen Zukunftspläne mit den Kindern aufnehme (v. 922-924). Wenn Medea nachfolgend ihre Tränen aus dem Gedanken an die Kinder erklärt und Iason ihr versichert, er werde gut für sie sorgen, dann wird die Diskrepanz des Bewußtseinshorizontes ebenso klar ersichtlich wie die Verteilung von tragischem Subjekt und Objekt. In dieser Szene ist Medea also dank Intratheater und instrumenteller Perversion ihrer Kinder, die ihre eigene Tragik besiegelt, über einen Iason souverän, der sich ahnungslos in dramatischer Ironie überlegen wähnt. Diese Merkmale verdichten sich zum Schluß hin, wenn Medea vorgibt, die Kinder mit Brautgaben zur Prinzessin zu schicken, um diese um deren Verbleib im Lande zu bitten (v. 946-951), wobei die drehbuchartigen Anweisungen an die Kinder in v. 969-975 mit gespielter Unterwerfungsgeste (v. 970: ’ ) das Asylritual (v. 971: ’) pervertieren. In der ersten Person Singular Futur ( ) des Einleitungsverses (v. 946) zeigt sich Medeas Souveränität als Autorin des proleptisch-zukunftsbestimmenden Drehbuchs, in der Ironie des Verses ihre pragmatische Überlegenheit über ihren untreuen Gemahl. Überdeutlich wird die Ironie auch im hyperbolischen Makarismus der Braut, die den besten Mann als Gatten bekomme (v. 953), denkt man an die superlativische Anrede zurück, die Medea Iason in dem ersten Vers entgegengeschleudert hat, den sie bei ihrer ersten Begegnung sprach (v. 465). Daß Medea ihm dort vorwarf (v. 466), komplettiert die Verstellung und die von ihr gesteuerte dramatische Ironie. Medea wechselt hier, um in den bereits für andere Szenen bemühten Großgattungen der antiken Rhetorik zu bleiben, innerhalb des genus demonstrativum von der Schmachin die Preisrede. Daß die Gaben von ihrem Großvater Helios stammen (v. 954 f.), verklammert Vergangenheit und Zukunft auf einer größeren Skala, wird Medea doch auch mit dessen Wagen nach vollendeter Transgression fliehen. Diese dramatische Ironie entgeht Iason, der in ebensolcher - freilich gönnerhaft-naiver, da er Medeas Mittellosigkeit fürchtet - diese bittet, die Geschenke (immerhin das einzige verbleibende genealogische Kapital der Heimatlosen) zu behalten und nicht zu geben (v. 961: ). Denn die Nichtgabe fiele mit der Rettung der Kinder (vgl. die Ambivalenz von ) zusammen, deren Tod 420 für Medea nach dem Mord an der Königstochter besiegelt ist. Wenn Medea bekennt, sie kaufe ihre Kinder nicht nur mit Gold, sondern mit ihrem eigenen Leben von der Verbannung los (v. 967 f.: ), dann drückt dieser Iason unverständliche Satz exakt und authentisch den tragischen Preis der genealogischen Selbsteliminierung aus, den Medea für ihre Rache in Wahrheit zu zahlen bereit ist. Der Austausch der familiär-genealogischen Integrität gegen etwas anderes, den wir in der Einleitung als Wesenszug der Tragik festgesetzt haben, ist hier in der Formulierung mit Händen zu greifen. Daß Medea als Austauschobjekt nicht ihre soziale Integrität nennen kann, ist der Verstellung dieser Szene geschuldet. Auf der Oberfläche ihrer Formulierung entspricht ihr Verhalten dem heroischen Muster, weil sie vorschützt, ihr eigenes Leben für die lokale Permanenz ihrer Kinder zu geben. Daß es sich bei dem vorgeblichen Austauschobjekt freilich um die Nichteliminierung, wenn auch eine räumliche, der Kinder handelt, ist bittere tragische Ironie. Dabei ist am Versende in v. 968 zumindest morphologisch durchaus ambivalent und könnte auch als Nominativ auf Medea selbst statt im Akkusativ Plural auf ihre Söhne bezogen werden, 26 was syntaktisch die einzige Möglichkeit ist, den Satz zu konstruieren. Somit hebt Medea auf ihre eigene Eliminierung durch Kreon ab, die ihr gesamtes Eliminierungskalkül in Gang gesetzt hat (v. 373-375). Damit wird ihre Mitleid und Beistand erheischende Situation als lokal und sozial bindungslos evoziert, in die sie sich scheinbar gefügt hat (v. 934-937). Iason nimmt dies gar nicht zur Kenntnis und unterläßt es folgerichtig, dieses freie Radikal durch (Re-)Integration zu neutralisieren. Mit den eliminatorischen Folgen dieses Versäumnisses wird er in der Schlußszene konfrontiert. Diese ist nachgerade die Umkehrung der soeben besprochenen. Die Doppelbödigkeit bricht zusammen, Medeas scheinbare Unterwerfung verkehrt sich in räumliche Überlegenheit und sozialen Triumph. Hierin schlägt nach Vollzug der Transgression die Diskrepanz um, die vor diesem ironisch zwischen Worten und Intention bestand. Medea heuchelt nicht mehr, sondern läßt ihrem Haß und ihrer Verachtung freien Lauf. Der Schmerz über den Verlust der eigenen Kinder, mit dem der Triumph bitter erkauft ist, wird Iason gegenüber mit der erfolgreichen Wahrung der sozialen Integrität weggeleugnet (v. 1361 f.). In der Restauration der sozialen Integrität ist Medea wieder eine einzige Person. Daß der Zusammenbruch der Doppelbödigkeit für Iason eliminatorische Folgen hat, wird sinnfällig in Medeas Prophezeiung, er werde von einem Trümmerstück der Argo erschlagen werden (v. 1386-1388). 27 Die Handlungsstruktur der Medea ist also wie im OT organisiert, wo die erforschte und die erforschende Handlung mit Oidipus’ Erkenntnis seiner transgressiven Identität zusammenfallen und die Handlung sich in der postidentifikatorischen Phase in einem Strang fortsetzt. In beiden Tragödien ist der Konvergenzpunkt die Transgression des Protagonisten, 26 Mastronarde 325 f. a.l. und Page 144 a.l. diskutieren diese Möglichkeit nicht. Elliot 52 a.l. und Flacelière präzisieren zu „acc. pl.“ bzw. „= “, schließen also wie Mossman 165 („my children’s exile“) die implizierte Ambivalenz aus. 27 Näheres dazu sowie zum Zusammenbruch von Logos und Nomos und deren partieller Restauration s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 421 dort ihre Erkenntnis, hier ihr Vollzug. Gleichwohl ist die Handlungsstruktur im Falle Medeas insofern verinnerlichter, als die beiden getrennten Stränge innerhalb der Handlung auf Medeas Person beruhen, während sie im OT durch die Zeitachse geschieden sind. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts Das Novum dieser Tragödie im Zusammenhang mit der Transgression ist, wie bereits in der Einleitung dieses Kapitels angedeutet, deren Psychologisierung, 28 an der sich auch das hier vertretene Konzept von Tragik aufzeigen läßt. Auch wenn der Plan, die eigenen Kinder zu töten, in der Interaktion Medeas mit der sozialen Umwelt bereits im Verlaufe des Stücks Kontur annimmt, reift er doch erst in einem ausführlichen Monolog (v. 1019-1080) zum Entschluß heran, dessen letzten drei Verse 29 die Aufmerksamkeit der antiken wie modernen Interpreten auf sich gezogen haben und an denen in diesem Abschnitt die skizzierte Interpretation vorgeführt werden soll (v. 1077-80): […] . Die Deutung dieser Verse zerfällt in der Antike wie Moderne in zwei Gruppen: 30 Die eine, vertreten durch Chrysipp und Bernard Knox, der Medea selbst als einziges Hindernis für ihre Pläne ansieht und auf ihr Plädoyer mit sich selbst hinweist, 31 sieht trotz gewisser Unterschiede hierin einen Beleg für einen psychologischen Monismus, der Medea als einheitliche Person auffaßt; die andere, vertreten durch den Platoniker Galen und Bruno Snell, 32 erblickt in dieser Beschreibung den Kampf widerstreitender Seelengrößen. Diese beiden Richtungen, deren Interpretation der offene euripideische Dramentext wohl zuläßt, 33 rücken 28 Vgl. Albin Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. Studienhefte zur Altertumswissenschaft 2. Göttingen 2 1956, 163 zu dieser Tragödie und zum Entscheidungsmonolog. In der dritten Auflage von 1972 fehlt dieser Gedanke. 29 Der viertletzte Halbvers wird zumeist fortgelassen, hier jedoch zitiert, da er für ein besseres Verständnis dieses Textstücks relevant ist. 30 Der folgende Überblick stützt sich auf die doxographische Systematisierung in Christopher Gill, Did Chrysippus Understand Medea? Phronesis 28 (1983) 136-149, h. 136-139. 31 Word and Action. Baltimore 1979, 299 f. Doch sieht er wie die vorliegende Arbeit, daß der gegenüber dem Ich etwas Fremdes ist: „She addresses herself to her own thumos, her passionate heroic anger, as if it were something outside herself.“ Die Opposition von und den Medea selbst zugeordneten Gefühlen setzt sich auch bei Knox’ folgender Konfliktuierung dieses Verhältnisses fort, deren Formulierung trotz einer gewissen Uneindeutigkeit eher dem platonisch-dynamischen Modell als dem stoischen dominativen zuneigt („In this great scene the grim heroic resolve triumphs [Hervorh. v. mir] […] over the deepest maternal feelings of the hero herself.“). 32 Szenen aus griechischen Dramen. Berlin 1971, 54-60. 33 So zumindest Pigeaud 1989: 384: „[…] il existe deux lectures possibles des vers d’Euripide : une lecture dualiste […] et une lecture moniste.“ Jörn Müller, „Doch mein Zorn ist Herrscher über meine Pläne“ - Willensschwäche aus Sicht der Stoiker. In: Ds., Roberto Hofmeister Pich (Hgg.), Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike. BzA 287. Berlin 422 jedoch gegenüber einer dritten Deutung zusammen, die nicht primär als Manifestation oder Repräsentation eines Seelenteils, sondern entsprechend dem Sprachgebrauch des Stückes 34 schlicht als ‚Pläne‘ (v.a. den Kindermord) deutet und nicht als ‚überwindet‘, sondern als ‚beherrscht‘ versteht. 35 Hier zeigen sich bereits die elementaren philologischen Fragen, die mit dem Verständnis des Monologs verwoben sind und deren Aporie in etliche Athetesen mündete, die in der Tilgung des sog. zweiten Teils qua zweite Version, vielleicht durch den Dichter selbst, gipfelte. 36 Gewiß muß eine tiefergehende Interpretation, wie sie hier versucht werden soll, auf philologisch sicherem Grund stehen, um nicht schief zu werden. Für die hier verfolgte Fragestellung ist es freilich weder erforderlich noch zweckdienlich, in den letzten Winkel des philologisch-interpretatorischen Dornengestrüpps der fraglichen Euripides-Passage vorzustoßen, 37 weil der gesuchte Rosengarten in anderen Gefilden liegt. Die meisten der bisherigen Interpreten sind nämlich mit falschen Kohärenzerwartungen an den Text herangetreten. Sein Ziel ist - anders als bei den beiden divergierenden Philosophenschulen Stoa und Akademie - nicht eine begrifflich exakte kategoriale Erfassung des menschlichen Innenlebens. Auch Snells stringente Analysen der Medea laufen Gefahr, am Text vorbei entsprechend seinem Erkenntnisinteresse 38 die großen Linien der griechischen Geistesgeschichte herauszuarbeiten, zu denen auch die Entstehung eines einheitlichen Personenkonzepts gehört. 39 Gewiß läßt sich die Medea als geistesgeschichtliche Etappe lesen, doch muß eine solche Lektüre der dramenliterarischen Spezifik dieses Textes 2010, 45-68, h. 49-63 hat eindrucksvoll vorgeführt, daß sich dieser Passus unter den Prämissen der stoischen Philosophie als Willensschwäche analysieren läßt, ohne freilich den positivistischen Nachweis zu erbringen, daß die entsprechenden Philosopheme in der stoischen Medea-Interpretation in Anschlag gebracht wurden. 34 V. 372 (Medea: ’ … ), 769 (Medea: ), 772 (Medea: … ); 1044, 1048 (Medea: ). 35 Hans Diller, . Hermes 94 (1966) 267-275. Seine Deutung vertreten Helene Foley, Medea’s Divided Self. Cl. Ant. 8 (1989) 61-85, h. 71, Christopher Gill, Personality in Greek Epic, Tragedy, and Philosophy. The Self in Dialogue. Oxford 1996, 223 f. und Arbogast Schmitt, Leidenschaft in der Senecanischen und Euripideischen Medea. In: Francesco del Franco (Hg.), Storia, poesia e pensiero nel mondo antico. Studi in onore di Marcello Gigante. Neapel 1994, 573-599, h. 591 („Der Thymos ist Herr meiner (Mord-)Pläne“). Seine Argumentation, Medea repliziere mit dem Hinweis, der Zorn beherrsche ihre Pläne, auf Iasons unverschämte Aufforderung in v. 449, die Pläne der Herren von Korinth zu ertragen ( ), ist zwar intratextuell feingesponnen, beruht allerdings nur auf der Wiederkehr identischer Lexeme bei gänzlich verschiedener syntaktischer Verbindung; inhaltlich wäre Medeas trotzige Replik denn auch mehr als töricht, da das Sich-Fügen in fremde Pläne eine gewisse Einsicht voraussetzt, während die Regentschaft des über ihre eigenen Pläne eine Bankrotterklärung ihrer rationalen Subjektivität darstellt. Statt fremder Vernunft folgte Medea dann eigener Unvernunft. 36 Vgl. hierzu das Referat bei Diller 1966: 268 und Reeve 1972 (passim). Ablehnend Bernd Seidensticker, Euripides, Medea 1056-1080, an Interpolation? In: Ds., Über das Vergnügen an tragischen Gegenständen. Studien zum antiken Drama. Hg. v. Jens Holzhausen. München 2005, 88-108, der unerklärbare Sprünge einräumt. 37 Für die bis dahin erschienene Literatur zu Euripides’ Medea s. Foley 1989: 61 f. 38 Vgl. Die Entdeckung des Geistes. Göttingen 6 1986, 7. 39 Vgl. Snell 1986: 18 f., 81. 3. Euripides’ text 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 423 Rechnung tragen. In ihm geht es um die dramatische Präsentation eines inneren Konfliktes und einer Entscheidungsfindung. Diese Darbietung geschieht auf dem Wege des formalen Monologs, der freilich situativ-pragmatisch dialogisch ist, da sein binnenpragmatischer Adressat teilweise die Kinder und sein generisch-bühnenpragmatischer Adressat das Publikum ist. Der innere Dialog mit dem Seelenteil ist das generische Novum gegenüber Aischylos’ Persern, in denen der Chor (v. 10: ) und Xerxes (v. 991: < > ) in szenischer Introspektion die Stimme ihres Innenlebens monologisch in ihre theatralische verwandelt haben. Medeas Rede bringt dagegen die Anrede und das Zwiegespräch mit einem affektiven Seelenteil auf die Bühne. Bei ihnen handelt es sich um zwei literarische Darstellungsformen, die bis dahin nur im Epos 40 (Od. 20.13- 21: , Odysseus sinnt jedoch im [20.5 & 10]) und in der Einzellyrik (Archilochos frg. 128 W.: ) 41 beheimatet waren, die deshalb inhaltlich wie formal als interpretatorisch wertvolle Kontrastfolie fungieren können. Der dramatische Konflikt, der sich bislang (und auch in der Medea, s.u. und die vorangehenden Unterabschnitte) zwischen Figuren, Rollen, Normen, Integritäten und Intentionen abgespielt hat, wird um eine psychische Dimension erweitert. 42 Ohne Zwiegespräch schildern Heraklit (DK 22 B 85) 43 und Theognis (1.631 f. W.) 44 wie Medea einen agonalen Konflikt mit dem - , doch überwiegt bei ihnen der Appell zur erfolgreichen Disziplinierung. Bedeutungswechsel und die der Dichtersprache eigenen Ambiguitäten sind dabei probate Mittel, um das seelische Schwanken und die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Innenlebens und des daraus folgenden menschlichen Handelns auszudrücken. 45 Dieses Darstellungsverfahren ist dem Gegenstand angemessener als ein durchstilisiertes Plädoyer nach allen Regeln der literarischen Rhetorik. Leichtere Inkonzinnitäten lassen sich auch mit der Komplexität der Sachlage und Entscheidungsfindung erklären. Medea muß nicht nur eine sozial hochkomplizierte Konstellation mit normativen Implikationen analysieren, son- 40 Zu den vier Selbstdialogen bei Homer vgl. Marcel van Ackeren, Die Philosophie Marc Aurels. Habil. Köln 2010. Bd. 1: Textform, Stilmerkmale, Selbstdialog, Bd. 2: Themen, Begriffe, Argumente. Quellen und Studien zur Philosophie 103. Berlin 2011, Bd. 1, 212-231. 41 , † † < > † < > , . 42 Auch Gill 1983: 136 spricht von einem psychischen Konflikt. Der moralische, den Snell 1971: 57 sieht, bewegt sich jedoch auf der motivationsstrukturellen Ebene und betrifft nicht Medeas Monolog. 43 . 44 . 45 Müller 2010: 52 hat denn auch treffend mit Medeas Schwanken (v. 1042-62), das unseren dreieinhalb Versen vorangeht, das Oszillationsmodell der diachronen Willensschwäche in er stoischen Pathogenese exemplifiziert. d 424 dern Handlungsalternativen und deren Folgen gegeneinander abwägen, und zwar vor dem Hintergrund ihrer beiden konfligierenden Hauptregungen Mutterliebe und Rachestreben. Diese Überlegungen erlauben es, von den früheren Deutungen zurückzutreten und den Text einer genauen Lektüre zu unterziehen, um so nicht nur die Fragestellung nach der Psychologisierung der Transgression und ihrer Tragik zu klären, sondern dabei auch ein neues Licht auf die alten Kontroversen zu werfen. Euripides’ sprachliche Gestaltung verleiht einer seelischen Kategorie ein besonderes Gewicht, die in den elaborierten psychologischen Modellen der antiken Philosophie nur am Rande zur Beschreibung ihrer Hauptbegriffe erscheint 46 und die erst in der Moderne zu ihrem vollen Recht kommt, 47 dem Ich. 48 Entsprechend seiner grammatischen Subjektfunktion ist für das Ich m.E. nur eine innere Tätigkeit erforderlich. Für das Selbst müssen jedoch - wieder entsprechend den grammatischen Kategorien - Rückbezüglichkeit, d.h. Reflexivität, und innere Selbstbetrachtung vorliegen. 49 Das Selbst existiert also als geistiger Gegenstand des Ichs. 50 Da in unseren dreieinhalb Versen Medea den Sieg des über ihre Ratschlüsse konstatiert, liegen sowohl Ich als auch Selbst vor. Die eigenen Ratschlüsse ( ) werden dadurch zum Selbst, daß das Ich sie betrachtet ( ), als eigen vindiziert ( ) und deren Usurpation durch einen Dritten feststellt. Bevor wir diesen Souveränitätsverlust und seine Wahrnehmung durch das Ich betrachten, wollen wir die kognitive Funktion des Ichs näher anschauen. Dieses dramatische wie geistesgeschichtliche Auftreten des Ichs hängt poetisch-dramatisch mit der Ich-Form des Monologs zusammen, der Medeas Introspektion dem Rezipienten offenlegt 51 und so eine sprachliche Verlängerung der Introspektion schafft. Der Rezipient blickt also mit Medeas Augen in ihr Innenleben. Dies suggeriert ihm zumindest die dramatische Fiktion. Das ist eine be- 46 Für ein Selbst bei Platon und Galen s. Gill 1983: 145 f. Anm. 6. 47 Einen aktuellen neurobiologischen Zugang bieten Werner Siefer, Christian Weber, Ich. Wie wir uns selbst erfinden. Frankfurt a.M. 2006. Doch werden im stark klinisch geprägten Kapitel „Das zerbrechliche Selbst“ (S. 9-34) nicht Ich und Selbst geschieden. 48 Bereits Reinhard von Bendemann, Die kritische Diastase von Wissen, Wollen und Handeln. Traditionsgeschichtliche Spurensuche eines hellenistischen Topos in Römer 7. ZNTW 95,1-2 (2004) 35-63, h. 44 erkennt die „Ich-Rede“ und das reflexive Ich als wichtige Elemente in Medeas Monolog. 49 Für die identische Unterscheidung von Subjektivität des Ichs und Reflexivität des Selbst s. Paul Ricœur, Soi-même comme un autre. Paris 1998, 11 f. 50 Diese perspektivische Verknüpfung von Ich und Selbst scheint innerhalb der langen, an die vorfindlichen sprachlichen Pronomina anknüpfenden philosophischen Reflexion über Reflexivität, Subjektivität und Individualität Neuland zu betreten. Noch stärker grenzt Manfred Frank, Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer ‚postmodernen‘ Toterklärung. Frankfurt a.M. 1986, 23-25 den Begriff des pronominalen Ichs auf einen kollektiv eingebetteten Subjektstatus ein, wenn er gegen Heidegger und Sartre zu Recht darauf insistiert, daß man sich mit dem Gebrauch des Personalpronomens der ersten Singular ohne Individualisierung „lediglich als Subjekt vor[ge]stellt: als Exemplar einer Gattung von selbstbewußten Wesen seinesgleichen.“ 51 Vgl. Bendemann 2004: 42: „Der Schlußmonolog [ist] […] auf Kommunikation mit dem Zuschauer hin konzipiert.“ 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 425 achtliche Form der kommunikativen, intersubjektiven Transzendenz. Die Bezeichnung ‚Transgression‘ scheidet mangels klarer Grenzverletzung aus, es sei denn, man nimmt an dem psychologischen Voyeurismus Anstoß, der bereits dem dramatischen Text eingeschrieben ist. ‚Penetration‘ ist berechtigt, wenn man den etymologischen Wortsinn aktualisiert, 52 rückt das Schauspiel aber in die Nähe des Phallogokularzentrismus, 53 bei dem sexuelle Penetration, optische Wahrnehmung und intellektuelle Erkenntnis als parallele Modi der Aneignung erscheinen. Läßt man den ersten Bestandteil dieses Vierfachkompositums fort oder neutralisiert zumindest seine hier problematisierte sexuelle Konnotation, beschreibt es komplikationslos, daß die sinnlich-körperliche Performanz Medeas dem Zuschauer und v.a. Zuhörer den Einblick in ihr Innenleben gewährt. Jenseits dieser terminologischen Spekulationen kann jedoch festgehalten werden, daß die Bühne dazu dient, das menschliche Innere zu erforschen. Es handelt sich dabei um exploratives Theater, das bereits in Aischylos’ Persern in Erscheinung trat, wo die Bühne das Fremde und der Polis Ferne erkundet. In Euripides’ Entscheidungsmonolog korreliert der Unmittelbarkeit der mimetischen Introspektion die Unmittelbarkeit des haptischen und optischen Kontakts, den Medea mit ihren Kindern hat (v. 1069-1077). Introspektion und sprachliche Kommunikation sind bis heute wesentliche Quellen für die Entwicklung von Modellen des Selbstbewußtseins und menschlichen Innenlebens, 54 doch die Prekarität dieser Ansätze (das Selbstbewußtsein reflektiert entweder über sich selbst oder hat nur unmittelbaren, sprachlich vermittelten Zugriff auf seinen Gegenstand) mahnt zur Vorsicht bei der Applikation solcher Modelle auf die vorliegende Tragödienszene. Heuristisch wertvoll ist die Introspektion für das Verständnis der Medea also nur als exploratives dramatisches Verfahren, nicht aber als Quelle von psychologischen Modellen, die dem Drama übergestülpt werden. Um zum Souveränitätsverlust zurückzukommen: Beachtet man genau, wie die grammatischen Kategorien der ersten Person Singular verteilt sind, kann dieser geschärfte Blick nicht nur die Psychologie der Entscheidungsfindung zur Transgression und die ihr inhärente Tragik erhellen, sondern auch ein neues Licht auf manche alten Kontroversen werfen. In v. 1077 ( ) und v. 1078 ( ) ist Medea grammatikalisch noch Subjekt. Allerdings bekennt sie in v. 1077 den faktischen Verlust ihres Subjektsstatus an eine unpersönliche, abstrakt formulierte Größe, deren Objekt sie wird. Das im folgenden Vers ist dagegen zentral für das Verständnis dieser Szene. Es zeigt an, daß sich Medea dieses Kontrollverlusts bewußt ist, den sie in den nächsten beiden Versen näher ausführt. Selbstbewußtsein und Introspektion wahren also ihren Status als kognitives Subjekt. Sie können jedoch nur konstatieren, daß in ihrem Inneren eine Kraft die Oberhand gewonnen hat (v. 1079): . 52 p n trare < p nitus ‚(von) innen‘ (WH II 281 s.v. penitus, Ernout/ Meillet 496 s.v. penus, de Vaan 458 s.v. penus). 53 Zu diesem Begriff vgl. Martin Jay, Downcast Eyes. The Denigration of Vision in Twentieth- Century French Thought. Berkeley 1993, 493-542, v.a. 494. 54 Vgl. Regine Kather, Person. Die Begründung menschlicher Identität. Darmstadt 2007, 67-124. 426 Das Konstatieren der eigenen Hilflosigkeit ist in unserem Zusammenhang das Entscheidende. Das Possessivpronomen zeigt an, daß Medea das planende Element sich am nächsten sieht oder sogar als Teil oder Instrument ihrer selbst, ihres Ich, betrachtet. Das ist der entscheidende Unterschied zu allen oben zitierten literarischen Vorgängern, bei denen die angeredeten oder konfligierenden seelischen Größen kein Personal- oder Possessivpronomen bei sich haben. Daß Medea wie ihre Vorgänger auf eine pronominale Aneignung des verzichtet, stellt dessen desubjektivierende Selbständigkeit in eine Traditionslinie. Auch die Wortwahl ist bedeutsam: Medea spricht nicht von Mutterliebe ( ), sondern von , 55 konstatiert also nicht als unbeteiligter Betrachter die Dominanz eines Handlungsmotivs, sondern die Usurpation ihrer (Handlungs-)Intentionen durch eine emotionale Macht. Dem planenden Element tritt der emotional-impulsive also ohne Possessivpronomen als eigenständige, überlegene Größe entgegen, 56 wie er schon in der Anrede in v. 1057 als innerer Dialogpartner, aber nicht Teil Medeas erschien. 57 Bereits dort versucht Medea, ihn im Zaum zu halten ( ’ ), vergeblich, wie die 55 An sie knüpft William W. Fortenbaugh, ,Antecedents of Aristotle’s Bipartite Psychology. GRBS 11 (1970) 233-250, h. 233-240 eine aristotelisierende Deutung. Die Zusammenhänge in Medeas Verhalten, welche die vorliegende Arbeit als tragisch auffaßt, sieht er als deckungsgleich mit Aristoteles’ gender-spezifischem Verständnis des . Abschließend stellt er nämlich fest, Medeas Beschreibung erhelle Aristoteles’ Behauptung, das der Frau sei herrenlos (Pol. 1260a 12 f.: ): Dieser Satz besage, daß das Überlegen („reasoning“) der Frauen nicht in der Lage sei, ihre Emotionen zu kontrollieren. Dies illustriere Medea dadurch, daß sie zwar eine Überlegung über ihre Antwort auf Iasons Verrat anstellen könne, die sich im Bereich zweckrationaler Erwägungen von Mittel und Ziel bewege, aber nicht über diese Antwort selbst reflektieren könne (1970: 240), die zweifellos emotionaler Natur ist. Die entscheidende Brücke zwischen EN und Aristoteles’ Tragödienverständnis führt Fortenbaugh nicht an: In Poetik 1454a 20-22 billigt Aristoteles bei der Besprechung der Charaktere dem Sklaven und der Frau die grundsätzliche Fähigkeit zur Tüchtigkeit ( ) zu, merkt jedoch an, die Frau sei im allgemeinen unterlegen ( ) und der Sklave untüchtig ( ). Damit wird nicht nur bei der Frau, sondern auch bei dem Sklaven dieselbe Einschränkung der ethischrationalen Fähigkeit wie in der Politik vorgenommen (Pol. 1260a 12 f.). Ein gewichtiger Vorbehalt gegen Fortenbaughs Brückenschlag ergibt sich allerdings daraus, daß Aristoteles in der Poetik nichts dergleichen über Medea schreibt, obwohl er diese Tragödie doch zweimal erwähnt, davon einmal mit Blick auf Medeas Transgression (Poet. 1453b 28 f.). Eine derartige geschlechtsspezifische Einschränkung von Medeas Status als ethisch-rationales Subjekt statt einer handlunggstrukturellen wurde ihre Fähigkeit zur Tragik nach dem Verständnis der vorliegenden Untersuchung a limine untergraben. Es ist nur Medeas gesellschaftliche Position als Frau und Fremde, die sie für die männlichen Eliminierungen ihres Gatten und des Landesherrn so vulnerabel macht, daß sie den unkontrollierbaren entwickelt. Trotz fehlender intertextueller Evidenz bleibt Fortenbaughs Brückenschlag rein typologisch-komparativ möglich, nicht zuletzt aufgrund der interpretatorischen Spannweite, die Euripides’ Text zuläßt. So deutet Fortenbaugh entsprechend der klassischen Philosophie agonal, ignoiert jedoch die Verteilung des Possessivpronomens (1970: 237: „ is stronger than “). 56 Snell 1971: 55, Dihle 1977: 12 und Foley 1989: 71 verwischen dagegen den entscheidenden Unterschied, indem sie nicht nur , sondern auch mit Possessivpronomen übersetzen. Die richtige Verteilung der Possessivpronomina bietet Gills Übersetzung (1996: 223). Eine sachgerechte, nicht allzu verfremdende Übersetzung wäre wohl statt des Possessivpronomens oder seiner Weglassung das Präpositionalattribut „in mir“. 57 Schadewaldt 1926: 198 erkennt richtig die Spaltung, die im ‚Du‘ liegt, spricht aber fälschlicherweise von einem „zweiten Ich“. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 427 vorliegenden Verse zeigen, und bereits dort droht er zum aktiven Moment, zum des Geschehens zu werden ( ). Der Sieg des wird besonders deutlich dadurch, daß er auf die abwesenden Feinde zielt (v. 1050, 1060), während Medea in den unmittelbar vorausgehenden Versen unter dem sinnlichen Eindruck ihrer physisch präsenten Kinder steht (v. 1069-1077). Die Mutterliebe als Widerpart des Rachestrebens ist also in dieser Szene durchaus faßbar, wenn auch nicht im lexikalisiert. 58 Medea hat in der ersten Hälfte des Monologs noch ihren Weich- und Wankelmut, der sie zur Aufgabe der Mordpläne drängt, so erfolgreich bekämpft (v. 1044-1052), daß sie nun des angefachten Affekts nicht mehr Herrin wird. 59 Die , die Bernhard Teuber in unserer Tragödie erblickt, trifft also nur auf den ersten Teil des Monologs zu, den er denn auch zusammen mit v. 1236-1250 für diese Selbstmanipulation zitiert. 60 Teubers hermeneutische Ellipse zeigt, daß die in der Forschung diskutierte Athetese des zweiten Monologteils nicht nur die Figur der Medea zu einer kalkulierenden Rächerin vereinfachen würde, 61 sondern auch das Drama seiner spezifischen Tragik berauben würde, die im folgenden näher beleuchtet werden soll. Die besagten zwei Phasen von Medeas Pathogenese lassen sich auch dem scheinbar widersprüchlichen Pathosverständnis der Stoa zuordnen, demzufolge der Affekt durch ein fehlgeleitetes Urteil des Betreffenden entsteht und somit verhindert werden kann, jedoch auch (nach seinem Zustandekommen) wie die Füße gewissermaßen von allein laufen kann. 62 Der , nicht Medea, wird also zum praktischen Subjekt, ja, mehr noch, er bemächtigt sich ihrer, wirkt durch sie und steht an der Spitze des handlungstheoretischen Modells, das in der Textstelle durchschimmert. Als Klammer dient dabei , das in den fraglichen dreieinhalb Zeilen nicht weniger als dreimal vorkommt und kontextuell am 58 Dagegen reduziert Albrecht Dihle die Komplexität des Konflikts in unzulässiger Weise, wenn er den mit der Mutterliebe identifiziert, wobei er die vorausgehende Schilderung der Mutterliebe nicht berücksichtigt (Euripides’ Medea. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Philosophisch-historische Klasse 1977,5, 13, 27). Dihle argumentiert, in v. 865 wende der Chor ein, Medea werde nicht die Kraft haben, die Kinder umzubringen, wenn diese ihre Arme ausbreiten würden, ihr würde die Tat nicht zulassen. Dieses Argument, das durch den parallelen Bezug auf die Kraft zum Kindermord berechtigt ist, wird dadurch entkräftet, daß Medea in v. 1056 f. den apostrophierten als die treibende Kraft zum Kindermord hinstellt ( / - ). 59 Müller exemplifiziert das von ihm Persistenzmodell genannte Deutungsmuster einer synchronen Willensschwäche, bei dem der Affekt als exzessiver Drang ( ) aufgrund einer Zustimmung die Kontrolle über die Vernunft übernimmt und diese sich so selbst entmachtet (2010: 55: „Hier ist dann die individuelle Vernunft nicht mehr Herrin im Haus, also , sondern entmachtet sich selbst durch die ursprüngliche Zustimmung zumindest temporär), an unseren Medea-Versen (2010: 58-60). 60 2003: 251-253: „Medea leistet eine gleichsam perverse Arbeit am Selbst, um überhaupt zur Transgression fähig zu werden.“ 61 Vgl. Lesky 1956: 164 (fehlt in der dritten Auflage von 1972): „Von ihm [sc. dem in der griechischen Tragödie einzigartigen Monolog Medeas] öffnet sich das Verständnis des Ganzen.“ Sowie ibid. Anm. 1: „G. Müllers Athetese der Verse 1056-80 verkennt die Besonderheit dieser in den erhaltenen Tragödien einzigartigen Partie.“ 62 Vgl. Gill 1983: 139 f. Nachweise s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa. 428 ehesten den Kindermord bezeichnet, die Transgression also hinter einem gewissen abstrahierenden Euphemismus verbirgt. Bereits im Oidipus Tyrannos stand ja für die gewaltsame Eliminierung, die vom Protagonisten ausgeht (v. 1330). In unserem Passus ist der nicht nur für die größten Übel der Menschen ursächlich, sondern er hat die Oberhand über Medeas Erwägungen gewonnen. Daraus läßt sich erklären, daß sie im Begriff steht, Übel zu tun (v. 1077). Über die kontrolliert der also Medeas Handeln. Das in v. 1077 schlägt eine weitere Brücke zwischen und Medea. Es impliziert zwar auch, daß Medea dem Schmerz über den bevorstehenden Kindermord erliegt, doch läßt es vor allem erkennen, daß sie vom übelwirkenden dazu genötigt wird, die Tat auszuführen. Die bisherige Interpretation verwendete für die beiden in der Forschung diskutierten Deutungen (‚er ist stärker‘ vs. ‚er beherrscht‘) nebeneinander. Dies entspringt keiner philologischen Nachlässigkeit, sondern der Überlegung, daß wie bei beide Bedeutungen impliziert sein können: 63 Der überwindet zuerst Medeas Ratschlüsse und lenkt sie alsdann im folgenden bzw. er kann sie nur beherrschen, wenn er ihre Eigenständigkeit gebrochen hat. Vom Standpunkt des Souveränitätsverlustes ist auch die Frage, ob es sich bei und nun um Seelenorgane oder aktuelle Emotionen bzw. Gedanken handelt, sekundär. Das Suffix des nomen acti weist - als Noëma aus, doch deuten Artikel und Possessivpronomen auf eine gewisse Verstetigung hin. Zudem realisiert sich auch die seelische Potenz nur im Akt. Die aktuellen Bewußtseinszustände lassen sich also als Manifestationen seelischer Grundgegebenheiten deuten. Um die Relevanz für die Handlungssteuerung zu betonen, um die es bei der bevorstehenden Transgression ja geht, wäre vielleicht ‚Seelenkräfte‘ die treffendste Bezeichnung, auch wenn sie zur Potenz hin tendiert. Entscheidend für das hier vertretene Verständnis des Stückes ist jedoch, daß das Ich sich seines Souveränitätsverlusts bewußt ist (v. 1078: ), 64 da es wahrnimmt, daß die Emotion die Oberhand über seine Entscheidung gewonnen hat. Kognitiv ist das Ich in der Introspektion noch Subjekt, doch emotional-impulsiv und dramatisch-kausal ist es das Instrument des . Nicht nur der Kontrollverlust gegenüber den angeredeten psychischen Entitäten bzw. , sondern auch dessen Bewußtsein und das Bewußtsein um seine Ver- 63 Diller 1966: 275 kann für beide Bedeutungen Beispiele aus der Medea anführen, die ungewöhnlichere dominative („die [Bedeutung] des ‚Herrschers über‘“) aber noch durch Beispiele aus den Bakchen sowie aus Platon und Aristoteles stützen. Müller 2010: 59 sieht diese Übersetzung als adäquate Wiedergabe des stoischen Persistenzmodells der Willensschwäche an, das er in dieser Szene wiederfindet. Umgekehrt findet sich die komparativ-agonale Verwendung in einer fast identischen Formulierung an der zitierten Theognis-Stelle (1.631 f. W.): / - . 64 Dieses Bewußtsein der eigenen Schwäche steht für Müller 2010: 57 im Einklang mit dem stoischen Persistenzmodell der Willensschwäche. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 429 derblichkeit unterscheiden diese Szene von Homer und Archilochos. 65 In dem Selbstbewußtsein, seinen Status als handlungsbestimmendes Subjekt zu verlieren und das performative, hilflose Instrument einer inneren Kraft zu sein, die in der Odyssee und bei Archilochos noch beherrscht werden konnte, und in dem Bewußtsein, daß man durch deren Wirken in der Zukunft genötigt wird, mit dem Kindermord Leid über sich selbst zu bringen, um einem anderen gemäß diesem inneren Impuls zu schaden, liegt die spezifische Tragik dieses Stücks. Sie weist damit nicht nur die im entsprechenden Kapitel der Einleitung definierten Tragikmerkmale Selbstbezug und Selbstvollzug (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik), sondern auch als Novum die Selbstwahrnehmung auf. Die Autoreferentialität wurde im Falle von Selbstbezug und Selbstvollzug rein paradigmatisch mit der grammatischen Kategorie des Mediums korreliert, im Falle der Selbstwahrnehmung läßt sie sich an der ersten Person und ihrer besonderen, reflexiven Distribution festmachen. Die Selbstwahrnehmung betrifft den fremdbestimmten Selbstvollzug, der überdies selbstschädigend ist: So souverän, planvoll, kalkuliert und selbstbeherrscht 66 Medea praktisch und gegenüber ihrer sozialen Umwelt als 67 agiert und damit dem aristotelischen Typus des entspricht (Poet. 1456a 22), sogar ohne wie dieser betrogen zu werden, so exekutieren sie und ihre Pläne bloß ihren . Medeas Tragik entspricht damit der weitergefaßten Definition von Tragik, die in der Einleitung entwickelt und auch im Oidipus Tyrannos vorgefunden wurde. Sie stuft eine Transgression dann als tragisch ein, wenn sie von einer Bühnenfigur nicht als souveränes ethisch-rationales Subjekt vollzogen wird und dieses sich dabei selbst aufhebt, wobei dieser Vorgang durch externe Faktoren induziert, aber nicht nezessitiert wird, 68 kurz: die situative Dysfunktion des ethischrationalen Subjekts in der Handlungsstruktur wurzelt. Diesen Zusammenhang hat die Detailanalyse der Interaktion, die sich zwischen Medea und ihrer sozialen Umwelt im bisherigen Verlauf des Dramas entsponnen hat, wohl hinreichend untermauert (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos). Während in der hellenistischen Psychagogie die Wahrnehmung des eigenen Inneren der Autoreflexion und Herstellung des Status eines ethisch-rationalen Subjekts dient (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik in der Einleitung), offen- 65 Für weitere Unterschiede vgl. Snell 1971: 56 f. Die Moral, die Snell in Euripides’ Medea sieht, gehört jedoch nicht dazu, wie die Interpretation von gezeigt hat. 66 So auch Dihle 1977: 16. 67 Diese Eigenschaft entwickelt das Stück im Dialog mit der bedrohten sozialen Umwelt. Kreon knüpft dieses Attribut gleich an Medeas Schädlichkeit (v. 285): . Performativ und intratheatralisch versucht Medea diese Befürchtung durch Schauspielerei zu zerstreuen (v. 303, 305): / […] / . Und Iasons Feststellung, - (v. 539), der sein Plan für ein Arrangement mit Medea folgt, das für ihn vorteilhaft ist, für diese aber kaum akzeptabel, kontert Medea mit der Drohung, wer sie ungerecht behandle und sich aufs Reden verstehe, werde eine üble Strafe erleiden (v. 580 f.), womit sie Iasons Selbstlob zunichte macht, der sich wegen seines Planes als bezeichnet hatte (v. 548). 68 Medea hat selbst den Widerpart des ausgeschaltet (v. 1044-52). 430 bart sie hier den Verlust dieses Status und verstärkt so die Tragik wie ein Echo. Die klassische Anagnorisis, die Agaue nach dem wahnhaften Sohnesmord in Euripides’ Bakchen in ihre vorausgehende infantizidale Transgression gewinnt (v. 1284), ist hier zur Einsicht in die eigene Hilflosigkeit gegenüber den treibenden seelischen Gewalten vor der Transgression umgestaltet; nur der Antagonist Iason gewinnt wie in der klassischen Anagnorisis post festum Einsicht in die Tat (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason). Eine ähnliche Einsicht in unheilvolle Kräfte des Innenlebens wie im Falle des zeigt Medea, wenn sie in v. 1028 die als ihren eigenen verderblichen Charakterzug verurteilt. Im Unterschied zum erkennt sie damit ein Urteil der sozialen Umwelt an. Denn die war ihr zuvor von der Amme (v. 104) und Iason (v. 621) vorgeworfen worden. Auch die Bewertung der sozialen Umwelt teilt sie: In v. 223 hatte Medea sich von dieser Eigenschaft in der aufrichtigen Klage über ihr Schicksal gegenüber dem Chor am Beispiel eines fiktiven Dritten distanziert. Bei Oidipus ist die Funktion des kognitiven Teils seines Subjektstatus beeinträchtigt, weil er seinen Vater in Unkenntnis von dessen und seiner eigenen Identität erschlägt, bei Medea der ethisch-impulsive, weil sie die Entscheidung zum Mord an ihren Kindern unter dem Einfluß eines Racheaffekts fällt. Medeas ist freilich, wie es bei der bisherigen Betrachtung scheinen könnte, kein dämonischer Inkubus, 69 der von ihr wie ein Virus von einer Zelle Besitz ergreift und sie zur Selbstschädigung zwingt. Die Tragik der Transgression ist von der bloßen dämonischen Verwüstung durch den kontraproduktiven Versuch geschieden, die eigene Integrität zu wahren. Bei der Interpretation des Oidipus Tyrannos kam zum Vorschein, daß die Flucht vor der vorhergesagten Transgression ihn in eben diese führt. Die volle Nachvollziehbarkeit, ja Legitimität von Medeas hat eine genaue Lektüre der bisherigen sozialen Interaktion des Dramas gezeigt (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos). Der Entscheidungsmonolog nennt zwei Aspekte von Medeas Streben nach Wahren ihrer sozialen Integrität, die den erklären und den Kindermord motivieren. Es ist dies die Strafe ihrer Feinde (v. 1049 f.: […] ’ / ) und der Wunsch, ihre Kinder den Feinden nicht zur Ehrverletzung zu überlassen (v. 1060 f.: […] / ). Aus diesem Grund verweigert sie noch in der Schlußszene Iason die Auslieferung der Kinderleichen (v. 1380). Diese Motive und der - als Streben nach Wahren der sozialen Integrität an sich dürften den Zeitgenossen durchaus als berechtigt erschienen sein (s. 1.4.5 Tragik, soziale Integrität und Religion der Einleitung), 70 zumal der Zorn trotz des Risikos gemeinschaftsschädigenden, transgressiven Übermaßes von Homer, den Tragikern bis zu Ari- 69 Für die Deutung als Dämon vgl. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Der Tragiker Melanthios von Rhodos. Hermes 29 (1894) 150-154, h. 153 Anm. 1, den Schadewaldt 1926: 198 Anm. 1 als „wichtig“ zitiert. 70 Snell 1971: 59 sichert Medea für diese Form, ihre „Reputation“ (schon bei ihm in Anführungszeichen) zu wahren, zu der es keine Alternative gegeben habe, sogar „[u]nser Mitgefühl“ zu. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 431 stoteles als legitim galt. 71 Noch Platon erhebt das , das seinem zweiten Stand im Staate, den Wächtern, zugeordnet ist, zum zweiten Seelenteil hinter dem . Erst die Stoa physiologisierte das vormals noble Gefühl 72 und degradierte es zum krankhaften Pathos, 73 auch wenn die genaue Klassifikation in der stoischen Orthodoxie nicht eindeutig ist. 74 Sie will es psychagogisch eliminieren und raubt ihm dazu sogar die Aura der Männlichkeit. 75 Wenn die Stoa den als Streben nach Vergeltung definiert (SVF III 416: - ), das aus vermeintlich ( ) oder tatsächlich erlittenem Unrecht resultiere, dann beschreibt diese psychologische Analyse ungeachtet der psychagogischen Wertung allerdings treffend den Handlungsverlauf der euripideischen Medea (vgl. 3.2.1 Die Eingangsszene und 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos). Deren Protagonistin handelt also nicht aus niederen Beweggründen, 76 sondern 71 Eva-Maria Engelen, Eine kurze Geschichte von ‚Zorn‘ und ‚Scham‘. Archiv für Begriffsgeschichte 50 (2008) 41-73, h. 41-50. 72 Kochen des Blutes in der Herzgegend (SVF III 416: ). Die Abwertung des wird besonders deutlich in dem Dialog, den Kleanthes den mit ihm führen läßt (SVF I 570). Dessen vokativische Anrede ist nicht mehr, wie in der archaischen und klassischen Tradition, Ausdruck eines nachdrücklichen Appells, der über die Vehemenz der angeredeten Regung verzweifelt, sondern desavouiert seine Irrationalität in der nachgerade psychotherapeutisch verständnisvollen Frage des ( ’ ’ - ) und der folgenden ungezügelten, automanifestativen Antwort des ( ), die eine Formel aufgreift, die im Politischen von Platon und Aristoteles als Ausdruck demokratischen Selbst- und Freiheitsverständnisses angesehen und teils problematisiert wurde (vgl. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 95). 73 Schmitt 1994: 576 macht an dieser Abwertung sogar einen „Epochenunterschied“ fest. 74 Beginnende Wut (SVF III 395-397: ), die ihrerseits als Begierde nach der Strafe bzw. Rache an demjenigen, der scheinbar Unrecht begangen hat, definiert wird (SVF III 397) und mit welcher der unter die Begierde subsumiert wird (SVF III 396). 75 Vgl. Seneca De ira passim. (Müller 2010: 57 sieht diese Schrift pauschal als Beleg für das stoische Persistenzmodell der Willensschwäche.) Mark Aurel 11.18.21 fordert, sich in Zornesanfällen ( ) zu vergegenwärtigen, daß nicht das Aufwallen mannhaft ( - ) sei, sondern das Sanfte und Zivile ( ), das menschlicher und männlicher ( ) sei und an Nerven, Stärke und Mannhaftigkeit ( ) teilhabe. Bei dem Zorn steht also nicht mehr die (Wiedergewinnung der) Souveränität gegenüber einem Aggressor und Transgressor wie in Archaik und Klassik, sondern gegnüber der Emotion selbst im Vordergrund, die Souveränität wird aus der Pragmatik in die Psychagogie verlagert. 76 Das muß klärend gegen Rabinowitz 1992: 48 betont werden, die den sexuellen Aspekt in Medeas Bild hervorhebt („The femaleness of sexual desire and the sexual desire of women are accepted by this text, as by Hippolytos. […] As the plot develops, certainly this sexual woman is made dangerous.“). Anders als Phaidra handelt Medea nicht aus Begierde nach einem Mann, mit dem sie in keiner legitimen soziojuridischen Beziehung steht, sondern weil der einzige Mann, mit dem sie eine solche Beziehung hat, diese einseitig auflöst. Der Chor der Frauen und Medea selbst heben an den Stellen, die Rabinowitz anführt, nur auf Medeas leidenschaftliche Liebe und die rachsüchtige Eifersucht ab. Der einzige, der in plump generalisierender Misogynie mit der lexikalischen Betonung auf ‚Bett‘ ( ) auf die sexuelle Komponente der weiblichen Eifersucht abzielt, ist Iason (v. 569-573). Ähnlich ist wie bei der Transgression Iasons sensu stricto sadistisches Verhalten - Michael Oppitz eröffnet seine Ausführungen zur Zirkulation von Frauen, die sich in zivilisierterer Form in Kreons und Iasons Konstruktion einer Beziehung über Heirat und Frauenaustausch fortsetzt, mit einem ausführlichen Zitat aus de Sades Die 120 Tage von Sodom (Notwendige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthropo- 432 trägt in sich einen Konflikt zweier gleichwertiger Motive, der verletzten Ehre und der Mutterliebe ( ), aus, die nicht gleichzeitig praktisch gewahrt bzw. verwirklicht werden können. Es liegen also ein psychischer Konflikt und ein praktischer Ausschluß zweier Integritäten vor, der soziopragmatischen wie der genealogischen (aber auch der soziomoralischen, s. 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression). Mit diesem Integritätenkonflikt erfüllt Medea die formalen Bedingungen für die enger gefaßte Definition von Tragik. Dazu zählt auch die Entscheidungsfreiheit, die wie bereits bei der psychischen desubjektivierenden Tragik grundsätzlich gewahrt bleibt. Beide sind syntagmatisch verkettet: Die Entscheidung, den durch Bekämpfen des Weichmuts stark werden zu lassen, schränkt Medeas Willensfreiheit so stark ein, daß sie ihre Handlungsfreiheit nicht nutzen kann, um die Kinder zu retten. Denn in der Handlungsalternative entscheidet sich Medea letztlich ohne eine unkurierbare äußere Zwangslage. Die massiven Drohungen durch Kreon und Iason, sie auszuweisen oder ihr die Kinder fortzunehmen, schaffen nur eine Notlage und Handlungsanstöße, deren Konkretisierung Medeas Einsicht und Entscheidung überlassen bleibt. Keine äußeren Gegebenheiten zwingen sie zum Kindermord, auch wenn dieser in der Handlungsstruktur verwoben ist. Erst ihr Mord an der Prinzessin läßt eine Situation entstehen, in der das ihren Kindern drohende Unrecht in ihren Augen einen Anlaß schafft, diese aus Mutterliebe zu töten. Diese Notwendigkeit wird von Medea selbst durch vollendete, unumkehrbare Taten geschaffen. Anders als Oidipus die Performanz der Sohnesrolle führt Medea - zumindest in dieser Motivation - nicht primär die Performanz der Mutterrolle in die Transgression gegen eben die geliebten Familienmitglieder, denen man doch wohlgesinnt ist. Das Subjekt hat sich also selbst zur Selbstaufhebung gezwungen. Die grundsätzliche Souveränität Medeas zeigt sich daran, daß sich viele Elemente ihres Racheplans - zumindest in der Absicht ihrer Interakteure - zu einem Rettungsplan zusammenfügen ließen. Doch Medea pervertiert sie nachgerade (Näheres s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion). Das Asyl, das Aigeus ihr in Athen anbietet, von ihm gedacht als Rückversicherung gegen ihre Bedrohung in Korinth, wird als ein sicherer Zufluchtsort die Voraussetzung ihres Verbrechens. 77 Die Geschenke an die Königstochter lassen diese tatsächlich einwilligen, daß Medea ihre Kinder mitnimmt, und doch töten sie die Prinzessin qualvoll und schaffen so einen scheinbaren Sachzwang für den Kindermord (v. 1236-1240) (Medea hätte die lebendigen Kinder ebenso gut wie die toten auf ihrem Drachenwagen evakuieren können), welcher die Paradoxie logie. Frankfurt a.M. 2 1993, 75-89) - demjenigen vorgängig, das Rabinowitz in Medeas inszeniertem Mord an der Königstochter ausmacht (1992: 50: „pornographic pleasure“; „perverse sadist“ - nach Darstellung der Tragödie; vgl. aus der Perspektive der Prinzessin 1993: 145: „paradoxical pleasure in pain“). Auch die Annullierung der Ehebande, die Medeas Transgression motiviert, geht nach ihrer Auffassung von Iason aus, der eine neue Verbindung eingeht (vgl. Hopman 2008: 158). 77 Vgl. dazu Jonas Grethlein, Asyl und Athen. Die Konstruktion kollektiver Identität in der griechischen Tragödie. Diss. Freiburg i.Br. 2002. Drama 21. Stuttgart 2003, 335-345, h. 335 f., der auch auf den Wandel Medeas von einer Leidenden zum Agens und den Wechsel in der Haltung des Chores hinweist, der den Kindermord verurteile. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 433 rechtfertigt, daß die Mutter ihre Kinder tötet (v. 1240 f. = v. 1062 f.): […] / . Die paradoxe Formulierung der Transgression selbst darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß deren Handlungskonstellation - anders als Oidipus’ Flucht vor dem Elternfrevel, die ihn geradewegs in diesen führt und ausschlaggebend für die tragische Transgression ist - kein paradoxes Element innewohnt. Nachdem die vorliegende Arbeit ihre eigene Interpretation entwickelt hat, kann sie sich abschließend kurz gegenüber den Grundzügen der früheren positionieren. (Die Details wurden ja bereits beiläufig verhandelt.) Aristoteles bietet in der Poetik zwei verstreute Bemerkungen über Euripides’ Medea. Deren zweite kritisiert das Ende dieser Tragödie (1454b 1 f.) und wird in dem entsprechenden Abschnitt unserer Interpretation zur Sprache kommen (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason). Die erste konstatiert bloß, daß Medea ihre Kinder wissentlich töte (1453b 28 f.). Der objektive wie subjektive Aspekt dieser Feststellung sind grundlegend, aber nicht spezifisch für das hier diskutierte Verständnis von Medeas Tragik. Die älteste erhaltene Auslegung der euripideischen Medea stammt von Chrysipp. Anders als Aristoteles ging es Chrysipp jedoch nicht um eine Theorie des griechischen Dramas, sondern um die Illustration seiner eigenen komplexen Psychologie. Die Stoiker waren die stolzen Erben des sokratischen Intellektualismus, 78 Euripides’ Tragödien (darunter auch die Medea) versuchen aber möglicherweise - in einem bilateralen Disput mit Platons Dialogen - dessen Grenzen aufzuzeigen 79 oder formulieren zumindest eine Gegenposition zur sophistischen und sokratischen These von der Lehrbarkeit der Tugend. 80 Dieser Dissens warnt davor, unkritisch einen allzu großen Beitrag des zweiten Gründers der Stoa zum Verständnis der euripideischen Medea zu erwarten, der er doch zeitlich noch näher als wir stand. Zu dieser Vorsicht mahnt auch der Umstand, daß Chrysipps Position größtenteils nur aus dem Referat des Platonikers Galen bekannt ist, der gegen sie polemisiert. 81 Daß das Possessivpronomen zu , aber nicht zu tritt, schafft eine Dysbalance zwischen den beiden Seelenkräften, die auf den ersten Blick nicht recht mit dem ethischen Intellektualismus und rationalen Monismus des Chrysipp vereinbar ist oder zumindest wie dessen Umkehrung wirkt: Nicht das Urteil bestimmt die Emotion, sondern diese jenes. Immerhin ist die Ambivalenz von in v. 1079 mit der Psychologie der beiden Philosophenschulen kompatibel: Deutet man es als ‚stärker‘ (wofür in v. 1077 ein vages Indiz ist), entspricht es der platonischen Sicht, daß der zweite Seelenteil den vernünftigen überwindet; sieht man darin dagegen die Bedeutung ‚beherrschen‘, wäre dies die stoische Sicht, daß die Leidenschaft von dem Besitz ergreift und die Denk- 78 Vgl. hierzu Michael Erler, Stoic oikeiosis and Xenophon’s Socrates. In: Theodore Scaltsas, Andrew S. Mason (Hgg.), Zeno of Citium and his Legacy. Larnaka 2002, 239-257, h. 241 f. 79 So jedenfalls Snells Interpretation (1971: 63-74; so auch Ds., Das früheste Zeugnis über Sokrates. Philologus 97 (1948) 125-134). 80 Desmond J. Conacher, Euripides and the Sophists. Some Dramatic Treatments of Philosophical Ideas. London 1998, 26-41, v.a. 36. Näheres zu Conachers Argumentation s. 7.2.3 Phaedra und die Amme in der Phaedra-Interpretation. 81 Gill 1983: 136. 434 weise pervertiert (sog. ; Näheres s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion). 82 Diese zweckrationale Pervertierung der Vernunft zu einem irrationalen Zweck hat Seneca treffend als ratio […] prava et […] in perversum sollers bezeichnet (vit. beat. 5,2). Sie ist klar in der Medea zu erkennen: Selbst wenn man die Frage nach der Legitimität des ausklammert, keinen tragischen Konflikt zwischen sozialer und genealogisch-genetischer Integrität annimmt und nur an der paradoxen Perversität des Kindermordes durch die biologische Mutter festhält (vgl. v. 1062 f. = 1240 f.), bleibt die zweckrationale Instrumentalisierung von Medeas Planen und Handeln bestehen. Denn sie tötet ihre Kinder nicht wie Agaue im Wahn, in Unkenntnis von deren Identität, oder wie Theseus in Unkenntnis des wahren Sachverhaltes, sondern aus einem Rachekalkül, dessen Schritte wohlüberlegt und orchestriert sind. Abschließend noch ein Wort zur strittigen Semantik von : Das Fehlen des Possessivpronomens (v. 1079) in v. 1044 und v. 1048 spricht dagegen, an allen Stellen zwingend dieselbe Bedeutung anzunehmen, 83 doch wäre die allgemeine Deutung als ‚Pläne‘, ‚Erwägungen‘ für alle Stellen möglich, die zudem sowohl mit der dominativen wie der agonalen Semantik von - vereinbar wäre. Nimmt man die dominative an, so wird der Kindermord zum Implikat: „Der Zorn beherrscht meine Pläne, so daß diese auf den Mord an meinen Kindern hinauslaufen.“ Grundsätzlich muß man auch mit einer kalkulierten Ambivalenz rechnen, die im Vergleich zu Ovids univozierender Formulierung von Medeas Dilemma (met. 7,19 f.: aliudque cupido, / mens aliud suadet) deutlich zutage tritt. Bei dem augusteischen Dichter stehen sich zwei Seelenkräfte gegenüber. Medea identifiziert sich mit keiner von ihnen. Bei Euripides führt die Ambivalenz zu einer abweichenden binnen- und bühnenpragmatischen (Be-)Deutung. Dem Rezipienten bleibt es dabei überlassen, Medeas Selbstbeschreibung anthropologisch zu universalisieren. 84 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression Im vorangehenden Abschnitt wurde die Entscheidungsfindung zur Transgression untersucht. Nicht nur bei ihr, sondern auch bei der Darstellung, ja Inszenierung der Transgression ist das entscheidende Novum die Selbsttätigkeit des 82 Die von ihr ausdrücklich als „Stoic“ bezeichnete Interpretation („controls“) untermauert Isabelle Torrance, The Princess’s Gruesome Death and Medea 1079. CQ 57 (2007) 286-289, h. 288 f. mit durchaus bedenkenswerten Betrachtungen zur symbolischen Wiedergabe von Motivationen und Charakterzügen in der Tragödie. 83 Vgl. Dihle 1977: 13. Bendemann 2004: 43 deutet den „Umbruch in Sprachgebrauch und Perspektivik“ als „ein weiteres Indiz für die generalisierende Tendenz der Schlußverse“ und Hinweis „auf die Ambivalenz der euripideischen Figur insgesamt“. Reeves Einwand, die vorliegende Stelle verkehre das Verhältnis von und , dessen Produkt sie doch an den Stellen seien, wo sie ‚Mordpläne‘ bedeuteten (1972: 55), ist durchaus berechtigt und führt zur vielschichtigen Semantik von . 84 Das ist der große Unterschied zu Phaidra im Hippolytos, welche diese Brücke explizit schlägt (v. 373-387), wie klärend gegen Bendemann 2004: 43 festgehalten werden muß, der in dieser Tragödie die „anthropologische[n] Generalisierung […] noch weiter vorangetrieben“ sieht. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 435 Transgressors. Dieses aktiv-poetische Element sieht Bernhard Teuber nicht, der die Darstellung der Transgression untersucht. Euripides’ Medea dient dem Münchner Romanisten als Beleg für die Un/ Darstellbarkeit des transgressiven Opfers, das im Zentrum der abendländischen Tragödie stehe (2003: 248, 251- 253). 85 Diese These kann er an den Versen 1053-55 festmachen, die Schadewaldt 1926: 196 nach eigenem Bekunden nicht sicher verstehen konnte: . Die ritualgeschichtlichen Hintergründe hat erst Walter Burkert treffend erhellt: 86 Bei jährlichen Substitutsopfern in Korinth wurde statt der zeitweise im Heiligtum der Hera Akraia eingeschlossenen, schwarzgewandeten jeweils sieben Jungen und Mädchen eine schwarze Ziege als Sühne für den Mord an Medeas Kindern geopfert, die dort begraben seien. Dabei fand Medeas vermeintliches Schwert Verwendung. Euripides hat, in Wahrung des , seine Medea-Tragödie um die damals noch kultisch wirksame Überlieferung herumkomponiert. Dafür spricht etwa, daß Medeas Tatinstrument ein Schwert ist. Medea entspricht auch insofern dem rituell-dionysischen Handlungsschema, das im privaten Bereich die Ehe sprengt, als sie wie eine Mänade ihren Mann verläßt. 87 Doch läßt diese äußere Parallele die Motivation im Stück außer acht. Auch der zitierte Passus läßt sich nicht auf diese ritualgeschichtlichen Hintergründe reduzieren und sein hermeneutisches Potential zugunsten einer bloßen Reverenz an die Überlieferung neutralisieren. Denn selbst innerhalb der rituellen Logik sind Medeas Worte keine bloße Reproduktion der Riten, sondern doppelbödig und unpassend, 88 heißt es doch bei den Opfervorschriften: . 89 Medea gehört gleich zu beiden Personengruppen, was die Unangemessenheit ihres Verbots unterstreicht. Medeas sakrale Wortwahl und die Adresse eines religiösen Verbots an andere wirken auch angesichts ihrer Tat unangemessen und vermessen, ja frevlerisch. 90 Dies trifft um so mehr zu, als 85 Für eine ausführlichere Darstellung von Teubers Thesen s. 2.2.2 Ritual in der Einleitung. 86 Greek Tragedy and Sacrificial Ritual. GRBS 7 (1966) 87-121, h. 117-119. 87 S. dazu s. Walter Burkert, Homo necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen. 2., um ein Nachwort erweiterte Auflage. Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 32. Berlin 1997, 206. 88 Helene P. Foley, Ritual Irony. Poetry and Sacrifice in Euripides. Ithaca, NY 1985 widmet der Medea kein eigenes Kapitel. Zu unserer Stelle bemerkt sie nur, daß Medea der Tötung ihrer Kinder die Aura eines Opfers verleihe, insistiert also ganz richtig auf dessen eigenmächtiger Fiktionalität. 89 SIG 3 Nr. 1024 Z. 9 & 27. 90 Hopman 2008: 176 sieht in Medeas Wortwahl eine Anspielung auf die Orestie, die ebenfalls mit Opfersprache gespickt sei, wie Froma I. Zeitlins Forschungen gezeigt hätten (The Motif of the Corrupted Sacrifice in Aeschylus’ Oresteia. TAPhA 96 (1965) 463-508; Postscript to Sacrificial Imagery in the Oresteia (Ag. 1235-37). TAPhA 97 (1966) 645-653). Konkret verweist Hopman 2008: 178 auf Ag. 224 f. … , doch zeigt eben diese Parallele die Perversität von Medeas Deklarierung um so deutlicher, da sie bei der Tötung der eigenen Kinder keinem Bruder zur Rache für eine entführte Ehefrau verhelfen und keine Gottheit besänftigen, sondern bloß ihrem gegen den untreuen Ehemann willfahren muß; auch Zeitlin 1965: 464 versteht unter dem „corrupted sacrifice“ exakt das, was Medea bei dem Kindermord 436 Medea bislang in der Tragödie das Substantiv im traditionell-religiösen Sinne verwendet hat, einmal personifiziert als Schützerin der Eide, die Iason gebrochen hat (v. 160, 169, vgl. 209), dann, wie an der vorliegenden Stelle sakral-sozioexklusiv für die sinnliche Nichtwahrnehmung des Göttlichen, dort für das Hören des an Aigeus ergangenen Orakels (v. 676, 678). Es handelt sich allein deshalb um kein echtes, dem rituellen Code entsprechendes Opfer, weil keine Gottheit als Adressat benannt wird. Die Tötung der eigenen Kinder stellt nicht die durch Iasons Treulosigkeit gestörte Weltordnung wieder her, sondern reagiert bloß auf die Störung, welche diese Tat in der sozialen Ordnung und Medeas Innenleben verursacht hat. Nach der Logik des Dramas, wie sie im Entscheidungsmonolog expliziert wird, opfert Medea ihre Kinder keiner äußeren Gottheit, sondern ihrem . Die soziojuridische Transgression des Kindermordes performiert also kein traditionelles Opferritual, sondern pervertiert es 91 und wird dadurch zusätzlich zur religiösen Transgression. Diese Perversion des Opfers durch die Ausrichtung auf die eigene Leidenschaft wird in Senecas Medea explizit (v. 1019 f.: plura non habui, dolor, / quae tibi litarem.). Das Ritual formt also keineswegs als exogenes Paradigma die Handlung der jeweiligen Tragödie, sondern wird in beiden Tragödien von einer Dramenfigur in einem souveränen Akt von außen zur (Be)Deutung der Handlung und Schöpfung der eigenen dramatischen Identität hineingenommen. Dabei ist die Semiogenese, wie im Folgenden gezeigt werden soll, bei Euripides ausgeprägter, während bei Seneca die Perversion des Rituals der Konstruktion eines ästhetisch Bösen dient, die bei dem kaiserzeitlichen Dramatiker voll entwickelt und bei Euripides erst in nuce erkennbar ist. Dieser Akt konstruiert also sowohl die Souveränität der Dramenfigur wie des Dramas selbst und damit der dramatischen Kunst an sich. Die Ritualpoetik funktioniert also, um die Logik zu bemühen, die der Wortbildung dieses Substantivs innewohnt, gemäß ihrem endozentrischen, determinativen Kompositumtyp von der Poetik her, die ihr Subjekt ist, und nicht vom Ritual her, das ihr Objekt ist. Medeas souverän-poetischer Umgang mit Kultus und Ritus setzt sich nach der Schlachtung der Kinder fort und erlangt hier über die Kultstiftung und nachträgliche Semiogenese eine innovative Funktion. Sie will nämlich die toten Knaben, wie sie Iason nach deren Ermordung mitteilt, im Hain der Hera Akraia bestatten sowie ein Fest und Mysterien ( ) als Sühne für den Mord stiften (v. 1378-1383). Sie spricht hier nicht mehr von ‚Opfer‘ (dieses Wort verwendet tut, nämlich die Darstellung von gewaltsamem Blutvergießen nicht als Mord, sondern rituelle Schlachtung, mit Klytaimestra handelt es sich auch um einen weiblichen Täter und ein innerfamiliäres Opfer. Hopman bettet diese Beobachtung in ihre Interpretation ein, Medea rette sich durch eine geschickte Manipulation der Sühneprozesse der Orestie. So richtig dieser Nachweis literaturwissenschaftlich ist (Näheres s. den folgenden Abschnitt), so sehr muß entsprechend dem mimetischen Realismus des Theaters darauf hingewiesen werden, daß die Sühne eben erst mit der Kultstiftung erfolgen kann. 91 Segal 1986: 27 f. erblickt ähnlich in Sophokles’ Trachinierinnen eine Perversion des Opferritus (dort zu einer Tötung des göttlichen Menschen durch den Tiermenschen), die sich ebenfalls in den Geschichten („stories“) von Thyest, Iphigeneia in Aulis (? ) und auf Tauros, Medea und Aias finde (hierfür verweist er pauschal auf die beiden genannten Titel von Burkert), also eine Transgression und Störung der normalen sozialen Handlungsstruktur. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 437 überhaupt nur sie in der Tragödie an der besprochenen einzigen Stelle [v. 1054]), sondern technisch von ‚Tötung‘, markiert also ihre eigene Darstellung vor der Tötung als singulär. Sie selbst restauriert die Ordnung, die sie zuvor gestört hat. Die Frage drängt sich auf, mit welcher Legitimität Medea in beiden Fällen als Sakrifikantin und Kultstifterin auftritt. Gewiß hat sie dadurch in der Tragödie einen Bezug zur göttlichen Ebene, daß der Drachenwagen, mit dem sie entflieht, ein Geschenk ihres Vaters Helios ist (v. 1321 f.). In diesem Akt gipfelt die Souveränität, mit der Medea sich, wie eben ausgeführt, über soziojuridische, religiöse und sprachliche Konventionen hinweggesetzt hat. Sie setzt sich in Medeas metasprachlicher und intratheatralischer Auktorialität fort und findet im Stück selbst einen binnenhermeneutischen Anker in den Erwähnungen von Medeas (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts). Diese Souveränität der Transgression, die nur noch von Senecas Phaedra übertroffen wird, die anders als Medea ohne äußere Not einer transgressiven Leidenschaft verfällt, ist neben ihrer Psychologisierung ein markantes Spezifikum der Transgression in dieser Tragödie. Während bei dieser das Innenleben pervertiert wird, pervertiert und neuert jene die tradierten religiösen und sprachlichen Codes. Das signifiant wird für eine transgressive Handlung gebraucht, mit der es semantisch nur die Tötung gemein hat. Diese Zuordnung zu einem neuen signifiant verleiht der Transgression die konnotative Aura der sakralen Legitimität, die zu dem signifié von gehört. Es ist also die Wortwahl, mit der Medea sich als souverän stilisiert und inszeniert. Medea setzt sich bei ihrer Souveränität nicht bloß über Grenzen hinweg, sie bestimmt diese neu, auch im Bereich der Sprache. Das betrifft nicht nur die Zuordnung von signifiant, signifié und Referenz bei , sondern auch die Binnen- und Bühnenpragmatik in Gestalt von Chor und Publikum, da Medea Anwesende ausschließt. Stellt Medea den Zuschauern die (Nicht-)Anwesenheit hier noch anheim, so performiert sie den Ausschluß beim Vollzug der Kindestötung (v. 1270a-1281). Die transgressive Eliminierung vollzieht sich unter Eliminierung von Zuschauern. Dieser angekündigte Ausschluß ist etwas ganz anderes als das übliche Vermeiden von Zeugen bei einem Verbrechen. Denn der szenische Raum dient einer Figur zur Inszenierung ihrer Transgression. Das Überschreiten der Schwelle zum Innen schafft den Raum für die soziojuridische Grenzüberschreitung. Medea gibt nicht nur die psychologischen Hintergründe ihres Verbrechens preis, sie inszeniert dieses auch und wird damit zu dessen und ihrer eigenen Regisseurin. Die Transgression wird dadurch zum Gegenstand und Anlaß von Intratheater und, da wegen der doppelten Kommunikationssituation neben dem Publikum auf der Bühne die Rezipienten des Dramas in den Zuschauerrängen visuell ausgeschlossen werden, von Metatheater. Medea nimmt damit innerhalb des antiken Theaters eine singuläre Position ein. Metatheater ist, wenn solche auftreten, sonst ein Privileg der Götter (Dionysos’ und Aphrodites Prolog in Euripides’ Bakchen und Hippolytos). In Plautus’ Amphitruo verzichten freilich Merkur im Prolog (v. 1-152) und Jupiter im Verlaufe des Stücks (v. 861-881) auf Selbstinszenierung und Verbote an die Adresse des Publikums, sondern erläutern diesem das folgende Bühnengeschehen, das von ihnen maßgeblich gestaltet wird. Als Regisseurin fungiert Medea (sie tritt dort aber nicht 438 als solche auf, weswegen die Bezeichnung ‚Metatheater‘ deplaziert wäre) auch bei einem anderen Teil ihrer Rache, den Tod von Iasons Braut Kreusa (Näheres s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion). Nancy Sorkin Rabinowitz beschreibt Medeas Rolle hierbei als „the playwright orchestrating the death from a distance“. 92 Der Raum, hier der erzählte, dient damit als Bühne der transgressiven Eliminierung. Ein Jahr zuvor beschreibt Rabinowitz Medeas Rolle ebenfalls als Dramaturgin des Botenberichts, 93 hebt jedoch noch auf dessen pornographisches Moment und die übermäßige Erzählung sexualisierter Gewalt ab. 94 Hopman 2008: 156 nennt Medea wegen der Ankündigung ihrer veränderten Pläne in v. 772-810, die das gesamte weitere Geschehen vorwegnehmen, den impliziten Autor. 95 Da ihre poetische Performanz in die Tragödie eingebettet sei, lasse sie sich als mise en abyme lesen. Die dramaturgisch-auktoriale Rolle, 96 welche Medea also übereinstimmend in der Sekundärliteratur zugesprochen wird, rechtfertigt für das von ihr - im wahrsten Sinne des Wortes - inszenierte Geschehen die Bezeichnung ‚Intratheater‘. Ihre souveräne Auktorialität tritt dabei insofern dadurch hervor, daß sie es allein veranlaßt und nicht wie bei der plautinischen Intrige eines servus callidus gemeinsam mit einer anderen Figur zur Täuschung einer dritten in die Wege leitet. Medea verkündet dem Chor ihre Pläne, sie stellt sie nicht zur Diskussion. Medeas Intratheater funktioniert nicht nur über die Kontrolle der Sprache, sondern bei der Transgression wie dasjenige des Oidipus bei der Selbstverstümmelung und deren nachfolgende Zurschaustellung über die Kontrolle der Sinneswahrnehmungen. Dabei gibt es jedoch einen dramaturgischen Unterschied zwischen den beiden Tragödien: Euripides läßt den Kindermord zwar hinter der Bühne stattfinden, transponiert ihn jedoch nicht - wie Oidipus’ Blendung bei Sophokles - in einen Botenbericht. Der Unterschied in der Darstellung läßt sich nach dem Analyseapparat dieser Arbeit bequem mit den verschiedenen dramen- 92 Anxiety Veiled. Euripides and the Traffic in Women. Ithaca 1993, 145. 93 Medeas intellektuelle Überlegenheit und literarische Urheberschaft zeigt sich auch darin, daß dieser Botenbericht mit der „Experiencing focalization“ arbeitet, in deren Verlauf dem Boten das berichtete Geschehen klar wird (Irene J. F. de Jong, Narrative in Drama. The Art of the Euripidean Messenger-Speech. Mnemosyne Suppl. 116. Leiden 1991, 35 f.). 94 Tragedy and the Politics of Containment. In: Amy Richlin (Hg.), Pornography and Representation in Greece and Rome. New York 1992, 36-52, h. 49. 95 Sie kann dabei auf in 156 Anm. 1 genannte Vorarbeiten aufbauen. Für das Konzept des impliziten Autors verweist sie auf Wayne C. Booth, The Rhetoric of Fiction. Chicago 2 1983. Hopman wandelt allerdings Booths Konzept des implizierten Autors bei der Übertragung von der erzählenden auf die darstellende Literatur leicht ab. Bei ihr ist der implizierte Autor eine Dramenfigur, die den Verlauf des Dramas bestimmt, für Booth die kommentierende, wertende, darstellende und fokussierende Instanz innerhalb einer Erzählung, die vom sog. realen Autor („so-called real author“ [1983: 71]) zu trennen ist (1983: 71-77). Allerdings bietet Booths Konzept vom Auftritt des Erzählers als dramatisierter Charakter (1983: 211-221, v.a. 212: „the narrator has made of himself a dramatized character to whom we react as we react to other characters.“) einen Ansatzpunkt, um grundsätzlich sein Konzept des implizierten Autors auf das Drama zu übertragen, auch wenn es hier weiterhin um Wertung statt Gestaltung und um Erzähler statt handelnder Figur geht. 96 Nach Cecelia A. E. Luschnig verwandelt sich die Kolcherin in eine Künstlerin und schafft sich selbst als Rolle (Granddaughter of the Sun. A Study of Euripides’ Medea. Mnemosyne Suppl. 286. Leiden 2007, 185). 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 439 funktionalen Rollen erklären: Medeas Kindermord ist eine eliminatorische Transgression, Oidipus’ Selbstblendung eine restaurative Integritätsverletzung, die auf die Erkenntnis einer eigenen Transgression reagiert. Doch wird auch Medeas Mord an der Königstochter in einen Botenbericht gekleidet. Die hinterszenische, bloß akustische Mimesis ist offensichtlich ein besonderes Kunstmittel, das unbeschadet seiner genauen Funktion die Bedeutung des Dargestellten zweifellos hervorhebt. Es entzieht den Kindermord nämlich nur den Augen der Zuschauer, nicht jedoch ihren Ohren. Sie bekommen die letzten, angstvollen und von Todesahnung erfüllten Worte der Knaben zu hören (v. 1271 f., 1277 f.). Sie sind jedoch bis auf das noch syntaktisch artikulierte in v. 1270a, (die Sprecherangabe eines Kindes ist freilich ergänzt), keine unartikulierten Angst- oder Schmerzensschreie, die parallel zu der faktischen Transgression die Sprache transgredieren würden. Anders als beim wortlosen Dreiwegmassaker im Oidipus Tyrannos erhalten die Opfer der transgressiven Eliminierung eine Stimme. Entsprechend dem lautlosen Gemetzel in Sophokles’ Tragödie bleibt Medea selbst - komplementär zu ihrer Anrede der Kinder im Entscheidungsmonolog - stumm, und komplementär zu dieser Szene ist es das Gehör, nicht der Gesichts- und Tastsinn, über welches die Kinder für den Rezipienten wahrnehmbar werden, während die Transgressorin ihre Opfer über ebendiese Sinneskanäle perzipiert. Doch werden die transgressive Eliminierung und die Not der Kinder in die Metapher der ‚Netze des Schwertes‘ gekleidet, deren Nähe ein Kind beklagt (v. 1278). Die akustisch vermittelte Metapher, deren Paradoxie diejenige des Mordes an den eigenen Kindern spiegelt, evoziert also neben der gegenständlich optischen eine haptische Wahrnehmung. Dies hebt die durch den Rückzug ins Haus erreichte Distanzierung zugunsten einer hautnahen Unmittelbarkeit wieder auf. Die Metaphorik der intratheatralisch inszenierten Transgression funktioniert hier durch die Verbindung von Gehör und Tastsinn synästhetisch: Der optisch ausgeschlossene Zuschauer hört die Schärfe des Schwertes. Die Transgression wird in Euripides’ Medea also literarisch (syn-)ästhetisiert, ja aisthetisiert. Bei der Besprechung der ästhetischen Gestaltung des stummen Dreiwegmassakers im OT wurde bereits ein markanter Unterschied zu Medeas Kindermord angedeutet: Dieser weist - wie Iphigenies Opferung in Aischylos’ Agamemnon (v. 228-238) - die Angstrufe und das Flehen des Opfers um Abwendung auf, die in beiden Fällen ungehört verhallen, ja von Agamemnon mittels eines Knebels noch unterbunden werden (v. 235-238). Es greift zu kurz, diese Verteilung in einem naiven Verismus bloß rein sachlich mit dem Unterschied zwischen einem Handgemenge erwachsener Männer im Niemandsland und einer rituellen oder inszenierten Opferung der eigenen Kinder zu erklären. Die Distribution der Akustik ist keine bloße Widerspiegelung, sondern beruht auf sachgerechter poetischer Auswahl, welche die akustische Ästhetik der unterschiedlichen Situation anpaßt. Es gibt allerdings aufschlußreiche ethische wie ästhetische Unterschiede zwischen den beiden Opferszenen. Die Optik, die von Medea szenisch unterbunden wird, prägt in Aischylos’ Agamemnon den Fortgang der Opfervorberei- 440 tungen, den der Chor schildert, 97 der wie in der Medea die Opferung selbst - dank Kalchas’ vollendeter Kunst - nicht zu Gesicht bekommt (v. 248 f.). Der religiöse maître de cérémonie fungiert also ähnlich wie Medea als Regisseur. Die vorangehende Darstellung wird im Agamemnon vom optischen Modus getragen (v. 242: ’ ), wobei sie durch die Abfolge von Bildern und Handlungen der Ästhetik eines (Stumm-)Films entspricht (v. 239- 247): Iphigenies safranfarbenes Gewand fällt nach unten, sie blickt die Opfernden mitleidheischend an, als ob sie sie ansprechen wolle. Der Blick wird damit seinerseits zum Substitut der Sprache (v. 241: ), welche die gesamte Szene referiert und in der Medea direkt verbal das Hilfegesuch der zu opfernden Kinder ausdrückt. In der Körpersprache des mitleidheischenden Blicks verbinden sich Ethik und Ästhetik. Der Vorwurf, der in der defensiven Aggressivität von anklingt, läßt deutlich erkennen, daß zumindest das Opfer die Schlachtung als Transgression ansieht, und deutet das eliminatorische Verhängnis an, das Agamemnon in dieser Tragödie aus ihr erwachsen wird. Diese Aspekte muß man zusätzlich zur ästhetisierenden Stilisierung Iphigenies zum schönen Opfer berücksichtigen, die mit dem Grauen verschmelze und die Karl Heinz Bohrer treffend herausarbeitet. 98 Gerade am Beispiel der Darstellung der Vorbereitungen von Iphigenies Opferung läßt sich die Engführung von Ästhetik und Ethik, genauer von Schönem, Gewalt und Transgression zum Paar von Erotik und sexualisierter Gewalt noch zuspitzen. Anders als Medeas Kinder wird Iphigenie nicht nur ästhetisiert, sondern an den von Bohrer aufgezeigten Stellen auch erotisiert (v. 235 f.: - - / ). Kunst, Ästhetik und Erotik fließen in der Schilderung ihres früheren Gesangs an der väterlichen Tafel zusammen. Das Begehren, das diese Schilderung ihrer Reize wecken könnte, wird freilich sogleich durch den Hinweis auf ihre untadelige Jungfräulichkeit erstickt, die mit ihrer akustisch-ästhetischen Reinheit einhergeht (v. 245: ’ ). Und anders als Medeas Kinder wird sie bei der Schlachtung nicht verborgen, sondern durch die Fixierung in der Höhe wie eine Ziege (v. 232: - ) gewaltsam optisch präsentiert und das Opferritual so als intratheatralisches Schauspiel inszeniert. Daß ihr Gewand durch diese Exposition nach unten gleitet, ist nicht nur ein ästhetisches, wie Bohrer meint, und erotisches, ja exhibitionistisches Moment, sondern wegen der Gewalt, die diesen Anblick verschafft, ein nachgerade pornographisches. 99 In Medeas pornographischen Inszenierun- 97 Zur Darstellungsweise der Opferung der Iphigenie, die mit ihren ästhetischen Distanzierungen und nähestiftenden sprachlichen Evokationen der Medea nicht unähnlich ist, s. Bernd Seidensticker, Distanz und Nähe: Zur Darstellung von Gewalt in der griechischen Tragödie. In: Ds., Martin Vöhler (Hgg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik. Berlin 2006, 91-122, h. 100-102. 98 Zur ästhetischen Funktion von Gewalt-Darstellung in der Griechischen Tragödie. In: Bernd Seidensticker, Martin Vöhler (Hgg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik. Berlin 2006, 169-184, h. 178 f. 99 Nancy Sorkin Rabinowitz, Tragedy and the Politics of Containment. In: Amy Richlin (Hg.), Pornography and representation in Greece and Rome. New York 1992, 36-52, h. 37 referiert feministische Theorien, die das Gewaltmoment der Pornographie betonen. Die zweite feministische Bestimmung der Pornographie sei die abschätzige Darstellung weiblicher Sexualität 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 441 gen ihrer Transgression und Eliminierungen fehlen dagegen derart plakative sexuelle Elemente, nur die Putzsucht der Prinzessin birgt ein erotisches. In den Werken 100 der attischen Tragödie, die der literaturgeschichtlich-prosopographischen Überlieferung nach Männer verfaßten, ist es also durchaus ein Unterschied, ob eine Frau das Subjekt oder Objekt einer transgressiven rituellen Opferung ist. Dabei ist das Sexuelle im Agamemnon nicht auf das Optische beschränkt. Wenn der Heerführer der Griechen das Vergießen des jungfräulichen Blutes billigt (v. 215 f.), wird das Opfer an eine Todeshochzeit und gewaltsame Defloration herangerückt, 101 deren penetratives Element bereits durch das öffentliche Verschließen des Mundes evoziert wird. Die Gewalt ist also, wieder in Absetzung von Medea, nicht nur erotisiert, sondern sexualisiert, was einerseits den pornographischen Charakter der Darstellung unterstreicht und andererseits die dargestellte Schlachtung des flehenden, reinen Opfers zwar nicht als transgressiv überführt, aber doch unterschwellig problematisiert. Ethik und Ästhetik werden auch bei der Akustik unterschiedlich in den beiden Tragödien enggeführt. Die Angstschreie und ihre Unterdrückung (v. 238: ’ ) lassen den gewalttätigen und transgressiven Charakter der Opferung hervortreten, ja allein die Unterdrückung der akustischen Manifestation kann als ein solcher Akt angesehen werden. Insofern hat die Ästhetik im Agamemnon eine doppelte ethisch indikativische Funktion, in der Medea nur eine einfache. Denn ein markanter Unterschied zwischen den beiden Opferungen liegt darin, daß der Chor Agamemnons Zwiespalt zwischen der wahrhaft tragisch zu nennenden Handlungsalternative (v. 211: ’ ) in direkter Rede referiert (v. 206-216), den Euripides bereits in Medeas Entscheidungsmonolog ausagiert hat. Ein ethisches Moment sind in der Medea die Überlegungen, die der Chor auf das Hilfeflehen der Kinder hin anstellt, man müsse helfen (v. 1275 f.). Sie greifen interdramatisch die Erwägungen der Alten im Chor auf, wie auf die Hilferufe Agamemnons hin zu verfahren sei, als dieser im Bad erschlagen wird (v. 1347-1371). Trotz aller Verschiebung von Elementen der szenischen Gestaltung, die Euripides’ Medea in klarem Interdrama gegenüber Aischylos’ Agamemnon aufweist und die Medeas erbarmungslose Entschlossenheit und Fähigkeit unterstreichen, das Geschehen zu bestimmen, stehen Ästhetik und Ethik der Transgression also in beiden Tragödien in enger, allenfalls analytisch-perspektivisch trennbarer Verbindung. ( ). Entsprechend hebt Rabinowitz bei ihrer Besprechung der Orestie auf die Schilderung von Klytaimnestras ungezügelter Begierde ab (1992: 41-43) und tut Iphigenie in einem Satz als Beispiel dafür ab, daß dadurch Gefahr von der Stadt abgewendet werde, daß Frauen dazu gebracht würden, dem Mann zu dienen, „as maiden, woman, and crone“ (1992: 43: „First, Iphigeneia was sacrificed by Agamemnon to satisfy the crowd and his own lust for war“). 100 Rabinowitz 1992: 36 weist zusätzlich noch darauf hin, daß die Schauspieler und möglicherweise auch die Zuschauer der attischen Tragödie sämtlichst Männer gewesen seien. 101 Zur rituellen und funktionalen Parallele von Opfer und Hochzeit vgl. Rabinowitz 1993: 33 f., die Iphigenie als Beispiel dafür anführt, daß auch das Opfer zu einer Frau machen könne. 442 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason: Intratheatralischer Triumph der Transgressorin und fragwürdige Restauration Wie Oidipus kehrt Medea nach der vollendeten Tat als Bohrersche Erscheinung in den Bereich der szenischen Sichtbarkeit zurück (v. 1317-1320). Zwar ist Iason schon vorab vom Chor über den Tod seiner Söhne in Kenntnis gesetzt worden (v. 1309) und hat so ein Großteil der dramatischen Naivität eingebüßt, in die ihn Medeas Intratheater versetzt hatte und die er noch bei seinem Auftritt - auch mit Blick auf Medeas Epiphanie und die tatsächlich ihn treffende Erniedrigung (v. 1296 f. 102 ) - zeigt (v. 1293-1305), doch den vollen Schrecken und Medeas vorangehende Verstellung offenbart erst deren und der Kinder Anblick, der wegen dieser Enthüllung des Schrecklichen wie im Oidipus Tyrannos nach Oidipus’ Selbstblendung (s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der OT-Interpretation) als ‚apokalyptisch‘ eingestuft werden kann. Durch Medeas Auftritt und Einlassungen gewinnt er in einer klassischen Anagnorisis Einsicht in die (Un-)Tat. Während in Sophokles’ Tragödie die Ankündigung die Bohrersche Plötzlichkeit als Merkmal der szenischen Epiphanie nahezu eliminiert, ist sie in Euripides’ Medea durch die inhaltliche Vorankündigung des Chors nur vermindert, die sein komplizenhaftes Schweigen offenbart und beendet. Während Oidipus’ Auftritt seine Transgression und Eliminierung inszeniert, inszeniert Medea hier nicht nur ihren Auftritt, die Transgression in umgekehrter Richtung im szenischen Raum und sich selbst, sondern vor allem ihren Triumph gegenüber Iason, dem sie die Vergeblichkeit seines Einlaßstrebens vor Augen führt. Mit ihrer Erscheinung wechselt Medeas Intratheater vom Wort zum Bild, da es in der Schlußszene über die Präsentation, den Gesichtssinn, funktioniert. Das optische Intratheater läßt sich im OT und in der Medea wegen der Einbeziehung des binnenpragmatischen Rezipienten mit Bredekamps Terminus ‚Bildakt‘ bezeichnen. Es gibt jedoch Unterschiede: Bei Oidipus, der ebenfalls an den Gesichtssinn appelliert, war das Intratheater ein Akt der schamverletzenden (zumindest in Kreons Augen [s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion sowie 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der OT-Interpretation]) und mitleiderheischenden Selbstausstellung, bei Medea ist es eine Geste der Souveränität und Überlegenheit. Die Opposition von oben und unten, die Segal bereits im Fall des Tyrannen von der Dachspitze auf den Boden (v. 873-879), welchen das zweite Stasimon des Königs Oidipus besingt, gesehen hat (1986: 29), spielt hier eine markante Rolle, weil sie das Verhältnis der Kontrahenten und Medeas gottgleiche Überlegenheit 103 charakterisiert. Die haptische Unmittelbarkeit der Kinder, die Medea in der Entscheidung vor der Transgression die selbstschädigende Tragik ihres Tuns vergegenwärtigte (v. 1075), und welche die Angst- 102 / ’ [...]. 103 Vgl. Michael Lloyd, Euripides. In: Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek narrative 3. Leiden 2012, 341-357, h. 347: „Medea’s appearance on high at the end of Medea exploits the association of gods appearing in this way […].“ Weiter unten auf dieser Seite spricht er von der „quasi-divine Medea“. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 443 schreie der Kinder dem Zuschauer in der Mordszene suggerierten, versagt Medea ihrem verhaßten Ex-Gemahl (v. 1402 f.). Die epiphane Ästhetik der Schlußszene, die dem Vater und ehemaligen Gatten die toten Kinder präsentiert und die Selbsteliminierung inszeniert, ist das typologische Äquivalent und die notwendige Ergänzung zur apokryphen Transgressionsszene. Beide ästhetischen Inszenierungsmodi werden bereits in ihrem Zusammenwirken und gemeinsamen Auftreten durch die Eingangsszene vorbereitet. Dieses affektiv-ästhetische Intratheater rahmt das Drama in einer Ringkomposition und hebt seine wichtigsten Stationen, aber auch markante Unterschiede hervor (vgl. 3.2.1 Die Eingangsszene). Die lokale Selbsteliminierung des Transgressors findet sich auch in Sophokles’ König Oidipus, doch reagiert sie dort aus Einsicht auf den ethischen und sozialen Integritätsverlust und geht mit einer freiwilligen sozialen Selbstelimination einher. Oidipus übernimmt die Verantwortung für seine vergangenen Taten und bestellt - noch über seine vom Orakel verlangte und von ihm selbst vollzogene lokale Eliminierung hinaus - sein Haus, indem er Kreon um die Bestattung Iokastes bittet (v. 1446-1448) und ihm seine noch unmündigen Töchter anvertraut (v. 1462-1465). Wie wichtig diese Verantwortung bei Sophokles war, zeigt sich daran, daß Oidipus noch im Oidipus auf Kolonos Theseus den Eid abnimmt, nach seinem Tod für Antigone und Ismene zu sorgen (v. 1631-1635). Die Ordnung ist innerhalb der Dramenhandlung restauriert; die Erwähnung der Töchter und erwachsenen Söhne, die bereits Männer seien und für sich selbst sorgen könnten (v. 1459-1461), läßt nur den Kenner des Mythos die weiteren Konflikte erkennen, die das Haus der Labdakiden an den Rand der Ausrottung bringen (vgl. S. Ant. 594-603 104 ). Zur tragischen Ironie spitzt sich diese mythologische Gegenläufigkeit auch interdramatisch im Falle Antigones zu, die Kreon anvertraut wurde und doch von ihm zum Tode verurteilt werden wird. Die Bewegungsachsen veranschaulichen die unterschiedliche sozionormative Einbettung der beiden Akteure: Während Oidipus sich auf der horizontalen Ebene eliminiert, setzt sich die (Me)Dea ex machina vertikal über alle Grenzen hinweg. Euripides’ Medea sorgt gewiß selbst für die Bestattung ihrer Kinder und stiftet sogar einen Kult zu ihren Ehren als Sühne für den Mord an ihnen (v. 1381- 83). Dunn 1996: 94 f. sieht die Begründung, die Medea Iason hierfür gibt, „damit keiner ihrer Feinde die Kinder mißhandle“ (v. 1380: ), als im Stück sinnlos und Relikt der Version, nach der die Korinther die Kinder, die sich zum Heiligtum der Hera Akraia geflüchtet hatten, dort umgebracht und zur Sühnung auf Apolls Geheiß Riten ihnen zu Ehren gestiftet hätten. So richtig seine motivgeschichtliche Beobachtung ist, so wenig vermag ich in Euripides’ neuer Version mit Dunn eine den früheren geschuldete Inkonsistenz erkennen. Bereits die Ilias bietet ein prominentes Bei- 104 In diesem Passus wird als eigentliche Ursache des Elends allerdings das Wirken der Götter ausgemacht (v. 596 f., 601 f.), doch zielen die Erinyen (v. 603) auf die Sanktionierung der Transgression ab. Zum „Geschlechterfluch“ der Labdakiden s. jetzt Renaud Gagné, Ancestral Fault in Ancient Greece. Cambridge 2013, 344-393. Daß er dem OT kein Kapitel widmet, korreliert mit der hier vertretenen These einer handlungsstrukturellen Tragik in dieser Tragödie. 444 spiel für die Schändung der Leiche eines verhaßten Feindes (22.395 ff.). Warum sollte sich also der Zorn der Korinther über den doppelten Königsmord in der Logik des euripideischen Stücks nicht gegen Medeas tote Kinder richten, wenn sie derer habhaft werden konnten? Unter Beibehalt von Akteuren, Handlungen, Motiven, Objekten und Schauplätzen gelingt es Euripides’ Version, Medeas Souveränität glaubhaft herauszuarbeiten. 105 Medea bestattet ihre Kinder im Tempel der Hera Akraia (v. 1379) in Perachora an der Grenze des korinthischen Gebiets (Hopman 2008: 171). Mit dieser lokalen Fixierung unterstreicht sie einerseits ihre Selbsteliminierung aus der Gemeinschaft, andererseits konkretisiert sie mit einem genealogischen Teil von sich den liminalen Status, der ihr bisher auferlegt wurde und sie bislang getrieben hat, und findet doch genau dadurch teilweise eine Heimstatt. Die Grabstätte auf dem Gipfel befindet sich auf der vertikalen ebenso wie ihr Drachenwagen oberhalb der üblichen Ebene, auf der Medea und ihre Feinde sich bislang bewegt haben, konkretisiert also auch die mit der Souveränität einhergehende Immunität, die Medea soziopragmatisch für die Leichen ihrer Kinder (v. 1380) und für sich erst in Athen erhofft (v. 728: ). 106 Die Kinder werden damit im Tode wie in Iasons Träumen für die Zukunft ein Mittel der Überlegenheit über Feinde (v. 920: ). Daß Medea kein Publikum für die Klagegesänge für ihre toten Kinder finden wird und ihr Klageritual entgegen allen traditionellen Gattungskonventionen und Kultätiologien in anderen Euripides-Tragödien (Alkestis v. 445-454, Hippolytos v. 1423-1430) still sein wird (Hopman 2008: 173), zeigt wie im Falle des lautlosen Dreiwegmassakers die soziale (Selbst-)Isolation des Transgressors. Abgesehen von der Bestattung ihrer Kinder - diese Norm wird in Sophokles’ Antigone zwischen Oikos und Polis ausagiert, doch handelt Medea hier als private, heimatlose Kultstifterin - akzeptiert und affirmiert sie nicht die Normen, sondern entzieht sich der Verantwortung, weil sie die Gemeinschaft durch Ausrottung der wichtigsten Figuren aufgehoben hat. 107 Dies ist eine weitere Trans- 105 Auch wenn Iason sein Erscheinen vor Medeas Haus mit der Furcht begründet, die Verwandten der ermordeten Mitglieder des Königshauses könnten an Medeas und seinen Kindern Rache nehmen (v. 1301-1305), ist diese Reminiszenz der früheren Version perfekt in den neuen Handlungsverlauf eingewoben, da diese Befürchtung aus Iasons Kenntnisstand in der Tat gerechtfertigt ist. Daß er die Tat nicht hat verhindern können, weil sie bereits von Medea begangen wurde, fügt sich hervorragend zur sonstigen komplementären Verteilung von vereitelten Intentionen und faktischer Souveränität zwischen den Gatten in diesem Stück. 106 Lloyd 2012: 353 weist darauf hin, daß Medeas Flucht nach Athen einer der Fälle sei, in denen ein Euripides-Stück damit schließe, daß dramatisch-mythologische Plätze im Horizont seines realen Publikums lägen, was auch ätiologisch bei der Kultstiftung in Korinth der Fall sei. Der lokal aktualisierende Zug rückt das moralisch-juridische Urteil über Medeas Fall direkt vor die Athener Bürgerschaft, die mit dem Publikum identisch war. 107 Emily A. MacDermott präpariert denn auch Medea wegen ihrer permanenten mörderischen Mißachtung der für die Gesellschaft grundlegenden Bindung zwischen Eltern und Kindern als die Verkörperung der Unordnung, der Aufhebung der menschlichen Gesellschaft und ihrer Gesetze selbst heraus (Euripides’ Medea. The Incarnation of Disorder. University Park London 1989, 107-109). 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 445 gression und die logische Fortsetzung der vorausgehenden. 108 Mit beiden eliminatorischen Transgressionen, der physischen des korinthischen Königshauses und der eigenen lokalen, entzieht sich Medea der Macht der patriarchalisch organisierten und regierten Polis. Durch die physische Eliminierung fast aller Mitglieder der Gesellschaft hat sich Medea bereits selbst aus dieser eliminiert. 109 Medeas Transgression ist also nicht nur ein besonderer Akt der Individualisierung, sondern unterläuft die Ex- und Inklusion des Figurengefüges durch dessen eliminatorische Zerstörung. Die ontologische und soziale Differenz ihrer Opfer sowie der Unterschied zwischen Norm und Tabu werden durch die Transgression annulliert, Medeas soziale affirmiert und von der Erniedrigung ins Positive gewendet, was sich am Höhenunterschied zwischen den Gatten lokal niederschlägt. Die Transgression affirmiert also insgesamt den Unterschied zwischen Medea und ihrer sozialen Umwelt, auch der überlebenden, weil der Chor sich von ihr distanziert und ihr Verbrechen in seiner Folgenlosigkeit im Vergleich zu Ino als singulär einstuft. Medea ist durch ihre Transgression damit ebenso singulär wie Oidipus. Der Umschlag von der faktischen Hilflosigkeit zur Souveränität entspricht umgekehrt demjenigen des Oidipus von Ansehen und der monarchischen Spitzenposition zum Paria (s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? in der OT-Interpretation) und ist wie bei diesem in der Liminalität der beiden Figuren begründet. Nun kommt die räumliche Selbsteliminierung als weitere zur sozialen hinzu. Sie greift typologisch die ihr bereits durch Kreons und Iasons Verhalten drohende räumliche Eliminierung auf und geschieht lokal in Form einer Evasion. Als (Me)Dea in machina 110 überschreitet die Kolcherin, von Aristoteles getadelt (Poet. 1454b 1 f.), überdies die Grenzen des und verleiht der Transgression ein weiteres metatheatralisches Moment. Kausal und nach der dramaturgischen Kontingenz entspricht diese Szene der Aigeus-Szene, deren vielgetadelte Kontingenz durch die mythische Tradition von Medeas Aufenthalt in Athen (Grethlein 2002: 331-334) abgeschwächt wird. In der transgressiven Evasion gipfelt Medeas Transgressivität, die zuvor nur sozial zutage trat und mit der sie sich der männlichen Polismacht widersetzt und entzieht. 108 Das spricht gegen Luschnigs Relativierung von Medeas Transgressivität und Destruktivität, Korinth lebe in den Oikoi der Bewohner weiter und Medea habe mit Iason und Kreon zwei Transgressoren gestraft (2007: 155 f.). Medeas Rache ist weit mehr als Talion, sondern eskaliert die präventive lokale zur physischen Eliminierung. Diese Eskalation geschieht nicht wie bei Oidipus im Affekt, sondern wohl kalkuliert und orchestriert. 109 So auch Gerolemou 2011: 327. 110 Dieser dramatische Kunstgriff beendet viele Euripides-Tragödien, s. Dunn 1996: 26-37. Zu Medea als dea ex machina ( ) s. Maurice P. Cunningham, der in diesem gleichzeitig unter- und übermenschlichen Status ihren Verlust der Humanität erblickt (Medea . CPh 49 (1954) 151-160, h. 158 f.) und Bernard Knox, für den dieser nahezu göttliche Status Medea zu einer perfekten Verkörperung der göttlichen Rache für Iasons Eidbruch macht (The Medea of Euripides. YClS 25 (1977) 193-225, h. 208-211). Für Hopman 2008: 175, der ich diese Literaturhinweise verdanke, zeigt dieser metapoetische Kunstgriff Medeas Kontrolle der Gattung Tragödie. Diese metapoetische Lesart paßt gut zu der vorliegenden Untersuchung, die von einer intratheatralischen Funktion ausgeht. 446 Medeas Souveränität konkretisiert sich in zwei Gegenständen, die interdramatisch als Symbole gelesen werden können: Der Wagen, im Oidipus Tyrannos Symbol und Instrument irdischer herrscherlicher Macht und Arroganz und durch seine größere Geschwindigkeit Anstoß des Konflikts, der zur Transgression führen würde, wird für Euripides’ Medea zum Symbol und Instrument ihrer gottverliehenen Souveränität (v. 1321 f.). Daß die Kinder in der Tötungsszene von den Netzen (v. 1278: ) des Schwertes sprechen, das Medea gegen sie führt, läßt interdramatisch deren gottgleiche Machtvollkommenheit, ihren Status als faktischer Souverän und Subjekt erkennen. Denn in Aischylos’ Persern waren es noch die Netze der trügerischen Ate, die Xerxes bedrohten (v. 99: - [Hermann, Page]; < >’ [West]). Durch den interdramatischen Bezug wird deutlich, daß Medea mit der alten aischyleischen Tragik, die in einer suprasubjektiven und häufig göttlichen Einschränkung der Souveränität des tragischen Subjekts besteht und sich nicht nur bei dessen Transgression, sondern auch in deren eliminatorischen (Spät-)Folgen zeigt, souverän ein Gattungskonstituens aushebelt, nämlich die eliminatorischen Folgen der Transgression für den Transgressor in der Tragödie, die nicht seiner absoluten Souveränität entspringen, sondern der Handlungsstruktur und oft göttlichem Eingreifen geschuldet sind (Näheres s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung). Medeas transgressive Souveränität kann Marianne Hopman mit einem weiteren aischyleischen Bezug untermauern. Sie weist nämlich auf das Netz hin, in das Klytaimnestra Agamemnon vor seiner Ermordung in Aischylos’ Tragödie (v. 1380-1383) einwickelt (2008: 176 f.). Danach sticht sie dreimal auf den Wehrlosen ein und bringt ihn so zu Tode. Während Aischylos praktisch-kriminologisch die Sukzession der Taten schildert, ziehen bei Euripides die bedrohten Kinder Schwert und Netz in der synästhetischen Metapher des Schwertnetzes zusammen (s. 3.2.4 Darstellung und intratheatralische Inszenierung der Transgression). Diese poetische Kreativität der Tat, eine ihr angemessene poetische Transgression, verweist auf Medeas Kreativität als Dramaturgin, d.h. ihre intratheatralische Manipulation der Handlungsstruktur. Durch einen minutiösen Vergleich mit Klytaimnestra in Aischylos’ Agamemnon kann Hopman aufzeigen, daß Medea durch die Sühne für den Tod ihrer Kinder die göttliche Strafe vermeiden kann (2008: 176-179), also zumindest die bisherigen Gattungskonstituenten, wenn schon nicht aushebelt, so doch interdramatisch souverän manipuliert. 111 Die Interdramatik als Unterform der dramenspezifischen Metapoetik, die Medea zwar kein explizites Bewußtsein für den Nexus der Tragödie unterstellt, jedoch durch die intertextuell generierte Metaebene eine kontrastive und reflexive Distanz schafft, die in den Text eingeschrieben ist und vom Rezipienten aktiviert werden kann, dient damit als Indikator für eine metatheatralische Tätigkeit, die nicht nur Merkmale der Tragödie wie das Sehen und Zeigen im OT thematisiert, sondern nachgerade metadramatisch die generische Handlungsstruktur aktiv manipuliert. 111 Doch auch Hopman 2008: 180 spricht in ihrem Schlußwort Medea eine gattungsdefinierende, wenn auch nicht innovierende Kraft zu: „As Medea’s song comes to a close, it metapoetically defines tragedy - or at least Euripidean tragedy - as a genre congenial to women […].“ 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 447 Die göttliche Sanktion der Transgression erfolgt nicht automatisch, wie vom Chor ob der Befleckung mit Verwandtenblut befürchtet (v. 1256, 1268-1270: ). Vielmehr berufen sich Medea und Iason im Schlußdialog beide auf göttlichen Beistand wider den anderen. Das Wirken der Götter wird in diesen sophistisch anmutenden Debatten und Plädoyers geradezu zerredet. Anders als im Oidipus Tyrannos schweigen die Götter und treten nur als Gegenstand menschlicher Rede auf. Iason ruft die Erinys und Dike zu Medeas Eliminierung wegen des Kindermordes auf (v. 1389 f.). Doch bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu postulieren, die göttliche Rache für Medeas Taten in Kolchis habe (fälschlicherweise) ihn getroffen (v. 1333: ’ ’ ’ - ), 112 und am Schluß wie als Eingeständnis seiner Hilflosigkeit Zeus als Zeugen für das straflose Unrecht anzurufen, das er durch Medea erleide (v. 1405 f.). Daß die Götter Iason in der Schlußszene nicht beistehen, stützt rückwirkend nicht seine Version der Argonautensage, Aphrodite habe ihm geholfen (v. 526- 528). Die Taubheit der Götter gegenüber Iasons Bitten, die auch Medeas Sühneabsichten geschuldet ist, stärkt deren intradramatische Position als dea ex machina und Dramaturgin ihrer eigenen Handlung, so Hopman 2008: 179. Sie verzichtet dagegen in einer wirkungsvollen praeteritio auf die Erwiderung, da Zeus wisse, was Iason von ihr erduldet habe und was er getan habe (v. 1351-1354) und hält seinem Rachewunsch entgegen, daß ihn, den Eidbrüchigen und Fremdentäuscher, kein Gott oder Daimon erhören werde (v. 1391-1393). Das Nichteingreifen der Götter in diesem Stück, das in markantem Gegensatz zu deren szenischem Auftreten in anderen Euripides-Tragödien steht (Hippolytos, Bakchen), gibt implizit dieser Deutung Medeas recht und affirmiert auch ex silentio die absolute Geltung der Themis und des , die Medea von Iason verletzt sieht (v. 168-170), wie sie auch Themis und Artemis wegen dieser Eidverletzung (v. 160-163) und nach der Aigeus-Szene Zeus, Dike und Helios’ Licht ob der sich nun bietenden Hoffnung anruft, von ihren Feinden Gerechtigkeit zu erlangen (v. 764-767: ). Auch zerstreut die ex negativo bestätigte Wirkmächtigkeit der von Medea bemühten Götter die Zweifel des Chores, ob das Asyl in Athen nicht durch den Kindermord hinfällig werde (v. 846-855), da Medea Aigeus einen Eid dieses Inhalts abgenommen hat (v. 746-755), der auch eine Sanktion im Falle seiner Transgression enthält (v. 754 f.). Da Medea ihr Verbrechen nur im Vertrauen auf Aigeus’ Asylversprechen begangen hat (vgl. ihren Hinweis auf ihre Aufnahme in Athen im Schlußagon mit Iason in v. 1384 f.), wird in diesem Stück in praxi vor allem der Glaube an die Bindekraft der Eide, des stärksten intersubjektiven Bandes zwischen Wort und Tat, wiederhergestellt, der durch Iasons Verrat unterminiert worden war. 112 Burnett 1973: 17 weist auf die dramatische Ironie dieses Verses hin, welchen der Zuschauer so verstehen könne, daß die Götter Iason seine ehemalige Gattin als Rachegeist für seinen Eidbruch gesandt hätten. Wie stark die adäquate göttliche Distribution gestört ist, zeigt der Vergleich mit Aischylos’ Persern: Dort bezeichnet dieses Verb den gottgegebenen früheren Kriegserfolg (v. 102) und die Niederlage der Perser (v. 514) sowie Xerxes’ Ende, das nach Dareios’ Interpretation von Zeus gesandt ist (v. 739 f.): / 448 Athen erscheint bei dieser Restauration des Vertrauens in die sozioverbale Kohärenz wie in den Eumeniden oder im Oidipus auf Kolonos als Fluchtpunkt und Garant sozialer Normstabilität, eine Rolle, die oft in Abgrenzung vom ‚tragischen‘ Gegenort Theben konstruiert wird. 113 Ob die im Theater versammelte Athener Bürgerschaft, die durch verschiedene Reflexionen über Athen in dem Stück auch zu dessen implizierten Publikum wird (Hopman 2008: 172), 114 dieses fremde Vertrauen und modellhafte Selbstbild als Appell zur außen- und innenpolitischen Solidität oder Beruhigung angesichts der Turbulenz innenpolitischer Entscheidungsfindung aufgefaßt hat oder auffassen sollte, sei hier dahingestellt. Die Götter sind dagegen an allen diesen Stellen nur in der Sprache der auf der Bühne dargestellten Menschen präsent, nicht aber im dargestellten Geschehen nachweisbar. Man könnte hier also ebenso gut von einem resultativ-binnenhermeneutischen Agnostizismus wie von einem faktisch-dramatischen A- Theismus sprechen. Doch münden die Konflikte der Menschen, die in anderen Euripides-Tragödien (Bakchen, Hippolytos) infolge göttlichen Eingreifens im Verlaufe der Handlung zu Opfern der Eliminierung werden, in dieser praktisch (sieht man von Medeas, von Euripides stark beschnittenen übernatürlichen Fähigkeiten ab) götterfreien Tragödie ebenfalls in Eliminierung und enden ohne kollektive Restauration. Ihre letzten Worte (v. 1404), denen nur noch Iasons Lamento und die getilgten Schlußworte des Chors folgen, fassen nicht nur die pragmatische Referenzlosigkeit von Iasons Reden in der Schlußszene zusammen und illustrieren damit Medeas Souveränität und Überlegenheit über ihren ehemaligen Gatten (sie bestimmt die Koordinaten des Diskurses, da sie jenes Scheitern konstatiert), sondern lassen über Iasons pragmatische Referenzlosigkeit auch die agnostisch anmutende Irrelevanz der göttlichen Ebene erkennen - in signifikantem Gegensatz zum Oidipus Tyrannos. Der fundamentale Dissens der Schlußszene zwischen der Protagonistin und ihrem Antagonisten über die Transgression und deren religiöse Bewertung aktualisieren das Fehlen einer zentralen Instanz im Drama, das in der Einleitung als dessen Gattungsmerkmal skizziert wurde (s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität). Er zeigt auch kontrastiv, daß das gemeinsame Klagen von Chor und Protagonist in Aischylos’ Persern und im Oidipus Tyrannos kein bloßes irrationales Baden in Emotionalität war oder sich auf eine kollektivpsychologische Katharsis reduzieren läßt, sondern eine redintegrative Funktion in bezug auf den Protagonisten 113 S. Froma I. Zeitlin, Thebes. Theater of Self and Society in Athenian Drama. In: John J. Winkler, Ds. (Hgg.), Nothing to Do with Dionysos? Athenian Drama in its Social Context. Princeton 1990, 130-167, h. 131. Weiterführend zu Argos in derselben Funktion und Athen als weitergehend ausgespartem Ort der Tragödie, welcher der Überwindung von deren Konflikten dient, s. Bernd Seidensticker, Distanz und Nähe: Zur Darstellung von Gewalt in der griechischen Tragödie. In: Ds., Martin Vöhler (Hgg.), Gewalt und Ästhetik. Zur Gewalt und ihrer Darstellung in der griechischen Klassik. Berlin 2006, 91-122, h. 92 f. Anm. 5. 114 Das Konzept des implizierten Publikums, auf das Hopman sich hier stützt, sei analog zum implizierten Autor von Wayne C. Booth entwickelt worden (The Rhetoric of Fiction. Chicago 2 1983). Booth hat allerdings nur das Konzept des vom Autor implizierten Lesers entwickelt (1983: 89-147). Für den t.t. vgl. Wolfgang Iser, Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett. München 1 1972 = 3 1994. 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 449 und eine restaurative in bezug auf die Ordnung erfüllt. Beide Funktionen fehlen in Euripides’ Medea. Deren letzte Worte sind zudem symptomatisch für das Scheitern der Kommunikation in diesem Stück, das wie im Oidipus Tyrannos die Transgression heraufbeschwört, und heben die Annullierung als zentrales Merkmal der Transgression in diesem Stück hervor. Die - nicht zu Unrecht athetierten - Schlußworte des Chors (v. 1415-1419), 115 die davon handeln, wie Zeus die Erwartung durchkreuzt, nehmen zwar nicht Iasons Position, aber doch seine Perspektive ein. Zeus erscheint in ihnen als eigentlicher Akteur hinter Medeas Handeln, die selbst verschwiegen wird. 116 Diese religiöse Deutung der straflosen Transgression ist - anders als im Oidipus Tyrannos - kaum geeignet, die Geltung der religiösen Ordnung wiederherzustellen. Medea hat aus eigener Vollmacht die eliminatorische Verkettung der Transgression aufgehoben, die sich bei Sophokles in Theben nach Oidipus’ Selbsteliminierung fortsetzt und die in Aischylos’ Atridentrilogie nur durch göttliche Intervention und einen zivilisatorischen Paradigmenwechsel aufgehoben werden konnte. Wegen ihrer straflosen Transgression, deren Inszenierung und Darstellung und der ungeklärten Komplizenschaft mit der göttlichen Ebene, die hier ihre Autonomie gegenüber der menschlichen zu verlieren scheint, wirken Medea und ihr wie eine Verkörperung von Karl Reinhardts Kategorie des Dämonischen. 117 Aus der Fremde gekommen, kehrt sie dorthin zurück, nachdem sie ihr Werk der Zerstö- 115 Für die Echtheitsdiskussion s. Donald J. Mastronarde, Euripides Medea. Cambridge 2002, 386 a.l. Die Verse beschließen neben der Medea, worauf Dunn 1996: 17 hinweist, noch die Tragödien Alkestis (hier von Diggle nicht athetiert), Andromache (hier von Diggle nicht athetiert), Helena (hier von Diggle ebenfalls athetiert) und die Bakchen (hier von Diggle ebenfalls athetiert). Selbst wenn man ihre fast wortgleiche Wiederholung (nur in der Medea ist der erste Vers variiert, worauf Dunn 1996: 24 hinweist) nicht als sicheres Indiz für eine Interpolation wertet, so reduziert ihr unspezifisches Vorkommen erheblich ihre hermeneutische Relevanz für die Deutung des jeweiligen Stücks (Christiane Sourvinou-Inwood, Tragedy and Athenian Religion. Lanham, Md. 2003, 309 weist dagegen auf den Umstand hin, daß der erste Vers in dieser Form nur in der Medea vorkomme, und sieht in dem Epilog die mögliche Bedeutung, daß, da die Götter vieles unerwartet vollbrächten, Medeas erfolgreiche Rache und Flucht der Wille der Götter und dies mit Iasons Eidbruch korreliert sei). Dunn 1996: 24 f. referiert diese beiden Deutungen und ihre Vertreter, sieht in den formelhaften Schlußversen eher „a gesture or ritual of closure“, deren Inhalt im Falle von Sophokles nach Ansicht von Deborah H. Roberts so ritualisiert wie die Worte eines Priesters am Totenbett seien (Parting Words. Final Lines in Sophocles and Euripides. CQ 37 (1987) 51-64, h. 56). Diese bühnenpragmatische Deutung der iterierten Schlußverse (da sie nur auf das Publikum zielen, dieses aber nicht ansprechen, wird die mimetische Illusion nicht durchbrochen und kein Metatheater performiert) paßt allerdings zu ihrer geringen binnenhermeneutischen Relevanz, die mit ihrem allgemeinen Inhalt vom unerwarteten Wirken der Götter harmoniert. Zwei Dinge sind bei dieser Interpretation noch der Erwähnung wert. Erstens: Hier bestätigt sich, daß die Iteration der parole im Ritual auf Kosten von deren sachlicher Referenz geht. Und zweitens die Universalität der Sprache im antiken Drama, die selbst theatralische Funktionen erfüllt, die im neuzeitlichen Schauspiel nonverbalematerielle Zeichen wahrnehmen (hier diejenige eines Vorhangs). 116 Vgl. die unpersönliche Formulierung des Schlußverses (v. 1419): ’ - 117 Dunn 1996: 50 schlägt in der Schlußszene die Brücke zu Bohrers Interpretationsmodell, wenn er von einer dämonischen Epiphanie spricht. 450 rung vollbracht hat, 118 und ähnelt darin der Figur Etienne Lantier in Emile Zolas Roman Germinal. Doch diese Deutung der Transgression gilt eben nur für deren Folgen und Darstellung und übersieht die transgressiven Handlungsimpulse, denen Medea wie Oidipus durch ihre soziale Umgebung ausgesetzt war, die aber von zwei Männern ausgingen, nämlich Iasons Treulosigkeit und Kreons Ausweisung. Auch sollte man nicht aus dem Blick verlieren, daß die souveräne Folgenlosigkeit von Medeas vielseitigen Grenzüberschreitungen nur unter Überschreitung des erfolgt. Zwar geht diese bei Medeas Flucht über eine lokalvertikale Bedeutung von ‚Aufhebung‘ vonstatten, doch hebt diese letzte Aufhebung Medeas vorangehende referentiell auf und verweist sie ins Reich der literarischen Fiktion. Denn die Überschreitung des ist kein künstlerischer Makel, wie Aristoteles meint (Poet. 1454b 1 f.), sondern ein markantes literarisches Zeichen, das die Referenzlosigkeit des Dargestellten zu verstehen gibt und so alle überschrittenen Grenzen implizit affirmiert. Daß die Zerstörung eines sozial verbindlichen Nomos und Logos von Medea nur vollendet, aber von ihren männlichen Antagonisten initiiert wird, zeigt sich deutlich daran, daß Medea bereits im Agon mit Iason beklagt, dessen Treulosigkeit entwerte alle symbolisch-rituellen Berührungen, die Iason bei ihr an Hand oder Knien vorgenommen habe (v. 497: ). Die Referenz, die laut Medeas Schlußverdikt Iasons Fluch fehlt, hat er also schon zuvor nachträglich seinen eigenen Gesten geraubt. Die Vergeblichkeit ist das Seitenstück zur Folgenlosigkeit und Souveränität der Transgression. Doch orientiert sich ihre Verteilung nicht an den Figuren. Zwar läßt sich die Realisierung von Medeas mit Aristoteles’ Ausdruck für den der Tragödie (Poet. 1450a 38 f.) als die Seele bezeichnen, welche das Stück zusammenhält und verhindert, daß es vor lauter Vergeblichkeit zu einem absurden Theaterstück modernen Zuschnitts abgleitet. Die Vergeblichkeit ihres Zorns schützt Medea nur gegen Iason vor (v. 883: - ) - um ihn in der Folge um so besser verwirklichen zu können. Doch da sich die Vergeblichkeit auch auf den Akteur der Rache erstreckt, ist dieses Stück mehr als eine Rachegeschichte in der Art des Grafen von Montecristo, sondern eine Tragödie. Der Chor weist nämlich in emphatischer Anapher darauf hin, daß Medeas Mord an ihren Kindern ihre Leiden im Kindbett vergeblich sein lasse (v. 1261 f.: ). Diese Annullierung und tragische Selbstschädigung ist der Preis für die Souveränität gegenüber der sozialen Umwelt. Medeas eliminatorische und annullierende Souveränität gegenüber Iason in der Schlußszene reicht soweit, daß sie ihm sein zukünftiges Schicksal vorhersagt, das auch ohne ihr Zutun eintritt. So verkündet sie ihm, daß er von den Trümmern der Argo erschlagen werde (v. 1386-1388). Sie beherrscht damit die 118 Wie sehr die Medea necans als dramatisches Subjekt von Transgression und Eliminierung ein Spezifikum von Euripides’ Gestaltung des Stoffes ist, zeigt dessen Bearbeitung in Karkinos’ Medea-Tragödie, bei dem die Kolcherin nur Kreons Tochter umgebracht hat und nun von diesem und Iason bezichtigt wird, auch ihre Kinder getötet zu haben, die sie nur am Altar der Hera verborgen hat und die dort von der aufgebrachten korinthischen Menge getötet werden (s. dazu Walter Burkert, Medea: Arbeit am Mythos von Eumelos bis Karkinos. In: Bernhard Zimmermann (Hg.), Mythische Wiederkehr. Der Ödipus- und Medea-Mythos im Wandel der Zeiten. Paradeigmata 6. Freiburg i.Br. 2009, 153-166, h. 162-165). 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 451 Handlung noch über das Ende der Tragödie hinaus, ganz anders als Oidipus, dessen fromm-fürsorglichen Wünsche am Ende des OT vom Fortgang des Mythos Lügen gestraft werden. Dadurch daß der von Medea vorhergesagte Fortgang der Handlung eintritt, hat sie vielmehr eine souveräne Funktion wie Apolls Orakelsprüche im OT, ein weiteres Element ihrer dramenfunktionalen Gottähnlichkeit. Noch ergiebiger ist der Vergleich mit Aischylos’ Persern: Abermals dienen wie in dieser Tragödie Schiffstrümmer der Eliminierung. Doch die Destruktivität des Fragments darf nicht den Blick auf grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Passagen verstellen: In beiden Tragödien ist die Destruktivität des Fragments in eine Figurenrede verschoben, doch in den Persern liegt sie in der Vergangenheit, in der Medea in der Zukunft. In den Persern ist die Destruktivität des Fragments intentional und anonym-kollektiv, in Euripides’ Medea ist sie mechanisch-physikalisch, aber personal spezifiziert und trotz ihrer fehlenden praktischen Intentionalität in die Pragmatik konkreter Akteure eingebunden, von denen einer durch sein Vorherwissen mit ihr klare Absichten verbindet. Dieses Vorwissen läßt nämlich eine tiefere Dimension von Medeas Rache an Iason erkennen. Sie verzichtet nicht bloß auf seine Eliminierung bzw. nimmt mit seinen Kindern eine Substituteliminierung vor, die ihr die Genugtuung verschafft, daß ihr verhaßter untreuer Gemahl durch den Tod der Kinder leidet (v. 1370), ja begründet die Tötung ihrer eigenen Kinder damit, daß sie Iason damit am meisten treffe (816 f.: ). Vielmehr läßt der Aufschub Iason als zusätzliche Pein ein unrühmliches Ende finden. Iason ist nicht einmal würdig, durch das Schwert einer Frau zu sterben, ein Plan, den Medea in Erwägung gezogen und doch wegen des Risikos ihres eigenen unrühmlichen Endes verworfen hat (v. 374-379). Daß Medea, die heimatlose liminale Figur, die durch ihre Entwurzelung zur sozialen wie künstlerischen 119 Transgression gedrängt wird und die wie der homo sacer zwischen allen geographischen und sozialen Grenzen steht, nicht Hand an Iason legt, verleiht ihm, den sie bereits durch die Eliminierung aller Bezugspersonen ebenfalls sozial isoliert hat, gleichfalls die entscheidenden Züge des homo sacer, der aufgrund einer Missetat (maleficium) außerhalb der Gemeinschaft steht und zwar anders als sonst straflos getötet, aber nicht den Göttern geopfert werden darf. 120 Nimmt man hinzu, daß Medea die Tötung ihrer Kinder als Opfer bezeichnet, ist die Nichttötung also die perfekte Stigmatisierung des untreuen Gatten als moralisch nicht integer. 121 Hier zeichnet sich ab, daß der Tod nicht bloß die Eliminierung eines figuralen signifiants ist, sondern selbst in eine komplexe Semiose eingebunden ist. Daß Iason von einem Rest seines Schiffs, das seine ruhmvolle Fahrt symboli- 119 Zu Künstler- und Grenzgängertum s. Dirk Hohnsträter, Im Zwischenraum. Ein Lob des Grenzgängers. In: Claudia Benthien, Irmela Marei Krüger-Fürhoff (Hgg.), Über Grenzen. Limitation und Transgression in Literatur und Ästhetik. Stuttgart 1999, 231-244, h. 231 f. 120 Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen von Hubert Thüring. [Orig.: Il potere sovrano e la nuda vita] Erbschaft unserer Zeit 16. Frankfurt a.M. 1 2002 = 2004, 81-84. 121 Sextus Pompeius Festus, der das Institut des homo sacer überliefert, fügt an, deshalb werde jedweder schlechte und unredliche Mensch (quivis homo malus atque improbus) sacer genannt (p. 424 L. s.v. Sacer mons). 452 siert, erschlagen wird, annulliert seinen epischen Ruhm schlußendlich (v. 1386: ’ ). So argumentiert auch Hopman 2008: 165 f., welche diese symbolische Annullierung damit untermauern kann, daß sie in einer Ringkomposition, die sie aufbauend auf Vorgängern u.a. mit der Wiederkehr von in den Symplegaden stützen kann, stark auf den Anfang des Dramas zurückweist, wo der Chor den kontrafaktischen Wunsch äußert, die Argo möge nie die Symplegaden durchquert haben (v. 1 f.). Iasons Tod annulliert also auch sein signifié als epischer Held. Der ringkompositorische Bezug auf die Argonautenfahrt, aber auch die Souveränität Medeas werden besonders deutlich in ihrem abschließenden Kommentar (v. 1388: - ). Erst mit Iasons Tod ist die ruhmreiche Fahrt getilgt und die Rache vollendet. Medea ist der Bezugspunkt und die Rechtfertigung für beide Abschlüsse. In der Annullierung gelingt ihre Mythopoiesis (vgl. Hopman 2008: 165 f., Näheres s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion). Wie in Aischylos’ Persern (v. 425 f., vgl. 1.6 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung) wird die Eliminierung durch ein Fragment vollzogen, dort ruhmvoll, brutal und aktiv, hier organisch, quietistisch und ruhmlos. Die Etymologie des erschlagenden Stücks (v. 1387: ) 122 weist es zudem als Überbleibsel aus. Darin wird die Materialität des Zeichens manifest, die für die zeitliche Permanenz von besonderer Relevanz ist. Die Reste der Argo müssen also ebenso unsolide wie ihr ehemaliger Besitzer sein, der Zerfall ist nicht nur symbolisch, sondern auch autoperformativ. Das tödliche Stück wird durch die Position über Iason zum positionalen Äquivalent und Willensvollstrecker Medeas, in deren Intention und an deren Statt es die Eliminierung vollzieht. Mit dem Ausblick auf Iasons Ende vollendet Medea ihre Souveränität über ihren ehemaligen Mann. Wurde die Eliminierung Kreons und Kreusas ihr in einer Figurenrede berichtet, so sagt sie dem Betroffenen nun seine semiotisch doppelte, materielle wie ideelle Eliminierung voraus. Da Medea mit dem Mord an den gemeinsamen Kindern Iason genealogisch bereits eliminiert hat, hat sie ihn zum Zeitpunkt des Tragödienendes völlig eliminiert. Bedurfte es zuvor für Medeas Eliminierungen der Tat, so reicht nun das Wort. In diese Vorhersage kann man nicht einmal irrtümlich, wie im Fall der Weissagungen an Laios’ und Oidipus’ Adresse, eine Warnung hineinlesen. Sie ist vielmehr Teil einer Hohn- und Haßrede. Auch dieser Eliminierungserzählung haftet deshalb etwas Sadistisches an. Mit ihr schließt die Sprecherin auch den Handlungsstrang der Eliminierungen ab, der, darin der psychologischen Komposition der Ilias nicht unähnlich, von der -Geschichte getragen wurde. Als Erzählerin, die Herrin von Zeit und Geschehen ist, schließt Medea nicht nur ihr Intratheater, sondern auch die Handlung der Tragödie ab. 123 Dies ist der Schlußpunkt ihrer intrapoetischen 122 Frisk II 100 s.v. , Chantraine 604 s.v. , Beekes 845 s.v. . 123 Francis Dunn, Tragedy’s End. Closure and Innovation in Euripidean Drama. Oxford 1996 behandelt leider die Medea nicht als eigenes Kapitel, sondern streift sie nur. Zur besprochenen Stelle äußert er sich nicht. Seine Einsichten decken sich freilich mit den Interpretationen der vorliegenden Arbeit oder vertiefen sie. So sieht er in dem Kult, den Medea zu Ehren ihrer toten Kinder stiftet und der ätiologisch eine Spur der Vergangenheit deutet, die dem Publikum bekannt ist, eine schließende Geste und weist darauf hin, daß Medea die Bestattung von Iason 3. Euripides’ 3.2 Analyse des Dramas anhand von Eliminierung, Tragik und Intratheater 453 Souveränität und garantiert die Einheitlichkeit der Handlung, die von ihren sozialen und poetischen Transgressionen getragen wird. Der Fortgang des Geschehens in Athen ist zwar angedeutet und offen, da der Chor Zweifel an Medeas Asyl angekündigt hat, doch liegt hier ein vollkommen neuer Handlungsstrang vor. Die Diskrepanz zum Mythos betont Medeas Souveränität als Dramaturgin der Tragödie und deren Einheitlichkeit. Im Mythos wird nämlich das Handlungsmuster der Tragödie ‚lokale Selbsteliminierung nach bzw. unter physischer Eliminierung eines Mitglieds der königlichen Familie‘, das bereits Medeas vorangehendes Geschick zweimal geprägt hat, mit Medeas Flucht nach Medien oder Kolchis nach einem Anschlag auf Theseus weiter iteriert. 124 Die Schlußszene ist damit lokal wie dramengesetzlich und dramaturgisch ein Aufbruch, der das Kunstwerk nicht abschließt, sondern den Rezipienten als offen übergibt und dadurch seine eigene Souveränität wahrt. Sie ist entscheidend für die Gesamtdeutung des Dramas und liefert doch keine offenkundigen Antworten. Die Offenheit wird durch die Transgression des und die Nichtsanktionierung der Haupttransgressorin erzielt. Dies mag den Rezipienten eher ratlos als - wie im OT - betroffen zurücklassen. Und dennoch schließt sich der vorliegende Schluß an den bisherigen Verlauf des Stückes an und ist dessen logische Fortsetzung und von daher fast ohne Alternative. Außer Iason und Medea bleiben keine bekannten Figuren übrig, welche die Handlung zu Ende bringen könnten. Medeas Triumph über Iason ist durch dessen bisherige charakterliche und v.a. moralische Unterlegenheit nachgerade vorgezeichnet. Ein Lynchmord an Medea durch den anonymen korinthischen Mob wäre zwar ganz nach Girards Geschmack, würde aber Iason unverdientermaßen Gerechtigkeit verschaffen, dessen Schicksal offenbliebe. Dramaturgisch wäre der Auftritt dieses neuen Akteurs ein ähnlicher deus ex machina, doch mit dessen Anonymität zu rechtfertigen. Eine Lösung, die sämtliche Transgressionen sühnt und Transgressoren bestraft und so zu einer umfassenden Restauration wie im OT führt und dem Bedürfnis des Rezipienten nach poetischer Gerechtigkeit entgegenkäme, ließe sich von einem echten deus ex machina bewerkstelligen. Er könnte eine Rolle wie Artemis in Euripides’ Hippolytos spielen, indem er Iason schmachvoll fortschickt, die Kinder würdevoll bestattet und Medea eliminiert, ganz gleich ob durch Verbannung oder eine kongeniale Verwandlung der herzlosen Mutter in eine ewig weinende Quelle wie Niobe. Bereits diese geraffte entlarvt eine solche Lösung als harmonisierenden Kitsch. Die suprasystemische Ebene würde damit massiv intervenieren, um die durch die menschliche Transgression gestörte menschliche Ordnung zu restaurieren. Doch sie ist wohl nicht grundlos in den Figurendisput verbannt, was die Abwesenheit der Götter klar hervorhebt. und die Kultgründung von den Göttern usurpiere (1996: 50, 94). Wenn Dunn Aitia wie die vorliegende Kultstiftung als Mittel, die Distanz zwischen dargestellter Vergangenheit und der Gegenwart als Rezeptionszeit zu markieren und so das Stück zu beenden, erkennt (1996: 46), dann weist er mit der Zeitstaffelung auf einen wichtigen Endmechanismus hin, der auch in Form des Futurs in der Vorhersage an Iason wirksam ist (v. 1386: ). Übrigens ist in diesem Tempus auch Medeas unmittelbar vorausgehende ätiologische Absichtserklärung formuliert (v. 1378: , v. 1383: ). 124 Konrad Seeliger, Art. Medeia. Roscher 2,2 (1894-7) 2482-2515, h. 2496-98. 454 Denn anders als im Hippolytos hat keine Figur ihre Transgression aus übersteigerter Ergebenheit gegenüber einer Gottheit begangen. Das Drama verfährt mit dem vorhandenen Figurenmaterial ökonomischer. Innerhalb der Matrix der dramatischen Rollen ist es zumindest ökonomisch und vor dem Hintergrund von Medeas erwähnter göttlicher Abkunft plausibel, daß sie selbst in Fortführung ihrer bisherigen Tätigkeit als Regisseurin des Intratheaters in die Rolle einer (Me)Dea ex machina schlüpft. Medeas Kultstiftung ist vielleicht ein interdramatisches Apotropäum eigener Eliminierung und eine Eliminierung des Tragödiennexus zwischen Transgression und Eliminierung, kann jedoch juridisch schwerlich als eine adäquate Sühnung ihrer Transgression angesehen werden. Die Transgression bleibt somit am Ende der Tragödie als fortgesetztes, paradigmatisch nicht abgelöstes Handlungsmuster stehen und wird damit rückwirkend zu deren Leitmotiv und Hauptthema, in dem die transgressive liminale Protagonistin aufgeht. Sie ist wie der furor in Senecas Phaedra der beherrschende Wesenszug der Handlung. Diese Dominanz der Transgression wird durch die Schlußszene bekräftigt, wo ihre einzige Veränderung eine Modifikation ist, die eine Selbstaufhebung im lokalen wie kausalen und paradigmatischen Sinne darstellt. Mit Medeas Erscheinen als dea ex machina wird die Transgression auf eine neue Ebene gehoben. Die Konflikte, die den sozialen Transgressionen zugrunde liegen, können nur durch eine poetische Transgression gelöst werden. Das Ende, das wie eine triumphale Apotheose der Transgressorin und der Transgression aussieht, problematisiert diese in Wirklichkeit: Die Transgression und Integritätsverletzung werden von den Akteuren immer mehr eskaliert und gewinnen damit ein suprasubjektives Eigenleben, das von ihnen nicht mehr beherrscht werden kann. Alle Transgressionen funktionieren dabei als Eliminierungen einer Figur aus einem sozialen Gefüge: Kreon will Medea lokal aus der Polis eliminieren, Iason sozial aus dem Oikos. Medea eliminiert physisch Iasons sämtliche Beziehungspersonen und zum Schluß sich selbst aus der Polis. Hierbei ist ein Entkommen aus der Spirale der Transgression nur noch auf eine(r) höheren, das überschreitenden Ebene möglich. 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression Der fundamentale Dissens zwischen Medea und Iason in der Schlußszene über die Verantwortlichkeit für die Transgression und deren Konsequenzlosigkeit werfen die Frage auf, ob es sich bei Medeas Racheakten, v.a. bei dem Mord an den eigenen Kindern, nach der Logik des Stückes (und nicht bloß nach dem heutigen, über zwei Jahrtausende lang patriarchalisch geprägten moralischen Empfinden) um eine Transgression handelt. Daß Medea mit dem Mord an den eigenen Kindern ihrer biologischen Funktion als Mutter zuwiderhandelt, bemerkt sie selbst in einer paradoxen Formulierung (v. 1240 f. = v. 1062 f.): […] / . Doch hebt diese nur auf den Widersinn und die Gegenläufigkeit der Tat ab, nicht aber auf deren Verstoß gegen eine soziale Norm. Einen solchen Normverstoß impliziert bloß der vorangehende sachwidrige Hinweis, die Kinder müßten durch die Rache der Korin- 3. Euripides’ 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression 455 ther ohnehin sterben, autoapologetisch. In der paradoxen Formulierung scheint die Möglichkeit einer Tragik ohne Transgression auf, die nur auf der Verletzung der eigenen und fremden Integrität beruht, weil letztgenannte qua genealogische Fortsetzung unter die eigene subsumiert wird und die Verletzung der physischen Integrität der Verwandten als transgressives faktisches Substrat der Tragik so ausgeblendet wird. Entsprechend formuliert Medea die subjektiv negative Valenz ihrer Tat hodologisch ( [...] ) und steigert dabei mit Blick auf ihre Kinder noch den Superlativ ( - ), was den grenzsprengenden, aber noch nicht einen verworfenen Charakter der Eliminierung ausdrückt (v. 1067 f.), ohne sie ausdrücklich als Transgression zu kennzeichnen. Stilistisch führt Euripides’ Tragödie allerdings mit dem Komparativ ein Mittel zur Darstellung der Transgression ein, das Senecas Phaedra aufgreifen und zur hyperbolischen Rhetorik weiterentwickeln sollte (s. das Ende von 7.2.6 Diskontinuitäten, Chthonik und Monstrosität infolge des Wütens der Transgression in der Interpretation dieses Dramas). Zwar ermöglicht das komplizenhafte Schweigen des Chores auf der Handlungsebene die Transgression, 125 doch als Medea ihre Rachepläne vom Mord an Iason zum Mord an ihren gemeinsamen Kindern ändert bzw. verschärft, verliert sie die verbale und moralische Unterstützung des Chores, die sie bislang für ihre Rachepläne genossen hat. Der Chor rät Medea aus Wohlwollen sogar ausdrücklich von dem Vorhaben ab, da es den Gesetzen der Sterblichen widerspreche (v. 811-813), 126 brandmarkt es also als soziojuridischen Normverstoß und damit eindeutig als eine Transgression. Als Medea sich entschlossen und beratungsresistent zeigt, fragt der Chor (v. 816): ; Aus diesen Versen geht hervor, daß Medea mit dem Kindermord gegen die Erwartungen verstößt, die der Chor an eine Mutter richtet. Noch deutlicher wird dies, nachdem Medea abermals auf ihrem Vorhaben beharrt hat (v. 817), da sie so ihren Gatten am meisten treffen könne, in der Vorhersage des Chores (v. 818): ’ ’ . Die weibliche Rolle, gegen die Medea verstößt, klingt hier nicht mehr bloß in der Anrede an, sondern wird durch den Superlativ generalisiert. Die Distanzierung, ja Verurteilung des Chores wiegt um so schwerer angesichts seiner früheren moralischen Unterstützung für Medeas vorangehende Eliminierungen. So hatte er Medeas erste Eröffnung von Mordabsichten gleich kommentiert, diese werde sich an ihrem Gatten legitimerweise ( ) rächen (v. 267). Noch unmittelbar nach der Ermordung Kreons und seiner Tochter und vor derjenigen der Kinder variiert der Chor diese Einschätzung theologisch, der Daimon scheine an diesem Tage Iason legitimerweise ( ) mit vielen Übeln zu verknüpfen (v. 1231 f.). Da Medea nicht erwähnt wird, ist es müßig zu spekulieren, ob deren Taten so theologisch legitimiert werden oder sie gar in der 125 James H. Kim On Chong-Gossard, Gender and Communication in Euripides’ Plays. Between Song and Silence. Mnemosyne Suppl. 296. Leiden 2008, 157-165. 126 Weitere Nachweise s. Hopman 2008: 172. Schmitt 1994: 576 kann dafür, daß der Chor eher für Medea als für Iason Partei ergreife, denn auch nur Stellen vor der Offenbarung der Mordpläne an den eigenen Kindern beibringen. 456 Art einer Geißel Gottes zum Strafwerkzeug der göttlichen Ebene erhoben wird. Auch die komplexe Bedeutung des Wortes , das hier wohl am ehesten ‚subjektives Schicksal‘ heißt, warnt vor einer hermeneutischen Überlastung dieses Verspaars. Es zeigt gleichwohl auf der menschlichen Ebene eine äußerst differenzierte Beurteilung der Racheeliminierungen durch den Chor: Er billigt das Objekt von Medeas Rache, aber nicht, wie zu zeigen, die Instrumentalisierung der Kinder, mit der sie ausgeführt wird, und hebt damit auf jene Konstellation ab, in der Transgression, Perversität und Tragik von Medeas Eliminierung wurzeln. Das negative Urteil des Chores macht Medeas Kindermord zur soziomoralischen Transgression und Integritätsverletzung. Der Bote hatte den Mord an Kreon und seiner Tochter, also Medeas erste Racheeliminierung, in dem athetierten Eingangsvers als gesetzeswidrig bezeichnet (v. 1121: ) und ihre Freude über deren Leiden als Wahn eingestuft (v. 1129: ), also als einen Gemütszustand charakterisiert, welcher die Normalität und - wie die Tragik - die Subjekthaftigkeit verläßt, weswegen er in der dramatischen Binnenhermeneutik nicht selten als Merkmal der Transgression angesehen wird. Medea bezeichnet das Verhalten, das ihrem Zorn entspringt, jedoch nur zum Schein in der zweiten, ganz von geheuchelter Unterwürfigkeit geprägten Szene als Wahn (v. 873 f.: […]; v. 878 f.: / ; ). Ino, das einzige Beispiel für Kindermord, das dem Chor einfällt, beging ihre Tat im gottgesandten Wahn (v. 1284: ). Die durchgehende Verurteilung des Kindermordes verdeutlicht das Epitheton im Mund des Chores (v. 1286 f.: [Ino] / ), Iasons (v. 1328: ) und Medeas (v. 1383: ), das diese Tat als Verstoß gegen göttlich sanktionierte Normen brandmarkt. Freilich läßt sich an diesem Adjektiv jenseits des objektiven status finitionis bereits eine weiterreichende Binneninterpretation ablesen. Mit dem Demonstrativpronomen , das dem Redenden zugeordnet ist (KG I 641), übernimmt Medea zwar die faktische Verantwortung für den Mord, pariert jedoch an dieser Stelle, an der sie die Tötung der Kinder als ‚diesen frevelhaften Mord‘ bezeichnet, Iasons vorangehenden Vorwurf, indem sie ihre beabsichtigte Kultstiftung zu Ehren der Kinder als Sühne für den Mord anführt. Zudem stützt dieses Adjektiv in der Gesamtkomposition des Dramas Medeas Vorwurf, Iason sei für den Tod der Kinder verantwortlich (v. 1364: ), weil auch Aigeus die Verletzung seines Medea geleisteten Eides auf deren Nachfrage ; mit sanktioniert hatte (v. 754 f.). Iason, der nach Medeas Deutung die ihr geleisteten Eide gebrochen und so den Tod der Kinder verschuldet hat, ist mithin der verdienten Strafe verfallen. Insgesamt stützt also die Binnenhermeneutik des Dramas die Deutung von Medeas Rache als intentional legitime, aber objektiv tragische Transgression. 3. Euripides’ 3.4 Tragik und 457 3.4 Tragik und dimidiata dyas Mit dem Mord an den eigenen Kindern, der faktisch ein genealogischer Selbstmord ist, zahlt Medea, wie bereits mehrmals angedeutet, einen hohen, bitteren Preis für den Triumph über Iason. Sie opfert ihre soziomoralische und genealogische Integrität und Permanenz für die Restauration ihrer soziopragmatischen Integrität und Subjekthaftigkeit. Damit liegt ein Integritätenkonflikt vor, welcher der enger gefaßten Definition von Tragik entspricht, die in der vorliegenden Arbeit vertreten wird. Durch den Mord an den eigenen Kindern, die ein viel engerer Teil des eigenen Selbst als etwa die Eltern im OT und in den Choephoren sind, ist die Autoreferentialität der Transgression in diesem äußeren, handlungsbezogenen Teil von Medeas Tragik ausgeprägter als bei der Tragik anderer Tragödien. Dies gilt auch, wie gezeigt, für deren inneren Teil, da Medea nicht nur handlungsstrukturell bei der Transgression ihren Status als ethisch-rationales Subjekt einbüßt, sondern volle Einsicht in ihre Selbstverabschiedung als rationales Subjekt gewinnt, die Desubjektivierung also durch die Autoreflexivität gespiegelt und gedoppelt und die Tragik so echogleich verstärkt wird. Hier zeigt sich die besondere Rolle, welche die Zweiheit in dieser Tragödie in Form der beiden Operatoren Ver- und Entdoppelung spielt. Dies gilt in besonderem Maße für die Eliminierung, welche das generische Spezifikum der Tragödie ist, und hat faktische wie mimetische Seiten. Wie bei der Autoreflexivität verstärkt die mimetische Doppelung die Wirkung der Eliminierung. Betrifft diese die Zweiheit, bewirkt sie eine Reduzierung auf eine einzige Entität, welche ja auch die Autoreferentialität durch die verdoppelnde Rückbezüglichkeit auf ein und dieselbe Entität besonders fokussiert. Ver- und Entdoppelung und ihre Verschränkung sind also schon durch die Autoreferentialität und ihre duplizierenden Implikationen präfiguriert, wobei die Selbstbezüglichkeit das Spezifikum der Tragik in dieser Tragödie ist. Beginnen wir mit dem faktischen Umgang mit der Zweiheit: Die Transgression, die in der Eliminierung der Kinder besteht und das faktische Substrat der Tragik ist, funktioniert als Reduktion von Zweiheit bzw. Doppelung. Während in der Komödie die Doppelung den Konflikt löst, geschieht dies in der vorliegenden Tragödie nicht bloß durch eine Eliminierung, sondern durch die Reduktion von Doppelung; die tragische Eliminierung reduziert mithin die Doppelung. Die anfängliche Personenkonstellation besteht nämlich aus Medea und Iason, die sich in ihren zwei Kindern duplizieren, mithin in einem stabilen Viereck. Die Kinder reproduzieren ihre Eltern numerisch exakt (vgl. v. 557 f.), typologisch bleibt die Entsprechung offen, da ein Kind sicher ein Sohn ist (v. 1272), der Plural des Neutrums (passim, 74mal) und des Maskulinums (passim, rund 60mal) jedoch rein grammatikalisch eine Tochter nicht ausschließt. Daß Iason sich Schutz von den Kindern erhofft (v. 920 f.), spricht allerdings eher für männliche Streiter. Auch Hor. ars 185 (ne pueros coram populo Medea trucidet) evoziert Söhne, auch wenn eine Tochter nach den Regeln der Genuskongruenz eingeschlossen sein könnte. Die Zweiheit der Kinder ist jedenfalls hermeneutisch auch deshalb belastbar, weil sie nicht bloß impliziert ist, sondern immer wieder lexikalisch hervorgehoben wird. Dies geschieht nicht oder kaum mit unmarkierten sprachlichen Mitteln wie dem Dual, oder , sondern 458 mit den Adjektiven , 127 128 und (v. 1136: [der Bote] ), also klar markierten Lexemen, welche die weitere Interpretation stützen. Sie lassen nämlich in besonderem Maße die Doppelung und Verbindung, ja im Falle von , 129 dessen Neutrum Plural auch für die Schreibtafel Verwendung findet (LSJ 436 s.v., DGE 1122 s.v.), die Verklammerung hervortreten und haben so eine ähnliche Aussage wie und in Aischylos’ Persern. In beiden Tragödien zerbricht denn auch die so bezeichnete soziale Verbindung, unabhängig davon, daß sie in den Persern zwangsweise und unilateral herbeigeführt wurde, während Iason und Medea sich freiwillig zusammengefunden haben. Hier liegt die Unilateralität in Iasons Abkehr von dem Personenviereck, in dem er bislang einen Pfeiler bildete und das ohne ihn kollabiert. So hat denn bereits Gill 1996: 154-174, v.a. 158, 166-168 eine semiotisch-binnenhermeneutische Interpretation von Medeas Tat vorgelegt, diese töte ihre Kinder, weil sie die Verbindung mit Iason symbolisierten, welche dieser durch die Verletzung der aufgehoben habe (ähnlich Hopman 2008: 165, 174). Mit dem Zerbrechen der ersten Verdoppelung, die Medeas und Iasons Verbindung herbeiführt, wird auch die Verdoppelung des Elternpaares in seinen Kindern hinfällig. Dabei ist es gerade Iasons vorgeblicher Versuch, die Duplizierung fast klappsymmetrisch fortzusetzen, indem er durch die Verbindung mit Kreusa, die Medeas Platz ausfüllt, neue Geschwister für die Kinder mit Medea zeugt (v. 562-565), welcher die Reduktion der Duplizierung auslöst. Das Streben nach Vermehrung schlägt in sein Gegenteil um. Diese Selbstsubvertierung geht mit einem vorgeschützten, egoistisch pervertierten Altruismus einher. Die Doppelbödigkeit kollabiert. Iasons Annullierung des Paarstatus zieht Medeas Annullierung ihrer Verdoppelung in den Kindern nach sich. Die Entwicklung verläuft dabei von der Geometrie über die Arithmetik wieder zur Geometrie: Aus dem anfänglichen Figurenviereck wird eine, dann zwei weitere Figuren subtrahiert, bis schließlich nur noch zwei atomisierte Punkte zurückbleiben. Ihre Konfrontation in der Schlußszene (statt der Präsentation eines einzigen atomisierten Überlebenden der Eliminierungen wie Kreon in Sophokles’ Antigone oder Theseus in Senecas Phaedra) macht augenfällig, daß die Spaltung der Zweiheit endgültig ist und diese abschließend nicht einmal in der gemeinsamen Trauer um die gemeinsamen Kinder restauriert wird, welche die mit ihrer Entzweiung verbundenen Transgressionen eliminiert haben. Die gespaltene Zweiheit deutet bereits das Leitmotiv der Meerengen an, die als Bosporos und Dardanellen zumindest geographisch das Viereck der gedoppelten Zweiheit darstellen, das hinter der anfänglichen Figurenkonstellation steht. So schildert der Chor Medeas Passage der Meerengen als 127 V. 1315: [Iason] ; vgl. v. 1185: [Kreusa] 128 V. 273: [Kreon] , v. 1395: [Iason] - . 129 Nachgerade leitmotivisch werden Orest und Pylades in Euripides’ Iphigenie auf Tauris - (v. 474, 1289) genannt, einmal sogar im Zusammenhang mit ihrer Durchquerung der dunklen Symplegaden (v. 242). 3. Euripides’ 3.5 Gender, Inversion und Perversion 459 (v. 433 f.). Hopman 2008: 160 hebt auf die Funktion der Meerengen als Grenzmarkierung, die eine Transgression erst ermöglicht, treffend ab, indem sie mit „threshold“ paraphrasiert. Doch Medeas Rache ist nicht nur von eliminatorischer Reduktion der Verdoppelung geprägt, sondern birgt selbst mehrfache Verdoppelung. Wenn Iason von dem Verlust der beiden Kinder spricht (v. 1315, 1395; Wortlaut s.o.), läßt er anklingen, daß er dadurch doppelt getroffen wird. Auch gegen seine Braut rückt ein doppeltes Unheil an (v. 1185: … ’). Medea erfreut es dagegen doppelt ( ), wenn sie und ihr Vater ganz elend starben (v. 1134 f.), wobei der Botenbericht beider Ende iteriert. Daß die Doppelung nicht nur die Reproduktion, sondern auch die eliminatorische Reduktion prägt, kommt treffend zum Ausdruck, als der Bote seinen Bericht von der Übergabe der Geschenke, die Tochter und Vater umbringen werden, mit eröffnet (v. 1136): Medeas zwei Kinder werden doppelten Tod bringen. Daß Kreusa sich im Spiegel betrachtet (v. 1161), ist nicht bloß ein Hinweis auf unsympathische Eitelkeit, sondern ebenfalls eine Form mimetischer Duplizierung, 130 mit welcher die junge Medea vor ihrer Annullierung iteriert wird (für andere Elemente der iterativen Annullierung in Medeas Brautgeschenken vgl. Hopman 2008: 164 f.). Die Selbstbetrachtung doppelt sich in der optischen Fremdwahrnehmung durch die alte Dienerin. Diese jubelt zuerst, weil sie Kreusa von Pan ergriffen glaubt (v. 1171-1173), doch schlägt ihr Jubel in Klage um, als sie den weißen Schaum und das Erbleichen der Königstochter sieht (v. 1176 f.: / ). Hierdurch wird nicht nur die Wahrnehmung von Medeas Rivalin in Augenschein und Bericht gestuft verdoppelt, sondern auch der Umschlag, welcher Medeas Anschlag offenbart, von Freude in Trauer deutlich. Das Attribut charakterisiert Medea als drameninterne Regisseurin und dichterische Schöpferin dieser Szene und damit auch der mit ihr gegebenen Verdoppelungen. 3.5 Gender, Inversion und Perversion Die implizite Affirmation der überschrittenen Grenzen, die sich bereits im vorletzten Kapitel herauskristallisierte, gilt auch für die gender-Grenzen. Es ist in der Forschung ein anerkanntes Ergebnis, daß Medeas unbarmherzige Ahndung ihrer verletzten Ehre (d.h. nach unserer Deutung ihr ), sie in die Rolle eines episch männlichen Heroen schlüpfen läßt. 131 Ihr männlicher Widerpart, ihr 130 Rabinowitz 1993: 145: „[T]he princess becomes a spectacle first for her own gaze, then for the imagination and ears of Medea, and finally for the audience.“ 131 Dihle 1977: 16 f. und Hose 1991: Bd. 2, 79 f. mit weiterer Literatur. Nach Torrance 2007: 286 übertreibt die Forschung Medeas Vermännlichung. Sie verweist für eine ausführliche Widerlegung auf Judith Mossmans Kommentar zu Euripides’ Medea, die gleichwohl bei ihrer ausführlichen Kritik an der These von Vermännlichung Medeas nicht die in der vorliegenden Interpretation entwickelten Argumente berührt (Euripides. Medea. With Introduction, Translation and Commentary by Judith Mossman. Oxford 2011, 31-39). Schmitt 1994: 590, der ebenfalls die Vertreter dieser Deutung aufführt, lehnt dagegen Bernd Manuwalds These ab (Der Mord an den Kindern. Bemerkungen zu den Medea-Tragödien des Euripides und des Neophron. WS 460 Ehemann, tritt dagegen kleinlich-egoistisch und verzagt auf. Das hängt damit zusammen, daß er weder die Kraft noch den Weitblick oder die Fähigkeit mit- und aufbringt, Probleme zu lösen und Pläne zu entwickeln und umzusetzen. Seine Vision, sich durch die Heirat mit Kreusa lokal, soziostrukturell und genealogisch zu etablieren, die er seiner Ex-Frau als Sorge um sie und die gemeinsamen Kinder schmackhaft zu machen versucht, annulliert Medea. Er agiert also anders als Medea nicht als dramatisches Subjekt, verliert seinen heroischen Status 132 und nähert sich stark dem Antihelden des hellenistischen Epos an. 133 Die Invertierung der Geschlechterrollen zeigt sich auch in Medeas Sprechen: Während sie selbst in einer Art pervertierter Kampfparänese vor dem Kindermord ihre bekämpft (v. 1051 f.) und sich so habitual und mental vermännlicht, wirft sie Iason bereits bei dessen Treuebruch vor (v. 466) und damit dessen ethologische (Selbst-)Entmannung. Dazu fügt sich semiotisch die symbolische Kastration durch den Mord an Kindern und Braut. Die physische wie heroisch-soziale Seite des Zeichens ‚Mann Iason‘ wird so annulliert. Der Höhenunterschied in der Schlußszene illustriert das psychologische Gefälle zwischen den beiden Gatten. Iasons Bestreben, die Tür gewaltsam zu öffnen (v. 1314-1318), läßt Medea wie Aristophanes’ Lysistrate, indem sie freiwillig hervortritt, das entsprechende Ansinnen des Ratsherrn scheitern (v. 430-432). Medea überschreitet gewiß die Grenzen, die einer Ehefrau und Mutter in den damaligen patriarchalischen Verhältnissen gezogen waren. Sie läßt sich nicht ohne Gegenwehr als Objekt gegen eine andere Frau austauschen, 134 sondern wird selbst aktiv und zum Subjekt der Handlung. Die Kommutationsprobe, welche die beiden Männer unternehmen und diese zu Konstanten, aber die beiden Frauen zu Variablen macht, scheitert an Medeas Eliminierung der anderen Variable. Sie kontert also ihrerseits mit einem strukturalistischen Diagnoseverfahren, der Reduktion bzw. Weglaßprobe, und subvertiert so die Intention ihrer männlichen Kontrahenten, ja pervertiert die geplante Invertierung: Der Ehebund wird zerrissen und statt, wie von Iason erhofft, zum Quell neuen Lebens zum Todesanlaß für die künftige Lebensspenderin. Medea pervertiert dabei, was zwei weitere Punkte sind, in denen ihre Aneignung des episch-männlich-heroischen N.F. 17 (1983) 27-61, h. 44), Euripides habe „die als Leidenschaftstragödie konzipierte ‚Medea‘ des Neophron durch sein Drama zu überwinden gesucht, in dem die Rachetat vornehmlich einem an männlichen Wertvorstellungen orientierten Ehrenkodex entspringt“. Der Marburger Gräzist favorisiert statt einer männlichen Denkweise die Leidenschaft als Motivation der Rachetat. Diese alternativen Interpretationen übersehen, daß der auf eine Ehrverletzung reagiert, die nur für einen männlichen Ehrenkodex relevant ist (Wer kein Ehrgefühl hat, kann es nicht verletzt sehen). Nicht von ungefähr sind schließlich die prominenten literarischen Vertreter des Zorns, Achill und Oidipus, Männer. Medea übernimmt somit organisch und ohne reflexive Brechung die Denkmuster der männlichen Figuren, die mit ihr in Interaktion treten. Selbst die aufflammende Mutterliebe unterliegt dem männlichen Ehrdenken und vermag ihr damit keine weibliche Individualität zu verleihen, die sie von den Männern, die mit ihr spielen (wollen) und ihr mitspielen, abhebt. 132 Anne Pippin Burnett, Medea and the Tragedy of Revenge. CPh 68.1 (1973) 1-24, h. 17. 133 Vgl. hierzu Karsten Thiel, Aietes der Krieger - Jason der Sieger. Zum Heldenbild im hellenistischen Epos. Palingenesia 60. Stuttgart 1996, v.a. 67-84. 134 Zur Konstruktion männlicher Beziehungen über Heirat und Frauentausch s. Michael Oppitz, Notwendige Beziehungen. Abriß der strukturalen Anthropologie. Frankfurt a.M. 2 1993, 75-89. 3. Euripides’ 3.5 Gender, Inversion und Perversion 461 Habitus scheitert, nicht nur die Schmückungsszenen des Epos, sondern mit ihrer verinnerlichten Wappnung (v. 1242: ’ ’ ), die gut zum Gebrauch des Schwertes als Mordwaffe paßt, auch die epischen Rüstszenen der Helden, da sich die Rüstung nicht gegen erzprangende Feinde, sondern die eigenen wehrlosen Kinder richtet. Anders als Ino, deren Schicksal der Chor gleich nach der Ermordung der Söhne besingt, die als einzige Sterbliche zuvor im gottgesandten Wahn ihre Kinder ermordet habe (v. 1282-1289), bringt sich Medea nach der Tat nicht um. Und doch bleibt sie gerade bei und mit ihrem Rachefeldzug in den Grenzen patriarchalischer Denkmuster und Zuschreibungen, ein literarischer Realismus, der auffallend mit der fantastischen Evasion der Schlußszene kontrastiert. Sie akzeptiert, daß die Untreue ihres Ehemanns sie herabsetzt, statt darin einen Beleg für dessen Wertlosigkeit und mangelnde Satisfaktionsfähigkeit zu sehen, die dieser doch durch sein egoistisches, einseitiges und herablassendes Verhalten im Verlaufe des Stücks hinreichend unter Beweis stellt. Auch läßt sie, die gestandene ältere Frau, sich durch männlich-patriarchalisches Handeln in eine Rivalität zu einer anderen, jungen Frau hineindrängen, die für diese tödlich wird, statt sich mit ihr zu solidarisieren. Doch im Drama des 5./ 4. Jh.s kam weibliche Solidarität und erfolgreiche Emanzipation nur in der Komödie vor. Der fantastische Schluß der Medea weist somit dasselbe Element wie diese auf und kennzeichnet das Geschehen als ähnlich realistisch wie die Gleichverpflichtung der Frauen in Platons Politeia, selbst wenn diese Schrift diesen Entwurf nicht als utopisch betrachtete. Der Genderaspekt ist also als heuristisches Instrument hervorragend geeignet, um Medeas Tragik auf strukturalistischer Grundlage zu beschreiben. Es gibt nur die binäre Opposition zwischen Männlich-Heroisch und Weiblich-Konform. Sobald eine Frau sich aus der patriarchalischen Objektrolle befreit und zum Subjekt wird, kann sie das heroische Muster nur um den Preis einer (Selbst-) Zerstörung adaptieren (und damit pervertieren), welche die männlichen Heroen übertrifft und ihr mit dem genealogischen Selbstmord ein hohes Opfer abverlangt. 135 Das vergiftete Brautgeschenk wird nicht nur als pervertierte Hochzeitsszene beschrieben, die symbolisch Iasons und Medeas Hochzeit revidiert (Hopman 2008: 164 f.), d.h. annulliert, 136 sondern es pervertiert und subvertiert auch die männliche Praxis, über den Austausch und die Gabe von Frauen Beziehungen herzustellen, auch weil es den Beziehungspartner eliminiert. Tertium non datur. Ein Entrinnen aus den Widersprüchen, hier der Geschlechterrollen, durch einen zivilisatorischen Paradigmenwechsel, wie er etwa am Ende der Atridentrilogie anklingt, ist nicht möglich. Dabei scheint mit dem Umgang, den Aigeus und Medea praktizieren, ein Verhältnis zwischen Mann und Frau möglich, das anders als zwischen Iason und Medea auf der Gleichheit zweier sozialer 135 Ähnlich - mit aporetisch beklemmender Aktualisierung - Rabinowitz 1992: 51 („Without other term, we are doomed to continue the annihilation of our progeny.“). 136 Dieser Motivkomplex der Annullierung der Vergangenheit, der bei Euripides noch implizit ist, wird in Senecas Medea explizit und geschieht zugunsten einer neuen transgressiven Identität (vgl. Alessandro Schiesaro, Seneca and the Denial of the Self. In: Shadi Bartsch, David Wray (Hgg.), Seneca and the Self. Cambridge 2009, 221-235, h. 228-234). 462 Subjekte und auf wechselseitiger Treue beruht, nur eben keine erotische und bloß eine pharmakologisch-reproduktive Komponente hat. Aigeus fungiert dabei, entsprechend dem von Hopman vertretenen Modell der hermeneutischen Relevanz von Unterschieden (2008: 157 Anm. 4), als klärendes Gegenmodell zu Iason. 137 Dies wird an der Verwendung der Wurzel deutlich, die bereits in Aischylos’ Persern für die Abwesenheit eines Ehepartners stand (v. 139). In diesem Sinne gebraucht auch Aigeus sie litotisch gegenüber Medea (v. 673: ). 138 Doch während Iason seine frisch vermählte Braut nie Kinder schenken wird (v. 804 f.: / ), ist Aigeus Medea durch Eide verbunden (v. 735: ). Resümieren wir kurz als Grundlage der weiteren Interpretation die Modi und ihren Zusammenhang, welche die transgressive Handlung in diesem Stück charakterisieren: Der heroisch-maskuline pervertiert nicht nur Medeas Planen und invertiert sie von einem traditionellen weiblich-konformen Objekt männlicher Interaktion zu einem heroisch-maskulinen Subjekt, er läßt sie dabei auch ihre Mutterrolle und religiöse Riten pervertieren. Diese Perversion geht mit der materialen Annullierung ihrer gemeinsamen Kinder mit Iason und dessen avisierter Familie und damit der ideell-symbolischen Annullierung ihrer Verbindung mit Iason einher, über welche dieser sich faktisch hinwegsetzen wollte. Der Nexus von Inversion und Perversion zeigt sich deutlich darin, daß Medea sich die Prinzipien der männlichen (Popular-)Ethik, den Freunden zu nützen und den Feinden zu schaden (v. 807-810), 139 in bezug auf letztere so sehr zu eigen macht, 140 daß sie mit dem Mord an ihren eigenen Kindern nicht nur ihre Ehre retten will (v. 1060 f.: / ), sondern für die maximale Fremdschädigung die maximale Selbstschädigung in Kauf nimmt. 141 Die Perversion tritt auch 137 Hopman 2008: 163 f. 138 Das Joch symbolisierte denn auch noch im lateinischen Kulturkreis bis in die Spätantike die Verbindung, die Venus in Ehe und Freundschaft schuf (Macr. Sat. 1,12,11; Wolfgang Hübner, Das Sternbild Libra im Proömium der Aratea Aviens. Mene 10 (2010) 157-176, h. 171 f., vgl. Hor. carm. 3,9,17 f., weitere Stellen s. Eva Baer, ThlL Bd. 7,2,1 (1956-70) Sp. 639-644, h. 642 Z. 8-50). 139 / , / / . Vgl. dazu Mary Whitlock Blundell, Helping friends and harming enemies. A study in Sophocles and Greek ethics. Cambridge 1989, 26-31 mit Belegstellen und weiterführender Literatur. Pl. Grg. 509b 7 f. ( ) dokumentiert die durchgehende Wertschätzung der Hilfe für Freunde in der Populär- und philosophischen Ethik. 140 V. 374 f. (Mordpläne), v. 765-767: , / / , v. 797: - , v. 1049 f.: / 141 Indem die Freunde zu Feinden werden (v. 520 f., vgl. v. 506 f.: / und die falsche Hoffnung in v. 95: - ), ist die Sache mit diesem dynamischen Statuswechsel komplexer formuliert als bei Aristoteles, der nur die statische Konfliktkonstellation beschreibt, wenn er meint, das schwere Leid dürfe sich nicht zwischen Feinden oder einander Gleichgültigen, sondern einander in 3. Euripides’ 3.5 Gender, Inversion und Perversion 463 darin zutage, daß die eigenen Kinder von einem Ko-Subjekt zu einem Instrument der Rache degradiert werden, 142 oder in der Terminologie von Greimas’ Aktantenmodell zum Adjuvanten bzw. Objekt (während Iason der Opponent und das Objekt der Rache wäre). Daneben gibt es noch eine eindeutigere Möglichkeit, die Perversion narratologisch-handlungssukzessiv zu deuten, 143 und zwar mit Aristoteles’ Poetik. Der Entschluß, die eigenen Kinder zu töten (v. 790- 797), markiert zweifellos die Peripetie des Stückes, die Aristoteles als Umschlag der Handlung in das Gegenteil ( - ) bezeichnete (Poet. 1452a 22-26). 144 Diese Entscheidung läßt nicht nur die Stimmung des Chores gegen Medea umschlagen, sondern die gesamte Handlung und Medeas Identität als Mutter, worin der Kern der Perversion in diesem Stück zu suchen ist. Der Integritätsverlust unterscheidet die Perversion von der Inversion, die bloß mit einem Wechsel der (hier: Geschlechterrollen-)Identität einhergeht. Dies trifft in unserem Stück doppelt zu: Mit der physischen Integrität ihrer Kinder zerstört Medea ihre moralische als Mutter. Am Beispiel Medeas zeigt sich auch, daß die Perversion der Tragik an Komplexität nachsteht. Denn der Grund für diese Perversion ist das Bestreben, die soziale Integrität zu wahren. Der tragische Konflikt zwischen Ehre und Mutterrolle ist deren Perversion also vorgängig. Daß auf der Ebene der Handlungsalternativen die maximale Fremdschädigung durch den Mord an den gemeinsamen Kindern mit der maximalen Selbstschädigung über den genealogisch-genetischen Selbstmord einhergeht, entspricht den in der Einleitung herausgearbeiteten Merkmalen der Tragik wie der Gegenläufigkeit und genauer dem Umschlagen einer Intention zur Wahrung einer Integrität in den Verlust einer (anderen) Integrität (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik), ist aber nicht pervers. Das Movens von Medeas transgressivem Handeln, der Zorn über die verletzte Ehre, welcher ihre Pläne diktiert, ist eine tragische Selbstaufgabe des ethisch-rationalen Subjekts und läßt sich zugleich stoisch als eine Verkehrung der Denkweise deuten ( ; Näheres zu diesem Philosophem s. 7.2.3 Phaedra und die Amme in der Phaedra-Interpretation). Allerdings läßt sich Medeas Versuch einer Mythopoiesis, d.h. einer Revision des herrschenden Mythos (in diesem Fall der Argonautenfahrt mit Iason), zumeist durch Angehörige marginalisierter Gruppen, z.B. Frauen (so Hopmans Definition [2008: 157]), dem grundsätzlich etwas Subversives anhaftet und der eine poetisch-kreative Transgression ist, auch als literarisch-ideologische Perversion auffassen. Dafür verbundenen Verwandten ereignen, um furchtbar und bejammernswert zu sein (Poet. 1453b 15-22). 142 Lütkehaus 2009: 132 sieht Medea durch diese Instrumentalisierung zugleich be- und entlastet. 143 Das perverse Element in Euripides’ Medea bestätigt Hans-Thies Lehmanns Zweifel an der Perversion als Alleinstellungsmerkmal des postmodernen Dramas (Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 27 f.). Sein hier geäußerter Hinweis auf die Heterogenität von Perversion und Subversion wird hoffentlich durch die Terminologie der vorliegenden Arbeit entkräftet. 144 Für die diversen Peripetien in der Medea, bei denen eine Handlung in ihr Gegenteil umschlage, s. Bernd Seidensticker, Peripeteia and Tragic Dialectic in Euripidean Tragedy. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 377-396, h. 385- 388. 464 spricht, daß dieser Versuch, wie Hopman herausarbeitet, mißlingt, weil er nicht den Anforderungen des gewählten Genus, des (Helden-)Epos, genügt (2008: 169-175: „an aborted epic“) und dessen Charakeristika nachgerade ins Gegenteil verkehrt. Hopman 2008: 173 sieht immerhin in Medeas Abschiedsklage um ihre Kinder (v. 1021-1040) eine Pervertierung dieses Genres, da der zukünftige Mörder sie anstimme. Konkret scheitere der Versuch, ein ruhmvolles weibliches Epos zu schreiben, was Hopman 2008: 169 f. unter Rückgriff auf umfangreiche Forschung detailliert untermauern kann, mit dem Mord an den eigenen Kindern, weil im Epos die intrafamiliären Beziehungen nicht von Gewalt, 145 sondern Solidarität geprägt seien. Die Familie als Schauplatz der Gewalt hatte aber bereits Aristoteles als Kriterium für die emotionale Wirksamkeit der Tragödie bestimmt (Poet. 1453b 15-22). Daß Medea Iason anders als Achill, mit dem sie in der Beschreibung des anfänglichen Kummers und späteren Zornes viele Merkmale teile (Hopman 2008: 170) und der Priamos den toten Sohn zur Bestattung zurückgibt, Iason nicht die toten Kinder übergibt, ist nicht nur unepisch, wie Hopman 2008: 171 herausarbeitet, sondern eben bereits der skizzierten tragischen Situation geschuldet, daß es eben auch die eigenen Kinder sind, die Medea entsprechend der dimidiata dyas (s. den gleich betitelten Abschnitt) umgebracht hat, aber auch jetzt bestattet, da sie nur Instrumente, aber keine Objekte der Rache waren. Da dies nur geschah, um Iason zu verletzen (v. 1398), wie Hopman selbst betont, besteht auch hier ein entscheidender Unterschied zur Ilias, wo Hektor, das Objekt von Achills Rache, bereits tot ist. Mit Priamos hat Achill dagegen anders als Medea mit Iason keine Rechnung offen. Wenn Hopman 2008: 171 mit Achills Empathie gegenüber Priamos Medeas Unerbittlichkeit gegen Iason kontrastiert, so blendet sie die Mißhandlung von Hektors Leiche aus, in der Achill seinen Schmerz und seinen Zorn noch gegen den toten Feind ausgelebt hat, was Medea in der Schlußszene gegen den noch lebenden tut. Anders als Priamos hat Iason auch keine Gaben zur Auslösung seiner Söhne. Das liegt nicht nur daran, daß deren Tod ihn unvermutet trifft, sondern auch daran, daß man für die Auslösung von Gefallenen, die zu dem epischen Großthema ‚Krieg‘ gehört, auf eingespielte soziale Mechanismen zurückgreifen kann. Die intrafamiliäre Gewalt betrifft nicht solche Standardsituationen, sondern bedarf oft anderer Möglichkeiten zur Konfliktlösung oder Schadensregulierung, die ebenso neu wie die ausagierten Konflikte sind. Auf derartige soziale Instrumentarien muß der mimetische Realismus der Tragödie Rücksicht nehmen. Nur mit der Transgression kann er das Individuelle oder gar Singuläre auf die Bühne bringen. Jenseits der hier bemühten sozialrealistischen causae materiales verweist der fehlende materiell-physische Austausch zwischen Iason und Medea in der Schlußszene auf das Scheitern einer Verständigung in dieser und in dem gesamten vorausgehenden Stück. Daß Iason mit leeren Händen kommt und geht, ist symptomatisch für seine pragmatische und praktische Referenzlosigkeit. Daß er nichts vorzuweisen hat, ist eine dramatische Ironie seines materiellen Besitzstolzes, mit dem er Medeas vergiftete Gaben gönnerhaft bei ihrer letzten 145 So auch Richard Seaford, Reciprocity and Ritual: Homer and Tragedy in the Developing City- State. Oxford 1994, 11. 3. Euripides’ 3.5 Gender, Inversion und Perversion 465 Begegnung vor der Transgression abgelehnt hatte (v. 959-961). Darüber hinaus ist das unterschiedliche Verhalten von Achill und Medea, wie hier gezeigt, der tragischen Personen- und Konfliktkonstellation geschuldet, was selbstredend nicht Hopmans Nachweis schmälert, Medea handle unepisch. Zu Recht läßt Hopman 2008: 179 Medeas intrapoetische (Rache-)Tätigkeit in einem anderen Genre reüssieren, nämlich der Tragödie: „She may not become the focus of an epic song, but she has created the perfect revenge tragedy.“ Dazu paßt denn auch ihre die Handlung prägende intratheatralische Tätigkeit. Im übrigen läßt Medea ihr , ihre verletzte soziale Integrität, der ihr tragisches Tun antreibt, nicht nur kein Epos, sondern auch keine Komödie schreiben. Nachgerade leitmotivisch ist nämlich die Formulierung dieses Ehrstrebens in der Angst, den Feinden Gegenstand des Gelächters zu sein, so wenn ihr Racheanschlag scheitern und sie eliminiert werden sollte (v. 383: ) oder wenn sie die Feinde ungestraft ließe (v. 1048 f.: - ’ ). Wie stark das Motiv des Nichtverlachtwerdens mit Medeas Rache verwoben ist, zeigt die Schlußszene, welche die Medea widerfahrenen Kränkungen ausdrücklich erwähnt. Medeas drei erwachsene Kontrahenten, Iason, der Medeas Bett entehrt hat, Kreon, der sie nicht straflos (v. 1357: ) aus dem Land werfen wird, und dessen Tochter können kein freudevolles Leben verbringen und Medea verlachen (v. 1354-1357). Die soziale wie lokale Eliminierung Medeas hat diese also mit der physischen beantwortet. Selbst den Schmerz über die tragische Eliminierung, auf den Iason sie hinweist, mildere die Tatsache, daß Iason sie nicht verlache (v. 1362). Das Lachen ist aber die klassische Reaktion auf das Komödiengeschehen. Eine solche will Medea bei ihrer intradramaturgischen Tätigkeit aber nicht schaffen. 146 Daß dieses Bemühen in der Schlußszene andauert, zeigen in scharfem Kontrast zum Oidipus Tyrannos Medeas soziale Selbstisolation, die wortwörtliche soziopragmatische Unversöhnlichkeit dieses Ausgangs und die unterbliebene Restauration der sozialen Ordnung. Denn in der Tragödie des Sophokles verzichtet Kreon ausdrücklich darauf, Oidipus, dessen Blendung in einem vorausgehenden Intratheater der Gegenstand einer Inszenierung wurde und der nun ratlos ist, was er Kreon sagen soll, dem er vor der Anagnorisis mit für diesen absurden Unterstellungen zugesetzt hat (v. 1419-1421), zu verlachen und ihm seine früheren Übel vorzuhalten (v. 1422 f.). Im einen Fall muß die Protagonistin das Lachen ihrer sozialen Umwelt sorgenvoll unterdrücken, im anderen Fall verzichtet diese darauf und stellt die gestörte Kommunikation wieder her n. Kreon versucht auch, wenn auch nicht erfolgreich (s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der OT-Interpretation), die Ordnung dadurch wiederherzustellen, daß er Oidipus ins Haus bittet, wobei er ausdrücklich darauf hinweist, daß diese Familien- 146 Umgekehrt fragt Athene Odysseus in einer gleichfalls metatheatralischen Situation (Francis Dunn, Sophocles and the Narratology of Drama. In: Jonas Grethlein, Antonios Rengakos (Hgg.), Narratology and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature. Berlin 2009, 337-355, h. 343 f.) in der ersten Szene des Aias (v. 79): ; Die Göttin beschreibt damit exakt die Konstellation in der Schlußszene der Medea, in der die Protagonistin ihren Widersacher verhöhnen kann. 466 angelegenheiten nur Verwandte sehen und hören dürften (v. 1424-1431: - ). Medeas Versuch der Annullierung endet selbst im Nichts. Intratheatralisch inszeniert annulliert sie ihre Vergangenheit mit Iason, indem sie die Königstochter physisch eliminiert, die sie mit Hilfe derselben Attribute, die sie bei der Hochzeit mit Iason getragen hat, symbolisch zu einer altera ego gestaltet hat (Hopmann 2008: 165). Diese Annullierung antizipiert die biologisch-genealogische und Selbstvernichtung Medeas im Mord an ihren Kindern und den damit einhergehenden Verlust der sozialen Integrität als Mutter, bringt Medea doch auch Kreusa durch den Mord um die Möglichkeit der Mutterschaft, auf die Iason spekuliert. Die komplexe Semiotik der Annullierung ist im Fall des Status als Iasons Braut entlang der Zeitachse organisiert: Mit der Prinzessin wird ein gegenwärtiges signifiant symbolisch stellvertretend für das Bild des vergangenen Selbst eliminiert und verweist dabei gleichzeitig auf die künftige Eliminierung der materiellen Fortsetzungen des eigenen signifiant, die Medeas Kinder darstellen. Das pure Scheitern ist jedoch kein hinreichendes Kriterium der Tragik. Während die Perversion vielfach Medeas Handeln beschreiben kann, läßt sie sich - als Gegenprobe - bei Oidipus nicht einmal bei der sozialen Transgression sinnvoll bemühen. Denn Oidipus verletzt gewiß an seinen Eltern Tabus, doch er tut dies nicht willent- und wissentlich und verkehrt dabei nicht wie Medea eine Pflicht in deren Gegenteil. Noch weniger nimmt er einen Rollenwechsel vor, was wir ja als Voraussetzung der Perversion definiert hatten. Bislang haben wir diese rein als dramatisch-soziale und literarische Operation betrachtet, 147 es läßt sich jedoch auch fragen, ob Medeas Verhalten Züge einer sexuell-psychoanalytischen Perversion trägt. Bereits der Altmeister der Psychoanalyse sah die männliche wie weibliche Homosexualität - entgegen der fast zweitausendjährigen kirchlichen Verurteilung alles nicht der Fortpflanzung dienenden sexuellen Verhaltens als naturwidrig und ‚pervers‘ - nur als ein Phänomen der Inversion an und reservierte die Bezeichnung Perversion für Devianzen wie Sadismus und Masochismus. 148 Mit dieser Kategorie läßt sich zwar nicht Medeas Verhalten gegenüber ihren eigenen Kindern, wohl aber gegenüber ihren erwachsenen Gegnern Kreon, Kreusa und Iason beschreiben. Medeas Aufforderung an den Boten, ausführlich über den Tod der erstgenannten zu berichten (v. 1133-1135), 149 ist 147 Vgl. Luigi Castagna und Gregor Vogt-Spira (Hgg.), Pervertere. Ästhetik der Verkehrung. Literatur und Kultur neronischer Zeit und ihre Rezeption. BzA 151. München, Leipzig 2002. Dieser vielseitige und anregende Tagungsband verbindet auch anhand einer Epoche literarische und soziale Perversion und unterscheidet auch nicht streng zwischen Inversion, die der zentralen Figur des rovesciamento ‚Umkehrung‘ (z.B. xviii f.) zugrunde liegt, und Perversion, welche die ideell-symbolische oder gar faktische Annullierung des Verkehrten enthält. 148 So Sigmund Freud in seiner ersten Die sexuellen Abirrungen überschriebenen der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) (S. 37-145) (Sexualleben. Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey. Bd. 5. Frankfurt a.M. 1 1972 = 10 1996, 47-80, h. 48-50 bzw. 67-69). 149 , / / . 3. Euripides’ 3.5 Gender, Inversion und Perversion 467 ästhetisch pornographisch und psychologisch sadistisch, 150 da Medea Freude über den üblen Tod ankündigt. Der Sadismus, der nach Freud „einer selbständig gewordenen, übertriebenen, durch Verschiebung an die Hauptstelle gerückten Komponente des Sexualtriebes“ entspricht und seine „Wurzeln im Normalen“, d.h. der aggressiven Komponente des männlichen Triebes habe, 151 wäre dabei ein Kronzeuge für Medeas Pervertierung, die durch ihre Invertierung, d.h. Aneignung einer männlichen Rolle herbeigeführt wird. Den Voyeurismus, in dem sich Medeas Sadismus hier realisiert, stufte Freud dagegen zusammen mit dem Betasten als Perversion ein, da sie auf einer Vorstufe des Geschlechtsaktes stehenblieben. 152 Das pornographische und sadistische Moment wird narratologisch auch dadurch gestützt, daß die Evokation des Boten von Kreusas körperlichen Reizen ein sexuelles Moment in die Schilderung ihres Todes bringt (v. 1147, 1164). Wie Oidipus’ Blendung bietet Kreusas Eliminierung einen schrecklichen Anblick (v. 1167: , vgl. v. 1202: ), doch anders als im Falle des thebanischen Königs äußert kein drameninterner Rezipient seinen Schrecken, ebensowenig wie die Opfer. Kreusas Leiden wird rein klinisch beschrieben, ihr Vater klagt über den Tod seiner Tochter. Nur der Bote äußert sein Befremden, daß Medea sich über die Nachricht vom Tode des Königs und seiner Tochter freue, statt Schauder zu empfinden (v. 1131: ), stuft ihre Freude also als Gegenteil der zu erwartenden Reaktion und damit inhaltlich als pervers ein. 153 Wegen der objektivierenden Formulierung kann man bei der Eliminierung zwar Medea klar als Dramaturgin eines Intratheaters bezeichnen, das sogar mit ( ) als Schau(der)spiel benannt wird, 154 nicht aber als Terroristin, da sie keinen Schrecken verbreitet. Wie bei Bohrers epiphanem Schrekken bleibt der emotionale Gehalt an die sinnliche Wahrnehmung gekoppelt (v. 1167: , v. 1131: ). Bei der haptischen Wahrnehmung vereint diese Szene Modi aus dem Kindermord und der Schlußszene, deren furchtsame Vermeidung orientiert sich dagegen an dem Wissen um die Heimtücke des Gifts: Für Kreusa und ihren Vater, die ahnungslos sind, ist die haptische Wahrnehmung so eliminatorisch wie für Medeas Kinder, die Diener werden dagegen durch die Furcht wie Iason in der Schlußszene durch Medea von der Berührung abgehalten (v. 1202 f.: / ). Medeas transgressive Eliminierung stiftet zumindest situativ eine Tabuhaltung bei den Dienern. Das intellektuelle und haptische Begreifen ist in der Anschlagsszene also komple- 150 Rabinowitz 1992: 49 f. spricht von „pornography“ und „pornographic pleasure“ und nennt Medea nach Darstellung der Tragödie „perverse sadist“. 151 Die sexuellen Abirrungen S. 67. 152 Die sexuellen Abirrungen S. 66 f. Das (Nicht-)Berühren Kreusas im Botenbericht hat dagegen mit dem perversen Betasten nichts gemein, da es von Schrecken oder Mitleid geleitet ist. 153 Vgl. Dorothea Zeppezauer, „Explizites Vergnügen am Schrecklichen: Euripides, Medea“, in: Bühnenmord und Botenbericht. Zur Darstellung des Schrecklichen in der griechischen Tragödie. Diss. Berlin 2008. BzA 295. Berlin 2011, 143-158. 154 Zeppezauer, deren Besprechung neben dem erwähnten zweimaligen Gebrauch von Peripetie und emotionale Reaktionen der drameninternen Rezipienten beleuchtet, spricht von „berichteter Bühne“ (2011: 157, bereits im Original in Anführungszeichen). 468 mentär auf die Diener und Kreon verteilt. Hier ist die sinnliche Wahrnehmung nicht der Anlaß, sondern der Inhalt der Furcht. Diese ist das Ergebnis einer Reflexion und eher eine konkret-praktische Scheu als eine diffuse emotionale Reaktion. Auch die haptische Wahrnehmung stützt also nicht Medeas Einstufung als Terroristin sensu stricto, zeigt jedoch die Pervertiertheit ihres scheinbar Freude, in Wirklichkeit aber todbringenden Geschenks. Bereits das Argument, Kreon solle sich ihrer Kinder erbarmen (v. 344 f.), da er selbst solche habe, mit dem Medea ihre Bitte an Kreon begründet, einen weiteren Tag in Korinth bleiben zu dürfen, pervertiert dessen Kindes- und Menschenliebe, da Medea seiner Tochter einen tödlichen Anschlag bereiten wird, wie sie dem Chor gleich im Anschluß offenbart (v. 374 f.). Die Perversion, wieder im allgemeinen Sinne, ist freilich nicht auf Medea beschränkt, sondern geht nach Einschätzung des Chores von den Männern aus, wobei er Iasons Treuebruch im Blick hat. Nach Medeas Eröffnung sieht der Chor zumindest eine bereits lokale Inversion und Subversion der kosmischen Ordnung am Werke (v. 410: ). Diese ist nicht nur physikalischlimnologisch, sondern beruht vor allem auf der grundlegenden Invertierung moralischer Parameter (v. 411: ), die ihrerseits durch die Invertierung der Geschlechterrollenklischees bedingt ist: Die Männer legen die listige Treulosigkeit an den Tag, die in der Antike sonst den Frauen zugeschrieben wird. 155 Dadurch wird selbst das Vertrauen in die beschworenen Götter untergraben (v. 412 f.: / ). Das Bild der Frauen wird sich in der gesellschaftlichen Meinung dagegen zum Guten wenden (v. 415 f.: / ). Bereits in der Verballexik ist die Verkehrung in diesem Passus also unverkennbar, die Perversion wird klar auf männliches Fehlverhalten zurückgeführt. 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf Die Transgressionskennzeichen Annullierung und Perversion lassen sich nicht nur am Handlungsverlauf, sondern auch an der Behandlung der Meerengen festmachen, die das Stück leitmotivisch bei der internen Interpretation der Transgression durchziehen. Die vergangene topologische Transgression wird durch die mimetisch-diegetische Performanz also nicht nur iteriert, präsentiert und aktualisiert, sondern dient vor allem als Vergleichspunkt für die Transgression der Bühnenhandlung. Rehm hat als erster auf die zentrale Rolle der Meerengen und Symplegaden hingewiesen (2002: 254), die viermal vom Chor der Frauen erwähnt und mit Iasons und Medeas Durchfahrt und damit ihrer gemeinsamen Geschichte verknüpft werden (v. 1-6, 211 f., 431-437, 1261-64). Hopman 2008: 159 f. zitiert Wiles’ (1997: 121) Einstufung der Symplegaden als „metaspace“, der im Gegensatz zum referentiellen, szenischen Raum durch Sprache 155 Vgl. Mary R. Lefkowitz, Women in Greek Myth. London 2 2007, 168-180. 3. Euripides’ 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf 469 und Gesten der Schauspieler geschaffen werde (hier im Falle von v. 211 f. dadurch, daß Medea durch die skene auf die orchestra trete und gleichzeitig von ihrer gemeinsamen Durchquerung der Meerengen mit Iason singe), aber mit diesem interagiere (weiterführend zur Diskussion um die Typen des theatralischen Raums s. 3.1 Zu einer Poetik des Raums in der Einleitung). Bei Wiles’ zweifelsohne richtiger Funktionsbestimmung der Meerengendurchquerung unternimmt Hopman 2008: 160 einen einsichtsvollen Brückenschlag zum Oidipus Tyrannos: „Just as the crossroad where Oedipus and Laius met in the past of the plot lies at the core of the dramatic development of the Oedipus Tyrannus, the crossing of the Symplegades provides Medea with a spatial focus constantly reinvoked and revisited by the participants of the drama.“ Die Meerengen und der Dreiweg fungieren also gleichermaßen als topologische und lokal-transgressive Leitmotive für die Binnenhermeneutik beider Stücke. Auf einen entscheidenden Unterschied sei jedoch hingewiesen: Der Dreiweg ist der Schauplatz der Transgression, die Meerengen nur derjenige von deren Vorgeschichte. Die Meerengen der Propontis können deshalb einen zweiten Schauplatz einer Transgression liefern und verdoppeln Bühne und zentrales Geschehen. Insofern fungieren die Symplegaden in der symbolischen Binnenhermeneutik des Stücks als mise en abyme. Daß sie als letztere auch psychoanalytisch sensu stricto durch ihre Kastrationssymbolik gedeutet werden können, soll im folgenden gezeigt werden. Rehm hat sich damit beschieden, die Meerengen als Entsprechung der Tür zu deuten, die „for the dangerous straits of er s and for the physical passage of childbirth“ stehe (2002: 254). Denn an der letztgenannten Stelle verbinde der Chor die Symplegaden indirekt mit Medeas Körper. Auf der folgenden Seite bettet er jedoch die Symplegaden in den Motivkomplex der Türen ein und entkonkretisiert so deren physische Bedeutung: „We can posit no one-to-one relationship between the sk n door and a specific part of the human anatomy (unlike Aegeus’ wineskin, for instance), nor view the extrascenic space as a consistent symbol for the unconscious or the womb.“ Bei dem Weinschlauch, dessen Fuß Aigeus nicht lösen solle (v. 679), handelt es sich freilich um ein Orakel des Phoibos, den Aigeus wegen seiner Kinderlosigkeit befragt hatte (v. 674), also um eine ganz andere Art von Metapher, die im Gegensatz zu den Meerengen, die leitmotivisch das ganze Stück durchziehen und auf Merkmale von dessen gesamter Handlung abzielen, ähnlich punktuell wie die Zoten der Komödie ist. Gleichwohl ist auch an ihr der reproduktive Bezug offensichtlich. A maiore ist Rehms hermeneutische Synekdoche dagegen bei dem Komplex der Türmetaphern. So richtig es ist, nicht jeden architektonischen oder geographischen Ein- oder Durchgang als penetrable Körperöffnung zu deuten (so verfährt nicht einmal fast die panerotisierende Metaphorik der Komödie) und auch die nichtsexuellen Komponenten des Meerengenmotivs im Blick zu behalten, so wenig darf man eine sexuell-reproduktive Bedeutung bei einem derartigen Leitmotiv pauschal ausschließen. Zudem ist die Tatsache, daß Medea parallel zu ihrer szenisch-körperlichen Durchquerung der Grenze von skene und orchestra von ihrer Durchquerung der Meerengen mit Iason singt (v. 211 f.), wie Wiles 1997: 121 herausgearbeitet hat, ein deutliches Indiz dafür, die Meerengen auf Medeas Körper zurückzubeziehen, der so zu deren mise en abyme wird, da er 470 zugleich die Tür passiert und eine Passage birgt, die für die Handlung des Dramas kardinal ist. Hopman sieht bereits in der ersten Erwähnung der Symplegaden in v. 1-13, vermittelt über die Reise der Argo als narrativ-symbolisches Zwischenelement, eine Metonymie für Medeas Hochzeit (2008: 160: „The Symplegades epitomize the journey of the Argo that itself symbolizes Medea’s marriage.“), also ihren rituellen und wohl auch faktischen Übergang vom Status einer Jungfrau zu demjenigen einer Frau. Entsprechend erblickt Hopman in v. 211 f. in , die hier für die Meerengen steht, einen sexuellen Inhalt und einen Bezug auf Medeas Hochzeitsnacht, was sie durch die Nachtzeit der Durchquerung des Bosporos untermauern kann (2008: 160 f.). Hopman bekräftigt diese Deutung durch einen Rückgriff auf Rehm. So beruft sie sich auf dieselben Belege wie dieser zur sexuellen Konnotation von , formuliert diese Implikation jedoch wesentlich konkreter als ihr Vorgänger. 156 Für v. 1261-64 schließt sie sich Rehms Deutungsvorschlag an (2008: 161): „[T]he straits seem to be linked to Medea’s body and to offer a metaphor for child birth.“ Die beiden Forscher sind sich also darin einig, daß die Meerengen zwischen Ägäis und Schwarzem Meer zumindest an ein oder zwei Stellen für Medeas Geburtskanal und das Durchqueren dieser Wasserstraße in beiden Richtungen im Rahmen des referierten Argonautenmythos durch die benannte oder implizierte Argo für das Passieren dieses Hohlorgans durch ein materiales Objekt im Rahmen von Defloration bzw. Penetration und Geburt stehen. Während Anatomie und Geographie problemlos dekkungsgleich sind (der Chor der Frauen nimmt mit der Ägäis und Griechenland die Außenperspektive ein, das Schwarze Meer und Kolchis stehen für das Innere, Verborgene und Andere, auch „the womb“), gelingt die Allegorese der Richtungen nur im ersten (v. 1-6) und letzten Fall (v. 1261-64). Bei der Implikation von Medeas Entjungferung verläuft die Fahrt dagegen in umgekehrter Richtung vom Schwarzen Meer nach Griechenland (v. 208-212). Dies gilt auch für v. 432-434, wo der folgende Hinweis auf Medeas männerloses Bett auf die sexuelle Implikation der Meerenge hindeutet. 157 Der Kontext ist auch an den übrigen Stellen die stärkste Stütze der sexuell-reproduktiven Metaphorik. Für v. 156 Anders als Rehm sieht Hopman in E. Hipp. 538-540, Ar. Thes. 976 expressis verbis einen Bezug auf die Entjungferung. Doch expliziert sie damit nur dessen unausgesprochene sexuelle Deutung. Denn flankierend berufen sich sowohl Hopman als auch Rehm (2002: 390) auf den bei Aristophanes belegten sexuellen Gebrauch von Türen und Durchlässen (Jeffrey Henderson, The Maculate Muse. Obscene Language in Attic Comedy. New Haven 1975, 137 f.). Auf den Verweis auf die etymologisch umstrittene Ableitung von von der Wurzel für ‚schließen‘ (Rehm 2002: 390) (so Chantraine 519 s.v. unter Verweis auf die Türmetapher ( ) bei Ar. Av. 990; Frisk I 869 s.v. und Beekes 712 s.v. stellen das Wort als Diminutiv zu * , welches als Name einer arkadischen Stadt belegt sei, ‚Hügel’ und lat. clivus) verzichtet sie zu Recht, da dieser Sprachgebrauch extraliterarisch ist. Dagegen könnte man noch Winklers Interpretation der Polysemie von Sapphos heranziehen (1990: 182), mithin einen literarischen Text, in dem - folgt man Winklers Deutung - ein weiblicher Sprecher sich metaphorisch über seine eigene Genitalanatomie äußert. 157 / / […] 3. Euripides’ 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf 471 211 f. wurde er in hinreichendem Umfang von Rehm und Hopman erbracht. 158 Schiffe wie die in v. 1 genannte Argo und überhaupt die Schiffahrt sind eine gängige Metapher für das männliche Glied und den Geschlechtsverkehr. 159 In v. 2 und v. 1263 spricht das Attribut der Symplegaden für Rehms und Hopmans anatomische Deutung, in v. 1261-64 überzeugt die bildliche und syntaktische Parallelität von Geburt und Verlassen der Symplegaden. 160 Diese genitalanatomischen und sexuell-reproduktiven Metaphern sind, sofern man nicht von einem „modernen“ viktorianisch-prüden Standpunkt ausgeht, nichts Unpassendes in einem Drama, in dem es aus weiblicher Sicht um das Scheitern einer Ehe und einen daraus resultierenden Mord an den eigenen Kindern geht und ein Chor alter Frauen dieses Geschehen kommentiert. Eine dramenthematische Plausibilität für genitalanatomische und sexuelle Metaphern aus weiblicher Sicht liegt jedoch auch bei Aristophanes’ Lysistrate und teilweise in seinen Ekklesiazusen vor. Trotzdem unterscheidet sich die Funktion der besagten Metaphern trotz teilweise identischer Bildsprache in Komödie und Tragödie grundlegend. Die verstohlene Zote evoziert in isolierten, zumeist zwischen den Figuren ausgetauschten Metaphern das konventionell Verbannte und Verborgene, ist also selbst eine Form der Transgression. Die Sexualmetapher unserer Tragödie bildet Stationen der Vorgeschichte der Bühnenhandlung ab und zeigt dabei die Merkmale auf, welche die Bühnenhandlung charakterisieren, in deren Zentrum die Transgression steht, dient also der dramenimmanenten, zugleich binnen- und bühnenpragmatischen Interpretation der Transgression. Hopman hat gezeigt, daß Medeas Handeln auf eine Annullierung der Vorgeschichte abzielt, und die Annullierung ist auch ein wichtiges Merkmal der Sexualmetaphern des Chors. Dies zeigt sich bereits eingangs im kontrafaktischen Wunsch, die Argo möge nie die Symplegaden durchquert haben (v. 1-6). 161 Am deutlichsten ist die Annullierung in v. 1261 f. durch die Anapher von . Am Wortlaut dieser Stelle wird offenbar, 162 daß die Annullierung nicht nur Iasons und Medeas Liebe und Ehe betrifft, indem die Kinder, die deren Produkt und Symbol sind, ausgelöscht werden 163 und so der Mythos neugeschrieben wird (Hopman 2008: 161 f.), sondern daß Medea sich mit dieser Aktion im 158 Dem wäre noch hinzuzufügen, daß das Attribut zu in v. 211 in einer - im wahrsten Sinne des Wortes - schlüpfrigen maritimen Metapher in der Anthologia Graeca 11.220 im Rahmen des Cunnilingus stellvertretend für die vulvovaginale Lubrifikation steht. 159 Henderson 1975: 161-166, für die Analogie von Penis und Schiff s. Nr. 275 (S. 164 f.). Zu diesem Bildfeld zählen selbst die Argonauten (Henderson 1975: 163). 160 Für die Geburt als Verlassen des (weiblichen) Körpers durch das Kind vgl. M. Ant. 9.3.4 ( - ). 161 / , / / / / . 162 , / / / . 163 Ähnlich versteht Gill 1996: 168 f. den Kindermord als „exemplary gesture“, also als eine symbolische Handlung, die dramatisch Iasons verfehlte Lebenskonzeption vorführe. Ausgangspunkt ist für Medea Iasons Annullierung von beider Beziehung, weil er durch die Anbahnung einer neuen Eheschließung das Treueband zwischen beiden zerreißt (Hopman 2008: 158). 472 wahrsten Sinne des Wortes ins eigene Fleisch schneidet, die größtmögliche Rache also die reproduktive Selbstverstümmelung zum Preis hat. Diese Eliminierung ist um so schmerzlicher, als die Meerengenmetaphern die Fährnisse ins Gedächtnis rufen, die Iason und vor allem Medea überwunden haben, bevor die Kinder als Produkt ihrer fruchtbaren Zusammenarbeit das Licht der Welt erblickten. Denn die Meerengen fungieren auch als ein Symbol für eine (re)produktive Kooperation. Dies wird vor allem an ihrer geschilderten Durchquerung in beide Richtungen deutlich, die symbolisch und explizit auf Empfängnis und Geburt Bezug nimmt, aber auch durch die Erwähnung eines Schiffs den Handel als bilaterale, vertragliche Regelung fördernde Sozialform evoziert. Die Durchquerung als interpretatorisch relevantes Motiv tritt durch den Vergleich mit Aischylos’ Persern hervor. Während die Meerengen in diesem Stück ein Ort der Überquerung, der bereits lokal verankerten Transgression waren, geht es an diesen vier Stellen in Euripides’ Medea um ihre Durchquerung, in v. 1-6 durch die Argo (und damit Iason) in Richtung Kolchis, an den drei übrigen Stellen durch Medea in der umgekehrten Richtung, wobei sie in v. 211 f. von Iason geführt wird. Nicht nur ist die Achse der Bewegung also um 90 Grad von Südost-Nordwest auf Südwest-Nordost bzw. Nordost- Südwest gedreht, sondern die Bewegung erfolgt gemäß der Ausrichtung und Funktion dieser Wasserstraße in beidseitiger Richtung. Allerdings läßt sich die Vielschichtigkeit des Meerengenmotivs bei Euripides nicht auf eine harmonische Zusammenarbeit reduzieren. In v. 208-212 parallelisiert Medea nämlich Iasons Unrecht gegen sie sowie seine Verletzung der göttlich sanktionierten Treue und die Tatsache, daß er sie durch die Meerengen geführt habe, 164 wobei diese, von dem Mann veranlaßte Durchquerung, wie gezeigt, für die Entjungferung steht. Das Passieren der Meerengen symbolisiert also auch in diesem Stück die Transgression, auch wenn es sie anders als in den Persern nicht performiert. Iasons Verrat wiegt um so schwerer, als v. 210 die Zielrichtung der Fahrt ( ) und v. 432 deren Ausgangspunkt ( ) angibt und damit die Überfahrt von Kolchis nach Griechenland mit der Überführung der Braut aus ihrem Haus in dasjenige des Mannes parallelisiert wird. Iason wird den Pflichten, die aus dem so begründeten ehelichen Verhältnis erwachsen, mit seiner erneuten Eheschließung nicht gerecht. Eine weitere Verpflichtung verschlimmert diese Treulosigkeit, nämlich die Tatsache, daß Medea mit dem Durchqueren der Meerengen ihr Vaterhaus aufgegeben (v. 432), ja verraten hat. Diese Passage ist also nicht nur ein rite de passage, sondern auch eine Verletzung der Pflichten gegen die Heimat. Medeas wahnsinniges Herz ( ) hebt bei dieser Gelegenheit auf die emotionale Ekstase dieser Transition und Transgression ab, wie später im Entscheidungsdialog der . Die Meerengen dienen an einer weiteren Stelle der binnenpragmatischen Interpretation der Transgression, die bislang in der Forschung in diesem Zusam- 164 / / - / / 3. Euripides’ 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf 473 menhang nicht berücksichtigt wurde. 165 In der Schlußszene nennt Iason, der Medea mit den toten Knaben erblickt, diese „eine Löwin, keine Frau, die eine wildere Natur als die Tyrrhenische Skylla hat“ (v. 1342 f.). Das Attribut „Tyrrhenisch“ lokalisiert das Ungeheuer eindeutig an der Meerenge von Messina, die also nicht bloß über den Mythos oder die extradramatische Bildungswelt impliziert ist. Hopman hat darauf hingewiesen, daß Iasons Vergleich durch die Bühnensituation gestützt wird, in der Medea auf ihrem Wagen wie Skylla über Odysseus (Od. 12.245-259) steht und ihrem Ex-Gemahl die Kinder vorenthält wie jene dem Homerischen Helden die Gefährten raubt. Die Inszenierung und der Vergleich brächten also Iasons Hilflosigkeit zum Ausdruck, ihre Assoziation mit Skylla stehe für ihre eigene Aneignung (männlich, wie ich auf der Genderebene hinzufügen möchte) heroischer Werte und füge sich mit der Annullierung von Iasons Symplegadendurchquerung in die Annullierung von dessen heroischer Vergangenheit (2008: 167 f.), also eine ideelle Vernichtung seines sozialen signifié. Diese Hilflosigkeit hat durchaus auch eine reproduktive Seite, trägt Medea doch Iasons getötete Söhne im Arm und hat mit der Ermordung von Kreusa dessen weitere Fortpflanzungschancen zunichte gemacht. 166 Die Rache an ihrem untreuen Gatten hat also dieselbe Wirkung wie eine Kastration. So sieht es denn auch Luserke-Jaqui (2002: 11): „Psychoanalytisch gewendet verkörpert Medea eine Gestalt gewordene Kastrationsdrohung und deren Vollzug.“ Dies könne ihre Jahrhunderte währende Faszination erklären. Doch neben der sexuell destruktiven hat Medea eine sozial-rebellische Funktion. So bemerkt Luserke-Jaqui (2002: 12): „Medea vollzieht die weibliche Rebellion gegen die männliche phallokratische Ordnung.“ Das Monstrum Skylla ist der treffende mythologische Ausdruck dieser Kastration(sangst). Die Tatsache, daß Skylla mit sechs langen Hälsen und Köpfen mit je drei Zahnreihen ausgestattet ist und mit diesen Odysseus’ Gefährten raubt, sowie die in diesem Drama hinreichend gesicherte genitalanatomische Implikation der Meerenge, an welcher Skylla an unserer Stelle lokalisiert wird, machen sie zu einem mythologischen Homologon der Vagina dentata. Diese ist nämlich nicht nur ein psychoanalytisches Symbol männlicher Kastrationsangst, 167 sondern auch mit Ausnahme Afrikas und Australiens fast weltweit dokumentiertes Motiv folkloristischer Erzählungen. 168 Allein „[b]ei den Indianern Nordamerikas hat man mehr als 300 Versionen des Mythos der Vagina dentata gezählt.“ 169 Die Schlußszene zwischen Iason und 165 Hopman weist nur auf die sachliche Parallele hin (2008: 166): „Like the Symplegades, Scylla and her couterpart Charybdis delineate sea narrows […].“ 166 Medea hat ihren Racheplan an Iason nach der Aigeus-Szene vom physischen zum genealogischen Mord verschärft, weil diese ihr die Notwendigkeit legitimen Nachwuchses für einen Mann vor Augen geführt hat (Hopman 2008: 174). 167 S. dazu Art. „Vagina dentata“, fantasy of. In: Alain de Mijolla (Hg.), International dictionary of psychoanalysis. Dictionnaire international de la psychanalyse. 3 Bde. Detroit 2005, Bd. 3, 1831. 168 Sonja Ross, Die Vagina dentata in Mythos und Erzählung. Transkulturalität, Bedeutungsvielfalt und kontextuelle Einbindung eines Mythenmotivs. Völkerkundliche Arbeiten 4. Bonn 1994, 1 und 3. 169 Vgl. Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts. 2 Bde. Reinbek bei Hamburg 1985, Bd. 2, 460. 474 Medea bietet drei konkrete Anhaltspunkte, deren Verhalten mythisch-genitalanatomisch zu beschreiben: Mit der Exhibition ihrer selbst und der getöteten Kinder vollzieht sie denselben Akt wie Baubo, eine Figur nicht irgendeiner exotischen, sondern der griechischen Mythologie, wobei das Zurschaustellen der Vulva für den Mann durchaus beleidigend sein kann. 170 Zwei bemerkenswerte Parallelen stützen zudem die Gleichsetzung von Skylla und Vagina dentata: Wie die Zähne nicht in der Meerenge selbst angebracht werden, sondern sich im Mund der theriomorphen Skylla befinden, so siedeln die Erzählungen oft Tiere mit Zähnen in den Scheiden der fraglichen Frauen an. 171 Diesen wird, gewissermaßen als fundamentum in re und sexualphysiologische Begründung der männlichen Kastrationsangst, ein übermäßiges sexuelles Verlangen zugeschrieben, das die männliche Potenz zu übersteigen droht. 172 In den indischen Varianten des Vagina dentata-Motivs finden sich statt der Zähne Schlangen, also ebenfalls zahnbewehrte Tiere mit einer hohen psychoanalytischen Valenz. 173 Auch Iason versucht Medeas Insistieren auf der Fortsetzung der ehelichen Beziehung in einem grobschlächtigen sexistischen Universalismus (v. 568-573) 174 als sexuelle Zügellosigkeit zu diskreditieren und damit an die Schablonen patriarchalischer Sanktionierbarkeit anzupassen. Die Normalisierung der übermäßigen Lust geht mit derjenigen der Geschlechtsteile einher. 175 Doch im Unterschied zu vielen Erzählungen, in denen die Zähne - teils mit Phallossubstituten wie Stöcken 176 - aus der Scheide herausgebrochen 177 und die genital normalisierten Frauen dem üblichen Sexual- und Fortpflanzungsverhalten zugeführt werden, 178 sofern sie nicht durch ein materiales Phallossubstitut getötet werden, 179 mißlingt diese zivi- 170 Georges Devereux, Baubo. Die mythische Vulva. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Frankfurt a.M. 1981, 80. 171 Ross 1994: 2, vgl. 189. Medeas zerstörerische Tätigkeit hat bereits eine - allerdings hoch unkonventionelle und poetische - ontologische Metapher (vgl. George Lakoff, Mark Johnson, Metaphors we live by. Chicago 1999, 27 [Subtypus „Identifying causes“ im Abschnitt „Entity and Substance Metaphors“]) des Botenberichts mit Zähnen assoziiert, wenn er das Fleisch der Prinzessin herabfließen läßt (v. 1200 f.). 172 Ross 1994: 113. 173 Delumeau 1985: 460. 174 Wenn Lütkehaus 2009: 130 bei diesem Passus von der „Stammtisch-Psychologie“ des „Macho Jason“ spricht, so greift dieser Anachronismus entschieden zu kurz. Kennzeichen des Stammtischdiskurses ist nicht nur seine hohe Popularität, sondern auch seine geringe Originalität und intellektuelle Individualität, die im Widerspruch zur halböffentlichen und scheinbar intimen Gesprächssituation stehen. Das ist bei Iasons Einlassungen nicht der Fall. Sein „Stoßseufzer“ (so auch Lütkehaus), man müßte die Existenz der Frau erübrigen, indem man eine andere Form der Fortpflanzung findet (v. 573-575), ist kein dumpfes Man(n), sondern zielt in anthropologischer Klarheit auf das Kernproblem der Tragödie, das hinter deren Konflikten steht, die soziale Organisation der biologischen und letztlich auch kulturellen Reproduktion. Daß Hippolytos in Euripides’ gleichnamigem Drama ebenfalls den Wunsch nach einer Fortpflanzung ohne Frauen äußert (v. 616-624), konventionalisiert dieses misogyne Motiv allenfalls auf der Autorenebene und ist dort klar durch Phaidras transgressive Avancen provoziert. 175 Ross 1994: 110. 176 Ross 1994: 113. 177 Ross 1994: 129. 178 Ross 1994: 178 179 Ross 1994: 109, 113. 3. Euripides’ 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf 475 lisatorische patriarchalische Integration im Falle Medeas. Durch die Verfehlung ihres Mannes liegt ihre Vagina dentata-Phase nicht vor, sondern nach der sexuell-reproduktiven Initiation. Diese chronologische Inversion läßt bereits die Perversion (nicht die Annullierung) als entscheidendes Moment des Vagina dentata-Motivs und damit von Iasons Interpretation der Transgression seiner Frau erkennen. Die Perversion paßt zum Monströsen, 180 welches der Vergleich mit Skylla unabhängig vom Sexuellen impliziert. 181 Die Heimtücke und Destruktivität der Vagina dentata pervertiert die natürliche kooperativ-reproduktive Rolle, welche die Meerengen beim Chor der Frauen hatten: Bei ihnen ist das kontraktiv-destruktive Potential gebannt und nur in der Etymologie der Symplegaden präsent, die gleichwohl einen Subtypus des Vagina dentata-Motivs darstellen; 182 die Perversion deutet sich nur in der Inversion der Reisebewegung bei Medeas Defloration an. Darüber hinaus ist die Vagina dentata selbst qua wirklichkeitsfremdes Männerphantasma 183 (nicht von ungefähr evoziert die Meerengenmetapher des Chores der Frauen eine natürlich-reale, der Skylla-Vergleich des Mannes Iason aber eine irreal-fantastische Funktion des weiblichen Genitals) sogar eine verquere Wahrnehmung, die sich innerhalb des Stückes selbst annulliert. Bereits Medea verweigert die Erwiderung von Iasons Rede als überflüssig (v. 1351-53) und verweist statt dessen auf ihre gegen Iason vollbrachten Taten (v. 1354-57), bevor sie Iasons Bezeichnung als Löwin und Skylla in einem imperativus concessivus dahingestellt läßt (v. 1358 f.). Der Wirksamkeit der weiblichen Tat steht die durch die Frau annullierte Rede des Mannes gegenüber. Die Geschlechterstereotypen der schwatzenden Frau und des handelnden Mannes sind hier invertiert. Die Textkritik operiert übrigens in einer überlieferungsgeschichtlichen Ironie parallel zu Medeas annullierender Argumentation, wird doch der Vers mit Skylla als in den Text gelangte Glosse athetiert. Nicht nur die biologische Logik und Medea, sondern auch die Symbolik der Tatwaffe widerspricht Iasons Deutung der Transgression über ein Motiv, das die Vagina dentata impliziert. Diese vaginale Deutung mag für den Ehemann und Vater der gemeinsamen Kinder, welcher die biologischen Funktionen unmittelbar erfahren hat, naheliegen (auch wenn die genitalanatomische Synekdoche, die in der 180 Zu Perversion und Monstrum vgl. die profunde Studie von Christian Grünnagel, Klassik und Barock - Pegasus und Chimäre. Französische und spanische Literatur des 17. Jahrhunderts im Dialog. Diss. Heidelberg 2009. Heidelberg 2010, 72-133, v.a. 98 und 101, der beide über den (naturwidrigen) Regelverstoß bzw. die Transgression definiert, wobei dieser bei der Perversion in der Verkehrung und beim Monstrum im Hypertrophen oder Defizitären liege. 181 Aristoteles schließt das Monströse oder Grauenvolle ( ) aus der Tragödie aus, das durch die Inszenierung statt des Furchtbaren erzeugt wird (Poet. 1453b 9: ). Er bewegt sich dabei im Bereich der ästhetischen Rezeptionsästhetik von Transgression und Eliminierung, während es hier um objektivierbare Merkmale der Transgression geht. 182 Ross 1994: 37-43. 183 Sie fehlt etwa in Eve Enslers nicht unumstrittenen und gleichfalls szenischen Vagina-Monologen (The Vagina Monologues. Deutsch von Peter Staatsmann und Bettina Schültke. In: Uwe B. Carstensen, Stefanie von Lieven (Hgg.), Theater. Anthologie Aktuelle Stücke 10. Frankfurt a.M. 2 2001, 295-327), die gewiß eher ein literarisches Produkt aus dem Blickwinkel des zeitgenössischen Feminismus als eine breitangelegte empirische Studie über die körperlichen Selbstwahrnehmungen von Frauen sind und eher die Verletzlichkeit in den Vordergrund rükken. 476 Bezeichnung als Skylla liegt, ein in vielen Kulturkreisen aktualisiertes insultatorisches Potential gegenüber der Frau hat), doch ist das Schwert als Tatwaffe des Kindermordes, mit dem Medea bereits erwogen hatte, Iason, Kreon und Kreusa im Palast zu Tode zu bringen (v. 374-380), ein nicht bloß transgressionsästhetisches oder mythentraditionelles Moment, es markiert Medea auch als phallische Frau. Dieses Merkmal und diese Tatwaffe teilt Medea mit Senecas gleichfalls als dominant und von einer energischen Emotion beseelt gezeichneter Phaedra, während Euripides’ Phaidra sich erhängt und Racines Phèdre Gift nimmt. Immerhin eine geschlechterrollenspezifische Aufladung der Mordwaffe sieht Torrance 2007: 289 beim Mord an Agamemnon in Aischylos’ gleichnamiger Tragödie: Klytaimnestras Klinge verkörpere ihre „unnatural transgression into the male world“. Eine phallische Interpretation des Schwertes, die durch die Sexualmetaphorik der Komödie ( ) 184 sowie ikonographisch durch Vasenbilder 185 gestützt wird, stellt keinen Widerspruch zu der Deutung Medeas als heroische Frau dar, der aus dem Gebot der Hypothesenökonomie erwächst. Vielmehr heben beide Erklärungen auf unterschiedlichen Ebenen auf Phänomene der Vermännlichung ab. Eben dadurch werden Iasons Handeln, Reden und schließlich, wie gesehen, Deuten annulliert, ja kastriert. Die Rolle des Raumes bei der Grenzüberschreitung beschränkt sich in der Medea wie bei Oidipus nicht auf einen Ort wie die Meerengen. Beide Figuren führen ein unstetes Wanderleben, das von sozialer Entwurzelung geprägt ist und die Transgression nachgerade provoziert, allerdings mit dem Unterschied, daß Oidipus bereits als Säugling seine Heimat- und Familienbindung verliert, während Medea sie im Erwachsenenalter aufgibt, um dem treulosen Iason zu folgen. Bei der Beschreibung der Transgression ist bei Medea daneben noch die Zeit prominent, während sie bei Oidipus entsprechend dem analytischen Charakter dieses Dramas den Rahmen für deren Aufdeckung absteckt und diese nach der Binnenhermeneutik befördert. 186 Medea vollbringt Mord und Flucht an dem einen Tag (v. 368-375), 187 den sie Kreon als Aufschub von der Verbannung abgerungen hat (v. 340-342), mit der dieser sie aus Furcht um seine Kinder un- 184 Henderson 1975: 122 (Nr. 58). 185 So auch auf der attischen rotfigurigen Schale des Töpfers Kachrylion, auf welcher der nackte Orest Aigisth tötet (Beazley ARV Bd. 1, 108 f. Nr. 29). Kenneth James Dover, Greek Homosexuality. London 2 1989, R 177 weist bereits auf die Suggestivkraft des Bildes hin („Note the position and shape of the sword“) und sieht in der Darstellungsweise eine unbeabsichtigte Penisfantasie des Künstlers (S. 133 f.). Vgl. die Darstellung der Vergewaltigung Kassandras durch Aias auf einer rotfigurigen attischen Hydria des Kleophrades-Malers, die sich in Neapel im Museo Nazionale befindet (2422 = Beazley ARV Bd. 1, 189 Nr. 74): Das Schwert wird hier in Hüfthöhe an der Stelle des Penis gehalten und ist auf Kassandras Unterleib gerichtet. 186 S. Jürgen Paul Schwindt, Das Motiv der ‚Tagesspanne‘ - Ein Beitrag zur Ästhetik der Zeitgestaltung im griechisch-römischen Drama. Diss. Bonn 1993. Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums N.F. 1. Reihe (Monographien) 9. Paderborn 1994, 58-62. 187 Vgl. Schwindt 1994: 92: „Die Frist e i n e s T a g e s , die Medea verbleibt, gewährleistet die Durchführung ihres t r o t z ihrer Verbannung. Sie ist das Bindeglied, welches die Hauptmotive des Dramas: Medea exsul und Medea ultrix verklammert [Sperrungen und Kursivierungen im Original].“ 3. Euripides’ 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos: Die Meerengen und der Sonnenlauf 477 schädlich machen wollte. Kreons Oktroi nimmt wie Aristoteles’ Poetik (1449b 12 f.: ) den Sonnenlauf zum Maßstab (v. 351-354): . Die astronomisch definierte zeitliche Transgression, die über eine lokale Grenze spezifiziert wird, zöge die physische Eliminierung nach sich. Die Übereinstimmung der Formulierung zwischen der Tragödie und der post festum verfaßten Dichtungstheorie mag zufällig sein, weil unabhängig voneinander die Dichtung anschauliche Formulierungen, die Philosophie - hierin dem Alltagsbrauch folgend, die Gestirne zur Zeitmessung heranzuziehen - exakte liebt. An ihr wird gleichwohl augenfällig, wie souverän Medea auch in zeitlicher Hinsicht die Transgression inszeniert. Aber auch bei der zeitlichen Dimension ist Iasons Treuebruch vorgängig. Er betrachtet den Ehebund mit Medea als opportunistisches Bündnis auf Zeit, das nach Belieben einseitig beendet werden kann, sieht sich also als Souverän der zeitlichen Dauer und des Endes. Für Medea war beider Verbindung dagegen dem Wesen nach zeitlich unbefristet und Iasons einseitige Auflösung ein Treuebruch. Doch die Tagesspanne umschreibt die Transgression noch unmittelbar vor deren Ausführung. In den ersten beiden Zeilen des Entscheidungsmonologs heuchelt Medea Folgsamkeit gegenüber dem Rat des Erziehers ihrer Kinder, sich in ihr Schicksal zu fügen, und fordert ihn auf (v. 1019 f.): . Im wird die iterierte Kontinuität der elterlichen Sorge deutlich, welche die singuläre, an einem Tage vollendete Transgression jäh durchbricht und die bereits Iasons Treuebruch durchbrochen hat, während die Verletzung der elterlichen Sorgepflicht erahnen läßt. Diese Verse erlangen ihre volle Bedeutung also nur durch den Blick auf die zukünftige Transgression, den sie nicht zuletzt durch die räumliche Eliminierung implizieren. Die Kinder überschreiten auf Medeas Anordnung die Schwelle des Hauses, die für sie zugleich zur Schwelle des Todes werden wird, weil sie das Haus nicht lebend verlassen werden. In den drei folgenden Versen bricht denn auch Medeas Schmerz über die anstehende räumliche Trennung von ihren Kindern hervor. Zusammen gelesen lassen die fünf Verse auch anhand der Zeit Medeas tragische Ironie erkennen, die darin besteht, daß sie ihrer sozialen Umgebung auch in zeitlicher Hinsicht Normalität vorspielt, jedoch ihre genealogische Selbstverstümmelung selbst schon ahnt - ein passender Auftakt zum Entscheidungsmonolog, der in eben diesem Wissen um das Leid, das Medea sich selbst schaffen wird, gipfelt, wobei die Aufforderung zum Verlassen der Bühne hier an die Kinder selbst ergeht (v. 1076-1080). 478 3.7 Fabula docet oder Iason als Anti-Odysseus Angesichts von Medeas souveräner und vollkommener Eliminierung und Annullierung von Menschen, sozialen Beziehungen, fremden Deutungen ihrer Tat, deren Sanktionierung und der tragischen Handlungsmuster selbst scheint es geradezu ebenso vermessen, nach etwas Positivem oder gar einem fabula docet in dieser Tragödie zu fragen. 188 Und doch gibt es dafür zarte Hinweise. Hopman hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß die Inszenierung und der Vergleich Medeas mit Skylla Odysseus in der größten Hilflosigkeit seiner Irrfahrten evozieren (2008: 168). Doch dies ist wohl der einzige gemeinsame Punkt, an dem sich die Lebensläufe von Iason und Odysseus wie an einer gespiegelten Parabel berühren. Denn ansonsten ist Iason typologisch nachgerade das Gegenteil des Helden aus Ithaka. Dies zeigt sich auch deutlich im Verhältnis zu ihren Frauen. Odysseus kehrt nach seinen Irrfahrten zu seiner Frau zurück, Iason kehrt mit einer Frau aus der Fremde nach Griechenland heim und verläßt sie dort. Die lokale Mobilität der Frau geht im Falle Iasons auch mit einer beweglichen Einstellung zu ihr einher. Bei Odysseus ist der Aufenthaltsort der Gattin dagegen ebenso fix wie seine Treue zu ihr. So vielen amourösen Eskapaden (um nicht zu sagen: Extravaganzen) er auch bei seinen Irrfahrten erliegen mag, die Rückkehr zu Penelope ist nachgerade ein Fixstern, der sein Handeln leitet und seine Identität soweit konstituiert, daß er ihn davor bewahrt, sich bei Kalypso zu verlieren, die ihn doch als Gatten an sich binden will (Od. 1.15). Der erreicht denn auch sein Ziel, gewinnt Königtum, Gattin und Sohn zurück, während Iason all das verliert. Antitypisch zu Odysseus ist dafür die Untreue zu seiner Gattin verantwortlich, auf welcher diese als insistiert (v. 1363-1368). Der unterschiedliche Umgang der Eheleute miteinander zeigt sich auch an der Rolle des Bettes in Epos und Tragödie. Odysseus’ Treue zu Penelope ist genauso unverrückbar wie das gemeinsame Ehebett, das er um den Baumstumpf herumgezimmert hat. Diese Besonderheit dient der Wiedererkennung der Eheleute und symbolisiert ihre exklusive Intimität und Einheit (Od. 23.173-204), die explizit Od. 23.109 f. kognitiv-semiotisch formuliert. 189 Iason reduziert dagegen das Bett auf eine schäbige sexistische Sexualmetapher (v. 568-573). Auch Medeas Verhalten ist antitypisch zu Penelope: Diese löste immer wieder nachts das tagsüber Gewebte auf, um ihrem Mann treu bleiben zu können (oder ihren unabhängigen Status zu wahren), setzt die Annullierung also zu dessen Gunsten ein, Medea annulliert dagegen einmalig und dauerhaft Iasons Kinder, seine Braut und überhaupt dessen Taten, Worte und - im Dialog - hermeneutisches Gewebe. Die von ihr gefertigte Kleidung ist nicht Gegenstand, sondern Mittel der Eliminierung. Auch wenn die intertextuellen Bezüge zur Homerischen Odyssee im Fall der handlungskristallisierenden, genderspezifischen Artefakte ‚Bett‘ und ‚Gewebe‘ nicht so stark wie bei Skylla sind, sondern sich eher antithetisch auf der Motivebene bewegen, so ist die re- 188 Für eine Zusammenfassung statt eines analytischen Ausblicks s. die systematische Vorschau am Ende der Einleitung. 189 [...] / ’ ’ . 3. Euripides’ 3.7 oder Iason als Anti-Odysseus 479 staurative Alternative zur Tragödienhandlung nicht bloß das Produkt einer komparativen Hermeneutik, sondern unterschwellig im Tragödientext angelegt. Immerhin gibt es in diesem auch mit Medeas Vorwurf der (v. 466) an den untreuen Iason einen Ansatz für das hier motivkontrastiv herausgearbeitete positive männliche Rollenbild, das durch Respektierung der Gattin als moralisches Subjekt die Eliminierung auch des eigenen Patriarchenstatus vermeidet. Medeas Souveränität zeigt sich in einer Ambivalenz, die Horaz’ Kleopatra ähnlich ist (c. 1,37,21 & 32): Sie ist in ihrem zerstörerischen Wirken gegen ihre soziale Umwelt ein fatale monstrum, in ihrer heroischen Motivation aber zugleich eine non humilis mulier (vgl. Epict. 2.17.19 zu Medeas Kindermord: - ). Wie Kleopatra nimmt sie die existentielle Selbstschädigung in Kauf, um als unbeugsame Siegerin über ihre männlichen Widersacher zu triumphieren. Ihre Tragik zeigt sich jedoch darin, daß diese beiden Prädikate keine Entwicklung bezeichnen, die sie in der dichtungsinternen Beurteilung durchläuft, sondern in ihrem Handeln kopräsent sind. Der entscheidende Unterschied ist indes der, daß Kleopatra als heroische Figur die Rettung ihrer sozialen Integrität durch physische Selbsteliminierung erkauft, während Medea dazu als tragische Figur Hand an ihre Kinder legt. Ihre Transgression ist dabei in doppelter Hinsicht tragisch: Einmal, wie gesehen, in dem Opfer ihrer genealogischen und moralischen Integrität zur Restauration ihrer sozialen Integrität und Souveränität, dann dadurch, daß Medea sie in dem hilflosen Bewußtsein vollzieht, nicht mehr als rationales Subjekt zu agieren, sondern das Medium einer Emotion zu sein, die sie selbst zuvor als Reaktion auf die Verletzung ihrer sozialen Integrität genährt hat, die sie von ihrer sozialen Umwelt erfahren hat. Kommen wir von der Titelheldin zur Handlung des Stückes, so bietet diese Tragödie wenig Anhaltspunkte insgesamt für die sonst so beliebten Deutungen der attischen Tragödie als performatives Da capo des Dionysosmythos oder bloßes Angst- und Schreckstück, während die psychologische Durchdringung der Transgression und ihrer Tragik im Zentrum stehen. Die bei Sophokles noch festgefügten Grenzen werden nicht durch die Eliminierung, die auf ihre Verletzung folgt, affirmiert, sondern geraten ins Schwanken und werden porös. Hierin mag man den Geist der Sophistik sehen: 190 Nomos und Logos werden durch das allgemeine Streben nach Dominanz unterhöhlt, aus dem auch Medeas verbales Intratheater hervorgeht, eine Verständigung ist nicht möglich, statt dessen setzt sich der Stärkste durch. Die Götter existieren bei diesem freien Spiel der Kräfte nur noch in der Argumentation und Vorstellung der Menschen, manifestieren sich jedoch nicht positiv im Bühnengeschehen. Die soziale Transgression erscheint trotz ihrer psychologischen Entfremdung als ein Akt der Souveränität. Dies zeigt sich daran, daß Medea sie selbst nicht bloß interpretiert, sondern darstellt und inszeniert. In einer literarischen mise en abyme stilisiert sie innerhalb eines dramatischen Kunstwerks ihr Verbrechen zum dramatischen Kunstwerk. Diese Bühnenfigur entspricht damit formal dem in der Einleitung beschriebenen 190 Für diese Zuordnung s. Wilhelm Schmid, Geschichte der griechischen Literatur. HdA III.1. München 1940, 312. Vgl. die ergebnisoffene Untersuchung von Desmond J. Conacher, Euripides and the Sophists. Some Dramatic Treatments of Philosophical Ideas. London 1998. 480 Typus des Künstler-Kriminellen, wobei sie anders als der dandyistische Kriminelle nicht aus ästhetischen Motiven oder zum Zwecke der Selbststilisierung delinquent wird, 191 sondern zur Wiederherstellung ihres Status als soziales Subjekt. Diente der metatheatralische Rückgriff auf das Dionysosritual als Sitz im Leben und raison d’être der Aufführung im Oidipus Tyrannos noch der Affirmation des religiösen Weltbildes (v. 895 f.), 192 so ist das Opferritual, zu dem Medea die Transgression stilisiert, kein Reflex der archaischen Ursprünge, sondern ebenso wie das an es geknüpfte Tabu ein Mittel intratheatralischer Selbstinszenierung. Neben Medeas rituellem Intratheater stehen zwei Formen des Intratheaters, die ihre Eliminierungen rahmen: Vor ihnen bietet sie ein verbales und nach ihnen ein präsentatives Intratheater, das ihren Triumph über Iason inszeniert. Das Spiel beschränkt sich nicht mehr bloß auf die Mimesis und wird nicht mehr von deren Illusion aufgesogen. Die Porosität der Grenzen eröffnet ihm den mimetischen Raum selbst und das Spiel mit diesen. Den damit verbundenen metatheatralischen Ansatz sollten Euripides’ Bakchen weiter ausloten. 191 Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978, 32-34. 192 Näheres s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der OT-Interpretation. 3. Euripides’ 4. Euripides’ Bakchen: Metatheater, Transgression, Souveränität und Differenz . (Heraklit DK 22 B 15) . (Heraklit DK 22 B 51) 4.1 Einleitung Die Grundzüge im Handeln der Hauptfigur, die wir für Euripides’ Medea herausgearbeitet haben, kehren in seinen Bakchen in größerem Rahmen und Umfang wieder: Medea reagierte als die Enkelin des Sonnengottes und liminale Figur auf erlittene Transgressionen und Integritätsverletzungen mit einer beachtlichen transgressiv-destruktiven und intratheatralischen Tätigkeit, die ihre Position als dramatisches Subjekt restauriert. In den Bakchen radikalisiert Dionysos analog zu seiner größeren Göttlichkeit, die ihn als Sohn des Zeus mit einer Sterblichen auszeichnet, die Ambivalenzen des Grenzgängertums, aber auch die destruktive Tätigkeit. Dabei reagiert auch er auf erlittene Transgressionen, die größere Integritätsverletzungen als im Falle Medeas darstellen, da sie sich in Zweifeln an seiner Göttlichkeit äußern. Soziopragmatisch und (meta)theatralisch erreicht und vollzieht er ebenfalls mehr als die Kolcherin: Statt den Status als dramatisches Subjekt zu restaurieren, etabliert er sich als Gottheit und baut die handlungsdominante Rolle des Grenzgängers zur Metatheatralität aus. Nicht nur interdramatisch-quantitativ, sondern auch innerdramatisch qualitativ ist die Göttlichkeit des Protagonisten das entscheidende Moment: Grundlegend für diese Tragödie ist der Unterschied zwischen Gott und Mensch. Er steht als ideologisch-soziologisches Beweisziel am Anfang (v. 47) und Ende und bildet das unhintergehbare, axiomatisch-apriorische Movens der Handlung. In der Göttlichkeit des Protagonisten, welche dieser Triebfeder des Dramas zugrunde liegt, wurzelt die göttliche Souveränität gegenüber den Menschen und über sie. Die göttliche Souveränität und Differenz annullieren alle weiteren Unterschiede im Spiel und lassen das Verhalten der Menschen, das ihnen nicht Rechnung trägt, zu Transgressionen werden. Sie begründen die metatheatralische Apotheose und Disambiguierung des Transgressionsrepressors und Grenzgängers Dionysos. Sein göttliches Wesen, das einen universellen und zumindest expansiven Geltungsanspruch und die Souveränität gegenüber den Menschen impliziert, stößt mit der Transgression von Asien nach Griechenland die Handlung an. Es spitzt die Konflikte um seine (göttliche) Identität zu und bietet den Anlaß für die menschlichen Transgressionen der Ehrverweigerung. Die göttliche 4. Euripides’ 482 Souveränität ist in dieser Asebie-Tragödie also noch der Transgression vorgängig und prägt im Wechselspiel mit dieser die Handlung. Die genannten Kernpunkte, (göttliche) Souveränität, Differenz und Transgression, und ihre dramatische Artikulation wurden für ein besseres Verständnis an den Anfang der Einleitung gestellt. Sie sollen als Leitfaden der folgenden Interpretation dienen und mit den Hauptmerkmalen dieser Tragödie und ihrer Interpretation in der Forschung verbunden werden. Angesichts der angedeuteten Ambivalenzen dieser Tragödie erstaunt es nicht, daß sie am kontroversesten diskutiert wurde (seit Gilbert Norwood spricht man vom „Rätsel“ der Bakchen 1 ), während der OT die meisten Deutungen erfahren hat. Dieser Unterschied zwischen den beiden Dramen hängt vielleicht auch mit ihrer jeweiligen Stellung zur Vernunft zusammen. Während in Sophokles’ OT die Transgression die intellektuell-kognitiven Grenzen des menschlichen Verstandes beleuchtet, erhellt sie bei Euripides diejenigen der Vernunft, in den Bakchen der sozialen und in der Medea der psychischen. Dieses Thema hat die Diskussion um die Deutung unserer Tragödie in den letzten Jahrzehnten nicht unwesentlich geprägt 2 und nicht selten fern der unbestreitbaren binnenhermeneutischen Relevanz des Themas (v. 395-397) 3 durch anachronistische moderne Ansätze zur (Ir-)Rationalität auf Abwege geführt, die v.a. dadurch zustande kamen, daß die Frage nach der (Ir-)Rationalität mit Euripides’ persönlichen religiösen Ansichten verquickt wurde (sog. (Anti-)Palinodiedebatte). 4 Der eingangs unternommene Brückenschlag zu Euripides’ Medea dürfte bereits angedeutet haben, daß solche (Ir-)Rationalitätsansätze an der Komplexität des Tragikers Euripides vorbeizielen, trotz oder gerade wegen seiner kritisch-aufgeschlossenen Positionierung gegenüber zeitgenössischen Rationaliätsthesen der Sophistik und Sokratik (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts in der Medea-Interpretation). Hier sei Vernunft rein strukturalistisch-dramenimmanent als Verhalten von Dramenfiguren definiert, dessen Intention darin besteht, konjunkturell die Integrität zu wahren, und zwar unter Einsicht in strukturelle Zusammenhänge (Näheres s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Die Vernunft wird damit über dieselben Parameter wie die Tragik und Heroik in dieser Arbeit bestimmt (Intention, Integrität, Konjunktur, Struktur), aber von dem Aufgeben der Integrität, das bei ihnen ausgemacht wurde, deutlich abgegrenzt (Näheres s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch in der Einleitung). 1 The Riddle of the Bacchae. The Last Stage of Euripides’ Religious Views. Manchester 1908. 2 Reginald P. Winnington-Ingram, „Euripides the Rationalist“, in: Euripides and Dionysos. An Interpretation of the Bacchae. Cambridge 1948, 180-185. Eric Robertson Dodds, Euripides the Irrationalist. In: Ds., The Ancient Concept of Progress and other Essays on Greek Literature and Belief. Oxford 1973, 78-91. 3 S. dazu Hans Oranje, Euripides’ Bacchae. The Play and its Audience. Mnemosyne Suppl. 78. Leiden 1984, 159-166 und Valdis Leinieks, „Wisdom“, in: The City of Dionysos. A Study of Euripides’ Bakchai. BzA 88. Stuttgart 1996, 257-275. 4 Näheres s. Anton F. Harald Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie. Politische und ‚metatheatralische‘ Aspekte im Text. Diss. München 1990. Classica Monacensia 1. Tübingen 1991, 177. 4.1 Einleitung 483 Ein Forschungsansatz, der auf handlungsstrukturalistischer Grundlage mit Hilfe der Figur der Transgression ein neues Licht auf das antike Drama werfen will, kommt aber auch deshalb nicht umhin, Euripides’ Bakchen zu interpretieren, weil an diesem Stück vier zentrale Ansätze, über die auch das hier gewählte Verfahren konturiert wird, in Anwendung gekommen sind. 5 Aufgrund ihres Themas scheinen die Bakchen erstens der Kronzeuge für eine ritualpositivistische, ritualmythische oder ritualpoetische Deutung der griechischen Tragödie zu sein. Doch daß Euripides’ Bakchen praktizierte Rituale schildern, 6 ist eher Ausdruck eines gekonnten mimetischen Realismus, der die außerliterarische gesellschaftliche Umwelt glaubwürdig abbildet und sich damit die Möglichkeit einer Rückwirkung auf diese eröffnet, als einer unreflektierten Affirmation der dargestellten rituellen Praktiken oder einer Aussage über Herkunft und Wesen der Tragödie. Schon Dionysos’ Prolog läßt erkennen, daß die Rituale und Kultpraktiken ein unverzichtbares Korrelat von Dionysos’ Göttlichkeit und Instrumente seiner Agenda sind, sich als Gott Anerkennung gegen religiös-ideologische Transgressoren zu verschaffen (v. 21-42). Deutungsmuster, die auf die Darstellung von Ritualen abheben, markieren gleichwohl bereits einen gewaltigen perspektivischen Fortschritt gegenüber allen Interpretationen, die den Bakchen Aussagen über Euripides’ persönliche Ansichten zum Religiösen und (Ir-)Rationalen oder zumindest über seine Weltanschauung 7 entlocken wollten und dadurch erst der Forschung das vermeintliche Rätsel der Bakchen aufgegeben haben. An den Bakchen zeigt sich gleichwohl exemplarisch, daß das ritualorientierte und das vorliegende transgressive Interpretationsmuster systemisch bestens zusammenpassen, ist doch auch die Ekstase eine Form des Heraustretens, die in unserem Fall zumindest nach usuellem menschlichem Recht mit dem Totschlag des Sohnes durch seine Mutter eine Transgression ermöglicht. (Mantisch-kognitive Implikate der Ekstase zeigt denn auch sogar die Binnenhermeneutik dieses Stückes auf, s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Hinzu kommt die konventionelle mythologisch-rituelle Rolle der fraglichen Gottheit: Dionysos ist der Gott der Ambivalenz und Transgression. Allein das sichert den Bakchen einen Platz in der vorliegenden Arbeit. Daneben steht zweitens die Deutung des Dramas als Metatheater. Simon Goldhill verortet die Selbstreflexivität des Theaters in den Bakchen in der Reflexion des Maskengebrauchs und im Auftreten des Theatergottes anläßlich seines eigenen Festes. 8 Charles Segal knüpft an die liminale Figur des Dionysos den Charakter des Stückes als Metatragödie. Damit hebt er vor allem auf die selbstbewußte Thematisierung der dramatischen Illusion und die Paradoxien der Tra- 5 Es versteht sich, daß im Rahmen dieser exemplarischen Interpretation aus diesen vier Richtungen nur die hier vorgestellten zentralen Vertreter besprochen werden können, ebenso wie der eingeschränkte Rahmen dieses Kapitels den Anspruch verbietet, die gesamte Sekundärliteratur zu überblicken und einzuarbeiten. 6 Vgl. Eric Robertson Dodds, Maenadism. In: Ds., The Greeks and the Irrational. Berkeley 8 1973, 270-282. 7 Harald Merklin, Gott und Mensch im Hippolytos und in den Bacchen des Euripides. Diss. Freiburg 1964, 166. 8 Reading Greek Tragedy. Cambridge 1986, Ndr. 1992, 259-264. 484 gödie ab, durch die Illusion Wahrheit zu vermitteln und durch die Darstellung von Schmerz dem Zuschauer Vergnügen zu bereiten. 9 Segal nimmt Merkmale an, die nicht Teil des Tragödienverständnisses dieser Arbeit sind. Sie postuliert nämlich keinen Wahrheitsanspruch dieser Gattung, sondern sie als (öffentliches) Reflexionsmedium sieht, und abstrahiert von der bühnenpragmatischen Wirkung, sofern diese sich auf Emotionales erstreckt und sich nicht klar textlich nachweisen läßt (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in der Einleitung). Übrig bleiben die fraglos richtig bemerkte Rolle des Dionysos und die Thematisierung der Funktionsweise des Theaters und der dramatischen Illusion. Deswegen scheint mir für die von Segal aufgezeigten Phänomene die Bezeichnung ‚Metatheater‘ oder ‚dramatische Metafiktionalität‘ treffender. 10 Diese modernen performativen und reflexiven Ansätze führt Gyburg Radke drittens auf die Dominanz der parole im Strukturalismus zurück 11 und verwirft sie mit diesem zugunsten einer Interpretation als „Schulbeispiel einer klassischen Mitleidstragödie“ (2003: VII, 31-255) „im aristotelischen Sinn“ (2003: 30). Karl Heinz Bohrer kann schließlich und viertens an dieser Tragödie seine Auffassung exemplifizieren, die Tragik beruhe ästhetisch auf einer Epiphanie des Schreckens. 12 Wir werden im Verlauf dieses Kapitels untersuchen, inwieweit diese Ansätze untereinander und mit dem hier gewählten vereinbar sind, 9 Dionysiac Poetics and Euripides’ Bacchae. Princeton 2 1997 ( 1 1982), 215-271, v.a. 272. Er wird kritisch weiterentwickelt von Bierl 1991: 177-218. 10 Für weitere Kritik an Segal s. Bierl 1991: 180 f. 11 Tragik und Metatragik. Euripides’ Bakchen und die moderne Literaturwissenschaft. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 66. Berlin 2003, 5-7. Radkes antistrukturalistische Frontstellung fordert nachgerade eine Untersuchung wie die vorliegende, die sich anschickt, einen modifizierten strukturalistischen Ansatz auf die Bakchen anzuwenden, zur Auseinandersetzung heraus. Doch sind dieser Radkes Argumentationsweise und Ansatz nicht förderlich. Im methodisch-theoretischen Bereich verzichtet sie auf eine Auseinandersetzung mit Saussures Schriften (2003: 6), der Cours fehlt im Literaturverzeichnis. Statt dessen wird in den Fußnoten der Einleitung (2003: 6 Anm. 16 f.) auf Kapitel von Einführungswerken (Jörn Albrecht, Europäischer Strukturalismus. Ein forschungsgeschichtlicher Überblick. Tübingen, Basel 2 2000, 26-54; Lothar Fietz, Strukturalismus. Eine Einführung. Tübingen 3 1998, 27-41) oder ohne Seitenzahl auf eine Ausgabe von Schriften aus Saussures Nachlaß (Ferdinand de Saussure, Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlaß. Texte, Briefe und Dokumente. Gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Johannes Fehr. Frankfurt a.M. 1 1997) verwiesen. Eine Widerlegung von Radkes Bakchen-Interpretation in toto und anhand sämtlicher Details erübrigt sich. Denn die Pluralität dieser Tragödie im besonderen läßt wie diejenige eines Kunstwerks im allgemeinen verschiedene Deutungsansätze zu (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung), auch einen nach dem damaligen Stand der Marburger Schule, deren aus Aristoteles’ Poetik abgeleitetes hermeneutisches Modell für die griechische Tragödie noch auf Charakterdefizite abhob (s. 4.5 Tragik). Inwieweit dieser (und die vorliegende Untersuchung) neue Einsichten verschafft und hilft, die Spezifika dieser Tragödie besser zu erfassen, möge jeder Leser selbst entscheiden. Daß Radke bei der Darstellung des Dionysos in den Bakchen noch nach der „Autorintention“ fragt (2003: 116), während ihr Doktorvater und Habilitationsmentor Arbogast Schmitt schon 15 Jahre zuvor bei der aristotelisierenden Deutung des OT von der „Intention des Stücks“ (1988: 16) bzw. der „Darstellungsintention dieses Dramas“ (1988: 28) sprach (Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen ‚König Ödipus‘. RhM 131 (1988) 8-30), ist allerdings methodisch nicht mehr zeitgemäß. Die distante Kompatibilität der Ansätze schließt auch Kritik im Einzelfall selbstredend nicht aus, etwa in der Frage der Charakterdefizite. 12 Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage. München 2009, 225-230. 4. Euripides’ 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf 485 dessen Grundzüge oben skizziert wurden. Die einzelnen Schritte der nachfolgenden Untersuchung sollen auf die Handlungsdynamik, die aus der Personen- und daraus folgend der Konfliktkonstellation erwächst, die Transgression und die ihr folgende Eliminierung, die Tragik und die dionysische Aufhebung linearer Rationalität und binär-oppositioneller Identitäten sowie, daran anknüpfend, die Souveränität und das Metatheater des Rausch- und Theatergottes abheben. 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf Die Personenkonstellation und der Handlungsverlauf lassen sich mit dem bisher verwendeten Instrumentarium gut beschreiben: Am Anfang steht handlungsanalytisch betrachtet wieder die Überschreitung der Grenze zwischen Asien und Griechenland: Nach Xerxes und Medea ist Dionysos der dritte Ankömmling aus dem Osten, dessen Hinzutreten die Ordnung auf griechischem Boden stört und der so die Handlung in Gang setzt und antreibt. Der Dramentext selbst wird nicht müde, sämtliche orientalischen Elemente des Dionysoskultes und seines Zuges auszumalen (v. 64 f., 126-166), 13 auch wenn mit den Kureten die Sammlung des Deviant-Polyvalenten auf griechischem Boden fortgesetzt wird (v. 120-125). Im Prolog des Dionysos wird diese Bewegung als Übergang aus den buntscheckigen, östlich-orientalisch-barbarischen Gefilden ins hellenische Theben dargestellt (v. 13-25, 55-61). Die lokale Transgression und das von ihr überwundene Gegensatzpaar werden also klar markiert. Indes besteht zwischen den Zwangsmitteln und der Legitimation eines Perserkönigs, der in der Schilderung von Aischylos’ Persern alle militärischen Ressourcen Asiens aufbieten kann (v. 16-64), um Griechenland zu unterjochen, und einer kolchischen Prinzessin, deren Zauberkräfte bei Euripides zurücktreten und deren übermenschliche Gaben nur in den todbringenden Gewändern und dem Fluchtwagen ihres Großvaters Helios die Handlung beeinflussen, auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem Gott des Rausches, der seinen Kult in Hellas einführen will und die Menschen in seinen Bann zieht, ein gewaltiger Unterschied hinsichtlich 13 Radke 2003: 120 spielt sie herunter. - Wegen der Ambivalenz von Pentheus’ logozentrischer Position und der komplexen drameninternen Rationalitätsdebatte greift Edward W. Said entschieden zu kurz, wenn er meint, die Bakchen stellten den Dionysoskult vor dem historischen Hintergrund irrationaler östlicher Mysterienkulte dar, die während des Peloponnesischen Krieges eingesickert seien; der Sieg, den Dionysos in der Tragödie davontrage, werte in dieser religionsgeschichtlichen Perspektive die östlichen Mysterienkulte zu einem neuen Unterwerfungs- und Bewährungsobjekt des Westens auf. Dies macht Said an Kadmos’ und Teiresias’ Verhalten und Schicksal fest (Orientalism. Western Conceptions of the Orient. London 2003, 56 f.), zu Unrecht, wie ich meine, da sie Repräsentanten eines konzilianteren Rationalitätsmodells innerhalb der westlichen Debatte sind und sich asymmetrisch (ab)wertende orientalistische Argumentationen auf Pentheus konzentrieren, der mit ihnen seine Ablehnung des Dionysoskultes begründet. Sie sind also Teil der Figurencharakterisierung und nicht der allgemeinen Aussage der Tragödie, da Pentheus durch Dionysos ein grausames Ende findet und auch als Replik auf seine orientalistischen Einlassungen auf die Diversität der Kulturen hingewiesen wird (s. 4.5 Tragik). 486 Status, Legitimität und Machtmitteln. Anders als diese beiden Figuren verbirgt Dionysos zudem wie Odysseus bei seiner Ankunft seine Identität. Die Handlung der Bakchen ähnelt in einem weiteren Punkt erstaunlich der Odyssee: Wie die Titelfigur in diesem Epos verfolgt Dionysos, wie im vorausgehenden Abschnitt angedeutet, bei der Rückkehr in die Heimatstadt seiner Mutter ein Programm der sozialen Integritätsrestauration: Zweifel an seiner göttlichen Abkunft will ihr Sohn ausräumen und gleichzeitig die Stadt zur kultischen Anerkennung seiner Göttlichkeit bewegen (v. 26-42). Der Wortlaut von Dionysos’ Rede weist die religiöse Transgression der Menschen als das primum movens der Gesamthandlung aus: Daß er zuerst in seiner Mutterstadt griechisches Land betritt, begründet Dionysos damit, daß die Schwestern seiner Mutter seine göttliche Abkunft bestreiten und seine Herkunft aus einer sexuellen Transgression mit dem rationalistischen Vorwurf erklären (v. 26: ), Semele habe den göttlichen Vater nur vorgeschoben, um ihre zu kaschieren. Die religiöse Transgression ist also erst der Anlaß für die oben geschilderte lokale des Gottes und sein Programm der sozialen Integritätsrestauration. Daß sie mit dem Vorwurf einhergeht, Dionysos sei aus einer sexuellen Transgression hervorgegangen, verstärkt die Rolle der Transgression als Auslöser des Dramas: Der Konflikt dreht sich nun darum, welcher der beiden Kontrahenten mit dem Makel einer Transgression behaftet ist: Dionysos mit der sexuellen oder die Schwestern mit der religiösen. Die Entscheidung soll der Erweis seiner Göttlichkeit bringen, der Dionysos’ Prolog leitmotivisch durchzieht. Die Wurzel - (v. 21: , 42: ’) läßt erkennen, daß dieser Nachweis auf dem Wege einer Epiphanie geschieht. 14 Daß diese sich im Medium des Theaters vollzieht, das den Bühnenkontrahenten wie den Zuschauern die Göttlichkeit ad oculos demonstriert, zeigt dagegen das Verb (v. 47: / - , vgl. v. 50: ). Ihm wohnt neben der theatralischen eine argumentative Bedeutung inne. Tatsächlich manifestiert sich Dionysos im Verlaufe der Tragödie durch seine (v. 449 f., 1063) und seiner Anhänger (v. 666 f.) (Wunder-)Taten als Gott. 15 Auch in diesem Zusammenhang gebrauchen seine 14 Vgl. dazu Winnington-Ingram 1948: 25, 164, Bierl 1991: 181 („Den Inhalt der Bakchen kann man abstrakt als zusammenhängende Epiphanie des Dionysos beschreiben.“) und Joachim Latacz, Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen 2 2003, 297: „Das Stück ist also die inszenierte Epiphanie des Gottes.“ 15 Die Anerkennung von Dionysos’ Göttlichkeit ist also keine willkürliche Dezision, kein bloßer Glaubens- oder Willensakt, sondern besteht in der Einsicht in diese Göttlichkeit. Dies wird für die Stadt in v. 39 ( ) und ex negativo über die mangelnde Belehrbarkeit bzw. fehlende Unterrichtung für Pentheus in v. 490 ([Dion.]: ’ - ’ ) deutlich. Gewiß ist das Wissen um Dionysos’ Göttlichkeit kein punktuell-konjunkturelles, sondern ein systemisch-strukturelles, was die Bedeutung ‚lernen‘ neben dem bloßen ‚erfahren‘ für die Wurzel an diesen Stellen rechtfertigt. Gleichwohl geht Radke 2003: 147 entschieden zu weit, wenn sie die Bakchen „als eine solche ‘Schulung’ der Stadt und des Pentheus“ liest. (Auch hierbei wird eine Lesart Arbogast Schmitts auf die Bakchen übertragen, der die Ansicht vertrat, im OT wolle Apoll Oidipus eine Katharsis verschaffen [Wesenszüge der griechischen Tragödie: Schicksal, Schuld, Tragik. In: Hellmut Flashar (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum V. Stuttgart, Leipzig 4. Euripides’ 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf 487 Anhänger das Verb (v. 1017-19: / / ), selbst (von Diggles in cruces eingeschlossen) nach dem Tod seines Widersachers Pentheus (v. 1031: ). 16 Der Wortlaut macht sinnfällig, daß der Triumph dieser physischen Eliminierung seine Göttlichkeit unter Beweis stellt. 17 Dionysos hat Pentheus’ Tod metatheatralisch inszeniert, indem er ihn verleitet und seine Mutter Agaue mit Wahn geschlagen und beide auf dem Kithairon zusammengebracht hat. Deshalb fungiert der Teil seines Metatheaters, der Trug und Eliminierung über die religiösen Transgressoren bringt, als Vehikel seiner Epiphanie. 18 Dionysos’ sämtliche Manipulationen der Dramenhandlung, auch durch Wunder, sind dabei Manifestationen seiner Göttlichkeit. Der Abschluß und Höhepunkt der Epiphanie 19 und ihre eigentliche Form, da sich der Gott bei ihr wie in den Epiphanien im Hippolytos und in Plautus’ Amphitruo denen zu erkennen gibt (v. 1340 f.), 20 die bislang im unklaren über sein Wirken oder die Hintergründe des Geschehens waren, ist schließlich die Schlußszene mit Kadmos und Agaue, in der sich Dionysos zu erkennen gibt (v. 1330 ff.) und von Kadmos identifiziert und angeredet wird (v. 1344: ’ ). Sein Flehen und Schuldeingeständnis anerkennen abschließend Dionysos’ Göttlichkeit und räumen dessen transgressive Verkennung ein. Dionysos’ Epiphanie bringt also wie in Euripides’ Medea die Anagnorisis und voll- 1997, 5-49, h. 27; Näheres s. 2.4.5 Transgression und Orakel in der Interpretation dieser Tragödie].) Daß Pentheus erst kurz vor seinem Tod zu einer Einsicht gelangt, schreibt sie an dieser Stelle selbst. Dies als „eine Art Notwehr“ zu deuten, zu der Dionysos greifen müsse, „falls sein gewaltfreier Unterricht nicht fruchten sollte“, so Radke 2003: 147 weiter, korreliert mit ihrer (Fehl-)Deutung von Pentheus’ Tragik als übereilt und verstockt (s. 4.5 Tragik) und zielt am Drama und selbst an jeder pädagogischen Realität vorbei. Gewiß sind Dionysos und seine Anhänger(innen) anfangs friedlich und greifen erst als Reaktion auf Pentheus’ gewaltsame Unterdrückung zur Gewalt (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Doch diese übersteigt das von der Notwehr gebotene Maß bei weitem, so bereits bei den auf dem Kithairon wütenden Bakchen und erst recht bei Pentheus’ Tod, dessen Versuche, dem Gott nach dem Leben zu trachten, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Einen unbelehrbaren und ungefährlichen Zögling zu töten ist per se keine Erziehung, sondern Mord. Pentheus’ Tod ist nicht unter pädagogischen Gründen zu sehen, sondern nur unter theophanen durch seine religiöse Transgression selbst gerechtfertigt. Nur das bittere tragische Lernen durch Leiden (Ag. 177: ) trifft auf diese Tragödie zu, da Pentheus und Agaue durch seinen Tod seinen Fehler bzw. Dionysos’ Göttlichkeit erfahren. 16 Für weitere Stellen aus der Mitte des Dramas s. Maria Gerolemou, Bad Women, Mad Women. Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie. Diss. München 2010. Classica Monacensia 40. Tübingen 2011, 333 Anm. 1384, der ich auch die bisher besprochenen und den Hinweis auf Winnington-Ingram verdanke. 17 So auch Winnington-Ingram 1948: 25 a.l. („it is a manifestation of his divinity“). 18 Dies wird übrigens auch an der Zuordnung der Wörter und zu solchen von der Wurzel - (vgl. v. 1031) lexikalisch sinnfällig, die bereits Winnington-Ingram 1948: 164 bei der Epiphanie aufgefallen ist. 19 So auch Winnington-Ingram 1948: 25. Sara Macías Otero, The Image of Dionysos in Euripides’ Bacchae. The God and his Epiphanies. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 329-348, h. 346 f. macht ebenfalls verschiedene Epiphanien des Dionysos einschließlich der letzten im Verlaufe des Stückes aus. 20 ’ / […]. 488 zieht sich wie dort ex machina, 21 um die Souveränität zu inszenieren. Sie hat seine theophane Agenda, wie ich das eingangs des ersten Abschnitts skizzierte Bemühen, seiner Göttlichkeit gegen Zweifler und Frevler Geltung zu verschaffen, kurz in Anlehnung an die Cambridge Ritualists nennen möchte, 22 vollständig verwirklicht. Bohrers Betrachtung der Epiphanie bleibt dagegen auf der visuell-phänomenologischen Oberfläche der und des Theaters, wenn er schreibt (2009: 226 f.): „[I]n der Ermordung des Pentheus […] und schließlich der Erscheinung [Kurs. im Orig.] von Pentheus’ abgeschlagenem Haupt auf dem Thyrsusstab [liegt] die tragische Epiphanie des ganzen Dramas.“ Denn Pentheus’ Ermordung und Agaues Erscheinung sind von Dionysos metatheatralisch arrangiert und manifestieren auch im Schrecken, den Bohrer als dramatische Essenz dieser Tragödie ausmacht (2009: 228), 23 seine göttliche Überlegenheit. Daß die schreckliche Erscheinung von Pentheus’ Kopf „das Zentrum ist“, auf das „die Tragödie von Beginn an ausgerichtet“ ist, begründet Bohrer doch wieder mit der Handlung(sstruktur), konkret mit der dieser inhärenten tragischen Ironie, daß Pentheus das widerfahre, was er seinem Vetter zugedacht habe, und Kadmos ihn vor Aktaions Schicksal gewarnt habe (2009: 226 f.). Denn der göttliche Schrecken, den Bohrer sieht (2009: 227), 24 fehlt bereits in seiner eigenen Paraphrase der Aktaion-Episode, die bei Euripides auf Hybris und Talion abhebt (v. 338-340), wobei Kadmos’ anschließende Aufforderung, Pentheus möge sein Haupt mit Efeu bekränzen und den Gott ehren (v. 341 f.), in feiner dramatischer Ironie eine Brücke zu seinem Ende schlägt. 25 Pentheus’ lakonisch-technischer Befehl an 21 So auch Macías Oteros Bezeichnung der letzten Epiphanie (2013: 347). 22 Murray zieht ‚Theophanie‘ als genauere Bezeichnung statt ‚Epiphanie‘ für die letzte Phase des ritualmythologischen Handlungsschemas vor, das er bei der attischen Tragödie ausmacht (Näheres und Nachweise s. 2.2.2 Ritual in der Einleitung). Sein Schema kann gleichwohl die auf Erweis der Göttlichkeit und Differenzetablierung ausgerichtete Handlung der Bakchen nicht adäquat erfassen, da in dieser Tragödie anders als bei Murray nicht der Gott, sondern dessen Widersacher zerrissen wird. Dies rechtfertigt auch die hier vorgenommene pragmatisch-religionspolitische und theatralische Umdeutung von ‚Theophanie‘. 23 „Man kann die ganze Tragödie Die Bakchen [Kurs. im Orig.] als langsame Entfaltung des dionysischen Schreckens verstehen.“ 24 „Das Aktaion-Schicksal, das Pentheus treffen wird, ist eine Wiederholung des Schreckens, der von den Göttern ausgeht.“ 25 Andrea Debiasi, Dioniso e i cani di Atteone in Eumelo di Corinto (Una nuova ipotesi su P. Oxy. xxx 2509 e Apollod. 3.4.4). In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikon- Poiesis 5. Berlin 2013, 200-234, h. 212 verweist motivanalytisch auf „il parallelismo tra le due storie culminanti nello sparagmós“. Daß die Bakchen der erste Beleg für Artemis als der von Aktaion gekränkten Göttin ist, während eine frühere, aber nicht zwingend ältere Tradition just Dionysos’ Mutter Semele Objekt seiner hybris sah (2013: 201), wirkt auf den ersten Blick verwunderlich, weil in einem Drama mit Dionysos als Hauptfigur der Bezug zu ihm gelockert wird. Eine Spur der älteren Version bzw. eine feine Anspielung auf sie ist wohl darin zu sehen, daß der Appell, Semeles Gottesmutterschaft aus Prestigegründen anzunehmen, kaum zwei Verse vor Aktaion steht. Euripides’ Personenwahl hat dramatisch drei Funktionen: Erstens vermeidet sie eine verwirrende Doppelfunktion Semeles, die als Mutter des Dionysos und Geliebte des Zeus eine klare Rolle hat. Zweitens verstärkt sie über die weiblichen Figuren Semele und Artemis, Apolls Schwester, die Bande zwischen dem Apollinischen und Dionysischen, die bereits die Chorführerin resümierend nach Teiresias’ Rede gelobt hatte (v. 328 f.). Drittens tritt so 4. Euripides’ 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf 489 seinen Häscher, Dionysos den Kopf vom Leib zu trennen (v. 241: ), läßt innerhalb der sprachlichen Fokussierung keine Emphatisierung des Schreckens erkennen, sondern beschränkt sich auf inhaltliche Grausamkeit. Den Nexus von menschlicher Transgression und göttlicher Eliminierung, der die besprochenen Stellen jenseits von tragischer Ironie als Triebfeder und Tiefenstruktur der Handlung eint, blendet Bohrers Verharren auf der punktuellen Oberfläche des optischen und potentiell rezeptionsästhetischen Schreckens also völlig aus. Dieser tiefere Zusammenhang wird an einer Stelle der Schlußszene sinnfällig, an der das Adjektiv sowohl für die menschliche Transgression ( ) als auch für die göttliche Eliminierung ( ) verwendet wird (v. 1374-78, Wortlaut s. 4.4 Transgression und Eliminierung). Wortwahl und Bedeutung in der Tragödie finden eine Entsprechung in der antiken Theorie. „Schreckliches (tun/ leiden)“ steht bereits in Aristoteles’ Poetik für die mit der Transgression oder Eliminierung verbundene Integritätsverletzung durch einen Dritten (s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung), was die hier vertretene Koppelung von (+ ) an Transgression und Eliminierung stützt. Der Gebrauch der Bakchen von , der von Dionysos’ aktueller Erscheinung absieht und auf zurückblickt, die zeigt deutlich, daß die göttliche Epiphanie der Schlußszene ebensowenig apokalyptisch ist wie im Hippolytos und in Plautus’ Amphitruo, zumal die lokalen Eliminierung, die Dionysos anordnet, kaum an den Schrecken der vergangenen physischen heranreicht. Bohrer greift von dem Gebrauch, den die Tragödie von macht, ohne einschlägigen Stellennachweis nur die „gewaltigen Wunder“ der Bakchen (v. 667: ) auf (2009: 229), die doch Dionysos’ Göttlichkeit unter Beweis stellen. Diese (diskurs)pragmatische Funktion ignoriert Bohrer, der von „erschreckenden »Wunder[n]«“ spricht, während ja auch ‚gewaltig‘ heißen kann, was diese Funktion andeutet. Insofern das Schreckliche und Gewaltige nicht enthüllt wird, sondern nur dazu dient, das Göttliche zu enthüllen, kann man abermals nicht von Apokalyptik sprechen. Dies trifft nur auf Dionysos’ Selbstcharakteristik als / zu, die allerdings im Rahmen der theophanen Agenda auf Pentheus’ Transgression reagiert (v. 859-861) und damit die hier vertretene pragmatisch-handlungsstrukturelle Deutung von stützt. Für Bohrer 2009: 229 ist dagegen die Einsicht, die Agaue dank in die Schrecklichkeit ihrer Tat gewinnt, die sie bislang als stolze Leistung angesehen hat, „die letzte vom Dichter ausgearbeitete Phase der tragischen Enthüllung. Sie exzelliert als Erscheinung [Kurs. im Orig.] dreimal: als Erscheinung [Kurs. im Orig.] des Pentheus vor dem Palast in Frauenkleidung; als Erscheinung [Kurs. im Orig.] der grausamen Vorgänge im Botenbericht und als Erscheinung [Kurs. im Orig.] der Agaue.“ Indem Bohrer auch Pentheus’ metatheatralischen Auftritt für die Enthüllung reklamiert, koppelt er diese - anders als bei der Apokalyptik der vorliegenden Arbeit - vom Schrecken ab. ebenfalls Pentheus’ Ignoranz gegenüber diesem Paradoxon hervor, das sein antithetisch-konfrontatives Denken übersteigt, und damit letztlich auch seine Tragik, die darüber funktioniert, daß er das Wunderbare des Dionysischen nicht zu fassen vermag. 490 Ansonsten unterläßt Bohrer den philologisch-pedestren Nachweis, inwieweit sich der Schrecken in der Binnenhermeneutik der von ihm bemühten Epiphanie- und Erscheinungsszenen lexikalisiert. 26 Klar ist dies jedenfalls bei dem Bericht, den der Bote von dem Wüten der Bakchen am Kithairon gibt (v. 760: ’ ). 27 Wie im Falle des Wunderbaren erscheint das Schreckliche hier jedoch eben gerade nicht in unmittelbarer theatralischer Präsentation, sondern wird narratologisch-metatheatralisch vermittelt, was eine gängige Form der Darstellung von physischer Transgression und Eliminierung in der attischen Tragödie ist (vgl. 1.2.2 Dramatische Transgression und Narratologie in der Einleitung). Der Botenbericht von Pentheus’ Schlachtung ist noch in seiner detaillierten Verbalisierung und kommentararmen Nüchternheit geeignet, Entsetzen zu wecken (v. 1125-43), und verdient nur insofern das Prädikat ‚apokalyptisch‘. Doch läßt sich Entsetzen in den nachfolgenden Reaktionen des Chores, auch bei Agaues Auftritt, nicht nachweisen (v. 1153 ff.). Fest steht jedenfalls, daß der Schrecken zumindest außerhalb der Epiphanieszenen ein sicherer Bestandteil des Dionysosbildes dieser Tragödie ist. So erwähnt Teiresias Pentheus gegenüber, Dionysos habe bewaffnete Schlachtreihen in panischen Schrecken versetzt (v. 302-304: ) und deutet so die Vergeblichkeit von dessen Repression an, die bei der Interaktion des Schreckens eine wichtige Rolle spielt. In der Tat ist die Furcht komplexer als in Bohrers Modell, das einen Nexus von schreckenerregenden Dingen und Schrecken annimmt, in die Interaktion und Pragmatik verwoben. So bricht etwa der Chor der asiatischen Bakchen spontan in Dionysosjubel über die Nachricht von Pentheus’ Tod aus, die ein Bote bringt. Die Entrüstung, mit welcher der Bote auf die Schadenfreude reagiert, die er in diesem Jubel erblickt, pariert der Chor mit dem Hinweis, nun sei er nicht mehr in Furcht vor Fesseln (v. 1030-35). Schrecken geht also nicht bloß von der Epiphanie des Dionysischen aus, sondern vielmehr erfährt dieses Schrecken durch seine staatliche Unterdrückung. 28 Bereits zuvor hatte Dionysos den Chor beruhigt, der durch die Zerstörung von Pentheus’ Palast in angstvollen Schrecken versetzt worden war (v. 694 f.: ). Der epiphane Schrecken des Dionysischen betrifft hier sogar dessen Anhänger und nicht die Gegner, die es doch zu überzeugen gilt, und wurzelt in der Bekämpfung von deren Repression. Pentheus begründet seine Gewaltbereitschaft und Repression mit den Lügen (v. 245: ) zu Dionysos’ göttlicher Herkunft und Schenkelgeburt, die er als schrecklich bezeichnet (v. 246: ’ ’ ). Die desubjektivierende, unfaßbare Fremdheit, welche das Dionysische für Pentheus entfaltet, zeigt sich nicht nur bei seiner Wahrnehmung, sondern auch seiner praktischen Erfahrung, beklagt 26 In Pentheus’ Auftritt als Bacchantin (v. 913 ff.) vermag ich nichts Schreckliches, allenfalls aufgrund seiner Bewußtseinstrübung Bestürzendes zu erblicken. 27 Michael Lloyd, Euripides. In: Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek narrative 3. Leiden 2012, 341-357, h. 355 f. arbeitet gut die Verschränkung von Narratologie, Topologie und Wunderbarem heraus: Der distanzierte Ort des Kithairon könne in den beiden Botenberichten der Schauplatz wunderbarer Ereignisse werden, welche die vorliegende Arbeit als Merkmal des Dionysischen deutet. 28 So noch v. 492: [Dionysos] 4. Euripides’ 491 Pentheus doch bei der Flucht des Fremden, er habe etwas Schreckliches erlitten (v. 642: ). Die schrecklichen Taten der Bakchen, welche in den Augen des Boten das Wunderbare noch übertreffen (v. 667), stacheln Pentheus bloß zu noch härterer Bestrafung des Frauenverführers Dionysos an (v. 674-676). Seinerseits effeminiert, verliert der König in Dionysos’ Präsentation seinen Schrecken für die Bakchen (v. 854-56), ja - ähnlich wie durch Kadmos, der bereits den Schrecken der Bakchen entlarvt und therapiert hat (v. 1259 f.), in der Schlußszene (v. 1374-77; s.o. und 4.4 Transgression und Eliminierung) - suggeriert der Gott durch die Wiederkehr dieses Adjektivs den Nexus von Transgression und Eliminierung (v. 971: ). Dabei zeigt die Verwendung des Adjektivs als Attribut bzw. Prädikativum zu Pentheus an, daß er seinen Fehler mit dem Leben bezahlen wird. Daß erst die religiöse Transgression den Umschlag in der Erscheinung des Gottes vom mildesten zum schrecklichsten bringt (v. 859-61), werden wir weiter unten näher sehen (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Das Schreckliche, das der Gott über seine Gegner bringt, ist lexikalisch klar faßbar (v. 1352). Mehr noch als der Stamm -, der weitgehend auf die göttliche Transzendenz des menschlichen und theatralischen Usuellen und seine daran geknüpfte Inkommensurabilität beschränkt ist und den Nexus von religiöser Transgression und sanktionierender Eliminierung, der sich aus den vorgenannten Größen ergibt, unberücksichtigt läßt (s. 4.3 Souveränität, Metatheater und Wunderbares und 4.5 Tragik), beleuchtet also kaleidoskopartig anhand sämtlicher Akteure und Facetten die Handlungsstruktur der religiösen Transgression und eliminatorischen Autoritätsrestaurierung, welche die vorliegende Interpretation für die Bakchen herauspräparieren will, und bietet kein disparates Aufscheinen isolierter Schreckensstationen, wie Bohrer es suggeriert. Aber kommen wir zur anfänglichen Konfliktkonstellation zurück: Während im Hippolytos der Antagonismus der Göttinnen für den unfolgsamen Titelhelden fatal wurde, die göttliche Ebene also die menschliche beeinflußt und von dieser systemisch geschieden bleibt, geht es in den Bakchen darum, durch das Ausfechten eines Konfliktes auf der menschlichen Ebene einen Gott innerhalb des menschlichen kulturellen Systems in die göttliche Ebene zu katapultieren. Die vertikale Dynamik, die aus den horizontalen Konflikten erwächst, verläuft in dieser Tragödie also im Gegensatz zum Hippolytos eindeutig von unten nach oben. In diesem Drama wird nicht nur das religiöse System der Menschen und der Geltungsanspruch eines Gottes Gegenstand dessen, was zwischen den Figuren ausgehandelt wird, sondern auch Gesetz und die Vernünftigkeit. 29 Es werden alle Grenzen, Normen, Ordnungen und Zeichensysteme zur Disposition gestellt und konstruktivistisch als konventionell entlarvt, auch die sprachliche Semiose (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Da Dionysos in den Stammbaum des noch jungen thebanischen Herrscherge- 29 Vgl. Desmond J. Conacher, Euripides and the Sophists. Some Dramatic Treatments of Philosophical Ideas. London 1998, 99-107, der den sophistischen Hintergrund beleuchtet, vor dem nomos und physis in den Bakchen behandelt werden. 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf 492 schlechts hineingewoben ist, kann man die Auseinandersetzung zwischen ihm und Pentheus entsprechend dem Schema der intrafamiliären Personenkonstellation (s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität in der Einleitung als Konflikt um die Position des königlichen Patriarchen ansehen, sind doch Pentheus und Dionysos über ihren Großeltern Kadmos und Harmonia Vettern und präludieren so den tödlichen Bruderkonflikt zwischen Eteokles und Polyneikes. Indes unterscheidet sich der Konflikt in unserer Tragödie von jenem durch seine Intrikatheit und unilateral-restaurative Eliminierung, weil hier das Familiäre über das Dynastisch-Monarchische nicht nur mit dem Politischen verwoben ist, sondern auch noch eine religiöse Dimension hat. Die Verschränkung dieser drei Ebenen zeigt sich bereits im Prolog deutlich: Der Gott des Rausches exponiert sein restauratives Vorhaben und spricht danach in dynastischen Termini davon, daß Kadmos Pentheus, dem Sohn seiner Tochter, Herrschaft und Würde ( ) übergeben habe. Anschließend erwähnt er Pentheus’ Theomachie gegen Dionysos (v. 41-46). Daß der Konflikt zwischen den beiden Vettern mit tödlicher Fremdgewalt endet, liegt sicherlich nicht nur an der prima specie ambivalenten Natur, die Dionysos für die Menschen hat, indem er Sorgen löst und Gewalt bringt (tatsächlich begünstigt die dionysische Aufhebung der konventionellen Regeln und Grenzen in der Tragödie nicht nur sonst verbotene Genüsse und Tätigkeiten wie das ekstatische Schwärmen der Bakchen, sondern auch üblicherweise als transgressiv sanktionierte Gewalttaten), und seiner damit verbundenen und zu zeigenden göttlichen Überlegenheit, sondern auch an der Verschränkung verschiedenster Ebenen des Konfliktes. Die, christologisch formuliert, göttliche Natur des Dionysos 30 dient als Fixpunkt der Handlung und der Lösung dieser verschachtelten Konflikte. Die Verquickung des Familiären, Politischen und Religiösen bringt es auch mit sich, daß es sich bei dem Dramenkonflikt nicht nur um eine religionspolitische Frage handelt, die Einrichtung eines neuen Kultes. Dieser ginge mit der Einrichtung eines Festes einher. Durch dieses Institut würde auch der kulturparadigmatische Konflikt zwischen der rationalen, auf binären Oppositionen beruhenden Ordnung, die Pentheus vertritt und die er zumal im sexuellen Bereich durch das Treiben der Mänaden gefährdet sieht (v. 215-225), und der dionysischen allgemeinen Grenzaufhebung (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung) nachgerade zivilisationshistorisch-dialektisch gelöst, da die Dominanz innerhalb der neuen zeitlichen Dimension alternieren würde. Die zeitliche Einhegung des Dionysischen als Iteration heortologischer Singularität, die religionspolitisch fast auf eine Karnevalisierung hinausläuft, 31 klingt allenfalls im Hinweis des Chores in der Parodos auf die zweijährige Wiederkehr der Dionysosfeiern an, an denen die Tänze der Satyrn stattfänden, über 30 Bemerkenswerterweise kommt die Natur, die doch zumeist sophistischen Argumentationen als Fix- und Orientierungspunkt gegenüber den konventionell-arbiträren gilt, innerhalb der Antithese Gott - Mensch nur bei Dionysos’ Maskerade als Mensch bzw. Mann vor (v. 54: ). 31 Man denke an die Übergabe der Schlüsselgewalt vom usuellen Amtsträger an den Repräsentanten und Regenten der Narren im westdeutschen Karneval bzw. in unserem Fall an den . 4. Euripides’ 4.3 Souveränität, Metatheater und Wunderbares 493 die Dionysos sich freue (v. 130-134: ). Da hiermit auf den zweijährigen heortologischen Rhythmus der thebanischen Dionysosfeiern angespielt wird, 32 während die attischen, die den Aufführungsanlaß der Tragödie boten, jährlich stattfanden, stärkt diese Zeitangabe qua böotisches Lokalkolorit den mimetischen Realismus, aber auch den ritualpoetischen Aspekt auf Kosten des metatheatralischen. Dieser versteckte Hinweis im Chorlied außerhalb der Auseinandersetzung der Kontrahenten aktualisiert jedenfalls innerdramatisch den ohnehin anzunehmenden Wissensvorsprung des Publikums und verstärkt so in dramatischer Ironie den Eindruck von der Naivität des Pentheus, der neben der Identität des Gottes und dessen Göttlichkeit diese zumindest denkbare Lösung nicht sieht. 4.3 Souveränität, Metatheater und Wunderbares Da eine klare zeitliche Ausnahme fehlt, die eine Lücke böte, in die Dionysos’ außergewöhnliches Regiment schlüpfen könnte, läßt sich der Souveränitätskonflikt zwischen Pentheus und Dionysos als Auseinandersetzung um die Befugnis bestimmen, den Ausnahmezustand zu verhängen. Daß er innerhalb der operationalen Hierarchie der zeitlich-institutionellen Ausnahme vorgängig ist, läßt sich daran ersehen, daß der Ausnahmezustand zumindest über seinen Anfang durch eine zeitliche Dimension gekennzeichnet ist. Die Befugnis, ihn zu verhängen und über seinen Anfang zu entscheiden, ist implizit Gegenstand des Streites der beiden Vettern. Der Konflikt ist also eher auf einer klassifikatorischen synchronen Ebene der Reichweite einer Jurisdiktion anzusiedeln (die „fränkische“ Lösung einer lokalen Abgrenzung, bei der Dionysos den Berg und Pentheus die Stadt erhalten hätte, statt der zeitlich-institutionellen Alternanz scheitert daran, daß Pentheus der gesamte weibliche Teil seiner Untertanen auf den Berg entlaufen ist [v. 35 f.]), wie sie in der plakativen Formel „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ zum Ausdruck kommt, mit der Carl Schmitt die Entscheidungsgewalt über die Ausnahme zum Kriterium der Souveränität erhebt. 33 Die Parallele zu Schmitt, einem im doppelten Sinne radikalen Staatsdenker, 34 zeigt, an welch elementare Probleme der politischen Theorie die Bakchen rühren. Ihre ungebrochene Aktualität zeigt Giorgio Agambens rezenter Rückgriff auf Schmitt. Daß das Referat des italienischen Gelehrten, die Souveränität bei Carl Schmitt nehme „die Form einer Entscheidung über die Ausnahme an“, wobei der Souverän nicht über die Grenze zwischen Zulässigem und Unzulässigem entscheide, sondern „über die ursprüngliche Einbeziehung des Lebewesens 32 So auch in Delphi, Kamiros, Rhodos, Milet und Pergamon (Renate Schlesier Art., Dionysos. DNP 3 (1997) 651-662, h. 658). Näheres zu der delpischen Praktik einer Parnaßbesteigung im Winter s. die Einleitung zu Dodds’ Kommentar xiii f. 33 Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre der Souveränität (1922). Berlin 8 2004, 13. 34 Vgl. Jan-Werner Müller, Ein gefährlicher Geist. Carl Schmitts Wirkung in Europa. Mit einem Vorwort von Michael Stolleis. [Orig.: A Dangerous Mind. Carl Schmitt in Post-War European Thought. New Haven, Conn. 2003] Darmstadt 2007. 494 in die Sphäre des Rechts“, 35 seine eigene biopolitische Fragestellung auf Schmitt projiziert, dem es in dem fraglichen Kapitel allenfalls um den Umfang der Befugnisse geht (2004: 17), ist für das Verständnis der Bakchen eine felix culpa. Denn ebendiese Einbeziehung der Lebewesen in die von ihm repräsentierte Rechtssphäre unternimmt Pentheus, indem er die kreatürlich-primitive Gewalt des Dionysischen und die Praxis des Dionysoskults, der sich auch lokal außerhalb der urbanen Zivilisation und ihrer Gesetze auf dem Kithairon abspielt, nicht als theologisch legitimierte Ausnahme anerkennt, sondern sie seiner Jurisdiktion unterwerfen und in demselben Schritt unterbinden will. 36 Hier zeigt sich, daß die Souveränität sich an der Differenz offenbart, auch an deren Annullierung („Souverän ist, wer über die Differenz entscheidet.“). Daß Pentheus’ militärisch-polizeiliche Zwangsmittel an der sanft betörenden und berauschenden Gewalt des Gottes scheitern (v. 444-450, 642-646), der mit diesem Sprengen der juridischen und faktischen Grenzen eine befreiende Wirkung entfaltet, 37 desavouiert seinen Versuch sowie die Reichweite der linear-binären Rationalität und illustriert die Souveränität des Gottes, aber auch seine göttliche Differenz. Wie in der Einleitung dieses Kapitels angedeutet, beruht Souveränität also auf einer Differenz. Freilich ist diese göttliche Souveränität anders als bei Schmitt, der Jean Bodins wissenschaftliche Leistung darin sieht, daß er „die Dezision in den Souveränitätsbegriff hineingetragen“ habe (2004: 15), keine pure Willkür, da Dionysos dadurch ein klar umrissenes und theologisch legitimes Programm verfolgt, daß er seine Göttlichkeit zur Geltung bringen will. Allerdings wird der Verlauf der Tragödie exakt durch die Theorie des Ausnahmezustandes beschrieben, die Walter Benjamin für das richtige Verständnis des barocken Märtyrerdramas entwickelt: „Sache des Tyrannen ist die Restauration der Ordnung im Ausnahmezustand.“ 38 Daß diese Definition sowohl auf Pentheus (weltliche Ordnung) als auch auf Dionysos (religiöse Ordnung) zutrifft, unterstreicht den tragischen Charakter des Konfliktes. Dramatisch manifestiert sich Dionysos’ Souveränität im Metatheater, das in dieser Tragödie ein bislang in dieser Gattung ungekanntes Ausmaß annimmt. Dionysos wird im Prolog nicht nur durch die Skizzierung des Konflikts, der die Handlung bestimmen wird, sondern mehr noch durch eine optische Ekphrasis der Skenographie (v. 6-9: ) und kultisch-musikalische Regieanweisungen an sein Gefolge (v. 58-61) zum Regisseur und Dirigenten. 39 Das Metatheater 35 Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Aus dem Italienischen von Hubert Thüring. [Orig.: Il potere sovrano e la nuda vita] Erbschaft unserer Zeit 16. Frankfurt a.M. 1 2002 = 2004, 36. 36 Da Pentheus den religiösen Charakter der dionysischen Bewegung nicht anerkennt, sondern sie für gefährliche verblendete Umtriebe hält, kann man ihm sensu stricto kein totalitär säkulares Staats- und Politikverständnis nachsagen. 37 Valdis Leinieks, „Dionysos the Liberator“, in: The City of Dionysos. A Study of Euripides’ Bakchai. BzA 88. Stuttgart 1996, 303-325. 38 Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928). In: Ds., Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser Bd. 1,1. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a.M. 1991, 253. 39 Zu Dionysos’ Rolle als Regisseur im Prolog s. Bierl 1991: 190. 4. Euripides’ 4.3 Souveränität, Metatheater und Wunderbares 495 vollzieht sich also optisch wie akustisch über die Aisthetik. Die metatheatralische Funktion, die Dionysos im Prolog übernimmt, setzt er durch die Vorhersage des weiteren von ihm bestimmten Fortgangs der Tragödie fort (v. 847- 861). Abschließend zeigt ihn die metatheatralische Schlußszene, in welcher er Agaue und Kadmos seine Identität, den Sinn des Geschehens und ihr weiteres Schicksal enthüllt (und vielleicht auch bestimmt) (v. 1330-1343), als den Herrn des Dramengeschehens von Anfang an und noch über dessen Ende hinaus. 40 Durch den Irrtum, zu dem Dionysos Pentheus verleitet, und Wahn, mit dem er Agaue geschlagen hat, 41 bestimmt der Gott metatheatralisch auch die gesamte Handlung des Stückes und übt damit eine metadramatische Funktion aus. Die Eliminierung des Pentheus, die der Gott inszeniert, hat dagegen, da der König sich als Mänade kostümiert (v. 915), 42 intratheatralische Züge. Die Verdoppelung, die sich im Wahn der doppelten Sonne zeigt, die Pentheus beim Verlassen des Hauses sieht (v. 918 f.), kehrt hier darin wieder, daß Pentheus’ Maskerade das Aussehen der Mänaden optisch redupliziert. Auch in dieser Szene hat die dramatische Metapoetik also wie im OT eine optisch-aisthetische Seite, die sich an Pentheus’ aktiver und passiver Doppelrolle in bezug auf das Sehen zeigt: Er sieht zwei Sonnen und wird von Dionysos, der seinen Aufzug (her)richtet, als seinem Spiegel gesehen (v. 934-944). Pentheus wird also selbst elementar metatheatralisch zu einem Schau-Spiel. Abschließend läßt sich also festhalten: Die metatheatralische Rolle des Dionysos illustriert und inszeniert den im Prolog formulierten Geltungsanspruch und die Souveränität des gekränkten Gottes gegenüber den frevlerischen Bewohnern Thebens. Die Metatheatralität dient also der dramatischen Semiose und inszeniert die göttliche Souveränität des dramatischen Künstlers. Zu diesem Zwecke geht die massive Bühnenpräsenz des Theatergotts weit über seine konventionelle Rolle als Prologsprecher hinaus (Bierl 1991: 181) und erweist das Metatheater in concreto als dramenästhetische Transgression. Da es nicht um eine erfolgreiche, sondern eine gescheiterte Kultstiftung sowie religionspolitische Machtfragen geht und nicht der Mythos des Dionysos erzählt wird, bietet die Metatheatralität (ebenso wie das gesamten Drama) wenige Anhaltspunkte für eine ritual- und mythenpoetische Deutung. Die literarisch-poetische Seite der Metatheatralität wird auf einer allgemeinen Gattungsebene nicht nur dadurch betont, daß der Gott, dessen Fest den Aufführungsanlaß bietet, in dieser Tragödie Regie führt, sondern daß er mit der familiären Unordnung im thebanischen Königshaus den Stoff für viele weitere Tragödien liefert. 40 Vgl. Bierl 1991: 185 zur metatheatralischen Durchdringung des Stücks durch Dionysos: „Alle Fäden laufen im Gott der Tragödie zusammen; er bestimmt die Handlung, das Verhalten der anderen Charaktere [? ] und des Chores. Als Theatergott ist er Dichter, Regisseur, Chorodidaskalos, Schauspieler und Zuschauer in ein und derselben Person.“ 41 Zu ihm s. Josef Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des fünften Jahrhunderts. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 36. Heidelberg 1970, 87-89. 42 Für die Verbindung von Tragik und Komik in dieser Szene s. Bernd Seidensticker, Palintonos Harmonia. Studien zu komischen Elementen in der griechischen Tragödie. Teilw. Habil. Hamburg 1979. Hypomnemata 72. Göttingen 1982, 123-127. 496 Auch das Wunderbare, das einer religionsgeschichtlichen Interpretation, die nur die Mimesis und den Gestaltungsanspruch des Dramas sieht und deren Grenzen bereits bei der Frage nach der (Ir-)Rationalität sichtbar wurden (s. 4.1 Einleitung), nur Kopfzerbrechen bereiten kann, fügt sich in die metatheatralische Deutung. Dies tritt klarer in Plautus’ Amphitruo hervor, der das Metatheater in Anlehnung an die Bakchen ebenfalls über göttliche Regisseure inszeniert, weil dort die Götter nicht durch Eliminierung ihren Geltungsanspruch, sondern durch Duplizierung ihre Begierde verwirklichen, womit von den leidigen Machtfragen abstrahiert wird. Vielmehr ist das Wunderbare als Transgression des bereits eine poetische Kategorie. Es wird dadurch Teil des Metatheaters, daß der Gott als Regisseur zu seinem Urheber wird. Hierdurch erlangt es eine eigene metatheatralische Dimension, weil es die mimetische Illusion des Theaters thematisiert. Die metatheatralische Seite des Wunderbaren lexikalisiert sich in der Verbindung von o.ä. mit . Der Bote vom Kithairon berichtet, die schlafenden Bakchen seien in ihrer Wohlgeordnetheit wunderbar anzuschauen gewesen (v. 693: ’ ). Dies ist dadurch zumindest intratheatralisch, daß die Bakchen dem verborgenen Zuschauer einen Anblick bieten. Wie beim Botenbericht von Oidipus’ Blendung (s. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der OT-Interpretation) wird das Zeigen über das Sagen vermittelt. Diese Szene mag primär auf ein Idyll abheben und ist kein eindeutiger Aufweis der Göttlichkeit des Dionysischen. Im Homerischen Epos kennzeichnet die Formel zumeist (eine verständliche Ausnahme bilden die Phaiaken: Od. 6.306, 7.45) - teils ausdrücklich (Il. 10.439-441, 18.82-87; Od. 8.364-366) - Gegenstände als Attribute der Götter oder göttlichen Ursprungs (Il. 5.725, Od. 14.107 f.). Bei den Dreifüßen, die Hephaist schmiedet, besteht der wunderbare Anblick sogar darin, daß sie sich selbsttätig in einem göttlichen Wettbewerb bewegen (Il. 18.373-377: … ), was ein praktisches Wunder ist. Ein solches vollbringt auch Dionysos, wenn er die Spitze der Fichte, auf die Pentheus zu sitzen kommt, zu Boden biegt. Da der Gott damit das weitere Geschehen bestimmt, ist dieses Wunder metatheatralisch. Das optische Intratheater dieser Szene ruht durch die Einkleidung in den Botenbericht (v. 1063: ) abermals auf dem Sagen auf. Pentheus’ Transgression und Eliminierung beruhen nicht zum geringsten darauf, daß er das Wunderbare des Dionysischen als wunderlich wahrnimmt. Dies zeigt sich deutlich an seinem Umgang mit Kadmos’ und Teiresias’ Intratheater, die sich dionysisch kostümiert haben (v. 248: ). Diese Mimikry ist freiwillig und bewahrt sie vor der Eliminierung, die Pentheus’ von Dionysos angeleitete Kostümierung nach sich zieht. Intratheater und Metatheater heben hier auf spielentscheidende Unterschiede der Handlung ab: Die Freiwilligkeit der Greise erübrigt den Spielleiter, dessen Position Dionysos sonst einnimmt, nicht nur gegenüber Pentheus, was die entsprechenden Handlungsteile - neben der Kommunikation mit dem Publikum und dem Chor - zu Metatheater macht. Das Fehlen der Eliminierung ist aber ein Merkmal der Komödie. Dieser Gattung entspricht Pentheus’ Reaktion, der als interner Zuschauer des Intratheaters fun- 4. Euripides’ 4.4 Transgression und Eliminierung 497 giert und dem der Anblick der beiden Greise des Lachens würdig erscheint (v. 249 f.: … ). 4.4 Transgression und Eliminierung Der Souveränitätskonflikt ist, wie eingangs angedeutet, wesenhaft religionspolitisch-ideologisch. In den beiden euripideischen Tragödien Hippolytos und Bakchen verschafft sich eine Gottheit Respekt und stellt ihre Souveränität gegenüber den Menschen unter Beweis. Der Handlungsabfolge von Transgression und Eliminierung, die für die Tragödie als gattungskonstitutiv angesetzt wurde (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung), funktioniert in diesen beiden Tragödien unverkennbar. Er vollzieht sich sogar, was sonst in der attischen Tragödie nicht der Fall ist, über eine physische Fremdeliminierung des Transgressors. Diese Abweichung erklärt sich daraus, daß die Transgression die Beziehung zwischen Gott und Mensch betrifft und daß die Eliminierung als autoritätsrestaurative physische Sanktion dient (Näheres s. 4.5 Tragik): Die Grenze, die überschritten wird, muß ebenso wie die Göttlichkeit der gekränkten Gottheit, die in den Bakchen anders als im Hippolytos auf dem Spiel steht, erst deutlich als solche durch einen Automatismus der (Fremd-) Sanktion etabliert werden, welcher der Tragödie bei zwischenmenschlichen Vergehen fremd ist. Der Gott stellt seine soziale Integrität bei den Menschen (wieder)her, indem er durch den Sparagmos bzw. die Verstümmelung infolge des Mitschleifens am Gespann die physische Integrität des transgressiven Menschen und dadurch diesen insgesamt eliminiert. 43 Aufs Ganze gesehen ist in den Bakchen der Konflikt zwischen Gott und Mensch auf der systemischen Ebene viel stärker zugespitzt als im Hippolytos: Der namengebende Protagonist dieser Tragödie bekennt sich zu Artemis, die sich seiner nach der Katastrophe annimmt. Der Konflikt liegt damit stärker auf der Ebene der Götter. 44 Die Radikalisierung der religiösen Krise in den Bakchen tritt im Vergleich zu Aischylos noch deutlicher zutage: Bei ihm fungierten die Götter als Garanten der theonomischen Weltordnung, in Euripides’ theoideologischer Tragödie muß Dionysos seine Existenz als Gott bei den Menschen eliminatorisch durchsetzen. 43 Nicolas R. E. Fisher moralisiert, in den beiden genannten Euripides-Tragödien befriedige die göttliche Sanktion der menschlichen Hybris nicht das moralische Empfinden, „because the gods deal with offences against themselves with quite excessive and self-satisfied rancour and brutality“ (Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece. Warminster 1992, 510). Diese moralisierende Einschätzung mag christlicher Vorprägung entspringen, die von einer gütigen Gottheit ausgeht, und durchaus mit der Verwirklichung des göttlichen Geltungsanspruchs ein sophistisches Element aufzeigen helfen. Sie übersieht gleichwohl, daß Aphrodite wie Dionysos mit der physischen Eliminierung des Verehrung verweigernden Menschen ihre eigene soziale Integrität, ja Existenz restaurieren. Wenn Fisher im Resümé seiner Bakchen-Interpretation meint, daß die tragische Emotion durch die „the disproportionate ruthlessness of the revenge inflicted“ entstehe, so mag dies sogar sachlich richtig sein, zeigt jedoch, daß sein Tragikverständnis mit schwierig intersubjektiv zu überprüfenden rezeptionsästhetischen Größen operiert, die auch seiner oben monierten Moralisierung zugrunde liegen. 44 Vgl. Merklin 1964: 162 f. 498 In der inneren Darstellung des Dramas selbst, den Kommentaren der übrigen Figuren, wird denn auch so massiv und unverkennbar wie in kaum einer anderen griechischen Tragödie darauf hingewiesen, daß Pentheus’ Verhalten gegenüber Dionysos eine Transgression darstellt. 45 Häufig ist dabei von den Gesetzen (v. 331, 46 386-8, 890-892, 992-1001) bzw. den Bräuchen (v. 1008-1010: ) und der Gottheit 47 bzw. dem Unterschied zwischen Gott und Mensch die Rede (v. 635 f., 794 f., 882-892). Entgegen der scheinbar sophistisch-konstruktivistischen Beliebigkeit, die an Pentheus’ Verweigerung göttlicher Ehren für seinen Vetter geknüpft scheint, werden die Grenzen also affirmiert und essentialisiert. Etliche der aufgeführten Stellen warnen vor der drohenden Eliminierung (v. 386-388, 48 794 f.) oder kündigen sie an (v. 882-892, 992-1001). Pentheus selbst stellt bei der Bitte an seine Mutter, ihn nicht wegen seiner Fehler zu töten, wo er doch ihr Sohn sei (v. 1120 f.: […] / - ), den Nexus von Transgression und drohender Eliminierung her. Kadmos, dem durch sein gottkonformes Verhalten und milderes Schicksal im Verlaufe der Tragödie eine besondere binnenhermeneutische Autorität zuwächst, weitet den Nexus von atheistischer Transgression und göttlicher Eliminierung und Autoritätsetablierung in der Schlußszene sogar zu einem allgemeinen Appell aus (v. 1325 f.), 49 dessen Formulierung an den Asebievorwurf erinnert, der gegen Sokrates erhoben wurde, wenn auch mit der Polis als Referenzpunkt des richtigen Glaubens (X. Mem. 1.1.1, Pl. Ap. 26b 4 f.). Diese inhaltliche Übereinstimmung bietet in Verbindung mit der zeitlichen Nähe der beiden Texte (Näheres zur Datierung der Bakchen s. 4.5 Tragik) ein Indiz dafür, daß die Tragödie aktuelle Geschehnisse und Debatten in den Blick nimmt. Die Schlußszene zwischen Kadmos, Agaue und Dionysos ist besonders ergiebig für das Selbstverständnis des Stückes, weil sie der Binnenhermeneutik die Sphragis aufdrückt und die überlebenden Hauptakteure nach Dionysos’ Epiphanie erstmals offen miteinander reden und die Deutung des zurückliegenden Geschehens aushandeln können. Bereits vor Dionysos’ textlich manifestem Auftritt wird sein Umgang mit seinem Widersacher Pentheus, der hart erscheinen mag, vom Chor als angemessene Strafe bezeichnet (v. 1327 f.: ’ / ) und ist damit im Vorfeld explizit (für Kadmos’ implizite Kritik s.u.) abgetan. Doch implizit gilt für ihn die Begründung, die Dionysos Agaue und Kadmos gibt, die religiöse Transgression, die ihm von seiten der Thebaner widerfahren sei (v. 1347; Wortlaut s.u.). In der Binnenhermeneutik ist auch seine Mutter Agaue nicht das unschuldige Opfer und Instrument göttlicher Willkür und egomaner Rache, als das sie einer modernen, auch interdramatischen Lektüre erscheinen mag (s. 4.5 Tragik). Ihre in cruces einge- 45 V. 331, 370-378 (Chor), 386-388 (Chor), 490, 635 f., 794 f., 882-892 (Chor), 992-1001, 1008-1010 (Chor). 46 Die Transgression wird an dieser Stelle metaphorisch retopologisiert ([Kadmos fordert Pentheus auf] ’ ). 47 V. 370-378: , 490 [Dion.]: ’ ’ , 992-1001. 48 / ’ / . 49 ’ / ’ 4. Euripides’ 4.4 Transgression und Eliminierung 499 schlossene Klage über das Leid, das Dionysos über ihr Haus gebracht habe (v. 1374-1376: ), pariert Kadmos mit dem Hinweis auf die mangelnde Achtung, die der Gott von seiten der Thebaner schrecklicherweise erduldet habe (v. 1377 f.). 50 Der Vater stellt hierbei ein Talionsverhältnis zwischen dem individuellen Schicksal seiner Tochter und der kollektiven Ehrverweigerung gegenüber Dionysos her, das suggeriert, daß Agaue sich anfangs von dieser nicht ausgenommen hat (vgl. v. 1301-1307) und kollektiv büßt. Daß nur Pentheus und die thebanischen Frauen, die sich dem Gott widersetzt haben, von dessen selbstzerstörerischer Wirkung getroffen werden, während die lydischen Frauen in seinem Gefolge von ihr verschont bleiben, 51 zeigt jedenfalls eindeutig den Nexus zwischen Transgression und physischer Eliminierung, der das Verhalten des Gottes strukturiert und berechenbar macht. So hart und grausam die Sanktion im Falle Agaues erscheinen mag, sie ist doch nicht nur durch ihr Verhalten begründet, sondern auch im Vergleich zu Pentheus ihrem geringeren Vergehen angemessen. Ebenso ist ihre weitere primo obtutu befremdliche Behandlung durch Dionysos keineswegs willkürlich oder gar zynisch. Die lokale Eliminierung nach der von ihm veranlaßten grausigen Tat begründet Dionysos in einer von Diggle in die Fragmente verbannten Partie mit der Blutschuld der Mordtat, die gegen den Verbleib der Mörder am Grab des Getöteten spreche (v. 1674- 1677). Hier zeigt sich, daß die philologischen Unsicherheiten, welche die Textgestaltung des Dramenschlusses behaften, jenseits von Pentheus’ eindeutigem transgressiv-eliminatorischem Schicksal bei Agaue und Kadmos eine klare, abschließende Deutung der Tragödie erschweren, die den Interpreten in den Punkten der theologischen Ethik und Rationalität so viele Rätsel aufgegeben hat. Diese Dionysos’ Anordnung mag auf den ersten Blick ungerecht, ja zynisch wirken, weil der Gott eine Transgression an Agaue ahndet, die er selbst herbeigeführt hat, 52 sie also abermals nach der Instrumentalisierung als Werkzeug der Rache zum Objekt macht (eine Indienstnahme, die von Kadmos durch ihre Einbeziehung in die kollektive Mißachtung des Gottes erklärt wurde). Und doch wird so nur der aus dem OT (s. 2.4.5 Transgression und Orakel in der Interpretation dieser Tragödie) bekannte eherne Nexus zwischen physisch eliminatori- 50 , / ’ . 51 Hans Diller, Die Bacchen und ihre Stellung im Spätwerk des Euripides. AAWM 1955, 5, S. 453-471, h. 456 (6). 52 Unter Zynismus wird hier die Indienstnahme eines Negativums verstanden, das man selbst an einem anderen herbeigeführt hat, um diesen in Praxis oder Argumentation mit einem weiteren Negativum zu affizieren. Der Betreffende ist also in beiden Situationen das Subjekt und der andere das Objekt, während im Falle der Tragik der Betreffende performatives Subjekt und Objekt zugleich ist. Da die Verantwortung für die (vermeintliche) Devianz und die anschließende Sanktion im Falle des Zynismus ganz bei einem anderen liegen, stellt er nachgerade die Pervertierung der geschilderten Verantwortlichkeitskonstellation der Tragik dar. Dieses enggefaßte Verständnis von Zynismus scheint ein Unikum innerhalb der reichen Geschichte dieses Begriffs in der Neuzeit zu sein, die - entsprechend dem antiken Vorgänger - die Verachtung für Normen und Werte als gemeinsamen Nenner hat (vgl. Walter Tinner, Art. Zynismus. HWP 12 (2004) 1549-1556) und damit eher allgemein das in den Blick nimmt, was der hier vorgestellte Zynismusbegriff als Negativum bezeichnet oder präziser auch aus der Perspektive des handelnden und argumentierenden Zynikers als transgressive Integritätsverletzung einstufen könnte. 500 scher Transgression und lokaler Eliminierung affirmiert, der auf der Faktizität der Transgression basiert und damit die interpretatorische Reichweite der Transgression illustriert. Kadmos, der sich doch klug dem Dionysoskult mit opportunistisch-euhemeristischer Argumentation (vgl. Conacher 1998: 22) angeschlossen hat, 53 wird ebenfalls in die Kollektivstrafe einbezogen (v. 1303-1305), weil er nun ohne männliche Nachkommen und ohne den Schutz seines Enkels vor Anfeindungen aus der Stadt weichen müsse (v. 1305-1315). Er wird also faktisch wie seine Tochter lokal eliminiert. Doch ist dies keine Anordnung des Dionysos, sondern nur eine Folge von dessen Sanktionen und überdies als subjektive Figurenüberlegung bloß Teil der Binnenhermeneutik und nicht der faktischen Handlungsverkettung. Sofern die unsichere Textkonstitution überhaupt eine Aussage zuläßt, beschränkt sich Dionysos’ Rolle auf eine Vorhersage, die, ohne die räumliche Eliminierung negativ in den Blick zu nehmen, Kadmos’ weiteres Schicksal mit positiven und nachgerade phantastischen Elementen ausmalt (v. 1330-1339), die Kadmos’ Vertrauen auf den wunderbaren Gott nachträglich rechtfertigen, und mit der Entrückung in die Gefilde der Seligen beschließt. Die Unerbittlichkeit, mit der Dionysos auf eine Kränkung reagiert, die ihm in der Vergangenheit irrtümlich von einem Kollektiv zugefügt wurde (v. 1347: ), zeigt sich besonders gut im Dialog mit Kadmos und Agaue, unmittelbar nachdem er Kadmos’ weiteres Geschick vorhergesagt hat (v. 1344-1351). Sie ist der Etablierung seiner göttlichen Abkunft geschuldet; hätten die Thebaner sie anerkannt, wäre Dionysos ihr mächtiger Verbündeter geworden (v. 1340-1343). Daß sie von den Bühnenfiguren als ihrerseits übermäßig kritisiert wird (v. 1346: ), stellt das gesamte theistische Restaurationswerk der Tragödie zumindest moralisch in Frage, zumal Kadmos eine Überlegenheit der Götter in der Affektkontrolle anmahnt (v. 1348: ) und Dionysos sich nicht wie sonst ein Gott auch der griechischen polytheistischen Religion (s.u.) durch das Anflehen umstimmen läßt (v. 1344: ). Mit dem Rückgriff auf seinen Vater Zeus in seiner Replik affirmiert Dionysos letztmalig und endgültig seine göttliche Identität (v. 1349). Dies zeigt sich daran, daß Agaue und Kadmos im nachfolgenden Schlußteil, wenn auch klagend, seine letzten Worte, die einen Appell enthalten, sich in das Unabänderliche zu fügen (v. 1351), befolgen und in die Fremde abgehen. Kadmos übernimmt dabei die Deutung des Gottes, ihr Schicksal erwachse aus der religiösen Mißachtung des Gottes (v. 1377 f.; s.o.). Die Schlußszene manifestiert also eindrucksvoll epiphan Dionysos’ Göttlichkeit. Dies geschieht auch dadurch, daß er die Deutungshoheit über das Geschehen und die Verfügungsgewalt über dessen weiteren Verlauf behauptet. Hier ist also auch der Schlußpunkt seiner metatheatralischen Manifestation. Daß dies gegen massiven menschlichen, teils moralisch argumentierenden Widerstand geschieht, zeigt zum letzten Mal von einer weiteren Seite, wie fragil seine Position in Theben ist. Doch stellt er nicht nur seine Göttlichkeit, sondern auch seine Gerechtigkeit (und damit seine moralische Integrität) durch den Nexus von 53 Für „die tragi-komische Doppelqualität“ dieser Szene s. Seidensticker 1982: 116-123. 4. Euripides’ 4.5 Tragik 501 Transgression und Eliminierung und die dabei waltende Proportionalität unter Beweis und ordnet so die sozialen Verhältnisse in Theben. Dabei kommt dieselbe Verfahrensweise wie bei Medea zum Einsatz, die Eliminierung. Der Unterschied zur Enkelin des Helios besteht darin, daß Dionysos die prominenten Akteure nicht physisch, sondern nur lokal eliminiert und seine Anordnungen mit legislatorischer Autorität als Sanktionen verkünden kann. Anders als Oidipus am Ende des OT trifft er deshalb keine positiven Anordnungen. Das einzige positive Ziel seines Handelns liegt darin, seiner Göttlichkeit zur Geltung zu verhelfen, was ihm auch durch die geschilderten Maßnahmen durchaus gelingt. Die im Prolog verkündete theoideologisch-theophane Mission ist damit erfüllt. Diese ringkompositorische Geschlossenheit schließt Handlung und Deutung und verhindert, daß die Tragödie in eine ratlos-vage Offenheit wie am Ende von Euripides’ Medea der Fall diffundiert, als die Titelheldin nach Athen flieht und im unüberbrückbaren Dissens mit Iason auseinandergeht. Anders als bei Medea, die sich eingangs leidvoll im Hause verschloß, ist Dionysos’ Souveränität, da in seiner (größeren) Göttlichkeit begründet, von Beginn an der Fixpunkt und das Rückgrat der Handlung. 4.5 Tragik Die Komplizenschaft, welche der Prolog mit dem Rezipienten metatheatralisch herstellt und die ihm den Panoramablick des Gottes über dem Geschehen gewährt, ist gewiß ein probates Mittel, um Dionysos’ im Stück hartumkämpfte Göttlichkeit zumindest bühnenpragmatisch zu sichern und auch zum Fluchtpunkt der Handlung zu machen. Der Rezipient gewinnt so einen Wissensvorsprung gegenüber den Bühnenfiguren, der sie in ihrem Handeln und Leiden, das vor einem wesentlich beschränkteren Informationshorizont geschieht, entweder als töricht-verblendete Transgressoren oder hilflose Opfer göttlichen Trugs erscheinen läßt. Diese Sichtweise ist mit Tragik schwer vereinbar oder lenkt sie in fragwürdige Richtungen. Ob der textlich manifeste Auftritt des Gottes im Prolog als derartiges Mittel der Rezeptionslenkung mit Blick auf die Bühnenfiguren verstanden werden kann, scheint mir gleichwohl fraglich. Gewiß, nötig wäre er nicht, schafft doch bereits der Mythos einen ähnlichen Wissensvorsprung, der, wie im OT gesehen, das Agieren der Bühnenfiguren schnell als verfehlt erscheinen läßt, ohne daß eine genaue Analyse der Handlung diesen Eindruck hätte bestätigen können. Insofern kann man kontrastiv Dionysos’ Auftritt als gezieltes dramaturgisches Mittel der Rezeptionslenkung werten. Doch deren primärer Adressat ist der Rezipient. Angesichts der oben angedeuteten aktuellen Bezugsmöglichkeiten (s. 4.4 Transgression und Eliminierung) scheint es plausibel, daß die durch die Explizitheit des Prologs erzeugte Evidenz von Dionysos’ Göttlichkeit primär auf die Ansichten des Bühnenpublikums zielt, vielleicht auch um den Tragiker selbst gegen den Asebievorwurf zu feien, der jenseits des Mißerfolgs im tragischen Agon lebensgefährliche juridische Konsequenzen nach sich ziehen konnte, wie bereits vor Sokrates’ Ende Anaxagoras’ und Protagoras’ Flucht Euripides zeigen konnte. Wie in den Bakchen konnte die Transgression der Asebie also in Athen die lokale und physische Eliminierung zur Folge ha- 502 ben. Auch wenn Euripides die Bakchen in Pella vor 406 v.Chr. noch vor Sokrates’ Tod schuf, dürfte ihn bei der Abfassung schwerlich der Wunsch geleitet haben, es seinen Dramenfiguren gleichzutun. Selbst wenn solche eher spekulativen Überlegungen über persönliche Erwägungen rezeptionsästhetische Aspekte bei der Frage nach der Tragik nicht diskreditieren können und sollen, tut man wohl gut daran, sie hauptsächlich anhand von Dramentext, Binnenhermeneutik und Handlungsstruktur anzugehen. Doch bereits die Figurenkonstellation unterminiert die Autorität und damit die Legitimität seines Handelns und das tragische Potential der königlichen männlichen Hauptperson, weil Pentheus wie Xerxes in Aischylos’ Persern mit autoritativen Alten und seiner Mutter kontrastiert, während eine Frau an seiner Seite fehlt. Vor allem schränken die theoideologisch-theophane Agenda und Gestaltung der Tragödie den Spielraum für die beiden Formen der Tragik ein, welche diese Arbeit zugrunde legt, die handlungsstrukturell bedingte situative Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts und den Integritätenkonflikt. Dionysos opfert zwar die physische Integrität eines Anverwandten seiner sozialen Integrität, doch vom Handlungsschema des tragischen Integritätenkonflikt unterscheidet er sich dadurch, daß diese Tat keine Transgression ist, sondern die religiöse Transgression des geopferten ahndet, welche dieser gegen Dionysos’ angeborene Göttlichkeit begangen hat. Im Falle seiner thebanischen Kontrahenten, v.a. der Hauptpersonen Pentheus und Agaue, schafft die theoideologische Agenda eine Schieflage an Legitimität zwischen Gott und Menschen und engt den Raum für legitimes Handeln und damit auch für einen Integritätenkonflikt ein. Mehr noch steht die theophan-metatheatralische Durchdringung des Geschehens durch Dionysos, der als göttliches Suprasubjekt auf der Bühne agiert, einer Einschränkung der Subjektsfunktion durch Handlungsstruktur und menschliche Interaktion, wie wir sie aus dem OT und Euripides’ Medea kennen, primo obtutu entgegen. Deshalb muß der Handlungsstrang von Pentheus’ Eliminierung, die sowohl er wie seine Mutter unter dem Einfluß einer Bewußtseinsmanipulation ins Werk setzen, die Dionysos veranlaßt hat, aus dem Bereich des Tragischen ausgeschlossen werden (im Falle des Pentheus liegt hierbei auch keine Transgression, sondern deren eliminatorische Sanktionierung vor). Daß die Verwandten einander nicht kennen (Pentheus’ Anagnorisis kommt zu spät) und töten, ist anders als bei Laios’ und Oidipus’ Zusammentreffen am Dreiweg im OT (vgl. 2.3.6 Fazit und die alles sehende Zeit in der Interpretation dieser Tragödie) eindeutig das absichtliche Werk eines Gottes und nicht die zufällige Folge ihrer und anderer Menschen Handlungen. Auch Pentheus’ vorangehendes ahnungslos verleitetes Stolpern auf den Kithairon, bei dem er von einem souveränen Kontrahenten und dramatischen Subjekt zu Dionysos’ Objekt und Spielzeug herabgesunken ist und Dionysos willig in sein Verderben folgt, ist deshalb nur ein Fall tragischer Ironie. Der Handlungsteil, der am ehesten als tragisch eingestuft werden kann, ist sicherlich Pentheus’ Theomachie vor seinem Sinneswandel (v. 810). Ihn kann man mit gutem Recht als Peripetie ansehen, weil Pentheus’ transgressiver Widerstand gegen Dionysos zusammenbricht und seine Zusammenarbeit mit dem unbekannten Gott einleitet, die in der Eliminierung auf dem Kithairon gip- 4. Euripides’ 4.5 Tragik 503 felt, da er hier fremdbestimmt agiert und seinen Status als ethisch-rationales Subjekt eingebüßt hat. Dieser ist aber eine Grundvoraussetzung der Tragik und der vollständige Verlust des Subjektsstatus etwas anderes als dessen situative Dysfunktion, die für die Tragik charakteristisch ist, Auf die Theomachie, die Pentheus vor seinem Sinneswandel gegen Dionysos ficht, beschränkt sich seine Rolle als dramatisches und ethisch-rationales Subjekt. Denn sein Tod läßt ihm wenig Gelegenheit, in der Anagnorisis wie etwa Oidipus im OT (s. 2.3.4 Phase drei: Iokaste in der Interpretation dieser Tragödie) den Status eines ethisch-rationalen Subjekts wiederzuerlangen bzw. danach unter Beweis zu stellen. Seine Einsicht bleibt vital-opportunistisch, weil er bloß kurz vor seinem Tod seine Mutter um Schonung bittet (v. 1120 f., Wortlaut s. 4.4 Transgression und Eliminierung). Dagegen wird die Einsicht in die Göttlichkeit nur in einer in cruces stehenden und sprachlich schwierigen Stelle (Dodds, der eine andere Deutung vertritt, a.l.: „Text and sense uncertain“) des vierten Standliedes in Werners Übersetzung 54 vorhergesagt (v. 1002 f.). 55 Da sein Verhalten binnenhermeneutisch auch schon während der theomach-transgressiven Phase vielfach als Transgression charakterisiert wird (s. 4.4 Transgression und Eliminierung), liegt hier eindeutig das erforderliche faktische Substrat für Tragik vor. Doch daß diese Deutung mit Appellen, Dionysos als Gott anzuerkennen, und Warnungen vor der Eliminierung einhergeht, nährt eher Zweifel an Pentheus’ Status als ethischrationales Subjekt. Der klare Nexus von Transgression und Eliminierung, den auch Dionysos in der Schlußszene affirmiert, ist ein generisches Merkmal der Tragödie, nicht aber der Tragik. 56 Das Profil der Binnenhermeneutik erweckt den Eindruck, daß hier ein verblendeter Frevler sein verdientes Ende findet, es läge also ein ‚Sheriff-Automatismus‘ von Transgression und restaurativ-sanktionierender physischer Fremdeliminierung des Transgressors vor, der sonst auf das Epos beschränkt ist (Freiermord der Odyssee) und sich in keiner der bislang untersuchten Tragödien nachweisen ließ (Näheres s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention der Einleitung). Er ist aber im theomach-theophanischen Rahmen dieser Tragödie keine Simplifikation im Sinne einer plumpen Befriedigung eines Sanktionsbedürfnisses, da sich die Transgression gegen einen Gott und nicht bloß einen Menschen richtet und damit die gesamte Weltordnung in Frage stellt und nicht bloß ein soziales Gefüge erschüttert. Mit der Bestrafung des törichten Frevlers, der schwerlich als ethisch-rationales Subjekt gelten kann, läge vielmehr eine poetische Gerechtigkeit vor, die allerdings jedweder Tragik den Boden entzöge. In Pentheus’ vermeintlichen subjektiven Unzulänglichkeiten liegt auch das entscheidende Defizit von Radkes Deutung, die Bakchen wiesen eine Tragik im Sinne von Aristoteles’ Poetik auf. Radke 2003: 34-38, v.a. 36 57 präpariert dabei Pentheus wegen seiner tragischen als tragische Hauptperson des Dra- 54 „Dem wird, ging Warnung fehl, im Tod klare Erkenntnis in Göttliches“. 55 / / […]. 56 Auch Radke 2003: 35 nennt es „strittig“, „ob man annehmen kann, die Tragik resultiere allein aus dem von Anfang an evidenten Fehlverhalten des Pentheus.“ 57 „Die Bakchen schließlich sind eine Pentheus-Tragödie, weil nur auf Pentheus […] zutrifft, daß er durch eine bestimmte, fehlerhafte Handlungsentscheidung in großes Unglück gerät.“ 504 mas heraus. Eine solche klassisch-aristotelisierende Interpretation wäre v.a. wegen der breiteren Semantik von mit dem hermeneutischen Instrumentarium der vorliegenden Arbeit durchaus kompatibel: Aristoteles’ bezeichnet nicht nur die objektive Normverletzung, wie sie hinter der religiösen Transgression der Bakchen steht, sondern berücksichtigt noch deren subjektive Seite, zu der das Verfehlen von Zielen gehört. Vornehmlich anhand von Schriften außerhalb der Poetik wird sie von der Forschung, auch der Marburger Schule, mit situativ-performativen Dysfunktionen ethisch-rationaler Kompetenzen in Verbindung gebracht. Sie lassen sich mit der handlungsstrukturell bedingten Dysfunktion eines ethisch-rationalen Subjekts korrelieren, die dem weiter gefaßten Tragikbegriff dieser Arbeit zugrunde liegt (s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung). Es wäre sehr vielversprechend, mit einem derartigen Konzept von zu untersuchen, welche Faktoren dazu führen, daß Pentheus Dionysos’ Göttlichkeit verkennt und so das objektiv Gebotene verfehlt. Die so ermittelten Faktoren würden dann die Tragik der handlungsstrukturellen Desubjektivierung erhellen. Dieser Ansatz soll im Folgenden auch verfolgt werden, wobei die Integrität sich zwanglos über Pentheus’ Ziele anschließt. Doch wie Arbogast Schmitt im Falle des OT (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie) verortet Radke die fälschlicherweise im Charakter (2003: 37). Die intellektuelle Filiation zeigt sich darin, daß Radke wie Arbogast Schmitt 58 dasselbe Zitat aus der Sophokles-Vita ( § 21, Z. 90-92) zur Fähigkeit dieses Tragikers heranzieht, eine Figur mit einem Halbvers oder einem einzigen Ausdruck zu charakterisieren (2003: 38). (Übrigens ist in diesem Zitat Sophokles’ Organisation von Situationen und Handlungen (d.h. die Handlungsstruktur und -konjunktur) grundlegend für die zitierte Figurencharakteristik ( ).) Radke expliziert dabei selbst das heuristisch-tautologische Dilemma (Näheres dazu s. den oben zitierten Unterabschnitt der OT-Interpretation) des Deutungsmusters ‚Charakter‘ (2003: 55): „Die Charakterisierung des Pentheus erfolgt nicht durch eine allgemein reflektierende Rede, sondern durch das, was Pentheus sagt und tut bzw. durch das, was von seinem früheren Verhalten berichtet wird.“ Passend zu dieser zirkulären Argumentation wählt sie mit geringen Ausnahmen (2003: 64) bei ihrer Erarbeitung von Pentheus’ Charakter nur Stellen aus der theomachen Phase, in der er noch als Subjekt agiert, und bestätigt damit die hier innerhalb des Dramenverlaufs vorgenommene Verortung der Tragik. Die Abhängigkeit von Schmitts im RhM vorgelegter OT-Deutung setzt sich noch darin fort, 59 daß Radke wie Schmitt beim Oidipus des OT (1988: 13 f., 22 58 Menschliches Fehlen und tragisches Scheitern. Zur Handlungsmotivation im Sophokleischen ‚König Ödipus‘. RhM 131 (1988) 8-30, h. 26. 59 Sie zeigt sich auch darin, daß Radke 2003: 136-143, v.a. 137 wie Schmitt (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation) in der Tradition des Aristoteles den Chor als Schauspieler interpretiert, doch muß auf diesen Aspekt hier nur soweit eingegangen werden, als er die hier vorgelegte Interpretation berührt. Diese Abhängigkeit wird auch von Anastasios D. Nikolopoulos erkannt (BMCR 2004.07.57 [„Radke’s veneration for Aristotle’s authority was obviously cultivated by the co- 4. Euripides’ 4.5 Tragik 505 f.) bei Pentheus eine Übereiltheit des Urteils (2003: 61) und vorschnelles Verhalten (2003: 62) ausmacht. 60 Hierfür kann sie nur einen Beleg aus der Binnenhermeneutik beibringen, nämlich zwei Verse, mit denen ein Bote Pentheus charakterisiert (v. 670 f.). 61 Diese Äußerung ist gleichwohl derart tief in den interaktionalen Kontext und das soziale Verhältnis eingebettet - der Bote läßt sich Straffreiheit für die schlechte Nachricht von seinem königlichen Herrn (entsprechend relativiert sich die Pentheus zugeschriebene Eigenschaft - ) zusichern, die er von den Mänaden auf dem Kithairon bringt -, daß man kaum ein allgemeines Urteil aus ihr ableiten möchte, das durch die Anlage des Dramas nahegelegt wird (als Mittel einer moralisierenden bühnenpragmatischen Rezeptionslenkung würde ich diese Verse dagegen ohne Vorbehalte anerkennen [vgl. v. 1150-52]). Wie Schmitt (1988: 28) weitet Radke die beim Protagonisten diagnostizierten negativen Verhaltensweisen auf die Mitspieler aus, wenn sie nicht nur bei Pentheus, sondern auch den Schwestern der Semele „übereilte Schlußfolgerungen“ und außerdem die mangelnde Bereitschaft, sich „durch evidente Fakten […] umstimmen“ zu lassen, ausmacht (2003: 56 Anm. 109). Den kognitiven Negativa stellt sie bei Pentheus als zweiten Zug eine „innere[n] Unruhe und Aufgeregtheit“ an die Seite (2003: 62). Wenn es sich hierbei wirklich um Charakterzüge des Pentheus handelte, so wäre er wegen dieser strukturellen Defizite kein ethisch-rationales Subjekt und a limine nicht tragisch. Und selbst wenn man nur sein (situatives) Handeln mit Radkes Attributen adäquat erfassen könnte, so kämen allein dadurch berechtigte Zweifel an seinem Subjektstatus auf. Zu ihrem Negativurteil gelangt Radke v.a. deshalb, weil sie das Handeln des Protagonisten von der Warte des Wissensvorsprungs betrachtet, den der Prolog der Mythos dem Rezipienten verschafft. Sie berücksichtigt nicht - zumindest nicht in ausreichendem Umfang - den eingeschränkten Wissenshorizont des Protagonisten, seine Position und die Situation, die erst im Zusammenspiel Pentheus’ fortwährende und sich sogar radikalisierende Asebie hervorbringen und seine Transgression damit zu einer tragischen machen. Eine solche pious writings of Arbogast Schmidt [sic! ] (seventeen items in the bibliography)“], vgl. in anderem Zusammenhang Gyburg Radke, Die Theorie der Zahl im Platonismus. Ein systematisches Lehrbuch. Tübingen 2003, 824 Anm. 823). Radkes These, der Triumph des Chores über Pentheus’ Tragödie sei „unangemessen und moralisch minderwertig“ (2003: 138), würdigt nicht in ausreichendem Umfang den Schrecken, den Pentheus’ Unterdrückung des Kultes und Inhaftierung seiner Anhängerinnen verbreitet. Ihr Urteil („Der Chor handelt inhuman und unmoralisch.“) wird durch das vermeintliche Mitleid des Zuschauers mit Pentheus (2003: 138 f.) nicht hinreichend gestützt, da die Rezeption individuell stark variiert und deshalb schwerlich eine belastbare Größe der Interpretation ist, sofern sie nicht an der Binnenhermeneutik textualisiert werden kann (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung). 60 Der Hinweis auf diese intellektuelle Filiation kann und soll Radkes Ansichten selbstredend nicht per se als falsch diskreditieren. Der Oidipus des OT liefert eine wertvolle Kontrastfolie für das Verständnis des Pentheus der Bakchen (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Selbst wenn man nicht Schmitts und Radkes negative Formulierung übernimmt, so soll weiter unten gezeigt werden, daß beide Monarchen in einer Krise der Polis gegenüber demselben Antagonisten Teiresias ähnlich (nervös und gereizt) reagieren. Diese interdramatische Parallele dürfte kaum auf Zufall beruhen. 61 ’ / . 506 Betrachtung wird auch zum Vorschein bringen, daß die intransigent-konsequente Haltung, die Pentheus trotz der zahlreichen Mahnungen und Warnungen an den Tag legt, kein Ausdruck einer Verstocktheit oder Übereiltheit ist, sondern sich nahezu logisch aus den drei vorgenannten Faktoren ergibt (Wissenshorizont, Position und Situation). Diese beiden grundsätzlichen Einwände schließen selbstredend nicht aus, daß Radkes Besprechung der theomachen Phase (2003: 55-65) treffende Einzelbeobachtungen enthält, die nachfolgend auch gewürdigt werden sollen. Pentheus’ Position innerhalb der Figurenkonstellation ist diejenige des Monarchen. Als solcher hat er ein rolleninhärentes Interesse an der Integrität der Polis, dem die grundsätzliche Rationalität schwerlich abzusprechen ist. Die Polis ist in seinen Augen in den Bakchen bedroht. Das ist die aktuelle Situation, deren Einzelheiten im weiteren Verlauf näher ausgeführt werden sollen. Die Gefahr betrifft nicht die physische Existenz ihrer Bevölkerung, die in Aischylos’ Persern militärisch und im OT epidemologisch dezimiert wurde, sondern die moralisch-kulturelle Identität und Integrität, 62 wobei diese bereits in den Persern bedroht ist (s.u.). Dies ist zumindest die Sichtweise, die aus Pentheus’ Lagebericht über das Ausschwärmen der Frauen ins Gebirge und ihre org(i)astischen Aktivitäten spricht (v. 217-225). Hierbei handelt es sich um eine lokal-evasive und soziale Transgression der weiblichen Rollen, während der angestammte Wirkungsbereich der Frauen das Haus wäre. Statt der Polis wird die Wildnis erobert. Durch den Auszug der Hälfte der Bevölkerung ist die Stadt nicht nur ideell, sondern wie im OT und in den Persern materiell bedroht, zwar nicht durch eine physische, sondern durch eine lokale Eliminierung, deren kollektiver Charakter sie topologisch zu einer Sezession macht, auch wenn deren politisches Programm von außen vorgegeben wird und sie nicht zur Befreiung führt (Näheres s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Pentheus’ Einleitungssatz läßt deutlich erkennen, daß er diese Entwicklung als Devianz und Gefahr für seinen Verantwortungsbereich, die Polis, ansieht (v. 216: ’ ). Daß er sich nicht (auch nicht im vorangehenden Eingangssatz) als Herr oder König der Stadt vorstellt, zeigt deutlich, daß es ihm (noch? ) nicht um bloßen Machterhalt oder Autoritätswahrung geht. Er handelt nun entsprechend seinen staatlich-polizeilichen Mitteln und seinem administrativen Horizont, indem er die Ausreißerinnen festnehmen und in Ketten legen läßt (v. 226-232). Auf die deviante Sezession reagiert die Seklusion, welche die deviante Bewegung unterdrückt (v. 228). Die Bakchen in Einzelgesprächen zur Rückkehr zu bewegen wäre wohl kaum, selbst wenn sie in Pentheus’ Augen nicht im Wahn befangen, sondern nur alkoholisiert sind, ein erfolgverheißender Ansatz. Auch in Rom reagierte die Staatsgewalt später mit ähnlicher Repression auf das Treiben der Bacchantinnen, das als staatsgefähr- 62 Für diese Scheidung der kollektiven Integrität in eine biologische und eine kulturelle Seite s. Verf., Platon, Popper und die Integrität - Versuch eines Neuansatzes mit Giorgio Agamben. In: Andreas Eckl, Clemens Kaufmann (Hgg.), Politischer Platonismus. Würzburg 2008, 151-165, h. 152 f. 4. Euripides’ 4.5 Tragik 507 dend angesehen wurde. 63 Daß Pentheus den Spuk, den er alsbald zu beenden hofft, mit dem Attribut versieht (v. 232), läßt deutlich erkennen, daß er hierin eine Transgression erblickt. Aber der König schreitet folgerichtig in Diagnose und Therapie voran: Als eigentlichen Urheber des Übels macht er nämlich einen Anstifter aus, einen Fremden, der aus Lydien komme. Bei ihm handelt es sich sensu stricto um einen Demagogen, einen Volk(sver)führer. Die secessio ist also in Wirklichkeit eine seductio. Pentheus apostrophiert den Fremden sogar als und (v. 233 f.), sieht also neben der rein politischen eine psychologische und im weitesten seine kulturelle Dimension hinter der Bewegung. Mit diesen beiden Ausdrücken verband man nämlich im antiken Griechenland die - durchaus kritisch gesehene - Faszination des Jammerns eines zumeist nichtgriechischen Mannes innerhalb und außerhalb des Theaters. 64 Sein anziehendes Äußeres mache ihm die Frauen sexuell gefügig (v. 235-238). Pentheus erkennt also die metatheatralische Rolle des Dionysos und seine faszinierende Ausstrahlung, der er schließlich selbst erliegen wird. Diesen eigentlichen Anstifter will Pentheus denn auch konsequenterweise härter bestrafen, und zwar mit Enthauptung (v. 239-242). Anschließend widerlegt Pentheus den ideologischen Überbau: Die Geschichte des Fremden, Dionysos sei ein Gott (v. 242), 65 hält Pentheus für eine , die des Strangs würdig sei (v. 242-247). Der inkriminierten Transgression korreliert also die Eliminierung. Die Rede, die Pentheus bei seinem Erstauftritt hält, wurde bis hierher so ausführlich wiedergegeben, weil in ihr die Grundhaltung für sein weiteres Handeln im Verlaufe des Stückes grundgelegt wird und seine Rede die innere Stimmigkeit und Konsequenz seines Denkens, Argumentierens und Handelns erkennen läßt, mit denen er auf das Bild, das sich ihm bietet, subjektiv angemessen reagiert. Der zuversichtliche Triumphalismus, der gegenüber Dionysos fast zynisch-sadistische Züge annimmt, ist eine Form der Genugtuung, die sich aus dem deviant-schockierenden Bild erklärt, das die dionysische Bewegung ihm bietet. Ihre deviante, kaum kommensurable, ja revolutionäre Alterität beeinflußt dabei das Handeln des Protagonisten in einer ähnlichen Weise und gleichfalls in eine transgressive Richtung wie die Monstrosität der Transgression im OT. Dieser objektiv-interaktionäre Faktor wird in Pentheus’ Fall noch durch situative verstärkt. Dadurch entfaltet die Begegnung mit dem Dionysischen für ihn eine Wucht des Aufpralls, die sich gut mit Bohrers Kategorie der Plötzlichkeit be- 63 Vgl. Liv. 39,8-19 v.a. 39,16,3 und das Senatusconsultum de Bacchanalibus aus dem Jahre 186 v.Chr. (Wortlaut s. Gerhard Meiser, Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache. Darmstadt 1 1998 = 2 2006 = 3 2010, 5-7). 64 Mark Griffith, The King and Eye: The Role of the Father in Greek Tragedy. PCPhS 44 (1998) 20-84, h. 51. 65 . Auch Dodds’ Kommentar a.l. vertritt ausdrücklich die Ansicht, daß für Pentheus der Fremde und Dionysos zwei verschiedene Personen seien. Radke geht dagegen davon aus, Pentheus meine, der Fremde behaupte, er sei der Gott Dionysos (2003: 57). Dem widerspricht nicht nur der weitere Verlauf des Dramas, in dem Dionysos sich Pentheus ausdrücklich als eine andere Person als der Gott darstellt, sondern auch die griechische Syntax: Ist das Subjekt des AcI mit demjenigen des regierenden Satzes identisch, wird es fortgelassen, wobei „adjektivische und substantivische Prädikatsergänzungen des Infinitivs“ im Nominativ stehen (KG II 29). sind jedoch unverkennbar Akkusative. 508 schreiben läßt. Diese subjektive Wirkung, aber auch die radikale Alterität des Dionysischen vermag ein Rückblick auf die soeben besprochene Rede des Pentheus zu zeigen: Wie ein anderer Monarch, der Theseus des Hippolytos und der Phaedra, 66 war Pentheus außer Landes (v. 215: ) und wird bei seiner Rückkehr mit schockierenden Neuerungen (v. 216: , vgl. v. 229 f.: / ) konfrontiert, die in seinem Fall die Polis und nicht den eigenen Oikos betreffen. Dieses rein situative Überraschungsmoment, das ihn vor vollendete Tatsachen stellt und unvermittelt auf das Dionysische in seiner entfalteten Form und Alterität stoßen läßt, ist nicht zum geringsten für seine Abwehr verantwortlich. Die Intransigenz, die er im Verlaufe des Stückes nicht nur zeigt, sondern auch im Zusammenspiel mit weiteren Erfahrungen entwickelt, ist auch durch die Unvermitteltheit bedingt, mit welcher das Dionysische auftritt, auch wenn Pentheus es bei seiner ersten Rede bloß vom Hörensagen kennt (v. 216: , 233: ). Doch auch objektiv betrachtet, bleibt dieses Phänomen wunderlich (v. 248: ), d.h. eine Devianz vom subjektiv Erwarteten, und hat es nichts, was den König für es einnehmen könnte. Einem Gott der Stadtmauer oder einer Göttin der Gerechtigkeit hätte Pentheus wohl ohne Zögern einen Tempel und ein Fest innerhalb der Stadtmauern gewährt. Doch die Dionysosriten sind das genaue Gegenteil eines solchen konformen und staatstragenden Kultus, da sie unter Anstiftung eines schönen Jünglings die Frauen außerhalb der Stadtmauern in die unzivilisierte Wildnis führen, wo sie statt ihren häuslichen Pflichten vermutlich allerhand Lustbarkeiten nachgehen. Radke nennt diese mit Blick auf die von Pentheus vermutete sexuelle Komponente treffend „subversive Elemente“, welche über den Ehebruch den Bestand der Familie bedrohten (zumindest - so muß man relativieren - im Patriarchat), einer „Basiseinheit des Staates“ (2003: 59). Fein beobachtet Radke, daß der Vorwurf, das Dionysische verbräme bloß sexuelles Fehlverhalten, 67 bereits von Pentheus’ Tanten gegen Semele vorgebracht wurde (2003: 56), und nennt ihn „eine ‚Familientradition‘“. Ob man diese genealogische Motivkorrespondenz allerdings tel quel wie Radke als teilweise Entschuldigung oder zumindest Plausibilisierung (und ihr damit die Funktion einer ‚Ehrenrettung‘ des Pentheus zuschreiben kann, die es zumindest offenhielte, sein Handeln als tragisch einzustufen) ansehen kann, scheint mir mit Blick auf die Rolle dieses Motivs im weiteren Verlaufe des Stückes nicht zwingend. Teiresias’ Hinweis, die Keuschheit hänge nicht von Dionysos, sondern der Natur ab (v. 314-318), ist wegen seiner sophistischen Terminologie ( ) 68 nicht recht geeignet, Pentheus’ Bedenken 66 Daß Artemis ihm im Hippolytos übereiltes (Ver-)Urteilen vorwirft, mindert die Plausibilität von Radkes und Schmitts Diagnose ‚übereiltes Urteilen und Handeln‘ für Tragödien, in deren Binnenhermeneutik sie fehlt, doch erheblich (v. 1320-25). 67 Den schlagenden Textbeleg, den Radke nicht anführt, bietet v. 224 ( ). 68 Vgl. sein Nutzenkalkül und seine rein intersubjektive Argumentation (s.u.) und Carmen M. Encinas Reguero, The Names of Dionysos in Euripides’ Bacchae and the Rhetorical Language of Teiresias. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 349-365, h. 361: „[…] Teiresias talks in Bacchae with an especial rhetorical language, very 4. Euripides’ 4.5 Tragik 509 zu zerstreuen. Widerlegt werden sie - ebenso wie Pentheus’ sympotische Befürchtungen - durch den Bericht des Boten vom Kithairon (v. 685-687). Sie sind damit ebenso gegenstandslos wie die Unterstellungen seiner Tanten, die über die Herkunft bereits Dionysos’ Göttlichkeit berührten. Bei ihnen wie bei Pentheus korreliert das Motiv der objektiv ungerechtfertigten Vermutung sexueller Transgressionen mit den Zweifeln an Dionysos’ Göttlichkeit, die ebenfalls sachlich nicht gerechtfertigt sind. Die den/ m anderen unterstellte sexuelle Transgression ist also ein Hinweis auf die eigene religiöse Transgression. Dieses feine intradramatische Gewebe ist jedoch ebensowenig wie Pentheus’ objektiver Irrtum geeignet, ihn subjektiv zu diskreditieren. Denn anders als seine Tanten, die bloß eine familiäre Schande wittern, sieht Pentheus entsprechend seiner Position als Monarch Gefahr für den Staat. Er stellt dabei keine bloßen Vermutungen an, sondern beruft sich auf Berichte. Der Nexus von Weingenuß, Sexualität und Dionysoskult ist mythologisch hinreichend belegt, wenn auch religionssoziologisch-empirisch in der jüngeren Forschung nicht gänzlich gesichert. 69 Insofern sind Pentheus’ Annahmen nicht per se abwegig, auch nicht für einen zeitgenössischen Rezipienten. Daß sie sich als unbegründet erweisen, ist, wie dargelegt, Teil der theoideologischen Agenda des Dramas. Erschwerend für eine wohlwollende Aufnahme des Dionysoskultes kommt hinzu, daß er in Pentheus’ Augen von einem Menschen eingeführt wird, der aus dem östlichen Ausland stammt (v. 234 f.). Daß hier wie im Einleitungsvers von Pentheus’ Rede am Versende steht, macht augenfällig, daß es bei dem Konflikt zwischen Pentheus und dem Fremden wie bei Xerxes’ Griechenland- Invasion (s. 1.4 Transgressive Zwangssemiogenese und ihr Scheitern in der Perser-Interpretation) um die Definitionshoheit über die kulturelle Identität eines territorialen signifiant geht. Seine Herkunft aus Lydien korreliert in Pentheus’ Rede mit seinem verweichlichten Äußeren (v. 235) und bestätigt zusammen mit den Lustbarkeiten der Frauen sämtliche griechischen Klischees über Schwelgerei und Wohlleben, welche den östlichen anatolischen Nachbarn nachgesagt wurden (s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung und 1.10 Botschaft und Wirkung sowie ein neues Bild domestizierter ethnischer Alterität in der Perser-Interpretation). Der Dionysoskult erscheint in Pentheus’ Augen also wie eine orientalische Dekadenz. Er stammt nicht bloß - auch nach dem früheren Aufenthaltsort des (An)Stifters - objektiv aus dem Ausland, sondern ist auch kulturell anders und dadurch geeignet, subjektiv fremd zu wirken und Befremden und Ablehnung hervorzurufen. Pentheus’ Widerstand gegen die dionysische Bewegung und die Einführung eines entsprechenden Kultes ergibt sich also aus typical of the sophistic movement in the 5 th century BCE and which moves him away from his traditional role.“ 69 Vgl. Renate Schlesier, Art. Dionysos. DNP 3 (1997) 651-662, h. 654 f. Silvia Porres Caballero, Maenadic Ecstasy in Greece: Fact or Fiction? In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 159-184, h. 180 f. arbeitet sogar heraus, daß erst nach dem Vorbild von Euripides’ Tragödie die Kultpraxis der folgenden Zeit ekstatischer geworden sei. Dies gelte auch für Weinkonsum und Trunkenheit (2013: 173). Über die in den Bakchen heißdebattierte sexuelle Freizügigkeit schreibt sie nichts. 510 den Zusammenspiel von dessen befremdlichem und unvermitteltem Auftreten mit seinem Wissens- und Erfahrungshorizont sowie den Integritätsinteressen, die aus seiner sozialen Position erwachsen, und damit rational und ist nicht Ausdruck unreflektierter xenophober, misogyner oder grundlegend innovationsfeindlicher Reflexe, wie man bei einem Blick auf die Oberfläche seiner Argumentation annehmen könnte. Seine Verkennung von Dionysos’ Göttlichkeit ist somit bis hierher eine Transgression, die auf einer Einschränkung seiner Funktion als rationales Subjekt beruht, die sich aus der Handlungsstruktur ergibt, und damit als tragisch eingestuft erden kann. Dieses vorteilhafte Bild droht Pentheus’ Umgang mit Teiresias und Kadmos im folgenden gründlich zu stören. Beide sind durch ihr Alter Autoritäten, Kadmos dabei zusätzlich dadurch, daß er Pentheus’ Großvater ist. Als Seher ist Teiresias außerdem eine religiöse Autorität. Daß er das Hauptplädoyer für Dionysos hält, überträgt seine religiöse Autorität auf den neuen Gott. Doch Pentheus ignoriert dieser beiden Autoritäten Appelle, sich Dionysos’ Kult anzuschließen und ihn als Gott aufzunehmen (v. 312 f., 330). Daß er auf die ausführliche Argumentation der beiden Alten und ihre wohlmeinenden Ratschläge nur mit Anordnungen statt mit Argumenten reagiert (v. 343-357) und sogar einem Diener den Befehl gibt, Teiresias’ Sehersitz umzustürzen (v. 346-351), scheint ihn vollends als unbelehrbaren und gewalttätigen Wüterich zu diskreditieren, der intellektuell bankrott ist und nicht nur vor einem fremdländischen und gewiß fremdartigen Kult, sondern auch selbst vor der epichoren, traditionellen Religion und ihren apollinischen Vertretern und Formen keinen Respekt hat und einen nachgerade totalitären Gefolgschaftsanspruch erhebt und rücksichtslos und brutal durchzusetzen sucht. 70 Auch Radkes Analyse, Pentheus handele übereilt, scheint hier zu verfangen (tatsächlich streift ihre Charakteristik des Pentheus diese Szene nur am Rande). Doch gemach. Ein aggressives und teils intransigentes Verhalten gegenüber Teiresias zeigen auch bei Sophokles Oidipus im OT und Kreon in der Antigone. Beide sind dadurch noch nicht als Schurken abqualifiziert, deren Sturz ein Fall poetischer Gerechtigkeit wäre, sondern entpuppen sich im Verlaufe der jeweiligen Tragödienhandlung als tragische Figuren. Gewiß variiert die Handlungs- und Konfliktkonstellation in allen drei Tragödien beträchtlich, und gewiß teilt Pentheus (v. 255-257) mit Oidipus (v. 380-389) und Kreon (v. 1047) den ad hominem zielenden Vorwurf, Teiresias strebe nach persönlichem Vorteil. Gleichwohl treibt alle drei bei ihrem Konflikt mit Teiresias mehr als bloße herrscherliche Paranoia oder Misanthropie, nämlich die Sorge um die Integrität der Polis. Tatsächlich bietet Kadmos’ und Teiresias’ Argumentation wenig, um ihm diese Sorge zu nehmen oder ihn überhaupt zu überzeugen. Wenn Teiresias meint, Dionysos freue sich über Verehrung wie Pentheus über öffentlichen Beifall (v. 319-321), so beweist dieser intersubjektiv-empathische Rückgriff auf die regula aurea (Mt 7.12) in keiner Weise seine Göttlichkeit. Dies gilt noch mehr für Kadmos’ rein opportunistisches Nutzenkalkül, Dionysos’ vorgebliche Göttlichkeit bringe der Stadt Prestigegewinn (v. 333-336). Teiresias’ Ausführungen über die mantische Dimension des Dionysischen replizieren zwar auf Pentheus’ 70 So auch Radke 2003: 57 zum Auftrittsmonolog des Pentheus. 4. Euripides’ 4.5 Tragik 511 Unterstellung, er erhoffe sich nur Prestigegewinn (v. 298-309), doch gerade weil sie Apollinisches und Dionysisches so einsichtsvoll wie sonst nirgends in der Tragödie versöhnen (Näheres s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung), zielen sie in ihrer visionären Kraft über Pentheus’ Horizont hinaus. Diesem und seinen soeben angeordneten polizeilichen Mitteln entspricht durchaus Teiresias’ Warnung, Dionysos werde Schlachtreihen in Panik versetzen (v. 302-305). Kadmos’ warnender Verweis auf Aktaions Schicksal (v. 337-340) könnte Pentheus zu denken geben und wird sich im Verlaufe des Stückes grausam bewahrheiten. Indes liegt Pentheus nichts ferner, als mit Dionysos in dessen Kompetenzfeldern in Wettstreit zu treten, wie Aktaion es mit Artemis tat (v. 339 f.). Tragische und dramatische Ironie und Naivität sind eben etwas anderes als Tragik. Doch sind alle mahnenden Worte, so vernünftig sie einem äußeren Betrachter auch erscheinen mögen (darauf scheint auch die Anlage des Stückes zu zielen, indem sie die beiden Alten schon vor Pentheus auftreten, dessen Rede mithören und auf sie eingehen läßt), deshalb zum Scheitern verurteilt, weil der Auftritt und Aufzug der beiden Alten ihre Wirkung auf Pentheus konterkariert. Als Pentheus sie am Ende seines Eingangsmonologs wahrnimmt, sind sie beide als Jünger des Dionysos mit entsprechenden Attributen kostümiert (v. 249: , v. 251: , v. 253: , v. 254: ). Gerade das Rehfell ist ein Attribut und Indiz präzivilisatorischer Primitivität, die den Dionysoskult lokal in der Wildnis des Kithairon ausmacht. Bei den Griechen trugen Felle nur (Halb-)Götter wie Herakles. In Tacitus’ Germania ist der Pelzbesatz der germanischen Kleidung mit Fellen exotischer Tiere ein Kennzeichen der barbarischen Ursprünglichkeit (17,1). Dieser Anblick der beiden Alten wirkt auf Pentheus verwunderlich (v. 248: ) und lächerlich (v. 250: ). Das Aussehen und Verhalten der beiden alten Männer entspricht ganz und gar nicht den Rollenerwartungen, die mit ihrer Position und ihrem Alter verknüpft sind (v. 252), das sie allein vor Strafverfolgung schützt (v. 258). Vor Pentheus’ Auftreten hatten sie selbst sich über diese Diskrepanz ausgetauscht (v. 204- 209). So kommt es, daß sie in Pentheus’ Augen ihre Autoritäten durch das Dionysische verlieren, statt ihre Autorität auf das Dionysische zu übertragen. Diese Szene läßt das Dionysische für Pentheus als noch gefährlicher erscheinen. Offensichtlich ist es in der Lage, nicht nur Frauen zu verleiten, sondern auch respektable Alte zu infizieren, die danach streben, es auf Pentheus zu übertragen. Wie bei einer ansteckenden Krankheit verwahrt sich dieser gegen die Bekränzung, die Kadmos ihm anträgt (v. 341-343). Wie die Seuche im OT für die biologische Existenz der Polis, so ist dieses geistige Virus eine Bedrohung für deren kulturelle Integrität. Diese epidemologische Perspektive findet einen Rückhalt in Pentheus’ Reden. Erstmals nach dieser Szene spricht er von einer neuen Seuche, die der Fremde den Frauen bringe (v. 353 f.: / ). Um so dringlicher wird es also, seiner habhaft zu werden und ihn zu beseitigen (v. 355- 357). Doch für die folgende Begegnung mit Dionysos und überhaupt den Fortgang des Dramas hat die Szene mit den beiden Alten für Pentheus gravierende Konsequenzen. Der Eindruck, die dionysische Bewegung sei ein kontagiöses Virus, schränkt seine Bereitschaft zur Kooperation und zur Erkenntnis von Dio- 512 nysos’ Göttlichkeit ein. Dessen schlagende Beweise, die Wunder, drohen nur die Meinung zu verfestigen, es handele sich um etwas gefährlich Irrationales. Noch gravierender ist der Umstand, daß Pentheus kein ebenbürtiger Berater mehr zur Seite steht, der ihn glaubwürdig zur Umkehr mahnen könnte. So tritt er Dionysos und seinem Gefolge allein mit seinem anonymen militärisch-administrativen Apparat entgegen. 71 Wie bei Oidipus und Medea ist die soziale Isolation, wenn auch gewiß unter jeweils verschiedenen Vorzeichen, eine wichtige Voraussetzung für die tragische Transgression. Durch die Einsamkeit an der Spitze des Staatsapparates handelt Pentheus gewiß auf einer phänomenologischen Ebene unbeirrt, doch diese Einschränkung seiner Fähigkeit zu rationalem Handeln ist das Produkt der Interaktion seiner Eindrücke mit seiner sozialen Umwelt. Die Ansicht bestätigt sich also, daß sein Frevel auf einer handlungsstrukturell bedingten Einschränkung seiner Subjektsfunktion beruht und damit als tragisch einzustufen ist. Das gilt übrigens auch für die Aufgeregtheit und Übereiltheit, die Radke in Pentheus’ Handeln ausmacht. Nicht Pentheus handelt übereilt, vielmehr überstürzen sich die Ereignisse, die Dionysos und sein Gefolge inszenieren und auf die Pentheus nur noch hastig und ohne ausreichende Bedenkzeit reagieren kann - anders etwa als Cäsar in Sallusts Coniuratio Catilinae, der ruhig und mit ausreichendem Abstand zum revolutionären Geschehen in der Kurie sitzt, weil - anders als die Unruhestifter in den Bakchen - die Catalinarier sicher im Kerker inhaftiert sind, und in dieser komfortablen Situation für Besonnenheit und Mäßigung plädieren kann (51,1-4). Bereits die wundersame Flucht der inhaftierten Bakchen (v. 443-450), die ihm derselbe Diener berichtet, der ihm Dionysos bringt, und die selbst in den Worten des Dieners aufgrund der Wunder die Übermenschlichkeit des Gefangenen andeutet, kann Pentheus nicht adäquat verarbeiten, weil - wie im Falle der Alten - das Aussehen des Dionysos seine Wahrnehmung des Dionysischen in eine bestimmte Richtung lenkt (v. 453-459). Es bestätigt nämlich seine sexuellverführerischen Vermutungen (v. 487) und überdeckt so die Reflexionsimpulse, die eigentlich von den Wundern ausgehen. Statt dessen beginnt Pentheus die systematische Befragung des Gefangenen, der ja die neuen Übel erst eingeschleppt hat, und erkundigt sich folgerichtig nach seiner Herkunft, seinem Kontakt mit Dionysos und dem genauen Inhalt der Riten, 72 deren Auskunft Dionysos ihm jedoch verweigert (v. 474). Anders als in Szenen im Epos (z.B. h. Ven. 5.176-190) gibt der Gott sich nicht zu erkennen und ist durch sein Aussehen auch nicht leicht als solcher zu identifizieren. 73 Ausdrücklich stellt er Dionysos 71 Nina Schwartz arbeitet dazu passend heraus, daß auch Pentheus in der Tragödie als Fremder auftrete und als Fremder wahrgenommen werde und auch agiere (Under the Spell of the Dionysian: Some Meta-tragic Aspects of the Xenos Attributes in Euripides’ Bacchae. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 301-328, h. 313- 317). 72 Anders als Radke 2003: 59 kann ich aus v. 451 ff. nicht ersehen, daß Pentheus sich auf seine „Geistesschärfe […] so viel einbildet“. 73 So auch Bierl 1991: 187 zur Folge seiner Verkleidung. Sein Hinweis (Anm. 29), „daß die Götter grundsätzlich nicht in ihrer eigentlichen Gestalt den Menschen gegenübertreten können“, wird dadurch zumindest für den Dramenverlauf relativiert, daß die Verstellung und das Er- 4. Euripides’ 4.5 Tragik 513 als einen von ihm selbst verschiedenen vor (v. 466). Diese Verstellung und Verschleierung der eigenen göttlichen Identität beläßt Pentheus in seinem Irrtum und führt ihn noch weiter in die Irre. Dionysos’ Appelle und Warnungen (v. 490, 502, 507) wirken deshalb kryptisch und vermögen Pentheus nicht zur Umkehr zu bewegen. Der Widerstand, der sich in Pentheus’ Augen auch gegen Thebens Autorität richtet (v. 503), scheint ihn anzustacheln, erstmals in völliger Verkennung der Sachlage seine Position zu behaupten und sich für bedeutender als sein göttlicher Widersacher zu erklären (v. 505: ). Bislang hatte nur Teiresias Pentheus gewarnt, seine Macht zu überschätzen (v. 310-312). Abermals ist die Interaktion mit der sozialen Umwelt nicht geeignet, Pentheus’ Einsicht in Dionysos’ Göttlichkeit anzustoßen, sondern läßt ihn die religiöse Transgression in Gegenwart und Verkennung des Gottes noch verschärfen, dem er bislang unbekannterweise die Ehren verweigert hat. Immerhin nimmt er den Fremden nur in Haft (v. 509-511) und sieht von seiner vormaligen Tötungsabsicht ab. Hierbei liegt eine ähnliche interaktionäre Mäßigung wie bei der Szene mit den beiden Alten vor. An ihrem Anfang legt der Nachdruck seiner Rede doch nahe, daß er die Aufforderung an Kadmos, den Thyrsosstab fortzuwerfen, mit dem Versuch begleitet, ihm diesen zu entreißen (v. 253 f.) (übrigens seine erste physische Aggression gegen das Dionysische auf der Bühne). Doch läßt er seinen Großvater am Ende widerwillig-angewidert ziehen (v. 343). Indes ist nach dem Abschneiden der Haarlocke und der Fortnahme des Thyrsos im Verlaufe der Szene (v. 493-495) die Inhaftierung die erste physische Aggression gegen Dionysos und damit eine Eskalation der bislang ideellen religiösen Transgression. Dieser Kontrollgewinn ist freilich die letzte initiative Tat des Pentheus und nur von kurzer Dauer. Ab da geht das Heft des Handelns auf Dionysos über und Pentheus reagiert nur noch gehetzt. Daß die Transgression einen Umschwung des Kräfteverhältnisses und der Initiative bewirkt, markiert sie deutlich als entscheidende Tat und leitet zur Eliminierung über. Der revolutionäre Charakter des Dionysischen konkretisiert sich in wunderbaren Umstürzen, die gleichzeitig Rückschläge für Pentheus sind und deren rasche Abfolge ihm keine Gelegenheit läßt, zur Besinnung zu kommen. Die überraschende Plötzlichkeit und Brüskheit des Dionysischen, die bereits bei Pentheus’ Rückkehrrede gezeigt wurde, setzt sich in akzelerierter und destruktiv verschärfter Form fort. Zuerst entflieht Dionysos, der dieses Geschehen post festum dem Chor der Bakchen berichtet, aus dem Kerker und läßt Pentheus’ Palast einstürzen und in Flammen aufgehen (v. 622-625). Pentheus kommandiert aufgeregt die Löscharbeiten (v. 624-626) - sollte er tatenlos zusehen, wie sein Haus abbrennt? Dionysos’ Spiel mit seiner Identität und mit Pentheus verschärft sich, indem der Gott dem König Substitute seiner selbst präsentiert, welche dieser als echt ansieht und an Dionysos’ Statt physisch traktiert. Zuerst bindet er einen Stier an der Krippe (v. 618-621), dann drischt er mit seinem Schwert auf ein Trugbild (v. 630: ’) ein. Im Affekt und Trug wird hier die eliminatorische Absicht ausgelebt, die zuvor mehrmals ausgesprochen worden war, und Pentheus’ verleitete Selbsteliminierung vorbe- scheinen des Gottes etwa in der Odyssee für den Menschen positive Folgen hat und Dionysos in der Schlußszene seine Identität offenbart. 514 reitet. Der Affekt wurde allerdings durch die vorangehenden Erlebnisse der schockierenden Zerstörung ausgelöst, so daß der Subjektsstatus abermals durch die Handlung untergraben wird. 74 Als Pentheus selbst die Bühne betritt und sich Dionysos gegenüber sieht, reagiert er indes bloß mit verwunderten Nachfragen über den Ortswechsel und die Flucht und bekundet keine Mordabsichten (v. 645-650). Doch das Stakkato, mit dem die dionysischen Kontingenzen auf Pentheus einprasseln, läßt ihm keine Verschnaufpause, in der er zur Besinnung kommen könnte. Ausführlich berichtet ein Bote von den schrecklichen Wundern, welche die Bakchen auf dem Kithairon getan hätten (v. 667). Der Anblick der positiven Wunder, bei denen die Bakchen Wein, Milch und Honig hervorzaubern, hätte Pentheus, so der Bote, dazu bewegt, den Gott im Gebet zu verehren (v. 704- 713). Doch dieser Appell wird durch die folgenden schrecklichen Wunder der Bakchen überdeckt. Der Bote berichtet, sie hätten Rinder zerrissen und Dörfer geplündert, sie seien von Männern, die sich wehrten, nicht verwundet worden und hätten diese in die Flucht geschlagen (v. 734-768). Diesen Bericht beschließt der Bote mit einem Appell, der objektiv Pentheus’ religiöse Transgression hervortreten läßt (v. 769-774). Nach seinem Abtritt rät Dionysos Pentheus eindringlich, von der militärischen Gegenreaktion, die dieser plant, abzusehen, und Dionysos zu opfern (v. 787-795). So deutlich das Drama die religiöse Transgression also objektiv in den Appellen der Binnenhermeneutik markiert, auch indem es beständig dem Transgressor Alternativen aufzeigt, 75 so wenig wird man den unbestreitbaren Einschränkungen der ethischen und v.a. rationalen Subjektsfunktion, die Pentheus’ fortgesetzte Transgression auch in dieser Szene begleiten, gerecht, indem man sie wie Radke nur phänomenologisch beschreibt („Aufgeregtheit“) oder fast tautologisch als charakterlich essentialisiert. Statt dessen muß man abermals nach der Einbettung in die Handlung und das Figurengefüge fragen. Das einzige Indiz für Dionysos’ Göttlichkeit sind die Wunder(taten) der Bakchen, die der Bote berichtet. Anders als bei Xerxes’ Zug nach Griechenland handelt es sich also um keine Naturwunder, bei denen in Aischylos’ Persern der zugefrorene Strymon auftaute (s. 1.6 Jeu de massacre: Darstel- 74 Dieselbe Handlungsstruktur aus Brüskierung, göttlich getäuschter Substitutaggression und Selbsteliminuerungen bietet Sophokles’ Aias. 75 Auch Sophokles’ Antigone ist nicht arm an solchen Appellen an den Herrscher, seinen harten Sinn zu erweichen (v. 988-1090). In der Bittgesandtschaft bat schon Phoinix Achill, seinen Zorn zu bändigen, und verwies darauf, daß selbst die Götter sich umstimmen ließen (Il. 9.496 f.). Die Intransigenz sozial bedeutender Figuren wird in der Binnenhermeneutik dieser beiden literarischen Werke also wie in den Bakchen problematisiert. Doch eine moralisierende Quintessenz bliebe banal. Deshalb darf man aus diesem binnenhermeneutischen Profil keine banale und pauschale Delegitimation der betreffenden Figuren folgern. Der Appell an Kreon und Pentheus fällt vermutlich deshalb so stark aus, weil sie mit unterschiedlichen Ausprägungen des Religiösen in Konflikt geraten. Da Teiresias seine Autorität nicht durch eine befremdliche Kostümierung verspielt hat und eine realistische Warnung vor Leid in Kreons Familie verkündet (v. 1064-67), läßt dieser sich vom Chor umstimmen und lenkt anders als Pentheus ein (v. 999-1114). Und Achill ist keineswegs unversöhnlich-verstockt, sondern tut unter dem Gesichtspunkt der sozialen Integrität gut daran, seine Ehre nicht qua Unterordnung unter Agamemnon (Il. 9.157-161: […] ) zu verkaufen (Il. 9.313, 386 f.: ). 4. Euripides’ 4.5 Tragik 515 lung der Eliminierung in der Perser-Interpretation) oder die in Delphi frevelnden persischen Truppen in Herodots Historien durch Naturwunder zurückgeschlagen wurden (s. 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung der Perser-Interpretation). Von den Flüssigkeitswundern hat Pentheus nur den Bericht einer optischen Wahrnehmung. Der Vernichtungsraubzug der Bakchen hat sich dagegen aus dem Widerstand gegen einen spontanen Festnahmeversuch entwickelt, den die Gebirgsbewohner und der Bote gegen Agaue unternehmen (v. 717-733). Die Wundertaten sind hier nur noch Teil eines enthemmten, grausamen Wütens, das alle Angriffe pariert und alles rücksichtslos niederwalzt. Sie mögen durch den ungeschickten Festnahmeversuch provoziert sein, stellen jedoch eine gewaltige Eskalation dar. Die Invasion der Bakchen ist nicht nur ein kriegerischer Akt (v. 752 f.: / - ), sondern geht mit einem barbarischen Wüten einher, das zwar durch den göttlichen Wahn inspiriert, aber schwerlich ein überzeugender Beleg für die Göttlichkeit der Person ist, auf welche die Bakchen sich berufen, und in heutiger Sichtweise einem fundamentalistischen Terrorakt gleichkommt. Nun ist also nicht bloß die kulturelle, sondern territoriale und physische Integrität von Pentheus’ Königreich bedroht. Nachdem die polizeilichen Mittel versagt haben, reagiert der König auf diesen aggressiven Überfall entsprechend militärisch mit einer „totalen Mobilmachung“ (v. 778-786). 76 Die sachliche Proportionalität der Maßnahmen und die Sorge um die Integrität des Königreichs werden in seiner Rede nicht expliziert. Er sieht vielmehr in dem Überfall eine Transgression (v. 779: , v. 785: ). Außerdem bedroht er nicht so sehr die physische, sondern die soziale Integrität (v. 779: ). Die Niederlage wird dadurch besonders schmachvoll, daß sie Griechen (von Barbaren? ) und Männern von Frauen beigebracht wurde (v. 786). Einen Glauben an die Überlegenheit griechischer Rationalität hatte Pentheus bereits bei ihrer ersten Auseinandersetzung Dionysos’ Hinweis auf die Verbreitung des Bakchenkultes bei den anderen Völkern entgegengehalten (v. 482 f.). Dionysos hatte diese Auffassung mit dem Hinweis auf die Verschiedenheit der Sitten gekontert (v. 484: ), also mit einem klassisch sophistisch-rationalistischen Argument. Was prima facie generell und mit Blick auf Pentheus wie eine weise kritisch-relativierende Distanz zur eigenen Position und kontingenten Lage anmutet und Pentheus ins Unrecht setzt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen mit Blick auf Dionysos als nicht unproblematisch: Denn Dionysos, der alle Differenzen mit Ausnahme derjenigen seiner Göttlichkeit annulliert, macht sich hier zum Anwalt der kulturellen Differenz. Noch konkreter ebnet ja gerade sein Plan, seinen Kult nach Theben zu bringen, die kulturelle Differenz zwischen Hellas und Barbaren ein, auf die er sich soeben berufen hat. Allerdings fällt das 76 Vgl. Ernst Jünger, Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart 2001, 558-582, h. 561. Daß diese Maßnahme in den Bakchen von einem Monarchen angeordnet wird, bei dessen Staatsform Jünger - zumindest mit Blick auf das 19. Jh. - eine Tendenz bloß zur partiellen Mobilmachung sieht (S. 561), zeigt die subjektive Gefährdung in den Augen selbst eines Königs. Daß seine Mobilmachung anders als bei Jünger nicht alle gesellschaftlichen Bereiche, v.a. die Rüstung, umfaßt (S. 561- 563), liegt an der überraschenden Plötzlichkeit des Angriffs. 516 Wort ‚Barbaren‘ an unserer Stelle anders als ‚Frauen‘ nicht. Diese verletzen mit der aggressiven Eskalation abermals die Rolle, die ihnen innerhalb der Ordnung von Polis und Oikos zugewiesen ist. Dionysos greift die Worte des Boten rahmend auf, der eingangs den Jähzorn des Königs gefürchtet hatte (v. 671: ), wenn er Pentheus Zorn attestiert (v. 794: ) und ihm ein letztes Mal in einer Annominatio empfiehlt, dem Gott statt dessen zu opfern (v. 794: ’). Seine physische Gegenaggression erscheint damit als eben eine solche Affekthandlung wie Oidipus’ Gegenwehr am Dreiweg, der den Angriff aus der Reisegruppe mit einer Totschlagsorgie beantwortete (v. 807: ’ ). Die damalige Legitimität des Motivs, die Ehre zu wahren und auf Ehrverletzungen mit Zorn zu reagieren, wurde bei der Interpretation des OT hinreichend dargelegt (s. 2.4.1 Kollision am Dreiweg). Oidipus kennt die Identität seines Widersachers nicht, Pentheus (an)erkennt sie nicht. Doch in der jeweiligen Rolle als Vater oder Gott liegt die Essenz der Transgression. Durch sie wird aus der königlichen Antwort (vgl. v. 671: ) auf die Verletzung der territorialen Integrität ein Frevel gegen einen Gott. Die religiöse Transgression ist also unverkennbar handlungsstrukturell bedingt und trägt damit tragische Züge. Pentheus’ fataler Entschluß, die Bakchen auszuspähen, folgt denselben Handlungsmustern wie die totale Mobilmachung und fortdauernde Verkennung von Dionysos’ Göttlichkeit. Wie bei dieser handelt es sich bei diesem Waldgang (Näheres s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung) um eine religiöse Transgression, wenn auch um eine Unterform der grundsätzlichen Nichtanerkennung des Gottes. Sie hat mit dem Eindringen in den Bereich der Bakchen ein lokales Substrat, das nicht nur als Penetration angesehen werden kann, sondern auch die ursprünglich-etymologische Bedeutung von Asebie als ‚Nichtzurückweichen‘ aktualisiert. 77 Abermals respektiert Pentheus die Sphäre des Religiösen nicht, weil er sie nicht sieht. Doch hatte Dionysos ihn bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen auf die Nichtmitteilbarkeit der Riten hingewiesen (v. 472) und macht auch vor seinem kostümierten Auftritt deutlich, daß Pentheus etwas sehen wolle, was er nicht sehen dürfe (v. 912 f.). Bereits durch das warnende Beispiel Aktaions (v. 337-340) ist zumindest mythologisch die Schau des verbotenen Religiösen klar als Transgression markiert, wobei das 77 *tieg w etoi (> ai. tyagate ‚er verläßt‘) > (Helmut Rix, Historische Grammatik des Griechischen. Darmstadt 1976, 90). Nur Frisk II 686 f. s.v. nennt diese „Zusammenstellung“ „wenig überzeugend“. Chantraine 959 s.v. sieht dagegen sogar ‚sich zurückziehen‘ als die gemeinsame Grundbedeutung des griechischen und altindischen Verbs an und nennt Mayrhofers (Bd. 1, 529: „Nicht ohne Problem“ - Mayrhofer meint nämlich, die Entsprechung sei nur dann haltbar, wenn man auch im ältesten Griechisch die indische Bedeutung annehme.) Zweifel „injustifiés“. Auch Pokorny 1086 s.v. t eg geht von der griechisch-altindischen Entsprechung aus und nimmt als Grundbedeutung ‚scheu vor etwas zurücktreten oder auffahren‘ an, also eine Verbindung der beiden historisch überlieferten Bedeutungen. Ebenso verteidigt Beekes II 1316 s.v. die semantisch primo obtutu fernliegende Entsprechung mit Blick auf das Kausativum ‚verscheuchen, aufjagen‘ und nimmt für die Grundbedeutung ‚fortlaufen, fliehen‘ an. LIV 584 s.v. *t eg (Martin Kümmel) geht ebenfalls wie selbstverständlich von der griechisch-altindischen Entsprechung aus und gibt als Grundbedeutung ‚sich zurückziehen‘ an. 4. Euripides’ 4.5 Tragik 517 Wüten der Bakchen sicher kein so schützenswertes Mysterium wie ihre Chöre oder sonstigen Riten und Praktiken (v. 680-682) ist. Pentheus will sich dagegen mit seinem Spähgang aus eigener Anschauung von der Trunkenheit der Bakchen überzeugen (v. 814: ), also von deren Transgression. Dies ergibt sich logisch aus der bisherigen Handlung, wurde das sympotische Treiben ihm doch bislang nur berichtet (v. 221 f.) oder aber dementiert (v. 686-688). Er möchte sich also selbst ein Bild aus Autopsie machen, statt auf Berichte (oder Gerüchte) angewiesen zu sein. An die Stelle der gewalttätigen Konfrontation tritt die Spionage, vielleicht auch weil Dionysos ihn vor der Schande gewarnt hat, die eine Niederlage gegen die wütenden Bakchen mit sich brächte (v. 798 f.). Die Tollkühnheit und tragische Ironie dieses Unterfangens (auch Pentheus wird wie die Rinder [v. 737-747] von Agaue zerrissen werden) steht außer Frage. Treffend spricht Radke davon, Pentheus begebe sich „in ‘die Höhle der Löwinnen’“ (2003: 60). Psychologisch plausibel ist eine solche Reaktion als trotzig-entschlossene Neugier, bei der Pentheus sich selbst ein Bild von dem wundersamen Wüten machen will, das ihm berichtet wurde, und sich aus eigener Anschauung über die Lage an diesem Unruheherd informiert. Eine solche Inspektionsreise könnte den schrecklichen Gegner entzaubern oder zumindest es dem Entscheidungsträger ermöglichen, adäquate Maßnahmen zu treffen. Diese Reflexionen finden sich zugegebenermaßen nicht im Text, sondern deuten bloß Pentheus’ Verhalten aus der Ereignisfolge. Die Textgrundlage für psychoanalytische und genuin sexuell voyeuristische Interpretationen ist allerdings zumindest nicht dicker als für die hier entwickelte rationalistische, ohne daß ihnen gänzlich die Berechtigung abgesprochen werden soll. Wenn Dionysos Pentheus fragt, woher seine große Lust ( … ) stamme, die Bakchen zu sehen (v. 813), so insinuiert dies allenfalls eine sexuellvoyeuristische Implikation, da wie im Deutschen Lust auch eine nichtsexuelle und - zugegebenermaßen seltene - nichtaffektive Bedeutung hat (LSJ 695 s.v.), wobei die allgemeine, nichtsexuelle („Verlangen“) jedoch in den Homerischen Epen noch als die Ausgangsbedeutung angesehen werden kann. 78 Allenfalls vage erotisierend ist die Schilderung, die der Bote von den liegenden Bakchen gibt (v. 685 f.). Daraus, daß Pentheus meint, die Bakchen im Weinrausch sitzend (noch neutraler ist Dionysos’ Eröffnungsfrage in v. 811: ’ ) zu erblicken (v. 814: ), kann man nur mit Mühe herauslesen, daß er meint, sie in aufgelöst entblößter Verfassung zu erblicken; bewegt man sich doch hier in dem Feld der Spekulation. 79 Er 78 Vgl. Gerrit Kloss, Untersuchungen zum Wortfeld „Verlangen, Begehren“ im frühgriechischen Epos. Diss. Göttingen 1991/ 92. Hypomnemata 105. Göttingen 1994, 24-43. 79 Für Charles Segal bringt dagegen schon Dionysos’ Einstiegsfrage Pentheus dazu, seine sexuelle Neugier und deren voyeuristische Form zuzugeben (Euripides’ Bacchae: The Language of the Self and the Language of the Mysteries. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 294-312, h. 300). Fortgeführt und theoretisch mit dem strukturalistischen Ansatz der vorliegenden Arbeit verbunden wird die psychoanalytische Perspektive in Charles Segal, Pentheus and Hippolytus on the Couch and on the Grid: Psychoanalytic and Structuralist Readings of Greek Tragedy. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 268-293, h. 282-293, freilich nicht immer mit überzeugenden Ergebnissen (s.u.). 518 selbst spricht von Bekümmernis (v. 814: ). Dionysos’ Nachfrage, warum es ihm Freude ( ) bereite, das zu erblicken, was ihm widerwärtig sei (v. 815: ), hebt ebenfalls auf abstoßende Emotionen statt auf Anziehung ab, und Pentheus geht in seiner Erwiderung auf diesen Aspekt von Dionysos’ Nachfrage nicht ein. Das Verhalten, das Dionysos Pentheus hier unterstellt, ist nur insofern voyeuristisch, als es Lust bei einem Anblick empfindet. Deutlicher ist jedoch die optische Faszination, welche das Grauen ausübt, ein Aspekt der Epiphanie des Schreckens, den Bohrer bei seiner Bakchen-Besprechung unberücksichtigt läßt. Dieser Zauber des Anblicks ist durchaus metatheatralisch, weil Dionysos die Logik expliziert, welche der Zurschaustellung des Grauens bühnenpragmatisch-rezeptionsästhetisch zugrunde liegt. Besser nachweisbar sind die voyeuristischen und sexuellen Elemente bei Pentheus’ Besteigung der Fichte. Im Wahn kurz vor seiner Eliminierung meint Pentheus von diesem Ausguck aus die Bakchen eng aneinander geschmiegt wie Vögel ihrem Lager liegen zu sehen (v. 957 f.). Die zart angedeutete weibliche Homoerotik bleibt weit hinter den sexuellen Ausschweifungen zurück, die Pentheus den Bakchen unterstellt hatte, doch auch diesem Blick haftet immer noch etwas Voyeuristisches an, wenn auch in deutliche geringem Umfang. Sicherlich ist die Fichte ein Phallossymbol. Daß die Bakchen sie entwurzeln, während Pentheus auf ihrer Spitze sitzt, symbolisiert gewiß seine Entmannung, was dadurch plausibel wird, daß diese Szene zwischen dem Verlust seiner kulturellen Männlichkeit und seines Lebens steht und diese Stationen eskalatorisch artikuliert. Die eliminatorische Konsequenz des Verlustes einer phallischen Männlichkeit sieht auch Segal 1986: 290. Problematisch ist jedoch, worin Segal diesen erblickt und wie er den voyeuristischen und phallisch-kastrativen Aspekt dieser Stelle verbindet (v. 953-956): Dionysos biege mit seiner Aufforderung zum Verbergen (v. 955) Pentheus’ phallische Sexualität regressiv-voyeuristisch um, da er einen phallischen Gegenstand zum Verbergen und Schauen statt zum Zeigen und körperlichen Einsatz gebrauche (1986: 289 f.). Denn anders als bei der (handlungs)symbolischen Deutung des phallischen Gegenstandes werden hier einer Dramenfigur sexuelle Wünsche unterstellt, die sich doch im Text kaum nachweisen lassen. 80 Außerdem weicht der von Segal vermutete Subtext stark vom Haupttext ab, während beide bei der handlungssymbolischen Deutung parallel verlaufen. Diese symbolisch-funktionale Parallelisierung mit dem Handlungsverlauf ist übrigens auch bei einer anderen genitalanatomischen Interpretation ausgeprägt, dem Vagina dentata-Motiv, das in Euripides’ Medea ausgemacht wurde, wobei dort als weitere Plausibilisierung die leitmotivische Rolle der Meerengen in der Binnenhermeneutik hinzukam (s. 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos in der Interpretation dieser Tragödie). Segals psychologischer Akzent ist auch mein einziger Vorbehalt gegenüber Segals ansonsten vollauf überzeugendem Vergleich von Teiresias’ Hinweis an 80 Ebenso kann ich meine Skepsis nicht verhehlen, ob der psychoanalytische Apparat von Pentheus’ ödipaler Mutterbeziehung (Segal 1986: 283 f., 289) nicht doch Dinge auf den Text projiziert, die sich dort schwer wiederfinden lassen und den in Ambivalenzen zweifellos vorhandenen Subtext überstrapazieren. 4. Euripides’ 4.5 Tragik 519 Oidipus’ Adresse im OT, dieser sei über seine Identität im unklaren (v. 412- 414, 367), mit Dionysos’ ähnlich lautender Mitteilung an Pentheus (v. 506-8). Für Segal dominiert im OT bei dieser Offenbarung eines bislang verborgenen Sinns, der in der eigenen Identität und dem Wirken einer Gottheit bestehe, der religiöse und philosophische Aspekt, in den Bakchen dagegen der psychologische (1986: 304 f.). Allerdings bezichtigt Teiresias Oidipus bloß lokaler bzw. situativer Unkenntnis - ’ kehrt in beiden Aussprüchen wieder -, während Dionysos Pentheus eine totale Unkenntnis seiner selbst und seiner Taten attestiert (v. 506). Auch nach der Handlungsstruktur ist Oidipus in einer souveräneren Position: Der Seher weist Oidipus auf dessen verborgene transgressive Identität hin und stößt die Suche nach dieser an, die Oidipus selbst zum Abschluß bringt und die ihn zur Selbsteliminierung veranlaßt, während Dionysos Pentheus gegenüber auf die verhängnisvolle Unkenntnis der Gottheit, mit der er gerade Umgang hat, und seine sich daraus ergebende Transgression und Eliminierung zielt. Seine Mitteilung offenbart also über den Wissensvorsprung seine metatheatralische Rolle, die ihm Pentheus als Objekt ausliefert, während Oidipus seine Subjekthaftigkeit im Verlaufe von Selbsterkenntnis, Selbsteliminierung und Intratheater dramatisch wahrt und selbst seine moralische Integrität teilweise restaurieren kann. Aber kehren wir zum Umschwung in Pentheus’ Verhalten und der Peripetie des Dramas zurück. Ein weiterer Teil des königlichen Strategiewechsels ist die Kooperation mit Dionysos statt der Konfrontation mit ihm. Auch hier ist der Verzicht auf physischen Zwang erkennbar, der kläglich gescheitert ist. In diesem Punkt ist Pentheus also durchaus zu einer Kurskorrektur in der Lage. Diese ist jedoch nur taktischer Natur und ändert nichts an seiner grundsätzlichen Ablehnung, wie die folgende Kostümierung als Mänade augenfällig zeigt, 81 die ja bloß eine Art Kriegslist und Camouflage ist. Daß Pentheus just Dionysos, den er bisher wie einen Feind behandelt hat, plötzlich zu seinem Berater und Verbündeten macht, verletzt nur Vernunftgebote des Selbsterhalts und untergräbt seinen Status als dramatisches Subjekt, ist aber keine (tragische) Transgression. Pentheus’ fatale Entscheidung hat zwei Gründe: Seine Isolierung innerhalb des Figurengefüges und Dionysos’ fortwährende Verheimlichung seiner Identität. Es läßt sich also abschließend festhalten, daß Pentheus’ religiöse Transgression aus einer Einschränkung seiner rationalen und damit auch ethischen Fähigkeiten erwächst, die sich in der Interaktion mit den anderen Figuren und Ereignissen noch verschärft, also durch die Struktur der Handlung bedingt und somit das Prädikat ‚tragisch‘ verdient. Aber auch die zweite Form der Tragik, der Integritätenkonflikt, läßt sich nachweisen. Die besagten Einschränkungen von Pentheus’ Funktion als ethisch-rationales Subjekt führen dazu, daß der Dionysoskult in seinen Augen eine Gefahr für die kulturelle, physisch-territoriale und 81 Wie wichtig diese faktische Desubjektivierung ist, geht daraus hervor, daß sie wie Pentheus’ Tod von der Hand seiner Mutter eine Innovation des Euripides ist. Dagegen zeigen Vasenbilder den König in Männerkleidung und mit Schwert oder Speer im Kampf mit den Bakchen (Jennifer R. March, Euripides’ Bakchai. A Reconsideration in the Light of Vase Paintings. Bulletin of the Institute for Classical Studies 36 (1989) 33-65, h. 36). 520 sozial-ideelle Integrität der Polis ist, die also mit der rituell-religiösen konfligiert. Daß die anderen Figuren diese Integritätsgefährdungen bestreiten und Dionysos sogar integritätsfördernde Effekte - auch auf kollektiver Ebene (Sozialprestige für die Stadt) - zuschreiben, unterscheidet diese Tragödie von den bisher besprochenen und hängt wohl mit ihrer theomach-theophanen Thematik zusammen. Die Subjektivierung der Tragik, die sich bereits in der Psychologisierung der Medea feststellen ließ, setzt sich hier in Euripides’ letztem Stück fort. Dies zeigt sich auch im Verhältnis zur sozialen Umwelt: War bei Medea die Alternative zur Transgression, die Aigeus’ Asylangebot schuf, objektiv, so zeigen sie bei Pentheus die anderen Akteure auf. Daß Pentheus jedenfalls im weiteren Verlauf der Tragödie durch den Versuch, die Integrität der Polis zu wahren, seine physische Integrität und Existenz verliert, ist dagegen kein heroisches Opfer, wie es in der Einleitung in Abgrenzung von der Tragik skizziert wurde (s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch), da sich diese Verknüpfung nicht aus Pentheus’ Entschluß und bewußter Inkaufnahme, sondern aus der Verkettung der Ereignisse ergibt. Dies zeigt auch kontrastiv der Vergleich mit Antigone in Sophokles’ gleichnamiger Tragödie. Antigone nimmt den Tod bewußt in Kauf und beruft sich bei ihrem Handeln auf die Götter (v. 450-460). Pentheus stolpert dagegen in sein Verderben und kämpft gegen einen Gott. Im Gegensatz zu Pentheus ist die dramatische Rolle von Pentheus’ Mutter und Mörderin Agaue komplex, aber - gerade unter Berücksichtigung der oben nachgezeichneten Binnenhermeneutik und im Vergleich zu anderen Tragödien - nicht tragisch. Einen Status als ethisch-rationales (und dramatisches) Subjekt erlangt sie erst in der Anagnorisis, wobei Kadmos als ihr Psychagoge (v. 1264- 1284) und Ermahner (v. 1377 f.) ethisch-rational überlegen bleibt. Zuvor diente sie Dionysos sensu stricto et translato bloß als Instrument für seine eliminatorische Rache an ihrem transgressiven Sohn, während dieser bis zu seinem Sinneswandel, den Dionysos herbeigeführt hat, dramenpragmatisch autonom gegen den Gott opponiert. Dramatisch hat Agaue damit dieselbe Funktion wie Phaidra im Hippolytos, die Aphrodite als Werkzeug zur Rache an deren Stiefsohn benutzt (v. 21-28). Beide Mütter kann man nach Greimas’ Aktantenmodell als Adjuvanten des göttlichen Subjekts gegen einen menschlichen Opponenten auffassen. 82 Dabei wiegt Agaues Tat schwerer, weil sie eigenhändig die Eliminierung an ihrem leiblichen Sohn vollzieht. Trotzdem lebt sie auch nach der Erkenntnis ihrer Untat weiter, während Phaidra die Eliminierung ihres Stiefsohns mit ihrem eigenen Tod erkauft. Und während Aphrodite ausdrücklich Phaidras Unbescholtenheit betont und trotz dieser sozialen Integrität ihre Elimi- 82 Diese in sich schlüssige transgressiv-restaurative Tateinheit von drei Hauptfiguren entkräftet Radkes rein deduktives Hauptargument für Agaues „subjektives (Mit)Verschulden“ (2003: 65), ihr unschuldiges Schicksal stünde in Widerspruch zu Pentheus’ schuldhaftem Ende und würde die Einheit der Tragödie sprengen und zwei Tragikkonzepte implizieren (2003: 65-78, v.a. 67). Radkes handlungsbezogene Argumente, Agaue erlange in der Anagnorisis ihre Vernunft wieder und zeige mit dem Übereifer bei der Ermordung ihres Sohnes dasselbe Fehlverhalten wie dieser (2003: 72-74), sind kaum geeignet, Agaues textlich manifesten göttlichen Wahn bei der Mordtat (v. 1122-24) zu relativieren. 4. Euripides’ 4.5 Tragik 521 nierung in Kauf nimmt (v. 47 f.: ’ ’ / ), um ihre eigene soziale Integrität wiederherzustellen (v. 48-50), ahndet Dionysos Agaues Tat als Transgression mit lokaler Eliminierung und führt sie überdies auf die anfängliche religiöse Transgression zurück (s. 4.4 Transgression und Eliminierung). Dieser Nexus ist nicht per se untragisch. Auch Agamemnon gerät nur durch seinen vorangehenden Frevel gegen Artemis in das tragische Dilemma auf Aulis, bei dem er seine Tochter für seine soziale Integrität opfert. Agaue opfert dagegen die physische Integrität ihres Kindes allenfalls vordergründig-wahnhaft ihrer rituell-religiösen qua Mystin oder ihrem Sozialprestige, wie sich an ihrem verblendeten Stolz zeigt, während sie den Kopf ihres Sohnes wie eine Trophäe präsentiert (v. 1200-10). Ein tatsächlicher Integritätenkonflikt wie bei Agamemnon, Medea und selbst Oidipus, der von der aggressiven Reisegesellschaft Leben und Ehre tätlich verletzt sieht, liegt damit nicht vor. Anders als bei den genannten Figuren ist die Ursache für Agaues Transgression nicht die Wahrung irgendeiner Integrität (Medea tötet ihre Kinder ebenfalls unter Mißachtung ihrer Mutterrolle, tut dies jedoch im Affekt und aus Rachekalkül, um den eigenen Status als soziales Subjekt zu wahren), sondern der gottgesandte Wahn, der ihre Tat nezessitiert, während Agamemnon noch eine dramatisch inszenierte Wahl hat. Agaues Desubjektivierung ist keine Folge einer Handlungsverkettung, sondern eine unilaterale Sanktion ihrer religiösen Transgression (v. 32-34). Dadurch ist sie selbstverschuldet und nicht tragisch (s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung in der Einleitung). Anders als bei Pentheus, bei dessen religiösen Transgressionen der Integritätenkonflikt dramatisch klar entwickelt wird, bleiben die Umstände dieser initialen religiösen Transgression so sehr im dunkeln, daß sich ihr tragischer Charakter nicht eruieren läßt. Agaue bestätigt also unverkennbar die eingangs dieses Abschnitts entwickelten Einschränkungen, welche die Tragik durch die theoideologische Agenda erfährt. Die theoideologische Thematik bringt überdies eine Veränderung des tragischen Handlungsschemas mit sich. Bei ihr handelt es sich noch nicht um eine bloße Eliminierung der Tragik, wie in der späteren attischen Tragödie der Fall. Vielmehr werden die Merkmale des tragischen Schemas, das wir bei früheren Tragödien feststellen konnten, abgewandelt und insofern aufgelöst, als sie auf mehrere Figuren verteilt werden, die gleichwohl in einer faktischen Tateinheit verbunden bleiben. Das beste Beispiel hierfür ist Pentheus’ Tod durch seine Mutter. Das transgressiv-eliminatorische Opfer der physischen Integrität eines Anverwandten, um die eigene soziale Integrität zu wahren, das aus dem Agamemnon, dem OT und Euripides’ Medea bekannt ist, wird hier auf die beiden Akteure aufgeteilt: Bei dem Versuch, seine soziale Integrität und Autorität gegen Dionysos zu behaupten und die Integrität der Polis 83 zu wahren, büßt Pentheus seine physische ein. Seine Mutter wiederum begeht eine Transgression, indem sie ihren Anverwandten physisch eliminiert. Daß Euripides - wie 83 Das größere Gewicht der Integrität der Polis und ihre volle Integration in die Tragik sind eine Neuerung dieser Tragödie: In Aischylos’ Agamemnon waren kollektive Erwägungen über soziale Beziehungen vermittelt (v. 213 f.: / ) und im OT diente die Integrität der Polis als Anstoß der Entdeckung der tragischen Transgression. 522 auch im Falle Medeas, bei der ja ein tragischer Kindermord vorliegt - das Motiv des mütterlichen Kindsmordes erst in die Mythen- und Tragödientradition eingeführt hat, 84 zeigt deutlich, daß es in den Bakchen um eine Fortentwicklung des tragischen Handlungsschemas geht, da Euripides’ Neuerung die Merkmale Selbstbezug und Selbstvollzug in die Handlung bringen, die zwar keine hinreichenden Bedingungen, aber doch grundlegende Charakteristika der Tragik sind (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik in der Einleitung). In Euripides’ Medea war die Entdoppelung der modus operandi, in dem sich die transgressive Eliminierung vollzog, welche das faktische Substrat der Tragik bildete, die sowohl die situative Desubjektivierung wie den Integritätenkonflikt umfaßte. Dagegen sind die Merkmale, welche das Handlungsschema des tragischen Integritätenkonflikts charakterisieren, in den Bakchen auf zwei Akteure verteilt, so daß dieses damit aufgespalten ist. Da Dionysos metatheatralisch Mutter und Sohn zu dieser Tateinheit zusammengeführt hat, erstreckt sich die dionysische Dissoziation der Ordnungssysteme also auch auf die Tragik. Selbst wenn Dionysos mit Pentheus’ Eliminierung eine religiöse Transgression gegen sich ahndet und keine tragische Transgression begeht, so ist auch er (anders etwa als Aphrodite im Hippolytos) Teil des diffundierenden tragischen Handlungsschemas, weil er Agaues Tat arrangiert und dabei die physische Integrität seines Vetters seiner sozioreligiösen opfert. Es wäre durchaus reizvoll, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, diese gewandelte Phänomenologie des Tragischen zusammen mit dem hier als klassisch entwickelten Handlungsschema in ein allgemeineres Konzept des Tragischen zu integrieren. Schon jetzt lassen sich allerdings Ergebnisse festhalten, welche die Parallelfiguren der Tragik betreffen. Da die Gottheit Dionysos von den Akteuren dieser Tragödie Besitz ergreift und mit ihnen eine Schneise der Verwüstung hinterläßt, läge es nahe, dieses Wirken unter das Konzept des Dämonischen zu fassen. Dem steht freilich entgegen, daß die Tragödie selbst eher im theophanen Zusammenhang aufweist (v. 22, 42), selbst in Pentheus’ zweifelndem Mund (v. 219 f.). Das Konzept der göttlichen Besitzergreifung formuliert Teiresias mit mantisch-positiv (v. 298-301). Auf der tieferen Ebene der Handlungsstruktur unterscheidet sich der destruktive Wahn, mit dem Dionysos seine Widersacher schlägt, von dem Konzept des Dämonischen, wie es sich etwa am wahllos zerstörenden furor von Senecas Phaedra exemplifizieren läßt (s. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra), ganz klar dadurch, daß er deren Transgressionen gegen seine Göttlichkeit ahndet und dieser zur Geltung verhelfen will. Ebensowenig läßt sich das tragikaffine Konzept der Perversion zentral im Handlungsverlauf nachweisen. Die theophane-transgressionsrepressive Agenda unterscheidet als strukturierendes Moment die Handlung der Bakchen auch von der Umkehrung des vermeintlich sanft-besonnenen dionysischen Verhaltensmusters, die Gerolemou durchaus glaubhaft v.a. bei den grausamen wahngeschlagenen thebanischen Bakchen und 84 March 1989: 36, 50-52. Radke 2003: 70 zitiert zwar auch Marchs Beobachtungen, schließt hieran jedoch bloß ihre Ableitung an, Agaues Handlung müsse tragisch sein, damit die Einheitlichkeit der Handlung mit Pentheus’ Tragik gewährleistet bleibe. 4. Euripides’ 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung 523 insbesondere bei Agaue am Text aufzeigen kann (2012: 354-366: „Die Pervertierung der Rolle der Bakche“). Denn das Grausame ist rituell-mythologisch im dionysischen Wesen angelegt, wie und Sparagmos zeigen; daß es sich in der Handlung der Bakchen manifestiert, ist dagegen eine Reaktion auf die fortwährende religiöse Transgression der menschlichen Hauptakteure. Deshalb spricht man besser aristotelisierend von einem Umschlag (Poet. 1452a 23, 31: ) des Verhaltens (der hier allerdings durch eine fremde verursacht ist [Poet. 1453a 9 f., 14-16: ]) statt von einer Rollenperversion, die, so muß man Gerolemou recht geben, bei den weiblichen Rollen sicher vorliegt. Die ausgeführten Aspekte sind auch bei der Frage nach Dionysos’ Ambivalenz hilfreich, die im folgenden Abschnitt behandelt werden soll. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung In den vier vorangehenden Kapiteln haben wir die göttliche Überlegenheit des Dionysos kennengelernt, die auch metatheatralisch inszeniert wird und im Konflikt der Tragödie mit den ungläubigen Menschen über die Handlungsschritte bzw. -merkmale der tragischen Transgression und Eliminierung etabliert wird. Tiefer noch als diese Punkte und ihnen zugrunde liegen Eigenschaften und Tendenzen des Gottes, die ebenfalls im Verlaufe des Dramas ausagiert werden, nämlich die Liminalität, Ambivalenz und deren sowie der Differenz und zweiwertigen Rationalität Aufhebung. Abgesehen von dem rigiden Kausalnexus zwischen transgressivem Frevel und göttlich veranlaßter Eliminierung, welche die Differenz zwischen Mensch und Gott (wieder)herstellen soll, ist die dionysische Außerkraftsetzung linearer Rationalität und die Aufhebung binärer antithetischer Identitäten und Differenzen, die ebenfalls göttlicher Differenz und Souveränität entspringt, ein Leitmotiv der Tragödie. Daß dies sich auch auf die sprachliche Semiose erstreckt, zeigt die Präponderanz hypnotischer Rhythmusinstrumente im Dionysoskult (v. 120- 134), die wie fast jede Musik (abgesehen von der Programmusik) anders als die menschliche Sprache ein Klang ohne Aussagegehalt sind (vgl. Aristoteles’ These, das Aulos-, Panflöten- und Kitharaspiel bewerkstellige die mit Melodie und Rhythmus [Poet. 1447a 23-26]), ein signifiant, dem jegliche Referenz fehlt. Ihre Irrationalität wird noch dadurch gesteigert, daß sie anders als die apollinischen Saiteninstrumente nicht einmal eine Melodie zulassen und der ekstatischen Entrückung dienen. Sie schlägt sich auch in Dionysos’ Anrede als Bromios nieder, wie überhaupt seine zahlreichen Namen (signifiant) in dieser Tragödie 85 der sprachliche Niederschlag seiner polyvalenten Identität sind. Die Sogwirkung des dionysischen Kultes, welche die gewöhnlichen Grenzziehungen sprengt, tritt besonders deutlich dadurch hervor, daß selbst Kadmos sich ihr nicht verweigert (v. 178-189), der als Erfinder der Schrift nachgerade der Prototyp linearer Rationalität ist. Auf diesen mythologischen Hintergrund 85 Vgl. dazu Encinas Reguero 2013. 524 referiert die Tragödie zwar nicht explizit, doch wird mit dem Aussäen der Drachenzähne dem Kadmos eine andere lineare Tätigkeit zugeschrieben (v. 263- 265, vgl. v. 538-542), 86 die ja bei den Griechen über das Pflügen ( - ) und auch noch später (Indovinello Veronese) 87 durchaus mit dem Schreiben analogisiert wurde. Doch Kadmos erliegt nicht wie Agaue dem Wahn oder Pentheus der Bewußtseinstrübung als göttlicher Strafe. Sein frommes und skeptisch wohlkalkuliertes Nachgeben (v. 180-183) ist vielmehr das Gegenmodell zu Pentheus’ binär-antithetischem rationalem Rigorismus, der die Abweichung nicht gelten läßt und nicht als Ausnahme einhegen kann. Daß Kadmos Pentheus’ Großvater und Vorgänger im Amt als König ist, läßt seine religionspolitische Alternative besonders hervortreten. Seine Rolle als Erfinder der Schrift und die dadurch gegebene Affinität zur linear-binären Rationalität verleihen Kadmos’ Verhalten eine besondere Autorität. Sie kommt auch bei seinem Appell an Pentheus zum Tragen, Dionysos’ Göttlichkeit anzuerkennen, wobei er seinem Enkel eine vermeintliche Vernunft attestiert (v. 330-332). Kadmos’ Haltung mutet wie eine Verkörperung von Pascals reflektiertem Rationalitätskonzept an. Der frühneuzeitliche französische Philosoph nannte in einer paradoxen Wendung gerade die Distanzierung von der Vernunft vernunftgemäß (Br. 272 / LG 171): „Il n’y a rien de si conforme à la raison que ce désaveu de la raison.“ Die mystisch-theologischen Implikationen und Konsequenzen, welche dieser Satz in Pascals Denken hat, können hier nicht ausgeführt werden. Fest steht jedoch, daß trotz aller Unterschiede zwischen einem ekstatischen polytheistischen (Geheim-) Kult und der Mystik einer monotheistischen Offenbarungsreligion auch Pascal mit der Figur einer Rationalität, die in Anerkennung ihrer eigenen Grenzen besteht und auf Selbstverabsolutierung verzichtet, ein ähnliches Konzept einer wesenhaft reflektierten (wenn auch noch nicht autoreflexiven) Vernunft wie Teiresias in derselben Szene entwickelt, das ideellen Raum für Erfahrungen und Praktiken schafft, welche die Alltagsvernunft transzendieren. Bereits vor Pentheus’ Auftritt reklamiert der Seher im Zwiegespräch mit Kadmos als Erwiderung auf dessen Zweifel, ob man sich nicht mit dem Anschluß an Dionysos innerhalb der Polis isoliere (v. 195: - ), die Vernunft allein für die beiden tanzbereiten Greise und spricht sie der traditionsverhafteten Umwelt ab (v. 196: - ’ ). Im Gespräch mit Pentheus erhebt Teiresias den dionysischen Wahn zur Quelle mantischer Erkenntnis (v. 298 f.). Der Rausch wird damit vom Vorwurf ziellos-subversiv-transgressiven Vagabundierens, der bei Pentheus’ Argumentieren und repressivem Handeln mitschwingt, freigesprochen und erhält statt dessen eine kognitive Weihe. Die soziale Transgression wird so durch die mentale Transzendenz abgelöst. Die sachlich-paradigmatische Nähe 86 Schwartz 2013: 301 verweist noch darauf, daß an diesen Stellen Pentheus’ unzivilisiert-intransigentes Auftreten mit seiner Herkunft von den Spartoi und Echion erklärt werde, was gerade auf die letztgenannte zutrifft. 87 Se pareba boves, alba pratalia araba, albo versorio teneba, negro semen seminaba. - Zur Rekonstruktion des Wortlautes s. Carlo Tagliavini, Einführung in die romanische Philologie. Aus dem Italienischen übertragen von Reinhard Meisterfeld und Uwe Petersen. Tübingen 2 1998, 408. 4. Euripides’ 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung 525 von ekstatisch-inspirierendem Wahn und Seherkunst kommt in der figura etymologica der beiden Wörter , die überdies syntagmatisch im Kontakt stehen, gut zum Ausdruck (v. 299: ). Teiresias’ These ist keine unbewiesene Gegenbehauptung zu Pentheus’ Unterstellung, er erhoffe sich Gewinn von dem neuen Gott (v. 255-257), da der Seher seine Position in einem weiteren Rahmen ausführt und so begründet. Indem der Gott in den Körper eines Menschen einfahre, ermögliche er ihm im Wahn, die Zukunft vorherzusagen (v. 300 f.). Die göttliche Inspiration 88 ermöglicht also eine zeitlich-kognitive Ekstase, die heuristische Funktion des Wahns wird so präzisiert. Die Brücke zur Mantik wird lokal-institutionell und implizit theologisch innerhalb des Pantheons auch dadurch abgesichert, daß Teiresias weissagt, Dionysos werde in Delphi mit seinen göttlichen Attributen und Praktiken machtvoll auftreten (v. 306-308). 89 Der anschließende Kommentar des Chores expliziert und unterstützt diese Verschmelzung des Dionysischen mit dem Apollinischen (v. 328 f.). Die beiden Prinzipien werden also wie bei Nietzsche versöhnt, 90 indem das Dionysische zur Quelle des Apollinischen gemacht wird. Pentheus, der wie ein Vertreter des Apollinischen und seiner Vernunft anmutet und agiert, ist damit in seinem rationalen, antithetisch-exklusiven Rigorismus als einseitig desavouiert. Die Offenheit und Zweiwertigkeit des Apollinischen deutet sich auch fein in der delphischen Landschaft an, in der nach Teiresias’ Worten zwei Gipfel aufragen (v. 307), also auch Platz für zwei Götter ist. Indem das Dionysische zur Quelle von (apollinischer) Erkenntnis wird, welche die zeitliche Gegenwart transzendiert, wird es zu einer Form höherer Rationalität. Teiresias skizziert hier ein Modell einer fast dialektisch anmutenden Synthese der primo obtutu unvereinbaren kulturell-religiösen Modi dionysisch und apollinisch, die einander in der Dramenhandlung in Gestalt der beiden männlichen Kontrahenten unversöhnlich und unvermittelbar gegenüberstehen. Doch findet seine tiefschürfende Analyse nichts Vergleichbares im übrigen Dramentext, innerhalb dessen sie damit eine Schlüsselstelle einnimmt. Daß es sich bei seinen Ausführungen nicht um theoretische Reflexionen, sondern einen Beitrag zur Lösung des Dramenkonflikts handelt, zeigt sein anschließender Appell an Pentheus, seine Macht und Vernunft nicht zu überschätzen und Dionysos aufzunehmen sowie sich seinem Kult anzuschließen (v. 309-313). Teiresias’ Hinweis, daß selbst Heere durch Dionysos von Panik ergriffen worden seien (v. 302-304), läßt bereits erkennen, daß Pentheus’ spätere Versuche, den Konflikt mit militärischpolizeilichen Mitteln zu seinen Gunsten zu entscheiden, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Auch hierin zeigt sich Teiresias’ tiefe Einsicht, die 88 Im Falle der Dichtung ist sie ein weitverbreitetes und hinreichend abgesichertes Konzept bei Griechen und Römern (vgl. Johanna Neumann, Art. Furor poeticus. HWR 3 (1996) 490-495, h. 490-492), das auch beim furor poeticus zum Tragen kommt (s. 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik in der Interpretation von Senecas Phaedra). 89 Für entsprechende antike Überlieferung, die allerdings überwiegend nacheuripideisch ist, s. Emilio Suárez de la Torre, Apollo and Dionysos: Intersections. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 58-81, h. 61-66. 90 KSA Bd. 1, 30-32 (Die Geburt der Tragödie). 526 zumindest hypothetisch ermöglicht hätte, den Konflikt zu vermeiden. Daß es nicht so kam, liegt freilich nicht an der vermeintlichen Unbelehrbarkeit des Pentheus, sondern an einem ganzen Bündel von Faktoren, die ihn schlußendlich zu einer tragischen Figur machen (s. den vorangehenden Abschnitt zur Tragik). Nicht nur seine individuelle positive Positionierung zu Dionysos, die ihn bloß zu einem diagnostischen Gegenbeispiel zu den übrigen Figuren macht, sondern auch die Rolle als Wahrer der rationalen Ordnung, die er dadurch übernehmen kann, daß er vom Gott nicht mit Wahn geschlagen wird, erhebt Kadmos zu einem Exponenten und Garanten integritätswahrender Rationalität im Strudel des dionysischen Wahns. Dies zeigt sich besonders deutlich an dem Dialog mit seiner Tochter Agaue, die er mit Hilfe des Wortes aus ihrer wahnsinnigen, sachlich falschen Sicht löst, die sie über die Identität ihres Sohnes und damit über ihr eigenes Handeln hegt. Kadmos’ Leistung besteht unabhängig von der Formulierung dieses Sachverhalts in psychoanalytischen Termini, die Bohrer referiert (2009: 231): „Georges Devereux [...] [las] den Dialog zwischen Kadmos und der wahnsinnig gewordenen Agaue als psychoanalytische Rettung des Ichs.“ 91 Aufgegriffen wird diese Verbindung von Sprache und (Un-)Bewußtem von Charles Segal, der seinen Beitrag dem Andenken des jüngst verstorbenen Devereux widmet (1986: 294). Segal arbeitet kompositorisch treffend heraus, daß die Agaue-Szene Pentheus’ und Dionysos’ Dialoge umkehre, bei denen der Gott die Sprache, gerade diejenige der Mysterien durch ihre für Eingeweihte nicht verständlichen Ambivalenzen, als Mittel einsetze, um Pentheus in seinen Bann zu ziehen (1986: 296-306). Ob Dionysos hierbei erfolgreich an Pentheus’ Unbewußtes appelliert und es aktiviert, wie Segal meint (1986: 300), kann hier dahingestellt bleiben (Näheres s. 4.5 Tragik). In die objektivierende Terminologie dieser Arbeit lassen sich Segals Überlegungen dahingehend übersetzen, daß auch Pentheus unter Dionysos’ Einfluß dem Zauber erliegt, der von der Überschreitung der usuellen Grenzen ausgeht. Entscheidend ist hier im Rahmen der (Ir)Rationalitätsdebatte die Fähigkeit der Sprache, des Logos, einen anderen vom Subjekt zum Objekt und umgekehrt zu machen. Die mystischen Grenzen des Logos und des usuellen sprachlichen Zeichengebrauchs kommen in dem Verbaladjektiv (v. 472), auf das Segal hinweist (1986: 305), die Grenzen des Wissens für die Nichteingeweihten in dem ganzen Vers ( ’ - ) gut zum Ausdruck, doch geht es hierbei eher um die religiöse Übertretung als um die sprachliche Verführung (der Vers steht ja auch weit vor Pentheus’ Sinneswandel). Daß Dionysos in den Augen des rational-binären Pentheus ein Feind wird, ist in seinem liminal-ambivalent-transgressiven Wesen verankert. Als Sohn des Göttervaters mit einer menschlichen Mutter ist ihm das Grenzgängertum in die Wiege gelegt und er zur liminalen Figur prädestiniert, die usuelle Grenzen nicht nur überschreitet, sondern auch aufhebt. 92 Das Liminale zeigt sich auch in sei- 91 The Psychotherapy Scene in Euripides’ Bacchae. JHS 90 (1970) 35-48. 92 Für diese ambivalent-subversive Rolle des Dionysos vgl. Segal 1986: 285. 4. Euripides’ 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung 527 nem nach Pentheus’ Interpretation effeminierten androgynen (um nicht aktualistisch zu sagen: metrosexuellen) Aussehen (v. 493: ). 93 Die Transgression ist allerdings der entscheidende Schritt, der Dionysos’ Ambivalenz hervortreten und verschwinden läßt. Bei diesem vieldiskutierten und oft wenig verstandenen Zug des Gottes 94 handelt es sich also keineswegs um ein arbiträres chamäleongleiches Changieren. Vielmehr bleibt seine Ambivalenz eng mit der Handlung verwoben und die scheinbar konträren Valenzen des Gottes deren Transgressionen und sozialen Interaktionen zugeordnet. Bereits die paradoxe Ambivalenz von Dionysos als Verwandtem und doch Fremdem entsteht durch seine unerkannte Heimkehr, die räumliche Re/ Transgression von Asien nach Europa. 95 Allein Pentheus’ und der Thebaner Asebie ist verantwortlich dafür, daß Dionysos’ Ambivalenz von der Milde ins Gewalt(tät)ige umschlägt, die beide in seinem Ritus und Mythos ihren Platz haben. Die menschliche Transgression als entscheidendes Moment wird dramaturgisch in der Syntagmatik der szenischen Manifestation von Dionysos’ Charakteristika augenfällig: Die positiven Seiten konzentrieren sich auf den Anfang des Stückes und lassen Pentheus’ Ablehnung als Transgression hervortreten, die negativen treten bei seiner Eliminierung hervor. Auch die Binnenhermeneutik weist auf die Transgression als Auslöser für den Umschlag von Dionysos’ Ambivalenz. Denn vor der orgiastischen Gewalt zeichnen Teiresias und Kadmos ein positiv-gemäßigtes Bild eines Dionysos, der die Sorgen löst und dem man sich getrost anschließen kann, und raten Pentheus sogar von seiner Asebie ab (v. 309-313, 330 f., Näheres s. 4.5 Tragik). Erst als Reaktion auf die religiöse Transgression stürzt Dionysos Agaue und Pentheus im Rausch bzw. Wahn ins Verderben. Die Transgression als entscheidendes Moment tritt auch offen in Dionysos’ Selbstcharakteristik zutage, die den Transgressor Pentheus über das Wesen des Gottes unterrichten soll. Syntaktisch steht ihm die Gewalt(tät)igkeit des Gottes nahe, während seine Milde unmittelbar neben den Menschen steht (v. 859-861). 96 Die tragische Ironie, daß Pentheus, der Teiresias’ Sehersitz umstürzen lassen will (v. 346-351) und Dionysos mit Enthauptung droht (v. 239-241), selbst vom Wipfel der Fichte gestürzt und enthauptet wird, macht sinnfällig, daß von seiner gottlosen Transgression die Gewalt ausgeht und die Handlung der Tragödie infiziert und erst diese konkrete Gewalt(drohung) Dionysos’ Gewaltpotential aktualisiert. Das Verhältnis von menschlicher Transgression und göttlicher Ambivalenz gestaltet sich in unserer Tragödie gleichwohl noch etwas komplexer: Denn Dio- 93 S. dazu Renate Schlesier, Dionysos. Riten und Mythen im Werk von Walter Burkert. In: Anton Bierl, Wolfgang Braungart (Hgg.), Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert. Mythos- EikonPoiesis 2. Berlin 2010, 149-171, h. 163. 94 Radke 2003: 117-136 versucht, die Ambivalenz des Dionysos bei der Fremdheit/ Bekanntheit herunterzuspielen, läßt aber auch bei der Selbstcharakteristik als mildester und gewaltigster Gott (v. 860 f.) eine Kontextualisierung in die Dramenhandlung erkennen, die freilich bei ihr eher banalisierend daherkommt (2003: 132). 95 Sie rückt auch Nina Schwartz’ metatheatralische Interpretation an den Anfang (2013: 312). Das Auftauchen aus der Fremde und als Fremder ermöglicht Dionysos erst das metatheatralische Spiel mit seiner Maske und Identität, das er im Dramenverlauf entfaltet. 96 […] [sc. ] / / - ’ . 528 nysos’ für Euripides typisches theoideologisch-politisches Anliegen, sich als Gottheit Anerkennung zu verschaffen, das er wie die Aphrodite des Hippolytos bereits im Prolog als Leitlinie der Handlung der Tragödie formuliert (v. 20-22, 43-50), zielt auf die Annullierung der Ambivalenz zumindest bei der Dualität von Göttlichem und Menschlichem. 97 Die Liminalität des Protagonisten ist in dieser Tragödie wie im OT und in Euripides’ Medea also an die Eliminierung geknüpft. Diese erstreckt sich bei ihm nur auf das signifié einer sozialen Rolle und nicht auf das signifiant seiner physischen Existenz. Der seiner Abstammung nach halbe Gott eliminiert statt dessen wie die Enkelin des Sonnengottes die Sterblichen, die sich ihm widersetzen, so die theologische Lösung dramatischer Konflikte bei Euripides. Die Eliminierung der eigenen Ambivalenz über eine eliminatorische Univozierung weist mit der Reduktion von Zweiwertigkeit zwar ein Substrat der Tragik auf. Die Tragik selbst liegt jedoch in der Figur des Pentheus, dessen Transgression darauf beruht, daß er die Ambivalenz seines Gegenübers reduziert, indem er sie diesmal ihrer göttlichen Seite entkleidet und den daraus erwachsenden Geltungsanspruch negiert. Wie in den Bakchen und im Oidipus Tyrannos mit Dionysos und Apoll zwei konträre Götter als Motoren der Handlung fungieren (und doch jeder in der von dem anderen dominierten Tragödie präsent ist und ihr durch Kontrast und Interaktion semantische Tiefe verleiht), so können die Könige der beiden Tragödien als interpretatorische Kontrastfolien dienen und ihr Bild wechselweise erhellen. Dies trägt rückblickend auch zu einem besseren Verständnis des OT bei. Die Grundlage für den Vergleich bilden ihre identische soziale Position, die sie gegen Usurpationsversuche meinen verteidigen zu müssen, ihre faktische Opposition gegen eine der genannten männlichen Gottheiten und ihr Bezug zum Kithairon. Doch während Oidipus ohne sein Wollen und Wissen als Säugling in dieses Scheidegebirge und damit in die liminale und ambivalente Position gebracht wird, die später seine Transgression ermöglicht und begünstigt, begibt sich Pentheus freiwillig aus Neugier dorthin, um Verborgenes und Verbotenes zu erfahren, wie Dionysos selbst bemerkt, als er seinen Auftritt befiehlt (v. 912 f., vgl. v. 474). Pentheus ist damit viel eher als Oidipus, den in der erforschenden Handlung neben dem verletzten Ehrgefühl ob der Unsicherheiten über seine Herkunft die Weisung Apolls und die grassierende kollektive Eliminierung zu seiner Suche antreiben, ein Beispiel für die eliminatorischen Folgen des uneingeschränkten Wissenwollens und die Grenzen der Rationalität überhaupt, die sichtbar werden, wenn die Rationalität mit ihrer Logik nicht Kommensurables nicht akzeptiert und die religiösen Grenzen dessen nicht respektiert, was ihr 97 S. dazu ausführlich Renate Schlesier, Der göttliche Sohn einer menschlichen Mutter. Aspekte des Dionysos in der antiken griechischen Tragödie. In: Anton Bierl, Rebecca Lämmle, Katharina Wesselmann (Hgg.), Literatur und Religion. Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen. MythosEikonPoiesis 1. 2 Bde. Berlin 2007, Bd. 1, 303-334, h. 312-328, die Dionysos’ Unsterblichkeit als essentialistisches Gottesmerkmal herauspräpariert, völlig zu Recht, da dies bereits lexikalisch innerhalb des anthropomorphen Polytheismus der Griechen der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Gott ist. 4. Euripides’ 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung 529 Verständnis übersteigt. 98 Denn während Oidipus’ Recherche eine Transgression aufklären soll, ist diejenige des Pentheus zweifelsohne eine lokale (v. 1043- 1045), religiös-rituelle und Gender-Grenzüberschreitung. 99 Mit letzterer gibt Pentheus sein soziales signifié als Mann auf und bereitet so seine physische Eliminierung durch die Mänaden vor, die im alle Unterschiede annullierenden dionysischen Rausch die Differenz zwischen Gott und Mensch restaurieren. Die Liminalität und ihre differenzannullierende und -etablierende Funktion beschränken sich nicht auf die Figuren. Der Kithairon ist nicht nur ein liminaler Ort, 100 dessen Status im OT auf den Protagonisten nachgerade abfärbt, sondern auch einer, der lokal und durch das Mänadentum außerhalb der zivilisatorischen Ordnung liegt. Die lokale Liminalität steht dabei nicht im Widerspruch zum binären Gegensatz von (zivilisierter) Stadt und (primitiv-regressivem) Berg, den Rainer Friedrich treffend herausarbeitet, 101 da bei seinem Akzent auf der Stadt als Ort der identitätsstiftenden Grenzziehung diese das Zentrum und der Berg zur Peripherie, ja Grenzregion wird. Gerade durch den Blick von außen auf Theben, wie ihn das in Athen aufgeführte attische Drama notwendigerweise einnimmt, 102 wird der Kithairon als Grenzgebirge vom Außen zum Zwischen. Unbeschadet dieser strukturalistisch-topologischen Klassifikation des statischen Verhältnisses von Stadt und Berg ist der Kithairon durch den dionysischen Gang mehrerer Dramenfiguren zentral für die Handlung, 103 aber auch durch die Art des Gangs für die Charakteristik der Figuren. Nur Teiresias und Kadmos begeben sich aus wohlüberlegtem Kalkül freiwillig ins Gebirge. Die thebanischen Frauen treibt Dionysos als wahngeschlagene Mänaden dorthin, und auch Pentheus’ Gang in den Wald ist nicht wie in Ernst Jüngers politischer Romantik ein 98 Es geht m.E. (in) der Tragödie also v.a. um die Warnung vor einer falschverstandenen Rationalität. Denn gewiß hat Radke recht, daß die Tragödie nicht auf menschliche Rationalität und menschliches Wissensstreben per se ziele. Doch greift es zu kurz, wenn Radke dabei meint, daß die Tragödie „nur eine ganz bestimmte Form des Wissen-Wollens, die von dem individuellen Charakter des Pentheus abhängig ist[,]“ im Blick habe (2003: 60 f.). Selbst wenn man Radkes problematische Ethologisierung ausklammert, die Pentheus’ „Neugier“ als Teil seines „schließlich geradezu pathologischen - Kontrollzwang[s]“ ansieht, so verbürgt doch bereits die referentielle gesellschaftliche Existenz des Religiösen und Numinosen, das Pentheus nicht respektiert, eine allgemeine Dimension seines individuellen Vergehens. Und jenseits solch reiner Schlußfolgerungen spricht das dritte Stasimon im Dramentext selbst den Gedanken aus, daß das Erkennen und Streben Grenzen des Herkommens nicht überschreiten darf (v. 890-892). 99 Vgl. dazu Gerolemou 2011: 395-398. 100 Dieser Ausdruck greift Viktor Turners „liminal space“ auf, der damit einen Ort zwischen Ordnung und Unordnung und überhaupt der Grenzaufhebung bezeichnete (vgl. Segal 1986: 285 mit Literaturangaben, der diesen Terminus auf die Tragödie überträgt). 101 City and Mountain: Dramatic Spaces in Euripides’ Bacchae. In: Roger Bauer, Douwe Fokkema (Hgg.), Proceedings of the XIIth Congress of the International Comparative Literature Association. Spaces and Boundaries. Bd. 2. München 1988, 538-545. 102 Für Theben als reflexiven Gegenort s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Medea-Interpretation. 103 Für die Umsetzung in verschiedenen szenischen Räumen s. Hans Oranje, „Space and action in the Bacchae“, in: Euripides’ Bacchae. The Play and its Audience. Mnemosyne Suppl. 78. Leiden 1984, 143-155. Der Konflikt zwischen Pentheus und Dionysos vollziehe sich im Ringen um die drei Räume, Palast, Stadt und Berg. Letzteren habe Dionysos mit Hilfe der thebanischen Frauen am Anfang des Stückes besetzt. 530 Gang in die Freiheit, 104 wie der Auszug der Plebs auf den Mons sacer (Liv. 2,32,3: secessio) ein Akt der Sezession, der bei Jünger sogar semiotische Züge annimmt (2007: 17), sondern ein verleitetes Stolpern in den waltenden und für den Außenstehenden eliminatorischen Wahnsinn der Mänaden. Die symbolische Reanimalisierung des Dionysos und der Mänaden durch Attribute (v. 99-102), welche die Ambivalenz zum Tierischen hin erweitert, bereitet den Rückfall in einen präzivilisatorischen Zustand vor, wie ihn das animalische Zerreißen des Pentheus darstellt. 105 Der transgressive Zivilisationsbruch liegt im verfehlten Objekt des Sparagmos, dessen Akteure tätlich und symbolisch und dessen Objekt illusionär vertiert werden. Das aus der Verblendung geborene Zerreißen des Pentheus statt eines Hirschkalbs revertiert das Opfer vom Tier zum Menschen und damit den gesamten Zivilisationsprozeß, der auf Substitution und Repräsentation beruht (Näheres s. 2.2.2 Ritual in der Einleitung). 4.7 Girard, Zusammenfassung und Ausblick Die Analyse der Bakchen ermöglicht abschließend eine kritische Auseinandersetzung mit René Girard, der auch die Handlung dieser Tragödie nach seinem Muster deutet 106 - und dabei wie im OT differenzannullierend verkürzt (1987: 180). Die Bakchen scheinen wie geschaffen, um Girards ritualorientierte, strukturalistische Opfertheorie einer crise sacrificielle zu exemplifizieren. Die Strukturierung der Handlung und des Konflikts durch Intentionen, Rollen und personale Kausalitäten, welche die vorliegende Untersuchung herausgearbeitet hat, gerät dabei aus dem Blick. So wird gewiß selbst der Unterschied zwischen Mensch und Gott durch die mimetische Doppelung und die Konkurrenz um die Vorherrschaft in der Polis durchlässig, jedoch nicht verwischt (1987: 182 f.), da Dionysos als metatheatralischer Regisseur Pentheus’ Maskerade veranlaßt und den Konflikt unangefochten für sich entscheiden kann. Girard sieht denn auch selbst, daß der Unterschied am Ende der Tragödie reaffirmiert wird (1987: 184). Die dramatische Relevanz von Grenzen und Unterschieden betont Girard dabei völlig zu Recht gegen die Lektüre der Bakchen als Glaubensbekenntnis (1987: 185: „limites transgressées“). Auch wenn der Sparagmos alle praktischen (manuell) und sozialen (kollektive Spontaneität) Kriterien des dionysischen kultischen Rituals erfüllt (1987: 186), so bleibt Dionysos sowohl auf der Seite des Opfers wie der Opfernden dessen Urheber. Daß Dionysos selbst wegen der Äquivozität zwischen Mensch und Gott geopfert werden könnte, wie Girard meint (1987: 187), steht in der Tragödie nie zur Debatte, nur die brutale Hinrichtung als inhaftierter Störenfried durch seinen Vetter (v. 239-241, 355-357), 104 „Im Waldgang betrachten wir die Freiheit des Einzelnen in dieser Welt.“ Der Waldgang (1951). Stuttgart 12 2007, 19. 105 Selbst in Jüngers mythisch gewandeter politischer Bildsprache trägt die dionysische rächende Gewalt, die dem Walde entstammt, animalische Züge (2007: 37): „Dem Mythos ist der Gegensatz [sc. von Seefahrt und Wald] vertrauter - so ließ der von tyrrhenischen Schiffern entführte Dionysos Weinreben und Efeu die Ruder umstricken und zu den Masten emporwuchern. Aus ihrem Dickicht brach der Tiger hervor, der die Räuber zerriß.“ 106 La Violence et le Sacré. Paris 1972, Ndr. 1987, 180-197. 4. Euripides’ 4.7 Girard, Zusammenfassung und Ausblick 531 also eine juridisch-politische statt einer rituellen Eliminierung. Dionysos’ erstaunliche Gewalttätigkeit (1987: 188 f.) ist Teil seiner zu demonstrierenden Gewaltigkeit. Das bisherige Deutungsproblem der Bakchen, das er in dem ambivalenten Bild des Gottes begründet sieht, löst Girard ebenso elegant wie willkürlich: Die Bakchen enthalten durchaus positive Abweichungen von dem archetypischen Modell der enthemmten Gewalt, das Girard in dieser Tragödie erblickt. Zu nennen wären hier der Weingenuß (v. 278 ff., 421-424, 772-774), den nur Pentheus negativ sieht, da er die Frauen gefügig mache (v. 260-263), und die Idylle (v. 699-703). Doch diese Abweichungen von seinem postulierten Idealmodell erklärt Girard praeter propter damit, daß es in der dichterischen Bearbeitung alteriert worden sei (1987: 193-197). Da er konkrete Nachweise am Text schuldig bleibt, warum die positiven Elemente sekundär seien, die fester Bestandteil von Kult und Mythos waren, 107 liegt die gewaltsame Willkür eher in seiner selektiven Interpretation als in Euripides’ Tragödie. 108 Inner- und unterhalb dieser bleibt Girards archetypisches Modell damit schwierig als zweite Substratebenen neben Kultus, Ritus und Mythos abgrenzbar. Die positiven und gewalttätig-negativen Seiten des Dionysoskultes stehen keineswegs konträr nebeneinander, sondern sind über Transgression und Eliminierung dramatisch verbunden (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung). Mit der Behauptung, eine definitive, die Differenzen berücksichtigende Lösung des Interpretationsproblems müsse die Gewalt als willkürlich ansehen (1987: 196), verabsolutiert Girard seine eigenen Postulate und tritt in Widerspruch zum Wortlaut des Prologs, in dem Dionysos sich als göttliches dramatisches Suprasubjekt zeigt, das sich anschickt, gewaltsam die Ambivalenz seiner Herkunft zu reduzieren. Bemerkenswerterweise wird bei Euripides Dionysos’ zweite Geburt aus dem Schenkel des Zeus, die ihm eine göttliche (Leih)Mutter verschafft hätte, nur von Pentheus erwähnt und als Prätention gebrandmarkt, die seine göttliche Abkunft und Natur legitimieren solle (v. 242-245), und ihm anschließend von Teiresias erklärt (v. 286-297). Dionysos selbst nennt nur den Blitz (v. 3, 8) und präludiert damit die göttliche Gewalt. Die Entscheidung für die göttliche Hälfte legitimiert Dionysos, indem er auf der Vaterschaft des Zeus insistiert (v. 1, 27, 42). Mag die von Dionysos referierte Gegenposition zu seiner Herkunft (v. 28-31; Näheres s. 4.2 Personen- und Konfliktkonstellation, Epiphanie und der Handlungsverlauf) auch den Anschein erwecken, Euripides spitze die Situation ganz sophistisch auf den Konflikt zweier Meinungen zu, so wird der Dramenverlauf die Göttlichkeit, wie im Prolog angekündigt, unter Beweis stellen. Pure Willkür liegt bei der Gewalt also nicht vor. Halten wir abschließend fest: Im Fall der Bakchen ist die Figur der Transgression, die als Überschreitung strukturalistisch definierter binärer Oppositionen und Grenzen bestimmt ist, besonders geeignet, zwei bislang konträre Inter- 107 Vgl. Renate Schlesier, Art. Dionysos. DNP 3 (1997) 651-662, h. 653-655 und Eduard Thraemer, Art. Dionysos. Roscher 1,1 (1884-86) 1029-1153, h. 1059-1065. 108 Vgl. Radkes, bereits zum OT (2.1 Einleitung) zitiertes Bonmot (2003: 3 Anm. 7): „Seine [sc. Girards] Interpretation der Bakchen gerät dabei nicht nur zu einer Studie über menschliche Aggressionen und die Gewaltätigkeit des Dionysischen, sondern tut auch selbst dem Gegenstand nicht wenig Gewalt an.“ 532 pretationsansätze zusammenzubringen, nämlich die Tragödie, deren klassisches Handlungsschema auf sozialer Grenzüberschreitung beruht, und das Metatheater, das eine poetische Form der Grenzüberschreitung ist. Der Urheber dieser beiden Handlungsmerkmale ist der Theatergott Dionysos, der ein Metatheater inszeniert, mit dem er ahndet, daß Pentheus, Agaue und die thebanischen Frauen ihm die Anerkennung seiner Göttlichkeit versagt haben. Allen Grenzüberschreitungen und Differenzannullierungen, an denen die Tragödie so reich ist, steht als handlungsstrukturierender Pol und orientierungspendender Fluchtpunkt gegenüber, daß Dionysos ihnen gegenüber souverän ist und seine göttliche Differenz, Identität und Souveränität (wieder)herstellt. Daneben sind die Bakchen eine wichtige Station der Gattungsgeschichte. Das tragische Handlungsmuster des Integritätenkonflikts und der Integritätsverletzung wird auf zwei Akteure aufgespalten, da Pentheus bei dem Versuch, die kulturelle, soziale und physische Integrität der Polis zu wahren seine religiösrituelle und physische Integrität verliert, statt wie beim klassischen tragischen Handlungsschema die physische eines Anverwandten zu opfern. Dies vollzieht dagegen seine Mutter Agaue an ihm, während Dionysos ihre Tat arrangiert und dabei seinen Vetter seiner sozioreligiösen Integrität opfert. Tragisch ist Pentheus nicht nur durch den genannten Integritätenkonflikt, sondern auch dadurch, daß seine darin involvierte religiöse Transgression gegen Dionysos’ Göttlichkeit auf einer Beeinträchtigung seiner Funktion als ethisches und v.a. rationales Subjekt beruht, die handlungsstrukturell bedingt ist, weil sie in seiner Position als Monarch, seinem eingeschränkten Wissenshorizont und dem wunderlich-brüsken Auftreten des Dionysischen wurzelt 109 und sich deshalb im Verlaufe seiner theomachen Phase verschärft, statt durch die Appelle seiner Umwelt Linderung zu erfahren. Die herausgehobene gattungsgeschichtliche Stellung der Bakchen zeigt sich in zwei weiteren Punkten: Mit der thematischen Rückkehr zu den rituellen Ursprüngen der Gattung und dem metatheatralischen Auftreten des Theatergottes drücken sie der griechischen Tragödie die auf. 110 Mehr Metatheater würde das für das Funktionieren der Tragik notwendige sprengen, 111 auch wenn Aristoteles dem Wunderbaren ( ) Einlaß in die Tragödie gewährt, freilich in geringerem Umfang als im Epos (Poet. 1460a 11 f.). In den Bakchen ist das Wunderbare nur über seine Verbindung mit der Gottheit akzeptabel. Die weiteren Möglichkeiten des Metatheaters konnten und können deshalb nur innerhalb der Komödie ausgelotet werden, deren Grundmodus, die Komik, einen freieren, spielerischeren Umgang mit Grenzen pflegt. 109 Als Fabula docet dieser Tragödie ließe sich deshalb der interkulturell-religionsethische Imperativ formulieren: „Respektiere stets einen Fremden, ganz gleich wie absonderlich seine religiösen Bräuche und Ansichten dir scheinen mögen. Schließlich könnte er ein Gott sein.“ 110 Ähnlich Bierl 1991: 182 zur gattungsgeschichtlichen Gipfel- und Grenzstellung der Bakchen. 111 Für die gegensätzlichen modi operandi von Tragödie und Metatheater s. bereits Lionel Abel, Metatheatre. A New View of Dramatic Form. New York 3 1966, 112 f. 4. Euripides’ 5. Interludium: Die antike Komödie 5.1 Aristophanes’ Frösche: Komisches Metatheater als Metatragödie Der Ausnahmezustand, der nach Auffassung dieser Untersuchung die Komik kennzeichnet, ist in Aristophanes’ Komödien zumeist entsprechend der Ausrichtung der Alten Komödie auf die Polis ein phantastisch-politischer. In etlichen seiner Stücke sind konkrete Unterformen der Komik und der dramatischen Metapoetik prominent, auf welche die vorliegende Arbeit abhebt: So bieten die Ritter Beispiele für die Verdoppelung, die Wolken für Intratheater und die Thesmophoriazusen für Interdrama, da sie Euripides’ Helena parodieren. 1 Am ergiebigsten für unseren Ansatz sind jedoch die 405 v.Chr. aufgeführten Frösche, da sie auf einer Grenzüberschreitung in den Hades beruhen, 2 die wir bislang in Aischylos’ Persern nur in umgekehrt nekromantischer Richtung kennengelernt haben. Diese Grenzüberschreitung hat, da nach dem Agon des Aischylos und Euripides ein Tragödiendichter hinaufgeholt werden soll, zugleich ein intra- und interdramatisches, wenn nicht gar metatheatralisches und metatragisches Moment, sieht der Zuschauer in diesem Drama doch „das, was er vom nächsten Tag an in größerem zeitlichen Rahmen realiter mit ansehen wird: einen tragischen Agon.“ 3 Wie den Bakchen verleihen diesem Drama seine chronologische Stellung am Ende der Produktion der attischen Tragödie und das Auftreten des Dionysos eine Scharnierstellung für die weitere dramatische Entwicklung. Doch tritt Dionysos in den Fröschen viel stärker als in den Bakchen, in denen er im wesentlichen als Regisseur des Dramengeschehens agiert und die Anerkennung seiner rituellen Funktion durchsetzt, als Theatergott auf, an dem sich die Reflexion der Gattung anhand ihrer beiden Ausprägungen, Tragödie und Komödie, vollzieht. 4 Anders als in den Bakchen wird die lokale Verankerung seines Kultes in Attika hergestellt und mit den Lenäen der kultische Aufführungsanlaß der Komödie erwähnt, während deren mythorituell-ekstatischen Elemente fehlen. 5 Diese Komödie hat damit grundständig ein größeres metatheatralisches Potential. 1 S. dazu Anton F. Harald Bierl, Dionysos und die griechische Tragödie. Politische und ‚metatheatralische‘ Aspekte im Text. Diss. München 1990. Classica Monacensia 1. Tübingen 1991, 172-176. 2 Zum Ort und seiner semantischen Interaktion mit der Polis s. Peter von Möllendorff, Grundlagen einer Ästhetik der alten Komödie. Untersuchungen zu Aristophanes und Michail Bachtin. Diss. München 1994. Classica Monacensia 9. Tübingen 1995, 140-143, vgl. 173-183, 254- 265. 3 Von Möllendorff 1995: 141. 4 Vgl. Anton Bierl, Dionysos in Old Comedy. Staging of Experiments on Myth and Cult. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 366-385, h. 382. 5 Bierl 1991: 28 f. Dionysos’ Rolle in dieser Komödie bespricht er auf S. 27-44. Vgl. jetzt auch Bierl 2013: 372-374. 5. Interludium: Die antike Komödie 534 Wir werden uns im folgenden entsprechend dem Schwerpunkt dieser Arbeit auf der (attischen) Tragödie damit begnügen, die Eingangsszene zu besprechen. 6 Sie füllt der Weg, den Dionysos mit seinem Sklaven Xanthias bis zum Tor des Herakles unternimmt, um die lokal transgressive in die Unterwelt vorzubereiten (v. 1-37), also die oben skizzierte lokale Transgression als Spezifikum dieses Dramas. 7 Hier ist bereits die Eröffnungsfrage des Sklaven, ob er etwas Konventionelles sagen solle, worüber die Zuschauer immer lachten, nicht nur genuin metatheatralisch, sondern auch metakomisch (v. 1 f.). Mit den Zuschauern wird das Schauspiel, mit deren Reaktion, dem Lachen, das Lustspiel thematisiert. Das Konventionelle wird durch seine Problematisierung bereits transzendiert und doch wird dadurch, daß Herr und Sklave wiederholt die problematisierten schlechten Lastenträgerwitze der Komödie (v. 15), die Xanthias nicht erzählen solle, dennoch wiedergeben, die komische Wirkung gesteigert, weil die gleichzeitig angedeuteten Qualitätsmerkmale der Komik (v. 5: ) unterlaufen werden. Die metakomische Transgression vollzieht sich also als Subvertierung. Die ihrerseits komische Metakomik wird aber nicht nur durch die faktische Performanz, sondern auch durch die explizite Nichtnennung gesteigert, weil der angedeutete Witz 8 während der gesamten Szene zwar diskutiert, aber zugunsten der schlechten Witze und anderer komischer Elemente nie erzählt wird. Damit liegt der Lustaufschub vor, der etwa im Falle leiblicher Genüsse wie Essen oder sexueller Betätigung oder beidem ein wichtiges Element der Komik in der Komödie ist, man denke beispielsweise an Plautus’ Casina und die Kinesias-Szene in der Lysistrate (v. 845-958). Die metatheatralische Komik wird noch dadurch gesteigert, daß der Theatergott selbst sein Mißbehagen beim Anblick ( ) der schlechten Scherze der Komödiendichter Lykis und Ameipsias äußert, deren Aufführungen er um ein Jahr älter verlasse (v. 16-18). Die zeitliche Verschiebung erstreckt sich also nicht nur auf den verschwiegenen guten Witz oder ad kalendas Graecas verschobene körperliche Befriedigung, sondern auch auf den Rezipienten schlechter Scherze. Dionysos’ Äußerung macht aber auch, da er das Lexem ‚sehen‘ ( ) gebraucht und v.a. andere Komiker erwähnt, klar, daß die Humorkritik der Prologszene nicht bloß zur Metakomik, sondern zur Metakomödie gehört, zumal die humoristischen Konventionen dieser Gattung thematisiert und überschritten werden. 6 Für eine vollständige Besprechung unter evaluativ-dramenästhetischen Gesichtspunkten s. Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 14-33. 7 Die Besonderheit dieser Bewegung tritt auch dadurch rein hervor, daß ab v. 35 die Örtlichkeit beschrieben wird (Angus M. Bowie, Aristophanes. In: Irene J. F. de Jong (Hg.), Space in Ancient Greek Literature. Mnemosyne Suppl. 339. Studies in Ancient Greek narrative 3. Leiden 2012, 359-373, h. 361). Sie wird also verbal wie bei dem transverbal-intraszenischen Metatheater evoziert und nicht szenisch präsentiert. Auf den letztgenannten Modus beschränkt sich die Reise von Dionysos und seinem Sklaven. 8 Xanthias’ Bitte um Erlaubnis thematisiert die Komik nicht nur, sie macht sie auch binnenpragmatisch, da sie Adressant und Adressat expliziert, entsprechend Freuds in der Einleitung dieser Arbeit skizzierten Kriterien (s. 1.5 Komik, Doppelung und Iteration) zu einem Witz. 5.1 Aristophanes’ : Komisches Metatheater als Metatragödie 535 Fragen nach dem Gegenstand oder vornehmlich dessen adäquater Darstellung, deren Xanthias eine stellt, gehören zur metapoetischen Exordialtopik selbstreflexiver Werke der antiken Literatur. 9 Hier wird sie kongenial in den Dramendialog eingebettet und illustriert überdies die Hierarchie zwischen den Akteuren. Dabei wird der Theatergott nicht müde zu betonen, daß in der Praxis die Hierarchie doch invertiert sei, weil er gehe und sich mühe und den Sklaven auf dem Esel reiten lasse (v. 21-24). Ja, Dionysos kennzeichnet diese Konstellation ausdrücklich als Transgression und Dekadenz (v. 21: … - ) und greift mit ersterer in Form der Metatragödie ein Schlüsselwort der Tragödie auf. 10 Während der Wagen eine markante Rolle in der tragischen Transgression und Eliminierung spielt, ist hier der Einsatz eines Reittiers ein Vehikel der Komik. Die Invertierung liegt in diesem Zusammenhang auch darin, daß der Grund für Xanthias’ Klage nicht unter, sondern über ihm ist, da der Sklave das Gepäck geschultert hat (v. 8: ). 11 Auf diese Erscheinung läßt sich auch das beziehen, mit dem Herakles entsprechend den rüden Sitten dieser liminalen Gestalten das Anklopfen in v. 38 charakterisiert. Xanthias’ Position ist nicht nur druckphysikalisch und praktisch, sondern auch theatersemiotisch unvorteilhaft: Hier steht er auf der horizontalen Achse in Opposition zu einem Gott und seinem Herrn, auf der vertikalen zwischen belebtem und unbelebtem Besitztum und wird so in diesem semiotischen Sandwich in den Status eines aristotelischen (Pol. 1253b 27-33, EN 1161b 4) hineingedrängt. Die hölzerne Tragestange (v. 8: ), die auf den Schultern des Sklaven ruht und an deren Ende die Last befestigt wurde, 12 ist wie das Reittier des Wagens eine Reduktion des Jochs, das die beiden Frauen im Traum der Atossa in den Persern verbindet. An dieser Reduktion zeigt sich die Vereinseitigung und die Verlagerung der gesamten Figur ins Horizontale, aber auch die Sinnentleerung der Hierarchie, deren zwanghafte Etablierung in den Persern noch eine inhärente semiotische Komponente hatte. Doch Dionysos hat die Klagen seines Sklaven über die Last, die auf seinen Schultern (v. 30) drückt und daran reibt, bereits eingangs in einer praeteritio durch Aussprechen unaussprechlich gemacht (v. 3, 5) und so unterdrückt. Nicht die Lust, sondern die Schmerzlinderung verschiebt hier also die Komik. Die Defäkation, die Dionysos als Anlaß des Lastenwechsels ebenfalls präventiv zurückweist (v. 8) und damit dem Mitreisenden die Notdurft verweigert, steht zwischen beiden. Daß er auf einen Witz über das Windlassen, mit dem der reitende Sklave sich erleichtern will, mit Erbrechen reagieren will (v. 9-11), invertiert die emittierende Körperöffnung. Dabei ist seine hypothetische Reaktion 9 Z.B. Call. Jov. 1-9, Del. 1 f. 10 Kloss deutet vieles des hier zu dieser Reise Ausgeführten an, wenn er auf „[d]ie Dichte an sprachlichen Witzen (Wortspiele, tragische Diktion, Spott auf Personen und das Publikum usw.)“ hinweist, die hier an keiner Stelle nachlasse (2001: 283). 11 Zur komischen Narratologie, welche diese Szene um die Last als ihren Hauptgegenstand entwickelt, s. Kloss 2001: 265 f. 12 Stanford 71 a.l. Er verweist auf Victor Ehrenberg, The People of Aristophanes. A Sociology of Old Attic Comedy. Oxford 2 1951, 177 samt der leider nicht sonderlich aussagekräftigen Abbildung XIVb (einer Steinskulptur). 5. Interludium: Die antike Komödie 536 ambivalent: Sie läßt sich sowohl auf den schlechten Witz wie (sekundär) die Flatulenz beziehen. Für den Sklaven sind die Späße eine Möglichkeit, seine physisch mißliche Lage zu artikulieren und so die Unterdrückung der Äußerung der Unterdrückung, die sein Herr in der Humorkritik vornimmt, zu unterlaufen. Die Humorkritik, die der Sklave selbst durch die Komikreflexion angestoßen hat (v. 1 f.), perpetuiert also die Hierarchie, die allenfalls in einer gewissen saturnalienhaften des Sklaven und in dessen nutzlosem Reittier suspendiert wird. Bereits die erste Szene exemplifiziert die prominente Rolle des Körpers in der attischen Komödie, die in der Einleitung generell für körperliche Tabuthemen postuliert wurde (s. 1.5 Komik, Doppelung und Iteration). 13 Wie in der Gegenwart (s. 2.2.1 Performanz in der Einleitung) fungiert er dabei als theatralischer Sinnträger, freilich durchweg sprachlich evoziert und klar mit komischer statt diffuser Botschaft. Im Dienste der Komik steht auch die hier ausgeprägte soziale Bedeutung des Körpers. Die Sinnlichkeit, die mit dem Körper auf die Bühne zurückkehrt, ist haptischer Natur und eine hierarchisch bedingte Beeinträchtigung, die hier allerdings im Gegensatz zu den dynamischen Schlägen, einer sonst geläufigen und zumeist hierarchisch bedingten körperlichen Beeinträchtigung in der Komödie (vgl. die Sosia-Merkur-Szene in Plautus’ Amphitruo), statisch ist und keines Ausführenden bedarf. Selbst die Kalauer, an denen diese Szene nicht arm ist ( in v. 30 könnte mit Akut auf der letzten Silbe auch auf den rohen Druck der Last anspielen), münden in den Befehl an den Sklaven, an die Tür zu klopfen ( ), der zugleich als Doppelung der Anrede verstanden werden kann (v. 37). Zuvor hat Dionysos seinem Sklaven das bequeme Transportmittel entzogen (v. 35: ), mit dem dieser doch in scherzhafter Invertierung, die seine Last noch gesteigert hätte, die Position hätte tauschen sollen, da er über die Nutzlosigkeit des Reittiers geklagt habe (v. 32). Die Grenzverschiebung und Invertierung, die verkehrte Welt, zwischen Gott und Mensch, Herr und Sklave, Mensch und Tier, sind also ein wesentlicher Quell der Komik in der Eingangsszene. Trotz aller Grenzaufweichung bleibt der Theatergott das soziale wie dramatische Subjekt dieser Szene, die so seine intratheatralische Tätigkeit in der Komödie inauguriert. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia Der Realismus der Neuen Komödie, der die theatralisch-dramatische Mimesis verstärkt, kommt weitgehend ohne den komischen Ausnahmezustand aus, der bei Aristophanes noch überwiegend ein phantastisch-politischer war, und muß deshalb die Wiederherstellung von Ordnung und Identität in deren vordramatischer Gegebenheit suchen, die im Verlaufe des Stücks (wieder)entdeckt wird. Gegenüber der Tragödie verzichtet der Realismus der Nea ebenfalls auf den Mythos, der eine zeitliche, stoffliche und zumeist auch örtliche Distanzierung und insgesamt eine zweite verfremdende Folie des Bühnengeschehens gegen- 13 Vgl. von Möllendorff 1995: 74-90 („Karneval, grotesker Körper und groteskes Wort“). 5.2 Die Neue Komödie und Menanders 537 über der Lebenswelt der Zuschauer mit sich brachte. Wird der Realismus im Falle des Verzichts auf den Mythos durch eine dramensemiotische Komplexitätsreduktion erzielt, die eine generische Eliminierung in der Nea ist, so verzichtet sie zwar nicht auf die Masken, die ein materielles Kennzeichen des Ausnahmezustands waren, die Unterscheidung zwischen Mensch (signifiant) und dramatischer Figur (signifié) symbolisierten und ein metatheatralisches Potential mit sich brachten. Doch variiert und individualisiert sie diese, 14 was die dramatisch-mimetische Illusion erhöht. Der Charakter der Figuren kann so dank einer individuellen Maske dramaturgisch besser zur Geltung kommen. Die gewandelte Aufführungspraxis paßt zur genaueren Fokussierung des Einzelcharakters (trotz der Typisierungstendenzen) und seines Verhältnisses zur Gesellschaft, womit das Spannungsverhältnis von Individuum und Struktur wiederkehrt, aus dem ein Großteil der Komik resultiert, so bei Chremes in Menanders Dyskolos. Das Spannungsverhältnis von Individuum und Struktur wird allerdings um so deutlicher, als die human-zivilisierte Verfeinerung der Nea erstmalig die Transgression geradezu systemisch ausschließt und sie selbst im sozialen Umgang problematisiert. Die Transgression wird damit erstmals zum Objekt statt zum Auslöser der Eliminierung. Dies geschieht nicht nur negativ in der dramatischen Praxis, sondern diese performiert auch die Konventionen. So wendet sich die Hetäre Habrotonon beschämt ab, als der Bursche des Soldaten Polemon an sie eine Zote richtet, wie man aus der Reaktion des Burschen ersehen kann (Pk. 233 f.: / ’ ). Deren zweiter Teil zeigt aber auch, daß er sein Verhalten als konform zu ihrer Rolle ansieht. Die systemische Eliminierung erstreckt sich auch auf Formen der Eliminierung selbst. Wie in der Alten Komödie fehlen im Gegensatz zur Tragödie die physische Eliminierung und die dauerhafte Integritätsverletzung, was bereits Aristoteles als Gattungsmerkmal angesehen hat. 15 Doch wie in der Alten Komödie wird nur die eliminatorische Gewalt eliminiert, nicht die Gewalt an sich. Statt der Prügel der Alten Komödie finden sich auffallend häufig Formen spezifischer Gewalt gegen Frauen, so die Vergewaltigung oder das Scheren des Haupthaars (s.u.). Die Einschränkung bei Eliminierung und Transgression vermindern die theatralische Verunsicherung. Dazu trägt auch bei, daß wie in Sophokles’ Oidipus Tyrannos die genealogische Identität ein unhinterfragter Fixpunkt ist, der nachgerade automatisch die Auflösung nach sich zieht. Doch während im OT der Schrecken über die Identität des Transgressors die Entdeckung der Verwandtschaftsbeziehungen prägt, stellen diese in der Nea einen beruhigenden Garant der sozialen Ordnung dar. So schwankend die sozialen und dramatischen Beziehungen der Figuren während des Stückes auch gewesen sein mögen, so 14 Margarete Bieber, History of the Greek and Roman Theatre. Princeton 2 1961, 92. 15 Poet. 1449a 32-37, v.a. 34 f.: […]. 5. Interludium: Die antike Komödie 538 sehr klärt diese doch die wiederentdeckte Verwandtschaft. 16 Die generischsystemische Eliminierung setzt sich auch dahingehend fort, daß die Polis nur mehr das Suprasystem, aber nicht mehr das soziale System ist, um dessen Restauration es geht. Diese Rolle beschränkt sich auf den Oikos. Dadurch werden die Friktionen und Interdependenzen zwischen den beiden sozialen Systemen vermieden, die in der attischen Tragödie die Handlung - abgesehen von Konflikten um den Primat zwischen Polis und Oikos, wie sie Sophokles’ Antigone kennzeichnen - allein deshalb vorangetrieben und die Konflikte geschürt hatten, weil der Vater in patriarchalischer Machtvollkommenheit nicht nur das Haupt der Familie, sondern auch der Polis war. Der Funktionsverlust des größeren sozialen Kollektivs korreliert in der Nea mit demjenigen des Chores, der in das Bühnengeschehen der attischen Tragödie noch ein deutlich kollektives Moment gebracht hatte und nun zum Entreacte herabsinkt. Die epochalen Umbrüche zwischen Klassik und Hellenismus werden auch am Wandel des im Drama und dessen Theorie deutlich. Die Sache ist freilich komplexer und weniger eindeutig, als diese plakative Einstiegsformulierung erkennen läßt. Aristoteles, der im folgenden die Klassik gegen die Nea vertritt, ist ein Literaturtheoretiker der Nachklassik und bringt sich mit seiner Definition des Menschenfreundlichen, die, da sie das Konzept der Eliminierung teilt, dem Tragödienverständnis der vorliegenden Arbeit näher steht, in zeitgenössische Diskussionen ein. 17 Widerfuhr dem Schuft ein Umschlag vom Glück ins Unglück, war dies für Aristoteles , erregte aber keinen Jammer oder Schauder (Poet. 1453a 1-4), der umgekehrte Umschlag sei der untragischste aller denkbaren Fälle und weder noch schauder- und jammererregend (Poet. 1452b 34-53a 1). Das dritte Vorkommen des bei Aristoteles setzt sich von den bisherigen Stellen dadurch ab, daß es hier zusammen mit ‚tragisch‘ die Wirkungsabsicht der Dichter charakterisiert: 18 Sie werde erreicht, wenn ein kluger, aber schlechter ( < ’>) Mensch bei der Peripetie betrogen oder ein tapferer, 16 Wie man in Oidipus’ Sorge um seine vornehme Abkunft einen Widerschein des Übergangs von der Adelsgesellschaft zur bürgerlichen sehen kann, so kann man auch in der Selbstevidenz, welche die Nea der sozialen Bedeutung der genealogischen Abstammung zubilligt, einen Reflex der höheren Anforderungen erblicken, die an die Herkunft von Inhabern des Athener Bürgerrechts gestellt wurden. 17 Hellmut Flashar, Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1- 23, h. 11. 18 Diese Deutung ist in Fuhrmanns Übersetzung („In den Peripetien […] erreichen die Dichter in erstaunlichem Maße, was sie erstreben, d.h. das Tragische und das Menschenfreundliche“) und in der hier wiedergegebenen Interpunktion der Oxoniensis von Kassel klar erkennbar, die bereits Vahlens und Gudemans Ausgabe aufweisen und der auch die rezente Brill-Edition folgt. Unverständlich und irreführend ist Schmitts Wiedergabe (Poetik 26: „Mit einer Handlung, die in ihr Gegenteil umschlägt, […] erreicht man dagegen das angestrebte Ziel in außerordentlichem Maß. Denn dies ist tragisch und human. Man erreicht es, wenn ein Kluger […]“), weil er die 3. Pl. nicht als Fortführung des Vorangehenden auf die Dichter (vgl. Poet. 1456a 16: … und Doninis Ergänzung „[poeti]“) bezieht, sondern als abstraktes „man“ - wie das folgende - übersetzt. So wird die Aussage, welche Handlungsverläufe tragisch und menschenfreundlich seien, ganz dem Aristoteles in den Mund gelegt. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders 539 aber ungerechter unterliege (Poet. 1456a 19-23). 19 Diese Einschätzung ist nun wieder Aristoteles’ eigener Kommentar. Sie schreibt dem dieselbe Handlungskonstellation (Scheitern eines Schufts) wie die zitierte Stelle aus dem 13. Kapitel zu (Poet. 1453a 1-4), widerspricht ihr jedoch eklatant beim Tragischen, wie bereits Lucas 192 festgestellt hat („ is appropriate here, not “), 20 da das Jammer- und Schaudererregende dem Tragischen entspreche 21 und das nicht Teil der im 13. Kapitel skizzierten Idealtragödie sei. Zudem wird, was noch schwerer wiegt, das Jammer- und Schaudererregende dem Scheitern des Schufts in Poet. 1453a 1-4 ausdrücklich abgesprochen. Auch präpariert das 13. Kapitel eine ganz andere Konstellation als tragischste bzw. den Verlauf der schönsten Tragödie heraus, nämlich das Scheitern eines mittleren Charakters durch einen Fehler ( ). Die Abweichung von dem postulierten mittleren Charakter könne sogar eher ins Positive als ins Negative gehen (Poet. 1453a 16 f.). Moralische Extreme wie in Poet. 1456a 19-23 schließt Aristoteles aber bei den Eigenschaften im Positiven und bei den Gründen des Scheiterns im Negativen für die Idealtragödie (vgl. Poet. 1452b 31) aus (Poet. 1453a 7 f.). Man darf kaum annehmen, daß einem Meister der Syllogistik wie Aristoteles solch ein gravierender logischer Fehler in der Kohärenz seiner Schrift unterlaufen ist. 22 Der Widerspruch läßt sich elegant dadurch auflösen, daß man in Poet. 1456a 19-23 das Tragische nur auf die unmittelbar vorangehende Wirkungsabsicht der Dichter und nur das Menschenfreundliche auf die nach Aristoteles erforderliche Handlungskonstellation bezieht. würde dann nur auf das unmittelbar vorangehende - referieren. 23 Dieser unterschiedliche Bezug wird jedenfalls durch die 19 < > . 20 Schmitt Poetik 564-566 ignoriert die eklatanten Widersprüche in der Zuordnung von tragisch und Handlungsschema, die zwischen der fraglichen Stelle und dem 13. Kapitel bestehen, vollständig (er operiert sogar an unserer Stelle völlig selbstverständlich mit der Hamartia aus dem 13. Kapitel) und führt Halliwells Hinweis auf massive Diskrepanzen (1987: 152) auf ein neuzeitliches Tragikverständnis zurück. Dabei liegt der evidente (vordergründige) Widerspruch doch, wie von allen anderen Interpreten bemerkt, auf der Ebene des Poetik-Textes. Ursächlich für Schmitts verfehlten Versuch, diese Stelle für Aristoteles’ Tragikverständnis zu retten (das Menschenfreundliche streift Schmitt nur und hält es für einen Eindruck, den die Tragik nach Aristoteles hervorrufen könne) und den Widerspruch beim modernen Tragikkonzept zu suchen, ist seine - ebenfalls unhaltbare - Verbindung der aristotelischen (tragischen) Hamartia mit dem Charakter der betreffenden Figur (s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der Interpretation des OT), die auch bei dieser Stelle virulent ist. 21 Dupont-Roc/ Lallot 244 merken ebenfalls an (zum 13. Kap.): „[F]aute de susciter frayeur et pitié, elle [sc. eine Handlung, bei der ein übler Mensch einen Umschlag vom Glück ins Unglück erleidet] s’exclut du tragique.“ Sie ignorieren jedoch ansonsten die Widersprüche zwischen den Konzeptionen des Tragischen und Menschenfreundlichen in den beiden Kapiteln. 22 Gut denkbar sind dagegen punktuelle redaktionelle Inkohärenzen, vgl. Donini 127 Anm. 207: „[T]utto il capitolo è scritto in maniera frettolosa e sommaria.“ 23 Vgl. Hutton 64 „[t]he latter“. Donini 127 Anm. 207 schlägt sogar eine Interpunktion vor, welche unserer Interpretation entspräche ( ). Lucas 192 glossiert dagegen „the desired effect which they achieve“, spannt also den Bogen über die 5. Interludium: Die antike Komödie 540 weitgetrennte Stellung der beiden Attribute am entgegengesetzten Ende dieses kurzen erläuternden Einschubs in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Bezugsobjekte nahegelegt ( ). Für den Stageiriten war das Menschenfreundliche also ein Gegenteil des Tragischen (Näheres s. 2.1.2 und Tragik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung), aber wie dieses eliminatorisch und offensichtlich eine Schicksalswendung, die dem moralisch negativen Charakter des Betreffenden entsprach. Manfred Fuhrmann spricht wie Hellmut Flashar (1984: 11) von „poetische[r] Gerechtigkeit“, 24 Zierl, welcher die seit Lessing grassierenden philanthropen und christlichen Anachronismen („Nächstenbzw. Menschenliebe“) kritisch referiert, bühnenrezeptionsästhetisch von „Befriedigung und Freude über die gerechte Strafe des Schuldigen“ beim Zuschauer (1994: 28). Ebenso arbeiten Dupont-Roc/ Lallot 242-244 heraus, daß das in der Politik mit Freundschaft und der Entwicklung von Tugenden wie Großzügigkeit verbunden werde (1263b 15); doch sei nicht ersichtlich, welche freundschaftlichen Gefühle ein übler Mensch we ken könne. In der Poetik bezeichne dieses Lexem dahingehend eine Befriedigung des Menschlichen, daß die Werteordnung und die gerechte Verteilung gewahrt blieben (vgl. Donini 127: „senso morale“), 25 das selbstverständlich im positiven Sinne auch im Falle der Freundschaft zugrunde liegt. in Aristoteles’ Kommentar spezifizierten Wirkungen zu den Absichten der Dichter. Da er die hier entwickelte syntaktische Interpretation nicht sieht bzw. implizit ablehnt, zieht er zwei Lösungsversuche in Betracht, um dem von ihm aufgedeckten Widerspruch abzuhelfen, die tiefer in den Text bzw. das Verständnis seines Wortlautes eingreifen. Der erste ist eine Korruptel (vgl. Gudeman 325, s.u.). Lucas vermutet den Ausfall von Textstücken. Noch Halliwell hält den Text für zu verdorben für eine klare Interpretation. Auch er sieht die Widersprüche zum 13. Kapitel und bemüht sich vergeblich um eine harmonisierende Interpretation (1987: 152). Das ist Lucas’ zweiter Lösungsversuch. Er unternimmt nämlich eine etwas gewagte Deutung: Der „Held“ (Lucas distanziert sich von diesem Ausdruck explizit) könne derjenige sein, der Sisyphos täuscht oder den tapferen Schurken besiegt. 24 Manfred Fuhrmann, Die Dichtungstheorie der Antike. Aristoteles, Horaz, ‚Longin‘. Düsseldorf 3 2003, 42. Zur Diskussion um seine Bedeutung s. die Literaturangaben bei Marianne I. Hopman, Layered Stories in Aeschylus’ Persians. In: Jonas Grethlein, Antonios Rengakos (Hgg.), Narratology and Interpretation. The Content of Narrative Form in Ancient Literature. Berlin 2009, 357-376, h. 375 Anm. 28. 25 Allerdings scheint die positive menschliche Anteilnahme (vgl. Halliwell 1999: 69 ad Poet. 1452b 38 und a.l. „fellow-feeling“, Halliwell 1987 ad Poet. 1452b 38 „moving“, „move us“, a.l. „human sympathy“, Hutton 57 ad Poet. 1452b 38 und 64 a.l. „human sympathy“, Dupont- Roc/ Lallot übersetzen an beiden Stellen „sens de l’humain“ (S. 77, 99), Gallavotti, der eine gänzlich abweichende Interpunktion und entsprechend verfehlte Interpretation vorlegt (die 3. Pl. bezieht er auf das Publikum, ohne diesen von ihm selbst erkannten Subjektswechsel zu motivieren [S. 165]), „consenso umano“ [S. 43, 67]) noch nicht ganz aus dem Verständnis der Forschung verschwunden zu sein, vgl. Halliwells doxographische Notiz (1999: 69 ad Poet. 1452b 38): „a disputed concept; it may entail either a broadly humane sympathy (even with some forms of merited suffering) or a basic sense of justice.“ Gudeman 239 f. (ad Poet. 1452b 38) widerspricht der Deutung „in dem Sinne eines allgemein menschlichen Gerechtigkeitsgefühls“ und entwickelt aus dieser und unserer Stelle, „daß der Ausdruck nur die individuelle Anteilnahme an dem Schicksal eines Mitmenschen bezeichnen kann, die für jene tragischen die seelische Disposition schafft, also eine Art Vorstufe oder Substrat bildet“ (ähnlich wohl Schmitt Poetik 449 f. unter Verweis auf Poet. 1453b 17 f.). Gegen diese harmonisierende Interpretation einer gestuften Emotionalität spricht doch das ganz andere Handlungsk 5.2 Die Neue Komödie und Menanders 541 Ganz anders ist das Adjektiv in Menanders Samia gelagert. Anne Feltovich hat treffend gezeigt, daß in dieser Komödie Frauen mit unterschiedlichem sozialem Status kooperieren, um das Leben eines Säuglings zu schützen, das Männer bedrohen. 26 Weitere Fälle massiver physischer Gewalt durch Männer, in diesem Fall gegen Frauen, sind die Schur in der Perikeiromene und die Vergewaltigung in anderen Menander-Komödien. 27 Männlicher Konfrontation steht also weibliche Kooperation entgegen. Die biologische Opposition der Geschlechter qua signifiants setzt sich ethologisch in ihrem Bühnenverhalten fort. Feltovich konnte zeigen, daß die kooperierenden Frauen ihren sozialen Status und ihre materielle Absicherung aufs Spiel setzen. Doch letztendlich werden diese Kapitalien bzw. Integritäten zusammen mit der physischen des Kindes gerettet. Daß die Frauen die Identität der Mutter vertuschen, ist sicher ein klassischer Fall von Intratheater. Freilich komme ich trotz der bestechenden Richtigkeit von Feltovichs Analysen des genderspezifischen Handelns und ihrer aufgezeigten Vereinbarkeit mit den Interpretationskategorien dieser Arbeit um die ketzerische Bemerkung nicht umhin, daß die von ihr aufgezeigten Verhaltensweisen und Motive - Kooperation von Frauen zur Wahrung des eigenen sozialen Status und Prävention eines männlichen Infantizids - in ähnlicher Form in einer Menschenaffenhorde zu beobachten wären. 28 Das, was die so handelnden Frauen und Menanders Kunst davon abhebt, ist das , das an pointierter Stelle im Prolog benannt wird. Mit dem Adverb, welches bereits grammatikalisch das Handeln kennzeichnet und im Gegensatz zu einem essentialistischen, auf den Charakter zielenden Attribut performativ ist, bezeichnet nämlich Moschion, der Adoptivsohn des Demeas, 29 das Verhalten der Frau des Nachbarn, welche Chrysis, die titelgebende Samierin und Konkubine seines Adoptivvaters, bei sich aufgenommen hat (v. 35-38). 30 Das ist für Moschion freilich um so wichtiger, als Chrysis das Kind, das Moschion mit der Nachbarstochter Plangon gezeugt, statt ihres eigenen verstorbenen angenommen hat. Das Intratheater mit der Identität beruht also auf sozialer Konvention der Akteure, ihrer Absprache und ihrem Einvernehmen, und subvertiert die gesamtgesellschaftlichen Normen. Das Menschsein wird auch zuvor im Prolog nicht essentialistisch, sondern normativ über die interindividuellen Beziehungen definiert, schema bei der Tragik und beim Menschenfreundlichen im 13. Kapitel (beim 18. hegt Gudeman selbst Zweifel an der Richtigkeit des textus receptus [S. 239] und zieht eine Athetese oder Umstellung in Erwägung [S. 325]). 26 Vgl. http: / / apaclassics.org/ AnnualMeeting/ 10mtg/ Abstracts/ Feltovich.pdf. 27 S. Susan Lape, Reproducing Athens. Menander’s Comedy, Democratic Culture, and the Hellenistic City. Princeton, NJ 2004, 25. 28 Vgl. Andreas Paul, Von Affen und Menschen. Verhaltensbiologie der Primaten. Darmstadt 1998, 19 f. (Kooperation), 48-59 (Infantizid durch Männchen). 29 Er ist dramatisch aufgrund seiner sozialen Position, seines Wissenshorizontes und seiner Anwesenheit als Prologsprecher disponiert (s. Horst-Dieter Blume, Menanders »Samia«. Eine Interpretation. Habil. Münster 1972. Impulse der Forschung 15. Darmstadt 1974, 2 f.). 30 [ ] ] 5. Interludium: Die antike Komödie 542 wenn Moschion über seinen materiell und mit Sozialprestige großzügigen Adoptivvater (v. 7-16) abschließend sagt (v. 17): ’ . Hierin liegt freilich eine nicht zu übersehende Ironie, weil Moschion sich als verwöhnt bezeichnet (v. 7: ), also, wie er auch durch den Fehltritt (v. 3: ) mit der Nachbarstochter zeigt, eben nicht als im Menandrischen Sinne vollwertig erzogener und sozialisierter Mensch. Moschion versteht also fälschlicherweise unter Menschsein nur die Konformität gegenüber gesellschaftlichen Äußerlichkeiten, während die Nachbarsfrau - in seiner Formulierung zumindest - bereits einem humanitären Verhaltensideal entspricht. In beiden Fällen wird das Menschsein als von der Biologie unabhängige soziale Rolle verstanden, und es wäre zu untersuchen, wie dieses Rollenkonzept im Verlaufe des Dramas verhandelt, performiert und möglicherweise auch transformiert wird. Dem normativ verfaßten und individuell zu realisierenden Menschsein steht das allgemein verbreitete, fehlerbehaftete gegenüber. Moschion hebt bei der Schilderung seiner sozialen Distinktion auf seine völlige Unterschiedslosigkeit zu seinen Mitmenschen ab (v. 10 f.: ). Die verstümmelte Überlieferung dieser Stelle erlaubt keine genaue Bestimmung, worin diese Unterschiedslosigkeit besteht (Kassels Konjektur ] zielt gleichermaßen auf die natürliche biologische Entwicklung wie die Sozialisation), aber man wird sie allenfalls, wenn man eine standesgemäße Erziehung annimmt, in der nachfolgend ausgeführten sozialen Distinktion verorten, obwohl die Wiederkehr von bei ihrer Schilderung (v. 13) damit nur vereinbar ist, wenn man eine tiefere Ironie annimmt. Indem die Unterschiedslosigkeit mit einer als solche markierten Redewendung kommentiert wird (v. 11: - “ ”), verwischt Moschion seine Individualität sozial wie metasprachlich. Auch im Falle der Begierde seines Adoptivvaters nach der samischen Hetäre Chrysis subsumiert Moschion die Individualität unter das Allgemeine (v. 22: ’ ) - darauf zielte die Besprechung von Moschions eigener Entindividualisierung. Die (sexuelle) Fehlbarkeit, die Transgressivität, die hier subjektiv durch Scham und Verbergen des Ausführenden verbürgt ist (v. 23, 26), werden an dieser Stelle auf der vorfindlichen allgemein menschlichen Ebene verortet, während das normgerechte menschliche Verhalten, wie gesehen, wenige Verse später individualisiert wird (v. 35). Daß Moschion seinen Adoptivvater bei dessen Verfehlung verständnisvoll und in vorauseilendem und unausgesprochenem Einverständnis unterstützt (eben aus Rücksicht auf dessen Scham), vergilt in dramatischer Ironie dessen verwöhnende Erziehung, die Transgressivität reproduziert sich kulturell, was im Rahmen der dramatischen Ironie und verfehlten Dankbarkeit gar als Urbanität erscheint (v. 17 f.: ’ / ’ - ). Die Reziprozität der verfehlten Urbanität wird in der Ambivalenz von deutlich. Doch die großzügige Erziehung und die anthropologisierende Entschuldigung der Verfehlung des Adoptivvaters haben letztlich nur den Zweck, Moschions gleich eingangs angekündigtes eigenes sexuelles Fehlverhalten (v. 3: 5.2 Die Neue Komödie und Menanders 543 ) akzeptabel zu machen. Zu diesem sexuellen Vertrauensbruch kommt ein possessiver, da Moschion das Siegel eines Besitztums aufgebrochen hat (v. 32-34), 31 das wohl seinem Adoptivvater gehörte, und dieses zu Nikeratos’ Besitz hinzugefügt hat (so Gomme und Sandbach 549 a.l.). Die Parallelität von Aufbrechen des Siegels und Verletzung der sexuellen patriarchalischen Besitzrechte ist unverkennbar. Sie erinnert an den diagnostischen Nexus zwischen beiden in Plautus’ Amphitruo, wo die Unversehrtheit des Siegels ebenfalls ein Indiz für die sexuelle Integrität einer Frau war, das Saussuresche Zeichen also selbst zum Peirceschen Zeichen wurde. Mag der Menander-Text zu verstümmelt sein, um diese weitreichende Interpretation auf die vorliegende Stelle zu übertragen, so ist die semiotische Implikation lexikalisch durch verbürgt. Wie sein Adoptivvater affirmiert Moschion selbst durch seine epiphorisch eingestandene Scham die verletzte Sexualnorm (v. 46 f.: ), doch diese betrifft nicht das Verhältnis zu einer Hetäre, sondern die Schwängerung einer Bürgerstochter, die bereits niedergekommen ist. Moschion kann also vor allem noch nicht zu seiner Rolle als Vater stehen bzw. er muß seine biologische Vaterschaft in ein sozial akzeptiertes eheliches Verhältnis umwandeln. Seine Vaterschaft und den Willen zu deren ehelicher Legitimierung hat er gegenüber der Mutter des Mädchens bereits bekundet (v. 50-52). Allein, ihn treibt die Scham vor dem Adoptivvater um, wie die folgende Szene zeigt (v. 67). Es geht für ihn also in diesem Stück nachgerade mustergültig entsprechend dem in der Einleitung dieser Arbeit entworfenen analytischen Apparat darum, aus der Autorität des Vaters herauszutreten und vom Sohn selbst zum Vater zu werden (s. 1.5 Komik, Doppelung und Iteration in der Einleitung). Dies erlaubt ihm den ödipalen Konflikt, der in der Usurpation der väterlichen Position besteht, dadurch zu lösen, daß diese Position mit einer anderen Beziehungsperson als der Mutter dupliziert wird. Aber die Erwähnung der väterlichen Verfehlungen und Scham und der eigenen hat nicht bloß einen doppelt präparativen Charakter, indem der Monolog der inneren Sammlung des Protagonisten und der Prolog der Information des Publikums über den nicht aus dem Mythos bekannten Stoff des Dramas dient. Prologsprecher und Publikum werden durch die Anrede zusammengeschlossen, die um das Verständnis des Publikums wirbt (v. 5: ’ - ), die Schranke der mimetischen Illusion, die den theatralischen und den szenischen Raum trennt, eingerissen. Das Theaterpublikum wird in dieser konventionellen Form des Metatheaters zum Adressaten der Beichte. Denn die Scham des Jünglings über seine folgenreiche sexuelle Transgression betrifft nicht nur binnenpragmatisch den Adoptivvater, sondern hemmt auch sein Sprechen vor dem Publikum (v. 46: ’ ’ - ), dessen Funktion als Rezipient über eine derart adressatenorientierte Regung wie die Scham expliziert wird. Zusätzlich zur Scham ist das Sprechen über das Sprechen also ein weiteres Merkmal des Metatheaters in diesem Prolog. Es 31 [ ] [ ] 5. Interludium: Die antike Komödie 544 betrifft auch die genuine Prologfunktion, wenn Moschion die Darstellung der (Familien-)Verhältnisse - hier als Einleitung zur Beziehung seines Adoptivvaters mit der Hetäre - mit seiner momentanen Muße begründet (v. 19 f.). Das Zögern, zu sprechen, wie die Muße dazu dehnen die (Sprech-)Zeit. Das tut faktisch auch die praeteritio der milden Sitten des Adoptivvaters in v. 8 ( - ), obwohl sie explizit deren Verkürzung verheißt. Zu den Wohltaten des Adoptivvaters zählt auch die Überlassung einer Choregie ( ) an den Sohn, die ein weiteres Element des Metatheaters darstellt (v. 13). Daß just dieses als Distinktionsmerkmal fungiert ( ), korreliert mit der singularisierenden Selbstpräsentation des allein auf der Bühne stehenden Prologsprechers. Indes ist für ihn die Selbstausstellung keineswegs so schmerzhaft und schamverletzend wie für Oidipus, da er nachgerade mit seiner versteckten Autoapologetik und dem Kokettieren mit seiner Scham die moralische Unterstützung und Solidarisierung des Publikums erheischt. Zudem ist seine sexuelle Transgression bei weitem nicht so schwerwiegend, erfolgte sie doch, wie die Erwähnung der Architektur der beiden Häuser andeutet (v. 39 f.), außerhalb der Familie und genügt damit dem Gebot der Exogamie, wie denn auch das geschwängerte Mädchen eine standesgemäße Bürgerstochter ist. Lediglich das (noch) fehlende Einverständnis der Väter und der verfrühte Zeitpunkt machen die Transgression aus. Die metatheatralische Verzögerung des Sprechens ist also spiegelverkehrt zur verfrühten Liebesvereinigung. Angesichts der geringeren Schwere der Transgression setzt sich die verminderte Amplitude der Nea in der befürchteten Sanktion fort. Moschion äußert erst in der folgenden Szene seine Scham (v. 67); seine weitergehende Befürchtung betrifft nur die Hetäre, diese möchte durch die falsche Identität des Kindes den Zorn des Vaters auf sich ziehen (v. 80: < >). Eine derart grausame soziale wie physische Eliminierung wie dem Hippolytos droht ihm also auch nicht. Und auch das Frauenfest (v. 39: ’), dem er beigewohnt hat und das der Anlaß seiner Verfehlung wurde, hatte für ihn ebenfalls nicht dieselbe eliminatorische Konsequenz wie für Pentheus die Beobachtung der Mänaden. Desgleichen folgt seiner Liebesvereinigung kein so unglücklicher Tod, wie der gefeierte Heros ihn nach der Verbindung mit der Liebesgöttin fand. Der Motivvergleich zeigt deutlich die Eliminierung der Eliminierung in der Nea. Dabei bezeichnet sich Moschion ausdrücklich als Zuschauer des Adonisfestes bzw. des weiblichen Treibens (v. 43: ) - ein kultischer Anlaß und die Rolle als Zuschauer sind allenfalls schwache Fälle von Metatheater bzw. Intratheater - und nimmt damit dieselbe voyeuristisch-ethnologische Haltung wie Pentheus ein. Doch anders als dieser legt er nicht in einer intratheatralischen Kostümierung und immersiven ethnologischen Expedition 32 seine männliche Identität ab, die er, wie die moralischen Appelle des Sklaven Parmenon in der folgende Szene zeigen, in ethisierter Form erst durch das mutige Eingeständnis seiner Vaterschaft wahren muß (v. 64: , v. 69: ). Zudem geht er nicht aus der Stadt in die Wildnis, sondern kommt in diese in umgekehrter Rich- 32 Für dieses ethnologische Verfahren, das Michael Leiris praktizierte, s. 1.3 Susa und Athen: Szenische Transgression der Meerengen in der Perser-Interpretation. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders 545 tung vom Land (v. 38). Das Land wird damit zum umgebenden, abwesenden Gegensatz, über den die Stadt sich als Schauplatz definiert. Parallel dazu war die Urbanität ja zum Ideal erhoben worden (v. 17), wenn auch zu einem falschverstandenen. Diese deviant-transgressive Zivilisierung erstreckt sich auch auf das Frauenfest. Es ist hier keine elementare gewaltig-gewalttätige Entgrenzung und Aufhebung aller Normen, Gegensätze und Unterschiede, über welche die Gesellschaft konstruiert wird, sondern nur noch eine zivilisationsimmanente karnevaleske Evasion (dies zeigt die vertikale Verlagerung des Geschehens auf das Dach statt des horizontalen Überschreitens der Stadtgrenzen). An diesem institutionalisierten Ausnahmezustand tanzen die Frauen gut dionysisch und schwärmen nächtlich (v. 46). Dabei wird es zur dionysisch-orgiastischen Gelegenheit sexueller Grenzüberschreitung. Diese ist jedoch nicht durch den Ausnahmezustand sanktioniert, sondern wird wegen ihrer nachweisbaren Folgen zur Transgression. Wie sehr die elementare Kraft der biologischen wie menschlichen Natur zivilisatorisch gezähmt ist, zeigt die Tatsache, daß der Blumenschmuck eingehegt auf das Dach des Hauses getragen wird und daß Moschion nicht etwa vom kollektiven Rausch ergriffen wird, sondern seine Tat mit dem Lärm der Frauen halb entschuldigt, der ihn nicht habe schlafen lassen (v. 43 f.). Parallel zur Eliminierung der Eliminierung ist hier die Gewalt des Affekts zivilisatorisch gebändigt. Auch die Freude der vom Schwarzen Meer nach Athen heimkehrenden Väter affirmiert wie die Nichtevasion des Frauenfestes die Urbanität der Heimatstadt und über die Negation der Extravaganz und der räumlichen Eliminierung die lokale Immanenz (v. 96-111). 33 Die Koinzidenz von dargestelltem und Aufführungsort ist ein markanter Kontrast dieser Komödie zur attischen Tragödie, die den Aufführungsort zumeist im Medium anderer Handlungsorte reflektierte, deren wichtigster Theben war (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Interpretation von Euripides’ Medea). Der realistische Rückzug auf sich selbst erweist sich in der metatheatralischen Durchbrechung durch die Apostrophe und den Wunsch, es möge Athen immer so gut gehen, wie es dies verdiene (v. 101 f.), als Mittel der Selbstvergewisserung. Sie scheint im Lokalen das geheime Motiv hinter der Eliminierung der Eliminierung zu sein. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Immanenz, die Bohrer in praktischer Hinsicht als Programm der Einzelfigur Iokaste im OT (v. 977-979) ausgemacht hat (2009: 334 f.), wo sie freilich bloß kontrastiv zu Oidipus’ kognitiver Transzendenz eine indiskutable Option war, in vielfältiger Hinsicht das Charakteristikum dieser Komödie der Nea ist, nämlich lokal geographisch, über den literarischen Realismus und über die generisch-systemische Eliminierung der Transgression. Selbst ein poetisch transgressives Phänomen wie das Metatheater ist subtil textualisiert und im Prolog konventionalisiert und wird auf diese Weise eingehegt. Das Drama greift nicht mehr dynamisch mythologisch-diachron, geographisch und operational-transgressiv hinaus, sondern zieht sich getreu dem 33 Vgl. dazu Timothy P. Hofmeister, . Polis and Oikoumenê in Menander. In: Gregory W. Dobrov (Hg.), The City as Comedy. Society and Representation in Athenian Drama. Chapel Hill 1997, 289-342. 5. Interludium: Die antike Komödie 546 (Frg. 551 Us.; fehlt bei Arr.) 34 von Menanders Mitepheben Epikur 35 zurück und spielt die Gegenwart mit ihren von vornherein gelösten Problemen durch. Damit kann das Ethos zum eigentlich verhandelten Problem der Figureninteraktion werden, das Feld der dramatischen Konflikte, Lösungen und Entwicklungen wird miniaturisiert. Menanders ausgefeilte dramatische Kleinkunst paßt damit zu zwei parallelen hellenistischen Entwicklungen der Einkehr: Kallimachos’ poetologischem Programm des durchgearbeiteten kleinen Sprachkunstwerks und der Verinnerlichung der hellenistischen Philosophenschulen. Ihr dichterischer und dramatischer Eigenwert dürfte damit unstrittig sein. A la longue implodiert freilich das attische Drama mit der beschriebenen Immanentisierung zu einem weißen Zwerg, nachdem es zuvor transgressiv und metatheatralisch wie eine Supernova in Euripides’ Bakchen und Aristophanes’ Fröschen explodiert war. Das antike Drama, dessen nicht unbedeutendstes Thema bis dahin die Transgression und ihre Modalitäten war, hat damit eine paradigmatische Schwelle passiert, der in Griechenland keine weitere Entwicklung gefolgt ist. Eine geographisch-kulturelle Schwelle stand ihm mit dem Übergang nach Rom bevor, das die jahrhundertelange Entwicklung in Griechenland überblikken, sich aneignen und unter eigenen Vorzeichen weiterentwickeln konnte. Wie sich diese Grenzüberschreitung auf das Theater der Transgression auswirkte und wie die griechischen Modelle dabei angeeignet oder überwunden wurden, soll in den beiden nächsten Kapiteln untersucht werden. Die dramengeschichtliche Abfolge von Metatheater und Verinnerlichung wird sich dabei mit ganz anderen Folgen als in Griechenland wiederholen und mit dem ästhetisch Bösen die soziale Transgression erstmals im antiken Drama zu einem eigenständigen literarischen Phänomen machen. 5.3 Plautus’ Amphitruo: Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose und das Spiel mit der Identität Plautus ist bis in die Gegenwart 36 überwiegend unter literaturhistorischen Gesichtspunkten untersucht worden. 37 Insbesondere die mangels sicherer griechischer Vorlagen (mit Ausnahme von Bacchides v. 494-525/ 562 und Menanders v. 11-30) schwierige Frage nach seiner Originalität hat beträchtliche Aufmerksamkeit in der Forschung auf sich gezogen. 38 Daneben wer- 34 Michael Erler, Epikur. Die Schule Epikurs. Lukrez. Bd. 1 von Hellmut Flashar (Hg.), Die hellenistische Philosophie. Basel 1994, 163 zitiert diesen Ausspruch, ohne seine Aussagekraft zu relativieren. 35 Heinz-Günther Nesselrath, Art. Menandros [4]. DNP 7 (1999) 1215-1219, h. 1215. 36 Marcus Deufert, Textgeschichte und Rezeption der plautinischen Komödien im Altertum. Berlin 2002. 37 Die Summe dieser Forschertätigkeit bietet Jürgen Blänsdorf, T. Maccius Plautus. In: Werner Suerbaum (Hg.), Die archaische Literatur. Von den Anfängen bis Sullas Tod; die vorliterarische Periode und die Zeit von 240 bis 78 v. Chr. Bd. 1 von: Reinhart Herzog und Peter Lebrecht Schmidt (Hgg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike. HdA Abt. 8, Bd. 1. München 2002, 183-228. 38 Eduard Fraenkel, Plautinisches im Plautus. Berlin 1922, Ds., Elementi plautini in Plauto. Florenz 1960. 5.3 Plautus’ : Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose 547 den seit etwa 30 Jahren modernere Ansätze wie Metatheater, 39 Identität 40 und Doppelung 41 diskutiert, freilich ohne daß die beiden erstgenannten Begriffe klar abgegrenzt verwendet würden. Allerdings wurde treffend erkannt, daß - in der Terminologie der vorliegenden Arbeit - das Metatheater über das Interdrama funktioniert, da Plautus’ Drama mit der metatheatralischen Funktion des göttlichen Regisseurs deutliche Parallelen zu Euripides’ Bakchen aufweist. 42 Die Doppelung, die jeder Form literarischer Selbstthematisierung eigen ist, setzt sich sogar doppelt bei der Handhabung des Metatheaters fort: Über die Verdoppelung einer Vorlage, aber auch über die Verdoppelung der Funktion des göttlichen Regisseurs, die nach Merkur im Prolog Jupiter im Binnenproömium übernimmt (v. 861-881). William S. Anderson schildert denn auch die metatheatralischen und interdramatischen Phänomene bei Plautus. Er distanziert sich jedoch vom Gebrauch des Terminus ‚Metatheater‘ für diesen römischen Dramatiker und weist gleichzeitig auf die Unterschiede zu metatheatralischen Dramatikern des 20. Jh.s wie Pirandello, Ionesco oder Brecht hin, die anders als Plautus existentielle Fragen mit dieser Technik verknüpft hätten. 43 Weit weniger Beachtung hat die naheliegende Frage nach der Komik bei Plautus gefunden, die eher selten und vorwiegend unter gattungstheoretischen oder kulturgeschichtlichen Aspekten für ein breiteres Publikum behandelt wurde. 44 Diese drei Ansätze der Forschung, Komik, Doppelung und Metatheater, will das vorliegende Kapitel untereinander und mit der semiotischen Herangehensweise dieser Arbeit zusammenführen. Konkret soll auf der Grundlage des modernen Zeichenbegriffs die Funktionsweise von Plautus’ Komik mit Hilfe der Eckard Lefèvre, Ekkehard Stärk, Gregor Vogt-Spira (Hgg.), Plautus barbarus. Sechs Kapitel zur Originalität des Plautus. ScriptOralia 25. Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe 8. Tübingen 1991 (ohne Berücksichtigung des Amphitruo). 39 Carmen González Vázquez, La comédie « métathéâtrale » chez Plaute. CGITA (Cahiers du GITA: Montpelliers) 14 (2001) 101-114. - A. Schoeman, Mercury and Metatheatre. The « Antelogium » in Plautus’ « Amphitruo ». Akroterion 43 (1998) 32-42, Ds., Mercury and Meta t heatre II. The Argumentum in Plautus’ « Amphitruo ». Akroterion 44 (1999) 38-55. Niall W. Slater, Plautus in Performance. The Theatre of the Mind. Amsterdam 2000. 40 Hans Robert Jauß, Poetik und Problematik von Identität und Rolle in der Geschichte des Amphitryon. In: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hgg.), Identität. Poetik und Hermeneutik 8. München 1979, 213-253, h. 214-222. 41 Massimo Fusillo, Die geraubte Identität. Das Doppelgängerthema im antiken Drama. WJA 21 (1996-1997) 199-217. Vgl. Ds., „«Omnes congeminavimus»: Inganno, metamorfosi e folia nell’Amfitrione di Plauto“, in: L’altro e lo stesso. Teoria e storia del doppio. Florenz 1 1998, 59- 81. Rainer Warning, Komische Doppelgänger. In: Odo Marquard, Karlheinz Stierle (Hgg.), Identität. Poetik und Hermeneutik 8. München 1979, 729-734. Karlheinz Stierle, Amphitryon - Ein dialektisches Märchen der Identität. In: Odo Marquard, Ds. (Hgg.), Identität. Poetik und Hermeneutik 8. München 1979, 734-739. 42 Niall W. Slater, Amphitruo, Bacchae, and Metatheatre. Lexis N° 5-6 (1990) 101-125, h. 119 f. (Wiederabgedruckt als Anhang IV in Ds., Plautus in Performance. The Theatre of the Mind. Amsterdam 2000, 181-202, h. 197). 43 Barbarian Play. Plautus’ Roman Comedy. The Robson Classical Lectures 1. Toronto 1993, 138 f. 44 Fritz Graf, Cicero, Plautus und das römische Lachen. In: Jan Bremmer, Herman Roodenburg (Hgg.), Kulturgeschichte des Humors. Aus dem Englischen von Kai Brodersen. Darmstadt 1999, 32-42. 5. Interludium: Die antike Komödie 548 drei modernen Kategorien Metatheater, mimetische Doppelung und Spiel mit der Identität analysiert werden. Diese Analysekategorien verbindet Plautus’ Amphitruo wie kaum ein anderes Stück des Dramatikers aus Sarsina. Da sich seine übrigen Komödien auf die beiden letztgenannten Größen beschränken (das Fehlen der göttlichen Ebene läßt einen Anlaß für Metatheater außerhalb des Amphitruo entfallen), erscheint es sinnvoll, die Untersuchung auf den Amphitruo einzugrenzen, da bereits mit Menanders Samia eine „klassische“ Verwechslungskomödie betrachtet wurde, die einen erhellenden Kontrast bietet. Die Verortung der Komik im Spiel mit der Identität und im Metatheater bewirkt dabei, daß unser Stück - trotz aller generischen handgreiflichen Turbulenzen - weit mehr als eine unterhaltsame Abfolge von Klamaukszenen ist. Die genannten Handlungsmerkmale werden nachfolgend besprochen. Den Abschluß der Interpretation bildet dann entsprechend dem Dramenverlauf der Blick auf die Art, wie die Restauration in dieser Tragikomödie erfolgt. Beginnen wir mit der Semiotik. Sie bildet den Träger für Identität, Metatheater und die komische Doppelung und ist lexikalisch verankert, was ihre postulierte Priorität gegenüber den genannten Kategorien im Sprachgebrauch verankert. In Plautus’ Amphitruo sticht nämlich die auffallende Häufigkeit des Wortes signum an markanten Stellen ins Auge. Dieser Sprachgebrauch lädt praemissis praemittendis zu einer semiotischen Interpretation ein, die strukturalistischer Observanz ist, aber auch den Peirceschen Begriff des index berücksichtigt. wobei sich eine metatheatralische, eine astronomisch-kosmologische (v. 276) und eine kriminologisch-diagnostische Verwendung von signum unterscheiden lassen. Alle diese drei Arten sind an Formen der Transgression geknüpft. Die metatheatralische Transgression eröffnet naturgemäß den Reigen am Anfang des Dramas, da sie dessen Grundgegebenheiten thematisiert. Bei ihr durchbricht Merkur am Ende des Prologs die mimetische Illusion, indem er das Publikum auf die Unterscheidungsmerkmale (signum) zwischen den Figuren Amphitruo und Sosia einerseits sowie ihren göttlichen Doppelgängern andererseits hinweist (v. 139-142). 45 Menschen und Götter bilden in Saussurescher Terminologie Minimalpaaroppositionen. Daß es sich bei ihren Unterscheidungsmerkmalen um keine vorfindlichen körperlichen Kennzeichen wie Odysseus’ Narbe, die Statur o.ä. handelt, sondern solche, die am Hut angebracht sind, weist sie als arbiträr im Saussureschen Sinne aus (CLG 100-102). Mehr noch bestätigt das Moment der Absprache die Saussuresche These von der Konventionalität der Zeichen (CLG 100 f.). Daß sie die Kleidung markieren, schließt sie für Roland Barthes’ Semiotik auf. 46 In der Tat tragen die Götter als Höhergestellte ein nobilitierendes Distinktionsmerkmal. Doch die soziale Distinktion ist nur ein Beiprodukt und die Vollzugsform der dramatischen, denn primär dient das Merkmal dazu, menschliche und göttliche Figuren zu unterscheiden, wobei die Menschen der Ausgangs- und Bezugspunkt der mimetischen Doppelung sind. In 45 Nunc internosse ut nos possitis facilius, / Ego has habebo | usque in petaso pinnulas: / Tum meo patri autem tor[r]ulus inerit aureus / Sub petaso|: id signum Amphitruoni non erit. 46 Système de la mode (1967). In: Ds., Œuvres complètes. Hg. v. Éric Marty. Bd. 2: Œuvres 1962-1967. Paris 2002, 895-1231. 5.3 Plautus’ : Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose 549 einer variatio von videre (v. 146 f.) 47 legt Merkur als Regisseur den unterschiedlichen Wissenshorizont zwischen Zuschauern und Figuren, der sich sonst aus der theatralischen Aufführung entwickelt, fest und verbürgt damit den metatheatralischen Aspekt dieser Szene. In keiner der untersuchten attischen Tragödien wird die theatralische Illusion derart deutlich durchbrochen, nicht einmal die Schlußworte des Chores, so sie vorhanden sind (in Aischylos’ Persern fehlen sie wie in seinen sämtlichen echten Tragödien), sprechen in Sophokles’ Oidipus Tyrannos oder Euripides’ Medea das Publikum direkt an. Bei der kriminologisch-diagnostischen Verwendung von signum im Rahmen einer forensischen Semiotik geht es um ein Indiz für Alcumenas vermeintlichen Ehebruch, also eine sexuelle Transgression. Da das Zeichen als kausaler Indikator einer Handlung dient, greift hier Peirce’ Zeichenbegriff des index. Daß es hierbei an drei Stellen um Amphitruos intaktes Siegel an seiner Reisekiste handelt, 48 verleiht diesem Zeichengebrauch eine tiefenpsychologisch-symbolische Dimension. Schließlich steht das griechische Etymon des fraglichen lateinischen Worts cist(ell)ula bereits in Aristophanes’ Lysistrate in einer Annominatio für das weibliche Geschlechtsteil (v. 1184: ~ ). 49 Gestützt wird diese Sexualsymbolik dadurch, daß die wunderbare Transposition der Schale aus dem geschlossenen Innenraum die schmerzlose Geburt antizipiert und präludiert. Die Sexualsymbolik umfaßt wie die Meerengen in Euripides’ Medea (s. 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos in der Interpretation dieser Tragödie) Penetration und Geburt, gewinnt jedoch dadurch eine weitere Plausibilität, daß der Innenraum eindeutig mit dem Innenraum des weiblichen Körpers korreliert. Die Truhe steht auch symbolisch für den abgeschlossenen und geschützten Innenraum der domus und der Familie, in den Jupiter in wunderbarer Weise eingedrungen ist. Der Verschluß durch das Siegel emblematisiert nicht nur den Besitz der Ehefrau, sondern auch die exklusive Verfügung über ihren Körper und deren objektive und subjektive Triebkontrolle. 50 An der materialen Integrität des Siegels hängt die physische und soziomoralische Alcumenas. 51 Die in der Kiste eingeschlossene Schale überschreitet physisch diese materiellen Grenzen und damit diejenigen des und nimmt so die wunderbare Zwillingsgeburt vorweg. Die Absolution Alcumenas 52 wird mit der Epiphanie (v. 1120-1124) und ihren Begleitumständen Blitz und Donner (v. 1094-1096) begründet, die als Zeichen ihrer moralischen Integrität fungieren. Diese Argumentation gesellt der 47 Ea signa nemo | horum familiarium / Videre poterit, uerum uos uidebitis. 48 ubi patera nunc est? ME. --in cistula, / Amphitruonis obsignata signost. SO. Signi dic quid est? / ME. Cum quadrigis Sol exoriens. (v. 419-422) SO. Vide sis signi quid siet, / [AL.] Ne posterius in me culpam conferas. (v. 787 f.) 49 Henderson 206 a.l. 50 Für die Parallele von Triebkontrolle und räumlichem Einschluß s. 7.2.6 Diskontinuitäten, Chthonik und Monstrosität infolge des Wütens der Transgression im Kap. zu Senecas Phaedra. 51 SO. An etiam credis id, quae in hac cistellula / Tuo signo obsignata fertur? AM. Saluom signumst? SO. Inspice. / (v. 773 f.) 52 BR. At ego faciam tu idem ut aliter praedices, / Amphitruo: piam et pudicam esse tuam uxorem ut scias, / De ea re signa atque argumenta paucis uerbis eloquar. (v. 1083-85) 5. Interludium: Die antike Komödie 550 kriminologisch-diagnostischen Unterart des Zeichens noch eine (se)mantische bei. Die argumentative Funktion des Zeichens weist es abermals dem Peirceschen index zu. Dies gilt auch für das astronomisch-kosmologische Auftreten von signum (v. 276: ita statim stant signa), da die (fehlende) Bewegung der Sternbilder als Indiz für den (fehlenden) Zeitfortschritt der Nacht fungiert (v. 270, 276), also eine zeitlich-diagnostische Funktion für eine Dramenfigur erfüllen, nämlich Amphitruos Sklaven Sosia. Anders als sein göttliches Double Merkur kennt er jedoch nicht die göttlich-sexuelle Bewandtnis dieses Stillstandes (v. 277 f.). 53 Gewiß dienen die Gestirne bereits bei Homer (Od. 5.269-277), 54 wo sie bereits eine prognostische Funktion haben (Il. 22.24-31: ), und in Hesiods Werken und Tagen (v. 383-387, 414-421, 571 f., 609-621, 663-665) der Orientierung für den Menschen, doch sticht die Parallele zu König Oidipus hervor, weil dort die Sterne in einer intradramatischen Hermeneutik (v. 794-796: - / … / ) eine Rolle für das Handeln einer dramatischen Figur spielen, das dort räumlicher Natur ist, während es hier um die Zeit geht. Die Längung der Nacht, die am Stillstand der Himmelskörper augenfällig wird, gehört wie die phantastische Transposition der Schale zum Komplex der Manipulationen, welche die göttliche Ebene in der menschlichen Sphäre, dem Chronotopos und v.a. den Zuordnungen des soziokulturellen Zeichensystems, vornimmt. Diese Manipulationen bestehen entsprechend dem Charakter von Komödie und Komik hauptsächlich in Doppelung und Iteration der Figuren und Sachen. Sie wurzeln wie in Senecas Phaedra, deren Protagonistin in ihrem Stiefsohn Hippolytus den Wiedergänger ihres jugendlichen abwesenden Gatten Theseus erblickt und begehrt, im sexuellen Verlangen (s. 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung in der Interpretation dieses Dramas). Diese kann sich jedoch verwirklichen und führt statt in die Eliminierung in die reproduktive Verdoppelung, weil die verdoppelnde Begierde vom Göttervater selbst ausgeht. Das kosmologisch-theologische Suprasystem, dessen eherne Unbeweglichkeit in der Tragödie für das Scheitern der Intention sowie Eliminierungen und Integritätsverluste verantwortlich ist, fungiert daher in diesem Stück als erster, fast allmächtiger Beweger, der nach Belieben das Zählbare - ob belebt oder unbelebt - verdoppelt und das Unzählbare verlängert. Und das alles nur deshalb, weil einzig das Objekt der Begierde, Amphitruos Gattin Alcumena, nicht nach Belieben durch reale Doppelung i.S. des modernen Klonens verfügbar gemacht werden kann und so zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung wird. Diese ist dadurch nur aus der Sicht 53 Jean Soubiran, Mythologie et astronomie: La longue nuit de Jupiter et d’Alcmène (Plaute, Amph. 272-276). Pallas 38 (1992) 345-358, h. 358 arbeitet heraus, daß Sosia den Abendhimmel im Frühling schildert, was gut zur Liebe (vgl. v. 275: Vesperugo), aber auch zum Krieg und Amphitruos Abwesenheit passe. 54 Vgl. Gioachino Chiarini, Ita statim stant signa. Riflessioni sopra il cielo dell’ Amphitruo plautino. Où courir? Organisation et symbolique de l’espace dans la comédie antique. Textes réunis par Christoph Cusset, Jean-Claude Carrière, Marie-Hélène Garelli-François et Charalampos Orfanos. Pallas 54 (2000) 259-267, h. 265. 5.3 Plautus’ : Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose 551 der Menschen, welche die organisierende Intention des Göttervaters und seines geflügelten Gehilfen nicht kennen, ein verwirrendes Durcheinander. Tatsächlich geraten die göttliche und die menschliche Ebene dadurch in Kontakt, daß Jupiter bei Alcumena den Platz des abwesenden Patriarchen einnehmen will, was ganz dem Analyseraster der vorliegenden Arbeit entspricht. Doch um die treue Gattin des Monarchen zu verführen, nimmt er dessen Gestalt an, verdoppelt ihn also durch Annahme seiner eidetisch-optischen Identität. Um diese Liebesfreuden noch länger zu genießen, begnügt er sich nicht mit diesem Trug, sondern verlängert die Nacht. Außerdem muß Merkur Jupiter den Platz im Inneren gegen den zurückkehrenden Hausherrn und seinen Diener Sosia sichern, um eine Begegnung der Doppelgänger zu verhindern. Die geschilderte fast absolute Souveränität der göttlichen Akteure gegenüber dem System zeigt sich nicht nur im verwirrenden Jonglieren mit den Zeichen des soziokulturellen Systems, sondern im Sistieren der Zeichen des himmlischen Systems (v. 276: ita statim stant signa). Es ist dadurch klar metatheatralisch, daß Jupiter insofern als Regisseur fungiert, 55 als er damit die Voraussetzung für das dramatische Geschehen und die Realisierung seiner Begierde schafft. Sie manifestiert sich auch in der Metatheatralität dieser Komödie, die sich auch im Zeichengebrauch niederschlägt und darin gipfelt, daß Jupiter selbst als Schauspieler und Regisseur auftritt (v. 861-881). Göttlichkeit bedeutet in diesem Stück v.a. die Souveränität in der Überschreitung jedweder Grenzen und Zuordnungen, auch im literarischen Bereich. Die Götter agieren dabei als Künstler-Kriminelle. Dies geschieht auf der literarischen Ebene über das Metatheater und die erstmals im antiken Drama von ihm getragene Phantastik, da die Götter die Gesetze des Realistischen und des aushebeln. Der metatheatralische Hintergrund, den die Phantastik durch die göttliche Regie hat, aktualisiert deren Herkunft von ‚lasse erscheinen‘. Die Phantastik hat wie die Transgression ein lokales Element, da sie sich in der wunderbaren Transposition fester Gegenstände aus geschlossenen Räumen zeigt (Schale des Amphitruo, Geburt der Zwillinge). Die phantastische Doppelung der Figuren und die Längung der Nacht, selbst eine chronologische Transgression, schaffen einen „klassischen“ komischen Ausnahmezustand: 56 Der Konflikt um dieselbe Rolle (signifié) wird kurzerhand dadurch gelöst und auf eine neue Ebene gehoben, daß die konkurrierenden Sinnträger identisch gemacht werden. Sonst konkurrieren die Personen des Dramas um soziale Rollen wie diejenige des Patriarchen, hier die Doppelgänger um die theatersemiotische Identität, die den dargestellten sozialen Rollen vorgelagert ist. 57 Das beste Beispiel hierfür ist Merkur, der in der ersten Szene des ersten Aktes Amphitruos Sklaven Sosia nicht nur die personale, sondern auch 55 Chiarini 2001: 262. 56 Wie bei dem anders gelagerten Begriff der Phantastik, den Gerrit Kloss, Mythos und Realität: Paradoxe Phantastik in antiken Texten. In: Nicola Hömke, Manuel Baumbach (Hgg.), Fremde Wirklichkeiten. Literarische Phantastik und antike Literatur. Heidelberg 2006, 143-159 entwickelt, bleibt diese etwas im individuellen literarischen Kunstwerk Geschaffenes. 57 Ein im deutschsprachigen Raum „klassisches“ Beispiel bietet die Verfilmung von Heinrich Spoerls Feuerzangenbowle: In der fulminanten Schlußszene kostümiert sich Johannes Pfeiffer als Professor Crey und schlägt diesen in die Flucht. 5. Interludium: Die antike Komödie 552 die soziale Identität raubt, indem er behauptet, ebendieser Sklave Sosia zu sein. In verschiedenen dramatischen Bearbeitungen des Amphitryon operiert die Komik mit der Allgemeinheit des Personalpronomens, das nur Selbstbewußtsein als Merkmal des Subjekts, aber keine Individualität impliziert. Dies hat Manfred Frank anhand der Komik in Molières Amphitryon (v. 308 f.: Mercure: Qui va là? - Sosie: Moi! - Mercure: Qui, moi? ) und gesteigert noch bei Kleist (v. 148 f.: [Me.] Was für ein Ich? - So. Meins mit Verlaub.) vorgeführt. 58 Bei Plautus wird dieser Zug anhand des Indefinitpronomens explizit und erzeugt durch den Kontrast mit der nominalistischen Individualisierung, die durch das nomen proprium erzeugt wird, Komik (v. 179 f.). 59 Während die transgressive Tragik der Tragödie zumeist von den Figuren unabhängig über die Ambivalenz funktioniert, wird die Ambivalenz in dieser Komödie von den Göttern wissentlich in transgressiver Absicht geschaffen. Ein nicht geringer Teil der Komik resultiert aus der Ambivalenz religiöser Formelsprache und ritueller Anrufungen, die durch das Auftreten der Götter erzeugt wird, die den Menschen unter deren gedoppelter Identität unkenntlich bleiben. Die Menschen sprechen dabei in dramatischer Naivität, die Götter in dramatischer Ironie. 60 Verdoppelung und Metatheater als Konstituenten der komischen Ausnahmesituation werden bereits in Merkurs Prolog dem Zuschauer erklärt (v. 86-152). 61 Die metatheatralische Transgression des Prologs äußert sich auch in der expliziten Überschreitung der Gattungsgrenzen. Wenn Merkur hier die Bezeichnung ‚Tragikomödie‘ formal aus dem Auftreten von Sklaven neben Göttern begründet (v. 62 f., v. 51-63), steckt er damit eher einen Erwartungshorizont beim Zuschauer ab, als die funktionale Vermischung von Tragik und Komik 62 in diesem Drama zu klären. Im Prolog wird der Zuschauer metatheatralisch über die Doppelung der menschlichen Figuren durch die Götter aufgeklärt: Jupiter hat Amphitruos, Merkur die Gestalt von dessen Sklaven Sosia angenommen. So sollen Sosias Mitsklaven und Alcumena getäuscht, der Ehebruch ermöglicht werden (v. 120-135), da die menschlichen Bühnenfiguren nichts von der Verdoppelung des signifiants ihrer Mitmenschen durch die göttliche Mimesis ahnen. Dieses Spiel kann selbstredend nur so lange funktionieren, bis die echten 58 Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer ‚postmodernen‘ Toterklärung. Frankfurt a.M. 1986, 23. 59 ME.: certe enim hic nescioquis loquitur. SO.: salvos sum, non me videt: / nescioquem’ loqui autumat; mihi certo nomen Sosiaest. 60 Z.B. SO.: per Iovem iuro med esse neque falsum dicere. / ME.: at ego per Mercurium iuro tibi Iovem non credere; / (v. 435 f.), ME. Tum Mercurius Sosiae iratus siet. (v. 392), IV. id ego si fallo, tum te, summe Iuppiter, / quaeso Amphitruoni ut semper iratus sies. (v. 933 f.) 61 Ludovica Radif verortet Jupiters Rolle im Thema der Verdoppelung, das sie anhand des Amphitruo und literarischer Parallelen untersucht, arbeitet aber auch Jupiters poetische Rolle heraus (Giove istrione: Il ‘deus in machina’ di Plaut. Amph. 89-93. Maia 53,2 (2001) 359-374, h. 372-374). 62 Zum metatheatralischen Humor der Plautus-Prologe s. Alexander Kirichenko, Writing like a Clown. Apuleius’ Metafiction and Plautus’ Metatheater. GFA 10 (2007) 259-271, h. 270. Im Amphitruo ist der Prologsprecher allerdings - anders als in den meisten Fällen, die Kirichenko 2007: 259 f. für die metafiktionalen Aspekte der Plautus-Prologe anführt - selbst eine Figur der weiteren Dramenhandlung. 5.3 Plautus’ : Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose 553 menschlichen Figuren auftreten. Dies ist in der ersten Szene des ersten Aktes der Fall, in der Sosia vom Feldzug nach Hause kommt und seinen im Romanischen eponymen Doppelgänger vor der Tür vorfindet (v. 153-462). Merkur verhindert gewaltsam die lokale Transgression ins Hausinnere und ermöglicht so die soziojuridische des Göttervaters. Er affirmiert dabei die Grenze zwischen szenischem und postszenischem Raum auf eine interdramatisch ebenso originelle wie kongeniale Weise: Durch Schläge überzeugt er Sosia davon, daß dieser nicht er selbst, sondern vielmehr er, Merkur, Sosia sei (v. 378-387, 433 f.). Physisch nichteliminatorische Gewalt wie Schläge sind ein gattungsübliches Mittel der Auseinandersetzung und Durchsetzung in der Komödie, zumal gegen Sklaven. Hier dienen sie jedoch einem erfolgreichen Raub der Identität, dessen leichtes Gelingen Fusillo auf den Identitätsverlust, den die Sklaverei mit sich bringe, zurückführt (1996-1997: 213). Doch bedarf es einer solchen sozialhistorischen und -psychologischen Erklärung nicht. Denn selbst in der Neuen Komödie, deren Humanisierung sich in der systemischen Eliminierung der Eliminierung zeigt (s. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia), reproduzieren die identischen Sklavennamen die Identitätslosigkeit und Austauschbarkeit der Vertreter dieses Standes. Die Komik hat also eine metatheatralische Dimension, 63 da Merkur seinem Gegenüber eine neue Identität mit Prügeln einbleut, einer komischen Standardsituation. Dies gilt auch in der vorliegenden Komödie für Sosia und den Namen seines Vaters Davos (v. 365). Die Zwangssemiogenese ist anders als in Aischylos’ Persern erfolgreich. Dies ist um so bemerkenswerter, als der Geschlagene in dieser Komödie semiotisch und lokal eliminiert wird, während dem Attackierten in den Persern nur die eigene religiös-politische Identität genommen und wohl die fremde aufgezwungen werden soll. Dies gilt unbeschadet des Traums der Atossa von der national verschiedenen Tracht der beiden unterjochten Frauen, welche die Wahrung einer gewissen kulturellen Eigenständigkeit bereits aus simplen (se)mantischen Gründen der Unterscheidbarkeit suggeriert (v. 181-199). Den unterschiedlichen Erfolg der Zwangssemiogenese in Komödie und Tragödie kann man nicht einfach auf die Gattungskonventionen zurückführen, vielmehr läßt er sich stichhaltig aus der Ökonomie der Semiose erklären: Die Synonymie der Perser hat eine geringere Funktionalität als die eliminatorische Substitution des Amphitruo. Die Selbstbezeichnung des Stückes als Tragikomödie rechtfertigt sich weniger aus dem Personeninventar als vielmehr aus einem Moment der Handlungsstruktur, der drohenden Eliminierung, deren Eintritt im Eingangsteil dieser Arbeit als charakteristisch für die Gattung Tragödie definiert wurde (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention). Klarer als in (allen) anderen Plautus-Stücken wird an der Person Alcumenas das drohende Scheitern, hier der Verlust der sozialen Integrität und der Eliminierung aus ihrer Rolle als Ehefrau 63 Vgl. dazu Ortwin Knorr, Metatheatrical Humor in the Comedies of Terence. In: Peter Kruschwitz, Widu-Wolfgang Ehlers, Fritz Felgentreu (Hgg.), Terentius Poeta. München 2007, 167- 174. 5. Interludium: Die antike Komödie 554 (v. 848-853), 64 als ernster Hintergrund inszeniert. Auch hier liegt die sexuelle Unterart des normativen Typus der Transgression vor, der in Tragödien wie Euripides’ Hippolytos und Sophokles’ König Oidipus eine physische bzw. lokale und soziale Eliminierung nach sich zieht. Wie Oidipus vollzieht sie die sexuelle Transgression in und aus Unkenntnis der Identität des anderen. Amphitruos Verdacht, Alcumena sei untreu und verschleiere nachträglich ihren Fehltritt willentlich durch Täuschung (v. 813-819), stellen seine Ehefrau in eine Reihe mit den Verbrecherinnen aus Leidenschaft der Tragödie wie Aischylos’ Klytaimnestra, Euripides’ Phaidra und praemissis praemittendis auch seine Medea. Sie ist wie Euripides’ Phaidra, Homers Agamemnon (Il. 2.1-40) und in gewisser Weise auch Aischylos’ Xerxes ein Opfer göttlichen Trugs. Um Alcumena von dem Vorwurf zu entlasten, selbst Urheberin (und nicht Opfer) des Trugs zu sein, vermutet Sosia die dionysischen Elemente Wein oder Wahnsinn (v. 697, 719). Auf sie wird auch in der Tragödie das verhängnisvolle deviante Verhalten zurückgeführt. Dies gilt besonders für Euripides’ Bakchen, die auch hierin als interdramatische Folie dienen. Konsequenterweise erklärt Sosia vor dem Hintergrund der önologischen Transgressionsätiologie die Ehefrau seines Herrn zur Bacchantin (v. 703 f.). Ein heortologisches Ritual bietet auch in Menanders Samia den Anlaß für eine sexuelle Transgression mit reproduktiven Folgen. Doch anders als Menanders Moschion hat Alcumena die Grenzen ohne ihr Wissen oder Wollen verletzt. Dies unterscheidet sie von Senecas Phaedra, die als Mänade agiert (s. 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors in der Interpretation dieses Dramas). Sie vermutet ihrerseits eine Täuschungsabsicht, ein fast intratheatralisches Spiel, hinter Amphitruos Verhalten, das sie als Probe deutet (v. 688 f.). Einzig ihre Klage über die Fragilität der voluptas, die jedoch aus liebend-sehnsuchtsvoller Perspektive formuliert (v. 633-641) und vom Bekenntnis zur virtus abgelöst wird (v. 648-653), könnte sie in den Augen der Zuschauer kompromittieren und verringert ihr tragisches Potential. Die Ambivalenz des virtus-voluptas-Canticums (v. 633-653) bringt die Spannung zwischen Komik und drohender Tragik 65 auf ihren Höhepunkt, die sich im OT ähnlich vor dem dénouement hochschaukeln (s. 2.3.4 Phase drei: Iokaste in der Interpretation dieser Tragödie), und sorgt gleichzeitig für eine komische Entladung dieser Spannung. Die drohende Tragik dieses Stücks verstärkt also letztlich seine komische Wirkung, die auf der Amplifikation der sexuellen Transgression durch Iteration beruht. Der Göttervater wird so durch deren zeitliche Erweiterung eine komische Figur, wie er es bei der bildlichen Darstellung durch die körperliche Vergrößerung wird. 66 64 Vgl. Carmen Bernal Lavesa, Transgresiones femeninas en las comedias de Plauto. In: El fil d’Ariadna, a cura de Francesco De Martino i Carmen Morenilla. Bari 2001, 61-81, h. 67 f. 65 Auch nach Richard B. Sewall, The Vision of Tragedy. Tragic Themes in Literature from the Book of Job to O’Neill and Miller. New York 3 1990, 1 bezieht die Komödie ihre Kraft aus der tragischen Möglichkeit, hier der Eliminierung, die als Folge der Transgression droht. 66 John R. Clarke, Looking at Laughter. Humor, Power, and Transgression in Roman Visual Culture, 100 B.C. - A.D. 250. Berkeley 2007, 166-168 erwähnt zwar Jupiters Kostümierung als Amphitruo, bietet aber nur von seiner Vereinigung mit Leda humoristische Darstellungen. 5.3 Plautus’ : Metatheater, Komische Doppelung, ver-rückte Semiose 555 Die allseits bekannten niederen Motive des manipulierenden Gottes, der selbst der Nutznießer des Trugs ist, würden selbst für einen antiken Zuschauer eine tragische Auflösung zu einem fast theodizeewürdigen Skandalon machen und verpflichten den Göttervater nachgerade, als deus ex machina ein dénouement herbeizuführen, wobei er bereits zuvor die Zeit wieder ins Lot gebracht hat, welche die Verdoppelung der Nacht gestört hatte. 67 Der straflos genossenen Lust Alcumenas korrespondiert entsprechend der phantastischen Lizenz der Komödie die schmerzlose Zwillingsgeburt (v. 1070 f., 1099 f.), in der sich die Doppelung materiell manifestiert und über das Ende des Stückes perpetuiert. Die Zwillingsgeburt dieser Komödie verdoppelt physisch Väter und Söhne, aber nicht wie sonst in der Nea die Position des pater familias durch Verehelichung des Sohnes. Die schmerzlose Zwillingsgeburt ist das (inter)dramatisch und operativ exakte Gegenteil von Medeas doppeltem Kindermord, der ihre Mühen im Kindbett annulliert. Hier herrscht die reproduktive Verdoppelung, dort die eliminatorische Entzweiung und Entdoppelung (Näheres s. 3.4 Tragik und dimidiata dyas in der Interpretation von Euripides’ Medea). Das Wunderbare (v. 1057: mira) der epiphanen Geburt, welches das Phantastische 68 krönt und überwindet und so die Wiederherstellung der Ordnung ermöglicht, kann nur in einem Botenbericht dargestellt werden (v. 1053-1130). Der Göttervater tritt nur durch sein beruhigendes Wort an Alcumena und die übrigen Figuren in Erscheinung, das die Furcht, die er ausgelöst hat, beenden soll (v. 1064-1066). Der tragikomische Charakter des Stückes zeigt sich auch daran, daß - in Umkehrung der biblischen Genesis 69 - das göttliche Wort am Ende steht. Jupiters szenische Epiphanie ist kein Hinabschweben, sondern ein Sich-zu-erkennen-Geben aus dem extraszenischen Raum heraus. Der vertikale Unterschied zwischen Gott und Menschen wird durch deren Fall verstärkt. Bereits Artemis’ Epiphanie in Euripides’ Hippolytos als dea ex machina rehabilitierte eine sexuell inkriminierte Figur, d.h. stellte ihre soziale Integrität wieder her, und klärt den argwöhnischen Patriarchen auf, dort allerdings nicht über das eigene Intratheater, sondern dasjenige seiner Frau, das bereits die räumliche und physische Eliminierung des vermeintlichen Transgressors nach sich gezogen hat (v. 1282-1312). In Komödie wie Tragödie fällt mit der göttlichen Epiphanie die Anagnorisis zusammen. Das ist ein bedeutender Unterschied etwa zum Oidipus Tyrannos, und auch Medeas Intratheater ist für Iason bereits vor ihrer szenischen Erscheinung offenbar geworden (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Interpretation von Euripides’ Medea). Die göttliche Erscheinung enthüllt auch keinen eliminatorischen Schrecken, sondern sie erklärt ihn und verbreitet an sich Schrecken. Das ist ebenfalls ein relevanter Unterschied zu den bisher bespro- 67 Andreas Heil, Die dramatische Zeit in Senecas Tragödien. Habil. Dresden 2010. Mnemosyne Suppl. 357. Leiden 2013, 217. 68 Vgl. Karl Heinz Bohrer, „Zur Theorie des »Wunderbaren« als das »Phantastische« - Der Angriff auf die Realität“, in: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978, 394-403. 69 Sie ist im Horizont der klassischen Antike daran faßbar, daß der Autor von De sublimitate sie als Beispiel des schlicht-erhabenen Stils lobt (9.9): “ ”, “ .” 5. Interludium: Die antike Komödie 556 chenen Epiphanien menschlicher Figuren, die deshalb allein das Attribut ‚apokalyptisch‘ im vollen Wortsinne verdienen. Jupiters Epiphanie beendet das göttliche Schauspiel (v. 1131-1143). Sie ist damit das kompositorische und dramatische Pendant zu Merkurs Exposition von Zeichen und Metatheater im Prolog. Insgesamt bietet im Amphitruo der generische Rahmen der Komödie, einer Gattung, die der dramatischen Handlung und damit auch sich selbst weit weniger Regeln auferlegt als die Tragödie, dem Metatheater die Möglichkeit, mit Hilfe der sozialen Transgression nicht nur die Grenzen des Komischen zu erweitern, sondern auch diejenigen des und der Gattung überhaupt konsequent zu überschreiten. Diesen Weg der parallelen inhaltlichen und formalen Transgression sollte Senecas Phaedra verfeinert in Richtung auf die Auflösung dramatischer Konsistenz weiter beschreiten. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 6.1 Das Ende der Tragödie und des Tragischen? Die Meinungen über die Ursachen für das Verschwinden des Tragischen aus der nachklassischen dramatischen Produktion sind ebenso vielfältig wie diese Ursachen selbst sicherlich vielschichtig. Sie können deshalb im Rahmen dieser Arbeit weder adäquat noch erschöpfend diskutiert werden. 1 Nach den Analysekategorien der vorliegenden Untersuchung läßt sich, wenn man die Dramengeschichte selbst als Drama liest, der Befund so formulieren, daß das Tragische, dem die Eliminierung als Operation und Folge der Transgression, also zwei Dramenstationen, inhärent ist, selbst einer Eliminierung zum Opfer gefallen ist. Ähnlich versucht der Ausklang des Kapitels über die Neue Komödie, mit den Kategorien dieser Arbeit die drameninterne Entwicklung zu skizzieren, die den Umbruch vom klassischen zum hellenistischen attischen Drama ausmacht (s. das Kap. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia). Fest steht jedenfalls, daß diese Transformation mit den epochalen Umbrüchen, die sich von der Klassik zum Hellenismus auf politischem, religiösem, philosophischem und literarischem Gebiet vollzogen, zeitlich zusammenfällt und historisch in sie eingebettet ist. Es sind hier weder der Ort noch der Raum, das Ausmaß dieser Umbrüche mit anderen antiken oder gar modernen Epochenwechseln zu vergleichen. Für das Drama ist jedenfalls schon nach dem Tod der zwei großen klassischen Tragiker Sophokles und Euripides das Bewußtsein einer „Epochenschwelle“ feststellbar, das sich auch an der Bezeichnung der früheren Tragödien des 5. Jh.s als und ihrer Wiederaufführung seit 386 v.Chr. zeigt. 2 Die performative Iteration impliziert die künstlerische Singularität des vergangenen Schaffens und dessen literaturkritische Kanonisierung. Mehr noch, wußte bereits die Umbruchsepoche um den Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart des damaligen Dramas. Selbst ein Tragiker des 4. Jh.s wie Astydamas zeigt in dem Epigramm der Statue, mit der er im Jahre 340 im Dionysostheater geehrt wurde, ein Bewußtsein für die zeitliche Distanz zwischen ihm selbst und den genannten alten Tragikern, 3 wobei er selbstbewußt bedauert, daß dieser Abstand ihn daran hindere, mit seinen Vorgängern in Wettbewerb zu treten. Seine hier durchschimmernde These recentiores non deteriores läßt sich freilich nur aus der Geläufigkeit der gegenteiligen Meinung erklären. Sie scheint hinter der bereits erwähnten Praxis zu stehen, daß „an den Dionysien neben dem Agon der neuen Tragödien zusätzlich eine ‚alte‘ Tragödie aufgeführt“ (Flashar 1984: 5) wurde. Sie stand damit, so Flashar weiter, außerhalb der Konkurrenz und diente als singulärer, als wertvoll kanonisierter Maßstab der zu bewertenden 1 Für kulturevolutionär-katalytische Aspekte s. 1.2.3 Tragödie, Transgression und Gesellschaft in der Einleitung. 2 Hellmut Flashar, Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1- 23, h. 3. 3 Flashar 1984: 6. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 558 neuen Produktion. 4 Das Bewußtsein für die Tradition der Gattung schafft eine Voraussetzung für das intra-, inter- und metatheatralische Spiel mit deren Konventionen, das diese zur Disposition stellt und das wir bei Senecas Phaedra kennenlernen werden. Die Wiederaufführung und konstitutive Erneuerung der Tragödie performieren Tod und Wiedergeburt ihres Gattungspatrons Dionysos auf der generischen Ebene. Die meisten Analysen rücken jedoch nicht die Vitalität und phönixgleiche Erneuerung der Tragödie, sondern deren Verfall, ja Tod in den Blickpunkt. Bereits Aristophanes’ Frösche lassen mit dem Tod der beiden großen Tragiker die Tragödie enden (v. 65-91) - wobei Aischylos polemisch differenziert, seine Dichtung sei nicht mit ihm gestorben, sondern nur diejenige des Euripides (v. 868 f.: ) 5 - hier geht es also nicht um den Tod der gesamten Gattung, sondern das (fehlende) Nachleben einzelner Tragiker. Aristophanes wird mit dieser biographischen literaturgeschichtlichen Verankerung zum Stichwortgeber 6 der markanten metaphorisch-biologischen Formulierung vom Tod der Tragödie, 7 welche die moderne Diskussion so nachhaltig prägen sollte. 8 Friedrich Nietzsche hat diese vitalistische Metapher auf diese griffige und bis heute geläufige Formel gebracht und im Kontext der vermeintlichen Verantwortlichen Sokrates und Euripides sogar vom „Selbstmord“ der Tragödie gesprochen. 9 Dabei handelt es sich jedoch nur um ein Urteil, das von einem qualitativ-normativen und jedenfalls über die basalen Gattungsmerkmale hinausgehenden Verständnis der Tragödie ausgeht, wie es in dieser Arbeit für das Tragische zugrunde gelegt wird. Wenn viele Tragödien des 4. Jh.s allerdings auf die physische Eliminierung verzichten, worauf bereits Aristoteles kritisch anspielt, wenn er Euripides gegen Tadel an seinen unglücklichen Ausgängen verteidigt und ihn in diesem Punkt sogar als den tragischsten Dichter bezeichnet (Poet. 1453a 23- 30), 10 so wird damit ein Merkmal aufgegeben, das diese Arbeit als konstitutiv selbst für die Gattung Tragödie angesetzt hat. Quantitativ und performativ bietet sich jedoch ein anderes Bild. Denn in der Aufführung lebte die Alte Tragödie neben der neuen weiter, deren Produktion rein numerisch beachtlich blieb und immerhin noch die Hälfte derjenigen des 5. Jh.s betrug (Flashar 1984: 3 f.). 4 Daß die Tragödien des 4. Jh.s dieselben mythologischen Stoffe wie ihre Vorgänger hatten (Flashar 1984: 5), ist eine bloß materiale stoffliche Parallele, die ebenso besonders geeignet ist, die Unterschiede der Bearbeitung hervortreten zu lassen. 5 Dover 23, 301 a.l. bezieht diese Stelle auf Aischylos’ Nachleben durch Wiederaufführungen seiner Stücke. Sommerstein 232 a.l. nennt zusätzlich noch die wahrscheinliche Aufnahme des Aischylos in die Schullektüre. Vgl. Albert Henrichs, The Last of the Detractors. F. Nietzsche’s Condemnation of Euripides. GRBS 27 (1986) 369-397, h. 371. 6 Verkürzt ist freilich Bruno Snells Formulierung, Aristophanes habe „haargenau festgestellt: jetzt ist die Tragödie tot.“ (Die Entdeckung des Geistes. Göttingen 6 1986, 111). 7 Für diese biologische Metapher der Literaturgeschichte vgl. George Steiner, The Death of Tragedy. New Haven, London 1996. 8 Für die klassische Philologie (Snell, Seeck) s. Flashar 1984: 3 Anm. 4. 9 KSA Bd. 1, 75: „Die griechische Tragödie ist anders zugrunde gegangen als sämmtliche ältere schwesterliche Kunstgattungen: sie starb durch Selbstmord, in Folge eines unlösbaren Conflictes, also tragisch.“ 10 Flashar 1984: 7 f. 6.1 Das Ende der Tragödie und des Tragischen? 559 Zwar bemüht sich Flashar glaubhaft darum, das allzu negative Bild der Tragödie des 4. Jh.s v.a. im Vergleich zu ihren Vorgängern zu korrigieren und auch Aristoteles’ Verhältnis zur zeitgenössischen Tragödie faktisch wie evaluativ zu erhellen (1984: 7-16), so daß der Stageirit keineswegs als Eideshelfer dafür angesehen werden kann, daß die von ihm geschätzte Tragödienform ein unwiederbringliches Ende gefunden habe (Flashar 1984: 16). Indes läßt Aristoteles’ Kanonisierung des Sophokles und des Euripides, soweit er Züge des 5. Jh. aufweist, bei gleichzeitiger Ablehnung von Grundtendenzen der zeitgenössischen Tragödie ein deutliches Bewußtsein für eine diachron feststellbare qualitative Einbuße der Gattung Tragödie erkennen. Die Philosophie spielt denn auch weiterhin eine beachtliche Rolle bei der Diagnose und Ätiologie der qualitativen Veränderungen der Tragödie vom 5. zum 4. Jh. Während Aristoteles hierbei nur eine negative Tendenz anklingen läßt und anders als Tacitus’ Dialogus de oratoribus und Quintilians Schrift De causis corruptae eloquentiae noch keine Ursachen für den diagnostizierten Verfall sucht, wird die Suche bei Friedrich Nietzsche Teil der Philosophieautohistorie. Er lenkte den Blick auf den philosophischen Rationalismus eines Sokrates und Platon. 11 Gewiß hat es nicht an Stimmen gefehlt, denen zufolge die Psychologie und Weltsicht der klassischen Philosophie mit denjenigen der attischen Tragödie, ja des Homerischen Epos übereinstimmen und der entscheidende Bruch erst im Hellenismus eingetreten sei. 12 Doch Nietzsches Begründung ist in der Tat nicht abwegig, da der Rationalismus dieser beiden Philosophen keine systemischen Widersprüche mehr kennt und mit dem ethischen Intellektualismus ein optimistisches Menschenbild vertritt. Der platonische Dialog bietet eine Form eines scheinbar herrschaftsfreien, uninteressierten Diskurses, dessen Bereitschaft und Fähigkeit zur rationalen Problemlösung nachgerade ein Gegenmodell zu der dysfunktionalen Verkeilung und Verhakung der Sprache in den von Interessenskonflikten aufgeladenen Tragödiendialogen ist. Die Tragödienbesprechungen der vorliegenden Arbeit hoffen - etwa anhand des OT und der Medea - ausreichend Beispiele dafür beigebracht zu haben, daß Eliminierung und Transgression nicht selten dadurch entstehen, daß eine rationale Verständigung scheitert. Es scheint auch fraglich, inwieweit für das Tragische bei Platons linearer Rationalität noch Platz bleibt. 13 Reginald P. Winnington-Ingram arbeitet denn auch überzeugend heraus, daß Platons Konzept einer absoluten ethischen 11 KSA Bd. 6, 310 f. (Ecce homo, Die Geburt der Tragödie). Abschätzig über Sokrates’ Moralismus, Dialektik und Vernunft ist auch KSA Bd. 6, 67-73 (Götzen-Dämmerung, Das Problem des Sokrates). 12 So Arbogast Schmitt, Leidenschaft in der Senecanischen und Euripideischen Medea. In: Francesco del Franco (Hg.), Storia, poesia e pensiero nel mondo antico. Studi in onore di Marcello Gigante. Neapel 1994, 573-599, h. 576, 597 anhand des für die Tragödie zentralen Themas des Zorns. 13 Pace Stephen Halliwell, der zwar eingangs den theoretischen Unterschied zwischen Tragödie und Tragik betont (Plato’s Repudiation of the Tragic. In: Michael S. Silk (Hg.), Tragedy and the Tragic. Greek Theatre and Beyond. Oxford 1996, 332-349, h. 332 f.), aber anhand einer fundierten Untersuchung der entsprechenden griechischen Lexeme bei Platon den ontologisch inferioren Status des Tragischen herausarbeitet, das in einer engen Analogie zum Leben stehe (1996: 336-340). s 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 560 Freiheit, bei welcher der vor der Reinkarnation gewählt wird und die Tugend keinen Herrn hat (R. 617e: … ), und seine Entlastung der Götter von der Verantwortung für das Schlechte konträr zu der tragischarchaischen Weltanschauung eines Aischylos und Sophokles waren. 14 In seinem politischen Denken nimmt die physische wie räumliche Eliminierung zwar eine prominente, in der Forschung zumeist ignorierte Stellung ein, 15 doch ist sie gänzlich anders gelagert als in der Tragödie. In dieser wird die Eliminierung von dem sozialen Mikrokosmos dieser Gattung als bedauerlich empfunden und ist die Folge oder die Form einer individuellen Transgression. Platons politische Philosophie diskutiert die Eliminierung als planmäßige Reaktion auf die Devianz unbestimmter einzelner oder gar der unphilosophischen Mehrheit von dem platonischen Ideal und als Mittel, um dieses kollektiv durchzusetzen. Sie ist Teil eines rationalen politischen Programms und nicht das Ergebnis sozialer Konflikte, die sie sogar systemisch eliminieren soll. Mögen ihre Legitimität und Durchführbarkeit bei Platon durchaus problematisiert oder distanziert betrachtet werden, so wird nirgends, selbst nicht im siebten Brief, 16 welcher der ethischen Gewalt palinodisch abschwört ( 331d 2 - 4 ), ein tragischer Konflikt zwischen der physischen Integrität der Devianten und der ethischen Integrität des geläuterten Kollektivs (oder der moralischen der Ausführenden) angenommen. Zusätzlich zum Zurückweichen des Tragischen in der sozialen Interaktion wird bei Platon die Mimesis, welche dem Theater zugrunde liegt, ontologisch als abgewertet (R. 602c 1 f.). Außerdem werden die Dichter wegen ihrer ethisch fragwürdigen emotionalen Wirkung, also abermals der Inkompatibilität mit der platonischen Ethik, lokal aus dem Idealstaat eliminiert (Näheres s. 7.1 Forschungsstand und Problemstellung in der Phaedra-Interpretation). Wenn die Gesetze die Abweisung der Tragödienautoren, die ihre Dichtkunst anbieten, damit begründen, die Bürger der neuen Stadt seien selbst Tragödienautoren, da sie mit dieser eine des schönsten und besten Lebens hätten und über die wahrhafteste Tragödie verfügten (Lg. 817b), so zeichnet sich hier die Transformation des Tragisch-Theatralischen ins Ethische ab, die sich bei den Stoikern fortsetzt, wenn auch nicht mit der schroff-exklusiven politischen Antithese zur Kunst wie bei Platon. Diese Umformung kündigt sich auch bei der Metapher der Gesetze an, welche die Menschen mit Marionetten in den Händen der Götter vergleicht, um so zu illustrieren, daß die Stadt nach den heiligen Gesetzen geführt wird (Lg. 644d-645c), wird Platon hierdurch doch zum Stammvater der 14 Tragedy and Archaic Greek Thought. In: M. J. Anderson (Hg.), Classical Drama and its Influence. Essays presented to H. D. F. Kitto. New York 1965, 31-50, h. 46-50. 15 Vgl. dazu Verf., Platon, Popper und die Integrität - Versuch eines Neuansatzes mit Giorgio Agamben. In: Andreas Eckl, Clemens Kaufmann (Hgg.), Politischer Platonismus. Würzburg 2008, 151-165, h. 158-162. Hierauf stützen sich die folgenden Ausführungen zur Eliminierung bei Platon. 16 Zur Diskussion um seine Echtheit s. Kai Trampedach, Platon, die Akademie und die zeitgenössische Politik. Diss. Freiburg i.Br. 1993. Hermes Einzelschriften 66. Stuttgart 1994, 255- 259 und Peter Scholz, Der Philosoph und die Politik. Die Ausbildung der philosophischen Lebensform und die Entwicklung des Verhältnisses von Philosophie und Politik im 4. und 3. Jh. v.Chr. Diss. Frankfurt a.M. 1996. Frankfurter althistorische Beiträge 2. Stuttgart 1998, 76 Anm. 9 mit weiterführender Literatur. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 561 Metapher des theatrum mundi, das in der kynisch-stoischen Tradition voll entwickelt werden sollte. 17 Insgesamt sind die platonische Ideenlehre und kollektiv totalisierte Psychagogie also schwerlich mit der attischen Tragödie vereinbar, deren diskursive Form er nach eigenen, später verbrannten Versuchen (so die Überlieferung) 18 im Dialog absorbierte, 19 läuterte und damit dialektisch erübrigte. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen Mit der Besprechung von Platons Beitrag zur Überwindung des Tragischen und der Tragödie gelangen wir inhaltlich wie chronologisch zur Fragestellung dieses Abschnitts, die überschaubarer als diejenige des vorangehenden ist. Sie betrifft nicht die große Debatte um den Tod der Tragödie bzw. des Tragischen. Selbst wenn man mit Friedrich Nietzsche den ethischen Intellektualismus des Sokrates zum Totengräber der (attischen) Tragödie macht, hat die Stoa, die sich als dessen stolze Erbin ansah, 20 allenfalls das begonnene Werk vollendet. Abwegig ist diese Sichtweise nicht, da der vorliegende Abschnitt in der Tat beiwege das Ergebnis zutage fördern wird, daß der stoische Rationalismus kaum Raum für das Tragische läßt. 21 Es geht hier jedoch hauptsächlich um das bescheidene Erkenntnisziel, die stoischen Hintergründe für das Schicksal des Tragischen zu beleuchten, das u.a. im folgenden Kapitel bei der Besprechung eines Dramas des kaiserzeitlichen Stoikers Seneca betrachtet werden soll. In der Tat lassen sich viele wesentliche, wenn auch nicht alle Veränderungen, die Seneca gegenüber seinen griechischen Vorgängern und Vorlagen, die eine erhellende interpretatorische Kontrastfolie bieten, in Stoff und Darbietung seiner Dramen vorgenommen hat, vor dem geistigen Hintergrund der Stoa erklären. Diese Veränderungen beruhen nicht nur auf der stoischen Orthodoxie über die Entstehung und Bewertung der Leidenschaften, wie Arbogast Schmitt scharfsinnig herausgearbeitet hat (s. den Abschnitt 7.1 Forschungsstand und Problemstellung des Kap. zu Senecas Phaedra), sondern betreffen auch zentrale Begriffe des aristotelischen Tragödienverständnisses. Selbst wenn dieses nicht mit dem Wesen der attischen Tragödie deckungsgleich ist, so wird hieran doch ein Wandel des geistigen Klimas deutlich, der seit dem Hellenismus feststellbar ist. Wenn im folgenden 17 Franz Link, Götter, Gott und Spielleiter. In: Ds., Günter Niggl (Hgg.), Theatrum mundi. Götter, Gott und Spielleiter im Drama von der Antike bis zur Gegenwart. Literaturwissenschaftliches Jahrbuch Sonderband 1981. Berlin 1981, 1-47, h. 1. 18 Thomas A. Szlezák, Art. Platon. DNP 9 (2000) 1095-1109, h. 1095. 19 Michael Erler, Platon. Bd. 2/ 2 von Hellmut Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike. Basel 2007, 81. In der Moderne „werden die Dialoge bisweilen wie Dramen interpretiert“, in der Antike wurden sie „sogar als solche aufgeführt“ (Erler 2007: 81). 20 Vgl. hierzu Michael Erler, Stoic oikeiosis and Xenophon’s Socrates. In: Theodore Scaltsas, Andrew S. Mason (Hgg.), Zeno of Citium and his Legacy. Larnaka 2002, 239-257, h. 241 f. 21 So bereits Kurt von Fritz, „Tragische Schuld und poetische Gerechtigkeit in der griechischen Tragödie“, in: Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 1-112, h. 22 f. mit Blick auf die radikale Verinnerlichung und Abstraktion vom Äußerlichen in der stoischen Ethik. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 562 hauptsächlich nichtsenecanische Texte der kaiserzeitlichen Stoa (v.a. Epiktet) 22 herangezogen werden, so gibt es für diese Vorgehensweise trotz der methodisch grundsätzlich berechtigten Kritik Joachim Dingels, man dürfe beim neuralgischen Verhältnis von Dichtung und Philosophie Seneca nur aus Seneca erklären und keinen anderen Stoiker dazu heranziehen, 23 drei Gründe: Erstens empfiehlt es sich, Senecas Theaterverständnis zusammen mit seiner Dichtungstheorie und dramaturgischen Praxis aus Gründen der argumentativen Konsistenz geschlossen bei der Interpretation seiner Phaedra darzustellen (s. 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik). Zweitens gewährleistet der Schwerpunkt auf Epiktet den stoischen und nicht bloß senecanischen Charakter der fraglichen Veränderungen. Drittens trägt dieses Vorgehen der Tatsache Rechnung, daß Senecas philosophische Texte für die hier verfolgte Fragestellung wenig ergiebig sind, wie sich das stoische Verhältnis zur Tragik und Psychagogisierung des Theaters und selbst zur Tragödie gestaltet. 24 Diese Unergiebigkeit ist nicht zuletzt der anders gelagerten Textstruktur von Senecas philosophischen Schriften geschuldet. Sie sind intime Zwiegespräche mit geringer Theatralität - Sen. epist. 52,12 betont selbst - freilich bloß rezeptionsethisch - den Unterschied zwischen der öffentlichen Philosophenschule und Theater: Intersit aliquid inter clamorem theatri et scholae: est aliqua et laudandi decentia - die epiktetischen Diatriben suggerieren eine halbszenische Öffentlichkeit wie Platons Dialoge. Die für eine philosophische Interpretation von Senecas Tragödien entscheidende Frage, wie Emotionen und moralisch abwegiges Verhalten und ihre Wirkung auf die Rezipienten dramatisch dargestellt werden, ist so eng mit der Interpretation der hier gewählten Seneca-Tragödie verwoben, daß sie zusammen mit der dichterischen Inspiration bei deren Auslegung im nächsten Kapitel behandelt werden soll (s. 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik). 25 Die Veränderungen, welche die Stoa von der klassischen Tragödie und teilweise auch Philosophie trennen, betreffen vor allem Normen und ethische Emp- 22 Unter ‚Epiktet‘ wird hier das Korpus der Schriften, die unter dem Namen dieses kaiserzeitlichen Stoikers überliefert sind, oder deren Sprecher verstanden. Näheres zur Problematik von Epiktets Autorschaft und seiner Sprecherrolle s. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 15 f. und 18 Anm. 32. 23 Seneca und die Dichtung. Teildruck von Habil. Tübingen 1972. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 51. Heidelberg 1974, 16 f. Auch Martha Craven Nussbaum, Poetry and the Passions. Two Stoic Views. In: Jacques Brunschwig, Ds. (Hgg.), Passions & Perceptions. Studies in Hellenistic Philosophy of Mind. Proceedings of the Fifth Symposium Hellenisticum. Cambridge 1993, 97-149, h. 129, 138; 142 f. (Medea) stützt sich auf die hier besprochenen Stellen der epiktetischen Diatriben (s.u.) und zieht nur vereinzelte aus Seneca heran (1993: 124, 126, 140), die ebenfalls zusammen mit Senecas theoretischen Äußerungen zum Theater im folgenden Kapitel besprochen werden sollen. 24 Giancarlo Mazzoli, Seneca e la poesia. Mailand 1970, 134. 25 Diese drei genannten Aspekte sind die einzigen der stoischen Dichtungstheorie, die dort im Rahmen der vorliegenden Arbeit behandelt werden können. Für die Rekonstruktion, dieses Kapitels der stoischen Philosophie s. Phillip De Lacy, Stoic Views on Poetry. AJPh 69 (1948) 241-271 und Nussbaums vorgenannten Beitrag. Die Rekonstruktion gestaltet sich ausgesprochen delikat, da häufig auf Pastiches stoischer Lehre bei anderen Philosophenschulen zurückgegriffen werden muß, so Diogenes von Babylon in Philodems De musica und Chrysipps in Plutarchs De audiendis poetis (vgl. De Lacy 1948: 251). 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 563 fehlungen und sind deshalb für die Bewertung einer Handlung als Transgression von besonderem Belang. Diese evaluativen Akzentverschiebungen, die bestehende wertende Markierungen aufheben, verkehren oder neue im vormals Indifferenten setzen, sind aber - entsprechend der postulierten funktional-organischen Einheit des Lehrsystems (SVF II 38-40) - in die veränderte stoische Psychologie (v.a. die Pathogenese), Anthropologie und schlußendlich auch Theologie eingebettet. Besonders einschlägig werden diese Veränderungen, wenn sie an Tragödienmaterial faßbar werden. So dichtete Zenon (Plu. aud. poet. 33CD = SVF I 219) die zweite Zeile von Sophokles’ Fragment (TrGF Bd. 4 Frg. 873): , zu um. Der Gang zum Tyrannen ist gewiß keine Transgression, sondern nur eine Fortbewegung, die sozialer Interaktion entspringt. Doch diese Handlung ist bei Sophokles unabwendbar mit einem Verlust von sozialer Souveränität verbunden (der Betreffende ist der Sklave des Tyrannen), der angesichts der Hochschätzung der Freiheit, auch gegenüber dem Tyrannen, in klassischer Zeit durchaus als Beeinträchtigung aufgefaßt werden konnte. Bei Zenon ist die innere Haltung entscheidend, die diesen Gang begleitet. Ist sie frei, wird der Betreffende allgemein kein Sklave, nicht nur nicht des Tyrannen, und wahrt seine Souveränität absolut. Das Drama hebt dagegen entsprechend seiner etymologischen Bedeutung auf die Handlung als Kriterium der Freiheit ab. Zenons Umdichtung illustriert also augenfällig, daß nach stoischer Auffassung das ethisch-rationale Subjekt darin souverän ist, diesen Status gegen äußere Widrigkeiten zu wahren, während es diesen in dem Fragment der Sophokles-Tragödie durch die Handlung und soziale Interaktion verliert. Diese Konstellation entspricht also genau der Tragik, bei welcher der Status eines ethisch-rationalen Subjekts durch die Handlungsstruktur situativ eingeschränkt wird. In letzter Konsequenz zeigt Zenons Umdichtung mithin, daß das stoische Konzept der inneren Freiheit die Tragik obsolet macht. Zu illustrativ-didaktischen Zwecken greifen auch die epiktetischen Diatriben häufig zur Vergegenwärtigung auf Beispiele aus Epos und Tragödie zurück, die den Schülern bekannt sein dürften, wohl aus den vorausgehenden Stufen ihrer Ausbildung. 26 Sehr ergiebig ist hierfür die Diatribe 1.28. Sie reduziert die sozialen Konflikte in diesen Werken auf der Grundlage der stoischen Ethik und Psychologie epiktetischer Prägung auf Verfehlungen im Urteil und Moral und delegitimiert, ja ridikülisiert das Verhalten der literarischen Figuren, das Epos und Tragödie - trotz gelegentlicher humoristischer Auflockerungen, die sich aller- 26 Théodore Colardeau, Les citations et les allusions poétiques dans Epictète. Annales de l’Université de Grenoble (1901) 495-514, h. 498. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 564 dings bei Aischylos und Sophokles auf Nebenpersonen beschränken, 27 oder kritischer Differenzierungen im tragischen Konflikt - als legitim oder zumindest akzeptabel darstellen. Aus der Dignität der Einzelhandlungen speist sich denn auch diejenige der Gesamthandlung und des Kunstwerks selbst. Senecas Phaedra delegitimiert dagegen das Verhalten der Figuren und zeigt damit eine distanzierende Sichtweise, die auch in den epiktetischen Diatriben anzutreffen ist (s. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Interpretation dieses Dramas). Aber zum Einzelnen: Einen Fehler ( , ) beging Paris, als er seine moralischen Qualitäten beim Raub der Helena verlor, Achill, als er zürnte ( ) und um das Mädchen weinte und vergaß, daß er nicht um Geliebte zu erwerben, sondern um Krieg zu führen in Troja war (1.28.22-24). Fehler bestehen also gut stoisch in emotionalem Verhalten und Pflichtvernachlässigung. Der Ursprung der Tragödien und des Leids ( ) liegt im willkürlichen ( ) Befolgen der Eindrücke ( ), das entsprechend der stoischen Terminologie als Wahnsinn qualifiziert wird (1.28.33: ), statt Maßstäbe ( ) anzuwenden (1.28.30-33). Auf diese Formel werden auch noch heute berühmte Stücke gebracht (1.28.32): - - . Diese plakative Reduzierung auf die epiktetische Psychologie, die getreu dem ethischen Intellektualismus (Fehl-)Urteile zum Ursprung von Emotionen und Leid macht, greift auch bei den Homerischen Epen (1.28.12): - . Die erste überlieferte Dichtung des Abendlandes wird so in einer plakativen Formel auf einen „Zentralbegriff“ 28 der epiktetischen Psychologie und Psychagogie reduziert. Die soeben zitierte Erklärung der Tragödie aus ethischen Fehlurteilen bietet auch die zweite Tragödiendefinition bei Epiktet, an der sich der gewandelte geistige Horizont noch deutlicher ablesen läßt. Nach der Erwähnung von Oidipus’ und Priamos’ Kummer (1.4.23), der daher rühre, daß sie nicht wüßten, was Tod, Verbannung und Gefängnis seien und nicht wie Sokrates das Geschehen als gottgegeben akzeptierten (Cri. 43d 7 f.), heißt es nämlich (1.4.26): ; Solche Menschen kann man, selbst wenn man die gestiegenen Ansprüche an diese Typenbegriffe berücksichtigt, nach stoischen Kriterien kaum, wie Aristoteles es impliziert oder von seinen Charakteren verlangt, als (Poet. 1456a 21 f.) oder (Poet. 1454a 17-19) bezeichnen, sondern als deren Gegenteil, als Toren (vgl. 2.16.31, s.u.) 29 27 Bernd Seidensticker, Palintonos Harmonia. Studien zu komischen Elementen in der griechischen Tragödie. Teilw. Habil. Hamburg 1979. Hypomnemata 72. Göttingen 1982, 242. Für ein Beispiel aus Sophokles’ OT s. 2.3.4 Phase drei: Iokaste in der Interpretation des OT. 28 Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. 2 Bde. Göttingen 5 1978, Bd. 1, 329. 29 Das vorliegende Kapitel will, ohne dabei Aristoteles’ Poetik eine vollständige, singuläre, end- und mustergültige Erfassung der attischen Tragödie zuzusprechen, den theoretischen Unterschied zwischen der aristotelischen und stoischen Konzeption der Tragödie herausarbeiten und so die Grundlage erhellen, warum sich in Senecas Stücken gegenüber der attischen Tragödie 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 565 oder gar Wahnsinnige (1.28.33: ). Ein paar Punkte müssen präzisierend zu diesen Textstellen, auch gegen anders gelagerte Interpretationen in der Forschung, festgehalten werden, auch um eine solide Grundlage für ihre weitere Deutung zu schaffen. Epiktet veranstaltet an den vorgestellten, von ihm ausgewählten Passagen als gefestigter Stoiker eine psychagogische Lektüre prominenter Stücke der klassischen attischen Tragödie, um seinen Eleven zu moralischem Fortschritt zu verhelfen (1.4.27, vgl. 1.4.5 & 18: ). Persuasiv und psychagogisch geschickt werden die großen Helden der Literatur (1.24.17: [zu Oidipus]) anstelle der Adressaten (1.4.14, 1.6.30: - , vgl. 4.1.146: ) in demselben Ton hart angegangen und als Toren dargestellt, weil sie nicht der stoischen Wertelehre folgen, was umgekehrt den Schülern elegant die Möglichkeit eröffnet, diese großen literarischen Figuren durch Verhalten entsprechend der stoischen Lehre zu übertreffen (vgl. 1.24.18- 20). Die Tragödienrezeption ist also stark von einem stoischen Lehrer gelenkt. Deshalb geht Nussbaums Interpretation der hier vorgestellten zwei Epiktet- Stellen (ferner 2.16.31), die Tragödienrezeption könne die Kontingenzresistenz stärken (1993: 128-130, v.a. 128), weit über den Text hinaus. Wegen der ausgeprägten Rezeptionslenkung greift auch Alexander Kirichenkos Auffassung entschieden zu kurz: „Laut Epiktet irrten tragische Figuren so offensichtlich, dass keine richtige Gefahr bestehe, man könnte sich mit ihnen identifizieren […].“ 30 Denn dies sagt Epiktet an den fraglichen Stellen nirgends. Eine Identifikation nimmt Epiktet an ihnen nur bei literarischen Werken und kognitionspsychologischen Größen vor (1.4.26, 1.28.12). Dabei handelt es sich jedoch um psychagogisch formulierte und zugespitzte Äußerungen. Keinesfalls läßt sich in sie eine poetologische Aussage hineinlesen (mit Ausnahme des Zusatzes , der entsprechend dem formalistischen Dichtungsverständnis des Hellenismus (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung) - im Gegensatz zu Aristoteles (Poet. 1447b 13- 23, 1451b 1-4) - auf das Metrum 31 als ein Merkmal der Tragödie abhebt, aber durch diese einzige differentia specifica den plakativen Reduktionismus noch verstärkt und die Grenze zwischen Leben und Theater verwischt, denn selbstredend trennen beide noch die Mimesis, welche Epiktet denn auch psychago- die dramatische Praxis gewandelt hat, die im folgenden Kapitel näher untersucht werden soll. Dagegen stellt Ashiton L. Towsley Aristoteles’ moralisch-psychagogische Tragödientheorie einer Tragödie der Schicksals- und Gottergebenheit gegenüber, die er in der attischen Tragödie sowie bei Epiktet ausmacht (Religious Tragedy and Stoic Morality. Dioniso 47 (1976) 37-53). So richtig seine Einzelbeobachtungen sein mögen, wie auch dieses Kapitel zeigt (die göttliche Ebene ist bei Aristoteles theologisch allenfalls in ihrer Verletzung durch die oder dramaturgisch durch die Ablehnung des deus ex machina marginal präsent, und Epiktet instrumentalisiert die attische Tragödie, welche die Kontingenz der condicio humana schildert, tatsächlich psychagogisch für die Gott- und Schicksalsergebenheit), so sehr vergröbert und verfälscht doch der Bogen, den Towsleys Aufsatz spannt und der überdies anachronistisch einen christlichen Humanismus an der attischen Tragödie (1976: 39 f.) und an Epiktet (1976: 49 f.) exemplifizieren will. 30 Lehrreiche Trugbilder. Senecas Tragödien und die Rhetorik des Sehens. Habil. Trier 2011. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften 2 N.F. 142. Heidelberg 2013, 235 f. 31 Vgl. die Übersetzungen von Oldfather, Souilhé/ Jagu und Dobbin. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 566 gisch einebnet [1.24.18]) oder dürfen sie mit der zentralen Rolle der in der stoischen Epistemologie für eine stoische Theatertheorie kurzgeschlossen werden, wie Gregory Allan Staley es tut: 32 „These phantasiai constitute for the Stoics a natural and necessary feature of poetry, as Epictetus illustrates […].“ Bei der folgenden Übersetzung von 1.28.12 schmuggelt Staley ein „a poet’s“ vor den Gebrauch der Vorstellungen, das überhaupt nicht im Original steht. Staley spannt von dieser verfehlten Poetologie sogar einen Bogen zu Seneca (2010: 56): „Seneca’s imago is Epictetus’ phantasia.“ 33 Angesichts der präponderanten psychagogischen Zielsetzung dürfte klar sein, daß man aus den fraglichen Textstellen allenfalls implizite Einsichten über stoischen Einstellungen und Sichtweisen auf die Tragödie gewinnen kann. In 1.4.26 werden zwei für den stoischen Blick auf die Tragödie grundlegende Auffassungen deutlich. Die erste wird noch durch die zuerst zitierte Stelle gestützt (1.28.33): Das , das die Tragödie ausmacht und das für Aristoteles noch in körperlichem Schaden bestanden hatte (Poet. 1453b 19-22), wird zur Leidenschaft verinnerlicht. 34 Die negative Bewertung der Emotion durch die Stoa - im Gegensatz zum peripatetischen Ideal der Metriopathie - zeigt sich auch in der Umwertung des Verbs : Aristoteles verortete - entsprechend der zentralen Rolle, die und in seinem Verständnis der Tragödienrezeption spielen - ohne Distanzierung und implizit regelpoetisch die seelische Wirkung der Tragödie ( ) in den Teilen des Mythos Peripetie und Wiedererkennung (Poet. 1450a 33-35). 35 Bei Epiktet steht dieses Verb dagegen entweder - wie für Mark Aurel (11.6.2) sogar in theatralischem Kontext - für eine banale, philosophisch indifferente Unterhaltung (2.16.38, 3.21.23, 4.4.4) oder für eine emotionale Kontingenz, die abgewehrt werden muß (Ench. 3). Das , so die zweite Lehre der besagten Textstelle 1.4.26, könnte nach Epiktets Verständnis vermieden werden, so man das Geschehen akzeptiert. Umgekehrt läßt diese Koppelung an die subjektive Einstellung selbst banale Kontingenzen wie Ortswechsel für törichte Menschen zu Tragödien werden (2.16.31). 36 Diese psychagogische Hyperbel, die bei Mark Aurel durch Negation bereits in ein positives Verhaltensideal gewendet wird, 37 läßt erkennen, daß der Tragödienbegriff für die Lebensbewältigung in Dienst genommen wird, was auf seine Banalisierung hinausläuft. Dies wird im Vergleich zu Aristoteles beson- 32 Seneca and the Idea of Tragedy. Oxford 2010, 55. 33 Für Senecas imago s. Staley 2010: 52-54. 34 So bereits als Wirkung der Tragödie im Schol. zu E. Tr. 36. 35 Mit dieser nüchternen, positiven rezeptionsästhetischen Bedeutung setzt sich Aristoteles von seinen Vorgängern (v.a. Platon) ab, welche mit die Faszination von Musik, Dichtung und Rhetorik eher im Sinne einer magischen Geisterbeschwörung beschrieben (vgl. Mark Griffith, The King and Eye: The Role of the Father in Greek Tragedy. PCPhS 44 (1998) 20-84, h. 59 Anm. 125) und damit bei der Dramentheorie dieselbe Nuance wie die Stoiker bei ihrer allgemeinen Verwendung von aufweisen. 36 < > Vgl. 4.7.15 über das Sterben (vgl. dt. ‚dramatisieren‘): . 37 (3.7.2), (1.16.12, 11.3.2). 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 567 ders augenfällig am Umgang mit dem sophokleischen Oidipus, den ja auch der Stageirit als Beispiel bemüht (s. 2.6.2 Mimesis und Aristoteles in der OT-Interpretation). Er tritt in 1.24.16 zusammen mit dem bloßen Gattungsbegriff auf: Dort wird nach einem unbekannten Tragödienzitat, welches auf das vermeintliche Glück sozial Hochstehender anspielt, die Klage des Oidipus aus Sophokles’ Oidipus Tyrannos (v. 1391) zitiert, um einen kargen Lebenswandel schmackhaft zu machen. Die Tragödien beträfen nämlich die Reichen und Könige, während der Arme in ihnen nur als Choreut auftrete. Die Grenzen zwischen Leben und dramatischer Mimesis der Schauspieler werden hier zu psychagogischen Zwecken verwischt. Die aristotelische Vorstellung des Umschlags vom Glück ins Unglück (Poet. 1453a 12-17), der in dieser Textstelle anklingt (1.24.14 f.), dient als Umstand ( ) der Bewährung. Die psychagogische Indienstnahme des Theaters gipfelt denn auch in der konsequenten Allegorisierung des Lebens als Schauspiel. Bei diesem theatrum mundi gilt es jede vom göttlichen Regisseur zugeteilte Rolle zu spielen (Epict. 4.1.104 & 165, Ench. 17). 38 Die Allegorese des theatrum mundi wird durch die implizit normative Betrachtung der göttlichen Natur vervollständigt. 39 Diese drei Stellen lassen erkennen, daß bei der Akzeptanz des Geschehens als zweite entscheidende Neuerung die stoische These vom göttlichen Logos ins Spiel kommt, der das Weltgeschehen durchwaltet und als Vorsehung zum Guten lenkt. 40 Mit diesem kosmologisch-teleologischen Optimismus, der in schroffem Gegensatz zur blinden Kausalmechanik des Kepos steht, ist durch die Oikeiosislehre ein anthropologisch-psychagogischer verbunden: Da alle Menschen am göttlichen Logos teilhaben, der die Welt durchwaltet und ordnet, haben sie die notwendigen Anlagen zur Entfaltung der Tugend. 41 Die Weltsicht der stoischen Philosophie ist damit ähnlich widerspruchsfrei-optimistisch wie die platonische, auch wenn sie viel stärker auf die Gewalt als Mittel zur Devianzrepression und Lösung von sozialen Widersprüchen verzichtet, 42 und läßt somit wenig Spielraum für das Tragische. 43 38 S. dazu Tudor Vianu, Din istoria unei teme poetice: « Lumea ca teatru ». Studii de literatura universal 2 (1960) 309-325, h. 309 f. Für weitere Belegstellen und Literaturangaben s. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 939-943. 39 S. dazu Jula Wildberger, Seneca und die Stoa: Der Platz des Menschen in der Welt. Habil. Frankfurt a.M. 2004. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 84. 2 Bde. Berlin 2006, 268-270. 40 Peter Steinmetz, Die Stoa. In: Hellmut Flashar (Hg.), Die hellenistische Philosophie. Basel 1994. Bd. 2, 495-716, h. 537 und 609 f. Für weitere Belegstellen, auch aus der kaiserzeitlichen Stoa, s. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 880-883. 41 S. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 265. 42 Vgl. Epict. 1.18.5-8, der die Forderung nach physischer Eliminierung von Mördern und Ehebrechern als inhuman ( ) überführt, da dem Übeltäter die Fähigkeit zur Unterscheidung von gut und schlecht fehle und er damit an einer ähnlichen Beeinträchtigung wie ein Blinder oder Tauber leide und entsprechend statt Zorn und Haß Mitleid verdient habe. 43 Sein Fehlen bei Epiktet bemerkt Reinhard von Bendemann, Die kritische Diastase von Wissen, Wollen und Handeln. Traditionsgeschichtliche Spurensuche eines hellenistischen Topos in Römer 7. ZNTW 95,1-2 (2004) 35-63, h. 55-58, als er bespricht, wie bei Epiktet Medeas Dilemma erscheint (Näheres dazu s.u.). 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 568 Die gewandelte Rolle, welche die göttliche Ebene bei der Stoa spielt, zeigt auch der Vergleich zu Aristoteles und den Tragikern. Bei diesen bildet sie den suprasystemischen und unhintergehbaren Rahmen der Handlung. Der Stageirit hatte sie weitgehend ausgeklammert 44 und sich, was sie betrifft, darauf beschränkt, die Auflösung durch einen deus ex machina abzulehnen (Poet. 1454a 37-1454b 2), der die Geschlossenheit der Handlung zu sprengen droht. Die Rolle und Bewertung der göttlichen Ebene unterscheiden sich in der attischen Tragödie und bei der Stoa fundamental: In der Tragödie war sie kausal an Transgression und Devianz zumindest mitbeteiligt, die Stoa verlegt, abgestimmt mit einem deterministischen Weltbild, die Ursachen für die Devianz in das Innere und hier in das Urteil des Menschen (1.4.26: , s.o.). Sowohl Kleanthes’ Zeushymnus (SVF I 537, v. 14-16) als auch sein weniger bekannter Vierzeiler in iambischen Trimetern (SVF I 527, v. 4) entlasten die Gottheit von der Verantwortung für die menschliche Schlechtigkeit, wobei sie im Vierzeiler die Unfolgsamkeit gegenüber dem göttlichen Schicksal erklärt. Epiktet zieht sogar einen klassischen Tragödienstoff heran, um seine eigene psychagogische Autorität mit der göttlich-semantischen zu untermauern. So vergleicht er seine Schüler, die nicht auf ihn hören, mit Laios, der Apoll nicht gehorcht habe, obwohl dieser doch die Wahrheit gesagt habe (3.1.16). Kaum weniger tiefgreifend ist der Wandel in den Normen und der Bewertung von bzw. als Transgressionen, der die Stoa von der attischen Tragödie trennt. Der kynisierende Zug der Alten Stoa banalisierte nämlich die Tabus, welche in den Tragödien verletzt werden, als bloße Konvention. So soll Zenon - wie auch Kleanthes (SVF I 584) - nicht nur den Kannibalismus unter bestimmten Umständen gebilligt haben (SVF I 254), sondern auch aufgrund der Logos- Sympatheia selbst den Mutterinzest als akzeptabel hingestellt haben (Clemens Rom. homil. 5.18.5 = SVF II 1072). Chrysipp soll, wie Plutarch berichtet (Stoic. rep. 1044F), gesagt haben, mit den Müttern, Schwestern oder Töchtern zu verkehren sei unvernünftigerweise ( ) verpönt (SVF III 753: - ), oder dies wie Zenon, dem der Kirchenvater Epiphanios hier sogar die Empfehlung von Kannibalismus zuschreibt, in seinen Gesetzesvorschriften so- Ähnlich bietet die transzendente bzw. säkular(isiert)e optimistische Metaphysik von Christentum und Marxismus (so auch in Brechts Theater, s. 7.6.2 Formal-komparatistischer Ausblick in der Phaedra-Interpretation) nach Auffassung von George Steiner keine Grundlage für eine Tragödie (1996: 323 f., diese Auffassung zitiert Marvin Carlson, Theories of the Theatre. A Historical and Critical Survey. From the Greeks to Present. Ithaca, NY 1984, 450, vgl. Dietrich Mack, Ansichten zum Tragischen und zur Tragödie. Ein Kompendium der deutschen Theorie im 20. Jh. München 1970, 123, der sich ebenfalls auf Steiner beruft, und Jean-Marie Domenach, Le retour du tragique. Paris 1967, 24, der ohne Bezug auf Steiner die antitragische Rolle der christlichen Theologie und rationalistischen Philosophie betont; vgl. aber George Steiner, “Tragedy”, Reconsidered. In: Rita Felski (Hg.), Rethinking Tragedy. Baltimore, Md. 2008, 29- 44, h. 31 zur Urschuld („primordial guilt“) in diesen Richtungen und bei Freud). Zwischen diesen untragischen Weltanschauungen besteht durchaus ein geistesgeschichtliches Band, hat doch das Christentum die stoische Vorsehung mit dem jüdischen Geschichtsdenken verbunden und diese Verschmelzung zu einer geschichtlichen Heilserwartung dem Marxismus vererbt. Das ist ein Novum. Denn das stoische, göttlich gelenkte Weltgeschehen, in das die menschliche Geschichte eingebettet war, verlief zyklisch. 44 Flashar 1984: 12. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 569 gar angeordnet haben (Exp. Fid. 10.43 = SVF III 746). Nach diesen Äußerungen, deren Authentizität gewiß durch die Distanz der überliefernden Quellen zur Stoa relativiert wird, erscheint der Inhalt von Apolls Prophezeiung, der Oidipus zu entkommen suchte, nicht als monströs, wie bei Sophokles, sondern hinnehmbar. Dion Chrysostomos relativiert sogar explizit Oidipus’ Mutterinzest, indem er auf ähnliche Vorkommnisse bei Hähnen, Hunden, Eseln und Persern [sic! ] verweist (Or. X Nr. 9 § 30). Dieser differenzannullierende Wertewandel betrifft auch Oidipus’ zweites Vergehen. Die erlittene , die Beleidigung, die im OT den Totschlag des Vaters auslöst und auch in der erforschenden Handlung Oidipus’ Zorn provoziert, wird für die Stoa zur hinzunehmenden Kontingenz (Mus. Ruf. Frg. 10 He. S. 52 Z. 5-11, Epict. 2.12.14, Ench. 20), über die der Weise erhaben ist (SVF III 578; Sen. const. sap. 4,1; 5,1-3). An dieser Einschätzung wird die Vollendung des Übergangs von der shame zur guilt culture besonders augenfällig, der in der klassischen Philosophie eingesetzt hatte und die auch an der gewandelten Sicht des Zornes faßbar wird (s.u.). Gerade bei der Ethik und Gesellschaftskonformität gibt es jedoch massive Unterschiede zwischen den einzelnen Epochen und Autoren der Stoa. So weit wie Dion Chrysostomos, der bereits durch seine Tätigkeit als kynisch-stoischer Wanderprediger nicht fest in der Gesellschaft verankert war, in der Relativierung gesellschaftlicher Konventionen geht Epiktet nicht, der in Nikopolis dauerhaft in einer Philosophenschule lehrte, die von jungen Adligen vor dem Eintritt in den cursus honorum aufgesucht wurde. 45 Er empfahl in der Nachfolge des Panaitios, die individuellen gesellschaftlichen, v.a. familiären Rollen einzuhalten. 46 Selbst die Umdeutung der Folgen einer tragischen Transgression geht bei ihm mit einem impliziten Verhaltensappell einher. Dies gelingt dadurch, daß die stoische Unentrinnbarkeit des Schicksals als diejenige der Natur formuliert wird und so auf den Menschen angewandt werden kann. Daß Orest, von den Erinyen verfolgt, im Schlaf hochgeschreckt sei, wird nämlich als Beleg für die unentrinnbare Stärke der (menschlichen) Natur angeführt, die den Unfreiwilligen und Stöhnenden mitschleife (2.20.15-18). Dieses Motiv nutzt Dion Chrysostomos sogar autoritätenkonform zur Theodizee und ebenfalls für einen Verhaltensappell. Er erwähnt nämlich, Orest erhebe im Wahn in den Tragödien Vorwürfe gegen (den) Gott ( ), er habe ihm nahegelegt, seine Mutter zu töten, und rechtfertigt entsprechend der stoischen Bejahung der Mantik den Orakelgott, Apoll trage nie etwas Schweres oder Schimpfliches auf (Or. X Nr. 9 § 27). Der Protagonist der Tragödie exemplifiziert mit den Vorwürfen gegen die Gottheit ein ethisches Standardfehlverhalten nach stoischer Auffassung (s. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra). 45 Vgl. Anthony Arthur Long, Epictetus as Socratic Mentor. Proceedings of the Cambridge Philological Society 46 (2000) 79-98, h. 81-83, 93, Ds. 2002: 169 und Peter A. Brunt, From Epictetus to Arrian. Athenaeum 60 (1977) 19-48, h. 24-26. 46 Näheres s. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 742 f. Zur Integration von Panaitios’ Personen- und Pflichtenlehre bei Epiktet s. Georg Wöhrle, Wenn Frauen Platons Staat lesen. Oder: Epiktet und Musonius konstruieren Geschlechterrollen. WJA N.F. 26 (2002) 135-143, h. 137. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 570 Bei Epiktet ist nicht nur gegenüber Aristoteles, wie zuvor skizziert, eine Lösung des Begriffs der Tragödie aus der realen Handlung, sondern auch des Tragischen feststellbar, das bei dem Stoiker aus Hierapolis nur an einer Stelle auftritt. Das neue Verständnis ist keine (banalisierende) Verinnerlichung, sondern eine Formalisierung. 47 Der Kyniker, so Epiktet (3.22.26), solle im Stande sein, auf eine tragische Bühne zu steigen und das in Platons Kleitophon (407) 48 überlieferte Wort des Sokrates an die Menschen richten: „Wehe, Menschen, wohin stürzt ihr? Was tut ihr? “, um sie zur Besinnung und philosophischen Umkehr bei der Glückssuche zu bewegen. 49 Wie der verinnerlichte Tragödienbegriff ist also auch das neue Verständnis des Tragischen an die Seelenleitung geknüpft. Tragisch ist hierbei ein Stilmerkmal, das zu psychagogischen Zwecken eingesetzt wird. Dieser Wandel entspricht dem formal-stilistischen Verständnis von Tragödie und Tragischem, wie es sich in den peripatetischen und hellenistischen Traktaten andeutet (soweit deren bruchstückhafte Überlieferung überhaupt einen Rückschluß in dieser Frage zuläßt), 50 und ist damit korreliert, daß die Diatriben und das Drama beide eine Rezeptionssituation der oralen Performanz evozieren. Ein tragisch-pathetischer Stil ist also etwas, was aus der Tragödie funktional gut in die Diatribe integriert werden kann. Auch Seneca faßt ‚tragisch‘ normativrhetorisch als dieses Stilmerkmal auf (epist. 100,10: Sit aliquid oratorie acre, tragice grande, comice exile). Neben diesen textinternen Gründen weist das neue Verständnis des Tragischen auch Parallelen zur gewandelten Aufführungspraxis der Kaiserzeit auf, in der talentierte Sänger einzelne Tragödienlieder als Soloarien zum Besten gaben (fabula cantata), 51 eine Praxis, die hinter der Bedeutung 47 Wenn der vorliegende Abschnitt den Eindruck erweckt, das Verhältnis der Stoa zur attischen Tragödie und Tragik erschöpfe sich in einem selektiven und reduktionistischen Herunterbrechen auf die eigenen, kleinteilig abgezirkelten psychagogischen Belange und Perspektiven, so ist dies seinem Erkenntnisinteresse geschuldet, da nach dem stoischen Blick auf diese literarische Gattung und ihr wesenhaftes Handlungsmerkmal gefragt wird und entsprechend der Themenstellung dieser Arbeit die Stoa als Scharnier zwischen zwei Epochen des antiken Theaters betrachtet wird. Wählt man dagegen einen zivilisationsgeschichtlichen Standpunkt, so markiert die stoische Psychagogie und Konzeption eines autonomen Subjekts einen integrativ-paradigmatischen Fortschritt, weil die Autoreferentialität, welche im Bereich der Gattung und des Einzelstücks zusammen mit Autoreflexion das Metatheater kennzeichnete und bei der Tragik die Dysfunktion des Subjekts beschrieb, nun dessen Funktion und Souveränität gewährleistet. Das vormalige Gattungsmerkmal der Theatralität, welches durch das Metatheater gewissermaßen isoliert worden war, sowie die ihr verwandte Dialogizität schaffen den hierzu erforderlichen Reflexionsabstand. Ein missing link zwischen den beiden Stufen des Selbstbezugs stellt stellt Medeas Tragik dar, weil sie ihren inneren Souveränitätsverlust erkennt (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts in der Medea-Interpretation). Die zukunftsweisende Reflexion des Selbst ist damit auf die tragische Dysfunktion des Subjekts gerichtet. 48 Dazu sowie zur vorliegenden Epiktet-Stelle vgl. Billerbeck Kynismus 82 f. 49 Das hier anklingende Vertrauen in die Wirksamkeit der Theatralität läßt sich mit einer anthropologischen Grundannahme erklären, die Epiktet mit Aristoteles teilt. Beide sagten dem Menschen eine Affinität zur Schau und zum Gesichtssinn nach (Arist. Metaph. 980a 20-27, Epict. 1.29.58: ). 50 Vgl. den Registereintrag „Tragödie“ in Andreas Bagordo, Die antiken Traktate über das Drama. Teilw. zugl. Diss. Rom 1993/ 94. BzA 111. Stuttgart; Leipzig 1998, 177. 51 S. dazu Bernhard Zimmermann, Seneca und die römische Tragödie der Kaiserzeit. Lexis 5-6 (1990) 203-214, h. 210. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 571 ‚Sänger‘ aufscheint, das bei Epiktet einmal eindeutig belegt ist (3.14.1: ) und bis ins Neugriechische ‚Lied‘ und ‚singe‘ nachwirkt. 52 Diese Formalisierung betrifft auch das Theater selbst. Der Gedanke des theatrum mundi, das Lionel Abel etwas irreführend mit dem Metatheater verknüpft, 53 wird bei allen drei großen kaiserzeitlichen Stoikern psychagogisch eingesetzt und läßt ein (meta)theatralisches Bewußtsein erkennen. 54 Das Theater verliert durch diese metaphorisch-illustrative Indienstnahme und dramensemiotische Verschmelzung mit dem Leben seine künstlerische Opazität und ontologische Autonomie. Selbst der Dramatiker Seneca reflektiert nicht rein theoretisch die Mimesis und dramatische Illusion, sondern er zeigt wie Mark Aurel (9.29.7: ) bloß ein metatheatralisches Bewußtsein, das in der Tradition von Panaitios’ anthropologisch-sozialer -Lehre steht, wenn er die Entlarvung der mimetischen Illusion heranzieht, um soziale Prestigeobjekte zu entzaubern: Der Purpurträger sei ebensowenig glücklich wie der Schauspieler, der Zepter und Chlamys mit Verlassen der Bühne ablege (epist. 76,31). Ähnlich dient die dramatische Illusion, mit der 3.15.5 (= Ench. 29.3) das Kinderspiel vergleicht, bei Epiktet als psychagogisches Analogon, um emotionsgeladene gesellschaftliche Verhältnisse zu demaskieren. 1.24.18 mahnt, daran zu denken, wenn man dem Tyrannen naht, daß es sich um eine Bühnenfigur handle ( - ), nicht den Schauspieler ( ), sondern um Oidipus selbst. Der Tyrann wird also auf der Ebene des dramatischen Signifikats, nicht des Signifikants angesiedelt. Anders als der Schauspieler, der doch ein illusionsschaffendes Metier ausübt, ist sein Beruf, Wesen bzw. seine Rolle nicht auf einer sozialrealen Ebene angesiedelt, sondern beruht wie die Bühnenfigur auf der Einbildung der Mitmenschen. Die tragische Bühnenfigur ( ) illustriert allerdings in 1.29.41-43 die Fähigkeit, auf äußere Dinge zu verzichten und dennoch seine 52 Vgl. dazu Bertrand Hemmerdinger, et l’histoire du texte des tragiques. Glotta 43 (1965) 298-301. 53 Metatheatre. A New View of Dramatic Form. New York 3 1966, 60 f. Näheres s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression in der Einleitung. 54 Trotzdem macht allein diese eher bieder pädagogisierte Metapher die antiken Stoiker selbstredend noch nicht zu Ahnherren der Konzeption des Metatheaters, weil es bei ihr primär darum geht, Scheinwerte und -gefahren des außerdramatischen Lebens zu entlarven oder darin zu Gott- und Schicksalsergebenheit anzuhalten. Das Theater ist hierbei nur die (unreflektierte) Vergleichsebene (vgl. die oben zitierte Seneca-Stelle). Das Metatheater in Senecas Phaedra verzichtet just auf die illusionsdurchbrechenden Mittel, die wir in Euripides’ Bakchen oder Plautus’ Amphitruo kennengelernt haben. Gyburg Radke, Tragik und Metatragik. Euripides’ Bakchen und die moderne Literaturwissenschaft. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 66. Berlin 2003, 332 f. macht dagegen die Illusion zum Ausgangspunkt ihrer kritischen Reflexionen über Metatheater und theatrum mundi (2003: 326-330) (für deren unglückliche Verquickung s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression in der Einleitung) und hinter der „Theatermetapher“, die sie in ihrem Kapitel über das theatrum mundi bespricht (2003: 324- 340), stoische epistemologische Annahmen aus, die sie gleich als fehlerhaft entlarvt („Das ist reiner Stoizismus, und zwar auch im Hinblick auf die Konfusion, die bei diesen Schlußfolgerungen unterläuft.“). Ihre Argumentation geht freilich weder auf die hier besprochenen Belege zum stoischen theatrum mundi ein noch wird sie mit Primärbelegen oder Sekundärliteratur zur stoischen Erkenntnistheorie gestützt. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 572 Rolle weiterzuspielen. 55 Auch hier wird die Grenze zwischen Leben und Schauspiel verwischt (vgl. 1.2.16 f.), weil die Rolle in dramenästhetischer wie ethischer Hinsicht normativ gefaßt ist. 56 Mark Aurel geht sogar soweit, die Funktion der Alten Tragödie in der Erinnerung der Kontingenzen und ihrer Notwendigkeit zu sehen und aus ihnen den Appell abzuleiten, sich auf der Bühne des Lebens nicht über die Dinge zu ärgern, die einen auf der Theaterbühne bewegten (11.6.1 f.: ). Denn selbst die Schauspieler, die sagten (Mark Aurel zitiert hier wie Epiktet in 1.24.16 Sophokles’ Oidipus Tyrannos v. 1391), 57 müßten die Kontingenzen erdulden. Die Tragödie erhält hier also wie bei Schiller eine pädagogische Funktion. 58 Lexikalisch faßbar wird diese Funktion des Dramas an der , die Mark Aurel in 11.6.4 der Alten Komödie zuspricht. (Die Neue formuliert nach 5.12.2 [Menander Phasma v. 43] bloß die landläufige Güterlehre.) Ob das Drama diese Funktion auch in Senecas dramaturgischem Werk hat, werden wir zu untersuchen haben. In 10.27.2 deutet Mark Aurel das politisch-historische Hofgeschehen über Theatervokabular ( , ) als theatrum mundi, das psychagogisch die Wiederkehr des Ewiggleichen illustriert. Daß diese Vergegenwärtigung optisch formuliert wird ( ), darf als weiteres (meta)theatralisches Element angesehen werden. Normativ ist die Funktion des Dramas auch in M. Ant. 6.42.4, das davor warnt, innerhalb des Kosmos sich nicht wie der entbehrliche Dramenvers des Chrysipp (vgl. SVF II 1181) zu benehmen. Neben der metatheatralischen Analogisierung über das theatrum mundi ist das Theater bei Mark Aurel ein bloßer Gegenstand der ethisch-psychagogischen Ermahnung und Betrachtung: Die Performanz von Dramen auf der Bühne schildert 7.3.1 als Kontingenz, die man erdulden müsse. Den zählen die Selbstbetrachtungen als ersten der Faktoren auf, die tagtäglich die philosophischen Grundsätze zu verwischen drohten (10.9.1). Angesichts der klaren Zuordnung des Fehlverhaltens zum Menschen und seiner eindeutigen Verurteilung, die oben anhand von Epiktets psychagogischer Tragödienlektüre skizziert wurde, wird die Frage nach seinen Ursachen, von denen die göttliche Ebene ja freigesprochen wurde, um so dringlicher. Sie kön- 55 Ebenso rät Mark Aurel, auf die äußeren, mit Theaterrequisiten verglichenen Dinge zu verzichten (12.2.3). 56 Für die Analogie von rechtzeitigem Abtreten von der Bühne mit demjenigen aus dem Leben s. Verf., 2011/ 12: Bd. 2, 939. 57 Mit unterschiedlichen Nuancen setzen die beiden Stoiker dieses Tragödienzitat ein, so Dingel 1974: 17. Er sieht bei Mark Aurel ebenfalls die „vorbildliche Leidensfähigkeit“ als Aussage, während Epiktet auf die Selbsttäuschung ziele, die mit gesellschaftlicher Exponiertheit einhergehe. Freilich weist nicht nur Mark Aurel mit dem theatrum mundi, auf das Dingel weiter abhebt, ein Element der Reflexion über die theatralische Illusion auf, sondern auch die besagte Epiktet-Stelle mit der Mahnung, bei der Annäherung an einen Reichen oder König daran zu denken, daß man an einen , keinen Schauspieler, sondern Oidipus selbst herantrete (1.24.18, s.o.). 58 Vgl. seine unter dem Titel Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet veröffentlichte Rede Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? (NA, Bd. 20.1, S. 95- 97) (zu diesem Ansatz Schillers s. Michael Thiele, Die Negation der Katharsis. Zur Theorie des aristotelischen Begriffs als ästhetisches Phänomen. Diss. Düsseldorf 1982, 101-126). 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 573 nen nur in der Seele des Menschen liegen, doch wird hier das Problem durch den rationalistischen psychologischen Monismus der Stoa und die Forderung nach weitgehender Ausrottung der Leidenschaften noch verschärft. Während die klassische Philosophie in einem psychologischen Dualismus (oder bei Platon gar einer dreiteiligen Psychologie) die Leidenschaften als einen Sieg der ihnen zugeordneten irrationalen Seelenteile über den vernünftigen und eigentlich zur Leitung berufenen deuteten, wird dieser selbst nach stoischer Auffassung von den Leidenschaften alteriert, da diese nur durch seine Zustimmung zu (falschen) Vorstellungen, welche die Leidenschaften auslösen, überhand nehmen können. 59 Mit dieser Lehre von der Selbstverantwortung der Zustimmung wahrt die Stoa auch die Souveränität gegen äußere Beeinflussungen: Gott und der Weise gäben falsche Vorstellungen ein, doch die stimmten diesen aus Schwäche zu (Plu. Stoic. rep. 1057AB = SVF III 177). Nach einem wörtlich bei Plutarch überlieferten Chrysipp-Zitat (Stoic. rep. 1055F f.) ist die glaubhafte Vorstellung, welche die Weisen den Toren vermitteln, nicht die Ursache für die Zustimmung, wohl aber für die falsche Annahme (SVF II 994). 60 Anders als in der Ilias oder der Tragödie sind also die Menschen für ihre geistig-moralischen Fehler letzt verantwortlich und begehen diese nicht in einem gottgesandten Wahn. Auch diese Ansichten führte die Stoa sogar an einem Beispiel aus der attischen Tragödie vor. So exemplifizierte bereits Chrysipp am Beispiel just der Entscheidungsfindung, die sich in den berühmten Versen von Euripides’ Medea (v. 1078 f., s.u.) findet, seine elaborierte psychologische Theorie der ethischen Devianz und seinen rationalistischen psychologischen Monismus, nach dem auch Leidenschaften auf (Fehl-)Urteilen beruhen und der seelische Konflikte unter dieser Prämisse erklärt. 61 Auffallend oft kommt Epiktet auf Medea zu sprechen. Die Kolcherin dient ihm, bei dem Chrysipps Interpretation nachwirkt (Strange 2004: 45), im wesentlichen als Beispiel dafür, daß durch die richtige Ausrichtung des Innenlebens Kontingenzen ertragen und vermieden werden können. Wenn Medea nämlich die ihr drohenden Dinge als gottgegeben akzeptiert hätte, wäre sie sogar so unbezwingbar wie Zeus geworden (2.17.19-22). Diese richtige Ausrichtung orientiert sich an Epiktets Fundamentaldihairesis zwischen der Prohairesis und den äußeren Dingen (2.17.21: ). Wer seine 59 S. dazu Steven K. Strange, The Stoics on the Voluntariness of the Passions. In: Ds., Jack Zupko (Hgg.), Stoicism. Traditions and Transformations. Cambridge, New York 2004, 32-51, h. 47- 49. 60 Plutarchs Polemik verfängt also gegen diese Lehre nicht (Stoic. rep. 1051D, fehlt in SVF): ; 61 Strange 2004: 45. Vgl. D.L. 7.180 (= SVF II 1) und Galen PHP 3.2.10-3.3.27, pp. 178-190 De Lacy (= SVF II 906 [mit Auslassungen]), Galen PHP 4.2.27, pp. 242-245 De Lacy (fehlt in SVF), 4.6.19-22, pp. 274 f. De Lacy (= SVF III 473 S. 124 [teilweise]) und Christopher Gill, Personality in Greek Epic, Tragedy, and Philosophy. The Self in Dialogue. Oxford 1996, 226- 236. S. ferner allgemein zur Unkontrollierbarkeit der Affekte 4.4.23-28, pp. 256 f. De Lacy (= SVF III 476). - 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa 574 eigene Prohairesis nicht achtet, werde seine Kinder abschlachten wie Medea, heißt es in 4.13.14. Die richtige Ausrichtung ist eine Frage des Urteils. So warnt 2.15.2 ff. anhand von Medeas Beispiel, man dürfe nicht an falschen Urteilen festhalten. Den dogmatischen Hintergrund bildet der ethische Intellektualismus der Stoa durch seinen Satz, Tugend beruhe allein auf richtigem Wissen (SVF I 199 = Cic. ac. 1,38). Diesem Satz scheinen die berühmten beiden Verse der gleichnamigen Tragödie des Euripides zu widersprechen, in denen Medea die Kenntnis ihrer kommenden Transgression äußert (v. 1078 f.): . Doch 1.28.7, das diese beiden Verse zitiert (wie zuvor wahrscheinlich Chrysipp 62 ), illustriert mit ihnen die sokratisch-platonische These, jede Seele entbehre unfreiwillig der Wahrheit (1.28.4), und konkretisiert, neben epistemologischen Kategorien wie ‚wahr‘ und ‚falsch‘ gelte es noch die ethischen ‚geziemend‘ und ‚ungeziemend‘, ‚zuträglich‘ und ‚abträglich‘ zu kennen. Medea habe es nun für zuträglicher gehalten, ihrem zu willfahren und ihren Mann zu strafen, als ihre Kinder zu retten (1.28.7 f.). Würde man ihr ihren Irrtum klar ( ) aufzeigen, ließe sie von ihrem Vorhaben ab. Die hier erkennbare Änderung in der Einstellung zum von der Archaik, der attischen Tragödie und klassischen Philosophie zur Stoa ist ein markanter Teil des Übergangs von der shame zur guilt culture. 63 Daß die Stoa dem seine Legitimität nimmt und ihn zum krankhaften Affekt herabstuft, ist nicht nur einer ihrer Beiträge zur Vollendung der guilt culture, sondern auch zum Tod der antiken Tragik. Durch diese Überwindung des Tragischen sind denn auch die Dramen des Stoikers Seneca die ersten metatragischen Tragödien 64 der Antike, 65 während Euripides’ unkanonische Stücke bloß untragisch sind und die Nea die physische Eliminierung systemisch eliminiert. Das Tugend- und Weisenpathos der Stoa scheint dagegen einem Handlungsmuster den Weg zu öffnen, das in der Einleitung als vereinfachte und verwandte Alternative der Tragik entwickelt wurde: die Heroik. Die Stoiker begründeten im Rahmen der Oikeiosistheorie ihre Ansicht, die Tugend sei von 62 Nach Galens Formulierung zitierte schon Chrysipp Euripides’ Verse (PHP 4.6.19-22 pp. 274 f. De Lacy). Diese Galen-Stelle liegt SVF III 473 S. 124 zugrunde. V. Arnim bemerkt denn auch dazu: „Versus quosdam Medeae Euripidis attulisse Chrys. in hoc libro G. testatur“. Chrysipps abundante Zitation gerade dieses Werkes (vgl. den bissigen Kommentar eines nicht namentlich Genannten, er habe die Medea Chrysipps gelesen [SVF II 1 = D.L. 7.180], Näheres dazu s. Steinmetz 1994: 592) macht ein wörtliches Zitat wahrscheinlich. 63 Vgl. Eric Robertson Dodds, From Shame-Culture to Guilt-Culture. In: Ds., The Greeks and the Irrational. Berkeley 8 1973, 28-63. 64 Christoph Menke, Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. Frankfurt a.M. 2005, 155-157, der unterschwellig die Hegelsche Geschichtsteleologie auf die Literaturgeschichte überträgt und - wohl entsprechend Brechts epischem Theater - den praxisbestimmenden Anspruch der Tragödie überbewertet, bestimmt dagegen die Metatragödie als die „Tragödie des Spiels“, d.h. des Scheiterns der dramatischen Gattung. 65 Kurt von Fritz, Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 24 macht die stoische Weltanschauung, die „untragisch und antitragisch“ sei, dafür verantwortlich, daß Senecas Tragödien einen Wendepunkt in der Geschichte dieser Gattung darstellten. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen 575 Natur aus ein Gut, damit, daß edle Tiere wie Hahn oder Stier ohne Aussicht auf Genuß bis zum Tode und Menschen, wenn es gelte, das Vaterland zu verteidigen und Eltern und Kinder zu schützen, bis zur eigenen Vernichtung kämpften, und das ohne die Hoffnung auf Genuß nach dem Tod (S.E. M. 11.99 = SVF III 38). Sie machten also das heroische Paradigma des Selbstopfers, das die eigene physische Integrität zugunsten derjenigen anderer gibt, zu einer zentralen empirischen Begründung eines ihrer wichtigsten ethischen Axiome. Diese Argumentation eröffnet die Möglichkeit heroisch-pathetischer Tugenddramen, die Seneca jedoch zugunsten einer komplexeren ethischen Dramensemiotik nicht genutzt hat. Sie greift das reflexiv-distanzierende Potential auf, das bereits in der stoischen Tragödienbesprechung und Entzauberung der mimetischen Illusion anhand des theatrum mundi aufscheint. 7. Senecas Phaedra: Der furor als Merkmal und Motor von Transgression und Drama und die Poetik der Distanz 7.1 Forschungsstand und Problemstellung Senecas Tragödien nehmen gegenüber den bisher besprochenen Dramen eine Sonderstellung ein: Sie sind die einzigen Stücke, deren Autor sich nicht nur in anderen fiktionalen Gattungen wie der Epigrammatik und der Satire betätigt hat, sondern unter dessen Namen überdies ein reiches philosophisches Œuvre erhalten ist. Zudem sind seine Dramen einer der seltenen Glücksfälle, in denen eine frühere Behandlung desselben Stoffes - mit Ausnahme der praetexta Octavia, die wahrscheinlich nicht aus Senecas Feder stammt - vollständig bewahrt ist. Weiterhin bietet Seneca das Unikum, daß seine nichtdramatischen Schriften ein negatives Urteil über eine hier behandelte Komödie aufweisen, nämlich eine Kritik an der Darstellung Jupiters in Plautus’ Amphitruo (brev. 16,5) - in Aristophanes’ Fröschen kommentiert dagegen Aischylos positiv-patriotisch seine Perser (v. 1026 f., vgl. 1040-1042, 1055). Diese besondere Konstellation läßt einen hohen Grad an Reflexivität von Senecas dramenliterarischem Schaffen erwarten und mahnt zu einer überlegten, sorgfältig abgewogenen Deutung, die in derselben Weise der bisherigen Forschung Rechnung tragen muß. Lange Zeit von der modernen Forschung als literarisch minderwertig vernachlässigt, 1 sind Senecas Tragödien in den letzten drei Jahrzehnten der Gegenstand lebendiger Debatten und konträrer Interpretationen. Dabei wird auch ihre Beziehung zu Senecas philosophischem Werk kontrovers diskutiert. So meint Franz Egermann, die Darbietung von Bösewichten in Senecas Tragödien solle eine apotreptische Wirkung entfalten und den Rezipienten zu stoischer Lebensführung anhalten. 2 Senecas philosophisches und dramatisches Werk hätten demnach im Kern dieselbe psychagogisch-protreptische Funktion und unterschieden sich nur in der Form der Darbietung und Vermittlung. Dagegen sieht Joachim Dingel die Dramen nachgerade als Widerruf der Ansichten, welche die philoso- 1 A.W. Schlegels hartes Urteil, in Senecas Tragödien werde „jeder tragische Gemeinplatz […] bis auf den letzten Atemzug abgehetzt; alles ist Phrase, unter denen die einfachste schon geschraubt ist.“ (Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur. 8. Vorl. Kritische Ausgabe. Eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Giovanni Vittorio Amoretti. 2 Bde. Bonn 1923, Bd. 1, 192), das auf die vordergründige Konventionalität und Innovationsarmut abhebt, weist tatsächlich den Weg zur bei Seneca ausgeprägten Intertextualität und Selbstreflexion der Literatur, die in jüngerer Zeit u.a. von Alessandro Schiesaro (The Passions in Play. Thyestes and the Dynamics of Senecan Drama. Cambridge 2003) herausgearbeitet wurde. 2 Seneca als Dichterphilosoph. Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung 3 (1940) 18- 36. Wiederabgedruckt in: Eckard Lefèvre (Hg.), Senecas Tragödien. Wege der Forschung 310. Darmstadt 1972, 33-57. 7. Senecas 578 phischen Schriften verträten. 3 Arbogast Schmitt, der diese beiden Theorien referiert, stellt ihnen seinen Nachweis gegenüber, daß die Entstehung und Bewertung der Leidenschaften in Senecas Tragödien seinen stoischen Überzeugungen folge. 4 Doch beantwortet dieser inhaltlich-dogmatische Quellennachweis noch nicht die vorgenannten literaturwissenschaftlichen Fragen, welche tiefere Aussage und Motivation hinter der Anlage von Senecas Dramen stehen (Schmitt 1994: 574 spricht selbst in naiv-veralteter auktorialer Diktion von der „Darstellungsintention Senecas“) und ist doch mit etlichen Thesen über diese kompatibel. Allerdings sollte man sich vor einer vorschnellen Didaktisierung oder sogar Psychagogisierung von Senecas Tragödien hüten. Warum sollte die erst spät erwiesene Identität des Dramenautors mit einem philosophischen Schriftsteller den Dramentext mehr prägen als die diesem immanente unstrittige Gattungszugehörigkeit? Bohrers Mahnungen, die attische Tragödie nicht zu einer Projektionsfläche hegelianischer Geschichtsphilosophie zu machen (2009: 12), sind mutatis mutandis um so mehr bei Senecas Tragödien am Platze, als sie aus der Feder eines schriftstellerisch tätigen Philosophen stammen (so auch Schiesaro 2003: 20 f.). Lassen wir also das Drama an sich zu Wort kommen und versuchen wir, auch nach dem Analyseraster dieser Arbeit seine Charakteristika zu erfassen, anstatt voreilig jedes Merkmal nur als Widerschein einer ethischen Philosophie 5 und jede Geste als deren Inszenierung zu begreifen, bevor man in einem zweiten Schritt nach dem Verhältnis von Dramaturgie und Philosophie in dieser Tragödie fragt. Letztere soll hier allerdings nicht unberücksichtigt bleiben. Denn Senecas Dramen rein literarisch und ästhetisch zu lesen ist zwar möglich und statthaft, doch schafft die Philosophie ebenso wie die Intertextualität durch hermeneutische Kontrastfolien, die bei diesem Drama ja durch die zahlreichen Vorgänger gegeben sind, eine weitere Ebene des Verständnisses, die im Falle der Intertextualität semiotischer Natur ist. 6 Dabei tut man freilich gut daran, das Verhältnis von dramatischer Dichtung und Philosophie offen statt dogmatischillustrativ zu sehen. 7 Dafür spricht allein die stark dezentralisierte und polyphone Gattung des Dramas, deren Aussagenkomplexität noch durch die sog. dramatische oder tragische Ironie gesteigert wird, die man schon in den Werken klassisch-attischer Zeit ausgemacht hat. Sollte zudem seine Affinität zur Stoa den Tragödienautor daran gehindert haben, die explorative Funktion des Thea- 3 Seneca und die Dichtung. Teildruck von Habil. Tübingen 1972. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 51. Heidelberg 1974, 115-120 („Negation der Philosophie“). 4 Leidenschaft in der Senecanischen und Euripideischen Medea. In: Francesco del Franco (Hg.), Storia, poesia e pensiero nel mondo antico. Studi in onore di Marcello Gigante. Neapel 1994, 573-599, h. 574-576. 5 So überschätzt Lefèvre das Vermögen von Senecas Philosophie, die Eigenheiten und Innovationen seiner Dramen zu erklären (Quid ratio possit? Senecas Phaedra als stoisches Drama. WS 82 (N.F. 3) (1969) 131-160, h. 133), auch weil er von einer inhaltlichen Entsprechung ausgeht. 6 Karlheinz Stierle, Werk und Intertextualität. In: Ds., Rainer Warning (Hgg.), Das Gespräch. München 1984, 139-150, h. 144. 7 Für diese subsumtive Deutung s. Egermann (1940) 1972: 56: „So ordnen sich die Tragödien Senecas in den Rahmen seines gesamten philosophischen Lebenswerkes ein.“ 7.1 Forschungsstand und Problemstellung 579 ters auszuschöpfen, die wir bereits für den ethnisch Anderen in Aischylos’ Persern und ebenfalls für das Innenleben in Euripides’ Medea kennengelernt haben? 8 Das Drama als Darstellung von Handlung eignet sich schließlich von allen Gattungen am besten, um in einer Art Laboratorium anthropologisch-psychologische Thesen 9 und ethische Empfehlungen durchzuspielen. 10 Dies gilt um so mehr, als mit Medea bereits eine weibliche Bühnenfigur der stoischen Reflexion über die Psychologie der Transgression und Devianz als nachgerade klassischkanonisches Exemplum diente (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des vorausgehenden Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa) und Senecas ethische Schriften trotz unbestreitbarer Dialogelemente (vgl. den Titel dialogi) eher intime, antitheatralische Zwiegespräche 11 als halbszenische platonische Dialoge sind, die szenische Dialogform für Seneca also durchaus eine dichterische Herausforderung und Abwechslung darstellte. Für diese Feststellung spricht besonders, daß Dramen generisch noch stärker als platonische Dialoge dezentriert sind, die mit Ausnahme der Gesetze von der autoritativen Figur des Sokrates zusammengehalten werden. Austin Busch weist denn auch auf den im Sinne der Bachtinschen Polyphonie dialogischen Charakter von Senecas Dramen hin, in denen die philosophischen Positionen nur eine Stimme innerhalb des Orchesters sind. 12 8 Zum heuristischen Vorsprung der Tragödie gegenüber der Philosophie s. Richard Francis Kuhns, Introduction: Tragic Experience and Tragic Vision, Old World and New. In: Ds., Tragedy. Contradiction and Repression. Chicago 1991, 1-9, h. 1. 9 Zu dieser Funktion des Theaters, die dort mit seiner komplexitätsreduzierenden Miniaturisierung gesellschaftlichen Handelns begründet wird, vgl. Ernest W. B. Hess-Lüttich, Soziale Interaktion und literarischer Dialog II. Zeichen und Schichten in Drama und Theater: Gerhart Hauptmanns ‚Ratten‘. Philologische Studien und Quellen 98. Berlin 1985, 13. 10 Zu kurz greift gleichwohl m.E. Pierre Grimals Fazit, der Senecas Dichtertum in der Phaedra um den Preis einer chronologischen und ästhetischen Nachrangigkeit rettet: Das Werk bleibe auf der literarischen Ebene stehen und ermögliche Seneca, da es eine Studie über die Psychologie der Leidenschaft sei, eine menschliche Wirklichkeit zu entdecken, woraus er später für seine Psychagogie Gewinn ziehen sollte (L’originalité de Sénèque dans la tragédie de Phèdre. REL 41 (1963) 297-314, h. 314). 11 Vgl. das programmatische Epikur-Zitat (Frg. 129 Arr.) als Ausklang des Briefs über die Gladiatorenspiele (epist. 7,11): ‘haec’ inquit ‘ego non multis, sed tibi; satis enim magnum alter alteri theatrum sumus’. 12 Dissolution of the Self in the Senecan Corpus. In: Shadi Bartsch, David Wray (Hgg.), Seneca and the Self. Cambridge 2009, 255-282, h. 265 f. Diese polyphone Beobachtung paßt zu David Wrays origineller, von Busch wohlwollend zitierter Deutung des Verhältnisses von dramatischem und philosophischem Werk unter Hinzuziehung einer dritten Gattung, der forensischen Rhetorik (Seneca and Tragedy’s Reason. In: Shadi Bartsch, Ds. (Hgg.), Seneca and the Self. Cambridge 2009, 236-254): Entsprechend deren Prinzip audiatur et altera pars habe die Tragödie die Leidenschaften zu Wort kommen lassen, deren unrealistische Unterdrückung die moderne Psychologie seit der Aufklärung und französischen Klassik (La Rochefoucauld) Seneca vorgeworfen habe. Auch wenn diese historisierende Rehabilitierung gegen moderne Denkgewohnheiten einen weiten Bogen spannt, so beeindruckt insgesamt dieser Versuch, Senecas Philosophie und Drama komplementär zur Beschreibung der condicio humana zu verbinden, auch wenn ein derart allgemeines Räsonnement allein kaum die spezifische Faktur der Dramen als Spiel von Laster und Leidenschaft und die Frage nach ihrem psychagogischen Risiko erklären kann. 7. Senecas 580 Ein weiteres Argument für eine offenere explorative Lektüre ist die komplexe didaktische Faktur von Senecas philosophischen Schriften, welche die Lehrinhalte nicht schlicht und explizit wie etwa die unter dem Namen von Epiktets Lehrer Musonius Rufus überlieferten Lehrgespräche darbieten, sondern sie in vielfältiger Perspektivierung und wechselnder Positionierung zu vermitteln suchen. Allerdings muß man gegen Schiesaro, der, um seine offene Lektüre des Thyestes plausibler zu machen, auf die inneren Spannungen in Senecas philosophischen Schriften verweist, die bereits dort nicht unterdrückt werden könnten (2003: 13, 20 f.), festhalten, daß die komplexe und vordergründig polyvalente oder gar widersprüchliche Rhetorik und Narratologie der moralphilosophischen Schriften durch das einheitliche Ziel der Psychagogie zentriert werden. Dies ist auch der Tenor der beiden Autorinnen, auf die Schiesaro sich für seine zentrifugale Sicht der moralphilosophischen Schriften beruft. So sieht Gabriella Moretti in der Zusammenfassung durchaus einen Zusammenhang zwischen Lehrinhalten (so, in Anlehnung an Pohlenz, Senecas innovatives Philosophem des Willens) und Lehrabsicht einerseits und dem gewählten Stil andererseits, ohne dabei eine Schwächung der stoischen Überzeugung festzustellen. 13 Die inneren Spannungen, die Yun Lee Too neben der komplexen Konstruktion einer edukativen persona aufzeigt, fördern und fermentieren eher die literarisierte Psychagogie, als daß sie sie konterkarieren, reichen also nicht an die Brisanz der bisher für Senecas Dramen angenommenen Widersprüche heran. 14 Auch wenn der entscheidende Unterschied zwischen den moralphilosophischen und dramatischen Schriften das Fehlen einer (ver)einheitlich(end)en persona in diesen ist und, wie zu zeigen sein wird, nicht einmal einzelne Bühnenfiguren als glaubwürdige Sprachrohre oder Exempla stoischer Moral fungieren, soll in diesem Kapitel der Nachweis erbracht werden, daß die Phaedra eine ähnlich komplexe Vermittlung stoischer Ethik wie die moralphilosophischen Schriften aufweist und dabei die psychagogischen Möglichkeiten der dramatischen Gattung geschickt auslotet. 15 13 Acutum dicendi genus. Brevità, oscurità, sottigliezze e paradossi nelle tradizioni retoriche degli Stoici. Bologna 1995, v.a. 71 ff., 191-196. 14 Educating Nero. A Reading of Seneca’s Moral Epistles. In: Ja Elsner, Jamie Masters (Hgg.), Reflections of Nero. Culture, History & Representation. London 1994, 211-224, h. 214-222. 15 Diese scheint Schmitt 1994: 574 f. zu verkennen, wenn er Senecas mögliche Absicht, „das Ausmaß an Scheußlichkeit, das Leidenschaft aus einem Menschen machen kann, vorzuführen, um auf diese Weise vor jedem Nachgeben gegenüber leidenschaftlichen Regungen abzuschrecken,“ mit dem Argument zurückweist, dann könne jeder Rezipient „sein alltägliches Scherflein an Laster und Bosheit für ganz unvergleichbar mit den auf der Bühne gezeigten Lastern halten“. Die Theatralität, die Schmitt bereits mit „vorführen“ anklingen läßt, ist dagegen das geeignete Mittel, um der Hyperbolik moralischer Defizienz durch die mimetische Unmittelbarkeit einerseits und die Distanzierung der Präsentation andererseits eine solche Schockwirkung zu verleihen, daß der Rezipient wachgerüttelt wird und sich durch die Ausrottung seiner eigenen mediokren Leidenschaftlichkeit in jeder Hinsicht von der dargestellten extremen Leidenschaftlichkeit und Lasterhaftigkeit distanziert (auf die schockierend-reinigende Wirkung von Senecas visueller Dramaturgie und dramatischer Rhetorik hebt ja neuerdings überzeugend Alexander Kirichenko ab [Lehrreiche Trugbilder. Senecas Tragödien und die Rhetorik des Sehens. Habil. Trier 2011. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften 2 N.F. 142. Hei- 7.1 Forschungsstand und Problemstellung 581 Für die Beantwortung der Fragen nach dem Verhältnis von philosophischem und dramatischem Werk eignet sich die Phaedra deshalb, weil in dieser Tragödie bei der Transgression die Ästhetik des Schreckens zugunsten der Psychologie ans Ende, zur Darstellung der Eliminierung, zurücktritt. In diesen Partien ist Senecas Phaedra sicherlich ein geeigneter Gegenstand, Bohrers These von dem ästhetischen Impetus hinter der Gewaltdarstellung, die er entsprechend dem thematischen Rahmen seiner Arbeit bloß durch die Namensnennung der Phaedra dokumentiert, zu exemplifizieren (2009: 273). 16 Außerdem haben wir als Vergleichsfolie der Interpretation 17 - von Rezeption läßt sich nur bedingt sprechen, da Senecas Tragödie sich stärker an dem nur fragmentarisch erhaltenen - (TrGF Bd. 5.1 S. 459-475) orientiert 18 - nicht nur die Bearbeitung dieses Stoffes durch Euripides, den , 19 sondern auch durch Racine, der, obgleich er sich in der Préface auf Euripides beruft (S. 817), sich stärker an Seneca anlehnt. Die weiteren antiken Behandlungen dieses Stoffes durch Sophokles, Lykophron und Ovid sprechen ebenfalls für eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise, auch wenn sie für die Komparatistik und das Verständnis von Senecas Drama weniger ergiebig sind, weil sie bis auf das Werk des römischen Dichters (epist. 4) verloren sind, dessen Verhältnis zur Phaedra freilich ebenso problembehaftet wie positivistisch durchgeackert ist. 20 Gegenüber den anderen dramatischen Bearbeitungen des Phädra-Hippolyt- Stoffes (die vorliegende Arbeit wählt die eingedeutschte Schreibweise der dramatis personae für den Mythos, welcher der individuellen dramatischen Ausprägung vorgängig ist) fällt auf, daß Senecas Tragödie das Personeninventar reduziert und, damit einhergehend, die Handlung auf Phaedra zuspitzt. 21 Euripides’ Bearbeitungen sind allein aufgrund der zweimaligen Behandlung des Stof- delberg 2013, v.a. 246 f.]). Die Hyperbolik der Verworfenheit würde dank der Theatralität also eine heilsame, kathartische Schockwirkung entfalten. 16 Kirichenko, der ein ähnliches Vorhaben verfolgt (2013: 10: „der visuelle Schock“), rezipiert Bohrer nicht. Diese ‚Blindverkostung‘ tut der Überzeugungskraft keinen Abbruch. Denn daß man parallel zu denselben Ergebnissen gelangt, untermauert deren Richtigkeit. 17 Den kontrastiv-interpretatorischen Nutzen des sieht auch Roisman 2000: 73, während Lefèvre zu Recht auf einer grundsätzlicheren Ebene davor warnt, Senecas Dramen „mit den Kategorien der attischen Tragödie zu messen“ (1969: 133). 18 So die Ergebnisse von Wolf-Hartmut Friedrich (Untersuchungen zu Senecas dramatischer Technik. Diss. Freiburg i.Br. 1931. Borna-Leipzig 1933, 38-43, Euripides und Diphilos. Zur Dramaturgie der Spätformen. Zetemata 5. München 1953, 110-149, v.a. 113-118) und Clemens Zintzen (Analytisches Hypomnema zu Senecas Phaedra. Beiträge zur klassischen Philologie 1. Meisenheim/ Glan 1960, 1). 19 Vgl. Otto Zwierlein, Senecas Phaedra und ihre Vorbilder. Stuttgart 1987, 5 f. 20 Vgl. Rainer Jakobi, Ovids Einfluß auf den Tragiker Seneca. Diss. Bonn 1986. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 28. Berlin 1988, 63 f. (mit Forschungsübersicht). Ihm kann man entnehmen, daß man versucht hat, aus Ovids Heroidenbrief Euripides’ Kalyptomenos zu rekonstruieren. Cedric A. J. Littlewood macht den ovidischen Prätext eingehend für die Interpretation der Phaedra fruchtbar, v.a. des Hippolytus (Self-Representation and Illusion in Senecan Tragedy. Oxford 2004, 259 ff.). 21 Dies reicht bis zur Figurenbesetzung, da Phaedra die einzige Figur in Senecas Stück ist, die von einem einzigen Schauspieler gespielt wird, während sonst diese sonst mehrere Figuren verkörpern (Thomas D. Kohn, The Dramaturgy of Senecan Tragedy. Ann Arbor 2013, 80). 7. Senecas 582 fes durch szenisch-funktionale Verdoppelung, Iteration, Gegensätze sowie deren Eliminierung gekennzeichnet, 22 die sie zu einem Paradefall für das Analyseraster der vorliegenden Arbeit prädestinieren. Racine bringt die Personenkonstellation, so unterschiedlich man sie auch nach Greimas’ Aktantenmodell interpretieren mag, 23 durch die Einführung von Hippolytes Geliebter Aricie zu einer harmonischen Symmetrie, die auch den antiken Hippolyt von seinen misogynen Einlassungen (E. Hipp. 616-650) reinigt 24 und Phèdres inzestuöse Liebe durch den Hinzutritt der an sich verständlichen Eifersucht entlastet. 25 Das Fehlen dieser (Neben-)Figur und der Götter, die in Euripides’ Hippolytos in der Figur der Aphrodite für den Anstoß der Handlung und in der Figur der Artemis für ihren restaurativen Abschluß konstitutiv sind, schneidet die Handlung von Senecas Phaedra auf die Titelheldin und den sie und die Handlung antreibenden Affekt zu, der im Stück als furor klassifiziert wird. Euripides’ Hippolytos ist dagegen selbst bei den menschlichen Hauptfiguren polyzentrisch. Die Reduktion des Personeninventars und vornehmlich der Verzicht auf göttliche Interventionen läßt die Dynamik hervortreten, die der furor innerhalb der Personenkonstellation und dadurch auch für die Handlung entfaltet: Die Begierde der Stiefmutter verleitet sie zu dem Versuch, den Stiefsohn an die Stelle des Patriarchen zu ziehen, und verursacht, nachdem sie ruchbar geworden ist und der Vater zurückkehrt, die Eliminierung des Sohnes, da die Patriarchenstelle nicht doppelt besetzt werden kann. 26 Der furor, der ebenso wie die Transgression von früheren Interpreten (Lefèvre 1969, Roisman 2000) bei ihrer Positivzeichnung der Titelheldin übersehen wurde, kennzeichnet damit die zwei faktischen Transgressionen dieses Dramas, die beide von Phaedra verübt werden und deren eine libidinös und deren andere verbalaggressiv-intrigant ist: die inzestuöse Liebe zu ihrem Stiefsohn und dessen Verleumdung bei seinem Vater als ihren Vergewaltiger. Beide Handlungen bezeichnet das Drama nicht nur als furor, sondern ebenfalls reichlich als Transgression, so die Begierde nach dem 22 S. Francis Dunn, Tragedy’s End. Closure and Innovation in Euripidean Drama. Oxford 1996, 87-100, v.a. 97 f. 23 Vgl. Anne Ubersfeld, Lire le théâtre. Paris 2 1996, 72-75. 24 Diese Charakterzeichnung Hippolytes, die ihn für das galante Publikum erträglich macht, banalisiert ihn zugleich (s. Wolfgang Fauth, Hippolytos und Phaidra. Bemerkungen zum religiösen Hintergrund eines tragischen Konflikts I. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz 1958,9 Wiesbaden 1958, 518-588, h. 523 f. (9 f.), 545 (31)). 25 Für Phèdres Entlastung bei Racine s. Fauth 1958: 519-522 (5-8). 26 Vgl. Charles Segal, Language and Desire in Seneca’s Phaedra. Princeton 1986, 154: „What she [die Amme] ‘veils’ is Phaedra’s desire to set Hippolytus in the place of the father.“ Der Schwerpunkt, welchen diese Arbeit bei der Analyse des Dramas auf Phaedras Begierde legt, bringt - von einer Sexualmetapher abgesehen - keine psychoanalytische Lektüre mit sich, wie Segal 1986: ix sie nach eigenem Bekunden unternimmt. Der Grund für diese Vorgehensweise liegt darin, daß nach den methodologischen Überzeugungen dieser Arbeit das verdrängte Unterbewußte diesen Status verliert, sobald es im Text manifest wird. Die Ausdehnung dieses Konzepts läßt sich also allenfalls mit Hilfe der Konventionen über das Sagbare abgrenzen, die auch im literarischen Werk gespiegelt sind und deren Grenzen das Überschreiten sprachlicher Tabus und die Äußerung des verdrängten Unterbewußten verletzt. 7.1 Forschungsstand und Problemstellung 583 Stiefsohn 27 - auch von Phaedra selbst 28 - und dessen Verleumdung 29 oder beide Vergehen zusammen. 30 Der furor ist nicht bloß ein paralleles Merkmal der Transgression, sondern wird sogar zu deren Motor (v. 824 f.). Ihre Rolle als Subjekt der Handlung und Medium des handlungsantreibenden furors setzt Phaedra durch ihre physische Selbsteliminierung nach Hippolytus’ Tod fort. Ebenso hat nicht eine Göttin, sondern Phaedra selbst Theseus über seinen Trug aufgeklärt. Auch hatte Phaedra anders als bei Euripides Hippolytus gegenüber ihrem Gatten nicht mit einem vor ihrem Selbstmord verfaßten Schriftstück, sondern in einem unmittelbaren Gespräch belastet. Sogar Theseus’ Fehlurteil stuft dieser selbst in einer Anagnorisis als crimen (v. 1249: crimen agnosco meum) und als scelus (v. 1211) und damit juridisch als Transgression ein. In der Tat gebraucht das Drama Lexeme aus dem Wortfeld moralischer, juridischer und religiöser Transgression wie peccare, crimen, nefas etc. so großzügig, daß als Dokumentation passim genügen könnte und dies Stoff für eine eigene Untersuchung böte, 31 während die hier besprochenen attischen Tragödien mit solchen Ausdrücken so sparsam verfahren, daß sie etwa im Falle der euripideischen Medea eigens zusammengestellt werden mußten, um die binnenhermeneutische Einstufung der fraglichen Eliminierungen als Transgression nachzuweisen. Bereits dieser Unterschied der Wortwahl wirft ein erhellendes Licht auf den drastisch-plakativen und rhetorischen Charakter der Transgression in Senecas Dramen. Der furor, der in dieser Tragödie insgesamt 17mal erscheint und damit häufiger als selbst im Hercules furens (elfmal) ist, wo er doch bereits im Titel figuriert, 32 ist, wie bereits angedeutet, nicht nur das literarische Leitmotiv, sondern auch der psychologische Motor von Senecas Phaedra (Näheres s. 7.2.2 Typen und Verteilung des furors im Drama), die zusammen mit seinem Thyestes und seiner Medea wegen dieses Wahnsinns zu den Leidenschaftstragödien 33 gezählt 27 V. 143 f. [Amme] maius est monstro nefas: / nam monstra fato, moribus scelera imputes, v. 151: facinus, 160 f.: coitus nefandos … stupro … magnis sceleribus, v. 172 f.: utero … impio / nefandis … ignibus; v. 672 [Hip.] scelera, v. 687-693: scelere, stupro, crimen, scelus, v. 718: sceleris. 28 V. 114: peccare noster novit in silvis amor, v. 126 f.: probris […] nefandis, v. 254: morte praevertam nefas. 29 V. 721 [Amme] scelere velandum est scelus, 824 f. [Chor] Quid sinat inausum feminae praeceps furor? / nefanda iuveni crimina insonti apparat. 30 V. 1176-1178 [Ph.] nefando pectore […] scelere, v. 1192-1196 [Ph.] nefas […] crimine. 31 Zum nefas s. Ilona Opelts philologisch-lexikalische Studie (Senecas Konzeption des Tragischen. In: Eckard Lefèvre (Hg.), Senecas Tragödien. Wege der Forschung 310. Darmstadt 1972, 92-128, h. 107-110 [Phaedra]). 32 Berücksichtigte man alle Ableitungen der Wurzel fur- ‚wüten‘, verschöbe sich das Bild quantitativ sicherlich. Am interpretatorischen Ergebnis würde dies freilich wenig ändern, da das Substantiv furor durch seine Abstraktion und Frequenz eine dramenspezifische Fokussierung darstellt. Deshalb sollen um diesen Kristallisationspunkt herum bei der Interpretation der Phaedra auch die übrigen Ableitungen herangezogen werden. 33 So Gerhard Müllers Abgrenzung von den Stücken, die er Fatumsdramen nennt (Senecas Oedipus als Drama. Hermes 81 (1953) 447-464, h. 460). 7. Senecas 584 wird. 34 Die Kursivierung des Namens der eponymen Protagonistin wird dadurch gerechtfertigt, daß das Drama nicht nur ihr den furor zuschreibt, sondern auch Theseus, Hippolytus und dessen Pferden. Damit bietet dieses Drama auch die faszinierende Gelegenheit, die Reichweite von Alessandro Schiesaros innovativem Ansatz für Senecas dramatisches Gesamtwerk auszuloten, da Schiesaro die Phaedra kaum berücksichtigt (nur die praetexta Octavia, die Phoenissae und der unechte Hercules Oetaeus finden weniger Aufmerksamkeit bei ihm), und das, obwohl „Senecas Phaedra […] wohl dasjenige Stück im Dramencorpus [ist], das durch die Jahrhunderte hindurch das größte Interesse auf sich gezogen hat“. 35 Schiesaro rechtfertigt die Wahl des Thyestes dagegen damit, dieser sei Senecas bestes Stück (2003: 1). Dieses Urteil korreliert sicherlich mit seiner profunden Studie, welche die Selbstreflexivität, poetische Komplexität und dramatische Wucht dieser Tragödie aufzeigen kann. Seine Untersuchung ist deshalb für die Interpretation unseres Dramas so vielversprechend, weil er nicht nur anhand des Thyestes den furor in den Mittelpunkt seiner Auslegung stellt und eine metapoetische Deutung vorlegt, sondern auch dieses Verständnis des Stückes mit poetologischen Reflexionen aus Senecas philosophischen Schriften kombiniert, in deren Mittelpunkt das Theorem des furor poeticus steht (2003: 21-25). Die nachgerade aporetische Diskussion um das Verhältnis von Senecas philosophischem und dramatischem Werk wird so, ebenso wie das Verständnis von letzterem, elegant auf eine völlig neue Ebene gehoben. 36 Die nachfolgende Besprechung des Dramas wird die Belegstellen für den furor also nicht nur auf ethische, sondern auch poetologische und metatheatralische Relevanz untersuchen. Dabei ermöglicht es Schiesaros Ansatz auch, in Anlehnung an Bohrer, der die attische Tragödie vor dem Hintergrund des modernen Ästhetizismus interpretiert (2009: 15-18, 35-175), zu prüfen, ob man diesen auch bei Seneca aus- 34 Giovanna Garbarino, Necessità e libertà in Seneca tragico. Incontri con Seneca. Atti della giornata di studio Torino, 26 ottobre 1999. A cura di Giovanna Garbarino e Italo Lana. Pubblicazioni del Dipartimento di Filologia, Linguistica e Tradizione Classica, Università degli Studi di Torino 15. Bologna 2001, 29-48, h. 32. 35 Vgl. Zwierlein 1987: 5. Eine Übersicht über die abundante Sekundärliteratur bis zum damaligen Zeitpunkt gibt Lefèvre 1969: 133 f. 36 Allerdings erklärt auch Schiesaro Senecas Dramen von einer Theorie her, die dieser in seinen philosophischen Schriften entwickelt, nämlich der furor-Poetik (2003: 21-25), auch wenn er die implizite Poetik der Dramen als gleichermaßen relevant für Senecas Poetik ansieht (2003: 21). Schiesaro überwindet also auch noch nicht vollständig das dogmatische Deutungsmuster, was letztlich aber auch mit den expliziten auktorialen Äußerungen der Prosaschriften unnötig eine wertvolle Quelle der Seneca-Auslegung verschlösse. Den alternativen Ansatz, beide Corpora auf der gleichen Ebene als Dokumente von Senecas schriftstellerischem Schaffen (denn auch die ästhetisch-literarische Seite der philosophischen Schriften droht über den philosophischen Inhalt vernachlässigt zu werden), kann die vorliegende Arbeit aufgrund ihrer Themenstellung nicht umsetzen, da sie auch die dramatische Praxis mit theoretischen Äußerungen der philosophischen Schriften zum Schauen und zur Poetik in Verbindung bringt. Schiesaro bemüht diesen Ansatz nur, um den Gegensatz zwischen der Ethik der philosophischen und deren möglicher Subvertierung in den literarischen Schriften zu überwinden (Alessandro Schiesaro, Seneca and the denial of the self. In: Shadi Bartsch, David Wray (Hgg.), Seneca and the self. Cambridge 2009, 221-235, h. 222). 7.1 Forschungsstand und Problemstellung 585 machen kann. Schließlich bietet sich angesichts seines moralphilosophischen Werks bei ihm die Möglichkeit, Ethik und Kunst besonders klar abzugrenzen. Schiesaro, der am weitesten in diese Richtung geht, ist allerdings zurückhaltend, bei der Einstufung Seneca als eines Prototyps des poète maudit, auch wenn er betont, daß Seneca die Emotionen, welche seine Werke bei den Rezipienten hervorriefen, ebensowenig wie jeder andere Dichter kontrollieren könne (2003: 255). Es ist sein Verdienst, bei dem Verhältnis von Ethik und Dichtung mit aller Deutlichkeit den Gegensatz zwischen der Verdammung der Leidenschaften und der Forderung nach ihrer Unterdrückung, wie sie in den moralphilosophischen Schriften zu finden sind, und der Darstellung der Leidenschaften in den Dramen herauszupräparieren, die ein Übergreifen der Leidenschaften auf den Rezipienten riskiere (2003: 253, 255). Schiesaro bezeichnet das Verhältnis der beiden Gattungen ausdrücklich sogar als oft widersprüchlich und immer eine Herausforderung (2003: 7). Die Darstellung von Leidenschaften und Lastern in der Dichtung und die Gefahr, daß sie auf den Rezipienten übergriffen, waren bereits für Platons Politeia ein ethisch-politisches Problem (R. 376e-392c), 37 das der erste Teil des zehnten Buches durch Eliminierungen in der dichterischen Darbietung und die lokale Eliminierung der Dichter aus der Idealpolis selbst zu lösen trachtete (R. 595a- 608b). 38 Aristoteles’ Poetik geht dagegen davon aus, daß eine gewisse, in dieser Schrift eingehend entwickelte Darstellung von Handlung und Figuren den Rezipienten von den Emotionen Jammer und Schauder oder diese selbst 39 läutern könne. Anders als die Stoiker nahm Aristoteles, so Schmitt, auch in seiner Rezeptionsästhetik die Kompatibilität rationalen Erkennens der Tragödienhandlung und der ihr zugeordneten Affekte 40 und überhaupt von der Rationalität der Gefühle an, welche die Tragödie hervorruft. 41 Die Stoiker stehen, soweit man 37 Näheres s. Hans Wagner, Aesthetik der Tragödie von Aristoteles bis Schiller. Würzburg 1987, 16-20 und Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 33-39. 38 Vgl. zu diesem Thema Hans-Georg Gadamer, Plato und die Dichter (1934). In: Ds., Griechische Philosophie I. Gesammelte Werke Bd. 5. Tübingen 1985, 187-211. 39 Schmitt Poetik 9 übersetzt ’ - (Arist. Poet. 1449b 27 f.) als Genetivus objectivus „Durch Furcht und Mitleid bewirkt sie eine Reinigung eben dieser Gefühle“ (so wohl auch Halliwell 1987 (vgl. S. 90 und v.a. 1986: 197): „effecting the katharsis of such emotions“, 2 1999: „accomplishing the catharsis of such emotions“). Diese Reinigung bestehe in der „Steigerung des Anteils der Rationalität in den Gefühlen“, deren Eliminierung er als stoisch ansieht (S. 341 f.). Seine Übersetzung und Einschätzung hat die peripatetische Metriopathie für sich, die von einem philosophisch wünschenswerten Zustand der Affekte ausgeht. Fuhrmann übersetzt dagegen ‚stoizierend‘ als Genetivus separativus („die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt“), eine Deutung, die jüngst auch Hellmut Flashar gegen Schmitt verficht (Aristoteles. Lehrer des Abendlandes. München 2013, 166 f.), der die kontroverse Interpretation seit der frühen Neuzeit skizziert (2013: 164-166). Diese Frage wird nicht behandelt von Adelheid Stephan, Die aristotelische Katharsis in rezeptionsästhetischer und erkenntnistheoretischer Perspektive. Das kathartische Prinzip der aristotelischen Tragödientheorie. Diss. Aachen 2011. Schriftenreihe Boethiana 99. Hamburg 2012. 40 Schmitt Poetik 333-342, 402-405. 41 Schmitt Poetik 486-489. 7. Senecas 586 ihre Ansichten zur Poetik glaubhaft rekonstruieren kann, bei der Frage, wie mit dem emotionalen Gehalt der Dichtung umzugehen sei, Platon näher als Aristoteles. Phillip De Lacy hat für seine Rekonstruktion der stoischen Position in dieser Frage an poetologischen Äußerungen nur auf die in Philodems De musica überlieferten Spuren der Ausführungen des Diogenes von Babylon zurückgreifen können. Ansonsten hat er anhand poetologischer Thesen anderer Philosophenschulen und der allgemeinen, nicht dichtungsspezifischen stoischen Emotionspsychologie, die nur gelegentlich eine Emotionsästhetik erkennen lassen (SVF III 401 = Andronicus 5 Nr. 3 ( ): ), Rückschlüsse auf die stoische Emotionsästhetik gezogen. 42 Deswegen sind seine Ergebnisse in dieser Frage, so einleuchtend und anziehend sie sein mögen (etwa die Bezeichnung der Wirkung, die eine Dichtung erzielt, in Longin. 1.4 als , was eine Interpretation der Phaedra entsprechend Bohrers Ästhetik nahelegen würde, wobei das Fehlen eines solchen schulspezifisch-poetologischen Hintergrundes eine derartige Lektüre keineswegs ausschließt), auf weiten Strecken eher spekulativer Natur und für unsere Argumentation nicht belastbar. 43 Methodisch besser abgesichert (wenn auch auf wenigen Strecken durch fehlende Dokumentation etwas essayistisch) verfährt dagegen Martha Craven Nussbaum. Sie arbeitet heraus, daß die Stoiker die Gefahren und den Nutzen der Dichtung mit einem komplexen, vierstufigen Instrumentarium bannen bzw. aktivieren wollten. Es habe Zensur, Umdichtung bestehender bzw. das Schreiben neuer Dichtung (Nussbaum klammert die Frage nach der Treue von Senecas Dichtung zur Stoa ausdrücklich als zu komplex aus [1993: 132]), 44 allegorische Auslegung 45 und kritische Rezeptionshaltung umfaßt. 46 Wie Platon werden also, wenn auch differenziertere und nicht so tiefgehende Eingriffe an der bestehenden Dichtung vorgenommen, die ein Rezipient anders als bei Aristoteles nicht in ihrem jetzigen Zustand unreflektiert mit einem ethisch heilsamen Effekt auf sich wirken lassen kann. Sieht man einmal von dem fragmentierenden, illustrativen und exegetischen Einsatz der Dichtung im Unterricht ab, so bedarf der Rezipient, der noch kein stoischer Weiser ist, für einen pädagogisch wertvollen Genuß traditioneller Dichtung eines philosophischen Kommentars, so die Hoffnung der Stoiker (Nussbaum 1993: 137, 139). Er befindet sich also in derselben Lage wie eine Schulklasse, die der Lehrer vor und nach dem Theaterbesuch mit Erläuterungen bedenkt, um ihre Rezeption in eine pädagogisch wertvolle Richtung zu lenken. Das traditionelle Kunstwerk entfaltet also keine autonome sittliche Wirkung. Für unsere Interpretation der Phaedra ergibt sich hieraus die Frage, 42 Stoic Views on Poetry. AJPh 69 (1948) 241-271, h. 249-251. 43 Schiesaro 2003: 229-231 stützt sich freilich unkritisch auf De Lacys Rekonstruktionen. 44 Sie geht allerdings anders als Schiesaro und ähnlich wie Gill und die vorliegende Interpretation davon aus, daß Senecas Dramen die stoische Psychologie der Leidenschaften mit größerer Klarheit als andere Dichtung böten und der Chor sich stärker als sonst von dem Protagonisten distanziere (1993: 148). 45 S. (ohne nähere Quellenangaben) Donald A. Russell, Criticism in Antiquity. London 1981, 42. 46 Poetry and the Passions. Two Stoic Views. In: Jacques Brunschwig, Ds. (Hgg.), Passions & Perceptions. Studies in Hellenistic philosophy of mind. Proceedings of the Fifth Symposium Hellenisticum. Cambridge 1993, 97-149, h. 123-144. 7.1 Forschungsstand und Problemstellung 587 inwieweit die Darstellung der geballten Leidenschaftlichkeit und Lasterhaftigkeit dieses Dramas für einen unreflektierten Laienrezipienten einen Kommentar erübrigt oder doch erfordert, um eine Wirkung im Sinne der stoischen Psychagogie zu erzielen. Tatsächlich wird die detaillierte Analyse der distanziertdistanzierenden dichterischen Gestaltung von Figuren, ihren Reden und der Handlung den Schluß nahelegen, daß die scheinbar festgefügte Unterscheidung zwischen aristotelischer und stoischer Rezeptionsästhetik, wie sie gerade Schmitt annimmt, in manchen Punkt durchlässig wird und man das spätantik überlieferte Konzept einer stoischen Katharsis auch auf die Phaedra anwenden kann (s. 7.6.1 Fazit). Die Frage nach der Emotionalität der Dichtung wird dadurch eher noch verschärft als entschärft, daß nicht alle aktuellen Forschungsergebnisse ohne weiteres mit Schiesaros Thesen vereinbar sind. Der erste Widerspruch betrifft die Diskrepanz zwischen stoischer Regelpoetik und Senecas dramaturgischer Praxis. Während Schiesaro davon ausgeht, daß der Thyestes eine anziehende Ästhetik des Bösen und des Schreckens bietet (2003: 254 f.), ist nach Martha Craven Nussbaum die kritische Distanzierung des Rezipienten von den leidenschaftlichen und lasterhaften Bühnenfiguren eine stoisch gewünschte Rezeptionshaltung (1993: 136-144). Zudem hat kein Geringerer als Christopher Gill in ausdrücklicher Wendung gegen Schiesaros Kritik einer stoischen Lektüre der Seneca-Dramen herausgearbeitet, daß die Desintegration der Persönlichkeit, die Senecas Medea und Phaedra bieten, sich mit dem orthodox-stoischen Persönlichkeitskonzept beschreiben läßt, das bei Chrysipp anzutreffen sei. 47 Dieser Widerspruch zweier zeitgenössischer Koryphäen auf ihrem Gebiet der Antikenforschung - einig sind sich Gill 2006: 422 48 und Schiesaro 2003: 6 f. nur in der Ablehnung der moralischen Lektüre von Senecas Dramen - läßt sich salomonisch so deuten, daß Senecas Dramen sowohl eine philosophiehistorische wie eine literaturwissenschaftliche Lesart zulassen; aber damit gelangt man wieder zu dem Einwand der geringen heuristischen Reichweite, der eingangs gegen Schmitts Nachweis erhoben wurde, Senecas Dramen entsprächen der Orthodoxie. Gills Einspruch ist in jedem Fall in der folgenden Interpretation sorgfältig zu prüfen. Dabei wäre auch die Hypothese zu erörtern, ob verschiedene Ansätze zum Verständnis einzelner Seneca-Dramen ergiebiger sind. Sie drängt sich aufgrund der unterschiedlichen Korpora bei Schiesaro und Gill auf, ohne daß daran irgendwelche Spekulationen über die Chronologie der einzelnen Dramen und der moralphilosophischen Schriften geknüpft werden sollen. Mit dieser Hypo- 47 „Senecan Tragedy“, in: The Structured Self in Hellenistic and Roman Thought. Oxford 2006, 421-435, h. 422, 434 f. 48 Dort bietet Gill auch weitere Vertreter dieses Ansatzes, die nach Gill eine stoische abschrekkende Warnung vor den Leidenschaften in Senecas Dramen erblicken. Eine Distanzierung sieht auch die vorliegende Untersuchung, allerdings mit poetologischer und literardramatischer Argumentation. Besonders einschlägig ist bei der stoizierenden Lektüre Eckard Lefèvres Beitrag, der in Senecas Dramen auch eine stoisch-moralische Belehrung sieht (1969: 133) und ergänzend zur Argumentation der vorliegenden Arbeit seine These durch Vergleiche mit Senecas moralphilosophischen Schriften und Euripides’ Hippolytos untermauert. Kritik an ihm übt Dingels antistoische Interpretation der Phaedra (1974: 94-100), die jedoch entschieden zu kurz greift, was die nachfolgende Interpretation des Dramas zeigen soll. 7. Senecas 588 these wäre die monolithisierende Opposition der beiden Großgattungen in Senecas literarischem Schaffen, die Schiesaro suggeriert, zugunsten komplexerer intertextueller Einzelbezüge aufgebrochen. Der Dissens zwischen Schiesaro und Gill lehrt jedenfalls, daß die nachfolgende Interpretation nur für Senecas Phaedra und nicht für sein dramatisches Gesamtwerk Geltung beanspruchen kann. Sie versucht einen Brückenschlag zwischen den beiden Opponenten. Er trägt der Tatsache, daß Gill seine Deutung an dem vorliegenden Drama exemplifiziert hat, insofern Rechung, als die vorliegende Interpretation zeigen möchte, daß die literarische Gestaltung hilfreich für eine stoisch-psychagogische Wirkung sein kann. In concreto soll der Nachweis erbracht werden, daß die besondere Darstellung der Affekte, insbesondere des furors, in diesem Drama geeignet ist, eine psychagogische Wirkung im Sinne der stoischen Ethik zu erzielen. Dazu tragen insonderheit die Rezeptionslenkung und subtile metatheatralische Techniken dieses Dramas bei, die sich von den plakativen des Thyestes unterscheiden, die Schiesaro herausarbeitet. Die stoische Philosophie liefert damit sowohl das Weltverständnis, mit dessen Hilfe das Drama operiert, als auch den möglichen Zielpunkt der Wirkung. Beide Relationen sind jedoch nicht als direkte, unilineare Umsetzung zu verstehen, sondern werden durch die dramatische Semiotik und Pragmatik gebrochen. Die stoische Philosophie hat überdies einen werkimmanenten interpretatorischen Nutzen, so eine weitere These. Sie dient über das Theorem von Freiwilligkeit und Zustimmungsbedürftigkeit der Leidenschaften der Abgrenzung des literarästhetisch Bösen. Dieses ist das Novum des Dramas innerhalb der hier besprochenen Stücke. Den begrifflichen Kern des moralischen wie auch ästhetischen Bösen bildet die Bejahung des Betreffenden. Das Theater bietet nun besondere Mittel, diese Bejahung von den Figuren ostentativ inszenieren zu lassen und so das besagte literarästhetisch Böse zu schaffen. Bei ihm ist zudem die soziale Transgression nicht bloß Gegenstand oder Mittel der dramatischen Mimesis. Vielmehr verbindet sich bei ihm nicht nur die soziale mit der poetischen Transgression (diese Verschmelzung vollbrachten bereits die Götter in Plautus’ Amphitruo, die zu Regisseuren des Metatheaters wurden, um ihre transgressiven Gelüste zu stillen), sondern überdies mit einer Leidenschaftlichkeit und Lasterhaftigkeit, deren unkontrollierbare Vehemenz der stoischen Psychologie, aber auch Karl Reinhardts paratragischer Kategorie des Dämonischen entspricht. Die Destruktivität, die sich aus dieser explosiven Mischung ergibt, sprengt nicht nur eliminatorisch wie in den früheren Tragödien und auch konkret Euripides’ Version des Hippolyt-Mythos das soziale Gefüge und unterspült die Sprache, sondern läßt auch die Struktur des Dramas selbst, die Kohärenz von Handlung(en) und Charakteren, explodieren. Die sich nun anschließende Analyse folgt weitgehend dem Verlauf des Dramas, um die Diskontinuität in dessen syntagmatisch-kausal-chronologischer Faktur hervortreten zu lassen, bildet aber auch um zentrale Paradigmata der Interpretation wie die Monstrosität synoptisch thematische Blöcke. 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 589 7.2 Analyse des Dramas anhand von furor, Monstrosität und Diskontinuität 7.2.1 Hippolytus’ Auftritt: Extravaganz des Objekts der libidinösen Transgression Das Stück beginnt abrupt mit Hippolytus’ Auftritt, der sich in der Eingangsmonodie 49 als passionierter Jäger offenbart. Die Wahl dieses Erstauftretenden ist noch eine Reminiszenz des eponymen Protagonisten in Euripides’ beiden Tragödien, ebenso wie der Anapäst dieser Monodie an die Parodos der attischen Tragödie erinnert. Anders als viele Prologe bei Euripides, Menander oder Plautus exponiert die erste Szene der Phaedra keine äußeren Charakteristika oder Handlungsabsichten, aus denen sich weitere Handlungsstränge ergeben. Der Erwartungshorizont wird vielmehr durch die Exposition der inneren Einstellung einer Bühnenfigur abgesteckt und läßt mit einer seelischen Größe bereits ein thematisch wie dramaturgisch wichtiges Gestaltungsprinzip des Dramas erkennen, das im weiteren der furor durchwaltet. Es handelt sich hierbei um Hippolytus’ Passion für die Jagd. Diese Vorliebe exponiert das tödlich endende Streben nach einem Lebewesen als Grundvektor der Handlung und läßt erahnen, daß die im Mythos vorgegebene Leidenschaft Phaedras auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Die Jagdliebe gibt so eine Vorschau auf den Konflikt und seine Aporetik. Er wird noch dadurch expliziert, daß die geographische Extravaganz, zu welcher der Weidmann seine Gefährten im ersten Teil seines Auftritts auffordert (v. 1- 53) 50 und welche in einer auch generischen Extravaganz das Lehrgedicht ins Drama integriert, 51 wegen ihres nicht fixierten Zieles das vektorale Gegenteil von Phaedras zielgerichteter Transgression ist. Während Euripides’ Hippolytos seinem Diener seine Ansichten offenbart und dieser deren frevlerischen, da Aphrodite verachtenden Charakter zu bekämpfen sucht (v. 88-120), zeigen die unilateralen Befehle, die sein Analogon bei Seneca im Monolog gibt, ein reduziertes Maß sozioverbaler Integrierbarkeit, das wenig erfolgverheißend für einen Liebesantrag ist. Die Bitte an Diana um Epiphanie (v. 54: Ades en comiti, diva virago) und Jagdbeistand, die den zweiten Teil von Hippolytus’ Monolog füllt (v. 54-84), kennzeichnet ihn als frommen Verehrer der Jagdgöttin. Bereits die Anrede der Göttin als virago weist ihn als einen Mann aus, der nicht dem sexuell Weiblichen, sondern dem jungfräulichen Mannweib zugetan ist. Daß der ausschweifende Jäger selbst bereits in der nächsten Szene zum Objekt einer Begierde wird, die ebenfalls weidmännisch extravagant daherkommt (v. 110- 114, v.a. v. 112: Quo tendis, anime? quid furens saltus amas? ), ist die dramati- 49 Sie bot die Möglichkeit zu einem Bravourstück für einen Solisten (Bernhard Zimmermann, Seneca und die römische Tragödie der Kaiserzeit. Lexis 5-6 (1990) 203-214, h. 211). 50 Eine kleinschrittigere Gliederung geben die Überschriften in Monika Maria Stähli-Peters inhaltlichem Kommentar (Die Arie des Hippolytos. Kommentar zur Eingangsmonodie in der Phaedra des Seneca. Diss. Zürich 1974, 71-195). 51 Zimmermann 1990: 208. 7. Senecas 590 sche Ironie dieser Szenenabfolge. 52 Insofern ist bereits die metrische Reminiszenz an eine energische Parodos dramatisch-ironisch und parodistisch, da sein männlich-dominantes Auftreten bei der Eröffnung der Jagd von seinem späteren Status als Objekt weiblicher Begierde und seiner fluchtartigen Abneigung gegen das weibliche Geschlecht subvertiert wird. 53 Auf den Aphrodite-Frevel, den die Liebesgöttin in ihrem Prolog bei Euripides anspricht (v. 10-22), verzichtet Seneca denn auch zugunsten der erst später exponierten Misogynie. Wenn die Amme, bevor sie Hippolytus auf Phaedras Liebeserklärung vorbereitet, Hekate ebenfalls um unterstützende Epiphanie anruft (v. 406-423, v.a. v. 423: Ades invocata, iam fave votis, dea), so zeigt dies, daß die Präsenz von Göttinnen keine szenische Realität wie in Euripides’ zweitem Hippolytos mehr ist, sondern verbal von den menschlichen Bühnenfiguren generiert wird. Senecas Gestaltung der ersten Szene kennzeichnen gegenüber seinem attischen Vorgänger also monologische innere Charakterzeichnung, damit einhergehend die Vorbereitung des menschlichen Konflikts und eine geringe soziale Integrierbarkeit. Ihnen steht bei Euripides die dialogische soziale Offenbarung einer in ihrer Einseitigkeit religiös transgressiven Einstellung gegenüber, die dazu führen wird, daß der Konflikt zweier Gottheiten mit menschlichen Stellvertretern ausgetragen wird. Mit der spontanen Abruptheit exponiert Senecas Eingangsmonodie dramaturgisch wie ethologisch und psychologisch ein wichtiges Strukturprinzip des Dramas. 7.2.2 Typen und Verteilung des furors im Drama Phaedra rechtfertigt in der darauffolgenden Szene ihren Ehebruch präventiv mit Zweifeln an der Treue des abwesenden Theseus (v. 91 f.: profugus en coniunx abest / praestatque nuptae quam solet Theseus fidem), die sie an dessen außerhäusliche männliche Unternehmungen knüpft, wie sie bereits die Jagd seines Sohnes in der Eingangsmonodie darstellte. Schon hier zeigt sich, daß die Abwesenheit des Gatten und Vaters Phaedra dazu einlädt, jemanden zu suchen, der dessen Stelle füllen soll. Die vermeintlich gebrochene Treue rechtfertigt den eigenen Treuebruch. Die ironische Begründung aus der Erfahrung in v. 92 (quam solet) weist darauf hin, daß wie in Euripides’ Medea Nomos und Logos im Handeln der Frau dadurch unterhöhlt werden, daß zuvor Männer diese sozi- 52 Außerhalb dieses dramat(urg)ischen Sonderfalls ist Littlewood aufgrund seiner Analysen (s. die nächste Fußnote) zuzustimmen, der bei Hippolytus weniger die situative, als die sprachliche und literarische Ironie am Werke sieht (2004: 300 f.) 53 Hippolytus’ Naivität arbeitet auch Littlewood ausgehend von der Eingangsmonodie heraus (2004: 259-301). Sie durchzieht seine gesamte Bühnenexistenz und reicht bis zu seinem Untergang, dessen Hintergründe ihm - im Gegensatz zu Euripides, wie ich hinzufügen möchte - gänzlich unklar sind (2004: 262, 301; v.a. 263: „Hippolytus is everyone’s ironic victim.“). Anders als die übrigen Figuren, v.a. Phaedra, spielt er nicht auch mit ironisch mit den intertextuellen Bezügen, sondern wird das naive Opfer dieser Doppelbödigkeit (Littlewood bringt hier den Ausdruck ‚deviante Intertextualität‘ ins Spiel [2004: 263]). Daß Hippolytus’ Aufritt das Drama eröffnet, hat seinen dramaturgisch-dramensemiotischen Sinn: Er ist durch seine dramatische Naivität gewissermaßen der Nullpunkt, von dem sich alle weiteren Figuren durch ihre Ironie und Intriganz absetzen. 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 591 alen Konnektoren verletzen (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos in der Medea-Interpretation). Dieses Verhalten besteht jedoch im aktuell vorliegenden Falle nur in Phaedras Unterstellung. Die interdramatische Kontrastfolie läßt bereits hier die Souveränität der Transgressorin und die dadurch generierte Diskontinuität von Motivation und Handlung hervortreten, da der Anlaß der Transgression von der Transgressorin selbst bestimmt wird, während bei Medea ein konkreter, gegen sie gerichteter Treuebruch vorlag. Theseus hat nicht nur seine Position verlassen, sondern nach Phaedras Unterstellung auch die mit ihr verbundene Rolle verletzt. Ebenso übertritt Phaedra im Verlaufe des Stückes durch die Liebe zu ihrem Stiefsohn und die Anverwandlung männlicher Verhaltensformen die Grenzen ihrer Rolle als häusliche Ehefrau. Der Widerpart des furors ist dabei der pudor. Diesen psychischen Antagonismus diagnostiziert Phaedra auch im Verhalten ihres Gatten. Daß diesen auch der timor nicht halte, läßt bereits die starke Fokussierung des Dramas auf plakative Begriffe mit philosophischer Relevanz erkennen. Die soziale Transgression, die Phaedra Theseus unterstellt, vollzieht sich in einer lokalen. Diese ist wie in Aristophanes’ Fröschen eine , die wie in Aischylos’ Persern ein Gewässer überschreitet (v. 93- 98). 54 Auch bei Hippolytus’ Pferden ist der furor der Motor der Bewegung, hier der devianten, eliminatorischen und fragmentierenden (v. 1068-1071). 55 Diese Folge tritt auch bei der Transgression der Meerengen ein, die Asien und Europa trennen (s. 1.4 Transgressive Zwangssemiogenese und ihr Scheitern in der Perser-Interpretation). Daß Theseus bei seinem Abstieg Pirithous hilft, Proserpina aus der Unterwelt zu rauben, macht ihn zu furoris socius. Die sexuelle Transgression wird mit stupra et illicitos toros klar benannt, die vom furor neutralisierten seelischen Kräfte timor und pudor ebenfalls, was zur Kohärenz der psychologischen Zeichnung beiträgt. Zumeist kennzeichnet der furor allerdings Phaedras deviantes Verhalten (zehnmal), davon steht er allein achtmal von ihrer Liebesleidenschaft. Er ist der Motor und das Leitmotiv ihres Handelns und des Dramas, dessen Handlung sie mit ihm dominiert. Doch auch diskursiv steht Phaedra als Subjekt oder Objekt im Zentrum des furors: Entweder sie schreibt ihn sich selbst zu (v. 177, 184) oder andere ihr (v. 197, 248, 268, [279], 363, 584, 824, 1156; vgl. 344) oder sie ihn anderen (v. 96). Daneben gibt es noch die indirekten Fälle, in denen er einem anderen durch ihre Intrige zugeschrieben wird (v. 909) oder dieser fälschlich Angeklagte dem furor seiner Pferde erliegt (v. 1070). Einzig Hippolytus’ dreimaliger Gebrauch dieses Substantivs ist von Phaedra unabhängig (v. 486, 540, 567). Das Bild ändert sich nur wenig, wenn man die übrigen Ableitungen von der Wurzel fur- ‚rasen‘, ‚wüten‘ einbezieht. Die meisten Stellen entfallen hier aber- 54 fortis per altas invii retro lacus / vadit tenebras miles audacis proci, / solio ut revulsam regis inferni abstrahat; / pergit furoris socius, haud illum timor / pudorve tenuit: stupra et illicitos toros / Acheronte in imo quaerit Hippolyti pater. 55 Inobsequentes protinus frenis equi / rapuere currum iamque derrantes via, / quacumque rabidos pavidus evexit furor, / hac ire pergunt seque per scopulos agunt. 7. Senecas 592 mals auf Phaedra. Ihr Verhalten kennzeichnet dieser Sprachgebrauch noch umfassender als Wüten und Wahnsinn, da nicht nur ihre extravagante Liebesleidenschaft (v. 112: Quo tendis, anime? quid furens saltus amas? , v. 645: Amore nempe Thesei casto furis? ), sondern auch ihre Selbstmorddrohung als furor eingestuft werden (v. 263: [Amme] siste furibundum impetum). Kausal unabhängig von Phaedra ist der Gebrauch für physikalische und Naturphänomene sowie für Fortuna (s.u.). Diese kosmologische Universalisierung erhebt den furor zu einem umfassenden Leitmotiv des Dramas. Dieser Aufbruch des Anthropologisch-Ethischen mindert gewiß dessen Reichweite für eine stoizierende Interpretation, ohne diese Dimension gänzlich zu unterlaufen, und stärkt die Ästhetik des dynamisch Destruktiven in diesem Drama. Allerdings wird mit dieser kosmologischen Universalisierung Phaedras furor keinesfalls nivelliert, sondern im Gegenteil als moralisches Skandalon noch akzentuiert, da sie und ihre Leidenschaften sich wie blinde Naturkräfte verhalten. 56 Eine ähnliche Aussage läßt sich aus dem Gebrauch des Substantivs furor für Tiere ableiten, seien dies nun Hippolytus’ Pferde oder verliebte Hirsche (v. 344), zumal die stoische Persuasion - wie auch in der platonischen Philosophie (Pl. R. 566a, Iamblich Protr. c. 5.16 [Pi. p. 32 l. 18-22]) - gerne das menschliche Verhalten von tierischem abgrenzt. 57 Zudem sind die besagten kosmologischen furor-Stellen entweder zu Phaedras Liebes-furor parallel und dienen implizit dessen Illustrierung 58 - in Phaedras Mund hat diese Anspielung wegen ihres nivellierenden Charakters zugleich eine apologetische Implikation, 59 welche der expliziten apologetischen Aussage an dieser Stelle entspricht - oder sie sind eine Folge von Phaedras anderer Transgression, die darin besteht, daß sie Hippolytus fälschlicherweise einer Transgression bezichtigt, welche dieser gar nicht begangen hat. Dies ist bei Theseus’ Eliminierungsfluch 60 und im Botenbericht über das Auftauchen des Ungeheuers 61 der Fall. Ja, selbst das Wüten der Fortuna, das der Chor nach dem Botenbericht besingt (v. 1124 f.: minor in parvis Fortuna furit / leviusque ferit leviora deus; […]), ist eine Deutung der Eliminierung, die 56 Vgl. Mark Aurels Argumentation mit einer Walze, mit der bereits Chrysipp seine Lehre von den verschiedenen Ursachen und der sich daraus ergebenden Willensfreiheit illustriert hatte (Modestus van Straaten, Menschliche Freiheit in der stoischen Philosophie. Gymnasium 84 (1977) 501-518, h. 514, Peter Steinmetz, Die Stoa. In: Hellmut Flashar (Hg.), Die hellenistische Philosophie. Basel 1994. Bd. 2, 495-716, h. 611), der Mensch könne anders als eine Walze überall gemäß seinem Telos tätig werden (10.33.3-5). 57 Seneca De ira 2,34,1, vit. beat. 5,2, Musonius Rufus Frg. 14 He. S. 72 Z. 7-10, Epict. 1.3.7-9, 1.5.9, 1.6.32, 1.29.21, 2.22.33 & 37, 4.1.127, Mark Aurel 9.39.2, Hierokles S. 59 Z. 30 - S. 60 Z. 3. Für die Stoa war der ein und (SVF III 677 = Stob. 2.7.11 k [= II 103,24-104,3 W.]). Die vertierende Wirkung der sexuellen Lust beschreiben Poseidonios (Frg. 290a Th. = Kleomedes 166,26-168,1 [2.1]), Epict. 4.1.142 und Musonius Rufus Frg. 12 He. S. 65 Z. 11 - S. 66 Z. 2. Gegen die epikureische wendet sich Sen. epist. 87,19. 58 [Phaedra] v. 190 f. et [sc. deus] qui furentis semper Aetnaeis iugis / versat caminos igne tam parvo calet: […]. 59 So vergleicht sie ihre Liebesleidenschaft mit den Dämpfen in der Kammer des Ätna (v. 101- 103). 60 V. 933-937: licet […] liqueris Boreae minas / post te furentes, sceleribus poenas dabis. 61 V. 1011 f.: non tantus Auster Sicula disturbat freta / nec tam furens Ionius exsurgit sinus / […]. 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 593 Phaedras falsche Anschuldigung angestoßen hat. Der kosmische furor ist also ein Widerhall des menschlichen und sucht dessen Dimension durch ästhetischrhetorische Universalisierung bzw. Amplifikation faßbar zu machen. Er illustriert überdies, wie Phaedras furor sie selbst, ihre Interakteure und damit das gesamte Dramengeschehen beherrscht. Das besagte Chorlied verweist überdies darauf zurück, daß die Amme Phaedras libido - die Polysemie dieses Wortes läßt bereits die destruktiv-transgressive Wirkung anklingen, die Phaedras Begierde im Verlaufe des Dramas entfaltet - mit der allzu großen fortuna erklärt hat (v. 206 f.). Die fortuna wird so ins Ethisch-Soziologische eingebettet. Damit weist die Analyse des Dramas einen markanten Unterschied zu Euripides’ Medea auf, wo die Amme ohne psychosozialen Bezug das Unglück der hohen Häuser aus dem Daimon erklärt hatte (v. 119-130). 7.2.3 Phaedra und die Amme: Offenbarung der transgressiven Libido (furor) und Instrumentalisierung der Exponentin philosophischer Lehre Nach Häufigkeit und analytischer Differenziertheit ist der Dialog zwischen Phaedra und ihrer Amme für den furor am ergiebigsten. In ihm sucht diese ihre Herrin davon zu überzeugen, ihrer Leidenschaft zu entsagen, da diese eine Transgression sei, die nicht einmal fremde barbarische Völkerschaften begingen (v. 165-168). Die soziale und lokale Dimension der Transgression wirkt also auch hier zusammen, hier allerdings klar in der Binnenhermeneutik, um die (sexuelle) Transgression durch Verschiebung an exotische Völker als sensu stricto abwegig zu stigmatisieren. Ähnlich wird Hippolytus auf Phaedras Enthüllung ihrer transgressiven Leidenschaft reagieren (s. 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung). Die Amme versucht auch unter Verweis auf Phaedras Mutter Pasiphae, ihrer Herrin die Transgressivität ihres Verlangens zu vergegenwärtigen. Wie im Oidipus Tyrannos bemüht sie dabei die sexuellen Kombinationsbeschränkungen, die aus dem Inzesttabu erwachsen und eine Fortpflanzung mit dem Sohn als Doppelfunktion verbieten. Die Vermischung dessen, was getrennt zu halten sei, ist hierbei das Entscheidende (v. 171 f.). Diese Grenzüberschreitung stellt die Amme auf eine Stufe mit Pasiphaes (S)Tierliebe. Beide sexuellen Vergehen stuft die nutrix zudem als prodigia ein und stellt sie als Verstoß gegen Naturgesetze sowie monströs dar (v. 174-177). 62 62 cur monstra cessant? aula cur fratris vacat? / prodigia totiens orbis insueta audiet, / natura totiens legibus cedet suis, / quotiens amabit Cressa? […] Es ist völlig verfehlt, wenn Kirichenko 2013: 45 f. aus diesen Versen herausliest, die Amme sehe „in Hippolytus einen neuen Minotaurus“. Denn die Amme entwirft in diesen Versen das emphatische Schreckensszenario, daß aus Phaedras und Hippolytus’ naturwidriger Verbindung ebenso wie bei Pasiphaes mit dem Stier abermals ein Monstrum wie der Minotaurus hervorgeht, der Phaedras Halbbruder war und den Theseus getötet hat, weswegen die Behausung ihres Bruders, das Labyrinth, leer stehe (vgl. Grimals 52 und v.a. Coffey/ Mayers 107 f. Kommentare a.l.). Auch wenn Kirichenko seine Ansicht nicht am Text verortet, gründet sie sich doch wohl auf den ersten (Halb-)Vers. Ihn übersetzt er „Warum halten sich die Monstren zurück? “, wohl in Anlehnung an Thomanns „Warum säumen die Monstren? “. Chaumartins Über- 7. Senecas 594 Phaedra erwidert diesen Appell mit einer Reminiszenz der berühmten Verse, die Medea bei Euripides spricht (v. 1078-1080) 63 und die ebenfalls die Hilflosigkeit der rationalen Einsicht gegenüber dem / furor bekunden. 64 Diesen interdramatischen Bezug stützen drei Argumente: Erstens greift Phaedras Bekenntnis das sequi aus Ovids Version von Medeas Dilemma auf (met. 7,20 f.: video meliora proboque / deteriora sequor.), die sich dort freilich auf ihre erwachende Leidenschaft in Kolchis bezieht. Zweitens begründet Hippolytus seine Misogynie mit Medea, wobei er freilich allgemein auf den Mythos und nicht auf Euripides’ Tragödie Bezug nimmt (v. 563 f., 697). Drittens bietet Euripides’ Hippolytos, welcher der Phaedra stofflich am nächsten steht, keine so einschlägige Parallele wie seine Medea. In dieser Tragödie entschuldigt Phaidra nämlich ihre transgressive Liebe platonisierend als nicht freiwillig (v. 319-324), was ihre Amme mit der Macht Aphrodites begründet (v. 358-361). Zudem führt sie die Tatsache, daß die Menschen das Nützliche zwar wüßten und erkennten (v. 380: ’ ), es aber trotz der allgemeinen Möglichkeit zur Vernunft (v. 379 f.: ’ / ) nicht umsetzten, nicht auf eine schlechter beschaffene Gesinnung (v. 377 f.: / ’ [Diggle; Stockert: ]), sondern auf Lust und Faulheit zurück (v. 377-387: - ). 65 Es geht also sowohl in der Medea als auch in den beiden Bearbeitungen des Hippolyt-Phädra-Stoffes um die Grenzen nicht nur des ethisch-rationalen Subjekts, sondern auch des ethischen Intellektualismus, 66 doch werden die Widerparte ganz unterschiedlich benannt. Qua Impuls ist der furor konträr zur Faulheit, amalgamiert jedoch die Dynamik des mit der appetitiven Aus- setzung („Pourquoi les monstres cessent-ils d’apparaître? “, ähnlich, wenn auch nicht so deutlich, Fitch „Why have monsters ceased? “) und noch deutlicher in einer erläuternden Fußnote Miller heben jedoch eher auf die ungebrochene Familienkontinuität mit dem Minotaurus ab. 63 Näheres dazu s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts in der Medea-Interpretation. 64 V. 177-185 […] quae memoras scio / vera esse, nutrix; sed furor cogit sequi / peiora. vadit animus in praeceps sciens / remeatque frustra sana consilia appetens […] quid ratio possit? vicit ac regnat furor potensque tota mente dominatur deus. 65 William W. Fortenbaugh, Antecedents of Aristotle’s Bipartite Psychology. GRBS 11 (1970) 233-250, h. 240 f. setzt diesen analytischen Passus in Phaidras Monolog dadurch von Medeas berühmtem ab, daß sie kein Fall unkontrollierter Emotionalität sei, sondern als krank dargestellt werde. Deswegen könne dieser Passus auch nicht zur Illustration von Aristoteles’ Frauenbild herangezogen werden. Indes wird auch Medea in der Eingangsszene als körperlich leidend dargestellt (s. 3.2.1 Die Eingangsszene in der Medea-Interpretation). Der entscheidende Unterschied liegt wohl darin, daß Medea durch ihre kontrollierte Emotion auch körperlich leidet, v.a. weil sie ihrem Zorn (noch) keine Genugtuung verschaffen kann, während Phaidra an ihr leidet, weil sie die inzestuöse Liebe zu ihrem Stiefsohn als Transgression verurteilt. 66 Desmond J. Conacher, Euripides and the Sophists. Some Dramatic Treatments of Philosophical Ideas. London 1998, 26-41 sieht denn auch in dieser Szene und in Hippolytos’ Verhalten eine kritische Distanz zu den zeitgenössischen sophistischen und sokratischen Thesen von der Lehrbarkeit der Tugend, distanziert sich jedoch von dem intertextuellen, mehrere Etappen umfassenden dialogischen Disput, den Bruno Snell zwischen Medeas und Phaidras Monolog bei Euripides einerseits und dem Xenophontischen Sokrates und demjenigen der platonischen Frühdialoge andererseits rekonstruiert (Das früheste Zeugnis über Sokrates. Philologus 97 (1948) 125-134, Ds., Szenen aus griechischen Dramen. Berlin 1971, 63-75). 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 595 richtung der sexuellen Libido. Ähnlich untermauert Lefèvre seine Interpretation, Seneca stelle das seelische Dilemma unter stoischen Vorzeichen dar, mit dem Hinweis, daß die euripideischen Vernunftwiderparte und (v. 384) für den Stoiker (Seneca) „nicht in diesen Zusammenhang“ gehörten (1969: 149) und es bei Seneca nur um die Übermächtigkeit des Affekts gehe. Lefèvre verzichtet im Falle der inerten Seelenzustände auf einen dogmatischen Nachweis. Vom philosophischen Idealstandpunkt aus gewinnt Senecas gleichnamige, fragmentarisch erhaltene Schrift dem otium eine positive Seite ab. Freilich verrät diese günstige Darstellung der Muße eher peripatetischen Einfluß, und der Philosoph aus Córdoba verwahrt sich eingangs gegen den Vorwurf des Überlaufens (ot. 1,4). Senecas philosophische Schriften erklären also den Umstand, daß die Muße nicht zur Ursache des Übels erhoben wird; (senecanisch-)stoisch, wie Lefèvre insinuiert, ist diese freundliche Sichtweise gleichwohl nicht. Im Unterschied zu Euripides’ Medea benennt Senecas Phaedra den Verstand terminologisch exakt und formuliert dessen Hilflosigkeit eindeutig als Unterliegen (v. 184 f.: vicit ac regnat furor, / potensque tota mente dominatur deus.), was der Herrschaft des furors über die mens den Weg bereitet. Der Gedanke des Unterliegens und Beherrschtwerdens, der bei Euripides in einer ambivalenten Formulierung zusammengefaßt ist (v. 1079: ), wird bei Seneca durch die Verteilung auf die zwei univoken Verballexeme vicit ac regnat expliziert. Die Gewalt des furors und seine Herrschaft über den Verstand in Senecas Darstellung tritt durch den Vergleich mit Euripides also klar hervor. Die Herrschaft der Leidenschaft über den vernünftigen Seelenteil ist denn auch die stoizierende Interpretation der Verse, in denen Medea ihr Dilemma bekundet, und Jörn Müller wertet unsere Phaedra-Verse als Ausdruck für das von ihm ausgemachte stoische Theorem einer auf Persistenz des Affektes beruhenden synchronen Willensschwäche, 67 mit dem man seiner Meinung nach auch die fraglichen Euripides-Verse über Medeas Dilemma deuten kann (Näheres s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts in der Medea-Interpretation). Höchst aufschlußreich ist auch eine synoptische Betrachtung, wie das Unterliegen unter die irrationalen Kräfte formuliert wird. Euripides’ Medea spart dies aus, seine Phaidra spricht von Handeln (v. 378: ’), Senecas Phaedra dagegen von ‚folgen‘ (v. 178). Damit bereitet sie nicht nur das nachfolgende nautisch-hodologische Simile (v. 181- 183, s.u.) vor, sondern greift, wie gezeigt, die identische Formulierung der ovidischen Medea auf. Auch seine eigene Medea folgt wie Phaedra bei ihrer Transgression ihrer Leidenschaft (v. 953: ira, qua ducis, sequor). Dies ist, was auch bei Lefèvre 1981: 32, 36 anklingt, eine Perversion der stoischen Gott- und Schicksalsergebenheit, die ebenfalls mit ‚folgen‘ formuliert wird, nicht nur in Kleanthes’ iambischem Trimeter, den Seneca selbst ins Lateinische übertragen und um einen fünften Vers erweitert hat (SVF I 527 = epist. 107,10), sondern auch in den Luciliusbriefen (epist. 96,2: non pareo deo, sed adsentior; ex animo 67 „Doch mein Zorn ist Herrscher über meine Pläne“ - Willensschwäche aus Sicht der Stoiker. In: Ds., Roberto Hofmeister Pich (Hgg.), Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike. BzA 287. Berlin 2010, 45-68, h. 57 f. 7. Senecas 596 illum, non quia necesse est, sequor). Die Zustimmung kann, wie aus diesem Satz hervorgeht, sinnvoll nicht zu einer Leidenschaft, sondern zu der Gottheit erfolgen. Die Perversion stoischer Ethik wird besonders deutlich daran, daß Senecas Medea nicht nur das menschliche Folgen aufgreift, sondern auch der höheren Macht, die bei ihr in völliger Verkehrung der stoischen Ethik die von Seneca aufs heftigste bekämpfte Leidenschaft des Zornes ist, - wie im ersten Vers des Trimeters Gott (duc, o parens celsique dominator poli) - ein Führen zuschreibt. Daß die Verballexeme zwischen Ovid, Senecas Dramen und der Stoa gegen Euripides und insonderheit zwischen Senecas Dramen und der Stoa übereinstimmen, zeigt, wie in Senecas Dramen die stoische Lehre dazu dient, ein ästhetisch Böses in der lateinischen Literatur abzugrenzen und auszubauen. Lefèvre macht denn auch Senecas Moralphilosophie für das Verständnis seiner Dramen (wobei er den furor nicht berücksichtigt) fruchtbar und arbeitet so durch den Vergleich der Phaedra mit Euripides’ Version dieses Stoffes heraus, daß Phaedras Wissen um ihre Ohnmacht gegenüber dem Affekt das entscheidende Merkmal von Senecas Version sei. Sie entspreche insofern exakt Senecas Stoizismus, als die ratio gegen den einmal voll entwickelten Affekt machtlos sei, wofür Lefèvre treffend auf epist. 85,9 68 verweist (1969: 149). Daß „die ratio auch Einsicht in die Leidenschaft gewinnt“, wie Lefèvre dort auch annimmt, steht strenggenommen nicht im Text, in dem Phaedra nur deren Ohnmacht bekundet (v. 184: quid ratio possit? ). Das entscheidende Moment bleibt also dieses Wissen um die Ohnmacht der ratio. Noch weniger kann ich dem Freiburger Latinisten folgen, wenn er anknüpfend an diese Einschätzung Phaedra bei Seneca moralisch aufgewertet sieht: Sie hebe sich trotz der Verdammenswürdigkeit ihres Verhaltens nach stoischen Maßstäben von „Medea und Atreus, die sich bewußt zu den scelera verstehen, aber die Verkehrtheit ihres Handelns nicht einsehen, [...] großartig und in einer für Seneca einmaligen Weise ab. Ihr Handeln darf man zu der dritten Stufe [sc. der von Lefèvre entwickelten moralischen Reihe senecanischer Protagonisten] zählen, da es mit der Erkenntnis seiner Verderbtheit verbunden ist“ (1969: 150). Daß sie anders als Hippolytus und Theseus nicht blind für ihren Irrtum sei (1969: 154), ist ein zweischneidiges Argument, da sie den Vater täuscht und den Sohn durch Ambivalenzen zu verleiten sucht. Senecas Innovation, daß „Phaedra 596 f. erwägt, Hippolytus zu heiraten, da Theseus als tot gilt (254, 623ff.),“ dient keineswegs, wie Lefèvre vermutet, „zu Phaedras Entlastung“ (1969: 153), sondern erweist sich bei genauer Lektüre als Teil ihrer Figurenrhetorik, deren negative Rolle bei der Figurenzeichnung Lefèvre massiv unterschätzt. Denn Theseus’ Tod ist - unbeschadet der Tatsache, daß seine anders als seine Orakelreise in Euripides’ Stephanophoros die physische Eliminierung als Folge der räumlichen wesentlich wahrscheinlicher erscheinen läßt - an den besagten Stellen keine allgemeine intersubjektive Gewißheit, die von allen Dramenfiguren geteilt wird, vielmehr ist es Phaedra, die suggeriert, Theseus’ Aufenthalt in der Unterwelt könne von Dauer sein. Wie wenig diese Annahme auf gesicherten Tatsachen beruht, sondern von Phaedra 68 si ratio proficit, ne incipient quidem affectus; si invita ratione coeperint, invita perseverabunt. Facilius est enim initia illorum prohibere quam impetum regere. 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 597 willkürlich behauptet wird, geht auch daraus hervor, daß sie an den beiden Stellen rhetorisch dazu dient, ihre transgressive Leidenschaft zu verwirklichen, so in v. 622 f. (sinu receptam supplicem ac servam tege: / miserere viduae) gegenüber ihrem Stiefsohn und in v. 254 (virum sequamur, morte praevertam nefas) gegenüber der Amme. Daß Phaedra an dieser Stelle mit Selbstmord droht, um die Amme zur gefügigen Komplizin zu machen, legt nahe, daß sie auch mit dem Tod ihres Gatten nur rhetorisch spielt. Wie wenig weiterhin das Motiv des Götterzorns zu Phaedras, von Lefèvre angenommener Entlastung (1969: 151-154) beiträgt und wie sehr es sie umgekehrt belastet, weil es zu ihrer offensiven Aneignung und ihrem ostentativen Vertreten des transgressiven Affekts gehört, ist weiter unten in 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra dargelegt. Nach dem Tenor der vorliegenden Untersuchung dienen die Männergestalten wie in Senecas Medea dazu, die Verworfenheit der Protagonistin herauszupräparieren: In der Medea geschieht dies durch eine deutliche Aufwertung Iasons, der aufgrund seiner sorgenden Intention um die Kinder vor ein tragisches Dilemma gestellt ist, 69 in der Phaedra durch deren Wissensvorsprung und Täuschung von Vater und Sohn. Wichtiger als der explizite Inhalt und seine philosophiehistorische Klassifikation 70 ist m.E. die Darstellung und Fokussierung der moralischen Devianz und die damit einhergehende Figurenzeichnung, die hier zur Debatte steht, für das Verständnis der Phaedra. Daß der Nichtphilosoph Euripides seine Phaidra sich ausgehend von ihrer eigenen libidinösen Devianz auf die allgemeine Ebene einer anthropologischen Ätiologie der moralischen Transgression aufschwingen läßt, ist ein markanter Gegensatz zur Phaedra des Philosophen Seneca, bei der dergleichen Reflexionen fehlen, und spricht gegen Lefèvres These von der philosophischen Exemplarität der Seneca-Dramen (1969: 132). Daß Seneca Phaedras Affekt in voll entwickeltem, nicht mehr zu bezwingendem Zustand offenbar werden läßt, mag der dramatischen Vorlage geschuldet sein. Und doch ist es sehr markant, daß Senecas Phaedra keine Bemühungen zur frühen Affektunterdrückung berichtet oder - anders als Euripides’ Phaidra, die nicht einmal Hippolytos’ Namen nennt, sondern ihn nur umschreibt (v. 351 f.) - wenigstens Anstalten zu seinem Verschweigen unternimmt, sondern ihn mitteilt, entschuldigend erklärt und taktisch an seine Verwirklichung geht. Dieser entscheidende, durchgehende Punkt in Phaedras Verhalten bleibt bei Lefèvres Urteil, „daß Seneca nicht wieder eine Person, deren Affekte er als Stoiker zweifellos verurteilen muß, mit so viel Sympathie und positiver Betrachtung gezeichnet hat“ 69 Reinhard von Bendemann, Die kritische Diastase von Wissen, Wollen und Handeln. Traditionsgeschichtliche Spurensuche eines hellenistischen Topos in Römer 7. ZNTW 95,1-2 (2004) 35-63, h. 50-52. 70 Boyle 1997: 26-28 bestreitet anhand von v. 85-128 der Phaedra zu Recht, die Beschreibung seelischer Vorgänge in Senecas Dramen solle philosophische oder gar stoische Konzepte exemplifizieren. Seine Formulierung, Senecas tragische Welt sei kein Symbol einer Welt außerhalb ihrer selbst, sondern ein Bild dieser Welt, bringt treffend auf den Punkt, daß Senecas Dramen keine bloßen Inszenierungen seiner Philosophie sind, und wahrt deren künstlerische Eigenständigkeit. Dem tun allerdings auch Korrespondenzen in der Weltsicht zwischen dramatischem und philosophischem Werk keinen Abbruch, da sie sich auf der material-quellenkundlichen und nicht der intentionalen Ebene bewegen. 7. Senecas 598 (1969: 154), völlig unberücksichtigt. Auch wenn Seneca in epist. 85,12, das Lefèvre 1969: 154 pauschal für die Hilflosigkeit der ratio gegenüber dem Affekt heranzieht, Entstehung, Entwicklung und Größe der adfectus nicht in unserer Gewalt (in nostra potestate) sieht, so hat der Mensch doch insofern Einfluß auf sie, als er ihren Anfang gestattet hat, aus dem dann die gesamte nicht mehr zu kontrollierende Entwicklung folgt (permisisti incipere). In diesem entscheidenden Punkt liegt nach stoischer Lehre Phaedras kardinales Versagen. 71 Die Schlußworte, die anordnen, Phaedra tief unter der Erde zu begraben, die auf dem frevlerischen Haupt lasten solle (v. 1279 f.), lassen keinen Zweifel an Phaedras grundsätzlicher Verurteilung, welche dieses Drama, wie Zwierlein herausgearbeitet hat (1987: 6), mit den übrigen lateinischen Dichtern teilt (Verg. Aen. 7,765-769 [v.a. 765 f.: arte novercae / occiderit patriasque explerit sanguine poenas]; Ov. met. 15,497-546; Iuv. 10,324-329). Besonders eindeutig ist die Verteilung der Verantwortung und faktisch-kausalen Rollen zwischen den drei Hauptfiguren in Ovids Formulierung, die Zwierlein zitiert (v. 498 f.: credulitate patris, sceleratae fraude novercae / occubuisse neci). Daß hier Hippolytus selbst spricht, tut diesem Urteil keinen Abbruch, da er es als Gerücht einführt. In Horaz’ Oden wird denn auch auf Hippolytus’ Integrität abgehoben (carm. 4,7,25 f.: infernis neque enim tenebris Diana pudicum / liberat Hippolytum). Die Verteilung der moralischen Wertung zwischen Phaedra und ihrem Stiefsohn ist also bei den kaiserzeitlichen Dichtern dieselbe wie in der vorliegenden Interpretation von Senecas Phaedra. Die Amme gibt Phaedra exakt gemäß Senecas moralphilosophischer Analyse der Pathogenese den Rat, die Leidenschaft am Anfang zu bekämpfen und so Sieger zu bleiben. Sie wählt also dieselbe agonale Semantik wie Phaedra in ihrer Erwiderung, statt sie durch Willfahren zu nähren (v. 130-135). Senecas stoische Pathogenese läßt sich mithin nicht nur für die Plausibilität der Vehemenz des mittlerweile unkontrollierbaren furors heranziehen. 72 Da sie mit der Binnenhermeneutik übereinstimmt, hilft sie auch, das Böse in der Kunst zu konturieren, dem Phaedra zuzurechnen ist, da sie den Affekt vor Beginn des Stückes fahrlässig wachsen läßt und mehr noch in seinem Verlauf ihn rhetorisch und praktisch bejaht. Diese Zuordnung gilt unbeschadet der im Drama selbst markanterweise nicht unisono geklärten Frage, ob die Erstentstehung (nicht Entwicklung) der Leidenschaft (un-)freiwillig sei (wobei Phaedras von der stoischen Lehre der Amme abweichende Erklärungen sie eher bereits dem ästhetisch Bösen zuschlagen, statt sie zu entlasten). Daß die Appelle der Amme gemäß Senecas zitierter Analyse der Pathogenese nichts fruchten können, weil sie zu spät erfolgen, dient deshalb nicht einfach Phaedras Entlastung, sondern gehört bereits zu den in diesem Stück so durchgehenden dramatischen Gestaltungsmitteln der Diskre- 71 So auch Garbarino 2001: 33. 72 Charles Segal, Boundary Violation and the Landscape of the Self in Senecan Tragedy. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 315-336, h. 328 arbeitet treffend heraus, daß diese Unkontrollierbarkeit des lange vergeblich unterdrückten furors und der Souveränitätsverlust an ihn durch das Bild des Feuers und des Einschlusses, auch im Labyrinth, in den Szenen der Amme und Phaedras (v. 122, 362 f.) deutlich werde. 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 599 panz, hier im zeitlichen Bereich. 73 Wie hilflos Phaedras Amme gegenüber dem ausgebrochenen furor ist, zeigt ihr nachfolgender Appell, ein Maß der Verfehlung zu halten, falls der ethische Voluntarismus versage (v. 140 f.: Honesta primum est velle nec labi via, / pudor est secundus nosse peccandi modum). Ebendies ist nach Senecas Theorie der Pathogenese nicht mehr möglich, wenn die Leidenschaft entfacht ist (epist. 85,12: numquam perniciosa servant modum). Die Exzessivität der transgressiven Leidenschaften, die Hippolytus’ hyperbolische Rhetorik in der Phaedra auch genealogisch komparativisch formuliert (v. 688), kehrt hier zuvor in der ethischen Pathogenese ebenfalls mit diachron-komparativem Aspekt wieder (epist. 85,12: ista, quamvis exigua sint, in maius excedunt). Zwierlein 1987: 7-17 hat durch minutiöse intertextuelle Vergleiche mit Euripides’ Stephanophoros, anderen Seneca-Dramen, Ovids Metamorphosen und Euripides’ Medea mustergültig und kaum widerlegbar Phaedras Affinität und mangelnde Distanz zu ihrer transgressiven Libido herausgearbeitet, die sowohl bei der theoretischen Reflexion (v.a. beim Vergleich mit Pasiphae) als auch bei der Selbstmorddrohung, die Zwierlein als Trugrede entlarvt, auf praktische Umsetzung ziele. 74 Hanna M. Roismans Versuch, die Zwierlein unberücksichtigt läßt, Senecas Phaedra in Abgrenzung zur Phaidra selbst des euripideischen Stephanophoros als moralisch integer herauszuarbeiten, 75 ist insgesamt wenig überzeugend, da sie viele rhetorische Nuancen in der Figurenzeichnung übersieht, verdient aber - selbst auf die Gefahr gewisser Redundanzen - der abgrenzenden Klarheit und Vollständigkeit halber deshalb und gerade wegen des palinodischen Moments, das sie bei Senecas Chor aufspüren will, zusammenhängend 73 Pace Andreas Heil, der das geordnete Nacheinander der Zeit in Senecas Dramen (Die dramatische Zeit in Senecas Tragödien. Habil. Dresden 2010. Mnemosyne Suppl. 357. Leiden 2013, 8) und daran anknüpfend die Konsistenz von deren „Handlungsgefüge“ herausarbeitet (S. 225). Da Heil den Thyestes, den Hercules furens, die Troades und die Medea, nicht aber die Phaedra untersucht, erübrigt sich der durchaus reizvolle Abgleich unserer Ansätze en détail. Grundsätzlich berechtigt ist Heils Forderung, die Figurenperspektive zu berücksichtigen (2013: 11). Doch während diese ihm dazu dient, die Anomalien der Zeit als subjektiv zu regularisieren, läßt sich die Zeitverschiebung m.E. in der Phaedra als Teil der Transgressivität der Titelheldin deuten. Nicht nur an der vorliegenden Stelle, wo sie faktisch zu viel Zeit hat verstreichen lassen, bevor sie sich ihrer transgressiven Leidenschaft stellt, sondern auch bei Theseus’ Abwesenheit (v. 91 f.), die eine zeitliche und räumliche Distanz schafft und von Phaedra suggestiv autoapologetisch bemüht wird, bevor sie ihre transgressive Leidenschaft offenbart. Sie ist es also, die den Blick auf die zeitliche Diskrepanz richtet, und ist nicht, wie von Heil allgemein angenommen, das Opfer einer falschen Wahrnehmung. Die Manipulation der zeitlichen Diskrepanz und ihrer Wahrnehmung setzt auch im Bereich der Zeit Phaedras Souveränität im Transgressiven fort, die sich auch hier als das untragische Gegenteil der tragischen Zeitdiskrepanzen in der attischen Tragödie erweist (zu diesen vgl. Ulf Heuner, Tragisches Handeln in Raum und Zeit. Raum-zeitliche Tragik und Ästhetik in der sophokleischen Tragödie und im griechischen Theater. Diss. Leipzig 1999. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 14. Stuttgart 2001, 189) 74 Auch Littlewood entlarvt in v. 240-3 treffend Phaedras „playful triviality“ und „tortured logic“, die fälschlicherweise ihre Leidenschaft zu einer dramatischen Notwendigkeit erhebe und in einen familiären Mythos einwebe (2004: 52). 75 A New Look at Seneca’s Phaedra. In: Seneca in Performance. Ed. by George W. M. Harrison. London 2000, 73-86, h. 73-77. 7. Senecas 600 besprochen zu werden. Daß Phaedra auf Theseus’ zweifelhafte Treue hinweist (v. 91 f.) und ihre eigene Untreue nicht explizit mit dieser rechtfertigt, ist keinesfalls, wie Roisman meint (2000: 74), ein Indiz dafür, daß ihr eheliche Treue generell wichtig sei, sondern dokumentiert ihre präventive Autoapologetik, deren rhetorischen Charakter die von Roisman vernachlässigte Ironie (quam solet … fidem) offenbart. 76 Die Ironie erübrigt denn auch die Explikation der implizierten und sich im weiteren Dramenverlauf praktisch manifestierenden conclusio. Sie besteht darin, daß Phaedra sich durch die Untreue, die sie allerdings bislang nur selbst konstruiert hat, von der Treuepflicht entbunden sieht. Weiterhin rechtfertigt Senecas Wortlaut nicht Roismans Fortsetzung der Apologetik, Phaedra sehne sich nach einem ordentlichen Leben, in dem sie ihre textilen und kultischen Pflichten als Ehefrau erfüllen könne (2000: 74), da in den betreffenden Versen kein Konjunktiv, Klagelaut o.ä. steht, sondern sie bloß das Brachliegen der besagten Tätigkeitsfelder konstatieren (v. 103-109). Phaedras Äußerungen dienen somit nur der Pathologie der Leidenschaft und der Ekphrasis des mänadisch-evasiven furors (v. 110 f.; Näheres s.u. und 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors), der im normativkonventionellen Bereich lähmend wirkt. Diese Pathologie der transgressiven Leidenschaft macht klar, daß diese Phaedras normative Rollenidentität untergräbt, die sich hier im gender-Bereich bewegt. Es ist in höchstem Maße konsequent, daß die Abwesenheit des Gatten nicht nur eine affektive Umorientierung der zurückgelassenen Gattin auf ein ähnliches Objekt, sondern auch eine Aufgabe der Gattinnenrolle ermöglicht. Der Verlauf des Dramas bestätigt die Reichweite der semiotischen Anthropologie: Der furor läßt das normative soziale signifié fortfallen. Dies führt in letzter dramatischer Konsequenz auch dazu, daß das körperliche signifiant sich selbst durch den furor zerstört bzw. eliminiert. Völlig am Text vorbei zielt es schließlich, wenn Roisman 2000: 74 f. die Verkürzung von Phädras weidmännischen Gelüsten von 40 Versen bei Euripides (v. 198-238) auf zwei bei Seneca (v. 110 f.) als Beleg für den „shift in emphasis from the lustful queen of Euripides’ play“ wertet. Diese Aussage ist bereits numerisch falsch, weil Senecas Phaedra sich im folgenden als Jägerin oder skythische Amazone sogar kostümiert (v. 387-403). Numerisch wie inhaltlich spricht der Text des euripideischen Hippolytos eklatant gegen Roismans These: Die Länge kommt nur durch den Dialog mit der Amme zustande, welche die Hälfte des Dialogs bestreitet. Zudem dokumentiert Phaidras evasives Bestreben keinesfalls, wie heftig sie nach ihrem Stiefsohn verlangt, sondern soll dieses Verlangen über die langatmige Beschreibung der Symptomatik verschleiern und zögert in jedem Fall dessen Offenbarung dramatisch hinaus. Roisman kann keinerlei Belege für ihre Behauptung beibringen, Senecas Phaedra ringe („wrestling“) mit ihrer Liebe (2000: 75). Ebenfalls vollkommen textfern operiert Roismans Argumentation, die Selbstmorddrohung von Euripides’ Phaidra diene dazu, die 76 Daß die Rhetorik der Figurenzeichnung dient und nicht den Standpunkt des Dramas (oder gar des Dramenautors) ausdrückt, übersieht Roismans Formulierung (2000: 77): „Euripides minimizes Theseus’ sexual escapades; Seneca emphasizes them.“ 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 601 Amme so zu manipulieren, daß sie Hippolytos ihre Liebe offenbare (2000: 75), da Phaidra den Selbstmord anders als ihr senecanisches Analogon vollstreckt, das ihn bei Hippolytus’ Verleumdung ein weiteres Mal bloß androht und erst nach dessen Tod am Ende des Stückes vollzieht. Daß das Lied, welches der Chor nach der Unterredung zwischen Phaedra und der Amme singe, bei der mythologischen Deutung Amors die Königin gegen ihre Amme unterstütze (Roisman 2000: 75-77), hält ebenfalls einer genaueren Betrachtung nicht stand. Bereits Lefèvre hat durch eine genaue Lektüre des Chorliedes herauspräpariert, daß dieses anders als im ersten Stasimon des Stephanophoros (v. 525-564), für das Eros nicht grundsätzlich ein Übel bedeute, Amors Allmacht gut stoisch problematisiere. Dies kann der Freiburger Latinist an der Wortwahl von Amors Vorstellung wie impotens (v. 276), lascivus (v. 277), furor (v. 279, bei Zwierlein freilich athetiert), vorat (v. 282), nulla pax (v. 283) festmachen (1969: 156). Zwar schildert der Chor inhaltlich - wie Phaedra selbst in apologetischer Absicht (v. 186-194) - die Gewalt, die Amor über Götter ausübe. Treffend hat Zimmermann zusammen mit der Einbettung dieses Chorliedes in die Handlung gezeigt, daß Jupiters Erniedrigung, um seine Liebe zu verwirklichen, diejenige Phaedras bei der Antragsszene vorbereite (1990: 205 f.). Daß Jupiter hierbei die Form eines Stieres oder Schwans angenommen habe (v. 299-308), widerlegt jedoch nicht den Hinweis der Amme auf die parallele Monstrosität von Pasiphaes Liebe, wie Roisman meint (2000: 76 f.). Denn Phaedra hat diese selbst erwähnt und der Göttervater sich bloß verwandelt (v. 299: Induit formas … minores). Pasiphaes Sodomie unterscheidet sich also grundlegend von Europas und Ledas, da sie anders als die vorgenannten (v. 308: rapina) willentlich und wissentlich mit einem echten (S)Tier kopuliert, der kein verwandelter Gott ist und dessen Überleben ohnehin ein Frevel gegen die Götter ist. Die diametralen Positionen der Geschlechtspartner der Menschenfrauen in der ontologischen Hierarchie lassen sich in Abwandlung eines bekannten Sprichwortes auf die Formel bringen: Quod licet cum Iove non licet cum bove. Wenn Roisman in diesem Zusammenhang argumentiert, Phaedras Begierde nach ihrem Stiefsohn sei nicht so unnatürlich wie diejenige nach einem Tier (2000: 76), so läßt sie außer acht, daß der Chor auch Jupiters doppelte Vereinigung mit Alcumena zumindest suggeriert (v. 309-317), bei welcher der Göttervater eine menschliche Gestalt angenommen hatte. Das Chorlied zeigt also, um auf die oben angedeutete Stärkung der Dramaturgie und Ästhetik zurückzukommen, unbeschadet möglicher apologetischer Implikationen die furor-inspirierende Macht der Liebe und außerdem intrawie metatheatralisch (vgl. v. 387-403) die Notwendigkeit des Rollenwechsels und Spiels im Spiel für den transgressiv Liebenden. Daß Senecas Phaedra schließlich moralischen Mut beweise, indem sie am Ende des Dramas gegenüber Theseus und Hippolytus (? ) ihren Fehler eingestehe (Roisman 2000: 76), wird dadurch subvertiert, daß sie einen Großteil der Schuld auf Theseus abschiebt (v. 1164-67, 1191 f., Näheres s. 7.2.9 Hippolytus’ juridische und physische Integritätsrestaurierung, Phaedras Selbsteliminierung und Theseus’ Charakterschwäche). Insgesamt kann also Roismans komparatistische Ehrenrettung Phaedras noch weniger überzeugen als Lefèvres moralphilosophische. 7. Senecas 602 Immerhin könnte man in Roismans Spur die Anklage der göttlichen Weltordnung im Chorlied vor der Nachricht von Hippolytus’ Tod vincit sanctos dira libido (v. 981) ambivalent deuten: Zum einen ließe sich dieser Vers so interpretieren, daß Hippolytus trotz seiner moralischen Integrität der dira libido seiner Stiefmutter zum Opfer fällt. Hierfür spricht auch die Fortsetzung im nächsten Vers fraus sublimi regnat in aula. Zudem ist wegen der kontextuellen Einbettung nach dem Fluch des Vaters und vor der Todesnachricht der Bezug auf Hippolytus eindeutig. Er wird auch durch den Tenor des Chorliedes gestützt, der auf die zur moralischen Integrität kontingente Verteilung äußerer Güter abhebt. Zum anderen ließe sich dieser Vers isoliert auch wegen der lexikalischen Übereinstimmung zur vorliegenden Stelle (vicit ac regnat furor) und der inhaltlichen Parallele zu Phaidras Erklärung, die Devianz entspringe nicht charakterlichen Defiziten und könne durch das Wirken Aphrodites selbst die Vernünftigen ergreifen, als Entlastung Phaedras auffassen. 77 Gegenüber der rationalen Präzisierung von Sieg und Herrschaft der Liebesleidenschaft (v. 184 f.) bietet Seneca eine poetische Ergänzung der psychologischen Interpretation der Transgression: Zwischen die beiden Stellen, die von der Gewalt des furors handeln, ist ein Bild geschaltet. Es handelt von einem Schiff, das in zu starker Strömung abtreibt und dessen Schiffer vergeblich gegen diese vorwärts zu kommen sucht (v. 181-183). Das impulsive und hodologische Moment der Transgression wird so in ein Bild gefaßt. Seneca hat es offensichtlich aus Vergils Georgica übernommen (1,199-203). 78 Die Unterschiede sind intertextuell-hermeneutisch erhellender als diese positivistische Quellenbestimmung: Vergil verdeutlicht mit dem Bild vom Kahn, der abtreibt, wenn die Arme des Ruderers nachlassen, die degenerierende Kraft der fata, Seneca dagegen aus der verinnerlichten Perspektive des betroffenen personalen Subjekts dessen unwiderruflichen Kontrollverlust. Die optimistische Implikation, daß dieser keineswegs unvermeidlich ist, suggeriert die zweite Stelle, an der Seneca dieses Bild aufgreift und die den Lucilius-Briefen entstammt (epist. 122,19). 79 Diesen Brief beschließt der Philosoph aus Córdoba mit den Worten: contra illam [sc. naturam] nitentibus non alia vita est quam contra naturam remigantibus. Die äußere Kraft, welche bei Vergil noch als Herausforderung erscheint, die mit körperlicher Anstrengung überwunden werden kann (georg. 1,202: si bracchia forte remisit), wird hier zur Richtschnur, der gegenüber man besser auf Widersetzlichkeit verzichtet und deren Richtung man sich bloß anvertrauen muß, um das Telos des Menschseins und eine existentielle Integrität zu erreichen. Phaedra müßte also bloß der Natur folgen oder hätte sich beizeiten dafür entscheiden müssen, bevor die Leidenschaft übermächtig wurde. 80 Die Amme hatte ja bereits 77 Der Bezug von v. 981 scheint gleichwohl so eindeutig zu sein, daß er in keinem Kommentar (Grimal, Coffey/ Mayer, Zwierlein) thematisiert wird. 78 Für weiterführende abundante Sekundärliteraur zu diesem Bild s. Coffey/ Mayer 181 a.l. 79 Grimal 53 a.l. 80 Ebenso erscheint die Leidenschaftlichkeit in Senecas Medea - entsprechend der stoischen Auffassung, sie sei eine „Pervertierung der menschlichen Natur“ (Schmitt 1994: 580) - als Verkehrung der Natur (Schmitt 1994: 576-578, der für dieses Motiv bei Seneca auf Christine Schmitz, Die kosmische Dimension in den Tragödien Senecas. Diss. Bonn 1991. Untersuchun- 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 603 auf die Naturwidrigkeit ihres Begehrens hingewiesen (v. 176 f.: natura totiens legibus cedet suis, / quotiens amabit Cressa? ), und auch die Epistel, die mit dem Schifferbild schließt, wettert gegen die pravitas und Freude am Verkehrten (perversa) und dagegen, möglichst weit vom Richtigen abzuweichen und sich anschließend im Gegenteil zu positionieren (epist. 122,5). Sie formuliert das stoische Philosophem der also wie das Drama hodologisch. 81 Das Simile zeigt denn auch, daß der furor Phaedras Handeln und konkreter sogar ihren Lebensweg diktiert. 82 Es tritt nämlich bereits in Phaedras erster Erwähnung der desubjektivierenden Gewalt des furors (v. 178 f.: furor cogit sequi / peiora.) und des Kontrollverlusts des animus (v. 179 f.: vadit animus in praeceps sciens / remeatque frustra sana consilia appetens) zutage, der vom furor fremdbestimmt wird. Diese hodologische Fremdbestimmung des animus durch den furor deutet sich ganz lokal konkret bereits in Phaedras Kommentar ihres Evasionsbedürfnisses an (v. 112: Quo tendis, anime? quid furens saltus amas? ), das den furor eindeutig zum Agens der transgressiven, weil die häuslichen und religiösen Pflichten vernachlässigenden Evasion macht. Die Fragen zeigen Phaedras Dissoziation von ihrem animus und zumal das hintergründige quid ihre Ratlosigkeit gegenüber dem Phänomen, das sie befallen hat. Die Anrede des animus stellt diese dem Ich bewußte Desubjektivierung in eine lange Tradition, wobei Odysseus, Archilochos und Euripides’ Medea ihr Inneres nicht verzweifelt befragen, sondern an es psychagogisch appellieren (s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts im Kap. zu dieser Tragödie). Dem animus fehlt die impulsiv-dämonische Komponente des , die hier vom furor übernommen wird und dessen Objekt er wird. Die Feststellung dieser Desubjektivierung im Dialog ist besonders augenfällig, da der animus in Senecas philosophischen Schriften ein Kernbegriff für die Selbstbestimmung dank Selbstreflexion und Selbstsorge ist. 83 Phaedras Argumentation von der überwältigenden, unwiderstehlichen Macht des transgressiven furors tritt ihre Amme entgegen, die auf rationale Affektkontrolle und soziale Konformität dringt. Sie mahnt, wie bereits besprochen, das gen zur antiken Literatur und Geschichte 39. Berlin 1993 verweist, die kurz und im Einklang mit der hier vorgelegten Interpretation auf die Reaktion der Amme auf Phaedras Geständnis eingeht [S. 149-151]). In der Phaedra hebt freilich nicht wie in anderen Tragödien die naturwidrige Leidenschaft die gesamte Weltordnung aus den Angeln, vielmehr manifestieren sich die Naturwidrigkeit und Perversion nur reichlich in kleinerem Rahmen in Form der Monstrosität. 81 Sen. vit. beat. 5,2: ratio […] prava et […] in perversum sollers; Cic. Tusc. 3,2; SVF III 229, vgl. SVF III 231 = Sen. epist. 115,11 f. ((Primär-)Sozialisation, vgl. Sen. epist. 60,1). S. Adolf Bonhöffer, Epictet und die Stoa. Untersuchungen zur stoischen Philosophie. Stuttgart 1890, 115 f., 119, 141, 274 f. und Ds., Die Ethik des Stoikers Epictet. Stuttgart 1894, 142 Anm. 11, Maximilian Forschner, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System. Darmstadt 2 1995, 119 und Brad Inwood, Pierluigi Donini, Stoic Ethics. In: Keimpe Algra, Jonathan Barnes, Jaap Mansfeld, Malcolm Schofield (Hgg.), The Cambridge History of Hellenistic Philosophy. Cambridge 1999, 675-738, h. 708 f. 82 Ähnlich sieht Schmitt 1994: 575 in Senecas Tragödien den Schicksalsweg der Figuren durch die Zustimmung zur Leidenschaft bestimmt. 83 Vgl. die Stellen bei Jula Wildberger, Seneca und die Stoa: Der Platz des Menschen in der Welt. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 84. 2 Bde. Berlin 2006, Bd. 2, 767 f. 604 schändliche Liebesleiden am Anfang entschlossen zu bekämpfen und auszulöschen und so Sieger zu bleiben, statt es zu nähren (v. 130-135). Sie empfiehlt also das Gegenteil des Verhaltens von Euripides’ Medea, die ihre Racheleidenschaft durch Willfahren erst zu einer sie überwältigenden, desubjektivierenden Macht gestärkt hat, und argumentiert auf der Grundlage der stoischen Psychologie, nach welcher der Affekt zu seiner Entstehung der Zustimmung des betreffenden Menschen bedarf (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen). 84 Daß die Amme die Stimme lebensweltlicher Sozialkonformität erhebt und zum Nachgeben rät, das den Konflikt entschärfen und die Transgression vermeiden würde, ist ein gängiges Mittel, um die Entschlossenheit und den Impetus des herrscherlichen Strebens herauszuarbeiten. So kontrastiert auch die Amme in Euripides’ Medea das furchtbare und zerstörerische Wollen und Zürnen der Machthaber mit dem langen Leben in Gleichheit und Maß (v. 119-130). In Senecas Phaedra entlarvt sie jedoch das Liebesverlangen als furor. Dazu verwendet sie stoische Schlüsselbegriffe (vitium, turpis) und adaptiert die Prodikos zugeschriebene „rationalistische Erklärung der Entstehung des Götterglaubens“, die Menschen hätten nutzbringende Objekte vergöttlicht, 85 indem sie den Gott Amor auf menschliches Streben reduziert. 86 Zudem rekurriert sie auf Sene- 84 Diese dogmatische Übereinstimmung zwischen der Darstellung der Medea und der stoischen Psychologie der Pathogenese („[d]as bewußte geistige Tun des Menschen“) arbeitet auch Schmitt 1994: 583 unter Rückgriff auf De ira (1994: 585 Anm. 43) heraus. In der Phaedra liegt die Zustimmung der Protagonistin zu der fatalen Leidenschaft jedoch vor der Bühnenhandlung und wird von dieser identifikatorisch als Faktum präsentiert. Dieses psychologische Theorem dient also nicht potentiell nur als Apotropäum, sondern entfaltet eine dramenästhetische Brisanz, da es der Konstruktion des literarisch Bösen dient. 85 George B. Kerferd, Hellmut Flashar, Die Sophistik. In: Hellmut Flashar (Hg.), Sophistik, Sokrates, Sokratik, Mathematik, Medizin. Von Klaus Döring, Hellmut Flashar, George B. Kerferd, Carolin Oster-Grote, Hans-Joachim Waschkies. Basel 1998, 1-137, h. 60. 86 v. 195-197: Deum esse amorem turpis et vitio favens / finxit libido, quoque liberior foret / titulum furori numinis falsi addidit. Dingel ist gewiß zuzustimmen, daß die Amme, indem sie nur die Göttlichkeit Amors kritisiert und die Liebschaften der Götter verschweigt, deren literarische Darstellung die moralischen Schriften anprangern, einen Widerspruch der Liebeskritik zum Tragödienstoff umschifft, in dem wegen der göttlichen Abkunft Phaedras und ihres Gatten „die göttliche libido [Kurs. im Orig.] Realität“ sei. Doch beweist die argumentative Positionierung der Amme zwischen den Versionen von Tragödie und Philosophie mitnichten, daß, wie Dingel fortfährt (1974: 94 f.), „Seneca es an dieser Stelle darauf an[legt], eine bestimmte philosophische Anschauung als sinnlos zu erweisen“. Denn argumentationspragmatisch kritisiert die Amme menschliches Verhalten, da keine Göttin vor ihr steht. Zudem steht nach der moralischnomothetischen Stoßrichtung und nach dem monierten Vorgehen die rationalistische Kritik der Amme an der libidinösen Phantastik durchaus in Einklang mit Senecas Kritik an göttlichen Liebschaften im Drama, da in beiden Fällen die Vorstellungswelt von ungezügelter Leidenschaft beherrscht wird. Ferner bestreitet und erklärt die Amme nur die Göttlichkeit Amors. Die göttlichen Liebschaften, die er stifte und mit denen Phaedra unmittelbar zuvor argumentiert hat, um Amors Unwiderstehlichkeit zu zeigen (v. 186-194), sind eine ganz andere Frage, weil sie ihn nur in die Götterwelt einfügen. Die genealogische Realität göttlicher Liebschaften im Drama steht also nur in einem Widerspruch zur Kritik der philosophischen Schriften an solchen Vorstellungen, nicht aber zur Kritik der Amme an der vermeintlichen Göttlichkeit und der daraus resultierenden Unüberwindbarkeit Amors bzw. eher mit Minuskel (amor) der Liebe. Daß Seneca faktisch-aristotelisch das mythische Substrat nicht vollkommen seiner Philosophie unterwerfen kann bzw. will, ist also kein Argument für einen antistoischen Charakter seines Dramas. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 605 cas Willensethik 87 und formuliert dabei die Transgression als Devianz (v. 140 f.). 88 Dem ethischen Voluntarismus wird dabei ein strikter Primat eingeräumt. Der ethische Intellektualismus, den die Stoa von Sokrates geerbt hat, erscheint erst an zweiter Stelle und kasuistisch eingeschränkt. Wille und Wüten sind beide auf ihre Weise eigenständige Einheiten gegenüber der Vernunft. Der Wille ist bei Seneca in seiner Spontaneität zumindest ein präreflexives Element, 89 selbst wenn er nicht irrational-unkontrollierbar wie der furor ist. Insofern ist es konsequent, daß die Amme an das Wollen als impulsives Korrektiv des furors appelliert (v. 248 f.). 90 Senecas Konzept des Willens als eines umfassenden appetitiven Vermögens, das spontan ist und der philosophischen Schulung bedarf, um so zum Schlüssel der Selbsterziehung zu werden, findet sich aber in der Argumentation der Amme wieder. Sie erklärt nämlich Phaedras extravagantes Wollen aus deren hoher sozialer Stellung (v. 215: quod non potest vult posse qui nimium potest), die zum kapriziösen Streben verleite (v. 204-215, v.a. v. 206 f.). 91 Das schreckliche Wollen der Hochgestellten (v. 119: - ), das die Amme in Euripides’ Medea in der ähnlich gelagerten Ätiologie für Medeas Zorn verantwortlich macht, ist dagegen keine autonome psychische Größe, sondern wird noch durch den Zorn eines Daimon in seiner verhängnisvollen Wirkung verstärkt (v. 119-130). Die senecanische Willensethik tritt auch durch den Vergleich mit Euripides’ Hippolytos hervor, in dem die Amme Phaidra kurz nach deren Auftritt als verzweifelte Kranke mahnt (v. 205 f.): ’ / . Hier wird nicht an ein Widerstreben gegen die transgressive Libido appelliert, die hier Daß das folgende Chorlied Phaedras Argumentation von den göttlichen Liebschaften aufgreift und Cupido als Sohn der Venus ansieht (v. 275), ist keineswegs ein Grund für Phaedras Entlastung, wie Lefèvre 1969: 151 meint, sondern wird durch den Hinweis auf Cupidos Unbeherrschtheit (v. 278 f.) und die Schlußapostrophe an die Amme relativiert, in der er sich nach der Möglichkeit erkundigt, die wütenden Flammen zu mäßigen (v. 359: saevis ecquis est flammis modus? ). Die Hauptaussage des Chorliedes ist keine Entschuldigung Phaedras, sondern eine Vergegenwärtigung des libidinösen furors und seiner Gewalt. Mit Sacer est ignis (v. 330) weiht der Chor entsprechend der ambivalenten Semantik dieses Adjektivs Amor nicht bloß, sondern weist auch entsprechend dem gesamten Tenor dieses Liedes auf seine Gefährlichkeit hin. Die Argumentation des Chores mag ein (zweifelhaftes) Indiz dafür liefern, Phaedras Verantwortlichkeit an dem Sieg der transgressiven Leidenschaft zu relativieren, sie läßt indes nirgends durchscheinen, daß ihre Liebe keine Transgression sei. 87 Vgl. Otto Regenbogen, Seneca als Denker römischer Willenshaltung. Die Antike 12 (1936) 107-130, Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. 2 Bde. Göttingen 5 1978, Bd. 1, 319 f. und Bd. 2, 159, Albrecht Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike. Göttingen 1985, 151 f. („begrifflich ungeklärter Voluntarismus“). Rainer Zöller, Die Vorstellung vom Willen in der Morallehre Senecas. Diss. Hamburg 2001. BzA 173. München, Leipzig 2003, 8 will hingegen den Nachweis eines philosophiegeschichtlich innovativen und konsistenten Willensbegriffs bei Seneca erbringen. Wildberger 2006: Bd. 1, 338-340 sieht Senecas voluntas dagegen in expliziter Wendung gegen Pohlenz und Zöller tout court als Äquivalent von Chrysipps . 88 Honesta primum est velle nec labi via, / pudor est secundus nosse peccandi modum. 89 Neminem mihi dabis, qui sciat, quomodo, quod vult, coeperit velle: non consilio adductus illo, sed impetu inpactus est. (epist. 37,5) velle non discitur. (epist. 81,13) 90 precor, furorem siste teque ipsa adiuva: / pars sanitatis velle sanari fuit. 91 tunc illa magnae dira fortunae comes / subit libido: […]. 606 noch gar nicht erkannt ist, sondern eine Haltung gegenüber der noch als körperliche Krankheit angesehenen Leiden angemahnt. Dieser Appell zum tapferen Ertragen der Kontingenz mag ebenso wie die fatalistisch-psychagogische Fortsetzung (v. 207) wie ein Stoizismus ante litteram anmuten 92 und wegen dieser zufälligen Korrespondenz die Ansprüche an die Evidenz echter stoischer Anspielungen bei Seneca erhöhen. Er ist jedoch, wie die erste Empfehlung ’ zeigt, eher Ausweis der quietistischen Haltung, die sozial niedrig Stehende in der attischen Tragödie an den Tag legen. Phaedra selbst pervertiert dagegen die Willensethik zur Apologetik ihrer Transgression, wenn sie ihre vermeintliche Hilflosigkeit vor der Antragsszene in ebendiesen Termini formuliert (v. 604 f.: vos testor omnis, caelites, hoc quod volo / me nolle). Lefèvre bemüht diese Stelle nur als Beleg für Phaedras sich hier zweifellos offenbarende Einsicht in ihre Hilflosigkeit (1969: 149). 93 Doch sprechen für unsere Deutung gute intradramatische Gründe: Die Anrufung der Götter leitet in v. 888 f. (Te te, creator caelitum, testem invoco, / et te, coruscum lucis aetheriae iubar) - man beachte die mit Händen zu greifenden lexikalischen Übereinstimmungen caelites und test- - Hippolytus’ Verleumdung bei Theseus ein, mithin eine bewußte Lüge. Die Götteranrufung dient also in beiden Fällen der persuasiven Rhetorik der Transgression, steht Phaedra in der Antragsszene doch im Begriff, ihrem Stiefsohn ihre transgressive Leidenschaft zu offenbaren und versucht nun der zu befürchtenden und tatsächlich eintretenden Empörung vorzubauen. Weiterhin wird die Glaubwürdigkeit von Phaedras apologetischem Rekurs auf Senecas Willensethik in v. 604 f. dadurch erschüttert, daß ein ebensolcher wenige Verse zuvor ebenfalls in der Verleumdungsszene die Selbst- 92 Vgl. Mark Aurel 4.49.6 ( ), Epict. 3.8.3 ( ), 4.1.127 ( ), Diatr. frg. 2 ( ); 2.8.28 ( - ), 3.26.37 ( ), 3.10.8 f. ( ). 93 Wesentlich differenzierter analysiert Therese Fuhrer, Phaedras Wollen sei in v. 604 f. von der Leidenschaft diktiert und Phaedra selbst „willensschwach“, anders als bei Augustin liege kein „freie[s] [Kurs. im Orig.] Wollen der Verfehlung“ vor (Wollen oder Nicht(-)Wollen: Zum Willenskonzept bei Seneca. In: Jörn Müller, Roberto Hofmeister Pich (Hgg.), Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und Spätantike. BzA 287. Berlin 2010, 69-94, h. 78-80). Zudem hebt sie in der Quintessenz ihrer Analyse auf Phaedras Verantwortung für ihre Verfehlung ab (2010: 80): „Das Wollen des Schlechten (quod volo) setzt sich auf beiden Stufen durch [sc. gegen das Nicht-Wollen des Schlechten]. Indem Phaedra diesen Affekt ebenfalls mit dem Willensbegriff umschreibt, übernimmt sie selbst die Verantwortung für ihre Verfehlung, auch wenn sie für dieses Wollen keine Wahlmöglichkeit mehr voraussetzt, weil sie wollen muss [Kurs. im Orig.].“ M.E. liegt Phaedras Verantwortung jedoch nicht in der voluntaristischen Formulierung ihres Affekts (die innerhalb des oben analysierten pragmatischen Kontexts eher apologetischen Zwecken dient, weil sich Phaedra von diesem Wollen durch das syntaktisch übergeordnete Nicht-Wollen (nolo) ideell und psychologisch distanziert und damit voluntaristisch eine ideelle Überlegenheit gegenüber dem desubjektivierenden Affekt wie Euripides’ Medea kognitiv mit (v. 1078) wahrt), sondern in der mangelnden Bekämpfung des Affekts bei dessen Entstehung. Wegen dieses zeitlichen vorgängigen Versäumnisses und der nachfolgenden ostentativen Bejahung des Affekts tut Fuhrers berechtigter, differenzierender Hinweis auf Augustinus dem hier vertretenen Konzept des ethisch-moralisch Bösen keinen Abbruch. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 607 morddrohung unterstützt, die bloß taktischer Natur ist und nicht zur Ausführung kommt (v. 878: Mori volenti desse mors numquam potest). Unmittelbar auf den besagten Appell und die vorausgehenden nachdrücklichen moralischen und v.a. praktischen Einwände der Amme, Theseus könne aus der Unterwelt zurückkehren und Hippolytus sei ein Weiberfeind (v. 216-245), reagiert Phaedra mit einer brüsken Wendung: Um ihr Ansehen (fama) zu wahren, wähle sie den Tod, da der pudor noch nicht ganz aus ihrem Sinn (animus) gewichen sei (v. 250-254). Die physische Integrität soll also zur Wahrung der sozialen geopfert werden. Die physische Selbsteliminierung soll zudem die eigene Transgression vereiteln (v. 254: morte praevertam nefas). So weit, so nobel und heroisch, möchte man mit Blick auf die Konstellation des Integritätstausches sagen, die in der Einleitung dieser Arbeit im Kapitel zur Tragik dargelegt wurde (s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-) Tausch) und hier vorliegt, doch wird diese (Selbst-)Stilisierung - ebenso wie der später geäußerte Wunsch, durch Hippolytus’ Schwert zu sterben und so die Ehre (pudor) zu wahren (v. 710-712), durch den selbstgenährten furor untergraben, als der sich die inzestuöse Liebe manifestiert. Daß Phaedra mit der Selbstauslöschung die ungezügelte Liebesleidenschaft bändigen will (v. 251 f.: qui regi non vult amor, / vincatur) - die Willensanstrengung zur Affektkontrolle war ja der Tenor der Amme -, macht dieses Ansinnen nachgerade zum Gegenteil des stoisch 94 und zumal senecanisch legitimen Freitodes. Dieser ist die ultima ratio, 95 um in einer ausweglosen Lage, die äußeren Umständen und nicht autopsychagogischer Unfähigkeit (oder gar fehlender Bereitschaft zur Affektkontrolle) geschuldet ist, durch diesen letzten Schritt ethische Güter zu wahren. 96 Um so unangemessener wirkt denn auch Phaedras Anleihe bei stoischer Standhaftigkeitsrhetorik, 97 die sogar die Willensethik aufgreift. 98 Sie wiederholt diese Argumentation gegenüber Theseus vor Hippolytus’ Bezichtigung (v. 878), was nur möglich ist, weil die Selbstmorddrohung an der vorliegenden Stelle bloß ein taktisches Manöver war, das nicht ausgeführt wird und philosophische Argumentation mißbraucht. Ferner bringt sie an der vorliegenden Stelle den Willen gegen die ratio in Stellung. Diese beiden Äußerungen subvertieren ihre Position, überführen sie als unphilosophisch und stellen sie in eine Reihe mit ihrer Bankrotterklärung der ratio gegenüber dem furor. Diese Diskrepanz gibt zu der Vermutung Anlaß, bei dem plötzlichen Todeswunsch handele es sich um ein taktisches Manöver, um den Widerstand der Amme zu brechen. Die Ankündigung des Ehrenselbstmordes ist deshalb unerwartet und dramatisch inkonsistent, weil Phaedra nun auf einmal ihrem Ehemann in die Unterwelt folgen will, den sie 94 Vgl. Ernst Benz, Das Todesproblem in der stoischen Philosophie. Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft 7. Stuttgart 1929, 67-85 und SVF III 601, wo das allein dem Tüchtigen zugebilligt wird, das als beliebiger Tod definiert wird, der mit Tugend erfolge 95 V. 253: haec sola ratio est, unicum effugium mali: / […]. 96 Pohlenz 1978: Bd. 1, 156, 323. Vgl. Bonhöffer 1894: 29-39, v.a. 39: „Selbstmord zum Zwecke der Vermeidung einer unsittlichen Handlung ist bei den Epictetschen Grundsätzen eigentlich undenkbar.“ 97 Decreta mors est: quaeritur fati genus (v. 257). 98 Prohibere nulla ratio periturum potest, / ubi qui mori constituit et debet mori (v. 265 f.). 608 doch zuvor als Pirithoi comes abqualifiziert hat (v. 244), und während des gesamten vorausgehenden Disputs mit der Amme mit keinem Sterbenswörtchen ihre fama gewürdigt hat. Ebenso sprunghaft argumentiert sie zuvor, um ihre Begierde zu realisieren, Theseus könne nicht aus der Unterwelt zurückkehren (v. 219-221) oder aber ihre inzestuöse Liebe verzeihen (v. 225), eine gänzlich unmotivierte Hoffnung. In dieser Szene zeigt sich also deutlich, daß die Peripetien und Aprosdoketa dieses Dramas anders als etwa im OT sich nicht aus der an sich konsistenten Handlung und deren kontingenter Durchbrechung von außen (wie den korinthischen Boten) ergeben, sondern einzig aus dem sprunghaften und ungezähmten furor der Einzelfiguren und v.a. der Protagonistin. Wenn die Amme Phaedras Selbstmorddrohung als furibundus impetus (v. 262 f.) 99 bzw. furor (v. 267-270) 100 bezeichnet, dann tritt damit zusätzlich zur libidinösen dessen destruktiv-aggressive Komponente hervor. Diese zwei Seiten des furors und dessen schizophrene Wirkung kommen im Plural in ihrer ersten Reaktion auf Phaedras Drohung zum Ausdruck (v. 256: animos coerce). Sie entlarvt mit der Einstufung von Phaedras Selbstmordplan als furor deren Begründung als unzureichend (und baut somit dem Einwand vor, man trage unberechtigterweise Maßstäbe der philosophischen Schriften an die Dramen heran), da vorgeschoben, weil die ungezügelte Liebesleidenschaft und keine Ehrerwägungen der tiefere Grund ihres Ansinnens ist. In diesem Sinne weist sie auch darauf hin, daß die fama keine objektive Beurteilung biete (v. 269 f.), eine Einschätzung, die der stoischen Verachtung des Meinens der Torenmasse entspricht. Dialektisch geschickt wertet sie in paradoxer Argumentation Phaedras Ansinnen eines Ehrenselbstmordes, mit dem diese sich des Todes für würdig erachte, als Beweis ihrer Lebenswürdigkeit (v. 256 f.). Und doch entlarvt auch sie ihre Argumentation als von lebensweltlichen Werten gelenkt, wenn sie an beiden Stellen, an denen sie die Selbstmordabsicht als furor einstuft, um dessen Bändigung bittet, weil sie, die alte Amme, ihrer Herrin bedürfe. Sie zerstört damit sogar ideell ihre Integrität und Autorität, da sie mit diesem brüsken Schwenk der argumentativen Intention das Gegenteil ihrer standhaften Eingangsworte (v. 138 f.) 101 praktiziert. Weiter untergräbt es ihre Integrität und Autorität, daß die negativen Folgen von Phaedras Selbstmord die Amme zur Komplizin machen. Unter dem Eindruck der schutzlosen Isolation und sozialen Beziehungslosigkeit, in welche der Tod ihrer Herrin sie stürzen würde, erklärt sie sich nämlich bereit bzw. schlägt sogar vor (man beachte die einleitende 1. Pl. temptemus), an Hippolytus heranzutreten (v. 271-273). Damit wird sie in der Tradition des servus callidus zur verbalen Ideengeberin und dramatischen Initiatorin der Realisierung der transgressiven Libido. Da sie ihre zuvor geäußerten moralischen und v.a. praktischen Bedenken über Bord wirft, kann man sie nicht einseitig als eine stoische Weise und eine Verkörperung von Senecas Ethik ansehen. Besser betrachtet man sie als eine Bühnenfigur, über die ethisch-an- 99 Sic te senectus nostra praecipiti sinat / perire leto? siste furibundum impetum. 100 Solamen annis unicum fessis, era, / si tam protervus incubat menti furor, / contemne famam: fama vix vero favet, / peius merenti melior et peior bono. 101 quemcumque dederit exitum casus feram: / fortem facit vicina libertas senem. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 609 thropologische Thesen ausgelotet werden und die korrumpierende Wirkung physischer Schwäche und sozialer Abhängigkeiten auf Untergebene vorgeführt wird. Die klar umrissenen gesellschaftlichen Umstände zeigen, daß das Drama als experimentelles Laboratorium fungiert, um die Realisierungschancen philosophischer Appelle unter gewissen lehrkontingenten Umständen durchzuspielen. Die geschilderte massiv asymmetrische Soziopragmatik läßt es dagegen fraglich erscheinen, ob man das Scheitern der psychagogischen Rede der Amme und den parallelen pervertierenden Sieg Phaedras in diesem rhetorischen Ringen pauschal als Problematisierung der Wirkung moralphilosophischer Worte ansehen kann. 102 Tatsächlich hat die Amme selbst für Phaedras fastus bereits eine Erklärung nichtphilosophischen Verhaltens aus der sozialen Situation geliefert, und Seneca hält in epist. 94,18 ff. gegen die Ansicht des Ariston von Chios, die ermahnenden Worte seien gegen den Wütenden sinnlos, ein flammendes Plädoyer für die protreptische Rede. Man darf also die spezifische Binnenpragmatik in dieser Dramenszene - zumal wegen ihrer besonderen Machtkonstellation, die sie vom stoischen Theorem der (s.o.) unterscheidet 103 - nicht als allgemeine referentielle Aussage mißverstehen. Will man sie auf einer referentiellen Ebene deuten, wie die Philosophie sie betrachtet, geht es um die Grenzen, nicht die Unmöglichkeit philosophischer Rede, die Seneca selbst in der inneren Disposition des Adressaten verortete (epist. 29,1: verum [...] nulli enim nisi audituro dicendum est.). Dies entspricht zudem den Überlegungen Epiktets, eines anderen adressatenorientierten kaiserzeitlichen Stoikers (1.29.64 f.; vgl. 2.12.17-25, 3.9.9). Im übrigen bietet die Szene zwischen Phaedra und der Amme noch einen weiteren philosophischen Argumentationsstrang, welcher von den Vertretern eines plumpen Widerrufs stoischer Ethik oder deren Demaskierung als nicht praktikabel übersehen wird, wo er diese Interpretation m.E. doch stark untergräbt. Die gesamte Diskussion über die Realisierungschancen von Phaedras Verlangen nach Hippolytus (v. 216-245) verläßt komplett stoische Argumentationsmuster, da, wie die vorangehende Diskussion der Dramenfiguren und deren Besprechung hier gezeigt hat, bereits der Affekt an sich verwerflich ist. Insbesondere die Diskussion über die Strafe der Transgression, die bei Theseus’ Rückkehr droht, und über dessen Aussichten auf Rückkehr ist, wenn man Kategorien der hellenistischen Philosophie in Anschlag bringen will, genuin epikureisch. Schließlich rät der Kepos nicht wie die Stoa kategorisch, auf Transgressionen bzw. Schlechtigkeit zu verzichten (SVF III 24: = ), da diese 102 Wegen der besonderen Umstände und dramatischen Fiktionalität greift Dingels Deutung zu kurz (1974: 95): „Es sollte klar sein, daß mit dem plötzlichen Wandel der Überzeugung [nein: des Verhaltens, der Position] auch die vorherige stoische Haltung diskreditiert wird, nämlich als eine beliebige unter anderen. Die Philosophie dient nur dem Spiel.“ Der letzte, an sich richtige Satz ist bei Streichung des „nur“ mit der Interpretation der vorliegenden Arbeit vereinbar. 103 Ein weiterer markanter Unterschied liegt darin, daß bei diesem Philosophem die Ammen unfreiwillig die Menschen moralisch korrumpieren (Cic. Tusc. 3,2, fehlt in SVF, vgl. Sen. epist. 60,1 und Epict. 2.16.25, 3.19.4), während es sich in der Phaedra genau umgekehrt verhält. 610 immanent verworfen seien (SVF II 1005: = ), 104 sondern begründet diese Empfehlung opportunistisch mit der drohenden Beeinträchtigung der Seelenruhe, welche die Angst vor Entdeckung und Bestrafung weckt. 105 (Dem Kepos geht es also um die seelische, der Stoa um die moralische Integrität des Transgressors.) Daß die Amme diese Argumentation eröffnet (v. 416 f.: quid deceat alto praeditam solio vide: / metue ac verere sceptra remeantis viri.), ist kein Abfall von der stoischen Orthodoxie, sondern schließt sich organisch an ihre Analyse der transgressiven, extravaganten Leidenschaft aus der herrscherlichen Hybris an und läßt eher erkennen, welche Panoplie auch an lebensweltlichen Argumenten sie gegen Phaedras furor meint aufbieten zu müssen. Da diese sämtliche Einwände der Amme mit pseudostoischer Entschlossenheit sowie mit Hingabe an ihre Leidenschaft (v. 218 f.) und Ergebenheit gegenüber ihrem Geliebten (v. 233-235: Hunc […] sequi […] placet) zurückweist, dient die epikureische wie die stoische Argumentation letztlich dazu, die Unbeirrbarkeit des furors dramatisch herauszupräparieren. Daß die Transgressorin nicht einmal eine besondere Affinität zu der konkurrierenden Philosophenschule des Kepos erkennen läßt, sondern die epikureische Argumentation von der Amme ausgeht, zeigt, wie wenig es in diesem Drama um die Desavouierung einer oder mehrerer Philosophien zu tun ist. 7.2.4 Hippolytus als pseudophilosophisch exaltierter misogyner Anachoret Aus Angst um ihre Herrin und den Verlust ihrer Stellung, also in dem Bestreben, ihre soziale Integrität und Position zu wahren (wie ihre Herrin durch Theseus’ Abwesenheit, so wird sie Amme durch deren drohende Eliminierung zum Handeln bewegt), tritt die Amme nun an Hippolytus heran, um ihn auf die Eröffnung ihrer Herrin einzustimmen. Durch die Beteiligung an der Transgression opfert sie intentional ihre moralische Integrität der sozialen. Ihre Liebesparänese, die Jugend zu genießen (v. 446: aetate fruere), quittiert der Jüngling freilich mit einer Explikation der misanthropen und misogynen Überzeugungen, die seinen in der Eröffnungsszene gezeigten Verhaltenspräferenzen zugrunde liegen. Zentral in diesen Ansichten ist der furor, den er zweimal bei seinen Mitmenschen diagnostiziert. Dieser furor ist allerdings nicht die Liebesleidenschaft, sondern die Begierde nach materiellem und sozialem Vorteil. An der zweiten Stelle sieht Hippolytus diesen furor als Triebfeder der Transgression, des gewaltsamen Unrechts gegen einen anderen und des Rechts des Stärkeren (v. 540-544). 106 Damit nimmt er in dramatischer Ironie die Verkettung vorweg, 104 Auch das Unrecht wird als Übel eingestuft (SVF III 76, 83). Die Immanenz zeigt sich darin, daß es seine Strafe in sich hat (s. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 635 f.). 105 Erler 1994: 165 f. 106 Rupere foedus impius lucri furor / et ira praeceps quaeque succensas agit / libido mentes; venit imperii sitis / cruenta, factus praeda maiori minor: / pro iure vires esse. […] 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 611 die auch ihn trotz seiner Unschuld 107 eliminieren wird, die durch seine bindungslose Extravaganz gewährleistet wird (v. 502: innocuus errat). Die Brücke zu Hippolytus’ Untergang schlägt nicht nur der von ihm geschilderte Nexus von Gier und Unrecht, sondern auch das Substantiv libido, mit dem er ihn formuliert und dessen zwei Nuancen ‚Begierde‘ und ‚Willkür‘ auch bei Phaedra virulent (s. das Ende von 7.2.2 Typen und Verteilung des furors im Drama) und ihm selbst zum Verhängnis werden. Auf sein eigenes objektives Verderben und das Scheitern der subjektiven Intention der Amme deutet auch die Abstinenz des Waldläufers von falscher Rhetorik voraus (v. 496: verba fingit). Dieser Verzicht gewährt also bloß scheinbare Sicherheit. Das Verb inflammat, das in v. 486 den furor des Gierigen charakterisiert, evoziert nach seiner konventionellen Artikulation die Liebesleidenschaft, der Hippolytus zum Opfer fallen wird. Die erste Stelle wird durch die eingehende romantisierende Schilderung des Landlebens, die in der Freiheit von sozialen Beeinträchtigungen an das Bild des goldenen Zeitalters erinnert (v. 486-502), 108 das Ovid in den Metamorphosen entwirft, und auch an Vergils Georgica und Horaz anknüpft, intertextuell tief in der lateinischen Literatur der frühen Kaiserzeit verankert und war überdies ein locus philosophumenus. 109 Das zeitlich Andere wird so in ein räumlich Anderes verwandelt und durch die Vergegenwärtigung (man beachte das Präsens in Hippolytus’ Schilderung) erreichbar gemacht. In Hippolytus’ Darstellung überbrückt die Wahrung des mos maiorum die zeitliche Lücke (v. 484: vita, quae priscos colat). Dies geschieht durch die Anachorese aus den Stadtmauern in die Wälder (v. 483-485). Diese Foucaultsche Heterotopie (s. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes in der Einleitung) ist aber nicht nur Teil einer literarischen Tradition, sondern sie wird entsprechend den Idealen von Senecas Philosophie zu einem Ort der Freiheit ausgeschmückt. Anders als in Euripides’ Bakchen führt der Auszug in die Wälder nach Hippolytus’ Vorstellung in die Freiheit. Diese ist jedoch anders als in Ernst Jüngers Waldgang (s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung im Kap. zu Euripides’ Bakchen) nicht die politische, sondern die ethische (v. 483 f.: libera et vitio carens / […] vita), die sogar Züge der stoischen trägt (v. 492: spei metusque liber). Ihr wird die soziale Sklaverei entgegengestellt, in welcher derjenige sich gegenüber Mächtigeren befinde, der materielle und soziale Güter verfolgt (v. 490 f.: non 107 V. 487: insontem; vgl. das Urteil des Chors, eine Parallele, die durch die Wiederaufnahme des furors besonders einschlägig wird [v. 824 f.]: Quid sinat inausum feminae praeceps furor? / nefanda iuveni crimina insonti apparat. 108 Non illum avarae mentis inflammat furor / qui se dicavit montium insontem iugis, / non aura populi et vulgus infidum bonis, / non pestilens invidia, non fragilis favor; / non ille regno servit aut regno imminens / vanos honores sequitur aut fluxas opes, / spei metusque liber, haud illum niger / edaxque livor dente degeneri petit; / nec scelera populos inter atque urbes sata / novit nec omnes conscius strepitus pavet / aut verba fingit; mille non quaerit tegi / dives columnis nec trabes multo insolens / suffigit auro; non cruor largus pias / inundat aras, fruge nec sparsi sacra / centena nivei colla summittunt boves: / sed rure vacuo potitur et aperto aethere innocuus errat. […] 109 Vgl. Grimal 90 a.l. mit Belegstellen und Coffey/ Mayer 134 a.l. mit weiterführender Literatur. Für eine tiefere Verortung dieses Motivs in der Literatur des Prinzipats und seiner ämulativen Kultur s. jetzt Kirichenko 2013: 171-180. 612 ille regno servit aut regno imminens / vanos honores sequitur aut fluxas opes). Dieser Rückbezug auf die vorhergehende Szene stützt das Insistieren auf den sozialen Faktoren hinter dem Sinneswandel der Amme, welche die Interpretation der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet hat. Tatsächlich lobt der Sprecher von Senecas moralphilosophischen Schriften die frühere ländliche Einfachheit (epist. 90,43) und praktiziert nach seiner Selbststilisierung den Rückzug aufs Land(gut) (epist. 104,1 & 6 f.) und die rustikale Frugalität (epist. 83,6; 87,1-5), die auch Hippolytus preist (v. 515-517). Daß Thyestes im gleichnamigen Drama dasselbe Lied anstimmt (v. 446-470), der ebenfalls das Opfer einer dramatischen Intrige und Täuschung wird, weist diesen Lobpreis des Landes jedoch als Indikator dramatischer Naivität aus. Das drameninterne Nichtwissen läßt sich sogar als Hinweis für die referentielle Verfehltheit dieser Annahme ausdeuten. Die Übereinstimmung zwischen Hippolytus’ Position und Senecas Philosophie setzt sich allerdings noch fort: So machen auch die Lucilius-Briefe wie Hippolytus den furor, der hier wie in unserem Drama eine lokal-transgressive Dimension hat, zur Triebfeder aggressiver Fremdschädigung und des Strebens nach sozialem Vorteil. So sieht Sen. epist. 94,62 Alexander den Großen vom furor getrieben, Fremdes zu verwüsten, und malt sein Streben nach Unterwerfung fremder Völker aus. Doch Hippolytus ist keineswegs Senecas szenisches alter ego oder die szenische Verkörperung und Exemplifizierung der ethischen Ideale, die Senecas moralphilosophische Schriften vertreten, sondern ein Negativbeispiel, wie diese durch Radikalisierung aufgehoben werden. Denn der Schlußteil von De tranquillitate animi (17,3) 110 empfiehlt nicht nur den äußeren Rückzug, um sich in der inneren Einkehr selbst finden zu können, sondern rät danach zu einem gesunden Wechsel zwischen Gesellschaft und Rückzug, die füreinander beide in einer Dialektik zum Heilmittel werden: Cato Uticensis, bei Seneca ein gängiges exemplum für stoische Lebensführung oder zumindest beliebter Eideshelfer (z.B. const. 2,2 f.; 7,1; prov. 2,9 f.; tran. 16,1; epist. 7,6; 13,14; 24,7; 104,29), ist auch in dieser Passage ein Vorbild für die maßvolle Ausnahme, nämlich beim Weingenuß (tran. 17,9), und damit ein Gegenbeispiel für Hippolytus’ anachoretischen Rigorismus. Doch muß man für dessen stoizierende Kritik nicht Senecas philosophische Schriften bemühen, die vorangehende Paränese der Amme bietet für sie einschlägige Beispiele. Daß ihre Rede abermals nicht das Handeln ihrer Adressaten ändern kann, läßt sich vor allem mit Blick auf Phaedra als eine bemerkenswerte Problematisierung des praktisch-ethischen Geltungsanspruchs lesen, welcher den philosophischen Schriften inhärent ist. 111 Allerdings ent- 110 Multum et in se recedendum est; conversatio enim dissimilium bene composita disturbat et renovat adfectus […]. Miscenda tamen ista et alternanda sunt, solitudo et frequentia: […] erit altera alterius remedium; […]. 111 Senecas Fürstenspiegel De clementia (1,1: ut quodam modo speculi vice fungerer) bietet ein biographisch-historisches Beispiel für das Scheitern der philosophischen Rede beim Versuch, den Mächtigen zu überzeugen (vgl. die Anrede an Nero Caesar gleich am Anfang [1,1]). Theseus ist denn auch das Gegenteil eines besonnenen, gnädigen Monarchen. Trotz dieser unstrittigen Parallelen zwischen Drama und seinem biographisch-historischen Umfeld bleibt die heuristisch-hermeneutische Reichweite dieses komparativen Ansatzes fraglich, wenn nicht spekula- 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 613 schärft die Brisanz ihres Scheiterns im vorliegenden Falle der Umstand, daß die Amme die philosophische Argumentation mißbraucht, die sich nicht nur durch ihre Zielsetzung, sondern auch durch das Einstreuen hedonistisch-vulgärepikureischer Elemente aufhebt. Diese Aufhebung wird besonders evident dadurch, daß Seneca den Vulgärepikureismus ausdrücklich als Mißbrauch und Verfälschung von Epikurs Lehre entlarvt (vit. beat. 12,3 f.). Zudem dient die Rede der Amme dramenintern dazu, Hippolytus’ Rigorismus philosophisch zu problematisieren. In ihren Schlußworten bemüht die Amme den nachgerade klassischen stoischen Appell, die Natur zur Richtschnur der Lebensführung zu machen (v. 482), 112 und knüpft daran die Aufforderung zur sozialen Integration (v. 483: urbem frequenta, civium coetus cole). Hierbei steht die Annahme im Hintergrund, welche die Stoa mit Aristoteles teilt, daß der Mensch ein Gemeinschaftswesen sei, und die durch die Verbindung mit dem Logos-Pantheismus in die Oikeiosislehre eingebunden ist. 113 Die Einbettung des Menschen in die Gesellschaft, die der Einleitungsteil im theoretischen Modell als strukturalistische Grundlage der Tragik bemüht hat (s. 1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller), ist also dogmatischer Inhalt der Lehre, welche die philosophischen Schriften des Tragödienautors vertreten, und ist so für das Verständnis des Dramentextes einschlägig. Während Euripides’ Hippolytos sich gegen die Göttin der Fortpflan- tiv. Die perverse der Amme (v. 430: malus est minister regii imperii pudor) mag man biographisch als einen Widerschein der Erfahrungen am Hofe deuten (zu Recht ablehnend zu solchen Deutungen Schmitt 1994: 575). Doch läßt sie sich ebenso gut dogmatisch als eine Widerrufung von Zenons Umdichtung eines Sophokles-Fragments lesen (TrGF Bd. 4 Frg. 873), die innere Freiheit könne bei einem Gang zum Tyrannen gewahrt werden (SVF I 219, Näheres s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kapitels 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa). Ohnehin bietet unser Drama wenig weitere Anhaltspunkte für eine überzeugende Schlüssellektüre (vgl. Schiesaros Ablehnung der Schlüssellektüre der Phaedra als Agrippina [2003: 16, vgl. 6]). Eckard Lefèvre, Die politische Bedeutung von Senecas Phaedra. WS 103 (1990) 109-122 trägt alle früheren Schlüssellektüren zusammen, lehnt selbst allerdings eine derartige Allegorisierung ab und sieht nur Anspielungen auf Agrippina, Nero und ihr allzu nahes Verhältnis. Freilich gibt es ein historisches Beispiel, daß ein Imperator der frühen Kaiserzeit das Drama des Sohnes eines aufrechten Stoikers einer Schlüssellektüre unterzog. So wurde Helvidius Priscus’ gleichnamiger Sohn von Domitian umgebracht, da dieser sich durch eine Szene in dessen Theaterstück Paris und Oenone persönlich angegriffen sah (Alexander Gaheis, Art. C. Helvidius Priscus. RE 8.1 (1912) 221). Doch diese Deutung wird durch die herrscherliche Paranoia diskreditiert, die auch in der Reaktion des tyrannischen Kaisers manifest wird. 112 S. dazu Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 646 und Kirichenko 2013: 54, der auf Sen. epist. 5,4 (Nempe propositum nostrum est secundum naturam vivere.) und für weitere Stellen bei Seneca und früheren Stoikern auf Karlhans Abel, Die ‚beweisende‘ Struktur des Senecanischen Dialogs. In: Sénèque et la prose latine. Neuf exposés suivis de discussions. Vandœuvres-Genève, 14-18 août. Entretiens préparés par Pierre Grimal. Entretiens sur l’Antiquité Classique 36. Genf 1991, 49-97, h. 51 f. verweist. 113 S. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 536-539. Hippolytus’ asoziale Anachorese als drameninternen und philosophischen Hauptfehler dieser Figur übersehen Lefèvre 1969: 138 f., der Hippolytus’ Negativzeichnung in dieser Szene auf seine Misogynie beschränkt, und Roisman 2000: 77-83, welche die - teils arg konstruierten und wenig philologisch untermauerten - bedrohlich-aggressiven Untertöne in Hippolytus’ Preis des Land- und Jägerlebens als Ausdruck von dessen unterschwelliger Aggressivität deutet und nicht wie die vorliegende Arbeit dem in diesem Drama klassischen Mittel der Subvertierung zurechnet, die hier allgemein den Dramendiskurs und im besonderen den Preis des Landlebens betrifft. 614 zung und Liebe stellt, die in der Phaedra allenfalls Dramenfiguren bemühen, vernachlässigt sein senecanisches Äquivalent ein Telos, das sich nach stoischer Auffassung aus seiner condicio humana ergibt. Doch Hippolytus spitzt die Misanthropie zur Misogynie zu, indem er die Frau für alle Transgressionen und Gewalttaten verantwortlich macht, die das Ende der glücklichen Vorzeit markieren (v. 559-561: Sed dux malorum femina: haec scelerum artifex / obsedit animos, huius incestae stupris / fumant tot urbes, […].). Damit bereitet er nicht nur auf Phaedras Auftritt und dessen sicheres Scheitern vor, sondern legt auch abermals, wenn auch präziser, den Nexus zwischen weiblicher Unzucht und Gewalt offen, dem auch er zum Opfer fallen wird. Daß seine Formulierung intertextuell auf Vergils Aeneis anspielt (1,364: dux femina facti), läßt erkennen, daß dieser für ihn negative Handlungsverlauf von Phaedra bestimmt wird und weist den furor als dramenbestimmendes Moment aus. Daß schon Medea allein ihm als Begründung für seinen Haß auf alle Frauen genügt (v. 563 f.), ist ebenso ein feiner interdramatischer Hinweis darauf, daß er wie deren Söhne durch die Initiative der eigenen (Stief-)Mutter aus zwischengeschlechtlichem Anlaß 114 sterben muß. Die Begründung der Misogynie, die er der Amme auf deren Nachfrage für eine derart radikale Verallgemeinerung der Transgression und Ablehnung gibt (v. 565: Cur omnium fit culpa paucorum scelus? ), raubt Hippolytus schließlich den Rest seiner philosophischen Glaubwürdigkeit (v. 567 f.: sit ratio, sit natura, sit dirus furor: / odisse placuit. […]), da er mit ihr seine Misogynie nicht als begründete Überzeugung, sondern unergründliches, nachgerade willkürlich-kapriziöses (placuit) Phänomen darstellt. Dieser Eindruck wird durch die nachgerade epikureische Beliebigkeit der benannten Ursachen 115 (coniunctivus concessivus in sit) noch gesteigert. Besonders markant für die Irrationalität seiner Aversion ist dabei die Juxtaposition von furor und ratio, deren Widerstreit Phaedra zusammen mit der Machtlosigkeit der letzteren noch eingeräumt hatte. Hippolytus schiebt eine präzisere psychobiographische Begründung nach, die Roismans Verdikt vernachlässigt (2000: 83: „his inexplicable aversion of women“): Der Haß auf alle Frauen sei der einzige Trost für den Verlust seiner Mutter (v. 578 f.). Diese Ursache knüpft Hippolytus’ Misogynie an eine biographische Kontingenz. Doch empfiehlt die Stoa, solche Kontingenzen, zu denen auch der Verlust eines nahestehenden Angehörigen gehört, zu ertragen. 116 Sie sollen die Festigkeit der eigenen Ansichten zeigen und nicht umgekehrt wie hier diese diktieren. Die Irrationalität von Hippolytus’ Misogynie tritt auch durch den Vergleich mit dem euripideischen Pendant hervor, das seine misogyne Tirade erst nach der Eröffnung von Phaidras transgressiver Liebe hält (v. 616-668) (so auch Lefèvre 114 Für den beachtlichen Unterschied bei diesem zwischen Phaedra (Begierde) und Medea (Untreue des Mannes) s. 3.2.3 Psychologisierung: Tragik als selbsterkannte Selbstaufhebung des Subjekts im Kap. über Euripides’ Medea. 115 Epikurs Erkenntnistheorie gibt sich mit mehreren plausiblen Hypothesen eines Naturphänomens zufrieden, wenn diese die Furcht vor ihm nehmen, und braucht nicht die plausibelste herauszufinden (Erler 1994: 138). 116 S. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 790 f. So auch Seneca (prov. 6,2: Filios amittunt viri boni; const. 10,4: sapiens). 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 615 1969: 136), also zumindest einen Anlaß in einer akuten weiblichen Transgression hat. Dagegen sieht Hippolytus durch diese seine nicht allgemeingültig begründete und bereits vorher offenbarte Misogynie bestätigt. (Diese Reaktion entspricht genau der Funktionsweise eines Vorurteils, das durch neue Eindrücke stets verifiziert, aber nie falsifiziert wird.) Die Misogynie des euripideischen Hippolytos gipfelt darin, daß er die Frauen dadurch systemisch eliminieren will, daß ihre im Patriarchat elementare reproduktive Funktion anderweitig gewährleistet wird, indem nämlich Bronze, Eisen oder Gold im Tempel gegen Nachkommen getauscht werden (v. 618-624). Sein misogyner Blick auf die sozialen Austauschverhältnisse im Umfeld der biologischen Reproduktion setzt sich in der Klage fort, daß der Vater noch die Mitgift aufwenden müsse, um das Übel, das die Tochter qua Frau darstelle, aus dem Haus zu schaffen, also lokal zu eliminieren (v. 627-629). Mit diesen utopischen Vorstellungen wahrt er anders als seine anachoretische senecanische Entsprechung einen Rest zumindest männlich-patriarchalischer Soziabilität, da er an der sozialen Interaktion des Austauschs und Notwendigkeit der biologisch-genealogischen Reproduktion festhält. Mit der irrationalen Art seiner Argumentation in dieser Szene zerstört Hippolytus nicht nur seinen Status als philosophisches Exempel und Identifikationsfigur, sondern sogar als ethisch-rationales Subjekt, da seine ethischen Einstellungen nicht von seiner Vernunft, sondern äußeren Kontingenzen vorgegeben werden. (Mit Tragik hat dieser selbstverursachte Verlust der Subjekthaftigkeit freilich nichts zu tun, da er nicht mit einer eliminatorischen Transgression einhergeht.) Er ist somit seiner nicht Herr, was parallel mit der Charakterisierung seiner misogynen Einstellung als furor das Bild des Kontrollverlusts oder zumindest des Unterlaufens rationaler Handlungsmuster verstärkt. 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung In der folgenden Szene, in der Phaedra Hippolytus ihre Liebe eröffnet, fällt bei dieser Figur die Selbstcharakterisierung über den furor mit dem Verlust des Bewußtseins zusammen. Die Rezeptionslenkung des Dramas exponiert den furor klar als Leitmotiv und Deutemuster von Phaedras Verhalten in dieser Szene, stellt doch vor ihr die Amme sich und dem Publikum die Frage (v. 584, s. dazu den nächsten Abschnitt): quo se dabit fortuna? quo verget furor? In den folgenden Versen berichtet sie nun, daß Phaedra in Ohnmacht gefallen und von Hippolytus aufgefangen worden sei (v. 585-588). Bevor Phaedra nun zu ihrer Transgression schreitet, markiert sie diese als solche und im Rahmen einer perversen , die an Euripides’ Medea vor dem Kindermord erinnert, als unausweichlich (v. 592-599, v.a. 595 f.: serus nobis pudor. / amavimus nefanda.). Daß sie dieses Unsägliche im folgenden doch ausspricht, ist eine weitere dramatische Ironie, die den Subjektstatus der Figuren untergräbt, da deren (vorgebliche) Intentionen scheitern oder im Falle des Hippolytus die geschilderten Ereignisse unerwartet eintreten. Mit Tragik hat diese Diskrepanz zwischen Intention und Handlung(sverlauf) nichts zu tun, da Hippolytus bloß das Opfer einer transgressiven Libido und Eliminierung wird und Phaedra anders als Medea ohne äußeren eliminatorisch-privativen Druck ihrem transgressiven Affekt 616 verfällt. Zudem wurde vielmehr der Sachzwang, der sie laut ihrer zur Ausführung der Transgression nötige, von Phaedra selbst geschaffen. Sie agiert freilich ähnlich Medea trotz ihrer dominanten transgressiven Leidenschaften zweckrational, um sie zu verwirklichen: Sie weist bei ihrem ersten Geständnisversuch Hippolytus’ Anrede als Mutter zurück und will lieber seine Schwester genannt und seine famula, ja serva sein - was bereits das servitium amoris evoziert (Segal 1986: 158) und auf ihre eigentliche erotische Absicht hindeutet. Die Demuts- und Unterwerfungsgeste dient also klar dem Ziel, das Objekt der Begierde zu erlangen, und ist somit ironisch, da Phaedra in Wirklichkeit das Subjekt des Vorgangs ist und sich Hippolytus aneignen will, statt sich ihm zu unterwerfen. Wenn Phaedra Hippolytus abschließend bittet (v. 608-623): miserere viduae, postuliert sie wie beim Geständnis der Leidenschaft gegenüber der Amme die Vakanz der Patriarchenposition. Phaedra fordert Hippolytus zudem in einem von Zwierlein athetierten Vers auf, die vakante Regierung an sich zu nehmen (v. 618), da die Herrschaft zu wahren (so der folgende unstrittige Vers) nicht Aufgabe einer Frau sei (v. 619). Sie wendet Theseus’ Abwesenheit also politisch und aktualisiert so neben der familiären eine weitere Dimension ihres Versuchs, die Position des Patriarchen neu zu besetzen. Daß sie die Gattin des Herrschers bleiben und sich so mit Hippolytus verbinden will, bleibt die unausgesprochene Absicht hinter dieser Argumentation, die wie Euripides’ Medea in der Szene mit Kreon, der sie allerdings mit Ausweisung und Heimatlosigkeit bedroht, philanthrope Gefühle eines Mannes für die eigene Transgression instrumentalisiert (s. 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos in der Interpretation dieser Tragödie). Diese geschickte Verstellung läßt sich gleichwohl nicht als Intratheater einstufen, da sich die Amme nur ungebeten dazu bereit erklärt hat, Hippolytus auf Phaedras Eröffnung vorzubereiten (v. 271- 273), und die beiden die Orchestrierung und das strategische Vorgehen der Verstellung nicht abgesprochen haben. Die Sprunghaftigkeit der Handlung, die wir bereits bei Hippolytus’ Eingangsmonolog kennengelernt haben, untergräbt also das Intratheater. Dessen Vorliegen kann gleichwohl nicht aus dramatischen Momenten der verbalen Interaktion, sondern aus dem transverbalen Metatheater erschlossen werden: Phaedras Kostümierung als skythische Jägerin und Amazone (v. 387-403) markiert ihren Auftritt bei Hippolytus als Intratheater. Dies geschieht auch verbal-pragmatisch, da sie die Begegnung mit ihrem Stiefsohn als Gespräch unter vier Augen inszeniert (v. 599 f.: Commodes paulum, precor, / aures. si quis est abeat comes). 117 Hippolytus versteht (noch) nicht das Ziel von Phaedras Rede, die durch die Verhüllung der Begierde doppelbödig ist und ihre wahren Absichten ver- 117 Nach Lefèvre 1969: 157 fordert Phaedra hier sogar den Chor zum Abtreten auf, doch sprechen der Wortlaut comes (vgl. Hippolytus’ Bitte an Diana in v. 54: Ades en comiti, diva virago) und die durchgehende Anrede an den Stiefsohn dafür, daß Phaedra möchte, daß dessen Begleiter die Bühne verläßt (vgl. die Diskussion um diese bei Grimal 103 a.l. und Coffey/ Mayer 145 a.l.: „a pointless request, since Hippolytus had entered alone (425)“). Auch die Worte der Amme in v. 724 (secreta cum sit culpa, quis testis sciet? ), worauf Lefèvre noch verweist, deuten eher in die Richtung eines fehlenden Entlastungszeugen aus Hippolytus’ Umfeld. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 617 schweigt. 118 Seine Reaktion wie sein gesamtes weiteres Verhalten im Drama zeichnet ein Bild hoher moralischer Integrität und ist damit eine praktisch-ethologische Palinodie seiner sich irrational gebenden Misogynie und romantischen Misanthropie. So bittet er die Götter um die baldige Rückkehr seines Vaters und erklärt sich bereit, für seine Brüder, eine Verwandtschaftsbezeichnung, die das frühere ‚Mutter‘ für Phaedra aufgreift und wie dieses die Unmöglichkeit ihrer Verbindung aufscheinen läßt, sowie Phaedra zu sorgen (v. 623 f., 629-633). Ebenso erkundigt er sich bereits in seiner Einleitungsfrage an die Amme anteilnehmend an deren Sorge nach dem Wohl Phaedras und ihrer Zwillinge (v. 431- 434) 119 und stellt seine pietas unter Beweis (vgl. a. v. 631). Das Verhältnis von Wort und Tat entwickelt sich also bei den beiden Exponenten senecanisch-philosophischer Rede diametral: Während die Amme ihre ethischen Appelle Lügen straft, indem sie sich in vorauseilendem Gehorsam zur Komplizin der Transgression macht, werden bei Hippolytus die misanthrope Radikalisierung philosophischer Anachorese und die kapriziöse psychobiographisch begründete Misogynie durch verantwortungsvolles und in der Konfrontation mit dem Ungeheuer tapferes Verhalten abgelöst. Seine beiden letzten Verse sind dabei von einer unfreiwilligen Ambivalenz, da er genau das verspricht, was Phaedra nach der hier vertretenen strukturalistischen Analyse der libidinösen Dynamik, welche die Personenkonstellation entfaltet, erhofft und betreibt (v. 632 f.: et te merebor esse ne viduam esse putes / ac tibi parentis supplebo locum). Im Zentrum des Mißverständnisses steht die Sorge um die Witwe und ihre Kinder. Denn während Phaedra dabei die totale Annullierung der Differenz zwischen der Rolle des Sohnes und des Patriarchen erhofft, wie ihr folgendes Aparte erkennen läßt (v. 634 f.), geht es Hippolytus nur um eine Substitution der Fürsorge. Während Hippolytus so Telemachs Verhalten als treuer stellvertretender bzw. platz(er)haltender Sohn 120 iteriert, spiegelt Phaedra, die ihren Gatten keine vier Jahre entbehren kann (v. 838), ohne ihn ersetzen zu wollen, seitenverkehrt Penelopes zwanzigjährige Treue. 121 Als Anti- 118 Vgl. Segal 1986: 159. Für Kirichenko entlarvt die Konfrontation mit Phaedras Ambiguität Hippolytus’ naiv-romantische, auf Ein-Eindeutigkeit basierende Weltsicht (2013: 55), was an sich richtig ist, aber Phaedras transgressiv motivierte Täuschung und die undenkbare Monstrosität ihrer Transgression ausblendet. Hippolytus scheitert nicht primär an seiner idealistischen Naivität (denn im Gespräch mit der Amme zeigt er ja ein Bewußtsein für die Verderbtheit der Gesellschaft), sondern an Phaedras (und der Amme) Skrupellosigkeit (also dem Bösen, das sie dramatisch performieren) und der Leichtgläubigkeit seines Vaters, die allerdings erst durch Phaedras Manipulationen zutage tritt. 119 Hippolytus erwähnt zweimal die Kinder, die seinen Vater und seine Stiefmutter verbinden, und wählt mit dem Joch in v. 434 (stirpis geminae iugum) eine Formulierung, die wir bereits wiederholt in der attischen Tragödie als Metapher menschlicher Bindung kennengelernt haben (s. 1.6 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung in der Perser-Interpretation und 3.5 Gender, Inversion und Perversion in der Medea-Interpretation). Mit der Duplizität des Nachwuchses greift er ähnlich wie Euripides’ Medea dessen verbindende und reproduktive Funktion auf. 120 Vgl. Georg Wöhrle, Telemachs Reise. Väter und Söhne in Ilias und Odyssee oder ein Beitrag zur Erforschung der Männlichkeitsideologie in der homerischen Welt. Hypomnemata 124. Göttingen 1999, 141-143. 121 Dieses drameninterne Faktum läßt Roisman außer acht, wenn sie Phaedra wegen der Feststellung, sie komme wegen der Leidenschaft für ihren Stiefsohn nicht mehr zur Handarbeit (v. 103 618 Penelope ist sie somit in der ehelichen Inkonstanz das tragische Pendant zu Iason als Anti-Odysseus (s. 3.7 Fabula docet oder Iason als Anti-Odysseus im Kapitel über Euripides’ Medea). Die Tragödie fragmentiert und invertiert also abermals die Ordnung des Epos. 122 Mit dieser Tragödie teilt Senecas Phaedra ja auch die strategische Ambivalenz zwecks Camouflage und Durchführung der Transgression. Die Gratwanderung, zu der sich Phaedra in ihrer ersten Rede bereit erklärt (v. 613 f.: non me per altas ire si iubeas nives / pigeat gelatis ingredi Pindi iugis), spiegelt topologisch sowohl die Ambivalenz ihrer Rede als auch die Transgression, welche durch den Absturz aus der Ambivalenz entsteht. Dieser verläuft schrittweise und entspricht durch diese Gestuftheit der Transgression, die eine undenkbare Kombination der genealogischen Filiation birgt. Sie erschließt sich Hippolytus - analog zum schrittweisen Absturz aus der Ambivalenz - erst nach und nach. Die Anagnorisis der Transgression wird durch Hippolytus’ Bitte um klare Rede statt der bisherigen Äquivozitäten eingeleitet (v. 639 f.: Ambigua voce verba perplexa iacis: / effare aperte.). Hippolytus hat also das Vorliegen der Ambivalenz, aber nicht diese selbst verstanden und drängt nun auf Klärung. Auf Phaedras folgende Schilderung ihrer wahnsinnigen Liebesleidenschaft, der abermals ambivalent ein Objekt fehlt (v. 640-644), fragt er nach (v. 645): Amore nempe Thesei casto furis? Da die Gesprächssituation nur ihn als Objekt zuläßt, ist sein Verdacht geweckt. Er kondensiert aus Phaedras Rede das Liebesrasen, versucht es aber auf das legitime Objekt hinzulenken (vgl. casto) und setzt damit seine Rolle als getreuer Platzhalter seines Vaters fort. Phaedras endgültige Liebeserklärung führt die Ambivalenz auf ihr fundamentum in re zurück: die physische Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn. Die Erinnerung, welche durch ihren diachronen Rückgriff eine Kopräsenz herstellt, annulliert optisch den Unterschied zwischen den beiden Figuren, die durch ihre genealogische Dependenz geschieden sind und nicht gleichzeitig dieselbe Position einnehmen können, nämlich als Phaedras Gatte und Patriarch. Funktional scheint der Austausch des alten, abwesenden Theseus durch den jungen anwesenden Hippolytus plausibel, ja sich nachgerade aufzudrängen, da Phaedras Erinnerung eine Identität herstellt und ihr Begehren auf die junge Version ausgerichtet ist. 123 Doch die Duplizierung, welche die Ambivalenz aufgreift, ist keinesfalls die Ursache komischer Verwechslungen und Verwicklungen, sondern führt auch in dieser Tragödie zu Transgression und Eliminierung. Denn paradoxerweise ruft die Evokation des geliebten jugendlichen Theseus nicht die Liebe f.), an Odysseus’ Gattin annähert (2000: 74). Die Penelope-Reminiszenz dient also bloß kontrastiv dazu, Phaedra als untreue Gattin zu charakterisieren: Odysseus’ Frau webt ja durchaus, um die Avancen der Freier aufzuschieben, während Phaedra aus Liebesleidenschaft für einen fremden Mann ihre häusliche Pflicht vernachlässigt. 122 Zum Verhältnis von Senecas Dramen zum Epos allgemein vgl. Schiesaro 2003: 243-251. Er geht eher von einer „Kreuzung der Gattungen“ aus, die bereits mit dramatischen Elementen im augusteischen Epos begonnen habe und deren epischen Elemente in Senecas Dramen der Metadramatik dienten (2003: 249-251). 123 Diese Identität wird dramaturgisch daran sinnfällig, daß Theseus und Hippolytus von demselben Schauspieler dargestellt werden (Kohn 2013: 80). 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 619 zu ihm wach und läßt mit dieser imaginativen Nekromantie seiner imago (im Gegensatz zur rituellen, die Atossa mit dem Gatten vornimmt) die Vorstellung über die Realität triumphieren, ja diese generieren. Das scheint nur dem Botenbericht von Hippolytus’ Ende bühnenpragmatisch vergönnt zu sein. Phaedras Libido ist ähnlich wie diejenige Humbert Humberts in Nabokovs Lolita auf ein optisch junges Objekt durch die räumliche Trennung von diesem fixiert 124 und strebt wie die Romanfigur danach, sich in dessen optisch-eidetischer statt in der ontologischen Identität zu verwirklichen. 125 Allerdings schildert das Drama kein derart prägendes Erlebnis wie der Roman, in dem die Trennung die sich anbahnende und heißersehnte Vereinigung verhindert, was die Fixierung der erfüllten Libido plausibel macht. Phaedra hat dagegen zwei Kinder mit und von Theseus. Das Motiv der zeitüberbrückenden Iteration, die nur objektiv besteht, da das begehrende Subjekt ja die fetischartige Identität der Objekte der Begierde herstellt, um die Realisierung der Begierde nachzuholen, ist also psychologisch wie literarisch in der Phaedra schwächer als bei Nabokov. Die Chronologie der Libidodevianz ist wohl eher umgekehrt: Nicht eine Trennung in der Jugend fixiert sie, sondern die Abwesenheit in den besten Jahren läßt sie auf das jugendliche Objekt zurückgehen. Bei beiden literarischen Figuren ist es jedoch die Libido, welche die Identität herstellt. Die Identität bleibt nicht nur optisch-eidetisch, sondern ist substitutiv-fetischistisch, da das begehrte Objekt für ein anderes steht und nur von der Libido mit diesem gleichgesetzt wird. Identität und Semiogenese gehen also bei der Libido Hand in Hand. In Plautus’ Amphitruo ist es nicht die Begierde der ehebrecherischen Frau, sondern des männlichen Ehebrechers, die den Ehemann dupliziert. Die Identität wird in dieser Tragikomödie allerdings nicht der eigenen, unbefriedigten Libido, sondern deren so getäuschtem weiblichem Objekt vorgespielt, was zu ihrer Realisierung führt (Näheres s. die Interpretation dieser Komödie). Das Verhältnis von Libido und Alterität / Differenz weicht bei Phaedra ebenso wie bei Iphis und Hippolytus in seiner Grundkonstitution vom klassischplatonischen Muster ab, daß Eros nach dem strebe, was er selbst nicht habe (Smp. 200ab). Die Devianz ist dabei unterschiedlich ausgeprägt. Die grundsätzliche Neigung zum Anderen ist bei Phaedra nicht in der Lage, zu diesem trotz seiner diachronen Veränderungen konstant zu bleiben. Hippolytus’ Misogynie reagiert auf das Andere statt mit Neugier, Zuneigung oder gar Begehren mit grundsätzlicher Ablehnung. Iphis’ Verlangen generiert schließlich sogar die körperliche Differenzierung des ursprünglich identischen Paares und ist damit das einzige funktionierende unter den drei Modellen. 124 Dies wird bei Nabokov so weit expliziert, daß Humbert Humbert geistig vorwegnimmt, daß auch seine Lolita mit dem Erwachsenwerden ihren Reiz für ihn verlieren würde (I,15 S. 65). 125 Zwar sind bei Nabokov drei Objekte der männlichen Begierde im Spiel, so daß Humberts Lolita-Komplex sich in jungen Jahren mit einer dritten Gleichaltrigen ausgebildet hat, mit der er sich durch eine plötzliche Trennung nicht vereinen konnte (I,3 S. 14 f.) und die er in Lolita wiederfindet (I,10 S. 40 f.), doch sind die weiteren Objekte der libidinalen Differenz (oder Regression) wie in der Phaedra genealogisch verbunden, da Humbert zuerst mit Lolitas Mutter zusammen ist, wobei ihre vermeintliche altersbedingte Unattraktivität (I,10 S. 38, v.a. I,17 S. 72 f.) die Regression begünstigt. 620 Denn binnenpragmatisch dominiert die physische Präsenz des Sprößlings. Mit Hilfe der Ambivalenz, die sie durch die Evokation des jungen Gatten erzeugt, kann Phaedra von der Liebeserklärung an den jungen Theseus zu derjenigen an dessen jungen Sohn nahtlos hinübermodulieren. Das Ende ihres Geständnisses hebt die persuasiv-psychologische Ambiguität des miserere viduae durch ein univokes miserere amantis (v. 671) auf und läßt in der sententiös-rhetorischen Vorhersage finem hic dolori faciet aut vitae dies (v. 670) den Nexus von Eros und Thanatos wieder aufleben, der bereits ihrer Selbstmorddrohung innewohnte und im Fortgang des Dramas sie und den Angeredeten physisch eliminieren wird. Auch hier klingt wieder nach der strategischen Ambivalenz Euripides’ Medea an, die an einem Tag ihre Transgressionen und Eliminierungen vollbrachte (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos in der Interpretation dieser Tragödie). Durch diese Anspielung wird Phaedra als treibende Kraft der Handlung herausgearbeitet. Daß hinter ihren Worten der morbide Wunsch steht, von der Hand ihres Geliebten zu sterben, zeigt der Fortgang des Dialogs. Phaedra fährt mit der Schilderung ihres Wahnsinns fort (v. 699: mei non sum potens, v. 702: quacumque gressus tuleris hac amens agar), der sich in der Entschlossenheit ausdrückt, auch das Wüten von Naturkräften gemeinsam mit dem Geliebten zu durchschreiten (v. 700: te vel per ignes, per mare insanum sequar). Als sie dabei versucht, sich ihrem Stiefsohn zu nähern, zückt dieser das Schwert, um nicht nur dieses die verdiente Strafe vollziehen zu lassen (v. 706: merita supplicia exigat), d.h. die Eliminierung, welche die Transgression nach sich ziehen müßte, sondern um seine Stiefmutter der Diana zu opfern (v. 707-709), also symbolisch seine sexuelle Integrität und Unberührtheit zu wahren. 126 Phaedra begrüßt diese Tötungsabsicht mit Erleichterung (v. 710 f.): nunc me compotem voti facis; / sanas furentem. Phaedras Antwort deutet nicht nur die keusche Abwehr zur Liebesvereinigung um, 127 sondern illustriert auch, welche Gewalt der furor über sie hat, da dieser nur durch einen anderen und den Tod geheilt werden kann. Dieses Liebes- und Leibesopfer kann keineswegs ihre moralische Integrität wahren (v. 711 f.), 128 wie Phaedra hofft, da Hippolytus zuvor ihre impudici tactus abwehrt (v. 704 f.). Auch hier zeigt sich wieder Euripides’ Medea als interdramatischer Subtext: Hippolytus stilisiert die Tötung seiner verworfenen Stiefmutter wie Medea den Mord an ihren Kindern zum Opfer, pervertiert jedoch anders als 126 Daß Hippolytus’ einzige faktische - nicht ausgeführte - Aggression Phaedras libidinöse Transgression abwehren soll, zeigt, wie textfern Roismans Spekulation ist (2000: 83): „Although Hippolytus did not rape Phaedra, her accusation gains force from the unconscious [sic! ] revelations in his tirade of both the possibility of sexual violence in his nature and his inexplicable aversion of women.“ 127 Ebendieses umdeklarierende Motiv, sich im und durch den Tod mit dem Geliebten zu vereinen, übersieht Bernd Seidensticker, Die Gesprächsverdichtung in den Tragödien Senecas. Diss. Hamburg 1968. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaft 32. Heidelberg 1969, 102, wenn er Phaedras Tötungswunsch und Selbstmord existential-tragisch als Verzweiflungstat deutet. 128 maius hoc voto meo est, / salvo ut pudore manibus immoriar tuis. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 621 diese und die Seneca-Dramen Troades, Thyestes und auch seine Medea 129 nicht dessen Regeln. Denn sein Opfer wäre anders als im Falle Medeas und ihrer Kinder insofern keine Transgression selbst, als er eine Transgressorin und kein unschuldiges Opfer eliminieren würde. Zudem verzichtet er anders als Medea auf das Opfer, da es fraglich scheint, ob Phaedra durch ihre Transgression nicht - wie der homo sacer (dazu s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Interpretation von Euripides’ Medea) - unrein und ein unwürdiges Opfer geworden ist. 130 Die Befleckung bleibt denn auch auf der menschlichen Ebene das Leitmotiv seiner Reaktion: Phaedras Vergehen ist größer als dasjenige ihrer Mutter Pasiphae, weil diese nur sich befleckt habe (v. 689 f.: illa se tantum stupro / contaminavit) (und nicht einen anderen, darf man vermuten) und Hippolytus läßt sein Schwert deshalb zurück, weil es durch den Kontakt mit Phaedra befleckt wurde. Das Motiv ist hierbei seine eigene Reinheit, da die Waffe nicht an seine keusche Seite zurückkehren darf (v. 713 f.: castum latus). Sie sieht er durch Phaedras körperliche Annäherungsversuche gefährdet (v. 704 f.: Procul hinc impudicos corpore a casto amove / tactus), die er samt ihres Todeswunsches in diesen Versen zurückstößt (Abscede, vive, ne quid exores). Über die Abwehr der Berührung aktualisiert Hippolytus haptisch das Tabu des Inzests und verleiht der Transgression so in der dramatischen Interaktion eine ethnologische Komponente. Die Transgression kulminiert im intentionalen Einbruch der Leiblichkeit in die verbale Interaktion (damit kontrastiert der Szeneneingang, bei dem Hippolytus die ohnmächtige Phaedra aufgefangen hatte und bei dem die einzige Intention seine Hilfsbereitschaft war) und lokal in der Unterschreitung des körperlichen Mindestabstandes, die konträr zur Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra ist. Die Bemerkung, daß seine Befleckung nicht einmal von Tanais oder Mäotis (d.h. Don und Asowschem Meer) abgewaschen werden könne, die ins Schwarze Meer mündeten (v. 715-718), ist eine Reminiszenz der shame culture und verweist deutlich auf den OT, wo Istros und Phasis illustrieren, es sei unmöglich, das Haus der Labdakiden zu reinigen (v. 1227 f.). Diese eindeutige interdramatische Kontrastfolie ist für die Interpretation ausgesprochen fruchtbar: Anders als im OT stellt Hippolytus eine geographische Abfolge der Gewässer her. Dies stellt eine weitere Emphase dar, da es implizit die Möglichkeit ausschließt, daß die Befleckung verdünnt wird. (Andernfalls könnte nicht bestritten werden, daß das nachfolgende Gewässer sie abwäscht.) Außerdem nennt er solche aus dem Skythenland, dem seine Mutter, die Amazone Antiope entstammt (Coffey/ Mayer 154 a.l.). Die geographische Angabe unterstreicht also seine Selbstbezogenheit. Anders als der OT lokalisiert Hippolytus die Gewässer im Barbarenland und spiegelt so wie die Amme (v. 165-168) und später Theseus’ protorassistisch 129 Eckard Lefèvre, A cult without God or the unfreedom of freedom in Seneca tragicus. CJ 77 (1981) 31-36, h. 33-36. 130 Die Reinheit als notwendige Voraussetzung des Opfers schlägt sich noch im Vorschlag einer etymologischen Entsprechung von lat. daps, dapis f. und dt. Ungeziefer (WH I 323 s.v. daps, Ernout/ Meillet 164 s.v. daps; dagegen Kluge/ Seebold 848 s.v. Ungeziefer „Herkunft unklar“, Pfeifer 1496 s.v. „Herkunft ungewiß“; unergiebig de Vaan, Orel 406 s.v. *tibran und Kroonen 516 s.v. *tibraschlagen dagegen eine Brücke zu gr. ) nieder. 622 anmutende (degener sanguis) Reaktion auf Phaedras Denunziation (v. 906-908) die Normabweichung der sexuellen Transgression, indem er sie geographisch (und ethnisch-kulturell) aus dem Kreis des Heimischen verbannt. Zudem läßt die Parallele aus dem OT auch die Hyperbolik von Hippolytus’ vermeintlicher Befleckung und seiner Selbstbezichtigung erkennen: Schließlich ist er anders als der thebanische König von keinerlei Blutschande mit seiner leiblichen Mutter befleckt, sondern ist nur zum Objekt der Begierde seiner Stiefmutter geworden, deren körperliche Avancen er sogleich mit angedrohter Waffengewalt zurückgewiesen hat. Euripides’ Hippolytos will denn auch nur seine Ohren waschen (v. 653 f.). Die Reaktion seines senecanischen Analogons auf Phaedras Eröffnung ist also genauso exaltiert wie seine pauschale Misogynie, in deren Tradition sie steht (s.u. am Ende des Unterabschnitts). Hippolytus’ Chancen als Identifikationsfigur werden durch diese textinterne Rezeptionslenkung unterlaufen. Gleichwohl zeigt Hippolytus’ vehemente Abwehr, mit der er Phaedras Eröffnung ihrer transgressiven Libido erwidert, wie weit Lefèvres gleichwohl kontrastiv erhellendes Gedankenspiel von der Realität des Dramas und seiner Figurenzeichnung entfernt ist (1969: 134 f.). Der Freiburger klassische Philologe konstruiert nämlich den Fall, daß Hippolytus Phaedras Zuneigung erwidert, aber aus Achtung vor seinem Vater auf diese Liebe verzichten würde. Hippolytus hätte seiner Meinung nach „ein tragisches Geschick klassischer Prägung“, wenn er seine Entscheidung zugunsten des honestum mit dem Leben bezahlen würde, da die Amme und Phaedra ihn verleumden. Abgesehen davon, daß Hippolytus doch in der Antragsszene eine beachtliche pietas gegenüber seinem Vater und den Göttern bezeugt und Phaedras Begierde bei aller rhetorischen Exaltiertheit und Digression wegen ihrer Transgressivität zurückweist, konstruiert Lefèvre hier mit Hippolytus’ Neigung für Phaedra hypothetisch den klassischen neuzeitlichen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung in ein antikes Drama hinein. Interessant ist seine Bemerkung, daß gegen die Verbindung von Stiefsohn und Stiefmutter „nach natürlichen Gesetzen nichts spräche“, weil der Stoa sogar die Entkriminalisierung des Mutterinzests nachgesagt wird und diese von einigen Diatribenschreibern auch vertreten wird (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen des Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa). Daß Seneca diesen Weg nicht eingeschlagen hat, der sich doch nach seiner Schulaffinität angeboten hätte, zeigt deutlich, wie wenig es ihm um ein sozialreformatorisch-aufklärerisches Lehrstück zu tun war, das außerhalb seines literarischen Kreises linearen Einfluß auf die Gesellschaft nimmt. Daß es ihm statt dessen um die literarästhetische Darstellung (um nicht zu sagen: Ausmalung) der Monstrosität der Transgression ging, wird von Lefèvres Argument vernachlässigt, der in Hippolytus’ empörter und gewiß exaltierter Reaktion auf die Offenbarung der nicht nur von ihm, sondern auch von der Amme als monströs eingestuften Transgression jeglichen Versuch vermißt, „menschliches Fehlen zu verstehen oder gar, wie es Aufgabe des stoisch Gebildeten wäre, zu heilen“ (1969: 139). Tatsächlich verlangt Lefèvre von Hippolytus hier - wie die Amme just in derselben Situation in E. Hipp. 615 ( ’ ) unmittelbar vor dessen empörter Reaktion auf das Liebesgeständnis - die Erfüllung der lebensweltlichen laxen Moral 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 623 Nach stoischer Orthodoxie läßt indes kein Verständiger Verzeihen gegen sich Verfehlende walten (SVF III 640, vgl. SVF III 641). Auch Seneca vertrat in dieser Frage eine harte Haltung (clem. 2,7,1 = SVF III 453: sciemus dari illam [sc. veniam] a sapiente non debere), auch wenn er im Folgenden praktisch für ein Höchstmaß an Milde plädiert (2,7,2: parcet enim sapiens, consulet et corriget). Diese interdramatischen und moralphilosophischen Parallelstellen ergeben ein komplexes intertextuelles Bild, das sich jedoch kaum derart eindeutig auf Lefèvres Formel bringen läßt. Immerhin könnte man die Parallelstelle aus Euripides’ Version als deutliches Indiz dafür werten, daß Hippolytus’ Verhalten tatsächlich aus dem Blickwinkel von Senecas konzilianterer Moral aus De clementia zu sehen ist. Das Drama würde damit nicht, wie von Dingel pauschal angenommen, die stoischen Lehren an sich, sondern nur den orthodox-stoischen Rigorismus in der Moral als unangemessen überführen. Doch diese Deutung räumt den moralphilosophischen Schriften einen Primat gegenüber dem dramatischen Werk ein, der fraglich bleibt, und droht überdies den Gattungsunterschied aus dem Blick zu verlieren. Denn man kann von Hippolytus, der nicht nur wie Oidipus von der sexuellen Transgression persönlich betroffen ist, sondern deren Objekt und nicht wie der thebanische König deren Subjekt ist, nach dramatischem und rhetorischem wahrhaftig nicht erwarten, daß er sich wie der Sprecher von Senecas moralphilosophischen Schriften mit seinen literarischen Gesprächspartnern ruhig hinsetzt und sie im psychotherapeutischen Gespräch von ihren Lastern zu heilen versucht. Das primäre Vergehen bleibt Phaedras transgressive Leidenschaft. Die intertextuellen Bezüge dienen allenfalls dazu, über die Diskrepanz von Senecas Humanitätsforderungen dramenästhetisch die Exaltiertheit von Hippolytus’ Reaktion herauszupräparieren, aber nicht dazu, ihn moralisch zu diskreditieren. Daß Hippolytus sich durch seine Misogynie selbst als sein eigener Feind zugrunde richte, wie Lefèvre annimmt (1969: 138 f.), übersieht die dramatische Dominanz von Phaedras transgressivem furor, dem Hippolytus im Drama zum Opfer fällt und der ihn auch ohnehin mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Theseus’ Rückkehr vernichtet hätte, wenn er Phaedras Ansinnen nachgegeben hätte. Mag Hippolytus auch verbal und faktisch mit einem Zornesausbruch auf die transgressive Offenbarung seiner Stiefmutter reagieren, muß man gegen Lefèvre, der von seiner ira spricht (1969: 140), doch festhalten, daß das Drama nur das Verhalten des Vaters (so dieser selbst in v. 1206), nicht aber dasjenige des Sohnes als ira einstuft. Dies entspricht ja auch der dramatischen Sachlage. Schließlich führt Hippolytus abgesehen von seinen Tiraden keine faktisch aggressiven Handlungen aus, da er das Schwert zurückläßt, das er gegen seine Stiefmutter gezückt hat, während sein Vater ihn durch seinen Fluch tatsächlich vernichtet. Insgesamt verwechselt Lefèvre Senecas differenzierende Figurenzeichnung, die eine eindeutige, v.a. identifikatorische Rezeption konterkariert, mit der Kausalität des Dramas, dessen Verlauf von Phaedras transgressivem furor diktiert wird. Medeas Freude an der Schilderung des grausamen Todes ihrer königlichen Widersacher war ein sadistisches und voyeuristisches Element eigen (s. 3.5 Gender, Inversion und Perversion in der Interpretation dieser Tragödie). In Phaedras Todeswunsch ist wiederum ein gewisser Masochismus erkennbar. Er affirmiert 624 das Scheitern von ratio und philosophischer Paränese. Zudem greift Phaedras Wunsch auch insofern auf die Interaktion mit ihrer Amme zurück, als sie ihren pudor gewahrt sähe, wenn sie durch den Geliebten stürbe (v. 712: salvo ut pudore manibus immoriar tuis). Die physische Integrität, ja Existenz tauscht diese Formel wie bei der Drohung des Ehrenselbstmordes gegenüber der Amme gegen die soziale. Das ist freilich seinerseits nicht tragisch, da Phaedra mit dem furor selbst das Moment in sich trägt und genährt hat, das ihre soziale Integrität bedroht, und sie die Verantwortung für ihre Eliminierung dem von ihr transgressiv Begehrten zuschiebt. Die von Phaedra erstrebte Handlungskonstellation pervertiert somit den Ehrenselbstmord Lucretias, die auf den Verlust der sozialen Integrität, da Sextus Tarquinius sie vergewaltigt hatte, selbst mit physischer Eliminierung reagierte. Wie wichtig ihr die Ehre war, zeigt der Umstand, daß Sextus Tarquinius sie bereits mit dem Verlust ihrer Ehre erpreßt hatte (Liv. 1,58,1-12). Daß Phaedra das Lucretia-Muster pervertiert, stützen drei weitere Parallelen: Erstens auf der praktischen Ebene der Gebrauch eines Messers als Selbstmordinstrument (Liv. 1,58,11: cultrum), das qua Hieb- und Stichwaffe Phaedras Schwert entspricht, dann zweitens auf der pragmatisch-motivationalen die Klage, die Lucretia über die Vergewaltigung gegenüber ihrem Gatten L. Iunius Brutus führt und die auf den Verlust der Schamhaftigkeit für eine Frau abhebt (Liv. 1,58,7: quid enim salvi est mulieri amissa pudicitia? ). Sie geht mit der Versicherung der eigenen moralischen Unschuld einher, die in Kontrast zur körperlichen Vergewaltigung steht (Liv. 1,58,7: corpus est tantum violatum, animus insons). Phaedras Rede bietet denselben Handlungsablauf wie die Lucretia-Episode, da sie die Einschüchterung vorausschickt (v. 891-893). 131 Die physische Integritätsverletzung habe nicht die moralische berührt. (Die Integrität erhält hier durch die manuell-haptische Aggression ihre etymologische Bedeutung 132 zurück.) Augenfällig wird diese Übereinstimmung an der lexikalischen Wiederkehr von animus, dessen Vorkommen die Perversion von Senecas psychagogischer Rhetorik der Standhaftigkeit offenbart. Daß Phaedra den Bitten ihres späteren Vergewaltigers widerstanden habe, kehrt das Rollenverhältnis der beiden um, wie denn auch die Initiative zur körperlichen Berührung von ihr ausgegangen ist. Diese verdrehende Lüge ist ein weiteres Merkmal von Phaedras pervertierendem Handeln. Die dritte und ebenfalls bedeutende, da auf der Handlungsebene anzusiedelnde Parallele ist schließlich die Rache, die der Ehemann an dem angezeigten Transgressor für die sexuelle Integritätsverletzung nimmt, und die nachfolgende physische Selbsteliminierung seiner Frau, die im Kontext der Vergewaltigung bei Phaedra nur angedroht und erst später aus einem anderen Grund ausgeführt wird. Ihre paradoxe Formulierung der Schuld, die ihren Todeswunsch motiviere (v. 880: Quod vivo), hebt dabei einerseits darauf ab, daß sie sich ihrer Meinung nach hätte eliminieren müssen, da sie die soziale Integrität verloren habe, die wie bei Lucretia mit einem von pudabgeleiteten Substantiv benannt wird, andererseits darauf, daß sie die erste Selbst- 131 temptata precibus restiti; ferro ac minis / non cessit animus: vim tamen corpus tulit. / labem hanc pudoris eluet noster cruor. 132 WH I 708 s.v. integer, Ernout/ Meillet 676 s.v. tang , de Vaan s.v. tang . 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 625 morddrohung, die sie gegenüber der Amme geäußert hatte, nicht ausgeführt hatte, 133 also eine doppelte Unterlassung der physischen Selbsteliminierung, die bloß gespielt und intentional nur gegen eine fremde moralische (und faktisch auch physische) Integrität gerichtet ist. Der Vergewaltigungsvorwurf, den Phaedra zur Exkulpierung fingiert, verschiebt die Desubjektivierung, die der furor verursacht, auf die Person, welche das Objekt des libidinösen furors war. Dem äußeren Auslöser der unbezwungenen und von ihm unerfüllten Begierde schreibt Phaedra also die Gewalt zu, die von der eigenen unkontrollierten Begierde ausgegangen war, ein klassischer Fall von Projektion. Die behauptete Standhaftigkeit des animus (v. 892) ist das genaue Gegenteil von dessen Überwältigung durch den furor, die Phaedra im Gespräch mit der Amme zugibt. Wie in diesem wahrt und restauriert der Vergewaltigungsvorwurf, den Phaedra gegen Hippolytus gegenüber ihrem Gatten erhebt, ihren Status als Subjekt allenfalls im diskursiv-ideologischen Bereich, da sie ihr autopsychagogisches Versagen durch die verbal geäußerte Projektion kompensiert. 7.2.6 Diskontinuitäten, Chthonik und Monstrosität infolge des Wütens der Transgression Im Verlaufe des Dramas bricht sich der transgressive furor unaufhaltsam und immer destruktiver gegen alle Widerstände Bahn: Nachdem er sich Phaedras bemächtigt hat, offenbart er sich der Amme, die trotz philosophischer Widerstände zu seinem Werkzeug gezwungen wird. Mit der Offenbarung an Hippolytus, der sich ihm verweigert, beginnt sein aggressiv-destruktives Übergreifen in das außerverbal Faktische und Praktische. Der Moment, in dem Hippolytus erkennt, daß seine Stiefmutter ihn inzestuös liebt (v. 671-697), ist nicht bloß ein Augenblick der Unmittelbarkeit und dramatischen Immanenz wie im OT Oidipus’ Erkenntnis seiner transgressiv-inzestuösen Identität, sondern markiert die Peripetie des Dramas, die also wie im OT durch die Erkenntnis der inzestuösen Transgression gekennzeichnet ist, dort durch den Transgressor, hier durch das Objekt. Die Peripetie wird besonders deutlich daran, daß es ab diesem Punkt kein Zurück mehr gibt und nun an die Seite verbaler Interaktionen angedrohte (so das Opfer der Phaedra durch Hippolytus) oder reale Taten der Eliminierung treten, wie Hippolytus’ erst lokale und dann physische. Die eskalierende Linie der Eliminierungen gipfelt und endet schließlich in Phaedras Selbstmord. Wie ein Einschlagpunkt auf einer Glasscheibe, von dem Risse ihren Ausgang nehmen, wird die Transgression qua Peripetie zum Ursprung für verstärkte Sprung- 133 So treffend Seidensticker 1969: 98-102, der als dritte Bedeutung eine Existentialschuld Phaedras annimmt, die daraus resultiere, daß die schuldhafte Liebe ein untrennbarer Teil ihres Lebens sei, und hieran eine Tragik Phaedras knüpft (1969: 101 f.). Diese Essentialisierung der Transgressivität setzt Seidensticker mit dem Fluch des Sonnengottes fort (s. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra). Wie Lefèvre übersieht er jedoch, daß die vermeintlich exkulpierenden Momente Teile der Figurenrede und damit der Figurenzeichnung als hoffnungslos transgressiv und integritätsverletzend sind und deshalb keine Tragik begründen können. 626 haftigkeiten und Diskontinuitäten in der Sukzession der Handlungen und in der Rede der Figuren - bislang konzentrierte sich die Spontaneität mit furor und voluntas auf die Motivation der Figuren 134 -, für verstärkte Monstrosität und infernalisch-chthonische Elemente, zwei Merkmale, die mit Theseus’ Rückkehr aus der Unterwelt und dem Erflehen des Meerungeheuers nun ebenfalls von der Binnenhermeneutik und Inspiration (Hekate) in die Handlung wechseln. Daß dieser Wechsel der Monstrosität und damit auch diese infernalisch ist, zeigt Theseus’ dramatisch naives Referat, Herakles habe ihn zusammen mit Zerberus nach oben getragen (v. 844 f.: supernas ... ad sedes). Der Exekutant von Phaedras monströser Transgression ist also selbst zusammen mit einem Monstrum in einem vertikalen Bewegungsakt in die Oberwelt befördert worden. Augenfälliger könnte der Nexus von Infernalität und Monstrosität nicht dargestellt werden. Die restriktiv-koerzitive Funktion des Zerberus (hier ebenfalls nur canis genannt [v. 223]), die wirkungslos gegenüber Theseus sei, spricht bereits die Amme in der Diskussion mit Phaedra klar aus, auch wenn sie die tatsächliche Ausführung nicht erahnen kann, da Hercules zufällig interveniert (v. 222-224). 135 Der Gedanke der Amme macht offensichtlich, daß der thebanische Halbgott, indem er Zerberus und Theseus parallel an die Oberwelt befördert, nicht nur dem Monströs-Infernalischen den Weg dorthin bahnt, sondern überdies die Engstelle bzw. den Pfropfen ausschaltet, welche den Austausch zwischen den beiden Welten stark einschränkt und in der Regel ganz verhindert, weil sie den Schrecken des Monströsen zur Disziplinierung nutzt. Hinsichtlich der hodologischen Restriktion der Transgression haben die beiden Monstren Minotaurus und Zerberus also eine diametrale Funktion: Der Zerberus verschließt mit Plutos Willen (v. 222 f.: Ne crede Diti, clauserit regnum licet, / canisque diras Stygias observet fores) den linearen Zugang zur Unterwelt mit ihren Schrecken und Qualen, der monströse Minotaurus wird als Ausgeburt der Transgression und Verirrung durch menschliche Kunst in einen ausweglosen Irrgarten eingeschlossen, welcher die lineare Bewegung vereitelt (v. 121 f.). Es ist wohl kein Zufall, daß Phaedra im nächsten Vers klagt, auch Daedalus könne ihr keine Hilfe bringen, sondern symptomatisch für die Gewalt ihres leidenschaftlichen furors, der alle Kontrollmechanismen sprengt und sich gewaltsam Bahn bricht. Wenn man die eindeutig sexuelle Ausrichtung von Phaedras Begehren an dieser Stelle in Rechnung stellt, die sich aus dem Verweis auf die körperliche Vereinigung ihrer Mutter Pasiphae mit dem Stier ergibt, dann kommt man nicht umhin, synoptisch eine interpretatorische Brücke zu Theseus’ zu schlagen und die Beförderung des blokkierenden Höllenhundes an die Oberwelt als psychoanalytische Analogien für das Aufbrechen der Triebkontrolle zu sehen. 136 Als solches hat Schiesaro das 134 Moretti 1995: 192 f. sieht einen Zusammenhang zwischen Senecas dogmatischer Innovation des Willens und seiner gewandelten Rhetorik der „predicazione“, welche die bereits traditionellen stoischen rhetorischen Figuren der Diskontinuität und Sprunghaftigkeit wie obscuritas, Paradox und brevitas rhetorisiert einsetzt. 135 Ne crede Diti, clauserit regnum licet, / canisque diras Stygias observet fores: / solus negatas invenit Theseus vias. 136 Ähnlich deutet auch Charles Segal, Euripides’ Bacchae: The Language of the Self and the Language of the Mysteries. In: Ds., Interpreting Greek Tragedy. Ithaca 1986, 294-312, h. 307 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 627 zwangsweise Zerren des Tantalus an die Oberwelt durch die Furie zu Beginn des Thyestes (2003: 2) gedeutet (v. 1-121). Für eine körpersymbolische psychoanalytische Interpretation bietet allerdings anders als in Euripides’ Medea nur Theseus’ Fluchrede, mit der er auf Phaedras Denunziation reagiert, ein schwaches textliches Indiz (v. 926-929, v.a. 928 f.: quod non ad antra Stygia descendens tibi / matrem reliqui). Deshalb muß man es in diesem Punkt bei einer vertikalen Analogisierung bewenden lassen: Phaedras unterleibliches Begehren, das nicht dort gebannt bleibt, sondern sich den Mitmenschen verbal offenbart und ihr Denken und Handeln bestimmt, führt in derselben vertikalen Bewegung den unterweltlichen Schrecken nach oben ans Licht, wo er vor aller Augen erscheint. Daß die Monstrosität mit fortschreitender dramatischer Realisierung zunimmt, zeigt auch die Morphologie der erwähnten Monstren. Der Höllenhund wird hier zwar nur canis genannt (v. 223), überbietet jedoch wegen seiner mythologisch verbürgten Dreiköpfigkeit den Minotaurus, der mit dem Attribut biformis (v. 691) nur eine zweiwertige Monstrosität aufzuweisen hat, noch in der monströsen Polyvalenz bzw. Exzessivität von der Norm um eine Größe. Außerdem ist der Minotaurus nur aus Tier und Mensch zusammengesetzt, also qualitativ monströs, während der dreiköpfige Höllenhund nichts Menschliches hat und überdies seine Monstrosität mit der Verdreifachung des Kopfes das quantitative Merkmal der Exkreszenz aufweist. 137 Es wäre verlockend, in den drei Köpfen, die auf einem einzigen Hals sitzen, ein Bild für die Konkurrenz um die Position des Patriarchen zu sehen, für die es zwei Anwärter gibt. Wie beim Dreiweg und dem Massaker dort liefe Mehrwertigkeit auf Einwertigkeit zu und würde eliminatorisch auf diese reduziert. Doch jenseits der numerischen Diskrepanz der konkurrierenden Elemente muß festgehalten werden, daß das monströse Detail der Dreiköpfigkeit nicht erwähnt wird. Zudem ist der Konflikt um die Position durch Hippolytus’ Flucht entschärft und die Konfrontation von Vater und Sohn entspringt nur der von Phaedra transgressiv vorgetäuschten monströsen Transgression. Die Mitteilung von Phaedras beiden als monströs empfundenen Transgressionen an Vater und Sohn sind die entscheidenden Konvergenzstellen der Handlung, welche die eliminatorische Dynamik in Gang setzen. Parallel dazu ist die Richtung der handlungsemblematischen Dynamik bei den Monstren umgekehrt. Sie verläuft nicht zur konvergenten Einwertigkeit, sondern von der Zweizur Dreiwertigkeit und damit zur Exkreszenz und gesteigerten Monstrosität. Zudem übertrifft der Zerberus, der vertikal aus der Tiefe kommt, auch in der Bewegung den Minotaurus, der sich horizontal im Labyrinth bewegt. Die faktisch-handlungssymbolische Dominanz der Monstren und des Monströsen ist handlungstheoretisch das logische Korrelat des Scheiterns der Figuren Theseus und Hippolytus bei der aemulatio in der Überwindung des Monströsen, die Kirichenko herausgearbeitet hat (2013: 47, 57). Der Triumph des Monströ- f., daß Pentheus’ Versuch, Dionysos auch lokal einzufrieden, der mit der Wurzel geschildert werde, von der dionysischen Entfesselung seiner Sexualität abgelöst werde. 137 Für dieses Merkmal des Monströsen und des Barock s. Christian Grünnagel, Klassik und Barock - Pegasus und Chimäre. Französische und spanische Literatur des 17. Jahrhunderts im Dialog. Diss. Heidelberg 2009. Heidelberg 2010, 101-133. 628 sen über die männlichen Einzelfiguren ist zugleich derjenige des irrational-unpersönlichen furors, der Phaedra beherrscht und die Transgressionen generiert, deren Ausgeburt die Monstren sind. All die genannten Elemente des Monströsen, die vektoralen, morphologischen und genealogischen, werden in Gestalt des Seeungeheuers gebündelt und gesteigert. Es kommt mit der Flutwelle wie der Zerberus aus der Tiefe (v. 1015: consurgit, vgl. v. 1040: sub undis natum), vollzieht diese Bewegung allerdings selbständig. Nach der dramatischen Kausalität ist es freilich - wie der Minotaurus - die Ausgeburt der Transgression, und zwar der Eheleute Phaedra und Theseus. Soweit zu seiner dramatischen Genealogie. In der Morphologie greift es die Polyvalenz des Minotaurus auf, allerdings ohne menschliche Züge und ohne Beschränkung auf den Bimorphismus, da es Elemente eines Stiers, Pferdes (v. 1037: iuba) und Wals kombiniert, hierin also der Dreizahl der Köpfe des Höllenhundes folgt (v. 1035-1049). Das Auftauchen des Seeungeheuers wird nicht nur wegen der damit verbundenen Neuheit binnenhermeneutisch spekulativ als Emergenz wahrgenommen (v. 1021: Cyclas exoritur nova? ), welche dieselbe irrationale Spontaneität wie der furor kennzeichnet, dem sie entspringt, sondern diese Neuigkeit ist überdies mit einem weiteren Merkmal des Monströsen korreliert, 138 dem allgemeinen Erstaunen (v. 1025: Haec dum stupentes sequimur) und markerschütternden Schrecken (v. 1034: os quassat tremor), der sich bis zur panischen Flucht steigert, von der sich allein Hippolytus absetzt (v. 1050-1055). Diese metatheatralische Implikation des Staunens (stupere) tritt anderen Seneca- Dramen deutlicher hervor (z.B. Tro. 1125: crescit theatri more). 139 Nach der Nachricht von Hippolytus’ Tod wünscht Phaedra, Neptun möge die Seeungeheuer gegen sie schicken, macht also das Monstrum zum kontrafaktischen Instrument der Eliminierung der wirklichen Transgressorin, die sie in dieser Szene vollzieht (v. 1159-1163). Der spekulativ-evasive Charakter des Monstrums in Phaedras Rhetorik zeigt sich auch daran, daß sie den toten Hippolytus fragt, welcher Minotaurus ihn so zugerichtet habe (v. 1169-1173). Daß sie die Letztverantwortliche für Hippolytus’ Eliminierung und die Urheberin dieser monströsen Transgression ist, klingt auch durch das Attribut biformis des Minotaurus an (v. 1172), das die ambivalente Zweiwertigkeit aufgreift, mit der ihre beiden Transgressionen operiert haben. Wenn Phaedra wie bei der Eröffnung ihrer transgressiven Begierde (v. 119-123) erwähnt, Daedalus habe den Minotaurus eingeschlossen (v. 1171), so ist dies abermals ein Hinweis darauf, daß sie ihre Begierde nicht unter Kontrolle gehalten und so Hippolytus’ Eliminierung verursacht hat. Hippolytus’ Kommentar zu Phaedras Liebeseröffnung ist nicht nur von Entsetzen, das wir vom Auftauchen des Seeungeheuers kennen, über die monströse Transgression geprägt, sondern außerdem von Empörung über sie und dabei ein gutes Beispiel für die Monstrosität, Sprunghaftigkeit und rhetorischen Emphase, welche die Mitteilung der Transgression in diesem Drama nach sich zieht. Theseus reagiert in noch gesteigerter Weise auf die Nachricht vom Tod seines Soh- 138 Grünnagel 2010: 298 Anm. 1171 („Marinos far stupire“). 139 Gregory A. Staley, Seneca and the Idea of Tragedy. Oxford 2010, 80. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 629 nes, d.h. seiner physischen Eliminierung, und Phaedras vorangehende Denunziation ihrer tatsächlichen Transgression. Dabei stuft er entsprechend der Verbalderivation monstrare 140 das Zeigen des belastenden Beweisstückes als Schau eines Monstrums ein (v. 898: quod monstrum intuor? ) und zeigt so beiläufig die Brücke zwischen Monstrosität und (Meta-)Theatralität auf. 141 Da das corpus delicti in dieser Szene unbestritten als Peircesches Zeichen (index) fungiert, eine Funktion, die es nur dank seiner Zeichenmarkiertheit erfüllen kann, die seine konkrete Besitzidentifikation erlaubt, wird das Monstrum entsprechend seiner Grundbedeutung „Weisung, Mahnung“ 142 zum Zeichen und Teil der dramatischen Semiotik und Vehikel der Anagnorisis. 143 Theseus’ Sohn greift das Motiv der Monstrosität der Transgression mit hyperbolisch-amplifikatorisch-komparativem genealogischem Hintergrund auf (v. 688 f.), 144 welche bereits die Amme in Phaedras inzestuöser Begierde ausgemacht hatte (v. 174-177: cur monstra cessant? - für den vollen Wortlaut s. 7.2.3 Phaedra und die Amme). Diese beiden Stellen klären das kausale Verhältnis zwischen sexueller Transgression (v. 691: crimen, v. 692: scelus matris) und Monstrosität: Jene gebiert das Monstrum Minotaurus. Ein solches ist auch Phaedra, da sie demselben Schoß entstammt (v. 693), also die des Monstrums ist, was sie nachgerade genealogisch zu ihrer monströsen sexuellen Transgression zu prädestinieren scheint. Daß der Minotaurus nur in der unteren Körperhälfte Mensch ist, aber einen Stierkopf hat, scheint die Monstrosität und Vertierung von Phaedras Verlangen zu versinnbildlichen, das von ihrem Herz und Kopf Besitz ergriffen hat. Die Transgression ist also zumindest in den besprochenen Fällen der Phaedra der Monstrosität vorgängig und diese nur ihr Merkmal. Dieser Zusammenhang ist insofern folgerichtig, als über die Zuordnung einer Tat(sache) zu einer der beiden Kategorien die Fremdwahrnehmung entscheidet, die im Drama durch die Interaktion mehrerer Figuren generisch gewährleistet ist. Hinter der Transgression steht aber der furor. Letztlich ist er derjenige, der auch über die Monstrosität metatheatralisch wirksam ist. 145 Die von Hippolytus erwähnte genealogische Vorbelastung insinuiert denn wohl auch Phaedra hauptsächlich, wenn sie ihre transgressive Begierde mit der- 140 WH II 109 f. s.v. monstrum, Ernout-Meillet 413 s.v. monstrum. De Vaan 387 s.v. moneo begnügt sich mit einer bloßen Juxtaposition von monstrum und monstro. Für die metatheatralische Implikation dieser drei Wörter, die über die visuelle Vergegenwärtigung ( ) funktioniert, vgl. Staley 2010: 106-109. 141 Vgl. ausführlich dazu Staley 2010: 104-112 („Monstra as Metatheater“). 142 WH II 110 s.v., Ernout/ Meillet 413 s.v. gibt wie WH und de Vaan s.v. moneo dieses als Etymon, als Grundbedeutung dagegen „prodige qui avertit de la volonté des dieux“ an. 143 Diese metatheatralische Rolle, welche die Binnenhermeneutik der monströsen Zeichen spielt, illustriert Staley vor dem Hintergrund der stoischen (Se-)Mantik anhand des Oedipus (2010: 109-112). 144 o maius ausa matre monstrifera malum / genetrice peior! 145 Dieser Nexus scheint eine Besonderheit der Phaedra zu sein. Die Transgression fehlt als tieferer Faktor bei der Analyse des Zusammenhangs von (Meta-)Theater und Monstrosität, die Staley anhand der metatheatralischen Tätigkeit in zwei Passagen aus Senecas Medea und Oedipus entwickelt (2010: 106: „[F]or Seneca monstrum [Kurs. im Orig.] is the core concept of tragedy.“), der Furor tritt bei Staley personifiziert neben der Erinys parallel zum Monstrum als Teil eines nekromantischen Metatheaters in Erscheinung (Oed. 590). 630 jenigen ihrer Mutter erklärt und darüber klagt, daß ihr Verlangen anders als dasjenige Pasiphaes nicht mit technischen Listen erfüllt werden könne (v. 113- 123). Auch sie erwähnt in diesem Zusammenhang die monstra, die Daedalus eingeschlossen habe (v. 122), und damit das monströse Resultat der sexuellen Transgression (und implizit auch deren monströsen Charakter). Die tendenziell apologetische Erklärung ihrer transgressiven Leidenschaft setzt sich genealogisch fort, wenn sie diese auf Venus zurückführt, die sich an den Nachfahren des Sonnengottes räche, da dieser ihren Ehebruch mit Mars offenbart habe (v. 124- 127, v.a. 126 f.: probris omne Phoebeum genus / onerat nefandis). Neben der material-kausalen Beziehung zwischen Transgression und Monstrum konstruiert Hippolytus noch ein semiotisches, das auf dem kausalen aufbaut: Das Monstrum wird zum Peirceschen index der Transgression (v. 690-693, v.a. 690 f.: tacitum diu / crimen biformi partus exhibuit nota). In diesen Versen zeigt sich in Hippolytus’ Mund ein weiterer Nexus zwischen Transgression und Monstrosität: Nicht nur jene, sondern auch diese ist durch Zweiwertigkeit gekennzeichnet. Diese zeigt sich hier im liminalen Status des Minotaurus, der zusätzlich zu biformis als ambiguus infans bezeichnet wird (v. 693). Dadurch wird der körperliche Bimorphismus zum signifiant einer hermeneutisch-semiotischen Liminalität und Ambivalenz, die qua Zeichen der Ambiguität von Phaedras Worten entspricht. Die Sprunghaftigkeit und rhetorische Emphase (um nicht zu sagen: Hyperbolik) zeigt sich daran, daß Hippolytus am Anfang seiner Rede den Göttervater und den Sonnengott wegen der soeben gehörten Verbrechen ob seiner Langsamkeit anruft und auffordert, die Welt zu versengen (v. 671-681). 146 In einer unerwarteten Wendung bittet er dann darum, selbst vom Feuer verbrannt zu werden, da er schuldig sei, weil er seiner Stiefmutter gefallen habe (v. 683 f.: sum nocens, merui mori: / placui novercae.), eine befremdliche Kausalität, die das unfreiwillige Objekt der Begierde zu deren Subjekt macht, um dann im nächsten Aprosdoketon abrupt in scheinbarer Selbstkritik zu fragen, ob dies sein rigor verdient habe (v. 682-686), was wie eine intertextuelle Reminiszenz von Aphrodites Rache an seinem spröden euripideischen Analogon anmutet. Wie in Hippolytus’ Eingangsmonodie zeigt sich hier abermals seine dramatische, ja tragische 146 Zu diesem Motiv und der kosmischen Dimension s. Schmitz 1993: 151-157. Boyle 1997: 30 f. arbeitet formalistisch an dieser Textstelle die Merkmale eines deklamatorisch-rhetorisierten Stils heraus, ohne diese semantisierend für die Interpretation (für die ethopoetische Relevanz dieser Götteranrufung s. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra) fruchtbar zu machen. Kirichenko deutet Hippolytus’ Wunsch als Reaktion auf den Zusammenbruch seiner Weltsicht, die sich als „lebensfremde Utopie“ erwiesen habe, und als Verlangen, die Welt möge in einen chaotischen Zustand zurückfallen, wie er vor dem goldenen Zeitalter geherrscht habe, das Hippolytus’ Weltsicht charakterisiert habe (2013: 55 f.). Doch ignoriert diese Deutung die Rolle von Hippolytus’ sozialer Umwelt, mit der er in einem Verhältnis von (intertextueller) Naivität und Ironie steht (vgl. Littlewood 2004: 262 f. und die übernächste Fußnote), und marginalisiert den Nexus von Transgression (v. 672: scelera) und Welt(un)ordnung (v. 676 f.) in Hippolytus’ Rede, aber auch den theologisch-genealogischen Nexus in seiner antitransgressiven Argumentation (v. 678 f.: radiate Titan, tu nefas stirpis tuae / speculare? ). 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 631 Ironie, da er die Eliminierung heraufbeschwört, 147 die ihn tatsächlich unverdient treffen wird und bei welcher der Bote ihn mit Phaëthon vergleicht (v. 1090- 1092). 148 Erst in einem dritten Schritt und einer abermaligen Wendung in der Kausalität, die sich freilich in der Frage nach dem Verhältnis seines Lebenswandels, seines , zu seinem Status als Objekt der libidinösen Transgression angedeutet hatte, subsumiert er Phaedras transgressive Liebe (malum) unter die weibliche Kriminalität, die er ja bereits gegenüber der Amme beklagt hat (v. 687-697). Phaedras Verhalten bestätigt also sein misogynes Vorurteil, eine Reaktion, die das Identifikationspotential seiner inhaltlich berechtigten und nachvollziehbaren Empörung über ihre Begierde vermindert und eine Distanz des Rezipienten wahrt. Doch entindividualisiert diese Subsumtion die Transgression ebenso wie deren genealogische Einordnung (und minimiert so das Skandalon). In beiden Fällen wird die argumentative Stringenz der Anklage der Transgression jedoch dadurch gewahrt, daß Phaedras Vergehen mit einem Komparativ als ein Übel eingestuft wird, das größer als das Vergehen ihrer Mutter (v. 688) oder Medeas (v. 697) sei (maius malum), auch wenn vom Standpunkt der Referenz, die in Pasiphaes Fall auch im Drama motivisch rekurrent ist, diese Einordnung hyperbolisch und eher unglaubwürdig erscheinen mag. 7.2.7 Hippolytus’ transgressive Eliminierung Nach der gescheiterten libidinös-sexuellen Transgression macht das Duo aus Phaedra und ihrer Amme Hippolytus zum Objekt einer (in)kriminologischen. Daß die Frustration der ehebrecherischen Libido zur Quelle einer weiteren, aggressiv-eliminatorischen Transgression wird, erwägen auch die epiktetischen Diatriben, die unter den Prämissen der epikureischen Ethik hypothetisch einen Ehebrecher noch zusätzlich einen Totschlag ( ) am Ehemann verüben lassen (3.7.16). Doch während der männliche Ehebrecher eigenhändig die transgressive Eliminierung vornimmt, um den Ehebruch zu vertuschen oder zu ermöglichen, bezichtigen die beiden Frauen in der Phaedra den Mann des nicht stattgehabten und von ihnen intendierten sexuellen Delikts und beschwören so seine Eliminierung durch den Ehemann herauf. Diese Schuldabwälzung auf den einen unschuldigen Mann und Täuschung sowie die damit 147 Die zahlreichen rhetorischen Fragen dieser Passage, welche den rhetorisierten Stil augenfällig machen, sind selbstredend emphatische Aufforderungen an die Gottheit, doch noch deutlicher werden diese in den Konjunktiven zum Weltenbrand (v. 674-7) und den gegen Hippolytus selbst gerichteten Imperativen und Konjunktiven (v. 682). Wie später Theseus spricht Hippolytus also einen Fluch gegen sich aus. 148 Insofern ist dieser Wunsch charakteristisch für Hippolytus’ dramatische Naivität, die Littlewood leitmotivisch auch für diese Szene herausarbeitet (auch wenn er exakt Hippolytus’ exaltierten Wunsch nach Selbstvernichtung ausspart) und die ihn zum Opfer der Intertextualität und Ironie der anderen Figuren werden läßt (2004: 262 f.). Bemerkenswert ist allerdings, daß der Anfang von Hippolytus’ Rede zumindest doppeldeutig ist, da zuerst Phaedra das Objekt der göttlichen Strafe zu sein scheint (v. 671-4: scelera audis) und Hippolytus erst später den göttlichen Bannstrahl auf sich lenkt (v. 682: in me tona) und so die Doppeldeutigkeit auflöst. Die massive, schockierende Konfrontation mit der Transgression und der Ironie in ihrem Dienste scheint den unschuldig-schlichten Hippolytus also zumindest anfänglich zur Adaptation der Ironie zu bewegen, mit der die Welt ihn bislang genasführt hat. 632 einhergehende Instrumentalisierung des nicht geschädigten werden durch das auch anderweitig tadellose Verhalten noch perverser, das der Beschuldigte gegenüber dem vermeintlich von ihm Betrogenen gezeigt hat. Denn Hippolytus’ pietas-volle, den Patriarchen substituierende Funktion (s. 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung) wird in der Phaedra dramaturgisch ex negativo daran sinnfällig, daß er vor der Rückkehr seines Vaters faktisch für diesen das Feld räumt. 149 Dadurch erscheint der in absentia ausgetragene Konflikt eindeutig auf der Ebene des Plots, der Handlungsverkettung, als Ergebnis von Phaedras autoexkulpatorischer Intrige. Die Vermeidung intrafamiliärer szenischer Konflikte durch die Evakuierung bzw. den fehlenden re-entry einer Bühnenfigur kennen wir aus Aischylos’ Persern, in denen Atossa ihr Vorhaben, ihrem Sohn neue Kleider zu bringen, nicht in die Tat umsetzt und diesem dadurch das Feld überläßt (s. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung in der Interpretation dieser Tragödie). Doch während das Fehlen der Mutter die Restauration des Sohnes ermöglichte, schafft dessen Fehlen in Senecas Phaedra den Raum dafür, daß die Transgression seiner Stiefmutter ihn eliminiert. Bei Seneca ist sein Abtritt endgültig, seine szenische fällt mit seiner biologischen Eliminierung zusammen, da er erst nach seinem Tod wieder auf die Bühne kommt, während er bei Euripides bei seinem Wiederauftritt noch lebt. Wie die Transgression im Oidipus Tyrannos (s. 2.4.5 Transgression und Orakel), so beruht die Eliminierung in Euripides’ Hippolytos und Senecas Phaedra auf der Fehldeutung von Zeichen. In beiden Fällen geht es um das Verhältnis von Vater und Sohn, die Kommunikation findet nur in Euripides’ Hippolytos zwischen diesen direkt statt, verläuft im Oidipus Tyrannos jedoch getrennt zwischen Vater und Sohn auf der einen und dem Orakelgott auf der anderen Seite. Theseus stieg im klassischen Athen zu einer integrativen Leitfigur auf, auch oder gerade in der Vater-Sohn-Beziehung, hier mit seinem eigenen Vater. Barry S. Strauss weist jedoch treffend nach, daß sich das Scheitern von Theseus’ Semiotik („semiotic theme“) und dessen familiär-eliminatorische Konsequenzen (so die Formulierung in der Terminologie der vorliegenden Arbeit; Strauss gebraucht „death“ und „destroys“), das im Falle der falschen Segel bereits seinen Vater Aigeus das Leben kostete, bei seinem Sohn Hippolytos wiederholen. 150 Er liest Umgang und Beziehung des im Hippolytos eingehend thematisierten Verhältnisses von Vater und Sohn vor dem Hintergrund ihres durch Rivalität und Initiation problematischen Verhältnisses in Athen, das sich auch in der Gestalt des Alkibiades kondensierte (1993: 166-175). 149 Dramaturgisch findet dies darin seinen Ausdruck, daß Theseus und Hippolytus von demselben Schauspieler gespielt werden, wie Kohn herausarbeitet (2013: 80), doch teile ich nicht alle interpretatorischen Konsequenzen, die Kohn herauszieht, etwa, Theseus sei tragischer als sein Analogon bei Euripides, weil er, was dramaturgisch durchaus stimmt, seinen Sohn sinnbildlich des Lebens beraube. Denn die Tragik von Senecas Theseus wird durch seine Leichtgläubigkeit und Wankelmütigkeit untergraben (s. 7.2.9 Hippolytus’ juridische und physische Integritätsrestaurierung, Phaedras Selbsteliminierung und Theseus’ Charakterschwäche). 150 Fathers and Sons in Athens. Ideology and Society in the Era of the Peloponnesian War. London 1993, 123. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 633 Im Drama ist es Theseus, der das (richtige) Zeichen falsch deutet. Er ist dabei der Prototyp für die , das vorschnelle Erteilen der Zustimmung nach stoischer Lehre (SVF III 172), was in Senecas Phaedra in seiner drängenden Bitte an Neptun besonders deutlich wird (v. 954: genitor, moraris? ). Lefèvre untermauert Theseus’ Voreiligkeit zu Recht mit dem Hinweis, daß diese im Vergleich zu Euripides’ Hippolytos gesteigert sei. Dort spreche Artemis Theseus von einer vorsätzlich begangenen Untat frei (v. 1334 f.: / ), sehe aber dennoch sowohl eine „objektive[n]“ (? ) (v. 1334) 151 als auch eine (v. 1289), die ich in diesem Kontext als subjektiv einstufen würde 152 (auch Lefèvre gibt sie mit „Verblendung“ wieder), und verurteile den Fluch als voreilig (v. 1320-1324). Die Voreiligkeit von Senecas Theseus zeige sich auch an seinen „wahren ira-Kaskaden“, die auf Rückfragen an die Amme oder den Chor verzichteten (1969: 143). Dagegen wächst der Zorn von Euripides’ Theseus beim Verhör mit seinem vermeintlich hartnäckig leugnenden und faktisch überführten Sohn. Daß, worauf Lefèvre weiter hinweist, Euripides’ Hippolytos sich gegenüber seinem Vater wegen eines Eides nicht glaubhaft verteidigen konnte, hebt die Integrität der beiden Figuren bei Euripides im Vergleich zu Seneca hervor. Da die Überführung des vermeintlich schuldigen Sohnes in diesem Drama nicht wie bei Euripides in dessen direktem Verhör durch den Vater, sondern im Gespräch mit Phaedra geschieht, wird diesmal positiv an der Dramaturgie sinnfällig, daß das Vater- Sohn-Verhältnis zugunsten der konsequenten und durchgehenden Zeichnung der Stiefmutter als wahnsinniges Agens des Dramas zurücktritt, da Phaedras Trug so viel deutlicher ins Relief gehoben wird. Euripides’ Theseus läßt sich von Phaidras Abschiedsbrief täuschen, der existentiell durch das Opfer ihres Lebens beglaubigt wird (Lefèvre 1969: 143), Senecas Theseus wird von seiner Gattin bezüglich seines Sohnes gezielt hinters Licht geführt. Dessen Unschuld und deren Transgression stellt der Chor sogleich noch vor der Ankündigung von Theseus’ Rückkehr klar (v. 824 f.): Quid sinat inausum feminae praeceps furor? / nefanda iuveni crimina insonti apparat. Die Paradoxie und Perversion ihrer falschen Anschuldigung wird besonders deutlich daran, daß der essentialistisch misogyne und puerilistisch-keusch zurückgebliebene Hippolytus keinerlei Ambitionen auf die Position des Patriarchen entwickeln dürfte. Die Vorgehensweise für Phaedras Denunziation hat freilich bereits die Amme nach Hippolytus’ empörter Reaktion und parallel zu seiner überstürzten Flucht vorgegeben (v. 719-735). Hierzu zählt die Strategie der Schuldabwälzung, welche die eigene Transgression deren Opfer aufbürdet (v. 720: regeramus ipsi crimen), diese also nicht aus der Welt schafft, sondern durch eine neue ka- 151 Vgl. dazu Carol Lindsay, Aphrodite and the Equivocal Argument: Hamartia in the Hippolytus. In: Hamartia. The Concept of Error in the Western Tradition — Essays in honor of John M. Crossett. Ed. by Donald V. Stump, James A. Arieti, Lloyd Gerson, Eleonore Stump. Texts and Studies in Religion 16. New York and Toronto 1983, 51-72, h. 53, 66-68, die Theseus’ als die letzte einer Kette von ansieht, welche die Tragödie durchziehen und die auf äquivoken Äußerungen und Ambivalenzen beruhen. 152 Vgl. aber Douglas L. Cairns, At in the Homeric Poems. Papers of the Langford Latin Seminar 15 (2012) 1-52, h. 1 („Schaden“). 634 schiert (v. 721: scelere velandum est scelus). Sie flankiert eine apologetische Argumentation, welche die philosophische Leibesabstraktion und Verinnerlichung pervertiert (v. 735: mens impudicam facere, non casus solet) und in der Anrede an Phaedra ein Akt der Verstellung ist. Schließlich geht auch die Indizbegründung (v. 728-732: Schwert, Flucht) auf die Amme zurück. Sie fungiert abermals als Ideengeberin der faktischen Transgression und ist durch diesen weiteren Verrat philosophischer Überzeugungen ein Exempel für die szenische . Ihre Rede weist sie dabei als besonders skrupellos und spontan die Transgression bejahend aus. Sie zerfällt in einen inneren Monolog (v. 719-724) und die Bekanntmachung der vermeintlichen Transgression (v. 725-735), die Hippolytus vor der gesamten Polis (v. 725: Adeste, Athenae! ) öffentlich anschuldigt. In dem inneren Monolog analysiert die Amme die Situation (v. 719: Deprensa culpa est), faßt ihren Entlastungsplan (v. 721 f.), der präzisierend ein Talionsverhältnis in die sexuelle Transgression bringt und ihre transgressive Initiative zeigt (v. 720 f.: ultro impiam / Venerem arguamus), kalkuliert dessen Chancen auf Glaubwürdigkeit (v. 724) und bereitet sich in einer perversen (v. 719: anime, quid segnis stupes? ), die wie vor Phaedras verbaltransgressivem Liebesgeständnis die eigene Furcht vor der Ausführung bekämpft (v. 722), auf die verbal täuschende Transgression vor - alles ohne die geringsten moralischen Bedenken. Dieser erste Teil der Rede zeigt eine besondere Dynamik des transgressiven Impulses der Amme. Während der über die eigentliche Transgression getäuschte Theseus in seiner Übereiltheit Neptuns vermeintliches Zögern moniert, drängt die Amme sich willent- und wissentlich unverzüglich zur Transgression (v. 719). Im zweiten Teil versucht die Amme durch die Anreden an Athen, die Dienerschar und Phaedra und durch die imperativisch an diese Figuren gerichteten Handlungsanweisungen den Lauf des Dramas zu bestimmen und übernimmt Regiefunktionen. Während Athen und die Diener wie später Theseus nur die Objekte der Täuschung und der Intrige sind, ist Phaedra, an welche die abschließende, in die dramatische Interaktion überleitende Anrede ergeht, die Täuschung klar (v. 733-735). Da das Moment einer offenen Absprache fehlt, kann man schwerlich von einem Intratheater im Sinne der Komödie ausgehen, bei dem der servus callidus den Plan ausheckt und die Mitspieler instruiert. Das Fehlen einer offenen Absprache zeigt abermals die Sprunghaftigkeit der Dramaturgie, da die Figuren nicht kohärent interagieren. Es ist also einem durchgehenden Merkmal der Dramaturgie geschuldet, welche die Erfüllung aller Kriterien für das Intratheater zumindest erschwert. Deshalb ließe sich wegen der kumulativen Evidenz bei der Regietätigkeit der Amme von einem schwachen Intratheater sprechen. Zudem schaffen das nachfolgende Chorlied und der gemeinsame Aufenthalt Phaedras und der Amme zwischenzeitlich im Inneren des Hauses die Möglichkeit, das weitere Vorgehen abzusprechen. Ein Indiz dafür ist der Umstand, daß die Amme weiterhin Hippolytus’ falsche Beschuldigung gegenüber Theseus in die Wege leitet und dabei noch die Todesdrohung vorgibt (v. 854-862). Dabei steht sie auf der Schwelle (v. 852), 153 was 153 Vgl. Coffey/ Mayer 165 a.l. „The servants are wailing“. Der Plural würde eine noch weitergehende Inszenierung von Phaedras Trauer implizieren. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 635 wie bei Phaedras Gratwanderung die Gefahr und den Umsturz symbolisiert, den die Transgression auslösen wird. Sie wäre also auch von Phaedra im Haus zu hören. Man kann sie demnach durchaus als Regisseurin des Intratheaters bezeichnen. Dies bedeutet jedoch keine Entlastung Phaedras. Denn die zitierten Worte des Chores kennzeichnen sie trotz der Intrige der Amme als impulsives und faktisches Movens der Transgression, ohne welches das Drehbuch der Amme nicht umgesetzt würde. Für deren Einstufung als Regisseurin spricht in gewisser Weise auf der Ebene der dramatischen Faktizität, daß sie diesmal erfolgreicher als bei der Anbahnung von Phaedras Liebesbekenntnis gegenüber Hippolytus ist. Auch die Amme sagt - wie ihre Herrin bei dieser Gelegenheit - in unserer Szene doppeldeutig die Wahrheit (v. 857: Haec ipsa letum causa maturum attulit), und auch sie wird von ihrem Gesprächspartner, der wie sein Sohn die sprachliche Ambivalenz anmerkt, aber anders als dieser erahnt, daß deren tieferer Zweck in der Verheimlichung liegt (v. 858 f.), 154 gebeten, ihre Aussage eindeutig zu fassen. Die Transgression subvertiert und pervertiert also in beiden Szenen durch Ambivalenzen, die einer der Gesprächspartner zur Durchführung und / oder Verschleierung der Transgression einsetzt, das kommunikative Funktionieren des sprachlichen Zeichensystems. Dabei liegt ein anderer Fall als bei der kommunikativen Dysfunktion zwischen Vater und Sohn im Hippolytos und diesen und Apolls Orakelsprüchen im OT vor, weil dort das Mißverständnis in der Perlokution und nicht in der Illokution liegt. Es umfaßt beide Seiten der Kommunikation und nicht nur eine. Wie Medea manipulieren dagegen die beiden Frauen in der Phaedra intentional das Funktionieren der sprachlichen Kommunikation mit Männern, um ihre Transgressionen zu verschleiern und / oder zu verwirklichen. Doch während Medea überwiegend mit dem Verschweigen ihrer wahren Absichten arbeitet, also der Diskrepanz zwischen Gesagtem und Beabsichtigtem, die auf weiten Strecken Züge einer Selbstverleugnung trägt (s. 3.2.2 Medeas Intratheater und ihre souveräne Subvertierung und Ironisierung von Logos und Nomos der Medea-Interpretation), und die Ambivalenz nur als tragische Vorausdeutung zum Einsatz kommt, operieren Phaedra und die Amme mit der Ambivalenz. Schon bei dem transgressiv-manipulativen Umgang der Frauen mit der Sprache scheint bereits auf, daß die Phaedra nicht tragisch ist. Während zudem Medeas Verstellung die pragmatische Asymmetrie korrigiert, welche die Männer an ihr performieren wollten, stellen Phaedra und die Amme eine solche erst her, die wie die Transgressionen anders als bei Medea eigenem Antrieb entspringt. Daß den Transgressionen der beiden Frauen bei Vater und Sohn ein unterschiedlicher Erfolg beschieden ist, trägt unbeschadet der nicht zu leugnenden Verschiedenheit der beiden Transgressionen und ihrer Verteilung innerhalb des kommunikativen Dreiecks (Hippolytus droht Teil der Transgression seiner Gesprächspartnerin zu werden, während diese ihrem Gatten nur diejenige eines Dritten berichtet) auch zur Zeichnung dieser beiden männlichen Figuren bei, die bei Theseus, wie zu zeigen sein wird, deutlich schlechter als bei seinem euripideischen Analogon ausfällt. Wie Phaedra nimmt 154 Perplexa magnum verba nescioquid tegunt. / effare aperte, quis gravet mentem dolor. 636 er am Anfang ihren Kontakt ironisch wahr, auch wenn diese Wahrnehmung sich tragisch bewahrheiten wird (v. 852 f.: maesta lamentatio? / hospitia digna prorsus inferno hospite), und untergräbt so das Pathos der Trauer. Der intellektuelle Charakter von Theseus’ und der Amme Trug geht auch daraus hervor, daß beiden nirgends lexikalisch explizit der sonst in diesem Drama omnipräsente Wahnsinn zugesprochen wird. Daß Phaedra sich selbst durch Theseus’ Hinweis auf seine Tränen (v. 880) nicht erweichen läßt, sondern damit ihren Todeswunsch untermauert (v. 881: Mors optima est perire lacrimandum suis), zeigt umgekehrt die Abgefeimtheit ihres trügerischen und suggestiven Spiels nicht nur mit den Ansichten, sondern auch den aufrichtigen Gefühlen ihres Gatten. Theseus’ Täuschung funktioniert dabei nicht nur über das Intratheater von Gattin und Amme, sondern auch über die Semiotik der forensischen Persuasion. Diese initiiert bereits die Amme, indem sie den Dienern befiehlt, Phaedras zerzaustes Haar so zu lassen, damit es ein Zeichen des Verbrechens sei (also ein Peircescher index) (v. 730-732: ut sunt remaneant, facinoris tanti notae). Die pseudobinnenhermeneutische Semiotik wird hier Teil der intratheatralischen Inszenierung der Amme. Diese Verbindung von Semiotik und Intratheater setzt sich auch bei der Begegnung zwischen Theseus und Phaedra fort, die erst, nachdem Theseus mit Gewalt gegen die Amme droht (v. 882-885), sogleich ihr hartnäckiges Schweigen bricht und den Grund ihres Todeswunsches preisgibt. Auf Nachfrage weist sie mit dem Schwert (v. 896 f.) 155 und der überstürzten Abreise auf die Indizien hin, die den vermeintlichen Transgressor belasten. Daß Phaedra auf Theseus’ Drohung hin unverzüglich einlenkt, betont die intratheatralische Gespieltheit ihres Schweigens. Daß Theseus das Geständnis mit der alleinigen Androhung von Gewalt erzwingt, die wesentlich stärker als diejenige (vincla, verbera) ist, die Oidipus erfolgreich im OT beim thebanischen Hirten einsetzt (v. 1166: Arme auf den Rücken drehen), unterstreicht nicht nur das intratheatralische Spiel, sondern auch die mangelnde dramatische Konsistenz und Souveränität des Monarchen, dem zudem nicht wie bei Oidipus die Wahrheit präsentiert, sondern ein Trug aufgetischt wird. In beiden Tragödien wird eine Information verschwiegen und gewaltsam erpreßt, doch beschränkt sich die sprachstörende Pragmatik der Transgression bei Phaedras Trug nicht darauf. Sie setzt ihn vielmehr subtil darin fort, daß sie auf Theseus’ Nachfrage nach der Identität des Transgressors das Beweismittel sprechen läßt (v. 896: Hic dicet ensis). Sie substituiert also die Funktion der sprachlichen Zeichen durch ein materielles, auf das entsprechend der Konstitution und Überlieferung des antiken Dramentextes mit diesem Satz primär sprachlich, aber durch das Demonstrativpronomen hic auch exophorisch und optisch-deiktisch hingewiesen wird. Zeigen und Sagen stehen also in einem komplexeren Gestuftheitsverhältnis, als Merschs Opposition bzw. begriffliche Annäherung im theoretischen Modell annimmt (s. 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotisch-transgressive Ästhetik in der Einleitung). Die Dramenrede und die von ihr evozierte lokale Deixis machen einen materiellen Gegenstand zum Sinnträger, erschaffen also ein Zeichen. Die Parallelen zur forensischen Semiotik in Plautus’ Amphitruo sind 155 Zum Schwert als signifier s. Segal 1986: 162. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 637 markant: Das Zeichen und Beweisstück ist in beiden Dramen ein Peircescher index und gleichzeitig mit einem Zeichen markiert, das den Besitz durch den Monarchen markiert (v. 899 f.: regale patriis asperum signis ebur / capsulo refulget […]), dessen Gattin in eine sexuelle Transgression durch einen Dritten verwickelt ist. Die Sprunghaftigkeit der Gedankenfolge und deren Hyperbolik in Theseus’ empörter Fluchrede mögen sich auf der Mikroebene mit seiner Emotionalität erklären und zeigen so doch deren logosdisruptive Gewalt (v. 902-957). Ihre Innovation offenbart auch der Vergleich mit Euripides’ Hippolytos: Dort weist Theseus’ Fluch zwar eine ähnliche Länge auf. Seine empörte Emotionalität wird durch das vermeintliche sophistische Leugnen seines Sohnes verständlich. Der Disput von Vater und Sohn verleiht dieser Szene einen argumentativen Charakter (v. 936-980). Dagegen fehlt ihr das falsche deklamatorische Pathos des senecanischen Theseus. Auch bei Racine bleibt Thésées Fluch, der am Anfang des Dialogs mit seinem Sohn ausgesprochen wird und deshalb von Empörung über vermeintliche apologetische Sophistereien frei ist, trotz seiner rhetorischen Emphase argumentativ glaubwürdig und maßvoll und wahrt das aptum. Denn er tituliert Hippolyte zwar wie bei Seneca entsprechend seiner vermeintlichen Transgression als monstre (v. 1045) und spricht von seiner fureur (v. 1048), doch faßt er inhaltlich angemessen die Transgression seines Sohnes als Beflekkung seiner eigenen früheren purgativen Heldentaten und als Gegenstand einer neuen auf (v. 1058-1060, vgl. v. 1046). Senecas Theseus erwähnt dagegen nirgends seine früheren Reinigungstaten, die einen rationalen, zivilisationsstiftenden Zusammenhang zwischen Transgression und eliminatorischer Sanktion herstellen würden. Er beginnt als einziger seine Fluchrede mit einer Götteranrufung und er allein fragt sie dabei - wie sein Sohn ebenfalls auf Phaedras verbale Transgression hin in der Terminologie der shame culture (auf sie rekurriert auch (v. 946) im Munde von Euripides’ Theseus) - nach den Ursachen der Transgression (v. 903-905: lues). Als einziger der drei Väter verbannt er (wie zuvor die Amme in v. 165-168 und Hippolytus in v. 715-718) die sexuelle Transgression ins Barbarenland (v. 906 f.), bevor er Hippolytus’ (bekanntermaßen barbarische) Abkunft für die Transgression verantwortlich macht (v. 907 f.): Das, was die sozialen Grenzen überschreitet, wird an die geographischen verwiesen. Der exotischen Topologie der Transgression korrespondiert ihre solche Genealogie. Da Theseus selbst die Amazone Antiope als Geschlechtspartnerin ausgesucht und Hippolytus mit ihr gezeugt, mithin seinem Sohn diesen Defekt in die Wiege gelegt hat, demaskiert dieser emphatische Vorwurf nur seine eigene sexuelle Unbeherrschtheit und Unbesonnenheit (Racines Thésée sieht die Zeugung eines solchen kriminellen Sohnes denn auch als seine Schande an [v. 1055 f.: opprobre]), die er doch ironischerweise in der Transgression seines Sohnes tadelt. Der in diesem Satz noch unausgesprochene barbarische Bezug wird im nächsten erhärtet, in dem Theseus die sexuelle Zurückhaltung und spätere Promiskuität des Hippolytus mit dem identischen Verhalten der Amazonen parallelisiert, nicht ohne deren furor zu geißeln und sich in einem Aufruf über deren zivilisatorische Rückständigkeit zu ereifern (v. 909-912). 638 Bereits diese wenigen Anfangsverse zeigen den fundamentalen Unterschied zwischen Senecas Theseus und der griechischen und französischen Parallelversion: Während Euripides’ Theseus seiner Meinung nach klare Beweise für die zur Debatte stehende Transgression präsentiert, indem er seinen Sohn auf Phaidras Tod und Denunziationstafel hinweist (v. 944 f., 958-961, 972), und beide Väter bei Euripides und Racine sich auf die eliminatorische Sanktion als Konsequenz der Transgression konzentrieren, schweift Senecas Theseus in seiner Argumentation bereits geographisch massiv von dem Nächstliegenden, den betroffenen Personen und der forensischen Fragestellung, ihrer Faktensicherung und anschließenden Sanktionierung, zugunsten einer spekulativen Ätiologie der Transgression und dem Herauspräparieren von deren Monstrosität bzw. Exzessivität mit Hilfe anderer Parameter ab. Die Rhetorik der Transgression ist selbst transgressiv bzw. extravagant. So heißt es weiter, selbst die wilden Tiere wahrten den pudor (v. 913 f.). Das pudor-Motiv ist für die Auslegung von Theseus’ Rede sehr ergiebig, fährt er doch fort, sich über den Kontrast zwischen Hippolytus’ sprödem Auftreten und der nun ihm zur Last gelegten Transgression zu ereifern, den er als heuchlerisch wertet (v. 915-923). Seine antithetische Formulierung (v. 920: pudor impudentem celat) beschreibt exakt Phaedras Verhalten bei dem Vergewaltigungsvorwurf, den sie mit geheucheltem Ehrgefühl untermauert (v. 892: pudori). Das Verb celare läßt erkennen, daß Theseus sich von dem Vertuschungsmanöver täuschen läßt, das die Amme initiiert hat (v. 721: scelere velandum est scelus). Auch bei diesem Gedankengang des Theseus ersetzt die rhetorische Emphase, die Leichtgläubigkeit offenbart, die Argumentation, denn eigentlich könnte der besagte Gegensatz ihn stutzig machen, da er die Plausibilität des Vorwurfs mindert. Während Racines Thésée sich über die fureur und den amour plein d’horreur ereifert, die seinen Sohn zu seinem Ehebett getrieben hätten (v. 1047 f.), geht Senecas Theseus abermals analytisch und in der rhetorischen Zuspitzung einen Schritt weiter und moniert, Hippolytus habe vom Bett seines Vaters aus seine Laufbahn als Mann begonnen (v. 924 f.). Extravagant ist auch die phantastische, kontrafaktische Spekulation, Hippolytus hätte sich während der Abwesenheit seines Vaters in der Unterwelt an seiner leiblichen Mutter Antiope vergriffen, wenn Theseus diese nicht getötet hätte (v. 926-929). Theseus steigert die Hyperbolik dieses Gedankens noch dadurch, daß er den Göttern dafür dankt, daß er mit der Tötung Antiopes den Inzest verhindert habe. Die Extravaganz setzt sich geographisch darin fort, daß Theseus seinem Sohn ankündigt, daß er seiner Rache nicht durch die Flucht an die entlegensten Orte der Erde werde entkommen können (v. 929-941). Diese Drohung untermauert Theseus anders als seine Analoga bei Euripides (v. 976-980) und Racine nicht durch einen realistischen Verweis auf seine früheren purgativen Heldentaten, sondern auf seine Rückkehr aus der Unterwelt (v. 941: scis unde redeam). Die direkte Anrede an den anders als in der griechischen und französischen Version abwesenden Sohn eilt diesem gewissermaßen fiktiv-rhetorisch nach und ist ein weiteres Zeichen für Theseus’ Extravaganz. Die Fluchanrufung Neptuns fällt bei Seneca (v. 945- 957) wesentlich länger als bei Racine (v. 1065-1076) aus, weil ihr vorausgehend Theseus mit Neptuns Versprechen seine Drohung der ubiquitären Verfolgung 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 639 untermauert (v. 941-944). Bei beiden Dichtern verstärkt der empörte Vater die Dringlichkeit seiner Bitte durch den Hinweis, er habe selbst in der Unterwelt nicht die Hilfe des Gottes in Anspruch genommen. Während Thésée seine Bitte jedoch mit seinen purgativen Wohltaten für Neptuns Küsten begründet (v. 1066), ergeht sich Theseus in einer imperativischen Ekphrasis des meteorologischen und maritimen Schreckens, den der Meergott unverzüglich aufbieten möchte (v. 954-958, z.B. v. 954: cur adhuc undae silent? ). Seine Ungeduld überführt nicht nur seine Übereiltheit. Vielmehr geht der barocke Überschwang der Ekphrasis mit der Figurenzeichnung als exaltiert und übereilt Hand in Hand. Literarisch-stilistische und ethologische Grenzüberschreitung bzw. Extravaganz ergänzen sich also gegenseitig und runden das Bild von Theseus in dieser Szene ab. Seine exaltiert-transgressive Rhetorik entspricht formal und emotional dem furor. Inhaltlich strukturiert der furor bei Theseus’ Reaktion auf Phaedras Suggestionen die Art, wie er die Transgression wahrnimmt, die seinem Sohn zur Last gelegt wird (v. 909-911: est prorsus iste gentis armiferae furor, / odisse veneris foedera et castum diu / vulgare populis corpus. […]), und seine Konzeption der eliminatorischen Sanktion qua Wind (v. 933-937: licet […] liqueris Boreae minas / post te furentes, sceleribus poenas dabis.). 156 Als sie tatsächlich eintritt, vergleicht sie denn auch der Bote mit einem Wind und dessen Wüten (v. 1011- 1013: non tantus Auster Sicula disturbat freta / nec tam furens Ionius exsurgit sinus […].). 7.2.8 Hippolytus’ Konfrontation mit dem Seeungeheuer Im Vergleich zu Euripides’ Stephanophoros (v. 1198-1248) und Ovids Metamorphosen (15,506-529) fällt bei Senecas Schilderung von Hippolytus’ Konfrontation mit dem Seeungeheuer und seinem Ende (v. 1007-1104) der um das Doppelte bzw. Vierfache gesteigerte nachgerade barock-opulente 157 oder - passender zum Gegenstand - monströs-exkreszente Umfang auf. Er erscheint noch eindrucksvoller, wenn man die nur bei Seneca beschriebene anschließende Knochenlese hinzurechnet (v. 1105-1114). Senecas Drama legt also im Vergleich entsprechend seiner dramatischen formalen F(r)aktur auch inhaltlich auf das Monströse und Fragmentierende einen besonderen Wert. Auftreten und Beschreibung des Seeungeheuers nehmen bei Seneca (v. 1007-1054a) im Vergleich zu Euripides (v. 1198-1217) mit einem mehr als doppelten Umfang und 156 Racines Thésée spricht dagegen ohne Umschweife von Neptunes erwünschten fureurs gegen Hippolyte (v. 1076). 157 Vgl. Charles Segal, Senecan Baroque. The Death of Hippolytus in Seneca, Ovid, and Euripides. TAPhA 114 (1984) 311-325, der den Begriff des Barock wissenschaftsgeschichtlich verankert und im Gegensatz zur Klassik u.a. über fließende Bewegung statt fester, wohlproportionierter Form definiert (S. 312 f.), was er auch in Senecas Version nachweisen kann (S. 325). Er geht für Euripides’ und Senecas Version nur von einem Verhältnis von eins zu anderthalb aus, weil er die Vorgeschichte, die Euripides ausführlich schildert (v. 1173-1197), aber Seneca kurz abtut (v. 1000-6), mitrechnet (S. 312). Diese Diskrepanz zwischen den beiden Versionen bemerkt er selbst (S. 315), freilich ohne sie für die Interpretation fruchtbar zu machen. M.E. zeigt sie Senecas Sprunghaftigkeit und seinen Fokus auf dem Schrecklich-Monströsen. 640 besonders auch zu Ovid (met. 15,506-513) als lateinischem Vorgänger einen bemerkenswert breiten Raum ein. Dagegen liegt die Diskrepanz zwischen dem attischen Tragiker (v. 1218-1248) und dem augusteischen Epiker (met. 15,514- 529) einerseits und dem neronischen Dramatiker andererseits (v. 1054b-1104) bei der Konfrontation von Ungeheuer und Königssohn geringfügig unterhalb der numerischen Gesamtproportionen der verschiedenen Bearbeitungen, wenn man von der bei Seneca nachfolgend ausgemalten Knochenlese absieht. Dazu trägt sicherlich bei, daß Euripides die Gestalt des Tieres in einem Vers abtut und es nicht einmal als solches, sondern schlicht als Stier und Monstrum vorstellt, aber anders als seine lateinischen Nachfolger auf eine Ekphrasis seiner Polymorphie verzichtet (v. 1214: ). 158 Das Monströse liegt bei Euripides eher in der schrecklichen Erscheinung. 159 Er schildert die optische (v. 1216 f.) und akustische (v. 1202) Wahrnehmung des Monstrums und lexikalisiert - entsprechend den Kategorien von Bohrers Epiphanie des Schreckens - seinen furcht- (v. 1204 f.) und schaudererregenden Laut (v. 1202: ). Sein Widerhall 160 ist symptomatisch für die korrespondierende Wahrnehmung, deren das Monströse bei Euripides bedarf. 161 Die lateinischen Versionen beschränken sich dagegen auf eine objektivierende Beschreibung, auch der sensorischen Manifestationen des Ungeheuers. Bei Seneca ist das Staunen (v. 1025: stupentes) die einzige Reaktion des Publikums, die auch dem Monströsen zugeordnet ist (s. 7.2.6 Diskontinuitäten, Chthonik und Monstrosität infolge des Wütens der Transgression). Die objektivierende Schilderung macht nicht nur augenfällig, wie sehr Seneca die epische Ekphrasis rezipiert und auf Euripides’ dramatische sensorische Dialogik verzichtet, sondern läßt das Monstrum als etwas Losgelöstes, 162 nicht einmal sinnlich Faßbares erscheinen und paßt dadurch zu dessen faktischer Unüberwindbarkeit in der Konfrontation mit Hippolytus. Hippolytus’ Unerschrockenheit gegenüber dem Seeungeheuer tritt um so deutlicher durch den Kontrast mit der zuvor beschriebenen allgemeinen Flucht von Mensch und Tier und dem furchtsamen Erstarren jedes Jägers (v. 1050- 1054) sowie dem sich unmittelbar anschließenden angstgetriebenen Rasen seiner Pferde hervor (v. 1070: pavidus furor). Er kann hier also in weidmännischen Kategorien trotz seiner faktischen Niederlage seine innere Qualität der Unerschrockenheit und Standhaftigkeit unter Beweis stellen, die vor dem Hintergrund seiner Jagdleidenschaft herausgearbeitet werden. Mit dem animus, der 158 So auch Segal 1984: 318 und Kirichenko 2013: 37. 159 Von einem optischen Erscheinungsbegriff erfaßt Kirichenko 2013: 38 denselben Sachverhalt, wenn er darauf hinweist, daß bei Seneca das Ungeheuer allein durch seine optische Erscheinung Schrecken und die Panik der Pferde auslöse. 160 V. 1215 f.: [sc. ] / - ’ […]. 161 Dazu komplementär zeigt Segal, daß bei Euripides der Bote über eine lange Strecke als Medium der optisch-narrativen Wahrnehmung fungiert, also den Adressaten wie beim Bericht von Oidipus’ Blendung durch seine Augen sehen läßt, während er bei Seneca diese vermittelnde nur sehr marginal erfüllt (1984: 314 f.). 162 Auch Segal arbeitet das Monströse als Schwerpunkt von Senecas Version heraus (1984: 314). 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 641 durch den terror nicht zu brechen sei, greift er den zentralen Begriff in Senecas autoreflexiver Psychagogie auf (s. 7.2.3 Phaedra und die Amme). Die Immunität des animus des Weisen gegen Angriffe, nicht deren faktisches Ausbleiben, ist denn auch eine der zentralen Thesen in Senecas Schrift De constantia sapientis (3,5-4,1). 163 Anders als Phaedra setzt er sich so von dem blinden, auch in der Natur waltenden furor ab. 164 Hippolytus ist die einzige Figur des Dramas, die dem Monströsen ideell-psychologisch in Gestalt von Phaedras transgressiver Libido und materiell in Gestalt des Seeungeheuers, das eine Ausgeburt von Phaedras furor ist, die Stirn bietet. 165 Dabei überwindet er dramenpragmatisch nicht nur Phaedras Leidenschaft, sondern auch diejenige seines Vaters, dessen Zorn das Seeungeheuer entstammt. 166 Der Angriff des Ungeheuers wird zudem, bevor Hippolytus ihm unerschrocken entgegentritt, zweimal mit ira beschrieben (v. 1059: iras parat, v. 1061: prolusit irae), einem Affekt, den ein dreibändiges moralphilosophisches Werk Senecas bekämpft und dessen peripatetischer Indienstnahme Seneca unter Beharren auf der stoischen entgegentritt (ira 1,9,2-4). Diese Schrift führt auch aus, daß der Zorn zur Vernachlässigung der Pflichten wie derjenigen des Vaters führe (ira 1,2,3a), was bei Theseus’ empörtem Fluch nicht trotz, sondern gerade durch seinen deklamatorischen Charakter der Fall ist (v. 903-958). Während Theseus durch die vermeintliche Vergewaltigung seiner Ehefrau außer sich vor Wut ist, wird der vir bonus nicht einmal dann erzürnt, wenn seine Mutter entführt und vergewaltigt wird (ira 1,12,1: rapi). 167 163 Dieser Aspekt geht bei Kirichenko 2013: 57 verloren, der nur darauf abhebt, daß Hippolytus’ Versuch, den Kampf seines Vaters gegen den Minotaurus nachzuahmen, ebenso „kläglich“ scheitere wie sein „Traum von einem goldenen Zeitalter inmitten einer Welt, die ihre Unschuld längst verloren hat“. Auch Segal sieht nur Hippolytus’ Schwäche (1984: 315): „Seneca makes his hero appear as a helpless and isolated victim of irrational violence.“ 164 Ansätze zu diesem furor lassen sich auch hier bei Hippolytus feststellen. Wie die Abweichung vom stoischen Idealverhalten, als er Phaedras Avancen widersteht, unterlaufen diese Tendenzen seine Stilisierung zum stoischen Weisen. So wird sein Verhalten vor der Bekundung seiner Unerschrockenheit beschrieben (v. 1064 f.): contra [sc. gegen das drohende Seeungeheuer] feroci gnatus insurgens minax / vultu […]. Er weist damit Indizien (indicia, signa) auf, welche die Rasenden (furentes) mit den Zürnenden teilten (ira 1,1,3 f.: audax et minax vultus, tristis frons, torva facies). Daß die vorgenannten Anzeichen nach dem Wortlaut des Textes die Rasenden (furentes) charakterisieren und die Indizien bei den Zürnenden leicht variiert sind, ändert nichts an den furor-Elementen in der Schilderung von Hippolytus’ Verhalten. Zudem rät diese Schrift vom Einsatz des Zorns in der physischen Konfrontation als kontraproduktiv ab und führt dafür neben dem furor teutonicus der Kimbern und Teutonen, der die Alpen überschreitet und damit eine Transgression motiviert, die hier wie in Aischylos’ Persern geographisch-militärischer Natur ist (ira 1,11,2-4), das Beispiel gerade des Jägers an (ira 1,11,1 f.). 165 Das muß gegen Segal festgehalten werden, der meint, durch Euripides’ Beschreibung werde das Ungeheuer stärker zum Alptraum psychologisiert, und der betont, daß Hippolytus’ Flucht vor Frauen und Sexualität nun ende (1986: 329). 166 Diese stoische Standhaftigkeit der Haltung gilt es gegen Roismans an sich nicht falsche Beobachtung festzuhalten, Hippolytus falle durch das Seeungeheuer der Gewalt der Natur zum Opfer, die er bisher gefürchtet und zu beherrschen versucht habe (2000: 83), zumal Roismans Naturbegriff hier viel eher moderner und psychoanalytischer als stoischer Prägung ist. 167 Vgl. OLD 1733 s.v. 4 „To carry off (and violate), ravish“. 642 Hippolytus’ Loyalität und Affinität zu seinem Vater werden noch bei der Eliminierungsszene dadurch herausgestellt, daß er - anders als Euripides’ Hippolytos in dieser Szene - seine Unerschrockenheit gegenüber dem Seeungeheuer und damit dem Monströsen als ideelle Nachfolge seines Vaters stilisiert (v. 1066 f.): 168 Seine Arbeit sei es, wie dieser Stiere zu besiegen. Die Identität des Bewährungsobjektes ist dadurch offensichtlich, daß das Ungeheuer bei seinem Erscheinen als Stier beschrieben wurde (v. 1036). Sie unterstreicht die Identität, welche über die gleiche Haltung gegenüber dem stierischen Monstrum zwischen Vater und Sohn hergestellt wird. Diese diachrone Identitätskonstruktion zwischen ihnen erfolgt moralisierend über das väterliche exemplum, etwas Verinnerlichtes im Bereich des anthropologisch-semiotischen signifié, und sticht somit klar von Phaedras libidinöser diachroner Identitätskonstruktion zwischen Vater und (Stief-)Sohn ab, die sich über die optische Gestalt, das äußere signifiant, vollzieht. Die diachrone Kontinuität wird auch dadurch zu einem Teil von Hippolytus’ Unerschrockenheit, daß er seine Gesichtszüge beibehält (v. 1065: nec ora mutat). Tragische Ironie liegt deshalb vor, weil er anders als Euripides’ Hippolytos (v. 1045-1089) und sein Äquivalent in Ovids Metamorphosen (15,504 f., 515) nicht wissentlich von seinem Vater verbannt wurde, sondern selbst vor Phaedras Avancen geflohen ist. Nimmt man den hier bemühten senecanischen Standpunkt der inneren Einstellung ein, mindert das ideell ungetrübte Verhältnis von Vater und Sohn in Senecas Phaedra vielleicht faktisch auf der Figurenebene die Überzeugungskraft der Loyalität des Sohnes, der keinen Anlaß hat, von ihr abzurücken, rezeptionsästhetisch sticht jedoch der rührende Kontrast zwischen dem väterlichen Fluch und der anhaltenden Treue des Sohnes spontan hervor und könnte erst durch die hier angestellte Reflexion zerstreut werden. Die zwei Verse des Hippolytus fehlen jedenfalls bei seiner euripideischen Entsprechung, die praktisch gleichfalls unerschrocken, aber wortlos Kurs hält (v. 1219- 1226). Und doch wird die vermeintlich gerade Linie in der Entwicklung von Hippolytus’ Bild, die neben seiner unanachoretischen sozialen Verantwortung gegenüber Phaedra, ihren Kindern und ihrer Amme sowie seinem Respekt vor Theseus und den Göttern (pietas) darauf beruht, daß seine anachoretisch-misogyne Grundhaltung die Abwehr von Phaedras transgressiv-inzestuösem Annäherungsversuch gewährleistet, durch den Kommentar des Chores, der seine überstürzte Flucht mit der wütenden Sturmwelle vergleicht (v. 736: Fugit insanae similis procellae), unterbrochen. Hippolytus, der sich durch seine Abwehr von Phaedras Avancen von dem allgemeinen furor abgesetzt hatte, wird so wieder in diesen hinabgezogen, zumindest teilweise. Denn er ist auch schneller als der Nordwestwind Corus und eine Sternschnuppe. Dieser letzte Vergleich hebt ihn auf eine epische Ebene, da auch die Ilias Achills Stürmen mit dem Sirius vergleicht, das verderblich für die Menschen sei (hier für Priamos’ Sohn Hektor, dessen Vater den achäischen Helden von der Mauer beobachtet) (Il. 22.25-31). Das Stürmen zieht also im Epos die Eliminierung nach sich. Es wird durch Apolls vorangehenden Kommentar zusätzlich problematisiert, der Achill auf die 168 ‘haud frangit animum vanus hic terror meum: / nam mihi paternus vincere est tauros labor.’ 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 643 Sinnlosigkeit seines Wütens aufmerksam macht, da dieser als Sterblicher ihn, einen unsterblichen Gott, verfolge, ohne dies zu erkennen (Il. 22.9-10: ’ ). Das gesamte Chorlied, das in der Phaedra folgt, hebt denn auch nur auf Hippolytus’ Schönheit und nicht auf dessen Tugend ab (v. 741-823). Das Drama verzichtet also auf eine pathetische Helden- und exempla- Verklärung, die dem Rezipienten eine eindeutige Haltung zu den Bühnenfiguren anböte, und wahrt so seinen Charakter als polyphones Kunstwerk, dessen Hauptcharakteristikum die Distanzierung durch Aprosdoketa und Brüche ist. Dies zeigt sich auch noch weiter an der Uneinheitlichkeit und vielfältigen Gebrochenheit in der Darstellung der einen Figur Hippolytus. Während seine suggerierte charakterliche Bewertung (d.h. das, was Aristoteles positiv als oder bzw. negativ als einstufen würde [Poet. 1448a 2, 1454a 16-33; Näheres s. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra]) zwischen faktisch unvollendetem Halbheros mit problematischen hyperstoischen Ansichten und verklärtem unschuldigem Opfer (v. 824 f., 981) schwankt, weist sein faktisches Verhalten mit der Extravaganz der Eingangsszene, seinem zur Misogynie exaltierten Anachoretentum und der hyperbolisch-evasiven Reaktion auf Phaedras Transgression eine erstaunliche Konsistenz in einer Transgressivität auf, die auch hodologisch nach außen gerichtet ist. Sie überschreitet die Grenzen des Üblichen, ohne im Konventionell-Soziojuridischen eine klare Grenzüberschreitung darzustellen. Diese Evasion findet erst ihr Ende, als das Seeungeheuer den Weg versperrt (v. 1080: non licuit ultra fugere). Damit wird dieses anders als in Ovids Metamorphosen, die auch Hippolytus’ Unerschrockenheit herausstreichen (15,514: mihi mens interrita mansit), jedoch die Flucht durch einen Radbruch beenden (15,521-523), zum unüberwindbaren Grund von Hippolytus’ Scheitern und dieses gemildert, während seine Leistung so noch im Scheitern betont wird. Auch hier bleibt die Darstellung des Dramas ambivalent: Einerseits streicht der auf Euripides (v. 1221-1226) zurückgehende Vergleich des Hippolytus mit einem Seemann, der das Boot (ratis! ) geschickt (arte) durch die stürmische See lenkt (v. 1072-1075), 169 bei Seneca den Gegensatz zu Phaedras Unbeherrschtheit heraus: Sie hatte nur in seiner Version ihr Unterliegen unter den libidinösen furor ebenfalls damit verglichen, daß ein Kahn in der Strömung trotz der Anstrengungen des Schiffers abtreibt (Hippolytus widersteht also faktisch dem Wüten, das von Phaedras Unterliegen unter ein inneres Wüten, den furor, ausgeht). Der nautische Vergleich des geschickten Navigierens gegenüber einem Seeungeheuer läßt die Adäquatheit von Hippolytus’ - auch dabei - situativ angepaßtem Verhalten hervortreten. Andererseits wird im folgenden der unkontrollierte Lauf seiner Pferde mit Phaëthons Wagen verglichen, also nach der mythologischen Tradition eines jugendlichen Toren, auch wenn der Akzent hierbei auf der Unkenntnis des Herrn durch seine Pferde (v. 1090: non suum agnoscens onus), aber auch der falschen Identität des Sohnes und seiner Deplaziertheit liegt (v. 1090-1092: Solique falso creditum indignans diem / Phaethon- 169 Grimal 149 a.l. und Coffey/ Mayer 182 a.l. verweisen ebenfalls nur auf die Parallele bei Euripides. 644 ta currus devium excussit polo). Indes liegt die Hauptaussage dieses Vergleichs auf Theseus’ Irrtum. Dafür spricht anders als der allgemeine mythologische Hintergrund der Wortlaut dieser Stelle, zum einen die falsche Identität des Sohnes und die sich daran knüpfende Empörung, zum anderen der Umstand, daß der Irrtum der Pferde (v. 1090: non suum agnoscens onus) ähnlich formuliert ist wie Theseus’ Einsicht in seinen transgressiven Irrtum (v. 1249: crimen agnosco meum). Bei der drameninternen Perspektive auf den Wagen, der in der antiken Tragödie eine vielfältige Rolle im Zusammenhang mit Transgression und Eliminierung spielt (s. 1.5 Bildlich-(se)mantische (Voraus-)Deutung von Transgression und Eliminierung in der Interpretation von Aischylos’ Persern), liegt der Schwerpunkt also auf der Eliminierung und nicht der Evasion vor der Transgression, zu welcher der Wagen faktisch noch zu Beginn der hier besprochenen Phaedra-Szene diente. 7.2.9 Hippolytus’ juridische und physische Integritätsrestaurierung, Phaedras Selbsteliminierung und Theseus’ Charakterschwäche Theseus’ Erkenntnisschwäche bzw. sprunghafte Leichtgläubigkeit und mangelnde Entschlußbeständigkeit sind das typologisch, aber auch dramendynamisch komplementäre Gegenteil zu Phaedras impulsiver Vehemenz und trügerisch-krimineller Energie. Denn diese können zumindest erst durch die spontane Leichtgläubigkeit und übereilte Entschlußfassung des heimgekehrten Gatten den Dramenverlauf prägen. Daß Theseus schon bei der Nachricht von Hippolytus’ Tod und nicht erst bei Phaedras Eröffnung seiner Unschuld plötzlich seinen Sinn wandelt, zeichnet ihn als Gegenteil des stoischen Weisen, der seine Entscheidungen nicht revidiert und nie Reue empfindet (Sen. benef. 4,34,4 = SVF III 565), wobei andere Quellen den Sinneswandel sogar der insania vulgi zurechnen (SVF III 669 = Porph. Hor. epist. 1,1,82). Sein spontaner Sinneswandel, welcher nicht die autoreferentiell-dynastisch-familiäre Folge seiner Tat (also die Grundlage von Tragik), sondern seine Tatbeteiligung reuevoll ins Bewußtsein hebt (v. 1122: Quod interemi, non quod amisi, fleo), entlarvt sich selbst und die bereute Entscheidung als irrational-unbegründet. Daß Theseus trotz aller deklamatorischen Klagen und Selbstbezichtigung den Wunsch nach Bestrafung oder physischer wie lokaler Eliminierung in die Unterwelt anders als seine Gattin nicht selbst vollzieht, schwächt zusätzlich die Konsistenz seines Handelns und dadurch seinen Charakter. Einen Entschluß nicht auszuführen ist nach Aristoteles’ Poetik nicht tragisch, sondern abscheulich ( ), da es ohne Leiden sei (Arist. Poet. 1453b 37-39: ). Wie bei Phaedra affirmiert sein Wunsch nach Tod und unterweltlicher Bestrafung jedoch den operativen Nexus zwischen Transgression und Eliminierung mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrigläßt. Phaedras Auftritt bei ihrer Selbstbezichtigung und ihrem Selbstmord (zur metatheatralischen Rolle des furors s. den folgenden Abschnitt) ist das Gegenteil der zwei vorausgehenden strategisch-intriganten Selbstmorddrohungen, da sie ehrlich Hippolytus’ Unschuld mitteilt (v. 1191-96) und den Selbstmord vollzieht (v. 1197 f.). Dieser Auftritt krönt ihre dramatische Rolle als Herrin des Geschehens, die sich in der dramatischen Dominanz gegenüber allen Interakteu- 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 645 ren zeigt. Phaedra gewinnt fußballerisch-agonal gesprochen alle Zweikämpfe, nicht nur gegen die Männer Hippolytus und Theseus, sondern auch gegen die Amme und macht sie zu Instrumenten oder Objekten ihres furors. Während Euripides’ Phaidra in Greimas’ Aktantenmodell ein Adjuvant des göttlichen Subjekts ist, das mit ihr den Opponenten Hippolytos überwindet und so seine soziale Integrität restauriert, ist Senecas Phaedra zwar ein Objekt des furors, wie ihr euripideisches Analogon ein Objekt Aphrodites ist, fungiert aber ansonsten als Subjekt der Handlung. Die Opponenten ihres transgressiven furors macht sie entweder im Falle der Amme und Theseus’ zu dessen Adjuvanten oder überwindet sie im Falle des Hippolytus, der zugleich das Objekt des transgressiv-libidinösen furors ist. 170 Bei ihm erschöpft sich der Objektstatus nicht in der Niederlage. Denn Phaedra eignet sich ihn doch symbolisch über das Schwert an und verleibt ihn sich so ein. 171 Was die anderen Figuren an faktisch-kausalem Terrain verlieren, gewinnt Phaedra. Dies zeigt sich auch in ihrem stets vorhandenen oder erfolgreich inszenierten Wissensvorsprung, der zumeist ihre eigene Transgression betrifft. Ihn hat sie gegenüber ihren Kontrahenten, denen sie in vier Szenen ihr Wissen um die Transgression enthüllt. Dabei handelt es sich in den Szenen mit der Amme und Hippolytus um ihre eigene libidinöse Transgression, in der ersten Szene mit Theseus um die vorgetäuschte sexuelle Transgression seines Sohnes und in der vorliegenden um den vorangehenden Betrug. Alle vier Szenen lassen sich wegen der Enthüllung einer Transgression als ‚apokalyptisch‘ qualifizieren, doch nur bei der vorliegenden kommt der epiphane Charakter hinzu. Er fungiert nach der Interpretation dieser Arbeit, die dabei Bohrers dramatisch-epiphanen Schrecken im OT und in Euripides’ Medea weiterentwickelt, als Träger der Apokalyptik. Dieses Prädikat ist deshalb gerechtfertigt, weil Phaedra mit ihren transgressiven Enthüllungen bei ihren Gegenübern in zunehmendem Maße statt des Schrekkens, der die Apokalyptik sonst begleitet (s. 3.2.5 Die Schlußszene mit Iason in der Medea-Interpretation), Entsetzen über die Transgression auslöst, das sich bei Hippolytus bis zur panischen Flucht und bei Theseus bis zum Todeswunsch steigern kann. Bei diesen Enthüllungen kontrolliert Phaedra über die Sprache die Handlung und ihre Kontrahenten. Die Sprache und die Kommunikation lenkt sie durch ihre Ambivalenzen und ihr als schamhaft inszeniertes Schweigen. In Senecas Drama ist Phaedra der Souverän der Sprache, bei Euripides und Racine ist diese der Souverän über die Handlung und die Figuren. Dies zeigt sich bei Racine an der Dominanz des Schweigens, die Roland Barthes in Sur Racine (1963) v.a. für Phèdre herausgearbeitet hat. 172 Während Hippolytos Theseus, von der 170 Diese furor-bedingte faktische Verteilung der dramatischen Kausalität, Souveränität und Transgressivität zwischen Phaedra und ihrem Stiefsohn geht bei Roisman verloren. Sie arbeitet anhand eines mitunter zweifelhaften Vergleichs mit Euripides’ Hippolytos heraus, Phaedra sei durch den Verlust ihrer libidinösen Seite, die sie bei Euripides habe, zwar integrer, aber in der charakterlichen Komplexität reduziert, während Hippolytus an dieser gewinne, da er, wie Roisman annimmt, seine Begierden und Aggressionen unterdrücke (2000: 83 f.). 171 Vgl. Segal 1986: 164. 172 In: Ds., Œuvres complètes. Bd. 2: Œuvres 1962-1967. Hg. v. Éric Marty. Paris 2002, 51-196, h. 148 f. 646 Amme durch Eid gebunden, nicht seine volle Unschuld offenbaren kann und Euripides’ und Racines (v. 264: C’est toi qui l’as nommé) Phädra die Identität ihres Geliebten nur indirekt preisgeben, setzt Phaedra die Sprache nur strategisch ein. Die geschilderte komplementär-diametrale faktisch-kausale Verteilung zwischen den dramatischen Akteuren unterläuft die rhetorische Pervasivität des furors, der v.a. in der Fremdbezichtigung vorkommt. Der furor treibt nicht alle Akteure, sondern Phaedra, die so das Geschehen dominiert. Während die furorgetriebene Mänade Phaedra dramatisch explodiert, implodieren die übrigen Figuren. Dieser Befund relativiert auch Schiesaros Sichtweise, der weitgehend auf die poetisch-schöpferische Kraft des furors abhebt. 173 Allerdings verläuft die Grenze der faktisch-kausalen Handlungsdominanz nicht nur zwischen der furorgetriebenen Protagonistin und den übrigen Figuren, sondern auffallend zwischen weiblichen und männlichen Figuren. Während Phaedra und ihre Amme, die beiden transgressiven weiblichen Charaktere, das Dramengeschehen dominieren, wird Hippolytus in die Flucht geschlagen und von seinem Vater eliminiert, den das Zusammenspiel der beiden Frauen getäuscht hat. Den perversen - , welche die beiden Frauen vor ihrer verbalen Transgression unternehmen, steht die empörte Ent-Rüstung der beiden Männer über die von den Frauen offenbarte Transgression gegenüber, mit der sie sich selbst und in die Flucht schlagen. 174 Daß damit nicht die generelle Wirkungslosigkeit der (stoischen) Moral durchexerziert werden soll, geht allein schon daraus hervor, daß Vater und Sohn von der stoischen Doktrin und Verhaltensnorm abweichen. Die dramatische Dominanz der beiden transgressiven Frauen bedeutet keine hodologische Paralyse der dominierten Männer und damit auch keine einseitige Lähmung des Dramas. Die beiden Männer zeigen vielmehr vor ihrer dramatischen Desubjektivierung eine höhere Bewegungsaktivität als bei Euripides, da Theseus aus der Unterwelt und nicht von einer Orakelfahrt zurückkehrt und Hippolytus bereits vor der Rückkehr seines Vaters abreist. Daran, daß Hippolytus’ Bewegung freilich von Phaedras Transgressionen initiiert und gestoppt wird, zeigt sich hier wieder deren kausale Dominanz. Der männliche Charakter von Phaedras Dominanz wird in der Aneignung und dem Einsatz des Schwertes deutlich. Es ist ein phallokratisches Symbol aktiv-dominant-gewalttätiger Männlichkeit, mit dem Phaedra die einzige Realhandlung des Dramas vollzieht - man beachte ihre stativisch-konstative Formulierung der tödlichen Verletzung statt einer bloßen Absichtserklärung (v. 1197: mucrone pectus impium iusto patet) -, die durch ihre Faktizität metatheatralische Qualitäten hat, weil sie öffentlich eine dauerhafte Veränderung am Objekt bewirkt, welche den weiteren Dramenverlauf entscheidend prägt. Diese Interpretation wird dadurch gestützt, daß bei Seneca das Schwert mit seinem vierfa- 173 2003: 21 (Dramen), 25 (Poetik), 46 f. (Thyestes). 174 Vgl. Lefèvre 1969: 147, der freilich die täuschende Rolle der Frauen ausblendet, treffend zum Verhalten des Vaters: „Bei Hippolytus und Theseus versagt die ratio ihren Dienst.“ 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 647 chen Vorkommen deutlich als durchgehendes Motiv aufgewertet wird. 175 Dies zeigt auch der Vergleich mit Euripides’ 176 und Racines Versionen, in denen der Selbstmord durch den Strick oder Gift vollzogen wird. Zudem denunziert Phaidra ihren Stiefsohn mit einer Schreibtafel und nicht der vermeintlichen Tatwaffe. Es ist aufschlußreich für die Kontinuität dieses Dramas, daß sie nicht auf der Ebene des konsequenten Figurenhandelns oder einer konsistenten Handlungskette, sondern in der Iteration eines Motivs und materiellen Gegenstandes zu suchen ist. Gleichwohl läßt sich neben der durch diese Rekurrenz ermöglichten dreifachen Zeichenfunktion des Schwertes (Peircescher index als Beweismittel, materialer Sinnträger für besitzidentifizierende Zeichen, psychoanalytisches Symbol) auch ein dramatischer Sinn feststellen, der sich in der zunehmenden Aneignung durch Phaedra zeigt. Zuerst wird sie durch Hippolytus nur mit dem Schwert in Kontakt gebracht (v. 714), das Hippolytus daraufhin als befleckt zurückläßt und das die Amme als Tatwaffe und Indiz anzeigt (v. 728 f.), dann klammert sie sich in der Denunziationsszene daran (v. 866), weil es ja das Unterpfand ihrer Unschuld ist, und schließlich bringt sie sich mit dem Schwert vor aller Augen um (v. 1154-1158, 1197 f.). Das rekurrente Auftreten des Schwertes bietet auch die Möglichkeit, seine phallische Funktion durch verschiedene Indizien und in komplementärer Hinsicht für die Charakteristik der Figuren abzusichern. Das Zurücklassen des Schwertes ist bereits bei Racines Hippolyte als Kastration gedeutet worden (so Grünnagel 2010: 301), der bei Phèdres Liebesoffenbarung erstarrt und sich von ihr den Degen entwinden läßt (v. 710, 716). Während der Sohn des Theseus bei Racine durch Passivität gegenüber dem weiblichen transgressiven (so meine Deutung im Gegensatz zu Grünnagel 2010: 298, der die Enthüllung der libidinösen Transgression und die Wahrnehmung des Monströsen als funktionalen Gegensatz auffaßt) Monstrum absticht (Grünnagel 2010: 298), ist die symbolische Kastration bei Seneca mit seiner dramatischen Impotenz zu korrelieren, die er auch in diesem Drama im Vergleich zu seiner transgressiven Stiefmutter einnimmt, die durch ihren furor den Handlungsverlauf prägt. Der Verlust des Schwertes macht augenfällig, daß Hippolyt in den drei vollständig erhaltenen Bearbeitungen auf unterschiedliche Weise unmännlich ist und Phädras Aktivität dabei variiert: Während er sich im Stephanophoros eine jungfräuliche Rolle wählt und er sich bei Racine durch Entwinden des materialen Symbolträgers von seiner Stiefmutter manuell kastrieren läßt, wird diese symbolische genitalanatomische Integritätsverletzung bei Seneca allein durch die furor-geleitete Mitteilung der transgressiven Emotion 175 Das vierfache Vorkommen verleiht diesem psychoanalytischen Symbol entsprechend den methodischen Prämissen des theoretischen Teils dieser Arbeit, sich bei psychoanalytischen Interpretationen an im Text nachweisbare Symbole zu halten, statt unterbewußte Absichten in die Figuren zu konstruieren (s. 1.1 (Antikes) Drama und Strukturalismus: Zur Handlungsstruktur), eine wesentlich höhere Evidenz als Roismans Versuchen, in Hippolytus unterbewußte Aggressionen aufzuspüren (2000: 77-83), die sogar Phaedras Vergewaltigungsvorwurf eine gewisse Plausibilität verliehen (2000: 83). 176 Das gilt auch im Vergleich zum Kalyptomenos, in dem - möglicherweise - Phaidra einen Diener mit einem Schwert tötet, sich aber ebenfalls wie im Stephanophoros erhängt (Otto Zwierlein, Hippolytos und Phaidra. Paderborn 2006, 20, 22). 648 verursacht, die seine Stiefmutter vornimmt. Anders als bei Racine, wo sie praktisch intervenieren mußte, reicht also ihre furor-geleitete Erscheinung, ein seelisches und sozialinteraktives Moment, das ihre und des furors dämonische Macht noch deutlicher hervortreten läßt. Da das Schwert der Amme und Phaedra als entscheidendes Beweismittel für Hippolytus’ sexuelle Transgression dient, die seine Eliminierung nach sich zieht, läßt sich sagen, daß Phaedra, indem sie Theseus’ Sohn durch dessen Vater mittelbar eliminiert, ihren Mann unbeabsichtigt faktisch in ähnlicher Weise genealogisch kastriert wie Medea Iason, indem sie seine beiden Kinder eigenhändig mit dem Schwert tötet. Die forensisch-semiotische Funktion des Schwertes in der Phaedra steht in keiner reinen Opposition zu seinem faktischen Einsatz in der Medea, da Phaedra es zu Beginn der Denunziationsszene wie zum Hieb festhält und nach Theseus’ eigener Beobachtung in einer verschlossenen, wenn auch nicht konfrontativen Position verharrt (v. 866 f.): quin ense viduas dexteram atque animum mihi / restituis […]? viduas verweist dabei auf den Verlust einer familiären Bezugsperson, den das Schwert bei Phaedras Selbstmord exakt entsprechend der Semantik dieses Verbs herbeiführen wird. Diese genaue semiotische Übereinstimmung von eliminatorischer faktischer Handlung und Verbalsemantik spricht zusammen mit der Parallelität von faktischem und semiotisch-forensischem Einsatz des Schwertes dafür, viduas auch auf Theseus’ Verlust einer anderen Bezugsperson, nämlich seines Sohnes zu beziehen. Damit dient viduas in der geschilderten Konstellation als Argument dafür, das Schwert als Vehikel einer Kastration zu deuten. Auch wenn Phaedra die Absicht fehlt und Theseus noch die gemeinsamen Kinder mit Phaedra bleiben, während Medea Iason mit Kreusas Ermordung weitere Fortpflanzungsmöglichkeiten raubt, so bleibt in beiden Tragödien die Tötung des Sohnes durch den Einsatz eines Schwertes das entscheidende Merkmalbündel dafür, daß die phallische Ehefrau den Ehemann genealogisch kastriert. Insgesamt bringt eine psychoanalytischsymbolische Deutung des Schwertes einen erkennbaren interpretatorischen Zugewinn, weil sie den libidinösen Aspekt zum bereits inhärenten aggressiven dieses Gegenstandes ergänzt, der somit die beiden Seiten des furors abdeckt. Daß sich das psychoanalytische Symbol auf eine Dramenfigur konkretisieren und diese Konkretisierung in beiden Tragödien jeweils spezifisch mit der Handlung und ihren Merkmalen korrelieren läßt, ist ein gewichtiges Argument für die psychoanalytisch-symbolische Deutung, die somit interdramatisch gestützt wird. Denn wie die Meerengen in der Medea nicht bloß irgendein abstraktes Symbol für reproduktive Funktionen waren, die irgendwie in diesem Drama zur Debatte stehen, sondern diese sowie die destruktiv-kastrative Funktion sich an Medeas Körper, ihrer vagina (dentata), verorten ließen (s. 3.6 Transgression, Monstrosität und Chronotopos in der Medea-Interpretation), so hat das Schwert in Senecas Phaedra nicht irgendeine nebulöse phallische Symbolik, sondern bezieht sich in konkreter libidinöser Symbolik als Phallos auf Hippolytus’ Körper. Diese genitale Körperverortung ist in der Phaedra jedoch weitaus konkreter: Während die Analogie zwischen Medeas Körper und den Meerengen rein funktional-metaphorisch ist, steht das Schwert zu Hippolytus in einem Besitzverhältnis und penetriert qua Hieb- und Stichwaffe tatsächlich phallisch-substi- 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 649 tutiv Phaedras Körper. Es weist also zu Hippolytus’ Phallos eine metonymische Relation auf. 177 Zudem ist die drameninterne Generierung des Symbols zwar in beiden Tragödien mit der Transgression verbunden und betrifft immer den Körper einer anderen Figur, unterscheidet sich jedoch in der Perspektive und emotionalen Anteilnahme der symbolgebrauchenden Figur: Während Medeas vagina (dentata) Teil der Binnenhermeneutik des Chores ist, mit welcher dieser auch die Tragik von Medeas Transgression beschreibt, wird Hippolytus’ Schwert von Phaedras transgressiver Begierde zum symbolischen Substitut für den eigentlich begehrten, aber nicht verfügbaren Penis des Stiefsohnes und an dessen Statt von ihr angeeignet und sich einverleibt. Die komplexe dramatische Raumsymbolik der Meerengen entfällt angesichts dieser konkreten Aneignungsmöglichkeiten. Phaedra weist anders als die andere phallische Frau Medea keine vagina (dentata)-Symbolik auf. Denn die Ambivalenzen ihres mündlich vorgetragenen Liebesbekenntnisses und ihrer nachfolgenden Verleumdung mit der trügerischen Abgründigkeit des weiblichen Schoßes, deren Begierden sie in dieser Szene lenken, auf die Vagina dentata zu beziehen bleibt trotz Freuds symbolischer Korrelation von Mund und Scheide 178 arg spekulativ. Dieses Fehlen erklärt sich symmetrisch zur Handlung daraus, daß sie ihren Stiefsohn begehrt und vernichtet, und nicht wie Medea ihre leiblichen Kinder. Zudem verfügt sie mit dem Schwert bereits symbolisch über ein destruktives Genitalsubstitut. Daß das Zurücklassen des Schwertes, wie bereits angedeutet, eine symbolische (Selbst-)Kastration ist, wird dadurch erhärtet, daß es auf die Mitteilung von Phaedras Begierde hin geschieht. Deren konkret-sexuelle Ausrichtung tritt an ihrer Klage hervor, im Vergleich zu ihrer Mutter Pasiphae habe sie geringere Möglichkeiten, ihre Begierde zu verwirklichen (v. 115-123). Dabei wird der genital-sexuelle Charakter von Phaedras Begierde nach ihrem Stiefsohn durch die ausführlichen Reflexionen dieser Verse erhärtet, bei denen es sich nicht bloß um eine beiläufige Anspielung handelt. Pasiphaes Liebe zu dem Stier realisierte sich ausschließlich in einer sexuellen Vereinigung, die aufgrund der technischen Einrichtung nur die Geschlechtsteile betraf. Einen anderen Kontakt ließ die hölzerne Kuh nicht zu, auf die Phaedras Klage anspielt, Daedalus könne ihren Flammen nicht helfen. Die hölzerne Kuh scheint auch in dem Relativsatz auf, der Daedalus’ Kunstfertigkeit illustriert (v. 122: qui nostra caeca monstra conclusit domo), da Pasiphae in der Kuh ebenso wie der Minotaurus im Labyrinth eingeschlossen wurde. Es ist weiterhin aufschlußreich für Phaedras sexualpraktischen Realitätssinn, daß sie vor den technischen Verwirklichungsmöglichkeiten des eigentlichen genitalen Aktes die libidinöse Vehemenz vor allem des tierischen Parts beschreibt. Über fast drei Verse wird dessen Ungestüm ausgemalt (v. 116-118: pecoris efferum saevi ducem / … torvus, impatiens iugi), das 177 Diese konkreten Bezüge und Einbettung in den Handlungsverlauf kommen der gesunden Skepsis entgegen, die Mary R. Lefkowitz gegen die psychoanalytische Deutung von Tatwaffen in der Tragödie äußert (Women in Greek Myth. London 2 2007, 175 f.). Das Schwert erhält auch dadurch eine zusätzliche Bedeutung, daß Euripides’ Phaidra eine gänzlich unphallische Selbstmordwaffe wählte, den Strick, der nichts mit ihrem Stiefsohn zu tun hatte. 178 Art. „Vagina dentata“, fantasy of. In: Alain de Mijolla (Hg.), International dictionary of psychoanalysis. Dictionnaire international de la psychanalyse. 3 Bde. Detroit 2005, Bd. 3, 1831. 650 auch eine unverkennbar sexuelle Komponente hat (v. 118: adulter ille, ductor indomiti gregis), die suggeriert, daß der Leitbulle alle Kühe der Herde begattete oder selbst die als Kuh verkleidete Pasiphae. Daß dieser Vergleich nur auf Hippolytus’ Libido und nicht sein gesamtes (fehlendes) Temperament zielen kann, zeigt seine weidmännische Aktivität in der vorausgehenden Szene, die ihn über die Anweisungen der Diener durchaus als Anführer zeichnet. Stier und Stiefsohn reduziert die Analogie also auf ihren Penis und die Triebstärke, die über den wahllosen, transgressiven Einsatz des eigenen Geschlechtsteils im Schoß einer Kreterin entscheidet. Der phallische Reduktionismus des Stiervergleichs ist im griechischen Jargon lexikalisiert: Hier ist der Stier eine Bezeichnung für das männliche Geschlechtsteil. 179 Daß Phaedra den Stier und seine Führungsqualitäten unter rein sexuellen Gesichtspunkten betrachtet, würdigt diesen übrigens auch vom stoischen Standpunkt herab, da ihr der Stier, der die Herde führt und verteidigt, als Beispiel der Anlage zur Tugend, die es entsprechend der Oikeiosistheorie zu entfalten gilt, und der Rollenerfüllung galt. 180 Die sexuelle Ausrichtung auch ihrer eigenen „Liebe“ wird dadurch unterstrichen, daß Phaedra sowohl für ihre Mutter (v. 117: audax amasti) als auch für den Stier (v. 119: sed amabit aliquid) von amare spricht. Deswegen verzichtet diese Arbeit bei Phaedras Neigung für ihren Stiefsohn auf ‚Liebe‘ zugunsten von ‚Begierde‘ und ‚Libido‘. Nun könnte man einwenden, daß das tertium comparationis zwischen Phaedra und ihrer Mutter nicht die sexuelle Erfüllung, sondern die Erwiderung der Liebe ist. Dafür spricht einmal die bereits erwähnte Wiederkehr von amare bei Pasiphae und dem Stier und sed amabit aliquid als Schlußwort für das Verhalten des Stieres, welches das Sexuelle als eine Form der Erwiderung einstuft, aber auch Phaedras folgende Klage, in der sie sich beschwert, daß nicht einmal Daedalus ihr zu einer Erwiderung ihrer Liebe verhelfen könne. Es sei deshalb klargestellt, daß Phaedras Neigung für ihren Stiefsohn sich nicht nymphoman in sexuellen Bedürfnissen erschöpft, welche die Abwesenheit ihres Mannes unbefriedigt läßt. Das wiederholte Preisen von Hippolytus’ Schönheit und Phaedras eigene Aussage, sie liebe in Hippolytus den jungen Theseus (v. 646-660), beweisen, daß ihre Neigung sich nicht in Verlangen nach genital-haptischer Stimulation erschöpft, die ubiquitär wie die Venus vulgivaga ist und - wie Phaedra selbst anklingen läßt - sogar von einem Tier geleistet werden kann, sondern auf der optischen Wahrnehmung einer menschlichen Gestalt beruht, die ihren Mann ersetzt. Daß ihrem Verlangen nach dem Stiefsohn allerdings keineswegs die sexuelle Komponente fehlt, untermauert ein feiner intertextueller Bezug auf Iphis in Ovids Metamorphosen (9,735-744), den Rainer Jakobi aufgedeckt (1988: 65) 179 James N. Adams, The Latin Sexual Vocabulary. London 1982, 30, Jeffrey Henderson, The Maculate Muse. Obscene Language in Attic Comedy. New Haven 1975, 127. Daneben steht er auch für das weibliche Geschlechtsteil (Henderson 1975: 113) und das Gesäß (Henderson 1975: 202 f.). 180 Epict. 3.22.6. Für weitere entsprechende Stellen bei Epiktet s. Billerbeck Kynismus 53 f. a.l. Vgl. Sen. epist. 90,4: non praecedit armenta degener taurus, sed qui magnitudine ac toris ceteros mares vicit; […]. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 651 und Zwierlein für die Interpretation der Phaedra fruchtbar gemacht hat (1987: 9 f.). Die Parallelen in der Ausrichtung und Abfolge der Gedanken sind bis auf die lexikalische Ebene in der Tat frappant. Bei Ovid ist die Jungfrau Iphis als Junge aufgewachsen, weil der soziale Vater ein Mädchen getötet hätte. Sie unterstreicht nun die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe zum Mädchen Ianthe, mit dem sie verlobt ist, durch einen Vergleich mit Pasiphae: Als Frau habe sie wenigstens ein männliches Wesen geliebt und mit Listen den Stier zur ehebrecherischen Begattung bewegen können. Dagegen könne alle Kunst des Erdkreises und nicht einmal Daedalus aus ihr oder Ianthe einen Jungen machen. Sowohl die Benennung des Stiers als männlich und die anschließende Schilderung des erschlichenen Beischlafs als auch der Wunsch, den kleinen Unterschied zwischen sich und Ianthe herzustellen, die bislang genitalanatomisch identisch sind, lassen das Verlangen nach einem Penis und der intimen Vereinigung erkennen, die das männliche Geschlechtsteil mit einem weiblichen Wesen ermöglicht. Bereits die vorausgehenden Verse, in denen Iphis die Unnatürlichkeit und Normabweichung (v. 730: [di] naturale malum saltem et de more dedissent.) ihres Verlangens nach einer Frau (v. 733 f.: interque animalia cuncta / femina femineo correpta cupidine nulla est) durch Rückgriff auf die Tierwelt illustriert, ordnen den Unterschied zwischen Mensch und Tier demjenigen zwischen den Geschlechtern so sehr unter, daß er selbst Pasiphaes sodomitische Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Tier im folgenden in den Hintergrund treten läßt (v. 736 f.: taurum dilexit filia Solis. / femina nempe marem; […].). Penis und Penetration sind also - entsprechend dem römischen sexuellen Rollendenken 181 - die entscheidenden Merkmale bei Ovid. So argumentiert auch Rebecca Lämmle, 182 welche die (sexual-)pragmatischen, nicht moralischen Hindernisse in Iphis’ Augen mit v. 759 (natura […] mihi sola nocet) untermauert. 183 Bei der argumentativen Funktion der kretischen Stierliebe gibt es jedoch einen kleinen Unterschied zwischen dem augusteischen Epiker und dem neroni- 181 Craig A. Williams, Roman Homosexuality. Ideologies of Masculinity in Classical Antiquity. New York 1999, 215 nennt „insertive male“ und „receptive female“ als „normative types“, „receptive male“ und „insertive female“ dagegen als „deviant“. Es ist bezeichnend für die selbstverständliche Phallozentrik bei Ovid, daß Iphis das letztgenannte Rollenmuster überhaupt nicht ins Auge faßt, sondern auf ihr genitalanatomisches Defizit abhebt. Dies ist eine Folge ihrer männlichen Sozialisation und nicht der Heteronormativität der Genitalanatomie. Dieser würde man also zu Unrecht unterstellen, daß sie so weit reiche, daß die gleichgeschlechtliche Liebe einer Frau kein homosexuelles Verlangen oder gar den Gedanken an lesbische Sexualpraxis zuläßt, sondern sogleich in den Wunsch nach einem eigenen männlichen Geschlecht mündet. 182 Die Natur optimieren: Der Geschlechtswandel der Iphis in Ovids Metamorphosen. In: Henriette Harich-Schwarzbauer, Thomas Späth (Hgg.), Gender Studies in den Altertumswissenschaften. Räume und Geschlechter in der Antike. Iphis (Beiträge zur altertumswissenschaftlichen Genderforschung) 3. Trier 2005, 193-210, h. 194-199, v.a. 199: „In ihrer Penetrationsfixiertheit, ihrer Unfähigkeit, Sex ohne Phallus zu denken, ist Iphis ganz dem römischen Denken verpflichtet, wie es in unzähligen Studien jüngeren Datums rekonstruiert wird: Männer sind aktiv und penetrieren, Frauen sind passiv und werden penetriert - alles andere ist abartig.“ 183 Zur Bedeutung ‚Genitalien‘ von und natura s. John J. Winkler, The constraints of desire. The anthropology of sex and gender in ancient Greece. New York 1990, 217-220. Doch haben beide Begriffe in der Antike eine normative Bedeutung (Winkler 1990: 17-23), die an der fraglichen Ovid-Stelle nicht zur Debatte steht. 652 schen Dramatiker: Senecas Phaedra illustriert durch den Vergleich mit Pasiphaes geglückter Liebesvereinigung kein genitalanatomisches, sondern ein libidinöses Defizit ihrer Beziehung, die nicht auf Wechselseitigkeit beruht. Das zeigt sich deutlich daran, daß sie nicht auf die körperliche Männlichkeit des Stieres, sondern seine Triebstärke abhebt, die ihrem Geliebten demnach fehlt. Damit offenbart sie indirekt die Stärke ihres eigenen Verlangens und weist wegen dessen implizierten Vorhandenseins anders als Iphis, die für jede der beiden Frauen (aber nicht beide zugleich) eine Geschlechtsumwandlung ins Auge faßt, allein dem Objekt ihrer Begierde die Verantwortung für die fehlenden Aussichten auf Erfüllung ihres Verlangens zu. Indes: Daß Phaedra realistischerweise libidinöse statt genitalanatomischer Defizite ihres Geliebten für die fehlenden Erfolgsaussichten ihres Verlangens verantwortlich macht, tut ihrer Begierde nach dem Penis keinen Abbruch, die durch Pasiphaes doppeltes und Iphis’ intertextuelles Auftreten gesichert ist. Iphis erlangt denn auch durch Isis’ Hilfe die ersehnte und erflehte Geschlechtsumwandlung (v. 773-797) und kann sich als Schlußwort dieser Metamorphose mit seiner Geliebten vereinigen (v. 797: potiturque sua puer Iphis Ianthe). Daß im intertextuellen Vergleich der eigene Körper eher als der Sinn des Geliebten zu wandeln ist, läßt das Innenleben und insonderheit durch den Vergleich mit dem kalten Stiefsohn Phaedras Libido als zentrale Kategorie in Senecas Drama entsprechend den psychagogischen Interessen dieses Autors hervortreten und zeigt gleichzeitig die paradoxe Aussichtslosigkeit von Phaedras Begierde. Um so verständlicher wird es daher, daß sich Phaedras unerfülltes Verlangen nach Hippolytus’ Penis in seinem Schwert einen Ersatz schafft. Die Libido wird damit auch zur Triebfeder der Semiogenese. Dagegen bewirkt sie bei Ovids Iphis, da sie männlich sozialisiert ist, konsequenterweise die physische Umwandlung der begehrenden Frau, was zudem der transformativen Logik dieses Epos entspricht. Phaedra paßt ihre Umwelt ideell ihrem Verlangen an, Iphis ihren Körper. Das Rollenbewußtsein als signifié des Geschlechterdiskurses (gender) bestimmt über das von ihm konfigurierte Verlangen das physische Sein als materiales signifiant (sex). 184 Insofern zeigt der intertextuelle Bezug zwischen Epos und Drama nicht nur den phallischen Charakter von Phaedras Verlangen, sondern auch dessen Handlungsdominanz. Phaedras Libido macht also das Schwert symbolisch zum Phallosersatz (die Substitution ist bereits ein Merkmal des Fetischismus, für den auch Phaedras Festhalten an dem Gegenstand und dessen späterer penetrativer Einsatz spricht). Dies wird auch durch ihre scheinbar morbide Bejahung der Aussicht gestützt, durch Hippolytus’ Schwert den Tod zu finden (v. 710-712). In 7.2.5 Phaedras Offenbarung ihrer transgressiven Libido und Hippolytus’ evasive Integritätswahrung ist Phaedras vordergründige explizite Argumentation inhaltlich widerlegt, der Tod durch Hippolytus übertreffe noch ihren Wunsch (v. 711 f.), da sie 184 Lämmles Hinweis, daß Iphis ein fiktionales „Paradebeispiel“ für Judith Butlers Thesen sei, daß „die Kohärenz und Kontinuität zwischen gender, sex und desire ein Phantasma sei; daß nicht nur gender, sondern auch sex und desire soziokulturelle Konstrukte und Diskursprodukte seien“ (2005: 198), stimmt also nur in der antiessentialistischen Loslösung von gender, sex und desire von der vorfindlichen Genitalanatomie. Iphis’ Geschlechtsumwandlung ist ebenso ein Paradebeispiel für die Wirksamkeit von Geschlechterrollen, da sie als Junge sozialisiert wurde. 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 653 so unter Wahrung des pudor in seinen Händen sterbe, und so gehe ihr Wunsch in Erfüllung, vom furor geheilt zu werden (v. 710). Psychoanalytisch aufschlußreich ist die Tatsache, daß Phaedra in diesem Passus zweimal von der Erfüllung ihres Wunsches (votum) spricht. Dies läßt sich als Äußerung der sexuellen Komponente ihrer Libido deuten, die sie im Zusammenhang mit Pasiphae offenbart hat. Verräterisch ist die komparative Extravaganz der Rhetorik in v. 711 (maius hoc voto meo est), da diese qua Figur des Mehr einen zusätzlichen Sinn insinuieren könnte und sich bei Hippolytus auf ihre erotische Transgression bezieht, die noch über Pasiphaes eindeutig sexuelle gestellt wird (v. 688 f.). Der explizite Wortlaut in v. 710 (Hippolyte, nunc me compotem voti facis) läßt sich ohne das durch Semikolon abgetrennte Enjambement sanas furentem auch als ungewollte Äußerung des unterbewußten Wunsches nach penetrativer Vereinigung deuten. Solche ungewollten psychoanalytischen Ambivalenzen werden durch Phaedras vorausgehende strategische Ambivalenzen bei dem Liebesgeständnis auf der Ebene des Sprachgebrauchs durch die Figur plausibel. Die hier in Hippolytus’ Beisein nur erwünschte Ersatzpenetration mit dem Schwert, das den Phallos des Geliebten symbolisiert, vollzieht Phaedra intratheatralisch inszeniert bei ihrem Selbstmord. Der Subtext bietet hier parallel zum expliziten komplexeren Sinn etliche Hinweise auf diese psychoanalytische Deutung. Phaedra formuliert, gewiß (meta)theatralisch-barock, deutlich die Penetration mit dem Schwert (v. 1177: pectori ferrum inseram) und deutet ihre Tat als Erfüllung der Vereinigung, die ihnen versagt blieb (v. 1183 f.: non licuit animos iungere, at certe licet / iunxisse fata). Daß Phaedra auf den Rückzug zum ehelichen Bett verzichtet (v. 1185-1187), evoziert trotz der Selbstsanktion die sexuelle Komponente der intendierten Vereinigung. Phaedras Dominanz und die Persistenz des ästhetisch Bösen in ihr und durch sie lassen sich nicht nur metatheatralisch und psychoanalytisch, sondern auch dramatisch an ihren Sprechakten zeigen. Die Dominanz der Protagonistin und die Persistenz des ästhetisch Bösen sind beides Züge der souveränen Hinwegsetzung. Sie gehen mit einer barock-manieristischen Rhetorik des Hyperbolischen und Unangemessenen einher, die souveräne Abweichung manifestiert sich also bei Phaedra parallel im Sprechakt wie in der Stilistik. Diese parallele Souveränität in Wort(wahl) und (Sprach-)Tat zeigt sich gerade im Vergleich zu anderen Figuren. Die Amme und v.a. die beiden männlichen Figuren Theseus und Hippolytus sind die Hauptträger einer komparativ-hyperbolischen Rhetorik, die auf Phaedras transgressiven furor reagiert. Phaedras hyperbolische Rhetorik ist dagegen dünner gesät. Sie zielt beim Vergleich mit Pasiphae auf die Verwirklichung ihrer Libido oder eignet sich beim Wunsch, das Seeungeheuer möge auf sie losgehen (v. 1159-1163), die transgressive Tat an, die sie selbst verschuldet hatte. Während sie bereits zuvor den Handlungsverlauf sprachlich durch die Ambivalenz beherrscht hat, setzt sie dies nun explizit durch ihre referentiellen (Hippolytus’ Unschuld), konstativ-performativen (eigener Selbstmord) und möglicherweise illokutiven (Aufforderung an Theseus zum Selbstmord, s.u.) Sprechakte fort. Indem Phaedra Hippolytus öffentlich rehabilitiert (v. 1191-1196), annulliert sie ihre frühere Anschuldigung und erweist sich dadurch ausweislich der Anrede 654 an Athen (v. 1191), das die Amme als Publikum der Anklage gewählt hatte (v. 725), intratextuell und diachron als Herrin des Geschehens. Dies geschieht auch, indem sie die Fiktionalität des vorangehenden Intratheaters aufdeckt und dieses beendet. Außerdem bereitet sie so mit der juridischen Integritätsrestauration die physische durch Theseus’ Knochenlese vor (wenn auch nicht die physische Existenz) und fügt damit der Vergangenheit noch die Zukunft als zeitlichen Bereich ihrer Dominanz hinzu. Diese erstreckt sich im Fall der moralischen Integrität nicht nur positiv auf Hippolytus, sondern auch parallel zur Integritätsrestauration negativ auf Phaedra selbst (v. 1192-1196; v. 1177: nefando pectori). Mit ipsa demens pectore insano hauseram (v. 1193) greift sie den furor als Inspirationsquelle ihrer intratheatralischen Fiktion auf. Den Retransfer der Schuld (v. 1195: iuvenisque castus crimine incesto iacet) läßt sie bereits in den Eröffnungsversen ihrer Rede durch den kontrafaktischen Wunsch anklingen, Neptun möge das Seeungeheuer auf sie loslassen (v. 1159-1163). Doch auch Theseus ist negativ von Phaedras (Um-)Wertung betroffen. Seine Ehefrau stellt sich wie Medea in der Schlußszene von Euripides’ gleichnamiger Tragödie nicht nur lokal, sondern auch ideell vom Standpunkt der moralischen Integrität über ihren Ehemann. Daß in Phaedras Rede die Vorwürfe gegen Theseus explizit größer (v. 1191 f.: tuque funesta pater / peior noverca) und umfangreicher als die Selbstvorwürfe sind, ja durch die Aufzählung anderer Familienmitglieder, die Theseus auf dem Gewissen habe (v. 1164-1167), autoapologetische Züge annimmt, 185 widerspricht eklatant der realen Kausalität, bei der Phaedra ihren heimkehrenden Gatten unter Aufbietung aller schauspielerischen Künste getäuscht hat. Phaedra nutzt also die hyperbolisch-komparative Rhetorik, mit welcher Hippolytus auf ihre Transgression reagiert hat, zu deren Apologetik. Bei ihrem Stiefsohn war die Rhetorik disproportional zu einer unbestreitbaren fremden Tat, Phaedra ignoriert die eigene Kausalität und minimiert ihre Transgressivität zu Lasten eines anderen. Wegen dieser Schuldabwälzung, welche die eigene moralische Integrität faktenwidrig auf Kosten einer fremden wahrt, wird Phaedras Integrität durch die Selbstbestrafung, die immer noch in der Perspektive der inzestuösen Bindung an Hippolytus inszeniert wird (v. 1176 f.: hac manu poenas / tibi solvam), anders als in Oidipus’ Falle nicht restauriert, 186 obwohl sie anders als der thebanische König ihre physische Integrität nicht nur beeinträchtigt und sich lokal, sondern physisch eliminiert. Daß Phaedra ihre Zuflucht zum Tod nimmt, den sie als amoris sedamen mali und decus apostrophiert (v. 1188-1190), greift frühere Argumentationen für den Selbstmord auf, 185 Bei Lefèvre 1969: 140-143 fällt dieser durchsichtige Entlastungsversuch nicht entsprechend seiner rhetorischen Ausrichtung - wie die Klage in v. 91 f. über seine hier nur vermutete Untreue, die ihre eigene vorbereiten soll - auf Phaedra selbst zurück, sondern charakterisiert Theseus negativ. Wenn bereits in Euripides’ verlorenem Kalyptomenos (Plu. aud. poet. 28A = TrGF Bd. 5.1 Frg. v [S. 465]) Phaidra Theseus’ für ihre Liebe zu Hippolytos verantwortlich macht, worauf Lefèvre 1969: 142 hinweist, dann zeigt dies um so mehr, daß dieser Vorwurf der Negativzeichnung Phädras dient, die in diesem Stück stärker als im erhaltenen Stephanophoros ist. 186 Schuldabwälzung und persistierende Leidenschaft sprechen also deutlich gegen Lefèvres apologetische Sichtweise, Phaedra nehme „die Konsequenzen auf sich“ und scheide „bewußt und gefaßt aus dem Leben“ (1969: 154). 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 655 deren fehlende Berechtigung vom stoischen Standpunkt an diesen Stellen dargelegt wurde (s. 7.2.3 Phaedra und die Amme). Diese souveräne Pervertierung stoischer Moral zeigt auch, daß Phaedra sich nicht bloß - für ihren Geliebten - straft bzw. sich ihm als Totenopfer darbringt, wobei sie Totenrituale und Hippolytus’ vorausgehenden, abgebrochenen Opferversuch aufgreift (v. 1182: laceraeque frontis accipe abscisam comam), sondern sich im Gegensatz zu Oidipus der Verantwortung für ihre willentlich und wissentlich verübte doppelte Transgression, die inzestuöse Liebe und die fälschliche Denunziation, entzieht (v. 1190: confugimus ad te). Phaedras souveräne Verschmelzung der Rituale zu Liebe und Tod zeigt auch der Vergleich mit Euripides’ Stephanophoros. In diesem Stück institutionalisiert Artemis das Abschneiden des Haares durch die unverheirateten Jungfrauen von Troizen als Kult zu Hippolytos’ Ehren (v. 1425-1427). Durch Sorge und Kultstiftung spielt Artemis gegenüber ihrem Schützling eine ähnliche mütterliche Rolle wie Medea gegenüber ihren Kindern. Wie bei Phaedra verschmelzen bei Euripides’ Artemis Totenopfer und Hochzeitsritual. 187 Ein wichtiger Unterschied liegt im Verhältnis zur Iteration: Während Göttin und Kolcherin einen wiederkehrenden Kult stiften, verschmilzt Phaedra einmalig zwei Rituale. Die Einmaligkeit des Rituals liegt auch darin begründet, daß Phaedra nicht nur wie die beiden anderen Gestalten dessen Subjekt, sondern durch den unumkehrbaren Selbstmord dessen Objekt ist. Und anders als diese realisiert sie mit ihrer Todeshochzeit ihre bislang unerfüllte transgressive Begierde nach dem Geliebten, den diese doch getötet hat. Sie vollzieht das Totenopfer damit letztlich für sich. Diese Selbstbezüglichkeit ist wegen ihrer Souveränität nicht tragisch, sondern pervertiert die beiden Rituale. Während bei Medea das Ritual die Transgression als singulär markiert hat, gibt die Einmaligkeit von Phaedras Ritual einen Hinweis auf dessen inhärente Transgressionen. Wie am Ende des Dramas (s.u.), so ist auch die Zuweisung der möglicherweise letzten Verse von Phaedras Rede nicht eindeutig überliefert. 188 Die fraglichen Verse, in denen der Vater dazu aufgefordert wird, es der Stiefmutter gleichzutun und sich in Acherons Gefilde zu begeben (v. 1199 f.), könnte auch Theseus gesprochen haben, der nach Phaedra redet. Der Etruscus stellt ihnen THE. voran, das die übrigen Kodizes erst zwei Verse weiter bieten. Zwierlein, Coffey/ Mayer, Grimal und Chaumartin folgen dem Etruscus. Den gewichtigen metrisch-formalen Aspekt, daß die beiden fraglichen Verse wie Phaedras vorangehende Rede in iambischen Trimetern gehalten sind, während Theseus’ weitere 187 Wolfgang Fauth, Hippolytos und Phaidra. Bemerkungen zum religiösen Hintergrund eines tragischen Konflikts. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz 1959,8. Wiesbaden 1959, 387-516, h. 389-391. 188 Partien keinem bestimmten Sprecher zuzuweisen ist ein modernes dramaturgisches Mittel (s. dazu Ansgar Nünning, Roy Sommer, Drama und Narratologie. Die Entwicklung erzähltheoretischer Modelle und Kategorien für die Dramenanalyse. In: Vera Nünning, Ansgar Nünning (Hgg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier 2002, 105-128, h. 116), das eine ästhetische Offenheit mit sich bringt. Sie als solche stehenzulassen und phänomenal zu goutieren lassen die Erfordernisse einer dramensemiotischen Deutung ebensowenig wie diejenigen der Aufführung (es sei denn, man läßt alle möglichen Schauspieler die fraglichen Verse sprechen). 656 Rede im trochäischen Septenar steht, relativiert Zwierlein 221 a.l. damit, daß Theseus später in den jambischen Trimeter zurückwechsle (v. 1213 ff.) und der Verswechsel bei Seneca geläufig sei. Grimal 160 a.l. bringt ein inhaltlich sehr bedenkenswertes Argument vor: Wenn Phaedra Theseus aufforderte, ihr in die Unterwelt zu folgen, wäre sie selbst dort nicht mit Hippolytus allein. Dieses Argument wiegt um so schwerer, wenn man bedenkt, welch große Bedeutung Theseus’ Abwesenheit und (un)mögliche Rückkehr aus der Unterwelt in den Debatten vor der Offenbarung von Phaedras Liebe gespielt hat und wie sehr sie hier auf der Intimität mit Hippolytus im Tode als Motiv für ihren Selbstmord insistiert (v. 1183 f.). Weist man die Aufforderung zum Selbstmord Phaedra nicht zu, so würde ihre Fremd- und Selbsteliminierung eine Symmetrie der Personenverteilung herstellen, die im Vergleich zum Beginn des Dramas spiegelverkehrt ist: Damals waren Theseus in der Unter- und Phaedra mit Hippolytus in der Oberwelt, am Ende des Dramas ist es umgekehrt. Diese Verkehrung der Aufenthaltsorte entspricht der infernalischen Perversion ihrer Transgression. Der Ortswechsel der gesamten Familie in die Unterwelt ließe dagegen kein Element zurück, mit dem eine Vertauschung möglich wäre. Zwierlein 222 a.l. argumentiert überzeugend, daß die fraglichen Verse Phaedras Promulgation in v. 1191 f. treffend aufgreifen und weist auf die ethopoetische Implikation bzw. Inkongruenz hin, die eine Zuweisung zu Phaedra birgt: Sie verdürbe ihren würdevollen Abgang zu bzw. mit Hippolytus und würde mit einer Verwünschung „die Größe der Figur empfindlich mindern“. Mag man das Gewicht dieses Arguments gering veranschlagen, da ein solcher Abgang das ästhetisch Böse, das die vorliegende Arbeit für Phaedra herausarbeitet, wirkungsvoll krönen würde, so muß doch entsprechend den methodischen Grundannahmen der vorliegenden Untersuchung festgehalten werden: Phaedras Grundausrichtung innerhalb der Figurenkonstellation des Dramas ist die Liebe zu Hippolytus, dem denn auch konsequenterweise ihre letzten Worte gelten, die ihn über das pseudopietätsvolle Totenopfer zu ihrem Mann machen (v. 1198: cruorque sancto solvit inferias viro). All dies spricht dagegen, Phaedra die beiden fraglichen Verse zuzuweisen. Sie fallen also vielmehr in unser nächstes Thema, die Charakteristik des Theseus. In der Tat fügen sie sich in das klägliche Bild ein, das von ihm im folgenden gezeichnet wird. 189 Der Verswechsel verdeutlicht zudem seinen Sinneswandel, den Selbstmord nicht zur Ausführung zu bringen, der ihn von Phaedras Entschlossenheit deutlich absetzt. Das Verhalten der Figuren, die nach Phaedras physischer Selbsteliminierung zurückbleiben, v.a. des kraftlos klagenden Theseus, läßt deutlich das dramatische Vakuum erkennen, das Phaedras vampirartige Absorption dramatischen Terrains und ihr Abgang hinterlassen. Dieser bringt gewissermaßen die realdramatische Energie in die Unterwelt zurück, der sie mit Theseus entstiegen war. Phaedras leidenschaftlich-transgressiver furor ist verglüht, zurückbleiben die Asche und die rauchenden Trümmer, die seine transgressive Spur der Vernich- 189 Unbefriedigend ist demgegenüber Lefèvres Spekulation, der Nichtvollzug des Selbstmordes diene nicht der negativen Charakteristik des Theseus, sondern sei „vielleicht ein Zeichen für die frühe Entstehungszeit der Phaedra“ (1969: 146). 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 657 tung hinterlassen hat. Eine vergleichbare Situation deutet sich in Euripides’ Medea nur darin an, daß Iason die letzten Worte vor den athetierten Schlußversen des Chores spricht (v. 1405-1414). In seinem Hippolytos wird dagegen nicht nur, wie in Senecas Drama von Phaedra, Hippolytos’ Ehre, sondern auch durch die Versöhnung von Vater und Sohn, welche die Göttin herbeiführt, die Ordnung wiederhergestellt. 190 In der Phaedra bleibt die soziale Ordnung dagegen bis zum Schluß gestört. Während sich der Chor und der von Eliminierung und Integritätsverlust getroffene Protagonist in den Persern und im OT zu einer purgierenden und restaurativ-integrativen Klage zusammenschließen, tritt an die Stelle dieses integrativen Moments als Schluß der Dramenhandlung in Senecas Phaedra eine gegenteilige drameninterne Distanzierung des Chores, der zweimal Theseus moralisch tadelt. Im ersten Fall prangert er Theseus’ spontane Trauer über den Verlust seines Sohnes als moralisch nicht akzeptabel an (v. 1118: Haud flere honeste quisque quod voluit potest). Die Trauer wird hier nicht geteilt, sondern aufgrund der Tatbeteiligung des Trauernden mit einem stoischen Terminus (honeste) moralisch verurteilt. Die Tatbeteiligung ist mit dem für Senecas Ethik wichtigen Willensbegriff formuliert und legt den irrational-spontanen Sinneswandel innerdramatisch offen. Im zweiten Fall unterbricht der Chor Theseus’ exzessive Trauer und seinen Ruf nach eigener Bestrafung mit dem Hinweis, die unendliche Zeit bleibe für Klagen (v. 1244). Die zeitliche Unendlichkeit wird also von der Plötzlichkeit durchschnitten. Weiter fordert der Chor, die gebührenden Riten gegenüber dem Sohn zu erfüllen und die übel zugerichteten Körperteile zu verbergen (v. 1245 f.). Mit dem Appell, die familiären Übel zu verbergen, schlüpft der Chor in eine ähnliche Rolle als dramatisches Subjekt wie Kreon gegenüber dem geblendeten Oidipus im OT. Stärker als Kreon gemahnt er Theseus jedoch an seine familiären Pflichten gegenüber seinem Sohn, die er, wenn auch in schwächerer Form, nun abermals verletzt. Theseus erlangt, indem er das Heranschaffen der übrigen Körperteile befiehlt (v. 1247 f.), bei der rituellen Restauration, die hier allein den dionysisch zerteilten Körper betrifft, eine ähnliche dramatische Führungsposition im Künstlerisch-Rituellen wie Xerxes in den Persern, 191 allerdings anders als dieser nicht aus eigener, sondern aus fremder Initiative. Theseus’ weitere, abschließende Rolle ist dagegen unklar, weil Zwierleins Oxoniensis die Schlußverse (v. 1256-1280) als Fortsetzung von Theseus’ Rede ausweist, während der Repräsentant der einen Handschriftenfamilie, der Codex Etruscus (Laurentianus Plut. 37.13), sie dem Chor zuspricht. Otto Zwierlein hat gewiß Recht, wenn er bei der Begründung seiner Entscheidung auf die geringe Aussagekraft der Verszuweisung in den Handschriften hinweist und auch die Anrede genitor nicht als sicheres Indiz für eine Zuweisung an den Chor wertet. 192 Friedrich Leo ist denn auch in seiner Ausgabe ab v. 1262 zu Theseus zu- 190 Harald Merklin, Gott und Mensch im Hippolytos und in den Bacchen des Euripides. Diss. Freiburg 1964, 165. 191 S. 1.9 Rituelle Neujustierung der inneren Ordnung in der Interpretation dieser Tragödie. 192 Die Rezitationsdramen Senecas mit einem kritisch-exegetischen Anhang. Diss. Berlin 1965. Beiträge zur klassischen Philologie 20. Meisenheim am Glan 1966, 180-182. Für einen Forschungsüberblick s. Lefèvre 1969: 144 Anm. 42. 658 rückgewechselt. Da auch Zwierlein die stilistische Einheitlichkeit bemüht, läßt sich letztlich eine befriedigende Antwort nur aus der literarischen Interpretation der fraglichen Verse gewinnen. Sie beginnen mit der Anweisung an den Vater, die membra disiecta wieder in eine Ordnung und die umherirrenden Teile wieder an ihren Ort zu bringen (v. 1256-58: restitue). Die Wiederherstellung der Ordnung ist daran evident, daß der hier auch lexikalisch manifeste Sparagmos (v. 1256: Disiecta … membra) umgekehrt wird, auch wenn die Restauration im Stück selbst nicht zum Abschluß kommt (v. 1276 f.). Dadurch überschreiten das Leiden des Dramas und die transgressive Ordnungsstörung in zeitlicher Hinsicht die dramatischen Grenzen, was das Drama bereits damit getan hat, daß es die Transgression aus der Unterwelt hinausgeholt und ins Barbarenland verbannt hat. Dieser Schluß des Dramas steht unabhängig von der Zuweisung der Verse fest. Zwierleins Argument, der Chor sei im vorausgehenden Drama eine „Schablone“ und es sei unwahrscheinlich, daß er just an dessen Ende Leben gewönne, sticht wegen des ersten Tadels an Theseus nicht, der bereits besprochen wurde. Zudem ist nach Phaedras spektakulär inszeniertem Selbstmord und Hippolytus’ Ende die Anzahl der Bühnenfiguren stark geschrumpft. Das spräche eher für eine Aktivierung des Chores, um das dramatische Vakuum zumindest teilweise zu füllen. Doch hat dieser entgegen der Tradition der attischen Tragödie in keinem echten Seneca-Drama das Schlußwort. Diese Beobachtung spricht gegen die Zuteilung des Etruscus an den Chor und sowohl für Leos Rückwechsel als auch für Zwierleins Zuweisung an Theseus. Die Frage lautet also bloß noch, ob die gesamte Schlußpartie dem Theseus zugewiesen werden kann oder ob der Chor sich in v. 1256-1261 dazwischenschaltet. Beide Möglichkeiten haben schwerwiegende Auswirkungen für die Deutung des Schlusses. Die Intervention des Chores würde dessen Stellung als dramatischer Impulsgeber weiter stärken, da er in diesen Versen - wie bereits in den besprochenen v. 1245 f. - mit dem Imperativ Singular dem Vater Anweisungen zum Sammeln der Leichenteile gäbe. Allerdings würde diese Zuordnung einen Dialog und einen sozialen Nukleus am Ende der Tragödie wahren, während die Zuweisung der gesamten Passage zu Theseus diesen in eine einsame Trauer stürzen würde, für die ihm allerdings selbst im Falle der Chorintervention noch 24 Verse blieben. Durch diese Funktion der einsamen Klage wird Zwierleins Argument entkräftet, es wäre seltsam, wenn Theseus ab v. 1262 vom Chor keine Notiz mehr nähme (was ja auch so nicht stimmt, weil er dem Chor im Falle von Theseus’ erneuter Rede die Anweisung erteilt, das Haus zu öffnen und weitere Leichenteile zu suchen, also doch einen Status als dramatisches Subjekt wiedererlangt). Denn die Anrede an die Hände und der Ausruf über das harte Schicksal (v. 1262, 1271) schließen Theseus vom Chor ab und in seiner einsamen Trauer ein. Auch Zwierleins praktisch-pragmatisches Kontinuitätsargument („Die Mahnung an die Hände, nicht müde zu werden, und an die Wangen, den Tränenstrom zu hemmen, paßt weit besser, wenn wir vorher die gleiche Person das schwere Werk verrichten und dabei Tränen vergießen sahen“) verfängt nicht, da diese Handlungen nicht im vorausgehenden Dramentext erwähnt werden. (V. 1261 spricht nur von den Leichenteilen, die der Beweinung noch fehlen und deren Restitution erscheint nur in Imperativen und Gerundiva.) Die weiteren 7. Senecas 7.2 Analyse des Dramas anhand von , Monstrosität und Diskontinuität 659 Kontinuitäten, die Zwierlein bemüht, sprechen eher für ihr Nichtvorliegen in der gegenteiligen lectio difficilior. Die Selbstanrede miserande in v. 1255, am Ende des sicher Theseus zuzuweisenden Textes, erzwingt ebensowenig eine Selbstanrede genitor im darauffolgenden Text wie die Anrede der eigenen Hände bei der Wiederaufnahme von Theseus’ Rede. Die Verse v. 1256-1261 dem Chor zuzuschlagen, paßt m.E. nicht nur besser in den bisherigen Verlauf, sondern ergibt auch dabei einen sinnvollen Ablauf: Theseus droht, nachdem er entsprechend der Aufforderung des Chores angeordnet hat, Hippolytus’ Leichenteile herzubringen, abermals in untätiger Emotionalität zu versinken (v. 1253-1255). Aus dieser reißt ihn die erneute imperativische Aufforderung des Chores heraus, der mit der Anrede genitor abermals an seine väterlichen Pflichten appelliert. Selbst beginnt er das Werk der Leichenordnung, indem er - wie bei einem Puzzle - die Leichenteile (linke und rechte Hand) identifiziert. Dabei wahrt er durch die kognitiven Erfolge, die im Kontrast zur Unkenntlichkeit in Ovids Metamorphosen (15,528 f.: nullasque in corpore partes / noscere quas posses) stehen, seine dramatische Souveränität (v. 1260: laevi lateris agnosco notas). Gleichzeitig weist er abschließend aber auch auf das Fehlen weiterer Teile für die Beweinung hin (v. 1256-1261), nähert sich also der Aufgabe von einer praktisch-sachlichen Seite. Dazu passend verschiebt er die Trauer, wie bereits der Chor in v. 1244, auf später. Als Reaktion auf diese abermalige Ermahnung spricht Theseus sich nun in der ersten positiven dieses Dramas Mut zu, das Werk auszuführen (v. 1262-1265). Dabei trägt er zu diesem Zweck mit der Aufforderung an die Wangen, die Tränen anzuhalten, der Bemerkung des Chores Rechnung, es bestehe kein Anlaß für Tränen (v. 1263-1265). 193 Die Wiederaufnahme von genitor zeigt besonders das Folgeleisten und die Pflichterfüllung an, auf welche der Chor ihn mit dieser Anrede hingewiesen hat. Das dialogische Ende der Phaedra erhöht also die dramatische Komplexität und Interaktion und restauriert so einen sozialen Zusammenhalt, den Phaedras furor im vorangehenden Drama zerstört hat. Außerdem setzt der rekonstruierte Dialog die Zeichnung des Theseus als schwacher, wankelmütiger und emotionaler Charakter fort. Erst in den Schlußworten wird er wieder zum dramatischen Agens. Dabei gewinnt er in den allerletzten Schlußversen des Dramas sogar die moralische und praktische Souveränität über seine destruktive Ehefrau zurück, wenn er - im Gegensatz zum königlichen Leichenbegängnis für seinen Sohn - dessen Stiefmutter als frevlerisch tief in der Erde verscharren läßt (v. 1279 f.). 194 Die auf Phaedra drückende Erde symbolisiert die Last ihrer Transgressionen. Deren Verworfenheit zeigt das Vergraben des Leichnams tief unter der Erde an, die Transgression wird diesmal nicht geographisch in der horizontalen Achse, sondern vertikal nach unten in die Nähe der Unterwelt verbannt und damit auch Phaedra als der eigentliche Urheber der infernalischen Transgressionen bezeichnet, die durch Theseus’ Rückkehr aus der Unterwelt nur ausgelöst, aber nicht verursacht wurden. Wenn wir mit 193 fletusque largos sistite, arentes genae, / dum membra nato genitor adnumerat suo / corpusque fingit. 194 istam terram defossam premat, / gravisque tellus impio capiti incubet. 660 Anthony J. Boyle annehmen, daß die Jäger, denen Theseus die Anweisungen erteilt, dieselben sind, die Hippolytus am Anfang instruierte, 195 so ergibt sich zumindest dramenstrukturell eine ringkompositorische Schließung, 196 die insofern die Handlung des Dramas spiegelt, als Hippolytus vom Subjekt zum Objekt gewechselt ist. Dieses metatheatralische Moment korreliert mit Theseus’ abschließendem Künstlertum (s.o. und 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung) und zeigt, daß Einheit und Harmonie in diesem Drama allenfalls über die Kunst erzielt wird. 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors Die Analyse des Dramas in den vorangehenden Kapiteln hat gezeigt, daß der furor das binnenhermeneutische Leitmotiv und Movens der Phaedra ist. Er erstreckt sich auf fast alle Figuren und beherrscht über die eponyme Protagonistin und deren Transgressionen, die er motiviert und charakterisiert, die Handlung. Dort sowie v.a. in der Figurenrede und -zeichnung schlägt sich sein transgressives Potential in Diskontinuität und Monstrosität nieder. Dieses dominantexzessive Moment des furors soll im vorliegenden Abschnitt anhand von Dionysik, Magie, Chthonik und Metatheatralität weiter beleuchtet werden. Eine literarische und philosophische Interpretation des furors schließen einander nicht aus. Die Benennung und Darstellung von impulsiven und destruktiv-aggressiven Affekten in der Literatur, auch als Movens einer Transgression, ist nicht per se stoisch. Bereits die Ilias war von Achills Zorn getragen. Von den untersuchten attischen Tragödien war die Transgression im Oidipus Tyrannos vom Zorn über die Zurücksetzung am Dreiweg und in Euripides’ Medea vom der Protagonistin über die Reduktion zum Objekt männlichen Interagierens motiviert. Auch wird das Verhalten von Bühnenfiguren in der Binnenhermeneutik der attischen Tragödie durchaus als Wahnsinn gedeutet oder beschrieben (man denke an Oidipus’ aggressives Rasen nach der Entdeckung seiner Transgression [s. 2.5 Körperliche Integritätsverletzung und räumliche Eliminierung als Restauration? in der OT-Interpretation]) und die Transgression als solcher qualifiziert. Und doch unterscheiden die massive, leitmotivische numerische Präponderanz des furors und verwandter Ausdrücke für den Wahnsinn und die spezifische dramatische Gestaltung dieser Gemütszustände Senecas Phaedra von der vorangehenden tragischen Dichtung. So wird in Euripides’ Hippolytos Phaidras Leidenschaft nur einmal als bezeichnet, und zwar aus Artemis’ autoritativem Mund (v. 1300: ). Euripides’ Bakchen bieten bei 195 In Nature’s Bonds. A Study in Seneca’s Phaedra. Berlin 1985. ANRW II.32.2 (hg. v. Wolfgang Haase), 1284-1347, h. 1304. 196 Vgl. Boyle 1985: 1304: „The framework, the structure of things, rerum natura, remains constant.“ 7. Senecas 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des 661 Pentheus und Agaue eine Beschreibung klinischer Wahnsinnssymptome. 197 Obwohl bereits Medea wenig äußere, klinische Symptome des Wahnsinns zeigt, werden ihr Verhalten von ihr selbst und ihre Transgressionen von ihrer sozialen Umwelt als solche eingestuft (s. 3.3 Die binnenhermeneutische Beurteilung als / der Transgression in der Interpretation von Euripides’ Medea). Phaedra zeigt dieselben psychosomatischen Symptome wie Medea, die bei beiden nur Zeichen des (Liebes-)Kummers, nicht des Wahnsinns sind. Auch die Ohnmacht, in die sie bei Hippolytus’ Anblick fällt, ist kein klinisches Wahnsinnssymptom, anders etwa als der stiere Blick, den Medea auf ihre Kinder richtet (v. 92 f.). Trotz dieser geringeren Symptomatik wird ihr Verhalten von ihr selbst und ihrer sozialen Umwelt in weit größerem Umfang und im Drama nahezu durchgängig als Wahnsinn qualifiziert, ein deutlicher Beleg für den stoischen Sprachgebrauch, der bei dieser Einschätzung ihre Affektbesessenheit im Blick hat. Dadurch daß selbst Hippolytus, der die drei einzigen, von Phaedra unabhängigen Belegstellen für den furor bietet, sich von diesem nicht ausnimmt, zerstört er nicht nur seine Stellung als unabhängiger Beobachter und vermeintliches reines Sprachrohr philosophischer Ansichten, sondern universalisiert auch den furor, von dem lediglich die Nebenfigur der Amme als weiterer Träger senecanischer Philosophie verschont bleibt. Die Universalität des furors läßt sich ebenso gut ethisch-anthropologisch wie metatheatralisch deuten. Ethisch-anthropologisch würde sie die stoischen Philosopheme auf der Bühne exemplifizieren, daß die meisten Menschen Toren (SVF III 666, vgl. SVF I 216, III 658) und alle Toren (SVF III 658, 662-669) bzw. Nichtweisen (SVF I 227) wahnsinnig seien. Die Universalität des furors in unserem Drama und die mit ihm einhergehenden Konflikte exemplifizieren zudem die stoische These, alle Toren seien einander feind (SVF I 226 f.) und die breite Masse habe in ihrem Wahnsinn (insania vulgi) Ansichten, die sich untereinander uneins seien (SVF III 669: dissideant). Daß das Drama auf Lexeme für ‚Tor‘ etc. verzichtet, steht dem nicht entgegen, da dieser Verzicht einen Rest dramatischer Würde der Figuren wahrt und so eher ihr Verhalten als sie selbst gänzlich negativ zeichnet. Daß dieses vom furor geleitet ist, zieht gleichwohl eine klare Trennlinie zwischen dem Verhalten der Bühnenfiguren und dem Weisen, der nach stoischer Auffassung sich im furor jeglicher Zustimmung enthält (SVF III 551 = Cic. ac. 2,48). Der Transfer der stoischen Thesen über die Toren und deren Wahnsinn scheint etwas daran zu kranken, daß der einschlägige stoische t.t. bzw. im Lateinischen mit insanus bzw. insania und nicht mit furo(r) wiedergegeben wird (SVF III 665 f., 669). Doch werden diese Bedenken dadurch zerstreut, daß in der Phaedra insanus neben furor auftritt (v. 360-363: flammis […] insanis […] furor), was bei diesen beiden Lexemen auch in Senecas moralphilosophischen Schriften der Fall ist (De ira 1,1,1-3, 2,36,5). Zudem charakterisiert insanus dasselbe rasende Verhalten wie der furor (v. 640-645). Auch in einem als wörtlich gekennzeichneten Referat der rigiden Ethik des Ariston von 197 Vgl. Josef Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des fünften Jahrhunderts. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 36. Heidelberg 1970, 87-89. 662 Chios gebraucht Seneca furor als variierendes Synonym für insania (epist. 94,17 = SVF I 359 = Nickel Nr. 810). Selbst wenn Seneca sich hier - gewissermaßen pro domo oder pro protrectica - kritisch zu Aristons Skepsis gegenüber der Kraft mahnender Worte stellt (alioquin abibunt in vanum monentium verba), ändert dies nichts an der terminologischen Aussagekraft dieser Stelle für die funktionale Synonymie von insania und furor bei Seneca, der Aristons Lehre in seiner eigenen Begrifflichkeit referiert. Evident ist der stoische Gehalt des furors in der Phaedra, wenn noch präziser Kardinalleidenschaften wie Begierde (v. 195-197: libido), Furcht (v. 1070: rabidos [sc. equos] pavidus evexit furor) und Schmerz (v. 1156: Quis te dolore percitam instigat furor? ) als Kern des furors dargestellt werden und die (Liebes-)Leidenschaft auch als dessen Motor erscheint (v. 645: Amore nempe Thesei casto furis? ). Während der t.t. insanus Teil einer binären Opposition und statischen Klassifikation ist, wohnt dem furor als ‚Rasen‘ eine dynamische Nuance inne, die ihn nachgerade als dramatische Umsetzung des t.t. prädestiniert. Diese These bestätigen die Stellen des Dramas, an denen sich der furor oder furo auf Bewegungen von Lebewesen beziehen (s. 7.2.2 Typen und Verteilung des furors im Drama). Als Transmissionsriemen zwischen Leidenschaft und Handlung ist der furor also auch dank seinem philosophischen Hintergrund bestens geeignet, die dramentragende Wirkung der Leidenschaften im Spiel zu fördern, auf die Schiesaro abhebt (2003: 13). Die ethisch-psychologische Theorie und eine dramenliterarische Perspektive harmonieren also. Senecas Phaedra weist keine derart spektakulären, fast möchte man sagen: theatralisch metatheatralischen Merkmale wie der Thyestes auf, der erst dadurch zustande kommt, daß die Furie im Prolog Tantalus aus der Unterwelt hervorzwingt (v. 1-121). 198 Der Umfang und plakative Charakter des Metatheaters ist bei Seneca mit der Schwere der Transgression korreliert, das Metatheater fungiert als deren Inszenierung. So ist die senecanische Dramaturgie in unserem Stück, bei dem es nicht um Kindermord und Kannibalismus, sondern nur eine verbotene sexuelle Begierde geht, auch bei der dramatischen Metapoetik weniger grell. Statt der Furien beschwört Theseus den Nordwind, der hinter seinem Sohn wüten soll. Anders als im Falle der mythologischen Figuren zieht der erzürnte Vater jedoch in Betracht, daß sein Sohn diesen Verfolger abschütteln könnte. Dies schwächt nicht nur das verfolgende Wüten (furentes) ab, sondern untergräbt auch die Integrität der Bühnenfigur, da Theseus trotzdem davon träumt, er möge die Strafe für die Transgression unausweichlich vollziehen (v. 933-937: licet […] liqueris Boreae minas / post te furentes, sceleribus poenas dabis). Die Dämpfung der Inszenierung ist aber keine Schwächung der vis poetica, sondern geht vielmehr mit einer Rhetorisierung und verinnerlichenden Reflexion der chthonischen Poetik einher, die dem furor als seelische Größe angemessen ist, der denn auch als Abstraktum das etymologisch-semantische Korrelat der personifizierten Furie ist. Der Terminus ‚chthonische Poetik‘ zielt 198 Schiesaro 2003: 26-55. Für Schiesaros inhaltlich berechtigte Unterscheidung zwischen Senecas Metadrama im Gegensatz zum illusionssubvertierenden Metatheater (2003: 14), das in der Tat in der Phaedra fehlt, s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression in der Einleitung. 7. Senecas 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des 663 darauf ab, daß dunkle Mächte der Unterwelt und der Nacht die Dichtung inspirieren oder die Handlung bestimmen. Er wurde in Anlehnung an Schiesaros oben erwähnte metapoetische Lektüre des Prologs von Senecas Thyestes geprägt, in welchem die Furie die Handlung dieses Dramas anstößt, indem sie Tantalus aus der Unterwelt hervorzwingt (2003: 26 ff.: „Staging Thyestes“). Der italienische Forscher gebraucht diesen t.t. freilich nicht, 199 und selbst die Rolle der chthonischen Inspiration und ihre Abgrenzung von anderen Dichtungsquellen bleibt unscharf (Näheres s.u. und 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik). Die schwarze chthonische Poetik ist an zahlreichen Phaedra-Stellen durch den Vergleich mit den dramatischen Parallelversionen als typisch senecanisch unverkennbar. Daß die Amme, bevor sie an Hippolytus herantritt, um ihn durch eingehende Paränese auf Phaedras Liebeserklärung vorzubereiten, Hekate um unterstützende Epiphanie anruft (v. 406-423), ist ein schwacher und nicht metatheatralischer, wenn auch deutlicher Fall dieser schwarzen Inspiration der Dichtung aus der Unter- und Gegenwelt, die lokal oder (tages)zeitlich durch die Finsternis charakterisiert ist. Sie ist ein dunkles Seitenstück zur dionysischen Motivation der übrigen Figuren (v.a. Phaedras) und zieht die Amme aus der lichten rationalen Sphäre ihrer philosophischen Argumentation in den irrationalen Kreis, den die übrigen Figuren durch ihre Nähe zum furor bilden. 200 Die Pervertierung der Amme spiegelt sich in der Pervertierung der Mondgöttin, die als Phoebe Apolls Schwester ist und von Hippolytus als Diana inbrünstig verehrt wird. Die Ambivalenz der Mondgöttin wird auch im Chorlied deutlich, das nach Hippolytus’ überstürzter Flucht deren Vergeblichkeit besingt. Hier heißt es, die Mondgöttin habe bei Hippolytus’ Anblick ihren Lauf gehemmt und sei errötet, was der Chor als Folge thessalischen Zaubers 201 gedeutet und mit Schellengeklingel beantwortet habe (v. 785-794). Hier wird nicht nur die behexende und den normalen Lauf hemmende bzw. im weitesten Sinne transgressionsgenerierende Wirkung des schönen Anblicks geschildert, dem auch Phaedra erlegen ist, was zumindest auf deren apologetische Argumentation anspielt. Vielmehr bietet das Vorkommen von carminibus im Lied des Chores einen Anhaltspunkt dafür, metapoetisch von einer dunklen poetischen Inspiration sprechen, auch wenn sie bloß in der Binnenhermeneutik vorkommt (rati). Vektoral ist die Parallele der vertikal-absteigenden Richtung zur und chthonischen Inspiration bemerkenswert. Diese parallele Bewegung spricht dafür, die bisherigen übergeordneten Farbausdrücke ‚dunkle Inspiration‘ und ‚schwarze Poetik‘ und die 199 Er fehlt auch im Register seines Buches (2003: 281), während „Bacchic/ Dionysiac elements“ dort ausführlich dokumentiert ist (2003: 281). 200 Daß die Liebesleidenschaft mit der Bitte um Beistand die Naturgesetze und die gewöhnliche Ordnung stören will, arbeitet auch Schmitz 1993: 161-165 heraus. 201 v. 791: tractam Thessalicis carminibus rati, vgl. v. 420 f.: sic te regentem frena nocturni aetheris / detrahere numquam Thessali cantus queant. - Dies könnte nach Friedrich 1933: 38 eine Reminiszenz von Euripides’ Kalyptomenos sein, wo es heißt, verliebte Frauen pflegten Selene anzurufen ( ), wie es Phaidra in Euripides’ Kalyptomenos tue ( KEAG Theocr. 2,10 c Wendel [S. 271 Z. 11-13] = TrGF Bd. 5.1 Frg. iv [S. 464 f.]). 664 statisch-lokale Bestimmung ‚chthonisch‘ komplementär-antithetisch zum apollinischen Aufstieg dynamisch-vektoral als herabziehend bzw. herabsteigend oder passend zum astrologischen Kontext als deszendent zu definieren. 202 Komplettiert wird das kartesische Koordinatensystem durch das Dionysische, das sich vorwiegend in der Horizontalen bewegt und trotz Affinität in Transgressivität und furor vom Chthonischen grundsätzlich zu trennen ist (s.u.). Das destruktive Potential des Abstiegs wird in zahlreichen Komposita mit dem Präfix dedeutlich, die auch die Wirkung der Leidenschaften in der Phaedra charakterisieren könnten, wie depravierend (analog zur Perversion) und degenerierend (in Anlehnung an das stoische Philosophem der perversio rationis, welche die ursprünglich guten Anlagen verkehrt). Indes kann man den Unterschied zwischen dem Apollinisch-Himmlischen und dem Chthonisch-Deszendenten nicht nur an der Richtung der vektoralen Dynamik festmachen, da Theseus die Schrecken der Unterwelt an die Oberwelt hinaufbringt. Der Ausgangspunkt dieser Bewegung ist allerdings auch in diesem Fall das relativ Untere und absolut Unterste, so daß ‚(nach/ von) unten‘ oder ‚unter der / die Erde‘ als Merkmal erhalten und damit die Kategorie ‚chthonisch‘ gewahrt bleibt. Umgekehrt ist das Hauptkriterium für das Apollinische sein absoluter Bezug zum Himmlisch- Olympischen. Die Amme bittet nur um unterstützende Epiphanie, diese erfolgt aber anders als in Aischylos’ Persern nicht personal. Außerdem schließt sich an diese Bitte eine perverse Autoparänese bzw. im Selbstgespräch an (v. 424- 430). Aus diesen Gründen kann man nur in dem Sinne, daß die folgende Begegnung inszeniert wird, von Intratheater sprechen, es sei denn, man geht davon aus, die Göttin sei im Handeln der Amme und dadurch präsent, daß sie diese mental, nicht faktisch unterstützt. Daß die chthonisch-dunkle Inspiration der Amme den Übergang der Transgression (v. 427 f.: mandatum scelus) von der internen Debatte zur Offenbarung an das Objekt der transgressiven Begierde einleitet, ist jedoch offensichtlich. Sie bestimmt und charakterisiert damit nicht nur das Handeln der Amme, sondern auch die weitere Handlung. Da die Handlung jedoch den Kern des Dramas ausmacht, ist die dunkle Inspiration unverkennbar metapoetisch und wegen ihrer dramenkommentierenden Funktion auch metadramatisch. Die infernalische Motivation dieses Dramas und seiner Transgression ist, wie bereits angedeutet, im Vergleich zum Thyestes abgeschwächt. Sie ist aber dennoch dadurch gegeben, daß bereits Phaedra ihre transgressive Leidenschaft rhetorisch geschickt auf die Abwesenheit ihres Gatten in der Unterwelt folgen ließ und durch diese Abfolge in der Rede mit dieser suggestiv rechtfertigte (v. 91- 127). Ähnlich bietet dann Theseus’ Rückkehr aus der Unterwelt den Anlaß für Phaedras verbale Transgression und Hippolytus’ nachfolgende Eliminierung. 202 Für das wissenschaftsgeschichtliche Konzept einer deszendentalen Philologie, die ebenfalls an die Katabasis angelehnt ist, s. Jürgen Paul Schwindt, Philologie des Lebens 1911 Philologie des Todes. In: Edmund Hoppe, Mathematik und Astronomie im klassischen Altertum. Bd. 1: Hg. und eingeleitet von Jürgen Paul Schwindt mit einem Nachwort von Markus Asper ( 2 2013). Bd. 2: Hg. und mit einem Nachwort »Über Genauigkeit« von Jürgen Paul Schwindt mit einer fachlichen Einführung von Markus Asper. Heidelberg 2011/ 12, Bd. 1, 5-60, h. 56. 7. Senecas 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des 665 Anders als im Thyestes liegt hier jedoch keinerlei Metatheater vor, da der Aufstieg einer Figur aus der Unterwelt nicht die gesamte transgressive Handlung, sondern nur deren realpraktisches Ende einleitet. Der Theseus in Euripides’ Hippolytos kehrt dagegen als heim (v. 792, 807), also als ein Reisender zu einem Orakel. Daß er wie Kreon bei seiner Rückkehr aus Delphi im OT (v. 82 f.) eine Girlande trägt (v. 806 f.), 203 verstärkt in transverbalem Metatheater noch den apollinischen Aspekt dieser äußeren Voraussetzung für Phaidras Bezichtigung und die Eliminierung des Sohnes in dieser Tragödie und den Kontrast zu Senecas chthonischem Charakter des Anlasses. In subjektiver, aber auch tragischer Ironie korreliert Senecas Theseus die intratheatralisch geheuchelte Trauer der Amme, die zum Ausgangspunkt für Hippolytus’ Eliminierung wird, mit seiner Rückkehr aus der Unterwelt (v. 852 f.: maesta lamentatio? / hospitia digna prorsus inferno hospite). Der chthonische Zug von Hippolytus’ Eliminierung wird dadurch konventionell untermauert, daß Neptun seinem Sohn Theseus die Gewährung der drei Wünsche mit einem Eid bei der Styx bekräftigt hat, worauf dieser sich vor seinem Fluch beruft (v. 942-944). Den infernalischen Ursprung und Charakter seines Rachefluchs offenbart Theseus dagegen in der drohenden Anrede an den abwesenden Sohn, mit der er seine für die räumliche Totalität und Unentrinnbarkeit der Mächte bemüht, die er für die Verfolgung seines Sohnes in Dienst nimmt (v. 939-941). 204 Die Formulierungen scis unde redeam und Theseus’ ratlos-verzweifelte Frage In hoc redimus? (v. 1213), nachdem Phaedra Hippolytus’ Unschuld offenbart hat, stellen dessen Rückkehr aus dem Hades in eine Reihe mit anderen Nostoi, bei welchen die Ankunft der neuen-alten Figur nicht wie in der Odyssee in die Restauration der Ordnung, die vor der Abwesenheit des Patriarchen geherrscht hat, sondern in eine Eliminierung innerhalb des familiären Figurengefüges mündet, wie in Aischylos’ Agamemnon. Schließlich hat Phaedra wie Klytaimnestra versucht, die Leerstelle, die der Fortgang ihres Gatten hinterlassen hat, auch sexuell mit einem anderen Mann zu füllen, und büßt die Eliminierung, welche diese Usurpation kaschieren soll, mit dem Leben. Daß Theseus als Sühne für seinen Irrtum (impium) von der Unterwelt verschlungen werden und dort ewig leiden will (v. 1201-1203), macht diese nicht nur zum Ausgangs-, sondern auch Zielpunkt von Hippolytus’ transgressiver Eliminierung und bekräftigt damit die dramatische Relevanz dieses Gegenortes, über den das Wesen der Handlung dieser Tragödie sich konstruiert. Dies bestätigt auch das Paradoxon, daß er nicht zum Leben, sondern zum Tod seiner Angehörigen aus der Unterwelt zurückgekehrt ist (v. 1214). Das vorausgehende patuit ad caelum via (v. 1213) verlängert die vertikale Achse der Raumkonstruktion nach oben und vervollständigt diese um das himmlische klappsymmetrische Gegenteil der Unterwelt, das in Senecas poetischem eine tragende Rolle spielt, während sich der furor poeticus eher auf der horizontalen Achse bewegt (s. 7.4 Senecas dionysische und 203 So Barretts Hinweis 313 a.l., der nicht angibt, um welches Orakel es sich handelt. 204 longinqua clausa abstrusa diversa invia / emetiemur, nullus obstabit locus: / scis unde redeam. [...] 666 apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik). Damit wird in dem Drama selbst die Möglichkeit einer distanzierten Aufsicht angelegt. Das Motiv der verfehlten Rückkehr wird noch dadurch gesteigert, daß Theseus nun Hercules, der ihn aus der Unterwelt befreit hat (v. 843-845), um die Rückkehr dorthin bittet (v. 1217-1219: tuum / Diti remitte munus; ereptos mihi / restitue manes). Daß das Präfix resich nun auf die Unterstatt auf die Oberwelt bezieht, zeigt den eklatanten Wandel im Bezugsort der Restauration. Mit Händen zu greifen ist die Verkehrung, die Theseus wahrnimmt und wünscht, dann im Oxymoron des schwarzen Lichts, als dessen Geber er Hercules apostrophiert (v. 1217). Die infernalischen Handlungsimpulse und Figurenrhetorik illustrieren also die verkehrende und zerstörerische Gewalt der Transgression, die sich auch hinter der Allgegenwart des furors verbirgt. Die Handlungsabfolge und -verzahnung erlaubt es, jenseits einer funktionalen Parallelität das Verhältnis von dionysischem furor und chthonisch-schwarzer Poetik in diesem Drama zu präzisieren: Der dionysische furor ist im Drama nicht nur transgressiv und der Motor der faktischen Transgression, sondern syntagmatisch und kausal der chthonischen Poetik vorgängig, welche durch die dionysische Destruktivität vollzogen wird. Die Dämpfung der senecanischen Dramaturgie zeigt sich auch daran, daß sich das Metatheater um den furor konzentriert, also eine seelische Kraft und ein Handlungsmerkmal statt einer allegorischen Figur. Mit ‚Dämpfung‘ soll dabei nur auf die Verinnerlichung und das psychagogische Potential des furors, der die Ursache für die Transgression im Inneren der einzelnen Figuren ansiedelt, und die verminderte dramaturgische Spektakularität abgehoben und nicht epochenübergreifend Seneca statt im Barock in der Klassik verortet werden, als deren Merkmal bei der Diskussion des neuzeitlichen Dramas gerne die Dämpfung angesehen wurde. 205 Abgesehen von den drei Stellen, an denen Phaedra sich selbst den furor zuspricht (v. 177, 184) und Hippolytus seine Misogynie fakultativ als furor einstuft (v. 567), ist er - auch in bezug auf die anderen Figuren - stets Teil einer Fremdwahrnehmung. Er ist damit ein wichtiger und seiner Frequenz und Verteilung nach wohl der bedeutendste Faktor, mit dem die Binnenhermeneutik der Transgression in diesem Drama operiert. Dies wird besonders deutlich durch sein Auftreten im ersten Chorlied, ist ein Chorlied doch aus dem szenischen Dialog gelöst und ermöglicht so eine unmittelbare Adressierung des Rezipienten. Dort wird mit dem furor die Vehemenz der Liebesleidenschaft medizinisch (v. 279 f. (-282)) 206 und zoologisch (v. 341-344) 207 illustriert und damit deren zerstörerische Kraft in größere Zusammenhänge gestellt. Besonders deutlich wird die distanzierende Fokussierung und semiotische Interpretation des furors dadurch, daß der Chor seine ethologischen signa benennt (v. 344), also einen index in Peircescher Terminologie, weil hierbei etwas anderes für den 205 Vgl. dazu Grünnagel 2010: 292 f., der dagegen die barocken Merkmale des Monströsen in Racines Phèdre herausarbeitet. 206 [labitur totas furor in medullas / igne furtivo populante venas.] non habet latam data plaga frontem, / sed vorat tectas penitus medullas. 207 si coniugio timuere suo, / poscunt timidi proelia cervi / et mugitu dant concepti signa furoris; […]. 7. Senecas 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des 667 furor steht. Die Thematisierung des furors durch das Drama wird besonders deutlich in v. 584. Dort erreicht sie eine metatheatralische Dimension, weil sie in einer Figurenrede erscheint, die als metatheatralisches Element bereits eine vorangehende Regieanweisung enthält (v. 583: Sed Phaedra praeceps graditur, impatiens morae.), die den furor erahnen läßt. Diese Regieanweisung ließe sich strenggenommen noch unter Intratheater verbuchen, doch wird diese Äußerung dadurch metatheatralisch, daß sie nicht eine andere Figur, sondern faktisch das Publikum anredet. Dies setzt sich fort, wenn die Amme als Einleitung der Szene fragt, in der Phaedra Hippolytus ihre Liebe eröffnet (v. 584): quo se dabit fortuna? quo verget furor? Der furor wird damit zusätzlich zu den genannten formalen metatheatralischen Elementen zum schicksalbestimmenden Moment erhoben, das den Verlauf des Dramas mitprägt, und damit inhaltlich metatheatralisch markiert. Wie bei Euripides’ Medea (v. 271: ) bricht sich die Leidenschaft, die hier als furor formuliert wird, in der Mimik der Protagonistin Bahn und wird von einer anderen Figur geschildert. Seneca überblendet hier zwei Stellen aus Euripides’ Medea: Wenn die Amme Phaedras Leidenschaft schildert (v. 362-366), 208 greift sie Kreons besagte kurze Feststellung auf, die ein Fall transszenischen Metatheaters ist, und spiegelt außerdem die ausführliche Beschreibung, die Medeas Untergebene und Vertraute von den Symptomen ihres Kummerleidens geben (v. 24-33, 60). Die desubjektivierende Gewalt des eruptiven furors zeigt sich daran, daß er sich bereits des Körpers bemächtigt hat und nun im nächsten Schritt das Handeln diktieren wird. Der Höhepunkt der Theatralik und Dramatik des Stückes ist zugleich der Gipfelpunkt des metatheatralischen furors bei Phaedras öffentlich inszeniertem Selbstmord. Alle verbleibenden Beteiligten charakterisieren ihr Verhalten einleitend zu dieser Szene als wahnsinnig. Der Chor fragt (v. 1154 f.): Quae vox ab altis flebilis tectis sonat / strictoque gladio vecors Phaedra quid ferro parat? Theseus greift diese Frage (hier bereits in inhaltlicher Abhängigkeit vom Chor, die Wahnsinn, Trauer und die Frageform verbindet) auf und richtet sie an Phaedra (v. 1156): Quis te dolore percitam instigat furor? Die Fragen dienen klar der Aufmerksamkeitslenkung und unterstützen auch binnenwie bühnenpragmatisch die intratheatralische Wirkung von Phaedras Selbstinszenierung. Indem der furor Phaedra auf das Dach treibt, läßt er sie eine ähnliche vertikal-erhabene Position wie Euripides’ Medea in der Schlußszene der gleichnamigen Tragödie, Dionysos in dessen Bakchen und Jupiter in Plautus’ Amphitruo einnehmen und markiert seine Funktion der dramatischen Metapoetizität. Der furor weist mit Intratheater, Intertheater und Metatheater alle drei Typen dramatischer Metapoetik auf und funktioniert über das Intertheater als motivisches Substrat. Wie Medea spricht Phaedra als Frau göttlicher Abstammung zu ihrem Gatten. Daß diese Ansprache von ihr durch die Ortswahl inszeniert wird, verleiht ihr eine intratheatralische Funktion. Daß sie wie die männlichen Götter ihren Trug auflöst, also die intratheatralisch von ihr erzeugte Illusion, welche die vorange- 208 torretur aestu tacito et inclusus quoque, / quamvis tegatur, proditur vultu furor; / erumpit oculis ignis et lassae genae / lucem recusant, nil idem dubiae placet, / artusque varie iactat incertus dolor: […]. 668 hende Dramenhandlung bestimmt hat, ist klar metatheatralisch, da sie mehrere Handlungsstationen verbindet (und nicht bloß eine Szene prägt) und sich diese Parallelen damit auf der Ebene des Gattungskonstituens Handlung bewegen. Innerhalb der Interdramatik des Mythos wird Phaedras intratheatralische gottähnliche Souveränität noch dadurch unterstrichen, daß sie die aufklärerische Funktion übernimmt, welche die weibliche Göttin Artemis in der Anagnorisis von Euripides’ Hippolytos ausübt. (Da sie so den von ihr geschaffenen Trug an ihrem Gatten aufklärt, setzen sich hier die gleichsam kommunizierenden Röhren in der Zeichnung der Eheleute fort, bei der die faktische Stärkung Phaedras mit Theseus’ Schwächung einhergeht.) Die intertheatralische Tradition ist auch der Grund dafür, warum der drameninterne, metatheatralische furor poeticus hier dieselbe vertikal aufsteigende Dynamik wie sonst nur die apollinische Produktions- und Rezeptionsästhetik entwickelt, während sich der furor (poeticus) bei Seneca sonst auf der horizontalen Achse bewegt. Die metatheatralische, ja Metatragödiendeutung des furors identifiziert ihn mit dem universellen Rasen der mythologischen Gestalten und Menschen im Gefolge des Dionysos. Das Scharnier zwischen Rasen, Mänadentum und Metatheater liefert die Gründungsurkunde des Metatheaters in der Tragödie, Euripides’ Bakchen. Dort heißt es am Anfang zweimal, Dionysos habe Thebens Frauen zur aufgestachelt. Im ersten Falle betont Dionysos das gleichzeitige Heraustreten aus dem normalen Bewußtseinszustand (v. 32 f.: […] ’ / ’ […]). Im zweiten Fall hebt der Chor das Verlassen weiblicher Aufgaben wie das Weben hervor (v. 114-119). Hier handelt es sich also um zwei Merkmale, die auch bei Phaedra zu finden sind. Dionysos ist zwar nicht wie in Euripides’ Bakchen eine Bühnenfigur, doch ist er durch seine Verbindung mit Ariadne fest mit dem Familiengeschehen verbunden. Wenn Phaedra auf den Treuebruch anspielt, den Theseus an Ariadne begangen habe (v. 92: praestatque nuptae quam solet Theseus fidem), so verschweigt ihre Anschuldigung zwar Dionysos, der Theseus befohlen haben soll, Ariadne auf Naxos zurückzulassen. Dessen Evokation macht den Theatergott gleichwohl für den mythenkundigen Rezipienten zum der Dramenhandlung. Der Chor nennt im Zusammenhang mit Ariadne zwar den Dionysos namentlich. Er bemüht allerdings eine alternative Version des Mythos, nach der Phaedras Schwester Dionysos bereits in Kreta geheiratet habe. So betont er Hippolytus’ Schönheit, da Ariadne seinen Vater selbst Dionysos vorgezogen habe (v. 753-760). Immerhin evoziert dieser Passus des Chorliedes die Rolle des Theatergottes für den Ursprung der Dramenhandlung und verklärt Hippolytus epideiktisch-eulogisch wegen seiner äußerlichen Schönheit zu einem alter Dionysus. Mag sich die These von dem Metatragödiengehalt des dionysischen furors für Theseus und Hippolytus nicht ohne weiteres verifizieren lassen, so gibt es klare Ansatzpunkte, um Phaedras furor mit dem Rasen einer Bacchantin zu identifizieren. Hier ist an erster Stelle die sexuelle Transgression zu nennen, die libidinöse Seite des furors. Wie von Pentheus den Bakchen in Euripides’ gleichnamiger Tragödie unterstellt (v. 233-238, 487; vgl. 314-318), begehrt Phaedra eine Liebesvereinigung außerhalb der patriarchalischen Monogamie. Daß das 7. Senecas 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des 669 Objekt ihrer Begierde kein Fremder, sondern der Stiefsohn ist, ist zwar nicht genuin mänadisch und immunisiert sie nach heutigen Vorstellungen sogar gegen den Vorwurf einer inzestuösen Transgression, unterstreicht aber letztlich noch die Transgression der patriarchalischen Ordnung, da die weibliche Libido entlang der patriarchalischen genealogischen Linie vorverlagert ist. Vater und Sohn fungieren hierbei als eine Art Minimalpaar, das die antipatriarchalische Transgressivität der Libido noch deutlicher hervortreten läßt. An die Subversion der patriarchalischen Rollenverteilung knüpft sich steigernd die Usurpation einer männlichen Rolle. Die Überschreitung der gender- Grenzen und -Rollen ist durchaus ein Merkmal der Bacchantin. Besonders räumlich sinnfällig wird dies in Phaedras Wunsch, wie der Geliebte auf die Jagd zu gehen (v. 110 f.). Sie wird als Bewegung (excitatas consequi cursu feras) und durch die gegensätzlichen Attribute molli bzw. rigida, die zu ‚Hand‘ und ‚Wurfspeer‘ treten, als unpassend für eine Frau charakterisiert, weil sie damit nach Art der mänadischen 209 aus dem häuslichen Bereich der (Ehe-)Frau hinausgeführt wird. Dies wird besonders deutlich an der Vernachlässigung der textilen Handarbeiten (v. 103 f.: Palladis telae vacant / et inter ipsas pensa labuntur manus), die auch die Bakchen in Euripides’ gleichnamigem Stück kennzeichnet (v. 118, 514). Wie in den Bakchen ist der Wald der Ort des Wahnsinns. Der furor, mit dem Phaedra ihre Liebe zum Gebirge kommentiert (v. 112: Quo tendis, anime? quid furens saltus amas? ), klassifiziert sie als Mänade. Die Transgressivität ihres Liebesrasens verortet Phaedra anschließend bei ihrer genealogischen Ätiologie mit Blick auf ihre sodomitische Mutter Pasiphae im Wald (v. 113 f.: fatale miserae matris agnosco malum: / peccare noster novit in silvis amor), der somit wie in den Bakchen der Gegenort patriarchalischer, eindeutiger sexueller (Zu-)Ordnung wird. Anders als in den Bakchen wird der Wald allerdings für eine Hauptfigur zum Ort sündiger Liebe, da Phaedra dort Hippolytus ihre Leidenschaft bekennt. Zu diesem binnenhermeneutisch-lexikalischen gesellt sich ein inhaltliches Argument: Nur dem Aufzug nach ist Phaedra eine männerkalte Amazone (v. 388-403), hat sie doch dieses Kostüm nur angelegt, um ihrem Geliebten ähnlicher zu sein. Das Kostüm camoufliert also bloß ihre rasende mänadische Begierde nach einem Mann und soll als Instrument dienen, um sie zu verwirklichen. Die Diskrepanz zwischen der Intention und dem Kostüm wird noch dadurch verstärkt, daß dieses die asexuelle Jagdbegeisterung ihres Geliebten spiegelt. Das Gewand paßt also weder zum libidinösen Subjekt noch zum Objekt der Begierde. Oder, wenn man Austins und Searles Sprechakttheorie in Anlehnung an Bredekamps Bildakttheorie (s. 1.4.8 Alternative Tragikkonzepte: Nietzsche, Bohrer, Benjamin, Schmitt in der Einleitung) mit Roland Barthes’ Semiotik der 209 Diese dürfte Phaedra nicht in das fernere Scheidegebirge des Kithairon führen, wo die thebanischen Mänaden in den Bakchen schwärmen, sondern wohl in Berge, die das in einer Senke gelegene Athen mit ihren Gipfeln von über 1000 Höhenmetern überragen und die Hippolytus in seiner Eröffnungsmonodie nennt, wie den Parnes (v. 4) und den Hymettus (v. 22). Dies tut der geschilderten geographischen Parallele keinen Abbruch, da es sich topologisch und hodologisch, wenn schon um keine ontologische, so doch um eine eidetische Identität von Gebirgen handelt. 670 Mode 210 kreuzt: Die Perlokution der Intention des Kleidungsaktes wird von dessen semiotischem Gehalt unterlaufen. Zudem ist die Jagd auf Wildtiere nicht nur ein männliches Merkmal, sondern über die auch ein bacchisches Motiv. 211 Auch die Mänaden in Euripides’ Bakchen zerreißen auf dem Kithairon sogar Rinder (v. 731-747). Schwert und Thyrsosstab sind gleichermaßen phallische Attribute. Das grellste, da nicht bloß intratheatralische, sondern realdramatische mänadische Merkmal liegt schließlich darin, daß Phaedra durch ihre falsche Anschuldigung den Sparagmos ihres Stiefsohnes verursacht. 212 Dies nähert sie trotz aller Detailunterschiede in der Kausalität an Agaue an, die als Mänade selbst ihren leiblichen Sohn zerreißt. Die Relevanz dieser Parallele wird auch dadurch gestützt, daß Euripides’ Hippolytos nicht wie sein Pendant in der Phaedra zerstükkelt, sondern verstümmelt wird. Der dionysische Charakter von Hippolytus’ Ende wird dadurch gestützt, daß er bereits in Ovids Metamorphosen nicht nur zumindest teilweise zerstückelt (15,524-527), sondern wie der mythologische Dionysos physisch wiederhergestellt wird (15,531-540), auch wenn der Akzent bei Ovid zweifellos auf der qualitativen Veränderung des Gesamtkörpers statt auf seiner quantitativen Fragmentierung und Wiederzusammensetzung liegt. Neben die libidinöse tritt im Falle des Hippolytus die aggressive Seite von Phaedras furor und erweist ihn durch diese Vollständigkeit als dionysisches Element. Der furor, der hinter Phaedras Handeln und Intrigen steht, und nicht sie selbst ist der heimliche Regisseur des Dramas. Seine implizite furor-Poetik ist dionysisch. Das Dionysische in diesem Drama ist nämlich nicht rituell, sondern entsprechend Nietzsches Verständnis ein künstlerisches Prinzip. Dies zeigt sich daran, daß der stiefmütterliche Sparagmos und das väterliche Sammeln und Zusammenfügen der Leichenteile (v. 1257-1260) zum künstlerischen Akt stilisiert werden (s. das Ende von 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra). Die elterliche Knochenlese ist dadurch als dionysisch erkennbar, daß sie ebenfalls ihr Pendant in Euripides’ Bakchen findet (v. 1298-1300). Der literarische Charakter des Mänadentums tritt auch durch die hier herausgearbeiteten interdramatischen Parallelen zu Euripides’ Bakchen hervor, zu denen sich noch Phaedras metatheatralische Auflösung des Trugs gesellt und die es als fait littéraire bzw. literarisiertes Kulturem ausweisen. 210 Système de la mode (1967). In: Ds., Œuvres complètes. Hg. v. Éric Marty. Bd. 2: Œuvres 1962-1967. Paris 2002, 895-1231. 211 Vgl. Eric Robertson Dodds, Maenadism. In: Ds., The Greeks and the Irrational. Berkeley 8 1973, 270-282, h. 227. 212 Vgl. ihre selbstbezichtigende Klage über Hippolytus’ Leichenteilen (v. 1168 f.): Hippolyte, tales intuor vultus tuos / talesque feci? 7. Senecas 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 671 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik Wie verhält sich nun die implizite dionysische furor-Poetik dieses Dramas, die im vorausgehenden Kapitel herausgearbeitet wurde, zum poetologischen Theorem des furor poeticus, das in der antiken wie senecanischen Poetik anzutreffen ist? Die philosophisch-poetologische Theorie und die dramaturgische Praxis durch denselben Begriff verklammert zu sehen, mag eine hübsche Entdeckung sein, die jedoch nicht den exakten begrifflichen Gehalt des jeweiligen furors berücksichtigt und deshalb noch weniger das genaue Verhältnis der beiden Bereiche bei diesem Terminus klären kann. Dieses läßt sich immerhin auf die produktionsästhetische Formel bringen, daß das Dichten und die dramatische Dichtung gleichermaßen vom furor motiviert sind und angetrieben werden, wenn man den furor im Drama wegen seiner dionysischen Seite und seiner Rolle als Motor der Handlung als Schöpfer der Dichtung akzeptiert. Um das Verhältnis der beiden furores und dabei insgesamt die Relation zu ergründen, in der die Gestaltung unseres Dramas und das philosophische Werk stehen, muß man jedoch zuerst den furor poeticus besser verstehen. Dies soll durch eine Einbettung in seinen senecanischen Kotext und die philosophisch-poetologische Tradition sowie Senecas Poetik 213 insgesamt geleistet werden. Dabei müssen auch die Stellen, die Dingel, Schiesaro und Nussbaum besprechen, in Auseinandersetzung mit der Deutung dieser Gelehrten erneut diskutiert werden. Auch anhand des furor poeticus soll dabei gezeigt werden, daß Senecas Dichtungstheorie zwischen einem dionysischen furor, der Falsches tradiert, und einer apollinischekstatischen Begeisterung unterschied, die nicht zuletzt wegen ihrer mantischdistanzwahrenden Implikation als wahrheitsgetreu angesehen und akzeptiert wurde und damit als stoakonform zu gelten hat. Diese Unterscheidung löst die Ambivalenz auf, die Schiesaro in Senecas Einschätzung der Dichtung ausmacht (2003: 24) und von der er auf die Offenheit von Theorie und Kunstwerk bei diesem schließt. Sie fehlt auch in Dingels Einordnung von Senecas Dichtungstheorie in die platonische Tradition (1974: 20-27). (Sie zu diskutieren erübrigt sich unbeschadet ihrer Richtigkeit oder Falschheit im Rahmen dieser Untersuchung zum antiken Drama dadurch, daß Platon im Gegensatz zu Seneca seine dramatischen Versuche vernichtet haben soll 214 und seine Dialoge halbszenisch gestaltet hat.) In einem weiteren Rahmen soll die Distanzierung, die dem Apollinischen zugrunde liegt, als die universelle Operation herausgearbeitet werden, die sowohl die poetologisch produktionsästhetische wie die rezeptionsästhetische und dramatisch werkästhetische Seite von Senecas Werk er- und umfaßt, was in dieser Reihenfolge dargelegt werden soll. Die Distanzierung von dem furor poeticus und dessen apollinische Umdeutung zeigen sich schon an dem locus classicus (wie auch Schiesaro 2003: 22 ihn nennt) dieses poetologischen Konzepts bei Seneca (tran. 17,10 f.). Bloß in drei Zitaten, mit denen diese Stelle anhebt, wird lexikalisch der Wahnsinn gutgehei- 213 Grundlegend dafür Giancarlo Mazzoli, Seneca e la poesia. Mailand 1970, 19-69. 214 S. 6.1 Das Ende der Tragödie und des Tragischen? 672 ßen. Das erste stammt von einem nicht näher bestimmten griechischen Dichter (Nam sive Graeco poetae credimus), 215 der allgemein den Wahnsinn angenehm nennt (aliquando et insanire iucundum est). Die Not der literaturgeschichtlichen Identität ist eine interpretatorische Tugend: Dank der anonymisierenden Professionsbezeichnung ‚Dichter‘ läßt sich diese Aussage auch autoreferentiell-poetologisch auf Senecas eigene literarische Werke und die metapoetisch-intratheatralische Tätigkeit ihrer Figuren beziehen, zwei Aspekte, die wir in der Phaedra anhand des furors bereits kennengelernt haben. Die größte Aussagekraft in diesem Zitat hat jedoch die zeitliche Einschränkung aliquando, die den Wahnsinn eindeutig als zeitliche Ausnahme qualifiziert. Dies verweist ihn in eine philosophisch-ideologische Nische, durch die das dionysische Rasen in Euripides’ Bakchen allenfalls am Rande eingehegt wurde. Diese Einhegung wahrt die Dominanz der Vernunft und entspricht der gesamten psychagogischen Ventilfunktion (tran. 17,5: Danda est animis remissio: meliores acrioresque requieti surgent), die auch dem Weinrausch, welcher der Dichtung als dionysisches Moment vorangeht, n dieser Passage zugebilligt wird. 216 Auch dieser ist kein dominantes und absolutes Paradigma, sondern an die Grenzen des Maßhaltens gebunden (tran. 17,9: moderatio). Das , das die Ausnahme begründet, gilt auch in dieser - eine logische Form der mise en abyme. Nicht nur der Weingenuß, sondern sogar die Trunkenheit (ebrietas) wird an dieser Stelle mit Cato Uticensis, der bei Seneca als stoisches exemplum fungiert (s. 7.2.4 Hippolytus als pseudophilosophisch exaltierter misogyner Anachoret), rehabilitiert. Die stoische Orthodoxie billigte dagegen dem Weisen nur den Weingenuß, nicht aber den Rausch zu (SVF III 643 f.). 217 Seneca bewegt sich hier also an der Grenze der stoischen Orthodoxie. Der Rausch bleibt jedenfalls die Ausnahme (nec saepe). Er dürfe nicht zur schlechten Gewohnheit des animus werden und dient der Milderung der tristis sobrietas. Seneca billigte also die geregelte und psychagogisch legitimierte individuelle Evasion; von einem kollektiven Wüten und Wahn, die der dionysische Rausch induziert, ist nichts zu lesen. Die beiden nächsten Zitate entstammen Platon und Aristoteles und betreffen den furor poeticus. Das erste (frustra poeticas fores compos sui pepulit), ebenfalls ein locus classicus dieses poetologischen Theorems, läßt gerade den dichterischen Wahnsinn fort (Phdr. 245a: ’ - ), der bei Platon in dieser Passage bereits am Eingang vorkommt und die zarte Seele sogar in dionysischen Rausch versetzt ( - ). 218 Im zweiten Zitat, das aus Ps.-Aristoteles Problemata (953a 10-12) stammt, geht es nur um eine Beimischung des Wahnsinns (nullum ma- 215 Vgl. Costa 197 a.l.: „[I]dentification is uncertain, but the thought suits Alcaeus or Anacreon.“ 216 Gleichwohl denke ich, daß Schiesaro 2003: 23 die Parallelen zwischen Poetik und Moralphilosophie zu weit treibt, wenn er meint: „[T]he same state of enthusiastic lack of control lies behind artistic creation and philosophical excitement“. 217 Zu diesem Problem s. Bonhöffer 1894: 62 f. 218 Vgl. dazu weiterführend Francesc Casadesús Bordoy, Dionysian Enthusiasm in Plato. In: Alberto Bernabé, Miguel Herrero de Jáuregui, Ana Isabel Jiménez San Cristóbal, Raquel Martín Hernández (Hgg.), Redefining Dionysos. MythosEikonPoiesis 5. Berlin 2013, 386-400. 7. Senecas i 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 673 gnum ingenium sine mixtura dementiae fuit). 219 Hier bringt erst Seneca den Wahnsinn in einer recht freien Paraphrase in den Text, der als Vorlage ausgemacht wird und davon spricht, daß Menschen, die sich in der Philosophie, Politik, Dichtung oder den Künsten hervorgetan hätten, zumeist ein Übermaß der schwarzen Galle aufwiesen ( ). Immerhin empfiehlt Aristoteles’ Poetik, der Dichter solle die Leidenschaften wie den Zorn nachempfinden, was er als Teil des ekstatischen furor poeticus ansieht (1455a 29-34, v.a. 32-34 und dort die Korrespondenz von und ). 220 Dieser Rat verschärft das Problem des emotionalen Gehalts der Dichtung auf der produktionsästhetischen Seite bis zur Aporetik, da es sich in diesem Bereich zumindest praktisch unter methodisch-skeptischen Gesichtspunkten aufhebt: Was der Autor der senecanischen Dramen vor oder bei deren Abfassung empfunden hat, liegt weit hinter dem Horizont dessen, was man heute eruieren kann. Dieses Problem läßt sich allenfalls an seine Dichtungstheorie herantragen. Fest steht jedenfalls, daß Ps.-Longin für die erhabene Rede ( ) das als zweitbeste Quelle benennt (8.1) und das echte Pathos nennt (8.4). Er verbindet hier bei der dichterischen Inspiration den aristotelischen dionysischen furor ( ), dem Seneca kritisch gegenübersteht, mit der apollinisch-prophetischen ( ) enthusiastischen dichterischen Inspiration ( ), die Seneca favorisiert. Ihre Elemente dominieren allerdings in dieser Formulierung lexikalisch gegenüber dem furor, der zudem von dem gleichfalls stoischen flankiert wird. Die klare Trennung von furor poeticus und apollinischer Inspiration bleibt demgegenüber Senecas Spezifikum. In Senecas unmittelbar folgender paraphrasierender Aneignung dieser drei Zitate, die mit Ps.-Longins den Zug nach oben und das Sprechen teilt (super ceteros loqui), ist nur noch von der mota mens (und nicht mente captus o.ä.) die Rede (tran. 17,10: non potest grande aliquid et super ceteros loqui nisi mota mens). (Im folgenden Abschnitt wird die Lösung aus dem Gewöhnlichen nur dem zugebilligt, der nicht bei sich ist [apud se].) In ihr tritt das m.E. entscheidende Moment von Senecas Ausprägung bzw. Umformung des furor poeticus zutage: Es ist dies der Zug nach oben, der dem Schaffen eigen ist. Diesen bezieht die Formulierung, welche auf Merkmale der literarischen Schöpfung abhebt, primär auf Stilebenen, wie sie in der antiken Rhetorik diskutiert wurden, auch wenn dieser vertikale Bezug mit dem Ausdruck grande statt sublime und dem nachfolgenden super ceteros ins Sozial-Kompetitive eingereiht wird. Und doch tritt im Folgenden (tran. 17,11) dieser Aspekt zugunsten des Stilistisch- 219 Daß die Unterstützung der Zitate für den furor poeticus abnimmt und Seneca im folgenden sich weiter von diesem Poetologem absetzt, ist nicht unvereinbar mit Mazzolis, von Dingel nicht geteilter (1974: 21) These, die Anordnung der Zitate spiegele den Wert wider, den Seneca ihren Autoren (Graeco poetae … Platoni … Aristoteli) beimesse (1970: 55 Anm. 107). Schließlich wird in dem einen Fall eine besondere Aussage unterstützt, in dem anderen Falle geht es um die allgemeine Wertschätzung ihres Autors. 220 . 674 Poetischen bei der vertikalen Bewegung zurück, die lexikalisch in den verschiedensten Schattierungen präsent ist (surrexit excelsior, in arduo positum, escendere) und hier auch stilistisch manifest wird (sublime). Der Zug nach oben erhält hier einen religiösen Aspekt (instinctuque sacro surrexit excelsior, tunc demum aliquid cecinit grandius ore mortali). Bei der Dichtungsinspiration geht es also eher um einen vertikalen als um einen horizontal verlaufenden furor poeticus, auch wenn dieser in der zügellosen Jagd präsent ist, die das Seelenwagengleichnis des eben zitierten Phaidros (246a-d) subvertiert oder antinormativ performiert. Der Aspekt der Ausnahme ist an dieser Stelle positiv devianzpoetisch gewendet (vulgaria et solita contempsit […] desciscat oportet a solito), doch exemplifiziert der Aufstieg zu den Göttern in der antiken Dichtungstheorie die poetische Transgression, welche die vorliegende Arbeit statt durch die bloße Abweichung vom Usuellen durch das Erschließen neuer Räume definiert hat (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung). Daß die poetische Transgression in diesem Stück antiker Stilkritik nach oben gerichtet ist, paßt im weiteren Rahmen gut dazu, daß bereits Peter Stallybrass und Allon White, wenn auch in einem klarer antinormativen Sinne, die Transgression auf den Gegensatz von oben und unten in der antiken Stilkritik bezogen haben. 221 Die Verachtung des Gemeinen und der Aufstieg zu den Göttern sind Poetologeme, die Horaz’ vates-Konzeption mustergültig formuliert hat (carm. 1,1,35: lyricis vatibus; 3,1,3: Musarum sacerdos). 222 Mit dem Konzept, das die Mantik in den Dienst der Poetik stellt, ist aber eine Verbindung der beiden gegeben, die das Apollinische charakterisiert. Dies ist auch eine Neuerung gegenüber den Klagen, die Serenus eingangs über seine Schwäche an guter Gesinnung äußert (tran. 1,15: bonae mentis infirmitas), auf die auch Schiesaro 2003: 22 hinweist. Ihnen gehen unmittelbar Serenus’ Zweifel an seinem literarischen Schaffen voran (tran. 1.13 f.). Dabei schildert er nach dem Bemühen um einen schlichten Stil den enthusiastisch-ekstatischen Aufstieg seines animus (se animus cogitationum magnitudine levavit). Zwar ist hier bereits der Zug nach oben unverkennbar (sublimius feror), doch geht er nicht mit totalem Verlust der Selbstkontrolle einher (ore iam non meo). Seneca steigert dies zur Entrückung und adelt diese psychagogisch geschickt mit einem göttlichen Gepräge (aliquid cecinit grandius ore mortali). Wegen seines eigenen Zuschnitts kann man sein Konzept eines apollinischen poetischen Enthusiasmus trotz psychagogischer Rücksichten also nicht auf die Klage bzw. Anfrage seines Interlokutors reduzieren, sondern muß sie als etwas Eigenes ansehen. (Diese situativ-kommunikative Einordnung sollte gleichwohl gegen die Annahme feien, 221 The Politics and Poetics of Transgression. London 1 1986 = Ithaca 5 1995, 1-4. Näheres s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß zur Transgression: Bataille, Foucault, Stallybrass und White in der Einleitung. 222 Vgl. Günther Wille, Horaz als politischer Lyriker. In: Festschrift für Konstantinos J. Merentitis. Athen 1972, 439-481, h. 446 f. Wille verweist auf Hellfried Dahlmann, Vates. Philologus 97 (1948) 337-353, der Vergil (S. 346- 452) und Horaz (S. 452 f.) behandelt, sowie für die Konstitution dieses Poetologems auf Ernst Bickel, Vates bei Varro und Vergil. RhM 94 (1951) 257-314. 7. Senecas 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 675 Seneca offenbare hier ohne Abstriche seine eigene Dichtungskonzeption, die ihn auch bei der Abfassung der Dramen geleitet habe.) Diese apollinische Seite der Dichtung wird an einer Stelle, die sich am Anfang von De brevitate vitae findet (2,2), noch deutlicher. Seneca untermauert hier seine eigene moralphilosophische Argumentation mit dem Zitat eines abermals namentlich nicht genannten maximus poetarum (exigua pars est vitae qua vivimus). 223 Diese Stelle ist deshalb so bedeutsam für unsere apollinische Deutung, weil sie den Brückenschlag zwischen Mantik, Poetik und Wahrheit bietet, heißt es doch weiter, der Dichter spreche nach Art eines Orakels (more oraculi) und Seneca selbst zweifle nicht an der Richtigkeit dieses Ausspruchs (verum esse non dubitem). Schiesaros Interpretation verdreht den Tenor dieser Textstelle (2003: 24): „Their [sc. the poets’] inspiration is potentially dangerous because it transcends, ‘like an oracle’ (more oraculi), the limits of human rationality“, was zu philosophischer Wahrheit oder falschen, trügerischen Aussagen führen könne. Denn dieser Passus sieht menschliche, philosophische und göttliche Wahrheit in uneingeschränktem Einklang. Der Vergleich mit dem Orakel zielt nicht auf dessen Ambivalenz, welche diese Arbeit bei der Interpretation des OT berührt hat, sondern auf dessen göttliche Autorität und intuitive ekstatisch-inspiratorische Wahrheitserfassung. Auch in epist. 108,26 vergleicht Seneca die Trefflichkeit und den mnemotechnisch-psychagogischen Wert des Dichterworts (Verg. georg. 3,66 f.) optima quaeque dies miseris mortalibus aevi / prima fuit mit einem Orakel (Inhaereat istud animo et tamquam missum oraculo placeat). Diese Stelle blieb bei Schiesaro unbeachtet und wurde nur von Dingel 1974: 28 richtig in ihrer autoritativen Funktion erkannt. Sie ist für den moralphilosophischen Gehalt der Dichtung dadurch besonders einschlägig, daß Seneca zuvor eine positivistisch-philologische mit einer moralphilosophischen Interpretation von Verg. georg. 3,284 (fugit inreparabile tempus) kontrastiert hat (epist. 108,23-25). Das Konzept der poetisch-mantischen Ekstase, das Seneca so eingehend bemüht, wurde von Platon formuliert (Lg. 719c) und ist wohl dessen Schöpfung, da es vor ihm nicht nachzuweisen ist, obgleich Platon sein hohes Alter ( - ) behauptet. Es handelt sich also bei ihm im doppelten Wortsinne um einen Kunstmythos, wie Platon etliche geschaffen hat, 224 und ein philosophisches Poetologem. 225 Daß der Philosoph Seneca es aufgreift, nimmt also nicht 223 Seine Identität ist sehr unsicher und umstritten (s. Williams 125 a.l.). - Zu diesem stoischen Einsatz von Dichtungszitaten s. Nussbaum 1993: 126. 224 Eugène N. Tigerstedt, Furor poeticus. Poetic Inspiration in Greek Literature before Democritus and Plato. Journal of the History of Ideas 31 (1970) 163-178, h. 177 f. Johanna Neumann, Art. Furor poeticus. HWR 3 (1996) 490-495, h. 490-492 verwässert dagegen das Konzept des furor poeticus zur göttlichen und Museninspiration und kann deshalb in ihrem Artikel viele frühe, etwa Homerische Stellen aufführen, die Tigerstedts kritische Besprechung als irrelevant ausschließt. 225 Daß es bereits in verschiedenen Quellen Demokrit in den Mund gelegt wird (z.B. Cic. div. 1,80: negat enim sine furore Democritus quemquam poetam magnum esse posse, quod idem dicit Plato), erklärt Tigerstedt 1970: 163 mit dem Argument für nicht belastbar, daß Demokrits Schriften verloren seien. 676 wunder. Der Weg nach oben zu den Göttern, welchen die apollinisch-mantische Dichtungskonzeption dem Menschen eröffnet, kehrt im Philosophem der wieder, 226 das auch die Stoa (vgl. SVF III 245-252, Epict. 4.1.82, M. Ant. 10.8.6) und Seneca vertreten. 227 Dies verwandelt die vermeintliche Gefährlichkeit der poetischen Inspiration, die Schiesaro argwöhnt, in eine Dichterweihe. Die Kongruenz von dichterischer und philosophischer Wahrheit wird in Sen. epist. 8,8 (Quam multi poetae dicunt quae philosophis aut dicta sunt aut dicenda! ) in einer praeteritio auf die Tragiker und die togatae appliziert, eröffnet also Senecas eigenem dramatischen Schaffen die grundsätzliche Möglichkeit, philosophiekonform zu sein. Der mantisch-apollinisch-ekstatischen Seite stehen die von Seneca abgelehnten Aspekte der Dichtung gegenüber, die Unwahres künden, moralisch Verwerfliches fördern oder von Unbeherrschtheit gekennzeichnet sind. Sie werden, in lexikalischer Komplettierung dieses Gegensatzpaares, mit furor oder dem Verb furo verbunden, das den Modus des Dionysischen kennzeichnet. 228 Kompositionssymmetrisch zum Eingangswort über die Orakeldichtung geißelt Seneca gegen Ende von De brevitate vitae (16,5) den furor poetarum, die mit ihren Stücken (fabulis) die Irrtümer der Menschen nährten, etwa wenn Jupiter aus Wollust die Nacht verdoppele. (Dieses kleine Stück ethisch orientierter antiker Literaturkritik verurteilt also deutlich eine Besonderheit dieser Plautus-Tragikomödie Amphitruo, auf welche die Besprechung der vorliegenden Arbeit abhebt.) Das göttliche Beispiel heize unsere Laster (vitia) an und entschuldige die Zuchtlosigkeit, moniert Seneca die moralisch korrumpierende Wirkung solcher Dramenhandlungen, die besonders mit der hier herausgearbeiteten positiven, wahrheitsbeglaubigenden Funktion des Göttlichen in der Dichtung kontrastieren. Auf derselben Linie liegt Senecas geharnischte Kritik an den ineptias poetarum (Schiesaro 2003: 24 führt diese Stelle fälschlicherweise unter dem furor der Dichter an): Sie statteten den Iuppiter optimus maximus nicht nur mit Flügeln und Hörnern aus, sondern ließen ihn auswärts übernachten und stellten ihn als Ehebrecher und wüst gegen die Götter und manches mehr dar. Wenn die Menschen an solche Götter glaubten, nähme ihnen dies den pudor peccandi, so Senecas moralästhetische Verurteilung (vit. beat. 26,6). Doch wird das Thema der verdoppelten Nacht und somit überhaupt die moralische Defizienz mit dieser Kritik nicht aus dem Bereich der Dichtung verbannt und pauschal tabuisiert. Dies zeigt Senecas Agamemnon, wo der Chor dieses Motiv als Bruch der Welt- 226 Dietrich Roloff, Art. Angleichung an Gott. HWP 1 (1971) 307-310. Für einen ersten Überblick s. Markus Enders, Art. homoiôsis theô. WAP 192 f. Weiterführend Hans Dieter Betz, Art. Gottmensch II. RAC 12 (1983) 255-286. 227 S. dazu Jula Wildberger, Seneca und die Stoa: Der Platz des Menschen in der Welt. Habil. Frankfurt a.M. 2004. Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 84. 2 Bde. Berlin 2006, Bd. 1, 271 f. 228 Die Verbindung von Wahn und Dionysischem ist in den Bakchen evident. Ihn untermauert in der Phaedra der bacchantische Charakter des furors der Titelfigur als Mänade. Und selbst im Umfeld von Senecas Poetologie sticht die Erwähnung von Liber in der Passage über den Wahnsinn der Dichter und Catos Weingenuß hervor (tran. 17,8-10). 7. Senecas 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 677 gesetze referiert und zu einer Ehre des Hercules umdeutet (v. 813-818). 229 Nicht auf das Thema, sondern die Art seiner Darstellung kommt es also an. Die Darstellung von Phaedras Libido in dem gleichnamigen Drama ist ebenfalls konträr zu der in De brevitate vitae monierten des Göttervaters. Sie wird nicht nur als furor und diverse andere religiöse wie juridische Transgressionen abqualifiziert, sondern gelangt im Gegensatz zu Jupiters doppelter Realisierung seiner libido noch nicht einmal an ihr Ziel, sondern vernichtet sogar das Objekt ihrer Liebe (v. 1168 f., 1173 f.). Sie desavouiert sich selbst damit als impraktikabel. Dieses Seneca-Drama, das generisch Handlungen darstellt, illustriert damit, welche eliminatorischen Folgen eintreten, wenn die Leidenschaften in Handlungen umgesetzt werden. Es schöpft so das psychagogische Potential dieser Gattung aus. Dem dient auch die theatralische Distanzierung, die der Blick auf den leidenschaftlichen Menschen mit sich bringt (s.u.). Nach Senecas Auffassung, so Schiesaro weiter (2003: 24), seien die Dichter nicht an Wahrheit oder Moral gebunden. Die zwei von ihm angeführten Stellen aus De beneficiis stützen diese weitreichende These freilich nur unvollkommen. Um Moral geht es an keiner der beiden Stellen, sondern nur um einen eingeschränkten Wahrheitsgehalt in Einzeldingen bzw. noch präziser darum, daß poetische Strategien vom Standpunkt des philosophischen Wahrheits- und Ernsthaftigkeitsanspruchs irrelevant seien. An der ersten (benef. 1,3,10) bezieht sich die Aussage poetae non putant ad rem pertinere verum dicere nur auf den freien, d.h. auch metri causa erfolgenden Gebrauch von Eigennamen in der Dichtung. An der zweiten ist wieder bloß von den ineptiae der Dichter die Rede, welche die Ohren erfreuen wollten (benef. 1,4,5). In nat. 3,17,13 lobt Seneca schließlich Ovid als poetarum ingeniosissimus, der herausragende Formulierungen (egregie) gefunden habe, attestiert ihm jedoch beim nächsten Zitat pueriles ineptiae. Mit dieser Stelle untermauert Dingel das abschließende Urteil, Senecas Dichterkritik ließe sich unter dem Verdikt der ineptiae zusammenfassen (1974: 27). Damit banalisiert er nicht nur Senecas Dichterkritik bzw. generalisiert deren Banalisierung der Dichtung, sondern vernachlässigt auch deren moralische Seite. Tatsächlich lassen sich die drei besprochenen Charakterisierungen poetischer Einzelphänomene auf folgenden Nenner bringen: 230 Seneca billigt wie Platon im 229 Vgl. Tarrant 326 a.l.: „The lengthened night is here a mark of Hercules’ greatness, not the result of Alcmena’s attractions […].“ 230 Senecas Charakterisierung von Dichtung als ineptiae unterscheidet sich durch die Sprecherperspektive von Catulls semantisch nahe verwandter Qualifikation seines Werkes als nugae (1,4). Der Philosoph spricht als Kritiker von außen eindeutig abschätzig über Aspekte der Dichtung, der Sprecher des dichterischen Werks selbst ironisiert mit diesem Wort hemdsärmlig sein Werk und die exordialen Bescheidenheitstopoi und wahrt so Distanz und Souveränität gegenüber seinem Werk, aber auch gegenüber möglicher Kritik an diesem. Catulls nugae-Passus ist also semantisch wesentlich komplexer als Senecas Verdikt. Die Distanz zur (eigenen) Dichtung ermöglicht allerdings bei Catull deren Reflexion und geht in einem anderen Gedicht mit einer klarer Scheidung von deren (unmoralischem) Inhalt und dem lauteren Lebenswandel des Sprechers einher (16). Leben und Kunst werden klar geschieden und letztere von einem veristisch versklavenden Anspruch auf Moralität befreit. Mit dieser differenzierenden Haltung, die der Amoralität nur in der Fiktionalität einen Raum gibt, wäre auch das Dilemma zwischen Kunst und Leben gelöst, das aus Senecas dramatischer Darstel- 678 Phaidros (was Dingel selbst herausarbeitet, aber für Seneca „wegen der Distanz des Stoikers zu Platon“ ausschließt [1974: 26 f.]), wo die des Dichters den sechsten, aber diejenige des Philosophen den ersten Rang einnimmt (Phdr. 248de), der Dichtung - zumindest gewissen ihrer traditionellen Usancen und Praktiken - nur einen epistemologisch-ontologischen (und auch ethischen) Anspruch zu, der gegenüber dem philosophischen Wahrheits- und Moralanspruch vermindert ist. Dies darf man nicht bloß theoretisch als in der philosophischen, v.a. platonischen Tradition stehende Abwertung ansehen. Vielmehr eröffnet dies auch Senecas eigener Dichtung poetologisch den experimentellen fiktionalen Freiraum, von dem wir eingangs der Phaedra-Interpretation abstrakt gesprochen haben. Dies gilt zumal für die chthonisch inspirierte Dichtung, die bei Seneca in der impliziten (s. den vorausgehenden Abschn.) wie der expliziten Poetik eine große Rolle spielt. So tut Seneca in der Consolatio ad Marciam (19,4) 231 die Berichte über die Schrecklichkeit und Strafen der Unterwelt, die den Verstorbenen erwarteten, als Spiel der Dichter ab (luserunt ista poetae et vanis nos agitavere terroribus). Noch deutlicher wird der Anknüpfungspunkt für Senecas chthonisch inspirierte Dichtung (Schiesaro 2003: 24 hebt hier abermals unpräzise nur auf die allgemeine thematische Entsprechung von Poetik und dramatischem Werk ab) beim Bild der Unterwelt, das seine moralphilosophischen Schriften zeichnen, in De ira 2,35,4 f.: Dieser Passus vergleicht die ira mit den unterweltlichen Ungeheuern, welche die Dichter erdacht hätten (poetae inferna monstra finxerunt), und den schrecklichen Göttinnen, welche die Unterwelt verließen, um zu Kriegen aufzustacheln und Zwietracht zu säen (deae taeterrimae inferum exeunt). Die infernalische Fiktionalität wird hier also nicht mehr bloß als wahrheitswidrig verworfen, sondern wie die chthonische Inspiration als geeignet angesehen, um innere destruktiv-aggressive Impulse zu illustrieren. An den Schlüsselausdrücken ira und monstra ist mit Händen zu greifen, daß diese These auf die Phaedra übertragen werden kann. Die Transgression wird in diesem Drama durchgehend über monstra charakterisiert, und noch einschlägiger beklagt Theseus nach Hippolytus’ Tod, daß sein Vater Neptun allzu leicht die Erfüllung seiner zornesgeleiteten Bitte gewährt habe (v. 1206: Tuque semper, genitor, irae facilis assensor meae). Anschließend wünscht er sich alle erdenklichen unterweltlichen Strafen. Mit seinem unbedachten Zorn hat Theseus also wie die schrecklichen Göttinnen das Verderben aus der Unterwelt heraufgebracht, seine ira die in der gleichnamigen Schrift geschilderten infernalischen Folgen gezeitigt. Daß Senecas Poetik produktionsästhetisch einen moral- und wahrheitswidrigen furor poeticus und einen ekstatischen unterscheidet, hat weitreichende Folgen nicht nur für diesen Teil seines Œuvres, sondern auch für lung unmoralischen Verhaltens und dem lebensnormierenden Anspruch seiner moralphilosophischen Schriften erwächst. 231 Schiesaro 2003: 25 hebt zu dieser Stelle nur allgemein auf den Wahrheitsgehalt ab, welcher der dichterischen Fiktion fehle, und unterläßt einen Brückenschlag zu Senecas dramatischem Schaffen (zum Konzept der chthonischen Dichtung und Schiesaros Rolle s. 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors). 7. Senecas 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 679 das Verständnis der Phaedra und das Verhältnis von Senecas philosophischem und dramatischem Werk. Die implizite furor-Poetik des Dramas korrespondiert paradigmatisch perfekt mit dem Poetologem des furor poeticus, was auf Schiesaros Linie liegt. Dessen neu entdeckte Negativzeichnung stimmt damit überein, daß das Handeln der Bühnenfiguren über den furor und eine ganze lexikalische Panoplie an Ausdrücken für die Transgression ethisch negativ gezeichnet wird. Diese Abwertung macht zudem die Distanzierung von der dionysischen furor- Poetik des Dramas, welche die poetologische Seite des ethischen furors ist, plausibel. Hier ergibt sich also ein Komplex von Phänomenen des furors und des Chthonisch-Dionysischen, von dem sich Senecas philosophische wie dramatische Texte distanzieren. Die Distanzierung ist aber der Modus, in dem sich das Apollinische vollzieht und der sich produktionsästhetisch in Senecas Poetologem des vertikal ekstatischen findet. Wenn es uns gelingt, was im folgenden unternommen werden soll, die Distanzierung auch poetologisch in Senecas Rezeptionsästhetik und dramatisch in der Gestaltung der Phaedra nachzuweisen, wäre diese damit das dominante Paradigma, in welches auch das Dionysische eingeordnet und qua negative Ausnahme untergeordnet wäre. Zwar stuft Aristoteles nirgends die unangeleitete Rezeption des Dramas als emotional bedenklich ein, doch ist strittig, inwieweit die aristotelische Katharsis eine Identifikation des Rezipienten mit der Bühnenfigur erforderte. Schmitt verneint dies explizit (Poetik 479 f.), Hans Robert Jauß kennt dagegen in ausdrücklicher Anlehnung an Aristoteles eine „kathartische Identifikation“. 232 Auch in dieser Tragödientheorie, die eine „naive“ Dramenrezeption nahelegte, bleibt also die Distanz zwischen Bühnenfigur und Rezipienten gewahrt, ja Schmitt Poetik 480 benennt sie sogar als wesentlich für die Entstehung von Mitleid und Furcht. Eine gewisse psychologische Grundlage für eine distanzierende Rezeptionsästhetik bildet die stoische Unterscheidung zwischen Affekten, die sich auf eigene (vermeintliche) Güter und Übel beziehen (so die vier Kardinalleidenschaften), und solchen, die fremde (vermeintliche) Güter und Übel im Blick haben, wie Neid, der als Kummer über das Gut eines anderen definiert wird (SVF III 412-415, 418), und eben das Mitleid, das als ein Kummer über das Übel eines anderen aufgefaßt wird (SVF III 414, 416). Für die emotionsästhetische Unbedenklichkeit des Schauspiels ist diese Unterscheidung gleichwohl nicht einschlägig, da sie die grundsätzlich zu verbannenden Affekte betrifft. Der locus classicus für die psychagogisch wertvolle distanzierende Funktion der Schau fremder Verirrung ist Lukrez’ Strandbetrachter, der von sicherem Port aus die Leiden der in Seenot Geratenen betrachtet (2,1-4). Tatsächlich scheint Seneca dieses Bild auf emotionspsychologische und auch -ästhetische Fragen der Darbietung zu adaptieren. 233 So vergleicht er in De ira 2,2,5 die principia proludentia affectibus (d.h. die ), 234 die eine Vorstufe der eigentlichen Affekte seien, 232 Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 3 1984, 277-283. 233 Malchow 38 a.l. nennt andere Stellen aus Cicero als Vorbilder. 234 Vgl. Karlhans Abel, Das Propatheia-Theorem. Ein Beitrag zur stoischen Affektenlehre. Hermes 111 (1983) 78-97 (für Seneca anhand von De ira 2,1,1 ff.). Auch Schmitt 1994: 583 Anm. 35 680 mit den Gemütsregungen beim Anblick eines szenischen Schiffbruchs (ad conspectum mimici naufragii), die ebenfalls weder Traurigkeit (tristitia) noch Zorn (ira) seien. Einen vergleichbaren primus […] ictus animi lösen auch Theaterdarbietungen aus (ludicra scaenae spectacula). Diese unwillkürlichen Reaktionen (invitis) unterscheiden sich jedoch vom eigentlichen Zornesaffekt, welcher willentlich ist (2,2,1 f.) und erst durch die Zustimmung zu solchen Vorstufen entsteht (2,3,4 f.). Die theatralische Darbietung und Schau schafft also eine Distanz, die den emotionalen Gehalt des Dargestellten dämpft und so eine kritisch-reflektierte Auseinandersetzung des Rezipienten mit dem Dargebotenen ermöglicht. Daß Seneca die Schau und die Präsentation im Falle der Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen als moralisch verderblich verurteilt (epist. 7,2: Nihil vero tam damnosum bonis moribus quam in aliquo spectaculo desidere), worauf Staley 2010: 78 hinweist, ist dagegen irrelevant für seine Beurteilung der Rezeption von Theateraufführungen, da die Mimesis an dieser Stelle fehlt. Und auch epist. 11,7, das Staley 2010: 73 im Zusammenhang mit der Darstellung von Emotionen durch Schauspieler zitiert, ist für die emotionsästhetische Frage nach deren Kontagiosität nicht einschlägig: Hier geht es zwar auch um die spontanen emotionalen Reaktionen, welche sich der Kontrolle durch die sapientia entziehen, doch dienen die Schauspieler als Beispiel dafür, daß selbst sie, die sonst die Anzeichen der verecundia vorspielen können, nicht das Erröten (rubor) produzieren können. Die Rezeptionsästhetik wird also vollkommen ausgeklammert, außerdem geht es primär um positive Regungen. Das spontane Erröten ist in der Stoa ein beliebtes Beispiel für die naturgegebene Affinität des Menschen zur Sittlichkeit. 235 Ebenso dominiert der sittlich-psychagogische Appell an einer weiteren Stelle aus De ira (2,17,1), die Staley für Senecas Emotionsästhetik bemüht (2010: 72 f.). An ihr korrigiert Seneca den fiktiven Einwand seines Gegenübers, ein zorniger Redner sei bisweilen besser (diese wichtige argumentative Situierung läßt Staley fort), dies sei ein solcher, der einen zornigen imitiere, und bemüht auch Schauspieler für die erfolgreiche imitatio adfectuum vor Gericht. Trotz der terminologischen Affinität zu Aristoteles’ Poetik (imitatio ~ - , populum movent ~ , misericordia ~ , metus ~ ), die bereits Mazzoli bemerkt hat (1970: 128) und Staley referiert (2010: 73), dominieren hier die forensische Perspektive und die psychagogische antiemotionale Botschaft, die bei dem von Staley gewählten Zuschnitt des Zitats nicht mehr ersichtlich ist. Die beiden diskutierten Stellen über die geschauspielerten Affekte offenbaren allerdings ein hohes (Meta-)Theatralitätsbewußtsein bei Seneca, auch bei den Emotionen, das eine reflexive Distanzierung erkennen läßt. Daß, was Staleys Interpretation gänzlich unberücksichtigt läßt, dieses beruft sich auf Abel dafür, daß Seneca in der Frage der Pathogenese der stoischen Orthodoxie folge. Für Autoren, die zeigen, daß Seneca in der konkreten Frage der mit der stoischen Orthodoxie konform geht, s. Staley 2010: 74. 235 So De ira 2,2,1 (rubor ad inproba verba suffunditur) und v.a. - mit antiepikureischer Polemik - Epict. 3.7.27 f.: . Vgl. Pohlenz 1978: Bd. 1, 116 (leider ohne Quellennachweise). 7. Senecas 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 681 (meta-)theatralische Bewußtsein eine Handhabe bietet, um die geschauspielerten Emotionen den Adressaten einzuflößen (modo iram, modo metum, modo misericordiam, ut aliis incutiamus), spricht trotz oder gerade wegen der produktionsästhetischen ersten Person Plural eher gegen eine unkontrollierte emotionale Kontagiosität von Senecas Dramen. Das wichtigste Gegenargument ist die Faktur der Phaedra: Deren Figuren schauspielern nur, auch mit Emotionen, um sich gegenseitig zu täuschen. Die Hauptaffekte, Phaedras rasendes Verlangen und Theseus’ voreiliger Zorn, sind jedoch ebenso echt wie unkontrolliert und damit zumindest geeignet, die Zuschauer zur Distanzierung zu bewegen. Ihre Emotionen sind an ihren (Verbal-)Handlungen faßbar. Die Mittel, die Seneca zum Vorspielen von Affekten in epist. 11,7 aufzählt, betreffen dagegen Mimik und Gestik. Daß aber allein strittig ist, ob Senecas Dramen überhaupt zur Aufführung bestimmt waren und kamen, minimiert die Gefahr ihrer emotionalen Kontagiosität vor dem Hintergrund von Senecas beiden diskutierten Äußerungen zum Vorspielen von Leidenschaften. Die aus der Produktionsästhetik bekannte Dichotomie zwischen einem negativen dionysischen furor und einer empfohlenen apollinisch-distanzierten Haltung setzt sich auch bei der Rezeptionsästhetik fort. Mehr als nur einen Bogen (sondern fast schon eine Kolonnade oder einen Arkadengang) schlägt Seneca in epist. 108,5-12 zwischen den Zuhörern einer Philosophenschule und dem Theaterpublikum sowie dem furor. In beiden Rezipientengruppen gebe es Menschen, die nicht wegen des Inhalts, sondern der Unterhaltung durch die schönen Worte kämen (non ut res excipiant, sed ut verba). Ihre Erregung vergleicht Seneca mit derjenigen der verschnittenen Korybanten, die auf Kommando in Raserei verfielen (epist. 108,7: Phrygii tibicinis sono semiviri et ex imperio furentes), eine deutliche Absage an eine dionysische Rezeptionshaltung, die um so schärfer klingt, wenn man Senecas sonstigen moralphilosophisch-dissuasiven Einsatz des Korybantenmotivs bedenkt (vit. beat. 13,3). Ihnen wird der Hörer gegenübergestellt, der nicht durch den Klang leerer Worte, sondern durch die Schönheit der Dinge (rerum pulchritudo) angespornt wird (instigat), eine klare rezeptionsästhetische Unterscheidung zwischen Referenz und signifiant, 236 die Schiesaro aporetisch verwischt (2003: 23). Ihm ist allerdings uneingeschränkt recht zu geben, wenn er das Vertrauen, das Seneca im folgenden in die moralische Urteilskraft des Theaterpublikums setzt und das er aus der Erfahrung begründet (epist. 108,7-12), für Senecas eigenes dramatisches Schaffen problematisiert (2003: 24, 229, 232). Denn anders als die Poesie, die Seneca hier in den Lucilius-Briefen beschreibt, geißelt dieses eben nicht in offener Formulierung die Leidenschaften, preist so die Tugenden und fungiert dank der Eingängigkeit der Verse gewissermaßen als Verstärker des Richtigen. Diese Funktion untermauert Seneca mit einem Kleanthes-Zitat, das die klärende Kraft gebundener Rede mit dem verstärkenden Effekt einer Trompete illustriert (epist. 108,10 = SVF I 487: sensus nostros clariores carminis arta necessitas efficit). Dieses Vertrauen in die 236 Für die desubjektivierende Wirkung der dionysischen Musik, eines reinen Klangs und sogar melodiefreien Rhythmus, der nicht zum signifiant wird, s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung im Kapitel über Euripides’ Bakchen. 682 Wirkung belegen Kleanthes’ Versdichtungen stoischen Inhalts (SVF I 527, 537), die Seneca teilweise übersetzt und erweitert hat (SVF I 527) und die anders als seine dramatischen Dichtungen einen Ich-Sprecher haben, der ihre psychagogische Wirkung sichert. Daß die Affekte in der Fiktionalität dargestellt werden, für die Seneca, wie oben anhand seiner Auseinandersetzung mit den Dichtern herausgearbeitet wurde, ein klares Bewußtsein hat, raubt ihnen allerdings die ontologische Substanz. Sie fehlt ihnen in der stoischen Lehre dadurch, daß sie nur durch ein Fehlurteil zustande kommen, 237 das eine individuelle Abweichung von dem göttlichen Logos darstellt, der den Kosmos durchwaltet und auch in jedem einzelnen präsent ist. 238 Dieses pantheistische Philosophem scheint auch an der vorliegenden Stelle auf. Denn Seneca begründet sein Vertrauen nicht nur mit der Erfahrung, sondern auch aus der Oikeiosistheorie (epist. 108,8). Zwar spricht er hierbei ausdrücklich bloß in ethischen Termini von der cupiditas recti und den fundamenta [...] semenque virtutum, welche die Natur allen Menschen gegeben habe. 239 Doch sind diese semina entsprechend dem stoischen Logos-Pantheismus wesenhaft Teile des göttlichen Verstandes. 240 Die Universalität der Versta n desbegabung gewährleistet aber die Möglichkeit dafür, daß Senecas Dramen von ihrem Publikum gemeinhin kritisch und stoakonform verstanden werden. Sie erschwert es, diese literarischen Werke als Kultureme abzutun, die gemäß dem stoischen Philosophem der (für dieses s. 7.2.3 Phaedra und die Amme) die positiven Anlagen der Menschen verderben. Dagegen spricht letztlich auch die distanzierende Faktur der Dramen selbst. Das Vertrauen auf die allgemeine öffentliche Urteilskraft wird auch durch einen Passus aus epist. 115,11-14 gestärkt, der mit dem Tadel der Dichter (hier Ovids und der Tragiker) 241 beginnt: Sie entzündeten die affectus (facem subdant) 242 und stellten den Reichtum als einzige Zierde und Schmuck des Lebens sowie als den besten Besitz und das beste Geschenk der unsterblichen Götter 237 Steinmetz 1994: 547, 616 f. 238 Steinmetz 1994: 539 f., 609 f., Verf. 2011/ 12: Bd. 1 265 f., 515. 239 Für weitere Stellen zu dem stoischen Philosophem der sittlichen Keime s. Bonhöffer 1894: 133 Anm. 4. 240 Vgl. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 515, Epict. 1.9.4, 1.13.3. 241 Daß Seneca in seinen philosophischen Schriften kaum aus den drei großen attischen Tragikern, sondern vornehmlich aus Vergil und Ovid zitiert, besagt nicht zwingend ein negatives Urteil über den psychagogischen Wert dieser Gattung, wie Dingel 1974: 48-58 („Der Ausschluß der Tragiker“) meint. Diese Auswahl könnte vielmehr auch der Rücksicht auf den Lektürehorizont seines Publikums entspringen und gibt allenfalls eine sichere Auskunft über Senecas eigene Lektürevorlieben. 242 Schiesaro 2003: 233 Anm. 27 weist darauf hin, daß die Furien traditionell mit der Fackel assoziiert würden; die Verbindung dieser Gestalten mit der Dichtung („poetry“) habe er oben untersucht (hierbei handelt es sich um Senecas poetologische Äußerungen in De ira 2,35,4 [S. 24 f.; s.o. im vorliegenden Abschnitt] sowie die metadramatische Rolle der Furie im Thyestes [S. 26 f.]; Weiteres s. Schiesaros Register [S. 282 s.v. Fury/ Furies]). Die Fackel ist selbstredend eine gängige Liebesmetapher. Sie kehrt abgeschwächt in den flammae der Phaedra wieder (v. 120, 361; wobei torretur aestu tacito in v. 361 intertextuell noch die Liebesfackel in Hor. carm. 3,9,13 [me torret face mutua] aufgreifen könnte), deren Liebesleidenschaft das Drama bestimmt. 7. Senecas , 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik 683 dar. Auf Verse dieses Inhalts, die von Euripides stammten, 243 sei das gesamte Volk auf die Bühne gestürmt, um den Schauspieler und die Dichtung hinauszuwerfen (epist. 115,15). Demnach mangelt es dem Volk nicht an der Festigkeit des moralischen Urteils, diese ist vielmehr so groß, daß sie praktisch einen nachgerade platonisch-zensorischen Mangel an Bewußtsein für die Fiktionalität des Dargestellten erkennen läßt. Nach diesen beiden Stellen zu schließen, hätte sich Seneca selbst bei einer Rezeption at face value um die moralische Wirkung der Darstellung amoralischen Verhaltens in seinen Dramen keine Sorgen machen müssen. Dafür spricht, wie gleich auszuführen, auch das Ende der Phaedra. Bei der Aufführung der besagten Euripides-Tragödie soll dieser attische Tragiker selbst auf die Bühne gesprungen sein und die aufgebrachten Zuschauer gebeten haben, sich das Ende der Tragödie anzuschauen, bei dem die Liebe zum Gold ihre Strafe fand (epist. 115,15). Schiesaro 2003: 234 bestreitet unter diesem Gesichtspunkt die pädagogische Wirkung der Seneca-Dramen, da sie kein beachtliches Bild von Strafe böten („punishment“). Strafe im wörtlichen Sinne der Fremdsanktion einer Transgression durch eine legitime Instanz ist außerhalb göttlicher Sanktionen religiöser Frevel zumindest der attischen Tragödie ohnehin fremd (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung). Strafe im übertragenen Sinne einer als negativ empfundenen praktischen Folge des eigenen (Fehl-)Verhaltens ist dagegen in der Phaedra auffallend präsent. Dort beklagt die Protagonistin die Zerstörung der Schönheit ihres Geliebten und kann sich mit ihm nur im Tode vereinen (v. 1168-1184). Außerdem bejammert in diesem Drama Theseus die voreilige Tötung seines Sohnes und verlangt danach, selbst infernalisch bestraft zu werden (v. 1207, 1228- 1239). Diese eliminatorischen Folgen des furors illustriert Seneca auch in seiner philosophischen Schrift De ira am Beispiel der Theaterfigur Aias (2,36,5: Aiacem in mortem egit furor, in furorem ira). Und tatsächlich ist das Bild, das Mazzoli von der Auffassung nachzeichnet, die Seneca von der moralischen Wirkung des Theaters und von diesem überhaupt hegte (1970: 122-138), wesentlich differenzierter als die affektiv-infektiöse Gefahr, auf die Schiesaro die Bühnengattung bei Seneca zuspitzt. Es läßt erkennen, daß trotz aristokratischer Vorbehalte gegen theatralische Massenspektakel der Wert der Bühnendichtung in Senecas Augen von Dichter, Werk und Publikum abhängig war. Inwieweit Senecas positives Bild der Rezeptionsästhetik mit Aristoteles übereinstimmte (Mazzoli 1970: 132 f.), sei dahingestellt. Fest steht jedenfalls, daß daraus kein wirklicher Widerspruch zu Senecas unaristotelischer Dramaturgie erwächst, da diese distanzierende und dadurch ebenfalls kathartische Ziele erreichen konnte. Diese Punkte sollen im nächsten Abschnitt gezeigt werden. 243 Hierbei handelt es sich um ein Fragment seiner Danae, welchem unsere Seneca-Stelle zugeordnet wird (TrGF Bd. 5.1 Frg. 324). 684 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der Phaedra Im vorausgehenden Abschnitt wurde vom Ende der Phaedra her die Brücke zur Distanzierung geschlagen, die innerhalb der dramatischen Gestaltung besteht. Der innere Monolog, wie ihn Euripides’ Medea bietet, fehlt in der Phaedra bis auf die perversen , in denen es eher um die Realisierung der nur teilweise emotional motivierten Transgressionen geht. Der generisch wie dramenindividuell übliche Modus der Darbietung ist auch im Falle emotionaler Menschen die (Außen-)Präsentation. Dadurch ist das Theater als Gattung wesensmäßig besonders gut geeignet, um Emotionen literarisch-distanzierend darzustellen. Während das Epos und die Lyrik durch die objektive Erzählung bzw. die subjektive Introspektion zur Aneignung der Emotionen einladen, bleibt im Drama mangels Erzähler nur die Möglichkeit der Selbstoffenbarung oder der Fremdzuschreibung. Nimmt der Rezipient die Emotionen innerlich wahr, so kann er positiv mit Furcht und Mitleid oder negativ mit Distanzierung oder gar Abscheu gegenüber der Bühnenfigur reagieren. In Senecas Phaedra sind verschiedene dramaturgische Mittel der Distanzierung am Werke, die nachfolgend im einzelnen dargestellt werden sollen. Der deklamatorische Charakter zahlreicher Partien in diesem Drama, den bereits Friedrich Leo als Merkmal von Senecas dramatischer Dichtung ausgemacht hat 244 und dessen Rhetorizität sich in den auch hier ausgemachten Stilmerkmalen des Paradoxons, der Hyperbel und der Epigrammatik zeigt (Boyle 1997: 15- 18), 245 darf keineswegs als epigonale (Z)Ersetzung der Tat durch das Wort abgetan werden. Er dient vielmehr der Dramatik und Theatralik 246 und kann über diesen präsentativen Modus Funktionen dramatischer Distanzierung erfüllen. Zum einen werden über das falsche Pathos (vgl. unten zu Ps.-Longin) nicht nur die Leidenschaften und Verfehlungen, sondern auch die Figuren, die hinter diesen stehen, dramatisch demontiert. Zum anderen destruiert das Pathos, das die Leidenschaften in diesen Reden begleitet, sich selbst und desavouiert somit auch die Leidenschaften als gegenstandslos. Dies vollzieht sich auf drei Weisen: Erstens schießt das Pathos vielfach hyperbolisch über den sachlichen Gegenstand hinaus (so in Hippolytus’ Reaktion auf Phaedras Offenbarung) und spiegelt so die Transgression rhetorisch nicht nur, sondern setzt sie fort. Oder das Pathos ist 244 De Senecae tragoediis observationes criticae. L. Annaei Senecae tragoediae, volumen prius. Berlin 1878, 147-159. Leo spricht wenig schmeichelhaft von einer „musa scholastica“ (1878: 147). Die Einstufung als ‚deklamatorisch‘ (so in bezug auf Leo rezent Boyle 1997: 15-31, der auf Parallelen in der pompejanischen Wandmalerei und neronischen Architektur hinweist) fußt darauf, daß Leo die Herkunft dieses Stils bei Seneca maior verortet und Senecas Dramen als „tragoedia rhetorica“ bezeichnet (1878: 148). Leos eher stilistische Bestimmung, daß ihre Anlage darin bestehe, daß in ihr nichts und alles genannt werden könne (1878: 148), deckt sich mit den inhaltlichen Beobachtungen zur Transgression dieser Arbeit. 245 Vgl. Cecil John Heringtons (einseitig-negativ formuliertes) Urteil über Senecas Stil (Octavia praetexta. A Survey. CQ N.S. 11 (1961) 18-30, h. 24): „[He] seems not to have been able to write a line of prose or verse that did not crackle with conceit and epigram.“ 246 Boyle 1997: 15, Christoph Kugelmeier, Die innere Vergegenwärtigung des Bühnenspiels in Senecas Tragödien. Habil. Saarbrücken 2002. Zetemata 129. München 2007, 233 f. 7. Senecas 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 685 zweitens sachlich gänzlich ungerechtfertigt, so bei Theseus’ Empörung über Hippolytus’ vermeintliche Transgression. Oder aber der sachliche Gegenstand des seelischen Leidens und der leidenschaftlichen Klage wurde drittens von dem Betreffenden selbst in Übereilung selbst herbeigeführt, wie bei Theseus’ Klage um den toten Hippolytus der Fall. Gleichfalls ist die Sprunghaftigkeit in der Rede der Figuren und im Bühnengeschehen, welche die Besprechung des Dramas sich aufzuzeigen bemüht hat, keinesfalls als Zeichen eines stilistisch-rhetorischen oder dramaturgischen epigonalen Unvermögens zu sehen, die Aprosdoketa und Peripetien so glaubhaft wie der darin klassische OT zu orchestrieren. 247 Vielmehr läßt sie sich als dramaturgische Umsetzung der Irrationalität deuten, welche die Bühnenfiguren an diesen Stellen durch ihre Leidenschaften und Laster zeigen. Diese Verfremdung dient dem Ausdruck der Entfremdung. 248 Konkret charakterisieren die Sprünge in der attischen Tragödie die Handlung, bei Seneca die Figuren. Während nämlich die Aprosdoketa und paradoxen Peripetien in den attischen Tragödien, allen voran dem OT, syntagmatisch die Abfolge des Geschehens charakterisieren, kennzeichnet die Paradoxie, der Widerspruch zu dem, was aufgrund der bisherigen Handlung und Taten zu erwarten stünde, in Senecas Phaedra die einzelnen Handlungen der Figuren, welche auf diese Weise befremdlich wirken. Das Disparate, Deplazierte und Unangemessene ( ), dessen Gegenteil (decorum bzw. aptum, ) ja in der Stoa und antiken Rhetorik eine ethische wie eine ästhetische Kategorie war, 249 korrespondiert so mit der Transgression. Statt Identifikation läßt diese Dramaturgie Distanz zum Dargestellten erkennen. Diese Distanz wird durch die ausgeprägte (Selbst-)Reflexion der Figuren über die Transgression und deren Kommentierung verstärkt, die v.a. Phaedra in der Szene mit der Amme in offensiv-apologetischer Bejahung der Transgression an den Tag legt und die auch, obschon in geringerem Umfang als in anderen Dramen, das Drama selbst betrifft und ebenfalls ein markantes Kennzeichen der moralischen Schriften ist. Die Distanzierung und Differenzierung, letztere gerade bei der Darstellung des Hippolytus, stoßen den Rezipienten auf sich selbst zurück. Philosophie und Theater Senecas sind somit gleichermaßen selbstreflexiv und laden zur Selbstreflexion ein. 250 247 Ebenso rehabilitierend zeigt Kugelmeier 2007: 237 auf, daß die „Verselbständigung der Einzelszenen auf Kosten des stringenten Handlungsverlaufs […] mit der gattungsbedingten Eigenart der Rezitationsdramen zusammenhängt.“ 248 Vgl. Segal 1986: 316. Ihm zufolge drückt die Selbstdramatisierung bei Seneca die individuelle Entfremdung aus, die bei ihm allerdings von den zentralen Werten der Kultur erfolgt und in den Zeitkontext eingebettet wird (vgl. 335). 249 Vgl. Ansgar Kemmann, Art. prepon. WAP 368 f. und Arnim Müller, Art. Geziemendes. HWP 3 (1974) 623-626. 250 Ähnlich argumentiert Kirichenko in seinem Kapitel „Philosophie und Theater“ (2013: 207- 248), wobei er mit Senecas erhellendem Reiseerlebnis in der crypta Neapolitana (epist. 57) eingangs ein treffendes Beispiel für das Erkenntnispotential von Schock und Angst beisteuert (2013: 207-211). Er spricht dabei allerdings nicht von Distanzierung, sondern meint, „der visuelle Schock (ictus animi, mutatio)“ setze Seneca zufolge „einen Denkprozess in Gang“ (2013: 209) und der Autor aus Córdoba sei „sowohl in den philosophischen Schriften, als auch in den Tragödien“ bemüht, „beim Rezipienten körperliche, schockartige Reaktionen hervorzu- 686 Die Distanzierung, die das Drama von seinen Figuren und v.a. von seiner Protagonistin vornimmt, wird entschieden dadurch bewirkt, daß deren Verhalten und Leidenschaftlichkeit als furor qualifiziert wird. Diese stoizierende Distanzierung von den Bühnenfiguren liegt trotz aller Unterschiede (die literarische Gattungsbezeichnung ‚Tragödie‘ kennzeichnet ironisch Verhaltensweisen, die sich auch im Leben wiederfinden lassen) auf einer Linie mit derjenigen Epiktets, der, wie im vorausgehenden Kapitel (6.2) gesehen, die Tragödien auf das intellektualethische Versagen der zurückführt (1.28.30-33). Das Handbüchlein bietet überdies eine Parallele dafür, wie Kontingenz und Affekt durch die distanzierende Wahrnehmung bei anderen im Vergleich zum eigenen Leiden heruntergekühlt werden (Ench. 26). Ein weiteres, eher subtil dramatisches Mittel ist der offene offensive, ja ostentative Umgang, den Phaedra und die Amme mit ihren Transgressionen pflegen und der noch über die reflexive Kommentierung hinausgeht. Phaedra offenbart nicht wie ihr euripideisches Analogon in tiefem moralischem Schmerz nach langem Zögern ihre verworfene Leidenschaft, leidet an deren Transgressivität und versucht ihre durch diese gefährdete Integrität mit Hilfe anthropologischer Reflexionen zu wahren, sondern sie präsentiert sie offensiv apologetisch in sozialer (Theseus) und genealogischer Hinsicht (göttlicher Fluch). 251 Gewiß ist auch Phaidras inzestuöse Neigung für ihren Stiefsohn eine objektive Transgression, doch Phaedras distanzloses Zurschaustellen ihrer transgressiven Leidenschaft ist gerade wegen der innewohnenden Souveränität ein (meta-)theatralischer Gestus, 252 der sowohl ihre soziale Integrität wie ihre Tragik untergräbt (s.u.). Die Geste, die Foucault allgemein als Merkmal der Transgression und ihres Umgangs mit Grenzen ausgemacht hat (s. 1.2.4 Kurzer Forschungsabriß rufen, um ihn aufzurütteln und dadurch zum Nachdenken zu zwingen“ (2013: 209 Anm. 7). Derart forciert rezeptionsästhetische Aussagen liegen nach den methodischen Überzeugungen dieser Arbeit jenseits des Erkenntnishorizontes, sofern sie sich nicht im Text verankern lassen (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung). Seneca spricht an der fraglichen Stelle nur von ictus animi (epist. 57,3), was Staley für De ira 2,2,2 mit „mental shock“ wiedergibt (2010: 74, 80). Hiermit ist wohl der „Voraffekt“ ( ) gemeint (Wildberger 2006: Bd. 2, 929 a.l.). Denkbar wäre auch die bzw. auch noch (Nachweise s. 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotisch-transgressive Ästhetik in der Einleitung), die von Chrysipp passend zu Senecas mutatio auch als „qualitative Veränderung der Seele ( oder )“ eingestuft wurde (Steinmetz 1994: 594). Beide Interpretationen des ictus animi sind allerdings weit von der Optik entfernt. Doch ist hiner nicht der Ort, Kirichenkos anregende Thesen in der Ausführlichkeit zu diskutieren, die sie verdient haben. 251 Näheres s. 7.2.3 Phaedra und die Amme. 252 Littlewood betont ganz klar die Souveränität in Phaedras Nachspielen der Familiengeschichte, v.a. ihrer Mutter Pasiphae, in den Versen 240-3 (2004: 275): „She consciously chooses her models. […] Her imitation is deliberately.“ Kirichenko 2013: 44 arbeitet heraus, daß Phaedra wie andere Figuren dieses Dramas „ihre eigene Geschichte während des Stückes immer wieder als Nachspielen des Minotaurus-Mythos empfinden.“ Die Passagen, in denen meist in aemulatio epische und tragische Handlungen nachgespielt würden, stuft er in der Einleitung als „metatheatralisch“ ein (2013: 10). In der Terminologie dieser Arbeit handelt es sich dabei um Interdrama und Intertextualität im Drama, doch schafft das Nachspielen in der Tat eine Affinität zur dramatischen Metapoetik und einen Sonderfall, der die Klassifikation der vorliegenden Untersuchung aufbricht und den man vielleicht als ‚intertextuelles Intratheater‘ etikettieren könnte. 7. Senecas 687 zur Transgression in der Einleitung), kennzeichnet deren Souveränität und (Meta-)Theatralität. Ihre Souveränität macht die Transgression zum Metatheater und Phaedra zu dessen Autorin. Bereits Giorgio Agamben bestimmt den Autor über die Geste und das Infame und entwickelt dabei Foucaults Reflexionen zur Autorschaft weiter, doch ist bei ihm wie bei Foucault 253 die Abwesenheit das entscheidende Merkmal der auktorialen Geste. 254 Bekümmert ist Phaedra vor allem über die geringeren sexuellen Realisierungschancen, die ihre Leidenschaft im Vergleich zur hölzernen Kuh ihrer Mutter hat (v. 115-123). Gerade daß Phaedra ihre transgressive Liebe auch genealogisch aus einem Götterzorn erklärt (v. 112-127), der die individuelle Verantwortung annulliert, darf nicht diffus als bloß konträr zur stoischen Philosophie (Garbarino 2001: 42 f.) bzw. Konflikt der „Rezeption traditionell poetischen Gedankenguts mit der eigentlichen Deutung des Dichters“ (Lefèvre 1969: 151) 255 oder gar deswegen als Indiz für den antistoischen Charakter des Dramas (Dingel 1974: 95-98) gedeutet werden. Ebensowenig darf diese Argumentation essentialistisch - unter Verkennung der auch hier sich konstruierenden transgressiven Souveränität der Figur - herangezogen werden, um Phaedra zu exkulpieren (Seidensticker 1969: 102-104). 256 Vielmehr läßt sich Phaedras Ätiologie ihrer Transgression viel spezifischer als Mittel der Figurenzeichnung auffassen, das die souveräne Aneignung und offensive Vertretung der Transgression durch die Figur zeigt. 257 Phaedras furor diktiert nicht nur den Dramenverlauf. Über ihre Transgression schafft Phaedra vielmehr wie Medea sich selbst und ihre dramatische Identität, ihr signifié als Bühnenfigur, selbst. Dieser autopoetische, ja existentialistische Charakter des Umgangs mit der Transgression, den der transgressive Protagonist pflegt und der in Senecas Medea expliziert wird (v. 171: NUT.: Medea - ME.: Fiam, v. 910: Medea nunc sum), beschränkt sich dagegen bei Oidipus auf die Erkenntnis der eigenen Transgression Indem Phaedra ihren furor als Iteration des mütterlichen Geschicks deutet, eignet sie 253 „[L]a marque de l’écrivain n’est plus que la singularité de son absence; […].“ Qu’est-ce qu’un auteur? (1969). In: Ds., Dits et écrits. Édition établie sous la direction de Daniel Depert et François Ewald avec la collaboration de Jacques Lagrange. 2 Bde. Paris 2001, Bd. 1, 817-849, h. 821. 254 Profanierungen. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. [Orig.: Profanazioni] Frankfurt a.M. 2005, 62. 255 Diese interpretatorisch unambitionierte Deutung gibt sich - ähnlich wie allzu oft die Motivanalyse Homers (vgl. dazu Wolfgang Kullmann, Ergebnisse motivgeschichtlicher Forschung zu Homer (Neoanalyse). In: Joachim Latacz (Hg.), Zweihundert Jahre Homer-Forschung. Rückblick und Ausblick. [Vorträge auf dem zweiten Colloquium Rauricum, 16. bis 19. August 1989 in Augst]. Colloquium Rauricum 2. Stuttgart 1991, 425-455, der etliche Gegenbeispiele für die interpretatorische Nutzbarmachung der Motivgeschichte bietet, die so Psychologisierung und Tragik als Novum der Ilias herausarbeitet [z.B. S. 433 f., 436, 443]) - mit der causa materialis zufrieden, statt zur causa finalis (bzw. semiotica) vorzudringen, die allein für den Interpreten eines Kunstwerks befriedigend ist. 256 „Bereits in ihrer Abstammung, mit ihrer Existenz, ist also ihre schicksalhafte Bestimmung zu schuldiger Liebe und Untergang gegeben.“ 257 Littewood spricht zu Recht von einer „false form of necessity“ und merkt an, die Amme entlarve den Fluch, der Phaedra zufolge auf der Liebe der kretischen Prinzessinnen laste, als „a construction, a neccessity which Phaedra has fabricated“ (2004: 51 f.). 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der . 688 ihn sich an und schafft ihre eigene (Familien-)Geschichte. Mit der Konstruktion einer genealogischen Fatalität schafft Phaedra paradoxerweise ihre binnenhermeneutische Souveränität. Daß Phaedra eher apologetisch mit einem literarischen Motiv spielt und somit in Form der Interdramatik eine weitere Reflexionsebene des Kunstwerks einfügt, als eine wirkliche Kausalität zu geben, geht daraus hervor, daß diese Erklärung von der Amme nicht aufgegriffen, geschweige denn akzeptiert wird. Zudem kehrt die genealogische Exkulpierung zumindest habitual auch bei der Parallele zur sodomitischen Mutter wieder (v. 113 f.: fatale miserae matris agnosco malum: / peccare noster novit in silvis amor). Daß Phaedra auch die Transgressionen, die sie Theseus - zu Unrecht - zur Last legt, teilweise genealogisch (v. 1164-1167) habitualisiert (v. 92: praestatque nuptae quam solet Theseus fidem), entlarvt den ideologisch-rhetorischen Charakter dieser subsumtiv essentialisierenden Argumentationsstrategie einer Figur (im Gegensatz zu einer essentialistischen Interpretation). Den souverän-spielerischen Charakter der inter- und intradramatischen Selbstinszenierung zeigt denn auch der Vergleich mit Euripides’ beiden Hippolytos-Versionen. Im vollständig erhaltenen Stephanophoros wird Phaidra ungeachtet ihrer Integrität von Aphrodite nach deren eigenem Bekunden für ihre Rache an Hippolytos geopfert (v. 47 f.: ’ ’ - / ). Die göttliche Verantwortung für die transgressive Leidenschaft ist also dadurch zweifelsfrei jenseits apologetischer Spekulationen in der Figurenautoapologetik erwiesen, daß die betreffende Göttin sie im Prolog benennt. Während Phaedra den Götterzorn eher nüchtern konstatiert, wird in einem Kalyptomenos-Fragment (TrGF Bd. 5.1 Frg. 444) beklagt, daß es für die Menschen keine Hilfe für die eigenen und göttergeschickten Übel gebe. 258 Die Hilfe für die Übel und die Alternative zwischen hausgemachten und gottgesandten Übeln lassen hier eine abwehrende Distanzierung und die Möglichkeit menschlicher Verantwortung erkennen, zwei Gedanken, die bei Senecas Phaedra gänzlich fehlen. Seneca mag also hier, wie Lefèvre annimmt, eine Anleihe beim Kalyptomenos gemacht haben (1969: 151). Er hat dem Gedanken des göttlichen Ursprungs der transgressiven Leidenschaft jedoch eine ganz andere Wendung hin zur Figurencharakterisierung gegeben. Jean-Michel Croisille weist schließlich völlig zu Recht darauf hin, daß der ererbte Götterzorn nicht Phaedras Freiheit aufhebt, sich negativ zu ihm zu positionieren („elle est libre de choisir sa conduite“), 259 also ihre Wahlfreiheit nicht aufhebt. (Dieses Argument pariert Dingel nur unzureichend mit dem allgemeinen Hinweis, der Götterzorn sei „von vornherein unstoisch“ [1974: 97].) Bei der Phaidra des Stephanophoros steht das verzweifelte repressive Bemühen im dramatischen Fokus, bei Senecas Phaedra der unwiderstehliche propulsive Drang der Leidenschaft. Die Appelle der Amme, entschlossen den Kampf gegen die Leidenschaft aufzunehmen, läßt sie, indem sie abermals quasi fatalistisch auf deren Unbezwingbarkeit und Sieg über die ratio verweist, verhallen 258 ’ / 259 Lieux communs, sententiae et intentions philosophiques dans la Phèdre de Sénèque. REL 42 (1964) 276-301, h. 290. 7. Senecas 689 und zwingt sie mit der Androhung des Ehrenselbstmordes in die Komplizenschaft. 260 Diese gespielte, intratheatralische Finte und v.a. die Aneignung der transgressiven Leidenschaft sind in hohem Maße theatralisch und Akte der Souveränität. Doch intratheatralisches Künstlertum und Transgression, die auch bei Senecas Atreus und Medea verschmelzen, 261 verhalten sich nicht wie bei Euripides’ Medea zueinander. Bei ihr steht ja das Künstler-Kriminellentum im Dienste ihrer transgressiven Rache, die ihrerseits auf im Drama dargestellte Integritätsverletzungen antwortet. 262 Da Phaedra sich die Transgression dramatisch aktiv aneignet und sie distanzlos verficht und anders als in der attischen Tragödie (beispielhaft ist hier, wie angedeutet, Medea) ohne wirklichen äußeren Anlaß bejaht, kann man wegen dieses spontanen willkürlichen Elements hier in der Literatur von etwas souverän Bösem und seiner Ästhetik sprechen. Dagegen tritt das Böse in der Weltdeutung wohl erst später auf den Plan, spätestens mit dem Christentum. Seneca radikalisiert hier durch die literarische Darstellung von Phaedras Selbstpositionierung die stoische Philosophie, welche die Entstehung der Leidenschaften, wie auch hier erkennbar, aus der Zustimmung zu einer (falschen) Vorstellung erklärte, ein Akt, den die stoische Psychologie allerdings im Gefolge des sokratischen ethischen Intellektualismus als (Selbst-)Täuschung und Fehlurteil über gut und schlecht (s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen im Kap. 6. Die (nachklassische) Tragödie und die Stoa) und nicht als bewußte Entscheidung für das Üble konzipierte. Dieses Böse zerstört das Sozialgefüge des Dramas mit nachgerade Reinhardtscher Dämonie. Da es dabei mit der Verleumdung operiert, ist es sensu stricto diabolisch. Die nachgerade metatheatralische Theatralität, die über eine selbstinszenierte Selbst(de)konstruktion der Figuren verläuft, schafft ein hochartifizielles Spiel im Spiel und mit diesem. Sie ist - gerade im Umgang mit der Transgression - allerdings die Todfeindin der Opazität, Substantialität, Legitimität und poet(h)ischen Integrität, welche die notwendigen Voraussetzungen für Tragik und echtes Pathos bilden. Die Figuren der hier untersuchten attischen Tragödien sind dank ihrer Konsistenz und partiellen Integrität Charaktere, diejenigen der Phaedra nicht. Die Opazität wird dadurch gelichtet, daß, abgesehen von den eher emergenten intratheatralischen Intrigen, die Figuren der Phaedra explizit handeln und das Implikat, das die attischen Tragödien ausmacht, stark reduziert ist. Die Integrität und Konsistenz beruhen auf den Zielen, welche die Dramenfigur verfolgt. Das Fehlen eines klar erkennbar als integer gezeichneten Ziels (anders als bei Herodot strebt er nicht nach Revanche für die Niederlage des Vaters und Strafe für den griechischen Frevel [s. 1.8 Xerxes in der Interpretation dieser 260 Kugelmeier 2007: 194-197, der auch den Entschluß zum Selbstmord, ihre (Liebes-)Krankheit und Kostümierung als Amazone als weitere Brüche wertet. 261 Eckard Lefèvre, Die Konzeption der ‚verkehrten Welt‘ in Senecas Tragödien. In: Pervertere. Ästhetik der Verkehrung. Literatur und Kultur neronischer Zeit und ihre Rezeption. Hg. von Luigi Castagna und Gregor Vogt-Spira. BzA 151. München, Leipzig 2002, 105-122, h. 111- 115. 262 S. 3.7 Fabula docet oder Iason als Anti-Odysseus in der Interpretation dieser Tragödie. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 7. Senecas 690 Tragödie]) geht bei Xerxes in Aischylos’ Persern, der einzigen bisherigen Ausnahme, mit fehlender Größe und Tragik einher. 263 Die fehlende Größe und Tragik sollen im folgenden anhand der Integrität, über welche in der Einleitung die Tragik bestimmt wurde, im Vergleich zu Euripides’ Medea gezeigt werden, mithin ebenfalls einer in der Stoa exemplarischen dramatischen weiblichen Figur der Transgression, die bereits in dieser Arbeit eingehend besprochen wurde. Auch ihre Transgression ist von einer aggressivimpulsiven Emotion, dem qumo&j, geleitet und zerstört den sozialen Mikrokosmos des Dramas, die Familie an der Spitze der Polis (und dazu noch ihre eigene). Dabei handelt sie aus wohlorchestriertem Rachekalkül, das ihre soziale Integrität restaurieren soll. Dieses Ziel (nicht jedoch dessen Mittel, der Kindermord) wird innerhalb der sozialen Welt, welche die Tragödie darstellt, vom Chor als drameninternem Rezipienten gebilligt und als legitim angesehen. Zudem machen es auch die dramatische Darstellung der Integritätsverletzungen, die Kreon und Iason Medea zufügen, und auch die Faktur des Dramas plausibel und legitim. Dadurch wird Medeas Preisgabe ihrer genealogisch-moralischen Integrität zugunsten ihrer sozialen zu einem Konflikt gleichrangiger Integritäten und somit objektiv tragisch. Daran ändert auch Medeas subjektive Positionierung zur Transgression nichts. Sie affirmiert erst in der Schlußszene gegenüber dem anwesenden, zuvor evident transgressiven Gatten ihre Transgression so offensiv wie Phaedra bereits in der Eingangsszene spekulativ gegenüber ihrem abwesenden Gatten. Zudem negiert sie die Selbstschädigung des genealogischen Selbstmordes gegenüber ihrem Hauptkontrahenten und dem Objekt ihrer Rache und Integritätsrestauration. Epiktet bietet ohne die Terminologie der Integrität eine vergleichbare Analyse von tragisch konfligierenden Zielen und der Größe bei Medea (2.17.19 f.), wie sie soeben entwickelt wurde. Sie sei mit innerer Größe dazu gekommen, ihre Kinder zu töten (megalofuw~j) und habe eine adäquate Vorstellung gehabt, wie es sei, wenn das, was jemand wolle, nicht eintrete (ei]xe ga_r h4n dei= fantasi/ an, oi[o&n e0sti to_ a4 qe/ lei tini\ mh_ proxwrei=n). Indem sie die soziale Integritätsverletzung mit der Tötung der Kinder als Schadenszufügung, deren Nutzen für Medea bei Epiktet kritisch formuliert wird (ti/ o1feloj tou~ kakw~j ou3twj diakeime/ nou; ), geahndet habe (timwrh&somai to_n a)dikh&santa& me kai\ u(bri/ santa), habe sie in Kauf genommen, sich selbst zu strafen (a)lla_ kai\ e0ma<u>th_n timwrh&somai). Gewiß stellt der Diatribensprecher ‚Epiktet‘ distan- 263 Opelt 1972: 92 f. rechnet dagegen - im Gegensatz zu den Schicksalstragödien, bei denen der Protagonist unschuldig-schuldig werde (für dieses Tragikverständnis s. 1.4.2 Tragik als Desubjektivierung in der Einleitung) - Aischylos’ Xerxes und Senecas Dramen zum Tragiktypus, bei dem der Verbrecher aus Hybris bzw. Bosheit handele, bewußt die Norm verletze und die Götter herausfordere. Das ist freilich bei beiden Typen ein verkürztes Verständnis von Tragik. Die Strafe, die bei Opelt den Transgressor trifft, ist nach der Auffassung dieser Arbeit ein Sonderfall der religiösen Transgression (s. 1.3 Eliminierung, Restauration, Integrität und Intention in der Einleitung). Die Darstellung einer Bestrafung von Hybris ist an sich nicht tragisch (Nicolas R. E. Fisher, Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece. Warminster 1992, 506). Die „Bosheit“, die Opelt zu Recht bei Senecas Figuren ausmacht, ist zudem nicht tragisch, sondern nachgerade anti-tragisch. 691 ziert-ironisch aus Medeas subjektiver Perspektive die Paradoxie des Integritätsopfers dar, um die Absolutheit des falschen Wollens zu diskreditieren und zur Ausrichtung des Wollens an Gottes Wollen aufzufordern, was er im Folgenden in einem fiktiven Dialog mit dieser Bühnenfigur tut (2.17.21 f.). Doch wird hier also genau das Opfer der genealogisch-biologischen Integrität beschrieben, das auf die Verletzung der sozialen reagiert und letztlich zu deren Wiederherstellung gebracht wird, und das falsche Wollen wegen dieses Preises der Selbstschädigung zum Indiz der . Diese seelische Größe faßt der Einleitungskommentar zu Epiktets psychagogischer Analyse sogar in stoische psychologische Termini und macht sie zum Ausgang der Verfehlung ( ) 264 und dramatischen Katastrophe (2.17.21: ’ ), die anders als bei Phaedra auf einem Fehlurteil, unbedingtem Wollen und - auch bei Epiktet - einem sozialen Konflikt der Protagonistin beruht. Solch ein klarer Integritätenkonflikt fehlt in der Phaedra. Im Gegenteil, die zweimalige intratheatralische strategisch-fiktive Androhung der physischen Selbsteliminierung, vorgeblich um die moralische Integrität zu wahren, pervertiert, da sie die Adressaten strategisch täuscht, nachgerade den heroischen Charakter, der diesem Opfer innewohnt, wenn es tatsächlich erfolgt und ehrlich gemeint ist. Medeas Täuschung der Mitakteure zielt auf die Restauration ihrer sozialen Integrität und die Abwehr einer erlittenen Integritätsverletzung, Phaedras auf die Vertuschung eines Verlustes sozialer Integrität, der durch ihre eigene Transgression droht. Anders als Medea erfüllt Phaedra also nicht die Ansprüche an die komplexe Tragik des Integritätskonflikts, wie sie sich in attischen Tragödien finden läßt. Deshalb nennt diese Arbeit Senecas Schauspiele ‚Dramen‘ statt ‚Tragödien‘, obwohl die Phaedra mit der Eliminierung, die der Transgression folgt, das generische Tragödienkriterium in reinerer Form als manche attische Tragödie aufweist, da sie physisch statt nur lokal wie bei Medea und Oidipus ist. Dabei suggeriert der Singular ‚Drama‘ eine innere Geschlossenheit der Handlung in den einzelnen Seneca-Schauspielen, die nicht nur in einzelne Szenen, sondern auf der Szenenebene in voneinander unabhängige, spontane Einzelhandlungen zerfallen, die zudem nicht einmal Teil eines größeren Plans der Figuren sind. Die Emergenz des Seeungeheuers setzt sich so auf der Ebene der Einzelhandlungen fort. Das weiter gefaßte Tragikkriterium der handlungsstrukturell induzierten Desubjektivierung, das in der Einleitung als erstes vor der Verfeinerung der Tragik durch den Integritätentausch vorgestellt und diskutiert wurde, weist Phaedra dagegen, auch im Vergleich zur kolchischen Prinzessin, gleichfalls nicht auf, da sie den furor, der sie zu seinem Objekt und Instrument degradiert, nicht be- 264 LSJ 518 s.v. stellen die vorliegende Stelle zu SVF III 648 (= Stob. 2.7.11 s [= II 116,9 f. W.]: ) „abandonment of duty“ (dieselbe Zuordnung bietet das DGE 1398 s.v., das die Unterbedeutung in SVF III 648 mit „dejación, abandono“ übersetzt) und übersetzen sie als „error“. Dramatisch reizvoller ist die philologisch nicht so gut gesicherte Wiedergabe bei Souilhé/ Jagu („explosion“) und Oldfather („outbursting“). 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 692 kämpft und im Gegenteil eher spontan-ostentativ bejaht. Denn Medeas ist dramatisch wohl begründet und kanalisiert und bildet das einheitliche Motiv ihres Handelns (also in die Handlungsstruktur eingebettet), Phaedra wird von einem furor getrieben, der als Begehren allenfalls ethisch-rational camoufliert wird und sich als vertuschende Aggression freisetzt. Der furor hat kein Motiv, er ist es selbst und diktiert, ja erschafft so den Verlauf des Dramas. Man kann deshalb auch von einer dramatischen Dominanz irrationaler Leidenschaften sprechen, die Reinhardts Kategorie des Dämonischen (s. dafür 2.4.5 Transgression und Orakel in der OT-Interpretation) viel reiner als der von Euripides’ Medea verwirklicht. Diesem Konzept entspricht, daß diese Dominanz Phaedra den Status als ethisch-rationales Subjekt raubt - und zwar sogar anders als bei Medea ohne das Zutun der betroffenen Figur im Verlaufe des Stückes 265 - und die Protagonistin ihre eigene moralisch-soziale und physische Integrität vernichten läßt. Daß der furor die Integrität des im furor erstrebten Geliebten vernichtet, dieser Umschlag der Intention durch die unfreiwillige, kollaterale Eliminierung des begehrten Objekts, ist ein Fall von intentionswidriger Eliminierung, wie er als Merkmal der Tragik in der Einleitung definiert wurde (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik), entbehrt jedoch aus mehreren Gründen der Tragik: Phaedra wollte ihre soziale Integrität nicht ernsthaft wahren. Ihr furor-geleitetes Streben ist an sich transgressiv. Außerdem entspringt ihr desubjektivierendes Streben keinen starken äußeren Anstößen. Vielmehr bleibt ihr Eigenanteil offen. Daß die Eliminierung, die aus dem furor resultiert, nicht tragisch ist, zeigt auch ein Vergleich mit anderen Frauengestalten der griechischen Tragödie: Die resultative Gegenläufigkeit des Affekts und dessen praktische Aufhebung des erstrebten Ziels unterscheiden Phaedra von Medea und Agaue, deren gegen einen Dritten bzw. deren manische Ergebenheit gegen einen Dritten konträr zu der affektiven Bindung an die Kinder war, die bei Medea vor deren Eliminierung und bei Agaue danach zutage tritt. Der transgressive desubjektivierende Handlungsimpuls steht bei Phaedra wegen seiner libidinösen, objektbezogenen Komponente im praktischen Widerspruch zu sich selbst, bei den beiden Müttern zur Mutterliebe. Ein Widerspruch zwischen verschiedenen Größen derselben Kategorie, wie ihn der Integritätenkonflikt darstellt, liegt hier also bei diesem performativen bzw. nur resultativen Selbstwiderspruch und Selbstaufhebung nicht vor. (Ohnehin ist der einzige Versuch, eine Integrität, nämlich die soziale, zu wahren, bei Phaedra bloß ein strategischer Schachzug.) Durch seine grenzenlose und grenzensprengende pervasive Dominanz zerstört der furor also nicht nur sein Objekt, seinen Träger und dadurch sich selbst (das Sozialgefüge findet erst wieder nach Phaedras Selbstmord anhand des Ritus zu einer interaktiven Funktionalität in Kommunikation und Praxis zurück), sondern auch die Tragik. 265 Die fahrlässige Pathogenese, die man aus den verspäteten Appellen der Amme (re)konstruieren kann, liegt vor der gezeigten Handlung, Phaedras offensives Vertreten der transgressiven Leidenschaft eingangs des Dramas ist primär künstlerisch-theatralisch und für deren Psychologie nur bedingt belastbar. Die perversen der Phaedra fachen nicht den furor an, während Medea ihren anheizen muß. 7. Senecas 693 Die dramaturgischen Mittel der Diskrepanz, welche in der Phaedra der Distanzierung dienen, sind vielfach das Gegenteil dessen, was Aristoteles’ Poetik empfiehlt. 266 Diese läßt zwar bei der , zu der das Erzeugen von Jammer, Schauder oder Zorn gehöre, rhetorische amplificatio zu, wie sie Hippolytus’ Rede bietet. Bei ihr werden Dinge - entsprechend der Formulierung von Protagoras’ Programm (DK 80 A 21: ), das allerdings wohl die subjektive Erwartungshaltung der Adressaten und nicht die sachliche Gegebenheit zum Maßstab der Veränderung machte 267 - größer oder kleiner dargestellt (Poet. 1456a 36 - 1456b 2). Doch weist Aristoteles ausdrücklich darauf hin, daß dieses Verfahren bei den Handlungen ( ) nicht zum Tragen kommen kann, da sich die vorgenannten Emotionen ohne rhetorische Emphase aus den Handlungen selbst einstellen müßten (Poet. 1456b 2-7). Ebendies wird jedoch durch Hippolytus’ Rhetorik konterkariert, die hyperbolisch auf Phaedras Transgression reagiert, wie der Vergleich mit Euripides’ Schwesterdrama zeigt. Die Diskrepanzen des senecanischen Dramas werden noch deutlicher in den drameninternen, vorwiegend nichtreferentiellen Inkongruenzen des Verhaltens der Figuren. Hier fordert Aristoteles vier Punkte in der Zeichnung der Charaktere: Tüchtigkeit ( ), rollenreferentielle Angemessenheit ( ), Ähnlichkeit ( ) und Gleichmäßigkeit (Poet. 1454a 16-28: ). Phaedra kapituliert vor der transgressiven Leidenschaft, verwandelt sich diese apologetisch und offensiv an und kostümiert sich als mänadische Amazone. Diese Verhaltensweisen sind das Gegenteil der beiden ersten Kriterien; ihr Gebaren fällt wie dasjenige anderer Figuren, insbesondere des echauffierten und später klagenden Theseus in das Gegenteil des Passenden, das bereits allgemein für die antike Literaturkritik bemühte , für das in der Poetik ebenfalls ein angeführt wird, nämlich die Klage des Odysseus in dem Dithyrambos des Timotheos (Poet. 1454a 30 f.), in dem der Homerische Held sich unmännlichen Klagen hingab, er habe durch Skylla seine Männer verloren (Lucas 160 a.l.). Neben diesen allgemeinen Verhaltensmustern ( ) behandelt Aristoteles nach Schmitt Poetik 530 für die Angemessenheit ( ) im siebten Kapitel der Rhetorik 1408a 27-30 noch individuelle Charaktertendenzen ( ). Hier droht eine gewisse Tautologie, da Verhaltensmuster erst aus der Handlung erschlossen werden können, und überdies eine Überschneidung mit dem vierten Kriterium. Im charakterlich Schlechten tut die Phaedra dieser Forderung sicherlich Genüge, man denke an die leidenschaftliche und skrupellose Transgressivität der Protagonistin, die weder sich noch andere schont, Hippolytus’ evasives Verhalten und Theseus’ sprunghafte negative emotionale Reaktionen. Diese zugespitzte Negativzeichnung der Charaktere tritt indes in Widerspruch zur Forderung nach Ähnlichkeit, die sich auf den Durchschnittsmenschen (Lucas 266 Die „Abweichungen der senecanischen Tragödien von den in Aristoteles’ Poetik [Kurs. im Orig.] formulierten Prinzipien“ arbeitet auch jüngst Kirichenko 2013: 237 ff. heraus. 267 Vgl. Wilhelm Windelband, Geschichte der abendländischen Philosophie im Altertum. Vierte Auflage bearbeitet von Albert Goedeckemeyer. HdA V.1.1. München 1923, 70 f. Anm. 8. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 694 158 a.l.) oder -zuschauer (Schmitt Poetik 530 268 ) bezieht. Bei der Gleichmäßigkeit eröffnet Aristoteles mit der Forderung, die Ungleichmäßigkeit müsse in gleicher Weise erfolgen, die Möglichkeit, seine Empfehlungen und die sprunghafte Dramaturgie der Phaedra in Einklang zu bringen. Doch bewegen sich beide letztlich auf unterschiedlichen Ebenen: Die synoptische Einheit etwa von Hippolytus’ paradigmatischem Charakter als pflichtbewußter und tapferer, aber in seiner anachoretischen Misanthropie bis zur Misogynie verstiegener stoizierender Charakter wird syntagmatisch parallel von den Kommentaren des Chores unterlaufen, die auf seine rasende Flucht und seine Schönheit abheben. Die compositio membrorum auf offener Bühne in Senecas Phaedra widerspricht Horazens Forderung nach optischer Eliminierung des Schrecklichen und Unglaubwürdigen (ars 185-187), dessen Standards Seneca doch im Falle des Chores teilweise genügt (Zimmermann 1990: 212 f.). Dies zeigt, wie wenig man Senecas Dramen bloß auf Umsetzungen hellenistischer Poetik reduzieren kann und wie stark seine eigene inhaltliche wie formale Ästhetik der Transgression war. Nachdem Aristoteles’ Poetik nur ex negativo, aber doch eindeutig zur Klärung der Faktur der Phaedra beitragen konnte, bietet es sich selbstredend an, mit Ps.-Longins Vom Erhabenen die hermeneutische Gegenprobe zu machen, handelt es sich hierbei doch um eine poetologische Schrift, die in der Neuzeit als Gegenmodell zum klassischen aristotelischen Modell angesehen und geschätzt wurde. 269 Dieser Transfer liegt in unserem Fall besonders nahe, weil es zu prüfen gilt, ob Senecas apollinische sublimitas-Poetik nicht nur über eine vage terminologische Übereinstimmung, sondern auch in der dramatischen Praxis mit der gleichnamigen Stilschrift zusammengebracht werden kann. 270 Schiesaro hat diesen Weg bereits mit unterschiedlich überzeugenden Ergebnissen beschritten. Sein Versuch, Senecas chthonische Poetik anhand von Oedipus v. 390-397 mit Ps.-Longins Lob der erhabenen Imagination ( ) der göttlichen Kampfinterventionen in Il. 21.388 und 20.61-65 zusammenzubringen (2003: 226: „This is, incidently, a scene that would have pleased Ps.-Longinus […]“), ist auf der materialen Motivebene zutreffend, da in beiden Szenen die Erde aufbirst und die Unterwelt öffnet und auch nach Ps.-Longins Interpretation Zwietracht die Welt ergreift (9.6). Der Vergleich zeigt auch gravierende Unterschiede: Bei Homer schreit selbst Hades entsetzt, bei Seneca wird er bloß gebeten. Vor allem ist in der Ilias 268 So auch Hellmut Flashar, Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. In: Ds. (Hg.), Tragödie. Idee und Transformation. Colloquium Rauricum 5. Stuttgart 1997, 50-64, h. 57. Halliwell 1987: 142 & 1999: 79 wählt eine salomonische Lösung, indem er auf Poet. 1448a 5 f. ( ) für die allgemeine Ähnlichkeit zur Menschheit verweist und meint, sie ermögliche die emotional adäquate Reaktion des Publikums. 269 ‘Longinus’ On the sublime. Edited with introduction and commentary by Donald A. Russell. Oxford 1964, xlviii. 270 Zu Seneca und Ps.-Longin s. Alain Michel, Rhétorique, tragédie, philosophie. Sénèque et le sublime. Giornale Italiano di Filologia 21 (1969) 245-257, der allerdings durch Weitschweifigkeit und Armut nicht nur an einschlägigem, sondern überhaupt an Textmaterial allenfalls die These skizzieren kann, Senecas philosophische und dramatische Werke folgten der Ästhetik Ps.-Longins (S. 247). 7. Senecas 695 das Aufbrechen der Unterwelt ein kosmisches Ereignis, in Senecas Oedipus wird es von den Figuren aus mantischem Erkenntnisinteresse herbeigeführt, so Tiresias diagnostischer Vorschlag, der zuvor die Konsultation der himmlischen Götter verwirft (v. 395-397). 271 Dieser Unterschied verdeutlicht die Spezifik von Senecas chthonischer Poetik, die sich ja auch in seiner dramatischen Dichtung im Vergleich zu seinen klassisch-attischen Vorgängern bestätigt. Andere Parallelisierungen, die Schiesaro zwischen De sublimitate und Senecas dramatischer Dichtung vornimmt, lassen sich durch eine ähnliche interpretatorische Verschiebung und Nuancierung mit unserer Deutung in Einklang bringen. Ps.-Longin dient dann wie Aristoteles ex negativo der Beschreibung der Phaedra. Schiesaro knüpft an Senecas besprochene Passage (s. 7.4 Senecas dionysische und apollinische Poetik und Rezeptionsästhetik) von der inspirierten Erhabenheit (tran. 17,11) die mit Ps.-Longin 7.3 untermauerte These an, - (magnitudo animi) sei „inextricably connected with - magnitudo ingenii“ (2003: 23). Die sich hier andeutende Verbindung von ethischer und ästhetischer Größe läßt er unbeachtet. 272 (Statt dessen schlägt er - sicher nicht unpassend vor dem Hintergrund von Senecas diskutierter apollinisch-himmlischer Poetik - den Bogen zu einem Ausspruch des Kleanthes (SVF I 486), der recht technisch und wenig inspirationspoetisch Metrum, Gesang und Rhythmus protreptisch als Hinführung zu göttlicher Größe ( ) und ihrer Wahrheit bezeichnet, da die Prosa keine der göttlichen Größe angemessenen Ausdrücke habe - Schiesaro hebt nur auf diesen Aspekt ab.) Tatsächlich zieht Ps.-Longin ethische Entscheidungen, in denen sich die manifestiere, als Vergleich für die Rezeptionsästhetik des Erhabenen heran: Wie man aus die äußeren Dinge verschmähe, wenn man sie haben könne, so sei auch bei erhabenen Stellen aus der Dichtung zu prüfen, ob es nicht edler sei ( ), sie zu verschmähen, wenn man sie haben könne. Der literarische Geschmack wird hier ethisiert bzw. eher noch zum Merkmal eines seinerseits ethisierten (Seelen-)Adels ( ) erhoben (7.1). Eine aristokratische Exklusivität statt kynischer Kaustik klingt nicht nur in an, die von der archaischen Adelsethik bis zu Panaitios verinnerlicht wurde, 273 sondern wird klar durch die mögliche Verfügung über die Scheingüter suggeriert, eine Perspektive, die auch Senecas Schriften einnehmen, wenn De vita beata den Besitz ohne innere Abhängigkeit empfiehlt (vit. beat. 22-26,3). Allerdings wird der ethisch-normative Anspruch dieser Empfehlung durch den 271 reseranda tellus, Ditis implacabile / numen precandum, populus infernae Stygis / huc extrahendus: […] 272 Vittorio Hösle, Die Rangordnung der drei griechischen Tragiker. Ein Problem aus der Geschichte der Poetik als Lackmustest ästhetischer Theorien. Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen 24. Basel 2009, 189 macht dagegen treffend bei Ps.-Longin ein „ethische[s], oder besser: metaethische[s] Bewußtsein[s]“ aus. 273 „[...], the ideal of showed remarkable vitality in surviving the disintegration of the “Adelsethik” in which it originally had its place.“ Andrew Dyck, On Panaetius’ Conception of . Museum Helveticum 38 (1981) 153-161, h. 161. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 696 Zusatz klar anerkannt. Leben und Kunst sind also nach denselben normativ-habituellen Verfahren organisiert. 274 Mehr noch wird bei Ps.-Longin nicht nur mit der Verachtung der äußeren Güter, die nicht als solche benannt, sondern mit Reichtum, Ruhm und Herrschaft ( ) exemplifiziert werden, eine sehr unperipatetische und genuin stoische Axiologie vertreten. Sie wird besonders von den griechisch überlieferten kaiserzeitlichen Stoikern Musonius Rufus (Frg. 6 He. S. 23 Z. 13 f.), Mark Aurel 275 und Epiktet 276 verfochten, der die dichotomisch vereinfachte Güterlehre des Ariston von Chios wiederaufleben läßt. 277 An der Wertlosigkeit der äußeren Dinge, auch mit Blick auf die Autarkie der Tugend, hält ebenfalls Seneca dezidiert fest. 278 Überdies tut Ps.-Longin den lebensweltlichen Wert dieser Scheingüter als akzidentiell nach Tragödienart von außen hinzugefügt ab (7.1). 279 Damit wird das Tragische ähnlich wie bei Epiktet (3.22.26) 280 an ein stilistisches Merkmal herangerückt, das auf falscher lebensweltlicher Wertsetzung beruht. Es wird also seiner ideellen Substanz aus der axiologischen Perspektive beraubt, die der kommentierende Text selbst einnimmt. Figuren, die lebensweltlichen Werten verhaftet sind, wie dies zumindest bei Phaedra der Fall ist, könnten demnach keine tragische Größe erlangen. Dies läßt sich werkästhetisch über den Nexus zwischen der lebensethischen und der präzisieren, der bei Ps.-Longin noch stilkritisch ist, da letztgenannte die spontane erhebende Wirkung wahrhaft großer Dichtung ( ) auf die Seele beschreibt (für die Bedeutung ‚werkimmanente ethische und moralische Integrität‘ vgl. 9.2, s.u.). Die mangelnde Integrität der Bühnenfiguren, die sich bei Phaedra besonders deutlich darin zeigt, daß sie ernsthaft weder nach seelisch-moralischer noch nach sozialer Integrität strebt, sondern gerade bei letzterer munter intratheatralisch schauspielert, ihre Kleinmütigkeit und ihre Diskontinuität (wie sie v.a. Theseus an den Tag legt) oder Exaltiertheit (so v.a. Hippolytus) rauben ihnen die Aura, die sie für die tragische Größe und für eine erhebende Wirkung auf die Rezipienten bräuchten. Ps.-Longin weist denn auch treffend darauf hin, daß Leidenschaft und Erhabenheit ( ) nicht immer zusammengingen, da es Formen der Erhabenheit ohne Leidenschaften und umgekehrt Leidenschaften ( ) gebe, denen keine Erhabenheit innewohne. Zu ihnen zählt er Jammer, Kummer und Ängste (8.2: ). 281 Erstere zeigt Theseus in reichlichem Maße und letztere die Amme. 274 Vgl. dazu Melanie Möller, Talis oratio - qualis vita. Zu Theorie und Praxis mimetischer Verfahren in der griechisch-römischen Literaturkritik. Teilw. zugl. Diss. Bielefeld 2002. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 113. Heidelberg 2004, 167-261. 275 2.12.1, 2.2.2, 9.28.5, 11.2, 12.24.3, 12.31.2. 276 1.18.22, 3.24.12, 4.1.71, 4.9.3, Ench. 19b.2. 277 Geert Roskam, On the Path to Virtue. The Stoic Doctrine of Moral Progress and its Reception in (Middle-)Platonism. Ancient and Medieval Philosophy De Wulf-Mansion Centre: Series 1, 33. Leuven 2005, 112-114. 278 Vgl. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 778 f. 279 . 280 Näheres s. 6.2 Das Verhältnis der Stoa zur Tragödie und zum Tragischen. 281 Bei den erst- und letztgenannten Termini ist der Gegensatz zu Aristoteles’ Rezeptionsästhetik der Tragödie markant. 7. Senecas 697 In der Frage der Figurenzeichnung und ihrer möglichen Wirkung läßt sich dagegen Ps.-Longins rezeptionsästhetisches Konzept der , das Schiesaro bemüht (2003: 231), m.E. nicht tel quel auf Senecas Dramen anwenden, da Ps.-Longin damit die Wirkung großer Literatur (so Schiesaro irreführend) bzw. der beschreibt (von „pleasurable excitement“, wie es Schiesaro in Anlehnung an De Lacy 1948: 270 formuliert, ist bei Ps.-Longin in dieser Passage allerdings nicht die Rede, allenfalls parallel zu von ). Es ist durchaus denkbar, daß die drameninterne Zeichnung des Verhaltens der Figuren als transgressiv, rasend und monströs beim Rezipienten Schauder und Entsetzen auslöst (auch wenn wir hier, Schiesaro folgend, wieder in den spekulativen Bereich der Emotionsästhetik geraten). Angesichts der Diskontinuität des Figurengebarens, die zu der drameninternen Distanzierung hinzukommt, und der disruptiven Sprunghaftigkeit der Handlung scheint es jedoch wahrscheinlicher, daß das Moment der Distanzierung, das der innewohnt, als innere Distanz zum dargestellten Geschehen und Befremden zutage tritt. Zu dieser bühnenpragmatischen Wirkung trägt eben die binnenpragmatische Diskrepanz zwischen Hippolytus’ und Theseus’ und Empörung über die ihnen verkündete Transgression bei. Wegen dieser zahlreichen Mittel der Distanzierung, zu denen auch die (Meta-)Theatralität der Selbstinszenierung des Dramas gehört, die für die Phaedra hier v.a. anhand des furors untersucht wurde und die auch Schiesaro v.a. unter dem Stichwort ‚Metadrama‘ herausarbeitet (2003: 13- 16, 36 f.), scheint es umgekehrt unwahrscheinlich, daß, wie Schiesaro anhand des drameninternen Künstlertums des Atreus in Senecas Thyestes nahelegt (2003: 127 f.), die Phaedra die ekstatisch-spontan mitreißende Wirkung entfaltet, die Ps.-Longin dem Erhabenen zuschreibt (1.4: ), dem gewiß bereits etymologisch ein transgressives Moment innewohnt, das sogar Senecas apollinisch-anagogischer Poetik entspricht. In 9.2 macht Ps.-Longin denn auch unmißverständlich klar, daß die Erhabenheit der Widerhall von Seelengröße sei ( ). Sie ist durchaus ethisch wie binnenpoetisch zu fassen. Denn nachfolgend wird das Verhalten einer Bühnenfigur (hier sogar das Schweigen des Aias in der odysseischen Nekyia [11.563]) als eingestuft und steht dabei in erhellendem Gegensatz zu den rezeptionsästhetisch kommentierenden Adjektiven und , welche dieses Gebaren charakterisieren. Das Beispiel setzt also in einer Minimalpaaropposition die klärende terminologische Antithese von stilkritisch-rezeptionsästhetischem / vs. ethisch-poetischem / - an dieser Stelle exakt fort. 282 Daß die in 7.3 stilkritisch-rezeptionsästhetisch ist, mag sie unter Berücksichtigung der vorliegenden Stelle stärker in eine literarische, produktionswie rezeptionsästhetische Semantik im Gegensatz zur rein ethischen drängen, ändert jedoch 282 Russells Kommentar vermerkt 89 a.l. nichts zur , bietet aber in der Paraphrase dieser Passage, die sich in der Inhaltsübersicht der Einleitung findet, unsere ethische Deutung. Er nennt nämlich „mind and character“ als Wege zu großen Gedanken und Gefühlen und paraphrasiert den Tenor der Passage (S. xiv f.): „It is the man of pride and greatness of mind who can alone give birth to greatness .“ 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 698 nichts an Ps.-Longins grundsätzlicher These, daß ethische und literarische Größe korrespondieren und erstgenannte wohl auch im Werk die unabdingbare Voraussetzung für letztere ist. Schiesaro blendet diese Verbindung von Ethik und Ästhetik gänzlich aus ( erscheint bei ihm nicht) und sieht den diskutierten Passus als Beleg seiner These, daß „the potentially disruptive force of poetic enthousiasmos“ nicht mit den stoischen Zielen einer moralisch instruktiven Dichtung vereinbar sei (2003: 128). Damit verkürzt er nicht nur Ps.- Longin, sondern läßt auch Senecas Unterscheidung zwischen dionysischer und apollinischer Dichtung sowie die distanzierende Faktur zumindest der Phaedra außer acht. Daß Schiesaro bei Seneca nicht theoretisch zwischen apollinisch erhebender Inspiration und dionysischem furor poeticus unterscheidet, 283 wirkt sich auch differenzannullierend auf seine Dramenanalyse aus. Bei ihr hebt er, auch wenn er an der zitierten Stelle vom „disruptive“ spricht, überwiegend auf das dramenschaffende Potential der Leidenschaften (2003: 13: „a connection between passions and poetic creation“) und des Dunklen, Bösen ab. Indes bestimmen diese das Innenleben betreffenden Faktoren (im Französischen könnte man wertneutral „le moral“ schreiben) im Falle der Phaedra nicht nur die Handlung und treiben sie voran, sondern zerstören auch generische Strukturen des dramatischen Kunstwerks wie die Stringenz der Handlung sowie die Konsistenz und Integrität der Figuren. Die Leidenschaft und das Böse bemächtigen sich der Figuren wie ein Virus der Zellen und breiten sich so im sozialen Organismus aus (vgl. Phaedras depravierenden Einfluß auf ihre Amme) und zerstören in einer dramatischen Arthrose die Gelenke der Handlung. Phaedras aus Euripides’ Stephanophoros (v. 176-197) 284 und Medea übernommene Liebesbzw. Leidenschaftskrankheit, die sich in kraftlosen, fast moribunden Bewegungen, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und Verlust der Gesichtsfarbe äußert (v. 367-376), ist dagegen auf eine Person beschränkt. Sie nimmt innerhalb der psychosomatischen und ethologischen Symptome (v. 360-383) eine geringe Stellung ein und ist das einzige faktische medizinische Moment des Dramas, auch im Zusammenhang mit dem furor. Senecas Drama schildert die Krankheit nach der Begegnung mit der Amme, während Euripides’ Tragödien mit ihr die Konflikt- und Figurenexposition bewerkstelligen. Dies bringt sie wie die szenensyntagmatisch ähnlich gelagerte Selbstmorddrohung, die auch auf den Widerstand reagiert, den die soziale Umwelt der Realisierung ihrer Begierde entgegenstellt, in den Ruch eines strategischen Manövers oder zumindest eines psychosomatischen Syndroms, das nicht wie in Euripides’ Hippolytos der eigenen, sondern der fremden Unterdrückung der Begierde geschuldet ist. Die Binnenhermeneutik des Dramas 283 Dieses Defizit im Verständnis von Senecas expliziter Poetik und seine Folgen für die Interpretation kann auch nicht durch Schiesaros gewiß nicht nur verdienstvolles, sondern überaus scharfsinniges Herauspräparieren einer impliziten Produktions- und Rezeptionsästhetik in den Dramen selbst wettgemacht werden, da er dabei verschiedene Stücke bemühen und die Ergebnisse austauschen muß, während die explizite Poetik für alle Dramen gleichermaßen gilt. 284 Zur vielseitigen Rolle von Krankheit, Ansteckung und Heilung in dieser Tragödie s. Robin Mitchell-Boyask, Plague and the Athenian Imagination. Drama, History, and the Cult of Asclepius. Cambridge 2008, 45-55. 7. Senecas 699 verzichtet auf die oben bemühten epidemologisch-nosologischen Metaphern, die der Devianz von der ethischen Norm eine Gewalt verleihen, die der Mensch nicht beeinflussen kann. Die Amme vergleicht vielmehr nur diagnostisch (v. 209-214, vgl. v. 137: regius tumor) oder therapeutisch das Leiden mit einer Krankheit und greift dabei gerade auf die Willensethik (v. 249: pars sanitatis velle sanari fuit) zurück. Die Wortwahl des Dramas und die Argumentation der Amme heben zusammengenommen also die Handlungsmöglichkeiten des Menschen gegenüber Leidenschaften und dem Bösen hervor. Dies wird noch dadurch verstärkt, daß die krankhafte Leidenschaft durchgehend (und auch an der letztzitierten Stelle, v. 248) mit dem furor als eine Devianz benannt wird, die im (und am) Menschen liegt. Die differenzierende, zur Reflexion anregende Darstellung der Phaedra zeigt sich auch bei dem Umgang mit den Göttern, auch mit Blick auf die stoische Orthodoxie. Schiesaros These, ein Hymnus wie derjenige des Kleanthes wäre für Seneca ein unverfänglicheres Stück stoischer Dichtung als ein Drama gewesen und dem Chor sowie dem satelles des Thyestes fehlten dichterische Glaubwürdigkeit und ethische Konsistenz (2003: 252 f.), trifft so nicht auf die Phaedra zu. Deren Chor formuliert, nachdem Theseus seinen Sohn Hippolytus wegen Phaedras Verleumdungen verflucht hat, mit aller Deutlichkeit das stoische Dilemma der Physidizee: 285 Die Natur überlasse, obwohl sie doch das Naturgeschehen durchwalte, die menschlichen Dinge dem Spiel der fortuna, 286 so daß der moralisch Verwerfliche über den Integren triumphiere (v. 959- 988). 287 Danach kündigt er in suggestiver Abfolge den Boten an, der die Nachricht von Hippolytus’ Tod bringt (v. 989 f.). 288 Der Eingang dieses Chorlieds (v. 959 f.: O magna parens, Natura, deum / tuque igniferi rector Olympi) mutet mit seiner Anrede der Natur und des Göttervaters Jupiter (wobei das Attribut igniferi die traditionelle Rolle des Blitzeschleuderers mit dem stoischen Philosophem des verbindet) wie eine Reminiszenz der Anfänge von Kleanthes’ Hymnus (SVF I 537) und seinem in iambischen Trimetern verfaßten Vierzeiler 285 Vgl. Verf. 2011/ 12: Bd. 1, 118. 286 Für Lefèvre 1981: 32 f. ist die fortuna in Senecas Dramen ohne Entsprechung in der attischen Tragödie und stoischen Philosophie, doch spielt sie in Senecas philosophischen Schriften als Kontingenz, die weder göttlichen noch menschlichen Ursprungs ist und damit die Theodizeefrage geschickt ausklammert, eine nicht unbedeutende Rolle (z.B. epist. 47,10), die am ehesten mit der hellenistischen zu vergleichen ist. 287 Diese Worte verurteilen Phaedra also ebenso klar, wie sie Hippolytus salvieren. Deshalb halte ich Lefèvres Deutung, das dritte Canticum beziehe sich auf Theseus, nachdem das erste von Amors Allmacht sich auf Phaedra und das zweite über die männliche Schönheit auf Hippolytus bezogen habe (1969: 158), zumindest für der Nuancierung bedürftig (z.B. statt des recht allgemeinen ‚sich auf jemanden beziehen‘, ‚jemanden als analytischen Schwerpunkt haben‘). Obwohl ich Dingels Skepsis (1974: 99) gegenüber Lefèvres These (1969: 155) teile, „daß Seneca die Deutung des Geschehens jeweils in den Chorliedern vorgetragen hat“, halte ich Lefèvres formale Beobachtung, die Cantica nähmen eine objektive Deutung vor und ließen die subjektiven Verfehlungen, die in den Dialogpartien entwickelt würden, außen vor (1969: 157 f.), für äußerst bedenkenswert. Kugelmeier 2007: 237 sieht denn auch in den Chorliedern „eine überpersönliche Reflexion über Themen und Motive des jeweiligen Stücks.“ 288 Diese Brücke schlägt auch Schmitz 1993: 161, die bei der Besprechung des Chorliedes das stoische Dilemma ausspart. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 700 (SVF I 527) an. 289 Diese Gedichte führen mit Ausnahme der Dinge, die schlechte Menschen aus Unvernunft verübten, alles Geschehen auf Gottes Wirken zurück (Hymnus v. 11-13) oder bezeichnen mangelnde Ergebenheit gegen die angeredeten göttlichen Mächte als moralisch verwerflich (Trimeter v. 4: ). Seneca selbst hat den iambischen Vierzeiler ins Lateinische über tragen (epist. 107,10 = SVF I 527) und sogar um einen fünften Vers ergänzt, der die Unausweichlichkeit des Schicksals betont (Ducunt volentem fata, nolentem trahunt). 290 Wegen des Kontrastes zwischen dem Chorlied und Kleanthes’ Dichtungen, den die offensichtlichen Eingangsparallelen noch betonen, könnte man auf den Gedanken verfallen, ersteres für eine Palinodie der letzteren zu halten. Diese Lesart greift gleichwohl zu kurz, da sie die dramatische Funktion und Einordnung des Chorlieds vernachlässigt. Dieses formuliert exakt aus stoischer Perspektive die Fragen, die sich aus dem vorangehenden Geschehen ergeben, und ist so ein hervorragendes dramaturgisches Mittel, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sie zu lenken - und die stoischen Antworten, die noch zahlreicher als die im Hymnus genannten sind. Seneca selbst vergleicht die Unannehmlichkeiten, mit denen Gott den Besten bedenke, mit schwierigen Missionen, die ein Feldherr auserwählten Soldaten auftrage: Wie diese seien sie als Auszeichnung zu verstehen (prov. 4,8). Der Rezipient wird so subtil zur Stoa hingeführt, statt platt indoktriniert zu werden. 291 Die Antworten zu nennen hätte dem Wesen und der Funktion eines Chorliedes als offenes Mittel der Rezeptionslenkung ebenso widersprochen wie die Fragen nicht aufzuwerfen. 292 Der stoische Charakter des Dramas bleibt in der Theodizeefrage gerade in bezug auf den furor auch dadurch gewahrt, daß Theseus in seiner Schlußklage o dira fata, numinum o saevus favor! (v. 1271) jammert, so die Lesart der Handschriftengruppe A. 293 Für sie entscheidet sich Zwierlein mit gutem Grund, da diese paradoxe Formulierung als lectio difficilior Theseus treffend darüber jam- 289 Die Kommentare von Coffey/ Mayer 172 a.l., Grimal 137 a.l. und Zwierlein 206 a.l. führen diese Parallele nicht auf. Nur Grimal erläutert die Adaptation stoischer Orthodoxie in diesen Versen. Zimmermann weist nach, daß die Rolle des Chores in Senecas Dramen den Forderungen in Horaz’ Ars poetica entspreche (1990: 205). 290 Zum Ursprung dieses Verses s. Verf. „Wie ein Hund an einem Wagen“ - Zum Urheber eines stoischen Vergleichs für die Schicksalsgebundenheit des Menschen. In: Sabine Harwardt und Johannes Schwind (Hgg.), Corona Coronaria. Festschrift für Hans-Otto Kröner zum 75. Geburtstag. Spudasmata 102. Hildesheim 2005, 409-423, h. 414 f. 291 Diese Möglichkeit, das dramatische und philosophische Werk zu artikulieren, ist selbstredend wesentlich differenzierter, weil sie einen (Sinn-)Zusammenhang schafft, als Dingels bloße Feststellung, das Drama verschweige die Antworten aus De providentia (1974: 99 f.). 292 Kirichenko 2013: 278 spricht den auch treffend als Ergebnis seiner Untersuchung zur Rolle des Chores bei Seneca (S. 249-279) von einem „Sinnentwurf“, der den disparaten Eindrücken der Dramen eine „einheitliche Bedeutung“ verleihe, dem zuzustimmen allerdings ganz beim Rezipienten liege. Seine Interpretation der Chorlieder der Phaedra berührt freilich das komplexe und problematische Verhältnis zur stoischen Orthodoxie nicht (S. 270). 293 Auch im Proömium von Aviens Aratea (v. 67) ist favor (so die einhellige Überlieferung) und furor (so Aldus’ Konjektur) in bezug auf die Götter (hier ihre dichterische Inspiration) textkritisch strittig, doch wird man sich hier mit guten Gründen für furor entscheiden (vgl. Verf., Übersetzung, philologischer Kommentar und vergleichende Interpretation des Tierkreises in Aviens Phaenomena (Verse 1014-1325) AKAN-Einzelschriften - Antike Naturwissenschaften und ihre Rezeption 9. Trier 2014, 113-115). 7. Senecas - 701 mern, sein göttlicher Vater habe seine Bitte gewährt (vgl. v. 1207), und faktisch doch seine eigene Voreiligkeit anprangern läßt. Dagegen ist die varia lectio des Etruscus saevus furor nicht nur redundant, sondern entbehrt auch dieser komplexeren dramatisch-ironischen Semantik. Theseus’ Schlußklage demaskiert auch das fatalistische Abschieben der Verantwortung an die fata als billige, nicht haltbare Rechtfertigung des eigenen Tuns, da der König sein Schicksal durch seine Leichtgläubigkeit selbst verschuldet hat. Sein Charakter wird hierdurch abschließend demontiert. Die Unhaltbarkeit des fatalistischen Einsatzes des stoischen Determinismus 294 zu apologetischen Zwecken macht die Amme in der Auseinandersetzung mit Phaedra deutlich (v. 143 f.): maius est monstro nefas: / nam monstra fato, moribus scelera imputes. Letztlich läßt auch Phaedras Wortwahl bei ihrem Selbstmord nur den Schluß zu, daß sie ihr Schicksal selbst bestimmt (v. 1183 f.: non licuit animos iungere, at certe licet / iunxisse fata). Der stoische Determinismus dient hier als Hintergrund, um ihre Rolle als intratheatralische Regisseurin abzugrenzen. Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, daß auch der Chor gerade bei der Theodizee nicht durchgehend als Vehikel philosophischer Problemsensibilisierung fungiert, sondern seine aus der attischen Tragödie bekannte, gattungsimmanente Polyphonie und Funktion als Instrument einer offenen Rezeptionslenkung wahrt. So singt er nach der Nachricht von Hippolytus’ Tod ein Lied, das auf die Korrelation von sozialer Exponiertheit und der Schwere der Schicksalsschläge hinweist, die durch personale oder personifizierte Mächte widerführen (v. 1124 f.). 295 Diesen Nexus verallgemeinert brev. 17,4: Omne enim quod fortuito obvenit instabile est, et quo altius surrexerit opportunius est in occasum. Damit greift der Chor eine Korrespondenz auf, die bereits die Amme moralisierend psychosozial ohne Rückgriff auf höhere Mächte formuliert hatte. Seine Argumentation ist noch stärker als diejenige der Amme populär und nicht genuin stoisch, aber auch nicht dezidiert antistoisch, wenn man bedenkt, daß die vermeintlichen Schicksalsschläge der Prüfung und Bewährung dienen, was in unserem übernächsten Abschnitt entwickelt werden soll. Der nicht antistoische und populäre Charakter geht daraus hervor, daß nur die Fortuna - und nicht die Gottheit wie in der diskutierten varia lectio von Theseus’ Klage (v. 1271) - wütet und daneben die Tätigkeit der Gottheit nur im Schlagen besteht (v. 1124 f.): minor in parvis Fortuna furit / leviusque ferit leviora deus; […]. Die Götter 294 Zum Problem von Determinismus und Willensfreiheit vgl. Garbarino 2001. 295 Lefèvre 1969: 159 bezieht strenggenommen auf diese Stelle die Argumentation der Amme, wenn er ihre Aussage darin sieht, „daß der einzelne desto leichter fehle, je höher seine soziale Stellung ist.“ Daß es sich hierbei um eine stoische Maxime handele und daß Seneca sie „auch sonst in seinen Tragödien populär ausgeführt“ habe, wird durch die beiden Stellen aus dem Thyestes, die Lefèvre anführt, nicht gestützt. In v. 339-343 wirft der Chor gemäß der stoischen Umdeutung der Königswürde als Attribut des Weisen den beiden sich streitenden Brüdern furor, verbrecherische Konkurrenz um die Königswürde und Unkenntnis von deren wahrem Ort vor, in v. 446-470 kontrastiert Thyest das sorgenfreie Königtum in Armut mit dem sorgenvollen und der durch äußere Güter geweckten Begierde. Die Korrelation von Macht, Reichtum und Übeln unterscheidet sich also doch zwischen den beiden Dramen und an den einzelnen Stellen erheblich. 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 702 des Volksglaubens und dessen Vorstellungen wurden von der stoischen Theologie ja auch allegorisch-subsumtiv integriert. 296 Noch weniger als die theologischen Äußerungen des Chores lassen sich die Götteranrufungen der Dramenfiguren als Widerrufung oder Demontage der stoischen Theologie auffassen. Sie müssen vielmehr als Teil der distanzierenden Dramaturgie verstanden werden, die auch mit der charakterlichen und ethischen Entkernung dieser Figuren operiert, was auch konkret bei ihrer Götteranrufung der Fall ist. Gewiß, die Götter werden nicht nur in den Reflexionen des Chores, sondern auch in den Anrufungen der Bühnenfiguren wie im Schlußdisput in Euripides’ Medea zu reinen Gegenständen des Bühnendiskurses. Wenn Lefèvre davon spricht, Seneca habe die Götter aus dem Stück verbannt (1969: 139, vgl. 152), oder die Götter diese (dramatische) Welt bei Seneca aufgeben läßt (1981: 35), 297 so übersieht er die Dramenfiguren als entscheidendes Agens. Daß vielmehr sie die Götter verbannt oder von den suprasystemischen Subjekten der attischen Tragödie zu rhetorischen und praktischen Manipulationsobjekten herabgewürdigt haben, ist Teil der Transgressivität und fehlenden moralischen Integrität der Dramenfiguren sowie des ästhetisch Bösen in Senecas Dramen. Wie sehr die Götter und ihr dramatisches Wirken von der menschlichen Rede abhängen, zeigt Theseus’ Fluch: Eine dramenpraktische Realität erlangen sie (anders als im Schlußdisput der Medea) allein dadurch, daß Neptun Theseus’ Gebet erhört und dessen Sohn eliminiert. Dieser Kausalzusammenhang hat mit der stoischen Vorsehung nichts zu tun, da er einen einzelnen Volksgott betrifft und durch den tradierten Dramenstoff vorgegeben ist. Der Letztverantwortliche und Auslöser der Katastrophe ist Theseus, der sich allzu leicht von Phaedras Intrige hat täuschen lassen. Wegen dieser Handlungskonstellation läuft Dingels binnenhermeneutischer Einwand gegen Lefèvres berechtigte Einstufung der Phaedra als „eine ‚Tragödie des Zorns‘“ (1969: 144), 298 Theseus mache seinem 296 S. Jean-Joël Duhot, Épictète et la sagesse stoïcienne. Paris 1996, 83-89 und Robert Muller, Les stoïciens. La liberté et l’ordre du monde. Paris 2006, 104-106. Seneca kritisierte die dichterischen Mythen über die Götter als fiktiv und deutete die traditionellen Epitheta der Götter im stoischen Sinne um (Wildberger 2006: Bd. 1, 30-37). Dieses Profil paßt exakt zur hier beobachteten Distanz zur tradierten Fiktion und zum hier herausgearbeiteten Umschreiben des dramatischen Mythos in eine stoakompatible Form. 297 „The gods have abandoned this world, […].“ Das Hesiodeische Motiv der Schlechtigkeit, deretwegen Aidos und Nemesis die Welt im eisernen Zeitalter verlassen (Op. 197-201), klingt in dieser Formulierung nur an. 298 Lefèvre überträgt hier (vgl. sein wörtliches Zitat [1969: 140]) Gregor Maurachs Einstufung der Medea als eine „Tragödie des Zorns“ (Iason und Medea bei Seneca. Antike und Abendland 12 (1966) 125-140, h. 126) auf ihr Schwesterstück. Maurach arbeitet an dieser Stelle treffend heraus, daß Medeas Zorn nach der Psychologie gestaltet ist, die De ira entwickelt. Wenn er, genauer als Lefèvre gelesen, feststellt, Seneca habe „seine Medea zu einer Tragödie des Zorns gemacht [Hervorheb. v. mir]“, weil (anders als in Euripides’ Medea, so mein Hinweis) der Zorn Unmögliches verlange (v. 32-39, De ira 1,3,2) und Himmel und Erde affiziere (v. 46 f. [tremenda caelo pariter ac terris mala / mens intus agitat], De ira 2,35,5 [terras maria caelum ruere cupientem]), so zeigt das Schwesterstück, daß die stoische Philosophie dazu dient, den transgressiven Affekt ästhetisch-poetisch auszugestalten. Maurachs Hinweis auf De ira 2,35,5 ist dabei besonders aufschlußreich, weil Seneca dort die Schilderung infernalischer Ungeheuer durch die Dichter heranzieht, um das Wüten der ira zu vergegenwärtigen (talem nobis iram fi- 7. Senecas 703 göttlichen Vater wegen der Erfüllung seiner Bitte Vorwürfe (1974: 98), ins Leere. Die Diskrepanz zwischen realer Kausalität und Schuldzuweisung diskreditiert die Figur des Theseus als leichtgläubig, ohne letztliche Einsicht und jemanden, der den Göttern Vorwürfe macht. Dies war bei Epiktet (3.10.13, Ench. 1.3, Gnom. C 14 & 53) und Mark Aurel (6.41.1, 6.16.9, 8.17.1 f.) als Fehlverhalten kanonisiert, während Seneca nur von Vorwürfen gegen die Natur (epist. 107,9; vgl. M. Ant. 9.1.6) und das Schicksal (tran. 2,11; 11,2; vit. beat. 15,4; epist. 93,1; 120,12) abrät. Während Theseus nur intellektuelle Schwäche zeigt, da er leichtgläubig und nachträglich uneinsichtig agiert, liefert Phaedras Meineid bei Jupiter und Sol, mit dem sie den Vergewaltigungsvorwurf gegen ihren Stiefsohn einleitet (v. 888 f.), den primären dramenkausalen Anstoß zu Theseus’ geschildertem Fehlverhalten. Während Phaedras transgressiver furor also auch bei den Götteranrufungen das dominante Dramenmoment bleibt, desavouieren die Götteranrufungen, welche die empörten Deklamationen des Hippolytus (v. 671-681) und seines Vaters (v. 903-905) einleiten, nachdem Phaedra die Transgression mitgeteilt hat, die betreffenden Männer als handlungsschwach und rein reaktiv gegenüber Phaedra: Während Theseus ihr Glauben schenkt und im Sinne ihrer Denunziation (nicht ihrer transgressiven Libido) aktiv wird, bittet sein Sohn den Sonnengott und Jupiter um die eliminatorische Sanktion der Transgression, die er dann überraschend auf sich lenkt, später selbst an Phaedra vollziehen will, um dann unter Zurücklassung seines befleckten Schwertes zu fliehen (v. 671-718). Die Götteranrufungen sind also ein hervorragendes Mittel, um die Charakterisierung der Figuren als dynamisches Subjekt der Transgression oder deren reaktiv-inertes Objekt fortzuführen. Eine Antwort auf die Frage, warum dem Tugendhaften Schicksalsschläge widerführen, inszeniert der weitere Dramenverlauf. Nach Seneca ergötzen (prov. 2,11: gaudium) sich die Götter am Anblick eines tüchtigen Menschen, der sich tapfer gegen die Widrigkeiten trotz aussichtsloser Situation wehrt (hier bemüht Seneca in - man möchte sagen: dramatischer - Schilderung das Ende von Cato Uticensis). Als Analogie bemüht er die Menschen, die am Anblick eines Jünglings, der tapfer gegen wilde Tiere kämpft, Vergnügen (prov. 2,8: voluptas) empfinden (prov. 2,8-11). Hier gebraucht der Dialogsprecher die anthropologisch-universelle erste Person Plural, schließt also sich und den Adressaten in die Gesamtheit der Menschheit ein. Für unsere theatralische Fragestellung ist besonders relevant, daß Seneca bei der vergnüglichen Schau sowohl der Götter wie der Menschen von spectaculum spricht (prov. 2,8 f.). 299 Eben ein solches Schauspiel bietet die Schilderung von Hippolytus’ Tod, der sich unerschrocken gegen das Ungeheuer zur Wehr setzt (v. 1054-56, 1064-1067), obwohl diese Gegenwehr wie bei Cato aussichtslos und zum Scheitern verdammt ist. Sein Widerstand darf dabei nicht als frevlerische Theomachie mißverstanden werden, guremus), also in Zusammenschau der beiden Stellen die Dichtung poetologisch explizit als Illustration seiner Affekttheorie nutzt. 299 Kirichenko spricht deshalb zu Recht bei dieser Stelle von „theatrum mundi“ (Kurs. im Orig.)(2013: 241). 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 704 vielmehr ist der Kampf gegen ein gottgesandtes Ungeheuer das Merkmal eines Gottes (man denke an Apolls Tötung des Python) oder Helden (so bei Herakles bereits in der Wiege). Zudem ist das Ungeheuer keine verdiente Strafe, vielmehr beruht sein Auftreten auf dem Irrtum seines Vaters, den Phaedra getäuscht hat. Auch die Deutung, daß Hippolytus hier wie gegenüber Phaedra abermals sein Starrsinn ins Verderben stürze, greift nur bedingt. Denn dieser war dort am Platze, da gegen eine Transgression gerichtet. Es ist fast ein tragisches, an Oidipus’ Flucht vor dem Orakel erinnerndes Paradoxon, daß die Abwehr dieser monströsen Transgression (v. 688) ihn in die Eliminierung durch ein Monstrum führt. Es ist wohl kein Zufall, daß die Ästhetik des Schreckens und des Traurig- Schönen, die sich im Preis von Hippolytus’ Schönheit und in der Warnung vor deren ambivalenter Gefährlichkeit durch den Chor (v. 741-823, v. 761: Anceps forma bonum mortalibus, v. 820 f.: Raris forma viris (saecula perspice) impunita fuit.) und in der eindrucksvollen Schilderung von deren Zerstörung im Botenbericht (v. 1093-1096, 1110-1114) äußert, bei Hippolytus zum Tragen kommt, reift er doch im Verlaufe des Dramas trotz fortbestehender und weiterer Fehler zu einer gewissen charakterlichen Statur heran, da er als einzige Bühnenfigur sich nicht von Phaedras Transgression kompromittieren läßt. In einem größeren Rahmen zeigt sich hier, daß die Voraussetzung für den ästhetischen Genuß erst dadurch geschaffen wird, daß eine vielseitig distanzierende Darstellung die Kontagiosität des emotionalen und transgressiven Verhaltens der Bühnenfiguren sterilisiert. Denn was einen moralisch nicht affiziert, weil es sich als Fiktion und im Leben nicht vertretbares Verhalten zu erkennen gibt, das kann man trotz aller ihm innewohnenden Verworfenheit getrost als Spiel mit dieser und Kunst genießen. Eine ethische und eine ästhetische Lektüre schließen einander im Falle der Phaedra also nicht aus, wie Bohrer dies für die attische Tragödie zu zeigen versucht, sondern bedingen einander. Einen synoptischen Hinweis auf die Ästhetik der Zerstörung bietet auch der Gebrauch von artifex, dem gleichzeitig eine metatheatralische Bedeutung zukommt. In v. 559 sagte Hippolytus selbst: Sed dux malorum femina: haec scelerum artifex, ohne in tragischer Ironie zu wissen, daß sich dieses pauschale Negativurteil im Drama durch das Komplott von Phaedra und ihrer Amme an ihm selbst bewahrheiten würde. Nach seinem Tod schilt Theseus sich einen crudus et leti artifex (v. 1220). Damit sind die drei für Hippolytus’ schaurig-schönen Tod (v. 1246: dispersa foede membra) verantwortlichen Figuren als Künstler benannt und dieser implizit auch produktionsästhetisch zum dramengenerierten Ästhetikum verklärt. Dieses unfreiwillige und teils dramatisch alludierte, teils später reuevoll erkannte Künstlertum unterscheidet sich jedoch von der gezielt agierenden Künstler-Kriminellen Medea, die ihr intratheatralisches Künstlertum unreflektiert und unkommentiert parallel zu den Transgressionen performiert. Erst post festum bzw. post mortem tritt das destruktive Künstlertum ins Bewußtsein, wenn Phaedra Hippolytus’ Leichenteile anredet (v. 1168 f.): tales intuor vultus tuos / talesque feci? Die Künstlerin betrachtet damit ihr Werk, die Optik wird zu einem Modus der Aisthetik. Dieses aktiv-prononcierte Künstler-Kriminellentum ist ein entscheidender Unterschied zur psychotherapeutischen Szene 7. Senecas 705 zwischen Agaue und Kadmos (für diese s. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung in der Bakchen-Interpretation), die Kirichenko als Parallele für die Erkenntnis heranzieht, zu welcher der schockierende Anblick des toten Sohnes in beiden Fällen verhelfe (2013: 44). Diese kognitive Funktion des schrecklichen Anblicks ist eine grundsätzlich richtige Beobachtung und wertvolle Ergänzung der optischen Funktion, welche die vorliegende Interpretation herausgearbeitet hat. Ungeschickt formuliert Kirichenko dagegen den Gegenstand der Erkenntnis (2013: 44): „Es ist dagegen in erster Linie der unerträgliche visuelle Schock, durch den sie [sc. Phaedra] sich ihrer Schuld bewusst wird […].“ „Schuld“ ist schließlich ein viel zu moralisch-christlich geprägter Ausdruck. Besser wäre ‚Untat‘. Die Unterschiede der beiden Szenen offenbart auch ein Blick auf die genauen Formulierungen: Agaue identifiziert nüchtern in einem Aussagesatz den Kopf ihres Sohnes (v. 1284: ’ ), Phaedra fragt ungläubig, ob sie seine Gesichtszüge in den aktuellen Zustand versetzt habe. Das aktive Künstler-Kriminellentum lexikalisiert sich dabei an dem von Phaedra gebrauchten feci, das als semantisches Äquivalent von fungiert. Das Prononcierte zeigt sich in der ungläubigen Frage, welche, auch wenn sie paradoxerweise wegen ihres rhetorischen Charakters intensive Reue erkennen läßt, die eigene, seit Beginn des Dramas aktive, alleinige Täterschaft (vgl. feci) hypothetisch noch zur Disposition stellt (vgl. die unmittelbar vorangehenden Vorwürfe an Theseus, die ihn für Hippolytus’ Tod verantwortlich machen [v. 1164-67]), aber auch an der Anapher von tales, deren Abheben auf die Gestalt sich rein auf der theoretisch-ästhetischen Ebene mit einem formalistischen Kunstverständnis korrelieren läßt. Das dramatisch-optische Künstlertum geht also mit einer künstlerischen, fast gekünstelten sprachlichen Gestaltung einher, die in doppelter Hinsicht rhetorisch ist. Bei Agaue geht es nur um das Wer? des Opfers, bei Phaedra um dessen Wie? und v.a. den eigenen Tatanteil dieser Zustandsveränderung, das Was? Zudem wird Agaue von Kadmos aufgeklärt, der ihren erkennenden Blick (v. 1280: ) lenkt (v. 1279: , v. 1281: ), während Phaedra sich selbst aufklärt. Dabei muß man gegen Kirichenkos Parallele festhalten, daß er aufgrund einer Fehlinterpretation von v. 174-177 (s. 7.2.3 Phaedra und die Amme) davon ausgeht, Phaedra verwechsele Hippolytus mit dem Minotaurus und erkenne nun ihren Irrtum, was er für eine Parallele zu Agaue hält, die nun auch erkenne, daß sie nicht den Kopf eines Löwen, sondern ihres Sohnes in den Händen hält (2013: 44). Der Umfang von Phaedras Erkenntnis wird damit größer, als er eigentlich ist. Theseus kehrt dagegen am Dramenschluß Phaedras Werk um, indem er Hippolytus’ Leib wieder erschafft (v. 1264 f.: dum membra nato genitor adnumerat suo / corpusque fingit). Dessen Zerstückelung und Wiederzusammenfügung sind also beide ein künstlerisches Werk. Sein wie eine Statue bewegungsloser Leib ist das Kunstwerk, das als materiales Ergebnis das dramatische Kunstwerk geschaffen hat. Die transgressive dramatische Handlung hat Hippolytus dabei die Beweglichkeit geraubt, die er durch seine überstürzte Flucht unter Beweis gestellt hatte. Dies geschah syntagmatisch-dramensemiotisch suggestiv vor dem Chorlied, das ihm eine größere Schönheit bereits explizit durch den Vergleich 7.5 Metatheater, fehlende Tragik und die Dramaturgie der Distanzierung in der 706 mit einer Statue in Aussicht gestellt hatte, wenn er weniger Kälte und Sonne ausgesetzt sein sollte (v. 797: lucebit Pario marmore clarius). Racines Hippolyte wird auch durch die Transgression zur Statue, allerdings nur in seiner versteinerten Reaktion auf Phèdres transgressive verbale Offenbarung (v. 704-711, 716). 300 In diesem Gegensatz von realer und verbal-psychischer Verwandlung in eine Statue mag man ein weiteres Indiz für den Unterschied zwischen barocker und klassischer Dramaturgie erblicken. Die Auseinandersetzung mit Schiesaros These zeigt also an der Phaedra, mit welch subtiler Finesse Seneca in diesem Stück dramaturgische und intertextuelle Techniken, auch der Distanzierung und Problematisierung in den Dienst stoizierender Persuasion stellt. Die Struktur und Aussage des Kunstwerks drängen sich nicht explizit auf, sondern erschließen sich dem Rezipienten nur durch Reflexion, zu der die distanzierende Struktur ihn einlädt. 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 7.6.1 Fazit Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn 301 bietet ein Modell, um die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten von Senecas Phaedra zu systematisieren, ohne damit allerdings ein Urteil über die Hierarchie ihrer Wertigkeit oder überhaupt ihre Gültigkeit zu implizieren. Der philologisch abgesicherte Literalsinn ist auch bei dieser Dichtung das unabdingbare Fundament der drei abstrakteren Interpretationen. Der allegorische Sinn, der das Stück als Schlüsseldrama liest, bleibt ebenso fragwürdig wie der historisierende Bezug auf konkrete Verhaltensweisen einzelner zeitgenössischer Mitglieder des Kaiserhauses. Der tropologische Sinn einer moralischen Besserung des Rezipienten funktioniert dagegen anagogisch über das mantisch-apollinische Poetologem. Bei ihm transzendiert der Adressat mit Hilfe seines göttlichen Logos reflexiv die Leidenschaftlichkeit und Verworfenheit, welche die Figuren nach dem vordergründigen Schriftsinn zeigen, anhand der distanzierenden Faktur des Dramas und gelangt so zur Einsicht in die stoische Weltsicht sowie die Heilsamkeit und Notwendigkeit der stoischen Moral. Diese Wirkung entfaltet das Stück also nicht at face value. Denn Senecas Phaedra ist weder eine Schicksals- oder virtus-Tragödie noch ein simples Lehrstück stoischer Ethik oder ein „Widerruf der stoischen Philosophie“. 302 Die Zeichnung der Bühnenfiguren als Menschen, die keine stoischen - für tugendhaftes Verhalten sind, sondern Leidenschaften und Lastern verfallen, widerspricht keinesfalls der stoischen Orthodoxie. Sie ist vielmehr in einem dramatischen anthropologischen Realismus mit der stoischen These kon- 300 Grünnagel 2010: 298. 301 Vgl. dazu und zu seiner Aktualität für die gegenwärtige Hermeneutik Horst-Jürgen Gerigk, Lesen und Interpretieren. Göttingen 2002, 119-134. 302 So Dingels Schlußwort (1974: 134). 7. Senecas 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 707 form, die meisten Menschen seien Toren und in Leidenschaften und Lastern befangen. Die philosophischen Schriften zeigen den Menschen individuell und idealtypisch (Struktur), wie er sein kann und sein soll, die dramatischen Werke präsentieren ihn in seiner gesellschaftlichen Verderbtheit vor der philosophischen Läuterung (Phaedra), welche die Amme vergeblich versucht, oder als Radikalisierer philosophischer Ansichten (Hippolytus), also strukturalistisch gesprochen in der Konjunktur. Man sollte allerdings trotz aller unverkennbaren Übereinstimmungen v.a. zwischen der Affektenlehre von Senecas moralischen Schriften und der Psychologie des Dramas dessen vermeintlichen stoischen Realismus, der theoretisch durch den relativ geringen Differenzierungs- und Problematisierungsgrad der stoischen -Konzeption - zumindest in den wenigen erhaltenen Zeugnissen - gestützt wird, 303 nicht überbewerten, indem man es zu sehr als naturalistisches Gesellschaftsdrama deutet. Dies zöge einen anthropologischen Pessimismus nach sich, der im Widerspruch zum auch von Seneca vertretenen Tugendoptimismus der stoischen Oikeiosislehre (benef. 3,18,2: Nulli praeclusa virtus est; omnibus patet, omnes admittit.) und zu Senecas moralphilosophischer Psychagogie stünde. Doch dieser Widerspruch zwischen moralphilosophischem und dramatischem Werk vernachlässigt dessen fiktive Dimension und den daran geknüpften experimentellen Charakter: Die Schurken, die Seneca auf die Bühne bringt, existieren tatsächlich nur in seiner dramatischen Fiktion. Lefèvres Befund, „daß Seneca seine Tragödien als exempla verstanden wissen wollte“ 304 und „in seinen Dramen sowohl positive wie - vor allem - negative Beispiele menschlichen Verhaltens [gebe]“ (1969: 132), ist also in seinem ethisch-positiven Teil zu falsifizieren (so implizit Lefèvre 2002: 105) und in seinem negativen zu differenzieren (dies betrifft das Verhältnis von dramatisch Besonderem und allgemeiner außerdramatischer Referenz 305 ): Dramenfiguren werden vor dem Hintergrund der stoischen Philosophie zu singulären Schurken stilisiert, in denen sich die Verworfenheit essentiell im szenisch-fiktiven Raum kondensiert. Erst so wird sie exemplarisch für die außerdramatische ethische Unzulänglichkeit, die nach stoischer Auffassung in der Lebenswelt in verdünnter Form allgegenwärtig ist und die das moralphilosophische Werk beschreibt und bekämpft. In den einzelnen Gattungen von Senecas Werk läßt sich also die stoische Philosophie in unterschiedlicher Weise feststellen. Dies zeigt sich nicht nur auf der inhaltlichen, sondern auch der formalen Seite: Seine Psychagogie setzt in 303 S. dazu Stephen Halliwell, The Aesthetics of Mimesis. Ancient Texts and Modern Problems. Princeton 2002, 265-277, vgl. dessen ernüchterndes Schlußwort über das geringe Innovationspotential des stoischen Monolithismus (S. 276 f.). 304 Hierfür beruft er sich auf Kurt von Fritz, Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen. Berlin 1962, 23-29, v. a. S. 24-26. 305 Lefèvre 1969: 155: „[W]eder Phaedras Schicksal noch das der anderen Hauptfiguren [soll] individuell gesehen werden […], sondern [ist] - aus stoischer Sicht - repräsentativ für das Tun und Leiden der Menschen zu verstehen […].“ Besonders bedenklich und nachgerade eine Verkehrung des stoischen Denkens, die der Stoßrichtung von Lefèvres eigener Argumentation zuwiderläuft, scheint die anthropologisch-fatalistische Quintessenz, die er, ausgehend von der objektiven Deutung in den Chorliedern für alle Menschen, daran knüpft (1969: 159): „So schwach ist der Mensch, daß er praktisch nicht anders handeln kann.“ 708 den philosophischen Schriften Intimität ein, im Theater verwendet sie - entsprechend dessen Gattungscharakter als Schau-Spiel - die Distanzierung. Es besteht also keine explizite humanistische Korrespondenz zwischen theoretischem und dramatischem Werk. Dies unterscheidet Seneca von Schiller und Lessing, der im Laokoon nicht nur den Gedanken entwickelt, das Mitleiden sei die Folge der Darstellung (Lessing nennt als deren Gegenstände körperliches Leiden von Menschen) in bildender 306 und sprachlicher Kunst, 307 sondern überdies bemerkt, eine stoische Haltung sei zu einer solchen ethischen Ästhetik mangelhaft geeignet. 308 Die philosophisch-ethische und ästhetische Lektüre schließen sich wiederum keinesfalls so kategorisch gegenseitig aus, wie Dingel und letztlich auch Schiesaro annehmen. Vielmehr dient die stoische Moralphilosophie der Abgrenzung des Bösen im fiktionalen Raum, da die Bühnenfiguren der Phaedra nicht bloß von ihr abweichen, sondern deren Gegenteil praktizieren und sie teilweise sogar pervertieren. Ihr pseudostoisches Verhalten destruiert die Bühnenfiguren selbst und nicht auf der Ebene der Gesamtanlage von Senecas Œuvre die stoische Philosophie. Sie verleihen deshalb dem Stück kein antistoisches Gepräge, sondern konstruieren, indem sie das Gegenteil der stoischen Ethik dezisionistisch bejahen, das Böse als ästhetischen Habitus. Die stoische These, der Mensch sei für seine Leidenschaften und Taten selbst verantwortlich, die in dem Drama durch Anklänge an Senecas Willensethik hervortritt, ist somit der ideale, fast in Abgrenzung von der Tragik der attischen Tragödie unabdingbare Hintergrund für die souveräne (Selbst-)Konstruktion der Figuren als ethisch wie ästhetisch böse. Lefèvre hat diese Rolle der stoischen Philosophie als Diagnostikum für das ästhetisch Böse bereits 1981, 309 von Schiesaro unbeachtet, anhand der Abwesenheit der Götter und der Perversion von (Opfer-)Riten ebenso konzise wie luzide herausgearbeitet und auch schon die semiotische Dimension dieses Vorgangs erkannt, welcher die Grundlage für die semiogenetische Neubeschreibung bildet (1981: 35: „That is the estheticism of terror, the seeming bestowal of significance on the meaningless.“). Die Möglichkeit einer ethischen Lektüre ist in die Offenheit eingeschrieben, welche dieses Kunstwerk auszeichnet und seinen Status als solches wahrt. Kunst und Ethik stehen also nicht im Widerspruch, sondern bedingen und fördern einander. Die Offenheit besteht darin, daß die Gestaltung des Dramas selbst einem philosophisch ungebildeten Rezipienten bereits eine kritische Distanz zum Handeln der Figuren nahelegt und ein Kenner der stoischen Lehre zum Weiterdenken des Dramas in deren Sinne eingeladen wird. Einem proficiens schließlich führt das dramatische Scheitern stoischer Ethik vor Augen, daß deren Realisierung von der Anstrengung des einzelnen abhängt. Diese Lektüre wird durch die Parallelität der spontanen Seelenregungen voluntas und furor nahegelegt, deren eine die Willensethik repräsentiert, bei der es dezisionistisch auf die Entschei- 306 Sämtliche Schriften. Hg. v. Karl Lachmann und Franz Munkner. Bd. 9, Stuttgart 3 1893, S. 17 Z. 5-18. 307 Sämtliche Schriften. Bd. 9, S. 27 Z. 12 - S. 28 Z. 13. 308 Sämtliche Schriften. Bd. 9, S. 10 Z. 15 f.: „Alles Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmäßig, welches der interessirende Gegenstand äussert.“ 309 Wiederaufgegriffen und vertieft in Lefèvre 2002: 105-116. 7. Senecas 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 709 dung zum Guten ankommt, und deren andere das Resultat und Merkmal der widerstandslosen Hingabe an die Leidenschaft ist. Denn die Transgressivität, die Phaedra innerhalb des Dramas an den Tag legt, ist pure Dezision, die Figuren dieses Stückes spielen souverän mit den gesellschaftlichen Normen und dramatischen Strukturen. Die Gestaltung des furors als Leitmotiv und Handlungsmotor in der Figur der handlungsdominierenden Titelheldin Phaedra weist eindeutig, gerade im Vergleich mit attischen Vorgängertragödien, stoische Züge auf. Durch diese verlieren die Figuren gegenüber der attischen Tragödie einen Großteil ihrer Opazität und Legitimität. 310 Die Desubjektivierung im furor ist nicht tragisch, da tendenziell zumindest fahrlässig selbstverschuldet. Erst recht fehlen konfligierende Integritäten, welche die höchste Stufe der Tragik darstellen und für die Tragik der attischen Tragödie charakteristisch sind. Dies ist kein geistes- oder literaturgeschichtlicher Rückschritt oder Verfall, den der stoische Rigorismus als Radikalisierer des sokratischen Intellektualismus verursacht hätte, sondern vielmehr eine Überwindung und Überbietung der attischen Tragik unter stoischen Prämissen. Daß die Phaedra nicht bloß eine Posttragödie oder posttragisch, sondern eine Metatragödie ist, geht aus der intensiven interdramatischen Referenz auf die beiden euripideischen Bearbeitungen des Phädra-Hippolyt-Stoffes hervor. Sie zeigt, daß traditionelle Tragödien- und Tragikelemente wie der Götterzorn in die Figurenrhetorik verlegt wurden, und trägt dadurch zur Zeichnung der Protagonistin als ästhetisch böse bei. 311 Das ästhetisch Böse, das auf dem irrationalen und innerdramatisch auch irreduziblen furor beruht, ist trotz früherer Ansätze bei Euripides ein (stoisches) Novum und mit der Tragik unvereinbar, die auf handlungsstruktureller Desubjektivierung und dabei konkret auf strukturell aporetischen Konflikten etwa bei der Integritätswahrung beruht. Indem er traditionelle aporetische Konflikte aushebelt und die Transgression irrational generiert, ist der furor metatragisch. Dazu trägt auch die teilweise bejahte und präsentierte Desubjektivierung bei, die mit ihm einhergeht. Da der furor zusätzlich (anders als in Euripides’ Bakchen, wo Rasen und Verblendung entsprechend dem klassischen Motivinventar der Tragödie eine göttliche Sanktion für die religiöse Transgression sind und nicht wie in der Phaedra mit der Transgression zusammenfallen) in der Figur der Phaedra mänadische Züge hat, wird er überdies zum Träger von Metatragödienzügen. Daß die Handlungsmotivation der Figuren als nicht überzeugend gezeichnet ist, sondern auf arbiträrer Dezision zu beruhen scheint, führt ebenso wie die Sprunghaftigkeit der Figurenrede und des Dramengeschehens zur inneren Fragmentierung des Dramas und schafft für die Rezeption eine Distanz zum Dargestellten statt eines identifikatorischen Sogs. Dies trägt zur Offenheit des dramati- 310 Ebenso hat bereits Lefèvre1969: 132 f. darauf hingewiesen, daß Senecas Tragödien durch ihren stoischen Charakter nicht mit den aus der attischen Tragödie bekannten Kriterien „wie Einheit und Folgerichtigkeit von Komposition, Handlung oder Charakter zu verstehen“ seien. 311 Unabhängig von dieser präzisen interdramatischen Referenz tritt bereits rein komparatistisch besonders im Verhältnis zu den anderen Bearbeitungen des Phädra-Stoffes, die alle zumindest Phädras Bild gezielt aufhellen (so Euripides durch seine dramatische Palinodie und Racine im Vergleich zu den Vorgängern trotz seines aristotelisierenden Anspruchs in der Préface), hervor, daß Seneca die Charaktere negativ zeichnet. 710 schen Kunstwerks bei. Sie und die Distanzierung werden durch metatheatralische Elemente verstärkt, wozu teils auch die dionysische Poetik des furors zählt, die aus der besagten Parallelisierung von Phaedras furor-geleitetem Handeln mit demjenigen einer Mänade erwächst. Die Metatheatralität und das Intratheater sind in diesem Drama besonders an die Dramatik und ostentative Theatralität der Figuren geknüpft. Daß diese tief in den Dramentext eingeschrieben ist, scheint mir die Frage nach der tatsächlichen oder intendierten Aufführung bzw. Aufführbarkeit von Senecas Dramen 312 zu relativieren, auch wenn Kugelmeier den Rezitationscharakter mit der disparaten und hier als distanzierend gedeuteten Textfaktur harmonisieren kann. Er legt nämlich überzeugend dar, daß der Aufbruch traditioneller Dramenstrukturen mit dem Rezitationscharakter zusammenpaßt. Durch ihn erlange das dramatische Wort eine poetische Suggestivkraft, die über die „innere Vergegenwärtigung“ ein Bild vor dem inneren Auge des Rezipienten erzeuge (2007: 234-236). Wie immer man im einzelnen das Verhältnis dieser „warmen“ poetischen Gestaltung zur distanzierenden Kryonik austariert, mit der Senecas Dramaturgie und Rezeptionsästhetik funktional dasselbe Verfahren wie die vorliegende Arbeit mit ihrer strukturalistischen Wer ästhetik anwendet (s. 2.1.3 Produktions- und Rezeptionsästhetik in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung), so läßt sich doch festhalten, daß diese Suggestivkraft des Wortes sich exakt mit der psychagogischen Endwirkung deckt, welche diese Untersuchung als seelenbildendes Ergebnis einer reflexiven Rezeption des Dramas annimmt. Immerhin scheint es Senecas Dramen eigen zu sein, Gegensätzliches, ja Widersprüchliches zu integrieren, wenn auch vielleicht nicht unbedingt zu einem einheitlichen Ganzen zu verschmelzen, das den Ansprüchen einer klassischen Ästhetik genügt. Bereits der furor zerlegte Figuren und Handlung und hielt sie dennoch durch sein Durchwalten zusammen. Ähnlich schaffen die Integration von Gattungen und die Berücksichtigung der eklektizistischen Aufführungspraxis bei der (De-)Komposition des Dramas ein „literarisches Gesamtkunstwerk“ (Zimmermann 1990: 212 f.) und lassen trotzdem nicht das Gesamtkunstwerk des altattischen Dramas wiedererstehen, weil die beiden geschilderten Tendenzen doch die festgefügte Struktur des Dramas aufbrechen. Senecas Dramen zollen damit (vielleicht) nicht nur einem barock-manieristischen Zeitgeist Tribut, sondern sind offene Kunstwerke atemberaubender Modernität avant la lettre. Die Sprunghaftigkeit der Handlung und die eingeschränkte Explikation der Figurenmotivation können nicht als Indiz dafür herhalten, die Phaedra als postdramatisch einzustufen, da die einzelnen Handlungsschritte nicht unverbunden aufeinander folgen, sondern paradigmatisch wie syntagmatisch durch die explo- 312 Nach Roisman 2000: 73 waren Senecas Drama für eine Aufführung vorgesehen und wurden mit Blick auf die Aufführungsbedingungen geschrieben. Ebenso hegt Schiesaro 2003: 6 Anm. 9, der reichlich Sekundärliteratur bietet, keinen Zweifel, daß Senecas Dramen unabhängig von ihrer Aufführung (er favorisiert eine private Aufführung in einem kleinen Theater nach hellenistischer Art) „as performable theatre plays“ geschrieben wurden. Zimmermann 1990: 210 f. begründet den Aufbruch der dramatischen Stringenz, was im Falle unseres Dramas mit der Hippolytus-Arie nur dessen Anfang betrifft, mit dem Bedürfnis des damaligen Theaterbetriebs nach Soloarien. 7. Senecas k 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 711 sive verbale und praktische Manifestation von Phaedras transgressivem furor im Drama zusammengehalten werden. Desungeachtet tritt durch die besagten Merkmale die Dramatik zugunsten des Theatralischen zurück, das sich in diesem Drama v.a. im ostentativen Präsentieren des monströsen Transgressiven äußert. Die Ästhetik des Schreckens und die schwarze Poetik der irrationalen Gegenwelten der Unterwelt und weiblicher dunkler Mächte (Furie bzw. Hekate) sind in diesem Drama zwar - gerade durch die negative Gegenprobe, den Vergleich zu den attischen Vorgängern - klar feststellbar, aber, wohl entsprechend der Schwere der Transgression, gegenüber anderen Seneca-Dramen ebenso wie die massive Selbstreflexion des Dramas durch autopoetische Züge (so Medea v. 171: NUT.: Medea - ME.: Fiam, v. 910: Medea nunc sum) gedämpft. Deshalb kann und will die vorliegende Interpretation, die auf die Harmonisierung von ethischer und ästhetischer Lektüre abhebt, 313 nicht beanspruchen, Seneca tragicus in toto zu erklären und sämtliche Elemente der chthonischen Poetik und der poetisch-kreativen Kraft des Bösen, die Schiesaro so umfassend und kohärent aufgezeigt hat, daß sicherlich die Poetik des Bösen eine Eigenständigkeit behaupten kann, mit der apollinischen Poetik der Distanzierung wegzudeuten oder zumindest harmonisierend unter sie zu subsumieren (s.u.). Auch die synchrone Prüfung, inwieweit sie sich auf Dramen übertragen läßt, die als typischer für Senecas Dramaturgie angesehen werden, kann diese Arbeit nicht leisten, da sie diachron ein Interpretationsmuster am antiken Drama vorführen will. Immerhin stehen bei den übrigen, v.a. dem von Schiesaro ins Zentrum seiner Untersuchung gerückten Thyestes, massive Transgressionen im Mittelpunkt der Handlung, deren metatheatralische Korrelation zur Extravaganz der poetischen Darstellung und Inszenierung angedeutet wurde (Näheres s. 7.3 Synthese: Dionysik, Magie, Chthonik und die Metatheatralität des furors). Der Nexus von Transgression und Eliminierung des Transgressors ist auch in der Phaedra akzentuierter als in allen der hier untersuchten griechischen Beispiele (in den wird nur das Instrument des Transgressors eliminiert und Oidipus und 313 Daß die Ästhetik durch die Distanzierung eine ethische Wirkung entfaltet, scheint Marcus Düwell bei seiner Erörterung des ethischen Nutzens ästhetischer Erfahrung nicht in Erwägung zu ziehen (Ästhetische Erfahrung und Moral. Zur Bedeutung des Ästhetischen für die Handlungsspielräume des Menschen. Diss. Tübingen 1998. Alber-Reihe Thesen 4. Freiburg i.Br. 1999, 304-308). Josef Früchtl, Ästhetische Erfahrung und moralisches Urteil: Eine Rehabilitierung. Habil. Frankfurt 1994. Frankfurt a.M. 1996, 10 strebt vor einem neoaristotelischen und postmodernen Hintergrund eine Rehabilitierung der ästhetischen Erfahrung der Ethik an (v.a. S. 240-492). Dies kommt der Verbindung von Aristotelismus und (Post-)Strukturalismus nahe, die der Ansatz der vorliegenden Arbeit verficht (vgl. 2.1 Aristoteles’ Poetik: Handlungsstruktur, Transgression, Eliminierung und Tragik; Rezeptionsästhetik in der Einleitung). Daß die Tragödie Normenkonflikte (literarästhetisch) darstelle, was Früchtl aufbauend auf Martha Nussbaum (The Fragility of Goodness. Luck and Ethics in Greek Tragedy and Philosophy. Cambridge 1 1986, 2 2001 [v.a. 25-84]) erörtert (S. 324-330), paßt zumindest im weitesten subsumtiven Rahmen exakt zum hier vertretenen Tragikverständnis und ist im entsprechenden Kapitel der Einleitung näher besprochen (1.4.3 Tragik als (Integritäten-)Konflikt: Hegel und Schiller), auch wenn Früchtls allgemeine Feststellung anders als die hier herauspräparierte Distanzierung immer noch kein konkretes ästhetisches Verfahren auf seine ethische Wirkung untersucht. P n 712 Medea eliminieren sich nur lokal, während Phaedra dies physisch tut, wie Aias). Die Darstellung dieses Nexus, wiewohl er keiner Fremdsanktion, sondern Phaedras Souveränität entspringt, ist geeignet, eine eindeutige moralisierende Wirkung zu entfalten. Die distanzierende Darstellung und das dramatische Scheitern von Leidenschaften und Lastern zerstreuen also Schiesaros Kautelen wegen der psychagogisch bedenklichen Suggestivkraft von deren mimetischer Reproduktion. Zur Distanzierung trägt auch der erhöhte Anteil von dramatischer Metapoetizität bei, den Senecas Dramen gegenüber der attischen Tragödie aufweisen. Er ruft nämlich den Fiktionalitäts- und Illusionscharakter des dargebotenen Dramas ins Bewußtsein und schafft damit die Voraussetzung für eine spezifische Rezeption als literarische Fiktion. Daß der Zuschauer um den Aufführungscharakter der dargebotenen Ereignisse weiß, hat Joachim Küpper bereits als die nicht thematisierte Grundlage für die besondere kathartische Wirkungsweise herausgearbeitet, die Aristoteles bei der Tragödie ausmacht. 314 Die im Kern materialistische stoische Ontologie suggeriert wie Platons idealistische (R. 602bc) einen geringen ontologischen Status der Dramen, die nach der Logik des stoischen Systems aus Sprachzeichen bestehen, die ihrerseits auf materiellen Sinnträgern aufruhen. 315 In Senecas Werk ist nur im fiktionalen Raum ein geeigneter Platz für Emotionen, welche die philosophische Normierung aus dem Leben verbannt. Die Phaedra ist keine von Leidenschaften und Lastern reine, sondern eine davon reinigende Dichtung. Dieses psychagogisch-kathartische Programm formuliert Seneca bereits in seinen philosophischen Schriften für den Zorn (De ira 3,42,1: Careamus hoc malo purgemusque mentem). Auch die griechisch überlieferten kaiserzeitlichen Stoiker sprechen im psychagogischen Kontext gerne von einer Reinigung ( -) oder Verunreinigung des Innenlebens, bisweilen ebenfalls in bezug auf Leidenschaften und Laster (Näheres s. Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 600- 603). Das doxographische Referat Olympiodors, das Staley im Rahmen seiner Diskussion der Katharsis in der Stoa und bei Seneca (2010: 72-81) neben der besagten Stelle aus De ira (2010: 77) bespricht (2010: 75), läßt sich dagegen schwerlich mit den kaiserzeitlich-stoischen Katharsisvorstellungen harmonisieren. Der neuplatonische Kommentator nennt drei Arten der Katharsis: die pythagoreische, die sokratische und die peripatetische bzw. ( ) stoische, die bei Seelenleitung Gegenteiliges durch Gegenteiliges kuriere, so den durch die und umgekehrt (in Alc. 54,15-55,14 [= 105C-106C] = SVF 314 Verschwiegene Illusion. Zum Tragödiensatz der Aristotelischen Poetik. Poetica 38 (2006) 1- 30, h. 21. 315 Zumindest bei Mark Aurel ist in der Ethik eine derartige Argumentation nachweisbar, die den subjektiven lebensweltlichen Wert von Scheingütern durch die Reduktion auf ihre Materialität subvertiert, welche die Basis für den sprachlichen Zeichencharakter bildet, wenn er Ruhm, Ruhmlosigkeit und überhaupt das Gerede als bloße abtut (2.12.2, 8.44.3, 12.1.4). Auch wenn die Grundbedeutung an diesen Stellen ‚Gerede‘ ist und nicht der t.t. ‚Laut‘ der stoischen Semiotik (Verf. 2011/ 12: Bd. 2, 616 f.), so klingt ein semiotisches Modell doch allein durch die Koordinierung von an, die für den geistigen Inhalt steht. Seneca entlarvt dagegen explizit die soziale Semiose, wenn er die Purpurträger mit Schauspielern vergleicht, die ihre Distinktionsmerkmale mit Verlassen der Bühne ablegten (epist. 76,31, vgl. 80,7-9). 7. Senecas 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 713 III 489: ), so daß die letztere gestärkt und der erstere gemildert werde. Staley weist zu Recht darauf hin, daß Seneca auch die maßvollen Affekte als schädlich ablehne (De ira 1,10,4; 1,7) und Olympiodors Katharsiskonzept sich eher bei Poseidonios wiederfinden lasse. Die fragliche Stelle (Frg. 417 Th.) ist jedoch in Galens antistoische Polemik eingebettet (PHP 5.6.19-22 p. 330 De Lacy), die mit einer anschließenden Berufung auf Platon und einer brüsken Wendung gegen Chrysipps Anhänger einhergeht. Nicht nur deshalb liegt nahe, daß die für Poseidonios überlieferten Aussagen auch hier stark von der platonischen Psychologie beeinflußt oder zumindest überlagert und damit kein verläßlicher Zeuge für die Psychologie der stoischen Orthodoxie sind. Im Gegensatz seiner unsicheren philosophiehistorischen Verankerung antizipiert Senecas Einsatz der Distanzierung zur Katharsis - wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen - ein Verfahren, das in der modernen bildenden Kunst Anwendung gefunden hat. 316 Bei dieser kathartischen Anlage bietet sie zumindest in den Tragödien, welche diese Arbeit bespricht, am klarsten den sublimierenden Nexus der Tragödie zwischen Dionysischem und Apollinischem, den Nietzsche kulturgeschichtlich und -paradigmatisch als konstitutiv für diese Gattung angesehen hat. 317 Die apollinische Kunst Senecas, der als Stoiker in der Tradition des sokratischen Intellektualismus steht, den Nietzsche als den Totengräber der Tragödie ansah, bannt kryonisch durch ihre dramatische Distanzierung die Hitze der Leidenschaft und des dionysischen furors. Die chthonische Poetik des Bösen wird so als dramenimmanent eingehegt. Sie ist keinesfalls die einzige Möglichkeit, die künstlerische Autonomie zu wahren. Senecas fiktionales Spiel mit den Leidenschaften ist nicht nur eine Form auktorialer Souveränitätskonstruktion, sondern läßt die Kunst dank ihrer komplexen, distanzierenden Faktur über die Leidenschaften triumphieren, statt von ihnen diktiert zu werden. Die dramatische Kunst bleibt zudem auch insofern autonom, als sie mit Senecas apollinischer Poetik und seiner Distanzierung vom furor poeticus harmoniert und mit seinen moralphilosophischen Positionen dank einer komplexen Semiose in Einklang zu bringen ist, aber nicht als deren simpler Verstärker fungiert, wie dies bei Seneca bloß metrisch-formalistisch in Anlehnung an Kleanthes anklingt (epist. 108,10 = SVF I 487). 7.6.2 Formal-komparatistischer Ausblick Vielleicht wäre es angemessener, ein Werk, das durchgehend mit transgressiven, individualisierenden und selbstthematisierenden Gesten der Figuren und seiner selbst operiert, in seiner gewollten und so geschaffenen Individualität zu respektieren. Und doch läßt sich diese nur durch den Vergleich mit anderen Stilrichtungen und Epochentendenzen herausarbeiten, in welche, wie Zimmermann 316 Martin J. Schäfer, Kathartische Distanzierungen: Andy Warhol, Medienphilosoph. In: Dieter Mersch (Hg.), Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens. München 2003, 177-190. Warhol bändigte nach Schäfer mit der reproduktiv-entsingularisierenden und distanzierenden Kunst die Probleme der Intimität. 317 KSA Bd. 1, 31-33. zu 714 gezeigt hat, Senecas Dramen durch vielfältige intertextuelle Bezüge eingebettet sind (1990: 204-210), die ihre literarische Selbstreflexivität unterstreichen. Die Einordnung in die silberne Latinität und neronische Literatur, die Schiesaro 2003: 71 bei den intertextuellen Bezügen auf Ovid kritisch nuanciert anklingen läßt („generic (‘Silver’) stylistic affinity“) und eingangs bejaht (2003: 1 [Der Thyestes] „codifies ‘Silver’ poetics at its expressive (and, in a way, theoretical) peak“), 318 mag gerade mit Blick auf Lukans chthonische implizite Poetik gerechtfertigt scheinen und die künstlerische Autonomie des Dramas gegenüber stoisch-dogmatischer Subsumtion stärken, erhellt jedoch nicht dessen Spezifika. Auf diese beiden Punkte wirft jedoch ein Vergleich mit Aristoteles’ Poetik ein klareres Licht, zu der Senecas Phaedra in markantem Gegensatz steht. Die Transgression und allgemeine Sprunghaftigkeit zerlegen nicht nur die von dem Stageiriten geforderte Stringenz der Handlung, sondern, wie gezeigt, auch diejenige der Charaktere. Aristoteles’ implizit gattungsnormative Feststellung, die Tragödie zeige bessere Menschen, als sie nun seien (Poet. 1448a 16-18: ), wird von Senecas offensiv transgressiven, rückgratlosen, exaltierten oder leichtfertig-reuevollen Charakteren unterlaufen. Dabei geht deren ethisch-rationale Insuffizienz allerdings noch über den oben angedeuteten anthropologischen Realismus stoischer Ausrichtung hinaus, da viele Transgressionen nicht nur spontan-unvermittelt erfolgen, sondern präsentative Gesten sind, die dank ihrer Theatralik und dem ostentativ Devianten nicht nur die Souveränität ihrer Akteure, sondern auch des Dramas gegenüber der stoischen Devianztheorie etablieren. Das poetisch-fiktional geschaffene und präsentierte Böse wird damit zu einem Merkmal von Senecas Phaedra, das eben wegen seines souverän-spontanen Charakters eher distanzierend und reflexionsanregend als identifizierend wirkt. Die poetische Innovation des ästhetisch Bösen zeigt ein Blick in die antike Literaturgeschichte: Es fehlt noch in der fragmentarisch erhaltenen attischen Tragödie des 4. Jh.s, die mit „Desintegration einzelner Teile, Neigung zur Ausbreitung pathetischer Motive, Rhetorisierung einzelner Szenen“ 319 bereits dieselben formalen Merkmale wie die Phaedra aufwies, wobei Aristoteles’ Poetik sich von den handlungsdesintegrativen Charakteristika abgrenzt. 320 Senecas bedeutendste Neuerung ist darin zu sehen, daß er - zumindest nach der hier vorgelegten Interpretation - den besagten Tragödienmerkmalen des 4. Jh.s einen besonderen Sinn gegeben hat, indem er sie zur Konstruktion des ästhetisch Bösen eingesetzt hat. Ebenso sind Ovid, die neronische Literatur und die Stoa alle 318 Boyle 1997: 20 f. führt den Stilwechsel, der mit dem Übergang von der Goldenen zur Silbernen Latinität unzulänglich beschrieben werde, auf die Rhetorisierung der Literatur zurück, die sich bei Seneca durch den Einfluß seines Vaters besonders ausgewirkt habe. Daneben nennt er Ovids Einfluß, der bereits - parallel zum politischen Druck, dem die Literatur ausgesetzt gewesen sei - antiklassische Merkmale wie Gattungsunordnung, Paradoxa, Absurdität, Hyperbel und emotionale Zustände in die Literatur eingeführt habe (also teils dieselben dezentrierenden, delinearisierenden und subvertierenden Verfahren, die hier für Senecas Phaedra ermittelt wurden). 319 Hellmut Flashar, Die Poetik des Aristoteles und die griechische Tragödie. Poetica 16 (1984) 1- 23, h. 5. 320 Flashar 1984: 14. 7. Senecas 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 715 in die Konstruktion des ästhetisch Bösen bei Seneca eingeflossen, ohne es zu generieren. Dieses literarische Motiv ist überaus modern: Die Souveränität, welche die transgressive Protagonistin der Phaedra über ihre Untaten entfaltet und diese als böse markiert, ist ein Merkmal des Bösen und der Transgression, das durch Sartres Interpretation von Genet wieder aufgedeckt wurde. 321 Der unaristotelische Charakter der Phaedra legt in Verbindung mit der Theatralik und Dramatik der Figuren die Klassifikation als barock-manieriert nahe. Denn mag die (Meta-)Theatralität im Vergleich zum Thyestes durch den furor qua seelisches Moment auch gedämpft sein, so ist bei der Monstrosität im Vergleich zu Racines Phèdre (pace Grünnagel 2010: 291 f., 313 f.) zumindest in einem Punkt eine Emphatisierung feststellbar. Senecas Phaedra sieht und inszeniert später den Tod durch Hippolytus’ Schwert als morbide Liebesvereinigung und Umsetzung ihrer sie immer noch beherrschenden Begierde sowie als Möglichkeit, die soziale Integrität zu wahren, was sie aufgrund ihres unkontrollierten Affektes nicht mehr vermag (v. 710-712). Es ist Hippolytus, der ihre Transgression auch genealogisch als monströs einstuft. Racines Phèdre bittet Hippolyte dagegen, sie als Monstrum zu beseitigen (v. 699-707), ist also vom Entsetzen über ihre eigene Transgression ergriffen und weist damit im Umgang mit dem Monströsen die klassische Dämpfung durch die Selbstdistanzierung auf, während Hippolytus sich von seiner Stiefmutter lokal und diskursiv über das Monströse distanziert. Wegen der distanzierenden und reflexiven Elemente auch in der Phaedra, die den suggestiven Sog der Fiktionalität unterlaufen, scheint Littlewoods (2004: 50 f.), Schiesaros (2003: 246-249) und Nussbaums (1993: 144 f.) Vergleich des senecanischen Dramas mit Brechts epischem Theater naheliegend, das sich sogar programmatisch gegen Aristoteles stellt. In beiden Fällen wird weiterhin dem dramatischen Autor eine kohärente Weltanschauung nachgesagt, deren Auswirkung auf sein dramatisches Schaffen auszuloten bleibt, die jedoch die Distanzierung vom dargestellten Geschehen sicherlich gefördert hat, da sie dazu eine zweite Ebene bietet. Nussbaum hebt im wesentlichen auf diese Brecht und Seneca gemeinsame Distanzierung ab, die sie mit einem Brecht-Zitat zum dramatischen und epischen Theater untermauert (1993: 97). 322 Sie korreliert mit 321 Vgl. Georges Bataille, La littérature et le mal. Paris 1957. Œuvres complètes. Paris 1979, Ndr. 2003, Bd. 9, 169-316, h. 291 f. 322 Im Abschnitt „Das epische Theater“ (S. 263-265) im Kapitel „Vergnügungstheater oder Lehrtheater? “ (1936) (S. 262-272) der Schrift „Über eine nicht-aristotelische Dramatik“ (1933- 1941) (S. 227-336) in: Schriften zum Theater. Redaktion Werner Hecht. Bd. 1. Gesammelte Werke in 20 Bänden. Hg. vom Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann. Bd. 15. Frankfurt a.M. 1967, 265 (Kurs. im Orig.; die Sätze, die Nussbaum fortgelassen hat, stehen in eckigen Klammern): „Der Zuschauer des dramatischen Theaters sagt: Ja, das habe ich auch schon gefühlt. - So bin ich. - Das ist nur natürlich. - Das wird immer so sein. - [Das Leid dieses Menschen erschüttert mich, weil es keinen Ausweg für ihn gibt. - Das ist große Kunst: da ist alles selbstverständlich. -] Ich weine mit den Weinenden, ich lache mit den Lachenden. Der Zuschauer des epischen Theaters sagt: Das hätte ich nicht gedacht. - So darf man es nicht machen. - Das ist höchst auffällig, fast nicht zu glauben. - Das muß aufhören. - [Das Leid dieses Menschen erschüttert mich, weil es doch einen Ausweg für ihn gäbe. - Das ist große Kunst: 716 der von Nussbaum herauspräparierten kritischen Zuschauerschaft, welche die Stoa favorisiere (1993: 136-145) und welche die Stoa und Brecht von Aristoteles’ kathartisch-emotionaler Rezeptionsästhetik trennt. 323 Nussbaum arbeitet jedoch den entscheidenden Unterschied zwischen dem reflexiven Potential der beiden Weltsichten heraus: Der Marxismus ziele auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Stoa dagegen auf die individuellen Ansichten. Dieser Unterschied läßt sich durch geringfügige Kommutationsproben an Nussbaums Brecht-Zitat illustrieren, das den Zuschauer des epischen Theaters beschreibt. Die zu ändernden Ansichten und Verhältnisse sind hier klar voneinander abgesetzt. Nicht so in der stoischen Version, in der es zwar auch „Das hätte ich nicht gedacht“ 324 heißen würde und auch weiter generell-normativ „So darf man es nicht machen“ heißen könnte, in der die Fortsetzung jedoch eindeutig statt „Das muß aufhören“ „Ich werde dies in meinem Verhalten abstellen müssen“ lauten müßte. Die kritische Distanz zum Dargestellten führt also bei der Stoa wie bei Brecht zu einer Revision der eigenen Ansichten, statt der Brechtschen Wendung nach außen findet in der Stoa jedoch beim reformatorischen Impetus eine Wendung nach innen auf das Subjekt des Reflexionsprozesses, sein eigenes Denken und Verhalten, und damit eine Selbstreflexion statt. Beide Dramaturgien haben jedoch gemein, daß das Anliegen der Besserung, sei sie nun gesellschaftlich oder individuell, die Tragik konterkariert. 325 Schiesaros Transfer der Brechtschen Theorien zum epischen Theater ist wesentlich tiefschürfender und detaillierter als Nussbaum, die damit eher beiläufig ihr Kapitel zur kritischen Zuschauerschaft ausklingen läßt. Er ruft treffend ins Bewußtsein, daß Brechts Dramaturgie mit dem V-Effekt operiere, die Verfremdung sich sowohl auf das Schaffen des Dramenautors, die Arbeit des Regisseurs und die Reaktion des Publikums erstrecken sollte (2003: 246 f.). (Daß sie auch die gesellschaftliche Entfremdung demaskieren solle, 326 schreibt er nicht.) Daß da ist nichts selbstverständlich. -] Ich lache über die Weinenden, ich weine über die Lachenden.“ 323 Dieser systematisch-strukturelle Unterschied klingt bei Nussbaum nur für Aristoteles und die Stoa an (1993: 141). 324 Nussbaum 1993: 145 Anm. 17 übernimmt die Übersetzung dieses gesamten Passus von Kenneth Tynan, Bertolt Brecht. In: Essays in the modern drama. Ed. by Morris Freedman. Boston 1966, 137-150, h. 144, wo dieser Satz falsch übersetzt ist („I should never have thought so“). Statt der ursprünglichen, eigentlichen Verwunderung erhält Brecht hier eine normative, selbstkritische Komponente. 325 Vgl. Rolf Hochhuth, Und Brecht sah das Tragische nicht. In: Ds., Und Brecht sah das Tragische nicht. Plädoyers, Polemiken, Profile. Hg. von Walter Homolka und Rosemarie von dem Knesebeck. Mit einem Vorwort von August Everding. Darmstadt 1996, 1-18, h. 13: „Doch Brecht ignorierte das Tragische, sofern er es überhaupt wahrgenommen hat, weil er besessen war von dem Vorsatz, Lehrstücke zu schreiben.“ Die Beobachtung ist trotz ihrer polemischen Formulierung beachtenswert, wird jedoch durch Lionel Abel relativiert, der sporadische tragische Elemente bei Brecht herausarbeitet (Metatheatre. A New View of Dramatic Form. New York 1966, 104 f.). 326 Zu ihrer sozialkritischen Funktion allgemein, aber auch zu ihrem Wurzeln in Šklovskijs oc pae (s. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung) s. Klaus- Detlef Müller, Bertolt Brecht. Epoche - Werk - Wirkung. Gekürzte, vollständig neubearbeitete Auflage. München 2009, 121 f. 7. Senecas 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 717 bei Seneca diese Verfremdung der kritischen Zuschauerschaft und damit der philosophischen und moralischen Unterweisung diene, sieht Schiesaro durch die Art konterkariert, mit der Seneca epische Elemente in die Dramen einflechte (er spricht hier epidemologisch statt von Kontaminierung von Desinfektion). Sie sei durch die Übernahme der ovidischen Technik der Rahmung („[f]raming“) in das Drama charakterisiert, 327 die ihrerseits die Distanzierung unterlaufe und aufgrund der Verwirrung, die sie stifte, zu einer emotionalen Identifikation mit den Figuren führe (2003: 247, 251). Ohne die Richtigkeit von Schiesaros subtilen Rekonstruktionen von Senecas epischen Anleihen in Frage zu stellen, bleibt es jedoch fraglich, ob die Technik der Rahmung, die Schiesaro am Thyestes exemplifiziert (2003: 45-61), sich in dieser Komplexität bei der Phaedra wiederfindet, da deren Metatheatralität anders gelagert ist. 328 Dies gilt um so mehr für die dramatischen Äquivalente der Verschachtelung der ovidischen Narratologie. In der Phaedra dominiert der Bruch nicht nur der szenischen Kontinuität, den auch Schiesaro konstatiert (2003: 248 f.), sondern auch auf der psychologischen Ebene der Plausibilität der Figurenmotivation. Abschließend soll (auch unter Bezugnahme auf diese letztgenannte Disruption) noch anhand der Präfixe von ‚Ver-‘ und ‚Entfremdung‘, die das englische ‚alienation‘ nicht wiedergibt, der m.E. wesentliche Unterschied herausgearbeitet werden, der bei der Distanzierung zwischen Brecht und Seneca besteht. Brecht erzielt etwa durch den Einsatz von Erzählern, die sensu stricto ein episches Theater schaffen und welche die mimetische Illusion (wie die gesellschaftliche) demaskieren, einen Verfremdungseffekt, der die Ähnlichkeit der Mimesis konterkariert. Seneca zerstört durch den Aufbruch der dramatischen Kontinuitäten nicht die mimetische Illusion, sondern thematisiert sie durch metatheatralische Strategien. Die dramatisch-psychologischen Diskontinuitäten verfremden weniger, als daß sie Befremden auslösen. Es gilt nun noch die Parallelen zu einer anderen Form des Theaters im 20. Jh. auszuloten, dem absurden. Die spontane Diskontinuität, die das Handeln der Einzelpersonen und dadurch die Gesamthandlung aufweisen, findet eine Entsprechung in der Inkohärenz des absurden Theaters. Diesem und dem senecanischen Drama ist zumeist der Verzicht auf einen brechtschen Erzähler sowie praemissis praemittendis die Darstellung des Bühnengeschehens als absurd gemeinsam, was in beiden Fällen eine distanzierende Wirkung erzielt. 329 Die 327 Bereits Jurij M. Lotman, Die Struktur literarischer Texte. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil. München 4 1993, 301 ging auf den Rahmen von Gemälden und ihren semantischen Gehalt ein und schloß hieran die Folgerung an: „Das Kunstwerk, das selbst begrenzt ist, stellt ein Modell der unbegrenzten Welt dar.“ 328 Abel diskutiert dagegen Brechts Metatheatralität anhand der beiden Annahmen „Die Welt ist eine Bühne“ und „Das Leben ist ein Traum“ (1966: 105-7), die beide nicht für das Metatheaterverständnis dieser Arbeit zugrunde gelegt wurden (für den Unterschied zwischen Metatheater und theatrum mundi s. 3.3 Metatheater als poetische Transgression). Littlewood sieht Brecht beim Leben als Traum näher an Shakespeare als an Seneca. Das Gemeinsame sei nur eine Welt, die sich der Identifikation verweigere (2004: 51), d.h. in der Terminologie dieser Arbeit die Distanzierung. 329 Gerade diese Parallelen im Negativen entkräften den berechtigten Einwand, es sei nachgerade eine intellektuelle Zumutung, Senecas Dramen gleichzeitig mit den Kategorien des Barocken, 718 bestürzende Desillusionierung würde sich fortsetzen und die Gemeinsamkeiten zu einem eindeutigen Befund verdichten, wenn man mit Dingel die senecanischen Dramen als Widerruf der stoischen Philosophie ansähe. Davon sieht diese Arbeit jedoch ab. Statt dessen faßt sie das Verhältnis von Drama und Weltsicht weniger eindeutig-normativ und desillusionierend (wobei dieser Antistoizismus allerdings - wenn auch ex negativo - fast auf eine Sinnstiftung hinausliefe) als reflexionsstimulierendes Spiel auf und hält die Möglichkeit eines Sinns in der referierten Außenwelt des Dramas offen. Darin stimmt Seneca mit der impliziten Poetik von Ionescos La cantatrice chauve überein, die sich in den zwei Versen zeigt (Scène VIII, S. 32), die Schiesaro seinem Werk unfreiwillig programmatisch voranstellt (2003: 1): Mme Martin: Quelle est la morale? Le Pompier: C’est à vous de la trouver. Auch Senecas Phaedra drängt dem Rezipienten nicht penetrant die stoische Ethik und Anthropologie auf, sondern lädt ihn zu deren Erschließung und Anverwandlung ein. Daß Senecas philosophische Schriften sich nur allgemein beiläufig zur Dichtung, aber nicht detailliert-explizit zu seiner Bühnenkunst äußern (Mazzoli 1970: 122, Boyle 1997: 15), nimmt Ionescos poetologisches Credo vorweg: L’arbre […] ne s’explicite pas. 330 Bei der Auflösung der Sprache, die der rumänisch-französische Dramatiker selbst entgegen dieser Verzichtserklärung thematisiert, 331 geht die Schlußszene von Ionescos Cantatrice chauve (Scène XI) einen Schritt weiter als Senecas Phaedra: Bei dem Stoiker wird nur die Kommunikation von einer dominanten Figur subvertiert, bei Ionesco zerfällt die artikulierte Sprache selbst und wird durch Nonsense, Zungenbrecher, Onomatopöien, Vokale und Konsonanten in alphabetischer Reihenfolge und ähnliche sinnlose Äußerungen ab- und aufgelöst. Ein weiterer Unterschied zwischen Senecas und Becketts absurdem Theater kommt durch den furor hinzu: Senecas Dramenfiguren erkennen zwar wie diejenigen Becketts die Irrationalität ihres Tuns, verfallen aber nicht wie diese in das auf den Überschuß abzielt, und des Absurden, das Leere erzeugt, beschreiben zu wollen. Beide Modi wirken vielmehr dramatisch zusammen: Das Hyperbolisch-Überschießende (Exkreszenz) und sachlich Unangemessene, das sich in Hippolytus’ und Theseus’ Reden und Handeln zeigt, höhlt dieses und die betreffenden Figuren aus. 330 „L’artiste n’est pas un pédagogue, n’est pas un démagogue. La création théâtrale répond à une exigence de l’esprit. Cette exigence doit suffire en elle-même. Un arbre est un arbre, il n’a pas besoin de mon autorisation pour être un arbre; l’arbre ne se pose pas le problème d’être un tel arbre. Il ne s’explicite pas. Il existe et se manifeste par son existence même. Il ne cherche pas à se faire comprendre. Il ne se donne pas une forme plus compréhensible: autrement, il ne serait plus un arbre. Il serait l’explication d’un arbre. De même, l’œuvre d'art existe en soi et je conçois parfaitement un théâtre sans public. Le public viendra de lui-même et reconnaîtra le théâtre, comme il a su nommer l’arbre un arbre.“ „Discours sur l’avant-garde“, in: Notes et contre-notes. Paris 1966, 80 f. 331 „La tragédie du langage“, in: Notes et contre-notes. Paris 1966, 247-254. Er geht dabei allerdings nicht so weit wie die vorliegende linguistisch-phänomenologische Interpretation, sondern hebt nur auf die Automatismen der Sprache ab, die als Indiz für den Verlust personaler Individualität und Existenz dienen und die das Stück aufbreche (1966: 252-254). In der Phaedra raubt dagegen nicht die Konventionalität, sondern die transgressive Individualität den übrigen Figuren und der Sprache die Substanz. 7. Senecas 7.6 Fazit und formal-komparatistischer Ausblick auf die frühe Neuzeit und Moderne 719 Apathie, sondern werden trotzdem (oder gerade deswegen) vom furor zum Handeln getrieben. Abschließend bleibt also die dramatische Diskontinuität, welche dem Bühnengeschehen den Sinn raubt und es vom Rezipienten distanziert, als markante Parallele zwischen Seneca und dem absurden Theater festzuhalten. Sartres existentialistische Dramen versinken dagegen nicht in der Hoffnungslosigkeit der totalen, anthropologischen Absurdität, die den Nihilismus von der Tragik trennt, 332 sondern halten zumeist die Möglichkeit der Sinnsetzung durch die Figuren selbst und damit die existentielle Selbstbestimmung und Sinngebung offen. Senecas Figuren sind in der Phaedra durch ihr spontanes Agieren und ihre so geschaffene Bühnenexistenz auch existentialistisch, allerdings im Falle der Eheleute des Königshauses im Moralisch-Negativen und Destruktiven (Phaedra) oder Kognitiv-Emotional-Defizitären (Theseus), während bei Hippolytus die evasive Essenz die Existenz bestimmt. Und doch schafft die stoische Philosophie, die selbst in Form der falschen Argumentation und des verfehlten Analysierens der Figuren in das Drama eingeschrieben ist, die referentiell-anthropologische Möglichkeit einer existentiellen Sinngebung. Die Protagonisten der Phaedra handeln anders als diejenigen des Romans La Nausée durch den furor zielgerichtet, auch wenn die Disparatheit ihres Agierens eine ähnliche Distanzierung wie der Ekel und auch diesen bewirken mag. Dem Ekel an der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz steht bei allen unbestreitbaren Unterschieden zwischen den Dichtern und Epochen Baudelaires ennui nahe, der Überdruß am Vorhandenen, Gewöhnlichen und Gewohnten, den binnenhermeneutisch die Amme für die Ätiologie von Phaedras transgressiver Libido bemüht (v. 204-215, v.a. 205: semper insolita petit, 207: non placent suetae dapes). Inwieweit die Rezeption der Phaedra durch deren disparate und autodestruktive Faktur ennui erzeugt, sei dahingestellt. Ich möchte jedoch die hier nur zu skizzierende These wagen, die in Auseinandersetzung mit Bohrers aus Baudelaire herauspräparierter und auf die attische Tragödie transferierter Ästhetik (2009: 35-184) zu verifizieren wäre, daß nicht wenige von Baudelaires Gedichten ähnlich wie Senecas Phaedra mit Aprosdoketa und Peripetien operieren, die eine Distanz zum Inhalt schaffen. Der tiefere Sinn, den die so angeregte Reflexion erschließt, liegt bei Baudelaire allerdings in der komplexen semiotischen Struktur des Kunstwerks selbst, während er bei Seneca tautologisch in dem selbstpräsentativen dramatischen Kunstwerk oder aber semiotisch autotranszendent in der stoischen Philosophie liegt, auf die es verweist. Die hier als Ausblick skizzierten Parallelen zwischen der Faktur von Senecas Phaedra und Brecht, Beckett, Ionesco, Sartre und schließlich Baudelaire zeigen, daß diese weit mehr ist als ein unaristotelisches Barock, sondern ein dramatisches Gebilde, dessen hier herausgearbeitete werk- und wirkungsästhetische Komplexität durch diese Parallelen nur beschrieben und als modern ausgewiesen, aber nicht gänzlich erfaßt werden kann. Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, daß der Faden der Ariadne, der in dieser Interpretation als Richtschnur gedient hat, nämlich die Kraft der Kunst, die Emotionen (durch Distanzierung) zu 332 Bradley Dom Berke, Tragic Thought and the Grammar of Tragic Myth. Bloomington (Ind.) 1982, 6-8. 720 dämpfen, im Drama selbst in einer binnenhermeneutischen mise en abyme angelegt ist. Es sind die fünf Verse, in denen Phaedra die Unerfüllbarkeit ihrer Begierde beklagt (v. 119-123): […] quis meas miserae deus aut quis iuvare Daedalus flammas queat? non si ille remeet, arte Mopsopia potens, qui nostra caeca monstra conclusit domo, promittat ullam casibus nostris opem. Der Daedalus, der mit der Kunst der Tragödie, die in Athen entstanden ist und geblüht hat, die Begierden bannen soll, ist der Autor dieses Dramas selbst. Diese Stelle exemplifiziert also metatheatralisch exakt das psychagogischrestriktive Verhältnis von apollinischer Dichtung und dionysischem furor in der Faktur dieses Dramas, das als Leitidee dieser Interpretation herausgearbeitet wurde. Auch wenn das Drama die Leidenschaften nicht bannen kann, so dient es, wie an dieser Stelle ersichtlich, jedenfalls auch nicht ihrer Realisierung. 7. Senecas 8. Zusammenfassung und Ausblick 8.1 Zu einer strukturalistischen Poetik und Hermeneutik der Transgression Die vorliegende Untersuchung hat versucht, mit der Transgression auf strukturalistischer Grundlage ein neues Muster zum Verständnis des antiken Dramas zu entwickeln. Dabei steht dessen literarischer Text und nicht ein historischer Kontext oder religions- und mythengeschichtlicher Subtext im Zentrum. Dieses literarische Deutungsraster betrifft Poetik und Hermeneutik gleichermaßen. Die Zusammenfassung dieser Arbeit will nicht nur die bisherigen Ergebnisse archivarisch zusammentragen und allenfalls komparatistisch nebeneinanderstellen. Trotz oder entsprechend Saussures nachdrücklichem methodischem Hinweis, daß die Synchronie und Diachronie zwei grundverschiedene und sauber zu trennende Herangehensweisen seien (CLG 124-140), soll nach der Morphologie der hier in den Vordergrund gerückten Figuren Transgression, Tragik und Metatheater, 1 welche die beiden folgenden Abschnitte füllt, in einem zweiten Schritt auch ihre Entwicklung und wechselseitige Beeinflussung - auch im Zusammenspiel mit der Religion - beleuchtet werden. 2 Andere Fragen nach der antiken geistesgeschichtlichen Entwicklung, die teils kontrovers diskutiert wurden, wie die Herausbildung einer einheitlichen Persönlichkeitskonzeption oder der Übergang von der Schamzur Schuldkultur können dagegen hier außen vor bleiben, da die betreffenden Problemstellungen im Verlauf unserer Untersuchung nur als Momentaufnahmen für die Präzisierung der Tragik herangezogen wurden. Die synchrone Analyse stützt sich auf zwei strukturalistische Kernsätze, die der Identitätsbestimmung dienen. Es handelt sich um das Zeichenkonzept, das signifiant und signifié einander zuordnet und das anthropologisch über die physische Existenz und die soziale Rolle bestimmt wird, und die Identität durch Abgrenzung, die geeignet ist, die Entwicklung der Figurenkonstellation im Verlaufe des Dramas, diesen selbst und die Entstehung der Transgression zu beschreiben: Die Identität der Figuren wird durch die Zuordnung zu den Rollen und ihre wechselseitige Abgrenzung gewährleistet. Sie sowie das gesamte so geschaffene soziale Gefüge, das den Oikos der (Königs-)Familie und das regierte Kollektiv umfaßt, werden in der praktischen Performanz dieser individuellen und kollektiven (Zu-)Ordnung in sämtlichen hier untersuchten Dramen (mit Ausnahme von Aristophanes’ Fröschen) durch den kontingenten Fortfall oder den Hinzutritt eines neuen Elements gestört. Der Auslöser für diese Störung ist der Patriarch, der entweder, so der überwiegende Fall, abwesend ist, wobei sich über die räumlich-hodologische Dimension dieser Bewegung bereits 1 Da das Metatheater bei dieser Entwicklung eine entscheidende Rolle spielt, wird seine Morphologie erst zusammen mit der Diachronie dargestellt. Seine diachrone Verschränkung mit der Transgression ist Gegenstand des dieser gewidmeten Abschnitts. 2 S. 8.4 Die verschränkte Diachronie von Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst. 8. Zusammenfassung und Ausblick 722 die Transgression ankündigt, oder, wie in Euripides’ Medea, die Stelle seiner Gattin neu besetzen will. Die so heraufbeschworenen Konflikte mehrerer Figuren um eine Position innerhalb des sozialen Gefüges führen zur Transgression und werden in der Tragödie mit Eliminierung einer oder mehrerer Figuren, in der Neuen Komödie aber durch die Doppelung der Position des Vaters gelöst. 3 Wie diese Restauration vollzieht sich auch die Transgression nur in der Tragödie, nicht aber in der Komödie mit einer Eliminierung oder massiven Integritätsverletzung. Die Turbulenzen beschränken sich nicht nur auf die Funktionsweise des sozialen Systems, sondern können auf die Ebene sämtlicher Codes übergreifen, in denen sich der Zusammenhalt des sozialen Gefüges im antiken Drama vollzieht, so der Sprache und der religiösen und anderer bislang verbindlicher Werte. Im Verlaufe der erzählten oder gespielten Handlung bestimmen Transgression und Identität einander wechselweise. Die soziale (Nicht-)Identität ist dabei der Anlaß für die Transgression, durch die sich die Figuren wiederum eine liminale Identität außerhalb aller Ordnung und Bindungen schaffen. Diese zirkuläre Beziehung der Nichtidentität als Ausgangslage und Endpunkt nach der Transgression wird besonders bei Oidipus und Medea deutlich. Die selbstgeschaffene Identität hat bei ihnen eine künstlerisch-dramaturgische Komponente: Medea schafft sich als Künstler-Kriminelle intratheatralisch durch die Inszenierung ihrer Transgression eine eigene dramatische Identität, während Oidipus die Eliminierung und die transgressive Identität inszeniert. Bei der liminalen Figur Medea wird die enge Korrelation deutlich, in der gender- und ethnische Alterität innerhalb der Dramensemiose mit der Transgression stehen. Gerade in der Binnenhermeneutik wird die Transgression gerne mit dem Bild des Barbarischen in Verbindung gebracht und über diese lokale Ausgrenzung ihre systemische lokale Eliminierung unterstrichen. In Aischylos’ Persern ist der Gegensatz zwischen den ‚echten‘ Barbaren, deren Authentizität auf der äußeren Ebene des (ethnischen) Signifikants liegt, und den Griechen dramensemiotisch durchaus virulent, da Athener auf der Bühne Perser verkörpern, deren Referent nur in Susa realpräsent ist. Er tritt aber in der Binnenhermeneutik und in der An lage der Tragödie hinter andere Oppositionen zurück, wie die eindeutig wertend auf geladene zwischen jung und alt. Die Hermeneutik wurde sowohl im Drama selbst lokalisiert (Binnenhermeneutik) als auch von dieser Arbeit an die Dramen herangetragen, wobei auch die antike Poetik v.a. des Aristoteles zum Tragen kam. Bei der Poetik lag der Schwerpunkt auf der letztgenannten Herangehensweise der Außenperspektive. Der innere Zusammenhang der Dichtung mit der Transgression wurde dabei in Weiterentwicklung strukturalistischer Devianzpoetiken in der schöpferischen 3 Die strukturell-positionale Rolle und konjunkturelle Bühnenpräsenz sowie Bedeutung für die Handlung verhalten sich bei Vater und Mutter in den hier untersuchten Tragödien umgekehrt proportional zueinander: Der Vater fehlt entweder vollkommen (Bakchen, OT) oder wird von der Mutter als Verstorbener evoziert (Perser) oder aber tritt spät auf (Senecas Hippolytus), während die Mutter in allen genannten Stücken eine größere Bühnenpräsenz zeigt und die Handlung stärker prägt. Dieser Nexus beschränkt sich nicht auf eine paradoxe Distribution: Denn es ist gerade die Abwesenheit des Vaters, welche die Bedeutung seiner Position hervortreten läßt und den Raum für den Auftritt der Mutter eröffnet. - 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression 723 Überschreitung der überlieferten und konventionell-usuellen Struktur und semiotischen Zuordnung gesehen, die neue Felder sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet. 4 Die kreative Neuerung des Sprachkunstwerks ermöglicht so sprachlich, etwa durch Metaphern und aisthetische Verfahren (s. 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression), die unerhörte Transgression adäquat zu darzustellen. Die Verbindung zwischen Transgression und Künstlertum zeigt sich auch in den Dramen selbst, wenn die transgressorischen Dramenfiguren ihre Tat als Kunstwerk gestalteten (Medea) oder mit ihr ein materiales Kunstwerk schufen (Phaedra), so daß man hier von einer implizit performierten Poetik der Transgression sprechen kann. 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression Daß sich die Ergebnisse dieser Arbeit als offener Diskussionsbeitrag verstehen (s. das Ende des letzten Abschnitts dieser Zusammenfassung), läßt sich mit dem Facettenreichtum der Transgression rechtfertigen. Sie und die ihr engverwandte Eliminierung manifestieren sich hodologisch nicht nur als Überschreitung, sondern auch als Evasion (Medea) und Extravaganz (Oidipus, Phaedra). Das Mittel für sie oder die Eliminierung ist denn auch in vielen Tragödien der Wagen, der, ihnen entsprechend, die beiden Aspekte transgressive Hybris und desubjektivierende und eliminatorische Unbeherrschbarkeit aktualisiert (Perser, Oidipus Tyrannos, Medea, Senecas Phaedra). Die Grenze der lokalen Transgression verläuft entweder auf der horizontalen oder vertikalen Achse. Horizontal wird sie von den Meerengen gebildet, die von Asien aus kommend in Richtung Europa überschritten (Xerxes, Dionysos) oder durchquert werden (Medea), oder sie trennt Oikos und Polis als Orte der Zivilisation und des soziokulturellen Zeichensystems vom Außen des präzivilisierten, dionysischen und selbst liminalen Gebirges Kithairon (Euripides’ Bakchen). Vertikal verläuft diese Grenze zwischen Ober- und Unterwelt. In Aischylos’ Persern wird sie nekromantisch von unten nach oben sowie in der von Aristophanes’ Fröschen und in Senecas Phaedra primär in gegenläufiger und erst später bzw. intentional in der genannten Richtung überschritten. Die Grenze trennt ungeachtet ihrer Positionierung das legitime und bekannte Innen vom unbekannten, fremden autonomen und nicht normgerechten Außen. Ihre Überschreitung, von innen oder außen, zieht à la longue immer Eliminierungen nach sich. Die hodologische Transgression von außen nach innen, die Rückkehr des Patriarchen (Xerxes, Pentheus, Theseus; vgl. selbst Menanders Samia) oder des Prätendenten auf diese Position (OT), macht in allen Fällen deren Besetzung oder Zuschnitt problematisch, wobei die so entstehenden Konflikte in den Tragödien mythologischen Stoffes zu sozialen Transgressionen und Eliminierungen führen. Die hodologische und soziale Seite der Transgression sind durch diese nach innen gerichtete Operation, die das vektorale und pragmatische Gegenteil von Extravaganz und Evasion ist, die nach außen gerichtet sind, eng miteinander und mit der familiären 4 S. 3.2 Zu einer Poetik und Hermeneutik der Transgression in der Einleitung. 8. Zusammenfassung und Ausblick 724 Figurenkonstellation verbunden. Das Außen wird im Falle des Gebirges zum Schauplatz (Euripides’ Bakchen) oder Zielpunkt (Senecas Phaedra) auch der topologischen und soziojuridischen Transgression. Die Transgression ist freilich topologisch wie soziojuridisch und poetologisch nur operational ein Phänomen gut strukturalistischer Linearität, bei dem sich eine Bewegung mit einer (Grenz-) Linie kreuzt. Die Eliminierung, die sie begleitet oder ihr folgt, hebt auf ihr destruktives Potential ab, das sich in Rissen und Fragmentierungen 5 manifestiert (Aischylos’ Perser, Senecas Phaedra) und im letztgenannten Drama selbst die Integrität der Figuren, die Dignität des Geschehens und die Konsistenz der Handlung unterspült. Der Bruch der strukturellen Normalität und Linearität, den die Transgression erzeugt, setzt sich in Perversion, Monstrosität, Exkreszenz und Tragik fort. Der Bewegung und insonderheit der Transgression liegt ein komplexer dramatisch-theatralischer Raum zugrunde bzw. wird von diesen erst geschaffen, dessen Komplexität (s. 3.1 Zu einer Poetik des Raumes in der Einleitung) trotz einer anderen Konfiguration der Raumkonzeption des postdramatischen Theaters nicht nachsteht. Dieses ist insofern poetisch-transgressiv, als es die traditionellen Grenzen von Theater und Drama aufbricht oder illusionär wie semiotisch unkenntlich macht. Dies betrifft die Dimensionen des szenischen Raumes, der entweder zentripetal so verkleinert wird, daß die Zuschauer in Körperkontakt mit den Schauspielern geraten können, oder zentrifugal ins Unendliche geweitet wird oder zumindest im integrierenden Theater, wie man es nennen könnte, die Zuschauer mit in die Szenerie einbezieht. Wird der Zuschauer sogar zum Mitspieler, mutiert der vormals „metaphorisch-symbolische[n] Raum“, wie Lehmann ihn nennt, zum metonymischen. 6 Eine solche Aufhebung der Grenzen des szenischen und dramatischen bzw. mimetischen Raums durch eine (meta)poetische Transgression kennt das antike Theater fast nur bei Formen des transszenischen Metatheaters, bei welchem eine Bühnenfigur die Zuschauer anredet. 7 Der Kollaps von Illusion und Semiose im postdramatischen Theater führt wiederum dazu, daß die Raumkonzeption, welche die moderne Forschung für das antike Drama rekonstruiert hat, im semiotisch-diskursiven Bereich weit komplexer ist. Festzuhalten bleibt, daß fast alle dieser Subtypen und der genannten Raumtypen Schauplatz oder Reflexionsort der Transgression sein können. Diese wird in der attischen Tragödie gerne in den diegetischen oder postszenischen Raum verlegt. Ersteres ist im OT, letzteres in Euripides’ Medea der Fall. Der supraszenische Raum auf dem dient in dieser Tragödie der intratheatralischen Inszenierung der Transgression, der diegetische deren Reflexion durch den Chor. Wie im OT beschreibt der diegetische Raum dabei eine deutlich von der dramatischen Gegenwart abgesetzte Vergangenheit. 5 Vgl. dazu Anton Bierl, Überlegungen zum Fragment und einer fragmentierenden Poetik aus gräzistischer Sicht. In: Ds., Gerald Siegmund, Christoph Meneghetti, Clemens Schuster (Hgg.), Theater des Fragments. Performative Strategien im Theater zwischen Antike und Postmoderne. MedienAnalysen 3. Bielefeld 2009, 19-28. 6 Vgl. Hans-Thies Lehmann, Postdramatisches Theater. Frankfurt a.M. 3 2005, 285-290. 7 S. 3.3 Metatheater als poetische Transgression in der Einleitung. 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression 725 Die Transgression ist besonders geeignet, den Dialog zwischen den einzelnen Disziplinen der Altertumswissenschaft in Gang zu bringen, umfaßt sie doch soziale und religiöse Aspekte. In dieser Arbeit wurde sie aber entsprechend dem Wesen der dramatischen Gattung, in die sie eingeschrieben ist, unter handlungsstrukturellen und literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten in den Blick genommen. Daß der Transgression ein besonderer Stellenwert innerhalb der Gattung Tragödie zukommt, geht allein daraus hervor, daß sie bei manchen der hier besprochenen Stücke im zugrunde liegenden Mythos fehlt und erst in der Tragödie ergänzt wird, so in Euripides’ Medea, oder innerhalb des gewählten Zeitgeschehens durch die Dramengestaltung akzentuiert wurde, so in Aischylos’ Persern. Die Erkenntnis oder der Vollzug der Transgression sind in den untersuchten Tragödien das zentrale und konstitutive Element der Handlung, um welche diese komponiert ist und ohne die sie nicht bestehen könnte. 8 Die Transgression beleuchtet, weil sie durch ihren ethnologischen Schwerpunkt die Relevanz hervorhebt, welche die Faktizität der Handlung für die individuelle Reaktion und soziale Sanktion hat, Aspekte der Schamkultur, die bislang nicht in diesem Umfang in der griechischen Tragödie gesehen wurden (König Oidipus, Medea). 9 Die Faktizität der Transgression wird auch durch einen zivilisationsgeschichtlich weit elaborierteren Aspekt der griechischen Tragödie hervorgehoben, der mit einem ihr konträren Phänomen operiert, dem Bewußtsein der transgressiven Akteure. Auf dieses hebt bereits Aristoteles’ Definition der Wiedererkennung als Umschlag von der Unkenntnis in Kenntnis (Poet. 1452a 29-31) und seine Analyse des Furchtbaren und Jammernswerten anhand von Wissen und Unwissen (Poet. 1453b 27-54a 9) ab. Die Transgressionen und transgressiven Eliminierungen (Agaue) in den hier untersuchten Tragödien werden sämtlich nicht im Status eines vollwertigen ethisch-rationalen Subjekts vollzogen, son- 8 Für weitere Aspekte der generischen Einschlägigkeit der Transgression s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität in der Einleitung. 9 Die objektive Faktizität der Transgression tritt bei der Sanktionierung gegenüber einer individuellen Differenzierung nach situativen und intentionalen Faktoren zurück. Dies ist gewiß ein zivilisatorischer Fortschritt, der sich unabhängig von humanitären Rücksichten allein an der prozessualen Differenzierung der Sanktion festmachen läßt und der sich bereits im klassischen Athen bei der Tötung eines Menschen vollzogen hat und im OT aufgegriffen wird. Anders als bei der nachträglichen juridischen Sanktionierung scheint mir die Faktizität der Transgression, die in manchen Dramen - teils noch entsprechend der shame culture (OT) (Robert Parker, Miasma. Pollution and Purification in Early Greek Religion. Oxford 1983, 322, der nicht nachweisen kann, daß die Relevanz der Befleckung historisch zurückgewichen sei, sieht allerdings just in der hier einschlägigen Frage nach der Befleckung durch einen Mord einen solchen Relevanzverlust) - für die eliminatorische Sanktion praktisch relevant wird (Euripides’ Bakchen), auch noch in der Gegenwart für präventive ethische Normen kantianisch dahingehend fruchtbar gemacht werden zu können, daß transgressive Integritätsverletzungen kategorisch zu vermeiden sind. Die stärkere Akzentuierung der Faktizität der Transgression kommt auch im neuen, originalgetreueren Titel eines modernen literarischen Werks zum Ausdruck (Fjodor Dostojewskij, Verbrechen und Strafe. Roman. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. Zürich 1994), Dostojewskis Roman Schuld und Sühne, der im Original Verbrechen und Strafe überschrieben ist ( e a ). Als weitere Parallele zur vorliegenden Lektüre der antiken Tragödie erscheint bei dem russischen Romancier die auf die Transgression folgende Sanktion, die in dieser Arbeit in der Eliminierung aufgeht. 8. Zusammenfassung und Ausblick 726 dern erfolgen aus jugendlichem Ungestüm und in dadurch provozierter gottgesandter Verblendung (Xerxes), in sachlichem Irrtum und Affekt (Oidipus), in ekstatischem Rausch (Agaue) oder im Affekt (Medea). Tragisch ist eine Transgression allerdings nur dann, wenn ihr Vollzug mit einer Annullierung eines intakten ethisch-rationalen Subjekts einhergeht, die in der Handlungsstruktur wurzelt (Näheres s. den folgenden Abschnitt). Daneben ist die Transgression dadurch generisch besonders einschlägig, daß sie durch ihre typologische Vielfalt verschiedenste Aspekte des antiken Dramas abdeckt. Es fällt auf, daß sich diese unterschiedlichen Formen der Transgression in manchen Stücken - ähnlich den Sprechakten 10 - parallel vollziehen. Dabei bildet in Aischylos’ Persern und Sophokles’ König Oidipus die topologische Transgression ähnlich dem phonetischen Sprechakt die Grundlage für die normativen Transgressionen, aber in den Persern auch für eine poetologische, da die dargestellte Handlung ins ferne Susa verlegt wird. Die poetologische Transgression in Intra- und Metatheater erweist sich in den Persern, Oidipus Tyrannos und Euripides’ Medea als bemerkenswertes Darstellungsmittel, um die jeweiligen Besonderheiten der normativen Transgression hervortreten zu lassen. Eine Verbindung von Diachronie und Typologie der Transgression läßt zudem eine beachtliche Entwicklung erkennen: Das älteste erhaltene antike Drama, Aischylos’ Tragödie Die Perser, weist, wenn auch stets mit lokalem Bezug, mit der territorialen wie mantisch-spiritistischen, über die kulturimperialistisch-semiotische bis zur normativ-kosmologischen und poetischen bereits sämtliche Formen der Transgression auf, die in der weiteren Entwicklung des antiken Dramas transformiert und vom Lokalen abstrahiert, so die poetische im Metatheater, aber nicht durch weitere, grundsätzlich neue ergänzt werden. Dieser Abstraktionsprozeß vom Gegenständlichen läuft parallel zur Gesamtentwicklung der antiken Zivilisation. Allerdings konnte Vernants These, die ich etwas zugespitzt so formulieren möchte, die attische Tragödie beschreibe die Geburtswehen sozialer Rationalität und diene durch ihre Publizität als deren Katalysator, nur für Aischylos’ Perser und den Oidipus Tyrannos verifiziert werden. Da in der Komödie die Transgression zur Doppelung statt zur Eliminierung von Sinnträgern führt, hat sie mehr Freiheiten im Umgang mit der Transgression und kann deshalb am besten deren poetische Seite zur metatheatralischen ausbauen. Dieser Vorgang zeichnet sich bereits in der Alten Komödie ab, gelangt jedoch in Plautus’ Amphitruo, der wie das Gesamtwerk dieses Dramatikers die strukturelle Eliminierung der Transgression in der Nea nicht teilt, zu ihrem Abschluß. Zumindest mentalitätsstrukturell schafft die metatheatralische Abstraktion vom Gegenständlichen die Voraussetzung dafür, daß Senecas Tragödien die psychologische Seite der Transgression ausloten können, die in der attischen Tragödie nur in Euripides’ Medea ohne theologischen Bezug betrachtet worden und auch dort in soziale Rollenkonflikte eingebunden war. Der Abstraktionsprozeß der Transgression im antiken Drama findet damit seinen Abschluß und auch seine Vollendung, löst diese aber auch von der attischen Tragik (Näheres s. 8.4 Die 10 Bußmann s.v. Sprechattheorie. 8.2 Facetten und Darstellung der Transgression 727 verschränkte Diachronie von Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst). Die Transgression und die ihr verwandte Eliminierung sind Gegenstand einer besonderen dramatisch-literarästhetischen Darstellung. Psychologisch ist die Anagnorisis der Transgression (OT, Senecas Phaedra) oder der Entschluß (Euripides’ Medea) zu ihr die Peripetie mancher der hier untersuchten Tragödien. Diese Rolle als Scheitelpunkt der Handlung unterstreicht gegen René Girards Ubiquitarisierung von Gewalt und Transgression den strukturell exzeptionellen Charakter der Transgression, der in Euripides’ Medea mit ihrer Rolle als souveräner, ja sakraler Akt einhergeht. So kann Giorgio Agambens politische Theorie von Ausnahme und Souveränität auch der genaueren Beschreibung der Transgression in der antiken Tragödie dienen. Auch wenn Aristoteles in der Bühnenpragmatik dem Hören (des Dramentextes) den Vorzug vor dem Sehen einer effekthascherischen Inszenierung gab (Poet. 1453b 3-10), ist binnenpragmatisch, aber teils auch bühnenpragmatisch die Poetik der Transgression und der Eliminierung von einer Ästhetik des Fühlens, Hörens und Sehens geprägt. Dabei können diese Sinne in einer Reizsättigung zusammenwirken (so Sehen und Hören binnenpragmatisch bei Oidipus’ Blendung), sich synästhetisch überlagern (der Zuschauer hört die Schwertschärfe beim Mord an Medeas Kindern) 11 oder ein Sinn ausgeblendet werden, so der Hörsinn im Bericht von Oidipus’ Dreiwegmassaker. Der Gesichtssinn wird bei sämtlichen Botenberichten in seiner visuellen szenischen Unmittelbarkeit getilgt und durch die zumeist ähnlich starke sprachliche optische Suggestion ersetzt. Diese reduktionistische und konvergente Tendenz steht in einem auffallenden Kontrast zur Informationsfülle, die man der Bühnenaufführung mit dem Medienforscher McLuhan zubilligen kann, und entspricht modal der dargestellten Eliminierung und Transgression. Diese und die Eliminierung erfahren über die reduktionistische Ästhetik hinaus eine jeweils besondere literarische Darbietungsform: Während die Transgression in Aischylos’ Persern und im OT der Gegenstand der binnenhermeneutischen (Se)Mantik wird, erfährt die Eliminierung im Botenbericht eine detaillierte Ekphrasis. 12 Transgression und Eliminierung werden zudem in den hier näher untersuchten Tragödien in Bilder gekleidet, die sich auch als psychoanalytische Symbole aggressiver Ausrichtung deuten lassen (so die Meerengen und Skylla in Euripides’ Medea) und die eine Zuschreibung von gender-Rollen implizieren, 11 Die klassisch-attische Tragödie verwendet damit eine auch postdramatisch beliebte Figur (s. Lehmann 2005: 143 f.). 12 Mit der Übertragung dieses per se statischen Stilmittels auf die Schilderung von hochgradig dynamischen Handlungen in Botenberichten der Tragödie gehe ich einen (kleinen) Schritt weiter als Marco Fantuzzi, Art. Ekphrasis. DNP 3 (1997) 942-945, h. 943. Er führt A. Eum. 39-59 für die Ekphrasis außerszenischer Szenen im Drama an. Dabei handelt es sich trotz vereinzelter fientischer Verben (v. 42: ) um eine weitgehend statische Szene. Mein Begriff entspricht der Ekphrasis-Definition der antiken Rhetorik, die nicht auf Statisches beschränkt war, sondern bloß das deutliche ( ) Vor-Augen-Führen bezeichnet (vgl. die Belegstellen bei Ruth Webb, Ekphrasis, Imagination and Persuasion in Ancient Rhetorical Theory and Practice. Farnham 2009, 51). Die Spezifikation auf Bilder fand erst in der Altertumswissenschaft anfang des 20. Jh.s statt (Webb 2009: 7). 8. Zusammenfassung und Ausblick 728 die das biologische Geschlecht transzendiert. 13 So gehen denn auch Transgression und Eliminierung bei Euripides’ ehrliebender Medea und dem als Mänade kostümierten Pentheus der Bakchen unabhängig von psychoanalytischer Symbolik mit einem derartigen Rollenwechsel einher. 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer Die an sich einfache, da lineare Figur der Transgression bildet die analytische Grundlage für zwei komplexere Begriffe, nämlich Tragik und Metatheater: Jene beschreibt einen Modus, in dem die Transgression vollzogen wird, diese ist eine (meta)poetische Form der Transgression. Zuerst sollen nun Tragik und Tragödie im Verhältnis zur Transgression dargestellt werden. Die Eliminierung ist ein häufiger Modus der Transgression und ihre Folge in der Tragödie. Dagegen zieht die Transgression in der Komödie oft die Doppelung nach sich. So verdoppelt beispielsweise die Nea die Position des Patriarchen, dadurch daß der Sohn heiratet. Damit ist der bis in die moderne Dramatik feststellbare rituellzeremonielle Unterschied zwischen den beiden Theatergattungen erfaßt, daß die Tragödie mit Trauer, Begräbnis oder (Selbst-)Verbannung endet, während am Ende der Komödie die Hochzeit steht. Mit Eliminierung und Verdoppelung sind Handlungsmuster beschrieben, in welche die dramatischen Konflikte münden und die sich in allen untersuchten Stücken fanden. Solchermaßen lassen sich die Gattungsmerkmale und -differenzen von Tragödie und Komödie bestimmen. Davon streng getrennt werden in der vorliegenden Untersuchung Tragik und Komik, die ebenfalls Handlungen, und zwar zumeist transgressive, und Figuren nur als deren dramendiachrones Subjekt und Objekt charakterisieren. Entsprechend der analytischen Komplexität wurden zwei Stufen der Tragik unterschieden: Die erste ist die zeitweilige, handlungsstrukturell begründete Beeinträchtigung des Status als ethisch-rationales Subjekt. Auch wenn die tragische Transgression im Rahmen der Interaktion mit den anderen Figuren einen Anteil an dieser Dysfunktion haben kann, ist sie nie gänzlich selbstverschuldet. Bei der zweiten Art der Tragik muß der Protagonist eine Entscheidung zwischen zwei Arten von Integritäten treffen. Bei ihr wahrt in den meisten Fällen die Transgression die eigene physische und soziopragmatische Integrität, vernichtet aber diejenige von nahen Angehörigen und die eigene moralische. Bei beiden Formen der Tragik heben sich das Subjekt bzw. die Integrität in der Performanz selbst auf, die für ihre Existenz notwendig ist und immer andere Elemente umfaßt, die zur kontingenten tragischen Situation (Integritätenkonflikt, handlungsstrukturelle Desubjektivierung) führen. Die Tragik des Integritätenkonflikts wurde mit einem anthropologisch gewendeten Saussureschen Zeichenbegriff formuliert. Dagegen ließ sich der Peircesche index-Begriff, der einen referentiellen Bezug hat und sich deshalb für Diagnostisches eignet, in der forensischen Binnenhermeneutik der Transgression in etlichen Dramen (OT, Plautus’ Amphi- 13 So die dorische Lanze und der (persische) Opferkuchen in den Persern, der diese feminisiert; umgekehrt vermännlicht das Schwert als Phallossymbol Medea und Phaedra. 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer 729 truo und Senecas Phaedra) auch lexikalisch ( , signum, nota) nachweisen. Unterschiedliche Zeichenbegriffe erwiesen sich also als hilfreich für die jeweilige Beschreibung der Tragik und der Binnenhermeneutik der Transgression. Die beiden Formen von Tragik ließen sich nur in einem Teil der hier untersuchten Tragödien nachweisen, wobei sie zumeist parallel fehlen (Aischylos’ Perser, Senecas Phaedra) oder vorhanden sind (OT, Euripides’ Medea und Bakchen). In der hier nicht besprochenen Hegelschen Paradetragödie, Sophokles’ Antigone, ist dagegen sicher von einem tragischen Konflikt zwischen verschiedenen Integritäten auszugehen (s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch der Einleitung), während das Vorliegen einer handlungsstrukturellen Desubjektivierung zumindest im Falle Kreons partiell als wahrscheinlich angesehen werden kann, aber weiterer Diskussionen bedarf (s. 1.4.6 Arbeitsdefinition, Submerkmale und Parallelfiguren der Tragik der Einleitung). Das chronologisch erste der hier interpretierten Stücke, Aischylos’ Perser, entspricht zwar dem hier als generisch definierten Tragödienmuster der Eliminierung als Folge menschlicher, auch religiöser Transgression, weist aber auffallenderweise in der Person des geschlagenen Perserkönigs keine der beiden hier definierten Formen von Tragik auf. Daß Xerxes seine Transgression nicht als vollwertiges ethisch-rationales Subjekt vollzieht, liegt an seiner Jugend, also einem dauerhaften Mangel des Transgressors, und nicht der Handlungsstruktur. Ebensowenig beruht seine Transgression auf einem Integritätenkonflikt oder - wie in Herodots Historien - zumindest auf dem Versuch, eine integre Norm und Rolle zu erfüllen. Diese Distribution von transgressiver Eliminierung und fehlender Tragik mag der politischen Thematik dieser Tragödie und den sich daran anschließenden pädagogischen Absichten geschuldet sein und kann deshalb nicht beanspruchen, repräsentativ für den ersten Tragiker zu sein. Senecas Phaedra hat dagegen ihren totalen Kontrollverlust an den Affekt selbst verschuldet, indem sie es versäumte, ihn in statu nascendi zu bekämpfen, und arrangiert sich mit ihm überdies allzu theatralisch-ostentativ, um als tragische Figur im Sinne der handlungsstrukturellen Desubjektivierung zu gelten. In diesem Drama führt der furor durch seine Irrationalität und inhärente Transgressivität nicht nur, wie durch die interdramatischen Bezüge auf Euripides’ Bearbeitungen desselben Stoffes gesichert, zu einer Metatragik, sondern durch die mänadischen Züge, die er in der eponymen Protagonistin aufweist, zu Metatragödienmerkmalen (s. 7.6.1 Fazit in der Interpretation dieses Dramas). Während sich an Aischylos’ Persern und Senecas Phaedra keine präbzw. postdramatische Phase der literaturgeschichtlichen Entwicklung feststellen ließ, weisen beide Stufen der Tragik in den Dramen, in denen sie sich am klarsten nachweisen ließen (Sophokles’ OT und Euripides’ Medea), entsprechend der Komplexität dieses Konzeptes zusätzlich etliche Spielarten und Verfeinerungen auf. Im OT kann Oidipus sowohl in der erforschten als auch in der erforschenden Handlung nicht als vollwertiges rationales Subjekt handeln, da seine soziale Umwelt ihm Dinge verheimlicht, die seine Identität betreffen. Dadurch erfüllt er das Kriterium für die erste Form der Tragik, die in der handlungsstrukturellen Desubjektivierung besteht. Daß er dabei zumindest in der erforschten Handlung 8. Zusammenfassung und Ausblick 730 unwissentlich und unwillentlich fremde und eigene Integritäten verletzt, schlägt die Brücke zum zweiten Tragiktyp. Beide Tragiktypen verbinden sich dabei noch präziser auch in dem Paradoxon, daß ihn in der erforschten Handlung die Intention, die Transgression zu vermeiden, die in der Verletzung der physischen Integrität seines Vaters und seiner eigenen moralischen besteht, just in diese führt. Dieses Paradoxon ist das Spezifikum der Tragik in dieser Tragödie. Die Monstrosität der inzestuösen und parrizidalen Transgressionen, die Apoll ihm vorhergesagt hat, ist das tiefere Movens hinter dem paradoxen Scheitern der integren Intention und steht auch hinter der Tragik sowohl der handlungsstrukturellen Desubjektivierung als auch des Integritätenkonflikts. Auch Euripides’ Medea zeigt beide Stufen der Tragik. Sie erleidet nämlich einen Kontrollverlust an einen (Rache-)Affekt, der von der Umwelt angeregt, aber von ihr selbst gehegt wurde. Ein Novum ist dabei, daß sie ein klares Bewußtsein für diesen Kontrollverlust erkennen läßt. Außerdem stellt sie ihre eigene soziale Immunität und Souveränität als dramatisches Subjekt auf Kosten der eigenen moralischen Integrität und genealogischen Permanenz wieder her. Der Integritätenkonflikt ist dabei dadurch subjektiv und dramenintern klar erkennbar, daß Medea wie Kreon (und in wesentlich geringerem Umfang auch Iason) das Wohl ihrer Kinder als Handlungsmotiv neben der Wahrung oder Wiederherstellung ihres Status als soziales Subjekt in Betracht zieht. Daß der eigenen transgressiven und tragischen Integritätsverletzung eine solche der Außenwelt vorangeht, eint Oidipus und Medea gegenüber den anderen Stücken (Xerxes, Pentheus, Phaedra) und weist sie als Repräsentanten des genuinen Tragikmodells aus, da die konfligierenden Integritäten über die Handlungsstruktur verbunden werden und der Angriff auf die soziale Integrität handlungsstrukturell die Dysfunktion des Subjekts auslöst. In Euripides’ Bakchen ist die religiöse Transgression des Königs Pentheus, der Dionysos göttliche Ehren verweigert, trotz aller wohlmeinenden Appelle der Mitwelt handlungsstrukturell bedingt und damit tragisch, weil Pentheus’ soziale und dramatische Position, sein Erfahrungshorizont und das wunderlich-gefährliche Auftreten des Dionysischen die der Transgression zugrunde liegende Einschränkung von Pentheus’ ethischen und v.a. rationalen Subjektsfunktionen begünstigen. Beim Integritätenkonflikt läßt sich eine Diffusion des tragischen Handlungsschemas auf Pentheus, Agaue und Dionysos feststellen, die Pentheus’ Tod zu einer Tateinheit zusammenschließt. Abgeschwächt tragisch ist dabei nur Pentheus. Denn er verfolgt durchaus die Aufrechterhaltung der Ordnung, d.h. der kollektiven kulturellen, sozialen, v.a. sexualmoralischen, und physischen Integrität der Polis gegen die dionysische Bedrohung, verliert dabei jedoch seine rituell-religiöse und v.a. seine physische Integrität. Daß er diese nicht wissentlich der kollektiven Integrität opfert und obendrein eine religiöse Transgression begeht, trennt Pentheus vom heroischen Handlungsmuster. Daß er seinem Vetter unanerkanntermaßen und erfolglos nach dem Leben trachtet, unterscheidet ihn von dem klassischen tragischen Integritätenkonflikt, bei dem die physische Integrität eines Anverwandten der eigenen sozialen geopfert wird. Selbst wenn Dionysos die physische Integrität eines Anverwandten der Etablierung seiner sozialen opfert, handelt er damit nicht tragisch, da er keine Transgression begeht, , 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer 731 sondern seinen Status als Gott gegen einen Frevler etabliert. Daß er damit Teil des tragischen Handlungsschemas wird, zeigt der Vergleich mit Aphrodite, die mit Hippolytos in Euripides’ gleichnamiger Tragödie nicht verwandt ist. Auch die Desubjektivierung durch den göttlichen Wahn, die zur unwissentlichen und unbeabsichtigten physischen (Pentheus) oder genealogischen (Agaue) Selbsteliminierung führt, wird in allen Fällen von Dionysos als Sanktion für die religiöse Transgression gegen ihn und damit weniger komplex als die Verblendung bei Aischylos begründet. Anders als bei dem ältesten Tragiker ist sie ein Merkmal der eliminatorischen göttlichen Sanktion und nicht der menschlichen Transgression und damit ebenfalls nicht tragisch. Agaue bleibt damit hinter Medeas Tragik zurück, die wissentlich ihre eigenen Kinder ermordet, oder derjenigen der Phaidra des Hippolytos Stephanophoros, die trotz ihrer Integrität von Aphrodite als Instrument ihrer Rache an Hippolytos geopfert wird und ihre physische Integrität zur Wahrung ihrer moralischen aufgibt. Doch da sie die physische Eliminierung eines Anverwandten unmittelbar vollzieht, ist sie Teil des tragischen Handlungsschemas. Auch unabhängig von der Variation und Diffusion des tragischen Handlungsschemas, das auch die männlichen Figuren Dionysos, Pentheus und Theseus umfaßt, sticht die größere typologische Spannbreite der dramatischen Rollen und Funktionen ins Auge, die Frauen in den hier betrachteten oder besprochenen Tragödien dieses Handlungsmusters ausüben. Die weiblichen Rollen sind nicht nur vielfältiger, sondern auch existentieller. Die männliche Gewalt wird dabei entweder reaktiv angeeignet (Klytaimnestra, Medea) oder aber überwunden (Alkestis). Das tragische Handlungsmuster des Integritätenkonflikts ist bei männlichen Figuren recht klar umrissen und bleibt dies auch. Sie opfern für ihre soziale Integrität (Oidipus, Agamemnon) oder diejenige der Polis (Pentheus, Kreon) die physische von Anverwandten. Obwohl auch Mütter ihre männlichen Kinder umbringen (Medea, Agaue), ist die Rolle des rituellen Opfers nur weiblich besetzt (Iphigenie), da Medea ein Scheinopfer inszeniert. Gleichzeitig ist ihr Kindermord wesentlich existentieller gestaltet, da die Tragödie ihre Mühen mit der Geburt und den Widerspruch zu dieser expliziert. Während die männlichen Figuren gegen Götter kämpfen (Hippolytos, Pentheus) oder ihren gottgleichen Status einbüßen (Oidipus), schwingen sich die weiblichen zu einem solchen auf, gerade gegenüber ihren männlichen Gegenspielern (Medea, Phaedra). Auch das heroische Muster, bei dem die eigene physische Integrität für eine kollektive geopfert wird, beschränkt sich auf die weiblichen Figuren Antigone und Alkestis. Die rezente Kernthese des prominenten Bielefelder Germanisten Karl Heinz Bohrer, das Tragische der attischen Tragödie sei in Angstrede und Epiphanie des Schreckens begründet, konnte die vorliegende Arbeit nicht bestätigen. Das liegt nicht zuletzt daran, daß Bohrer mit der Ästhetik des Schreckens ein literaturwissenschaftliches Instrumentarium auf die attische Tragödie appliziert, das er in eindrucksvoller Weise am Frühwerk Ernst Jüngers entwickelt hat. 14 Es ist gewiß 14 Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk. München 1978. 8. Zusammenfassung und Ausblick 732 geeignet, hierin literarisch-ästhetische Aspekte zu erhellen, welche die Kritik wahrzunehmen nicht in der Lage war, die in der Nachkriegszeit an der kriegerischen Thematik oder dem nationalistischen publizistischen Engagement 15 geübt wurde, das Jünger zeitgleich im Rahmen der sog. konservativen Revolution entfaltet hatte. Bohrer insistiert dagegen auf der strikten Trennung des Moralischen und Ästhetischen. 16 Diese Herangehensweise wird im Falle Jüngers durch die Anlage seines literarischen Werkes gerechtfertigt, das in schroffer, antirationalistischer Dezision für den Ästhetizismus optiert (1978: 19). 17 Der Ästhetizismus entfernt nicht nur das Moralische aus der Kunst, sondern kehrt beider Verhältnis um, indem er die Lebensführung zu einem Gegenstand der Kunst macht. 18 Die strikte Trennung des Moralischen und Ästhetischen ist jedoch eine genuin moderne Bewegung, einer Epoche, in deren intellektuelle Krisen Jünger, wie Bohrer eingehend nachweisen kann, vielfach verwoben ist. 19 Eine solchermaßen explizite Programmatik ist zumindest der attischen Tragödie noch fremd, auch wenn man in ihren metatheatralischen Elementen Belege für eine derartige Haltung finden kann. Der „Aggressionscharakter gegenüber offiziellen Normen“, den Bohrer für den modernen Ästhetizismus rekonstruiert und der als ein Gestus der Wahrung künstlerischer Autonomie gewertet werden kann (1978: 21 f.), ist mit poetischen Zirkeln, aber nicht mit dem Öffentlichkeitscharakter der attischen Tragödien vereinbar. Diese wandten sich ja an ein kollektives Publikum, das nicht nur im Falle philosophischer Asebie, sondern auch dichterischer Verstöße gegen sein moralisch-ästhetisches Bewußtsein, wie die Strafe gegen Phrynichos’ Einnahme von Milet zeigt, zu Sanktionen bereit war. Der affirmative Charakter der Tragödien nimmt allerdings durch den Wandel der Eliminierung in den hier untersuchten Stücken ab: In Aischylos’ Persern erfolgte diese noch zwangsläufig, in Sophokles’ OT ist sie an die Erkenntnis und Einsicht des Transgressors in sein Vergehen geknüpft, die nie zur Debatte ste- 15 Jetzt in gesammelter und annotierter Form leichter zugänglich: Ernst Jünger, Politische Publizistik 1919 bis 1933. Hg., kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Sven Olaf Berggötz. Stuttgart 2001. 16 So das programmatisch „Ästhetische Autonomie und ideologiekritische Reduktion“ überschriebene Einleitungskapitel (1978: 13-20). 17 Zur antiken Reflexion über Kunst und Leben und beider Verklammerung über den Stil vgl. Melanie Möller, Talis oratio - qualis vita. Zu Theorie und Praxis mimetischer Verfahren in der griechisch-römischen Literaturkritik. Teilw. zugl. Diss. Bielefeld 2002. Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften Reihe 2 N.F. 113. Heidelberg 2004. 18 Die antike Künstler-Kriminelle, wie sie in Medeas intratheatralischen Inszenierungen vorliegt, unterscheidet sich von ihrem modernen Analogon dadurch, daß sie zwar die Tat inszeniert und als Kunstwerk gestaltet, diese jedoch nicht aus rein artistischen, sondern handfesten Ehr- und Rachemotiven verübt. 19 Wenn das Wesen des Tragischen und der Tragödie sich in einer Ästhetik des Schreckens und dem ästhetisch Bösen erschöpfte, bestünde - vielleicht abgesehen von einer ausgeprägteren Pathosrhetorik - kein Unterschied mehr zwischen ihr und Mario Puzos Roman Der Pate und Francis Ford Coppolas gleichnamiger Filmtrilogie. Daß ein solcher sehr wohl vorhanden ist, zeigt die abweichende Hierarchie der Integritäten, wobei die moralische gänzlich fehlt: Im Paten rangiert die eigene physische an erster Stelle. Ihr werden alle anderen untergeordnet. Wenn ihr die physische Integrität engster Anverwandter geopfert wird, ist dies anders als in der Tragödie, wo der Mord an Anverwandten eine massive Beeinträchtigung der eigenen moralischen Integrität darstellt, kein moralisches Problem. 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer 733 hen, und in Euripides’ Medea geht die Aneignung der Eliminierung so weit, daß die Transgressorin nach weitreichender physischer Eliminierung (in) ihrer sozialen Umwelt sich selbst als übernatürliche Evakuierung, nicht Sanktion lokal eliminiert und im Gegenteil der Bestrafung entzieht. Die Eliminierung wird damit bei Euripides zu einem Teil göttlicher Souveränitätskonstruktion, was sich noch deutlicher im Hippolytos und in den Bakchen zeigt, in denen mit der Eliminierung menschliche transgressive Verweigerung gegenüber dem göttlichen Geltungsanspruch sanktioniert wird. Daß die Eliminierung, so im Falle Medeas, aus einem scheinbar sicheren Automatismus gelöst und im Falle der Götter entsprechend sophistischen Überlegungen als Gegenstand der sozialen Interaktion und des individuellen Nutzenkalküls relativiert wird, verleiht ihr bei Euripides ein verstärkt reflexives statt affirmatives Moment. Was das Verhältnis von Kunst und sozialen Normen in der attischen Tragödie angeht, so hat die vorgelegte Arbeit sich um den Nachweis bemüht, daß in ihr gerade im Falle der Transgression Normatives, Sinnlich-Aisthetisches sowie Literarästhetisches wie Metaphern, narratologische Perspektivierung und Intratheater so eng verwoben sind, daß eine Hierarchisierung dieser Aspekte kaum sinnvoll ist und hier schwerlich geleistet werden kann. An Jünger und der attischen Tragödie werden zwei epochale Bewegungen sichtbar, in denen die Moderne weiter als die Antike gegangen ist und die den Einzelmenschen aus seinen tradierten beruhigenden Bindungen gelöst haben, nämlich die funktionale Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Felder 20 und die Radikalisierung der Subjektivität. Die ästhetizistische Stilisierung des Ästhetischen zu einem absolut autonomen Bereich ist eine ähnliche Ausdifferenzierungsbewegung wie die Etablierung des Politischen und Philosophischen als eigenständige Einheiten gegenüber dem Religiösen im Rahmen der neuzeitlichen Säkularisation. Im klassischen Athen war die Religion dagegen immer mit dem Sozialen und Politischen verbunden, 21 die verschiedenen Lebensbereiche der Gesellschaft bildeten im Schoße der Polis eine nachgerade organische Einheit. Die attische Tragödie, die durch ihre totale Öffentlichkeit nicht bloß als Reflexionsmedium dieser Gesellschaft diente, sondern ihr auch dadurch in künstlerischer Souveränität den Spiegel vorhalten konnte, speist sich denn auch, wenn man Vernants Studien glauben darf, aus der Verwobenheit von Religiösem und Juridischem. 22 Sie ist Zeuge und Medium dieses Differenzierungsprozesses, der nach den Ergebnissen dieser Arbeit auch Polis und Oikos betrifft (s. 5.2 Die Neue Komödie und Menanders Samia). Inwieweit sie ihn für das Ästhetische geleistet hat, ließe sich nur durch einen fundierten Vergleich mit der vorausgehenden reichen Literatur des Epos sowie der Einzel- und Chorlyrik zeigen, der in dieser Arbeit nicht ge- 20 Vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft. 2 Bde. Frankfurt a.M. 1 1997, Bd. 2, 707-743. 21 Jean-Pierre Vernant, Le dieu de la fiction tragique. In: Œuvres. 2 Bde. Paris 2007, Bd. 1, 1182- 1187, h. 1186. 22 Für die allmähliche Trennung von Tragödie und Politik, der mit dem Bau des Dionysostheaters beginne, s. Ulf Heuner, Tragisches Handeln in Raum und Zeit. Raum-zeitliche Tragik und Ästhetik in der sophokleischen Tragödie und im griechischen Theater. Diss. Leipzig 1999. Drama (Beiträge zum antiken Drama und seiner Rezeption) 14. Stuttgart 2001, 185. 8. Zusammenfassung und Ausblick 734 leistet werden kann. Allein die subtilen Formen dramatischer Metapoetizität, die sich in der attischen Tragödie finden, bieten, synchron betrachtet, eine künstlerische Selbstthematisierung, aus der sich jedenfalls ein Insistieren auf poetischer Autonomie ableiten läßt. Die Konfiguration der attischen Tragödie bringt es also zum gegenwärtigen Stand der Forschung mit sich, daß eine einseitige Übertragung von Bohrers an Jünger geschärftem literaturwissenschaftlichem Instrumentarium auf diesen literarischen Gegenstand als eine ähnlich willkürliche Dezision wie Jüngers Ästhetizismus angesehen werden darf, weil sie andere, wesentliche Aspekte selbst des literarischen Erkenntnisobjekts vernachlässigen muß. 23 Dazu zählt zum einen die Gewalt, die bei Jüngers Kriegsbeschreibungen anonymisiert, multipliziert und gesellschaftlich unproblematisch ist, während die persönliche intrafamiliäre Gewalt das Hauptthema und Skandalon der attischen Tragödie ist, zum anderen die völlig andere Rolle der (literarischen) Maske. Bei Jünger ist sie Teil der auktorialen Selbstkonstruktion, die ebenso auf Dezision beruht wie sie diese und den Ästhetizismus ermöglicht. Der Autor hat nur eine einzige Maske, hinter der er sich verbirgt, die er gestaltet und in der er mit so perfekter Illusion aufgeht, daß man darin wie in der politischen Publizistik den Menschen und seine Grundhaltung meinte erkennen und beurteilen zu können. Die attische Tragödie ist dagegen ein Spiel mit Figurenmasken, das den Autor vollständig verbirgt, weil er hinter keiner ausgemacht werden kann. Nur so kann sie die Ambivalenz, Differenzierung und allenfalls gespaltene Identifikation erzeugen, die grundlegend für das ist, was in dieser Arbeit anhand des antiken Dramas als Tragik herausgearbeitet wurde. 24 Denn so wenig mit der These, in 23 Daß sich Bohrers, an Jünger gewonnenes literarästhetisches Instrumentarium nicht systematisch auf die attische Tragödie übertragen läßt, schließt selbstredend nicht aus bzw. wird dadurch noch illustriert, daß einzelne seiner Gedankensplitter, etwa aus dem Waldgang, durchaus Einzelphänomene in antiken Dramen in ein neues Licht tauchen können (vgl. 4.6 Irrationalität, Liminalität, Ambivalenz und Differenzannullierung in der Interpretation von Euripides’ Bakchen und 7.2.4 Hippolytus als pseudophilosophisch exaltierter misogyner Anachoret in der Interpretation von Senecas Phaedra). 24 Dieser Hinweis auf die fundamentale Differenz der literarisch-perspektivischen Komplexität zwischen der attischen Tragödie und Jüngers In Stahlgewittern heißt nicht, daß Bohrers an einem Kriegstagebuch gewonnene Kategorien nicht heuristisch ertragreich anderweitig auf die antike Literatur angewandt werden können. Zu nennen wären hier z.B. eine ästhetische Analyse der Schlachtenbeschreibungen in der Ilias, die bislang literarisch eher unter dem Aspekt ihrer ahistorischen unrealistischen Fiktionalität betrachtet wurden (Hellmann 2000), und der von Homer abhängige Bericht der Schlacht von Salamis, den Aischylos’ Perser bieten (zu homerischen Botenberichten bei Aischylos allgemein s. Georgios Kraias, Epische Szenen in tragischem Kontext. Untersuchung zu den Homer-Bezügen bei Aischylos. Diss. 2008. Prismata 20. Frankfurt a.M. 2011, 147-169; weiterführend s. 1.4 Jeu de massacre: Darstellung der Eliminierung in der Perser-Interpretation). Allerdings muß die heroische Entschiedenheit im Kampf, die der Erzähler in Jüngers Kriegsbüchern vertritt, im Epos bisweilen durch Paränese herbeigeführt werden (z.B. Il. 5.461-470, 6.66-115; vgl. Joachim Latacz, Kampfparaenese, Kampfdarstellung und Kampfwirklichkeit in der Ilias, bei Kallinos und Tyrtaios. Habil. Würzburg 1972. Zetemata 66. München 1977, v.a. 21-44). Im Epos dient sie damit nicht der Selbstvergewisserung des Individuums. Für das Verständnis der attischen Tragödie ließe sich am ehesten innerhalb von Jüngers Werk aus seinem allegorischen Roman Auf den Marmor-Klippen ein brauchbares Instrumentarium gewinnen, da es in diesem Werk nicht um individuellen Heroismus, sondern verhängnisvolle kollektive Entwicklungen geht, wie sie auch in der Tragödie anzutreffen sind. Doch fehlt diesem Werk, das von dem Schmerz über die innere Zerstö- 8.3 Zur Tragik und ihrer Neudefinition durch Karl Heinz Bohrer 735 der Moderne sei die gesellschaftliche Felddifferenzierung weiter fortgeschritten und die Subjektivität radikaler, eine Aussage zur unterschiedlichen Fortschrittlichkeit oder eine irgendwie geartete Neuauflage der Querelle des Anciens et des Modernes intendiert wäre, so sehr muß auf den Zweifeln insistiert werden, daß der Komplexität der Tragik, die in die attische Tragödie eingeschrieben ist, die Theorie des Tragischen und die Praxis der Tragödie der Neuzeit und Moderne etwas annähernd Entsprechendes an die Seite oder entgegenzustellen haben. 25 Das universalistische Potential der Tragödie bringt auch eine Aktualität des Tragischen mit sich, die zeitgenössische Debatten bereichern könnte: Die Postmoderne verabschiedet das Subjekt begrifflich und systemisch, die Tragik hebt es bloß in praxi auf. 26 Insofern können die Texte der antiken Tragödie selbst noch nach über 2000 Jahren wertvolle Reflexionsimpulse zur condicio humana liefern. Das gilt um so mehr, wenn man sie - was im thematischen und räumlichen Rahmen dieser Arbeit nicht geschehen konnte - mit den postmodernen Konzepten des Posthumanismus ins Gespräch bringt. 27 Bohrers Ergebnisse und sein Analyseapparat konnten trotz der hier vorgebrachten Einwände gegen sein Vorgehen mit der vorgelegten Analyse verbunden, vielfältig ergänzt und weiterentwickelt werden, um der Komplexität gerecht zu werden, welche die Tragik und Semiose in der attischen Tragödie auszeichnet. Angstrede und Epiphanie des Schreckens inszenieren die Handlungsstationen Transgression und Eliminierung, ohne die sie gegenstandslos und dramatisch absurd würden. Bohrer verengt die Perspektive auf zwei negative, passivierende emotionale Reaktionen des drameninternen Rezipienten. Dieser zeigt im OT auch , 28 dessen markantes Fehlen Hopman in Euripides’ Medea rung der Heimat und Grauen über die Greuel des Nationalsozialismus getränkt ist (vgl. dazu und v.a. zu dem KZ-Analogon Köppels-Bleek Bohrer 1978: 249 f.) und das hiermit die Jüngersche radikale Subjektivität realisiert, jenes Sowohl-Als auch im suggerierten Urteil, wie es der attischen Tragödie (und dem Tragischen) eigen ist. 25 Gewagt ist Bohrers praktischer Brückenschlag zwischen den Epochen, der zur praktischen interpretatorischen Überprüfung einlädt. Er meint, die neuzeitlichen Dramatiker wie Marlowe, Shakespeare, Corneille, Racine, Goethe, Schiller und Kleist hätten die von den Griechen erfundene Ästhetik des Schreckens „wiederholt, ergänzt und vertieft“ (2009: 35). Zum Tod der Tragik in der Moderne und ihren Aussichten auf Auferstehung s. George Steiner, The Death of Tragedy. New Haven, London 1996, 351. Vgl. Dietrich Mack, Ansichten zum Tragischen und zur Tragödie. Ein Kompendium der deutschen Theorie im 20. Jh. München 1970, 162-164 mit seinem optimistischen Schlußwort (S. 164): „Werden Demokratie und Fortschrittglaube recht gesehen, so hindern sie nicht die Möglichkeit des Tragischen.“ Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, daß das Reflexions- und Differenzierungspotential, das der Tragik innewohnt, unabdingbar für den Bestand und die Weiterentwicklung nicht nur der attischen, sondern auch der (post)modernen Demokratie ist, weil es dazu zwingt, auch die Berechtigung der Gegenposition zu akzeptieren. Denn die Tragik kann zu der Einsicht beitragen, daß andere Meinungen nicht der Verblendung, Verstocktheit oder Boshaftigkeit des Andersdenkenden entspringen, sondern in der Sache selbst wurzeln, bei der zwei Werte oder Rechtsgüter konfligieren. 26 Für den Versuch, eine allenfalls über die Notwendigkeit begrifflich gefaßte Tragik auch in Tendenzen v.a. der Jugend auszumachen, s. Michel Maffesoli, The Tragic in Postmodern Society. In: Rita Felski (Hg.), Rethinking Tragedy. Baltimore, Md. 2008, 319-336. 27 Vgl. dazu Stefan Herbrechter, Posthumanismus. Eine kritische Einführung. Darmstadt 2009. 28 S. 2.6.1 Metatheater und Aisthetik der Eliminierung in der Interpretation dieser Tragödie. 8. Zusammenfassung und Ausblick 736 ausmachen kann (2008) und dessen bühnenpragmatische Möglichkeit sie für Aischylos’ Perser zu rekonstruieren sucht (2009). Die Transgression selbst ist im OT und bei Euripides’ Medea vom Zorn, bei Senecas Phaedra vom furor motiviert. Bohrers dramatische Kategorie der Epiphanie inszeniert nicht nur, wie von ihm untersucht, im OT, sondern auch in Euripides’ Medea Transgression und räumliche Selbsteliminierung und zeigt gerade in dieser Tragödie ihre begriffliche Kompatibilität mit dem Intratheater. Die Emotionen der untersuchten Tragödien sind also vielseitiger als die von Bohrer in den Blick genommenen Affekte und als Motivation oder Reaktion mit den Handlungsstationen Transgression und Eliminierung verbunden. Den menschlichen Epiphanien fehlt anders als den göttlichen in Euripides’ Hippolytos und Plautus’ Amphitruo das Moment der Plötzlichkeit, dafür verfügen sie über dasjenige der Apokalyptik, da ihr Schrecken nicht wie bei den Göttern auf der Erscheinung, sondern auf der Enthüllung und Präsentation der Eliminierung und Verletzung der physischen Integrität beruht, die der Transgression inhärent oder subsequent sind. Die besprochenen göttlichen Epiphanien, die anders als die menschlichen mit der Anagnorisis zusammenfallen, sind dagegen restaurativ. In Senecas Phaedra ist nicht nur die abschließende, mit der Selbsteliminierung einhergehende Epiphanie apokalyptisch, sondern auch drei weitere vorausgehende Szenen. Bei allen vier Auftritten enthüllt die Protagonistin eine Transgression, deren dramatisches Subjekt sie selbst ist und die bei ihrem Gegenüber Bestürzung und Entsetzen auslöst. Einen komplexeren Sonderfall bieten Euripides’ Bakchen: Das gesamte Drama fungiert als Epiphanie von Dionysos’ Göttlichkeit, deren Anerkennung das Ziel des Dramas ist. Erreicht wird es in Dionysos’ Epiphanie am Ende der Tragödie, die sensu stricto eine plötzliche göttliche Epiphanie wie in den anderen besprochenen Dramen ist. Da der Schrecken wie in diesen ein Begleiter oder aber v.a. in dieser Tragödie ein Vehikel der Epiphanie ist, kann man sie ebenfalls - anders als die menschlichen - nicht als apokalyptisch einstufen. Dies ist in diesem epi- oder besser theophanen Drama als Unikum nur die religiöse Transgression, da sie Dionysos dazu bringt, neben seinen milden seine grausamen Züge zu offenbaren (v. 860 f.), was sonst kein Gott in den hier besprochenen Stücken tut. 8.4 Die verschränkte Diachronie von Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst Diese Arbeit faßt, um nach der Tragik zur zweiten eigenständigen Spielart der Transgression zu kommen, die dramatische Metapoetizität, die vielfach terminologisch indifferent unter dem Stichwort ‚Metatheater‘ verwaltet wird, als (meta-) poetische Form der Transgression auf, die den allgemeinen, gattungs- und werkspezifischen literarischen Zeichengebrauch und die Kommunikation des Sprachkunstwerks sowie seine Faktur reproduziert, thematisiert oder reflektiert. Die in der Forschung bereits konzeptuell und in der Einleitung dieser Arbeit 29 termino- 29 S. 3.3 Metatheater als poetische Transgression. Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst 737 logisch vollzogene Differenzierung dramatischer Metapoetizität in Metatheater (Thematisierung der Gattung oder des vorliegenden Theaterstücks und ihrer Spezifika), Intratheater (Theater im Theater) und Intertheater (intertextueller Bezug auf andere Dramen) hat sich für die nachfolgende Analyse des antiken Dramas nicht nur systematisch, sondern auch diachron als heuristisch ergiebig erwiesen, da sie wie bei der Tragik eine Entwicklung innerhalb des antiken Dramas beschreiben kann. In der attischen Tragödie sind nur Intratheater und Intertheater geläufige dramaturgische Mittel; das Metatheater in seiner harten, transszenischen Form, dem Durchbrechen der mimetischen Illusion durch direkte Ansprache des Publikums, das in der antiken Komödie verbreitet war, ist nicht einmal in den Schlußworten des Chores anzutreffen. Ansonsten thematisiert das Metatheater der attischen Tragödie die (Re-)Präsentation der Mimesis in ihrer optischen (OT) oder personalen Dimension und ist weitgehend an das Intratheater geknüpft, das seinerseits auch unabhängig vom Metatheater reichlich vertreten ist. Dieses emanzipiert sich erst am Ende des attischen Dramas vom Intratheater, so in Euripides’ Hippolytos und Bakchen sowie in Aristophanes’ Fröschen. Nach einer weitgehenden textuellen und konventionellen Einhegung in der realistischen Nea gipfelt das Metatheater dann in Plautus’ Amphitruo in seiner transszenischen Form, dem Auftritt zweier Götter statt eines, und stellt seine grenzüberschreitende Wirkungsweise bei den gleichfalls literarisch transgressiven Phänomenen der Phantastik und Komik unter Beweis. Die Transgression wird dabei in diesem Drama über Metatheater, Phantastik und Komik im größten typologischen Umfang innerhalb des antiken Dramas ein poetisches Phänomen. Allerdings ist die dramatische Metapoetik, v.a. das Metatheater bereits für sich genommen durch ihre Bifunktionalität in zwei Kategorien ein Phänomen höchster poetischer Komplexität und ein ästhetischer Zugewinn: Lassen sich die Formen dramatischer Metapoetik semantisieren, wie zumeist im OT, sind sie Dokumente einer feinziselierten dramatisch-literarischen Semiotik; ist dies nicht der Fall oder geschieht dies zusätzlich zu dieser, bekräftigen sie das künstlerische Spiel und die Autonomie der Dramen als Kunstwerke, indem sie deren Fiktionalität thematisieren. 30 Die künstlerische Autonomie der Dramen verstärkt sich im Verlaufe der Entwicklung des antiken Dramas. Dies betrifft auch die dramatische Metapoetik und beruht auf dieser, da sie sich typologisch ausdifferenziert. Diese Entfaltung der dramatischen Metapoetik soll im folgenden im Zusammenspiel mit anderen Analysekategorien dieser Untersuchung beleuchtet werden. Es liegt nahe, die analytische Auffächerung und literaturgeschichtliche Entwicklung der dramatischen Metapoetizität mit derjenigen der Tragik zusammenzudenken, zumal wenn man beiden mit der Transgression ein gemeinsames analytisch-vektorales Substrat unterlegt. Diese Entwicklungslinien können je- 30 Ähnlich stellt Christoph Menke, Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. Frankfurt a.M. 2005, 152 eingangs des Kapitels „Metatheater, Metatragödie“ die These auf, das Theater könne, wenn es darauf verzichte, zur praktischen Freiheit zu führen, seine ästhetische Freiheit zurückgewinnen. Auch wenn Menke hier auf das Scheitern von Brechts politischem Theater Bezug nimmt, bleibt der ästhetische Grundgedanke derselbe, die Selbstbesinnung des Theaters gewährleiste seine Autonomie. 8. Zusammenfassung und Ausblick 738 doch nicht ohne einen weiteren Faktor herausgearbeitet und verglichen werden, der für das Verständnis von Transgression, Tragik und attischer Tragödie in der neuzeitlichen klassischen Philologie seit langem eine zentrale Rolle spielt, nämlich d Religion, auch wenn oder gerade weil diese keine einheitliche, sondern eine entwicklungsoffene Kategorie ist. In den Interpretationen des deutschen Sprachraums nahmen nämlich früher die Götter einen größeren Stellenwert ein, während seit geraumer Zeit auch Rituale mehr Beachtung finden. Beide Größen sollen im folgenden, beginnend mit den Göttern, für unsere Untersuchung he angezogen werden. Insgesamt ist in den hier besprochenen Dramen, Tragödien wie Komödien, eine kontinuierliche Abnahme der außerdramatischen religiösen Überzeugung und Gewißheit auch bei der Binnenhermeneutik der Transgression festzustellen. In den Persern stimmten die autoritativen Figuren fortgeschrittenen Alters (Chor der Alten, Atossa, Dareios’ Geist) darin überein, die außenpolitische Katastrophe als eine göttliche Sanktion der religiösen wie militärischgeographischen Transgression des jungen Großkönigs zu deuten. Xerxes’ Uneinsichtigkeit in seine Transgression und Verantwortung für die Katastrophe bestätigten eher das vorangehende negative Urteil, das sein nekromantisch evozierter Vater über seine jugendliche Neigung zur Transgression vorgetragen hatte. Die olympischen Götter treten in den Persern nicht in einen verbalisierten kommunikativen Kontakt mit den Menschen und selbst bei Atossas Traum und dem anschließenden Raubvogelvorzeichen, die mit allegorisch-analogen Handlungsabläufen das zukünftige oder ferne Geschehen erschließen lassen, wird der Bezug zu Phoibos (v. 205 f.) nur lokal-rituell hergestellt. Dagegen beeinflussen drei delphische Orakel im OT die Handlungen der Figuren und den Verlauf des gesamten Dramas so nachhaltig, daß diese ohne sie nicht den im Drama geschilderten Lauf genommen hätte. Der Glaube an die faktische Relevanz der Götter, die von den Dramenfiguren praktisch unterlaufen werden sollte und theoretisch in Frage gestellt worden war, was den Hauptteil ihrer Transgression ausmacht, wird am Ende der Tragödie mit dem schmerzlichen Fall der Zweifelnden auch von diesen wiederhergestellt. Unterscheidet sich der OT von den Persern dadurch, daß die geschilderte Restauration der bei Aischylos noch fraglosen göttlichen Autorität nötig und ein wesentlicher Teil der Tragödienhandlung ist, so geht der Schwund der göttlichen faktischen Relevanz und Autorität bei Euripides noch weiter und zeigt zwei diametrale Entwicklungen. In der Medea, in deren Schlußszene die beiden ehelichen Kontrahenten vergeblich eine göttliche Sanktion wider die Transgression des anderen beschwören, mündet er in einen faktischen Agnostizismus und dramatischen A-Theismus: Die Götter sind in der Handlung inexistent und existieren nur noch als Spielball der Dispute und Diskurse der menschlichen Sphäre, die göttliche suprasystemische Sphäre hat also ihre vormalige Autonomie und Rolle als eherner Bezugsrahmen der sozialen Interaktion in der Tragödie eingebüßt. Das andere Extrem bilden der Hippolytos und die Bakchen, in ie r Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst 739 denen eine Gottheit als Bühnenfigur in Erscheinung treten muß, 31 um ihre Autorität wiederherzustellen. Ihre szenische (Hyper-)Präsenz ist das Gegenteil ihrer dramatischen Abwesenheit in der Medea. Der Tod Gottes im Drama fällt gut nietzscheanisch mit der Geburt des Übermenschen zusammen, wobei die Korrelation von Geburt und Tod bei Dionysos’ Mythologie besonders augenfällig wird und seine Geburt und der daran geknüpfte Status zentrale Momente der Bakchen sind. Daß jedenfalls die Götter wie die menschliche Figur Medea, die nur die Enkelin eines Gottes ist, als di ex machina auftreten, diese Austauschbarkeit von Gott und Mensch in der Figuren- und Funktionenmatrix des Dramas weist sie eher als Übermenschen denn als archaische Götter aus. Während die Götter bei Aischylos den menschlichen Verstoß gegen die Weltordnung sanktionierten, also die Übertretung einer von ihnen unabhängig existierenden Norm, richtet sich der menschliche, göttlich sanktionierte Normverstoß bei Euripides gegen ihre Geltung oder ihren Status als Götter. Die Götter handeln somit pro domo und autoreferentiell. Im Hippolytos kommt, da der Konflikt in der Götterebene verankert wird, zudem ein Riß in den Olymp, der bislang auf das Epos beschränkt war. Daß in der Tragödie anders als im Epos, wo diese Konfliktlösung in den erhaltenen Homerischen Epen ausgeschlossen war, die Eliminierung von Verwandten möglich war und der soziale Zusammenhalt tiefer als im Epos erschüttert wurde, wurde zuvor gewissermaßen von der Solidität der suprasystemischen Götterebene abgefangen. Daß eine dea ex machina im Hippolytos die soziale Krise beenden muß, ist komplementär dazu, daß eine andere sie inszeniert hat, um als Reaktion auf eine menschliche Transgression ihre Autorität zu restaurieren, und beweist faktisch den Nexus zwischen der wachsenden Fragilität der sozialen und göttlichen Welt. Parallel zum Verlust religiöser Gewißheiten und Verbindlichkeiten verläuft die Erosion des sozialen Zusammenhaltes, welche die tragödientypische soziale Krise noch verstärkt. Während in den Persern selbst elterlicher Tadel nur in absentia des Filius geäußert wurde und Kritik am Herrscher folgenlos blieb, kommt es im OT sogar zu herrscherlichen Justizmorddrohungen gegen den eigenen Schwager, bevor der Monarch die soziale Einheit schlußendlich - auch und gerade mit diesem - einsichtsvoll und zerknirscht wiederherstellt. Der totale Zerfall einer interpretativen Einheit, der für die Schlußszene von Euripides’ Medea typisch ist und bereits im theologischen Dissens der ehelichen Kontrahenten angeklungen war, bleibt in dieser Tragödie auf den Oikos beschränkt. Die weitere Entwicklung in der Nea und v.a. im lateinischen Drama setzt die beschriebenen Tendenzen mit durchaus eigenen Akzenten fort. Konnten die Götter bei Euripides noch ihre Geltung durch dramatische Intervention wiederherstellen, so sinken sie in der Nea entsprechend deren dramatischer Immanenz zu reinen Prologsprechern herab, untermauern also nicht wie bei Euripides ihre Worte durch Taten und stellen nicht ihre faktische Relevanz unter Beweis. In Plautus’ Amphitruo erweisen sie sich zwar als dem Menschen absolut überlegen, 31 Allgemein und weiterführend hierzu s. Christiane Sourvinou-Inwood, „Walking among Mortals? Modalities of Divine Appearance in Aeschylos, Sophocles, and Euripides“, in: Tragedy and Athenian Religion. Lanham, Md. 2003, 459-511. 8. Zusammenfassung und Ausblick 740 müssen jedoch nicht ihre Autorität restaurieren, sondern initiieren und korrigieren selbst die sexuelle Transgression in der mittlerweile bekannten Restauration als deus ex machina. In Senecas Phaedra verlieren sie im Vergleich zu Euripides’ Hippolytos Stephanophoros ihre suprasystemische Souveränität gegenüber der menschlichen Ebene und dienen nur der ethologischen Scharfzeichnung und dem Vollzug der menschlichen Transgression. Von Garanten, Verkündern und schließlich Setzern der für den Menschen unverrückbaren Norm (so die Entwicklung von Aischylos über Sophokles zu Euripides) werden sie so zum Indikator und Vehikel der menschlichen Transgression. Das Drama emanzipiert sich so von der göttlichen Ebene, indem es sie mit Hilfe der verschiedenen Formen der dramatischen Metapoetizität inkorporiert. Die drei auf der Transgression basierenden Kategorien Tragik, Metatheater und göttliche Autorität zeigen also diachron eine unterschiedliche, aber wohl nicht gänzlich voneinander unabhängige Entwicklungslinie auf der y-Achse eines kartesischen Koordinatensystems, dessen x-Achse den Zeitverlauf abbildet: Während die Autonomie der göttlichen Ebene und ihre Funktion als Korrektiv der Transgression konstant abnehmen, beschreiben die Entwicklungslinien, welche die Tragik als Merkmal der Transgression und die dramatische Metapoetizität als poetische Transgression bilden, einen nach oben gewölbten Bogen. Er ist bei der dramatischen Metapoetizität im Vergleich zur Tragik zeitlich nach hinten versetzt. Ihren Höhepunkt hat die Tragik im OT und in Euripides’ Medea, während die dramatische Metapoetizität in den Bakchen und in Plautus’ Amphitruo kulminiert. Es ist wohl kein Zufall, daß der OT, der die wohl reinste Form von Tragik bietet, nicht die harten Formen des Metatheaters wie Euripides’ besprochene Tragödien oder Plautus’ Amphitruo, sondern subtile Arten der Selbstreflexion des Theaters aufweist. Das Schneiden der beiden Linien von Tragik und dramatischer Metapoetizität und ihre paradigmatische Inkompatibilität lassen sich dann in Euripides’ hier nicht näher untersuchtem Hippolytos Stephanophoros beobachten. Das Metatheater ist der natürliche Feind der Tragik, weil es die ehernen Regeln untergräbt, auf denen diese innerhalb der Gattung Tragödie beruht. Die Einfallspforte, der Träger und Motor des Metatheaters ist aber die sich wandelnde Rolle der Religion in der Tragödie, deren dramatische Manifestation bei den drei attischen Tragikern als Reaktion auf ihre schwindende Akzeptanz durch die Dramenfiguren immer mehr zunimmt. Diese Funktionsweise liegt - essentialistisch vereinfacht gesprochen - im Wesen der Religion, die selbst in ihrer anthropomorphen und polytheistischen Ausprägung bei den Griechen eine weitere Ebene zur Alltäglichkeit konstituiert und durch diese Lichtung im Dikkicht der Erlebnisse wie das Theater einen Reflexionsabstand zum Präsenten schafft, welcher der mimetischen Illusion abträglich ist. Theater und Religion sind also nicht bloß in ihrer öffentlichen Performanz und sozialen Funktion verwandte gesellschaftliche Praktiken, sondern haben beide dieselbe Abstand schaffende Funktion. 32 Die mimetische Hineinnahme religiöser Elemente ins 32 Diese fällt bei der anthropomorph-polytheistischen Religion größer als im Theater aus. Denn diese Religion dupliziert das Menschliche zwar gleichfalls mimetisch, dies geschieht jedoch durch die Hinzunahme der vertikalen Achse, die zum Himmlischen und Chthonischen verläuft, Metatheater, Tragik, Religion und Autonomie der Kunst 741 Drama bringt somit ein Ferment zusätzlicher Distanzierung in die Gattung, das fortschreitend gärt und deren Strukturen sprengt. Mit den sich immer weiter vom Gegebenen und der Mimesis emanzipierenden Ausprägungen dramatischer Metapoetik konstruieren die Dramen also ihre zunehmende poetische Autonomie über den Umgang mit der Religion, die vom autonomen Rahmen und Garanten der dargestellten kosmischen und sozialen Ordnung zum materialen Substrat des künstlerischen Schaffens wird. Götter, Mythen und Riten werden so ungeachtet der selbst in den Dramen nachweisbaren geistesgeschichtlichen Debatten und religionspolitischen Konflikte zu autonomen literarischen Sinnträgern und dramatischen Realitäten, die von ihrem Ursprung und von einer allein aufgrund des unbestrittenen Referenz auf gesellschaftliche religiöse Phänomene unabhängig sind. Bereits in der ältesten erhaltenen Tragödie, Aischylos’ Persern, fungiert das nekromantische Ritual als Intratheater. Die Parallelität von Ritual und Intratheater ist dabei kein Zufall: Beide setzen pragmatisch einen performierenden Regisseur und ein Publikum voraus. Das Ritual ist schon in dieser Tragödie nicht nur eine der zahlreichen religiösen Strategien, welche die Dramenfiguren in mimetischer Doppelung gesellschaftlicher Praktiken zur Kontingenzbewältigung vollziehen, sondern qua mise en abyme, also miniaturisierte Duplizierung des gesamten Kunstwerks, Teil dessen und der dramatischen Semiose. Ein nächster Schritt von der passiven Inkorporierung des dramenmetapoetisch verfaßten Religiösen zur Entfaltung von dessen dramenmetapoetischer Funktion vollzieht sich ab Euripides über die Emanzipation des Religiösen, das hierbei über die Götter statt über das Ritual in Aktion tritt, zum dramatischen Akteur: Die Götter werden, da ihre religiös-mythische Rolle ins Dramatische transponiert wird, generisch zu Initiatoren und individualdramatisch zu Regisseuren des Metatheaters, so Aphrodite in Euripides’ Hippolytos, Dionysos in seinen Bakchen, die noch die affirmative Funktion ihres Auftretens erkennen lassen, wenn sie im Prolog intratheatralisch ihren Geltungsanspruch inszenieren, und in gewisser Weise Dionysos in Aristophanes’ Fröschen sowie Merkur und Jupiter in Plautus’ Amphitruo. Es ist wohl kein Zufall, daß mit der Transformation der Götter von Garanten der Ordnung zu Regisseuren des Metatheaters ein Rückgang der Tragik zusammenfällt, da jenes, wie gesehen, die Unverrückbarkeit der Regeln untergräbt, welche diese benötigt. 33 Gleichwohl zeigt das Beispiel Medeas, daß Tragik auch ohne manifeste göttliche Wirksamkeit rein auf der Ebene menschlicher Integritätenkonflikte dramatisch existieren kann. Ebenso dient die pervertierende Performanz von Opferriten im Falle Medeas dazu, dramatische Souveränität und das ästhetisch Transgressive literarisch zu konstruieren. Analog zu dieser gattungsgeschichtlichen Entwicklung des Religiösen in der Tragödie in Richtung auf eine zunehmende poetische Autonomie läßt sich auch die Rolle des Gottes bewerten, der seit der Antike die größte Nähe zum Drama hat, Dionysos. Als Wein- und Theatergott ist er der Patron nicht nur der mimeti- schafft also eine größere Distanz zum Menschlich-Alltäglichen als das bühnenpragmatisch primär horizontal agierende Theater. 33 Ähnlich macht Steiner 1996: 353, der gewiß eine andere Tragikkonzeption vertritt, das Schwinden des Glaubens an Gott seit dem 17. Jh. für den Tod der Tragödie verantwortlich. 8. Zusammenfassung und Ausblick 742 schen Transgression des Alltäglichen, sondern auch der rauschgeleiteten sozialen Grenzüberschreitung. Das Dionysische, das in der Gegenwart gerne als ritualmythologisches Substrat der Tragödien verstanden wird und, dermaßen religionsgeschichtlich verstanden, dort ubiquitär ist, läßt sich denn auch heuristisch am ergiebigsten in der Nachfolge Nietzsches als poetisch-ästhetische Kategorie 34 und, entsprechend dem handlungsstrukturalistischen Ansatz dieser Arbeit, als transgressives Charakteristikum (einzelner) Dramenhandlung(en) für die Interpretation der Tragödie fruchtbar machen. Sein volles hermeneutisches Potential entfaltet es jedoch - abermals mit dem berühmten Basler Altphilologen und Philosophen der Moderne als - im Zusammenspiel mit dem Apollinischen, so im OT. Dort nimmt die Suche, die der Protagonist nach seiner letztlich transgressiven genealogischen Identität anstellt, kurz vor ihrem Ende zur Spekulation Zuflucht, Dionysos könnte sein Vater sein, was die letzte ver bleibende logische Möglichkeit ist. Außerdem wird sie durch eine sympotische Konventionstransgression angestoßen, die ihn erst dazu bewegt, die familiäre Tradition des mantisch-praktischen Dialogs mit dem Orakelgott wiederaufzunehmen. Der an harter dramatischer Metapoetik arme OT hat mit der Synthese von Dionysischem und Apollinischem eine Scharnierstellung in der Entwicklung der attischen Tragödie, die paradoxerweise vom Apollinischen zum Dionysischen verläuft und damit die Thesen über die dionysische des Theaters konterkariert. Denn in Aischylos’ Persern, der ersten erhaltenen Tragödie, ist über Träume, Mantik, Opfer an Apoll und über die Nekromantie nur das Apollinische anzutreffen (auch wenn der OT aufgrund der dominierenden Rolle Apolls in der Handlung das Prädikat der apollinischsten griechischen Tragödie verdient), das im letzteren Fall eine intratheatralische Dimension hat. Erst in der letzten vollständig erhaltenen altattischen Tragödie tritt Dionysos auf und hat als Regisseur der tragischen Eliminierung eine metatheatralisch-künstlerische Funktion. Das Dionysische dient in Plautus’ Amphitruo der Binnenhermeneutik: Alcumenas (vermeintliche) tragikomische sexuelle Transgression wird als mänadisch erklärt, konkret sei sie von Wein und Wahn geleitet. Die Abkühlung der dionysischen Leidenschaften und Gewalt in der distanzierenden Darstellung von Senecas Phaedra, die sich als Bacchantin geriert und inszeniert, ist nicht sublimierend, wie von Nietzsche angenommen, sondern kathartisch. Zusammenfassend läßt sich also für die Grenzüberschreitung und Grenzsetzung im Laufe der Entwicklung des antiken Dramas festhalten, daß die vormals ehernen soziojuridischen, kosmisch-religiösen und gattungsspezifischen Grenzen, welche die Transgression realisiert und die konstitutiv für deren Tragik sind, in ihrer Geltung immer mehr zugunsten der Autonomie und Souveränität der transgressiven und künstlerischen Dramenfiguren ausgehöhlt werden. Die Transgression der Dramen performiert nicht mehr die Gültigkeit der Normen und Unverrückbarkeit der Grenzen, sondern ihre Porosität (Medea) oder gar 34 So Nietzsches Schilderung des Dionysischen und Apollinischen gleich am Anfang seiner Schrift Die Geburt der Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus, auch wenn er dort nicht von ästhetischem Prinzip spricht, sondern die Ausdrücke „Kunst“ und „aesthetische Wissenschaft“ gebraucht (KSA Bd. 1, 25 f.). - 8.5 Methodischer Ausblick 743 Außerkraftsetzung (Amphitruo), bis Senecas Phaedra schließlich die Transgressivität und Souveränität der Figuren selbst zelebriert. Aus dem mimetischen Spiel über die Grenzüberschreitung, das soziale Grenzen und Regeln performiert und affirmiert, wird so ein Spiel mit der Grenzüberschreitung, das nicht auf das Soziale beschränkt bleibt, sondern die Mimesis, die theatralische Semiose und die dramatische Struktur erfaßt. Bei dieser Entwicklung verschiebt sich also die Funktion des Spiels von der reproduktiven Mimesis, 35 dem Nachspielen, zur souveränen Geste des Setzens, Aufhebens und Überschreitens, die den hypothetischen Charakter mit der Komik teilt. Dabei lockert das Theater über das Spiel im Spiel (Intratheater) und das Spiel über das Spiel (Metatheater) seine eigenen Grenzen und Grundregeln. Sie werden damit Gegenstände des Spiels selbst und so nicht nur allgemein zur Disposition, sondern zu derjenigen des dramatischen Spiels gestellt, also wie die religiöse Ebene in dieses inkorporiert. Die Lockerung der Regeln vergrößert die künstlerische Freiheit. Insofern kommt dem Typus des Künstler-Kriminellen, der in der Einleitung dieser Arbeit die Devianzpoetik personalisierte und von Medea und Phaedra verkörpert wurde, bei der Entwicklung des antiken Dramas eine zentrale Rolle zu. 8.5 Methodischer Ausblick Da die vorliegende Arbeit die Transgression mit anderen Handlungsfiguren wie Eliminierung, Duplizierung und Restauration zur Beschreibung des Dramenverlaufs artikuliert und sie zur Grundlage der Handlungsmerkmale Tragik und Komik macht, kann sie den Anspruch erheben, ein Modell zur Beschreibung der Handlungsstruktur des antiken Dramas vorzulegen. Die strukturbildende und heuristische Reichweite dieses Modells zeigt sich auch daran, daß es in der Lage war, die Interpretamente anderer Deutungsmuster (Bohrers epiphane Schrekken, Bierls Ritual(poetik) und Grethleins Kontingenz) zu integrieren, indem sie auf einzelne Handlungsschritte des vorliegenden Modells bezogen oder verfeinert wurden. Dies ermöglichte eine wechselseitige Erhellung und hoffentlich auch in den Augen der Leser ein vertieftes Verständnis des antiken Dramas. Idealistische und humanistische Interpretationen, die dessen Erforschung lange Zeit dominierten, wurden nicht hemdsärmelig als obsolet verabschiedet, sondern etwa bei der Tragik und der condicio humana von einer strukturalistischen Deutung aufgegriffen und vertieft und so hoffentlich für die Gegenwart neu belebt. Die Kritik und Modifikationen, welche diese Arbeit an große Entwürfe herangetragen hat, wie Mersch und Bohrer sie außerhalb der klassischen Philologie vorgelegt haben, entspringen dem Bemühen, sie für das Verständnis der attischen Tragödie besser nutzbar zu machen, um so deren Komplexität und Spezifik exakter zu erfassen. Keinesfalls will diese pragmatische Hermeneutik also mit philologischer Akribie die Geschlossenheit theoretischer Entwürfe nicht nur aufbrechen, sondern sie so gänzlich aufrollen und als untauglich für das Ver- 35 Dieses Attribut trägt Halliwells Hinweis auf die kreative Seite der Mimesis Rechnung (s. 2.1.1 Handlungsstruktur, Mimesis, Transgression und Eliminierung in 2.1 Aristoteles’ Poetik der Einleitung), die gewiß bereits in diesem Stadium des Spiels aktiv ist. n 8. Zusammenfassung und Ausblick 744 ständnis antiker Texte desavouieren. 36 Ein solches Vorgehen wäre nicht philologisch, sondern nur kleingeistig-beckmesserisch, selbst wenn es ex negativo zum Erkenntnisfortschritt beitragen könnte. Vielmehr wurde mit den besagten theoretischen Ansätzen nicht anders als mit demjenigen der vorliegenden Untersuchung verfahren. a der Strukturalismus in der Literaturwissenschaft zu einem sterilen Schematismus zu erstarren droht, gilt es getreu einem transgressiven Ansatz dieser Arbeit, ihn wie andere Theorien aufzubrechen, um ihn an andere und die zu deutenden Texte anschlußfähig zu halten. Die Klärung des Trennenden hat in vielen Fällen statt einer Totalkonfrontation die eklektische Integration, ja Fraternisierung mit den genannten Entwürfen ermöglicht. Diese Vereinigung des Gegensätzlichen hat nicht nur einen methodischen, sondern auch einen philologiegeschichtlichen Hintergrund. Seit der Rivalität zwischen den alexandrinischen (Homer-)Philologen (diesen Titel reklamierte als erster Eratosthenes für sich) 37 und der pergamenischen allegorischen Homerdeutung, deren Vertreter sich als den alexandrinischen überlegen wähnten, 38 spaltet der Gegensatz zwischen einer akribischen Betrachtung philologisch-textlicher Details, dem Froschblick sozusagen, und einer großflächigeren Herangehensweise, dem Adlerblick, die Erforscher antiker Texte. Er griff mit dem Streit um Nietzsches Schrift Die Geburt der Tragödie 39 auf die Interpretation des antiken Dramas über und droht in der heutigen Debatte um Literaturtheorie wiederaufzuflammen. Der vorliegenden Arbeit war es nun darum zu tun, diesen unseligen und obsoleten Gegensatz, vornehmlich anhand der attischen Tragödie, zugunsten einer fruchtbaren Symbiose zu überwinden. Bei ihr geht es nicht darum, daß die eine oder die andere Richtung die Deutungshoheit über die Philologie beansprucht und erlangt. Dieser Kampf ist letztlich ebenso verderblich wie derjenige zwischen Eteokles und Polyneikes, ja tragisch, weil er die innere Verwandtschaft der Rivalen ignoriert, die zur Zusammenarbeit mahnt. Das Ideal wäre m.E. eine klassische Philologie, 40 welche ihre Terminologie und Methodik 36 Für dergleichen Vorbehalte s. Gregor Maurach, Interpretation lateinischer Texte. Ein Lehrbuch zum Selbstunterricht. Darmstadt 2007, XV. Für ihr kritisches Referat s. Thomas A. Schmitz, Moderne Literaturtheorie und antike Texte. Eine Einführung. Darmstadt 2002, 16 f. 37 LSJ 1937 s.v. 38 Eduard Schwyzer, Griechische Grammatik. HdA II.1. Bd. 1: Allgemeiner Teil, Lautlehre, Wortbildung, Flexion. München 1 1939 = 4 1968, 7. 39 Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie oder: Griechenthum und Pessimismus. Nachwort von Günter Wohlfart. Stuttgart 1993, 169 f. Sehr polemisch und wenig human ist hierbei Wilamowitzens Aufforderung, Nietzsche möge sein exhortatives Programm am Ende des 20. Kapitels (S. 127 [KSA 131 f.]), von Indien nach Griechenland mit Tigern und Panthern im Gefolge ziehen, verwirklichen und das Katheder verlassen, womit er Nietzsches Ausschluß aus der Philologenzunft nachgerade initiiert. Freilich hatte Nietzsche die Konfrontation mit der positivistischen Philologie gesucht, indem er eine Breitseite auf die alexandrinischen ‚Sprachmikroskopiker‘ abfeuerte (Wohlfart 155), und damit ganz im Geiste des deutsch-französischen Krieges, in dessen Umfeld die Tragödienschrift entstand, die Erbfeindschaft der beiden philologischen Richtungen wiederbelebt. Zu Nietzsches Verständnis von Philologie und dessen beachtlicher Entwicklung s. James I. Porter, Nietzsche and the Philology of the Future. Stanford (Calif.) 2000. 40 Für den interdisziplinären Versuch einer Standortbestimmung s. Jürgen Paul Schwindt (Hg.), Was ist eine philologische Frage? Beiträge zur Erkundung einer theoretischen Einstellung. D 8.5 Methodischer Ausblick 745 im Dialog mit der modernen Literaturwissenschaft absichert, reflektiert und verfeinert und beide durch das Herunterbrechen der Theorie auf die Ebene einer akribischen Lektüre und mikroskopischen Textanalyse verifiziert und weiterentwickelt. Für dieses Programm will ich nicht unsere gesamte Zunft in Geiselhaft nehmen (eine derartige vates-Pos(e)e wäre nicht einmal tragische Hybris, sondern schlichtweg lächerlich). Statt dessen habe ich versucht, so gut es mir möglich war, bei der vorliegenden Arbeit nach diesen Grundsätzen zu verfahren. Die philologische Textarbeit war dabei kein obsoletes Relikt einer überwundenen früheren fachgeschichtlichen Stufe, 41 sondern eine notwendige basale Absicherung und vielfach m.E. auch ein Ferment der Interpretation. Ich hoffe selbst im Bewußtsein eigener Unzulänglichkeiten, daß das Ergebnis möglichst viele Leser überzeugt, intellektuell bereichert und zum offenen Weiterdenken anregt. Es wäre beispielsweise im Bereich der Theorie zu fragen, inwieweit Gilles Deleuze’ Figuren des Rhizoms und der Falte, die hier nur sporadisch für die Besprechung der dreiwegsartigen Handlung im OT bzw. der Ambivalenzen von Medeas Intratheater herangezogen wurden, sich weitergehend für die Beschreibung von Handlungsstrukturen und Diskursmustern des antiken Dramas eignen, die nicht einer linearen und binären Rationalität entsprechen. Gleiches gilt für Derridas trace, die beiläufig zur Beschreibung des Handlungsverlaufs und seiner Ähnlichkeiten mit dem Dreiweg im OT (s. 2.2 Narrative Struktur eines analytischen Dramas in der Interpretation dieser Tragödie) bemüht wurde. Der Verzicht auf textferne historische oder subjektive Rezeptionsästhetik und die Wahl der strukturalistischen Semiotik Saussurescher Prägung, die das Kristallgitter des in seiner Emotionalität heruntergekühlten literarischen Textes sichtbar machen will, bedeuten nicht, daß das so ermittelte Muster mit dem vom Interpreten unabhängigen Wesen des analysierten Textes verwechselt wird, 42 wie bereits August Boeckh davon ausging, daß man nur Bruchstücke eines Wer- Frankfurt a.M. 2009. Vgl. ferner Jürgen Paul Schwindt, Radikalphilologie - Die Bedeutung der Altertumswissenschaften für die heutige Bildung. Bildung und Wissensgesellschaft 49 (2006) 151-162. 41 Dies könnte man bei Mario Klarers an sich deskriptiver Definition der Philologie denken, sie widme sich der editorischen Textkonstitution und materialen Texterschließung über Konkordanzen, die im 19. Jh. ihren Höhepunkt gehabt habe; bis zu dieser Zeit habe sich die Philologie, die Klarer als „Zweig der traditionellen Literaturwissenschaft“ einstuft, „als dominanteste literaturwissenschaftliche Richtung gehalten“ (Einführung in die neuere Literaturwissenschaft. Darmstadt 1999, 13 f.). Ähnlich läßt bereits Hans Robert Jauß, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 3 1984, 363 die traditionsreiche klassisch-philologische Hermeneutik ihre Tugenden mit anderen Disziplinen wie der theologischen, juristischen, philosophischen und historischen Hermeneutik teilen, „die mit Edition, Quellenkritik und historischer Auslegung von Texten der Vergangenheit befaßt sind“. Peter Szondi, Einführung in die literarische Hermeneutik. Frankfurt a.M. 1 1975, 13 f. grenzt die literarische Hermeneutik von der überlieferten der klassischen Philologie dadurch ab, daß jene den ästhetischen Charakter der ausgelegten Texte nicht erst am Ende, sondern von Anfang an berücksichtige und ein Bewußtsein ihrer eigenen Historizität habe, zwei Punkte, denen hoffentlich auch die vorliegende Arbeit trotz ihres klassisch-philologischen Gegenstandes Genüge tut. 42 Roman Ingarden geht noch davon aus, daß man mit Hilfe von Rekonstruktionen die Gestalt des Werkes erfassen könne (Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks. Darmstadt 1968, 363). 8. Zusammenfassung und Ausblick 746 kes, nie aber dieses selbst zur Gänze erkennen könne. 43 Das gegenteilige Postulat einer absoluten Kongruenz der rekonstruierten Struktur mit dem Text wäre ein naiver literaturwissenschaftlicher Idealismus, der aus dem Blick verlöre, daß das hier gewonnene Bild der Textstruktur das Ergebnis einer methodischen Entscheidung des literarischen Hermeneuten ist und somit zur literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik gehört, 44 die ein unabdingbarer Teil des Erkenntnisprozesses dieser Disziplin ist. Dessen konstitutive Subjektivität ist nicht bloß eine Gefahr für die Objektivität der Ergebnisse, der durch individuelle Reflexion und wissenschaftlichen Dialog entgegengewirkt werden kann, sondern auch eine kreative Bereicherung der interpretativen Ansätze. Der Geltungsanspruch der hier gewählten Ansätze und vertretenen Thesen wird nicht nur über den transgressiven und strukturalistischen Ansatz, sondern auch über den Gegenstand abgefedert. Eine Arbeit über das Drama, das durch seine dezentrierende Darbietung in durchgehender Figurenrede die dialogischste literarische Gattung ist, würde ihrem Gegenstand nicht gerecht, wollte sie monologisch-autoritär argumentieren. Deshalb wurde der Analyseapparat dieser Untersuchung im Dialog mit der bisherigen Forschung und den Einzeldramen entwickelt und verfeinert und seine analytischen Einzeloperationen und -figuren durch die Übertragung auf andere als die von der bisherigen Forschung behandelten Dramen 45 auf ihre Tragweite getestet. Ich habe versucht, die Texte selbst zu Wort kommen zu lassen und ihnen vor dem eigenen Schreiben zuzuhören, statt sie mit einem vorgefaßten Schema zu überschreiben. Bisherige Ansätze sollten mit der Herangehensweise dieser Arbeit nicht als obsolet überführt, sondern integriert und in einem neuen Lichte beleuchtet werden. Die dialogische Herangehensweise betrifft v.a. die Gültigkeit der Ergebnisse dieser und der besprochenen und von ihr angeregten Arbeiten, da keine Einzelforschung den Anspruch auf absolute Wahrheit erheben oder der gänzlichen Verirrung überführt werden kann, sondern die Wahrheit der Gegenstand einer allmählichen dialogischen Annäherung ist. Der Verzicht auf den Anspruch, eine alleingültige Interpretation vorzulegen, bringt es auch mit sich, daß in dieser Arbeit nur das hermeneutische Potential eines solchen Deutemusters anhand der einzelnen Facetten, die eine Poetik und Hermeneutik der Transgression bei antiken Dramen unterschiedlichster Epochen und Gattungen zu beleuchten vermag, vorge- 43 Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften. Hg. von Ernst Bratuscheck. 2. Aufl. besorgt von Rudolf Klussmann. Leipzig 1886, 140. 44 Rainer Warning, „Rezeptionsästhetik als literaturwissenschaftliche Pragmatik“, in: Ds. (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. München 2 1979, 9-41, h. 9 f. sucht denn auch eingangs den Schulterschluß mit der Semiotik, deren Adressatenorientierung er - entgegen der Fokussierung der vorliegenden Arbeit - gegen den werk- und produktionsästhetischen „Substantialismus“ betont, den er noch bei Benjamin und Adorno ausmacht. 45 So ließ sich Grethleins Figur der mise en abyme nicht nur in anderen Szenen der Perser (Atossas Traum, Kommos von Xerxes und dem Chor), sondern auch in Oidipus’ Erzählung des Dreiwegmassakers im OT, bei dem Tod Kreons und seiner Tochter in Euripides’ Medea, den die Titelfigur inszeniert (so bereits Hopman 2008), den Symplegaden in dieser Tragödie und dem Schluß von Senecas Phaedra feststellen. Dieses Drama bot zudem ein Einsatzfeld, um Bohrers Paradigma des epiphanen Schreckens und seinen Ästhetizismus eines Künstler-Kriminellen außerhalb der attischen Tragödie durchzuspielen. 8.5 Methodischer Ausblick 747 stellt wurde. Dieses Bemühen um eine typologische Vollständigkeit erhebt nicht den Anspruch, sämtliche Aspekte der hier besprochenen Stücke zu erfassen. Auch soll nicht behauptet werden, daß hier nicht besprochene Stücke sich nicht schlüssiger nach anderen Mustern deuten lassen. Denn alle Ergebnisse dieser Arbeit verstehen sich getreu dem Popperschen Fallibilismus, der darin auffallend mit Boeckhs „unendlicher Approximation“ in der Hermeneutik (1886: 86) übereinstimmt, 46 nicht als universell oder ewiggültig, sondern verlangen nachgerade danach, weitergedacht zu werden. Dies kann quantitativ in einer Ausweitung des Deutungsmusters auf andere antike oder moderne Dramen 47 geschehen oder durch eine Abänderung des hier vorgelegten Analyserasters. 48 So müßte das Konzept von Tragik, das die vorliegende Arbeit entwirft, sicherlich anhand weiterer Tragödien verifiziert und modifiziert werden, bevor es als tragfähiges Deutungsmuster gelten kann. 49 Die Position des Verfassers zum antiken Drama läßt sich auch nach dieser Arbeit mit der Haltung vergleichen, die Oidipus auf jener mittlerweile klassischen rotfigurigen Schale des Oidipus-Malers 50 gegenüber der Sphinx einnimmt: Wie Walther von der Vogelweide mit übereinander geschlagenen Beinen und das Kinn in die Hände gestützt, schaut er sinnend zur geflügelten Jungfrau mit Löwenleib auf, 51 die auf einer ionischen Säule sitzt, in theatralischer Pose sich präsentierend, und versucht, ihren Rätselgesang zu verstehen, freilich in dem beruhigenden Bewußtsein, daß ihm dies nie mit der Endgültigkeit gelingen wird, die im Mythos derart eliminatorische Konsequenzen zeitigte, 52 da auch die Komplexität des hier vorgelegten Beschreibungsmusters, 46 Gunter Gebauer, Der Einzelne und sein gesellschaftliches Wissen. Untersuchungen zum symbolischen Wissen. Berlin 1981, 35 Anm. 22. 47 Aischylos’ Agamemnon verdient hierbei eine besondere Beachtung. Der Grund dafür sind seine komplexen Austauschverhältnisse, die Helena, Iphigenie und auch die Integrität seiner Männer vor Troia umfassen (Leslie Kurke, The Cultural Impact of (on) Democracy. Decentering Tragedy. In: Democracy 2500? Questions and Challenges. Ed. by Ian Morris and Kurt Raaflaub. Archaeological Institute of America. Colloquia and conference papers 2. Dubuque 1998, 155- 169, h. 160-162) und selbst das materiale Kapital miteinbeziehen (s. 1.4.4 Tragischer, heroischer und aristokratischer (Integritäts-)Tausch in der Einleitung). Sie müßten im Dialog mit klassischen Deutungen tragischer Konstellationen in dieser Tragödie neugewichtet werden. 48 Dies kann insbesondere durch eine stärkere Berücksichtigung der Komödie und Komik geschehen, da die vorliegende Arbeit mit ihrem Schwerpunkt auf der attischen Tragödie einen ähnlichen Zuschnitt wie Aristoteles’ Poetik aufweist, welcher der außerordentlichen Ergiebigkeit dieser Höhenkammliteratur geschuldet ist. 49 Daß das tragische Handlungsmuster je nach Tragiker variiert bzw. variiert werden muß, hat ja bereits Nicolas R. E. Fisher als Ergebnis seiner Untersuchung festgehalten (Hybris. A Study in the Values of Honour and Shame in Ancient Greece. Warminster 1992, 509). 50 Aus Vulci, Vat. Mus. Greg. Etr. 16541 (Abb. LIMC Bd. 7,2 S. 7 Nr. 19 = ARV 2 451,1). 51 Diese Blickrichtung nimmt er auch stehend auf einer rotfigurigen Bauchamphora ein (LIMC Nr. 13). Daneben begegnen sich Fabelwesen und Wanderer auf Augenhöhe (LIMC Nr. 10 f., 35) oder Oidipus steht höher (LIMC Nr. 14, 22 f.). Markant ist die Darstellung auf Ingres’ Gemälde (1808), welches das Titelblatt von Flaigs Monographie ziert: Bei ihr stiert Oidipus, selbst von seinem Mantel halb entblößt, mit angewinkeltem Knie vorgebeugt genau auf die Brüste der Sphinx, die auch auf einer antiken Gemme (LIMC Nr. 25) und einem attischen Sarkophag (LIMC Nr. 35) dargestellt sind. Dies mag die in der vorliegenden Arbeit bisweilen bemühte psychoanalytische und gender-Perspektive illustrieren. 52 Zu dieser und dem Genderaspekt der Sphinx Nr. 9 (ohne daß hier dessen sämtliche Implikationen beleuchtet werden könnten oder zu eigen gemacht werden sollten) vgl. Heinrich Heine 8. Zusammenfassung und Ausblick 748 in dessen Zentrum ein strukturalistisch konfiguriertes Tragikkonzept steht, nicht in der Lage ist, die irreduzible Rätselhaftigkeit zu erschöpfen, die Adorno dem Kunstwerk attestiert (Näheres s. 2.3.1 Merschs und States’ phänomenologische vs. eine semiotisch-transgressive Ästhetik in der Einleitung). Zum Lazarus Nr. 9 (Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. In Verbindung mit dem Heinrich-Heine-Institut hg. von Manfred Windfuhr. Bd. 3, 1: Text (Romanzero. Gedichte. 1853 und 1854. Lyrischer Nachlaß). Bearbeitet von Frauke Bartelt (Überlieferung und Lesarten), Alberto Destro (kommentierende Teile). Hamburg 1992, 203): Die Gestalt der wahren Sphynx Weicht nicht ab von der des Weibes; Faseley ist jener Zusatz Des betatzten Löwenleibes. Todesdunkel ist das Räthsel Dieser wahren Sphynx. Es hatte Kein so schweres zu errathen Frau Jokastens Sohn und Gatte. Doch zum Glücke kennt sein eignes Räthsel nicht das Frauenzimmer; Spräch’ es aus das Lösungswort, Fiele diese Welt in Trümmer. 9. English Summary: Transgression, the Tragic, and Metatheater This book elucidates deeper structures in Ancient Drama and especially in Attic tragedy, developing a new interpretative pattern that is based on a (neo)structuralist conception of transgression. This pattern enables us to re-formulate the tragic and metatheater. In their search for deeper structures, most scholars turn to the historical context or the ritual subtext. When looking closer at the plays themselves, mostly German speaking classicists read its text in an idealistic or Aristotelizing way. Innovative interpretations of Ancient Drama are the merit of modern philologists and Anglo-Saxon classicists who apply modern literary theories to ancient drama. My book takes a step forward in this direction. Its first part develops a new heuristic pattern and anchors it in a wider framework of literary methodology and theory. The second part uses this pattern to interpret Aeschylus’ Persians, Sophocles’ Oidipus Tyrannos, Euripides’ Medea, and Seneca’s Phaedra with a view to shedding a new light on these much debated plays. To begin with the detailed presentation, this study uses the notion of transgression in order to compose a new grammar of Ancient Drama and to elucidate thus the deeper structure of its action. In accordance with Aristotle’s Poetics, (verbal) action is deemed the specific feature of the dramatic genre. I refer transgression to crossing or violating borders, norms, identities, and structures, but my conception does not encompass transitory phenomena such as switching and bridging. What constitutes the identities affected by transgression are contrast and the correlation of signifiant and signifié. This is the structuralist legacy in my approach. Its postor rather neostructuralist part is the notion of transgression which is based on this conception of identity. Two aspects of transgression are investigated in Ancient Drama: The social one consists in the infringement of the social roles and identities. This intends no sociologic study, but considers the social roles and identities insofar as they are presented in the plays. Its reason is the elimination or (re)entry of an element of the social system (mostly the pater familias). Its structure and correlations have been broken up and its elements put to motion by this change. This motion drives on the action of the drama and leads to elimination (in tragedy) or duplication (comedy, the comic) and afterwards often to a restoration. The elimination of characters is the generic feature of tragedy: In this sub-genre transgression involves elimination and entails a restoration that operates with elimination. The poetic transgression crosses the usual (linguistic) signs and correlations. It consists in metaphors, poetic symbols, synaesthesiae, and in drama in metatheater, and creates a new fictional space. Research on drama has differentiated this space in three kinds: scenic, dramatic, mimetic. My study offers a critical discussion of this differentiation. Besides, it differentiates the term metatheater whose meaning in present research is as diffuse as its use wide spread. By ‘metatheater’ I understand a 9. English Summary: Transgression, the Tragic, and Metatheater 750 play about the play, by ‘intratheater’ a play in the play, and by ‘intertheater’ a reference to another play. This differentiation helps provide evidence for an increasing role of self reflection in Ancient Drama. At the same time, patterns of tragic action became weaker and decreased in frequency. They are more specific than the generic features of tragedy (elimination). Tragic is a transgression which is perpetrated by a character whose function as ethical and rational subject is restricted by the structure of the drama’s action. By structure of action I mean the character’s position which is often affected by changes in the social system, and the character’s interaction with his / her social environment. A special kind of the tragic and of this desubjectivation, due to a special dramatic situation, is the conflict of integrities whose preservation is legitimate or even mandatory but self-contradictory in the tragedy’s structure of action. When solving this conflict, the ethical and rational subject and transgressor necessarily encroaches upon one integrity to save another. Apart from moral integrity we can find ritual-religious, social(pragmatic), psychic and physical in Ancient Drama. Therefore the conflict of integrities is able to encompass many more cases than Hegel’s and Schiller’s conflict of norms and duties. For instance, in Attic tragedy the transgressor often sacrifices a relative’s physical integrity to maintain his own social one which, of course, damages his or her moral integrity (Aeschylus’ Agamemnon, Sophocles’ OT, Euripides’ Medea). My analyse in this study showed that if a tragedy was tragic, both types of the tragic were found simultaneously. In most cases, the fulfilment of a social role is the deeper motive behind the conflict of integrity (Aeschylus’ Agamemnon, Sophocles’ OT, Euripides’ Bacchae) and thus by performing itself, the ethical and rational subject annuls itself in the end. To systematize the different types of integrity (but also in other cases) a semiotic anthropology turned out to be helpful. Drawing on Aristotle’s Politics and Giorgio Agamben, it distinguishes man’s biological life ( ) which corresponds to the signifiant and the physical integrity from its various sociocultural forms ( ) which play the role of the signifié and correspond to the other types of integrity. In the introductory part, the validity of this heuristic tool box is proved through its examination in a wider frame of drama theory and aesthetics. I demonstrate that a structuralist drama theory is compatible with Aristotle’s Poetics in several points. For Aristotle, the plot which he too calls structure of action is the most important element in tragedy. He deems elimination a characteristic of tragedy, but not of comedy. Although is a much debated term and only partially overlaps with transgression, it is a striking parallel between and my theory of transgression in drama that an individual mistake plays a decisive role in Aristotle’s conception of the tragic. My semiotic approach to Ancient Drama has to be distinguished from ritual and mythopoetical interpretations of Attic tragedy, yet it allows a constructive integration of this different view. Especially the term ‘performance’ helped develop my concept of the tragic. In the same integrative way, I have incorporated recent phenomenological aesthetics (Dieter Mersch) and interpretations of Attic tragedy (Karl einz Bohrer). The idea of poetic and aesthetic sign which is rooted in poetic transgression is meant to address Mersch’s reluctance towards a semiotic aesthetics. H 9. English Summary: Transgression, the Tragic, and Metatheater 751 Horror and fright are not, as presumed by Bohrer, the core of the tragic, but epiphenomena of transgression and elimination. A closer look at the sensory perception of transgression and elimination (visual, acoustic, haptic) was inspired by the phenomenological approach and helped transform and integrate it into my interpretative pattern. This integrative transformation was done through the concept of intratheater, for this perception is controlled and orchestrated by a figure of the play (Medea, Oidipus, Phaedra). This procedure also was applied to rituals. For they are often the object of intratheater (Persians, Medea), and thus they play an important role in the metatheatrical self-elimination of the tragic and of dramatic consistency, which was a diachronic tendency that I was able to show. Let us come now to the interpretations of the individual plays. The first play I analysed was the first tragedy which has been handed down to us, viz. Aeschylus’ Persians. In its view, the invasion of Greece led by the Persian king Xerxes is a geographical, military, and religious transgression of the frontier which divides Asia from Europe, and this transgression entails the elimination of Xerxes’ army. Hence we find the generic pattern of action that characterizes tragedy, i.e. the link between transgression and subsequent elimination. The defeated monarch, however, is denied the status of an ethical and rational subject which has been defined as a prerequisite for the tragic. This is confirmed by a comparison with the picture which Herodotus’ Histories draw of the role that Xerxes played in those fatal events and the preceding decision making. In the Persians, a different perspective on Xerxes prevails. It is that of the chorus who is composed by the elders of the crown council, his mother Atossa, and the ghost of his father Darius who is evoked by the former two on stage in intratheatrical necromancy. They are all authoritative figures older than Xerxes which underpins their view. Even if in their analysis the gods play a certain role, the decisive factor they blame the defeat on is Xerxes’ youthful impetuosity. Since this explanation which focuses on the difference of age is proposed by the play’s most authoritative figures, it is intrinsically more pertinent than modern orientalist interpretations which bring to the fore ethno-cultural differences. Their undeniable presence in this tragedy is limited to elements which remain peripheral to the play’s transgressive core and whose message is mainly political, not chauvinistic: The Persian defeat demonstrates the superiority of Athens’ democratic constitution over the Achaemenid monarchy where an inexperienced youth can come to power and cause a devastating catastrophe in foreign politics. Orientalist tendencies in the play are impinged by a poetical and dramaturgic transgression which is opposite to the military and geographical: Setting the scene in the Achaemenid court in distant Susa counterbalances the perception of Persians as enemies, and instead offers a plastic and differentiated picture: Instead of frightening warriors under the rule of a fierce monarch, the Athenian audience is shown the Great king returning in rags, young widows of warriors full of longing and grief, a mother worried about her son in war, and elders sorrowfully reflecting and harshly reproaching the defeated monarch. Unlike Xerxes, Oedipus in Sophocles’ Oedipus Tyrannus acts in a tragic way, and his form of tragic is characterized by a paradox. For it is just his at- 9. English Summary: Transgression, the Tragic, and Metatheater 752 tempt to avoid the murder of his father and the incest with his mother, foretold by the Delphic oracle, and to preserve his moral integrity by fulfilling his role as a son and save his father’s physical integrity which leads him to this transgression. When committing parricide, his status as a ethical and rational subject is certainly encroached upon the structure of the action since his social environment has concealed his and his father’s identity to him. Because he does not know his father, he can sacrifice his physical integrity to his own social one after he has been attacked at the crossroads. The search for the perpetrator which takes the great deal of the action on stage results not only in Oedipus finding out his criminal and genealogical identity, but also in restoring the authority of the Delphic oracle which Oedipus and Iocaste had doubted. But these doubts as well as Oedipus’ attempt to avoid the foretold crime are motivated by the monstrosity of the transgression. By controlling the sensory perception of his subsequent self-blinding, Oedipus makes it a metaand intratheatrical performance. Oedipus’ subsequent self-displacement as requested by the Delphic oracle is local elimination that restores his moral integrity. In Euripides’ Medea transgression gains a more and more autonomous dynamics. Medea staged her flight in the dragon chariot metatheatrically and thus transgresses the limits of eikós which the OT had carefully observed. Moreover she stages killing her children intratheatrically as a ritual. Her transgression fulfils the criteria for both types of tragic: First by sacrificing her genealogical and moral integrity, Medea restores her social integrity which Creon and Jason had encroached upon earlier. Second, Medea is well aware that by acting so she is the victim of her wrath. This self-awareness of the loss of the status as an ethical and rational subject is a special feature and refinement of the tragic in this play. In Euripides’ Bacchae, Dionysus uses metatheater to establish his divinity and to repress religious transgression, i.e. the doubts about his divine origin and nature. His adversary Pentheus is tragic in two senses: Performing his role as a monarch, he defends in his eyes the moral and sexual integrity of the city that conflicts with ritual and religious integrity and Dionysiac frenzy. If Pentheus turns out to be unable to recognize Dionysus’ divinity this situative dysfunction of his status as a rational and ethical subject is to be accounted for by the structure of action and mostly the bewildering character of the Dionysiac cult in the play that transgresses the limits of ordinary Greek religion. In the Bacchae as well as in the short interpretations of Aristophanes’ Frogs, Menander’s Samia nd Plautus’ Amphitruo I observed that features which in classical time had constituted the drama as a genre and its sub-genres tragedy and comedy faded or moved in the range of the figures’ disposal. In Menander’s comedy, this development is due to a kind of immanentization of drama which means that drama renounces any transcendental devices like metatheater which directly addresses the public or shrilly transgressive phenomena like eliminatory violence and geographical extravagance. In the Frogs, the Amphitruo and the Bacchae, this shift is achieved by increasing metatheater. It reflects upon the tragic genre, finally integrates the limits of drama into the play(ing) and thus annuls the constituents of drama itself. This ongoing dissolution is favored by divine characa 9. English Summary: Transgression, the Tragic, and Metatheater 753 ters who perform the metatheater in all three plays and prepare Seneca’s dramaturgy. Seneca’s Phaedra does not yield the previous form of metatheater that disrupts mimetic illusion nor does it display unlike Euripides’ Hippolytoi any tragic. Instead the focus is on Phaedra’s sovereignty. Unlike her Euripidean counterpart, who is overwhelmed by a dreadful passion and suffers from its transgressive character, she never fights but presents her wet nurse with it as a fait accompli and makes herself the instrument of a furor which pervades the drama. Throughout the play, she transgresses with ostentation all borders, dissolves the coherence of the action and contributes to dissolving the other characters’ consistency. Phaedra’s theatricality allows for formulating the aesthetically evil. This new feature crowns the behavior of a criminal artist, which Medea showed in Euripides’ play. Its background is the Stoic tenet that passions are voluntary. This connection sheds a new light on the controversial relationship of Seneca’s dramas and his moral writings which most scholars deem antithetical: Seneca is far from abandoning the views of his philosophical works and surrendering to a (meta)theatrical play with emotions, as Alessandro Schiesaro argued in a substantial monograph. Rather, at least his Phaedra operates with an aesthetics (of reception) and dramaturgy of distanciation. Just as its opposite, the poetics of furor, immanent in the drama, it can be found in the poetological remarks of Seneca’s philosophical works. In the drama, both function together: The pervasive furor whose main agent is Phaedra and that has no visible motivation destroys her own consistency as a figure and that of the other characters as well as the coherence of action and drama. This dramatic design minimizes the absorbing effect which a coherent mimesis would normally have on spectators or readers and neutralizes the risk of moral contagion in favour of aesthetic repulsion. Thus, in the end of Ancient Drama, transgression which in the beginning was fenced in a tragic vision of the world and subsequently, through metatheater, gained an (aesthetic) autonomy and dynamics that transcended its own generic limits infected and rotted the whole dramatic framework. 10. Literaturverzeichnis Da diese Arbeit wahrscheinlich nach Einzelkapiteln von Interpreten der hier besprochenen Dramen oder an Dramen- und Tragiktheorie Interessierten selektiv rezipiert werden wird, habe ich, um den Rezipienten unnötiges Blättern im Literaturverzeichnis zu ersparen, jeden Titel bei seinem Erstvorkommen innerhalb des jeweiligen Kapitels vollständig und danach abgekürzt zitiert. Dieses Vorgehen schien mir aus Gründen der Benutzerfreundlichkeit angeraten, da der vollständige Titel einen Erwartungshorizont bei den Lesern wachruft und ih nen die Einordnung erleichtert. Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen werden dagegen nur nach ihrem Verfasser zitiert. Die Verweise s.o. und s.u. beziehen sich stets auf den betreffenden Abschnitt der vorliegenden Arbeit, der nicht weiter unterteilt ist, sonst wurde mit der Numerierung und dem Titel (ohne oder mit einem sinnvoll gekürzten Untertitel) auf das jeweilige Kapitel verwiesen. Bei Verweisen innerhalb von Einleitung und Hauptteil wurde auf präzisierende Zusätze verzichtet, bei solchen auf den anderen Teil wurde die Einleitung oder das entsprechende Kapitel des Hauptteils angeben (z.B. „s. 1.2.1 Dramatische Transgression von Struktur und Identität in der Einleitung“ oder „ s. 2.4.2 Monstrosität der Transgression statt Schuld-, Schicksals- oder Charaktertragödie in der OT-Interpretation“). Zeitschriften sind nach der Année philologique, griechische Autoren und Werke nach Liddell-Scott-Jones und ihm folgend dem TLG, lateinische Autoren nach dem Thesaurus linguae Latinae abgekürzt. Nur Senecas Dialogi wurden nicht dial., sondern einzeln abgekürzt (De brevitate vitae = brev., De constantia sapientis = const., De otio = ot., De providentia = prov., De tranquillitate animi = tran., De vita beata = vit. beat.), sowie Aristoteles’ Poetik Poet. statt Po. (um Verwechslungen mit der Politik auszuschließen). Sonstige Abkürzungen sind im Abschnitt 1. Nachschlagewerke, Fragmentausgaben und abgekürzt zitierte Literatur aufgelöst. Auf Kursivierungen und Anführungszeichen wurde bei den Literaturangaben weitgehend verzichtet. Lediglich Kapitel eines Buches wurden in Anführungszeichen eingeschlossen. Außerdem wurden sie nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen. 1. Nachschlagewerke, Reihen, Fragmentausgaben und abgekürzt zitierte Literatur ÄGB = Ästhetische Grundbegriffe. 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Paderborn 2006. 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister Griechische Ausdrücke wurden in Umschrift aufgenommen, damit sie im Alphabet passend auffindbar sind (und nicht unter q, was der Tastaturbelegung des hier verwendeten Schriftsatzes entspricht). Ebenfalls aus technischen Gründen wurden Einträge, die mit einem in Klammern gesetzten alternativen Teil beginnen, mit einem Schrägstrich dargestellt. Se/ Mantik steht also für (Se-)Mantik. Griechische Namen erscheinen in ihrer griechischen Schreibweise und nicht latinisiert, also Iason statt Jason, Platon statt Plato, Poseidonios statt Posidonius usw. Bei der Verteilung von Haupt- und Untereinträgen werden Phänomene, zumal solche des Titels dieses Buches (Metatheater, Tragik usw.), i.R. als Haupteinträge angesetzt, während Dramentitel und Figuren als Untereinträge fungieren, sofern es thematische Haupteinträge gibt (Oidipus’ Tragik ist also unter dem Haupteintrag Tragik zu finden). Adjektivische Bestimmungen wurden bis auf Fälle, in denen ein eigener Eintrag (v.a. bei den zentralen Phänomenen der vorliegenden Untersuchung, z.B. Transgression, soziale) die Übersichtlichkeit steigert, als Untereintrag nachgestellt. Von diesem Prinzip wurde nur abgegangen, wenn seine konsequente Anwendung thematische Blöcke auseinandergerissen hätte, die dem Vorverständnis und den Erwartungen der Leser entsprechen (z.B. neben Sozialgeschichte sozialer Kontext, soziale Rolle etc. statt Kontext, sozialer, Rolle, soziale). Mit Ausnahme von Aristophanes’ Fröschen und Menanders Samia, bei denen nur die Eingangsszene interpretiert wurde und die unter ihrem Autor aufgeführt sind, haben alle in dieser Arbeit besprochenen Dramen einen eigenen Haupteintrag erhalten. Um weitere Recherchemöglichkeiten zu eröffnen, wurde dieser Index rerum zusätzlich auf der Internetseite des Verlags (www.narr-shop.de/ 9783823368281) in digitaler Form zur Verfügung gestellt. A Abel, L. 187, 190, 191, 398, 571, 716, 717 Abraham 61, 77, 167, 353 Absicht siehe Intention Absolutismus, persischer 210, 214, 241, 253, 271, 278, 281 Absurdität 108, 302, 714, siehe Theat er, absurdes Abwesenheit siehe Autor, Zeichen Achill 18 Agamemnon 254, 371 Hektor 225, 444, 464 Integrität 67 Sirius 642 Heroik 69 Mitleid 276 Priamos 464 Tod 248 Zorn 74, 460, 464, 514, 660 Epiktet 564 Achse siehe horizontal, Koordinatensystem (kartesisches), vertikal, Zeitachse Ackeren, Marcel van 423 Adelsethik 68, 74, 329, 342, 695 Adler 219 Adonis 544 Adonisfest 544 Adorno, Th. W. Ästhetik 146, 149, 151, 746, 748 Kulturindustrie 71 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 806 negative Dialektik 90 Zivilisationsprozeß 220 aemulatio 167, 214, 627, 686 Affekt siehe Aristoteles, Emotion (+ Einzelverweise), Fiktionalität, furor, Leidenschaft, Transgression antike Literatur 660 antike Philosophie Dichtung 585 Bohrer 736 Darstellung 679 Epiktet 686 ira 641 Kontrolle 326, 500, 573, 603, 607 Medea 726, siehe Rache Kontrollverlust 427 Nea 545 Nietzsche 95 Oidipus 75, 726 Selbstblendung 337 Pentheus 513, 516 Phaedra 595, 606, 681, 715, 729 Affinität, mangelnde Distanz 599 fahrlässig 598 Gegenläufigkeit, Selbstwiderspruch 692 Unterdrückung, Seneca 597 vollentwickelt 597 Seneca 680, 713 Dichterkritik 682 Phaedra 707 Stoa 427, 574, 609, 679 Phaedra, ästhetisch-poetisch 702 Zustimmung 604 Theseus 76 vs. ratio 596 Agamben, G. Autor, Geste 687 bios vs. zôê 64 homo sacer 451, 621 Souveränität 727 Ausnahmezustand 151 Biopolitik 493 Leben 70 Agamemnon 30, 71, 101, 259, 264, 332, siehe Iphigenie Frauenaustausch 72, 747 Ilias 74, 352, 514, 554 vs. Oidipus 371 Xerxes 240, 254 Klytaimnestra 53, 166, 251, 388, 396, 440, 665 Netz 446 roter Teppich 71, 216 Tatwaffe 476 Seneca 676 Tragik 60, 61, 72, 73, 75, 77, 353, 441, 521 Agaue siehe Kadmos Adjuvant 520 lokale Eliminierung 499 nicht tragisch 520 Pentheus’ Kopf 521 Schlußszene 487, 495, 498 tötet Pentheus 250, 405, 520 P. bittet um Verschonung 498 Transgression 483 Wahn 434, 487, 520 Transgression 498 Wahn Dionysos 495, 527 Kadmos 526 Tragik 521 Aggression Auto~ 370, 376, 383, 412 Bakchen 515 Dreiweg (OT) 356 furor 612, 692 Hippolytus 613, 620, 645, 647 Iphigenie 440 Laios 326, 328, 338, 521 Medea 467 Oidipus Iokaste 376, 660 sozioverbale 317 Ökonomie 141 Perser 272 Phaedra 608 physische 219, 221, 327, 513, 624 Transgression 21, 208, 631 Agnostizismus siehe Götter Agon 533 tragischer 533 agos Iokaste 377 Kylôneion 69 Agrippina 613 Aias 41, 289, 390, 465, siehe Kassandra (Vergewaltigung), Wahn Schweigen 697 Seneca 683 Tod 86, 224, 436 Tragik, soziale Integrität 73 Wüten 70, 224, 293 Tod 514 Aidôs 702 Aigeus 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 807 Medea 93, 414, 432, 436, 445, 447, 456, 473 Asyl 417, 520 positives Modell für den Umgang von Mann u. Frau 461 Weinschlauch 469 Theseus 632 Aischylos siehe páthei máthos biographischer Hintergrund 212 Eumeniden, sistierte Widersprüche u. Eliminierung 88 Geschlechterfluch 243 Götter 739 göttlicher Trug 245 Homer 734 Schnitten, Fragment 167, 229 Humanität 212 Ilias 248 Komik 564 Metatheater vs. Interdrama, Intratheater 194 Oidipus 306 olbos, koros, hybris, atê 92, 357 Schuld 243 spielt Xerxes 273 Tragik Aufhebung durch Medea 446 Perser 240 vs. Pädagogik 212, 246 vs. Herodot 244 Aisthetik 154, 183, 264, 723, 733 Eliminierung 384 Ethik 397 Maske, Optik, Akustik 147, 169, 278, 704 Medea 439 Mersch 146 antisymbolische 150 Metatheater 495 Rationalisierung 396 Transgression 18 aitía 358 akolasia 120 akrasia 120 Akt vs. Potenz 428 Aktaion 488, 511, 516 Aktantenmodell (Greimas) 15, 49, 172, 415, 582 Agaue, Phaidra = Adjuvanten 520 Hippolytos, Phaedra 645 Medea 463 Oidipus = Subjekt, Objekt 291 Perser 222 Xerxes = Ko-Subjekt 254 Aktem ~ Segment 159 Transgression 28 Akustik siehe Aisthetik, Optik Aristoteles 145 Drama 147 Eliminierung 223, 330 Epiphanie 396 Medea 411, 439 Kindermord vs. Iphigenies Opferung 441 Metatheater 495 Mimesis 161 Monstrum 640 nonverbale, moderne Inszenierung 133 Saussure 147 Schreckliches 392 sprachlicher Sinn 64 alástôr gr. Bote, Perser 243 Iason 447 alêtheia 386 Alexander d. Gr. 209, 279, 282, 612 Alexander von Aphrodisias 333, 351, 383 Alexander-Dareios-Mosaik 281 alienation (Ver-/ Entfremdung) 717 Alkaios Orient 269 Tyrann 236 Tyrann, Aias, Kassandra 18 Wahnsinn 672 Alkestis 70, 384, 444, 449, 731 Alkibiades 632 Alkmeon 115 Allgemeines siehe Individuelles alt vs. jung 210, 227, 230, 239, 242, 243, 267, 280, 722 Alte Komödie 72, 109, 110, 194, 398, 572, 726 Gewalt, Prügel 537 physische Eliminierung 537 Polis 533 Alterität siehe ethisch-kulturelle ~, Identität Dionysisches 507, 508 Libido 619 Altertumswissenschaften 22, 80, 201, 246, 725, 745 Altes Testament 167 Genesis 555 Susanne im Bade 263 Amazonen siehe Antiope, Phaedra 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 808 Ambiguität 50, 166, 630 Oidipus, Sphinx 347 Symbol 180 Ambivalenz 166, 224, 479, 536, 542, siehe Vernant, J.-P. Ästhetik 704 Binnenhermeneutik, dramatische Ironie 165 Bock, Tragödie, Jugend 48 Chorlied (Phaedra) 602 Dionysos 481, 483, 492, 526, 530, 531 Annullierung 528 Sprache 526 Transgression 527 Drama 165, 734 Figur Hippolytus 643 Oidipus 307, 375 Figurenrede Amme (Phaedra) 635 Hippolytus 617 Intratheater 745 Medea 417 Entscheidungsmonolog 434 Phaedra 620, 645, 649, 653 Transgression 618 Teiresias 302 Komik gottgeschaffen 552 Mondgöttin 663 Monstrosität 630 Orakel, Rätsel (OT) 348 poetisches Zeichen 162 psychoanalytisch 653 Selbstverweis, Tragödie 282 Theater/ Drama 4 Tragik 219 Verdoppelung 618 virtus-voluptas-Canticum 554 Ameipsias 534 Amme (Medea) 411 Amme (Phaedra) chthonische Inspiration 663 furor 608 Hippolytus 610 Verleumdung 633 Krankheit 699 Phaedra Leidenschaft bekämpfen 598 soziale Stellung 605 Stoa, furor 603 Amor 601, 604, 605, 699 Amphitruo 548 cist(ell)ula 549 Feder am Hut, Götter vs. Menschen 170, 548 Götter 739 Konflikt um Identität statt um Rolle 551 Längung der Nacht 550, 551 Metatheater 726 Interdrama 547 Schale 549 Anachorese 611, 613, 615, 617, 642, 643, 694 Anagnorisis 285 Amphitruo, Hippolytos, Epiphanie 555 Aristoteles 566 Peripetie 93, 725 OT 400 Zeichen vs. Schlußfolgerung 144 Bakchen Agaue 520 Epiphanie 487 Pentheus 502, 503 Bohrer, Schmitt 102 Cambridge Ritualists 139 Epiphanie 736 Erkenntnis 101 Sophokles 293 ethisch-rationales Subjekt 56, 318, 338 Iason 93, 442 ioú 318 Klagen, Mitleid 129 Medea, Tragik 430 Odysseus 167 Penelope 478 OT 93, 388, 465 Angst 387 Aristoteles 401 Erkenntnis 288, 294, 303, 392 Iokaste 308, 317 Gliederung 295 Wiedererkennen 317 Perser 202 Dareios 231 Machtausübung 271 Xerxes 253 Phaedra Hippolytus 618 monstrum 629 Theseus 583 Phaedra 668 Re-Identifikation 43 Transgression 727 anagogisch siehe apollinisch 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 809 Anakreon 672 analytisch siehe Drama Anaximander 39, 51, 216 Andere, der siehe ethnisch-kulturelle Alterität Anderson, W. 547 Andromenides 113 Angst siehe Bohrer, Transgression (Angst) animal symbolicum 151 animus 603 Aufstieg 674 remissio 672 vs. furor Hippolytus 640 Phaedra 594, 603, 625 Annullierung siehe Differenz Ambivalenz 528 Chor, Sexualmetaphern 471 Iasons Mannsein 460 Iasons Ruhm 452 Medea 450, 458, 459, 462, 466 Transgression 445, 449 Anthropogenese 1, 33 Anthropologie Samia 542 anthropologische (Literatur-)Semiotik 66 anthropologische Semiotik siehe semiotische Anthropologie Antigone Götter 520 Heroik 70 Lévi-Strauss 292 Nomoi, Götter 69 Nomos, Vernant 166 Oidipus, Sorge, OT, OC 443 OT 366 Trauer 398 politische Integrität, Bestrafung, Schmitt 82 Tragik 47, 61, 729 Hegel 59 Heuner 323 Märtyrerin 69 Nussbaum 60 Antigone (Drama) Aufbau 289 Interdrama, OT 379 Oikos, Polis 61, 444, 538 Performanz, Heidegger 130 tychê 238 Antike siehe Literaturgeschichte, Moderne antike Stilkritik 674 Antinoos (Odyssee) 220 Antiope (Amazone) 621, 637 Antirationalismus 98, 732 Anzieu, D. 377 Aphrodite 157, 462, 605 Hippolytos 582, 594, 731 Frevel 589 Hyperpräsenz, Autoritätsrestauration 738 Phaidra 602 integer 520 Objekt 645 Rache 520 Rache, Opfer 688, 731 Prolog 29 Anerkennung 528 Frevel 590 Metatheater 437, 741 Rache 630 soziale Integrität 497 Medea 415, 447 Phaedra Rache 630 Venus vulgivaga 650 Apokalyptik 288, 442, 489, 490, 556, 645, 736 Epiphanie 387 Apoll 219, 443 Aigeus 469 Dion Chrysostomos 569 Epiktet 568 hekêbolos 220 Ilias 371, 642 poiêtês 383 Python 704 Apoll (OT) 78, 136, 284, 301, 335, 341, 351, 730, 738 Aktantenmodell 292 Alexander v. Aphrodisias 333 Autorität 316, 364, 368, 400, 404 Pelop. Krieg 351 Transgression 340 Zweifel d. Figuren 347, 361, 362 Betrug 351 Handlung 528 Integrität 351 kommunikative Dysfunktion 329 Metatheater Regisseur 350, 382, 390 Vorherzeigen 350 Oidipus’ Fall 360 Orakel, keine Handlungsanweisung, Hermeneutik 344 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 810 lykischer 314 Rolle 363 Orakel 346 vs. Zeus 367 Schandfleck entfernen 354 Sühne für Mord an Laios 344 Vater des Oidipus 350, 382 Vorhersage 352 Wissensvorsprung 165, 322 apollinisch 374, 510, 720 anagogisch 39, 668, 697, 706 himmlisch 664 Distanz 671, 681, 711 Musik 523 OT 345, 376 Perser 742 Senecas Poetik 671-76 Theseus’ Rückkehr von einem Orakel 665 Traum 96 Perser 742 apollinisch vs. dionysisch 511, siehe Poetik (Seneca) dialektisch 95 Synthese 525 OT 742 Entwicklung der attischen Tragödie 742 Mantik 524 OT 350 Seneca 679 sublimierend 713 Aporie 355 Aposiopese 393 aprepés 685, 693 Aprosdoketon 412, 630, 685, siehe Tragik Handlung (OT) 298, 389 Senecas Phaedra 608, 643, 685, 719 aptum 637, 685 Äquivozität 164, 166, 530, 618, 631, 633 Amme (Phaedra) 635 Aufhebung, Hegel 90 Komik, Transgression, Sexualität 109 literarische Texte 2 Arbitrarität Dezision 709 theatralische Unterscheidungsmerkmale, Amphitruo 548 Zeichen 23, 145, 147, 208, 294 Archaik siehe Adelsethik, Pessimismus Aischylos, Sophokles 560 Befleckung 394 Gebote, Religion 77 Menschenbild, Vergänglichkeit 248 OT 284 Binnenhermeneutik 358 Riten, Tragödie 143 Schicksalsdenken 349 Sozialstruktur 57 Substrat, attische Tragödie 94 thymós 574 Tragik 59 Vernant 76 Archilochos siehe thymós Orient 269 Arendt, H. 57 Areopag 88, 327 Argo Sexualmetapher 471 Symplegaden 452, 470, 471 Trümmer 43, 420, 450, 452 Argonautenfahrt 415, 447, 452, 463, 470 Argos 448 Ariadne 668 Aristokraten siehe Austausch Selbstinszenierung 71 Sympathien f. Perserreich 209 Ariston von Chios 609, 662 Güterlehre 696 Aristophanes siehe Phantastik Autor vs. Text 27 Dramenschlüsse 40 Ekklesiazusen 471 Frösche Aischylos 558 Euripides 558 Hinzutritt 721 Intertheater, Inszenierungen 193 katábasis 591, 723 Oidipus-Stoff 306 Perser 267, 577 sehen 534 Tod der Tragödie 558 Komik 401, 533 Lysistrate 460, 471 Kiste 549 Ritter 533 Thesmophoriazusen 533 Tür, Sexualmetapher 470 Witz 106 Wolken 533 Aristoteles siehe Anagnorisis, deus ex machina, Mythos, Peripetie, Zorn; éleos, katharsis, philánthrôpon, phóbos, sêmeîon, symbolon Affekt 122 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 811 adíkêma 119 soziale Integrität Adelsethik 74 Transgression 119 bios vs. zôê 64, 65 bouleutikón, ákyron 426 De interpretatione repräsentationistischer Zeichenbegriff 144 diánoia 46, 134, 693 Drama Anfang, Mitte, Ende 100 enérgeia, ergon, chrêsis 132 Euripides tragisch 124, 558 Familie 70, 91, 113, 274, 462, 464 Fiktionalität 186 Frauenbild 426, 594 Gesichtssinn 1 Handlung 112 Handlungsstruktur 112, 129 OT 400 Komödie, Eliminierung 41, 537 Medea 428 wissentlich 433 wissentlicher Kindermord = schrecklich 406 Metapher 132 Metrum 565 Mimesis 131 Monströses 475 ópsis 129 OT 384 organon empsychon 535 parà dóxan 343 Permutationsprobe 112 schweres Leid 59, 91, 113, 115, 127, 258 Sklaven 426 Sonnenlauf 477 sophós 429 Xerxes 276 soziale Einbettung, Spielsteine 65 Staunen 188 Syllogismus 313 Tragik 115, 124, 539 Tragödie Eliminierung 4. Jh., Kritik 143, 558 Leid 41 Entstehung 47 Interpretation 110, 334, 564 Umschlag 93, 126, 401, 523, 567 Vor-Augen-Führen 132 vs. Jammer, Schauder oder Zorn 693 Witz 106 zôon politikón 65, 341 Zügellosigkeit vs. Unbeherrschtheit 120 Aristoteles (Poetik) 722, siehe hamartia, Phaedra (Seneca) amplificatio 693 Götter 77, 127, 565, 568 Logos 134 miarón, Nichtvollzug, nicht tragisch 644 Polis 113 postea vs. propterea 387 Todesfälle 384 ars (Etymologie) 183 Artabanos 246 Artaud, A. 97 Artemis 62, 300, 353, 488, 508, siehe deus ex machina Aktaion 511 Hippolytos 497 Anagnorisis 668 Figurenkonstellation 582 oîstros 660 Theseus’ hamartia 633 Totenopfer und Hochzeitsritual, Kultstiftung 655 Iphigenie 521 Medea 447 artifex (lat.) 704 Asebie 78, 482, 498, 501, 505, 527, 732 Etymologie, Pentheus 516 Asien 269, 279, siehe Athen (Befreiung), Grenze, Griechenland, Perser (Männerleere) Perserherrschaft 222, 231, 243 spricht durch Europa 239 vs. Europa 206, 216 Transgression 202, 269, 527, 591, 723 Asper, M. 218 Ästhetik 134, siehe Adorno, Bohrer, Drama, Film, Produktionsästhetik, Rezeptionsästhetik, Sensualismus, Werkästhetik Ab/ Schlachten 229 Akustik 439 antihermeneutisch 149 apokryph 408 Böses 689 D. Mersch 146 dénouement (OT) 387 Dreiwegmassaker 330 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 812 epiphan 408, 443 Erscheinung 100 Ethik 440, 698, 708 Akustik 441 Distanzierung 711 ethnisch-kulturelle Alterität 278 Fragmentierung 225 Handlungsfiguren 134 Iphigenie 440 klassische 710 negativ 181 Phaedra 601 Destruktives 592, 704 philosophisch 186 Schrecken 98, 101, 233, 581, 704, 711, 731, 732 Böses 587 semiotisch vs. phänomenologisch 155 Theater Phänomenologie 144 Tragödie 281 Transgression 34, 38, 182, 388, 439, 727 Seneca 694 transgressiv 33, 149 Traurig-Schönes 704 vs. Semiotik 153 Ästhetizismus 95, 584, 732, 746, siehe E. Jünger Terror 708 Astronomie siehe Sterne Astydamas 557 Asyl siehe Aigeus, Athen Asymmetrie 218, 239, 270, 418, 485, siehe Opposition Iason vs. Medea 415 Soziopragmatik 609 Xerxes 257 atê 16, 92, 104, 117, 128, 249 Ilias 254 OT 359 Verblendung 240, 633 Xerxes 446 Athanassaki, L. 193, 351 A-Theismus siehe Götter Athen 201, siehe Öffentlichkeit (Theater, Polis Athen) Apoll 351 Asebie 501 Asyl 432, 444, 445, 453, 501 Medea 447 Befreiung der Griechen Kleinasiens 209, 222, 279 Bürgerrecht 538 Demokratie 284 Theater 130 Tragödie 30 Elite, Orientalismus 227 Garant sozialer Normstabilität 448 Gebirge 669 Gegenort Theben 448, 529, 545 Gericht 327 Oidipus’ Befleckung 378 Oidipus’ Unschuld 328, 354 Heimat 545 Imperialismus 209, 211, 269 Tragödie 281 jugendfreundlich 267 Perser Demokratie 209, 214, 281 Überlegenheit 241 Leistung 242 Schadenfreude 275 Selbstlob 223, 239, 246 Totenklage 260 Primärpublikum 267 Publikum 128, 205, 242, 258, 267, 272, 332, 336, 381, 385, 386, 448 Anrede, Phaedra 654 Perser 206 Perser, Mitleid 272 Sympathie mit Oidipus’ Gewaltanwendung am Dreiweg 329 Warnung vor hybris 224 Reinigung, Selbstopfer, Blutschuld 69 Religion, Gesellschaft, Politik 733 Sehnsucht, Verlust 278 Silberminen 270 Thalassokratie 227 theatralischer Raum 259 Theseus 632 Tragödie 720 Nomothesie, Transgression 406 Transgressor 224 Tyrannisideologie 332 Athena 18, 300, 390, 465, siehe deus ex machina Eumeniden, Transgression 88 Athetese siehe Textkritik tmanepada (ai.) 80 Atossa 203, 258 Abtritt 203, 249 Tod 251 Xerxes’ Auftritt 250 Alter 738 Athen 209, 210 Auftritt 219 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 813 Begrüßung 271 Kleider 632 neue 255 Kritik 252 Nekromantie 232, 244, 619 Opfer 171 Opfer, Vorzeichen 219 Sorge um Familie 217 Subjekt der Binnenhermeneutik 217 Xerxes ältester Sohn 267 Kind 214 lebt 276 schlechte Ratgeber 245 Atossa (Traum) 29, 215, 217, 255, 535, 553, 738 mise en abyme 189, 232, 330, 746 Atreus 596, siehe Künstler Atriden 70, 77, 224, 405, 449, 461 attisch-delischer Seebund 209, 272, 279 Auerbach, E. 167 Auffaltung Sprache im Drama 168 Aufführung siehe Aristoteles (ópsis), Seneca performance 134 Requisiten 154 Tragödie, Kaiserzeit 570 vs. Ereignis 134 Wieder~ 557 Aufhebung siehe Hegel, Tragik (Subjekt) Differenz, Identität, Rationalität 523 Eliminierung durch Medea 446, 449 Grenzen Dionysos 492, 494, 526 ontologische Struktur, Götter, Tragödie 106 Ziel, Phaedra 692 Aufklärung 98, 579 OT 304, 311 Selbstüberzeugung 404 Sophistik 362 Augustinus 606 Aulus Gellius 38 Aura siehe W. Benjamin, Dareios, D. Mersch Ausnahmezustand siehe Agamben Dionysos 97 Komik 108, 533, 551 Neue Komödie 536 Adonisfest 545 Souveränität 493 Aussetzung 339, 405 Austausch siehe Frauenaustausch aristokratischer 71 heroischer 67, 90 Märtyrer 90 Mitgift, Nachkommen gegen Metalle im Tempel 615 tragischer 67, 70 Austin, J. 135, 669 Auszug siehe Metatheater, Perser autopoetisch siehe Monstrosität (Transgression), Seneca (Dramen), Transgression Autor 27, siehe Intention (Autor vs. Text), Tod des Autors Abwesenheit, Agamben, Foucault, Geste 687 Drama 164 impliziter 448 Medea 438 Autoreferentialität siehe Kunst, Metatheater, Tragik, Transgression antike Psychagogie 85 dramatisch 195 Götter, Euripides 739 grammatische Kategorie 424 Intratheater 395 Kunst 186 Oidipus 290, 371, 377, 379 OT 291 poetische 257 Ritual, Kunstwerk 141 Senecas Poetik 672 Verdoppelung 457 Zeit 322 Autoreflexion siehe Metatheater animus 603, 641 antike Psychagogie 85, 429 Bataille 37 Brecht, Stoa 716 innere Selbstbetrachtung 424 Kunst 184 Literatur 195 Oidipus 385 OT 291 Perser 206 Phaedra 685 Seneca 577 Stoa 322 att. Tragödie 570 Theater 740 Autoreflexivität siehe Metatheater, Tragik antike Literatur 186, 535 Literatur 185 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 814 poetische, Ilias 186 Senecas Dramen 714 Senecas Thyestes 584 Autorität siehe Apoll (OT), Dareios, Konflikt, Xerxes Amme (Phaedra) 608 persische 259 religiöse Fraglichkeit Handeln d. Figuren 353 Zweifel d. Figuren 347, 356 Teiresias 357, 361, 362, 364, 368, 510, 514 spiritistische Dareios vs. Xerxes 252 Vater 543 B Babylon 270 Bachelard, G. 178 Bachtin, M. Karnevalisierung 38, 110 Polyphonie 579 Stimme 27 Bakchen Aufführung in Pella 502 Furcht 490 Gattungsgeschichte 532 hamartia 124 Kultstiftung, Konfliktlösung 492 lokale Eliminierung 499 Odyssee 486 Rätsel 482 Reanimalisierung 530 Sagen vs. Sehen Metatheater, Intratheater 496 seductio 507 Vernichtungsraubzug 515 Wahn 515, 522, 668 Bakchylides 266 Barbaren Germanen, Tierfelle 511 Perser 267 sexuelle Transgression 593, 622, 637 Barock 76, 717 ~drama, spanisches 76 Racine 666 Seneca 639, 666, 706, 710, 715, 719 Barthes, R. 4, 20, 26, 146, 147, 191, 232, 264, 645, siehe Tod des Autors Kleidung 548, 669 méta-littérature vs. littérature-objet 185 Rahmung in der japanischen Kultur 157 Bataille, G. 33, 35, 37, 138, 141, 143, 386, 392 bassesse 109 Böses 715 Baubo 474 Baudelaire, C. 99, 266 ennui 719 Baueinheit, ~element, ~ formen (vs. Struktur) 13 Beckett, S. 718, 719 Beethoven, L. van 150 Befleckung siehe miasma Gewässer, abwaschen 621 Phaedra 621 Begehren 38 desire 652 Hippolytus 619 Iphigenie 440 Iphis 652 Jupiter (Amphitruo) 550 Phaedra 616, 692 genital-sexuell 649 Theseus durch Hippolytus ersetzen 24, 66, 582 junger 618 Psychoanalyse (Wünsche) 38 Behistun-Inschrift 261 Benjamin, W. 68, 70, 146, 168, 746 Aura 136 Ritual 141 Ausnahmezustand, Tyrann 494 Opfer 94 Berg siehe Kithairon Berke, B. 49 Bestürzung 128, 490, 718, 736 Bett siehe Iason OT 314 Bierl, A. 48, 98, 137, 139, 169, 184, 196, 199, 200, 225, 228, 230, 257, 258, 336, 484, 495, 533, 743 Bild Kahn, furor 602, 643 Lanze, Opferkuchen 225 Medeas Intratheater 442 Perser 201 Sequenz 157 Theater 148, 155 Transgression, Eliminierung 727 Bildakt siehe Bredekamp, H. Binarität siehe Linearität, Opposition, Rationalität 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 815 Binnenhermeneutik 5, 27, 52, 207, 264, 550, 722 Agaue 520 Ambivalenz 165 Atossa 217 dunkle Inspiration 663 ethische Rolle 172 Götter 238 hamartia 123 Handlungsstruktur 323 Integrität, Tragik 62 Katastrophe, Perser 234 Kontingenz 237 Kunst dämpft Leidenschaft (Phaedra) 720 Orientalismus 239 OT, archaisches Weltbild 358 Perser, Zeitgeschichtsschreibung 238 Schlußszene, Bakchen 498 Seele 39 Semiotik OT 345 stoische Theorie zur Pathogenese 598 Tragik 53, 56, 84, 86 Transgression 16, 18, 32, 97, 181, 729 Agaue 498 barbarisch, exotisch 593, 622, 637, 722 Dionysos’ Ambivalenz 527 Medea 454 Meerengen 468 Oidipus 324, 342 OT 328 Pentheus 498 Phaedra 582 Distanzierung 685 Religion 738 religiöse 514 Verantwortung, OT 358 vs. Handlungsstruktur 364 geistesgeschichtlicher Umbruch 359 Xerxes, drei Phasen 234 Binnenkommunikation 164 Binnenpragmatik 5, 21, 205, 208, 253, 254, 263, 264, 280, 303, 363, 373, 381, 423, 434, 437, 442, 471, 472, 534, 543, 609, 620, 667, 697, 727 Metatheater 192 Transgression 181 Witz 105 Binnenpublikum 84, 141, 206, 385, 386 Biologismus 67 bios 64, siehe Agamben, Aristoteles, Intention, signifié Lebenswandel 631 soziale Praxis 406 Bittgesandtschaft (Ilias) 514 Blanchot, M. 34 Blumenberg, H. 238 Bock(sgesang) 47 Bodin, J. 494 Boeckh, A. 180, 745, 747 Bohrer, K. H. 88, 95, 101, 124, 139, 182, 250, 282, 286, 299, 300, 304, 309, 310, 312, 318, 320, 325, 330, 351, 362, 372, 386, 388, 395, 526, 578, 584, 704, 734, 743, siehe Epiphanie, Erscheinung, Plötzlichkeit, Schrecken Angstgesang 392 Angstrede 300, 307, 309, 735 Chor (OT) 308 vs. dialogischer Progreß (OT) 296 Angstzustand 314 Ästhetik 586, 719 Bakchen 484 Erkenntnis 292 Geschichtsphilosophie 97, 100 Identität 293 Integration, Weiterentwicklung 735 Iokaste, Immanenz 545 Iphigenie 440 kognitiv-dialogischer Progreß 101 Oidipus’ Machtwille 306 Phaedra 581 Schuld 394 Sehen (OT) 387, 388 Tragik 97, 99, 731 OT 306 Bollack, J. 307, 315, 327, 356, 368, 372, 387, 391, 395 Böse 708, 713 ästhetisch 546, 598, 653, 689, 702, 732 distanzierend 714 Perversion des Ritual, Senecas Medea 436 Stoa 708 Zustimmung 596 vs. Tragik 709 destruktiv Handlung, Figuren, kontagiös 698 Sozialgefüge 689 literarästhetisch 588 moralisch 606 vs. Tragik 55 Orientalismus 211 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 816 poetisch-kreativ 711 Bosporos 216, 458, 470 Überbrückung 242 Bote siehe Korinth Medea 456 Botenbericht Amphitruo 555 Ästhetik 727 Bakchen, Mänaden 496 Kithairon 509 Bakchen, Pentheus 489, 490 Medea, Dramaturgin 438 Medea, Iteration, Eliminierung 459 Medea, Transgression 412 OT, Ästhetik 392 OT, Integritätsverletzung, Eliminierung 376, 384, 389, 397, 438 OT, Regisseur, Oidipus 393 Perser 204, 228 Perser, Salamis 223, 330 Phaedra 592, 619, 704 Tod, Cambridge Ritualists 139 Transgression 28 Transgression, Eliminierung 160 Bakchen 490 Bourdieu, P. Feld 173 Kapital 72 Integrität 416 Konvertierung 71, 90 boustrophêdón 524 Bowra, C. M. 369 Braungart, W. 140 Brecht, B. 737 episches Theater 157, 574 Erzähler, Verfremdung 717 vs. dramatisches Theater 11, 715 Metatheater 547 Tragik 716 Bredekamp, H. Bildakt 100, 442, 669 Künstler-Krimineller 182 Bremond, C. 15, 172 Breuer, R. 59 brevitas 155, 626 Bruch(stück) siehe Aischylos (Homer), Transgression (Bruch[stück]) antikes Drama 131 Überlieferung 152, 202, 214 Boeckh 745 Dichtung im Philosophieunterricht 586 Dramaturgie Seneca 709 Eliminierung Medea 420, 452 Perser 225 furor 591 Hippolytus 670 Dramaturgie 639 Mythos, Handlung (OT) 288 Phaedra 689 Phaedra, Distanzierung 643 Subjekt, Performanz, Struktur 23 Theaterstück 129 Tragödie epische Ordnung 618 epische Sprache 167 Musik, Tanz 130 Trümmer der Argo 451 Xerxes vs. Dareios 243 Brücke Bosporos 242 Hellespont 215, 259 Brückner, C. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen 339 Brüskheit 129, 305 Dionysisches 513, 532 Plötzlichkeit 100 Brutus, L. Iunius 624 Bubner, R. 104, 235, 238 Bühler, K. Deixis am Phantasma 157, 177 demonstratio ad oculos 157, 177 Organonmodell 164 Bühnenhandlung Integritätsverletzung, Aristoteles, OT 384 Transgression 28 Bühnenhermeneutik 5 Bühnenkommunikation 164 Bühnenpragmatik 5, 41, 203, 204, 205, 208, 210, 263, 268, 276, 280, 303, 373, 381, 394, 406, 423, 434, 437, 449, 471, 484, 501, 505, 518, 619, 667, 697, 727, 736, 741 Komik 105 Metatheater 192 Bühnenpublikum 84, 141, 206, 279, 381, 385, 386, 501 Burkert, W. 47, 345, 356, 435, 450 Busch, A. 579 Butler, J. 652 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 817 C Caesar, Julius 236, 512 Cairns, D. 3, 31, 323, 353, 358, 364, 384, 396, 633 Calame, C. 169, 195, 365, 377, 385, 392, 396, 402 Calderón de la Barca, P. El médico de su honra 75 Carpe diem 249 Cassirer, E. animal symbolicum 151 Cato d.J. 612, 672, 703 Catull 677 causa finalis 408, 687 causa materialis 408, 687 causa semiotica 687 Charakter 43, 333 Aristoteles bessere Menschen 714 hexis 693 hamartia 91, 104, 114, 118, 119, 120, 126, 336, 401, 504 Neue Komödie 537 Schmitt, OT 335 Theseus, Konsistenz 644 Tragik 56 Transgression 25, 268, 331 Xerxes 201 Charaktertragödie (OT) 332, 335, 404 Charaktertypen Neue Komödie 171 vs. Verhaltenstypen 171 Charisma 268 Chauvinismus 205, 270, 277 Chomsky, N. 50 Chor 27 drameninternes Reflexionsmedium 375 Metatheater 184 OT 381 Schlußworte 194, 737 Neue Komödie 538 Rolle in der Tragödie 336, 700 Schauspieler 336, 504 Tanz 1 Vermittlungsinstanz 189 Zuschauer Intratheater 233, 413 Chor (Bakchen) Schadenfreude 490 Strafe f. Pentheus 498 Chor (Medea) Ausschluß bei Transgression 437 Kindermord 455 Kindern helfen? 441 Schlußworte, Athetese 449 Chor (OT) Charakter, Schmitt 336 Dialogik 360 Oidipus geblendeter Anblick, Schrecken, Rationalisierung 396 göttlicher Vater? 350 Integrität 307 Mitleid 373 Schlußworte Athetese 381 Metatheater 381 Oidipus’ Schicksalsumschwung 369 Tanzen 178 Metatheater 381 vier Aktantenrollen 291 Chor (Perser) Greise 278 Katastrophe 234 Mitleid 275 Regisseur 233 Stellung zu Personen des Königshauses 255 Xerxes Einigung 254 Kritik, Verantwortung 239, 252 Patriarch 251 Chor (Phaedra) befiehlt Theseus d. Knochenlese 657 Fortuna 592 Hippolytus Flucht 642 Schönheit 643 Theodizee 602 Theodizee, Physidizee 699 Choregie Metatheater 544 Perikles, Perser 268 Sozialprestige 71 Themistokles, Phoinissai 268 Chorodidaskalos 495 chrê (gr.) 349 Christentum Böses 211, 689 Demut, Heilige vs. Tragik 73 Dulden 326 Gottergebenheit 383 göttl. Gerechtigkeit 351 göttl. Güte 497 hamartia 114 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 818 Humanismus 565 Jesu Selbstopfer vs. Oidipus 372 Kreuz 97, 187 Märtyrer 68 philánthrôpon 540 Schuld 253, 705 span. Barockdrama 76 Tragik 45 Tragödie 568 Christologie 492 Chronotopos 202, 476, 550 Chrysipp boúlêsis 605 Determinismus 103 Dichtungstheorie 562 entbehrlicher Dramenvers 572 Inzest 568 Medea 408, 421, 433, 573 Lektüre 574 Persönlichkeitskonzept, Senecas Medea und Phaedra 587 Walze 592 zeitl. Nähe zur attischen Tragödie 334 Zustimmung 573 Chrysis 541 chthonisch 39, 221, 300, 626, 664, 740 deszendent, vs. anagogisch, apollinisch 664 dionysisch 679 Poetik 694, 711, 713 dionysischer furor 666 Phaedra 662 Seneca, Phaedra 678 Schiesaro 663, 678 Transgression, Metadrama 664 vs. apollinisch 665 clôture 23, 79, 154, 160 Code 20, 22, 232, 722 familiärer 345 Funktion 195 nonverbaler 175 Referenz 175 religiöser 437 ritueller 345, 436 sozialer 26, 136, 345 Überlagerung 219 Umkodierung 141 verbaler 175, 345, 437 Conacher, D. 203, 222, 241, 247, 248, 255, 262, 264, 268, 270, 274, 278, 491, 500, 594 condicio humana 64, 87, 248, 269, 579, 743 Kontingenz 235, 565 OT 369, 370 OT 403, 404 parádeigma 386 Stoa 614 Theater 2, 60, 735 Tragik 400 soziale Einbettung 51, 65, 78 Corneille Ästhetik des Schreckens? 735 Cid 58 Cinna 44 Oidipus 328 Corus 642 Coseriu, E. 132, 145 Creuzer, F. 95 Symbol 162 crise sacrificielle siehe Girard, R. Croisille J.-M. 688 Cupido 605 Curtius, E. R. 188 Curtius, M. 70 D Daedalus 626, 628, 630, 649, 650, 651 Metatheater, Phaedra 720 daímôn Bakchen 486, 508, 522 Dareios 242 Götter 238 Heraklit 332, 336 Herodot 350 Iason 447, 456 Medea 593, 605 OT 360, 366 Autorität der Götter 366 Blendung 363, 368, 396 Kreon 366 Reinhardt 366 zeigt Oidipus Iokaste 390 Perser 240 gr. Bote 243 Platon 560 Xerxes 253 Dällenbach, L. 232 dämonisch 80, 92, 304, 336, 430, 449, 603, 648, siehe Reinhardt, K. Dionysos 522 Dämpfung 389, 662, 666, 680, 711, 715 Emotionen, Phaedra 720 Dareios alt 245 Angst vor Plünderung 279 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 819 Aura 233, 271 Autorität 241 Zeus 230 Distinktionsmerkmale, Machtposition 257 Greise, Jugend 231 Idealisierung 210, 242 Marathon 242 Nekromantie 229 Skythenzug 203, 242 vs. Xerxes 241 Warnung vor Transgression 207 Xerxes Jugend 243 Kind 214 Davos 553 De Lacy, Ph. 562, 586, 697 decorum 226, 685 Defloration 227, 228, 441, 475 florale Metaphorik 228 Medea 470 deî (gr.) 349 Deianeira siehe Trachinierinnen deíkêlon (gr.) 157 deíknymi (gr.) 157 Bakchen 486 OT 390 Deixis 160, 636 ~ am Phantasma siehe Karl Bühler extradiegetische 259 Präsentation 157 Dekadenz Frösche 535 Orient 263, 265, 266, 509 Dekonstruktion 12, 16, 17, 108, 134, 150, 157, 290 Dezentrierung, Gitter 108 Relationen, Drama 23 Tragik 79 Deleuze, G. Anti-Oedipus 286 Falte 168, 745 Rhizom 168, 290, 745 Delphi Dionysos 525 Dionysosfeiern 493 Gnôthi sautón 368, 402 Orakel 304, 305 Apoll 316 Autoritätsverlust 353 Dreiweg 323 Kreon 665 Laios, Iokaste (Aischylos) 211 Oidipus 246, 355 Oidipus, Hermeneut 345, 367 OT 738 prospartanisch, Athen 351 Tempelplünderung 215, 515 Xerxes 220, 221 Demagogie 268 Dionysos 507 Demeas 541 Demokratie siehe Athen, Tragik Demokrit 675 demonstratio ad oculos siehe Karl Bühler Demut siehe Tragik Denotation 162, 238 dénouement 387, 403, 555 Der Pate (Mario Puzo, Francis Ford Coppola) 732 dérkomai (gr.) (OT) 389 Derrida, J. 134, 146, 153, siehe clôture, différance, trace Iteration, Zeichen 154 Tragik 79 Despotie siehe Orient deszendent 664 Determinismus 103, 292, 353, 357, 359, siehe Stoa Grundstationen des Lebens 103 detractio (Rhetorik) 39 deus ex machina 739 Aristoteles 565, 568 Medea 445 Artemis, Hippolytos 453, 555, 739 Athena, Eumeniden 88 Dionysos 488 Gesetze in der Tragödie 106 Jupiter, Amphitruo 555, 740 Medea 443, 445, 447, 454 Medea (Stück) 453 Metatragödie, Eliminierung, Transgression, Athena (Eumeniden), Jupiter (Amphitruo) 194 szenischer Raum 39 Devereux, G. 219, 377, 526 Devianz 173, 287, 291, 314, 332, 353, 499, 554, 602 Dionysoskult 507 furor 699 Phaedra 591 hamartia 114, 120, 127 moralisch 597, 699 Philosophie 560, 573 Repression 567 sexuell 466, 651 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 820 Phaedra 619 sprachlich Witz 106 theatralisch 714 Tragik 50 Transgression 136, 344, 605 vom Allgemeinen 181 Devianzpoetik 182, 722, 743 Seneca 674 Dezision 709 ästhetizistisch Jünger 732, 734 moralisch 708 religiös 486 Souveränität 494 Transgressivität, Phaedra 709 vs. Tragik 67 diabolisch 689 diachron 1, 25, 30, 42, 56, 69, 83, 86, 167, 209, 235, 248, 261, 295, 317, 398, 423, 545, 559, 599, 618, 619, 642, 654, 711, 726, 728, 737, 740 Oidipus’ Identität 295 synchron 5, 82, 94, 96, 284, 323, 721 Dialektik siehe Hegel, Pascal, Synthese, Szondi ~ Poetik 183 Dialog 297 negative, Adorno 90 Nietzsche 96 OT, Binnenhermeneutik 360 Perser 280 Perser, Binnenpragmatik 254 poetische Transgression 163 Strukturalismus 88 Tragik 50 tragische vs. dramatische 93 Umschlag 90 vs. Tragik, Ende der Eumeniden 89 Dialog siehe Dialektik, Medea, Oidipus, Platon Diana 589, 598, 616, 620, 663 diánoia 201, siehe Aristoteles, diastrophê epi tên diánoian diastrophê epi tên diánoian 463, 603, 609, 634, 664, 682 Medea 434 Diathese 80 dico (lat.) 156 Diegem 160 Diegesis 28, 250, 264, 265, siehe Nicht/ Darstellung, Raum, diegetischer Bildgebung 148 Doppelung 189 Dreiwegmassaker (OT) 330 Figurenrede 384 Visualisierungsstrategie 330 Eliminierung 276 Eliminierung, Transgression, Verdoppelung 160 différance 12, 23, 290, 534 Differenz siehe Dionysos (Bakchen, Souveränität), Opposition Annullierung 445 Bakchen 494, 515 Sohn vs. Vater 617 Girard 287 Gott vs. Mensch 481, 498, 523, 555 Hellas vs. Barbaren 515 Libido 619 Medeas Wortlaut vs. Intention 414 Mensch vs. Tier 651 Transgressor vs. Gesellschaft biographische 37, 217 vs. Publikum 388 Dihle, A. 409, 426, 427, 429 Dikê 72, 447 Dingel, J. 562, 572, 577, 587, 604, 609, 623, 671, 673, 675, 677, 682, 687, 688, 699, 702, 708, 718 Diogenes von Babylon 562, 586 Dion Chrysostomos Inzest 569 Orest 569 dionysisch 490, 742, siehe Devianz, furor Ausnahmezustand 97 Bakchen Autorität 511 Fremdheit 490, 730 revolutionär 513 Wunderbares 496 Flucht 512 grausam 523 Nietzsche, poetisch-ästhetische Kategorie 742 OT, Gewalt, Selbstblendung 376 Rausch 96 Suspendierung von Rationalität, Differenzen und Identität 523 Wahn 676 Wahn, Wein 554, 742 dionysische Transgression siehe Transgression, dionysische Dionysos 261, 741, siehe Ambivalenz (Dionysos), Geburt, Lysis, Mythos Äquivozität 530 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 821 Dramenaufführung 139 E. Jünger 530 Gewalt 492, 494, 527 Grenzgänger 481, 526 Hippolytus 668 Rekomposition 670 liminale Figur 483, 526 Mantik 510 Metatheater 184, 382 Mythos, Tragödienhandlung 139 Nietzsche 36, 94 Phaedra 668 Theatergott 668 Prolog 486 Regisseur 494, 530, 533, 547, 741, 742 Ritual, Medea 435 Theatergott 382 Transgression 483 Vater des Oidipus 350, 382 Vegetationsgott, florale Metaphorik 248 Wiedergeburt 139, 558 Mythos (Perser) 275 Dionysos (Bakchen) 54, 62, 77 Effeminiertheit 527 Einfriedung 627 Geltungsanspruch 481, 491, 495, 528 göttliche Natur 492 Göttlichkeit 486, 500, 509 Etablierung 486 Konfliktdynamik 491 Programm, keine Willkür 494 Ritual 483 tragische Transgression 510 vs. Hippolytos 497 Wunder 489, 512 Zweifel 481, 486 Handlung 528 Hyperpräsenz, Autoritätsrestauration 738 Identität 486 Liminalität Eliminierung 528 lokaler Transgressor 485 Metatheater 193, 487, 494 Milde 527 östliche Herkunft 509 Schlußszene 498 Schrecken Schlachtreihen 490, 511, 525 schrecklich 489 Seuche 511 Souveränität 488, 501 Differenz 481, 494 Theatergott 532 vs. der Fremde 507, 512 Weingenuß 531 Wunder 486 Metatheater, Sagen vs. Sehen 496 Dionysos (Frösche) Begehren, anagogisch 39 Eingangsszene, katábasis 534 Regisseur 741 Theatergott 533, 536 Dionysosfest 33, 97 jährlich (Athen) vs. zweijährig (Theben) 492 Perser 228 Dionysoskult 47, 485, 500, 545 Gewalt 531 Perser 200 präzivilisatorische Primitivität (Rehfell, Wildnis, Kithairon) 511 Rhythmusinstrumente 523 Weingenuß, Sexualität 509 Dionysosritual 480 Dionysostheater 557, 733 szenischer Raum 259 Diptychon (OT) 289 díptychos (Medea) 412, 458 Diskontinuität 626, 719 Medea 415 Perser 237 Phaedra 591, 626, 696, 717 Transgression 18 Diskrepanz 54, 91, 419, 453, 511, 587, 623, 697, 703 hamartia 344 Handeln, Oidipus 305 Illokution vs. Perlokution 401 Intention 84, 92, 235, 297, 340, 615, 635 Kostüm 669 Paradoxon 80 Transgression 420 Komik 184 Kontingenz 235 Oidipus 348, 351, 354, 358, 359 OT 354 Phaedra 599 Dramaturgie 693 Zeit 599 ratio vs. furor 607 Referent 161 Struktur vs. Konjunktur, (tragische) Transgression 54 Zeit 28 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 822 Diskurs ~analyse 12, 35, 38 herrschaftsfreier 297, 559 Distanz kritische 708 reflexive 195, 205 Distanzierung 208, 717 apollinisch 671 Chor, Medea 455 Chor, Theseus 657 Drama, Religion 741 Epiktet, ep. u. trag. Figuren 564 furor poeticus 671 Seneca 713 Inszenierung, Gewalt 388 katharsis 683, 742 Leidenschaften 712 Mythos 536 Nussbaum 587 OT 299 Perser 273, 276 Phaedra Aprosdoketon, Brüche 643 Befremden 697 Dramaturgie 621, 684, 706 Differenzierung vs. Identifikation 685 Götteranrufung 702 vs. Aristoteles 693 vs. Leidenschaften 713 identifikatorischer Sog 709 Leidenschaften 719 vs. dionysisch 742 Zuschauer 681 Metatheater 710 Darstellung, Wirkung 712 Mittel 719 physische Integritätsverletzung Diskurs statt Optik (OT) 389 reflexive 680 Rückzug ins Haus, Medea 439 Schau(spiel) 680 Seneca 677 Brecht 715, 717 Drama 708 Rezeptionsästhetik 679 Transgression, Narratologie 28 Transgression, OT 330 Distinktion ~smerkmal 257, 544, 548, 712 soziale 256, 542 distinktiv 107, 112, siehe Minimalpaaropposition literarisches Kunstwerk 181 Tragik 105 Dithyrambos 139, 693 Dobrov, G. 7, 185, 190, 193 Dodds, E. R. 344, 482 atê 128 göttliche Gerechtigkeit 351 hamartia 116 OT 82, 285, 304, 353, 355, 359, 378 Charakter 336 condicio humana, Kontingenz 369 kontrafaktische, textferne Deutungen 325 Orakel 346 poetische Gerechtigkeit 57 Schamvs. Schuldkultur 31, 98, 354, 370, 373, 569, 721 Stoa, Emotionen 574 Schamkultur 69, 220, 339, 342, 355, 358, 377, 621, 637, 725 OT 354, 357, 377 Domenach, J.-M. 2, 46, 53, 568 Tragik 50, 84 Dominanz siehe Medea, Oidipus, Phaedra Domitian 613 domus siehe Oikos Donald, M. 1 Doppelbödigkeit 165, 194, 206, 373, 414, 590, siehe Sprache Iason 416, 458 Medea 412, 417, 419, 435 Kollaps 420 Phaedra 616 Doppeldeutigkeit siehe Äquivozität Doppelgänger 146, 548, 551 Sosia 553 Dorer dorisch gekleidete Frau 217 dorische Lanze 225, 228, 728 double bind 377 doxa 359, 386 Drama 4, 11, siehe Gattung (Drama), Theater vs. Drama Akustik 147 Altes (palaiòn drâma) 557 analytisch 107, 201, 203, 229 OT 288, 291, 295, 311, 321, 326, 372 Apolls Orakel 345 eikós 398 Ästhetik 8, 12, 223, 233, 392, 400, 534, 572, 604, 623 Metatheater Transgression 495 semiotisch-strukturalistische 7, 156 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 823 De/ Komposition 710 Dialogizität 153 Handeln, sprachliches 24 keine zentrale Instanz 27, 28, 448 Raum, Handlung 173 Seneca 691 Sprechakte, Handlungsschritte 155 Tragik 85, 99 Übermensch, Tod Gottes 739 Dramatik 248 Phaedra 667, 684, 710, 715 dramatis personae 29, 93, 101, 581 Chor 336 Dramatische, das 100 Dramaturgie siehe Distanzierung, Sprunghaftigkeit Abtritt Atossas ~ Auftritt Xerxes’ 250 Brecht, V-Effekt 716 Dialektik, Umschlag 93 fehlende Zuweisung von Partien zu Schauspielern 655 OT 296, 313 aussetzender Sklave = Überlebender des Dreiwegs 293 Retardierung, Bote aus Korinth 313 perruptive Transgression 206 Perser 203 spielen in Susa 213 Phaedra 601 Seneca 710, 711 Metatheater 662 Dramem Tragik, Komik 160 Dreieck, kommunikatives 164, 635 Dreiweg (OT) distanzierter Raum 178 hamartia, Weiche 92 Handlungsstruktur 289, 745 Leitmotiv d. Binnenhermeneutik 469 Lokalisierung 356 mise en abyme 189 no man’s land 329 Paradox 343 Rhizom 289 Transgression erforschende Handlung 136 wider Absicht 81 Wagen vs. Fußgänger 327 Dreiwegmassaker (OT) 326 Ästhetik 330 eigene soziale vs. physische Integrität eines Verwandten 62, 338 Film 35 Film, Visualisierungsstrategie 330 Koinzidenzen 323, 502 kommunikative Dysfunktion 231, 329 Lautlosigkeit 330, 439, 444, 727 lokale Identität 320 Mehrzahl der Wegelagerer 302, 312 mise en abyme 746 mise en abyme, metadramatisch 330 nachts? 356 Schuld 331 soziale Integrität 341 stumm 223 vergangene Gewalt 376 verschiedene Versionen 326 Zorn 326, 516, 660 Dreiwertigkeit 289 Duell 73 Dumas, A. Graf von Montecristo 450 Dunn, F. 28, 29, 381, 399, 443, 445, 449, 452 Duplizierung siehe Verdoppelung Dynamik siehe Figurenkonstellation, Konflikt Dysfunktion siehe Tragik (Subjekt) kommunikative Dreiwegmassaker (OT) 329 Vernant 166 Zeichen göttliche, monströse Vorhersage (OT) 348 Vater - Sohn (Phaedra) 632 phallische 378 E Echo siehe Widerhall Eco, U. 150, 154, 156, 159 Name der Rose 345 Edmunds, L. 332, 375 Raum 176 Effeminierung siehe Dionysos, Orient, Pentheus Egermann, F. 577 Ehebruch Mars - Venus 630 Ehefrau Besitz, Körper 549 Ehebruch 406 Alcumena 549, 552, 554 Phaedra 590, 600 Eliminierung, Alcumena 553 Medea 410 Phaedra Pflichten 600, 669 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 824 Ehrenmord 76, siehe Selbstmord eidetisch 169, siehe Identität, eidetische Eigensinn siehe Kunst eikós 26, 83, 107, 184, 296, 312, 334, 340, 410, 435, 445, 453, 496, 532, 549, 551, 556, 623, 741 analytisches Drama vs. Metatheater (OT) 398 Medea Referenzlosigkeit 450 ein-eindeutig (Zuordnung) 25 Maske, Schauspieler 169 Ekel 719 ekkyklêma 177, 724 Ekphrasis 148, 299, 600, 639 Eliminierung 727 Phaedra, Meerungeheuer 640 Skenographie 494 ékplêxis siehe Ps.-Longin Ekstasis 124, 151, 472, 509, siehe Teiresias apollinisch, dionysisch 96 Aristoteles 673 Bakchen 492 dionysisch 523 Kunstwerk 149 Phaedra 697 Platons Poetik 675 Ps.-Longin 697 Senecas Poetik 671, 674, 678 Transgression, Agaue 726 Transgression, Ritual 483 Elektra Muttermord 405 éleos 60, 111, 120, 123, 124, 275, 380, 566, 735 Betroffenheit 128 EN 118 Poetik Perser 274 vs. EN 120 Rhetorik 41 Perser 273 Eliminierung 39, 723, siehe Bruch(stück), Gattung (Tragödie), Handlungsstation, Restauration, Tragödie ~ Tod (Hegel) 59 Aisthetik 384 Alcumena, Amphitruo 553 Aneignung durch Figuren 733 Atossa 251 Atossa, szenisch 250 detractio 39 Hippolytus 631 Nea Mythos 537 physische Eliminierung 537, 574 Transgression 537 Oidipus, Kreon, Teiresias 305 optisch Eliminierung, OT 389 Schreckliches und Unglaubwürdiges 694 Pentheus 529 Perser, Unsagbarkeit 207 Phaedra 625, 654 Phaedra, wider Willen 692 Selbst~ siehe Iokaste, Medea, Oidipus genetisch-genealogische 405 soziale 41 Tragik 521, 557 Objekt 47, 54 Subjekt 63 Transgression 78 Tragödie vs. Komödie 40, 113 Tragik vs. Komik 106 Transgression 40, 507, 620, 691 Nexus 116, 216, 284, 371, 489, 491, 497, 498, 499, 501, 503, 523, 711, 729 Eliminierung 454 Theseus 644 Perserheer 222 Vermeidung, Eumeniden 88 Voraussetzung (OT) 342 Transgressor Epiktet 567 Fremd~ Epos 41, 503 Tragödie, physische, Restauration 41, 88, 497, 503 Hippolytos 555 Hippolytus, Phaedra 621 OT 284 Phaedra, physisch vs. lokal 711 Tragik 70 Verantwortung 234 Typen 41 Verlust der Männlichkeit 228 Verwandte, Tragödie 70 vs. Reproduktion 405 Xerxes, physisch, sozial 241 Xerxes, soziostrukturell, physisch 250 Zuschauer 437 Eliminierung, lokale 41, 70, 305, 342, 415, 419, 465, 489, 500, 506, 644, 722, siehe Agaue, Kadmos, Oidipus 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 825 Perser, Männerleere 279 Platon, Dichter 585 Eliminierung, physische 41, siehe Eliminierung (Nea, Transgressor) Medea 409 Perser, Heer Machtverlust nach innen 252 Sühneopfer 258 Perser, Männerleere 279 Emergenz 163, 689, 691 Dramaturgie 203 Meerungeheuer 628 Metatheater 195 poetische Transgression 163 emisch vs. etisch 5, 15, 237 Emotion siehe Frauen, Hoffnung, Mitleid, Orient, Schrecken, thymós, Trauer, Zorn A. Schmitt 120 Aristoteles 397, 694 ohne Emphase 693 Bohrer 52, 362, 467, 735 OT 298, 307, 386 Dichtung 673 antike Philosophie 586 Platon 560 Epiktet 564, 571 Haimon 83 Identifikation? 717 Kognition 309, 310, 313, 316 Iokaste, Oidipus 314 Transgression 314 Zusammenspiel (OT) 321 Kontagiosität 681, 704 Kontrolle 266 Kreusa 261 Medea 411, 416, 417, 479, 594 Tragik 428 Urteil 433 nachklassische lat. Literatur 714 Odyssee 220 Oidipus Blendung 364 Selbsterkenntnis, Rasen 376 Sprache 306 OT, Sehen 396 Pentheus 518 Perser 201, 257, 272 Heer, Sehnsucht 252 Introspektion 282 Publikum 260, 263, 272 Erschütterung 277 Phaedra 476 Transgression 647 Phaidra 594 Seneca Darstellung durch Schauspieler 680 Fiktionalität 712 Tragödien 562, 585 Stoa 566 Theater, Distanzierung 684 Theseus 637, 659, 719 Tragik 497 Tragik, Menschenfreundlichkeit (Aristoteles) 540 Tragödie 736 Bohrer 101 Platon 296 Transgression 684 vs. Kunst 719 Emotionsästhetik 60, 91, 96, 129, 199, 223, 307, 679, 680, 697, 745 Stoa 586 Empathie siehe Grethlein Achill 464 Empedokles 113 Empfänger 164 Emphase 621, siehe Rhetorik Angst, OT 300, 321 Schrecken, Bakchen 489 vs. Dämpfung 715 ennui 719 Entdoppelung Medea 457, 522, 555 Entfaltung analyt. Charakter d. Perser 201 Entfremdung gesellschaftliche 716 Medea 479 Verfremdung 685, 717 enthousiasmós 665, 673, 678, 698, siehe Ekstasis, Seneca, vertikal Entmannung siehe Kastration Ent-Rüstung 646 Ent-Scheinung 388 Entweder-Oder Tragik 62, 78, 97 Epidemie Athen 69 Dionysos, Bakchen 511 Ilias 371 OT 284, 286, 291, 299, 300, 312, 323, 335, 338, 342, 346, 371, 375, 387, 511 Perser 236, 258 Epigrammatik 202, 270, 557, 577, 684 Epiktet 74, 562 Angleichung an Gottes Wollen 691 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 826 Autoreferentialität 85 eliminatorische Transgression, Ursache, Epikur 631 Eliminierung d. Transgressors 567 Güterlehre 696 Integritätsopfer, Paradoxie 691 Kontingenz 573 Fremdwahrnehmung 686 Laios 339, 568 Medea 408, 573, 690 seelische Größe 691 Möglichkeit philosophischer Rede 609 pathos, Vermeidbarkeit 566 Peripetie 567 perístasis 567 Prohairesis 573 psychagôgía 566 Psychagogie 157, 564, 565, 691 Psychologie 564 soziale Konflikte 563 soziale Rollen, Panaitios 569 Text vs. Autor 562 Tragik 567, 570 Tragödie 567, 686 Beispiele (auch Epos) 563 Belehrung d. Helden 339 Definition 564 Kontingenzakzeptanz 566 Metrum 565 Vorwürfe gegen Gott 703 Epikur 579, 613, 680 Ehebruch 631 hêdonê katastêmatikê 592 Menander 546 Ursachen 614 Verzicht auf Transgression 609 Epiphanie 487 Bohrer 100, 350, 640 OT 386, 387 Diana 589 Dionysos 139 Hekate 590, 663 Intratheater 395, 442, 736 Jupiter Amphitruo 555 Medea 442 Schrecken 735, 746 Bohrer 467, 518 Epiphanie (Bakchen) Bohrer 488 Metatheater 487 phan- (gr.) 486 Schlußszene, Anagnorisis 487 Epiphanios 568 Epochenwechsel 557 Epos siehe Eliminierung (Transgressor), Gattung, Intertextualität, Perser, Restauration, Solidarität, thymós, Transgression, Wunderbares Drama 229 Emotionen 684 Epiktet 563 Gottheit gibt sich zu erkennen 512 hellenistisches 460 Iason, Held 452 keine intrafamiliäre Gewalt 250, 464, 739 Medea 464, 465 Ordnung in der Tragödie fragmentiert u. invertiert 618 psychê 63 Rüstszene, Schmückungsszene 461 Schlachtenlärm 330 Senecas Dramen 618, 717 Sprache 167 Wunderbares, Aristoteles 532 zeitliche Distanzierung, Erhabenheit 269 Zorn 327 Eratosthenes 744 Erechtheus 266 Ereignis siehe Mersch, Transgression Erfahrung ästhetisch 151 poetisch 151 erfassen vs. beschreiben 150 Erhabenheit Bataille 109 das Tragische 57, 128 Distanzierung 269 Ironie 86 Ps.-Longin 555, 696, 697 Imagination 694 Rede 673 Tragödie 34, 46, 128, 181, 213 Erinyen 39, 88, 443, 447, 569, 629 Erleben 264 Er-Leben 155 Erler, M. 433, 546, 561, 614 Eros 415, 601, siehe Platon Thanatos 620 érôs 517 Erotik Bakchen 517 G. Bataille 109 Helena 264 Iphigenie 440 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 827 Metaphorik (Komödie) 469 Perserinnen 263, 276 Phaedra 616 Sappho 18 vs. Pornographie 34 Erscheinung 98, 100, 391, 395, 442 Dareios 233 Mersch 147 Oidipus Intratheater 385 Erzähler 30, 189, 311, 438 = Protagonist, Dreiwegmassaker (OT) 330 Brecht 717 Drama 4, 27, 28, 578, 684 E. Jünger 734 Medea 452 Witz 105 Esel 535 Eteokles 287, 492, 744 Ethik siehe Ästhetik, Kunst (Moral) ethnisch-kulturelle Alterität 174, 204, 207, 208, 209, 210, 211, 239, 241, 260, 261, 263, 266, 270, 277, 280, 281, 282, 579, 722 Ästhetik 278 Dionysoskult 509 Fallhöhe 269 Unterlegenheit 277 vs. soziale Zugehörigkeit 227 ethnisch-kulturelle Differenz 217, 515 Ethnologie 26, 180, 621, siehe Transgression Bataille 34 Perser 210 Ritual, Opfer 140 Strukturalismus 19 Tragik 66 Ethnozentrismus 231, 266, 277 Ethos 58, 91 Heraklit 332, 336 Nea 546 Perser 201 Seneca 684 Eunuch siehe Orient, Phrynichos Euripides siehe Sokrates Andromache 289 Aristoteles tragisch 124 Fortpflanzung ohne Frauen 474 Götter 739 Helena 533 Herakles 289, 401 Hippolytos polyzentrisch 582 Hippolytos kalyptómenos 581, 647, 654, 663, 688 Hippolytos stephanophóros 581, 596, 599, 601, 639, 647, 655, 688, 698, 731 Götter 740 Schnittpunkt v. Tragik u. Metatheater im antiken Drama 740 Intervention bei Publikumsempörung über unmoralischen Inhalt 683 neue Weltsicht 359 Palinodie 482 persönliche Ansichten zum Religiösen 483 Phaidras Todesart 647 Racine 581 Sophistik 479 Tod, Ende d. Tragödie 557 untragisch 574 vs. Sophistik 403, 433, 482, 594 Europa siehe Asien Mythos 601 Eurydike 82 Eurykleia 167 Eurymedon Feldzug 272 Vase 226 Eurynome (Odyssee) 220 Evasion 34, 38, 110, 173, 350, 356, 382, 461, 506, 545, 600, 603, 628, 719, 723 Hippolytus 643, 693 Medea 445 Oidipus 356 Seneca 672 Wagen 644 Exaltiertheit siehe Hippolytus, Theseus Phaedra 714 éxarchos thrênou siehe Xerxes exemplum 642, 643, 707, siehe Seneca Exhibitionismus 376, 397, 440, 474 Existentialismus 49, 51, 66, 108, 162, 625, 687, Sartre, siehe Reinhardt, K. Sartre, Seneca 719 Exklusion 38, 67, 393 Exkreszenz 627, 639, 724 Exodos siehe Metatheater, Perser vs. Parodos, Perser 260 Exogamie 544 Exordialtopik 535 experimentell siehe Theater explorativ siehe Theater Extradiegese 227 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 828 Extravaganz 173, 197, 478, 545, 605, 610, 611, 711, 723 Hippolytus 589, 643 Oidipus 356 Phaedra 589, 592 Rhetorik komparativ 653 Theseus 638 Transgression 638 F fabula (russ.) 14 fabula docet 369, 370, 478, 532 factum brutum Katastrophe 238 Transgression 55 faculté de langage 133 fait (socio)linguistique 395 fait linguistique 4 fait littéraire 22, 329, 670 fait social 4, 22, 329, 395 Faktizität siehe Transgression Apollorakel, OT 353 Dramenhandlung 635, 646 Falk, W. siehe Verfremdung Falke 219 Falsifikation siehe Monstrosität (Transgression) Falte siehe Auffaltung, Deleuze, Medea fama 607, 608 Familie siehe Aristoteles, Verwandte Figurenkonstellation, Konflikt 26 Feltovich, A. 541 Feminismus 406, 440, 475 Fetischismus 10, 619, 652 Feudalgesellschaft 76 Figur Binnenhermeneutik 234 dramatische 46 Götter vs. Mensch 548 Handlungsmotivation (Phaedra) 709 Hinzutritt, Fortfall 23, 55, 63, 66, 171, 252, 485, 721 Identität, parole 170 Konsistenz attische Tragödie vs. Seneca 689 Schauspieler 155, 169 Tragik 46 Verdoppelung 551 Figurenkonstellation 11, 13, 15, 24, 46, 197 Aristoteles 113 Bakchen dynastisch 492 Dynamik 721 Bakchen 485 Ilias 371 Medea 409, 458 OT 341, 342 Perser 244, 249, 251 Phaedra 617 furor 582 Eliminierung 665 Komödie 106 Konflikte 171 Medea 465 Geometrie, Arithmetik 458 Perser 254, 282 Phèdre 582 Raum 173 Tragik 55, 56 Bakchen 502, 506 Transgression 724 Figurenrede 28, 167, 189, 451, 667, 709, 746, siehe Ambivalenz, Verfremdung Dreiwegmassaker OT 384 Film 330 Phaedra 625 Transgression 29 Figurenzeichnung 27, 159, 171, 381, siehe paradigmatisch Aristoteles 693 Iokaste 315 OT 250, 308 Perser 210, 232, 238, 250, 253, 268 Phaedra 596, 597, 599, 622, 623, 625, 687, 697 Götteranrufungen 703 Hippolytus 694 Charakter 704 Transgressivität n. außen 643 Theseus 635, 639, 656 Sophokles 504 Fiktion dramatische transgressives Verhalten (Seneca) 707 Introspektion 424 Medea 450 vs. kontrafaktische Interpretation 325 Fiktionalität siehe Metafiktion Affekte, Seneca 682, 712 Aristoteles 186 Mimesis 113 Bewußtsein, Publikum 683 Böses 714 Böses, Stoa 708 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 829 Drama 169 engl. play (Drama) 130 experimentell 707 ~er Freiraum 678 infernalische, Seneca 678 Intratheater furor 654 Komödie 108 literarisch, bildgebend 155 Medeas Opfer 435 Metadrama 192 Metatheater 189, 194, 383, 737 Distanzierung (Phaedra) 712 Perser 201 poetische Transgression 33 Raum 174, 182 dramatischer 175 mimetischer 176 Schlachtenbeschreibungen in der Ilias 734 Sprachkunstwerk 90 Suggestivkraft 715 Theater, bildschaffend 148 Theater, explorativ 174 Theater, Optik, Akustik 147 Tragödie, Stoa 333 Transgression 677, 704 Literaturwissenschaft 22 Fillmore, C. 50 Film 157, siehe Theater (Bild, Film) Ästhetik Botenbericht (OT) 392 Transgression 35 Lanze, Opferkuchen 225 Pasolini, Medea 142 Stumm~ 158 Ästhetik 440 Dreiwegmassaker OT 330 vs. Fernsehen 131 Fisher, N. 39, 88, 248, 327, 329, 354, 363, 497, 690, 747 Flaig, E. 10, 31, 82, 296, 304, 309, 325, 326, 327, 329, 332, 341, 348, 354, 361, 368, 372, 747 Dämonisches 268 Heraklit 332 Flashar, H. 1, 12, 46, 106, 110, 114, 118, 124, 143, 400, 538, 540, 557, 558, 585, 694, 714 hamartia 116 Flatulenz 536 Flaubert, G. Autoreflexivität d. Literatur 185 Orient 228 folgen (Seneca, Stoa, Phaedra, Ovid) 595 Föllinger, S. 12, 101, 202, 205, 206, 214, 230, 243, 280 Formalismus russischer 14, 183, 214 (Devianz-)Poetik 182 hellenistische Poetik 181 Verfremdung, Geschlechtsteile 163 Wiederholungsfiguren 155 Fortenbaugh, W. 426, 594 Fortfall siehe Figur Fortpflanzung 405 fortuna 593, 667, 699 Seneca 699 Fortuna 592, 701 Foucault, M. 35, 76, 114, 686, siehe Heterotopie Postmoderne 16 Wahrheitsfindung (OT) 298 Fragment siehe Bruch(stück) Frank, M. 17, 23, 44, 162, 184, 424, 552 Frauen siehe Ehefrau, Perserinnen ~austausch 431, 460, 747 dramatische Rollen 731 Emotionalität 418, 426 Fest 544 Fortpflanzung ohne ~ 474, 615 Gewalt 537 Haus 506, 516 Kooperation 541 Lydien 499 Solidarität 461 Subjekt, Objekt e. Opferung 441 Treulosigkeit 468 vs. Männer dominieren Handlung (Phaedra) 646 Sieg (Pentheus) 515 Täuschung (Phaedra) 631 Frege, G. 146 Freiermord (Odyssee) 41, 220, 256, 503 Freiheit siehe Handlungsfreiheit, Redefreiheit, Wahlfreiheit ethische 611 menschliche 346 Perser 271 politische 611 Freitod siehe Selbstmord (Seneca) Freiwilligkeit siehe Oidipus fremd vs. eigen 204, 207 Gegenwart, Semiose 205 Fremdheit Dionysoskult 490, 509 Perser 270 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 830 Freud, S. 10, 38, 377, 467, 568, 649 Foucault 16 Ödipus 10, 283, 288, 331, 344, 374, 377 Perversion vs. Inversion 466 Witz 105 fric (rum.) 397 Friedrich, H. 87, 344 Fritz, K. v. 32, 55, 57, 116, 118, 325, 328, 336, 337, 377, 561, 574 Früchtl, J. Ästhetik, Ethik 711 Tragik 60, 110, 711 Fuhrer, T. 606 Fundamentalismus 515 Funktion 23, siehe soziale Funktion dramatische Regisseur, Metatheater, Tragik 172 Souriau 15 dramaturgische Souriau 15 Subjekt 61 Tragik 56 Furcht siehe Bakchen, Transgression fureur 637, 638, 639 Furie 711, siehe Seneca (Thyest) furor siehe animus, pudor, ratio, voluntas; Intratheater, Irrationalität, Metatheater ~ Graecus 223 ~ teutonicus 641 Affekt 588 Amazonen 637 Amme 636 des/ integriert Handlung u. Figuren 710 Distanzierung 686 Dominanz 692 totale Fremdu. Selbstzerstörung 692 Fortuna 592 Fremdwahrnehmung 666 Furie 662 Handlung 582 Hippolytus 591, 610, 661 Pferde 591 infektuös-expansive Dynamik 625 Kahn 602 kosmisch, Naturphänomene 592 Krankheit, Medizin 698 lexikalisches Vorkommen 583 Metatragik 709 Motiv, dramenschöpfend 692 Phaedra 591 Abgang, Ende des f. 656 Dominanz Handlung 591 Mänade 668 Objekt 645, 691 Theseus 591, 636, 639 Tragik 55 Transgression 736 Motor 583 treibt Dichtung u. Drama an 671 Typen 591 Universalität 661 vs. absurdes Theater 718 vs. favor 700 vs. Tragik 692 Wille 605 Wucht 610 furor (poeticus) siehe horizontal, vertikal furor poeticus 525, 584, 671, 675 Aristoteles 128, 672 Platon 672, 675, 677 Ps.-Longin 673 Seneca anagogisch 673 dionysisch 676 vs. apollinisch 698 Distanzierung 671, 713 furor, dionysischer 720 Metatragödie 668 Senecas Poetik 671 Transgression, chthonische Poetik 666 furor-Poetik, dionysische 671, 710 Phaedra künstlerisches Prinzip 670 Fusillo, M. 107, 547, 553 Fußfall 271 G Gadamer, H.-G. 150, 585 Galen 433, 574 Medea 408, 421 Selbst 424 Ganymed 261 Gattung siehe Metatheater (generische Autoreferentialität) Begriff 11 Drama 11, siehe Gattungsgeschichte Stimme 153 vs. Epos 167 Wort, Publizität 30 Komödie siehe Komik Bezug zur Tragödie 107 Eliminierung 40 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 831 Metatheater 556 Grenze, Transgression 552, 556 Kreuzung 618 Seneca stoische Philosophie 707 Tragödie 46, 54, 240, siehe Tragik Eliminierung 40, 86, 284, 340, 446, 497, 503, 553, 558, 691 komplexe Semiose, ethnischkulturelle Alterität 212 sphragís 532 Gattungsgeschichte attisches Drama 546 Bakchen 532 Samia 546 Transgression 726 Geburt Alcumena 549, 551, 555 Dionysos 739 Schenkel 490, 531 Medea 470 Ritus 17, 138 Gegenläufigkeit Affekt, Phaedra 692 Dekonstruktion 79 Intention 82, 83 interdramatisch 443 Medeas Kinder 413 Medeas Kindermord 454 Paradoxie, Perversion 80 Paradoxon, Semiose 151 Tragik 80, 463 Tragik, Intention 84 Tragik, Paradoxie Intention 86, 340 Perversion, Subversion, Ironie 79 Transgression 202 Gegenort Theben siehe Athen Unterwelt 665 Wald 669 Gegensatzpaare Orient, Okzident 269 Gegenwart Aufführung 196, 232 dionysisch, apollinisch 525 Nea 546 Perser 202, 204, 205, 206 shifter 196 Sprache, Epos 167 Theater 100 vs. Vergangenheit 204, 207, 232, 314, 453, 557, 724 Geier 220 Geisenhanslüke, A. 171 Geistesgeschichte 31, 52, 57, 94, 102, 158, 211, 282, 329, 358, 403, 422, 424, 568, 721, 741 Umbruch, OT 359 Geltungsanspruch 109, 497, 612, 733, 741, 746, siehe Dionysos (Bakchen) gender 652 Affirmation d. Grenzen 459 Medeas Tragik, Strukturalismus 461 Samia 541 Gender studies 2, 747 Genealogie siehe Identität, Integrität generative Transformationsgrammatik 183 Genet, J. 715 Genette, G. 9, 12, 19, 80, 180 Gennep, van A. 138 genus demonstrativum siehe Rhetorik, antike Genus verbi 80 George, St. 151 Gerechtigkeit, poetische 57, 88, 212, 248, 453, 503, 510, 540, siehe Dodds, E. R. vs. Eliminierung 41 Gerigk, H.-J. 181, 706 Germanen 511, siehe furor Teutonicus Gerontokratie 267 Gesamtkunstwerk 129, 131, 152, 160, 212 altattisches Drama 710 literarisches 710 Gesandtenfrevel 70 Geschichtsphilosophie siehe Bohrer, Hegel, Marxismus Geschichtsschreibung 210, 238, 243, 246, 247 Begriffs- 401 Geschlechter Gleichheit 461 Stereotypen schwatzende Frau vs. handelnder Mann 475 Unterschied 651 Geschlechterfluch 88, 101, 243, 346 Phaedra 687 Geschlechterrollen 26, 460, 463, 476, 506, 652, 669, 722, siehe Orient (Eunuch, Effeminiertheit, Weiblichkeit), Unmännlichkeit Frau, Haus 245 Klischees, Invertierung 468 Phaedra 600 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 832 Sexualität, Römer 651 Transgression 727 Pentheus 529 weibliche, Perversion 523 Geschlechtsteil 163, siehe Phallos, Vagina dentata natura, physis 651 weibliches 549 Gesellschaft siehe Mimesis funktionale Ausdifferenzierung 733 Gesichtssinn Aristoteles 1 Aristoteles, Epiktet 570 Botenbericht 727 Medea 439 Intratheater 442 OT, Blendung 331, 392 Geste 226, 413, 450, 452 Agamben 686 Autor 687 Foucault 36 Ostentation, Theatralik 714 Ostentation, Theatralität 149 Raum 469 Souveränität 743 Medea 442 Phaedra 686 Trauerritual 255, 276 Gestik 152, 159, 160, 192, 381, 681, siehe Metatheater, Zeichensystem, sprachliches Gestuftheit Mimesis, Semiose 158 Personen, Rollen 170 Raum 175 Sagen und Zeigen/ Sehen 389 Sehen u. Hören 392 Sehen, Zeigen, Sagen, Hören 383 Gewalt 142, 218, siehe Dionysos(kult), Epos, R. Girard Distanzierung durch Inszenierung 388 E. Jünger, attische Tragödie 734 Frauen siehe Iphigenie, Oidipus (Iokaste) Nea 537 Iphigenies Opferung 440 Komik 109 kommunikative Dysfunktion 329 Komödie, Schläge 537 Sklaven 553 Meerengen 216 OT 305, 376 Oidipus’ Wahrheitswille 304, 320 Platon 560 Stoa 567 Theseus 636 Transgression 18, 42 Gewand siehe Riß Gide, A. mise en abyme 184, 189 Gill, C. 587 Girard, R. 141, 286 crise sacrificielle 143, 286 Bakchen 530 OT 375 Gewalt 37, 42, 95, 258, 286, 303, 376, 531, 727 Gitter 108 Kristall~ 128, 184, 745 Gobryes 267 Gödde, S. 216, 218, 219, 224, 232, 254, 255, 256, 263 Goethe, J. W. 288 Ästhetik des Schreckens? 735 Faust 335 Symbol 162 Tragik 102 Gold Euripides, Strafe f. Gier 683 Iason 416 Komödie 270 Nachkommen 615 Perser 240, 270, 273, 279 goldenes Zeitalter 611 Goldhill, S. 12, 52, 166, 192, 483 Goldmann, L. 87 Goodman, N. 146 Gorgias 188, 273 Gorillas 68 Götter 733, 738, siehe Zorn (Hyper-)Präsenz, Bakchen, Hippolytos 739 Agnostizismus 448, 738 Amor 601 Anrufung 606 A-Theismus 448, 738 attische Tragödie vs. Stoa 568 Aufstieg zu den ~n 674 Autonomie, Verlust 740 dramatische Sinnträger 741 Eingreifen 448 Drama 39 jugendliches Ungestüm 247 Restauration 454 Entwicklung im antiken Drama 740 erhalten göttl. Attribut v. Oidipus zr. 365 faktische Relevanz 357 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 833 Einsicht 358 Freude am Anblick tüchtiger Menschen, Seneca 703 Gerechtigkeit 351 Gold 270 griechische ~, Perser, Verallgemeinerung 231 Handlung 738 Homer, Transgression 39 Irrelevanz 448 Konflikt, Hippolytos 497, 739 kosmische Subjekte 222 Manipulationen (Amphitruo) 550 Namensvielfalt, Perser 238 OT 346 Phaedra 582, 699, 702 Plautus 548 Protagoras 362 Regisseur 547 Respekt 308 Schicksalsmacht, OT 367 Schweigen (Medea) 447 Sophistik 604 Suprasystem 76, 106, 222, 241, 453, 550, 568, 702, 740 Autonomieverlust 738 Tragik 56, 77, 741 Trug 245, 554 Vorherwissen 353 Vorstellung der Menschen 479 vs. Menschen, Unterscheidungsmerkmal, Amphitruo 170, 548 Wirken (Medea) 447 Wirkmächtigkeit 222, 404, 447 Wissensvorsprung 165 Zufallskontingenz 237 Göttervater siehe Jupiter, Zeus Gottkönig 208, 229, 239, 241, 272 Grammatik der Komödie 46 der Tragödie 46, 79 des Dramas 3, 7, 10 des tragischen Mythos 50 soziale 217 soziokulturelle 217 Greimas, A. J. 109, 153, 158, 160, siehe Aktantenmodell (Greimas) Grenze siehe Aufhebung, Transgression Asien und Griechenland Transgression 485 Porosität (Medea) 479, 742 Wissen, Mystik 526 Grenzgänger siehe Dionysos Künstler, Medea 451 Metatheatralität 481 Grenzüberschreitung siehe Transgression Grethlein, J. 32, 199, 206, 214, 222, 224, 230, 242, 253, 266, 269, 273, 406, 432, 445, 746, siehe Kontingenz Empathie 273, 277 mise en abyme 232 Mitleid 272 Orientalismus 226 Plusquamperfekt 80 Griechen siehe Opposition Falke 221 Fremdperspektive 278 Furcht, Kampfmoral 278 Objekt 216 vs. Barbaren 515 vs. Perser 278 Griechen Land 216 Griechenland vs. Asien 230, 481 Griffith, M. 30, 60, 209, 210, 227, 229, 242, 243, 244, 245, 251, 257, 258, 259, 269, 271, 278 Großbritannien 208 Größe 57, 269, 656, 690 Ps.-Longin 698 tragische 696 Großkönig siehe Dareios, Kyros, Platon, Xerxes Idealisierung 210 Grünnagel, C. 72, 168, 397, 475, 627, 647, 666, 706, 715 Guattari, F. 286 guilt culture siehe Dodds, E. R. Gyges 332 H Habicht 220 habrobátai (Achämenidenreich) 261 habrotês 210, siehe Helena Bakchen 527 Exodos 260, 265 Lyder 262 Perser 260 Perserinnen 262 Schreiten attische Zivilisiertheit 266 Habrotonon 537 Hades 257, 300, 409, 665, 694, 723 Rückkehr d. infernalischen Energie m. Phaedras Selbstmord 656 Transgression 533 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 834 Haimon 82, 259 Hall, E. 209, 220, 261, 262 Halliwell, S. 46, 112, 116, 384, 539, 540, 559, 585, 694, 707 Halys 242, 348 hamartêma 119, 121 Transgression 113 hamartia 16, 47, 81, 104, 111, 114, 116, 120, 121, 122, 333, 355, 486, 498, 539, 565, siehe Charakter ~ Dysfunktion des Subjekts, Tragik 126 Aristoteles 523 Binnenhermeneutik att. Tragödien 123 ethisch vs. intellektuell 117, 118 Handlungsstruktur 126 Hippolytos 633 OT 291, 336, 359, 400 Aristoteles 344 Pentheus 503 praktisches Verfehlen 114 Schmitt 82 subjektiv 115 Transgression 113 u. attische Tragödie 400 Unwissenheit 117, 121 vs. Tragik 53 vs. Transgression 115 Weiche 92, 335 Handlung 10 Arthrose, Phaedra 698 dramatische 311 erforschende (OT) 203, 288, 295 kein dramatischer Selbstbezug 398 ontologische Identität 294 erforschte (OT) 203, 288 erforschte (Perser) 280 furor 582 Intention 134, 236 Kohärenz, OT 324, 398, 403 Aristoteles 400 Konsistenz 724 Medea 452 Einheitlichkeit 453 OT, dominiert Oidipus 291 Phaedra, Subjekt 583 postidentifikatorisch (OT) 288, 370 Metatheater 383 Ritual 137 Rollen, Oikos vs. Polis 170 Seneca 691 Sprünge, attische Tragödie 685 Stringenz, OT 403 Stringenz, Perser 200 Transgression d. Oppositionen 215 Zeichen 549 Handlungsfigur 6, 7 Ästhetik 134 Handlungsfreiheit 287, 346 Medea 432 Oidipus 335 Handlungskontingenz siehe Kontingenz, Transgression Handlungsmerkmal 14 ~ Morphem 159 Ästhetik 134 Eliminierung 160 furor 666 Komik 6, 106, 159, 194, 743 OT 324, 402 paratragisches Paradoxie 51, 324 Perversion 51 Tragik 6, 78, 106, 124, 159, 194, 240, 318, 570, 743 Transgression 160 Metatheater 532 soziale 532 Verdoppelung 160 Handlungsstation 14 ~ Phonem 159 Transgression, Eliminierung 218, 735 Transgression, Eliminierung, Restauration, Iteration 6, 39, 46 Handlungsstruktur 11, 13, 50, 224, 743, siehe Aristoteles, Tragik Amphitruo 553 Binnenhermeneutik 323 dramatische Kunst, OT 398 dt. Philologie 12 Narratologie 29 OT 729 Diptychon 289 vs. Oidipus’ Anteil an der Transgression 403 Perser 240, 729 religiöse Transgression, eliminatorische Autoritätsrestaurierung (Bakchen) 491 Sujet 14 Topologie, Transgression 289 Tragödie 46 OT 284 Handlungstheorie 43, 44, 83, 179, 200, 211, 237, 427 Haptik 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 835 Frösche, Komik 536 Hippolytus 621 Medea 425, 439, 467 Iason, Kinder 442 Harrison, J. 139 Harrison, T. 202, 203, 205, 208, 209, 212, 217, 244, 251, 252, 255, 256, 259, 269, 271, 272, 275, 277, 279, 282 Rachsucht 272 Heer siehe Eliminierung (physische) Hegel, G. W. F. 284, 297 Aufhebung 68, 87, 90 Dialektik 88 Geschichte 49, 574 Geschichtsphilosophie 94, 97, 578 Kunst, Wahrheit 150 Nietzsche 95 Tragik 32, 35, 45, 50, 53, 58, 61, 94, 97, 102, 342, 372, 729 Umschlag 89 Hegemonie, kulturelle 415 Heidegger, M. 24, 27, 134, 183, 184, 216, 424 alêtheia 162 Ereignis 135 Kunstwerk 135, 162 Kontext 130 heimarménê 103 Heine, H. 747 Hekabe 261 Hekate 590, 626, 663, 711 Hektor siehe Achill Mitleid 276 Held siehe tragischer ~, Iason Oidipus? 296 Helena 72, 74, 210, 747 Epiktet 564 Erotik 264 habrotês 210, 264 Schönheit, Greise 263 Ilias, Tuch 186 Helikon 382 Helios 36, 219, 419, 437, 447, 481, 485, 501, 528, 625, 703 Phaedra Nachkommen 630 Transgression 630 Hellenisierung siehe Perser Hellenismus 546, 559, 561, 710, siehe Poetik, tychê, siehe Poetik Epos 460 Philosophie 353, 609 Verinnerlichung 546 vs. Klassik 538, 557 Hellespont 216 Überbrückung 215, 222 Überschreitung 213 Unterwerfung 216, 247 Hellmann, O. 330 Helvidius Priscus 613 Henrichs, A. 381 Hera 450 Hera Akraia 435, 436, 443 Herakles 337, 511, 626, 666, 677, 704, siehe Seneca Frösche 534 Phaedra 626 Trachinierinnen 121, 318 Heraklit 35, 39, 51, 64, 336 êthos daímôn 332 Fortpflanzung 405 thymós 423 Hercules siehe Herakles Herington, C. H. 255, 684 Hermeneutik 721, 722, siehe Binnenhermeneutik Ästhetik 149, 150 dialektische 96 Grenzen des Verstehens 347, 404 literaturwissenschaftliche 96 Prisma 184 semiotisch 20, 180 OT 345 Tod, Symbol 180 Transgression 181 vierfacher Schriftsinn 706 Hermes 182, 350, 382 Herodot 202 Athener Imperialismus 269 Dareios 242 göttlicher Traum 245 Orakel 348, 368 Sophokles’ Freund 368 tragische Geschichtsschreibung 59, 246 Vorherrschaft über Griechenland, Perserkriege 209 Xerxes 243, 729 tragisch 246 Heroik Archaik 31 E. Jünger 734 epische 330 Iason 460, 473 vs. heroischer Intetgritätentausch 223 Frauen 731 Humanismus 403 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 836 Männlichkeit Medea 461, 476 Medea 459 Nationalsozialismus 67 vs. Tragik 67, 69, 73, 79, 90, 318, 420, 520 Kleopatra 479 Oidipus 311 Pentheus 730 Phaedra 607 Stoa 574, 691 vs. Vernunft 482 Herrmann-Otto, E. 267 Hesiod Aidôs, Nemesis 702 Geschlechterabfolge, Gold 270 Gestirne 550 Habicht, Nachtigall 221 Hoffnung 313 implizite Poetik 185 Mutterinzest, Vatermord 377 Vergeltung 327 Zufall 237 Heterodiegese 29, 227 Heterotopie (Foucault) 611 Theater 174 Heuner, U. 57, 59, 288, 298, 322, 325, 346, 349, 351, 372, 599, siehe Antigone (Tragik) Hierarchie 535 Hieron von Syrakus 242 Hikesie 13, 220 Hinzutritt siehe Figur Perser 203 Hiob 283 Hippolytos Gottheit verschafft sich Respekt 497 hamartia 124 Konflikt Götter 497 Hippolytus Eingangsmonodie, Jagdliebe 589 Essenz bestimmt die Existenz 719 Exaltiertheit 622, 643, 696 fehlende Libido 650, 652 Identifikationsfigur 615, 622, 631 keine philosophische Glaubwürdigkeit 614 lokale Selbsteliminierung 632 Sturmwelle, Corus, Sternschnuppe 642 Meerungeheuer 628, 639 nicht tragisch 615 Ovid, Horaz 598 pietas 617 Rhetorik Transgression 628, 630 vs. Aristoteles 693 Seeungeheuer Unerschrockenheit 640 Subjekt, Objekt 630, 660 Theseus Abtritt vor T.’ Auftritt 632 Ähnlichkeit 618, 650 pietas 622, 632, 642 Tragik? 622 Unschuld 598, 611, 633 Verständnis f. Phaedra? 622 Waldgang 611 Hirte (OT) siehe Identität Korinth 289, 298 Theben 289, 298, 304, 309, 313, 316, 317, 319, 321, 338, 350, 636 = Diener d. Laios 293, 319 Gewalt 376 Identität 319 Mitleid 380 Mitleid, Metatheater 395 übergab Oidipus 320 Historiographie siehe Geschichtsschreibung Hochhuth, R. 716 Hochzeit siehe Iason Medea 470, siehe Medea (Eliminierung) Ritual 655 Ritus 17, 138 Samia 543 Sohn, Komödie 107, 728 Todes~ Iphigenie 441 Phaedra 655 Hodologie 203, 646, 669, siehe Metatheater, Transgression diastrophê epi tên diánoian 603 Meerengen 216 Transgression 38, 602, 626, 721, 723 Medea 455 Hoffnung (OT) 299, 300, 307, 313, 357 Hölderlin, F. 50 Homer siehe Achill, Agamemnon, Aischylos, Epos, Ilias, Odyssee apollinische Götter 96 Archaik 559 Aristoteles 113 doúlion êmar 216 Eliminierung 40 érôs 517 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 837 Gestirne 550 Götter Intentionen, Interventionen 50 Transgression 39 Vorherwissen 353 Hades 694 hamartia 114 Hellenismus 744 hybris 40 implizite Poetik 185, 675 moîra 360 Motivanalyse 687 OT, Archaik 359 Schlachtenlärm 330 sehen 388 Wunder 496 Stil 167 Transgression, Transigenz 117 Zorn 430 Homo ~ erectus 1 ~ faber 33 ~ ludens 33 ~ sapiens 33 homo sacer siehe G. Agamben Homodiegese 29 Homoerotik 39, 226 weibliche 518 Homosexualität 466, 651 honestum 599, 605, 622, 657 Hopman, M. 174, 215, 222, 258, 259, 265, 273, 408, 435, 445, 446, 448, 452, 459, 461, 462, 468, 470, 473, 478, 735 implizites Publikum 448 Medea = impliziter Autor 438 Mitleid 272, 275 Mythopoiesis 463, 471 póthos 252, 254, 263, 278 verkehrte Ilias 279 Horaz Chor 700 Hippolytus 598 Kleopatra 479 Medea, Kindermord 142, 457, 694 Romantik d. Landlebens 611 utile, dulce 154 vates 674 horizontal 491, 545, 627, 741 Achse 37, 342, 415, 443, 535, 659, 723 furor (poeticus) 668 furor poeticus 665, 674 furor, dionysisch 664 Oidipus 394 Hornby, R. 153, 171, 190, 232, 385 Hörsinn Aristoteles 727 Medea 436, 439 OT 321, 331, 356, 383, 392, 397, 466, 727 Humanismus 64, 199, 207, 272, 294, 403, 565, 708, 743 Humanität 542 Aischylos 212 Feind 278 Neue Komödie 553 Humboldt, W. v. 132 Humorkritik 536 hybris 104, 136, 202, 213, 215, 216, 241, 243, 257, 269, 270, 276, 329, 351, 369, 371, 385, 402, 488, 497, 498, 500, 507, 535, 569, 610, 723, 745, siehe Aischylos, OT (zweites Stasimon) Athen, Warnung 224 Etymologie, Hethitisch 48 florale Metaphorik 92, 249 Tragik 690 Transgression 16 vs. Tragik 39, 50 hybrisma 515 hyperbasia 16 Hyperbolik 279, 371, 718 Aristoteles 145 Hippolytus 622, 630, 631, 643, 693 katharsis 580 Komparativ Medea 455 Phaedra 599, 629, 631, 654 Medea 419 nachklassische lat. Literatur 714 Pathos 684 Phaedra 653 Seneca 684 Theseus 637, 638 Hypertrophie Monstrum 475 Umschlag 92 I Iamblich 592 Ianthe 651 Iason Antiheld 460 Argumentation 416 Bestattung 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 838 Gattin 417 Egoismus 416, 418 Epiphanie 442 ersetzt Medea durch Kreons Tochter 409 Götter 447 Held 296, 452 Hochzeit 410 Hades 409 soziostrukturell und genealogische Etablierung 460 Zeitpunkt 409 nicht integer 451 Schutz durch Kinder 457 Sexismus Bett 431, 474, 478 Tod durch Trümmer der Argo 450 tragisches Objekt 419 Treuebruch 477 Unmännlichkeit 479 vs. Aigeus 462 vs. Medea 415, 417 vs. Odysseus 478 Ibsen, H. Peer Gynt 398 Ich 552 ~Form, Monolog 424 animus 603 lyrisches 18 Medea 421, 424 Psychoanalyse 526 Tragik 428 icon siehe Peirce, S. iconic turn 19 Idealismus deutscher Tragik 50, 52, 58, 89 europäischer 147 literaturwissenschaftlicher 746 semiotische Ästhetik 156 Identifikation siehe Distanzierung, Emotion, Hippolytus, kátharsis Identität 107, siehe Intratheater Alterität 206, 215 Amphitruo 548 Raub 553 theatersemiotische 551 Dionysos 495, 513, 516, 519, 523 dramatische Medea 436 Medea, Transgression 722 Phaedra, Transgression 687, 719 durch (symbolische) Relation 23, 65, 171, 721 durch Abgrenzung 5, 15, 23, 65, 146, 174, 215, 721 Figuren 171 Literaturwissenschaft 4, 181 Oidipus’ Verantwortung 325 soziale Einbettung 342 Xerxes vs. Dareios 242 eidetische 25, 294, 340, 414, 619, 669 Amphitruo 551 ethnisch-kulturelle 280 familiäre 312, 330 Figuren 25, 721 OT 293, 319, 323 parole 170 genealogische siehe Neue Komödie Oidipus 93, 288, 294, 298, 302, 305, 308, 313, 318, 319, 537, 742 Transgression, Sohn d. Laios 320 göttliche, Bakchen 481 aussetzender Sklave = Überlebender des Dreiwegs 293 kulturelle 217, 218, 506, 509 liminale 722 literarische 171 moralische 295 ontologische 25, 171, 172, 294, 340, 619, 669 erforschende Handlung 294 Oidipus 317 oppositiv Perser 206 Pentheus 519 personale 295 Sosia 552 semiotisch 169 Figur 170 Oidipus 294 Sklave, Name 553 soziale 171, 410 Sosia 552 Theseus, Hippolytus 618, 642 Tragik 62 Oidipus 295 Transgression 24, 722 transgressive 317, 722 Oidipus, Vatermord 313 Transgressor 298, 301, 303, 311 Falsifikation, Verifikation 311 Hypothese 305 Vorwürfe 358 transversale 146 via negationis 210 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 839 Ideologie Bakchen 481, 483, 497, 507 egalitäre 30 Imperialismus, achämenidischer 243 Medea 416, 418 Orientalismus 211, 213 Perser 209 Perser 269 Phaedra 625 Theo-, Bakchen 497, 501, 502, 509, 521, 528 Theo-, Perser (Bierl) 200 vs. Tragik 67 Xerxes 253, 258 Ilias siehe Agamemnon Epiktet 564 mise en abyme 186 Perser 279 Psychologisierung, Tragik 687 Schlachtenbeschreibungen 734 Teichoskopie 210 Zorn 452 Illokution 135, 401 OT 349 Tragik 83 Illusion 34, 131, 212, 374, 530, 712, 724, 734, siehe mimetische Illusion dramatische 171, 191, 195, 259, 381, 483, 484, 571 intratheatralische 667 szenische 193 theatralische 549, 572 imaginär 148 imaginativ 148 Immanenz Hippolytus’ Erkenntnis 625 Interpretation 9 kognitiv 307 lokal 545 Nea 739 Oidipus’ Selbsterkenntnis 303 Samia 545 signifiant 34 tautologische Identität 17 temporal 206 Immersion, ethnologische 215, 544 Immunität 271, 641, 730 Medea 444 Imperialismus siehe Athen, Herodot achämenidischer 243 kultureller 266, 280, 726 Orientalismus 218 Perser 136, 280 implizit siehe Autor, Poetik, Publikum index siehe Peirce, C. Indien, altes 80 Individualität siehe Transgression Moschion 542 vs. Selbstbewußtsein 552 Individuation autorenspezifische Tragik u. Komik 7 Kausalität 358 Individuelles vs. Allgemeines 181, 542 Individuum siehe Differenz (Transgressor), Struktur aristokratischer Tausch 71 indoeuropäische Sprachen Zeichen, sagen, zeigen 156 indoeuropäische Zeit Wagen 218 Indovinello Veronese 524 Infernalität 683, 702 Fiktionalität 678 Phaedra 626 Transgression 664 Transgression 659 Perversion 656 Ingarden, R. 156, 745 Inkommensurabilität 162, 491 innen vs. außen 35, 178, 723 Eliminierung 42 Innozenz III. 243 Ino 445, 456, 461 insania 644, 661, 672 Inszenierung siehe Körper, Metatheater (Transgression), Schrecken antikes Drama Aischylos spielt Xerxes 273 lückenhafte Überlieferung 131 Rekonstruktion 130 Aristokratie 71 Aristoteles 384, 727 Monströses 475 Ästhetik 130 Blendung 393 Böses 588 Dämpfung, Phaedra 662 Dareios 271 Dionysos 512 Distanzierung v. Gewalt 388 Epiphanie 486 Intertheater 193 Intratheater 232, 380, 395, 495, 616, 636 Geltungsanspruch 741 Medea 411, 413, 438, 466 Oidipus 465 Phaedra 664 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 840 Selbstmord 653 Schauspiel 440 Transgression 437, 722, 724 Epiphanie 736 Medea 410, 732 Kulturindustrie 71 Medea 731 Auftritt, Schlußszene 442 Flucht 410 Schlußszene 478 Iason 473 Souveränität 437 Metatheater 192, 487, 495, 532 Oidipus 397 moderne, Akustik, Optik 133 modernes Theater 174 Oidipus 379, 722 Apoll 382 Auftritt 385 Bote 385 OT, Sehen, Zeigen 384 Phaedra Selbstmord 658 Trauer 634 Wissensvorsprung 645 poetologische Selbstreflexion 189 Ritual 21, 140 Selbst~, Phaedra 688, 689, 697 Selbstmord 667 Senecas Philosophie in seinen Dramen 578, 597 Souveränität 488, 495 Theater 130 Thyestes, Furie 321 Tragik 241 Tragik, Bohrer 99, 101 Transgression 136 Medea 136, 434, 441, 449, 477 Schlachtopfer 140 Souveränität 479 Senecas Dramen 174 vs. Dramentext 153 Xerxes, Trauerritual 257 Zeichen 4 Integration, systemische soziale siehe soziale Einbettung (des Menschen) Integrität 43, siehe Intention, Transgression (Integrität) Etymologie 624 familiäre 85 genealogische Medea 84, 343, 407, 420, 432, 434, 457, 479, 690, 691, 730 Performanz 62 Phaedra 696 poet(h)isch 689 poetische 57, 212 Polis 69, 730 kulturelle 506, 511 physisch-territoriale, sozialideelle 520 Pentheus, Oidipus, Kreon 510 physische 515 politische, Kreon 82 psychische 18, 61, 63, 85, 412 religiöse 69, 342 rituell-religiöse 61, 69, 520, 730 Oidipus, Iokaste 372 sexuelle Hippolytus 620 soziopragmatische 61, 432 Subjekt 62 Tragik 84 Typen 61 ~ Subjekt 61 Ziel 689 Integrität, moralische 61 Alcumena 549 Alkestis 70 Amme (Phaedra) 610 Heroik, Märtyrer 90 Hippolytus 602, 617 Phaedra 654 Kreon (Antigone) 83 Märtyrer, Held 68 Medea 407, 730 Oidipus Ablehnung d. Transgression 295, 312, 374, 403 Teiresias 303 Wahrheitssuche 304 Perversion 80 Phaedra 620 vs. Theseus 654 Ps.-Longin 696 Tragik 59 Integrität, physische 61, 541, siehe Laios, Oidipus, Tragik Alcumena 549 Dreiwegmassaker (OT) 356 für soziale Phaedra 624 Heroik 67 Märtyrer 68 Oidipus, Iokaste 372 Pentheus 520, 521, 522, 730 Phaedra 607 religiöser Transgressor 497 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 841 Tragik 54, 59, 67, 70, 72 zôê 64 Integrität, soziale 60, 61, 73, 326, 541, siehe Aristoteles, Tragik, siehe Aristoteles, Tragik Achill 514 Agamemnon 61, 521 Alcumena 553 Amme (Phaedra) 610 aristokratische 70 Deianeira 121 Dionysos 497, 502 Dreiwegmassaker (OT) 356 Tragik 92 Heroik 223 Kreon 82 Laios 339 Lucretia 624 Medea 61, 81, 407, 412, 420, 434, 463, 690 Kindermord 430, 466 Tragödie, Komödie 465 Oidipus 295, 297, 318, 338, 342 Apoll 352 Restauration 372 Teiresias 303 Wahrheitssuche 304 Pentheus 515 Phaedra 607, 624, 692, 696, 715 vs. Medea 691 Phaidra (Hippolytos) 520 Tragik 67 Tragik, Kulturgeschichte 73, 430 Calderón 75 Vater - Sohn, Dareios, Xerxes 246 Integritätenkonflikt 92, 353 Antigone 69 Bakchen Agaue 521 Medea 432, 457, 522, 690, 730 Perser 729 Phaedra 691, 692, 709 Tragik 55, 58, 61, 74, 78, 81, 86, 92, 102, 117, 121, 240, 246, 248, 728, 730 Bakchen 502, 519, 532 Aufteilung d. Handlungsschemas 522, 532, 730 ohne Götter 741 Opfer, Heroik, Märtyrer 90 Opfer, Oberbefehl (Iphigenie, Agamemnon) 77 OT 338, 730 Performanz, Selbstaufhebung 62 Integritätstausch 67, 607 Intellektualismus, ethischer 124, 183 Aristoteles 118 Epiktet 564 Sokrates, Platon 559 Stoa 433, 561, 574, 605 Intention 43, 44, siehe Handlung, Scheitern Autor vs. Text 4, 27, 205, 230, 345, 399, 484, 578 Ambivalenz 165 Dialog, Wahrheitsfindung 297 Emotion (Medea) 426 Emotion (OT) 401 Integrität, bios, zôê 167 Intratheater 410 Komik, Kontingenz 106 Konflikt 54 Kontingenz 322, 324 Komik 134 Transgression 235 Tragik 55, 58, 692 Integritätenkonflikt 463 Kontingenz 80, 134, 340 Illokution 83 Integrität 81 Oidipus, Transgression 295, 340 Oidipus’ Wahrheitssuche 318 Schmitt, A. 105 Transgression, OT 353 Kontingenz 400 vs. Wirkung 92, 93, 235 Interdisziplinarität 20, siehe Transgression (interdisziplinärer Dialog) Interdrama 7, 10, 192, 366, 686, siehe Semiose Aischylos, Sophokles 194 Amphitruo, Alte Komödie 553 Amphitruo, Bakchen 554 Bakchen 481 Euripides’ Elektra 194 Frösche 533 Medea, Agamemnon 441, 446, 454 Medea, Euripides’ Phoinissai 413 Medea, Klytaimnestra 446 Medea, OT 446 Medea, Perser 446 OT, Antigone 379, 443 OT, Bakchen 505 OT, Septem 346 Phaedra, Bakchen 670 Phaedra, Euripides’ Hippolytos 623, 668, 709, 729 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 842 Phaedra, Medea 594, 614, 620, 648, 688 Phaedra, OT 321, 621 Thesmophoriazusen, Euripides’ Helena 533 Interesse Integritätenkonflikt, Intention 81 Pentheus, Integrität d. Polis 506 interpretatio Christiana 187 interpretatio Graeca 231, 258, 268 Intertextualität 4, 10, 631, siehe Intertheater Agamemnon, Pindars elfte pythische Ode 72 Aischylos, Pindar 189 deviante 590 Euripides, Xenophon, Platon 594 im Drama 192 vs. Metatheater 189, 686 Intratheater 195 Medea, Odyssee 478 OT, Ilias 367 OT, Pindar 307 Perser, Homer 229 Perser, K. Kavafis 216 Perser, Lyrik 239 Phaedra 599, 611, 623, 706 Phaedra, Aeneis 614 Phaedra, Georgica 602 Phaedra, Hippolytos 630 Phaedra, Horaz 682 Phaedra, Metamorphosen 650, 652 poetische Transgression 229 Seneca 577, 578, 588, 714 Sophokles, Herodot 368 Tragödie, Epos 167 Tragödie, Komödie 108, 129 Intertheater 188, 193, 379, 737 furor 667 shifter 196 Intransigenz 514 Achill 514 Kreon 83 Kreon (Medea) 415 Medea 417, 464 Oidipus 268, 331, 403 Transgression 326 Pentheus 506, 508 Thebens König vs. Teiresias 510 Intratheater siehe Inszenierung, Medea, mise en abyme, Nekromantie, Ritual Aischylos, Sophokles 194 Amphitruo Alcumena, Amphitruo 554 Jupiter 556 apollinisch 742 Frösche 533 furor 667 Hamlet 189 Identität (Samia) 541 intertextuelles 686 Oidipus 393, 395, 397 optisch 442 OT 373, 380, 383 Optik 385 Pentheus’ Eliminierung 495 Perser 257, 281 Phaedra 601, 616, 634, 636, 664, 710 Ende 654 furor 654 Semiotik 636 shifter 196 Spiel im Spiel 188, 193, 601, 743 Perser 232 Theater im Theater 188, 191, 193, 737 Transgression 193, 437 Publizität 393 Verdoppelung 193 Vernant 166 vs. Metadrama 191 vs. Metatheater 193 vs. Plötzlichkeit 395 vs. Verstellung 172 Odyssee 168 Wolken 533 Introspektion Griechen (Perser) 208 Ich 428 Lyrik, Emotionen 684 Medea 424 Perser 254, 282, 423 Psychologie 425 Inversion Bredekamp 182 Chronologie 475 Entzweiung 410 epische Ordnung in Tragödie 618 Geschlechterrollen 460 Geschlechterstereotypen 468, 475 Hierarchie 535 Intention 310 Komik 109, 184 verkehrte Welt 536 kosmische Ordnung 468 lokal 475 Medea 467 thymós 462 sexuell 466 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 843 vs. Perversion 463, 466 Inzest 138, siehe Tabu Geschwister 378 Hippolytos 594 OT 37, 302, 304, 314, 315, 343, 349, 375, 378, 397, 625, 730 Kinder 388 Mutter 136, 250, 295, 306, 324, 332, 338, 342, 347, 349, 357, 363, 368, 376, 377, 385, 394 Haus 384 Iteration 379 Iteration, Verdoppelung 391 subjektiv 325 Traum 374 Zweiheit 409 Phaedra 582, 607, 608, 625, 629, 638, 642, 654, 669 Phèdre 582 Stoa Mutter 334, 569, 622 Iokaste siehe Oidipus, Kreon (OT) Bestattung 443 Dialogik 360 Dreiwertigkeit 289 Erkenntnis, Abtritt 298 Immanenz 545 Inzest 136, 302 Erkenntnis 384 Kontingenz 316 Krise der Polis 309 Mutter Erde 374 Mutter und Gattin 351 Opfer 171, 314, 367 Opponent (OT) 291 Orakel 211, 310, 349, 361, 401 Weiterreichen d. Verantwortung 338 rationalistische Religionskritik 361 Saatfeld 376 Schmitt, Charakter 335 Selbsteliminierung 289, 338, 354, 372 Daimon 367 Darstellung 390 freiwillig 358 irrational 376 Oidipus’ Opfer 376 Zweifel an göttl. Weltordnung 357, 361 Ionesco, E. 547, 718, 719 Ionien 242, 279, 747 ioú siehe Anagnorisis Iphigenie 34, 35, 60, 61, 72, 75, 77, 167, 747 Agamemnon Opferung 439 Iphis 619, 650 ira (lat.) siehe Seneca, Theseus Ironie 79, 414, 419 diskursive 415 dramatische 76, 165, 195, 290, 306, 384, 395, 398, 412, 414, 415, 418, 419, 447, 464, 488, 493, 511, 542, 578, 590, 610, 615, 630, 701 Götter 552 extradramatische 71 Hippolytus 631 komische 109 Samia 542 situative vs. sprachliche und literarische 590 tragische 85, 86, 109, 166, 290, 302, 306, 308, 313, 314, 315, 316, 317, 335, 340, 341, 359, 361, 366, 367, 370, 373, 395, 414, 419, 420, 477, 488, 489, 502, 517, 527, 578, 631, 642, 665, 704 OT, Antigone, interdramatisch 443 vs. Komik 108 Irrationalität Bakchen 482 Beckett 718 Dionysoskult, Pentheus 512 Figuren, Leidenschaften, Laster 685 furor 628, 663, 729 ästhetisch Böses 709 Transgression, Metatragik 709 Hippolytus’ Misogynie 614 Iokaste 315 Klagen 448 Leidenschaften Dämonie 692 Mysterienkulte 485 Oidipus 302 Oidipus, Iokaste 376 Orient 269, 271 perversio rationis 434 Rhythmusinstrument 523 Schleiermacher, Sprache 162 Seelenteil 573, 595 thymós, Stoa 431 weibliche (Medea) 418 Wille 605 Irreduzibilität furor 709 Kunst 149, 180, 748 Semiotik 137 Literatur 179 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 844 Metapher (Lanzen~, Opferkuchen~) 226 Semiotik 183 Symbol (Kant) 162 Zeichensystem, poetisch-ästhetisches 163 Isaak siehe Abraham Isis 652 Ismene Oidipus, Sorge, OT, OC 443 Trauer (OT) 398 Isotopieebene 109 Issacharoff, M. 174 Istanbul 167 Istros 354, 621 Iteration 11, 107, 301, siehe Handlungsstation Amphitruo 550 Dionysisches, Fest 492 dramaturgische Xerxes’ Transgression 213 Dramenaufführung 557 Euripides’ Hippolytoi 582 Hippolytus, Telemach 617 Ilias, Perser 279 Inzest Iokaste 391 Oidipus 376 Blendung 379 Tabu 397 Kult 655 Medea 453, 459, 477 Motiv, Schwert (Phaedra) 647 parole 449 Phaedra 619 genealogische 687 Ritual 137, 140 Rückzug, Perser 260 Schlachtruf, Salamiskämpfer 223 Schlußverse 449 Seneca, Furie, Thyestes 321 Transgression 29, 468 Verse 407 Zeichen 154 Zerstörung der Ordnung 218 J Jakobi, R. 650 Jakobson, R. 146, 181 metalanguage, metasprachliche Funktion 185 poetische Sprachfunktion 183 shifter 195 Jansen, S. 153 Jaspers, K. 51 Jauß, H. R. 183, 679, 745 Jens, W. 13 Joch Atossas Traum, zwei Frauen, Wagen 218 Ehe 222, 458, 462, 617 Frösche, Tragestange 535 Hellespont, Zwangssemiogenese 216 Lösung, Befreiung, Griechen 222 Judet de la Combe, P. 52 Jugend 234, 267, 268, 619, siehe Xerxes demagogisches Charisma 268 Gefallene, florale Metaphorik 225, 228, 245, 249, 263 Hippolytus 610 Hippolytus, Phaëthon 643 hybris 249 Perser 214, 227, 243, 256 Perserinnen 263 Theseus 550, 618 Transgression 244 vs. Tragik 241, 244, 268 vs. Vergänglichkeit 248 Xerxes’ Opfer, Mitleid junge Männer 276 u. Frauen 265 jung siehe alt vs. jung Jung, C. G. 226 Jünger, E. Ästhetizismus 733, 734 Auf den Marmor-Klippen 734 Dionysos 530 In Stahlgewittern 734 Schrecken, Bohrer 731 totale Mobilmachung 515 vs. attische Tragödie 734 Waldgang 734 Freiheit 529, 611 Jupiter siehe Regisseur (Amphitruo) Amphitruo 25, 77, 437, 549, 551, 552, 554, 667, 741 Epiphanie 555 Seneca 577 doppelte Nacht 676 Phaedra 630, 699, 703 Alcumena 601 Stier, Schwan 601 Phaëthon 219 K Kadmos 292, siehe Kostüm 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 845 Agaue Anagnorisis 489 Psychagoge 520, 526, 705 gibt Dionysos nach 524 lokale Eliminierung 500 Pentheus 488, 510 Großvater 492 Rationalität 485, 526 Schlußszene 487, 491, 495, 498 Schrift, Drachenzähne 523 Teiresias, Intratheater 496 Kahn Hippolytus 643 Phaedra 602 Kalauer 109 Kalchas 171, 307, 371, 440 Kaleidoskop 216, 234, 291, 491 Kallimachos 546 Kalypso 478 Kambyses 243, 281 Kampfparänese siehe Paränese Kanavou, N. 106 Kannibalismus 662 Stoa 568 Kanonisierung Alte Tragödie 557, 559 Fremdbeschreibung im Theater 212 von Verhaltensweisen, Stoa 703 Kant, I. 162 Aufklärung 104 Kapital siehe Bourdieu genealogisches 419 materiales 747 militärisches 271 ökonomisches 416 soziales 416, 541 symbolisches 271 Zirkulation 71, 72 Perser 270 Kapitalismus 70 Karkinos 450 Karl d. Gr. 248 Karnevalisierung siehe Bachtin, M. Dionysos 492 Ritual 21 Kassandra 251 Vergewaltigung 18, 476 Kastration 263, 648 ~sangst 473 Blendung 377 ethologisch 460 genealogisch Theseus 648 Iason 476 Iason, Medea 473 Männerleere, Perser 228 Pentheus 518 Schwert 648 symbolisch 378, 460, 469, 647 Hippolytus 647, 649 Kasusgrammatik 50 katábasis 534, 591, 596, 663, 665, 723 katálêpsis 150 Katastrophe 13, 44, 53, 99, 215, 249, 270, 497, 691, 702 sizilische 26 katharmos siehe Oidipus katharsis 109, 111, 186, 241, 275, 351, 448, 486, 581, siehe Distanzierung Affekte, Läuterung vs. Abfuhr 585 Andromenides 113 Fiktionalität 712 Identifikation 679 Perser 272 Stoa 712 Kausalattribution 41, 235, 242, 284, 323, 375 differenzierte, Schuldkultur 98 Differenzierung 725 Transgression 305, 310, 311 Kausalitätsindividuation 358 Kavafis, K. 216 Kayser, W. 9, 10 Keller, R. 144, 146, 162 Kenom vs. Plerem 279 Kierkegaard, S. 101, 108 Kimon 268 Kindestötung 662, siehe Medea Neugeborene 338 postnatale Selektion und Aussetzung 405 Säugling, Männer 541 Kinem (Pasolini) 159 Kirichenko, A. 330, 552, 565, 580, 593, 611, 613, 617, 627, 630, 640, 641, 685, 693, 700, 703, 705 Kithairon Bakchen 487, 490, 496, 505, 509, 669, 670 außerhalb der Zivilisation Dionysos, Urbanität 494 Ordnung 529 Wildnis 511 Wunder 514 Diegese, Wunderbares 490 Liminalität 529, 723 Oidipus 308, 319, 320, 350, 355, 382 Stoa 567 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 846 Pentheus 487, 502, 529 Bakchen 516 Transgression 529 vs. Oidipus 528 Wissenwollen, Grenzen der Rationalität 528 Kithara 523 Klassik Dämpfung 666 deutsche Tragik 58 Kleanthes gebundene Rede, Trompete Seneca 681, 713 iambischer Trimeter 102, 568, 699 folgen 595 Seneca 682 Inzest 568 Kannibalismus 568 theologische Protreptik, Dichtung 695 thymós vs. logismos 431 Zeushymnos 102, 568, 682 Vorbild f. Senecas Drama? 699 Kleidung siehe Riß Perser 255 semiotisch 218, 548, 669 Xerxes 255 Kleist, H. v. Amphitrion 552 Ästhetik des Schreckens? 735 Selbstmord 74 kleitorís 470 Kleopatra 479 kléos áphthiton 67, 206 Kloss, G. 24, 40, 106, 107, 109, 185, 311, 398, 401, 535, 551 Klytaimnestra 75, 441, 554, siehe Agamemnon Knox, B. 332, 351, 382, 421, 445 Koexistenz 15, 63, 66, 161 friedliche 218 Kohärenz siehe Handlung absurdes Theater 717 Aristoteles’ Poetik 539 attische Tragödie und Komödie 129 dramenästhetische 381 Phaedra Figuren 634 Handlung, Figuren 588 psychologische Zeichnung 591 soziale 659, 722 Erosion 739 sozioverbale 448 Koinzidenz siehe Kontingenz Kolonialismus 209 Kombinationsbeschränkung siehe restriction combinatoire Komik 105, 398, 534, 535, 737, 743, 747, siehe Ausnahmezustand, Handlungsmerkmal, Metatheater, Tragikomik ~ Morphem 159 Amphitruo 547, 552, 554 Amphitryon 552 Aristophanes 401 Aufschub 534 Autor, Text, Rezipient 165 Diskrepanz 184 Dramem 160 Kontingenzbewältigung 106 Körper 109, 536 Kritik 534 Nea 537 paratragische 193 Plautus 547 Samia 548 Subjekt u. Objekt 106 Suspendierung 108 Transgression 7, 108 vs. Ironie 108 vs. Komödie 106, 728 vs. Subversion 109 vs. Witz 105 Kommerell, M. Weiche 92, 335 Kommos OT 363, 386 Perser 231, 234, 249, 254, 257, 259, 275, 278, 279, 281, 746 Kommunikation siehe Dysfunktion, kommunikative Drama, Theater 164 Funktionieren 231, 321, 374 Manipulation, Transgression 635 Ironie, Sprache, Medea 414 literarische 165 Restauration 465 Scheitern 417, 449, 632 Subversion, Seneca 718 theatralisch 165 Transgression, Brüskheit 305 Kommutationsprobe 460 Komödie 747 Bakchen 496 Eliminierung 496 Aristoteles 113 Transgression 40 Gold 270 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 847 Hochzeit 728 Sohn 107 Medea 465 Metapher 469 Restauration 40 Sexualmetapher Kiste 549 Schwert 476 Sklaven Namen 553 Schläge 553 Transgression 7 Komparativ siehe Extravaganz, Hyperbolik Komplexitätsreduktion 20, 180 Tragik 78 Konflikt 26, 32, 457, 723, siehe Integritätenkonflikt, Normenkonflikt, Oikos, Rollenkonflikt Autoritäten (M. Griffith) 60 politisch vs. religiös 307 Bakchen 509, 526 Dynamik 491 Grenzen, Normen, Ordnungen und Zeichensysteme 491 Wildnis 493 dramatischer 728 Seele vs. Figuren, Rollen, Normen, Integritäten, Intentionen 423 Euripides 448 Figurenkonstellation 25, 171 Figurenposition 722 Hippolytos 497 Intention 54 Mechanismen zur Lösung 464 Medea 25, 409 psychischer 432 Oikos vs. Polis 538 Peripetie 93 Perser 280 Pflicht vs. Neigung 622 Phaedra 590, 632 Rolle vs. Identität (Amphitruo) 551 Tragik 54, 55, 58, 59, 61 Konformität Amme, Phaedra 603 Medea 415, 461 Menschsein, Samia 542 König siehe Monarch Mord 287 Opfer des ~ 374 Sakral~, Oidipus 284 Tod des ~s 257 Konjunktur siehe Struktur vs. Konjunktur Figuren 25 Tragik 55, 62, 78 Konnotation 162 Konsistenz siehe Handlung dramatische 556 Theseus 636 Dramenfigur 689 Handlungsgefüge, Senecas Dramen 599 Hippolytus 643 Perser, Aufbau 201 Phaedra 607 Phaedra, Chor 699 Phaedra, Figuren 689 Phaedra, Motiv 647 Theseus 644 Kontext siehe sozialer Kontext Heidegger, Kunstwerk 130 historischer 9, 406, 685, 721 mentalitätsgeschichtlicher 329 ökonomischer 33 ritueller 139 sozial(geschichtlich)er 3 soziokultureller 52 soziopolitischer, Drama 195 strukturalistisch-semiotische Literaturwissenschaft 10 theatralischer 566 Kontingenz siehe condicio humana, Epiktet, Stoa, Tragik, Transgression ~resistenz 565 antike Psychagogie 85 Bewältigung 106, 741 Bewußtsein 362 Binnenhermeneutik 237 Sophokles 238 dionysisch 514 dramatische 316 Dramaturgie 203 Medea 445 emotionale 566 Grethlein 743 Perser 235 Handlungs~ 235 Hinzutritt, Fortfall einer Figur 721 Iokaste 316 Koinzidenz 323 menschliches Wissen 401 Niederlage d. Perser 203 Oidipus 310, 334 soziale 284 Wahrheitssuche 321, 324 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 848 ~ Sehen/ Zeigen d. toten Iokaste 390 OT 313 Seneca, fortuna 699 Sinn 238 Situation 515 tragische 728 soziale Position 294 subjektive 412 Zufalls~ 235 vs. Götter 237 Kontrafaktizität Medea 452, 471 OT 325 Tragik 82 Perser 242 Phaedra 628, 638, 654 Kontraproduktivität 79, 80, 87, 270, 430, 641 Intention (OT) 353 Konvertierung siehe Bourdieu Koordinatensystem, kartesisches 37, 342, 664, 740, siehe Achse Korinth siehe Medea (Kindermord) jährliches Substitutsopfer 435 Medea 422 Bedrohung 432 Eliminierungen 445 Kinder 418 Mord an ~? 453 Verbleib 468 vs. Athen 266 Korinth (OT) Bote 93, 309, 313, 319, 322, 323, siehe Hirte = Hirte 293 Aristoteles 401 Oidipus’ Identität 316 distanzierter Raum 178 Isthmos 355 Leerstelle, Sohn 342 Rückkehr 341, 368 Körper 21, 38, siehe signifiant (Körper) attische Komödie 536 Ehefrau 549 Frau 391 Inszenierung 133 attische Tragödie 100 Komik 536 Lessing, Beschreibung 145 Theater 157 theatralische Semiose 64, 156, 170 Korybanten 681 Kosmos dramatischer 38, 179, 690 Stoa 572 Kostüm 169, 170, 255, 495, 514, 554, 728 Pentheus 516, 519, 544 Phaedra 600, 616, 669, 689, 693 Teiresias, Kadmos 496 Fell 511 Krankheit siehe Epidemie ~ Oidipus’ Wahrheitssuche 312 Dionysisches, Pentheus 511 Leidenschaft, Medea 412, 698 Leidenschaft, Phaedra, Phaidra 698 Medea, Phaidra 594 Phaedra 689 Phaidra 606 Zeichen 147 Kreon (Antigone) Eliminierungen 409, 458 Intransigenz 514 Nomos, Vernant 166 Teiresias 83, 510 Tragik 61, 69, 81 Transgression, Eliminierung 293 Trauer 259 Tyrann 171, 332 Kreon (Medea) Aufschub 476 Eliminierung 28, 407, 410, 452, 455, 466, 476, 690, 746 Transgressor 445 Verurteilung durch Boten 456 Eliminierung durch K. 420, 432, 445, 450, 454 Frauenaustausch 431 Heirat 410 Intratheater 413, 415, 429, 468 Rache 465 Kreon (OT) 136 Adjuvant 291 Angst 309 Eliminierung 376 soziale vs. physische, Iokaste 305 Eliminierung des Oidipus 355 Girard 375 Oidipus wünscht K. Glück 366 Oidipus’ Intratheater 397 Orakel 171, 302, 665 prósôpon 380 Restauration 373, 443, 465, 657 Intratheater 465 kein Spott 373 Transgression 289 tragische Ironie, Interdrama 366, 443 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 849 Transgression 304, 317, 322, 332, 363, 374, 380, 402, 413 Kreta 593, 603, 650, 668 bildende Kunst, mise en abyme 186 Kreusa siehe Medea Kreuzzüge 209, 279 Krise 368, 732 dynastisch-politische 308 Girard 286 Perser 229 Lösung 258 Polis 505 politisch-militärische 371 psychosoziale 275 religiöse 497 religiös-epidemologische 309, 371 Repräsentation 195 Ritual 142 soziale Götter 739 Kristallgitter siehe Gitter Kristeva, J. 377 Kroisos 261, 266 Halys, Orakel 348 Orakel 368 Sohn 353 Solon 361, 369 Kronos 339 Kryonik 128, 710, 713 Kugelmeier, C. 685, 689, 699 innere Vergegenwärtigung 710 Kultstiftung siehe Artemis, Bakchen, Medea kulturelle Anthropologie 66 Kulturevolution siehe Dodds, Vernant apollinisch, dionysisch 95 Kulturindustrie 71 Kulturwissenschaften 2, 19, 59, 137, 140 Kunst 704 antike Ausdrücke 183 ästhetische Alchemie 266 Autonomie 713, 733, 734, 741 Autoreferentialität 186 Eigensinn 150 Metatheater 737 Autoreferentialität 184, 400 bildende 157, 708, 713 Böses 598 dramatische, OT 344 Handlungsstruktur 398 Mimesis 399 Ethik 708 Harmonie, Phaedra 660 Iphigenie 440 Irreduzibilität 180 Leben 696 Mimesis (OT) 399 mimetische 186 Moral 212, 585, 732 Nietzsche 95 soziale Normen, attische Tragödie 733 sprachliche 708 Transgression 181 Triumph 713 vs. Emotionen 719 vs. Leben 677 vs. Schuld (OT) 403 vs. Trauer 266 Wahrheit 150 Wesen 179 Künstler 154, 181 Atreus 689, 697 Dionysos 495, 742 Imagination 148 Medea 438 Oidipus, Sphinx 380 Psychoanalyse 10 Theseus 657, 705 Phaedra, Hippolytus’ Tod 704 Transgression 136, 723 Xerxes 254 Künstler-Kriminelle(r) 182, 213, 480, 689, 732, 743, 746 Götter 551 Medea 722 Phaedra 704, 705 Kunstwerk 31, 95, 100, 161, 164, 179, 551, 564, 687, 717, siehe Heidegger, Singularität, Sprachkunstwerk Adorno 149 autonome sittliche Wirkung 586 Autonomie 52, 141 Baudelaire 719 Benjamin, Aura 137 Ritual 141 dramatisches 479, 705, 719 Ekstasis, Aura 149 Gegenwart 100 Hippolytus’ Leib 705 Imagination 148 Ingarden 156 Interdramatik, Reflexionsebene 688 Kapitalzirkulation 71 literarisches 11, 22, 140, 285, 286, 367 Drama 7 Morris 159 Offenheit 242, 348, 453, 671 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 850 Phaedra 708, 710 Phaedra, Distanzierung durch Brüche 643 Pluralität 484 Ritual 140 Semiotik 156 Tragödie 96 Bohrer, Nietzsche 95 Transgression 723, 732 Verdoppelung 741 Vielschichtigkeit 99 Küpper, J. 31, 76, 186, 187, 400, 712 Kureten 485 Kurke, L. 30, 70, 71, 72, 264, 281, 747 Kynismus 695, siehe Stoa Kyros 245, 296, 348 Massagetenexpedition 243 L Labdakiden 294, 306, 381, 443, 621 Laboratorium siehe Theater Labyrinth 593, 598, 627, 649 Lacan, J. 146, 286 Lachen siehe Ver/ Lachen Laches (Feldherr) 106 Laios siehe Epiktet Dreiwegmassaker 310, 314, 331 Aufklärung 290, 301, 372, 393, 402 Logik 313 Oidipus 335, 337 Orakel 298, 335 Polis 291 Kontingenz 342 Oidipus, Identität 323 Ort 355 Sanktion 306 Apoll 363 hamartia 344 Oidipus physische vs. eigene physische Integrität 338 soziale Integrität 75 Orakel 165, 211, 315, 352 Alexander v. Aphrodisias 333 Tod 338 Moira 361 Stoa 333 Tod 136 Girard 286 Oidipus 303, 305 biographische Differenz 217 Identität 294 moralische Verunsicherung 250 Verantwortung 371 wissentliche und willentliche Eliminierungsabsicht 339 Lämmle, R. 651, 652 Landleben 611 langue 4, 133 szenischer und theatralischer Raum 175 vs. parole 19, 23, 63, 133, 136, 166 Re/ Präsentation 132 Lanze siehe Bild, Dorer, Film, Irreduzibilität, Metapher, Phallos Adrastos, Kroisos 368 Dareios, Xerxes 245 Gymnasium, hamartia 114 Pentheus vs. Bakchen 519 Perser 278, 279 Latacz, J. 47, 368, 486, 734 Leben siehe Er-Leben, bios, zôê Biologie vs. Kultur 64 Leda 554, 601 Lefèvre, E. 322, 400, 578, 581, 582, 587, 595, 601, 605, 606, 613, 614, 616, 622, 633, 646, 654, 656, 687, 688, 699, 701, 702, 707, 708, 709 Phaedra 596 Lehmann, H.-T. 24, 113, 201, 463, 724 Zug nach vorn 311 Lehrstück Brecht 716 OT 369, 404 Perser 228 Senecas Phaedra 622, 706 Leid, schweres siehe Aristoteles Leidenschaften siehe Krankheit, Scheitern antike Philosophie 573 Dichtung 585 destruktiv, Handlung, Figuren, kontagiös 698 dramenschaffend 698 Pathologie 600 Phaedra 712 Reinigung 712 Seneca Medea 602 subvertieren Weltordnung 603 vs. Erhabenheit (Ps.-Longin) 696 Leiris, M. 34, 215, 544 Leitmotiv siehe Dreiweg (OT) Bakchen Dionysos’ Göttlichkeit 486 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 851 Suspendierung von Rationalität, Differenzen und Identität 523 Euripides, Iphigenie auf Tauris 458 Foucault, M. 35 Medea Entzweiung 409 Isolation 411 Meerengen 458, 468, 518 Streben nach Ehre 465 Transgression 454 OT Abscheu vor eigenen Taten 374 Furcht, Sorge 316 Paradoxon 343 Sehen, Zeigen 318, 350, 385 Transgression 384 Perser Blütenmetapher 225 habrotês 262 Jugend 214 Leere Asiens 251 Riß 218, 255 Überbrückung 215 Phaedra Befleckung 621 furor 583, 591, 592, 615, 660, 709 Leo, Fr. 657, 684 Lesedrama 37, 130, 161, 190 Lesky, A. 201, 230, 240, 247, 270, 289, 344, 361, 375 Lessing, G. E. 540 dramatische Zeichen 145 Mitleid, Laokoon 708 Tragik 91 leússô (gr.) (OT) 388 Lévi-Strauss, C. Mythos 12, 19 thebanischer Sagenkreis 292 liberalitas 71 libido 602, 604, 662, 677 Begierde, Willkür 593, 611 Libido 595, 599, 605, 608, 615, 619, 622, 631, 641, 669, 677, 703, 719, siehe Hippolytus Alterität, Differenz 619 Phaedra 652 Schwert Phallosersatz 652 vs. Liebe 650 Lichtung Religion, Theater, Alltäglichkeit 740 Seneca 689 Text~ 194 vs. Dichtung 184 Liminalität 722, siehe Dionysos, Kithairon, Vernant (Oidipus) Eliminierung 528 Medea 444, 445, 451, 481 Linearität siehe Rationalität, Transgression (Linearität) aus Binarität (Handlung des OT) 289 Bewegung 626 Deviationsästhetik 182 Schreiben 524 strukturalistisch 724 Szenenfolge 197 Temporalität 206 Zeichen 145 linguistic turn 19 5. Jh. v.Chr. 166 Literaturgeschichte, antike 38, 714 literatursemiotisch 9, 11, 12, 167, 345 Literaturtheorie 6, 10, 12, 27, 37, 131, 182, 191, 744 antike 111, 128, 538, 697 Literaturwissenschaft 2, 9, 14, 19, 20, 30, 31, 81, 96, 111, 133, 140, 199, 284, 578, 587, 725, 731, siehe Strukturalismus, Transgression (Ethnologie, Soziologie vs. Literaturwissenschaft) Ästhetik, Hermeneutik 151 Emergenz 163 Hermeneutik 181 idealistische 344 klassische Philologie 745 meta- 186 Philologie 745 Raum 174 Ritualpoetik 138 Sprachkunstwerk, Sinn 150 Sprachwissenschaft 185 strukturalistisch-semiotisch 12 Theorie des Raumes 172 tragisch 46 Littlewood, C. 191, 581, 590, 599, 630, 631, 686, 687, 715, 717 locus philosophumenus 611 Logos 18, 526, 706, siehe Aristoteles (Poetik), Mythos, Subversion, Stoa Logosoptimismus griechischer 118 Stoa 567 Logozentrismus 95, 159, 290, 324, 337, 485 Lolita (Nabokov) 619 Longin siehe Ps.-Longin Lotman, J. 31, 717 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 852 Lucretia 354, 624 Ludwig XVI. 236 Luhmann, N. 44, 733, siehe Komplexitätsreduktion Lukan 714 Lukian 44 Lukrez Strandbeobachter 679 Lurje, M. 121, 122, 334, 358, 400, 401 hamartia 117 Lustspiel 534 Lydien Dionysos 507, 509 Frauen 499 habrotês 262 Weichlichkeit, Xerxes’ Zug 271 Lykis 534 Lykophron 581 Lysias 237 lysis Bohrer 101 Dionysos 200 M Magna Graecia 208 Mahner 512 Kadmos 520 Seher 291 Teiresias 361 Makarismus 419 Mallarmé, S. 185 Mänade 492, 505, 529, 544, siehe Pentheus Alcumena 554, 742 Medea 435 Phaedra 554, 600, 646, 668, 710, 729 Mantik siehe Se/ Mantik, Stoa, Teiresias Perser 742 Senecas Poetik 671, 674, 706 Mäotis 621 Marathon 202, 203, 242, 246, 270 Mardonios 247 Mark Aurel Autoreferentialität 85 Güterlehre 696 metatheatralisches Bewußtsein 571 psychagôgía 566 Redefreiheit, Alte Komödie 572 Scheingüter, Subversion 712 theatrum mundi psychagôgía 572 Tragödie 566 Vorwürfe gegen Gott 703 Walze 592 Zorn, Mannhaftigkeit 431 Marlowe, C. Ästhetik des Schreckens? 735 Mars 630 Martens, D. 34 Martinet, A. 151 Märtyrer 68, 73, 90 Märtyrerdrama 68, 494 Marx, K. 25, 90 Marxismus 16, 35, 70 Geschichtsphilosophie 90, 568 Tragik 66 Tragödie 568 vs. Stoa 716 Maske 169, 402 Dionysos, Figuren, Nietzsche 94 Dionysos, Metatheater 527 literarische, Jünger vs. att. Tragödie 734 Magie, Ritual 34 Medea, Intratheater, verbal 414 Metatheater 169 Bakchen 483 Mimesis 169 Neue Komödie 537 Oidipus’ Blendung 385 Person 8 prósôpon 169 Darstellung des Fremden 278 Metatheater 380 soziale Intratheater 410 Verfremdung 169 Zuordnung zu Schauspielern 169 Masochismus 393, 466 Phaedra 623 Materialismus Ästhetik 264 Stoa 712 Materialität siehe Mersch, signifiant, States, Stoa, Ubersfeld, Zeichen Theater 169 Maurach, G. 702, 744 Mazzoli, G. 562, 671, 673, 680, 683, 718 McLuhan, M. 130, 727 Medea siehe Aigeus, Doppelbödigkeit, Nicht/ Darstellung, Rolle (Mutter), Subversion, Selbstmord (genealogischer), Triumph, thymós ~ Klytaimnestra 446 Anagnorisis, Tragik 430 Auftritt, Schlußszene 442 authadia 171, 268, 337, 430, 437 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 853 beendet Handlung 452 Blick 411 Differenz durch Transgression 445 Drachenwagen 410, 444, 446, 485 Rettung d. Kinder 407 Eliminierung 454, siehe Kreon (Medea) Iason 412, 415, 452 Kreusa 467 eigene Vergangenheit, Hochzeit 459, 466 Reduktion v. Doppelung 457 Verdoppelung 459 vernichtet Gemeinschaft 444 Entscheidungsmonolog bouleúmata 434 eine Person vs. Seelenkräfte 421 kreíssôn 422, 428 Stoa vs. Platonismus 433 Mutterliebe 426 Ovid 434 Seelenkräfte 428 Entzweiung 409, 412 Ent-Zweiung 409 Epos 464, 465 Erscheinung 442 Feinde Mißhandlung d. toten Kinder 443 Verlachen 465 Flucht nach Athen 444 Frauenaustausch 460 Götter Schlußszene 447, 738 gottgleich 442 Hilfeschreie d. Kinder 330 impliziter Autor 438 innerer Dialog 423 Intratheater 193, 413, 722 Bild 442 Dramaturgin 438, 446, 447, 453, 467 Ende 452 Mord an Kreon u. Kreusa 438 Schlußszene 442 Sinneswahrnehmungen 438 Souveränität 410 Tragödie 465 Transgression 437 Typen 480 Zusammenbruch 414 Kinder bringen Kreusa Geschenke Autorin, Drehbuch 419 Verdoppelung 459 Verdoppelung, Perversion 413 Kindermord 405, siehe Horaz Abschiedsklage 464 akustisch vs. optisch 439 Bestattung 436 Iason 410, 430 Kultstiftung 443 Chor 455 Entscheidung 93, 408, 421 Peripetie 463, 727 Entzweiung 457, 555 geistige Klarheit 407 hinter der Bühne 438 Iason, Berührung 443 Korinther 407, 443, 450, 455 Kultstiftung 437 Notlage vs. Zwangslage 432 Opferritual 435 Paradoxie 454 soziale Integrität 430 Straflosigkeit, eikós 450 Sühne 437 Synästhesie 727 vermeidet göttliche Strafe durch die Sühne 446 Verurteilung 454 wissentlich 433 Klageritual, Lautlosigkeit 444 Komödie, Autorin 465 Konformität 415 Iason 418 Männer Handlungsimpulse 450 Objekt Integritätsverletzung, eigene Transgression 409 Verlust ihrer sozialen Identität als Ehefrau und Mutter 410 Perversion 468 Mutterliebe 419, 692 vs. Ehre 432 Mythopoiesis 452 Netz Perser, Agamemnon 446 Schwert 439 opfert Weiblichkeit 418 patriarchalischem Denken verhaftet 461 philía 416, 426, 432, 458 Regisseurin 410, 418, 437, 454, 459 Rezeption 406 Schadenfreude 84, 456, 459, 467, 623 Selbsteliminierung 409 lokale 445 Selbstmord 411 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 854 vs. Oidipus 443 Selbstisolation 411, 465, siehe soziale Isolation Transgression 444 sexuell? 431 skythrôpón 380, 414, 667 sophê 429 Subjekt, Objekt 407, 415, 461 Tagesfrist 415, 476 tragisches Subjekt 419 Tragödie 465 Vergeblichkeit 450 Vermännlichung 459, 467, 476 verratene Verräterin 415 Verstellung Intratheater 413 vs. Achill 464 vs. Oidipus 443 vs. Penelope 478 wissentlich und willentlich 409 Zweifaltigkeit 168 Zweiheit 457 Medea exul 413, 476 Medea necans 450 Medea ultrix 413, 476 Medismos 210, 272 Medium Genus verbi 80, 429 hot vs. cool medium 130 Massen~ 1 Schauspieler 148 Theater 156 vs. signifiant 161 Medizin siehe Epidemie, Krankheit Meerengen siehe Bosporos, Hellespont, Symplegaden ~ Strymon 222 Affirmation, Grenze, Perser 231 Gewalt 216 Medea 468, 648, 727 (re)produktive Kooperation 472 Durchquerung 472 Funktionsstörung der organischen Zweiheit 409 Geburt 470 Zweiheit 458 Transgression 723 Binnenhermeneutik 469 Medea 472 Perser 200, 202, 209, 224, 591 Annullierung 259 literarische 213 Topologie 173 Typen 136 Überquerung, Perser vs. Durchquerung, Medea 472 Versklavung, Frevel 216 Mehl, A. 142, 405 Mehrdeutigkeit 166 Meier, Chr. 30, 88 Memento mori 249 memoria 43, 199, 206, 233, 274 Semiose, materieller Sinnträger 207 Menander siehe Neue Komödie Dis hapatôn 546 Perikeiromene 541 Phasma 572 Samia Anthropologie 542 gender 541 Immanenz 545 Reziprozität 542 Urbanität 542, 545 Menke, Chr. 2, 58, 86, 149 Metatragödie 574, 737 Tragödie, Tragik 292 mens 434, 595, 634, 643, 702 mota 673 Menschenbild, Menschsein siehe Anthropologie, Humanität Menschenrechte 74 meretrix (lat.) 71 Merkur siehe Prolog, Regisseur vs. Sosia 536, 548, 550, 551, 553 Identität 553 Merope (OT) 314, 348 Mersch, D. 134, 146, 147, 156, 157, 183, 264, 743 Aura 134, 149 Aura, Antisymbolismus 149 Ereignis 134, 147 Erscheinung 147 Materialität 147 Medium 161 Präsenz 160 Sagen u. Zeigen 148, 151, 156, 175, 391, 395, 636 Monstrum 397 OT 389 Stimme 153 symbolisch 148 Zeichen, Symbol 162 Meta/ Theatralität Geste 686 Monstrosität 629, 715 Transgression, furor 629 Phaedra 697 Seneca, Bewußtsein 680 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 855 Metadrama 29, 191, 192, 193, 293, 323, 330, 380, 495 dunkle Inspiration, Transgression 664 Medea 446 Meta-Drama 191 Seneca 618, 682 vs. Metatheater 29, 190, 662 Metafiktion 187 ~ im Drama vs. Metatheater 189 Metatheater 192, 484 Metakomik 194, 534 Metakomödie 194, 534 metalanguage 185 Metapher 387, 723, 733, siehe Aristoteles akustische 439 Blendung (OT) 393 Blüte 225 botanische 376 Entfaltung (anaptyssô) 201 epidemologisch-nosologische 699 Fackel 682 Gewalttätigkeit 181 hodologische 83, 314, 595 Joch 222, 617 Lanze, Opferkuchen 225 Medea 474 Meerengen 409, 472, 475 Netze des Schwertes 439, 446 Nietzsche, Selbstmord der Tragödie 558 Platon, Marionetten 560 poetische Transgression 181 poetologische, Aischylos 229 Sexual~ 582, siehe Komödie Bett 478 Glied ~ Schiff(fahrt) 471 Glied ~ Schwert, Lanze 226 Glied ~ Stier 650 Meerengen 471 soziale Transgression 181 Spiel~ 342 Theater~ 571 theatrum mundi Platon 561 Stoa 571 Tod 558 Tür 469, 470 Weinschlauch 469 Metaphorik florale 225, 245, 248, 263, siehe hybris Defloration 228 Komödie, erotisierende 469 sexuell-reproduktive 470 Metapoetik 187 ~ im Drama vs. Metatheater 189 dramatische 686, siehe Metatheater Autoreflexion 85 Funktion 737 OT 398 Seneca 662 Metapoetizität, dramatische 379, 380, 734, 736, 737, 740 Funktion 195 furor 667 Seneca, Fiktionalitätsbewußtsein, Distanzierung 712 Metatextualität 187 Metatheater 726, 736, siehe Aisthetik, Chor, Inszenierung, Metadrama, Prolog, Ritual Aischylos, Sophokles 194 Amphitruo 552, 556, 737 Phantastik 551 Ästhetik vs. Mimesis 195 Autonomie Drama v. Religion 741 Autoreferentialität 184, 381, 385, 570 Blendung (OT) 393 Chor (OT) 381 dramenliterarische 189 generische 192 OT 399 Autoreflexion 29, 285, 348 Oidipus’ Selbsterkenntnis 398 Seneca 711 Autoreflexivität 190, 192, 483 literarische 187 Transgression, generische 192 Bakchen 194, 483, 494, 496, 532, 737, siehe Dionysos Drama, Emanzipation v. Göttern 740 dramaturgisches 179, 192 Entwicklung im antiken Drama kuliminiert in Bakchen und Amphitruo 740 Euripides-Scholion 186 Frösche 533, 546, 737 Funktion 194 dramatische Semiose vs. künstlerische Autonomie 737 furor 629, 667, 715 Hippolytos 437, 737 hodologisches 192 Interdrama 547 Komik 107, 194, 534, 548, 553 Komödie 110 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 856 Medea 414, 437 Metakomödie, Metatragödie 194 Metapoetik, dramenspezifische 188 mimetisches 192, 402 Optik 192, 381, 385, 399, 494, 572 OT 379 Oidipus, Töchter 397 Schrecken, Mitleid 388 sensorische Eliminierung 392 Peer Gynt 398 Pentheus 489 Gang zu den Bakchen 518 Perser, Auszug 265 Perser, Exodos 259 Phaedra 601, 646, 662, 665, 670, 710, 712, 717 artifex 704 Kunst dämpft Leidenschaft 720 Religion 741 Samia 543 Choregie 544 Selbstbezugnahme des Theaters bzw. Dramas 189 Seneca 191 Spiel im Spiel 689 Spiel über das Spiel 743 Thematisierung von Gattung oder Theaterstück 737 Tragik, Illustrierung 215 Transgression 280, 437, 445, 548 dramenästhetische 495 Gattungskonventionen und mimetische Illusion 192, 194, 399, 571 Inszenierung, Seneca 662, 711 poetische 35, 184, 726, 736 transszenisches 29, 191, 194, 724, 737 bühnenpragmatisches 192 poetische Transgression 399 transverbales 152, 190, 380, 414, 616, 665 intraszenisches 534 binnenpragmatisches 192 mimisch-gestisches 130 Verdoppelung 185 Vermittlungsinstanz 189 Verstellung 171 vs. Intratheater 193, 737 vs. Intratheater, Intertheater 379, 737 vs. mimetischer u. szenischer Raum 176 vs. Tragik 188, 532, 737, 740 Dionysos (Bakchen) 522 Götter 741 OT 398, 740 Transgression 194 Zunahme 740 vs. Tragödie 187, 398 Meta-Theater 398, 495 Metatragik 194, 729 furor 709 Seneca 574 Phaedra 194 Metatragödie 194, 392, 535, 574, 709, 729, 737 Bakchen 483 Frösche 533 furor 668 Metonymie 470, 649, siehe Raum Metriopathie 74, 566, 585 miasma 114, 354, 373, 447, 637 Iokaste 377 Milet 493 Milieutheorie 56 Mimem 160 Mimesis siehe Platon, Realismus, Theater (Mimesis) akustisch Dramentext 161 Anthropogenese 1 Aristoteles 64, 112 Autonomie d. Kunst 186 dramatische 588 Gesellschaft dramatisches Subjekt 61 poetische Gerechtigkeit u. Integrität 57 Theater 26 Magie, Ritual 34 Maske 169 optisch 737 Schauspieler 161, 170 Theater, Pantomime, Stummfilm 158 Raum, Theater 174 re/ präsentative 175 vs. Diegesis 28 vs. Symbol 50 Mimesis, theatralische Deixis (Präsentation), Semiose (Repräsentation) 157 Suggestivkraft 273 mimetische Großgattung 4, 18, 24, 59, 85, 100, 147, 148, 154, 158, 159, siehe Theater vs. Drama Metatheater 190 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 857 mimetische Illusion 35, 108, 187, 192, 196, 260, 449, 480, 496, 537, 543, 548, 571, 575, 717, 737, 740 dramatisch 155, 169 Ironie 379 OT vs. Metatheater 398, 399 Mimik 152, 160, 192, 381, 418, 667, 681, siehe Metatheater, Zeichensystem, sprachliches Medea 414 Mimikry 418, 496 Miniaturisierung 546 Minimalpaaropposition 4, 5 antike Literaturtheorie 697 Eliminierung 39 literarische Figuren 462, 548, 669 literarisches Motiv 249, 407 Transgression 36 Verdoppelung 107 Minotaurus 337, 630, 649, 705, siehe Monstrum Mythos 686 zweiwertig 627 Misanthropie 510, 614 Hippolytus 610, 617, 694 mise en abyme 7, 184, 186, 189, 232, 672, 746 bildende Kunst a. Kreta u. Zypern 186 Intratheater 184, 189, 190, 193, 230, 232, 233, 438, 479 Nekromantie 257 Ritual 741 Trauerritual 257 Medeas Körper 469 Metadrama 330 Nekromantie 232 Phaedra 720 Symplegaden 469 Synekdoche 232 Verdoppelung formal 193 thematisch 189, 330 mise en page 159 Misogynie Hippolytos 474, 615 Hippolytus 582, 590, 610, 613, 614, 617, 619, 622, 623, 631, 633, 642, 643, 694 furor 666 Medea 594 Iason 431, 474 Medea 418 Pentheus 510 Mitgefühl Medea 430 Schiller 58 Mitleid 91, 129, siehe Chor, Jugend, Xerxes Aristoteles 679, siehe éleos Athen, Perser 272, 276 Athen, Xerxes 273 Ilias, Perser 276 Iphigenie 440 Lessing 708 Medea 414, 420 Metatheater 380 Nietzsche 95, 97 Oidipus 317, 373, 380, 383 Intratheater 395, 442 Metatheater 388, 395 Perserinnen 263 Perserinnen, tote junge Soldaten 265 Rezipient 684 Stoa 679 Zuschauer, Bakchen 505 Mnestorophonie siehe Freiermord Moderne vs. Antike funktionale Ausdifferenzierung d. gesellsch. Felder, radikalisierte Subjektivität 733 moîra 103, 230, 253, 270, 349, 350, 360, 361, 363, 367, 369 Oidipus 301 Molière Amphitryon 552 L’Avare 277 L’école des femmes 277 Monarch 26, 170, 287, siehe Vakanz absoluter 281 Amphitruo 551 Atossa, Penelope 217 Bakchen 492 Dareios 242 Fehlverhalten 236, 252 Machtverlust 241, 252 Oidipus 505, 739 Paria 445 vs. Xerxes 241 Pentheus 505, 506, 508, 509, 532 Theseus 612, 636 Transgression 371 verantwortlich für ~ und Eliminierung 240 vs. Götter 222 Xerxes 253 Tyrann 271 Monemgrenze 162, 307 Monismus 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 858 psychologischer Medea, Chrysipp 421 Stoa 573 rationaler 433 Monolog siehe Medea (Entscheidungsmonolog) Ich-Form 424 Monosemie siehe Tragik Alltagssprache 163 Mons sacer 530 monstrare (lat.) 629 monstre (frz.) Transgression 637 Monströses 337 Abkehr des Blicks 397 Aristoteles 475 Barock 666 Exkreszenz 627 Perversion 475 Staunen 628 Monstrosität 79, 233 Erscheinung 640 Fragmentierung 639 Meta/ Theatralität 715 Minotaurus zweiwertig 627 Pasiphae 601 Perversion Leidenschaft 603 Phaedra 626 Schauder, Entsetzen 697 Schrecken 628 Steigerung im Drama 627 Transgression 287, 295, 301, 302, 304, 321, 324, 331, 340, 358, 380, 394, 397, 402, 622, 626, 628, 724, 730 autopoetisch 337 Blendung 398 Kommunikationsstörung (OT) 348 Oidipus 507 Falsifikation, Verifikation 311 Fehldeutung 347 Paranoia 304 Stoa 569 vs. Nichtwissenwollen 335 Oidipus, Laios 295 Paradoxon 704 Perversion 316 Rhetorik 628 sexuell 593, 629 Singularität 370 theatralisch 711 Theseus, Hippolytus 638 vs. Hippolytus 641 Zerberus dreiwertig 627 monstrum ~ fatale 479 Etymologie 397 monstrare 629 Phaedra 678 Seneca, Tragödie 629 Monstrum 79, siehe Minotaurus, Sphinx dichterische Fiktion 678 dramatische Semiotik 629 Erstarren 397 Hippolytus, Vater ~ Sohn 642 inkommmensurabel 640 Meerungeheuer 626, 639, 640 Transgression 628 Minotaurus 79, 593, 626 Transgression 629 Phèdre 647 Skylla 473, 475 Transgression Zeichen 630 Zerberus 626 Moretti, G. 580, 626 Morphem ~ Handlungsmerkmal 159 Tragik 79 Morris, C. 159, 162, 180 mos maiorum 611 Moschion 541, 554 Moses 296 Motive (Erzählung) 14 Muka ovský, J. 11, 23, 152, 173, 175 Mündlichkeit siehe Performanz Münze Dareikos und Tetradrachme 270 Musealisierung 130 Musik siehe apollinisch, Kithara, Programmusik, Rhythmusinstrumente antikes Drama 130, 152 Chor 382 Dionysos (Bakchen) 494 Ekstase, Dionysos 681 Faszination, Philosophie 566 Kulturindustrie 71 Nietzsche 99 Theater 159 Theater, Aristoteles 128 Musonius Rufus 580, 592, 696 Mutter siehe Inzest, Iokaste, Medea, Rolle, Tabu, Vater Mord 405 Mystik 151, 402, 524, 526 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 859 Mystin 521 Mythem 159 Lévi-Strauss 292 Mythenforschung 26 Mythologie 40, 739, siehe ritualmythologisch Baubo 474 Gestalten, ethische Rolle 172 Phantastik 107 Mythopoiesis siehe Hopman Mythos siehe Lévi-Strauss Argonauten 470 Aristoteles 112, 296, 384, 396, 566 Dionysos 95, 139, 275, 479, 495, 530 Girard 143, 286, 531 Handlung, OT 288 Hippolytos 588, 668 Minotaurus 686 Nea 536, 543 Oidipus 306, 346, 443 Orest, Elektra 405 Perser 234 Phaëthon 219 Platon 675 Ritual 139, 199, 257, 527 Stoa 702 tragischer 49 vs. Logos, Bierl 98 vs. Tragödienhandlung 1, 292, 303, 312, 407, 501, 505, 594 Bohrer 98 Medea 453 Phädra-Hippolyt 581 Transgression 725 Zeitgeschichte 202 N Nabokov, V. 619 Naivität, dramatische 165, 210, 261, 302, 342, 418, 419, 493, 511, 552, 612, 626 Hippolytus 590, 631 Iason 442 Narratologie siehe Bachtin, Botenbericht, Diegesis, Erzähler, Figurenrede, Motiv (Erzählung), Nicht/ Darstellung, Plusquamperfekt, Prolepse Alterität (Perser) 263 antikes Drama 28 attische Tragödie 733 Genette 80 komische, Frösche 535 Metatheater 29, 490 OT 203, 206, 311, 330 Ovid 59, 717 Perversion 463 Pornographie, Sadismus 467 Raum 178 Sehen 389 Senecas moralphilosophische Schriften 580 Topologie 490 Transgression 28 vs. Topologie 176 Narrem 159, 160 Nationalismus 277, 732 Nationalsozialismus Dramentheorie, Heroik 67 E. Jünger 735 Natur siehe Stoa Epiktet 569 Gesetze, Verletzung 593 natura Geschlechtsteile 651 Naxos 209, 668 Nea siehe Neue Komödie Negativität 80 Nekromantie apollinisch 742 Binnenhermeneutik 230 Dareios 200, 202, 223 vs. Xerxes 244 funktionierende Kommunikation 231 Intratheater 230, 232 Krisenbewältigung 258 Metatheater 629 mise en abyme 232 Patriarchenersatz 202 Ritual 232, 741 Theonomie 231 Theseus 619 Transgression 229, 723 Transzendenz 230 Nemesis 702 Neophron 407, 460 Neoptolemos aus Parion 181 Neostrukturalismus 37, 290 ~ Poststrukturalismus 17 Neptun 628, 633, 634, 638, 639, 654, 665, 678, 702 Nero 612, 613 neronische Architektur 684 neronische Literatur 714 Seneca, ästhetisch Böses 714 Netz siehe Medea Neue Komödie 26, 107, 145, 172, 194, 536, 538, 544, 555, 557, 572, 722, 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 860 726, 728, 737, siehe Charaktertypen, Eliminierung Affektmilderung 545 Chor 538 genealogische Identität 294, 537 Gewalt 537 Götter 739 Gutes Ende 369 Individuum vs. Struktur 537 Intratheater 413 Sklavennamen 553 Neumann, G. 4, 20, 140, 149, 157, 184, 264 New Criticists 2 Nicht/ Darstellung siehe Botenbericht, Bühnenhandlung, Teuber, B. Gewalt 37 Medea, Kindermord 142 Transgression 97 Bühnenhandlung, Botenbericht 28 Eliminierung 490 Figurenrede 384 sexuelle 325 Tötung 142 Nicolai, W. 327 Nietzsche, F. 35, 36, 73, 94, 99, 139, 350, 374, 525, 670, 713, siehe apollinisch, dionysisch, Dionysos, Sokrates Foucault 16 Grausamkeit 97 Pathos 96 Selbstmord der Tragödie 558, 713 Sprachmikroskopiker 744 Tragik 96 Übermensch, Tod Gottes 739 Nihilismus siehe Tragik Nikeratos 543 Nikolaus von Kues non aliud 210 Ninive 269 Niobe 453 Nominalismus 75, 345, 552 Nomos siehe Sophistik, Subversion Antigone 166 Normenkonflikt 69, 88, 103, 240, 711 Tragik 58, 60, 334 nouveau roman 185 Nussbaum, M. Distanzierung v. Leidenschaft 587 Seneca, Brecht 715 stoische Rezeptionsästhetik 562, 586 Tragik 60, 61, 110, 711 O oben vs. unten 38, 442, 460, 491, 664, 674 Obermayer, H. P. 227 obscuritas 626 Ockham, W. v. 146 Odyssee 211, 350, 665, siehe Bakchen, Perser Identitäten 172 Oidipus 306 soziale Integritätsrestauration 486 Odysseus 18, 167 Aias 224, 390, 465 Freiermord 220 Heimkehr, Xerxes 256 Herz 423, 603 Narbe 157, 402, 548 Penelope 478 Ruhm 394 Skylla 473, 478, 693 Timotheos 693 Verstellung 171, 414, 486 vs. Iason 478 Öffentlichkeit Polis vs. Oikos 397 Schande 393 Theater Polis Athen 1, 10, 30, 733 Gericht 372, 444 Religion 740 Scham 303 Oidipus siehe Bohrer, Gewalt, Identität, Integrität (moralische u. soziale), Laios, Transgression (Angst), Tyrann, Wissensvorsprung, Xerxes, Zorn ~ Krankheitsverdacht 312 Angst 309 ~rede vs. dialogischer Progreß 296 Apoll, átimos 352 autócheir 363 Blendung 367, 377 freiwillig 358 Intratheater 399 Iokastes Spangen 379 irrational 376 Selbsterkenntnis 387 übrige Literatur 306 Urheber 363 blinder Sänger 392 Charakter, Schmitt 335 Dialogik 360 dominiert Handlung 291 durchbohrte Füße 317, 402 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 861 Einheit der Figur durch integre Intention 374 Epiktet 564, 567 Erkenntnis 292, 319, 375 Gesang 393 Götter Relevanz 357, 364 Suprasubjekt 365 vs. Kroisos 368 Handlungsimpuls 335 Held? 296 Hermeneut 345, 403 Fehler, Sprachfunktion, Sprechakttheorie 348 Selbstüberschätzung 361, 369, 402 Sphinx 347 Identität 293 intellektuelle Selbstüberschätzung 337 Iokaste Dreiwegmassaker 298, 301, 306, 309, 313 Laios, Begleiter 310 Ort 309 emotionale Erregung statt Vergleich von Vergangenem und Neuem 314 Exhibierung 376, 391 Sehen 389 Tötungsabsicht 376 Ungewißheit, Angst 362 Jahresgott 374 katharmos 377 lokale Eliminierung 371, 393, 397 Mark Aurel 572 Mörder des Laios 342 Mythos 306 Nichtwissenwollen 312 Orakel 171 Perversion 466 Regisseur 393 Restauration 374, 443 Richter 372 Sakralkönig 284 Selbsteliminierung 378 Selbsterkenntnis 285, 289, 303, 387, 398, 399, 402, 519 apollinisch, dionyisch 376 Metatheater 385 Mitleid 380 Restauration d. religiösen Weltbildes 368 Selbsteliminierung 371 ungewollt 324 soziale Umwelt Verschweigen 304 Weiterreichen 338, 377 Stoa 333 Subjekt, Objekt 291, 375, 385, 403 Technokrat vs. Götter 357 Tod d. Polybos 362 Totschlag in Vita 304 Transgression unfreiwillig 358 ungewollt gefunden 322 unwillentlich u. unwissentlich 331, 338 Aufdeckung 318 unwissentlich, Inzest 302 überzeugt sich selbst 310, 404 Umschlag vom gottgleichen Retter zum Sündenbock 375 Vasenbild 747 Vater göttlicher? 318, 350, 382 leiblicher vs. sozialer 352 Usurpation der Position unwillentlich u. unwissentlich 284 Verdrängung 304 verliert göttl. Attribute an Götter 365 Vita, Schlußworte des Chores 369 Vollstrecker 363 vs. Agamemnon 371 vs. Medea 443 vs. Pentheus 528 Wahrheit 311 Wahrheitswille 303, 310, 312, 321 vs. Iokaste 304, 335 Wahrung der physischen Integrität der Eltern und der eigenen moralischen 338 Zweifel göttl. Weltordnung 357 königliche Abkunft Iokaste 305, 317, 322, 332, 374 Zecher 246 Oikeiosislehre 43 soziale Einbettung d. Menschen 613 Tugend 567, 574, 650 Seneca 707 Verstandesbegabung 682 Oikos 721, 723, 739, siehe Antigone (Drama), Familie, Frauen Entzweiung (Medea) 409 Innenraum 549 Neue Komödie 538 Ort d. Transgression 178 vs. Polis 82, 538 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 862 Differenzierungsprozeß 733 Öffentlichkeit 397 Pantheon 77 soziale Rollen, Konflikt 170, 287 oîstros 660 Olympiodor 712 ômophagia 523, 670 Opazität 571, 709 Phaedra 689 Opfer 219, siehe Abraham, Atossa, Iphigenie, Perversion ~nder, soziale Funktion, Drama 171 Benjamin 94 Hippolytus, Phaedra 620 homo sacer 451 Integritätenkonflikt 90 Iokaste 314 Iphigenie, Ästhetik 439 Oidipus 372 Ritual 137, 141, 225, 228, 440, 480 Medea 436 Korinth, schwarze Ziege 435 Salamis 225 Semiogenese, Substitution 137 Tier statt Mensch 137, 530 Toten~ 655 Transgression, Ästhetik 34 Umbenennung Medea 437 Xerxes 257 Opfer, freiwilliges 69 Alkestis 70 Athen 69 Rom 70 Sparta 70 Opferkuchen 225 Perser, Defloration 227 Opposition 38, siehe Minimalpaaropposition, Transgression binäre 492 Dareios vs. Xerxes 242 Familienmitglieder Xerxes 250 Geschlechter 541 Gott vs. Mensch, Bakchen 492 Grieche vs. Barbarin 418 Griechenland vs. Asien 230 vs. Persien asymmetrisch 208, 239, 280 Griechin vs. Barbarin 418 männlich-heroisch vs. weiblichkonform 461 Perser 206, 221, 280, 722 freies Griechenland vs. persische Monarchie 271 Zusammenbruch 222 oppositive Identitäten 207 Optik siehe Aisthetik (Maske), Mimesis, Schauspiel, Theater Akustik (OT) 392 Aristoteles 145 Theater 112 Eliminierung 389, 694 Epiphanie 396 Foucault 37 Gewalt 34, 142 göttliches Wissen 365 Grauen 518 Identität 619 Amphitruo 551 Intratheater 442, 459 Bakchen 496 OT 385 theatralische O. 385 Iphigenies Opfer 439 Medea 412, 425 Zuschauer 439 Monstrum 640 nonverbale, moderne Inszenierung 133 Phaedra, Künstlerin 704 prósôpon 169 Scham, Oidipus 379 Schlußworte d. Chores OT 381 Schrecken 396, 489 Schreckliches 392 Seneca 686 Sinnträger 64 Suggestion, Sprache 727 Theater 147 theatralische Mimesis 157 Theseus, Hippolytus 650 Differenz, Figuren 618 Transgression 35 Transgression, Ästhetik 35 Xerxes, Chor 256 Orakel siehe Ambivalenz, Apoll (OT), Delphi, Dodds, Herodot, Iokaste, Kreon (OT), Oidipus, OT, Theseus, Transgression (Zweifel) Senecas Poetik 675 Orchomenos 328 Ordnung 22, 51 Bakchen 492 Störung, Transgression 222, 485 Universalisierung, Affirmierung 215 Ordnung, soziale 38, 50 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 863 Neuaushandlung, Perser 250 Neue Komödie 537 Restauration 373 Hippolytos 657 Medea 465 Ritual 256, 275, 692 vs. Subversion 415 oreibasia 668, 669 Orest 75, 88, 115, 195, 259, 458, 476, 569 Muttermord 405 Tragik 61 Orient siehe Dekadenz, Irrationalität Buntscheckigkeit 269, 271, 485 Despotie 271 Effeminiertheit 227, 259, 262, 266, 271 Emotion 259, 282 Eunuch 228 Frühgriechische Lyrik 269 Gegensatzpaare, westliche Selbst- und Fremdwahrnehmung 269 keine Abwertung 240 Weiblichkeit 228 orientalisierende Phase 210 Orientalismus 27, 199, 201, 204, 207, 209, 226, 229, 233, 239, 245, 261, 267, 270, 271, 273, 276, 277, 485, siehe Said, E. habrotês 261 Kleidung 255 Schlacht v. Salamis 223 Strukturalismus 208, 211, 280 Trauer, Männer 259 Ostentation 149, siehe Theatralik, Theatralität Devianz 714 Metatragik 194 Phaedra 597 furor 692 Transgression 686 Theater, literarästhetisch Böses 588 Ostrakismus 375 OT siehe Hirte Angst erforschende Handlung 387 Ausblick auf Konflikte, Labdakiden 443 Ausweichen 403 Apoll 351 lokale Transgression 356 Oidipus 326, 342 Oidipus, Laios Faktizität, religiöse Autorität 353 Paradoxon 338 Relevanz 353 Teiresias 301 Einheit durch Oidipus’ integre Intention 374 Eliminierung 371 Gerichtsprozeß 372 keine Vorwürfe oder Entlastung von Oidipus oder der Götter 358 Kriminalroman? 355 Metatheater drittes Stasimon 386 Hören und Sagen 383 OC, Verständnis 358 Orakel 346 Eindeutigkeit 348 Zweifel an Autorität 347 Sagen vs. Zeigen/ Sehen Gestuftheit 389 Schamkultur 354 Sehen 318 gr. Ausdrücke 388 Metatheater 192, 399 Meta-Theater 385 u. Erkennen 393 Chor 396 u. Erscheinen 386 u. Hören, Gestuftheit 391 u. Zeigen, Metatheater 383 Semiotik, Binnenhermeneutik 345 sokratisches Welt- und Menschenbild 404 Tunnel 301, 310, 313 Überdeterminierung 359, 364 Zecher 246, 305, 348, 350, 352 Zeigen 318, 321, 390 Metatheater 192 Mitleid 395 zweites Stasimon 442 hybris, Metatheater 381 hybris, Respekt vor Göttern 363 hybris, Tyrann 332 Tyrann, Respekt vor Göttern 308 otium siehe Seneca Ovid 714 Hippolytus 642, 643, 659, 670 Tod 598 vs. Seeungeheuer 639 Medeas Dilemma 434, 594, 595 Metamorphosen 599 Iphis 650 Tragik 59 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 864 Phaedra 581 Rahmung 717 Romantik d. Landlebens 611 Seneca 677, 682 Seneca, ästhetisch Böses 714 silberne Latinität 714 Oxymoron 666 P Pädagogik siehe Aischylos Bakchen 487 Heraklit, OT 336 OT 335 Performanz d. Geschlechterrolle 246 Perser 206, 214, 239, 246, 267, 280, 282, 729 Nekromantie 230 Semiotik 345 Seneca 683 Stoa 325, 571, 572, 586 Epiktet 339 Palamedes 256 Palliata 172 Intratheater 413 Pan 350, 382, 459 Panaitios Adelsethik 695 persona-Lehre 169, 571 Epiktet 569 Pantomime 1, 100, 158 Papst Innozenz III. 243 Urban II. 279 Parabase 110, 381 paradigmatisch Autoreferentialität 429 Dramenanalyse 112, 197 Figurencharakterisierung 694 Figurenzeichnung, Transgression, Eliminierung, Verdoppelung, Handlungsmerkmale 159 furor 710 Handlungsstation 13 Handlungsstruktur 11, 14 Innovation 88 Jakobson, poetische Sprachfunktion 183 Kultur 492 Medea, Verrat 415 Perser, Demokratie vs. Monarchie 280 Plötzlichkeit 100 Transgression, Handlungsmuster 454 Verdoppelung 107 Paradigmenwechsel 21, 88, 98, 255, 449, 461 Paradoxon 665 Figurenhandeln, Phaedra 685 Medea Kindermord 454 Verrat 415 OT 324, 343 Oidipus’ Suche nach dem Transgressor 295, 312 Sehen 343 Vermeiden u. Hineingeraten 338 Seneca 626, 684 Tragik 55, 59, 80, 84, 85, 88 Oidipus 295, 340 OT 338, 402, 730 Transgression 433 Paränese 612, 663 Auto~ 664 Kampf~ 269, 279, 460, 734 Liebes~ 610 philosophische 624 vs. Pädagogik 214 Paranoia Oidipus 302, 310, 317, 321, 374, 381 Komplott 304, 305 Pentheus 510 paraskeuê siehe Teuber perverse 613, 634, 646, 664, 684, 692 Phaedra 615 Theseus 659 paratragisch 51, 193, 239, 265, 588 Parergonalität 22, 184 Paris Epiktet 564 Parmenides alêtheia vs. doxa 386 Parmenon 544 Parnaß 95, 493 Parodie 108 parole siehe langue vs. parole ~ Coseriu 133 Ambivalenz 166 dramatischer Raum 175 Dramentext 160 Identität d. Figuren 170 Iteration im Ritual 449 Radke 484 syntagmatisch 101 Pascal, B. Dialektik 360 Paradoxon 87, 343 Rationalität 524 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 865 Pasiphae 599, 621, 631, 686 Sodomie 593, 601, 626, 630, 649, 651, 669, 687 Pasolini, P. P. 130, 142, 159 páthei máthos 43, 60, 365, 487 Pathogenese 423, 427, 563, 604, 680 Seneca, Stoa, Phaedra 598 Pathologie siehe Leidenschaften pathos 46, siehe Aristoteles Aristoteles, Stoa 566 Epiktet 566 Pathos 101, 128, 636, 732 Cambridge Ritualists 139 hyperbolisch 684 Nietzsche 96 Perser 201 Ps.-Longin 673 Seneca 637, 684, 689 desavouiert Leidenschaften 684 Stoa 427 thymós 431 Tragik, Schrecken 286 Patriarch 26, 138, 170, 287, 343, 479, 728, siehe Vakanz Amphitruo 551 Amphitruo, Theseus 555 Dareios 242 Figurendynamik 721 Oidipus 305, 309 Pentheus 492 Rückkehr 723 Theseus 582, 617, 627, 632, 633, 665 Xerxes, Figurenkonstellation 244 Patriarchat 73, 107, 418, 445, 454, 460, 461, 474, 538, 543 Ehebruch 406, 508 Mutterrolle 406 Phaedra Ehebruch 668 Reproduktion 406, 615 Patroklos 67, 248 Peirce, C. 146, 147, 154, 164, 290 icon 157 index 147, 154, 290, 318, 356, 543, 548, 629, 636, 647, 666, 728 Symbol 50, 144 Zeichenbegriff, transgressive Handlung 162 Peloponnesischer Krieg 351 Penelope 217, 220, 478, 617 Penetration 228, 377, 425, 470, 549, 648, 651, 653 Asebie 516 Iphigenie 441 Sehenmachen 391 Transgression 227 Transgression, elimino 42 Pentheus siehe Agaue, Kithairon, Kostüm, Teiresias Dionysos Befragung 512 Kooperation 519 Täuschung 495, 502, 513, 530 Vetter 492 Effeminierung 491 Enthauptung 488, 507, 527, 530 Fremder 512 Mänade 495, 519, 728 militärisch-polizeiliche Mittel 494, 506, 511, 512, 515, 525 schockierende Konfrontation mit dem Dionysischen 507 Sehen, Meta-Theater 495 Sexualität Bakchen 508, 531 Dionysos 507, 512 Subjekt, Objekt 502 Theomachie 492, 504, 506, 520 Tragik 502 Tod Metatheater 487 totale Mobilmachung 515 Verlust der kulturellen und phallischen Männlichkeit 518 vs. Greise, keine Frau 502 vs. Oidipus 528 Wahn 495, 518 Wunderbares 512 Wunderbares, Befremden 496 performance 100, 134 Performance 99, 158, 200, 201, 228 Performanz siehe Struktur (Performanz), Subjekt (Performanz durch ~), Zeichen (Performanz) Aristoteles 131 Aufführung 130 Geschlechterrolle pädagogisch 246 Per-Formanz eîdos 132 Selbstzerstörung e. Prinzips 333 Singularität, Drama 137, 140 Mündlichkeit 130 Sinn 180 Wiederaufführung 557 soziale Rolle 134, 721 Theater, Religion, öffentlich 740 Theatralität 134 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 866 Tragik 62, 63, 101 ethisch-rationales Subjekt 56 soziale Rolle 6, 105, 134, 246, 341 Transgression 134, 341 vs. Intention 135 Pergamon 493 allegorische Homerdeutung 744 Perikles 268 Peripatetiker lebensweltliche Güter 340 Peripetie 90, 285, 333, siehe Anagnorisis Aristoteles 91, 126, 463, 538, 566 OT 288 Bakchen 93, 519 Pentheus’ Sinneswandel 502 Entgleisung 92 Medea 463 OT 288, 310, 372, 389, 395, 400 Phaedra 608, 685, 719 Erkenntnis d. Inzests 625 Transgression 727 Erkenntnis (OT) 401 vs. Tragik, Anagnorisis 93 Perlokution 231, 401, 670 Tragik 83 Permanenz 43 Heroik 420 Medea 62, 457, 730 röm. Staat 70 semiotische 43 soziale Integrität 67 Zeichen 452 Permutation siehe Aristoteles Perser siehe Athen, habrotês, Pädagogik Barbaren 267 Demokratie vs. Monarchie 280 drei Phasen Chor 251 Xerxes 234 Epos 269 freies Griechenland vs. persische Monarchie 271 Gold 270 Hellenisierung 272, 280 Inzest 569 lokale Distanzierung, Erhabenheit 269 Männerleere 228, 240, 246 Asien 251, 278 Metatheater 259 Mitleid 272 Odyssee 203, 220, 256 Phineus, Glaukos Potnieus, Prometheus Pyrkaios 205 politisch 250, 729 ~e Tragödie 280 Eliminierung d. Heeres 240 Raubvogelvorzeichen 219, 738 spielen in Susa 206, 213, 230, 240, 266, 722, 726 Mitleid 273 Tod, Opfer, Trauerrituale 258 Trauerspiel 204 verkehrte Ilias 279 Warnung vor thalassokratischer Expansion 268 Wehrlosigkeit, Demoralisierung 278 Wiederaufführung in Sizilien 242 Zeitgeschichte 202, 238, 242 Zerbrechen v. Zweiheit 409 Perserinnen allein 222 Trauer 278 habrotês, póthos 262 Perserkriege 69, 202, 205, 212, 267, 278, siehe Herodot, Thukydides Bedrohung der Griechen 208 Perseus 296 Person diachrone Identität 295 Dramenfigur 46, 107 Maske 8 Tragik 55 Tragik, ethisch-rationales Subjekt 81 persona siehe dramatis personae, Panaitios, Seneca perversio rationis siehe diastrophê epi tên diánoian Perversion 79, 92, 724, siehe diastrophê epi tên diánoian, Handlungsmerkmal, Inversion, paraskeuê Aigeus’ Asylangebot 417 Amme, Mondgöttin 663 Asylritual 419 Bakchen 522 Entzweiung 410 Frauenaustausch 72 Brautgeschenk, Hochzeit 461 Funktionieren d. Sprache 635 Heroik 691 Iason 416, 458 Iteration, Mutterinzest 376 Kampfesparänese 460 Kindermord 434 Leidenschaft 602 Medea 432, 435, 456, 460, 462, 463 Duplizität, Eliminierung, Gegenläufigkeit 413 Kinder 419 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 867 Männer 468 Monströses 475, 603 moralische Integrität 84 Rolle, Funktion 80 Oidipus 466 Opfer 620, 708, 741 Senecas Medea 436 Phaedra Lucretia 624 Lüge, Vergewaltigung 632 stoische Ethik 595, 606, 634, 655, 708 postmodernes Drama 463 religiöser u. sprachlicher Code 437 Ritual 141, 655, 708, 741 Medea 436 sexuell 466 Medea 467 thymós 414 Medea 462 Mutterrolle 462 Tragik 109 Transgression 656 Kinder - Eltern (OT) 316 Vagina dentata-Motiv 475 vs. Tragik 84 Zynismus, Tragik 499 Pessimismus Adorno 90 Anti~, Nietzsche 96 archaischer 51, 359 Pest siehe Epidemie Phädra-Hippolyt 244, 709 Mythos vs. liter. Bearbeitungen 581 Phaedra siehe Identität (dramatische) Amazone 669, 689, 693 skythische Jägerin 600, 616 Begierde scheitert u. vernichtet ihr Objekt 677, 692 Vertierung 629 Dominanz 653 Handlung 583, 644 furor 646 fällt in Ohnmacht 615 furor herrscht über Verstand 595 Götter 740 Hauptfigur 582 Hippolytus Liebeserklärung 618 Verleumdung, Theseus 606, 607, 621 Liebes/ Krankheit 698 Männlichkeit 646 Medea 594 Ehemann, Überlegenheit 654 Nachspielen d. Minotaurus-Mythos 686 nicht integer 601, 696 nicht tragisch 624, 635, 655, 692, 729 schafft Bühnenidentität u. -existenz 687, 719 Schlüssellektüre, Agrippina 613 Subjekt, Objekt, Ritual 655 Theseus schuld 601, 654, 705 untreu 590, 600 Tod durch Monstrum 628 Transgression willentlich und wissentlich 655 Vergewaltigungsvorwurf 582, 625, 638, 647 Hippolytus, Theseus 631 Meineid 703 Verurteilung Senecas Drama, lat. Lit. 598 Senecas Drama, Transgression 659 vs. Medea 591, 635, 690 vs. Oidipus 655 vs. Penelope 617 vs. Phaidra 597, 686, 688 Phaedra (Seneca) siehe Diskrepanz, Distanzierung, Doppelbödigkeit, Sprunghaftigkeit; furor andere Bearbeitungen d. Stoffs 581 Brecht 715 Entstehungszeit 656 Handlungsdominanz d. Frauen über Männer 646 insanus 661 Knochenlese 639, 654, 670 compositio membrorum, offene Bühne 694 membra disiecta 658 Theseus erschafft Hippolytus wieder 705 Kunst dämpft Leidenschaft 720 Leidenschaftstragödie 583 stoische Ethik Vermittlung 580 stoische Lehre 706 Hintergrund d. dramatischen Gestaltung siehe Regisseur (Intratheater), Stoa (Zustimmung, Leidenschaften, ästhetisch Böses) theatralisch, barock 715 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 868 Transgression Peripetie, Diskontinuität 625 Strafe 683 vs. Aristoteles’ Poetik 693, 714 Zuweisung v. Versen zu Figuren Theseus vs. Chor 657 Theseus vs. Phaedra 655 Phaëthon 219, 631, 643 Phaidra siehe Aphrodite, Euripides, Integrität, soziale, Krankheit, Phaedra Adjuvant 520 Distanz zum transgressiven Verlangen 600 Ermahnung durch Amme 605 Liebe nicht freiwillig 594 oîstros 660 Tod 638 Vergewaltigung 76 Vernunft vs. Lust, Faulheit 594 phallische Frau (Schwert) Medea 476 Phaedra 648, 649 Phallogokularzentrismus 425 Phallokratie 226, 473, 646 Phallos 474 Fichte 518 Lanze 226 Defloration 228 Schwert 226, 476, 653 Hippolytus’ Körper 648, 652 Medea, Phaedra 728 Oidipus 376 Phaedra 647 Vasenbilder 476 Strafe 227 Thyrsosstab 670 Pháma 300 Phänomenologie Ästhetik 156 Theater 153 Eräugnis 135 Heidegger 162 Mersch 134, 146, 149 Rezeptionsästhetik 156 Saussure 147 Theatertheorie 153 phantasia Epiktet 566 Stoa 147 Phantastik 107, 398, 500, 550, 551, 555, 604, 638, 737 Aristophanes 533, 536 phan- (gr.) 551 pharmakós Oidipus 377 Phasis 354, 621 phaûlos siehe Stoa philánthrôpon 40, 124, 126, 538 Aristoteles 538 Samia 541 Xerxes 272, 276 Philodem 113, 562, 586 Philologie alexandrinische 744 klassische 743, 744 deutschsprachig Kritik an Lévi-Strauss 12 Schuld 237 mikroskopische Textanalyse 745 philologische Textarbeit 745 Religion 738 phóbos 60, 111, 124, 566 Bestürzung 128 Erschütterung 277 Perser 277 Rhetorik 273 Phokis 355 Phokylides Ninive 245, 269 Phonem ~ Eliminierung, Verdoppelung 159 ~ Handlungsstation 159 phonemisch vs. phonetisch 5 Phönix siehe Stoa (Weiser) phríkê siehe Schauder Phrynichos Milêtou halôsis 202, 205, 214, 273, 732 Phoinissai 202, 203, 268, 281 Eunuch 214, 228 physis siehe Sophistik Geschlechtsteile 651 Picasso, P. 155 pièce (frz.) Theaterstück 129 pietas siehe Hippolytus Pike, K. 5 Pindar 30, 51, 71, 210, 307, 375 habrotês 264 Pirandello, L. 547 Pirithous 591, 608 Plangon 541 Plataiai 203, 215, 222, 225, 228, 281 Platon Atlantis, Heterotopie 174 demokrat. Freiheit 431 Dialog 30, 296, 559, 561, 579 Dichter 560, 671 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 869 Dichtung, Emotionen 585 Drama eigenes, verbrannt 561 Kritik 334 Eliminierung, politische Philosophie 560 Eros 619 ethische Freiheit 560 ethischer Intellektualismus Euripides 594 Euripides 433 Fortpflanzung 405 Frauen, Politeia 461 göttl. Gerechtigkeit 351 hamartia 123 instrumentalistischer Zeichenbegriff (Kratylos) 144 Medea 428 Mensch vs. Tier 592 Mimesis 28, 131 Wahrheit 143, 560 psychagôgía 566 Psychologie 247, 573, 713 Homer, Tragödie 559 Reinkarnation 560 Selbst 424 siebter Brief 560 Söhne der Großkönige 245 Sophistik 362 Staunen 188 theatrum mundi 561 thymoeidés 431 Tragik 116, 559 Rationalität 559 Tragisch-Theatralisches Transformation ins Ethische 560 Tragödie 43 Komödie 113 Rationalismus 559 Wahrheit 712 unfreiwillige Unwissenheit der Seele 104, 574 Unterscheidungsphilosophie 334 Verfehlung, (un)freiwillig 114 Willensfreiheit 60, 103 vs. göttliches Vorherwissen 353 Platonismus siehe Galen, Iamblich, Simplikios Plautus Bacchides 546 Casina 534 play (engl.) Schauspiel 129 Plebs 530 Pleonasmus 107 Plerem siehe Kenom Plötzlichkeit 100, 155, 253, 298, 305, 366, 395, 515, 657, 736 Dionysisches 507, 513 Medeas Epiphanie 442 Poetik der Transgression 99 Plusquamperfekt (narratologisch) 81, 232, 244 Plutarch 562, 568, 573 Pluto 626 Poesie Lessing 145 semiotisch 180 Seneca 681 Poetik 721 ~ der Transgression 181 fiktionaler Raum, Schöpfung 182 ~ des Tragischen 101 antike 722 Brennglas 184 Fragmentierung 229 hellenistische 181, 565, 694 Medea 142 Tragödie 570 implizite 185, 228, 281, 584, 714 Ionesco 718 schwarze 663 Seneca 671, siehe furor poeticus apollinisch 675 apollinisch vs. dionysisch 671, 713 explizite 698 sublimitas 694 Stoa 586 Witz 105 Poetizität 139, 179 dramatische Transgression 181 Raum 174 Pohlenz, M. 291, 301, 311, 331, 340, 356, 371, 580, 605 Notwehr, OT 328 poiêma vs. poiêsis 181 Poiesis 150, 183, 705 Poietik 183 Polemon 537 Polis 26, siehe Antigone (Drama), Integrität, Oikos Alte Komödie 533 Bakchen 506 Bezugsrahmen der sophokleischen Tragödie 292 Einheit d. Lebensbereiche 733 Entzweiung (Medea) 409 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 870 Krise 308 Medea 445 Neue Komödie 538 Pest, OT 299 vier Aktantenrollen (OT) 291 vs. Wildnis 329, 544, 669 Bakchen 506 Berg 529 Pentheus 493 Zivilisation 723 Polos (Schauspieler) 157 Polybos 314, 316, 323, 328, 348, 387 Tod 313, 314, 316, 324, 351, 362 Polymorphie 640 Polyneikes 83, 287, 492, 744 Polyphonie 27, 235, 643, siehe Bachtin Chor 701 Polysemie Figuren 25 Iokaste, Rollenidentität 351 libido 593 Sappho, kleís 470 Polytheismus 45, 61, 238, 500, 524, 528, 740 Polyvalenz 50, 62, 161, 163, 183, 351, 380, 485, 627 Dionysos’ Identität 523 Senecas moralphilosophische Schriften 580 pompejanische Wandmalerei 684 Popper, K. 48, 313, 747 Popularethik 91, 462 Pornographie 34, 440 Iphigenie 440 Medea 432, 438, 440, 467 OT 391 portentum 219 Poseidonios 44, 713 poiêma 182 Position 23, 105, 121, 143, 242, 251, 256, 306, 317, 511, 722, siehe soziale Position, Monarch, Patriarch, Theseus, Vakanz, Vater, Xerxes Dramaturg 383 Ehefrau 409 Odysseus 414 Pentheus 506, 513 Spielleiter 496 Theseus 591, 618 postcolonial studies 207 postdramatisch 710, 724, 729 postidentifikatorisch siehe Handlung postilio 70 Postmoderne 16 Subjekt 735 Transgression 37 Transgression, Metatheater 184 Poststrukturalismus 16 Subjekt 44 Posttragik 709 Posttragödie 709 póthos siehe Hopman Potlach 33 Prädestination 292, 358 prädramatisch 201, 228, 729 vs. frühdramatisch 201 Pragmasemiotik 217, 231 Drama, Theater 164 Ritualpoetik 138 Präsentation 157, 389, siehe Repräsentation Schauspieler 161 Transgression 394 Präsenz siehe Gegenwart (Perser), Mersch bildende Kunst, Film 157 Bühnen~ 722 Atossa 244 Chor 251 Dionysos 495 Göttinnen (Phaedra) 590 OT 289 Dionysos Metatheater 78 Hyper~, Götter 739 physische Hippolytus 620 Theater 18, 131, 148 körperliche 157 physische 161 prépon 685, 693 Priamos 642 Achill 464 Epiktet 564 Helena 210 Prieto, L. 147 Primärpublikum 164, 242, 267, 274, 277, 327, 406, 410 Perser, Männer 263 Primaten Infantizid durch Männchen, Kooperation 541 Lebensgefahr für die Herde 68 Mutterinzest 325 principium individuationis 97 Produktionsästhetik 4, 9, 11, 48, 128, 135, 698, 704, 746 Aristoteles 115, 124, 145 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 871 fiktiv 148 furor poeticus 668 Intention, Tragödie 205 Metapoetik im Drama 189 Seneca 671, 678 Witz 105 Zeichenbegriff 136 Produzent 232 proficiens siehe Stoa (Fortschreitender) Programmusik 523 prokóptôn siehe Stoa (Fortschreitender) Prolepse 29, 241, 419 Prolog 13, siehe Aphrodite Dionysos 483, 485, 492, 495, 501, 531 vs. Tragik 501 Wissensvorsprung 505 Faust 335 Frösche 534 Götter 29 Götter, Nea 739 Merkur 741 Regisseur 547 Metadrama 29 Thyestes 191 Metatheater Dionysos 494, 741 Götter 437 Humor, Plautus 552 Merkur 193, 437, 548, 556 Gattung 552 Samia 543, 545 Narratologie 29 Samia 541 sinnstiftende Instanz 30 Thyest 662 Prometheus 311 Prometheus Pyrkaios 205 Prometheus Vinctus 213, 349 propátheia siehe Stoa propetês siehe Übereiltheit (Stoa) Propp, V. 14, 159 Proserpina 591 Proskynese 271 prósôpon siehe Maske prósôpon prostaktikón 411 Protagoras 501, 693 Götter 362 Proust, M. 185 Prügel siehe Gewalt Ps.-Longin 694, siehe Erhabenheit ékplêxis 697 magnitudo animi 695 Verachtung der äußeren Güter 696 psychagôgía Aristoteles vs. Epiktet, Mark Aurel 566 Mark Aurel 572 Platon 566 Psychagogie siehe Autoreflexion, Epiktet Aristoteles 128, 565 Evasion 672 furor 666 Kadmos 520 katharsis 351 Lukrez 679 Odysseus, Archilochos, Medea 603 Phaedra 710 Phaedra, Amme 609 Platon 561 Seneca 577, 579, 580, 641, 652, 674, 677, 707 att. Tragödie 682 Intimität 707 Stoa 431, 570, 587 Medea 408 Theater 562 theatrum mundi 571 Tragik 570 Tragik 307 psychê 63, 64, 104, 144, 147, 309, 420, 423 Medea, Epiktet 691 Psychoanalyse 2, 199, 253, 288, 518, 649, 653, 747, siehe Freud ~ Phonologie 19 Agaue, Kadmos 526 Anagnorisis, OT 317 Bakchen 517 Begehren 10 Eliminierung, OT 377 Medea, Kastration 473 Oidipus 325, 377 Selbstblendung 370 OT 286 Pentheus’ Gang zu den Bakchen 517 Symbole 10, 163, 226, 473, 549, 647, 727, siehe Phallos, Vagina dentata Symplegaden, Kastration 469 Transgression, OT 377 Triebkontrolle 626 Unbewußtes 526 Unterbewußtes 582 Vater, Drama 26 Wünsche 10, 374, 377, 518 Xerxes 244, 245 Psychologie siehe Epiktet, Introspektion, Platon, Stoa 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 872 Medizin 412 Psychologisierung siehe Tragik, Transgression Ilias 687 Psychotherapie Kadmos, Agaue 526 Medea 411 Psyttaleia 223 Publikum siehe Öffentlichkeit (Theater, Polis Athen) Ausschluß, Medea 437 implizites 448 Perser, Zeitzeugen 205 Publizität 30, 393, 726 pudor 605, 607, 613, 615, 624, 638, 676 vs. furor 591, 599, 653 Q Querelle des Anciens et des Modernes 735 Quintilian De causis corruptae eloquentiae 559 R Rabinowitz, N. 206, 376, 377, 391, 431, 438, 440, 441, 461, 467 Rache 450, siehe Recht Achill 67, 464 Agamemnon 435 Aphrodite 520, 688 Bühnenpragmatik 41 Dionysos 498, 520 Ehemann d. vergewaltigten Frau 624 göttliche 220, 445, 447 Iason 444, 447 Korinther 454 Medea 427, 472 Affekt 407, 430, 604, 730 drohende Eliminierung 66 Eifersucht 431 Eskalation 445 Gelächter 465 Götter 449 Iason 418, 451, 455, 473 Integritätsverletzung 409, 689 Intratheater 193, 413, 438 Kalkül 434, 521, 690 Kinder 416, 418, 463, 464 Konflikt 25 Männlichkeit 460 Patriarchat 461 Souveränität 432 Intention 84 Tragik 420 Transgression 414, 454, 456 Verdoppelung 459 vs. Mutterliebe 424, 427 Zorn 412 Odysseus 220 Oidipus 326 Orest 61 Teiresias 302 Theseus 638, 665 Venus 630 Xerxes, Marathon 246 Racine, J. 26, 49, 709 Ästhetik des Schreckens? 735 Bérénice 44 Hippolyte 706 Kastration 647 Phèdre 15, 581, 715 Barock 666 Figurenkonstellation, Aricie 582 Schweigen 645 Phèdres Todesart 476, 647 Thésée 637, 639 Radke, G. 3, 14, 42, 54, 180, 188, 485, 486, 507, 508, 517, 520, 527, 529, 571 Pentheus 504 Strukturalismus, parole 484 Tragik (Bakchen) 503 vs. Girard 286 Rahmung Barthes 157 göttl. Ebene (OT) 369 Lotman, Kunstwerk 717 Morris 159 Ovid, Seneca, Schiesaro 717 Parergonalität, Transgression 184 Rapp, C. 118 Rassismus 209, 277 Proto~ 621 ratio 596, 624, 688 furor 614 perversio ~nis 434, 603 vs. adfectus 598 vs. furor 607, 646 Rationalisierung 143, 292, 316, 357, 396 Rationalismus Amme (Phaedra) 604 Bakchen 486, 515 kritischer 313 OT 319, 404 Religionskritik 361 Sokrates 68 Sokrates, Platon 559 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 873 Stoa 573 Tragik 561 vs. Tragik 568 Rationalität 37, 485, siehe Ritual Bakchen 482, 523 binär-linear 168, 290, 494, 745 Tragik 79 griechische 515 Iason 416 Integrität der Polis 506 Intention zur konjunkturellen Integritätswahrung 482 linear 485, 523, 559 Oidipus 302, 310 religiöse Rede 299 Schamkultur 358, 373 situativ 298 sozial 98, 726 Zweck~ 75, 300, 376, 426, 434, 616 Raum siehe signifiant, Transgression [lokale, poetische] akustischer 176 deiktischer 176 diegetischer 175, 177, 179, 724 topologische Transgression 175 distanziert-diegetischer 178 distanzierter 178, 490 vs. diegetischer 178 dramatischer 39, 175, 179, 724 erzählter 179, 438 exegetischer 176 experimenteller Frei~, Theater 174 extradiegetischer Susa 259 extraszenischer 177, 179, 555 fiktionaler 182 Fiktionalität 174 geographischer 38 Literaturwissenschaft, Dramentheorie 174 metaphorisch-symbolischer 724 metatheatralischer 178 metonymischer 724 Mimesis 174 mimetischer 176, 179, 213, 214, 260, 362, 377, 480, 724 Poetizität 174 postszenisch-diegetischer 178 postszenischer 177, 553, 724 Re/ Präsentation 174 realer Athen 259 reflexiver 178 Athen 259 Samia 545 Spiel 174 supraszenischer 177, 724 szenischer 39, 174, 178, 206, 213, 214, 259, 437, 442, 468, 543, 553, 724 Theater 174 theatralischer 175, 177, 178, 543, 724 Dionysostheater 259 Typen 174, 178 Wesen, entsteht durch Bewegung 173 Rausch siehe dionysisch, Trunkenheit Re/ Präsentation 131, 737 Metatheater 189 Mimesis 157 Mimesis, Semiose 170 Raum, Theater 174 signifiant, signifié 174 Realismus 157, 398, 461, 551, 737 anthropologischer, Stoa 706, 714 Künste 157 literarischer 461 Mimesis 145, 296, 464, 483, 493 mimetischer (OT) 398 Neue Komödie 536, 545 Samia 545 Schlachtenbeschreibungen (Ilias) 734 soziologischer 26 Recht des Stärkeren 610 Pentheus 494 positives vs. religiöses 166 Vernant 31, 59, 372 vs. Rache 88 Redefreiheit 222 parrhêsía 536 Redintegration Medea 412, 448, 475 Iason 420 Oidipus 373 Xerxes 251, 253, 256 Referenz 150, 160 Götter 741 Medea 450 Kindermord 437 Metapher 181 Rhythmusinstrumente 523 Schlachtruf, Perser 223 Senecas Rezeptionsästhetik 681 Reflexivität siehe Autoreferentialität Regisseur 28, siehe Apoll (OT), Botenbericht (OT), Dionysos, Medea, Schauspiel, Verfremdung (~seffekt [Brecht]) 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 874 Agamemnon Kalchas 440 Amphitruo 496, 547, 588 Jupiter 551 Verdoppelung 547 Merkur 549 Verdoppelung 547 Chor 233 Dionysos 495 furor (Phaedra) 670 Hippolytos Aphrodite 741 Intratheater 172, 193, 741 Oidipus 399 Phaedra Amme 635 Phaedra, stoischer Determinismus 701 Xerxes 257 Metatheater 29, 172, 193 Götter 741 Oidipus 321 Ritual 741 Theater 164 Rehfell 511 Rehm, R. 173, 174, 177, 259, 260, 289, 384, 468, 469, 470 Metatheater 195 Reinhardt, K. 285, 299, 369 dämonisch 36, 49, 51, 80, 101, 268, 287, 365, 367, 449, 588, 689 furor 692 Ecce homo 386 Existentialismus 283, 285, 318, 341, 366 OT, Furchtbares 386 Schein vs. Sein 340, 365, 388, 395 Metatheater 385 Reinigung siehe katharsis Relation 22, siehe Dekonstruktion, Identität (durch symbolische Relation) Figuren 166, 214, 402 Komik 108 Raum 173 Zeichen 23 Zeichen, Gegenstand 144 Religion siehe Götter, Opfer, Ritual Abnahme d. Evidenz im Drama 738 Abstand 740 Athen, Gesellschaft, Politik 733 Metatheater Emanzipation 741 Motor 740 Perser 199 Theater 740 Tragik 77 Tragik, Metatheater 738 Repräsentation 22, 133, 389 demonstratio ad oculos 157 Drama 157 Reproduktion siehe Frauen Responsion siehe Widerhall Restauration 18, 41, 43, 44, 107, 202, 666, 722, siehe Handlungsstation, soziale Ordnung (Restauration) Cambridge Ritualists 139 Differenz Gott vs. Mensch 523, 529 Differenz, Identität, Souveränität Dionysos 532 dramatisches Subjekt Medea 481, 730 Eliminierung des Transgressors (durch Dritte), Zivilisation 88 Götter, kosmische Subjekte 222 Integrität im Epos 168 juridische Integrität, Hippolytus 654 kollektive 448 Kommunikation 465 Komödie 40 Kreon, Adjuvant (OT) 366 mantische Autorität 402 moralische Integrität Eliminierung 43 Nietzsche 95 Oidipus, Sphinx 299 Oikos Neue Komödie 538 Opfer 142 Ordnung 41 Amphitruo 555 Chr. Meier 88 Eliminierung Transgression 40 OT 371 Medea 437, 449 durch Götter 453 Neue Komödie 536 OT 443 Phaedra 658 Tyrann, W. Benjamin 494 OT 368 Phaedra 654 physische Integrität Hippolytus 654, 670 Polis (OT) 372 religiöse Autorität (Bakchen) 491 religiöse Autorität (OT) 347, 356, 365, 367, 738 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 875 Oidipus’ Selbsterkenntnis 368 religiöse Integrität Oidipus, durch Selbsterkenntnis und -blendung 369 Polis (OT) 372 religiöse Ordnung 225, 449 rituelle 657 soziale Integrität 40 Alcumena, Hippolytos 555, 645 Aphrodite 521 Dareios, Xerxes 246 Dionysos 486, 497 Eliminierung 43 Kleopatra (Horaz) 479 Medea 420, 479, 690, 691 Oidipus 372 sozialer Zusammenhalt 659 soziales Subjekt Medea 480, 730 soziopragmatische Integrität, Subjektstatus (Medea) 457 Vertrauen in die sozioverbale Kohärenz 447 vs. Redintegration 256 Weltordnung 231, 436 Xerxes Kleider 255 restriction combinatoire 19 Retardierung 308, 313 Revolution französische 236 konservative 732 Rezeptionsästhetik 4, 9, 11, 13, 60, 88, 128, 203, 204, 221, 296, 299, 497, 518, 642, 710, 745 Agon 30 Aristoteles 111, 124, 267, 475, 566, 696 vs. Stoa, Brecht 716 Aura 136 emotionale 99, 272, 484 Aristoteles 115, 128, 388, 406, 464, 585, 679 historische 10 Intratheater 385 Mitleid 275 Figurenverhalten 129 furor poeticus 668 Genugtuung 372 Genugtuung, philánthrôpon 272 imaginär 148 Komik 105, 109 Longin 695 Metapoetik im Drama 189 Mitleid 380 Mitleid, Schrecken 383, 388 Orientalismus 262 Phänomenologie 156 philánthrôpon 540 Ps.-Longin 697 Seneca 671, 679, 698 Theaterpublikum, furor 681 Seneca, Aristoteles 683 Tragik 32, 52, 502 Zeichenbegriff 136 Reziprozität 231 Opfer 225 OT 305, 342 Samia 542 Tragik, Heroik 73 Rhetorik des Dramas 7 Emphase 637, 638, 693 Transgression 628, 630 Hyperbolik 653 Phaedra 600 Seneca 580 moralphilosophische Schriften 580 Theseus 639 Tragik, Bohrer 99 Transgression 583, 606, 638 Rhetorik, antike adiectio 107 amplificatio 693 aptum, decorum, prépon 685 Eliminierung, detractio 39 genus deliberativum 416 genus demonstrativum 419 genus iudiciale 416 narratio 35, 189, 313, 325 officia oratoris dispositio 155 elocutio 155 inventio 155 status coniecturae 355 status finitionis 354, 456 status qualitatis 276, 355, 416 Verdoppelung, adiectio, Pleonasmus 107 Verschiebungstropen 181 virtutes dicendi perspicuitas 155 perspicuitas, brevitas 155 Wiederholungsfiguren 155 Rhetorisierung Phaedra 662 Seneca 626 silberne Latinität 714 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 876 Tragödie des 4. Jh. 714 Rhizom siehe Deleuze Rhodos 493 Rhythmusinstrumente 523 Ricœur, P. 180, 181 Ringer, M. 379, 382, 383, 385, 395 Ringkomposition 373 Riß Gewand, Perser 218, 255 Xerxes 258 Medea vs. Iason 417 Olymp 739 Xerxes vs. Dareios 243 Ritual 2, 7, 738, siehe Opfer, Perversion, soziale Ordnung (Restauration), Transgression, Trauerritual Begriff 21, 137, 140 Intratheater 141, 418, 741 Perser 230, 257, 281 Iteration 137 Kommunikation 231 Lebensabschnitt 17 Literaturwissenschaft 21 Metatheater 141, 381 Mimesis 34 Mimesis, Anthropogenese 1 Nekromantie 230, 232 Neuaushandlung von Xerxes’ Position 251 Performanz 137 Rationalität 301 Selbstbezüglichkeit, Kunstwerk 141 symbolische Handlung 137 Tod 655 Transgression 483 Übergang zw. Lebensstationen 138 Verschmelzung 655 vs. Transgression 138, 142 Ritualists, Cambridge 2, 94, 139, 141, 488 ritualmythologisch ~er Subtext bzw. Substrat 3, 9, 10, 257, 301, 742 Handlungsschritte 139, 488 ~es Interpretationsmodell vs. soziodynamische Funktion 257 A. Bierl 199 ubiquitär vs. singulär 293 Ritualpoetik 138, 199, 436 Bakchen 483, 495 vs. Metatheater 493 Ritualsymbolik 250 Robbe-Grillet, A. 185, 311 Robortello, F. 117, 122 Roisman, H. 581, 582, 599, 613, 614, 617, 620, 641, 645, 647, 710 Rolandslied flur de France 248 Rolle 46, 170, siehe signifié, soziale Rolle ethische 171 literarische 171 Medea 413 Mutter 171, 406, 455, 521 Performanz 432 Perversion 462 Seher 291 soziomoralische 172, 414 Rollenkonflikt 26, 38, 88, 143, 726 Rom Bacchantinnen, Senatusconsultum 506 Drama 546 Götter 739 freiwilliges Opfer 70 Geschlechterrollen, Sexualität 651 Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe 71 Romantik 162, siehe Symbol deutsche Tragik 50, 52 Genieästhetik 181 Ironie 85 Rückbezüglichkeit siehe Autoreferentialität Rüstszene (Epos) 461 S Sadismus 97, 466, 467 Iason 431 Medea 84, 412, 452, 467, 623 Pentheus 507 Sagen siehe OT Sagen u. Sehen 233 Sagen u. Zeigen siehe Mersch, showing vs. telling Theater 157 Said, E. 38, 207, 208, 211, 212, 228, 239, 485 Säkularisierung 65, 77, 127, 243, 494, 568, 733 Salamis 93, 201, 202, 213, 216, 222, 228, 243, 255, 268, 272, 274, 352, 734 Eliminierung 224 Kämpfer 216, 221, 223 Opferritual? 225 Schlachtenlärm 330 Sallust 512 Sänger, blinder 392 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 877 Sappho 18 kleís 470 Orient 269 Sardes 246, 270, 279 Sarpedon 248 Sartre, J.-P. 303, 424, 715, 719 Existentialismus 294 Wahlfreiheit 80 Satire 577 Satyrische, das 47 Satyrspiel 70, 205 Saussure, F. de 4, 12, 18, 19, 23, 25, 63, 132, 133, 134, 137, 146, 147, 161, 164, 174, 175, 207, 484, 543, 548, 721, 745, siehe Zeichenbegriff Arbitrarität 147 Schadenfreude siehe Athen (Perser), Chor (Bakchen), Medea Schadewaldt, W. 128, 285, 288, 304, 325, 335, 351, 352, 354, 355, 369, 394, 426, 430, 435 Scham 302, 537, 543 Schamkultur siehe Dodds, E. R. Schau(der)spiel Medea 467 Schauder (phobéomai) Medea 467 Schauder (phríkê) 384, 640 Aussprache 396 Sehen, Rationalisierung 396 Schauer, M. 9, 10, 13, 201, 253 Schauspiel siehe Theater Aufführung 169 sozialer Hintergrund 71 Blendung (OT) 392 Bühnenpragmatik 5 Emotionsästhetik 679 Hippolytus’ Kampf moralische Erbauung 703 Intratheater 233, 556 Iphigenie 440 Medea 413 Introspektion 425 Metakomik 534 Metatheater 140, 190, 385, 398 Moderne, Vorhang 449 Optik 37, 425 Performanz, Aristoteles 145 Regisseur 131, 567 Sinnlichkeit 131 theatralisch 130 theatrum mundi 567, 572 Traum, Wünsche 374 vs. Pantomime 100 Schau-Spiel 495 Seneca Distanzierung 708 Schauspieler 27, 43, 132, 140, 158, 164, 173, 175, 192, 201, 205, 291, 441, 572, 712, siehe signifiant Amphitruo Jupiter 551 analytisches Drama 107 Anwesenheit 157 Dionysos 495 Dreizahl 319 elisabethanische Zeit 154 Intra- und Metatheater OT 383 meta-space 469 Mimesis, Semiose, Figur 38, 170 Raum 178 Raum, Theater 724 soziale Rollen 25 spielt mehrere Figuren 379 Phaedra 581 theatrum mundi 567, 571 Theseus, Hippolytus 632 Zuweisung von Partien 655 Scheitern siehe Phaedra (Begierde) hamartia, A. Schmitt 120 Hippolytus 643 Intention 401, 615, 730 Komik 44, 109 Tragik 44, 80 Leidenschaften, Phaedra 712 Protagonist, Tragödie 14 Transgression Dareios 242 Xerxes 240 Scheler, M. Entsymbolisierung, Phänomenologie 156 Er-Leben 155 Tragik 94 Schelling, Fr. 45, 52, 58, 162 Scherbengericht siehe Ostrakismus Schicksal siehe Tragik OT 292 Snell 247 Schicksalstragödie 55, 690 OT 331, 344, 357, 402, 404 Senecas Phaedra 706 Schiesaro, A. 296, 577, 578, 580, 584, 586, 587, 613, 618, 626, 662, 671, 672, 674, 678, 682, 698, 706, 708, 710, 711 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 878 Autoreflexivität d. antiken Literatur 186 furor 646 Metadrama 191, 697 Thyestes 662 Ps.-Longin 694 Rahmung, Ovid, Seneca 717 Seneca, Brecht 716 Strafe in Senecas Dramen 683 Schiller, F. Ästhetik des Schreckens? 735 moralische Anstalt 572, 708 Tragik 58, 61, 91, 102 tragische Analysis (OT) 288 Schläge siehe Gewalt Schlegel (Gebrüder) 162 Schlegel, A.W. 577 Schleiermacher, F. 162 Schlüssellektüre siehe Phaedra Schmitt, A. 60, 74, 285, 296, 304, 310, 311, 322, 325, 336, 344, 348, 351, 355, 361, 369, 399, 401, 422, 431, 455, 459, 484, 487, 539, 561, 578, 580, 587, 679 Charakter, OT 335 Charakter, Radke 504 hamartia 117, 120 Moderne(r) 104 Nichtwissenwollen 335 OT 333 Sophistik 362 Tragik 104 Intention 81 Stoa 102 tragische Fehler 357 Unterscheidungsphilosophie 334 Schmitt, C. Souveränität 493 Schmitz, T. A. 292, 744 Schmückungsszene (Epos) 461 Schrecken 223, 389, 397, 488, siehe Ästhetik, Epiphanie Bakchen 488 Binnenhermeneutik 490 Epiphänomen Selbsteliminierung des Transgressors (OT) 387 Transgression 258 inszeniert Transgression und Eliminierung 99, 735 Oidipus Metatheater 388 Sphinx 299 Schreckliches Aristoteles 115, 406 Bakchen 489 Medea 442 OT 308, 387 Schreiben 524 Schuld siehe Hippolytus, Phaedra (Theseus) Aischylos 243 Barthes 26 deutschsprachige klassische Philologie 237 Individuation der Kausalität 358 Oidipus 324, 326, 329, 341, 344, 365, 394, 403 OT 358 vs. Täterschaft 357 Phaedra 624, 654, 705 Snell 247 Tragik 50 Xerxes 253 Schuld, tragische 32, 47, 53, 111, 331, 355 Hegel 58 unschuldig schuldig 55, 690 Schuldkultur siehe Dodds, E. R. Schuldtragödie (OT) 331 Schwarzes Meer 545, 621 Schweigen 303, 304, 308, 320, 417, 636, siehe Aias Chor 442, 455 Götter 447 Iokaste 318 Medea 417 Phaedra 597, 617, 636, 645 Racine, Phèdre 645 Schwert siehe phallische Frau, Phallos Aias 224 énchos (OT) 376 Hippolytus 607, 620, 623 Flucht 703 Medea 435, 446, 451, 461, 727 Netz 439 Metapher, Geist (OT) 300 Pentheus 513 Vasenbilder 519 Phaedra 476, 624, 645, 646, 715 Phaidra 647, 649 Zeichen 636, 647 Schwindt, J. P. 17, 301, 409, 476, 664, 744 Se(mio)mimesis 158 Se/ Mantik 64, 219, 347, 352, 360, 374, 550, 553, 727 Binnenhermeneutik 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 879 OT 345 Searle, J. 135, 669 Segal, C. 12, 25, 129, 142, 194, 284, 290, 300, 311, 322, 329, 342, 345, 368, 375, 379, 385, 387, 403, 436, 442, 483, 517, 526, 529, 582, 598, 616, 626, 636, 639, 641, 685 symbolon 299 Segment 79, 146 ~ Aktem 159 Sehen siehe Pentheus, Optik, OT, Theater Amphitruo, Metatheater 549 Seher siehe Rolle, Teiresias Seidensticker, B. 89, 91, 92, 298, 313, 358, 422, 440, 448, 463, 495, 500, 564, 620, 625 Phaedra 687 Seklusion 506 Sekundärpublikum 164, 410 Selbst 414 Medea 424 Kinder 457 Selbstaufhebung siehe Tragik (Subjekt) Transgression 454 Selbstbewußtsein 425, 429 Personalpronomen 552 Selbstbezüglichkeit siehe Autoreferentialität Selbstmord siehe Iokaste, Medea, Oidipus (Selbsteliminierung) Aias 86 Ehren~, Lucretia 354 Epiktet 607 Eurydike 83 fehlende Anerkennung, Kleist 74 genealogischer 405 Medea 420, 457, 461, 463, 466, 690 Haimon 83 Lucretia, Ehren~ 624 Phaedra 34, 583, 620, 625, 644, 647, 648, 653, 655, 658, 667, 689, 692, 701 Drohung 597, 599, 601, 607, 620, 625, 654, 656, 698 Ehren~ 607, 608, 689, 691 furor 592 Schwert 646 Phaidra 649 Seneca, Freitod 607 Theseus 656 Theseus (o. Phaedra) 655 Tragödie, Nietzsche 558 vs. Mord 388 Selbstreflexion siehe Autoreflexion Selbstreflexivität siehe Autoreflexivität self fulfilling prophecy 403 Seme vs. Paraseme 146 sêmeîon 543, 729 Aristoteles 144 OT 318, 345 Semele 486, 488, 505, 508 Semiogenese 155, siehe Zwangssemiogenese Medea, Kindermord, Ritual 436 Opfer 137 Perser 260 Phaedra 619, 652 poetische 182 Semiologie Differenz 146 Semiose 10, 132, 135, 146, 147, 151, 158, 161, 212, 553, 713, 724, siehe memoria anthropologische 294 dramatische 34, 66, 132, 172, 179, 195, 201, 204, 206, 257, 495, 722, 735, 741 dramatisch-mimetische 195 Iason 451 interdramatische 155 Kollaps, Exodos d. Perser 259 kulturelle 216, 217 Optik 157 Repräsentation 157 soziale 712 sprachliche, Bakchen 491, 523 sprachlich-literarische 155 theatralische 179, 260, 743 Körper 64 Transgression 722 vs. Transgression 17 Semiotik 5, 20, siehe Hermeneutik (Semiotik), strukturalistische Semiotik Amphitruo 548 Annullierung, Kreusa, Zeitachse 466 Anthropologie, Literaturwissenschaft 66 Binnenhermeneutik OT 345 dramatische 588 Dramen~ 8, 28, 132, 155, 230, 241, 249, 265, 315, 384, 537, 571, 590, 655, 705, 722 Intratheater 230 Metatheater, dramatische Ironie 398 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 880 Seneca 575 Strukturalismus 159 E. Jünger 530 forensisch 549, 632, 636, 648 Intratheater 636 pädagogische, Perser 345 poetische 159 Repräsentation 146 Stoa 712 Theater~ 145, 152, 155, 169, 200, 204, 207, 274, 380, 388, 535, 551 Universalitätsanspruch 154 Vater - Sohn, Fehldeutung 632 Werkästhetik 156 semiotische Anthropologie 63-67, 107, 600 OT 294 Tragik, Paradoxon 341 Senatusconsultum de Bacchanalibus 507 Sender 164 Seneca siehe Poetik, Verfremdung Alternanz v. Anachorese u. geselligem Umgang 612 crypta Neapolitana 685 De constantia sapientis 641 De ira 641 deklamatorisch 630, 684 Dramen Aufführung 710 autopoetisch 687, 711 Epos 618 ethische und ästhetische Lektüre 708 exempla? 707 Leidenschaften 578 Modernität 710 philosophisches Werk 577, 707 Desavouierung 604 Phaedra, stoischer Rigorismus in der Moral? 623 Entsprechung 596, 598 furor 679 Problematisierung 612 Rhetorizität 684 Schlußwort, Chor 658 Stoa 561 Sinnebene 719 Theologie, Demontage 702 vs. stoische Regelpoetik 587 vs. Tragödie 691 Wahrheit 676 exemplum 612, 672 Freiheit der Wälder 611 furor poeticus vs. enthousiasmós 671 Ekstasis 678 Gattungen d. Œuvres, stoische Philosophie 707 Gladiatorenkämpfe 680 Götter, Freude am Anblick tüchtiger Menschen 703 Hercules furens 583, 599 Hercules Oetaeus 584 Kleanthes’ iambischer Trimeter 700 folgen 595 Landleben 612 Medea 583, 599, 621 Opfer 436 metatheatralisches Bewußtsein 571 Octavia 577, 584 otium 595 persona 580 perversio rationis 434 philosophische Schriften didaktische Perspektivierung 580 Geltungsanspruch 612 Zwiegespräche 562, 579 Phoenissae 584 protreptische Rede 609 Schicksal 700 Thyestes 580, 583, 584, 587, 588, 599, 612, 621, 646, 664, 697, 701 Furie 682 Furie, Tantalus 191, 321, 627, 663 Metatheater 662 Meta/ Theatralität 715 Metatheater 711 Rahmung 717 silberne Latinität 714 Troades 599, 621 Vorwürfe gegen Schicksal u. Natur 703 Weingenuß 612, 672 Wertlosigkeit der äußeren Dinge, Autarkie der Tugend 696 Zug nach oben 673 Zustimmung Gottheit 596 sens (frz.) 200 Sensualismus (Mersch) Ästhetik 146, 156, 264 Semiose 147 Sequentialisierung 11, 18, 27, 35, 100, 112, 149, 157, 227, 291 Serenus 674 servitium amoris 616 servus callidus 193, 438, 608, 634 Seuche siehe Epidemie Sewall, R. 51 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 881 sex 652 Sexismus siehe Iason Sextus Tarquinius 624 Sezession 506, 530 Shakespeare, W. 26, 49, 130, 159, 232, 717 Ästhetik des Schreckens? 735 Hamlet 189, 305 Macbeth 219 Metatheater 187 shame culture siehe Dodds, E. R. Sheriff-Automatismus 88, 248, 503 shifter Metatheater 195 showing vs. telling 175 Siegel Amphitruo 549 Samia 543 Siegfried 296 signifiant ~ 147 ~ 207 akustisches Abbild 147 Arbitrarität 65, 147, 207, 294 ästhetische Phänomenologie 156 Dareios 244 dramatisches Zeichen 161 Figur 24, 170, 410, 451, 466, 552, 600, 642 Tragik 66 Geschlechter 541 Integrität, physische Körper 63 Kalauer 109 Komik, Dekonstruktion 108 Komik, Ironie 108 Körper 21, 64, 133, 294 Materialität 146 Medeas Kindermord 437 Monstrosität 630 Orientalismus 207, 280, 722 poetisches Zeichen 34 psychische Integrität 63 Raum 133 Referenzsverlust 200, 523 Rolle 274 Schauspieler 23, 25, 169, 170, 274, 380, 537, 571 sex 652 Territorium 509 vs. Medium 161 vs. Referenz 681 zôê 64, 65, 294, 341, 528 Zwangssemiogenese, Perser 216 signifiant, signifié 5, 174 Zuordnung 146, 721 signifié ~ 147 Arbitrarität 65, 147, 207, 294 Ästhetik, Symbol 156 bios 63, 64, 65, 66, 108, 244, 280, 292, 294, 341, 452, 473, 721 Dareios 244 dramatische Identität 687 dramatischer Raum 175 Figur 170, 537 Identität 43 soziale Position 170 gender 652 Integrität 63 Kalauer 109 Komik, Dekonstruktion 108 Komik, Ironie 108 Konzept 147 Medeas Kindermord 437 Metapher 181 Orient, Okzident 207 Orientalismus 207, 280 poetisches Zeichen 34 psychische Integrität 63 Rolle 23, 24, 169, 170, 551, 571 ethische 274, 410, 642 soziale 528, 529, 600 Tragik 66 vs. Referenz 150 Zwangssemiogenese, Perser 217 signum (lat.) 156, 548, 666, 729 astronomisch-kosmologisch 550 kriminologisch-diagnostisch 549 metatheatralisch 548 silberne Latinität 714 Simonides 213, 270 Simplikios 40 Singularität siehe Performanz, Transgression ästhetisches Zeichen 154 Ereignis 135 heortologische 492 Kunst 137, 162 Kunstwerk 137, 140, 181 Medea 437 Monstrosität 370 Poetik 99 Poetisches 181 Relevanz 293 Samia 544 Symbolik, Xerxes’ Abtritt 257 Sinn buchstäblicher vs. figuraler 180 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 882 des Kontingenten 238 Existentialismus, Stoa 719 Götter, OT 369 Semiotik 150 Sensualismus 147 Transgression, Etymologie 6 vierfacher ~ der Heiligen Schrift 181 Phaedra 706 Sirius 642 Sisyphos 126, 540 Situation Rationalität 298 Tragik 56, 333, 728 Sitz im Leben 33, 187, 382, 480 Sklaven siehe Aristoteles, Komödie Šklovskij, V. 14, 154, 163, 181, 182, 214, 716 Skylla 172, 475, 727, siehe Monstrum, Odysseus Medea 473 Snell, B. 388, 422 Euripides, Sokrates 433, 594 Medea 421, 426, 429, 430 Schuld 247 Tod der Tragödie 558 Sodomie siehe Pasiphae Sohn siehe Vater Vakanz, Oidipus 342 wird Vater 107, 543 Sokrates (Nicht-)Wissen vs. Oidipus 361 Asebie 498, 501 Dialogfigur 579 Epiktet 570, 574 Gottergebenheit 564 ethischer Intellektualismus Euripides 403, 433, 594 OT 404 Stoa 433, 605, 689, 709, 713 Euripides 482 Heroik 69 Integrität, Apologie 67 Märtyrer 69 Nietzsche Dialektik 96 Tragödie 558 ethischer Intellektualismus 561 Rationalismus 559 OT, Apoll 404 OT, neue Weltsicht 359 Solidarität siehe Frauen Chor, OT 363 Familie, Epos 464 Greise 231 Publikum 544 Solon siehe Kroisos Sommerstein, A. 128, 207, 558 son (frz.) 200 Sonnengott siehe Helios Sophie Scholl - Die letzten Tage Heroik, Märtyrerin 69 Sophistik 497, 531, 733, siehe Euripides A. Schmitt 362 Interkulturalität 515 nómos vs. physis 360, 491 OT 334, 337 physis 508 Platon 297 Sophokles Aias 399 archaische Weltsicht 359 Dramenautor, Metatheater 383 Elektra 194, 399 Figurenzeichnung 504 Komik 564 Metatheater 399 vs. Interdrama, Intratheater 194 Phaidra 581 Philoktet 384, 399 Tragik, soziale Integrität 73 Schicksal, dämonisch 365 Tod, Ende d. Tragödie 557 Tyrann 563 Söring, J. 50 Sosia siehe Identität, Merkur Souriau, É. 15, 50, 159, 172 Sourvinou-Inwood, C. 47, 216, 382, 449 Souveränität siehe Agamben, C. Schmitt, Transgression (Souveränität) antike Psychagogie 85 Ausnahmezustand 493 Böses 689, 714 Dezision 494 Differenz 494 Götter 403, 551 Interpretation 64 Kreon (Medea) 415 Kunstwerk 453 Medea 410, 419, 432, 436, 444, 479, 730 Iason 452 innere ~, Verlust 425 interdramatische Symbole 446 intrapoetische 453 Intratheater 410, 442 Sprache 437 Transgression 437 Inszenierung 477, 479 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 883 metatheatralisch, untragisch 76 mythopoetische 408 Oidipus Dämon, Metatheater 390 Gottheit, Dämonie 366 Intratheater 393 Richter 372 Sphinx 337 Sprache 321 Transgression 403 Phaedra 653, 687, 688, 712 Aneignung der transgressiven Leidenschaft 689 Metatheater 668, 686 Ritualverschmelzung 655 Transgression 591 poetische 383 Seneca 713 soziopragmatische 383 Stoa Subjekt 570 Zustimmung, Leidenschaften 573 Theseus 659 Tragik 51, 55 sozial Hochgestellte 567, 593, 605, 701 sozial niedrig Stehende 226, 606 Integrität Transgression 18 soziale Einbettung (des Menschen) OT 291 Stoa 613 Tragik 57, 62, 85, siehe condicio humana OT 341 Vernant, Aristoteles (zôon politikón) 341 soziale Funktion 171, 414 soziale Isolation Amme (Phaedra) 608 Medea 476 Oidipus 341 Pentheus 512, 519 soziale Position 171, 255, 294, 309, 352, 426, 510, 528, 541, 610 soziale Rolle 24, 25, 551, 721, siehe Performanz Epiktet, Panaitios 569 Figur 170 Oikos, Polis 170 sozialer Kontext 9, 52 Sozialgeschichte 25, 73, 75 Spannung 100 Sparagmos 142, 497 Bakchen 523, 530 Girard 143 Phaedra 658, 670 Sparta 212, 339, 351, siehe Opfer, freiwilliges Gerontokratie 267 spatial turn 18, 173 spectaculum 703 Speer siehe Lanze Sphinx Autoritätsrestauration 365 Monstrum 299, 347 bimorph 337 Lévi-Strauss 292 Oidipus Rationalität 338 Sieg 170, 332, 337, 361 Rätsel 289, 296, 329, 337, 345, 347, 747 Rettung der Polis 299, 337 Rhapsode, Metatheater 380 sphragís 498, 532 Spiel siehe Intratheater, Lustspiel, Metapher, Raum, Schau(der)spiel, Schauspiel, Satyrspiel, Trauerspiel Dionysos 513 ethnische Alterität, Perser 281 Identität, Metatheater, Komik 548 Medea 480 Mimesis (OT) 399 nah u. fern, eigen u. fremd 204 Phaedra 636, 688 Raum, Theater 174 Ritual, Innovation, Improvisation, Mimesis, Repräsentation 140 Seneca, Leidenschaften 713 Transgression 704 über die / mit der Grenzüberschreitung 743 Spiel im Spiel siehe Intratheater, Metatheater Spieltheorie 44 Aristoteles 113 Spielzeit siehe Zeit Spoerl, H. Feuerzangenbowle 551 Spontaneität Seelenregungen 626, 708 Sprache 588, 722, siehe Kommunikation, Unsagbarkeit Dionysos 526 Doppelbödigkeit, Brüchigkeit 166 Funktionieren 207, 373 Ionesco, Seneca 718 Irrationalität, Schleiermacher 162 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 884 Kern des Dramas 160 Kontrolle Medea 438 Oidipus 321 Phaedra 645, 653 Raum 468 Souveränität, Medea 437 Sprachkunstwerk, Sinn 150 Subjekt, Objekt 526 Subversion, Medea 418 Suggestivkraft 260, 264 Tragödie vs. Epos 167 Un/ Bewußtes 526 Sprachfunktion 164, 351 poetische 183 referentiell vs. appellativ 349 Sprachkunstwerk 9, 90, 138, 150, 151, 158, 162, 181, 284, 546, 723 Metatheater 736 Sprechakt Drama 155, 330 Metadrama 192 performativ 135 phonetisch 726 Sprechaktem 159 Sprechakttheorie 11, 24, 135, 155, 158, 401, 653, 669, siehe Illokution, Perlokution Parallelität d. Transgressionen 726 rhetisch, propositional OT 349 Tragik 83 Sprunghaftigkeit Charaktere 714 Dramaturgie 694 Phaedra 634 Figurenrede 626, 709 Irrationalität 685 Handlung 616, 626, 697, 710, 714 Ovid 59 Phaedra 608 Seneca 626 Theseus 637, 644, 693 Transgression 628, 630 Spur (OT) 290 Stadt siehe Polis Staiger, E. 9, 99, 101 Staley, G. 566, 628, 629, 680, 686, 712 Stallybrass, P. 37, 110, 674 Stammesgeschichte 1, 33 States, B. 153 Materialität 154 Statue 157, 557 Hippolytus 705 Staunen Fremder 270 Metatheater, Philosophie 188 Monstrosität 628, 640 Steiner, G. Tragik 51, 568 Stendhal 264 Spiegel 281 Sterne Amphitruo 550, 551 Oidipus 345 Zeichen 356 Sirius 642 Stier Bakchen 513 Euripides’ Hippolytos 640 Jupiter 601 Meerungeheuer 628 Pasiphae 593, 601 Sexualmetapher 650 Stoa 575, 650 Stierle, K. 40, 87 Stilistik (des Dramas) 7 Stimme 330, siehe Bachtin, Mersch antikes Drama 160 Introspektion 423 Medea 411 Kinder, Transgression 439 Theater 157 Stoa siehe diastrophê epi tên diánoian; Affekt, Inzest, Kannibalismus, Oikeiosislehre, Pädagogik, Theodizee ~rezeption, Tragik 102 Angst 387 apátheia 611, 641 Apoll, Laios, Oidipus 333 Determinismus 102, 701 Devianz, Verinnerlichung 568 Dichtung, Emotionen 585 Emotionsästhetik 586 Erröten 680 Fortschreitender 334, 708 Gott Angleichung 676 Ergebenheit 595 Gerechtigkeit 351 Götter 568, 701 hamartia 114 katálêpsis 150 Kontingenzen ertragen 569, 606 Euripides’ Hippolytos 606 Mark Aurel 572 Verlust Angehöriger 614 Kynismus 568, 569, 570 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 885 Logos ~Pantheismus 103, 613, 682 göttlicher, menschliche Teilhabe 567 Sympatheia 568 Mantik 569 Materialität 712 Mensch vs. Tier 592 Natur Physidizee 699 Richtschnur der Lebensführung 613 phantasia 147 prépon 685 propátheia 679 Psychologie 563, 604 pyr technikón 699 Schicksal Akzeptanz 339, 567 Ergebenheit 383, 595 Schlechtigkeit meiden 609 Selbstmord 607 Semiotik, phônê 712 Seneca, ästhetisch Böses 714 Theater 571 thymós 431, 574 Toleranz f. Integritätsverletzung 326 soziale 569 Tor 334, 573, 592 Mehrheit 707 Wahnsinn 661 Tragik 561 innere Freiheit 563 Tragödie 566 Transgression Bewertung 568 Tugend ~drama 575 Phaedra 706 Wissen 574 Verzeihen 623 Vorsehung 102, 103, 702 Weiser Amme (Phaedra) 608 hybris 569 kein Sinneswandel, Theseus 644 Phönix 340 Selbstverstümmelung 340 Tragik 74, 339 Weingenuß vs. Rausch 672 Zustimmung, furor 661 Willensfreiheit vs. Determinismus 103 Zustimmung 333 Leidenschaften 573, 588, 604, 708 ästhetisch Böses 689 stoich- (Perser) 206 Strauss, B. 26, 632 Stringenz siehe Handlung Struktur 23, siehe Handlungsstruktur Dramentexte 9 Kritik 13 Performanz 23 Tragik 62 vs. Individuum 537 Struktur vs. Konjunktur 23 Ambivalenz, Binnenhermeneutik 165 Senecas Phaedra u. Philosophie 707 Tragik 54, 55 Rollenfehlperformanz 341 Transgression 54 Strukturalismus 35, 39, siehe distinktiv, Identität durch Abgrenzung, Minimalpaaropposition Aristoteles 112 Grundbegriffe 5 literarischer 180 Literaturwissenschaft 744 Mythenforschung 98 Orientalismus 211 Radke 484 Raummodell 38 Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft 185 Subjekt 44 u. Postmoderne 17 strukturalistische Dramentheorie 12 strukturalistische Poetik Schematismus, Formalismus 183 Wiederholungsfiguren 155 strukturalistische Semiotik 5, 7, 10, 11, 17, 25, 65, 110, 112, 144, 146, 168, 197, 200, 401, 745 Orientalismus 207 Subjekt, Objekt, Transgression, Eliminierung, ethnisch-kulturelle Differenz 216 strukturalistisch-semiotische Poetik 12 Strymon 222, 224, 514 Stück (Theater~) 129 Stummfilm siehe Film Styx 665 Subjekt (Post-)Strukturalismus 44 diskursiv-ideologisches, Phaedra 625 dramatisches 27, 61, 736 Agaue 520 Chor (Phaedra), Kreon (OT) 657 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 886 Dionysos 536 Iason 460 Medea 460 Oidipus 291, 372 Pentheus 519 Theseus 658 Foucault 37 Götter 222 grammatisches 424 Medea 425 Hermeneut 183 kognitives Medea 425 Oidipus 310, 402 literarisches 24 moralisches Gattin 479 Performanz durch ~ 23 personales 602 Postmoderne 735 Psychagogie 85 rationales Oidipus 361 Xerxes, Oidipus 247 soziales 416 Xerxes 251 tragisches 50 Typen ~ Integrität 61 Völker Asiens 222 vs. Objekt Homoerotik 226 Subjekt, ethisch-rationales 81, siehe Anagnorisis Agaue 520 Euripides 594 Hippolytus 615 Medea 463 Pentheus 503, 505, 519, 532 Phaedra 692 Tragik 55, 728 Medea, Selbstaufhebung 429 Oidipus 338 Performanz 400 Aufhebung 56 Transgression 725 Xerxes 240, 248, 254, 729 Subjektivierung 27 Substantialismus 746 Substitution 252 Aias 514 Blick, Sprache 440 dramatische Fiktion 133 Eliminierung 451 Amphitruo 553 Heer 258 Fetischismus 619, 652 Isaak 62 Opfer 137, 435, 530 Pentheus, Dionysos 513 Phallos 474 Schwert 649 väterl. Fürsorge, Hippolytus 617 Zeichen 146, 161 Substrat siehe ritualmythologisch mythengeschichtliches 374 Subtext 239, 518, 653 interdramatischer 620 psychoanalytischer 10 religions- und mythengeschichtlicher 721 transgressiver 414 Subversion 79, 168, 242, 270, 463, 584, 590, 607, 613, 674 Dionysos 526 Iason 458 Ironie 109 kosmische Ordnung 468 Medea 460 Nomos u. Logos 414, 450, 479, 590 metakomische Transgression 534 Metatheater 381, 662 Mythopoiesis 463 Normen 541 Orientalismus 210 OT, Theatralität 192 Rausch 524 Rollen, Patriarchat 669 Scheingüter, Semiotik 712 soziale Ordnung 415 Sprache 635, 718 Medea 418 Symbol 149 vs. Komik 109 Sühneopfer siehe Eliminierung Sujet siehe Handlungsstruktur Sündenbock 143, 258, 286, 354, 372, 375, siehe ágos, pharmakós, Vernant Oidipus Girard 375 Vernant 375 Xerxes 258 Suprasubjekt Figuren 27 Gewalt 287 Götter 103 Dionysos 502, 531 Oidipus 365 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 887 Tragik, Wertesystem 63, 81, 215 Transgression 454 Zeit 323 Suprasystem siehe Götter Polis 538 Religion 352 Tragik 51 Surrealismus 183, 185 Susa siehe Perser extradiegetischer Raum 259 Massenhochzeit 263 Susanne im Bade 263 Suspendierung siehe dionysisch komische 106 Komödie 107 Syllogismus siehe Aristoteles Symbol 162, 180 Ambiguität 180 ästhetisch 156 Meerengenüberschreitung 216 Mersch 148 Ritual 137 romantisch 161, 162, 163 vs. Mimesis 50 Zeichen 22 symbolon Aristoteles 132, 144 Medea 417 OT 290, 299, 345 symphorá 369 Symplegaden 452, 458, 473, 475, 746 meta-space 468 Synästhesie Medea Opfer 140, 439 Transgression 439, 446, 727 Transgression 18 synchron 69, 493, 711, 734, siehe diachron Dramenanalyse 9, 721 Scham- und Schuldkultur 32 Willensschwäche 427, 595 Synekdoche 317, 376, 469, 475, siehe mise en abyme Synonymie Figuren 25 Perser 553 Rollen 351 syntagmatisch 5 Diptychon, OT 289 Drama 588 Erzählung, Perser 207 Figuren 25 Figurencharakterisierung 694 furor 666, 710 Geschehen, Paradoxie 685 Handlungen, Aktem 158 Handlungsstruktur 11, 14 Identität, Saussure 146 Iteration 107 Jakobson, poetische Sprachfunktion 183 Medea, Verrat 415 Mythos, Aristoteles 112 Permanenz 43 Plötzlichkeit, parole 100 Rede im Drama 27 Ritual, Intratheater 257 Schauspieler 380 Szene 197, 249, 698, 705 Tragik 79 Medea 432 Transgression 19 Wortfolge 525 Synthese dionysisch, apollinisch 525 Hegel, Pascal 87 Kommos, Xerxes, Chor 254 Oidipus, Chor 360 poetische Transgression 163 System 23, 134, 187 Figurenkonstellation 24 kognitiv-emotionales 44 Komödie 270 kosmologisches 44, 231, 551 kulturelles 491 politisches 222 Perserreich 271 religiöses 491 semiotisches 17 soziales 26, 42, 142, 341, 538, 722 soziokulturelles 43, 44, 142, 551 Sprach~ 19 Stoa 712 Szondi, P. 49, 53, 115, 180, 340, 346, 349, 745 Dialektik 91 Peripetie 91 Tragik 83, 89 Umschlag 91 T Tabu siehe Transgression (Tabu) Annullierung 445 Inzest 19, 37, 292, 593, 621 Mutter 250 Primaten 325 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 888 Inzest, Tötung des Vaters 466 Kindestötung 405, 480 Komik, Sexualität, Gewalt 109 Körper 109, 536 Mutterinzest, Kannibalismus, Stoa 568 Ritual 137 Sprache 305, 582 Zielpublikum 28 Tacitus Dialogus de oratoribus 559 Germania 511 Tagesfrist 476, 620 Talion 327 Tanais 621 Tantalus siehe Seneca (Thyest) Tanz 159, 160, 278, siehe Bruch(stück), Chor, Chor (OT), Zeichen, ästhetisches Bakchen 492 Perser 266 Samia 545 Taplin, O. 108, 184, 193, 256, 257 Tastsinn siehe Haptik Medea 439 OT 392 Tatbestandsirrtum, erlaubter 355 Tausch siehe Austausch teach (engl.) 158 Teichoskopie 210, 642 Teiresias siehe Autorität, Kostüm Chor 362, 363 Dialogik 360 Dionysos, Sorgenlöser 527 Etymologie, Zeichen(an)deuter 345 Göttliches 346 Intratheater 496 Kadmos Kithairon 529 Kreon 83 mantische Ekstase 522, 524 Oidipus 136, 289, 298, 301, 303, 304, 307, 309, 310, 313, 315, 317, 322, 332, 360, 361, 364, 368, 370, 374, 375, 380, 402, 404, 413, 518 ~ Agamemnon, vs. Kalchas 371 Mörder des Laios 303 Rollenverkehrung 385 Schicksalsmacht 367 Opponent (OT) 291 Pentheus 490, 508, 510, 513, 524, 531 Sturz des Sehersitzes 510, 527 Rationalität 485, 524 Sehen (OT) 389, 392 vs. Oidipus, Kreon, Pentheus 510 Telemach 220, 414, 617 Telephos 115 Telos 592, 602, 614 Tempus siehe Plusquamperfekt téras 345, 350, 640 terror ~ Persicus 223 Phaedra 641 Terror 708 Bakchen 515 Medea 467 Tesnière, L. 4 Teuber, B. Nicht/ Darstellung 34, 142, 325, 384, 435 Opfer 141 paraskeuê 427 Transgression 141, 408 Bataille 33 Texas 328 Text Erwähnung im ~ Maßstab d. Existenz 325 kultureller 20 literarischer vs. historischer Kontext 721 Literaturwissenschaft 9 Textkritik siehe furor (vs. favor), Phaedra (Zuweisung v. Versen zu Figuren) Athetese Schluß (OT) 381 Schlußworte d. Chores Medea 449 OT 381 Thanatos siehe Eros Theadrama 4, 158, 160 Theadramem 160 Theater siehe Mimesis (Theater, Gesellschaft), Präsenz Abstand 740 absurdes 84, 101, 188, 450 Seneca 717 Bild 155 Bild, Film 148, 157 Distanzierung Emotionen 684 dramatisches 11, 229 episches siehe Brecht Perser 229, 250 explorativ-experimentelles Laboratorium 174, 282, 425, 579, 609, 678, 707 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 889 ethnisch-kulturelle Alterität 212 integrierendes 724 Leitgattung 1 Lockerung d. eigenen Grenzen 743 Mimesis 11, 157 optisch 158 Optik 147, 148, 149 Topologie 173 Präsentation der Schauspieler 161 Raum, Figuren 173 Religion 740 Scham 302 Schauspiel 4, 18, 190 Bild 148 Emergenz 163 vs. Drama 4, 5, 154, 155, 159, 161, 169, 170 Metatheater 190 Substitution 133 Wort 30, 130, 134 Theatralik Barock-Manierismus 653, 715 Ostentation 149, 729 Phaedra 684, 714 Phaedras Selbstmord 667 Theatralische, das 100, 130, 148 Emergenz 163 Theatralität ~bewußtsein, Senecas Figuren 191 Dramentext 190 Katharsis 580 Metatheater 192, 399 metatheatralisch 689 Metatheatralität 385 Ostentation 710 Transgression, Monströses 711 Performanz 134 Psychagogie 570 Ritual 21, 140 Senecas philosoph. Schriften 562 stoische Psychagogie 570 Zeigen 148 théâtre de la cruauté 97 Theatrem 159 theatrum mundi 703 Apoll (OT) 383 Metapher, Welt als Bühne 163 Platon 561 Stoa 383, 567, 571, 575 vs. Metatheater 187, 571, 717 Theben siehe Athen Themistokles 246, 268, 271 Theodizee 283, 351, 358, 555, 569 Phaedra 602, 701 Seneca 699 Stoa 700 Theognis thymós 423 Theonomie 220, 221, 224, 230, 234, 237, 269, 277, 280, 497, siehe Nekromantie Theophanie 488 Cambridge Ritualists 139 Theseus 202, 231, 244, 259, 296, 458, 584, 593, 599, 633, 667, 685, 696, 699, 723, siehe Hippolytus, Phaedra, Sprunghaftigkeit Aigeus 632 artifex 704 Bühnenidentität u. -existenz 719 Exaltiertheit 639 Fluch 623, 631, 637, 662, 699 furor 592 Rolle d. Götter 702 Seneca vs. Euripides, Racine 638 Unkenntnis 434 Hippolytus Auftritt n. H.’ Abtritt 632 erschafft H.’ Leib wieder 705 identischer Schauspieler 632 physische Integritätsrestauration 654 Reaktion auf H.’ Tod 644 Verhör 633 ira 623, 641, 678 katábasis 591 tot 596 künstlerisch-rituelle Führungsposition 657 Medea 453 OC 443 Orakel 171, 596 Reue 683 diskrepant 693 Gunst d. Götter 700 Rückkehr 508, 609, 623, 632, 659 infernalisch 626 Unterwelt vs. Orakel 664 Unterwelt, verfehlt 666 Semiotik 632 Trug 583, 636, 644 Unterwelt Schrecken 664 vs. Calderón 76 vs. Oidipus 636 Thespiskarren 282 Thessalien 663 thoúrios 243 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 890 thrênos 693, siehe Xerxes (éxarchos thrênou) Thukydides 202 habrosynê 210 Melierdialog 209 pleonexia 211 Vorherrschaft über Griechenland, Perserkriege 209 Thyest 115, 436, siehe Seneca thymós Achill 67 Archilochos 423, 429, 603 Epos, Einzellyrik 423 Heraklit, Theognis 423 Medea 29, 412, 421, 424, 434, 472 dämonisch 449, 603 Epiktet 574 Handlungsstruktur 692 Iason 417 Ilias 452 Legitimität 430 männlich, Transgression 410 männlich-heroisch 459 Perversion 462 Sieg 426 soziale Integrität 430, 465 spaltet Selbst u. Rede 414 sprachliche Distanzierung 433 Subjekt 427 Transgression 103, 660, 690 Opfer der Kinder 436 vs. Verstand 594 Wahn 456 Oidipus 314 Perser 254, 268, 282 Stoa 431, 574 timor 591 Timotheos 693 Tod des Autors 27, 185 Vernant 165 Too, Y. L. 580 Topologie 669, siehe Handlungsstruktur (Topologie, Transgression), Transgression (topologische) Aporie 355 Ästhetik, Transgression vs. Devianz 182 Bakchen 490 Dreiweg (OT), Paradoxon 343 Eliminierung 506 Metatheater 259 Perser 203, 257 Raum 178 Ritual 140 Theater 173 Transgression 37, 173, 618 Exotik 637 OT 355 Ritual 138 Transzendenz 17 Totalitarismus 67, 494, 510 trace 23, 147, 157, 290, 745 Trachinierinnen 111, 289, 318, 330, 436 Deianeira 121 hamartia 123 hamartia 401 tragic flaw 32 Tragik 86, 728, siehe Aristoteles, Aufhebung, Eliminierung, Handlungsmerkmal, Hegel, Intention, Paradoxon, Performanz, Perversion, Schuld, tragische, Situation, Transgression, tragische ~ Aristoteles, hamartia 125 ~ Morphem 159 Adverb 79 Agaue 520, 731 Alcumena 554 Alltagssprache 46 äußere Merkmale 56 Autoreferentialität 50, 67, 79, 80, 87, 100, 318, 407, 457, 644, 655 Genus verbi 80 Selbstvollzug, Selbstschädigung 85, 429 Autoreflexivität 457 Bakchen 502 Barthes 167 Demokratie 67, 735 Dionysos (Bakchen) 502, 730 Dramem 160 Entwicklung im antiken Drama, kulminiert in OT und Medea 740 Etymologie, Hethitisch 48 Forschungsgeschichte 49 Forschungsperspektiven 747 Geschlechterfluch 243 Handlungsalternativen 105 Handlungsstruktur 54 Bakchen 502 ethisch-rationales Subjekt 55, 86 OT 338 Pentheus 519, 532 Hegel 59 Medea 407, 429, 432, 457 OT 403 Pentheus 510, 512, 516, 730 Phaedra 691 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 891 Religion 78, 245 vs. Bohrer 99 Xerxes 240, 244 Historisierung 52 Ich 428 Ilias 687 Kontingenz 85, siehe Intention Dysfunktion 56 Handeln d. anderen Figuren 57 Hinzutritt oder Fortfall einer Figur 65 innere vs. äußere 85 Performanz 62 untragische Defekte 56 Kontingenzerfahrung 106 Aprosdoketon 78 Medea 61, 343, 419, 427, 432, 457, 479, 731 bewußter, innerer Souveränitätsverlust 425 Ich, Subjekt 428 gender, Strukturalismus 461 Monosemie 62, 163 moralische Integrität Schiller 58 Szondi 91 Nationalsozialismus 67 Nietzsche 96 Oidipus 340, 343 Identität 295 Vernant 375 Oidipus, Laios 353 Pentheus 503 Reduktion d. Ambivalenz 528 Perser 240, 247, 281 Phaedra 689 Philosophie 52 physische Integrität Verwandter 82 vs. eigene 70 vs. moralische Integrität 85 vs. soziale Integrität 73, 246, 338, 730 vs. soziale u. moralische Integrität 66, 407, 463 physische vs. moralische Integrität 86, 91 Medea 463 Psychologisierung 421, 479 Retardierung 313 Schicksal 85 soziale Integrität 121 Stilmerkmal 46, 57, 101 Epiktet, Seneca 570 Ps.-Longin 696 Subjekt, Objekt 419 Tragödie attische ~ vs. moderne Theorie 735 außerhalb der ~ 49, 59 Vorkommen 729 Transgression 194, 215, 728 ohne ~? 455 Transgressor dramatische Funktion 172 Vernant 165 Verschwinden 557 vs. Absolutismus 241 vs. Abwertung des Gegenstandes 212 vs. antike Psychagogie 85 vs. Demut 73 vs. hamartia, tragische Schuld 53 vs. individuelle u. soziale Besserung 716 vs. Komik 554 vs. Nihilismus 49, 719 vs. Peripetie 93 vs. stoische Souveränität 708 vs. Theoideologie, Bakchen 521 vs. Tragödie 46, 54, 240, 340, 728 Vorkommen 47 vs. Vernunft 482 Wahl 85 Tragik (Subjekt) Aufhebung Integrität 86 vs. Postmoderne 735 Dysfunktion 55, 81, 86, 120, 503, 510, 519 ~ hamartia 126 ethisch-impulsive 430 Selbstaufhebung 429 Objekt 85 Performanz, Negation 353 Selbstaufhebung 78, 432 Integrität, Performanz 63, 728 kontingente Situation 333 Performanz 56 Tragikomik 313, 495, 500, 555, 742 Tragikomödie 548, 552, 553, 619, 676 tragische Ambivalenz siehe Vernant tragischer Held 46, 241 Aristoteles 46 vs. Figur 46 vs. stoischer Weiser 339 Tragödie siehe Gattung (Tragödie), Tragik vs. Tragödie affirmativ 732 Alltagssprache 46 altes Indien 80 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 892 Desintegration, Pathos, Rhetorisierung (4. Jh.) 714 Eliminierung 40, 240, 454, 722, 729 4. Jh. 558 Entstehung 47, 139 Epiktet 563 Etymologie, Bock 47 Fallhöhe 269 Gerichtsrede 372 Medea, Schöpferin 465 Polis Bezugsrahmen, Sophokles 292 Produktion, 5. u. 4. Jh. 1 Reflexion Seneca 714, 718 Reflexionsmedium 484, 733 Tod. d. ~ 558 Trauer, Begräbnis, (Selbst- )Verbannung 728 Trauerritual 258 vs. Politik 733 Widersprüche 72 Wiederaufführung 557 Wunderbares, Aristoteles 532 tragoûdi (ngr.) 571 Transgression 631, 721, siehe Binnenhermeneutik, Charakter, Eliminierung, Gewalt, Handlungsstation, Identität, Penetration, Poetik, Ritual (Post-)Strukturalismus 4, 35 ~ Verletzung (Hegel) 59 Abstraktionsprozeß 726 Affekt 74, 597 Dreiwegmassaker 326, 355 Medea 521 Phaedra 615 Ambivalenz 618 Angst Oidipus 297, 314 antiker Begriff 15 aprepés 685 Ästhetik siehe Ästhetik, Film, Optik autopoetisch 340 Autoreferentialität 373, 457 beendet Intratheater 414 Begriff 5, 17, 21, 35 Bruch(stück) 18, 724 Brüskheit 305 chronologische 551 Differenz 37 dionysische 48 OT, Zecher 350 Diskontinuität 18 Drama 17 durch Transgression kaschieren 633 Entstehung 25, 722 Entwicklung im Drama 726 Epos soziale Integrität 18 Ereignis 136 Ritual 140 Ethnologie 725 Ethnologie, Soziologie vs. Literaturwissenschaft 22 factum brutum 54, 125, 253 Faktizität 37, 54, 353, 373, 378, 409, 500, 725 Relevanz, Eliminierung vs. subjektiver Faktor 355 Funktionsweise 22, 39 Gattung Komödie vs. Tragödie 108 genealogisch 21 geographisch 222, 243, 260, 408, 659 geographisch-militärisch 216, 236, 348, 641, 738 göttliche Sanktion 447 Grenze Affirmation 280, 450, 553 gender, Medea 459 Etablierung 497 Gattung, Metatheater 552 Geschichte d. antiken Dramas, vs. Souveränität 742 Tragik 63 Handlung 725 Handlungskontingenz 236 hodologisch 643, 723 in/ kriminologisch, Phaedra 631 Individualität 37, 394, 445 Innovation 245 Integrität 6, 17 interdisziplinärer Dialog 22 Foucault 35 Komik, Kalauer, Zote 109 Kontingenz 136 Kunst 181 Linearität 18, 28, 724, 728 literarische 213 Literaturwissenschaft 19 Lyrik 18 metakomische 534 Opfer Medea 437 Oppositionen 215 Parallelvollzug 726 Pentheus 489 Faszination 526 perruptiv, Perser 206 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 893 Phaedra erotisch 653 Vereitelung 607 Wissensvorsprung 645 Postmoderne 16 Postmoderne, Metatheater 184 Psychologisierung 408, 421, 424, 479 Raum 172, 724 Schauplatz oder Reflexionsort 724 religiöse 352, 353 Agaue 521 Bakchen 486 Medea 436 OT 357 Pentheus 491, 513, 516, 519 Binnenhermeneutik 498 Waldgang 516, 529 Riß 17, 724 Ritual, Opfer 137 rituelle 529 Schrecken, Trauerritual, Epiphänomen 258 Schuldkultur 725 Semiotik, Amphitruo 548 Singularität 36, 136, 331, 464, 477 Darstellung 437 Medea 445 Oidipus 394 poetische Darstellung 136 Ritual 140, 655 Souveränität 36 soziojuridisch 32, 37, 436, 437, 455, 553, 724 spatial turn 173 sprachl. Konvention, Oidipus 393 Stil, Seneca 684 stilistisch, ethologisch 639 Stoa vs. Kepos 609 Strukturalismus 19 sympotische, Bakchen 517 szenische 213, 215, 272 Tabu 19, 37, 397, 399 Theater 18 topologische 6, 18, 34, 39, 69, 152, 175, 218, 391, 468, 498, 724, 726 Poetik 172 politisch 352 Subtypen 173 Tragik u. Peripetie 93 Typen 17, 32, 408, 723, 726 Perser 280, 726 Umschwung d. Handlung (Bakchen) 513 Unmittelbarkeit 18 Unsagbarkeit 36, 303, 305, 331 Verantwortung 371 Verdoppelung 18 Vitalität 33 vs. Introspektion 425 Wissenschaftsgeschichte, autoperformativ 19 Xerxes 230 Zeichentheorie 162 Zufallskontingenz 236 Zweifel an der Autorität der Orakel 347, 356 Transgression (Darstellung) 28, 194, 408, 727, siehe Bühnenhandlung, Narratologie, Nicht/ Darstellung, Transgression, poetische Medeas Kindermord 435 Narratologie 28 Rhetorik 638 soziojuridische, ästhetische Transgression 35 Stimme 153 Transgression, lokale 14, 219, 280, 355, 485, 529, 553, 593 Grenze 723 katábasis 534, 591 Raum 172 Transgression, poetische 24, 29, 128, 200, 384, 398, 446, 454, 724, siehe Metatheater, Zeichenbegriff, poetischer antike Dichtungstheorie, Aufstieg zu den Göttern 674 Darstellung der sozialen Tr. 99, 181 Metatheater 194 Intertextualität 229 Metapher 181 Nietzsche 96 Oidipus 393 Perser spielen in Susa 213, 215 Raumschaffen 36, 722 Transgression, sexuelle 77, 109, 138, 302, 377, 509, 543, 591, 593, 634, 637, siehe Monstrosität Alcumena 549, 742 Bakchen 508 Dionysos (Bakchen) 486 Eliminierung 554 Exogamie 544 Götter Amphitruo 740 Hippolytus 648 Objekt 623 Kindestötung 339 Monstrum 79 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 894 Mutterinzest 325 Oidipus Subjekt 623 Pasiphae 653 Phaedra 631, 645 Libido 668 Metatheater 662 Samia 542, 545 Transgression, soziale 14, 34, 35, 36, 96, 98, 163, 184, 194, 217, 329, 332, 348, 352, 353, 356, 357, 382, 454, 479, 524, 546, 556, 588, 591, 593, 723 Komik 38 Medea, Opfer 409 Oidipus 355, 466 Intratheater 397 szenische Eliminierung 399 weibliche Rollen 506 Transgression, tragische 6, 32, 40, 41, 46, 47, 54, 55, 62, 67, 70, 81, 92, 119, 142, 521, 523, 728 ~ hamartia 125 Antigone 69 Epiktet 569 Medea 433, 456, 479 Oidipus 380, 396 Pentheus 503, 510, 512 Wagen 535 Xerxes 217 Herodot 246 Transition 472 vs. Transgression 17, 34, 36 TransSkandenz 17 Transszenierung 213 Transzendenz Dareios 271 Dionysos 491 Introspektion 425 mentale 524 Transgression 230 vs. Immanenz 545 vs. Transgression 17, 174, 182 Trauer Amme (Phaedra) 665 Chor, Perser 273 Chor, Xerxes 254 Eliminierung, Integritätsverletzung, Transgression 200 gemeinsame der literarischen Figuren 129 Männer, Tragödie 259 nichtgriechischer Mann 507 Perserinnen 262 Theseus 657, 693 Zerreißen des Gewandes 218 Trauerritual katharsis, Überwindung der psychosozialen Krise 275 Restauration der Ordnung 252 soziodynamische Funktion 257 Tragödie 258 Xerxes erteilt dem Chor Befehle 255 Trauerspiel siehe Perser Traum 374, siehe apollinisch, Atossa ~ göttlicher, Xerxes 245 Triebkontrolle 549, 626 Triptychon (OT) 289 Triumph Chor (Bakchen)? 505 Dionysos 487 Kapital 71 Kunst 713 Medea 412, 417, 420, 442, 453, 479 durch Verstellung über Männer 414 Oidipus 362 Oidipus, Iokaste 357 Pentheus 507 Perser 212, 259, 274 Rom, hominem te esse memento 224 Troizen 655 Trompe-l’œil 168 Trunkenheit 117, 122, 327 Bakchen 517 Seneca, Stoa 672 Tragik 55 Tschechow 11 Tugend siehe Oikeiosislehre, Stoa, virtus lehrbar 594 Tugendhaftigkeit siehe Tragik (moralische Integrität) Tunnel siehe OT Tür Meerengen 469 Öffnen, Oidipus 391 sexuell 470 turn siehe iconic, linguistic, spatial turn Transgression 19 tychê 51, 237, 238, 323 Hellenismus 237, 699 Oidipus 319, 322, 360, 369 Typen siehe Charakter~, Eliminierung, Integrität, Medea (Inthatheater), Meerengen (Transgression), Raum, Subjekt, Transgression, Vernant (Ambivalenz); furor Typenbegriff, sozialer 172 Tyrann 10, 236, 342, siehe Monarch 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 895 Gang zum ~en Epiktet 571 Sophokles, Stoa 563 Stoa 613 Ideologie, athenische u. panhellenische 332 Oidipus 171, 284, 296, 304, 308, 332, 375, 381 Metatheater 383 OT, Chor 442 Pentheus 171 Restaurator der Ordnung (W. Benjamin) 494 Sündenbock 375 OT 354 Sympathien f. Perserreich 209 theatrum mundi 571 Typenbegriff, sozialer 172 Verhaltenstyp 171 vs. Märtyrer 69 U Übereiltheit Oidipus 309, 333, 348 Pentheus 505, 512 Theseus 508, 633, 634, 639, 685, 701 Zustimmung (Stoa) 633 Tor 334 Ubersfeld, A. 15, 161, 174, 291 Materialität 161 ubiquitär 10, 293, 336, 638, 650, 727, 742 Uhlmann, G. siehe Radke, G. Umschlag siehe Aristoteles, Dialektik, Hegel, Szondi Aristoteles 114 Intention 692 Medea 463 Unfreiwilligkeit siehe Oidipus Unmännlichkeit Hippolyt 647 Iason 419, 460 Moschion 544 Pentheus 529 Xerxes 245 Zorn, Mark Aurel 431 Unsagbarkeit siehe Transgression árrhêton 305, 526 Ästhetik 146 Eliminierung, Perser 207 Unsterbliche (Achämenidenreich) 261 unten siehe oben Unterscheidungsmerkmal siehe distinktiv, Minimalpaaropposition Amphitruo, Feder am Hut, Götter vs. Menschen 170, 548 Unüberbrückbarkeit 155, 206, 417, 501 Urban II. 279 Urbanität 266, 545, siehe Menander (Samia) V Vagina dentata 378, 473, 518, 649 Vakanz 105 Agamemnon 665 Monarch Xerxes 244 Patriarch 202 Oidipus 342 Theseus 616 Xerxes 251 Perser Begleiter 257 Heer 252 Männer, Perserinnen 263 Sohn Oidipus 341 Theseus 24, 665 Varro 70 Vater biologisch, sozial 543 Mord 37, 136, 287, 289, 295, 306, 307, 326, 331, 332, 334, 338, 349, 351, 356, 363, 377, 385, 394 Position 26, 66, 138, 170, 244, 305, 309, 342, 343, 492, 722, siehe Verdoppelung Komödie vs. Tragödie 106 OT 284, 287 vs. Mutter, Bühnenpräsenz 722 Vater - Sohn 26 attische Gesellschaft 26, 632 Fehldeutung v. Zeichen, Transgression, Eliminierung 632 Hippolytus, Theseus Annullierung d. Unterschieds 617 physische Ähnlichkeit 618 vates 674, 745 vaticinium ex eventu 225 Venus siehe Aphrodite Ver/ Lachen 534 Kreon, Oidipus 373 Medea 465 Pentheus 497, 511 Verantwortung 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 896 Aphrodite, Phaidras Leidenschaft 688 Aristoteles, Differenzierung 117 Iokaste 377 Kausalität, Aufgabe der Problemlösung 371 Medea 444 menschliche Schlechtigkeit, Stoa 568, 573 Oidipus 371, 443 Phaedra 655 Xerxes 249, 252, 738 Mitleid 272 Uneinsichtigkeit 252 Verantwortung, individuelle Aischylos 211 Aristoteles, juristische Kasuistik 31 Oidipus 324, 354, 365 Perser 237 vs. Metatheater (OT) 400 Xerxes 234, 243, 264 Verblendung siehe atê Agamemnon 240 Agaue 521 Aischylos 731 Bakchen 530 gottgesandt 709 Pentheus 494 Chor (OT) 363 gottgesandt 408 Tragik 78 Xerxes 726 Oidipus 304, 305, 312, 335, 414 Iokaste 357 Pentheus 503 Tragik, Demokratie 735 Wissensvorsprung d. Zuschauer 501 Verdoppelung 106, siehe Transgression (Verdoppelung) Alcumena 550 Amphitruo 547, 550, 552 Begierde 496 Dramenstoff 189 Figuren 551 Intratheater 193 Komödie Position pater familias 107, 543, 555, 722, 728 Person 107 Kunstwerk 741 Medea 412, 457, 555 Reduktion 457 Meerengen 469 Metatheater 185 Sonne, Bakchen 495 mimetische 457, 459, 548 Nacht Amphitruo 555 Seneca 676 OT 391 Religion 740 Ritter 533 Teiresias, Apoll 301 Transgression, Eliminierung 618 vs. Eliminierung 550 vs. Iteration 107 Zwillingsgeburt 555 Verfremdung siehe Fremdheit (Perser) ~seffekt (Brecht) 716, 717 Bühnengeschehen 685 Tragödie, Mythos 536 Figurenrede 685 Maske 169 Perser Athen, Barbaren 267 Athen, Demokratie 210 Außenperspektive 269 Griechen 278 Trauer 276 russ. Formalismus 163, 182, 214 Seneca 717 States, Theater 154 W. Falk, Darstellung von Potentialität 180 Vergados, A. 182 Vergangenheit 199, siehe Gegenwart Griechenland 235 Iason 473 Medea 461, 466 OT 14, 93, 288, 294, 313, 371, 402 Identität 295 Transgression 312, 354, 399 transgressiv 318 Perser 206, 209, 257 Dareios’ Erscheinung 229 Tragik, Entscheidung 62 Zukunft 231, 419, 654 Vergänglichkeit 234, 248, 251 vs. Tragik 249 Vergewaltigung siehe Kassandra, Lucretia, Phaedra, Phaidra Mägde, Odyssee 220 Menander 537, 541 Vergil Aeneis 614 Georgica Kahn 602 Romantik d. Landlebens 611 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 897 Seneca 682 vates 674 Verhaltenstyp ethischer 171 sozialer 171 Verifikation siehe Monstrosität (Transgression) Verinnerlichung 110, 642 ästhetisch Böses 546 Devianz, Stoa 568 furor 666 hellenistische Philosophie 546 Phaedra 634, 662 Stoa 561 vs. Formalisierung, Epiktet, Tragik 570 Vernant, J.-P. 138, 283, 286, 288, 295, 327, 356, siehe Recht Ambivalenz Kulturentwicklung 165 Oidipus, Sündenbock 375 tragische, Typen im Drama 165 Zivilisationsgeschichte 59 Königsopfer 374 Kulturevolution 31 soziale Rationalität 726 Oidipus göttliche Attribute 365 liminale Identität 395 Psychoanalyse 377 Religion, Politik, Athen 733 soziale Einbettung des Menschen 341 Sündenbock 69 Tragik 166 Vernunft siehe Rationalität Verstellung siehe Odysseus Amme (Phaedra) 634 Dionysos 513 Medea 410, 415, 417, 419, 420, 442, 635 Odyssee 168, 513 Phaedra 616 vertikal 444, 491, 545, 555, 627, 663 Achse 37, 39, 229, 300, 342, 375, 394, 443, 535, 659, 665, 723, 740 apollinisch anagogisch, furor poeticus 668 Dionysos, Jupiter, Medea, Phaedra 667 enthousiasmós 674 enthousiasmós, Ekstasis 679 Verwandte siehe Tragik, Aristoteles Familie Verweichlichung siehe Orient (Effeminiertheit) Vidal-Naquet, P. 48, 138 videre (lat.) 549 virtus 554, 706, 707 Visualisierung 114, siehe Diegesis (Dreiwegmassaker OT), Dreiwegmassaker (OT) Volksversammlung 30, 372 Voluntarismus, ethischer siehe Willensethik (Seneca) voluntas 605 furor 626, 708 voluptas 554, 703 Vorherwissen siehe Wissensvorsprung göttliches 353 stoischer Weiser 340 Vorvergangenheit siehe Plusquamperfekt (narratologisch) Voyeurismus 97, 412, 425, 467, 544, 623 Pentheus 517, 518 W Wagen Auftritt Atossas und Xerxes’ 219 Transgression, Eliminierung 155, 218, 329, 643, 723 Medea 446 vs. Reittier 535 Wahl siehe Tragik Wahlfreiheit siehe Sartre Phaedra 688 Wahn siehe Agaue, Bakchen, dionysisch, Pentheus Aias 70, 224, 390 göttlicher 731 Ino 461 Mantik 524 Medea 456 Orest, Dion Chrysostomos 569 OT, condicio humana 286, 369 Tragik 56 vs. dämonisch 522 Wahnsinn siehe furor (poeticus), insania antikes Drama 660 dionysischer, Alcumena 554 Epiktet, Tragödien 564 gr. Tragödie 409 Medea, Herz 472 Oidipus 363 Phaedra 592, 618, 620, 633, 667 Phaedra, Stoa 661 Senecas Tragödien 583 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 898 Tragik 64 Wald 669 Wahrheit siehe Oidipus Wald siehe E. Jünger Phaedra, Wahnsinn 669 Walisisch 307 Walther von der Vogelweide 243, 747 Warhol, A. 713 Warning, R. 20, 140, 149, 184, 547, 746 Webster, T. B. L. Diptychon, tragedies of action vs. tragedies of suffering 289 Triptychon 289 Weglaßprobe 77, 460 Aristoteles 112 Transgression 98 Weiche siehe hamartia Weigel, S. 20 Wein siehe Dionysos, Seneca, Trunkenheit Werkästhetik 4, 9, 11, 30, 204, 696, 710, 746 Aristoteles 115, 128 Komik 105 Performanz 135 Semiotik 156 Seneca 671 Tragik 52 Zeichenbegriff 136 White, A. 37, 110, 674 Widerhall 640 Amme (Medea) 411 Erhabenheit, Seelengröße 697 Klageresponsion von Xerxes und Chor 223, 255 Medea 459 Schlacht v. Salamis 223 Widerspruch siehe Tragödie Satz vom ~ 103 Paradox 87 Selbst~, Phaedras Affekt 692 Tragik vs. Dialektik 89 Tragik, Oidipus 341 Überwindung 461 Wiedererkennung siehe Anagnorisis Propp 14 Wiedergeburt siehe Dionysos Wiederherstellung siehe Restauration Wilamowitz-Moellendorff, T. 293 Wilamowitz-Moellendorff, U. 47, 200, 267, 293, 430, 744 Wildberger, J. 567, 603, 605, 676, 686, 702 Wildnis siehe Polis Wille (Seneca) 605, 606, 626 Willensethik (Seneca) 599, 605, 607, 657, 699 Böse 708 Willensfreiheit 2, 51, 92, 103, 283, 286, 353, 357, 701 Medea 432 moralisches Handeln 103 Stoa 592 Tragik 56, 59, 62, 65, 80, 86, 103, 105 Willensschwäche 422, 428, 431, 595 Williams, B. 31, 354, 358, 373, 675 Williams, C. 651 Winnington-Ingram, R. P. 59, 337, 359, 360, 364, 486, 487, 559 Wirkmächtigkeit siehe Götter Wissensvorsprung siehe Götter, Vorherwissen Dionysos 519 Iokaste 317 Klytaimnestra 166 Oidipus’ Mitspieler 304, 319, 322 Phaedra 597 Transgression 645 Prolog, Radke 505 Zuschauer 493, 501 OT 296, 302, 303, 335, 380 Wittgenstein, L. 146, 151 Witz 105, 535 Lastenträger 534 Metakomik 534 Wöhrle, G. 220, 569, 617 Wucherung 92 Rhizom 290 Wunder siehe Dionysos (Bakchen), dionysisch, Kithairon (Bakchen) Wunderbares Amphitruo 555 Aristoteles, Epos, Tragödie 532 Bakchen, Metatheater 496, 532 Würde 57 Menschen~ 74 X Xanthias 534 Xerxes siehe Ideologie, philánthrôpon, Verantwortung Adler 220 Agamemnon 240 Auftritt 219 Abtritt Atossas 250 Lumpen 274 Autorität 231 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 899 Kleider 255 Verlust des Heeres 252 Bild, drei Phasen 234 Chor Einigung 254 Exodos 265 Gewand zerreißen 218 demagogisches Charisma 268 Entzauberung 230 éxarchos thrênou 249, 257 künstlerisch-rituelle Führungsposition 254 Geburtsdatum, tatsächl. Alter 267 Genugtuung, Gesandtenfrevel 69 Heimkehr Nostos 256 Odysseus 256 Jugend 240, 243, 244, 245, 251, 252, 258, 267, 729, 738 Transgression, göttliches Wirken 247 Ungestüm 234, 245, 247, 276, 278, 280, 726 keine Gattin keine Schwester 250 vs. Mutter u. Greise 244 Kind 214 Kleider 255 leerer Köcher 278 Loyalität 231 Mitleid 254, 273 Negativbild 247 nicht tragisch 690, 729 Aischylos 246, 248 sophós 276 Opfer, Tod 257 Rückkehr 202 stürmisch (thoúrios) 243 Subjekt d. Zwangssemiogenese 216 Tempelzerstörung 352 törichte Unersättlichkeit 246 tragisch, Herodot 246 Tyrann 271 Uneinsichtigkeit 252 Verständigung der Alten auf ~ als Sündenbock 258 vs. Dareios 242 vs. Oidipus 241, 246, 250, 371 Wagen, Sturz 218 Zelt 281 Zuschauer 203 Z Zecher siehe OT Zeichen siehe semeîon, signum, symbolon, Arbitrarität, Sterne anthropologisch 66 ästhetisch 143, 164 ikonisch 159 nonverbal Tanz, Skenographie, vs. verbal 152 vs. konventionell 154 dramatisch 161 Lessing 145 Etymologie 156 Fehldeutung Eliminierung (Hippolytos, Phaedra) 632 Transgression, OT 348 für Abwesendes (sprachliches ~) 160 für Abwesendes und Imaginiertes 157 literarisch 9, 34, 66, 136, 217, 262, 345, 736 eikós (Medea) 450 Xerxes vs. Dareios 242 Mann, Iason 460 Materialität 146, 452 Münze, Dareikos und Tetradrachme 270 Performanz 23, 24 poetisch-ästhetisch 150 Prieto, Indices, Signale 147 sprachlich Grundlage d. Dramas 712 vs. materiell 636, 712 Stufung in Theater/ Drama 161 Zeichenbegriff 147, 547 Aristoteles 132, 145 ästhetisch 154 phänomenologisch 146 poetisch 150 transgressiv 147, 149 Peirce Transgression 729 poetisch 64, 162 pragmatisch-instrumentell 154 repräsentationistisch vs. instrumentalistisch 144 Saussure 23, 136 Blatt Papier, Tragik 63 Orientalismus 207, 280 struktural vs. funktional (Peirce) 162 Tragik 728 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 900 transgredierte Normen im Drama 162 Strukturalismus 721 Zeichensystem Bakchen 491 literarisch 132 Tragödie 347 poetisch-ästhetisch 163 soziokulturell 550, 723 sprachlich 137 Basis der Poetik 158 Drama 152 Transgression, Ambivalenz 635 vs. Tanz, Mimik, Gestik 160 symbolisch 1 transgressive Ästhetik 147 Zeichentheorie 138, 143 Lessing 145 Mersch 147 Saussure 63, 162 Derrida 134 Theater 153 Transgression 162 Zeigen siehe Mersch, showing vs. telling, OT vs. Bedeuten 157 zeigen (dt.) 158 zeihen (dt.) 158 Zeit Ausnahme 493 discourse time 28 entsteht durch Veränderung 173 Erzähl~ 288 erzählte 231, 288 gespielte 231, 288 Konfliktlösung, Bakchen 492 Medea 476 Oidipus 322, 364 Perser 206 Phaedra 658 Dominanz 654 Senecas Dramen 599 Spiel~ 288 Sprech~ 544 story time 28 Zeitachse 421, 466 Zeitlin, F. 172, 193, 435, 448 Zenon Determinismus 103 Inzest 568 Kannibalismus 568 Tyrann 563, 613 vs. shame culture 339 Zephyros 264 Zerberus 626, 627 Zerreißen siehe Riß Zeus 95 Adler (Perser) 220, 221 Agamemnon 70 Bakchen 481, 488, 500, 526 Dionysos’ Schenkelgeburt 531 Epiktet 573 Hüter des Gastrechts 62 Iason 447 Medea 447, 449 OT 367 Perser 230, 253, 447 Zierl, A. 297, 303, 327, 328, 338, 352, 540 Zimmermann, B. 46, 47, 242, 306, 307, 368, 589, 601, 694, 700, 710, 713 Zirkulation ~sprozeß siehe Kapital Frauen 431 Zivilisation 342, 511, 529, 723 griechische 212 Karneval, Evasion 545 Körper 109 Monstrum 337 Restauration 88 Transgression, Sanktion, Theseus 637 urbane 494 Vagina dentata 475 westliche, Stoa, Christentum 73 Zivilisationsgeschichte 284, 287, 492, 725, siehe Dodds, Opfer (Tier statt Mensch), Vernant att. Tragödie, Stoa 570 Eumeniden 449, 461 Recht vs. Rache 88 Nietzsche, apollinisch, dionysisch 96 Ritual, Transgression 142 soziale Integrität 75 Žižek, S. 286 zôê 64, 406, siehe Agamben, Aristoteles, Intention, signifiant Märtyrer 68 physische Integrität 64 Zola, E. Etienne Lantier 450 Zorn siehe Achill Aristoteles 74, 117, 119, 123 Poetik 673, 693 Athener, Perser 272 Epiktet 567 Götter 597, 709 Phaedra 687 Hippolytus 623 11. Personen-, Sach- und Begriffsregister 901 Legitimität im arch. u. klass. Griechenland 430 Männlichkeit 460 Mark Aurel 431 Medea 418, 422, 434, 450, 456, 559, 594, s.a. thymós Amme, soziale Ätiologie 605 Transgression 407, 412, 463, 736 Medea (Seneca), Tragödie des ~s 702 Motiv und Movens in der Literatur 660 Oidipus 297, 303, 326 Identität 295 Teiresias 303 Transgression 569, 660, 736 Pentheus 516 Phaedra (Seneca), Tragödie des ~es 702 Samia, Vater 544 Seneca 596, 641, 680 Redner 680 Vergewaltigung 641 Theseus 633, 641, 678 Zote 109, 469, 471, 537 Zuschauer 43, 52, 60, 107, 155, 175, 176, 296, 355, 382, 441, 540, siehe Chor, Wissensvorsprung Amphitruo 549, 552, 554 Aristoteles 694 Bakchen 484, 486, 505 Dionysos 495 Dreiwegmassaker (OT) 330 Frösche 533 Intratheater 172, 496, 544 kritischer Stoa, Brecht 716 Medea 410, 425, 439, 443, 447, 727 Eliminierung 437 Metakomik 534 Metatheater 29, 172, 192, 195, 348, 534, 544, 552 Mitspieler 724 Moschion 544 Mythos, Distanzierung 537 OT 303, 306, 311, 315, 327, 373, 384, 391 Blendung 393 Intratheater 399 Metatheater 381 Mitleid 380 Psychoanalyse 374 Schlußworte des Chores 369 tote Iokaste 389 Perser 204, 206, 241, 272, 273, 276 Phaedra 712 Poetik 41 Psychoanalyse 10 Raum 178 Raum, Theater 724 sichere moralische Urteilskraft, Seneca 683 Theater, episches 716 Xerxes 203 Zwangssemiogenese Amphitruo 553 Perser 216, 218, 245, 280 Zweckrationalität siehe Rationalität Zweideutigkeit 165, 328 Komik 109 Zweiter Weltkrieg 167, 208 Zweiwertigkeit 166 apollinisch 525 Minotaurus 628 Monstrosität 627 Transgression 630 Reduktion, Tragik 528 Zwierlein, O. 598, 599, 616, 651, 655, 657, 700 Zwilling 555 Zynismus 499 Zypern bildende Kunst, mise en abyme 186 12. Index locorum Aischylos Ag. 60-67: 70 68: 70 177: 43, 60, 365, 487 205-217: 53 205-249: 167 206-213: 353 206-216: 441 206-217: 72 207-211: 62 211: 441 212: 62 213 f.: 521 215 f.: 441 218: 211 221: 211 224 f.: 435 228-238: 439 228-241: 101 232: 440 235-238: 439 235 f.: 440 238: 441 239-247: 440 241: 440 242: 440 245: 440 248 f.: 440 265: 78 447-449: 264 689-693: 210, 264 750-771: 92 779 f.: 72 908-974: 166 1006: 78 1380-83: 446 1382-92: 101 1481-96: 101 1560-75: 53 Ch. 696 f.: 243 Edoner TrGF Frg. 60: 261 Eu. 39-59: 727 42: 727 566-799: 88 976-987: 88 1032-47: 257 Laios TrGF Bd. 3 S. 231 f.: 306 Oidipus TrGF Bd. 3 S. 287 f.: 306 Pers. 1 f.: 259 1-245: 204 2: 231, 260 3: 270 4: 270 9: 270 10: 254, 282, 423 12: 265, 268 13: 245 33-57: 208 41: 271 41 f.: 262 45: 270 50: 216 52 f.: 270, 271 53: 269 59: 245, 248 60: 248 65-72: 215 71: 216 72: 216 74: 243 80: 270 93-100: 229, 245, 253 99: 446 100-106: 215 102: 447 102-107: 230 115: 282 119: 228, 279 126-131: 215 132-139: 278 135-139: 251 139: 222, 462 151: 222 152: 271 155-680: 203 12. Index locorum 904 Fortsetzung Aischylos, Perser 159: 270 161: 282 176-200: 218 177: 214 181-199: 553 182 f.: 210 187: 267 189: 214 191: 217 196: 218 197: 214 199: 218 205: 221 205 f.: 738 205-210: 219 211: 214 211-214: 268 213: 253, 271 213 f.: 241 227: 214 230-245: 205, 210, 213 233: 214 233 f.: 209 237 f.: 270 238: 271 241 f.: 241 244: 242 246-906: 204 248: 206 249-514: 160 252: 245, 248 255: 267 265: 412 269: 278 278: 278 290 f.: 282 294 f.: 201 299: 276 302-330: 276 337: 267 352: 214 353 f.: 243 356: 214 371: 271 388-391: 223, 330 391: 267 391 f.: 223 392-395: 223, 330 400: 223 402-405: 216, 223, 267, 279 404: 221 422: 223 423: 267 424-428: 224 425 f.: 224, 452 430: 207 434: 267 450-464: 224 465: 203 468: 218, 255 473: 214 473 f.: 246 473-477: 246 474 f.: 203 475: 267 475-477: 242 476: 214 495-507: 222 497-499: 222 512: 245 514: 447 529: 214 529-531: 256 530: 257 532: 230 537-539: 218 537-540: 263 541: 265 541-545: 262, 278 545: 263 548-557: 213, 234, 239 549: 279 550-552: 255 579: 251 580: 251 584-597: 222 591-597: 199 593: 222 594: 218, 222, 252 595: 225 595-597: 225 596 f.: 224 598-605: 224 606: 224 607-609: 255 609: 214 619-621: 232 620: 241 625: 267 641: 241 658 f.: 232 660 f.: 232 662: 232 681: 231 681 f.: 245 681-851: 203 687: 231 12. Index locorum 905 Fortsetzung Aischylos, Perser 694 f.: 233 696: 233 700 f.: 233 713 f.: 236 715: 236, 258 717: 214 718: 243 722 f.: 215 724: 253 729: 228 730: 228, 279 734: 251 734-737: 260 736: 215 739: 214 739 f.: 230, 447 742: 247 744: 214, 247 744-750: 215, 216 744-751: 243 751: 214 751 f.: 279 753-758: 245 754: 243 757: 246 759-761: 206 762-764: 231 779 f.: 246 782: 214, 243, 245 783: 245 785-788: 246 798: 267 798 f.: 215 803-806: 215 807-812: 215, 352 808: 215 809 f.: 215 809-812: 220 816 f.: 203, 215, 225 817: 227 818-820: 207 818-822: 249 818-826: 207 819: 207 820: 249 820-822: 92 821: 249 825: 253 833: 255 834: 214 834-836: 255 839-842: 249 840: 245 844: 267 845-851: 256 847: 214 849-851: 255 850: 214 865 f.: 242 872-906: 209 902: 269 908: 253 908 f.: 253 908-916: 253 908-1077: 203, 204 911: 253 913 f.: 253 915 f.: 254 915-917: 230 919 f.: 252 919-930: 253 922-930: 252 923 f.: 249 924: 252 925: 245, 248, 260 927: 249 931: 253 933 f.: 250, 253 942: 253 950-954: 279 955-1001: 276 987-991: 254 991: 254, 282, 423 1000 f.: 219, 281 1006: 412 1008 f.: 254 1016-24: 276 1019: 256 1020: 278 1022: 278 1023 f.: 278 1025: 278, 279 1030: 218, 256, 258 1033 f.: 206, 275 1036: 257 1038: 256 1040: 218, 255 1046-77: 255 1047: 218, 255 1048: 223 1049: 255 1060: 218, 256 1066: 218, 255 1068: 265 1068 f.: 266 1069: 259, 265 1072: 260, 265 12. Index locorum 906 1073: 259, 265 1074: 265 1076 f.: 257 Supp. 1069-73: 257 Th. 69-77: 268 741-757: 211 742-757: 346 750-752: 346 778-784: 306 Incertae Fabulae TrGF Bd. 3 Frg. 387a: 328 Alexander von Aphrodisias Fat. 22-31 (= S. 191,26-204,6 Br.): 333 26 (= S. 196,20 Br.): 334 28 (= S. 199,7-18 Br. = SVF III 658): 340 30 f. (= S. 200,12-204,5 Br. SVF II 940 f.): 333 31 (= S. 201,32-202,25 Br. = SVF II 941): 333 31 (= S. 202,12-15; 202,27-204,1 Br.): 333 31 (= S. 202,25-203,1 Br.): 383 Alkaios V 69: 269 V 129: 236 V 388: 269 Ps.-Ambrosius prec. 2,2: 42 Anaximander Simp. in Ph. 24,13-20 D. (= DK 12 B 1, Ar 163 Wö.): 40 Andromenides Phld. Po.1 col. 131 Z. 12 f.: 113 Andronicus 5 Nr. 3 (= SVF III 401): 586 Anthologia Graeca 11.220: 471 Antiphon 2.2.3: 114 Apollodor 3.5.7: 328 3.51: 328 Archilochos Frg. 19 W: 269 Frg. 128 W: 423 Aristophanes Ach. 100: 270 Av. 990: 470 Lys. 845-958: 534 1184: 549 Ra. 1 f.: 534, 536 1-37: 534 3: 535 5: 534, 535 8: 535 9-11: 535 15: 534 16-18: 534 21: 535 21-24: 535 30: 535, 536 32: 536 35: 536 35 ff.: 534 37: 536 38: 535 65-91: 558 868 f.: 558 1026 f.: 267, 577 1040-42: 267, 577 1055: 267, 577 1195: 306 Th. 976: 470 V. 895: 106 899: 106 903: 106 12. Index locorum 907 Aristoteles EN 1110a 28-33: 118 1110b 18-23: 117, 118 1110b 18-1111a 2: 117 1110b 24-27: 123 1110b 24-1111a 1: 122 1110b 25: 118 1110b 26 f.: 327 1110b 28-30: 118 1110b 29 f.: 116 1111a 1 f.: 118 1113b 16 f.: 118 1113b 30-33: 122 1135a 20 f.: 119 1135a 20-29: 119, 123 1135b 11-25: 122 1135b 12 f.: 116, 121, 122 1135b 12-20: 122 1135b 16-20: 116 1135b 18 f.: 119 1135b 19-29: 74 1135b 28 f.: 119 1136a 5-9: 122 1147a 1-24: 120 1147b 20-1149a 20: 120 1161b 4: 535 Int. 16a 3-8: 144 16a 19: 132 16a 27 f.: 132 Metaph. 980a 20-27: 1, 570 1050a 21-1050b 2: 132 1050a 36-1050b 2: 64 1050b 2 f.: 132 Poet. 1447a 23-26: 523 1447b 13-23: 565 1447b 15 f.: 113 1448a 1: 112 1448a 2: 643 1448a 5 f.: 694 1448a 16-18: 714 1448a 25-28: 400 1448a 26: 113 1448b 5-9: 113 1449a 19-24: 47 1449a 32-37: 537 1449a 34 f.: 106, 113, 537 1449a 35: 41 1449b 12 f.: 477 1449b 24: 131 1449b 24 f.: 154 1449b 24-26: 11, 112 1449b 24-28: 111 1449b 25: 134 1449b 25 f.: 181 1449b 26: 133 1449b 27 f.: 585 1449b 28-31: 181 1449b 36 f.: 133 1450a 4 f.: 112 1450a 15: 112 1450a 15-17: 64 1450a 16 f.: 132 1450a 33-35: 566 1450a 38 f.: 112, 450 1450b 8-10: 43 1450b 18 f.: 129 1450b 18-20: 132 1450b 26-31: 101 1451a 30-35: 112 1451a 32-34: 398 1451a 36-1451b 33: 398 1451b 1-4: 565 1451b 5-7: 402 1452a 1-4: 343 1452a 20 f.: 387 1452a 22-26: 401, 463 1452a 22-29: 92-93 1452a 29-31: 725 1452a 29-1452b 8: 402 1452a 30 f.: 43, 93 1452a 31: 523 1452a 32 f.: 93, 288, 401 1452b 11: 41 1452b 11-13: 59 1452b 12: 384 1452b 31: 539 1452b 34-1453a 1: 538 1452b 34-1453a 17: 241 1452b 37: 93 1452b 38: 540 1453a 1-4: 276, 538, 539 1453a 2-10: 119 1453a 3: 126, 127 1453a 5: 275 1453a 7: 46, 91 1453a 7 f.: 539 1453a 7-9: 82 1453a 7-10: 126, 336 1453a 7-12: 58 1453a 7-17: 91, 92, 93 1453a 7-23: 115, 116, 400 12. Index locorum 908 Fortsetzung Aristoteles, Poetik 1453a 9 f.: 114, 121, 125, 523 1453a 12-17: 567 1453a 13-16: 121 1453a 14-16: 523 1453a 15 f.: 114, 123, 125 1453a 15-17: 82, 126 1453a 16: 181 1453a 16 f.: 539 1453a 21 f.: 115 1453a 23: 126, 127, 523 1453a 23-30: 558 1453a 27-30: 124, 127 1453a 28: 93 1452a 31: 523 1453a 35-39: 41 1453b 1-3: 129 1453b 1-14: 384 1453b 2 f.: 112, 126 1453b 3-10: 727 1453b 5: 396 1453b 9: 475 1453b 14: 406 1453b 14-22: 91, 92, 115 1453b 15-22: 91, 463, 464 1453b 17 f.: 540 1453b 17-22: 274 1453b 18: 41 1453b 19-22: 26, 70, 113, 127, 566 1453b 22 f.: 408 1453b 27-29: 123 1453b 27-31: 115 1453b 27-37: 123 1453b 27-1454a 9: 725 1453b 28 f.: 406, 426, 433 1453b 37-39: 339, 644 1453b 38 f.: 127 1454a 16-28: 693 1454a 16-33: 643 1454a 17-19: 43, 336, 564 1454a 20-22: 426 1454a 24 f.: 337 1454a 30 f.: 693 1454a 37-1454b 2: 568 1454b 1 f.: 433, 445, 450 1454b 6-8: 400 1454b 19-30: 144 1454b 19-1455a 21: 144-145 1454b 35: 114 1455a 16-18: 401 1455a 19 f.: 144 1455a 29-34: 673 1455a 32-34: 128, 673 1456a 16: 538 1456a 19-23: 126, 539 1456a 21 f.: 126, 564 1456a 21-23: 276 1456a 22: 429 1456a 25-27: 336 1456a 33-37: 134 1456a 36-1456b 2: 693 1456b 2-7: 693 1460a 11f.: 532 1460a 13-15: 114 1460a 29-31: 400 1460b 15: 114 1460b 17: 114 1460b 19: 114 1461a 18-1461b 3: 400 1461b 26: 125 1461b 26-1462b 19: 1 1462a 1-4: 125 1462a 5-8: 145 1462a 9-13: 129 Pol. 1252b 28-30: 65 1252b 30: 64, 65 1253a 2 f.: 342 1253a 2-29: 341 1253a 6 f.: 65 1253b 2 f.: 65 1253b 27-33: 535 1258a 19-22: 261 1260a 12 f.: 426 1263b 15: 540 1278b 23-30: 64 1285a 19-22: 271 1340a 28-40: 145 1342a 18-22: 128 Rh. 1374b 6 f.: 116 1383a 8-12: 273 1385b 13-16: 41, 275 1386a 24-26: 273 1408a 27-30: 693 1411b 24 f.: 132 1411b 24-1412a 10: 132 1412a 10: 132 1412b 20-23: 106 (Ps.-Arist.) Problemata 953a 10-12: 672 Rhetorik an Alexander 1427a 30-35: 122 12. Index locorum 909 Athenaios 8.347e: 229 13.602c-d: 69 Avien Arat. 67: 700 Bakchylides 3.48: 261 Boethius cons. 5,5,8-5,6,48: 353 Catull 1,4: 677 16: 677 Chrysipp LS I 392: 103 SVF II 994 (= Plu. Stoic. rep. 1055F f.): 573 SVF III 746 (= Epiphanios Exp. Fid. 10.43): 569 SVF III 753 (= Plu. Stoic. rep. 1044F): 568 Cicero ac. 1,38 (= SVF I 199): 574 2,48 (= SVF III 551): 661 div. 1,80: 675 fin. 3,4: 183 Tusc. 2,12: 183 3,2: 603, 609 Clemens Romanus homil. 5.18.5: 568 Diodorus Siculus 4.64.2: 328 Diogenes Laertios 1.110: 69 7.43: 147 7.60: 182 7.62: 147 7.180 (= SVF II 1): 573, 574 Dion Chrysostomos Or. X Nr. 9 § 27: 569 § 30: 569 Epiktet 1.2.16 f.: 572 1.3.7-9: 592 1.4.5: 565 1.4.14: 565 1.4.18: 565 1.4.23: 564 1.4.26: 564, 565, 566, 568 1.4.27: 565 1.5.9: 592 1.6.30: 565 1.6.32: 592 1.9.4: 682 1.13.3: 682 1.15.2: 183 1.16.12: 263 1.18.5-8: 567 1.18.22: 696 1.22.5-8: 74 1.24.14 f.: 567 1.24.16: 567, 572 1.24.17: 565 1.24.18: 566, 571, 572 1.24.18-20: 565 1.28: 563 1.28.4: 574 1.28.7: 574 1.28.7 f.: 574 1.28.12: 564, 565, 566 1.28.22-24: 564 1.28.30-33: 564, 686 1.28.32: 564 1.28.33: 564, 565, 566 1.29.21: 592 1.29.41-43: 571 1.29.43: 130 1.29.58: 570 1.29.64 f.: 609 2.8.28: 606 2.10.5 f.: 340 2.12.14: 569 2.12.17-25: 609 2.15.2 ff.: 574 2.16.25: 609 2.16.31: 564, 565, 566 2.16.38: 566 12. Index locorum 910 Fortsetzung Epiktet 2.17.19: 479 2.17.19 f.: 690 2.17.19-22: 573 2.17.21: 573, 691 2.17.21 f.: 691 2.20.15-18: 569 2.22.33: 592 2.22.37: 592 3.1.16: 339, 568 3.7.16: 631 3.7.27 f.: 680 3.8.3: 606 3.9.9: 609 3.10.8 f.: 606 3.10.13: 703 3.14.1: 571 3.15.5 (= Ench. 29.3): 571 3.19.4: 609 3.21.23: 566 3.22.6: 650 3.22.26: 570, 696 3.22.36 f.: 74, 75 3.24.12: 696 3.26.37: 606 4.1.63: 183 4.1.71: 696 4.1.82: 676 4.1.104: 567 4.1.118: 183 4.1.127: 592, 606 4.1.142: 592 4.1.146: 565 4.1.165: 567 4.4.4: 566 4.7.15: 566 4.9.3: 696 4.13.14: 574 Frg. 2: 606 Frg. 11: 157 Ench. 1.3: 703 3: 566 17: 567 19b.2: 696 20: 569 26: 274, 686 Gnom. C 14: 703 C 53: 703 Epikur Frg. 129 Arr.: 579 Frg. 551 Us.: 546 Epiphanios Expositio Fidei 10.43 (= SVF III 746): 569 Euripides Alc. 445-454: 444 Ba. 1: 531 3: 531 8: 531 6-9: 494 13-25: 485 16-64: 485 20-22: 528 21: 486 21-42: 483 22: 522 26: 486 26-42: 486 27: 531 28-31: 531 32 f.: 668 32-34: 521 35 f.: 493 39: 486 41-46: 492 42: 486, 522, 531 43-50: 528 47: 481, 486 50: 486 54: 492 55-61: 485 58-61: 494 64 f.: 485 99-102: 530 114-119: 668 118: 669 120-125: 485 120-134: 523 126-166: 485 130-134: 493 178-189: 523 180-183: 524 195: 524 196: 524 204-209: 511 215: 508 215-225: 492 12. Index locorum 911 Fortsetzung Euripides, Bakchen 216: 506, 508 217-225: 506 219 f.: 522 221 f.: 517 224: 508 226-232: 506 228: 506 229 f.: 508 232: 507 233: 508 233 f.: 507 233-238: 668 234 f.: 509 235: 509 235-238: 507 239-241: 527, 530 239-242: 507 241: 489 242: 507 242-245: 531 242-247: 507 245: 490 246: 490 248: 496, 508, 511 249: 511 249 f.: 497 250: 511 251: 511 252: 511 253: 511 253 f.: 513 254: 511 255-257: 510, 525 258: 511 260-263: 531 263-265: 524 278 ff.: 531 286-297: 531 298 f.: 524 298-301: 522 298-309: 511 299: 525 300 f.: 525 302-304: 490, 525 302-305: 511 306-308: 525 307: 525 309-313: 525, 527 310-312: 513 312 f.: 510 314-318: 508, 668 319-321: 510 328 f.: 488, 525 330: 510 330 f.: 527 330-332: 524 331: 498 333-336: 510 337-340: 511, 516 338-340: 488 339 f.: 511 341 f.: 488 341-343: 511 343: 513 343-357: 510 346-351: 510, 527 353 f.: 511 355-357: 511, 530 370-378: 498 386-388: 498 395-397: 482 421-424: 531 443-450: 512 444-450: 494 449 f.: 486 451 ff.: 512 453-459: 512 466: 513 472: 516, 526 474: 512, 528 482 f.: 515 484: 515 487: 512, 668 490: 486, 498, 513 493: 527 493-495: 513 502: 513 503: 513 505: 513 506: 519 506-508: 519 507: 513 509-511: 513 514: 669 538-542: 524 618-621: 513 622-625: 513 624-626: 513 630: 513 635 f.: 498 642: 491 642-646: 494 645-650: 514 666 f.: 486 667: 489, 491, 514 670 f.: 505 671: 516 12. Index locorum 912 Fortsetzung Euripides, Bakchen 674-676: 491 680-682: 517 685 f.: 517 685-687: 509 686-688: 517 693: 496 694 f.: 490 699-703: 531 704-713: 514 717-733: 515 731-747: 670 734-768: 514 737-747: 517 752 f.: 515 769-774: 514 772-774: 531 778-786: 515 779: 515 785: 515 786: 515 787-795: 514 794: 516 794 f.: 498 798 f.: 517 810: 93, 502 811: 517 813: 517 814: 517, 518 815: 518 847-861: 495 854-856: 491 859-861: 489, 491, 527 860 f.: 527, 736 882-892: 498 890-892: 498, 529 912 f.: 516, 528 913 ff.: 490 915: 495 918 f.: 495 934-944: 495 953-956: 518 955: 518 957 f.: 518 971: 491 992-1001: 498 1002 f.: 503 1008-10: 498 1017-19: 487 1024-1152: 160 1030-35: 490 1031: 487 1043-45: 529 1063: 486, 496 1120 f.: 124, 498, 503 1122-24: 520 1125-43: 490 1150-52: 505 1153 ff.: 490 1200-10: 521 1259 f.: 491 1264-84: 520 1279: 705 1280: 705 1281: 705 1284: 430, 705 1298-1300: 670 1301-07: 499 1303-05: 500 1305-15: 500 1325 f.: 498 1327 f.: 498 1330-39: 500 1330-43: 495 1330 ff.: 487 1340 f.: 487 1340-43: 500 1344: 487, 500 1344-51: 500 1346: 500 1347: 498, 500 1348: 500 1349: 500 1351: 500 1352: 491 1374-76: 499 1374-77: 491 1374-78: 489 1377 f.: 499, 500, 520 1674-77: 499 Danae TrGF Bd. 5.1 Frg. 324: 683 Hipp. 10-22: 590 21-28: 520 47 f.: 521, 688 48-50: 521 88-120: 589 176-197: 698 198-238: 600 205 f.: 605 207: 606 319-324: 124, 594 351 f.: 597 358-361: 594 373-387: 434 12. Index locorum 913 Fortsetzung Euripides, Hippolytos 377 f.: 594 377-387: 594 378: 595 379 f.: 594 380: 594 380-385: 124 384: 595 525-564: 601 538-540: 470 615: 622 616-650: 582 616-668: 614 618-624: 615 627-629: 615 653 f.: 622 792: 665 806 f.: 665 807: 665 811-873: 259 944 f.: 638 946: 637 958-961: 638 972: 638 976-980: 638 1045-89: 642 1153-1254: 160 1173-97: 639 1198-1217: 639 1198-1248: 639 1202: 640 1204 f.: 640 1214: 640 1215 f.: 640 1216 f.: 640 1218-48: 640 1219-26: 642 1221-26: 643 1282-1312: 555 1289: 633 1300: 660 1320-24: 633 1320-25: 508 1334: 633 1334 f.: 633 1423-30: 444 1425-27: 655 Hippolytos Kalyptomenos TrGF Bd. 5.1 S. 459-475: 581 TrGF Bd. 5.1 Frg. iv (S. 464 f.) (= KEAG Theocr. 2,10 c Wendel (S. 271 Z. 11-13): 663 TrGF Bd. 5.1 Frg. v (S. 465) (= Plu. aud. poet. 28A): 654 TrGF Bd. 5.1 Frg. 444: 688 IT 242: 458 474: 458 1289: 458 Med. 1 f.: 452 1-6: 468, 470, 471, 472 1-13: 470 2: 471 17-19: 409 20-23: 412 24-33: 667 58: 411 60: 412, 667 92: 411 92 f.: 661 95: 462 96 f.: 411 104: 430 105: 411 116 f.: 411 119: 605 119-130: 593, 604, 605 128-130: 53 131: 411 138: 416 141-143: 411 144-147: 411 160: 436 160-163: 447 163-165: 412 166 f.: 411 168: 411 168-170: 447 169: 436 173-178: 411 187-189: 411 208-212: 470, 472 209: 436 210: 472 211: 471 211 f.: 468, 469, 470, 471, 472 214-218: 412 223: 430 225: 78, 412 225-227: 412 265: 412 267: 455 271: 380, 667 12. Index locorum 914 Fortsetzung Euripides, Medea 271 f.: 414 271-356: 415 273: 458 274: 415 274-276: 415 285: 429 288: 415 303: 429 305: 429 329: 415 340-342: 415, 476 344 f.: 415, 468 351-354: 477 366 f.: 415 368-375: 476 371-375: 415 372: 422 373-375: 420 374 f.: 462, 468 374-379: 451 374-380: 476 383: 465 410: 468 411: 468 412 f.: 468 415 f.: 468 430-432: 460 431-437: 468 432: 472 432-434: 470 433 f.: 459 446 f.: 414 446-626: 415 449: 422 457 f.: 416, 418 465: 419 465-519: 415 466: 419, 460, 479 469 f.: 416 473 f.: 417 489: 415 497: 450 499: 416 506 f.: 462 520 f.: 462 526-528: 415, 447 529-531: 415 534 f.: 416 536-538: 416 539: 429 539-544: 416 547-550: 416 548: 429 551-554: 416 557 f.: 457 559 f.: 416, 417 562-565: 458 565: 416 568-573: 474, 478 569-573: 431 573-575: 474 580 f.: 429 586 f.: 416 586 ff.: 409 593-597: 416 604: 417 614: 416, 418 616-618: 417 616-624: 474 621: 430 623-626: 417 663-757: 417 673: 462 674: 469 676: 436 678: 436 679: 469 689: 414 690: 414 690-706: 417 708-730: 417 728: 444 735: 462 746-755: 447 754 f.: 447, 456 757 f.: 417 764-767: 447 765-767: 462 769: 422 772: 422 772-810: 438 790-797: 463 797: 462 804 f.: 462 807-810: 462 811-813: 455 816: 419, 455 816 f.: 451 817: 455 818: 455 830: 261, 266 846-855: 417, 447 865: 427 866-975: 417 873 f.: 456 873-879: 442 878 f.: 456 12. Index locorum 915 Fortsetzung Euripides, Medea 882 f.: 418 883: 450 889 f.: 418 892 f.: 418 894 f.: 418 899: 418 899 f.: 418 901: 419 901-905: 418 906 f.: 419 909: 418 913: 418 916 f.: 418 918-921: 418 920: 444 920 f.: 457 922-924: 419 928: 418 934-937: 420 946: 419 946-951: 419 953: 419 954 f.: 419 959-961: 418, 465 961: 419 967 f.: 62, 405, 420 968: 63, 420 969-975: 419 970: 419 971: 419 1019 f.: 436, 477 1019-80: 421 1021-40: 464 1028: 430 1042-62: 423 1044: 422, 434 1044-52: 427, 429 1048: 422, 434 1048 f.: 465 1049 f.: 430, 462 1050: 427 1051 f.: 460 1053-55: 435 1054: 437 1056 f.: 427 1056-80: 427 1057: 426 1060: 407, 427 1060 f.: 40, 407, 430, 462 1060-64: 407 1062 f.: 433, 434, 454 1067 f.: 455 1069-77: 425, 427 1075: 442 1076-80: 477 1077: 425, 428, 433 1077-80: 421 1078: 425, 428, 606 1078 f.: 573, 574 1078-80: 594 1079: 425, 433, 434, 595 1121: 456 1129: 456 1131: 467 1133-35: 466 1134 f.: 459 1135-1230: 160 1136: 168, 412, 458, 459 1147: 467 1161: 459 1163-65: 261 1164: 467 1167: 467 1171-73: 459 1176 f.: 459 1185: 458, 459 1200 f.: 474 1202: 467 1231 f.: 455 1236-40: 432 1236-50: 427 1238 f.: 407 1238-41: 407 1239: 407 1240 f.: 433, 434, 454 1242: 461 1256: 447 1261 f.: 450, 471 1261-64: 468, 470, 471 1263: 471 1268-70: 447 1270a: 176, 439 1270a-1281: 437 1271 f.: 439 1272: 457 1275 f.: 441 1277 f.: 439 1278: 439, 446 1282-89: 461 1284: 456 1286 f.: 456 1293-1305: 442 1296 f.: 442 1301-05: 444 1309: 442 1314-18: 460 1315: 458, 459 12. Index locorum 916 Fortsetzung Euripides, Medea 1317-20: 442 1321 f.: 437, 446 1328: 456 1333: 447 1342 f.: 473 1347-71: 441 1351-53: 475 1351-54: 447 1354-57: 465, 475 1357: 465 1358 f.: 475 1361 f.: 420 1362: 465 1363-68: 478 1364: 456 1370: 451 1373-83: 436 1378: 453 1379: 444 1380: 430, 443, 444 1381-83: 443 1383: 453, 456 1384 f.: 447 1386: 452, 453 1386-88: 420, 450 1387: 452 1388: 452 1389 f.: 447 1391-93: 447 1394: 417 1395: 458, 459 1398: 464 1402 f.: 443 1404: 448 1405 f.: 447 1405-14: 657 1415-19: 449 1419: 449 Ph. 17-20: 346 18 f.: 346 37-42: 328 41: 328 1354: 413 Tr. 506: 261 819-822: 261 Scholion ad Tr. 36: 566 Galen PHP 3.2.10-3.3.27 pp. 178-190 De Lacy (= SVF II 906): 573 4.2.27 pp. 242-245 De Lacy: 573 4.4.23-28 pp. 256 f. De Lacy (= SVF III 476): 573 4.6.19-22 pp. 274 f. De Lacy (= SVF III 473 S. 124): 573, 574 5.6.19-22 p. 330 De Lacy: 713 Aulus Gellius 19,8,15: 38 Gorgias DK 82 B 3 (= S.E. M. 7.65): 188 DK 82 B 11,9: 273 Heraklit DK 22 B 15: 481 DK 22 B 20: 405 DK 22 B 43: 200 DK 22 B 51: 481 DK 22 B 59: 35 DK 22 B 85: 405, 423 DK 22 B 93: 64, 283 DK 22 B 94: 39 DK 22 B 119: 332 Herodot 1.32 f.: 369 1.34.2 f.: 353 1.34-45: 368 1.43.2: 368 1.45.2 f.: 368 1.53.3: 348 1.55.2: 348 1.91.1: 103 1.91.1-3: 368 1.91.4: 348 1.91.5: 348 1.210.1: 350 3.76.3: 220 3.80.1-83.2: 281 4.87 f.: 242 4.97: 242 4.141 f.: 242 6.21.2: 128, 205, 214 7.2.2: 267 7.5.2: 246, 247 7.8 1: 246 7.11.2: 246 7.12.1 f.: 245 7.13.2: 246 12. Index locorum 917 7.14: 245 7.17.1 f.: 245 7.18.2: 246 7.19.1: 245 7.37.2: 350 7.83.1: 261 7.134.2 f.: 69 8.35-39: 220 Hesiod Op. 96-98: 313 109-126: 270 127 f.: 270 197-201: 702 202-218: 221 383-387: 550 414-421: 550 498-500: 313 571 f.: 550 609-621: 550 663-665: 550 709-711: 327 Hierokles S. 59 Z. 30 - S. 60 Z. 3: 592 Homer Il. 1.3: 63 1.5: 367 1.8-52: 371 1.9-32: 352 1.10: 70 1.70: 307 1.106-113: 371 1.173-187: 371 1.348-428: 18 2.1-40: 554 3.126-127: 186 3.126-128: 186 3.149-160: 263 3.161-208: 210 5.461-470: 734 5.725: 496 6.66-115: 734 6.463: 216 9.157-161: 514 9.313: 514 9.386 f.: 514 9.410-416: 67 9.413: 67, 206 9.415: 67 9.496 f.: 514 9.499-501: 39 9.501: 39 9.502-504: 117 10.439-441: 496 16.431-446: 103 16.482-484: 248 16.684-691: 364 17.49-60: 248 18.54-60: 248 18.82-87: 496 18.96: 67 18.98 f.: 67 18.101-106: 67 18.120 f.: 67 18.373-377: 496 19.86: 254 19.86-94: 240 19.88: 254 20.61-65: 694 21.388: 694 22.9-10: 643 22.24-31: 550 22.25-31: 642 22.167-181: 103 22.395 ff.: 444 Od. 1.5-7: 256 1.7-9: 211 1.15: 478 5.269-277: 550 6.603: 496 7.45: 496 8.364-366: 496 9.20: 394 11.271-280: 306 11.563: 697 12.70: 395 12.245-259: 473 12.394: 350 14.107 f.: 496 14.340: 216 15.525-528: 220 17.323: 216 17.493-497: 220 19.386-502: 167 19.390-393: 402 20.5: 423 20.10: 423 20.13-21: 423 22.462-464: 220 22.465-473: 220 23.109 f.: 478 23.173-204: 478 12. Index locorum 918 Homerische Hymnen h. Merc. 68-86: 182 h. Ven. 5.176-190: 512 Horaz ars 185: 142, 457 185-187: 694 343: 154 carm. 1,1,35: 674 1,37,21: 479 1,37,32: 479 3,1,3: 674 3,9,13: 682 3,9,17 f.: 462 4,7,25 f.: 598 Hygin fab. 67,3: 328 Iamblich Protr. c. 5.16 (Pi. p. 32 l. 18-22): 592 Iuvenal 10,324-329: 598 Kallimachos Del. 1 f.: 535 Jov. 1-9: 535 Kleanthes SVF I 486: 695 SVF I 487 (= Sen. epist. 108,10): 681, 713 SVF I 527 (= Sen. epist. 107,10): 102, 595, 682, 700 SVF I 527, v. 4: 568, 700 SVF I 537: 682, 699 SVF I 537, v. 8-15: 102-103 SVF I 537, v. 11-13: 700 SVF I 537, v. 14-16: 568 SVF I 570: 431 SVF I 584: 568 Kleomedes 166,26-168,1 (2.1): 592 Livius 1,58,1-12: 624 1,58,7: 624 1,58,11: 624 2,32,3: 530 7,6,1-6: 70 39,8-19: 507 39,16.3: 507 Ps.-Longin 1.4: 586, 697 7.1: 695, 696 7.3: 695, 697 8.1: 673 8.2: 696 8.4: 673 9.2: 696, 697 9.6: 694 9.9: 555 Lukian Alex. 60: 44 Lukrez 2,1-4: 679 Macrobius Sat. 1,12,11: 462 Mark Aurel 1.16.12: 566 2.2.2: 696 2.12.1: 696 2.12.2: 712 3.7.2: 566 4.49.6: 606 5.12.2: 572 6.16.9: 703 6.41.1: 703 6.42.4: 572 7.3.1: 572 8.17.1 f.: 703 8.44.3: 712 9.1.6: 703 9.3.4: 471 9.5: 335 9.28.5: 696 9.29.7: 571 12. Index locorum 919 9.39.2: 592 10.8.6: 676 10.9.1: 572 10.27.2: 572 10.33.3-5: 592 11.2: 696 11.3.2: 566 11.6.1 f.: 572 11.6.2: 566 11.6.4: 572 11.18.21: 431 12.1.4: 712 12.2.3: 572 12.24.3: 696 12.31.2: 696 Maximus Tyrius 13: 353 Menander 11-30: 546 Pk. 233 f.: 537 Phasm. 43: 572 Sam. 3: 542 5: 543 7: 542 7-16: 542 8: 544 10 f.: 542 11: 542 13: 542, 544 17: 542, 545 17 f.: 542 19 f.: 544 22: 542 23: 542 26: 542 32-34: 543 35: 542 35-38: 541 38: 545 39: 544 39 f.: 544 43: 544 43 f.: 545 46: 543, 545 46 f.: 543 50-52: 543 64: 544 67: 543, 544 69: 544 80: 544 96-111: 545 101 f.: 545 Musonius Rufus Frg. 3 He. S. 10 Z. 6 f.: 183 Frg. 6 He. S. 23 Z. 13 f.: 696 Frg. 10 He. S. 52 Z. 5-11: 569 Frg. 12 He. S. 65 Z. 11 - S. 66 Z. 2: 592 Frg. 14 He. S. 71, Z. 1-3: 405 Frg. 14 He. S. 72 Z. 7-10: 592 Neoptolemos aus Parion Phld. Po.5 col. 13,32-5,16,28: 181 Neues Testament Matth. 7.12: 510 Nikolaus von Damaskus FGrH Nr. 90 frg. 8: 328 Olympiodor In Alc. 54,15-55,14 (= 105C-106C = SVF III 489): 712-713 Ovid epist. 4: 581 met. 2,47-332: 219 7,19 f.: 434 7,20 f.: 594 9,735-744: 650 9,730: 651 9,733 f.: 651 9,736 f.: 651 9,759: 651 9,773-797: 652 9,797: 652 15,497-546: 598 15,498: 598 15,504 f.: 642 15,515: 642 15,506-513: 640 15,506-529: 639 15,514: 643 12. Index locorum 920 15,514-529: 640 15,521-523: 643 15,524-527: 670 15,528 f.: 659 15,531-540: 670 Parmenides DK 28 B 1, v. 29 f.: 386 Philodem Po. 1 col. 131 Z. 12 f.: 113 Po. 5 col. 13,32-16,28: 181 Phokylides 4 D.: 245, 269 Pindar P. 8.90: 307 11.31-35: 210, 264 11.33-35: 265 11.41-44: 71 Platon Ap. 20d 6-23b 4: 361 21a 4-7: 361 21b 4: 361 21d 2-8: 361 26b 4 f.: 498 28b-d: 67 Clit. 407: 570 Ep. 7 331d 2-4: 560 Grg. 502b-d: 43 509b 7 f.: 462 Hp. Mi. 375ab: 114 Cri. 43d 7 f.: 564 Lg. 644d-645c: 560 695c-e: 245 719c: 675 721bc: 405 817b: 560 Phdr. 245a: 672 246a-d: 674 248de: 678 Prt. 314e-316a: 297 320c: 297 R. 376e-392c: 585 392d-397b: 28 566a: 592 595ab: 43, 131 595a-608b: 585 602bc: 712 602c 1 f.: 143, 560 617e: 560 Smp. 185e 6-188e 4: 362 200ab: 619 223d: 114 Sph. 228c: 104 Plautus Amph. 1-152: 437 51-63: 552 62 f.: 552 86-152: 552 120-135: 552 139-142: 548 140-147: 107 146 f.: 549 153-462: 553 179 f.: 552 270: 550 275: 550 276: 548, 550, 551 277 f.: 550 365: 553 378-387: 553 392: 552 419-422: 549 433 f.: 553 435 f.: 552 633-641: 554 12. Index locorum 921 633-653: 554 648-653: 554 688 f.: 554 697: 554 703 f.: 554 719: 554 773 f.: 549 787 f.: 549 787-792: 177 813-819: 554 848-853: 554 861-881: 437, 547, 551 933 f.: 552 1053-1130: 555 1057: 555 1064-66: 555 1070 f.: 555 1083-85: 549 1094-96: 176, 549 1099 f.: 555 1120-24: 549 1131-43: 556 Bacch. 494-525/ 562: 546 Plutarch aud. poet. 33CD (= SVF I 219): 563 Stoic. rep. 1044F (= SVF III 753): 568 1051D: 573 1055F f. (= SVF II 994): 573 1057AB (= SVF III 177): 573 Porphyrios Hor. epist. 1,1,82 (= SVF III 669): 644 Poseidonios Frg. 206 Th.: 44 Frg. 290a Th. (= Kleomedes 166,26- 168,1 [2.1]): 592 Frg. 417 Th.: 713 Frg. 458 Th. (= D.L. 7.60): 182 Protagoras DK 80 A 21: 693 DK 80 B 4: 362 Quintilian inst. 1,5,38-40: 39, 107 1,5,52 f.: 39, 107 Sallust Catil. 51,1-4: 512 Sappho V 1: 18 V 1 v. 20: 18 V 16: 269 V 31: 18 V 94: 18 V 129 v. 13 ff.: 18 V 129 v. 28: 18 V 132: 269 V 298 v. 1-7: 18 V 298 v. 25-27: 18 Seneca Ag. 813-818: 677 benef. 1,3,10: 677 1,4,5: 677 3,18,2: 707 4,34,4 (= SVF III 565): 644 clem. 1,1: 612 2,7,1 (= SVF III 453): 623 2,7,2: 623 dial. 1 (de providentia) 2,8: 703 2,8 f.: 703 2,8-11: 703 2,9 f.: 612 2,11: 703 4,8: 700 6,2: 614 dial. 2 (de constantia sapientis) 2,2 f.: 612 3,5-4,1: 641 4,1: 569 5,1-3: 569 7,1: 612 10,4: 614 dial. 3-5 (de ira) 1,1,1-3: 661 1,1,3 f.: 641 1,2,3a: 641 12. Index locorum 922 1,3,2: 702 1,7: 713 1,9,2-4: 641 1,10,4: 713 1,11,1 f.: 641 1,11,2-4: 641 1,12,1: 641 2,1,1 ff.: 679 2,2,1 f.: 680 2,2,2: 686 2,2,5: 679 2,3,4 f.: 680 2,17,1: 680 2,34,1: 592 2,35,4: 682 2,35,4 f.: 678 2,35,5: 702 2,36,5: 661, 683 3,42,1: 712 dial. 6 (consolatio ad Marciam) 19,4: 678 dial. 7 (de vita beata) 5,2: 434, 592, 603 12,3 f.: 613 13,3: 681 15,4: 703 22-26,3: 695 26,6: 676 dial. 8 (de otio) 1,4: 595 dial. 9 (de tranquillitate animi) 1,13 f.: 674 1,15: 674 2,11: 703 11,2: 703 16,1: 612 17,3: 612 17,5: 672 17,8-10: 676 17,9: 612, 672 17,10: 673 17,10 f.: 671 17,11: 673, 695 dial. 10 (de brevitate vitae) 2,2: 675 16,5: 577, 676 17,4: 701 epist. 5,4: 613 7,2: 680 7,6: 612 7,11: 579 8,8: 676 11,7: 680, 681 13,14: 612 24,7: 612 29,1: 609 37,5: 605 47,10: 699 52,12: 562 57: 685 57,3: 686 58,21: 132 60,1: 603, 609 76,31: 571, 712 80,7-9: 712 81,13: 605 83,6: 612 85,9: 596 85,12: 598, 599 87,1-5: 612 87,19: 592 90,4: 650 90,43: 612 93,1: 703 94,17 (= SVF I 359 = Nickel Nr. 810): 662 94,18 ff.: 609 94,62: 612 95,7: 183 96,2: 595 100,10: 570 104,1: 612 104,6 f.: 612 104,29: 612 107,9: 703 107,10 (= SVF I 527): 595, 700 108,5-12: 681 108,7: 681 108,7-12: 681 108,8: 682 108,10 (= SVF I 487): 681, 713 108,23-25: 675 108,26: 675 115,11 f. (= SVF III 231): 603 115,11-14: 682 115,15: 683 120,12: 703 122,5: 603 122,19: 602 12. Index locorum 923 Med. 32-39: 702 46 f.: 702 171: 687, 711 910: 687, 711 953: 595 nat. 3,17,13: 677 Oed. 390-397: 694 395-397: 695 768-772: 328 770 f.: 328 Phaedr. 1-53: 589 4: 669 22: 669 54: 589, 616 54-84: 589 85-128: 597 91 f.: 590, 599, 600, 654 91-127: 664 92: 590, 668, 688 93-98: 591 96: 591 101-103: 592 103 f.: 617-618, 669 103-109: 600 110 f.: 600, 669 110-114: 589 112: 589, 592, 603, 669 112-127: 687 113 f.: 669, 688 113-123: 630 114: 583 115-123: 649, 687 116-118: 649 117: 650 118: 650 119: 650 119-123: 628, 720 120: 682 121 f.: 626 122: 598, 630, 649 124-127: 630 126 f.: 583, 630 130-135: 598, 604 137: 699 138 f.: 608 140 f.: 599, 605 143 f.: 583, 701 151: 583 160 f.: 583 165-168: 593, 621, 637 171 f.: 593 172 f.: 583 174-177: 593, 629, 705 176 f.: 603 177: 591, 666 177-185: 594 178: 595 178 f.: 603 179 f.: 603 181-183: 595, 602 184: 591, 596, 666 184 f.: 595, 602 186-194: 601, 604 190 f.: 592 195-197: 604, 662 197: 591 204-215: 605, 719 205: 719 206 f.: 605 207: 719 209-214: 699 215: 605 216-245: 607, 609 218 f.: 610 219-221: 608 222 f.: 626 222-224: 626 223: 626, 627 225: 608 233-235: 610 240-243: 599, 686 244: 608 248: 591, 699 248 f.: 605 249: 699 250-254: 607 251 f.: 607 253: 607 254: 583, 596, 597, 607 256: 608 256 f.: 608 257: 607 262 f.: 608 263: 592 265 f.: 607 267-270: 608 268: 591 269 f.: 608 271-273: 608, 616 275: 605 276: 601 12. Index locorum 924 Fortsetzung Seneca, Phaedra 277: 601 278 f.: 605 279: 591, 601 279 f.: 666 279-282: 666 282: 601 283: 601 299: 601 299-308: 601 308: 601 309-317: 601 330: 605 341-344: 666 344: 591, 592, 666 359: 605 360-363: 661 360-383: 698 361: 682 362 f.: 598 362-366: 667 363: 591 367-376: 698 387-403: 600, 601, 616 388-403: 669 406-423: 590, 663 416 f.: 610 420 f.: 663 423: 590 424-430: 664 425: 616 427 f.: 664 430: 613 431-434: 617 434: 617 446: 610 482: 613 483: 613 483 f.: 611 483-485: 611 484: 611 486: 591, 611 486-502: 611 487: 611 490 f.: 611 492: 611 496: 611 502: 611 515-517: 612 540: 591 540-544: 610 559: 704 559-561: 614 563 f.: 594, 614 565: 614 567: 591, 666 567 f.: 614 578 f.: 614 583: 667 584: 591, 615, 667 585-588: 615 592-599: 615 595 f.: 615 596 f.: 596 599 f.: 616 602 f.: 593 604 f.: 606 608-623: 616 613 f.: 618 618: 616 619: 616 622 f.: 597 623 f.: 617 623 ff.: 596 629-633: 617 631: 617 632 f.: 617 634 f.: 617 639 f.: 618 640-644: 618 640-645: 661 645: 592, 618, 662 646-660: 650 670: 620 671: 620 671-674: 631 671-681: 630, 703 671-697: 625 671-718: 703 672: 583, 630 674-677: 631 676 f.: 630 678 f.: 630 682: 631 682-686: 630 683 f.: 630 687-693: 583 687-697: 631 688: 599, 631, 704 688 f.: 629, 653 689 f.: 621 690 f.: 630 690-693: 630 691: 627, 629 692: 629 693: 629, 630 697: 594, 631 699: 620 12. Index locorum 925 Fortsetzung Seneca, Phaedra 700: 620 702: 620 704 f.: 620, 621 706: 620 707-709: 620 710: 653 710 f.: 620 710-712: 607, 652, 715 711: 653 711 f.: 620, 652 712: 624 713 f.: 621 714: 647 715-718: 621, 637 718: 583 719: 634 719-724: 634 719-735: 633 720: 633 720 f.: 634 721: 583, 634, 638 721 f.: 634 722: 634 724: 616, 634 725: 634, 654 725-735: 634 728 f.: 647 728-732: 634 730-732: 636 733-735: 634 735: 634 736: 642 741-823: 643, 704 753-760: 668 761: 704 785-794: 663 791: 663 797: 706 820 f.: 704 824: 591 824 f.: 583, 611, 633, 643 838: 617 843-845: 666 844 f.: 626 852: 634 852 f.: 636, 665 854-862: 634 857: 635 858 f.: 635 866: 647 866 f.: 648 878: 607 880: 624, 636 881: 636 882-885: 636 888 f.: 606, 703 891-893: 624 892: 625, 638 896: 636 896 f.: 636 898: 629 899 f.: 637 902-957: 637 903-905: 637, 703 903-958: 641 906 f.: 637 906-908: 622 907 f.: 637 909: 591 909-911: 639 909-912: 637 913 f.: 638 915-923: 638 920: 638 924 f.: 638 926-929: 627, 638 928 f.: 627 929-941: 638 933-937: 592, 639, 662 936-980: 637 939-941: 665 941: 638 941-944: 639 942-944: 665 945-957: 638 954: 633, 639 954-958: 639 959 f.: 699 959-988: 699 981: 602, 643 989 f.: 699 991-1122: 160 1000-06: 639 1007-54a: 639 1007-1104: 639 1011 f.: 592 1011-13: 639 1015: 628 1021: 628 1025: 628, 640 1034: 628 1035-49: 628 1036: 642 1037: 628 1040: 628 1050-54: 640 1050-55: 628 12. Index locorum 926 Fortsetzung Seneca, Phaedra 1054-56: 703 1054b-1104: 640 1059: 641 1961: 641 1064 f.: 641 1064-67: 703 1065: 642 1066 f.: 642 1068-71: 591 1070: 591, 640, 662 1072-75: 643 1080: 643 1090: 643, 644 1090-92: 632, 643 1093-96: 704 1105-14: 639 1110-14: 704 1118: 657 1122: 644 1124 f.: 592, 701 1154 f.: 667 1154-58: 647 1156: 591, 662, 667 1159-63: 628, 653, 654 1164-67: 601, 654, 688, 705 1168 f.: 677, 704 1168-84: 683 1169-73: 628 1171: 628 1172: 628 1173 f.: 677 1176 f.: 654 1176-78: 583 1177: 653, 654 1182: 655 1183 f.: 653, 656, 701 1185-87: 653 1188-90: 654 1190: 655 1191: 654 1191 f.: 601, 654, 656 1191-96: 644, 653 1192-96: 583, 654 1193: 654 1195: 654 1197: 646 1197 f.: 644, 647 1198: 656 1199 f.: 655 1201-03: 665 1206: 623, 678 1207: 683, 701 1211: 583 1213: 665 1213 ff.: 656 1214: 665 1217: 666 1217-19: 666 1220: 704 1228-39: 683 1244: 657, 659 1245 f.: 657, 658 1246: 704 1247 f.: 657 1249: 583, 644 1253-55: 659 1255: 659 1256: 658 1256-58: 658 1256-61: 658, 659 1256-80: 657 1257-60: 670 1260: 659 1261: 658 1262: 657 1262-65: 659 1263-65: 659 1264 f.: 705 1271: 658, 700, 701 1276 f.: 658 1279 f.: 598, 659 Thy. 1-121: 191, 321, 627, 662 339-343: 701 446-470: 612, 701 Tro. 1125: 628 Septuaginta Sus 8: 263 Sextus Empiricus M. 7.65 (= DK 82 B 3): 188 11.99 (= SVF III 38): 575 Sidonius Apollinaris carm. 15,124 f.: 42 Simonides Frg. XXI Page: 270 12. Index locorum 927 Sophokles Aj. 66: 390 79: 465 134 f.: 224 292: 391 596 ff.: 224 815-865: 224 Ant. 289-303: 82 450-460: 520 453-455: 69 484 f.: 82 525: 82 594-603: 443 596 f.: 443 601 f.: 443 603: 443 604 f.: 39 751: 82 762-765: 83 766 f.: 83 770 f.: 83 988-1090: 514 999-1114: 514 1047: 510 1064-67: 83, 514 1100 f.: 83 1108-14: 83 1158 f.: 238 1261-1346: 259 OC 1631-35: 443 OT 4 f.: 299 8: 394, 395 22-26: 299 22-30: 371 23: 357 27 f.: 346 29 f.: 300 34: 367 35-39: 299 36: 299 40: 394 82 f.: 665 95-98: 344 95-99: 371 97: 354 104: 337 106 f.: 363 108 f.: 290 109: 358 122 f.: 302 124 f.: 302 130 f.: 299 132: 385 139 f.: 302 153: 300 154: 300 155: 300 157: 300 163: 300 165: 359 169 f.: 371 167-171: 300 179: 371 209-215: 382 216-218: 357 220 f.: 290 221: 299, 345 223: 337 224-243: 371 228 f.: 305 244 f.: 366 328 f.: 303 332 f.: 304 334 f.: 303 337 f.: 303 339: 303 340: 303 345: 303 345-349: 303, 332 353: 301 362: 301 363: 301, 304 364: 303 366 f.: 302 367: 519 376 f.: 301, 360, 364 380-389: 510 388 f.: 389 391: 380 395: 350 395-398: 361, 362 396-398: 337 399-403: 305 404 f.: 303 404-407: 309 406 f.: 303 412-414: 519 413: 389 427 f.: 305 430 f.: 305 435-437: 305 12. Index locorum 928 Fortsetzung Sophokles, OT 437: 298 438: 301 440: 301 442: 360, 370 443: 337 454-456: 364, 389 463-511: 307 465: 305 482: 308 485 f.: 307 487 f.: 307 497-499: 360, 370 498 f.: 367 506-511: 362 510: 358 510 f.: 307 512-630: 332 533: 380 572 f.: 373 617: 337 621: 337, 359 622 f.: 305 623: 376 634-636: 309 634-638: 316 639-641: 316 646-648: 305 649-657: 308 660-667: 305 665-667: 309 669-672: 305 690-696: 309 700-706: 380 707-722: 338, 339 707-725: 310 707-727: 401 710: 345 711: 361 711 f.: 361, 364 711-714: 346, 361 711-725: 338 713: 349, 361 720-723: 361 724: 361 724 f.: 335 726 f.: 310, 315 726-730: 309 727: 309 729-755: 402 732-752: 310 733 f.: 356 738: 298, 310, 367 744: 310 747: 310, 311 747 f.: 310 754: 310 765: 312 771: 307, 313 779 f.: 348 784: 346 787-793: 348 787-797: 338 788 f.: 348, 352 790: 346, 349 790-793: 335, 397 791: 325, 347, 349 791-797: 314 793: 351 794-796: 356, 550 794-799: 356 795: 345, 356 796 f.: 342 797: 349 798: 327 801-809: 356 802: 326 804 f.: 356 807: 326, 363, 516 808: 327 810: 326 810-813: 356 813-815: 310 813-820: 306 813-827: 314 813-833: 340 816: 366 822: 250, 314 822-827: 342 825 f.: 350 826: 325 828: 366 833: 354 835: 313 842-847: 312 846 f.: 312 852-854: 361 863-872: 363 863-910: 363 873: 332 883-888: 363 883-891: 367 895 f.: 381, 480 896: 178 902 f.: 363 903-905: 368 906-910: 363 907-910: 362 12. Index locorum 929 Fortsetzung Sophokles, OT 911-913: 367 914: 315 914 f.: 314 914-917: 314 915 f.: 314 917: 314, 315 947 f.: 314 967-970: 351 971 f.: 362 973: 314 974: 314 975: 315 976: 316 977-979: 362, 545 977-983: 316 981 f.: 374 985 f.: 316 987: 316 988: 316 989: 316 994-1050: 401 995: 379 1000: 316 1002 f.: 316 1002-04: 316 1007-46: 316 1012: 338, 354 1016 f.: 316 1020-44: 324 1028: 337 1031-34: 402 1031-36: 356 1034 f.: 402 1040-44: 316 1051-55: 317 1054-75: 317 1056-72: 335 1058 f.: 318, 345 1062 f.: 305, 317, 332 1066: 317 1068: 318 1070: 332 1071: 318 1073-75: 318 1074 f.: 308 1076 f.: 318 1076-79: 305 1076-85: 352 1078 f.: 317, 332 1080: 370 1080-85: 319 1082 f.: 322 1084 f.: 319 1086-1109: 336 1092: 382 1096 f.: 350 1098-1109: 319, 350, 382 1105-9: 382 1110 ff.: 350 1110-18: 319 1111: 319 1112 f.: 319 1114 f.: 319 1115 f.: 319 1119 f.: 320 1127: 320 1129: 320 1131: 320 1141: 320 1142-46: 320 1143: 318 1146: 320 1147 f.: 320 1149: 359 1149-75: 320 1150-81: 320 1154: 376 1160: 320 1162-81: 338 1166: 320, 636 1169 f.: 321 1171: 320 1174 f.: 396 1175: 321 1175 f.: 338, 339 1176-85: 320 1178: 380 1182: 297, 318 1182-85: 288, 320 1184: 325, 385 1184 f.: 379, 385 1185: 302 1186: 386 1186-96: 386 1189-1201: 366 1190: 366 1193: 386 1194: 366 1198: 366 1199: 380 1202 f.: 394 1205: 359 1206-17: 394 1213 f.: 324 1213-15: 322, 343, 364 1216-20: 387 1223-26: 385 12. Index locorum 930 Fortsetzung Sophokles, OT 1223-96: 384 1225 ff.: 387 1227 f.: 621 1227-31: 354 1229-31: 358 1230: 324 1235: 372 1237 f.: 389 1237-85: 160 1237-96: 389 1244: 390 1249 f.: 343, 391 1252: 391 1252-54: 390 1253: 391 1254: 388, 390 1255: 376 1256 f.: 376, 379 1257: 391 1258: 367, 376, 383, 391 1260: 176, 392 1260-62: 376 1261: 391 1261 f.: 390 1263: 390 1263 f.: 372 1265: 176, 390, 392 1267: 392 1268 f.: 379 1271-74: 379 1273 f.: 343, 392 1275: 392 1275 f.: 391 1276: 392 1277: 379 1278 f.: 393 1280 f.: 379 1284: 359 1287-91: 393 1287-93: 395 1287-96: 393 1289: 393 1290: 371, 393 1294: 395 1294-96: 350 1295 f.: 385, 395 1297-1306: 373 1299-1302: 363, 366 1303-06: 384, 396, 397 1306: 388 1311: 366 1313-18: 365, 386 1318: 304 1319 f.: 355, 391 1327 f.: 363 1327-32: 366 1328: 365 1329: 364 1329 f.: 368 1329-32: 363, 400 1330: 363, 365, 428 1334 f.: 364 1336: 364 1366-76: 378 1376: 388 1378 f.: 367 1384 f.: 378 1384-90: 392 1391: 567, 572 1394-96: 387 1414 f.: 355, 394, 395 1419-21: 465 1419-23: 373 1422: 374 1422 f.: 465 1424 ff.: 374, 381, 383 1424-31: 397, 466 1436 f.: 371, 397 1446-48: 443 1459-61: 443 1462-65: 443 1478 f.: 366 1489-91: 398 1490: 398 1491: 398 1508: 369 1518: 371 1524: 381, 388, 389 1524-1530: 383 1525: 347 1525-1530: 369 1526 f.: 369 Tr. 849 f.: 350 1122 f.: 123 1136: 124 Fragmente TrGF Bd. 4, Frg. 873: 563, 613 TrGF Bd. 4, S. 27-95: 368 Sophokles-Vita § 21, Z. 90-92: 504 12. Index locorum 931 Stoa, Alte (s.a. unter Chrysipp, Kleanthes und Zenon) SVF I 58: 147 I 199 (= Cic. ac. 1,38): 574 I 216: 661 I 226 f.: 661 I 227: 661 I 234: 334 I 359 (= Nickel Nr. 810 = Sen. epist. 94,17): 662 I 484: 147 II 1 (= D.L. 7.180): 573, 574 II 38-40: 563 II 53: 147 II 56: 147 II 59: 147 II 136-169: 147 II 458: 147 II 906 (= Galen PHP 3.2.10-3.3.27 pp. 178-190 De Lacy): 573 II 940 f. ( Alex. Aphr. § 30 f. S. 200,12-204,5 Br.): 333 II 941 (= Alex. Aphr. 31 S. 201,32- 202,25 Br.): 333 II 1005: 610 II 1181: 572 III 24: 609 III 38 (= S.E. M. 11.99): 575 III 76: 610 III 83: 610 III 172: 334, 633 III 177 (= Plu. Stoic. rep. 1057AB): 573 III 229: 603 III 231 (= Sen. epist. 115,11 f.): 603 III 245-252: 676 III 391: 387 III 395-397: 431 III 396: 431 III 397: 431 III 401 (= Andronicus 5 Nr. 3): 586 III 407-410: 387 III 412-415: 679 III 414: 679 III 416: 431, 679 III 418: 679 III 453 (= Sen. clem. 2,7,1): 623 III 473 S. 124 (= Galen PHP 4.6.19- 22 pp. 274 f. De Lacy): 573, 574 III 476 (= Galen PHP 4.4.23-28 pp. 256 f. De Lacy): 573 III 489 (= Olymp. in Alc. 54,15- 55,14): 712-713 III 539: 334 III 548: 334 III 551 (= Cic. ac. 2,48): 661 III 565 (= Sen. benef. 4,34,4): 644 III 578: 569 III 601: 607 III 640: 623 III 641: 623 III 643 f.: 672 III 648 (= Stob. 2.7.11 s [= II 116,9 f. W.]): 691 III 658 (= Alex. Aphr. Fat. § 28 S. 199,7-18 Br.): 340, 661 III 662-669: 661 III 665 f.: 661 III 666: 661 III 669 (= Porph. Hor. epist. 1,1,82): 644, 661 III 677 (= Stob. 2.7.11 k [= II 103,24- 104,3 W.]): 592 Stobaios 2.7.11 s (= II 116,9 f. W. [= SVF III 648]): 691 2.7.11 k (= II 103,24-104,3 W. [= SVF III 677]): 592 Suda Test. Nr. 1: 368 Tacitus Germ. 17,1: 511 Tertullian apol. 33,4: 224 nat. 2,7,11 p. 107,14: 42 Theognis 1.631 f. W: 423, 428 Thukydides 1.6.3 f.: 210 1.6.6: 210 Varro ling. 5,148: 70 12. Index locorum 932 Vergil Aen. 1,364: 614 7,765 f.: 598 7,765-769: 598 georg. 1,199-203: 602 1,202: 602 3,66 f.: 675 3,284: 675 Xenophon Cyr. 5.1.2: 261 6.1.46-48: 261 Mem. 1.1.1: 498 Zenon SVF I 219: 563, 613 SVF I 254: 568 SVF II 1072 (= Clemens Rom. homil. 5.18.5): 568 Nachantike Literatur Pedro Calderón de la Barca El médico de su honora 1871-73: 75 2047: 75 2063-98: 75 2462-69: 76 2472-74: 76 2485: 76 2495 f.: 76 Johann Wolfgang v. Goethe Faust 317: 335 Eugène Ionesco La cantatrice chauve Scène VIII, S. 32: 718 Scène XI: 718 Konstantinos Kavafis 3 f.: 216 5 f.: 216 10: 216 12: 216 20: 216 Heinrich v. Kleist Amphitryon 148 f.: 552 Molière Amphitryon 308 f.: 552 L’Avare Akt 4, Szene 7: 277 Akt 5, Szene 3: 277 L’École des femmes 309-370: 277 73-156: 277 Vladimir Nabokov Lolita I,3 S. 14 f.: 619 I,10 S. 38: 619 I,10 S. 40 f.: 619 I,15 S. 65: 619 I,17 S. 72 f.: 619 Jean Racine Phèdre 264: 646 699-707: 715 704-711: 706 710: 647 716: 647, 706 1055 f.: 637 1058-1060: 637 1045: 637 1046: 637 1047 f.: 638 1048: 637 1065-1076: 638 1066: 639 1076: 639 Shakespeare Hamlet 2.2.200 f.: 305 Macbeth 4: 219 12. Index locorum 933 Stendhal Mémoires d’un Touriste S. 184 f.: 264 Le Rouge et le Noir I 13, S. 417: 281 II 19, S. 671: 281 Walter von der Vogelweide Ich sach mit mînen ougen Lachm. 9,39 = Schweikle Bd. 1, 78: 243 DRAMA Neue Serie · Band 13 Studien zum antiken Drama und zu seiner Rezeption Herausgegeben von Bernhard Zimmermann Die vorliegende Publikation versucht eine Neuinterpretation des antiken Dramas mithilfe von Transgression, Tragik und Metatheater. Diese Begriffe werden in einem ersten theoretischen Teil ausführlich diskutiert und vor einem strukturalistischen Hintergrund neu gefaßt. Im Hauptteil werden mit dem so gewonnenen hermeneutischen Rüstzeug fünf zentrale Stücke des antiken Dramas ausführlich interpretiert, wobei der Schwerpunkt auf der attischen Tragödie liegt (Aischylos’ Perser, Sophokles’ Oidipus Tyrannos, Euripides’ Medea und Bakchen, Senecas Phaedra). Kurzinterpretationen beleuchten drei ausgewählte Komödien. Als Gesamttendenz ergibt sich so ein Rückgang der Tragik zugunsten des Metatheaters.