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Linguistische Diskursanalyse

2015
978-3-8233-7868-6
Gunter Narr Verlag 
Sylvia Bendel Larcher

Dieses Lehr- und Arbeitsbuch bietet fortgeschrittenen Studierenden eine umfassende Einführung in die linguistische Diskursanalyse. Nach einer kurz gehaltenen Übersicht über die wichtigsten Zweige der Diskursforschung erhalten die Lesenden eine methodische Anleitung zur Durchführung eigener Diskursanalysen, wie sie in dieser Ausführlichkeit im deutschen Sprachraum bisher nicht vorliegt. Neben der Analyse schriftlicher Texte wird auch eine Einführung in die diskursanalytische Analyse von Gesprächen und Bildern gegeben. Der Aufbau der Methodenkapitel folgt der Forschungslogik: von der Korpusbildung über die Analyse einzelner Texte zur Identifikation textübergreifender diskursiver Muster und schließlich der Ausweitung der Diskurs- zur Gesellschaftsanalyse. Zur Veranschaulichung werden Texte aus der Managementliteratur beispielhaft analysiert. Praktische Übungen an Beispieltexten mit Lösungsvorschlägen sowie kommentierte Literaturhinweise runden den Band ab.

Sylvia Bendel Larcher Ein Lehr- und Arbeitsbuch Sylvia Bendel Larcher Linguistische Diskursanalyse Ein Lehr- und Arbeitsbuch Prof. Dr. Sylvia Bendel Larcher ist Dozentin für Kommunikation an der Hochschule Luzern. Ihr Lehr- und Forschungsschwerpunkt ist Unternehmenskommunikation mit den Mitteln der Text-, Gesprächs- und Diskurslinguistik. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Printed in the EU ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6868-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................... 7 1 Einleitung ....................................................................................... 9 1.1 Ziel und Aufbau dieser Einführung ............................................................9 1.2 Erkenntnisinteressen und Verfahren der Diskursanalyse .........................10 1.3 Diskurs: Gegenstandsbestimmung und Abgrenzungen .............................12 2 Wurzeln der Diskursanalyse ........................................................19 2.1 Michel Foucault .......................................................................................19 2.2 Linguistische Pragmatik ...........................................................................22 2.3 Wissenssoziologie ....................................................................................27 3 Zweige der Diskursanalyse ..........................................................33 3.1 Diskurslinguistik ......................................................................................33 3.2 Kritische Diskursanalyse ..........................................................................38 3.3 Soziale Semiotik ......................................................................................42 4 Korpusbildung ..............................................................................47 4.1 Methodologische Vorbemerkungen ..........................................................47 4.2 Arten von Daten ......................................................................................48 4.3 Korpus bilden ..........................................................................................51 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse .................................59 5.1 Perspektivierung: Wer spricht? ................................................................59 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? ............63 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? ...............................73 5.4 Modalität: Wie werden die Aussagen gerahmt? .......................................82 5.5 Evaluation: Wie werden die Gegenstände bewertet? ...............................88 5.6 Argumentation: Wie werden Aussagen begründet? .................................93 5.7 Zusammenfassung .................................................................................. 100 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse .................... 103 6.1 Stimme und Körper ................................................................................ 105 6.2 Prozessualität und Interaktivität ............................................................ 108 6.3 Kontextbezug und Adressatenorientierung ............................................ 119 6.4 Selbst- und Fremdpositionierungen ....................................................... 122 6.5 Zusammenfassung .................................................................................. 125 6 Inhaltsverzeichnis 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse ............................ 127 7.1 Methodologische Vorbemerkungen: Bilder, Bildtypen, Bildanalyse ....... 127 7.2 Inhalt und Ausschnitt: Was wird gezeigt? .............................................. 134 7.3 Perspektivierung: Wo steht der Beobachter? ......................................... 141 7.4 Komposition: Wie sind die Elemente angeordnet? ................................. 145 7.5 Modalität: Wie werden die Gegenstände gezeigt? ................................... 152 7.6 Bild-Text-Beziehungen: Welche Funktion hat das Bild? .......................... 159 7.7 Zusammenfassung .................................................................................. 167 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster .. 169 8.1 Argumentationsmuster .......................................................................... 170 8.2 Deutungsmuster ..................................................................................... 177 8.3 Textmuster ............................................................................................. 181 8.4 Gesprächsmuster .................................................................................... 190 8.5 Visuelle Stereotype ................................................................................ 195 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht .... 201 9.1 Diskurs und Wissen ................................................................................ 204 9.2 Diskurs und Macht ................................................................................. 214 9.3 Ideologie- und Gesellschaftskritik .......................................................... 220 10 Rück- und Ausblick ................................................................... 225 Lösungsvorschläge zu den Übungen ................................................. 227 Literaturverzeichnis ............................................................................ 235 Vorwort Als ich die ehrenvolle Anfrage des Narr-Verlags annahm, eine Einführung in die linguistische Diskursanalyse zu verfassen, hatte ich als Diskursforscherin im Nebenamt nicht im Sinne, diese Arbeit allein zu stemmen. Daher begann ich das Buch in der Wir-Form zu schreiben und machte mich auf die Suche nach einem Co-Autor. Marcel Eggler erklärte sich nach einem Jahr bereit, in mein unterdessen weit fortgeschrittenes Buchprojekt einzusteigen und seine Kapitel inhaltlich und stilistisch an mein Konzept anzupassen. Leider war es ihm aus Zeitgründen dann nicht möglich, so viel zu schreiben wie ursprünglich geplant. Von ihm stammt jetzt das Kapitel über Michel Foucault, ferner hat er einige Ideen zu den Kapiteln 8 und 9 beigetragen. Dafür danke ich ihm an dieser Stelle bestens. Das Buch wurde, was mich betrifft, aus einer Außenseiterposition geschrieben. Ich arbeite als kapitalismuskritische Person an einer Wirtschaftshochschule, wohne als städtisch geprägte Protestantin in einem katholischen Wallfahrtsort auf dem Land, bewege mich als praktizierende Christin im mehrheitlich glaubensaversen Wissenschaftsbetrieb der Universitäten und liege damit in jeder Beziehung quer zu meinem Umfeld. Ich betrachte diese Außenseiterposition aber als ideale Voraussetzung, um in kritischer Distanz zu den Dingen zu bleiben, nicht zuletzt zum manchmal etwas abgehobenen Diskurs der Diskursforschung selber. Trotz meiner geografisch und institutionell isolierten Lage ist dieses Buch natürlich nicht ohne Hilfe entstanden. Ich danke Martin Reisigl, der das erste Konzept für das Buch sorgfältig geprüft hat, und Jan-Henning Kromminga, der die Kapitel 1 und 5-7 lektoriert hat. Herrn Tillman Bub und Frau Karin Burger vom Narr-Verlag danke ich für die angenehme Zusammenarbeit. Ich danke meinem Mann für seine Arbeit „in Haus und Hof“, mit der er mir den Rücken frei gehalten hat, und ich entschuldige mich bei meinem Sohn für die vielen Stunden, die ich nicht mit ihm verbracht habe. Als kleine Entschädigung habe ich ihn in Abbildung 20 verewigt. Wissenschaft unbezahlt zu betreiben mag vielen als reine Selbstausbeutung erscheinen. Für mich bedeutet Freizeitwissenschaft das Privileg, nur das zu tun, was einem Spaß macht, und sie ist meine persönliche Antwort auf die Entartungen des Wissenschaftsbetriebs, in welchem die Länge der Publikationslisten und die Höhe der akquirierten Forschungsgelder mehr zählen als die Denkfähigkeit und die Kreativität der Forschenden. Der Blick auf die Innerschweizer Berge und die Wanderungen durch die umliegenden Wälder entschädigten für die vielen Stunden am Schreibtisch. Einsiedeln, im Juli 2015 Sylvia Bendel Larcher 1 Einleitung 1.1 Ziel und Aufbau dieser Einführung In den letzten Jahren sind zahlreiche Einführungen und Sammelbände zur Diskursanalyse erschienen. Was bringt das vorliegende Lehr- und Arbeitsbuch Neues? Die vorhandenen Einführungen in die Diskursanalyse richten sich überwiegend an Personen mit Vorkenntnissen in der Diskursforschung. Sie betonen - zumal wenn sie als Sammelbände angelegt sind - eher die Heterogenität und die Komplexität des Feldes als den gemeinsamen Kern, sie sind häufig auf Englisch und sie setzen ihren Schwerpunkt bei der Diskurstheorie, während die Methodik eher stiefmütterlich behandelt wird. Schließlich fassen sie fast ausschließlich die Analyse schriftlicher Texte ins Auge, während mündliche und visuelle Daten kaum berücksichtigt werden. Die genannten Gründe führen dazu, dass die vorhandenen Einführungen wirkliche Einsteigerinnen 1 in die Diskursanalyse eher verwirren und angesichts der Komplexität des Themas vor Ehrfurcht erstarren lassen, als dass sie geeignet wären, sie für eigene Studien zu motivieren. Der vorliegende Band der narr studienbücher setzt daher andere Schwerpunkte. Das Studienbuch richtet sich an fortgeschrittene Studierende mit Kenntnissen in Text- und Gesprächslinguistik, setzt aber keinerlei Kenntnisse in der Diskursforschung voraus. Es ist bewusst in deutscher Sprache verfasst, um deutschen Muttersprachlern den Einstieg zu erleichtern. Die Kapitel zur Diskurstheorie und zu den verschiedenen Zweigen der Diskursforschung sind eher knapp gehalten. Umso umfangreicher sind die Methodenkapitel, in welchen die Studierenden eine ausführliche Methodik zur Analyse von Texten, Gesprächen und Bildern unter diskursanalytischer Perspektive erhalten, verbunden mit praktischen Übungen samt Lösungsvorschlägen. Eine so ausführliche Anleitung zur Analyse von schriftlichen, mündlichen und visuellen Daten liegt bisher weder in deutscher noch in englischer Sprache vor. Ziel ist, dass die Lesenden nach dem Durcharbeiten dieses Buches selbständig kleine diskursanalytische Projekte für Master- oder Doktorarbeiten durchführen können. Um Einsteigerinnen nicht zu überfordern, werden radikale Vereinfachungen in Kauf genommen. Wer einzelne Aspekte vertiefen will, findet genügend Hinweise auf weiterführende Literatur. Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: In der Einleitung wird dargelegt, was Diskursanalyse eigentlich ist, was die Erkenntnisinteressen von Diskursforschenden sind, und wie man den Begriff des Diskurses definieren kann. In den Kapiteln 2 und 3 erhalten die Lesenden einen Überblick über die wichtigsten Wurzeln und Zweige der Diskursforschung. Damit wird zugleich die theoretische Grundlage für die anschließende praktische Forschung gelegt. Im vierten Kapitel erfahren die Lesenden, wie man ein Korpus für eine diskursanalytische Arbeit erstellt. Einen Schwerpunkt des Studienbuches bilden die Kapitel 5 bis 7. In ihnen wird aufgezeigt, wie man einzelne Texte, Gespräche und Bilder aus einer diskursanalytischen Perspektive analysiert, versehen mit anschaulichen Beispielanalysen. Im achten Kapitel legen wir dar, wie man textübergreifende Muster erkennen und analysieren und damit den gesellschaftlichen Diskurs zu einem bestimmten Thema rekonstruieren kann. In 1 In diesem Buch werden männliche und weibliche Personenbezeichnungen abwechselnd verwendet. 10 1 Einleitung Kapitel 9 wird das Verhältnis von Diskurs und Gesellschaft thematisiert und dargelegt, wie Diskurse das Wissen und die Machtverhältnisse einer Gesellschaft formen. Die einzelnen Kapitel des Bandes bestehen aus theoretischen Ausführungen, Beispielanalysen, Leitfragen für die Analyse, kleineren Entdeckungs- und Anwendungsaufgaben, Hinweisen für die Durchführung eines größeren Projekts, Diskussion von Problemen, weiterführender Literatur. Die Beispielanalysen werden an Auszügen aus betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern und anderen wirtschaftsnahen Texten durchgeführt. Der betriebswirtschaftliche (Lehr-) Diskurs wurde bislang kaum diskursanalytisch untersucht, ist aber gesellschaftlich bedeutsam, da er Generationen zukünftiger Manager und Entscheidungsträgerinnen prägt. Die Beispiele für die Entdeckungs- und Anwendungsaufgaben stammen aus dem Alltag der Studierenden: Kochrezepte, Werbung, Blogs, Formulare, Stellenanzeigen, Nachrichten etc. Die Studierenden sollen die Auswirkungen des alltäglichen Diskurses erforschen und sich nicht an den großen Themen wie Rassismus oder Gentechnik versuchen müssen. Letztere sind den größeren Projekten vorbehalten. Lösungsvorschläge zu den Aufgaben runden den Band ab. 1.2 Erkenntnisinteressen und Verfahren der Diskursanalyse In einer Schweizer Gemeinde müssen die Eltern vor dem Eintritt ihres Kindes in den Kindergarten ein Formular ausfüllen, in welchem unter anderem folgende Angaben zu einzutragen sind:  Festnetzsowie Mobiltelefonnummern der Eltern  „Beruf des Vaters“  „Jetziger Beruf der Mutter“  „Beruflich bedingte Abwesenheit der Mutter vormittags / nachmittags“  „Telefon Geschäft.“ Dieses Formular ist nicht nur für verschiedene Personengruppen wie Alleinerziehende schwer auszufüllen, es erlaubt auch einen interessanten Einblick in das Weltbild seiner Verfasser. Die Schulverwaltung besagter Gemeinde geht offenbar davon aus, dass jedes Kindergartenkind bei Vater und Mutter wohnt und dass sich für die Mutter der berufliche Status durch die Geburt eines Kindes häufig ändert (daher steht „jetziger“ Beruf, worunter vermutlich auch der Beruf der Hausfrau fällt), für den Vater jedoch nicht. Die 11 1.2 Erkenntnisinteressen und Verfahren der Diskursanalyse Verwaltung geht ferner davon aus, das Mütter heute zwar teilweise berufstätig sind - vorwiegend halbtags -, bewertet diese Tätigkeit jedoch als „Abwesenheit“ von ihrem offenbar angestammten Platz daheim und macht klar, dass die Mutter auch während der Arbeitszeit erreichbar sein muss. Für den Vater gilt dies nicht, seine Geschäftsnummer muss nicht angegeben werden. Dieses Formular und seine Auslegung machen auf einfache und anschauliche Weise klar, worum es der linguistischen Diskursanalyse geht: Gestützt auf konkrete Texte versucht man zu rekonstruieren, was die Mitglieder einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit gedacht haben, wie sie die Welt interpretierten und erklärten, von welchen Überzeugungen und Normen sie sich bei ihren Handlungen leiten ließen, woran sie glaubten und wovon sie ihre Zeitgenossen zu überzeugen versuchten. Die Diskursanalyse versucht das kollektive Wissen einer Zeit zu erfassen und die damit verbundenen Ansprüche auf den Besitz der Wahrheit und die Durchsetzung der eigenen Interessen. In ihrer kritischen Version untersucht und kritisiert die Diskursanalyse Formen gesellschaftlicher Diskriminierung wie Fremdenfeindlichkeit oder Sexismus. Das zitierte Formular propagiert ein konservatives Familienbild, welches anders lebende Väter und Mütter, aber auch Kinder hütende Großeltern und Tagesmütter diskriminiert, indem diese nicht als Ansprechpersonen vorgesehen sind. Als amtliches Dokument hat dieses Formular eine einflussreiche normative Kraft. Die linguistische Diskursanalyse arbeitet vorwiegend mit Methoden der Text- und Gesprächslinguistik, ihre Erkenntnisinteressen sind aber andere. Sie will nicht Einsicht in die Funktionsweise von Sprache oder in die Struktur von Texten gewinnen, sondern Aussagen machen über die Gesellschaft, die diese Texte hervorbringt und gleichzeitig von ihnen geformt wird. Damit verbunden ist ein spezifisches Verständnis von Sprache. Sprache wird nicht als Mittel betrachtet, sich über eine als außersprachlich verstandene Welt zu verständigen, sondern als Mittel, um in der Welt zu handeln und diese zu gestalten. Wie die Menschen ihre Welt gestalten und mit welchen sprachlichen Mitteln sie das tun, das ist das Erkenntnisinteresse der Diskursanalyse. Ausgangspunkt für ein diskursanalytisches Projekt sind daher auch nicht die Texte, die man schließlich untersucht, sondern eine aktuelle gesellschaftliche Frage wie die Debatte um den Einsatz von Gentechnik, die Finanzkrise oder der Kopftuchstreit. Die Textanalyse ist das Mittel zum Zweck, Aussagen über diese gesellschaftlichen Diskurse machen zu können, zu erkennen, worum sich die Debatte dreht, wer sich mit welchen Argumenten durchsetzt und was die konkreten Folgen für die Betroffenen sind. Solche Analysen sind niemals neutral, sondern werden immer von einer Person vorgenommen, die aufgrund ihrer Sozialisation und ihrer gesellschaftlichen Position eine bestimmte Perspektive einnimmt und aufgrund ihrer Einstellungen und Überzeugungen bestimmte Gewichtungen und Wertungen vornimmt. Daher wollen wir an dieser Stelle das tun, was in vielen Texten der (Kritischen) Diskursanalyse gefordert, aber meistens nicht umgesetzt wird: uns vorstellen und unsere Motive und Einstellungen offen legen. Ich, Sylvia Bendel Larcher, komme aus einem wohlhabenden, politisch freisinnigen, bürgerlichen Haus und habe in Luzern (Schweiz) das Gymnasium absolviert. In Zürich und Bamberg studierte ich Germanistik und Geschichte und promovierte zur Geschichte der Werbung im 17. und 18. Jahrhundert. An der Universität Bern habilitierte ich mich mit einer gesprächsanalytischen Arbeit über Individualität in der institutionellen Kommunikation. Seit vielen Jahren arbeite ich als Dozentin für Kommunikation an der Fachhochschule für Wirtschaft in Luzern. Lehraufträge führten mich an die Universitäten von Saarbrücken, Innsbruck und Bern. 12 1 Einleitung Zur Diskursforschung kam ich über die Werbung. Es befriedigte mich nicht mehr, Werbung in linguistischer Manier nur zu analysieren, ohne zu den mit der Werbung verbreiteten Ideologien Stellung zu beziehen. Der Ansatz von Norman Fairclough erlaubte mir, Werbung in wissenschaftlich fundierter Weise zu kritisieren. Unterdessen gilt mein Interesse allen Texten, mit denen die Ideologie des freien Marktes, der Konkurrenz aller gegen alle und des permanenten Wachstums verbreitet wird. Ich kritisiere diese Ideologie, weil ich davon überzeugt bin, dass nur eine radikale Veränderung in unserem Denken und Verhalten die Biosphäre auf diesem Planeten und damit die Menschheit retten kann. Was wir brauchen, sind keine Korrekturen am gegenwärtigen System, sondern völlig neue Formen des Zusammenlebens und eine gänzlich neue Wertordnung. Persönlich finde ich diese Werte in spirituellen Traditionen wie dem europäischen Lebensrad, aber auch in der evangelisch-reformierten Landeskirche der Schweiz, in der ich mich ehrenamtlich engagiere. Dieses Buch habe ich aus Interesse am Thema geschrieben und weil es mir Freude macht, der nachfolgenden Generation mein Wissen und meine Überzeugungen weiterzugeben. Das Buch ist ohne finanzielle Unterstützung in meiner Freizeit entstanden. Meine Arbeitgeberin hat aber die Kosten für den Besuch von Tagungen und die Anschaffung von Büchern übernommen. 1.3 Diskurs: Gegenstandsbestimmung und Abgrenzungen Für den Diskursbegriff gilt dasselbe wie für viele andere wissenschaftliche Konzepte: eine allgemeingültige, von allen Forscherinnen anerkannte Definition existiert nicht. Die Spannbreite der Definitionen sei an vier ausgewählten Beispielen illustriert: „Ein Diskurs ist also eine prinzipiell offene Menge von thematisch zusammenhängenden und aufeinander bezogenen Äußerungen.“ (Adamzik 2004: 254). „Unter Diskursen verstehen wir im forschungspraktischen Sinn virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird. Zu einem Diskurs gehören alle Texte, die  sich mit einem als Forschungsgegenstand gewählten Gegenstand, Thema, Wissenskomplex oder Konzept befassen, untereinander semantische Beziehungen aufweisen und/ oder in einem gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang stehen […]  und durch explizite oder implizite […] Verweisungen aufeinander Bezug nehmen bzw. einen intertextuellen Zusammenhang bilden.“ (Busse/ Teubert 1994: 14). „Ein Diskurs ist die Auseinandersetzung mit einem Thema,  die sich in Äußerungen und Texten der unterschiedlichsten Art niederschlägt,  von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird,  das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt  als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt.“ (Gardt 2007: 30). 13 1.3 Diskurs: Gegenstandsbestimmung und Abgrenzungen „We consider ‚discourse‘ to be  a cluster of context-dependent semiotic practices that are situated within specific fields of social action  socially constituted and socially constitutive  related to a macro-topic  linked to the argumentation about validity claims such as truth and normative validity involving several social actors who have different points of view.“ (Reisigl/ Wodak 2009: 89). Der gemeinsame Nenner dieser und weiterer Definitionen besteht darin, dass Diskurse ein gesellschaftlich relevantes Thema betreffen und sich in Texten manifestieren, jedoch in ihrer Reichweite über diese Texte hinausgehen. Der Diskurs über das Thema Mobbing am Arbeitsplatz zum Beispiel schlägt sich nieder in Zeitungsartikeln, Internetforen, unternehmensinternen Richtlinien gegen Mobbing usw. und lässt sich entsprechend durch die Lektüre und Analyse dieser Texte erfassen. Er umfasst jedoch mehr als nur diese Texte, nämlich all das, was die Mitglieder der Gesellschaft zum Thema Mobbing denken, zu wissen meinen und glauben. Die ersten beiden zitierten Definitionen beschränken sich auf diesen Kern des Diskursbegriffs. Die dritte Definition macht einen weiteren Aspekt des Diskursbegriffs explizit, den die meisten Diskursforschenden teilen: Ein Diskurs wird geprägt durch die Gesellschaft, die ihn führt, und wirkt auf diese zurück. Um beim Beispiel zu bleiben: Die aktuellen Arbeitsbedingungen in unserer Gesellschaft und unsere Mentalität wirken auf die Mobbingdiskussion ein (die Mehrheit lehnt diese Form des sozialen Umgangs ab), umgekehrt führt die erst vor Kurzem überhaupt in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs eingeführte Bezeichnung „Mobbing“ dazu, dass Mobbing vermehrt wahrgenommen wird und eines Tages vielleicht ein Gesetz gegen Mobbing verabschiedet wird. Die dritte Definition umfasst einen weiteren Aspekt, der sich nicht in allen Definitionen findet, nämlich die „gesellschaftlichen Gruppen“, die den Diskurs tragen. Andere Forscher bezeichnen diese als „Akteure“ im Diskurs. Das wären in unserem Beispiel Arbeitnehmerverbände, Personalverantwortliche, Journalistinnen, Betroffene. In dieser Definition umfasst der Diskurs also nicht nur die von der Gesellschaft produzierten Texte, sondern auch die Personen, die redend und schreibend am Diskurs teilnehmen. Die vierte Definition ist die am weitesten gefasste, indem sie Diskurse nicht nur auf Texte bezieht, sondern sie als ‚semiotische Praktiken‘ bezeichnet. Mit diesem Ausdruck wird unterstrichen, dass Texte eben nicht nur den Diskurs repräsentieren, sondern selber eine Form sozialen Handelns sind und unmittelbar auf die Gesellschaft einwirken. Diskurse repräsentieren und konstruieren die Welt (Warnke 2013: 103). Eine interne Richtlinie gegen Mobbing repräsentiert nicht nur den Mobbingdiskurs, sondern führt zu ganz konkreten Verhaltensänderungen, indem Betroffene Fehlverhalten bei der Personalabteilung tatsächlich anzeigen mit unter Umständen gravierenden Konsequenzen für alle Beteiligten. Ferner hebt die vierte Definition am deutlichsten hervor, dass in Diskursen Wahrheitsansprüche und Normen verhandelt werden. Was in den zitierten Definitionen nicht zur Sprache kommt, aber einen wichtigen Aspekt des Diskursbegriffs darstellt, ist die Frage, was zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft zum fraglichen Thema nicht gesagt wird, weil es gesellschaftlich nicht legitim ist oder kollektiv verdrängt wird. Michel Foucault, einer der Gründer der Diskursforschung, hat die limitierende Kraft von Diskursen hervorgehoben. Danach bestimmt der Diskurs nicht nur, was zu einem Thema gesagt und ge- 14 1 Einleitung dacht wird, sondern er verfügt auch über Ausschlussmechanismen, die bestimmte Gedanken aus dem Diskurs verbannen. Diese Ausschlussmechanismen und die mit ihnen verhinderten Äußerungen nachzuweisen, ist methodisch allerdings wesentlich anspruchsvoller, als in den vorliegenden Texten aufzuzeigen, was tatsächlich gesagt und geschrieben wurde. Daher überrascht es nicht, dass in den praktischen Diskursanalysen dieser Aspekt meistens völlig ausgeklammert bleibt, obwohl das theoretische Postulat durchaus besteht, das Nichtgesagte als einen Aspekt des Diskursbegriffs mitzudenken. Wir erachten es als außerordentlich wichtig, bei der konkreten Analyse eines gesellschaftlichen Diskurses immer auch darauf zu achten, mit welchen sprachlichen Mitteln bestimmte Gedanken ausgeschlossen und damit in den Raum des Unsagbaren oder gar „Unsäglichen“ gedrängt werden. Denn in diesem potenziellen Gedankenraum liegt all das auf der Lauer, was eine Gesellschaft ignoriert, negiert, verdrängt und fürchtet. So wäre es, um ein Beispiel zu nennen, noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen zu behaupten, die Börse funktioniere nach irrationalen Prinzipien und die Börsenkurse würden nicht den wahren Unternehmenswert widerspiegeln. Heute sind viele Formen irrationalen Verhaltens an der Börse wie der sogenannte Herdentrieb oder das Prinzip des „more of the same“ bekannt und die „behavioral finance“ ist eine eigene Disziplin. Wie wirksam diskursive Ausschlussmechanismen sind, wird vor allem am wissenschaftlichen Diskurs sichtbar, der nur wenige Formen des Forschens anerkennt und alle anderen Formen des Erkenntnisgewinns ausschließt - das gilt selbstredend auch für die Diskursanalyse selber. So kann heute keine Wissenschaftlerin geltend machen, sie hätte eine bestimmte Erkenntnis geträumt oder in einer Vision gesehen. Sie und ihre Erkenntnis würden von der wissenschaftlichen Gemeinschaft mindestens ignoriert wenn nicht gar öffentlich lächerlich gemacht. Träume und Visionen sind jedoch Formen der Erkenntnis, die in der Antike und im Mittelalter problemlos anerkannt wurden, wie die in der Bibel überlieferten Traumdeutungen oder die Lebensbeschreibungen von Heiligen belegen. Der Diskurs ist also ein Begriff mit unterschiedlicher Reichweite. Diese Reichweiten werden in der folgenden Abbildung am Beispiel der Klimaerwärmung illustriert. Würde man ein konkretes Textkorpus untersuchen, käme man zum Ergebnis, dass sich in den vergangenen 20 Jahren sukzessive jene lange Zeit umstrittene Ansicht durchgesetzt hat, dass die Klimaerwärmung nicht nur eine Tatsache ist, sondern auch vom Menschen mitverursacht wird. Die Ansicht, die Klimaerwärmung finde nicht statt oder sei auf natürliche Schwankungen zurückzuführen, wird immer stärker aus dem Diskurs verdrängt, ist aber noch nicht ganz verschwunden. Allerdings wurde die noch 1907 von Arrhenius geäußerte Ansicht, die Klimaerwärmung sei zu begrüßen, weil sie in Europa zu besseren klimatischen Bedingungen führe (Arrhenius 1907, zit. in Braun- Thürmann 2013: 173), in den vergangenen 20 Jahren kaum mehr vorgebracht; nicht weil sie per se falsch wäre, sondern weil sie angesichts der unübersehbaren negativen Folgen der Klimaerwärmung in vielen Weltregionen nicht mehr geäußert werden durfte und damit in den potenziellen Raum des Unsagbaren verbannt war. 15 1.3 Diskurs: Gegenstandsbestimmung und Abgrenzungen 1) Potenzieller Gedankenraum Alles, was zu einem gesellschaftlichen Thema prinzipiell gedacht und gesagt werden könnte. Alle möglichen Gedanken zum Klimawandel, auch dass er eine Strafe Gottes sein könnte. 2) Diskurs weit Alles, was zu einer bestimmten historischen Zeit zu einem gesellschaftlichen Thema gesagt und gedacht werden könnte, weil es in bestehende Wissensbestände und Denkschemata passt. Alle möglichen Äußerungen zum Klimawandel, auch dass er gar nicht stattfindet. 3) Diskurs eng Alles, was zu einer bestimmten historischen Zeit zu einem gesellschaftlichen Thema konkret gesagt oder geschrieben wird. Alle (populär-)wissenschaftlichen Texte, TV-Sendungen, Kampagnen, Blogs, Konferenzen etc. zum Klimawandel. 4) Korpus Sammlung von Texten, die untersucht werden. Alle Texte zum Klimawandel im Spektrum der Wissenschaft von 1985- 2015. Abbildung 1: Diskurs - ein Begriff mit unterschiedlicher Reichweite. Trotz ihrer Tendenz, das Spektrum möglicher Ansichten einzuschränken, sind Diskurse keine monolithischen Gebilde, die nur noch eine einzige Sicht auf die Welt zulassen. Selbst unter sehr repressiven Bedingungen wie in totalitären Staaten existieren Gegendiskurse, in welchen die herrschenden Ansichten in Frage gestellt und mit Alternativen konfrontiert werden. Diese Mehrstimmigkeit des Diskurses wird in der Diskurstheorie unterschiedlich konzeptualisiert: Als verschiedene Stimmen in einem Diskurs bzw. als verschiedene Diskurse zu einem Thema. So könnte man die Befürworter und die Gegner einer Anlaufstelle für Mobbingopfer als konkurrierende Stimmen in einem Diskurs auffassen. Man könnte aber auch das, was Juristinnen, Sozialpsychologen und Personalverantwortliche sagen, als verschiedene Fachdiskurse zum selben Thema Mobbing auffassen. Jeder fachliche (juristische, psychologische, betriebsökonomische…) Diskurs entwirft eine je eigene Perspektive auf die Welt, mit der auch unterschiedliche Identitäten der Sprechenden verbunden sind (Fairclough 2005: 124). 16 1 Einleitung In diesem Buch gehen wir zusammenfassend von diesem Diskursverständnis aus: Ein Diskurs ist der gesellschaftliche Prozess der Verständigung darüber, wie die Welt zu deuten und zu gestalten ist. Der Diskurs wird durch die materielle Wirklichkeit geprägt und wirkt durch gesellschaftliche Praktiken auf diese zurück. Der Diskurs äußert sich in konkreten Texten, die das Wissen und Denken einer bestimmten Zeit repräsentieren. Zur besseren Einprägsamkeit wird die Definition in der folgenden Abbildung visualisiert. Abbildung 2: Wechselwirkungen von Diskurs, sozialen Praktiken und Umwelt. Diskurse werden auch von materiellen Praktiken getragen und manifestieren sich in Dingen wie Körperbemalung, Kleidung, Architektur oder Stadtplanung. In Unternehmen wird zum Beispiel die Hierarchie der Beschäftigten deutlich zum Ausdruck gebracht durch die Lage und die Größe der Büros (die sprichwörtlichen „oberen Etagen“ versus Lagerräume im Keller), durch die Kleidung (Anzug versus Blaumann) und durch Attribute wie Firmenwagen. Gunter Kress hat mit seiner sozialen Semiotik (vgl. Abschnitt 3.3) einen Ansatz entwickelt, in welchem sämtliche Modalitäten der Kommunikation gemeinsam untersucht werden, von der gesprochenen und geschriebenen Sprache über Gestik und Stimme bis zu Bildern, Film und Layout. Die heutige Diskursanalyse ist in Theorie und vor allem Praxis noch weit von einem solchen multimodalen Ansatz entfernt. Die empirischen Untersuchungen beschränken sich in der Regel auf die Analyse von schriftlichen, in seltenen Fällen mündlichen Texten, während andere Kommunikationsmodi wie Bild, Film oder Musik noch kaum untersucht wurden. Eine konsequent multimodale Ausrichtung der Diskursanalyse wäre sehr erstrebenswert, liegt aber momentan noch nicht vor. Wir wollen mit dieser Einführung einen Schritt in diese Richtung leisten, indem wir uns nicht nur mit schriftlichen Texten befassen, sondern auch eine Methodik für die Analyse von mündlichen Texten und Bildern vorlegen. Materielle Manifestationen von Diskursen wie Kleidung oder Architektur bleiben hingegen unberücksichtigt. DISKURS SOZIALE PRAKTIKEN NATÜRLICHE UND GESTALTETE UMWELT steuert, legitimiert prägen prägt deutet gestalten ermöglicht 17 1.3 Diskurs: Gegenstandsbestimmung und Abgrenzungen Der Begriff Diskurs wird nicht nur von Diskursanalytikern verwendet, sondern auch von Vertreterinnen der funktional-pragmatischen Diskursanalyse, die eine Form der Gesprächsanalyse ist (vgl. Abschnitt 2.2). Noch umfassender ist der englische Ausdruck „discourse“, der in der Kombination „discourse analysis“ und „discourse studies“ auftritt. Erstere ist meistens mit Konversationsanalyse zu übersetzen, letztere umfassen Arbeiten aus dem gesamten Spektrum der Gesprächs- und Textlinguistik. Wir benützen den Begriff Diskurs in dieser Einführung ausschließlich in der oben erörterten Definition. Aufgaben Aufgabe 1: Kochrezepte sind häufig nicht nur eine Anleitung zum Kochen, sondern auch Teil eines Diskurses über zeitgemäße Lebensführung. Versuchen Sie aus dem aufgeführten Kochrezept herauszulesen, von welchem typischen Haushalt die Autorinnen beim Schreiben dieses Rezepts ausgegangen sind und welches Wissen und welche Einstellungen sie bei den Lesenden voraussetzen. Sommergemüse zu Gnocchi (Le Menu 6/ 2013) Für 4 Personen 500 g weiße Spargeln, gerüstet, längs halbiert, in 4 cm lange Stücke geschnitten 200 g Bundrüebli, gerüstet, in Scheiben geschnitten Butter zum Dämpfen ¼ TL Salz Pfeffer, Zucker 1 dl Gemüsebouillon 90 g Saucenhalbrahm je 150 g Kefen und Erbsen 2-3 Zitronenmelisse-Zweige, abgezupfte Blätter, grob gehackt 750 g Kartoffelgnocchi aus dem Kühlregal wenig Butter 1 Spargeln und Rüebli in der Butter andämpfen, würzen. Mit Bouillon ablöschen, aufkochen. 10 Minuten dämpfen. Saucenrahm beifügen, aufkochen. Kefen und Erbsen dazugeben, 5 Minuten leicht knackig köcheln. 2 Gnocchi in der Butter goldgelb braten. 3 Gemüse mit Zitronenmelisse bestreuen, mit den Gnocchi anrichten. Infos: Zubereiten: ca. 30 Minuten schnell vegetarisch leicht Nährwerte pro Portion: Energie 457 kcal, Eiweiß 13g, Fett 10g, Kohlenhydrate 77g 18 1 Einleitung Überlegen Sie, welches gesellschaftlich brisante Thema Ihnen unter den Nägeln brennt: Genmanipulation? Atomenergie? Migration? Ost-West-Konflikte? Neoliberalismus? Cyber-Mobbing? Wenn Sie zu einem dieser Themen eine diskursanalytische Studie durchführen möchten, beginnen Sie jetzt, noch ganz unsystematisch, thematisch einschlägiges Material zu sammeln: TV-Diskussionen, Blog-Einträge, Zeitungsartikel, Romane, Parteiprogramme, Unternehmensbroschüren etc. Führen Sie mit Ihren Bekannten Gespräche, nehmen Sie an öffentlichen Veranstaltungen teil. Fördern Sie so Ihr Wissen und Ihre generelle Aufmerksamkeit für das Thema. Eine verständliche Einführung in die Diskursanalyse mit methodisch eher schmalem Fokus bietet Niehr (2014). Einen ganz knappen, leicht verständlichen Abriss zur Diskursforschung gibt Ullrich (2008). Für Einsteiger ebenfalls nützlich sind die Aufsätze in Wodak/ Krzyzanowski (2008). Verschiedene Ansätze der Diskurforschung sind vorgestellt im Sammelband von Warnke (2007a). Die zurzeit bekannteste, relativ anspruchsvolle Einführung in die Diskurslinguistik ist Spitzmüller/ Warnke (2011). 2 Wurzeln der Diskursanalyse Diskursforschung ist kein genuin linguistisches Unterfangen. Wir stellen in diesem Kapitel ausgewählte Vorläufer bzw. Nachbardisziplinen der linguistischen Diskursanalyse vor, zum besseren Verständnis der theoretischen Grundlagen und zur wissenschaftshistorischen Verortung der Diskursanalyse. 2.1 Michel Foucault von Marcel Eggler Zu den wichtigsten Wegbereitern einer linguistischen Diskursanalyse gehört ein Philosoph, der sich selber weder als Philosoph noch als Linguist verstanden wissen wollte: Michel Foucault (1926-1984), seit 1970 Professor für „Geschichte der Denksysteme“ am renommierten Collège de France in Paris. Ganz gleich, ob sich Diskursanalytikerinnen ihn ihrer Arbeit von ihm abgrenzen, sich explizit und eng auf ihn beziehen oder lediglich „bei Bedarf“ auf ihn rekurrieren - um Focault kommt auch heute noch kaum herum, wer sich mit Diskurslinguistik beschäftigt. In seinem umfassenden Gesamtwerk, das auf einem profunden historischen Wissen gründet, hat er manche Konzepte entwickelt, auf welche die aktuelle Diskurslinguistik immer noch zurückgreift - und dies trotz der Tatsache, dass Foucault seine zentralen Konzepte, darunter „Diskurs“, immer wieder hinterfragt, verändert und im Verlaufe seines Schaffens zugunsten anderer, weiträumigerer Begriffe (vgl. unten in diesem Kapitel: „Dispositiv“) in den Hintergrund gestellt hat - zuletzt gab Foucault das Konzept „Diskurs“ sogar mehr oder weniger auf. Knapp gesagt könnte man Foucaults Diskursbegriff (bzw. seine mäandrierenden Diskursbegriffe) auf den folgenden Nenner bringen: Ein Diskurs ist ein Geflecht von Aussagen zu einem Thema, die in einer Gesellschaft zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt nach Maßgabe bestimmter „Ordnungsstrukturen“ (Sarasin 2005: 99) gemacht werden. Diese Ordnungsstrukturen sind eine Art Instanz, die - oft unsichtbar, implizit - vorgibt, auf welche Art man in einer bestimmten Epoche in den Wissenschaften und in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens über „die Dinge in der Welt“ redet, reden kann und reden darf bzw. nicht reden darf. Vor allem in brisanten oder tabuisierten Kontexten setzt diese Instanz Grenzen; sie hält, nach Foucault, „gewisse Prozeduren [bereit; d.V.], deren Aufgabe es ist, die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen“ (Foucault 1991: 11). Dass man über „die Dinge“ auf eine bestimmte Art und Weise redet und dass andere Redensarten „verboten“ sind, hat eine gewisse Limitierung des Sagbaren zur Folge, dient aber auch als Orientierung. Es gibt eine Ordnung vor - eines von Foucaults Hauptwerken heißt denn auch: „Die Ordnung der Dinge“ -, an die sich die in einer bestimmten Epoche lebenden Zeitgenossen halten können oder auch nicht. Die „Ordnung der Dinge“ kommt also diskursiv-historisch zustande und ist damit eine flottierende, sich immer wieder verändernde Größe, die man mit gleichsam archäologischem Interesse untersuchen kann (vgl. „Archäologie des Wissens“; Foucault 1981) und deren 20 2 Wurzeln der Diskursanalyse Fragmente man in einer Art „disursivem Archiv“ (heute sagen wir: „Korpus“) ablegen kann. Obschon die Ordnung der Dinge also das Resultat diskursiver Regelmäßigkeiten ist, räumt Foucault ein, dass es auch „primäre oder wirkliche Beziehungen“ (Foucault 1981: 69) zwischen den Dingen gibt. Ein Beispiel für eine solche Beziehung wäre: Als Galileo Galilei um 1600 den Ausspruch tat: „Eppur si muove / Und sie bewegt sich doch“, formulierte er ein Naturgesetz, welches unabhängig von irgendeinem Diskurs astronomisch korrekt ist, nämlich dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das diskursiv Interessante daran ist, dass zu Galileis Lebzeiten, im damaligen hegemonialen, klerikalen Diskurs noch kein Platz, keine „offene Stelle“ für dieses Naturgesetz vorgesehen war. Die Eliten, welche die Macht hatten, über die Zulässigkeit neuen Wissens zu befinden, waren noch nicht bereit, den von Galilei in die Wege geleiteten Paradigmen wechsel zu akzeptieren. Diese Beziehung - der Zusammenhang zwischen Wissen und Macht - hat Foucault zeit seines Lebens umgetrieben; die Frage, wer über ein bestimmtes Thema die Diskursmacht hat und damit quasi über das zum entsprechenden Zeitpunkt gerade erlaubte Wissen verfügen darf, ist gemäß Foucault zentral. Spätestens seit seiner Abhandlung über „die Geburt des Gefängnisses“ ist für ihn klar, „dass die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); dass Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; dass es keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert“ (Foucault 1994: 39). Es wäre zu kurz gegriffen, die Foucaultsche Macht-Wissens-Relation mit dem deutschen Phraseologismus Wissen ist Macht gleichzusetzen - die Foucaultʼsche Logik funktioniert eher umgekehrt: Macht ist (bzw. generiert) Wissen; Macht legt fest, was man wissen darf und was nicht. Gemäß dieser Konzeption fällt die Idee des erkennenden, „interessierten“ (ebd.: 40) Subjekts mehr oder weniger dahin - die Apparaturen der Macht und des Wissens „besetzen und unterwerfen […] die menschlichen Körper […], indem sie aus ihnen Wissensobjekte machen“ (ebd.; Hervorh. d. Verf.). Die bisherigen Ausführungen zu Foucaults Diskurstheorie zeigen, dass diese wesentlich mit nicht-linguistischen Disziplinen verknüpft ist, so etwa mit der Philosophie, der Geschichte und der Soziologie. Die Frage, ob Diskurse überhaupt oder doch nur zu einem gewissen Teil sprachwissenschaftliche Objekte seien, ist eine von der Diskursforschung noch nicht beantwortete (und womöglich gar nicht abschließend beantwortbare) Frage, mit der sich auch Foucault beschäftigt hat (vgl. auch Busse/ Teubert 1994; Abschnitt 3.1). Er kam nicht immer zum gleichen Resultat. Sicher ist: Sprache war für Foucault zumindest der Ausgangspunkt der Diskursanalyse. Foucault interessierte sich dafür, welches Regelwerk, welche diskursiven Kräfte es möglich machen, dass eine bestimmte Äußerung in einem bestimmten Kontext genau so und nicht anders formuliert wird. Gemäß einer solchen Fragestellung sind Aussagen keine „Zufallsprodukte“, sondern sie gehorchen „der Ordnung des Diskurses“ (Foucault 1991). Das heißt konkreter: Der Diskurs stellt bestimmte Wörter, Phraseologismen (Wortverbindungen), zu Sprichwörtern geronnene Sätze bereit, die besonders gut zu einem Ereignis passen. Wenn Jugendliche im Zug die Füße auf den gegenüberliegenden Sitz stellen, ohne die Schuhe auszuziehen, dann ist es wahrscheinlicher, dass andere Fahrgäste z.B. sagen: „Wenn das jeder täte! “ oder „Hattet ihr keine Kinderstube? “, als dass sie irgendetwas anderes sagen. Wenn im Rahmen der Abhöraffäre durch den amerikanischen Geheimdienst NSA (von 2013 ff.) mit einer gewissen Regelmäßigkeit der Graffiti- Spruch „Yes, we scan“ auf manchen Mauern zu lesen ist, dann ist diese Zeichenfolge - 21 2.1 Michel Foucault mehr als ein sprachliches Zufallsprodukt. Der Diskurs über die Abhöraffäre generierte diesen Spruch, der die Abwandlung des Diktums „Yes, we can“ von US-Präsident Barack Obama aus seinem Wahlkampfdiskurs von 2008 ist. Foucault war einer der ersten, der das Augenmerk der Forscherinnen auf die sprachlichen Versatzstücke (Muster; engl. patterns) lenkte, welche einen Diskurs an der sprachlichen Oberfläche zusammenhalten (Foucault 1981). Es geht bei dieser Betrachtungsweise grundsätzlich um die Frage, welche Wörter, Phraseologismen, Sätze, ja Textversatzstücke in bestimmten Kontexten - statistisch betrachtet - signifikant häufiger auftreten als andere. Oder auch umgekehrt: Was uns das (möglicherweise unerwartete) Auftreten einer gewissen sprachlichen Wendung in einem Kontext über die diskursive Verortung des entsprechenden Textes sagen kann. Foucault konnte nicht wissen, dass mit der Korpuslinguistik eine linguistische Teildisziplin entstehen würde, welche diesen - den oberflächenstrukturellen - Aspekt der Diskurslinguistik mit computergestützten quantitativen Analysen maßgeblich unterstützen kann (vgl. Kap. 4). Aber auch wenn wir den Diskurs als primär linguistische Größe betrachten (und das tun wir in diesem Buch zu einem sehr großen Teil), wollen wir hier doch auf eine konzeptuelle Ausweitung hinweisen, die Foucault mit dem Begriff „Dispositiv“ benannte (Foucault 1977). Stark vereinfacht kann man sich ein Dispositiv als eine Reihe von sprachlichen wie auch außersprachlichen Maßnahmen vorstellen, mit denen das in den Diskursen gespeicherte „Macht-Wissen“ in die „Wirklichkeit“ übersetzt wird. Konkret können das soziale, administrative oder architektonische Maßnahmen sein, etwa eine Schuluniform, ein Gesetz, eine Zollschranke, eine psychiatrische Klinik. Wie man sich eine Dispositivanalyse vorstellen kann, soll das folgende Beispielfenster zeigen. Beispielfenster: Die Normalisierung des Individuums durch die Justiz In dem Werk „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ (1994; frz. Original 1975) hatte Foucault seinen „bloß“ diskursanalytischen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse erweitert und sich, nach ausführlicher Beschäftigung mit Nietzsche, der Genealogie dieser Verhältnisse, d.h. der Geschichte ihres Entstehens zugewandt. Sein Interesse an der Sezierung von Machtstrukturen fand Ausdruck in einer aus damaliger Sicht linksradikalen Studie über die Entstehung des französischen Repressionsapparates. „Überwachen und Strafen“ hebt an mit zwei Textauszügen zur Praxis des Strafens im Paris vergangener Jahrhunderte, die antithetischer nicht sein könnten: „Am 2. März 1757 war Damiens dazu verurteilt worden, ‚vor dem Haupttor der Kirche von Paris, öffentlich Abbitte zu tun. […] [A]uf dem Grève-Platz sollte er dann im Stürzkarren auf einem dort errichteten Gerüst an den Brustwarzen, Armen, Oberschenkeln und Waden mit glühenden Zangen gewickt werden; seine rechte Hand sollte das Messer halten, mit dem er den Vatermord begangen hatte, und mit Schwefelfeuer gebrannt werden, und auf die mit Zangen gezwickten Stellen sollte geschmolzenes Blei, siedendes Öl, brennendes Pechharz […] gegossen werden; dann sollte sein Körper von vier Pferden auseinandergezogen und zergliedert werden […].‘“ (ebd.: 9). „Ein Dreivierteljahrhundert später verfasst Léon Faucher ein Reglement ‚für die jungen Gefangenen in Paris‘: 22 2 Wurzeln der Diskursanalyse ‚Art. 17. Der Tag der Häftlinge beginnt im Winter um sechs Uhr morgens, im Sommer um fünf Uhr. Die Arbeit dauert zu jeder Jahreszeit neun Stunden täglich. Zwei Stunden sind jeden Tag dem Unterricht gewidmet. Die Arbeit und der Tag enden im Winter um neun Uhr, im Sommer um acht Uhr. […]‘“(ebd.: 14). Anhand dieser beiden kurzen Textauszüge lässt sich bereits erahnen, dass sich der Diskurs über das Bestrafen in Paris zwischen ca. 1750 und 1830 eklatant verändert hatte. Aber nicht nur der Diskurs! Mit verändert hatte sich das ganz konkrete Bestrafungs-Dispositiv: Die „Leibesmarter“ war von einer „Zeitplanung“ als Sanktion abgelöst worden (ebd.), an die Stelle des „Straf-Schauspiel[s]“ (ebd.: 17) trat die Disziplinierung durch Askese: durch „nicht mehr so unmittelbar physische Bestrafungen, [sondern durch] eine gewisse Diskretion in der Kunst des Zufügens von Leid, ein Spiel von subtileren, geräuschloseren und prunkloseren Schmerzen“ (ebd.: 15). Doch damit nicht genug: Die Entstehung des Gefängnisses mit seiner Kontrollfunktion und dem Ziel der Disziplinierung und „Normalisierung“, der „Besserung“ der Insaßen zog eine Reihe von weiteren Institutionen nach sich, die wechselseitig aufeinander bezogen waren; es wuchsen ganze institutionelle Netze zur Diszplinierung der Gesellschaft überhaupt: „[D]ie Medizin, die Psychologie, die Erziehung, die Fürsorge, die Sozialarbeit [übernahmen] immer mehr Kontroll- und Sanktionierungsgewalten“ (ebd.: 395). All die entsprechenden Institutionen waren, nach Foucault, beteiligt an der „Normalisierung“ der modernen Gesellschaft. Die „Normalisierung“ des Individuums, sprich: das „Einebnen“ des statistisch Auffälligen vor allem im medizinischen, psychologischen und pädagogischen Bereich, war das vorherrschende diskursive Prinzip, das auch außerhalb des sprachlichen Diskurses - in den gesellschaftlichen Ritualen oder im Städtebau (Krankenhäuser, Waisenhäuser, Altenasyle usw.) - ihren Niederschlag fand. Das architektonische Dispositiv der ganzen Stadt war maßgeblich durch den „Normalisierungsdiskurs“ geprägt worden. Wer sich ausführlicher mit Foucaults Werk befassen will, dem seien seine zwei - aus diskursanalytischer Sicht - Hauptwerke „Die Ordnung der Dinge“ (1974) und „Archäologie des Wissens“ (1981) empfohlen. Auch Foucaults Antrittsvorlesung vom 2. Dezember 1970 am Collège de France gehört zur Grundausstattung der „Foucaultianer“ („Die Ordnung des Diskurses“; dt.: 1991). Wer an Dispositivanalyse interessiert ist, lese „Überwachen und Strafen“ (1994), eines der eindrücklichsten und (politisch) engagiertesten Werke des Philosophen. Eine sehr gute und instruktive Einführung in Foucaults Werk hat der Zürcher Historiker Philipp Sarasin verfasst (2005). 2.2 Linguistische Pragmatik Die linguistische Pragmatik ist ein genuin sprachwissenschaftlicher Ansatz, der in den 1970er Jahren von deutschen Sprachwissenschaftlern ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, den konkreten Sprachgebrauch in Institutionen zu untersuchen. Der Ansatz wird auch als funktional-pragmatische Diskursanalyse bezeichnet und ist ein Zweig der Gesprächsforschung, der bis heute rege Anwendung in der Grundlagenforschung, aber auch in der Angewandten Gesprächsforschung findet. 23 2.2 Linguistische Pragmatik Im Kontext der funktional-pragmatischen Diskursanalyse bedeutet „Diskurs“ so viel wie „Gespräch“ oder „mündliche Interaktion“ und darf nicht mit dem in diesem Buch vertretenen Verständnis von Diskurs verwechselt werden. Die linguistische Pragmatik steht in der auf Marx zurückgehenden Tradition des historischen Materialismus. Dieser geht davon aus, dass das Handeln des Individuums weniger von seinen individuellen Wünschen und Bedürfnissen bestimmt wird als vielmehr von den materiellen und institutionellen Lebensbedingungen, die dem Einzelnen vorausgehen und ihm als „faits sociaux“ (Durkheim) entgegentreten. Heute bewegen sich die Menschen in ihrem Alltag überwiegend in institutionellen Kontexten wie Schulen, Unternehmen, Behörden oder Krankenhäuser. Der Kern der linguistischen Pragmatik besteht daher in der Frage, wie sich solche Institutionen auf das sprachliche Handeln der Individuen auswirken (Ehlich/ Rehbein 1986) - und umgekehrt, wie Institutionen durch Sprache konstituiert werden (Searle 2015). Sprechen und Schreiben sind eine Form menschlichen Handelns und als solche immer intentional, das heißt auf einen Zweck ausgerichtet. Das Spezifische am Sprechen und Schreiben in Institutionen besteht nun darin, dass der Zweck der einzelnen sprachlichen Handlungen in der Regel nicht vom Individuum bestimmt wird, sondern von der Institution vorgegeben ist. Der Richter fragt den Angeklagten zu Beginn der Gerichtsverhandlung nicht deswegen nach seinem Namen, weil dieser ihn persönlich interessieren würde (der Name ist ihm im Gegenteil längst bekannt), sondern weil es die Prozessordnung so vorschreibt, um sicherzustellen, dass die richtige Person verhört wird. Die funktional-pragmatische Diskursanalyse untersucht nun, wie der Name sagt, welche Funktionen einzelne sprachliche Handlungen im institutionellen Kontext haben, und zwar unabhängig von deren grammatikalischer Form. Die Form sagt oft wenig über die Funktion einer Äußerung aus. So dient eine Frage keineswegs immer dazu, eine Wissenslücke zu stopfen, sondern sie kann auch dazu eingesetzt werden, Wissen zu überprüfen (die klassische Prüfungsfrage), die Aufmerksamkeit zu steuern („Was siehst du noch? “) oder jemanden zu verunsichern („Sind Sie sicher? “). Die Erforschung konkreter Interaktionen deckte rasch auf, dass sich für die Bewältigung wiederkehrender gesellschaftlicher Probleme in der Sprachgemeinschaft sogenannte Handlungsmuster entwickelt haben, mit denen die Individuen die anstehenden Aufgaben in gesellschaftlich akzeptierter, für jedes kompetente Mitglied der Sprachgemeinschaft nachvollziehbarer Form abwickeln können (Bendel 2007). Beispiel für ein solches Handlungsmuster ist die Lehrerfrage, die im Unterricht dem Überprüfen des Lernfortschritts dient und die typische Form hat: Lehrer stellt Frage - Schüler gibt Antwort - Lehrer ratifiziert die Antwort als richtig oder falsch (Ehlich/ Rehbein 1986). Handlungsmuster sind kollektive Routinen zur Bewältigung wiederkehrender gesellschaftlicher Aufgaben. Sie bilden als Form-Funktions-Zusammenhang die Tiefenstruktur von sprachlichen Handlungen. An der sprachlichen Oberfläche können sie in stilistisch unterschiedlichen Varianten, das heißt in verschiedenen konkreten Formulierungen auftreten. Aber auch hier finden sich wiederkehrende Routineformeln (Coulmas 1981), das heißt stereotype Formulierungen für die sprachliche Umsetzung eines Handlungsmusters. Man denke an Floskeln wie „Sonst noch ein Wunsch? “ - „Nein, danke, das ist alles“ in der Bäckerei. Einzelne Handlungsmuster treten selten isoliert auf, sondern sind eingebettet in größere Interaktionszusammenhänge. Daher ist es in der funktional-pragmatischen Diskursanalyse üblich, ganze Gespräche zu untersuchen und die ihnen zugrunde liegende Aufgabenkontur (Kallmeyer/ Schütze 1976) zu untersuchen. Diese Aufgabenkontur ist 24 2 Wurzeln der Diskursanalyse nicht abhängig von den individuellen Absichten oder Fähigkeiten der Interagierenden, sondern ergibt sich aus dem Zweck der Sache selber. Heute spricht man in der Regel von einem Aufgabenschema und meint damit ein Bündel von obligatorischen und fakultativen Aufgaben in einer oft prototypischen Reihenfolge, die im Rahmen eines institutionellen Gesprächs abzuarbeiten sind. Das Ziel einer funktional-pragmatischen Diskursanalyse besteht darin, die für eine Institution typischen Aufgabenschemata herauszuarbeiten. Diese zeigen sich konkret in der Form von Gesprächsmustern, die als typische Abfolge einzelner Handlungsmuster aufzufassen sind (Becker-Mrotzek/ Meier 1999, Spiegel/ Spranz-Fogasy 2003). Die Kenntnis institutioneller Gesprächsmuster ermöglicht es den Interagierenden, anstehende Geschäfte (im Sinne der Institution) korrekt und effizient abzuwickeln, wobei zu berücksichtigen ist, dass in der Regel nur die Agenten die Muster vollständig beherrschen, während die Klienten oft nur vage Vorstellungen von einem Gerichtsprozess oder einem Bewerbungsgespräch haben. In der folgenden Tabelle ist als Beispiel das Muster des Gesprächstyps „Kontospezifische Auskunft erteilen“ abgebildet, wie es bei der Analyse von Telefongesprächen im Callcenter einer Bank herausgearbeitet wurde (Bendel 2007). Gerade gesetzt sind die obligatorischen Aufgaben, kursiv die fakultativen. Links sind die Gesprächszüge des Kunden aufgeführt, rechts jene des Agenten, in der Mitte Handlungsmuster, die von beiden Seiten initiiert werden können. KUNDE AGENT Eröffnung Anruf Anrufannahme Vorstellung Vorstellung Rückfragen bezüglich Name Begrüßung Begrüßung Klärung der Zuständigkeit Hauptteil Anliegen präsentieren Anliegen ratifizieren Anliegen klären Kontonummer angeben Konto aufrufen Angaben zur Identifikation liefern Kunden identifizieren gewünschte Auskunft erteilen akustische Verständigungsprobleme beheben (fremd)sprachliche Verständigungsprobleme beheben inhaltliche Verständigungsprobleme beheben Zusatzfragen stellen gewünschte Auskunft erteilen Rücksprache mit anderer Abteilung Ratifikation der Auskünfte Abschluss Beendigungssignal Beendigungssignal Dank Dank Wünsche Wünsche Abschied Abschied Tabelle 1: Aufgabenschema „Kontospezifische Auskunft“ (Bendel 2007: 70). 25 2.2 Linguistische Pragmatik Zu betonen ist, dass in der funktionalen Pragmatik solche Gesprächsmuster grundsätzlich an authentischen, auf Tonband oder Video aufgezeichneten und minutiös transkribierten Gesprächen gewonnen wurden und somit empirisch validiert sind. Vertreter der funktionalen Pragmatik haben in den vergangenen 40 Jahren eine Fülle verschiedener institutioneller Gesprächstypen untersucht und die eingesetzten Aufgabenschemata und Gesprächsmuster herausgearbeitet. Das sind Gespräche in der Schule (Unterrichts-, Prüfungs-, Elterngespräche), auf Ämtern (Ausländeramt, Arbeitslosenkasse), im Krankenhaus (Gespräche in der Notaufnahme, zur Anamnese oder Operationsvorbereitung, Arztvisite), in der Wirtschaft (innerbetriebliche Besprechungen, Service-, Verkaufs-, Reklamationsgespräche, Verhandlungen im intra- und interkulturellen Kontext), in der Politik (Bundestagsdebatten, TV-Duelle) und viele mehr (dazu ausführlich Redder 2008). Der Nutzen dieser Untersuchungen liegt darin, dass Regularitäten, aber auch Probleme der institutionellen Kommunikation sichtbar werden, die den Handelnden selber verborgen bleiben. So hat die Untersuchung von Arzt-Patienten-Gesprächen ans Licht gebracht, dass viele Ärzte ihre Anamnesegespräche in einer Art führen, die das Erzählen einer kohärenten Krankheitsgeschichte aus der Sicht der Patientinnen systematisch verhindert. Die Ursachen dafür sind nicht (nur) persönliche Defizite in der Gesprächsführung, sondern auch in der Ausbildung überlieferte, dysfunktionale Routinen wie das stereotype Abfragen der Kinderkrankheiten gleich zu Beginn des Gesprächs, ein schulmedizinisches Weltbild sowie enormer Zeitdruck, der die Ärztinnen nach Schlüsselwörtern wie „stechender Schmerz“ suchen lässt, anstatt dass sie versuchen würden, die Gesamtsituation des Patienten zu erfassen. Solche Untersuchungen bilden den Ausgangspunkt für eine linguistisch fundierte Institutionenkritik einerseits, für die Ausarbeitung gesprächsanalytisch fundierter Kommunikationstrainings andererseits (Becker-Mrotzek/ Brünner 2004). Letztere zielen darauf ab, sprachliches Handeln nicht einfach vorzuschreiben, sondern den Institutionsangehörigen sprachliche Handlungsräume im Rahmen der institutionellen Vorgaben aufzuzeigen (Bungarten 1994, Fiehler/ Kindt 1994). In ihren Anfängen ging die funktionale Pragmatik davon aus, dass Gesprächsmuster sich durch Wiederholung und Routine in der Spachgemeinschaft von selbst entwickelt haben. Heute sieht das in einigen gesellschaftlichen Domänen anders aus. Im Verkauf, im telefonischen Kundendienst, in der Marktforschung kommen heute im großen Stil schriftlich vorliegende Gesprächsmuster bis hin zu wörtlich aufgesetzten Gesprächsleitfäden zum Einsatz, welche den Angestellten ein rigides Handeln nach Script vorgeben (Hirschfeld/ Neuber 2011). Gesprächsleitfäden können als Dispositive im Foucault’schen Sinne verstanden werden, welche die Handlungsmöglichkeiten und die Identitäten der Beteiligten in machtvoller Weise formieren. Der heuristische Wert der Konzepte Aufgabenschema und Gesprächsmuster ist unbestritten. Allerdings ist ihr theoretischer Status keineswegs geklärt: Handelt es sich um Teilnehmer- oder Beobachterkategorien? Existieren sie schon vor der Durchführung realer Gespräche in den Köpfen der Interagierenden oder werden sie diesen nachträglich von den Analysierenden zugeschrieben? Dass viele Interagierende über ihr sprachliches Handeln Auskunft geben und institutionelle Gespräche auch inszenieren und parodieren können, ist ein starkes Indiz dafür, dass sie sich tatsächlich an Gesprächsmustern orientieren (Bendel 2007: 60). Allerdings führen institutionelle Gesprächsmuster auch zu dysfunktionalen Verhaltensweisen, die die Beteiligten selber 26 2 Wurzeln der Diskursanalyse nicht durchschauen (vgl. oben). Insofern ist von einer Mischung von Teilnehmer- und Beobachterkategorie auszugehen. Ein zweites ungelöstes Problem der funktionalen Pragmatik besteht darin, dass individuelle Intentionen - in den älteren Praxeogrammen als „mentale Operationen“ explizit abgebildet - und institutionelle Zwecke de fakto gleich gesetzt werden. Dass individuelles Wirken und Wollen mit den Vorgaben der Institution in eins fällt, kann jedoch durchaus nicht vorausgesetzt werden, sondern kommt eigentlich nur in „totalen Institutionen“ (Goffman) vor. Da ohnehin nur die sprachlichen Handlungen beobachtet werden können, die dahinter liegenden Intentionen der Individuen aber erschlossen werden müssen, ist das Verhältnis von sprachlicher Handlung, institutionellem Zweck und individueller Absicht im Einzelfall nur sehr schwer zu bestimmen. Die linguistische Pragmatik steht nicht in der Tradition von Foucault und versteht sich nicht als Teil der linguistischen Diskursanalyse im hier vertretenen Sinne. Dennoch waren und sind die Methoden und Ergebnisse der linguistischen Pragmatik für die Diskursanalyse von unschätzbarem Wert. Ohne sich auf eine eigentliche Diskurstheorie zu stützen, hat die linguistische Pragmatik schon früh den wechselseitig konstitutiven Charakter von Institution und Kommunikation aufgezeigt: Institutionen prägen die in ihnen stattfindenden Interaktionen, umgekehrt sind es die Interagierenden selber, die durch ihre musterhaften sprachlichen Handlungen die soziale Ordnung immer wieder reproduzieren und aufrecht erhalten. Die Analyse authentischer Gespräche hat aufgezeigt, welche Macht Institutionen auf ihre Klienten und Agenten ausüben, in welchem Maß sie deren Handlungsmöglichkeiten und damit verbunden deren Identitäten bestimmen. Stammen die theoretischen Überlegungen zur Wirkung von Diskursen vorwiegend aus der Feder von Soziologen, so liefert allein die funktional-pragmatische Diskursanalyse das methodische Rüstzeug, die machtvollen Wirkungen von Diskursen in konkreten Interaktionen empirisch nachzweisen. Beispielfenster: Wiedergutmachung nach Servicefehlern Von Betriebsökonomen gibt es viele Ratgeber, in denen beschrieben wird, was nach einer Reklamation zu tun ist, damit der Kunde wieder zufrieden ist. Unter anderem soll sich das Unternehmen für die entstandenen Umtriebe entschuldigen und eine Kompensation anbieten. Doch wie laufen Reklamationen vor Ort konkret ab? Dazu hat Bendel (2001) eine Studie in einem Viersternehotel durchgeführt. Während zwei Wochen wurden die Gespräche an der Reception aufgezeichnet, teilweise transkribiert und mit den Mitteln der funktionalen Pragmatik ausgewertet. Das wichtigste Resultat der Studie lautet: Ob eine Reklamation vorliegt oder nicht, darüber besteht zwischen den Angestellen und dem Gast keineswegs immer Konsens. Ferner müssen Episoden mit Servicefehlern in drei Typen differenziert werden: Korrekturen, bei denen die Angestellte einen Fehler feststellt und korrigiert, Reklamationen, bei denen der Gast einen Fehler beanstandet, sowie Serviceausfälle, bei denen die Dienstleistung im laufenden Gespräch nicht oder nicht vollständig zustande kommt. Für die ersten zwei Gesprächstypen existieren identifizierbare Gesprächsmuster, während der dritte Typ dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Muster gerade nicht vollständig bearbeitet wird. 27 2.3 Wissenssoziologie Ob Episoden mit Servicefehlern „gut“ ausgingen oder nicht, hing wesentlich von der individuellen Kompetenz und Erfahrung der Angestellten ab. Mangelnde Einarbeitung, problematische Einstellungen gegenüber Gruppenreisenden und ungenügende Englischkenntnisse führten nicht nur zu unbeholfenen Reaktionen auf Reklamationen, sondern provozierten auch selber Serviceausfälle. Wer zurück zu den Quellen gehen will, lese zum Konzept des Aufgabenschemas Kallmeyer/ Schütze (1976) und zur Analyse institutioneller Gespräche Ehlich/ Rehbein (1986). Die Ziele und Verfahren der funktional-pragmatischen Diskursanalyse sind im knappen, verständlichen Überblick dargestellt bei Brünner/ Graefen (1994) und Spiegel/ Spranz-Fogasy (2003). Eine ausführliche Darstellung mit umfassendem Literaturüberblick findet sich bei Redder (2008). Die Grundlagen der Angewandten Gesprächsforschung sind festgehalten bei Brünner/ Fiehler/ Kindt (1999), während aktuelle Anwendungen und Weiterentwicklungen in der Online-Zeitschrift für Gesprächsfor schung (www.gespraechsforschung-ozs.de) zu finden sind. 2.3 Wissenssoziologie Die Wissenssoziologie ist natürlich nicht nur eine Wurzel der Diskursanalyse, sondern einer ihrer bedeutenden Zweige, wenn nicht sogar - um im Bilde zu bleiben - ihr Stamm. Wir führen sie hier nur deshalb unter den Wurzeln auf, weil sie einiges älter ist als die linguistische Diskursanalyse und diese in mannigfaltiger Weise inspiriert hat. Die Wissenssoziologie fragt ganz allgemein danach, was eine Gesellschaft zu wissen glaubt, wie sie zu diesem Wissen kommt, wie ein bestimmtes Wissen in einer Gesellschaft den Status der „Wirklichkeit“ bekommt und welche Wechselwirkungen bestehen zwischen den Wissensordnungen einer Gesellschaft und ihrer sozialen Ordnung. Rekonstruiert wird das Zustandekommen sowohl des Wissens von Experten als auch des Alltagswissens, wie es sich in Ratschlägen, Maximen und unreflektiertem Handlungswissen niederschlägt. Eine Hausfrau schaltet den Mixer ein und schlägt damit die Sahne steif, weil sie „weiß“, dass das funktioniert - obwohl sie weder den physikalischen Mechanismus hinter dem Steifwerden der Sahne noch die Bauweise des Mixers versteht. Würde ein Besucher aus einer anderen Kultur fragen, warum sie das tut, lautete ihre Antwort: „Weil man zu Apfelkuchen Sahne reicht.“ Das weiß und tut man einfach ohne es zu begründen oder zu hinterfragen. Am Beginn der heutigen Wissenssoziologie steht das berühmte Buch „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ von Berger und Luckmann, das 1966 in englischer, 1969 in deutscher Sprache erschien. Nach Berger und Luckmann hat die Wissenssoziologie die Aufgabe, „die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit zu analysieren“ (Berger/ Luckmann 1969/ 2000: 3). Mit dem Ausdruck „Konstruktion der Wirklichkeit“ ist gemeint, dass die Gesellschaft, in der wir leben, nicht von Natur aus so ist, wie sie ist, sondern historisch gewachsen, mithin aus den Handlungen unserer Vorfahren hervorgegangen ist. Die materielle Umwelt und unser Körper zwingen uns zwar gewisse Verhaltensweisen auf - wir müssen essen, schlafen und uns vor der Kälte schützen -, aber wie wir essen, schlafen und uns kleiden, geben uns unsere Konventionen sowie gesellschaftliche Institutionen vor. Wie kommt es aber, dass wir unsere Konventionen, zum Beispiel mit dem Ehegatten in einem Bett zu schlafen, aber nicht mit den Geschwistern, für völlig normal halten? - 28 2 Wurzeln der Diskursanalyse Wieso sind wir überzeugt, dass eine Institution wie die Ehe real existiert, dass der Mann und die Frau von nebenan tatsächlich ein „Ehepaar“ sind? Berger und Luckmann erklären die Entstehung gesellschaftlicher Institutionen aufbauend auf der Phänomenologie von Schütz (dazu Abels 2004). Schütz geht davon aus, dass Menschen nicht aufgrund von natürlichen Gegebenheiten handeln, sondern aufgrund des Sinns, den sie natürlichen Phänomenen zuschreiben. Wir bauen Zollstationen an Brückenköpfen, weil wir den Fluss zuvor als Grenze zwischen zwei Ländern definiert haben. Flüsse werden häufig als „natürliche“ Grenzen bezeichnet, dabei sind sie von Natur aus gar nichts anderes als Fließgewässer; nur die Menschen schreiben ihnen die Bedeutung von Grenzen zu und machen sie damit zur Grenze. Die Zuschreibung von Sinn erfolgt im Alltag aufgrund von Typisierungen. Wir nehmen Menschen zuallererst als Typen wahr, nicht als Individuen, also zum Beispiel als Mütter, Nachbarn, Lehrer. Ebenso typisieren wir Situationen: Das ist ein Klatsch am Gartenzaun, das eine Schulstunde. Zur Bewältigung dieser typisierten Situationen bilden wir Routinen aus, Handlungsmuster für den Klatsch am Gartenzaun und die Durchführung einer Schulstunde (vgl. Abschnitt 2.2). Wo sich Routinen wiederholen, da entstehen gesellschaftliche Institutionen wie der Quartierverein oder die Schule, die schlussendlich unabhängig von konkreten Nachbarn, Schülerinnen oder Lehrern funktionieren. Institutionen wie die Ehe, die Familie, die Schule oder das öffentliche Transportwesen sind daher durch und durch gewordene, von Menschen konstruierte Wirklichkeiten. Junge Menschen jedoch wachsen während ihrer Sozialisation in eine fixfertige Gesellschaft hinein, die sämtliche Deutungen, Sinnzuschreibungen, Typisierungen und Institutionen für sie fixfertig bereit hält (Berger/ Luckmann 1969/ 2000: 139-147). Sie lernen vom ersten Tag an, sich als Kind einer „Familie“ zu begreifen, die Frau mit dem Spaten in der Hand als „Nachbarin“ zu bezeichnen, Schule für etwas Unausweichliches zu halten und den öffentlichen Verkehr und damit individuelle Mobilität für selbstverständlich. Für den heranwachsenden Menschen ist die gesellschaftliche Konstruiertheit der Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen, für ihn „ist“ die Welt ganz einfach so. Gesellschaftliche Konstruktionen haben grundsätzlich die Tendenz, sich über die Zeit zu verdinglichen. Verdinglichung bedeutet, dass gesellschaftliche Konstrukte den Charakter der Konstruiertheit verlieren und im Bewusstsein der Menschen zu eigenen Realitäten werden, auf die der Mensch keinen Einfluss mehr hat. Eine der heute einflussreichsten Verdinglichungen ist jene des Marktes. Obwohl das kapitalistische Wirtschaftssystem eindeutig von Menschen installiert wurde und noch gar nicht so alt ist, sprechen heute alle vom „Markt“, als wäre dieser ein selbständiger Akteur, der den Menschen seinen Willen aufzwingt: „Der Markt verlangt eine Anpassung der Löhne“, heißt es dann etwa. Die vom Menschen konstruierte Ordnung wird von den Gesellschaftsmitgliedern laufend stabilisiert: Angefangen von einfachen Ermahnungen („Das macht man so“) über gezielte Legitimationen („Die Ehe ist die Keimzelle jeder Gesellschaft“) bis hin zu symbolischen Sinnwelten („Die Ehe entspricht Gottes Willen“) und theoretischen Konstruktionen („Die Ehe ist ein Sakrament“). Am wirksamsten ist dabei das Alltagsgespräch: Noch nach dem chaotischsten Traum ruft mir die Frage des Bürokollegen nach dem Wohlergehen von Mann und Kind in Erinnerung, dass ich Ehefrau bin und dass meine „Familie“ real ist (Berger/ Luckmann 1969/ 2000: Abschnitt II). Die Gesellschaft verfügt darüber hinaus über wirksame Mittel, Abweichler wieder auf Kurs zu bringen. Wer die gesellschaftliche Wirklichkeit in Frage stellt, wird als 29 2.3 Wissenssoziologie Sektierer ausgeschlossen, als Verbrecher bestraft, als Feind vernichtet oder als Geistesgestörter therapiert (ebd.: 120-124). Das wichtigste Instrument zur Konstruktion, Aufrechterhaltung und Weitergabe der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist nach Berger und Luckmann die Sprache. Mit ihren Begriffen, Kategorisierungen und Erzählungen liefert sie dem Kind, das eine Sprache erwirbt, eine bestimmte Wahrnehmung der Welt frei Haus mit. Wir können die Welt gar nicht anders wahrnehmen als in den Kategorien unserer Sprache, mindestens können wir uns ohne sie nicht über die Welt verständigen. Das ist der Grund, warum die Wissenssoziologie so wichtig geworden ist für die linguistische Diskursanalyse - und umgekehrt. Das Buch von Berger und Luckmann hat nicht nur die Wissenssoziologie auf eine neue Basis gestellt und viele empirische Untersuchungen angeregt, es war auch mitverantwortlich für einen Paradigmenwechsel in vielen Wissenschaften, den so genannten linguistic turn (vgl. Sieben 2015). Viele Juristinnen, Philosophen, Soziologen, Historiker, Ökonomen und Geografinnen merkten, dass sie mit ihren Begriffen und Theorien nicht die Welt beschreiben, wie sie ist, sondern dass sie lediglich - historisch durchaus wandelbare - Interpretationen der Welt vorlegen, und dass die Geschichten, die sie von der Realität erzählen, auf diese zurückwirken. Die Gesetzeskommentare von Juristinnen beschreiben nicht die Rechtsprechung, sondern prägen selbige. Betriebswirtschaftliche Lehrbücher erklären nicht die Funktionsweise des Marktes, sondern tragen dazu bei, so etwas wie einen Markt überhaupt erst zu konstituieren. Wissenschaftliche Begriffe, Modelle und Theorien sind höchst wirksame Mittel der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit. Das gilt selbstredend auch für die Diskursanalyse. Bis heute sind die Konstruktivisten, die gemäß der Theorie des Konstruktivismus die Wirklichkeit für eine vom Menschen geschaffene halten, in der Minderheit. Ton angebend sind in der Öffentlichkeit nach wie vor die Positivisten, die mit geradezu rührender Unerschütterlichkeit daran glauben, die Wissenschaft könne wahre bzw. falsifizierbare Aussagen über die eine, reale Welt machen. Zwei ihrer typischen Vorwürfe an den Konstruktivismus lauten: Es sei absurd, die reale Welt in Frage zu stellen („Ist dieser Tisch etwa nicht real? “), und der Konstruktivismus öffne der wissenschaftlichen Beliebigkeit Tür und Tor („Anything goes“). Hier liegt ein Missverständnis vor. Der Konstruktivismus stellt die Wirklichkeit nicht in Frage; Schlagbäume an Grenzen und Ehegesetze sind höchst real, in ihrer physischen Existenz wie in ihren Auswirkungen auf die Menschen. Aber in ihrem Gewordensein sind sie gesellschaftliche Konstruktionen und somit prinzipiell veränderbar. Ebensowenig ist wissenschaftliche Beliebigkeit angezeigt. Der Konstruktivismus weist lediglich darauf hin, dass Wissenschaftler reflektieren sollten, von welcher Vorstellung von Wirklichkeit sie ausgehen und was ihre wissenschaftlichen Modelle selber zur Konstruktion der Wirklichkeit beitragen. In jüngerer Zeit wurden verschiedene Konzepte entwickelt, in denen Wissenssoziologie und die Diskurstheorie von Foucault (vgl. Abschnitt 2.1) zusammengeführt wurden. Prominent ist die wissenssoziologische Diskursanalyse von Keller. Ihr Ziel ist, „Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d.h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren“ (Keller 2007b: 57). Untersucht werden nicht nur die Texte, die aus einem gesellschaftlichen Diskurs hervorgegangen sind, sondern auch die den Diskurs tragenden Akteure, ihre sozialen Praktiken sowie materielle Objekte wie Maschinen oder Kleider. 30 2 Wurzeln der Diskursanalyse Keller legt nicht nur eine theoretische Fundierung einer wissenssoziologischen Diskursanalyse vor, sondern auch eine ausgereifte Methodologie. Er plädiert für qualitative Methoden, da Diskursanalyse eine hermeneutische, das heißt verstehende und interpretierende Tätigkeit sei (ebd.: 10). Für Linguistinnen ist Kellers Konzept deswegen besonders nützlich, weil er der Analyse von Texten hohe Priorität einräumt. Als Analysekategorien schlägt er unter anderem Deutungsmuster, Klassifikationen, Phänomenstruktur und narrative Strukturen vor (Keller 2007a: Kapitel 3). Einige dieser Begriffe haben wir in dieser Einführung übernommen. Linguistik und Wissenssoziologie können voneinander profitieren. Während die Soziologie fundierte Gesellschafts- und Diskurstheorien sowie ausgefeilte Anleitungen zur Konzeption empirischer Studien inklusive Korpusbildung liefert, verfügt die Linguistik über bewährte Methoden, wie man mündliche und schriftliche Texte detailgetreu analysiert und interpretiert. Umso erfreulicher ist, dass die Diskursforschung eines der wenigen Gebiete der Wissenschaft ist, in dem sich in den letzten Jahren erfolgreich ein interdisziplinärer Austausch etabliert hat, der sich in multidisziplinären Netzwerken (z.B. diskursanalyse.net), Tagungen, Handbüchern (z.B. Keller et al. 2006a, Wrana et al. 2014) und Sammelbänden (z.B. Viehöver et al. 2013) niedergeschlagen hat. Beispielfenster: Qualitätskonventionen im Käsemarkt In seinem Beitrag „Qualitätskonventionen als Diskursordungen in Märkten“ wirft Diaz-Bone die Frage auf, wie es den Akteuren auf einem bestimmten Markt gelingt, ihre Handlungen aufeinander abzustimmen. Die Antwort lautet: Weil sie über gemeinsame Wissenskonzepte, Kategorien und Evaluationssysteme verfügen (Diaz- Bone 2015: 309). Eines dieser Wissenskonzepte ist die geteilte Vorstellung, was Qualität ausmacht, die so genannten „Qualitätskonventionen“. Wie solche Qualitätskonventionen aussehen können, wird am Beispiel der französischen Camembert-Branche illustriert, in welcher sich die traditionell-handwerkliche und die industrielle Produktionsweise gegenüber stehen. Der „Camembert normand“ wird in kleinen Betrieben aus unpasteurisierter Milch mehrheitlich manuell hergestellt, in Käsegeschäften zu eher hohen Preisen verkauft und schmeckt je nach Produzent und Jahreszeit anders. Garant für die Qualität ist die Erfahrung des Käsermeisters. Der „Camenbert normé“ wird in Großbetrieben aus pasteurisierter Milch industriell hergestellt, in Supermärkten zu eher tiefen Preisen verkauft und schmeckt immer gleich. Garant für die Qualität sind die Expertise der Lebensmitteltechnologen und das standardisierte Vorgehen (ebd.: 320f). Es sind also die Qualitätskonventionen, die den gesamten Camembert-Markt strukturieren, von der Gesetzgebung über die Produktion bis zur Konsumption, das Selbstverständnis der Akteure bestimmen und als Legitimierungen für die eigenen Handlungsweisen dienen (ebd.: 322). Der Diskurs über den Käse existiert nicht unabhängig von der materiellen Welt, sondern ist aufs engste verwoben mit den Akteuren und ihren Handlungen, mit Gebäuden und Gerätschaften und schließlich sozialen Praktiken. 31 2.3 Wissenssoziologie Als Einstieg in die Wissenssoziologie ist der Klassiker von Berger/ Luckmann (1969/ 2000) trotz der aus heutiger Sicht sexistischen Beispiele Pflichtlektüre. Als Vorbereitung darauf empfiehlt sich Abels (2004), insbesondere das Kapitel zu Schütz. Die Standardeinführung in die zeitgenössische wissenssoziologische Diskursanalyse ist Keller (2007b). Verschiedene disziplinäre Zugänge zur sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse sind versammelt bei Keller et al. (2006a), zum Thema Diskurs, Sprache und Wissen bei Viehöver et al. (2013). Speziell auf Diskurs und Ökonomie ausgerichtet ist der Sammelband von Diaz-Bone/ Krell (2015). 3 Zweige der Diskursanalyse Diskursanalyse ist bis heute kein eigenes Studienfach, sondern eine disziplinenübergreifende Art des Forschens, die in verschiedenen klassischen Disziplinen gepflegt wird, darunter Geschichte, Geografie, Erziehungswissenschaft, Soziologie oder Gender Studies. In unserer Einführung präsentieren wir nur die linguistischen Zweige der Diskursanalyse. 3.1 Diskurslinguistik Die Diskurslinguistik entstand ab den 1990er Jahren, als Linguisten begannen, textübergreifende Fragestellungen zu untersuchen. Der erste Impuls kam aus der historischen Semantik. Von der klassischen, strukturalistischen Semantik unterscheidet sich die historische Semantik dadurch, dass sie die Vorstellung ablehnt, Wörter hätten eine fixe Bedeutung und einen eindeutig bestimmbaren Referenten. Vielmehr geht die sie davon aus, dass Bedeutung kontextuell bestimmt ist. Diese diskursiv ausgehandelte Bedeutung sowie ihre historische Veränderung über die Zeit gilt es zu rekonstruieren. In ihrem programmatischen Aufsatz „Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? “ plädierten Busse und Teubert dafür, die Grenzen der traditionellen Begriffsgeschichte zu überschreiten. Anstatt isoliert die Bedeutung einzelner Wörter zu beschreiben, sollten die Bedeutungsbeziehungen zwischen den Wörtern aufgezeigt und damit die Aussagen- und Wissensnetze über Text- und Epochengrenzen hinweg erforscht werden (Busse/ Teubert 1994) 2 . Neben der an der Textoberfläche greifbaren Bedeutung der Wörter sollen auch die Präsuppositionen erfasst werden, also das Nicht- Gesagte und Vorausgesetzte, das in den Wörtern mitschwingt, was die Autoren als Tiefensemantik bezeichnen. Die Idee ist, dass in den zentralen Begriffen einer Zeit das kollektive Wissen einer Gesellschaft gespeichert ist. Diskurssemantik zielt demnach darauf ab, das kollektive Wissen einer Zeit zu rekonstruieren. Dieser Ansatz existiert unter der Bezeichnung Diskurssemantik bis heute, wurde vielfach empirisch angewendet und theoretisch erweitert. Bekannt geworden sind vor allem die Düsseldorfer Forschungsprojekte, in denen zentrale Diskurse der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht wurden, darunter der Atomdiskurs, der Migrationsdiskurs oder die Frauenbewegung, nachzulesen in verschiedenen Sammelbänden (Stötzel/ Wengeler 1995, Busse/ Niehr/ Wengeler 2005). Hier wurden auch die Analysemethoden verfeinert, von Böke zum Beispiel die Metaphernanalyse, von Wengeler die Toposanalyse (siehe Abschnitt 8.1). Die Toposanalyse wurde von Spieß noch einmal weiterentwickelt und in ein analytisches Mehrebenenmodell integriert (siehe unten). Ziem schließlich hat das Programm der Diskurssemantik mit Konzepten der kognitiven Linguistik bereichert und verortet heute Bedeutung im Spannungsfeld zwischen Kommunikation und Kognition (Ziem 2013). Der zweite Impuls kam aus der Textlinguistik, als Forschende begannen, nach - primär inhaltlichen, aber auch formalen - Bezügen zwischen verschiedenen Texten zu fragen. Damit scheint die Diskurslinguistik zunächst eine logische Fortsetzung früherer Entwicklungen innerhalb der Linguistik zu sein. So wie die Textlinguistik in den 2 Der Aufsatz ist neu abgedruckt in Busse/ Teubert (2013). 34 3 Zweige der Diskursanalyse 1970er Jahren das Interesse über den einzelnen Satz hinaus auf den Text verlagerte, so überschreitet die Diskurslinguistik den einzelnen Text und fragt nach transtextuellen Phänomenen. Diese Sichtweise greift jedoch zu kurz, da die Diskurslinguistik keine simple Erweiterung der Textlinguistik auf die nächste Ebene ist, sondern theoretisch gänzlich neu aufgestellt ist. Die Diskurslinguistik ist dem konstruktivistischen Paradigma verpflichtet, das heißt, sie begreift Sprache als Mittel, mit dem die Welt nicht (nur) abgebildet, sondern mitkonstruiert wird. Und für genau diese Zusammenhänge interessiert sie sich: „Das Erkenntnisinteresse zielt auf die durch Sprache konstituierten größeren Zusammenhänge“ (Spieß 2013a: 324). Das geschieht unter mehr oder weniger expliziter Berufung auf die Diskurstheorie von Foucault (vgl. Abschnitt 2.1). Untersuchungsobjekt ist bei allen Spielarten der Diskurslinguistik ein Korpus von Texten, die thematisch zusammengehören und aus einem vorab definierten Zeitraum stammen. Wie das Verhältnis von Korpus und Diskurs zu denken sei, ist bis heute umstritten (vgl. Abbildung 1 im Abschnitt 1.1): Während die einen die Auffassung vertreten, das von den Forschenden zusammengestellte Korpus sei der Diskurs, gehen andere davon aus, dass Diskurse unabhängig von den Forschenden existieren und mittels den gesammelten Texten wenigstens ausschnittweise erfasst werden können (mehr dazu im Abschnitt 4.3). Der zweiten Ansicht schließen wir uns an. Die zentrale Aufgabe bei der Korpuserstellung (vgl. Kapitel 4) besteht entsprechend darin, Texte zu finden, die für den interessierenden Diskurs repräsentativ sind; repräsentativ nicht im statistischen Sinne, sondern im Sinne von das Typische erfassend (Busch 2007). Die Zusammenstellung des Korpus hängt von der Fragestellung und dem untersuchten Gegenstand ab und ist einer der Knackpunkte der Diskurslinguistik, da von der Wahl der Texte abhängt, ob der gesellschaftliche Diskurs zu einem Thema angemessen rekonstruiert werden kann oder ob lediglich Einzelmeinungen generalisiert oder vorgefasste Meinungen der Forschenden bestätigt werden. An den untersuchten Texten interessiert sich die Diskurslinguistik nicht primär für die Gemeinsamkeiten an der Textoberfläche - deren Analyse ist lediglich Mittel zum Zweck -, sondern sie zielt auf die den Texten zugrunde liegenden Denkschemata, Denkmuster, Wissensbestände, Mentalitäten - wie immer die Begriffe bei den einzelnen Forschenden heißen (Gardt 2007: 33). Ganz allgemein ausgedrückt interessiert sich die Diskurslinguistik für die wechselseitige Konstitution von Sprache und Wissen. Hier trifft sie sich mit der Wissenssoziologie (vgl. Abschnitt 2.3), indem sie danach fragt, wie aus semantischen Kämpfen gesellschaftlich gesichertes Wissen hervorgeht (dazu ausführlich Spitzmüller/ Warnke 2011: 43-47). Allerdings begnügt sich die Diskurslinguistik zumeist damit, den Diskurs und damit die gesellschaftlich konstruierte Wahrheit zu rekonstruieren. Nach den Wechselwirkungen mit der Gesellschaftsstruktur, für die Wissenssoziologie ein zentrales Anliegen, wird weniger gefragt. Von ihrer theoretischen Fundierung und den Fragestellungen her unterscheidet sich die Diskurslinguistik also klar von der strukturellen Lingusitik. Methodisch greift sie jedoch auf bewährte linguistische Forschungsansätze zurück wie Textlinguistik, Gesprächsanalyse, Rhetorik, Stilistik, Lexikologie, Semantik, Semiotik, Argumentationstheorie, Metapherntheorie, Symbolforschung oder Korpuslinguistik (Gardt 2007: 32). Die Länge der Liste macht schon deutlich, dass unter der Flagge Diskurslinguistik sehr Verschiedenes segelt: Im Einzelnen gehen die Forschenden methodisch recht unterschiedliche Wege. Das ist aber kein Nachteil, sondern ein Beleg für die Fruchtbarkeit dieser jungen Forschungsrichtung. 35 3.1 Diskurslinguistik Diskursanalyse sollte allerdings mehr sein als Textlinguistik. Da Wissen und Sprache als gesellschaftlich, historisch und kulturell eingebettet verstanden werden, können sie nicht ohne die den Diskurs tragenden Akteure und den historischen Kontext betrachtet werden. Zu einer diskurslinguistischen Untersuchung gehört daher zwingend die Frage, welche Akteure im untersuchten Feld sind und zu Wort kommen und welche nicht, und ebenso sollte das politische, kulturelle und soziale Umfeld berücksichtigt werden. Dieser Anspruch wird allerdings nur selten eingelöst, meist gehen die empirischen Studien kaum über die reine Textanalyse hinaus. Im mittlerweile bekanntesten Analysemodell von Spitzmüller und Warnke (2011) sind die Akteure jedoch berücksichtigt, daher stellen wir dieses kurz vor, wobei wir die ältere Version von 2008 präferieren. Das Modell nennt sich „Diskurslinguistische Mehr- Ebenen-Analyse“ und empfiehlt, wie der Name sagt, einen Arbeitsprozess, der von der kleinsten Ebene einzelner Wörter und Propositionen über einzelne Texte und Akteure bis zur transtextuellen Ebene aufsteigt. Die folgende Zusammenstellung ist eine geraffte Version der möglichen Analysekategorien nach Warnke (2008: 51). Transtextuelle Ebene Diskursorientierte Analyse Intertextualität, Schemata (Frames/ Scripts), diskurssemantische Grundfiguren, Topoi, Sozialsymbolik, indexikalische Ordnungen, Historizität, Ideologien/ Mentalitäten, allgemeine gesellschaftliche und politische Debatten. Akteure Interaktionsrollen Diskurspositionen Medialität Autor, antizipierte Adressaten. Soziale Stratifizierung/ Macht, Diskursgemeinschaften, Ideology Brokers, Voice, Vertikalitätsstatus. Medium, Kommunikationsformen, Kommunikationsbereiche, Textmuster. Intratextuelle Ebene Visuelle Textstruktur Textthema Propositionen Worte Layout/ Design, Typographie, Text-Bild-Beziehungen, Materialität/ Textträger. Lexikalische Felder/ Oppositionslinien, Metaphernfelder, Themenentfaltung, Textstrategien/ -funktionen, Textsorte. Syntax, rhetorische Figuren, Metaphern, soziale/ expressive/ deontische Bedeutung, Präsuppositionen, Implikaturen, Sprechakte. Schlüsselwörter, Stigmawörter, Namen, Ad-hoc-Bildungen. Tabelle 2: Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse nach Warnke (2008: 51). Ein anderes Analysemodell stammt von Spieß (2013a). Auch sie gliedert die Analyse in die bekannten Ebenen, also die lexikalische Ebene, die Ebene der Einzelaussage, die Ebene des Einzeltextes sowie die textübergreifende Ebene. Diese werden jedoch in ein pragmatisch fundiertes Analysemodell integriert. Spieß unterscheidet vier Textbeschreibungsdimensionen, die in Tabelle 3 dargestellt sind. 36 3 Zweige der Diskursanalyse Situativ-kontextuelle Dimension Handlungsfelder, Situationstyp, -rolle, Kommunikationsform, Medium, Adressatenkreis, Sprecher, Ereignisse, Lokalität, Kommunikationsbereich Funktionale Dimension Textfunktion, Realisation durch bestimmte kommunikative Verfahren und Sprechhandlungen, Zwecke Thematische Dimension Semantische Kohärenz, Realisation der Themenentfaltung, Isotopieketten Strukturelle Dimension Grammatische Kohärenz, Lexik, Metaphorik, Argumentationsmuster, Formulierungsmuster etc. Tabelle 3: Textbeschreibungsdimensionen nach Spieß (2013a: 326). Die Stärke dieses Modells ist, dass es sich auf ein klar definiertes, pragmatisch fundiertes Konzept von Sprache und Diskurs stützt und dass der Kontext der analysierten Texte explizit in die Analyse einbezogen wird. Bis heute ist die Diskurslinguistik sehr textlastig. Bilder wurden höchst stiefmütterlich behandelt, die Analyse von Bildern wurde sogar schon explizit abgelehnt, da Linguistinnen dafür weder kompetent noch zuständig seien (Warnke 2008: 42). Doch in der heutigen Zeit der multimodalen Kommunikation ist eine Analyse von Texten, die aus ihrem visuellen Kontext (Layout, Typografie, Bilder) gerissen wurden, problematisch und kann die Ergebnisse verfälschen. Daher ist zu begrüßen, dass unterdessen Vorschläge für eine diskurslinguistische Untersuchung von Bildern und Bild-Text-Zusammenhängen vorliegen. Klug (2013) stellt ein Mehr-Ebenen-Modell für die Bildanalyse vor und wendet es auf Flugblätter aus dem Reformationszeitalter an. Meier (2008a) hat ein ausgesprochen ausgefeiltes Programm zur Analyse von multimodalen Netzdiskursen vorgelegt und dessen Tauglichkeit am Diskurs über die Wehrmachtsausstellung belegt. Mündliche Daten wurden bis heute noch seltener für die Diskurslinguistik fruchtbar gemacht oder dann gleich behandelt wie schriftliche Texte, was methodisch unzulässig ist (mehr dazu in Kapitel 6). Methodische Überlegungen hat bislang einzig Roth angestellt und in seinem diskurspragmatischen Konzept der TOR (Teilnahmeorientierte Realisationen des Diskurses)-Analyse festgehalten (Roth 2013a). Diskursforschende brauchen wie alle Forschenden Analysemethoden und -kategorien, darum sind solche Tabellen mit Analysekategorien wie die oben aufgeführten sehr nützlich. Allerdings weisen verschiedene Diskurslinguisten darauf hin, dass Diskursforschung mehr eine Haltung ist denn eine Methode, da sie „sprachliche Zusammenhänge vor dem Hintergrund philosophischer, religiöser, politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer, technisch-naturwissenschaftlicher, ästhetischer und alltagsweltlicher Zusammenhänge untersucht“ (Gardt 2007: 39). Letztlich geht es bei der Diskursforschung um ein Verstehen, also um Hermeneutik, und das ist immer auch eine Kunst, nämlich die Kunst des aufmerksamen Lesens (Hermanns 2007). Die Mehrheit der Diskurslinguistinnen arbeitet qualitativ, das heißt mit eher kleinen Korpora von Texten, die umfassend analysiert werden. In den letzten Jahren ziehen immer mehr Diskurforschende zusätzlich quantitative Methoden zu Rate, die aus der Korpuslinguistik stammen. Wir erachten eine Kombination beider Methoden, wie sie Mautner (2009) vorschlägt, als sehr sinnvoll, auch wenn wir in dieser Einführung auf quantitative Methoden nicht eingehen. Ein ausschließlich quantitatives Verfahren, wie es unter anderem Bubenhofer (2013) vormacht, empfehlen wir hingegen nicht. Wort- 37 3.1 Diskurslinguistik statistiken und andere klassische Verfahren der sozialwissenschaftlichen Inhaltsanalyse können die verstehende Interpretation von Texten nicht ersetzen. Außerdem gehen bei einem computergestützten Vorgehen alle außerverbalen Faktoren wie Bilder und Typografie verloren. Die Diskurslinguistik entstand später als die Kritische Diskursanalyse (vgl. Abschnitt 3.2) und teilweise in ausdrücklicher Abgrenzung von dieser. Die meisten Vertreter der Diskurslinguistik betonen, dass sie ihre Disziplin als deskriptive Wissenschaft verstehen, die den ausgewählten Diskurs analysiert, aber nicht bewertet, und politisch oder ideologisch gefärbte Stellungnahmen zum Untersuchungsobjekt vermeidet. Unterdessen nähern sich die Positionen der deskriptiven und der kritischen Diskursanalyse allerdings wieder an. Die postulierte strikte Trennung zwischen deskriptiver und kritischer Wissenschaft lässt sich letztlich nicht aufrecht erhalten (Reisigl 2013). Gerade Diskursforschenden sollte eigentlich klar sein, dass jede Betrachtung eines Gegenstands von einem bestimmten Standpunkt aus erfolgt und interessegeleitet ist, und dass die zur Beschreibung benützten Begriffe einem zeitgebundenen wissenschaftlichen Paradigma entstammen, das immer schon eine bestimmte Sicht auf die Welt projiziert. Mehr dazu in Abschnitt 9.3. Beispielfenster: Metaphern der Krise Im Rahmen eines großen Forschungsprojekts mit dem Titel „Sprachliche Konstruktionen sozial- und wirtschaftspolitischer Krisen in der BRD von 1973 bis heute“ untersuchen Drommler und Kuck Metaphern im Umkreis der Debatte um die Agenda 2010 und die Finanzkrise 2008 (Drommler/ Kuck 2013). Das Korpus besteht aus über 5.000 Artikeln aus den Leitmedien FAZ, SZ, Bild, Zeit und Spiegel, von denen eine Auswahl von 25 Texten manuell ausgewertet wurden. Die Autoren interessieren sich dafür, welches Konzept von Krise durch die Metaphern evoziert wird. Damit verbunden ist die Frage nach den Ursachen der Krise, den verantwortlichen Akteuren und den zu ergreifenden Maßnahmen. Im Ergebnis zeigen sich interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede. In beiden Krisendiskursen tauchen Kampfmetaphern auf. Während jedoch bei der Agenda 2010 die verschiedenen politischen Parteien gegeneinander kämpfen, kämpfen in der Finanzkrise alle Akteure gegen den gemeinsamen Feind: die Krise. Ebenfalls verbreitet sind Technikmetaphern: Wirtschaft und Sozialstaat erscheinen als Maschinen oder Systeme, die defekt sind und repariert werden müssen. Während der Sozialstaat sukzessive in die Krise geraten ist, sind es bei der Finanzkrise die inkompetenten und gierigen Banker, die das System kaputt gemacht haben. Das System des Sozialstaats bzw. des Finanzmarktes muss nun durch staatliche Eingriffe neu justiert und die Wirtschaft wie ein alter Motor „angekurbelt“ werden. Schließlich finden sich bei beiden Krisen Krankheitsmetaphern. Wo die Krise als Krankheit konzeptualisiert wird, ist tendenziell niemand schuld; vielmehr hat man die Krankheit eingefangen wie einen Virus. Gefordert werden entsprechend Rettungsmaßnahmen für den Patienten in Form von Finanzspritzen oder anderer Operationen. Die Untersuchung zeigt sehr anschaulich, dass Metaphern im öffentlichen Diskurs helfen, ein bestimmtes Bild von Krise in den Köpfen zu etablieren, mit dem - und 38 3 Zweige der Diskursanalyse das ist das Entscheidende - unterschiedliche Handlungen legitimiert bzw. Forderungen erhoben werden. Die am häufigsten zitierte Einführung in die Diskurslinguistik ist die von Spitzmüller/ Warnke (2011); allerdings ist sie für Einsteiger recht anspruchsvoll, ihnen sei Warnke (2008) empfohlen. Einen lehrreichen Überblick über verschiedene methodische Ansätze bietet der Sammelband von Warnke/ Spitzmüller (2008a), einzelne Ansätze sind auch gut verständlich dargestellt im Sammelband von Keller/ Hirseland/ Schneider/ Viehöver (2006). Eher theoretisch ausgerichtet ist der Sammelband von Warnke (2007a). Praktische Anwendungen finden sich hingegen im Sammelband von Roth/ Spiegel (2013). Eine ausgereifte Methodik für die Analyse von Diskursen im Internet bietet Meier (2008a). Qualitätskriterien für diskursanalytische Studien sind formuliert bei Reisigl (2006) und Busch (2007). 3.2 Kritische Diskursanalyse Die Kritische Diskursanalyse (KDA, englisch ‚Critical Discourse Analysis‘) entstand in den 1990er Jahren aus einem losen Verbund von Forschenden in ganz Europa, die das Projekt einer kritischen Wissenschaft verfolgten. Die Beteiligten arbeiteten mit unterschiedlichen theoretischen Konzepten und Analysemethoden, weshalb man lange Zeit von verschiedenen „Schulen“ sprach: Der „Wiener Schule“ um Wodak, der „Duisburger Schule“ um Jäger, der „britischen Schule“ um Fairclough u.a.m. Das ist heute überholt, erstens weil die Gründerväter und -mütter nicht mehr am gleichen Ort arbeiten oder emeritiert sind, zweitens weil die KDA unterdessen weltweit verankert ist, mit eigenen Lehrstühlen, Zeitschriften und Tagungen. Im deutschen Sprachraum hat die KDA nach Jäger im „Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS)“ eine institutionelle Heimat gefunden. Gemeinsam sind allen Ansätzen der KDA zwei Merkmale: 1. Ausgangspunkt der Forschung ist nicht ein Thema oder eine linguistische Fragestellung, sondern ein soziales Problem wie Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus, Sexismus oder soziale Ungleichheit. 2. Auf eine rein deskriptive und damit möglichst objektive Wissenschaft wird von Vornherein verzichtet zugunsten einer kritischen Wissenschaft, die verbunden ist mit dem politischen Engagement für die sozial Benachteiligten. Die Bezeichnung „kritisch“ wurde übernommen von der kritischen Theorie, wie sie in den 1950er Jahren von der sogenannten Frankfurter Schule formuliert wurde. Das war eine im Ansatz marxistische Bewegung, die das Ziel verfolgte, durch die analytische Arbeit Machtstrukturen und verdeckte Ideologien in der Gesellschaft aufzudecken und dadurch unterdrückten Menschen zu ihrer Emanzipation zu verhelfen. Die KDA verfolgt ebenfalls das Ziel, die Menschen aufzuklären und damit einen Beitrag zu mehr Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu leisten. So zielte zum Beispiel die feministische Kritik an für Frauen diskriminierenden Gesetzestexten von Anfang an auf die konkrete Revision dieser Texte. Kritisch zu sein bedeutet aber auch, die eigene Position als Forscherin zu reflektieren. Das ist heute umso wichtiger, als die KDA, nachdem sie unterdessen über eigene Lehrstühle, Curricula und Publikationskanäle verfügt, selber zu einer machtvollen Institution im Bildungswesen geworden ist, was in einem gewis- 39 3.2 Kritische Diskursanalyse sen Spannungsverhältnis steht zum eigenen Anspruch, sich für die sozial Benachteiligten einzusetzen (Gasteiger 2008). Der Diskursgebriff der KDA unterscheidet sich von jenem der Diskurslinguistik. Für die KDA ist ein Diskurs nicht eine Sammlung von Texten oder ein Ensemble von Äußerungen, sondern eine soziale Praxis, mit der die soziale Welt konstituiert, reproduziert und aufrecht erhalten wird. Diskursive Ereignisse stehen in einem dialektischen Verhältnis mit gesellschaftlichen Institutionen und sozialen Strukturen: Sie werden von ihnen geprägt und wirken auf diese zurück (Wodak/ Meyer 2009b: 5f). In den ganz konkreten, lokalen Interaktionen werden größere gesellschaftliche Strukturen der Ungleichheit und der Dominanz reproduziert (van Dijk 2009: 63f). Somit sind sie auch dort dingfest zu machen. Darin liegt der Sinn der KDA: Weil abstrakte Konzepte wie „Ungleichheit“ nicht direkt erfassbar sind, muss man konkrete Texte, Gespräche und Bilder - mithin alles, womit kommuniziert und sozialer Sinn produziert wird - analysieren, um feststellen zu können, welche Verhältnisse in einer Gesellschaft wirksam sind. Was die Vertreterinnen der KDA am meisten interessiert, sind gesellschaftliche Ideologien und Machtverhältnisse: Welches sind die kollektiven Überzeugungen, mit denen die Mitglieder der Gesellschaft ihr Handeln motivieren, lenken und legitimieren? Welche Beziehungen von Dominanz und Unterwerfung werden sichtbar, und wie wirken sich diese auf die Chancen und Identität der Beteiligten aus? Dazu ein Beispiel: Wenn wir eine ganz gewöhnliche Schulstunde in Deutschland besuchen und beobachten, wie die Lehrerin die Aussprache der Kinder Richtung Standarddeutsch korrigiert, so wird in dieser einfachen Interaktion das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Lehrerinnen und Schülern greifbar, und es wird die bildungsbürgerliche Ideologie des „reinen Deutsch“ nachweisbar, mit der Kinder aus süddeutschen oder fremdsprachigen Familien benachteiligt werden. Bei ihrer Erkundung sozialer Probleme stützen sich die Forschenden der KDA fast durchwegs auf natürliche Daten, das heißt auf Texte und Gespräche, die nicht zu Forschungszwecken erhoben wurden. Damit steht sie wie alle Richtungen der Diskursforschung vor dem Problem der Korpusbildung: Wie viele und welche Texte sollen untersucht werden? Dieses Problem wurde bis heute nicht befriedigend gelöst und stellt eines der methodischen Defizite der KDA dar. Viele Vertreter der KDA folgen in Grundzügen dem Theoretical Sampling der Grounded Theory (vgl. Kapitel 4), will heißen, sie gehen von einzelnen Schlüsseltexten aus, in denen sich das untersuchte soziale Problem zeigt, und suchen von dort aus zusätzliches Material, um ihre Hypothesen zu bestätigen. Dass diese Suche teilweise etwas willkürlich ausfällt, kann nicht bestritten werden. Was die Analyse der gesammelten Texte betrifft, plädieren die Vertreter der KDA für Eklektizismus. Das bedeutet, dass man jene Methoden wählt, die zum Material und zur Fragestellung passen. Gearbeitet wird jedoch wie bei der Diskurslinguistik grundsätzlich mit linguistischen Konzepten und Begriffen. Der Unterschied besteht darin, dass häufiger der Weg vom Großen zum Kleinen beschritten wird als umgekehrt. Man versucht also zuerst, sich einen Überblick über den situativen und medialen Kontext und die grobe Themenstruktur der Texte zu verschaffen, bevor man einzelne Satzformen, Argumentationen, Metaphern, Nominalisierungen usw. untersucht. Die Analyse der Texte wird teilweise ergänzt durch ethnografische Felderkundungen, das heißt durch Beobachtungen von Akteuren oder Interviews mit Betroffenen. Insbesondere die Forschenden um Wodak betreiben KDA in groß angelegten, disziplinenübergreifenden Studien, die nur von interdisziplinären Teams bewältigt 40 3 Zweige der Diskursanalyse werden können. In jüngerer Zeit werden die meist qualitativ orientierten Textanalysen zunehmend ergänzt mit quantitativen Verfahren (vgl. Mautner 2009). Am stärksten operationalisiert hat sein Vorgehen Jäger (2004a, Jäger/ Jäger 2007), der in starker Anlehnung an Foucault auch Dispositive in die Analyse einbezieht. Die KDA bleibt - im Gegensatz zu Diskurssemantik und -linguistik - nicht bei der Rekonstruktion des Diskurses stehen, sondern fragt nach den Gesellschaftsstrukturen, die vom Diskurs geprägt werden und auf diesen zurückwirken. Um die Makroebene der Gesellschaft und die Mikroebene einzelner Diskursfragmente in Beziehung setzen zu können, braucht es ein vermittelndes Konzept auf der Mesoebene. Vorgeschlagen wurden soziale Praktiken von Fairclough und soziale Kognitionen von van Dijk (mehr dazu in Abschnitt 9.2). Was schließlich die bislang erforschten Themen anbelangt, so ist eine gewisse Einseitigkeit nicht zu übersehen. Untersucht und kritisiert wurde vor allem die Sprache von politisch rechts stehenden Personen und Parteien, von rassistischen, sexistischen, antisemitischen, islamophoben, ausländerfeindlichen Texten. Hinzu kommt Kritik am Neoliberalismus und der Durchökonomisierung der Gesellschaft. Es wäre wünschenswert, dass die Sprache der politischen Linken, der Juden und Muslime ebenso kritisch unter die Lupe genommen würde, denn deren Äußerungen befinden sich auch nicht in einem ideologie- und diskriminierungsfreien Raum. 3 Die KDA war und ist scharfer Kritik ausgesetzt: Ihre Vertreter seien voreingenommen und würden von einer zwischen Mächtigen und Unterdrückten gespaltenen Welt ausgehen anstatt diese zuerst einmal nachzuweisen. Es würden unsystematisch und willkürlich genau jene Texte gesammelt, in denen sich die schon im Vorfeld als gegeben angenommene Diskriminierung besonders eindrücklich nachweisen lasse. Man schlage sich pauschal auf die Seite der Benachteiligten, ohne die eigene politische Position offen zu legen (Spitzmüller/ Warnke 2011: 112f). Unsere Meinung dazu ist die Folgende: Eine gänzlich objektive, ideologiefreie Wissenschaft ist ohnehin nicht möglich (mehr dazu in Abschnitt 9.3). Daher ist es legitim, eine weltanschaulich nicht neutrale Wissenschaft zu betreiben - aber nur, sofern klar deklariert wird, von welcher politischen, ethischen oder religiösen Warte aus man argumentiert und sich herausnimmt, andere Menschen und ihre Äußerungen zu kritisieren. Das eigentliche Problem der KDA ist nicht ihre angebliche Voreingenommenheit, sondern die Tatsache, dass sie ihre eigenen Ansprüche nicht einlöst: Der eigene Standpunkt wird in den allermeisten Fällen weder offen gelegt noch reflektiert; ein politisches Engagement, das den Benachteiligten wirklich helfen würde, findet nicht statt; populäre Texte, die auch die Untersuchten selber verstehen könnten, werden nicht geschrieben. Daher ist die KDA trotz ihres emanzipatorischen Anspruchs bis heute außerhalb der Universitäten - abgesehen von der erfolgreichen Verbreitung von Leitfäden gegen sexistischen Sprachgebrauch - praktisch wirkungslos geblieben. 3 Im Jahr 2014 gehörten die Christen zur weltweit am häufigsten verfolgten Religionsgruppe. Angesichts dieser Tatsache mutet es seltsam an, dass weiterhin nur antisemitische und antiislamische, aber keine antichristlichen Texte erforscht werden. 41 3.2 Kritische Diskursanalyse Beispielfenster: Die unternehmerische Universität In einer gemischt quantitativ-qualitativ aufgegleisten Studie geht Mautner (2005a) dem Schlagwort der unternehmerischen Universität nach. Ihr Ziel ist, den Diskurs rund um einige Schlüsselwörter zu rekonstruieren, die in der tertiären Ausbildung zentral geworden sind, darunter „unternehmerisch“ bzw. „Unternehmertum“ (englisch: ‚entrepreneurial, entrepreneurship, enterprise, enterprising‘) (ebd.: 96). Das Vorgehen begründet sie theoretisch damit, dass Schlüsselwörter „Knoten“ im Diskurs sind, die gesellschaftliche Probleme anzeigen. Schlüsselwörter vermitteln zwischen dem gesellschaftlichen Kontext (Makroebene) und einzelnen sprachlichen Erscheinungen (Mikroebene) (99f). Der sozio-politische Kontext ist durch eine zunehmende ‚marketization‘ vieler gesellschaftlicher Domänen gekennzeichnet, das heißt der zunehmenden Orientierung an und Organisation nach marktwirtschaftlichen Prinzipien von Institutionen wie Schulen, Krankenhäuser oder Kirchen (dazu ausführlich Mautner 2010). In einer quantitativen Analyse mittels eines Konkordanzprogrammes durchsucht Mautner nun das Internet und prüft, wie oft und in welchen Kollokationen (Wortverbindungen) die genannten Schlüsselwörter vorkommen. Anschließend unterzieht sie drei ausgewählte Texte von drei Universitäten einer linguistischen Detailanalyse. Als Ergebnis hält sie fest: Das Schlagwort der unternehmerischen Universität ist ein globales Phänomen (99). In der Mehrheit der Fälle ist das Wortfeld ‚unternehmerisch‘ positiv besetzt, vor allem in den Texten, die aus den Führungsetagen der Universität stammen. Unternehmerisch bedeutet dann, dass die Universität innovativ ist, sich an den Bedürfnissen der Zielgruppen orientiert, Produkte und Dienstleistungen für die Gesellschaft hervorbringt und effizient arbeitet (103ff). Allerdings distanzieren sich einige Akteure von der Idee der Profitmaximierung (110). Die Texte, in denen das Wortfeld ‚unternehmerisch‘ negativ besetzt ist, stammen eher von Universitätsangehörigen, die um die akademische Freiheit und die Unabhängigkeit der Forschung fürchten (105f). Mautner empfiehlt, das Wort ‚unternehmerisch‘ mit Bedacht zu verwenden, da es eindeutig kommerziell konnotiert ist und zu einer Ökonomisierung der höheren Bildung führen könnte, die diese im Kern gefährden würde (113). Eine der Stärken des Aufsatzes von Mautner liegt darin, dass sie als eine der wenigen Vertreterinnen der KDA ihre politische Haltung explizit macht (97). Die einführende Literatur zur Kritischen Diskursanalyse ist vorwiegend englisch. Grundlegend sind die Sammelbände von Wodak/ Meyer (2009a) und Wodak/ Chilton (2005). Als Einstiegslektüre ist auch der Sammelband von Wodak/ Krzyzanowski (2008) geeignet. Für die einzelnen Richtungen konsultiere man: Jäger (2004a, 2006) und Jäger/ Jäger (2007), Reisigl (2006), Fairclough (1995, 2001, 2005), van Dijk (2001, 2011a). Einen multimodalen Ansatz verfolgen van Leeuwen und Kress, zu finden in van Leeuwen (2008), van Leeuwen/ Jewitt (2001) und Kress/ van Leeuwen (2006). 42 3 Zweige der Diskursanalyse 3.3 Soziale Semiotik Die soziale Semiotik (social semiotics) ist eine Form der Analyse multimodaler Kommunikate, bei welcher die klassische Semiotik verbunden wird mit einer Gesellschaftstheorie, mit dem Ziel, den sozialen Prozess der Produktion von Bedeutung und dessen Wechselspiel mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu verstehen. Lag der Schwerpunkt zu Beginn auf der Analyse von Bildern, werden heute sämtliche Kommunikationsmodi untersucht. Federführend in der Entwicklung der sozialen Semiotik sind Kress und van Leeuwen (vgl. Literatur am Ende des Abschnitts). Die strukturalistische Semiotik untersucht fertige (sprachliche) Zeichen für sich, ohne Rücksicht auf Produktion und Verwendungskontext. Auf Saussure zurück geht die bis heute übliche Unterscheidung zwischen einer Formseite (Bedeutendes/ Signifiant) und einer Inhaltsseite des Zeichens (Bedeutetes/ Signifié). Mit Peirce werden indexikalische, ikonische und symbolische Zeichen unterschieden. Symbolische Zeichen gelten als arbiträr, indexikalische und ikonische als motiviert. Barthes plädierte dafür, den sprachlichen und physischen Kontext von Bildern bei der Analyse und Interpretation stärker zu berücksichtigen. Er unterschied zwischen der Denotation von Bildern, das ist das, was man auf dem Bild sieht und erkennt, und der Konnotation, das sind die Ideen und Werte, die durch das Bild vermittelt werden (van Leeuwen 2001: 94). Die soziale Semiotik stellt nun nicht mehr das Zeichen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen, sondern die Zeichenbenutzer und damit verbunden die Frage, was diese wollen bzw. tun, wenn sie Zeichen benutzen. Ausgangspunkt ist die funktionale Grammatik von Halliday, der in Abgrenzung zur Systemlinguistik nicht mehr nach der Struktur der Sprache fragte, sondern nach ihrer Funktion. Halliday unterscheidet zwischen drei Funktionen (sprachlicher) Zeichen (Kress/ van Leeuwen 2006: 42f):  Repräsentative Funktion (ideational function): Die Fähigkeit des Zeichens, Aspekte der Welt zu repräsentieren, wie sie der Zeichenbenutzer wahrnimmt.  Kontaktfunktion (interpersonal function): Die Fähigkeit des Zeichens, zwischen dem Sender und Empfänger eine Beziehung aufzubauen sowie einen spezifischen Blick auf das dargestellte Objekt herzustellen.  Textfunktion (textual function): Die Fähigkeit des Zeichens, verschiedene Zeichen zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verbinden. Zeichen werden - ähnlich wie in der strukturalistischen Semiotik - als Verbindung von Form und Bedeutung betrachtet, aber, und das ist das Entscheidende, nicht mehr als fixfertige Bedeutungsträger, sondern als Ressourcen für die Zeichenbenutzerinnen für ihre ganz individuelle Produktion von Sinn (meaning-making). Die Idee ist die: Interagierende haben bestimmte Vorstellungen, Gedanken und Gefühle, und sie haben die Absicht, eine bestimmte Mitteilung zu machen. Aus den kulturell vorhandenen semiotischen Ressourcen wählen sie jene aus, die ihnen für ihre Zwecke am geeignetsten erscheinen (und die sie beherrschen) und formen daraus ihre aktuelle Botschaft (vgl. Abbildung 3). Zeichen werden in der Kommunikation demnach weniger benutzt als vielmehr hervorgebracht. 43 3.3 Soziale Semiotik Abbildung 3: Prozess der Bedeutungsproduktion (meaning-making). Zur Verfügung stehen den Interagierenden beileibe nicht nur sprachliche Zeichen, sondern sämtliche Modi der Kommunikation: Stimme, Gestik, Geräusche, Musik, Bilder, Film, Layout, Farben, Kleidung, Produktdesign, Architektur u.a.m. Welche Modi die Zeichenbenutzerin auswählt und wie sie diese zu komplexen Zeichen verbindet, ist eine Frage des Designs (Kress 2010: 49). Da die Produktion von Zeichen immer abhängig ist von den Intentionen der Zeichenbenutzer, betrachten Kress und van Leeuwen Zeichen als nicht abiträr, sondern als in jedem Fall motiviert, motiviert von der Absicht, etwas mitzuteilen. Aufgegeben wird ferner die Unterscheidung zwischen indexikalischen, ikonischen und symbolischen Zeichen. Zwei Fragen sind nun für die soziale Semiotik zentral: 1. Welches Bedeutungspotenzial haben welche Modi? 2. Welche Bedeutungen bringen die Zeichenbenutzer konkret hervor? Zu Punkt 1: Nicht alle Zeichenmodi haben das gleiche Potenzial, Bedeutungen hervorzubringen. So ist zum Beispiel Sprache grundsätzlich zeitlich angelegt, als ein Nacheinander von Informationen, während Bilder Informationen räumlich anordnen. Mit einem verbalen Text lässt sich einfach eine logische Argumentation aufbauen, während Gleichzeitigkeit schwer darstellbar ist. Was besonders wichtig ist, lässt sich am leichtesten mit dem Layout vermitteln, mit fett oder groß Gedrucktem und einer zentralen Platzierung auf der Seite. Mit Musik lassen sich kaum Fakten vermitteln, dafür Stimmungen erzeugen. So gilt es für jeden Modus der Kommunikation zu ermitteln, was sich mit ihm grundsätzlich vermitteln lässt und was nicht. Zu Punkt 2: Die soziale Semiotik untersucht, welche Zeichen zu einer bestimmten historischen Zeit in einer bestimmten Gesellschaft bevorzugt hervorgebracht werden und wie selbige rezipiert werden. Damit lassen sich Aussagen über das semiotische Repertoire einer Gesellschaft und ihre sozialen Präferenzen machen. So waren zum Beispiel Schulbücher bis in die 1950er Jahre textlastig, Bilder wurden höchstens zur Illustration verwendet, während heute das Bild nicht nur häufiger, sondern auch als eigenständige Form der Informationsvermittlung und Instruktion eingesetzt wird (Kress 2010: 47f). Schließlich ist auch nach den Rezipientinnen zu fragen, welche Bedeutung sie aus den angebotenen Zeichen generieren, zum Beispiel, welche Informationen und Eindrücke sie aus einer Ausstellung im Museum mitnehmen (ebd.: 177f). Wenn Interagierende im Hinblick auf ihre Intentionen Zeichen hier und jetzt hervorbringen, so bedeutet das nicht, dass das Resultat gänzlich individuelle Zeichen sind. Um verstanden zu werden, greifen Interagierende vielmehr auf jene kulturell vorgeformten Zeichen zurück, von denen sie annehmen, dass ihre Rezipientinnen sie verstehen. Zeichen sind daher gleichzeitig motiviert und konventionell. Produzent Gedanken Gefühle Mitteilungsabsicht Design Auswahl aus kulturell gegebenen multimodalen Ressourcen Zeichen multimodales Kommunikat 44 3 Zweige der Diskursanalyse Diese Konventionen sind nicht nur zeit-, sondern auch kulturspezifisch. Innerhalb einer Gesellschaft und eines historischen Abschnitts können sie jedoch als relativ stabil und damit sozial verbindlich betrachtet werden. Kress und van Leeuwen haben in ihrem bekannten Buch „Reading Images“ (2006) eine eigentliche visuelle Grammatik entworfen, in welcher sie die Konventionen der visuellen Darstellung in der sogenannten westlichen Welt zusammengestellt haben (vgl. Kapitel 7). Mit den Konventionen kommt nun der gesellschaftliche Aspekt der sozialen Semiotik ins Spiel: Indem Interagierende sich an semiotische Konventionen halten, übernehmen sie auch die darin eingeschriebenen sozialen Verhältnisse. Eine Konvention ist „the effect of social power over time“ (Kress 2010: 63). Wenn zum Beispiel eine Braut sich von ihrem Vater an den Altar führen lässt, schreibt sie damit eine Jahrhunderte alte Praxis fort, die Heirat als Übergabe der Tochter aus der Vormundschaft des Vaters in die Vormundschaft des Ehegatten darzustellen, auch wenn diese Übergabe heute keine juristische, sondern nur noch symbolische Bedeutung hat. Wer sich Arm in Arm mit den Freunden vor dem Eiffelturm ablichten lässt und die Fotografie auf Facebook stellt, folgt sozial anerkannten Formen, Paris zu besuchen und Freundschaft zu inszenieren. Zeichen können miteinander kombiniert und zu konventionellen Mustern der multimodalen Interaktion zusammengefügt werden. Diese nennt man Genres. Genres stehen an der Schnittstelle zwischen Zeichen und Gesellschaft, indem sie zwischen Semiosis und sozialer Praxis vermitteln. Ein Bewerbungsschreiben ist einerseits ein konventionell gestaltetes Schriftstück und somit ein komplexes Zeichen, gleichzeitig ist es die reale Bewerbung bei einem Unternehmen und insofern eine soziale Praxis. Genres projizieren und realisieren soziale Beziehungen. So kann man durch das Layout einer Homepage anzeigen, ob die Webseite eher dazu gedacht ist, sich zu informieren, oder dazu, in ihr herumzustöbern oder gar mit anderen zu interagieren. Zeichen haben die doppelte Funktion, die Welt zu bilden und abzubilden, sie sind konstitutiv und repräsentativ (Warnke 2013: 103). Alle Repräsentationen von Welt sind jedoch notwendigerweise partiell, sie stellen immer nur eine Auswahl an Informationen dar, und sie sind aus einer bestimmten physischen und sozialen Position heraus gemacht. Daher ist jede Repräsentation von Welt ideologisch. Ziel einer multimodalen semiotischen Analyse ist daher auch, die in den Darstellungskonventionen eingeschriebenen Ideologien zu bestimmen und kritisch zu kommentieren. Ein Beispiel für eine hundertfach reproduzierte Ideologie ist die Praxis, während Hungersnöten Afrikanerinnen und Afrikaner so zu fotografieren, dass sie als Opfer von Naturkatastrophen erscheinen, während die Auswirkungen postkolonialer Strukturen und die Lebensmittelspekulation ausgeblendet werden (Lister/ Wells 2001: 78f). Viele Vertreter der sozialen Semiotik verstehen ihre Arbeiten als Beiträge zur Kritischen Diskursanalyse. Sie wollen aufzeigen, wie nicht nur mit verbalen Texten, sondern mit allen Modi der Bedeutungskonstitution soziale Ungleichheit produziert und reproduziert wird. Was die soziale Semiotik mit der Diskursanalyse verbindet, ist die zentrale Frage, welche Personen und Gegenstände wie dargestellt werden (oder ignoriert werden), welche Interessen die Zeichenbenützer mit dieser Form der Darstellung verfolgen und welche Konsequenzen diese Darstellung für die Betroffenen hat. Die soziale Semiotik ist eine unverzichtbare methodische Ressource für die Diskursanalyse, sobald multimodale Kommunikate in den Blick genommen werden. 45 3.3 Soziale Semiotik Die soziale Semiotik stellt Zeichen als Ressourcen für die Produktion von Bedeutung dar und betont, dass Zeichenbenutzer unter verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung die für sie geeignetste wählen. Blommaert (2005) kritisiert diese Betonung der Wahlfreiheit als ideologisch und gibt zu bedenken, dass viele Menschen auf dieser Erde gar nie dazu kommen, sich mit ihren Ansichten Gehör zu verschaffen, also keine „Voice“ haben; dass sie aufgrund fehlender intellektueller oder technischer Ressourcen kaum Wahlmöglichkeiten haben, wie sie sich ausdrücken wollen; dass ihre traditionellen Formen der Bedeutungskonstitution - zum Beispiel ohne Schrift - von den Mächtigen ignoriert oder missverstanden werden. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Gebrauch von Zeichen aller Art erheblichen sozialen Einschränkungen und Zwängen unterliegt. Beispielfenster: Die Darstellung von Migranten als Fremde In seinem Lehrbuch „Discourse and Practice“ stellt van Leeuwen im 8. Kapitel dar, wie soziale Akteure visuell dargestellt werden können, und weist darauf hin, dass verbaler Rassismus häufiger erkannt und kritisiert wird als visueller (van Leeuwen 2008: 137). Der Ausschnitt (social distance), der Aufnahmewinkel (social relation) und der Blickkontakt (social interaction) können so gewählt werden, dass Menschen als „others“, als Fremde, wahrgenommen werden (ebd.: 141). Personen erscheinen anders, je nachdem, ob sie gezeigt (inclusion) oder nicht gezeigt (exclusion) werden, ob sie als Handelnde (agent) oder Behandelte (patient), als Einzelwesen (specific) oder Vertreter einer Kategorie (generic), als Individuum (individual) oder in einer Gruppe (group) inszeniert werden. Rassistische oder fremdenfeindliche Texte werden nun typischerweise von Bildern von Migranten begleitet, in denen diese als unspezifische Vertreter der sozialen Kategorie „Ausländer“ inmitten einer „Masse“ anderer Migranten gezeigt werden, ent-individualisiert und passiv, als Objekt staatlicher Maßnahmen. Auf diese Weise wird eine Identifikation der Leserin mit dem Schicksal dieser Migranten verhindert und das Szenario der bedrohlichen Masse von Immigranten wachgerufen (ebd: 142-152). Das Standardwerk der sozialen Semiotik ist Kress/ van Leeuwen (2006). Eine Weiterentwicklung stellt van Leeuwen (2008) dar. Wertvolle Anregungen finden sich bei van Leeuwen/ Jewitt (2001). Bei Kress (2010) wird die Analyse zwischenmenschlicher Kommunikation auf eine konsequent multimodale Basis gestellt. Diese wird aufgenommen und in ein Lehrbuch zur Kritischen Diskursanalyse eingearbeitet bei Machin/ Mayr (2012). Aufgaben Überlegen Sie sich, welches der vorgestellten theoretischen Konzepte am besten zu dem Thema passt, für welches Sie sich interessieren. Lesen Sie dazu die angegebenen weiterführenden Methodenbücher. Suchen Sie aber auch Fachliteratur aus anderen Disziplinen zum Thema, zum Beispiel aus der Psychologie oder Politologie. 4 Korpusbildung 4.1 Methodologische Vorbemerkungen Jede wissenschaftliche Disziplin verfügt über eine Methodik, das heißt über eine Beschreibung, wie man auf systematische und überprüfbare Weise zu intersubjektiv überprüfbaren Aussagen über einen Gegenstand kommt. Die Methodik muss auf den theoretischen Grundlagen der Disziplin aufbauen. Von der Methodik zu unterscheiden ist die Methodologie als die Lehre von den Methoden, in welcher gefragt wird, mit welchen wissenschaftlichen Methoden bestimmte Gegenstände am zielführendsten untersucht werden können. In den Sozial- und Geisteswissenschaften unterscheidet man grundsätzlich zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Bei den quantitativen Methoden werden große Korpora mittels statistischer Analysen untersucht. Ziel ist, repräsentative, statistisch gesicherte Aussagen über die Häufigkeit sozialer Phänomene sowie deren gegenseitige Abhängigkeit zu treffen. Bei den qualitativen Methoden werden kleine Korpora oder Einzelfälle mittels hermeneutisch-interpretativer Verfahren untersucht. Ziel ist, soziale Phänomene zu deuten und in ihrem Kontext zu verstehen. Die linguistische Diskursanalyse arbeitet mehrheitlich qualitativ. Einzelne, für den gewählten Diskurs als typisch eingeschätzte Texte werden vertieft analysiert und interpretiert. Gestützt auf mehrere Einzelanalysen versucht man, den gesamten Diskurs zu rekonstruieren. Mit vielen anderen Diskursanalytikern teilen wir die Meinung, dass oft schon wenige Texte genügen, um die zentralen Stränge eines gesellschaftlichen Diskurses zu erfassen (Jäger 2006). Andere Wissenschaftler plädieren dafür, qualitativ erarbeitete Ergebnisse wo möglich quantitativ zu überprüfen und damit zu validieren (Mautner 2009). Eine solche Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden demonstrieren Scarvaglieri und Zech (2013) sehr schön in ihrer Analyse des Begriffs „Migrationshintergrund“. Schließlich gibt es eine größer werdende Gruppe von Sprachwissenschaftlern, die Diskursanalyse mit den Methoden der Korpuslinguistik betreiben und somit grundsätzlich quantitativ arbeiten (zum Beispiel Vogel 2012). Bei der Korpuslinguistik werden große, elektronisch vorliegende Korpora mittels Konkordanzprogrammen ausgewertet. Damit lässt sich rasch eruieren, wie häufig bestimmte Wörter oder Wortkombinationen in einem Text erscheinen. Signifikanztests geben darüber Auskunft, ob bestimmte Wortkombinationen signifikant häufiger vorkommen als andere. Obwohl mehr oder weniger auf die lexikalische Ebene beschränkt, können solche Wortfeldanalysen einen aufschlussreichen Überblick über die zentralen Akteure, Gegenstände, Handlungen und Ereignisse im untersuchten Diskurs bieten. Quantitative Verfahren sind bei der Analyse von Mediendiskursen besonders beliebt und geeignet, unterschiedliche politische Positionen verschiedener Zeitungen aufzudecken oder diskursive Verschiebungen in ihrem historischen Verlauf sichtbar zu machen. Konkordanzprogramme können jedoch nicht Wortgruppen übergreifende sprachliche Phänomene wie Argumentationen untersuchen und scheitern an diskursiv bedeutsamen Stilmitteln wie Anspielungen oder Metaphern. Daher zeigen sie nur einen sehr begrenzten Ausschnitt des untersuchten Diskurses. In diesem Lehrbuch beschränken wir uns auf die Darstellung qualitativer Methoden. Die eine, anerkannte diskurslinguistische Methodik gibt es nicht. Vielmehr exi- 48 4 Korpusbildung stiert eine Vielzahl methodischer Vorschläge und methodologischer Überlegungen, wobei immer wieder betont wird, dass die Methoden der spezifischen Fragestellung anzupassen seien. Doch mit der Aussage, jeder müsse sein Vorgehen selber finden, ist Einsteigern nicht geholfen. Daher unternehmen wir den Versuch, eine umfassende Methodik vorzulegen, und zwar nicht nur für geschriebene Texte, sondern auch für mündliche Texte und für Bilder. Wir verstehen die Anleitungen in den folgenden Kapiteln jedoch auch nicht als Vorgabe, die sklavisch abzuarbeiten wäre, sondern als Werkzeugkasten, in welchem sich jeder seinem Projekt und seinen Daten entsprechend bedienen kann. Bei der Arbeit an Texten ist neben den Methodenkenntnissen immer auch Spürsinn gefragt: Hermeneutik ist und bleibt trotz aller Werkzeuge eine Kunst des Verstehens. In den verbleibenden Abschnitten dieses Kapitels geht es darum, wie man ein Korpus von Texten für eine diskursanalytische Studie erstellt. Danach geht es um die eigentliche Analyse. Die Analyse wurde eingeteilt in drei Ebenen, um ein systematisches Vorgehen zu fördern: 1. Ebene des Einzeltextes: Minutiöse Analyse und Interpretation ausgewählter Texte, um das in ihnen propagierte Weltbild zu eruieren (Kapitel 5-7). 2. Ebene des Diskurses: Suche nach wiederkehrenden Argumentations-, Deutungs- und Handlungsmustern über mehrere Texte hinweg, um „den“ Diskurs zu einem Thema zu rekonstruieren (Kapitel 8). 3. Ebene der Gesellschaft: Brückenschlag von den Texten zu den gesellschaftlichen Strukturen, um das Wissen, die Ideologien und die Machtverhältnisse der Zeit zu erkennen (Kapitel 9). Diese Trennung in drei verschiedene Ebenen ist eine rein forschungspraktische. In Wirklichkeit ist jeder Text immer schon Teil eines Diskurses und sollte nicht isoliert betrachtet werden; und jeder Diskurs ist eingebettet in eine Gesellschaft und sollte nicht ohne diese analysiert werden. Aber rein praktisch muss man irgendwo anfangen mit der Analyse, und da hat es sich bewährt, zuerst einzelne Texte minutiös zu untersuchen, bevor man sie im Ganzen des Diskurses und der Gesellschaft betrachtet. 4.2 Arten von Daten Die Diskursforschung stützt sich wie jede empirische Forschung auf Daten. An Daten kann man auf grundsätzlich zwei verschiedene Arten gelangen: Man generiert sie selber oder man sammelt bereits existierende Daten. Zum Generieren von Daten für eine Diskursanalyse sind verschiedene sozialwissenschaftliche Methoden geeignet, namentlich Interviews, Fokusgruppen und teilnehmende Beobachtung. Bei der Arbeit mit solchen Methoden ist allerdings zu bedenken, dass mit Interviews nicht bestehende Diskurse eingefangen werden können, sondern dass Interviews selber ein Mittel zur Herstellung sozialer Wirklichkeit sind (Abell/ Myers 2008). Das Resultat hängt massiv von der Art der gestellten Fragen ab, und man riskiert, Äußerungen zu hören zu bekommen, welche die Interviewten ohne das Interview nie von sich gegeben hätten. Beim Sammeln von Daten greift man auf „Texte“ im weitesten Sinne zurück, die schon da sind und nicht zu Forschungszwecken produziert wurden. Daher nennt man sie auch natürliche Daten. Das sind Daten wie gedruckte und elektronische Texte aller 49 4.2 Arten von Daten Art, Bilder, Videos, aber auch Gegenstände wie Kleidungsstücke, Werkzeuge, Möbel oder Gebäude. Wir erachten das Sammeln von Daten als besser geeignet für eine linguistische Diskursanalyse, da nur natürliche Daten Auskunft darüber geben, wie die Leute „in freier Wildbahn“ über ein Thema sprechen. Sprachwissenschaftlerinnen sollten Wert legen auf sprachliches Material, das von der Erhebung nicht beeinflusst wird. Daher gehen wir auf das Generieren von Daten nicht weiter ein und verweisen auf die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Methodenlehrbücher. In den folgenden zwei Abschnitten definieren wir, was wir unter Texten und audiovisuellen Daten verstehen. Texte Die Diskursanalyse untersucht Texte als Träger des gesellschaftlichen Diskurses. Aber was ist eigentlich ein Text? Die bekannteste Textdefinition stammt von Brinker: „Der Terminus ‚Text ‘ bezeichnet eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert“ (Brinker 2010: 17). Diese Definition ist einem sehr traditionellen Verständnis von Text als einer isolierten, sprachlichen Einheit verbunden und muss daher aus diskurstheoretischer Sicht erweitert und modifiziert werden. Aus diskursiver Sicht sind Texte keine isolierten Einheiten, sondern Fragmente eines größeren Diskurses, einer Gesamtheit von Äußerungen, mit denen sie inhaltlich und formal verbunden sind. Niemand schafft von sich aus einen genuin neuen und einzigartigen Text. Vielmehr sind die Gedanken jedes Textproduzenten in vielfacher Weise implizit oder explizit mit den Gedanken anderer Diskursakteure verbunden, und auch bei der Form und der Sprache des Textes greifen Schreibende auf bewährte Muster zurück bis hin zu fixen Formulierungen wie „Mit freundlichen Grüßen“ in einem Brief. Mit anderen Worten: Jeder Text ist nur eine Momentaufnahme in einem kontinuierlichen Strom von schriftlich und mündlich ausgetauschten Gedanken und Informationen. Das bedeutet zugleich, dass die Idee des „Autors“ und des „rechtmäßigen Besitzers“ eines Textes weitgehend eine abendländische Fiktion ist. Jeder Text ist für sich genommen Resultat eines vielstimmigen diskursiven Gewimmels. Hinzu kommt, dass heutzutage die meisten Texte auch realiter von mehreren Produzenten kollektiv hergestellt werden. Man denke nur an Nachrichtentexte, an denen Korrespondentinnen, Redakteure, Fotografinnen, Layouter und Korrektorinnen beteiligt sind (Adamzik 2004: 254ff). Trotzdem müssen wir die Idee des Textes nicht aufgeben, denn der Text als abgrenzbare Einheit ist eine Größe, an welcher sich sowohl die Produzierenden als auch die Rezipierenden nach wie vor orientieren. Deshalb werden Texte mit Abgrenzungs- und Gliederungshinweisen, mit Verknüpfungshinweisen, mit Themahinweisen und Hinweisen auf die Textfunktion versehen (Hausendorf/ Kesselheim 2008), um den Rezipierenden zu erkennen zu geben, welches Diskursfragment die Autoren als eigenständigen Text verstanden wissen wollen und wem als Autor sie den Text selber zuschreiben - zum Beispiel dem Journalisten, der schlussendlich seinen Namen unter einen Artikel setzt. Bei der Zusammenstellung eines Korpus können wir uns daher an ganz klassischen, aus dem Alltag vertrauten Textsorten orientieren wie „Zeitungsbericht“, „Gebrauchsanweisung“, „Werbeprospekt“, „Roman“ usw. Bleibt die Frage, wie mit multimodalen Texten und Bildern umzugehen ist. Die Linguistik hat Bilder lange Zeit vernachlässigt. Bis heute finden sich zahllose Studien, in 50 4 Korpusbildung denen Texte ohne die sie begleitenden Bilder und ohne Beachtung ihrer typografischen Gestaltung analysiert werden. Mit der computergestützten Korpuslinguistik nimmt diese Tendenz sogar wieder zu, da Konkordanzprogramme nur Wörter auszählen können, aber keine anderen Formen von Zeichen. Die Vernachlässigung von Bild und Typografie ist heute jedoch nicht mehr zulässig. Bilder sind in der Kommunikation des 21. Jahrhunderts überhaupt nicht mehr wegzudenken; es gibt kaum noch Texte ohne Bild, häufig werden sogar eher Bilder betextet als Texte bebildert. Dass die Typografie ein eigenständiger Kommunikationsmodus ist, kann ebenfalls nicht mehr ignoriert werden: Bereits die gewählte Schrift oder ein fett gesetzter Titel verleihen dem gedruckten Wort einen zusätzlichen Sinn (Stöckl 2008, Kress 2010). Eine zeitgemäße Textdefinition muss Bilder und Typografie mit einschließen. Wir definieren Texte daher in Anlehnung an Kress (2010: 148) wie folgt: Ein Text ist eine multimodale semiotische Einheit, die von den Benutzenden als vollständig im Gebrauch betrachtet wird und eine erkennbare kommunikative Funktion aufweist. Seine Einheiten sind Module, die formal (Kohäsion) und sinngemäß (Kohärenz) zusammengehalten werden. Jeder Text ist Fragment eines größeren Diskurses und inhaltlich und formal mit anderen Texten verbunden. Mit dieser Definition wird es auch leichter, Texte bzw. diskursive Einheiten im prinzipiell grenzenlosen Internet zu isolieren und zu sammeln. Denn auch im Internet werden durch die Verteilung der Informationen auf verschiedene, einzeln anklickbare Seiten und durch die Verwendung von Farben, Linien, Spalten und Titeln klare Hinweise gesetzt, welche Bild- und Textmodule die Hersteller der Webseite als semiotische Einheit verstanden wissen wollen. Eine ausführliche Herleitung, wie bei Hypertexten Texte zu definieren und zu sammeln sind, liefert Meier (2008a). Audiovisuelle Daten Im letzten Abschnitt haben wir uns auf Texte beschränkt, die in gedruckter Form vorliegen oder, im Falle elektronischer Texte, ausgedruckt werden könnten. Für eine diskursanalytische Untersuchung eignen sich aber auch audiovisuelle Daten, das sind mündlich geführte Gespräche, Interviews, Radio- und TV-Sendungen, Filme, Videos. Auch solche audiovisuellen Daten treten als multimodale, semiotische Einheiten mit allen Merkmalen eines Textes auf: Abgrenzungs- und Gliederungshinweise, zum Beispiel bestimmte akustische oder visuelle Signete zu Beginn und am Ende einer Nachrichtensendung, Verknüpfungshinweise, Themahinweise und Hinweise auf die Funktion, zum Beispiel „Anleitung Rubiks Cube Würfel“ bei einem Video auf Youtube. Daher können auch audiovisuelle Daten als Texte bezeichnet werden, die allerdings in der Produktion und Aufbereitung besonderen Bedingungen unterliegen, was die Arbeit mit ihnen aufwändig macht. Mündliche Gespräche sowie zu Forschungszwecken geführte Interviews müssen zuerst einmal aufgezeichnet werden, um überhaupt verfügbar zu sein. Dabei ist zu bedenken, dass bereits die Anwesenheit eines Tonbandgerätes oder einer Videokamera die Situation verändert. Radio- und TV-Sendungen können heute leicht gespeichert werden. Bei ihrer Analyse darf man allerdings nie die spezifischen Produktionsbedingungen massenmedialer Produkte vergessen. So können, um nur zwei Beispiele zu nennen, Beiträge beliebig geschnitten sein, und man bekommt am Fernsehen nur jene Personen zu Gesicht, welche von der Kamera eingefangen und von der Regie eingeblendet werden, während die Reaktionen auf einen Redebeitrag häufig nicht zu sehen 51 4.3 Korpus bilden sind. Filme und Videos schließlich sind als hoch artifizielle Produkte zu interpretieren und nicht als Abbild einer außerfilmischen Wirklichkeit. Bei audiovisuellen Daten genügt das Registrieren und Sammeln nicht. Um mit ihnen arbeiten zu können, müssen sie in der Regel transkribiert oder mindestens annotiert werden. Das ist bei Audiodateien, ganz zu schweigen von Videos, sehr aufwändig und verlangt sowohl eine dafür geeignete Software als auch mitunter jahrelange Übung bzw. die Zusammenarbeit eines ganzen Teams geschulter Personen. Wie fein die Transkription ausfallen muss, ist von der Fragestellung abhängig. Transkripte sind sekundäre Texte, welche die audiovisuellen Originaldaten nur selektiv und in einer medial grundsätzlich anderen Form wiedergeben. Das darf bei der Analyse nicht außer Acht gelassen werden. Wer für eine Diskursanalyse mit audiovisuellen Daten arbeiten will, muss zwingend eine Grundausbildung in der linguistischen Gesprächsforschung mitbringen. In dieser Einführung beschränken wir uns auf die Analyse von stehenden Bildern (Kapitel 7) und reinen Audioaufnahmen (Kapitel 6). Für die diskursanalytische Analyse von Videos sei auf Pollack (2008) verwiesen. Unter den vielen Einführungen in die Textlinguistik ist für eine diskursanalytische Herangehensweise vor allem Hausendorf/ Kesselheim (2008) nützlich. Verwiesen sei auch auf den Sammelband von Janich (2008), in welchem sich Warnke zum Text aus diskurslinguistischer Sicht und Storrer zur Hypertextlinguistik äußern. Das Umfassendste zur Sammlung und Auswertung von Texten aus dem Internet bietet Meier (2008a). Eine konsequent multimodale Herangehensweise an Texte entwickelt Kress (2010). Klassische Einführungen in die Gesprächsanalyse sind Brinker/ Sager (2010) und Deppermann (2008). Die technischen Hilfsmittel sind ausführlich vorgestellt im Gesprächsanalytischen Informationssystem GAIS des Instituts für deutsche Sprache (http: / / prowiki.ids-mannheim.de/ bin/ view/ GAIS/ WebHome). Beiträge aus der Forschungspraxis finden sich regelmäßig in der Online-Zeitschrift „Gesprächsforschung“ (http: / / www.gespraechsforschung-ozs.de/ ). Für die Analyse massenmedialer Daten konsultiere man Einführungen in die Medienlinguistik, zum Beispiel Burger (2005) oder Perrin (2011). 4.3 Korpus bilden Wir haben in Kapitel 1 gesehen, dass Diskurs ein Begriff mit unterschiedlicher Reichweite ist (vgl. Abbildung 1). Damit verbunden sind auch unterschiedliche Auffassungen darüber, in welchem Verhältnis Diskurs und Korpus stehen. Es dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass Aussagen über den Diskurs, verstanden als potenzieller Gedankenraum (1), reine Spekulation bleiben müssen. Auch der Diskurs in einem weit verstandenen Sinne (2) ist empirisch praktisch nicht erfassbar, weil er alles gerade nicht Gesagte mit umfasst. Aus dem tatsächlich Gesagten lässt sich im besten Falle indirekt erschließen, was verschwiegen wurde. Trotz aller methodischer Schwierigkeiten sollte dieser Aspekt von Diskurs allerdings nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Einige wenige Forscher setzen Diskurs mit dem Korpus gleich (4) (zum Beispiel Jung 2006). Dieser Auffassung schließen wir uns nicht an. Richtig ist, dass die Forscherin durch die Wahl der Fragestellung und durch die Zusammenstellung des Korpus ihren Untersuchungsgegenstand mit konstituiert (Niehr 2014: 32); trotzdem gehen wir davon aus, dass Diskurse unabhängig von jeder Forschungstätigkeit existieren und dass 52 4 Korpusbildung Diskursforschende wenigstens dem Ideal nach Diskurse rekonstruieren und nicht konstruieren sollten. Die Mehrheit der Forschenden folgt einer engen Definition von Diskurs (3), weil sie forschungspraktisch am ehesten umsetzbar ist. Doch auch hier stellt sich das Problem, dass sich ein Diskurs in seiner Gesamtheit niemals vollständig erfassen lässt. Erstens sind viele Texte weder erhalten noch zugänglich - man denke nur an mündliche Äußerungen, private Aufzeichnungen oder interne Dokumente von Betrieben und Verwaltungen. Zweitens sind selbst die zugänglichen Texte zu einem Thema wie Abtreibung dermaßen zahlreich, dass sie unmöglich erfasst und ausgewertet werden können. Diskursforschende müssen daher Texte auswählen. Die ausgewählten Texte bilden zusammen das Korpus, und das Korpus ist eine Teilmenge des Diskurses (Busch 2007: 150). Die Auswahl der Texte sollte grundsätzlich so geschehen, dass das Korpus repräsentativ ist für den interessierenden Diskurs, das heißt, dass aus den analysierten Texten auf den gesamten Diskurs geschlossen werden kann, ohne dass unzuläßige Verallgemeinerungen vorgenommen werden (Niehr 2014: 38). Wie das Korpus beschaffen sein soll, hängt auch von der Fragestellung ab. Je enger die Fragestellung, umso einfacher ist die Wahl der zu untersuchenden Texte. Wenn jemand „Die Darstellung von Mädchen in der Spielzeugwerbung“ untersuchen will, so ist klar, dass er Anzeigen und TV-Spots für Spielsachen sammelt, in denen Mädchen visuell oder sprachlich abgebildet sind. Interessiert sich hingegen jemand für „Mädchenideale im Wandel der Zeit“, wird das Zusammenstellen eines Korpus ungleich schwieriger. 4 In der Praxis ist es nicht selten so, dass am Anfang eines Forschungsprojekts gar nicht die Fragestellung steht, sondern ein konkreter Text, welcher der Forscherin in die Augen springt. Dieser Text bestimmt dann die Fragestellung und die Zusammenstellung des Korpus mit (Mautner 2008: 35). Es gibt zwei grundlegend verschiedene Wege, zu einem validen Korpus zu kommen: das Zusammenstellen eines geschlossenen Korpus aufgrund vorab festgelegter Kriterien oder das sukzessive Zusammenstellen eines offenen Korpus typischer Texte. Diese beiden Formen von Korpora seien kurz umrissen. Geschlossene Korpora Bei einem geschlossenen Korpus werden Texte nach vorab festgelegten Kriterien gesammelt und dann analysiert. Das Korpus wird nachträglich nicht mehr erweitert, darum heißt es geschlossen. In der quantitativen Sozialforschung werden geschlossene Korpora als Stichproben bezeichnet, und es gibt ausgefeilte statistische Methoden, mit denen die Repräsentativität der Stichprobe garantiert werden kann. Für die Diskursforschung ist es in der Regel nicht möglich, repräsentative Stichproben im strengen Wortsinn zu ziehen, aus dem einfachen Grund, weil die Grundgesamtheit - die Gesamtheit aller zu einem Thema produzierten Äußerungen - nicht bekannt ist. Trotzdem stellt das Vorgehen nach klaren Kriterien sicher, dass die Wahl der Texte nicht völlig subjektiv erfolgt und vor allem nachvollziehbar bleibt. Mögliche Kriterien für das Zusammenstellen von Korpora sind in der folgenden Tabelle dargestellt: 4 Diachrone Untersuchungen sind ohnehin viel anspruchsvoller, da der allgemeine Sprachwandel diskursive Verschiebungen überlagert und es im Einzelfall schwierig sein kann zu bestimmen, wo sich quasi nur die Bezeichnungen verändert haben und wo das Bezeichnete. Ist die „tüchtige Ladentochter“ in einem Stelleninserat der 1950er Jahre etwas anderes als die „engagierte Verkäuferin“ von heute? 53 4.3 Korpus bilden Thema Das Thema entspricht dem interessierenden Diskurs - Gentechnik, Schönheitsideale, Atomenergie, Migration etc. - oder Teilen davon. Geografischer Raum Das Korpus kann ein Land oder Sprachgebiet umfassen oder kontrastiv angelegt sein mit mehreren Ländern / Sprachgebieten. Zeitspanne Ein synchrones Korpus umfasst Texte von „heute“ oder aus einer kurzen Zeitspanne, zum Beispiel vor und nach einem bestimmten Ereignis. Ein diachrones Korpus umfasst Texte, die aus verschiedenen Abschnitten in der Vergangenheit stammen. Medium Hier ist festzulegen, welche Medien ausgewählt werden: welche Zeitungen, Zeitschriften, TV-Sendungen, Parlamentsdebatten, Internetforen usw. Akteure Auszuwählen ist, welche Akteure untersucht werden sollen, ob Politikerinnen, Migranten, Leserbriefschreiber, medizinische Experten oder Laien, Moderatorinnen, Kommentatoren u.a.m. Textsorte Schließlich kann es sinnvoll sein, sich auf einzelne Textsorten zu beschränken wie Editorials, Kommentare, Ratgeberspalten, Romane, Clubsendungen, TV-Soaps oder Fan-Foren. Tabelle 4: Kriterien für die Zusammenstellung eines geschlossenen Korpus. Wie das konkret aussieht, stellt Mautner an einem Beispiel vor. Um zu untersuchen, wie das „Shoppen“ in britischen Monatsmagazinen im Wandel der letzten 50 Jahre dargestellt wird, schlägt sie folgendes Korpus vor (Mautner 2008: 36): Thema „Discursive Representations of Shopping in British Monthly Magazines“. Raum Großbritannien. Zeitspanne Alle 12 Ausgaben der Jahre 1966, 1986 und 2006. Medium Monatsmagazine mit Fokus Lifestyle für Frauen. Akteure Editorinnen, Redakteurinnen. Textsorten Editorials und Einkaufstipps. Geschlossene Korpora sind geeignet für kleinere studentische Projekte, weil man durch eine entsprechend starke Einschränkung die Zahl der Texte überschaubar halten kann. Sie eignen sich aber auch für besonders große Projekte, zum Beispiel für eine Langzeitstudie über die Gleichberechtigungsdebatte im deutschen Bundestag von 1870 bis heute. Bei der Arbeit mit geschlossenen Korpora muss man sich immer wieder Rechenschaft darüber ablegen, worüber man nach der Analyse eigentlich Aussagen machen kann. Wer den Antisemitismus in Internetforen von rechtsextremen Parteien und Neonazis untersucht, kann zuletzt genau Aussagen über den Antisemitismus in der rechtsextremen Szene machen; aber er kann keine Aussagen über „den“ Antisemitismus in Deutschland machen und schon gar keine Aussagen über das generelle Verhältnis von Juden und Nicht-Juden in Deutschland. Diesbezüglich gilt die Regel: Je schmaler der untersuchte Bereich, umso präziser wird die Analyse, aber umso weniger sagt das Resultat über den Gesamtdiskurs aus (Jung 2006: 37). 54 4 Korpusbildung Offene Korpora Bei offenen Korpora werden die Texte nicht zuerst gesammelt und dann analysiert. Vielmehr beginnt die Arbeit mit ausgewählten Schlüsseltexten, die erschöpfend analysiert werden. Davon ausgehend werden weitere Texte gesucht, mit welchen die Ergebnisse der Pilotstudie bestätigt, verfeinert, korrigiert oder kontrastiert werden können. Das Korpus ist in diesem Sinne nie abgeschlossen. Die Arbeit wird dann eingestellt, wenn die Analyse gesättigt sind, das heißt wenn neue Daten keine neuen Erkenntnisse mehr liefern und sich die Ergebnisse nurmehr wiederholen. Die Qualität eines offenen Korpus hängt davon ab, ob es den Forschenden gelingt, typische Texte auszuwählen, die für den untersuchten Diskurs tatsächlich charakteristisch sind. Oftmals ist es möglich, die zentralen Argumentationslinien schon anhand weniger Schlüsseltexte zu rekonstruieren (Jäger 2006: 103). Trotzdem bleibt die Gefahr, dass die Auswahl der Texte allzu subjektiv ausfällt. Ausdrücklich zu warnen ist vor dem Rosinenpicken, bei welchem man genau jene Texte auswählt, an denen sich besonders schön das demonstrieren lässt, was man von Anfang an nachweisen wollte (Mautner 2008: 37). Bendel hat am Beispiel einer einzigen Anzeige für ein Medikament eine typische Werbestrategie der Pharmaindustrie herausgearbeitet: ‚Wir müssen heute Höchstleistungen erbringen und sind durch falsche Ernährung, Rauchen, Stress und Bewegungsmangel zusätzlich belastet. Falls du bei dir die Symptome xy verspürst, dann nimm sofort dieses Medikament‘ (Bendel 2008: 232f). Die Analyse weiterer Anzeigen für Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel sowie die Durchsicht von Drogeriezeitschriften ergab, dass sich diese Argumentationsweise wie ein roter Faden durch die PR- Publikationen der Pharmaindustrie zieht: Weil wir heute so gestresst sind und teilweise ungesund leben, sollten wir präventiv dies und jenes schlucken. Eine Änderung des krank machenden Lebensstils wird den Leuten - im eigenen Interesse - nicht nahe gelegt. Mit dem PR-Diskurs der Pharmaindustrie ist erst ein Diskursstrang des gesamtgesellschaftlichen Gesundheitsdiskurses rekonstruiert. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, wie verbreitet das zitierte Denken ist, welchen Anteil am gesamten Gesundheitsdiskurs es hat. Wer diese Frage beantworten möchte, muss nach Wegen suchen, das Resultat zu quantifizieren. Das würde bedeuten, in Texten, die nicht von der Pharmaindustrie stammen, gezielt zu recherchieren, wie oft die Empfehlung ‚Symptomstatt Ursachenbekämpfung‘ auftaucht. Es ist davon auszugehen, dass die medikamentöse Symptombekämpfung in Texten der Alternativmedizin mehrheitlich abgelehnt wird, während zum Beispiel in Texten zum Umgang mit hyperaktiven Kindern in der Schule der Einsatz von Medikamenten eine zentrale diskursive Kampfzone darstellt. „Den“ Gesundheitsdiskurs als Ganzen zu rekonstruieren, übersteigt die Kapazität eines Forschers, trotzdem sollte man versuchen, wenigstens abzuschätzen, wie bedeutend der rekonstruierte Diskursstrang im Gesamtdiskurs ist. Offene Korpora sind geeignet für Pilotstudien, mit denen man quasi das diskursive Feld erkundet, oder dann für große, langfristig angelegte Projekte, bei denen das Spektrum der untersuchten Texte und Teildiskurse sukzessive ausgedehnt wird. Die Forschenden, die den Einsatz von offenen Korpora propagieren, berufen sich häufig auf die Grounded Theory (Glaser/ Strauss 2010). Die Soziologen Glaser und Strauss schlugen mit diesem Ansatz eine Methode vor, wie aus empirischen Daten induktiv soziologische Theorien entwickelt werden können. Ein Kernelement des Ansatzes besteht darin, dass man das, was man bei einer gesellschaftlichen Gruppe festgestellt hat, 55 4.3 Korpus bilden bei weiteren Gruppen untersucht, die der ersten Gruppe möglichst ähnlich (Prinzip der minimalen Kontrastierung) bzw. möglichst unähnlich sind (Prinzip der maximalen Kontrastierung). Übertragen auf Texte bedeutet dies, dass man jene diskursiven Phänomene, die man in einer Kategorie von Texten gefunden hat, zum Beispiel in Reden von Parlamentariern, kontrastiert mit einer möglichst weit entfernten Kategorie von Texten, zum Beispiel Gesprächen am Stammtisch. Das wird de fakto fast nie gemacht, weshalb man mit der Berufung auf die Grounded Theory zurückhaltend sein sollte. Generell ist es einfacher, einen relativ schmalen, homogenen Diskursstrang zu erfassen als einen Diskurs in seiner ganzen Breite und Heterogenität. Das liegt nicht nur an praktischen Fragen der Korpusbildung und der zu bewältigenden Textmenge, sondern hat auch einen psychologischen Grund: Wer die Vielfalt eines Diskurses erfassen möchte, ist gezwungen, sich mit den Argumenten aller Diskursakteure ernsthaft und unparteiisch auseinanderzusetzen, also zum Beispiel mit den Befürwortern und den Gegnern der Abtreibung oder einer militärischen Intervention. Das ist viel anspruchsvoller als nur die eigene Meinung zu rekonstruieren oder, was häufiger vorkommt, sich auf den politischen Gegner einzuschießen und dessen problematische Argumentationsweisen zu dekonstruieren, während man sich auf eine Kritik an der eigenen Denkweise nicht einlässt. Elektronische Korpora Die bisher besprochenen Methoden der Korpusbildung können natürlich gedruckte und elektronische Texte umfassen. Von ihrer Logik her sind geschlossene und offene Korpora jedoch manuell zusammengestellte Korpora nach Suchkriterien, wie sie für klassische Printtexte entwickelt wurden. Das Internet bietet die Möglichkeit, Korpora nach einer ganz anderen Logik zusammenzustellen (und auszuwerten! ). So können viel mehr Texte in kürzester Zeit gesammelt und mit einem Klick in die eigene Datenbank kopiert werden, wo sie mit Konkordanzprogrammen quantitativ durchforstet werden können (Vogel 2012, Bubenhofer 2013). Mehrere Gründe sprechen für die Verwendung solcher elektronischer Korpora (Mautner 2005b: 257ff):  Ein Teil des gesellschaftlichen Diskurses findet heute mehrheitlich im Internet statt, zum Beispiel der Protest von Studierenden gegen höhere Studiengebühren.  Im Internet kommen mehr gesellschaftliche Gruppen zu Wort als in den klassischen, eher elitären Medien, sodass sich eine größere Vielfalt an Stimmen erfassen lässt.  Das Internet erlaubt eine weltweite Recherche und damit eine Diskursanalyse, die über den europäischen Tellerrand hinaus blickt.  Das Internet ist leicht zugänglich und erlaubt das Bilden viel größerer Korpora als das Suchen und Kopieren in Bibliotheken. Den genannten Vorteilen stehen Nachteile gegenüber (ebd.):  Bei Internettexten ist oft unklar, wer spricht und welche Textsorte vorliegt. Ebenso ist oft unklar, wo ein (Hyper-)Text anfängt und aufhört.  Die Texte im Internet können sich laufend ändern, ältere Versionen verschwinden unwiederbringlich, sodass diachrone Korpora fast nicht zu erstellen sind.  Die Hypertextstruktur und alles Interaktive und Animierte geht verloren, wenn man den Text in ein (linear angeordnetes) Korpus kopiert.  Insgesamt ist es noch viel schwieriger, Kriterien für eine systematische Korpuserstellung festzulegen. 56 4 Korpusbildung In der Praxis werden elektronische Korpora häufig rund um Schlüsselwörter gebildet, welche als Stichworte in die Suchmaschinen eingegeben werden. So hat Mautner (2005a) ihr Korpus rund um die Stichworte ‚entrepreneurial‘ und ‚enterprising‘ gebildet (vgl. Beispielfenster im Abschnitt 3.2). Allerdings darf nicht übersehen werden, dass mit einer Stichwortsuche alle Texte systematisch aus dem Korpus fallen, in denen das Wort aus irgendeinem Grund nicht vorkommt, obwohl der Text zum untersuchten Diskurs gehören würde. So fehlen im Korpus von Mautner alle Universitätsleitbilder, in denen das Wort unternehmerisch nicht vorkommt und die somit ein Gegengewicht zu dem von ihr untersuchten und kritisierten Diskurs bilden würden. Ein weiteres Problem bei elektronischen Korpora ist, dass mit der Übertragung der Texte in eine Textdatenbank und spätestens in ein Konkordanzprogramm enorm viel Information verloren geht, nämlich all das, was im Internet visuell vermittelt wird. Dazu gehören beileibe nicht nur Fotos, sondern auch das Design der Webseite mit ihren Farben, Links, Buttons, Logos und animierten Bannern. Daher sind Screenshots, mit denen man das Originalaussehen der Texte rekonstruieren kann, das Minimum, was zusätzlich zum Text gespeichert werden muss (Mautner 2005b: 264). Meier (2008a) argumentiert sehr stimmig, warum bei Online-Texten grundsätzlich die Gesamtheit der Seite mit allen Buttons und Links analysiert und der Text somit gar nie aus seinem visuellen Kontext entfernt werden sollte. Das ist zugleich ein Plädoyer für qualitative Studien auch mit elektronischen Texten. Beispielanalyse Die Beispielanalysen in den folgenden Kapiteln beschäftigen sich mit dem Managementdiskurs bzw. der Managementlehre. Die Texte für diese Beispielanalysen haben wir auf eine bisher eher unübliche Weise ausgewählt. Wir haben nicht Schlüsseltexte gesucht, in denen sich ein bestimmter Diskurs - zum Beispiel der neoliberale Diskurs - besonders schön aufzeigen lässt. Vielmehr haben wir die Bücher aufgrund ihrer Verbreitung und damit ihrer Bedeutung für die Ausbildung angehender Manager ausgesucht, ohne vorher zu wissen, welches Weltbild sich darin finden würde. Vom Resultat der Analyse haben wir uns selber überraschen lassen. Das Korpus besteht aus vier weit verbreiteten Management-Lehrbüchern und ist somit als offen zu klassieren. Das erste Buch ist das Lehrbuch zur „Unternehmenskommunikation“ von Claudia Mast. Das 500 Seiten starke Buch ist 2013 in der 5. Auflage erschienen und wurde von der Autorin nicht nur mehrfach erweitert, sondern auch inhaltlich stark überarbeitet. Ebenfalls der Unternehmenskommunikation gewidmet ist das zweite Buch, „Integrierte Unternehmenskommunikation“ von Markus Aerni und Manfred Bruhn. Das 340 Seiten starke Buch, 2013 in 3. Auflage erschienen, wird zur Vorbereitung für die Berufsprüfung von Verkaufs- und Marketingfachleuten empfohlen. Das dritte Buch ist ein Klassiker der allgemeinen Managementlehre: „Strategisches Management: Visionen entwickeln, Erfolgspotenziale aufbauen, Strategien umsetzen“ von Roman Lombriser und Peter Abplanalp. Es erschien 2010 in einer 5., vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage und ist in der Ausbildung von Betriebsökonomen weit verbreitet. Das vierte Buch stammt von Dietmar Vahs und heißt „Organisation. Ein Lehrbuch“. Es ist 630 Seiten stark, 2012 in 8. Auflage erschienen und preist sich selber als das „im deutschsprachigen Raum führende Standardwerk der Organisationslehre“ an. 57 4.3 Korpus bilden Aufgaben Aufgabe 2: Sie möchten die Reaktion der offiziellen Politik Ihres Landes auf einen Terroranschlag untersuchen, zum Beispiel den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 7. Januar 2015. Wie könnte ihr geschlossenes Korpus aussehen? Legen Sie die Auswahlkriterien fest. Aufgabe 3: Überlegen Sie sich, wie Sie ein Korpus für die oben aufgeworfene Fragestellung „Mädchenbilder im Wandel der Zeit“ bilden könnten. Was ist besser geeignet: ein geschlossenes oder ein offenes Korpus? Suchen Sie für Ihre eigene Studie 2-3 Schlüsseltexte, die Sie in Form einer Pilotanalyse oberflächlich auswerten. Legen Sie dann fest, ob Sie ein offenes, geschlossenes oder elektronisches Korpus generieren wollen. Überlegen Sie, nach welchen Kriterien Sie Ihr Korpus zusammenstellen wollen. Wenn Sie die Texte sammeln, vergessen Sie nicht, die Herkunft der Texte sauber zu dokumentieren. Sorgen Sie mittels farbiger Kopien und Screenshots dafür, dass der visuelle Originalzustand der Texte jederzeit greifbar bleibt. Verbindliche Aussagen zur Korpusbildung sind bei Linguisten rar. Am ehesten fündig wird man bei Mautner (2005b, 2008) sowie bei Jung (2006), Busch (2007) und Niehr (2014), der sich seinerseits stark auf Jung und Busch stützt. Wer quantitativ arbeiten will, konsultiere Einführungen in die Korpuslinguistik, zum Beispiel Lemnitzer/ Zinsmeister (2010), Scherer (2006) oder die Webseite von Noah Bubenhofer (http: / / bubenhofer.com/ korpuslinguistik/ kurs/ ). Ansonsten sind soziologische Handbücher zuverlässige Anlaufstellen für die Korpusbildung, zum Beispiel Flick (2012), Przyborski/ Wohlrab-Sahr (2013) oder Weischer (2007), speziell für die Diskursforschung Keller (2007b). 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Am Beginn jeder Diskursanalyse steht die minutiöse Untersuchung ausgewählter Texte. Viele Diskurslinguisten schlagen im Dienste eines einfachen, systematischen Vorgehens vor, bei der Analyse vom Kleinen zum Großen fortzuschreiten, also zuerst die Lexik und Mehrworteinheiten wie Phraseologismen, dann die Syntax bzw. einzelne Propositionen und zuletzt die Gesamtstruktur der fraglichen Texte zu untersuchen (Felder 2013, Spitzmüller/ Warnke 2011). Andere gehen den umgekehrten Weg von der Makrostruktur des Textes zur Mikrostruktur (Jäger 2004a, Gruber 2008). Wir verfolgen in diesem Buch einen anderen Ansatz, um deutlich zu machen, dass Diskursanalyse keine grammatische oder textlinguistische Fingerübung darstellt. Ziel ist nicht, Aussagen über die Beschaffenheit des Textes zu machen. Die Leitfragen einer diskursanalytischen Textanalyse lauten vielmehr: Welches Bild der Wirklichkeit versucht dieser Text zu vermitteln? Wovon will er die Lesenden überzeugen? Wozu will er sie veranlassen? Die Analyse der sprachlichen Mittel ist kein Selbstzweck, sondern dient der Beantwortung dieser Fragen. Die folgende methodische Darstellung der Textanalyse orientiert sich daher an Diskurspositionen: Wer (Perspektivierung) spricht mit wem (Nomination & Prädikation) über was (Themenstrukturanalyse)? Wie werden die Dinge dargestellt (Modalität), bewertet (Evaluation) und begründet (Argumentation)? Diese Systematik wurde eigens für dieses Lehrbuch entwickelt 5 . 5.1 Perspektivierung: Wer spricht? Jeder Text ist aus einer bestimmten Perspektive heraus geschrieben, aus der Sicht einer Person oder Personengruppe. 6 Diese muss nicht mit dem physischen Autor identisch sein. Die Reden und Blogs der deutschen Bundeskanzlerin sind aus ihrer Perspektive geschrieben, werden aber mehrheitlich von Ghostwritern verfasst. Die beiden häufigsten Formen der Perspektivierung sind die Wahl der ersten Person (Singular oder Plural) und die Autorentilgung. Sie haben unterschiedliche Wirkung auf die Sachverhaltsdarstellung und die suggerierte Beziehung zu den Lesenden. Ich-Form Bei Texten, die in der ersten Person Singular geschrieben sind, tendieren die Lesenden dazu, den Erzähler im Text mit dem physischen Autor zu identifizieren. Das muss nicht falsch sein, kann aber auch in die Irre führen, denn die Rolle des „Ichs“ kann auch nur vorgeschoben sein, was in der Literaturwissenschaft als „lyrisches Ich“ bekannt ist. Die Ich-Form verleiht einem Text den Anstrich von Authentizität, aber auch von Subjekti- 5 Allerdings in deutlicher Anlehnung an die Kritische Diskursanalyse nach Fairclough und Wodak. 6 Damit verbunden ist häufig eine bestimmte Perspektive auf die im Text behandelten Personen und Gegenstände. Diese weiter gefasste Begriff der „Perspektivierung“ wird in den späteren Abschnitten behandelt. 60 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse vität. Daher wurde die Ich-Form in einigen wichtigen gesellschaftlichen Domänen wie der Wissenschaft und dem Journalismus lange Zeit vermieden. Kretzenbacher spricht noch 1995 von einem „Ich-Tabu“ in der Wissenschaftssprache. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Viele (geistes-)wissenschaftliche Texte sind heute in der Ich-Form geschrieben. Forschungsresultate werden damit sprachlich nicht mehr als unumstößliche Wahrheiten gerahmt, sondern als Ergebnisse persönlicher methodischer Entscheidungen, Analysen und Interpretationen. Auch im Journalismus erscheinen bestimmte Textsorten wie Reportagen, Features oder Blogs heute häufiger in der Ich-Form. Hier dient die Ich-Form der Steigerung der Authentizität („Ich war dabei“) sowie der Emotionalisierung, damit sich die Texte besser verkaufen. Die Zunahme der Ich-Form kann als Teil eines Trends zur Umgangssprache im öffentlichen Diskurs gesehen werden, den Fairclough (2005) „conversationalisation“ nennt und den Sieber (2008) als „Parlando“ beschrieben hat. Wir-Form Die erste Person Plural kann für ganz unterschiedliche Perspektivierungen stehen. Beim exklusiven Wir steht sie für ein Autorenkollektiv oder eine mehr oder weniger klar umrissene gesellschaftliche Gruppe: Die drei Autoren, die zusammen ein Buch herausgeben, die Geschäftsleitung eines Unternehmens oder die Regierung eines Landes, die einen Beschluss bekannt gibt, aber auch eine nicht näher spezifizierte soziale Gruppe wie „wir Frauen“ oder „wir Deutschen“. Diese Form des Wir-Gebrauchs heißt exklusiv, weil damit alle Rezipienten, die nicht zu der gemeinten Gruppe gehören, exkludiert, also ausgeschlossen werden: „wir“, nicht „ihr“ und auch nicht „sie“. Beim inklusiven Wir umfasst die erste Person Plural neben den Sprechenden auch die Rezipienten, wobei deren Kreis wiederum unterschiedlich gefasst sein kann: alle in diesem Saal, alle Menschen überhaupt etc. Letzteres wird auch als extensives Wir bezeichnet. Inklusives und exklusives Wir können im gleichen Text wechseln. So standen in der Einladung zum Sommerfest eines kleinen Pharmaunternehmens die folgenden Sätze: „Noch haben wir das letztjährige Grillfest in bester Erinnerung“ und „Wir laden Sie herzlich ein“. Beim ersten Satz sind alle Angehörigen des Unternehmens gemeint, beim letzten nur die drei Mitglieder der Geschäftsleitung, die den Brief unterzeichnet haben. Der Wechsel vom exklusiven zum inklusiven Wir ist eine klassische Vereinnahmungsstrategie, bei welcher eine Gruppe von Personen sich anmaßt, im Namen von allen zu sprechen. Oftmals ist es allerdings alles andere als leicht zu bestimmen, wer mit dem schillernden Pronomen „wir“ eigentlich gemeint ist. Wenn der amerikanische Präsident bekannt gibt, was „we“ gegen den Terrorismus unternehmen werden, spricht er dann im pluralis maiestatis nur für seine Person, oder im Namen der Regierung oder im Namen des ganzen amerikanischen Volks? Für eine diskursanalytische Studie ist es aber besonders wichtig, möglichst genau zu bestimmen, wer mit „wir“ gemeint ist, da die Unterscheidung zwischen „uns“ und „denen“ die Basis für sämtliche Formen sozialer Diskriminierung bildet: Wir Österreicher gegen die Ausländer, wir Weißen gegen die Farbigen. Bei dieser Einteilung bildet das kollektive Wir den Maßstab, von dem die „andern“ irgendwie abweichen, weshalb man sie meidet und ausgrenzt. 61 5.1 Perspektivierung: Wer spricht? Autorentilgung Viele Texte kommen vordergründig ganz ohne Erzähler aus. Eine eher durchsichtige Form der Autorentilgung findet sich in vielen Schülertexten, in denen sich die Pronomen „es“ und „man“ häufen, mit welchen das „Ich“ mühevoll umgangen wird: „Man unterscheidet drei Formen der Autorentilgung“. Eine weitere Form der Autorentilgung besteht in der Personifikation des Textes selber: „Dieses Buch behandelt …“. Im klassischen Sachtext treten jedoch andere Personen und Sachverhalte an die Position des Subjekts im Satz: „Die Identität beschreibt das Selbstverständnis eines Unternehmens“ (Mast 2013: 54). Dasselbe gilt für Pressetexte, nicht nur bei Nachrichten, sondern sogar bei Kommentaren: „Die Homo-Ehe ist eine Erfolgsgeschichte. Keine Minderheit ist in den letzten Jahren so erfolgreich gewesen wie die Homosexuellen“ (NZZ Online, 25.6.13). Die Tilgung des Autors hat bedeutsame Konsequenzen: Die Aussagen im Text sind nicht mehr als persönliche Überzeugungen gerahmt, sondern als objektive, unumstößliche Tatsachen, bei denen es keine Rolle spielt, von wem sie geäußert werden. Eine Stimme - viele Stimmen Sich am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen zu können, bedeutet, eine „Stimme“ (voice) zu haben. Die Verfasserinnen eines Textes können aber nicht nur ihre eigene Stimme erheben, sondern auch andere Stimmen in ihren Text integrieren und diese mehr oder weniger deutlich sichtbar machen. Die sichtbarste Form ist das wörtliche Zitat, das durch Anführungsstriche klar gekennzeichnet wird. Das wörtliche Zitat erzeugt den Eindruck, dass die andere Stimme korrekt wiedergegeben wird. Allerdings kann man durch gezielte Selektion auch einen ungünstigen Eindruck des Zitierten erzeugen. Von Bedeutung ist auch das verbum dicendi, mit welchem das Zitat eingeleitet wird. Ob jemand angeblich etwas „sagte“ oder „behauptete“, ist nicht dasselbe. Etwas weniger gut sichtbar ist das indirekte Zitat, bei welchem die schiere Verwendung des Konjunktivs den Eindruck erzeugen kann, dass der Verfasser sich vom Zitierten distanziert, wie bei diesem Beispiel: „Das Paar beschloss, es zu probieren, ‚obwohl uns alle offiziellen Stellen abgeraten haben, die Sennerei sei zu klein, sie rentiere sich nicht, wir seien naiv …‘.“ 7 Die unauffälligste Form der Mehrstimmigkeit sind Anspielungen auf andere Texte, die bei den Rezipierenden ein hohes Maß an Vorwissen voraussetzen. Bei der Analyse ist aber nicht nur darauf zu achten, wie viele und wessen Stimmen in einem Text zu Wort kommen, sondern auch, wessen Stimme unabsichtlich übergangen oder gezielt zum Schweigen gebracht wird. So ist in vielen Texten über Flüchtlinge zu beobachten, dass deren Sichtweise systematisch ausgeblendet wird. Man spricht über sie, lässt sie selber aber nicht zu Wort kommen. Leseransprache Schließlich kann der Textproduzent die Rezipierenden auch explizit anreden, mit Sie oder du, und damit eine soziale Beziehung suggerieren. Die Werbung macht von dieser Technik ausführlich Gebrauch - „Schon probiert? “ 8 -, aber auch Sachtexte wie Gebrauchsanweisungen werden immer häufiger in der Sie-Form geschrieben: „Wenden Sie sich an unseren Kundendienst, falls Sie Mängel feststellen.“ 9 Man kann dies als 7 Das gute Beispiel. National Geographic 8/ 2013, S. 24. 8 Werbeanzeige von Almdudler in Bergauf 3/ 2013, S. 110. 9 Gebrauchsanweisung für Geschirrspüler Adora N der V-Zug AG 2005, S. 8. 62 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Steigerung der Verständlichkeit und Kundenorientierung sehen (Göpferich 2008), aber auch als Manipulation, da eine persönliche Beziehung ja nur inszeniert und für Verkaufszwecke instrumentalisiert wird. Fazit: Bei der Analyse der Perspektivierung ist die Frage zu klären, aus welcher Perspektive ein Text geschrieben wurde, wie sich der Textproduzent bzw. die Textproduzenten sozial positionieren und welche Beziehung zu den Lesenden aufgebaut wird. Beispielanalyse In diesem Kapitel nehmen wir das Lehrbuch „Unternehmenskommunikation“ von Claudia Mast genauer unter die Lupe. Kleinere Ausschnitte werden zur Veranschaulichung wörtlich wiedergegeben, die Analyse bezieht sich aber auf das ganze Buch. Der folgende Abschnitt stammt aus dem Kapitel „Stakeholder (Anspruchsgruppen)“: „Stakeholder (Anspruchsgruppen) sind diejenigen Menschen, die von Entscheidungen ihres Unternehmens betroffen sind oder mit ihrem Handeln selbst die Aktionen einer Firma beeinflussen können. ‚Organisations have stakeholders. That is, there are groups and individuals who can affect, or are affected by, the achievement of an organization’s mission‘ (Freeman 1984, 52). Sie können durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen und über unterschiedliche Einflusspotenziale verfügen, um diese Interessen durchzusetzen. (…) Wodurch wird eine Gruppe zum Stakeholder, wann wird aus einer Bezugsgruppe eine Anspruchsgruppe? In Anlehnung an Franz Liebl (2000, 30) können folgende Kriterien festgehalten werden: Formale, z.B. vertragliche Beziehungen: Dies sind alle Gruppen, die durch formale Beziehungen mit dem Unternehmen verbunden sind, z. B. Lieferanten, Mitarbeiter, Kapitalgeber, Geschäftspartner.“ (Mast 2013: 116f). Im Buch von Mast ist die Autorin konsequent getilgt, sogar im Vorwort spricht sie von sich in der 3. Person: „Besonderer Dank der Autorin gilt …“ (S. 4). Sämtliche Aussagen werden mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit vorgenommen. Andere Stimmen werden, wie in der wissenschaftlichen Literatur üblich, ausgiebig zitiert, oft auch wörtlich. Das Zitieren anderer Stimmen dient allerdings eher selten dazu, verschiedene Sichtweisen auf das Thema einander gegenüberzustellen oder gar zu diskutieren. Vielmehr dienen sie in den meisten Fällen dazu, die eine und einzige Position der Autorin zu stützen. Der Leser wird nie direkt angesprochen, dafür kommt das inklusive Wir gelegentlich vor: „Wir leben in Organisationen und mit Organisationen aller Art“ (S. 7). Diese Äußerungen haben die Funktion, einen gemeinsamen Ausgangspunkt für die anschließenden Überlegungen zu etablieren. Sie sind sehr suggestiv, weil sie unterstellen, dass wir (= alle) die Welt so sehen wie die Autorin. Wir haben also einen Text vor uns, der trotz Mehrstimmigkeit eine einzige Sicht auf Unternehmenskommunikation etabliert und die Leser darin punktuell mit einbezieht. 63 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? Aufgaben Aufgabe 4: Untersuchen Sie, aus welcher Perspektive der abgedruckte Ausschnitt aus dem Leitbild eines Detailhandelsunternehmens geschrieben ist. Welche Wirkung kommt durch die Perspektivierung zustande? Ausschnitte aus dem Leitbild eines Detailhandelsunternehmens Das Unternehmensleitbild dient uns als Orientierungsgrundlage für unser Verhalten und Handeln. Wir bekennen uns zu ethischem und verantwortungsvollem Handeln, sowohl im individuellen als auch im unternehmerischen Bereich. Es bildet die Basis unserer Unternehmenskultur, erläutert unsere wichtigsten Prinzipien und umfasst Richtlinien für den Umgang mit unseren Stakeholdern. […] IV Unsere gesellschaftliche Verantwortung Wir stehen zu einem verantwortungsbewussten Unternehmertum und handeln ökonomisch, ökologisch und sozial verantwortungsvoll. Wir setzen Impulse und leisten Beiträge in den unten aufgeführten fünf Bereichen, denn wir wissen um die Wichtigkeit für ein nachhaltiges Handeln als Unternehmen. Wir verstärken nachhaltig unsere gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden, der Umwelt und der Gesellschaft. 1. Gesunde Ernährung 2. Lokale Verbundenheit 3. Respekt für unsere Umwelt 4. Ein interessanter Platz zum Arbeiten 5. Engagement für die Gesellschaft Wir integrieren diese fünf Grundsätze in unser tägliches Handeln. Unsere Mitarbeitenden sind angehalten, diese wo immer möglich anzuwenden und damit zu arbeiten. Analysieren Sie in Ihren Beispieltexten, aus welcher Perspektive sie geschrieben sind. Überlegen Sie sich, was die Autoren damit bezwecken, genau diese Form der Perspektivierung zu wählen. 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? Einer der zentralen Untersuchungsaspekte jeder Diskursanalyse ist die Frage, wie die Akteure, von denen der untersuchte Text handelt, dargestellt werden. Menschen und Gegenstände werden in Texten ja nicht abgebildet, wie sie „sind“, vielmehr entwirft der Text durch die Wahl spezifischer sprachlicher Darstellungsmittel ein bestimmtes Bild von ihnen. Damit verbunden sind immer auch Bewertungen. Unter Nomination verstehen wir die Art und Weise, wie soziale Akteure als Individuen oder Gruppen benannt bzw. sprachlich konstruiert werden. Unter Prädikation verstehen wir die Art und Weise, wie den sozialen Akteuren positive oder negative Eigenschaften zugeschrieben werden. 64 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Eigennamen Einzelne Personen können mit ihrem Eigennamen benannt werden: „Elisabeth Braun“. Sie werden damit als Individuen eindeutig identifiziert, ihre Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit wird hervorgehoben. Durch die alleinige Nennung des Nachnamens wird der Status des Individuums als erwachsene, verantwortliche Person hervorgehoben, wie es in der Presse oder in der Wissenschaft üblich ist: „Braun wegen Bilanzfälschung angeklagt“; „Braun (2014) betont …“. Das Geschlecht rückt gleichzeitig in den Hintergrund. Die Bedeutung oder die Kompetenz der Person kann unterstrichen werden durch das Hinzufügen von Titeln oder Funktionsbezeichnungen: „Dr. Braun“; „Bundeskanzlerin Merkel“. Die alleinige Nennung des Vornamens kann unterschiedliche Wirkungen haben. Einerseits kann sie die Person als unmündiges Kind oder als inferiore Angestellte kennzeichnen: „Elisabeth geht noch zur Schule.“ „Elisabeth, räumen Sie bitte Tisch vier ab.“ Andererseits kann sie eine persönliche Vertrautheit mit oder gar ein intimes Verhältnis zu der geschilderten Person ausdrücken: „Elisabeth war gestern zu Besuch.“ Dieser Eindruck von Intimität wird in der Sportberichterstattung zur Steigerung der Emotionalität ausgenützt, wenn Sportgrößen nur mit dem Vornamen genannt werden: „Lara kurvt im Kraftraum statt im Schnee“ 10 , manchmal noch verstärkt durch das Possessivpronomen: „unsere Lara“. Auffälligerweise wird dies fast nur bei Frauen gemacht, was mit einer Verniedlichung einhergeht - eine Wirkung, die verstärkt wird, wenn die Damenmannschaft im zitierten Artikel als die „Girls von Swiss Ski“ bezeichnet werden. Auch im Marketing wird der Vorname strategisch eingesetzt, wenn auf der Quittung steht: „Es bediente Sie Cornelia“. Im deutschen Sprachraum und darüber hinaus bekommen auch Tiere („Hansi“), Schiffe („Erika“) und Häuser („Châlet Roswitha“) menschliche Vornamen. Mit dieser Vermenschlichung drücken die Besitzer ihren emotionalen Bezug zu ihren Tieren oder ihrem Besitz aus. Generische Bezeichnungen In vielen Texten werden Einzelpersonen nicht oder nicht nur mit ihrem Eigennamen genannt, sondern mit einer generischen Bezeichnung wie „Mutter“, „Senior“ oder „Asylant“. Damit werden sie nicht mehr als Individuen präsentiert, sondern als Typus bzw. als Inhaber einer sozialen Rolle. Verschiedene generische Bezeichnungen heben jeweils unterschiedliche Aspekte der Person hervor (van Leeuwen 2008: 42-44):  Welche Eigenschaften eine Person hat: Dazu gehören alle Ausdrücke, die das Geschlecht (Frau), das Alter (Kind, Greis), die Ethnie (Indianer, Asiate) oder körperliche Eigenschaften (Krüppel, Blondine) einer Person betonen.  In welchem Verhältnis die Person zu andern steht: Dazu gehören alle Ausdrücke, die familiäre (Ehemann, Tante, Opa), soziale (Vorgesetzter, Sklave, Kollege) oder persönliche (Freund, Nachbarin) Verhältnisse bezeichnen.  Was eine Person tut: Dazu gehören alle Berufsbezeichnungen (Buchhalter, Ärztin) Bezeichnungen anderer Tätigkeiten (Alpinist, Hobbymalerin) sowie situative Rollen (Leserin, Patient). Die Folgen sind für die geschilderten Akteure gravierend. Generische Bezeichnungen sind nicht neutral, sondern mit Konnotationen und assoziativen Stereotypen verbun- 10 Blick online, 4.8.2013, gemeint ist die Skirennfahrerin Lara Gut. 65 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? den. Unter Konnotationen verstehen wir Wertungen, die lexikalisiert sind. So ist „Bulle“ eine inhärent abwertende Bezeichnung für einen Polizisten. Unter einem assoziativen Stereotyp versteht Kilian (2005) eine kulturell geprägte Assoziation, die zwar nicht lexikalisiert ist, jedoch von den meisten Sprachteilhabern mit einem Wort verbunden wird, zum Beispiel die stereotype Vorstellung, dass Schafe dumm sind. Schließlich rufen viele Personenbezeichnungen einen bestimmten kognitiven Frame auf, der die Verarbeitung weiterer Informationen beeinflusst. US-Präsident Bush bezeichnete die beim Terroranschlag vom 11. September 2001 Verstorbenen zuerst als „Opfer“, womit er die Ereignisse als Verbrechen rahmte. Später wechselte er zum Begriff „Verluste“, der den Rahmen Krieg aufruft, womit er den Boden ebnete für seinen „Krieg gegen den Terrorismus“ (Lakoff/ Wehling 2008). Wird nun ein Mensch als „Greis“ bezeichnet, so wird der Fokus auf sein Alter gelegt, verbunden mit der Konnotation, dass dieser Mensch gebrechlich, hilfsbedürftig und nicht mehr ganz zurechnungsfähig ist. Die Bezeichnung „Asiate“ hebt die Herkunft der Person hervor, was je nach Kontext mit Fremdheit oder mit der stereotypen Vorstellung von „asiatischer Undurchschaubarkeit“ assoziiert wird. Wird eine Person lediglich in ihrem Verhältnis zu anderen Personen geschildert, so erscheint sie nicht mehr als eigenständige Persönlichkeit, sondern als abhängig, als Sohn, Tochter oder Ehefrau einer anderen Person, die damit zugleich als die wichtigere konstruiert wird. Das Schicksal, Anhängsel zu sein, trifft bis in die jüngste Vergangenheit vor allem Frauen, die in der Presse visuell wie verbal primär als Frau von Y erscheinen: „Vor 16 Monaten ist Edmond Alkhali mit seiner Familie aus Syrien in die Schweiz geflüchtet“ 11 , beginnt ein Portrait im Tages-Anzeiger, in welchem alle anderen Personen als „seine Frau Irina“, „seine Mutter“, „seine Schwester“ etc. erscheinen. Selbst namhafte Künstlerinnen wie Fanny Mendelssohn oder Clara Schumann werden praktisch immer als Schwester von Felix Mendelssohn bzw. Frau von Robert Schumann aufgeführt, während das Umgekehrte nicht gilt. Folgenreich sind auch Berufsbezeichnungen sowie situative Rollenbezeichnungen, da mit ihnen Erwartungen verbunden sind, wie eine Person zu sein und zu handeln hat. Soziologen definieren Rollen als „Bündel normativer Erwartungen, die sich an das Verhalten von Positionsinhabern in Interaktionssituationen richten“ (Dreitzel 1987: 115). Von einem „Buchhalter“ erwarten die meisten Lesenden neben bestimmten beruflichen Fertigkeiten auch spezifische Eigenschaften wie Genauigkeit und Unbestechlichkeit, aber nicht unbedingt Kreativität oder Charisma. Von einer „Patientin“ werden ganz spezifische Verhaltensweisen erwartet: dass sie ein konkretes Leiden hat und dieses auch schildern kann, dass sie die Fragen des Arztes beantwortet, sich gegebenenfalls auszieht usw. Bei jeder diskursanalytischen Textanalyse ist daher genau zu prüfen, mit welchen Bezeichnungen ein Individuum versehen wird, ob ein Bewaffneter zum Beispiel als Freiheitskämpfer, Rebell, Aufständischer oder Terrorist bezeichnet wird, welche Konnotationen, assoziativen Stereotype und Rollenerwartungen damit verbunden sind, welcher Frame aktiviert wird und ob die Bezeichnung geeignet ist, die Einstellung der Lesenden zu den beschriebenen Personen zu beeinflussen oder gar zu manipulieren. 11 Tages-Anzeiger Online, 5.8.2013. 66 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Soziale Kategorien Sobald ein Text nicht mehr von einer Person, sondern von mehreren Personen handelt, tritt das Phänomen der sozialen Kategorisierung auf den Plan. Wir Menschen haben offenbar das universelle Bedürfnis, unsere Umwelt zu kategorisieren und damit die Vielfalt der Erscheinungen auf eine handhabbare Zahl von Kategorien zu reduzieren und diese zwecks besserer Übersicht zu systematisieren. Kategorisierungen finden sich in allen natürlichen Sprachen, seien es Farbbezeichnungen, Altersklassen oder Tiergattungen, sie spielen aber vor allem in der Wissenschaft und in der Verwaltung eine zentrale Rolle. Als Beispiel für ein klassisches Kategoriensystem seien die Pflanzenfamilien der Botanik genannt. Botanikerinnen unterscheiden zwischen Rosengewächsen, Schmetterlingsblütlern, Korbblütlern, Primeln, Enzianen etc., die alle präzise beschrieben sind, und zwar nach äußeren Merkmalen wie Zahl der Blütenblätter, Form der Blätter und Stängel, Standort etc. Diese phänomenologische Kategorisierung ist seit Jahrhunderten etabliert - und völlig willkürlich. Jüngere, genetische Untersuchungen von Pflanzen legen andere Verwandtschaftsverhältnisse nahe und haben zur Diskussion geführt, ob die Pflanzenfamilien neu definiert werden sollten. Für die Pflanzen selber hätte diese neue wissenschaftliche Systematik keine Auswirkungen. Das ist allerdings eher die Ausnahme. Die meisten Kategorisierungen, die wir im Alltag, aber auch in der Wissenschaft und der Verwaltung verwenden, sind keineswegs harmlos, sondern sind aus einer spezifischen Perspektive oder für einen bestimmten Zweck geschaffen worden und haben gravierende Konsequenzen für die kategorisierten Objekte. Im Alltag teilen wir Pflanzen ein in Zierpflanzen, Nutzpflanzen, Heilpflanzen, Futtermittel, Nahrungsmittel, Unkraut u.a.m. Diese Einteilung verrät, dass der Mensch die Pflanzen rigoros danach kategorisiert, welchen Nutzen sie für ihn haben. Entsprechend behandelt er sie dann auch, indem er die sogenannten Zierpflanzen hegt und pflegt, Nutzpflanzen züchtet und anbaut, noch unbekannte Heilpflanzen im Regenwald schützt und das sogenannte Unkraut rigoros mit Gift verfolgt. Wechseln wir von den Pflanzen zurück zum Menschen, so wird ebenfalls ersichtlich, dass soziale Kategorisierungen keinesfalls harmlos sind. Mit der Einteilung der Unternehmensangehörigen in „Kader“, „Angestellte“ und „Arbeiter“ (o.ä.) rechtfertigen Unternehmen eklatante Lohnunterschiede. Mit den in der Verwaltung verwendeten Kategorien wie „Minderjährige“, „Erwerbstätige“, „Rentner“, „Staatsbürger“, „Asylsuchender“, „Sozialhilfeempfänger“ sind höchst unterschiedliche soziale Rechte und Pflichten verbunden. Ein „Minderjähriger“ zum Beispiel muss die obligatorische Schule absolvieren, hat kein Stimm- und Wahlrecht, untersteht dem Jugendschutz und einem speziellen Strafrecht, muss aber auch keine Steuern bezahlen. Auch die Kategorisierungen der Wissenschaft sind meistens nicht so selbstevident und neutral, wie sie gerne ausgegeben werden. Die Soziologie zum Beispiel arbeitet seit Jahrzehnten mit dem Begriff der sozialen Schicht und teilt die Menschen ein in Ober-, Mittel- und Unterschicht plus evtl. Subkategorien wie obere Mittelschicht, untere Mittelschicht usw. Diese Schichten werden definiert nach ganz einseitigen Kriterien wie Einkommen, Bildungsabschluss und Beruf des Familienvaters (neuerdings auch der Mutter), während Kriterien wie soziales Engagement, Anzahl der ehrenamtlich geleisteten Stunden, Höhe der getätigten Spenden oder Besuch kultureller Veranstaltungen nicht zum Zug kommen. Die Soziologie ist damit weit davon entfernt, soziale Stereotype in Frage zu stellen, im Gegenteil, sie zementiert das gesellschaftlich weit verbreitete Vorurteil, dass die Gesellschaft geschichtet sei, dass Status und Wert einer Person von 67 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? ihrer Ausbildung und ihrem Einkommen abhängen und dass Personen, die mehr verdienen, in der gesellschaftlichen Hackordnung weiter „oben“ stehen. Weil Kategorisierungen willkürlich und ideologisch sind, ist in jedem Text zu prüfen, mit welchen sozialen Kategorisierungen gearbeitet wird und welche Folgen dies für die geschilderten Personen hat. Mit der Zuteilung von Personen zu einer sozialen Gruppe geht immer auch eine Depersonalisierung und Anonymisierung einher, verbunden mit Konformitätserwartungen bezüglich deren Verhalten. Ein Text über „Flüchtlinge aus Syrien“ ist geeignet, bei den Lesenden ein ganz stereotypes Bild von Flüchtlingen und damit verbundene Abwehrgefühle zu erzeugen. Dieser Anonymität der Masse versuchen engagierte Journalistinnen oder Hilfswerke entgegenzuwirken, indem sie in Einzelportraits das Individuum wieder sichtbar machen wie im zitierten Portrait über Edmond Alkhali, der auf dem Bild dem Leser entgegenlacht und gemäß Bildlegende am Eisstand arbeitet und Deutsch lernt. Individualisierung erzeugt Betroffenheit, Assimilierung Distanz. Pronomen Auf die Akteure wird in Texten natürlich auch mit Pronomen Bezug genommen: er/ sie/ es, wir, ihr, sie, diese, jene, die einen, die andern usw. Die Analyse dieser Personalpronomen ist wichtig, weil mit ihnen Grenzen zwischen Gruppen von Menschen gezogen werden. Am wichtigsten ist die Grenze zwischen „uns“ und „denen“, zwischen jenen, die in irgendeiner Form dazugehören, und denen, die aus irgendeinem Grund nicht dazugehören - weil sie den falschen Pass, die falsche Hautfarbe, die falsche politische Überzeugung, den falschen Glauben haben, bei der Konkurrenz arbeiten oder nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechend leben. Das Ziehen von Grenzen zwischen „uns“ und „den anderen“ bildet die Basis für jede Form der Ungleichbehandlung und der Diskriminierung. In Abschnitt 5.1 haben wir allerdings bereits gesehen, dass es nicht immer einfach ist zu bestimmen, wer mit „wir“ gemeint ist, wer mit diesem Pronomen inkludiert und wer exkludiert wird. Diese Frage soll die sorgfältige Lektüre klären. Metaphern Soziale Akteure können auch mit Metaphern bezeichnet werden, als schlaue Füchse und alte Hasen, als aufgehender Stern am Tennishimmel oder Rädchen im Getriebe, als Blindgänger, Tagedieb, alter Sack oder Großmaul, als Gebärmaschine, Leuchtturm in der Brandung, weißer Ritter oder Engel - der sprachlichen Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Metaphern funktionieren häufig wie verkürzte Vergleiche, bei welchen das tertium comparationis als die wesentliche Eigenschaft der damit bezeichneten Person hervorgehoben wird: Eine Frau, die als „Reh“ bezeichnet wird, ist so niedlich und scheu wie ein Reh. Literaturwissenschaftliche Metapherntheorien gehen davon aus, dass metaphorische Ausdrücke lediglich ein Redeschmuck sind und durch den jeweils ursprünglichen, wörtlichen Ausdruck ersetzt werden könnten. Das Konzept der kognitiven Metapher hingegen geht davon aus, dass unsere Denk- und Redeweise grundsätzlich metaphorisch geprägt ist und metaphorische Ausdrücke nicht durch andere, „wörtliche“ Ausdrücke ersetzt werden können. Metaphern geben vielmehr direkt wieder, wie wir die Welt wahrnehmen, und häufig sind sie an unsere ursprünglichen, körperlichen Erfahrungen gebunden (Lakoff/ Johnson 1980/ 2003). 68 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Ein Beispiel: Unsere Erfahrung zeigt, dass gesunde Menschen aufrecht gehen, während kranke darniederliegen. Diese Erfahrung führt zur Vorstellung, dass oben gleichbedeutend ist mit gut und unten gleichbedeutend mit schlecht, was sich in zahllosen metaphorischen Ausdrücken niederschlägt: „es geht aufwärts“, „sie ist aufgestiegen“, „sie ist abgestürzt“, „das war sein Niedergang“. Ähnlich körpergebunden ist die Vorstellung, dass „mehr“ gleichbedeutend ist mit „höher“, was jedes Kind beim Spiel mit Bauklötzen erlebt und sich in der Sprache niedergeschlagen hat in Ausdrücken wie „sein Einkommen ist gestiegen“, „der Gewinn ist gesunken“ oder „Schuldenberg“. Komplexere Mataphern sind demgegenüber kulturell geprägt, so zum Beispiel unsere Vorstellung, Zeit sei Geld, die man „sparen“, „gewinnen“ oder „verschwenden“ kann. Lakoff und Johnson betonen, dass wir Zeit nicht wie Geld wahrnehmen, sondern sie mental gleichsetzen: Zeit ist Geld. Kognitive Metaphern sind kollektive Phänomene, nicht individuelle; sie geben Aufschluss darüber, wie eine Sprachgemeinschaft die Welt wahrnimmt. Darüber hinaus sind sie häufig mit Wertungen verbunden und können bestimmte Verhaltensweisen nahelegen. Wenn „oben“ gleichbedeutend ist mit „gut“, und wenn mehr Geld haben bedeutet, in die nächst höhere Schicht aufzusteigen, dann leitet sich daraus wie von selbst ab, dass das Erklimmen der Karriereleiter erstrebenswert ist. Auch Metaphern, mit denen soziale Akteure bezeichnet und charakterisiert werden, können starke Wertungen enthalten: Ein Individuum als „Flasche“ zu bezeichnen ist eine ebenso massive Beleidigung wie seine Etikettierung als „Rettungsanker“ ein Kompliment ist. Metaphorisch charakterisiert und bewertet werden auch ganze Gruppen von Menschen. Man spricht von „Seilschaften“ in Unternehmen oder in der Politik, stellt die Parteigenossen oder Angestellten als große „Familie“ dar, das Land als „Boot“, das voll ist oder nicht. Eine besonders unrühmliche Rolle spielen in der europäischen Geschichte Ungeziefer- und Krankheitsmetaphern. Einwanderer, Juden, Sozialhilfeempfänger, Homosexuelle und andere Menschengruppen wurden und werden immer wieder als „Parasiten“, „Schmarotzer“, „Läuse im Pelz“ bzw. „Geschwüre am Volkskörper“ oder „Infektionsherde“ bezeichnet. Wo Menschen zu Ungeziefer oder zu Krankheitserregern degradiert werden, sind Verfolgung und Ausrottung nicht mehr weit. Insofern haben Metaphern auch eine deontische Funktion, das heißt sie legen bestimmte Handlungsweisen nahe: Ungeziefer schlägt man tot. Metaphern steuern die Wahrnehmung, enthalten starke Wertungen, sind ideologisch aufgeladen und erübrigen Rechtfertigungen für scheinbar unausweichliche Handlungsweisen. Daher ist die Analyse von Metaphern ein unabdingbarer Bestandteil jeder diskursanalytischen Textanalyse. Deagentivierung So wie man den Autor eines Textes tilgen kann, können auch die anderen sozialen Akteure getilgt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von De-agent-ivierung, um deutlich zu machen, dass durch die Wahl entsprechender sprachlicher Mittel die Agenten einer Handlung unsichtbar gemacht werden. 12 Die einfachste und bekannteste 12 Der Begriff Deagentivierung ist etwas irreführend, da er suggeriert, es gebe einen „ursprünglichen“, „transparenten“ Satz, in welchem der Agent einer Handlung genannt wird, der nachträglich durch Deagentivierung unsichtbar gemacht wurde. Dem ist natürlich nicht so. Es gibt keine „korrekte“ oder „eigentliche“ Darstellung der Welt, sondern nur verschiedene sprachliche Mittel, die Schreibende mehr oder weniger bewusst wählen können, um damit ein bestimmtes Bild der Wirklichkeit zu erzeugen . 69 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? Form der Deagentivierung ist der Passivsatz. Beim Satz „Der Bahnhof wurde 1894 gebaut“ ist nicht ersichtlich, wer den Bahnhof gebaut hat. Passivsätze sind nicht in jedem Fall manipulativ. Oft ist der Träger einer Handlung schlicht nicht bekannt („Das Postamt wurde überfallen“) oder nicht von Interesse („Die Straße wurde repariert“). Manipulativ sind Passivsätze, wenn die Urheber einer Handlung und damit die Verantwortlichen gezielt verschwiegen werden: „200 Mitarbeiter wurden entlassen.“ Bei solchen Aussagen wäre durchaus von Interesse, wer die Entlassungen vorgenommen hat. Eine zweite wichtige Form der Deagentivierung sind Nominalisierungen. Dabei werden Handlungen und Prozesse in Form statischer Substantive wiedergegeben. Damit sind oft die Akteure und die konkreten Handlungen zugleich sprachlich getilgt und in einem Substantiv („Immigration“) verdinglicht. Anstatt dass also leibhaftige Grenzwächter konkrete Menschen an der Einreise hindern, ist die Rede von „der Immigration Einhalt gebieten“, womit sowohl die Grenzwächter als auch die Einwanderungswilligen sowie sämtliche konkreten Handlungen an der Grenze hinter einem abstrakten Ausdruck verschwunden sind. Auch für Nominalisierungen gilt, dass sie nicht in jedem Fall manipulativ sind. In der Verwaltung zum Beispiel sind sie deswegen so häufig, weil es keine Rolle spielt, mehr noch, keine Rolle spielen darf, welche Beamtin einen Antrag bearbeitet oder ein Formular ausgefüllt hat. Im wissenschaftlichen Diskurs haben die weit verbreiteten Nominalisierungen schon eher strategischen Charakter. Mit ihnen wird suggeriert, die Daten würden für sich sprechen, ohne jede apparative Manipulation und subjektive Interpretation des Forschers: „Die vorliegenden Daten lassen den Schluss zu, dass die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei Einschülern in den einzelnen Bundesländern Deutschlands sehr unterschiedlich ist und ein Nord-Süd-Gefälle vorliegt.“ 13 Diesen Schluss haben natürlich die Forschenden gezogen. Im politischen Diskurs schließlich, zum Beispiel im Globalisierungsdiskurs, sind die allgegenwärtigen Deagentivierungen manipulativ. Mit Sätzen wie „Nahrungsmittelpreise sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen und großen Schwankungen ausgesetzt“ 14 wird suggeriert, die Globalisierung und die damit verbundene weltweite Spekulation mit Nahrungsmitteln ereigne sich ganz von selber, ohne jeden Einfluss spezifischer ökonomischer und politischer Akteure. Damit können sich alle aus der Verantwortung für die globalen Entwicklungen stehlen. Die dritte Form der Deagentivierung ist die Naturalisierung (naturalization), bei welcher soziale Prozesse als natürliche Entwicklungen ausgegeben und damit ebenfalls als dem menschlichen Einfluss entzogen dargestellt werden. Das ist überall dort der Fall, wo soziale Gebilde als „Organismen“ im weitesten Sinne ausgegeben werden, die „wachsen“, „sich entfalten“, „absterben“ oder im gegenseitigen evolutionären Kampf ums Überleben stehen. Aber auch Wettermetaphern lassen soziale Ereignisse als nicht von Menschen gemacht, unausweichlich und unbeeinflussbar erscheinen, wenn etwa in den Auftragsbüchern „Ebbe“ herrscht, ein Gerücht wie ein „Lauffeuer“ die Runde macht oder ein „Sturm der Entrüstung“ über ein Unternehmen hereinbricht. In Wissenschaft, Management und Politik ist schließlich eine vierte Form der Deagentivierung wichtig, die Existenzialisierung (existenzialisation), bei welcher Dinge 13 A. Moss u.a. (2007): Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei deutschen Einschulkindern. Springer Medizin Verlag, S. 1430. 14 Dossier „Der Handel mit Agrarrohstoffen. Fluch oder Segen? “ (März 2013) von economiesuisse, Verband der Schweizer Unternehmen. Online (6.8.2013) unter http: / / www. economiesuisse.ch/ de/ PDF%20Download%20Files/ dp04_agrarrohstoffe_20120318.pdf 70 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse als schlechterdings gegeben dargestellt werden. Die Managementliteratur ist voll von solchen Darstellungen: „Die Ressourcen Zeit und Geld werden knapper, wohingegen die Komplexität der Einflüsse und Entscheidungen steigt“ (Mast, 2013: XIII). Bei jedem Text ist also zu fragen, ob die sozialen Akteure benannt werden oder nicht, mit welchen sprachlichen Mitteln sie allenfalls ausgeschaltet werden und ob die Nichtnennung der Akteure manipulativen Charakter hat, insbesondere die Funktion, die Verantwortlichen unsichtbar zu machen und soziale Phänomene als von selbst ablaufende Prozesse darzustellen. Attribute Bisher haben wir gesehen, wie Akteure durch ihre Benennung (Nomination) charakterisiert werden können. Im Folgenden geht es darum, wie soziale Akteure durch weiterführende Beschreibungen (Prädikation) noch genauer charakterisiert und bewertet werden. Die einfachste Form sind Attribute im weitesten Sinne, also Adjektive, präpositionale Attribute, Kollokationen, Relativsätze u.a.m. Bei Adjektiven ist nicht immer eindeutig zu entscheiden, ob sie einen Gegenstand lediglich beschreiben und klassifizieren, oder ob sie ihn auch bewerten. Wenn jemand erwähnt, eine bestimmte Schauspielerin sei „dünn“, so kann das eine pure Beschreibung oder eine Bewertung sein. Liegt eine Bewertung vor, so ist ohne Kontext auch nicht erkennbar, ob die Bewertung positiv ist oder nicht, ob also der Sprechende dünne Frauen schätzt oder nicht. Welche Adjektive eine positive oder negative Wertung ausdrücken, ist eine kulturspezifische Frage und kann aus dem Text allein oft nicht abgeleitet werden. Der Leser muss wissen, ob „sportlich“ in der Kultur des Schreibers ein positiv konnotiertes Wort ist oder nicht. Ebenso unterliegen solche Wertungen einem historischen Wandel. So war „willig“ in den 1950er Jahren in Stellenanzeigen ein häufig verwendetes, positiv besetztes Adjektiv für Angestellte, während das Wort heute eher negativ besetzt ist. Daher sollten Adjektive bei der Textanalyse nicht lediglich ausgezählt, sondern in ihrem Kontext interpretiert werden. Neben dem einfachen Adjektiv gibt es weitere grammatische Möglichkeiten der Attribuierung: präpositionale Attribute („der in Berlin geborene Moderator“), Kollokationen („die alleinerziehende Mutter“), Relativsätze („die Kanzlerin, die aus dem Osten kam“). Aus diskursanalytischer Sicht interessiert die grammatische Form wenig, wichtig ist die Frage, welche Informationen über eine Person vermittelt werden und wozu genau diese Informationen ausgewählt wurden. So ist es im Kontext des Diskurses um Ausländerkriminalität kein Zufall, wenn die Zeitungen bei fast jeder Meldung über ein Delikt als oft einzige Information über den Täter ausgerechnet dessen Nationalität erwähnen. Handlungsbeschreibungen Schließlich kann man eine Person dadurch charakterisieren, dass man ihre Handlungen beschreibt. Dabei spielt es eine wesentliche Rolle, ob man Personen als soziale Akteure beschreibt, die selber handeln, oder als Akteure, an denen andere handeln, ob sie die Subjekte oder Objekte der beschriebenen Handlungen sind. Es ist nicht dasselbe, ob man eine Studie durchführt mit der Frage, welchen Einfluss das Fernsehen auf Vorschulkinder hat, oder mit der Frage, wie Vorschulkinder mit dem Fernsehen umgehen. Im ersten Fall werden die Kinder als Objekte konzeptualisiert, die dem Einfluss des Me- 71 5.2 Nomination & Prädikation: Wie werden die Akteure dargestellt? diums passiv ausgeliefert sind, im zweiten Fall als Subjekte, die mit dem Medium aktiv umgehen (van Leeuwen 2008). Ferner kann es von Interesse sein, ob die Handlungen von Personen transitiv oder intransitiv ausgedrückt werden. Wenn Arbeitslose „vor dem Arbeitsamt Schlange stehen“, wirkt das viel passiver, als wenn sie „Arbeit suchen“. Schließlich kann man zwischen materiellen und semiotischen Handlungen unterscheiden. Werden lediglich die materiellen Handlungen von Personen beschrieben, so liegen immer Beobachtungen und Interpretationen zweiter Hand vor, es dominiert die Sicht des Schreibers: „Die Studierenden haben die Aula besetzt.“ Werden die semiotischen Handlungen beschrieben, so bekommen die Akteure eine Stimme im Diskurs, mindestens aus zweiter Hand: „Die Studierenden fordern eine Reduktion der Studiengebühren.“ Fazit: Bei der Analyse der Nomination und Prädikation ist die Frage zu klären, welche sozialen Akteure in einem Text genannt werden und welche nicht, mit welchen Bezeichnungen sie versehen werden, wie sie charakterisiert werden und welches Bild dadurch von den Betroffenen geschaffen wird. Beispielanalyse Der unten wiedergegebene Ausschnitt aus dem Buch von Mast stammt aus dem Kapitel „Change Communication“ und wird im Hinblick auf die Darstellung der Akteure analysiert. Wenn es nicht gelingt, die Mitarbeiter vom Zweck der Fusion zu überzeugen, dann passiert Folgendes: Viele, v.a. die Guten, werden kündigen, weil sie am Markt etwas anderes finden. Dieser Verlust ist für eine Firma fatal, denn diese Mitarbeiter bilden ihr wichtigstes Kapital. Die Kunden werden irritiert, wenn sie es danach mit neuen und unerfahrenen Ansprechpartnern zu tun bekommen. Daher muss es durch ein sensibles Kommunikationsmanagement gelingen, den Mitarbeitern Unsicherheit oder gar Ängste zu nehmen. Diese Emotionen können nicht vermieden werden, aber die Verantwortlichen in der Unternehmenskommunikation und die Fachkräfte müssen mit ihnen umzugehen wissen. Es ist auffällig, dass Emotionen in der betrieblichen Praxis oft ignoriert werrden. Da geben Manager stolz kund: „Was für mich zählt, sind Zahlen und Fakten. Emotionen sind nur Gefühlsduselei und interessieren mich überhaupt nicht.“ Doch gerade in Umbruchsituationen sollten abstrakte Zahlen vermieden werden. Stattdessen sollte der Wandel mit anschaulichen Geschichten konkretisiert werden, um ihn in die Lebenswelt der Mitarbeiter zu transportieren, um so deren Emotionen anzusprechen. … Emotionen sind die Antriebssysteme der Menschen. … Emotionen sind die menschliche Software, ohne die die Hardware nicht funktioniert. (Mast 2013: 402f). Die sozialen Akteure erscheinen bei Mast grundsätzlich im Plural und in stark aggregierten Managementkategorien: „Mitarbeiter“, „Kunden“, „Ansprechpartner“, „Verantwortliche“. Im ganzen Buch wird das generische Maskulinum verwendet. Individuen oder weibliche Personen existieren nicht. Nicht selten sind die sozialen Akteure ganz ausgeschaltet und durch Passivformen oder ein vages „Es“ ersetzt: „Daher muss es gelingen …“. Häufig sind die Handelnden nicht Personen, sondern die personalisierten 72 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Unternehmen: „Wenn Unternehmen fusionieren …“ (S. 402). Damit sind allfällige verantwortliche Entscheidungsträger aus dem Spiel. Auffallend ist die fast durchgehende Trennung in Führungskräfte bzw. das Management auf der einen Seite und die gewöhnlichen Mitarbeiter auf der anderen Seite. Dabei kommt dem Management die Aufgabe der alleinigen Steuerung zu, den Mitarbeitern werden die Entscheidungen nur noch kommuniziert. Die Mitarbeiter erscheinen im zitierten Abschnitt als von Emotionen gesteuerte Wesen mit beschränktem Horizont, die mittels Kommunikation von oben überzeugt, motiviert und auf Kurs gehalten werden müssen, und zwar mit „anschaulichen Geschichten“, also einem kindgerechten Genre. Die Führungs- und „Fachkräfte“ leben offenbar nicht in der „Lebenswelt der Mitarbeiter“, sondern auf einem eigenen Planeten und sind nicht nur nicht den eigenen Emotionen ausgeliefert, sondern auch noch fähig, die Emotionen der gewöhnlichen Mitarbeiter in ihrem Sinne zu manipulieren. Damit wird das gängige Klischee vom irrationalen, ängstlichen, führungsbedürftigen Mitarbeiter bedient. Metaphern kommen häufig zum Einsatz. Die Mitarbeitenden werden als „Kapital“ bezeichnet und damit verdinglicht. Menschen werden ferner als Maschinen („Hardware“) konzeptualisiert, die von Emotionen (der „Software“) angetrieben werden („Antriebssysteme“). Diese Metaphern gehören alle zum gleichen Metaphernkomplex, dem das weit verbreitete Konzept ‚Menschen sind Automaten‘ zugrunde liegt. Noch einmal erscheint der Mitarbeiter als steuerungsfähig und -bedürftig. Aufgaben Aufgabe 5: Analysieren Sie den unten abgedruckten, leicht gekürzten Bericht aus dem Standard Online im Hinblick auf die Darstellung der Akteure: Mit welchen sprachlichen Mitteln werden sie gekennzeichnet (Nomination)? Wie werden sie charakterisiert (Prädikation)? Welches Bild wird damit konstruiert? Ein Hexenkessel als zusätzliche Motivation Red Bull Salzburg muss in der Quali am Dienstag bei Fenerbahce zumindest ein Tor schießen. Optimimus ist dennoch vorhanden „Wir werden die nächste Runde erreichen“, sagt Fenerbahces Mittelfeldspieler Cristian. „Fenerbahce ist sicher zum Biegen“, sagt Salzburgs Verteidiger Martin Hinteregger. Einer von beiden liegt falsch. Wer es ist, erfährt man am Dienstag ab 20.45 Uhr (live auf ORF eins). Dann nämlich tritt Red Bull Salzburg im Drittrunden-Qualifikations-Rückspiel zur Champions League beim türkischen Vizemeister an. Die erste Begegnung endete 1: 1. Schmidt: „Wir sind hoch motiviert“ „Dass wir gegen Istanbul die bessere Mannschaft sein können, hat man gesehen. Wir brennen alle darauf, um unsere Chance zu kämpfen, dort in die nächste Runde einzuziehen“, sagte Salzburgs Trainer Roger Schmidt vor dem Abflug. An der Ausgangsposition habe sich nichts geändert. „Es wird eine sehr schwierige Aufgabe, aber wir sind hoch motiviert“, ergänzte Schmidt. Seine Truppe müsse daher alles raushauen, was sie habe. „Es wird natürlich ein ganz anderes Spiel als gegen Innsbruck, aber es wird auch dort darum gehen, die zweiten Bälle zu gewinnen“, meinte der Deutsche. Und die Salzburger müssen die Chancen, die sich bieten, auch nützen. „Ich hoffe, dass wir uns das ein oder andere Tor für Dienstag aufgehoben haben.“ … 73 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? 50.000 Zuschauer als Antreiber Die Spieler brennen jedenfalls auf ihren Einsatz im 50.000 Zuschauer fassenden Istanbuler Hexenkessel Sükrü-Saracoglu-Stadion. „Wir freuen uns auf das Spiel, das sind die Highlights. Wir müssen das Herz in die Hand nehmen und bis zum Ende Vollgas geben“, sagte der Slowene Kampl. „Die Fans können einen eher beflügeln, es macht Spaß vor so vielen Zuschauern zu spielen“, blickte Andreas Ulmer gelassen in Richtung Istanbul. … (APA/ red; 5.8.2013) Analysieren Sie in Ihren Beispieltexten die Darstellung der Akteure, indem Sie sämtliche Nominationen und Prädikationen zusammenstellen. Versuchen Sie anschließend zu bestimmen, welches Bild von den Akteuren in Ihren Texten entworfen wird. Fragen Sie kritisch, ob das Bild einseitig oder ideologisch aufgeladen ist. Überlegen Sie sich, welche Absichten der Autor damit verfolgen könnte, wenn er genau dieses Bild von den Akteuren konstruiert. 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? Bei jedem Text interessiert die Frage, welches Thema er behandelt. Bei einer diskursanalytischen Untersuchung ist das übergeordnete Thema in der Regel gegeben, da die Texte ja aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten, thematisch definierten Diskurs ausgewählt wurden. Was jedoch interessiert, ist die Frage, welche Unterthemen in welcher Ausführlichkeit besprochen werden, nach welchen Mustern die Themen entfaltet werden, aber auch, welche Aspekte des Themas im Text ausgeschlossen, verschwiegen oder vorausgesetzt werden. Diese Fragen werden in diesem Abschnitt behandelt. Themen und Diskurse Bei jedem Text ist zu prüfen, welche Themen und Unterthemen er behandelt. Diese Themen können zum gleichen Diskurs gehören. Das Thema des Buchs von Mast ist die „Unternehmenskommunikation“, darin bildet die „Change Communication“ ein Unterthema (was auch formal angezeigt wird durch ein eigenes Kapitel), und darin wiederum sind die „Emotionen“ ein Unter-Unterthema, wie im Beispieltext des letzten Abschnitts zu sehen war. Ein- und derselbe Text kann aber auch Themen behandeln, die zu verschiedenen Diskursen gehören. So sind in einem Text mit dem Titel „Nachhaltiger Tourismus“ mindestens die Themen Tourismus und Umweltschutz zu erwarten.Nachdem die Themen und Unterthemen eines Textes bestimmt sind, gilt es zu prüfen, wie ausführlich jedes Thema behandelt wird. Das kann rein quantitativ durch die Angabe der Anzahl Zeilen geschehen. So ist im Beispieltext der Aufgabe 5 genau eine von 27 Zeilen den Worten der türkischen Spieler gewidmet. Als nächstes interessiert, ob die Darstellung eher in die Breite geht, das heißt, ob viele verschiedene Aspekte eines Themas erwähnt werden, oder ob sie eher in die Tiefe geht, das heißt, ob wenige Aspekte ausführlich erläutert werden. Diese Analyse erlaubt eine Aussage darüber, was einer Autorin wichtig ist und was nicht, was in den Vordergrund gerückt und was in den Hintergrund geschoben wird. Allerdings muss bei der Bestimmung der Themen die eher quantitative Analyse durch die schwieriger vorzunehmende Interpretation ergänzt werden, warum die Auto- 74 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse rin die Dinge gerade so gewichtet. Die besonders detaillierte Beschreibung eines Gegenstands kann je nach Kontext ganz unterschiedliche Funktionen übernehmen:  beweisen, dass man vor Ort war und über exklusive Informationen verfügt,  betonen, dass etwas besonders wichtig ist,  den Leser mit kunstvoll inszenierten Details unterhalten,  den symbolischen oder beispielhaften Charakter des Gegenstands hervorheben,  von anderen Dingen ablenken. Ebenso kann die oberflächliche Behandlung eines Themas unterschiedliche Ursachen und Wirkungen haben, vom schlichten Platzmangel bis zur gezielten Unterschlagung wichtiger Informationen. Themenentfaltungsmuster Die Themen und Unterthemen eines Textes können in verschiedener Weise arrangiert sein. Bei klassischen Printtexten unterscheidet die Textlinguistik traditionellerweise vier grundlegende Muster der Themenentfaltung (Hausendorf/ Kesselheim 2008: 90ff):  deskriptiv = beschreibend (z.B. Berichte, Aufsätze, Nachrichten)  explanativ = erklärend (z.B. Lehrbücher, Gebrauchsanweisung)  narrativ = erzählend (z.B. Romane, Reportagen, Märchen)  argumentativ = überzeugend (z.B. Kommentare, Anzeigen) Welches Muster die Autorin gewählt hat, ist anhand grammatischer Merkmale des Textes meistens relativ einfach zu bestimmen. So deuten das Erzähltempus Präteritum sowie temporale Umstandsangaben wie „kurze Zeit später“ auf eine narrative Struktur, rhetorische Fragen, Partikeln wie „daher“ und Einstellungs-Prädikate wie „halte ich für“ auf eine argumentative Struktur usw. Wieder stellt sich im Anschluss an die Analyse die Frage, warum das entsprechende Muster gewählt wurde. Während bei einem argumentativen Text relativ offen zu Tage tritt, dass die Autorin die Lesenden von etwas überzeugen will, ist die Absicht bei den anderen drei Mustern weniger offensichtlich. Explanative Texte können versteckte Anleitungen sein, zum Beispiel eine Erklärung des Verdauungstrakts eine Aufforderung, sich richtig zu ernähren. Narrationen können höchst unterschiedliche Funktionen übernehmen, sei es, die Kompetenz des Erzählers zu beweisen (Heldengeschichten), sei es, ein abschreckendes Exempel zu statuieren (Misserfolgsgeschichten), sei es zur Identitätsstiftung (Erinnerungsgeschichten) u.a.m. Neben diesen sehr allgemeinen Themenentfaltungsmuster gibt es viele Textsorten mit konventionell relativ stark normierten Mustern. Man denke an heutige Stellenanzeigen mit ihrer stereotypen Gliederung „Beschreibung des Unternehmens - Berufsbezeichnung der gesuchten Person - Anforderungen - Gegenleistungen - Aufforderung zur Bewerbung - Kontaktdaten“. Solche Muster erleichtern einerseits Produktion und Rezeption dieser Texte, andererseits schränken sie die Schreibenden mehr oder weniger stark ein und entfalten ihre eigene diskursive Kraft (mehr dazu in Abschnitt 8.3). Schließlich gibt es einige stereotype Themenentfaltungsmuster, die unabhängig von spezifischen Textsorten existieren und sowohl in deskriptiven und explanativen als auch in narrativen und argumentativen Texten vorkommen. Ein in unserer Kultur besonders wirksames Muster ist das Problem-Lösungs-Schema. Nach ihm sind nicht nur Märchen und Mythen aufgebaut, bei denen der Held auszieht, um den Drachen zu 75 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? töten, sondern auch Ratgeberspalten in Zeitungen, bei welchen Fragen der Leser von Experten beantwortet werden, Magisterarbeiten, bei welchen von der Autorin ein wissenschaftliches Problem aufgeworfen und beantwortet wird, das Kapitel Fehlerbehebung in Gebrauchsanweisungen und schließlich zahllose Werbespots und Werbeanzeigen: „Erektionsstörungen? eurivil ® Für ein aktives Liebesleben“ 15 . Ein zweites, vertrautes Muster ist das Ziel-Mittel-Schema, wie wir es in politischen Reden, Gebrauchsanweisungen oder Rezepten finden: „damit … fest andrücken“. Nicht vergessen werden darf natürlich das Ursache-Wirkungs-Schema, welches den wissenschaftlichen Diskurs dominiert: „Ein höherer CO 2 -Gehalt in der Luft führt zur Erwärmung des Klimas“. Es gibt viele Wissenschaftler, die überhaupt nur Texte, in denen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aufgezeigt werden, als Wissenschaft anerkennen. Durch ihre weite Verbreitung sind das Problem-Lösungs-Schema, das Ziel-Mittel- Schema und das Ursache-Wirkungs-Schema nicht nur den Lesenden vertraut, sondern sie haben rein formal eine hohe Überzeugungskraft. Bei multimodalen Texten und bei Hypertexten ist die Analyse der Themenstruktur wesentlich schwieriger, da hier die Reihenfolge der Lektüre nur ansatzweise vorgegeben ist. Auf der multimodalen Sehfläche (Schmitz 2007) einer modernen Zeitung bewegt sich die Leserin frei zwischen Bild- und Textkästen, ganz zu schweigen vom Internet, wo sie sich ihren eigenen Weg durch Texte, Bilder und Videos klickt. Hier kann lediglich analysiert werden, wie die Themenstruktur innerhalb eines Textblocks aussieht plus allenfalls, welche Lesereihenfolge dem User durch das Design nahegelegt wird. Exkurs: Erzählungen Das narrative Themenentfaltungsmuster verdient an dieser Stelle besondere Beachtung, da es unter der neudeutschen Bezeichnung Storytelling in den letzten Jahren Karriere gemacht hat. Erzählungen fanden sich früher vor allem in der schönen Literatur, in Film und Theater und im Alltag. Sie hatten und haben eine kulturell fest etablierte Struktur (van Dijk 1980, zit. in Adamzik 2004: 269): Narratio Geschichte Moral Plot Evaluation Episode Rahmen Ereignis Komplikation Auflösung Abbildung 4: Die Struktur von narrativen Texten. Weil Erzählungen eine vergleichsweise fixe Struktur haben, lösen sie beim Publikum starke Erwartungshaltungen aus, zum Beispiel die Erwartung, dass die Geschichte ko- 15 Anzeige für Eurivil, Beilage „Gesund“ der Kronenzeitung vom 22.10.2011, S. 15. 76 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse härent ist, dass das Problem gelöst wird und dass man erfährt, was „die Moral von der Geschichte“ ist. Werden nun narrative Strukturen in neue gesellschaftliche Domänen übertragen, so übertragen sich auch diese Erwartungen. Die Produzenten von narrativen Texten sehen sich gezwungen, kohärente, abgeschlossene, sinnvolle Geschichten zu produzieren. Genau dies ist gegenwärtig im Journalismus, in der Wissenschaft und im Management zu beobachten. Journalisten haben zwar immer noch den Anspruch, Fakten zu berichten, sie sprechen heute von ihren Beiträgen aber gleichzeitig ganz offen als „Storys“. Der Begriff allein verrät, was in den Redaktionsstuben tatsächlich passiert: Ausgewählte Fragmente von Ereignissen werden in eine eigene, kohärente Geschichte gebracht, und Interviewpartner werden so lange bearbeitet, bis sie jene Aussage treffen, die der Journalist für seine (oft vorab festgelegte) Story hören wollte. Im Ergebnis sind Nachrichten keine Wiedergabe der Realität, sondern ein hoch konstruktiver und interpretativer Prozess (Fairclough 2005: 85). In den Sozialwissenschaften hat sich das sogenannte narrative Interview als Form der qualitativen Datenerhebung in verschiedenen Disziplinen fest etabliert. Mit ihm versuchen Forschende die subjektive Sicht der Befragten auf ihr Leben oder bedeutende Ereignisse zu dokumentieren. Schließlich wurde Storytelling im vergangenen Jahrzehnt von der Managementlehre entdeckt. Storytelling wird heute als Mittel gepriesen, die Kultur eines Unternehmens zu erfassen, aber auch zu prägen, Change-Prozesse zu begleiten und die Identität des Unternehmens nach innen und außen zu verkaufen. Für all diese jüngeren Formen von Erzählungen gilt: Die narrative Struktur zwingt die Erzählenden, aus all ihrem Erlebten Fakten auszuwählen, und zwar nur solche, die sich auf eine Linie (den berühmten roten Faden) bringen lassen, zwischen diesen Fakten Kohärenz zu stiften, das Ereignis zu einem Abschluss zu bringen und eine Evaluation vorzunehmen, also rückwirkend zu bestimmen, welchen Sinn das Ganze hatte. Geschichten zwingen Erzählende, im kontinuierlichen Strom der Ereignisse Anfänge und Endpunkte zu setzen. Vor lauter Begeisterung für Storytelling bleibt die Frage ausgeblendet, ob Geschichten der Wirklichkeit, wie sie von den Menschen erlebt wird, tatsächlich immer gerecht werden. Menschen können ihre Lebenswelt auch als fragmentiert, nicht kontinuierlich, widersprüchlich und unabgeschlossen erleben, aber solche Empfindungen sind mit narrativen Strukturen nur schwer wiederzugeben. Die in immer mehr gesellschaftlichen Domänen verbreiteten narrativen Textentfaltungsmuster haben demnach die Kraft, den Menschen bestimmte Konstruktionen von Wirklichkeit geradezu aufzuzwingen. Weggelassenes Traditionelle Textanalysen sind in der Regel auf das fokussiert, was dasteht. Aus diskursanalytischer Sicht ist es aber gerade so interessant zu fragen, was in einem Text nicht steht, auch wenn dies methodisch bedeutend schwerer zu erfassen ist. Das Weggelassene umfasst all das, was die Schreibenden nicht interessiert, was sie ihrem Publikum nicht zumuten wollen, aber auch, was sie selber nicht wissen wollten, unabsichtlich vergessen oder unbewusst verdrängt haben. Weggelassen oder lediglich angedeutet werden aber auch jene Aspekte eines Themas, die für die Schreibenden selbstverständlich und damit nicht erwähnenswert sind. Das Weggelassene steht somit an den beiden Enden einer Skala des Sagbaren: am einen Ende ist das Unsagbare, das, 77 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? was in einer Diskursgemeinschaft tabu ist, am anderen Ende das Selbstverständliche, das, was nicht erläutert werden muss (Roth 2013a: 277). Unter dem Weggelassenen verstehen wir natürlich nicht „alles“, was nicht gesagt wurde - kein Text kann die ganze Welt erfassen -, sondern nur jene Elemente, die in einem spezifischen Kontext einen Gedankengang oder eine Argumentation als lückenhaft erscheinen lassen. Unvollständig ist ein Diskurs auch dann, wenn in den Texten nur eine einzige Perspektive auf das Thema zur Sprache kommt und alle anderen Stimmen zum Schweigen gebracht wurden. Es gibt verschiedene sprachliche Strategien, Dinge explizit aus dem Diskurs auszuschließen. In wissenschaftlichen Texten ist es üblich, im Rahmen der Themenabgrenzung explizit zu erwähnen, was im vorliegenden Beitrag nicht behandelt wird. In Diskussionen wird die Bemerkung, dies und jenes sei heute nicht das Thema, strategisch eingesetzt, um bestimmte Themen zu vermeiden. Angeklagte vor Gericht verweigern ihre Aussage. Solche expliziten Hinweise auf Ausgeschlossenes sind allerdings eher selten. Daneben gibt es typografische Mittel, Lücken anzuzeigen. Die drei Auslassungspunkte in einem Zitat signalisieren Weggelassenes, am Ende eines Abschnitts zeigen sie an, dass die Leserin den Gedanken selber zu Ende zu führen hat. Lückenhafte Nummerierungen zeigen an, dass nur ausgewählte Elemente einer Liste wiedergegeben werden, zum Beispiel in den Ranglisten am Teletext, wo ab Platz 3 häufig nur noch die Sportler der eigenen Nation aufgeführt sind. Schließlich können Leerzeilen auf Lücken hinweisen. In der Erzählung „Schach von Wuthenow“ von Theodor Fontane findet sich folgende Leerzeile: Ach, das waren die Worte, nach denen ihr Herz gebangt hatte, während es sich in Trotz zu wappnen suchte. Und nun hörte sie sie willenlos und schwieg in einer süßen Betäubung. Die Zimmeruhr schlug neun, und die Turmuhr draußen antwortete. Victoire, die den Schlägen gefolgt war, strich das Haar zurück und trat ans Fenster und sah auf die Straße. 16 Ein literarisch gebildeter Zeitgenosse Fontanes konnte diese Leerzeile, nach welcher sich die Protagonisten auf einmal duzen, vielleicht auf Anhieb richtig deuten, unerfahrene Leser merken wohl erst später, dass Schach während dieser Leerzeile Victoire geschwängert hat. Der größte Teil des Weggelassenen wird in den Texten allerdings nicht angezeigt. Dass etwas fehlt, kann der Leser in diesen Fällen nur aufgrund seines Vorwissens erkennen. Wenn in einem Text über ein politisches Thema nur die Ansicht einer Partei dargelegt wird, so weiß der politisch gebildete Leser, dass die Sicht der anderen Parteien fehlt, selbst wenn er deren Position nicht kennt. In einem Dokumentarfilm über den Yellowstone National Park, den die Besucher am Eingang des Parks zu sehen bekommen, wird das Leben der Tiere im Jahreskreislauf gezeigt, inklusive Jagd- und Kampfszenen. Dass zwischen dem Röhren der Hirsche im Herbst und der Aufzucht der Jungtiere im Frühling etwas fehlt, muss das Publikum selber merken: Kopulation und Geburt werden nicht gezeigt. 17 Ob die Filmemacher diese lebenswichtigen Episoden aus Rücksicht auf das Publikum gezielt weggelassen 16 Theodor Fontane: Schach von Wuthenow. Stuttgart: Reclam 1961, S. 75. 17 Dasselbe gilt über weite Strecken für amerikanische Spielfilme: Kampf und Tod werden unzensiert gezeigt, Sex und Geburt fehlen. 78 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse haben oder ob das Tabu, Sex und Geburt öffentlich zu zeigen, bei ihnen so stark gewirkt hat, dass sie deren Einblendung gar nie erwogen haben, darüber kann man nur spekulieren. Ob etwas absichtlich weggelassen wurde, vergessen ging oder verdrängt wurde, kann man als Rezipient nicht erkennen, selbst wenn man gemerkt hat, dass etwas fehlt. Bei einem ihm gänzlich unbekannten Thema hat ein Leser jedoch keine Chance zu erkennen, dass Wichtiges fehlt. Daher ist das Weglassen von Informationen eines der mächtigsten Mittel, den Diskurs zu manipulieren, und die Suche nach dem Fehlenden ein wichtiger Schritt der Diskursanalyse. Vorausgesetzes Zwischen dem, was in einem Text „schwarz auf weiß“ steht und dem, was mehr oder weniger offensichtlich weggelassen wurde, gibt es noch eine Kategorie von Wissenselementen, die irgendwo dazwischen steht: das Vorausgesetzte. Darunter verstehen wir all das, was in einem Text nicht explizit steht, aber zum Verständnis des Geschriebenen unmittelbar vorausgesetzt wird und daher erschlossen werden kann. Was Interagierende als gegeben voraussetzen, bezeichnet man als gemeinsamen Grund (common ground). Ohne diesen gemeinsamen Grund ist Kommunikation nicht möglich. Ich muss voraussetzen können, dass mein Gegenüber weiß bzw. wie ich davon ausgeht, dass die Welt rund ist, um mich mit ihm über Geografie unterhalten zu können. Das macht das Erforschen des Vorausgesetzten für die Diskursanalyse so interessant: Welches Wissen betrachten die Verfasser eines Textes als so selbstverständlich, dass sie es als nicht notwendig erachten, selbiges zu explizieren? Welche Überzeugungen glauben sie mit ihren Rezipienten zu teilen, sodass sie diese nicht begründen zu müssen glauben? Mit anderen Worten: Welches Wissen und welche Ansichten halten die Verfasser für evident und behandeln sie im Text daher als gegeben? Das ist Thema dieses Abschnitts. Vorgestellt werden vier sprachliche Strategien, mit denen Wissenselemente in Texten als Vorausgesetztes behandelt werden: logische Implikationen, konversationelle Implikaturen, Präsuppositionen und Anspielungen. Bei den logischen Implikationen kann das nicht Gesagte aus dem Gesagten aufgrund grammatischer oder inhaltlich logischer Zusammenhänge erschlossen werden. Der Satz „Maria kam aus München zurück“ impliziert, dass sie zuvor nach München gereist war. Die folgende Definition von Mast (2013: 69) impliziert eine ganze Menge: „Das Kunstwort [Glokalisierung d.V.] bezeichnet das Nebeneinander von Globalisierung (weltweite Integration der Märkte und Grenzaufhebung) und Lokalisierung (Rückbesinnung des Menschen auf die Nahwelt, in der er lebt).“ Die Definition impliziert, dass die Weltwirtschaft einerseits in Form von Märkten organisiert ist (daher der bestimmte Artikel bei „Integration ‚der‘ Märkte“), andererseits in Form von Nationalstaaten mit Grenzen, die man aber auch aufheben kann. Sie impliziert ferner, dass den Menschen die Orientierung am nahen Umfeld abhanden gekommen war (daher die „Rück“besinnung). 79 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? Eine konversationelle Implikatur liegt vor, wenn eine der vier Grice’schen Konversationsmaximen offensichtlich verletzt wurde. Die Rezipierenden eines Textes gehen davon aus, dass der Sprecher so viel sagt, wie zum Verständnis notwendig ist (Maxime der Quantität), dass er selber von der Wahrhaftigkeit des Gesagten überzeugt ist (Maxime der Qualität), dass das Gesagte in den Kontext passt (Maxime der Relevanz) und der Stil angemessen ist (Maxime der Modalität). Steht nun in einem Text offensichtlich zu viel oder zu wenig, eindeutig Falsches oder Irrelevantes oder liegt ein stilistischer Fehltritt vor, dann gehen die Rezipierenden davon aus, dass die Verletzung der Konversationsmaxime gezielt vorgenommen wurde und der Sprecher damit etwas andeuten will (Grice 1975). So lässt sich aus der bei Politikern beliebten Strategie, eine Antwort zu geben, mit der die Frage des Journalisten nicht (Relevanz) oder nicht vollständig (Quantität) beantwortet wird, leicht ableiten, dass er die gewünschte Auskunft nicht erteilen will. Mit dem Konzept der Präsupposition erfasst man all jene Wissenselemente und Alltagserfahrungen, die zum Verständnis eines Textes vorausgesetzt, aber im Text selber nicht erwähnt werden. Teilweise werden Präsuppositionen semantisch angezeigt. Im Satz: „Die Grünen haben den Einzug ins Parlament geschafft“ deutet der Ausdruck „es schaffen“ darauf hin, dass es nicht leicht war, genügend Stimmen zu bekommen. Oftmals bleibt es hingegen gänzlich der Leserin überlassen, das nötige Wissen zu inferieren. Nehmen wir den Satz: „Angesichts dieser Informationsüberflutung wird Aufmerksamkeit immer mehr zum knappen Gut und zum Nadelöhr“ (Mast 2013: 69). Dieser Satz präsupponiert folgendes, im Kotext nur teilweise expliziertes Wissen: Menschen können nur eine bestimmte Menge an Informationen verarbeiten; größere Mengen erleben sie als so bedrohlich wie eine Naturkatastrophe (Überflutung); Aufmerksamkeit ist eine handelbare Ware (Gut); und: die Aufmerksamkeit der Menschen ist ein Engpass (Nadelöhr), vor welchem sich die Unternehmen mit ihren Botschaften drängeln. Ob die heutigen Menschen das große Informationsangebot tatsächlich als Überforderung, mehr noch, als Katastrophe erleben, wird im Text nicht diskutiert, sondern vorausgesetzt. Besonders weitreichende Präsuppositionen finden sich in der Werbung. Oft bildet der vorhandene Text nur die Spitze eines Eisbergs von Wissenselementen, Überzeugungen und Idealen, die bei den Lesenden stillschweigend vorausgesetzt werden. Ein Bierhersteller wirbt in einer Alpinzeitschrift für ein alkoholfreies Bier mit der Abbildung eines Mountainbikers und den Worten: „Erfrischend. Sportlich. 100 % Leistung. 100 % Regeneration.“ Dieser Text ist nur für Lesende verständlich, die wissen, dass in unserer Gesellschaft viele Menschen in der Freizeit freiwillig sportliche Höchstleistungen erbringen und sich danach rasch wieder regenerieren und mit einem erfrischenden Bier belohnen wollen. Wirksam ist diese Werbebotschaft nur für solche Rezipienten, die das Ideal der Leistungsbereitschaft teilen. Die heutige Werbung ist deshalb so einflussreich, weil sie die von ihr propagierten Werte wie Sportlichkeit, Schönheit, Erfolg oder Natürlichkeit gerade nicht zur Diskussion stellt, sondern als gegeben behandelt. Auch der politische und wirtschaftliche Diskurs ist voller Präsuppositionen, die selten thematisiert werden: dass ein konstantes Wachstum notwendig und der globale Wettbewerb unvermeidlich ist, dass Konkurrenz zu besseren Ergebnissen führt als Kooperation, dass die Demokratie die einzig legitime Staatsform ist u.a.m. Soziale Macht haben diejenigen, die es verstehen, den gemeinsamen Grund einer Diskursgemeinschaft zu definieren, das heißt festzulegen, welches Wissen und welche Überzeugungen nicht mehr hinterfragt und diskutiert, sondern im Diskurs vorausgesetzt werden (Fairclough 2005: 55). 80 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Die vierte hier diskutierte Form, Wissenselemente in einem Text vorauszusetzen, sind Anspielungen. Anspielungen sind wie Zitate eine Form der Intertextualität, das heißt der Bezugnahme auf andere Texte, ohne dass der Ursprungstext wörtlich oder auch nur sinngemäß wiedergegeben würde. Von den Lesenden wird ein beträchtliches Vorwissen verlangt, sollen sie die Anspielung erkennen und darüber hinaus verstehen, was der Schreiber mit der Anspielung bezweckt. Der Name des Schokoriegels „Bounty“ spielt auf den Filmtitel „Die Meuterei auf der Bounty an“ und hat den Zweck, den Schokoriegel mit der Aura von Abenteuer und Südsee zu umgeben (Hausendorf/ Kesselheim 2008: 198). Mit Anspielungen auf die Leittexte unserer Kultur wie die Bibel, die antiken Heldenepen oder die Märchen der Brüder Grimm können bei den Rezipierenden ganze Glaubenssysteme und kollektive Mythen mit den darin enthaltenen Ideologien abgerufen werden, ohne sie explizit zu erwähnen. Fazit: Bei der Analyse der Themenstruktur ist die Frage zu klären, über welche Themen wie ausführlich gesprochen wird, welche Themen ausgeschlossen oder nur angedeutet werden und welches Wissen stillschweigend vorausgesetzt wird. Beispielanalyse Wenden wir nun das Besprochene auf unser Beispielbuch an und führen eine Themenstrukturanalyse durch. Das Buch von Mast ist, wie es bei Lehrbüchern zu erwarten ist, überwiegend deskriptiv. Welche Themen auf wie vielen Seiten behandelt werden, darüber gibt das Inhaltsverzeichnis präzise Auskunft. Das Buch von Mast mit seinen 500 Seiten zielt auf Vollständigkeit, die einzelnen Kapitel werden für ein Lehrbuch sehr ausführlich behandelt. Schauen wir uns nun einen Abschnitt aus dem Kapitel „Storytelling - narrative Ansätze der Kommunikation“ genauer an. Der narrative Ansatz argumentiert, dass Menschen ihre Existenz als Geschichte wahrnehmen und dass deswegen Sinneswahrnehmung lediglich in Form von Storys möglich ist. Eine emotionsgeleitete Erzählung hat also - so gesehen - eine höhere Wirkung als ein faktenorientierter Bericht. Will ein Unternehmen für seine Stakeholder bedeutend sein, muss es sich als (gute) Geschichte präsentieren. Geschichten eignen sich hervorragend, komplexe Vorgänge einfach zu erklären, banale Fakten spannend zu gestalten oder bestimmte Emotionen zu transportieren. Geschichten werden bereits in der Unternehmenskommunikation eingesetzt. Gerade im Marketing sind unterhaltsame Geschichten - z.B. als Themen für Werbespots - ein guter Weg zum Kunden (Herbst 2008, 7). Und auch in der PR hat Storytelling mittlerweile Einzug gehalten, vor allem wenn es darum geht, das Image und den Bekanntheitsgrad von Organisationen, Produkten oder Personen zu verbessern. So ist das Bild des grünen Schlauchboots auf stürmischer See auf dem Weg zum havarierten Öltanker ein etabliertes Beispiel von Sinnvermittlung: die Geschichte des David gegen Goliath, erzählt von der Umweltschutzorganisation Greenpeace (Mast 2013: 54). 81 5.3 Themenstrukturanalyse: Worüber wird gesprochen? Der Abschnitt von Mast ist wie das ganze Buch vorwiegend deskriptiv, es findet sich jedoch auch eine explanative Passage, markiert durch die Partikel „also“: „Eine emotionsgeleitete Erzählung hat also … eine höhere Wirkung“. Der Detaillierungsgrad ist hoch, und es wird relativ wenig Wissen vorausgesetzt. Präsupponiert wird hingegen ein kapitalistisches Wirtschaftssystem mit Überproduktion und gesättigten Märkten, in welchen die Unternehmen darum kämpfen, von den Konsumenten wahrgenommen zu werden und ihre Produkte abzusetzen. Dass Menschen auch anders wirtschaften könnten, wird nicht ansatzweise angedacht. Am Ende des Abschnitts findet sich eine Anspielung auf die Bibel, mit welcher bei den Rezipierenden das Wissen abgerufen wird, dass ein kleiner, bedeutungsloser Mensch (David), wenn er nur schlau genug ist, einen großen, mächtigen Mann (Goliath) zu Fall bringen kann. Was in diesem Abschnitt weggelassen wurde, sind Begründungen und Gegenmeinungen (das gilt nicht für das ganze Buch). Es wird nicht begründet, warum man komplexe Vorgänge vereinfachen und Banales spannend gestalten soll - eine Ansicht, die durchaus fragwürdig ist. Storytelling wird einseitig positiv dargestellt, kritische Stimmen, die das Konzept in Frage stellen, fehlen. Aufgaben Aufgabe 6: Analysieren Sie die Themenstruktur des abgedruckten Zeitungskommentars. Bestimmen Sie, welche Themen in welcher Breite und Tiefe abgehandelt werden und welches Themenenfaltungsmuster vorliegt. Bestimmen Sie, was vorausgesetzt und was weggelassen wird. Achten Sie besonders auf Implikationen, Präsuppositionen und Anspielungen. Dopingdiskussion in Deutschland Die Mär vom sauberen West-Sport Stefan Osterhaus Als die Mauer noch stand und der DDR in den Sportarenen der Welt große Erfolge gelangen, herrschte in der Bundesrepublik eine klare Vorstellung bezüglich des Sportbetrugs. Er hatte zwar weibliche Gestalt, aber ein Kreuz so breit wie ein Kleiderschrank und eine sehr tiefe Stimme. Das waren Indizien für den Einsatz von Anabolika. Verpasste der Westen im Wettkampf Spitzenränge, entschädigte ihn zumindest das Gefühl der moralischen Überlegenheit: Doping, das war die Methode des Ostblocks, eine Waffe im Klassenkampf. Mit dieser Meinung lebte der Westen lange gut. Doch seit ein paar Jahren wandelt sich das Bild. Nicht nur die ehemalige westdeutsche Leichtathletin Brigitte Berendonk sprach von West-Doping. Es wurde bekannt, dass der spätere Innen- und heutige Finanzminister Wolfgang Schäuble in einer Sitzung des Bundestags- Sportausschusses von 1977 den Einsatz von Dopingmitteln forderte. Immer aber galt im Westen Doping als die Initiative Einzelner, als Abweichung von der Norm. Betrug, flächendeckend im Staatsauftrag organisiert, schien Sache der Ostzone. Vor zwei Jahren veröffentlichten Forscher eine Studie: Sie belegt, dass auch im Westen im Auftrag von Bundesministerien Dopingforschung betrieben wurde, die Ergebnisse kamen zur Anwendung. Damals war die Empörung groß. Nun herrscht wieder Aufregung, weil dieser Tage bekannt wurde, dass der Abschlussbericht der besagten Studie lange zurückgehalten wurde. Offenbar befürchtete man allzu brisante Details. Die Fakten aber sind in den Grundzügen bekannt. 82 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Die neuerliche Empörung zeigt, wie sehr der Westen am Image des sauberen Sports hängt. Der verfeindete DDR-Sport war nicht nur die Referenz der Funktionäre, er war auch die Projektionsfläche für Betrugs-Phantasien, oftmals in die Tat umgesetzt. Die nun erfolgte teilweise Veröffentlichung der Studie wird manchen Ruf beflecken. So hat die Arbeit der Wissenschafter schon einiges bewirkt: Das Märchen vom sauberen West-Sport ist Geschichte. (Neue Zürcher Zeitung Online, 6.8.2013) Analysieren Sie die Themenstruktur Ihrer Beispieltexte. Sie können versuchen, diese grafisch darzustellen: kleine, breite Kästen für kurz und oberflächlich abgehandelte Themen, große, lange Kästen für ausführlich und im Detail abgehandelte Themen, Kreise mit gestrichelten Verbindungslinien für Vorausgesetztes, Ellipsen ohne Verbindungslinien für Weggelassenes. Bestimmen Sie die Themenenfaltungsmuster. Achten Sie besonders auf Implikationen, Implikaturen, Präsuppositionen und Anspielungen. 5.4 Modalität: Wie werden die Aussagen gerahmt? Bei der Modalität geht es um die Frage, wie die besprochenen Gegenstände gerahmt werden, ob als Fakt, persönliche Meinung, Norm, Aufforderung oder Angebot. Damit verbunden sind immer Geltungsansprüche in Bezug auf die Wirklichkeit und Wahrheit des Dargestellten. Die Modalität wird durch verschiedene sprachliche Mittel angezeigt, die im Folgenden dargelegt werden. Repräsentative Äußerungen Die einfachste Form, Fakten zu schaffen, ist der ganz gewöhnliche Aussagesatz: „Die Taktfrequenz der Veränderungen wird schneller. Permanenter Wandel ist gleichermaßen Reaktion und Vorbereitung auf neue Anforderungen“ (Mast 2013: 67). In diesen Sätzen gibt es keinen sprachlichen Hinweis darauf, dass die Aussage lediglich eine Behauptung ist, die man auch bestreiten könnte. Der reine Aussagesatz ist in schriftlichen Texten die häufigste Satzart und macht es den Lesenden oft schwer zu erkennen, dass die darin beschriebenen „Fakten“ nicht einfach „rapportiert“, sondern durch den Satz erst konstruiert werden. Aus sprechakttheoretischer Sicht liegen hier repräsentative Sprechakte vor, doch der Ausdruck „repräsentativ“ ist durchaus irreführend, da die Welt eben nicht abgebildet wird, wie sie ist. Eine zweite Form, Fakten zu schaffen, ist die Definition: „Stakeholder (Anspruchsgruppen) sind diejenigen Menschen, die von Entscheidungen eines Unternehmens betroffen sind oder mit ihrem Handeln selbst die Aktionen einer Firma beeinflussen können“ (Mast 2013: 116). Die Definition lässt den konstruktiven Charakter der Sprache deutlicher erkennen, vor allem, wenn Einleitungen wie „Wir definieren Anspruchsgruppen wie folgt“ oder „Unter Anspruchsgruppen verstehen wir“ vorliegen. Fakten werden aber nicht nur durch repräsentative Sprechakte geschaffen, sondern auch durch deklarative, expressive und kommissive (Adamzik 2004: 224ff). Bei deklarativen Sprechakten schafft der Sprechende explizit einen neuen, rechtsgültigen Zustand der sozialen Welt, indem er eine Gerichtsverhandlung als geschlossen, einen Vertrag als ungültig, ein Friedensabkommen als in Kraft getreten erklärt: „Der Angeklagte wird hiermit zu … verurteilt.“ 83 5.4 Modalität: Wie werden die Aussagen gerahmt? Bei expressiven Sprechakten drückt ein Sprecher seine Gefühle aus, die als solche schwer in Frage zu stellen sind und somit auch den Anspruch auf Faktizität erheben: „Ich fühle mich ausgenützt.“ Mit kommissiven Sprechakten schließlich verpflichtet sich die Sprecherin zu einer zukünftigen Handlung, womit ebenfalls ein neuer Zustand der sozialen Wirklichkeit herbeigeführt wird: „Ich besuche dich am Wochenende.“ Verstärkungen Die gewöhnliche Aussage kann auf mancherlei Art verstärkt werden, womit der Anspruch, „nackte Tatsachen“ bzw. „die reine Wahrheit“ wiederzugeben, unterstrichen wird. Ausgewählte sprachliche Mittel sind:  Modalpartikeln: zweifellos, gewiss, sicherlich, unstrittig, keinesfalls …  Verben des Meinens: Wir sind überzeugt dass, Ich behaupte dass, Wie jeder weiß, Niemand wird bestreiten dass …  Wiederholung: Niemals, niemals werden wir …  Steigerung: Niemand, nicht ein einziger konnte …  Rhetorische Frage: Ist es nicht …? …, oder nicht?  Berufung auf Autoritäten: Schon Sokrates wusste …, Wissenschaftliche Studien zeigen …  Berufung auf die Mehrheit: Die meisten Unternehmen haben …  Vereinnahmung: Sicher gehen Sie mit mir einig wenn … Verstärkungen werden dazu eingesetzt, die Aussage als besonders wichtig und als unumstößliches Faktum zu präsentieren. Interessanterweise können sie aber auch die gegenteilige Wirkung haben. Die Aussage: „Ich behaupte, dass die Menschen sich von ihren Emotionen leiten lassen“, ruft viel eher Zweifler auf den Plan als die Aussage: „Die Menschen lassen sich von ihren Emotionen leiten.“ Abschwächungen Die gewöhnliche Aussage kann auf mancherlei Art abgeschwächt werden, womit der Anspruch, eine unumstößliche Wahrheit zu verkünden, relativiert wird. Es gibt viele verschiedene sprachliche Mittel, eine Aussage abzuschwächen, wobei die Gültigkeit der Aussage auf unterschiedliche Art und Weise eingeschränkt wird. Die Gültigkeit der Aussage kann in ihrer zeitlichen, geografischen oder situativen Reichweite eingeschränkt werden durch  Modalpartikeln und -adjektive: manchmal, heutzutage, früher, hier  Adverbialen: in unseren Breitengraden, unter den gegebenen Umständen  Bedingungsgefüge: wenn … dann, falls, unter der Bedingung dass Die Gültigkeit der Aussage kann in ihrer Gewissheit eingeschränkt werden durch  Modalpartikeln: vermutlich, wahrscheinlich, ungefähr  Verben des Meinens: wir vermuten dass, ich gehe davon aus dass  Verben und Funktionsverbgefüge: es scheint, es erweckt den Eindruck dass  Heckenausdrücke: eine Art von, sag ich mal, oder so ähnlich, irgendwie  Indirekte Rede: man sagt, es wird berichtet 84 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Die Gültigkeit der Aussage kann dadurch eingeschränkt werden, dass sie als persönliche Meinung oder als Hypothese ausgegeben wird durch  Verben des Glaubens: ich glaube, ich denke, ich meine, ich finde  Ausdrücke des Meinens: wir sind der Meinung dass, unserer Meinung nach, ich bin der Überzeugung dass, unsere persönliche Ansicht ist  andere Ausdrücke: unsere Hypothese lautet, wir stellen folgende Hypothese auf Abschwächungen können unterschiedliche diskursive Ursachen und Funktionen haben. Sie können ein Ausdruck der Unsicherheit der Sprecherin sein, aber auch des Unwillens, sich auf eine Meinung festzulegen. Sie können eine Vorsichtsmaßnahme sein, um sich im Falle eines Angriffs von der eigenen Aussage distanzieren zu können. Sie können ein aufrichtiges Diskussionsangebot sein, indem die eigene Überzeugung als nur eine Möglichkeit, die Wirklichkeit darzustellen, gerahmt wird, und schließlich können Abschwächungen eine mehr oder weniger ernst gemeinte Geste der Bescheidenheit sein, das Signal, dass man nicht den Anspruch hat, der Weisheit letzten Schluss zu verkünden. Letzteres ist in der Wissenschaft gang und gäbe: Obwohl die meisten Wissenschaftler durchaus von ihren Ansichten überzeugt sind, präsentieren sie selbige gerne als „vorläufige“ Ergebnisse „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“. Normative Äußerungen Mit ihren Äußerungen können Schreibende nicht nur kund tun, wie die Welt ist (bzw. wie sie sie sehen), sondern auch, wie sie sein sollte (bzw. wie sie sie gerne hätten). Das tun sie mit normativen Äußerungen, und selbige sind primär das Feld der Modalverben. Mit den Modalverben können, sollen, müssen und dürfen, im Indikativ und Konjunktiv, positiv und verneint, können sämtliche Abstufungen der Dringlichkeit einer Norm vorgenommen werden: X muss soll müsste sollte kann könnte darf sein / getan werden X darf nicht soll nicht kann nicht muss nicht sein / getan werden Abbildung 5: Normative Wirkung von Modalverben. Weitere Möglichkeiten, Normen zu etablieren sind  Adjektive: X ist unabdingbar, notwendig, unausweichlich, selbstverständlich  Bedingungsgefüge: X ist die Voraussetzung für, ohne X kein Y, nur wenn X dann Y  Verben: X hat zu sein, X ist zu tun Alle genannten sprachlichen Formen, Normen zu etablieren, können wiederum verstärkt (unter allen Umständen, immer, niemals) oder abgeschwächt werden (wenn möglich, mit Vorteil). Fairclough weist darauf hin, dass ein großer Teil der Managementliteratur heute hortativ ist: Vordergründig sind die Texte deskriptiv, aber ihre Intention ist, Normen des unternehmerischen Handelns zu etablieren, „aimed at getting people to act in Dringlichkeit 85 5.4 Modalität: Wie werden die Aussagen gerahmt? certain ways on the basis of representations of what is“ (2005: 96). Man vergleiche die folgenden Sätze (Mast 2013: 242f): (1) „Die Bedeutung der Face-to-Face-Kommunikation steigt, ihre Inhalte und Abläufe müssen sich den veränderten Bedürfnissen der Führungskräfte und Mitarbeiter anpassen.“ (2) „Führungskräfte sind zentrale Multiplikatoren der Mitarbeiterkommunikation.“ (3) „Führungskräfte sind darüber hinaus Coaches und Förderer, Moderatoren und Motivatoren ihrer Mitarbeiter.“ Die Sätze (2) und (3) kommen zwar ohne das Modalverb „müssen“ aus, sie sind von ihrem Charakter her aber kaum weniger normativ als Satz (1). Denn die Behauptung, Führungskräfte seien Coaches, kann man nicht wirklich als Beschreibung der Führungsrealität in den Unternehmen auffassen, sondern lediglich als Formulierung des Anspruchs, wie Führungskräfte sein sollten. Dieses nahtlose Ineinandergreifen von dem, was (angeblich) „ist“, was in vielen Unternehmen „getan wird“ oder „sich bewährt hat“, und dem, was „empfohlen wird“, „sein sollte“ und „sein muss“, ist ein generelles Merkmal heutiger Managementliteratur. Direktive Äußerungen Äußerungen können nicht nur repräsentativ oder normativ sein, sondern auch direktiv. Ein Text ist direktiv, wenn er die Rezipierenden unmittelbar zu einer Handlung auffordert. Dafür gibt es im Wesentlichen drei sprachliche Formen:  Befehle im Imperativ: probieren Sie, komm, geh weg, bestellen Sie …  Befehle im Infinitiv: Betreten verboten, alle herhören, jetzt bestellen …  Bitten: würdest du bitte, könnten Sie bitte, wären Sie so gut, X ist erwünscht, um X wird gebeten … Als indirekte Formen der Aufforderung können je nach Situation zum Einsatz kommen:  Wünsche: ich möchte gerne, die Mitarbeiter wünschen sich …  Vorschläge: wir könnten, wie wäre es mit …  Irrealis: X wäre schön, X wäre von Vorteil … Direktiven sind eine Form der Machtausübung. Je direkter eine Aufforderung ausgesprochen wird, umso höher ist zumeist der soziale Status, den der Sprecher hat bzw. für sich beansprucht. Indirektheit ist demgegenüber ein Zeichen sozialer Unterordnung, aber auch von Höflichkeit - zwei Phänomene, die sprachlich häufig zusammenfallen. Fazit: Bei der Analyse der Modalität ist die Frage zu klären, mit welchem Anspruch auf Wahrheit und Gewissheit die Dinge beschrieben werden, ob Fakten konstruiert oder Meinungen geäußert werden, ob Gegebenes beschrieben wird, Normen aufgestellt oder die Rezipierenden zum Handeln aufgefordert werden. 86 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Beispielanalyse Der folgende Ausschnitt ist dem Kapitel „Erfolgskontrolle“ entnommen. Informationen über einen Sachverhalt sind einfacher, schneller und preiswerter zu erreichen als Verhaltensänderungen. Kurzbis mittelfristige Kommunikationsaktivitäten können deshalb nur darauf ausgerichtet sein, Kenntnisse zu erhöhen oder zu ergänzen sowie unzutreffende Vorstellungen von dem Unternehmen bei den Bezugsgruppen zu korrigieren. Da in diesem Fall die Dauer der Wirkung zeitlich begrenzt ist, muss die Kontrolle während oder unmittelbar nach Realisierung der Kommunikationsaktionen einsetzen. Im Gegensatz dazu kann z.B. das Ziel des Weckens von Verständnis und Vertrauen dem Unternehmen gegenüber nur langfristig und im Rahmen eines Gesamtkonzeptes erreicht werden. Das Modell der strategischen PR-Evaluation von Besson unterscheidet daher verschiedene Phasen der PR-Evaluation: die Evaluation der Konzeption, der Prozesse, der Einstellungen und Ergebnisse. „Strategische PR-Evaluation ist die geplante, zielgerichtete Erfassung, Bewertung und Kontrolle des PR-Prozesses, die vor, während und nach einem PR-Programm die Qualität und Effektivität der PR-Arbeit misst“ (Besson 2004, 46). Erfolgskontrollen sind auch in der Unternehmenskommunikation unausweichlich. Die genannten Schwierigkeiten dürfen keine Ausrede dafür sein, dass sich PR nicht entsprechenden Leistungs- und Wirkungsmessungen unterzieht. Der Druck auf die Kommunikationsabteilungen wächst. Wenn es ihnen nicht gelingt, in absehbarer Zeit Konsens über geeignete und praktikable Instrumente zu finden, wird ihre Stellung bei den üblichen Verteilungsprozessen von Budgets oder Personalkapazitäten ausgesprochen schwierig und ungemütlich (Mast 2013: 148f). In diesem Abschnitt kommt der grundsätzlich normative Charakter des Lehrbuchs deutlich zum Ausdruck. Mast zieht alle sprachlichen Register, um ihre Ansicht als die einzig mögliche darzustellen. Da sind zum einen die reinen Aussagesätze, die ohne jede Abschwächung geäußert und damit jedem Zweifel entzogen werden: „Informationen über einen Sachverhalt sind einfacher … zu erreichen.“ Da sind zum andern die in allen Variationen eingesetzten Modalverben, mit denen ausgedrückt wird, was die Unternehmen alles tun „müssen“, was sie „nur“ auf dem beschriebenen Weg tun „können“ und was sie „nicht dürfen“. Schließlich werden auch Adjektive eingesetzt: „Erfolgskontrollen sind … unausweichlich“. Im ganzen Buch kommen zahllose Definitionen vor, mit denen Fakten geschaffen werden. Im wiedergegebenen Abschnitt wird eine Definition zitiert, um ihr das zusätzliche Gewicht der Autorität zu verleihen. Aber auch pure Behauptungen ohne jeden Beleg werden aufgestellt: „Der Druck auf die Kommunikationsabteilungen wächst“. Am Schluss wird eine Norm in Form eines Bedingungsgefüges aufgestellt („Wenn nicht …“), welche beinahe den Charakter einer Drohung hat. Allfällige andere Ansichten werden als „Ausreden“ deklassiert. Interessant ist, dass die internen Verteilkämpfe als gegeben und unbeeinflussbar hingenommen werden. Damit wird ein weiterer Charakterzug des ganzen Buches deutlich: Sämtliche Rahmenbedingungen, unter denen die Verantwortlichen für Kommunikation arbeiten, werden als unabänderliche Tatsachen dargestellt - und damit sanktioniert. Die Aktionen der Kommunikationsfachleute sind damit grundsätzlich Reaktio- 87 5.4 Modalität: Wie werden die Aussagen gerahmt? nen, haben aber mit aller Kraft zu erfolgen. Insgesamt ist der Diskurs in diesem Buch extrem autoritär und systemstabilisierend: Die Dinge sind, wie sie sind, wer bestehen will, muss so handeln, wie es im Buch beschrieben ist. Aufgaben Aufgabe 7: Im Blog „WeiterGen“ auf dem Portal ScienceBlogs ist der unten wiedergegebene Artikel erschienen. Prüfen Sie, welche Aussagemodi in dem Text vorkommen. Welche thematischen Gegenstände werden vom Autor als Fakten wiedergegeben, welche als persönliche Ansichten? Wo werden Aussagen verstärkt bzw. abgeschwächt? Welchen Gesamteindruck erzeugt der Text? Ideenklau: Die Parasiten der Wissenschaft Veröffentlicht von Tobias Maier am 24. Juni 2013 Marcus Pössel erzählt in seinem Blog „relativ einfach“ eine offenbar reale Geschichte vom Diebstahl einer Idee aus einer Bewerbung für eine Postdocstelle in der Astronomie. Einer der Professoren, an den das Bewerbungsschreiben ging, versuchte laut des Artikels das geplante Projekt selbst durchzuführen, ohne den Urheber zu informieren oder ihn etwa an den Messungen und Analysen zu beteiligen. Durch Zufälle erfährt der Bewerber für die Postdocstelle von dem Ideenklau und glücklicherweise ist der Bewerber letztendlich dennoch der erste, der die zugehörigen Daten publizieren kann. Der dort beschriebene Fall stellt eine Ausnahme dar, weil der Urheber durch die schriftliche Dokumentation der Idee identifizierbar war, und weil der Dieb der Idee ebenfalls relativ eindeutig identifiziert werden konnte, da offenbar ein im Wortlaut sehr ähnlicher Antrag bei einer astronomischen Beobachtungsstation von ihm eingereicht wurde. Ideenklau in der Wissenschaft kommt in meiner Erfahrung relativ häufig vor, selten sind jedoch die Urheber der Ideen so einfach zu identifizieren wie im oben beschriebenen Fall, denn häufig werden gute Ideen in gutem Glauben formlos und mündlich kommuniziert. Auf Konferenzen, nach Vorträgen, in Meetings und in Gesprächen beim Mittagessen. Die meisten Ideendiebstähle passieren dadurch in einer Grauzone, in der Ideenklau relativ einfach dadurch gerechtfertigt wird, dass man sich eben durch Dritte habe inspirieren lassen. Ich glaube auch, dass sich vielfach diejenigen, die Ideen klauen, gar keiner Schuld bewusst sind. Denn wer noch nie eine eigene Idee hatte, und wem folglich auch noch nie eine geklaut wurde, kann gar nicht wissen, wie es sich anfühlt, geistiges Eigentum gestohlen zu bekommen. Derjenige versteht auch nicht den Wunsch, dieses zu schützen - vor eben jenen Parasiten der Wissenschaft die Ihre „Inspiration“ für Projekte einfach direkt von Kollegen übernehmen. Es ist allerdings auch klar, dass die Wissenschaft von Ideen alleine nicht lebt. Es kommt auf deren Umsetzung an. Dabei den Beitrag des Urhebers der Idee bewusst oder unbewusst zu ignorieren und zu verschleiern demotiviert die Ideengeber und ist klar wissenschaftliches Fehlverhalten. Es sollte dementsprechend behandelt und geahndet werden. http: / / scienceblogs.de/ weitergen/ 2013/ 06/ ideenklau-die-parasiten-der-wissenschaft/ 88 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Analysieren Sie die Aussagemodi in Ihren Beispieltexten. Bestimmen Sie, wo und mit welchen Mitteln Faktizität hergestellt wird, wo der Anspruch auf Gewissheit und Wahrheit verstärkt oder abgeschwächt wird, wo Aussagen als persönliche Meinung gerahmt, wo Normen etabliert werden. Prüfen Sie, ob mittels deskriptiver Äußerungen verdeckt Normen oder Handlungsaufforderungen formuliert werden. 5.5 Evaluation: Wie werden die Gegenstände bewertet? Bei der Evaluation geht es um die Frage, wie die im untersuchten Text dargestellten Gegenstände von den Autoren bewertet werden, ob als „gut“ oder „schlecht“ im weitesten Sinne. Bewertungen sind deutliche Hinweise auf die in einem Text verbreitete Ideologie. Sie sind allerdings stark kontextabhängig. Die Aussage: „Sie ist eine überzeugte Kommunistin“ kann aus dem Mund des einen Autors ein Kompliment, aus dem Mund eines anderen ein Vorwurf sein. Daher sind auch bei den Evaluationen allfällige computergestützte, quantitative Analysen durch eine sorgfältige Überprüfung des jeweiligen Kontextes zu ergänzen. Hinzu kommt, dass in den verschiedenen gesellschaftlichen Diskursen höchst unterschiedliche Wertesysteme zur Anwendung kommen, sodass die gleiche Sache unter Umständen ganz unterschiedlich bewertet wird. Eine bestimmte Handlung, zum Beispiel die Entlassung einer alleinerziehenden Mutter, kann juristisch korrekt, aber ethisch fragwürdig sein. Die Förderung von Öl aus der Tiefsee mag aus ökonomischer Sicht profitabel, aus ökologischer Sicht jedoch schädlich für die Umwelt sein usw. Schließlich können einzelne Diskurse in weitere Disziplinen unterteilt und damit in sich heterogen sein. Innerhalb des juristischen Diskurses fragt das Strafrecht allein danach, ob eine Handlung legal bzw. ein Gerichtsentscheid gesetzeskonform ist. Ob der Entscheid auch gerecht ist, dafür interessiert sich die Strafrechtlerin nicht. Gerechtigkeit ist hingegen eine zentrale Kategorie der Rechtsphilosophie. Das Gleiche gilt für die Philosophie mit ihren verschiedenen Schulen, wo Rationalisten danach fragen, ob eine Sache „vernünftig“ ist, Utilitaristen hingegen, ob sie „nützlich“ ist usw. In der folgenden Tabelle sind die zentralen Diskurse unserer Gesellschaft aufgeführt mit einigen Schlüsselbegriffen, was im entsprechenden Diskurs pauschal als „gut“ aufgefasst wird. Diskurs „gut“ Diskurs „gut“ Philosophie ethisch, vernünftig, nützlich Ästhetik schön Moral moralisch, anständig Religion gottgefällig, christlich Wirtschaft profitabel, effizient, erfolgreich, ökonomisch Jurisprudenz legal, gerecht Ökologie ökologisch, nachhaltig Technik machbar, sicher, funktionierend Politik demokratisch, legitim, solidarisch Medien aktuell, spannend, unterhaltsam, erotisch Alltag praktisch Tabelle 5: Zentrale Diskurse und ihre Schlüsselbegriffe für „gut“. 89 5.5 Evaluation: Wie werden die Gegenstände bewertet? Dass man ein- und dieselbe Sache je nach Standpunkt positiv oder negativ bewerten kann, bildet die Grundlage für diskursive Auseinandersetzungen in der Gesellschaft und insbesondere in der Politik. Politikerinnen benützen ziemlich willkürlich Argumente aus allen zur Verfügung stehenden Diskursen, sodass sich die Politik als ein eigentliches Wirrwarr aus ökonomischen, ethischen, juristischen und alltäglichen Evaluationen darstellt, deren Analyse auf jeden Fall lohnenswert ist. Evaluationen sind aus diskursanalytischer Perspektive deshalb so wichtig, weil sie nicht nur Auskunft über die Einstellung der Autorin zu ihrem Gegenstand geben, sondern weil sie implizite Handlungsanweisungen sind: Was in irgendeiner Art „gut“ ist, ist zugleich erstrebenswert, was „schlecht“ ist, sollte selbstredend vermieden werden. Wenn eine Rezensentin einen Roman als „Schund“ oder „sexistisch“ bezeichnet, erübrigt sich die Empfehlung, das Buch nicht zu lesen. In einem Text können Evaluationen explizit und implizit vorgenommen werden. Eine implizite Evaluation liegt vor, wenn die Bewertung in den Wörtern enthalten ist, mit denen die besprochenen Gegenstände bezeichnet werden, wenn also zum Beispiel die Handlungen eines Unternehmens als „Aktionismus“ verurteilt werden. Die drei unten ausgeführten Ausprägungen impliziter Evaluationen sind Konnotationen, Euphemismen und Metaphern. Eine explizite Evaluation liegt vor, wenn die besprochenen Gegenstände mit Attributen oder ans Prädikat gebundenen Evaluationen ausdrücklich bewertet werden: „Diese Investition ist rentabel“ bzw. „lohnt sich“. Da die Charakterisierung von sozialen Akteuren, also Personen, im Abschnitt 5.2 bereits besprochen wurde, beschränken wir uns in diesem Abschnitt auf die Evaluation von Handlungen, Ereignissen, konkreten Gegenständen und gedanklichen Konzepten. Konnotationen Unter Konnotationen versteht man Bewertungen, die ans Wort gebunden und somit lexikalisiert sind, positiv („Kompetenz“, „Erfolgsgeschichte“) oder negativ („Ignoranz“, „Schreckensszenario“). Sie stellen eine eher unauffällige Form der Bewertung dar und werden daher gerne übersehen. Wir nehmen Wörter wie „Entwicklungsland“ oder „Sockelarbeitslosigkeit“ mit solcher Selbstverständlichkeit in den Mund, dass wir ihren ideologischen Charakter kaum mehr realisieren. Wie abwertend ein Ausdruck ist, darüber lässt sich häufig streiten. So kam es unter zwei Bekannten der Autorin fast zu einem Rechtsstreit, weil der eine das Schriftstück des andern als „Elaborat“ bezeichnet hatte, was dieser als Ehrbeleidigung empfand. Euphemismen Euphemismen sind beschönigende Ausdrücke, die in der Politik und insbesondere im Militärwesen zum Verschleiern unangenehmer Tatsachen sehr beliebt sind. Berüchtigt ist etwa der „Kollateralschaden“, 1999 zum Unwort des Jahres gewählt, mit dem nicht selten der Tod von Zivilisten oder lebenswichtiger Infrastruktur vertuscht wird. Dass Goebbels den Rückzug der deutschen Armeen als „Frontbegradigung“ bekannt gab, ist legendär. Auch in der Wirtschaft sind Euphemismen beliebt. Preise werden nicht erhöht, sondern „angepasst“, die Entlassung von Angestellten verschwindet hinter „Maßnahmen zur Kostensenkung“ usw. Obwohl diese Euphemismen in der Regel eher durchsichtig sind, werden sie dennoch mit größter Regelmäßigkeit benützt und dürfen in der Textanalyse daher nicht übersehen werden. Aber Euphemismen werden auch zur handfesten Irreführung der Leserschaft eingesetzt. Nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia 90 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse schrieb der Betreiber in seiner Stellungnahme, dass sich „die Einschätzung des Kapitäns für einen Notfall nicht mit den von Costa vorgegebenen Standards deckte.“ 18 - Der Kapitän hatte das Schiff vor den Passagieren verlassen … Metaphern Bei Metaphern werden Vorgänge bildlich ausgedrückt, zum Beispiel als „Augenwischerei“, „Bevölkerungsexplosion“ oder „Frühlingserwachen“. Wie im Abschnitt 5.2 bereits dargelegt, steuern Metaphern unsere Wahrnehmung eines Gegenstands und können starke Wertungen enthalten. Einzelne Metaphern können zu ganzen Bildwelten ausgebaut werden. Ausgehend von einem Geschäftsführer, der als „Kapitän“ bezeichnet wird, kann das ganze Unternehmen als „Schiff“ mit den Angestellten als „Mannschaft“ konzeptualisiert werden, das „auf Kurs“ ist oder „auf den Untergang zusteuert“ oder gar „Schiffbruch erleidet“. Solche Bildwelten legen häufig bestimmte Handlungsmaximen nahe, zum Beispiel die Überzeugung, dass die Angestellten eines Unternehmens wie Matrosen auf einem Schiff dem Kapitän blindlings zu gehorchen haben oder dass das Unternehmen den Wellengang und die Großwetterlage (sprich: die wirtschaftliche Konjunktur) nicht beeinflussen, sondern nur die Segel möglichst gut setzen kann. Die Metapher vom Unternehmen als Schiff wird so zur Grundlage für die bildliche Rechtfertigung von Managemententscheidungen, die dank des Persuasionspotenzials solcher Metaphernkomplexe kaum mehr hinterfragt werden können. Ideologisch besonders gefährlich sind Naturmetaphern, da sie suggerieren, das mit ihnen bezeichnete soziale Phänomen sei „natürlich“ und entziehe sich somit dem menschlichen Einfluss. Im Einwanderungsdiskurs zum Beispiel sind Wassermetaphern beliebt: Flüchtlinge oder Einwanderer „strömen“ ins Land oder bilden gar eine „Flut“, gegen die man - konsequenterweise - „Dämme“ errichten muss. In der Wirtschaftsberichterstattung über Fusionen und Übernahmen dominieren (neben Heiratsmetaphern) Metaphern, die die Konkurrenz zwischen den Unternehmen als Darwinʼschen Selektionskampf konzeptualisieren, in welchem nur der „fitteste“ überlebt (Koller 2005). Solche Metaphern dienen dazu, den oft ruinösen Preis- und Übernahmekampf zwischen den Unternehmen als natürliches Geschehen auszugeben und damit dem Diskurs über das ökonomisch und gesellschaftlich Wünschbare zu entziehen. Bei Metaphern ist daher nicht nur zu fragen, welche Wertungen mit ihnen vollzogen werden, sondern auch, welche Handlungsweisen sie nahelegen. Attribute Am leichtesten zu identifizieren sind Evaluationen, die mittels Attributen vollzogen werden. Das sind primär attributiv und adverbial verwendete Adjektive: eine „unbürokratische“ Maßnahme, die Gewinnaussichten sind „vielversprechend“. Bei Adjektiven ist zu prüfen, ob sie positive oder negative Evaluationen vollziehen und welches Wertesystem aus welchem Diskurs sie aufrufen: ein utilitaristisches, rationales, ethisches etc. Evaluationen können auch mit anderen Attributen vorgenommen werden:  partizipiale Attribute: seit Jahren kolportiert, in vielen Situationen bewährt  Adverbialen: bis zum Überdruss, aufgrund unserer guten Erfahrung 18 Stellungnahme von Costa Crociere am Sonntag, 15. Januar 2012. 91 5.5 Evaluation: Wie werden die Gegenstände bewertet? Adjektive und vergleichbare Attribute sind in einigen Diskursen wie der Werbung eigentliche Schlüsselwörter, deren quantitative Auswertung Aufschluss gibt über die Ideale einer Gesellschaft und - bei einer diachron angelegten Untersuchung - über deren Wandel. So sind die Adjektive „neu“, „frisch“ und „billig“ zeitlose Renner, die sich bereits im 17. Jahrhundert nachweisen lassen (Bendel 1998), während Adjektive wie „biologisch“ und erst recht „nachhaltig“ erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts in der Werbung auftauchen. Rhetorische Figuren Eine Reihe von rhetorischen Figuren eignet sich zur Kundgabe von Evaluationen:  Vergleich: wie zu Großmutters Zeiten, wie ein Schiff ohne Ruder  Übertreibung: glaubt nur noch der letzte Hinterwäldler, der beste aller Zeiten  Ausruf: Was für ein Triumph! Welche Verschwendung! So ein Unsinn! Eine spezielle Form von Vergleichen findet sich in der Managementliteratur: Der Vergleich von dem, was man früher gemacht hat, mit dem, was man heute tut. Dabei werden die früheren Managementkonzepte implizit oder explizit als überholt dargestellt und damit disqualifiziert. Die rhetorische Taktik des „man weiß es heute besser“ dient oftmals auch als Rechtfertigung für wechselnde Managementmoden. Prädikatgebundene Evaluationen Schließlich können Evaluationen auch ans Prädikat gebunden sein. Bereits einfache Verben können eine Bewertung enthalten. „Sich drücken“ ist negativ konnotiert und bedeutet adjektivisch ausgedrückt „feige sein“. Daneben gibt es viele Kollokationen wie „in die Irre führen“, „etwas voraus haben“, „an der Spitze stehen“ oder „auf der sicheren Seite sein“. Fazit: Bei der Analyse der Evaluation ist die Frage zu klären, mit welchen sprachlichen Mitteln in den Texten Bewertungen vorgenommen werden, welches Wertesystem die Bewertungen aufrufen und ob mit der Bewertung implizite Handlungsempfehlungen verknüpft sind. Beispielanalyse Der folgende Ausschnitt findet sich im bereits zitierten Kapitel „Erfolgskontrolle“. Dann folgt die Festlegung der Themenstrategien, d.h. auf welche Weise die Ziele erreicht werden. Klewes/ Stark (1999, 56) unterscheiden dabei folgende Themenstrategien: - „Die ‚Huckepack-Strategie‘ versucht, das eigentliche Anliegen hinter konsensfähigen oder harmlosen Strategien zu maskieren. - [drei weitere Strategien: Minen-, Ablenkungs- und Testimonial-Strategie, d.V.] - Die ‚Homöopathie-Strategie‘ teilt den (manchmal bitteren) Informationsgehalt des Themas in kaum noch messbare Einheiten auf und diffundiert diese im Sinne eines langsamen, aber stetigen Gewöhnungsprozesses“. Cutlip, Center und Broom (2008, 363f) stellen abschließend die Bedingungen für ein erfolgreiches Kommunikationsprogramm zusammen: 92 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse - Glaubwürdigkeit („credibility“): Rezipienten müssen dem Kommunikator vertrauen und Respekt vor seiner Kompetenz zum Thema haben. (…) - Kontext („context“): Erfolgreiche Kommunikationsprogramme müssen sich in den Kontext einfügen. Dieser sollte die Botschaft verstärken und ihr nicht widersprechen. (Mast 2013: 137f). Der Ausschnitt ist insofern typisch für das ganze Buch, als eher wenige explizite Evaluationen vorgenommen werden. Es wird lediglich immer wieder darauf hingewiesen, welches Vorgehen die Kommunikation „erfolgreich“ macht. In der Wissenschaft ist es durchaus üblich, mit Wertungen zurückhaltend zu sein. Der Gestus dieses Buches ist jedoch nicht die wissenschaftliche Zurückhaltung, sondern vielmehr der Anspruch, dass alles, was in diesem Lehrbuch beschrieben ist, zum Erfolg führt und daher nicht nur „gut“, sondern „das Richtige“ ist. Das Wertesystem, auf welches Bezug genommen wird, ist allein das ökonomische: „Gut“ ist, was zum wirtschaftlichen Erfolg beiträgt. Ethische oder politische Werte werden nicht ins Spiel gebracht. Implizite Bewertungen sind im Buch zahlreich. Zum einen wird grundsätzlich alles, was man „früher“ lehrte, abgewertet: „Dieser Ansatz lässt Assoziationen zu den alt bekannten Stimulus-Response-Kommunikationsmodellen wach werden. Dabei wird vergessen, dass es sich in der Kommunikation um einen Prozess handelt, der das gemeinsame Vorgehen vieler Akteure integriert und ein gegenseitiges Austauschen von Botschaften, Meinungen, Erfahrungen und Wissen fördern soll“ (ebd.: 67). Zum andern werden konnotationsreiche Begriffe wie „Corporate Social Responsibility“, „Früherkennungssystem“ oder „Partizipation“ (S. 97) verwendet, die positive Wertungen enthalten. Bei den eher seltenen Metaphern ist der wertende Charakter besonders ausgeprägt: „Huckepack“ und „Homöopathie“ sind - obwohl in Anführungszeichen gesetzt und daher als Metaphern gekennzeichnet - assoziationsreiche Ausdrücke, die den strategischen Charakter der angepeilten Kommunikation offenbaren. Was der zitierte Ausschnitt auch verrät, sind die teilweise fundamentalen Widersprüche im Buch von Mast. Auf der gleichen Seite das Maskieren von Botschaften zu empfehlen und absolute Glaubwürdigkeit zu fordern, ist doch gelinde gesagt befremdlich. Aber auch sonst wimmelt es von Widersprüchen: In den Einleitungen verschiedener Kapitel ist viel von Dialog die Rede, aber in den Abschnitten mit den operativen Empfehlungen dominiert ein klassischer Top-Down-Ansatz der Kommunikation, bei welchem die Vorgesetzten die Mitarbeiter nicht nur informieren, sondern auch indoktrinieren und manipulieren sollen: „Im Zentrum [der internen Kommunikation, d.V.] stehen Orientierung und Dialog, d.h. die Beeinflussung von Meinungen und Einstellungen sowie die Stärkung individueller Handlungsmotivationen“ (S. 232). Während im oben genannten Zitat Stimulus-Response-Modelle als überholt verworfen werden, tauchen die Begriffe Stimulus und Response Seite 146 unbesehen wieder auf. Die Widersprüchlichkeit rührt einerseits daher, dass die Autorin teilweise einfach unkommentiert Empfehlungen verschiedener Autoren aneinanderreiht (wie im zitierten Abschnitt), andererseits daher, dass neue Einleitungen vor Abschnitte gestellt wurden, die aus früheren Ausgaben übernommen wurden. 93 5.6 Argumentation: Wie werden Aussagen begründet? Aufgaben Aufgabe 8: Analysieren Sie, welche Evaluationen in der unten abgedruckten Rezension vorgenommen werden. Nach welchem Wertesystem richtet sich der Verfasser? Simon M. Laham Der Sinn der Sünde. Die 7 Todsünden und warum sie gut für uns sind Aus dem Englischen von Claudia Jones. Primus, Darmstadt 2013. 239 S., € 24,90 Wollust, Völlerei, Habgier, Trägheit, Zorn, Neid und Hochmut: sind diese „Todsünden“ tatsächlich schlecht für uns Menschen? Der australische Psychologe Simon M. Laham antwortet mit einem klaren Nein. Im Gegenteil: In Maßen zu sündigen mache uns unter anderem hilfsbereiter, schlauer und genügsamer. Unterhaltsam und überaus anschaulich stellt er eine Vielzahl sozialpsychologischer Studien vor; die sieben klassischen Todsünden dienen ihm dabei als origineller und gut nachvollziehbarer roter Faden. Die zum Teil raffinierten Methoden, die in den psychologischen Experimenten zur Anwendung kommen, lassen den Laien an vielen Stellen schmunzeln. Wer den Schutzumschlag entfernt - der eher nach Rosamunde Pilcher aussieht als nach einem soliden populärwissenschaftlichen Werk -, kann sich auch trauen, das Buch zum Beispiel in der Straßenbahn zu lesen. Tim Haarmann (Spektrum der Wissenschaft 7/ 2013, S. 98) Untersuchen Sie, ob und mit welchen sprachlichen Mitteln in Ihren Beispieltexten Evaluationen vorgenommen werden. Prüfen Sie, welchen Diskursen die Bewertungen zuzuordnen sind bzw. auf welches konkrete Wertesystem sie sich stützen. 5.6 Argumentation: Wie werden Aussagen begründet? Ob ein Text argumentativ ist, lässt sich oft an der Syntax ablesen. Argumentative Texte sind häufiger hypotaktisch, das heißt sie enthalten Nebensätze, die durch Konjunktionen verbunden sind, welche eine logische Verknüpfung anzeigen: kausal (weil), funktional (damit), konditional (falls), temporal (bevor), konzessiv (obwohl). Schwach argumentative Texte sind häufiger parataktisch, das heißt sie bestehen aus Hauptsätzen, die additiv (und) oder elaborativ (das heißt) verbunden sind. Hier werden lediglich Aussagen aneinandergereiht, ohne sie zu begründen. Argumentationen dienen dazu, die Gültigkeit von Aussagen oder Normen zu behaupten, zu stützen - oder zu untergraben. Im Rahmen einer diskursanalytischen Textanalyse ist es essentiell, die Argumentationen in den fraglichen Texten zu prüfen, da mit ihnen das im Text entworfene Weltbild legitimiert wird. Argumentationen bieten darüber hinaus ein großes Manipulationspotenzial, insbesondere wenn sie unvollständig oder fehlerhaft sind. Eine Argumentation besteht in ihrer allgemeinsten Form darin, dass eine strittige Aussage durch ihre Rückführung auf eine unstrittige Aussage begründet wird. Im bekannten Schema von Stephen Toulmin sieht die Struktur einer vollständigen Argumentation folgendermaßen aus: 94 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Abbildung 6: Argumentationsschema nach Toulmin (zit. nach Frischherz/ Demarmels/ Aebi 2011: 81). Ausformuliert würde eine entsprechende Argumentation wie folgt lauten: „Der Ökonom Schmidt sagt für Kenia ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent voraus (D). Schmidts Prognosen treffen normalerweise zu (SR), er verfügt nämlich über viele Jahre Berufserfahrung (S). Aller Voraussicht nach (Q) wird daher die Wirtschaft von Kenia nächstes Jahr um 3 Prozent wachsen (K) - falls keine politischen Unruhen ausbrechen (A).“ Vollständige Argumentationen sind allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Im Alltag bestehen viele Argumentationen lediglich aus den Daten und der Konklusion, und zwar in umgekehrter Reihenfolge: „Die Wirtschaft von Kenia wird nächstes Jahr aller Voraussicht nach um 3 Prozent wachsen; das sagt auch der Ökonom Schmidt.“ Die Schlussregel wird meistens weggelassen, doch gerade sie ist der Knackpunkt einer jeden Argumentation: Sind die Prognosen Schmidts wirklich zuverlässig? Schlussregeln haben oft den Charakter von Prämissen, das heißt von getroffenen Vorannahmen, und sind daher nicht immer unstrittig. So manche Argumentation kann zu Fall gebracht werden, indem man die nicht explizierte Schlussregel sichtbar macht: „Die Zahl der Betriebsunfälle könnte drastisch verringert werden (K), wenn man diejenigen Arbeitgeber mit hohen Geldstrafen belegen würde, auf deren Arbeitsstellen sie vorkommen (D).“ Die Schlussregel lautet in diesem Fall: „Bußen führen zu Verhaltensänderungen“ - eine Annahme, die unter Strafrechtlern und Psychologinnen umstritten ist. Argumentationen, die sich implizit oder explizit auf Schlussregeln stützen, werden auch als logische Argumentationen bezeichnet. Daneben gibt es Argumentationen, die sich nicht auf Schlussregeln stützen: die Berufung auf Autoritäten, auf Werte, auf die Vernunft sowie das Argumentieren mit Beispielgeschichten. Alle Formen von Argumentationen werden im Folgenden knapp vorgestellt. Daten (D) Konklusion (K) Schlussregel (SR) Stützung (S) Ausnahmebedingungen (A) Qualifikator (Q) 95 5.6 Argumentation: Wie werden Aussagen begründet? Logische Schlussverfahren Kienpointner (1992) unterscheidet vier Formen logischer Schlussverfahren: 1. Einordnungs- 2. Vergleichs- 3. Gegensatz- 4. Kausal- schemata schemata schemata schemata a. Definition a. Gleichheit a. kontradiktorisch a. Ursache b. Genus-Spezies b. Ähnlichkeit b. konträr b. Wirkung c. Ganzes-Teil c. Verschiedenheit c. relativ c. Grund d. a maiore d. inkompatibel d. Folge a minore e. Mittel f. Zweck Abbildung 7: Formen logischer Schlussverfahren (nach Kienpointner 1992: 246). Die Einordnungsschemata funktionieren allgemein ausgedrückt nach folgender Logik: „Wenn X gut ist, und wenn Y ein Teil von X ist, dann ist auch Y gut.“ Beispiel: Die Mitglieder der Berliner Symphoniker gelten als ausgezeichnete Orchestermusiker. Claudio spielt bei den Berliner Symphonikern; also muss er ein guter Musiker sein. Die verkürzte Alltagsversion würde ungefähr so lauten: „Claudio muss ein guter Cellist sein. Er spielt nämlich bei den Berlinern.“ In der Werbung sind stark verkürzte logische Argumentationen beliebt: „Kohle - ein Stück Natur“. Dahinter steckt die Argumentation: Wenn etwas Teil der Natur ist, dann ist es gut. Kohle stammt aus der Natur; also ist sie ein guter Energieträger. Das Beispiel macht deutlich, dass die Tatsache, dass eine Argumentation logisch schlüssig ist, noch nicht garantiert, dass sie auch inhaltlich unanfechtbar wäre. Vergleichsschemata stützen sich auf die Überlegung, dass zwei Dinge X und Y, die irgendwelche Gemeinsamkeiten (bzw. Unterschiede) aufweisen, auch in anderen Punkten ähnlich (bzw. verschieden) sein müssen. Beispiel: Wenn sich zwei Länder bezüglich ihrer geografischen Lage und ihres Klimas stark unterscheiden, dann wird auch ihre Pflanzen- und Tierwelt eine je andere sein. Auch mit Vergleichsschemata lassen sich strittige Behauptungen untermauern: Weil die Arbeit von Ärzten komplexer ist und eine längere Ausbildung verlangt als jene von Krankenschwestern, sollen Ärzte auch mehr verdienen als Krankenschwestern. Argumentationen nach dem Gegensatzschema funktionieren nach dem Prinzip: „Wenn X die Eigenschaft P hat, kann X nicht zugleich die konträre Eigenschaft P‘ aufweisen.“ Beispiel: Wenn die Flechten an Bäumen Lebewesen sind, dann kann man sie nicht zugleich als tote Materie einstufen. Ins Politische gewendet, könnte eine entsprechende Argumentation lauten: Wenn jemand den Frieden positiv bewertet, kann er nicht gleichzeitig den Krieg gutheißen. In der absolutesten Form erscheint dieses Argumentationsschema in der bekannten Killerphrase: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“ Kausalschemata schließlich stützen sich auf folgende Logik: „Wenn eine Ursache X zur Wirkung Y führt, und wenn X vorliegt, dann wird Y eintreten.“ Beispiel: Da eine Warmfront normalerweise Regen mit sich bringt und sich jetzt eine Warmfront vom Atlantik her nähert, wird es morgen ziemlich sicher regnen. Bei Kausalschemata muss beachtet werden, dass sie häufig nicht umkehrbar sind. Aus der Annäherung einer 96 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Warmfront auf Regen zu schließen, ist korrekt, aber aus dem Regen auf eine Warmfront zu schließen, ist falsch, da auch andere Wetterlagen zu Regen führen können. Kausalschemata haben in unserer wissenschaftsgläubigen Zeit besondere Überzeugungskraft. Weil es „wissenschaftlich erwiesen“ ist, dass Vitamine gesund sind, sollen wir Vitaminpräparate kaufen und schlucken - sagt die Werbung; weil Treibhausgase zur Klimaerwärmung führen, sollen wir weniger Kraftstoffe verbrennen - sagen Wissenschaftler; weil der Konkurs einer Großbank das gesamte Finanzsystem erschüttern würde, müssen wir sie mit Steuergeldern vor der Zahlungsunfähigkeit retten - sagen Politiker usw. Logische Argumentationen lassen sich mit folgenden Fragen auf ihre Tauglichkeit überprüfen: Sind die Prämissen akzeptabel? Sind die angeführten Gründe relevant? Sind die angeführten Gründe ausreichend? Werden keine Fehlschlüsse gezogen? Bei der Akzeptabilität der Prämissen wird unter Umständen kein Konsens zu erzielen sein, da besonders im politischen Diskurs immer andere Ziele, Werte sowie Mittel und Wege vorstellbar sind (Fairclough/ Fairclough 2011: 262). Neben der klassischen Argumentation mit Daten, Schlussregeln und Konklusionen gibt es weitere Formen der Legitimation von Aussagen und Normen. Van Leeuwen (2008) führt deren vier auf: Authorization, Moral Evaluation, Rationalisation, Mythopoesis (2008: 105-118; vgl. auch Fairclough 2005: 98). Diese werden im Folgenden vorgestellt. Berufung auf Autorität Bei dieser Form der Legitimation werden Handlungen oder Normen dadurch gerechtfertigt, dass man sich auf eine gesellschaftliche Autorität beruft, die diese Handlungen ausgeführt oder diese Normen propagiert hat. Dabei kann man sich auf ganz verschiedene Autoritäten berufen:  Persönliche Autoritäten: Eltern, Lehrer und andere Personen, die durch ihre Rolle Macht ausüben: „Weil ich es dir sage“. „Die Polizei empfiehlt für Kinder …“  Experten: Wissenschaftler und andere Experten, besonders erfahrene Personen: „Von Zahnärzten empfohlen.“ „Der erfahrene Pilot plädiert für …“  Vorbilder: Meinungsführer, Politiker, Prominente: „Der US-Präsident betonte in seiner Rede die Wichtigkeit von …“. „Stil-Ikone Madonna trägt in diesem Winter …“  Unpersönliche Autoritäten: Regeln, Gesetze: „Gemäß Zivilgesetzbuch § 231 ist …“. „Die Hausordnung schreibt Lichterlöschen um 22 Uhr vor.“  Tradition: Was Brauch und Usus ist und daher kaum begründet werden muss: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden.“  Mehrheit: Was die andern bzw. die Mehrheit will und tut, erzeugt einen Konformitätsdruck. Besonders beliebt sind heute Statistiken: „Bereits 46 % der Holländer haben einmal …“. „In unserer Leserumfrage haben 75 % Ja gesagt.“  Sprichwörter: In Sprichwörtern sind Überzeugungen zu allgemeinverbindlichen Weisheiten geronnen; sie stellen daher auch eine Form kultureller Autorität dar: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“ „Ohne Fleiß kein Preis.“ Die Berufung auf Autoritäten ist eine häufige und beliebte Form der Argumentation, in den Texten nicht schwer zu identifizieren, aber oft schwer zu kontern: Wer will schon gegen Größen wie den US-Präsidenten oder Frau Professor XY antreten? 97 5.6 Argumentation: Wie werden Aussagen begründet? Berufung auf Werte Aussagen und Handlungen können dadurch begründet und legitimiert werden, dass man sich auf Werte beruft. Wie Evaluationen vorgenommen werden, wurde bereits besprochen. Diese Evaluationen können nun in einen argumentativen Zusammenhang gebracht werden: Weil etwas „gesund“, „normal“, „nützlich“ oder „ein Schritt in die Unabhängigkeit“ ist, sollte man es tun. Berufung auf Vernunft Bei dieser Form werden Aussagen, Handlungen und Normen dadurch begründet und legitimiert, dass man sich auf die Vernunft beruft. Das kann auf verschiedene Arten geschehen:  Instrumentelle Rechtfertigung: Man gibt an, zu welchem Zweck (damit), mit welchen Mitteln (erlaubt uns zu) oder mit welchem Effekt (bewirkt dass) man etwas tut. Die instrumentelle Rechtfertigung weist Ähnlichkeiten mit den logischen Schlüssen auf.  Theoretische Rechtfertigung: Man führt Definitionen, Axiome, Erklärungen oder Prognosen an. Ziel ist darzulegen, dass „die Dinge sind, wie sie sind.“ In unserer Gesellschaft hat die Vernunft seit der Aufklärung einen hohen Stellenwert. Die eigene Meinung als vernünftig oder gar die einzig vernünftige auszugeben, ist daher eine vielversprechende Strategie in jeder diskursiven Auseinandersetzung. Beispielgeschichten Die eigenen Ansichten können auch durch Beispielgeschichten legitimiert werden. In den großen Mythen wird die gesellschaftliche Ordnung von tapferen Helden wiederhergestellt und dadurch legitimiert, Geschichten von Gescheiterten warnen vor Fehltritten und haben abschreckende Wirkung. Als Beispielgeschichten eignen sich die klassischen Mythen und Märchen, die Bibel, aber auch kleine Geschichten von „Helden des Alltags“, wie sie zum Beispiel in Mitarbeiterzeitungen konstruiert werden (Hartz 2008). Die normative Wirkung von Geschichten ist eher unterschwellig, da Normen in ihnen nicht expliziert, sondern vorgelebt werden. Fazit: Bei der Analyse der Argumentation ist die Frage zu klären, ob in einem Text Aussagen, Handlungen und Normen überhaupt begründet werden oder nicht, wofür argumentiert wird und welche sprachlichen Formen der Argumentation und Legitimation zum Einsatz kommen. Beispielanalyse Der folgende Abschnitt stammt aus dem Kapitel „Kommunikation mit den Mitarbeitern“, welches die interne Kommunikation behandelt. Die Glaubwürdigkeit des Vorgesetzten beeinflusst die Leistungsbereitschaft, das Engagement und die Motivation der Mitarbeiter. „Wem man nicht glaubt, dem folgt man nicht“ (Arndt/ Reinert 2006). Glaubwürdigkeit bildet damit die Basis jeder Kommunikation, sowohl jener zwischen zwei Menschen, als auch zwischen dem Unternehmen und seinen Stakeholdern. 98 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse Glaubwürdigkeit und Vertrauen entstehen in der Wahrnehmung jedes Einzelnen. Der einzelne Mensch glaubt seinem Vorgesetzten, einem Unternehmen oder einer Institution, d.h. er attribuiert ihnen Glaubwürdigkeit, und schenkt ihnen Vertrauen. Er bewertet die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit seines Gegenübers dabei vor allem anhand von dessen Verhalten und seiner Kommunikation. Wer auf seinem Gebiet kompetent erscheint und authentisch auftritt, wer offen und ehrlich kommuniziert, wird als glaubwürdig wahrgenommen (Nawratil 2006, Huck 2005a). Dazu gehört, dass sich Botschaften und Aussagen eines Kommunikators auch langfristig nicht grundsätzlich widersprechen. Vertritt jemand zunächst die eine, dann die andere Position, wird er schnell als „Fähnchen im Winde“ und damit als wenig glaub- und vertrauenswürdig wahrgenommen. Kommunikation allein genügt jedoch nicht. Wer das eine sagt und etwas anderes tut, verspielt ebenfalls schnell jeden Kredit bei seinen Adressaten. (Mast 2013: 244f). Wie im Abschnitt zur Modalität bereits dargelegt, werden im Buch von Mast viele pure Behauptungen aufgestellt, die nicht wirklich begründet werden. Als Beleg für ihre Richtigkeit werden lediglich andere Wissenschaftler angeführt, was eine Form der Argumentation mittels Autorität darstellt. Daneben gibt es zahlreiche Definitionen, welche eine Form der theoretischen Rechtfertigung darstellen. Viele Behauptungen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Ursache-Wirkungs-Gefüge, so auch im oben wiedergegebenen Abschnitt: Wer authentisch kommuniziert, wird als glaubwürdig wahrgenommen, und Glaubwürdigkeit fördert die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Wer seine Position zu häufig ändert, verliert seine Glaubwürdigkeit. Diese Wirkzusammenhänge werden so eindeutig formuliert, dass man sie schematisch darstellen kann, ohne dem Text Gewalt anzutun (vgl. Abbildung 8). Abbildung 8: Ursache-Wirkungs-Gefüge als zentrale Argumentation. Diese Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge werden nun in didaktischer Hinsicht umgeformt in Mittel-Zweck-Relationen: Wenn du als glaubwürdig wahrgenommen werden willst, musst du kompetent wirken und authentisch kommunizieren. Dies ist die grundlegende Argumentation, die das ganze Buch durchzieht: Wenn du erfolgreich sein willst, musst du dies tun und jenes lassen. Dabei handelt es sich um eine instrumentelle Rechtfertigung, wie sie für unsere Zeit typisch ist. Eher selten, aber im Kapitel zur Krisenkommunikation gehäuft, werden Statistiken eingesetzt mit Resultaten aus Umfragen in der Bevölkerung und bei börsennotierten Unternehmen, welche die Autorin selber durchgeführt hat (z.B. S. 356 und 359). Dies ist eine Argumentation mit der Mehrheit, gestützt durch wissenschaftlich erhobene Zahlen, die in Wissenschaft und Gesellschaft heute hohen Stellenwert genießen. Erstaunlicherweise kommen im Buch so gut wie keine Beispiele vor. Beispiele von erfolgreichen Unternehmen (sogenannte „Best Practice“) sind in der Managementliteratur sonst sehr beliebt. Was hingegen klar vermieden wird, ist die Argumentation mit der Tradition. Es gilt, auf dem Stand der Zeit zu sein und nicht überkommenen Kommunikations- oder Managementmodellen aufzusitzen. authentische Kommunikation GlaubwürdigkeitVertrauen Leistungsbereitschaft 99 5.6 Argumentation: Wie werden Aussagen begründet? Die absolute Dominanz der Ursache-Wirkungsbzw. Mittel-Zweck-Relationen verrät ein sehr mechanistisches Weltbild: Aktion A führt zu Reaktion B, das Unternehmen inklusive seiner Mitarbeiter lässt sich planmäßig steuern. Wie sehr in diesem Weltbild die Vorgesetzten die Agierenden und die Mitarbeitenden die Reagierenden sind, zeigt auch dieser Abschnitt wieder: Die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter hängt wesentlich vom Verhalten des Vorgesetzten ab. Die Mitarbeiter schenken dem Vorgesetzten ihr Vertrauen - das Vertrauen in die Mitarbeitenden ist kein Thema. Aufgaben Aufgabe 9: Bestimmen Sie die Prämissen bzw. Schlussregeln, die den folgenden Argumentationen zugrunde liegen: a) „Eine paradoxe Rolle spielt der Tierschutz. Er legt nahe, aus ethischen Gründen möglichst kleine Stichproben zu wählen. So suchen im Durchschnitt nur rund 20 Ratten oder Fische den Weg durch künstliche Labyrinthe. Doch welchen Sinn hat es, in vielen allzu klein angelegten und darum statistisch bedeutungslosen Forschungsarbeiten insgesamt doch wieder viele hunderte Tiere zu benützen - für nichts und wieder nichts? “ 19 b) „Demokratie heißt zu versuchen, mit seinen Argumenten zu überzeugen. Und Wahlen sind dabei der Moment, auf den es in unserer repräsentativen Demokratie ankommt. Hier liegt der zentrale Denkfehler der Wahlverweigerung, denn: Der Nichtwähler ist der einzige, der unter Garantie nicht das bekommt, was er will.“ 20 Aufgabe 10: Analysieren Sie, wofür Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache mit welchen Argumentationen wirbt. „… Auch heute gibt es in unserem Land viele Mutige und Hilfsbereite. Ein junger Teilnehmer meines Bürgerdialogs in Heidelberg erzählte mir, dass ein Spieler aus seinem Fußballteam die Schule abbrechen wollte. Daraufhin ging er zu seinem Trainer und bat ihn, das ganze Team zusammenzurufen, damit jeder erzählen konnte, warum es gut ist, in die Schule zu gehen. Das taten sie beim nächsten Training, und das hat gewirkt. Der Mitspieler brach die Schule nicht ab. … Für unser Land bedeutet Forschung Arbeitsplätze. Wenn wir etwas können, was andere nicht können, dann erhalten und schaffen wir Wohlstand. Deshalb investieren wir so viel wie nie zuvor in Bildung und Forschung. Deshalb bauen wir Deutschland zu einem der modernsten Energiestandorte der Welt um. Deshalb bereiten wir unser Land auf den demografischen Wandel vor, und deshalb bringen wir die Staatsfinanzen in Ordnung. Diese Ziele leiten uns auch 2013. … Zuversicht für das kommende Jahr kann sich auch aus einem Satz des griechischen Philosophen Demokrit speisen. Er hat gesagt: „Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende“. … Lassen Sie uns gemeinsam auch das neue Jahr zu einem Jahr machen, in dem wir einmal mehr unsere größten Stärken unter Beweis stellen: unseren Zusammenhalt, 19 Schluss der Kolumne „Springers Einwürfe“ im Spektrum der Wissenschaft 6/ 2013, S. 20. 20 Aufruf „Nicht wählen geht gar nicht“ von Katrin Albsteiger (Vorsitzende JU Bayern), Sascha Vogt (Vorsitzender Jusos), Lasse Becker (Vorsitzender JuLis). In: Die Zeit online, 31.7.2013. Online unter: http: / / www.zeit.de/ politik/ deutschland/ 2013-07/ nichtwaehler-replik-georgdiez (13.8.2013). 100 5 Die Ebene des Einzeltextes I: Textanalyse unsere Fähigkeit zu immer neuen Ideen, die uns wirtschaftliche Kraft gibt. Dann bleibt Deutschland auch in Zukunft menschlich und erfolgreich.“ (Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31.12.2012, Bulletin der Bundesregierung. Herausgeber: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung). Vollständig unter: http: / / www.bundesregierung.de/ Content/ DE/ Podcast/ 2012/ 2012-12-31neujahrsansprache/ links/ download-PDF.pdf? __blob=publicationFile&v=2 Video unter: http: / / www.youtube.com/ watch? v=pl-mGf4WLbc Untersuchen Sie, ob Ihre Beispieltexte argumentativ sind oder eher nicht. Wenn Sie argumentative Passagen finden: Wofür wird argumentiert? Mit welchen sprachlichen Mitteln? Welche Behauptungen, Meinungen und Normen werden ohne Begründung aufgestellt? Diskutieren Sie, ob die vorhandenen Argumente überzeugend sind. 5.7 Zusammenfassung Eine diskursanalytisch orientierte Einzeltextanalyse dient dazu zu eruieren, welches Bild von der Welt der Text den Lesenden zu vermitteln und von welchen Werten und Ansichten er sie zu überzeugen versucht. Worauf man dabei achten kann, ist in der folgenden Tabelle abschließend dargestellt. Diskursposition Analysefrage Sprachliche Mittel Perspektivierung Aus welcher Perspektive ist der Text geschrieben? Ich-Form Wir-Form Autorentilgung eine Stimme - viele Stimmen Leseransprache Nomination & Prädikation Wie werden die sozialen Akteure dargestellt? Eigennamen generische Bezeichnungen soziale Kategorien Pronomen Metaphern Deagentivierung Attribute Handlungsbeschreibungen Themenstrukturanalyse Worüber wird wie ausführlich gesprochen? Welches Textmuster liegt vor? Themen und Diskurse Themenentfaltungsmuster Weggelassenes Vorausgesetztes 101 5.7 Zusammenfassung Modalität Wie werden die Aussagen gerahmt? repräsentative Äußerungen Verstärkungen Abschwächungen normative Äußerungen direktive Äußerungen Evaluation Wie werden die Gegenstände bewertet? Konnotationen Euphemismen Metaphern Attribute rhetorische Figuren prädikatgebundene Evaluationen Argumentation Wie werden Aussagen begründet? logische Schlussverfahren Berufung auf Autorität Berufung auf Werte Berufung auf Vernunft Beispielgeschichten Tabelle 6: Übersicht über die Kategorien für die Einzeltextanalyse. Gute Einführungen in verschiedene Methoden der Textanalyse finden sich bei Titscher et al. (1998) und Janich (2008). Praxisorientierte Einführungen aus dem Bereich der Kritischen Diskursanalyse sind Bloor/ Bloor (2007), Fairclough (1995, 2005), van Leeuwen (2008) und Machin/ Mayr (2012). 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Mündliche Äußerungen, die aufgezeichnet und verschriftet wurden, eignen sich ebenfalls für eine Diskursanalyse. Besonders interessant sind Gespräche mit mehreren Beteiligten, da in ihnen diskursive Aushandlungsprozesse quasi „live“ verfolgt werden können. So prallen in politischen TV-Diskussionen die unterschiedlichen Positionen unmittelbar aufeinander, Ansichten werden nicht nur geäußert, sondern auch angegriffen, korrigiert und verteidigt. Anstatt dass man verschiedene Versionen von Wirklichkeit und konkurrierende Wahrheitsansprüche in verschiedenen Texten zusammensuchen muss, sind sie sozusagen an einem Tisch versammelt und treten unmittelbar gegeneinander an. In einem Gerichtsprozess kann man 1: 1 verfolgen, wie Tatbestände konstruiert und ein Angeklagter diskursiv zum Schuldigen prozessiert wird. Man kann beobachten, wie diskursive Wirklichkeit hergestellt wird. Umso erstaunlicher ist es, dass authentische Gespräche bisher verhältnismäßig selten als Daten für Diskursanalysen verwendet wurden und dass in einigen Studien, die sich auf mündliche Daten stützen, die Auswertung stark auf den Inhalt fokussiert ist, während der interaktive Prozess vernachläßigt wird. Ein gutes Beispiel bildet Bartlett (2012), der Workshops zwischen Indianern in Guyana und Vertretern einer Entwicklungsorganisation untersucht hat und vielfältige Formen des Widerstands und der Selbstbehauptung der Indianer gegen die Sicht der Entwicklungshelfer fand. Weitere positive Ausnahmen sind Gotsbachner (2008, 2013) und Roth (2013a). Bei mündlichen Äußerungen spielt der Kontext eine ungleich größere Rolle als bei schriftlichen Texten. Vor der TV-Kamera sprechen die gleichen Personen ganz anders als an ihrem Arbeitsplatz oder im Freundeskreis. Ein Interview unterliegt gänzlich anderen interaktiven Spielregeln als ein Streitgespräch oder eine Runde Smalltalk. Je nach Situation und Anwesenden äußert sich dieselbe Person unterschiedlich und Inhalt und Format ihrer Äußerung können strategische Funktion haben. So kann eine Frau ihren Mann in einer Therapiestunde als krankhaft eifersüchtig bezeichnen (Potter 1997), während sie ihren Mann gegenüber dessen Arbeitgeber vermutlich verteidigen würde. Bei mündlichen Äußerungen darf daher der Kontext bei der Analyse nie vernachlässigt werden (Potter 1997, Roth 2013a). Das Resultat fällt unter Umständen weniger endgültig aus als bei der Analyse schriftlicher Texte, die oft eine kontextunabhängige Gültigkeit beanspruchen. So könnte das Resultat einer Analyse mündlicher Texte sein: „In der Diskussion Y hat sich Teilnehmer A zu fremdenfeindlichen Äußerungen hinreißen lassen“ statt „A ist xenophob“ oder „Text B belegt die Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft“. Wie man Gespräche aufzeichnet, transkribiert und analysiert, ist aus der Konversationsanalyse, der funktional-pragmatischen Diskursanalyse, der interaktionalen Soziolinguistik und weiteren Zweigen der Gesprächsforschung hinlänglich bekannt. Wie man Gesprächsforschung in einen diskursanalytischen Rahmen integriert, wurde bislang jedoch kaum diskutiert, weder theoretisch noch methodisch. Roth (2010, 2013a) liefert mit seinem Konzept einer „Diskurspragmatik“ immerhin eine theoretische Basis für eine Diskursanalyse mit mündlichen Daten. Ein eigentliches Lehrbuch über diskursanalytische Gesprächsforschung liegt unseres Wissens nicht vor. In den bestehenden Lehrbüchern zur Diskursanalyse finden sich lediglich verstreute Hinweise, man solle bei mündlichen Daten die Prosodie oder das Hedging beachten. Damit wird den fundamentalen Unterschieden zwischen schriftlicher und mündlicher 104 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Kommunikation natürlich in keiner Weise genügend Rechnung getragen. Schriftliche und mündliche Äußerungen verlangen je eigene Analysemethoden. Dem wollen wir im vorliegenden Studienbuch mit einem eigenen Kapitel zur Analyse mündlicher Daten nachkommen. Wie bei der Analyse schriftlicher Texte kann es bei der diskursanalytischen Untersuchung mündlicher Daten nicht um eine gesprächsanalytische Fingerübung gehen, bei welcher man gesprächsanalytische Kategorien wie Sprecherwechsel oder Code-Switching systematisch abarbeitet. Vielmehr geht es um die Beantwortung der folgenden Leitfragen: Was tun Interagierende, um ihr Weltbild und ihre Normen interaktiv zu etablieren und zu verteidigen, um die Anwesenden von ihren Ansichten zu überzeugen und ihre Anliegen durchzusetzen? Um diese Fragen anzugehen, scheint uns das Konzept der Gesprächsrhetorik den besten Rahmen zu bieten. Die Gesprächsrhetorik untersucht „Eigenschaften der Gesprächsbeteiligung, die mit dem Versuch der Sprecher zu tun haben, sich durchzusetzen, sich in Auseinandersetzungen zu behaupten, recht zu behalten und plausibel und suggestiv Sachverhalte darzustellen“ (Kallmeyer 1996b: 7). Es geht also darum, jene Verhaltensweisen in mündlichen Gesprächen zu identifizieren und zu interpretieren, mit denen Fakten konstruiert, Normen etabliert und Wahrheitsansprüche verteidigt werden. Zu diesem Zweck setzen Interagierende zuerst einmal verbale Äußerungen ein, also Texte bzw. Textfragmente. Diese lassen sich grundsätzlich nach den oben vorgestellten Analysekategorien für schriftliche Texte untersuchen. Das gilt uneingeschränkt für vorbereitete oder gar abgelesene Texte wie Politikerreden, Nachrichtensendungen oder Spielfilme, es gilt mit Einschränkungen für spontan produzierte Äußerungen. Bei spontan produzierten Äußerungen sind die Merkmale der gesprochenen Sprache wie unvollständige Syntax, Versprecher, gefüllte Pausen, Worfindungsprobleme etc. in Rechnung zu stellen. Über die verbalen, leicht zu verschriftlichenden Texte hinaus setzen mündlich Interagierende aber auch ihre Stimme und ihren Körper ein, um ihre Sicht auf die Dinge zu etablieren und sich durchzusetzen, was bedeutend schwieriger zu transkribieren und zu interpretieren ist. In der Gesprächsforschung geht der Trend gegenwärtig klar Richtung Multimodalität. Für eine linguistische Diskursanalyse ist eine umfassende multimodale Auswertung von Gesprächen in der Regel weder zu leisten noch nötig. Wir beschränken die Analyse von Stimme und Körper daher auf die Analyse derjenigen Ausdrucksweisen, die zum Verständnis des Gesprochenen notwendig sind oder das Gesprochene unmittelbar ersetzen wie zum Beispiel emblematische Gesten. Schließlich kommen ganz gesprächsspezifische Verhaltensweisen zum Einsatz wie gegenseitiges Unterbrechen, persönliche Angriffe, höfliche Indirektheit, Revidieren früherer Aussagen u.v.m. Auf einige dieser Eigenschaften mündlicher Interaktion, die uns für diskursanalytische Fragestellungen besonders ergiebig erscheinen, gehen wir in diesem Kapitel ein: auf den Einsatz von Stimme und Körper, auf die Phänomene der Prozessualität und Interaktivität, auf Kontextbezug und Adressatenorientierung sowie auf das Konzept der Positionierung. 105 6.1 Stimme und Körper 6.1 Stimme und Körper Der Einsatz von Stimme und Körper muss häufig analysiert werden, um das Gesagte überhaupt korrekt interpretieren zu können: Welche Bedeutung ein Satz hat, ob etwas ironisch gemeint war, an wen sich eine Äußerung richtete, auf welche Gegenstände gedeutet wurde etc. Mit Stimme und Körper können aber auch eigene kommunikativ bedeutsame Handlungen ausgeführt werden wie Begrüßungen oder symbolische Gesten. Prosodie Die Prosodie macht oft erst deutlich, wie eine mündliche Äußerung gemeint war. Unterschiedliche Betonungen können subtile Bedeutungsverschiebungen zur Folge haben. Angela Merkel hat in ihrer oben zitierten Rede im Satz: „Dann bleibt Deutschland auch in Zukunft menschlich und erfolgreich“ das „und“ nicht betont. Hätte sie es betont, dann hätte sie damit ausgedrückt, dass für sie Menschlichkeit und Erfolg Gegensätze sind, die man erst noch unter einen Hut bringen muss. Mittels Prosodie markieren Sprechende auch eingeschobene Zitate oder kennzeichnen ihre Rede als ironisch. Neben dieser basalen Bedeutungskonstitution dient die Prosodie den Sprechenden dazu, den Interaktionspartnern ihre Einstellung zum Gesagten zu verdeutlichen, zum Beispiel anzuzeigen, was ihnen besonders wichtig ist. Dazu können verschiedene Mittel wie langsames, gedehntes Sprechen, Stakkato, lauteres oder im Gegenteil leiseres Sprechen dienen. Durch eine langsame, monotone und spannungslose Sprechweise kann man umgekehrt vermitteln, dass man gelangweilt ist. Schließlich kann die Prosodie auch strategisch eingesetzt werden, um das Rederecht zu verteidigen oder zu ergattern, indem man lauter oder schneller wird, übergangsrelevante Stellen übergeht (rushthrough) oder die andern schlicht und ergreifend überschreit. Paraverbales Zum Einsatz der Stimme gehören außer der Prosodie paraverbale Phänomene wie Lachen, Schreien, Stöhnen, Seufzen, Hüsteln, Räuspern oder Weinen. Wo diese primär ein Ausdruck der emotionalen Befindlichkeit des Sprechenden sind, sind sie aus gesprächsrhetorischer bzw. diskursiver Sicht nicht von Interesse. Von Interesse sind paraverbale Phänomene dort, wo sie mit kommunikativer Absicht eingesetzt werden, zum Beispiel um Zustimmung oder Missfallen auszudrücken, um einer Aussage oder Antwort auszuweichen oder um beim anderen Schuldgefühle auszulösen. Besonders zu beachten ist das lachende und lächelnde Sprechen, welches das Gesagte auf vielerlei Weise kontextualisieren kann: als Ausdruck einer freundlichen Einstellung, als Schutz des fremden Face, als Aggression (Auslachen), als Bekenntnis zur Normdurchbrechung, als Distanzierung, als Ausdruck von Überraschung u.a.m. (Schwitalla 2001). Körperhaltung und Blickverhalten Die Analyse der Körperhaltung und des Blickverhaltens ist immer dann von basaler Notwendigkeit, wenn man bestimmen will, an wen sich jemand mit seinen Worten richtet. Körperposition und Blick werden aber auch zur Regelung des Sprecherwechsels eingesetzt. So kann sich jemand nach vorne beugen, um das Rederecht zu beanspruchen, oder den Blickkontakt vermeiden, um das Rederecht nicht zu verlieren. Die Interpretation ist allerdings nicht immer einfach, weder für die Interagierenden selber 106 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse noch für die Beobachtenden, denn man kann sich auch nach vorne beugen, um sich zurechtzusetzen, und den Blick abwenden, während man ein Wort sucht. Noch schwieriger zu interpretieren ist, ob jemand mit seiner Körperhaltung und seinem Blick eine Meinung ausdrücken will. Man kann aus verschiedenen Gründen an die Decke blicken, mit einem „Himmelfahrtsblick“ aber auch gezielt sein Missfallen ausdrücken. In der legendären Club2 Sendung „1968 - Jahr des Aufstandes“ vom 13.6.1978 auf ORF 2 21 bleibt bei der Vorstellung der Teilnehmer ungewiss, ob Rudi Dutschke mit seiner Hand sein Gesicht vor den Blicken der Gesprächspartner und der Kamera schützt - eine Form der Gesprächsverweigerung - oder nur vor dem Licht der Studiolampe. Mit Körperbewegungen und Blicken können aber auch eindeutige, kulturell festgelegte Sprechakte ausgeführt werden, zum Beispiel eine Verbeugung, ein Handkuss oder eine Umarmung zur Begrüßung oder das „Mustern von Kopf bis Fuß“ einer Bewerberin für eine Verkäuferinnenstelle. Diese körperlichen Sprechakte sind häufig an eine bestimmte Rolle gebunden und dienen dazu, Geschlechterdifferenzen (in den Mantel helfen) und Rangunterschiede (den Vortritt lassen) zu bestätigen. Aus diskursanalytischer Sicht besonders interessant sind schließlich kultur- und situationsspezifische „Arrangements“ von Körpern: Wo immer Menschen eine bestimmte Körperhaltung aufgezwungen wird - sich zu setzen oder stehen zu bleiben, niederzuknien, sich auf den Boden zu legen, in Reih und Glied zu marschieren usw. - wird ganz unmittelbar Macht ausgeübt. Die Disziplinierung des Körpers durch institutionelle Vorgaben (Stillsitzen in der Schule) sowie durch das Design von Möbeln (Kücheneinrichtungen) und Maschinen (Cockpit) ist eines der wirksamsten Dispositive der Macht. Bei einer diskursanalytischen Studie sollte man daher vor lauter Gewohnheit nicht übersehen, welche Haltungen und Bewegungen den Interagierenden aufgezwungen werden und was diese sozial ausdrücken. Mimik und Gestik Die Mimik kann Ausdruck der emotionalen Befindlichkeit sein, zum Beispiel von Selbstsicherheit, sie kann aber auch zur Vermittlung nonverbaler Botschaften dienen wie flirten, Missfallen oder Zustimmung kund tun oder das Gegenüber ermuntern, in seiner Rede fortzufahren. Die menschliche Gestik lässt sich unter funktionaler Perspektive in fünf Klassen einteilen (Ekman/ Friesen 1969, zit. in Hübler 2001: 22ff):  Embleme: Gesten, die eine eindeutige Bedeutung haben und sich in Worte übersetzen lassen wie das Victory-Zeichen, der erhobene Daumen oder jemandem den Vogel zeigen. Embleme sind arbiträr, kulturspezifisch und müssen wie Wörter gelernt werden.  Illustratoren: Gesten, die das Gesprochene begleiten und illustrieren wie das Zeigen von Größe oder Umriss eines Gegenstandes, Schlagzeichen zum Unterstreichen des Satzakzentes, Zeigen auf Gegenstände.  Regulatoren: Gesten, die den Sprecherwechsel mitgestalten, indem sie anzeigen, dass man weiterfahren, das Rederecht bekommen oder abgeben möchte. Übergabegesten etwa zeigen die Intention, etwas mitzuteilen, Kopfnicken ist ein Rückmeldesignal. Regulatoren werden weitgehend unbewusst eingesetzt. 21 Abrufbar unter: http: / / www.youtube.com/ watch? v=8v3bcJLaG6I 107 6.1 Stimme und Körper  Emotionsausdrücke: Gesten und insbesondere Gesichtsausdrücke, die bewusst oder unbewusst Gefühle anzeigen, darunter die elementaren Emotionen Überraschung, Freude, Ärger, Ekel und Interesse.  Adaptoren: Gesten, die körperliche Bedürfnisse befriedigen oder Spannungen abbauen wie sich am Kopf kratzen oder am Bleistift kauen. Sie werden größtenteils unbewusst ausgeführt. Aus diskursanalytischer Sicht sind wiederum vor allem jene Gesten und Gesichtsausdrücke von Bedeutung, die intentional, das heißt mit kommunikativer Absicht, eingesetzt werden, also Embleme, Illustratoren sowie teilweise Emotionsausdrücke. Eine interessante, aber heikle Frage ist, ob man Mimik und Gestik auch als Indizien unbewusster Mitteilungen deuten darf, zum Beispiel Adaptoren als Anzeichen, dass jemand unsicher ist oder gar lügt. Die Autorin erinnert sich an einen Diskutanten am Fernsehen, der seine Aussage: „Ich bin ganz einverstanden mit Ihnen“ gestisch dadurch begleitete, dass er beide Hände mit den Handflächen nach vorne in Richtung des Gesprächspartners schob - eine Geste der Rückweisung, die seine Worte offensichtlich Lügen strafte. Aus diskursiver Sicht interessant sind sogenannte performative Gesten (Frick 2012), das sind Gesten, mit denen deklarative Sprechakte ausgeführt werden. Dazu gehören der Handschlag, mit dem eine Vereinbarung besiegelt wird (was heute noch rechtskräftig ist), das Erteilen des Segens durch das Kreuzzeichen, die zum Schwur erhobene Hand. Diese Jahrhunderte alten Gesten haben bis heute nichts von ihrer Symbolkraft eingebüßt und werden in der Politik und von der Kirche gezielt medial inszeniert. Eine eigene Kategorie von Gesten sind schließlich solche, bei denen andere Leute berührt werden, indem man ihnen auf die Schultern klopft, sie an Rücken oder Schulter in eine Richtung schiebt, sich bei ihnen unterhakt oder ihnen manuell Gewalt antut. Körperkontakt ist in unserem Kulturkreis in jedem Fall ein Übergriff in die Intimsphäre des Berührten, selbst bei positiven Zeichen wie dem Schulterklopfen. Damit übt die ausführende Person physische Macht über die andere Person aus. Kleidung und Requisiten Die Kleidung dient den Menschen nicht nur dazu, ihre Blöße zu bedecken, sondern auch, ihren gesellschaftlichen Rang, ihren Beruf und sogar ihre Einstellung zu kommunizieren. Man denke an teure Kleidung, Luxusuhren und Goldschmuck, an die Uniform der Polizistin, den Talar des Priesters oder den weißen Kittel der Ärztin, an handgestrickte Pullover und Birkenstocksandalen oder gar T-Shirts mit aufgedruckten Anti- AKW-Symbolen. Bei einer Analyse von Videodaten kann daher immer gefragt werden, welchen Eindruck die Leute von sich durch ihre Kleidung bewusst oder unbewusst erzeugen. Auch Requisiten können ein Ausdruck von Status und Macht sein und die Kommunikation mitstrukturieren, besonders deutlich beim Hammer des Auktionisten, dem Regenschirm der Fremdenführerin oder dem Mikrophon des Platzreporters, weniger offensichtlich bei der Patientenakte der Ärztin oder den Moderationskarten des Quizmasters. Schließlich muss man bei der Gesprächsanalyse die räumliche Umgebung bzw. das szenische Arrangement im Auge behalten. Die wenigsten Interaktionen finden zufällig an einer Straßenecke statt, vielmehr in eigens dafür eingerichteten Räumen, die den Anwesenden unterschiedliche Plätze und damit verbunden unterschiedliche Rollen und 108 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Interaktionsmöglichkeiten zuweisen. Im Klassenzimmer wird die Macht des Lehrers, der viel Platz zur Verfügung hat, herumgehen und die Wandtafel benützen darf, gegenüber den in Reih und Glied sitzenden Schülern offensichtlich. In vielen Gesprächsrunden am Fernsehen sitzt die Moderatorin an zentraler Stelle gegenüber der Kamera, die Gäste sind rechts und links aufgereiht, womit ihnen oft auch schon eine politische Position zugeteilt wird. Die Größe des Büros gibt Auskunft über die Ranghöhe seines Inhabers im Unternehmen, ob die Wände mit Originalgemälden dekoriert oder mit Bücherregalen zugepflastert sind, lässt Rückschlüsse darauf zu, ob die Person eher als reich und kultiviert oder als belesener Wissenschaftler wahrgenommen werden möchte. Fazit: Die Analyse von Stimme und Körper dient einerseits dazu zu verstehen, wie das verbal Gesagte gemeint ist und wie die Interagierenden den Sprecherwechsel organisieren. Andererseits geben Stimme und Köper Auskunft über die Einstellung der Sprechenden und über das soziale Machtgefüge. Aufgaben Aufgabe 11: Zeichnen Sie eine beliebige Nachrichtensendung auf, zum Beispiel die Tagesschau auf ARD oder SRF oder die Zeit im Bild am ORF. Analysieren Sie das szenische Arrangement, Kleidung, Requisiten und Körperhaltung der Sprechenden. Beobachten Sie Gestik und Mimik beim Sprechen und achten Sie auf die Stimme. Welche Funktion hat diese Form der körperlichen und stimmlichen Inszenierung der Nachrichtensendung? Welche Wirkung soll erzielt werden? 6.2 Prozessualität und Interaktivität Gespräche sind keine schriftlichen Texte, in denen eine Autorin oder mehrere Autoren ihre Sicht auf die Welt bzw. ihre Meinung „pfannenfertig“ servieren. Gespräche sind vielmehr Prozesse mit einer klaren zeitlichen Komponente, in denen Ansichten und Meinungen erst sukzessive entwickelt werden. An diesem Prozess sind mindestens zwei Personen beteiligt, die sich in der Sprecher- und Hörerrolle abwechseln, sodass die Bedeutung des Gesagten nicht in der Hand eines Einzelnen liegt, sondern interaktiv ausgehandelt wird. Prozessualität und Interaktivität sind zwei konstitutive Merkmale von Gesprächen. Damit verbunden sind die Merkmale der Emergenz, der Dynamik, der Ko-Konstruktion und der Diskursivität, auf die wir kurz eingehen. Emergenz bedeutet, dass die Rollen und Positionen der Beteiligten, die Gesprächsthemen, die Gesprächsstrukturen, die Bedeutung von Begriffen sowie die geäußerten Meinungen nicht von allem Anfang an gegeben sind, sondern erst im Verlaufe der Interaktion entwickelt bzw. sichtbar werden. Bei gewissen Gesprächsanlässen mögen die Rollen und Positionen im Voraus festgelegt sein (zum Beispiel bei Politdiskussionen am Fernsehen), meistens aber wird erst im Verlaufe des Gesprächs sichtbar, wer welche Rolle übernimmt (Meinungsführer, Expertin, Mitläufer etc.), welche Themen den Interagierenden wichtig sind und entsprechend ausführlich behandelt werden, welche Wörter sich als Schlüsselwörter etablieren, welche Definitionen sich durchsetzen, welche Meinungen und Mehrheiten sich herauskristallisieren usw. Dynamik bedeutet, dass Gespräche ein Eigenleben haben, das sich der Kontrolle des Einzelnen mitunter entzieht. Angeheizt durch das Verhalten einzelner oder aller Beteiligten können Diskussionen vollkommen aus dem Ruder laufen, sodass sie in Streit 109 6.2 Prozessualität und Interaktivität oder gar Handgreiflichkeiten ausarten und abgebrochen werden müssen. Ein Beteiligter kann gänzlich „außer sich geraten“, sodass er sich zu Aussagen hinreißen lässt, die er in der Ruhe und erst recht schriftlich niemals von sich geben würde (Spranz-Fogasy 1997). Die Dynamik ist eine durchaus problematische Eigenschaft von Gesprächen, wenn man bedenkt, dass von ihr abhängt, welche Beschlüsse am Schluss von unternehmensinternen Besprechungen oder von internationalen Friedensverhandlungen gefällt werden. Ko-Konstruktion bedeutet, dass Bedeutungen grundsätzlich von allen Beteiligten gemeinsam ausgehandelt werden. Ob eine Aussage wie „Du bist aber schnell“ eine pure Feststellung war, ein Kompliment, ein Vorwurf oder ein Ausdruck von Neid, darüber entscheidet weder der Sprecher noch der Hörer allein, sondern muss in Form von Reaktion und Gegenreaktion angezeigt und ausgehandelt werden. Dasselbe gilt für die Definition von Begriffen (Was verstehst du unter Kundenorientierung? ), für die Beurteilung von Sachverhalten (Was bedeutet der Umsatzrückgang für unsere Abteilung? ), für die Umsetzung von Beschlüssen (Welche Kunden soll ich anschreiben? ). Selbst bei großem sozialem Gefälle hat die mächtigste anwesende Person nie die alleinige Deutungshoheit, sondern ist auf die Ko-Konstruktionsleistungen der Gesprächspartner angewiesen, damit überhaupt Bedeutung entsteht - und sei es nur ein abwägendes Kopfnicken. Diskursivität schließlich bedeutet, dass Gespräche im Normalfall durch unterschiedliche Meinungen geprägt sind. Von einigen Formen der phatischen Kommunikation wie dem konventionellen Austausch von Höflichkeiten am Gartenzaun oder beim Aperitif einmal abgesehen, bei welchen sich die Gesprächspartner in erster Linie gegenseitig ihre Anwesenheit bestätigen, haben Interagierende das fundamentale Bedürfnis, ihre persönliche Identität dadurch zu wahren, dass sie nicht nur die Meinungen der anderen bestätigen, sondern ihre eigene Meinung kund tun. Das fängt bei der Reformulierung des bereits Gesagten in eigenen Worten an und endet bei der totalen Konfrontation. Die Prozessualität und Interaktivität von Gesprächen haben für die Analyse folgende Konsequenzen: 1. Gespräche sind strikt sequenziell zu analysieren, das Transkript darf nicht wie ein schriftlicher Text als Ganzes interpretiert werden. 2. Die einzelnen Äußerungen dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden, sondern müssen immer als Folgeäußerung der vorangegangenen Äußerung(en) gesehen werden. Was bedeuten Prozessualität und Interaktivität nun in einem gesprächsrhetorischen bzw. diskursanalytischen Kontext? Sie bedeuten, dass Interagierende versuchen, diese beiden fundamentalen Eigenschaften von Gesprächen zu ihren Gunsten auszunützen, um ihre Sicht auf die Welt, ihre Meinungen und ihre Absichten durchzusetzen. In Bezug auf die Prozessualität bedeutet dies, dass sie versuchen, den Verlauf des Gesprächs zu beeinflussen, das heißt das Gespräch in Bezug auf dessen Organisation, Handlungskonstitution und Inhalt zu steuern (Tiittula 2000). In Bezug auf die Interaktivität bedeutet es, dass sie versuchen, die Meinungsbildung in ihrem Sinne zu beeinflussen und andere Ansichten abzuwehren. Im Folgenden werden einige sprachliche Mittel vorgestellt, mit denen dies möglich ist. 110 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Steuerung der Gesprächsorganisation Wenn Interagierende strategisch in die Gesprächsorganisation eingreifen, dann mit dem Ziel, sich einen möglichst großen Teil der Redezeit zu sichern, besonders wichtige Gesprächsteile wie das Schlusswort zu ergattern oder mindestens wahrgenommen und gehört zu werden. Das fängt bei internationalen Verhandlungen schon im Vorfeld mit dem Kampf um die Sitzordnung an, bei Parlamentsdebatten mit dem Erstellen der Rednerliste. Während des Gesprächs können folgende sprachlichen Mittel eingesetzt werden: Rederecht gewinnen: Man bemüht sich, das Rederecht zu gewinnen, indem man körperliche und stimmliche Signale aussendet wie Hand aufstrecken, sich auf die Stuhlkante setzen, Gestikulieren, Blickkontakt intensivieren, Rückmeldeverhalten intensivieren, sich Räuspern. Man setzt unmittelbar am Ende des Gesprächsbeitrags des Vorredners mit dem eigenen Beitrag ein oder sogar etwas früher, sodass es zu einer Überlappung kommt. Bei Parallelstarts spricht man so lange weiter, bis die andere Person aufgibt. Schließlich kann man das Rederecht metakommunikativ einfordern: „Darf ich auch mal was sagen“. Unterbrechen: Eine besonders aggressive Form, das Rederecht zu ergattern, besteht in der Unterbrechung. Sie kann gleichzeitig dazu eingesetzt werden, die andere Person daran zu hindern, ihren Gedankengang zu Ende zu bringen und damit ihre Sicht der Dinge zu etablieren. Reagiert die unterbrochene Person ihrerseits mit Unterbrechen, kann es zu einem eigentlichen Kampf ums Rederecht kommen. Rederecht behalten: Um das Rederecht nicht zu verlieren, kann man auf der verbalen Ebene die eigene Rede so strukturieren, dass für die Partnerinnen zu erkennen ist, dass man noch (lange) nicht fertig ist, zum Beispiel durch Aufzählungen („Ich gehe auf drei Punkte ein …“). Bei Unterbrechungsversuchen kann man das zuletzt Gesagte wiederholen oder sich metakommunikativ gegen die Unterbrechung zur Wehr setzen („Lassen Sie mich ausreden“). Auf der stimmlichen Ebene kann man das Tempo erhöhen oder lauter werden. Besondern wirksam ist der Rush-through, also das prosodische Übergehen eines übergaberelevanten Punktes. Auf der körperlichen Ebene schließlich kann man sich gegen eine Übernahme des Rederechts abschotten, indem man Blickkontakt vermeidet. Drohende Unterbrechungen kann man abwehren durch intensiveren Blickkontakt oder Gestikulieren. Rederecht verteilen: Ein wirksames Mittel der Gesprächssteuerung ist es schließlich, durch Fremdwahl zu bestimmen, wer überhaupt reden darf. Das können Moderatorinnen, Sitzungsleitende oder Lehrpersonen von ihrer Rolle her immer. Sie können einer Person auch das Wort abschneiden und sie am Weiterreden hindern. Aber auch andere Gesprächsteilnehmende können versuchen, die nächste Rednerin mitzubestimmen, indem sie zum Beispiel eine Frage direkt an sie richten oder bei ihr durch eine Tag-question („oder nicht? “) Zustimmung zu erheischen versuchen. Schweigen: Zu guter Letzt kann auch das Schweigen eine Form der Gesprächssteuerung sein, mindestens in der Hand von einflussreichen Personen wie Vorgesetzten oder Lehrpersonen. Man lässt die Gesprächspartner gezielt im Ungewissen über die eigene Meinung, lässt eine Diskussion sich im Kreis drehen oder ins Leere laufen, um dann an einem toten Punkt der Diskussion „die“ Lösung vorzutragen (welche natürlich den eigenen Vorstellungen entspricht) oder ein Machtwort zu sprechen. Bei der Analyse eines Gesprächs ist demnach nicht nur zu prüfen, wer wie viel spricht - was durchaus quantitativ geschehen kann -, sondern auch, wer mit welchen 111 6.2 Prozessualität und Interaktivität Mitteln die Kontrolle über die Vergabe des Rederechts ausübt. Denn davon hängt ab, wer überhaupt die Chance bekommt, im Diskurs gehört zu werden. Steuerung der Handlungskonstitution Interagierende greifen absichtlich in die Handlungskonstitution ein mit dem Ziel, jene Handlungsmuster zu etablieren, die ihren kommunikativen Zielen dienlich sind, und diese den Gesprächspartnern aufzuzwingen. Gleichzeitig sollen die Gesprächspartner in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Lokale Handlungskonstitution: Interagierende können mit gezielten Sprechhandlungen für die Gesprächspartnerinnen konditionelle Relevanzen eröffnen, die diesen korrespondierende Folgehandlungen aufzwingen. Eine Frage verlangt eine Antwort, ein Vorschlag eine Stellungnahme, ein Vorwurf eine angemessene Reaktion wie Entschuldigung oder Verteidigung. Das ausbleibende Einsteigen auf ein Handlungsmuster ist nicht-präferiert und daher erklärungsbedürftig. Das Eröffnen eines Handlungsmusters ist ein starkes Mittel der Gesprächssteuerung in der Hand einer strategisch agierenden Person, da es die Gesprächspartnerinnen mindestens lokal in ihren Handlungsmöglichkeiten massiv einschränkt. Globale Handlungskonstitution: Der Verlauf der Interaktion kann auch für eine längere Gesprächsphase oder gar das ganze Gespräch gesteuert werden, und zwar durch das Etablieren eines komplexen Handlungsschemas wie ein Verkaufsgespräch, eine Beratung, ein Mitarbeitergespräch oder eine TV-Diskussion. Komplexe Handlungsschemata werden häufig von der mächtigsten anwesenden Person initiiert, von der TV- Moderatorin oder dem Chef, im Falle einer Beratung oder eines Verkaufsgesprächs aber auch von der Klientin bzw. Kundin. Steigen die Interaktionspartner auf das initiierte Handlungsschema ein, akzeptieren sie damit auch eine für die gesamte Interaktion geltende Gesprächsrolle mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Bei der Gesprächsanalyse ist demnach zu prüfen, wer welche lokalen Handlungsmuster und globalen Handlungsschemata initiiert und ob die Gesprächspartnerinnen darauf eingehen oder nicht. Diese Analyse gibt Auskunft darüber, wer die Ziele der Interaktion bestimmen kann. Steuerung des Themenverlaufs Interagierende greifen strategisch in die Themensteuerung ein um zu erreichen, dass über jene Themen gesprochen wird, die ihnen wichtig sind, wo sie sich profilieren können und mit denen sie ihre Ziele am besten erreichen können. Gleichzeitig versuchen sie zu verhindern, dass über jene Themen gesprochen wird, zu denen sie sich nicht äußern möchten, wo sie sich nicht auskennen oder die den gegnerischen Zielen mehr nützen. Auch dies kann bereits im Vorfeld von Gesprächen beginnen, indem man vor einer Vereinsversammlung einen Antrag einreicht oder vor einer Besprechung versucht, Einfluss auf die Inhalte der Tagesordnung zu nehmen. Während des Gesprächs können verschiedene sprachliche Mittel zur Themensteuerung eingesetzt werden, die hier kurz vorgestellt werden. Thema anschneiden: Die einfachste, für die Gesprächspartnerinnen am besten erkennbare Form der Themensteuerung ist es, ein neues Thema explizit anzukünden. Dies tun Vorsitzende, indem sie erklären, dass man zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeht, Interviewende und Moderatorinnen, indem sie eine passende Ein- oder Überleitung formulieren oder eine entsprechende Frage stellen. Die übrigen Teilnehmenden können Formulierungen wie „Wovon wir noch nicht gesprochen haben“ verwenden. In 112 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse unmoderierten Gesprächen finden sich ebenfalls typische Themenankündigungen wie „Habt ihr gehört“, „À propos“ oder „Etwas ganz anderes“. Bei solch expliziten Themenankündigungen ist es für die Gesprächspartnerinnen kaum möglich, sich dem Thema ganz zu entziehen. Dasselbe gilt für Fragen, mit denen man ebenfalls ein Thema anschneiden und den Interagierenden aufzwingen kann. Thema verschieben: Eine weniger auffällige Form der Themensteuerung ist das Verschieben des Themas. Das kann unbewusst geschehen, wenn sich ein Gespräch ungeplant in eine Richtung entwickelt. Man kann eine Themenverschiebung aber auch gezielt vornehmen, indem man zum Beispiel einen Aspekt des Themas fokussiert, die gestellte Frage selber umformuliert oder mit einer Überleitung wie „Was mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheint“ dem Gespräch eine deutlich andere Richtung verleiht. Thema erneuern: Hat sich eine Gesprächsrunde vom gewünschten Thema entfernt, kann man versuchen, dieses wieder in der Runde zu etablieren. Auch dafür existieren Routineformeln wie „Was ich noch sagen wollte“, „Um auf das Thema Videoüberwachung zurückzukommen“ oder „Wir haben den Punkt der Datensicherheit noch nicht besprochen“. Personen mit Gesprächsleitungsfunktion können drastischere Mittel ergreifen. Sie können die Teilnehmenden mahnen, sie sollten beim Thema bleiben bzw. nicht abschweifen, sie können sogar den Vorwurf äußern, ihre Frage sei noch nicht beantwortet worden, was man in Interviews mit Politikern häufig hört. Ausweichen: Wenn die Interaktionspartner ein Thema anschneiden, das einem nicht genehm ist, kann man versuchen, demselben auszuweichen. Eine beliebte Strategie von Politikern ist es zum Beispiel, auf die Frage einer Journalistin nicht direkt zu antworten, sondern dies und jenes „vorauszuschicken“, und zwar so lange, bis die Ausgangsfrage aus dem Blick geraten ist - was erfahrenen Journalistinnen allerdings selten passiert. Andere Formen des Ausweichens bestehen in der Themenverschiebung (vgl. oben) oder darin, nur ganz vage Aussagen zu machen, Gemeinplätze zu äußern wie „Das ist ein weites Feld“ oder sich für nicht zuständig zu erklären: „Da müssen Sie jemand andern fragen“. Ignorieren: Eine aggressive Form der Themensteuerung ist es, Partnerinitiativen schlicht und einfach zu ignorieren und über etwas anderes zu reden. Abblocken: Wem ein Thema definitiv zu heikel ist, kann zum ultimativen Mittel greifen und das Thema metakommunikativ abblocken: „Dazu äußere ich mich nicht“, „Persönliche Fragen beantworte ich nicht.“ Das hat interaktiv meistens mehr Aussicht auf Erfolg als das Ausweichen, kann aber auch als Anlass für Spekulationen, Unterstellungen und den Vorwurf der Gesprächsverweigerung genommen werden. Thema definieren: Es sind beileibe nicht nur die Gesprächsleitenden, die definieren, was das Thema ist: „Das Thema, das heute zur Diskussion steht …“. Auch die übrigen Gesprächsteilnehmenden definieren ab und zu, was Thema ist bzw. was nicht Thema ist. Äußerungen wie „Das steht doch gar nicht zur Diskussion“, „Die Frage ist doch die, ob …“, „Darum geht es nicht“ usw. sind in ihrer Hand besonders kämpferische Formen der Themensteuerung. Mit diesem Machtmittel versuchen die Interagierenden nicht nur, den Gesprächsverlauf in ihrem Sinne zu steuern, sondern sie werten gleichzeitig die Partner ab, als würden diese nicht einmal begreifen, worum es geht. Bei der Gesprächsanalyse ist demnach nicht nur zu prüfen, über welche Themen gesprochen wird (vgl. Themenstrukturanalyse im Abschnitt 5.3), sondern auch, wie diese Themen interaktiv etabliert wurden und wer wie großen Einfluss auf die Themenprogression zu nehmen verstand. Diese Analyse gibt Auskunft über das soziale Gefüge in der Diskussionsrunde und die Macht der einzelnen Stimmen im Diskurs. 113 6.2 Prozessualität und Interaktivität Kooperative Bedeutungskonstitution Wenn Interagierende zusammen ein bestimmtes Bild der Wirklichkeit konstruieren, sich eine Meinung bilden oder gemeinsame Handlungspläne entwerfen, so können sie sich dabei gegenseitig unterstützen (zur Kooperation Mönnich/ Jaskolski 1999). Ziel ist es, zu einer hinreichenden Übereinstimmung der Interpretation der jetzigen Situation und der künftigen Handlungen zu kommen. Folgende kooperativen Gesprächszüge sind unter anderen aus der Gesprächsforschung bekannt: Ratifikation: Mit regelmäßigen Rückmeldungen kann die eine Gesprächspartnerin der anderen signalisieren, dass sie zuhört, und sie ermuntern fortzufahren. Je nach Art der Ausführung lassen Rückmeldungen auch erkennen, dass man mit dem Gesagten einverstanden ist (jaja, genau). Mit solchen Zustimmungen werden die Ausführungen der Partnerin bestätigt und damit interaktiv als gemeinsam etabliert. Über die bloße Ratifikation hinaus kann die Hörerin die Ausführungen der Sprecherin auch explizit positiv bewerten: „Das ist ein guter Vorschlag“. Schließlich kann die Sprecherin eine Ratifikation auch erzwingen, indem sie fragt, ob alle einverstanden sind. Ko-Konstruktion: Häufig etablieren Interagierende ihre Sicht auf die Dinge gemeinsam, indem sie  angefangene Äußerungen der anderen Person beenden,  Geschichten abwechselnd erzählen,  inhaltliche Ergänzungen anbringen,  ein passendes eigenes Erlebnis hinzufügen. Auch hier können Interagierende eine gemeinsame Sicht mittels Vereinnahmungsstrategien zu erzwingen versuchen, indem sie in der Wir-Form sprechen oder mit rhetorischen Fragen (War es nicht so? ) Zustimmung erheischen. Heckenausdrücke (Hedging): Um sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, benützen Interagierende häufig Heckenausdrücke wie Modalverben (es könnte sein), Modalpartikeln (vielleicht, irgendwie) oder gefüllte Pausen (äh). Sie halten sich damit die Option offen, die eigene Aussage zu revidieren, wenn sie merken, dass die anderen nicht einverstanden sind. So können sie einer Konfrontation aus dem Weg gehen und das Gesicht aller Parteien wahren. Reparatur: Eine gemeinsame Sicht auf die Dinge wird schließlich auch durch Reparatursequenzen erzeugt, wobei die Selbstreparatur gegenüber der Fremdreparatur präferiert ist. Mit Reparaturen stellen die Interagierenden sicher, dass die aus ihrer Sicht richtige Version von Welt konstruiert wird. Kooperative Bedeutungskonstitution wirkt sich positiv auf die Beziehung der Interagierenden aus bzw. gilt als Ausdruck einer unbelasteten Beziehung zwischen den Gesprächspartnern und ist daher gegenüber der konkurrierenden Bedeutungskonstitution präferiert. Je nach Gesprächskonstellation kann die Präferenz für Zustimmung und Einigkeit aber auch als (Gruppen-)Druck, Vereinnahmung oder Manipulation erlebt werden, etwa wenn der Gruppenführer der Pfadfinder fragt, ob alle mitmachen wollen, die Schwiegermutter die Theateraufführung vom Vortag lobt oder die Chefin mit Verve das neue Marketingkonzept vorstellt - nicht einverstanden zu sein wird in solchen Momenten schwierig. Aus diskursanalytischer Sicht ist es interessant zu beobachten, wie Interagierende gemeinsam eine bestimmte Sicht auf die Dinge konstruieren und sich dadurch gegenseitig in ihrem Weltbild bestätigen. 114 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Konkurrierende Bedeutungskonstitution Gespräche sind wie erwähnt meistens durch Diskursivität geprägt, was heißt, dass abweichende Perspektiven, konkurrierende Interessen und Ziele, divergierende Erfahrungen und Einschätzungen durchaus der Normalfall sind. Daher kommt es häufig zu konkurrierender Bedeutungskonstitution. Das Ziel der Interagierenden besteht in diesen Situationen darin, das von der Gegenseite konstruierte Bild der Wirklichkeit zu diskreditieren und einen eigenen Entwurf dagegen zu stellen. Das kann durchaus gütlich geschehen, etwa wenn eine Lehrerin ihren Schüler über einen Irrtum aufklärt. Häufig jedoch haben konkurrierende Bedeutungskonstitutionen den Charakter von Angriff und Verteidigung oder werden mindestens als solche erlebt. Nicht zuletzt können sie verbunden werden mit Angriffen auf die Person des Sprechenden (vgl. Abschnitt 6.4). Hier einige sprachliche Mittel, mit denen konkurrierende Bedeutungskonstitutionen vollzogen werden: Insistieren: Zur Verteidigung der eigenen Ansicht wird diese mehrfach wiederholt, evtl. in anderen Worten oder gestützt durch neue Argumente: „Es war wirklich so.“ Widersprechen: Man erklärt, dass man anderer Meinung ist bzw. dass die Dinge sich anders verhalten, als von der Gegenseite dargelegt wurde: „Das sehe ich anders“. Ab- und Aufwerten: Die Aussagen des Gegenübers werden als im weitesten Sinne schlecht bewertet, als unvollständig, unausgegoren, naiv, übertrieben, unwissenschaftlich, unbewiesen etc.: „Das ist nur die halbe Wahrheit“, „Das ist ja lächerlich“. Im Gegenzug kann man die eigenen Aussagen aufwerten, indem man sich auf besseres Wissen, mehr Erfahrung oder die höhere Position beruft: „Unser Modell hat bedeutende Vorteile“, „Wir in der Geschäftsleitung“, „Meine langjährige Erfahrung zeigt“. Korrigieren: Die Aussage des Gegenübers wird als gänzlich falsch bezeichnet und dadurch korrigiert, dass man andere Fakten vorlegt oder aus den gegebenen Fakten andere Schlüsse zieht: „Das ist falsch, es wurden nur 5.000 Euro überwiesen“, „Die neusten Studien zeigen ein anderes Bild“. Abstreiten: Man bestreitet, eine bestimmte Aussage getroffen oder eine Handlung ausgeführt zu haben, oder legt mindestens dar, dass jene Aussage nicht so gemeint war: „Ich habe ihn nicht als Idiot bezeichnet“, „Das war doch nur eine Feststellung, keine Beleidigung“. Konkurrierende Bedeutungskonstitutionen sind aus diskursanalytischer Sicht besonders spannend zu beobachten, weil man für einmal nicht nur eine einzige Weltsicht vorgesetzt bekommt, sondern verschiedene Perspektiven und Interpretationen. Es ist aufschlussreich zu verfolgen, ob und wie sich eine Sicht schließlich durchsetzt und wie die Vertreter der konkurrierenden Ansichten zu Verlierern gestempelt, mundtot gemacht oder ins Boot zurückgeholt werden. Am Fernsehen können Diskussionen in einer Pattsituation enden - das ist meistens sogar vorgesehen, damit die mediale Auseinandersetzung eine Fortsetzung findet -, in einem Unternehmen hingegen müssen Vorgesetzte versuchen, die in einer Diskussion überstimmten Mitarbeitenden zum Mitwirken an den gegen ihren Willen beschlossenen Aktivitäten zu motivieren. Fazit: Die Analyse der Gesprächssteuerung auf den Ebenen der Organisation, der Handlungskonstitution und des Themenverlaufs sowie der kooperativen und konkurrierenden Bedeutungskonstitution dient dazu herauszufinden, welche Interaktionspartner welchen Einfluss auf das Gespräch gewinnen und damit ihre Sicht auf die Welt diskursiv durchsetzen konnten. 115 6.2 Prozessualität und Interaktivität Beispielanalyse Für die Beispielanalyse im Kapitel Gesprächsanalyse werden zwei Ausschnitte aus einer Radiosendung am ORF verwendet. Transkriptionszeichen akZENT betonte Silbe i: st gedehnte Silbe (.) Mikropause (0.8) Pause von 0.8 Sekunden .hh Einatmen unterstrichen gleichzeitiges Sprechen , ? leicht, stark steigende Intonation ; . leicht, stark fallende Intonation schwebende Intonation <<dim> > Kommentar mit Reichweite Das Gespräch 22 Sendung: „Von Tag zu Tag“ am österreichischen Radio Ö1 vom 11. Mai 2011. Thema: Eingewandert aus der Schweiz: Österreich aus Schweizer Sicht. Beteiligte: JK Johann Kneihs, Moderator. NW Nives Widauer, Künstlerin, aufgewachsen in der Schweiz, lebt in Wien. BG Dr. Burkhard Gantenbein, Vorstandsvorsitzender der Helvetia Versicherung, lebt in Wien. Ausschnitt 1: Vorstellung der Gäste und erste Frage JK ich begrÜÜße sie .hh zu dieser sendung heute mit ZWEI gästen. (1.0) hier im studio ist die künstlerin nives widauer und doktor burkhard gantenbein vorstandsvorsitzender .hh der helVEzia versicherung in österreich; und .hh BEIde haben (0.5) zumindest EInes geMEINsam sie sind (.) unter VIERzig autoren autorinnen (.) eines BUchs (.) mit dem titel österreich ist SCHÖN; Oder; (0.5) EINgewandert (.) aus der SCHWEIZ; (0.5) und (.) darum (.) GEHT es heute=wie ergeht es menschen die aus WESTN nach österreich kommen=wie (.) SEHN sie ihr östliches (.) nachbarland UNser land man ist ja .hh in bezug auf die schweiz sehr schnell mit klischEES zu hand=aber .hh welche vorstellung hat man IN der schweiz von ÖSterreich; BG (2.3) ja eigentlich .hh find ich hat man gar nicht SO viel vorstellungen von österreich man kennt (.) als schweizer eigentlich (.) WIEN und SALZburg und (.) sehr viel mehr weiß man gar nicht .hh und dann je nach (.) saison weiß man ob die (.) österreicher BESsere schifahrer im moment haben oder schLECHtere und das ist eigentlich ziemlich entscheidend; (.) für die schweizer. JK (1.2) nives widauer wie war das (.) bei IHnen. NW (0.6) mja (.) ich bin aufgewachsen mit ein österreichischen vater (.) in der schweiz, (.) und er hat natürlich mir (.) österreich schon als kind .hh äh nahegebracht wir sind (.) im sommer (ofts) lange urlaube (0.5) in den PINZgau ge- 22 Das Rohtranskript wurde erstellt von Barbara Hartung von Hartungen. 116 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse fahrn nach leogang oder nach salzbuarg .hh und da gabs halt äh für mich äh wahnsinnich schöne sachen wie zum beispiel APfelstrudl (0.5) alle knö: dlsortn: : un: d das heißt für mich war die annäherung .hh eine kulinarische und auch eine familiäre, (0.4) deswegen war dann für mich das .hh übersiedeln (.) nach österreich äh nicht (.) das übersiedeln in was FREMdes=sondern in ein (.) teil (.) von dem was ich EH schon gekannt hab; Ausschnitt 2: Widauer referiert über die Unterschiede zwischen Vorarlberg und Wien NW es [Wien] ist (.) einfach eine exTREM spannende stadt mit einer WAHNsinnig interessanten geschICHte, (2.0) und für schweizer sicher auch ein riesen FREIraum; (.) weil wir hier sehr viel entdecken können. (.) unsere städte sind .h (0.6) ähm <<all>wie soll ich jetzt das ausdrücken>=unsere städte sind ANders gewachsen diese .hh mittelalterlichen stadtkerne: oft ähm das BÜRgertum das dann das sagen hatte- .h es gab ja keine monarCHIE in dem sinn- .hh diese ganzen GRÖßenordnungen gibts bei uns überhaupt in keiner einzigen stadt; JK keine imperiAlen städte in der schweiz. NW nein JK obwohl (.) zürich oder genf oder basel auch auch WELTstädte. (0.5) sind. BG (1.0) ja es sind WELTstädte=aber (0.6) wie die nives sagt ganz anders gewachsen und .h ich ich merk das jetzt je länger je mehr wenn ich: (ich) bin jetzt doch schon seit zwölf jahren am stück hier in wien und .h wenn ich nach zürich zum beispiel zurückkehre (und=s) (.) (ich) hab dort studiert und gearbeitet .h und diese diese ALTstadt an der limmat und diese ZUNFThäuser für die ZÜRcher ist es das HÖCHste was es gibt n=zunfthaus; das ist err .hh was ganz wichtiges für die zürcher geSELLschaft .hh und wenn man v von wien dortHIN kommt dann hat man=s gefühl das ist n ein PUPPenstädtchen; das is SO KLEIN, (.) und wenn man so an einen BALL einer zürcher ZUNFT geht da da sind hundertzwanzig leut und das is=n riesen evENT ich mein d da das das das findet hier im GÄRTnerhaus statt in in in schönbrunn würde sowas stattfinden; .hh und wenn man HIER n richtigen BALL erlebt hat oder diese geBÄUde hier erlebt (.) dann WEIß man was eine imperiAle err vergangenheit oder monarchISTische vergangenheit .h bedEUtet=und das ist in der schweiz GANZ GANZ anders; egal wie INternational sie ist; (.) das hat sie nie geHABT und wird sie auch nie haben weil sie einfach diesen republikanischen hintergrund hat. Die Gesprächsorganisation liegt ganz beim Moderator. Er stellt die Fragen und verteilt das Rederecht, die Gäste antworten, ohne sich gegenseitig ins Wort zu fallen oder das Rederecht zuzuspielen. Kneihs steuert das Gespräch sehr zurückhaltend; er lässt die Gäste reden, ohne sie zu unterbrechen, lässt am Ende ihrer langen Beiträge sogar längere Pausen entstehen, um sicher zu gehen, dass sie fertig sind. Auffallend ist ferner das gänzliche Fehlen von Hörersignalen bei allen drei Beteiligten. Das globale Handlungsschema „Radiotalk“ ist allen Beteiligten inkl. Publikum bekannt; daher kann sich der Moderator auf eine knappe Einleitung beschränken, im übrigen wissen die Gäste, was von ihnen erwartet wird. Lokal ist es wiederum der Moderator, der die Handlungsmuster festlegt. Er stellt Fragen, die die Gäste beantworten sollen, und gibt durch die Art der Frage zugleich das präferierte Antwortformat 117 6.2 Prozessualität und Interaktivität vor. So evoziert seine Frage „welche vorstellung hat man … von österreich“ bei BG eine Erläuterung, die Frage „wie war das bei ihnen“ an NW hingegen eine Erzählung. Auch die Themensteuerung liegt beim Moderator. Allerdings gibt er durch seine relativ offen gehaltenen Fragen den Gästen viel Spielraum, die inhaltlichen Akzente selber zu setzen und eigene thematische Fokussierungen vorzunehmen. Er unternimmt keinerlei Versuche, die Gäste auf einen thematischen Aspekt „festzunageln“ oder eine bestimmte Aussage aus ihnen „herauszukitzeln“. Die Bedeutungskonstitution erfolgt mehrheitlich kooperativ. Die Beteiligten bestätigen sich gegenseitig ihre Äußerungen mit zusammenfassender Paraphrasierung („keine imperialen städte in der schweiz“), Ratifikationen („nein“, „ja es sind weltstädte“) und expliziter Zustimmung („wie die niwes sagt“). Die Ausführungen von BG zum Thema Weltstadt führen jene von NW nahtlos fort. Der einzige Widerspruch stammt vom Moderator, wird aber in einer freundlich gemeinten Bemerkung vorgetragen („obwohl zürich oder genf oder basel auch weltstädte sind“), die BG ermuntern soll fortzufahren. Insgesamt orientieren sich alle Beteiligten am Handlungsschema Radiotalk und bemühen sich um ein kooperatives Gesprächsklima. Aufgaben Aufgabe 12: Analysieren Sie Gesprächsorganisation, Handlungskonstitution, Themensteuerung und Bedeutungskonstitution im unten wiedergegebenen Gesprächsausschnitt. Ist die Bedeutungskonstitution eher kooperativ oder konkurrierend? Gesprächsausschnitt Situation: Interne Besprechung in einem kleinen Flugunternehmen im Mai 2013. Beteiligte: R Vorsitzender V Führungskraft aus der Marketingabteilung T Führungskraft aus der Verkaufsabteilung M Leiterin des Callcenters D Assistentin der Geschäftsleitung K Führungkaft von der Reisestelle Aufnahme und Rohtranskript: Ingrid Juen. Bemerkung: Das Transkript setzt dort ein, wo das Geplänkel wegen des Aufnahmegeräts vorbei ist und der Vorsitzende die Besprechung offiziell eröffnet. Es gibt gemurmelte Kommentare und Nebengespräche, die auf der Aufnahme nicht identifizierbar sind. 13 R: gut ok wunderbar; ähm (.) da: nn wür: d ich sagen fangen wir rechtsrum an. 14 (mehrere reden durcheinander) 15 M: also ich hab eigentlich noch sachen von dem letzten mal; ich hab mir das natürlich AUFmerksam durchgelesen (-), die: (-) protokolle die commercial reading protokolle, 16 R: schön 17 M: EINmal ähm (-) stand da was von aktionen zum go live auf der neuen homepage, (.) habt ihr da irgendwas euch überLEGT, soll ICH mir was überlegen <<fragend> sollen wir was MAchen-> 118 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse 18 R: (stellt Tasse ab) also das ist ein punkt der tatsächlich auf der (.) tagesordnung steh: t ähm den wir aber da na/ natürlich nicht weiter (.) nicht weiter verfolgt haben und die frage sollen wir was machen; ja (.) ähm oder kommt uns sonst irgendetwas vernünftiges <<dim> in den sinn> 19 M: ich sag mal so wenn die: homepage wirklich funktionabel ist und alles wirklich geht , 20 R: es muss (lacht) 21 M: (--) also dann aber MIT dem golive selber eine aktion zu machen halt ich für totalen schwachsinn, (-) weil wenn DA irgendetwas schief läuft und die leute (.) wollen buchen und es funktioniert nicht 22 D: <<nachdenklich> es funktioniert nicht> 23 M: das geht GAR nicht. also WENN dann müssen wir das (.) ich sag mal vielleicht (.) wenn alles: fertig ist (.) ich sag mal eine woche später oder was machen wir ein paar tage später das würd ich vorschlagen. ich denk mal da wird thorsten mir recht geben (.) dass das nicht funktioniert beides gleichzeitig. 24 R: <<ironisch> DENken wir dass es nicht funktioniert? > 25 T: (--) nee aber- 26 M: es kann aber (-) 27 T: man kann nie wissen. 28 D: <<nachdenklich> jaja> 29 M: rudolf man kann nur ( ) kann immer irgendwas sein; 30 R: gut keine aktion. ok? 31 M: also wir KÖNnen eine aktion MAchen aber wir können ja einfach mal ne woche später jetzt MIT der neuen homepage oder was- 32 R: <<leicht genervt> ja: : > 33 M: aber jetzt MIT dem go live 34 R: also das können wir (.) das können wir ja dann in einer woche besprechen. oder- 35 (husten) 36 R: <<fragend> ok? > 37 M: =dann stand irgendwas von einer L-tourvereinbarung äh: (Geräusche) dass KURZfristig ( ) 38 R: schschsch (Geräusche verstummen) 39 M: 28€ buchbar seien, ich fand ( ), ja <<fragend> was heißt kurzfristig,> 40 R: nur bis 7 tage vor abflug. 41 T: ( ) im prinzip bis zur letzten minute (.) und nur mit hotel dazu 42 R: ja es ist ein verdeckter abverkauf ja; das ist ein verdeckter abverkauf das heißt keiner sieht den flugpreis, ja, u: nd a: hm eh: du hast e: hm e: h also du kannst nur das paket buchen, nicht flight only sozusagen, 43 M: mhm 44 R: u: nd das ist natürlich (.) e: hm das sind alles tickets die du sonst nicht kriegst. 119 6.3 Kontextbezug und Adressatenorientierung 6.3 Kontextbezug und Adressatenorientierung Bei Gesprächen hat der Kontext einen ungleich stärkeren Einfluss auf das Gesagte als bei geschriebenen Texten, die per se weitgehend dekontextualisiert sind. Je nachdem, in welcher Situation wir uns befinden, mit wem wir sprechen und wie die Interaktion bislang gelaufen ist, können sich unsere Äußerungen in ihrem Inhalt und in ihrer Form beträchtlich unterscheiden bis zum Punkt, wo wir den Eindruck haben, nicht mehr „wir selbst“ zu sein. Interagierende können ihre Äußerungen auch strategisch an die Situation anpassen, um einen bestimmten Eindruck von sich zu erzeugen, ein gewisses Ziel zu erreichen oder die Meinung der Anwesenden zu manipulieren - die Alltagskategorien „Aufrichtigkeit“ und „Lüge“ greifen in diesen Fällen kaum bzw. sind selber wieder ein Fall für eine diskursive Auseinandersetzung („Glaubst du das im Ernst? “). Im Folgenden werden die beiden Konzepte des Kontextbezugs und der Adressatenorientierung beschrieben sowie als deren Sonderfall das Thema Höflichkeit, welches unmittelbar mit gesellschaftlicher Macht verknüpft ist. Kontextbezug Unter Kontext verstehen wir die Art und Weise, wie Interagierende die objektiv beschreibbare Situation, in welcher sie interagieren, interpretieren und in ihrem Verhalten berücksichtigen. Dabei ist von einem Verhältnis gegenseitiger Konstitution auszugehen: Der Kontext beeinflusst das Verhalten der Interagierenden, durch ihr Verhalten definieren sie aber auch den Kontext. So kann ein Vorgesetzter durch die Wahl der Sitzposition, der Begrüßung und Einleitungsformeln sowie des Sprechstils ein Gespräch mit seinen Mitarbeitenden als eher formell oder informell und als mehr oder weniger wichtig kontextualisieren. Eine Journalistin kann durch die Art der Fragen und die Art der Gesprächssteuerung generell ein Interview zur Plauderei oder zum Verhör machen. Verschiedene Variablen prägen die Situation: Der Öffentlichkeitsgrad des Gesprächs, die Zahl der Teilnehmenden, Ort, Zeitpunkt und Dauer des Gesprächs, die vorgegebene Rollenverteilung, die gemeinsame Vorgeschichte der Interagierenden. Besonders Gespräche in den Medien sind gekennzeichnet durch Vorgaben, die einen eminenten Einfluss auf den Ablauf des Gesprächs haben, darunter die klare Rollenverteilung, die Themenfixierung, die Ausrichtung auf das (nicht anwesende) Publikum und der enge Zeitrahmen (Burger 2005). Bei der Analyse von Gesprächen ist daher bei der Interpretation des Gesagten sowohl zu berücksichtigen, welche objektiv beschreibbaren Situationsvariablen den Gang des Gesprächs beeinflusst haben, als auch, wie die Interagierenden selber den Kontext mitgestaltet haben. Mündliche Äußerungen dürfen noch weniger als schriftliche „aus dem Zusammenhang gerissen“ und kontextfrei interpretiert werden. 120 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Adressatenorientierung Neben der Situation ganz generell berücksichtigen Interagierende im Besonderen, mit wem sie sprechen. Dafür existieren in der Literatur zwei Fachbegriffe, Akkommodation (accommodation) und Adressatenzuschnitt (recipient-design). Das Konzept der Akkommodation betont stärker die Anpassung des eigenen Verhaltens an jenes des Gegenübers, welche teilweise unbewusst erfolgt. So passen sich viele Sprechende im Tempo, im Dialekt, im Stil und sogar inhaltlich ihrem Gegenüber an, ohne es zu realisieren. Das Konzept des Adressatenzuschnitts betont stärker die bewusste Gestaltung der eigenen Äußerungen im Hinblick auf die erwünschte Wirkung beim Gegenüber (Deppermann/ Blühdorn 2013). Wir fassen beide Konzepte unter dem Begriff der Adressatenorientierung zusammen. Interagierende orientieren sich auf allen sprachlichen Ebenen an ihrem Gegenüber. In Bezug auf die Stimme passen sie Tempo, Artikulation und Lautstärke der Ausdrucksweise des Gesprächspartners, aber auch dessen Verstehensmöglichkeiten an, zum Beispiel bei Schwerhörigkeit. Körperlich nehmen sie ähnliche Positionen ein. Die Varietät wird ebenfalls dem Ausdruck und den Verstehensmöglichkeiten des Partners angepasst, in Bezug auf Dialekt, Fachsprachlichkeit und Soziolekt. Erscheinungsformen extremer (Über-)Anpassung sind Foreigner Talk und Babysprache. Stilistisch versuchen Interagierende sich bezüglich Stillage, Formalitätsgrad und Höflichkeitsniveau anzugleichen. Aus diskursiver Sicht besonders interessant sind schließlich Anpassungen auf der inhaltlichen Ebene. Interagierende berücksichtigen ihre Partnerinnen, indem sie  ihre Meinung deren Meinung angleichen,  Erklärungen deren Kompetenz anpassen,  Argumentationen auf deren Sichtweise ausrichten,  auf Fragen Antworten geben, die sie als erwünscht einschätzen. All diese Anpassungsleistungen geschehen teilweise intuitiv und weitgehend unbewusst. Interagierende orientieren sich aber auch bewusst an ihren Adressaten, mit dem Ziel, (besser) verstanden zu werden, Rapport herzustellen, sympathisch zu wirken und zu überzeugen. Schließlich kann die Adressatenorientierung wie alle Gesprächstechniken strategisch eingesetzt werden, um sich bei anderen beliebt zu machen oder sie zu manipulieren. Letzteres propagieren viele Verkaufsratgeber explizit, wenn sie den Verkäufern empfehlen, „aus der Sicht des Kunden“ zu argumentieren. Es gibt aber auch Leute, die demonstrativ am eigenen Stil festhalten und sich nicht anpassen, um sich von den anderen Anwesenden abzugrenzen (Giles/ Coupland/ Coupland 1991). Empirische Untersuchungen zeigen, dass sich die sozial bzw. situativ Schwächeren den Mächtigeren stärker anzupassen versuchen als umgekehrt (ebd.). Bei einer diskursanalytischen Untersuchung ist daher zu prüfen, wer „seinen“ Stil zum situativ dominanten machen kann und wer welche Anpassungsleistungen erbringt. Höflichkeit Ein gesondertes Augenmerk verdient die Höflichkeit, weil sie unmittelbar mit Fragen der sozialen Ungleichheit und Macht verknüpft ist. Gemäß dem bekanntesten Höflichkeitskonzept dient Höflichkeit dazu, das Gesicht beider Dialogpartner aufrechtzuerhalten (Brown/ Levinson 1987). Unterschieden wird zwischen positivem Face, dem Be- 121 6.3 Kontextbezug und Adressatenorientierung dürfnis, anerkannt und in den eigenen Wünschen und Werten unterstützt zu werden, und negativem Face, dem Bedürfnis, respektiert und in der eigenen Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt zu werden. Das Gesicht eines oder beider Dialogpartner ist in der Interaktion gefährdet durch gesichtsbedrohende Sprechakte wie zum Beispiel Befehle, Ratschläge, Drohungen, Kritik, aber auch Versprechen, Komplimente und das Anschneiden heikler Themen. Höflichkeit dient dazu, das schädigende Potenzial dieser gesichtsbedrohenden Sprechakte zu minimieren. Dazu steht ein ganzes Arsenal sprachlicher Mittel zur Verfügung, von der konventionellen Indirektheit über Depersonalisierung, Modalisierung und Entschuldigung bis zur Ehrerbietung, um lediglich eine Auswahl zu nennen. In Abhängigkeit von drei externen Variablen, der sozialen Distanz zwischen Sprecher und Hörer (D), dem Machtgefälle (P) und dem relativen Gewicht der Gesichtsbedrohung (R) wählt ein Sprecher die passende Höflichkeitsstrategie, wobei gilt: Sind D, P und R gering, kann man direkt kommunizieren, je höher D, P und R sind, umso mehr kommunikativer Aufwand muss betrieben werden. In einer diskursanalytischen Perspektive ist daher Höflichkeit in einem Gespräch ein Indiz für das Vorhandensein eines Machtgefälles. Besondere Aufmerksamkeit verdient die konventionelle Indirektheit, also die Frage, ob sozial Schwache ihre Meinung überhaupt kund tun oder lieber gleich ganz schweigen, wie indirekt sie ihre Meinung - zum Beispiel Kritik - ausdrücken und ob ihre Andeutungen gehört und verstanden oder übergangen werden. Fazit: Die Analyse von Kontextbezug und Adressatenorientierung dient dazu, den Stellenwert von Äußerungen in der Interaktion richtig einzuschätzen, zu prüfen, wie die Interagierenden die Situation selbst definieren, und zu erkennen, wer sich wem wie weit anpasst und in Form von Höflichkeit symbolisch unterwirft. Beispielanalyse Beim zitierten Radiogespräch ist der mediale Charakter deutlich zu erkennen: Sendezeit, Gesprächsdauer und Thema wurden im Voraus fixiert, die drei Anwesenden handeln in den vorgegebenen Rollen als Moderator bzw. Gäste, und ihre Äußerungen sind erkennbar nicht an die Gesprächspartner, sondern an das Radiopublikum gerichtet. Der Kontext „Radiostudio“ wird als solcher nicht thematisiert, lediglich der Ausdruck „hier in wien“ von BG verrät seine räumliche Orientierung. Im übrigen wird der Kontext Radiosendung allein durch die Anmoderation sowie das rollenkonforme Verhalten der Anwesenden hergestellt. Der Charakter eines „gepflegten“ Gesprächs kommt durch das eher gemächliche Tempo, die sorgfältige Wortwahl aller Beteiligten und den nichtkompetitiven Sprecherwechsel (vgl. oben) zustande. Die Orientierung am österreichischen Radiopublikum ist ausgeprägt. Alle drei Sprechenden setzen so gut wie kein Wissen über die Schweiz voraus. Die beiden Gäste sind bemüht, ihr Gastland in einem guten Licht erscheinen zu lassen, indem sie von Wien schwärmen, ihre Heimatstädte hingegen als eher kleinbürgerlich schildern. Der potenzielle Konfliktherd des nationalen Wettstreits im Skirennsport wird von BG massiv heruntergespielt („das ist eigentlich ziemlich entscheidend“). Interessant ist der Umgang mit Stereotypen. Beide Gäste sind sich offenbar bewusst, dass die Reproduktion von Stereotypen auf einem Kultursender negativ bewertet werden könnte. Trotzdem verzichten sie nicht auf die Reproduktion von Stereotypen, zei- 122 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse gen jedoch Formen der Modalisierung und Distanzierung, etwa wenn NW ihre kindliche Vorliebe für Apfelstrudel und Knödel als „wahnsinnig schöne sachen“ ironisiert oder BG die Zunfthäuser als „das höchste was es gibt“ für die Zürcher. Dem angepeilten Niveau der Sendung entsprechend finden sich schließlich viele Formen der Höflichkeit. Ihrem Gastland gegenüber erweisen sich die Gäste als höflich, indem sie es - in der ganzen Sendung - kaum kritisieren und häufig emphatisch positiv bewerten (Wien zum Beispiel als „extrem spannende stadt“). Dem Moderator gegenüber zeigt BG negative Höflichkeit, indem er dessen Aussagen nur indirekt und mit umständlichen Modalisierungen korrigiert: „eigentlich find ich hat man gar nich SO viel vorstellungen von österreich“; „ja es sind weltstädte (0.6) aber“. Damit zeigt er sich, obwohl Vorstandsvorsitzender und Gast der Sendung, als dem Moderator sozial untergeordnet. Insgesamt zeigen die beiden Gäste eine deutliche Orientierung am Kontext „Radiosendung auf Ö1“, indem sie sich als positiv eingestellte Einwanderer ihres Gastlandes zeigen, kaum Wissen über die Schweiz voraussetzen, sich dem Moderator höflich unterordnen und nationale Stereotype nur mit Vorbehalt reproduzieren. Aufgaben Aufgabe 13: Prüfen Sie, wie sich der Kontext in der Besprechung im Flugunternehmen bemerkbar macht und ob Sie Formen von Höflichkeit finden. 6.4 Selbst- und Fremdpositionierungen Interagierende etablieren und verhandeln in einem Gespräch nicht nur Sachverhalte, sondern sie etablieren sich auch als Akteure im Diskurs und verhandeln ihre Positionen im diskursiven Gefüge. Damit verbunden ist die interaktive Etablierung einer sozialen Identität. Dieser Vorgang lässt sich am besten mit dem Konzept der Positionierung erfassen. Die Theorie der Positionierung unterscheidet zwischen der Position als der Verortung einer Person in einem metaphorisch verstandenen sozialen Raum und der Positionierung als dem Vorgang, bei dem einer Person eine Position zugewiesen wird (Davies/ Harré 1990; Harré/ Langenhove 1999). Die Positionierungen erfolgen auf verschiedenen Dimensionen, zum Beispiel der Dimension der Macht, der sozialen Nähe, der Beziehungsqualität, der sozialen Hierarchie oder der Handlungsbefugnis (Bendel 2007). Damit verbunden sind kommunikative Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. Eine Person kann entweder explizit sich selbst positionieren („Ich möchte mich beraten lassen“, Selbstpositionierung) oder explizit einer anderen Person eine Position zuweisen („Sie sind doch Bankberater“, Fremdpositionierung). In beiden Fällen wird die andere Person als Experte positioniert und in die Pflicht genommen, kompetente Hilfe zu leisten. Positionierungen finden in jedem Gespräch statt. Aus einer gesprächsrhetorischen Perspektive werden Positionierungen jedoch strategisch vorgenommen, um die Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten zu kontrollieren (Wolf 1999: 73). Ob die Moderatorin einer Gesundheitssendung einen Gast als medizinischen Experten einführt oder aber als von einer Krankheit Betroffenen, legt fest, aus welcher Perspektive, wie ausführlich und wie fachlich er sich zu medizinischen Themen äußern darf. 123 6.4 Selbst- und Fremdpositionierungen Selbst- und Fremdpositionierungen dienen aus der Sicht der Diskursanalyse dazu, die Interagierenden als Akteure im Diskurs zu etablieren, zu bestätigen, zu diskreditieren oder auszuschalten. Sich selber und seine Verbündeten versucht man als im weitesten Sinne kompetent und vertrauenswürdig darzustellen, indem man seine Ausbildung und Kenntnisse, seine Erfahrungen und Leistungen oder seine moralischen Grundsätze betont. Die Gegenseite versucht man demgegenüber als im weitesten Sinne inkompetent und unglaubwürdig darzustellen - in der Rhetorik wird das als argumentum ad hominem bezeichnet. Zum Einsatz kommen in diesem Fall Formen der verbalen Gewalt (Luginbühl 1999):  Unterstellen von Inkompetenz: Dem Gegenüber wird vorgeworfen, es kenne die Fakten nicht, verstehe die Zusammenhänge nicht, es sei unerfahren in diesen Dingen, zu jung, es verfüge nicht über die nötigen Kenntnisse, habe versagt, sei gescheitert: „So kann nur einer reden, der noch nie verhandelt hat“, „Ihre Politik der letzten Jahre ist ein Debakel“.  Unterstellen von Unaufrichtigkeit: Dem Gegenüber wird vorgeworfen, es sage nicht die Wahrheit, halte Fakten zurück, handle wider besseres Wissen, handle taktisch: „Das ist reine Propaganda“, „Wir müssen einmal die Wahrheit sagen“.  Zuschreibung von negativem Charakter oder Verhalten: Dem Gegenüber wird vorgeworfen, es sei stur, uneinsichtig, irrational, emotional, subjektiv, einseitig, aggressiv, es vertrete überholte Ansichten, es handle egoistisch, widersprüchlich, fahrläßig, beleidigend - die Liste der möglichen Vorwürfe ließe sich beliebig verlängern: „Damit setzen Sie das Leben der Jugendlichen aufs Spiel“, „Sie glauben wohl noch an den Storch“. Anstatt dass man die inhaltlichen Positionen der anderen angreift oder ihr Rederecht zu kontrollieren versucht (vgl. oben), greift man ihre Position als Akteure im Diskurs an und versucht damit, ihre Stimme aus dem Diskurs zu verdrängen. Selbst- und Fremdpositionierungen können grundsätzlich mit den folgenden sprachlichen Mitteln vollzogen werden (Bendel 2007: 194f):  Kategorisierung - Personenbezeichnungen (Moderator, Kundin, Vater) - Adjektive (alt, drogenabhängig, selbständig erwerbend) - Pronomen (inklusives / exklusives wir, ihr, die andern) - Attribute (Führerschein = Autofahrer, Kleid = Frau)  Charakterisierung - Substantive (Machtmensch, Versager, Miss Perfect) - Adjektive (intellektuell, überlegen, hilfsbereit) - Handlungsbeschreibungen (ist immer als erste im Büro)  Handlungsverpflichtung - Befehle, Versprechen, Ratschläge, Bitten, Fragen  Handlungsbewertung - Komplimente, Dank, Zweifel, Kritik Fazit: Mit der Analyse der Positionierungen im Gespräch kann man verfolgen, wie sich die Interagierenden als Akteure im Diskurs zu etablieren versuchen, um über die errungene Position ihrer Stimme Gewicht zu verleihen und andere Stimmen zu schwächen. 124 6 Die Ebene des Einzeltextes II: Gesprächsanalyse Beispielanalyse Im Radiogespräch „Eingewandert aus der Schweiz“ positioniert sich JK durch die Durchführung der Handlungsmuster Begrüßung und Vorstellen der Gäste als Moderator und „Gastgeber“ und die anderen beiden als „Gäste“ mit den entsprechenden Handlungsverpflichtungen: Fragen zu stellen bzw. höflich zu beantworten. NW wird als „Künstlerin“ eingeführt, BG als „Vorstandsvorsitzender der Helvetia Versicherung in Österreich“, zwei Positionierungen mittels Kategorisierungen, die im weiteren Gespräch jedoch kaum eine Rolle spielen. Vielmehr werden sie im zweiten Schritt als „Eingewanderte“ positioniert und als solche zu ihrem Bild von Österreich befragt. BG vermeidet in seinem ersten Statement eine klare Positionierung, indem er von den Schweizern in der „man“ Form spricht, während NW sich ausführlich als Kind eines Österreichers in der Schweiz mit frühem kulinarischem und familiärem Bezug zu Österreich schildert. Damit positioniert sie sich von Anfang an als Österreichkennerin und -liebhaberin. Im zweiten Ausschnitt positioniert sich NW wieder als Schweizerin, indem sie in der Wir-Form spricht, gleichzeitig gibt sie sich durch emphatische Bewertungen erneut als Wienbegeisterte. BG positioniert sich durch Handlungsbeschreibungen als jemand mit Studium und Berufserfahrung in der Schweiz und betont, dass er schon seit zwölf Jahren am Stück in Wien lebt. Mit dieser Selbstpositionierung als Kenner beider Länder sollen die folgenden Ausführungen über den Unterschied zwischen Zürich und Wien an Gewicht gewinnen. Insgesamt zielen die Positionierungen in diesem Gespräch darauf ab, die Gäste als Experten für die Schweiz und für Österreich auszuweisen, Experten nicht aufgrund wissenschaftlicher Kenntnisse, sondern aufgrund persönlicher Erfahrungen in beiden Ländern. Damit sollen ihre Aussagen sowohl über die Schweiz als auch über Österreich an Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit gewinnen. Aufgaben Aufgabe 14: Bestimmen Sie die Selbst- und Fremdpositionierungen in der Besprechung im Flugunternehmen. 125 6.5 Zusammenfassung 6.5 Zusammenfassung Eine diskursanalytisch orientierte Gesprächsanalyse dient dazu zu eruieren, wie Interagierende versuchen, das Gespräch in ihrem Sinne zu steuern, ihre Sicht auf die Welt, ihre Meinung und ihre Pläne diskursiv durchzusetzen und sich als Akteure im Diskurs zu behaupten. Worauf man über das verbal Gesagte hinaus achten kann, ist in der folgenden Tabelle abschließend dargestellt. Gesprächsmerkmale Analysekriterien Stimme und Körper Prosodie Paraverbales Körperhaltung und Blickverhalten Mimik und Gestik Kleidung und Requisiten Prozessualität und Interaktivität Steuerung der Gesprächsorganisation Steuerung der Handlungskonstitution Steuerung des Themenverlaufs Kooperative Bedeutungskonstitution Konkurrierende Bedeutungskonstitution Kontextbezug und Adressatenorientierung Kontextbezug Adressatenorientierung Höflichkeit Positionierungen Selbstpositionierungen Fremdpositionierungen Tabelle 7: Übersicht über die Kategorien für die Gesprächsanalyse. Allgemeine Einführungen in die Gesprächsanalyse sind Deppermann (2008), Brinker/ Sager (2010), Brinker/ Antos/ Heinemann/ Sager (2000), mit kritischer Perspektive Cameron (2000). Eine Einführung in die Gesprächsrhetorik ist Kallmeyer (1996a), das Konzept der Positionierung wird beschrieben bei Bamberg (1997), Harré/ Langenhove (1999) und Wolf (1999). Zur nonverbalen Kommunikation siehe Hübler (2001), zur Prosodie Schönherr (1997). Auf die Prozessualität von Gesprächen geht Hausendorf (2007) ein. 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Was für die Linguistik im Allgemeinen gilt, trifft auch auf die bisherigen Arbeiten zur Diskursanalyse zu: Im Zentrum stehen mündliche und vor allem schriftliche Texte. Bilder werden, wenn überhaupt, nur am Rande in die Analysen einbezogen. Diese Vernachläßigung des Bildes ist jedoch aus zwei Gründen je länger desto weniger legitim. Erstens gibt es kaum noch Gebrauchstexte ohne Bilder. Bilder sind zu einem zentralen Kommunikationsmittel geworden und haben in Form von Plakaten, Out-of-home-Displays, Handykameras und Social Media Plattformen den physischen und digitalen öffentlichen Raum erobert. Zweitens sind Bilder geeignet, in einem ganz unmetaphorisch verstandenen Sinn ein bestimmtes Bild von der Welt zu erzeugen und zu vermitteln und sind daher ein wirksames Mittel im öffentlichen Diskurs. Von der Politik bis zur Wissenschaft, von der Spendenaktion für Erdbebenopfer bis zur Kriegsführung findet der Kampf um Aufmerksamkeit, Unterstützung und Legitimation heute ganz wesentlich über das Bild statt. Daher müssen Linguisten heute die Kompetenz haben, Bilder zu analysieren und ihr manipulatives Potenzial kritisch zu kommentieren (siehe dazu auch Klug 2013). 7.1 Methodologische Vorbemerkungen: Bilder, Bildtypen, Bildanalyse Da die Linguistik Bilder lange Zeit vernachläßigt hat, stammt vieles, was wir über Bilder wissen, aus anderen Disziplinen, darunter Philosophie, Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Filmwissenschaft. Die dort entwickelten Begriffe sind teilweise auch für Linguisten unentbehrlich. In jüngster Zeit mehren sich die Bemühungen um eine spezifische Bildlinguistik (Diekmannshenke/ Klemm/ Stöckl 2011), wobei sich die Versuche, sprachwissenschaftliche Konzepte wie Kohäsion oder Illokution auf Bilder zu übertragen, noch im Experimentierstadium befinden und wir weit von einer einheitlichen Terminologie entfernt sind. Etablierter und empirisch vielfach erprobt sind demgegenüber die Begriffe der Semiotik, weshalb sie in dieser Einführung bevorzugt werden. Aber was ist ein Bild? Aus semiotischer Sicht kann grundsätzlich jedes Artefakt zum Zeichen gemacht und damit semiotisch untersucht werden, von der Architektur über die Kleidung bis zum Wegweiser. Damit wir uns nicht im Uferlosen verlieren, beschränken wir uns in dieser Einführung auf zweidimensionale, drucktechnisch reproduzierbare, stehende Bilder, die im Verbund mit verbalem Text auftreten. Dreidimensionale Objekte, Kunstgemälde und Filme fallen somit weg. Alle Zeichenkomplexe, mit denen Menschen Bedeutungen generieren und kommunizieren, können als Texte bezeichnet werden, also auch Bilder. Damit jedoch keine begrifflichen Konfusionen entstehen, bezeichnen wir mit dem Begriff „Text“ im Folgenden lediglich den verbalen (gesprochenen oder geschriebenen) Text, unter „Bild“ fassen wir alle visuellen Zeichen und unter „Gesamttext“ die Kombination von Bild und Text. Bei der Frage, was Bilder sind und wie man sie analysiert, herrscht in der Literatur eine verwirrende Begriffsvielfalt und es finden sich die widersprüchlichsten Aussagen. Das fängt an bei der Streitfrage, ob Bilder grundsätzlich Ähnlichkeiten mit dem Abge- 128 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse bildeten aufweisen 23 , geht über die manchmal mit ja, häufiger mit nein beantwortete Frage, ob man mit einem Bild eine Negation ausdrücken kann, weiter zur Streitfrage, ob man mit Bildern argumentieren kann oder nicht, und endet bei der höchst unterschiedlichen Verwendung identischer Ausdrücke. 24 Um ein Beispiel auszuführen: Pörksen meint, dass man mit Bildern argumentieren könne, mehr noch, dass unsere Gesellschaft häufig visuell argumentiere (1997: 158). Müller meint, Pörksen liege damit falsch, weil Bilder nicht einer rational-argumentativen, sondern rein assoziativen Logik folgten und man mit ihnen folglich überhaupt nicht argumentieren könne (2003: 22). Der scheinbar fundamentale Gegensatz zwischen diesen Behauptungen relativiert sich, wenn man bei genauerer Betrachtung feststellt, dass Pörksen primär an Schemata und Visualisierungen denkt, während Müller primär Abbildungen, insbesondere Pressefotografien, vor Augen hat. Beide sprechen zwar von „Bildern“, reden aber im Grunde nicht vom Gleichen. Somit liegt ein Grund für die auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen über Bilder in der mangelnden Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen von Bildern, ein anderer sind unterschiedliche disziplinäre Hintergründe. Während man mit einer Fotografie tatsächlich nicht ausdrücken kann, dass etwas nicht ist, kann man mit einem Piktogramm sehr wohl eine Negation ausdrücken, zum Beispiel dass man eine Starkstromleitung bei Lebensgefahr nicht berühren darf. Daher sollte man bei allen Aussagen über Bilder zuerst einmal klären, von welchen Arten von Bildern man überhaupt spricht (Ballstaedt 2012). Ohne hier eine umfassende zeichentheoretische Diskussion vornehmen zu können, unterscheiden wir fünf Bildtypen, die sich in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit und in ihrem Zeichencharakter unterscheiden. Ihre semiotischen Eigenschaften sind in der folgenden Tabelle festgehalten: Bildtyp Beispiele Zeichenart Bedeutung Abbildungen Fotos Zeichnungen ikonisch reales Vorbild bedeutungsoffen Fiktionale Bilder Illustrationen Comics Karikaturen ikonisch kein reales Vorbild bedeutungsfixiert Schemata Karten techn. Zeichnungen tw. ikonisch tw. reales Vorbild bedeutungsfixiert Visualisierungen konzept. Zeichnungen Diagramme symbolisch kein reales Vorbild nicht motiviert bedeutungsfixiert Piktogramme Symbole Informationstafeln symbolisch kein reales Vorbild tw. motiviert bedeutungsfixiert Tabelle 8: Typen von Bildern und ihre semiotischen Eigenschaften. 23 Zur Ikonizitätsdebatte vgl. Meier (2008a). 24 So beim Begriff „Elaboration“ bei Stöckl (2011) und Ballstaedt (2012). 129 7.1 Methodologische Vorbemerkungen: Bilder, Bildtypen, Bildanalyse Den Abbildungen geht immer eine real existierendes Objekt voraus, welches im Bild festgehalten wird, sei es mit der Kamera, sei es von Hand (vgl. Abbildung 9). Wenn in der Literatur davon die Rede ist, dass Bilder Repräsentationscharakter haben, dass sie immer eine Ähnlichkeit mit dem Abgebildeten aufweisen, dass sie sogar indexikalisch seien, so gilt dies ausschließlich für Abbildungen, insbesondere für Fotografien. Ein wesentliches Merkmal von Abbildungen ist ihre Bedeutungsoffenheit. Eine Fotografie der Golden Gate Bridge kann als Urlaubserinnerung dienen, als Beispiel in einem Band zur Architekturgeschichte oder als Symbolbild für das Motto „Brücken bauen“ im Kindergarten. Diese Bedeutungsoffenheit gilt für die anderen Bildtypen nicht, was in der Diskussion um Bilder meistens völlig unberücksichtigt bleibt. Abbildung 9a: Fotografie (SBL) Abbildung 9b: Zeichnung 25 Auch fiktionale Bilder weisen mit dem Abgebildeten Ähnlichkeiten auf (vgl. Abbildung 10), sind also ikonisch, doch entspricht ihnen kein realer Gegenstand in der Wirklichkeit (Karikaturen von bekannten Personen liegen diesbezüglich zwischen Abbildungen und fiktionalen Bildern). Vielmehr schaffen sie eine eigene Welt. Wir haben sie als bedeutungsfixiert charakterisiert, weil zum Beispiel die Illustrationen in einem Märchenbuch nicht irgendwelche Prinzessinnen und Frösche abbilden, sondern eine bestimmte Szene aus dem Märchen wiedergeben und daher nicht in andere Kontexte übertragbar sind. Schemata wie Karten oder technische Zeichnungen sind nur noch bedingt ikonisch (vgl. Abbildung 11). Zwar gibt ein Stadtplan die Lage der Straßen und Häuser räumlich korrekt und maßstabsgetreu wieder, gleichzeitig sind wesentliche Darstellungskonventionen von Stadtplänen arbiträr und somit nicht ikonisch. 25 Mit freundlicher Genehmigung des Kosmos Verlages entnommen aus: Spohn et al. (2008): Was blüht denn da? , © 2008 Franck-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart. 130 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Abbildung 10a: Illustration 26 Abbildung 10b: Cartoon 27 Während man noch halbwegs intuitiv erschließen kann, dass blaue Flächen Wasser und grüne Flächen Grünflächen bedeuten, ist die Hervorhebung öffentlicher Gebäude durch dunkle Farbe eine Konvention, die man zu lesen lernen muss, von eingezeichneten Buslinien ganz zu schweigen. Schemata können eine vorhandene Wirklichkeit schematisch wiedergeben, sie können im Falle von Architekturzeichnungen aber auch eine zukünftige, potenzielle Wirklichkeit vorwegnehmen. Schemata sind in jedem Fall bedeutungsfixiert: Man kann sie nur auf eine Weise korrekt lesen. Abbildung 11a: Karte (Stadtplan) 28 Abbildung 11b: Technische Zeichnung 29 26 Imke Rudel, Ein Tag auf dem Bauernhof. Illustrationen Astrid Vohwinkel © Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2005. 27 Eine typische Begrüßung im Ruhrgebiet © 2013 Helmut Aretz, in: Ute K. Boonen, Ingeborg Harmes, Niederländische Sprachwissenschaft. Eine Einführung. Tübingen: Narr 2013, S. 149. 131 7.1 Methodologische Vorbemerkungen: Bilder, Bildtypen, Bildanalyse Visualisierungen haben gar keinen Bezug mehr zur außerbildlichen Wirklichkeit (vgl. Abbildung 12) und sind daher rein symbolisch - was sie nicht davor feit, als Abbild wahrgenommen zu werden. Darwins „Stammbaum“ hat nichts gemein mit einem Baum, sondern stellt lediglich eine konzeptuelle Zeichnung eines gänzlich abstrakten Konzepts dar, nämlich der Idee der Verzweigung von Evolutionslinien. Diagramme visualisieren qualitative oder quantitative Zusammenhänge zwischen Variablen. Auch ihre Formen - ob Fluss-, Kuchen- oder Säulendiagramm - weisen keinerlei Ähnlichkeit mit dem Abgebildeten auf und sind daher nicht motiviert. Abbildung 12a: Qualitatives Diagramm Abbildung 12b: Quantitatives Diagramm Visualisierungen geben keine ihnen vorausgehende Wirklichkeit wieder, sondern erschaffen eine eigene Wirklichkeit. Ihre starke Suggestionskraft lässt allerdings viele Betrachter zum Beispiel von Statistiken vergessen, dass selbige kein Abbild der Wirklichkeit sind, sondern die Visualisierung von wie auch immer erhobenen Daten und damit ein hoch artifizielles Konstrukt. Piktogramme schließlich sind jene Bildzeichen, die Wörtern am ähnlichsten sind, indem sie eine fixe, konventionalisierte Bedeutung aufweisen und in der Regel auch durch ein einziges Wort oder allenfalls eine Phrase wiedergegeben werden können (vgl. Abbildung 13). Im Gegensatz zu Wörtern sind sie jedoch häufig nicht gänzlich arbiträr, sondern teilweise motiviert, so zum Beispiel die Frauen- und Männersilhouetten auf Toilettentüren oder die Smileys in der Internetkommunikation. Motiviertheit bedeutet allerdings nicht, dass Piktogramme selbsterklärend wären. So mussten Besucher von außerhalb Europas auch schon von der Polizei darüber aufgeklärt werden, dass ein Rad im roten Kreis nicht „Radweg“ bedeutet ... Abbildung 13: Piktogramm 28 Stadtplan Halle an der Saale (Ausschnitt). Kartographie: © Städte-Verlag E. v. Wagner & J. Mitterhuber GmbH - 70736 Fellbach, www.staedte-verlag.de 29 Bedienungsanleitung V Zug Kochherd Combair, (o.J., S. 32). 132 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Zwischen den Abbildungen und den anderen vier Bildtypen gibt es fundamentale Unterschiede in der Wahrnehmung und Verarbeitung. Abbildungen werden nicht gelesen, sondern angeschaut. Sie können Stimmungen vermitteln und Gefühle auslösen, selbst wenn man die abgebildeten Personen, Gegenstände und Umgebungen nicht (er)kennt. In einem zweiten Schritt kann man Abbildungen wohl deuten und interpretieren (vgl. unten), aber eine eindeutig richtige oder falsche Lesart gibt es in aller Regel nicht. Bezeichnend für Abbildungen ist ferner, dass sie in andere Kontexte transferiert werden können und dort andere Bedeutungen annehmen. Eine Pressefotografie, die ursprünglich ein bestimmtes historisches Ereignis festhielt, entfaltet im Rahmen einer Ausstellung zum Lebenswerk der Fotografin eine völlig andere Wirkung und wird von den Museumsbesucherinnen auch gänzlich anders rezipiert als von den Zeitungslesern. Schemata und Visualisierungen sind schlechter in andere Kontexte transferierbar und verändern dadurch in der Regel auch ihre Aussage nicht. Unter allen Typen von Bildern nehmen Fotografien einen Sonderstatus ein, indem die Betrachtenden ihnen in hohem Maße Faktizität und damit Wahrheit unterstellen, sie für ein untrügliches Abbild „der Realität“ halten. Etwas „mit eigenen Augen gesehen“ zu haben, zählt als Beweis dafür, dass es so und nicht anders ist - das gilt auch im Zeitalter digitaler Bildmanipulation noch fast uneingeschränkt. Während Illustrationen noch weitgehend wie Abbilder angeschaut werden können, ergibt das schiere „Anschauen“ von Comics und Karikaturen keinen Sinn; sie müssen gelesen werden. Die Lektüre von Comics ist komplex. Der Leser muss fähig sein, aus Einzelbildern eine Handlungsfolge zu erschließen, er muss stilisierte Gesichtsausdrücke und Gesten erkennen und deuten können, und er muss die gattungsspezifischen Gestaltungskonventionen kennen, zum Beispiel dass größere Lettern nicht (wie in verbalen Texten) Titel signalisieren, sondern Lautstärke, oder dass elliptische Sprechblasen das Gesagte enthalten, Wolken hingegen Gedanken markieren usw. Bei fiktionalen Bildern gibt es in der Regel nur eine korrekte Lesart. Das gilt erst recht für Schemata und Visualisierungen. Pläne, Karten oder Diagramme kann man nur auf eine Art richtig lesen, was unter Umständen jahrelange Übung oder eine spezifische Ausbildung erfordert. Piktogramme schließlich sind in der Regel weder zum Betrachten noch zum Lesen da, sondern haben Anweisungscharakter; sie sagen den Rezipierenden, wohin sie gehen sollen, was sie zu tun oder zu unterlassen haben. Ihre genaue Bedeutung muss meistens gelernt werden. Mit Bildern aller Art werden kommunikative Handlungen ausgeführt, die weit über das bloße Zeigen hinausgehen. Mit Bildern kann man sprechakttheoretisch gesprochen Betrachtende instruieren, anlocken, anwerben, erschrecken, ängstigen, überzeugen, beeindrucken und vieles mehr, indem man eine bestimmte Sache auf eine bestimmte Art und Weise präsentiert. Eine abschließende Typologie von „Bildakten“ (Klemm 2011) gibt es jedoch nicht; was mit einem Bild bezweckt wird, muss im Einzelfall erschlossen werden. Aufgrund ihrer technisch immer einfacheren Produktion und Distribution haben Bilder in den letzten Jahrzehnten eminent an Bedeutung zugenommen, nicht nur quantitativ, sondern auch in ihrer Bedeutung als Mittel der Erkenntnisgewinnung und -vermittlung. 30 Aus diskursanalytischer Sicht sind Bilder heute eine wichtige semiotische Ressource neben dem geschriebenen und gesprochenen Wort, um soziale Wirklichkeit zu konstruieren. Weil wir - trotz digitaler Bildbearbeitung - immer noch dazu tendieren, vor 30 Das gilt vor allem für die neuen bildgebenden Verfahren in den Naturwissenschaften, auf die wir hier nicht eingehen. 133 7.1 Methodologische Vorbemerkungen: Bilder, Bildtypen, Bildanalyse allem Fotos naiv als pure Abbilder der Realität zu betrachten, ist es notwendig, den Blick dafür zu schärfen, dass auch Bilder soziale Konstruktionen sind und einen ideologischen Charakter aufweisen (Kress 2010). Wenn wir unterscheiden zwischen materiellen Bildern (pictures) und mentalen Bildern (images), so lässt sich sagen: Ein bestimmtes Bild von der Welt erzeugt immer auch ein bestimmtes Weltbild. Daraus ergeben sich die folgenden Leitfragen für die Bildanalyse: Welches Bild von der Welt vermittelt das Bild? Welches Weltbild erzeugt das Bild im Verbund mit dem Text? Wovon will das Bild die Betrachtenden überzeugen? Die Frage ist nun, wie man Bilder konkret analysieren kann. Die meisten Autoren sind sich darin einig, dass Bildanalysen in mindestens zwei Schritten zu erfolgen haben: Zuerst beschreibt man, was auf dem Bild zu sehen ist und wie es dargestellt ist, dann versucht man zu bestimmen, was das Bild bedeutet, welche Ideen und Werte es vermittelt. Die zweistufige Analyse geht auf den Semiotiker Roland Barthes zurück, der bei Bildern die beiden Ebenen der Denotation und Konnotation unterschied (van Leeuwen 2001). Andere Autoren unterscheiden unter Berufung auf den Kunsthistoriker Erwin Panofsky und den Soziologen Karl Mannheim drei Stufen der Bildanalyse (vgl. Müller 2003):  Beschreibung (Phänomensinn): Man versucht zu bestimmen, was auf dem Bild überhaupt zu sehen ist, welche Objekte, Personen, Gebäude, Landschaften. Das kann bei historischen Dokumenten bereits ein schwieriges Unterfangen sein.  Deutung (Bedeutungssinn): Man versucht zu klären, was das Abgebildete bedeutet. Dazu gehört auch die Entschlüsselung von Symbolen und Allegorien, das Erkennen von Analogien und Anspielungen.  Interpretation (Dokumentsinn): Unter Zuhilfenahme des materiellen und verbalen Kontextes sowie zeitgenössischer Begleittexte versucht man zu bestimmen, welche Funktion das Bild als Kommunikat eingenommen hat, welche Ideologien es vermittelt, für welchen Zeitgeist es steht. Als Beispiel nennt van Leeuwen (2001: 101) das Bild eines Mannes mit Schlüssel, den man zuerst als Petrus identifizieren muss, um zu verstehen, dass er im entsprechenden Kontext als Sinnbild für die Autorität der Bibel steht. Für eine Diskursanalyse ist ein dreistufiges Vorgehen sicher sinnvoll, da bei diesem Ansatz die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Bildern mehr Beachtung erfahren und der verbale Ko-Text sowie der soziale Kontext explizit in die Interpretation miteinbezogen werden (Meier 2008a). Für die Beschreibung und Deutung von Bildern gibt es kein gleichermaßen etabliertes Begriffsinventar wie es Grammatik, Textlinguistik und Rhetorik für Texte und die Konversationanalyse für Gespräche bieten. Der Grund liegt darin, dass Bilder über keine Grammatik verfügen. Weder bestehen sie aus diskreten Einheiten noch werden sie nach fixen Regeln komponiert. Daher erachten wir es als nicht sinnvoll, linguistische Begriffe auf Bilder zu übertragen und von einer „Bildgrammatik“ zu sprechen. Es gibt keine „Bildsyntax“, wie sie von Doelker (1997) entworfen wurde, aber auch Begriffe wie „Kohärenz“ (Schmitz 2011) können nur um den Preis einer präzisen Terminologie auf Bilder angewendet werden. Werden linguistische Begriffe für die Bildanalyse verwendet, so werden die spezifischen Leistungen des Kommunikationsmodus Bild eher verwischt anstatt herausgearbeitet (Lister/ Wells 2001). 134 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Bilder verfügen zwar nicht über eine Grammatik, nach welcher es eindeutig „richtige“ oder „falsche“ Darstellungen gäbe, wie es grammatisch korrekte und falsche Sätze gibt, aber es gibt sehr wohl gesellschaftliche Konventionen der bildlichen Darstellung und damit verbundene Sehgewohnheiten auf der Seite der Bildrezipienten. Diese sind kulturell geprägt und gesellschaftlichem Wandel unterworfen, haben aber für eine bestimmte Zeit und in bestimmten gesellschaftlichen Domänen eine gewisse Verbindlichkeit. In der Terminologie der sozialen Semiotik sind die visuellen Elemente konventioneller Bildgestaltung Ressourcen, mittels derer Zeichenproduzenten Bedeutung herstellen und in Form von Bildern anderen mitteilen (vgl. Abschnitt 3.3). Im Folgenden geht es darum, diese bildlichen Darstellungskonventionen mit ihrem Bedeutungsbzw. Wirkungspotenzial zu beschreiben, so wie sie aktuell in der sogenannt westlichen Welt üblich sind 31 . Damit wird zugleich ein Begriffsinventar für die Bildanalyse vorgelegt. Da Bilder aber mehr als die Summe ihrer Teile sind, entbindet die Analyse ihrer Gestaltung nicht von einer in jedem Fall einzeln zu leistenden Gesamtinterpretation. Die Beschreibung folgt drei Hauptfragen:  Was wird gezeigt? Hier geht es um den Inhalt des Bildes und den Bildausschnitt.  Wie wird es gezeigt? Darunter fallen Perspektivierung, Komposition und Modalität.  Welche Funktion hat das Bild? Diese Frage kann nur zusammen mit dem Text beantwortet werden, weswegen in diesem Abschnitt Bild-Text-Beziehungen diskutiert werden. Für die Beispielanalysen dienen Bilder aus den Geschäftsberichten des Lebensmittelhändlers SPAR (Österreich) und des Bäckereizulieferers Pistor (Schweiz). Aufgaben Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Bilder in Ihrem Korpus: Wie zahlreich sind die Bilder? Welche Bildtypen kommen vor? Falls Sie bislang keine Bilder in Ihrem Korpus haben, sollten Sie sich überlegen, welche zusätzlichen, visuellen Quellen Sie beiziehen könnten. 7.2 Inhalt und Ausschnitt: Was wird gezeigt? Der erste Schritt jeder Bildanalyse besteht darin zu identifizieren, wer bzw. was abgebildet ist: Personen, Gebäude, Innenräume, Maschinen, Landschaften, Ortschaften, Pflanzen, Tiere, Lebensmittel oder abstrakte Konzepte wie wissenschaftliche Modelle oder Flussdiagramme. In der Kunstgeschichte ist es üblich, Gemälde nach ihrem Inhalt zu kategorisieren: Portrait, Landschaftsmalerei, Interieurs, Stillleben, Historienmalerei u.a.m. Auch in der Kartografie werden verschiedene Karten nach ihrem Inhalt unterschieden wie topografische, politische oder meteorologische Karten. Bei den anderen Bildtypen sind Unterscheidungen nach dem Inhalt nicht üblich, obwohl man die Begriffe aus der Kunstgeschichte durchaus auf Fotografien und teilweise fiktionale Bilder übertragen könnte. Die Beschreibung des Bildinhaltes kann unterschiedlich feinkörnig vorgenommen werden, womit eine bestimmte Interpretation des Bildes vorweggenommen wird. So 31 Viele Darstellungskonventionen wie zum Beispiel Links-rechts- oder Oben-unten-Orientierungen sind kulturspezifisch und müssen daher für jede Kultur einzeln erhoben werden. 135 7.2 Inhalt und Ausschnitt: Was wird gezeigt? kann man eine Stadtansicht lediglich als „orientalische Stadt“ benennen oder als „Bagdad“ identifizieren oder als „Bagdad am Vorabend der Bombardierung durch die NATO“. Das Bild bekommt dadurch eine je unterschiedliche Botschaft, im ersten Fall steht es lediglich generisch für „exotische Stadt“, im letzten Fall bekommt es den Status eines Mahnmals, welches die Zerstörung von Kultur- und Lebensraum anklagt. Bildlegenden sind diesbezüglich nicht neutral. Es ist nicht dasselbe, ob man einen Soldaten lediglich als „Soldat“ oder als „britischer Soldat“ oder als „Ben Smith, britischer Soldat der Marine“ oder als „mein Vetter Ben in Uniform“ kennzeichnet. Je nach Beschriftung wird die gleiche Person auf der gleichen Fotografie eher als Individuum oder eher als Typus wahrgenommen. Je detaillierter die Personenangaben sind, umso größere soziale Nähe wird erzeugt, umso stärker lädt das Bild dazu ein, eine parasoziale Beziehung zum Portraitierten aufzunehmen. Ausschnitt Der Ausschnitt beschreibt, aus welcher Entfernung ein Objekt aufgenommen wurde oder, umgekehrt formuliert, wie nahe dran die Kamera war. Der Begriff stammt aus der Filmwissenschaft. Der Ausschnitt bestimmt, wie viel von einer bestimmten Szene zu sehen ist bzw. wie nahe dran am Geschehen man ist. Damit verbunden sind bestimmte Wirkungen, die in Tabelle 9 festgehalten sind, versehen mit Beispielen. Ausschnitt Beispiele Wirkung Totale Panorama, Stadtansicht, Hafenanlage verschafft Übersicht; Einzelpersonen nicht identifizierbar; unpersönlich Halbtotale Platz in der Stadt, Fabrikgebäude verschafft Orientierung über das Geschehen; erzeugt Stimmung Nahaufnahme einzelner Raum, Personengruppe, Einzelperson dient dem Erzählen; Einzelpersonen mit ihren Handlungen im Fokus; persönlich Großaufnahme Brustbild, klassisches Portrait schafft Nähe; suggeriert Beziehung zum Betrachter; Emotionen erkennbar; intim Detailaufnahme Augen, Mund, geballte Faust suggeriert Intimität; dient der Fokussierung, Emotionalisierung und Dramatisierung Tabelle 9: Bildausschnitte und ihre Wirkung. Der Begriff des Ausschnitts lässt sich jedoch nicht nur auf Fotos und fiktionale Bilder anwenden, sondern auch auf Schemata und Visualisierungen. Bei Karten und Plänen gibt der Ausschnitt an, welcher Teil eines Geländes oder einer Stadt wiedergegeben wurde. Die Wahl des Ausschnitts erfolgt in den meisten Fällen nach historisch fest etablierten Mustern: Eine Karte zeigt genau eine Nation oder genau ein Bundesland; sie zeigt eine Stadt mit der Altstadt genau in der Mitte; sie zeigt die ganze Welt in einer Projektion, die Europa nicht nur im Zentrum, sondern auch größer erscheinen lässt, als es ist. An diese Darstellungskonventionen sind wir so gewöhnt, dass wir ihren ideologischen Charakter gar nicht mehr erkennen. 136 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Bei Organigrammen lässt sich in Bezug auf den Ausschnitt fragen, wie viele Hierarchiestufen darin aufgenommen wurden. Häufig werden lediglich die obersten zwei oder drei Hierarchiestufen gezeigt, während die unteren Führungskräfte und die einfachen Angestellten visuell nicht existieren oder ganz pauschal unter Abteilungsnamen subsumiert werden. Das sind starke Aussagen über die Wichtigkeit, die man verschiedenen Unternehmensangehörigen beimisst. Bei Visualisierungen schließlich kann es entscheidend sein, wie viele Kategorien in die Darstellung aufgenommen wurden. Je nachdem, wie viele Jahre man zum Beispiel in eine Zeitreihe aufnimmt, kann ein ganz anderer Eindruck vom Erfolg oder von der Stabilität eines Unternehmens entstehen. Die Wahl des Ausschnitts kann hier zur Manipulation eingesetzt werden. Bei Personen ist nicht nur die Entfernung, aus welcher die Aufnahme gemacht wurde, entscheidend, sondern auch, ob sie allein oder mit anderen zusammen aufgenommen wurden. Wird eine Person allein portraitiert, so unterstreicht dies ihre Individualität und ihre Wichtigkeit. Wird sie zusammen mit anderen abgebildet, steht ihre soziale Eingebundenheit in eine Gruppe und - ja nach Situation - ihr soziales Handeln im Fokus. Wird sie jedoch in einer Masse von Menschen abgebildet, so verschwindet ihre Individualität in der Anonymität des Kollektivs. Diese Wirkungen werden, wie weiter oben erwähnt, im Migrationsdiskurs gezielt eingesetzt. Akteure, die den Migrantinnen wohlgesonnen sind, wie zum Beispiel Hilfswerke, zeigen diese in Sympathie gewinnenden Einzelportraits, versehen mit persönlichen Angaben wie Name, Alter oder Herkunft, damit der Betrachter sich persönlich betroffen fühlt. Wer den Migranten ablehnend gegenübersteht, wird diese als anonyme, bedrohliche Masse ablichten. Was zu einem bestimmten Thema gezeigt wird und in welchem Ausschnitt, ist in vielen gesellschaftlichen Domänen weitgehend konventionell festgelegt. Das Resultat sind eigentliche Bildsorten (analog zu Textsorten) oder visuelle Stereotype: das Klassenfoto, der Wahlsieger mit erhobenen Armen, zwei Staatsmänner beim Händedruck, die Flüchtlingsfrau mit Baby auf dem Arm. Im Journalismus werden solch stereotype Darstellungsweisen gezielt eingesetzt: Portraits von Verbrechern werden so zugeschnitten, dass das Gesicht auf allen vier Seiten angeschnitten ist, Portraits von Politikerinnen hingegen nicht (Wolf 2006). Tote Täter werden wie eine Trophäe gezeigt, tote Opfer aber nicht, von letzteren wird ein fröhliches Portrait der noch lebenden Person abgedruckt (Müller 2003: 84). Mit solchen Techniken der visuellen Informationsaufbereitung lässt sich Stimmung machen für die Opfer und gegen die Täter. Hintergrund Bei Personen, aber auch bei Gegenständen, ist auch der Hintergrund von Bedeutung, weil er nicht nur zu erkennen gibt, in welcher Situation eine Aufnahme gemacht wurde, sondern auch unweigerlich zu symbolischen Interpretationen einlädt. Staatsflaggen zeigen nicht nur an, dass die Aufnahme an einer internationalen politischen Veranstaltung gemacht wurde, sondern unterstreichen auch die Wichtigkeit und den Einfluss der abgebildeten Person. Autohersteller erzeugen mit ihren Anzeigen ganz verschiedene Wirkungen, je nachdem, ob sie das gleiche Auto in einer unberührten Landschaft oder vor der Skyline einer Großstadt ablichten. Dasselbe afrikanische Kind, vor einer Blechbaracke oder vor der neu errichteten Schule fotografiert, lässt sich zur Vermittlung sehr unterschiedli- 137 7.2 Inhalt und Ausschnitt: Was wird gezeigt? cher Botschaften einsetzen. Im Hintergrund auf einen Fluchtpunkt zulaufende Straßen oder Schienen suggerieren Bewegung und können als „Zukunft“ interpretiert werden, eine durch den Nebel brechende Sonne als „Hoffnung“ usw. Beispielanalyse Das eben Gesagte sei am Beispiel von Portraits aus den Geschäftsberichten von Lebensmittelhändlern illustriert. Gerhard Drexel, der Vorstandsvorsitzende von SPAR, wird im Geschäftsbericht (2011: 4) einer Seite zusammen mit drei weiteren Vorstandsmitgliedern in einem klassischen Brustbild gezeigt (Abbildung 14). Alle vier sind vor demselben, beinahe neutralen Hintergrund, leicht schief aufgenommen, blicken frontal in die Kamera, lächeln und tragen Anzug und Krawatte. Diese Art der Aufnahme bildet zurzeit den Standard, sodass sie den meisten Betrachtern als völlig „normal“ erscheint. Aber natürlich hat auch diese Fotografie eine Aussage: Sie stellt Drexel als einen von vier Entscheidungsträgern dar, die alle dieselbe Wichtigkeit haben, und als sozial angepassten, freundlichen Menschen. Vor 100 Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein einflussreicher Geschäftsmann auf einer Fotografie lächelt; heute ist es die Norm, in die Kamera zu „grinsen“, und diese Norm wird von den meisten Menschen befolgt - selbst wenn es ihnen nicht zum Vorteil gereicht. Abbildung 14: Gerhard Drexel Karl-Erivan W. Haub, der Vorsitzende von Tengelmann, lässt sich im Geschäftsbericht (2012: 4) ebenfalls im Anzug und mit leichtem Lächeln abbilden, aber mehr von der Seite und aus größerer Entfernung, sodass die Hände sichtbar sind und der Hintergrund, wenn auch verschwommen, den Innenhof eines Gebäudes erkennen lässt (Abbildung 15). Geländer, Fensterreihe und Dach laufen auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt in der rechten oberen Ecke zu. Zusammen mit den Pflanzen können diese Bildvektoren als „grüne Zukunft“ gedeutet werden, was die Philosophie des Unternehmens unterstreicht. Indem Haub nicht die Standardfotografie wählt, stellt er sich als eigenständige Unternehmerpersönlichkeit dar. Abbildung 15: Karl-Erivan W. Haub 138 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Ganz anders beim Bäckereizulieferer Pistor, bei welchem die Geschäfsleitung in corpore abgebildet ist (Abbildung 16). Die Leitung der Pistor inszeniert sich damit als Team, nicht als eine Ansammlung von Einzelkämpfern. Die Männer lächeln kaum, nur bei zweien sind die Zähne im Ansatz zu sehen. Wie die anderen Fotos im Geschäftsbericht wurde auch dieses anlässlich einer Messe aufgenommen. Pistor zeigt seit Jahren alle abgebildeten Personen bei der Arbeit und repetiert damit die immer gleiche Botschaft: Hier wird gearbeitet. Das Geländer im Vordergrund ist mehrdeutig, man kann es als Stütze, als symbolische Vorgabe, wo es lang gehen soll, aber auch als Barriere empfinden. Abbildung 16: Portrait Geschäftsleitung Pistor AG (Geschäftsbericht 2012: 24). Weggelassenes Jedes Bild gibt nur einen Ausschnitt aus der physisch erlebten oder gedanklich entwickelten Welt wieder. Welcher Ausschnitt gewählt wurde, ergibt sich nicht aus der Situation oder der Sache, sondern hängt ab von den Intentionen des Bildproduzenten. Ein Bild sagt daher mindestens so viel über seinen Produzenten oder seine Verwenderin aus wie über die abgebildete Sache selber. Wenn man den Bildausschnitt betrachtet, stellt sich daher unweigerlich die Frage, was denn nicht abgebildet wurde; was bei der Aufnahme weggelassen oder nachträglich weggeschnitten wurde. Winzige Veränderungen des Ausschnitts haben bedeutende Wirkungsverschiebungen zur Folge. Eine Politikerin hinter einem Wall von Mikrofonen erscheint als „belagert“ oder gar in Bedrängnis, sind die Mikrofone weggeschnitten, erscheint sie als souveräne Rednerin. Der Grat zwischen journalistisch angemessener Bildbearbeitung und Manipulation ist schmal, der Übergang von der Information zur gezielten Desinformation fließend. Meistens kann man nur spekulieren, was alles weggelassen wurde. Es gibt jedoch auch berüchtigte Beispiele, in denen das manipulative Zuschneiden von Fotos nachträglich aufflog. So ist ein Foto überliefert, auf welchem ein Soldat einem am Boden liegenden Mann mit der rechten Hand unter den Nacken greift. Der Soldat scheint diesem Mann 139 7.2 Inhalt und Ausschnitt: Was wird gezeigt? zu helfen - weggeschnitten wurde jedoch die linke Hand, in welcher der Soldat eine auf den Mann gerichtete Pistole hielt. Auch Ferienprospekte sind bekannt dafür, dass Industrieanlagen, Autobahnen oder überfüllte Parkplätze systematisch außerhalb des gezeigten Bildausschnitts liegen. Das kann nur nachweisen, wer vor Ort war oder über alternatives Bildmaterial verfügt. Bei Schemata und Visualisierungen ist es oft wenig sinnvoll zu fragen, was weggelassen wurde, vielmehr stellt sich die Frage, was überhaupt in die bildliche Darstellung aufgenommen wurde. Je mehr Details in ein Schema aufgenommen werden, umso informationsreicher, aber auch umso schwieriger zu lesen ist es. Der dargestellte Gegenstand erscheint aufgrund des gewählten Detaillierungsgrads als unterschiedlich komplex. Als Beispiel dienen zwei selbst entworfene Kommunikationsmodelle, die zwischenmenschliche Verständigung als unterschiedlich komplex modellieren (Abbildung 17 und Abbildung 18). Abbildung 17: Einfachstes Kommunikationsmodell. Abbildung 18: Komplexes Kommunikationsmodell. Was in ein Schema aufgenommen wird und was nicht, ist eine ideologische Frage und hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Gegenstands. Wenn in einem Stadtplan die Sehenswürdigkeiten farbig markiert sind, dann ist dieser Stadtplan nicht mehr ein neutrales Hilfsmittel zur Orientierung, sondern eine Anleitung, welche Gebäude und Plätze man als sehenswürdig zu betrachten und damit bevorzugt aufzusuchen hat. Bei gedruckten Stadtplänen stehen hinter solchen Entscheidungen spezialisierte Verlage und Tourismusverbände. Bei elektronischen Karten im Internet wie google maps werden jene Unternehmen angezeigt, die sich selber um einen Eintrag bemüht haben. Das ist einerseits demokratischer, andererseits hängt die angezeigte Karte nun stärker vom SITUATION Nachricht Sachinhalt Beziehung Appell Selbstoffenb. Situationsdeutung 1 Situationsdeutung 2 Person 1 Wissen Charakter Position Ziele Partnereinschätzung Person 2 Wissen Charakter Position Ziele Partnereinschätzung Senderin Empfänger Nachricht 140 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Zufall und den technischen Fertigkeiten der Unternehmerinnen ab. Karten werden so von einem Orientierungszunehmend zu einem Werbemittel. Symbolische Bedeutung Bilder haben aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit den abgebildeten Gegenständen oder Konzepten eine ikonische Bedeutung. Darüber hinaus können Bilder oder einzelne Bildelemente eine symbolische Bedeutung annehmen. Wir unterscheiden drei Formen von Symbolik:  Symbole mit kulturell fixierter Bedeutung: Diese Symbole haben unabhängig vom Kontext eine fixe Bedeutung und können daher für sich allein stehend eine Botschaft vermitteln. Die Taube steht für Frieden, die Waage für Gerechtigkeit, die Sonne für Atomkraftgegner oder das Pentagramm für Okkultismus.  Konventionelle Symbolik: Diese Bildelemente entfalten ihre symbolische Kraft zusätzlich zur ikonischen Bedeutung nach konventionellen Mustern wie zum Beispiel der Gleichung Wetter = Gemütsverfassung. Ein wolkenverhangener Himmel kann Düsterkeit und Trübsal symbolisieren; eine keimende Pflanze zeigt nicht nur den Frühling an, sondern symbolisiert auch Hoffnung. Allerdings muss der Kontext zur symbolischen Deutung einladen. In einem Geografielehrbuch wird man die dargestellten Wolken nicht symbolisch auffassen wollen.  Ad hoc Symbolik: Bestimmte Bilder oder Bildelemente, die normalerweise nicht symbolisch gedeutet werden, können in einem bestimmten Kontext eine symbolische Botschaft übernehmen. So kann das Bild einer leeren Baustelle in einem Zeitungsartikel Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation symbolisieren, eine Rolltreppe hingegen den wirtschaftlichen Aufschwung. In der heutigen Zeit des Markenkults können auch die Logos von Unternehmen und Markenzeichen als Symbole interpretiert werden, da sie für weit mehr stehen als nur die Herstellerbezeichnung. Marken werden heute mit menschlichen Charaktereigenschaften aufgeladen, sie signalisieren soziale Zugehörigkeit und stehen für ein Lebensgefühl. Nicht umsonst werden Markenprodukte als Statussymbole bezeichnet; der Begriff Symbol ist hier absolut angebracht. Fazit: Die Analyse von Inhalt und Ausschnitt eines Bildes dient dazu zu bestimmen, welche Objekte aus welcher Entfernung vor welchem Hintergrund aufgenommen wurden, was vermutlich weggelassen wurde, und welche Wirkung von dieser Art der Darstellung ausgeht. Dabei können ikonische und symbolische Bedeutungen unterschieden werden. Aufgaben Aufgabe 15: Am 21. Oktober 2013 berichteten verschiedene Online Zeitungen über die Auftragslage des Eisenbahnbauers Stadler Rail. Der „Tages-Anzeiger“ titelte „Stadler- Chef Spuhler verdoppelt Auftragsziel“ und bebilderte die Nachricht mit der in Abbildung 19a wiedergegebenen Fotografie. Die „Südostschweiz“ titelte „Stadler Rail peilt Auftragsrekord an“ und brachte das Foto in Abbildung 19b. Beschreiben Sie Inhalt und Ausschnitt dieser Fotos. Erklären Sie die beabsichtigte Wirkung im Zusammenhang mit den Titeln. 141 7.3 Perspektivierung: Wo steht der Beobachter? Abbildung 19a: Tages-Anzeiger 21.9.13 Abbildung 19b: Südostschweiz 21.9.13 Aufgabe 16: Schneiden Sie aus Zeitungen und Zeitschriften Fotos heraus, auf denen mindestens eine Person abgebildet ist. Reduzieren Sie den Ausschnitt sukzessive, indem Sie immer mehr vom Rand abschneiden, sodass am Schluss nur noch das angeschnittene Gesicht übrig bleibt. Beschreiben Sie, wie sich die Wirkung der Person verändert. 7.3 Perspektivierung: Wo steht der Beobachter? Eine Ortschaft, eine Person, ein Gegenstand lässt sich nie von allen Seiten gleichzeitig abbilden, sondern immer nur aus einem bestimmten Winkel: von links, vorne oder rechts, von oben, aus Augenhöhe oder von unten. Das ursprünglich dreidimensionale Objekt ist damit nur noch aus genau einer Perspektive zu sehen. Gleichzeitig bekommt der Bildbetrachter (s)einen Standort zugewiesen, den er nicht frei wählen konnte und nicht mehr wechseln kann. Mit der Wahl der Perspektive sind spezifische Wirkungen verbunden. Ein- und derselbe Gegenstand kann ganz unterschiedliche Bedeutungen entfalten, je nachdem, aus welcher Perspektive er aufgenommen wurde. Zu unterscheiden sind der horizontale und der vertikale Winkel. Bei Personen ist darüber hinaus zu fragen, ob sie den Betrachter anblicken oder nicht. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Kress/ van Leeuwen (2006). Horizontaler Winkel Beim horizontalen Winkel unterscheidet man die Frontalaufnahme von der seitlichen Perspektive. Bei der Frontalaufnahme liegt der Fluchtpunkt innerhalb des Bildes, der Betrachter steht dem Abgebildeten direkt gegenüber. Liegt der Fluchtpunkt genau in der Mitte des Bildes, spricht man von Zentralperspektive. Sie ist in besonderem Maße geeignet, eine hohe Tiefenwirkung zu erzeugen, vor allem, wenn die Fluchtlinien im Bild unterstrichen werden durch die Kanten von Gebäuden oder Tischen oder durch zusammenlaufende Bahnschienen oder Baumreihen. Die Zentralperspektive wirkt eher statisch. 142 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Bei der seitlichen Perspektive liegt der Fluchtpunkt außerhalb des Bildes. Auch er kann betont werden durch Fluchtlinien im Bild wie zum Beispiel durch Stromleitungen, einen vorbeifahrenden Zug oder eine nach hinten zulaufende Fensterfront. Die seitliche Perspektive wirkt dynamischer, wobei je nach Richtung der Vektoren eine andere Bewegungsrichtung suggeriert wird. Läuft der Vektor von links hinten bzw. oben nach vorne bzw. in die Mitte, entsteht der Eindruck des Kommens, läuft der Vektor von der Mitte nach rechts bzw. oben, entsteht der Eindruck des Gehens. Der Aufnahmewinkel erzeugt bei der Betrachterin ein unterschiedliches Maß an Involvement, das heißt an Gefühl, in das Geschehen einbezogen zu sein. Bei der Frontalaufnahme gewinnt die Betrachterin das Gefühl, in die Szene hineinversetzt und den abgebildeten Gegenständen und Personen nahe zu sein. Die Frontalaufnahme wird daher immer dann eingesetzt, wenn Betroffenheit erzeugt, Emotionen geweckt oder Fakten geschaffen werden sollen. Bei der seitlichen Aufnahme sind die Betrachtenden eher in der Position von distanzierten Beobachtern, die der Szene von ferne zuschauen - und das unabhängig von der tatsächlichen Distanz. Die seitliche Pespektive wird daher dann verwendet, wenn zum Abgebildeten Distanz geschaffen werden soll, wenn die Abgebildeten als anders, fremd, nicht zu uns gehörig wahrgenommen werden sollen. Nicht von ungefähr sagt der Volksmund, dass man etwas „aus dem Augenwinkel“ betrachtet oder jemanden „schief“ anblickt. Vertikaler Winkel Der vertikale Winkel gibt an, aus welcher Höhe ein Gegenstand aufgenommen wurde. Unterschieden werden fünf Ansichten:  starke Obersicht (Vogelperspektive)  leichte Obersicht  Augenhöhe  leichte Untersicht  starke Untersicht (Froschperspektive) Referenzpunkt für diese Einteilung ist die (Welt)Sicht eines stehenden, erwachsenen Menschen. Wird etwas aus der Augenhöhe eines Kindes oder einer liegenden Person aufgenommen, stellt sich bei den meisten Betrachtenden bereits der Eindruck einer leichten Untersicht ein. Die Augenhöhe gilt als die „normale“ Perspektive, alle anderen Perspektiven werden als besonders und damit bedeutungsvoll wahrgenommen. Welche Wirkung die Wahl der Perspektive hat, ist bekannt: Je niedriger der Standpunkt des Beobachters, umso größer, mächtiger, dominanter, angsteinflößender wirkt das Abgebildete. Der Beobachter fühlt sich klein und unbedeutend - eben wie ein Frosch. Je höher der Standpunkt des Beobachters, umso kleiner, unbedeutender, unwichtiger und harmloser erscheint das Abgebildete. Der Beobachter gewinnt das Gefühl, „über den Dingen“ zu stehen und den Überblick zu haben. Der vertikale Winkel ist der visuelle Ausdruck sozialer Macht. Wem ich „auf Augenhöhe“ begegnen kann, ist mir gleichgestellt. Wenn ich zu jemandem „aufschauen“ muss, steht er sozial über mir und kann über mich bestimmen. Wenn ich auf jemanden „hinabschaue“, übe ich Macht über ihn aus. Wenn ich ganz oben bin, liegt mir die Welt buchstäblich „zu Füßen“. Die räumliche Metaphorik der deutschen Sprache ist diesbezüglich sehr präzise und sagt eigentlich alles. 143 7.3 Perspektivierung: Wo steht der Beobachter? Bei Abbildungen und fiktionalen Bildern ist der Winkel immer klar ersichtlich. Bei Schemata und gewissen Visualisierungen hingegen ist nicht immer klar, ob man von der Seite oder von oben auf sie blickt. Der Name Kuchendiagramm suggeriert zwar, dass man von oben auf die „Kuchenstücke“ blickt, man kann diese Visualisierung aber auch als Scheibe interpretieren, die man von vorne betrachtet. Das Kommunikationsmodell in Abbildung 17 kann man als Aufsicht oder Seitenansicht sehen. Bei technischen Zeichnungen werden sogar perspektivisch unmögliche Arrangements benutzt, etwa wenn die Seiten eines Würfels alle gleich lang gezeichnet werden, damit man die Kantenlänge messen kann. Insgesamt wird bei wissenschaftlichen Darstellungen der Eindruck von Perspektive eher vermieden, weil die „Perspektivenlosigkeit“ den Eindruck von Objektivität und Allgemeingültigkeit fördert. Während Amateure Fotos meistens gedankenlos aus Augenhöhe knipsen, setzen Berufsfotografen den vertikalen Winkel sehr gezielt ein. In der Werbung werden die beworbenen Produkte oft aus einer leichten bis starken Untersicht abgelichtet, wodurch sie größer und bedeutender erscheinen, als sie sind. Die Menschen jedoch werden eher aus Augenhöhe fotografiert, selbst die Werbung treibenden Promis, damit man ihnen „auf du und du“ begegnen kann, was die Identifikation mit ihnen fördert. In der Pressefotografie ist die Perspektive weitgehend standardisiert. Politikerinnen und Mitglieder von Unternehmensleitungen am Rednerpult werden durchwegs in leichter Untersicht gezeigt - dafür sorgen schon die Raumgestalter, indem sie die Mächtigen auf hohen Podien platzieren, sodass den Journalistinnen gar nichts anderes übrig bleibt, als sie von unten zu fotografieren. Flüchtlinge werden hingegen gerne von oben aufgenommen, was ihre Hilflosigkeit unterstreichen soll. An diese Darstellungskonventionen haben sich sowohl die Bildproduzenten als auch die Bildrezipienten dermaßen gewöhnt, dass die in ihnen eingeschriebene Ideologie praktisch nicht mehr wahrgenommen wird. Blickrichtung Bei allem, was Augen hat - Menschen, Tiere, Comicfiguren, Spielzeugautos - ist unter dem Aspekt der Perspektive entscheidend, wohin die abgebildete Figur schaut. Blickt eine Person direkt in die Kamera, gewinnt die Betrachterin den Eindruck, dass nicht nur sie die Person sieht, sondern dass sie auch von der Person gesehen wird. Ein Blick, der aus dem Bild heraus auf die Betrachterin gerichtet ist, hat starken Aufforderungscharakter: Schau mir in die Augen! Der direkte Blick suggeriert eine soziale Beziehung zwischen dem Betrachter und dem Abgebildeten. Die abgebildete Person hat den Status eines Subjekts. Ganz anders, wenn die abgebildete Person nicht in die Kamera, sondern auf ein anderes Objekt blickt, welches im Bildausschnitt oder außerhalb liegen kann. Ein solches Bild hat keinen Aufforderungscharakter, sondern ist ein Angebot: Du darfst diese Person anschauen. Die abgebildete Person gerät in die Position des Objekts, welches betrachtet wird, aber kein Recht hat zurückzublicken. Wie stark die Blickrichtungen die Aussage eines Bildes verändern, sei an zwei privaten Fotos beim Brotbacken illustriert, die gleich hintereinander aufgenommen wurden (siehe Abbildung 20): Bei der linken Aufnahme blicken sich Mutter und Sohn an. Der Betrachter blickt zwar auf sie, ist aber von ihrer Zwiesprache ausgeschlossen. Bei der rechten Aufnahme blickt die Mutter in die Kamera und nimmt damit Kontakt auf mit dem Betrachter (bzw. Fotografen). Der Sohn blickt nicht in die Kamera, sondern 144 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse auf seine teigverschmierten Hände, die er dem Fotografen entgegenstreckt. Geste und Blick signalisieren, dass seine Hände das für ihn wichtige Objekt darstellen. Abbildung 20: Wirkung unterschiedlicher Blickrichtungen (Fotos: Dietmar Larcher). Auch die Blickrichtung ist in der Gebrauchsfotografie weitgehend konventionalisiert: Personen, die in Aktion gezeigt werden, blicken nicht in die Kamera, da nur so die Illusion des Dokumentarischen aufrecht erhalten werden kann; der Blick in die Kamera würde den Auftritt als inszeniert erscheinen lassen. Bei gestellten Fotos hingegen blicken die Portraitierten in die Kamera. Wer auf einem gestellten Portrait aus dem Bild hinausblickt, fällt aus dem Rahmen und inszeniert sich als unkonventionell, nachdenklich oder visionär. In der Werbung gibt es beides: Das in die Ferne blickende, über alles erhabene Model wie auch den Sympathie heischenden und zum Kauf auffordernden, direkten Blick. Beispielanalyse Als Beispiel für den Einsatz und die Wirkung der Perspektive dient uns ein Foto aus dem Geschäftsbericht von SPAR. Das Bild (Abbildung 21) ist aus einer leichten Obersicht aufgenommen. Das hat eine doppelte Wirkung: Die im Zentrum stehende Person wirkt dadurch niedlich und harmlos, gleichzeitig gewinnt die Betrachterin einen Überblick über das im Hintergrund ersichtliche Angebot, welches dadurch als reichhaltig erscheint. Durch den direkten Blick fordert die Abgebildete die Betrachterin zum Hinschauen auf. Da sie jedoch von unten herauf schaut, wirkt dieser Blick nicht herausfordernd, sondern eher einladend. Er unterstreicht den Angebotscharakter der Geste der Frau, welche der Betrachterin Früchte entgegenstreckt. 145 7.4 Komposition: Wie sind die Elemente angeordnet? Fazit: Mit der Perspektive kann man analysieren, von welchem Standort aus die Gegenstände abgebildet sind bzw. wo der Betrachter positioniert wird. Damit verbunden ist eine soziale Rangordnung sowie eine unterschiedliche Einbindung des Betrachters in das Bildgeschehen. Aufgaben Aufgabe 17: Machen Sie sich mit Ihrer Kamera auf den Weg und fotografieren Sie ein Kraftwerk in Ihrer Nähe (Windrad, Atomkraftwerk, Staudamm, Kohlekraftwerk), und zwar einmal so, dass man das Bild in einer Imagebroschüre des Kraftwerkbetreibers, und einmal so, dass man es in einer Kampagne gegen den Bau eines neuen Kraftwerks einsetzen könnte. Worauf achten Sie? 7.4 Komposition: Wie sind die Elemente angeordnet? Elemente können in einem Bild an verschiedenen Orten platziert sein: in der Mitte, am Rand, links, rechts, oben oder unten, sie können horizontal, vertikal oder diagonal angeordnet sowie durch Rahmen voneinander separiert oder durch Vektoren miteinander verbunden sein. Die Platzierung verleiht einem Element einen bestimmten Informationswert, zum Beispiel wie wichtig es ist, und sie kann zusätzliche Bedeutung generieren, zum Beispiel ob etwas als gegeben oder neu eingestuft wird. Im Folgenden werden die wichtigsten Kompositionsmöglichkeiten und deren Bedeutung einschließlich ihrer ideologischen Wirkung vorgestellt. Die Ausführungen stützen sich mehrheitlich auf Kress/ van Leeuwen (2006). Abbildung 21: Geschäftsbericht SPAR (2011: 5). © Foto Karg, Abdruck mit freundlicher Genehmigung von SPAR Österreich 146 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Zentrum und Rand Wie Elemente in der Mitte bzw. am Rand eines Bildes wahrgenommen werden, macht unser Sprachgebrauch deutlich: Etwas ist „zentral“ oder eben „marginal“. Was immer ins Zentrum eines Bildes gesetzt wird, erscheint nicht nur optisch als fokales Element, sondern auch inhaltlich als das Wichtigste. Was immer um das zentrale Element herum gruppiert ist, erscheint als weniger bedeutsam. Bilder, in denen alle sekundären Elemente kreisförmig um das zentrale Element herum verteilt sind, wie bei einem Mandala, sind in unserer Kultur selten. Ein Grund dafür dürften die technischen Bedingungen der heutigen Bildproduktion sein: Fotoapparate machen rechteckige Bilder, jedes DIN genormte Papier ist rechteckig, jede Computergrafik wird rechteckig ausgegeben - mit Ausnahme von von Tischdecken und Wanduhren wird von der Industrie kaum etwas Rundes produziert, welches zu kreisförmigem Design einladen würde. Abgesehen von den technischen Produktionsbedingungen haben kreisförmige Anordnungen in unserer Kultur auch wenig Tradition. Eine Ausnahme bilden Managementmodelle, bei welchen das eigene Unternehmen regelmäßig ins Zentrum gesetzt wird, während alles andere als „Umwelt“ erscheint (vgl. Abbildung 22). Abbildung 22: Die drei Bereiche des Unternehmensumfeldes (Peter et al. 2011: 92+94). Die weniger wichtigen Elemente werden am häufigsten rechts und links des zentralen Elements platziert. Dadurch entsteht eine Symmetrie entlang einer vertikalen Symmetrieachse. Solche symmetrischen Anordnungen heben das zentrale Element zusätzlich hervor, sie wirken geordnet und harmonisch, aber auch statisch. Das Tryptichon mit dem Kreuz in der Mitte und den Anbetenden zur Rechten und Linken blickt auf eine lange Tradition zurück. Durch eine Betonung der Zentralperspektive kann dem mittleren Element zusätzliches Gewicht verliehen werden. Bilder mit einer horizontalen Symmetrieachse, bei denen die sekundären Elemente oberhalb und unterhalb des zentralen Elements liegen, sind seltener. Am häufigsten jedoch ist um das zentrale Element herum gar nichts zu finden: Das abgebildete Gesicht, Gebäude oder Produkt soll gerade dadurch zur Geltung kommen, dass der Hintergrund einfarbig, verschwommen oder bedeutungslos ist. Wie wir Elemente im Zentrum und am Rand von Bildern wahrnehmen, dürfte einerseits aus unserem natürlich Blickverhalten abgeleitet sein: Wir sind gewohnt, den 147 7.4 Komposition: Wie sind die Elemente angeordnet? Kopf so zu drehen, dass das interessierende Objekt in der Mitte unseres Gesichtsfeldes liegt. Unsere Vorliebe für Symmetrie könnte damit zusammenhängen, dass symmetrische Gesichter als schöner wahrgenommen werden als asymmetrische. Andererseits ist die Anordnung in Zentrum und Peripherie auch eine ideologische: Was „an den Rand gedrängt“ wird, ist eben auch unbedeutend oder, wie im Falle der „Randständigen“, sogar sozial minderwertig. Dies so wahrzunehmen, lernen wir mit jedem Bild neu, auf welchem das Königspaar oder die Präsidentin in der Mitte stehen und die Familienangehörigen bzw. Minister in abnehmender Wichtigkeit links und rechts aufgereiht werden. Links und rechts Gibt es in einem Bild zwei fokale Elemente, so können diese links und rechts angeordnet sein. Entsprechend unserer Leserichtung tendieren die meisten Europäer dazu, in solchen Bildern eine logische Abfolge von links nach rechts wahrzunehmen. Links befindet sich das Bekannte, die Ursache, der Anfang, rechts das Neue, die Wirkung, das Resultat. Diese Anordnung entspricht der Thema-Rhema-Struktur unmarkierter deutscher Sätze, bei welchen ebenfalls vom Bekannten zum Unbekannten vorangeschritten wird: „In Paris (bekannt) fand heute die Ministerkonferenz statt (neu).“ So wie ein umgestellter Satz („Die Ministerkonferenz fand heute in Paris statt“) bedeutend schlechter verständlich ist (Göpferich 2008), so ist eine „falsch“ arrangierte Grafik fast nicht lesbar. Zur Illustration wurde das Kommunikationsmodell aus Abbildung 17 in der folgenden Abbildung 23 vertikal gespiegelt. Abbildung 23: Einfachstes Kommunikationsmodell, vertikal gespiegelt. Die Lektüre von links nach rechts suggeriert ferner eine Bewegung von links nach rechts: Bei den in Abbildung 24 gezeigten Rolltreppen scheint die linke nach unten, die rechte nach oben zu fahren. In Autoanzeigen blicken fahrende Autos mit der Nase fast immer nach rechts, in den wenigen Anzeigen, in denen die Autos nach links zeigen, sind sie im Stehen abgebildet: sie sind „angekommen“. Abbildung 24: Rolltreppen nach unten und oben. Entsprechend gehört, symbolisch betrachtet, die linke Seite der Vergangenheit, die rechte Seite der Zukunft. Jeder Manager und jede Politikerin, die als zukunftsorientiert Empfänger Senderin Nachricht 148 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse und visionär wahrgenommen werden will, wird daher auf einer Fotografie nach rechts blicken, zeigen oder gehen, nicht nach links. Damit wird das ideologische Potenzial der Links-Rechts-Verteilung von Bildelementen deutlich: Indem man etwas links platziert, kann man suggerieren, es sei gegeben und damit unbestritten, indem man etwas rechts platziert, kann man suggerieren, es sei neu und überraschend. Des weiteren kann man eine Person gezielt als rückwärtsgewandt inszenieren oder Objekte als unbeweglich, indem man sie nach links ausrichtet. Oben und unten Zwei fokale Elemente können auch vertikal arrangiert, das heißt oben und unten im Bild platziert sein. Konventionellerweise werden leichtere, kleinere und hellere Objekte oben platziert, schwerere, größere und dunklere unten. Unabhängig von den realen Größen- und Gewichtsverhältnissen wirken jedoch oben abgebildete Elemente von sich aus leichter. Die Aufteilung eines Bildes in oben und unten hat eine starke Symbolkraft: Was oben ist, steht für das Ideale, das Göttliche, das Allgemeine, das Geistige. Was unten ist, steht für das Reale, das Irdische, das Spezifische, das Materielle und Körperliche. In fast allen Werbeanzeigen, die aus zwei Bildern zusammengesetzt wurden, ist im oberen Bildteil das Reich der Träume, Wünsche und Phantasien zu sehen, im unteren Teil befinden sich die realen Produkte und die handfesten Informationen. Die Wahrnehmung von oben und unten dürfte weitgehend an unsere Erfahrungen in der natürlichen Umwelt und unsere Körpererfahrung gebunden sein: Oben ist der immaterielle Himmel, unten die materielle Erde; schwere Objekte fallen oder sinken nach unten; im Kopf sitzt der Verstand, der abstrakte Gedanken, Phantasien, Ideale und Wünsche produziert; der Bauch ist für das Materielle zuständig, für die Verdauung und die Fortpflanzung, er ist der Sitz der fleischlichen Bedürfnisse und der Gefühle. Die Sprache reproduziert diese Erfahrung in allen erdenklichen Variationen: Wir „stehen mit beiden Füßen auf dem Boden der Realität“ oder „heben ab“ zu gedanklichen „Höhenflügen“, wir produzieren eine „Kopfgeburt“ oder folgen unserem „Bauchgefühl“, finden eine Sache „überirdisch“ oder „unter jedem Niveau“ usw. Zementiert werden solche Vorstellungen in Kommunikationsmodellen, in denen ausnahmslos die „Sachebene“ oben und die „Beziehungsebene“ unten abgebildet ist (man gebe in der Bildersuche von google das Stichwort „Beziehungsebene“ ein). Die Aufteilung in oben und unten entspricht aber nicht nur unserer Körpererfahrung, sondern sie ist auch in hohem Maße ideologisch aufgeladen. Da unsere Kultur seit der Antike die Vernunft höher bewertet als den Körper, gilt:  oben = gut, rational, rein, erstrebenswert, mächtig  unten = minderwertig, irrational, schmutzig, machtlos Daher residieren die Top(! )-Manager nicht nur physisch in der „Chefetage“, sondern sie sind auch in jedem Organigramm zuoberst aufgeführt; in der berühmten Maslow’schen Bedürfnispyramide sind die „höheren“ Bedürfnisse weiter oben angesiedelt; in der Einkommensstatistik des Schweizer Bundesamtes für Statistik sind die Führungskräfte zuoberst, die Bürokräfte in der oberen Hälfte, die Handwerker in der unteren Hälfte und die Hilfskräfte zuunterst aufgeführt usw. All das sind wirksame visuelle Mittel, gesellschaftliche Ungleichheit zu reproduzieren, zu stabilisieren und zu legitimieren. Die deutsche Metaphorik trägt das ihre zur Reproduktion des Konzeptes oben = mächtig = gut bei: Jemand „erklimmt die Karriereleiter“ und ist „oben angekommen“ oder „wird fallen gelassen“ und „stürzt ab“; mit der Wirtschaft geht es „aufwärts“, der 149 7.4 Komposition: Wie sind die Elemente angeordnet? Aktienindex erreicht einen neuen „Höchststand“; Widerstandskämpfer arbeiten „im Untergrund“, der Schweizer Bundesrat hingegen regiert „z Bärn obe“ (in Bern oben). Von allen Kompositionsmöglichkeiten dürfte die Aufteilung der Bildelemente in oben und unten die ideologisch wirkmächtigste sein. Senkrecht, waagrecht, diagonal In Bildern können - unabhängig von der Existenz eines oder mehrerer zentraler Elemente - die senkrechten, waagrechten oder diagonalen Elemente überwiegen. Bei einer gotischen Fassade oder einer Baumreihe dominiert das Senkrechte. Es wirkt stabil, aufwärts gerichtet und eher statisch. Bei einem Panorama, einer Fensterfront oder einem Bücherregal überwiegt das Waagrechte. Es wirkt ruhig und sehr statisch. Bei den Diagonalen reicht meistens eine einzige im Bild, um dominant zu wirken und Bewegung zu erzeugen: Ein schräg abgebildetes Auto auf einer diagonal verlaufenden Straße scheint automatisch zu fahren, eine diagonal im Bild platzierte Hecke lenkt den Blick an ihr Ende, jede schiefe Kante scheint instabil oder gar am Kippen zu sein. Auch diese Wirkungen dürften auf elementare Umwelterfahrungen zurückzuführen sein: senkrechte Pfosten verleihen einer Konstruktion Stabilität; horizontal Ausgebreitetes - egal ob menschliche Körper, Holzbretter oder Wasser - befindet sich im Ruhezustand; Schiefes hingegen ist instabil, und auf schiefen Ebenen rollen Gegenstände nach unten bzw. fließt Wasser zu Tal. Darum werden auch rundliche Gegenstände im Bild als beweglicher empfunden als rechteckige. Während das ideologische Potenzial senkrechter und waagrechter Linien eher gering ist, gilt dasselbe für die Diagonale nicht: Eine schief abgelichtete Person wird buchstäblich „ins schiefe Licht“ gerückt, ein schräg montiertes Firmengebäude kann suggerieren, das Unternehmen befinde sich „in Schieflage“. Wichtigkeit Unabhängig von ihrer Platzierung im Bild kann Bildelementen eine unterschiedliche Wichtigkeit (salience) verliehen werden. Dazu dienen verschiedene gestalterische Mittel.  Größe: Je größer ein Gegenstand absolut oder im Verhältnis zu den anderen Gegenständen abgebildet ist, umso wichtiger erscheint er.  Farbe: Wichtigkeit kann durch auffällige, reine, helle Farben sowie starke Farbkontraste erzeugt werden.  Licht: Je stärker etwas beleuchtet wird, umso auffälliger tritt es hervor.  Schärfe: Scharf umrissene Gegenstände heben sich von verschwommen dargestellten Gegenständen ab.  Perspektive: Gegenstände im Vordergrund sind meistens nicht nur größer, sondern werden auch als wichtiger wahrgenommen als Gegenstände im Hintergrund. Einem Bildgestalter stehen demnach viele Mittel zur Verfügung, um eine Person oder einen Gegenstand als besonders wichtig erscheinen und andere „in den Hintergrund treten“ zu lassen. Das Manipulationspotenzial ist entsprechend groß. 150 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Rahmen und Vektoren Die Elemente eines Bildes können als mehr oder weniger isoliert oder als miteinander verbunden erscheinen. Linien wie zum Beispiel die Kante eines Gebäudes können Personen oder Gegenstände voneinander trennen und gleichsam in einen je eigenen Rahmen setzen. Gleiches gilt für Leerräume oder starke Farb- und Lichtkontraste. Die extremste Form der Isolation ist die Verteilung der Information auf mehrere Bilder. In den bereits besprochenen Geschäftsberichten wurden die Führungskräfte von SPAR in vier separaten Portraits vorgestellt und damit als Einzelkämpfer gerahmt, die Führungskräfte von Pistor hingegen als Mannschaft in einem Bild (vgl. Abb. 14+16). Umgekehrt können Bildelemente durch Brückenelemente miteinander verbunden werden. So dient in vielen Werbeanzeigen eine Schlagzeile als Scharnier zwischen Traumbild (catch-visual) und Produktbild (key-visual). Weisen diese Brückenelemente eine Richtung auf, bezeichnet man sie als Vektoren. Als Vektoren können ausgestreckte Arme, ein durchfahrender Zug, eine Treppe u.a.m. fungieren. Solche Vektoren verbinden nicht nur Bildelemente miteinander, sondern sie zeigen auch an, von wo die Bewegung ausgeht und was das Ziel der Bewegung ist. Im Falle von Personen können sie Täter und Opfer signalisieren. Entsprechend konventionell werden Vektoren in der Pressefotografie eingesetzt: Gewehrläufe zeigen auf Opfer, nicht umgekehrt. Beispielanalyse Die Komposition eines Bildes und deren Wirkung sei wiederum an einem Beispiel aus dem Geschäftsbericht von SPAR vorgeführt (Abbildung 25). Das Bild weist sowohl eine links-rechts als auch eine oben-unten Anordnung auf. Die beiden Personen sind als die zentralen Elemente links und rechts angeordnet. Ihre ausgestreckten Arme bilden deutliche Vektoren, welche über die Theke hinweg eine Brücke zwischen ihnen formen. Wie bei vielen anderen Bildern im gleichen Geschäftsbericht steht die Verkäuferin links, die Kundin rechts. Das bedeutet, dass die Transaktion von der Verkäuferin ausgeht, nicht von der Kundin, dass also ein Verkauf abgebildet wird, nicht ein Kauf. Das wird dadurch unterstrichen, dass sich die Ware noch in den Händen der Verkäuferin befindet. Der untere Bildteil wird von der Theke mit dem angebotenen Fleisch eingenommen. Im oberen Teil ist - neben ebenfalls realen Gerätschaften - unter der Leuchtschrift „Csemege“ (ungarisch für Delikatesse) ein Plakat mit Fleischwaren und dem SPAR- Logo zu sehen. Zusätzlich zum realen Fleisch unten wird also das ideale Fleisch oben abgebildet und sprachlich zur Delikatesse aufgewertet. Die Theke läuft diagonal durch das Bild, von unten links nach oben rechts, was dem Bild eine gewisse Dynamik verleiht. Die Hände der Frauen sind genau über der Theke und verbinden damit nicht nur den linken mit dem rechten, sondern auch den oberen mit dem unteren Bildteil. 151 7.4 Komposition: Wie sind die Elemente angeordnet? Abbildung 25: Geschäftsbericht SPAR (2011: 19). Bezüglich Rahmen und Vektoren verdienen Schemata und Visualisierungen besondere Aufmerksamkeit, da sie fast nur aus Rahmen und Vektoren bestehen: aus Kästchen oder Kreisen, die durch Linien oder Pfeile miteinander verbunden sind. Interessanterweise haben sich für die Gestaltung von Diagrammen und Grafiken bisher kaum Konventionen durchgesetzt: Ob eine Ellipse oder ein Rechteck verwendet wird, ob ein Kasten rechtwinklige oder abgerundete Ecken hat, bedeutet in aller Regel nichts und bleibt dem Zufall oder dem ästhetischen Empfinden des Grafikherstellers überlassen. 32 Ob eine Linie grün oder violett, gestrichelt oder durchgezogen ist, mag im Einzelfall eine Bedeutung haben, konventionalisiert ist diese Bedeutung jedoch nicht, weshalb sie in einer Legende erklärt werden muss. Selbst die „perfekten“ Formen des Kreises und des Quadrates, die in vielen Kulturen symbolisch stark aufgeladen sind, werden in Schemata und Visualisierungen ziemlich willkürlich verwendet. Bei Diagrammen und Grafiken geht daher die stärkste ideologische Wirkung davon aus, dass überhaupt so klare Grenzen um die Dinge gezogen werden. In Diagrammen und Grafiken erscheinen alle Dinge als klar abgegrenzt; fließende Übergänge gibt es nicht. Alle Elemente sind fein säuberlich nebeneinander angeordnet und erscheinen in perfekter Ordnung, senkrecht oder waagrecht ausgerichtet. Linien und Pfeile geben eindeutig an, welche Elemente mit anderen in Beziehung stehen bzw. wer auf was einwirkt. Das obige Bild mit der Fleischtheke aus dem Supermarkt könnte in einem Lehrbuch über Verkaufstransaktionen auf das in Abbildung 26 entworfene Diagramm reduziert werden. 32 In Comics sind die Umrisse konventionalisiert: Rechtecke stehen für Kommentare, runde Blasen für den Sprechtext, Wolken für Gedachtes. Für Flussdiagramme existiert eine DIN-Norm. 152 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Abbildung 26: Diagramm eines fiktiven Transaktionsmodells. Diagramme und Grafiken schaffen die Illusion, die Welt sei geordnet, überschaubar, erklärbar, manipulierbar, kontrollierbar. Das ist der Grund, warum in der Wissenschaft, im Management und in Lehrbüchern keine „schmuddeligen“ Fotografien verwendet werden, in denen die Gegenstände in ihrer natürlichen Unordnung hinter- und nebeneinander erscheinen, mit unterschiedlichen Größen und Abständen, mit unscharfen Konturen, fließenden Übergängen und störendem Beiwerk. In der Welt der wissenschaftlichen Modelle ist alles rein und klar - das ist Ideologie pur. Fazit: Die Analyse der Komposition dient dazu zu bestimmen, welches Element im Bild welche Bedeutung und welches Gewicht hat und durch welche räumliche oder logische Ordnung die Elemente miteinander verbunden werden. Aufgaben Aufgabe 18: Suchen Sie ganzseitige Anzeigen aus Zeitungen oder Zeitschriften. Zerschneiden Sie die Anzeigen in ihre Einzelteile, zum Beispiel Person, Produkt, Schlagzeile, Text, Logo. Setzen Sie die Anzeige spielerisch anders zusammen, indem Sie oben und unten, links und rechts etc. vertauschen. Beschreiben Sie, wie sich die Verständlichkeit und Wirkung der Anzeige verändern. 7.5 Modalität: Wie werden die Gegenstände gezeigt? Unter der Modalität verstehen wir die Art und Weise, wie die abgebildeten Personen, Gegenstände und Szenen dargestellt werden: ob naturalistisch oder abstrakt, detailliert oder schemenhaft, bunt oder einfarbig, scharf umrissen oder verschwommen usw. Die Modalität entscheidet darüber, als wie „real“ das Abgebildete erscheint. Damit verbunden sind Wahrheitsansprüche: Was als real wahrgenommen wird, gilt gleichzeitig als wahr. Das kann von Kultur zu Kultur, von Epoche zu Epoche variieren. In der westlichen Kultur dominiert der Naturalismus: Ein Bild ist dann real und somit wahr, wenn es die Welt genau so wiedergibt, wie sie ist bzw. wie wir sie mit den Augen wahrnehmen. Die Europäer sind seit der Renaissance auf der Suche nach der perfekten Wiedergabe der Welt, zuerst in der Malerei, dann in der monochromen und schließlich in der farbigen Fotografie. Wahrheit war und ist immer auch ein Produkt der verfügbaren Technik. Der Holzschnitt oder die schwarz-weiße Fotografie haben ihre Beweiskraft verloren. Das Maß aller Dinge ist heute die unverfälschte Farbfotografie. Sie gilt als unumstößlicher Beweis dafür, dass etwas so ist bzw. war, wie es auf dem Bild erscheint. Im europäischen Mittelalter, aber auch in anderen Kulturen, versuchte man gar nicht, naturalis- Verkäuferin Kundin WARE GELD 153 7.5 Modalität: Wie werden die Gegenstände gezeigt? tisch zu malen. Dort hatten stilisierte Darstellungen viel eher den Anspruch, eine göttliche Ordnung und damit die Wahrheit abzubilden. Allerdings gilt der Naturalismus auch in der westlichen Kultur nicht in allen gesellschaftlichen Domänen gleichermaßen (Kress/ van Leeuwen, 2006: 163-166). In der Presse, in den Social Media, in der Unternehmenskommunikation, in Online-Lexika wie Wikipedia - überall, wo Menschen mehr oder weniger professionell „knipsen“ - gilt der Naturalismus unangefochten: Ein gutes und damit wahres Bild ist eines, das die abgelichtete Szene möglichst realitätsgetreu wiedergibt. Anders in der Wissenschaft. Hier gilt die Fotografie gerade nicht als wahrheitsfähig, weil sie nur einen einzelnen, konkreten Gegenstand abbildet, während die Wissenschaft auf das Allgemeine und Typische zielt. In der Wissenschaft haben daher abstrakte, schwarz-weiße Schemata die höchste Modalität, den höchsten Wahrheitswert: Sie geben unverfälscht das Essentielle eines Objekts wieder. Noch einmal andere Konventionen gelten in der Mode- und Werbebranche: Dort haben möglichst sinnliche Aufnahmen die höchste Modalität, Bilder, in denen die fokussierten Models, Kleider oder Konsumartikel in hyperrealen Farben und scharfen Umrissen erscheinen, während der Hintergrund verschwimmt oder wegretuschiert wurde. Es sind also die jeweils gesellschaftlich einflussreichen Gruppen wie Wissenschaftler oder Magazinmacherinnen, die festlegen, was als real und wahr gilt. Künstlerischen Darstellungen hingegen wird in unserer Gesellschaft der Anspruch auf Wahrheit weitgehend abgesprochen. Zeichnungen verkünden keine Wahrheit, wenn es sich nicht gerade um eine politische Karikatur handelt. Tabelle 10 gibt einen Überblick über den Zusammenhang von gesellschaftlicher Domäne, dem jeweils erhobenen Anspruch auf Wahrheit und präferierter Modalität. Gesellschaftliche Domäne Anspruch auf Wahrheit präferierte Modalität Alltag, Presse Naturalismus: Wiedergabe eines konkreten Moments Farbfotografie Wissenschaft Abstraktion: Reduktion auf das Typische Schwarz-weiß-Schema Mode, Werbung Hyperrealismus: Hervorheben des Sinnlichen fotografische Komposition Tabelle 10: Zusammenhang von gesellschaftlicher Domäne und präferierter Modalität. Die Modalität eines Bildes wird durch verschiedene Faktoren bestimmt, die ihrerseits die Form einer kontinuierlichen Skala haben. So können Farben zum Beispiel mehr oder weniger gesättigt sein. Diese Faktoren wirken unabhängig voneinander. Ein Bild kann nur schwarz-weiß sein und insofern eine tiefe Modalität aufweisen, geichzeitig aber über eine hohe Tiefenschärfe verfügen und diesbezüglich eine hohe Modalität aufweisen. Die verschiedenen Faktoren der Modalität werden im Folgenden vorgestellt. Die Darstellung orientiert sich mehrheitlich an Kress/ van Leeuwen (2006: 160ff). 154 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Farbe Beim Faktor Farbe können drei Aspekte unterschieden werden:  Sättigung: Die Skala reicht vom reinen Schwarz-Weiß zur vollen Farbgebung und darüber hinaus zur hyperrealen Farbintensität.  Spektrum: Die Skala reicht von der Einfarbigkeit über die Mehrfarbigkeit (zum Beispiel Zweifarbendruck) bis zum Einsatz aller Farben.  Abstufung: Die Skala reicht von der Verwendung lediglich klarer Grundfarben bis hin zu feinen Abstufungen verschiedener Farbtöne. Die Standardfotografie verwendet das volle Farbenspektrum in allen Abstufungen und hoher Sättigung. Sie wird als besonders echt und wahr empfunden. In der Unternehmenskommunikation wird das Farbenspektrum häufig gezielt eingeschränkt auf die Farben des Corporate Designs und die Abstufung wird reduziert auf eindeutig vorgeschriebene Farbtöne. In der Werbung wird die Zahl der verwendeten Farben ebenfalls häufig eingeschränkt, zum Beispiel auf die Farben der Produktpackung plus schwarz und gold, um den Eindruck von Eleganz zu erzeugen. Die Sättigung wird dafür häufig künstlich intensiviert, um die Gegenstände „mehr als real“ erscheinen zu lassen. Bei Grafiken, Diagrammen und Schemata werden in der Regel nur ganz wenige Farben ohne jede Abstufung verwendet. Die Computerprogramme stellen dafür fixfertige Farbpaletten zur Verfügung, die neben der Standardisierung der Formen auch für eine standardisierte Farbgebung sorgen. Wissenschaftliche Grafiken weisen die tiefste Modalität auf, sie sind in der Regel auf schwarz und weiß reduziert ohne weitere Farben und ohne graue Zwischentöne. Blau Unbegrenztes, Sehnsucht, Treue, Entspannung, männliche und geistige Tugenden, Göttliches, Marienfarbe. Rot Lebenskraft, alle Leidenschaften, Krieg, göttliches Feuer, Nähe, Materie, Blut, Adel, Luxus, Verbotenes, Männlichkeit. Grün Natur, Leben, Frühling, Geschäftserfolg, Hoffnung, Geist, Gift, Unreife. Schwarz Tod, Trauer, negative Gefühle, Schmutz, Gemeinheit, Unglück, Individualität, Illegalität, Eleganz, Härte. Rosa Weiblichkeit, Zartes, Kindliches, Romantik, Süße, Eitelkeit. Gelb Optimismus, Erleuchtung, Reife, Neid, Egoismus, Geiz, Gefahr. Weiß Göttliches, Vollkommenheit, Anfang, Auferstehung, Sauberkeit, Sterilität, Unschuld, Wahrheit, Status, Sachlichkeit, Leere. Violett Macht, Eitelkeit, Extravaganz, Magie, Dekadenz, Unsachlichkeit, Sünde. Braun Unsympathisches, Faulheit, Gemütlichkeit, Spießigkeit, Aroma, Armut, Dummheit, Verdorbenes. Grau Unfreundlichkeit, Mittelmaß, trübe Gefühle, Grauenhaftes, Alter, Minderwertigkeit, Bescheidenheit, Illegalität. Orange Modernität, Wertlosigkeit, Aufdringlichkeit, Vergnügen, Geselligkeit, Energie, Sicherheit. Tabelle 11: Psychologische Wirkung der Farben (nach Heller 2001). 155 7.5 Modalität: Wie werden die Gegenstände gezeigt? Farben lassen Gegenstände allerdings nicht nur als mehr oder weniger natürlich erscheinen, sie haben auch einen symbolischen Wert. In einer groß angelegten Befragung hat Heller (2001) untersucht, welche Eigenschaften die Probanden mit welchen Farben in Verbindung bringen. Die unten stehende Tabelle gibt einen Auszug ihrer Resultate wieder, geordnet nach abnehmender Beliebtheit der Farben. Blau und Rot sind mit Abstand die beliebtesten Farben und mit vorwiegend positiven Assoziationen besetzt. Daher verwundert es nicht, dass diese beiden Farben in den Corporate Designs der Unternehmen und im Layout der Printmedien am häufigsten benutzt werden. Licht Beim Faktor Licht können vier Aspekte unterschieden werden:  Farbton: Licht kann unterschiedliche Farbtöne haben, wobei bläulich-weißes Licht als kalt, rötlich-gelbes Licht als warm empfunden wird.  Bündelung: Das Licht kann gebündelt sein, wodurch ein Bildelement wie in einem Scheinwerfer fokussiert wird, oder es kann gestreut sein, wodurch alles gleich stark ausgeleuchtet wird und damit als gleich wichtig erscheint.  Stärke: Das Licht kann mehr oder weniger intensiv sein. Schwaches Licht führt nicht nur dazu, dass die Gegenstände weniger gut erkennbar sind, sondern auch zu einer diffusen Stimmung, die je nachdem bedrohlich (Nacht) oder romantisch (Kerzenschein) wirken kann.  Richtung: Je nach Quelle kann das Licht von der Seite, von oben, von unten, von vorne oder von hinten kommen. Seitliches Licht erzeugt starke Schatten, was die Gegenstände plastisch erscheinen lässt. Licht von schräg oben leuchtet die Szene am einheitlichsten aus und wird als natürlich empfunden, weil es dem Sonnenlicht entspricht. Licht von vorne ist typisch für arrangierte Situationen wie Bühnen, Podien oder Studioaufnahmen. Gegenlichtaufnahmen sind besonders auffällig und erzeugen je nach Kontext ein spezielle, möglicherweise symbolische Wirkung. Licht kann extrem strategisch eingesetzt werden. Mit einem kalten, gebündelten Licht, das von vorne und unten kommt, kann man zum Beispiel eine Person gezielt alt und müde aussehen lassen. Mit Licht kann jede erdenkliche Stimmung geschaffen werden. Bei topografischen Karten ist der Einsatz einer fiktiven Lichtquelle (von Norden nota bene) notwendig, damit die Betrachtenden die Landschaft als plastisch wahrnehmen können. Bei wissenschaftlichen Schemata, Grafiken und Diagrammen ist wiederum typisch, dass eine Lichtquelle fehlt und die Dinge keinen Schatten werfen. Damit sind sie jeglicher Realität enthoben. Komplexität Beim Faktor Komplexität unterscheiden wir drei Aspekte:  Detaillierungsgrad: Je detaillierter die Darstellung ist, umso naturalistischer wirkt sie. Je weniger detailliert die Darstellung ist, umso allgemeingültiger wirkt sie.  Abstraktionsgrad: Die Skala der Abstraktion reicht von der naturalistischen Abbildung über die Reduktion auf Umrisse und Flächen bis zur vollkommen abstrakten Darstellung mittels Symbolen.  Hintergrund: Der Hintergrund kann in seiner natürlichen Vielfalt abgebildet, auf wenige Farben reduziert oder ganz weggelassen sein. 156 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Während Fotos - bei ausreichender Beleuchtung - die abgebildeten Dinge in allen Einzelheiten zeigen, kann bei allen anderen Bildtypen der Detaillierungsgrad vom Bildproduzenten selbst bestimmt werden. Illustrationen können detailgetreu oder skizzenhaft sein, technische Zeichnungen unterschiedlich stark reduziert, der Maßstab von Karten kann variieren, in einem Schema können nahezu beliebig viele Elemente aufgenommen oder weggelassen werden. Ebenso können Gestalterinnen von Schemata oder Piktogrammen den Abstraktionsgrad festlegen. Verkehrsschilder zum Beispiel sind über die Jahre immer abstrakter geworden, die auf ihnen abgebildeten Lokomotiven oder Personen immer stärker stilisiert. Auch in der Wissenschaft ging der Trend Richtung mehr Abstraktion. Zeichnete de Saussure in seinem Kommunikationsmodell noch zwei menschliche (bzw. männliche) Köpfe, erscheinen die Personen in heutigen Kommunikationsmodellen in der Regel reduziert auf einen Kreis oder ein Viereck. Bei Stadtplänen hingegen lässt sich ein gegenläufiger Trend beobachten: Die Sehenswürdigkeiten werden heute häufig nicht mehr in der Vogelperspektive und damit reduziert auf ein Viereck eingetragen, sondern in Seitenansicht in den Plan gezeichnet, damit sie mehr herausstechen und besser wiedererkennbar sind. Auf einen Hintergrund wird bei fast allen Bildern außer Fotos und Zeichnungen verzichtet. Nichts soll vom Gegenstand ablenken, der im Fokus der Darstellung steht. Selbst bei Fotos wird der Hintergrund heute häufig wegretuschiert, die Person oder der Gegenstand wird „freigestellt“. In der Presse unterstützt diese Technik den Trend zur Personalisierung der Berichterstattung: Alles bis auf diese eine Person fällt weg, der Politiker oder Prominente scheint im luftleeren Raum zu agieren. In der Werbung dient das Freistellen dazu, den beworbenen Gegenstand, etwa eine Flasche Shampoo, als raum- und zeitloses Monument zu inszenieren. Schärfe Beim Faktor Schärfe schließlich können zwei Aspekte unterschieden werden:  Umrisse: Die fokalen Gegenstände eines Bildes können mit scharfen Umrissen gezeichnet oder verschwommen sein.  Tiefenschärfe: Je nach Darstellung sind die Dinge im Vordergrund, im Hintergrund oder im ganzen Bild scharf gezeichnet. Die scharf gestellten Dinge erscheinen als wichtiger als die verschwommenen, sie stehen buchstäblich „im Fokus“. Verschwommene Bilder gelten allgemein als missraten. Unscharf gezeichnete Personen oder Gegenstände können aber auch gezielt eingesetzt werden, um den Eindruck von Bewegung, Tempo, Hektik zu erzeugen, zum Beispiel bei Partybildern oder vorbeirasenden Motorrädern. In der Werbung wird die Technik umgedreht: Das Auto erscheint gestochen scharf, dafür scheint der Hintergrund vorbeizufliegen. Unscharfe Konturen können aber auch eingesetzt werden, um romantische, träumerische oder trübe Stimmungen zu erzeugen. Was die Tiefenschärfe anbelangt, so ist die Fotografie, auf welcher alles gleich scharf erscheint, die unmarkierte Aufnahme, während das Scharfstellen einer einzigen Person wiederum eine Technik der Personalisierung darstellt. Bei allen anderen Bildtypen gilt, was bereits bei der Komposition erwähnt wurde: Es gibt nur klare Umrisse. Dies hat den Effekt, dass in all diesen Karten, Diagrammen und Piktogrammen scheinbar „klare“ Verhältnisse herrschen. Verschwommene Gegenstände und Konzepte haben in Wissenschaft und Technik nichts verloren. 157 7.5 Modalität: Wie werden die Gegenstände gezeigt? Beispielanalyse Abbildung 27 zeigt ein weiteres Bild aus dem Jahresbericht der Pistor. Obwohl es sich um einen Vierfarbendruck handelt, ist das Farbenspektrum deutlich reduziert auf die Farben weiß, schwarz und rot. Rot ist die Unternehmensfarbe der Pistor, die zusätzlich betont wird durch den am linken Bildrand montierten, roten, transparenten Streifen. Die Farben sind sehr rein und hoch gesättigt, dadurch erscheint die Szene hyperreal. Mit dieser Überbetonung des Roten wird das grundsätzlich kalte Industrielicht, welches die ganze Szene kräftig ausleuchtet, kompensiert und ein allzu klinischer Eindruck vermieden. Der Detaillierungsgrad ist grundsätzlich hoch, was jedoch durch die mangelnde Tiefenschärfe konterkariert wird. Lediglich die in der Mitte arbeitende Person ist scharf gestellt, Vorder- und Hintergrund sind sehr verschwommen. Diese Technik zieht sich durch den ganzen Geschäftsbericht. Die Pistor zeigt mit ihrer eigenwilligen Bildmodalität, dass bei diesem Unternehmen der einzelne, arbeitende Mensch im Fokus steht. Das kühle Weiß und das starke, kalte Licht stehen für Sauberkeit und technisch hohe Standards, denen jedoch das dominante Rot als Farbe des Unternehmens, der Wärme und des Lebendigen gegenübergestellt wird. Abbildung 27: Geschäftsbericht Pistor (2012: 13). Mit Bildmodalitäten gehen soziale Konnotationen einher, wie beispielsweise die Bücher verschiedener Schulstufen zeigen. In den Büchern für kleine Kinder dominieren realitätsnahe Illustrationen und Zeichnungen, in denen das Wesentliche deutlich hervorgehoben wird. Offenbar mutet man den Kleinen weder zu, in (über)komplexen Fotografien das Wesentliche erkennen noch abstrakte Schemata interpretieren zu können. Je höher die Schulstufe, um so abstrakter werden die Abbildungen. Sie signalisieren, dass man den Schülerinnen jetzt das Verständnis für abstrakte Konzepte zutraut. Verallgemeinert lautet die Botschaft: Die Fähigkeit, mit abstrakten Bildern umgehen zu können, gilt als Zeichen von Bildung - das gilt auch für die moderne Malerei. Diesbezüglich ist es interessant zu beobachten, dass der Trend gegenwärtig wieder Richtung Konkretisierung geht: Anstelle von abstrakten Pfeilen und Textboxen tauchen heute auf vielen Bildschirmen Comicfiguren oder animierte Glühbirnen auf, die dem Benutzer Tipps abgeben. Smileys ersetzen Worte, Bildfolgen ersetzen verbale Gebrauchsanweisungen. An die Stelle topografischer Karten und gezeichneter Pläne treten plastische 3D-Panoramen. 158 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Fazit: Die Analyse der Modalität dient dazu zu bestimmen, wie realistisch die Gegenstände dargestellt werden und damit, welchen Anspruch an Wahrhaftigkeit und Gültigkeit das Bild erhebt. Die „visuelle Grammatik“ von Kress und van Leeuwen ist nicht unwidersprochen geblieben. Viele Forschende bezweifeln die Verallgemeinerbarkeit ihrer Aussagen und bringen Gegenbeispiele, in denen die Einteilung links = bekannt, rechts = neu oder die Zuordnung oben = ideal, unten = real nicht zutrifft. Unseres Erachtens sollte der Ansatz trotzdem nicht gänzlich verworfen werden. Vielmehr soll jeweils am konkreten Material geprüft werden, inwieweit die hier beschriebenen Gestaltungsprinzipien für Bilder und deren Wirkungen zutreffen. Aber auch wer die visuelle Grammatik von Kress und van Leeuwen ablehnt, wird nicht darum herumkommen, die zu analysierenden Bilder in Bezug auf Inhalt, Ausschnitt, Perspektive, Komposition und Modalität präzise zu beschreiben sowie deren Wirkung zu erläutern. Aufgaben Abbildung 2 a: Fenstertische in der Südostbahn. Alte Version (Foto: SBL). 8 Aufgabe 19: In den unten wiedergegebenen Fotos sind die Fenstertische der Südostbahn zu sehen, eines regionalen Bahnunternehmens. Beide stellen den Routenverlauf dar. Die Abbildung 28 zeigt unter a die ältere, unter b die jüngere Version. Beschreiben Sie die unterschiedlichen Modalitäten der beiden Abbildungen, ihren Informationsgehalt und ihre Funktion. Diskutieren Sie, warum die Abbildung ersetzt wurde, welcher gesellschaftliche Wandel dahinter steht. 159 7.6 Bild-Text-Beziehungen: Welche Funktion hat das Bild? Abbildung 28b: Fenstertische in der Südostbahn. Neue Version (Foto: SBL). 7.6 Bild-Text-Beziehungen: Welche Funktion hat das Bild? Der Inhalt, die Gestaltung und die damit verbundene Wirkung eines Bildes lassen sich in der Regel am isolierten Bild beschreiben. Welche kommunikative Funktion das Bild hat, lässt sich jedoch nur im Kontext des Gesamttextes bestimmen. Wird ein Bild von einem Kontext in einen anderen verpflanzt, so ändert es häufig auch seine Funktion. Nehmen wir als Beispiel die Fotografie der Baustelle in 9a. Für sich genommen ist die Fotografie ziemlich nichtssagend. Sie könnte im Prospekt einer Baufirma ebenso stehen wie in einem Zeitungsbericht über einen Unfall, der sich auf dieser Baustelle ereignet hat. Gerade wegen seiner Bedeutungsleere wäre das Bild ein geeignetes Sujet für eine Bilddatenbank, aus welcher man es jederzeit zur Bebilderung ganz unterschiedlicher Meldungen hervorholen könnte: Zu einem Bericht über die anziehende Konjunktur, bei welchem das auf Konjunkturschwankungen bekanntermaßen sensibel reagierende Baugewerbe metonymisch für die gesamte Wirtschaft stehen würde, aber ebenso zu einem Bericht über die zunehmende Zersiedelung und Zubetonierung der Landschaft. Die bloße Tatsache, dass es Bilddatenbanken gibt, beweist schon, dass Bilder bedeutungsoffen sind und in verschiedener Funktion in unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden können. Eine „Textdatenbank“ mit Texten, die man in einen neuen Gesamttext kopieren kann, ist demgegenüber kaum vorstellbar - schon die Arbeit mit vorfabrizierten Textbausteinen gestaltet sich schwierig. An eine Bildbeschreibung und -interpretation schließt sich daher zwingend die Frage an, welche Funktion das analysierte Bild innerhalb des Gesamttextes einnimmt. Das ist nicht immer einfach, zumal ein Bild mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen kann, zum Beispiel eine Stimmung zu vermitteln sowie zu belegen, dass ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat. Im Folgenden gehen wir auf einige Vorschläge ein, wie man die Funktionen von Bildern sowie das Verhältnis von Bild und Text systematisieren kann. 160 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Bildfunktionen Die in der Literatur verfügbaren Systematiken von Bildfunktionen unterscheiden sich je nach disziplinärem Hintergrund der Forschenden beträchtlich. Doelker unterscheidet in Bildsemantik zehn Bildfunktionen, die in Tabelle 12 aufgeführt sind: Funktion Bildtyp Beispiele registrativ Spurbild Schnappschuss als Beleg von einer Party mimetisch Abbild Technische Zeichnungen als Abbild der Wirklichkeit simulativ Surrogat Bild auf der Packung ersetzt die echte Pizza explikativ Schaubild Kalottenmodell visualisiert unsichtbares Molekül diegetisch Phantasiebild Comic erschafft Phantasiewelt appellativ Pushbild Titelbild auf Spiegel weckt Emotionen und Kauflust dekorativ Zierbild Ornamente in Büchern und auf Wänden phatisch Füllbild TV-Signet als Pausenfüller und zur Wiedererkennung ontisch Clipbild Abstraktes Gemälde als Selbstzweck energetisch Wirkbild Totem übt Wirkung auf Träger aus Tabelle 12: Bildfunktionen nach Doelker (1997: 70ff). Die Stärke dieser Auflistung liegt darin, dass von registrativen Pressebildern über wissenschaftliche Schaubilder und ontische Gemälde bis hin zu magischen Praktiken mit Wirkbildern alle möglichen Bildfunktionen erfasst werden. Die linguistische Pragmatik betont ihrer Disziplin entsprechend den Handlungscharakter von Bildern, sobald sie in konkreten Kommunikationszusammenhängen verwendet werden. Um die Nähe zur Sprechakttheorie hervorzustreichen, hat Klemm den Begriff „Bildakt“ vorgeschlagen. Welcher Akt mit einem Bild vollzogen wird, lässt sich durch das Formulieren einer indem-Relation verbalisieren: Eine Politikerin demonstriert ihre Volksverbundenheit, indem sie sich in der Menge ablichten lässt und indem sie diese Fotografie auf ihrer Homepage publiziert (Klemm 2011: 195). Ein Unterschied zu den Sprechakten besteht darin, dass für Bildakte keine performativen Verben zur Verfügung stehen und sich die Illokution als solche nicht visualisieren lässt. Das Bild kann nicht ausdrücken „Ich diene als Beweis“ oder „Hiermit verspreche ich, volksverbunden zu sein“. Das ist allerdings nicht unbedingt ein Nachteil. Ein Bild kann nämlich auch eine Bedeutung nahelegen, die verbalisiert sozial unangemessen wäre, zum Beispiel „Ich bin gut“ (Klemm 2011: 201) oder „Touristen sind lästig“ (Messaris 1997: 191). Klemm und Stöckl (2011: 14) nennen in ihrer Einführung sieben Grundfunktionen von Bildern: Illustration/ Attraktivitätssteigerung, Argumentation/ Persuasion, Dokumentation, Begründung, Erklärung, Instruktion, Erzählung. Andere Autoren (Meckel 2001, Ballstaedt 2012, Liebsch/ Mössner 2012, Kroeber-Riehl 1996) haben andere Einteilungen entwickelt. Im Folgenden unternehmen wir den Versuch, die Ansätze von Meckel, Klemm/ Stöckl, Liebsch/ Mössner und Kroeber-Riehl in einer einzigen Tabelle zu vereinen und mit Beispielen zu versehen. 161 7.6 Bild-Text-Beziehungen: Welche Funktion hat das Bild? Bildfunktion Beispiel Aufmerksamkeit erzeugen Ein strahlendes Gesicht lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Wahlplakat. Attraktivität steigern Die Infografik steigert die Attraktivität einer Reportage über Warenimporte und -exporte. Dokumentieren Die Pressefotografie dokumentiert die Unterzeichnung eines internationalen Vertrags. Informieren Eine Zeichnung im Schulbuch informiert über die Verdauungsorgane des Menschen. Illustrieren, Veranschaulichen Das Kommunikationsmodell veranschaulicht ein bestimmtes Konzept von Kommunikation. Argumentieren, Begründen Das Säulendiagramm mit den Todesfällen legt nahe, Alkohol am Steuer zu verbieten. Überzeugen, Beweisen Die vorher / nachher Aufnahmen beweisen die Wirksamkeit eines Schlankheitspräparats. Werben Mit dem attraktiven Bild auf dem Plakat sollen Besucher des Musikfestivals angelockt werden. Erklären, Anleiten Zeichnungen leiten an zum Zusammenbauen eines Schranks. Warnen Der Totenkopf auf der Flasche warnt vor dem Genuss des Inhalts. Emotionalisieren Das Bild eines Flutopfers ruft Mitleid hervor. Erzählen Der Comic erzählt eine Geschichte. Unterhalten Der tägliche Bilderwitz in der Zeitung unterhält die Lesenden. Tabelle 13: Auflistung möglicher Bildfunktionen mit Beispielen. Die Liste ist nicht als abschließende Aufzählung der möglichen Bildfunktionen gedacht, sondern soll vor allem den Blick dafür schärfen, welch vielfältige Funktionen Bilder haben können. Bei der konkreten Arbeit am eigenen Material muss in jedem Fall einzeln die mögliche Funktion des Bildes bestimmt werden. Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung wird schließlich die Berücksichtigung manipulierter Bilder immer wichtiger. Ist die Manipulation offensichtlich, wie zum Beispiel beim Bild eines schwangeren Mannes, so erfüllt das Bild in der Tabelle aufgeführte Funktionen wie Aufmerksamkeit erzeugen oder Unterhalten. Ist die Manipulation jedoch nicht erkennbar, dienen solche Bilder der Desinformation und der Irreführung oder erfüllen gar den Tatbestand des Betrugs bzw. der Lüge. 162 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Beispielanalyse Wie schwierig es sein kann, die Bildfunktion zu bestimmen, macht das beistehende Bild aus dem Jahresbericht von Pistor deutlich (Abbildung ). Es ist eines von fünf Bildern, die gemäß der Überschrift an der „Swiss Bakery Trophy“ aufgenommen wurden. Das Bild zeigt einen Experten beim Testessen mit einem Stück Birnenbrot in der Hand und einem Beurteilungsblatt auf dem Tisch unter seinen Armen. Das Bild erfüllt offensichtlich mehrere Funktionen gleichzeitig: Es informiert darüber, wie ein solcher Backwarenwettbewerb funktioniert; es dokumentiert, dass dieser bestimmte Wettbewerb tatsächlich stattgefunden hat; es steigert die Attraktivität des Geschäftsberichts insgesamt; und es macht Werbung für das Unternehmen, wenn im Begleittext steht: „Indem wir einen solchen Event auf die Beine stellen, glauben wir an die Zukunft der Bäckereien. (…) Keine qualitativ hochstehende Produkte ohne qualitativ hochstehende Zutaten und ohne das Knowhow des Bäckers! Pistor ist deshalb ein wesentliches Glied der Kette ...“ (Pistor Geschäftsbericht 2012: 7). Abbildung 29: Geschäftsbericht Pistor (2012: 7). Das Beispiel macht ferner deutlich, dass die Funktionen des Bildes nur im Kontext des Gesamttextes bestimmt werden können. Während die Informationsfunktion auch ohne Begleittext noch einigermaßen zu erschließen wäre, ergeben sich die anderen Funktionen nur durch die Einbettung des Bildes in den Geschäftsbericht und die begleitenden Überschriften und Texte. 29 Bild-Text-Verhältnis Die existierenden Vorschläge, das Verhältnis von Bild und Text zu analysieren und zu systematisieren, liegen noch weiter auseinander als die Vorschläge zur Systematisierung der Bildfunktionen. Vorsicht bei der Begriffsverwendung ist geboten, da zum Teil die gleichen Begriffe wie zum Beispiel Komplementarität (bei Doelker 1997 und Ballstaedt 2002) oder Elaboration (bei Ballstaedt 2002 und Stöckl 2011) mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden. Stöckl (2011) unterscheidet grundsätzlich zwischen:  räumlich-syntaktischen Mustern: wie sind Bild und Text angeordnet?  informationsbezogenen Mustern: welche Informationen liefern Bild und Text?  rhetorisch-semantischen Mustern: wie sind Bild und Text logisch aufeinander bezogen? 163 7.6 Bild-Text-Beziehungen: Welche Funktion hat das Bild? Bei den räumlich-syntaktischen Mustern unterscheidet Stöckl, ob das Bild auf den Text folgt oder umgekehrt (linearisiertes Muster) oder ob Bild und Text sich überlagern (simultanes Muster) (2011: 56f). Diese Einteilung vermag allerdings nicht zu überzeugen, da sie davon ausgeht, dass Gesamttexte grundsätzlich von oben nach unten gelesen werden, was nachweislich nicht der Fall ist. In einem Gesamttext werden die Elemente in der Reihenfolge ihrer Auffälligkeit betrachtet, wobei bildliche Elemente den Textelementen vorgezogen werden (Meckel 2001, Kroeber-Riehl 1996). Daher befinden sich oben gesetzte Textelemente nicht „vor“ dem Bild, sondern lediglich „über“ dem Bild. Hier sind die Kategorien von Kress/ van Leeuwen (2006), wie sie im Abschnitt zur Bildkomposition vorgestellt wurden, dienlicher. Bei den informationsbezogenen Mustern unterscheidet Stöckl die Elaboration, bei welcher das Bild den Text erklärt oder umgekehrt, von der Extension, bei welcher sich die beiden Modalitäten in vielfältiger Weise ergänzen (2011: 58). Bei den rhetorischsemantischen Mustern schließlich unterscheidet er koordinierte, hierarchische und spielerische Verknüpfungsmuster, die noch weiter differenziert werden. So können Bild und Text eher assoziativ miteinander verbunden sein (koordiniert), sie können in einem komplexen semantischen Verhältnis wie zum Beispiel Ursache und Wirkung zueinander stehen (hierarchisch) oder humorvoll wie zum Beispiel bei der wörtlichen Visualisierung einer sprachlichen Metapher (2011: 60f). Die Systematik von Stöckl ist die elaborierteste, die zurzeit vorliegt, im Einzelfall gestaltet es sich jedoch als ausgesprochen schwierig zu bestimmen, welches Verhältnis zwischen Bild und Text tatsächlich vorliegt. Eine auf vier Kategorien reduzierte Systematik legt Nöth vor (2000, zit. in Ortner 2011: 160f). Er unterscheidet lediglich zwischen  Redundanz: Bild und Text drücken dasselbe aus,  Dominanz: der Text oder das Bild dominiert,  Komplementarität: Text und Bild ergänzen einander und tragen in je spezifischer Weise zum Verständnis des Gesamttextes bei,  Diskrepanz: Bild und Text widersprechen sich. Diese Einteilung ist zwar einfach anzuwenden, krankt jedoch daran, dass erstens die Kategorie Dominanz quer zu den anderen Kategorien liegt (Redundanz, Komplementarität und Diskrepanz schließen sich gegenseitig aus, jedoch nicht die Dominanz) und zweitens echte Redundanz selten vorliegt, da Bild und Text unterschiedliche Modalitäten der Kommunikation sind, die grundsätzlich nicht dasselbe ausdrücken. Letztlich muss bei jedem Dokument einzeln bestimmt werden, wie Bild und Text zusammenspielen, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen und ein bestimmtes Weltbild zu vermitteln. Die aufgeführten Begriffe können dabei eine Hilfe sein, wichtig ist es jedoch, überhaupt zu erkennen, wie Bild und Text sich gegenseitig beeinflussen: Wie der Text die Wahrnehmung des Bildes steuert und umgekehrt. Dazu ein Beispiel: Die Neue Zürcher Zeitung platzierte zum Bericht, dass das italienische Parlament die Immunität von Ministerpräsident Berlusconi aufgehoben hat, eine Fotografie, auf welcher Berlusconi sich mit geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen am Knoten seiner Krawatte zu schaffen macht (NZZ 8.10.2009). Dieses Bild vermittelte eine ganz andere Information als der Text, wobei es schwierig zu sagen ist, ob das Bild den Text ergänzte (Komplementarität) oder ihm widersprach (Diskrepanz). Auf jeden Fall aber hatte das Bild die Funktion eines Kommentars; es drückte aus: Es wir eng für den Cavaliere. 164 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Spezialfall Bildlegende Wenn wir das Verhältnis von Bild und Text betrachten, so verdient ein Textelement besondere Aufmerksamkeit: die Bildlegende. Im Gegensatz zu anderen Bezeichnungen wie „Bildunterschrift“ macht der Begriff Legende (hergeleitet vom lateinischen legendum, das zu Lesende) klar, dass eine Legende mehr ist als eine Bildbeschreibung. Die Bildlegende erklärt nicht nur, was auf dem Bild zu sehen ist, sondern sie gibt vor, wie das Bild im Sinne des Autors zu lesen und zu interpretieren ist. Damit steuert sie die Wahrnehmung und Interpretation des Bildes und birgt ein großes Manipulationspotenzial. Dazu ein Beispiel: In einem Heft über „Das goldene Zeitalter der Niederlande“ (GEO Epoche Nr. 7, 2013) wird auf zwei Seiten ein Gemälde wiedergegeben, auf welchem am rechten Bildrand zwei Frauen einen Mann mit Speck füttern. Die alte Frau stützt leicht den nach hinten gebeugten Kopf des Mannes, während die junge ihm mit einer Gabel die Speckstreifen in den geöffneten Mund schiebt. Der Mann kann sich dagegen kaum wehren, weil seine Hände mit einem Weinglas und einer Weinflasche besetzt sind und er zwischen Armsessel und Tisch eingeklemmt ist. Die Bildlegende jedoch lautet: „Alltagsszenen sind ausgesprochen beliebt, auch wenn sie wie bei van Honthorsts ‚Abendlichem Festmahl‘ (um 1619) Schlüpfriges zeigen: Ein Mann lässt sich von einer Frau mit Fleisch füttern, während eine Alte, wohl eine Kupplerin, erwartungsvoll zuschaut“ (S. 10f). Der Mann wird in dieser Legende zum (nicht nur grammatikalischen) Subjekt gemacht, der selbstbestimmt etwas mit sich geschehen lässt. Das widerspricht jedoch dem Bild fundamental, auf welchem der Mann eindeutig das Objekt und die Frauen die handelnden Subjekte sind. Diese Bildlegende leitet nicht nur zu einer falschen „Lektüre“ des Bildes an, sie ist auch Ausdruck einer sexistischen Geisteshaltung des Autors, der selbst dort noch den Mann als Subjekt wahrnimmt, wo dieser eindeutig das Objekt weiblicher Bevormundung ist. Noch krassere Beispiele desinformierender um nicht zu sagen betrügerischer Bildlegenden sind aus dem Journalismus bekannt. Die französische Nachrichtenagentur Agence Presse verbreitete eine Fotografie, auf welcher ein islamischer Geistlicher mit erhobenen Armen vor einem brennenden Gebäude zu sehen ist. Der Begleittext lautete: „Ein islamischer Geistlicher versucht die Menge zu beschwichtigen“. Der Stern jedoch publizierte die Fotografie mit der Legende: „Ein Geistlicher heizt die Stimmung aufgebrachter Gläubiger in der libanesischen Hauptstadt an.“ 33 Während im Beispiel des niederländischen Gemäldes die aufmerksame Beobachterin den Widerspruch zwischen Bild und Legende aufdecken kann, ist für die Stern-Leserin die Falschinformation nicht zu erkennen. Fazit: Die Analyse des Bild-Text-Verhältnisses dient dazu zu bestimmen, in welcher Form Bild und Text zusammengestellt wurden, um ein bestimmtes Bild der Wirklichkeit zu erzeugen, und welche Funktion das Bild im Gesamttext einnimmt. Aufgaben Aufgabe 20: In der Online Ausgabe des Standard erschien am 6. November 2013 ein Bericht über die mangelnde Begabtenförderung an Österreichs Schulen, der fast 600 Kommentare provozierte. Der Bericht ist unten auszugsweise wiedergegeben. Bebildert war er mit dem ebenfalls abgedruckten Agenturbild sowie einem Portrait von Claudia 33 Bild und Text ohne nähere Quellenangabe von Beate Kossmann. 165 7.6 Bild-Text-Beziehungen: Welche Funktion hat das Bild? Resch. 34 Beschreiben Sie, was das Bild ausdrückt und in welchem Verhältnis es zum Text steht. Diskutieren Sie, inwiefern die Legende die Interpretation des Bildes beeinflusst. Führen Sie auf, welche Funktion(en) das Bild erfüllt. Begabte werden nicht systematisch gefördert Lisa Aigner Mehr selbstständiges Lernen wäre notwendig, sagt Claudia Resch vom Zentrum für Begabtenförderung Fünfzehn bis zwanzig Prozent der Schüler jeden Jahrgangs haben das Potenzial dafür, sehr hohe Leistungen zu bringen. Davon gehen Begabungsforscher aus. Um diese auch nutzen zu können, brauchen sie vor allem eine förderliche Lernumgebung, sagt Claudia Resch, Geschäftsführerin des Österreichischen Zentrums für Begabtenförderung und Begabungsforschung. […] Zur Begabungsförderung gibt es verschiedene Instrumente. Schüler können etwa eine Klasse überspringen oder früher eingeschult werden. Eine andere Möglichkeit ist das „Drehtürmodell“: Hier können besonders gute Schülerinnen und Schüler in bestimmten Fächern den Unterricht einer höheren Schulstufe besuchen oder während der Unterrichtszeit an eigenen Projekten arbeiten. An manchen Schulen werden eigene „Begabtenklassen“ angeboten. Auch Sommerakademien und ein Studium als außerordentlicher Student an der Universität sind möglich. Die spezielle Förderung während des Unterrichts sollte aber im Regelschulwesen ankommen, meint Resch vom Zentrum für Begabtenförderung, sie (sic! ) selbst ausgebildete AHS-Lehrerin ist. Das sei im aktuellen österreichischen Schulsystem allerdings noch nicht der Fall. Drehtürmodelle etwa gebe es nur vereinzelt. „An den Regelschulen passiert die Förderung derzeit leider noch nicht systematisch.“ Oft würden im Unterricht alle gleichzeitig dasselbe lernen. Genau das ist im Sinne der Begabtenförderung aber falsch. […] Eigenständiges Lernen bringt Begabte weiter 34 Online (27.06.2015): http: / / derstandard.at/ 1381370817917/ Begabte-werden-nicht-systematischgefoerdert. 166 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Beispielanalyse Im Buch von Mast gibt es keine Abbilder, keine fiktionalen Bilder und keine Schemata, sondern lediglich Visualisierungen. Das überrascht die an wissenschaftliche Literatur gewöhnte Leserin keineswegs, sind doch Fotos und Illustrationen in wissenschaftlichen Büchern durchaus unüblich - abgesehen von technisch erzeugten Bildern wie Röntgenaufnahmen in den Naturwissenschaften. Doch die Frage muss gestellt werden, warum dies so ist? Der Verzicht auf Fotografien zu Gunsten von Visualisierungen bedeutet wie bereits erwähnt das Hintersichlassen des Einzelfalls zu Gunsten des Allgemeingültigen und Typischen. Unter allen Umständen soll der Eindruck vermieden werden, das Gesagte gelte nur für die konkret untersuchten Unternehmen: Was in einem Lehrbuch steht, gilt für „alle“. Hinzu kommen weitere Gründe: Zum einen soll der Eindruck des Populären vermieden werden. Zum andern soll der Verdacht ausgeschaltet werden, man sei von den auf Fotos unweigerlich identifizierbaren Unternehmen gesponsert worden. Der Verzicht auf Fotos in der Wissenschaft ist somit ein durchaus ideologischer: Obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse immer anhand der Untersuchung konkreter Fälle (in unserem Fall: Unternehmen) gewonnen wurden, wird mittels Visualisierungen gezielt der Eindruck von Allgemeingültigkeit erzeugt. Im Buch von Mast gibt es auf 454 Seiten 72 „Schaubilder“. In der wiedergegebenen konzeptionellen Zeichnung werden die „Kontaktfelder“ eines Unternehmens aufgezeigt, wie die Bildlegende erklärt (Abbildung 30). Das Bild ist hoch abstrakt und weist keinerlei Ähnlichkeit mit einer außersprachlichen Wirklichkeit auf. Die Modalität ist tief: Es gibt keine Perspektive, keinen Hintergrund, keine Farben, lediglich schwarz, weiß und zwei Graustufen. Mit dieser konventionellen Form der Darstellung erhebt das Schaubild den Anspruch, ein allgemein gültiges wissenschaftliches Schaubild zu sein. Die Zeichnung hat die Form eines Kreises, welcher für Vollkommenheit und Perfektion steht. Sie nimmt demnach in Anspruch, das Ganze zu zeigen. Der Kreis ist eingeteilt in ein Zentrum, das vom Unternehmen gebildet wird, und in acht Sektoren, die ihrerseits unterteilt sind. Das Unternehmen steht also ganz im Zentrum der Überlegungen, während die Kapitalmärkte oder die Wähler die Peripherie bilden. Alle Elemente der Grafik sind mit schwarzen Linien klar umrissen und voneinander getrennt. Die Sektoren sind alle gleich groß und es sind genau acht Stück, sodass eine perfekte senk- Abbildung 30: Kontaktfelder eines Unternehmens (Mast 2013: 115). 167 7.7 Zusammenfassung rechte und waagrechte Symmetrie entsteht. Damit wird suggeriert, dass das Umfeld eines Unternehmens überschaubar, geordnet und kontrollierbar ist. Diese Darstellung ist ‚zu schön, um wahr zu sein‘: Der Klarheit und Ästhetik der Darstellung werden die Tatsachen geopfert. Es ist schlicht und ergreifend falsch, dass alle Kontaktfelder eines Unternehmens gleich groß sind und dass es zwischen ihnen keine Überschneidungen gibt. Mit Darstellungen wie diesen wird die von den Managementgurus immer wieder verbreitete und von ihren Jüngern begierig aufgesogene Vorstellung gehätschelt, die Welt im Ganzen wie das eigene Unternehmen im Besonderen könnten überblickt, verstanden und im eigenen Sinne manipuliert werden. Aufgaben Führen Sie jetzt eine umfassende Beschreibung und Interpretation der in Ihrem Korpus enthaltenen Bilder durch: Was ist zu sehen (Inhalt und Ausschnitt)? Wie wird es gezeigt (Perspektive, Komposition, Modalität)? In welchem Verhältnis stehen die Bilder zu den Texten? Welche Funktionen erfüllen die Bilder? 7.7 Zusammenfassung Eine diskursanalytisch orientierte Einzelbildanalyse dient dazu zu eruieren, welches Weltbild das Bild im Kontext des Gesamttextes den Betrachtenden zu vermitteln versucht. Worauf man bei der Analyse achten kann, ist in der folgenden Tabelle abschließend zusammengefasst. Bildmerkmale Analysekriterien Inhalt und Ausschnitt Inhalt Ausschnitt Hintergrund Weggelassenes Symbolische Bedeutung Perspektivierung Horizontaler Winkel Vertikaler Winkel Blickrichtung Komposition Zentrum und Rand Links und rechts Oben und unten Senkrecht, waagrecht, diagonal Wichtigkeit Rahmen und Vektoren 168 7 Die Ebene des Einzeltextes III: Bildanalyse Modalität Farbe Licht Komplexität Schärfe Bild-Text-Verhältnis Bildfunktion Bild-Text-Verhältnis Bildlegende Tabelle 14: Übersicht über die Analysekriterien für Bilder. Grundlegend für eine diskusanalytische Analyse von Bildern sind Kress/ van Leeuwen (2006) und Kress (2010). Ein interessantes Analysekonzept für Bilder namens TexSem stellt Klug (2013) vor. Eine Einführung in verschiedene Konzepte der Bildlinguistik bietet der Sammelband von Diekmannshenke/ Klemm/ Stöckl (2011). Bilder im Kontext von Online-Diskursen werden am ausführlichsten von Meier (2008a) behandelt. Eine diskursive Sicht auf Karten eröffnen Glasze (2009) und Harley (1989). Zum Bild in der Wissenschaft gibt es Beiträge bei Liebsch/ Mössner (2012). Eine knappe Einführung in die Filmanalyse bietet Pollack (2008). Eher anwendungsorientiert ist Ballstaedt (2012). 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster In den vergangenen drei Kapiteln haben wir dargelegt, wie man einzelne Texte, Gespräche und Bilder diskursanalytisch untersuchen kann. Damit lässt sich herausarbeiten, welches Weltbild in diesem einen Bild, Gespräch oder Text entworfen wird, wovon die Lesenden mit gerade diesem Text überzeugt werden sollen. Wenn man einen Text ausgewählt hat, der für einen bestimmten Diskurs repräsentativ ist, hat man auf diese Weise oft schon die zentralen Argumentationslinien des untersuchten Diskurses gefunden. Sicherstellen können wir das allerdings nur dadurch, dass wir weitere Texte aus demselben Diskurs untersuchen und prüfen, welche Gemeinsamkeiten sich darin finden lassen. Durch die Analyse verschiedener Texte aus derselben gesellschaftlichen Domäne können wir „den“ Diskurs zu einem bestimmten Thema rekonstruieren: Über welche Themen gesprochen wird und über welche nicht, wie die thematisierten Gegenstände dargestellt werden, wofür mit welchen Argumenten geworben wird. Die Leitfragen bei der Analyse textübergreifender Muster lauten: Welche Themen sind im untersuchten Diskurs dominant? Welche wiederkehrenden Muster des Deutens, Argumentierens und Handelns lassen sich finden? Wovon sollen die Rezipierenden verbal und visuell überzeugt werden? Es geht darum, die Gemeinsamkeiten im Denken und Argumentieren in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft zu bestimmen. Diese Idee ist visualisiert in Abbildung 31. Abbildung 31: Verhältnis von Text- und Diskursanalyse. 35 Diese Gemeinsamkeiten im Denken und Argumentieren - und damit verbunden: im Handeln - können auf verschiedenen sprachlichen Ebenen liegen und werden von den Forschenden auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus rekonstruiert. Entsprechend 35 Die Idee zu dieser Grafik stammt von Marcel Eggler. Text A Text B Text C Textanalytische Achse Diskursanalytische Achse Schlüsselwörter, Metaphern, Topoi, Deutungsmuster … Textmuster, Gesprächsmuster, institutionelle Routinen, Rituale … 170 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster liegen auch höchst unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch, wie die wiederkehrenden Denk- und Argumentationsmuster zu konzeptualisieren und mit Begriffen zu versehen wären: Topoi, Argumentationsmuster, Denkstile, Kollektivsymbole, Deutungsmuster, Stereotype und viele mehr. Wir beschränken uns im Folgenden auf fünf Konzepte, die wir als hilfreich erachten, den Diskurs zu einem bestimmten Thema über mehrere Texte hinweg zu erfassen. Auf der Ebene einzelner sprachlicher Handlungen sind dies Argumentationsmuster (Abschnitt 8.1) und Deutungsmuster (8.2), auf der Ebene komplexer sprachlicher Handlungen sind es Textmuster (8.3) für den schriftlichen, Handlungsmuster (8.4) für den mündlichen und visuelle Stereotype (8.5) für den visuellen Bereich. Praktisch angewendet und damit illustriert werden die vorgestellten Konzepte erneut an aktuellen Management-Lehrbüchern, mit deren Analyse der zeitgenössische ökonomische Diskurs rekonstruiert werden soll. Mit dem bereits hinlänglich bekannten Buch von Mast (2013) verglichen werden im Folgenden Aerni/ Bruhn (2013), Lombriser/ Abplanalp (2010) und Vahs (2012). Die Bücher wurden auf Seite 56 vorgestellt. Diskursforschende suchen in den von ihnen untersuchten Texten in erste Linie nach Gemeinsamkeiten im Denken und Argumentieren, da sie - wie eben dargelegt - „den“ Diskurs einer bestimmten Zeit rekonstruieren wollen. Dabei laufen sie allerdings Gefahr, durch die Selektion der Texte und die Selektion der untersuchten textübergreifenden Muster den Diskurs einheitlicher darzustellen, als er ist, weil sie zum Beispiel „den“ Neoliberalismus in ihrem Land beschreiben wollen. Aber es gibt in jedem Diskurs neben den dominanten Stimmen auch Gegenstimmen, Texte bzw. Akteure, die mutig gegen die vorherrschende Meinung antreten. Es liegt an der Redlichkeit jedes Diskursforschers, diese Stimmen nicht wie statistische Ausreißer zu behandeln, sondern sie ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen und in seiner Studie zu zitieren, im angeschnittenen Beispiel also die kapitalismuskritischen Schreibenden. Denn Diskursforschende sind selber gesellschaftliche Akteure, die es in der Macht haben, Stimmen zur Geltung zu bringen - oder eben zum Schweigen. 8.1 Argumentationsmuster Bei der Analyse von Argumentationsmustern geht es ganz grundsätzlich darum, wiederkehrende Formen der Begründung und Legitimation in einer Vielzahl von Texten oder auch nur Textteilen zu finden. Argumentationsmuster sind nicht anhand von wiederkehrenden Wörtern an der Textoberfläche zu erkennen, da gleiche Argumentationen in ganz unterschiedlicher sprachlicher Gestalt auftreten können. Wenn es im einen Werbespot heißt „Zahnärzte geben ihren Kindern XY“ und im andern „Von führenden Waschmaschinenherstellern empfohlen“, so stützen sich beide auf die gleiche formale Argumentation mittels Autorität. Wenn im einen Lehrbuch steht: „Die Praxis hat aus Anwendungsfehlern gelernt, die Theorie hat berechtigte Kritik aufgenommen und das Konzept weiterentwickelt“ (Lombriser/ Abplanalp 2010: 73) und im andern „Kritisch ist anzumerken, dass die Trennung von Aufbau- und Ablauforganisation nicht eindeutig möglich und in der Praxis auch wenig sinnvoll ist“ (Vahs 2012: 59), so bemühen beide den gleichen Topos, nämlich den von der grundsätzlichen Differenz zwischen Theorie und Praxis. Es geht daher darum, wiederkehrende Formen von Argumenten auf der semantischen Tiefenebene der Texte zu erkennen. Das ist nicht immer ganz einfach, da viele 171 8.1 Argumentationsmuster Argumentationen unvollständig ausgeführt werden oder gar implizit bleiben. Im genannten Beispiel mit den Werbespots bleibt die Schlussregel „Was Experten tun, ist richtig und nachahmenswert“ unausgesprochen, was durchaus typisch ist. Wenn die Argumentationen in einem Korpus identifiziert wurden, sind sie in einem zweiten Schritt nach bestimmten Gemeinsamkeiten zu gruppieren, damit das Musterhafte der Argumentationen zu Tage tritt. Die Argumentationen können nach formalen oder inhaltlichen Gemeinsamkeiten gruppiert werden (siehe unten). Dabei stellt sich oft heraus, dass bestimmte Diskurse von nur relativ wenigen wiederkehrenden Argumentationsmustern dominiert werden. Um das abzusichern, sollten die Ergebnisse im dritten Schritt so weit wie möglich quantifiziert werden, indem man auszählt, wie oft welches Argumentationsmuster auftaucht. Bei einem großen Korpus lassen sich damit auch Unterschiede zwischen verschiedenen sozialen Gruppen (zum Beispiel dem linken und rechten politischen Meinungslager) oder Verschiebungen im historischen Zeitverlauf ausrechnen. Im vierten und letzten Schritt gilt es, die gefundenen Argumentationen in ihrem Kontext zu interpretieren und zu fragen, welche Geltungsansprüche mit ihnen erhoben werden oder welche Handlungen damit gefordert oder legitimiert werden. Argumentationen dienen dazu, etwas Strittiges in etwas Unstrittiges zu überführen, und sie treten in konkreten Handlungszusammenhängen auf, in denen die Leute klare kommunikative Ziele verfolgen: ein bestimmtes Weltbild als wahr, eine Norm als richtig, eine Handlung als notwendig zu etablieren. Diese pragmatischen Ziele gilt es zu rekonstruieren. Zusammengefasst lauten die vier Schritte einer Analyse von Argumentationsmustern: 1. Identifizieren der Argumentationen. 2. Gruppieren der Argumentationen zu formalen oder inhaltlichen Mustern. 3. Auszählen der Häufigkeiten inkl. ihrer Verteilung in verschiedenen Gruppen. 4. Bestimmen der erhobenen Geltungsansprüche und Forderungen. Im Folgenden legen wir dar, wie formale und inhaltliche Argumentationsmuster sowie einige weitere Formen der Legitimation aussehen können. Formale Argumentationsmuster Im Abschnitt 5.6 haben wir erläutert, welche formalen Argumentationen es gibt. Bei der Suche nach Argumentationsmustern gilt es nun zu prüfen, ob bestimmte Formen der Argumentation im untersuchten Diskurs besonders häufig vorkommen, unabhängig von ihrem Inhalt. Das scheint zunächst wenig ergiebig zu sein. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Häufung einer bestimmten formalen Art des Argumentierens durchaus ein Indiz für einen bestimmten Argumentations- und damit Denkstil sein kann. So genießt zum Beispiel in der jüdischen Tradition die Kenntnis und das Zitieren der alten Schriften höchstes Ansehen und garantiert die Glaubwürdigkeit sowohl des Redners wie des Gesagten, was ein Hinweis auf den Stellenwert der Tradition in der jüdischen Gesellschaft ist. In anderen Diskursgemeinschaften hingegen haben alte Schriften wenig Prestige; keine Physikerin würde auch nur 20 Jahre alte Studien zitieren, von 2000 Jahre alten Texten ganz zu schweigen. In der Werbung sind Argumentationen mit Autoritäten sehr beliebt, nicht nur mit Experten aller Art, sondern auch mit Prominenten. Wenn Roger Federer für eine Versicherung wirbt, dann lautet die Botschaft nicht nur, man solle sich bei der gleichen Gesellschaft versichern lassen, sondern es wird zugleich eine Haltung vermittelt, nämlich man solle sich im Leben an dem orientieren, was (Tennis-)Stars tun. Promi- 172 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Werbung steht daher nicht nur für einen Argumentations-, sondern auch einen Denk- und letztlich Lebensbzw. Konsumstil. In den Naturwissenschaften dominieren Ursache-Wirkungs-Schemata, die ebenfalls nicht nur für einen Argumentationsstil, sondern für ein ganzes Weltbild stehen, nämlich ein mechanistisches, in dem sich jedes Phänomen aus seinen Ursachen erklären lässt und nur die Rückführung auf Ursachen als wissenschaftliche Erklärung akzeptiert wird. In den Geisteswissenschaften ist ein wichtiges formales Argumentationsmuster das Zitieren anderer Wissenschaftler, welchem eine ganz banale Argumentation zugrunde liegt: „Wenn XY das auch schon gesagt hat, wird es wohl stimmen.“ Auf den ersten Blick ist das eine Argumentation mittels Autorität. Wenn sich jedoch genug Wissenschaftler permanent gegenseitig zitieren - wie das für die Bildung wissenschaftlicher „Schulen“ typisch ist -, dann entsteht ein ganzes Geflecht gegenseitiger Zitationen, die im Endeffekt den Eindruck erwecken, „alle“ seien der gleichen Meinung. Somit ist das Zitieren auch eine Form des Argumentierens mit der Mehrheit. Wissenschaftliche Wahrheit entsteht in den Geisteswissenschaften letztlich durch nichts anderes, als dass man sich gegenseitig in (s)einer Meinung bestätigt. Inhaltliche Argumentationsmuster Um einen Diskurs erfassen zu können, genügt es allerdings nicht, nur die formalen Argumentationsmuster zu erfassen, sondern wir müssen auch prüfen, mit welchen Inhalten die Argumente gefüllt werden. Solche wiederkehrenden inhaltlichen Argumentationsmuster nennt man seit der antiken Rhetorik Topoi. Ein Topos ist ein „Ort“, an welchem man ein überzeugendes Argument findet. Topoi sind zuverläßige Indikatoren dafür, welche Überzeugungen in einer sozialen Gruppe verbreitet sind, worüber ein gesellschaftlicher Konsens besteht. Sie sind es deswegen, weil Argumentationen den Sinn und Zweck haben, eine strittige Frage durch den Rückgriff auf (scheinbar) Gesichertes zu klären. Ergo geben die Topoi Auskunft über das gesicherte Wissen und die Einstellungen einer Gesellschaft oder mindestens einer Gruppe (Wengeler 2013b, Niehr 2014). 36 Um auf das eingangs zitierte Beispiel zurückzukommen: Der Topos „Theorie ist nicht gleich Praxis“ weist darauf hin, dass in unserer Gesellschaft ein verbreiteter Konsens darüber besteht, dass Theorien zwar eine hehre Sache sind, aber letztlich weltfremd und für Praktiker daher nicht relevant. Dieser Topos schlägt sich nun nicht nur in Witzen über Universitäts- und Fachhochschulabsolventen nieder 37 , sondern durchzieht den ganzen Diskurs um die tertiäre Bildung wie ein roter Faden. Während sich in ihren Anfängen nur die Fachhochschulen mit ihrer „Praxis-“ oder „Anwendungsorientierung“ gegenüber den Universitäten legitimieren mussten, stehen heute auch die Universitäten unter dem zunehmenden politischen Druck, den „praktischen“ Nutzen ihrer Forschung und Lehre nachzuweisen. Wo findet man gesellschaftlich akzeptierte Topoi? Aristoteles empfahl noch ganz unbefangen, Gründe für die Belastung oder Entlastung eines Angeklagten in dessen 36 Wie das Wörtchen „ergo“ anzeigt, war das jetzt auch eine Argumentation, mit welcher wir die Behauptung zu stützen versuchen, dass eine Topos-Analyse Auskunft gibt über kollektive Wissensbestände, zusätzlich gestützt durch Autoritäten-Zitate. 37 Was ist der Unterschied zwischen einem Architekten vom Technikum und einem von der Hochschule? Das Haus des Architekten vom Technikum hält, er weiß aber nicht, warum. Das Haus des Architekten von der Hochschule stürzt ein, dafür kann er genau erklären, warum. 173 8.1 Argumentationsmuster Person zu suchen, also in seinem Alter, Geschlecht oder sozialen Status (Ueding/ Steinbrink 2005: 243ff). Heute würden solche Argumentationen („als jüdische Frau kann sie nicht anders“) als diskriminierend empfunden. Welche Topoi heute angesagt sind, lässt sich nur empirisch bestimmen, da Topoi diskurs-, gruppen- und zeitspezifisch sind. Niehr hat zum Beispiel über 600 Blogeinträge zu einer TV-Sendung zur Finanzkrise 2010 untersucht und darin sechs prototypische Argumentationen gefunden 38 : 1. Die Gier der Anleger und/ oder Banker führt zu hohen Verlusten. Diese sollten später nicht beklagt werden. 2. Anleger sind selbst verantwortlich und müssen sich informieren. 3. Banker bzw. Banken sollten für ihre Geschäfte haftbar gemacht werden. 4. Die politisch Verantwortlichen haben von ihrer Kontrollpflicht Gebrauch zu machen. 5. Banken sollten verstaatlicht werden bzw. Spekulationsgeschäfte überhaupt verboten werden. 6. Finanztransaktionen sollen mit einer Steuer belegt werden (Niehr 2014: 121-123). Das Interessante ist, dass mitunter dieselben Topoi von Befürwortern und Gegnerinnen einer Sache verwendet werden können. Wengeler hat den Migrationsdiskurs in der BRD in den Jahren 1960-65, 1970-75 und 1980-85 untersucht. Unter anderem benutzten Politiker damals den „Realitätstopos“, welcher besagt, dass die Einwanderung von Gastarbeitern nun einmal Tatsache sei und man die entsprechenden Konsequenzen ziehen müsse. Das Reizwort „Einwanderungsland“ wurde dabei sowohl von Gegnern wie Befürwortern einer Aufnahme und Integration weiterer Ausländer benutzt (Wengeler 2013b: 205-207). Das unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit, nicht nur die Topoi als solche zu identifizieren, sondern auch zu prüfen, wer damit welche Maßnahmen durchsetzen will. Andere Formen der Legitimation In Kapitel 5.6 haben wir gesehen, dass es noch andere Formen der Legitimation als formale Argumentationen und Topoi gibt, darunter die Berufung auf Werte oder auf die Vernunft sowie Beispielgeschichten. Wie man solche Formen der Legitimation textübergreifend untersucht, um Muster zu eruieren, ist in der Literatur noch wenig diskutiert worden, aber es gibt einige beispielhafte Untersuchungen, die zeigen, wie man sich so etwas vorzustellen hätte. So hat Reyez (2011) Reden der amerikanischen Präsidenten Bush und Obama analysiert und festgestellt, dass diese ihre politischen Absichten nicht nur mit rationalen Argumenten, sondern auch stark über Emotionen legitimieren. Namentlich nennt er fünf Strategien der Legitimation: (1) Emotionen (insbesondere Angst), (2) eine hypothetische Zukunft, (3) Vernunft, (4) Expertenstimmen, (5) Altruismus. Czarniawska (2015) ist der Bedeutung von Geschichten in Unternehmen nachgegangen. Geschichten wurden in Unternehmen immer schon erzählt, heute ist Story- 38 Niehr arbeitet nicht mit dem Topos-Begriff, sondern spricht von prototypischen Argumentationen. Damit können auch Argumentationen erfasst werden, die sich nicht in eindeutig identifizierbaren Argumentationsschemata zeigen, sondern aus den Texten erschlossen werden müssen, indem man selbige paraphrasiert. Prototypische Argumentationen sind auf einer höheren Abstraktionsstufe angesiedelt als Topoi (Niehr 2014: 117ff). 174 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster telling ein Ansatz sowohl der praktischen Unternehmensführung als auch der Organisationsforschung. Sie zeigt, dass unter anderem „Gründergeschichten“ eine Quelle der Unternehmensidentität weit über den Tod des Gründers hinaus sein können. Welch vielfältige Funktionen Geschichten in Unternehmen erfüllen, hat auch Linde nachgezeichnet. Sie reichen von der Aufrechterhaltung der Identität und Kontinuität des Unternehmens über die Herstellung von Zugehörigkeit und Kompetenz bis hin zur praktischen Problemlösung (Linde 2001). Analog dazu dürfte es interessant sein, „Tellerwäschergeschichten“ oder Geschichten über „Lernen aus Fehlern“ oder „Überwinden von Krisen“ in den Biografien bekannter Persönlichkeiten als Beleg für deren überdurschnittliche Qualitäten zu suchen. Schließlich sei an dieser Stelle noch einmal auf die Bedeutung von Statistiken verwiesen, die nicht nur durch die Präzision ihrer Zahlen, sondern auch durch ihre zunehmend kunstvolle visuelle Aufbereitung eine dominante Rolle im öffentlichen Diskurs spielen. Ob es um Wirtschaft und Beschäftigung, soziale Ungleichheit, Gesundheitsfragen oder Bildungspolitik 39 geht, Grundlage der Diskussion bilden heute immer Statistiken, deren Zustandekommen und Aussagekraft seltsamerweise praktisch nie hinterfragt wird. Gestritten wird lediglich um die daraus abzuleitenden Konsequenzen (Hafner 2013). Auf Diskursforschende warten hier gleich zwei Aufgaben: Erstens die Genese der Statistiken selber und das von ihnen entworfene Weltbild zu dekonstruieren 40 , zweitens zu prüfen, wie Statistiken im politischen Diskurs argumentativ eingesetzt werden. Beides steht noch weitgehend aus. Philosophen und Rhetoriker haben sich ausgiebig mit der Frage beschäftigt, wann eine Argumentation „gut“, das heißt plausibel ist. Häufig genannte Kriterien sind Wahrheit/ Wahrscheinlichkeit, Richtigkeit, Relevanz, Haltbarkeit, aber auch sprachliche Adäquatheit der Argumente (Kienpointner 1992: 22), wobei die Plausibilität einer Argumentation sprach-, gruppen-, kontext- und epochenspezifisch sein kann (ebd.: 138). Für die Diskursforscherin ist es zunächst einmal irrelevant, ob die analysierten Argumentationen plausibel oder an den Haaren herbeigezogen sind, ob die Akteure - zum Beispiel ein Regierungssprecher - authentisch kommunizieren oder nicht. Sie interessiert sich lediglich dafür, wie die Leute tatsächlich argumentieren und was sie damit erreichen wollen. Vertreterinnen der Kritischen Diskursanalyse benützen jedoch die genannten Kriterien, um einen Ansatzpunkt für eine fundierte Kritik an diskursiven Praktiken zu haben (siehe auch Abschnitt 9.3). 39 Zur Veränderung des Bildungswesens unter dem Einfluss von Kennzahlen siehe die aufschlussreiche Studie von Spilker (2014). 40 Eine mittlerweile häufiger kritisierte wirtschaftliche Kennzahl ist zum Beispiel das Bruttosozialprodukt, welches Grundlage für weltweite wirtschafts- und entwicklungspolitische Maßnahmen ist. Es erfasst nachgewiesenermaßen nicht einmal die Hälfte der geleisteten Arbeit einer Volkswirtschaft - die nicht bezahlte, mehrheitlich von Frauen geleistete Arbeit erscheint in der Statistik nicht. 175 8.1 Argumentationsmuster Zusammenfassung Wir fassen zusammen: Die Untersuchung von Argumentationsmustern aus diskursanalytischer Sicht soll Antwort auf folgende Fragen geben:  Welche formalen und inhaltlichen Argumentationsmuster sowie weitere Formen der Legitimation finden sich wie häufig in einem bestimmten Diskurs?  Wie verteilen sich die Argumentationsmuster über verschiedene soziale Gruppen oder unterschiedliche Zeiträume hinweg?  Welche Handlungen wollen die Akteure mit ihren Argumentationen legitimieren, einfordern, verhindern? Beispielanalyse In den vier untersuchten Management-Lehrbüchern 41 dominieren zwei formale Argumentationsmuster: Ursache-Wirkungs- und Mittel-Zweck-Relationen. Beide lassen sich mit der Funktion der Lehrbücher erklären. Ursache-Wirkungs-Relationen sind ein typisches Merkmal naturwissenschaftlicher Texte, in denen es darum geht, Zusammenhänge zwischen Phänomenen der Welt zu erklären. Das Spezielle an den betriebwirtschaftlichen Büchern ist, dass dieselben Kausalschemata auf die soziale Welt angewendet werden mit dem Effekt, dass Unternehmen und Menschen als steuerbare Gebilde mit klaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen erscheinen. Mittel-Zweck-Relationen sind deswegen dominant, weil die Bücher auf nichts anderes ausgerichtet sind, als den Studierenden zu vermitteln, was sie tun müssen, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Ziel ist nicht das Verstehen von Unternehmen, sondern die Handlungsermächtigung. Der wichtigste Topos, der die Lehrbücher durchzieht, ist der folgende: Die Welt verändert sich, und zwar immer schneller; um auf dem Markt bestehen zu können, müssen sich die Unternehmen permanent anpassen. Zwei entsprechende Zitate lauten: „Angesichts der Tatsache, dass die zunehmende Komplexität und die wachsende Dynamik der Umwelt ständig steigende Anforderungen an die Qualität der organisatorischen Problemlösungen stellen, kann das Konzept des organisationalen Lernens als Problemlösungslernen einen wesentlichen Beitrag zur langfristigen Sicherung der Überlebensfähigkeit einer Organisation leisten“ (V: 468). „In dynamischen Umfeldern bestehen nur jene Unternehmen erfolgreich, die sich auf das Konzept des Strategischen Managements stützen“ (L/ A: 49). Das Umfeld bzw. der Markt wird dabei explizit als von den Unternehmen nicht beeinflussbar definiert (A/ B: 46). Der Einfluss, den eigene Handlungen wie Produktinnovationen oder Preissenkungen auf den Markt ausüben, wird - außer bei Vahs - systematisch ausgeklammert. Mit dem Topos des dynamischen Umfelds werden einerseits die im Buch abgegebenen Empfehlungen für erfolgreiches Management legitimiert, andererseits die Bücher und deren häufige Überarbeitung selber. Ein „strategisches“ Vorgehen, wie in den Büchern beschrieben, wird als „unausweichlich“ ausgegeben. So sind es „zentrale Veränderungen auf Unternehmens-, Wettbewerbs-, Kunden- und Umfeldebene, die den 41 In den folgenden Beispielanalysen werden die Bücher wie folgt abgekürzt: Mast = M, Lombriser/ Abplanalp = L/ A, Vahs = V, Aerni/ Bruhn = A/ B. 176 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Zwang zu einem strategischen Vorgehen in der Kommunikationspolitik begründen“ (A/ B: 21). Ein zweiter Topos, der vor allem im Zusammenhang mit dem Management von Veränderungsprozessen immer wieder auftaucht, ist jener vom ängstlichen, veränderungsscheuen, seinen Emotionen ausgelieferten und tendenziell beschränkten Mitarbeiter: „Diese Ungewissheit … erzeugt bei vielen Betroffenen Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit. … Nur wenige Personen sehen in einer anstehenden Veränderung eine Chance“ (V: 356). „Widerstände haben meist mit Gefühlen zu tun. … Häufig kennen sie [die Betroffenen, d.V.] die Gründe ihres Widerstands selber nicht genau oder wagen es auch nicht, darüber zu sprechen“ (L/ A: 409). In geradezu stereotypen Formulierungen wird wiederholt, man müsse den Mitarbeitenden ihre Ängste nehmen, mittels Feedback prüfen, ob sie die Botschaften aus der Unternehmensleitung auch richtig verstanden hätten und ihnen die Dinge möglichst anschaulich und einfach erklären: „… sachliche Werte wie Kundenorientierung, Service, Effizienz … sprechen jedoch zu wenig das Herz an. Den Mitarbeitern erscheinen sie eher als Mittel zum Zweck. Leitbilder sollten darum immer auch emotionale Werte wie Fairness, Gerechtigkeit, Harmonie, Vertrauen, Respekt … enthalten - Begriffe also, die positive Gefühle auslösen. … Zudem lässt sich nur im Dialog überprüfen, ob das Leitbild verstanden, akzeptiert und gelebt wird (L/ A: 254, 257). Aussagen wie „Komplexe Tatbestände sind möglichst einfach darzustellen, was oft am ehesten in Form von Bildern oder Grafiken möglich ist“ (L/ A: 380) wirken geradezu paternalistisch. Schließlich gibt es eine weitere Form der Legitimierung, die die gesamte Managementliteratur durchzieht: Was den „Erfolg“ garantiert, die „Effizienz“ steigert oder zu einer wie auch immer gearteten „Steigerung“ beiträgt, legitimiert sich von selber. Das kapitalistische Credo des „immer mehr“ wird an keiner Stelle in Frage gestellt. Selbst ökologische und soziale Maßnahmen dienen lediglich der langfristigen Image- und damit Gewinnsteigerung (L/ A: 246f). Aufgaben Aufgabe 21: Unten stehend finden Sie drei Ausschnitte aus einer Debatte im Österreichischen Nationalrat vom 20. November 2014. Verhandelt wurde ein Antrag, welcher eine Studie über die Gewalt an Behinderten forderte. Der Antrag wurde nach der Diskussion einstimmig verabschiedet. 42 Prüfen Sie, welcher Topos in den Äußerungen immer wieder aufscheint und was die Redner damit bezwecken. Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ): „Es ist natürlich auch ein ganz besonderes Tabuthema, wenn es um Gewalt an Menschen mit Behinderungen geht. Da gibt es ein doppeltes Tabu: Die Beeinträchtigung ist noch immer ein Thema, das noch nicht ganz selbstverständlich diskutiert wird, und natürlich auch die Gewalt an Menschen mit Behinderungen.“ Carmen Schimanek (FPÖ): „Unsere Kinder müssen geschützt werden, auch Heimkinder - er hat die Heimkinder angesprochen; was da in der Vergangenheit passiert ist, ist wirklich eine Schande -, aber auch der sexuelle Missbrauch von Menschen mit Behinderungen gehört enttabuisiert.“ 42 Die ganze Debatte finden Sie unter http: / / www.parlament.gv.at/ PAKT/ VHG/ XXV/ NRSITZ/ NRSITZ_00051/ fnameorig_385039.html#Seite_0094.html. 177 8.2 Deutungsmuster Gerald Loacker (NEOS): „Dieses gemeinsame Bestreben, das belastete Thema Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen anzugehen, eben nicht wegzusehen, das halte ich für einen wichtigen Schritt.“ Suchen Sie in Ihrem Korpus nach wiederkehrenden formalen Argumentationsmustern sowie nach Topoi oder prototypischen Argumentationen. Bestimmen Sie durch eine vollständige Auszählung, welche Argumentationsmuster wie häufig vorkommen. Werden Sie nicht fündig, dann prüfen Sie, ob andere Formen der Legitimation vorkommen. Prüfen Sie zuletzt, welche Gruppen von Akteuren mit ihren Argumentationen was erreichen wollen und was die Argumentationsmuster über deren Weltbild verrät. Wichtigste Quelle für die Analyse formaler Argumentationen ist immer noch Kienpointner (1992). Die Topos-Analyse als Mittel der Diskursanalyse wurde vor allem von Wengeler (2007, 2013a, 2013b) entwickelt, aber auch von Spieß (2008, 2013a) aufgegriffen. Prototypische Argumentationen beschreibt Niehr (2014). Das mit dem Topos- Begriff verwandte Konzept der Kollektivsymbolik wird umrissen bei Link (2006) und Jäger/ Jäger (2007). 8.2 Deutungsmuster Argumentationsmuster kommen im Diskurs dort zum Einsatz, wo Akteure Geltungsansprüche oder Forderungen durchsetzen wollen. Insofern sind solche Argumente den Sprechenden bewusst und werden von ihnen gezielt eingesetzt, wenn ihnen vielleicht auch nicht bewusst ist, dass sie sich auf einen in ihrer sozialen Gruppe verbreiteten Topos stützen. Daneben gibt es aber auch wiederkehrende gedankliche Figuren, die den Sprechenden als solche gar nicht bewusst sind, sondern auf die sie sich bei ihrer Wahrnehmung und Erklärung der Welt ganz selbstverständlich stützen, weil sie ihre Interpretationen der Welt mit vielen anderen teilen. Solche Interpretationen findet man daher nicht nur in argumentativen, sondern auch in deskriptiven und explikativen Textpassagen, wo sie wie selbstverständlich mitlaufen. Für diese wiederkehrenden gedanklichen Figuren wurden in der Diskursforschung verschiedene Begriffe entwickelt. In Anlehnung an die kognitive Semantik ist von Frames die Rede (Ziehm 2013: 233f), von Schemata und Scripts (Warnke 2008) oder von Deutungsrahmen (Donati 2006, Gotsbachner 2008). Wir benützen den aus der Wissenssoziologie stammenden Begriff Deutungsmuster (Keller 2007a, 2007b), weil er wie die anderen in diesem Kapitel verwendeten Kategorien (Argumentations-, Text-, Handlungsmuster) auf das Musterhafte abzielt und sich gut mit einem pragmatischen Sprachverständnis verbinden lässt. Wir haben in Kapitel 2.3 gesehen, dass Menschen in der Welt handeln aufgrund des Sinns, den sie den Phänomenen zuschreiben. Sie interpretieren das, was um sie herum geschieht. Diese Deutungen und Interpretationen können individueller Natur sein. Deutungsmuster sind demgegenüber kollektive Interpretationen der Welt, die den Heranwachsenden meist fixfertig vorgesetzt werden. Mächtige Dispositive für die Verbreitung von Deutungsmustern sind Schulen und Lehrbücher, in denen den Lernenden eben nicht nur rohe Fakten, sondern umfassende Interpretationen der Welt vermittelt werden. 178 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Deutungsmuster können explizit gemacht und mit Begriffen versehen werden. Ein Beispiel dafür ist der „homo oeconomicus“, der bis vor Kurzem durch die wirtschaftswissenschaftliche Literatur geisterte und erst in jüngster Zeit in Misskredit geraten ist. In diesem Deutungsmuster wurden Menschen als rational kalkulierende, den persönlichen Nutzen optimierende Egoisten konzeptualisiert, deren Verhaltensweise auf dem Arbeitsmarkt, an der Börse oder in der Politik vorhersagbar ist. Andere Deutungsmuster hingegen bleiben gänzlich implizit und sind vielen Schreibenden vermutlich gar nicht bewusst. So schreibt der in Aufgabe 7 zitierte Blogger: „Ich glaube auch, dass sich vielfach diejenigen, die Ideen klauen, gar keiner Schuld bewusst sind.“ Dieses Deutungsmuster, „Sie merken es gar nicht“, taucht auch in Texten über unobjektive, weil von der Industrie gesponserte Forscher immer wieder auf: „Viel weit reichender [als Korruption, d.V.] sind aber die unterschwelligen Interessenkonflikte. Denn diese wirken innerhalb legaler Grenzen und dabei so subtil, dass die meisten Ärzte es gar nicht merken“ (Lieb 2013: 37). Ein anderes Beispiel: Collien hat Management-Zeitschriften untersucht und festgestellt, dass rassische oder ethnische Zuschreibungen beim Reden über Mitarbeitende verschwunden sind und einem anderen Deutungsmuster Platz gemacht haben. Heute werden „kulturelle“ Differenzen zwischen den Mitarbeitenden fokussiert und häufig als unüberwindbar dargestellt. Die eigene Kultur wird nicht mehr als überlegen, aber als „total anders“ und daher mit anderen Kulturen nicht vereinbar konzeptualisiert (Collien 2014: 98). Deutungsmuster sind Ausdruck kollektiven Wissens einer Zeit und einer sozialen Gruppe. Sie erleichtern es den Angehörigen dieser Gruppen, Ereignisse und Phänomene einzuordnen und zu verarbeiten, eben zum Beispiel Fälschung als „nicht beabsichtigt“ oder kulturelle Differenzen als „unüberwindbar“. Mit solchen Deutungen sind natürlich auch Handlungspräferenzen verbunden, die zu einer self-fulfilling prophecy werden können: Wenn Frauen das soziale Konstrukt der „Mutterliebe“ verinnerlicht haben, dann beginnen sie sich wie „gute Mütter“ zu verhalten und schaffen dadurch genau jene Wirklichkeit, die die Gültigkeit des Deutungsmusters „Mutterliebe“ bestätigt (Keller 2007a: Abschnitt 3.1). Wer Fälschungen in den Wissenschaften als „Fehler“ klassiert und nicht als „Betrug“, wird Aufklärung statt Bestrafung fordern usw. Deutungsmuster sind daher wichtige Scharniere zwischen den diskursiven und sozialen Praktiken einer Gesellschaft. Klassifikationen und Metaphernkomplexe Zwei spezifische Formen von Deutungsmustern stellen Klassifikationen und Metaphernkomplexe dar. Klassifikationen sind wissenschaftlich oder administrativ begründete, mehr oder weniger systematische Kategorisierungen von Gegenständen oder Personen (zu sozialen Kategorisierungen vgl. S. 66). Klassifikationen werden immer zu einem bestimmten Zweck vorgenommen und sind daher keine neutralen Beschreibungen der Welt. So werden zum Beispiel Einwohner in Einkommensklassen eingeteilt, um gestützt darauf zu bestimmen, wie hohe Steuern sie bezahlen müssen oder ob sie Anrecht auf soziale Unterstützung haben. Es ist evident, dass solche Klassifikationen ein „Schubladendenken“ bei allen Beteiligten fördern, bei welchem Personen beispielsweise nur noch als „Hartz IV- Empfänger“ oder „Multimillionär“ wahrgenommen und entsprechend behandelt werden. Der Streit um Klassifikationen und die mit ihnen verbundenen Etiketten ist kein bloßer Streit um political correctness, sondern hat gravierende Auswirkungen auf die 179 8.2 Deutungsmuster Identität der Betroffenen. Wenn wir heute auf Formularen beim Geschlecht neben „männlich“ und „weiblich“ die Kategorie „andere“ finden, so ist dies das Resultat jahrzehntelanger Genderdebatten und ein Zeichen für das Ende eines uralten Deutungsmusters, bei welchem die Menschheit strikt in weiblich und männlich eingeteilt wurde. Ein Metaphernkomplex ist ein kohärentes System von Einzelmetaphern, die zusammen einen gesellschaftlichen Bereich sinnhaft strukturieren (zu Metaphern vgl. S. 67 und S. 90). So sind in der Politik Wegmetaphern sehr beliebt. Da werden „erste Schritte“ in „die richtige Richtung“ gemacht, während die Gegner „auf dem Holzweg unterwegs“ sind, „Kurswechsel“ oder gar die vollständige „Umkehr“ werden gefordert, man will „vorankommen“ und einen „Vorsprung gewinnen“, hat aber noch „einen langen Weg“ vor sich usw. (Niehr 2014: 99). Ein solcher Metaphernkomplex verleiht dem politischen Handeln Sinn, insoweit er Politik als ein gemeinsames Unterwegssein in eine (hoffentlich bessere) Zukunft konzeptualisiert. Die Wegmetaphern dienen auch als Basis für politische Legitimierungen, indem alles, was das Vorankommen fördert, automatisch gut und richtig ist, während Stillstand von vornherein schlecht ist. Zusammenfassung Wir fassen zusammen: Die Untersuchung von Deutungsmustern aus diskursanalytischer Sicht soll Antwort auf folgende Fragen geben:  Welche Deutungsmuster, Klassifikationen und Metaphernkomplexe liegen vor?  Welchen Sinn verleihen sie dem untersuchten Ausschnitt der Gesellschaft?  Welche Bewertungen sind mit ihnen verbunden und welchen Handlungen werden den Menschen durch sie nahe gelegt? Beispielanalyse Von den vielen Deutungsmustern in den vier untersuchten Managementlehrbüchern seien nur zwei besonders bedeutende herausgegriffen. Das erste Deutungsmuster ist für die Autoren so selbstverständlich, dass sie es nie eigens thematisieren. Vielmehr ist ihr ganzes Schreiben durchdrungen von dem Konzept, dass die Wirtschaft gleichbedeutend ist mit einem Darwin’schen Kampf ums Überleben der Unternehmen. Unternehmen sind Konkurrenten, die sich einen erbarmungslosen Kampf um Marktanteile und die Vorherrschaft liefern. In diesem Zusammenhang sind Wegbzw. Wettlaufmetaphern in den an Metaphern eigentlich armen Büchern wichtig: Es gilt, der Erste, der Schnellste bzw. der „Vorreiter“ (V: 230) zu sein, einen „Wissensvorsprung“ (L/ A: 97) zu erzielen, mit der „Konkurrenz“ mitzuhalten, „Hemmnisse“ (V: 356), „Barrieren“ (A/ B: 30f) oder „eingefahrene“ Denk- und Verhaltensweisen (V: 468) zu überwinden und „Bremser“ (V: 367) umzustimmen. Wer beim Wettlauf nicht mithalten kann, geht gnadenlos unter: „Denn Unternehmen mit austauschbaren Marktleistungen verschwinden meist schnell vom Markt“ (A/ B: 52). Daher gilt: „Schnell sein ist alles“ (M: 387). Etwas seltener, aber umso eindeutiger sind militärische Metaphern: Da ist von „strategischen“, „taktischen“ und „operativen“ Aufgaben die Rede (L/ A: 37, A/ B: 23), Konkurrenten „greifen an“ (M: 406), es „toben“ „Preiskämpfe“ (A/ B: 18) und „Verdrängungskämpfe“ (L/ A: 106), Konkurrenten „dringen in Märkte ein“ (L/ A: 105), „erobern 180 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Marktanteile“ (V: 2), ergreifen „offensive und defensive Maßnahmen“ (L/ A: 113) und gar „Vergeltungsmaßnahmen“ (L/ A: 106). Das zweite Deutungsmuster ist weniger leicht zu erkennen. Die meisten Autoren (Vahs am wenigsten) neigen jedoch dazu, das Unternehmen zu personifizieren und direkt oder indirekt mit der Führungsriege gleichzusetzen: „Ziel interner Unternehmenskommunikation ist es, … das Vertrauen der Mitarbeiter in das Unternehmen und seine Entscheidungsträger langfristig zu sichern“ (M: 224). Oft sind es „die Unternehmen“, die Entscheidungen treffen, kommunizieren, Aufgaben erfüllen. Die Mitarbeitenden sind in diesem Deutungsmuster nicht etwa Teil des Unternehmens, sondern eine seiner „Anspruchsgruppen“ (L/ A: 246): „Strategien lassen sich nur dann wirksam umsetzen, wenn man sie gegenüber den Mitarbeitenden kommuniziert“ (L/ A: 367). Bei Veränderungsprozessen sind Mitarbeitende meistens nicht Beteiligte, sondern „Betroffene“. Im Extremfall sind die Mitarbeitenden sogar Gegner des Unternehmens: So können verhandlungsstarke Mitarbeitende „die Gewinne der Unternehmen beträchtlich schmälern“ (L/ A: 111). Denn: „Zu den aktiven Gegnern der Veränderung zählen die ‚Untergrundkämpfer‘ und die ,offenen Gegner‘ (V: 358). Diesem Deutungsmuster entsprechend werden kritische Reaktionen auf Entscheidungen des Managements stereotyp als „Widerstand“ klassifiziert, und die Autoren verwenden viel Tinte darauf zu erklären, wie man diesen Widerstand brechen kann. Dass die Entscheidungen des Managements falsch und die Einwände der Mitarbeitenden berechtigt sein könnten, kommt bis auf eine Ausnahme (L/ A: 411) an keiner Stelle zur Sprache. Aufgaben Aufgabe 22: Bestimmen Sie im unten wiedergegebenen Artikel aus der NZZ, welche Deutungsmuster und Metaphernkomplexe die Berichterstattung strukturieren. Welches Bild von Unternehmen wird dadurch geschaffen? Welche Werte werden evoziert? Groß-Fusion in China Hochzeit der Zugbauer (dpa) Die beiden größten chinesischen Zughersteller haben sich zusammengeschlossen, um auf dem Weltmarkt gegen Rivalen wie Siemens und Bombardier anzutreten. Die Mega-Fusion zwischen China CNR und CSR wurde in der Nacht auf Mittwoch verkündet. Die Aktien der beiden Konzerne stiegen am Morgen in Hongkong steil in die Höhe bis auf einen Marktwert von umgerechnet rund 21 Mrd. €. In einer Mitteilung an der Schanghaier Börse hieß es, der Zusammenschluss solle „einen neuen grenzüberschreitenden und weltweit führenden Anbieter für hochwertige Bahnausrüstung schaffen“. Bei der Eroberung des Weltmarktes sollten so auch „Grabenkriege“ zwischen beiden Eisenbahnherstellern vermieden werden. (Neue Zürcher Zeitung Online, 31.12.2014) 181 8.3 Textmuster Suchen Sie in Ihren Texten nach Deutungsmustern und Metaphernkomplexen. Da wir Deutungsmuster oftmals gar nicht (mehr) erkennen, weil sie so selbstverständlich sind, machen Sie diese Arbeit am besten zusammen mit Kolleginnen. Diskutieren Sie, welchen Sinn und welche Werte die Deutungsmuster vermitteln und welche Handlungen sich aus ihnen logisch ableiten lassen. Das Konzept des Deutungsmuster wird bei Keller (2007a, 2007b) vorgestellt. Kognitive Frames sind bei Ziem (2013) und Spitzmüller/ Warnke (2011) beschrieben, Deutungsrahmen für die politische Analyse bei Donati (2006). Eine empirische Untersuchung über die Durchsetzung von Deutungsrahmen in politischen Diskussionen findet sich bei Gotsbachner (2008). 8.3 Textmuster Argumentations- und Deutungsmuster sind Konzepte, mit denen textübergreifende Gemeinsamkeiten auf der inhaltlich-konzeptuellen Ebene erfasst werden können. In diesem Abschnitt werden die eher formalen Gemeinsamkeiten von Texten besprochen, wie sie sich in bestimmten Textsorten zeigen. Dass auch sie diskursiv wirksam sind, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, soll aber im Folgenden gezeigt werden. Die Beschreibung von Textsorten ist das Kerngeschäft der Textlinguistik. Die bekannteste Definition stammt von Brinker: „Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen oder thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber.“ (Brinker 2010: 125). Die Musterhaftigkeit von Texten äußert sich auf allen Ebenen (Hausendorf/ Kesselheim 2008: 176ff), was wir am Beispiel eines Bewerbungsschreibens illustrieren wollen:  Wahl des materiellen Textträgers: Weißes DIN A4 Papier, einseitig bedruckt  Abgrenzungshinweise: Adresskopf zu Beginn, Verweis auf Anlagen am Schluss  Gliederungshinweise: Datum, Betreffzeile, Haupttext, Gruß, Unterschrift  Verknüpfungshinweise: Tabellarischer, chronologischer Lebenslauf  Textthema: Positive Beschreibung der eigenen Person und Arbeitsmotivation  Textfunktion: Kennzeichnung als „Bewerbung“  Intertextualitätshinweise: Bezugnahme auf Stellenausschreibung Anhand solcher Textsortenhinweise können die meisten Sprachteilhaber die gängigen Textsorten relativ leicht erkennen. Mit dem Erkennen der Textsorte sind spezifische Lesererwartungen verknüpft: So erwarten die Lesenden einer Nachricht, dass die dort wiedergegebenen Fakten stimmen, eine Erwartung, die sich bei der Lektüre einer Erzählung nicht einstellt. Schwieriger ist das eigene Verfassen textsortengerechter Texte. Daher gibt es eine lange Tradition der Schreibdidaktik, die keinen anderen Zweck verfolgt, als den Schreibenden das Verfassen mustergerechter Texte beizubringen, angefangen von den „Briefstellern“ der Barockzeit über den Aufsatzunterricht am Gymnasium des 19. Jahrhunderts bis hin zu aktuellen Schreibseminaren an der Universität, in welchen die 182 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Studierenden das Verfassen von Seminararbeiten lernen. Bei vielen Berufen ist das Erwerben von Textmusterkompetenz ein zentraler Teil der Ausbildung, so die Geschäftskorrespondenz bei Kaufleuten oder die Urteilsbegründung bei Juristinnen. Trotz dieser Schwierigkeiten betonen alle Textlinguisten, dass die Musterhaftigkeit von Textsorten die Produktion und Rezeption von Texten massiv erleichtert oder überhaupt erst möglich macht: Einen Text wie das zitierte Kochrezept (vgl. Abschnitt 1.3) verstehen und gebrauchen zu können setzt voraus, dass man die Textsorte und damit die Funktion des Dokumentes erkannt hat. Die linguistische Diskursanalyse geht mit der klassischen Textlinguistik darin einig, dass Texte in aller Regel Mustern folgen, legt aber den Fokus weniger auf die Eigenschaften der Texte selber als auf die Frage, was mit den Texten getan wird. Aus der Sicht der Diskursanalyse sind Textsorten (genres) „a socially ratified way of using language in connection with a particular type of social activity“ (Fairclough 1995: 14). Eine schriftliche Bewerbung ist in dieser Perspektive also nicht (primär) ein Text, sondern eine soziale Handlung, die in einer bestimmten Form durchgeführt werden muss, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Textsorten wie eine Bewerbung weisen den Produzierenden und Rezipierenden soziale Positionen bzw. Rollen zu: Die des Bewerbers, der seine persönlichen Daten wie Schulzeugnisse offen legen muss, und die der Unternehmerin oder Personalverantwortlichen, die gestützt auf diese Daten letztlich eine Stelle vergibt. In eine Textsorte wie das Bewerbungsschreiben sind soziale Machtverhältnisse eingeschrieben, mehr noch, ein ganzes Wirtschaftssystem: ein Arbeitsmarkt, auf welchem Arbeitnehmende ihre Arbeitskraft anbieten müssen (Angebotsseite), um mit Glück von einem Arbeitgeber (Nachfrageseite) angestellt zu werden. In einem von Zünften organisierten Arbeitsmarkt kommen die Textsorten Stellenausschreibung und Bewerbungsschreiben in dieser Form nicht vor. So liegen Textsorten an der Schnittstelle zwischen Texten als einzelnen sozialen Handlungen und der Gesellschaftsordnung, die durch Institutionen aufrecht erhalten wird (vgl. Abbildung 32). Abbildung 32: Textsorten an der Schnittstelle von Text und Gesellschaftsordnung. Weil in Textsorten Machtverhältnisse eingeschriebenen sind, stellt sich als nächstes die Frage, welche Akteure darüber bestimmen, welche Textsorten in einer Gesellschaft gebraucht werden und welchem Muster sie zu folgen haben. Linguisten haben die Tendenz, sprachliche Konventionen als „Phänomene der dritten Art“ (Keller 2003) zu betrachten, das heißt als Effekte von Einzelhandlungen, die niemand so geplant und gewollt hat. Diese Haltung wird auch bei Brinker deutlich, wenn er schreibt, Textsorten „haben sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt“ (vgl. oben), also scheinbar ganz von allein. Es mag sein, dass manche Textsorten sich „in freier Wildbahn“ entwickelt haben und ihre heutige Form Resultat steter Imitation und punktueller Adaption der Verfassenden ist. Zu denken ist etwa an Postkarten, Flyer oder Kontaktanzeigen. Das darf Text soziale Handlung Textsorten soziale Praxis Institution Gesellschaftsordnung 183 8.3 Textmuster aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei vielen Textsorten gesellschaftliche Akteure normierend eingreifen. Das reicht von Gestaltungsempfehlungen für Todesanzeigen von Zeitungsredaktionen über Ratgeber für das Abfassen von Bewerbungsschreiben und Vorlagen für Mietverträge bis hin zu amtlichen Formularen, auf welchen man nur noch die verlangten Buchstaben und Zahlen in vorgedruckte Kästchen setzen muss. Aus diskursiver Sicht ist daher nicht nur zu untersuchen, welchen Mustern die untersuchten Texte folgen und welche sozialen Praktiken damit vollzogen werden, sondern auch, wer die gesellschaftliche Macht hat, diese Muster durchzusetzen und welche Interessen dahinterstehen. Um wieder auf das Beispiel Bewerbungen zurückzukommen: Unternehmen haben ein Interesse daran, über alle Bewerberinnen die gleichen, aus ihrer Sicht vollständigen Angaben zu bekommen - zum Beispiel einen lückenlosen Lebenslauf, aus dem auch Zeiten der Arbeitslosigkeit hervorgehen -, während die Anbieter von Schreibseminaren und Ratgebern für Bewerbungen ein kommerzielles Interesse mit dieser Textsorte verfolgen. Als Letztes ist zu fragen, welche Auswirkungen Textmuster auf die Konstruktion der Wirklichkeit haben. Wir haben bei der allerersten Aufgabe gesehen, dass bereits eine ganz harmlos wirkende Textsorte wie ein Kochrezept normative Wirkung hat, indem sie Vorstellungen von „Normalität“ bezüglich Lebens- und Essgewohnheiten verbreitet. Wir möchten hier auf eine Textsorte eingehen, bei welcher uns die Auswirkungen ihrer Musterhaftigkeit besonders problematisch erscheinen: den wissenschaftlichen Aufsatz. Beispiel: der wissenschaftliche Aufsatz Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften weisen alle das gleiche Muster auf, welches vor allem in den Naturwissenschaften von den Verlagen und den Gutachtern rigoros eingefordert wird (Niederhauser 1997):  Titel / Autor / Abstract - Ausgangslage - Fragestellung / Hypothesen - Methode - Resultate - Diskussion  Literaturverzeichnis / Anschrift Der immer gleiche Aufbau spiegelt sich in ganz stereotypen Formulierungen wider, die als Signale für die einzelnen Abschnitte fungieren. So finden wir in einem Abstract über eine geologische Untersuchung des Grand Canyon folgende Formulierungen 43 : „The … is vigorously debated. In one view … Alternatively… [Ausgangslage]. Here we investigate … [Frage] using … dating [Methode]. If any segment is young, the old canyon hypothesis is falsified [Hypothese]. We reconstruct … [Messungen]. We find that … [Resultate] However … [Diskussion]. Thus … we conclude that … [Schlussfolgerung].“ Welche Folgen hat das starre Schema wissenschaftlicher Aufsätze auf unsere Vorstellungen von Wissenschaft und unser Verständnis der Welt? Der Duktus wissenschaftlicher Texte nährt die Illusion, Wissenschaft sei ein vollkommen plan- und steuerbarer 43 Karl E. Karlstrom u.a. (2014): Formation of the Grand Canyon 5 to 6 million years ago through integration of older palaeocanyons. In: Nature Geoscience (26. Januar). Online (14.2.2014): http: / / www.nature.com/ ngeo/ journal/ vaop/ ncurrent/ full/ ngeo2065.html 184 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Prozess, bei welchem sich Erkenntnisse systematisch hervorbringen lassen, womit ein konstanter, linearer Erkenntnisfortschritt erzielt wird. Dass dem nicht so ist, weiß jeder, der in Forschungsprojekten mitgearbeitet hat. Forschen ist immer auch ein Prozess des Suchens, Ausprobierens und Verwerfens von Ideen und Experimenten, und gerade die größten Geistesblitze, die zu revolutionären Erkenntnissen geführt haben, sind oft nicht Resultat systematischer Testreihen, sondern die intellektuelle Leistung kreativer Denker. Letztere sind jedoch gezwungen, ihre Erkenntnisse in die Struktur eines Aufsatzes zu pressen, und das bedeutet nicht selten, nachträglich passende Vorgängertheorien zusammenzusuchen und eine Fragestellung zu erfinden, auf welche die eigene Erkenntnis dann als „Antwort“ ausgegeben werden kann. Der wissenschaftliche Aufsatz favorisiert aber auch ein einseitig (natur)wissenschaftliches Weltbild: Nur das ist existent und wahr, was sich mit wissenschaftlichen Methoden erfassen und mit wissenschaftlichem Vokabular darstellen lässt. Alle anderen denkbaren Formen der Erkenntnisgewinnung - Träume, Visionen, Intuition - und der Erkenntnisvermittlung - Erzählungen, Mythen, Karikaturen - sind zum vornherein ausgeschlossen. Man muss sich ernsthaft fragen, wie viel mögliches Wissen unserer Gesellschaft dadurch entgeht, dass es nicht in den Mustern wissenschaftlich anerkannter Textsorten abgebildet werden kann. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass Textmuster sich verändern können. Damit verbunden ist in der Regel eine Veränderung der sozialen Praktiken und Beziehungen. So sind zum Beispiel die Studienführer vieler Universitäten in den letzten Jahren immer mehr zu Marketingtexten geworden: Potenzielle Studierende werden regelrecht umworben und somit nicht mehr wie früher als staatlich subventionierte Träger gesellschaftlicher Privilegien dargestellt, sondern zu Kunden stilisiert (Markard 2004, Bloor/ Bloor 2007). Damit geht allerdings eher eine Verunklarung der sozialen Beziehungen einher, was sich spätestens bei den Prüfungen zeigt, wo aus umworbenen Kunden sehr schnell wieder zitternde Kandidaten werden. Zusammenfassung Wir fassen zusammen: Die Untersuchung von Textsorten aus diskursanalytischer Sicht soll Antwort auf folgende Fragen geben:  Welches Textmuster liegt vor?  Welche soziale Praxis ist mit diesem Textmuster verbunden und in welche Institutionen ist diese eingebunden?  Welche gesellschaftlichen Akteure haben Einfluss auf das Textmuster und welche Interessen verfolgen sie damit?  Welche Auswirkungen auf die Darstellung der Wirklichkeit hat das Textmuster? Beispielanalyse Mit diesen Fragen sollen nun die vier Managementlehrbücher aus unserem Korpus untersucht werden. Wir fangen an mit einer Beschreibung des Textmusters, das heißt der äußeren Erscheinung und inneren Gliederung der Bücher sowie deren Stil. In Tabelle 15 sind die äußere Erscheinung und innere Gliederung der vier Bücher zusammengefasst. 185 8.3 Textmuster Autor Vahs Lombriser / Abplanalp Mast Aerni/ Bruhn Titel Organisation Strategisches Management Unternehmenskommunikation Integrierte Kommunikation Umfang 633 Seiten 621 Seiten 499 Seiten 338 Seiten Umschlag gebunden, Fotografie eines griech. Tempels gebunden, Gemälde einer Künstlerin Taschenbuch, Zeichnung eines Netzwerks A4 broschiert, Illustration mit baumelnden Buchstaben Farbe 2-Farbendruck schwarz-blau schwarz-weiß mit Graustufen schwarz-weiß mit Graustufen 2-Farbendruck schwarz-grün Aufbau Vorwort Text Literaturverz. Stichwortreg. Autor Vorwort Text Fallstudien Literaturverz. Stichwortverz. Autoren Vorwort Text Literaturverz. Sachregister Vorwort Text Antworten Glossar Stichwortverz. Kapiteleinteilung 10 Kapitel mit 4 Dezimalstufen 9 Kapitel mit 3 Dezimalstufen 16 Kapitel mit 3 Dezimalstufen 23 Kapitel mit 1 Dezimalstufe Bilder bis zu 60 Abb. pro Kapitel bis zu 32 Abb. pro Kapitel 72 Abbildungen viele Tabellen, wenige Abb. Übungen Wiederholungsfragen und Lösungen Fragen bei den Fallbeispielen am Schluss keine Repetitionsfragen nach jedem Kapitel Beispiele viele Beispiele aus Praxis viele Beispiele aus Praxis keine wenige Beispiele Besonderes Theorie wird an fiktivem Unternehmen durchgespielt Zeichnung einer Künstlerin zu jedem Kapitel Schwarz-weiß- Fotos zu den Beispielen Tabelle 15: Äußere Gestalt und innere Gliederung der Managementlehrbücher. Alle vier Bücher sind sehr umfangreich und haben ganz allgemeine Titel. Damit zeigen sie den Anspruch, „das Ganze“ zu zeigen, also die gesamte Unternehmensführung bzw. -kommunikation. Alle sind in viele Kapitel und Unterkapitel (bis zur vierten Stufe in der Dezimalklassifikation) eingeteilt, was den Eindruck von Systematik erweckt. Literaturverzeichnis und Sachregister signalisieren Wissenschaftlichkeit, während Praxisbeispiele den Praxisbezug garantieren, was in der betriebswirtschaftlichen Literatur einen hohen Stellenwert hat. Daher finden sich auch im Text immer wieder Hinweise darauf, was sich ‚in der Praxis‘ bewährt hat und was nicht. Schließlich verfügen alle Bücher über zahlreiche Abbildungen, welche das Geschriebene anschaulich visualisieren. 186 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Stil Auch im Stil zeigen sich Gemeinsamkeiten zwischen den Büchern. Wir stellen fünf ausgewählte Stilmerkmale vor, illustriert mit einigen wenigen Zitaten. 1) Durchgehende Depersonalisierung: In allen Texten sind die Autoren fast oder ganz getilgt, lediglich Lombriser/ Abplanalp verwenden hin und wieder die Wir-Form. Damit soll der Eindruck erzeugt werden, dass in den Büchern keine persönlichen Ansichten dargelegt werden, sondern der allgemein anerkannte „State of the Art“. Aber auch in den Unternehmen und in der Gesellschaft geschieht vieles ohne Akteure: Neue Technologien können etablierte Produkte innerhalb kürzester Zeit verdrängen, aber auch völlig neue Chancen eröffnen (L/ A: 101). Sogar Kommunikation kann offensichtlich ohne Menschen stattfinden: Informationsprozesse umfassen den Austausch und die Verarbeitung von Informationen (V: 239). Umgekehrt werden die Unternehmen häufig personalisiert und erscheinen als die eigentlichen Akteure mit eigenen Absichten und Handlungen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Unternehmen von den neuen Wachstumschancen profitieren (L/ A: 33). Die Wirkung dieses depersonalisierten Stils besteht darin, dass Tätigkeiten in den Unternehmen von selbst abzulaufen scheinen, ohne identifizierbare und damit verantwortliche Handelnde. Verantwortung diffundiert im System. 2) Häufung von Definitionen: In allen Büchern finden sich zahlreiche Definitionen, die teilweise als solche gekennzeichnet sind, teilweise eher beiläufig vollzogen werden: Als Kommunikationspolitik wird die Gesamtheit der Kommunikationsinstrumente und -maßnahmen eines Unternehmens bezeichnet, die eingesetzt werden, um den relevanten Zielgruppen der Kommunikation das Unternehmen und seine Leistungen darzustellen (A/ B: 13). Der Stil kann darüber hinaus durchgängig als „definitorisch“ charakterisiert werden: Der Tenor der Bücher lautet allein aufgrund des Stils: So und so ist es. Ein Beispiel: Der Ausgangspunkt der Arbeitsanalyse sind die Teilaufgaben niedrigster Ordnung, die Elementaraufgaben (V: 56). 3) Vermischung von Deskriptivem und Normativem: Bei allen vier Büchern fällt nicht nur auf, dass sie ausgesprochen normativ sind, sondern dass der Wechsel von deskriptiven und normativen Aussagen nahtlos und unmarkiert erfolgt. Aus dem, was „ist“, wird im Handumdrehen das, was sein soll, ein typischer naturalistischer Fehlschluss (vgl. S. 211): Kritisch ist anzumerken, dass die Trennung von Aufbau- und Ablauforganisation nicht eindeutig möglich und in der Praxis auch wenig sinnvoll ist. Die Gestaltung der Strukturen muss gleichzeitig auch die Prozesse berücksichtigen, wenn sie effizient sein soll (V: 59). 4) Erstellen von Kausalketten (vgl. Abschnitt 8.1): Alle Autoren orientieren sich in ihrer Argumentation an einem (natur-)wissenschaftlichen Weltbild, in welchem die Welt 187 8.3 Textmuster nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung funktioniert. Das gilt nicht nur für das „System“ Unternehmen, sondern auch für den Menschen und seine Psyche: Durch die umfassenderen Aufgabenbereiche und die größere Eigenverantwortung der Mitarbeiter werden neue Motivationspotenziale erschlossen (V: 229). Mit dem Aufzeigen unverrückbarer Kausalitäten wird der Eindruck erzeugt, Unternehmen und Menschen seien manipulier- und steuerbar. 5) Argumentation mit Autoritäten und Beispielen: Alle Autoren zitieren häufig Studien und Bücher anderer Autoren und führen nachahmenswerte oder abschreckende Beispiele von Unternehmen an, die eine bestimmte Maßnahme getroffen haben oder eben nicht. Dadurch markieren sie ihre Aussagen als durch Wissenschaft oder Praxis gesichert. 44 Insgesamt ist das Textmuster „Lehrbuch“ von Gestaltung und Sprache her darauf ausgerichtet, eine bestimmte Lesererwartung zu befriedigen, nämlich „die Wahrheit“ zu erfahren, und zwar die vollständige, wissenschaftlich gesicherte Wahrheit zu einem Thema, übersichtlich geordnet und mit anschaulichen Abbildungen versehen. 45 Akteure Der wichtigste Akteur bei einem Lehrbuch ist natürlich der Autor, der für den Inhalt gerade stehen muss. Sein Hauptinteresse ist die akademische Reputation, die sich mit Publikationen erzielen lässt. Doch darf man die vielen weiteren Akteure nicht übersehen, die Einfluss auf die Gestalt von Lehrbüchern haben: Da sind die Verlage, die ein rein kommerzielles Interesse verfolgen und sich - unter anderem mit der grafischen Gestaltung - bemühen, die Attraktivität und damit den Absatz des Buches zu fördern. Aber auch die Abnehmer bestimmen, welche Bücher sich auf dem Markt halten können, die Dozierenden, die Lehrbücher als Pflichtlektüre auswählen, die Studierenden, die selber danach greifen. Schließlich werden Form und vor allem Inhalt auch von den vielen zitierten Autoren, Unternehmensberatern und Praktikern aus den Unternehmen beeinflusst, die mitbestimmen, welche Managementmethoden gerade angesagt sind. Lehrbücher sind daher das Resultat eines vielstimmigen Gewimmels im Managementdiskurs. Soziale Praxis Lehrbücher sind eine Form der Experten-Laien-Kommunikation, bei welcher erfahrene Wissenschaftler oder Dozierende ihr gesammeltes Wissen den Novizen im Fach weitergeben. Dies geschieht im Normalfall im institutionellen Kontext einer Hochschule, nicht am Arbeitsplatz. Mit den Lehrbüchern werden den angehenden Führungs- und Fachkräften allerdings nicht nur klar definierte Begriffe und Konzepte des Organisie- 44 Etwas seltsam mutet allerdings die Schreibstrategie von Vahs an, zu bestimmten Themen der Organisation Zitate aus Leitbildern und Geschäftsberichten von Unternehmen als „Beleg“ heranzuziehen, z.B. für die Wichtigkeit der „Kundenorientierung“. 45 Natürlich gibt es zwischen den Büchern auch Unterschiede, zum Beispiel im Umgang mit Metaphern (Vahs benützt kaum welche, bei Lombriser/ Abplanalp ziehen sich Leitmetaphern wie der „Produktlebenszyklus“ oder der „Wettlauf“ durch das ganze Buch), im Umgang mit dem generischen Maskulinum (Lombriser/ Abplanalp bemühen sich tw. um gendergerechte Sprache) oder im Umgang mit verschiedenen Lehrmeinungen (Vahs wägt verschiedene Konzepte gegeneinander ab, Aerni/ Bruhn und Mast favorisieren in der Regel eines). Die genannten Gemeinsamkeiten überwiegen diese Differenzen jedoch bei weitem. 188 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster rens vermittelt, sondern es werden ihnen in normativer Weise auch bestimmte Denk- und Handlungsweisen nahe gelegt; sie werden regelrecht auf eine bestimmte „Denke“ eingeschworen. Dies ist umso dramatischer, als an einer Schule normalerweise am Schluss eine Prüfung zu absolvieren ist, womit der Druck auf die Studierenden wächst, das als „richtig“ präsentierte Wissen unhinterfragt zu reproduzieren. Das eben Gesagte gilt selbstredend auch für das vorliegende Lehrbuch zur Diskursanalyse. Darstellung der Wirklichkeit Die Systematik der Lehrbücher - bis zur 4. Dezimalstelle - suggeriert eine Übersichtlichkeit der Welt, die weit weg von jeder Unternehmenswirklichkeit ist und sich wohltuend vom alltäglichen Chaos abhebt. Die vielen Definitionen sowie der unpersönliche, apodiktische Stil verleihen den Aussagen die Aura der Allgemeingültigkeit und Präzision und geben dem Leser das beruhigende Gefühl, die Wahrheit über Unternehmensführung erfahren zu haben. Die Art der Argumentation und die Konstruktion von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen knüpfen an ein naturwissenschaftliches Weltbild an und führen zu einer systematischen Unterkomplexheit. Die Normativität der Texte schließlich fördert Indoktrination, nicht Reflexion. So sind diese Bücher geeignet, die Leserin in der Illusion zu wiegen, man könne Unternehmen und Menschen planmäßig steuern. 46 Aufgaben Aufgabe 23: Vergleichen Sie die beiden abgedruckten Stellenanzeigen aus dem 20. und 21. Jahrhundert (anonymisiert). Welche Unterschiede im Textmuster können Sie erkennen? Welche Rückschlüsse können Sie daraus ziehen auf die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und auf die öffentliche Darstellung der Arbeitswelt? Gesucht zu baldigem Eintritt in Geschäftshaus tüchtige, couragierte Tochter, welche gut bürgerlich kochen und sämtliche Hausgeschäfte selbständig besorgen kann. Schriftliche Offerten mit Lohnangabe und wenn möglich mit Zeugnisabschriften und Referenzen unter Chiffre P 30087 Lz an die Publicitas Luzern. (Luzerner Tagblatt, 4.1.1930). 46 Fleck hat bereits in den 1930er Jahren beschrieben, dass die Übertragung von Wissen aus der Textsorte Aufsatz in die Textsorte Lehrbuch immer zugleich eine Transformation des noch Unsicheren und Diskutierten in angeblich gesichertes Wissen bedeutet (Fleck 1936/ 1983). 189 8.3 Textmuster LOGO Die Bäcker AG ist ein modernes Unternehmen der Phantasia, das hochwertige Brot- und Backwaren sowie Teigwaren herstellt. Nach Um- und Neubauten sowie für Neubesetzungen suchen wir für unsere Hausbäckereien in Dorf A, Dorf B, Dorf C, Stadt A und am Flughafen nach Vereinbarung einsatzfreudige, freundliche Bäcker-Konditor (m/ w) Ihre Aufgaben Sie arbeiten im Team in unserer Hausbäckerei in der Phantasia-Filiale und stellen dabei feine, frische Produkte her. Als Bäcker-Konditor wissen Sie Ihre Berufskenntnisse und Ihr hohes Hygieneverständnis für eine jederzeit einwandfreie Qualität der Produktion einzusetzen. Als offener, sympathischer Fachmitarbeiter sind sie allen Phantasia- Kunden eine kompetente Ansprechperson. Ihr Profil Sie verfügen über eine abgeschlossene Berufslehre als Bäcker-Konditor EFZ und bringen mindestens 2-3 Jahre Berufserfahrung mit. Sie suchen eine abwechslungsreiche Tätigkeit, bei der Sie Ihre fachlichen und menschlichen Qualitäten einbringen können. Ihre teamorientierte und engagierte Arbeitsweise wird ergänzt durch gute organisatorische Fähigkeiten. Wenn Sie spürbar Freude an Ihrem Beruf mitbringen und dabei gerne Kundenkontakt haben, möchten wir Sie gerne kennen lernen. Bitte senden Sie uns Ihre Bewerbung unter Angabe des gewünschten Arbeitsortes. BÄCKER AG, Vorname Name, Postfach, 8603 Dorf D jobs@baecker.ch, www.baecker.ch (Juli 2014 auf jobs.ch) Falls Sie das nicht schon bei der Zusammenstellung des Korpus getan haben: Prüfen Sie, zu welchen Textsorten die Texte aus Ihrem Korpus gehören. Bestimmen Sie die dazu gehörenden Textmuster mit den Begriffen der Textlinguistik. Werden diese sehr rigide umgesetzt oder gibt es Variationen? Wer hat Einfluss auf diese Muster? (Beispiel: Journalistische Lehrbücher beeinflussen die Gestalt heutiger Nachrichten). Welche sozialen Beziehungen werden den Schreibenden und Lesenden zugewiesen? Welche sozialen Praktiken werden mit den Textsorten vollzogen, und welche Auswirkungen haben diese auf die Beteiligten und die Darstellung der Welt? 190 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Für die präzise Beschreibung von Textsorten eignet sich Hausendorf/ Kesselheim (2008). Zum Diskurs von Nachrichtentexten (inkl. Pressebildern) äußern sich Bednarek/ Caple 2012. Verstreute Hinweise zur diskursiven Wirkung von Textsorten finden sich in vielen Einführungen, am ausführlichsten bei Fairclough (1995, 2005). 8.4 Gesprächsmuster Was Textmuster bei schriftlichen Texten, sind Gesprächsmuster bei mündlichen Gesprächen. Wie in Abschnitt 2.2 bereits ausgeführt, sind Gesprächsmuster kollektive Routinen zur Bewältigung wiederkehrender gesellschaftlicher Aufgaben. Gesprächsmuster zu eruieren, ist empirisch mitunter recht anspruchsvoll, da sie die Tiefenstruktur von Gesprächen bilden und nur selten 1: 1 an der Gesprächsoberfläche abzulesen sind. Performative Äußerungen wie „Hiermit begrüße ich Sie“ sind rar, meistens muss der Handlungswert „Begrüßung“ aus Äußerungen wie „Hallo zusammen“ erschlossen werden. Um den Handlungswert von Äußerungen und damit ihre Position im Aufgabenschema erschließen zu können, ist es angezeigt, mehrere Gespräche desselben Typs zu untersuchen. Bei institutionellen Gesprächen genügt die eigene Intuition auch dann häufig nicht, dann sind die Agenten der Institution nach Sinn und Zweck ihrer Äußerungen zu befragen. Das Bestimmen der Gesprächsmuster in den eigenen Daten ist aber nur der erste Schritt zu einer diskursanalytischen Interpretation. Als nächstes ist wie bei den Textmustern zu fragen, welche Rollen und Identitäten das Gesprächsmuster den Interagierenden zuweist. Damit verbunden ist die Frage, welche Handlungsmöglichkeiten die Beteiligten haben, welche interaktiven Rechte und Pflichten, und welche nicht. Als Beispiel sei an das Radiogespräch aus Kapitel 6 erinnert, bei welchem durch den Gesprächstyp „Radiotalk“ dem Versicherungsdirektor und der Künstlerin die Rolle des Gastes und die Identität des zugewanderten Schweizers zugewiesen wurde, verbunden mit der Pflicht, die Fragen des Moderators zu beantworten, die eigenen Äußerungen auf das österreichische Publikum auszurichten, sich kooperativ zu verhalten und keine abfälligen Bemerkungen über das Gastland zu machen. Bei vielen Gesprächstypen sind die Vorgaben diesbezüglich für alle Beteiligten sehr eng, man denke an Lehrgespräche im Klassenzimmer, Gespräche auf Ämtern, Interviews am Fernsehen und anderes mehr. Zu den Auswirkungen von Gesprächsmustern auf die Beteiligten liegen zahllose Studien aus der funktional-pragmatischen Gesprächsforschung, der Konversationsanalyse und der interaktionalen Soziolinguistik vor, auf die sich Diskursforschende stützen können. Sie kommen zu teilweise dramatischen Ergebnissen: Ob Besprechungen im Betrieb, Sprechstunden an der Hochschule, Konsultationen beim Arzt oder Reklamationsgespräche bei Unternehmen: Allerorten zeigt sich ein deutliches Machtungleichgewicht zugunsten der Vorgesetzten bzw. der Agenten der Institution, welches die Klienten in ihren Handlungsmöglichkeiten massiv einschränkt. Gesellen sich problematische kommunikative Routinen dazu, ist das Ziel der Gespräche, ein verständliches und nützliches Ergebnis für alle Beteiligten zu erreichen, ernsthaft gefährdet. Als nächstes ist zu fragen, welche gesellschaftlichen Akteure Einfluss auf die Gesprächsmuster haben. Stärker noch als bei den schriftlichen Texten ist bei Gesprächen die traditionelle Perspektive, wonach sich die Gesprächsmuster aus der Sache selbst ergeben hätten, längst überholt. Viele Unternehmen schreiben ihren Angestellten heutzutage präzise vor, wie sie ihre Gespräche zu gestalten haben, führen entsprechende 191 8.4 Gesprächsmuster Schulungen durch und stellen schriftliche Vorlagen wie zum Beispiel Formulare für die jährliche Mitarbeiterbeurteilung zur Verfügung, mit denen sicher gestellt wird, dass alle Beurteilungsgespräche nach demselben Muster und mit denselben Bewertungskriterien durchgeführt werden. In- und außerhalb der Unternehmen ist ein Heer von Kommunikationsberatern, Trainerinnen und Coaches damit beschäftigt, den Menschen das Telefonieren, Verkaufen, Verhandeln, Interviewen, Moderieren, ja sogar das Betreiben von Smalltalk beizubringen. Die Regale in den Buchhandlungen sind voll von Ratgebern zum erfolgreichen Präsentieren, Führen und sogar Streiten. Gesprächsführung ist in unserer Gesellschaft zu einer Sozialtechnik und einem großen Geschäft geworden. Die Durchrationalisierung von Gesprächen gipfelt im Einsatz von Gesprächsleitfäden, die den Angestellten in Callcentern und Meinungsforschungsinstituten wörtlich vorgeben, was sie zu sagen bzw. abzulesen haben. Mit sogenannten Coachings werden Angestellte auf bestimmte Verhaltensweisen regelrecht gedrillt, und deren Einhaltung wird durch das Aufzeichnen und Abhören der Telefongespräche rigoros kontrolliert. Neben den verbalen Vorschriften zur Gesprächsführung werden Gesprächsmuster heute in beträchtlichem Maße auch von der eingesetzten Technik bestimmt (Matuschek/ Henninger/ Kleemann 2001): Kunden müssen sich durch lange Menüs hören und tippen, bevor sie mit einem Angestellten des Unternehmens verbunden werden; die Gesprächsführung in Callcentern wird wesentlich von der Software bestimmt, welche vorgibt, welche Informationen (zum Beispiel Kundennummern) in welcher Reihenfolge einzutragen sind (Bendel 2006); Gespräche in den Medien sind vollständig geprägt von der verfügbaren Aufnahme-, Schnitt- und Wiedergabetechnik sowie vom Programm, das Beginn und Ende einer Sendung auf die Sekunde festlegt. Was ursprünglich als Hilfestellung für die Angestellten gedacht war - Formulare, Gesprächsleitfäden, Computersoftware und persönliche Schulung - hat sich durch deren Verknüpfung mit der Leistungsbeurteilung zu eigentlichen Herrschaftsinstrumenten entwickelt, zu Dispositiven der Macht, welche die Menschen zwar nach wie vor zum Handeln ermächtigen, sie aber gleichzeitig machtvoller Kontrolle unterwerfen. Die Formalisierung institutioneller Gespräche nimmt nach wie vor zu, obwohl alle bisherigen Untersuchungen zeigen, dass der Einsatz von Gesprächsleitfäden eher kontraproduktiv ist: Ablesen statt freies Formulieren mindert die Glaubwürdigkeit von Call Agents (Hirschfeld/ Neuber 2011), Formulare für die Mitarbeiterbeurteilungen führen zu permanenten internen Auseinandersetzungen 47 , Ärzte führen präoperative Aufklärungsgespräche auf eine Weise, die nicht dazu geeignet ist, die Patienten aufzuklären, sondern ihre Unterschrift zu bekommen etc. Welche Auswirkungen die institutionelle Durchrationalisierung von Gesprächsmustern auf die Psyche der Beteiligten hat, wäre noch zu erforschen. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass die Züchtung „synthetischer Persönlichkeiten“ für die Betroffenen eine Belastung ist und von der Kundschaft als surreal erlebt wird (Cameron 2000). Gänzlich fremdbestimmen lässt sich das kommunikative Verhalten von Menschen allerdings nie. Selbst in sehr kontrollierenden Institutionen bestehen für die Individuen individuelle Handlungsspielräume, die sie auch ausschöpfen, um sich ihre persönliche Identität zu wahren (Bendel 2007). Daher ist bei einer diskursanalytischen Untersuchung von Gesprächsmustern immer auch zu fragen, welche Handlungsspielräume 47 Das gilt vor allem dann, wenn die Bewertung einkommensrelevant ist oder wenn die Vorgesetzten die Vorgabe haben, die Noten in ihrer Abteilung gleichmäßig zu verteilen und nicht alle Mitarbeitenden mit „gut“ zu bewerten. 192 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster vorhanden sind und ob sich individuelle Züge der Gesprächsgestaltung oder sogar Formen des Widerstands gegen institutionelle Vorgaben finden. Als Letztes ist zu fragen, wie die Gesprächsmuster unserer Gesellschaft unsere Wahrnehmung der Welt steuern bzw. welche Wirklichkeit mit ihnen konstituiert wird. Das wollen wir am Beispiel von politischen Sendungen am Fernsehen illustrieren. Auf den öffentlich-rechtlichen Sendern existieren Politsendungen, die schon vom Namen her als Kämpfe angekündigt werden: am Schweizer Fernsehen ist das die wöchentliche „Arena“, am Deutschen Fernsehen sind es die TV-„Duelle“ mit den Kanzlerkandidaten. Diese und andere Sendungen sind gänzlich auf Konfrontation angelegt. Ziel ist nicht, gemeinsame Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln oder einen Konsens zu finden, sondern allein, die eigene Position zu stärken und gegenüber dem Gegner zu punkten. Die Kontrahentinnen müssen fähig sein, ihre Meinung in Statements von 30 Sekunden kund zu tun - was eine differenzierte Argumentation natürlich verunmöglicht. Letzteres gilt auch für Interviews mit Politikern, die für Nachrichtensendungen aufgezeichnet und zusammengeschnitten werden. Durch Gesprächsmuster wie Schaukämpfe und Kürzestinterviews vermittelt das Fernsehen eine Vorstellung von Politik als Kampf verfeindeter Parteien und Personen, die am Dissens orientiert und auf Sieg oder Niederlage ausgerichtet sind, und die Vorstellung einer Welt, deren Probleme sich mit Statements von 30 Sekunden analysieren oder gar lösen lassen. Dieses medienvermittelte Bild von Politik verfehlt unseres Erachtens das Wesen der Demokratie, welche letztlich nicht vom Kampf, sondern vom Ausgleich der Interessen lebt. Rituale Eine besondere Form von Gesprächsmustern sind Rituale. Rituale sind äußerlich streng reglementierte Handlungsfolgen, die nicht primär einem alltagspraktischen Zweck dienen, sondern symbolische Bedeutung haben und den Respekt vor etwas Heiligem ausdrücken, vor einer Gottheit, einer Person oder einer Idee. Rituale sind symbolische Handlungen und repräsentieren eine höhere oder heilige Ordnung (Soeffner 2010: 40). Das Heilige wird im Symbol nicht nur abgebildet, sondern vergegenwärtigt: Die Hostie symbolisiert nicht nur, sondern ist der Leib Christi. Rituale sind nur gültig, wenn sie in der überlieferten Form durchgeführt werden und auch ästhetischen Ansprüchen genügen. Daher ist ihre Durchführung meistens Spezialisten vorbehalten, Priestern oder Schamanen (ebd.: 48). Der Begriff des Rituals war ursprünglich auf den religiösen Bereich beschränkt. Religiöse Rituale wie Prozessionen, Gottesdienste oder Regentänze dienen der Verehrung der göttlichen Mächte, aber auch deren Beschwörung und Indienstnahme, etwa bei Bittgebeten, Gelübden oder Opferhandlungen. Die Soziologie hat den Begriff des Rituals ausgeweitet und angewendet auf andere gesellschaftliche Bereiche wie Politik (Vereidigung gewählter Ministerinnen), Wirtschaft (Generalversammlungen), Militär (Paraden), Justiz (Prozessordnung), Bildungswesen (Diplomfeiern) und Gesundheit (Chefarztvisite), in welchen Ideen wie Demokratie, Leistung oder Gerechtigkeit beschworen und feierlich inszeniert werden. Solche Rituale dienen nicht zuletzt dazu, die Gruppenidentität der Beteiligten zu stärken. Goffman und andere haben die Idee des Rituals noch weiter ausgedehnt auf sogenannte Alltagsrituale wie Begrüßungen, Entschuldigungen oder Komplimente. Mit ihnen wird die „Heiligkeit“ des menschlichen Subjekts geehrt (Goffman 1971: 62, zit. in 193 8.4 Gesprächsmuster Kemper 2011: 102). Damit kommt Goffman dem Alltagsbegriff von Ritual nahe, welcher negativ konnotiert ist als inhaltsleeres, floskelhaftes Gebaren. Unseres Erachtens ist es jedoch nicht zielführend, alltägliche Routinen als Rituale zu bezeichnen und den Begriff damit zu verwässern. Respektvolles Verhalten ist durch die Begriffe „Höflichkeit“ und „Face“ abgedeckt und besser erfasst. Wir beschränken den Begriff des Rituals daher auf Bereiche, in denen der Respekt vor einer kollektiven Idee und einer symbolischen Ordnung ausgedrückt wird. Für die Diskursanalyse sind Rituale deswegen interessant, weil sie die am stärksten ideologisch aufgeladenen Handlungsmuster sind. Rituale sind gelebte Ideologie, umgeben von der Aura des Heiligen und damit von vornherein abgeschottet gegen Kritik. Wer wollte schon die Idee der Fairness in Frage stellen, indem er den Olympischen Eid kritisiert, oder die Idee der direkten Demokratie, indem er sich bei Volksinitiativen über das medienwirksame Überreichen der Schachteln mit den Unterschriftsbögen vor dem Bundeshaus in Bern lustig macht? Kemper (2011) führt einen weiteren Aspekt von Ritualen ein, der für die Diskursanalyse nützlich ist. Für Kemper sind Rituale in erster Linie eine Möglichkeit, soziale Beziehungen darzustellen bzw. zu definieren. Dies geschieht auf zwei Dimensionen, der Dimension des Status und der Dimension der Macht. Rituale lassen sich danach unterscheiden, ob sie dazu dienen, den Status einer Person zu erhöhen bzw. zu mindern oder ihre Macht zu stärken bzw. zu schwächen. Eine Siegerparade auf der Via Appia diente den römischen Kaisern dazu, ihre Macht zu demonstrieren, die Unterlegenheit der in Ketten geschlagenen Gegner zu verdeutlichen und Gefolgschaft beim jubelnden Publikum einzufordern. Eine Geburtstagsparty hat den Zweck, den Status der gefeierten Jubilarin zu erhöhen, indem man ihr seine Aufmerksamkeit und Zeit widmet und ihr Geschenke bringt, sie ist aber auch eine Statuserhöhung für die Eingeladenen und eine Statusminderung für die nicht Eingeladenen. Der Ansatz von Kemper macht deutlich, dass Rituale nicht nur ideologischreligiösen Charakter haben, sondern eine unmittelbare Funktion im Machtgefüge der Gesellschaft ausüben. Zusammenfassung Die Untersuchung von Gesprächsmustern soll, aus diskursanalytischer Sicht, zusammengefasst Antwort auf folgende Fragen geben:  Welches Gesprächsmuster liegt vor?  Welche Rollen und Identitäten weist es den Interagierenden zu?  Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Interagierenden, welche nicht? Wie groß ist der individuelle Spielraum und wie wird er ausgeschöpft?  Welche gesellschaftlichen Akteure haben Einfluss auf das Gesprächsmuster und welche Interessen verfolgen sie damit? Welchen Einfluss hat die Technik?  Welche Auswirkungen auf die Konstitution von Wirklichkeit hat das Gesprächsmuster?  Sind die institutionellen Handlungen rituell überhöht? 194 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Aufgaben Aufgabe 24: Unten stehend finden Sie zwei kleine Ausschnitte aus einem 38-minütigen Coaching-Gespräch, das zwischen der Vorgesetzten (V) und der Mitarbeiterin (M) einer Schweizer Bank im Oktober 2013 geführt wurde 48 . Bestimmen Sie, welche Rollen den Beteiligten explizit und implizit zugewiesen werden und welche Handlungsmöglichkeiten sie haben bzw. wahrnehmen. Untersuchen Sie ferner, mit welchen rhetorischen Mitteln die Vorgesetzte der Mitarbeiterin welche Verhaltensweisen beizubringen versucht. 3 V das coaching (.) ist ja DA für DICH (.) dass du etwas lernen kannst dass du etwas übst (.) nicht dass ich dir sage wie du das machen oder präsentieren kannst sondern DU (0.8) erarbeitest das quasi 4 M m=hm, 5 V wichtig ist zu wissen (0.8) in dem moment wo wir das coaching machen (.) bin ich nicht dein teamleiter oder dein vorgesetzter sondern ich bin dein coach (.) ich 6 M m=hm 7 V tu dich also nicht bewerten oder beurteilen sondern wir müssen das wirklich zusammen erarbeiten beziehungsweise DU (0.8) tust das erarbeiten [Die Terminvereinbarung wird als Problem der Mitarbeiterin definiert, man hört sich gemeinsam ein Gespräch an] 36 V dort kannst du jetzt nicht um den heißen brei darum herum reden weil genau dort hapert’s ja häufig bei den leuten dass sie ja das gefühl haben (.) ähm oder sie machen alles richtig und am schluss fragen sie nicht 37 M ja 38 V oder sagen komische wörter und dann gibt’s drei no goes (1.5) die man nicht machen sollte (.) und eines von denen hast du da gemacht (3.0) was hast du gefragt 39 M wären sie interessiert an einer beratung 40 V hat man immer hat man immer interesse an etwas (2.0) haben sie interesse a: : n mitzumachen an einer studie: (.) der link 49 41 M nein (1.0) 42 V okay meistens hat man kein interesse der mensch hat meistens kein interesse (.) er hat interesse am (xxxx) oder so aber nicht an einem termin 43 M m=hm 44 V und was hat man auch nicht 45 M (2.5) zeit 46 V genau ((blättern)) (2.0) also haben sie zeit nächste woche nein ich habe nie zeit 47 M m=hm 48 V und was hat man auch nicht 49 M (2.5) lust 48 Das Gespräch wurde aufgezeichnet und transkribiert von Milos Rakovac, Dejan Grgic und Taulant Ramadani. Die hier wiedergegebenen Ausschnitte wurden zur besseren Verständlichkeit aus dem Schweizer Dialekt ins Hochdeutsche übertragen. 49 Bekanntes Meinungsforschungsinstitut. 195 8.5 Visuelle Stereotype 50 V genau (3.0) haben sie lust nächste woche (.) ein gläschen wein mit mir zu trinken ja darauf habe ich lust; aber einen termin wahrzunehmen habe ich keine lust ((Gelächter)) 51 V also die drei sachen sollte man wirklich nie sagen Falls Sie in Ihrem Korpus Gespräche haben, dann analysieren Sie diese mit den oben aufgeführten Fragen. Beschaffen Sie sich gesprächsanalytische Studien zu dem von Ihnen untersuchten Gesprächstyp, auch wenn dort die Fragestellung eine andere ist. Einen Überblick über Gespräche in der Wirtschaft bietet Brünner (2000). Daneben gibt es kaum Publikationen, die sich allgemein mit den diskursiven Auswirkungen von Gesprächsmustern beschäftigen. Umso zahlreicher sind Studien zu einzelnen Gesprächstypen. Eine Hilfe bei der Suche ist die Bibliografie im Gesprächsanalytischen Informationssystem GAIS des Instituts für deutsche Sprache (http: / / prowiki.ids-mannheim.de/ bin/ view/ GAIS/ ). 8.5 Visuelle Stereotype Als fünftem und letztem Aspekt auf der Ebene des Diskurses widmen wir uns textübergreifenden Gemeinsamkeiten auf der visuellen Ebene, das heißt Mustern der Gestaltung von Bildern. Wer Zeitungen, Zeitschriften der Regenbogenpresse oder Lehrbücher durchblättert, wird rasch erkennen, dass es je nach Domäne und Textsorte sehr viele immer wiederkehrende Bilder gibt, die sich entweder im Inhalt oder in der Art der Gestaltung oder in beidem verblüffend ähneln: Die Politikerin am Rednerpult, der Tennissieger mit erhobenem Racket, der Filmstar auf dem roten Teppich, das hoch stilisierte Kommunikationsmodell. Für solche wiederkehrenden Bilder gibt es in der Forschung verschiedene Begriffe: Schlüsselbilder, Schlagbilder, visuelle Stereotype, Standardbilder, Visiotype. Wir benützen in dieser Einführung den Begriff visuelle Stereotype, da mit gleich bleibender Darstellung in der Tat häufig eine Stereotypisierung der gezeigten Personen, Orte oder Situationen einhergeht, sei es die am Boden sitzende Frau als Repräsentantin für den Flüchtling schlechthin, sei es die Almhütte vor vergletscherten Bergen als Inbegriff der Alpenländer. Diese visuellen Stereotype blicken teilweise auf eine lange Geschichte zurück, die von unvorsichtigen Bildproduzenten auch ohne Absicht reproduziert werden können. So ist es kaum möglich, eine Frau mit Kleinkind auf dem Schoß abzubilden, ohne Assoziationen an die Madonna zu wecken. Der Reporter, der anlässlich eines Wettlaufs eine schwarze Leichtathletin nicht beim Wettkampf zeigt, sondern beim Bananenessen in der Pause, aktiviert - vermutlich unabsichtlich - das uralte Stereotyp vom faulen, Früchte essenden Neger (van Dijk 2001: 113). Viele Bilder sind in hohem Maße konventionell gestaltet. Eine Konvention ist „a socially agreed way of doing something“ (Lister/ Wells 2001: 71). Daher sind auch private Fotos von Hochzeiten oder Urlaubsreisen vollkommen austauschbar: Man will sich gegenüber allfälligen Bildbetrachtern als „richtiges“ Brautpaar zeigen oder als Tourist, der die „richtigen“ Sehenswürdigkeiten abgeklappert und abgelichtet hat. 196 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Neben dem sozialen Anpassungsdruck wirkt sich auch die Technik auf die Bildproduktion aus: Kameras lassen nur rechteckige Bilder zu, Computerprogramme geben vor, welche Grafiken möglich sind, oder liefern zu den eingegebenen Zahlen gar fixfertige Diagramme. In Konventionen sind jedoch auch Machtwirkungen und Ideologien fest eingeschrieben (Kress 2010: 63). Man denke an die mittelalterliche Konvention, mächtige Menschen größer zu malen als unwichtige, oder an das seit 100 Jahren unveränderte Klassenfoto, auf welchem die Schüler mit dem Ziel, alle als gleichwertig darzustellen, in Reih und Glied aufgestellt sind, während der Lehrer etwas abseits im Hintergrund gleichsam als Hirte über seiner Herde wacht. Eine besonders wirkmächtige Ideologie ist die Vorstellung, mächtige Menschen seien „oben“, weniger wichtige „unten“ (siehe Abschnitt 7.4). Daher sind in sämtlichen Organigrammen die Führungspositionen oben, die anderen Positionen in absteigender Reihenfolge darunter aufgeführt. Wie ideologisch diese Darstellung eigentlich ist, nehmen die meisten Menschen aufgrund ihrer Sehgewohnheiten gar nicht mehr wahr: Sehen ist nicht mehr erkennen, sondern reines Wiedererkennen des längst Gewussten und Geglaubten. In vielen Kontexten wie Illustrierten oder Bildstrecken im Internet sind Bilder nur spärlich betextet. Eine bestimmte Interpretation wird damit nicht festgeschrieben, durch die konventionelle Gestaltung jedoch nahe gelegt. Auf diese Weise können Aussagen angedeutet werden, die verbal ausgedrückt eine Anmaßung wären: Ein Glorienschein um ein käufliches Produkt drückt dessen Heiligkeit aus (Messaris 1997: 224), die Politikerin, die ein Bad in der Menge nimmt, gibt zu verstehen, wie beliebt sie ist, während die klare Aussage „Ich bin beliebt“ eine Unverfrorenheit wäre (Klemm 2011: 201). Visuelle Stereotype gibt es bei allen Bildtypen, bei Abbildungen, fiktionalen Bildern, Schemata, Visualisierungen und Piktogrammen. Letztere würden ohne stereotype Gestaltung gar nicht funktionieren: Ein Schattenfigürchen mit Hose statt Rock kann nicht als Hinweis auf die Damentoilette dienen, selbst an Orten, wo alle Frauen in Hosen herumlaufen. Visuelle Stereotype können auch symbolischen Charakter haben. So ist das Zeichen ♥ nicht primär eine schematische (und stereotype) Darstellung des biologischen Herzens, sondern ein konventionelles Symbol für Liebe (Klug 2013: 168). Diesbezüglich sind moderne Bilddatenbanken hoch interessant: Welche Fotos oder sonstigen Bilder schlagen sie für abstrakte Begriffe vor? Gibt man bei der Google Bildersuche das Stichwort „Freiheit“ (bzw. freedom, libertà, szabadsàg, liberté) ein, so erhält man an erster Stelle Bilder mit Frauen, die die Arme in die Höhe strecken oder gar in die Luft springen, meistens vor einem Sonnenuntergang. Damit wird symbolisch ausgedrückt, dass Freiheit heutzutage zum einen etwas gänzlich Individuelles und zum andern lediglich ein Gefühl ist. Dass Freiheit etwas mit Menschenrechten und politischem Engagement zu tun haben könnte, wird ausgeschaltet. Lediglich auf der französischen Seite erscheint unter den ersten Bildern das berühmte Revolutionsgemälde „La Liberté guidant le peuple“ von Eugène Delacroix, welches auch den französischen Wikipedia-Eintrag zu „liberté“ ziert. 50 Bei einer diskursanalytischen Untersuchung von Bildern ist also immer zuerst zu fragen, welche visuellen Stereotype in einer bestimmten gesellschaftlichen Domäne und historischen Zeit im Umlauf sind und welche Bedeutung diese Bilder haben. Da- 50 Online (31.07.2015): https: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Libert%C3%A9 197 8.5 Visuelle Stereotype nach ist zu fragen, was mit den Bildern getan wird, mit welcher Funktion sie im Diskurs eingesetzt werden. Visuelle Stereotype können relativ harmlos sein, wenn sie etwa lediglich dazu dienen, den Kern einer Nachricht zu illustrieren wie das immer wiederkehrende Sujet „Politiker beim Händedruck“ 51 . Oft jedoch dienen Bilder als verkürzte Argumente, mit denen die Rezipierenden auf undifferenzierte, verbal nicht klar ausgedrückte und häufig emotionalisierende Weise von etwas überzeugt werden sollen 52 : Die endlose Schlange von fremdländisch aussehenden Menschen beschwört die Gefahr der „Asylantenflut“ herauf, die frisch eingepflanzte Fahne auf dem Berggipfel, dem Mond oder dem Meeresgrund signalisiert die gelungene Eroberung und territoriale Machtansprüche, ohne dass das noch gesagt werden müsste. Pörksen (1997) hat aufgezeigt, wie mit dem visuellen Stereotyp 53 der exponentiellen Kurve des Bevölkerungswachstums, der zum Klischee geronnenen Visualisierung der „Bevölkerungsexplosion“, die unterschiedlichsten politischen Forderungen verknüpft werden: der Ruf nach Geburtenkontrolle, nach Gentechnik in der Landwirtschaft oder nach Atomenergie. Das zeigt eindrücklich, dass Bilder nicht nur starke Konnotationen wachrufen, sondern auch „Appellationen“ (Klug 2013) enthalten, das heißt die Aufforderung, in einer bestimmten Weise zu handeln. Bilder leisten einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Wahrnehmung eines Themas. Visuelle Stereotype sind geeignet, Sehgewohnheiten zu bestärken und auf unterschwellige, gedankenlose Art Wahrnehmungen, Interpretationen und Emotionen zu steuern. Nicht zuletzt können Bilder zur Manipulation eingesetzt werden, die umso effektiver ist, als Bildern (namentlich Fotos) eine wesentlich höhere Beweiskraft zugeschrieben wird als Texten. Traurige Berühmheit erlangte diesbezüglich der Irakkrieg, in welchem die Amerikaner mit ausgewählten Cockpit- und Raketenbildern die Weltöffentlichkeit glauben machten, sie führten einen „sauberen“ Krieg, in welchem nur militärisch bedeutsame Ziele punktgenau zerstört würden (Lohoff 2011). Zusammenfassung Die Untersuchung visueller Stereotype soll, aus diskursanalytischer Sicht, zusammengefasst Antwort auf folgende Fragen geben:  Welches visuelle Stereotyp liegt vor?  Welche Bedeutung(en) vermittelt das visuelle Stereotyp?  In welcher Funktion wird das visuelle Stereotyp im Diskurs eingesetzt? 51 Solche Bilder nennt Ludes (2001) Schlüsselbilder. 52 Solche Bilder werden auch Schlagbilder genannt (Diekmannshenke 2011, Klug 2013). Zum emotionalisierenden Charakter von Bildern siehe Ortner (2011). 53 Pörksen (1997) nennt sie Visiotype. 198 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Beispielanalyse Die vier untersuchten Managementlehrbücher enthalten viele Bilder, und zwar fast ausschließlich Visualisierungen. Diese sind mehrheitlich schwarz-weiß, allenfalls mit Graustufen (Blaustufen bei Vahs, Grünstufen bei Aerni/ Bruhn). Unter den Visualisierungen sind einige Tabellen (zahlreich vor allem bei Aerni/ Bruhn), die überwiegend mit Text gefüllt sind, nicht mit Zahlen. Ansonsten finden sich Diagramme aller Art, darunter am häufigsten solche, in denen Begriffs-Kästchen oder -Ellipsen mit Linien oder Pfeilen verbunden sind. Diese Visualisierungen dienen dazu, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Elementen aufzuzeigen. Abbildung 33 zeigt ein Beispiel aus Vahs. Abbildung 33: Typische Visualisierung in Management Lehrbüchern (Vahs 2012: 60). Auffallend ist, dass auch quantitative Diagramme wie Linien- oder Säulendiagramme zum Einsatz kommen, die normalerweise dazu dienen, Zahlen zu visualisieren. In den untersuchten Büchern sind diese jedoch mit Wörtern gefüllt, womit lediglich ganz allgemeine quantitative Verhältnisse oder zeitliche Zusammenhänge aufgezeigt, aber keine empirischen Untersuchungsergebnisse wiedergegeben werden. 199 8.5 Visuelle Stereotype Abbildung 34 zeigt ein Beispiel aus Mast. Abbildung 34: Verallgemeinertes Liniendiagramm (Mast 2013: 207). Die Visualierungen in den Lehrbüchern zeichnen sich durch folgende drei Eigenschaften aus 54 : 1. Starke Vereinfachung: Komplexe betriebliche Abläufe oder Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge werden auf wenige Begriffe und einfachste Zusammenhänge reduziert. 2. Bevorzugung klarer, symmetrischer Formen: Als Grundfiguren kommen praktisch nur Rechtecke (teilweise mit abgerundeten Ecken) und Ellipsen vor, die durch dünne oder dicke Pfeile miteinander verbunden sind. Als Gesamtkompositionen finden sich Kreise, Vierecke und Dreiecke oder dann Zeitstrahlen, zu lesen von links nach rechts. Die Dreiecke haben immer die Form einer symmetrischen Pyramide. 3. Extremer Abstraktionsgrad: Die Visualisierungen zeigen keinerlei konkrete Ereignisse oder Zahlen, sondern lediglich Zusammenhänge auf einer ganz abstrakten Ebene. Alle drei genannten Eigenschaften lassen sich exemplarisch an Abbildung 35 erkennen. 54 Die einzelnen Bücher weisen durchaus Spezifika auf, die vor allem dem Marketing geschuldet sind. So gibt es bei Lombriser/ Abplanalp zu Beginn jedes Kapitels eine Zeichnung einer Künstlerin (das findet man auch bei anderen Büchern dieses Verlags), bei Aerni/ Bruhn gibt es schwarz-weiß Fotos bei den Beispielen, die aber völlig nichtssagend sind und mehrheitlich aus Datenbanken stammen. Bei Vahs finden sich vereinzelt kleine Symbole wie Glühbirnen oder Blitze. Diese Spezifika werden bei der Interpretation vernachlässigt. 200 8 Die Ebene des Diskurses: Analyse textübergreifender Muster Abbildung 35: Vereinfachte, abstrakte Visualisierung (Aerni/ Bruhn 2013: 13). Bei Abbildungen wie diesen muss man sich ernsthaft fragen, was eigentlich der Erkenntniswert ist. Doch vermutlich liegt die Hauptfunktion dieser Visualisierungen gerade in der (unzuläßigen) Vereinfachung der Dinge. Den angehenden Führungs- und Kommunikationsfachleuten soll die Illusion vermittelt werden, Unternehmen seien überschaubar, die komplexe Wirklichkeit könne auf wenige Begriffe reduziert werden, die Zusammenhänge zwischen den Variablen seien klar und die Welt des Organisierens sei ein harmonisches Ganzes, leicht zu beherrschen und im eigenen Sinne zu steuern. Die perfekte Ästhetik der Darstellung triumphiert über das unerträgliche Chaos des Alltags und wirkt daher entlastend (Kieser 1996, Czarniawska 2003). Aufgaben Aufgabe 25: Geben Sie bei der Google Bildersuche den Begriff „Königsfamilie“ ein und studieren Sie die Fotos. Welche Konventionen der Darstellung finden Sie über alle Nationen hinweg? Was drücken diese Bilder aus? Welche Funktion nehmen sie im politischen und gesellschaftlichen Diskurs ein? Aufgabe 26: Nehmen Sie Ihre letzten Urlaubsfotos noch einmal zur Hand und prüfen Sie: Welche Sujets haben Sie fotografiert (Personen, Gebäude, Landschaften)? Erkennen Sie die Konventionen, nach denen Sie die Bilder gestaltet haben? Was sagen Ihre Bilder über die gesellschaftliche Institution „Urlaub“ aus? Wenn Sie Bilder in Ihrem Korpus haben, die Sie einzeln bereits analysiert haben sollten, dann untersuchen Sie jetzt, nach welchen Konventionen die Bilder gestaltet wurden. Prüfen Sie, ob visuelle Stereotype zu erkennen sind. Recherchieren Sie, welche Geschichte diese visuellen Stereotype haben und welche Bedeutung sie heute vermitteln. Versuchen Sie zu ermitteln, welche Funktion die Bilder zusammen mit den Texten im untersuchten Diskurs einnehmen. Bedeutung und Methodik einer diskursanalytischen Untersuchung von Bildern sind kurz und konzise zusammengefasst bei Klug (2013). Verschiedene Analysemethoden und anregende Beispielanalysen sind versammelt bei Diekmannshenke/ Klemm/ Stöckl (2011). Eine umfassende Monografie zu visuellen Stereotypen bietet Pörksen (1997). Spezifisch zu Nachrichtenbildern äußern sich Wolf (2006) und Bednarek/ Caple (2012), zu Bildern in der Werbung Messaris (1997). 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht In den vergangenen Kapiteln haben wir aufgezeigt, wie man einzelne Texte, Gespräche und Bilder analysiert und wie man textübergreifende Muster dingfest macht. Damit ist der Diskurs zum gewählten gesellschaftlichen Thema eigentlich rekonstruiert. Viele Diskurslinguisten machen an dieser Stelle Schluss, weil sie sich für alles, was über die reine Textanalyse hinaus geht, nicht zuständig fühlen (vgl. Abschnitt 3.1). Andere Diskursforschende, darunter vor allem die Vertreter der Kritischen Diskursanalyse, gehen hingegen einen Schritt weiter und nehmen die nächst höhere Ebene ins Visier, die Gesellschaft. Was interessiert, sind die Wechselwirkungen zwischen dem Diskurs und den gesellschaftlichen Verhältnissen: Was für eine Gesellschaft ist das, die den von uns rekonstruierten Diskurs hervorbringt, und wie wirkt der Diskurs auf die Gesellschaft zurück? Sprachdiagnose mündet so in Gesellschaftsdiagnose. Wer sich für die gegenseitige Konstituierung von Diskurs und Gesellschaft interessiert, steht allerdings vor einem methodischen Problem: Wie kann ich ohne methodischen Kurzschluss von der Ebene des Diskurses auf die Ebene der Gesellschaft schließen? In der Soziologie ist dieses Problem als „Agency-Structure-Dilemma“ (Reed 2003) bekannt, in der Gesprächsforschung als „Mikro-Makro-Problem“ (Habscheid 2000). Wenn ich etwa beobachte, dass viele Krankenschwestern besonders einfühlsam mit ihren Patienten sprechen, so wäre es verlockend, daraus den Schluss zu ziehen, Frauen kommunizierten personenbezogener und kooperativer, wie das auch immer wieder behauptet wurde (vgl. die Kritik dazu bei Anderwald 2014). Doch das wäre ein Kurzschluss; ihre Art zu sprechen könnte ebenso gut auf ihre Berufserfahrung oder ihr Alter oder ihre Ordenszugehörigkeit zurückzuführen sein. Eine einfache Zuordnung Text / Geschlecht oder Text / Hierarchie funktioniert nicht (Schmitt/ Heidtmann 2002). Wir brauchen daher ein Konzept der mittleren Ebene, welches zwischen den untersuchten Texten und Akteuren auf der einen und der Gesellschaftsstruktur auf der anderen Seite vermittelt. Dafür existieren verschiedene Vorschläge. Zwei davon stellen wir vor.Van Dijk geht davon aus, dass Menschen, die in einer bestimmten Gesellschaft aufwachsen, tief sitzende Überzeugungen entwickeln, die er „social cognitions“ nennt (Van Dijk 2011: 395). Wer in den USA oder in Südafrika im Zeitalter der Rassentrennung groß geworden ist, kommt gar nicht umhin, rassistisch zu denken und zu handeln, weil er Weiße und Schwarze immer schon als unterschiedlich wahrgenommen und mit ihnen unterschiedlich interagiert hat. Diese tief sitzenden Überzeugungen sind nicht individuell, sondern kollektiv, sie werden von der überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft geteilt, daher der Begriff ‚social cognitions‘. Soziale Kognitionen prägen den Diskurs über Weiße und Schwarze, zum Beispiel in der Bildungspolitik, der dann wiederum auf die konkreten gesellschaftlichen Strukturen zurückwirkt, zum Beispiel den Bau von getrennten Schulen für weiße und schwarze Kinder. So entsteht ein Kreislauf, wie er in Abbildung 36 dargestellt ist. 202 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht Abbildung 36: Soziale Kognitionen als Vermittler zwischen Gesellschaft und Diskurs. Von Fairclough stammt der Vorschlag, als vermittelnde Ebene zwischen einzelnen Texten bzw. Akteuren auf der einen und sozialen Strukturen auf der anderen Seite „social practices“ (Fairclough 2005: 38), also soziale Praktiken zu identifizieren und zu beschreiben. Zu den sozialen Praktiken zählt Fairclough  Textsorten (genres) wie Mietverträge oder Schulzeugnisse,  Diskurse (discourses) wie die Diskurse zu Atomenergie oder Jugendarbeitslosigkeit,  Stile (styles) wie das Auftreten von Parteifunktionären oder Hiphop-Tänzern. Als Beispiel für eine soziale Praxis sei das Heiraten genannt. Auf der einen Seite haben wir eine Gesellschaft, die zu großen Teilen nach wie vor um die Institution der Ehe herum organisiert ist, was sich im Ehe-, Adoptions-, Steuer- und Erbrecht sowie im ganzen Sozialwesen zeigt. Gestützt und legitimiert wird die Institution Ehe von verschiedenen Diskursen und ihren Akteuren: von den Kirchen als Sakrament, von der Politik als kleinste Einheit der sozialen Ordnung, von der Roman- und Filmindustrie als Verwirklichung des romantischen Liebesideals. Abbildung 37: Soziale Praktiken als Vermittler zwischen Gesellschaft und Diskurs. Gesellschaftsstruktur Rassendiskriminierung als Resultat der diskursiven Aushandlung Soziale Kognitionen Rassistische Ideologie setzt sich in den Köpfen vieler Gesellschaftsmitglieder fest Diskurs Verbreitung und argumentative Stützung einer rassistischen Ideologie Gesellschaftsstruktur Institution der Ehe, festgeschrieben durch Gesetzesbücher und Sozialwesen Soziale Praktiken Hochzeitsfest in traditioneller Inszenierung, eigene Wohnung Diskurs Politische (soziale Einheit), religiöse (Sakrament) und kulturelle (Liebesheirat) Legitimation der Ehe 203 9. Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht Soziale Praktiken erkennen und deuten kann man nur, wenn man die historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kennt, in welchen der untersuchte Diskurs stattgefunden hat. Den heutigen Diskurs um die Stellung der Juden in Europa etwa kann man nur verstehen, wenn man die Geschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Holocaust kennt. Zur Erklärung des immer noch vorhandenen Antisemitismus muss man sogar noch viel weiter zurückgehen. Das bedeutet, dass wir uns vor allem bei der Interpretation älterer Texte mit den damaligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vertraut machen müssen, indem wir recherchieren, wie das politische System funktionierte, auf welchem Stand Wissenschaft und Technik waren, wie die Bevölkerung bezüglich Einkommen, Bildung, Konfession etc. zusammengesetzt war, welche historischen Ereignisse prägend waren u.a.m. Dazu dienen Geschichtsbücher, aber auch Primärtexte wie damalige Statistiken, Gesetzestexte oder Lexika. Mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heutiger Diskurse sind wir grundsätzlich vertraut. Allerdings kann es auch bei der Interpretation zeitgenössischer Texte sinnvoll sein, politologische oder soziologische Gesellschaftsanalysen zu konsultieren, Gesetzestexte oder Statistiken zu studieren und sich mit den institutionellen Rahmenbedingungen im untersuchten Feld - zum Beispiel Sendekonzepten im Fernsehen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Online Plattformen - vertraut zu machen. Denn für fundierte Aussagen über das untersuchte Feld genügt unser Allgemeinwissen in der Regel nicht, und vor allem sind wir selber immer schon Partei. Grundsätzlich ist es für eine Diskursanalyse nicht unbedingt ein Vorteil, Mitglied der untersuchten Gesellschaftsgruppe zu sein, weil man die ideologischen Verzerrungen in der Wahrnehmung bei anderen viel leichter erkennt als bei sich selber. Zwei Leitfragen stehen im Zentrum der Diskursanalyse auf der Ebene der Gesellschaft: Wie wird diskursiv das konstruiert, was in einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft als Wissen bzw. Wahrheit gilt? Wie kann eine Ideologie zu einer bestimmte Zeit in einer Gesellschaft hegemonial werden, das heißt sich in mehreren Teildiskursen durchsetzen, und wie hängen diese Ideologien mit den Machtstrukturen der Gesellschaft zusammen? Der ersten Frage ist Abschnitt 9.1 gewidmet, der zweiten Frage Abschnitt 9.2. Im Abschnitt 9.3 werfen wir schließlich die Frage auf, ob und, wenn ja, wie Diskursforschende zu ihren Ergebnissen kritisch Stellung beziehen dürfen. Auf der anderen Seite haben wir die Heiratenden, die durch die Inszenierung ihrer Hochzeit - mit vielen Herzen, Brautkleid, Ringetauschen, Torte, Tanz und Kinderwünschen - die gesellschaftliche Ideologie der Liebesheirat und der Wunschfamilie immer aufs Neue bestätigen. Fairclough spricht zwar von verschiedenen Ebenen, wir können sein Modell aber ebenfalls als Kreis visualisieren, wie er in Abbildung 37 dargestellt ist. Sie ist als Konkretisierung des bereits in Abbildung 2 vorgestellten Modells zu denken. 204 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht 9.1 Diskurs und Wissen Gemäß einem weit verbreiteten Schlagwort leben wir heute in einer Wissensgesellschaft. Mit diesem Schlagwort verbunden ist meist eine spezifische Vorstellung von Wissen und Wissenschaft; nämlich die Vorstellung, dass wir die Welt erkennen können, wie sie in Wirklichkeit ist. Die Wissenschaft hat den Auftrag, diese Wirklichkeit zu erforschen, und wissenschaftlicher Fortschritt besteht darin, der Wahrheit immer näher zu kommen. Diesem positivistischen Paradigma ist nicht nur ein großer Teil der Wissenschaftler nach wie vor verpflichtet, sondern auch die breite Öffentlichkeit. Sprache hat im positivistischen Denken Repräsentationsfunktion, das heißt, sie bildet die Welt ab, wie sie ist, und entsprechend können Aussagen unterschieden werden in wahr oder falsch. Die Diskursforschung ist dem konstruktivistischen Paradigma verpflichtet und geht davon aus, dass Sprache die Welt nicht (nur) abbildet, sondern mitkonstituiert (vgl. S. 13). Aus dieser Perspektive ist Wissen nichts Gesichertes, das man ein für alle mal „hat“ und in Datenbanken und Enzyklopädien speichern kann, sondern Wissen ist Resultat diskursiver Aushandlungsprozesse (Warnke 2009: 113). Daher interessiert sich die Diskursanalyse nicht nur dafür, über welches Wissen eine Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit zu verfügen glaubt, sondern auch, wie dieses Wissen zustande kommt und diskursiv abgesichert wird (Hartz 2014: 31). Dazu ein Beispiel: Im 18. Jahrhundert waren die (fast ausschließlich männlichen) Wissenschaftler der felsenfesten Überzeugung, dass Frauen zu wissenschaftlichem Denken nicht fähig seien. Diese Überzeugung wurde mit naturwissenschaftlichen ‚Fakten‘ untermauert: Das Gehirn von Frauen sei kleiner als das von Männern, und Frauen besäßen eine Gebärmutter (griechisch: hysterion), was ihnen einen hysterischen Charakter verleihe. Daher könnten Frauen nicht dieselbe, nüchterne Denkleistung erbringen wie Männer. Im historischen Rückblick erscheint uns diese damals als Tatsache gehandelte Meinung als Irrlehre. Für die damaligen Frauen hatte sie jedoch gravierende Konsequenzen: Sie wurden vom Wissenschaftsbetrieb ausgeschlossen. Das Programm einer diskursanalytischen Wissensanalyse orientiert sich an den folgenden Fragen:  Was gilt in einer Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit als gesichertes Wissen, worüber wird (noch) gestritten?  Wie kommt dieses Wissen zustande und mit welchen diskursiven und sozialen Praktiken wird es abgesichert?  Welche materialen Folgen hat dieses Wissen für einzelne Menschen, die Gesellschaft und die Umwelt? Bei diesem Programm scheint es uns sinnvoll, den Begriff des Wissens nicht zu eng zu fassen im Sinne von Faktenwissen, sondern im Sinne eines umfassenden Orientierungswissens, zu dem auch grundlegende Überzeugungen, Werthaltungen, Wünsche und Absichten gehören. Die Aussage: „Meditation reduziert die Ausschüttung von Stresshormonen“ rapportiert nicht nur ein biomedizinisches Faktum, sondern steht auch im gesellschaftlichen Kontext kollektiver Bewertungen - Stress ist schlecht - und Wünsche, nämlich Mittel zu finden, den Stress zu reduzieren. 55 55 Ohne das kollektive Bewusstsein, dass Stress heutzutage ein Problem ist, würde gar niemand den Zusammenhang von Stress und Meditation erforschen. Das zeigt, dass auch Forschung immer interessengeleitet und somit nicht wertfrei ist. 205 9.1 Diskurs und Wissen Diskursanalytische Wissensanalyse rückt damit in die Nähe einer Mentalitätsgeschichte, wie Hermanns sie vorgeschlagen hat. Gemäß Hermanns ist eine Mentalität „die Gesamtheit von Dispositionen zu einer Art des Denkens, Fühlens, Wollens - die Gesamtheit der kognitiven, affektiven (…) sowie volitiven Dispositionen - einer Kollektivität“ (Hermanns 1995: 76). Die Mentalität einer sozialen Gruppe zeigt sich in ihrem Sprachgebrauch und lässt sich durch die Analyse desselben erfassen: „Sprachgebrauch zeigt kollektives Denken, Fühlen und Wollen einer Sprachgemeinschaft“ (ebd.: 71). Eine diskursanalytische Wissensanalyse untersucht daher nicht nur den Diskurs um wissenschaftliche Fakten, sondern auch den evaluativen und normativen Diskurs um das Gute, Schöne und Erstrebenswerte und die damit verbundenen Handlungspräferenzen. Im Folgenden zeigen wir auf, mit welchen diskursiven Methoden in unserer Gesellschaft Wissen und Wahrheit produziert werden. Im ersten Abschnitt geht es um die Frage, wie Wahrheit allgemein produziert wird, im zweiten Abschnitt darum, wie in der Gesellschaft Normalität hergestellt wird. 9.1.1 Die Produktion von Wahrheit Die gesellschaftliche Produktion von Wissen vollzieht sich in zwei Richtungen. Zum einen bemühen sich die Akteure, Fakten zu schaffen, deren Richtigkeit zu beweisen und ihre Meinung durchzusetzen, zum andern laufen ihre Anstrengungen darauf hinaus, abweichende Darstellungen und Meinungen aus dem Diskurs zu drängen, um dadurch eine einzige, gültige Wahrheit zu etablieren. Mit welchen Mitteln dies geschieht, stellen wir in den folgenden zwei Abschnitten dar. Produktionsmechanismen: Fakten schaffen Wie man Fakten schaffen und für deren Richtigkeit streiten kann, haben wir in den Kapiteln 5 bis 7 bei der Analyse einzelner Texte, Gespräche und Bilder gesehen. Als besonders wirkmächtiges sprachliches Mittel erweisen sich repräsentative Äußerungen (vgl. Modalität, Abschnitt 5.4), in der dritten Person Singular Indikativ (vgl. Perspektivierung, Abschnitt 5.1). Mit Behauptungen, die weder begründet noch relativiert noch als persönliche Meinung gerahmt sind, werden Gegenstände im Diskursraum als fraglos vorhanden und wahr etabliert. Eine zweite wirksame sprachliche Form, Fakten zu schaffen, besteht darin, Aspekte der Welt nicht zu erwähnen, sondern vorauszusetzen (vgl. Themenstrukturanalyse, Abschnitt 5.3). Indem Dinge nicht erwähnt, sondern als gegeben betrachtet werden, bekommen sie den Status von Gewissheiten, über die man gar nicht reden muss. Demgegenüber haben Argumentationen (vgl. Abschnitt 5.6) die viel schwächere diskursive Kraft, Wahrheit zu produzieren. Das ist zuerst einmal kontraintuitiv; denn man möchte meinen, dass dort, wo Personen ihre Aussagen begründen, mehr Gewissheit herrscht. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das schiere Vorhandensein einer Argumentation genügt, um zu signalisieren, dass das Geäußerte strittig ist. Argumentative Texte sind daher der Ort, wo nicht so sehr Fakten geschaffen als vielmehr Überzeugungen verteidigt werden. Bewertungen (vgl. Evaluation, Abschnitt 5.5) dienen vor allem der Etablierung bzw. Aktivierung von Normen. Schließlich können Fakten mit Bildern geschaffen werden, wobei die unmanipulierte Fotografie, die bezüglich Ausschnitt, Perspektive und Modalität konventionell gehalten ist, am ehesten als wahrheitsfähig gilt: Was Fotos zeigen, existiert, und zwar 206 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht so, wie es abgebildet wurde. In der Wissenschaft allerdings gelten schwarz-weiß Schemata als besonders real und damit wahrheitsfähig (vgl. Modalität, Abschnitt 7.5). Nun darf man nicht übersehen, dass die Texte und Bilder, die im Umlauf sind und allenfalls im Korpus von Diskursforschenden landen, oft nur der letzte Schritt bei der Produktion und Distribution von ‚Fakten‘ sind. Dahinter stehen heute ausgefeilte wissenschaftliche Methoden der Datenproduktion: Mittels Umfragen werden Mehrheitsmeinungen erzeugt, in naturwissenschaftlichen Experimenten werden Messreihen generiert, ein Heer von staatlichen Statistikerinnen produziert Daten über die Bevölkerung, Unternehmen forschen die Konsumentinnen mittels Data-Mining aus usw. Für all diese Methoden gilt: Sie geben nicht Auskunft über Dinge, die schon vorher existierten und nur noch erfasst werden müssen, sondern sie schaffen diese Dinge erst durch den Akt des Erfassens, wobei die Art der Messung das Ergebnis wesentlich mitbestimmt: Welche Antworten man bei einer Umfrage bekommt, hängt allein von den gestellten Fragen ab, das ermittelte Bild vom Körper von der Stärke des Mikroskops oder des Computertomographen. Die Statistik ist heute das bedeutendste Mittel der Wahrheitsproduktion. Was sich mit Zahlen belegen lässt und angeblich statistisch signifikant ist, darf von niemandem mehr in Zweifel gezogen werden. Das Problem von Statistiken ist allerdings, dass sie prinzipiell nur erfassen, was sich in Zahlen abbilden lässt (Hafner 2013), und dass selbst Wissenschaftler die Aussagekraft von Durchschnittswerten und Signifikanztests nicht korrekt einschätzen (Nuzzo 2014). Statistiken erzeugen daher viel Scheinwissen, was ihrer Macht im wissenschaftlichen und politischen Diskurs jedoch keinen Abbruch tut.Neben den eingesetzten Methoden beeinflusst auch die einer Zeit zur Verfügung stehende Technik maßgeblich die Konstruktion von Wissen und Wahrheit, seien es Mikroskope, Satelliten, Kernspintomographen, Hochgeschwindigkeitskameras oder Supercomputer. Technische Errungenschaften haben nicht nur dazu geführt, dass man neue Objekte entdeckt hat (wie zum Beispiel archäologische Fundstätten mittels Luftaufnahmen) oder bestehende Modelle verfeinert hat (wie in der Meteorologie durch Messballone), sondern sie haben auch die Theoriebildung beeinflusst. Ein eindrückliches Beispiel ist die Gesprächsforschung, die überhaupt erst nach der Erfindung des Tonbandgeräts möglich wurde und jetzt durch die Videokamera unter dem Schlagwort „multimodale Kommunikation“ revolutioniert wird. Die Technik beeinflusst auch die Präsentation und Distribution von Wissen maßgeblich. Textverarbeitungs-, Tabellenkalkulations- und Präsentations-Programme erleichtern die attraktive Aufbereitung und Verteilung von Daten. Das Internet hat zu einer nie dagewesenen Demokratisierung und Pluralisierung des öffentlichen Diskurses geführt, zumindest in den wohlhabenden Ländern. Fazit: Mündliche und schriftliche Texte, Bilder, wissenschaftliche Methoden sowie technische Hilfsmittel der Datengenerierung und -verteilung sind die Mittel, mit denen die beteiligten Akteure Wissen hervorbringen und Wahrheitsansprüche verteidigen. Ausschlussmechanismen: den Diskurs limitieren Wahrheit wird diskursiv nicht allein dadurch produziert, dass man Fakten behauptet, Meinungen äußert und Normen aufstellt. Wahrheit hat nur Bestand, wenn sie vor anderslautenden Ansichten geschützt wird. Daher hat Foucault in seiner bekannten Rede „Die Ordnung des Diskurses“ darauf hingewiesen, dass Diskurse eine in erster Linie limitierende Kraft entfalten: Sie sollen „das Wuchern der Diskurse“ verhindern 207 9.1 Diskurs und Wissen (Foucault 1997). Dazu stehen den Akteuren eine Vielzahl sprachlicher Praktiken sowie gesellschaftlicher Dispositive zur Verfügung. Ein wirksames Mittel, den Diskurs zu limitieren, besteht darin, bestimmte Themen gar nie zu erwähnen (vgl. Themenstrukturanalyse, Abschnitt 5.3), andere nicht zu zitieren, das heißt mit nur einer Stimme zu sprechen (vgl. Perspektivierung, Abschnitt 5.1), andere im Gespräch nicht zu Wort kommen zu lassen (vgl. Prozessualität und Interaktivität, Abschnitt 6.2) und unliebsame Personen oder Gegenstände nicht abzubilden (vgl. Inhalt und Ausschnitt von Bildern, Abschnitt 7.2). Sind andere Meinungen im Diskurs nicht zu ignorieren, so kann man versuchen, diese Meinungen durch konkurrierende Bedeutungskonstitution zu bekämpfen (vgl. Prozessualität und Interaktivität, Abschnitt 6.2) oder die Akteure zu diskreditieren (vgl. Selbst- und Fremdpositionierung, Abschnitt 6.4). Wer um „seine“ Wahrheit kämpfen muss, ist allerdings immer schon in der schwächeren Position. 56 Aus diesem Grund ist es sehr viel schwieriger, in mündlichen Gesprächen Fakten zu schaffen und zu tun, als wäre man im Besitz der Wahrheit. Die Gegenseite kann schlicht und ergreifend immer „aber“ sagen. 57 Ein wichtiges Dispositiv zur Limitierung des Diskurses sind Text- und Gesprächsmuster. Sie geben vor, was in einer bestimmten Situation überhaupt sagbar ist. Elektronische Formulare zum Beispiel limitieren das, was man einem Unternehmen oder einer Behörde mitteilen kann, auf strikt vorgegebene Items zum Anklicken und Ausfüllen. Standard-Mietverträge räumen keinen Platz ein für individuelle Abmachungen. Der wissenschaftliche Artikel lässt keinen Raum für alternative Darstellungs- und Argumentationsweisen, sondern zwingt die Forschenden, an den bestehenden Diskurs anzuknüpfen und sich in den vorgespurten Bahnen der wissenschaftlichen Beweisführung zu bewegen (vgl. S. 183). Foucault spricht in diesem Zusammenhang vom Epistem als dem zu einer bestimmten Zeit gültigen Geflecht von Dogmen, Überzeugungen und Praktiken, die es den Akteuren erlauben, Urteile über wahr und falsch zu treffen bzw. vorauszusetzen (Foucault 1997). Ein solches Epistem ist zurzeit die Evolutionslehre in der Biologie, die als praktisch einzige Erklärung für biologische Phänomene zugelassen ist: Jedes äußere Merkmal von Lebewesen und alle tierischen und menschlichen Verhaltensweisen werden durch den Selektionsvorteil begründet, den diese angeblich bieten, und durch nichts anderes. Der biologische Diskurs ist zurzeit fast hermetisch gegen jede alternative Sichtweise abgeschottet. Solche Schließungen des Diskurses werden durch weitere Dispositive erreicht, vor allem durch die Zulassungsbzw. Ausschließungsmechanismen bei der Ausbildung, bei Publikationen und der Vergabe von Arbeitsplätzen: Dozierende vermitteln im Unterricht nur anerkannte Lehrmeinungen. Herausgeber von Zeitschriften und Verlagsleiterinnen publizieren nur, was dem wissenschaftlichen Mainstream entspricht. Professoren und Forschungsleiterinnen in der Privatwirtschaft rekrutieren den passenden wissenschaftlichen Nachwuchs und schließen jene aus, die in ihren Augen Querköpfe oder Phantasten sind. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass herrschende Lehrmeinungen kaum umgestoßen werden. 56 Von hohem diskursivem Bewusstsein zeugt diesbezüglich der 6-jährige Sohn der Autorin, der auf kritische Fragen zu antworten pflegt: „Das ist meine Wahrheit.“ 57 Genau hier setzt die Diskursethik von Habermas an, der gerade mit dem Für und Wider des Dialogs die Hoffnung verband, gemeinsam die Wahrheit zu finden. 208 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht Schließlich hilft die Technik nicht nur bei der Produktion von Fakten, sondern limitiert diese auch. Standardschriften, -grafiken und -elemente schränken die Kreativität massiv ein und führen zu den immer gleichen, idealisierten Diagrammen mit ihren sauber abgegrenzten Kästchen und Pfeilen (vgl. S. 151). Powerpoint mit seinen vorgegebenen Überschriften und Bulletpoints dominiert nicht nur die Präsentationspraxis, sondern ist zu einem eigenen Denk- und Redestil geworden, geprägt vom additiven, assertiven Aufzählen und nicht vom abwägenden Argumentieren und logischen Schlussfolgern. Alle genannten diskursiven Praktiken und Dispositive, so wirkmächtig sie sind, vermögen im 21. Jahrhundert allerdings nicht mehr, den Glauben an die eine Wahrheit aufrecht zu erhalten. In liberalen, pluralistischen, demokratischen und mulitkulturellen Gesellschaften, wie wir sie in den europäischen Ländern vorfinden, ist der Begriff der Wahrheit selber in die Krise geraten; die „großen Erzählungen“ („grand récits“ bei Lyotard, vgl. Stocchetti/ Kukkonen 2011a: 110) greifen nicht mehr. Sowohl die christliche Heilsgeschichte als auch das naturwissenschaftlich untermauerte, kapitalistische Versprechen ewigen Fortschritts haben ihre Kraft verloren, einen gesellschaftlichen Konsens über das Wahre und Gute zu schaffen. An die Stelle der Wahrheit tritt daher immer mehr die Performanz: Gültig ist, was man durchsetzen kann. Also forschen Wissenschaftlerinnen nicht nach dem, was uns der illusionär gewordenen Wahrheit näher bringt, sondern nach dem, was sich (im wörtlichen wie übertragenen Sinne) verkaufen lässt (Stocchetti/ Kukkonen 2011a: 106). Politiker verkünden nicht mehr das, wovon sie überzeugt sind, sondern das, was gemäß den neusten Meinungsumfragen am besten ankommt. In den Massenmedien ist heute der einzige Maßstab für das Planen und Bewerten von Programmen die Quote. Wissenschaft und Politik waren immer schon rhetorische Veranstaltungen, im Zeitalter eines fehlenden Grundkonsenses sind sie es mehr denn je. 9.1.2 Die Produktion von Normalität Geht es bei der Produktion von Wahrheit letztlich darum, die Welt in einem (natur-) wissenschaftlichen Sinne zu verstehen und damit auch im eigenen Sinne gestaltbar zu machen, dient die Produktion von Normalität dazu, einen gesellschaftlichen Konsens darüber zu schaffen, was im weitesten Sinne richtig, vernünftig und gut ist. Es geht um grundlegende Überzeugungen, wie die Welt beschaffen ist und welche Verhaltensweisen des Menschen vernünftig und damit ganz einfach normal sind. Explizite Produktion von Normalität Jede Gesellschaft verfügt über Dispositive, mit denen sie bestimmte Verhaltensweisen ihrer Mitglieder erzwingen kann. Das sind ganz allgemein Gesetze und Verbote, denken wir an die allgemeine Schulpflicht, das Strafgesetzbuch, das Straßenverkehrsgesetz oder das Steuerrecht. Sie alle greifen tief in die persönliche Lebensführung ein, wenn etwa die Einhaltung der Nachtruhe ab 22 Uhr Pflicht ist. Das Spezielle an Gesetzen ist, dass sie keinen allgemeinen Konsens in der Gesellschaft voraussetzen, sondern lediglich eine Mehrheit in den gesetzgebenden Organen. Sie sind daher nur bedingt geeignet, die Mitglieder einer Gesellschaft in ihren Überzeugungen des Richtigen und Guten zu einen. Neben den für alle verbindlichen Gesetzen gibt es eine Großzahl von Institutionen, die sich darum bemühen, Normen und Regeln zu formulieren und im Interesse der Insti- 209 9.1 Diskurs und Wissen tution oder ihrer Klientinnen durchzusetzen. Zu denken ist an Verhaltenskodizes in Unternehmen, Hausordnungen in Jugendherbergen, Ernährungsempfehlungen 58 , Ratgeber zum Bewerbungsgespräch, Verhaltensknigges aller Art usw. Sie alle legen die Betroffenen oder Interessierten auf ganz bestimmte Verhaltensweisen fest und geben ihnen damit zu verstehen, was richtig und vernünftig ist. Ein ebenso bekanntes wie umstrittenes Regelwerk ist das von der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft (American Psychiatric Association) herausgegebene „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“, welches alle bekannten psychischen Krankheiten auflistet und beschreibt. Die 2013 erschienene 5. Auflage führte weltweit zu heftigen Diskussionen, weil die Grenzwerte, wann Normalität aufhört und eine psychische Krankheit beginnt, gegenüber früheren Auflagen massiv gesenkt wurden. Die „Zeit“ schrieb dazu: Eine der am heftigsten kritisierten Änderungen betrifft die Depression: Normale Trauer wird in der Neuauflage des Diagnosehandbuchs schon nach kurzer Zeit zu einer Krankheit. Wer nach dem Tod eines geliebten Menschen keinen Appetit und keinen Antrieb verspürt, schlecht schläft und mit gedrückter Stimmung durch den Tag schleicht, würde nun bereits nach zwei Wochen eine Depression diagnostiziert bekommen. 59 Als einflussreiches medizinisches Handbuch bestimmt dieses Werk mit, wer in unserer Gesellschaft als krank gilt und - allenfalls gegen seinen Willen - therapiert wird, und wer keinen Anspruch auf bezahlte Behandlung hat. Bei allem, was bisher genannt wurde, findet der Normendiskurs explizit statt. Die Betroffenen wissen, was von ihnen erwartet wird, können aber auch Widerstand leisten und die vorliegenden Normen in Frage stellen. Schwieriger ist das bei all den subtileren Formen der Beeinflussung, die im Folgenden aufgeführt werden. Dort werden die Normen nicht explizit gemacht, sondern den Menschen wird auf andere Weise zu verstehen gegeben, wie sie sein sollen. Sie sollen das, was normal ist, verinnerlichen und von sich aus danach streben, so zu werden, wie es von ihnen erwartet wird. Implizite Produktion von Normalität Ein erstes wirksames Mittel, mit dem heute Normalität produziert wird, sind Statistiken. Seit dem 19. Jahrhundert wird die Gesellschaft zunehmend statistisch vermessen, von der politischen Gesinnung über das Körpergewicht bis zur geleisteten Freiwilligenarbeit wird alles erhoben und ausgewertet. Der Gott der Statistik ist die Normal(! )verteilung, an welcher jeder und jede ablesen kann, ob er oder sie „normal“ ist, das heißt mit seiner Meinung, seinem Gewicht oder seinem sozialen Engagement irgendwo in der Mitte liegt. Wo genau auf der Kurve das Normale aufhört und das Abnormale beginnt, wird oft nicht genau festgelegt bzw. muss diskursiv ausgehandelt werden. Bei Gesundheitsdaten wie dem Blutdruck oder der Neigung zu Depressionen wurden die Grenzen in den letzten Jahren tendenziell immer enger gezogen, was - nicht zuletzt im Sinne der Pharmaindustrie und der Ärzteschaft - die Zahl der behandlungsbedürftigen Menschen in die Höhe schnellen ließ. 58 Man google „Ernährungspyramide“. 59 Fritz Habekuss: Heute noch normal, morgen schon verrückt. In: Die Zeit Online vom 7. Mai 2013. Online (9.12.2014) http: / / www.zeit.de/ wissen/ gesundheit/ 2013-05/ dsm-5-bibel-derpsychatrie 210 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht Für die Verbreitung dieser statistischen Normalwerte spielen die Medien eine wichtige Rolle. Zum einen publizieren und kommentieren sie die Ergebnisse von statistischen Erhebungen und Umfragen, zum andern präsentieren sie gerne das Außergewöhnliche, Abweichende, Abnorme, wodurch sie der Leserschaft indirekt zu verstehen geben, was noch akzeptabel ist und was eben nicht (Bartz/ Krause 2007). Für den Einzelnen stellt sich im Alltag in diesem Medienfeuer immer drängender die Frage: Bin ich noch normal? (Jäger/ Jäger 2007, Ellrich 2007). Für die Produktion von Normalität sind heute zum Zweiten ganz wesentlich Lifestylemagazine und Werbung zuständig. Sie machen bekannt, welche Sportarten, Elektronikgeräte, Wohnungseinrichtungen, Reiseziele oder Fahrräder gerade angesagt sind, geben Empfehlungen zu Kleidung, Frisur und Schminke ab und prägen durch die Wahl der Models Körperideale. Dieser Lifestylediskurs findet zum Teil explizit statt, durch klare Empfehlungen oder Rubriken wie „Top“ und „Flop“ der Woche, zum Teil aber auch implizit, indem bestimmte Ideale nicht thematisiert, sondern vorausgesetzt oder einfach visuell inszeniert werden. Erinnert sei an das Beispiel der Bierwerbung, die das Ideal der sportlichen Leistungsfähigkeit und Schönheit stillschweigend voraussetzt (vgl. S. 79). Wie groß der Einfluss von Hochglanzmagazinen und Werbung auf das Verhalten und die verinnerlichten Ideale der Menschen sind, darüber streiten sich Marketingfachleute und Psychologinnen. Unseres Erachtens darf die Macht der Werbung nicht unterschätzt werden, denn auch der sogenannt mündige Konsument, der angeblich freie Entscheidungen trifft und sich nicht um die Propaganda schert, entgeht dem Urteil der Meinungsführer nicht, wenn diese ihn als irgendwie unpassend klassifizieren: als zu dick, zu altmodisch, zu faul etc. Im Feld der Politik und Wirtschaft greift ein anderes Mittel, um Normalität zu produzieren: der Sachzwang-Topos. Der Sachzwang-Topos bzw. der Sein-Sollens-Schluss ist ein Denkmuster, bei dem aus der Tatsache, dass etwas auf der Welt der Fall ist, gefolgert wird, dass dieses Etwas auch der Fall sein muss oder zumindest sein darf. ‚Es ist halt einfach so‘, dass in der Wirtschaft jeder nach dem billigsten Angebot sucht. Weil alle anderen Konkurrenten auf dem Markt die Preise drücken, müssen wir das auch tun.Mit dem Sachzwang-Topos lässt sich so gut wie jedes wirtschaftliche und politische Handeln (und erst recht Unterlassen) rechtfertigen, weil die Dinge angeblich nicht zu ändern sind. Auch der erwähnte hortative Stil der Managementlehrbücher (vgl. S. 84) gehört in dieses Kapitel: Aus dem, was man heute in den Unternehmen vorfindet, wird direkt auf das geschlossen, was man auch morgen noch tun soll. Dass alle gesellschaftlichen Strukturen von Menschen gemacht wurden und damit auch verändert werden können, geht im Denkzwang des Sachzwangs gerne vergessen. Dazu ein Beispiel: In der Studentenzeitung „Brainstorm“ der Zürcher Hochschule Winterthur (Nr. 33/ 05, S. 14) wurde ein Dozent gefragt, ob er 40 Millionen Franken Lohn annehmen würde. Seine Antwort lautete: „Selbstverständlich würde auch ich als ökonomisch denkender Mensch einen solchen Lohn annehmen.“ Damit wird implizit gesagt, dass einer, der einen Lohn dieser Höhe ablehnen würde, kein ökonomisch denkender (und damit kein vernünftiger) Mensch sei. Später sagt der Gefragte: „Unser ökonomisches System lässt solche Löhne zu.“ Das ist der Sachzwang-Topos in Reinkultur: Was das ökonomische System zulässt, ist zu akzeptieren, ergo sind auch solche Löhne zu akzeptieren. Als die gesamte Argumentation stützende Aussage muss hier angenommen werden: „In das ökonomische System kann von Menschenhand nicht ein- 211 9.1 Diskurs und Wissen gegriffen werden“. Das Beispiel zeigt, dass der Sachzwang-Topos grundsätzlich a-moralisch ist: Er umgeht die moralische Frage ganz einfach. Die wirksamste Form, Normalität herzustellen, ist die Begründung von Überzeugungen und Verhaltensweisen durch die „Natur“ der Dinge. Fairclough nennt diesen diskursiven Schachzug Naturalization: „Naturalization gives to particular ideological representations the status of common-sense, and thereby makes them opaque, i.e. no longer visible as ideologies“ (Fairclough 1995: 42). Die argumentativen Schlussregeln, die dem Topos der Natur zugrunde liegen, lauten: Wenn X ein Phänomen der Natur ist, auf das der Mensch keinen Einfluss hat, dann ist X normal und somit unvermeidlich. Eine weitere Schlussfolgerung ist naheliegend: Wenn X ein Phänomen der Natur ist, auf das der Mensch keinen Einfluss hat, dann darf bzw. soll der Mensch X tun. Dieser Übergang vom Sein zum Sollen wird auch als „Naturalistischer Fehlschluss“ bezeichnet. 60 Der argumentative Rückgriff auf „Naturgemäßes“ ist manchmal intuitiv einleuchtend und plausibel. Dass ein Mensch in der prallen Sonne einen Sonnenbrand riskiert und sich daher besser in den Schatten setzt, bedarf keiner langen Begründung. Anders verhält es sich mit Systemen, die von Menschen geschaffen wurden. Dass das Wirtschaftssystem einen Manager gleichsam dazu zwingt, 40 Millionen Franken entgegenzunehmen, wird durch kein Naturgesetz belegt. Der Rückgriff auf die Natur des Menschen ist besonders schwer zu entkräften, denn wer wollte gegen Naturgesetze antreten? Daher müssen Diskursforschende besonders kritisch hinschauen, wenn bestimmte Phänomene als „natürlich“ ausgegeben werden. Die Genderforschung hat viele angeblich naturgegebene Unterschiede zwischen Männern und Frauen als Mythen bzw. Resultat geschlechterspezifischer Sozialisation entlarvt. Auch das in der Ökonomie lange Zeit vorherrschende Bild des homo oeconomicus, des Menschen, der rational kalkulierend seinen Nutzen zu optimieren sucht, gerät mittlerweile ins Wanken. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass biologistische Denk- und Argumentationsweisen zurzeit wieder gewaltig auf dem Vormarsch sind, unterstützt von der boomenden Genetik und Neurobiologie. Der Mensch erscheint als zunehmend gesteuert von seiner genetischen Disposition und den neuronalen Verschaltungen in seinem Hirn (vgl. Verhaege 2013). Zum Beispiel tauchen immer mehr Studien auf, die einen enormen Einfluss der physischen und psychischen Verfassung von Schwangeren auf den Fötus belegen und diese für alle möglichen Spätfolgen bei den Kindern verantwortlich machen. 61 Die vormals als bürgerliche Ideologie entlarvte „Mütterlichkeit“ kehrt in neurophysiologischem Gewand mit aller Wucht zurück und unterwirft alle werdenden Mütter einem extremen Druck, sich kindgerecht zu verhalten, einem Druck, dem wegen seines pseudo-naturwissenschaftlichen Fundaments kaum zu begegnen ist. Damit in einer Gesellschaft etwas als „natürlich“ gilt, braucht es allerdings keineswegs immer den Segen der Naturwissenschaft. Über das, was natürlich und damit normal ist, gibt es auch sonst einen breiten gesellschaftlichen Konsens, den sogenann- 60 Die Bezeichnung geht auf den englischen Philosophen George Edward Moore (1873-1958) zurück. Allerdings enthält der Begriff „Fehlschluss“ eine Negativbewertung, die man in einer Diskursanalyse besser vermeiden sollte. 61 So konnte eine Studie angeblich nachweisen, dass „Störungen in der ‚Bindungsbeziehung‘ von Mutter und Kind ... sich bereits gegen Ende der Schwangerschaft abzeichnen [können], selbst bei Müttern ohne psychische Erkrankung“ (Horizonte 102 / 2014). 212 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht ten Common-Sense, der sich in Sprichwörtern, Metaphern, Maßregelungen und spontanen Urteilen niederschlägt: „Alte Liebe rostet nicht“, „Sie ist eine Glucke“, „Das tut man nicht“, „Das ist doch nicht normal! “. Der Prozess der Normalisierung Was in einer Gesellschaft als richtig, vernüftig und normal gilt, ist Resultat permanenter diskursiver Aushandlungsprozesse. Man kann sich das gesellschaftliche Wissen einer Zeit als geschichtet vorstellen. Das sei am Beispiel der Diskussion um Managerlöhne illustriert und in Abbildung 38 visualisiert:  Den innersten Kreis bildet der Common-Sense, das sind all jene Wissensbestände und Überzeugungen, die gar nicht diskutiert, sondern als gegeben betrachtet werden. So fußen heute alle Diskussionen um Lohngerechtigkeit auf der Überzeugung, dass der Mensch grundsätzlich nach einem Wohlstand strebt, der über das Lebensnotwendige hinaus geht.  Die zweite Schicht besteht aus jenem Wissen, das in der gegebenen Zeit als unbestritten gilt und sich unter anderem in unbegründeten Behauptungen, Deutungsmustern und visuellen Stereotypen offenbart. Niemand stellt heute in Frage, dass Lohnunterschiede grundsätzlich gerechtfertigt sind, gestritten wird lediglich um das tolerable Ausmaß der Differenz.  Die dritte Schicht ist die semantische Kampfzone, in welcher um Wissen und Wahrheit gestritten wird, die Zone der Argumentationen und Bewertungen. So wird heute darüber debattiert, wie hoch Managerlöhne sein dürfen und wie sie zu begrenzen sind.  Die äußerste Schicht könnte man als Blindzone bezeichnen, wo all jenes potenzielle Wissen und Denken lagert, das gar nicht diskutiert, sondern von vornherein weggelassen wird. Soziale Utopien, in denen jeder Mensch ohne Unterschied seinen Beitrag an die Gemeinschaft leistet und im Gegenzug von dieser erhalten wird, liegen zurzeit nicht vor. Abbildung 38: Schichtung des gesellschaftlichen Wissens und Normalisierung (Pfeil). Common-Sense Der Mensch strebt nach Wohlstand Unbestrittenes Wissen Einkommensunterschiede sind normal Semantische Kampfzone Allzu hohe Managerlöhne sind nicht gerechtfertigt Nicht diskutierte Blindzone Jeder Dienst an der Gemeinschaft ist gleich viel wert 213 9.1 Diskurs und Wissen Eine Normalisierung findet bildlich gesprochen dann statt, wenn Wissensbestände von außen nach innen wandern, in der Abbildung symbolisiert durch einen Pfeil. Normalisierung findet zum Beispiel dann statt, wenn naturwissenschaftliche Lehrmeinungen aus der fachlichen Diskussion in den Kanon der Ausbildung an Schulen und Universitäten wandern und schließlich zum Common-Sense werden. Das war mit der Lehre vom Unbewussten von Sigmund Freud der Fall, die am Ende des 19. Jahrhunderts noch in der Blindzone des Unsagbaren lag und heute in Form von alltäglichen Redensarten wie dem „Freud’schen Versprecher“ Allgemeingut ist. Bei Foucault besteht der Prozess der Normalisierung allerdings nicht nur aus Richtung Common-Sense wandernden Überzeugungen und Wissensbeständen, sondern auch aus handfesten sozialen Praktiken, mit denen die Individuen zu „normalen“ Menschen zugerichtet werden. Das beginnt bei der Werbung mit ihren Versprechungen für angepasstes Verhalten und endet bei staatlichen Zwangsmaßnahmen wie Gefängnis und psychiatrischer Zwangstherapie. Der Anpassungsdruck hat in den letzten Jahren eher wieder zugenommen, wenn man bedenkt, in welchem Ausmaß heute Kinder als verhaltensauffällig diagnostiziert, therapiert und mit Medikamenten stillgestellt werden. Fazit: Ziel einer diskurslinguistischen Wissensanalyse ist zu rekonstruieren - und damit zu de-konstruieren -, was eine Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit zu wissen glaubt und wie dieses Wissen diskursiv hergestellt und abgesichert wird. Zugleich wird kritisch durchleuchtet, was in dieser Gesellschaft als vernünftig und normal oder gar natürlich gilt und wie diese Vorstellungen von Normalität und Natürlichkeit verbreitet und durchgesetzt werden. Aufgaben Aufgabe 27: Die Online-Redaktion der Zeitung Tages-Anzeiger führt seit mehreren Jahren den viel beachteten „Mama-Blog“, dessen Einträge teilweise Kontroversen mit über 200 Kommentaren auslösen. Im Beitrag vom 4. Dezember 2014 mit dem Titel „Reden Sie über Sex“ ist zu lesen, wie schwierig es sei, treu zu bleiben. 62 Unten sind drei von 141 Kommentaren wiedergegeben. Prüfen Sie, von welchem Common-Sense die Schreibenden ausgehen, was sie als gesichertes Wissen ansehen und wo die semantische Kampfzone ist. Ausschnitt aus dem Mama-Blog Maja: Es gibt eine ganz einfache Lösung dafür, nämlich die Polyamorie. Weil wir Menschen von Natur aus sexuell nicht treu sind. Und besser als fremdgehen ist bekannt-gehen, wo alle Beteiligten informiert und einverstanden sind, denn betrogen werden hat niemand verdient. Carolina: Ach ja, das ist auch so ein Spruch - dass wir Menschen von Natur aus sexuell nicht treu sind. Tatsache ist aber, dass wir einen Willen haben und es ist tatsächlich so, dass die meisten Menschen eine Beziehung eingehen mit dem großen Wunsch, dass man sich treu ist. Dass im Laufe einer Beziehung dieser Wunsch qualifiziert bzw geändert wird, ist eine ganz andere Sache. So könnte man sagen, dass in manchen Beziehungen sexuelle Treue von partnerschaftlicher Loyalität abgespalten wird - warum nicht? 62 Abzurufen unter http: / / blog.tagesanzeiger.ch/ mamablog/ index.php/ 40665/ reden-sie-uebersex/ (letzter Zugriff am 15.12.2014). 214 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht Hotel Papa: Die Menschen, die eine solche Mehrfach-Beziehung in unserem Kulturkreis dauerhaft aushalten, sind selten. Klingt gut, funktioniert in der Praxis dann halt meist doch nicht. Tragen Sie zusammen, was in Ihrem Korpus an Wissen präsentiert bzw. vorausgesetzt wird. Versuchen Sie zu bestimmen, welche Wissensbestände als unhinterfragter Common-Sense aufscheinen, welche als unbestrittene Fakten und wo die semantischen Kampfzonen liegen. Können Sie auch blinde Flecken identifizieren? Grundlegend für die Ordnung und die limitierende Kraft des Diskurses ist Foucault (1997). Dem Zusammenhang von Sprache und Wissen ist der Sammelband von Felder/ Müller (2009) gewidmet. Fundamental für Normalisierung und Naturalisierung sind die Publikationen von Fairclough (1995, 2001, 2005). Interessante Untersuchungen zur Normalisierung finden sich im Sammelband von Bartz/ Krause (2007a). 9.2 Diskurs und Macht Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, dass das, was in einer Gesellschaft als wahr, richtig und normal gilt, nicht ein für allemal fest steht, sondern Resultat diskursiver Aushandlungsprozesse ist und permanent gegen abweichende Ansichten verteidigt werden muss. Aber warum streiten Menschen überhaupt um die Wahrheit? Warum wollen sie Recht behalten? In aller Regel nicht aus purer Streitlust, sondern weil mit dem Besitz der Wahrheit handfeste Interessen verbunden sind. Wer die als wahr anerkannten Ansichten vertritt, bekommt Lehrstühle, Forschungsgelder, politische Ämter, Sendezeit am Fernsehen, öffentliche Anerkennung, staatliche Privilegien. Wer falsch liegt, ist ein Sektierer und hat kein Recht auf öffentliche Anerkennung und Unterstützung. Wissen ist daher niemals neutral, sondern steht in Wechselwirkung mit den Gesellschaftsstrukturen, welche durch das Wissen begründet werden und umgekehrt gerade dieses Wissen hervorgebracht haben. Häufig dient die Wahrheit dazu, Formen von Ungleichheit aufrecht zu erhalten und zu legitimieren, sei es die Dominanz der so genannt fortschrittlichen Europäer über die angeblich rückständigen Afrikaner im Zeitalter des Kolonialismus, seien es die Weisungsbefugnis und die höheren Löhne der Führungsriege in den Unternehmen bis auf den heutigen Tag. Es geht mit anderen Worten um Macht. Macht bedeutet nach Weber „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“ (Weber 2009: Kap. 1, § 6). Zu denken ist an physische Macht (Körperkraft, Waffen), ökonomische Macht (Geld, Boden, Produktionsmittel), politische Macht (Gesetzgebung, Polizeieinsatz), aber auch intellektuelle Macht (Wissen, Autorität). Letztere ist es, die aus diskursiver Sicht interessant ist. Diskursforschende fragen nach dem gegenseitigen Bedingungsgefüge von Diskurs, Wissen und Macht. Auf theoretischer Ebene hat sich Foucault mit der produktiven Macht von Diskursen auseinandergesetzt (vgl. Seier 1999). Nach Foucault hat der Diskurs weniger eine negative, einschränkende Wirkung, als vielmehr eine produktive Macht, welche Gegenstände, Wissensbestände sowie soziale Identitäten hervorbringt. 215 9.2 Diskurs und Macht Als Beispiel ist die Homosexualität zu nennen. Durch die Art und Weise, wie eine Gesellschaft über Homosexualität spricht, bringt sie das Phänomen Homosexualität als biologische Tatsache und als soziales Problem überhaupt erst hervor und weist den als homosexuell apostrophierten Menschen eine bestimmte Identität zu, die diese übernehmen oder durch ihre Gegendiskurse modifizieren können, aber in jedem Fall mitkonstituieren. Sie nehmen sich selber irgendwann als Homosexuelle wahr und nicht einfach als sexuelle Wesen. Am Beispiel der Homosexualität lässt sich ein weiterer Aspekt des Verhältnisses von Diskurs und Macht illustrieren, nämlich das Phänomen, dass sich der Diskurs aufgrund seiner Mächtigkeit bis in die Körper und Emotionen von Frauen und Männern einschreibt. Homosexuelle gehen mit ihrem Körper so um und fühlen sich so, wie sie es selber von einem „richtigen“ Homosexuellen erwarten. Diese Erwartungen sind aber sozial geprägt und haben sich in den letzten Jahren jenen heterosexueller Paare angenähert, was darin gipfelt, dass Homosexuelle heute nicht nur heiraten (dürfen), sondern auch ganz traditionell mit der Kutsche beim Standesamt vorfahren. Für alle Menschen gilt, dass sexuelle Bedürfnisse und Praktiken, aber auch Gefühle nicht naturgegeben sind, sondern sozial geformt werden. Auf einer ganz forschungspraktischen Ebene unterscheidet Fairclough zwischen Macht im Diskurs und Macht hinter dem Diskurs. Unter der Macht im Diskurs fasst er all das zusammen, was Menschen in konkreten Interaktionen in ihren Tätigkeiten bevorrechtigt bzw. benachteiligt, wo also unmittelbar interaktiv Macht ausgeübt wird. Dazu gehören zum Beispiel die ungleiche Rederechtsverteilung in Institutionen wie Gericht, Krankenhaus oder Schule, aber auch die Strukturen der Massenmedien, die bestimmte Aussageformate verlangen und andere ausschließen. Unter der Macht hinter dem Diskurs versteht er jene Ideologien und Konventionen, die Machtverhältnisse quasi hinter dem Rücken der Beteiligten aufbauen, so etwa der Mythos des „Standard British English“, der Menschen mit angeblich schlechtem Englisch zum Vorteil der Oberschicht von öffentlichen Positionen fernhält (Fairclough 2001: 36-56). Machtverhältnisse können diskursiv aber nicht nur etabliert, sondern auch in Frage gestellt werden. Ein erprobtes Mittel dafür ist der Humor. Nicht nur professionelle Hofnarren und Kabarettisten haben immer schon erfolgreich am Herrschafts- und Wahrheitsanspruch der Mächtigen gerüttelt; auch normale Arbeiter sägen an den Chefsesseln dieser Welt, wenn sie sich über Anweisungen von oben mockieren, ihre Vorgesetzten parodieren oder über die „Weicheier“ in den Büros lästern, die nicht wissen, was richtige Arbeit richtiger Männer ist (Mumby/ Mease 2011: 287f). Machtansprüche werden in unserer heutigen Gesellschaft immer seltener mit Vorschriften, Zwang und Kontrolle durchgesetzt, sondern immer häufiger über Ideologien, denn es ist - wie Fairclough treffend bemerkt -, billiger „to rule by consent than by coercion“, also einfacher, durch Zustimmung als durch Zwang zu regieren (Fairclough 2001: 28). Heute wird beraten statt befohlen, sodass die Leute „einsehen“, dass es „zu ihrem eigenen Besten“ ist, wenn sie sich so verhalten, wie es zum Beispiel die Angestellte auf dem Arbeitsamt ihnen nahe legt (ebd.: 60). In modernen Unternehmen findet man keine Stechuhren mehr, aber Menschen, welche ein modernes Arbeitsethos dermaßen internalisiert haben, dass sie ganz von allein möglichst viel arbeiten, um vor den Kollegen nicht schlecht dazustehen (Mumby/ Mease 2011: 289). Weil Ideologien ein zentrales Mittel der diskursiven Ausübung von Macht sind, widmen wir ihnen einen eigenen Abschnitt. 216 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht Ideologien Der Begriff der Ideologie wurde und wird unterschiedlich definiert. Zur Zeit der Aufklärung verstand man unter einer Ideologie ein Lehrgebäude, das die herrschende Klasse zur Beherrschung der Massen einsetzt, also zum Beispiel ein Katechismus, mit dem die Kirche ihre Schäfchen fügsam macht. Diese Auffassung von Ideologie kommt unserem Alltagsverständnis nahe, greift aus diskurstheoretischer Sicht aber zu kurz, da unter Ideologien nicht nur gezielt verbreitete Lehren fallen, sondern auch das, woran die Leute ganz selbstverständlich glauben - auch die Herrschenden selber. In der marxistischen Tradition wurden Ideologien als falsches Bewusstsein definiert, hervorgegangen aus den materiellen Lebensbedingungen und Herrschaftsverhältnissen, ein Bewusstsein, das es zu korrigieren galt. Diese Definition ist ebenfalls nicht haltbar, da sie impliziert, dass es auch ein richtiges Bewusstsein gibt. Doch aus diskurstheoretischer Sicht ist jede Überzeugung ideologisch. Es gibt keinen Ort gesicherter Wahrheit, von welchem aus man eine Unterscheidung zwischen richtigem und falschem Denken treffen könnte (Hirseland/ Schneider 2006: 401). Wir verstehen unter einer Ideologie ein Ensemble von grundlegenden Ideen und Einstellungen, die von einer sozialen Gruppe geteilt werden (Bloor/ Bloor 2007: 10). Ideologien bestimmen darüber, wie die Gruppenmitglieder soziale Ereignisse und Situationen wahrnehmen und interpretieren, wie sie sprechen und handeln (van Dijk 2011: 380). Ideologien sind nicht individuell, sondern kollektiv und daher eine Form sozialer Kognitionen (vgl. oben). Der Diskurs ist nicht die Ideologie, sondern die Ideologie liegt dem Diskurs zugrunde wie eine Grammatik dem Sprachgebrauch (ebd.: 382). Van Dijk schlägt vor, sich Ideologien vorzustellen als ein Netzwerk von Propositionen zu den folgenden Aspekten: Aspekt zentrale Fragen Beispiele Identität wer sind wir, woher kommen wir Nationalismus, Eurozentrismus, Rassismus Aktivitäten was tun wir, was ist unsere Aufgabe Professionen, Religionen, politische Ideologien Ziele was wollen wir Parteiprogramme Normen und Werte was ist gut / schlecht, erlaubt / verboten Freiheit, Autonomie, Gerechtigkeit Gruppenbeziehungen wer sind unsere Gegner wir/ sie, Sozialismus, Pazifismus, Nationalismus Ressourcen was ist unsere Machtbasis Informationen, Privilegien Tabelle 16: Aspekte einer Ideologie nach van Dijk (2011: 386). Ideologien gehen Diskursen voraus und werden in ihnen nur selten explizit formuliert, etwa in Parteiprogrammen oder religiösen Schriften. Meistens sind sie opak, also quasi außerhalb des Blickfelds der Interagierenden. Das heißt aber nicht, dass Ideologien analytisch nicht zugänglich wären. Sie sind zugänglich, indem man in konkreten Texten nach expliziten Evaluationen und Argumentationen fragt (vgl. Abschnitte 5.5 und 5.6), aber auch nach dem Vorausgesetzten, Implizierten, Präsupponierten (vgl. Ab- 217 9.2 Diskurs und Macht schnitt 5.3), und in einem Korpus von Texten Argumentations- und Deutungsmuster aufspürt (vgl. Abschnitte 8.1 und 8.2). Allerdings muss sich die Analysierende bewusst sein, dass sie selber auch in einem Netz ideologischer Vorannahmen gefangen ist. Ideologien sind nicht harmlos, sie werden dazu eingesetzt, soziale Ungleichheit zu rechtfertigen: „Ideologies are representations of aspects of the world which can be shown to contribute to establishing, maintaining and changing social relations of power, domination and exploitation“ (Fairclough 2005: 9). Sichtbar wird dies in einem Text von René Scheu, der in der NZZ am Sonntag (23.9.2013) erschienen ist. Hier ein Ausschnitt: „Es ist ein Merkmal wohlhabender Gesellschaften, dass sie ständig neue Mangeloptiken entwickeln, um ihren Reichtum in Armut umzudeuten. Diese verzerrte Wahrnehmung gehört auch längst zur bewährten Methodik staatlicher Studien: Armut, erläutert das Bundesamt für Statistik, lasse sich kaum objektiv bestimmen. Darum gilt bei uns ein relativer Armutsbegriff: Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, ist armutsgefährdet. So lässt sich per Definition beliebig Armut produzieren […]. In unserer permanent erregten Demokratie herrscht die Kultur des entfesselten Sozialvergleichs. Jeder vergleicht sich mit jedem - und jeder richtet über jeden. Eifersüchtige Blicke nach oben, ängstliche Blicke nach unten. Das Resultat: Objektiver und gefühlter Wohlstand klaffen zunehmend auseinander. Wer dies ändern will, muss keine Unterschriften sammeln, sondern an einem Perspektivenwechsel arbeiten - dazu braucht es keine wohlmeinenden Sozialingenieure und deren Gleichmacherpostulate. Wir alle leben de facto in einer der reichsten Gesellschaften aller Zeiten. Die Chancen auf ein selbstbestimmtes gelingendes Leben sind so gut wie noch nie.“ Im ersten Abschnitt wird die an sich richtige Beobachtung, dass Armut keine absolute, sondern diskursiv ausgehandelte Größe ist, dazu missbraucht zu behaupten, Armut sei in der Schweiz gar kein Problem, sondern nur herbeigeredet. Im zweiten Abschnitt benützt der Autor einen abgedroschenen Topos: Der Kampf um soziale Gerechtigkeit entspringe lediglich dem Neid der weniger Besitzenden. Sozialer Ausgleich wird als Gleichmacherei verunglimpft. Der Autor wirft seinen Adressaten eine verzerrte Wahrnehmung und falsches Denken vor und legt ihnen einen Perspektivenwechsel nahe; er bezichtigt sie also des ideologischen Denkens. Seine eigene Argumentation ist jedoch ebenso ideologisch gefärbt. Folgende Prämissen liegen seiner Argumentation zugrunde:  Wenn eine Gesellschaft insgesamt reich ist, geht es allen gut.  Soziale Unterschiede sind gerechtfertigt.  Wer sich benachteiligt fühlt, ist selber schuld. Diese Prämissen entspringen einer neoliberalen Ideologie, wonach jeder seines Glückes Schmied ist. So, wie sie hier schwarz auf weiß dastehen, sind sie dem Autor vermutlich gar nicht bewusst und vielleicht nicht einmal ganz geheuer. Das wäre typisch für Ideologien: Wir stützen unsere Argumentationen auf sie ab, ohne uns über ihren Gehalt Rechenschaft abzulegen. Ideologien sind ihrem Wesen nach unreflektiert. Sie durchziehen unser ganzes Denken, Fühlen und Wollen wie ein unsichtbares Netz, sie sind das geistige Bindegewebe, das den Körper mental zusammenhält und uns Halt und Orientierung verleiht. Natürlich kann man eine Ideologie auch bewusst und gezielt einsetzen, um andere zu beeinflussen, selbst wenn man selber nicht daran glaubt. Diesen Vorgang bezeich- 218 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht nen wir als Manipulation. Die Meister der Manipulation sind sicher die Werbefachleute. Ein Hersteller von schwarz-gelb-roten Fahnen und T-Shirts mit Schweizerkreuz kann vor der Fussball-WM kräftig die Werbetrommel rühren und gut verkaufen, ohne selber im mindesten patriotisch veranlagt zu sein. In diesem Fall benützt er die Ideologie des Nationalstolzes, um die Kundschaft zu manipulieren. Hegemonie Zum Begriff der Ideologie gehört jener der Hegemonie. Eine Ideologie ist dann hegemonial, wenn sie sich in einer bestimmten Zeit als dominant durchsetzen kann und somit nicht mehr gruppenspezifisch ist. Dazu ein Beispiel: Das im 19. Jahrhundert aufkommende bürgerliche Arbeitsethos war ursprünglich auf die mittelständische Fabrikanten- und Kaufmannsschicht beschränkt. Die Adligen definierten sich durch Müßiggang, während die Arbeiter Arbeit lediglich als überlebensnotwendiges Übel ansahen; häufig verließen sie die Fabrik, wenn sie genug Geld für die nächste Woche beisammen hatten. Damit ihnen die Arbeiter nicht davonlaufen, begannen die Fabrikbesitzer, unterstützt von Pfarrern und Wohlfahrtsinstitutionen, den Arbeitern einzuschärfen, dass Arbeit eine Tugend sei und dass jeder, der nur fleißig genug ist, sich den sozialen Aufstieg erarbeiten könne. Der Erfolg war durchschlagend: Heute findet sich kaum noch jemand, der das bürgerliche Arbeitsethos nicht verinnerlicht hätte. Viele arbeiten weit über das Lebensnotwendige hinaus, während Arbeitslosigkeit als soziale Demütigung erlebt wird. Eine partikuläre Ideologie ist hegemonial geworden. Das Beispiel zeigt auch, dass die hegemonialen Ideologien meistens von der herrschenden Klasse ausgehen und diesen auch am meisten nützen (Fairclough 1995: 93.): Am Fleiß der Angestellten verdienen die Unternehmer immer noch am meisten. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Staatssozialismus ist die hegemoniale Ideologie unserer Tage der Glaube, dass der freie Markt alles zum Besten regelt. Der Markt, ursprünglich eine Metapher für wirtschaftliche Handlungen identifizierbarer Akteure, wird heute personifiziert und reifiziert als eigener Akteur („der Markt will es so“), während die eigentlichen Akteure sprachlich unsichtbar gemacht werden, durch Passivsätze, Man-Sätze oder Abstrakta wie „das Unternehmen“, „das politische Umfeld“ oder „die Marktforschung“. Der systematisch betriebene grammatische Agensschwund lässt Menschen als verantwortlich Handelnde verschwinden. Wissenschaftlichen Sukkurs erhält diese Ideologie durch die Systemtheorie, die davon ausgeht, dass Systeme wie die Wirtschaft geschlossene, selbstreferentielle Systeme sind, die vom Menschen nicht beeinflusst werden können. So schreibt Aderhold (2013) im Anschluss an Luhmann: „Organisationen überführen in diesem Sinne funktionsspezifische Erfordernisse (z.B. Marktanforderungen) in handhabbare Erwartungen und Richtlinien und können auf diese Weise durch besondere Formen der Wirklichkeitsherstellung eine ontisch erscheindene Realität konstruieren.“ Das ist die wissenschaftlich abgesegnete Kapitulation vor der hegemonialen Marktideologie und das Ende des Menschen, der Entscheidungen trifft und für diese zur Rechenschaft gezogen werden kann. Heute laufen viele Anstrengungen darauf hinaus, auch das Bildungswesen, das Gesundheitswesen, die Kirchen und sogar die Kunst der Logik des freien Marktes zu unterwerfen. So kämpfen denn Universitäten um ihren Platz im Hochschulranking, messen Spitäler akribisch ihren „Output“, richten Kirchen kommerzielle Kaffees ein und werden Gemälde von den Banken als Anlageobjekte gehandelt. Von da ist es nicht mehr weit zur „Ich-AG“: Auch das Individuum muss sich schließlich optimal vermark- 219 9.2 Diskurs und Macht ten. Selbstredend ist unterdessen auch der Beziehungs- und Heiratsmarkt (! ) fest im Griff kommerzieller Dating-Plattformen. Hegemoniale Ideologien haben die Eigenschaft, dass für sie in aller Regel nicht argumentiert werden muss, weil ihre allgemeine Akzeptanz vorausgesetzt werden kann. Sie haben den Status des Common-Sense (vgl. Abschnitt 9.1). Wer sich zum Beispiel darauf beruft, dass „der Kunde“ etwas will, ist jeglicher weiterer Begründungspflicht enthoben: Er darf die Ladenöffnungszeiten und damit die Arbeitszeiten des Personals beliebig verlängern, jede noch so fragwürdige Sendung am Fernsehen ausstrahlen, brutale Bilder in der Presse und im Internet publizieren, allein „weil die Kunden das wollen“. Kundenorientierung ist zum Totschlagargument der Ideologen des freien Marktes geworden, das haben Habscheid und Hartz (2007) anhand von Mitarbeiterzeitungen rekonstruiert. Doch es gibt selbst zum hegemonialsten Diskurs Gegendiskurse, und es wäre wissenschaftlich unredlich (wenn auch nicht unüblich), diese unerwähnt zu lassen. Viele Vertreter der Kritischen Diskursanalyse problematisieren in ihren Studien die Folgen der Ökonomisierung der Universitäten und anderer öffentlicher Einrichtungen (Fairclough 1995, Mautner 2005), und mutige Forschende aus verschiedenen Disziplinen prangern in populären Büchern die unsinnigen und krank machenden Ergebnisse an, die das Konkurrenzprinzip in Bereichen wie Gesundheit und Bildung anrichtet (Binswanger 2010, Hörisch 2013, Verhaeghe 2013). Eine komplette Umorientierung unserer ökonomischen Ziele und Logiken entwerfen Jensen und Scheub (Jensen/ Scheub 2014). Mit jeder solchen Stimme steigt der Reflexions- und Legitimationsdruck auf die hegemoniale Ideologie. Fazit: Eine vollständige Diskursanalyse fragt danach, welche Machteffekte der untersuchte Diskurs ausübt: welche Gegenstände und Subjekte er hervorbringt, welche Formen von Ungleichheit er begünstigt, mit welchen Ideologien die Herrschenden ihre Vorrechte sichern und den Zustand der Welt legitimieren. Beispielanalyse Die von uns untersuchten Managementlehrbücher sind, wie alle Lehrmittel, mächtige Dispositive, mit denen gesellschaftlich anerkanntes Wissen produziert und vermittelt wird. Ihr Stil ist geprägt von repräsentativen Äußerungen, von Behauptungen, Definitionen und klaren Abbildungen, die vermitteln: So funktioniert die Welt der Unternehmen. Für die eigenen Ansichten wird kaum argumentiert, vielmehr wird der Eindruck vermittelt, es gebe nur eine einzige Wahrheit. Alternative Sichtweisen werden schlicht ignoriert. Die Managementlehrbücher haben über ihre wissensgenerierende Funktion hinaus eine starke normalisierende Kraft. Was sie vermitteln, ist nicht nur richtig, sondern auch vernünftig und normal. Es ist normal, das eigene Unternehmen in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu rücken; normal, alles Tun und Lassen auf den wirtschaftlichen Erfolg auszurichten; normal, die Mitarbeitenden im eigenen Sinne zu manipulieren. All diese Handlungslogiken stützen sich auf einen breiten Common-Sense unhinterfragter Vorannahmen: Dass die Welt der Arbeit nach der Logik des Marktes und damit gnadenloser Konkurrenz funktioniert, dass permanentes Wachstum für das Wohlergehen der Gesellschaft unabdingbar ist, dass die physische und psychische Welt nach 220 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht dem Ursache-Wirkungs-Schema funktioniert oder dass Menschen von Natur aus eher ängstlich und veränderungsscheu sind, um nur einige zu nennen. Daneben funktioniert die Normalisierung in den Lehrbüchern vor allem über den Sachzwang-Topos und den Sein-Sollens-Schluss: Wer im harten Markt bestehen will, kommt gar nicht darum herum, so zu handeln, wie es in den Büchern geschrieben steht. Weil die Welt sich immer schneller dreht, müssen wir uns anstrengen, um nicht abgehängt zu werden. Hier kommt die grundlegende Ideologie der Managementlehrbücher zum Vorschein: Sie stützen sich allesamt auf den Topos: Die Welt verändert sich schnell, wir Unternehmen müssen darauf reagieren. Das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Umfeld wird als gegeben betrachtet, die Unternehmen als jene, die darauf lediglich reagieren. Der eigene Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen wird geleugnet: Dass man selber immer rascher neue Produkte auf den Markt wirft, eine aggressive Preispolitik betreibt, feindliche Übernahmen tätigt, die Konsumenten mit PR und Marketing manipuliert, neue Produktionsmittel einführt, mit denen Arbeitsplätze geschaffen oder vernichtet werden, politisches Lobbying betreibt. Mit der Berufung auf „Sachzwänge“, die immer von anderen geschaffen wurden, leugnen die Unternehmen ihre eigene Macht und entziehen sich systematisch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. 63 Aufgaben Aufgabe 28: Suchen Sie das Leitbild Ihrer Universität und lesen Sie es mit kritischem Blick. Erkennen Sie Bezüge zum hegemonialen ökonomischen Diskurs? Was ist Ihre Meinung zum Verhältnis von Wissenschaft, Bildung und Ökonomie? Diskutieren Sie diese Frage mit Ihren Kommilitonen. Wenden Sie das in Abschnitt 9.2 Gelesene auf Ihr Korpus an: Welche Ideologien können Sie in Ihrem Material identifizieren? Gibt es Formen sozialer Ungleichheit und Dominanz, die durch diese Ideologien gefestigt oder herausgefordert werden? Welche Machteffekte hat der von Ihnen untersuchte Diskurs in Bezug auf die Gesellschaftsstruktur und die Identität der Betroffenen? Erste Anlaufstelle für eine Analyse der Macht ist Foucault (1978, siehe auch Seier 1999). Einen Überblick über sozialwissenschaftliche Ideologiekonzepte geben Hirseland/ Schneider (2006). Von linguistischer Seite haben sich vor allem van Dijk (2011b) und Fairclough (1995, 2001) mit Ideologien beschäftigt. 9.3 Ideologie- und Gesellschaftskritik In diesem Abschnitt gehen wir der Frage nach, ob Diskursforschende, gestützt auf ihre Analyse, die untersuchten diskursiven Praktiken und Ideologien kritisieren dürfen und auf welchem wissenschaftlich-normativen Fundament dies zu geschehen hätte. 63 Auch die häufige Überarbeitung der Lehrbücher selber wird als Reaktion auf die wirtschaftlichen Veränderungen ausgegeben. Das eigene Buch wird nicht als Treiber der Veränderungen betrachtet. Die permanente Änderung der Lehrmeinungen im Management ist für die Verfasser kein Anlass zur Selbstreflexion oder gar -kritik. 221 9.3 Ideologie- und Gesellschaftskritik Wissenschaft hat heute im Verständnis der Öffentlichkeit und der Wissenschaftler selber sachlich, objektiv und neutral zu sein. Genau diese Kriterien unterscheiden sie von anderen gesellschaftlichen Systemen wie der Politik oder dem Alltagsdiskurs. Dem Ideal nach untersucht und beschreibt die Wissenschaftlerin ihr Objekt ohne persönliche Vorannahmen und Interessen, allein der Wahrheitssuche verpflichtet, sie nimmt zu ihren Ergebnissen nicht Stellung und leitet daraus keine politischen Forderungen ab. Nach allem bisher Gesagten dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass diese Vorstellung eine reine Fiktion ist. Folgende Gründe sprechen dagegen:  Wissenschaftliche Objekte liegen nicht herum und wollen nur noch beschrieben werden; vielmehr werden sie durch die wissenschaftliche Tätigkeit erst als untersuchungswürdige Objekte hervorgebracht.  Es gibt keine außerdiskursive Wahrheit aufzufinden; vielmehr bestimmen die wissenschaftlichen Prozeduren selber, was als wahr anerkannt wird.  Niemand steht außerhalb der Gesellschaft und könnte von da aus unbeeinflusst von jeglichen Interessen irgendetwas erforschen; vielmehr ist jeder eingebunden in seine diskursive Vergangenheit und Gegenwart und daher immer Partei.  Keine Theorie, keine Methode, kein wissenschaftlicher Begriff ist frei von normativen Implikationen; vielmehr enthalten Begriffe wie „Schicht“ oder „genetischer Code“ wertende Vorannahmen über die Gesellschaft bzw. den Körper. Die Ansicht, Wissenschaft könne frei von Ideologie sein, ist selber eine der mächtigsten Ideologien unserer Tage. Das gilt selbstredend auch für die Diskursforschung. Auch Diskurslinguisten, die sich selber als deskriptiv verstehen, sollten sich darüber nicht hinwegtäuschen. Auch sie wählen ihre Themen (Atomdiskurs, Migrationsdiskurs etc.) nicht nach objektiven Kriterien aus, sondern nach persönlichem Interesse und politischer Brisanz. Auch sie benützen Begriffe (Intention, kognitive Metapher) und Theorien (funktionale Pragmatik, Höflichkeitskonzepte), denen ein bestimmtes Menschenbild zugrunde liegt. Auch sie sind den eisernen Regeln der wissenschaftlichen Gemeinschaft unterworfen, die ihnen bestimmte Formen des Referierens, Schreibens, Argumentierens abverlangen und allein durch diese diskursiven Vorgaben den Raum des Möglichen und Sagbaren extrem einschränken und kanalisieren. Diskursforschende sollten also nicht zusammen mit anderen Disziplinen an der Aufrechterhaltung der Fiktion einer objektiven und neutralen Wissenschaft arbeiten, sondern sie sollten vorangehen und ihr eigenes Tun systematisch reflektieren, von der Wahl der Fragestellung über die Analysekonzepte bis hin zu den Schlussfolgerungen. Das wäre eine erste Form der Kritik, nämlich Selbstkritik. Sie steht in der Tradition von Kant, der in seinen „Kritiken“ nach den Bedingungen und Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis gefragt hat. Dieser Art der Kritik sollte eigentlich von allen Forschenden geleistet werden. Kritische Diskursanalyse zielt allerdings auf mehr. Reisigl unterscheidet drei weitere Formen der Kritik (Reisigl 2006: 483f):  Diskursimmanente Kritik: Sie zielt darauf ab, Widersprüche, Inkonsistenzen, Paradoxien und Dilemmata in den untersuchten Texten aufzuweisen, zum Beispiel fehlerhafte Argumentationen.  Sozio-diagnostische Kritik: Sie will den häufig verdeckten propagandistischen Charakter diskursiver Praktiken sowie die Interessen der Akteure offenlegen, Verantwortlichkeiten aufzeigen, ethisch fragwürdige Effekte diskursiver Praktiken bloßlegen, zum Beispiel Formen sozialer Ungleichheit und Diskriminierung. 222 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht  Prospektiv-praktische Kritik: Sie zielt auf die Verbesserung sozialer und kommunikativer Verhältnisse. Viele Diskursforschende erachten diese Art der Kritik, die letztlich auf ein politisches Engagement zielt, als wissenschaftlich nicht zulässig und mit der gesellschaftlichen Aufgabe des Wissenschaftlers nicht vereinbar. Wir sehen das anders. In den Naturwissenschaften ist es ganz selbstverständlich, nach der praktischen Anwendbarkeit der Forschung zu fragen. Keine Medizinerin studiert eine Krankheit, nur um sie zu verstehen, sondern um sie zu behandeln. Kein Bauingenieur erforscht die Gesetze der Statik um ihrer selbst Willen, sondern um stabile Brücken zu bauen. Nun sind die Forschungsergebnisse der Geisteswissenschaften selten so direkt verwertbar. Trotzdem sollten auch Geisteswissenschaftler nach der gesellschaftlichen Relevanz ihres Tuns fragen. Reine Deskriptionen sprachlicher Praktiken haben in der Regel eine geringe gesellschaftliche Relevanz. Schlimmer noch, sie tragen letztlich zur Bestätigung und damit Stabilisierung der aktuellen Verhältnisse bei. Bendel (2008) hat das am Beispiel linguistischer Werbeanalysen aufgezeigt. Eine Linguistik, die Werbestrategien lediglich nachzeichnet, wird selber Teil des gesellschaftlichen Diskurses um das gute Leben und wird zur Mittäterin bei der Verbreitung fragwürdiger Vorstellungen von Gesundheit, Schönheit, Liebe etc. Eine kritische Wissenschaft hat mehr Potenzial, gesellschaftlich relevant zu sein. Wir sehen den primären Nutzen der Diskursanalyse in der Aufklärung. Sie öffnet den Menschen die Augen für die diskursiven Verstrickungen, in denen sie immer schon leben. Wahrheiten erweisen sich als ungesichert, der Common-Sense als ideologisch, Subjekte als diskursiv zugerichtet, die Gesellschaftstruktur als historisch geworden und damit kontingent, und das heißt auch: veränderbar. Die Rekonstruktion und damit Dekonstruktion des Diskurses hat per se etwas Aufklärerisches. Schleichert (2005: 115) drückt das so aus: „Die subversive Argumentation hat nicht die Form einer externen Kritik der Art ‚Was du glaubst, ist falsch‘; sie lautet: ‚Ich zeige dir an, was du eigentlich glaubst‘.“ Insofern ist schon die deskriptive Diskursanalyse potenziell subversiv; sie zeigt auf, dass die Welt anders sein könnte. Die kritische Diskursanalyse wagt zu sagen, dass sie anders sein sollte. Aber auf welchem normativen Fundament könnte eine solche Kritik aufbauen? Viele ältere Studien aus der kritischen Diskursanalyse berufen sich bei ihrer Ideologie- und Gesellschaftskritik sehr pauschal auf Werte wie „Gerechtigkeit“ oder „Solidarität“. Das wurde zu Recht kritisiert, denn was Gerechtigkeit ist, wäre zuerst einmal selber diskursiv auszuhandeln. Beruft sich ein Wissenschaftler ohne weitere Erläuterungen auf „die“ Gerechtigkeit, maßt er sich an, am besten zu wissen, was gerecht ist (Niehr 2014). Im Folgenden entwickeln wir ein paar noch sehr provisorische Vorschläge für ein stabileres normatives Fundament für eine wissenschaftliche Kritik. Normen für eine wissenschaftlich fundierte Kritik Basis für die diskursimmanente Kritik kann letztlich nur eine Art Diskursethik sein, also klare Aussagen darüber, wie der gesellschaftliche Diskurs allgemein oder einzelne Diskurse im Besonderen beschaffen sein sollten. Eine sehr allgemeine Diskursethik hat Habermas vorgelegt. Der idealtypische, herrschaftsfreie Diskurs soll wahre Erkenntnis ermöglichen. Dazu muss der Diskurs rational sein, unter Gleichen stattfinden, alle Fragen und Problematisierungen zulassen und von authentischen Gefühlen getragen sein. Gewinnen soll allein das bessere Argument. 223 9.3 Ideologie- und Gesellschaftskritik Von einigen Diskursforschenden wurden Kriterien angemessener Argumentation entwickelt (Reisigl 2006, Fairclough/ Fairclough 2011). Zu nennen sind etwa Redefreiheit, Begründungspflicht, redliche Bezugnahme auf Gesagtes, Orientierung an Sachlichkeit, Anerkennen gemeinsamer Ausgangspunkte, Plausibilität, logische Gültigkeit oder Klarheit im Ausdruck (Reisigl 2006: 476, Anm. 16). Für spezifische gesellschaftliche Domänen wie die Politik, die Medien oder die Wirtschaft existieren jedoch praktisch keine Überlegungen, wie ein legitimer Diskurs beschaffen sein sollte, sogar für das Privatgespräch sind uns Kriterien des „guten“ Gesprächs weitgehend abhanden gekommen (Meier 2013). Eine Diskursethik zu entwickeln wäre eine spannende Aufgabe für eine normative Wissenschaft und ein großes Desiderat für eine kritische Wissenschaft. Für die sozio-diagnostische Kritik ist der Rückgriff auf vorliegende Gesetze und Kodizes der sicherste Weg für eine wissenschaftlich fundierte Kritik, weil diese nicht den persönlichen Ansichten der Forschenden entsprungen sind, sondern einen gesellschaftlichen Konsens darstellen. 64 Dabei ist es von Vorteil, wenn man sich nicht pauschal auf „die Menschenrechte“ beruft, sondern präzise darlegt, gegen welches Menschenrecht bzw. welches Gesetz eine Aussage oder ein Text verstößt. So haben zum Beispiel Bendel und Senoner (2013) mit einer rein textlinguistischen Untersuchung von Werbeanzeigen für Gesundheitspräparate nachweisen können, dass viele Anzeigen gegen die Gesetze (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Mediengesetz) und gegen den Pressekodex verstoßen, weil sie redaktionell gestaltet, nicht als Anzeigen gekennzeichnet oder mit redaktionellen Texten gekoppelt waren. Dieser Nachweis bietet eine sichere Basis für die Kritik an diesen Werbepraktiken. Neben den eigentlichen Gesetzestexten können auch Verhaltenskodizes von Berufsverbänden (wie der genannte Pressekodex), Schulen oder Unternehmen herangezogen werden. Letztlich spricht nichts dagegen, auch religiöse Schriften als Fundament für eine Kritik an diskursiven Praktiken zu Rate zu ziehen. Doch nicht für alle Normen und Werte liegen Kodizes vor. Wer eine bestimmte Aussage als verletzend, diskriminierend, unmoralisch usw. kritisieren möchte, dem bleibt nichts anderes übrig als darzulegen, von welcher ethischen oder moralischen Position aus er seine Kritik formuliert. Es ist durchaus möglich, bestimmte Aussagen in gewissen Managementtexten als menschenverachtend einzustufen, wenn ich erläutere, dass ich, ausgehend von der humanistischen Psychologie, ein positives Menschenbild habe, welches den Menschen zuerst einmal guten Willen, Aufrichtigkeit und Kooperativität unterstellt. Am schwierigsten ist eine prospektiv-praktische Kritik zu fundieren. Auch hier bleibt der Forscherin letztlich keine andere Möglichkeit als offenzulegen, aus welchen Motiven sie Diskursforschung betreibt, was sie mit ihrer Kritik bewirken möchte und wohin der Diskurs und mit ihm die Gesellschaft ihrer Ansicht nach steuern sollte. Aus unserer Sicht ist es absolut legitim, den Diskurs zur Energie oder zum öffentlichen Verkehr aus ganz persönlicher Sorge um die Umwelt und die Zukunft unserer Kinder zu analysieren und Vorschläge für alternative Denk-, Sicht- und Sprechweisen zu entwickeln. Sich als kritische Forscherin selber ideologisch zu verorten, wurde immer wieder gefordert (zum Beispiel von Pollack 2008), aber bis auf wenige Ausnahmen (zum Beispiel Mautner 2005a) nie umgesetzt. Wir haben in Kapitel 1 gezeigt, wie wir uns eine solche Selbstverortung vorstellen. Dabei wurde bereits deutlich, dass eine kritische Wissenschaft nicht nur aus dem politisch linken Lager möglich ist. Oberstes Ziel jeder Diskursanalyse 64 Allerdings einen, den oft die Mächtigen unter sich ausgehandelt haben. 224 9 Die Ebene der Gesellschaft: Analyse von Wissen und Macht ist es, eingefahrene Denkweisen aufzubrechen und zu zeigen, dass es Alternativen gibt. Da ist es unabdingbar, dass die Diskursforschenden selber weltanschaulich aufgeschlossen bleiben und voneinander keine bestimmte Gesinnung einfordern. Beispielanalyse An den untersuchten Managementlehrbüchern könnten viele Punkte kritisiert werden. Wir beschränken und auf vier:  Prozesse in und um Unternehmen werden so stark vereinfacht und auf so wenige Kausalketten reduziert, dass ein unzuläßig einfaches Bild der betriebswirtschaftlichen Realität entsteht. Das nährt die Vorstellung, Unternehmen seien im Sinne Einzelner steuerbar, und weckt Machbarkeitsphantasien bei den Lesenden.  Der eigene Einfluss auf den Güter- und Arbeitsmarkt, auf Politik, Gesellschaft und Umwelt wird systematisch heruntergespielt (siehe oben), womit die zukünftigen Manager ihrer Verantwortung für ihr Handeln entbunden werden.  In den Büchern verschwinden Menschen hinter Prozessen und abstrakten Instanzen. Wo die Menschen überhaupt auftauchen, erscheinen sie entweder als unfehlbare, zielstrebige und emotionslose Führungskräfte oder als uninformierte und ihren Emotionen ausgelieferte Mitarbeitende, die oftmals Widerstand leisten und zur Arbeit motiviert werden müssen.  Die Prinzipien des Marktes und der Konkurrenz werden an keiner Stelle in Frage gestellt, ebensowenig die Ideologie des permanenten Fortschritts und Wachstums. Unseres Erachtens könnte man auch ein anderes Bild von der Wirtschaft entwerfen: Von Unternehmen, die nicht von starren Hierarchien und massiven Lohnunterschieden geprägt sind, sondern vom lebendigen Austausch gleichwertiger Menschen. Von Mitarbeitenden, die gerne und engagiert arbeiten; die nicht Widerstand leisten, sondern mitdenken und eigene Ideen einbringen oder die Manager vor Fehlentscheiden warnen. Von Managerinnen, die verantwortlich sind für das, was sie mit ihren Entscheidungen im und außerhalb des Unternehmens bewirken. Von Unternehmen, die durch Kooperation mehr erreichen als durch Konkurrenz. Von einer Wirtschaft, die auf Existenzsicherung ausgerichtet ist statt auf ein existenzbedrohendes Wachstum. Die heutige Unternehmenswirklichkeit ist Resultat langjähriger diskursiver Aushandlungen. Wir hätten die Freiheit, einen anderen Diskurs zu beginnen und damit den Samen für eine andere Entwicklung zu legen. Aufgaben Sie haben einen gesellschaftlichen Teildiskurs untersucht, haben Deutungsmuster, Ideologien rekonstruiert. Gibt es an dem, was Sie herausgefunden haben, etwas zu kritisieren? Sollte aus Ihrer Sicht im untersuchten Gesellschaftsbereich etwas anders sein? Wenn ja: Wo wäre der politische, ethische, moralische, religiöse etc. Standpunkt, von dem aus sich berechtigte Kritik formulieren ließe? Reflektieren Sie jetzt noch einmal selbstkritisch Ihren eigenen Standpunkt. Wo würden Sie sich politisch, moralisch, ethisch, religiös verorten? Hat sich Ihre Einstellung auf Ihre Arbeit ausgewirkt, etwa auf die Wahl des Themas, der Texte, der Fragestellung und allenfalls sogar das Resultat? Legen Sie Ihre persönlichen Implikationen offen. 10 Rück- und Ausblick Zu einer vollständigen Diskursanalyse gehört, dass man den kritischen Blick auch auf die eigene Tätigkeit wirft und diese reflektiert. Was haben wir gemacht und welche diskursiven Auswirkungen hat unser Schreiben? Aus einem unstrukturierten Wirrwarr von Gelesenem, Beobachtetem, Gedachtem über ein erstes Mindmap und ein provisorisches Konzept wurde über die Monate des Arbeitens hinweg langsam ein strukturiertes Ganzes. Wir legten uns fest auf Begriffe, Definitionen, Konzepte, geteilte Überzeugungen und Interpretationen. Jetzt steht unser Konzept einer linguistischen Diskursanalyse für alle Zeiten fixiert zwischen zwei Buchdeckeln, systematisch eingeteilt in 10 Kapitel und viele Unterkapitel, angereichert mit Beispielen, die aus unserer Sicht interessant sind, und persönlich gefärbten Interpretationen. Das Lehrbuch tritt mit dem Anspruch auf, eine mehrheitsfähige Wahrheit über Diskursanalyse zu verkünden. Trotzdem bleibt es nur eine Momentaufnahme im Gewimmel der Stimmen. Wir konzentrierten uns in dieser Einführung auf das Verbindende, nicht auf das Trennende. Wir versuchten, die Arbeiten unserer Vorgängerinnen würdigend, aus den verschiedenen bereits vorliegenden Ansätzen der Diskursforschung das Gemeinsame herauszuarbeiten, und verzichteten weit gehend darauf, uns in destruktiver Weise von anderslautenden Ansichten abzugrenzen. Damit folgen wir dem Vorschlag von Czarniawska (2003: 257), Wissenschaft mehr als Konversation zu betrachten denn als Wettkampf. Des Weiteren bemühten wir uns um eine möglichst verständliche Sprache, weil wir nicht imponieren, sondern verstanden werden wollen, und weil diese Einführung nicht selber zu einem Instrument zur Selektion von Studierenden und damit zu einem Dispositiv der Macht werden soll. Dennoch wird auch dieses Buch Machtwirkungen entfalten, allein aufgrund der Tatsache, dass es als Einführung in der Reihe der narr studienbücher erscheint. Studierende werden es als Maßstab für ihre eigene Arbeit nehmen, und sie bekommen darin auch klare Definitionen, Anweisungen und Empfehlungen, wie sie Diskursanalyse betreiben sollen. Auch wir wollen eine bestimmte „Denke“ verbreiten, wie die von uns analysierten Managementlehrbücher. Das Buch entfaltet seine herrschaftliche Wirkung nicht zuletzt dadurch, dass es (wie alle Bücher) ideologisch nicht neutral ist. An einigen Stellen nehmen wir dezidiert Stellung zu gesellschaftlichen Themen, an anderen bleiben unsere Werte und Präferenzen eher implizit. Daher haben wir uns in der Einleitung vorgestellt und unsere Einstellungen offen gelegt. Zukünftige Aufgaben der Diskursforschung Die Diskursforschung erlebt zurzeit eine regelrechte Hochkonjunktur, erschließt laufend neue Themen und untersucht immer mehr Modalitäten der Wirklichkeitskonstitution wie Film, Musik oder geografische Karten. Auf folgende Punkte sollte unseres Erachtens in Zukunft noch stärker das Augenmerk gelegt werden: Die Akteure im Diskurs sollten stärker berücksichtigt werden: Anstatt nur die fertigen Texte zu untersuchen, sollte man stärker danach fragen, wer die Texte unter wel- 226 10 Rück- und Ausblick chen institutionellen, persönlichen und technischen Bedingungen produziert hat (Roth/ Spiegel 2013b). Das Materielle sollte ebenfalls mehr Aufmerksamkeit bekommen, da Gegenstände häufig die Funktion von Dispositiven haben (Spieß 2013b), die unser Wahrnehmen und Handeln in der Welt prägen. Zu denken ist an technische Geräte vom Epiliergerät bis zum 3D-Drucker, neue Kommunikationstechnologien wie GPS oder Apps, vor allem aber an die Architektur und Raumplanung. Neben den großen Themen wie Rassismus oder Atomenergie sollten vermehrt Alltagsdiskurse untersucht werden wie zum Beispiel der Verwaltungsdiskurs (Heinemann 2003) oder der Diskurs über den öffentlichen Verkehr. Alle drei genannten Punkte würden gut in die Tradition der funktionalen Pragmatik passen, die von Anfang an auf eine umfassende Institutionenanalyse zielte. Was wir uns ferner wünschen, wäre ein verstärktes Bewusstsein für die diskursive Beschaffenheit jeglicher Wissenschaft an den Universitäten. Das Wissen um die diskursive Beschaffenheit der eigenen Disziplin und ihrer Begriffe sollte zur Grundausbildung jeder Wissenschaftlerin gehören. Die naive Vorstellung, irgendjemand wisse, wie die Welt wirklich ist, und die damit verbundenen Grabenkämpfe zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften (und sogenannt nicht-wissenschaftlichen Ansichten) sollten der Vergangenheit angehören. Schließlich sollte die Diskursforschung, die mit ihrem oftmals hermetischen Diskurs auf dem besten Weg ist, zur Elfenbeinturmdisziplin zu werden, endlich mehr tun, um in der Öffentlichkeit wirksam zu werden. Erkenntnisse und Methoden der Diskursforschung sollten in gründlich vereinfachter Form in der Ausbildung an den Gymnasien Eingang finden. Diskursforschende sollten Wege finden, ihren eigenen Anspruch an Aufklärung der Gesellschaft einzulösen, und sich entsprechend neue Plattformen für die Verbreitung ihrer Erkenntnisse suchen: Science-Slams, Blogs, Zeitungsinterviews, TV-Dokumentationen usw. Nicht zuletzt ist von uns auch das konkrete politische Engagement gefordert. Lösungsvorschläge zu den Übungen Aufgabe 1: Das Kochrezept ist für 4 Personen, also für eine typische Kleinfamilie mit Eltern und zwei Kindern oder für eine Einladung mit zwei Paaren gedacht. Es wird vorausgesetzt, dass die aufgeführten Zutaten problemlos erhältlich sind, auch Fertigprodukte wie Gnocchi oder Bouillon, und dass die Zutaten inkl. Spargeln für jeden erschwinglich sind. Umfangreiche Kenntnisse werden vorausgesetzt, darunter die Abkürzungen g, TL, dl und kcal, gastronomische Fachbegriffe wie „andämpfen“ oder „ablöschen“, aber auch das Wissen, was „wenig Butter“ ist oder wie man Spargeln putzt. Man geht also davon aus, dass die Menschen heute in Kleingruppen leben und essen, in einem gut bestückten Supermarkt einkaufen können und über Grundkenntnisse im Kochen verfügen. Ferner gehen die Verfasserinnen davon aus, dass heutige Privatköche die Zusammensetzung und den Energiegehalt ihrer Nahrung streng kontrollieren und darauf achten, wie viel Eiweiß etc., insbesondere aber, wie viele Kalorien das Essen enthält. Grafisch besonders hervorgehoben werden die Begriffe „schnell“, „vegetarisch“ und „leicht“, welche den Lesenden offenbar als Schlüsselbegriffe bei der Selektion der Rezepte dienen sollen. Sie unterstellen, dass heutige Hausfrauen und -männer wenig Zeit zum Kochen haben, sich bewusst für oder gegen Fleischkonsum entscheiden und auf ihre Figur achten und darum schnelle, leichte Gerichte bevorzugen. Aufgabe 2: Wichtig ist für Ihr Vorhaben, dass Sie nicht Medientexte auswählen, in denen die Politikerinnen allenfalls zitiert werden, sondern dass Sie die originalen Verlautbarungen finden. Mögliche Kriterien wären die folgenden: Alle Regierungserklärungen, Redebeiträge im Parlament, Interviews und Einträge auf den persönlichen Webseiten (Textsorten) der Minister und Parteivorstehenden (Akteure), die innerhalb von 14 Tagen nach dem Anschlag (Zeitraum) in Deutschland / Österreich / der Schweiz (Raum) publiziert wurden. Aufgabe 3: Für dieses Vorhaben kommt praktisch nur ein offenes Korpus in Frage, da zu Beginn der Recherche nicht absehbar ist, in welchen Dokumenten man nützliche Aussagen findet und sich im historischen Verlauf auch die Auswahl möglicher Textsorten massiv verändert hat. Zuerst ist festzulegen, welche Zeitabschnitte man untersuchen will, zum Beispiel: Ancien Régime / Zeitalter Napoleons / Restauration / Kaiserreich (D) bzw. junger Bundesstaat (CH) / Jahrhundertwende / Zwischenkriegszeit / Nachkriegszeit / Jahrtausendwende. Dann sind mögliche Textsorten aufzuspüren wie Familienzeitschriften, Mädchenromane, Benimmbücher, Kontaktanzeigen, Werbeanzeigen, in jüngerer Zeit TV-Serien oder Ratgeber im Internet. Aufgabe 4: Das Leitbild ist konsequent in der Wir-Form geschrieben, also aus der Perspektive des Unternehmens. Im ersten Abschnitt wird der Eindruck erzeugt, das „wir“ stehe für alle Unternehmensangehörigen - was zu erwarten wäre, da in einem Leitbild die Verhaltensgrundsätze für alle Angestellten festgehalten sein sollen. Wenn im Abschnitt IV jedoch von Verantwortung „gegenüber“ den Mitarbeitenden gesprochen wird oder „Unsere Mitarbeitenden werden angehalten“ steht, dann ist dieser Abschnitt aus der Perspektive einer nicht näher bestimmten Gruppe von Führungskräften geschrieben. Diese notorische Mehrdeutigkeit des Pronomens „wir“ in vielen Texten der 228 Lösungsvorschläge zu den Übungen Unternehmenskommunikation lässt ein herrschaftliches Führungsverständnis erkennen, in welchem das Management einerseits mit dem Unternehmen identifiziert wird, andererseits die Macht hat, im Namen aller zu sprechen. Aufgabe 5: Nominationen für die österreichische Mannschaft: Red Bull Salzburg / die Salzburger / Mannschaft / Truppe / die Spieler / wir. Nominationen für die türkische Mannschaft: Fenerbahce / Istanbul / türkischer Vizemeister / wir. Nominationen für die Zuschauer: Zuschauer / Antreiber / die Fans. Nominationen für Einzelpersonen: Fenerbahces Mittelfeldspieler Cristian / Salzburgs Verteidiger Martin Hinteregger / Salzburgs Trainer Roger Schmidt / der Deutsche / der Slowene Kampl / Andreas Ulmer. Prädikationen für die Türken: keine. Prädikationen für die Österreicher: die bessere Mannschaft sein können / kämpfen müssen / antreten bei / auf etwas brennen / in die nächste Runde einziehen / sich auf Spiel freuen / Spaß machen / gelassen blicken. An diesem Zeitungsbericht fällt die durchgängig nationale Orientierung ins Auge. Es wird eine klare Grenze zwischen der türkischen und der österreichischen Mannschaft gezogen, mit „wir“ ist die jeweils eigene Mannschaft gemeint. Interessanterweise wird aber auch die nicht-österreichische Herkunft des Trainers und eines Spielers erwähnt. Auffällig ist, dass beim türkischen Spieler nur der Vorname, beim Slowenen nur der Nachname, bei den Österreichern jedoch Vor- und Nachname genannt werden. Abgesehen vom Eingangszitat ist der ganze Text den Österreichern gewidmet, von denen vor allem der Trainer ausführlich zu Wort kommt. Die Mannschaft wird als sehr aktiv geschildert, die auf ihren Einsatz brennt, sich sogar auf den Hexenkessel freut, zugleich aber auch gelassen ist. Wie im Fußball üblich, werden Ausdrücke des Spiels (Spiel, Spieler, gewinnen) mit solchen des Kriegs gemischt: kämpfen, Truppe, Verteidiger. Gegen Ende des Textausschnitts findet sich eine Fülle von Metaphern, die genau besehen nicht zusammenpassen: Herz in Hand nehmen, Vollgas geben, beflügeln. Aufgabe 6: Themen und Diskurse: Der Text widmet sich dem Thema Doping im Sport. Das Thema wird als Teil des politischen Diskurses behandelt (nicht des ethischen oder juristischen). Als zweites Thema kommt der ehemalige Ost-West-Konflikt zur Sprache. Wegen der Kürze des Textes wird das Thema zwangsläufig sehr oberflächlich behandelt. Auffällig ist jedoch der hohe Grad der Verallgemeinerung: Gesprochen wird von „dem“ Sport und „dem“ Westen, nicht vom Doping in einzelnen Sportarten oder Ländern. Themenentfaltungsmuster: Der Kommentar ist nicht, wie von der Textsorte her zu erwarten wäre, argumentativ aufgebaut, sondern narrativ: Er beginnt mit „Es war einmal“ bzw. „Als die Mauer noch stand“, listet in chronologischer Reihenfolge ausgewählte Ereignisse auf und endet mit der Moral von der Geschichte: „Das Märchen vom sauberen West-Sport ist Geschichte.“ Weggelassenes: Der Text erweist sich bei genauer Lektüre als ziemlich lückenhaft. Namen werden mit zwei Ausnahmen (Schäuble, Berendonk) konsequent weggelassen. So bleibt offen, welche Bundesministerien Dopingforschung in Auftrag gaben, welche Forscher was für Studien durchgeführt haben, wer den Abschlussbericht zurückgehalten hat, wer empört ist, wer seinen guten Ruf verlieren wird. Diese fehlenden Informationen schmälern die Glaubwürdigkeit des Textes. Vorausgesetztes: Der Text ist ausgesprochen voraussetzungsreich. Wer mit der Geschichte des Kalten Kriegs im Allgemeinen und der Sportgeschichte im Besonderen nicht vertraut ist, hat keine Chance, den Text zu verstehen. Implikationen gibt es zahlreiche. Der Ausdruck „Mär“ bzw. „Märchen“ impliziert Unrichtigkeit der Aussage, der 229 Lösungsvorschläge zu den Übungen Ausdruck „Ruf beflecken“ impliziert, dass der Ruf jetzt noch gut ist usw. Mit der weiblichen Gestalt mit der tiefen Stimme wird auf verschiedene Skandale angespielt, als DDR-Sportlerinnen mit so männlichem Aussehen antraten, dass ihr Geschlecht in Zweifel gezogen wurde. Der Text präsupponiert aber nicht nur Wissen um die Sportgeschichte, er geht vor allem auch stillschweigend davon aus, dass Doping schlecht ist und dass die Handlungsweise der DDR verwerflich war. Aufgabe 7: Im ersten Teil des Textes berichtet der Autor aus zweiter Hand über einen Vorfall. Die verwendeten Sprechakte sind durchwegs repräsentativ, jedoch durch die abschwächenden Ausdrücke „offenbar“ (2x) und „laut des Artikels“ klar als ungesicherte Information gekennzeichnet. Im dritten Abschnitt stellt der Autor das grundsätzliche Problem des „Ideenklaus“ vor, jedoch gerahmt als persönliche Erfahrung („in meiner Erfahrung“) und damit wiederum abgeschwächt. Der vierte Abschnitt wird eingeleitet durch die abschwächende Formulierung „ich glaube auch“, danach folgen gewöhnliche Aussagesätze. Im letzten Abschnitt wird der Autor deutlicher und unterstreicht seine Aussagen zwei Mal mit dem Verstärker „klar“. Der Text schließt mit der Etablierung einer Handlungsmaxime mit der eher schwach normativen Formulierung „sollte“. Vom Gesamteindruck her ist der Text durchaus widersprüchlich. Der Autor verleiht zwar seiner Empörung Ausdruck durch eine sehr starke Wortwahl: Es ist wiederholt von „klauen“ bzw. „Ideenklau“ die Rede, von „Dieb“, „Diebstahl“ und „stehlen“, was „geahndet“ werden sollte, schließlich werden die Täter mit der historisch belasteten Metapher der „Parasiten“ bezeichnet. Die starke Wortwahl kontrastiert aber mit den vielen abschwächenden Ausdrücken, was anzeigt, dass der Autor letztlich doch davor zurückschreckt, seine Meinung als unumstößliche Tatsache zu rahmen. Aufgabe 8: Im ersten Teil der Rezension zitiert Haarmann Evaluationen, die der Autor des besprochenen Buches vorgenommen hat. Hier dominieren moralisch negativ konnotierte Begriffe: Wollust, Völlerei etc., die mit dem religiös aufgeladenen Begriff der Todsünde belegt werden. Auch das Verb „sündigen“ stammt aus dem religiösen Diskurs, wird hier aber ins Positive gewendet: Das maßvolle Sündigen mache uns hilfsbereiter, schlauer und genügsamer. Diese drei Adjektive stammen aus dem ethischen und alltäglichen Diskurs. Im zweiten Teil arbeitet der Rezensent vorwiegend mit Adjektiven: unterhaltsam, überaus anschaulich, originell, gut nachvollziehbar, raffiniert, solid - das sind Adjektive, die vorwiegend aus dem Mediendiskurs stammen. Hinzu kommen die Metapher vom roten Faden, das Verb schmunzeln und der abwertende Vergleich mit der TV-Serie Rosamunde Pilcher. Die wohlwollende Rezension stützt sich auf die Vorstellung, dass populärwissenschaftliche Bücher zwar solide und verständlich, vor allem aber unterhaltsam sein müssen. Aufgabe 9: a) Der Autor geht davon aus, dass Tierversuche gerechtfertigt sind, wenn daraus statistisch valide Aussagen resultieren. b) Die Autoren gehen davon aus, dass die Wählenden in einer Demokratie ausschließlich egoistische Ziele verfolgen. Aufgabe 10: Merkel benützt ganz verschiedene Argumentationen. In einer Beispielgeschichte mit einem anonymen Helden wirbt sie für Zivilcourage und Hilfsbereitschaft. Mit logischen Schlüssen wirbt sie für die Politik ihrer Regierung: Um Arbeits- 230 Lösungsvorschläge zu den Übungen plätze zu schaffen, investiert Deutschland in die Forschung (final), denn Forschung schafft Arbeitsplätze (kausal). Zu mehr Mut fordert sie auf mit der Berufung auf die Autorität Demokrit. Und zu gemeinsamer Anstrengung ruft sie auf durch die Berufung auf (gemeinsame) Werte: Zusammenhalt, Ideenreichtum, Wirtschaftskraft. Alle Argumente zusammen unterstützen ihr Kernanliegen dieser Rede: ein menschliches und erfolgreiches Deutschland. Aufgabe 11: Auf allen öffentlich-rechtlichen Sendern ist das Nachrichtenstudio bewusst nüchtern eingerichtet und voll ausleuchtet. Damit soll vermieden werden, dass das Studio selber eine Botschaft aussendet (zum Beispiel durch Dekorationen, die man symbolisch deuten könnte), eine Atmosphäre von Privatheit oder Gemütlichkeit wird vermieden, und die Nachrichtensendung wird optisch von anderen Sendungen abgegrenzt. Das szenische Arrangement ist jeden Tag identisch, was für Wiedererkennbarkeit, aber auch eine gewisse Ritualität der Sendung sorgt. Die männlichen Sprecher erscheinen ausnahmslos in Anzug und Krawatte, die weiblichen in meist strengen, einfarbigen Kostümen. Die Schminke ist dezent, Schmuck ist auf den meisten Sendern untersagt. Die Gesichter beider Geschlechter sind stark gepudert, damit sie im Scheinwerferlicht nicht glänzen. Die Sprechenden stehen hinter hohen Tischen, sodass nur so viel von ihnen zu sehen ist, wie bei normaler Tischhöhe bei Sitzenden. Sie blicken direkt in die Kamera, was bei den Zuschauenden den Eindruck erzeugt, sie würden direkt angesprochen. Den Nachrichtensprechern ist es verboten, mit Armen oder Händen zu gestikulieren; ihre Unterarme sind auf dem Tisch fixiert. Diese unnatürliche Haltung wird bei genauem Hinsehen bei einigen kompensiert durch ganz kleine Bewegungen mit den Fingern, Schultern, Kopf, Augenbrauen oder Mund, mit denen der Satzakzent körperlich untermalt wird. In Bezug auf die Prosodie fallen bei einigen Sprechenden die sehr häufigen und überdeutlichen Betonungen auf, mit denen die Wichtigkeit des Gesagten unterstrichen und evtl. auch die fehlende Gestik kompensiert wird. Die gesamte Inszenierung zielt darauf ab, die Seriosität der Sendung zu betonen und alles Individuelle und den persönlichen Ausdruck bei den Präsentatoren möglichst auszuschalten. Nicht umsonst nennt man sie Nachrichten„sprecher“: Sie sollen die verbal auf Objektivität getrimmten Nachrichten lediglich verständlich vorlesen und keine eigenen Interpretationen vornehmen. Aufgabe 12: Gesprächsorganisation und Handlungskonstitution liegen zu Beginn beim Vorsitzenden R. Durch seine Aussage „fangen wir rechtsrum an“ (Zeile 14) etabliert er das Handlungsmuster Besprechung und legt gleichzeitig das Vorgehen für die ganze Besprechung fest. Danach hat M das Heft in der Hand. Sie trägt ihre Gedanken vor und stellt Fragen ins Plenum (Z 17, Z 39), die von R beantwortet werden. An einigen Stellen wird ihr allerdings das Rederecht in einer Atempause weggeschnappt, vor allem durch R, aber auch durch D, die ihre Kommentare anbringen. Beide hier besprochenen Themen werden von M eingebracht (Z 17, Z 37). Das Thema Aktionen zum Go-live wird von R ausführlich ratifiziert (Z 18), womit er sein Vorrecht, die Themenwahl mitzubestimmen, nachdrücklich unterstreicht. Als M in Zeile 31 ein Thema erneut aufgreifen will, das R als beendet betrachtet, fällt er ihr ziemlich rasch genervt ins Wort (Z 32) und vertagt das Thema explizit (Z 34). Somit liegt auch die Themensteuerung bei R. Die Bedeutungskonstitution ist vorwiegend kooperativ, teilweise aber auch konkurrierend. M fragt zuerst in die Runde, ob jemand anders Vorschläge habe (Z 17), eine 231 Lösungsvorschläge zu den Übungen Form des Hedging, bevor sie ihre Meinung äußert und deutlich verstärkt („totaler Schwachsinn“ Z 21). D zeigt mit einem Echo an, dass sie M’s Gedankengängen folgt (Z 22). Zusätzlich holt M sich explizit die Zustimmung von T ein (Z 23). Auf den ironischen Einwurf von R (Z 24) machen M, T und D gemeinsame Sache gegen R, indem sie ihn darauf hinweisen, dass immer etwas schief gehen kann. Die Frage von M in Zeile 39 wird von R und T unterschiedlich beantwortet, und es bleibt offen, wer Recht hat. Die letzten Entscheidungen werden von R getroffen (Z 30, Z 34). Insgesamt sind es also vor allem die fünf Mitarbeitenden, die sich gegenseitig unterstützen, während der Vorsitzende eher konkurrierende Ansichten äußert. Aufgabe 13: Der Kontext der Besprechung wird mehrfach thematisiert, und zwar durch M, die sich auf das Protokoll bezieht (Z 15, Z 37), und R, der die Tagesordnung anspricht (Z 18). Die Vertrautheit der Anwesenden zeigt sich darin, dass sie sich alle duzen. Gemeinsames Wissen wird in hohem Maße vorausgesetzt, etwa wenn M mit dem bestimmten Artikel auf „den“ Go-live „der“ neuen Homepage verweist (Z 17). Es handelt sich um ein Gespräch unter Insidern. Positive Höflichkeit findet sich nur an einer Stelle, wo R M lobt (Z 16). Formen negativer Höflichkeit finden sich an zahlreichen Stellen. Seinen tadelnden Einwurf „es muss“ mildert R mit einem Lachen ab (Z 20); der Vorwurf, dass die Mitarbeitenden überhaupt in Erwägung ziehen, die Aufschaltung der Homepage könnte schief gehen, wird von ihm in eine ironische Bemerkung verpackt (Z 24). Der direkte Vorwurf von M an die Adresse von R, es könne immer etwas schief gehen (Z 29), wird von M sofort wieder gutgemacht, indem sie anbietet, trotzdem eine Aktion zu machen (Z 31). Die Auskunft von R in Zeile 40 wird von T nicht als falsch bezeichnet, sondern stillschweigend korrigiert, abgemildert durch eine Pause und den Heckenausdruck „im Prinzip“ (Z 41). Insgesamt bemühen sich alle, trotz Meinungsverschiedenheiten, das Gesicht aller Anwesenden zu wahren. Aufgabe 14: Gleich zu Beginn positioniert sich M nachdrücklich als fleißige Mitarbeiterin, indem sie betont, sie habe die Protokolle aufmerksam gelesen (Z 15). Der Vorsitzende R bestätigt diese Positionierung durch ein Kompliment (Z 16). Im Weiteren positioniert sie sich als Expertin, indem sie ihre Meinung klar äußert („das geht gar nicht“ Z 23), Zustimmung einfordert (Z 23) und sogar den Vorgesetzten tadelt (Z 29). Der Vorsitzende R positioniert sich pointiert als hierarchisch höchst gestellte Person, indem er sich das Recht herausnimmt, die Äußerungen der anderen permanent zu kommentieren und bei Fragen immer als erster zu antworten. Die anderen Personen werden in diesem Abschnitt nicht positioniert. Aufgabe 15: Beim Tages-Anzeiger ist der Firmenchef während einer Ansprache in Großaufnahme zu sehen. Seine Geste scheint die Aussage zu illustrieren, dass das Auftragsvolumen sich verdoppelt hat. Abbildung und Titel sind typisch für eine personalisierte Berichterstattung: Der Erfolg und die Strategie des Unternehmens werden allein dem Chef zugeschrieben. Bei der Südostschweiz wird eine Werkhalle des Unternehmens in Halbtotale gezeigt. Man sieht das entstehende Produkt sowie arbeitende Menschen. Bild und Titel geben zu verstehen, dass der Erfolg einer des ganzen Unternehmens ist und auf die konkrete, manuelle Arbeit der Angestellten zurückzuführen ist. Aufgabe 16: Die Wirkung ist vermutlich die folgende: Je mehr an anderen Personen und Hintergrund weggeschnitten wird, desto wichtiger erscheint die Person. Zugleich 232 Lösungsvorschläge zu den Übungen wirkt das Portrait immer zeitloser, weil vom Kontext befreit. Je kleiner der Ausschnitt danach wird, umso intimer wirkt das Portrait. Wird jedoch das Gesicht angeschnitten, wirkt das Portrait unnatürlich, extravagant oder wie das eines Verbrechers. Aufgabe 19: Auf der oberen, älteren Version ist ein Ausschnitt aus einer topografischen Karte zu sehen, die in großem Maßstab, aber ausgesprochen detailreich, einen Ausschnitt der Schweiz zeigt. Die Bahnlinie ist dick und rot hervorgehoben, alle Haltestellen sind vermerkt. Die Karte ist sehr abstrakt, Farben werden kaum verwendet, die Lektüre setzt kartografische Kenntnisse voraus. Auf der unteren, jüngeren Version ist die Landschaft in einem deutlich überzeichneten 3D Panorama gemalt, in welchem nur ganz ausgewählte Ortschaften und Berggipfel angeschrieben sind, versehen mit Zeichnungen der berühmtesten Sehenswürdigkeiten wie dem Kloster St. Gallen. Die Linie der Südostbahn und die wichtigsten Städte entlang der Route sind dick und rot eingetragen, die weniger bedeutenden Haltestellen fehlen. Das Panoramabild ist realitätsnaher, farbig und setzt kaum Lesekenntnisse voraus. Diese jüngere Darstellung mag Personen entgegenkommen, die Mühe haben, die Zeichen einer topografischen Karte gedanklich zu einer Landschaft zusammenzusetzen, sie stellt im Vergleich zur älteren Version aber auch einen enormen Informationsverlust dar. An die Stelle neutraler Information über den Streckenverlauf tritt Werbung für die bekanntesten Sehenswürdigkeiten. Der Wechsel von der Karte zum Panoramabild ist typisch für die Infantilisierung und den zunehmenden Werbecharakter der öffentlichen Kommunikation („marketization“ bei Fairclough). Aufgabe 20: Auf dem Bild sieht man vier SchülerInnen, die während einer Gruppenarbeit an einem gemeinsamen Blatt arbeiten. Das Bild steht für kollektives Arbeiten und zeigt damit die aktuelle Situation an Österreichs Schulen, wo „alle gleichzeitig dasselbe lernen“, wie im Bericht bemängelt wird. Die Bildlegende versucht diese Lesart zu korrigieren, indem sie die Lesenden dazu anleitet, die SchülerInnen als ‚eigenständig‘ Lernende zu sehen - und als potenziell Begabte. Die gezeigte klassische Gruppenarbeit lässt sich jedoch nur schwer mit den im Text beschriebenen Formen der Begabtenförderung in Einklang bringen, insofern ist die Bildlegende irreführend. Der Text dominiert diesen Bericht, das Bild hat kaum eigenen Informationswert; es ist eher ein Lückenbüßer und erfüllt lediglich die Grundfunktionen aller Pressebilder, nämlich Aufmerksamkeit zu erzeugen und die Attraktivität der Lektüre zu steigern. Aufgabe 21: Der Topos, der in fast allen Redebeiträgen quer durch alle Parteien auftaucht, besagt, dass die Gewalt an Behinderten ein Tabuthema ist, dass man nicht darüber spricht, wegschaut. Ob diese Aussage stimmt, interessiert an dieser Stelle nicht, sondern was damit bezweckt wird. Die argumentative Funktion des Topos liegt darin, die Notwendigkeit der Studie zu begründen, um so den Antrag durchzubringen - was denn auch geschieht. Aufgabe 22: In diesem Text erscheinen Unternehmen als Konkurrenten, die um die Vormacht auf dem Weltmarkt streiten. Dabei kommen Kriegsmetaphern wie „Eroberung“ und „Grabenkriege“ zum Einsatz. Als Wert wird vermittelt, dass Größe und Stärke erstrebenswert sind und von den Aktionären belohnt werden. In krassem Gegensatz dazu steht die zweite Metapher, die aus dem Metaphernkomplex „Familie“ stammt. Wie häufig bei Fusionen ist von einer „Hochzeit“ die Rede, so wie Unternehmen gerne 233 Lösungsvorschläge zu den Übungen als „Mutterkonzerne“ und „Töchter“ bezeichnet werden. Diese Metaphern evozieren einen ganz anderen Rahmen und Wertekanon wie Liebe, Vertrauen, gegenseitige Abhängigkeit und Verpflichtung. Aufgabe 23: Die Anzeige von 1930 ist sehr klein und besteht aus nur zwei Sätzen. Inseriert wird unter einer Chiffre, womit der Arbeitgeber anonym bleibt. Die Formulierung entspricht der damaligen Konvention: Gesucht wird A mit den Eigenschaften B und den Fähigkeiten C. Die Gesuchten werden in der 3. Person beschrieben und nicht direkt angesprochen. Das Geschlecht ist festgelegt. Gegenleistungen werden keine in Aussicht gestellt. Es wird genau angegeben, welche Unterlagen der schriftlichen „Offerte“ anzufügen sind. Die Stellenanzeige von 2014 ist wesentlich größer und weist den heute gebräuchlichen Aufbau auf: Unternehmensbeschreibung, Berufsbezeichnung, Aufgaben, Anforderungen, Gegenleistungen, Kontaktangaben. Der Arbeitgeber ist bekannt und stellt sein Unternehmen positiv dar. Die Gesuchten, Männer oder Frauen, werden direkt angesprochen. Die Anforderungen sind euphemistisch formuliert: die Gesuchten „können“ ihre fachlichen Qualitäten „einbringen“ und „sind“ sympathische Fachmitarbeiter. Eine Kontaktperson wird namentlich angegeben und man „möchte“ die Bewerber „gerne“ kennen lernen. Die Inserentin von 1930 gibt lediglich knapp bekannt, dass eine Stelle frei ist, und listet klar auf, was die Gesuchte können muss. An den Bewerberinnen liegt es, ihre Arbeitskraft inkl. Lohnvorstellung zu offerieren. Die Beziehung wird als reine Transaktion von Arbeitskraft gegen Lohn dargestellt, und das, obwohl die „Tochter“ vermutlich im Haushalt der Arbeitgeberin wohnen wird, die Beziehung somit eine sehr enge sein wird. Arbeit ist nicht mehr als eine Notwendigkeit für tüchtige Personen. Die Inserenten von 2014 schreiben nicht eine Stelle aus, sondern werben um Personal, indem sie das eigene Unternehmen, die Arbeit und die Gegenleistungen in den höchsten Tönen preisen. Die zukünftigen Mitarbeitenden scheinen von der Stelle nur profitieren zu können, während Forderungen seitens des Unternehmens euphemistisch verbrämt werden. Die Arbeitswelt erscheint als Ort, an welchem hervorragend ausgebildete, charakterlich einwandfreie Menschen mit Freude und Engagement perfekte Produkte herstellen. Stellenanzeigen sind Werbetexte geworden, die die realen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt systematisch verschleiern. Aufgabe 24: Die Vorgesetzte definiert ihre Rolle in den Gesprächsschritten 3, 5 und 7 nachdrücklich als jene des Coaches, der die Mitarbeiterin darin unterstützt, ihre Terminvereinbarungen am Telefon zu verbessern. Im Verlaufe des Gesprächs übernimmt sie jedoch die Rolle der Instruktorin, die der Schülerin vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen hat. Dadurch, dass die Vorgesetzte längere Monologe hält und der Mitarbeiterin sehr konkrete, teilweise geschlossene Fragen stellt, reduzieren sich deren Äußerungen häufig auf Ratifizierungen und knappe Anworten. Weiter gehende Handlungsmöglichkeiten werden von ihr kaum ergriffen. Die Vorgesetzte führt einen klassischen sokratischen Dialog, bei welchem auf der Gesprächsoberfläche die „Lösungen“ vom Schüler formuliert werden, die Fragen jedoch so gestellt werden, dass nur die vom Lehrer anvisierte Antwort gegeben werden kann. Ziel der ganzen Instruktion ist, der Mitarbeiterin bis ins Detail vorzuschreiben, was sie sagen darf und was nicht. Von einem Coaching, bei welchem die Mitarbeiterin ihre eigenen Problemlösungsstrategien entwickelt, kann keine Rede sein. 234 Lösungsvorschläge zu den Übungen Aufgabe 25: Von Urlaubsfotos einmal abgesehen, werden die königlichen Familien in einer, maximal zwei Reihen aufgestellt, in repräsentativen Räumen oder auf Balkonen, und frontal von vorne aufgenommen. Sie tragen festliche Anzüge und oft bodenlange Kleider, manchmal dekoriert mit Schärpen oder Orden, in seltenen Fällen eine Krone. Diese Darstellung folgt Konventionen, die Jahrhunderte zurückreichen, weit in die Zeit vor der Fotografie. Die Bilder drücken neben Macht, Reichtum, Traditionsbewusstsein und Eleganz auch den Familiensinn der Royals aus. Die abgebildeten Kinder stehen für die Konstanz der Dynastie. Die Bilder haben die politische Funktion, die Idee der konstitutionellen Monarchie zu vergegenwärtigen und die selbst in demokratischen Zeiten andauernde Bedeutung des Adels zu unterstreichen. In gesellschaftlicher Hinsicht dienen die königlichen Familien als Vorbilder für die bürgerliche Familie, als nationale Identifikationsfiguren und manchmal auch als Stilikonen für gehobene Mode. Aufgabe 27: Bei aller Verschiedenheit der Positionen gehen alle Schreibenden davon aus, dass Menschen starke sexuelle Bedürfnisse haben und dass unvereinbarte Seitensprünge verletzend sind. Diese Überzeugungen stellen den Common-Sense dar. Alle drei glauben auch zu wissen, dass Treue nicht selbstverständlich ist. Carolina lehnt zwar Majas Begründung mit der „Natur“ des Menschen ab, findet jedoch auch, dass Treue eine Willensanstrengung bedeutet. Die semantische Kampfzone besteht in der Frage, wie man mit der Unvereinbarkeit von sexueller Lust und dem Wunsch nach Treue umgeht, ob man in beidseitigem Einverständnis fremd gehen darf oder das besser bleiben lässt. Hotel Papa stützt sich dabei auf einen argumentativen Topos: der Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis. Aufgabe 28: Allein die Existenz eines Leitbildes ist Ausdruck dafür, dass die Universitäten sich heute als Unternehmen verstehen und nach Managementprinzipien organisieren. In vielen Leitbildern ist eine Orientierung am Wettbewerbsprinzip zu erkennen. Im Leitbild der Universität Klagenfurt steht zum Beispiel: „Die an der AAU erbrachten Forschungsleistungen sollen international sichtbar und wettbewerbsfähig sein, unsere (Nachwuchs-)WissenschaftlerInnen sollen im internationalen Wettbewerb, z.B. um wissenschaftliche Positionen und Forschungsmittel, bestehen können.“ 65 Ferner findet sich eine Ausrichtung auf Wachstum in irgendeiner Form: Mehr Studierende, mehr Forschungsgelder, mehr Wirtschaftspartner zu akquirieren. Im Leitbild der Universität Heidelberg heißt es: „Die Universität Heidelberg will ihre guten Kontakte … zu ihren Partnern in der Wirtschaft weiter ausbauen, um zusätzliche ideelle und materielle Unterstützung für ihre Belange zu gewinnen. … Sie wird ihre Anziehungskraft für herausragende ausländische Forscher und Studierende weiterhin erhöhen und ihre internationalen Netzwerke ausbauen“. 66 Ratings, Rankings, Exzellenzinitiativen zielen in dieselbe Richtung. Aus unserer Sicht ist es sehr fraglich, ob Wachstum und Wettbewerb die richtigen Maßstäbe für Bildung und Wissenschaft sind. 65 Abzurufen unter http: / / www.uni-klu.ac.at/ main/ inhalt/ 42800.htm (Zugriff 17.12.2014). 66 Abzurufen unter http: / / www.uni-heidelberg.de/ universitaet/ profil/ leitbild.html (Zugriff 17.12.2014). Literaturverzeichnis Abell, Jackie/ Myers, Greg. 2008. Analyzing Research Interviews. In: Wodak, Ruth/ Krzyzanowski, Michal (Hrsg.): Qualitative discourse analysis in the social sciences, S. 145-161. 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