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Würzburger Humanismus

2015
978-3-8233-7898-3
Gunter Narr Verlag 
Thomas Baier
Jochen Schultheiß

In diesem Band wird das kulturgeschichtliche Phänomen des Humanismus an dem geographisch definierten Paradigma Würzburgs und seines Umlands untersucht. Mögen die Gelehrten unterschiedlichen Herrschaften, Nationalitäten, Konfessionen und Geschlechtern angehören, haben sie doch teil an einer überwölbenden res publica eruditorum, die die Trennlinien durch die Gesellschaft überwindet. Dieser Prozess vollzieht sich einerseits auf der Ebene der Akteure, etwa durch persönliche Netzwerke, andererseits im Bereich der literarischen Produktion über intertextuelle Bezüge. Voraussetzung dafür ist der den Humanismus begründende, von allen Mitwirkenden gepflegte Rückbezug auf die Antike. Die Beiträge zeigen auf, dass Unterfranken mit seinem Hauptort Würzburg eine Kernregion des deutschen Humanismus darstellte, von der eine auf ganz Europa wirkende Strahlkraft ausging. Der Band leistet einen wichtigen Schritt zur Erschließung der editorisch und interpretatorisch größtenteils noch unbearbeiteten Textcorpora fränkischer Humanisten.

herausgegeben von Thomas Baier und Jochen Schultheiß Würzburger Humanismus Neo L atina Würzburger Humanismus Herausgegeben von Thomas Baier, Wolfgang Kofler, Eckard Lefèvre und Stefan Tilg in Verbindung mit Achim Aurnhammer Neo L atina 23 Würzburger Humanismus herausgegeben von Thomas Baier und Jochen Schultheiß Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 1615-7133 ISBN 978-3-8233-6898-4 Inhalt Vorwort ………………………………………………………………………...…vii Sinapius John L. Flood Johannes Sinapius und seine Beziehungen zu den Buchdruckern seiner Zeit …………………………………………………………1 Celtis Martin Korenjak Deutschland als Landschaft. Konrad Celtis und der Herkynische Wald …………………………...………...19 Thomas Gärtner Der strukturelle Aufbau der Amores des Konrad Celtis vor dem Hintergrund antiker Vorbilder ………………...………………………………..37 Tobias Dänzer Die Konzeption des Bürgers zwischen Kulturgeschichte und Charakterstudie in der Norimberga des Konrad Celtis ..............………………47 Manuel Huth Fortschrittsoptimismus und -pessimismus: Celtis, Oden 3, 8 und 3, 9 …...…………………………………………………….65 Florian Hurka Ein Kunstprojekt zu beiderseitigem Nutzen: Das Werben von Konrad Celtis um Albrecht Dürers Philosophia-Holzschnitt (Epigr. 5, 67) ………………………...77 Eike Martin Fleischer Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum ……………………………………..87 Trithemius Klaus Arnold Curiositas regia. Johannes Trithemius (1462-1516) in seinen Beziehungen zu König Maximilian I. und sein Beitrag zur Kryptographie ………………………………….…………………………...101 vi Inhalt Maximilian Gamer Die Polygraphia des Johannes Trithemius. Zwei Fassungen eines frühneuzeitlichen Handbuchs zur Geheimschrift ……………………………121 Sandrine de Raguenel Johannes Trithemius - Paul Volz : entre autorité et querelle scientifique ...………………………………………..143 Scintilla - Cuspinian - Johannes Butzbach Iris Sticker Engelhard Funck statt Martial? Scintillas Epigramme vor dem Hintergrund der antiken Tradition ………………………………….159 Péter Kasza Cuspinians Oratio protreptica und ihr Echo in Ungarn ……………………….175 Nienke Tjoelker Johannes Butzbachs Odeporicon zwischen populärer Literatur der Volkssprache und humanistischer Gelehrsamkeit ………………………185 Lotichius - Schede Gregor Vogt-Spira Ein poetisches Manifest in einer humanistischen Debatte. Petrus Lotichius Secundus und die Wirklichkeitsnachahmung der Dichtung ...…………………………………………………………………..195 Thorsten Burkard Frühbarocker Manierismus? Zu Poetologie und poetischer Praxis in den Schediasmata des Paulus Schedius Melissus …………………………...209 Jochen Schultheiß Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede: Zu drei Epithalamien in den Schediasmata …………………………………….245 Reinhard Düchting Tod in Heidelberg ……………………………………………………………….269 Allgemeiner Index ...…………………………………………………………….275 Stellenindex ………………………………...……………………………………285 Vorwort Der Renaissance-Humanismus ist eine Bildungsbewegung, die den Menschen über die sozialen und räumlichen Bedingungen seiner Herkunft erhebt. Ein neues kosmopolitisches Denken schlägt sich nicht zuletzt in einer erstaunlich hohen Mobilität nieder, die die Lebenswege vieler Humanisten auszeichnet. Diese erstrecken sich häufig über mehrere europäische Länder. Es versteht sich deshalb, dass das regionale Band, das die Humanistenpersönlichkeiten eint, selbst dort, wo Lehrer-Schüler-Verhältnisse bestehen, nur ein loses ist, dass es bei dem vorliegenden Band folglich nicht um Würzburg geht, sondern um Humanisten, die dort zum Teil bis heute sichtbare Spuren hinterlassen haben. Schließlich kennzeichnet gerade die hier behandelten Autoren die akademische Wanderschaft ebenso wie ein europäischer Horizont. Paulus Melissus Schede etwa, der aus Mellrichstadt stammte, wurde von seinen Eltern ins lutherische Sachsen zur Erziehung geschickt und fand dort, in Zwickau, sein Cygnea, seinen Schwanenort. Mit dem genialischen Schwan in der Tradition Pindars sah er sich im Übrigen hinreichend durch seinen Nachnamen Schede (oder Schad) verbunden, den er auf schedion, Stegreifgedicht, zurückführte und damit dem Eindruck Vorschub leistete, seine sorgfältig ausgearbeiteten Gedichte seien einer poetischen oder eben pindarischen Ader entsprungen. Alle hier behandelten Humanisten haben Wanderbiographien und sind erst dadurch geworden, was sie sind. Gleichwohl entsteht in ihrer Zusammenschau so etwas wie das kulturelle Gepräge einer Region, und man ist berechtigt, die Landschaft, die heute ungefähr durch den Bezirk Unterfranken zusammengefasst wird, ebenso wie die Reichsstadt Nürnberg oder den Oberrhein zwischen Basel und Straßburg als humanistische Kulturlandschaft zu bezeichnen. Hervorgebracht hat diese Gegend am Main den für die Entwicklung eines deutschen Nationalbewusstseins und die literarische Erfassung des Zeitgeistes so bedeutsamen Dichter Konrad Celtis 1 , den Vermittler zwischen französischer Pléiade und deutscher Barockdichtung Paulus Melissus Schede, 2 aber auch den wortmächtigen Diplomaten Johannes Cuspinianus 3 oder den volkssprachliche Tradition und Humanismus verbindenden Johannes Butzbach. 4 Von hier stammt Engelhard Scintilla, der Martial ein humanistisches Gewand zu verleihen bestrebt ist, in manchen Gedichten jedoch auch 1 Beiträge Korenjak, Gärtner, Dänzer, Huth, Hurka, Fleischer. 2 Beiträge Burkard, Schultheiß. 3 Beitrag Kasza. 4 Beitrag Tjoelker. viii Vorwort nichts von der Derbheit des antiken Epigrammatikers vermissen lässt. 5 Gewirkt haben in Würzburg der für die zeitgenössische Geschichtsschreibung so bedeutsame Abt Johannes Trithemius, der sich über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit Kaiser Maximilian austauschte, 6 der Arzt Johannes Sinapius mit seiner regen Publikationstätigkeit, 7 die gebildete Italienerin Olympia Fulvia Morata und der Arzt und Literat Johannes Posthius. 8 In dieses Umfeld gehört schließlich der durch seine ausgefeilte Poetik bestechende Petrus Lotichius. 9 Mit solch namhaften Vertretern der Geistesgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts erweist sich Würzburg mit seinem Umland als besonders ergiebig, wenn es darum geht, das kulturgeschichtliche Phänomen des Humanismus an einem geographisch definierten Paradigma zu untersuchen. Dieser methodische Ansatz erlaubt es, die intellektuelle Bewegung des Humanismus in der Beziehung zur historischen Lebenswelt ihrer Träger plastisch zu machen. Mögen die behandelten Gelehrten auch unterschiedlichen Herrschaften, Nationalitäten, Konfessionen und Geschlechtern angehören, haben sie doch teil an einer überwölbenden res publica eruditorum. Diese wirkt auf der Ebene der Akteure durch persönliche Netzwerke, etwa zwischen Druckern und Schriftstellern oder Lehrern und Schülern, einheitsstiftend. Kohärenz wird aber auch im Bereich der literarischen Produktion durch intertextuelle Referenzen oder durch Adressatenbezug geschaffen. Voraussetzung dieses Diskurses ist der den Humanismus begründende, von allen Mitwirkenden gepflegte Rückbezug auf die Antike. Hierdurch können die scharfen Trennlinien, die die zeitgenössische Gesellschaft durchziehen, zumindest teilweise überwunden werden. Der vorliegende Tagungsband soll einen wichtigen Schritt zur Erschließung der editorisch und interpretatorisch noch größtenteils unbearbeiteten Textcorpora fränkischer Humanisten tun. Die hier versammelten überarbeiteten Vorträge wurden auf dem 15. Neulateinischen Symposium NeoLatina vom 11. bis zum 13. Juli 2013 in der Würzburger Residenz gehalten. Die Reihe hat sich mit diesem Symposium ihrerseits auf eine Peregrinatio Academica begeben, indem sie von ihrem Ort des Entstehens in Freiburg an den Main gewandert ist. Auch am neuen Austragungsort hat die Stiftung Pegasus Limited, St. Gallen, der Tagung ihre großzügige und wohlwollende Förderung zukommen lassen. Sie war ebenso Mitveranstalterin wie das Ludwig-Boltzmann-Institut für Neulateinische Studien, das seinerseits einen substantiellen finanziellen Beitrag geleistet hat. Aufgrund des regionalen Schwerpunkts beteiligte sich auch der Bezirk Unterfranken und trat als Mitveranstalter auf. Schließlich durften die Organisatoren 5 Beitrag Sticker. 6 Beiträge Arnold, Gamer, de Raguenel. 7 Beitrag Flood. 8 Beitrag Düchting. 9 Beitrag Vogt-Spira. Vorwort ix noch auf Unterstützung durch den Universitätsbund Würzburg zurückgreifen. Ohne die vielfältige Mitwirkung der Sponsoren hätte die Tagung nicht stattfinden können. Dank gebührt schließlich dem Gunter-Narr-Verlag und seinem Lektor Tillmann Bub, der die Reihe in bewährter Manier betreut. Unter den Helfern dieses Bandes ist Caroline Weber besonders zu erwähnen, die mit großer Umsicht die Indices erstellt hat. Würzburg, im Januar 2015 Th.B. und J.S. John L. Flood (London) Johannes Sinapius und seine Beziehungen zu den Buchdruckern seiner Zeit Als Auftakt zu einer Tagung zum Thema „Würzburger Humanismus“ dürfte sich ein Beitrag über Johannes Sinapius besonders gut eignen, denn anders als etwa Konrad Celtis und Johannes Cuspinian, die ebenfalls aus dem mainfränkischen Raum stammten, ihre Tätigkeit jedoch in anderen Gegenden - etwa in Wien - entfalteten, war dieser Humanist wenigstens für einige Jahre eng mit der Stadt Würzburg verbunden. Er lebte auf der Festung Marienberg und starb auch hier und wurde im Würzburger Dom beigesetzt. Johannes Sinapius - oder wie er deutsch hieß: Johannes Senff - wurde am 12. Dezember 1505 in Schweinfurt geboren. Zu Ostern 1520 ließ er sich zusammen mit zwei anderen jungen Männern aus Schweinfurt in Erfurt immatrikulieren; zu seinen dortigen Lehrern gehörte Eobanus Hessus (1488-1540) und unter seinen Studiengenossen waren Joachim Camerarius (1500-1574) und Jacob Micyllus (1503-1558), mit denen er zeitlebens befreundet blieb. Von Erfurt ging er nach Leipzig, wo er im Juli 1523 Baccalaureus wurde. Vom Mai 1524 bis 1526 setzte er sein Studium bei Philipp Melanchthon und Simon Grynäus in Wittenberg fort, aber Ende September 1526 befand er sich in Heidelberg. Am 6. August 1527 wurde er hier zum Magister promoviert. 1528 erschien seine erste bekannte Veröffentlichung: die sogenannte Defensio eloquentiae, die im Rahmen einer von Christoph Hegendorff veranstalteten Edition von Ciceros De partitione oratoria dialogus erschien. Am 5. Mai 1529 erhielt er in Heidelberg eine Professur für Griechisch, aber schon im Herbst 1531 gab er die Stelle aus Missmut auf - seine Unzufriedenheit hatte er bereits Mitte Februar 1530 in einer später gedruckten Universitätsrede zum Ausdruck gebracht, seiner ersten selbständigen Publikation, Adversus ignaviam. Er kehrte Heidelberg den Rücken und begab sich über Straßburg und Basel nach Pavia, wo er Medizin studierte, aber schon am 1. Juli 1533 finden wir ihn in Ferrara, wo er auf Empfehlung von keinem Geringeren als Erasmus das Medizinstudium beim berühmten Arzt Giovanni Manardi (1462-1536) fortsetzte. Dieser Fachwechsel - von Griechisch zur Medizin - mag uns vielleicht etwas verwunderlich vorkommen, aber wir müssen bedenken, dass damals die Beherrschung des Griechischen zum unabdingbaren Fundament des Medizinstudiums gehörte. Das geht sehr deutlich aus einem Brief von Johannes Oecolampadius (1482-1531) hervor. Am 11. April 1529 schrieb Oecolampadius an Simon Grynäus in diesem Sinne: Wir möchten dich als Professor für Griechisch in Basel haben, aber nur so lange in dieser Eigenschaft, bis du einen John L. Flood 2 Nachfolger ausgebildet hast. Dann kannst du die Professur für Medizin übernehmen und über die griechischen Originaltexte von Galen, Hippocrates und anderen hervorragenden Autoren Vorlesungen halten. 1 Am 23. Juni 1535 wurde Sinapius zum Doktor der Medizin in Ferrara promoviert und am 18. Oktober erhielt er dort eine Dozentenstelle für Medizin. In dieser gefälligen Stadt wurde das Herzogspaar, Ercole II. d‘Este (1508-1559) und dessen Gattin Renée (1510-1574), Tochter von Louis XII. von Frankreich, bald auf ihn aufmerksam, und im Laufe des Jahres 1536 wurde er zum Leibarzt der Herzogin bestellt. Zu dieser Zeit erwog Sinapius bereits eine Rückkehr nach Deutschland - im Juni 1537 wurde ihm eine Professur für Medizin an der Universität Tübingen angeboten -, aber er konnte sich noch nicht dazu entschließen. Aus Ferrara pflegte er Kontakte mit wichtigen Männern in der Heimat, z. B. mit dem Ingolstädter Arzt Johannes Peurle, genannt Agricola Ammonius (1496- 1570), der Professor der griechischen Sprache in Ingolstadt war, ehe er 1531 ebendort zum Professor der Medizin aufstieg. In der epistola nuncupatoria an Philipp von der Pfalz, Fürstbischof von Freising, in der Ausgabe von Hippocratis Coi medicinae et medicorum omnium principis aphorismorum et sententiarum medicarum libri septem, [Ingolstadt? ]: August 1537 (Paris BNF: 4-TD6-8), S. 8, erwähnt Peurle, wie De quo etiam uir humanissimus Ioannes Sinapius ad nos priuatis literis è Ferraria ita scribit [...]. Im Jahr 1538 heiratete Sinapius Françoise de Bucyron, eine Hofdame aus der Umgebung der Herzogin; 2 die Trauung wurde von Johannes Calvin (1509-1564) vorgenommen - am Hofe in Ferrara versammelten sich ja zahlreiche Anhänger der Reformation. Ab 1541 wurde Sinapius der Unterricht junger Damen am Hofe anvertraut, und zwar der zehnjährigen Anna d‘Este (1531-1607), der Tochter des Herzogspaars, und deren Gefährtin, der fünfzehnjährigen Olimpia Fulvia Morata (1526-1555), der begabten Tochter des Humanisten Fulvio Pellegrino Morato. 1543 wurde Sinapius‘ Tochter Theodora geboren. In den Jahren 1543-45 machte er wiederholt Versuche, einen geeigneten Posten in Deutschland zu finden. Unterdessen wurde er unter nicht näher bekannten Umständen von Kaiser Karl V. in den Adelstand erhoben. 1546 gelang ihm die Anstellung als Leibarzt von Melchior Zobel von Giebelstadt (1505-1558), der 1544 Fürstbischof von Würzburg geworden war, aber die Abreise von Ferrara verzögerte sich und Sinapius traf erst im Juni 1548 in Würzburg ein. Es mutet schon etwas eigenartig an, dass Sinapius, der schon deutlich der Reformation anhing, in den Dienst eines katholischen Bischofs trat; möglicherweise verdankte er die Anstellung u.a. seiner langjährigen Freundschaft mit Camerarius, der seit der gemeinsamen Studienzeit in Erfurt mit dem Würzburger Domherrn Daniel Stiebar (1503-1555) befreundet war. Der Vertrag mit dem Bischof galt zunächst für 1 Flood / Shaw 1997, 70. 2 Zu den Franzosen und Französinnen am Hofe in Ferrara s. Guy 1926, 206-7. Françoise de Bucyron bezeichnet er (Abs. 295) als „une jolie et gaie Provençale“, die, in jungen Jahren von Luthers Lehre angezogen, über Straßburg nach Ferrara geflohen war. Johannes Sinapius 3 fünf Jahre; danach sollte er jährlich erneuert werden. Als Gegenleistung erhielt er freie Kost und Verpflegung auf dem Marienberg, darüber hinaus eine Zuteilung von Hafer (wohl für sein Pferd) und 250 Gulden jährlich, steuer- und abgabenfrei. Er hatte auch genügend Freizeit, seinen Studien nachzugehen, und hier verfasste er zum Beispiel einen Beitrag über Schweinfurt für die 1550 erschienene Cosmographia seines früheren Heidelberger Kollegen Sebastian Münster. Doch Sinapius erlebte schwere Schicksalsschläge in diesen Jahren: seine geliebte Frau Françoise verstarb am 28. Juni 1553; am 26. Oktober 1555 verschied seine Freundin Olimpia Morata wohl an Tuberkulose in Heidelberg; und kurz darauf entdeckte er in Würzburg den Gedenkstein auf seine Eltern, der 1554 aus dem im sogenannten Markgrafenkrieg verwüsteten Schweinfurt entwendet worden war. Am 15. April 1558 musste er das erfolgreiche Attentat auf Melchior Zobel am Südende der alten Mainbrücke miterleben - eine Gedenksäule markiert heute noch die Stelle. 3 Das Attentat wurde in einem zeitgenössischen Holzschnitt geschildert und beschrieben, der zeigt, wie der Bischof in Sinapius‘ Armen verstarb. 4 Es ist das einzige Sinapiusbild, das wir kennen, aber leider handelt es nur um eine schematische Phantasiedarstellung und keineswegs um ein realistisches Porträt. In seinem letzten Lebensjahr erreichte Sinapius die Nachricht vom Tode seines Lehrers Philipp Melanchthon. Ein einziger Lichtblick in dieser Zeit war die Verheiratung seiner geliebten Tochter Theodora, inzwischen siebzehn geworden, mit dem Juristen Christoph Elephantus. Sinapius selbst starb wenig später, am 13. Dezember 1560; er wurde im Dom St. Kilian zu Würzburg beigesetzt. Nach diesem Überblick über den Lebensgang und die äußeren Umstände von Sinapius‘ Leben wenden wir uns jetzt dem eigentlichen Thema dieses Beitrags zu: Sinapius‘ Beziehungen zu Buchdruckern seiner Zeit. Obwohl Sinapiusʼ eigene Veröffentlichungen an Zahl und Bedeutung gering sind, ist es dennoch interessant zu sehen, wie er mit einer Reihe von Verlegern und Druckern vernetzt war. Sinapius und Johannes Setzer Wir beginnen mit seinen Beziehungen zu Johannes Setzer. Sinapius scheint mit dem wesentlich älteren Setzer gut befreundet gewesen zu sein. Setzer wurde 1478 in Lauchheim an der Jagst in Württemberg geboren. Nach dem 3 Siehe Bauer 1998. 4 Der Holzschnitt, aus dem Werkstatt von Martin Seger, gedruckt ohne Jahresangabe in einem beim Nürnberger Verleger Wolffgang Strauch erschienenen Einblattdruck, befindet sich im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. Abgebildet in Wendehorst 1981, Abb. 171. Siehe auch Hirsch 2005. John L. Flood 4 Studium in Tübingen heiratete er die Tochter des berühmten Tübinger Druckers Thomas Anshelm, und schon 1516 übersiedelte er mit seinem Schwiegervater nach Hagenau bei Straßburg. Ein merkwürdiges Zwischenspiel war es wohl, dass Setzer 1522 als Vierundvierzigjähriger nach Wittenberg ging, um Medizin zu studieren. Er kehrte aber schon Ende März 1523 nach Hagenau zurück, wo er die Presse seines Schwiegervaters übernahm. Bereits 1518 war Setzer von Franciscus Irenicus als bedeutender Förderer des Griechischen gepriesen worden, und 1526 nannte ihn Luther einen „tüchtigen Drucker“, doch zwei Jahre später kritisierte Eobanus Hessus die Qualität seiner Drucke. Es sind von ihm fast zweihundert Drucke bekannt, vorwiegend auf Latein und je zur Hälfte reformatorische und humanistische Schriften. 5 Was nun Sinapius‘ Beziehung zu Setzer betrifft, so lässt sich nicht genau feststellen, wie es dazu kam. Während Setzers kurzer Studienzeit in Wittenberg kann sie nicht zustande gekommen sein, denn Sinapius war damals noch Student in Leipzig. Zu Setzers Freunden gehörte jedoch Philipp Melanchthon, und es ist schon denkbar, dass dieser den jungen Sinapius auf Setzer aufmerksam machte, als Sinapius in Wittenberg studierte. 6 Aber auch ein anderer Faden verbindet Sinapius und Setzer. Zu der Zeit, als Sinapius in Leipzig studierte (1523-24), war Rektor der Universität Christoph Hegendorff. Hegendorff, nur fünf Jahre älter als Sinapius, hatte - wie Sinapius auch - bei Petrus Mosellanus in Leipzig Griechisch gelernt, und so ist es wohl zu erklären, dass Sinapius seine erste bekannte Veröffentlichung, die sogenannte Defensio eloquentiae, den Aufsatz mit dem Titel Literarum profanarum studium nec impium nec inutile esse Christianis adolescentibus, („Dass das Studium der heidnischen Literatur für junge Christen weder gottlos noch unnütz ist“) (VD16 S 6576), in Hegendorffs kommentierte Ausgabe von Ciceros De partitione oratoria dialogus (VD16 C3513) unterbringen durfte. 7 Diese Ausgabe erschien nicht in Leipzig, sondern 1528 bei Johann Setzer im fernen Hagenau, zu einem Zeitpunkt also, als Sinapius bereits in Heidelberg seinen Magister gemacht hatte. Hegendorff ließ bereits 1527 Melanchthons Dialectica (VD16 ZV 10662), 1528 S. Marci Evangelion cum adnotationibus (VD16 H1115 ) und 1529 auch seine In actiones Verrinas et in topica Marci Ciceronis adnotatiunculae (VD16 H1195) ebenfalls bei Setzer erscheinen. Warum diese Drucke im fast sechshundert Kilometer von Leipzig entfernten Hagenau erschienen, ist nicht sofort ersichtlich, aber Setzer und Hegendorff waren offenbar fest miteinander verbunden. Wie dem auch sei, durch diesen ersten Kontakt mit Setzer kam es wohl zustande, dass Sinapius seine erste selbständige, in Heidelberg entstandene Publikation, die Rede Adversus ignaviam et sordes eorum, qui literas humaniores negligunt aut contemnunt, eo quod non sint de pane lucrando, („Gegen die Trägheit und Gemeinheit 5 Zu Setzer s. Steiff 1892 und 1893; Wolkenhauer 1998; Reske 2007, 321-322. 6 Über Setzers Verhältnis zu Melanchthon s. Wolkenhauer 2002, 262-270. 7 Im Druck sind außerdem noch enthalten: Oratio Isocratis aduersus Sophistas (VD16 I555) und: Dialogus Luciani, cui titulus est, Harmonides (VD16 L2988). Johannes Sinapius 5 derer, die die Literatur vernachlässigen und verdammen, weil sie dem Broterwerb nicht dienlich sei“), vom Februar 1530 ebenfalls bei Setzer drucken ließ 8 - schließlich gab es 1530 gerade keinen Drucker in Heidelberg selbst (obwohl hier gelegentlich schon seit 1482 gedruckt worden war 9 ) und zu Druckern etwa in Straßburg oder im näher gelegenen Speyer hatte Sinapius offenbar keinen Kontakt. Die Beziehungen zu Setzer konnten allerdings keinen langen Bestand haben, denn dieser starb schon im Februar 1532. Eine letzte Spur von diesen Beziehungen findet sich in Setzers Ausgabe des Lexicon des Ambrosius Calepinus vom März 1531 (VD16 C236), für die Sinapius folgende Empfehlung auf dem Titelblatt beisteuerte: Non liber ille statim nullo sit nomine dignus Si minus ingenij plusque laboris habet Quærere, quanta tuis studijs mora sæpe fuisset Quæ facit in promptu hic singula plana tibi? Hoc igitur cunctos unum releuasse labore Non puto, uel Momo iudice, laude caret. Kein Buch verdient sofortige Anerkennung, wenn es weniger Geist und mehr Fleiß aufweist. Suchst du, wenn mal etwas deinen Studien im Wege stand, etwas, was es dir zugänglich macht? Dies wird die Aufgabe erleichtert haben; ich glaube nicht - es sei denn, Momus urteilt anders -, dass ihm das Lob abgehen wird. Diese Verse fanden weitere Verwendung, lange nach Sinapius‘ Tode, auf der Rückseite des Titelblatts von Celio Secondo Curiones Ausgabe von Mario Nizzolis Thesaurus Ciceronianus, Basel: Eusebius Episcopius, 1583 (VD16 N1794) und Basel: Sebastian Henricpetri, April 1595 (VD16 N1795), hier allerdings in umgearbeiteter Form, doch weiterhin unter Sinapius’ Namen: Non liber ille statim nullo sit nomine dignus, Si minus ingenij, plusque laboris habet. Quærere quanta tuis studijs mora sæpe fuisset? Quæ cuncta in promptu fecit hic esse liber. Kein Buch verdient sofortige Anerkennung, wenn es weniger Geist und mehr Fleiß aufweist. Suchst du Hilfe, wenn mal deinen Studien etwas im Wege stand? Dieses Buch stellt alles zur Verfügung. 8 VD16 S6575. Das Répertoire bibliographique des livres imprimés en France au seizième siècle, t. III, 129, Nr. 145, verzeichnet Exemplare in Cambridge, Corpus Christi College; Haguenau, Bibliothèque Municipale; Strasbourg, Bibl. Nationale et universitaire: (Réserve R.101.058); Wien ÖNB; Zürich ZB; und Zwickau Ratschulbibl. Hinzu kommen drei Exemplare in München BSB (L.eleg.g. 268, Beibd. 1; L.eleg.g.431, Beibd. 1; Ph. pr. 410x, Beibd. 3), und je eins in Chicago, Newberry Library; München UB (8° Philol. 1336); Troyes, Bibliothèque Municipale; Wolfenbüttel HAB (Q81.8° Helmst.[2]); und Yale UL. 9 Siehe Reske 2007, 355-356. John L. Flood 6 Zu Beginn von Sinapius’ Schrift Adversus ignaviam steht eine kurze Empfehlung von Menrad Molther: Vt sibimet uirtus est quàm pulcherrima merces Quamlibet hic desunt præmia digna sibi. Artibus humanis sua laus sic omne per æuum Permanet, ut misere barbara turba strepat. Has non liuor edax abolet, non ira Tonantis, Quin illis uirtus iuncta sub æthra uolat. Hoc alias alij, tamen hæc oratio culta Cultu multiplici laudeque plena docet. Genauso wie die Tugend sich selbst belohnt, so fehlen hier Preise, die ihrer würdig wären. Den freien Künsten bleibt ihr Lob durch alle Zeiten erhalten, wiewohl der ungebildete Pöbel lautstark dagegen protestiert. Weder der nagende Neid noch die Wut des Donnerers kann sie auslöschen, ja die Tugend fliegt vereint mit ihnen unter dem Himmel. Andere mögen tun, was sie wollen, aber diese gepflegte Rede, voll Glanz und Lob, ist lehrreich. Molther, der die Unterstützung des berühmten Augsburger Patriziers Konrad Peutinger (1465-1547) genossen hatte, war im Frühjahr 1526 nach Heidelberg gekommen, wo er sich das Studium durch den Unterricht wohlhabender junger Adliger finanzierte; einer seiner Zöglinge war Johannes Zobel von Giebelstadt, ein Verwandter des späteren Würzburger Bischofs Melchior Zobel. Auch Molther hat eine Reihe von Werken in Hagenau und besonders bei Setzer drucken lassen, darunter die Lucta Christiana (1527; VD16 M6092), die Romanorum Pontificum omnium [...] vita et mores distichis perquam elegantissimis descripti (1528; Exemplar in Augsburg SStB: NL 728) und In Genesim Quaestiones des Alcuin (1529; Augsburg SStB: Th Ex 241a). Sinapius’ Schrift enthält eine Widmung in Prosa, datiert auf den 17. Februar, nur zwei Tage nach der Promotionsfeier, auf welcher er die Rede gehalten hatte, an Johannes Lotzer, den Leibarzt von Kurfürst Ludwig V. in Heidelberg, und ihm hatte Sinapius in der Tat viel zu verdanken, denn er hatte bei Lotzer gewohnt, als er sich im Sommer 1527 der Guajakkur gegen die Syphilis unterzog. 10 Auch Lotzer hatte Beziehungen zu Hagenau als Druckort, denn er hatte hier schon 1519, als er noch Leibarzt des Bischofs von Straßburg war, seine Pestschrift, Ein nützlich Regimen vnd vnderweysung, welcher massen den menschen mit dem gifft der Pestilentz beladen, mit hailsamer Arzney zu helffen sey (VD16 L2875), bei Thomas Anselm drucken lassen. Lotzers Sohn, auch Johannes genannt, war mit Johann Fichard befreundet - Fichard gehörte zu Sinapius’ Hörern in Heidelberg und hielt ihn, wie wir noch sehen werden, in großen Ehren als Lehrer. Ein Kuriosum hinsichtlich Sinapius’ Rede ist, dass sie nicht nur in der Hagenauer Ausgabe überliefert ist. Es erschien auch eine zweite Ausgabe, und zwar erstaunlicherweise im fernen Paris bei Pierre Vidoue, ja sie scheint sogar 10 Dazu ausführlich Flood / Shaw 1997, 23-46. Johannes Sinapius 7 in zwei Varianten vorzuliegen, was wohl auf eine ansehnliche Auflagenhöhe hindeutet. Unter den wenigen bekannten Exemplaren weist offenbar einzig das Exemplar in der Bibliothèque Mazarine in Paris das Impressum Parisiis || Ex officina Calcographica P. Vidoue || E regione Collegij Remensis || M.D. XXXI. auf, während die anderen den Druckvermerk: Parisiis || Venit in ædibus Aegidij Gormontij || M.D.XXXI. auf der Titelseite vorweisen. 11 Wie Vidoue dazu kam, Sinapius’ Rede nachzudrucken, wissen wir nicht. Ob er Beziehungen zu Setzer in Hagenau hatte, wissen wir auch nicht. Wir kommen aber später noch darauf zurück. Sinapius und Andreas Cratander Gehen wir aber noch zuerst einen Schritt zurück. Wieso befand sich Sinapius überhaupt jetzt in Heidelberg? Das hängt damit zusammen, dass er seinem Wittenberger Lehrer, dem Gräzisten Simon Grynäus (1493/ 94-1541), der 1524 eine Professur für Griechisch in Heidelberg erhalten hatte, gefolgt war. Missmutig über die Situation dort - er musste nebenbei auch die Aufgaben des Professors für Latein wahrnehmen - hielt es Grynäus nur bis Mai 1529 aus, dann übernahm er die wesentlich besser bezahlte Professur für Griechisch in Basel. Damit war der Weg frei dafür, dass der frischgebackene Magister Sinapius die freigewordene Stelle in Heidelberg erhielt. Kurz bevor Grynäus Heidelberg verließ, hatte er eine lateinische Plutarch-Übersetzung angefertigt, die im März 1531 bei Johann Bebel in Basel (VD16 P3758) erschien. Diese Ausgabe markiert den Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Grynäus und den Basler Buchdruckern, und dazu fand auch Sinapius rasch Anschluss. So verfasste er ein Tetrastichon als Empfehlungsschreiben für Grynäus‘ Plutarchausgabe, etwa in dem Sinne: Herkules habe es beim Ausmisten der Ställe des Augias leichter gehabt als Simon Grynäus, der mit großem Können in diesem Text die Irrtümer ausmerzte und zahlreiche mangelhafte Lesarten wiederherstellte: Nec plus egessit fimi, aut grauiore labore Augeæ stabulis Amphitryoniades, Quàm tulit hinc mendas, & tot loca manca resarsit, Omne ferens punctum qualibet arte Simon. Dieser Spruch wurde auch später nachgedruckt, z. B. in der Ausgabe Basel 1542 (VD16 P3760), bei Michael Isingrin erschienen. Isingrin war Bebels Schwiegersohn - die beiden hatten von 1531 bis 1539 zusammengearbeitet. 11 Das Inventaire chronologique, IV: 1531-1535, 122, Nr. 288, verzeichnet sieben Exemplare: Paris BNF: Z 10502; Paris, Bibliothèque Mazarine: 20588; Basel UB; Bordeaux, Bibliothèque municipale; Oxford, Bodleian Library; Philadelphia, University of Pennsylvania Library; Troyes, Bibliothèque municipale. Über Vidoue s. Shaw 2011. John L. Flood 8 Ein weiterer wichtiger Drucker in diesem Kreis war Andreas Cratander, der Grynäus als Korrektor beschäftigte und der jahrelang mit Bebel zusammenarbeitete. Oecolampadius lobte Cratander in seinen Dragmata Graecae Litteraturae (1518; VD16 O310) als „höchst sorgfältigen und um die gute Literatur sehr bemühten Drucker“. 12 Nachdem Sinapius entmutigt seinen Lehrstuhl in Heidelberg aufgegeben hatte, begab er sich im Oktober 1531 nach Straßburg, wo er Martin Bucer (1491-1551) traf und auch Johannes Witz (Sapidus) (1490-1561) und vielleicht auch Beatus Rhenanus (1485-1547) kennenlernte. Von dort ging er nach Basel, um seinen Freund Grynäus zu besuchen. Dank dieser Freundschaft konnte er auch Verbindung zu den Basler Verlegern anknüpfen. Besonders mit Cratander scheint eine Freundschaft entstanden zu sein. Die British Library besitzt nämlich ein Buch, das Cratander Sinapius eigenhändig gewidmet hat, die zweisprachige (griechisch-lateinische) Ausgabe der Charaktere des Theophrastus (VD16 T930; London, British Library 527.f.26[1]), die Cratander einige Wochen früher im September 1531 rechtzeitig zur Frankfurter Herbstmesse herausgebracht hatte. Am Fuße des Titelblatts hat Cratander geschrieben: Ioan Sinapio amico suo And. Cratander D[ono]. D[abat]. Jetzt, wo wir gerade bei Cratander sind, können wir auf die Pariser Ausgabe von Sinapius‘ Declamatio adversus ignaviam zurückkommen. Es ist schon interessant, dass Cratander in Basel eine Druckermarke mit dem Motiv der Occasio, der Frau Gelegenheit, auf der Weltkugel stehend, verwendete, einem Motiv, das auch Pierre Vidoue in Paris als Druckermarke verwendete. Cratander verwendete das Motiv seit 1519 und zwar in verschiedenen Ausführungen. 13 Vidoues Fassungen weisen auch das Motto Audentes iuvo („Ich helfe den Mutigen“) auf, das offenbar auf audentis fortuna iuuat bei Vergil (Aen. 10, 284) zurückgeht. Diese Motivähnlichkeit beruht wohl nicht auf Zufall, sondern geht wohl auf geschäftliche Verbindungen zwischen Basel und Paris zurück, denn Vidoue bezog seinen Buchschmuck vom Basler Geschäftsmann und Verleger Conrad Resch. 14 Einen weiteren Anhaltspunkt für eine Beziehung Paris-Basel bietet das Basler Exemplar (Basel UB: DE VI 25: 4.) der Pariser Ausgabe von Sinapius’ Schrift. Dieses stammt aus dem Besitz von Johannes Jeuchdenhammer (1508-1578), genannt Sphyractes, der 1545 und 1558 Rektor der Universität Basel wurde. Zu der Zeit, als Vidoue die Rede in Paris 12 Zit. nach Reske 2007, 68. 13 Nach Wolkenhauer 2002, 216-225, und Reske 2007, 68, verwendete Cratander diese Druckermarke in sieben verschiedenen Ausführungen. Siehe auch Heitz / Bernouilli 1895, Nr. 91, 92, 94a, 98, 100. 14 In Paris war Resch bis 1526 im Buchladen „Zum Baslerstab“ in der Rue St. Jacques tätig. Nach Maier (LGB 2 , Bd. VI, 278): „Die Bedeutung von R[esch] liegt in der Vermittlung von Titeleinfassungen, Zierleisten und Initialschmuck in Holzschnitten nach Urs Graf und Hans Holbein d. J. an Pariser Drucker (u.a. P. Vidoue [...])“.Die Verwendung des Motivs bei Vidoue und die Rolle Reschs erwähnt Wolkenhauer nicht. Johannes Sinapius 9 druckte, war Jeuchdenhammer Jurastudent in Paris, von wo aus er am 10. Januar 1531 an Bonifatius Amerbach schrieb und bemerkte, dass alle in Paris den deutschen Juristen Ulrich Zasius schätzten. 15 Vermutlich erwarb Jeuchdenhammer ein Exemplar von Vidoues Ausgabe von Sinapius’ Rede in Paris und brachte es mit nach Basel zurück. Nicht ausgeschlossen ist, dass er Sinapius’ Text schon von der Hagenauer Ausgabe her kannte und ihn nach Paris vermittelte. Jeuchdenhammer besaß auch mindestens ein Exemplar der Epigrammata Ioannis Sapidi, Selestadii bonas literas ac linguam utramque docentis ([Schlettstadt: Lazarus Schürer, 1520]; VD16 S1658); 16 Sapidus, den Sinapius spätestens bei seinem Treffen mit Martin Bucer in Straßburg kennen lernte, gehörte zum Kreis der Humanisten im Elsass. 17 Sinapius und Valentin Kobian Auf Sinapius und die Basler Drucker kommen wir später nochmals zurück. Vorerst aber wenden wir uns dem Verhältnis zwischen Sinapius und Valentin Kobian in Ettlingen bei Karlsruhe zu. Kobian hat nur kurze Zeit - vom September 1530 bis Februar 1532 - in Ettlingen gedruckt. Sein letzter Druck dort war die Nova medicinae methodus (1532; VD16 V1267) des berühmten Astrologen Johannes Virdung mit dem schönen Druckfehler „Heidelberberga“ am Ende des Vorworts. Zu diesem Buch steuerte Sinapius folgende Verse bei, die als Inhaltsverzeichnis dienen - Sinapius‘ Beitrag wird auf dem Titelblatt ausdrücklich erwähnt: Summarium atque Laudem huius Libelli per Iohannem Sinapium proxima reperies pagella. Vt via quo ducat videas ignote viator Ponitur in triuijs vndique Mercurius. Huius ego vicibus functurus, sum breuis Index Quorsum introducat te nouus iste liber. Quattuor in tractus opus ergo hoc diuidit author Ordine, quos cernet, qui leget ista, suo. Primum quæ ratio, quæ sit naturaque coeli, Quæque Planetarum, signiferæque rotæ Quid stellæ in morbos aut medicinas Quidque harum aspectus, multiplicesque domus, Tum quid agas hoc aut alio sub sydere natus Aut quid sangineus quidue melancholicus Tempore quo noceant & quo data tempore prosunt 15 Die Amerbachkorrespondenz, IV, Brief 1490, Z. 63ff. vom 10. Januar 1531. Siehe Rowan 1987, 172. 16 Das Exemplar Basel UB: DA III 12: 3 trägt auf dem Titelblatt die Aufschrift: Clarissimo atque integerrimo I.C. D. Basilio Amerbachio D. et patrono suo observandiss. Ioannes Sphyractes D.D. 4. Maii. Anno 1578. 17 Flood / Shaw 1997, 71. John L. Flood 10 Pharmaca, mox doceat singula, quanta dosis, Leniat aut soluat, vel digerat, abluat, vngat, Mundificet, purget, quo tibi quidque loco. Huic ægro mortem minitentur an astra salutem, Aut mala decernat vel bona quæque dies Signaque seu visi seu, quod mirabile dictu est, Non visi lotij, te liber iste docet. Damit du, unbekannter Leser, sehen magst, wohin die Straße führt, steht ein Merkur am Scheideweg. Ich übe dieses Amt aus. Ich bin ein kleiner Wegweiser, der anzeigt, wohin dich dieses Buch führt. Der Verfassser hat sein Werk deswegen in vier Abschnitte eingeteilt, wie jeder, der dies liest, erkennen wird. Zuerst, welches System, welche Natur der Himmel, die Planeten, der Sternenkreis besitzen, über welche Kraft die Sterne bei Krankheiten und in der Medizin verfügen, welches Aussehen sie haben und welch mannigfaltige Stellungen sie einnehmen, sodann, was du tun sollst, je nachdem ob du unter dem einen Zeichen oder einem anderen geboren wurdest oder ob du lebhaften oder melancholischen Temperaments bist, zu welcher Zeit Medikamente dir schädlich oder nützlich sein können, soll dich das Werk bald lehren; wie groß eine Dosis sein soll, ob sie lindert oder auflöst, verdaut, abwäscht oder salbt, reinigt, abführt und an welcher Stelle du ein jedes Heilmittel anwenden sollst. Ob die Sterne einem Kranken den Tod oder die Genesung voraussagen oder welcher Tag Böses oder Gutes bringen wird, auch die Zeichen des sichtbaren Urins und, so unglaublich es erscheinen mag, die des unsichtbaren, dies alles lehrt dich dieses Buch. Diese Verse befinden sich (jedoch ohne Nennung des Verfassers auf dem Titelblatt) auch in der zweiten Auflage 1533 ebenfalls bei Kobian, doch diesmal in Hagenau gedruckt (VD16 V1268) - möglicherweise wechselte Kobian nach Hagenau, wo er ohnehin früher als Geselle gearbeitet hatte, weil er erfahren hatte, dass Johann Setzer inzwischen gestorben sei. Ob Sinapius Kobian persönlich gekannt hat, ist nicht sicher; er könnte seine Verse schon eher Johannes Virdung anvertraut haben, bevor dieser sein Manuskript beim Drucker ablieferte. Virdung (1463-1535) aus Haßfurt in Unterfranken war Anfang der 1490er Jahre aus Leipzig nach Heidelberg gekommen und diente hier u.a. als Hofapotheker. 18 Als dieses Buch herauskam, trug sich Sinapius, der bereits im Oktober 1531 seinen Lehrstuhl in Heidelberg aufgegeben hatte, schon ernsthaft mit dem Gedanken, Medizin zu studieren. Der Kontakt und die gute Erfahrung mit Johann Lotzer und Johannes Virdung hatte ihn wohl in diesem Vorhaben gestärkt. Sicher hat Sinapius Virdungs Neffen Jakob Curio (1497- 1572) aus Hofheim gekannt; dieser wurde 1525 Vize-Kanzler der Universität Heidelberg und später dort Professor für Mathematik und für Medizin; 1542 schrieb Curio eine Empfehlung für Virdungs Tabellenwerk zur Errechnung der Planetenpositionen, Tabulae resolutae de supputandis siderum motibus 18 Über Virdung s. Steinmetz 1986. Johannes Sinapius 11 (Nürnberg: J. Petreius, 1542; VD16 V1320), eines von seinen bedeutendsten Werken, zu dem Sinapius als Medicus des Herzogs von Ferrara (Ioannes Sinapivs Ferrariensis Principis Medicvs, ad Ioannem Virdungum Hasfurdium, de laudibus Astronomi) ein vier Seiten langes Gedicht zum Lobe des Astronomen beisteuerte. Sinapius in Italien und erneute Beziehungen zu Basler Druckern Wir sahen vorhin, wie Sinapius - vor allem dank seiner Verbundenheit mit Grynäus - freundschaftliche Beziehungen zu Cratander und anderen Basler Buchdruckern anknüpfen konnte. Diese frühen Kontakte erwiesen sich ihm auch als nützlich, als er sich in den späteren dreißiger Jahren in Ferrara etablierte, wo er seine Ausbildung als Arzt bei Giovanni Manardi erhielt. Manardi hatte nur noch kurze Zeit zu leben - er starb nicht ganz 74jährig am 8. Mai 1536. Sinapius ist erst seit dem 1. Juli 1533 in Ferrara belegt, und er wurde am 23. Juni 1535 zum Dr. med. promoviert. Bereits zwischen diesen beiden Daten, am 14. September 1534, schreibt er an Grynäus mit der Bitte, medizinische Beobachtungen, die Manardi gemacht habe, alsbald und so sorgfältig wie möglich bei Johannes Bebel in Basel drucken zu lassen. 19 Es handelt sich um das Werk, das unter dem Titel Epistolarum medicinalium libri duodeviginti im Jahr 1535 (VD16 M472) erschien. In der Vorrede dazu, datiert auf den 25. Februar 1535, preist der Schweizer Arzt Hieronymus Artolphus Sinapius‘ bewundernswerte Beherrschung der Sprachen und anderer akademischen Disziplinen und dessen Beitrag zum Zustandekommen des Werkes: Nunc & Io. Sinapii, uiri tum in linguis tum disciplinis ad miraculum usque docti, suffragium, ad quod nos impares, meritam sui præceptoris laudi coronidem apponet: qui uel unus, imitatione atque præceptis Manardi fretus, Germaniam ab impostorum technis uindicaturus est. Ob Sinapius auch bei der Herausgabe der späteren erweiterten Fassung aktiv mitwirkte, entzieht sich unserer Kenntnis. 20 Festzuhalten ist, dass Bebel und sein Schwiegersohn Isingrin überhaupt an medizinischer Literatur interessiert waren: sie hatten zum Beispiel 1537 die vom Tübinger Arzt Leonhard Fuchs veranstaltete lateinische Übersetzung von Hippocrates‘ Epidemiorum liber sextus (London, British Library: 539.h.7 [1]) herausgebracht, und 1542 druckte Isingrin Fuchs‘ Historia stirpium commentarii insignes (VD16 F3242), das berühmteste Kräuterbuch der Renaissance und ein Meilenstein in der Geschichte der Botanik. Fuchs war mit Sinapius‘ Freund Joachim Camera- 19 Abdruck des Briefes bei Flood / Shaw 1997, 173-175. 20 Eine erweiterte Ausgabe unter dem Titel Epistolarum medicinalium libri XX erschien 1540 (München UB: 0001/ 2 Med. 196) und 1549 bei Bebels Schwiegersohn, Michael Isingrin (München BSB: 2 Med. g. 100). John L. Flood 12 rius befreundet, und er war es auch, der 1536 mit anderen zusammen versuchte, Sinapius zur Annahme einer Professur für Medizin in Tübingen zu bewegen. Ein weiterer Autor in Ferrara, dessen Werke vielfach bei Isingrin in Basel erschienen, war Lilio Gregorio Giraldi (1479-1552), der eng mit Sinapius befreundet war. Zwischen 1538 und 1545 hat Giraldi vorzugsweise bei Isingrin veröffentlicht. So erschienen bei ihm: Symeonis Sethi Magistri Antiochiae, syntagma per literarum ordinem, de cibariorum facultate (1538; VD16 S6489); Herculis vita (1539; VD16 G2105); De sepulchris & vario sepeliendi ritu libellus (1539; VD16 G2110); De re nautica libellus (1540; VD16 G2109); De annis et mensibus caeterisque temporum partibus (1541; VD16 G2100); und Historiae poetarum tam graecorum quam latinorum dialogi decem (1545; VD16 G2106). Bemerkenswert ist, dass alle erwähnten Werke in der Zeit entstanden, als Sinapius in Ferrara lebte; ob dieser bei der Vermittlung der Texte an Isingrin mitwirkte, ist freilich nicht erwiesen, doch schon möglich. Eine direkte Verbindung mit Sinapius sehen wir durchaus, als 1539 Giraldis Loblied auf den Herzog Ercole d’Este, Herculis vita, erschien: 21 dieses Buch enthält nämlich auch Hochzeitsgedichte auf Sinapius und seine Braut, und zwar aus der Feder von Giraldi selbst und Bartholomeo Ferrini (1508-1545), dem Sekretär des Herzogs, 322 Hexameter vom Dichter und Medizinprofessor Giambattista Giraldi (1504-1573), genannt Cinzio, und 90 Hexameter vom späteren Frankfurter Anwalt Johann Fichard (1512-1580), der schon in Heidelberg Sinapius verehrt hatte. 22 Die Überschrift von Fichards Gedicht spielt auf eine frühere Verlobung der Françoise Bucyron mit einem französischen Adligen an, was für moderne Begriffe zumindest unangemessen, ja recht taktlos, erscheint, aber so hat Fichard wenigstens seine Verse publizieren können. 23 Das gleiche Buch enthält auch das Judicium vocalium des Lukian von Samosata, herausgegeben von Celio Calcagnini (1479- 1541), dem Lehrer von Giambattista Giraldi. In Ferrara hatte Sinapius als Dozent für Medizin, als Hofarzt, als Lehrer der jungen Damen am Hof sicher alle Hände voll zu tun. Für literarische Interessen blieb wohl wenig Zeit übrig. Dennoch fand er die Muße, die kleine Tragödienparodie Podagra von Lukian aus dem Griechischen ins Lateinische 21 Vollständiger Titel: Hvic Libello Insvnt Lilii Gregorii Gyraldi Ferrariensis Hercvlis Vita. Eivsdem de Musis syntagma, denuo reconcinnatum & auctum. Epithalamia diuersorum in nuptias Ioan. Sinapii Germani, & Franciscae Bucyroni[a]e Gallae. Ivdicivm Vocalivm. sigma accusat tau, Lvciano Samosateo autore, Coelio Calcagnino interprete. tau diluit accusationem sigma, Coelio Calcagnino autore. 22 Nach dem Besuch der Frankfurter Lateinschule unter Jacob Micyllus und dem Studium bei Sinapius in Heidelberg promovierte Fichard 1531 bei Ulrich Zasius in Freiburg. Er verbrachte die Jahre 1536-37 in Italien und wurde danach Anwalt in Frankfurt. 1541 wurde er von Kaiser Karl V. geadelt. 23 Die Überschrift lautet: Ad honestiss. nobilissimamqve virginem Franciscam Bucyroniam Gallam, quæ tunc à parentibus nobili cuidam Gallo desponsa esse ferebatur, in aula illustrissimæ Principis Ferrariensis. Johannes Sinapius 13 zu übersetzen, keine größere Arbeit zwar - nur etwa 370 Verse - aber trotzdem beachtenswert. 24 Das Podagra, also die Gicht, war damals - wie heute - eine weitverbreitete, äußerst schmerzhafte Krankheit, die jeden, ob hohen oder niedrigen Stands, befallen konnte, und so wurde es auch in der zeitgenössischen Literatur oft thematisiert, u.a. bei Hans Sachs und Johann Fischart. 25 Lukians Podagra war also ein Text, der den Arzt Sinapius geradezu interessieren musste. Die Übersetzung fand Aufnahme in einer von seinem Freund Jacob Micyllus veranstalteten Ausgabe der Werke Lukians (VD16 L2926), die im März 1538 bei Christian Egenolph in Frankfurt erschien. Auf der Rückseite des Titelblatts nennt das Buch eine ganz erlesene Gesellschaft von beteiligten Übersetzern: „Erasmus Roterodamus, Philippus Melanchthon, Thomas Morus, Petrus Mosellanus, Bilibaldus Birckheimerus, Anastasius (? ), Vincentius Obsopoeus, Joannes Sinapius, Martinus Bolerus, Ottomarus Luscinius, Ponticus Virunius, Iacobus Micyllus.“ Da die meisten dieser Herren 1538 schon tot waren, handelt es sich nicht um eine Arbeitsgemeinschaft, sondern um eine Zusammenstellung bereits existierender Übersetzungen - so begegnen wir Erasmus, Ponticus Virunius und Ottmar Luscinius schon als Autoren einer älteren Lukian-Übersetzung, Manium. Luciani omnes dialogi […], Straßburg: J. Schott, 1519 (VD16 L2973); das ist wohl eine von Micyllus’ Quellen gewesen. Micyllus‘ Frankfurter Lukian-Ausgabe, an deren Zustandekommen Sinapius wohl nur entfernt beteiligt war, wurde 1543 nochmals in Frankfurt aufgelegt und bald darauf auch in Paris und Lyon nachgedruckt. Sinapius’ Podagra- Übersetzung erschien zum letzten Mal 1563 im dritten Band einer vierbändigen zweisprachigen, griechisch-lateinischen Lukian-Ausgabe bei Heinrich Petri in Basel (VD16 L2924). Das Interesse der Humanisten an Lukian geht auf Erasmus und besonders Melanchthon zurück. Melanchthon, der Praeceptor Germaniae, legte großen Wert auf eine möglichst vollkommene Sprachbeherrschung als Bildungsgrundlage; er stellte einen Kanon der besten antiken Autoren zusammen, in den Lukian wegen seines reinen Attisch aufgenommen wurde. 1521 meinte Melanchthon: Inter Graecae linguae scriptores, tum propter multiiugam eruditionem tum propter sermonis elegantiam et miram quandam venerem, nemo, ut opinor, Luciano praeferendus est. 26 Melanchthons intensive Beschäftigung mit Lukian fand direkten Niederschlag bei seinem Schüler Micyllus, der nicht nur die bereits erwähnte Lukian-Ausgabe 1538 vorlegte, sondern Lukian auch im Unterricht lesen ließ. 27 24 Zu diesem Stück s. Anderson 1979 und Luchner 2004. Allgemein zur Lukian-Rezeption in Deutschland s. Baumbach 2002. 25 Dazu s. Flood 2003. 26 Siehe Melanchthons Briefwechsel, Bd. T 1 (1514-1522), 132. Zu Melanchthon und Micyllus s. Baumbach 2002, 42-45. 27 Siehe Classen 1859, 168-174, bes. 173. John L. Flood 14 Sinapius und Sebastian Münster Als Sinapius 1548 von Ferrara nach Würzburg übersiedelte, hatte er wohl Freizeit, seinen humanistischen Studien nachzugehen, aber im einzelnen sind diese heute kaum greifbar. Es heißt, er sei an der Planung der Errichtung der Universität Würzburg beteiligt gewesen. Wenn dem so war, so doch wohl nur am Rande. Die erste Würzburger Universität, schon 1402 gegründet, hatte wegen mangelhafter finanzieller Ausstattung wenig mehr als ein Jahrzehnt bestanden; außerdem war ihr Rektor 1413 ermordet worden. Die neue Universität wurde erst 1582 realisiert, zwanzig Jahre nach Sinapius’ Tod. Die einzige schriftstellerische Arbeit, die wir aus Sinapius‘ Würzburger Zeit kennen, ist der Beitrag über Schweinfurt für die Cosmographia seines früheren Heidelberger Kollegen Sebastian Münster. Der Aufsatz hat in der lateinischen Ausgabe 1550 die Überschrift: Suinfurtum oppidum Ostrofranciae. Johannes Sinapius medicus praesulis ac ducis Ostrofranciae, clarissimo viro Domino Sebastiano Munstero, professori publico in gymnasio Basiliensi, amico suo semper honorando salutat. Wie fast alle Werke Münsters erschien die Cosmographia bei Heinrich Petri in Basel. 28 Auf die Wahl des Druckers hatte Sinapius keinen Einfluss, denn Petri war Münsters Stiefsohn - Münster hatte 1530 Petris verwitwete Mutter geheiratet. Sinapius war wohl ohnehin damit zufrieden, denn die beiden kannten sich vermutlich, da Petri gelegentlich mit Johannes Bebel und Michael Isingrin zusammenarbeitete, z.B. am Erstdruck von Münsters hebräisch-lateinischer Bibel vom Jahre 1534/ 35 (VD16 B2881). 29 Einer der überragenden Geister dieser bewegten Zeit war Sinapius gewiss nicht. Er hat keine großen Werke geschrieben, doch allgemein geachtet und geschätzt wurde er schon. Sein ehemaliger Student Johann Fichard etwa verehrte ihn als höchst gelehrten und fleißigen Lehrer, der eine brennende Liebe zur Literatur bei ihm erweckte. Er erinnerte sich: Postea me ad clarissimum et gravissimum virum Simonem Grynæum (qui tum Græcas litteras in Heydelbergensi Schola prælegebat) contuli, idque tum ipsius Grynaei caussa, ex cuius convictu plurima me videbam addiscere posse, tum Ioannis Sinapii et Menradi Moltheri, qui tum uterque familiares erant Grynæo, bonisque in literis præclaram omnino operam navabant, Sinapius autem, qui ut literatissimus ita laboriosissimus erat, præcipue me tum Græcis transferendis, alternaque omnis generis scriptionis contentione, studiorum 28 Münsters Cosmographia wie auch Fuchs’ De historia stirpium standen auf dem Index verbotener Bücher - beide Autoren waren Lutheraner. Entsprechend wurden z.B. die Exemplare in der Stiftsbibliothek St. Gallen strenger Zensur unterworfen. Siehe Schmuki 2012, 294, Abb. 3. 29 Über Henrich Petri s. Reske 2007, 70-71. Petris Mutter war die Frau des Basler Druckers Adam Petri gewesen. Johannes Sinapius 15 denique omnium collatione ita exercebat, ut istis in rebus quanquam admodum adolescentulus, tamen haud vulgariter promptam facultatem acquirerem. [...] Cumque illa reposita aliquando revidissem, valde mecum gaudebam, intuens illa tanquam monumenta temporis bene collocati. 30 Später wechselte ich zum sehr berühmten und höchst angesehenen Simon Grynäus, (der damals griechische Literatur an der Universität Heidelberg lehrte), und zwar sowohl seinetwegen, da ich erkannte, dass ich beim Umgang mit ihm viel lernen würde, als auch wegen Johannes Sinapius und Menrad Molther, die beide damals mit Grynäus befreundet waren und ausgezeichnete Arbeit auf dem Gebiet der klassischen Literatur leisteten. Aber Sinapius, der sowohl höchst gelehrt als fleißig war, hat mich besonders beim Übersetzen des Griechischen oder bei einer andersartigen schriftlichen Aufgabe derart hart arbeiten lassen, dass ich, obwohl eigentlich nur ein Anfänger in solchen Sachen, schließlich eine ungewöhnlich gute Fähigkeit entwickelte. [...] Und wenn ich manchmal an solche vergangene Dinge zurückdenke, freue ich mich, sie sozusagen als Denkmäler gut angelegter Zeit zu betrachten. Das Erstaunliche bei Sinapius ist, dass er so viele Menschen kennen lernte, die Rang und Namen hatten, und dass er offenbar ausnahmslos bei allen gern gesehen wurde. Wer hätte nicht Melanchthon, Grynäus, Erasmus, Bucer, Calvin, die Herzogin Renée, Olimpia Morata usw., bis hin zum Würzburger Bischof Melchior Zobel zu seinem Freundeskreis zählen wollen? Vor allem als Arzt, aber auch sonst wegen seiner Fähigkeiten wurde er hochgeschätzt, wie auch aus einer wenig beachteten Schrift seines letzten Gönners, Friedrich von Wirsberg (1507-1573), Zobels Nachfolger als Fürstbischof, zu ersehen ist: In seiner Exhortation oder Vermanung […] an die […] Christen (Würzburg: Hans Baumann, 1562; VD16 W4562) heißt es, die Erscheinung der Schrift sei „fürnemblich / des Christlichen todts halber deß Erwirden vnd hoch gelehrten herren Doctor Johannis Synapij; Welches etliche Verß oder Rithmj erstlich in Latein / jetzundt aber in das Teutsch gebracht / hernach volgendt“ verhindert worden. Diese Verse lauten: Laßt Euch die warnung zu Hertzen gon / Vnnd habet recht vor augen schon Die gerechtigkeit nit werffen hin / Waß euch fürhaltet one schein Gantz treulich Ewer Fürst vnd Herr / Der ewer Vatter wil vil mer Genennet sein / wiewol Er ist Ewer Lanndtsfürst zu diser frist. Derhalben auß dem staub vnd kot Erhebent ewer Hertz zu Gott. Vnnd sehent wol den Hymmel an / 30 Fichard 1812, 10-11. John L. Flood 16 Von eweren genmüetern [! ] legt hindan Alle jrdisch sorgen diser Welt / Den alten Adam thund auß schnel. Ein reins Hertz inn reinem Leib Behaltend auff daz bey Euch pleib Der heilig Gaist der alle zeyt / In allen tugendt Euch geleyt Vnnd bey Euch heilige wonung hab All vnfall zumal von Euch wend ab. Ob die deutsche Übersetzung dieser frommen Verse von Sinapius selbst stammt, ist unklar aber auch unwahrscheinlich, zumal wir sonst keine Texte von ihm in der Muttersprache kennen. Insgesamt kann man feststellen: Das Frankenland kann stolz auf Sinapius sein. Wie es in seiner Grabschrift im Würzburger Dom hieß: [...] ille carus regibus multis fuit: Primum Renatae Franciae ad ripam Padi: Deinde magno Praesuli Zobellio, Aliisque multis: atque cum prudentia Praestaret, eloquentiaeque viribus Quintus loquentem comprobavit Carolus. Manchen Fürsten ist er lieb geworden: zunächst Renée von Frankreich am Ufer des Po, dann dem großen Bischof Zobel, und vielen anderen; und da er an Weisheit und Beredsamkeit hervorstach, genoss er die Anerkennung Karls V. als Diplomat. Die Grabschrift fährt fort: „Kein Wunder also, wenn Sinapius noch lebt, auch wird sein Ruhm nie verblassen. Seine heilige Seele wird im Himmel aufbewahrt, dem Tag der Auferstehung ängstlich entgegensehend, an dem auf Christi Geheiß der Geist wieder in den Leib eintreten und die Toten wieder lebendig werden.“ Darum: „Lebwohl, Du Wanderer, vergiss Sinapius nicht, dem der Winter das Leben, dem der Winter den Tod brachte, empfiehl ihn und die anderen Verstorbenen in Gottes Hut.“ vale viator, & memor Sinapii, Cui Bruma vitam, Bruma funus attulit utrumque trade mortuumque Deo. 31 31 Der vollständige Text der Grabschrift, überliefert in Chytraeus 1594, S. 492 ist abgedruckt in Flood / Shaw 1997, 149-150. 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Die politik- und mentalitätsgeschichtliche Forschung datiert seine Anfänge auf die Zeit um 1800 und hat dafür einleuchtende Gründe: Der Ausdruck setzt den modernen Landschaftsbegriff ebenso voraus wie die Konzepte der Nation bzw. des Nationalstaates. Beides hat sich aber erst im 18. Jh. voll ausgebildet. 1 Das bedeutet jedoch nicht, dass Nationallandschaften vor 200 Jahren einfach aus dem Nichts entstanden wären. Vorläuferphänomene und Vorformen gab es durchaus: Bereits in der Antike konstruierte man Verbindungen zwischen bestimmten Ethnien und den Ländern, die sie besiedelten. In Vorstellungen von Autochthonie und Erdgeburt schlugen sich die besondere Verbundenheit mit dem eigenen Land sowie der Anspruch auf seinen ‚naturgegebenen‘ Besitz nieder. Der Autor der pseudohippokratischen Schrift Über die Umwelt postulierte, die in einem Land herrschenden Umweltbedingungen prägten den körperlichen Habitus und den Charakter seiner Bevölkerung, und diese Ansicht fand in der Neuzeit weiteste Verbreitung. Im Anschluss an derartige Vorstellungen verstanden sich die Eidgenossen schon kurz nach 1500 als Alpenvolk - ein Punkt, auf den wir noch zurückkommen werden. Im vorliegenden Beitrag soll eine in meinen Augen bedeutsame Episode aus der Vorgeschichte des Konzepts der Nationallandschaft untersucht werden: die patriotische Aufladung des Herkynischen Waldes durch den deutschen Erzhumanisten Konrad Celtis. * Mein herzlicher Dank gilt den Organisatoren und Teilnehmern der Tagung für anregende Diskussionsbeiträge, Wolfgang Kofler für eine kritische Lektüre des Manuskripts. 1 Die Literatur zu beiden Themenfeldern ist uferlos. Gute Zusammenfassungen bieten Trepl 2012 bzw. Wehler 2004. Zu Vorgeschichte und Genese der Nationallandschaft vgl. etwa Walter 2004 und 2007. Martin Korenjak 20 Quellen und Anregungen In der Antike erscheint der Herkynische Wald bei zahlreichen Autoren als großes Waldgebiet in Germanien bzw. Nordosteuropa. 2 Die früheste Erwähnung findet sich bei Aristoteles (meteor. 1, 13, 350b4-5), die weitaus ausführlichste bei (Ps.-)Caesar (Gall. 6, 25-28). Kürzere Notizen bieten etwa Diodor (5, 21, 1), Strabon (4, 6, 9; 7, 1, 3; 7, 1, 5), Mela (3, 3, 29), Plinius (nat. 4, 80; 10, 132; 16, 6), Tacitus (Germ. 30) und Julian Apostata (Suda χ 473). Auch Ptolemaios nennt und lokalisiert das Gebiet im Text seiner Geographie (2, 11, 7). Der Herkynische Wald erweist sich dabei von Anfang an als schwer fassbare geographische Formation. Das beginnt schon beim Namen: Das Adjektiv, das im Lateinischen als Hercynius erscheint, hat bei den Griechen meist die Form Ἀρκύνιος oder Ὀρκύνιος. Statt silva begegnen nicht nur saltus bzw. ὕλη und δρυμός, sondern auch iugum bzw. ὄρη; die Gegend changiert also zwischen Wald und Gebirge. Auch von Ausdehnung und Lokalisierung hat man unklare Vorstellungen: Als Westgrenze erscheint der Rhein, als Südgrenze der Oberlauf der Donau. Nach Norden zu soll der Wald bis an die Nordsee, nach Osten bis zu den Sarmaten reichen. Caesar gibt die Nordsüd- und die Ostwestausdehnung mit 9 bzw. 60 Tagesmärschen an. Gewaltige Bäume, undurchdringliches Dickicht und eine teils fabelhafte Fauna (Einhörner, Elche, Auerochsen) ergänzen ein Bild, das insgesamt diffus bleibt. Celtis hat von den genannten Quellen mindestens Caesar, Strabo, Mela, Tacitus und Ptolemaios gekannt. Einen Anstoß dazu, auf ihrer Basis dem Herkynischen Wald in der Geographie Deutschlands einen prominenten Platz zuzuweisen, dürfte ihm das gesteigerte Waldbewusstsein gegeben haben, das sich seit dem Spätmittelalter in Deutschland entwickelt hatte: Der deutsche Wald war im Laufe des Mittelalters massiv dezimiert worden und nahm um 1400 nur mehr etwa dieselbe Fläche ein wie heute - ein Umstand, unter dem viele Wirtschaftszweige litten. Betroffen war auch Nürnberg, dessen Reichswald notorisch übernutzt wurde. Ab 1368 realisierte der Ratsherr Peter Stromer dort das erste systematische Aufforstungsprojekt der Geschichte. Das Unternehmen hatte Erfolg und wurde in der Folgezeit vielfach nachgeahmt. 3 Celtis selbst erwähnt und lobt diese Entwicklung im zweiten Kapitel seiner Norimberga (Bl. Mv r ): 4 2 Vgl. zu diesem Abschnitt Haug 1912; Müller 2001, 376-378. 3 Stromer von Reichenbach 1968. 4 Moderne Ausgaben der Norimberga: Celtis 1921 (Kontamination zweier Versionen); Celtis 1966, 65-72 (nur die Passage über den Herkynischen Wald); Übersetzung: Celtis 2000. Die Beschreibung des Herkynischen Waldes in der Norimberga wird hier nach der Ausgabe von 1966 zitiert (wobei allerdings Abkürzungen anders als dort kommentarlos aufgelöst werden), andere Teile des Werkes in leicht normierter Form nach dem Erstdruck im Anhang zu den Amores (Nürnberg 1502). Zitaten aus Celtis’ Germania generalis liegt Müller 2001 zugrunde. Andere neulateinische Texte werden nach modernen Ausgaben Deutschland als Landschaft 21 Sed ubi silva sterilitate arenae exaruerit, illam (quod mireris) lucis sativis reparant: quandoquidem serendarum silvarum scientia nostrorum hominum solertia nuper inventa est. Tantus amor nemorum Germanis est. Doch wo der Wald aufgrund der Unfruchtbarkeit des Sandes vertrocknet ist, stellen sie ihn staunenswerterweise durch angesäte Waldungen wieder her, da ja neulich durch die Geschicklichkeit unserer Leute die Kenntnis, Wälder zu säen, erfunden worden ist: So sehr lieben die Deutschen ihre Waldgebiete! Diese neue Aufmerksamkeit für den Wald schlägt sich auch in der Schedelschen Weltchronik (Nürnberg 1493) nieder, einem Werk, mit dem Celtis schon deshalb vertraut gewesen sein muss, weil er sich vertraglich zu einer Überarbeitung verpflichtet hatte, die freilich nie zustande kam. 5 Schedel nennt den Herkynischen Wald an exponierter Stelle, nämlich im Vorwort zu der Deutschlandkarte, mit der seine Weltchronik schließt, nach Rhein, Donau und Elbe als viertes für Deutschland charakteristisches geographisches Element (Bl. CCLXXXVI r ): 6 Zum vierden erscheint ein Wald Hercinia genat. den hewtbeytag bay anfanng unnd ursprunng der Thonaw die umbsessen daselbst den Schwartzwaldt nennen. Der ist (als Pomponius mella setzt) sechtzig tagrays lang und grosser und bekantter denn andere weld. und hat mancherlay namen. auch vil est. hörner und außstreckung. den die innlender andere und andere namen geben. dann von anfang seins ursprungs bis zu dem Necker behelt er den namen Schwartzwald . unnd vom Necker bis an den Mayn haißt er Ottenwald. aber vomm Mayn bis an den fluss Lonam bey Coblentz Westerwaldt. Darnach wendet er sich gegen dem orient und taylt Franckenland von Hessen und Thüringen. und darnach thut er sich in dem mittel wider auff und umbringet zirckels weyse das Behmisch land und strecket sich füran in dem Merherrischen gepirg durch mittel der Hungern auff der rechten und der Poln auff der lingken seyten bis zu dem Dacischen und Getischen volck ye andere und andere namen empfahende. Dieser Passus dürfte Celtis’ Vorstellungen direkt angeregt und beeinflusst haben: Der Herkynische Wald erscheint hier nicht nur wie bei diesem als konstitutiv für die Geographie Deutschlands. Auch einige weitere Charakteristika wie z.B. die Zerteilung in „Äste“ und „Hörner“ mit jeweils eigenen Namen sowie die über Deutschland hinausreichende Ausdehnung finden sich bei Celtis wieder. zitiert, soweit vorhanden, sonst nach den jeweils angegebenen frühneuzeitlichen Editionen. 5 Müller 2001, 286-289. 6 In der lateinischen editio princeps findet sich der entsprechende Passus auf Bl. CCXCIX r . Martin Korenjak 22 Norimberga und Germania generalis Wie dem auch sei - der Herkynische Wald nimmt in Celtis’ Gedankenwelt offenbar eine wichtige Stellung ein und ist in seinen bedeutendsten Werken prominent präsent: In den beiden großen Gedichtsammlungen, den Amores (Nürnberg 1502) und den Odae (Straßburg 1513), finden sich insgesamt rund zwanzig teils durchaus aussagekräftige Erwähnungen. 7 Noch wichtiger sind in diesem Zusammenhang jedoch die Norimberga und die Germania generalis, in denen der Wald eine längere systematische Behandlung erfährt. Es handelt sich dabei um die einzigen im Druck erschienenen Vorarbeiten zu dem unverwirklichten Großprojekt der Germania illustrata, einer „geographischen, historiographischen und ethnographischen Monographie über Deutschland“. 8 Dass der Herkynische Wald gerade in diesem Zusammenhang so stark in den Vordergrund tritt, lässt schon vermuten, dass ihm in Celtis’ Vorstellung davon, was Deutschland eigentlich ist, eine tragende Rolle zukommt. Die sechzehn Kapitel umfassende Beschreibung Nürnbergs wurde nach einer komplizierten, bis in die frühen 1490er-Jahre zurückreichenden Vorgeschichte erstmals 1502 im Anhang zu den Amores vollständig gedruckt. Ihr voller Titel, De origine, situ, moribus et institutis Norimbergae libellus, gibt wichtige Hinweise auf den Charakter der Beschreibung: Er benennt Themen des antiken und humanistischen Städtelobs, klingt aber auch an Tacitus’ De origine et situ Germanorum an und verweist so darauf, dass die Schrift als Spezimen von Celtis’ projektierter Deutschlandbeschreibung gedacht war. Nürnberg eignete sich hierfür schon deshalb gut, weil es nach Celtis’ Ansicht genau in der Mitte Europas und Deutschlands lag. 9 Der Herkynische Wald wird in der Norimberga schon im zweiten Kapitel genannt, wo nach einer Widmung an der Nürnberger Rat der Haupttext mit einer Skizze der Lage der Stadt beginnt. Dort wird u.a. erwähnt, vom Schmausenbuck, einem Hügel im Osten Nürnbergs, habe man einen schönen Blick auf den Herkynischen Wald (Bl. Mv r ). Der Schluss des zweiten und das dritte Kapitel sind dann ganz dessen Beschreibung gewidmet - ein für ein Städtelob ungewöhnliches Ausgreifen weit über die nähere Umgebung hinaus. 10 Die 7 Amores, praef. 51; 1, 8, 4; 1, 12, 38; 1, 15, 8; 2, 2, 50; 2, 4, 5; 2, 6, 111; 2, 10, 22; 4, 2, 17; Odae, Einleitungsgedicht des Theodoricus Ulsenius Frisius; 2, 12, 7; 2, 18, 10; 3, 1, 14; 3, 6, 26; 3, 11, 15; 3, 17, 28 und 38; 3, 25, 4; 3, 28, 42; Schlussepigramm. 8 Müller 2001, 441-483; Muhlack 2002; Robert 2008, 393-399 (das Zitat 393). Die Amores stehen durch ihre Gliederung secundum quatuor latera Germaniae („nach den vier Seiten Deutschlands“, so der vollständige Titel) im gedanklichen Horizont der Germania generalis, sind ihr aber als Gedichtsammlung nicht im eigentlichen Sinne zuzurechnen. 9 Vgl. das Einleitungsepigramm auf Bl. Miii r sowie Kap. 6, Bl. Nv v -Nvi r : non modo universae Germaniae, sed totius Europe medio centro. 10 Lage und Umgebung einer Stadt gehören zwar zu den klassischen Themen des antiken Städtelobes. In Leonardo Brunis Laudatio urbis Florentinae (um 1403), die für viele huma- Deutschland als Landschaft 23 Eigenständigkeit des Exkurses wird durch die Tatsache unterstrichen, dass er seinen Erstdruck getrennt vom Rest des Werkes erlebte: Er wurde schon zwischen 1498 und 1500 im Anhang zu Celtis’ Wiener Tacitusedition publiziert. Noch im Inhaltsverzeichnis des Amores-Bandes wird seine Sonderstellung innerhalb der Norimberga hervorgehoben. 11 Die Germania generalis wurde erstmals ebenfalls in der Wiener Tacitusausgabe veröffentlicht, wo sie der Titel De situ et moribus Germaniae additiones als inhaltliche Ergänzung zur Germania des römischen Autors ausweist und zugleich die Affinität zur Beschreibung Nürnbergs betont. Im Amores-Druck von 1502 erscheint sie direkt vor dieser. Der Sache nach handelt es sich um ein Lehrgedicht in sieben Abschnitten und insgesamt 283 Hexametern, das mit einer kühn geklitterten Kosmogonie beginnt und sich danach der Ethnographie, Geographie und Chorographie Deutschlands widmet. Wie in der Norimberga erhält der Herkynische Wald auch hier breiten Raum: Als einziges konkretes geographisches Element erscheint er schon im Widmungsepigramm an Maximilian I., wo Celtis besingen will, quantum silua extenditur hercinia („wie weit sich der Herkynische Wald erstreckt“). Im fünften, der Orographie gewidmeten Abschnitt wird er (als Hercynium iugum) zusammen mit Adula und Karpathen als eines der drei großen Gebirge Deutschlands genannt. Der sechste und mit 69 Versen längste ist ihm ausschließlich gewidmet. Insgesamt nimmt er mit rund 85 Versen beinahe ein Drittel des gesamten Gedichtes ein. Der erste Eindruck, den diese Beschreibungen vermitteln, ist allerdings irritierend. Der Leser sieht sich mit einer Fülle teils antiker, teils zeitgenössischer Ortsnamen und Ethnika 12 in befremdlicher Reihenfolge konfrontiert, untermischt mit weiteren Informationen, deren Exotik ihn zweifeln lässt, was davon er Celtis’ Gelehrsamkeit und was seiner Phantasie zuschreiben soll. Ein übersichtliches Gesamtbild des Waldes kommt nicht zustande. Deshalb, aber auch um das Verhältnis der beiden Versionen zueinander zu verdeutlichen, scheint zunächst eine tabellarische Auflistung der Inhalte sinnvoll. 13 nistische Stadtbeschreibungen vorbildhaft wurde, weitet sich der Blick in konzentrischen Kreisen von der Stadt selbst über die Landhäuser vor den Mauern bis zu den Dörfern und Kastellen im Umland (Bruni 1996, 586-588; vgl. Müller 2001, 374). Mit Celtis’ Ausgreifen auf ganz Deutschland ist das aber nicht zu vergleichen. 11 Bl. Aviii r : Liber de situ et moribus Norinbergae et magnitudine Herciniae silvae. Ganz ähnlich hebt Celtis selbst diesen Teil des Inhalts in Odae 3, 11, 15 hervor. 12 Zur chronologischen Unbestimmtheit der Darstellung in der Germania generalis vgl. Müller 2001, 366-379, v.a. 370; Krebs 2005, 203-205. 13 Zeilenbzw. Verszählung nach Adel 1966 bzw. Müller 2001. Martin Korenjak 24 Norimberga Entschluss, trotz der Einwürfe ungenannter Kritikaster einen Abschnitt über den Herkynischen Wald einzufügen (1-29). Es handelt sich um einen gewaltigen, seit der Antike bekannten Wald in Nordeuropa, aus dem große Flüsse entspringen (30-34). Sein Name leitet sich von „Harz“ ab (34-36). Er stellt ein Gegenstück zum Taurus in Asien und zum Atlas in Afrika dar (36-43). Seine verschiedenen Namen (und heiligen Haine) in Deutschland und Nordosteuropa (43- 49). Seine Ausdehnung von Freiburg nach Nordosten, entlang der Alpen und bis Wien (50-59). Seine Ausdehnung in Süddeutschland bis zum Schwarzwald und zum Fichtelgebirge (60-70). Vom Fichtelgebirge entsendet der Wald vier Flüsse, entlang derer er sich in alle vier Himmelsrichtungen erstreckt (70-75): mit der Saale nach Norden (75-77), mit dem Main nach Westen bis Würzburg (77-84), mit der Eger nach Osten bis Böhmen, von wo Elbe und Oder nach Norden fließen (84-88), mit der Naab nach Südosten bis zu den Karpathen - dann wieder nach Norden durch ganz Osteuropa und bis ans Ende der Welt (88-99). Der nördliche Teil des Waldes: Odenwald, Spessart, Abnober, Bergland der Hessen, Geldern, Elsass (99-120), Buchonia (mit Druidenkloster Fulda), Sachsen, Nordsee, Thüringen, Lausitz, zurück zum Fichtelgebirge (121-136). Reichtum der im Herkynischen Wald ansässigen Völker und Städte, Bodenschätze (137-146). Je nach Art des Bodens unterschiedlicher Baumbestand und unterschiedliches Erscheinungsbild im Norden und Süden (146-155). Zahme und wilde Tiere (155-158). Gewässer und Fischreichtum (158-162). In alten Quellen genannte Vogelarten sind nicht mehr auffindbar, vielleicht, weil Arten aussterben und neu entstehen können (162-168). Germania generalis Herkynischer Wald und mit den Alpen verbundene Berge ziehen sich bis zum Schwarzen Meer hin (164- 169). Deutschland weist drei mächtige Gebirge auf (170-173): - die Adula, von der die Alpen ausgehen (174-181), - im Osten die Karpathen (182-186), - mitten in Deutschland das Hercynium iugum, insbesondere das Fichtelgebirge, von dem vier Ströme ausgehen: der Main nach Westen, die Saale nach Norden, die Naab nach Süden, die Eger nach Osten (187-196). Ausdehnung des Waldes nach Norden, Osten und Westen (197-198). Haine und Klöster der Druiden (199-205). Ausdehnung dem Rhein und den Alpen entlang, dort siedelnde Völkerschaften (206-214). Ausdehnung nach Norden bis zur Nordsee, dort ansässige Völker (214-219). Ausdehnung von der Donauquelle bis nach Österreich und zum Kahlenberg bei Wien (mit Bemerkungen zu den Alpen) (220- 225). Nochmals Ausdehnung nach Österreich und bis Deutschland als Landschaft 25 Die Klöster der Druiden. „Druide“ kommt von griechisch δρῦς („Eiche“). Druidenstatuen in einem Kloster im Fichtelgebirge. Geschichte der Druiden: Es handelt sich um griechisch gebildete Philosophen aus Gallien, die unter Tiberius vertrieben wurden und nach Germanien ausgewandert sind. Entwicklung zu Mönchen, neuerdings Tendenz zur Verweltlichung. Eine Münze namens „Druidenfuß“. Dank an die Griechen, die Deutschland durch die Druiden die Kultur gebracht haben (169-212). Wisente und Auerochsen in Polen (213-216). Vulkane in Sachsen (217-218). Der Herkynische Wald als Wasserscheide zwischen Nordbzw. Ostsee und Schwarzem Meer (219-228). Vergeblicher Versuch Karls des Großen, einen Rhein-Donau-Kanal anzulegen (228-246). Gesamtausdehnung des Herkynischen Waldes: von der Maas bis zum Don, von den Alpen bis zur Nordsee. Möglichkeit, die Ausdehnung in Meilen anhand von Längen- und Breitengraden zu errechnen (247-252). Schwaben, Franken und Böhmen als edelste Völker im Norden des Waldes. Sie bewohnen ein fruchtbares, wasserreiches Gebiet (253-263). Ausführlichere Darstellung der Gegend in der Germania illustrata (263-265). zum Kahlenberg (226- 231). Ausdehnung in Bayern bis zur Vils (232-235). Ausdehnung mitten in Deutschland nach Franken, Thüringen und Böhmen (236-239). Fruchtbarkeit Böhmens, Flüsse: Elbe und Oder (240-242). Ausdehnung nach Osten bis Siebenbürgen mit seiner deutschen Bevölkerung (243-246). Ausdehnung nach Nordosten zu den Preußen, den Agathyrsern am Ende der Welt, dem Don und den Riphäischen Bergen (247- 253). Tierwelt im Osten: Wildtiere, Vögel, Wisente in Masowien (254-255). Reichtum an Bodenschätzen, Bergbau, Metallverarbeitung (256-265). Zwar sind die Schwerpunkte in den beiden Passagen unterschiedlich gesetzt, und die Darstellung in der Norimberga ist ausführlicher und detailreicher als in der Germania generalis. Dennoch zeigt sich bei allen Divergenzen im Einzelnen ein insgesamt vergleichbarer Aufbau: Sieht man über eine Reihe andersartiger Einsprengsel hinweg, so lässt sich jeweils eine (in der Tabelle durch Leerzeilen angedeutete) Dreiteilung ausmachen: Nach einer Einleitung mit allgemeinen Informationen (Nor. 1-43, GG 164-196) wird in mehreren Anläufen versucht, die Ausdehnung des Herkynischen Waldes zu umreißen, und es werden die auf seinem Gebiet lebenden Völker und Stämme aufgezählt (Nor. 43-136, GG 197-253). Den Abschluss macht eine Sammlung natur- und kulturgeschichtlicher Bemerkungen (Nor. 137-265; GG 254-265). Martin Korenjak 26 Der Herkynische Wald und Deutschland Doch nicht nur der Aufbau der beiden Beschreibungen ist grosso modo vergleichbar, auch in der Sache bleiben die Vorstellungen, die Celtis sich vom Herkynischen Wald macht, im Wesentlichen die gleichen. Abgesehen von vielen Einzelheiten wie z.B. dem Ursprung von Elbe und Oder in Böhmen (Nor. 86-88, GG 241-242), der Bedeutung des Bergbaus (Nor. 138-146, GG 256- 265) und den Wisenten Polens (Nor. 213-216, GG 255) sind folgende Grundzüge hervorzuheben: 14 Zunächst einmal erscheint der Herkynische Wald als die weitaus bedeutendste geographische Formation Deutschlands. 15 Welches Gewicht ihm diesbezüglich zukommt, wird durch die bereits erwähnten Paratexte ebenso klar wie durch die schiere Ausführlichkeit seiner Beschreibung. In der Norimberga ist er der einzige Aspekt der deutschen Geographie, der überhaupt in extenso behandelt wird. Dabei spielt er jeweils eine eigentümliche, logisch bedenkliche Doppelrolle: Er erscheint zugleich als Waldgebiet (Hercynia silva) und als Gebirge (Hercynium iugum). Zwar sprechen, wie bereits erwähnt, schon die antiken Quellen bald von einem Wald, bald von einem Gebirge, und die Schedelsche Weltchronik untergliedert den Herkynischen Wald in eine Reihe von Mittelgebirgen, deren volkssprachliche Bezeichnungen auf „-wald“ enden (Schwarzwald, Odenwald, Westerwald). Die Art jedoch, in der Celtis beide Aspekte stark hervorhebt und gleichzeitig miteinander verschmilzt, hat in der älteren Tradition kein Gegenstück. So beginnt etwa die Beschreibung in der Norimberga (30-38) mit einem offenen Selbstwiderspruch: Est silva in Europa, qua in boream spectat („Es gibt einen Wald in Europa, wo es nach Norden sieht“), setzt Celtis ein, um dann die Hercynia silva mit dem Taurus in Asien sowie dem Atlas in Afrika zu vergleichen und sie damit zum beherrschenden Gebirge Europas zu erklären. In der Germania generalis nennt er unter der Kapitelüberschrift De tribus iugis et montibus Germanie als erstes nemus Hercinium montes et ab Alpibus orti (164; „den Herkynischen Hain und die Berge, die von den Alpen ihren Ursprung nehmen“). Etwas später stellt er jedoch fest: Herciniumque iugum medio Germania tractu / Erigit (187-188; „Und das Herkynische Gebirge reckt Deutschland in der Mitte seines Gebietes empor“), nur um kurz darauf den sechsten Abschnitt wieder mit De tractu Hercinię sylvę per Germaniam („Über die Ausdehnung des Herkynischen Waldes durch Deutschland“) zu betiteln. Auflösen lassen sich diese Kontradiktionen, wenn man annimmt, dass Celtis ein Waldgebirge vor Augen steht, von dem er je nach Zusammenhang den einen oder den anderen Aspekt betont. Der Sinn dieser Konzeption 14 Vgl. zu diesem und zum folgenden Abschnitt, was die Germania generalis betrifft, den Kommentar bei Müller 2001, 151-178. 15 Vgl. zur engen Verbindung zwischen Wald und Land auch Amores 1, 8, 4-5; 2, 10, 21-22; Odae 3, 1, 14-15. Deutschland als Landschaft 27 scheint darin zu bestehen, dass sie den Herkynischen Wald zu einer zugleich horizontal und vertikal beherrschenden Formation macht. Die Norimberga bringt diese Vorstellung auf die Formel, er erstrecke sich in ultimum Europae angulum et in ipsos caeli vertices (41-42; „bis in den äußersten Winkel Europas und zum Zenith des Himmels selbst“). Als Gebirge kulminiert der Herkynische Wald im Pinifer, dem Fichtelgebirge. 16 Dieses wird in der Norimberga geradezu mit dem Hercynium iugum gleichgesetzt (70) und in der Germania generalis als veritables Hochgebirge charakterisiert: […] ingenti dorso stans pinifer atrum / tollit in astra caput […] (189-190; „[…] mit ungeheurem Rücken steht das Fichtelgebirge da und hebt sein Haupt zu den Sternen […]“). Dieser Bergstock markiert aber nicht nur den Gipfelpunkt des Herkynischen Waldes, sondern auch den Mittelpunkt Deutschlands, ja ganz Europas: Er befindet sich in unmittelbarer Nähe Nürnbergs (Nor. 66-70), der Stadt, die für Celtis, wie erwähnt, genau in der Mitte von Land und Kontinent liegt. Unterstrichen wird die Zentralstellung des Fichtelgebirges noch durch die Hydrographie: Vier Flüsse entspringen dort und rinnen den vier Himmelsrichtungen zu - der Main nach Westen, die Saale nach Norden, die Naab nach Süden, die Eger nach Osten (Nor. 70-86, GG 189- 196). Der vertikalen Dominanz als Berg entspricht eine ungeheure Horizontalerstreckung als Wald: Der Herkynische Wald bedeckt anscheinend ganz Deutschland - jedenfalls erwecken die vielen Erwähnungen aller vier Himmelsrichtungen sowie die Nennung zahlreicher deutscher Regionen und Stämme diesen Eindruck. Celtis geht dabei so weit, den Wald sogar dort anzusetzen, wo dieser seinem eigenen Eingeständnis nach gar nicht mehr existiert: So konzediert er etwa, während er seine Erstreckung durch Bayern skizziert, er sei dort eigentlich schon gerodet (Nor. 56), und unterbricht die Beschreibung seiner Ausdehnung bis zur Nordsee durch den Einschub quamvis gentes ibi etiam sine arbore vivant („obwohl die Stämme dort auch in entwaldeten Gebieten leben“, Nor. 129), ohne sich dadurch jedoch weiter beirren zu lassen. Noch befremdlicher wirkt es, wenn der Herkynische Wald dort, wo er sich ausbreitet, deutsche Stämme sogar hervorbringt, wie es die Germania generalis für Siebenbürgen postuliert: Hic vbi nunc cultis est Transsilvania terris / Moribus Almanis gentem linguaque creauit (245-246; „Hier, wo jetzt Siebenbürgen mit seinen wohlbebauten Landstrichen liegt, hat er einen Stamm von deutschen Sitten und deutscher Sprache erschaffen“). 17 16 Vgl. hierzu Amores 2, 2, 49-51 Inter quos [sc. montes] surgit quadrifluvialibus undis, / Qui caput Hercinii dicitur esse iugi / Pinifer […] („Unter diesen [Bergen] erhebt sich mit vierflüssigen Wogen das Fichtelgebirge, das als Haupt des Herkynischen Bergkammes gilt […]“); weiters Amores 2, 10, 21-26; Odae 2, 13, 1-4; 3, 13, 26. 17 Möglicherweise ist diese rätselhafte Formulierung von der mythischen Vorstellung inspiriert, die ersten Menschen seien aus Bäumen entstanden (z.B. Hes. erg. 145). Martin Korenjak 28 Kaum weniger erstaunlich als die Doppelnatur des Herkynischen Waldes mutet auf den ersten Blick der Umstand an, dass Celtis ihn, obwohl er ihn mit Deutschland gleichzusetzen scheint, im Westen, v.a. aber im Osten weit über dessen Gebiet hinausreichen lässt. Der Hinweis auf die antiken Quellen, die dem Wald in der Tat eine gewaltige Ausdehnung bescheinigen, greift als Erklärung zu kurz, da Celtis ja auch sonst ein durchaus eigenständiges Bild entwirft. Eher hilft die Beobachtung weiter, dass der Humanist Deutschland generell nicht vom Rest der Welt isoliert, sondern es vielmehr in möglichst weitreichende historische, kulturgeschichtliche, kosmologische und geographische Zusammenhänge stellt und ihm innerhalb dieser eine zentrale Position zuweist. 18 In geographischer Hinsicht erreicht er dieses Ziel, wie bereits gesehen, indem er den Mittelpunkt Deutschlands und Europas nach Nürnberg bzw. ins Fichtelgebirge verlegt, was impliziert, dass Deutschland selbst in der Mitte Europas liegt. 19 Dazu passt es nun gut, dass der Herkynische Wald, der Deutschland ganz bedeckt, nicht an dessen Grenzen endet, sondern weitere Teile des Kontinents einnimmt. Deutschland kann so den zentralen Teil eines gesamteuropäischen Naturraumes für sich beanspruchen und erscheint auf diese Weise einmal mehr als Herz des Kontinents. Ein letzter Aspekt, der die zentrale Rolle des Herkynischen Waldes für Celtis’ Vorstellung von Deutschland unterstreicht, ist schließlich seine kulturgeschichtliche Bedeutung: Der Wald beherbergt nämlich griechisch gebildete Druiden, die unter Tiberius aus Gallien in Deutschland eingewandert sind, die Deutschen zivilisiert und sich später zu Mönchen gewandelt haben. Mit dieser wilden Geschichtsklitterung wendet sich Celtis gegen den Kulturdünkel der italienischen Humanisten und insbesondere gegen Enea Silvio Piccolomini, der in seiner Germania (1458) behauptet hatte, das alte Germanien sei eine barbarische Einöde gewesen; erst die römische Kirche habe die Kultur nach Deutschland gebracht. Die Druiden im Herkynischen Wald stellen demgegenüber sicher, dass Germanien schon in der Antike ein kultiviertes Land war und dass es diese Kultur nicht Italien verdankt. 20 18 Vgl. Müller 2001, 303-439. 19 Diese Konstellation hat einen interessanten Vorläufer - aber wohl kein Vorbild - in der 1479 vollendeten Superioris Germaniae confoederationis descriptio des Schweizer Frühhumanisten Albrecht von Bonstetten: Die Schweiz ist seiner Ansicht nach tamquam cor et punctus medius („gleichsam das Herz und der Mittelpunkt“) Europas. Ihr eigenes Zentrum und damit auch dasjenige Europas wird durch die Rigi bei Luzern markiert (Bonstetten 1893, 229-230). 20 Müller 2001, 250-257, 418-424; Krebs 2005, 118-156, v.a. 138-155. Die Idee begegnet auch in den Amores (1, 12, 35-42) und den Odae (3, 28, 20-35). Deutschland als Landschaft 29 Der Herkynische Wald als Landschaft Bei alldem bemüht Celtis sich stets, ein anschauliches Bild des Waldes zu zeichnen und einen ästhetischen Gesamteindruck zu vermitteln, also genau das zu realisieren, was eine Landschaftsbeschreibung von einer bloßen geographischen Darstellung abhebt. 21 Er kann hierzu auf eine Form rekurrieren, die in der antiken Literatur häufig anzutreffen und von der Rhetorik gründlich beschrieben worden ist, nämlich die τοπογραφία oder loci descriptio, eine Varietät der Ekphrasis, die sich bemüht, dem Leser oder Zuhörer einen Sachverhalt durch Häufung charakteristischer Details möglichst plastisch vor Augen zu stellen. 22 Zumindest in der Norimberga wird der Exkurs zum Herkynischen Wald zu Beginn und am Ende eindeutig als loci descriptio gekennzeichnet: Est silva, beginnt das dritte Kapitel (30) - eine Phrase, die sich unschwer als Variante der in diesem Zusammenhang klassischen Einleitung Est locus erkennen lässt. Der Schlusssatz wiederum (263-265) behauptet (rätselhafterweise), in Celtis’ Germania illustrata liege bereits eine ausführlichere τοπογραφία des Herkynischen Waldes vor: de quibus in Germania nostra illustrata, quae ad topographiam attinere visa sunt, diffusius scripsimus. Tatsächlich entsteht sowohl in der Norimberga als auch in der Germania generalis ein ausdrucksstarkes, wenn auch idiosynkratisches Bild des Herkynischen Waldes als einer wundersamen Gegend, die sich durch ihre naturae maiestas (Nor. 6; 72-73) auszeichnet. Drei literarische Techniken, deren sich Celtis zu diesem Zweck bedient und die besonders ins Auge springen, seien kurz besprochen: leitmotivischer Einsatz von Epitheta, Personifikation und Dynamisierung. Was den ersten Punkt betrifft, so ist die Beschreibung sowohl in der Norimberga als auch in der Germania generalis durchzogen von Beiwörtern, die auf die ungeheure Ausdehnung des Herkynischen Waldes hinweisen: ingens, vastus, longus, immanis, latus werden zu diesem Zweck systematisch wiederholt. 23 Ähnliches gilt für die Wortfelder der Dunkelheit (niger, ater u.a.) 24 und - hauptsächlich in der Germania generalis - der Wildheit (trux, rapidus u.a.). 25 21 Dass der Begriff „Landschaft“ eine ästhetische Komponente impliziert, gehört zu dem Wenigen, worüber sich die Landschaftsforschung einig ist. Vgl. etwa den Landschaftsartikel von Frank / Lobsien 2001 im Lexikon Ästhetische Grundbegriffe und die Bemerkungen bei Trepl 2012, 16-17. 22 Lausberg 1973, Bd. 1, §§ 810-819, v.a. § 819. 23 ingens: Nor. 46, 69, 135, 156, GG 189, 236, 263; vastus: Nor. 51, 61, 111, 130, 160, GG 197, 247, 253; longus: Nor. 54, 115, 130, GG 215, 226; immanis: Nor. 46, 74; latus: Nor. 61, 130. Vgl. weiters immensus (Nor. 97-98), infinitus (Nor. 98), tantus (Nor. 135), maximus (GG 170), altus (GG 196). 24 niger: Nor. 61, GG 203, 242; ater: GG 189, 229. Vgl. weiters obumbrans (Nor. 59), obscurus (Nor. 150), parum lucidus (Nor. 151), nebulosus (GG 172), opacus (GG 201), nubiger (GG 222). 25 trux: Nor. 47, GG 209, 255; rapidus: GG 227, 259, 262. Vgl. weiters ferus (GG 208), desertus (GG 214), ferox (GG 237), bellax (GG 239), durus (GG 248). Martin Korenjak 30 Kumulativ verleihen diese Ausdrücke dem Herkynischen Wald etwas, das noch heute als Kennzeichen einer Landschaft im Gegensatz zu einer bloßen Gegend gilt - eine charakteristische Stimmung. 26 Zweitens fällt auf, dass der Herkynische Wald durchgehend als Mensch oder zumindest als Lebewesen dargestellt wird. 27 Redeweisen wie caput fluminis oder „Bergfuß“, die Landschaftselemente vermenschlichen, sind an sich weder im Lateinischen noch im Deutschen etwas Ungewöhnliches, die Häufung und leitmotivische Insistenz solcher Redeweisen bei Celtis aber sehr wohl: Der Herkynische Wald erstreckt sich bei ihm in verschiedenen „Armen“ (bracchia) und „Hörnern“ (cornua) hier- und dorthin. Seine Berge haben „Rücken“ (dorsa) und „Flanken“ (latera), erheben sich in „Stirnen“ (frontes) und „Häuptern“ (capita) und gipfeln in „Scheiteln“ (vertices). 28 Zur vermenschlichten Anatomie kommen menschlich anmutende Verhaltensweisen: Der Wald gießt Flüsse (und Bodenschätze) aus, bekleidet einen Bergkopf mit Laub, verbirgt wilde Tiere, breitet ihnen ein Lager aus und rühmt sich stolz als Mutter vieler Flüsse - von der schon erwähnten Erschaffung eines deutschen Volksstammes in Siebenbürgen, die ihm fast göttlichen Status zu verleihen scheint, ganz zu schweigen. 29 In gewisser Weise erscheint er so geradezu als gigantischer Bewohner des Landes, das er bedeckt. Und wie ein Mensch ist die Hercynia silva drittens auch nicht passiv und ortsfest, sondern aktiv und beweglich. Ein kurzes Textbeispiel mag das veranschaulichen (GG 206-216): Sed transrhenanas vbi sylva reliquerit oras, Tendit ad innumeras Germano sanguine gentes: […] […] candentes praeterit Alpes Elvecijs porrecta iugis durisque Cheruscis Uindelicos Rhetosque petens et Norica rura Perque lacus plures capientium ab Alpibus vndas Boiorum deserta petit rursusque sub Arcton Brachia longa iacit, Sueuos Francosque Turogos Circuit. 26 S. z.B. Trepl 2012, 23-25. 27 Zur Personifikation (fictio personae) im hier vorliegenden Sinne s. Lausberg 1973, § 829. 28 bracchia: GG 166, 215, 233; cornua: Nor. 75, 136, GG 188, 195, 234, 236, 247; dorsa: Nor. 54, 70, 221 (vgl. auch tergum: Nor. 112; spina: Nor. 222), GG 174, 189, 227; latera: Nor. 89, 115; frontes: Nor. 135, GG 228; capita: Nor. 90, GG 190, 231; vertices: GG 168, 171, 190, 196, 231, 252. 29 Nor. 71-73 (amnes […] effundit), GG 173 (spumantia flumina fundunt), 191 (fundit vaga flumina), 258 (effundens munera venis); GG 231 (caput nemoroso vertice vestit); GG 254-255 (feras volucresque […] abdens; abscondens […] visontes), 230 (feris foliosa cubilia sternit); Nor. 30-33 (se […] inclitum amnium parentem iactat), 73-74 (amnium et silvarum parente); GG 246 (moribus Almanis gentem linguaque creauit). Deutschland als Landschaft 31 Doch nachdem der Wald die überrheinischen Gestade verlassen hat, eilt er unzähligen Völkerschaften deutschen Blutes zu: […] er geht an den glänzend weißen Alpen vorüber, wobei er sich zu den helvetischen Bergen und den harten Cheruskern hinstreckt, den Vindelikern und Rätern zustrebt und den norischen Feldern, und strebt über mehrere Seen hinweg dem öden Land der Boier zu, die ihr Wasser von den Alpen bekommen, wirft dann seine langen Arme wieder nach Norden und geht um Schwaben, Franken und Thüringer herum. 30 Dieser Wald bewohnt Deutschland nicht nur, er scheint es sogar zu durchwandern, ganz ähnlich, wie sein Beschreiber Celtis das von sich selbst behauptet (Nor. 9-10, 15-16; GG 280). Rezeptionsgeschichte Fiel Celtis’ Versuch, den Herkynischen Wald zu einem landschaftlichen Emblem Deutschlands zu stilisieren, bei seinen Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen auf fruchtbaren Boden? Die Frage lässt sich unterschiedlich beantworten, je nachdem ob man sie konkret auf den Herkynischen Wald, auf die Vorstellung des deutschen Waldes oder auf die Idee der Nationallandschaft schlechthin bezieht: Je allgemeiner man sie stellt, desto entschiedener kann man sie bejahen. Was den Herkynischen Wald als solchen betrifft, so hielt sich die Begeisterung bei den auf Celtis folgenden Humanisten, die mit ihren landeskundlichen Schriften seinen Plan einer Germania illustrata in die Tat umzusetzen versuchten, 31 in engen Grenzen. Wo er, wie etwa in Beatus Rhenanus’ Rerum Germanicarum libri tres (Basel 1531) und in Willibald Pirckheimers Germaniae […] perbrevis explicatio (Nürnberg 1532), 32 erwähnt und beschrieben wird, geschieht das im Wesentlichen in Auseinandersetzung mit den antiken Quellen und ohne Rekurs auf Celtis. Eine Ausnahme bildet der Kommentar des Jodocus Willich zur taciteischen Germania (Frankfurt a.d. Oder 1551), dessen Beschreibung in wesentlichen Punkten (Größe, unterschiedliche Namen, Erstreckung über ganz Germanien, Vergleich mit Taurus und Atlas, Ableitung des Namens von „Harz“) Celtis folgt. 33 Auf der anderen Seite übergeht eine Reihe 30 Weitere Verben und Substantive der Bewegung finden sich etwa in Nor. 78 (progrediens), 86 (se erigit), 91 (consurgens), 93 (impetu), 98-99 (divagatur [ebenso Amores, praef. Bl. Avi r ]), 128 (se reflectit), 132 (se recurvans), 135 (peregrinationem fecerat), 136 (se attollat), GG 165- 168 (se diffudere, tendentes brachia, petunt, procumbant), 171 (feriunt […] sydera), 196 (Herciniam trahit […] syluam), 198-199 (errans, explicat […] lucos), 221 (aditura), 226 (dorsum protendit), 233-234 (tendat brachia, protendens cornua), 236-237 (cornua flexit, petit), 243-244 (deseruit, petit), 247-248 (diffundit cornua, petens), 253 (pererrans). 31 Müller 2001, 472-483; Muhlack 2002. 32 Zu Beatus vgl. Mundt 2008, 659 s.v. Hercynia silua; in Pirckheimers Werk s. Bl. D v -D2 r . 33 In Cornelii Taciti equitis Romani Germaniam commentaria, Bl. O v -O2 v . Martin Korenjak 32 von Autoren das Thema überhaupt mit Stillschweigen. Das gilt etwa für Franciscus Irenicus’ Germaniae exegeseos volumina duodecim (Hagenau 1518) ebenso wie für Sebastian Münsters Germaniae […] descriptio (Basel 1530). Das Aufkommen einer spezifisch deutschen Waldbegeisterung wird in der Regel auf die Zeit um 1800 datiert und mit der Romantik in Zusammenhang gebracht. 34 Demgegenüber weist die Kunstgeschichte darauf hin, dass bereits die sogenannte Donauschule, die seit etwa 1510 im süddeutschen Raum, nicht zuletzt in Nürnberg, die ersten reinen Landschaftszeichnungen und -gemälde schuf, mit Vorliebe Waldlandschaften darstellte und dass dieses Faible auf patriotischen Ideen beruhen dürfte: Der Wald galt anscheinend schon Malern wie Albrecht Altdorfer (ca. 1480-1538) und Wolf Huber (ca. 1485-1553) als typisch deutsche Landschaft. 35 Dass Celtis mit seinen engen Beziehungen zu Nürnberg und zu Künstlern wie Albrecht Dürer diese Vorstellung mit angeregt hat, scheint grundsätzlich plausibel. 36 Um seine Rolle genauer zu bestimmen, müsste man seine Kontakte zur Kunstszene und die zeitgenössische Rezeption von Norimberga und Germania generalis freilich besser kennen, als das der Fall ist. Weitgehend im Dunkeln liegt dann die weitere Entwicklung. Ob sich Traditionslinien deutscher Waldverbundenheit bis 1800 durchziehen oder ob die zweite Entdeckung des deutschen Waldes einen von der ersten unabhängigen Neuansatz darstellt, muss einstweilen offen bleiben. Mit Entschiedenheit kann man dagegen behaupten, dass Celtis in der Vorgeschichte der Nationallandschaft ganz allgemein eine Schlüsselrolle zukommt: Seine Behandlung des Herkynischen Waldes dürfte einen entscheidenden Anstoß zur ersten Assoziation eines politischen Territoriums mit einer bestimmten Landschaft gegeben haben, die sich langfristig in den Köpfen festsetzte, nämlich zur ‚Erfindung‘ der Schweizer Alpen. Dieses Ereignis lässt sich recht präzise auf das Jahr 1514 datieren, als der junge Glarean in Basel seine Helvetiae descriptio et in laudatissimum Helvetiorum foedus panegyricum publizierte, eine allgemein gehaltene Beschreibung der Eidgenossenschaft in 176 Hexametern, gefolgt von kürzeren Preisungen jedes einzelnen ihrer damals 13 Orte. 37 Das Doppelgedicht ist offensichtlich von Celtis’ Plan einer allgemein gehaltenen Deutschlandbeschreibung nebst detaillierten Darstellungen der einzelnen Regionen inspiriert und überträgt ihn in knapperer Form auf die Eidgenossenschaft. Der erste Teil, die Helvetiae 34 Vgl. aus der umfangreichen Literatur zum deutschen Wald etwa Lehmann 1999, v.a. 25 („Die bis heute wirkende Symbolgeschichte des Waldes entwickelte sich seit dem napoleonischen Zeitalter und ist Ergebnis der deutschen Romantik“); Breymayer / Ulrich 2011. 35 S. insbesondere Wood 1993, v.a. 128-202. 36 Wood 1993, 128-131, 157-159, 169-170, 173, 176, 177-180, 194. 37 Neueste Ausgabe: Glareanus 1948. Weitere moderne Editionen und Sekundärliteratur bei Korenjak 2012a, 392-393. - Ansatzweise wird die Schweiz bereits bei Albrecht von Bonstetten (s.o. Anm. 19) als Alpenland dargestellt. Bonstettens Werk blieb jedoch lange ungedruckt und entfaltete anscheinend keine nachhaltige Wirkung. Deutschland als Landschaft 33 descriptio, entspricht dabei als kurzes chorographisches Lehrgedicht in Hexametern auf der Basis antiker Quellen der Germania generalis. 38 Wie Celtis Deutschland durch den Herkynischen Wald bestimmt, 39 so definiert auch Glarean die Schweiz geographisch durch ein charakteristisches Element (das im Übrigen ebenfalls weit über ihre Grenzen hinausreicht), 40 eben die Alpen: Mit ihnen beginnt und endet die eigentliche Beschreibung (17, 174-176). Sie präsentieren sich als fruchtbare, geradezu paradiesische Ideallandschaft (76- 80), machen die Schweiz zum „Haupt Europas“ (58, 174-176) und sind für den ganzen Kontinent von größter Bedeutung, da dieser ihren vergletscherten Gipfeln seinen Wasserreichtum verdankt: Von ihrem Gipfel ergießen sich gewaltige Ströme in alle vier Himmelsrichtungen. Die Anregung durch Celtis’ Fichtelgebirge ist hier mit Händen zu greifen (64-69): 41 Ad Zephyrum et Libyen Rhodanus, Rhenana furentem Unda citat Borean, gelidas rotat Ister ad Eurum Dirus aquas, Getico novus hospes et advena Ponto. Ast alios sileo, quos Italia accipit amnes Alpibus a nostris quaeque alto a vertice montes Agmina disparibus fundunt latissima sulcis. Dem Westwind und Libyen zu [fließt] die Rhone, die Woge des Rheins fordert den rasenden Nordwind heraus, der schreckliche Ister wälzt seine kalten Wasser dem Ostwind zu, ein neuer Gast und Ankömmling in der Getischen See. Aber die anderen Ströme verschweige ich, die Italien von unseren Alpen empfängt und die Berge von ihrem hohen Scheitel herabgießen, gewaltige Wassermassen in zu schmalen Betten. Glareans Descriptio wurde ausgesprochen populär und begründete ein Schweizer Selbstverständnis, in dem die Alpenlage des Landes eine entscheidende Rolle spielte und bis heute spielt. 42 Während des 18. und 19. Jhs. wurde 38 Die Beziehung zwischen Germania generalis und Helvetiae descriptio wurde noch nie näher untersucht. Weitere Analogien stellen etwa die ‚Überblendung‘ antiker und zeitgenössischer Verhältnisse und die (weit über das gleich zu nennende Beispiel hinausgehende) Bedeutung der Hydrographie in beiden Texten dar. Während Celtis sein Gedicht mit einer Weltentstehung beginnt, schließt Glarean mit einer solchen, wobei Phrasen aus dem Vorbild anklingen (172 inane chaos < GG 9 deforme chaos, 173 fera bella < GG 13 bella). 39 Dass er Glarean damit beeindruckt hat, legen zwei innerhalb der Descriptio unmotivierte Erwähnungen nahe: Einmal ist von „herkynischen Schwaben“ die Rede (21), ein andermal nennt Glarean die „herkynischen Waldgebiete, einen Wald, der endlos umherschweift“ (49; Hercinios saltus, sylvam sine fine vagantem [vgl. hierzu Nor. 98-99 divagatur]). 40 Innerhalb der Descriptio wird das dadurch klar, dass die Alpen auch dazu dienen, die Grenzen der Schweiz abzustecken (17, 27). 41 Korenjak 2012a, 397 Anm. 21. 42 Zur Popularität von Glareans Descriptio (Präsentation an der eidgenössischen Tagsatzung in Zürich, Kommentierung, Nachdrucke) vgl. Korenjak 2012a, 392-393. Zur Identifikation der Schweizer mit den Alpen in der Folgezeit etwa Bergier / Guzzi 1992 (darin besonders Marchal 1992); Maissen 2010; Marchal 2010. Martin Korenjak 34 dieses Schweizer Selbstbild im Zuge des europaweiten Philhelvetismus 43 auch zu einem Fremdbild: Die Alpen wurden überall als die Schweizer Landschaft schlechthin bekannt. In dieser Eigenschaft inspirierten sie dann weitere Territorial- und Nationallandschaften, wie sie in den letzten Jahrhunderten allenthalben entdeckt bzw. erfunden wurden: von den Bergen Tirols, Österreichs, Schottlands und Norwegens, die sich eng an das Schweizer Modell anlehnen, bis hin zu Gegenentwürfen wie der ungarischen Puszta und den Weiten der russischen Steppe. 44 Literaturverzeichnis Bergier, Jean-François / Guzzi, Sandro (Hgg.): La découverte des Alpes / La scoperta delle Alpi / Die Entdeckung der Alpen, Basel 1992. Bonstetten, Albrecht von: Briefe und ausgewählte Schriften, hg. von Albert Büchi, Basel 1893. Boscani Leoni, Simona (Hg.): Wissenschaft - Berge - Ideologien. Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) und die frühneuzeitliche Naturforschung / Scienza - Montagne - Ideologie. Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) e la ricerca naturalistica in epoca moderna, Basel 2010. Breymayer, Ursula / Ulrich, Bernd (Hgg.): Unter Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald, Dresden 2011. Bruni, Leonardo: Opere letterarie e politiche, a cura di Paolo Viti, Turin 1996. Celtis, Konrad: Conrad Celtis und sein Buch über Nürnberg, hg. von Albrecht Werminghoff, Freiburg i.B. 1921. Celtis, Konrad: Quae Vindobonae prelo subicienda curavit opuscula, hg. von Kurt Adel, Leipzig 1966. Celtis, Konrad: „Norimberga“. Ein Büchlein über Ursprung, Lage, Einrichtungen und Gesittung Nürnbergs, vollendet um das Jahr 1500, gedruckt vorgelegt 1502, aus dem Lateinischen erstmals in modernes Deutsch übersetzt und erläutert von Gerhard Fink, Nürnberg 2000. Frank, Hilmar / Lobsien, Eckhard: Landschaft, in: Ästhetische Grundbegriffe 3, 2001, 617-665. Glareanus, Henricus: Helvetiae Descriptio. Panegyricum, hg. und übersetzt von Werner Näf, St. Gallen 1948. Haug, Ferdinand: Hercynia silva, RE 15, 1912, 614-615. Hentschel, Uwe: Mythos Schweiz. Zum deutschen literarischen Philhelvetismus zwischen 1700 und 1850, Tübingen 2002. 43 Hentschel 2002. 44 Vgl. etwa Walter 2007, v.a. 222-234. Zu Schottland s. insbesondere Utz 1996. Tirol ist insofern ein Sonderfall, als das Schweizer Modell dort, wohl mitbedingt durch die geographische Nähe, schon ab 1600 intensiv rezipiert wurde (Korenjak 2012b, v.a. 158-159). Noch nicht gestellt wurde die Frage nach einer möglichen schweizerischen Inspiration m.W. im Falle der Niederlande, deren Landschaft im 16. und 17. Jh. im Medium der Malerei zum Symbol der jungen Republik aufstieg (Michalsky 2004). Deutschland als Landschaft 35 Korenjak, Martin: Das Wasserschloss Europas. Glarean über die Schweizer Alpen, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 62, 2012, 390-404 (Korenjak 2012a). Korenjak, Martin: Wie Tirol zum Land im Gebirge wurde. Eine Spurensuche in der Frühen Neuzeit, Geschichte und Region / Storia e regione 21, 2012, 140-162 (Korenjak 2012b). Krebs, Christopher B.: Negotiatio Germaniae. Tacitus‘ Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel, Göttingen 2005. Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik, 2 Bde., München 2 1973. Lehmann, Albrecht: Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald, Reinbek bei Hamburg 1999. Maissen, Thomas: Die Bedeutung der Alpen für die Schweizergeschichte von Albrecht von Bonstetten (ca. 1442/ 43-1504/ 05) bis Johann Jakob Scheuchzer, in: Boscani Leoni 2010, 161-178. Marchal, Guy P.: La naissance du mythe du Saint-Gothard ou la longue découverte de l’ „homo alpinus helveticus“ et de l’ „Helvetia mater fluviorum“ (XVe s. - 1940), in: Bergier / Guzzi 1992, 35-53. Marchal, Guy P.: Johann Jakob Scheuchzer und der schweizerische „Alpenstaatmythos“, in: Boscani Leoni 2010, 179-194. Michalsky, Tanja: Die Natur der Nation. Überlegungen zur „Landschaft“ als Ausdruck nationaler Identität, in: Klaus Bußmann / Elke Anna Werner (Hgg.): Europa im 17. Jahrhundert. Ein politischer Mythos und seine Bilder, Stuttgart 2004, 333-354. Muhlack, Ulrich: Das Projekt der Germania illustrata. Ein Paradigma der Diffusion des Humanismus? , in: Johannes Helmrath / Ulrich Muhlack / Gerrit Walther (Hgg.): Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, Göttingen 2002, 142-158. Müller, Gernot Michael: Die „Germania generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edition, Übersetzung und Kommentar, Tübingen 2001. 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Wehler, Hans-Ulrich: Nationalismus. Geschichte - Formen - Folgen, München 2 2004. Wood, Christopher S.: Albrecht Altdorfer and the Origins of Landscape, London 1993. Thomas Gärtner (Köln) Der strukturelle Aufbau der Amores des Konrad Celtis vor dem Hintergrund antiker Vorbilder Die Amores sind das einzige dichterische Werk des Konrad Celtis, welches von diesem selbst zum Druck gebracht wurde (im Jahr 1502); neben diesem Druck existieren noch handschriftliche Fragmente in Nürnberg und Wien. 1 In seinem formalen Aufbau folgt dieses Werk, abgesehen von der prosaischen Widmungsvorrede an Maximilian von Österreich, ganz der römischen Liebeselegie, wie sie uns durch Properz, Tibull und die Amores Ovids vertreten ist: Vier Bücher enthalten jeweils 13-15 Gedichte, die ihrerseits größtenteils in elegischen Distichen verfaßt sind und jeweils ungefähr 20 bis weit über 100 Verse umfassen. Der Unterschied der Amores des Celtis gegenüber der klassischen Liebeselegie besteht darin, daß die vier Bücher vier Stationen auf der „Lebensreise“ eines sicherlich fingierten, aber prinzipiell deutlich zur historischen Person des Dichters in Bezug gesetzten Ichs repräsentieren. Dieses Celtis-Ich, wie es hier genannt werden soll, bewegt sich vom Osten Deutschlands (mit dem Zentrum Krakau) in den Süden (Zentrum Regensburg), dann in den Westen (Zentrum Mainz) und schließlich in den Norden (Zentrum Lübeck). Diese vier Lebensstationen lassen sich nur rudimentär mit der Biographie des historischen Celtis in Verbindung bringen - konkrete berufliche Tätigkeiten an seinen Bestimmungsorten, die eine Koordination mit der Biographie des historischen Celtis 2 erleichtern würden, werden in den Amores nicht genannt. An jedem der vier Bestimmungsorte lernt das Celtis-Ich eine neue Geliebte kennen: in Krakau Hasilina, in Regensburg Elsula, in Mainz Ursula und in Lübeck Barbara. Auf diese Weise wird die klassische Makrostruktur eines Elegienbuchs in den Dienst einer autobiographischen Abteilung verschiedener Lebensphasen genommen. Zugleich hat diese so konstituierte Vierteilung auch astronomisch-astrologische und geographische Aspekte, insofern ethnisch-kulturelle Besonderheiten der jeweiligen Region die Darstellung des jeweiligen Liebesverhältnisses mitbeeinflussen. Diese Unterordnung der Strukturprinzipien einer klassischen Elegiensammlung unter einen autobiographischen Ich-Entwurf hat zur Folge, daß 1 Umfassend zu Überlieferung und Ausgaben der Amores des Celtis: Robert 2008, 401-404, besonders 404. 2 Hierzu Robert 2008, 375-382. Thomas Gärtner 38 bestimmte interpretatorische Herangehensweisen, welche modernen Erklärern der römischen Liebeselegie forschungsgeschichtlich bedingt nahestehen, aber andererseits auch zurecht problematisiert werden, auf die Amores des Celtis ohne weiteres angewendet werden können bzw. sogar notwendig angewendet werden müssen. Dies betrifft zunächst die Möglichkeit einer Identifikation des dichterischen Ichs der einzelnen Elegien mit dem Ich des Dichters. Diese Identifikation ist in einem großen Teil klassischer Liebeselegien sicherlich möglich - andererseits warnen Einzelfälle, wo etwa (als Beispiel diene hier das vierte Buch Properzens) anstelle des Dichter-Amators plötzlich ein Fremdenführer spricht (4, 1) oder eine zurückgelassene Arethusa an ihren auf dem Parther- Feldzug befindlichen Gatten Lycotas schreibt (4, 3). Vor solchen Überraschungen ist ein auf die Identität des Ichs der einzelnen Elegien mit dem Dichter- Ich vertrauender Celtis-Leser gefeit. Formal bekundet sich diese Sicherheit darin, daß der Eigenname Celtis häufig sogar als sprachliches Synonym zu ego figuriert. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß alle Aussagen über das dichterische Ich im Sinne der historischen Celtis-Biographie interpretierbar wären; es liegt im Gegenteil eine dezidiert fiktive Selbststilisierung der eigenen Dichterpersönlichkeit vor, die konkrete biographische Stationen (wie etwa berufliche Betätigungen an verschiedenen Universitäten) bewußt unter einen Schleier der Mystifizierung legt. Man kann also keineswegs das dichterische Ich der einzelnen Elegien mit der historischen Person des Konrad Celtis identifizieren, sondern nur einen in den Amores konstantbleibenden Gebrauch eines seinerseits stilisierten Celtis-Ichs konstatieren - während man etwa in den Elegien Properzens das dichterische Ich nicht ohne weiteres mit einem stilisierten Properz-Ich identifizieren kann. Die zweite „Interpretationsvereinfachung“ in den Amoren des Celtis gegenüber der klassischen römischen Liebeselegie betrifft die Möglichkeit einer seriellen Lektüre der Einzelelegien des jeweiligen Elegienbuchs. Etwa Niklas Holzberg hat die Einzelelegien der ovidischen Amores in serieller Lektüreweise als einen sukzessiven Liebesroman verstanden und ist dabei zu überzeugenden Ergebnissen gelangt. 3 Doch gibt es in der klassischen Elegie auch Gegeninstanzen zu einer solchen seriellen Interpretationsweise: So ist Cynthia dem elegischen Ich in Properz 4, 7 als ein Totenschatten im Traum begegnet und hat auf ihr eigenes Begräbnis reflektiert, während sie in 4, 8 das Ich als höchst lebendige Person überrascht. Offenbar ist also das vierte Properzbuch nicht auf eine serielle Interpretationsweise des Lesers angelegt bzw. es schockiert den seriell interpretierenden Leser durch einen grellen Anachronismus. Vor solchen schockierenden Anachronismen darf sich ein Leser, welcher Konrad Celtis auf der fingierten Lebensreise seiner Amores begleitet, hinreichend sicher fühlen. 3 Vgl. Holzberg 2005, 55-78. Der strukturelle Aufbau der Amores des Konrad Celtis 39 Worin besteht nun, abgesehen von solchen allgemeinen Problemen der Interpretation von Elegienbüchern, der inviduelle Einfluß der einzelnen römischen Elegiker auf die Amores des Celtis? Bei der Beantwortung dieser Frage spielen nicht nur die klassischen Elegiker Properz, Tibull und Ovid eine Rolle, sondern es muß auch auf den rezeptionsmächtigen einzigen spätantiken Nachfolger der elegischen Gattung, nämlich den seinerseits hinsichtlich Datierung und Interpretation hochumstrittenen Maximian, eingegangen werden. Properz hat in seinem letzten Buch eine Neuerung innerhalb der römischen Liebeselegie vollzogen, insofern er das antiquarische und kulturelle Umfeld der Stadt Rom verstärkt in sein erotisches Erleben miteinfließen ließ. Bei Celtis ist diese von Properz am Ende seines Werks vollzogene Neuerung von vorneherein etablierter Usus: die kulturellen Umfelder der einzelnen Aufenthaltsorte dienen ihm dazu, den Liebeserlebnissen der einzelnen Bücher jeweils charakteristisch verschiedenes Gepräge zu geben. Als Beispiel sei verwiesen auf die Schilderung der Besichtigung eines Salzbergwerks nahe Krakau (im südpolnischen Wieliczka) in Am. 1, 6. Die Besichtigung wird von Celtis hochstilisiert zu einem Gang in die Unterwelt, und die so gewonnene Jenseitsbzw. Todeserfahrung integriert der Dichter in seine Liebeserlebnisse, insofern er daraus eine Aufforderung an Hasilina ableitet, das diesseitige Leben um so mehr zu genießen. Das entscheidende imitatorische Verfahren des Celtis gegenüber Properz besteht also in der variierenden Diversifikation: Celtis greift das Verfahren auf, welches Properz in seinem Schlußbuch als poetologische Neuerung einführt, nimmt es jedoch als etabliertes literarisches Verfahren und benutzt es, um seinen Einzelbüchern ein charakteristisch verschiedenes Gepräge zu geben. Im Falle der Tibull-Rezeption durch Celtis ist die Diversifikation bereits als literarisches Verfahren bei dem römischen Klassiker selbst greifbar: Tibull ist der einzige unter den klassischen römischen Liebeselegikern, bei dem sich in verschiedenen Gedichtbüchern die Identität der jeweiligen Hauptgeliebten ändert: Im zweiten Buch wird Delia durch Nemesis abgelöst. Verbunden mit diesem Wechsel ist eine - bereits durch den Namen Nemesis angedeutete - erhebliche Verschärfung der persönlichen Situation des amator: Nemesis erweist sich im Vergleich zu Delia als erheblich hartherziger und vor allem habgieriger: Sie nimmt ihren Liebhaber finanziell völlig aus, mit der Folge, daß dieser sich von sämtlichen im Verlaufe des ersten Buchs entwickelten Lebensidealen (etwa der ländlich-beschaulichen Lebensweise) sukzessive trennen muß und einer sich zunehmend verabsolutierenden Liebesqual ausgesetzt ist. 4 4 Hierzu: Gärtner 2003. Thomas Gärtner 40 Bei Celtis entsprechen den vier Büchern seiner Amores auch vier namentlich profilierte Hauptgeliebte (Hasilina, Elsula, Ursula und Barbara). Während es für das elegische Ich Tibulls zunehmend härter kommt und das servitium amoris erst allmählich seinen Vollsinn erreicht, scheint bei Celtis diese höchste Stufe bereits im ersten Buch bei Hasilina erreicht zu sein. Die späteren Geliebten scheinen weitaus mitfühlender als Hasilina, und die letzten beiden (Ursula und Barbara) gehen sogar in recht liebevoller Weise auf die zunehmenden Altersbeschwerden des Celtis-Ichs ein: Ursula wohnt einem medizinisch bedingten Aderlaß bei (Am. 3, 11), und Ursula muß sogar für die nachlassende Potenz ihres Liebhabers sorgen (Am. 4, 9), worauf noch im Zusammenhang mit der Maximian-Rezeption näher einzugehen sein wird. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Tibull in seinen beiden Büchern das servitium amoris erst sukzessive seinem Höhepunkt zuführt, während Celtis von dieser Vollform als Grundgegebenheit des noch jungen Celtis-Ichs und zugleich als literarisch-klassischer Urform ausgeht und erst allmählich zu den altersbedingten Verfallserscheinungen übergeht. Für diesen altersbedingten Verfall der Liebe bietet sich insbesondere ein spätantikes Vorbild an, nämlich das aus nur sechs Stücken bestehende Elegienbüchlein des Maximian. Daß Celtis diesen etwas obskuren spätantiken Autor neben Properz, Tibull und Ovid rezipiert haben soll, mag zunächst fragwürdig erscheinen. Doch muß man sich vor Augen halten, daß Maximian und insbesondere seine Ausführungen de senectute das ganze Mittelalter über zur einschlägigen Schullektüre gehörten und daß Maximians neuzeitliche Editio princeps bereits im Jahr 1473 in Utrecht erschien. Es ist zwar sehr zweifelhaft, ob die einflußreiche Neuausgabe des Pomponius Gauricus, welche im Jahr 1501 (also ein Jahr vor dem Druck der Amores) die Elegien Maximians unter der pseudistischen Zuschreibung an Cornelius Gallus weit verbreitete, noch auf die Amores des Celtis einwirkte: 5 Aber überlieferungsgeschichtlich ist dennoch eine Berührung des Celtis mit dem das ganze Mittelalter hindurch rezipierten Maximian geradezu genauso selbstverständlich wie seine Properz- und Tibullrezeption im Zuge der Renaissance. Maximian gab Celtis die entscheidende Anregung, die Liebeserlebnisse eines alternden amator in seine Amores miteinzubeziehen. Das Ich Maximians findet sich in der verzweifelten Situation, zu begreifen, daß der Liebesgenuß, 5 Zur frühneuzeitlichen Text- und Wirkungsgeschichte Maximians vgl. Schneider 2003, 156-160. Die Diskussion um die Autorschaft des römischen Erzelegikers Cornelius Gallus beginnt jedoch schon wesentlich früher im 15. Jahrhundert (vgl. Schneider 2003, 157 Anm. 51). Wenn man die Verse Maximians gemäß dieser pseudistischen Zuschreibung bereits in der Zeit des Celtis als das Produkt des frühesten unter den vier kanonischen Elegikern des römischen Altertums lesen konnte, so dürfte auch dies die Selbstverständlichkeit der Maximian-Rezeption in den Amores des Celtis verdeutlichen (Hinweis von G. Vogt-Spira). Der strukturelle Aufbau der Amores des Konrad Celtis 41 der in der Jugend möglich gewesen wäre, aber aufgrund von Keuschheitsidealen abgelehnt wurde, im Alter nicht mehr möglich ist, wiewohl es verzweifelt erstrebt wird. Maximian schildert aus der Perspektive des gealterten Liebhabers heraus vier Liebesereignisse mit vier verschiedenen Partnerinnen. Eingeschachtelt werden zwei nicht wirklich zugestandegekommene Liebesbeziehungen aus der fernen Jugend des dichterischen Ichs zwischen zwei Alterslieben: einerseits dem schließlichen Scheitern des Verhältnisses zu seiner langjährigen Geliebten Lycoris und andererseits einer Liebesaffaire, auf welche sich der greise Maximian auf einer Gesandtschaftsreise nach Byzanz unvernünftigerweise mit einer griechischen Lebedame einließ. 6 Die chiastische Struktur der Liebeserzählungen, welche die scheiternden Jugendliebenden zwischen die gleichfalls erotisch erfolglosen Alterserlebnisse einschachtelt, dient eindeutig dem Zweck, verpaßte Jugendchancen mit voraussehbaren Altersmißerfolgen zu konfrontieren: Dieser Gegensatz zwischen der Potenz der Jugend und der Impotenz des Alters bildet auch das zentrale Motiv der langen Einleitungselegie Maximians, welche seine Stellung als mittelalterlicher auctor ethicus de senectute 7 sicherte. Celtis hat die Grundstruktur Maximians (vier verschiedene Geliebte des Ichs, jedoch in verschiedenen Altersstufen) beibehalten, aber das chiastische Disposititionsschema zugunsten einer chronologischen Sukzession aufgegeben. Gleichfalls aufgegeben hat er die Eigenheit Maximians, auch Jugenderlebnisse aus der Perspektive des gealterten Ichs zu beschreiben: Man erhält bei Celtis nicht den Eindruck, daß die Subjektivität der jeweils geschilderten Liebeserlebnisse aus einer fremden Altersperspektive modifiziert wird. Es liegt auf der Hand, daß der Einfluß Maximians insbesondere im letzten Buch der Amores spürbar ist: In Gedicht 4, 3 wird ein ähnlicher Katalog von Altersbeschwerden gegeben wie in der Einleitungselegie Maximians, und in Stück 4, 9 muß das in seiner Potenz geschwächte Celtis-Ich von einer betrunkenen Barbara manuell stimuliert werden, ganz wie der greise Maximian in der fünften Elegie - allerdings vergeblich - von der gewieften griechischen Lustdame. 8 In beiden Fällen spielt die herkunftsbedingt verschiedene Mentalität der beiden Liebespartner eine bedeutende Rolle: Maximian hebt hervor, 6 Hierzu: Gärtner 2004. 7 Hierzu vgl. Schneider 2003, 147-155. 8 Im Vergleich zu der rhetorisch versierten Griechin bei Maximian, die sich nach ihrem Mißerfolg in einem kosmisch orientierten Enkomion auf die männliche mentula ergeht, wirkt die Barbara des Celtis, welche diesem einfach die Kleider vom Leib reißt, um zum Ziel zu kommen, recht krude und tätlich. Ein sicheres Nachwirken des verbalen Enkomions auf die mentula in Maxim. 5 läßt sich nachweisen in einem zumindest aus der Umgebung des Celtis stammenden Text, dem von F.G. Kiss (Vortrag „Handschriftliches zu Celtis“ bei den NeoLatina am 12.07.2013) hervorgezogenen Wettstreit zwischen aurum und cauda virilis. Die Äußerung der cauda virilis, Me mediante ligat varios Concordia sexus, Thomas Gärtner 42 wie er als ein einfältiger italischer Greis von einer gewieften Griechin übertölpelt wurde, und ähnlich hilflos wirkt das Celtis-Ich gegenüber einer recht stürmischen Norddeutschen, die den Namen Barbara sicher nicht zufällig trägt und zudem auch noch zusätzlich durch ihre Trunkenheit (die generell als norddeutsches Übel dargestellt wird) wild gemacht wird. Während sich also die Einflüsse Properzens, Tibulls und Maximians auf Celtis recht klar fassen lassen, tut man sich paradoxerweise relativ schwer, wenn man den Einfluß des ovidischen Namensvorbilds der Amores des Celtis konkretisieren will: Strukturelle Besonderheiten, die Celtis von Ovid übernommen hätte (wie etwa das tibullische Prinzip einer neuen Geliebten in einem neuen Gedichtbuch), scheint es nicht zu geben; 9 am ehesten wird man hier wohl poetologische Reflexionen über die ihren Betreiber völlig okkupierende und andere Dichtungsformen verhindernde Gattung der Liebeselegie ins Feld führen: Wie Amor (Ov. Am. 1, 1) bzw. die personfizierte Elegia (Ov. Am. 3, 1) Ovid die Epik bzw. Tragödie verbieten, so macht der pfeilbewehrte Amor Celtis (Am. 2, 2) die Beschäftigung mit seiner Germania 10 oder der Astrologie unmöglich. Sucht man weitere strukturbestimmende Vorbilder zu den Amores des Celtis abseits der klassischen römischen Elegie, so wird man zumindest in einem Punkt auch das Epos als bestimmend ansehen dürfen: Das Geschick des Celtis in den gesamten Amores unterliegt einer durchgehenden bipolaren Determination durch eine wohlwollende und eine feindliche Gottheit; solche durchgehende Determination ist der klassischen Elegie fremd und nur im Epos zu finden. Der Leser etwa der vergilischen Aeneis weiß nach dem Ende des ersten Buchs, daß Juno dem Aeneas feindselig, dagegen Venus und letztlich auch Jupiter ihm gewogen ist; ebenso weiß der Leser von Celtis‘ Amores bereits nach der ersten Elegie, daß der Dichtergott Phoebus auf der Seite des Celtis-Ichs steht, wohingegen er dem übelwollenden Saturn sein ständiges Scheitern in der Liebe zu verdanken hat. Begründet wird beides durch von der Geburtsbzw. Zeugungsstunde des Celtis ausgehende astrologische Aitiologien. Die letztlich erfolgreiche Unterstützung des Dichtergotts Phoebus gegen das von Saturn verschuldete immerwährende Liebesleiden verwirklicht sich bis zum Werkende: Denn der in seiner Impotenz hilflose liebestolle Greis steht ist deutlichst geprägt von Maxim. 5, 113 Hac sine diversi nulla est concordia sexus (die Versklausel concordia sexus bei Maximian ist singulär in der klassischen, spätantiken und mittellateinischen Dichtung gemäß der Datenbank Poetria Nova). 9 Wenn man das ovidische Gesamtwerk (über die Amores hinaus) in den Blick nimmt, könnte man darauf verweisen, daß die Lebensreise des Celtis in seinen Amores wie diejenige Ovids in seinem Gesamtwerk in unwirtlichen nördlichen Gefilden endet (Hinweis M. Korenjak). 10 Zu diesem - von Celtis nie zum Abschluß gebrachten - Projekt vgl. Robert 2008, 393- 395. Der strukturelle Aufbau der Amores des Konrad Celtis 43 zwar ähnlich lächerlich da wie sein Vorgänger bei Maximian, kann sich aber im Gegensatz zu diesem in seinem ermahnenden Schlußwort an die Jugend immerhin noch auf das Bewußtsein der eigenen literarischen Produktion berufen: Wenn letztlich alles vergänglich ist und nur die scripta ihren Wert behalten (Am. 4, 15, 30), so hat ihn zwar die Liebeselegie von anderen Gattungen (etwa der Fertigstellung seiner Germania) abgehalten, ihm aber immerhin zu den vorliegenden Amores verholfen; somit hat also der Dichtergott Phoebus letztlich zugunsten des Celtis-Ichs die verderblichen Einflüsse unglücklicher Liebe wettgemacht. Neben die Grunddisposition der polaren göttlichen Kräfte im Leben des Celtis-Ichs in der Eingangselegie 1, 1 treten weitere größere Prophezeiungsszenen, die man mit den großen Durchblicken in der vergilischen Aeneis vergleichen könnte, besonders die dichterische Auftragsprophezeiung des Phoebus nach dem Gewitter vor Krakau in 1, 3, welche die durch die Amores abgedeckte Lebenszeit des Celtis-Ichs betrifft, und die Mercur-Prophezeiung während der stürmischen Nordseeschiffahrt in 4, 14, welche das künftige Leben nach den Amores im Kreise Maximilians von Österreich determiniert und somit an die frühere Apoll-Prophezeiung in 1, 3 anknüpft. Nach diesen das Gesamtwerk betreffenden Beobachtungen soll am Ende der Blick noch kurz auf die Gestaltung der vier Einzelbücher gerichtet werden: Die strukturellen Einflüsse der antiken Elegie (i. Diversifikation verschiedener kultureller Umfelder nach dem prinzipiellen Vorbild Prop. 4; ii. Diversifikation verschiedener Geliebter nach Tibull; iii. Diversifikation verschiedener Altersstufen des liebenden Ichs nach Maximian) bedingen einen gewissen monotonen Schematismus in der Gestaltung der Einzelbücher. Jedes Einzelbuch muß ein neues geographisch-kulturelles Umfeld, eine neue Geliebte und eine neue Altersstufe des Celtis-Ichs einführen. Der Anfang der Einzelbücher trägt dem erfolgten Ortswechsel naturgemäß öfter durch lokale Ekphraseis und besonders Wegbeschreibungen, sogenannten Hodoiporika, Rechnung. 11 Ferner steht am Buchanfang (zumindest ab dem zweiten Buch) regelmäßig das Problem, daß die Geliebte aus dem früheren Buch entsorgt werden muß. Um hier nicht völlige Monotonie herrschen zu lassen, wendet Celtis verschiedene Strategien zur Variation an: In Gedicht 2, 1 kommt es zu einem an die Heroidenbriefe Ovids erinnernden Briefwechsel, der von der in Buch I zurückgelassenen Hasilina ausgeht. Dagegen ist es in Gedicht 3, 1 das Celtis-Ich selbst, welches von der Sehnsucht nach der zurückgelassenen Elsula eingeholt wird und beinahe nach Regensburg zurückgekehrt wäre. Wieder ganz anders wird Ursula, die neue Geliebte des dritten Buchs, im letzten Gedicht dieses Buchs (3, 14) von einer Krankheit dahingerafft, womit sich der Dichter für den Anfang des letzten Buchs freie 11 Der Begriff hodoeporicon begegnet in den Überschriften zu Am. 2, 4 und 4, 2. Thomas Gärtner 44 Bahn verschafft. Eine anschließende Traumerscheinung der Toten zeigt, daß Celtis hierbei das Vorbild der properzischen Cynthia (4, 7) im Blick hat. Der Abschluß der Einzelbücher erfolgt regelmäßig durch regionale Flußgedichte: In 1, 15 findet sich eine Beschreibung der Weichsel; in 2, 13 wird die Donau gebeten, auf die (vom Celtis-Ich verlassene) Elsula acht zu geben; eine ähnliche Bitte ergeht an den Rhein in 3, 13 bezüglich Ursulas. Im vierten Buch wird dieses Grundschema, die Einzelbücher durch Flußgedichte abzuschließen, modifiziert (was genaugenommen bereits im dritten Buch geschehen ist, da die Elegie über den Tod Ursulas [3, 14] in eigentlich systemwidriger Weise dem Flußgedicht noch nachfolgt): Celtis macht sich mit Barbara (die er als einzige nicht verläßt - wohl nur, weil es kein fünftes Buch mehr gibt) zu einer gemeinsamen Nordseeschiffahrt auf, die jedoch immerhin von der Mündung der Elbe ausgeht; im Zusammenhang dieser Schiffsreise erfolgt die bereits erwähnte Mercur-Prophezeiung, welche das weitere Leben des Celtis-Ichs nach den Amores determiniert. Kompositionell freier als am Anfang und am Ende der Einzelbücher ist der Dichter in deren Innerem. Doch auch die hier gewählten Themen halten sich im allgemeinen durchaus an das in der antiken Elegie Übliche: Neben poetologischen Stücken finden sich eine Reihe von Festgedichten (deren Hintergrund Celtis meist astrologisch begründet) und vor allem die im engeren Sinne erotischen Gedichte, die nicht nur mit der jeweiligen Hauptgeliebten, sondern auch mit typischem Nebenpersonal der Liebeselegie, d.h. Kupplerinnen, Dienerinnen und Rivalen, befaßt sind. Als eine unklassische Motivausprägung erwähnenswert ist, daß die Rivalen, welche den Zugang des Celtis-Ichs zu dem jeweiligen Mädchen erschweren, in unproportional häufigem Umfang klerikalen Kreisen entstammen (vgl. besonders Am. 1, 13; 2, 6; 2, 7; 3, 8), was gelegentlich auch Anlaß zu geradezu ins Satirische übergehenden antiklerikalen Ausfällen gibt; weitere satirische Einflüsse in den Amores hat Jürgen Blänsdorf 12 nachgewiesen. Damit dürfte ein orientierender Überblick über den Einfluß antiker Vorbilder auf die Struktur der Amores des Celtis gewonnen sein. Dieser Einfluß besteht in erster Linie darin, daß Celtis die bei den antiken Elegikern vorgegebenen Möglichkeiten der Diversifikation innerhalb des Gesamtwerks miteinander kombiniert und in ein systematisches Vierer-Schema integriert hat. Als Folge dieser systematischen Diversifikation ergibt sich paradoxerweise eine gewisse Monotonie im Aufbau der Einzelbücher, die immer wieder dieselben Neuheiten einführen müssen; dieser Monotonie ist Celtis wiederum durch Strategien begegnet, die sich ihrerseits meistens ebenfalls aus seinen klassischen Vorbildern herleiten lassen. 12 Blänsdorf 2000. Der strukturelle Aufbau der Amores des Konrad Celtis 45 Literaturverzeichnis Blänsdorf, Jürgen: Horaz´ Satiren in Celtis´ Amores, in: Ulrike Auhagen (Hg.), Horaz und Celtis, Tübingen 2000 (NeoLatina, Bd. 1), 291-300. Gärtner, Thomas: Die Destruktion des elegischen Wertgefüges. Zu den beiden Elegienbüchern des Albius Tibullus, Eos 90, 2003, 215-245. Gärtner, Thomas: Der letzte klassische Elegiker? Zur Deutung der erotischen Dichtungen Maximians, Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 7, 2004, 119-161 (http: / / gfa.gbv.de/ dr,gfa,007,2004,a,08.pdf). Holzberg, Niklas: Ovid. Dichter und Werk, München ³2005. Robert, Jörg: s.v. „Celtis, Konrad“, in: Franz Josef Worstbrock (Hg.), Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon, Band 1, Berlin / New York 2008, 375-427. Schneider, Wolfgang Christian: Die elegischen Verse von Maximian, Wiesbaden 2003. Datenbank: Poetria Nova 2. A CD-ROM of Latin Medieval Poetry (650-1250 A.D.), Florenz ²2010. Tobias Dänzer (Würzburg) Die Konzeption des Bürgers zwischen Kulturgeschichte und Charakterstudie in der Norimberga des Konrad Celtis Konrad Celtis wies die Norimberga, seine Stadtbeschreibung Nürnbergs, in der Vorrede als Probestück für eine nie vollendete und kaum recht begonnene literarische Gesamtdarstellung Deutschlands, einer Germania illustrata, aus. 1 Celtis gedachte, mit der Germania illustrata der Italia illustrata Flavio Biondos, die zwischen 1448 bis 1453 entstanden ist, eine umfassende und detaillierte Beschreibung deutscher Städte und Gemeinden an die Seite zu stellen, und einen historisch-geographischen Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Deutschland vorzunehmen. 2 Als Vorarbeit zu diesem Großprojekt zählt neben der Norimberga das bereits seiner Ausgabe der taciteischen Germania beigegebene Lehrgedicht Germania generalis in 280 Hexametern, das Celtis im kurzen Zueignungsgedicht dem Widmungsempfänger Kaiser Maximilian gewissermaßen als Amuse-Gueule serviert. 3 1 Norimberga c. 1 p. 105: tanquam praeludium quoddam et ingenii experimentum ante editionem illustratae Germaniae. Die Zitation des lateinischen Textes folgt der Norimberga-Ausgabe von Albert Werminghoff aus dem Jahre 1921. Werminghoff gibt den handschriftlichen Text der ersten Fassung (A) der Norimberga (1495), erhalten in den Kodizes Mss. Cent. IV, 89 (Stadtbibliothek Nürnberg), Cod. Lat. Mon. 951 und 431, neben dem Text der überarbeiteten Druckfassung (B) von 1502 wieder. Unser Text folgt, wenn nicht anders angegeben, der Druckfassung. Zum Projekt der Germania illustrata Joachimsen 1910, 155: „Es sind nur Gedanken, Versprechungen, Ansätze und ein paar verfehlte Versuche, [...] aber sie sind ebenso wertvoll für die Erkenntnis der eigentlichen Tendenzen humanistischer Geschichtschreibung wie die vollendeten Werke“. 2 Vgl. Joachimsen 1911, 707. Celtis‘ selbstbewusste Äußerungen scheinen nahezu sprichwörtlich gewesen zu sein. Georg Alt hatte in einem Brief vom 22. Juli 1495 hoffnungsfrohe Erwartungen an die Publikation der Norimberga geknüpft, und tat diese tuis verbis, also mit den Worten des Briefempfängers Celtis, kund (epist. 97 pp. 160-191 [Rupprich 1934]): Non dubito illam (si aliquando in publicum itura est) Germanorum laudes aeternas per orbem diffusuram doctaeque Italiaeque (ut tuis utor verbis) admirationem sumopere perituram (al. parituram). Zu Aufbau und Inhalt der Italia illustrata Biondos vgl. Müller 2001, 233- 250. 3 Celtis, Germania generalis, praef. ad Max. reg. 7-8 (Müller 2001, 90): Haec rogo pauca legas donec germania tota / Illustrata tibi Maximiliane detur; vgl. auch Luh 2001, 411. Der Edition der taciteischen Germania, die Celtis in den Jahren 1498 bis 1500 bei Johann Winterburger in Wien besorgte, war die Germania generalis unter dem Namen De situ et moribus Germaniae additiones beigegeben. Dass die Namensänderung in der Ausgabe von 1502 dazu diente, das Projekt der Germania illustrata auch namentlich vorzubereiten, schrieb Müller Tobias Dänzer 48 Celtis arbeitete acht Jahre lang mit Unterbrechungen, von 1492 bis 1500, an der Norimberga, die er im Jahre 1495 dem Nürnberger Stadtrat handschriftlich erstmals vorlegte; der allerdings war erst nach einer zweiten, verbesserten Fassung gewillt, den Humanisten für seine Mühen zu entlohnen, und selbst dann nur - so Celtis - mit „20 Gulden von leichtem Gewicht“ (carm. 3, 11, 12). 4 1502 wurde die kleine Monographie zusammen mit den Amores und der Germania generalis gedruckt. Der vollständige Titel der Norimberga lautet De origine, situ, moribus et institutis Norimbergae libellus, und ist erkennbar an den Titel der taciteischen Germania De origine et situ Germanorum angelehnt. 5 Im 3. Kapitel seiner Nürnberger Stadtgeschichte leitet Konrad Celtis das Wesen der Franken und insbesondere der Nürnberger Stadtbevölkerung von den alten Griechen her: 6 Magna profecto Graecis nunc et sempiterno a nobis gratia habenda est, qui populum olim efferum et quem nulla arma domare unquam potuerunt, hunc illi religione et vitae sanctitate ad mitiora studia et ingenia converterunt, et qui prius in nemoribus et silvis vagi iam per illos in coetum et societatem congregati clarissimo imperio sanctis legibus et optimis moribus probe degunt. Tatsächlich müssen wir den Griechen jetzt und immerdar sehr dankbar sein, weil sie ein rohes, mit Waffengewalt nie bezwungenes Volk durch den Glauben und ihre untadelige Lebensweise zu sanfterem Sinnen und Trachten erzogen haben. So führen nun die, welche früher die weiten Wälder durchstreiften, nachdem sie von jenen Männern zu sozialem Verhalten erzogen wurden, unter der ruhmreichen Herrschaft des Kaisers gesetzestreu und wohlgesittet ein rechtschaffenes Leben. Im 7. Kapitel schildert der Humanist die Wesensart der Nürnbergerinnen und Nürnberger des ausgehenden 15. Jahrhunderts auf eindrückliche Weise: 7 2001 in seiner reich kommentierten Edition der Germania generalis, und ist evident. Vgl. dazu Wiegand 2004, 55. Vgl. auch Luh 2001, 404-412. 4 VV. 11-13: Bis denos mihi Noricus senatus / Parvi ponderis aureos dicavit / Quos missos meritis meis recepi. Das dem Nürnberger Freund Sebald Schreyer vertraulich zugesandte und 1513 in der Odensammlung publizierte Gedicht ist eine bittere Abrechnung mit dem Nürnberger Rat. Zum missgestimmten Verhältnis zwischen Celtis und dem Stadtrat ausführlich Arnold 2004. Vgl. auch Fink 2000, 5-8. 5 Zur Geschichte der Wiederentdeckung der taciteischen Schrift im 15. Jahrhundert vgl. Krapf 1979, 11-42. Die zweite Fassung, die in die Ausgabe von 1502 einging, war keine Überarbeitung im eigentlichen Sinne. Die Änderungen am ursprünglichen Text beschränkten sich auf ‚geringfügige sachliche Ergänzungen (insgesamt 88) und (136 kleinere) stilistische Änderungen‘ (Arnold 2004, 114). 6 Norimberga c. 3 pp. 125-126 W. Die deutschen Übersetzungen der Norimberga-Texte sind die Gerhard Finks (Fink 2000). 7 Norimberga c. 7 pp. 155-156 W. Die Konzeption des Bürgers 49 Urbs profecto omnium, quae in Europa aguntur, gnara et nil reticens et sermonum avida quaeque sui generis, divitiarum, facultatum, magistratuum et honorum respectum maxime inter se et peregrinos haberi velint et cupiant. Quod vitium […] nunc in cives contagione sua se latissime diffudit, concomitante semper invidia et animi indolentia, si quem praelatum sibi ambitiosa mens viderit. Die Stadt weiß tatsächlich über alles Bescheid, was in Europa geschieht, schweigt über nichts, ist erpicht auf Informationen und legt größten Wert darauf, dass man ihrer Bevölkerung, ihrem Reichtum, ihrem handwerklichen Geschick, ihrer Regierung und ihrem Weltruhm sowohl vor Ort als auch unter Fremden den gebührenden Respekt zollt. Dieses übertriebene Streben […] breitet sich jetzt wie eine ansteckende Krankheit allenthalben unter den Stadtbürgern aus und hat stets Neid und Verdruss zur Folge, wenn ein ehrgeiziger Mensch bemerkt, dass ihm irgendwer vorgezogen wurde. Im Folgenden möchte ich zunächst einige entwicklungsgeschichtliche Aspekte beleuchten, die den beiden scheinbar unvereinbaren Sichtweisen auf den Nürnberger Städter zugrunde liegen. Schließlich soll die Konzeption des Stadtbürgers, wie sie uns in der Norimberga entgegentritt, als Produkt eines neuen nationalen Selbstverständnisses erwiesen werden, welches nach Celtis nur auf dem Fundament einer gerechten Erschließung deutscher Geschichte und Wesensart zustande kommen kann. I Aufruf zur Bildung In der Ingolstädter Rede im Jahre 1492 appellierte der frisch zum außerordentlichen Professor für Rhetorik und Poetik ernannte Konrad Celtis an seine Studenten: 8 Tollite veterem illam apud Graecos, Latinos et Hebraeos scriptores Germanorum infamiam, qua illis nobis temulentiam, immanitatem, crudelitatem et, si quid aliud, quod bestiae et insaniae proximum est, ascribunt. Magno vobis pudori ducite Graecorum et Latinorum nescire historias et super omnem impudentiam regionis nostrae et terrae nescire situm, sidera, flumina, montes, antiquitates, nationes, denique quae peregrini homines de nobis ita scite collegere. Schafft aus der Welt den schlechten Ruf, den die Germanen seit alters bei griechischen, lateinischen und hebräischen Autoren hatten, wo jene uns Trunksucht, wildes Wesen, Grausamkeit und alles, was sonst noch am ehesten Eigenschaft eines Tieres oder Wahnsinnigen ist, zuschreiben. Ihr müsst euch sehr schämen, die Geschichtswerke der Griechen und Römer nicht zu kennen, 8 Celtis, Oratio in gymnasio in Ingelstadio publice recitata 5, 7-8 (Gruber 2003, mit Übersetzung). Tobias Dänzer 50 noch mehr aber solltet ihr euch schämen, unseres Gebietes und Landes Lage, Gestirne, Flüsse, Berge, Altertümer und Völkerschaften nicht zu kennen sowie schließlich auch das, was fremde Menschen über uns so kundig zusammengetragen haben. Celtis’ Argumentation gründet einerseits im Wissen um die eigene barbara tellus, 9 die infolge einer Aufwertung der Bildung aus dem Zustand des Kulturlosen herausgehoben werden müsse, andererseits im Wunsch nach einer gerechteren Darstellung des alten wie des neuen Deutschlands. Dabei rücken zwei Gruppen in den Fokus, deren Schilderungen germanischer Wesensart eine polemische Reaktion erforderten. Die erste Gruppe besteht aus den antiken Autoren Caesar und Tacitus, welche den frühen Germanen zwar Tapferkeit, sittlichen Anstand und körperliche Wohlgestalt zugebilligt, allerdings auch Unbildung, Kriegshunger und Grausamkeit vorgeworfen hatten. 10 Die zweite Gruppe, gegen die es sich zu behaupten galt, waren die italienischen Humanisten, welche die antiken Beschreibungen germanischer Wesensart tendenziös instrumentalisiert und besonders, aber nicht ausschließlich, die frühen Germanen als unbedarft und kulturlos stigmatisiert hatten. 11 Als Beispiel möge eine Epistel dienen, die der italienische Humanist Giannantonio Campano am 24. Mai 1471 aus Regensburg in seine italienische Heimat sandte. Campano stilisiert sich als Leidtragenden in einem quasi-ovidischen Exil, lässt an den Sitten, der Bildung und dem Klima in Deutschland kein gutes Haar und bettet in seine Klage ein aussagekräftiges Epigramm ein: 12 Tu sortem miserare meam, fugere repulsae Pierides, hystrum Flora Venusque bibunt. Arce sedet Bacchus, cessit neglectus Apollo Nil hic est aliud vivere quam bibere. 9 Dieses Bekenntnis bezüglich seiner Heimat stammt aus einer Elegie Peter Luders: (Elegia ad Panphilam amicam suam singularem, v. 35: barbara me tellus genuit); dazu Worstbrock 1995, 9-10; zur Ovid-Reminiszenz (Ov. trist. 3, 2, 11; 5, 2, 31) vgl. Krebs 2005, 164-166. 10 Vgl. hierzu die grundlegenden Darstellungen bei Lund 1990, Trzaska-Richter 1991 und Günnewig 1998. Vgl. auch Thompson 1965, 1-71. 11 Die Gründe für das italienische Verdikt gegen die Deutschen sind vielfältig. Voigt 1973, 14 schreibt dazu: „Dem negativen Klischee der Eigenschaften lag die Erfahrung mit den deutschen Landsknechten zugrunde, die in Italien gewütet hatten, während das Bild des Landes hauptsächlich auf Erzählungen von Reisenden zurückging. In beiden Fällen handelt es sich um Verallgemeinerungen und Vergröberungen, die nur zu einem Teil der Wirklichkeit gerecht werden und auf konkrete Einzelheiten häufig nicht anwendbar sind.“ Zu den unterschiedlichen Interpretationen und Instrumentalisierungen der taciteischen Germania bei den italienischen Humanisten vgl. Krapf 1979, 49-67. Zum Bild der Deutschen in der italienischen Renaissance allgemein Amelung 1964 und Voigt 1973. 12 Text des Briefes samt Übersetzung bietet Krebs 2005, 162f. Zur Stilisierung Campanos ‚in Tomis‘ und der Exiltypologie seiner Briefe aus Deutschland, vgl. ders. 162-180. Die Konzeption des Bürgers 51 Meines Loses erbarme dich; voll Ekel sind die Musen geflohen; es trinken Flora und Venus die Donau. Auf der Feste sitzt Bacchus, vernachlässigt ist Apoll gewichen; Leben ist hier gleichbedeutend mit Trinken. Hauptsächlicher Katalysator für Celtis’ intensive Bemühung um einen Gegenentwurf ist mit großer Sicherheit der 1457 / 58 verfasste Brieftraktat Germania des Silvio Enea Piccolomini, des späteren Papstes Pius II., der Form nach ein Antwortbrief an den Kanzler des Mainzer Erzbischofs Martin Mayer. 13 Mit dem in drei Bücher eingeteilten Traktat verfolgte Piccolomini sehr persönliche und in höchstem Maße ehrgeizige Ziele: Er wollte sich als würdigen Nachfolger des schwerkranken Papstes Kalixt III. empfehlen und in Stellung bringen. 14 Dazu bedurfte es unter anderem der Beschwichtigung der deutschen Opposition gegen die römische Kurie, die die Gravamina nationis germanicae von 1456, in denen allerlei Missstände am päpstlichen Hof angeprangert worden waren, unzweideutig zurückgewiesen hatte. Teil der Strategie Piccolominis war es, einen Vergleich zwischen dem düsteren vergangenen und dem glanzvollen heutigen Deutschland anzustrengen, wobei erwiesen werden sollte, dass die Deutschen durch den Einfluss der römischen Kirche zu einem wohlhabenden und gebildeten Volk herangereift seien. 15 Zu diesem Behufe sparte der Anwärter auf den Stuhl Petri im zweiten Buch des Traktats nicht an Polemik und Eindrücklichkeit, um die germanische Vergangenheit in Instrumentalisierung der taciteischen Sittenschilderung als unmoralisch, ungebildet und rundheraus barbarisch auszuweisen. 16 Besonders die Darstellung der Verschlossenheit jeglicher Art von Bildung gegenüber dürfte Celtis, der die Überführung der artes zu forcieren gedachte, ein Dorn im Auge gewesen sein. 17 Auch in der Germania generalis widmete sich Konrad Celtis ausgiebig - seinerseits unter Rekurs auf Tacitus - der Revision des negativen Bildes, welches der italienische Humanist von den Anfängen der Deutschen gezeichnet hatte. 18 Solcherart Schmähungen deutscher Wesensart konnte Celtis, der Bildungsreformer und Vermittler enzyklopädischen Wissens, nicht auf sich sitzen lassen. Ganz im Sinne seines Bildungsauftrages und der geforderten 13 Zur Briefform, den persönlichen Interessen, die Piccolomini mit der Abfassung des Briefes verfolgte, und dem Verhältnis zwischen Mayer und Piccolomini vgl. Schmidt 1962, 8-13. 14 Vgl hierzu Schmidt 1962, 8-13. 15 Vgl. z.B. Voigt 1973, 127-134; Schmidt 1962, 8-13. 16 Ein eindrückliches Beispiel gibt die folgende Stelle (Piccolomini, Germania 2, 5-6 [Fadiga 2009]): Latrocinia laudi fuerunt, omnia feda, omnia tetra, aspera, barbara et, ut propriis utamur vocabulis, ferina ac brutalia. 17 Tac. Germ. 19: Litterarum secreta viri pariter ac feminae ignorant; Piccolomini, Germania 2, 6 (Fadiga 2009): At in hoc vivendi ritu nulla fuit litterarum cognitio, nulla legum disciplina, nulla bonarum artium studia. 18 Zu den Korrekturen, die Celtis in der Germania generalis am taciteischen Bild der Germanen vorgenommen hatte, vgl. Luh 2001, 404-412. Tobias Dänzer 52 Überführung der Wissenschaften von Italien nach Deutschland hatte Celtis bereits in Ingolstadt seine Studenten zur Erschütterung des römisch-italienischen Hoheitsanspruchs auf Philosophie und Rhetorik aufgerufen. Es sei an der Zeit, sich zur Wehr zu setzen, das überkommene stereotype Zerrbild der Deutschen zurechtzurücken und - auf der Basis der neugewonnenen Kenntnisse - ein gerechteres und ausgewogeneres Bild zu zeichnen. II Die Druidenfabel In der Norimberga weist Celtis in einer abenteuerlichen Konstruktion die Abstammung des fränkischen Volkes von den griechischen Philosophen her, die unter den Galliern als Druiden gelebt und durch Tiberius schließlich von dort vertrieben worden seien. 19 Diese Information hat Celtis Plinius’ Naturgeschichte und Suetons‘ Claudius-Vita entnommen. 20 Nicht aber das Folgende: Die Druiden hätten sich schließlich am Rhein und in Süddeutschland niedergelassen, wo sie ein im Kampf nie besiegtes Volk - das fränkische - zu Sittlichkeit und umfassender Bildung erzogen hätten. Folgerichtig zählten heute zu den Vorzügen der Franken, dass sie sowohl mit gewaltigen Geistesgaben als auch mit herrlicher Körperkraft ausgestattet seien. Die Wahl der Druiden als geistige Stammväter des fränkischen Volkes ist ganz offensichtlich vom Gallierexkurs aus Caesars De bello Gallico motiviert. 21 Den Beweis für die Abstammung der Franken von den gallischen Druiden führt Celtis unter Rekurs auf seine autoptische Erfahrung. Im 3. Kapitel der Norimberga lesen wir: 22 Genus illud philosophorum apud Gallos Graecanice viventium erat, quos ἀπὸ τοῦ δρῦς δρυὸς, id est a quercubus, nominavere, inter quas, ut ab illis antiquitus ut Abrahe et Gedeonis quercus testis est, oracula effundi credebantur, ita illi veluti oraculorum et sortium fulminumque, quorum illa arbor obnoxia, interpretes tales consedebant quales nudius (A. nuper) vidimus, dum Johannes θεωφιλος, vir summa eruditione et ingenio, nos in patriam suam ad radices 19 Norimberga, c. 3 p. 124 W. 20 Plin. nat. 30, 13; Suet. Cl. 25, 5. 21 Celtis konnte in Caesars Darstellung der Druiden gewissermaßen eine Präfiguration seines eigenen Bildungsideals finden (Caes. Gall. 6, 14, 6): Multa praeterea de sideribus atque eorum motu, de mundi ac terrarum magnitudine, de rerum natura, de deorum immortalium vi ac potestate disputant et iuventuti tradunt. 22 Norimberga, c. 3 pp. 122-124 W. Celtis‘ Begleiter Johannes Tolhopf stammte aus dem oberpfälzischen Kemnath südlich des Fichtelgebirges, wo also das betreffende Kloster anzusiedeln wäre. Nach Arnold 1989, 130f. dürfte es sich am ehesten um das Kloster Reichenbach handeln. Die Statuen - wenn sie Celtis überhaupt gesehen hat - können nicht mehr identifiziert werden, stellten allerdings auch in der überlieferten Beschreibung sicherlich keine griechischen Druiden vor; vgl. Arnold 1989, 130: „Der geschärfte Blick des Kunsthistorikers würde nach der gegebenen Beschreibung der ‚Steinbildnisse‘ heute freilich weniger an ‚Druiden’ aus grauer Vorzeit denken als an spätromanische Skulpturen etwa aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.“ Die Konzeption des Bürgers 53 Piniferi secum adduceret. Hic dum forte in coenobium divertissemus, imagines lapideas sex vetustissimo saxo ad fores templi parieti insertas conspeximus: septem pedum singulae, nudis pedibus, capita intecti, Graecanico pallio et cucullato perulaque et barba ad inguina usque promissa et circa naris fistulas bifurcata, in manibus liber et baculus Diogenicus, severa fronte et tristi supercilio, obstipo capite, figentes lumina terris. Es handelte sich bei den Druiden um eine Art Philosophen, die unter den Galliern auf griechische Weise lebten, und nach der Eiche, die griechisch drys heißt, ihren Namen hatten. Seit alters nahm man ja an, wie Abrahams und Gideons Eiche bezeugen, dass Eichen den Willen der Götter kündeten. Darum saßen jene Druiden als Deuter der Orakel und schicksalhaften Zeichen und in der Art beisammen, wie ich sie vor kurzem sah, als mich Johannes Theophilus, ein hochgebildeter und grundgescheiter Mann, in seine Heimat am Fuß des Fichtelgebirges mitnahm. Während wir dort zufällig in einem Kloster einkehrten, sahen wir sechs uralte Steinbilder, die an der Kirchentür in die Wand eingelassen waren: Jede Figur war sieben Fuß hoch, ohne Schuhwerk, barhäuptig, gehüllt in einen griechischen Mantel mit Kapuze, mit einem kleinen Ranzen und einem langen Bart, der bis zu den Lenden herabwallte und sich unter den Nasenlöchern teilte. In den Händen hielten sie ein Buch und einen Stock wie Diogenes, ihr Gesichtsausdruck war streng, ihre Züge ernst; mit gesenktem Haupt hefteten sie den Blick auf den Boden. Die sogenannte Druidenfabel ist auch in Celtis’ Amores angesprochen. Im Gedicht 1, 12 erfährt der Leser, dass man sich erzähle, dass die griechischstämmigen Druiden auf ihrem Weg in gallisches Gebiet am Rhein und überall im Herkynischen Wald Tempel für den Gott Dis, griechisch Erebos, errichtet hätten. 23 Hier wie in der Norimberga teilt Celtis mit, dass seine Heimatstadt Würzburg nachweislich eine dieser Druiden-Gründungen sei. Die etymologische Herleitung des Namens Herbi-Polis lasse gar keinen Zweifel: Herbi-Polis, das ist zusammengesetzt aus den griechischen Begriffen Ἔρεβος, und πόλις, bedeutet also Stadt des Erebos. 24 Wiewohl diese fragwürdige genealogische Urkunde, wie sie den Franken von Celtis überreicht wird, die Erfindung eines kleinen Kreises von deutschen 23 VV. 31-41: Adde genus longo proavorum stemmate clarum / Moenus ubi gelidis cornua flectit aquis / Hic ubi Francorum urbs illustri valle levatur / Deque Erebou graeco nomine dicta polis / Fama est dum Graii petiissent gallica rura / Ad Rheni ripas exonerasse rates / Inde per Hercinios saltus: vallesque patentes / Struxisse his placidis moenia Graia locis / Cumque atras diti litarent more bidentes / Et druides templis instituere sacris. / Hinc a dite dabant urbi sua nomina graeca. Den Ausgangspunkt hierfür hatte ebenfalls Caesar geliefert. In Gall. 6, 18 heißt es: Galli se omnes ab Dite patre prognatos praedicant idque ab druidibus proditum dicunt. 24 Vgl. Engelstätter 2008, 133f.; auf Münzers Deutschlandkarte (Schedelsche Weltchronik) wird Würzburg unter dem Namen ‚Erabipulis’ aufgeführt, was möglicherweise auf den selben Gräzisierungswillen hindeutet; vgl. Robert 2003, 370 Anm. 114. Tobias Dänzer 54 Humanisten um Celtis ist, steht sie doch in der guten und besonders im Humanismus weitverbreiteten Tradition des trojanischen Herkunftsmythos. 25 Die Druidenfabel des Celtis verfolgt allerdings ein höheres, ungleich weiter ausgreifendes Ziel. Der ursächliche Grund für diese kühne Konstruktion ist ein polemischer. Die Bildungsreisen, die Celtis nach Italien unternommen hatte, ließen in ihm den Wunsch aufkeimen, die Wissenschaft, die jetzt in Italien ihre Heimstatt habe, nach Deutschland zu holen. In einem Brief an Sixtus Tucher sprach er davon, dass es nötig sei, nach der Herrschaft auch endlich ‚den Glanz der Wissenschaften den Deutschen‘ zu übermitteln. 26 Es scheint, als habe sich Konrad Celtis mithilfe der Druiden-Konstruktion an den italienischen Humanisten für die erlittenen Brandmarkungen als kulturloses, wildes Naturvolk rächen wollen. Tief saß der Stachel, den etwa Silvio Enea Piccolomini durch seine Darstellungen der barbarischen Anfänge der Deutschen dem Erzhumanisten ins Mark getrieben hatte. Griechische Geistesgröße verbindet sich in Celtis‘ Druidenmythos - wohlgemerkt nachdem sie vom römischen Kaiser Tiberius verbannt worden war - mit germanischer Stärke und formt so ein den Italienern weit überlegenes Volk. 27 Wir fassen in dieser Darstellungsweise gewissermaßen eine dritte Art der superatio: Nachdem durch die Übernahme der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs die Herrschaft des Reichs von den Italienern auf die Deutschen übergegangen ist (translatio imperii), und zweitens allen voran Celtis selbst an einer translatio studii, einer Überführung der Wissenschaften, in deutsches Hoheitsgebiet arbeitete, müssen sich die Italiener schließlich auch noch den Vorwurf einer minderen geistigen Begabung gefallen lassen. 25 Zu den Anhängern und Entwicklern der Druidentheorie sind neben Konrad Celtis Johann von Dalberg, Johannes Trithemius und Celtis‘ Schüler Aventin zu zählen; vgl. Luh 2001, 410 Anm. 35; zu Aventin besonders Joachimsen 1911, 707-708. Die frühesten fränkischen origo-gentis-Erzählungen, die den Ursprung der Franken auf den trojanischen Krieg zurückführen, finden sich bereits im 7. und 8. Jahrhundert, wie die Chronik des Fredegar (um 660) und der Liber historiae Francorum (um 727); vgl. Helmchen 2005, 188- 190. Ausführlich hierzu Garber 1989, 119-120 Anm. 44 mit Literatur. 26 Celtis an Sixtus Tucher, Ingolstadt 1491 (Rupprich 1934, 32): litterarum splendorem ad Germanos commigrasse. Vgl. Hirschi 2008, 49. 27 Die Wahl des Zeitpunktes, d.h. die Nennung des Tiberius, für den Aufstieg der Deutschen könnte zusätzlich von einer Bemerkung Enea Silvio Piccolominis motiviert gewesen sein. Zu Beginn des 2. Buches der Germania rundet Piccolomini ein abschätziges Strabo-Zitat zum Zustand Germaniens mit den Worten ab (Piccolomini, Germania 2, 4 [Fadiga 2009]): Is igitur fuit Germanorum status Strabonis tempore, quem usque ad Tyberium Cesarem vixisse constat. Einen willkommenen Nebeneffekt lieferte die Wahl der Druiden auch insofern, als sie Marsilio Ficino unter die prisci theologi einreihte, wodurch der Druidenmythos mit einer der wichtigsten Persönlichkeiten der italienischen Renaissance verknüpft war; vgl. Hirschi 2005, 255. Die Konzeption des Bürgers 55 III Der Nürnberger Charakter Zu dieser großspurigen Stilisierung mag nun die eingangs zitierte Schilderung vom ruhmhungrigen und neidzerfressenen Nürnberger Stadtbürger nicht so recht passen. Gerhard Fink spricht im Vorwort seiner Norimberga- Übersetzung von einer Sprunghaftigkeit des Dichters, welche zuweilen abrupt und irritierend anmute. 28 Im 6. Kapitel der Norimberga erfährt der Leser: 29 Populus igitur Norimbergensis, ut coeli terraeque tractus est, et pro Germanorum natura corpore validus, laborum, frigorum et aestus patiens, nervis et ossibus solidis, statura eleganti, vultu liberali, et prospera valetudine, nisi quam intemperantia […] induxerit in libidinem ventrisque gaudia effusi. Die Bevölkerung von Nürnberg ist also, wie es dem Himmelsstrich und deutscher Art entspricht, körperlich leistungsfähig, vermag Anstrengungen, Hitze und Kälte zu ertragen, ist muskulös mit kräftigem Knochenbau, schön gewachsen, blickt offen in die Welt und erfreut sich guter Gesundheit, wenn nicht Sittenlosigkeit [...] zur Wolllust und niederen Freuden verleitet. Der erste Teil der Besprechung setzt das günstige weil raue Klima Deutschlands in Beziehung zu den Geistes- und Körperkräften seiner Bewohner, und hier ist man noch geneigt, die charakterliche Ausformung derjenigen Menschen zu sehen, welche ihren Ursprung auf raues Klima und griechische Philosophie zurückführen. Die konditionale Einschränkung am Satzende allerdings bricht die imposante Wesensschilderung in beredter Weise auf. So auch im direkten Anschluss, wenn das Wesen der Nürnberger unter die Lupe genommen wird. Zunächst vernehmen wir wieder rundheraus lobende Worte: animo laeto et hilari et, quod multum decoris apud illos est, in variarum linguarum loquelis gnari et prompti […]. Sie sind großzügig, von froher und heiterer Wesensart und, was bei ihnen hochangesehen ist, bereit und fähig, verschiedene Sprachen zu sprechen. Doch: […] novitatum et rumorum avidi, ingenio vafro et sollerti, lucrioso, elato et iactabundo, quique ad affectiones facile commoveantur et cito resiliant, naturam arenae crederes, quae facile a vento tollitur et dissipatur […]. Sie sind ganz versessen auf Neuigkeiten und Gerüchte, verschmitzt und geschickt, auf Profit aus, stolz und angeberisch, leicht erregbar, aber auch schnell wieder besänftigt - man mag bei ihrer Wesensart an Sand denken, der vom Wind leicht hochgewirbelt und zerstreut wird. 28 Vgl. Fink 2000, 9. 29 Hier und die folgenden Zitate: Norimberga c. 6 pp. 151-152 W. Tobias Dänzer 56 Dann wieder: elegantia morum et civilibus virtutibus alias conspicui. Ansonsten zeichnen sie sich aus durch ihre gepflegten Umgangsformen und ihre bürgerlichen Tugenden. Die Schilderung des Nürnberger Charakters kann sich eines faden Beigeschmacks schwerlich erwehren. In munterer Folge wechseln sich rühmende und tadelnde Worte ab. Auch bei der Beschreibung der Nürnbergerinnen im 7. Kapitel wird Lob und Tadel kaum scharf voneinander geschieden. Sehnsuchtsvoll dürfte ein neutraler Leser auf die konstatierten Vorzüge der Damen in Nürnberg geblickt haben: Liebreiz, Heiterkeit, Sanftmut, Höflichkeit, Gefälligkeit, Milde, erlesener Geschmack, Bildung, Charme. Allein, der abschließende Satz wird die sehnenden Herzen etwas besänftigt haben: „Ihren Ehemännern aber begegnen sie herrisch als rechte Andromedas.“ 30 Ich möchte im Folgenden am Beispiel der Schilderung des Nürnberger Kleidergeschmacks einige Überlegungen zur Celtisschen Charakterstudie entfalten. In der Germania des Tacitus lesen wir im 17. Kapitel, das der Kleidung der Germanen gewidmet ist, dass ein einfacher Mantel (sagum) für Frauen und Männer gemeinsames Bekleidungsmittel war. Häufig - besonders zuhause - war man nackt, das Untergewand der Wohlhabendsten lag eng an, zuweilen nähte man zum Schmuck Pelze an Tierfelle. Tacitus schildert die Kleidung der Germanen ganz so, als sei er ein neugieriger Betrachter, der beschreibt, was er sieht, und der sich zu keinem dezidiert wertenden Urteil hinreißen lässt. Celtis beschreibt die Tracht der Nürnberger ebenfalls, doch tut er dies wenn nicht mit erhobenem moralischen Zeigefinger, so doch gewissermaßen als fränkischer Grantler: 31 nunc Sarmatarum more laxa et sinuosa veste vitta caput redimit pendentque a corpore pelles, nunc Pannoniae hasucum et Italiae cucullum patria veste commutantes, nunc Gallorum more limbatas clamides et manicatas tunicellas induunt, nunc corpus caliga et tunicella interula strictissime singulaque membra exprimente stringunt, caputio posteriore parte phalerato et caudiculato, supraiecto palliolo ad dextram aperto vixque super inguina producto, calceis quondam rostratis, nunc vero obtusis et circa talos zonatis, crepidis et soleis substratis in Gallicanum morem ferunt. Jetzt ist das Gewand nach Russenart weit und wallend, man schlingt sich einen Schal ums Haupt und behängt sich mit Fellen; jetzt vertauscht man den ungarischen Kasack und die italienische Kapuze mit dem heimischen Gewand, jetzt zieht man, wie die Franzosen, Mäntel mit breitem Saum und langärmelige 30 Norimberga c. 7 p. 156 W.: sed maritis imperiosae et Andromedae. Celtis hatte wohl zu Unrecht angenommen, dass Andromeda „die Männer Beherrschende“ heiße. Näheres bei Werminghoff 1921, 156 n. 2. 31 Norimberga c. 6 pp. 151-152 W. Die Konzeption des Bürgers 57 Hemden an, jetzt zwängt man sich in Beinkleider und Unterwäsche, die die einzelnen Gliedmaßen deutlich hervortreten lassen; die Kopfbedeckung aber hat nach hinten zu eine Bommel oder einen Zipfel. Als Übergewand dient ein Umhang, der den rechten Arm frei lässt und kaum die Leistengegend deckt. Dazu trug man früher Schnabelschuhe, jetzt aber vorn abgestumpfte, die an den Knöcheln geschnürt werden, oder flache Halbschuhe wie in Frankreich. Der moralisierende Unterton des Humanisten zielt einerseits auf die Ablehnung des Fremdländischen - hier des Russischen, Ungarischen, Französischen - und Annahme des eigenen Überkommenen, lässt sich also Celtis‘ Bemühen um eine Festigung des deutschen Nationalgefühls zuordnen. Andererseits sind die unüberhörbaren gesellschafts- und charakterkritischen Töne der Norimberga einer weiteren Gattung zuzuweisen, welche in der Zeit des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts in Deutschland ihre Blüte erreicht. Der folgende Text ist dem vorigen Zitat thematisch und motivisch verwandt, und ist dem einflussreichsten Werk des Genres entnommen: 32 Alle Kleider reich an Falten, Rock, Mantel, Hemd und Tuch dazu, Pantoffeln, Stiefel, Hosen, Schuh, Kapuzen mit Besatz daran: Die jüd’sche Tracht fängt wieder an, s’ jagt eine Mode nach der andern. Das zeigt, wir sind geneigt zu wandern Den Weg der Sünde und der Schande. Frau Mode herrscht im ganzen Lande, mit sündhaft kurz geschnittnen Röcken, die kaum den Nabel mehr bedecken. Pfui Schand der deutschen Nation! Denn der Natur zu Spott und Hohn Entblößt man, was verdeckt sie will. Die Verse entstammen dem 4. Kapitel, Von nuwen funden (Von neuen Moden), der 1494 gedruckten Moralsatire Das Narrenschiff des Sebastian Brant. Der sogleich einsetzende enorme Erfolg des Werks ist ablesbar an der Menge an unautorisierten Nachdrucken, die noch im Publikationsjahr angefertigt wurden. 33 Zu diesen zählt der Druck Peter Wagners in Nürnberg, von dem Celtis mit großer Wahrscheinlichkeit also bereits vor Abschluss der ersten Fassung seiner Norimberga Kenntnis und Einsicht erlangte. Die von Trithemius so geadelte Divina Satyra lag bereits 1497 in der lateinischen Übersetzung Jakob Lochers vor. Im Vorwort nennt Locher das Werk durchgehend Satyra, handelt, ausgehend vom Quintilian-Wort, ausführlich 32 Die Übersetzung ist diejenige Margot Richters. 33 Zur traditio des ‚Narrenschiffs‘ umfassend Manger 1983, 66-94. Tobias Dänzer 58 von der römischen Satire, stellt die Hauptvertreter der Gattung vor und benennt die Hauptübel, welche harscher Kritik unterzogen werden. Angesichts der Laster der heutigen Zeit sei es dringend notwendig, dass sich wieder ein gebildeter und pfiffiger Dichter erhebe (operae pretium fuit ut denuo vates aliquis eruditus et vafer resurgeret). 34 Wiewohl der Narrenspiegel (und sein Pendant, der Tugendspiegel) dem Mittelalter bestens bekannt war, 35 scheint er - so hätten wir Lochers Vorrede zu verstehen - von den Humanisten, gewissermaßen an den scholastischen Klerikern vorbei, am Quell, der römischen Satire, wiederbelebt worden zu sein. Dabei ist allerdings äußerst umstritten, ob Brant stärker unter dem Einfluss der römischen Satiriker oder deren mittelalterlicher Anverwandlung gestanden hat. 36 Die Poetiken des 15. und 16. Jahrhunderts jedenfalls konstituieren die ‚Gattung‘ der satura ausschließlich anhand römischer Satiriker, wobei vielmehr die ‚satirische Situation‘ denn eine schulmäßige Gattungsdefinition im Vordergrund steht. 37 In jedem Falle erlangt der satirische Narrenspiegel, so Jörg Robert, in der Literatur um 1500 „eine universelle Grundfunktion“. 38 Konrad Celtis sieht im Narrenspiegel bzw. im speculum humanae vitae ein Instrument zur Charakterisierung seiner Landsleute, und damit zur ‚gerechteren‘ Darstellung der deutschen mores. Weder in der vorausgegangenen humanistischen Ethnographie noch auch bei Piccolomini finden sich Charakterisierungen, die satirischen oder karikaturesken Zuschnitt erfahren. Celtis führt in der Norimberga die bissig-spöttische Darstellungsform des Narrenspiegels in die ethnographische Literatur ein, die er so um eine didaktische wie ästhetische Dimension erweitert: Das bloße Referat der Wesensart und Lebensgewohnheiten des Bürgers weicht einer sehr viel anschaulicheren, fasslicheren Schilderung des Menschen, die mit einem humorvoll-belehrenden Ton versetzt ist. Wir haben im Celtis-Gedicht Amores 2, 9 einen Vergleichstext, der sich in Aufbau und Wortwahl eng an die Darstellung des Franken der Norimberga 34 Text aus Sebastianus Brant, Stultifera Navis. Per Jacobum Locher cognomento Philomusum Suevum in latinum traducta, Basel 1497, 8v. 35 Die umfassendste Untersuchung zur Satire im Mittelalter ist Kindermann 1978. Vgl. auch Manger 1983, 23-35. 36 Vgl. hierzu aus Ulrich Gaiers Untersuchung zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Satire das 3. Kapitel zu Brants Narrenschiff, „Zuordnung zu der römischen Satire“: Gaier 1967, 259-328. Ders. 328: „Brant hat innerhalb des durch die vier Exponenten der römischen Satire gesteckten Feldes eine eigene Position gewählt, die genau seinen besonderen Voraussetzungen und Zwecken entspricht.“ Die Gegendarstellung von Manger 1983 allerdings, der Brants Narrenschiff stärker unter dem Einfluss der mittelalterlichen Satire sieht, stellt Gaiers These empfindlich in Frage und verdient besondere Beachtung. 37 Zur Problematik des Gattungsbegriffs der satura vgl. Hess 1971, 17-29. Vgl. die Definition des Wiener Gelehrten Georg von Peuerbach: Est autem satira carmen sceleratos hominum mores acriter vituperans et reprehendens (aus Positio sive determinatio de arte oratoria sive poetica, zitiert nach Hess 1971, 21). 38 Robert 2003, 247. Die Konzeption des Bürgers 59 anschließt. Das Gedicht trägt den Titel Ad Elsulam a priscis et sanctis Germaniae moribus degenerantem, und setzt das goldene weil sittenstrenge germanische Zeitalter in scharfen Kontrast zur sittlich verderbten Gegenwart. Den Anlass zu seiner Scheltrede gab ihm seine Regensburger Geliebte Elsula, die dem liebestollen Dichter Hörner aufgesetzt hatte. Celtis verdammt das Würfelspiel, den Kleiderluxus, den übertriebenen Weingenuss, die dekadente Sexualmoral, und setzt dies in Beziehung zur casta simplicitas der frühen Deutschen. Er sagt: Duraque contexit corpora vile sagum (v. 36), und nimmt so direkt Bezug auf das taciteische Kleiderkapitel. Am Ende seiner langen Tirade gegen Ausschweifung und Unmoral weist Celtis seinen Hätschelkindern, den griechisch-gallischen Druiden, einen prominenten Platz an. Deutschland sei ein rauer, unwirtlicher Ort gewesen, bis die Druiden in den heiligen Wäldern Lieder sangen, die dem deutschen Gott - Tuisto 39 - gefällig waren: sed druides castis cecinerunt carmina silvis / Carmina teutonico quae placuere deo. Die Druiden stehen am Anfang einer Reihe von geistigen Stammvätern, die über die deutschen Kaiser führt und an deren Ende Maximilian als custos gentis steht. IV Hippokratische Topographie Abschließend möchte ich auf einen Text zu sprechen kommen, der Celtis die Möglichkeit bot, kulturgeschichtliche Überhöhung und spöttelnde Charakterstudie aneinanderzuknüpfen und die ihm bei der Abfassung seiner Norimberga offenkundig präsent war. Es handelt sich um die hippokratische Schrift De aere, aquis, locis. Wiewohl nicht mehr feststellbar ist, in welcher Form Celtis das Werk vorlag, darf Bekanntschaft mit dem Text vorausgesetzt werden. 40 39 Vgl. Tac. Germ. 2, 3: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoriae et annalium genus est, Tuistonem deum terra editum. Bei Tacitus finden sich mehrere unterschiedliche Schreibweisen des Götternamens, so Tristo, Tuisco, Bisto, Bisbo; hierzu und zur Etymologie vgl. Rives 1999, 110-111. 40 Die hippokratischen Schriften zählten bereits im Mittelalter neben den Schriften Galens zu den bevorzugten medizinischen Werken; hierzu Golder 2007, 194-201 mit reichlich Literatur; ders. 194: „Überlieferung und Bewahrung des antiken Erbes waren in keiner Epoche der Hippokrates-Rezeption so ausgeprägt wie im Mittelalter.“ Wiewohl die Schrift De aere, aquis, locis erst 1529 in Basel erstmals gedruckt wurde, war sie in zahlreichen Manuskripten seit dem 9. Jahrhundert sowohl im Original als auch in einer spätantiken lateinischen Übersetzung zugänglich. Besonders im 15. Jahrhundert fand das Werk rege Verbreitung: vgl. Diels 1905, 4-5; Kühlewein 1905, 248-254; Diller 1970, 7-13. Kenntnis der Schrift konnte Celtis überdies etwa durch die Freundschaft mit den medizinisch versierten Humanisten Ulrich Pinder, Johannes Cuspinian (Mitglied in Celtis‘ Sodalitas litteraria Danubiana) und Martin Pollich (Mitglied der Sodalitas litteraria Rhenana) erlangen, die sich allesamt mit den hippokratischen Werken befassten; vgl. hierzu Rupprich 1934, 176 (zu Pinder) und 303 (zu Cuspinian). Tobias Dänzer 60 Die Schrift hatte einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der neuzeitlichen Ethnologie. 41 Die Einflüsse, die das Werk auf die Ärzte des 16. Jahrhunderts sowie auf die historisch-politischen Betrachtungen Jean Bodins (1529- 1596) entwickelte, sind hinreichend bekannt. 42 Eine Einwirkung auf Celtis, überhaupt auf die Zeit vor 1500, wurde bislang kaum nachgewiesen. 43 Celtis machte sich die hippokratische Schrift allerdings nicht in sklavischer Übernahme, sondern ganz im Sinne einer Nürnberg-‚Propaganda‘ zunutze, indem er rundheraus positive Klimamerkmale mit ebenso positiven anthropologischen Ausformungen kombinierte, ohne sich dabei exakt an die Schlussfolgerungen des Verfassers zu halten. Im 2. Kapitel der Norimberga wird der unfruchtbare, trockene Sand, der der Nürnberger Gegend das raue Gepräge gibt, als Katalysator für Einfallsreichtum und Tatkraft der Bewohner vorgestellt. Dies deckt sich weitgehend mit der hippokratischen Schilderung eines rauen Klimas, welches tatkräftige und geistig rege Menschen hervorbringe. Die besten Wettervoraussetzungen hierfür allerdings bestünden in einer möglichst extremen Wetterlage, im Wechsel von sengender Hitze und eisigem Frost. Dies nun - sei es aus empirischen oder propagandistischen Gründen - übergeht Celtis, indem er Nürnberg im 6. Kapitel klimatische Ausgewogenheit attestiert. 44 Nach Hippokrates ist diese ‚gute klimatische Lage‘ dafür verantwortlich, dass die Menschen eben nicht widerstandsfähig, meistens feige oder schlecht (τὴν ψυχὴν κακοί) und stumpfsinnig seien. 45 Celtis rühmt also der hippokratischen Konsequenz zum Trotz das milde Nürnberger Wetter und blendet es für seine Argumentation aus, verstärkt dafür - wieder ganz hippokratisch - die Bedeutung des Bodens. Die Nürnberger werden als gesünder, energischer, intelligenter und scharfsinniger als die übrigen deutschen Volksgruppen ausgewiesen, da das trockene, sandige Klima günstige Voraussetzungen für Körper und Geist schaffe. Sogleich wird die Bodenbeschaffenheit ganz im Sinne kulturgeschichtlicher Großmannssucht mit griechischem Kolorit versetzt. Hesiod etwa habe sicherlich die trockene, sandige Erde Nürnbergs gemeint, als er schrieb, dass die Erde Mutter der Götter sei; hier - in der Gegend um Nürnberg - sei höchstwahrscheinlich als erster Merkur aufgetreten, dem ja nach taciteischem Zeugnis die frühen Germanen geopfert hätten. 46 Als hätte Celtis bemerkt, dass dieser selektionistischen Argumentation nicht jedermann (und 41 Grundlegend zur Schrift, ihrer Einordnung und Wirkung Müller 1972, 137-144. Vgl. auch Pohlenz 1938, 63-80. 42 Vgl. z.B. Stagl 2002, 105. 43 Fink 2000, 78 weist zumindest auf auffällige Gemeinsamkeiten zwischen der hippokratischen Klimalehre aus De aere, aquis, locis und einzelner Stellen in der Norimberga hin. 44 Dabei sei daran erinnert, dass der populus Norimbergensis durchaus frigorum et aestus patiens ist; vgl. III. 45 Hippocr. aër. 24, 8-9 (Jouanna 1996). 46 Tac. Germ. 9, 1-2. Die Konzeption des Bürgers 61 wohl ohnehin nur die scharfsichtigen Nürnberger) würde folgen können, beeilt er sich hinzuzufügen, dass er sich zu diesem Thema in der Germania illustrata ausführlicher äußern wolle. 47 Nun ist es allerdings auch gerade der Sand, der in der abschließenden Beurteilung des Nürnberger Charakters eine gewissermaßen emblematische Rolle spielt. Wir sahen, dass Celtis die Wesensart der Nürnberger mit Sand verglichen hatte, der schnell aufgewirbelt wird und sich schnell wieder legt. Ist also der Zorn der Nürnberger ebenfalls ein altgriechisches Relikt? Die Antwort findet sich in derselben Schrift, mit der Celtis bereits die geographisch- anthropologische Überlegenheit des fränkischen Volks untermalt hatte. Im 24. Kapitel konnte er finden, dass der Menschenschlag, der ein mageres Land mit extremer Wetterlage bewohnt, zornigem und eigenwilligem Wesen zuneigt (τὰ ἤθεα καὶ τὰς ὀργὰς αὐθάδεάς τε καὶ ἰδιογνώμονας). 48 Bei Celtis ist es wiederum ausschließlich der sandige Boden, der für die Wankelmütigkeit des Nürnbergers verantwortlich gemacht wird. Sowohl die kulturgeschichtliche Größe als auch das aufbrausende Wesen lassen sich also - unter selektiver Berufung auf Hippokrates - auf das sandige Klima Nürnbergs zurückführen. V Conclusio Die scheinbare Disparität oder ‚irritierende Sprunghaftigkeit‘ 49 der Norimberga resultiert aus Konrad Celtis’ dreifacher Zielsetzung: Erstens ist Celtis um die Rehabilitierung des Bildes deutscher Ursprünglichkeit bemüht, die sich bei Caesar und Tacitus vor allem auf körperliche Vorzüge und Sittenstrenge reduzierte, und die sich von den italienischen Humanisten selbst der wenigen zugestandenen Vorzüge noch berauben lassen musste. In seiner Druidenfabel führt Celtis die überlegene fränkische Wesensart auf den mäßigenden, philosophisch grundierten Einfluss der griechisch-gallischen Priester auf ein körperlich überlegenes Volk zurück. Zweitens finden wir in seiner Charakterschilderung ruhmvolle Worte, die ganz der kulturgeschichtlichen Konstruktion zu entsprechen vermögen. Drittens mengt sich in das Sittengemälde ein zeitkritischer, satirischer Ton, der die Norimberga in die Nähe des zeitgenössischen Narrenspiegels rückt und der im Grunde der Wiederbelebung einer genuin römischen Gattung entspringt. Um die auseinanderstrebenden Darstellungsstränge zusammenhalten zu können, greift Celtis auf die griechische Klimalehre zurück, die ihm vor allem die hippokratische Schrift De aere, aquis, locis vermittelte. Auf der Grundlage geographisch-anthropologischer 47 Norimberga c. 6 pp. 148-149 W. Der Verweis auf weitere Erläuterungen findet sich bezeichnenderweise erst in der revidierten Druckausgabe von 1502. 48 Hippocr. aër. 24, 6 (Jouanna 1996). 49 Fink 2000, 9. Tobias Dänzer 62 Beobachtungen verwebt Celtis kulturgeschichtliche Propaganda und augenzwinkernde Charakterdarstellung zu einem stimmigen Gesamtbild. Die Eigenart der Celtisschen Stadtgeschichte ist die Folge des in der Ingolstädter Rede postulierten Aufbruchsdenkens, welches in der Norimberga seine polemische Ausformulierung erfährt: Um ein nationales Selbstbewusstsein zu schaffen, welches sich von den humanistischen Hochburgen Italiens emanzipieren kann, war es nötig, dass ein Deutscher die deutschen Altertümer erforschte und darstellte, und auch, dass er den deutschen Charakter - wie wir sahen, in all seinen Facetten - durchdrang und vor Augen führte. Gerade das spannungsreiche Nebeneinander unterschiedlicher Gattungsspezifika und literarischer Intentionen macht die Norimberga - nach einem Diktum des Historikers Paul Joachimsen - zu einem „Meisterstück, dem auch die spätere humanistische Produktion in Deutschland nichts an die Seite gesetzt hat.“ 50 Literaturverzeichnis Amelung, Peter: Das Bild des Deutschen in der Literatur der italienischen Renaissance (1400-1559), München 1964. Arnold, Klaus: Vates Herculeus, in: Stephan Füssel / Joachim Knape (Hgg.): Poesis et Pictura. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in Handschriften und alten Drucken, Baden-Baden 1989, 131-155. Arnold, Klaus: Die ‚Norinberga‘ des Konrad Celtis - ihre Entstehung und Aufnahme in Nürnberg, in: Fuchs 2004, 100-116. Brant, Sebastian: Das Narrenschiff, herausgegeben und übersetzt von Margot Richter, Berlin 1958. Celtis, Konrad: Conrad Celtis und sein Buch über Nürnberg, herausgegeben von Albrecht Werminghoff, Freiburg i.B. 1921 (=Werminghoff 1921). 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Es handelt sich um die Erfindung des Buchdrucks und der Kanone, wobei letztere zwar schon früher erfunden worden war, nun aber allgemeine Verbreitung fand. Von den Zeitgenossen, die sich selbst einer Zeit des Umbruchs angehörig fühlten, wurden diese Neuerungen kontrovers diskutiert. 1 In diesem Diskurs nimmt der Humanist Konrad Celtis eine besondere Rolle ein, weil es ihm auf durchaus originelle Art und Weise gelingt, die beiden Erfindungen in zwei aufeinanderfolgenden Gedichten seiner Odensammlung einander gegenüberzustellen: In carmen 3, 8 verflucht er den deutschen Erfinder der Kanone, und in carmen 3, 9 lobt er den deutschen Erfinder des Buchdrucks. Im zweiten Gedicht bezieht sich Celtis natürlich auf Gutenberg, aber wen hielt er für den deutschen Erfinder der Kanone? Es ist möglich, dass er Berthold Schwarz meinte, da dieser in einigen Quellen nicht nur als der Erfinder des Schießpulvers bezeichnet wird, sondern auch als der des Geschützes. Diese Tradition lässt sich etwa in dem zwischen 1444-1451 entstandenen De nobilitate et rusticitate dialogus des Felix Hemmerlin greifen, der in diesem Werk berichtet, Berthold Schwarz habe nach der zufälligen Entdeckung des Schießpulvers das Geschütz entwickelt und gezielt verbessert. 2 Nun ist es so, dass schon die Überschriften der beiden Gedichte einen Vergleich nahelegen, und dies ist in der Forschungsliteratur auch erkannt worden, aber eine ausführliche Untersuchung der beiden Gedichte scheint bislang nicht vorzuliegen. 3 Dieser Beitrag wird die Oden in ihre Zeit einordnen und sich der Frage nach der genauen Art ihrer Interdependenz und Aussageabsicht widmen. 1 Zur Wirkung des Buchdrucks auf die Zeitgenossen vgl. z. B. Widmann 1973; zur Kanone vgl. Gartz 2007, 29-73. 2 Vgl. Felix Hemmerlin De nobilitate et rusticitate dialogus 30. Schäfer vertritt eine andere Meinung: „Der legendäre Franziskanermönchs Berthold Schwarz, dem im 14. Jh. in Freiburg i.Br. Schwarzpulver zufällig explodiert sein soll, wäre als fluchwürdiger Erfinder kaum geeignet.“ (Schäfer 2012, 232-233). 3 Vgl. Rosenfeld 1973, 196; Sponagel 1939, 42 Anm. 77. Die Überschrift von 3, 8 lautet: Exsecrat Germanum inventorem Bombardae cuius pila paene traiectus fuisset, diejenige von 3, 9: Laudat Germanum inventorem artis impressoriae. Manuel Huth 66 Zum Inhalt der Oden 3, 8 und 3, 9 Die Ode 3, 8 ist als Imitation von Horazens carmen 2, 13 entstanden. 4 Dort verflucht das lyrische Ich einen Baum und denjenigen, der den Baum gesetzt hat, in einem heftigen Wutanfall. Über dem Gedicht liegt von Anfang an eine gewisse Spannung, da sich der Grund dieses Ausbruchs erst in der dritten Strophe offenbart, wo deutlich wird, dass der römische Dichter nur knapp dem Tode entronnen ist, weil er beinahe von einem Ast jenes verfluchten Baumes erschlagen worden wäre. Horaz nimmt dann dieses Nahtoderlebnis zum Anlass, über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens zu sinnieren und dann assoziativ zur Imagination der Unterwelt mit den Dichterfiguren Sappho und Alkaios überzugehen und die Ode mit einem Preis der Macht der Musik enden zu lassen. Die Art und Weise, wie Celtis Horaz nachahmt, ist nicht wenig originell, im Vergleich zu seinem Vorbild wirkt der Humanist aber weniger geschickt. Er verflucht den deutschen Erfinder der Kanone und geht in seinem Zorn so weit zu sagen, dieser sei unwürdig gewesen, unter deutschem Himmel zu sterben. Dabei stellt sich auch bei Celtis erst sehr spät, in Vers 25, heraus, dass sein zorniges Fluchen durch persönliche Betroffenheit bedingt ist. Er wäre nämlich beinahe von einer Kanonenkugel durchbohrt worden, eine Pointe, die in seinem Gedicht durch die zu ausführliche Überschrift vorweggenommen wird. 5 Bei ihm fällt dann auch das Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit knapper, fast mechanisch aus, und auch insgesamt gelingt es ihm nicht ganz so überzeugend, die natürlich wirkende assoziative Gedankenentwicklung seines Vorbildes zu imitieren. 6 Doch auch bei Celtis bewirkt das Nahtoderlebnis, dass das lyrische Ich scheinbar assoziativ seine Gedanken schweifen lässt - und zwar in der Form eines Lobpreises einer verklärten Vorzeit, die keine Waffen, Burgen oder Beutegier (praeda, 3, 8, 45) kannte und dabei an das Goldene Zeitalter erinnert. In Kontrast zu dieser Vorzeit lässt er das Gedicht, in der Form eines kulturgeschichtlichen Dekadenzmodells, mit einem Ausblick auf die eigenen, schlechteren Zeiten ausklingen - Zeiten, in denen sich die Menschen frevlerisch erdreisten, Iuppiters Donner und Blitz durch ihre Kanonen nachzuahmen, und in denen sie den heiligen Frieden nicht wahren. In der folgenden Ode 3, 9 preist Celtis die Erfindung des Buchdrucks. Er stellt dabei Gutenbergs Leistung, ohne dessen Namen zu nennen, mit derjenigen Cecrops‘, des mythischen Erfinders des Alphabets, sowie mit der des 4 Vgl. z.B. Schäfer 2012, 232. 5 Der Titel lautet: Exsecrat Germanum inventorem Bombardae cuius pila paene traiectus fuisset. Die Überschriften stammen von Celtis selbst (vgl. dazu auch Schäfer, 1976, 25). 6 So erfolgt die eigentliche Verfluchung des πρῶτος εὑρετής, also des ersten Erfinders der Kanone erst unnatürlich verzögert in Vers 13 - Celtis misslingt es dadurch, die Impulsivität eines plötzlichen Wutausbruchs überzeugend nachzuahmen. Celtis, Oden 3, 8 und 3, 9 67 Daedalus gleich und bezeichnet den Buchdruck als nützlichste Erfindung aller Zeiten. Nun endlich könnten die Deutschen den Vorwurf der „dummen Trägheit“ (stolida [...] inertia in 3, 9, 14) von sich weisen, den die Italiener ihnen gegenüber ins Feld führten. Stolz stellt dann Celtis den Nutzen der Druckkunst für den Erhalt der antiken Literatur dar und lässt das Gedicht in einem Lobpreis auf Kaiser Friedrich III. und seinen Sohn Maximilian I. ausklingen - und zwar mit den Worten, dass unter ihrer Herrschaft das ingenium (3, 9, 20), also „das Talent, die Begabung, Erfindergabe“, der Deutschen wachsen konnte. Zur Vergleichbarkeit Aus mehreren Gründen scheint es nun sinnvoll, die beiden Oden aufeinander zu beziehen. Sie stehen nicht nur unmittelbar hintereinander, auch inhaltliche Parallelen legen einen Vergleich nahe, zumal es sowohl für Celtis als auch für sein Vorbild Horaz nichts Ungewöhnliches ist, Gedichte als Paar nebeneinanderzustellen. 7 Beiden Gedichten eignet ganz deutlich eine nationale Perspektive. So nennt Celtis beispielsweise die Namen der Erfinder nicht, 8 sondern charakterisiert sie im Text und den Überschriften als Deutsche bzw. Mainzer Bürger. Ferner werden die Erfinder jeweils in der zweiten Strophe mit mythischen primi inventores verglichen; und zwar Berthold Schwarz mit Salmoneus, 9 der sich mit Zeus auf eine Stufe stellen wollte, indem er Blitz und Donner imitierte (3, 8, 5-8), und Gutenberg mit Cecrops bzw. Daedalus (3, 9, 5-8). Weiterhin lassen sich die Gedichtenden antithetisch aufeinander beziehen. Denn 3, 8 schließt nach einem Ausblick auf die verklärte Vorzeit mit einer düsteren Bewertung der Gegenwart, während 3, 9 die Gegenwart unter dem Eindruck der Erfindung der Buchdruckkunst optimistisch beurteilt. Diese Parallelen mögen genügen, um einen Vergleich der beiden Gedichte zu rechtfertigen. Einordnung der beiden Oden in die Zeit Doch warum stellte Celtis die beiden Gedichte nebeneinander? Man kann das besser verstehen, wenn man das Epochenbewußtsein der deutschen Humanisten betrachtet, das durch einen programmatischen Bruch mit der Tradition, sowie der Forderung und der Erwartung einer Epochenwende gekennzeichnet war. 10 So ist beispielsweise Rudolf Agricola, Celtis‘ Lehrer, unzufrie- 7 Gedichtpaare bei Celtis sind beispielsweise carm. 1, 25 / 1, 26 oder epod. 15 / 16. 8 Vgl. Rosenfeld 1973, 195. 9 Vgl. Schäfer 2012, 233. 10 Vgl. Worstbrock 1995, 9-13. Manuel Huth 68 den mit der eigenen Zeit und zweifelt, inwieweit das senescentis ac prope ruentis seculi uitium 11 also „der Fehler des alternden und beinahe schon strauchelnden Zeitalters“, der Beschäftigung mit den klassischen Künsten im Wege stehe. Auch sein Humanismus ist national geprägt, d.h. er möchte, dass Deutschland den kulturellen Rückstand gegenüber Italien aufholt, damit sich die Deutschen vom Vorwurf der Barbarei befreien können - ein Vorwurf der von den sich kulturell überlegen fühlenden italienischen Humanisten wiederholt den Deutschen gegenüber ins Feld geführt worden ist. Die beiden Oden scheinen nun genau diesen Zeitgeist aufgenommen zu haben. In 3, 8 ist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Zeitalter spürbar und der Wunsch nach Erneuerung, nach einem Bruch, lässt sich nur ex negativo aus der leidenschaftlichen Verfluchung des deutschen Erfinders der Kanone und der Absage an die eigene kriegerische Zeit erkennen. Doch noch ist keine Epochenwende absehbar, vielmehr ist es so, dass der militärische Fortschritt der Kanonenerfindung als Frevel wider die Ordnung Iuppiters empfunden und zum Ausdruck der Dekadenz der Zeit wird. Das Gedicht endet daher auch düster, fast verzweifelt, in einer Betrachtung des kriegerischen eigenen Zeitalters. 12 Dadurch, dass Celtis diese Ode nun der anderen vorausgeschickt hat, lässt er den Leser die Situation der Unzufriedenheit mit der eigenen Gegenwart nachempfinden und im folgenden carmen 3, 9 die Herrschaft Friedrichs III. und Maximilians I., unter denen der Buchdruck erfunden wurde und sich ausbreitete, als eine Art Epochenwende mitempfinden - und zwar umso unerwarteter und intensiver. Wirkungsmächtig hat Celtis dabei das Ende der Ode 3, 8 dem Anfang von 3, 9 gegenübergestellt. Endete das erste Gedicht mit einer verzweifelten Betrachtung der eigenen schlechteren Zeit, so beginnt das zweite kräftig, laut und selbstbewusst mit folgenden Worten: Quid tantis strepitat Graecia laudibus, invenisse suis ingeniis canens, qua natura potens lege coerceat caeli fulgida sidera. 4 Was lärmt Griechenland mit solchen Lobeshymnen, singt davon, durch seine Großen herausgefunden zu haben, nach welchem Gesetz die mächtige Natur die glänzenden Sterne am Himmel ordnet? 13 Es ist nun interessant, auf welche Art und Weise Celtis in jenem zweiten Gedicht die Herrschaft Kaiser Friedrichs und seines Sohnes Maximilian als Epochenwende stilisiert. Denn jede der beiden Oden relativiert und ergänzt die Aussage der jeweils anderen. So macht erst die Ode 3, 9 deutlich, dass auch 11 Rudolph Agricola Epistulae 4: Rodolphus Agricola Antonio Libero Susatensi S. 12 Die Herrschaft Kaiser Friedrichs war von zahlreichen Konflikten geprägt, wie etwa den Auseinandersetzungen mit Frankreich im Westen oder Matthias Corvinus im Osten. 13 Übersetzung nach Schäfer 2012, 233. Celtis, Oden 3, 8 und 3, 9 69 die vorbildhaft verklärte mythische Vorzeit der Ode 3, 8 ambivalent zu betrachten ist: Denn dort wird diese Zeit zwar als eine Ära des Friedens geschildert, aber erst durch den Vergleich mit carmen 3, 9 wird ganz deutlich, dass ihr die Segnungen einer fortschrittlichen Kultur abgehen. 14 Umgekehrt erfährt aber auch die Herrschaft Friedrichs und seines Sohnes Maximilian in Ode 3, 9 durch den Vergleich mit dem vorangegangenen Gedicht eine gewisse Relativierung, da sie eben nicht ganz frei von Waffen und kriegerischen Auseinandersetzungen ist. Es scheint auch deswegen legitim, die Herrschaft dieser beiden deutschen Kaiser mit dem Goldenen Zeitalter zu vergleichen, weil Celtis in der Ode 1, 1 die Herrschaft Kaiser Friedrichs als Rückkehr des Goldenen Zeitalters feiert (te vivo redeunt aurea saecula, Vers 6), und die Kunst des Buchdruckes ist dort ein Merkmal dieser neu anbrechenden Epoche. 15 So heißt es weiter in den Versen 25-28 der Eingangsode: Hinc caelum omne patet, terraque cognita est, et quid quadrifidis continet angulis, in lucem veniunt arte Alemannica, quae pressis docuit scribere litteris. Daher steht offen der ganze Himmel und ist bekannt die Erde, und was sie zwischen ihren vierfachen Enden enthält, das kommt ans Licht durch die deutsche Kunst, die mit gedruckten Schriftzeichen schreiben lehrte. 16 Aufgrund dieser Parallele zu carmen 1, 1 wird also auch in 3, 9 die Kunst des Buchdruckes zum Ausdruck eines neuen Zeitalters, das gegenüber der in 3, 8 verklärten Vorzeit keineswegs als minderwertig erscheint. Dennoch stehen die beiden Gedichte nicht ganz harmonisch nebeneinander und lassen einige Fragen offen: Wie kann Celtis die Gegenwart zugleich negativ und positiv darstellen? Wie lassen sich die beiden Geschichtsmodelle überhaupt miteinander in Einklang bringen? Welche Rolle spielen dabei Kaiser Friedrich und sein Sohn Maximilian? Die Beantwortung dieser Fragen fällt leichter, wenn man einen Umweg geht und auf Horazens Werk zurückblickt. Denn für den augusteischen Dichter ist es nicht ungewöhnlich, miteinander nicht harmonierende Gedichte ne- 14 Dies scheint umso wahrscheinlicher, als Celtis auch in anderen Gedichten die verklärte (deutsche) Vorzeit mit einer fortschrittlichen Gegenwart vergleicht und dadurch relativiert. So endet die Germania generalis mit einem Ausblick auf das nun mildere Volk der Germanen (Germania generalis 7, 10-14), während sich am Ende der Elegie 2, 9 die Behauptung findet, das Land der Germanen habe keine Musen gehabt (Am. 2, 9, 151-2). Zu dieser ambivalenten Schilderung der germanischen Vorzeit in Elegie 2, 9 vgl. auch Krebs 2005, 195-225. 15 Vgl. Rosenfeld 1973, 196. 16 Übersetzung nach Schäfer 2012, 41. Manuel Huth 70 beneinander zu gruppieren - man denke nur an die thematisch zusammengehörigen, aber nicht kongruenten Römeroden des Horaz. Doch vielleicht kann man den Vergleich noch weiter treiben und für die beiden Oden ein Gedichtpaar von Horaz als Vorbild finden, wenn man die beiden Gedichte des Celtis auf Horaz carm. 1, 2 und 1, 3 bezieht. 17 In 1, 3, einem Propemptikon an Vergil, schreibt der Dichter über den Frevel der ersten Seefahrt (auch hier geht es also um primi inventores) und allgemein über das frevlerische Menschengeschlecht, das seit dem Raub des Feuers durch Prometheus die ihm gesetzten Grenzen nicht achtet. Wie Celtis carm. 3, 8 endet die Ode düster mit einer Beschreibung von Iuppiters Zorn über die Gegenwart. Horazens carm. 1, 2 hingegen beginnt mit einer Reihe schlimmer prodigia, deren Ursache die Frevel des Bürgerkrieges sind. Das Gedicht endet dann in einem Lobpreis Octavians, von dem Hilfe für das römische Volk erbeten wird. Der Wandel, der sich dabei durch die Herrschaft Octavians, dem Sohne Cäsars, abzeichnet, lässt sich nun mit dem Anbruch eines neuen Zeitalters unter der Herrschaft Maximilians I. und seines Vaters Friedrich III. (Celt. carm. 3, 9) parallelisieren. Gegenüber Horaz hat Celtis die Gedichte jedoch anders gewichtet. Am auffälligsten ist, dass er die Reihenfolge vertauscht hat: Bei Horaz wird im ersten Gedicht der Wandel zum Positiven angedeutet, im zweiten hingegen leitet der Raub des Feuers die Deszendenz ein. Nun ist oben bereits darauf verwiesen worden, dass Celtis, indem er das Aszendenzmodell an die zweite Position setzt, diesem größere Wirkung verleiht. Denn dadurch, dass der Leser zunächst in 3, 8 die Unzufriedenheit mit der eigenen Gegenwart nachempfindet, wirkt die positive Schilderung der Erfindung des Buchdrucks und der Herrschaft Friedrichs III. und Maximilians I. umso unerwarteter und intensiver, geradezu als eine Art Epochenwende. Und dieser Eindruck lässt sich bei einem genaueren Vergleich mit dem römischen Vorbild verstärken. Denn während Horaz in den letzten Versen von 1, 2 Octavian lediglich bittend anruft und damit das Gedicht noch gleichsam in der Schwebe enden lässt, ist bei Celtis die neue Zeit ja schon unter der Herrschaft Friedrichs und Maximilians angebrochen (vgl. Celt. carm. 3, 9, 17-20): Quae tandem Aemilio gratia Maximo solvenda est, genitus qui patre Caesare, sub quorum imperio crevit et exstitit nostris ingenium viris? Welcher Dank muss schließlich Maximilian erstattet werden, des Kaisers Sohn, unter deren ruhmvoller Herrschaft das Talent unserer Männer gewachsen ist und blüht? 18 17 Parallelen zwischen Hor. carm. 1, 2 und Hor. carm. 1, 3 führt beispielsweise Santirocco an (vgl. Santirocco 1986, 25). 18 Übersetzung nach Schäfer 2012, 233. Celtis, Oden 3, 8 und 3, 9 71 Auch ist das Gedicht des Humanisten von Anfang an positiv und triumphierend verfasst - ihm fehlt jegliche bange Erwartung (vgl. dazu Hor. carm. 1, 2, 1-28). Und eine weitere Erkenntnis kann noch aus dem Vergleich gewonnen werden: Horaz lässt die Ode 1, 2 mit einem Anruf des göttlichen Octavian und 1, 3 mit einem Verweis auf den Zorn des Gottes Iuppiter enden, parallelisiert also die beiden als göttliche Wesen. Celtis hat dies vermutlich zum Vorbild genommen und ist deswegen ähnlich an den Enden seiner beiden Oden verfahren: In 3, 8 schildert er den Zorn Iuppiters und dessen Auswirkungen, in 3, 9 die Herrschaft des Kaisers Friedrich III. und seines Sohnes - parallelisiert also wie Horaz Gottheit und Herrscher und lässt sie damit geradezu zum Ausdruck der negativ bzw. positiv beurteilten Gegenwart werden. Vor diesem Hintergrund also wird man Maximilian zurecht als Bringer eines neuen Goldenen Zeitalters betrachten können. Doch auch wenn durch die Parallelstellen die zweite Ode derart aufgewertet wird, sind damit die Probleme bei der gemeinsamen Betrachtung der beiden Gedichte nicht vollends gelöst. Fragt man sich nun, warum Celtis sie auf diese Weise miteinander gepaart hat, so sind verschiedene Antworten denkbar. Möglicherweise ließ er bewusst offen, wie sie zueinander passen, weil er selbst als Kind seiner Zeit derart widersprüchliche Empfindungen hegte, dass er sie selbst nicht zusammenbringen konnte bzw. als Dichter auch nicht musste. Etwas Zweites kommt hinzu: Dadurch, dass er zwar komplementäre, aber keine kongruenten Gedichte geschrieben hat, zwingt er den Leser in viel stärkerem Maße dazu, sich mit den Gedichten auseinanderzusetzen, die Leerstellen zu suchen und selbst eine Antwort zu finden. Aber vor allem kann man annehmen, dass den beiden Oden eine Art Appellcharakter innewohnt, der dem Publikum der deutschen Humanisten eine Richtung vorgeben sollte: die Pflege eines friedlichen Humanismus und der humanitatis artes. Zum Fortschrittsoptimismus und -pessimismus Es stellt sich noch die Frage, ob sich bei den Deutschen die negative und die positive Seite des Fortschritts gerade deshalb zeigt, weil ihre Nation so weit fortgeschritten ist. Celtis würde dann den Fortschritt generell als zumindest ambivalent darstellen und sowohl die positive als auch die potentiell frevlerische Seite des Fortschritts aufzeigen wollen. Inwieweit dies aber wirklich im Vordergrund steht oder seine leidenschaftliche Verfluchung der Erfindung der Kanone nicht viel eher dazu dient, die Deutschen vom Vorwurf der Barbarei zu befreien, muss offen bleiben. Auf jeden Fall ist der Maßstab, an dem der Fortschritt gemessen wird, national; und in beiden Gedichten beurteilt Celtis den Fortschritt vor dem Hintergrund der Vergangenheit - einmal im Hinblick auf eine mythisch verklärte Vorzeit, ein anderes Mal im Hinblick auf die griechisch-römische Antike. So ist die Erfindung der Kanone deshalb Manuel Huth 72 schlecht, weil sie von der konstruierten Vergangenheit einer Goldenen Zeit abweicht, die Erfindung der Buchdruckkunst hingegen deshalb gut, weil sie die Antike bewahren hilft. Dabei ist dieses Vorgehen, Fortschritt anhand der Vergangenheit zu beurteilen, nichts Ungewöhnliches und eigentlich bis weit in die Neuzeit üblich. Zur translatio artium und zur Auseinandersetzung mit den italienischen Humanisten Doch Celtis schreibt nicht nur für ein deutsches Publikum. Ein zentraler Aspekt der Oden ist die Auseinandersetzung mit dem Barbareivorwurf der italienischen Humanisten. Dass die Deutschen zwar die Herrschaft über Italien innehatten, aber kulturell unterlegen waren, hatte bei ihnen ein Minderwertigkeitsgefühl den Italienern gegenüber entstehen lassen. Der translatio imperii musste also eine translatio studii folgen, d.h. nicht nur die politische Herrschaft, sondern auch die Beherrschung der Künste sollte von den Griechen über die Römer auf die Deutschen übergehen. 19 Celtis verwendet nun dieses Schema in der Ode 3, 9. 20 Man erkennt dies in den Versen 13-16, wo es heißt: Iam tandem Italici non poterunt viri Germanos stolida carpere inertia, cum nostris videant crescere ab artibus Romae saecula litteris. Nun endlich werden Italiens Männer nicht mehr die Deutschen für dumme Trägheit zerpflücken können, sehen sie doch, wie von unseren Künsten Roms Literatur Jahrhunderte zuwachsen. 21 Das heißt nicht mehr Italien, sondern Deutschland erscheint in diesem Gedicht als Förderin der Künste, als nutrix scientiarum. Aber auch an einer anderen Stelle zeigt sich die translatio studii. Denn Gutenberg wird in den Versen 5-8 mit den mythischen Gestalten der griechischen Vorzeit (also Daedalus und Cecrops, dem mythischen Erfinder des Alphabets) verglichen; und anschließend wird in den Versen 11-12 der Buchdruck als nützlichste Erfindung aller Zeiten bezeichnet. Dieses Konkurrenzdenken ähnelt stark der römischen aemulatio mit den griechischen Vorbilden, die man so auffassen könnte, dass die Griechen das Schreiben zwar erfunden haben mögen, aber die Deutschen sie darin übertroffen haben, indem sie die Kunst des Buchdrucks erfanden. Hierbei ist auch noch wichtig, dass das Wort ingenium („Erfindergabe“) rahmend verwendet wird. Im ersten Vers nämlich wird es auf die griechischen 19 Vgl. Hirschi 2008, 37-55. 20 Vgl. z. B. Hirschi 2008, 49-50. 21 Übersetzung nach Schäfer 2012, 233. Celtis, Oden 3, 8 und 3, 9 73 πρῶτοι εὑρεταί bezogen und im letzten auf das Volk der Deutschen. Auch dies lässt darauf schließen, dass die artes von den Griechen auf die Deutschen übergegangen sind. 22 Dabei unterstreicht Celtis das Ungeheuerliche der Erfindung, indem er einen zweiten, sozusagen inneren Rahmen verwendet, der die Erfindung des Buchdrucks, die in den Strophen 2 und 3 geschildert wird, durch das Wort credite („glaubt es“) umgibt (3, 9, 5 / 12). Aber kann man auch eine Auseinandersetzung mit den italienischen Humanisten in der Ode 3, 8 erkennen? Es spricht vieles dafür, denn auch das Bekenntnis zum Frieden und das Verfluchen des Erfinders der Kanone, könnte der Zurückweisung des Barbareivorwurfes dienen. Das Bild nämlich, das die italienischen Humanisten von den Deutschen hatten, war mitunter das des kriegstüchtigen aber auch brutalen Söldners. 23 Und wenn Celtis in 3, 8, 25-26 von der pila furentum […] Suevorum, der „Kanonenkugel der wilden Schwaben“ redet, (eben jener Kugel, die ihn beinahe durchbohrt hätte) dann distanziert er sich von einer weiteren Eigenschaft, die nicht erst die italienischen Humanisten den Deutschen nachsagten, nämlich dem furor Teutonicus. 24 Dabei hat Celtis, und auch dies könnte für den Dialog mit den italienischen Humanisten wichtig sein, die negative Beurteilung der Kanone möglicherweise von Petrarca übernommen, welcher in De remediis utriusque fortunae den Kriegsmaschinen ein eigenes Kapitel widmet. Auch dort ist von Grausamkeit und vom Hochmut, Gottes Donner durch die Kanone nachzuahmen, die Rede. So heißt es dort: Non erat satis de caelo tonantis ira Dei immortalis, homuncio nisi - o crudelitas iuncta superbie! - de terra etiam tonuisset! 25 Nicht genug wäre es gewesen, dass der erzürnte, unsterbliche Gott es vom Himmel her donnern ließ, hätte es das Menschlein nicht auch von der Erde her donnern lassen. Wegen des Dialogs mit den Italienern, die die Deutschen vornehmlich als brutale Soldaten betrachteten, fällt dann auch die Schilderung der Varusschlacht und der Schlacht auf dem Lechfeld (3, 8, 29-32) zumindest ambivalent aus. Denn erstens setzt Celtis den Ort beider Schlachten mit Augsburg 26 und somit 22 Man kann die Wiederholung des Wortes auch als Hinweis darauf deuten, dass sich die Erfindergabe der Deutschen qualitativ nicht von derjenigen der Griechen unterscheidet, die aemulatio sich also nicht auf eine bloß bewahrende imitatio beschränkt. 23 Vgl. Amelung 1964, 23-32. 24 Vgl. Amelung 1964, 29-30; 167-169. 25 Petrarca, De remediis utriusque fortunae 99: De machinis et balistis dialogus. 26 Lange Zeit, bis zur Entdeckung der Annalen des Tacitus, hielt man Augsburg für den Ort der Varusschlacht (vgl. etwa Sponagel 1939, 20). Eine wichtige Quelle ist dabei Otto von Freisings Chronica sive Historia de duabus civitatibus 3, 3: Ea tempestate cum tribus legionibus Varus Romano more superbe et avare erga subditos se gerens a Germanis deletus est. […] Tradunt Augustenses hanc cedem ibi factam ostenduntque in argumentum collem ex ossibus mortuorum conpactum, quem in vulgari Perleich, eo quod legio ibi perierit, usque hodie vocant Manuel Huth 74 dem Ort seines Nahtoderlebnisses gleich und zweitens ist Otto der Große (als Karolus apostrophiert in 3, 8, 32) als Sieger der Schlacht am Lechfeld von den Worten cruento […] triumpho (3, 8, 31-32) umgeben, steht also inmitten seines „blutigen Triumphes“. Die ganze Ablehnung des Krieges ist also mit durch die Meinung der Italiener über die Deutschen bedingt und dient der Revision dieser Ansichten. So wirkt die Ode zugleich als Appell an die italienischen Humanisten, die erkennen sollen, dass die translatio studii nach Deutschland erfolgt ist. Etwas Weiteres kommt hinzu: Wenn Celtis nun in den beiden Gedichten Fortschritte auf dem Gebiet der handwerklichen Künste anführt, um die Rückständigkeit der Deutschen zu widerlegen, dann nützt er eigentlich den einzigen Bereich, in dem die Deutschen von den italienischen Humanisten nicht negativ beurteilt wurden, 27 wobei deren Urteil wohl deswegen so ausfiel, weil sie die handwerklichen Künste gegenüber den literarischen geringer schätzten. Wenn dies so ist, dann kann man festhalten, dass Celtis bewusst den italienischen Humanisten gegenüber diesen handwerklichen Bereich wählt, in dem die Deutschen als nicht unterlegen galten, und eine Aufwertung desselben vornimmt. Und schließlich findet die Auseinandersetzung mit den italienischen Humanisten vermutlich auch auf philologischem Felde statt. Wenn Celtis nämlich den Deutschen das Ende der „dummen Trägheit“ (stolida […] inertia in 3, 9, 14) in Aussicht stellt, nimmt er damit eine Korrektur von Tacitus‘ Germania vor, da in diesem Werk steht, die Germanen würden, wenn sie nicht in den Krieg ziehen, viel Zeit mit Nichtstun verbringen (vgl. Tac. Germ. 15). 28 Der Dialog mit den Italienischen Humanisten erfolgt also auf mehrfacher Ebene. Dabei setzt sich Celtis mit ihren Wertmaßstäben bewusst auseinander und übernimmt sie sogar, um gezielt den Dialog zu suchen und die Italiener dazu aufrufen zu können, ihre Meinung über den kulturellen Fortschritt Deutschlands auf den Prüfstand zu stellen. Abschließende Wertung und Würdigung Abschließend kann man festhalten, dass Celtis die beiden Gedichte durch zahlreiche Bezüge bewusst komplementär, aber nicht kongruent miteinander vicumque ex nomine Vari appellatum monstrant. („Zu dieser Zeit wurde Varus, der sich nach römischer Sitte hochmütig und gierig gegenüber seinen Untertanen verhielt, zusammen mit drei Legionen von den Germanen vernichtet. […] Die Augsburger berichten. dieses Gemetzel solle dort stattgefunden haben, und zeigen als Beweis einen aus Knochen Toter errichteten Hügel, den sie im Volksmunde bis zum heutigen Tage deswegen Perleich nennen, weil dort eine Legion vernichtet worden sein soll, und sie zeigen ein Dorf das nach dem Namen des Varus benannt ist“). 27 Vgl. Amelung 1964, 34; 56; 175-176. 28 Vgl. Flood 2012, 38. Celtis, Oden 3, 8 und 3, 9 75 verbunden hat. Sie sind Zeugnisse eines gefühlten Epochenwandels, einer reflektierten Betrachtung der Gegenwart und des Fortschritts in ihr. Verfasst sind die Oden vor dem Hintergrund der nationalen Auseinandersetzung mit den italienischen Humanisten und dem Vorwurf der Barbarei, dem Celtis durch den Verweis auf die translatio artium entgegenzuwirken sucht. Sie wirken gleichsam doppelt als Appell: Einerseits an die Deutschen, deren Humanismus sie sozusagen ein Programm vorgeben sollen, und andererseits an die Italiener, die dazu aufgerufen werden, ihre Sicht auf die kulturellen Leistungen der Deutschen einer Revision zu unterziehen. Abschließend soll noch ein Blick auf die wirkungsmächtige Rezeptionsgeschichte der beiden Gedichte geworfen werden. So wird nicht lange nach Celtis auch Sebastian Brant überschwänglich die Buchdruckkunst preisen, indem er vermutlich auf das Werk des deutschen Erzhumanisten zurückgreift. Denn auch er bringt das Lob der Druckkunst mit der translatio artium und der aemulatio in Verbindung. 29 Und Johannes Murmellius wird gar soweit in der Nachahmung gehen, dass er die beiden Oden in einem einzigen Gedicht verbindet, in dem er die Ablehnung des Geschützes mit dem Lobpreis Gutenbergs verbindet. 30 Literaturverzeichnis Agricola, Rudolph: Letters, edited and translated, with notes by Adrie van der Laan & Fokke Akkermann, Assen / Tempe 2002. Amelung, Peter: Das Bild des Deutschen in der Literatur der italienischen Renaissance (1400-1559), München 1964 (Münchner Romanistische Arbeiten). Brant, Sebastian: Kleine Texte, herausgegeben von Thomas Wilhelmi, Bd. 1.2, Stuttgart, 1998 (Arbeiten und Editionen zur mittleren Deutschen Literatur [AuE], Neue Folge 3.1.2). Celtis Protucius, Conradus: Quattuor libri Amorum secundum quattuor latera Germaniae. Germania Generalis. Accedunt carmina aliorum ad libros amorum pertinentia, edidit Felicitas Pindter, Leipzig 1934. Celtis, Conrad: Oden / Epoden / Jahrhundertlied. Libri Odarum quattuor, cum Epodo et Saeculari Carmine (1513), übersetzt und herausgegeben von Eckart Schäfer, Tübingen 2 2012 (=Schäfer 2012). Flood, John L.: Conrad Celtis (1459-1508), The Pride of German Humanists, in: Christina Lee / Nicola McClelland (Hgg.): Germania Remembered, 1500-2009: Commemmorating and Inventing a Germanic Past, Tempe 2012, 27-41. Gartz, Jochen: Vom griechischen Feuer zum Dynamit. Eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe, Hamburg 2007. Hirschi, Caspar: Konzepte von Fortschritt und Niedergang im Humanismus am Beispiel der „translatio imperii“ und der „translatio studii“, in: Christoph Strosetzki / 29 Brant, Sebastian: Ad dominum Johannem Bergmann de Olpe, in: ders. 1998, 392-394. 30 Johannes Murmellius: De librorum amatore Ad Henricum Morlagium, in: Kühlmann / Seidel / Wiegand 1997, 300-303. 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Otto von Freising: Chronica sive Historia de duabus civitatibus / Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, übersetzt von Adolf Schmidt, Herausgegeben von Walther Lammers, Darmstadt 6 2011 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 16). Rosenfeld, Hellmut: Konrad Celtis als Lobredner der Buchdruckkunst, Gutenberg- Jahrbuch 48, 1973, 195-198. Petrarca, Franciscus: De remediis utriusque fortunae. Cremonae, B. de Misintis ac Caesaris Parmensis 1492. Santirocco, Matthew S.: Unity and Design in Horace’s Odes, Chapel Hill / London 1986. Schäfer, Eckart: Deutscher Horaz. Conrad Celtis, Georg Frabricius, Paul Melissus, Jakob Balde. Die Nachwirkung des Horaz in der neulateinischen Dichtung Deutschlands, Wiesbaden 1976. Sponagel, Ludwig: Konrad Celtis und das deutsche Nationalbewußtsein, Bühl-Baden 1939. Tacitus, Cornelius: De origine et situ Germanorum liber, recensuit Alf Önnerfors, Stuttgart 1983. Widmann, Hans: Vom Nutzen und Nachteil der Erfindung des Buchdrucks - aus der Sicht der Zeitgenossen des Erfinders, Mainz 1973. Worstbrock, Franz Josef: Zur Konstitution des humanistischen Dichters in Deutschland, in: Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1989-1992, Göttingen 1995, 9-35. Florian Hurka (Kiel) Ein Kunstprojekt zu beiderseitigem Nutzen: Das Werben von Konrad Celtis um Albrecht Dürers Philosophia-Holzschnitt (Epigr. 5, 67) Die europäische Malerei erlebt während der Lebensjahre von Konrad Celtis (1459-1508) eine besondere Blüte. In Italien wirken die großen Renaissancemeister Leonardo (1452-1519), Michelangelo (1475-1564), Raffael (1483-1520) und Tizian (1488/ 90-1576). In Frankreich und Spanien erhält die Malerei unter anderen mit Jean Fouquet (1420-1478/ 81) oder Pedro Berruguete (1450- 1504) neue, sich zumeist an der Kunst Italiens ausrichtende Akzente. Auch im kulturell als eher rückständig geltenden Deutschland erwächst mit Lucas Cranach d.Ä. (ca. 1472-1553) und Hans Holbein d.Ä. (1465-1524), vor allem aber mit Albrecht Dürer (1471-1528) ein auch im Ausland angesehener Kunstzweig. 1 Auf ihn und seine Leistungen verweist der nach internationaler Bestätigung strebende deutsche Humanismus mit besonderem Stolz. Zwar ist man hierin nicht allein; der Name des Nürnberger Malers hat auch im übrigen Europa einen guten Klang. 2 Doch sind es vor allem seine deutschen, oft weniger an Kunstästhetik als an der Artikulation nationalen Empfindens interessierten Zeitgenossen, die von seinem Ruhm künden und in ihm die als maßgeblich gewertete Antike wiedergekehrt sehen: 3 So schreibt etwa der elsässische Humanist Jakob Wimpfeling in seiner den Glanz deutscher Geschichte beschwörenden Schrift Epithoma Germanorum im Jahr 1505, Albrecht Dürer male die vollkommensten Bilder, die, von Händlern nach Italien gebracht, dort von den besten Malern ebenso hoch geschätzt würden wie die des Parrhasios und Apelles, zwei der bedeutendsten griechischen Maler des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts. 4 Ähnliches berichtet der Nürnberger Christoph 1 Vgl. allgemein Angulo Iñiguez 1955; Bonnet 2010; Campbell 2004; Huillet d‘Istria 1961; Nash 2008; Zerner 1996. 2 Vgl. Rupprich 1954, 218ff.; Lüdecke / Heiland 1955, 71-89; Białostocki 1986, 15ff.; Hutchison 2000, 1ff. Auch der wirtschaftliche Erfolg Dürers in Europa ist bemerkenswert: Schmid 2003, 1ff. 3 Zu Dürers Bedeutung in der ‚patriotischen‘ Publizistik Robert 2011, 153-158. 4 Wimpfeling 1508, Kap. 67 [zitiert nach 1562, 71]: Eius (sc. Martin Schongauer) discipulus Albertus Duerer, et ipse Alemannus, hac tempestate excellentissimus est, et Nuerenbergae imagines absolutissimas depingit, que a mercatoribus in Italiam transportantur, et illic a probatissimis pictoribus non minus probantur quam Parasii aut Apellis tabulae („sein Schüler Albrecht Florian Hurka 78 Scheurl in dem nicht weniger patriotisch gestimmten Libellus de laudibus Germaniae et ducum Saxoniae (1508), wo von der positiven Aufnahme Dürers in Oberitalien berichtet wird. 5 Dürer selbst hat die Nähe zum deutschen Humanismus durchaus zu schätzen gewusst. Insbesondere zu Willibald Pirckheimer pflegte er einen engen freundschaftlichen Umgang, der durch eine Vielzahl erhaltener Quellen gut dokumentiert ist. 6 Auch Konrad Celtis fühlte er sich verbunden. Lange Zeit ließen sich Zeugnisse dieser Freundschaft nur in den Arbeiten Dürers finden, so etwa in der gemeinsamen Abbildung der beiden auf dem Bild Die Marter der zehntausend Christen aus dem Jahre 1508, das unmittelbar nach Celtis‘ Tod entstand. 7 Spuren im Werke des Erzhumanisten suchte man dagegen lange vergebens. Erst im Jahr 1965 tauchten vier Epigramme in einer bis dahin unbeachteten Pergamenthandschrift auf (Kassel), in denen sich Celtis der Person und dem Werk Dürers widmet. 8 Die Gedichte sind die frühsten literarischen Zeugnisse von Dürers Ruhm und prägen einige Topoi vor, die später bewusst oder unbewusst von anderen Lobrednern des Nürnberger Malers aufgegriffen werden. Besonders bedeutend erscheint in diesem Zusammenhang ein nicht nach 1500 entstandenes Epigramm, in dem Celtis den Nürnberger Maler (wie auch Dürers spätere Bewunderer) in den künstlerischen Rang antiker Meister versetzt und als zweiten Apelles apostrophiert (5, 67): 9 Dürer, auch ein Oberdeutscher, ragt in dieser Zeit besonders hervor und malt in Nürnberg die vollkommensten Bilder, die von Händlern nach Italien gebracht und dort von den anerkanntesten Malern ebenso hoch geschätzt werden wie die Tafeln von Parrhasius und Apelles“). 5 Scheurl 1508, fol. h 5 (43 ab ): Ceterum quid dicam de Alberto Durero Nurimbergensi? Cui consensu omnium et in pictura et in fictura aetate nostra principatus defertur. Qui quum nuper in Italia rediisset, tum a Venetis atque a Bononiensibus artificibus, me saepe interprete, consalutatus est alter Apelles. In der ersten Ausgabe von 1506 fehlt der Hinweis auf Dürer noch (Lüdecke / Heiland 1955, 246; Rupprich 1956, 291, Anm. 2). Auch Kaiser Maximilian I. berichtet 1512 in einem Brief an den Rat von Nürnberg, in dem er sich (freilich vergebens) für eine Abgabenbefreiung für Dürer einsetzt, von der ihm oftmals zugetragenen Kunde, Dürer werde in der Kunst der Malerei vor anderen Meistern gerühmt (Lüdecke / Heiland 1955, 24). Der Grund des kaiserlichen Engagements ist wohl in Maximilians Willen zu suchen, Dürer im selben Jahr 1512 als Illustrator für seine zahlreichen, unter anderen von Dürers Freund Willibald Pirckheimer betreuten Publikationsunternehmen einzubeziehen; später saß der Kaiser dem Maler Porträt (Lüdecke / Heiland 1955, 249- 251, allgemein zu Maximilians Kulturpolitik vgl. Müller 1982, 1ff.). 6 Vgl. Rupprich 1930; Wuttke 1980, 74; Białostocki 1986, 15. 7 Kunsthistorisches Museum Wien; zur Identifizierung der abgebildeten Gestalt mit Celtis vgl. Panofsky 1942, 39ff.; Wuttke 1980, 116. 8 Wuttke 1976, 321ff. 9 Zur Datierung Wuttke 1976, 322. Ein Kunstprojekt zu beiderseitigem Nutzen 79 Ad Pictorem Albertum Durer Nurnbergensem Alberte, Almanis pictor clarissime terris, Norica ubi urbs celsum tollit in astra caput, Alter ades nobis Phidias et alter Apelles Et quos miratur Grecia docta manu. Italia haud talem nec lubrica Gallia vidit Et neque in Hispanis quisque videbit agris. Pannonios superas et quos modo Teutonus ora Continet et si quos Sarmatis ora colit. Des operam, nostram depinges Philosophiam, Cognita quae faciet cuncta sub orbe tibi. Albrecht, berühmtester Maler in deutschen Landen, (insbesondere) dort, wo Nürnberg sein Haupt hoch in den Himmel erhebt. Du bist uns ein zweiter Phidias und ein zweiter Apelles, oder wie einer der anderen, welche man im gelehrten Griechenland für ihre Künstlerhand bewundert. Keinen wie dich hat Italien oder das feuchte Frankenreich je gesehen, nie wird man einen solchen Künstler wie dich in spanischen Gefilden erblicken. Du übertriffst die ungarischen Maler und die, welche der Deutsche heute in seiner Gegend umfasst, und die, sofern es sie denn gibt, die das polnische Land verehrt. Mach dich ans Werk und male unsere Philosophie, die dir alles in der Welt bekannt machen wird. Der Einfall, Dürer als zweiten Phidias und somit als einen über seine Zeitgenossen weit herausragenden Bildhauer zu charakterisieren, hat sich zwar, angesichts Dürers Werk wenig verwunderlich, nicht durchsetzen können. 10 Wohl aber wird der rühmende Vergleich Dürers mit Apelles zu einem stehenden Topos während des Humanismus und auch später - zumindest unter deutschen oder deutschaffinen Gelehrten wie Wimpfeling, Scheurl, von Hutten, Hessus, Rivius, Sbrulio, Balde und anderen. 11 Über den auch später immer wieder begegnenden Verweis auf große Maler des Altertums hinaus geht bei Celtis die Behauptung, Dürer überrage in seiner Ebenbürtigkeit mit der Antike alle späteren Maler: Italia haud talem nec lubrica Gallia vidit / et neque in Hispanis quisque videbit agris. / Pannonios superas et quos modo Teutonus ora / Continet et si quos Sarmatis ora colit (Vers 5-8). Bei den anderen Lobrednern auf Dürer lässt sich dieser polemische, die europäische Konkurrenz explizit abwertende Stolz allenfalls implizit in Hinweisen erkennen, auch im Ausland gelte Dürer als zweiter Parrhasios oder Apelles. Der Verweis auf Dürers Erfolg in Italien, Frankreich oder Spanien dient dort dem Bestreben, dem deutschen Maler einen besonderen Rang im 10 Vgl. Białostocki 1986, 17. 11 Vgl. neben den Testimonien bei Heiland / Lüdecke 1955, 17ff. auch Kennedy 1964, 160- 170, Mende 1971, 23ff.; Białostocki 1986, 17-35. Florian Hurka 80 zeitgenössischen Malereibetrieb zuzusprechen. 12 Anders als bei Celtis erfährt dabei die Kunst in Italien und anderswo eine besondere Betonung: Nach Wimpfeling, Cochlaeus und anderen erkennen selbst die auf diese Weise als kunstfähig charakterisierten Italiener, Franzosen und Spanier die bedeutsame Stellung Dürers an. 13 Während die Denkfigur von Dürers späteren Enkomiasten als eine Art Stufenmodell verstanden werden kann, wonach die hochstehende europäische Konkurrenz durch das antike Prädikat, das sie Dürer verleiht, den Nürnberger Maler auf eine noch darüberstehende Ebene hebt, überstrahlt Dürer bei Celtis in seiner Ebenbürtigkeit mit der Antike den zeitgenössischen Kunstbetrieb so sehr, dass unter ihm keine weiteren Abstufungen mehr erkennbar sind. Neben den gängigen Kulturnationen Italien, Frankreich und Spanien werden deshalb auch die in der Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts weniger renommierten Länder Polen und Ungarn genannt: Die Malerei mag sich in Ländern wie Italien oder Polen qualitativ unterscheiden. 14 Doch das ändert nichts an Dürers Ausnahmerang, der allein in den gleichsam vergöttlichten Instanzen der Antike eine Entsprechung findet und von den Verhältnissen der Gegenwartskunst so weit entfernt ist, dass sich weitere Differenzierungen erübrigen. Dies gilt aber auch für die deutschen Verhältnisse, die Autoren wie Wimpfeling und Scheurl als besonders positiv darstellen wollen: Die Intention von Celtis‘ Epigramm ist eine andere. Denn der vertraut wirkende, scheinbar national ausgerichtete Kunstdiskurs in Celtis‘ Epigramm zielt nicht darauf ab, Publikum und Autor von einer besonderen deutschen Geisteskraft zu überzeugen. Vielmehr versucht das Epigramm, Dürer für die Verfertigung des Philosophia-Holzdruckes zu gewinnen (Abbildung 1). Denn auf das sich weit über die Welt spannende Lob von Dürers Talent folgt die Aufforderung des Dichters, die erbetene Illustration 12 Das agonale Moment im deutschen patria-Diskurs dieser Zeit ist durchaus typisch (vgl. Robert 2011, 133 und 155). 13 Der wirtschaftliche Erfolg Dürers in ganz Europa gibt den deutschen Humanisten durchaus Recht (vgl. Schmid 2003). Dazu passt auch die zuerst bei dem national empfindenden Kunsthistoriker David Gottfried Schöber im Jahre 1769 auftauchende Anekdote, Dürer habe inkognito in der Werkstatt Michelangelos als Farbmischer gearbeitet und sei später vom italienischen Meister anhand einer gemalten Fliege identifiziert worden (Białostocki 1986, 20). Andererseits finden sich auch Zeugnisse, wonach Michelangelo Dürer zwar als einen herausragenden Maler anerkannt habe - allerdings nur gemessen daran, dass er nicht aus Italien, sondern aus dem barbarischen Deutschland stamme. Hier ist freilich zu berücksichtigen, dass dieses Diktum bei Francisco de Holanda (1517-1585) überliefert ist, der sich ähnlich wie Vasari vornehmlich für italienische Kultur begeisterte. Vasari übrigens billigte Dürer, den er freilich für einen Sohn Flanderns hielt, wohl Talent zu, sah ihn aber wie de Holanda deutlich gegenüber italienischen Malern zurückfallen (vgl. Robert 2011, 142-147). 14 Das epigrammatische Ich gibt mit der Formulierung si quos Sarmatis ora colit (Vers 8) zu erkennen, dass es von der polnischen Kunst nichts weiß, und es nicht für ausgeschlossen hält, dass man dort von der Malerei auch nichts versteht. Ein Kunstprojekt zu beiderseitigem Nutzen 81 zu verfertigen, die Celtis‘ Amores-Ausgabe schmücken und dem Maler laut Epigramm ‚alles Wissen der Welt‘ vermitteln soll (cognita quae faciet cuncta sub orbe tibi). Diese Ankündigung kann in zweierlei Sinn verstanden werden. Zum einen offenbart die Darstellung selbst ein verschlüsseltes universell-humanistisches Bildungsprogramm. 15 Zum anderen und (angesichts der notgedrungen im Abstrakten bleibenden Philosophia-Allegorie) wohl vor allem ist bei der Bitte um den Holzschnitt auch daran zu denken, dass das Werk Teil von Celtis‘ Publikation werden soll: Der Leser und damit auch Dürer soll durch die Amores Dinge von höchster Wichtigkeit, eben Weltwissen erfahren. Dass es Celtis mit diesem Anspruch ernst ist, dass also seine Liebesdichtung, die sich ja gemäß ihres Titels auf die vier Gegenden Deutschlands beschränkt, dem Leser tatsächlich Universales bieten soll, offenbart zum einen der ‚makrokosmische Bezugsraum‘, den Celtis in seiner Praefatio herstellt und sich so selbst zum ‚deutschen Proto-Philosoph‘ stilisiert. 16 Den Ehrgeiz, in den Amores eine Art „poema naturale“ 17 vorzulegen, erhebt Celtis aber zum anderen auch mit Hilfe seines Bildprogramms: Dieses zeigt sowohl die Philosophia-Allegorie selbst als auch besonders deren Bezug auf eine zweite großformatige Illustration: den gleichfalls von Dürer verfertigten Widmungsholzschnitt der Amores, auf dem die Überreichung des Werkes an Kaiser Maximilian I. durch Celtis dargestellt ist (Abbildung 2). Die Philosophie hat Dürer frontal als Königin in prächtigem Ornat abgebildet, die, von einem Medaillonkranz umgeben, im Zentrum der Abbildung thront. In deutlicher Parallele dazu sieht der Betrachter, gleichfalls von vorne, den Kaiser auf seinem Thron. Auch er ist in der Pracht seiner Herrschaft abgebildet und wird umringt vom zierenden Wuchs der Weinstöcke, in welche, parallel zu den vier Medaillons der Philosophie, vier Wappenschilde eingelegt sind. 18 Der Bezug zwischen beiden Darstellungen ist offensichtlich, 19 und das dürfte die Beobachtung bedeutsam machen, dass das Buch, das auf dem Philosophia-Holzschnitt die Königin der Weisheit anstelle eines Reichsapfels in ihrer rechten Hand hält (links hält sie das Szepter), eben jenen Einband aufweist wie das Buch, das auf dem Widmungsholzschnitt der Dichter dem Kaiser überreicht (Abbildung 2): Die Amores entstammen demnach der Hand der Philosophie und werden so vielleicht noch stärker als durch die Formulierungen der Praefatio als philosophisches Großwerk ausgewiesen. 15 Dazu Mende 2004, 141-143; Robert 2003, 105-127; Schauerte 2004, 117-119. 16 Robert 2003, 180, vgl. 174-187. 17 Robert 2003, 180. 18 Vgl. Mende 2004, 138-142. 19 Mende 2004, 142: „Im kompositionellen Grundschema paßten Celtis und Dürer den Holzschnitt der Philosophie dem im Buch vorausgehenden Dedikationsblatt mit dem Dichter vor Maximilian I. an.“ Florian Hurka 82 Dem ‚Welt-Künstler‘ Dürer, dessen Talent nach Auskunft des Epigramms im kulturellen Europa seit der Antike seinesgleichen sucht, wird demnach mit dem erbetenen Beitrag zu Celtis‘ Amores ein ihm gebührendes Projekt ans Herz gelegt: Denn wie das Talent des Malers ihn in allen Landen, in Italien im Süden, in Frankreich und Spanien im Westen, in Ungarn, Deutschland und Polen im Osten und Norden über die Zeitgenossen heraushebt, so werden ihn die Amores als ‚Welt-Gedicht‘ mit hohem philosophischen Anspruch durch alle Himmelsrichtungen und durch eine Vielzahl von Themen führen. Setzt man darüber hinaus die selbstbewusste Erwartung zukünftiger Anerkennung und immerwährenden Ruhmes voraus, wie sie etwa aus der Sphragis des Werkes Am. 4, 15 erkennbar wird (die Dichterstimme spricht dort posthum als vates aeternus zu seinem Publikum), so offeriert das Celtis-Epigramm dem hochbegabten Maler Anteil an der bevorstehenden Ehre und somit den gebührenden Lohn für Dürers Ausnahmetalent. 20 Diese kühn anmutenden Voraussetzungen bereiten die direkte Aufforderung im letzten Teil des Gedichts vor, den Philosophia-Holzschnitt zu verfertigen. Da die Mitarbeit an den Amores eine Teilhabe an ihrem künstlerischen Ruhm in Aussicht stellt, wird aus dem Gefallen, den Celtis von seinem Freund erbittet, das Angebot einer gegenseitigen Befruchtung von Vers und Bild zu beiderseitigem Nutzen: Dem Ausnahmetalent Dürers wird eine angemessene Plattform für seinen Ruhm geboten, und wohl nicht zufällig weist das letzte Wort des Gedichts, tibi, den Nutzen der erbetenen Arbeit dem Adressaten Dürer zu. 21 20 Vgl. Robert 2011, 148: „Schema: Der beste Maler für den besten Autor“. Robert (2011, 151) weist auch auf die „Bipolarität von Region und Nation“ hin: Diese ist sowohl für das Epigramm, in dem zu Beginn Dürers Ruhm in Deutschland und seine Herkunft aus Nürnberg betont werden, als auch für die Amores von Bedeutung und entspricht der allgemeinen Tendenz der zeitgenössischen Natio-Genese, einen regionalen (oder gentilen) Bezug zwischen Individuum und Nation herzustellen (dazu Mertens 2005, 730). Darüber hinausgehend erweckt das Gedicht - um den Ehrgeiz Dürers zu entfachen? - möglicherweise den Anschein, dass sich der Ruf des Nürnberger Malers, insbesondere im europäischen Ausland, noch ein wenig verbessern könnte: Zwar wird Dürers Ingenium im Auftakt und Mittelteil des Gedichts ausführlich gewürdigt, sein guter Ruf scheint sich aber auf das im Beginn berührte Heimatland beider Künstler zu beschränken: Dürer wird als der berühmteste Maler in den deutschen Landen apostrophiert und ist für eine Gemeinschaft, zu der sich die Dichterstimme selbst zählt (nobis), ein zweiter Apelles. Zwar bleibt unklar, wer mit nobis genau gemeint ist - ob allein Celtis oder in Gemeinschaft mit seinem Leser, seinen Freunden, seinen nürnbergischen oder deutschen Landsleuten oder allgemein die kultivierte Menschheit. Auf jeden Fall aber dürfte zu konstatieren sein, dass in dem sich anschließenden Mittelteil des Gedichtes, der die gegenüber Dürer abfallende europäische Malerei ins Auge nimmt, vom zuvor so ausführlich besungenen Ruhm des Malers nicht länger die Rede ist. 21 Das Epigramm geht darüber hinaus sozusagen in Vorkasse und stellt den Maler in einen ihn ehrenden, die Antike und zugleich das zeitgenössische Europa umgreifenden Diskurs. Zwar ist die Form der ursprünglichen Publikation des Gedichts unbekannt. Trotzdem ist auf der Sinnebene des Epigramms der Schluss zulässig, dass das in den Versen Ein Kunstprojekt zu beiderseitigem Nutzen 83 Zusammenfassung Das Lob des Nürnberger Meisters in Epigr. 5, 67, insbesondere die hier zum ersten Mal begegnende Gleichsetzung des Malers mit Apelles, steht zwar in einiger Nähe zu der Dürer-Begeisterung deutscher Humanisten im 16. Jahrhundert. Gleichwohl muss auf den bedeutenden Unterschied verwiesen werden, dass Autoren wie Wimpfeling oder Scheurl Dürers Ruhm für einen agonal ausgerichteten Heimatdiskurs zu nutzen suchen, der die Gleichrangigkeit oder sogar Überlegenheit der deutschen Geisteswelt gegenüber Ländern wie Italien oder Frankreich erweisen soll. Dem hierbei bedienten Stufenmodell, das mit dem Verweis auf Dürers internationales Renommee die etablierten Kulturnationen implizit anerkennt, um den Ruhm des deutschen Malers dadurch umso heller leuchten zu lassen, steht bei Celtis eine auf den ersten Blick aggressiver erscheinende Abwertung der zeitgenössischen Konkurrenten gegenüber, die nicht zwischen den Verhältnissen in Ländern wie Italien oder Polen unterscheidet. Dass hiervon auch die deutsche Malerei nicht ausgenommen wird, liegt in dem grundlegenden Unterschied, der zwischen Celtis auf der einen Seite und Vertretern wie Wimpfeling oder Scheurl auf der anderen Seite besteht: Verfolgen diese vornehmlich patriotische Ziele, ist Celtis an der Verpflichtung seines Freundes interessiert, einen Beitrag für seine Amores zu liefern. Durch die Betonung der vielfältigen Vorteile, die Dürer bei seiner Mitarbeit angeblich winken und die sich sowohl aus dem anspruchsvollen philosophischen Inhalt als auch aus dem nach Meinung des Autors sicher zu erwartenden Ruhm speisen, gelingt es dem Epigramm, aus der Bitte um Mithilfe das Angebot eines gemeinsamen Projekts zu beiderseitigem Nutzen zu machen. Literaturverzeichnis Angulo Iñiguez, Diego: Pintura del Renacimiento, Madrid 1955. Białostocki, Jan: Dürer and his Critics, Baden-Baden 1986. Bonnet, Anne-Marie: Die Malerei der deutschen Renaissance, München 2010. Campbell, Gordon: Renaissance Art, Oxford 2004. Huillet d’Istria, Madeleine: La peinture française de la fin du moyen age (1480-1539) de l’art gothique à la première renaissance, Paris 1961. implizit enthaltene Versprechen, Dürers Lob durch das gemeinsame Projekt der Amores in der Welt bekannt oder zumindest bekannter zu machen, bereits durch das Epigramm selbst eingelöst wird (vgl. Schauerte 2012, 112). Diese zweifache Wirkweise, die Dürer als Adressaten die Vorteile der angestrebten Zusammenarbeit sozusagen in der Gegenwart des Epigramms und in der Zukunft der Amores offeriert, variiert und perfektioniert die häufiger begegnende Idee eines ‚Kapitalaustauschs‘ zwischen Dichtung und Malerei, bei dem einem bereits gemalten Bild ein literarisches Denkmal gesetzt werden soll (auch Dürer ist dieser Gedichttyp bekannt gewesen u.a. durch Verse von Caspar Ursinus Velius, Euricius Cordus und Ricardo Sbrulio, vgl. Rupprich 1956, 291, 295f.). Florian Hurka 84 Hutchison, Jane Campbell: Albrecht Dürer - A Guide to Research, New York / London 2000. Kennedy, Ruth Wedgwood: Apelles redivivus, in: Sandler, Lucy Freeman (Hg.): Essays in Memory of Karl Lehmann, New York 1964, 160-170. Lüdecke, Heinz / Heiland, Susanne: Dürer und die Nachwelt, Berlin 1955. Mende, Matthias: Dürer - der zweite Apelles, in: Bongard, Willi / Mende, Matthias (Hgg.): Dürer heute, München 1971, 23-42. Mende, Matthias: Conrad Celtis: Vier Bücher über die Liebe (Amores), in: Mende, Matthias / Scherbaum, Anna / Schoch, Rainer (Hgg.): Albrecht Dürer: Das druckgraphische Werk, Bd. 3, München u.a. 2004, 136-144. Mertens, Dieter: Laudes Germaniae in Bologna und Wittenberg. Zu Christoph Scheurls Libellus de laudibus Germaniae et Ducum Saxoniae 1506 und 1508, in: Forner, Fabio / Monti, Varla Maria / Schmidt, Paul Gerhard (Hgg.), Margarita amicorum. Studi di cultura europea per Agostino Sottili. Milano 2005, 717-731. 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Dürer: Allegorie der Philosophia, in: Quatuor libri Amorum secundum quatuor latera Germaniae, Nürnberg 1502, Fol. [A 6]v. Florian Hurka 86 A. Dürer: Widmungsholzschnitt der Amores, in: Quatuor libri Amorum secundum quatuor latera Germaniae, Nürnberg 1502, Fol. [A 1]v. Eike Martin Fleischer (Kiel) Conrad Celtis’ Ars versificandi et carminum Die Ars versificandi et carminum ist Celtis’ Erstlingswerk, welches er für seine Lehrtätigkeit an der Universität zu Leipzig verfaßt hat. Sie gilt als erstes humanistisches Lehrbuch der Dichtkunst in Deutschland, 1 dessen Neuedition bis jetzt ein Desiderat geblieben ist. Hier soll Celtis’ Ars versificandi et carminum zunächst einmal vorgestellt werden. Es existieren zwei 1486 und um 1494 in Leipzig gedruckte Auflagen dieses Werkes. Die zweite Auflage weicht nur in einigen wenigen Lesarten ab, zusätzlich befinden sich auf der Rückseite des Titelblattes sieben elegische Distichen, die wohl nicht von Celtis stammen, wie die zweite Auflage überhaupt wohl nicht von ihm initiiert worden ist. 2 Der folgenden Gliederung liegt die zweite Auflage zugrunde, die Seitenzählung ist meine eigene. Die „eigentliche Ars versificandi“ findet sich auf den Seiten 6-32. 3 Sie wird durch jeweils zwei Blöcke von Paratexten eingerahmt (S. 1-6 und S. 32-39). Mit dem Begriff „eigentliche Ars versificandi“ ist das eigentliche didaktische Werk ohne den paratextuellen Rahmen gemeint. Auf die Titelseite (S. 1) folgt zunächst das obengenannte, wohl nicht von Celtis stammende Epigramm von sieben elegischen Distichen (S. 2). Auf S. 3 findet sich ein Widmungsbrief in Prosa an Herzog Friedrich von Sachsen, der zur Zeit der zweiten Auflage der Ars versificandi allerdings schon Kurfürst war, und ein Epigramm an den Leser (sechs Distichen). 4 Das letzte Stück des ersten Blocks von Paratexten bildet eine Widmungselegie (52 Distichen) an Herzog Friedrich (S. 3-6). Mit den Worten Finis carminis Sequitur ars (S. 6) beschließt Celtis diesen Abschnitt und leitet zur „eigentlichen Ars versificandi“ über. Diese beginnt mit einem Abschnitt De pedibus et de eorum sillabis (S. 6-8), welcher die einzelnen Versfüße vorstellt. Celtis erläutert 4 zweisilbige, 8 dreisilbige und 16 viersilbige Versfüße, wobei deren Vorstellung und Erläuterung in leoninischen Hexametern erfolgt. 5 Bei den Viersilblern steht vor jedem Erläuterungsvers ein Wortbeispiel. So steht in Beispiel 1 Anhang 1 links neben 1 Vgl. Worstbrock 1983, 466. 2 Worstbrock 1983, 466 Anm. 15; Robert 2003, 33 Anm. 64. 3 Zum Begriff der „eigentlichen Ars versificandi“: Robert 2003, 25 und 98. 4 Friedrich der Weise (1463-1525), als Kurfürst Nachfolger seines Vaters Ernst († 26.8.1486). 5 Als Beispiele seien genannt: Spondeus, Iambus (zweisilbige Versfüße); Anapestus, Dactilus (dreisilbige Versfüße); Proceleumaticus, Coriambus (viersilbige Versfüße). Zum leoninischen Hexameter s. Klopsch 1972, 43-48. Eike Martin Fleischer 88 dem Beispielvers noch das choriambische Beispielwort omnipotens. 6 Der nächste Abschnitt (S. 8-12) trägt den Titel De speciebus carminum et locis pedum. Das Wort carmen hat hier die Bedeutung „Vers“, „Versart“, „Metrum“, wie man unschwer aus dem Zusammenhang dieses Abschnitts erkennen kann, denn nach der Behandlung der Versfüße im vorigen Kapitel verknüpft Celtis diese jetzt zu verschiedenen Versarten oder Metren. 7 Er verfährt so, daß er 20 verschiedene Metren zunächst in leoninischen Hexametern beschreibt. 8 Zur Illustration der einzelnen Metren dienen Tabellen mit der Anordnung der Versfüße, wobei zu jeder Tabelle - außer für den Hexameter - ein Versbeispiel hinzugefügt ist. Das Beispiel 2 in Anhang 1 erläutert den - als Hexametrum heroycum bezeichneten - Hexameter. Diese Tabelle ist ein allgemeines Schema für den Hexameter, man kann also alle möglichen Kombinationen bilden. Auffällig ist die Tatsache, daß der Spondeus im fünften Versfuß nicht erlaubt ist, obwohl der Versus spondiacus in der antiken Literatur durchaus - wenn auch selten - vorkommt. 9 Das Beispiel 3 in Anhang 1 zeigt den kleineren Asklepiadeus (Asclepiadeum tetrametrum) am Beispiel von Hor. Carm. 1, 1. Diese Tabellen stammen wahrscheinlich von Celtis selbst, da sie erst nach dem Erscheinen der Ars versificandi Verbreitung finden. 10 Während die Seiten 6-12 die Metrik behandeln, folgt auf den Seiten 12-25 die Behandlung der Prosodie. In einem einleitenden Prosakapitel mit der Überschrift De compositione materiali carminum (S. 12-13) geht es zunächst um das officium poete, um dann zur Prosodie überzuleiten. Der Begriff materia bezeichnet gewissermaßen den „Baustoff“ eines Verses, nämlich die Buchstaben bzw. die durch sie vertretenen Laute und die nächstgrößere Einheit, die Silben. 11 Es folgen zwei Prosatexte (S. 13) über die Buchstaben bzw. die Laute und deren Einteilung: De litteris lingue latine et earum diuisione und De littera- 6 Die Interpunktion der Zitate aus der Ars versificandi ist meine eigene. Abkürzungen sind aufgelöst und langes s ist durch rundes s ersetzt, und ansonsten wurde die Orthographie beibehalten, aber offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend emendiert. 7 Worstbrock 1983, 468 Anm. 25. Worstbrock bezieht sich dort auf den Begriff „carmen“ im Titel „Ars versificandi et carminum“, sagt aber, daß er „auch sonst“ im gesamten Werk „nichts anderes als Metrum, metrische Form“ bedeute. Vgl. auch Robert 2003, 34 mit Anm. 72. Vgl. außerdem Diom. Ars gramm. 1, 502, 7 und 518, 14. 8 Diese sind 1.) Hexametrum heroycum, 2.) Elegiacum pentametrum, 3.) Gliconicum trimetrum, 4.) Asclepiadeum tetrametrum, 5.) Sappicon endicasillbon, 6.) Adonicum dimetrum, 7.) Pheregracium trimetron, 8.) Phaleuticum, 9.) Anacreonticum, 10.) Phaliscum, 11.) Buccolicum ebdametrum, 12.) Archilogicum primum, 13.) Trimeter archilogicus, 14.) Dimeter archilogicus, 15.) Trochaycum, 16.) Achademicum, 17.) Pindaricum, 18.) Parthemicum, 19.) Bachia und 20.) Epitritum. 9 In Verg. Aen. 1 z. B. ist nur ein einziger Versus spondiacus zu finden (= 0, 13 %): Verg. Aen. 1, 617, vgl. Ott 1973, 64. In Verg. Aen. 8 finden sich dagegen sechs Versus spondiaci (= 0, 82 %), vgl. Ott 1985, 64. 10 Worstbrock 1983, 473 und Anm. 41. 11 Vgl. Robert 2003, 52-54. Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum 89 rum diuisionibus. Unter der Überschrift De sillabis et earum in generali quantitatibus werden dann neun allgemeine Prosodieregeln abgehandelt (S. 14-16), derart, daß - nach einer kurzen Prosaeinleitung (S. 13-14) über die Einteilung der Silben in erste, mittlere und letzte Silben - jede Regel erst durch einen, zwei oder drei leoninische Hexameter als Merkverse formuliert und sodann in Prosa erläutert wird (s. Beispiel 4 in Anhang 1); darauf folgen noch ein kurzer Prosaabschnitt De quantitate propriorum nominum (S. 16) und ein Abschlußdistichon: Carmina quisque voles modo condere laudis amore / Quanta sit aut qualis sillaba queque vide [„Wer auch immer wird Verse verfassen wollen aus Liebe zum Ruhm, achte darauf, wie lang oder wie beschaffen eine jede Silbe ist.“] (S. 16). Die erste allgemeine Prosodieregel behandelt den Diphthong, die zweite die Kombination Muta cum liquida, die dritte das Thema Vocalis ante vocalem corripitur. In der vierten werden Präpositionen im Kompositum und Präfixe erläutert, in der fünften Komposita und Ableitungen. Die sechste Regel beschäftigt sich mit zweisilbigen und reduplizierten Perfektformen, die siebente mit dem Supinum, die achte mit den Stammauslauten bei Nomina und Verben. Die neunte Regel schließlich verweist auf die Autorität der Dichter, deren Verse man als Muster für die richtige Prosodie kennen sollte. Nach diesen allgemeinen folgen nun die speziellen Prosodieregeln (S. 16-25). Diese werden durch drei Merkverse vermittelt (s. Beispiel 5 a in Anhang 1), 12 je einen für erste, mittlere und letzte Silben. Kunstwörter geben an, vor welchen Konsonanten die jeweiligen Vokale lang zu messen sind. 13 Das Wort Mansla zum Beispiel bedeutet, daß der Vokal a in der ersten Silbe vor l, m, n oder s lang ist. Die Seiten 17-25 nennen die Ausnahmen von diesen Regeln. In leoninischen Hexametern werden sowohl die Ausnahmeregeln als auch die Beispielwörter genannt, zusätzlich stehen links neben den Versen - zuweilen sowohl am linken als auch am rechten Rand - weitere Beispielwörter (s. Beispiel 5 b in Anhang 1). Die Ausnahmen sind auch wieder nach ersten, mittleren und letzten Silben eingeteilt, jede Silbenkategorie ist nach Vokalen sortiert, und die auf die Vokale folgenden Konsonanten sind alphabetisch geordnet. Nach der Behandlung der Metrik und der Prosodie folgt die Erläuterung der einzelnen poetischen Gattungen (S. 26-27). Als Einleitung dient ein an Friedrich von Sachsen gerichteter Prosaabschnitt mit der Überschrift: Quare et qui poete a nobilibus legi debeant. Dort legt Celtis Friedrich, den er auf Seite 26 als Liebhaber der Dichtung apostrophiert (Recte igitur, dux inclite, persuasum habes, quod in poetas non paruo amore ferues), ebendiese als Mittel für die Ausbildung der Eloquenz, für eine „friedliche Staatsführung“ und die „moralische Erziehung der Gesellschaft“ ans Herz. 14 Darauf stellt er - wiederum in Prosa - dreizehn poetische Gattungen vor, indem er zuerst die Etymologie 12 Diese Merkverse übernimmt Celtis von der mittelalterlichen Tradition (vgl. Leonhardt 1989, 106-109). 13 Leonhardt 1989, 106. 14 Worstbrock 1995, 15. Eike Martin Fleischer 90 des Gattungsnamens und die inhaltlichen Aspekte der einzelnen Gattung vorstellt und schließlich die maßgeblichen antiken Autoren nennt. 15 Nach der Vermittlung des Handwerkszeugs der Dichtkunst, also der Kenntnis der Metrik, der Prosodie und der einzelnen poetischen Gattungen, wendet sich die Ars versificandi nun den Anweisungen für die praktische Ausübung der Dichtkunst zu (S. 27-32). In einem Prosakapitel mit der Überschrift De preceptis artis in generali werden dem Leser zunächst neun allgemeine Vorschriften an die Hand gegeben (S. 27-29). Dieses Kapitel besteht aus zwei Unterkapiteln mit jeweils eigener Initiale. Dem ersten Unterkapitel wird als Einleitung vorausgeschickt, daß man eine jede Kunstfertigkeit auf dreifachem Wege erlangt: arte, usu et imitatione, also durch Theorie - wie sie bei der Dichtkunst zum Beispiel durch die Ars versificandi vermittelt wird -, Praxis und Nachahmung. 16 Nun folgen die drei ersten Vorschriften, die aufgrund ihrer größeren Allgemeingültigkeit von den anderen sechs getrennt sind. Da man für jede imitatio Vorbilder benötigt, fordert die erste Vorschrift zur Lektüre der besten - natürlich antiken - Autoren auf. Vor der Lektüre schlechter Autoren wird ausdrücklich gewarnt. Explizit werden Vergil, Horaz, Ovid, Juvenal und, für die Tragödie, Seneca als Vorbilder genannt. Die zweite Vorschrift bezieht sich auf den oben genannten usus und ruft zur stetigen Übung anhand der Vorbilder auf. Die dritte Vorschrift besagt, daß der zukünftige Dichter sich einen reichen Fundus an Synonymen aneignen müsse, so daß er ein metrisch untaugliches Wort durch ein in das Metrum passendes Synonym ersetzen kann. Während sich die ersten drei Vorschriften auf die elementaren Voraussetzungen zum Verfassen metrisch korrekter Verse beziehen, nämlich das Studium der Vorbilder, die praktische Übung, die Kenntnis von Synonymen, widmen sich die übrigen sechs Vorschriften der ästhetischen Gestaltung der Verse und der Einbeziehung der durch diese ausgedrücken Inhalte. Die vierte Vorschrift verlangt, daß man kein Substantiv ohne Epitheton verwenden solle. Dadurch habe Vergil, wie Celtis auf Seite 28 meint, „ein geradezu lebendiges Gedicht hinterlassen“ (viuum quasi [...] carmen reliquit). Die fünfte Vorschrift erweitert die vierte in der Hinsicht, daß das Epitheton von seinem Substantiv zu trennen sei, womit das Stilmittel des Hyperbatons gemeint ist. Die sechste Vorschrift fordert eine klare Ausdrucksweise und eine gute Latinität nach antikem Vorbild, also perspicuitas und Latinitas. 17 Vers- und Satzbau sollen folgerichtig sein, wie überhaupt die gesamte Komposition in sich 15 Es handelt sich um folgende Gattungen: 1.) Poema Comicum, 2.) Poema Tragicum, 3.) Poema Elegiacum, 4.) Poema Satiricon, 5.) Poema Buccolicum, 6.) Poema Heroicum, 7.) Poema Georgicum, 8.) Poema Naturale, 9.) Poema Epitalamium, 10.) Poema Liricum, 11.) Poema Seculare, 12.) Poema Epigrammatum und 13.) Poema Epitaphium. 16 Laut Robert 2003, 73 mit Anm. 232 bezieht sich Celtis hier auf den Auctor ad Herennium 1, 3, der über die Aneignung der officia oratoris schreibt: Haec omnia tribus rebus adsequi poterimus: arte, imitatione, exercitatione. 17 Siehe Robert 2003, 80 mit Anm. 262 (dort Verweis auf Rhet. 4, 12, 17). Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum 91 stimmig sein soll. Celtis bringt hierzu den Vergleich mit wohlgestalteten Körpern (corpora formosa) aus der bildenden Kunst (S. 28-29), was die Assoziation mit dem Beginn von Horazens Ars poetica weckt. 18 Die siebente Vorschrift handelt von der Vermeidung leoninischer Hexameter wie des Reimes überhaupt. Jedoch macht Celtis ein Zugeständnis an den Reim, indem er in seiner Ars versificandi aus didaktischen Gründen um der Memorierfähigkeit willen leoninische Hexameter verwendet. Diese hat er allerdings, wie Worstbrock in seinem Aufsatz von 1983 gezeigt hat, mittelalterlichen Quellen entnommen. 19 Nach der achten Vorschrift soll eine Silbe bzw. ein Wort nicht allzu oft wiederholt werden, da die Verständlichkeit darunter leidet oder sich Überdruß einstellt. Als ein Negativbeispiel nennt Celtis den Hexameter O fortunatam natam me consule romam. 20 Die neunte Vorschrift schließlich besagt, daß Wörter und Versfüße (meistens) nicht miteinander übereinstimmen dürfen. Der folgende Abschnitt - auch wieder in Prosa - mit dem Titel De his que accidunt carmini widmet sich den Akzidentien eines Verses (S. 29-31). Es gibt sieben Akzidentien: genus, species, compositio, cesura, magnitudo, depositio und figura. Dieses ist die Reihenfolge, in der Celtis die einzelnen Akzidentien erläutert. In seiner Aufzählung am Beginn des Akzidentienkapitels hat er allerdings die figura vor die depositio gesetzt. Der Abschnitt zum genus ist bei Celtis problematisch. 21 Er übernimmt und verändert eine Stelle aus Niccolò Perottis De generibus metrorum, die ihrerseits auf eine griechische Vorlage zurückgeht. Den Begriff genus carminis definiert Celtis als mutuam contrariorum carminum iuncturam et veluti quandam inter se affinitatem. Er meint mit dieser iunctura die Verknüpfung „verschiedener metrischer Einheiten zu einem neuen Vers“. 22 Als Beispiel führt Celtis den Hymnus Festum nunc celebre, genauer gesagt dessen ersten Vers, an. 23 Hier ergibt die Verknüpfung eines Choriambus mit einem Glykoneus einen kleineren Asklepiadeus. 24 Danach bezeichnet Celtis dasselbe Beispiel als dicolon. Diese Bezeichnung muß sich jetzt auf die gesamte Strophe dieses Hymnus, die zweite asklepiadeische Strophe, beziehen, die aus drei kleineren Asklepiadeen und einem abschließenden Glykoneus, also aus zwei verschiedenen Gliedern (cola) besteht. 25 Als Beispiel für ein monocolon führt Celtis den Hymnus Inuentor rutili an. 26 Hier ist das Versmaß die erste asklepiadeische Strophe, die aus vier kleineren Asklepiadeen, folglich nur aus 18 Hor. Ars 1-5. 19 Worstbrock 1983, 469-474. 480-498. Zu den einzelnen Quellen siehe unten. 20 Cicero frg. 17 Morel. 21 Zur Problematik dieser Stelle s. Leonhardt 1981, speziell ib. 17 Anm. 20. 22 S. Leonhardt 1981, 17 Anm. 20. 23 Hrabanus Maurus, 9. Hymnus; PL 112, 1657. 24 Vgl. Leonhardt 1981, 17 Anm. 20. 25 Ib.; Unter Kolon versteht man heutzutage einen Vers, der nicht aus gleichen Versfüßen bzw. Metren besteht. S. z. B. Crusius 1997, 34-35. 26 Prud. Cath. 5. Eike Martin Fleischer 92 der Wiederholung eines einzigen Kolons, besteht. Je nachdem, nach wie vielen Versen sich ein solches Strophenschema wiederholt, spricht man beispielsweise von einem distrophon (Wiederholung nach dem zweiten Vers), einem tristrophon (Wiederholung nach dem dritten Vers) oder einem tetrastrophon (Wiederholung nach dem vierten Vers). Die species wird durch das Metrum eines Verses bestimmt, z. B. durch ein trochäisches oder anapästisches Metrum. Die compositio unterscheidet, ob ein Vers einfach (simplex) ist, d.h. aus gleichen Versfüßen besteht, oder zusammengesetzt (compositum), d.h. aus verschiedenen Versfüßen besteht. Als Beispiel für einen einfachen Vers führt Celtis einen rein daktylischen Hexameter an, 27 als Beispiel für einen zusammengesetzten Vers einen Hexameter, der aus Daktylen und Spondeen besteht. 28 Als nächstes Akzidenz folgt die Zäsur (cesura). Celtis nennt vier Zäsuren: die pentimemoris (Penthemimeres), die heptimemoris (Hephthemimeres), die trochaica - also die Zäsur nach dem dritten Trochäus, τομὴ κατὰ τρίτον τροχαῖον - und schließlich die buccolica, d. h. die bukolische Dihärese. Im Abschnitt zur magnitudo beschäftigt sich Celtis mit der Positionslänge. Der Begriff magnitudo meint „die Dehnung von Silben, die von Natur aus kurz sind“ (productio sillabarum que natura correpte sunt). Ein Unterabschnitt mit dem Titel De liquescentia (das Flüssigwerden, hier: Verschwinden), behandelt das Verschwinden des s, also die Tatsache des Einbüßens seiner positionsbildenden Kraft. Die dispositio bezeichnet die Art des Versendes. Es gibt vier dispositiones: (1) brachicatalecticum carmen: Ein ganzer Versfuß fehlt am Ende. (2) catalecticum carmen: Eine einzige Silbe fehlt. (3) acatalecticum carmen: Der Vers ist vollständig. Als Beispielvers führt Celtis Verg. Ecl. 1, 1 an. Es ist ein Hexameter, der eigentlich ein katalektischer Vers ist; da das letzte Wort jedoch spondeisch ist, kann man den letzten Versfuß als vollständig ansehen und somit Celtis’ Beispiel gelten lassen. (4) hypercatalecticum carmen: Am Ende sind eine oder zwei überzählige Silben. Der Begriff figura beschreibt die Tatsache, ob ein Vers überall festgelegte Versfüße hat oder nicht. Ein Vers mit an jeder Stelle festgelegten Versfüßen heißt „eingestaltig“ (vnius figure), beispielsweise der sapphische Elfsilbler. Ist dies nicht der Fall, so ist der Vers „verschiedengestaltig“ (diuersarum figurarum), wie z. B. der Hexameter, bei dem man verschiedene Kombinationen von Daktylen und Spondeen bilden kann. Danach (S. 31-32) folgen Prosaabschnitte mit Ergänzungen zum Hexameter und Pentameter (De cautelis versus Heroici, Que caueri debent in Pentametro, De prima sillaba tercii pedis) und einer mit der Überschrift De scansione pedum, in dem Synaloiphe, Elision, Synizese und sprachliche Dihärese behandelt werden. 29 An den Schluß der „eigentlichen Ars versificandi“ stellt Celtis unter 27 Verg. Aen. 10, 467. 28 Verg. Aen. 3, 549. 29 Die Elision bezeichnet Celtis als collisio, die Synaloiphe als sinerisis (= synhaeresis), die Synizese rechnet er zur collisio. Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum 93 der Überschrift Hec cauebis in carmine einen Abschnitt von sechs Merkversen in leoninischen Hexametern mit einigen Regeln zur Erinnerung. An die „eigentliche Ars versificandi“ schließt sich ein Anhang von acht Gedichten an (S. 32-39). Dieser beginnt mit einer Briefelegie (46 Distichen) des Celtis an den Italiener Fridianus Pighinutius (S. 32-34), den Erzieher und Orator Ernsts von Sachsen (1464-1513), des Bischofs von Magdeburg. 30 Darauf folgt als Antwort eine Briefelegie (25 Distichen) des Pighinutius an Celtis (S. 34-35), sodann eine sapphische Ode (14 Strophen) an den heiligen Sebastian zur Abwehr der Pest (S. 36-37) und eine Briefelegie (9 Distichen) des Fridianus Pighinutius an Martin Mellerstadt (S. 37). Martin Mellerstadt (um 1455- 1513), eigentlich Martin Polich, stammte aus Mellerstadt, dem heutigen Mellrichstadt in Unterfranken, und war Leibarzt Herzog Friedrichs. 31 Es folgt eine weitere Briefelegie (20 Distichen) - mit Prosaeinleitung - des Celtis an Fridianus Pighinutius (S. 37-38). Sie enthält Genesungsglückwünsche nach überstandener Krankheit. Danach richtet sich Celtis in einem Epigramm (5 Distichen) an den Leser (S. 38-39), an welches sich ein Mariengebet (10 Hexameter) anschließt (S. 39). Den Abschluß bildet Celtis’ berühmte sapphische Ode (6 Strophen) an Apollon (S. 39), die in überarbeiteter Form auch in Celtis’ Odenwerk erscheint. 32 Franz Josef Worstbrock hat die von Celtis für seine Ars versificandi verwendeten Quellen ermittelt und in seinem Aufsatz von 1983 dargestellt. Er nennt die Ars versificandi „in ihren doctrinalen Teilen [...] fast zur Gänze [...] eine Kompilation“. 33 Er hat acht Quellen identifiziert: (1) den 1453 entstandenen Traktat De generibus metrorum des Niccolò Perotti (1429-1480), (2) den Libellus de arte metrica des Ognibene da Lonigo (ältester Druck ca. 1471), 34 (3) den De arte metrificandi libellus des Jacob Wimpfeling (1450-1528), aus dem Celtis viel übernommen hat. 35 Dieser Traktat befand sich anonym im Anhang der Grammatica nova des Bernhard Perger, wohinein er spätestens seit 1484 gelangt war und auf diese Weise häufig aufgelegt wurde. 36 Man könnte nun vielleicht meinen, daß eigentlich Wimpfeling die Ehre gebühre, das erste humanistische 30 Zu Pighinutius s. Worstbrock 1983, 467 mit Anm. 20; Bauch 1899, 18-22; Rupprich 1934, 2-3. Außerdem: Jöcher 1819, Sp. 180 s. v. Pighinucius. Leider sind auch hier keine Lebensdaten genannt. Schon 1819 wird Pighinutius bezeichnet als „ein Gelehrter, dessen Name beinahe vergessen ist“. Zumindest heißt er in diesem Artikel „des Herzogs zu Sachsen und Magdeburgischen Erzbischofs Ernst Redner und Poet“, so daß die Bedeutung des Wortes orator - das ja auch „Gesandter“ heißen kann - klar sein dürfte. 31 Vgl. El Kholi 2013. Zu Martin Polich s. außerdem Bauch 1899. 32 Celtis, Odarum liber 4, 5. Vgl. die Ausgabe von Eckart Schäfer, Tübingen 2008, 302-305. Speziell zur Ode an Apollon: Frings 2000, 135-151 und Schäfer 1982, 83-93. 33 Worstbrock 1983, 469. 34 Zur Datierung s. Leonhardt 1989, 270. 35 Zu Informationen zu den einzelnen Werken siehe Leonhardt 1989. Zu Perotti: ib. 270- 271; zu Ognibene: ib. 269-270; zu Wimpfeling: ib. 283. 36 Siehe Worstbrock 1983, 469-470. Eike Martin Fleischer 94 Lehrbuch der Dichtkunst in Deutschland verfaßt zu haben, doch als humanistisch kann man diese Abhandlung wohl nicht bezeichnen. Da Wimpfeling nämlich die Dichtkunst nur als Hilfswissenschaft für das richtige Vortragen in der Öffentlichkeit, für die richtige Dichterlektüre und für die Zusammenfassung von Sachtexten in - wahrscheinlich gereimten - Merkversen galt, 37 hatte sie als eigenständige Disziplin für ihn keinen Stellenwert. An mittelalterlichen Quellen nennt Worstbrock (4) Bedas Werk De arte metrica, wobei unklar ist, ob Celtis es direkt oder indirekt benutzt hat, und (5) eine Bearbeitung des Doctrinale Alexanders de Villa Dei. 38 Alexanders Doctrinale war noch zu Celtis’ Zeit das Standardwerk der Metrik. Schließlich führt Worstbrock drei kurze anonyme Traktate in Versen an, die er im Anhang seines Aufsatzes von 1983 ediert hat: (6) die Exempla pedum (älteste Handschrift von dreien aus dem 11./ 12. Jahrhundert), (7) den Ordo metrorum (älteste Handschrift von dreien aus dem 12. Jahrhundert) und (8) die Versus de pedibus (älteste Handschrift von dreien aus dem 12. Jahrhundert). 39 Dieser Beitrag sollte angesichts der eher übersichtlichen Forschungslage zu Celtis’ Ars versificandi et carminum 40 zum ersten Mal den Versuch unternehmen, einen detaillierten Überblick über den gesamten Inhalt der „eigentlichen Ars versificandi“ zu geben und an einigen wenigen Stellen das bisher von der Forschung Geleistete zu dokumentieren. Da sich eine tiefergehende Beschäftigung mit den teilweise recht verwickelten Einzelfragen im Rahmen eines Aufsatzes als schwierig erweist, sollten zudem an ausgewählten Beispielen (s. Anhang 1) Celtis’ didaktische Vorgehensweise und seine gewöhnungsbedürftige Handhabung der lateinischen Sprache demonstriert werden, um dem Leser zumindest einen ersten Eindruck von der Anlage dieses Werkes zu vermitteln, das am Anfang der humanistischen Metriktradition in Deutschland steht. 37 S. Worstbrock 1983, 477. 38 Zu Beda siehe Leonhardt 1989, 197-198. Die Bearbeitung des Doctrinale befindet sich in einer um 1468 entstandenen Handschrift (Clm 26791), siehe dazu Worstbrock 1983, 472. 486-489. 39 S. Worstbrock 1983, 490-498. 40 Worstbrock 1983 liefert die Ergebnisse seiner Quellenforschung zu Celtis’ Ars versificandi, gibt jedoch nur eine kurze Inhaltsübersicht (S. 468). Robert 2003, 19-103 konzentriert sich einerseits auf die Paratexte, andererseits behandelt er nur ausgewählte Kapitel der „eigentlichen Ars versificandi“. Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum 95 Anhang 1: Beispiele aus Celtis’ Ars versificandi et carminum Beispiel 1: zum Choriambus Omnipotens Armipotens dictum tibi designat coriambum. Ōmnĭpŏtēns Ārmĭpŏtēns bezeichnet dir den sogenannten Choriambus. 41 Beispiel 2: Erläuterung des Hexameters mit Tabelle zur Veranschaulichung Hoc retine cura, quod in heroica positura Tres variare pedes metro solummodo debes: Qui sunt spondeus et dactilus atque trocheus. Sed sine fine nego sedem prestare trocheo. Hexametrum heroycum Dieses bewahre mit Sorgfalt, daß du in heroischer Stellung nur drei Versfüße im Vers abwechseln mußt: Diese sind der Spondeus, der Daktylus und der Trochäus. Aber ich weigere mich - außer am Ende - dem Trochäus einen Platz einzuräumen. Beispiel 3: Tabelle zum kleineren Asklepiadeus Asclepiadeum tetrametrum Spon Cori Pir 1 2 3 4 Mecenas atauis edite regibus [Hor. carm. 1, 1] Beispiel 4: Merkvers und Prosaerläuterung für die dritte allgemeine Prosodieregel Tercia regula. Precedens aliam vocalem dic breuiatam. Vocalis ante vocalem posita in latinis dictionibus corripitur vt controuersia. Excipitur dius et fio verbum, quando manet dissillabum, et genitiui et datiui quinte declinacionis, in quibus e ante i longa est, si saltem vocalem e tercia vocalis precesserit, 42 vt speciei. Nam si consonans interuenerit, breuis est, vt 41 Der Längenstrich bezeichnet auch positionslange Silben. 42 Hier habe ich die Lesart si saltem vocalem e der ersten Auflage von 1486 übernommen. Die diesem Aufsatz zugrundeliegende zweite Auflage hat die Lesart si saltem vocalem i. Spon Dac Troc 1 2 3 4 6 1 2 3 4 5 6 Eike Martin Fleischer 96 spei, fidei, rei. Omnis quoque genitiuus exiens in ius anceps est, excipitur alterius et alius, qui semper corripitur, ille vero producitur. Aer, eous longa sunt, platea et corea ad nutum locanda sunt in versu. Greca frequenter producuntur. Itidem hebraica, presertim vbi i vocalem a precesserit. Dritte Regel Wenn du einem anderen Vokal vorausgehst, nenne dich gekürzt. Ein Vokal, der in lateinischen Wörtern vor einem anderen Vokal steht, wird gekürzt wie in controversĭa. Ausgenommen werden dīus und das Verb fīo, wenn es zweisilbig bleibt, und die Genitive und Dative der fünften Deklination, in denen e vor i lang ist, wenn jedenfalls dem Vokal e ein dritter Vokal vorausgehen sollte wie in speciēi. Denn wenn ein Konsonant dazwischentreten sollte, ist das e kurz, wie in spĕi, fidĕi, rĕi. Auch jeder Genitiv, der auf -ius endet, ist schwankend. Ausgenommen werden alterīus und alĭus, das immer gekürzt wird, jenes aber wird gedehnt. Āer und Eōus sind lang, platē̆a und chorē̆a sind nach Belieben in den Vers zu setzen. Griechische Wörter werden häufig gedehnt, ebenso hebräische Wörter, besonders da, wo dem Vokal i ein a vorausgeht. Beispiel 5 a: Merkverse für erste, mittlere und letzte Silben Pro primis sillabis: a e i o u Mansla Delensteue Flinsdiuirim Bodogosmo Cudrumfgunst. Pro mediis a e i o u Gau Bedecelmentu Qui Nost Dumugrunticus adde. Vocales produc pre consonantibus illis. Pro vltimis: Aiunc as es os finales dant tibi longas. Für erste Silben: a e i o u Mansla Delensteue Flinsdiuirim Bodogosmo Cudrumfgunst. Für mittlere füge a e i o u Gau Bedecelmentu Qui Nost Dumugrunticus hinzu. Aus dem vorausgehenden Relativsatz und dem folgenden Beispiel speciei ist ersichtlich, daß der Vokal e gemeint ist. Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum 97 Länge Vokale vor jenen Konsonanten. Für letzte Silben: A, i, u, n, c, -as, -es, -os am Ende geben dir Längen. Beispiel 5 b: Ausnahmeregeln in leoninischen Hexametern mit Beispielwörtern V M Numerus Tumulus Hinc humus atque humilis humerus sumus et c vel n t. Cumulus Numen producas, humanum strumaque iungas. U M Nŭmerus Tŭmulus Daher hŭmus und hŭmilis, hŭmerus, sŭmus und [kurzes u nach] c oder n, t. Cŭmulus Nūmen sollst du dehnen, hūmanum und strūma hinzufügen. Das m in dem Merkwort Cudrumfgunst besagt, daß in ersten Silben der Vokal u vor m lang zu messen sei. Als Ausnahmen - also kurzes u vor m - nennt der erste Beispielvers die Wörter hŭmus, hŭmilis, hŭmerus, sŭmus und außerdem Wörter, bei denen c, n oder t vor -um steht. Dieses wird von den zusätzlichen Beispielwörtern Nŭmerus, Tŭmulus und Cŭmulus illustriert. Das Wort Nūmen im zweiten Beispielvers kann man als Ausnahme der Ausnahmeregel „Kurzes u, wenn n vor -um steht“ sehen, es entspricht also der Cudrumfgunst-Regel. Die Wörter hūmanum und strūma haben ein regelgerechtes langes u. Eike Martin Fleischer 98 Anhang 2: Tabellarische Inhaltsübersicht über Celtis’ Ars versificandi et carminum Seite (eigene Paginierung, Text nach der zweiten Auflage, dort Foliierung) Paratexte 1 1 Titelseite 2 Epigramm (wohl nicht von Celtis) 3 Widmungsbrief an Herzog Friedrich von Sachsen 3 Epigramm an den Leser 3-6 Widmungselegie an Herzog Friedrich von Sachsen „eigentliche Ars versificandi“ (S. 6-32): 6-12 Metrik: 6-8 De pedibus et de eorum sillabis 8-12 De speciebus carminum et locis pedum 12-25 Prosodie: 12-13 De compositione materiali carminum 13 De litteris lingue latine et earum diuisione 13 De litterarum diuisionibus 13-16 De sillabis et earum in generali quantitatibus 16-25 spezielle Prosodieregeln 26-27 Erläuterung der einzelnen Gedichtgattungen (13 Gattungen) 27-29 De preceptis artis in generali (9 Vorschriften) 29-31 De his que accidunt carmini (7 Akzidentien) 31-32 Ergänzungen zum Hexameter und Pentameter: 31 De cautelis versus Heroici 31 Que caueri debent in Pentametro 31-32 De prima sillaba tercii pedis 32 De scansione pedum 32 Hec cauebis in carmine (Ende der Ars) Paratexte 2 32-34 Briefelegie des Celtis an Fridianus Pighinutius 34-35 Briefelegie des Fridianus Pighinutius an Celtis 36-37 Sapphische Ode des Fridianus Pighinutius an den hl. Sebastian zur Abwehr der Pest 37 Briefelegie des Fridianus Pighinutius an Martin Mellerstadt 37-38 Briefelegie des Celtis an Fridianus Pighinutius 38-39 Epigramm an den Leser 39 Mariengebet 39 Sapphische Ode an Apollon Conrad Celtis‘ Ars versificandi et carminum 99 Literaturverzeichnis Bauch, Gustav: Geschichte des Leipziger Frühhumanismus mit besonderer Rücksicht auf die Streitigkeiten zwischen Konrad Wimpina und Martin Mellerstadt, Leipzig 1899 (Beiheft zum Centralblatt für Bibliothekswesen 22), Ndr. Wiesbaden 1968. Celtis, Conrad: Ars versificandi et carminum, ohne Ort und Jahr [Leipzig: Martin Landsberg um 1494]. Exemplar: Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, 27-6-poet-6. Celtis, Conrad: Oden / Epoden / Jahrhundertlied. Libri Odarum quattuor, cum Epodo et Saeculari Carmine (1513), übersetzt und herausgegeben von Eckart Schäfer, Tübingen 2008 (NeoLatina 16). Crusius, Friedrich: Römische Metrik. Eine Einführung. Neu bearbeitet von Hans Rubenbauer, Hildesheim 1997 (5. Nachdruck der 8. Aufl. München 1967). El Kholi, Susann: Art. Polich, Martin, von Mellrichstadt, in: Deutscher Humanismus 1480-1520.Verfasserlexikon. Herausgegeben von Franz Josef Worstbrock, Bd. 2, Berlin / Boston 2013, Sp. 500-524. Frings, Irene: Celtis’ Ode an Apoll - eine Ode an Horaz, in: Horaz und Celtis, herausgegeben von Ulrike Auhagen, Eckard Lefèvre und Eckart Schäfer, Tübingen 2000 (NeoLatina 1), 135-151. Jöcher, Christian Gottlieb: Fortsetzung und Ergänzungen zu Christian Gottlieb Jöchers allgemeinem Gelehrten-Lexikon [...]. Angefangen von Johann Christoph Adelung und vom Buchstaben K fortgesetzt von Heinrich Wilhelm Rotermund, Bd. 6, Bremen 1819 (Ndr. Hildesheim 1961). Klopsch, Paul: Einführung in die mittellateinische Verslehre, Darmstadt 1972. Leonhardt, Jürgen: Niccolò Perotti und die Ars versificandi von Conrad Celtis, Humanistica Lovaniensia 30 (1981), 13-18. Leonhardt, Jürgen: Dimensio syllabarum. Studien zur lateinischen Prosodie- und Verslehre von der Spätantike bis zur frühen Renaissance, Göttingen 1989 (Hypomnemata 92). Ott, Wilhelm: Metrische Analysen zu Vergil, Aeneis Buch I, Tübingen 1973 (Materialien zu Metrik und Stilistik 2). Ott, Wilhelm: Metrische Analysen zu Vergil, Aeneis Buch VIII, Tübingen 1985 (Materialien zu Metrik und Stilistik 18). Robert, Jörg: Konrad Celtis und das Projekt der deutschen Dichtung. Studien zur humanistischen Konstitution von Poetik, Philosophie, Nation und Ich, Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit 76). Rupprich, Hans (Hrsg): Der Briefwechsel des Konrad Celtis, München 1934 (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe III. Band). Schäfer, Eckart: Conrad Celtis’ Ode an Apoll. Ein Manifest neulateinischen Dichtens in Deutschland, in: Gedichte und Interpretationen Bd. 1: Renaissance und Barock, herausgegeben von Volker Meid, Stuttgart 1982, 83-93. Worstbrock, Franz Josef: Die Ars versificandi et carminum des Konrad Celtis. Ein Lehrbuch eines deutschen Humanisten, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1978 bis 1981. Hrsg. von Bernd Moeller, Hans Patze und Karl Stackmann. Redigiert von Ludger Grenzmann, Göttingen 1983 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.- hist. Klasse 3, 137), 462-498. Eike Martin Fleischer 100 Worstbrock, Franz Josef: Konrad Celtis. Zur Konstitution des humanistischen Dichters in Deutschland, in: Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1989-1992. Hrsg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann, Bernd Moeller, Martin Staehelin, Göttingen 1995 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-hist. Klasse 3, 208), 9-35. Klaus Arnold (Hamburg / Kitzingen) Curiositas regia. Johannes Trithemius (1462-1516) in seinen Beziehungen zu König Maximilian I. und sein Beitrag zur Kryptographie Maximilian, der König des römisch-deutschen Reiches, und Johannes Trithemius, der Benediktinerabt von Sponheim, trafen erstmals am 10. Juli des Jahres 1505 bei Gelegenheit des Kölner Reichstags zusammen. 1 Der König war damals 46 Jahre alt, der Abt etwa drei Jahre jünger. Das Interesse des Herrschers an der Person und Gelehrsamkeit des Abtes war offenkundig: Bereits früher, am 2. Oktober 1502, hatte der Benediktiner einen Brief an den König gerichtet, über dessen Inhalt Näheres nicht bekannt ist, weil er (oder seine Kopie) in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 mit den ausgelagerten Archivalien des Würzburger Staatsarchivs im Schloß Wässerndorf bedauerlicherweise verbrannt ist; der erhalten gebliebene zugehörige Findbucheintrag hält zum Inhalt lediglich fest: „betr. die Historia Germaniae“. 2 Bei Gelegenheit des Kölner Zusammentreffens wurden zwischen beiden Gespräche geführt, bei denen offenbar religiöse, historische und kryptologische Fragestellungen im Mittelpunkt standen; Trithemius wurde vom König eingeladen, in der Kutsche des Herrschers mitzufahren, und am 19. Juli 1505 wurde er sogar zum königlichen Kaplan ernannt. Der Habsburger wird als leutselig im Umgang geschildert; er war, anders als sein Vater Friedrich III., ruhelos im Reich unterwegs, stets voller Pläne und ohne Geld, nahm gern und aktiv an Tänzen und Turnieren teil - und war zu allen Zeiten ein Freund der Humanisten und der Künstler. Der Abt war zwar als benediktinischer Reformer, jedoch kaum als Theologe ausgewiesen; sein Bekanntheitsgrad resultierte innerhalb seines Ordens vielmehr aus seiner 1 Um die notwendigen Nachweise ergänzter Text meines auf dem 15. Neulateinischen Symposium „Würzburger Humanismus“ am 12. Juli 2013 in Würzburg gehaltenen Vortrags. - Der Begriff Curiositas Regia findet sich zuerst auf dem Titelblatt des Drucks der Octo Quaestiones, Douai 1621. - Maximilian I. wird gemeinhin als Kaiser bezeichnet (so bereits seit 1505), obgleich der König den Titel (auch ohne päpstliche Krönung) erst am 5. Februar 1508 annahm; vgl. Rudolf Buchner, Maximilian I. Kaiser an der Zeitenwende, Göttingen 1959, 74f. sowie allgemein Wiesflecker 1986. 2 Zur Entlastung des Anmerkungsapparats finden sich die genauen Titelangaben im angefügten Literaturverzeichnis, Nachweise zur Überlieferung im dokumentierenden „Anhang zum Verhältnis König Maximilians I. und des Abtes Johannes Trithemius zwischen 1502 und 1515“. Klaus Arnold 102 rastlosen Tätigkeit für dessen Reform im Sinn der Bursfelder Reformkongregation; in der Gelehrtenwelt basierte sein Ruhm vornehmlich auf der weitberühmten Büchersammlung seiner Sponheimer Klosterbibliothek und seinem 1494 im Druck erschienenen Schriftstellerkatalog De scriptoribus ecclesiasticis; in den Kreisen der Humanisten schließlich auf seiner Mitgliedschaft in der Heidelberger Sodalitas litteraria Rhenana und seiner engen Freundschaft mit dem fränkischen Winzersohn und poeta laureatus Konrad Celtis. 3 Gelegenheit zu den ausführlichen Gesprächen zwischen König und Benediktinerabt bot der Kölner Reichstag im Sommer des Jahres 1505. Diese Tatsache hat den Vorteil, daß ein solch politisches Großereignis in Akten und Aufzeichnungen und nicht zuletzt in dem modernen wissenschaftlichen Sammelwerk der „Deutschen Reichtagsakten“ hervorragend dokumentiert ist. So wissen wir genau, warum und mit welchem Anliegen der Abt nach Köln kam: Er hatte sich in den Monaten zuvor mit dem weltlichen Herrn des Hunsrückklosters, dem Grafen von Simmern, aber auch mit den widerspenstigen Mönchen seines Konvents überworfen. In Köln erschien er am 6. Juli 1505 im Gefolge des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg mit dem vordringlichen Ziel, bei Gelegenheit des Reichstags Wiedergutmachung für das im Bayerischen Erbfolgekrieg 1504 zerstörte pfälzische Kloster Limburg einzufordern. 4 Gleichsam zum „Rahmenprogramm“ dieses Reichstags gehörte die feierliche Dichterkrönung des Georg Sibutus Daripinus mit Lorbeerkranz und goldenem Ring zum poeta laureatus am 24. Juni 1505. Sibutus hatte rechtzeitig einen Panegyricus auf Maximilians Kölner Einzug erscheinen lassen, in dessen Druck neben anderen Humanisten auch Johannes Trithemius in einem ihm gewidmeten Gedicht Ad Ioannem Tritemium abbatem Spa[n]humensem Erwähnung findet. In den beiden abschließenden von neun Distichen preist Sibutus den Abt neben Konrad Celtis als seinen hochgeschätzten Lehrer: Tu cum preceptore meo doctissimus omnes Inter Germanos nomen habere potes Nomen fęlices victurum firmiter annos Cuius ego semper nunc memor esse volo. Mit meinem Lehrer kannst Du unter allen Deutschen der Gelehrteste genannt werden; Und dieser Name wird viele Jahre glücklich gelten, Wessen ich von nun an stets eingedenk sein will. 5 3 Ihm hat Trithemius 1508 in der Chronik seines Klosters St. Jakob in Würzburg einen ehrenden Nachruf gewidmet: Anno MDVIII., [ ... ] Ioannis Trithemii abbatis secundo, quarta die mensis Februarii obiit Conradus Celtis Protucius, poeta Germanorum optimus, natione Francus, Trithemio carissimus et eius ante Ioannem Capnionem in lingua Greca et Hebraica quondam praeceptor, Viennae in Austria sepultus more christiano fidelis. Tr., Compendium S. Jacobi, 15. 4 Hierzu RTA 649, Nr. 429. 5 Vgl. Anhang Nr. 3. Curiositas regia 103 Unmittelbar auf die Kölner Gespräche dürfte auch die Abfassung und Dedikation der Polygraphia an König Maximilian zurückgehen, die auf den 24. März 1508 datiert ist; persönlich überreicht wurde sie dem Kaiser freilich erst vier Jahre später. 6 - Für den König gehörte der Umgang mit Geheimnissen im diplomatischen Verkehr zwischen befreundeten und fremden Mächten zum politischen Alltagsgeschäft. Dazu zählte auch der Gebrauch von Geheimschriften nicht allein mit und zwischen auswärtig tätigen Herrschern und Gesandten, sondern auch im „Innenlauf“ des territorial weitläufigen Habsburgerreiches. So nimmt nicht wunder, daß solche kryptographische Künste von herrscherlicher Seite ins Gespräch einflossen - erstaunlicher erscheint, daß dies mit einem Benediktinerabt geschah. Zwar gehörten im Hochmittelalter (Hand-)Zeichen als Verständigungsmedium zur Einhaltung des Schweigegebots im monastischen Bereich zum Gemeingut, auch finden sich Buchstabenverschlüsselungen als nichtdiplomatische Geheimschriften in den Kolophonen von Codices, sie waren jedoch wohl weitgehend vergessen oder nicht an eine laikale Öffentlichkeit gelangt. 7 - Trithemius selbst eilte bereits seit Jahren der Ruf voraus, solcherart „magischer“ Künste und nigromantischer Praktiken mächtig zu sein. Durch Zuweisung der Autorschaft von obskuren Schriften über den „Stein der Weisen“ etc. an den „Abt von Sponheim“ füllten sich in den nachfolgenden Jahrzehnten ganze Bibliotheken; und noch bis in die letzten Jahre hinein erschienen wissenschaftliche Studien über die „Magie“ des Trithemius. Er selbst war hieran keineswegs schuldlos: Bereits um 1499 hatte er durch ruhmredige, dunkle Andeutungen in Briefen und im Bekanntenkreis über eine in Arbeit befindliche Geheimschrift Steganographia Hinweise auf seine Beschlagenheit in den magischen Künsten unter die Leute gebracht; sie waren rasch in weitere Kreise gelangt. 8 Gegenstand des Rumors war die Steganographia, hoc est: Ars per occvltam scriptvram animi svi volvntatem absentibvs aperiendi certa, die der Autor auf acht Bücher angelegt hatte, von denen er freilich nur drei fertiggestellt hat. Das Werk erschien erst 1606 im Druck, begleitet von einer Clavis generalis triplex des Verfassers, die dazu dienen sollte, die Benutzung seiner Erfindungen zu ermöglichen. Für das dritte Buch freilich, das Trithemius durch die Hinzusetzung von aus der Kabbala entnommenen Namen mit einer weiteren geheimnisvollen Aura versehen hatte, fehlten sie. Daß das dritte Buch zudem doppelt verschlüsselt war, blieb nahezu allen Benutzern verborgen und führte zur ‚communis opinio’, wonach es sich bei diesem Teil allein um „Schwarze Kunst“ und bei ihrem Autor nur um einen Magier handeln konnte. Es sollte bis in die 6 Wiesflecker 1986, 493. 7 Jarecki 1981; Bischoff 1954; King 2001. 8 Näheres bei Arnold 1991, 182. Klaus Arnold 104 zweite Hälfte des 17. (Wolfgang Ernst Heidel, 1676) und bis zu einer endgültigen Entschlüsselung sogar bis zum Ende des 20. Jahrhunderts (Thomas Ernst, 1996 und Jim Reeds, 1998) dauern, bis der wahre Inhalt des dritten Buchs der Steganographia endgültig decodiert werden konnte. 9 Auch wenn die Steganographia unvollendet liegen blieb, war Trithemius weiterhin vom Nutzen der Geheimschriften überzeugt. So nahm er seine kryptologischen Studien bald nach seinem Wechsel auf die Abtswürde in Würzburg erneut auf und trieb eine nun Polygraphia (Vielschrift) genannte Arbeit voran. Sie war ursprünglich für den Brandenburger Kurfürsten Joachim I. gedacht, dem der Autor noch im Herbst des Jahres 1507 deren Dedikation und baldige Übersendung versprochen hatte. Dann aber bot sich die Möglichkeit, das Werk einem noch hochrangigeren Gönner zuzueignen: In recht kurzer Zeit, zwischen dem 21. Januar und dem 21. März des Jahres 1508, schrieb er sein (in Wien erhalten gebliebenes) Widmungsexemplar nieder und überreichte es Maximilian unter vier Augen am 8. Juni in der Burg Linz am Rhein. 10 Trithemius hat in dieser Anleitung zur Geheimschrift eine Vielzahl von Quellen herangezogen: So kennt er aus der Antike das auf Caesar zurückgeführte Verfahren zur Ersetzung von Buchstaben, wobei nach Suetons Bericht (Lib. I, cap. 56) jeder zu schreibende Buchstabe durch den vierten nachfolgenden - also A durch D usw. - ersetzt wurde; naheliegend erscheint auch die Anregung durch Ciceros Synonyma (gedruckt in Venedig 1500) 11 mit der Anordnung sich entsprechender Begriffe in Spaltenform. Nachweislich bekannt war ihm die kurzschriftliche Notation von Ciceros Sekretär Tiro, die noch in merowingerzeitlichen Urkunden Verwendung fand - hier ist sogar der von Trithemius in Sponheim herangezogene Codex mit tironischen Noten nachweisbar und in Kassel erhalten geblieben 12 -; und auch „normannische“ Runen wurden in die Polygraphia einbezogen. Der Verfasser kannte aber auch die mittelalterlichen Vorgänger und empfing humanistische Anregungen für seine Geheimschriften. Dazu gehören Chiffrierungen mithilfe von Zahlen und Kreisscheiben, die er bei Hrabanus Maurus (De inventione linguarum, De laudibus sanctae crucis), Otfrid von Weißenburg, Hildegard von Bingen (Lingua ignota) oder in den Kreisscheiben bei Ramon Llull (Ars compendiosa inveniendi veritatem) finden konnte. Anregungen 9 Heidel 1676; Ernst 1996; Reeds 1998. 10 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 3308. Maximilian I. 1959, Nr. 195, 59f.; Unterkircher 1976, 32. [Digitalisat: http: / / data.onb.ac.at/ rec/ AL00167586]. 11 Exemplar der BSB München Inc. c. a. 1763 i [urn: ubn: de: bvb: 12-bsb00049712-9]. 12 Universitätsbibliothek Kassel, 2 o Ms. philol. 2 [http: / / orka.bibliothek.uni-kassel.de/ viewer/ image/ 1333025777753]. Vgl. Wiedemann / Broszinki 1988. - Allerdings enthält das 1508 überreichte Wiener Widmungsexemplar noch keinen Hinweis auf die tironischen Noten, desgleichen die Augsburger Überlieferung Cod. 2 o Ms. 136, wohl aber spätere Fassungen und der Druck von 1518. Curiositas regia 105 stellte auch Johannes Fontanas Traktat über die Gedächtniskunst (um 1430) zur Verfügung. 13 Keineswegs fernliegend erscheint es, daß der Benediktiner durch den Kontakt mit dem Habsburger und seinem Hofkreis - zumindest theoretisch - Kenntnis von den dort verwendeten Chiffriersystemen erhalten hat. Einen Einblick in das in diesen Jahren im diplomatischen Schriftverkehr Praktizierte ermöglichen Überlegungen, ja konkrete Vorschläge für Chiffrensysteme, die zwischen dem Hofkanzler und den Räten Maximilians, Matthäus Lang und Zyprian von Serntein ausgetauscht wurden. So schrieb unter dem 19. Juli 1504 Lang aus Ulm an Serntein, er möge, wenn nötig, ein beigefügtes Chiffrensystem verwenden. 14 Die handschriftliche Überlieferung ist erhalten geblieben und weist neben reinen Buchstabenersetzungen oder -verdoppelungen auch Listen mit Ersetzung von im diplomatischen Schriftverkehr häufig verwendeten Begriffen durch Kürzel auf wie: Summus Pontifex - nolo; Rex Romanorum — libera; Rex Anglie - se; Veneti - fe; pax - pa; bellum - per; coronatio - felix; Albertus dux Bauarie - sper usw. Bislang unentdeckt blieben das Vorbild für eine Ersetzung von Buchstaben durch ganze Wörter, die Trithemius in einem rhetorischen Lehrwerk seines Freundes, des Ingolstädter Universitätslehrers Konrad Celtis vorfand. 15 Dessen Epitoma in utramque Ciceronis rhetoricam cum arte memorativa nova et modo epistolandi utilissimo war König Maximilian I. gewidmet und erschien 1492 in Ingolstadt im Druck. 16 Anders als seine Vorgänger legte Celtis besonderes Gewicht auf die memoria als dem fünften Bereich der Rhetorik, zumal der mündliche Vortrag für das öffentliche Auftreten des Dichters oder Redners von besonderer Bedeutung sei. Der „deutsche Erzhumanist“ beschreitet mnemotechnisch neue Wege, indem die von ihm empfohlene ars memorativa statt der sonst üblichen Gedächtnisorte aus den Sphären der Elemente oder Himmelsbereiche als Gedächtnisstützen loci und imagines verwendet. Celtis baut seine Gedächtnisräume mit Hilfe des Alphabets als Personengruppen auf und hat sein System, bei dem die 20 Buchstaben (characteres) die Reihen- 13 Kranz / Oberschelp 2009; Arnold 1991, 194f. 14 Hyden 1973, 176-179; Naschenweng 1978, 35f.; überliefert in Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv 14 Maximiliana 14-102, fol. 43-46. - Die Ähnlichkeiten dieses Chiffrensystems mit den von der Florentiner Kanzlei unter Lorenzo dei Medici bereits um 1470 verwendeten Methoden sind allerdings evident und reichen bis ins Layout der in Firenze, Archivio di Stato erhaltenen Listen. 15 Ich verdanke den Hinweis einem Aufsatz von Claudia Wiener 2013, 93-99. 16 Das Exemplar der BSB München 4 Inc. s. a. (BSB-Ink C-212 GW 6463) ist online zugänglich: urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00041707-3. - Zu vergleichen wäre auch die Artifiosa [sic] memoria ex Marco Tulio, Quintiliano, Petro Ravenna et aliis illustribus autoribus ab oratore Cristianno Vmbhuser, der als Dominus Christiannus Umhauser de Innsbruck orator am 6.11. 1497 an der Universität Ingolstadt immatrikuliert wurde [Digitalisat: urn: nbn: de: bvb: 12bsb00079993-4]. Klaus Arnold 106 folge (ordo) vorgeben und jedem Buchstaben mithilfe der fünf Vokale fünf Silben (loci) zugeordnet werden und daraus eine Personengruppe (imago) gebildet wird, im Anhang seines Traktats graphisch veranschaulicht: ordo locus imago A A abbas E eques I institor O officialis V vsurarius B ba balneator be begutta bi bibulus bo bossequus bu buccinator ca cardinalis C ce cesar ci cirurgicus co cocus cu cursor Eine Erweiterung des Systems war nach Celtis’ Vorschlag durch Erweiterung der Gruppen um Gattinnen, Söhne und Töchter möglich. 17 Im ersten Buch seiner Polygraphia bietet Trithemius 384 Alphabetreihen (je zwei pro Seite), die jedem Buchstaben jeweils ganze Wörter zuordnen. Natürlich haben sie eine gänzlich andere Funktion - sie sollen ja nicht der Wiedererkennung, sondern im Gegenteil der Verheimlichung der wahren Botschaft dienen: a Deus a clemens a creans a celos [usw.] b Creator b clementissimus b regens b celestia c Conditor c pius c conseruans c supercelestia d Opifex d piissimus d moderans d mundum e Dominus e magnus e gubernans e mundana f Dominator f excelsus f ordinans f homines [ usw. ] Bei näherer Betrachtung wird deutlich, daß die Intention dieses Systems darin liegt, jedem Buchstaben des Alphabets ein Wort zuzuordnen in der Weise, daß dem zu verbergenden Buchstaben ein Substantiv, Adjektiv, Gerundium, Adverb, Verb, Objekt, Konjunktion usw. entspricht, aus denen sich Sätze - 17 Celtis, Epitome (wie Anm. 14), fol. ciij r : Multiplicabimus imagines nostras, si singulis imaginibus vxores filios et filias aptamus. Curiositas regia 107 hier in Form eines Gebets - bilden lassen, die die dahinterliegende Botschaft verschleiern, indem man den ersten benötigten Buchstaben aus der ersten Reihe nimmt, den zweiten aus der zweiten usw. (so ergäbe z. B.: Deus clementissimus regens celos [ ... ]: abba [ ... ]). Bedingung ist hierzu freilich, daß Sender und Empfänger über ein identisches Exemplar des Traktats verfügen, um den Text sicher entschlüsseln zu können. Der Vorteil dieses kryptographischen Systems ist darin zu sehen, daß die verschlüsselte Botschaft bei weniger Lateinkundigen oder theologisch Gebildeten als Gebet durchgehen mag; entscheidend ist aber, daß sie mithilfe statistischer Methoden (der Suche etwa nach dem „e“ als häufigstem Buchstaben des Alphabets) nicht zu decodieren ist. 18 Doch zurück zum Verhältnis zwischen Maximilian und Trithemius: Ein weiteres bedeutsames Ergebnis der Unterredungen auf dem Kölner Reichstag, wo der Abt sich in Begleitung des brandenburgischen Kurfürsten Joachim I. bis zum 4. August aufhielt, waren seine Antworten auf acht theologische Fragen, die der Herrscher mit dem Benediktiner erörtert hatte. Ihre lateinische Ausarbeitung war am 10. Juli 1508 beendet, konnte dem Kaiser jedoch nicht vor Ende Februar 1512 überreicht werden; erst 1515 erschienen diese Octo quaestiones auch im Druck. Auch in diesem Fall ist das autographe Dedikationsexemplar in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien erhalten geblieben. 19 Eher mühsam suchte Trithemius die dogmatisch-theologischen Probleme, die Maximilian bewegten, mit den Autoritäten der Kirche zu beantworten: Über den Glauben, über Wunder, über die rechte Auslegung der Heiligen Schrift und Gottes Allwissenheit. Brisanz erlangten vor allem die Fragen 5 bis 7, in denen Trithemius sich zustimmend zum Dämonen- und Hexenglauben äußerte. 20 Hier wie auch in seinen anderen Schriften zum Thema (Antipalus maleficiorum, De demonibus) bewegte sich der Abt im Kontext von Heinrich Institoris’ um 1487 entstandenen Malleus maleficarum und verdunkelt so das Bild eines gebildeten, forschenden und zuweilen bahnbrechenden christlichen Humanisten. In den Bereich der historischen Arbeiten des Trithemius, die von den Chroniken seiner Klöster Sponheim und St. Jakob in Würzburg ihren Ausgang nahmen und die bairisch-pfälzische Dynastiegeschichte, später auch die Ordensgeschichte der Karmeliten und Kartäuser, Mirakelsammlungen und Heiligenleben und insbesondere die Geschichte des Frankenstammes - mit 18 Vgl. Arnold 1991, 191-195. - Leichter zu entschlüsseln ist der in phantasievollen Wörtern versteckte - jeweils zweite - Buchstabe im vierten Buch der Polygraphie, das somit ein weiteres Mal des Celtis’ mnemotechnisches System variiert. 19 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 11716 (Autograph mit Originaleinband; fol. 112 v: Ex ciuitate Neometana X. die mensis Julij Anno christianorum Millesimo Quingentesimo Octauo. Io. Tritemius Abbas). Maximilian I. 1959, Nr. 196; Unterkircher 1976, 140 [Permalink: manuscripta.at? ID=6688]. 20 Wiesflecker 1986, 154, 334, 349f.; Arnold 1991, 196-200. Klaus Arnold 108 der Rückführung auf dessen trojanische Ursprünge - umfaßten und in den monumentalen Annales Hirsaugienses gipfelten, gehört eine im Jahr 1508 gleichfalls Maximilian I. gewidmete astrologische Geschichtskonstruktion De septem secundeis, id est intelligentiis sive spiritibus orbes post deum moventibus. Sie stellt den Versuch einer Periodisierung der Weltgeschichte in von den Planeten bestimmten Zyklen von je 354 Jahren und 4 Monaten dar und beruhte vor allem auf dem Conciliator des spätmittelalterlichen Paduaner Astronomen Petrus von Abano. Der auch als Chronologia mystica auftretende Text wurde seit 1522 mehrfach und häufig vergesellschaftet mit den Octo quaestiones gedruckt. Die Annahme liegt ohnehin nicht fern, auch diesen Gegenstand in Zusammenhang mit den in Köln zwischen König und Abt geführten Gesprächen zu sehen. 21 Als in den Monaten nach dem Kölner Zusammentreffen klar wurde, daß des Trithemius Verbleiben in seinem Hunsrückkloster keine Zukunft beschieden sein würde, und der Abt begann, sich auch an weltlichen Höfen nach einer auskömmlichen Position umzusehen, unternahm der Celtiskreis, vertreten insbesondere durch Konrad Peutinger, den Versuch, dem Exulanten die Stellung eines königlichen Hofhistoriographen zu verschaffen; freie Wohnung und ein jährliches Salär von 200 Gulden ließ ihm der Herrscher 1507 anbieten. 22 Trithemius schlug die Einladung aus, nach Augsburg zu kommen; und auch eine weitere, die von der anhaltenden Wertschätzung des Königs für den Humanisten Trithemius zeugt: Im Spätsommer des gleichen Jahres 1507 erschien im Würzburger Schottenkloster ein Bote namens Johannes Rummel im königlichen Auftrag, versehen mit dem nötigen Reisegeld von 32 Dukaten und vermittelt durch den Churer Bischof Matthäus Lang, mit dem wiederholten Versuch, den Abt nach Augsburg zu begleiten. Trithemius lehnte das Ansinnen mit der Begründung einer fehlenden Legitimierung des Boten ab und fügte dem hinzu, daß seine Studien keineswegs Großes versprächen, wie man dies offenbar von ihm erwarte (…). 23 Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte der Benediktiner als Abt des Würzburger „Schottenklosters“ St. Jakob, das zwar nur über geringe Einkünfte verfügte, die nach jahrzehntelanger Vernachlässigung zudem erst mühsam zu revindizieren waren; persönlich verfügte er jedoch zusätzlich über die Einkünfte eines Domkanonikats. 24 21 Anders als bei der Polygraphia und den Octo quaestiones hat sich von De septem secundeis kein Maximilian gewidmetes Autograph des Textes und nicht einmal eine dem 16. Jahrhundert zugehörige handschriftliche Überlieferung erhalten: Arnold 1991, 161-164, 250. 22 Augusti munificentia regali floreni renenses ducenti pro annuo stipendio mihi offeruntur et domus cum necessariis libera ad vitam meam; sed recusaui extra monasterium viuere, Lager 1911, 190. 23 Vgl. Anhang Nr. 5. 24 In ecclesia cathedrali prebendam habeo canonicalem, panes vinum et pecuniam sicut canonicus, quod a prima fundatione est institutum, Lager 1911, 190. Curiositas regia 109 Der König und der Abt sind jedoch auch in den Folgejahren wiederholt zusammengetroffen. Über die näheren Umstände hat sich Trithemius in seinen Berichten im Chronicon Sponheimense bewußt unwissend geäußert: Quid cum Caesare fecerit, aut quare ab eo fuerit vocatus, mihi non constat [. . .]. 25 Die Kontakte, die sich bis wenige Monate vor dem Tod des Abtes fortsetzten und vor allem über die kaiserlichen Historiographen Ladislaus Sunthaym, Jakob Mennel und Johannes Stabius liefen, waren zumindest in Hofkreisen ganz und gar nicht konfliktfrei, wie ein in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien erhaltenes Spottbild auf Trithemius aus dem Umkreis des Johannes Stabius vor Augen führt. 26 Denn Trithemius - wovon noch die Rede sein wird - hatte sich in die Fiktion eines von ihm erfundenen merowingerzeitlichen Chronisten namens Hunibald verstrickt und sah sich in der Folge mit anhaltenden Forderungen aus Wien konfrontiert, zum Beweis von dessen Existenz eine von ihm behauptete handschriftliche Überlieferung zu präsentieren. Die durchaus qualitätvolle Wiener Zeichnung mit der Beischrift Juppiter Abbatis Spanhemensis, cuis auctoritate libris suis Chronicis fidem facit war nach des Stabius Angaben von einem unbekannten Künstler gefertigt worden und nahm Bezug auf ein vaticinium, das laut Trithemius in seinem im Jahr 1515 in Mainz gedruckten Compendium sive breviarium primi voluminis chronicarum sive annalium de origine regum et gentis Francorum einem Frankenkönig Marcomir um 440 vor Christus (! ) zuteil geworden sein sollte. 27 Das Bild zeigt eine geflügelte Gestalt im Mönchsgewand mit drei Köpfen (einer Kröte, eines Löwen und eines Adlers), ein Schwert in der Linken und ein Schwert in der Rechten - so wie der Abt das dem Frankenkönig Marcomir angeblich erschienene numen beschrieben hatte . . . Doch wie kam Hunibald in die Welt? Trithemius hatte sich seit seinen Würzburger Jahren in seinen historischen und hagiographischen Arbeiten mehr und mehr daran gewöhnt, Defizite in klösterlichem Überlieferungszu- 25 Tr., Chr. Sponh., 431. 26 Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 3327, fol. 6 r (kolorierte, von Stabius entworfene Federzeichnung). Vgl. Grössing 1964; Kellner / Webers, 2007. Abbildungen: Laschitzer 1888, 23; Maximilian I. 1959, Nr. 197, 60f. Bildarchiv der ÖNB Inv. NB 19850-B [http: / / data.onb.ac.at/ rec/ AL00167586]. 27 Trithemius, Johannes: Compendium siue Breuiarium Primi Volvminis Annalivm Sive Historiarvm, De Origine Regvm Et Gentis Francorvm Ad Reverendissimvm In Christo Patrem Et principem dominum Laurentium Episcopum vuirtzpurgensem ... Ioannis Tritemij Abbatis, [Mainz], 1515 [VD16 T 1973; Digitalisat: urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00001934-0], fol. Aij r / Aij v : Numen triceps Marcomir astare conspexit et uniuscuiusque capitis singulare audiuit pronosticon, discretumque vidit diadema unicuique supereminere impositum. Primum caput fuit bufonis, secundum vero leonis et tertium aquile in forma quasi expansis alis desuper stantis et dextera leonem, sinistra bufonem fouendo contingentis [ ... ] tria in unum subito capita sunt conuersa, stabatque monstrum triceps in hominis imaginem transformatum, nec simplicis a conditione, sed coronati aureo diademate regis, in sinistra sceptrum tenentis et in dextera gladium. Klaus Arnold 110 sammenhang mit der Person und den Schriften eines von ihm fingierten hochmittelalterlichen Chronisten Meginfrid auszufüllen und so zu autorisieren. Nachdem sich die Einführung einer fiktiven Quelle aus dem 11. Jahrhundert für den monastischen Bereich wiederholt als praktikabel erwiesen hatte, übertrug Trithemius die Fiktion endlich auch auf seine weltliche Geschichtsschreibung. Der früheste Hinweis auf die Existenz des Chronisten Hunibald - noch vor dem Druck des Compendium im darauf folgenden Jahr - liegt in einem Schreiben des Würzburger Abtes vom 21. April 1513 an den Kaiser vor. 28 Trithemius spricht dort über die in Sponheim zurückgelassene Handschrift seines Gewährsmanns: De origine et gestis Francorum decem et octo libros parciales in vno volumine, si recte memini, scripsit Hunibald Francus tempore Clodouei regis Francorum. [ ... ] Auctor memoratus Hunibald historiam usque ad annum regis Francorum Clodouei vicesimum quartum deduxit [ ... ]. Bei dieser Gelegenheit erschien es dem Briefschreiber passend, noch zwei weitere, ihm wichtig erscheinende Details über die Herkunft des Frankennamens und - wohl im Hinblick auf den Überbringer der Botschaft - über die Geschichte des Heroldsamtes einzufügen: Franck non liberum, sed ferocem esse auctor declarat, nec a Francione venit nomen Francorum, sed a ferocitate. Nunquam sine ducibus fuerunt aut regibus; ergo qui dicunt die freyen Francken cecuciunt [ ... ] Vbi in Thuringiam venerunt, Hunibald dicit, creauisse seniores, quos her alt theutonice nominarunt, id est ‚domine senior’, quorum ingens fuit auctoritas inquirendi, iudicandi et puniendi in rem publicam temere delinquentes. Hec et alia multa memoratu dignissima in predicto volumine breui et lucida narracione continentur; e quibus ego quedam in scedis, nonnulla vero in memoria teneo locata. Io. Tritemius Abbas. 29 Die von Trithemius selbst geschriebene Liste der Codices, die er aus seinem alten Kloster zurückhaben wollte und dem Herold (Johann von Köln? ) in Mainz „in der Herberge ‚Zu der Kronen‘ beim Karmeliterkloster“ übermitteln ließ, hat sich in der Wiener Materialsammlung erhalten. 30 Sie umfaßt acht Geschichtsschreiber (Hunibald, Regino von Prüm, Robertus Gallus, Widukind von Corvey, die Gesta Treverorum, Liutprand von Cremona, Johannes de Beka und Lampert von 28 21 mensis Aprilis ita rescripsi Cesaree Maiestati per Ioannem de Colonia herald Gelrie Anno 1513; donaui (? ) anulum chrystallinum cum ametistis florenorum v (? ) lautet die eigenhändige Rückenaufschrift in Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 9045*, fol. 15 v [Digitalisat: http: / / archiv.onb.ac.at: 1801]; das Autograph ist erhalten im Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Autogramme 2 G (freundlicher Hinweis von Franz Fuchs / Würzburg). Johannes Stabius hat die Wiener Abschrift (fol. 13 v ) so kommentiert: Item scripturam subsequentem, sicut ipse propria manu a tergo notauit, misit Cesaree Maiestati per Io. de Colonia heraldum Geldrie anno 1513; et ego habeo apud me exemplar istius Cesari missum de manua sua scriptum. Ecce quam diuersissima narrat in ista scripture quam libros suos proprios; et tamen eciam Hunibaldum allegat eque sicut in superioribus. 29 Wie vorige Anmerkung, fol. 14 r . Chmel 1840, 318-319. 30 Ebd. fol. 30 r/ v : Heroldum Moguncie imuenietis in hospicio zu der Kronen haud procul a carmelitis Chmel 1840, 316-317. Curiositas regia 111 Hersfeld), bis auf den Hunibald allesamt unverdächtig und von Trithemius in seinen literargeschichtlichen und historiographischen Werken auch sonst herangezogen. Die Liste führt in einem zweiten Teil noch weitere acht (neun) Titel auf, die er im Tausch gern zurückerwerben wollte: die Briefe des Bonifatius, einen griechischen Homer in zwei (Druck-)Bänden, Iulius Firmicus Maternus, Diogenes Laertius, das Organon des Aristoteles, zusammengebunden mit Porphyrios, Beros(s)us, eine Handschrift mit den oben erwähnten tironischen Noten (aus denen Beispiele mit dem Zusatz: est quasi vocabularius et note vel characteres verba precedunt; es ist ein alt ver runtzlt buchlin; eis non deseruit) aufgeführt werden: sowie, vor allen anderen von ihm gewünscht, Otfrid von Weissenburg. Alle Bände sind in ihrem Erscheinungszustand aus der Erinnerung recht genau beschrieben - und so auch der Hunibaldus de origine et gestis Francorum, in pergameno arctus forme est volumen, et si recte memini, albo corio porcino coopertum, sunt libri parciales octodecim, ut puto [...]. Diese Auslassungen über einen ebenso interessanten wie bislang unbekannten Gewährsmann konnten schwerlich ohne Reaktion vom Kaiserhof bleiben: Schon fünf Tage nach seinem ersten Schreiben sah sich der Würzburger Abt zu einer erneuten Antwort und rechtfertigenden Äußerung über den fabelhaften Hunibald und den Verbleib der ihn überliefernden Handschrift veranlaßt: Gegenüber einem weiteren vom Kaiserhof gesandten Boten und auch brieflich wies er unter dem Datum des 26. April 1513 darauf hin, daß sein Nachfolger im Sponheimer Abbatiat bereits viele Bände seiner Bibliothek nach Hirsau veräußert habe; und falls man den Hunibald in Sponheim nicht finden könne, könne man vorsichtig in Hirsau nachforschen. Zugleich erklärt er sich bereit, falls ein in Speyer geplanter Fürstentag zustandekomme, in seinem alten Kloster Sponheim selbst nach dem Band zu forschen, den er zusammen mit zweitausend weiteren in seinem alten Hunsrückkloster zurücklassen mußte. 31 31 Ebd. fol. 25 r: : [ ... ] humili sugestione duxi notificandum, quod successor meus in Spanheim nunc abbas plura volumina vendidit abbati Hirsaugiensi Sueuo iuxta termas que nuncupantur Cellerbad. Vnde si Hunibald Francorum historiographus in Spanheim non fuerit repertus, apud Hirsaugiam subtilis et cauta fiat inquisicio. Ego mores noui philobiblorum et maxime claustralium, qui nisi cautissime inducti - ne dicam circumuenti - potentibus non facile libros suos communicant. Si conuentus principum Vuormacie, ut phamatur, habuerit neruos et vires, cooperabor forsitan quam potuero diligenter, quo Hunibald inueniatur captiuus; quem ego prima die mensis aprilis anno cristianorum millesimo D. quinto in Spanheim egrediens cum aliis voluminibus non minus xx c in abbacia dimisi. [ ... ] Ex meo tugurio Peapolitano xxvj die mensis aprilis anno cristianorum millesimo quingentesimo tercioque decimo, manu mea raptissime. E. S. Inu.que Maiestatis Cesaree obsequentissimus non minus quam deuotissimus capellanus et orator Ioannes Tritemius abbas diui Jacobi Wirtzburgensis, quondam vero Spanheimensis. Stabius hat die Abschrift überschrieben: Sequuntur quedam epistule abbatis, ex quibus plane colligitur eum Hunibaldum, quem tocies allegauit non habuisse, sed in monasterio Spanheim, vt hic confitetur, reliquisse; vgl. auch Anhang 15. - Kloster Hirsau als Aufbewahrungsort ist schon daher unglaubwürdig, weil Trithemius der Konvent und die Bibliothek schon allein aufgrund seiner Arbeit an der Chronik des Klosters bestens bekannt waren. Klaus Arnold 112 - Doch diese Ausflüchte räumten das Problem keineswegs aus dem Weg: Hier ist nicht der Ort, die Diskussionen und Bemühungen der Genealogen und Geschichtsschreiber am kaiserlichen Hof um das gedechtnus Maximilians nachzuzeichnen; 32 für das Verhältnis zu Trithemius ist von Bedeutung, daß er aus dem von ihm selbst geschaffenen Teufelskreis bis an sein Lebensende nicht mehr herauskam. Alle seine Ausflüchte blieben vergeblich: Auf kaiserlichen Befehl hin mußte er im November 1515 selbst noch einmal in sein altes Sponheimer Kloster aufbrechen, um sich dort - natürlich ohne Ergebnis - auf die leidige Suche nach dem Hunibald-Codex zu begeben. Spanhem personaliter accessi, Hunibaldum inquisiui, sed non inueni schrieb er dem Kaiser. Auch der Besuch eines Klosters, das er vorgeblich verdächtigte, im Besitz der Handschrift zu sein, erwies sich als vergeblich, da man ihm dort den Zugang zur Bibliothek verwehrt habe. - Von Wien aus wurden weiter hartnäckig Nachforschungen angestellt - bis zum Tod des Abtes im Dezember 1516 und noch darüber hinaus: So ist in des Stabius Materialsammlungen auch eine Inschrift überliefert, die der Abt des Schottenklosters an der Ostwand des Söllers zusammen mit Bildern der Frankenfürsten hatte anbringen lassen. 33 Und aus Würzburg stammen wohl auch die beiden Verzeichnisse von Geschichtsschreibern, die sich laut Trithemius mit der Geschichte der alten Thüringer und Sachsen befaßt haben sollten. Noch im Februar 1516 hatte der Abt mit Herzog Friedrich dem Weisen hierüber im Dialog gestanden; und auch ihm gegenüber sprudelten weitere Quellen geradezu aus ihm heraus: Hunibald, Wasthald, Dorac, Hermenfrid, Jordan(es), Heligast, Amerodac, Chlodomir, Arebald, Ruthwic [. . .]. 34 32 Hierzu: Chmel 1840; Laschitzer 1888; Grössing 1964; Müller 1982; Wiesflecker 1986; Kellner / Webers 2007. - Johannes Stabius hat in seiner Materialsammlung mehrfach nicht mit deutlichen Worten über die Fabeleien des Abtes gespart: infero genealogiam ab abbate hic positam esse falsam et erroneam; mere nuge sunt; figmenta abbatis; falsa; fictam ab abbate; abbatis ineptias; ignorantie sue; ignoranter [...] omnia confundit; fugiendus est cum fabulamentis suis predictis; ex his verbis facile colligitur quam probe abbas nouerit historias nostri temporis: in summa nescit quid scribit; vt abbas ignorantissime scribit [...]. 33 In der Anm. 18 genannten Handschrift, fol. 13 r : In monasterio S. Jacobi prope Wirtzburg in abbatia sua in parieta [sic] solarij versus orientem circa picturas principum Francorum sic scripsit: Anno christianorum ccclxxx indictione octaua genß [sic] Francorum ex Sarmatia post necem Priami regis sui a Romanis in bello iuxta Sicambriam perempti, venit in Germaniam tempore Valentiniani cesaris, et a Turingis hospitibus sedes iuxta Moganii ripas acceperunt. Marcomede Priami filio et Sunnnone [sic] Antenoris ex stirpe Troianorum procreatis ducibus exercitum ducentorum sexaginta quique milium pugnatorum in virtute magna precedentibus, quos Turingi in odium Romanorum libenter susceperunt, locum eius [sic] manendi assignantes inter Salam et Moganum flouios. Franci ergo Turingorum amicicia freti Turingios accepte possessionis tempore dilatarunt magnifice. 34 Ebd. fol. 33 r -34 v : Autograph des Trithemius Ex parte ducis Friderici Reminiscere 1516; sowie (leider oft unklar) Chmel 1840, 314-316; Laschitzer 1888, 18-27. Curiositas regia 113 - Bis zuletzt war der Kaiser in Person an Informationen bezüglich der Habsburger-Genealogie und an entsprechenden Kenntnissen des Trithemius interessiert. Noch im November / Dezember 1516 sandte er selbst einen Fragenkatalog nach Würzburg. Da des Abtes zwischenzeitlicher Tod eine Beantwortung verhinderte, beauftragte Maximilian mit Datum des 22. Januar 1517 von Maastricht aus Johannes Stabius damit, in Würzburg nachzuforschen, ob der bemelt abbt hab dan noch allerlai cronicen und historienpuecher, die er allenthalben aus den andern clöstern zusamengebracht hat, hinter sein verlassen, daraus man vil unserr historien dienstlich nehmen und ziehen möchte. Stabius möge das Kloster aufsuchen und nachforschen, ob indert ain anzaigen oder testimonium des Sigiberts und ander sachen halb, wie die in unserm lateinischen brief an den vorigen abbt ausgangen, begriffen sein, von artikl zu artikl möchte gefunden werden, oder anders so unser historien dienstlich sein möchte. 35 - Vielleicht waren die leidige Diskussion und die hartnäckigen Nachforschungen bezüglich des Hunibald und seiner ebenfalls fingierten Genossen mit ausschlaggebend dafür, daß Trithemius in seinen letzten Lebensjahren zwar weiterhin an hagiographischen Texten und den beiden Mirakelbüchern für Dettelbach und Heilbronn arbeitete und auch seine gewichtigen Annales Hirsaugienses 1514 abschloß, seine Frankengeschichte über das Compendium des ersten Bandes hinaus mit - den laut seiner Aussage im gleichen Jahr - geplanten weiteren zwei Bänden der chronicarum siue annalium de temporibus et gestis Germanorum jedoch nicht weiterführte. 36 Denkbar erscheint auch, daß er die Texte, die er Stabius aus dem Geplanten mitteilte, schließlich in seine Hirsauer Annalen übernahm. Noch vor der Beschäftigung mit der Geschichte der Franken und der Erfindung des Hunibald hatte sich der Würzburger Schottenabt im Jahr 1511 in die große Politik eingemischt - auch dieses Mal auf kaiserliche Aufforderung hin: Unter dem Datum des 4. Juni hatte der Herrscher - der seit 1508 ohne päpstliche Krönung den römischen Kaisertitel angenommen hatte und sich in dieser Zeit sogar mit dem Gedanken trug, selbst Papst zu werden - den Benediktiner um seine Meinung hinsichtlich eines in Pisa geplanten allgemeinen 35 Vgl. die Anhänge 17 und 18; Laschitzer 1888, 28. 36 Der Plan und angebliche Zitate aus dem dritten Band zu König Rudolf sind in den Wiener Aufzeichnungen des Johannes Stabius (vgl. Anm. 28) erhalten geblieben; dort wird (fol. 11 v / 12 r ) abschriftlich Ex tercio volumine chronicarum siue annalium de temporibus et gestis Germanorum Joannis Tritemii abbatis monasterii sancti Jacobi apud Wirciburg ciuitatem Francorum orientalium, quondam vero Spanhaimensis ordinis diui Benedicti [ ... ] A morte regis Rudolfi vsque ad xxvij annum regis Maximiliani, quo hoc scripsimus, anno domini m. d. xiiij. reges numerantur Germanie Francorum, siue imperij coronam habuerint siue non, xj, per annos ccxxj zitiert, was Stabius (fol. 13 r ) so kommentiert: Suspicor ea que abbas de Hunibaldo refert omnia esse ficta; coniecture que me ad hoc impellunt sunt iste: Scribit quod omnia que hic de nominibus regum et ducum ponit, se ante sedecim annos ex Hunibaldo, dum adhuc in Spanhaim fuisset, excerpsisse asserit, hic et eciam in chronico suo quod impressum circumfertur [ ... ] in aliis duabus scripturis suis, quas mox hinc subijciam dicit [ ... ]. Klaus Arnold 114 Konzils befragt. 37 Der Abt antwortete am 25. August 1511 mit einem ausführlichen Brieftraktat in sieben Punkten und wegen dessen antipäpstlicher Tendenz mit dem eindeutigen Votum gegen das - letztlich auch nicht zustande gekommene - Vorhaben. Trithemius hat den im Druck der Annales Hirsaugienses etwa zwei Folien umfassenden Text jedenfalls für so wichtig erachtet, daß er ihn in seine Annales Hirsaugienses inserierte und mit Incipit in sein Schriftenverzeichnis aufnahm. Ein mehrtägiger Besuch des Kaisers in Würzburg im Februar des folgenden Jahres bot nochmals Gelegenheit zu einem Zusammentreffen, bei dem dem Herrscher vom Autor endlich auch das Autograph der Octo quaestiones überreicht werden konnte. Kaiser Maximilian, der Trithemius noch im November / Dezember 1516 den letzten sicher bezeugten Brief gesandt und der dem Herrscher wiederum vier seiner Werke gewidmet hatte, starb am 12. Januar 1519 und wurde in der Georgskapelle der Burg von Wiener Neustadt beerdigt. Gut zwei Jahre zuvor, am 12. Dezember 1516, war der Abt des Würzburger Klosters St. Jakob verstorben und in der Kirche seines Kloster beigesetzt worden; heute befinden sich die sterblichen Überreste und sein Grabdenkmal aus der Werkstatt Tilman Riemenschneiders in der Neumünsterkirche neben dem Dom. Aus seiner letzten Büchersammlung im Schottenkloster sind in der hiesigen Universitätsbibliothek noch gut fünfzig Bände erhalten geblieben. Anhang: Dokumentation zum Verhältnis König Maximilians I. und des Abtes Johannes Trithemius zwischen 1502 und 1515 (1. 1502 Oktober 2: Brief des Johannes Trithemius an König Maximilian, [wohl Kopie] ehemals Staatsarchiv Würzburg, Misc. 1366; 1945 in Schloß Wässerndorf verbrannt. Inhalt laut des erhaltenen Repertoriums WK 15 XXV Benediktiner: „betr. die Historia Germaniae“). 2. 1505 Juli 19: Ernennung des Trithemius zum königlichen Kaplan. Die in Köln mit dem Datum des 19. Juli 1505 ausgestellte Urkunde bekundet die Privilegierung des Abtes Johannes [Trithemius] von Sponheim als königlicher Kaplan, der alle entsprechenden Freiheiten und Rechte genießen soll. Kopie in Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Urkunde P 1846; vgl. RTA, 857, Nr. 550. 3. 1505 Juli 24: Teilnahme des Trithemius an der Dichterkrönung des Georgius Sibutus Daripinus in Köln; vgl. den Druck De diui Maximiliani caesaris aduentu in Coloniam. deque gestis suis cum admiranda virtute & Maiestate. Georgij Sibuti Daripini Poetae Laureati Panegyricus, Köln (Heinrich Quentel) 1505, fol. 15 r (Exemplare der BSB München P. o. lat. 752/ 17 [Digitalisat], UB Würzburg L. r. r. q. 19d [aus dem Besitz des Trithemius]); RTA, 856, 37 Zu Maximilians Kaiser-Papst-Plan von 1511 vgl. Ulmann 1888; Naschenweng 1978, Teil 1, 238ff.; Wiesflecker 1986, 90ff. - Der Brieftraktat ist gedruckt Tr., Ann. Hirs. II, 670-662. Curiositas regia 115 Nr. 547. - Vgl. Seelbach, Sabine: s.v. Sibutus, Georg (Daripinus), in: Verfasserlexikon. Deutscher Humanismus, hg. von Franz Josef Worstbrock, Bd. 2, Berlin / New York 2013, 884-896. 4. 1505 Juli 29: König Maximilian ruft Trithemius (in Begleitung Kurfürst Joachims I. von Brandenburg) zu sich, um sich mit ihm über religiöse Fragen zu unterhalten: In eodem conuentu principum Maximilianus rex XXIX. die mensis Iulij vocauit ad se Iohannem Trithemium abbatem cum domino marchione (sicut diximus) existentem, cuius famam multorum relatione (ut asseruit) saepius audierat, & de variis quaestionibus scripturarum longam cum eo habuit disputationem, et vnde non parum eo loquente rex exhilaratus est, priuilegium illi capellae imperialis cum certis libertatibus contulit ac muneribus honoratum magnificis a se cum beneuolentia dimisit, Tr., Chr. Sponh., 424-425. 5. 1507 (Ende Juli): König Maximilian ruft Trithemius (über den Churer Bischof Matthäus Lang sowie den Boten Johannes Rummel), versehen mit den Reisekosten, aber ohne schriftliche Legitimation - und somit vergeblich - zu sich nach Augsburg, wie in einem Brief des Abtes an Lang vom 1. September zu lesen ist: Reverendissime praesul; is qui paternitati tuae reuerendissimae has meas exhibuit literulas, Ioannes dictus Rummel ex Nurenberga, se missum asserens a maiestate regia pridem ad me venit multisque modis mihi persuadere conatus est, quatenus eandem aditurus maiestatem iter cum eo versus Augustanam ciuitatem assumerem. Dicebat enim se duos et triginta recepisse ducatos pro viatico de manibus tuae celsitudinis nomine regio, iussumque vt me quantocius curaret sacris praesentare conspectibus. Verum quia literas non exhibuit vllas, neque regias neque tuas, quibus veritate subsistere doceret asserta, subdubitare coepi, ne forte sollicitator ipse fuerit apud Regiam maiestatem de me promittens magna quaedam pro futura maiestati, quae professus fuerim nunquam. [ ... ] Nostra enim studia nihil magni promittunt; humilia sunt, qualia non magnos oblectare principes, sed mediocribus soleant conuenire hominibus. Nihilominus si quid in me est virium, quod regiam queat oblectare magnificentiam, vias aperiet lator quibus me coram licebit alloqui principem. Vale pontificum decus. Herbipoli prima Septembris Anno 1507. Tr., Opp. hist. II, 569. Trithemius selbst berichtet: Maximilianus quoque rex Romanorum eodem anno ex conuentu principum apud Constantiam celebrato per nuncium et per literas ad se vocauit Trithemium; qui tamen vsque in annum sequentem suum distulit aduentum, propter mirandum Polygraphiae opus regi dicandum, quod necdum erat perfectum, Tr., Chr. Sponh., 430-431. 6. 1508 März 24: Brief des Johannes Trithemius an König Maximilian (Dedikation der Polygraphia in der handschriftlichen Wiener Überlieferung). - Um Wiederholungen zu vermeiden, wird hinsichtlich der handschriftlichen und gedruckten Überlieferung des Trithemius-Briefwechsels auf das bei Arnold 1991, 261-285 gedruckte Briefregister verwiesen. 7. 1508 April 26: Brief des Johannes Trithemius an König Maximilian (Dedikation der Polygraphia in der Druckfassung). 8. 1508, Juni / Juli: Trithemius folgt dem königlichen Hof auf Einladung Maximilians für drei Monate nach Mainz und Köln: Eodem anno dominus Iohannes Trithemius [ ... ] abbas, iam tertio vocatus per nuntios atque literas, missoque Klaus Arnold 116 viatico sufficiente, ad Maximilianum caesarem venit ad Moguntiam et vlterius ad Coloniam, vbi inuento caesare mansit cum eo quasi mensibus tribus, et postea remuneratus ab eo ad propria reuersus est; quid cum caesare fecerit, aut quare ab eo fuerit vocatus, mihi non constat, Tr., Chr. Sponh., 431. - Rex autem Maximilianus de Colonia [...] ascendit ad Confluentiam & ulterius ad Boppardiam [...] volens deinceps ascendere ad Spiram, quo me ante praemiserat, qui curiam tunc eo jubente tribus mensibus sequebar imperialem, Tr., Ann. Hirs., 638-9. - Ioannes quoque Trithemius abbas iam tertio vocatus per litteras ad caesarem Maximilianum descendit ad Coloniam & eius curiam, quam mensibus tribus secutus fuit, Tr., Compendium S. Jacobi, 16. 9. 1508 Juli 10: Brief des Johannes Trithemius an König Maximilian (Dedikation der Octo Quaestiones in Form eines Brieftraktats). 10. 1511 Juni 4: Brief König Maximilians an Johannes Trithemius (mit der Bitte um Stellungnahme zu einem für Anfang September 1511 in Pisa geplanten Konzil): Extat inter alias epistola eius ad me una, ex qua mentis suae declarat sinceritatem, quippe qui multorum in re tam ardua consilium requirit sicut patet. Im Abdruck des Textes Tr., Ann. Hirs. II, 669-670 findet sich auch eine Bezugnahme auf die Octo quaestiones des Trithemius: Accepimus litteras tuas, quibus significas te illud singulare et pulchrum opus Octo quaestionum nostrarum, de quo edendo te alias hortati fuimus, usque ad calcem deduxisse et iam plene perfecisse, quod nobis iucundissimum est, eritque et nobis ad maximam satisfactionem, tibi ad perennem famam; quoniam scimus, qua ex te viro litteratissimo et integerrimo procedunt, non nisi excellentia et paria magnitudini tuae et qua perpetuo a principibus viris ediscenda sunt. Sed [ ... ] non possumus his iam vacare, sed in reditu nostro evocabimus te cum eodem opere tuo ad nos et tecum de singulis praesentes latius disseremus. Ideo eundem librum penes te bene custoditum retinebis [...]. (11. Zwischen 1511 Juli 10 und August 25 folgte ein weiterer, nicht erhaltener Brief des Kaisers an Trithemius, laut dessen Ann. Hirs., 670: Ego autem sciens humilitatem meam nihil ad interrogata caesaris, quid de indicto Pisis concilio sentirem, rescribere volebam, quousque altera vice litteris praecepit mihi, ut quid sentirem, quantocius rescriberem. Itaque necessitate coactus hoc modo rescripsi). 12. 1511 August 25: Brief des Johannes Trithemius an König Maximilian (Brieftraktat Contra conciliabulum Pisanum), Tr., Ann. Hirs. II, 670-672. 13. Kaiser Maximilian weilt seit 1512, Februar 22 in Würzburg; Gelegenheit zu einem Zusammentreffen mit Trithemius und zur Überreichung der Octo quaestiones. 14. 1513 April 23: Brief des Johannes Trithemius an Kaiser Maximilian (Inhaltsangabe des fiktiven Hunibald); Autograph im Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Autogramme 2 G (freundlicher Hinweis von Franz Fuchs / Würzburg); Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 9045*, fol. 14 r (eigenhändige? Abschrift ). 15. 1513 April 26: Brief des Johannes Trithemius an Kaiser Maximilian; als Autograph erhalten im Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Autogramme 2 G (freundlicher Hinweis von Franz Fuchs / Würzburg); Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 9045*, fol. 25 r (Abschrift). Curiositas regia 117 16. 1515 November 22: Brief des Johannes Trithemius an Kaiser Maximilian (zum Verbleib des Hunibald-Codex). (17. 1516 November/ Dezember: [verlorener] Brief Kaiser Maximilians an Johannes Trithemius; als „beiliegend“ erwähnt in Nr. 18) (18. 1517 Januar 22: Brief Kaiser Maximilians an Johannes Stabius: Wir fuegen dir zu vernemen, das wir [ ... ] dem ersamen unsern lieben andechtigen Johann Tritemio, abbt des gotshaus zu sand Jacoben bei Würtzburg laut des beiligunden briefs geschriben und an ine begert, uns darauf seinen entschaid und antwurt zu geben. [ .... ] So haben wir aber vernomen, wie der obgedacht abbt zu Spanheim [sic] an sand Lucientag negst verschinen mit tod abgangen sei [ ... ]. Original in Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Maximiliana Fasc. 30. Druck: Urkunden und Regesten Nr. 420, LXVIII). Literaturverzeichnis Arnold, Klaus: Johannes Trithemius. 2. Aufl. Würzburg 1991. Arnold, Klaus: Pädagogik und Humanismus in Würzburg um 1500. Hieronymus Schenck von Siemau und Johannes Pfeiffelmann in ihrem gelehrten Umfeld, in: Dorothea Klein / Franz Fuchs (Hgg.): Kulturstadt Würzburg. Kunst, Literatur und Wissenschaft in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Würzburg 2013 (=Arnold 2013a). Arnold, Klaus: s.v. Trithemius, Johannes, in: Verfasserlexikon. Deutscher Humanismus, hg. von Franz Josef Worstbrock, Band 2, Berlin 2013, 1089-1122 (=Arnold 2013b). Arnold, Klaus, Johannes Trithemius und Lorenz Fries. Zur Würzburger Historiographie im 16. Jahrhundert, in: Franz Fuchs u. a. (Hgg): Lorenz Fries und sein Werk. 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Unterkircher, Franz: Die datierten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek von 1501 bis 1600, Wien 1976 (Katalog der datierten Handschriften in lateinischer Schrift in Österreich 4). Urkunden und Regesten aus dem k. und k. Haus-, Hof- und Staats-Archiv in Wien, hg. von Heinrich Zimerman, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 1, 1883, I-LXXVIII. Wiedemann, Konrad / Broszinki, Hartmut: Ein alt verrunzelt buchlin ... Johannes Trithemius - Vorbesitzer der Kasseler Tironischen Noten. in: Wolfgang Milde / Werner Schuder: De captu lectoris, Berlin 1988, 39-50. Curiositas regia 119 Wiener, Claudia: Bildungsprogramme in universitären Festreden. Ein Blick auf Martin Mairs und Konrad Celtis’ Reden an der Universität Ingolstadt unter institutionsgeschichtlichen Aspekten, in: Franz Fuchs (Hg.): Humanismus in Ingolstadt, (= Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 27, 2013), 71-102. Wiesflecker, Hermann: Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit. Bd. 4, München 1981; Bd. 5, München 1986. Maximilian Gamer (Zürich) Die Polygraphia des Johannes Trithemius. Zwei Fassungen eines frühneuzeitlichen Handbuchs zur Geheimschrift Dem Latinisten ist der Benediktinerabt Johannes Trithemius (1462-1516) durch seine Autorenverzeichnisse bekannt: De scriptoribus ecclesiasticis, das letzte umfassende Kirchenschriftstellerverzeichnis in der Tradition des De viris illustribus des Hieronymus und daraus abgeleitet, der Catalogus illustrium virorum Germaniæ. 1 Auch zu seinen Lebzeiten verdankte er seine weitere Bekanntheit zunächst diesen Literaturverzeichnissen. Bald aber standen vor allem seine geheimschriftlichen Studien im Fokus der gelehrten Öffentlichkeit. Diese Studien trugen ihm den Ruf eines Schwarzmagiers ein und brachten Ankläger und Apologeten für die nächsten 200 Jahre auf den Plan. Tatsächlich sind die zwei Abhandlungen zur Geheimschrift eine Ausnahmeerscheinung in seinem Œuvre. Sein umfangreicher Werkkatalog belegt primär seine Bemühungen um benediktinische Restauration und monastische Eruditio innerhalb der Bursfelder Kongregation, in seinen geheimschriftlichen Studien dagegen wird weniger der Mönch sondern der Privatgelehrte sichtbar. 2 In seiner apologetisch gehaltenen Autobiographie findet sich ein Satz, der die Universalität seiner Interessen anschaulich abbildet und spätestens seit Arnolds Trithemius-Monographie von 1971 gewissermaßen als Motto des Polyhistor gelten kann: quicquid in mundo scibile est, scire semper cupiebam - „was auch immer in der Welt wissbar ist, habe ich stets zu wissen begehrt“. 3 Den Anfang dieser Arbeiten dokumentiert die um 1500 noch in Sponheim begonnene und unvollendet gebliebene Steganographia. 4 Darauf folgt die 1508 in 1 Arnold 1991, 114-143; Arnold 1993; Blum 1983, 190-202; Steffen 1969. Zur Biographie Trithemius’: Arnold 1991; Brann 1981. 2 Vgl. Arnold 1991, 228-260. Zur Bursfelder Kongregation vgl. Ziegler 1999. Zu Trithemius’ Bedeutung für diese ebd. 349-350. 3 Trithemius: Nepiachus, id est, Libellus de Studiis & Scriptis propriis a pueritia repetitis, 1829. 4 Die ersten beiden Bücher sind vollständig, der liber tertius liegt nur als nahezu unverständliches Fragment vor. Gänzlich aufgelöst wurde die Steganographia zuerst von Wolfgang Heidel in seiner Steganographia […] nunc vindicata reserata et illustrata, Mainz 1676, Buch III dort allerdings wiederum in verschlüsselter Form, vgl. Ernst 1996, mit einer kritischen Edition des liber tertius. Unabhängig davon erarbeitete Reeds 1998 eine Auflösung. In Ermanglung einer kritischen Gesamtedition der Steganographia empfiehlt es sich, für die Bücher I und II die Auslegung in den von Herzog August II. 1624 unter dem Pseudonym Gustavus Selenus veröffentlichten Cryptomenytices et Cryptographiae Libri IX einzusehen, vgl. Shumaker 1982, 100. Zu den Cryptomenytices selbst vgl. Strasser 1988. Maximilian Gamer 122 Würzburg beendete und Kaiser Maximilian gewidmete Polygraphia. Sie gilt allgemein nur als Folgewerk und steht so hinter der ungleich „berüchtigteren“ Steganographia zurück - zu Unrecht. Denn auch wenn hier Ideen verwirklicht sind, die Trithemius bereits in der Steganographia umsetzen wollte, findet sich in der Polygraphia doch einiges Neues. Im 16. Jahrhundert war die Schrift recht populär. Als erstes Buch zum Thema überhaupt bereits 1518 in Basel postum gedruckt, wurde sie in den folgenden 100 Jahren sechs Mal aufgelegt und auch ins Französische und Tschechische übertragen. 5 Ihre Bedeutung liegt dabei zunächst in ihrer unmittelbaren, breiten Rezeption und damit verbunden ihrer Wirkung auf den technisch-wissenschaftlichen Diskurs der Zeit. 6 5 Die Erstausgabe der Polygraphia von 1518 o.O. nennt im Kolophon Johann Haselberg als Herausgeber. Als Drucker ist Michael Furter in Basel ermittelt, vgl. Benzig 1965, 307- 308. Die folgenden Drucke übernehmen den vollständigen Text des Erstdrucks wortgetreu, verändern aber die Anordnung, ergänzen zusätzliches Material und modifizieren Graphie und Interpunktion. Die weiteren Drucke: Cyriacus Jacobus, Frankfurt 1550; Johann Birckmann & Werner Richwin, Köln 1564; Johann Birckmann & Dietrich Baum, Köln 1571 (neu gesetzte Auflage mit von 1564 abweichendem Seitenumbruch und überarbeiteter Graphie); Lazarus Zetzner, Straßburg 1600; Lazarus Zetzner, Straßburg 1613 (Neu gesetzte Auflage mit von 1600 abweichendem Seitenumbruch). Unterschiede finden sich in der Ausstattung: Nur Basel und Frankfurt sind zweifarbig gedruckt, obwohl die Rubriken in Trithemius’ Schemata nicht nur auszeichnenden Charakter haben, sondern auch bedeutungstragend sind. Zusätze: Frankfurt fügt eine Apologia […] præposita Steganographiæ, eine gekürzte Variante des Vorwortes der Steganographia und die Expositio des Adolf von Glauburg hinzu. Straßburg ergänzt wohl im Kontext der Geschichtsvorstellung in Buch VI De septem secundeis id est intelligentiis sive spiritibus orbes post deum moventibus von Trithemius. Eine notwendigerweise recht freie französische Übersetzung von Gabriel de Collange erschien 1561 in Paris. Zu dieser und den folgenden französischen Nachdrucken vgl. Vogel 1856. Zur tschechischen Adaption vgl. Davidson 1959. 6 Für die Rezeption, zunächst nur der Polygraphia, dann im Kontext der Steganographia und der arcana trithemii siehe exemplarisch Adolph von Glauburg, Expositio [Polygraphiæ], cum exemplis eorum quę ab authore vel præterita sunt, vel minus perspicue tractata 1550, einen in sich beachtenswerten humanistischen Kommentar, vor allem zur præfatio der Polygraphia. Von Glauburg stellt als einer der ersten Kommentatoren direkte Bezüge zur Quellliteratur an. Zu Glauburg und seiner Bibliothek vgl. Traut 1920. Einflüsse oder Bezüge zur Polygraphia sind sichtbar u.a. bei: Jacob Gohory, Vsu & Msyteriis Notarum Liber, Paris 1550; Giambattista della Porta, De Fvrtivis Literarvm Notis, vvlgo de Ziferis, Neapel 1563 (die erweiterte Ausgabe von 1602 greift noch weiter auf die Polygraphia zurück, vgl. Strasser 2008, 98-101); Blaise de Vigenère, Traicté des chiffres ou secretes manieres, Paris 1587 (Vigenère bedient sich v.a. an Buch V und Buch VI der Polygraphia); Gustavus Selenus (Herzog August II.), Cryptomenytices et Cryptographiae Libri IX, Lüneburg 1624, insb. 138-177; Athanasius Kircher, Polygraphia nova et universalis ex combinatoria arte detecta, Rom 1663; Caspar Schott, Schola Steganographica; Nürnberg 1665, insb. 247-256, 282-291, 314-320. Die Polygraphia des Johannes Trithemius 123 Die Polygraphia ist in verschiedener Hinsicht ein lohnenswerter Forschungsgegenstand. 7 Im gleichen Maße, wie sie Fortsetzung und Abschluss der Steganographia und ihrer Gedankenspiele ist, bietet sie auch deutlich über das ursprüngliche Konzept Hinausreichendes. Zunächst ist die Polygraphia gleichermaßen ein technikgeschichtliches Zeugnis, nämlich ein Dokument der Krypto- und Steganographiegeschichte, wie auch der eigentliche Beginn der Historiographie der Geheimschrift. In ihrer Einleitung findet sich nämlich der erste Versuch, Erfinder und Nutzer in einer chronologisch angeordneten Übersicht zu präsentieren. Auch wenn diese Übersicht weniger dazu dient, die Beispiele kritisch zu besprechen, als um den Leser zur Nachahmung der bedeutenden Vorbilder anzuregen, wird das Konzept, die eigenen Beiträge aus der Fachgeschichte heraus zu entwickeln, von den folgenden Autoren zum Thema der Geheimschrift aufgegriffen und zumindest die Summe antiker Zeugnisse bald vollständig erschlossen. Zusätzlich ist die Polygraphia ein Dokument aus den Anfängen ihrer Disziplin in dem die Herausbildung einer Fachbegrifflichkeit beobachtet werden kann. Grundsätzliche Elemente wie etwa die Differenzierung zwischen Steganographie und Kryptographie werden in ihr erstmals konkreter angesprochen. 8 Vor allem aber zeigt eine Untersuchung der Polygraphia, dass der Text in den Drucken von dem der Handschriften abweicht. Die Polygraphia liegt in zwei voneinander abweichenden Fassungen, die im Abstand von zehn Jahren entstanden, vor. Dies wurde bisher beobachtet, allerdings ohne einen genaueren und vollständigen Vergleich der handschriftlichen mit der Druckfassung durchzuführen. So weist die Trithemius-Forschung teilweise auf die Diskrepanz zwischen beiden Fassungen hin, allerdings aus Perspektive der „historiographischen Fiktionen“ Trithemius’, im Fall der Polygraphia bezogen auf den vorgeblichen Chronist Hunibald. 9 Allgemeiner vermerkt der Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek zur dortigen Dedikationshandschrift: Johannes Trithemius, Polygraphia. Exemplar autographum ab impressis valde recedens. 10 In welchem Umfang sind nun Abweichungen zwischen den beiden Fassungen zu verzeichnen, sind sie gleichmäßig über das Werk gestreut oder konzentrieren sie sich auf bestimmte Passagen? Sind die Unterschiede nur redaktioneller Natur oder berühren sie den Inhalt? 7 Technikgeschichtlich wurde die Polygraphia bereits global erschlossen und kontextualisiert, exemplarisch bei: Kahn 1996, 130-136; speziell im Rahmen der Renaissance: Strasser 2007; im Kontext der Universalsprachen: Strasser 1988, 44-63. 8 Trithemius befasste sich mit beiden Spielarten der Geheimschrift: Steganographie soll das Vorhandensein von Information gegenüber Dritten verbergen, Kryptographie dagegen lässt (verschlüsselte) Information zwar allgemein sichtbar, soll aber ihre Lesbarkeit durch Dritte verhindern. 9 Vgl. Arnold 1991, 168; Meister 1906, 38. In der Druckfassung der Polygraphia ersetzt Hunibald teilweise Otfrid von Weißenburg, der in den Handschriften als hauptsächliche Quelle für Buch VI genannt wird. Zur Hunibald-Problematik siehe Staubach 1988. 10 Academia Vindobonensis 1868, 257. Maximilian Gamer 124 Im Kontext meiner Dissertation, die in einer Edition und einem Kommentar der Polygraphia bestehen wird, habe ich bereits erste Beobachtungen gesammelt, die ich im Folgenden darstellen werde. Dazu skizziere ich zuerst den Inhalt, werde dann Abweichungen im Textbestand aufzeigen und eine kurze Passage in beiden Fassungen vergleichen. Die Abweichungen der beiden Fassungen berühren nicht den faktischen, technikgeschichtlichen Gehalt - die beschriebenen Verfahren zum Verbergen und Verschlüsselung sind in beiden Fassungen gleich -, sondern die Art der Präsentation und die Paratexte. Ein Überblick über den Inhalt und die Struktur der Polygraphia lässt sich also allgemein für beide Fassungen anstellen. Titel und Überschriften variieren zwar leicht, entsprechen sich aber sinngemäß und werden im Folgenden nach der Widmungshandschrift Wien, Cod. 3308 wiedergegeben. Der technische Gehalt der Polygraphia verteilt sich über sechs Bücher, denen drei, keinem der Bücher zugeordnete, einleitende Texte vorangestellt sind. Dies sind zunächst ein Widmungsschreiben an Kaiser Maximilian: Ad serenissimum inuictissimumque romanorum imperatorem maximilianum: epistola ioannis tritemii abbatis. 11 Es folgt eine historiographisch-apologetische Einführung: In polygraphiam Ioannis tritemii abbatis prefacio. 12 Und schließlich eine Inhaltsübersicht: Pinax tocius operis cuiuslibet libri contenta indicans. 13 Die sechs Bücher, in denen die vorgeschlagenen Verfahren beschrieben und erörtert werden, lassen sich konzeptionell in einen steganographischen Teil, Buch I-IV, und einen kryptographischen, Buch V-VI, unterscheiden. Der steganographische Teil verfährt dabei nach einem einheitlichen Schema: Dem Nutzer wird ein System von in Spalten je einem Buchstaben zugeordneten Worten angeboten. Für das erste Buch sind es 384, für das zweite 308 Spalten von je 24 lateinischen Worten. Trithemius erweitert dabei in der Polygraphia (und abweichend von der Steganographia) das lateinische Alphabet für die vereinfachte Nutzung des Deutschen im Klartext um das dem Alphabet hinten angestellte W auf 24 Buchstaben. Dies stellt sich in Buch I folgendermaßen dar: 1 2 3 4 a Deus a clemens a creans a celos b Creator b clementissimus b regens b celestia c Conditor … c piius … c conseruans … c supercelestia … w Saluator w excelentissimus w faciens w viuencia 14 11 Wien, Cod. 3308 fol. 1 r -1 v ; Polygraphia fol. a 2r -a 2v . 12 Wien, Cod. 3308 fol. 2 r -4 v ; Polygraphia fol. a 5v -b 2r . 13 Wien, Cod. 3308 fol. 4 v -7 v ; Polygraphia fol. b 2r -b 4r . 14 Ebd. fol. 8 r -8 v ; Polygraphia fol. A 1r -A 1v . Die Polygraphia des Johannes Trithemius 125 Jede Spalte bietet ein semantisches und grammatisches Element eines möglichen Satzes. Dabei lassen die einzelnen Worte keinen offensichtlichen Rückschluss auf den Buchstaben, den sie repräsentieren, zu. Für die Anwendung ist für den ersten Buchstaben des zu verschlüsselnden Klartextes das entsprechende Wort der ersten Spalte zu wählen, für den zweiten Buchstaben das der zweiten Spalte - solange bis der Klartext vollständig erfasst ist. Der als Chiffre entstehende Text stellt ein Gebet dar. Die Sprache der Gebete ist durch die Synonymie auf verschiedenen Ebenen charakterisiert - eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung von Trithemius’ Konzept. Dazu besticht das Gebet durch seine unverfängliche Alltäglichkeit. Partikel und Ergänzungen, die sich nicht entsprechend variieren lassen, aber zur Abrundung des Erscheinungsbildes benötigt werden, stehen zwischen den bedeutungstragenden Spalten. So steht dem Nutzer zwischen den Spalten 8 und 9 die Wahl zwischen cum omnibus oder cum vniuersis. 15 Trithemius gibt uns mit der Diadosis in der Sammelhandschrift Uppsala C IV selbst ein praktisches Beispiel des Verfahrens: Dominus maximus illustrans omnia aspiret petentibus consolacionem supercelestem: cum amicis suis in seculum amen. Clemencia summi dominantis a piis semper deuotissime amanda honestis hortamentis nos instabiles operatores admonet carnalia propter consideracionem directoris futurorum contemnere: et dona euiterne felicitatis omni affectione pro viribus perquirere. Penitudinem igitur o flagiciosi orthodoxi addiscite: quatenus ad sempiterna bona martyrum redemptoris terre dei possitis peruenire. in sempiternum illustrati. Cauetote igitur a mendacibus studiis huius cosmi: cum sitis ad voluptates benignissimi imperatoris invisibilium lucidas finaliter […]. 16 Die Auflösung der gesamten hier gezeigten Stelle wäre ego quidem ioannes tritemius abbas divi iacobi herbipolensis […]. 17 Das wesentliche Problem für Nutzer des Verfahrens ist mehr der Umfang des generierten Textes als, wie meist angemerkt, dessen sprachliche Qualität. 18 In den ersten zwei Büchern führt Trithemius also eine sequentielle Buchstaben/ Wort-Substitution aus, eine steganographische Chiffre, die jeweils einen gebetsartigen lateinischen Text generiert. Die Bücher III und IV variieren dieses Verfahren auf einer kunstsprachlichen Ebene. 19 In Buch III lassen sich die einzelnen Worte über einen identischen Wortstamm jeweils einer einzelnen Wortspalte zuordnen: a Abra / b Abre / c Abri. 20 Buch IV ermöglicht eine 15 Polygraphia fol. A 2v . 16 Uppsala C IV, fol. 115 r . 17 Davidson 1959, 152-153 bietet eine stellenweise problematische Auflösung zumindest der Diadosis ex primo polygraphie libro […]. Den Klartext der Diadosis des zweiten Buchs, der die hier begonnene Nachricht fortsetzt, bietet sie nicht. Die vollständige Diadosis, samt ihrer Auflösung, wird im Kontext meiner Edition berücksichtigt. 18 So u.a. Arnold 1991, 192; Strasser 1988, 45. 19 Vgl. Strasser 1988, 46-51. 20 Polygraphia fol. g 1v . Maximilian Gamer 126 Nachricht, bei der der Empfänger kein eigenes Exemplar zum Auflösen braucht. Der bedeutungstragende Buchstabe steht immer an der zweiten Position: a Baldach / b Abrach / c Ecorach. 21 Trithemius gibt tendenziell der Steganographie als Prinzip den Vorzug gegenüber der Kryptographie. Für ihn folgt dies wohl aus der Beobachtung, dass die kryptographische Buchstabensubstitution oder Transposition erkennbar und mit genügend Aufwand letztlich immer zu entschlüsseln ist - eine vergleichsweise moderne Beobachtung, auch wenn sie ihn in ihrer Konsequenz tendenziell von der Kryptographie wegbewegt. 22 Dennoch widmet er sich in den letzten beiden Büchern (V und VI) der Polygraphia dem Substitutionsverfahren, sei es mit regulären lateinischen Buchstaben oder fremden Alphabeten. Sein bleibender Beitrag zur Entwicklung der Geheimschrift wird heute in Buch V gesehen. Es handelt sich um eine eigenständige Weiterentwicklung der Caesar-Chiffre, dem für Antike und Mittelalter maßgeblichen Verfahren, das von Sueton und Gellius tradiert wird. 23 Die Buchstaben der Nachricht im Klartext werden hier durch Buchstaben eines anderen, nichtlateinischen Alphabets ersetzt oder im lateinischen Alphabet um eine festgelegte Position transponiert. Trithemius erweitert dieses traditionelle monoalphabetische Substitutionsverfahren, in dem jedem Buchstaben ein einzelnes Äquivalent zugeordnet wird, zu einem progressiv polyalphabetischen, in dem jeder Buchstabe durch eine festgelegte Abfolge von Äquivalenten ersetzt wird. 24 Es ist einer der frühen Versuche, die Anfälligkeit des „Caesar“ für die Lösung durch statistische Häufung zu brechen. Er veranschaulicht und setzt dies um mit Hilfe der tabula recta und der tabula auersa. In ein Quadrat ge- 21 Ebd. fol. k 6v . 22 Explizit aber nur in der Druckfassung: Polygraphia, fol. o 1r : Qui quidem nunciandi modus & si multipliciter sit securus, semper tamen intuentibus habetur suspectus: quia mox ut literarum cernitur transpositio, qui curiosus est aliquid sub eis latere protinus suspicatur. Ähnlich bereits auf fol. a 6v . Genauere Angaben zur Kryptoanalyse macht Trithemius nicht. Direkte Anweisungen zur Kryptoanalyse für und in Latein finden sich vor 1500 lediglich bei Leo Baptista Alberti, De componendis Cifris - entstanden 1466 oder Anfang 1467, ediert bei Meister 1906, 125-141, und Cicco Simonetta, der 1474 dreizehn einfache Dechiffrierregeln aufstellte, ediert bei Meister 1902, 61-63. Zu Simonetta siehe Buonafalce 2008. 23 Suet. Aug. 88 aber auch schon Suet. Iul. 56; Gell. 17, 9, 1-5. 24 Die Renaissance-Nomenclatoren der diplomatischen Praxis ordnen zum Teil einzelnen Buchstaben des Klartextes mehrere Zeichen zu, deren Streuung allerdings vom Nutzer selbst zu bewerkstelligen ist. Trithemius‘ Arbeit zielt dahin, diese stärkere Verwürfelung bereits im Verfahren selbst zu verankern. Ernst 1996, 156, und Reed 1998, 314 erkennen in Buch III der Steganographia einen Entwicklungsschritt von den einfachen monoalphabetischen Substitutionen in Buch II der Steganographia zu der faktisch polyalphabetischen Substitution in Buch V der Polygraphia. Die Polygraphia des Johannes Trithemius 127 schrieben ändert sich die Verschiebung der transponierten Alphabete pro Position um jeweils +/ - 1, wobei er dem Nutzer im orchema auch nahelegt selbst andere Abstände zu wählen. 25 Recta transpositionis tabula. a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u x y z w b c d e f g h i k l m n o p q r s t u x y z w a c d e f g h i k l m n o p q r s t u x y z w a b d e f g h i k l m n o p q r s t u x y z w a b c e f g h i k l m n o p q r s t u x y z w a b c d f g h i k l m n o p q r s t u x y z w a b c d e g h i k l m n o p q r s t u x y z w a b c d e f h i k l m n o p q r s t u x y z w a b c d e f g i k l m n o p q r s t u x y z w a b c d e f g h k l m n o p q r s t u x y z w a b c d e f g h i l m n o p q r s t u x y z w a b c d e f g h i k m n o p q r s t u x y z w a b c d e f g h i k l n o p q r s t u x y z w a b c d e f g h i k l m o p q r s t u x y z w a b c d e f g h i k l m n p q r s t u x y z w a b c d e f g h i k l m n o q r s t u x y z w a b c d e f g h i k l m n o p r s t u x y z w a b c d e f g h i k l m n o p q s t u x y z w a b c d e f g h i k l m n o p q r t u x y z w a b c d e f g h i k l m n o p q r s u x y z w a b c d e f g h i k l m n o p q r s t x y z w a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u y z w a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u x z w a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u x y w a b c d e f g h i k l m n o p q r s t u x y z Es ist keine echte Lösung des Problems, da sich die genutzten Alphabetreihen zyklisch wiederholen, verbessert die Situation aber zumindest bei kurzen Nachrichten. Die Idee der tabulae wird von nachfolgenden Autoren aufgegriffen und gilt als Trithemius’ bleibender Beitrag zur Entwicklung moderner 25 Trithemius, Polygraphia, fol. p 2r (fälschlich fol. o 2r ). Die tabula recta ebd. fol. o 2r ; die tabula aversa ebd. o 2r . Maximilian Gamer 128 Kryptographiesysteme. 26 In der clavis zur Polygraphia gibt Trithemius ein Beispiel für die Vorgehensweise der progressiv polyalphabetischen Substitution: Verum ut ordinem uideas, ponamus exemplum. Hxpf gfbmcz fueib gmbt gxhsr ege rbd qopmauwu wfxegk ak tnrqxyx. Huius mystici sermonis sentetia est. Hunc caueto uirum, quia malus est, fur, deceptor, mendax et iniquus. 27 Damit du aber die Anordnung siehst, wollen wir ein Beispiel geben: ‚Hxpf gfbmcz fueib gmbt gxhsr ege rbd qopmauwu wfxegk ak tnrqxyx.’ Die Bedeutung dieses mystischen Satzes ist: ‚Hunc caueto uirum, quia malus est, fur, deceptor, mendax et iniquus.’ - Hüte dich vor diesem Mann, weil er schlecht ist, ein Dieb, Betrüger, Lügner und ungerecht. Das von Trithemius gegebene Beispiel veranschaulicht dabei über seine Erläuterungen hinaus, wie er sich die Anwendung vorstellt. Der Beispielsatz Hunc caueto uirum, quia malus est, fur, deceptor, mendax et iniquus umfasst, die Leerzeichen nicht mitgezählt, 53 Buchstaben und zeigt so zwei Übergänge zwischen den einzelnen tabulae, die ja nur 24 Buchstaben umfassen. Nach der tabula recta lässt sich Hxpf gfbmcz fueib gmbt gxhsr in hunc caueto uirum, quia malus auflösen. Trithemius macht verschiedene Vorschläge, wie der Nutzer die Sequenz der Transpositionen anordnen mag: Zyklisch, am Ende der Tabelle wieder vorn einsetzend, nach Art eines Boustrophedon, oder indem man verschiedene Tabellen aneinanderfügt. Im vorliegenden Fall zeigt er letzteres. Die Transposition wandert zuerst durch die tabula recta, dann durch die gegenläufige tabula aversa, in der sowohl die Richtung der Bewegung durch das Alphabet umgekehrt ist, als auch die Verschiebung der Zeilen, die nun negativ um -1 durchgeführt wird. Geht man nach dem Drucktext, ist zwischen beiden tabulae eine Klarzeile zu ergänzen, bevor ge rbd qopmauwu wfxegk ak tnr, nach der tabula aversa zu est, fur, deceptor, mendax et inigelöst wird. Das Ende der Chiffre qxyx für -quus schließt den Kreis zur tabula recta zurück. Zumindest in dieser sehr kurzen Musterchiffre ist die Verwürfelung wesentlich stärker als dies bei einem konventionellen „Caesar“ der Fall wäre. Die Kryptoanalyse wird dagegen durch die Wortabstände vereinfacht. Ob sich Trithemius dieses Problems bewusst war und er die Abstände nur zum leichteren Verständnis des Lesers setzte, ist leider nicht ersichtlich. Das sechste und letzte Buch umfasst zunächst eine Vorstellung einiger „historischer“ Schriftsysteme, in erster Linie vorgeblich germanisch-fränkischer Herkunft. Trithemius teilte die Ansicht der sodalitas litteraria rhenana über die Verwandtschaft des griechischen mit dem deutschen und stellt hier entsprechende Bezüge an. Folgend befasst er sich dann mit der Darstellung von Zahlen. 28 Das Bindeglied ist dabei die alphanumerische Darstellung der 26 Mendelsohn 1940. 27 Polygraphia, fol. B 4r -B 2v . 28 Trithemius teilt die Nationalbegeisterung der ersten deutschen Humanistengeneration. Vgl. dazu die epistola Proëmialis des zweiten Bands der Annales Hirsaugienses Bd. 2, 5-8. Die Polygraphia des Johannes Trithemius 129 griechischen, milesischen Zählweise. Das sechste Buch steht so von den vorhergehenden anleitenden Büchern ab. Es ist sowohl eine astrologische wie auch exemplarische Schriftgeschichte und „ein zeitgenössischer Beitrag zur Arithmetikdebatte“. 29 Abschließend wendet sich der Fokus den Zahlenchiffren zu. Für den Vergleich der Handschriften und der Druckfassung zeigen sich nun zuerst einige strukturelle Differenzen. Die Handschriften stellen dabei eine in sich hinreichend geschlossene Gruppe dar, sodass sie dem Druck geschlossen als Fassung gegenübergestellt werden können. Die Abweichungen betreffen die Anordnung der Texte, Ergänzungen innerhalb des Textbestands der Polygraphia und Elemente die zu beiden Fassungen gehörig scheinen, aber nur im Druck überliefert sind. Zur Anordnung: Im Druck wurde das Kapitel zur alphanumerischen Darstellung von Zahlen im Lateinischen vorgezogen und bildet dort einen Anhang an die Buchstabentransposition in Buch V - auch wenn dadurch der Übergang von der Schriftgeschichte zu den Zahlenchiffren in Buch VI seiner Überleitung beraubt wird und daher sehr abrupt erscheint. An Ergänzungen finden sich innerhalb der Polygraphia neue Kapitel, die keinen Vorläufer in den Handschriften haben. Bei den einleitenden Texten zwischen pinax und Buch I eingefügt Quae sint huius operis nostri polygraphiæ causæ, simul & utilitates. 30 In Buch VI findet sich als separates Kapitel ein Exkurs zu den tironischen Noten De notis et mirabili modo sed nimis laborioso scribendi M.T. Ciceronis, & post eum sancti Cypriani episcopi & martyris. 31 In die Schriftgeschichte eingebettet werden hier auch erstmals Beispiele einiger Noten abgedruckt. Eine eigene Stellung innerhalb der nur im Druck überlieferten Texte nimmt die clavis ein. Trithemius weist an anderer Stelle mehrfach auf die Existenz einer clavis polygraphiae als separates Werk, zeitgleich zu den Handschriften ab 1508 hin. Bekannt ist aber nur die dem Druck beigebundene Fassung, die stellenweise auf die Veränderungen des Drucks angepasst wurde, ebenso oft aber auch nicht, wie etwa bei dem verschobenen Kapitel der alphanumerischen Zahlennotation. Die clavis macht diese Verschiebung nicht mit, die Erklärungen zu den Zahlendarstellungen verbleiben in den Ausführungen zu Buch VI. Dasselbe gilt für die oben zitierte Anleitung zur Buchstabentransposition. Folgt man hier den Tafeln des Drucks, müsste am Ende der tabula recta eine Zeile ohne Transposition ergänzt werden um das fehlende erste e in ege zu erhalten. In den expansiones zu den tabulae in den Handschriften ist diese Zeile vorhanden - das Beispiel also ohne Modifikation ausführbar. 32 29 Ernst 1996, 131. Entsprechende Experimente finden sich bereits in italienischen Handschriften des 12. Jahrhunderts, vgl. Burnett 1988. 30 Polygraphia, fol. b 4r -b 5r . 31 Polygraphia, fol. q 6r -r 1r . 32 Polygraphia, fol. o 5r ; Wien, Cod. 3308 fol. 231 r . Maximilian Gamer 130 Nachdem ich hier einige formal-textstrukturelle Unterschiede zwischen den beiden Fassungen der Polygraphia aufgezeigt habe, möchte ich nun auf die stilistischen Unterschiede zwischen beiden Textfassungen eingehen. Hierfür bietet sich die præfatio an. Sie behält im Druck die Textstruktur des handschriftlichen Vorläufers bei und ermöglicht so eine synoptische Lesung. Zudem fallen in keinem anderen der textuellen Bestandteile die Variationen und Änderungen so ausgeprägt aus wie hier. Wie anfangs erwähnt, kann man sie historiographisch-apologetisch auffassen, womit sie sich vom praxisorientierten restlichen Werk deutlich abgrenzt. Zunächst bietet sie über die Historiographie eine Hinführung zum Thema: LEgimus complures ueterum sapientes, philosophos, reges & principes, olim uarios atque multiplices excogitauisse modos, quibus nunciis suis ad loca remotiora mittendis tuto committerent arcana consilii, & quicquid mysterii confidendum occurrisset secreti: quo fierent in perferendis idonei, atque ab omni prauorum incursione securi, ne uel simplicitas cabalisticorum denudaret mysterium, uel bacuceorum innata curiositas apostolicis rebus inferret detrimentum. 33 Wir lesen, dass viele der Weisen, Philosophen, Könige und Fürsten der Alten einst verschiedene und vielfältige Methoden erdacht haben, denen sie ihre Staatsgeheimnisse und alles, was sich an verdeckten Geheimnissen zum vertraulichen Übermitteln anbot, anvertrauten, wenn sie ihre Boten an weit entfernte Orte schickten. Sie waren so für das Überbringen geeignet und vor allen unbefugten Eingriffen sicher, damit weder die Einfalt der Schreibenden das Geheimnis enthülle, noch die angeborene Neugier böser Geister den Angelegenheiten der Ausgesandten Schaden zufügt. Mit dieser Einleitung beginnt der erste Versuch eines chronologischen Abrisses der Geheimschrift. In der Manier seiner Schriftstellerverzeichnisse werden die mehr oder weniger konkret ausgeführten Varianten und Möglichkeiten an mutmaßliche oder tatsächliche Erfinder angeknüpft: Kaiser Augustus, Archimedes, Cicero, Cyprian, Karl der Große, Beda Venerabilis und zuletzt Matthias Corvinus als Beispiel aus der Zeit des Autors. Nicht für jeden dieser antiqui führt Trithemius die dazugehörige Leistung anschaulich oder gar nachvollziehbar aus. Dies gilt hier für Karl den Großen, dessen Nennung mehr topisch als informativ ist, und Matthias Corvinus, dessen Vermerk gerade in der handschriftlichen Fassung den Charakter einer Information vom Hörensagen hat. Die Funktion dieser historiographischen Einführung liegt so wohl nicht nur in der Rekonstruktion, sondern in der Vorbildfunktion gemäß Trithemius’ Geschichtsverständnis ex imitatione veterum semper in melius proficere, wie er es in seinen Überlegungen zur Geschichtsschreibung im Vorwort 33 Polygraphia, fol. a 5v . Die Polygraphia des Johannes Trithemius 131 zu den Annales Hirsaugienses darlegt. 34 Diesem Gedanken folgt auch die Einleitung der Polygraphia. In der handschriftlichen Fassung steht entsprechend Veterum imitacione principum iuniores ad maiora paulatim ascenderunt. 35 Aber auch in der Gewichtung von paganen zu christlichen Erfindern zeigt sich dieses Geschichtsverständnis. Trithemius’ Renaissance ist eine christliche, und so ist sicher auch die ausgleichende Präsenz der christlichen Beiträger mitzuverstehen. 36 Neben der Vorbildfunktion befreien sie das gewählte Thema vom selbstverschuldeten Verdacht der Anstößigkeit und der Dämonenmagie. Im Vergleich mit dem arkanen Anschein der Steganographia, den Missverständnissen und Anfeindungen, die er mit sich bringt, und den im Briefkorpus gestreuten dunklen Andeutungen wirkt die Polygraphia nun zunächst tatsächlich nüchterner und „wissenschaftlicher“. Dies ist zumindest bei der allgemein beachteten Druckfassung der Fall. Allerdings ist dieser Eindruck nur bedingt haltbar, zieht man zusätzlich die ältere Trithemius zweifelsfrei zuzuordnende und in sich übereinstimmende handschriftliche Überlieferung hinzu. Die Widmungshandschrift für Kaiser Maximilian, Wien Cod. 3308, die eingeschränkt stellvertretend für die handschriftliche Überlieferung stehen kann, zeigt etwa ein bereits im ersten Satz abweichendes Bild: 37 LEgimus complures ueterum sapientes philosophos reges atque tyrannos multiplices et varios olim excogitauisse tractatus quibus angelis tuto coniungerent spiritus in ministerium archanorum pro qualibet necessitate voluntarios: ne magnarum conatus virium simplicitate angelorum lucis. in detrimentum reipuplice. cacodemonum prauitate notarentur. 38 Wir lesen, dass viele der Weisen, Philosophen, Könige und Herrscher der Alten einst vielfältige und verschiedene Handhabungen erdacht haben, durch die sie gefahrlos Geister, die zum Geheimdienst bereit waren, mit Boten als Bereitwillige für eine beliebige Notwendigkeit verbinden konnten, damit nicht die mit großen Anstrengungen verbundenen Unternehmungen durch die Zugänglichkeit der Boten des Lichts durch die Boshaftigkeit der üblen Geister zum Schaden des Staates bekannt würden. Trithemius setzt in der Polygraphia zunächst den arkanen Stil der Steganographia fort. Die Neuerung besteht zunächst nur in der angesprochenen historiographisch-apologetischen Funktion der eingangs genannten Vorbilder, in der Sprache schlägt sich vorerst kein erkennbares Abweichen von seiner früheren 34 Trithemius, Annales Hirsaugienses Bd. 1, fol. A 3r . 35 Wien, Cod. 3308, fol. 3 v . 36 Vgl. Arnold 1991, 134. 37 Für die hier und im Folgenden zitierten Passagen der Widmungshandschrift liegen keine bedeutungsändernden Varianten in der weiteren handschriftlichen Überlieferung vor. 38 Wien Cod. 3308, fol. 2 r . Maximilian Gamer 132 Haltung nieder. Der lateinische Text der Handschriften lebt von der Mehrdeutigkeit entscheidender Begriffe, die sich im Deutschen leider nur unzureichend nachbilden lässt. Der Übersetzer wird so zur Entscheidung zwischen einem, wohl intendierten, dunklen Text oder einem interpretierend-auflösenden gestellt. Auf diese Mehrdeutigkeit, gerade in Trithemius’ Verwendung von spiritus weisen bereits die Apologeten der Steganographia ab dem 17. Jahrhundert hin. 39 Im Kontext lässt sich spiritus hier als Buchstaben, Zeichen oder auch Laut lesen. Die anderen Begriffe sind einfacher zu verstehen, so bezeichnet angelus nicht das himmlische Wesen, sondern einfach den Boten und die cacodæmones schlicht die unbefugten Interceptoren einer Nachricht. Trithemius selbst rechtfertigt eine solche Verfremdung der Sprache an verschiedenen Stellen, so auch in der Polygraphia selbst, wobei die handschriftliche Fassung deutlicher ist: Quisquis uero ea condemnare voluerit: ipse sibi testis est quod eorum intelligenciam non accepit. Sana enim et pura sunt omnia: solum ad sepiliendum mysterium aliena est facies superducta: quatenus archana operis et doctis studiosisque fiant peruia: et indignis blatteronibus semper maneant occulta. 40 Wer dies aber verurteilen will, ist sich selbst Zeuge, dass er deren Konzepte nicht verstanden hat. Rein nämlich und makellos ist alles - nur um das Geheimnis zu überdecken, ist ihre Gestalt fremdartig ü̈berformt worden, weil sich doch die Geheimnisse des Werkes einerseits dem Gelehrten sowie dem Adepten erschießen sollen und andererseits vor den unwürdigen Schwätzern immer verborgen bleiben sollen. Die okkult anmutenden Formulierungen sollen demnach das Verständnis auf den würdigen Leser und Nutzer beschränken. Trithemius vertritt die Ansicht, dass die Geheimschrift, insbesondere die Steganographie, sündhafte Menschen zu schlechten Taten verleitet und entsprechend keinem weiten Kreis zugänglich sein sollte. 41 Trotz solcher Vorbehalte erscheint die Polygraphia postum im Druck, wobei das okkulte Bild zudem noch weiter entzerrt wird, ganz als ob sie einem weiteren Leserkreis so vor Augen führen solle, dass die Anschuldigungen gegen den Benediktinerabt haltlos sind. Diese Divergenz zwischen fremdartig überformtem und entzerrtem Bild fällt dabei für die Behandlung von Cicero besonders stark aus. Als letzter der drei paganen Vertreter, die für Trithemius Erwähnenswertes auf dem Feld der Geheimschrift geleistet haben, ist er mit den tironischen Noten verknüpft, deren Erfindung 39 So beispielsweise Caramuel 1679, 63: Notas, quæ monent, quo modo sunt scripti characteres legendi, Spiritus voluit vocare. Ergo, si Græco sic accipere vocem Spiritus licuit cur non licebit id & Latino, & Germano. Sunt ergo in Steganographia Spiritus, quæ in Polygraphia, & apud Authores, qui de Ciphra scripserunt, passim vocantur Claves. 40 Wien Cod. 3308, fol. 4 v . 41 So u.a. in der præfatio der Steganographiæ, fol. ): ( 2v : ne hoc magnum secretum [Steganographiæ], in aures uulgarium imperitorum, aut prauorum hominum perueniat. Die Polygraphia des Johannes Trithemius 133 Trithemius ihm zuschreibt. Als Vorbesitzer der Kasseler Handschrift 2° Ms. philol. 2, einem karolingischen Verzeichnis der Noten hat er ein relativ genaues Verständnis von der Funktionsweise der notae, die allerdings bereits im verständlicheren Druck nur einem ebenfalls flüchtig mit den notae Vertrauten nachvollziehbar bleibt: 42 Marcus Tullius Cicero facundus orator, ingenio usus & arte, phraseos minutias commutauit in signa, & thelematos sui philergiam siue characterem pro usitata phrasi locauit. Tanta uero in hac ipsa nouitate usus est copia, ut rebus pene cunctis in mundo, eius sufficere possit inuentio. His autem mysteriorum prænunciatoribus artis institutio mirandam contulit agilitatem, ut præter naturam omnium solidis utantur gressibus pedum: & non per minutias uel momenta, sed gradibus integris bonæ magistri subseruiant uoluntati. Quorum rex tutissime uti semper potest obsequio, quamuis non sine magno labore, manifestaque bucaceorum suspicione. 43 Marcus Tullius Cicero, der talentierte Redner, gebrauchte seinen Verstand und seine Kunstfertigkeit und wandelte die Kleinteile des Satzes in Zeichen und damit die Schaffenskraft seines Geistes, oder er stellte ein Kürzel anstelle des normalerweise gebrauchten Satzes. Er gebrauchte aber in dieser Neuerung eine so große Menge, dass seine Erfindung für fast alle Dinge der Welt ausreichen konnte. Die Unterweisung der Kunst aber brachte diesen Propheten der Geheimnisse bewundernswerte Geschwindigkeit, so dass sie über die natürliche Art aller anderen hinaus feste Schritte machen und nicht durch Kleinigkeiten oder Bewegungen, sondern in ganzen Schritten dem guten Willen des Lehrers dienen. Ihr König kann immer besonders sicher die Gefolgschaft gebrauchen, wenn auch nicht ohne große Mühe und ohne offensichtlichen Verdacht der bösen Geister. Trithemius steht mit am Beginn der modernen Forschung an den notae. In der Überlieferung des Drucks finden sich zu diesen noch weitere Materialien, wie etwa das bereits angesprochene, gesonderte Kapitel zu den Noten in Buch VI und weiterem in der clavis. Es sind neben den Beispielen vor allem zwei anekdotische Berichte: Wie der Autor in den Besitz seines Verzeichnisses, des heutigen Codex Casselanus kam und dass er in der Bibliothek des Straßburger Münsters einen in tironischen Noten geschriebenen Psalter gesehen habe. 44 Das Kapitel zu Noten führt zudem etwas deutlicher aus, was bereits im obenstehenden Teil der præfatio deutlich wird: Trithemius hat ein vergleichsweise genaues Verständnis von der Funktionsweise und Systematik der Noten. 45 Zunächst weiß er, dass es sich im eigentlichen Sinn nicht um ein Kryptographie-, sondern um ein Stenographiesystem handelt, das seinem Adepten eine 42 Zu Trithemius und 2° Ms. philol. 2 vgl. Bronzinski 1988. 43 Polygraphia, fol. a 5v . 44 Das Psalterium notis Tironicis conscriptum: Wolfenbüttel, 13. Aug. 4 to . 45 Polygraphia, fol. q 6r -r 1r , A 3r -A 3v Maximilian Gamer 134 wirklich bewundernswerte Geschwindigkeit beim Festhalten von Information verleiht. Dies lässt sich zwar bereits Isidor entnehmen, der die notae vulgares von den Geheimschriften, de notis litterarum, gesondert behandelt. 46 Eine eigene Beobachtung Trithemius’ aber ist, dass sie sich in Zeichen für einzelne Buchstaben oder Lautzeichen, per minutias uel momenta, und Zeichen für Worte oder häufige Junkturen, gradibus integris, unterscheiden lassen. Auch die ursprüngliche, stärker verdunkelte Fassung der Handschriften, gibt diese Informationen. Allerdings bietet sie dem Leser nicht mehr die Möglichkeit der Doppeldeutigkeit für seine Verständnisebene. Er muss nun bereits im Voraus wissen, was gemeint ist, sonst wird ihm Cicero gänzlich zum Nekromanten: Marcus tullius cicero romanus orator ingeniosissima usus adinuencione. quo iter suis et tutum pararet et compendiosum ad omnia clymata mundi. maximam spirituum multitudinem sibi fecit esse familiarem: quos ab inferis auctoritate propria suscitauit. His miram natura contulit agilitatem. ita ut preter consuetudinem ceterorum omnium spirituum. non per momenta neque minuta: sed per gradus integros et horas ducatus sui perfecte implerent officium. Eorum fuit vniuersum perlustrare imperium: et sub peregrino schemate ministerium facere domesticorum: Nemini autem prestabant obsequium: nisi quem preceptoris fecisset institucio dignum. 47 Der römische Redner Marcus Tullius Cicero gebrauchte eine besonders geniale Erfindung, durch die er den Seinen den Weg in alle Gegenden der Welt sicher und abgekürzt gestaltete. Er machte sich eine sehr große Menge an Geistern dienstbar, die er durch seinen eigenen Willen aus der Unterwelt beschwor. Diesen übertrug er eine in der Natur bewundernswerte Beweglichkeit, so dass sie entgegen der Gewohnheit aller übrigen Geister nicht für Augenblicke oder Minuten, sondern für ganze Zeitabschnitte und Stunden die Aufgaben ihres Befehlshabers vollständig erfüllten. Ihnen war es gegeben, das ganze Reich zu durchwandern und unter fremdartigem Aussehen die Aufgabe der Diener zu versehen. Niemandem aber waren sie Gehorsam schuldig, außer demjenigen, den der Unterricht eines Lehrers würdig gemacht hatte. In dieser Fassung finden sich die gleichen Elemente zur Definition der notae in allerdings anderer Form: Durch ihre bewundernswerte Beweglichkeit als Stenographie aufzufassen ist ihre Unverständlichkeit für Laien zunächst ein, in diesem Fall begrüßtes, Nebenprodukt. Auch hier sind die Noten in Zeichen für einzelne Buchstaben oder Lautzeichen, per momenta neque minuta, und Zeichen für Worte oder häufige Junkturen, per gradus integros et horas, unterschieden. Ein der Noten Unkundiger würde aber kaum auf den Gedanken kommen die spiritus als Zeichen aufzufassen, die aus der Unterwelt beschworen werden. 46 Isid. orig. 1, 22, ebd. 1, 25. 47 Wien Cod. 3308, fol. 2 v . Die Polygraphia des Johannes Trithemius 135 Für das weitere Schicksal der notae nähern sich die beiden Fassungen mit der essentiell gleichen Aussage wieder aneinander an: Cyprian von Karthago habe in Kenntnis von Ciceros Erfindung diese der Nutzung durch die Kirche zuführen wollen und für den christlichen Gebrauch erweitert. Wahrscheinlich ist dies eine Fehldeutung von Trithemius, da Cyprian in der Tradition der notae nicht belegt ist. 48 Die Modifikationen zwischen den beiden Fassungen der Polygraphia gehen aber über die Neugestaltung eines ansonsten stabilen Textbestandes hinaus. Wie bereits angesprochen, werden Passagen und ganze Kapitel verschoben und neue eingefügt. Für die præfatio führt dies zu einem gewaltigen Textzuwachs. Der Umfang des Drucks ist um mehr als das doppelte, etwa 225% angewachsen. Der kleinere Teil dieses Zuwachses erklärt sich durch Ergänzungen der Historiographie. Zu den ursprünglichen sieben Vertretern und Vorbildern kommen nun noch zwei historisch / mythologische Vertreter der fränkischen Geschichte, Faramund und Chlodio hinzu, wobei der ihnen unterstellte Beitrag nicht weiter ausgeführt wird. 49 Ebenso halten die Normannen als gens und nicht mit einem exemplarischen Vertreter Einzug in die Aufzählung. Der wesentliche Zuwachs findet sich aber im apologetischen Teil. In der handschriftlichen Fassung führt Trithemius zunächst aus, dass er die Polygraphia herausgebe, damit nicht alles (was er in seinen Studien und der Arbeit an der Steganographia erarbeitet hatte) mit ihm zu Staub werde, und hofft, dass der Leser sich nicht über die Nennung der spiritus verwundert zeige. Zur weiteren Rechtfertigung folgen der obenstehende Einschub zur Überformung der Sprache und zuletzt ein Verweis auf seine Orthodoxie. 50 Aufgrund der negativen Entwicklung der Debatte um die Steganographia und die begleitend außer Kontrolle geratenden Gerüchte und Anschuldigungen, wurde nach der Veröffentlichung von 1508 eine detaillierte Apologie notwendig. Nachvollziehbar ist dabei der Konflikt mit Charles de Bovelles. In einem an den mit Trithemius befreundeten Germain de Ganay adressierten Brief berichtet Bovelles über sein Zusammentreffen mit Trithemius in Sponheim und seine Enttäuschung: quem tamen reperi magum nulla philosophie parte insignem - „einen Magier, durch keinerlei Wissenschaft ausgezeichnet“. Vor dem Hintergrund des Bostius-Briefes beurteilt er die dortigen Versprechungen mit dem, was er von der Steganographia in Sponheim gesehen hatte. 51 Verbreitung findet diese harsche briefliche Kritik im Rahmen eines Sammeldruckes verschiedener Abhandlungen Bovelles’, der 1510 in Paris erschien und in der Auswahl 48 Mentz 1941, 293; Watson 1897; Lindsay 1899. 49 In Wien Cod. 3308, fol. 245 v findet sich in Buch VI ein normannisches ‚Runenalphabet’ sowie ein alphabetum regis pharamundi. Ansonsten vgl. Trithemius’ Compendium de origine gentis & Regum Francorum, 34-35. 50 Wien Cod. 3308, fol. 4 r -4 v . 51 Glauburg 1550, fol. c 3r -c 4r ; Bovelles 1970, fol. 172 r -172 r . Maximilian Gamer 136 abgedruckter Briefe auch diesen mit einschließt. In den nach 1508 entstandenen Werkverzeichnissen Trithemius’ findet sich daher unter abweichenden Titeln eine dedizierte Verteidigungsschrift gegen Bovelles. 52 Diese ist nicht erhalten, aber der biographische Teil des Chronicon Sponheimense beschreibt die Ereignisse im Eintrag für das Jahr 1499 - den Besuch Bovelles‘ in Sponheim. 53 In die Druckfassung der Polygraphia wurde die ausführlichste Darstellung eingefügt. Sie skizziert das Bekanntwerden des Bostiusbriefes, attackiert Bovelles als Neider und Lügner und verwahrt sich konkret gegen dessen Schreiben an de Ganay. Der Hinweis auf die Verdunklung der Sprache zum Schutz der Erfindung und die Beteuerung der Orthodoxie des Autors wurden für die Apologie aus der handschriftlichen Fassung beibehalten, aber umgestaltet. 54 Wie hier exemplarisch aufgezeigt wurde, liegt die Polygraphia in zwei formal, wie auch stilistisch voneinander abweichenden Fassungen vor, nämlich in der früheren, Anfang 1508 abgeschlossenen handschriftlichen und in der späteren Fassung für die breitere Publikation im Druck. Die Unterschiede betreffen dabei in erster Linie Sprache und Stil, in geringerem aber immer noch weitgreifendem Maße den Textbestand. Nicht berührt von Änderungen, soweit es die Funktionsweise angeht, sind die beschriebenen Techniken und Prozesse zur Geheimschrift. Sogar an Stellen, wo ein scheinbarer Wechsel von Magie zu Technik vorliegt, handelt es sich primär um eine Frage des Ausdrucks, möglicherweise im Zusammenhang mit dem Zielpublikum der jeweiligen Fassung, und nicht um einen Wechsel eines magischen zu einem technisch prozessorientierten Weltbild. Schrift ist, wenn auch verklausuliert dargestellt, in beiden Fassungen ein durch menschliche Erfindungsgabe geschaffenes Medium. Eine an die Beobachtung der divergierenden Fassungen anschließende Frage ist nun die der Urheberschaft. Die Handschriften - drei davon (teil)autograph - sind zweifellos Trithemius selbst zuzuordnen. Der Druck erscheint zehn Jahre nach der Dedikation der Polygraphia, etwa zwei Jahre nach Trithemius’ Tod. Von arkanen Anspielungen weitgehend bereinigt, sachlicher, verständlicher und direkt apologetisch, ist er gewissermaßen der ultimative Nachweis der Unschuld gegen die Anschuldigungen der Magie und des Dämonenglaubens des Autors. An der Materie selbst zeigt die Druckfassung eine vergleichsweise einfache, verständliche Umsetzung, fernab von Magie und Unorthodoxie - für das weitere Publikum einer Drucklegung. Ist diese deutlich „modernere“ Fassung aus der Feder eines Autors, der nach Arnold 52 Polygraphia, fol. a 4v -r 1r ; Trithemius, Annales Hirsaugienses Bd. 2, 693-694; Arnold 1991, 255. 53 Trithemius, Chronicon Sponheimense, 410-411; eine weitere Apologie ist im Nepiachus, 1829-1831 erhalten. 54 Polygraphia, fol. b 1r -b 2r . Die Polygraphia des Johannes Trithemius 137 „bei allen aktuellen Bezügen alleine aus dem Mittelalter zu verstehen ist“? 55 Für eine Antwort auf diese Frage lassen sich zunächst nur Indizien ins Feld führen. Zunächst: Der Druck erschien postum. In seinen anderen Schriften und Briefen findet sich kein Hinweis darauf, dass Trithemius seine Ansicht geändert hätte, dass Kryptographie und vor allem die von ihm höher geschätzte Steganographie für eine allgemeine Nutzung zu gefährlich seien, außer durch einige wenige, moralisch integre, weltliche und geistliche Größen zum Wohle der res publica. Unter diesem Gesichtspunkt scheint es unwahrscheinlich, dass Trithemius eine Veröffentlichung im Druck geplant haben sollte, zumal dieser die deutlich empfundene moralische Verantwortung relativiert. Werkzeuge sind nicht gut oder schlecht, Menschen führen sie einem entsprechenden Zweck zu: Nihil tamen propterea in eo continentur mali: cum bonis etiam rebus in malum abutantur peruersi - „Jedoch ist nichts Schlechtes in diesem enthalten, auch wenn schlechte Menschen gute Dinge zum Bösen missbrauchen“ 56 Viele der Modifikationen, die verständlichere Gestaltung, die „Entschärfung“ und die weitere Apologie ergeben vor allem im Rahmen einer intendierten weiteren Veröffentlichung Sinn. Ein weiteres Argument liefert die Einsicht in die handschriftliche Überlieferung. In den erhaltenen und bekannten Handschriften finden sich keine Anzeichen für eine Entwicklung oder Arbeit am Text, die hin zur Redaktion des Drucks führen würden. Dabei sind zwei vollständige Autographe erhalten: Die hier zitierte Widmungshandschrift Wien, Cod. 3308 von 1508 und Wolfenbüttel, Cod. 8. Aug. fol. Die Wolfenbüttler Handschrift fertigte Trithemius 1515 für Germain de Ganay an. Sie zeigt die deutlichsten Abweichungen von den anderen Handschriften. Es handelt sich zunächst um eine in großer Eile entstandene, personalisierte Kopie. So ist beispielsweise der Widmungsbrief an Maximilian durch ein Schreiben an de Ganay ersetzt. 57 Trotzdem finden sich keinerlei Spuren einer dem Drucktext auch nur vergleichbaren Entwicklung. Dieses zweite Autograph lässt sich durch das eingebundene Begleitschreiben auf den Juni 1515 datieren, Trithemius verstarb im Dezember 1516. Eine Überarbeitung durch Trithemius selbst wäre also auf sein letztes Lebensjahr anzusetzen. Allerdings weist die überarbeitete Fassung einen nicht unerheblichen Bruch mit Trithemius‘ Denkweise auf. Ist dies plausibel? Ein kritischer Blick auf den Drucktext und seine Erweiterungen zeigt kaum wirklich Neues auf. Die übernommenen Stellen sind vom arkanen Anschein weitgehend gereinigt, die an Information ergänzten Passagen lassen sich in vergleichbarer Vorlage weitgehend im trithemianischen Korpus lokalisieren. Auch wenn der Text durch die Umarbeitung verständlicher geworden ist, fehlt zumeist noch das nötige Vokabular, um technische Vorgänge präzise zu bestimmen und zu beschreiben. Es ist also 55 Arnold 1991, 227. 56 Polygraphia, fol. b 2r . 57 Für den Brief an de Ganay siehe Arnold 1972, 203-204. Maximilian Gamer 138 gut möglich, dass der Drucktext für die Veröffentlichung nicht von Trithemius sondern von einem Dritten überarbeitet wurde. Sollte dies der Fall sein, so ist die Detailliebe des unbekannten Editors, der unter Wahrung der ursprünglichen Ideen so stark in den Text eingegriffen hat, aufrichtig zu bewundern. Die aufgeworfene Frage der Verantwortung für die Druckfassung bleibt zunächst offen und der Druck der Polygraphia ein „Pseudotrithemius“. Eine genaue Bewertung des Editors der späteren Fassung kann erst im Rahmen des genauen und vollständigen Vergleichs beider Fassungen, den ich im Rahmen meiner Dissertation erarbeite, erfolgen. Ungeachtet der Frage nach der Urheberschaft stellen die so dicht, innerhalb von zehn Jahren aufeinanderfolgenden Fassungen ein faszinierendes Zeugnis einer Entwicklung in der Präsentation eines an sich technischen Inhalts dar. Während das Zielpublikum zunächst auf einen elitäreren Zirkel beschränkt war und die wenigen Handschriften vor allem aufwändig gearbeitete Folioformate sind, ist die so stark veränderte Druckfassung klar an die weitere Verbreitung des Druckmediums angepasst. Für einen weiteren, aber immer noch höhergestellten, Leserkreis bemüht sich der ebenfalls luxuriöse Druck um eine verständlichere, technischere Darstellung der Möglichkeiten des geheimen Schreibens. Stellenweise bedarf sie dennoch einer zusätzlichen Erklärung, doch insgesamt zeigen sich hier Information und damit auch die Apologie des Verfassers wesentlich offensiver: Ein deutlicher Schritt in Richtung Moderne. Literaturverzeichnis Academia Caesarea Vindobonensis (Hg.): Tabulae codicum manu scriptorum praeter graecos et orientales in Bibliotheca Palatina Vindobonensi asservatorum, Bd. 2. Cod. 2001 - 3500, Wien 1868. Arnold, Klaus: Ergänzungen zum Briefwechsel des Johannes Trithemius, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 83, 1972, 176-204. - Johannes Trithemius (1462-1516), Würzburg 2 1991 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23). - De viris illustribus. Aus den Anfängen der humanistischen Literaturgeschichtsschreibung: Johannes Trithemius und andere Schriftstellerkataloge des 15. Jahrhunderts, Humanistica Lovaniensia 17, 1993, 52-70. 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Sandrine de Raguenel (Strasbourg / Mulhouse) Johannes Trithemius - Paul Volz : entre autorité et querelle scientifique Question délicate s’il en est, l’explicitation des sources humanistes reste épineuse tant la « citation » revêt dans le discours humaniste un aspect protéiforme : de la citation explicite, avec l’ancêtre de notre note de bas de page, à la simple allusion renvoyant à une culture commune à l’auteur et au lecteur, les sources nous révèlent néanmoins le paysage intellectuel au sein duquel évoluait tel humaniste. Elles sont, à ce titre, précieuses dans la mesure où elles nous permettent d’appréhender quelles étaient les lectures des humanistes et, par là, de reconstituer leur bibliothèque et le terreau culturel commun qui avait cours à l’époque. Le discours humaniste se décline, dans le cas qui nous occupe, selon deux modalités. Les lettres familières humanistes, d’une part, étaient devenues le mode d’expression habituel de ceux qui se réclamaient de la République des lettres 1 ; d’autre part, il convient de signaler, à la suite de John F. D’Amico, l’importance des chroniques monastiques dans l’historiographie de la Renaissance. Cette seconde forme discursive révèle le nouvel intérêt que les humanistes portent à l’histoire : histoire ecclésiastique et histoire civile ne peuvent guère être dissociées jusqu’à la Réforme 2 . Il est dès lors opportun d’examiner comment s’y articule le discours humaniste. Nos travaux de doctorat nous ont conduite à mettre en lumière la personnalité de l’abbé Paul Volz, correspondant de Beatus Rhenanus 3 . C’est à travers cet homme et ses écrits, lettres et chronique, que nous souhaitons poursuivre notre réflexion sur la question des sources humanistes. 1. Paul Volz et ses sources Paul Volz 4 est un humaniste, originaire d’Offenburg dans l’Ortenau. Il fit profession à l’abbaye bénédictine de Schuttern, non loin d’Offenburg, avant 1495. 1 Voir d’une manière générale Vaillancourt 2003. 2 D’Amico 1988, 149. 3 Raguenel 2011. 4 Nous renvoyons ici à nos travaux, Raguenel 2011, vol. I, « Introduction et principes », pp. 4-7. Sandrine de Raguenel 144 Après des études à l’Université de Tübingen 5 , il fut élu abbé de Honcourt (Hugonis curia, Hügshofen), dans le Val de Villé en Alsace, en 1512 6 . Trois ans plus tard aux alentours de 1515, il rencontra Erasme et Beatus Rhenanus, qui résidaient alors à Bâle 7 . Volz prit une part active, en ces années-là, à la société littéraire de Sélestat, en compagnie de Jakob Wimpfeling et de Johannes Sapidus. A l’arrière-plan religieux, la Réforme de Luther, partie de Wittenberg en 1517, s’implantait de plus en plus en Alsace. Chassé de son abbaye par la guerre des Paysans en 1525 8 , l’abbé Volz rejoignit Strasbourg, devenue protestante, et, en 1528, se fit prédicateur évangélique. Il vécut à Strasbourg jusqu’à la fin de sa vie, le 6 juin 1544 9 . Ses dernières années furent marquées du sceau des divers bouleversements religieux qui secouaient le Rhin supérieur 10 . Grand érudit par ailleurs, il s’adonna à son goût prononcé pour l’histoire locale, la toponymie, la théologie et l’histoire de l’Eglise. Paul Volz est l’un des correspondants importants de Beatus Rhenanus, l’érudit sélestadien, avec vingt-deux lettres conservées, sur une période de vingt ans 11 . Elles sont les témoins d’une amitié active mais ne sauraient laisser dans l’ombre l’échange épistolaire entre Volz et Erasme lui-même, qui nous révèle la haute considération en laquelle le prince des humanistes tenait l’érudit abbé de Honcourt, ainsi que les autres lettres que Volz écrivit, notamment à Ulrich de Ribeaupierre, issu d’une illustre famille alsacienne 12 . Il est frappant de constater que les lettres de Volz à Rhenanus sont cousues de sententiae et de citations, tirées de trois sources principales : l’Ecriture, les auteurs antiques païens et chrétiens, les écrits érasmiens (essentiellement les Adages). Il 5 Hermelink 1931, t. 1, 108, n°32. Immatriculé le 19 novembre 1495, le futur abbé obtint le grade de Baccalaureus artium le 18 mai 1497, celui de Magister artium le 29 janvier 1499. Il quitta l’université après le 13 octobre 1500. 6 Sur l’abbaye de Honcourt, voir Bornert 2009, t. II / 1, 190-220. Rapp 1974, 382 : l’auteur donne la cote de la charte d’élection [ADBR, H 2295 / 16bis]. 7 Outre les lettres de Paul Volz à Beatus Rhenanus, nous ont été conservées dix lettres de / à Volz à / d’Erasme, entre le 30 octobre 1515 et le 12 avril 1536. Voir l’édition critique de la correspondance d’Erasme : Allen 1906-1958 et sa traduction française : Gerlo 1967- 1984. 8 Sur la guerre des Paysans, nous renvoyons en dernier lieu à Bischoff 2010. 9 Lettre de Johann Lenglin à Paul Fagius, Strasbourg, 10.06.1544 in May 1898, 50-53. 10 Notamment la Concorde de Wittenberg en 1536 et les colloques religieux des années 1540-1541 ; sur ces événements, voir notre synthèse 3 « Paul Volz, chroniqueur de son temps », Raguenel 2011, vol. III, 162-206, surtout 178-190 et 195-205. 11 Vingt-et-une lettres autographes sont conservées à la Bibliothèque Humaniste de Sélestat (BHS). La dernière nous est parvenue sous la forme imprimée. Voir nos travaux, Raguenel 2011, vol. I (édition critique). 12 Les lettres latines de Paul Volz à Ulrich de Ribeaupierre, inédites, ont fait l’objet d’une édition critique et d’une traduction de notre part. Elles figurent dans notre thèse de doctorat comme lettres complémentaires. Johannes Trithemius - Paul Volz 145 convient d’y ajouter les formulations imitées de la liturgie 13 . Régulièrement, dans une même lettre, une citation de la Bible côtoie de près un aphorisme antique 14 . Si la correspondance de Volz est un peu mieux connue aujourd’hui, son nom reste néanmoins indissociable de celui de la Chronique de Schuttern : elle rapporte l’histoire de l’abbaye de Schuttern, dans l’Ortenau, de sa fondation à l’année 1491, au moment de l’accession à la charge d’abbé de Johannes Widel 15 . Ce fut dans ces années-là que Paul Volz entra à l’abbaye comme moine. La Chronique est composée de deux livres, l’un consacré aux années de la fondation, l’autre à la succession des abbés. Un troisième livre avait vraisemblablement été prévu, qui devait poursuivre le catalogue des abbés jusqu’à l’époque contemporaine de l’abbé Volz. Il semble qu’elle ait été écrite à trois mains : Paul Volz, qui en donna les principes directeurs et rédigea la première mouture de la Chronique, Nicolas de Gerau, moine de Schuttern (qui mourut en 1538), et un anonyme ; mais c’est à Volz que revient le titre de fondateur de la Chronique de Schuttern. L’abbé Volz paraît avoir commencé très tôt ses recherches pour la Chronique, sans doute dès ses jeunes années à Schuttern, comme simple moine - et peut-être bibliothécaire, ce qui expliquerait le grand nombre de documents auxquels il eut accès. En 1514, dans une lettre au Chapitre Saint-Thomas de Strasbourg, alors qu’il était déjà abbé de Honcourt depuis deux ans, il mentionne ses recherches dans le fonds de son abbaye d’origine 16 . Selon toute vraisemblance, ses travaux furent interrompus, peut-être lorsqu’il quitta Schuttern pour Honcourt, peut-être plus tard, aux alentours de 1526. A la demande de Rudolf Garb, qui avait été élevé à la charge abbatiale de Schuttern en 1535 17 , il se remit à l’ouvrage : ses lettres à Rhenanus des années 1540-1541 font mention de ses recherches et fourmillent d’une foule de renseignements, 13 Volz était moine, ce qui implique la participation à la liturgie monastique : les formulations liturgiques étaient priées et méditées tout au long de l’année. Sur ce point, voir Leclercq 2008, 70-75. 14 L’un des exemples le plus pertinent nous semble : Omnium lego libros / nullum sperno / in nullius verba Magistri iuraui, Omnia probo / bona retineo / citra contumatiam disputo. « Je lis les livres de tout le monde, je n’en dédaigne aucun, je n’ai juré fidélité à aucun maître. J’éprouve tout, je garde ce qui est bon, je discute sans obstination » (lettre Paul Volz à Beatus Rhenanus, Sélestat, 20.11.1525 [lettre V (7-8) de notre édition]). La règle de Volz est constituée de Horace, epist. 1, 1, 14 et 1 Thess. 5, 21. 15 Voir Germania Benedictina 1975, Bd. 5, 569. 16 Voir Raguenel 2010, 11. 17 Voir Germania Benedictina 1975, Bd. 5, 569. Sandrine de Raguenel 146 d’informations qui ont trait à l’histoire régionale 18 . L’épître dédiée à l’abbé de Schuttern devait accompagner l’état définitif du texte livré par Volz 19 . Cette Chronique a été éditée par F.J. Mone en 1863 à partir d’un manuscrit du XVIII ème siècle, dont les travaux ont été poursuivis peu de temps après par le professeur May en 1893 et 1898, à la suite de la découverte de nouveaux manuscrits, notamment un manuscrit viennois du XVIème siècle. Eugen Hillenbrand, auteur d’une notice biographique sur Paul Volz, appelait de ses vœux en 1996 une nouvelle édition critique de la Chronique de Schuttern 20 . Ainsi que l’indiquent ces trois auteurs, l’ouvrage témoigne d’un grand souci de rassembler les sources disponibles et de les exploiter, en les organisant selon l’ordre de succession des abbés de Schuttern. Il fait apparaître l’immense érudition de notre abbé, qui utilisa de nombreux matériaux pour bâtir cette œuvre de la Chronique de Schuttern : livre de vie (liber vitae) des moines, annales de différentes abbayes, chartes et bulles papales conservées à Schuttern, nécrologe, épitaphes, numismatique ainsi que les travaux de Johannes Trithemius, de Jakob Wimpfeling mais aussi de Beatus Rhenanus et de Jakob Ottelin. L’exemple de ce dernier est significatif. En effet, les éditeurs K. Horawitz et Karl Hartfelder (H) de la correspondance de Rhenanus au XIXe siècle donnent Beatus Rhenanus comme destinataire d’une lettre de Jakob Ottelin, datée du 27 février 1531, conservée à la BHS sous la cote 263. L’autographe se trouve fort heureusement conservé, dans la correspondance de Rhenanus, à la BHS mais sous une autre cote, [BHS, CBR251]. De plus, le destinataire n’est pas Rhenanus, ainsi que l’indique H, mais bien l’abbé Paul Volz, sans quoi l’on comprendrait mal le début de l’autographe : Petis a me, pater optime inprimisque venerande, ut quibusdam tuis chorographiæ studiosis Ortinoiae nostrae situm terminosque literis demonstrem depingamve […]. Tu me demandes, père très bon et surtout vénérable, de décrire ou de dépeindre, pour tes travaux de chorographie, le site et les limites de notre Ortenau […] 21 . La lettre de Jakob Ottelin répond à une requête de Paul Volz et propose une description géographique de l’Ortenau, la région d’origine de Volz. Elle constitue l’une des sources dont notre abbé se servit dans la Chronique de Schuttern, au livre I qui évoque la fondation de l’abbaye et celle d’Offenburg, sur la rive 18 Lettres Paul Volz à Beatus Rhenanus, Strasbourg, 24.12.1540 [lettre XVIII de notre édition] et [Strasbourg, après le 16.] 01.1541 [lettre XIX de notre édition]. 19 A notre connaissance, cette épître dédicatoire est la seule due à Paul Volz et la dernière de sa main. Elle est datée du 1 er décembre 1542, écrite depuis Strasbourg. 20 Mone 1863, vol. 3, 41-132; May 1893, 256-288; May 1898; Hillenbrand 1996, 5-20. 21 La lumière a été faite sur cette attribution dans Holzberg / Petitmengin / Rott / Walter 1989, 61. Pour l’édition de la lettre (réédition en cours par nos soins), voir lettre Jacob Ottelin à Paul Volz, Lahr, 27.02.1531, H 272, pp. 381-384. Johannes Trithemius - Paul Volz 147 de la Kinzig 22 . La description précise du cours de la Kinzig provient directement de la lettre géographique d’Ottelin. Nous ne connaissons que peu de choses de cet homme : il fut peut-être maître d’école, ou chanoine de la collégiale de Lahr ou fonctionnaire 23 . La description faite par Ottelin est longue, précise, besogneuse et écrite dans un latin répétitif et peu fluide : Volz en a donné un condensé nettement meilleur d’un point de vue stylistique. Si la lettre d’Ottelin a un but descriptif, Volz réemploie les données qu’il lui livre en mêlant étymologie savante, hydrographie et récit étiologique (fondation légendaire par le roi Offo, venu du pays des Angles). Cet élément - l’examen de la lettre d’Ottelin, confrontée au texte de la Chronique - nous a permis d’avancer une date de rédaction pour ce passage précis : il ne peut avoir été écrit avant 1531, date de la lettre, ce qui signifie que Volz a travaillé à la Chronique de Schuttern, son grand œuvre, pendant toute sa vie. La passion de Paul Volz pour l’histoire locale au sein d’une chronique monastique éclate particulièrement dans l’usage qu’il fait de la toponymie : elle ne concerne que les noms de lieux, mais a cette particularité de relever des deux domaines d’investigations que sont d’une part la philologie (le toponyme en tant que tel, son étymologie, sa signification, son évolution lexicale et sémantique) et d’autre part la géographie. L’histoire y a bien évidemment son rôle à jouer. Volz est passé maître dans cette science et ses lettres en deviennent de véritables comptes rendus, qui entrent en résonance avec la Chronique de Schuttern en de nombreux endroits. 2. Johannes Trithemius et Paul Volz La présente contribution a pour objet l’examen d’une autre source contemporaine de Paul Volz : Johannes Trithemius. Les points communs entre Trithemius (1462-1516) et Volz (1473/ 74-1544) sont nombreux : tous deux originaires de l’ère germanique, ils ont conquis leurs grades universitaires le premier à Heidelberg, le second à Tübingen. Tous deux bénédictins, ils devinrent abbés. Tous deux humanistes, ils s’illustrèrent également dans des travaux historiques, des chroniques, sources inépuisables pour la connaissance actuelle. Ils appartenaient à la Sodalitas literaria des environs et correspondaient avec les plus grands noms de leur époque. Les ouvrages de Trithemius devaient figurer en bonne place dans les bibliothèques des monastères, couvents et maisons religieuses, surtout dans les monastères bénédictins. Pour la seule abbaye bénédictine de Schuttern, l’abbaye d’origine de Paul Volz, l’on ne compte pas moins de sept ouvrages de 22 Chronique de Schuttern, p. 72, § 14. A ce sujet, voir notre synthèse 4 « Paul Volz ou le défi de la science au XVIe siècle », Raguenel 2011, vol. III, 230-232. 23 Voir lettre Jacob Ottelin à Martin Bucer, Lahr, 07.02.1527, BCor. 1995, t. III, 5-7, ep. 148 (note 1 p. 5). Sandrine de Raguenel 148 Trithemius, parmi les incunables : il est le seul auteur contemporain aussi bien représenté 24 . Paul Volz, dans sa correspondance à Rhenanus, ne cite Trithemius comme source qu’en une seule occurrence. En revanche, la Chronique de Schuttern l’utilise régulièrement : nous sommes loin d’avoir explicité tous les passages où il est question de Trithemius, tant le texte est touffu. Nous ne saurions livrer une analyse exhaustive mais, à travers les exemples proposés ici, nous tentons de forger une typologie à partir de deux attitudes possibles à l’égard d’une source : la soumission à une référence qui fait autorité et la discussion critique, appuyée sur un argumentaire. Notre propos est donc d’évaluer la place qu’occupe Johannes Trithemius, en tant que source contemporaine, chez Paul Volz et la démarche que celui-ci adopte vis-à-vis des textes de Trithemius. 3. L’œuvre de Johannes Trithemius comme ouvrage de référence Les lettres autographes de Volz à Rhenanus nous en apprennent beaucoup sur la manière de travailler des humanistes. Nous prendrons un exemple, qui concerne notre propos. Une lettre, datée du 12 mars 1540, répond à une missive précédente de Rhenanus à Volz, non conservée celle-là. Volz y entreprend la comparaison d’une édition abrégée (libellus) du De Clericorum institutione, due à Hraban Maur 25 , à celle qu’il a entre les mains, acquise peu de temps auparavant. Volz évoque un billet envoyé par Rhenanus, où, sans doute, il décrivait son exemplaire. L’ouvrage de Hraban Maur, écrit en 819, est composé de trois livres, ainsi que l’indique Paul Volz, or Rhenanus dispose d’une œuvre en un seul livre : l’édition utilisée par Rhenanus fut imprimée à Pforzheim par Thomas Anshelm, datée du 29 septembre 1504 26 . Elle appartient à un recueil composite dont le premier livre porte son ex-libris : Est Beati Rhenani Selestatim. Anno. 24 Grégoire le Grand (en comptant les pseudo-) dispose de douze entrées. Trithemius et Grégoire le Grand se distinguent dans l’ensemble de la bibliothèque de Schuttern par une présence numérique importante. Voir Kühne 1995, 5-33 (Anhang: Verzeichnis der Schutterner Inkunabeln, 24-33). 25 Hraban (Raban) Maur (vers 780-856), originaire de Mayence, disciple d’Alcuin, abbé de Fulda (822) puis archevêque de Mayence (847) jusqu’à sa mort. Voir Lexikon des Mittelalters, vol. 5, col. 144-147. Hraban Maur écrivit cet ouvrage alors qu’il était encore moine en 819 sur la demande de l’abbé Eigil et le dédia à l’archevêque de Mayence, Haistulfe (819). L’auteur condense en trois livres tout ce que doit savoir le clerc « sur le sens et la finalité de leurs devoirs ». Lorsqu’il fut nommé à son tour à l’archevêché de Mayence, il reprit son ouvrage et le dédia dans sa version abrégée, De sacris ordinibus, sacramentis divinis et vestimentis sacerdotalibus, en 852-856, à Thiotmar, son chorévêque de Mayence, voir Dictionnaire de spiritualité 1988, t. XIII, 1-10, s.v. Raban Maur. 26 Cette édition est conservée dans le fonds précieux de la BHS, [BHS, K0992c]. L’ex-libris de Rhenanus apparaît sur le livre a, celui qui nous intéresse est en troisième position, c. Johannes Trithemius - Paul Volz 149 M.D.VIII. Manu propr. Cet opusculum aureum, comme l’indique le titre 27 , est une version abrégée de l’ouvrage en trois livres, remaniée par son auteur entre 852 et 856. Il ne comporte qu’un seul livre, constitué de quatre-vingt-quatre chapitres. Paul Volz, quant à lui, possède une édition bien plus récente, celle de Johannes Prael, parue en 1532 à Cologne 28 . Johannes Prael procura une autre édition des œuvres de Hraban Maur en juin 1535 29 . (1) S{alutem} P{lurimam} D{icit} (2) Literas tuas / mi Beate / non a Rhodolpho / sed a Cęculo meo serius accępi / quam vt respondere potuerim. (3) Libellum illum tuum / vti scripseram / quondam & vidi & legi / Sed extat alius quem 1532 Colonię Jo{hannes} prael excudit / hunc equidem nuper ob schedulam tuam coemi. (4) Is habet Titulum eundem / sed lib{ros} tres / quem ad modum & Tritemius .iij. lib{ros} in suo Cathalogo habet. (1) Salutations chaleureuses. (2) Ta lettre, mon cher Beatus, je l’ai reçue non des mains de Rodolphe mais de celles de mon Caeculus, trop tard pour que j’aie pu y répondre. (3) Cet abrégé dont tu m’as parlé, comme je te l’avais écrit, je l’ai autrefois vu et lu, mais il en existe un autre que Johannes Prael a imprimé en 1532 à Cologne : c’est celui-là que, pour ma part, j’ai acheté récemment, à cause de ton billet. (4) Il porte le même titre mais comporte trois livres, comme Trithemius aussi compte trois livres dans son Catalogue 30 . Notre épistolier évoque le Catalogue de Johannes Trithemius, où il a consulté la notice consacrée à Hraban Maur, archevêque de Mayence, afin de vérifier le nombre de livres que contenait le De Clericorum institutione : cette démarche nous semble ressortir à une méthodologie visant à s’appuyer sur ce que l’on pourrait nommer une « encyclopédie », un ouvrage de référence dûment publié. Le Catalogue de Johannes Trithemius prend ainsi place parmi les références, la bibliographie, que tout travail un tant soit peu sérieux requiert. Le Catalogue de Trithemius connut, d’après ce que nous en savons, deux éditions, l’une en 1495, l’autre en 1531. La BNU de Strasbourg conserve dans son fonds ancien ces deux éditions : celle de 1531, parue à Cologne chez Petrus 27 Rabani Mauri / Archiepiscopi Maguntini. / De Institutione cleri=/ corum. opusculum / aureum. / Ad lectorem Vdalricus Carinthus. […] Impressum Phorce per Thomam / Anshelmi de Baden. IIII. Calendis Octobris. Anno / .M.D.IIII. [Sélestat, BH, K0992c]. 28 Hermann Schüling en a donné une description précise, voir Schüling 1963, 20-21, n°16. Nous avons pu consulter cette édition à la BMC, [BMC, G833] (VD16 H 5269). Pour le détail du contenu de l’ouvrage en comparaison de ce qu’en dit Volz dans sa lettre à Rhenanus, voir nos travaux, Raguenel 2011, lettre XIII (3-13). 29 Schüling 1963, 30, n°27. 30 Lettre Paul Volz à Beatus Rhenanus, Strasbourg, 12.03.1540 [dans notre édition, lettre XIII (1-4)]. Sandrine de Raguenel 150 Quentell 31 , comporte une notice sur Hraban Maur, où le De institutione clericorum est donné en trois livres 32 . La seconde, sans lieu, est donnée, dans le catalogue de la BNU, comme étant de 1495 33 . Le texte de la notice biographique de Hraban Maur diffère de celui de l’édition de 1531. La liste de ses ouvrages donne également trois livres du De institutione clericorum 34 . Paul Volz eut certainement entre les mains l’édition de 1495 de l’ouvrage de Trithemius : c’est ici la graphie du titre qui guide notre interprétation. En effet, le texte de notre lettre, tel que nous l’avons édité, porte Cathalogus, de préférence à Catalogus. 4. L’œuvre de Johannes Trithemius, objet de la critique volzienne Pour notre contribution, le rapport que Paul Volz entretient avec Johannes Trithemius dans sa Chronique de Schuttern nous intéresse de façon directe. Si, dans sa lettre à Rhenanus, Trithemius est considéré comme un auteur de référence, il n’en va pas de même dans la Chronique. Nous avons choisi de nous arrêter à la fondation de l’abbaye de Schuttern - elle occupe les paragraphes 10 à 15 du livre I de la Chronique de Schuttern - et à la discussion qui s’établit entre Trithemius et Volz à ce sujet. La thèse de Trithemius, quant à la fondation de l’abbaye de Schuttern, est rapportée par Volz au paragraphe 16 du livre I. Volz y cite de façon explicite sa source, à savoir le Compendium écrit par Trithemius en 1514, paru en 1515 35 . Exigit hic locus, ut d. Joanni Trithemio, primum Spanheymensi deinde Herbipolensi abbati, viro alioqui praecipue docto, respondeamus, qui de origine, progressu, rebus gestis regum, ducum, gentisque universae Francorum per annos 1954 a Marcomiro primo usque ad Maximilanum linea recta numero 103° tria magna volumina, ac deinde primi voluminis compendium quoddam ad d. Laurentium Herbipolensem episcopum scripsit sub anno Christi 1515. Ce passage (i.e. § 10-15 : l’arrivée du roi Offo dans l’Ortenau et la fondation de Schuttern) exige que nous répondions au seigneur Johannes Trithemius, abbé de Sponheim d’abord, puis de Würzburg, homme par ailleurs extrêmement docte, qui écrivit trois grands volumes sur l’origine, le progrès, les exploits des 31 catalogvs / scriptorvm ecclesiasticorvm, / siue illustrium virorum, cum appendice eorum qui no- / stro etiam seculo doctissimi claruere, Per vene-/ rabilem virum, Dominum Iohannem a Tri- / tenhem Abbatem Spanhemensem, di-/ sertissime conscriptus. / / ANNO M . D . XXXI . / / Coloniae per me Petrum / Quentell. Anno domini M.D./ XXXI. [Strasbourg, BNU, E.123.588 et E.123.589 (exemplaire annoté, non pas de la main de Volz)]. 32 fol. LV v° - fol. LVI r° (numéroté par erreur dans cet exemplaire, fol. LXX). 33 Cathalogus illustrium virorum / germaniam suis ingenijs et lu=/ cubrationibus omnifariam exornantium : domini iohannis / tritemij abbatis spanhemensis ordinis sancti benedicti : / ad Jacobum Uimpfelingum sletstatinum theologum. [Mainz, Peter Friedberg, post 14 VIII 1495]. [Strasbourg, BNU, K.3607]. 34 fol. v v°-fol. vi v°. 35 Voir Arnold 1991, 164-166. Johannes Trithemius - Paul Volz 151 rois, des ducs et de l’ensemble du peuple des Francs durant 1954 années, depuis Marcomer Ier jusqu’à Maximilien en droite ligne avec 103 entrées, et ensuite un abrégé du premier volume, adressé au seigneur Lorenz, évêque de Würzburg, en l’année du Christ 1515 36 . Nous avons pu consulter un exemplaire du Compendium de Trithemius, conservé à la Bibliothèque nationale universitaire de Strasbourg 37 . Les pièces liminaires sont constituées d’un privilège impérial (Innsbruck, 10 novembre 1514), d’une gravure qui représente Johannes Trithemius et son éditeur, Johannes Haselberg, présentant l’ouvrage au prince-évêque de Würzburg, Lorenz von Bibra, et de l’épître dédicatoire de Johannes Trithemius à Lorenz von Bibra, datée du 27 février 1515. Nous donnons ici les passages de cette dernière les plus significatifs pour notre propos : Epistola Ioannis Tritemii abbatis sancti Iacobi quondam Spanhemensis, ad Reuerendissimum in christo patrem, & principem, d o m i n u m L a u r e n ti u m , ex nobili uetustissimaque biberanorum familia, i n s i g n i s e c c l e s i ę V u i r c i b u r g e n s i s E p i s c o p u m , orientalisque Francię ducem unicum, s u p e r c o m p e n d i o p r i m i u o l u m i n i s a n n a li u m de origine francorum. Lettre de Johannes Trithemius, autrefois abbé de Saint-Jacob de Spanheim, au très révérend père dans le Christ, et prince, le seigneur Lorenz, de la noble et très ancienne famille de Bibra, évêque de la remarquable église de Würzburg, unique duc de la Francie orientale, sur l’abrégé du premier volume des Annales sur l’origine des Francs. Reuerendissime pater, Illustris princeps, & domine graciose, scripsi (quemadmodum reuerendissima dominatio uestra nouit) d e o r i g i n e , p r o c e s s u , & p e c u li a r i b u s g e s t i s , r e g u m , d u c u m , p r i n c i p u m , & g e n t i s f r a n c o r u m , non parui laboris t r i a u o l u m i n a m a g n a […]. Tempus autem in his tribus uoluminibus complexus sum annorum M ill e n o n g e n t o r u m q u i n q u a g i n t a q u a t u o r , in quibus reges numerantur francorum r e c t o s i b i o r d i n e s u c c e d e n t e s , a b i p s o m a r c o m e r o i a m d i c t o u s q u e i n u i c e s i m u m n o n u m a n n u m . I m p e r a t o r i s . R o m a n o r u m C æ s a r i s M a x i m ili a n i A u g u s ti . c e n t u m t r e s […]. Très révérend Père, illustre Prince et gracieux seigneur, j’ai écrit (ainsi que votre très révérende souveraineté le sait) trois grands volumes, qui ne représentaient pas un mince travail, sur l’origine, le progrès et les exploits personnels des rois, des ducs, des princes et du peuple des Francs […]. En outre, j’ai 36 Chronique de Schuttern, livre I, p. 73, § 16. La traduction est la nôtre. 37 Compendium siue Breuiarium primi volvminis annalivm sive historiarvm, de origine regvm et gentis Francorvm ad Reverendissimvm in Christo patrem et principem dominum Laurentium Episcopum vuirtzpurgensem orientalisque Francie ducem. Ioannis Tritemij Abbatis. Mainz, Peter et Johann Schöffer pour Johann Haselberg, 1515. [Strasbourg, BNU, D.15.980]. Voir Arnold 1991, 246. Sandrine de Raguenel 152 embrassé dans ces trois volumes une période de mille neuf cent cinquantequatre années, où l’on compte cent trois rois des Francs selon l’ordre direct de leur succession, depuis le dit Marcomer lui-même jusqu’à la vingt-neuvième année de l’empereur, Maximilien Auguste, roi des Romains […] 38 . Les manchettes imprimées remplissent leur fonction en mettant en exergue les idées importantes du texte 39 : Tempus annalium tritemij. annorum M ill e . D C C C C . liii j . / La période couverte par les annales de Trithemius est de 1954 années. Reges continet francorum Centum tres, / Elle comprend c e n t t r o i s rois. Sans conteste, Paul Volz travaillait livre en main : sa présentation de l’ouvrage de Trithemius atteste qu’il avait le Compendium sous les yeux. Il reprend, en effet, les termes mêmes de Trithemius et résume la présentation que Trithemius fait de son ouvrage dans l’épître à Lorenz von Bibra. Volz réfute d’emblée la thèse de Trithemius (contra ea) en commençant par une large citation in extenso du texte de Trithemius, sous l’entrée Theodoricus 40 : Hic in eadem epitome, seu, ut vocat, breviario, contra ea, quae iam scripsimus, sub Theodorico, eius nominis postremo Francorum rege, scripsit in haec verba: « his temporibus claruit i n G a lli a F r a n c i c a 41 sanctus P i r m i n i u s 42 , ex monacho coenobii d. Mauri abbatis episcopus Meldensis factus, […] vir doctrina et s a n c t i m o n i a 43 admirabilis, qui pro Christi amore fidem rectam d o c t u r u s i n f i d e l e m p o p u l u m G e r m a n i a e i n p a r t e s v e n i t 44 , ubi multos verbo et exemplo ad cultum veritatis convertit p l u r i m a q u e 45 monasteria fundavit », inter caetera « S c h u t t e r e n s e q u o q u e 46 , quod tribus supra A r g e n t o r a t u m 47 Alsatiae urbem constat milliaribus, idem sanctus Pirminius fundavit, quemadmodum in originali volumine vitae ipsius, quod penes nos habemus, clare scriptum invenitur […] ». Celui-ci dans cette même épitomé, ou, comme il l’appelle, « abrégé », écrivit, à l’encontre de ce que nous avons écrit jusqu’à maintenant, sous Theodoricus, dernier roi des Francs de ce nom, ce qui suit : « en ces temps-là, s’illustra en Gaule franque saint Pirmin, qui, de moine du cloître du divin abbé Maur devint évêque de Meaux, […] homme admirable par sa doctrine et la sainteté de 38 La traduction est la nôtre. 39 Nous ne donnons ici que les deux manchettes imprimées qui concernent notre propos. 40 fol. L i v°-L ij r° dans le Compendium de Trithemius. Nous donnons ici le texte transmis par Volz, Chronique de Schuttern, livre I, § 16. La traduction est la nôtre. 41 Trith. : in gallicana francia. 42 Trith. : Pyrminius. 43 Trith. : sanctitate. 44 Trith. : prędicaturus populis in partes uenit germanię. 45 Trith. : & plura. 46 Trith. : Monasterium quoque Schutterense. 47 Trith. : argentinam. Johannes Trithemius - Paul Volz 153 sa vie, et qui, pour l’amour du Christ, vint dans ces contrées pour enseigner la foi droite au peuple païen de l’Allemagne, où il en convertit beaucoup, par la parole et par l’exemple, au vrai culte et où il fonda de très nombreux monastères », parmi d’autres « le même saint Pirmin fonda aussi celui de Schuttern, qui se trouve à 3 000 pas au-dessus de Strasbourg, ville d’Alsace, comme on le trouve écrit dans le manuscrit rapportant sa vie, que nous avons entre les mains […] ». La position de Trithemius est exposée ici clairement : saint Pirmin a évangélisé l’Allemagne du Sud et a fondé de nombreux monastères, dont celui de Schuttern. Paul Volz ne se prive pas de corriger Trithemius, notamment en toponymie (Gallia Francica de préférence à gallicana Francia ; Argentoratum plutôt que Argentina), dans la formulation, enfin dans la précision du vocabulaire : Volz privilégie sanctimonia à sanctitas. La sanctitas désigne davantage un état permanent, le caractère de celui qui est sanctus tandis que sanctimonia indique les vertus qui conduisent à la sanctitas 48 . Pour Volz, si saint Pirmin a bien évangélisé cette partie de l’Allemagne, en revanche ce n’est pas lui qui a fondé le monastère de Schuttern : c’est le roi mythique Offo, venu du peuple des Angles. Il s’en est expliqué dans les paragraphes 10 à 15 du livre I de la Chronique. A l’appui de son propos, Volz invoque la chronologie : le roi Offo est bien antérieur à l’Offo cité par Trithemius, qui s’appuie sur la Chronique de Sigebert de Gembloux 49 . D’autres textes, chroniques et nécrologes, lui viennent en aide afin de contrer Trithemius en récusant diverses fondations (celles recouvertes par l’expression inter caetera) attribuées à tort à saint Pirmin : Bède le vénérable, Lampert von Hersfeld, Veterum commentaria - cette expression recouvre, d’après Mone, les nécrologes des abbayes de Schuttern et de Gengenbach -, le Necrologium Ursbergense, l’obituaire de Schuttern 50 . Volz, cependant, ne se contente pas d’employer les mêmes armes discursives que Trithemius. C’est là, à notre sens, que réside l’une des grandes nouveautés apportée par Volz : sa thèse, en faveur d’une présence ancestrale du roi Offo, s’appuie sur de nouveaux éléments, incontestables selon lui, qui relèvent d’une approche scientifique très moderne. Il en donne un aperçu : At eius Offonis loca, numismata, signa, et sculpta et picta, monumentum quoque cum epitaphio vel superscriptione in hunc usque diem et extant et monstrantur in Mortenaugia super ripas Cincingae ac Schutterae fluviorum. Mais des traces de cet Offo, pièces de monnaie, sceaux, et des sculptures et des peintures, monument également avec une épitaphe ou une inscription, sont 48 Voir Cic., Quinct. 30. 49 Voir MGH, SS, 6, 300 sqq : Chronica Sigeberti Gemblacensis monachi. 50 Chronique de Schuttern, livre I, p. 73, § 16 et p. 74, § 18. Sandrine de Raguenel 154 jusqu’à ce jour visibles et observables dans l’Ortenau, sur les rives de la Kinzig et de la Schutter 51 . Dans ce passage, la mention des numismata a attiré notre attention. En effet, un peu plus haut, Volz signale une monnaie, qui avait encore cours dans son enfance : Offonis huius moneta in hodiernum usque diem perdurat de puro et non permixto argento, angeli imaginem utraque manu crucem ferentis habens […]. Hi nummi me puero ab Anglia Anglici vulgo Engelländer, sicut et hodie ab Offone veteres Offenburgenses vulgo Altoffenburger dicebantur. La monnaie de cet Offo perdure jusqu’à aujourd’hui, d’argent pur et non-mêlé, montrant l’effigie d’un ange qui tient une croix des deux mains […]. On appelait ces pièces, dans mon enfance, en raison du pays des Angles, « Angles », en langue vernaculaire Engelländer, comme aujourd’hui aussi, on les appelle, en raison d’Offo, « anciennes Offenbourgeoises », en langue vernaculaire Altoffenburger 52 . La présence du roi Offo sur le territoire de l’Ortenau en des temps reculés est inscrite dans le nom même des pièces. Volz apporte encore une autre preuve, celle-ci grammaticale, qui tient à la déclinaison du nom du roi Offo : De hoc, inquam, Offo vel Opha non loquuntur fratres Schutterani, sed de Offone, ut re ita nominis inclinatione diverso, qui illos peregrinatione sua dudum antecesserat, id quod ex temporum supputatione evidenter liquere potest. Les frères de Schuttern ne parlent pas, dis-je, de « Offo » ou de « Opha », mais de Offo, Offonis, à l’opposé aussi bien par l’idée (qu’on s’en fait) que par la déclinaison du nom, lui qui les avait naguère précédés lors de son voyage, ce qui peut être clairement mis en évidence d’après la chronologie 53 . Les moines de Schuttern ne parlent pas d’un objet figé mais déclinent le nom Offo, en tant que nom propre. Pour Volz, il s’agit là d’une preuve indubitable de la consistance du roi-fondateur. Enfin, les noms des lieux reflètent à leur tour la présence du roi Offo, ainsi qu’en témoignent deux étymologies : La première fondation effectuée par Offo fut celle de l’abbaye de Schuttern, érigée dans un locus amoenus, sur la rive de la Schutter, à peu près au moment de la mort de Grégoire le Grand (605, Grégoire mourut en 604), dit le texte de Volz. Le monastère (monachorum domicilium) prit le nom de son fondateur : 51 Chronique de Schuttern, livre I, p. 74, § 16. 52 Chronique de Schuttern, livre I, p. 72, § 15. Le pfennig à l’ange, attesté en 1296-1334, était frappé à Offenburg, voir le « Répertoire des monnaies médiévales d’Alsace », en ligne http: / / numisalsace.forumactif.org ainsi que Callot / Salch 1971, 117-121. Sur cette monnaie, en rapport avec le passage de la Chronique de Schuttern, voir Batzer 1922, 359-360. 53 Chronique de Schuttern, livre I, p. 74, § 16. Johannes Trithemius - Paul Volz 155 Offonis-villa ou Offonis-cella, en langue vernaculaire connu sous le nom d’Offoniswilare 54 . Ce n’est que tardivement (1025) qu’apparut le nom sous lequel nous connaissons aujourd’hui ce lieu, Scutera. Un second emplacement fut baptisé par le roi Offo : Offenburg. Ce toponyme revient régulièrement sous la plume de Volz : on le comprend aisément puisque c’est là qu’il avait vu le jour. Dans sa longue lettre à Rhenanus du 6 septembre 1525 où il raconte les conséquences néfastes de la guerre des paysans, Volz raconte qu’il a entrepris le voyage de Sélestat à Strasbourg le 25 juillet, en passant par Offenbourg : In festo S{ancti} Jacobi descendi pedes Argentoratum / atque obiter concęssi etiam O f f o b u r g u m natale solum. Avec lui, en la fête de Saint Jacques, je suis descendu à pied à Strasbourg et chemin faisant, je me suis également rendu à Offenburg, ma terre natale 55 . On lit dans la forme Offo-burgum (H lit Offenburgum) un essai d’étymologie savante : il s’agit du bourg d’Offo. En 1540, dans un passage où il est question du village de Bohlsbach, village aujourd’hui incorporé à Offenbourg 56 , la graphie a été modifiée : en lieu et place de Offoburgum, on rencontre Offonis pyrgum (ab Offonis pyrgo mea patria) 57 . Dans la Chronique de Schuttern, Volz emploie cette même forme. Paul Volz y explique l’origine du nom de la ville en montrant que l’étymologie qui avait cours auparavant provenait de l’ignorance du peuple : Praeterea rex ille Offo et alteram condidit sedem in ripa Cincingae fluvii eiusdem agri, quam similiter a suo nomine O f f o n i s p y r g u m , sive quod idem est, Offonis purgum nominavit, vulgus Offenburg vocat et autoris ignarum a patente porta nominatum existimat oppidum, id quod vel signa monstrare posset. Après cela, le roi Offon bâtit également une seconde résidence sur la rive de la rivière Kinzig de la même terre, résidence qu’il nomma du même nom que le sien, Offonis pyrgum (« tour d’Offo »), ou encore, ce qui revient au même, Offonis purgum : le vulgaire l’appelle Offenburg et, ne connaissant pas son fondateur, pense que la ville tient son nom de la porte ouverte, ce que même les armes [de la ville] pouvaient indiquer 58 . 54 Offunwilari (817), Offinwilare (826), Offoniswilare (868), Offoniscella (1016), Scutera (1025), Schutera (1235), Schuttern (1304). Voir Germania Benedictina 1975, Bd. 5, 562. 55 Lettre Paul Volz à Beatus Rhenanus, Sélestat, 06.09.1525 [dans notre édition, lettre IV (6)]. 56 Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden 1904-1905, vol. I, s.v. Bohlsbach, col. 240-241. 57 Lettre Paul Volz à Beatus Rhenanus, Strasbourg, 24.12.1540 [dans notre édition, lettre XVIII (12)]. 58 Chronique de Schuttern, p.72, § 14 : nous corrigeons le texte qui porte monstrari. Sandrine de Raguenel 156 Le blason d’Offenbourg représente une porte surmontée de deux tours, dont les portes sont ouvertes (offene Tür en allemand). Aux armes parlantes Volz oppose une étymologie savante qui lui vient ou qu’il avait en commun avec Beatus Rhenanus. En effet, par l’emploi de la forme Offonis pyrgum ou Offonispyrgum, Volz rend compte de l’étymologie du toponyme : Offenburgum < Offonis burgum = pyrgum (en grec, ὁ πύργος désigne une tour, une enceinte garnie de tours). On la trouve également chez Beatus Rhenanus qui, dans les In libellum de Germania Castigationes Beati Rhenani, p. 422 qui suivent immédiatement l’édition des Annales de Tacite 59 qu’il a donnée en 1533 60 , propose de lire la forme germanique Burgum comme dérivée du grec ὁ πύργος. Cette étymologie est aujourd’hui attestée chez les spécialistes 61 . Le nœud de cette affaire est de savoir si oui ou non, saint Pirmin a fondé le monastère de Schuttern. Trithemius, de toute son autorité et balayant d’un revers de la main ses potentiels contradicteurs (les « légendes » entretenues par les moines de Schuttern), affirme que Schuttern est une fondation pirminienne. Paul Volz, qui a passé, rappelons-le, la majeure partie de sa vie à travailler à la Chronique de Schuttern, s’insurge contre cette assertion péremptoire et, pour ce faire, adopte une démarche scientifique qui nous semble très moderne : non content d’utiliser les mêmes procédés que Trithemius (la compilation des chroniqueurs antérieurs), il apporte de nouvelles preuves tangibles : numismatique, grammaire, étymologies savantes. A notre sens, il s’agit toujours et exclusivement d’une démarche philologique, qui tend à expliciter des mots, bien que les supports changent. Il parvient ainsi à convaincre son lecteur du bien-fondé de sa thèse, qui paraît plus solidement assise que celle de Trithemius. Qu’en est-il réellement ? M.G. Kaller, auteur de la notice consacrée à Schuttern dans la Germania Benedictina, donne admirablement le mot de la fin : « Die Anfänge des Klosters Schuttern verlieren sich im Dunkel der Legende ». En effet, nous dit-il, toutes les chartes invoquées pour appuyer une thèse ou l’autre sont fausses. La première source exacte remonte à la fin du IXe siècle, il s’agit de la Vita Pirminii, soit près de trois cents ans après la date donnée par Volz pour la fondation de Schuttern par le roi Offo 62 . Au-delà de l’impasse à laquelle nous parvenons, faute de documents fiables, il nous semble important de souligner ce qui ressort de notre analyse. Johannes Trithemius fut utilisé très tôt comme source historique : Paul Volz n’a guère qu’une dizaine d’années de moins que l’illustre abbé et le nom de Trithemius revient régulièrement sous sa plume. C’est dire combien il faisait autorité. Son œuvre, pourtant, ne fait pas l’objet d’une soumission aveugle de 59 Sur les éditions rhénaniennes de Tacite, voir Beatus Rhenanus 1998, 63-70 et Hirstein 2000, 377-395. 60 [BHS, K1130]. 61 Kluge 2002, 161, s.v. Burg. 62 Voir Germania Benedictina 1975, Bd. 5, 562-563. Johannes Trithemius - Paul Volz 157 la part de son lecteur, ici Paul Volz. Deux attitudes sont développées, l’une consistant à se reporter à l’écrit de Trithemius comme à une encyclopédie, à un ouvrage de référence, à un manuel, où l’on rencontre les données brutes requises par ses propres recherches, l’autre visant à établir une distance critique avec le texte et à discuter de manière argumentée les assertions avancées par l’auteur. Il s’agit là, pour l’auteur, d’opérer un choix : soit il suivra son prédécesseur soit il le critiquera et l’amendera. Au cœur de la critique, la démarche humaniste - en tout cas, celle de Paul Volz - reste celle du compilateur, qui oppose à une source incontestable d’autres sources incontestables. La nouveauté réside dans le fait que la compilation, constitutive - croyonsnous - de la méthode des érudits du XVIe siècle, s’enrichit de la découverte de nouvelles sources primaires. L’image qui vient à l’esprit est celle de deux savants s’affrontant sur leur terrain de spécialité, en l’occurrence, la chronique monastique. Cela reste une querelle scientifique entre deux spécialistes. Klaus Arnold donne Paul Volz comme appartenant à la mouvance, ou, à tout le moins, au cercle élargi des bénédictins amis de l’abbé de Würzburg : sa présence aux côtés de Trithemius n’est pas fortuite et met en lumière le rôle de l’un et de l’autre dans l’histoire monastique du début du XVIe siècle. Bibliographie Arnold, Klaus: Johannes Trithemius (1462-1516), Würzburg 1991 (1ère éd. 1971). Batzer, Ernst: Offenburger Pfennige, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 76, 1922, pp. 359-360. Beatus Rhenanus (1485-1547) : son activité de lecteur, d’éditeur et d’écrivain (18 septembre-18 novembre 1998), Sélestat 1998 (Passion(s) des Lettres). Bischoff, Georges: La guerre des Paysans : L’Alsace et la révolution du Bundschuh, 1493-1525, Strasbourg 2010. Bornert, René et alii (Hgg.): Les Monastères d’Alsace, tome II/ 1, Strasbourg 2009. BCor. = Bucer, Martin: Briefwechsel-Correspondance, Jean Rott / Christian Krieger / Reinhold Friedrich (edd.), 9 vol., Leiden, 1979-2013 (Studies in Medieval and Reformation Traditions). Callot, O. / Salch, Ch. L.: Pfennig « à l’ange » de Strasbourg, Cahiers Alsaciens d’Archéologie, d’Art et d’Histoire 15, 1971, 117-121. D’Amico, John F.: Theory and practice in Renaissance textual criticism: Beatus Rhenanus between conjecture and history, Berkeley / Los Angeles / London 1988. 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Scintillas Epigramme vor dem Hintergrund der antiken Tradition Engelhard Funck, lateinisch Engelhardus Scintilla, galt seinen Zeitgenossen als hervorragender Dichter und Gelehrter. 1 Heute ist sein Werk weitgehend unbekannt, was sicherlich nicht zuletzt daran liegt, dass ein Großteil nur in Form von Handschriften zugänglich ist. 2 Die drei erhaltenen Manuskripte von Funcks Gedichten gehen auf Jakob Wimpfeling, Johann Fuchsmag und Hartmann Schedel zurück 3 und befinden sich heute in Uppsala, Innsbruck und München. 4 Im Münchener Codex ist die Zuweisung teilweise problematisch, da Schedel Gedichte Funcks mit denen anderer Personen abwechseln lässt und dabei in den Überschriften die Verfasser nicht durchgängig nennt. 5 Ich werde mich hier auf Texte mit unstrittiger Autorschaft beschränken. Einige Gedichte Funcks aus den Handschriften in Innsbruck und Uppsala wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Sammlungen bisher ungedruckter humanistischer Dichtung herausgegeben. 6 Für einzelne Stücke gibt es eine Sekundärüberlieferung durch Zitate in Briefen oder Werkausgaben anderer Humanisten. 7 1 Vir doctus et undecunque peritus, philosophus et poeta insignis (Johannes Trithemius: Catalogus illustrium virorum Germaniae, 1495; zitiert nach Arnold 1992, 367). 2 Die aus den Handschriften zitierten Texte gebe ich in der vorgefundenen Orthographie wieder, passe die Interpunktion jedoch den modernen Gepflogenheiten an, um das Erfassen der Satzstrukturen zu erleichtern. 3 Vgl. Arnold 1992, 373 mit Anm. 42 und 43; Holstein 1891, 446-447. Zum Cod. Uppsala vgl. weiter den Katalog der Manuscripta Mediaevalia der Universitätsbibliothek Uppsala, dort auf S. 279 die Einleitung zu C 687 (http: / / www.manuscripta-mediaevalia.de/ hs/ katalogseiten/ HSK0506f_a0279_jpg.htm). 4 Universitätsbibliothek Uppsala, Cod. 687, fol. 23r-46r und 48r; Universitätsbibliothek Innsbruck, Cod. 664, fol. 79r-88v; Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 716 (= Hartmann Schedel: Liber antiquitatum cum epigrammatibus), fol. 148v-154v. Herrn Prof. Dr. Stefan Tilg sei gedankt für die Bereitstellung von digitalen Photographien des Innsbrucker Codex. 5 Vgl. Arnold 1992, 373 mit Anm. 42 und 43. Zwischen lateinischen Gedichten finden sich in der Münchener Handschrift (Clm 716, fol. 148v-154v) auch vier italienische. Ob einige davon Funck zuzuschreiben sind, geht aus den Überschriften ebenfalls nicht hervor. 6 Zingerle 1880, 104-114; Holstein 1891, 446-473. 7 Vgl. bes. Pirckheimer 1940, 48-51 sowie Wimpfeling 1965, 201, Anm. 33 und 1965, 376- 379. Vgl. auch Arnold 1992, 369 mit Anm. 8-12. Iris Sticker 160 Funck wurde um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Schwabach geboren, studierte ab 1468 in Erfurt und erwarb vermutlich in Italien einen Doktor in Kirchenrecht. Im Zeitraum von etwa 1480 bis 1495 stand er in Rom im Dienst der päpstlichen Kurie. 1485 erhielt er nach einigen Fehlversuchen andernorts eine Pfründe am Neumünster in Würzburg, blieb jedoch zunächst in Rom. Erst 1496 ist seine Anwesenheit in Würzburg nachweisbar, wo er es in den folgenden Jahren zum Dekan des Stiftes Neumünster brachte. Spätestens ab 1500 hatte er dieses Amt inne, das er bis zu seinem Tod am 29. November 1513 behielt. 8 Das erhaltene poetische Œuvre ist durchaus vielfältig. Als Versmaß verwendet Funck am häufigsten das elegische Distichon, doch kommen daneben auch Phalaeceen sowie einmal Sapphische Strophen vor. 9 Die Länge der Gedichte variiert erheblich, von Zweizeilern bis zu Elegien mit über 100 Versen. Zu letzteren gehören zum Beispiel eine Beschreibung von Funcks Heimatstadt Schwabach, 10 eine Klageelegie über den Tod seiner Mutter 11 und ein elegischer Liebesbrief, in dem ein Henricus die Abwesenheit seiner Angebeteten Veronica beklagt. 12 Auch die Themen der kürzeren Gedichte sind breit gefächert. Es finden sich Gelegenheitsgedichte an Freunde und Bekannte, Epitaphe, Gedichte an oder über weltliche Herrscher und Kirchenobere wie Kardinäle und Päpste - teils panegyrischen, teils kritischen Charakters -, erotische Gedichte an verschiedene amicae und Schmähgedichte. Neben rein literarischen Texten verfasste Funck einige Grabinschriften, deren Originale jedoch zum Teil verloren sind. 13 Am berühmtesten ist ein Hexastichon auf den Frankenheiligen St. Kilian und seine Gefährten, die um 689 in Würzburg am Ort des später dort errichteten Neumünsters ermordet worden sein sollen. 14 Mehrmals bemüht Funck einen Bescheidenheitstopos, indem er auf seine Musa Teutonica verweist, die es mit den Dichtern Italiens nicht aufnehmen 8 Zur Biographie und zur Überlieferung vgl. insgesamt Arnold 1992 und 2008 passim; zur Vita bes. Arnold 1992, 369-372. Eine Grabinschrift für Funck ist bis heute erhalten (abgedruckt bei Arnold 1992, 372 nach Borchardt 1988, 208-209 mit Abb. 90). 9 Saphicum in Joannem Athasium Oratorem = Laudatorium Ioannis Fuchsmag Divi Friderici Aug. Oratoris […], Uppsala, Cod. 687, fol. 29v-30v = Innsbruck, Cod. 664, fol. 87v-88r; ed. Zingerle 1880, 114-115, Nr. 81. Die Münchener Handschrift enthält auch Gedichte in Hexametern, doch ist die Zuweisung dort unklar (s.o.). 10 Uppsala, Cod. 687, fol. 32r-34v; ed. Holstein 1891, 448-452, Nr. 1. 11 Uppsala, Cod. 687, fol. 23r-24v = Innsbruck, Cod. 664, fol. 79r-81v; ed. Zingerle 1880, 105-109, Nr. 75. 12 Uppsala, Cod. 687, fol. 25v-28r = Innsbruck, Cod. 664, fol. 82r-84r; ein Ausschnitt ist ediert von Zingerle 1880, 109-110, Nr. 77. 13 Vgl. Wendehorst 1989, 346-347. 14 Vgl. Wendehorst 1989, 47 und 347. Die ursprüngliche Tafel ist verloren; Abdruck u.a. in Borchardt 1988, 208. Engelhard Funck statt Martial 161 könne. 15 Von seinen Zeitgenossen wurde Funcks Dichtung jedoch hoch geschätzt. 16 Jakob Wimpfeling, ein Bekannter Funcks aus der Studienzeit in Erfurt, 17 empfiehlt gar, seine Epigramme anstelle von Martial zu lesen: Legito hos versus posthabitis turpibus obscoenis impudicis. Asuesce deinceps christianos lectitare poetas, qui tibi non minus quam gentiles latinitatem, elegantiam, tropos, bonos mores syllabarumque mensuras suppeditare possunt. Recipiatur nunc in manus […] pro Martiale Epigrammata Engelhardi Scintillae et Hermanni Buschii. 18 Lies diese Verse anstelle der schändlichen, obszönen und unzüchtigen. Gewöhne dich von nun an daran, die christlichen Dichter immer wieder zu lesen, die dir nicht weniger als die Muttersprachler ordentliches Latein, gewählten Ausdruck, Tropen, guten Stil und richtige Quantitäten der Silben bieten können. Man sollte nun […] statt Martial die Epigramme des Engelhard Funck und des Hermann von dem Busche in die Hand nehmen. Ich möchte mich im Folgenden der Frage widmen, in welchem Verhältnis die Epigramme Funcks zu Martial stehen. Prosatexte Funcks, die teilweise ebenfalls erhalten sind, 19 werden hierbei nicht berücksichtigt. Es sollen vor allem diejenigen Gedichte Funcks genauer betrachtet werden, die eine besonders deutliche Martialrezeption aufweisen. Da der von Wimpfeling genannte Grund für die Notwendigkeit eines Ersatzes vor allem die Obszönität antiker Dichtung ist, soll dabei auch überprüft werden, ob Funck auf diese Facette martialischer Epigrammatik verzichtet. Wenn man über den Epigrammatiker Funck sprechen will, lässt sich zunächst einmal fragen, welche seiner Gedichte er selbst zu den Epigrammen rechnete. In einem 1495 von Johannes Trithemius herausgegebenen Catalogus illustrium virorum Germaniae heißt es über Funck: [composuit] Epigrammaton quoque diverso genere metri lib[rum] I. 20 Leider haben wir keine Edition des Au- 15 Vgl. bes. Engelhardi Teutonici Ad Georgium Sodalem Versiculi (Uppsala, Cod. 687, fol. 25v = Innsbruck, Cod. 664, fol. 86v; ed. Zingerle 1880, 114, Nr. 80): Cur hominum coetus Elegia nostra, Georgi, / Et nitidum fugiat nostra Thalia diem? / Teutonica est nescitque loqui nisi Teutona verba / Et stupet Ausonios barbara Musa viros. Vgl. auch Ellinger 1929, 348 und 386- 387. 16 Vgl. Arnold 1992, 367; vgl. auch Anm. 1. 17 Vgl. Arnold 1992, 367. 18 Wimpfeling 1990, 356 (De laudibus sanctae crucis, Peroratio). 19 Vgl. z.B. Arnold 1992, 375-380. 20 Zitiert nach Arnold 1992, 367. In der bereits 1494 ebenfalls von Johannes Trithemius herausgegebenen Literaturgeschichte De scriptoribus ecclesiacticis sind lediglich Epigrammata varia genannt (vgl. Arnold 1992, 367). Arnold nimmt an, dass Trithemius die Informationen über Funck von Jacob Wimpfeling erhalten hatte. Iris Sticker 162 tors oder ein Manuskript von Funcks eigener Hand vorliegen, das die Sammlung seiner Epigramme in einem Buch bewiese. 21 In den erhaltenen Handschriften erscheint die Zusammenstellung mit anderen poetischen Formen wie z.B. Elegien eher willkürlich. Einen Anhaltspunkt könnten die Überschriften der Gedichte geben. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, da die Titel der Gedichte offenbar auf den jeweiligen Aufzeichnenden zurückgehen, wie teils unterschiedliche Überschriften bei parallel überlieferten Gedichten zeigen. 22 Zweimal verwendet Funck im Text selbst den Begriff epigramma. 1492 schickte er dem ihm befreundeten Bischof von Alexandria, Johannes Antonius, einen Neujahrsgruß. Der Bischof war literarisch gebildet und dichtete selbst, so dass Funck sich ihm gegenüber stets sehr bescheiden gibt: Johannes Antonius solle die ihn erreichenden Aufmerksamkeiten nicht nach ihrer poetischen Qualität beurteilen, sondern nach Funcks Gesinnung dem Adressaten gegenüber. Ein längeres Schweigen erklärt er damit, dass seine Muse sich dem Bischof unterlegen fühle. In diesem Zusammenhang gesteht er: Nos toto nullum carmen tibi scripsimus anno / Et nullum dedimus saltem epigramma tibi. 23 („Ich habe dir das ganze Jahr über kein Gedicht geschrieben, und nicht einmal ein Epigramm habe ich dir geschenkt.“) Hier deutet saltem darauf hin, dass ein epigramma ein besonders kleines Gedicht ist. Der zweite Beleg stellt gleichzeitig ein Beispiel direkter Martial-Imitation dar. Im Codex aus Uppsala findet sich ein Gedicht in elegischen Distichen, das 14 Verse umfasst und die Überschrift Ad Maximilianum Romanorum Regem Epigramma trägt. 24 Maximilian I., der seit 1486 römisch-deutscher König war und 1508 25 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches werden sollte, erhält darin einen Rat bezüglich seiner Herrschaftspolitik. Unmittelbar darauf folgt ein Distichon Ad legentes: Longius hoc forsan dicent epigramma legentes: / Iusto, sed brevius musa nequivit iners. 26 („Die Leser werden dieses Epigramm vielleicht 21 Möglich wäre auch, dass Trithemius’ Angabe, die ohnehin aus zweiter Hand stammte und nicht unbedingt auf eigener Lektüre von Funcks Werk basierte (vgl. Arnold 1992, 367; vgl. auch Anm. 20), ungenau ist. Es könnte ferner sein, dass Funck lediglich Epigramme im Umfang eines Buches verfasste, ohne dass diese je wirklich in einem Buch zusammengestellt worden wären. 22 So findet sich in der Innsbrucker Handschrift die Überschrift Engelardi Teutonici ad lectores Italos Epigramma (Innsbruck, Cod. 664, fol. 81v); der Codex aus Uppsala hat dagegen nur Ad lectores Italos (Uppsala, Cod. 687, fol. 25v). 23 Ad episcopum Alexandrinum pro enceniis Ianuari anno 1492, 5-6. Uppsala, Cod. 687, fol. 44r; ed. Holstein 1891, 455, Nr. 3d. 24 Uppsala, Cod. 687, fol. 45v-46r; vgl. auch Wimpfeling 1965, 377. 25 D.h. erst nach der Entstehung des Gedichtes. Der Wimpfeling-Codex wird um 1500 datiert; vgl. den Katalog der Manuscripta Mediaevalia der Universitätsbibliothek Uppsala, dort auf S. 279 die Einleitung zu C 687 (http: / / www.manuscripta-mediaevalia.de/ hs/ katalogseiten/ HSK0506f_a0279_jpg.htm). 26 Uppsala, Cod. 687, fol. 46r. Engelhard Funck statt Martial 163 zu lang finden - zu Recht, aber meine langatmige Muse konnte es nicht kürzer.“) Dieser Beitrag zur Poetologie geht auf mehrere Epigramme Martials zurück, in denen dieser jeweils nach einem besonders langen Gedicht einen fictus interlocutor genau dessen Länge kritisieren lässt. 27 Martial begegnet den Einwänden scherzhaft oder spöttisch. So rät er einem Tucca, dann eben nur die Distichen zu lesen und die längeren Gedichte zu übergehen. 28 Oder er verteidigt sich durch einen ironischen Gegenangriff; so z.B. in Epigramm 1, 110: Scribere me quereris, Velox, epigrammata longa. / ipse nihil scribis: tu breviora facis. 29 („Du klagst darüber, Velox, dass ich lange Epigramme schreibe. Du selbst schreibst gar nichts: Deine sind kürzer.“) Funck reagiert dagegen mit einem scheinbaren Zugeständnis - iusto -, doch ist der selbstironische Kommentar mit einem deutlichen Augenzwinkern gesprochen und wirkt dadurch wieder durchaus martialisch. Besonders eng ist Martial 3, 83 zu vergleichen: Ut faciam breviora mones epigrammata, Corde. / ‚Fac mihi quod Chione‘: non potui brevius. („Cordus, du mahnst mich, dass ich kürzere Epigramme schreiben soll. ‚Mach es mir wie Chione‘: Kürzer konnte ich es nicht.“) Vor allem den Schluss (non potui brevius) übernimmt Funck mit zwar inhaltlich anderem Bezug, 30 aber doch mit deutlicher wörtlicher Anlehnung (brevius musa nequivit). Den derben Teil des Martial-Epigramms - fac mihi quod Chione, also auf gut Deutsch etwa „leck mich…“ - imitiert Funck dagegen nicht. Die entsprechenden Gedichte Martials stehen nach Stücken, die jeweils mehr als 20 Verse umfassen, einige sogar mehr als 30 Verse. Das längste Epigramm Martials überhaupt ist 51 Verse lang. 31 Dagegen ist Funcks Epigramma an Maximilian I. mit 14 Versen vergleichsweise kurz. Dass die Länge der vorhergehenden Epigramme nicht wirklich auf mangelndes Können zurückzuführen ist, zeigen sowohl Martial als auch Funck natürlich schon dadurch, dass sie einem langen Gedicht bewusst ein pointiert kurzes folgen lassen. 32 Beim Kriterium der Länge eines Epigramms legt Funck offensichtlich strengere Maßstäbe an als sein römisches Vorbild. Die meisten Gedichte Funcks, die im Folgenden genauer untersucht werden, unterschreiten mit ma- 27 Vgl. bes. Mart. 1, 110; 3, 83; 6, 65; 8, 29. Vgl. dazu Grewing 1997, 425-428; Lausberg 1982, 44-56. 28 Mart. 6, 65, 5-6. 29 Noch bissiger ist der Gegenangriff in Mart. 2, 77, 7-8: non sunt longa quibus nihil est quod demere possis, / sed tu, Cosconi, disticha longa facis. Dieses Epigramm folgt allerdings auf ein Distichon und gehört damit nicht im engeren Sinne in die oben genannte Reihe. 30 Martial bezieht sich auf den Halbvers direkt davor, Funck auf das vorangegangene Epigramm an Maximilian. 31 Mart. 3, 58. 32 Bei Martial trifft das auf drei der vier oben genannten Epigramme zu, nämlich 1, 110; 3, 83; 8, 29. Iris Sticker 164 ximal zwölf Versen den Umfang des ausdrücklich so bezeichneten Epigramms an Maximilian. Wo sich eine Martial-Rezeption aufzeigen lässt, werde ich jedoch auch längere Gedichte hinzunehmen. Ein sehr martialisch wirkendes Epigramm Funcks von zwölf Versen ist unter der Überschrift Contra Leandrum qui se pictura iactabat inani überliefert: Quid te Leander pictura pascis inani? 33 E nudo quantum nomine laudis habes? Num, tibi si genitrix nomen tribuisset Achilli, Urbem eversurus Laomedontis eras? An quia Leandri nomen tibi contigit ergo, 5 Hellespontiacas nocte vorabis aquas? Crede mihi, non est mox formidabilis armis, Hectoreo qui se nomine iactat iners. Heroas virtus benefactaque dura dedere Aeternos inter regna tenere deos. 10 Sed tu Lethander debebas iure vocari Et mala letheo flumine fata pati. 34 3 si supplevi Was weidest du dich, Leander, an einem nichtigen Bild? Was für ein Lob erwächst dir aus dem bloßen Namen? Hättest du etwa, wenn deine Mutter dir den Namen Achill gegeben hätte, die Stadt des Laomedon 35 zerstört? Oder wirst du, weil du nun zufällig Leander heißt, bei Nacht eilig die Wasser des Hellespont durchschwimmen? 36 Glaub mir, jemand ist nicht gleich furchterregend, wenn er Waffen trägt, nur weil er sich tatenlos mit Hektors Namen brüstet. Tapferkeit und hart erworbene Verdienste gewährten es den Helden, unter den ewigen Göttern die Herrschaft innezuhaben. Aber du hättest gerechterweise Lethander genannt werden und durch den Lethefluss ein schlimmes Schicksal erleiden müssen. Anspielungen auf Mythen finden sich auch bei Martial oft, ebenso wie die Häufung von Beispielen, um einen Sachverhalt zu demonstrieren. Für die Aussage, dass der Name noch keinen Helden mache, greift Funck auf Martial 4, 11 zurück, ein gegenwartsbezogenes Epigramm, das sich an Lucius Antonius Saturninus richtet, der ca. 89 n. Chr. einen Aufstand anzettelte. 37 Martial 33 Herr Prof. Dr. Thomas Gärtner machte mich auf die enge Parallele zu Vergil aufmerksam: animum pictura pascit inani (Verg. Aen. 1, 464). Dort betrachtet Aeneas im Tempel der Juno in Karthago Bilder, die den Kampf um Troja zeigen. Die analoge Situation in Funcks Epigramm müsste dann so aussehen, dass der angesprochene Leander vor einem Bild seines mythischen Namensvetters steht und sich daran „weidet“. 34 Uppsala, Cod. 687, fol. 42v-43r. 35 Troja. 36 Wie der mythische Liebende, der nachts zu seiner Geliebten Hero schwimmt; vgl. z.B. Ov. epist. 18 und 19. 37 Vgl. Soldevila 2006, 158. Engelhard Funck statt Martial 165 fragt spöttisch, ob Antonius Saturninus sich etwa gegen Domitian größere Chancen ausgerechnet habe, als sie sein Namensvetter Marcus Antonius gegen Augustus hatte. Das Gedicht beginnt mit dem Vers: Dum nimium vano tumefactus nomine gaudes […] 38 („Während du dich stolzgeschwellt allzu sehr über deinen eitlen Namen freust […]“). Besonders ist natürlich die Pointe am Schluss von Funcks Gedicht hervorzuheben, eine typische epigrammatische Technik Martials. Neben der witzigen Paronomasie Leander - Lethander fällt auf, dass Leander als Schwimmer und Lethander als Opfer des Letheflusses beide mit Wasser in Verbindung gebracht werden. Man kann allerdings wohl annehmen, dass Martial auf die Erläuterung des boshaften Spitznamens Lethander im letzten Vers verzichtet und es dem Leser überlassen hätte, den Sinn zu erraten. Ein Spiel mit ähnlich klingenden Namensformen finden wir z.B. in Martial 6, 17, wo der Freigelassene Cinnamus verspottet wird, der durch eine Namensänderung seine wahre Herkunft vertuschen will: 39 Cinnam, Cinname, te iubes vocari. / non est hic, rogo, Cinna, barbarismus? / tu si Furius ante dictus esses, / Fur ista ratione dicereris. („Cinnamus, du willst, dass man dich Cinna nennt. Ist das nicht, frage ich dich, Cinna, ein Barbarismus? Wenn du vorher Furius geheißen hättest, würdest du nach dieser Methode nun Fur genannt.“) Als nächstes soll ein Beispiel für eine window-reference betrachtet werden. Das Gedicht an Johannes Antonius, den bereits erwähnten gebildeten Bischof Alexandrias, spricht hier selbst und verweist auf die Geringfügigkeit der literarischen Gaben, die Funck dem Bischof schicke: Ad Io<annem> Antho<nium> Episcopum Alexandrinum Haec Alexandrinae 40 praesul dignissime sedis Ille meus mittit dona pusilla cliens. Dona pusilla quidem; sed qui te digna requiret, Phoenices idem querat et ille duos Atque idem Libycas numeris scrutetur arenas 5 Et quam sint tacito sydera multa polo. Ille etiam oceani guttatim computet undas, Ille et Aventinum ducat in Esquilias. † Sed quid ego donum excuso clientis? † Magnanimo res est quantulacumque satis. 41 10 9 donum perparvum proposui metri causa 38 Mart. 4, 11, 1; vgl. dazu den zweiten Vers in Funcks Gedicht. 39 Vgl. Grewing 1997, 159-161: Cinnamus war ein häufiger Sklavenname, Cinna dagegen ein bekanntes cognomen einer aristokratischen Familie. 40 Die zweite Silbe des Wortes muss hier kurz gemessen werden, auch wenn sie eigentlich durch das „x“ gelängt ist. 41 Uppsala, Cod. 687, fol. 38v. Iris Sticker 166 Diese geringen Gaben schickt dir, hochwürdiger Bischof des Sitzes in Alexandria, mein Klient. Die Gaben sind zwar gering - aber wer solche verlangt, die deiner würdig sind, der wird auch zwei Phönixvögel suchen, und er wird den Libyschen Sand zählen und wie viele Sterne sich am schweigenden Himmel befinden. Derselbe wird auch die Wasser des Ozeans tropfenweise zählen, und er wird den Aventin auf den Esquilin ziehen. Aber was rechtfertige ich das Geschenk meines Klienten? Einem Großherzigen ist jede noch so kleine Gabe genug. Auch hier finden wir also wieder den Bescheidenheitstopos. Die Unmöglichkeit, ein dem Bischof würdiges Geschenk zu finden (Vers 3), wird anhand einer Reihe von Adynata ausgeführt, die auf den ersten Blick vor allem an Catull. 7 erinnern, das zweite Kussgedicht an Lesbia. Dieses Gedicht Catulls imitiert schon Martial im Epigramm 6, 34, und eine genauere Betrachtung zeigt, dass Funck beide antiken Prätexte im Sinne hatte. Auffällige Parallelen zunächst zu Catull sind das Zählen des libyschen Sandes (Vers 5 mit Catull. 7, 3: quam magnus numerus Libyssae harenae) und die Zahl der Sterne am schweigenden Nachthimmel (Vers 6: tacitus mit Catull. 7, 7: tacet). Von Martial ist das Zählen des Wassers im Ozean übernommen (Vers 7 mit Mart. 6, 34, 2: Oceani fluctus me numerare iubes). Catulls Verse sind erotische Poesie. Auch Martial schreibt ein Kussgedicht in erotischem (genauer: homoerotischem) Kontext. Die bei Catull - trotz aller gelehrten Anspielungen - der Natur entnommenen Bilder reichert er jedoch um ein panegyrisches Element an, nämlich den Beifall, den Kaiser Domitian im Theater erhält. 42 Hier durchbricht Martial die erotische Stimmung, indem er eine Situation des öffentlichen Lebens in das Gedicht integriert. Funck blendet in seiner Adaptation die Erotik vollkommen aus und richtet sich stattdessen an eine Person des öffentlichen Lebens, den Bischof, den er als dignissimus und magnanimus (1 und 10) charakterisiert. Der Schritt von Catulls erotischer Lyrik hin zu einem nicht-erotischen und zudem panegyrischen Gedicht wird durch die beiden Martialverse erheblich erleichtert. Ein weiteres der zahlreichen Gedichte an den Bischof Johannes Antonius verdient Beachtung, weil es an das Thema der Saturnalien anknüpft, dem Martial das ganze elfte Buch gewidmet hat: 43 Ad Eundem [sc. Episcopum Alexandrinum] Carmen Si mentem potes avocare presul A rebus nimis et nimis severis, Si quid iuris habet december in te, Qui longos levat ocio labores, 42 Mart. 6, 34, 5-6: quaeque sonant pleno vocesque manusque theatro, / cum populus subiti Caesaris ora videt. 43 Im zweiten Einleitungsgedicht zu Buch 11 (Mart. 11, 2, 5) verkündet Martial programmatisch: clamant ecce mei ‚Io Saturnalia‘ versus. Engelhard Funck statt Martial 167 Nunc (si dicere sic tamen licebit) 5 Saturnalia sunt: dies soluti Et festis salibus licentiosi. Nunc causis Rota feriata cessat; Nunc ludis vacat ociosa Roma; Tota iusticium tenetur urbe; 10 Nunc lassi fugiunt forum clientes; Tuae nunc minus occupantur aures Respiratque tua et quiescit aula Verbosis prope scissa ab advocatis. Nunc nostras licet estimare nugas, 15 Si sacro tamen a furore nugae Descendunt et habet deos cupido Sacros fallere quos agunt poetas; Sed non usque adeo malos putandum est, 44 Sibi ut pectora dedicata fallant. 45 20 Wenn du, Bischof, deinen Geist von den übermäßig ernsten Dingen einmal zur Ruhe kommen lassen kannst, wenn der Dezember irgendeinen Einfluss auf dich hat, der die langwierigen Mühen durch Mußestunden leichter macht: Nun sind (wenn ich das so sagen darf) die Saturnalien da, die zwanglosen Tage, die hemmungslos mit Scherzen in Festtagsstimmung verbracht werden. Nun ruht das Rad der Bestrafung und hat Urlaub von den Gerichtsprozessen; nun hat Rom müßig Zeit für Spiele; nun wird in der ganzen Stadt Gerichtsstillstand eingehalten; nun fliehen die erschöpften Klienten das Forum; auch deine Ohren werden nun weniger mit Beschlag belegt, und dein Hof, der von wortreichen Advokaten schon fast in Stücke gerissen worden ist, atmet auf und kommt zur Ruhe. Nun steht es frei, meine scherzhaften Gedichte zu würdigen, wenn gleichwohl aus einer heiligen Verzückung Scherzgedichte hervorgehen, und wenn ein Verlangen die heiligen 46 Götter erfasst hat, den Dichtern, die sie umhertreiben, unbemerkt zu bleiben; aber man soll sie nicht für so schlecht halten, dass sie den Herzen, die ihnen geweiht sind, unbemerkt bleiben. Auch in Martials Saturnalienbuch kommen längere Gedichte in Hendecasyllaben vor, etwa Mart. 11, 6 mit insgesamt 16 Versen. 47 Es fällt jedoch auf, dass Funck nicht wirklich auf den Charakter des antiken römischen Festes eingeht. Betrachten wir zunächst Martial 11, 6: An den Tagen des Saturn regiert der Würfelbecher, man dichtet ungezwungen, und es wird von einem Mund- 44 Das unpersönliche Gerundivum mit Akkusativobjekt ist vorklassisch und archaistisch (v.a. Varro) und kommt dann wieder öfter bei den späteren Juristen vor; vgl. Kühner / Stegmann 1997, 2, 1, 734-735, § 131, 2. 45 Uppsala, Cod. 687, fol. 36v-37r. 46 Grammatisch kann sacros sich ebenso gut auf deos wie auf poetas beziehen. 47 Vgl. thematisch bes. noch Mart. 11, 15 (13 Hendecasyllaben) und 11, 16 (10 Verse im elegischen Distichon). Iris Sticker 168 schenk, der eindeutig auch Lustknabe ist, Wein ausgeschenkt bis zur Trunkenheit. Das Gedicht endet mit einer obszönen Pointe: Da nunc basia, sed Catulliana: / quae si tot fuerint quot ille dixit, / donabo tibi Passerem Catulli. 48 („Gib mir nun Küsse, aber Catullische: Wenn es so viele sind, wie er gesagt hat, werde ich dir Catulls Passer schenken.“) Hier ist natürlich nicht nur an ein Schoßtier zu denken, sondern vor allem - indem Martial Catull bewusst obszön interpretiert - an den Phallos des Sprechers, den er dem Knaben „schenkt“. 49 Funcks Carmen lässt davon kaum etwas erahnen. Zwar wird (besonders in den Versen 3 und 6-7) auf die Freizügigkeit der Saturnalien angespielt, ansonsten jedoch vor allem die Festtagsruhe hervorgehoben. Die Bezeichnung des Festes selbst als Saturnalien wird nur mit Vorsicht geäußert (5-6). Dies könnte darauf hindeuten, dass nicht das alte römische Fest gemeint ist, sondern Weihnachten. Auch dieses Fest bewirkt einen Stillstand des normalen öffentlichen Lebens und so vielleicht Muße, sich mit nugae (15-16) zu beschäftigen. Obszöne Scherze haben hier jedoch keinen Platz. Die letzten fünf Verse sind inhaltlich schwierig. Vielleicht soll man einen Gegensatz zwischen der feierlichen und heiligen Stimmung des Dezember und dem Charakter der nugae des Verfassers erkennen. Das Thema des Dichterpatrons ist Martial und Funck ebenfalls gemeinsam. Die im Folgenden zu untersuchenden Gedichte enthalten jeweils eine Bitte an jemanden, der einem Mächtigen nahesteht, die Dichtung des Sprechers in irgendeiner Weise zu fördern. Martial schildert in den ersten Epigrammen des fünften Buches seine allmählichen Annäherungsversuche an Domitian. Dabei richtet sich Mart. 5, 5 an den Bibliothekar Sextus, der Martials Bücher in der kaiserlichen Bibliothek unterbringen soll, und 5, 6 an den Kammerdiener Parthenius, dem nahegelegt wird, in Domitians Anwesenheit Martial zu lesen, um den Kaiser neugierig zu machen. Funcks Ad Sigismundum wendet sich an jemanden aus dem Umkreis von Papst Innozenz VIII.: 50 Sigismunde, sodalium meorum Princeps, Teutoniceque nationis Ingens gloria lucidumque sydus, Qui numen colis Innocentianum Presentemque deum videsque et audis 5 Et sacri penetras domum palati: Istis versiculis precor patronam Impendas operam tuosque ducas, 48 Mart. 11, 6, 14-16. 49 Kay (1985, 75-76) führt in seinem Kommentar zur Stelle aus, dass hier Verschiedenes gemeint sein könnte: ein Vogel als Liebesgabe, Gedichte in der Art von Catulls Lesbia- Gedichten oder der Phallos der Sprechers. 50 Näheres zu der historischen Person des Adressaten Sigismund habe ich leider nicht gefunden. Engelhard Funck statt Martial 169 Ne dum se dominam ferunt per urbem Nasutis lacerentur a cynedis. 51 10 Sigismund, erster unter meinen Gefährten und außerordentliche Zierde und leuchtender Stern der deutschen Lande, der du die göttliche Macht des Innozenz verehrst und den Gott persönlich siehst und hörst und in das Haus des heiligen Palastes vordringst: Ich bitte dich, wende diesen kleinen Versen deine schützende Hilfe zu und sieh sie als die deinen an, damit sie nicht, wenn sie durch die Hauptstadt eilen, von spöttischen Schwulen zerrissen werden. Je ein Vers Funcks zeigt eine besondere Nähe zu einem der Martial-Gedichte: Vers 5 zu Mart. 5, 5, 2 (ingenio frueris qui propiore dei) und Vers 6 zu Mart. 5, 6, 8 (intra limina sanctioris aulae). Bemerkenswert ist der Schluss von Funcks Epigramm. Nasutus in der Bedeutung „beißend“ oder „spöttisch“ ist bei Martial mehrmals belegt, 52 und von cinaedi ist in seinen Epigrammen natürlich ständig die Rede. 53 Die beiden Martial-Gedichte, die Funck hier konkret imitiert, sind jedoch ganz sittsam und kommen ohne Obszönitäten aus. Man könnte also sagen, dass Funck in der Schlusspointe Martial mit dessen eigenen Methoden überbietet. Während im Gedicht Ad Sigismundum die Obszönität auf das Schlusswort beschränkt bleibt, wählt Funck in einem Epigramm auf einen Neidhammel, In Invidum, insgesamt eine derbe Ausdrucksweise: Quidam est cuius adhuc tacebo nomen, Cui miris stomachus modis redundat, Insanum quasi pharmacum bibisset, Ex quo vix tenui meos odore Hausit versiculos fluente naso. 5 Qui si largius applicasset ora, Misellus subito cacasset exta. Hoc est gratius, hoc magis volupe, Quasi Rex diadema regna sceptrum Concedat mihi Maximilianus. 54 10 Es gibt jemanden, dessen Namen ich noch verschweigen werde, dem sich auf wundersame Weise der Magen umdreht, als ob er ein ungesundes Gift getrunken hätte, seitdem er mühsam meine Verslein mit ihrem zarten Duft mit tropfender Nase eingesogen hat. Wenn er sein Gesicht noch großzügiger genähert hätte, hätte der Ärmste sofort seine Eingeweide ausgeschissen. Das ist erfreulicher und ergötzlicher, als wenn der König Maximilian mir sein Diadem, die Herrschaft und das Szepter überließe. 51 Uppsala, Cod. 687, fol. 32r. 52 Mart. 2, 54, 5; 12, 37, 1-2; 13, 2, 1. 53 Z.B. Mart. 1, 41, 13; 2, 28, 1; 2, 43, 13 (insgesamt über 20 Belege). 54 Uppsala, Cod. 687, fol. 39r. Iris Sticker 170 Auch Martial setzt sich immer wieder mit Neidern auseinander. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang wohl sein Epigramm 1, 40: Qui ducis vultus et non legis ista libenter, / omnibus invideas, livide, nemo tibi. („Du, der du ein Gesicht ziehst und das hier nicht gerne liest - alle sollst du beneiden, du Neidhammel, und niemand dich.“) Eine direkte Vorlage für Funcks Invektive scheint Martial 9, 97 zu sein. Dort wünscht der Sprecher, indem er eine Doppeldeutigkeit des Verbs rumpere ausnutzt, jedem, der angesichts seiner Berühmtheit vor Neid platzt, er möge tatsächlich platzen. 55 Ähnlich wie bei Funck überlagern sich hier also mentale und körperliche Reaktionen auf den Erfolg eines anderen. Funcks Epigramm weist dabei zwei Stufen auf: Bislang hat der „verschnupfte“ Neider an seinen Versen nur geschnuppert; wenn er die Nase vollends hineingesteckt hätte, wäre es ihm noch übler ergangen. Dass der Name einer angegriffenen Person nicht genannt wird, passt auch zu Martials Programm, das er in der Epistel zu Buch 1 entwirft und immer wieder bestätigt. 56 Die Formulierung im ersten Vers stammt jedoch aus Ovids Schmähgedicht Ibis. 57 Ein längeres Schmähgedicht von über 30 Versen in elegischen Distichen haben wir in Funcks Anklage eines Mädchens vorliegen, das während der Menstruation weiterhin Geschlechtsverkehr zulässt (In Menstruatam). Hier wird der Ton insgesamt besonders derb, ja geradezu grob. Eine Kostprobe mag genügen: O pereat quae virus habet sub crure puella Et futui a cupidis sustinet usque viris. Dy faciant semper coeundi dira cupido Sit tibi, sed fiat copia nulla tamen. Sit femur infectum semper sint inguina tabo 5 Semper et obscoeno vulva cruore fluat. Carpat edat laceret cancer loca pervia cunni, Sed ferat huic nullam cura medentis opem. 58 Elend zugrunde gehen soll ein Mädchen, das mit Blut vermischten Schleim zeigt und dennoch zulässt, dass es ununterbrochen von lüsternen Männern gebumst wird. Die Götter sollen dir ständig ein schreckliches Verlangen nach einer Vereinigung bereiten, aber du sollst dennoch keine Möglichkeit dazu haben. Ständig sollen deine Schenkel und deine Scham mit Eiter verpestet sein, und dein Schoß soll von schmutzigem Blut fließen. Ein Krebsgeschwür soll die 55 Vgl. bes. Mart. 9, 97, 1-2. 11-12: rumpitur invidia quidam, carissime Iuli, / quod me Roma legit, rumpitur invidia. […] rumpitur invidia quod amamur quodque probamur: / rumpatur quisquis rumpitur invidia. 56 Mart. 1 Epist. 1-3; 5, 15, 2; 9, 95b; 10, 33, 9-10; vgl. Grewing 1997, 404. 57 Ov. Ib. 9: quisquis is est, nam nomen adhuc utcumque tacebo […]. 58 Uppsala, Cod. 687, fol. 43v-44r, Verse 1-8. Engelhard Funck statt Martial 171 gangbaren Orte deiner Möse in Stücke reißen, fressen und zerfleischen, aber keine Fürsorge eines Heilers soll ihr irgendeine Hilfe zuteil werden lassen. Neben den bösartigen Verwünschungen fällt auf, dass Funck hier auf engem Raum gleich mehrfach Wörter für den Geschlechtsverkehr und die weibliche Scham verwendet: futuere (2), coire (3), inguina (5), vulva (6) und cunnus (7). Vor allem die Begriffe futuere und cunnus kommen bei Martial sehr oft vor. 59 In Menstruatam bleibt jedoch ein Sonderfall, und abgesehen von den wenigen genannten Ausnahmen sind Funcks Gedichte insgesamt weder sprachlich noch inhaltlich besonders derb oder obszön. In diesem notgedrungen kursorischen Überblick lag der Schwerpunkt auf Gedichten, in denen eine deutliche Martial-Imitation nachzuweisen ist. Das verzerrt natürlich das Gesamtbild der Dichtung Funcks, denn viele andere Stücke sind in einem ganz un-martialischen Ton geschrieben - so etwa Epitaphe für Zeitgenossen, das Lob Schwabachs, die Klage über den Tod der Mutter oder auch kleine seelenvolle Epigramme Ad Amicam, die ohne explizite Erotik oder gar Obszönitäten auskommen. 60 Bei den besprochenen Gedichten wird deutlich, dass Funck einerseits seinen Martial gut kennt und das epigrammatische Spiel bis hin zu Wortwitz und Pointen beherrscht, sich aber andererseits nur ausnahmsweise martialisch derben Sprachgebrauchs bedient. Während die freche, nicht selten obszöne Sprache für Martial programmatisch zur Epigrammdichtung gehört, 61 ist sie bei Funck eine Randerscheinung, die nicht das Wesen seiner Poesie ausmacht. 62 59 Futuere und stammverwandte Wörter: z.B. Mart. 1, 34, 10; 1, 84, 3; 1, 90, 6 (insgesamt über 60 Belege); cunnus und Komposita: z.B. Mart. 1, 77, 6; 1, 90, 7; 2, 34, 3 (insgesamt über 30 Belege). 60 Ich zitiere zwei Beispiele aus der Handschrift Uppsala, Cod. 687, fol. 45r. 1. Ad Amicam: Quid te fallaci speculo comittis inepta / Et vultus ornas tam studiosa tuos? / In mea fac oculos intendas pectora totos, / Si faciem cupias nosse, puella, tuam. / Illic te pinxit divinus in arte cupido / Aureaque impressit in mea corda venus. („Was vertraust du dich töricht dem trügerischen Spiegel an und verschönerst so eifrig dein Gesicht? Richte deinen Blick ganz auf meine Brust, wenn du dein Antlitz erkennen willst, mein Mädchen. Dort hat dich der göttliche Cupido kunstvoll gemalt, und die goldene Venus hat dich in mein Herz eingeprägt“). 2. Aliud ad Eandem: Amisi insano fugitivam e corpore mentem, / Quam venus abscondit pectore Dorotheae. / Illa autem hospitio formosae assueta puellae / Sub nostrum pectus velle redire negat. / Quid faciam? os ori coniungam, pectore pectus: / Sic anima saltem perfruar ipse mea. („Ich habe meine aus dem kranken Körper entflohene Seele verloren, die Venus in der Brust Dorotheas verborgen hat. Sie aber hat sich an die Gastlichkeit des schönen Mädchens gewöhnt und will nicht mehr in meine Brust zurückkehren. Was soll ich machen? Ich drücke Mund an Mund, lehne Brust an Brust - so kann ich mich selbst wenigstens an meiner Seele laben“). 61 Vgl. z.B. Mart. 1 epist. 9-10: Lascivam verborum veritatem, id est epigrammaton linguam […]. 62 Ich danke Frau Helena Schmedt für die kritische Lektüre des Manuskriptes. Iris Sticker 172 Literaturverzeichnis Handschriften sind mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet. Arnold, Klaus: Engelhard Funck (Scintilla). Beiträge zur Biographie eines fränkischen Humanisten, in: Jürgen Schneider / Gerhard Rechter (Hgg.): Festschrift Alfred Wendehorst zum 65. Geburtstag, Neustadt (Aisch) 1992 (Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52), 367-380. Arnold, Klaus: s.v. „Funck (Scintilla, auch: Teutonicus), Engelhard“, in: Deutscher Humanismus 1480-1520, Verfasserlexikon, herausgegeben von Franz Josef Worstbrock, Bd. 1, Berlin / New York 2008, 841-843. Borchardt, Karl: Die Würzburger Inschriften bis 1525 = Die Deutschen Inschriften, Bd. 27, bearbeitet auf der Grundlage des Nachlasses von Theodor Kramer unter Mitarbeit von Franz Xaver Herrmann (Geleitwort von Peter Herde), Wiesbaden 1988. Celtis, Konrad: Der Briefwechsel, gesammelt, herausgegeben und erläutert von Hans Rupprich, München 1934. Ellinger, Georg: Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im sechzehnten Jahrhundert, I: Italien und der deutsche Humanismus in der neulateinischen Lyrik, Berlin / Leipzig 1929. *Funck, Engelhard, Bayrische Staatsbibliothek München, Clm 716 (= Hartmann Schedel: Liber antiquitatum cum epigrammatibus), fol. 148v-154v. *Funck, Engelhard, Universitätsbibliothek Innsbruck, Cod. 664, fol. 79r-88v. *Funck, Engelhard, Universitätsbibliothek Uppsala, Cod. 687, fol. 23r-46r und 48r. Grewing, Farouk: Martial, Buch VI, ein Kommentar, Göttingen 1997 (Hypomnemata, Bd. 115). Holstein, Hugo: Ungedruckte Gedichte oberrheinischer Humanisten II, Zeitschrift für Vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur, N. F. Bd. 4, 1891, 446-473. Kay, Nigel M.: Martial, Book XI, a Commentary, London 1985. Kühner, Raphael / Stegmann, Carl: Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Zweiter Teil: Satzlehre, 1. Bd., Hannover 5 1997. Lausberg, Marion: Das Einzeldistichon. Studien zum antiken Epigramm, München 1982. Martialis, Marcus Valerius: Epigrammata, recognovit brevique adnotatione critica instruxit W. M. Lindsay, Oxford 2 1929 [u.ö.]. Pirckheimer, Willibald: Briefwechsel, Bd. 1 = Humanistenbriefe, Bd. IV, in Verbindung mit Arnold Reimann (gest.) gesammelt, herausgegeben und erläutert von Emil Reicke, München 1940. Soldevila, Rosario Moreno: Martial, book IV, a Commentary, Leiden [u.a.] 2006 (Mnemosyne Supplementa, Bd. 278). Wendehorst, Alfred (Bearb.): Das Bistum Würzburg, 4: Das Stift Neumünster in Würzburg, Berlin / New York 1989 (Germania Sacra N. F. 26: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz). Wimpfeling, Jakob: Adolescentia = Jacobi Wimpfelingi Opera Selecta I, unter Mitarbeit von Franz Josef Worstbrock eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Otto Herding, München 1965. Engelhard Funck statt Martial 173 Wimpfeling, Jakob: Briefwechsel (2 Bde.) = Jacobi Wimpfelingi Opera Selecta III/ 1 und III/ 2, eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Otto Herding und Dieter Mertens, München 1990. Zingerle, Anton: Beiträge zur Geschichte der Philologie I. De carminibus Latinis saeculi XV. et XVI. ineditis, Innsbruck 1880. Péter Kasza (Szeged) Cuspinians Oratio protreptica und ihr Echo in Ungarn Johannes Cuspinian hatte vielfältige Verbindungen zur Geschichte sowie Kulturgeschichte Ungarns. Um seine Bedeutung zu betonen, reicht es aus, sein Diarium über die der habsburgisch-jagiellonischen Doppelhochzeit vorangehenden Verhandlungen 1515, 1 seine fast 20 Gesandtschaftsreisen nach Ofen, 2 die Corvina, die er vom ungarischen Hof als Geschenk mitgebracht hatte und die auf diesem Wege nach Wien gelangten und dem Untergang entgingen, sowie sein Mitwirken bei der Veröffentlichung der ersten zuverlässigen Landkarte von Ungarn 1528 3 zu erwähnen. Dennoch habe ich in meinem Beitrag vor, mich ausschließlich mit einem seiner Werke, nämlich mit seiner an die deutschen Reichsstände gerichteten antitürkischen Rede, mit der Oratio protreptica, und deren Echo in Ungarn zu beschäftigen. 4 Die Oratio ist ein typisches Stück der sogenannten Türkenliteratur. Als Anlass ihrer Entstehung diente die tragische Niederlage des ungarischen Heeres bei Mohács am 29. August 1526. Bei dieser Schlacht wurde nicht nur das ungarische Heer fast völlig vernichtet, sondern kam König Ludwig II. selbst ums Leben. Um die Thronfolge kam es bald zu einem Bürgerkrieg zwischen den Anhängern der beiden Gegenkönige, Johann von Szapolya und Ferdinand von Habsburg, und es wurde klar, dass das Ungarische Königreich ohne weitere Hilfe aus dem Ausland immer weniger fähig war, den osmanischen Drang nach Europa zu verhindern. Dementsprechend wandte sich Cuspinian an die Fürsten und Stände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, und forderte sie auf, Europas ehemaliges Bollwerk, d.h. Ungarn, nicht in die Hände der Türken fallen zu lassen. In lebhaften Farben schilderte er, alle Topoi der fertilitas Pannoniae anwendend, den Reichtum und die Fruchtbarkeit des Landes. Damit versuchte er die Fürsten und Stände zu überreden, ihre 1 Kleehoven 1959, 78-89; Szebelédi 2013, 307-315. 2 Kleehoven 1959, 47-78. 3 Die Karte wurde von einem gewissen Lazarus, Sekretär von Erzbischof Tamás Bakócz um 1514 angefertigt, und von Georg Tannstetter (Collimitius) und Cuspinian in Ingolstadt veröffentlicht. Kleehoven 1959, 253-255. 4 Meines Wissens gibt es weder eine kritische noch eine moderne Ausgabe der Rede von Cuspinian, obendrein ist auch die erste Ausgabe aus dem Jahre 1526 verschollen. Ich berufe mich auf den Text in einem späten Sammelband, der in der Universitätsbibliothek Szeged aufbewahrt wird. Péter Kasza 176 Feindschaft beizulegen und sich Ferdinand I. bei dessen Vorhaben anzuschließen, im kommenden Frühling einen Feldzug gegen die Heiden zu führen. Der Text baut sich aus den bereits bekannten Topoi der Türkenliteratur auf: er stellt das Leid der Christen unter türkischer Herrschaft dar, damit versucht er die europäischen, in diesem Fall hauptsächlich die deutschen Herrscher zur Teilnahme an einem Kreuzzug zu ermuntern, weil die Türken ohne eine gemeinsame Anstrengung aus Europa nicht zu vertreiben seien. Vielleicht spielte diese Charakteristik der Rede eine Rolle dabei, dass die antitürkische Rede meines Wissens das Interesse der deutschsprachigen Fachliteratur nicht besonders erweckte. Unter diesem Gesichtspunkt können wir es für typisch halten, dass Cuspinian zwar im November 2008 in Wien eine dreitägige Tagung gewidmet und letztes Jahr der Konferenzband unter dem Titel Cuspinian im Kontext veröffentlicht wurde, 5 doch weder unter den Vorträgen noch unter den Beiträgen findet man einen, der sich mit der Oratio protreptica beschäftigt hätte. Der Biograph Cuspinians, Hans Ankwitz von Kleehoven, widmete der Darstellung und Interpretation der Rede in seinem Buch von 1959 zwei Seiten, 6 und beendete seine Zusammenfassung mit der folgenden Behauptung: „Leider ist uns nicht überliefert, welche Wirkung die Oratio protreptica […] auf die Zeitgenossen in Österreich und Deutschland ausgeübt hat.” 7 Es kam bei Kleehoven offensichtlich nicht in Frage, dass das Werk außer im deutschen Sprachgebiet, z. B. in Ungarn, irgendwelche Auswirkungen gehabt haben könnte. Dies ist umso erstaunlicher, weil es in der ungarischen Fachliteratur ganz im Gegenteil bereits ein Gemeinplatz ist, dass Cuspinians Rede für die Entstehung eines Meisterwerkes der ungarischen humanistischen Geschichtsschreibung eine entscheidende Rolle spielte. Dieses Werk ist der Bericht des damaligen Kanzlers, Stephanus Brodericus über die Schlacht bei Mohács, die sogenannte Historia verissima. 8 In der ungarischen Fachliteratur werden Brodericus gewöhnlich zwei besondere Beweggründe zugeschrieben. Einerseits wird allgemein angenommen, dass Brodericus von dem polnischen König Sigismund I. beauftragt wurde, einen kurzen Bericht über die Schlacht zu verfassen. 9 Brodericus hatte nämlich ausgezeichnete Kontakte zum polnischen Hof, und da der bei Mohács gefallene Ludwig II. ein Neffe des polnischen Königs war, erscheint es plausibel, dass der polnische König vom Augenzeugen Brodericus einen 5 Gastgeber / Klecker 2013. 6 Kleehoven 1959, 237-239. 7 Kleehoven 1959, 239. 8 Der Volltext bei Brodericus 1985. 9 Székely 1888, 257; Sörös 1907, 82-83. Cuspinians Oratio protreptica 177 genauen Bericht des tragischen Ereignisses erwartete. Anderseits wird Cuspinians Rede, d.h. die Oratio protreptica, als Anlass erwähnt, da sie den Ungarn Fahrlässigkeit und Verrat vorwarf. 10 Meine bisherigen Untersuchungen, 11 auf die ich wegen Platzmangels hier nicht detailliert eingehen kann, ergaben jedoch, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Auftrag Sigmunds gegeben hat. Er ist mangels jedweder Beweise zumindest nicht verifizierbar. Da die Annahme, Brodericus habe seinen Bericht im Auftrag verfasst, kräftig ins Schwanken gerät, bekommt die Veranlassung durch Cuspinians Rede ein noch größeres Gewicht, indem sie nun als einziger Beweggrund übrig bleibt. Wenn Brodericus´ Hauptmotivation die Widerlegung dieser Rede war, die die Ungarn anklagte, würde das einen der berühmtesten Texte der ungarischen Geschichtsschreibung von einem grundsätzlich historischen Werk zu einer Streitschrift umqualifizieren. Aber mit wem diskutiert Brodericus? Wirklich mit Cuspinian? Es ist nämlich gar nicht unproblematisch den Einfluss des Wiener Humanisten zu beweisen. Das Hauptproblem der Forschung war, dass Brodericus Cuspinians Namen weder in der Historia verissima noch in seiner erhaltenen Korrespondenz erwähnt hat. Wir haben also keinen von dem Autor stammenden direkten Nachweis dafür, dass wirklich Cuspinian und seine Rede Brodericus empört haben und ihm Anlass gaben, eine Antwort zu verfassen. Dennoch ist es aufgrund des Vorwortes der Historia wahrscheinlich, dass Brodericus den Bericht in irgendeiner Diskussionslage geschrieben hat, weil er dort schreibt: er habe es für wichtig gehalten, das Werk zu schreiben, weil er immer wieder erfahre, dass einige die Ereignisse anders beschreiben, als sie sich zugetragen haben, und dass sie die Niederlage nicht dem unbeständigen Glück zuschreiben, sondern die Schuld dafür den verräterischen Ungarn geben. 12 Dieser Anfang unterstützt auf jeden Fall die Ansicht, man habe es bei diesem Text in der Tat mit einer polemischen Schrift zu tun, die auf irgendeinen ungarnfeindlichen Text reagiert. Freilich ist damit noch nicht bewiesen, dass es sich bei dem ungarnfeindlichen Text um Cuspinians Rede handelt. Es gibt jedoch Absätze in Brodericus‘ Text, die eindeutig als Anspielungen betrachtet werden können. Am Ende des Werkes, bei der Schilderung des Todes des Königs findet man die folgende Bemerkung: 10 Bartoniek 1975, 9; Hopp 1992, 80-81. 11 Kasza 2007; Kasza 2007-2008. 12 Operae fere pretium putavi, si bellum […] breviter describerem, eo etiam consilio, quod video esse nonnullos, partim qui haec aliter, quam acta sunt, narrent, partim qui nostros alius aliam ob causam criminari non cessent atque hunc infelicem pugnae eventum non solitis rerum humanarum casibus, sed nostrorum culpae falso adscribere nitantur. Brodericus 1985, 21. Péter Kasza 178 Es empört uns mit Recht, dass eine bestimmte Person sich anmaßt, in ihrer Rede über diesen Gegenstand die Unseren als Verräter ihres Königs zu bezeichnen. 13 Auch ohne die Angabe des Namens ist dies ein klarer Hinweis: Eine Rede über Mohács oder im Zusammenhang mit der Schlacht publizierte nur Cuspinian. Sein Name erscheint hier zwar nicht, jedoch engt Brodericus einige Zeilen darunter den Kreis weiter ein, indem er sagt, er schäme sich für den berühmten Historiographen, der ihm unbekannte Begebenheiten dermaßen tölpelhaft der Öffentlichkeit unterbreitet habe. 14 Brodericus polemisiert also gegen einen Verfasser, der über die Schlacht bei Mohács eine Rede publizierte und zugleich ein Historiograph war. Diese beiden Hinweise deuten höchstwahrscheinlich auf Cuspinian: er hat eine Rede über Mohács geschrieben und veröffentlicht, bzw. war tatsächlich ein Historiograph, denken wir nur an seine Hauptwerke Caesares und Consules. 15 Aber neben den Anspielungen kann man im Brodericus-Werk auch offensichtliche Reaktionen finden. Dies möchte ich an einem Beispiel demonstrieren. Cuspinians Rede warf den Husaren vor, dass sie in Esztergom (Gran) die Schiffe der aus Buda (Ofen) fliehenden Königin plünderten, sich damit jedoch noch lange nicht zufrieden gaben, sondern sich die Pantoffeln und Kleider der Hofdamen anzogen, darin tanzten und die verängstigten Frauen verspotteten. 16 Brodericus reagiert eindeutig auf diese Textstelle, wenn er sagt, Andreas Obornasz, der Kapitän von Gran, und seine Soldaten hätten zwar tatsächlich Schäden an den Schiffen der Königin verursacht, jene Person aber, die den leichtbewaffneten, Husaren genannten Soldaten vorwerfe, sie hätten die Dienerinnen der Königin geschändet und diese verhöhnt, indem sie in deren Latschen getanzt hätten, habe die Wahrheit weit verfehlt. 17 Ich bin der Meinung, dass die oben zitierten Stellen ausreichende Beweise liefern, dass Brodericus mit der Abfassung seiner Historia tatsächlich auf 13 Quo molestiore animo ferendum censeo, quod ausus sit quidam oratione etiam de hoc publicata, si oratio illa vocari debet, nostros sui regis desertores falso vocare. Brodericus 1985, 54. 14 Sed idem ille egregius historiarum scriptor […] huius etiam cladis historiam ita scripsit, ut me pudeat eum ita impudenter rem sibi ignotam in vulgus prodere ausum fuisse. Brodericus 1985, 54-55. 15 Über die Entstehungsgeschichte dieser Werke siehe Kleehoven 1959, 265-332. 16 Ventum est in Danubio ad Strigonium Archiepiscopalem sedem. Tum husserones, incolae regni, Turcis longe saeviores et crudeliores, nulla pietate moti, nulla misericordia, navem unam onustam supellectile reginae auferunt, spoliant et diripiunt. Nec tanta feritate satiati, nisi ludibrio etiam suam Reginam afficiant in tanta anxietate: muliebres vestes et puellarum soleas ex Gynaecio adportatas induunt, choreas faciunt, risus et subsannationes in timidum sexum iaciunt. Cuspinianus 1601, 76. 17 […] in quibus [sc. navibus] Andreas Orbonasz, qui arci Strigoniensi praeerat, nonnulla damna fecerit, tamen in huius rei commemoratione longe a veritate recessit ille, qui militibus nostris levis armaturae, quos vero nomine huzarones apellat, eam culpam impingit, quod puellas reginales inhonestius habuerint et in earum soleis per ludibrium saltaverint. Brodericus 1985, 58. Cuspinians Oratio protreptica 179 Cuspinians Rede reagieren wollte. Vor einigen Jahren jedoch, ganz genau 2010, tauchte plötzlich ein früher unbekannter Brodericus-Brief auf. 18 Der Brief ist auf den 18. März 1527 datiert, und der Adressat ist Ferdinand von Habsburg selbst, damals schon gewählter König von Ungarn. Brodericus eilte nämlich nach der Niederlage bei Mohács sofort nach Pressburg, was ganz natürlich zu sein scheint, da er der Kanzler war und die Angehörigen des königlichen Hofes, die die Schlacht überlebt hatten, sich in Pressburg um die verwitwete Königin Maria herum sammelten. Brodericus ist also aufgrund seiner Position jener Partei beigetreten, die Ferdinands Thronanspruch unterstützte. Nach einigen Monaten jedoch hatte sich die Lage wesentlich verändert, und Brodericus entschloss sich, von der Partei Ferdinands Abstand zu nehmen und der Seite von Szapolyai beizutreten. Die Ursachen seiner Entscheidung erklärte er in diesem langen und alle Werkzeuge der humanistischen Rhetorik anwendenden Brief. 19 Der Kanzler zählte viele Fehler auf, die die Habsburger seiner Meinung nach zwischen September 1526 und März 1527 begangen hatten, und erwähnte zugleich viele Unrechtstaten, die entweder er selbst oder im Allgemeinem die Ungarn erlitten haben. Unter den Beschwerden widmet er einen ganzen Absatz der Rede von Cuspinian: Zu den Obenerwähnten kamen noch die Anschuldigungen des Büchleins von Cuspinian gegen unsere Nation, in dem wir Feiglinge und Verräter genannt werden, ein so schuldiges Gezücht, das weder Erde noch Himmel ertragen könne, und in dem die christlichen Fürsten angetrieben und aufgefordert werden, uns gänzlich aus der Welt zu vertreiben und zu vernichten. 20 Der Brief bietet gleichzeitig wichtige Angaben für die Brodericus- und die Cuspinian-Philologie. Erstens haben wir endlich ein Dokument, in dem Brodericus Cuspinian unverblümt nennt und kein Geheimnis daraus macht, dass ihn empörte, was er bei Cuspinian gelesen hatte. Er gibt also einen unwiderlegbaren Beweis dafür, was wir bisher nur durch indirekte Argumente beweisen konnten, dass Cuspinians Rede zur Entstehung der Historia verissima einen wichtigen Anlass lieferte. Aber der Brief ist auch für die Cuspinian-Philologie von Bedeutung. In philologischer Hinsicht hat man ein Problem mit der Oratio protreptica: es gibt weder eine Handschrift noch eine Erstausgabe, dementsprechend kann man 18 Vilmos Fraknói hat über die Existenz des Briefes berichtet, er hatte aber weder Absicht noch Möglichkeit, den Volltext des wertvollen Dokuments zu publizieren. Der Brief wurde im Rahmen einer Auktion im Jahre 1877 verkauft und war bis zum Jahre 2010 unbekannt oder für die Forschung unerreichbar. Siehe Fraknói 1877, 58-61. 19 Der Volltext des Briefes bei Kasza 2011, 7-14; der Text sowie ein umfangreiches, die Umstände des Parteiwechsels erklärendes Vorwort in Kasza / Pálffy 2011. 20 Accessit postea infamia libellis Iohannis Cuspiniani nationi nostrae inflicta, ubi desertores et proditores vocamur, soboles scelerata nec terra nec aere ferenda, et principes Christiani ad nos funditus e rerum natura tollendos atque exterminandos concitantur et advocantur. Siehe Kasza / Pálffy 2011, 73. Péter Kasza 180 nicht genau sagen, wann die Rede zustande gekommen ist und wann sie publiziert wurde. Hans Ankwitz von Kleehoven argumentierte, dass die Rede unbedingt nach dem 16. Dezember 1526 entstanden sein müsste, da Cuspinian sowohl in dem Haupttext als auch in dem an den Hauptkanzler von Ferdinand, Erzbischof Bernhard Cles, adressierten Widmungsbrief Ferdinand König von Böhmen und Ungarn nennt. Der Text sollte also nach dem ungarischen Königswahl von Ferdinand, d. h. nach dem 16. Dezember verfasst worden sein. 21 Des Weiteren schreibt Cuspinian, dass Ferdinand im kommenden Frühling einen Feldzug gegen die Osmanen führen wolle. Diese Aussage spricht Kleehovens Meinung nach auch dafür, dass das Werk im Winter 1526/ 27 geschrieben wurde. 22 Einerseits unterstützt der Brief von Brodericus diese Argumentation, anderseits können wir aufgrund dessen den terminus ante quem feststellen. Als der ungarische Kanzler sich beklagt, dass Cuspinian die Fürsten zur Vernichtung der Ungarn ermuntert habe, spiegelt dies unbestreitbar den Aufruf von Cuspinian gegen die Husaren wieder: CUSPINIAN BRODERICUS Num, o principes Sacri Romani Imperii et proceres, est haec gens funditus e radicibus exterminanda et delenda? 23 et principes Christiani ad nos funditus e rerum natura tollendos atque exterminandos concitantur et advocantur. 24 Oh, Fürsten und Adlige des Heiligen Römischen Reiches, ist also dieses Gezücht nicht völlig und mit der Wurzel zu vernichten und zu zerstören? Die christlichen Fürsten werden angetrieben und aufgefordert, uns gänzlich aus der Welt zu beseitigen und zu vernichten. Brodericus muss also die Rede gelesen haben, die dementsprechend vor dem 18. März 1527 erschienen sein musste. Wie ich bereits erwähnt habe, wird in der ungarischen Fachliteratur angenommen, dass Cuspinians Text ungarnfeindlich sei. Kleehoven erwähnt nichts Ähnliches und tut dies zurecht. Versucht man den Text von Cuspinian den Möglichkeiten entsprechend vorurteilsfrei zu lesen, muss man zugeben, dass es sich im Fall des Wiener Humanisten keineswegs um einen richtigen Ungarnfeind handelt. Wie aus dem Titel der Rede hervorgeht, handelt es sich 21 Kleehoven 1959, 238. 22 Ebd. 23 Cuspinianus 1601, 76. 24 Kasza / Pálffy 2011, 73. Cuspinians Oratio protreptica 181 dabei um eine an die deutschen Stände gerichtete, gegen die Türken hetzende Rede, die in ihrer polemische Erregung, auch Kleehovens Meinung nach, einer Predigt nahekommt. Diese polemische Erregung richtet sich jedoch größtenteils nicht gegen die Ungarn. Zwar erlaubt sich Cuspinian in der Tat einige Seitenhiebe gegen die Ungarn aufgrund ihrer groben Fahrlässigkeit, jedoch verurteilt er genauso die Gleichgültigkeit der christlichen Herrscher, die Rhodos verloren, und geißelt noch mehr die Lethargie der deutschen Reichstage sowie die Trunksucht der Fürsten als Hauptursachen ihrer mangelnden Entscheidungsfähigkeit. Dabei richtet er eine ganz besonders scharfe und spöttische Kritik gegen Luther, der in seinen damaligen Schriften den bewaffneten Widerstand gegen die Türken verurteilt hatte. Es stellt sich also die Frage: warum empörte die Rede Brodericus dennoch? Die Antwort darauf liegt meiner Meinung nach einerseits darin, dass Brodericus sich persönlich getroffen fühlte. Cuspinian bedauert an einer Stelle, dass es im Umfeld von Ludwig niemanden gegeben habe, der dem jungen und tollkühnen König von der gefährlichen Schlacht abgeraten habe. 25 Brodericus als Kanzler des Landes, und somit als einer der nächsten Berater des Königs, dürfte sich in diesem Punkt getroffen gefühlt haben. In einem Brief am 6. September, also nur einigen Tagen nach der Katastrophe schreibt er an den polnischen Vizekanzler, Piotr Tomicki, über die Absicherungsmaßnahmen: In Bezug auf die Sorge um das Leben des Königs habe ich alles Mögliche getan. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er gestorben ist. 26 Auch in der Historia, hebt er in der Tat mit Nachdruck hervor, dass er es war, der unmittelbar vor Anfang der Schlacht für die Verteidigung des Königs gesorgt hatte. Die Anwesenheit des Königs war heftig diskutiert worden. Es hatte einige darunter gegeben, die der Meinung waren, er dürfe in der Schlacht nicht anwesend sein […] Zum Schluss wurde beschlossen, […] dass einige Personen mit der Verteidigung des Königs betraut werden sollten. 27 Diese Beteuerung verleiht dem Werk des Kanzlers den Charakter einer persönlichen Verteidigungsschrift. Brodericus gibt sich aber damit nicht zufrieden, sondern zählt diejenigen namentlich auf, die mit der Verteidigung des 25 Regem admonere nemo bonus censuit suopte ingenio plus satis ad quaeque pericula subeunda promptum, qui nullis calcaribus egebat. Cuspinianus 1601, 74. 26 Quod ad salutem regis attinuit, nihil praetermisi, quod a me provideri potuit. Non possum ullo modo mihi persuadere eum periisse. Brodericus 2012, 144-145. 27 Disputatum fuerat diligenter de regis persona. Fuerant, qui censerent eum procul ab acie stare debere. […] Decretum igitur postremo est […] ut essent, qui regis servandi curam haberent. Brodericus 1985, 48. Péter Kasza 182 Königs beauftragt waren. 28 Die minuziöse Pünktlichkeit hat hier rhetorische Funktion: Brodericus nämlich versucht Cuspinians Glaubwürdigkeit dadurch zu entkräften, dass er als Augenzeuge die Umstände detaillierter kennt und schildert als Cuspinian, der seine Informationen bloß dem Vernehmen nach erhalten konnte. Andererseits beklagt Brodericus, dass Cuspinian die Ungarn des Verrates beschuldigt, weil sie ihren König sterben ließen. Brodericus ist der Meinung, und er betont es im Vorwort auch, dass eher das Schicksal (fatum) und das Unglück (fortuna) als die Treulosigkeit der Ungarn die Tragödie verursachten. Als er später die Gefallenen aufzählt, hebt er wieder hervor, wie jene der Treulosigkeit beschuldigt werden können, die an demselben Orte wie der König selbst ihr Leben geopfert hatten. 29 Es muss noch erwähnt werden, dass sich hinter der Antwort auf Cuspinians Rede ein politisch-propagandistischer Zweck vermuten lässt. An einer Stelle schreibt Cuspinian nämlich, dass Ferdinand im folgenden Frühling einen Feldzug gegen den Feind der Christen zu führen vorhabe. 30 Er schreibt also nicht „Osmanen“, sondern benutzt einen umfassenderen Begriff. Weil die Habsburg-Propaganda den Gegenkönig Szapolyai als den Verbündeten der Heiden, also der Türken, zu bezeichnen versuchte, ermöglichte dies eine solche Interpretation, nach der die oben zitierte Stelle der Cuspinian- Rede propagandistisch verwendbar gewesen wäre. Der erwähnte Feldzug würde sich also nicht gegen die Osmanen, sondern deren Verbündete richten, und Cuspinian würde die deutschen Stände ermuntern an ihm teilzunehmen und ihn zu fördern. - Ferdinand griff Szapolyai tatsächlich im Sommer 1527 an, allerdings ohne die Unterstützung der Reichsstände. Dementsprechend war ich früher der Meinung, dass Brodericus mit seinem Bericht, der offensichtlich für Szapolyai spricht, beabsichtigte, Cuspinian auch auf der Ebene der Propaganda zu antworten und damit den drohenden Angriff Ferdinands zu vermeiden. Bisher glaubten wir nämlich, dass der Bericht von Brodericus im April 1527 in Krakau bei Vietor veröffentlicht wurde. 31 Meine neuesten Untersuchungen lassen jedoch vermuten, dass die Historia erst im März / April 1528, also nach der entscheidenden Niederlage 28 Demandata fuit haec cura Casparo Raskay, Valentino Thörök et Ioanni Kallay, tribus praestantibus viris et regi sine ulla controversia fidissimis, depositis etiam ad id equis velocioribus, quibus rex, si ita necessitas postulasset, in evadendo uteretur. Ebd., 48. 29 An deseruisse regem sint censendi, qui omnes fere in eodem, in quo rex iacuit, campo iacuerunt testati morte etiam quam fidi suo regi fuerunt? Ebd. 54. 30 Ferdinandus, Hungariae et Bohemiae Rex, nullam obmittit occasionem, quin proximo vere […] bellum suscipiatur contra Christi hostes. Cuspinianus 1601, 80. 31 Weil es kein einziges Exemplar der Erstausgabe gab und deren Existenz nur von bibliografischen Hinweisen bekannt war, herrschte die allgemeine Meinung, dass die Ausgabe verlorengegangen sei. Cuspinians Oratio protreptica 183 und Vertreibung des Königs Johann zustande gekommen ist. 32 Dies ist ein ganzes Jahr nach der Veröffentlichung der Oratio protreptica. Unabhängig davon man kann feststellen, dass eines der Meisterwerke der humanistischen Geschichtsschreibung in Ungarn und der einzige von einem Augenzeugen stammende Bericht der Schlacht bei Mohács ohne die Wirkung der Rede Cuspinians nicht zustande gekommen sein dürfte. Die Historiker unserer Zeit sind alle dem Wiener Humanisten zu großem Dank verpflichtet, weil er eine Rede verfasste, die ein bemerkenswertes Echo in Ungarn auslöste. 33 Literaturverzeichnis Bartoniek, Emma: Fejezetek a XVI-XVII. századi magyarországi történetírás történetéből, Budapest 1975. 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Acta Tomiciana, Bd. 10, 198-199. 33 Die Studien zu diesem Beitrag wurden durch ein Bolyai-Forschungsstipendium der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gefördert. Péter Kasza 184 Sörös, Pongrác: Jerosini Brodarics István, Budapest 1907. Szebelédi, Zsolt: Cuspinians Prolog der Descriptio zur Doppelhochzeit von 1515, in: Christian Gastgeber / Elisabeth Klecker (Hgg.): Iohannes Cuspinianus (1473-1529). Ein Wiener Humanist und sein Werk im Kontext, Wien 2013 (Singularia Vindobonensia, Bd. 2), 307-315. Nienke Tjoelker (Innsbruck) Johannes Butzbachs Odeporicon zwischen populärer Literatur der Volkssprache und humanistischer Gelehrsamkeit Johannes Butzbach (1477-1516), ein rheinischer Mönch, der modernen Forschern vor allem wegen seines Kontaktes mit dem berühmten Abt Johannes Trithemius bekannt ist, hat einerseits den Ruf eines Humanisten, anderseits wird er aber in den Epistolae Obscurorum Virorum als Dunkelmann verspottet. Sein Odeporicon ist ein autobiographischer Reisebericht, den er 1506 für seinen Bruder schrieb. In drei Büchern berichtet er über sein Leben bis zu seinem Eintritt ins Kloster Laach, also die Zeit von 1477 bis 1500. Im ersten Buch beschreibt er seine Jugend in Miltenberg am Main und die Reise mit einem gewissen Beanus (einem älteren Schüler, mit dem Butzbach auf seine Reise geschickt wurde 1 ). Sein Vater war ein Weber, Conrad Butzbach. Als kleines Kind wird Johannes an seine Schwester zur Obsorge übergeben. Sie schickt ihn zur Schule und sorgt gut für ihn. Als er 10 Jahre alt ist, stirbt sie und Johannes kehrt zu seinen Eltern zurück. Butzbach versäumt oft, zur Schule zu gehen, und wird dafür streng bestraft. Nach einer schrecklichen Prügelszene wird Butzbach von seiner Mutter von der Schule in Miltenberg genommen und zusammen mit Beanus auf die Wanderschaft geschickt. Während der Reise wird es Johannes aber nicht ermöglicht, einer Schulbildung nachzugehen. Stattdessen macht Beanus die Reise für Johannes ziellos und schrecklich. Im Alter von 12 Jahren flüchtet Butzbach nach Karlsbad. Im zweiten Buch erzählt er von seinen Streifzügen durch Böhmen, bis er endlich wieder nach Miltenberg zurückkehrt. Dort hört er vom Tod seines Vaters. Im dritten Buch erzählt er von seinen Lehrjahren bei einem Schneider, seiner Zeit als Laienbruder und Klosterschneider im Kloster St. Johannisberg im Rheingau, seinem Schulbesuch in Deventer und schließlich seiner Reise nach Laach. Das Werk zeigt Butzbach laut Andreas Beriger als Vertreter des monastischen Humanismus. Laut Beriger gilt Enea Silvio Piccolomini (1405-1464) für Butzbach in mancher Hinsicht als Vorbild. Erstens hat auch Piccolomini einige seiner Werke in Briefform an jemanden gerichtet, wie sein Somnium de 1 Zum Wort Beanus cf. Beriger 1991, 148, Anmerkung. Nienke Tjoelker 186 fortuna und De liberorum educatione. 2 Zweitens war Piccolominis Europa vielleicht ein Vorbild für Butzbachs Werk, da es sich um einen Reisebericht handelt, den der deutsche Humanist sicher gekannt hat. 3 Auch bei den Städtebeschreibungen greift er auf Piccolomini 4 zurück. Schließlich zitiert er den Schriftsteller verschiedentlich im Odeporicon. Wichtiger für Beriger in der Interpretation des Werkes sind Butzbachs Humanismus und der Umstand, dass er dessen Reise als eine Lebensmetapher versteht. Er betont in seinen Schlussfolgerungen die humanistischen Züge des Werkes: Ein Verlangen, antike Autoren nachzuahmen, die Neigung dazu, seine eigenen Meinungen, Empfindungen und Erlebnisse ernst zu nehmen, das sind Züge, die seinem Odeporicon unmöglich abgestritten werden können. 5 Obwohl ich Butzbachs humanistische Qualitäten hier nicht bestreiten möchte, glaube ich, dass der Autor in seinem Odeporicon aber nicht nur in humanistischer gelehrter Manier über sein Leben geschrieben hat. In diesem Artikel werde ich versuchen zu zeigen, dass man das Werk auch auf einer anderen Ebene interpretieren kann, nämlich mit Hilfe der Volkskultur. Butzbach wurde ja von seinem jüngeren Bruder eigentlich gebeten, einen deutschsprachigen Reisebericht zu schreiben. 6 Obwohl sich Butzbach ausdrücklich weigert, seine Muttersprache zu benutzen, und stattdessen eine lateinische Erzählung schreibt, weil er seinen Bruder daran gewöhnen will, lateinisch zu sprechen, scheint es mir wahrscheinlich, dass er sich dennoch bemüht hat, die Erwartungen seines Bruders zu erfüllen, und viele Elemente der volkssprachlichen Unterhaltungsliteratur in seine Erzählung eingebaut hat. Wie Erich Kleinschmidt schon 1992 suggerierte, scheint mir diese Spannung zwischen volkskulturellen Elementen und gelehrtem Humanismus essentiell für unser Verständnis des Odeporicon. 7 Im Folgenden werde ich deshalb die Elemente der populären Literatur in der Volkssprache im Werk betrachten. Ein guter Ausgangspunkt hierfür scheint mir die Frage der Gattung zu sein. Butzbach selbst beschreibt sein Werk mit der griechischen Übersetzung odeporicon (hodeporicon) des lateinischen itinerarium als Reisebericht. 8 Dieser Terminus beschreibt ein sehr breites Spektrum an Reiseliteratur: von mittelalterlichen Reisebeschreibungen von Pilgern und fahrenden Scholaren bis zu 2 Beriger in Butzbach 1991, 354. Somnium de fortuna (24.6. 1444) hatte die Form eines Briefes an Prokop v. Rabstein (? 1472). Das Traktat De liberorum educatione (Febr. 1450) war dem Habsburger Ladislaus von Böhmen gewidmet. Cf. Helmrath 2010, 219-224. 3 Beriger in Butzbach 1991, 358, Anm. 47. 4 Beriger in Butzbach 1991, 370. 5 Beriger in Butzbach 1991, 438-439. 6 Butzbach 1991, 128. 7 Kleinschmidt 1992, 113. 8 Über das Wort hodoeporicon cf. Butzbach 1991, 128, Anmerkung. Johannes Butzbachs Odeporicon 187 poetischen Odeporica der Humanisten. 9 Man könnte sich wegen dieser enormen Variation selbst fragen, ob es überhaupt von Nutzen ist, den Reisebericht, oder ‚Travel narrative’ auf Englisch, als Gattung zu betrachten. 10 Das enge Verhältnis zu anderen Genres, wie dem späteren Roman und der Autobiographie, macht ihn zu einer sehr hybriden Gattung. 11 Ein Reisebericht kann Elemente vieler anderer Gattungen enthalten. Wenn Butzbach sein Werk Odeporicon nennt, stellt er sich also nicht in eine deutlich definierte Tradition. Auch die engere Bezeichnung der peregrinatio academica im Mittelalter braucht noch schärfere Konturen. 12 Ein reisender Scholar kann ein jüngeres Kind sein, wie Butzbach während seiner Reise, aber es kann sich auch um Universitätsstudenten oder sogar Universitätslehrer handeln. Der Titel ist also nicht sehr hilfreich in der eindeutigen Zuordnung des Odeporicon zu einer deutlich definierten Gattung. In seiner Analyse zieht Andreas Beriger sehr unterschiedliche literarische Formen als wichtige Kontexte für Butzbachs Werk in Betracht: u.a. den Brief, das Itinerar, den Picaroroman, Märchen, Stadt- und Landschaftsbeschreibungen, die Confessio und die Autobiographie. Das Odeporicon ist von seiner Form her ein Brief an Philipp, Butzbachs Bruder. 13 Es soll ein Trostbrief sein, der Philipp hilft, sein Unglück in einer fremden Schule zu ertragen, indem er das Ebenbild Butzbachs anschauen kann. Dass es auch Elemente des Reiseberichts hat, scheint selbstverständlich. 14 Der Picaroroman, eine volkssprachliche Gattung, die erst um 1530 in Spanien aufkommt, hat einige überraschende Gemeinsamkeiten mit Butzbachs Werk. Butzbach schreibt aus derselben Perspektive wie ein Schelm (Rückblick auf einen abgeschlossenen Lebensabschnitt), und er beschreibt die alltäglichen Umstände eines mühevollen Lebens. 15 Ob diese Gemeinsamkeiten auf eine relevante innere Verwandtschaft deuten, ist meiner Meinung nach aber wegen der chronologischen, topographischen und sprachlichen Distanz zu bezweifeln. Die Gattung des Märchens hat Gemeinsamkeiten mit der Struktur des Odeporicon und den Erzählungen, die Butzbach in sein Werk einflicht. 16 Bei seinen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen hat Butzbach frühere Darstellungen von Enea Silvio Piccolomini, Bartholomäus Anglicus und Hartmann Schedel benutzt und zitiert. 17 Gemeinsamkeiten mit der augustinischen Tradition der Confessio sieht Beriger in der Motivation des Werkes, obwohl er viele Unterschiede, 9 Über poetische neulateinische Hodoeporica vgl. Wiegand 1989, 117-139; zum Pilgerreisebericht cf. Wolf 1989, 81-117. 10 Cf. Zumthor 1994, 811. 11 Borm 2004, 14-17; Campbell 1988, 6; Genette 1986, 158. 12 Irrgang 2003, 59-61. 13 Beriger in Butzbach 1991, 352-355. 14 Beriger in Butzbach 1991, 358-361. 15 Beriger in Butzbach 1991, 372-373. 16 Beriger in Butzbach 1991, 352 und 400-404. 17 Beriger in Butzbach 1991, 404-408. Nienke Tjoelker 188 etwa in der Struktur, anmerkt. 18 Schließlich ist die Metapher des Lebenswegs laut Beriger prägend für Butzbachs Konzept der Autobiographie. 19 In den folgenden Ausführungen werde ich Butzbachs Position in der Tradition der Reiseliteratur der ‚fahrenden Scholaren‘ eingehender untersuchen und abschließend Überlegungen zur Relevanz der volkssprachlichen Unterhaltungsliteratur für Butzbachs Werk anstellen. Obwohl es also keine deutlich abgegrenzte Gattung von Reiseliteratur über mittelalterliche Bildungsreisen gibt, ist es trotzdem nützlich, Butzbachs Odeporicon mit anderen Texten zur peregrinatio academica zu vergleichen. Wie Stephanie Irrgang gezeigt hat, ist die Rezeption des ‚fahrenden Scholaren‘ im späten Mittelalter von Klischees geprägt. Mittelalterliche Scholaren werden oft als ‚liederliche Wanderpoet[en]‘, verwahrloste, undisziplinierte ‚Tramps‘ oder Gaukler beschrieben. 20 Weitere Elemente dieses Stereotyps sind der amor sciendi (als Motivation der Reise), Fremdheit, das Beziehungslose und Freischwebende. Dieses Bild wird nicht nur von Reiseberichten, sondern auch von einer Tradition von Lyrik, Gesängen, Wanderliedern und ikonographischen Darstellungen kolportiert. 21 Die Carmina Burana, die laut Irrgang stellvertretend stehen für diese Vagantenverse, Schwankliteratur, Straßenballaden, Ständesatiren, Bettelgesänge und Trinklieder, beschreiben das Fahren als studentische Sitte. 22 Die Realität war oft anders. Die Universitätsgeschichte hat diese Vorstellung vom fahrenden Scholarentum zur Ausnahme erklärt: Nur sehr wenige Scholaren zogen mehrmals von Ort zu Ort und meist begaben sich nicht die armen Schüler auf Wanderschaft, sondern die bemittelten Gebildeten. 23 Butzbach benutzt dieses stereotype Bild in seinem Werk, um seine erbärmliche Situation als fahrender Scholar zu akzentuieren. Die Reise mit Beanus wird von Anfang an als sehr schrecklich beschrieben. Beanus sollte als pedagogus funktionieren, aber er lehrt den kleinen Butzbach kein einziges lateinisches Wort. 24 Stattdessen schickt er ihn in die Dörfer, um Hühner und Gänse zu stehlen: Sepius etiam me cum alio consocii sui scutulo ad villas mittebat furandi aucas et gallinas gratia. In tali negotio ut studiosus et docilis essem operam dabat, in adiscendis vero litterarum bonarum morumque disciplinis minime. Nescio enim, si unquam ab eo verbum Latinum didicerim, quoniam et ipse ignarus 18 Beriger in Butzbach 1991, 426. Über das Genre der Confessio als Ursprung der Autobiographie siehe Price Zimmermann 1971, 121-40; Ijsewijn 1973, 211; Pollmann 1996, 47-64; Pollmann 2000, 30. 19 Beriger in Butzbach 1991, 387-400. 20 Irrgang 2003, 52. 21 Irrgang 2003, 52-53. 22 Irrgang 2003, 52. 23 Irrgang 2003, 54. 24 Butzbach 1991, 186-187. Johannes Butzbachs Odeporicon 189 erat, quapropter insignes scholas fugiens, ubi ipse studio incumbere cogebatur, viles et ignobiles, ubi a pueris ob magnitudinem doctus iudicaretur, potius querebat, quibus in hoc loco ignavie sue admodum congruo iam post longam terrarum circumlustrationem tandem offendit. 25 Oftmals schickte er mich auch mit dem Schützen eines seiner Mitschüler zu den Dörfern, um Hühner und Gänse zu stehlen. Er gab sich alle Mühe, dass ich in solcherlei Dingen fleissig und lerneifrig war, beim Lernen aber der Schriften und der guten Sitten überhaupt nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich jemals von ihm ein einziges lateinisches Wort gelernt habe, denn er selbst konnte nichts; und aus diesem Grunde vermied er die berühmteren Schulen, wo er gezwungen wurde, sich ins Studium zu schicken; lieber besuchte er die billigen und elenden Schulen, wo er von den Schülern wegen seiner Größe für gelehrt angesehen wurde. Eben eine solche hatte er an diesem Ort, der zu seiner Dummheit bestens passte, endlich nach einem langen Irrweg durch allerlei Länder gefunden. 26 Das Klischee des Stehlens von Hühnern und Gänsen kommt auch mehrmals in der Selbstbiographie von Thomas Platter vor 27 und ist das Thema einer Erzählung Michael Lindeners (1520-1562) in seinem Rastbüchlein. 28 Diese Sammlung von Prosaerzählungen steht in der volkssprachlichen Tradition der Schwankbücher und hat eine unterhaltende, moralisierende Funktion. 29 Auch das Betteln der fahrenden Schüler, von dem Butzbach mehrmals spricht, ist in der Schwankliteratur verbreitet. Auch die Vorstellung, die der kleine, arglose Butzbach von seiner Reise hat, bevor er sich verabschiedet, ist vom volkskulturellen Stereotyp beeinflusst: er glaubt, dass er als Doctor und Herr zurückkehrt. 30 Dieser Wunsch ist auch bekannt in der Literatur zur peregrinatio academica. Auch ein Schüler in einem tschechischen Gespräch aus dem späten vierzehnten Jahrhundert äußert ihn. 31 Butzbach beschreibt seine naiven Erwartungen vor seiner Reise mit einer traditionellen märchenartigen Schilderung: 25 Butzbach 1991, 186. 26 Übersetzung von Beriger in Butzbach 1991, 187. 27 Platter 1989, 19. 28 Lindener 1883, Nr. 23 ‘Ein Bauer verklagt drei Studenten vor dem Konsistorium in Tübingen’. Zitiert von Petzoldt 2002, 145. Vgl. auch das Stereotyp des schwindelhaften fahrenden Schülers in Hans Sachs’ Der fahrend Schüler im Paradeis (Nürnberg 1550). 29 Altrock 2009, 229. 30 Butzbach 1991, 151. 31 Butzbach 1991, 151, Anmerkung verweist auf das Gespräch Podkoní a žák, in welchem der Schüler sagt: „Wenn ich dann Priester und Prälat bin, dann gehe ich in einem goldenen Messgewand, so dass du Kalb mich gar nicht anzusehen wagst.” Cf. Feifalik 1861, 128 und Baumann 1978, 87. Nienke Tjoelker 190 Inter ista magna michi leticia nascitur, quam ipse blande ut erat dulcibus verbis indesinenter fovebat. Parati ergo et ad iter accincti puerilibus plausis oppido gestiebam. Reputabam enim (ut sepe yronice audieram) alibi sepes farciminibus fore complexos et fastigia domorum ubique placentis obtecta; sed misellus ego statum contrarium opinioni mee experiebar non post multos hos dies. 32 Unterdessen kam in mir eine große Freude auf, die er selbst noch - schmeichelhaft, wie er war, - unablässig mit süßen Worten anregte. Als wir für unsere Reise bereit waren und uns zum Abschied gerüstet hatten, hüpfte ich voller Freude herum. Denn ich glaubte -wie ich das oft ironisch vernommen hatte-, dass anderswo die Zäune aus Bratwürsten geflochten wären und die Dächer der Häuser überall mit Kuchen gedeckt seien; aber nach wenigen Tagen sollte ich eine ganz andere Erfahrung machen, als ich dies vermeint hatte. 33 Diese Vorstellung der Fremde als Schlaraffenland geht auf eine mündliche Tradition zurück. 34 Die wichtigsten Elemente des Stereotyps des fahrenden Schülers in der Schwankliteratur sind deutlich in Butzbachs Geschichte verarbeitet: der amor sciendi, Fremdheitserfahrung und Bindungslosigkeit. Der Akzent in Butzbachs Selbstcharakterisierung liegt immer auf diesen Elementen. Sein Wunsch, Latein zu lernen, wird oft genannt, aber nicht erfüllt bis zum Ende des Buches. Die Menschen in Böhmen beschreibt er als ein barbarus populus 35 („barbarisches Volk“), dessen Sprache er nicht kannte. Sich selbst schildert er während seiner Reise als ein verlorenes Lamm: „Scitne pater tuus in tanta misera te constitutum hicinde ita vagabundum per orbem palantem velut deperditum oberrare ovem? “ 36 („Weiss denn dein Vater nicht, dass du hier so ins Unglück geraten bist? Dass du überall durch die Welt herumirrst wie ein verlorenes Lamm? “ 37 ). Als er endlich zurückkehrt in seine Heimatstadt, beschreibt er sogar sich selbst „als Böhme, als Barbar und sozusagen als Heide in meiner Kleidung, meinen Sitten und meinen langen blonden Haaren, die ich dort nach ihrer Sitte mit größtem Eifer hatte wachsen lassen.“ 38 Außer dem Stereotyp des fahrenden Schülers ist auch die Struktur des Odeporicons von der volkssprachlichen Literatur beeinflusst. Wenn wir diese analysieren, erscheint das Werk als ein Märchen: nach vielen Schwierigkeiten des kleinen Butzbach folgt ein Happy End. In Kapitel 2, 22 kehrt er, nachdem er 32 Beriger in Butzbach 1991, 150. 33 Übersetzung von Beriger in Butzbach 1991, 151. 34 Beriger in Butzbach 1991, 150, Anmerkung ‚Schlaraffenland‘. Zum Konzept in der mittelalterlichen Literatur cf. Ott 2002 und Pleij 2000. 35 Butzbach 1991, 186. 36 Butzbach 1991, 246. 37 Übersetzung von Beriger in Butzbach 1991, 247. 38 Butzbach 1991, 244-245. Johannes Butzbachs Odeporicon 191 von seiner Rückkehr in die Heimat erzählt hatte, mit seiner Erzählung nochmals nach Karlsbad zurück, um seine Reisebeschreibung mit noch mehr Abenteuern und Wunderbarem auszuschmücken. 39 Seine Trauer über den Tod seines Vaters im Kontrast zu seiner glücklichen Heimkehr zur Mutter ist kein passendes Ende dieses Märchens. 40 Deshalb lässt er darauf noch einige spannende Erzählungen folgen. Auch sein Erzählstil ist dem der Literatur in der Volkssprache ähnlich. Eine komische Anekdote über seine Sprachverwirrung in Böhmen hätte auch gut in ein Schwankbuch aufgenommen werden können: Ein tschechischer Mitschüler lehrt Butzbach einige ‚höchst schändliche Worte‘ (turpissima verba) als Begrüßung der Frauen beim Betteln. 41 Als er diese Worte ausgerechnet gegenüber der Schwester dieses Mitschülers äußert, wird sie wütend und versucht, ihn mit einem Spinnrocken anzugreifen. Zu allem Überfluss tritt Butzbach bei seiner Flucht auch noch zwei Gänse tot! Natürlich ist es wahrscheinlich, dass Butzbach eine ähnliche Sprachverwirrung erfahren hat, aber diese Episode lässt auch vermuten, dass die volkskulturellen, klischeehaften Erzählungen auch eine wichtige Inspirationsquelle für ihn waren. 42 Wie zahlreiche andere deutschsprachige Reiseberichte des Spätmittelalters 43 bietet auch Butzbach viele wunderbare Geschichten und Sagen. Im ersten Buch liefert er zum Beispiel eine Erzählung über Graf Johann von Kolovrat-Mašt’ovski, Herr zu Maschau (1473-1532), der schwarze Magie benutzt, um einen untreuen Diener in einer Falle zu fangen (1, 18-19). Später erzählt er auch eine Geschichte von einem untreuen Koch desselben Grafen, der mit der Hilfe eines treuen Bären aus einem sehr tiefen Kerker, in dem er festsaß, befreit wurde (1, 20). Im Kapitel 1, 21 erzählt er über denselben Tyrannen eine Episode von seinem Schloss, das von bösen Geistern in Schutt und Asche gelegt wurde (1, 21). 44 Alle diese Erzählungen bestätigen das Bild der Böhmen als Barbaren, denen man nicht trauen kann. Im dritten Buch berichtet er über eine Hostie, die er selber an die Wand gehängt hatte, die plötzlich herunterfällt, genau in dem Augenblick, als er sich darüber beklagte, dass er das Studium aufgegeben und somit auf die Priesterwürde verzichtet hatte (3, 11). 45 Der Vorfall fungiert als Vorzeichen dafür, dass Butzbach Priester werden soll. Das ganze Bild, das Butzbach von seiner Reise zeichnet, wird von Klischees der Schwankliteratur geprägt und kann deshalb nicht als rein objektive 39 Beriger in Butzbach 1991, 367. 40 Beriger in Butzbach 1991, 348 und 367. 41 Butzbach 1991, 187. 42 Vgl. aber auch Petron. 136, 4. Encolpius wird von den Gänsen des Heiligtums des Priapus angegriffen und tötet eine der Gänse. 43 Wolf 1989, 82. 44 Beriger in Butzbach 1991, 400-401. 45 Butzbach 1991, 280-283. Nienke Tjoelker 192 autobiographische Beschreibung verstanden werden. Stattdessen hat Butzbach einen literarischen Reisebericht erstellt. Dieser zeigt dabei, neben einem deutlichen Einfluss des Humanismus, eine nicht zu vernachlässigende Einwirkung der Volkskultur. Die Klischees und Erzählungen im Stil der Schwankliteratur machen diesen Text zu einem unterhaltsamen Werk für seinen Bruder, auch wenn es auf der anderen Seite sehr gelehrt und moralistisch ist. Conclusio Aus den oben beschriebenen Beispielen wird deutlich, dass Butzbach sich deutlich von der Kultur seiner Muttersprache beeinflussen lässt. Vielleicht hat der Leser dieses Artikels aus diesen volkssprachigen Elementen den Eindruck gewonnen, Butzbachs Odeporicon sei ein rein volkskulturelles Werk, mit der Ausnahme, dass es auf Latein geschrieben ist. Das ist aber nicht der Fall. Wie Andreas Beriger in seinen ausführlichen Überlegungen zu seiner Butzbachedition deutlich gemacht hat, hat das Werk eine Intention, die über den Zweck der bloßen Unterhaltung hinausgeht. Sein Ziel ist es, seinem Bruder, und wohl auch anderen Lesern, seinen schwierigen Lebensweg zu schildern und ihn von der Wichtigkeit der Bildung, und damit meint er die humanistische Bildung, zu überzeugen. Dass er dafür viele humanistische Strategien und Vorbilder benutzt, ist durch Berigers Analyse klar geworden. Dass sein Werk aber auch deutliche volkssprachliche und volkskulturelle Elemente benutzt, macht es zu einem originellen, überzeugenden Werk, das Butzbachs Position zwischen Mittelalter und Humanismus, zwischen populärer Literatur in der Volkssprache und gelehrter Kultur illustriert. 46 Literaturverzeichnis Altrock, Stephanie: Gewitztes Erzählen in der Frühen Neuzeit: Heinrich Bebels Fazetien und ihre deutsche Übersetzung, Köln 2009. Baumann, Winfried: Die Literatur des Mittelalters in Böhmen, deutsch-lateinisch- tschechische Literatur vom 10. bis zum 15. Jahrhundert, München / Wien 1978 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, Bd. 37). Borm, Jan: Defining Travel: On the Travel Book, Travel Writing and Terminology, in: Glenn Hooper / Tim Youngs (Hgg.): Perspectives on Travel Writing, Aldershot 2004, 13-26. Brenner, Peter J. (Hg.): Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur, Frankfurt a. M. 1989 (Suhrkamp Taschenbuch 2097). Butzbach, Johannes: Odeporicon, herausgegeben, kommentiert und übersetzt von Andreas Beriger, Weinheim 1991 (Acta Humaniora). Campbell, Mary B.: The Witness and the Other World: Exotic European Travel Writing 400-1600, Ithaca 1988. 46 Ich möchte mich bei Martin Korenjak und Johanna Luggin bedanken für die zahlreichen hilfreichen Hinweise beim Verfassen dieses Artikels. Johannes Butzbachs Odeporicon 193 Christmann, Helmut: J. Butzbach, Th. Platter, F. Platter, L. Geizkofler. Fahrende Schüler zu Beginn der Neuzeit, Heidenheim 1972 (Abenteuerliche Lebensläufe, Bd. 12). Feifalik, Julius: Studien zur Geschichte des altböhmischen Literatur 5., in: Sitzungsberichte der philosophischen-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 36, Wien 1861, 119-191. Franc, Maria: Das « Odeporicon » des Johannes Butzbach, Diss. Wien 1944. Genette, Gérard: Introduction à l’architexte, in: Gérard Genette / Tzvetan Todorov (Hgg.): Théories des genres, Paris 1986, 89-160. Goerlitz, Uta : Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein: Das « Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis » des Hermannus Piscator OSB, Tübingen 1999 (Frühe Neuzeit, Bd. 47). Helmrath, Johannes: Enea Silvio Piccolomini / Pius II, in: Walther Killy (Hg.): Killy’s Literaturlexikon, Bd. 9, 2 2010, 219-224. Irrgang, Stephanie: Scholar vagus, goliardus, ioculator. Zur Rezeption des „fahrenden Scholaren” im Mittelalter, Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6, 2003 (= Universität im Mittelalter), 51-68. IJsewijn, Josef: Humanistic Autobiography, in: Eginhard Hora / Eckhard Kessler (Hgg.): Studia Humanitatis. Ernesto Grassi zum 70. Geburtstag, München 1973, 209-217. Kleinschmidt, Erich, Rezension von Johannes Butzbach, Odeporicon von Andreas Beriger, Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 121, 1992, 111-114. Lindener, Michael: Rastbüchlein […] 1558. Herausgegeben von Franz Lichtenstein, Tübingen 1883. Neuber, Wolfgang: Zur Gattungspoetik des Reiseberichts: Skizze einer historischen Grundlegung im Horizont von Rhetorik und Topik, in: Brenner 1989, 50-67. Ott, Norbert H.: Schlaraffenland, in: Lexikon des Mittelalters 7, 2002, Sp. 1478. Petzoldt, Leander: Deutsche Schwänke, Baltmannsweiler 2002. Platter, Thomas: Hirtenknabe, Handwerker und Humanist. Die Selbstbiographie 1499 bis 1582, bearbeitet von Heinrich Boos, mit einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow, Nördlingen 1989. Pleij, Herman: Der Traum vom Schlaraffenland. Mittelalterliche Phantasien vom vollkommenen Leben, Frankfurt a.M. 2000. Pollmann, Judith: A different Road to God: The Protestant Experience of Conversion in the Sixteenth Century, in: Peter van der Veer (Hg.): Conversion to Modernities: The Globalization of Christianity, New York / Amsterdam, 1996, 47-64. Pollmann, Judith: Een andere weg naar God: de reformatie van Arnoldus Buchelius (1565-1641), Amsterdam 2000. Price Zimmermann, T.: Confession and Autobiography in the Early Renaissance, in: Anthony Molho / John A. Tedeschi (Hgg.): Renaissance Studies in Honor of Hans Baron, Dekalb 1971, 121-140. Wiegand, Hermann: Hodoeporica. Zur neulateinischen Reisedichtung des sechzehnten Jahrhunderts, in: Brenner 1989, 117-139. Wolf Peter: Die deutschsprachigen Reiseberichte des Spätmittelalters, in: Brenner 1989, 81-116. Zumthor, Paul: The Medieval Travel Narrative, New Literary History 25, 1994, 809- 824. Gregor Vogt-Spira (Marburg) Ein poetisches Manifest in einer humanistischen Debatte. Petrus Lotichius Secundus und die Wirklichkeitsnachahmung der Dichtung I Gelegentlich kommt es vor, daß Dichtung auf eine Debatte zur Dichtungstheorie reagiert. Dieser Fall scheint in einem Schlüsselgedicht des Petrus Lotichius Secundus (1528-1560) vorzuliegen, der als einer der herausragenden Dichter der frühen Neuzeit weit über Deutschland hinaus gelten kann. 1 Zu den zentralen Debatten des 16. Jahrhunderts gehört die Auseinandersetzung um die Nachahmung, die, in den zeitgenössischen Begriffen, sowohl die res wie die verba, mithin die beiden konstitutiven Elemente von Literatur umfaßt. Die Geschichte dieser beiden Stränge der Nachahmungsdebatte verläuft allerdings höchst unterschiedlich. Während die imitatio auctorum, die für die Praxis den selbstverständlichen Horizont abgibt, mit dem Ausgang des Jahrhunderts ihr theoretisches Potential erschöpft hat, gewinnt die Polarität ‚Literatur und Wirklichkeit‘ eine neue und dann über die Jahrhunderte hinweg anhaltende Aktualität. 2 In jener Debatte um die Verhältnisbestimmung von Literatur und Wirklichkeit spielt die in den 1530er Jahren einsetzende Erschließung der aristotelischen Poetik eine Schlüsselrolle. Angelpunkt ist die dort entwickelte zentrale Stellung von mimesis, die in dem Sinne erweitert wird, daß für literarische Werke allgemein ein Nachahmungsverhältnis zur äußeren Welt konstitutiv sei. Das allerdings steht zum aristotelischen Ansatz in erheblicher Spannung und bedarf daher aufwendiger Uminterpretationen, die wiederum neue Problemfelder eröffnen. Ihre für die Folgezeit wegweisende Weichenstellung hat diese ganze Auseinandersetzung durch den ersten gedruckten Kommentar zur aristotelischen Poetik erhalten, Francesco Robortellos In librum Aristotelis de arte poetica explicationes, die 1548 in Florenz erscheinen. 3 1 Vgl. die Zeugnisse bei Ludwig 1989, 207 mit Anm. 19; s. auch den Lotichius gewidmeten Band in dieser Reihe Auhagen / Schäfer 2001. 2 Für die Aktualität der literarhistorischen Praxis bis ins 20. Jahrhundert hinein genüge an dieser Stelle der Hinweis auf Auerbach 1946. Bezeichnend ist es, daß der Eröffnungsband von Poetik und Hermeneutik (vgl. Jauß 1964) eben dem Thema ‚Nachahmung‘ gewidmet war, wenn auch aufgrund der geschichtsphilosophischen Prämissen in einer Umkehrung der Wertung. 3 Vgl. Schmitt 1998 und jetzt Kappl 2006, bes. 71-87. Gregor Vogt-Spira 196 Jener Francesco Robortello und Lotichius sind sich nun begegnet, und zwar in einer für den jüngeren entscheidenden Phase seines Lebens. Denn in den Jahren 1554-1556 geht Lotichius nach Padua und Bologna, um das Studium der Medizin und Botanik abzuschließen, das er in Montpellier begonnen hatte. 4 Damit hält er sich in einem Zeitraum in Padua auf, in dem dort auch Robortello lehrt. Tatsächlich ist die Verbindung biographisch gut belegt. Lotichius widmet Robortello das Schlußgedicht seines dritten Elegienbuchs, in dem er Abschied von Italien nimmt: Robortello möge ein liebendes Andenken an den in die Heimat Zurückkehrenden bewahren, wie er selbst ihn als Gefährten und Wegweiser vermissen werde - die Art der Anrede läßt auf eine freundschaftlich geprägte akademische Beziehung schließen. 5 Eine solche scheint überhaupt zu dem Zirkel junger deutscher Dichter in Padua zu bestehen, dessen Zentralfigur Lotichius ist und in dem Robortello geradezu als alter noster Cicero apostrophiert wird. 6 Wenn ein anderes Mitglied, zu dessen Gedichtbuch Robortello ein einleitendes Begleitgedicht beigesteuert hatte, dem Älteren einen Studiengefährten empfiehlt, ist zu Recht beobachtet worden, daß dies „in kaum weniger vertraulichem Ton als in den Freundschaftsgedichten“ des Kreises untereinander geschehe. 7 Von daher ist also davon auszugehen, daß Lotichius auch mit der Debatte um das Verständnis der aristotelischen Poetik vertraut ist, in der Robortello weiterhin engagiert ist - in jenen Jahren etwa in der Auseinandersetzung mit Sigonio, den er zu seinem Nachfolger in Venedig gemacht hatte und der ihm später auf dem Paduaner Lehrstuhl nachfolgen wird. 8 Zu jener Debatte um die Wirklichkeitsnachahmung von Literatur steht nun das Thema eines Schlüsselgedichts dieser Zeit in auffälliger Nähe. Im vierten Stück seines Italien gewidmeten dritten Elegienbuchs, das den Titel De Patavii celebritate et studiis suis trägt, zieht Lotichius eine Summa seiner italienischen Zeit. Die Elegie ist, über ein autobiographisches Zeugnis hinausgehend, ein poetisches Manifest, das den Versuch einer Selbstbestimmung als 4 Lotichius hatte zuvor in Wittenberg den Grad eines Magister artium erworben. Zur italienischen Zeit zusammenfassend Coppel 1993. 5 Vgl. Elegie 3, 10, 17-20: Robortello, vale servaque absentis amorem, / qui maneat, dum nos dii superesse volent. / Quis mihi nunc ventos una passurus et imbres, / per iuga monstrabit nubibus aequa viam? Auch Bernhard Coppel sieht in der Widmung dieser Elegie den „Nachweis, daß L. in Robortellos Kreis verkehrt ist“ und versteht sie als Dank an einen „befreundeten (17-29! ) akademischen Lehrer“ (briefliche Mitteilung). In der Tat hebt bereits Johannes Hagius in seiner Lotichiusbiographie den ausgesprochen freundschaftlichen Verkehrston zwischen berühmten Professoren und Studenten in Padua hervor (Hagius 1754, 111). 6 Zu diesem Freundeskreis vgl. den erhellenden Beitrag von Wiegand 2001; zur Anrede als alter noster Cicero bei Cantiuncula 550 mit Anm. 44. 7 Wiegand 2001, 550. 8 Vgl. dazu Müller 2013, bes. 15-16. Ein poetisches Manifest 197 elegischer Dichter unternimmt. Dies geschieht in einem doppelten Bezugshorizont. Zum einen fallen auffällig viele Namen herausragender Dichter des italienischen Humanismus: Petrarca, Bembo, Fracastoro, Flaminio, Navagero, Molza werden genannt - im Rahmen rinascimentaler Poetik handelt es sich also um ein imitatio-Signal. Zugleich aber wird in einer überaus eigentümlichen Weise die eigene Vita zum Gegenstand der Dichtung gemacht, ja zum Schluß geradezu ein Bedingungsverhältnis von Dichtung zu Leben hergestellt: Wenn das Leben scheitere, sei auch keine Dichtung mehr möglich. Da Lotichius indes trotz seines hier behaupteten Scheiterns nicht mit dem Dichten aufhört, handelt es sich bei solcher Engführung von Dichtung und Leben offensichtlich um ein poetologisches Programm innerhalb des durch Robortello aufgeworfenen Problemhorizonts der Wirklichkeitsnachahmung von Literatur. Nun ist das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit eines der Schlüsselthemen, das die Lotichius-Forschung durchzieht. Bei einer Dichtung, die mit autobiographischem Gestus auftritt, kommt das nicht von ungefähr. Im wesentlichen herrscht Konsens, Gegenstand von Lotichius’ Dichtung sei „sein Leben […] mit den Höhepunkten, wie er sie sah“. 9 Sie wird als „schlagendes Beispiel für autobiographisches Dichten vor dem Übergang zum fiktiven“ betrachtet, denn es gelte: „Der Freund, der Anlaß, die Reise, die Frau, die bestimmte Freude, der bestimmte Schmerz: Sie wurden wirklich erlebt, und nur ihre Gestaltung lohnte die Mühe.“ 10 Oft ist deshalb nachgerade von ‚Erlebnisdichtung‘ die Rede, wobei die hier zu beobachtende Erlebnisqualität als Ausweis einer weit in die Zukunft weisenden Subjektivität aufgefaßt wird. 11 Angesichts des Bedeutungswandels von Begriffen wie ‚lyrisches Erleben‘ besteht dabei allerdings die Gefahr, unversehens modernere Lyrikkonzepte zurückzuprojizieren. 9 Coppel 2001, 16-17. 10 Schäfer 2001, 287. Das Verhältnis zwischen Werk und biographischer Erfahrung ist nachgerade die Leitfrage des ganzen Bandes Auhagen / Schäfer 2001: vgl. auch die ausführliche Rezension Roberts, der festhält, wie auch immer man sich zu der Opposition ‚Realität - Phantasie‘ stelle, die „Autobiographiequalität dieser Dichtung und mit ihr eine intensivierte Realitätsreferenz der Lyrik ist unabweisbar“, dabei allerdings zu recht unter Bezug auf das gerade in der frühen Neuzeit stark rezipierte Carmen 16 von Catull darauf hinweist, daß Realitätsbezug und Spiel mit Fiktionalität sich keineswegs wechselseitig ausschließen (Robert 2003, 11). 11 Wegweisend war besonders Ellinger 1929, 340-395, der in seiner eingehenden Würdigung eine „Persönlichkeit, die sich aussprechen will“, erkennt und von daher „die Dichtung des Lotichius als eine Vorstufe der größten Leistungen der deutschen Lyrik im 18. Jahrhundert“ betrachtet (Zitate 394). Auch Schäfer 2001, 288 ist von dieser teleologischen Perspektive bestimmt, wenn er die ‚Nachahmung des eigenen Lebens‘ und literarische imitatio gegeneinanderhält und die Position vertritt, „die Priorität des eigenen Lebens erweist das Imitatioverfahren als grundsätzlich sekundär.“ Gregor Vogt-Spira 198 Bislang wird das Problem ‚Literatur und Wirklichkeit‘ begrifflich und konzeptionell ganz ohne Bezug auf die im Cinquecento geführte Debatte behandelt, was umso auffälliger ist, als dieses Spannungsfeld im 16. Jahrhundert selbst in solch prägnanter und folgenreicher Weise Gegenstand der Diskussion ist und eben darin auch für die Autoren selbst den Referenzhorizont bildet. In der komplexen Frage nach ‚Dichtung und Leben‘ kann daher die Perspektive historischer Epistemologie einen entschiedenen Schritt weiterführen. II Die Elegie 3, 4, deren äußerer Gegenstand Lotichius’ Studienaufenthalt in Padua ist, zeigt sich nachgerade ‚alexandrinisch‘ komponiert: Ein Mittelteil über die Paduaner Zeit (29-64) wird von einem mehrstufigen Einleitungsabschnitt (1-28) und einem knappen Schlußteil (65-72) dergestalt gerahmt, daß sich das Verhältnis 7 : 9 : 2 ergibt, das Mittelstück und die beiden Rahmenteile also exakt dieselbe Verszahl ergeben. Im folgenden sei der Behandlung der drei Hauptteile der Elegie der Übersichtlichkeit halber der jeweilige Textabschnitt vorangestellt. Zunächst der Einleitungsteil (1-28): 12 12 Lotichius, Elegie 3, 4 A D G EORGIUM S ABINUM De Patavii celebritate et studiis suis (Text und Übersetzung hier und im folgenden im Anschluß an Kühlmann / Seidel / Wiegand 1997 in normalisierter Orthographie): „Wenn Du auch nach Kriegen und schweren Mühen im Vaterlande behagliche Muße in sicherer Lage genießt und, mächtig durch die Gabe des Wortes und begünstigt durch zunehmenden Wohlstand, die Kaisertaten in deinen Schriften verherrlichst, so daß die Oder, wenn sie an den fruchtbaren Gärten vorbeigleitet, bei deinen Gesängen bewundernd ihre Wasser anhält, so ist dir doch, Sabinus (wie ich glaube), aus deinem treu gedenkenden Herzen auch nach so vielen Jahren das Interesse an dem euganeischen Boden nicht geschwunden. Vielmehr ist dir Sehnsucht geblieben, und noch schwebt dir das Bild der alten Stätten liebreizend vor Augen. [10] Und bald siehst du dich den Medoacus, bald auf schnellem Schiffe die adriatische Bucht in gewohnter Weise befahren. Nun kommen dir die aponischen Quellen mit ihrem Schwefeldampf in den Sinn und die Tempel auf den Hügeln Antenors ganz in der Nähe; und das behagliche Arquatum, das sich am heilsamen Frühlingswind erfreut, und die Gefilde, die der Pluicus mit seinem klaren Wasser benetzt. Nimm noch die vielen erhabenen Geister, die vielen aufrichtigen Herzen der Dichter, die in deinem beständigen Sinn fortleben! Bald erscheint dir Bembo, bald der den Göttern nahe Fracastoro, dem Bembo gleich in seinem Ruhm; [20] und neben Flaminio auch Navagero mit seiner reinen Stimme, beide gebildete Meister makelloser Lyrik. Molza auch, mit Myrten bekränzt, den sorglich Amor am Sitz der Seligen mit unerschöpflichem Nektar nährt; und die anderen, mit denen zusammen du einst zu den aonischen Bergen und dem castalischen Hain zu wandern pflegtest. Vielleicht denkst du dabei auch deinerseits mit Interesse an mich und fragst, was ich treibe, während ich nahe der Küste Venetiens verweile.“ Ein poetisches Manifest 199 Tu licet in patria post bella gravesque labores mollia securis otia rebus agas. Eloquioque potens et opum successibus auctus illustres scriptis Caesaris acta tuis. Ut Viadrus, riguos dum praeterlabitur hortos, 5 ad tua mirantes carmina sistat aquas. Non tamen (ut credo) memori tibi corde tot annis excidit Euganei cura, Sabine, soli. Sed desiderium superest veterumque locorum dulcis adhuc oculis haeret imago tuis. 10 Et modo Medoacum celeri modo puppe videris Adriacum solito carpere more fretum. Nunc subeunt Aponi fumantes sulphure lymphae inque Antenoriis proxima templa iugis. Et zephyro gaudens Arquatum molle salubri 15 quaeque rigat liquidis arva Pluicus aquis. Adde tot egregias animas, tot candida vatum pectora, constanti quae tibi mente vigent. Iam tibi se Bembus, iam se diis proximus offert Frastorius, Bembo par in honore suo. 20 Et cum Flaminio puri Naugerius oris arbiter intactae cultus uterque lyrae. Molsaque praecinctus myrtho, quem sede piorum almus inexhausto nectare pascit Amor. Atque alii, quibus hic olim comes ire solebas 25 Aonas in montes Castaliumque nemus. Forsan et haec inter nostri tibi mutua cura est quidque sedens Veneto litore quaeris agam. Die Elegie ist an den älteren Freund Georg Sabinus gerichtet, der 20 Jahre früher - 1533-34 - gleichfalls nach Italien gereist war und dabei Anschluß an viele bedeutende Persönlichkeiten wie etwa Bembo gefunden hatte; nicht zuletzt war aus dieser Reise ein Hodoeporicon itineris Italici hervorgegangen. 13 Zum Zeitpunkt der Abfassung des Gedichts war Sabinus gerade von der neugegründeten Universität Königsberg, als deren rector perpetuus er eingesetzt worden war, auf seinen früheren Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik in Frankfurt an der Oder zurückgekehrt. 13 Georgii Sabini Brandeburgensis Hodoeporicon itineris Italici, Wittenberg 1535, später als zweites in seine sechs Bücher Elegiae aufgenommen. An der Erlebnisqualität zweifelt - in bemerkenswertem Gegensatz zu der für Lotichius geläufigen Einschätzung - Velten 1997, 249-250: „Das Italienerlebnis dieser Gattung kann aufgrund ihrer formalen Bedingungen und ihrer Rezeptionssituation nur ein literarisch vermitteltes sein; die meisten Aussagen sind topisch und inhaltlich vorgeprägt, zeigen dadurch aber umso besser die Anschauungen und Deutungsmuster des humanistisch orientierten, akademischen Protestantismus.“ Gregor Vogt-Spira 200 Das Gedicht gewinnt aus dieser Konstellation einen überaus raffinierten Eingang. Es beginnt mit einer dreigeteilten Apostrophe an Sabinus: Zunächst wird ganz in der Fiktion einer Briefanrede ein breit ausgefaltetes Vorstellungsbild des Schreibenden über den Ort, an dem sich der Adressat aufhält, also über Frankfurt an der Oder gegeben. Unter dem Stichwort mollia otia (2) wird ein Bild von Prosperität in jeder Hinsicht entfaltet, hyperbolisch gesteigert bis zur Bewunderung der Natur für Sabinus’ literarische Produktion: Die Oder halte bei seinen Gesängen ihre Wasser staunend an (5-6). Dieser Eingang erlaubt in einer Umkehrung dann zu einem Vorstellungsbild Italiens zu gelangen, speziell Paduas und seiner Umgebung. Der Aufenthaltsort des Lotichius wird dabei als hypothetisches Erinnerungsbild des Sabinus an seine Italienreise aufgerufen, was implizit zugleich eine Hommage an dessen Hodoeporicon darstellt. Es wird damit die Technik angewandt, Padua und Umgebung in verdoppelter Brechung im Spiegel eines Erinnerungsbildes des abwesenden Adressaten zu evozieren: veterumque locorum ⁄ dulcis […] imago (9-10), wie nachgerade terminologisch expliziert wird. Das Wirkliche gewinnt so von Beginn an einen träumerischen Charakter, indem die realen Orte durch den Filter der Imagination aufgerufen werden. Dies schließt eine klare Markierung der Topographie nicht aus: Mit Euganei […] soli (8) wird die Region umrissen. Ferner ist die Brenta genannt sowie das schon bei Lucan begegnende Abano (11 u. 13); es fehlt nicht der trojanische Gründer Paduas Antenor (14), der durch das erste Aeneis-Buch in den Bildungsschatz eingegangen ist. Mit Arquà wird Petrarca aufgerufen, ebenso wie mit dem Bächlein Pluicus Bembos Villa Noniana (15-16). Damit ist bereits vorbereitet, daß sich an die Erinnerungsbilder von Örtlichkeiten zwanglos jene von Dichtern anschließen, die in Sabinus’ Vorstellung weiterlebten (17-18). In allen Fällen handelt es sich um herausragende Dichtergestalten: Bembo und Fracastoro, der aus metrischen Gründen auf Frastorius, wie auch sonst üblich, gekürzt ist (19-20), figurieren in Julius Caesar Scaligers Kanon der besten neulateinischen Dichter; Fracastoro wird insbesondere wegen seines Lehrgedichts über die Syphilis, auf das Lotichius später noch anspielt, sogar die Palme zuerkannt. 14 Auch Flaminio und Navagero gehören in den Kreis der führenden, untereinander auch persönlich eng verbundenen Literaten (21-22). Francesco Maria Molza schließlich, gleichfalls seinerzeit hochgerühmt, wird zwar von Scaliger übergangen, doch von Bembo unter die vorzüglichsten humanistischen Dichter gerechnet; als Krone seiner Produktion gelten seine lateinischen Liebesgedichte, die sich aus einem sinnenfrohen Lebenswandel speisen, worauf auch Lotichius anspielt (23-24). Diese Namen stehen nicht zufällig, vielmehr sind sie alle mit der näheren oder weiteren Umgebung von Padua verknüpft - die Klammer bildet also das Erinnerungsbild der Örtlichkeit. Der Venezianer Bembo hatte sich 1419 für 20 14 Scaliger 2003, 204-220. Ein poetisches Manifest 201 Jahre auf seine Villa bei Padua zurückgezogen, um sich ganz dem literarischen otium zu widmen. Fracastoro hatte in Padua studiert und später den zentralen medizinischen Lehrstuhl der Universität inne. Ein Studienfreund war dabei Navagero, der auch in dem Dialog Naugerius de re poetica als Titelfigur figuriert und lange Zeit Bibliothekar der Marciana in Venedig war. Marc Antonio Flaminio, in seiner ersten Lebenshälfte Humanist, der sich schwerpunktmäßig der Liebesdichtung widmete, stammte aus dem Veneto und hielt sich 1519-21 in Padua auf. Nur bei dem aus Modena gebürtigen und für seine letzten Jahre dorthin zurückgekehrten Molza ist der geographische Rahmen etwas weiter gespannt, doch gehört auch er noch in den für Lotichius zentralen Großraum ‚Padua - Bologna‘. Auffällig ist indes, daß ihm als einzigem zwei Verse eingeräumt sind, während sich sonst jeweils zwei Dichter in ein Distichon teilen. 15 Der erste Gedichtteil schließt mit dem Vorstellungsbild, daß Sabinus vielleicht auch nach Lotichius sedens Veneto litore (28) fragen möge: Mithilfe des topographischen Signals erscheint Lotichius somit unversehens in die Reihe großer Dichter des zeitgenössischen italienischen Humanismus gestellt, die zum Zeitpunkt der Abfassung des Gedichts alle schon gestorben waren, z.T. erst jüngst. Im Kontext humanistischer Theoriebildung ist dies ein klarer Hinweis: Es formuliert den Anspruch auf Anknüpfung an exemplarische Repräsentanten humanistischer Dichtung. III Jene Scharnierverse führen nun in fließendem Übergang auf den autobiographischen Hauptteil ‚Lotichius in Paduaner Gefilden‘, der mit 36 Versen exakt die Hälfte des 72 Verse umfassenden Gedichts ausmacht (29-64): 16 15 Ellinger 1929, 386 vertritt die Auffassung, daß Lotichius Flaminio und Molza in den Vordergrund rücke und bei Molza „eifrig in die Schule gegangen“ sei, ohne allerdings dessen „unnachahmliche Weichheit“ erreicht zu haben. Der Grund dürfte im Thema ‚Liebe‘ zu suchen sein; dazu, daß sich auch Lotichius vornehmlich als Liebesdichter verstand, u. Anm. 26. 16 „Ich betrachte hier also Vergehen und Entstehen der Dinge und aus welchen Ursachen alles seiner Ordnung nach abläuft. [30] Und ich lerne alles kennen, was das Meer zum medizinischen Gebrauch und was die gütige Erde aus ihrem alles erzeugenden Schoß hervorbringt. Oft genieße ich es, im kühlen Schatten die Sonne zu meiden und viel über Pflanzen und Bäume zu reden. Besonders aber erfreuen mich die Hyazinthe und die Platane, die von deiner Hand gesetzt ist, Bembo. Denn Bembo brachte einst, an seine Heimat denkend, die Platane aus deinen Gefilden, sizilisches Enna, hierher. Oftmals gönne ich es mir, die venetischen Sümpfe mit leichtem Ruder zu durchstreifen, oftmals ganze Tage auf dem Lande zu verbringen [40] und mir im Grase die Hitze zu erleichtern, wenn irgendwo vielleicht ein hoher Lorbeerbaum sein duftiges Laub entfaltet. Dort grüße ich von jeder Felsenhöhe aus nach Arquatum hinüber und ehre deine Asche, ge- Gregor Vogt-Spira 202 Scilicet hic obitus rerum contemplor et ortus et quibus e causis ordine cuncta fluant. 30 Et disco quicquid medicos mare gignit ad usus quicquid et omnifero terra benigna sinu. Saepe iuvat solem gelida vitare sub umbra multaque de plantis arboribusque loqui. At me praecipue felix delectat hyacus 35 et platanus manibus consita, Bembe, tuis. Nam platanum Bembus patriae non immemor olim transtulit e campis Sicelis, Enna, tuis. Saepe levi remo Venetas lustrare paludes, saepe libet totos ducere rure dies. 40 Solarique aestus in gramine, sicubi forsan laurus odoratas explicat alta comas. Illic Arquatum quacumque e rupe saluto et veneror cineres, culte Petrarcha, tuos. Tunc simul ad calidas Aponi descendimus undas, 45 nec piget asphodelam vespere ferre domum. Hinc traho (quam longa est) abeuntem carmine noctem, dum sopor exclusas excubat ante fores. Carminibus solor casus patriaeque meosque abstergens maesta lumina saepe manu. 50 Sic mihi flos aevi, sic dulcis carpitur aetas, labitur et tacito clam fugit illa pede. Interea tamen instat Amor nec pulsa recessit ossibus haec pestis perniciesque meis. Nec ratio valuit saevas evincere flammas, 55 in summa quamvis legerit arce locum. Ergo ego sustinui primo sub flore iuventae horrida difficili tempore castra sequi. lehrter Petrarca. Dann steigen wir auch gleich hinab zu den warmen Quellen des Aponus und scheuen uns nicht, am Abend das Asphodeloskraut nach Hause zu tragen. Dann verbringe ich die verstreichende Nacht, so lang sie ist, im Lied, während der Schlaf draußen liegt vor der verschlossenen Tür. Mit Liedern tröste ich mich über das Schicksal der Heimat und mein eigenes, oftmals die Augen mit trauriger Hand wischend. [50] So wird mir die Blüte der Jugend, so die liebliche Zeit des Lebens geraubt: Sie gleitet dahin und flieht unversehens mit unhörbarem Schritt. Trotzdem bedrängt mich unterdessen Amor, und diese verderbliche Pest ist noch nicht besiegt und aus meinem Innern gewichen. Auch die Vernunft vermochte nicht die rasenden Flammen zu überwältigen, obgleich sie sich den befestigten Platz auf der Höhe gewählt hat. So habe ich es zwar in der frühesten Blüte der Jugend ertragen, in schwieriger Zeit den gräßlichen Kriegsdienst zu leisten. Gesehen habe ich die Grenzen des Ozeans und den entlegenen Strand, wo das Meer Libyen von unserem Erdteil trennt. [60] Tausend Gefahren habe ich, wenn auch erschöpft, bestanden; drückende Hitze habe ich oftmals, oftmals auch Kälte ertragen. Allein die Feuer Cupidos kann ich nicht bezwingen, und ich kann nicht stärker sein als mein Begehren.“ Ein poetisches Manifest 203 Oceani metas vidi litusque remotum, qua Libyam nostro separat orbe fretum. 60 Mille fatigatus rerum discrimina vici, saepe graves aestus, frigora saepe tuli. Unius haud possum superare Cupidinis ignes nec desideriis fortior esse meis. Motiviert durch die dem Adressaten urban in den Mund gelegte Frage, was denn nun seinerseits Lotichius betreibe (28), wird hier ein Selbstentwurf in vier Teilen geboten: (1) Studium (29-38) (2) villeggiatura, mithin otium (39-46) (3) Eigenes Dichten (47-52) (4) Liebe (53-64), was zugleich weit ausholend die tota vita seit dem Schmalkaldischen Krieg umgreift. Zunächst zum Studium der Naturwissenschaften und Medizin: Obitus, ortus oder causae (29-30) sind hier klare Signalwörter; die spätere Biographie des Freundes Hagius bezeugt die Authentizität der Angaben. 17 Es sei dabei nur auf die Reihenfolge obitus - ortus (29) aufmerksam gemacht: Indem zuerst der Verfall gesetzt wird, überformt die elegische Weltsicht auch die naturwissenschaftlichen Studien. Die in v. 34 genannte Beschäftigung mit Pflanzen und Bäumen hat ihr fundamentum in re in dem 1545 angelegten botanischen Garten, der dem Studium der Heilpflanzen diente. Hierbei fallen wiederum zwei literarische Brückenschläge ins Auge: Der Hyacus (35), der Guaiakbaum, dessen Rinde als Heilmittel gegen die Syphilis verwendet wurde, weist auf Fracastoro; 18 Bembos translatio einer Platane aus Sizilien, der gar volle drei Verse gelten (36-38), eröffnet einen literarischen Raum, der von Bembos Aetna bis hin zu Platons Phaidros zurückführt. 19 Der zweite Teil dieses autobiographischen Selbstentwurfs zeichnet ein Bild der villeggiatura, wie sie im Veneto seit dem späteren 15. Jahrhundert in Mode gekommen war. Das gemächliche Rudern auf der Brenta (39) nimmt im übrigen v. 11 auf - eben dasselbe habe Sabinus seinerzeit getan -, womit zugleich der Kreis zum Stichwort otium des Eingangs (2) geschlossen ist. Das Asphodeloskraut (46) - sprichwörtlich „de victu tenui ac simplicissimo“ 20 - signalisiert dabei mäßige Lebensweise, wie sie zur Konzeption des Landlebens gehört. Zugleich wird auch hier wieder mit der Verehrung des Petrarcagrabes in Arquatum (43-44) ein literarischer Brückenschlag vollzogen. 17 Hagius 1754, 111. 18 Fracastoro, Syphilis 3, 35-419 (mit einer ausgedehnten Darstellung der prima inventio 90ff. und einem abschließenden Verweis auf Bembo). 19 Vgl. dazu ausführlich Burmann 1754 im Kommentar z.St. 20 Vgl. den gelehrten Kommentar von Burmann 1754 z.St. Gregor Vogt-Spira 204 Den dritten Abschnitt bildet sodann das eigene Dichten, das in einer sehr speziellen Form präsentiert wird. Dem Dichten ist die Nacht gewidmet (47), deren Länge mit traho und in der ob ihrer Eleganz gerühmten, auch von Vergil verwandten Wendung quam longa est 21 geradezu physisch spürbar wird. Die Pointe besteht darin, daß dieweil der Schlaf ausgeschlossen vor der Tür liegt (48): ein umgedrehtes Paraklausithyron, indem nicht der Liebhaber ausgeschlossen draußen steht, sondern er selbst den erlösenden Schlaf nicht einläßt. Die Passage ist dabei voll von Tibull- und Ovidreminiszenzen. 22 Den Leitgedanken bildet Trauer, eine präzise Umsetzung der humanistischen Gattungsbestimmung der Elegie, wie sie bei Lotichius auch sonst begegnet, 23 hier zu einer Lebensform verdichtet, die sich geradezu als Verkehrung des horazischen Carpe diem darstellt. Carpitur aetas (51) weist schon voraus auf das Unterworfensein unter eine fremde Gewalt, das den nächsten Teil bestimmen wird. Aber es ist zugleich auch ein subtiler Kontrast innerhalb des Gedichts: Denn von Sabinus heißt es Vers 12 im Aktiv carpere fretum. Der autobiographische Teil mündet schließlich als Klimax in das Erlebnis von Amor, der als pestis und pernicies (54) eindeutige Wertung erfährt. Lotichius begreift sich als Gescheiterter: Von seiner großen Jugendliebe Claudia in Wittenberg trennt er sich - was einen außerordentlich reichen dichterischen Niederschlag findet. Man hat dazu bemerkt, daß die Trennung des Paares bei so viel erkennbarer Zuneigung letztlich unverständlich bleibe; jedenfalls überwindet Lotichius die Trennung nie. 24 Eine zweite, während des Frankreichaufenthalts mit einigem Zögern eingegangene Liebeserfahrung endet mit dem Tod der Geliebten. Vielleicht gab es auch noch eine italienische Romanze, die jedoch ebensowenig Erfüllung brachte. Die Macht Amors wird geradezu zur Schlüsselherausforderung des Lebens erhoben: Während er alles andere sonst überwunden habe - die Antithese erlaubt, Stationen seines bisherigen Lebens wie die Strapazen des Schmalkaldischen Kriegs oder Grenzerfahrungen auf seinen vielen Reisen in gedrängter Kürze aufleuchten zu lassen (57-62) -, könne er nur Cupido nicht bezwingen, nicht stärker als sein Begehren sein (63-64). 21 Verg. Aen. 8, 87. 22 Nachweise bei Burmann 1754 z.St. 23 Etwa in Eleg. 1, 10: vgl. dazu Vogt-Spira 2001, 92. 24 Schäfer 2001, 245. Ein poetisches Manifest 205 IV Daran schließt sich der Schlußteil: ein in acht Versen pathetisch inszenierter Abschied von der Dichtung, durch das Bild des sterbenden Schwans überhöht und in ein doppeldeutiges Sabine, vale ausklingend (65-72): 25 Ite procul, Musae, laurique hederaeque, valete, 65 Huttenus patriae quas tulit ante meae. Carmina nil prosunt, non si mihi talia Phoebus praescribat, moriens qualia cantat olor. Nec medicae curant Aponi mea vulnera lymphae ulla nec Euganeis quae viret herba iugis. 70 Haec satis est tenera myrthi cecinisse sub umbra, desine nunc, Erato, plura; Sabine, vale. Bemerkenswert ist hieran, wie Dichtung und Leben ineinander verschränkt werden. Zum einen entfalten die carmina nicht die heilende Kraft, die von ihnen eigentlich zu erwarten steht (67) - hier wird also das topische Verhältnis von Dichtung und Liebe berührt. Komplementär tritt dazu die physiologische Seite, insofern auch die Medizin die Wunde nicht zu schließen vermag. Daraus ergibt sich zuletzt: Da er im Leben die Liebe nicht bezwingen kann, erscheint somit dem Dichten die Basis entzogen. Indem Lotichius dem Lorbeer und Efeu entsagen will, den der poeta laureatus Ulrich von Hutten zuvor für die patria gewonnen hatte (65-66), gilt der Abschied ganz umfassend seiner lebensweltlichen Stellung als Dichter. Da er indes tatsächlich weitergedichtet hat, erweist sich die Inszenierung des Verzichts als Teil seines hier unternommenen Selbstentwurfs als poeta. Dabei bleibt genauer zu fragen, warum Lotichius eigentlich mit dem Dichten aufhören will. Halten wir noch einmal fest: Der Abschied von der Dichtung erfolgt nicht wegen der Dichtung, sondern wegen des Lebens. Auch das höchste Ziel, das sich in den Versen 63-64 formuliert findet, liegt im Leben, nämlich in der Überwindung Amors, und ist hier unter die Prämisse der Unerreichbarkeit gestellt. Dies ist auf dem Hintergrund der imitatio-Theorie durchaus bemerkenswert. Denn für einen Dichter liefert die Herausforderung sonst ein Vorbild, z.B. die aemulatio eines in den Kanon aufgenommenen Autors, und die Gefahr des Scheiterns erwächst aus dem Versuch, einen der höchstrangigen Dichter übertreffen zu wollen. Bei alledem unterliegt der Abschied von der Dichtung demselben performativen Widerspruch wie die recusatio: Der ‚Abschied von der Dichtung‘ ist 25 „Verlaßt mich, ihr Musen, und fahrt dahin, Lorbeer und Efeu, die Hutten zuvor für meine Heimat gewonnen hat. Nichts nützen die Lieder, selbst wenn mir Phoebus solche vorschreibt, wie sie sterbend der Schwan singt. Auch die heilkräftigen Wasser des Aponus können meine Wunden nicht schließen und auch kein Kraut, das auf den euganeischen Hügeln grünt. [70] Genug ist es, dies gesungen zu haben im linden Schatten der Myrte. Höre nun auf, Erato, weiterzusingen. Du, Sabinus, lebe wohl.“ Gregor Vogt-Spira 206 selbst Dichtung - hier noch gesteigert, indem sich Lotichius dabei programmatisch in eine Nachfolge einschreibt: Durch den Aufruf von hochrangigen Vertretern des Kanons und durch das Schaffen von Verbindungspunkten stellt er sich explizit in die Tradition des italienischen humanistischen Dichtens. Ja, mehr noch, er integriert sein eigenes Dasein und Schreiben darein: Dichten ist Existenzform, in der eben dieses Scheitern an Amor geformt wird - denn Lotichius begreift sich ganz wesentlich als Liebesdichter. 26 Die daraus resultierende Selbstinszenierung ist konsequent durchgehalten: das umgedrehte Carpe diem als Grundhaltung des Elegikers in perfekter Erfüllung des elegischen Gattungsprofils ‚Klage‘, und auf der anderen Seite der als Steigerung angelegte Entwurf der eigenen Biographie auf Unerreichbares hin. Indem Unerfüllbarkeit so zum Grundkonstituens des Selbstentwurfs wird, gelangen wir in den Bereich jener so intensiv gestalteten Subjektivität, die an Lotichius gerühmt wird. Gleichwohl wird daraus noch nicht unmittelbar verständlich, warum mit dem Bedingungsgefüge, wenn das Leben scheitere, sei auch keine Dichtung mehr möglich, ein solch expliziter Primat der Realität hergestellt wird. Dies erhellt aus jener Konstellation, die mit Robortello zu einer zentralen Problemstellung von Literatur wird. Denn zum einen avanciert zu einem maßgeblichen Kriterium von Dichtung ihr Verhältnis zur Wahrheit, gleichzeitig aber wird als ihr genuiner Gegenstand das Unwahre und Erfundene begriffen - proprium keiner anderen Kunst sei in solchem Maße, Lügen zu ersinnen. Daraus ergibt sich als Aufgabe des Dichters, Erfindung und Lüge in solch passender Weise auszudenken, daß sie glaubwürdig werde. 27 Das Problem erwächst hierbei aus einer repräsentationistischen Auffassung von Wirklichkeit, in der ‚Realität‘ als ‚Wahrheit des Faktischen‘ begriffen wird: Dichtung tritt somit kraft ihres proprium einerseits in einen konstitutiven Gegensatz zum Wirklichen, bleibt aber andererseits durch das entsprechend interpretierte Wahrheitskriterium wieder an dieses gebunden - ein Dilemma, auf dessen Auflösung fortan viel Mühe verwandt wird. 28 Aus dieser Problemstellung ergibt sich nun unmittelbar, welchen Gewinn Lotichius erzielt, wenn er seine Dichtung dergestalt von seiner Vita abhängen läßt, daß sie unabdingbar an dessen Gelingen gebunden ist. Denn eben das garantiert ihr die Glaubwürdigkeit: Durch einen solchen Primat des Wirklichen ist jeglicher Verdacht des mendacium und fabulosum gegen sein elegisches Dichten konterkariert. Diese Lösung folgt durchaus den Spuren Robortellos, der das Problem anläßlich der Darstellung historischen Geschehens behandelt. Er kommt dabei zu dem Schluß, es handele sich insofern durchaus um Dichtung, als über die 26 Schäfer 2001, 285. 27 Robortello 1968, 2-3. 28 Vgl. Kappl 2006, bes. 79 f. Ein poetisches Manifest 207 vera actio hinaus durch die Verfahren der Ausgestaltung - mutare, augere, minuere, exornare, amplificare und anderes mehr - genügend Raum für die genuin dichterische Tätigkeit des fingere gegeben sei. 29 Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Vorstellungsvermögen zu, das in den Spuren hellenistisch-römischer Rhetorik und Dichtungstheorie als entscheidende Instanz für die poetische Herstellung und Vermittlung von Wirklichkeit begriffen wird. 30 Daraus erhellt zuletzt eine literarische Strategie, die Lotichius in dieser Elegie anwendet. Denn es war auffällig, daß in der Eingangskonstellation der Adressierung des abwesenden Freundes Sabinus die physisch erfahrbare Realität Paduas, in der Lotichius selbst zugegen ist, in dem Erinnerungsbild nur als Imagination gegeben wird. Durch die raffinierte doppelte Brechung des Eingangs erscheint eine imaginative Schicht darüber gelegt, die in der Tätigkeit des fingere Poetizität garantiert. Damit aber ist durch die Form der dichterischen Gestaltung von Anfang an ein Kontrapost zum Primat des Lebens und der Realität geschaffen. In der Behauptung, wenn das Leben scheitere, sei auch keine Dichtung mehr möglich, steckt zum einen, daß das Leben zur conditio sine qua non für die Dichtung erhoben wird. Aber wenn auch eine notwendige, so ist das Leben deshalb noch keine hinreichende Bedingung. Vielmehr wird eine unauflösliche Verschränkung vorgenommen: eine Verschränkung, die nicht in hierarchischem Sinne zu verstehen ist. Es handelt sich insofern um die poetisch inszenierte größtmögliche Engführung von Dichtung und Realität, und hierin deutet sich in der Tat eine weit vorausweisende Neukonfiguration an. Literaturverzeichnis Auerbach, Erich: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 1946. Auhagen, Ulrike / Schäfer, Eckart (Hgg.): Lotichius und die römische Elegie, Tübingen 2001 (Neolatina 2). Burmannus Secundus, P. (Hg.): Petri Lotichii Secundi Solitariensis Poemata omnia, rec., notis et praefatione instr., 2 Bde., Amsterdam 1754 (ND Hildesheim / Zürich / New York 1998). Coppel, Bernhard: Lotichius in Italien. Das Italienerlebnis deutscher Humanisten, in: Unsere Heimat. Mitteilungen des Heimat- und Geschichtsvereins Bergwinkel e.V. Schlüchtern 9, 1993, 167-183. Coppel, Bernhard: Zur Einführung in das Thema: Petrus Lotichius secundus, in: Auhagen / Schäfer 2001, 11-17. Ellinger, Georg: Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im sechzehnten Jahrhundert. 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Zu Poetologie und poetischer Praxis in den Schediasmata des Paulus Schedius Melissus 1. Einleitung Der 1539 im unterfränkischen Mellrichstadt 1 geborene Paulus Schedius Melissus 2 ist heute - außer bei Spezialisten für die Literatur der Frühen Neuzeit - nahezu vergessen, obwohl sein zweisprachiges Oeuvre 3 einen beachtlichen Umfang vorweisen kann und seine Kontakte nicht nur bis zu den Spitzen der Gelehrtenrepublik, sondern sogar in allerhöchste herrschaftliche Kreise reichten. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Melissus war mit Philip Sidney und Henri Estienne befreundet, kannte Tycho Brahe und Orlando di Lasso, stand in Diensten der pfälzischen Kurfürsten und wurde von Königin Elisabeth I. an ihren Hof eingeladen; von seiner Verehrung der Herrscherin zeugen mehrere lateinische Huldigungsgedichte des fränkischen poeta doctus, die Monarchin ließ es sich sogar nicht nehmen, ihrerseits mit einem lateinischen Gedicht zu antworten. 4 Melissus wurde nicht nur unter die poetae laureati aufgenommen, sondern erhielt auch selbst das Recht, als Pfalzgraf (Comes 1 Die bis zur Säkularisation zum Hochstift Würzburg gehörende Stadt liegt im heutigen unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld in unmittelbarer Nähe zur thüringischen Grenze. Melissus nennt seinen Geburtsort in den lateinischen Dichtungen Alphipolis, ‚Mehlstadt‘ (vgl. Kühlmann u.a. 1997, 1461). 2 Die Herkunft der latinisierten Namensform ‚Schedius‘ ist nicht gesichert. Die Formen ‚Schäd‘ und vor allem ‚Schad‘ sind aber wahrscheinlicher als das heute gebräuchliche ‚Schede‘ (Schäfer 1993a, 547 mit 559 Anm. 3; 1993b, 239 mit Fußn. 2 [jeweils mit Verweisen auf weitere Literatur]); laut Kühlmann u.a. 1997, 1395 hieß sein Vater Balthasar Schad. Melissus führt den Namen ‚Schedius‘ auf das griechische Wort schedion (‚Stegreifgedicht‘) zurück, das dem Titel Schediasmata zugrundeliegt (Schäfer 1993a, 546; 1993b, 240). Das fiktive Aition zu seinem selbstgewählten Beinamen ‚Melissus’ wird zu Beginn der Cantiones musicae erzählt, vgl. dazu Conrady 1962, 163 Fußn. 328; Kühlmann u.a. 1997, 1395, 1397 und 1450. Zum einen hat sich Melissus nach seiner aus Mailes stammenden Mutter Ottilia Melissa so genannt, zum anderen verband man mit der Biene poetologische Assoziationen. Da sich der Dichter selbst meistens ‚Paulus Melissus‘ nennt (vgl. Schäfer 2006, 91 Fußn. 1), verwenden wir hier diesen Namen. 3 Der von der Pléiade beeinflusste Melissus dichtete gelegentlich auch in französischer Sprache. Zudem verfasste er nach dem Vorbild Orlando di Lassos Motetten, die 1565/ 1566 veröffentlicht wurden. 4 Vgl. dazu Phillips 1963. Thorsten Burkard 210 Palatinus) Dichterkrönungen vorzunehmen. Die letzten Jahre seines bewegten Lebens verbrachte er als Bibliothekar der Bibliotheca Palatina. Melissus’ Werdegang führte ihn durch einen großen Teil der Europa neolatina: Nach Schul- und Studienjahren in Erfurt, Zwickau und Jena sowie einer Kantorenstelle in Königsberg im unterfränkischen Landkreis Haßberge (1559-1560) studierte er seit 1561 in Wien, wo er 1564 von Kaiser Ferdinand I. zum Dichter gekrönt und in den Adelsstand erhoben wurde. 5 1564/ 1565 setzte er sein Studium in Wittenberg, Leipzig und Würzburg fort. 1565-1567 schloss sich ein weiterer Wienaufenthalt an, in dessen Verlauf er 1566 Kaiser Maximilian II. auf dessen Feldzug gegen die Türken nach Ungarn begleitete. 1567/ 1568 bereiste er Frankreich, in die Zeit von 1568 bis 1571 fiel ein Aufenthalt in Genf, wo er zum Calvinismus konvertierte. In den Jahren 1577 bis 1580 finden wir ihn in Italien, wo er zum Hofpfalzgrafen (Comes Palatinus), Eques auratus und Civis Romanus erhoben wurde. Mit dem Titel eines Hofpfalzgrafen war das Recht zu Dichterkrönungen, zur Ernennung von Notaren und zur Ausstellung von Adelsbriefen verbunden. 6 Von 1580 bis 1584 weilte er vor allem in Nürnberg, 1585 in Paris sowie 1585/ 1586 am Hofe der englischen Königin. Sein eigentlicher Lebensmittelpunkt sollte aber Heidelberg werden, wo er sich zunächst 1559 sowie von 1571 bis 1577 aufhielt und von 1586 bis zu seinem Tode als Kurpfälzischer Rat und Leiter der Bibliotheca Palatina tätig war. 7 Schon zu Lebzeiten galt Melissus als monarcha poetarum Germanorum. 8 In einem 1585/ 1586 entstandenen Gedicht rühmt er sich, dass er allenthalben als Romanae fidicen Teutonicaeque lyrae bezeichnet werde. 9 5 Angaben zum Dichterdiplom bei Schäfer 1993b, 240-241 Fußn. 3; vgl. auch Melissus’ Dankesode an den Kaiser (Sched. 1, Mel. p. 65f.). Nach Jellinek 1896, p. i-ii sind vor allem Melissus’ Hofdichtungen ausschlaggebend für diese Ehrung gewesen. 6 Zu Melissus‘ Italienreise vgl. Balmas 1969; Czapla 2003. 7 Sein Nachfolger als Bibliothekar war übrigens kein Geringerer als Janus Gruterus. 8 Biographische Daten nach Schäfer 1991; 1993a und b, 239-255; Kühlmann u.a. 1997, 1395f.; Czapla 2003, 219-226; Flood 2006, 1820f. Die Biographie in Jean-Jacques Boissards Icones quinquaginta virorum illustrium von 1598 (dort Bd. 2, p. 84-94) stammt wohl von Melissus selbst (vgl. Schäfer 1993b, 239 Fußn. 1). Der am Heidelberger Paedagogium lehrende Schlesier Melchior Adam hat diesen Lebensabriss wortwörtlich übernommen, aktualisiert und durch weitere Zusätze angereichert, u.a. aus Simon Steins Leichenrede (Adam 1615, 446-453). 9 Sched. 2, Eleg. 1, p. 41, wieder abgedruckt in Melet. Parod. 1, p. 371. Vgl. dazu Schäfer 1976, 101f., der Teutonicae lyrae fidicen zu Recht auf Melissus’ Psalmenübersetzung bezieht. Wie Melissus in Briefen aus Italien schilderte, sahen die Römer in ihm den ersten Odendichter und Marc-Antoine Muret, den er aus seiner Zeit in Rom, wo Muret Philosophie lehrte, persönlich kannte, bezeichnete ihn in dieser als felix und audax (zit. nach Schäfer 1976, 70f.). Melchior Adam nannte ihn sui seculi poeta princeps; in Italien, Frankreich und Deutschland habe man sogar geglaubt, er stelle die vates mehrerer Jahrhunderte in den Schatten (1615, p. 452); man habe ihn gleichsam als Latinae linguae Pindarus angesehen (p. 453). Frühbarocker Manierismus? 211 Unter Melissus’ spärlichen deutschen Werken ragt die Übertragung des Hugenottenpsalters hervor. 1570 erteilte ihm der pfälzische Kurfürst Friedrich III. (gen. der Fromme, reg. 1559-1576) auf dem Speyrer Reichstag den Auftrag, das von Clément Marot und Théodore de Bèze verfasste und von Claude Goudimel vertonte liturgische Liedbuch der Calvinisten (erschienen 1563) für die Gemeinden der Gläubigen in der Kurpfalz ins Deutsche zu übersetzen. 10 Melissus ging diesen Auftrag mit dem Ehrgeiz des Erneuerers an: Er strebte nicht nur, um dem Stoff gerecht zu werden, einen hohen Stil an, sondern verband damit auch eine an französischen Vorbildern orientierte Reform von Verskunst und Orthographie. 11 In einer Ode an Joseph Justus Scaliger bezeichnete er die Psalterübertragung als eine ungewohnte poetische Aufgabe (inusitatum barbiton) 12 - vermutlich meinte er damit seine Verwendung der deutschen Sprache. Da 1573 aber die anspruchslosere und damit zugänglichere Psalmenübersetzung von Ambrosius Lobwasser in der Pfalz eingeführt wurde, erschienen zu Melissus’ Lebzeiten nur die ersten fünfzig Psalmen im Druck (1572). 13 Trotz dieses Misserfolgs, der ihn sein Leben lang quälen sollte, widmete sich Melissus bis 1576 noch der Übersetzung der anderen Psalmen. 14 Wie fremd er sich eigentlich auf dem Gebiet der volkssprachlichen Dichtung fühlte, zeigt die Tatsache, dass er nach 1584 vermutlich kein deutsches Gedicht mehr verfasst hat. 15 1624 wurden fünf seiner deutschen Gedichte von Julius Zincgref zusammen mit Gedichten anderer Verfasser als Anhang zur Erstausgabe von Martin Opitz‘ Teutschen Poemata herausgegeben. 16 Melissus’ weltliche neulateinische Dichtungen lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: in (1) Personengedichte an Freunde, Gönner und Herrscher sowie in (2) Liebesgedichte. 17 Die erste Gruppe ist vor allem in den Schediasmata (1574, 2 1586) und in den Schediasmatum reliquiae (1575) vertreten. Auf die Schediasmata werden wir weiter unten ausführlicher einzugehen haben. Die Liebesgedichte, in deren Mittelpunkt eine Geliebte namens Rosina stand, sammelte Melissus unter dem Titel Spinae / Acanthae (‚Dornen‘). Nur etwa ein 10 Zu den Gründen, die Friedrich III. dazu veranlasst haben, Melissus mit dieser Aufgabe zu betrauen, vgl. Czapla 2003, 221. 11 Schäfer 1993b, 242; 2006, 91. Dieses Werk stellt laut Jellinek den ersten Versuch dar, romanische Versmaße im Neuhochdeutschen nachzubilden (1896, lii). 12 Schediasmatum reliquiae, 1575, p. 164. 13 Schäfer 1976, 69. 14 Vgl. zu Lobwassers und Melissus’ Übertragungen Krauß 1920 und Trunz 1928/ 1995. Melissus’ Übersetzung wurde herausgegeben von Jellinek (1896). Zur Übertragung aller Psalmen vgl. den bei Schäfer 1973, 217 und Robert 2010, 581 Fußn. 15 zitierten Brief des Melissus an Camerarius. 15 Schäfer 2006, 92 Fußn. 7. 16 Herausgegeben in: Schulz-Behrend 1, 1978, 220-231. Vgl. dazu Schäfer 2006, 92; Robert 2007, 208f. 17 Nach Schäfer 1993a, 546. Thorsten Burkard 212 Drittel dieser 36 Bücher umfassenden Gedichte wurde gedruckt. 18 In den Schediasmata, den Schediasmatum reliquiae und den Meletemata finden sich mehrere Rosina-Gedichte. 19 Melissus’ zweites veröffentlichtes lateinisches Hauptwerk nach den drei Sammlungen der Schediasmata sind seine Meletemata pia, die 1595 in Frankfurt gedruckt worden sind. Dabei handelt es sich um eine Sammlung religiöser Gedichte, zu denen auch didaktische Gedichte für den minderjährigen Pfalzgrafen Friedrich IV. (Paraenetica), Parodiae antiker Gedichte und Psalmendichtungen hinzugefügt wurden. 20 Trotz Melissus’ Bedeutung für die lateinische und deutsche Dichtung und trotz des beträchtlichen Umfangs seiner poetischen Produktion 21 ist die Forschung zu dem „Haupt der Heidelberger Dichter des Späthumanismus“ und „einem der angesehensten Vertreter der europäischen Gelehrtenrepublik“ 22 spärlich. Zu Recht hat Schäfer vor 20 Jahren resümiert, dass es eigentlich keinen Forschungsstand gebe. 23 Diese Aussage gilt auch heute noch - und vor allem für den neulateinischen Teil seiner Werke. 24 Nur zu wenigen Gedichten liegen überhaupt Interpretationen vor. Wissenschaftliche Gesamtdarstellungen zu zentralen Aspekten oder gar zu Person und Werk fehlen gänzlich, sieht man einmal von Pierre de Nolhacs Monographie und dem Melissus-Kapitel in Eckart Schäfers Deutschem Horaz ab. 25 18 Schäfer 1993b, 249. Zu den Spinae vgl. Schäfer 1973 (u.a. zu wiedergefundenen ‚Dornen‘- Gedichten) und Dekker 1981. 19 Zu den um Rosina kreisenden Liebesgedichten, der damit verbundenen Fiktionsproblematik, dem Verhältnis von Rosina zu Margarita und der Frage, inwieweit Melissus als Petrarkist bezeichnet werden kann, vgl. Schäfer 1993b, 247f. und insbesondere 2006. 20 Zu den Catull-Parodiae vgl. Sauer 2012. 21 Wir kennen über 2000 Gedichte von Melissus (Czapla 2003, 241 Fußn. 16). 22 Kühlmann u.a. 1997, 1397. 23 Schäfer 1993a, 545; vgl. auch Nilges 1988, 47 („von der Literaturwissenschaft bisher recht stiefmütterlich behandelt“). Abgesehen von den im Literaturverzeichnis genannten Aufsätzen gibt es nur noch einige wenige Beiträge zu einzelnen Gedichten. Krauß’ handschriftlich verfasstes Werk von 1918, die einzige umfassende Monographie zu Melissus, war für mich de facto unlesbar (wie dieses Opusculum überhaupt nur selten in der Melissus-Literatur Erwähnung findet). 23 Gedichte sind in der von Kühlmann, Seidel und Wiegand besorgten Anthologie übersetzt und kommentiert, weitere sechs in dem von Kühlmann und Wiegand herausgegebenen Parnassus Palatinus. 24 Nicht nachvollziehbar ist daher Roberts Behauptung (2010, 585), dass Melissus’ neulateinische Werke „gut erschlossen“ seien. Es fehlt im Gegenteil so ziemlich an allem, was nötig wäre. Schon an der Basis fehlt es: Es gibt keine modernen Editionen (weder der Gedichte noch der umfangreichen Korrespondenz), von Übersetzungen oder gar Kommentaren ganz zu schweigen. Dass es keine wissenschaftlichen Werkmonographien gibt, hebt Robert a.O. selbst hervor. Auch Kühlmann 2006, 344 Fußn. 6 weist auf die deplorable Forschungslage hin. In Kiel wurde eine auf größtmögliche Vollständigkeit angelegte Online-Bibliographie erarbeitet (Stand Sommer 2014): http: / / www.klassalt.uni-kiel.de/ de/ Lehre/ allgemeine-materialien. 25 De Nolhac 1923; Schäfer 1976, 65-108. Frühbarocker Manierismus? 213 2. Die Poetologie in den Schediasmata von 1586 Melissus gilt in der Forschung unumstritten als Vertreter des frühbarocken Manierismus in der neulateinischen Dichtung. Vier typische Urteile aus über hundert Jahren seien im Wortlaut zitiert. Im Jahr 1885 schreibt Erich Schmidt im Melissus-Artikel der ADB: „Seine Sprache zeigt viele Neologismen, sein Stil zehrt oft von Anleihen aus antiken Poeten und meidet selten leeren Wortschwall, phrasenhaftes Geklingel.“ 26 Knapp 80 Jahre später liest man in Karl Otto Conradys Standardwerk: „Die Spätzeit neulateinischer Kunstübung treibt, als wolle sie ein Grundgesetz sprachkünstlerischer Entwicklung dokumentieren, verschwenderisch kunstvoll-künstliche Blüten hervor. Sie sprießen besonders im Werk des Paul Schede Melissus“ und: „Die neulateinische Lyrik erreicht erst in Dichtungen des Paul Schede Melissus eine Art, in der die Aussagen auch inhaltlich verschnörkelt und verkünstelt werden.“ 27 Ähnlich, nur etwas konkreter urteilen Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel und Hermann Wiegand vor knapp 20 Jahren: „Er schrieb, angeregt durch die benachbarten europäischen Literaturen, 28 einen manierierten Stil (seltene Wörter und Neologismen, kühne grammatische Konstruktionen und Metaphern, verhüllende Wortstellung), der sowohl die zeitgenössischen Neulateiner als auch die frühbarocke muttersprachliche Kunstdichtung in Deutschland beeinflußte.“ 29 Nach Eckart Schäfer suchte Melissus „den nicht gewöhnlichen Ausdruck im Rahmen des in der römischen Literatursprache Möglichen“; sein Wortschatz reiche in den Oden von Komödienlatein bis zur Lexik der Kirchenväter, Archaismen, Gräzismen und seltenen Wörtern; auch in Morphologie und Syntax strebe er danach, von der Schulgrammatik abzuweichen. Dies alles mache die Lektüre seiner Verse „nicht einfach“ und „zu einem elitären Genuß“. „Der Stil, der dabei herauskam, erweist den Dichter unter seinen noch klassizistischen Zeitgenossen als Vorbereiter des Manierismus.“ 30 Es ist hier nicht der Ort, den ahistorischen Begriff ‚Manierismus‘ (und verwandte Termini) zu diskutieren; wir werden es stattdessen, wie die meisten 26 Schmidt 1885, 294. Vgl. Ellinger 1928, 480: „nirgends verleugnet sich die geschwollene, übertreibende Art des Nachahmers. Die deutsche Barockpoesie des 17. Jahrhunderts kündigt sich bereits im lateinischen Gedicht an.“ 27 Conrady 1962, 168 und 221. 28 Vgl. Czapla 2003, 220: Melissus ahmte den manieristisch-antikisierenden Stil der Pléiade in lateinsicher Sprache nach - ob diese Aussage für die Pléiade zutrifft, kann ich nicht beurteilen; es muss uns hier auch nicht interessieren. 29 Kühlmann u.a. 1997, 1397. 30 Schäfer 1976, 84 (nach Krauß 1918, 2, 161-166); 1993b, 256. Dass „die Vorurteile der älteren Forschung“ „längst […] revidiert“ sind, „die Melissus’ neulateinische Dichtung als leeren Schwulst und ihn als ‚Versifex‘ dequalifizierten“, wie Walter 2004, 298 Fußn. 250 meint (mit Verweis auf die Stelle bei Schmidt), ist nur teilweise nachzuvollziehen: Es fehlt lediglich zuweilen die negative Wertung, die stilistische Diagnose ist ansonsten identisch geblieben. Thorsten Burkard 214 zitierten Forscher, bei einem vortheoretischen Verständnis belassen, da diese Beschränkung unseres Erachtens für die Beantwortung der hier zur Diskussion stehenden Frage ausreicht. 31 Unter dem Schlagwort ‚Manierismus‘ werden zumeist folgende Merkmale gefasst: (1) Gesuchtheit, Tendenz zum Entlegenen und Auffällig-Ausgefallenen um seiner selbst willen, (2) Verschnörkelung und übertriebene Künstlichkeit, (3) überhaupt die Neigung zur Übertreibung und zum Übertriebenen, (4) absichtliche Verrätselung bis zur Unverständlichkeit, (5) Schwulst und Pathos, (6) Aufgabe der Kategorie des Decorum, (7) leeres Wortgeklingel, (8) ostentative Virtuosität, die Verblüffung und Bewunderung hervorrufen soll. Zur Überprüfung dieses Urteils über Melissus werden wir insbesondere die poetologischen Aussagen in seiner wichtigsten Gedichtsammlung, den Schediasmata von 1586, analysieren, da eine angemessene Stilanalyse einer repräsentativen Gedichtauswahl den vorgegebenen Rahmen sprengen würde. Gleichsam als Ersatz werden wir kurz auch Sprache und Stil der ausführlicher vorgestellten Passagen untersuchen, um die Frage zu beantworten, inwiefern Melissus seinem eigenen Programm an der jeweiligen Stelle gerecht wird. Diese Analyse soll auf das dritte Kapitel vorbereiten, in dem die Frage gestreift werden wird, inwiefern Melissus’ Gedichte in den Schediasmata sozusagen auf den ersten Blick manieristische Elemente aufweisen, wobei zudem sowohl die von der bisherigen Forschung vorgenommenen Stilanalysen als auch die zeitgenössischen Urteile einer Prüfung unterzogen werden sollen. Diese Rückbindung der Ergebnisse des zweiten Kapitels an Melissus’ poetische Praxis ist deswegen nötig, weil ein poetologisches Programm keineswegs deckungsgleich sein muss mit seiner Umsetzung. Melissus’ Schediasmata, eine Sammlung angeblich improvisierter Gedichte (wie zumindest der griechische Titel nahelegt), wurden erstmals 1574 in Frankfurt am Main gedruckt, 32 die zweite deutlich vermehrte und neu arrangierte Auflage erschien zwölf Jahre später in Paris. 33 Diese zweite Auflage überreichte Melissus im Jahre 1586 Königin Elisabeth I. in Richmond. Sie enthält folgende Gedichtgruppen: Emmetra (Gedichte im Stile Pindars), Melica 31 Ausführlicher hat sich der Verfasser mit dieser Thematik im Hinblick auf die beiden ebenfalls pauschal des Manierismus verdächtigten Jesuiten Jacob Masen und Jacob Balde beschäftigt: Burkard 2013, 102-109; Jacob Balde: Dissertatio de studio poetico, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Thorsten Burkard, München 2004, xxiii- xxxvi. 32 Den Schediasmata von 1574 ließ Melissus ein Jahr später die Schediasmatum reliquiae (1575) in neun Büchern folgen. 33 In einem an Königin Elisabeth I. gerichteten Gedicht sagt Melissus, dass er insgesamt 25 Jahre an den Schediasmata gearbeitet habe (Sched. 1, Mel. II, p. 110 [erste Strophe]). Frühbarocker Manierismus? 215 (horazische Oden) in neun Büchern, 34 Epica, Elegiae in vier Büchern, 35 Epigrammata in neun Büchern. Die Sammlung deckt also formal das ganze Spektrum der kanonischen antiken Dichtung ab, wenn man von der Dramatik einmal absieht. 36 Im Gegensatz zu dem, was man nun nach der Lektüre der Sekundärliteratur erwarten würde, entwirft Melissus in den Schediasmata keineswegs eine manieristische Poetologie, ja, man kann seine programmatischen Aussagen nicht einmal auf die Formel bringen, dass er eine Poetik des Ungewöhnlichen konzipieren würde. Melissus’ Äußerungen zu seiner Dichtung zielen vielmehr auf folgende Konzepte: (1) Kleindichtung; (2) natürliche Dichtung; (3) Wahrung des Decorum; (4) Nachahmung der Alten - und das bedeutet für Schede: der gesamten lateinischen Literatur der Antike; (5) die damit verbundene lexikalische Restitution. (6) Umgekehrt lässt sich beobachten, dass Dichtungsformen abgelehnt werden, die man mit Fug und Recht als manieristisch bezeichnen kann. Wir werden nunmehr versuchen, diese Elemente im Einzelnen anhand der wichtigsten programmatischen Textstellen nachzuweisen. Am Anfang soll eine Passage stehen, in der das Lob der Kleindichtung mit der Hofschelte verbunden wird: Nil tamen magni cano: sed cicada / quale paupertina sibi fritinnit, / Aethera et Solem medium fatigans; / tale minutim / / carmen exili modulamur ore, / et Poetastris similes putamur. / Ast in hoc spretus placeo mihi ipse, / grande quòd ultro / / sorte contentus modicâ potentum / limen evito. 37 Satis est, ubi olim / me trium mirata legat nepotum serior aetas. 38 Aber ich singe nichts Großes: sondern wie eine ärmliche Grille für sich zirpt, wenn sie den mittäglichen Himmel und die Mittagssonne mit ihrem Gesang ermüdet, so singe ich mit dünner Stimme in kleinen Stückchen mein Lied - 34 Die Melica haben darüber hinaus eine klare inhaltliche Ordnung (vgl. Schäfer 1976, 82 mit Fußn. 92-93): I: Caesares, Reges, Duces; II: Comites, clari ante alios viros; III: Virgines feminae; IV-IX: Melissus’ eigenes Leben von 1560 bis 1585. 35 In der Ausgabe wird das zweite Elegienbuch fälschlich als Liber III gezählt; dieser Fehler setzt sich fort. 36 Rein äußerlich besteht die Kollektion aus drei Teilen, von denen jeder eine eigene Paginierung hat: Pars I: Emmetr. und Mel.; Pars II: Ep. und Eleg.; Pars III: Epigr. 37 Die zeittypische Hofschelte, die gut zu einem Epikureismus in der Nachfolge des Horaz passt, aber aus Melissus’ Munde wenig überzeugend wirkt, findet sich auch anderswo in den Schediasmata: qui pius esse vult, excedat aulâ (Sched. 1, Mel. II, p. 146); jacent artes, jacet ipsa Pallas spreta cum Musis; nec amat potentum aula poetas (ibid., Mel. VI, p. 400); prae quibus [den Annehmlichkeiten des Waldes] aulicas / Sordere pompas comperibis (ibid., Mel. VII, p. 407; das ganze Gedicht auch bei Kühlmann u.a. 1997, 790-793). 38 Sched. 1, Mel. VIII, p. 487 (die ganze Ode wird besprochen und übersetzt bei Schäfer 1976, 102-106). Das Gedicht ist, wie viele andere, an den niederländischen Juristen Franciscus Modius (1556-1597) gerichtet. Diese Widmung ist kein Zufall, geht es doch in der Ode unter anderem um Melissus’ Entscheidung für die Dichtung und gegen die Fortführung des Rechtsstudiums (vgl. dazu Rossetti 1970; Schäfer 1976, 70). Thorsten Burkard 216 und werde geradezu für einen Dichterling angesehen. Wenn ich aber auch hierin verachtet werde, so gefalle ich mir selbst, weil ich freiwillig mit einem bescheidenen Schicksal zufrieden bin und daher die große Schwelle der Mächtigen meide. Genug ist es mir, wenn mich in späterer Zeit drei Enkel dereinst mit Bewunderung lesen. Im Stile der klassischen Recusatio wird die große Dichtung abgelehnt; Melissus „zirpt wie eine ärmliche Zikade für sich selbst“. 39 Die bildliche Verwendung des Zikadengesangs für die Kleindichtung lässt sich für die heidnische Antike offenbar nur an einer Stelle nachweisen, 40 nämlich in der Laus Pisonis (v. 77-80): 41 Sic nec olorinos audet Pandionis ales 42 / Parva referre sonos nec, si velit improba, possit; / Sic et aedonia superantur voce cicadae, / Stridula cum rapido faciunt convicia soli. Von dieser Stelle (v. 77f.) könnte auch Melissus’ Vorliebe (die uns noch anderenorts begegnen wird) inspiriert sein, poetologisch zu verstehenden Tieren eine Scheu zuzuschreiben, bessere nachzuahmen oder zu übertrumpfen. Dass die Passage aus der Laus grundsätzlich Vorbildcharakter für Melissus haben könnte, liegt auch deswegen nahe, weil der antike Dichter sich ebenfalls nicht in der Lage fühlt, das Lob Pisos in angemessenen Versen zu gestalten. Dieses Motiv spielt in dieser Ode keine Rolle, ist aber in anderen Gedichten zentral, wie wir noch sehen werden. Daneben verweist Melissus offenbar auch auf die sozusagen epikureische Autarkie der Zikade, auf ihre Neigung, in den Tag hinein zu leben (vgl. das Adjektiv paupertina und sibi fritinnit). 43 Poetologie wird hier mit horazischer Lebensphilosophie kombiniert, 44 die sich auch in der Hofschelte (grande limen evito) erkennen lässt. Das Attribut paupertina lässt sich zudem im übertragenen Sinn verstehen, nämlich als Gegensatz zur großen Dichtung. Darüber hinaus verlockt die Seltenheit des Adjektivs dazu, an eine tiefer gehende Anspielung zu glauben, nämlich auf eine Varro-Stelle (pop. Rom. frg. 14 Riposati / 294 Salvadore), wo die Einfachheit der römischen Frühzeit gepriesen wird, als noch alles ärmlich (paupertina) gewesen sei, sine elegantia ac cum castimonia. 39 Zum Verb fritinnire zur Bezeichnung des Zirpens von Zikaden vgl. Suet. prat. frg. p. 254, 1f. Reiff. 40 Schäfer 1976, 105 Fußn. 175 weist auf das 34. Anacreonteum als Vorbild hin. Hier wird aber einfach nur der Gesang der Zikade gelobt. 41 Für die christliche Literatur vgl. die folgende Stelle bei Ambrosius: Quam dulcis etiam in exiguo cicadis gutture cantilena (Exam. 5, 22, 76). Im Satz zuvor war die Länge des Schwanenhalses unter anderem damit erklärt worden, dass so der Gesang schöner werde. 42 Mit „Pandions Vogel“ ist Prokne gemeint. Damit die Aussage sinnvoll ist, muss sich der Laus-Dichter hier auf jene Version beziehen, nach der sie in eine Schwalbe verwandelt wurde (vgl. etwa Hygin. fab. 45, 5). 43 Vgl. dazu Ambros. epist. 1, 6, 5: [scil. cicadae] de die in diem vivunt - dort ist die Sorglosigkeit allerdings negativ konnotiert. 44 Vgl. etwa truditur dies die (Hor. carm. 2, 18, 15); zum Lob der paupertas vgl. neben carm. 2, 18 z.B. auch 3, 29, 53-56. Von den Zikaden glaubte man, dass sie leben könnten, ohne zu essen und zu trinken (vgl. etwa Plat. Phaidr. 259c). Frühbarocker Manierismus? 217 Sollte Melissus den Leser wirklich an diese Stelle erinnern wollen oder sie zumindest im Kopf gehabt haben, so hätte er sein Dichtungsprogramm sozusagen in nuce in ein einziges Adjektiv gelegt. Das Adjektiv paupertinus bezöge sich dann sowohl auf den Stil als auch auf die Lebensführung. Gerade weil Melissus so anspruchslos singt, 45 hält man ihn fast für einen Poetaster, einen nachlässigen, anspruchslosen Schnellschreiber. 46 Gerade darin gefällt er sich aber selbst, und diese poetologische Selbstgenügsamkeit wird in eine philosophische Terminologie gekleidet: sorte contentus modicâ. Hier wird aus Philosophie Poetologie, und dieser Um- oder Weiterdeutung werden wir noch an anderen Stellen der Schediasmata begegnen. Was den Stil dieser Verse betrifft, so weicht die Syntax und die Wortstellung nicht vom Gewöhnlichen ab: Der Maßstab muss hier ja die horazische Ode sein und nicht etwa ein klassizistischer Ciceronianismus. Die längeren Hyperbata (grande [...] limen; trium [...] nepotum) sind für ein Gedicht alles andere als kühn. Ohne diese beiden Sperrungen könnte man insgesamt fast von einem Prosatext sprechen. Der Sinn der Passage ist klar, von obscuritas oder gewollter Verrätselung kann keine Rede sein. Der Vergleich mit der Zikade ist alles andere als gesucht, vielmehr schlicht und eingängig. Die Wortwahl ist, wie bereits bemerkt, in der Tat auffällig, und dieses Problem wird uns weiter unten noch beschäftigen. An einer anderen Stelle wird zwar erneut die Kleindichtung zum Programm erhoben, aber die hohe Poesie keineswegs ausgeschlossen: Musis amici nos tenue ac leve / quiddam sonamus, serpere tantùm humi / docti: sed interdum, sequacis / more hederae, super eminenti / / sese applicantis dentibus arbori, / per alta sursum scandere nitimur, / fortes maritatae supremum / tangere Hamadryados cacumen. 47 Ich, der Musen Freund, lasse etwas Kleines und Unbedeutendes ertönen, der ich nur gelernt habe, am Boden zu kriechen. Aber zuweilen bemühe ich mich nach Art des folgsamen Efeus, der sich mit seinen Zähnen an den hochragenden Baum klammert, in der Höhe immer weiter nach oben zu steigen, stark darin, den höchsten Gipfel der verheirateten Baumnymphe zu erreichen. 48 45 Curto me pede metior lautet der letzte Vers einer Ode (Sched. 1, Mel. V, p. 318), in der es um ein Lobgedicht auf Kardinal Guglielmo Sirleto geht. 46 Wir werden im dritten Kapitel sehen, dass dieser Vorwurf tatsächlich erhoben wurde und einen Teil der Melissus-Rezeption prägte. 47 Sched. 1, Mel. II, p. 123. 48 Die Hamadryade steht hier metonymisch für den Baum. Das Bild der Eheschließung wird in der römischen Dichtung, soweit ich sehe, nur für den Vorgang der Pfropfung verwendet (vgl. etwa Ov. met. 14, 661-668). Hier ist die Symbiose zwischen einer Kletterpflanze und einem Baum gemeint. Thorsten Burkard 218 In diesen mit Horaz-Reminiszenzen durchsetzten Versen 49 wird die kleine, unbedeutende Dichtung mit verschiedenen Vokabeln umschrieben: tenue, leve, serpere humi. Nur manchmal bemüht sich Melissus, wie der Efeu an einem Baum nach oben zu klettern. Mit anderen Worten: Wenn der Stoff groß ist (das symbolisiert der Baum), so gelingt es Melissus durchaus, diesem gleichzukommen oder, um in dem Bilde zu bleiben, das im Wort maritatus steckt: Form und Inhalt miteinander zu vermählen. Beschrieben wird hier also das Decorum zwischen Form und Inhalt. Der grundsätzlich die kleine Dichtung bevorzugende Melissus ist zuweilen (interdum) durchaus in der Lage, sich gleichsam an epischen Stoffen stilistisch emporzuhangeln. Hier liegt die klassische Vorstellung von der Entsprechung zwischen Form und Inhalt vor, die sich nicht zuletzt in vielen antiken Recusatio-Gedichten findet. Auch hier fallen Syntax und Wortstellung nicht aus dem Rahmen. 50 Das doppelte Hyperbaton hederae ... arbori sprengt keineswegs das in der lateinischen Dichtung Übliche, 51 ebenso wenig das doppelte Hyperbaton maritatae ... cacumen. Das Bild vom Baum und dem an diesem emporkletternden Efeu mag originell sein, aber es bringt genau das zum Ausdruck, was Melissus dem Leser mitteilen möchte. 52 Die größtenteils von Horaz inspirierte Wortwahl ist nicht weiter auffällig. Auch in einem Gedicht, das an einen der mächtigsten Männer in Deutschland gerichtet ist, nämlich an den Reichsvizekanzler (und damit Leiter der Reichshofkanzlei) Siegmund Vieheuser, betont Melissus den Zusammenhang zwischen hohem Sujet und großem Gedicht: Er werde Vieheuser und den Ruhm des Kaisers (gemeint ist Rudolf II.) besingen, so dass wohl kein anderer Poet sein carmen luculentum werde übertreffen können: 53 Magnum quid 49 Musis amici: Hor. carm. 1, 26, 1; tenue: 1, 6, 9 (dieselbe Thematik); serpere … humi: ars 28; zu sed interdum vgl. die auch inhaltlich vergleichbare Stelle ars 93: Interdum tamen et vocem comoedia tollit; zum Ausdruck sequacis ... hederae vgl. Pers. prol. 6. 50 Man beachte das typisch horazische Verfahren, von einem Adjektiv einen Infinitiv regieren zu lassen: fortes tangere. 51 Wer ein Faible für das Stilmittel der abbildenden Wortstellung hat, mag in dieser Formulierung eine Spiegelung dessen sehen, wie sich der Efeu um den Baum schlingt. Für die Antike ist bisher noch nicht nachgewiesen worden, dass dieses nur beim Lesen (wenn überhaupt) wahrnehmbare Stilmittel bei der Textproduktion relevant war, für die Frühe Neuzeit m.W. ebenfalls noch nicht. 52 In der Antike wird die Symbiose von Efeu und Baum zwar für bildliche Ausdrucksweisen genutzt (vgl. etwa Hor. epod. 15, 3-6), aber (soweit ich sehe) nicht in dem hier vorliegenden Sinn. Vielleicht ist Melissus durch ein entsprechendes Emblem auf diesen Gedanken gekommen. 53 Das Adjektiv luculentus steht hier nicht als Gegenbegriff zu obscurus, sondern bedeutet ‚herrlich, glänzend (im übertragenen Sinne), vortrefflich‘, vgl. dazu die zahlreichen Belegstellen im entsprechenden ThLL-Artikel. Vgl. außerdem die carmina luculenta in Sched. 1, Mel. II, p. 134. Auch in dem Ausdruck luculenta carminum involúcra (ibid. III, p. 184) scheint das Wort eher die poetische Qualität als die Eigenschaft der Klarheit zu bezeichnen. Frühbarocker Manierismus? 219 hisco 54 […] Magna Caesaris cani / Magno meretur barbito corona („Etwas Großes kündet mein Lied […] Des Kaisers große Krone verdient es, mit großer Leier besungen zu werden.“). 55 Poetologische Konzepte werden in den programmatischen Passagen häufig mit Tiervergleichen verdeutlicht. So bezeichnet sich Melissus in einem Emmetrum an den italienischen Dichter Petrus Angelius Bargaeus (Pietro degli Angeli aus Barga, 1517-1596) 56 als ein Pferd, dessen kleines Maul (brevia ora) 57 von einer Trense (capistrum) in Zaum gehalten wird, auch wenn der Ruhm (gloriola, fama) noch so sehr zum Dichten drängt. Ihm sei es nicht angemessen, mit schnellen Pferden zu Lobliedern (praeconia) auf Angeli auszureiten. Melissus fürchtet sich im Gegenteil davor, „das schnelle Ruderwerk des Daedalus“ (cita Daedali remigia) anzulegen, da er dann vom Wege abkommen könnte - eine Anspielung auf den Beginn des zweiten Gedichts des vierten horazischen Odenbuches, in dem es um die Gefahren der Pindarnachahmung geht. 58 Denn: Metiri suâ se decempedâ / Quemque decet, limitesque finitos haud / praetergredi. 59 Nicht würde die Gans den schnellen Adler, den Vogel des Zeus, noch den Phoinix, den Vogel Apolls, 60 nachahmen wollen. Melissus’ Weigerung, sich dem Phoinix gleichzustellen, bedeutet wohl einerseits, dass Melissus keine Unsterblichkeit anstrebt, andererseits aber auch (wie im Falle des Adlers), dass er sich nicht mit den Vögeln hoher Herrschaften auf eine Stufe zu stellen wagt. 61 Auch die schnatternde Ente würde es nicht wagen, nach dem melodischen Gesang eines Schwans zu streben. 62 Angeli hat Melissus 54 Das Verb hiscere i.S.v. ‘besingen‘ ist in der Antike nur Prop. 3, 3, 4 belegt; der Kontext ist vergleichbar: Properz bewegt nämlich seinen „kleinen Mund“ (parva ora) an große Quellen, um Könige zu besingen (v. 1-5). Vgl. bei Melissus auch: ingens ore quiddam / Hiscere posse humili, mihi ipse / Persuadeo (Sched. 1, Mel. VIII, p. 475-477, zweite Strophe). 55 Sched. 1, Mel. II, p. 125f. An anderer Stelle in demselben Gedicht versichert er, dass er Vieheusers Lob „mit ewiger Lyra“ (perenni lyrâ) verkünden werde. 56 Sched. 1, Emmetr. p. 20-22. Melissus hat Angeli, der von 1549 bis 1586 an der Universität Pisa lehrte, auf seiner Italienreise kennengelernt (vgl. Czapla 2003, 228f.). 57 Vgl. das exile os an der ersten behandelten Textstelle, oben S. 215-216. 58 Hor. carm. 4, 2, 1-4: Pindarum quisquis studet aemulari, / Iulle, ceratis ope Daedalea / nititur pinnis, vitreo daturus / nomina ponto. 59 Vielleicht eine Anspielung auf Hor. sat. 1, 1, 106f.: est modus in rebus, sunt certi denique fines, / quos ultra citraque nequit consistere rectum. Dann läge auch hier wieder eine Übertragung einer ethischen Aussage auf die Poetik vor, vgl. o. S. 215-216 und u. 221. 60 Apoll erscheint hier wohl in seiner Funktion als Sonnengott, mit dem der Phoinix assoziiert war (vgl. zu dieser Verbindung Ernst Meyer: Art. Phoinix 3, Der Kleine Pauly 4, 1975, 799f.). 61 Natürlich sollte man weder diese Beteuerung noch die gegenteilige Behauptung allzu ernst nehmen, vgl. oben das Gedicht an Vieheuser. 62 Der Schwan erhält hier das Attribut catus, das Melissus wohl in akustischem Sinne aufgefasst wissen möchte. Es passt zu seinem noch zu besprechenden Streben nach lexikalischer Restitution, dass diese Bedeutung nur bei Ennius belegt zu sein scheint (ann. 459 V. ap. Varr. ling. 7, 46). Thorsten Burkard 220 aber mit seinem Vogelleim 63 gefangen wie die Taube des Archytas. 64 Die zwei Elemente des Vergleichs (mechanischer Vogel und Gefangenschaft) lassen sich wohl wie folgt deuten: Melissus ist im Gegensatz zu dem Naturgenie Pindar ein nach Regeln vorgehender Dichter, der aber frei in der Luft fliegen möchte (meque sine / Vagari liberê, quâ lubet), d.h. ohne an ein Sujet gebunden zu sein. 65 Nur für seinen Freund Angeli ist er bereit, eine Ausnahme zu machen. Seine Pindar-Nachahmung reflektiert Melissus auch in dem folgenden Emmetrum. 66 Soll er sich etwa als levis simius 67 des erhabenen (gravis) Pindar zu audaces dithyrambi erheben? Es gilt doch vielmehr: Omnes omnia non callemus. 68 Daraufhin erläutert er sein Dichtungsprogramm mithilfe der kallimacheischen Quellmetaphorik: 69 Auch die kleine Quelle (modica scatébra) löscht den Durst. Die Opposition besteht hier erneut zwischen Dichtung bescheidenen Anspruchs sowie Zuschnitts und erhabener Dichtung auf große Männer, also Dichtung im pindarischen Stile. 70 Fassen wir kurz Melissus’ Äußerungen zur Kleindichtung zusammen: Er bekennt sich grundsätzlich zu dieser, ist aber mehr nolens als volens bereit (und durchaus auch fähig), große Poesie zu verfassen, wenn sie zum Sujet passt. Dann wird er, die zirpende Grille, die schnatternde Ente, zum Schwan. 71 Sein Stil ist eine Kletterpflanze, die nur dann zu ungeahnten Höhen 63 Die Stelle lautet: tui BARGAEE glutinis / Aucupio. Damit dürfte Melissus auf Angelis Lehrgedicht über den Vogelfang namens Aucupium von 1566 anspielen - eine hübsche Hommage an den Dichterkollegen. 64 Der Pythagoreer Archytas von Tarent soll eine mechanische Taube konstruiert haben (Gell. 10, 12, 9-10). 65 Die Bedeutung des ungebundenen Streifens (evagari) durch die liberrima vireta der Musen betont Melissus auch in einer Ode an den Ovidphilologen Ercole Ciofano (um 1550- 1592; zu Melissus und Ciofano vgl. Czapla 2003, 228f.): Er [Melissus] habe das Joch der rhetorischen Regeln abgeworfen (Sched. 1, Mel. V, p. 315f.) - was an dieser Stelle nicht als eine Aufgabe des Decorum oder gar aller Regelzwänge missverstanden werden darf. 66 Emmetr. Epod. II, p. 24. Das Gedicht ist an den Historiker Giovanni Michele Brutus (1517- 1592) gerichtet. Dieser sah, wie es in einer Ode der Melica heißt (Sched. 1, Mel. VII, p. 445- 447) in Melissus einen Pindar und einen Horaz; Melissus könne nämlich einen Menschen ex humili solo in die Wolken heben. 67 Die Wörter simia und simius waren bereits in der Antike Schimpfwörter für unbegabte Nachahmer, vgl. etwa Hor. sat. 1, 10, 18; Plin. epist. 1, 5, 2. Der Anklang von levis simius an levissimus könnte beabsichtigt sein. 68 Ein leicht modifiziertes Vergil-Zitat: non omnia possumus omnes (ecl. 8, 63). 69 Ob Melissus wirklich bewusst war, dass es sich um ein kallimacheisches Motiv handelte, muss offen bleiben. Den Apollo-Hymnus konnte er ja immerhin kennen. 70 Konkretes Vorbild für diese Verwendung der Wassermetaphorik könnte Properz’ drittes Gedicht des dritten Buches gewesen sein, wo allerdings dem Epos die Liebesdichtung gegenüber steht. Zu Prop. 3, 3 vgl. Fußn. 54. 71 Die Schwanenmetaphorik bei Melissus haben wir hier aus Platzgründen ausgespart, vgl. dazu und zur Bienenmetapher Schäfer 1976, 105f. In einer Ode bittet Melissus die Götter darum, dass nach seinen Lebensende sein vivax spiritus in die weißen Schwäne auf der Frühbarocker Manierismus? 221 vordringen kann, wenn es einen Baum, also einen als Leiter fungierenden hohen Stoff, gibt. Dieses mit diversen Bescheidenheitstopoi vorgetragene Programm wird ergänzt um ein ganz und gar unmanieristisches Bekenntnis zur natürlichen Dichtung: Ac proinde nativae magis / amabitis formae decus; / magis figuras has sine / colore comprobabitis, / sincerasque probasque. / / Natura naturae aemula / quaeque est suae. Si filiae / sui Minervam simplicem / parentis exprimant, sat est; / sat est, si nihil adsit. 72 Und so sollt ihr [Philip und Robert Sidney] eher die Zierde der natürlichen Schönheit lieben; eher sollen diese [gemeint sind die Musen, Melissus’ Dichtungen] echten und unverfälschten Körper ohne künstliche Färbung euren Beifall finden. Jede Natur ist die Nachahmerin ihrer eigenen Natur. Wenn die Töchter die einfache Minerva ihres Vaters wiedergeben, 73 ist es genug; genug ist es, wenn nichts hinzukommt. Deutlicher kann man die Ablehnung von überflüssigem Schmuck, von unnützem Flitterkram und die Idealisierung der natürlichen Schönheit (nativae formae decus) kaum formulieren. Das Gedicht soll die Natur, d.h. die reine Wirklichkeit, darstellen und so eine Minerva simplex sein - das Programm der Bildenden Kunst in der Antike, gleichzeitig das Programm eines jeden Klassizismus und somit der Gegenpol zur Unnatur, die spätestens seit Gustav René Hocke und Ernst Robert Curtius mit dem Manierismus verbunden wird. 74 Man beachte übrigens, wie auch hier die poetische Selbstgenügsamkeit mit einem Ausdruck formuliert wird, der moralphilosophische Anklänge hat (sat est); so sagt Horaz in der zweiten Epistel des ersten Briefbuchs: quod satis est cui contingit, nil amplius optet (v. 46). Stilistisch ist die Passage nicht weiter auffällig, die beiden Hyperbata nativae ... formae und sui … parentis wären zwar in einem Prosatext ungewöhnlich, nicht aber in der Poesie - erst recht nicht in einer horazischen Ode. Dasselbe völlig unmanieristische Dichtungsprogramm findet sich auch in einem Hymnus auf Joseph Justus Scaliger: 75 Themse übergehen möge. Dann werde man sagen, dass in diesen Schwänen Melissus lebe (Melissus … in his vivit oloribus) (Sched. 1, Mel. II 32, p. 163f.). 72 Sched. 1, Mel. II, p. 162. Das Gedicht ist Philip Sidney (1554-1586) und seinem Bruder Robert Sidney (1563-1626) gewidmet. Auf sie beziehen sich die Pluralformen der zweiten Person. Melissus hatte Philip Sidney vermutlich im Jahre 1576 in Heidelberg kennengelernt, als dieser dort Station machte (Kühlmann u.a. 1997, 1419). 73 Sowohl die Musen als auch Minerva sind Töchter Jupiters. 74 Karl Otto Conradys Analysen des Manierismus im Neulateinischen waren sehr stark von den Ansätzen dieser beiden Forscher geprägt. 75 Sched. 1, Mel. VII, p. 424-427. Bei den zitierten Versen handelt es sich um die erste Strophe. Thorsten Burkard 222 MVLTUM est, Latinê scire loqui, et quidem / Benè ac disertê. plus, propriê loqui, / Nullisque vulgi more naevis / Ausoniam vitiare linguam. Viel bedeutet es, Lateinisch, also gut und eloquent, reden zu können, - noch mehr aber, sich angemessen auszudrücken und die italische Sprache nicht nach der Art der Masse mit Muttermalen zu entstellen. Die Metapher naevus geht auf ein Ovid-Zitat bei Seneca maior zurück. Am Ende der zweiten Kontroversie des zweiten Buches (§ 12) kommt Seneca auf Ovid zu sprechen: Während er in Deklamationen seine Worte wohl gewählt habe (verbis minime licenter usus est), habe er in seinen Dichtungen „seine Fehler zwar gekannt, aber geliebt“ (non ignoravit vitia sua, sed amavit). Ihm habe nicht das iudicium gefehlt, um die licentia carminum suorum in Grenzen zu halten, sondern der Wille: Aiebat interim decentiorem faciem esse, in qua aliquis naevos fuisset. Melissus sagt hier zweierlei: Zum einen war es seiner Ansicht nach damals eine Mode (vulgi more), derartige naevi einzustreuen (was immer man sich genau darunter vorzustellen hat), zum anderen lehnt er diese Einsprengsel als der proprietas (und damit dem Decorum) zuwiderlaufende Elemente ab. Ein klassizistischeres Dichtungsprogramm kann man sich kaum vorstellen. Der angebliche Manierist Melissus entpuppt sich als erbitterter Gegner der Cacozelia! Eine Facette des Bekenntnisses zur natürlichen Poesie ist Melissus’ Betonung des einfachen Dichtens. In einer Ode an Jakob Monau 76 verknüpft er die bukolische Dichtung mit einem bukolischen Locus amoenus: Der idyllische Ort inspiriert korrespondierende, nämlich bukolisch-epikureische Dichtung, in der er seine Rhode (d.i. Rosina) besingen kann. 77 Das Gedicht ist eine neuerliche Absage an Auftragsdichtung, also an höfisches Dichten: Melissus lehnt es ab, auf Befehl zu dichten. Ein wahrer Poet kann nur in sorgenfreiem Zustand (curis solutus) dichten. 78 Wie an anderen Stellen wird auch hier Poetologie mit der Frage nach der Lebensführung verknüpft. Schließlich ist die Frage zu stellen, ob Melissus seine Dichtung als eine bewusste Entfernung von den antiken Vorbildern beschreibt. In den Schediasmata lässt sich keine einzige Textstelle finden, die in diese Richtung weisen 76 Jakob Monau (1546-1603), Calvinist und Universalgelehrter, stammte aus einem Breslauer Ratsgeschlecht und hielt sich in den Siebziger Jahren unter anderem in Heidelberg auf, wo er vermutlich Melissus kennenlernte. Die Monau-Ode ist behandelt bei Kühlmann u.a. 1997, 1431-1433. 77 Ähnlich epikureisch endet eine Ode des 9. Melica-Buches (Sched. 1, Mel. IX, p. 516). Auch das Bild der zirpenden Zikade lässt sich in den bukolischen Kontext einordnen. 78 Sched. 1, Mel. VII, p. 406f.; der Ausdruck curis solutus steht in der vorletzten Strophe. Die Ode bildet zusammen mit der folgenden, ebenfalls bukolischen Ode auf den Mai ein Gedichtpaar. In der Mai-Ode kehrt das Motiv der Sorgenfreiheit (solutus duplice cura) wieder. Vergleichbar ist auch das elfte Acanthae-Gedicht an Janus Gruterus (herausgegeben und übersetzt von Kühlmann u.a. 1997, 859f. und bei Schäfer 1973, 253-255). Frühbarocker Manierismus? 223 würde. Im Gegenteil: Die Alten bleiben für ihn der Maßstab eines maßvollen Klassizismus. Dies sei an poetologischen Passagen zweier Oden in den Melica, an einer Antwort auf einen Kritiker in den Meletemata, anhand zweier Gedichte an Justus Lipsius und einer Briefstelle demonstriert: [scil. vulgus] Ausonios modos / / damnat, & veteres Latinitatis / voces. […] Est, ubi / / nonnumquam, ad lapidem velut viator / incautus, offensum atterimus pedem; / / peccandi haud animo, sed evehendi / ad dignitatem, quae cecidere nunc / / tot vocabula, si probaret 79 usus, fandi magister. 80 Die Masse verdammt die italischen Weisen und die alten lateinischen Wörter […] Es gibt zuweilen Stellen, an denen wir uns den Fuß stoßen und aufschürfen (wie ein unvorsichtiger Wanderer an einem Stein) - aber nicht um uns zu vergehen, sondern um viele Wörter, die nun in Ungnade gefallen sind, wieder zur alten Würde emporzuheben, wenn es denn der Gebrauch gutheißen würde, der Lehrer der Sprache. Die nach der Horaz-Stelle ars 70-72 81 gearbeitete Passage ist (wie jene) apologetisch: Melissus rechtfertigt seinen Gebrauch veralteter lateinischer Wörter (veteres Latinitatis voces), der ihm offenbar (zumindest „zuweilen“, nonnumquam) als ein Fehltritt (peccare) vorgeworfen wurde. In der Tat finden sich in den Schediasmata häufig Wörter aus entlegenen Quellen, so etwa das lediglich bei Livius Andronicus nachweisbare Substantiv ocris, 82 nur Kennern bekannte Formen wie beispielsweise das Perfekt peposci, 83 entlegene Wortbedeutungen 84 sowie nach archaischen Vorbildern geprägte Formen wie comperibis, bei denen Melissus aber den Gesetzen der Analogie zu folgen scheint. 85 Die Liste ließe sich leicht verlängern. Es liegt nun nahe, diese Archaismen mit dem Bedürfnis zu erklären, das Entlegene und schwer Verständliche in den hintersten Winkeln des lateinischen Wortschatzes aufzuspüren, um die eigene Gelehrsamkeit in den Vordergrund zu rücken und sich als poeta doctus zu 79 Der Irrealis ist wohl so zu verstehen, dass Melissus diese Wörter wieder zu Ansehen bringen würde, wenn der usus der Gelehrten es zuließe - doch leider erhebt dieser nur allzu oft sein Veto. 80 Sched. 1, Mel. VII, p. 446. 81 Multa renascentur, quae iam cecidere, cadentque, / quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus, / quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi. Der Ausdruck norma loquendi wird uns in der Versepistel an Lipsius wieder begegnen. Zur Bezeichnung des usus als fandi magister vgl. Quint. inst. 1, 6, 3: Consuetudo vero certissima loquendi magistra. 82 Festus (bzw. Verrius Flaccus) zitiert (offenbar nach Ateius Praetextatus) vier Stellen aus Livius Andronicus (vgl. ThLL s.v.). Ähnlich gesucht ist die nur einmal bei Varro (rust. 1, 2, 14) belegte etymologisierende Form veha anstelle von via (Acanth. 9, ed. Schäfer 1973, 252, v. 24). Vgl. außerdem struix (s. Fußn. 148). 83 Sched. 1, Mel. V, p. 316. Vgl. dazu das berühmte Kapitel bei Gellius (6, 9). 84 Vgl. die Verwendung von catus (s. Fußn. 62). 85 Das b-Futur ist für comperire nicht belegt und überhaupt selten in der i-Konjugation (vgl. Leumann 1977, 577f.); es findet sich aber die Form reperibitur (Plaut. Epidic. 151), die wohl Vorbild für Melissus gewesen ist. Thorsten Burkard 224 präsentieren. Und in der Tat: Wer bewusst unverständlich schreibt, verdient sich zu Recht das Etikett des Manieristen. Nun gilt es aber zunächst einmal, Melissus’ Verteidigungsstrategie zu würdigen und ernst zu nehmen: Sein Ziel besteht nicht darin, seine umfassende Bildung zu demonstrieren, sondern er möchte die alten vocabula wieder zu Ehren kommen lassen (animo evehendi ad dignitatem), sie also der Vergessenheit entreißen. Und diesen Umgang mit Archaismen unterwirft er dem usus, gemeint ist hier natürlich der Sprachgebrauch der Gelehrten des 16. Jahrhunderts. Melissus überträgt ein muttersprachliches Konzept aus Horaz’ Ars Poetica auf die tote 86 Literatursprache der Frühen Neuzeit - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Hatte Horaz die Bildung von Neologismen rechtfertigen wollen, geht es Melissus um das Bewahren von antiken Wörtern, die in Vergessenheit zu geraten drohen. Der Maßstab für beide ist allerdings der usus, den sie überhaupt erst schaffen wollen. Auch wenn sich nicht mit Gewissheit entscheiden lässt, ob die lexikalische Restitution wirklich Melissus’ einziges Ziel war und er nicht doch auch seine stupenden Vokabelkenntnisse genüsslich demonstrieren wollte, so ist es durchaus legitim, ihm sozusagen ohne Beweis auch Ostentation zu unterstellen. Aber selbst wenn Melissus seine Virtuosität in der Handhabung des Lateinischen einem staunenden Publikum vorführen wollte, so bleibt doch festzuhalten, dass der Manierismus nicht als Programm verkündet wird. Melissus sagt ja gerade nicht, dass er entlegene und unverständliche Wörter auswählt, um Verblüffung und Bewunderung hervorzurufen. Was den Stil der Passage angeht, so bringt es die enge Horaz-Nachfolge gleichsam automatisch mit sich, dass hier keine Auffälligkeiten zu verzeichnen sind. Melissus’ Verwendung alter Wörter wurde ihm offenbar häufiger vorgeworfen. In einer Ode des fünften Buchs der Melica unterscheidet er zunächst zwischen der fides und der tuba und sieht sich als fidicen (und nicht als Tubabläser), wobei er sich auf eine Stufe mit einem Kleinkünstler stellt; seinen Versen mag zwar der Amboss fehlen, 87 aber ihm mangelt es nicht am desiderium, etwas Ewiges zu schaffen und große Männer zu verherrlichen. Gegen die Archaismus-Kritiker wendet er sich sodann in den folgenden Versen: rerum nos inopes scruta sequi putat vulgus, bellua centiceps; obscurumque loqui, me 88 quoties iners non intelligere est pote. 89 86 Latein war damals ‚tot‘ in dem Sinne, dass es keine Muttersprachler mehr gab. 87 Damit ist gemeint, dass den Gedichten der letzte Schliff fehlt (vgl. Hor. ars 440f.). Im 17. Jahrhundert wird man diesen Bescheidenheitstopos zuungunsten von Melissus’ Gedichten ernst nehmen; vgl. u. Kapitel 3. 88 Die erste Person me scheint eine notwendige Emendation zu sein. Im Druck steht se. 89 Sched. 1, Mel. V, p. 314. Die Ode ist Fulvio Orsini (1529-1600) gewidmet. Frühbarocker Manierismus? 225 Die Masse, das hundertköpfige Untier, glaubt, dass wir arm an Besitz sind, altem Plunder nachjagen und Dunkles sprechen, sooft sie in ihrer Trägheit nicht in der Lage ist, mich zu verstehen. Seine Kritiker, abfällig als vulgus bezeichnet, werfen Melissus vor, dass er aus Mangel an großen Themen (rerum inopes) seine Verse mit Archaismen (scruta) aufzuputzen versucht, wodurch nur Dunkelheit entstehe. Der solchermaßen Angegangene wehrt sich mit dem Hinweis darauf, dass seine Kritiker zu träge seien, ihn zu verstehen. Der Fehler liegt also nicht in der gewollten Dunkelheit des Autors, sondern im Unverstand der Rezipienten. Auch hier fehlt also ein manieristisches Dichtungsprogramm, wenn auch die damaligen Kritiker sicherlich von Manierismus gesprochen hätten, wenn ihnen der Terminus zur Verfügung gestanden hätte. Die Stelle ist an und für sich gut verständlich (und könnte auch in einem Prosawerk stehen), aber wie im Falle der cicada paupertina gewinnen auch diese Verse durch eine intertextuelle Beziehung an Gehalt. Die Wendung bellua centiceps entstammt einer Passage aus Horaz’ zweitem Odenbuch (carm. 2, 13, 21-36), in der beschrieben wird, wie die Schatten und die Ungeheuer der Unterwelt verstorbenen Dichtern lauschen, so etwa den Kleindichtern Sappho und Alkaios. Aber das vulgus (v. 32) interessiert sich noch viel mehr für „Schlachten und vertriebene Tyrannen“, also für große Stoffe - und so auch der Cerberus, „das hundertköpfige Untier“. Der Gegensatz zwischen kleiner, auf das eigene Individuum bezogener Dichtung und epischen Stoffen ist hier vorgeprägt. Der bei Horaz proprie zu verstehende Ausdruck belua centiceps wird bei Melissus zu einer abwertenden Metapher für das vulgus der ungebildeten Neulateiner. 90 An einer Stelle seiner Meletemata verteidigt sich Melissus in einer Prosa- Anmerkung gegen eine Kritik des Janus Lernutius. Melissus hatte in einer Parodia 91 des vierten Catullgedichts (Phaselus ille) geschrieben: 92 sive in umido / ... sive in arido (v. 4f.). Lernutius hatte sich an der Verwendung von umidum anstelle von mare und von aridum anstelle von terra gestoßen. Der angegriffene Dichter wehrt sich mit dem Verweis auf die Genesis (1, 9f.) und auf eine Stelle aus Senecas De beneficiis (4, 5, 2). Mit Hilfe der Bibelstelle soll nachgewiesen 90 Bei dieser Metaphorisierung war wohl eine andere Horaz-Stelle ‚behilflich‘: Belua multorum es capitum sagt Horaz zum populus Romanus in seiner ersten Epistel (v. 76). Dreihundert Jahre nach Melissus bezeichnete übrigens Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff im Furor über die Willkür der Politik gegenüber der universitären Selbstverwaltung das Parlament als belua centiceps (Erinnerungen 1848-1914, Leipzig 1928, 297). 91 ‚Parodia‘ ist natürlich im weiteren Sinne der damaligen Zeit aufzufassen, vgl. dazu richtig Sauer 2012, 242 mit Fußn. 3. 92 Das Gedicht samt Melissus’ Annotatiuncula findet sich Melet. parod. II, p. 381-383 sowie (mit einer Übersetzung beider Texte) bei Sauer 2012, 249-252 (ohne Deutungsversuch), der aber - wie die fehlerhafte Übersetzung zeigt - das Problem missversteht und rätselhafterweise von ‚Metaphern‘ (S. 252) spricht. Es handelt sich um die Synekdoche Genus pro specie bei gleichzeitiger Substantivierung. Thorsten Burkard 226 werden, dass die feminine Form des Adjektivs aridus, also arida, als Substantiv i.S.v. terra verwendet werden kann. 93 An der Seneca-Stelle werden in der Tat in sicco für in terra und in umido für in mari verwendet. 94 Melissus wehrt sich also mit geradezu philologischer Akribie gegen die Kritik des Lernutius, der offenbar an der zu unpräzisen Substantivierung Anstoß genommen hat. Der Ausdruck ist also trotz der Substantivierung und trotz der Synekdoche Genus pro specie keineswegs zu beanstanden. Nun mag man einwenden, dass Seneca ein Autor der silbernen Latinität war und es schon bezeichnend ist, dass sich Melissus auf ihn beruft. Abgesehen davon, dass diese Argumentation zu kurz greift (was hier nicht ausgeführt werden kann), so ist sie hier, selbst wenn sie einwandfrei wäre, fehl am Platze, weil Melissus Seneca ganz selbstverständlich als Autorität zitiert. Hätte Lernutius einen Mangel an Klassizismus i.e.S. kritisiert, so hätte sich Melissus nicht ohne weitere Erläuterungen auf das Bibellatein und Seneca berufen können. Daraus dürfen wir schließen, dass Lernutius’ Kritik höchstwahrscheinlich darauf zielte, dass die getadelten Ausdrucksweisen in der Antike nicht belegt seien. Auf jeden Fall können wir festhalten, dass Melissus hier keinesfalls wie ein Manierist argumentiert, der sich auf das Gesuchte und Ausgefallene berufen hätte. Im Gegensatz dazu strebt Melissus danach, auf dem sprachlichen Fundament der veteres zu stehen - und mit diesem weiten Klassizismus-Begriff (der sogar das Bibellatein einbezieht) steht er bekanntlich weder im 16. noch im 17. Jahrhundert alleine. Bei dieser Auseinandersetzung zwischen Lernutius und Melissus handelt es sich um ein kleines Scharmützel um Details, nicht aber um eine Schlacht zwischen Klassizismus und Manierismus. So wird auch verständlich, dass Melissus zwei stilkritische Gedichte ausgerechnet dem unter anderem als Archaisten beschimpften Philologen Justus Lipsius (1547-1606) gewidmet hat. Lipsius hat bekanntlich versucht, in seiner Prosa das Sprachmaterial der gesamten lateinischen Literatur zu berücksichtigen. In der Ode an Lipsius 95 betont Melissus, dass die Gelehrten Europas diesen wegen seines vetus stylus bewundern würden. Wie so oft lobt sich Melissus selbst, indem er darauf hinweist, dass ihn angesehene Männer gepriesen hätten: 96 Lipsius habe ihn als den besten Dichter bezeichnet - auch wenn 93 Dixit vero Deus: “Congregentur aquae, quae sub caelo sunt, in locum unum, et appareat arida”. Factumque est ita. Et vocavit Deus aridam Terram. 94 Melissus hätte sich seine Beweisführung übrigens auch einfacher machen können und für in arido auf Caes. Gall. 4, 26, 5 verweisen können. Substantivisches aridum kommt häufiger bei Caesar vor; aber offenbar waren Melissus (und Lernutius) die Stellen nicht bekannt. 95 Sched. 1, Mel. VII, p. 409f. Der erste Vers lautet: DISERTE LIPSI, Romulidûm decus. 96 In einer Ode des achten Melica-Buches sagt Melissus, dass der Adressat Melchior Leucorinus ihn als princeps der Dichter und Komponisten bezeichnet habe (Sched. 1, p. 481). Frühbarocker Manierismus? 227 dieses Lob, wie Melissus zu versichern sich beeilt, eigentlich Janus Dousa zustehe, der die antiquitas und die prisca verba zurückgebracht und die barbarischen Wörter verbannt habe, wie ja auch Lipsius die barbaries vertreiben wolle. Man liegt also keineswegs falsch, wenn man Melissus als Archaisten bezeichnet - aber dieser Archaismus ist (wie gezeigt) als ein erweiterter Klassizismus zu begreifen, 97 nicht als eine Spielart des Manierismus, der nach dem Ungewöhnlichen und schwer Verständlichen um seiner selbst willen jagt. Justus Lipsius ist auch der Adressat eines langen hexametrischen Gedichts, 98 in dem Melissus seine Art zu dichten gegen Kritiker rechtfertigt und seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, dass seine Gedichte den scripta 99 der Alten und dem saeclum Latinum wenigstens teilweise gleichkommen können. 100 Außerdem heißt es: ita contra, vulgus ineptum / Quàm sentit, studeo paucis modulata probare / Carmina, ab exiguo venae manantia rivo; / Pura tamen, nulliusque óbsita labe soloeci, / Vt reor, indignê laturus siquid hiulcum / Aut inconveniens absurdumve, aut alienum / Obsideat temere ingestis mea carmina naevis. (p. 13f.) Im Gegensatz zur Meinung der törichten Masse bemühe ich mich daher, dass meine harmonisch abgemessenen Gedichte bei wenigen Beifall finden, Gedichte, die aus einer kleinen Flussader fließen, aber rein sind und mit keinem Makel eines Solözismus befleckt sind (wie ich glaube). Ich wäre ungehalten, wenn etwas Unzusammenhängendes, Unpassendes, Misstönendes oder Fremdes in meine Gedichte eindringen würde, indem ich sie leichtfertig mit Muttermalen besprenkeln würde. Neben dem erneuten Bekenntnis zur Kleindichtung (exiguo rivo) und der einem elitären Kunstverständnis verpflichteten Aussage, dass Melissus nur für wenige dichten möchte, ist für uns vor allem relevant, dass er sich zur puritas bekennt, zur Sprachrichtigkeit, die durch keinerlei Solözismen (syntaktische Fehler) entstellt ist. Weiter unten wird es heißen, dass die Barbarei plane, die angemessenen Ausdrucksweisen (lexes aptae), die norma loquendi puriter, und die verba Ausoniis consueta proprítim 101 zu verderben, um „so helles Licht in Nebel zu tauchen“ (ita perspicuae nebulas offundere luci). Nach den bisher behandelten Stellen können wir diese Aussagen leicht einordnen: Die Latinitas seiner Lieder soll den antiken Maßstäben entsprechen oder, im Falle von Neo- 97 Vgl. eine Stelle aus dem achten Melica-Buch: sic habe: / Priscos quidem aemularier / Tentare me, sed adsequi vix tantulum / Potesse (Sched. 1, p. 482). Dass Melissus mit prisci alle antiken Dichter meint, wird aus Sched. 1, Mel. IX, p. 525 deutlich. 98 Sched. 2, Epica, p. 13-18. Seidel 1998, 154 nennt das Gedicht eine große poetologische Versepistel im Stile des Horaz. 99 Zu scripta i.S.v. carmina vgl. Hor. sat. 1, 4, 23. 75; 1, 10, 56; 2, 3, 2; epist. 1, 19, 39. 42; 2, 1, 29f. 100 Wenn ihm diese aemulatio gelinge, könne er sich zu Recht als einer der Quiriten fühlen. 101 Zu dem seltenen Wort propritim vgl. Lucr. 2, 975. Thorsten Burkard 228 logismen, maßvoll aus diesen abgeleitet sein. Dieser Passus ist auch eine nachdrückliche Befürwortung des Decorum (vgl. den Vers aut … alienum). 102 Auch hier begegnet uns wieder die Ablehnung von naevi in der Dichtung, wie am Ende des zitierten Abschnitts deutlich wird. Melissus fährt fort: heu 103 nupera nobis / Objecit priscos Latiae rudis arbitra linguae, / Ex faece et triviis argutans verba petendum. 104 Oweh! Neulich hat uns eine der lateinischen Sprache unkundige Kritikerin 105 die Nachahmung der alten Schriftsteller vorgeworfen und schwatzte daher, man müsse die Wörter aus dem Bodensatz und von der Gosse beziehen. 106 Melissus’ Verteidigungsstrategie ist eindeutig: Während für ihn der Maßstab das mittlere bis hohe Stilniveau der gesamten Latinität ist, will die barbaries Wörter des niedrigsten Stilniveaus (faex, trivium) in die Dichtung einführen, ja überhaupt „die edlen Künste verderben“ (artes ingenuas corrumpere). Gemeint sind damit in erster Linie offenbar mittel- und neulateinische Wörter sowie Wörter aus den Volkssprachen, also nicht antik belegtes Vokabular. Wie Melissus hier seine eigenen Neologismen positionieren würde, wäre eine eigene Untersuchung wert. Wir werden dieses Problem im dritten Kapitel kurz streifen. Am Ende des Gedichts äußert sich Melissus noch einmal zur Wortwahl, daneben aber auch zur Wortstellung (p. 18): Munda placent, sermoque decens, seléctaque verba, / Et teretum structura pedum, rectissimus ordo, / Quaeque alia efficiunt jucundum et amabile carmen. 107 Reines gefällt, und auch eine schickliche Sprache, wohl gewählte Wörter, ein Bau aus harmonischen Versfüßen und die korrekte Wortstellung - und was sonst noch ein angenehmes und liebliches Gedicht hervorzubringen vermag. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir unter dem rectissimus ordo die der jeweiligen Gattung angemessene Wortstellung verstehen und unter den teretes 102 Das Wort alienus ist mehrdeutig. Entweder sind nicht-lateinische Wörter gemeint, also etwa Germanismen oder Italianismen, oder es handelt sich um ein weiteres Synonym i.S.v. ‚unpassend‘. Letzteres scheint mir wahrscheinlicher. 103 Die Interjektion heu ist eine Emendation; im Druck von 1586 steht die Vergleichspartikel ceu, die keinen rechten Bezugspunkt hat (p. 14). 104 Die in der Antike fallweise belegte Konstruktion verba petendum galt damals in der Dichtung nicht als verwerflich, vgl. Manuel Álvares: De Institutione Grammatica Libri Tres, Köln 1596, p. 371. 105 Gemeint ist offenbar die barbaries, auch wenn das Substantiv erst einige Verse weiter unten erscheint. 106 Zu diesem metaphorischen Gebrauch von faex und ex trivio vgl. Cic. Brut. 244; Mur. 13. 107 In den letzten drei Versen sagt Melissus, dass Lipsius ihn als strenger Zensor kritisieren dürfe, sollte er diese Ansprüche nicht erfüllen. Frühbarocker Manierismus? 229 pedes wohl gedrechselte Verse. Von einem Manifest manieristischer Wortstellung kann hier keine Rede sein. Auch das Ziel von Melissus’ Stilbekenntnis widerspricht dieser These: Das solchermaßen erschaffene Gedicht soll angenehm und liebenswert sein; von Verrätselung und dem Reiz des Gesuchten keine Spur. Dieser Eindruck eines klassizistischen Dichtungsideals wird noch durch eine Stelle verstärkt, an der sich Melissus erneut mit jenem Stil auseinandersetzt, den er in Bausch und Bogen ablehnt, indem er die bereits behandelte Flussmetapher verwendet: Lipsius werde eher einen rivus limpiduli fontis schätzen als Flüsse, die über die Ufer treten - und hier begegnen bezeichnenderweise Termini, die traditionell den Schwulststil bezeichnen: tumidus, torrentes, excedere, turgida pomparum, ampullantia verborum. 108 Denn: mecum facis, et sapiens mediocria suades (p. 16). Das Ideal ist das Maßvolle; man wird an Horaz’ ethisches Prinzip der aurea mediocritas erinnert. 109 Neben stilistischen Erwägungen gibt es schließlich auch einen inhaltlichen Grund für die Ablehnung dieser sprachlich-stilistischen Barbarei: Sie werde niemals in der Lage sein können, die Taten der Könige, Fürsten und Feldherren adäquat darzustellen (p. 15), d.h. den wahrhaft erhabenen Stil zu verwirklichen. Eine letzte Stelle sei angeführt, an der sich Melissus’ Bekenntnis zu einem im weiten Sinne zu verstehenden Klassizismus noch einmal deutlich zeigt: In einem jetzt in der Stuttgarter Landesbibliothek liegenden Brief an Johannes Weidner vom August 1592 lehnt er Neologismen, unnatürliche und geschmacklose Wörter ab - alte Wörter dürfe man hingegen verwenden. Sein Maßstab für die Verwendung von Wörtern ist (wie wir bereits gesehen haben) das Vorkommen bei antiken Autoren, weswegen er den Schriftstellern seiner Zeit vorwirft, diese nicht zu lesen - erneut also der Vorwurf mangelnder Gelehrsamkeit. 110 3. Melissus’ poetische Praxis Nun ist das poetologische Programm eines Dichters eine Sache, seine konkrete Praxis allerdings eine ganz andere, und es ist nicht auszuschließen, dass Melissus das Wasser eines weiten Klassizismus predigt, um genussvoll den Wein des Manierismus zu trinken, dass er womöglich (ob bewusst oder unbewusst) in einer Art Projektion seinen Gegnern genau das zum Vorwurf 108 Mit diesen Metaphern werden Schwulst und übertriebenes Pathos bezeichnet, vgl. Hor. ars 93-98: Interdum tamen et vocem comoedia tollit, / iratusque Chremes tumido delitigat ore; / et tragicus plerumque dolet sermone pedestri / Telephus et Peleus, cum pauper et exul uterque / proicit ampullas et sesquipedalia verba, / si curat cor spectantis tetigisse querella und epist. 1, 3, 14: an tragica desaevit et ampullatur in arte? 109 Hor. carm. 2, 10. 110 Cod. hist. 603, 631-632, zitiert nach Schäfer 1976, 84. Thorsten Burkard 230 macht, was sich bei ihm auf Schritt und Tritt finden lässt. Er wäre kaum der erste und kaum der letzte Schriftsteller, bei dem Theorie und Praxis auseinanderklaffen, so dass es naiv wäre, alle seine Aussagen a priori für bare Münze zu nehmen. Die Diskrepanz zwischen poetologischen Äußerungen und ihrer Verwirklichung kann verschiedene Gründe haben: beispielsweise eine falsche Einschätzung der eigenen Dichtung, ein Mangel an dichterischer Begabung, das Desinteresse, ein Programm konsequent in die Wirklichkeit umzusetzen, oder die Unfähigkeit, sich von Modeerscheinungen zu lösen. In der Forschung hat man von Melissus’ „affektierter Bescheidenheit“ gesprochen. 111 Die selbstverkleinernde Pose als Grille, Gans, Ente oder Biene wäre nichts anderes als eine Irreführung des Lesers, die dieser natürlich durchschauen und goutieren soll. Da diese Erklärung nicht auf alle Elemente von Melissus’ Dichtungsprogramm zutreffen kann - man denke nur an seinen selbstbewussten Anspruch, vergessene Vokabeln wieder ans Licht und ins neulateinische Sprachspiel zu bringen -, müsste man zumindest noch eine weitere Erklärung bemühen, wenn man denn auf der Theorie vom manieristischen Melissus beharren wollte. Und selbst wenn Melissus’ Gedichte häufig eher an den Schwan als an die Zikade erinnern, so ist zu bedenken, dass das Gegenteil der kleinen, bescheidenen Poesie nicht die manieristische, sondern die hohe Dichtung darstellt. Bevor man aber irgendwelche Erklärungen für eine mögliche Kluft zwischen poetologischem Programm und poetischer Realität bemüht, müsste man erst einmal untersuchen, ob diese Kluft überhaupt existiert. Diese Untersuchung wäre natürlich auf einer breiten Basis einer möglichst großen Auswahl von Gedichten zu führen, was hier nicht einmal ansatzweise geleistet werden kann. Hier sollen stattdessen drei Komplexe ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit behandelt werden: (1) Zunächst geben wir unseren Eindruck derjenigen Gedichte wieder, die in die zweite Auflage der Schediasmata aufgenommen wurden - dabei sei betont, dass es sich lediglich um einen Eindruck, eine erste Einschätzung auf der Grundlage einer primär kursorischen Lektüre handelt. (2) In der Forschung wird zuweilen Melissus’ Manierismus nicht nur behauptet, sondern anhand einiger Stellen auch vorgeführt. Die wichtigsten Passagen der Sekundärliteratur sollen kurz diskutiert werden - auch in der Hoffnung, dass aus dieser Diskussion deutlich wird, wie dieses unseres Erachtens verfehlte Urteil über Melissus zustande kommt. (3) In antiken Termini formuliert handelt es sich bei der ahistorischen Kategorie des Manierismus um Auswüchse des mittleren oder hohen Stils im Sinne Ciceros, 112 die 111 Vgl. Schäfer 1976, 105 in Bezug auf die Zikade in der Modius-Ode. 112 Cicero legt seine Auffassung von der Dreistillehre bekanntlich im Orator dar. Übernommen wird seine Interpretation der tria genera dicendi von Quintilian (inst. 12, 10). Frühbarocker Manierismus? 231 als Cacozelia oder mala affectatio bezeichnet wurden. 113 Sowohl der übertriebene, unangemessene Gebrauch aller zur Verfügung stehenden Stilmittel des Genus medium (das bezeichnenderweise schon in der Antike auch Genus floridum hieß) 114 als auch die Exaggeration des Pathos, das ja das Definiens des hohen Stils darstellt, führen zum Schwulststil. Da nun die Etikettierung ‚Manierismus‘ häufig im Auge des Betrachters liegt, wird es für einen Autor schwierig, nicht in Manierismus-Verdacht zu geraten, es sei denn, er schreibt konsequent im Genus humile: 115 Wie viel Pathos ist noch angemessen bzw. wie viele Schmuckmittel sind noch verträglich, ab welchem Grad beginnt die Cacozelia? Auch wenn antike wie neuzeitliche Rhetoriken und sowohl Stilanalytiker als auch Stilkritiker uns gerne weismachen möchten, dass eine eindeutige natürliche Rhetorik, eine klar identifizierbare unmarkierte Nullstufe des Stils existiere, ist die Grauzone, zumal in einer toten Sprache, zumal in der Dichtung, doch breiter, als man gemeinhin anzunehmen bereit ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, nicht von einer ahistorischen Warte aus zu urteilen, sondern die Frage zu stellen, wie Zeitgenossen den jeweiligen Stil wahrgenommen haben. Auch die viel beschworene Natürlichkeit hängt von kulturellen Vorgaben ab und ist nicht notwendig eine zeitlose Texteigenschaft. Hier muss man sich vor den Fallstricken der Zeitgebundenheit und der Subjektivität hüten. Was ein Wissenschaftler als unerträglichen Schwulst empfindet, kann ein anderer als normal oder unvergleichlich gelungen etikettieren (wofür wir unter 2 auch ein Beispiel geben werden), vor allem aber: Es kann zu der Zeit, als es geschrieben wurde, für vorbildhaft klassisch oder klassizistisch gegolten haben - wenn auch vielleicht nur bei einem Teil der Rezipienten. Daher werden wir am Ende des Beitrags einen Blick auf (fast ausschließlich kritische) zeitgenössische Testimonien werfen, der zeigen wird, dass hier ein ganz anderes Melissus-Bild zutage tritt. (1) Der erste Eindruck beim Lesen von Melissus’ Emmetra und Melica führt den unbefangenen Leser nicht auf die Etikettierung ‚Manierismus‘. Wie wir an einigen Stellen unserer Analysen bereits gesehen haben, bemüht sich Melissus um eine kreative Nachahmung seiner antiken Vorbilder, ohne dass ein 113 Quint. inst. 8, 3, 56-58. Quintilian spricht zwar von allen Genera dicendi, führt aber für das Genus humile nur die pusilla an. Da diese Form der Cacozelia zudem bei der Definition von Manierismus keine Rolle spielt, können wir sie hier aussparen, vgl. aber Fußn. 115. 114 Quint. inst. 12, 10, 58. 115 Und selbst dann ist man nicht gegen den Vorwurf gefeit, der dann freilich in Form eines Oxymorons vorgetragen wird. So konstatiert Robert 2010, 604f. bezogen auf das deutschsprachige Rosenlied eine „affektierte Simplizität“, einen „forcierten ‚Primitivismus‘“ bei Melissus, einen „Manierismus des Niedrigen“. Diese Art von Stilkritik gab es auch schon in der Antike (Don. vit. Verg. 44). Thorsten Burkard 232 Streben nach einer gespreizten Form der novitas erkennbar wäre. 116 Ein Streben nach Dunkelheit, ausgefallenen Metaphern und entlegenen Gedankenspielen kann man ihm nicht attestieren. Im Gegenteil wirken Gedankenführung und die bildliche Veranschaulichung des Gemeinten recht klar. Die Wahrung des Decorum wird von Melissus nicht nur reflektiert, 117 sondern allem Anschein nach in der poetischen Umsetzung auch angestrebt. Auch die angeblich schwierige Wortstellung lässt sich weder in den pindarischen Emmetra noch in den horazischen Melica entdecken. 118 Die Emmetra sind sogar zum größten Teil eher unpindarisch; Gedichte wie Horaz’ pindarische Neronen-Ode (carm. 4, 4) wird man hier vergeblich suchen. Wenn die Länge der Perioden und die Komplexität der Wortstellung dem einen oder anderen Interpreten zu schaffen machte, so liegt das daran, dass Melissus diese Elemente von der horazischen Odenstrophe übernommen hat. Wer Melissus aufgrund dieser Eigenschaft als Manieristen bezeichnet, darf dieses Etikett Horaz nicht verweigern. 119 Man vergesse nie, dass wir es im Falle des Melissus mit Dichtung zu tun haben und dass lateinische Odendichtung im Stile des Horaz noch nie einfach zu lesen war. 120 Es bleibt ein stilistischer Aspekt, der dem Manierismus-Vorwurf nicht ganz entgehen kann: Melissus’ Vorliebe für vergessene Wörter, sein Archaismus. Mag der Dichter selbst auch zu wiederholten Malen eine plausible, sozusagen klassizistische Begründung für seine Wortwahl anführen: Man wird den Verdacht nicht los, dass hier auch ostentative Virtuosität eine Rolle spielte. Wer ein nur bei Livius Andronicus und in der Lexikographie belegtes, 116 Völlig richtig Schäfer 1993b, 256, der auf die Analogiebildungen hinweist und hervorhebt, dass Melissus „das besondere Wort nur mit Autorisierung durch die Antike“ benutzt. Schäfer a.O. betont aber Melissus’ Willen zu abweichenden Ausdrucksweisen zu stark, insbesondere was Morphologie und Syntax angeht, und bezeichnet ihn als „Vorbereiter des Manierismus“. Dennoch ist dieser Passus bei Schäfer das mit Abstand Beste, was zu Melissus’ Stil geschrieben wurde. 117 Dazu passt, dass Melissus in einer Elegie (Sched. 2, Eleg. II, p. 88-90) Orlando di Lasso „als einen Meister des aptum“ würdigt (Kühlmann u.a. 1997, 1445). 118 Eine Einschränkung ist zu machen, die aber nicht als Konzession an die Manierismusthese zu verstehen ist: Melissus macht vergleichsweise häufig vom Dreifachhyperbaton (z.B. a-b-c-A-B-C) Gebrauch, das in der lateinischen Dichtung selten ist. Er folgt hier aber der berühmten letzten Strophe in Horaz’ Carmen 1, 9 (nunc et l a t e n t i s p r o d i t o r i n t u m o / g r a t u s p u e l l a e r i s u s a b a n g u l o / pignusque dereptum lacertis / aut digito male pertinaci) mit der Struktur a-B-c-b-A-B-C. Auch hier lässt sich also eine Orientierung am antiken Vorbild nachweisen und eben keine Überbietung (zumindest soweit ich sehe). 119 Es ist ein Grundproblem der Melissus-Forschung, dass man die als manieriert inkriminierten Stellen zu selten mit den imitierten Originalen vergleicht; vermutlich würde man sich wundern, welche Autoren in der Antike einem ausgiebigen Manierismus huldigten. 120 Richtig Conrady 1962, 169, der das Problem (bei allen Irrtümern in der Stilanalyse, s.u. 2.) überhaupt sehr differenziert angeht: „Das selten gebrauchte Wort wird vorgezogen; der gewählte Ausdruck gilt als Zeichen gekonnter Poesie“ (vgl. auch ibid. 167). Frühbarocker Manierismus? 233 nicht von selbst verständliches Wort verwendet (ocris), erfreut sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an seinem Wissensvorsprung gegenüber den Lesern, dem vulgus, wie Melissus seine Kritiker gerne bezeichnet. Dennoch liegt hier allenfalls ein Manierismus im Kleinen vor, weil zum einen diese Autorintention nicht beweisbar ist, auch wenn zuzugeben ist, dass seine zeitgenössischen Gegner Melissus Dunkelheit vorgeworfen haben. Zum zweiten kommen wirklich unverständliche (weil seltene und entlegene) Wörter nicht allzu häufig vor. In den allermeisten Fällen handelt es sich um Vokabeln, die man sich leicht erschließen kann, auch wenn man sie zuvor noch nie gelesen hat (wie etwa propritim). Des Weiteren mag verwundern, dass sich Melissus gegen Neologismen ausspricht, obwohl sich doch in mehreren Oden Neuprägungen nachweisen lassen. Seine Antwort auf diese Entgegnung würde sinngemäß vermutlich lauten, dass er nur solche Neologismen in Morphologie und Lexik eingeführt habe, die der Logik des antiken Sprachsystems entsprechen wie etwa allucrarier, commoditare, comperibis, immersare, 121 mulsobibae, redurgere. Hier wäre allerdings eine gründliche Untersuchung ein dringliches Desiderat. Wenn man nun irgendwo eine Kluft zwischen einigen poetologischen Äußerungen und der poetischen Praxis des Melissus sehen möchte, so ist sie am ehesten dort zu verorten, wo er sich zur Kleindichtung bekennt, während er sich in Wirklichkeit häufig in Richtung auf einen hohen Stil bewegt. Diese Neigung zum hohen Stil streitet Melissus aber keineswegs ab. Man sollte nur nicht den Fehler machen, hohen Stil mit Manierismus zu verwechseln. 122 (2) Beschäftigen wir uns nunmehr mit einigen wenigen ausgewählten Einzelanalysen von angeblich manieristischen Stellen in Melissus’ Gedichten. Wenn wir dabei fast nur aus Conradys (im übrigen ausgezeichneten) Monographie von 1962 zitieren, so hängt das damit zusammen, dass in den meisten anderen Arbeiten Melissus’ Manierismus eher behauptet wurde, als dass man den Versuch unternahm, diesen in einzelnen Gedichten oder Passagen nachzuweisen. Conrady sieht beispielsweise in der übermäßigen Verwendung von Periphrasen ein Kennzeichen des Manierismus in der neulateinischen Dichtung: 121 Im zweiten Vers des sechsten Gedichts der Acanthae ist der überlieferte Konjunktiv Präsens immerset zu lesen (ediert bei Schäfer 1973, 248; Kühlmann u.a. 1997, 852-854). Unnötig ist die Emendation immersit von Kühlmann u.a. 1997, 1478, wo behauptet wird, dass das Verb immersare nicht belegt sei. Das ist zwar richtig, man vergleiche aber immersabilis in Hor. epist. 1, 2, 22. 122 Vgl. auch Schäfer 1976, 68, 70, 72: In den Siebziger Jahren entwickele sich Melissus zu einem Dichter im hohen (pindarischen und horazischen) Stil (was auch die Psalmenübertragung belege), während er zuvor Catullianer gewesen sei. In der ersten Auflage der Schediasmata habe Horaz noch keine zentrale Rolle gespielt (a.O. 68). Die endgültige Hinwendung zu Horaz und Pindar beginne um 1577 (a.O. 70). Schäfer 1976, 73 sieht auch im Spätwerk der Heidelberger Zeit (seit 1586) „eine qualitative Steigerung“. Thorsten Burkard 234 „Gerade das geschieht auch bei Melissus, - und wir haben nicht selten die Schwierigkeiten des Verstehens.“ 123 Und so erscheint ihm die folgende Periphrase des Junggesellenlebens nicht einfach manieriert, sondern sogar „extrem manieriert“: 124 Caelibe dum vitâ fruor, et cunctamine Fati / Possideo sterilis frigida regna tori. 125 Der unvoreingenommene Leser wird sich fragen, wo hier der Manierismus liegen soll, der Wille zu verblüffen, die gekünstelte Ausdrucksweise. 126 Die Antwort erfährt er bei einem Blick in Conradys Übersetzung, in der frigida mit „frigide“ wiedergegeben ist. Nun ist Melissus’ Pentameter aber eine Nachbildung eines Verses aus der römischen Liebeselegie. Properz klagt nach dem Tode seiner Cynthia: [scil. cum] quererer lecti frigida regna mei (Prop. 4, 7, 6). Die Ausdrucksweise ist offenbar phraseologisch, sie findet sich auch im ersten ovidischen Heroidenbrief (Penelope an Odysseus): non ego deserto iacuissem frigida lecto (v. 7) - ‚frigide‘ wäre auch hier die falsche Übersetzung. 127 Man bezeichnet also auch in diesem Fall Melissus als manieriert, weil man seine antiken Vorlagen nicht zur Kenntnis nimmt. 128 Es ist äußerst aufschlussreich zu beobachten, wie Schäfer und Conrady das am Anfang der Emmetra (und damit der Schediasmata) stehende Gedicht an Königin Elisabeth I. stilistisch analysieren. Es geht uns um die ersten vier Verse des Gedichts und die letzten Verse der ersten Antistrophe: 129 ELISA, Britannico creata sanguine regum / Eademque princeps Angliae caput, / Franciae columen, Hiberniae domina, / Oceanique potens hera. […] Quis neget / Diditam endo medullas / Virtutem egredi tuis ab armillis, / Almitiêque decente comarum? In den ersten Versen sieht Schäfer den Versuch, Horaz zu überbieten 130 - das mag sein, die aemulatio für sich genommen ist aber kein spezifisches Merkmal 123 Conrady 1962, 170 (kursiv im Original); a.O. 171 spricht er von Melissus’ „hochgeschraubten Periphrasen“. 124 Conrady 1962, 170, Übersetzung in Fußn. 345. 125 Sched. 2, Eleg. III, p. 131, v. 1f. 126 Zu beiden Ausdrücken vgl. Conrady 1962, 169. 127 Vgl. auch Ov. am. 3, 5, 42: frigidus in viduo destituere toro; Tib. 1, 8, 29f. - sind das alles Manieristen? 128 Auch Conradys andere Beanstandungen a.O. 170f. scheinen eher darauf hinzudeuten, dass ihm das (immerhin typisch poetische) Stilmittel der Periphrase suspekt ist, als dass Melissus manieristisch schreibt. Noch ein Beispiel einer an anderem Ort beanstandeten Periphrase: Warum soll aetate nives imitante zur Umschreibung der senectus eine „manierierte Ausdrucksweise“ sein (Kühlmann u.a. 1997, 1459)? In der römischen Dichtung ist nix eine Metapher für das weiße Haupthaar. Es handelt sich um eine kurze, sofort verständliche Periphrase, die zugleich die Vorstellung vom Alter als Winter des Lebens aufruft. Man gewinnt zuweilen den Eindruck, als stünden alle Tropen unter Generalverdacht. 129 Sched. 1, Emmetr. p. 3-7; Wiederabdruck bei Kühlmann u.a. 1997, 754-764. 130 Schäfer 1976, 89 Fußn. 124 weist die Parallelen bei Horaz nach. Frühbarocker Manierismus? 235 des Manierismus. Dann fährt er fort: „die zur Tautologie tendierende Satzgliedhäufung ist ein Verfahren barocken Schwulststils.“ 131 Zunächst einmal kann von Tautologie ganz offensichtlich keine Rede sein; jede einzelne Anredeform bezieht sich variierend auf einen anderen Herrschaftsbereich. Des Weiteren ist die Aufzählung der einzelnen Titel in der damaligen Zeit bekanntlich üblich, mögen uns diese endlosen Titulaturen aufgrund der kulturellen Differenz auch ungewohnt erscheinen. Hier enden sichtlich die Möglichkeiten eines ahistorischen Begriffs von Manierismus, und man erkennt deutlich, wie der Interpret die Vorstellungen seiner eigenen Zeit in die Stilanalyse einfließen lässt und diese Vorstellungen als den Maßstab für natürliche Rhetorik bzw. Poetik nimmt. Schließlich sei auch auf die bekannte Tatsache hingewiesen, dass schon im antiken Hymnus die Häufung von Epiklesen üblich gewesen ist. Melissus bewegt sich also nicht nur im kulturellen Code seiner Zeit, sondern zeigt sich auch hier wieder als gelehriger Schüler der veteres. Kommen wir zu Conradys Analyse des zweiten oben abgedruckten Vers- Quatrains. Über das ganze Gedicht urteilt er, dass es „einen unerträglich hohen Ton durch[halte]“. 132 Noch stärker als Schäfer geht es Conrady um den Inhalt. In der Tat spricht aus dem Gedicht ein gehöriges Maß an Unterwürfigkeit - das ist zwar keine stilistische Aussage, kann uns aber vielleicht deutlich machen, warum dieses Emmetrum auf uns Heutige „unerträglich“ wirken kann. Hören wir Conrady weiter: „Die Antistrophe dringt bis an die Grenzen des Geschmacklosen; weiter kann man nicht gehen. Welch ein Gedanke: Die virtus übertrage sich schon von den Armspangen und vom Schmuck des Haares aus! Doch die nächste Strophe übertreibt noch mehr: Schon der Duft ihrer Gewänder bedeutet Heil und Segen.“ 133 Wie im Falle von Schäfers Analyse entsteht die Irritation nicht so sehr aus einem stilistischen Verfahren als vielmehr aus einer kulturellen Differenz. Für den rationalen Wissenschaftler sind Armspangen und Haarschmuck physikalische Gegenstände und sonst nichts. Dass die (wenn auch nur imaginierte) Begegnung eines ‚normalen‘ Mannes mit der Frau, die damals vielleicht der mächtigste Mensch auf Erden war, eine eminent hierarchische Begegnung darstellt, die bei dem inferioren Manne verständlicherweise zu emotionalen Reaktionen führt, blendet Conrady völlig aus - ebenso die Tatsache, dass für den frühneuzeitlichen Menschen (und nicht nur für diesen) von Kleidern und 131 Schäfer 1976, 89. 132 Conrady 1962, 173. Diese Einschätzung wird kritiklos übernommen bei Kühlmann u.a. 1997, 1404. 133 Conrady 1962, 175. Thorsten Burkard 236 Schmuckstücken eine bestimmte Aura ausgehen konnte. 134 Der Conrady unerträgliche und angeblich kaum nachvollziehbare Gedanke entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als situationsangemessen. Auch Melissus’ Wortstellung entgeht nicht Conradys strenger Kritik: „Das erträgliche Maß ist schlechthin überschritten, wenn man [gemeint ist Melissus] dem Subjekt posteritas erst in der folgenden siebten und achten Zeile die zugehörigen Aussagen folgen läßt“ 135 - zunächst kann man Conradys schulmeisterliche Empörung teilen; schaut man sich die Stelle aber einmal an, 136 so handelt es sich bei den „zugehörigen Aussagen“ schlicht um das Prädikat samt Adverb, die Melissus ans Ende des Satzes gesetzt hat; dazwischen stehen die Objekte und ein einfacher Relativsatz; der Satz ist von einer geradezu schlichten Luzidität. In Wirklichkeit ist hier das erträgliche Maß dessen überschritten, was die Erfordernisse an eine wissenschaftliche Stilanalyse angeht. Bei einer konsequenten Anwendung dieser Methodik müsste man das ganze Bellum Gallicum als unerträglich manieristisch gelten lassen. Es ist zu bezweifeln, ob eine solche Etikettierung sinnvoll wäre. Abschließend ist noch ein methodisches Problem anzusprechen. Wenn Conrady sich dafür entschuldigt, dass er für die Übertreibung in Lobgedichten nur Beispiele aus Melissus heranzieht, wo er doch jeden anderen neulateinischen Lyriker ebenso gut hätte wählen können, 137 so stellt sich die Frage, ob das, was Conrady und anderen manieristisch erscheinen mag, nicht einfach in der damaligen Zeit die angemessene Ausdrucksform gewesen ist und wir es nicht tunlichst vermeiden sollten, aus einer überlegenen Position heraus Stilnoten zu verteilen. Angesichts seiner Analysen ist es wenig verwunderlich, wenn Conrady Melissus’ Dichtung wie folgt beschreibt: „Lyrik, die uns recht fremd ist, uns nicht unmittelbar anspricht“. 138 Man ersetze hier das Pronomen „uns“ durch ‚Conrady‘, und man wird das ganze Problem der Manierismus-Hypothese erkennen. 139 Denn vierzig Jahre vor Conrady kann man ein ganz anderes Urteil über Melissus lesen: 134 Giambattista della Porta und Paracelsus betteten solche Phänomene, dass ein Kleidungsstück die Aura des Besitzers zu übernehmen scheint, in ihre Signaturenlehre ein. Auch wir reagieren heutzutage auf Menschen durchaus nach dem Motto ‚Kleider machen Leute‘ (wie unbewusst auch immer). 135 Conrady 1962, 171f. Fußn. 349. 136 Sched. 1, Mel. I, p. 80. 137 Conrady 1962, 172. 138 Conrady 1962, 177. 139 Dass die moderne Barock-Forschung von dem Begriff ‚Manierismus‘ geradezu besessen ist, lässt sich an einer vielsagenden Freud’schen Fehlleistung zeigen: In einem Brief sagt Melissus, dass seine Acanthae aus verschiedenartigen Oden bestünden: in denen er vielleicht zu dictiosus, also etwa ‚sarkastisch‘ (vgl. ThLL s.v.) sei - Robert 2007, 221 Fußn. 57 (danach hier auch zitiert) übersetzt das Adjektiv mit ‚manieriert‘! Frühbarocker Manierismus? 237 In diesen ‚Melica‘ gipfelt die weltliche Lyrik der deutschen Neulateiner vor Balde […] Die Sprache fließt in zärtlicher Melodie dahin […] In diesen Liebesoden des Melissus ist das Latein mit einer lebendigen und gegenwärtigen Freiheit behandelt, die schon ein Anzeichen der Wandlung des klassizistisch- nachahmenden Stils zu barocker Bewegtheit zu sein scheint. […] Gedichte von ihm sind die schönste Blüte dieser Gattung [der Ode]. Er zuerst wagt die klassische Form mit solcher Freiheit und Lebendigkeit zu behandeln, daß sie Ausdruck werden konnte der einmaligen, leidenschaftlichen Bewegtheit der abendländischen Seele des Dichters. Diese Worte stammen von keinem Geringeren als Karl Viëtor. 140 Sie sind genauso subjektiv wie die Analysen von Conrady, aber das eine Urteil ist ein gutes Mittel, um das andere zu relativieren. Beide Urteile zusammengenommen sollten eine Warnung sein, wie subjektiv wir häufig bei Stilanalysen vorgehen. (3) Kommen wir abschließend zu den zeitgenössischen Urteilen über Melissus’ Stil. 141 Nach Schäfer hätte man vor allem Anstoß genommen an seiner „allzu elitären, eklektischen, manierierten Dichtersprache“. 142 Als Beleg verweist er auf die Darstellung des Melissus in der an Senecas Apocolocyntosis angelehnten Literatursatire Pransus paratus des Vincentius Fabricius (1612- 1667) von 1638. Melissus erscheint hier unter dem Decknamen Myrtilus. 143 Dieser Myrtilus tritt an der Spitze anderer gekrönter, aber müßiger (otiosi) Poeten auf, die ihre Dummheit (stoliditas) dem Volke zu verkaufen suchen. Ihre Schreibtafeln sind mit ingentia metra übersät. Myrtilus-Melissus trägt öffentlich eine Ode vor, die als plump (dura), holperig (confragosa) und ungeschliffen (aspera) bezeichnet wird. 144 Silenus kommentiert dieses melos tam insuave mit derben körperlichen Reaktionen. Dann stellt er folgenden Antrag: Myrtilo odas saxeas illas, et inamoenas fuste tundendas censeo, uti mitigare asellos solemus. Frustra in hoc regno locum quaerit, qui se ad aures teretes, et religiosas non accommodat. Daraufhin soll Melissus zusammen mit einem gewissen Polyphilus, hinter 140 Viëtor 1923, 24-25. 141 Nicht zugänglich waren mir die Bücher 165 und 180 von Caspar von Barths Adversaria, aus denen Schäfer 1993b, 255f. die Melissus-Kritik leider nur in Auszügen auf Deutsch zitiert, so dass die Stoßrichtung nicht recht kenntlich wird. 142 Schäfer 2006, 109 Fußn. 62. Die ersten beiden Adjektive treffen durchaus zu, wie wir gesehen haben. 143 Den Namen Myrtilus hat Fabricius vermutlich deswegen gewählt, weil Myrtil(l)etum eine Bezeichnung für Heidelberg ist. Soweit ich sehe, löst Fabricius die Pseudonyme an keiner Stelle auf. Morhof sieht aber in seinem Polyhistor (1747, 1, 7, 3, 10, p. 1067f.) in Myrtilus Melissus. Neben dem Verweis auf Heidelberg sprechen auch zwei weitere Anspielungen dafür (p. 150f.): auf die immense Zahl seiner Oden und Epigramme sowie auf die von ihm vorgenommenen Dichterkrönungen (s.o. S. 209-210). 144 Schäfer 1993b, 255 Fußn. 33 übersetzt treffend mit ‚ungeschlacht‘. Thorsten Burkard 238 dem sich Friedrich Taubmann verbergen dürfte, 145 als Schande für die Dichterzunft (dedecus et opprobrium) aus dem regnum poetarum verbannt werden: Non nisi eruditas mentes hoc regnum tolerat. Beide hätten merae merdae vorgetragen. 146 In dieser, wie man sieht, recht derben Satire wird mit keiner Silbe auf Melissus’ stilistische Ausrichtung angespielt. Zu solchen Höhen kann sich die Kritik überhaupt nicht aufschwingen, weil sie schon genug damit zu tun hat, die Ungeschliffenheit der Gedichte, 147 also die rein handwerkliche Seite, zu kritisieren. Die Oden des Myrtilus-Melissus sind ungefüge wie ein Felsblock; sie müssen mit gröbsten Mitteln behauen werden, damit überhaupt erst ein einigermaßen erkennbares ästhetisches Gebilde entstehen kann. 148 Dieser Befund ist umso wichtiger, als der andere Anführer des agmen poetarum, nämlich Polyphilus-Taubmann, mit Attributen beschrieben wird, die in der Tat auf einen manieristischen Dichter hinweisen, beispielsweise: Mirifice enim sensus inconditos luxuriantibus verbis cumulaverat; ihm fehle es an sanitas. 149 Wir können also festhalten, dass Schäfer dieses Testimonium zu Unrecht als Beleg für eine manierierte Dichtersprache bei Melissus herangezogen hat. Die von Fabricius an Melissus geübte Kritik ist viel grundsätzlicher und vernichtender, als es irgendeine Manierismuskritik je sein könnte. Exakt 50 Jahre später schloss sich der Kieler Professor Daniel Georg Morhof (1639-1691) in seiner monumentalen Enzyklopädie Polyhistor Fabricius’ harschem Urteil an und kritisierte an Melissus’ Oden den völligen Mangel an numerorum concinnitas, decora translatio und Epitheta apte proposita. Auf den ersten Blick mag hier der bewusste Verstoß gegen das Decorum getadelt werden. Wahrscheinlicher ist aber, zumal angesichts des expliziten Bezugs auf Fabricius’ Pransus paratus, dass auch Morhof handwerkliche Vorbehalte hat: Gemeint ist nicht, dass Melissus absichtlich unpassende Metaphern und ungeeignete Attribute verwendet hat, sondern dass er nicht dazu in der Lage 145 Friedrich Taubmann (1565-1613) war Professor poeseos in Wittenberg und hat sich sowohl als Dichter als auch als Philologe einen Namen gemacht. Auf diese Entschlüsselung des Polyphilus deutet die Erwähnung von Schediasmata, seines Ruhmes bei den Sachsen, die Hervorhebung seiner facetiae sowie die Anspielung auf angeblichen Alkoholismus (p. 150-152). 146 Fabricius 1685 (zuerst 1638), p. 139f. 147 Der positive Gegenbegriff lautet teres. Es entbehrt nicht der Ironie, dass Melissus eben diese Stilqualität seinem Versbau zugebilligt hatte (vgl. o. S. 228-229). 148 Das Bild könnte von einer Stelle beeinflusst sein, an der Melissus selbst seine carmina wie folgt beschreibt: potissimas / Verbis struíces aggeramus („ich türme mächtige Haufen aus Wörtern auf“, Sched. 1, Mel. VIII, p. 472; potissimus scheint Melissus hier nicht als qualitatives, sondern als quantitatives Adjektiv zu verwenden). Das seltene Wort struix ist übrigens u.a. bei Livius Andronicus belegt. 149 Fabricius 1685 (zuerst 1638), p. 139-140. Frühbarocker Manierismus? 239 war, dieses Mittel angemessen einzusetzen. 150 Die Kritik an der Metrik des Melissus liegt vermutlich auch daran, dass er in einem Drittel seiner Oden neue Strophensysteme eingeführt hat 151 und sich in seinen Emmetra an eine sehr eigene, kreative Pindarnachahmung wagte. 152 Ein ausgewogeneres, aber in Teilen eben doch vernichtendes Urteil findet sich bei keinem Geringeren als Martin Opitz, der aber durchaus ein Interesse an einer Herabsetzung des Melissus hatte, da er sich an Psalmendichtung versuchen wollte: Melissi enim, horridi multoties in Latinis etiam versibus (Lyrica pleraque sane divina excipio) Poetae, et alterius labor absterrere me aliosque non debet [nämlich von der Psalmendichtung]. 153 Laut Conrady ist diese kritische Bemerkung bezeichnend - nämlich für den verschnörkelt-verkünstelten Stil des Melissus. 154 In Wahrheit übt Opitz aber der Sache nach genau dieselbe Kritik an Melissus’ (deutschen wie lateinischen) Dichtungen wie Fabricius: Sie sind ungeschliffen und somit abstoßend ‚struppig‘ (horridus). Interessant ist, dass Opitz die lyrische Dichtung, also doch wohl Emmetra und Melica, im Großen und Ganzen explizit von seiner Kritik ausnimmt, ja sie sogar als „göttlich“ bezeichnet - während Fabricius und Morhof nur diese für mangelhaft halten werden! 4. Fazit Aus dieser notwendigerweise eng umgrenzten Untersuchung der Poetologie der Schediasmata, einzelner Textpassagen sowie der frühneuzeitlichen Testimonien zu Melissus’ Werk lassen sich - bei aller anzuwendenden Vorsicht - klare Folgerungen ziehen: Das Etikett des Manierismus kann man beim jetzigen Forschungsstand Melissus’ Dichtungen nur schwerlich verleihen. Da er diese Fehleinschätzung mit anderen neulateinischen Barockdichtern teilen muss, lässt sich vermuten, dass die Forschung mit ganz bestimmten Vorstellungen vom ‚barocken Schreiben‘ an diese Autoren herangetreten ist, um dann genau das zu finden, was sie gesucht hat: Ostentation, Schwulst, übertriebenes Pathos, unverständliche Wörter und dunkle Textstellen. Wie fragwürdig dieses Verfahren in der konkreten Umsetzung im Falle des Melissus gewesen ist, haben hoffentlich die vorstehenden Ausführungen exemplarisch 150 Morhof, Polyhistor 1747, 1, 7, 3, 10, p. 1067f. Übrigens bezeugt Morhof a.O. 1067 (wie auch der Pransus paratus), dass es Leute gegeben hat, die Melissus’ Odenwerk sehr schätzten. Taubmann wird von Morhof übrigens nicht unter den Lyrikern behandelt. 151 Vgl. die Zahlen bei Schäfer 1976, 82-83. 152 Vgl. dazu die ausgezeichneten Bemerkungen bei Schäfer 1976, 83 Fußn. 98. 153 Widmungsschreiben zu den Klageliedern Jeremiae (Schulz-Behrend 2, 1979, 754). Mit alter ist Ambrosius Lobwasser gemeint. 154 Conrady 1962, 221 mit Fußn. 423. Thorsten Burkard 240 darlegen können. Angesichts dieses Befundes scheint die Melissus-Stilanalyse wieder an einem Nullpunkt zu stehen, so dass eine neue gründliche Untersuchung ein dringliches Desiderat wäre. Dabei müsste man vor allem auch Melissus’ antike Vorbilder hinreichend einbeziehen, da sich erwiesen hat, dass er diesen sehr eng zu folgen scheint, so dass der Manierismusvorwurf durch ihn hindurch häufig auch seine Vorlage treffen würde. Mit den hier vorgetragenen Ausführungen sollte keineswegs bestritten werden, dass sich bei Melissus manieristische Stellen finden lassen - doch diese Möglichkeit besteht wohl bei fast jedem Dichter, der den hohen Stil pflegt. Man muss bei der Identifikation solcher Stellen aus methodischen Gründen drei Fragen immer im Hinterkopf behalten: (1) Inwiefern bezeichnen wir etwas aus unserer eingeschränkten Perspektive heraus als manieristisch, was in der Entstehenszeit ganz anders eingeordnet werden konnte? Zu diesem Zweck wären Elemente nachzuweisen, die zumindest von einigen Zeitgenossen der Cacozelia zugeordnet worden sind. Man sollte sich aber dessen bewusst sein, dass das, was dem einen als ein Cacozelon erschien, von einem anderen als gelungen beurteilt werden konnte. Da stilistische Zuweisungen nicht einfache Texteigenschaften sind, sondern vom Urteil des jeweiligen Betrachters abhängen, müssten die entsprechenden Funde umso schlagender sein. (2) Inwiefern berechtigen uns einzelne Stellen zu einer stilistischen Gesamtanalyse? Mit anderen Worten: Ein manieristischer Stilwille müsste flächendeckend nachgewiesen werden. Eine Analyse der Archaismen und Neologismen scheint hier ein vielversprechender Weg zu sein. Zudem wurde bisher eine Untersuchung von Melissus’ Morphologie und Syntax nicht einmal ansatzweise geleistet. (3) Sollten sich Manierismen eindeutig nachweisen lassen, so wäre immer die Frage zu stellen, wie sich diese mit dem doch sehr klassizistischen, an einer natürlichen Decorum-Poetik des Maßvollen (mediocritas) ausgerichteten Dichtungsprogramm des Melissus vereinbaren lassen, das wir hier im Einzelnen herausarbeiten konnten. Hält man sich diese Probleme und die hier vorgestellten - freilich nur Teile des Gesamtwerks betreffenden - Ergebnisse vor Augen, so gewinnt doch die Hypothese an Plausibilität, dass die Dichtungen des Paulus Schedius Melissus guten Gewissens als klassizistisch bezeichnet werden dürfen - bis zum Beweis des Gegenteils. Frühbarocker Manierismus? 241 Literaturverzeichnis 1. Ausgaben und Übersetzungen häufiger zitierter frühneuzeitlicher Werke Adam, Melchior: Vitae Germanorum philosophorum, qui seculo superiori, et quod excurrit, philosophicis ac humanioribus literis clari floruerunt, Heidelberg 1615. Fabricius, Vincentius: Orationes […]. 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Jochen Schultheiß (Würzburg) Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede: Zu drei Epithalamien in den Schediasmata Die Schediasmata poetica stellen eine Gedichtsammlung dar, die nach metrischem Ordnungsprinzip in mehrere Zyklen gegliedert ist. 1 So finden sich am Beginn der 1586 erschienenen, stark vermehrten Neuauflage 27 pindarische Oden unter dem Titel Emmetra, es folgen die an Horaz orientierten Melica, schließlich Elegiae, Epica und Epigrammata. Eckard Schäfer hat das poetologische Programm Schedes gewürdigt, der seine Dichtung als Nachfolge und Vereinigung der beiden großen Modelle der Odendichtung, Horaz und Pindar, auffasst und hierzu in Anlehnung an die horazische Pindar-Ode den Römer durch die Metapher der blütenlesenden Biene, den Griechen durch die des erhabenen Schwans versinnbildlicht. In diesen Bildern finden sowohl die imitatio-Technik als auch der hohe Odenstil, die der inhaltlichen, sprachlichen und formalen Gestaltung der Gedichte zugrundeliegen, ihren Ausdruck. 2 Verstärkt wird in jüngerer Zeit, etwa durch Jörg Robert, auf den volkssprachlichen literarischen Kontext hingewiesen, in den sich die neulateinischen Gedichte einfügen, sowie auf Schedes sich selbst zugeschriebene Rolle eines Vermittlers der Dichtung aus dem französischen Poetenkreis der Pléiade an das deutsche Publikum. 3 Untersuchungen, wie er dieses Programm nun in die dichterische Praxis umsetzt, stehen jedoch noch weitgehend aus. Im Folgenden soll daher anhand einer Analyse ausgewählter Gedichte der Versuch unternommen werden, die Prinzipien seines Dichtens konkreter zu erfassen. Auf verschiedene Bücher der Schediasmata und somit auf unterschiedliche metrische Systeme verteilt findet sich ein gutes Dutzend Gedichte, das der Gattung des Epithalamiums zugewiesen werden kann. In der vorliegenden Untersuchung sollen aus dieser Gruppe die drei Hochzeitsgedichte, die in pindarischer Form verfasst sind, analysiert werden. Dabei soll der Versuch im Mittelpunkt stehen, die Schedesche Pindarrezeption genauer zu bestimmen. Sind die Gedichte in direkter Auseinandersetzung mit dem griechischen Prätext entstanden, oder dichtet Schede in den Formen einer durch spezifische 1 Zu den Schediasmata als Sammelwerk vgl. Kühlmann / Seidel / Wiegand 1997, 1402. 2 Die Biene (gr. μέλισσα) ist im Beinamen des Dichters enthalten, der Schwan erscheint in seinem Wappen; vgl. Schäfer 1976, 71, 75-82, 84, 105-106 (hier auch über die cicada als gegensteuernde poetologische Metapher zur Versinnbildlichung der Bescheidenheit des Epigonen); ferner id. 2000, 239-240, 253. 3 Vgl. Robert 2007. Jochen Schultheiß 246 Charakteristika definierten Gattung der pindarischen Ode, ohne dass noch direkt auf den Originaltext zurückgegriffen würde? Diese Fragestellung macht eine Einordnung des Neulateiners in den umfassenden Zusammenhang der pindarischen Dichtung in der zweiten Hälfte des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts nötig. Hierbei wird man feststellen, dass Schede zwischen zwei weit voneinander entfernten Polen der Rezeption des griechischen Lyrikers anzusiedeln ist. Während Ronsards pindarische Oden, entstanden um 1550, als Lobgedichte auf die Großen der Nation, insbesondere auf Adlige und Kleriker, immer wieder zu Recht als höfisch klassifiziert worden sind, hat die Forschung zum deutschen Frühbarock die pindarischen Oden eines Martin Opitz mit nicht weniger Berechtigung der bürgerlichen Gelegenheitsdichtung zugerechnet. 4 Von Seiten der Germanistik ist diese Entwicklung auf die Wirkung des von dem Philologen Erasmus Schmid verfassten Pindarkommentars, erschienen 1616 in Wittenberg, zurückgeführt worden, in dem herausgestellt wird, dass der Chorlyriker nicht ausschließlich Siege besinge, sondern ein breiteres Spektrum an Lobes- und Glückwunschformen abdecke. 5 Speziell von Epithalamien ist in diesem Kommentar jedoch nicht die Rede, und dass diese Bemerkungen bereits als Ermunterung aufgefasst werden können, Hochzeitsgedichte in pindarischer Form zu verfassen, ist nicht zwingend. 6 Die Tatsache, dass in der neulateinischen Literatur der Schritt zum Epithalamium in pindarischer Gestalt zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen war, ist als mögliche Erklärung bisher gänzlich außer Acht geblieben. Dabei lassen schon die biographischen Berührungspunkte sowohl mit der Pléiade in Paris als auch mit frühbarocken 4 Zu diesen Klassifikationen vgl. Koch 1927, 200-213; Halsted 1994, 625. 5 Die einschlägige Textstelle des Kommentars: Caeterum Materiae, quae hujusmodi Lyrico generi conveniunt, variae sunt. Neque enim tantùm E NCOMIA V ICTORIARUM , campus sunt, in quo Lyra desultet, ut aliqui opinantur: sed ferè omnia Causarum genera, ut Rhetores vocant, sibi familiaria fecit. Verum est, in Encomiis hoc genus maxime luxuriare: Non tamen semper ob Victorias, sed saepè etiam ob alias causas. Et quidem jam L AUDES persequitur P ERSONARUM , ut passim: jam R ERUM , ut P OËTICAE […] sicut et contra V ITUPERIA interdum tractat, ut I NVIDIAE & παρφάσεως […]. Interim tamen & alia argumenta saepè sibi vendicat, ut G RATULATIONES , v.g, de V ICTORIA , passim, de M AGISTRATU […], C ONSOLATIONES […] C OMMENDATIONES […] A DHORTATIONES […] A DMONITIONES […] D EHORTATIONES […] Q UERELAS […] I NVOCA- TIONES […] V OTA […] E XCUSATIONES […] D EFENSIONES […] H ISTORICA […] D IDACTICA referri possunt. Et passim M ORALIA tractantur […]. Quae omnia etsi non semper integra εἴδη absolvunt; bonam tamen partem saepissimè occupant, & proinde à Lyrico genere non aliena sunt aestimanda (Schmid 1616, 47-48). Vgl. hierzu Koch 1927, 210; Halsted 1994, 625. 6 Ebenso wenig lässt sich die Entwicklung einer pindarischen „Light Ode“ mit Revard 2001, 277-314 auf die bloße Anrede der Χάριτες in Ol. 14 zurückführen. Wie Revard (287- 289) selbst mit Recht zu bedenken gibt, nehmen die Χάριτες / Gratiae in der gesamten antiken Dichtung und insbesondere bei Horaz einen prominenten Rang ein. Somit besteht keine Notwendigkeit, im Hinblick auf die Grazien die Rezeptionslinie über die römische Dichtung hinaus bis auf Pindar hinabzuführen. Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 247 Dichterkreisen in Heidelberg den Blick auf Schede richten. In der nun folgenden Untersuchung soll der Neulateiner gewissermaßen als der missing link zwischen den beiden divergierenden Formen pindarischen Dichtens herausgestellt werden. I Ronsards Pindarrezeption In der Gattungstradition des Hochzeitsgedichts, das in der Renaissance eine neue Blüte erlebt, setzen die Modelle Catull (carm. 61; 62; 64), Statius (silv. 1, 2) und Claudian (carm. 10) in Hinblick auf inhaltliche Topik und metrische Struktur die weithin respektierte Norm. 7 Paulus Melissus Schede ist jedoch, soweit ich sehe, der erste Dichter von Epithalamien, der sich im Versbau an Pindar orientiert. Dies ist erstaunlich, gilt doch dessen Lyrik in der Renaissance „als Inbegriff des enkomiastischen Dichtens“. 8 Von dem griechischen Lyriker sind lediglich die vier Bücher Epinikien einigermaßen unbeschadet der Nachwelt überliefert worden, das restliche Werk liegt nur noch in Fragmenten vor. Bei diesen Gedichten handelt es sich um panegyrische Hymnen, die anlässlich eines Erfolgs im sportlichen Wettkampf einem Sieger dargebracht werden. Der Agon als zentrales Element der griechischen Adelskultur wird in späteren Epochen kaum noch irgendwo einen vergleichbaren Platz einnehmen, so dass die literarische Rezeption vor die Aufgabe gestellt ist, die kontextuelle Einbindung der Gedichte neu zu bestimmen. Erst die von Aldus Manutius 1513 besorgte Editio princeps führt zu einer verstärkten Rezeption des Thebaners, die nach ersten Versuchen in Italien schließlich in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Frankreich durch den Dichterkreis der Pléiade ihre volle Entfaltung finden soll. 9 Prägend für das Verständnis des griechischen Dichters war Horazens carm. 4, 2. In dieser sogenannten Pindar-Ode bestimmt der Römer inhaltliche und stilistische Höhe als die entscheidenden Charakteristika der Dichtung des griechischen Lyrikers. Als ein Kennzeichen dieses Stils streicht Horaz die Verwendung von Neologismen (nova verba, carm. 4, 2, 10-11) heraus. Insbesondere aber die triadische metrische Struktur von Strophe, Antistrophe und Epode wird in der nachfolgenden Literatur rezipiert. 10 Jedoch war bereits in der Antike das Verständnis für den Versbau abhandengekommen - so dichte der Grieche laut Horaz numeris lege solutis (carm. 4, 2, 11-12) -, und auch in der Renaissance dachte man sich die 7 Vgl. Morrison 1979, 794; IJsewijn 1998, 100; Korenjak 2003, 181-185; Gastgeber 2008, 32. 8 Schmitz 1993, 99. Zu Belegen in literaturtheoretischen Traktaten aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vgl. ibid. 161-177; 233. 9 Vgl. zum pindarisme als literarische Mode Schmitz 1993, 16-26, 71-72; Hamilton 2010, 655. 10 Zur Metrik vgl. Schäfer 1976, 83 98 ; Gelzer 1981, 97, 101-104; Schmitz 1993, 20, 76-98, 126- 133. Jochen Schultheiß 248 pindarischen Strophen als eine recht beliebige Kombination von Versen und Metren. Bei der Komposition moderner pindarischer Oden war der Dichter in der Zusammensetzung des Versmaßes frei, musste sich jedoch an das metrische System, das er für die erste Triade gewählt hatte, in den nachfolgenden halten. Schöpfer und zugleich bedeutendster Vertreter der ode pindarique ist Pierre de Ronsard (1524-1585). 11 Eine breite Pindar-Rezeption beginnt in Frankreich in den 1540er Jahren, nachdem Jean Dorat sich als Gräzist mit den antiken Gedichten beschäftigt und sie in seinem prägenden Griechischunterricht den späteren Dichtern der Pléiade vermittelt hat. 12 Ronsards Quatres premiers livres des odes liegen die Epinikien Pindars neben den horazischen Oden als Muster zugrunde. Im ersten Buch finden sich gleich zu Beginn 15 Odes pindariques, die er vermutlich zwischen 1546 und 1552 verfasst und zwischen 1550 und 1552 veröffentlicht hat. 13 Als Kennzeichen der ronsardschen Pindarrezeption konnten in der Forschung folgende Punkte herausgearbeitet werden: 14 1. Ronsard rezipiert die pindarischen Gedichte als Enkomien. In Anlehnung an die Prätexte feiert er die Adressaten als Sieger, wobei die sportlichen Triumphe durch Erfolge auf militärischem und diplomatischem Feld ersetzt werden. Er hebt dabei die Tugendhaftigkeit (vertu) der Adressaten hervor. 2. Die Adressaten der Lobgedichte sind bedeutende Franzosen aus Adel, Klerus und Literaturbetrieb. Das Ziel Ronsards in seinen pindarischen Oden ist ein patriotisches und besteht darin, zu Ruhm und Verehrung der Personen beizutragen, die sich in besonderem Maße um die Größe Frankreichs verdient gemacht haben. Hierbei nehmen König und Königin die erste Stelle ein. 3. Wie Pindar integriert Ronsard mythische Passagen, die den Gedankengang um Vergleiche oder aitiologische Erzählungen ergänzen. Die Taten der Gegenwart werden mit denen mythischer Heroen der Vorzeit parallelisiert. Ronsard folgt dem Modell nicht nur darin, in seine Gedichte mythologische Erzählungen in Exkursform einzuflechten, sondern orientiert sich bei der Gestaltung von Mythen, die er neu entwickelt, auch ganz konkret an seinem Vorbild. So erzählt die Ode 1, 3 (À la Royne) auf Catherine de Médicis die Gründungssage der Stadt Florenz, in der der Ursprung und die Benennung des Ortes auf ein Liebesverhältnis zwischen Apollon und der Nymphe Florence zurückgeführt werden. 15 Ronsard gestaltet sie nach Pindars 9. Pythischer 11 Vgl. Margolin 1981, 131, 136; Schmitz 1993, 67-69, 84-86, 98-107, 261. Ronsard selbst nimmt für sich in Anspruch, Archeget der Gattung in Frankreich zu sein: „Le premier de France / J’ay pindarizé“ (Ode 2, 2 [À Calliope], 36-37, zitiert nach Céard / Ménager / Simonin 1993, 683). Diesem Selbstverständnis Ronsards entspricht auch die Fremdwahrnehmung, in der ihm mit dem Beinamen „Pindare françois“ gehuldigt wird. 12 Zur Bedeutung Dorats für die Entwicklung der pindarischen Ode vgl. Demerson 1979. 13 Vgl. Margolin 1981, 132; Céard / Ménager / Simonin 1993, 593-664. 14 Für einen konzisen Überblick vgl. Vöhler 2005, 3-4; ferner Janik 1968, 28; Margolin 1981, 132-133. 15 Zu diesem Beispiel ausführlich Schmitz 1993, 34-36, 226-233. Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 249 Ode, in der Apollon die Nymphe Kyrene liebt, die als namengebende Stadtgöttin mit dem Heimatort des Siegers Telesikrates verbunden ist. Sogar einige Details werden leicht verändert übernommen: Während Kyrene bei Pindar mit einem Löwen kämpft (Pyth. 9, 26-28), jagt sie bei Ronsard einen Wolf (Ode 1, 3, 19). 4. Pindar steht für den hohen Stil. Ronsard differenziert explizit zwischen den hauts vers Pindars und dem chant plus facile der Bukolik eines Theokrit. 16 In den Bereich des Stils gehört als Kennzeichen der Pindarnachfolge Ronsards die „Verdunkelung“. 17 Hierzu tragen unvermittelt wirkende Wendungen im Gedankengang bei, wie sie sich auch bei Pindar finden. Dieses Element ist der Vorstellung vom Enthusiasmus des Dichters (fureur poétique) geschuldet, den man in der Renaissance wie auch in anderen Rezeptionsphasen bei dem Griechen zu erkennen glaubte. 18 5. Schließlich ist die Strophenform, bestehend aus Strophe, Antistrophe und Epode, sowie die freie Nachahmung des Metrums zu nennen. Hierbei muss jedoch auf einen nicht unbedeutenden Unterschied zwischen dem antiken und dem modernen Lyriker hingewiesen werden, der bisher in der Forschung noch weitgehend unberücksichtigt geblieben ist: Gewiss lassen auch Pindars Gedichte einen strukturierten, insbesondere auf Symmetrien bedachten Aufbau erkennen. 19 Dennoch kann es als ein markantes Kennzeichen der Dichtung Pindars gelten, dass Sätze häufig über die Strophengrenze hinausgehen. Horaz drückt diese Eigenheit des Griechen treffend durch den Vergleich mit einem herabstürzenden Bergbach aus, der sich selbst in einem Satz über fünf Strophen erstreckt (4, 2, 4-24). Wenngleich es auch in Ronsards Oden Strophenenjambements gibt, ist dennoch eine deutliche Tendenz dahin zu erkennen, Strophen- und Satzende miteinander in Deckung zu bringen. 20 Die Divergenz von Strophenform und inhaltlicher Gliederung bei Pindar wird am Beispiel der 7. Isthmischen Ode deutlich, in der an den acht Stro- 16 Zu der Stelle in Le Voyage de Tours ou les Amoureux Thoinet et Perrot im Second Livre des Amours (Céard / Ménager / Simonin 1993, 211) vgl. Schmitz 1993, 204-205. 17 Ode 3, 3 (À Monsieur le Dauphin), 26-27: „Brouiller mes vers à la mode de Pindar‘“. 18 Vgl. Janik 1968, 28-29, 32. Jedoch gilt es, mit Schmitz 1993, 135-161, 261, bei den Dichtern der Pléiade eine poetisch-rhetorische Funktionalisierung des fureur zu bedenken. Das Inspirationsmotiv stellt ein literarisches Mittel dar, um dem Sprecher des Gedichts eine außergewöhnliche Autorität für das Enkomion zu verleihen. 19 Zur Kompositionstechnik der Oden Pindars vgl. Willcock 1995, 12-14, 25. In den folgenden Ausführungen umfasst der umfassende Begriff „Strophe“ nach der Terminologie von West 1987, 36 sowohl Strophe als auch Antistrophe und Epode im Sinne der pindarischen Dichtung. 20 In der Renaissance wird die Strophengrenze in der Regel streng beachtet. Die inhaltliche Gliederung deckt sich mit der Strophenstruktur (vgl. Schmitz 1993, 236). Janiks Eindruck einer Häufigkeit von Enjambements bei Ronsard (1968, 31) ist womöglich der Gewohnheit an eine rigide Regelhaftigkeit geschuldet. Jochen Schultheiß 250 phenübergängen sechs Enjambements lediglich zwei inhaltlichen und syntaktischen Zäsuren gegenüberstehen. 21 Im deutlichen Kontrast hierzu weisen von allen 15 odes pindariques Ronsards überhaupt nur vier Zeilensprünge am Strophenende auf, und diese Enjambements stehen zu den syntaktischen Abschlüssen an derselben Position in einem Verhältnis von 2: 21 (Ode 1), 1: 7 (Ode 6), 1: 71 (Ode 10) und 1: 13 (Ode 11). Trotz des zuletzt dargelegten Unterschieds lässt sich als wesentliches Charakteristikum der ronsardschen Pindarrezeption zusammenfassend festhalten, dass sich der Dichter der Pléiade intensiv mit dem Prätext auseinandersetzt, was durch den intertextuellen Bezug auf konkrete Passagen aus den pindarischen Gedichten offensichtlich wird. Aller künstlerischen Bemühung zum Trotz werden die pindarischen Oden Ronsards jedoch von nur mäßigem Erfolg gekrönt. Die Gedichtsammlung der Amours, der sich Ronsard in der Folgezeit widmet, bedeutet gleichzeitig eine Abwendung von Pindar. 22 Ursache für den Misserfolg dürfte, wie die romanistische Forschung gezeigt hat, eben die enge Orientierung an dem antiken Dichter gewesen sein, aufgrund derer die Gedichte vom Publikum als anachronistisch empfunden wurden. Die Sprache mit ihren an griechischen Vorstellungen orientierten Metaphern war für das zeitgenössische Publikum nur noch schwer verständlich. 23 Der ausbleibende Erfolg seiner Odes pindariques beim Publikum war für Ronsard wohl Anlass, sich vom pindarischen Dichten abzuwenden, für diejenigen hingegen, die sich weiterhin dem griechischen Dichter verschrieben, möglicherweise gerade Motivation zur Weiterentwicklung. II Schedes Pindar- und Ronsardrezeption Zu der Gruppe von über 40 Dichtern, die zwischen der Mitte des 16. und der des 17. Jahrhunderts in der Nachfolge Ronsards Odendichtung in pindarischer Form betreiben, gehört als erster Deutscher auch Paulus Melissus Schede. Dieser steht sogar in persönlichem Austausch mit dem Franzosen, als 21 Zur Gliederung vgl. Willcock 1995, 40-43; 93. Unter prägnanter Abweichung von der metrischen Triadenstruktur (Triade 1: 1-17; Triade 2: 18-34; Triade 3: 35-51) ergibt sich inhaltlich nach Willcock 1995, 60 folgende Anordnung: 1-15 (Mythologische Ehren Thebens), 16-19 (Gnome als Übergang), 20-36 (Strepsiades und sein Onkel), 37-48 (Gnomische Kommentare), 49-51 (Gebet an Apollo). In der 4. Nemeischen Ode beläuft sich das Verhältnis von Zäsuren zu Enjambements immerhin noch auf 6: 5. 22 Vgl. Koch 1927, 202. In den Amours wird das Bild vermittelt, der Gattungswechsel sei literarisch motiviert gewesen. In der das zweite Buch der Sammlung einleitenden Elegie à son livre stellt das lyrische Ich die pindarische Form als unpassend für die Liebesthematik dar; vgl. Schmitz 1993, 204-208. 23 Vgl. Janik 1968, 29-30. Ähnlich breits Koch 1927, 203. Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 251 er von 1567 bis 1568 in Paris weilt. 24 Nach diesem ersten Aufenthalt verbringt Schede nochmals vom Frühsommer 1584 bis zum Herbst des darauffolgenden Jahres 15 Monate in der französischen Hauptstadt, wo er ein förderliches Umfeld für die Zusammenstellung seiner Gedichtsammlung vorfinden kann. In Paris sollte schließlich auch die zweite Auflage der Schediasmata gedruckt werden, die die pindarischen Oden enthält. 25 Es liegen sehr gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass Schede sich von dem Franzosen zum Dichten in pindarischer Form anregen lässt und sich dabei auch an ihm orientiert. Hierfür sprechen die historisch gut verbürgte persönliche Beziehung Schedes zum Pindare françois, ferner seine an Ronsard adressierten Gedichte mit der darin zum Ausdruck gebrachten Absicht, als Vermittler des Franzosen in Deutschland fungieren zu wollen, und schließlich die Tatsache, dass der deutsche Dichter überhaupt erst nach seinem Aufenthalt in Frankreich beginnt, pindarische Oden abzufassen. 26 Adressaten der pindarischen Gedichte Schedes sind wie bei Ronsard Herrscher und befreundete Literaten, jedoch auch bürgerliche Auftraggeber. Schede äußert sich explizit zur Pindarnachfolge. Aus seinen poetologischen Positionsbestimmungen wird durch wörtliche Entlehnungen deutlich, dass sich sein Pindarbezug außer auf Ronsard insbesondere auf Horazens Pindar-Ode 4, 2 stützt und dass hierbei die stilistische Höhe, die Wortneuschöpfungen und das metrische System im Blickpunkt stehen. 27 In Hinblick auf die metrische Form gibt er an, strenger als Pindar mit seinen freien Rhythmen (liberis numeris strictior) dichten zu wollen. 28 Jedoch wird man zu Schedes metrischer Praxis in seinen Emmetra, deren Titel „In Metren Verfasstes“ be- 24 Erstellt man eine Übersicht über das Umfeld der Literaten, in dem sich Melissus in Paris bewegte, und gleicht man diese mit einer Auflistung derjenigen Dichter ab, die zu dieser Zeit pindarische Oden verfassten, so finden sich in dieser Schnittmenge neben Ronsard auch Jean Dorat, Jean Antoine de Baïf, Pierre Énoc (in Genf) und möglicherweise Scévole de Sainte-Marthe (vgl. de Nolhac 1923, 11-33; Demerson 1979, 286-295; Schmitz 1993, 344-356). 25 Vgl. de Nolhac 1923, 49-92. 26 Melissus fasst sich, wie er in seinem Gedicht Ad Petrum Ronsardum Eq. Vindocinum (Non Galla tantum) zum Ausdruck bringt, als Vermittler Ronsards an ein deutsches Publikum auf. Vgl. hierzu de Nolhac 1923, 13-15; Schäfer 1976, 67-69; Kühlmann / Seidel / Wiegand 1997, 1396, 1415-1418; Robert 2007, 213-218. Zur Ronsardnachfolge bei Schede auch Nilges 1988, 47-64, jedoch unter gänzlicher Missachtung der pindarischen Gedichte. 27 Die einschlägige Textpassage in den Mele sive odae ad Norimbergam: Pindarum studiosus aemulari, / Ceratis ope et arte Daedalea / Pennis nititur, altius volando, / Ponto nomina vitreo daturus. / Nos haud immemores Horatiani / Praescripti, tamen improbo labore / Audacis nova verba Dithyrambi / Volvimus, numerisque lege nusquam / Solutis ferimur, sua recentem / Regula pedem ubique metientes (zitiert nach Schäfer 1976, 80). 28 Zu der Stelle aus der pindarischen Ode An Ioannes Michael Brutus (Schede 1586, 22) vgl. Schmitz 1993, 132. Man beachte auch das Zitat in der vorausgehenden Fußnote. Jochen Schultheiß 252 reits die Unbestimmtheit zum Ausdruck bringt, wohl keine konkretere Feststellung treffen können, als dass „jedes Gedicht eine individuell entwickelte, so nie wiederkehrende Abfolge von Längen und Kürzen auf[weist]“. 29 Strophe und Antistrophe sind hierbei in paralleler, die Epode in davon abweichender Struktur gestaltet. Deutlicher erkennbare Weiterentwicklungen gegenüber der Tradition liegen bei Schede in Inhalt und Sprache der Gedichte vor. Bedenkt man die in der bisherigen Geschichte der pindarischen Ode feststehende Bindung an erhabene Stoffe und hohen Stil, überrascht es, wenn sich bei Schede unter dieser Gattung nun Epithalamien finden. Diese Eigenheit unterscheidet den Neulateiner nicht nur von seinem antiken, sondern auch von seinem neuzeitlichen Modell. Noch eine andere Auffälligkeit tritt im Vergleich zu Ronsard hervor: Sämtliche Epithalamien unter Schedes pindarischen Oden sind an bürgerliche Adressaten gerichtet. 30 III Schedes pindarische Epithalamien Im Folgenden sollen die drei Epithalamien im pindarischen Vermaß näher betrachtet werden. Um das pindarische Element seiner Gedichte zu unterstreichen, nimmt Schede wie Ronsard die Bezeichnungen für die Triadenteile in den Druck auf. 31 In dem Hochzeitsgedicht für den in Nürnberg und Augsburg ansässigen Patrizier Sebald Welser (Text A mit Übersetzung im Anhang) erlauben die Strophen zugleich eine Gliederung des Gedankengangs. So beinhaltet Strophe I eine Anrede des Adressaten verbunden mit einem Musenanruf, Antistrophe I einen Aufruf zu Hochzeitsfreuden, Epode I einen Lobpreis auf die Schönheit der Gattin. In Strophe II wird die Gattin vor dem Bräutigam gelobt, in Antistrophe II geht das Lob auf die Mutter des Bräutigams und den Vater der Braut über. Epode II enthält Glückwünsche für die Zukunft in Form der Bekundung von Hoffnungen auf wirtschaftlichen Erfolg, ein langes Leben und zahlreiche Nachkommenschaft. Im Gegensatz zu Pindar, jedoch in Analogie zu Ronsard, versucht Schede, inhaltliche Zäsuren weitgehend mit der Strophenform in Deckung zu bringen. Selbst bei den wenigen Ausnahmen, in denen der Satz über die Strophengrenze hinausgeht, ist 29 Kühlmann / Seidel / Wiegand 1997, 1403. 30 Während Schede die pindarische Ode für neue Inhalte und Adressaten öffnet, kommt im Gegenzug das enkomiastische Element bei ihm auch in anderen poetischen Gattungen zum Tragen. So ist in dem auf die Emmetra folgenden ersten Buch der Melica, die in horazischen (äolischen / iambischen) Versmaßen verfasst sind, von 27 Gedichten nur eines nicht an eine politische Führungsfigur gerichtet. Hiergegen nimmt sich der Anteil der an Herrscher adressierten Gedichte unter den pindarischen Oden eher noch gering aus. Gerade das Epithalamium mit dem höchstrangigen Adressaten, Alfons II., Herzog von Ferrara (Mel. 85-87), ist in der horazischen alkäischen Strophe verfasst. 31 Zu Ronsards Praxis vgl. Schmitz 1993, 128-129. Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 253 eine Exponierung wichtiger Wörter am Strophenbeginn festzustellen (z.B. Hoc die, 13). Wir sehen an diesem Punkt deutlich, dass sich Schedes Pindarismus an Ronsard, nicht an Pindar selbst orientiert. 32 Das Gedicht weist eine deutlich enkomiastische Tendenz auf. Bereits die Anhäufung von vier Superlativen in den ersten Versen gibt dem Gedicht einen effektvollen Auftakt (elegantissimo / lectissimae / venustissimis / pulcherrima). Es reiht sich damit in die bei Statius sich entwickelnde und in der Spätantike blühende Tradition des Epithalamiums mit einer panegyrischen Intention gegenüber den Brautleuten und deren Familien ein. 33 Das Familiendenken betont die zum Abschluss geäußerte Hoffnung auf Nachkommenschaft. Schedes Dichtung antwortet hiermit auf die Erwartungshaltungen seines Publikums. Das städtische Patriziat strebt danach, seine Stellung in der ständischen Gesellschaftsordnung durch Inszenierung zu beweisen und zu behaupten. Dabei ist es insbesondere darum bemüht, sich dem Adel anzunähern. Für eine solche symbolische Selbstdarstellung in den zeremoniellen Formen der Aristokratie bieten Hochzeitsrituale den idealen Rahmen. 34 Wenn Schede nun die pindarische Dichtung, die in Frankreich für hochadlige Empfänger verfasst wurde, auf bürgerliche Adressaten ausrichtet und sie in die höchst öffentlichkeitswirksame Feier der Vermählung integriert, kommt er dem Bedürfnis des städtischen Patriziats in ganz besonderer Weise entgegen. Es zeigt sich hier die soziale Funktion, die Dichtung in der Frühen Neuzeit häufig erfüllt. Auch das nächste Epithalamium (Text B mit Übersetzung im Anhang), verfasst für die Doppelhochzeit der Brüder Johann Jakob und Johann Ludwig Hainzel, die als Patrizier in Augsburg ansässig waren, erweist sich als ein Lobgedicht. Der Gedankengang richtet sich nach der Struktur der Strophen, wobei Schede sich am Ende die Freiheit nimmt, einen Satz über die Strophengrenze fortzusetzen. Jedoch bewirkt selbst dieser Sprung keine Verwischung der Stophengliederung, vielmehr erzeugt er gerade eine Betonung des bedeutungsvollen Wortes pietatem am Beginn der Antistrophe (50). Auf die Ankündigung der Hochzeit und die Bitte um göttlichen Beistand (Strophe I) folgt ein Lob auf die Bräute (Antistrophe I) und auf deren Familie (Epode I). Die Braut- 32 Am Kriterium des Strophenenjambements lässt sich eine direktere Form des Pindarbezugs dann wieder bei französischen Autoren des späten 17. Jahrhunderts ablesen; vgl. Baier 2008, 384, 396. 33 Zur Entwicklung des Epithalamiums vgl. Horstmann 2004, 323-326, zum Weiterleben antiker Topik in der neulateinischen Hochzeitsdichtung vgl. ferner Klecker / Mersich 1994, 44-45; Korenjak 2003, 187-192. 34 Zu Repräsentation und Distinktion in der ständischen Gesellschaft vgl. grundlegend Füssel / Weller 2005. Konkret zum Bestreben der Nürnberger Patrizier, sich durch die Errichtung von Stadtpalästen und Herrensitzen, die reichlich mit Kunst und Kunsthandwerk ausgestattet wurden, einen aristokratischen Lebensstil anzueignen, vgl. Schürer 2010, 184-188. Jochen Schultheiß 254 leute werden im Folgenden wieder direkt in Form einer Ermunterung adressiert, den in der Familie hochgehaltenen Tugenden gerecht zu werden und zum Fortbestand des Geschlechts beizutragen (Triade 2). In diesem Gedicht fallen wieder Topoi des Epithalamiums auf, wie etwa die Anrede an Venus bzw. die Veneres. Inhaltlich spiegelt sich die Abwendung von den aristokratischen Adressatenkreisen des Griechen und des Franzosen hin zu einem bürgerlichen Publikum in dem zugrundeliegenden sozialen Normenhorizont wider, wenn das Brautpaar für seine industria (69) gelobt wird. Als pindarisch kann man neben Aufbau und Metrik allenfalls noch die enkomiastische Tendenz bezeichnen. Vollzieht sich nun Schedes Pindarrezeption einerseits im Kielwasser Ronsards, insofern es sich bei dem Epithalamium um ein Lobgedicht handelt, so unterscheidet sie sich andererseits auch von dem französischen Modell. Eine an Pindar nur annähernd erinnernde Einfügung mythologischer Erzählungen, poetischer furor, Dunkelheiten und unvermittelte Abbrüche im Gedankengang, wie sie bei Ronsard begegnen, fehlen in den beiden Gedichten gänzlich. Noch weiter von Pindar und Ronsard entfernt ist schließlich das Epithalamium (C) für Abel Strasburger (Strasburgus, Strasburg), einen Juristen, der sich auch selbst durch die Abfassung von Gedichten hervorgetan hat. 35 Schede kann hier mit ganz anderen Erwartungshaltungen auf Seiten seines Adressaten rechnen: Abelo Strasburgo sponso (Em. 35-36) 36 Strophe O TE lepidulum venustulumque! O gratiosae Comitatis Elegantem alumnum, STRASBURGE; qui Gratias Etruscas Sacrum advoces in thalamum! 5 Ehó, non sint ad Elystrij Herbiferas fluminis ripas Aut delicatae Charites, aut pætulæ Veneres, Quae mellilinguem cantillent Hymenæum? 10 Agedum, non sine me, non sine meis Queant Emmetris tumulticrepæ Spargi nuces; dum Tomingidi 35 Vgl. Karrer 1993, 442. 36 Aus dem Briefwechsel des Johannes Posthius erfahren wir, dass Abel Strasburger um Epithalamien für seine Hochzeit mit Martha Thoming am 1.6.1579 in Leipzig gebeten hat und Posthius auch selbst Epigramme zu diesem Ereignis verfasst hat (vgl. Karrer 1993, 204). Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 255 Rutilis Cupído novum tedis Ad cubile prælúcet viam? 15 Antistrophe BErsmanus, amor ille Suavitatum, & Casellij dulces Camenæ, Cum lyrâ Chytræi Tuique fratris, vel hisce si quis Maior, tuo digna toro 20 Valebant commodularier. At numeros Juniae nostros Poscunt Calendae. Zygia Juno fave; Zygia Juno fave. Zonam dissolvere castam 25 Monet albente micans Hesperus equo; Monent astra, nuptiis conjugum Amica. jam sponse blandulæ, Hederâ arctius, tener uxoris Semiclusa pressabis labra. 30 Epodos BAsia rape, rape basia; Facinusque virile patra; Quod libuerit, licuerit. Exesto quantum est fascinationum. Joce, Fescennini pater cachinni 35 Liberrime; quot deliciis Tot illecebras condiisti? En, nectareæ sponsa Melliginis imbuta mulso, Stillat odorifero 40 Guttas liquore roscidas? Matuta vides, ut illa Se beatiorem Cydippê, Ille se dicat Acontio? Für den Bräutigam Abel Strasburger O du, Niedlicher, Lieblicher! O du, eleganter Zögling des wohlgefälligen Frohsinns, Strasburger, der du die toskanischen Grazien in das heilige Schlafgemach herbeirufst! 37 Eho, gibt es wohl an den grasigen Ufern des Flusses Elster keine reizenden Grazien oder verliebt blickenden Venusfrauen, die einen honigzüngigen Hochzeitsgesang anstimmen könnten? Sprich, sollen nicht ohne mich, nicht ohne meine Gedichte in freien Metren die unter Lärm berstenden Nüsse zerstreut werden können, während Cupido der Thoming mit feuerroten Fackeln den Weg zum neuen Schlafgemach leuchtet? 37 Melissus befindet sich 1577-1580 auf seiner Italienreise. Jochen Schultheiß 256 Bersman 38 , jener Liebling der angenehmen Genüsse, und die süßen Musen des Casellius, mit der Leier des Chytraeus und deines Bruders, oder irgendjemand, der größer als diese ist, - sie hätten es vermocht, deines Ehebettes Würdiges zu dichten. Aber die Kalenden des Juni fordern meine Verse. Ehestifterin Juno, sei wohlgesinnt; Ehestifterin Juno, sei wohlgesinnt. Der Abendstern, der auf seinem weißen Ross funkelt, mahnt dazu, den Gürtel der Keuschheit zu lösen, es mahnen die Sterne, die der Hochzeit der Brautleute freundlich gesinnt sind. Bald wirst du, Bräutigam, enger als Efeu, sanft die halbgeschlossenen Lippen deiner verlockenden Ehefrau drücken. Küsse raube, raube Küsse! Begehe die männliche Untat! Was man wünschte, soll erlaubt sein! Alles, was es an Verzauberung gibt, soll sich zeigen! Jokus, völlig zügelloser Vater des fescenninischen Gelächters, mit wie vielen Genüssen hast du so viele Verlockungen gewürzt? Wohlan, lässt die Braut, benetzt mit dem Nass des Mets aus nektarnem Bienenharz, tauige Tropfen aus duftender Flüssigkeit träufeln? Matuta, Göttin der Morgenhelle, siehst du, wie jene sich glücklicher als Cydippe, jener sich glücklicher als Acontius preist? Das Epithalamium auf den gebildeten Rechtsgelehrten mit dichterischen Neigungen lässt im Vergleich zu den oben besprochenen Gedichten einen deutlich geänderten Duktus erkennen. Die Strophe beinhaltet die Anrede des Bräutigams (1-5) und die Beauftragung des Dichters mit einem Hymenaeus (6-15). Dieser verweist in der Antistrophe auf andere Dichter, die für die Aufgabe in Frage gekommen wären (17-21). Dem Hinweis auf das Nahen der Hochzeit (22-30) folgt in der Epode die Aufforderung zum Liebesgenuss. Diesem Gedicht gehen enkomiastische Elemente in Gänze ab. Es nimmt sich vielmehr scherzhaft-heiter aus, lässt sogar obszöne Assoziationen zu. Es stellt kein Epithalamium in der Tradition der preisenden Hochzeitsgedichte, die auf die römische Kaiserzeit zurückreicht, sondern in der des Catull dar. Bereits der Gedichtbeginn zeigt eine ironische Brechung, indem die von der Gattungstradition der pindarischen Dichtung geweckten Erwartungshaltungen gezielt enttäuscht werden. Evoziert die einleitende Anrede mit O te die Feierlichkeit eines Preisgedichts, wird diese Stimmung schlagartig durch die Anrede des Adressaten mit zierlichen Deminutiven zunichtegemacht. Hiermit ist sowohl dem Empfänger als auch dem Sprecher des Gedichts jede Erhabenheit genommen. Insbesondere fallen die zahlreichen Anspielungen auf Catull in der zweiten Hälfte des Gedichts ins Auge. So begegnet das Bild vom Efeu zum Ausdruck enger Umschlungenheit (hedera arctius, 29) auch in Catulls berühmtem Hochzeits-Gedicht carmen 61 (34-35: ut tenax hedera huc et huc / arborem implicat errans). Die basia im ersten Vers der Epode klingen an den 38 Gregor Bersman wird nach dem Tod des Joachim Camerarius 1575 Inhaber des Lehrstuhls für Philologie und Ethik in Leipzig, den er bis zu seiner Entlassung 1580 besetzt (vgl. Karrer 1993, 22). Johannes Caselius (1533-1613) war Professor für Griechisch, Rhetorik und Philosophie in Helmstedt. Der bedeutende norddeutsche Humanist Nathan Chytraeus (1543-1598) veröffentlichte 1576 Carminum nuptialium et epitaphiorum libri III. Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 257 römischen Liebesdichter und die mit Johannes Secundus aufblühende Tradition des humanistischen Kussgedichts an. Insbesondere ist der Leser an Catull. 5, 7 erinnert (da mi basia mille). Dem Bild eines Entreißens von Küssen (basia rape, 31) begegnet man auch in Catull. 99, 16 (numquam iam posthac basia surripiam). Die auffällige Wendung facinus virile patrare (32) kann auf keinen antiken Autor zurückgeführt werden, schließt aber nahtlos an das catullische Bild vom Rauben von Küssen an und füllt dieses durch die scherzhafte Einstufung dieser Liebeshandlung als eines kriminellen Vergehens sogar noch aus. 39 Aber auch frivole Gedanken an den Geschlechtsakt werden hier und im Folgenden wachgerufen. Die Catull-Reminiszenzen setzen sich fort: Zwar ist das Nomen fascinatio („Verzauberung“) nur bei Plinius dem Älteren (nat. 28, 35; 28, 101) und Aulus Gellius (9, 4, 8) belegt, jedoch findet sich auch in Catull. 7, 12 das Verb fascinare (verzaubern) gerade in Verbindung mit basia: quae (sc. basia) nec pernumerare curiosi / possint nec mala fascinare lingua („die die Neugierigen weder zählen noch mit böser Zunge verzaubern können“). Genauso lassen die folgenden Zeilen der Epode ganz deutliche Anspielungen an den römischen Dichter erkennen. Der cacchinus gehört ebenfalls zur Topik des Liebesspiels. Auch hier sind die einschlägigen Belegstellen wieder bei Catull (56, 2; 64, 273; ferner Ov. ars 3, 287) zu finden. Der versus Fescenninus ist ebenfalls auf das neckische antike Epithalamium zurückzuführen. Eine Parallele findet sich mit fescennina iocatio bei Catull belegt (61, 127). Bei dem Römer begegnet wie bei Schede die Verbindung mit iocatio bzw. iocus (vgl. Catull. 12, 2). Schließlich stellen die in der Strophe erwähnten nuces (13) ein die Tradition des Epithalamiums wachrufendes catullisches Motiv dar (61, 131-135). Den Schlusspunkt der dichten Abfolge von Bezügen zur antiken Liebesdichtung bildet eine Gegenüberstellung der Brautleute mit einem Paar aus dem Mythos: Die Adressaten sollen sich nach verbrachter Hochzeitsnacht, wenn Matuta, die Göttin der Morgenhelle, erscheint, glücklicher als Cydippe und Acontius fühlen. Dies ist eine Anspielung, die die Handlung einer ganzen mythologischen Erzählung, bekannt aus Ovids Heroides, evoziert. Das gefeierte Paar soll glücklicher sein als das aus dem Mythos bekannte, dessen Heirat durch die List des Acontius mit dem Apfel erzwungen werden muss. Cydippe willigt von Krankheit bedrängt nur notgedrungen ein. 40 Neben dem Inhalt 39 Mit dieser Wendung, die auch in den 1597 erschienenen Melodaesia (S. 284) des Friedrich Taubmann begegnet, wird Melissus selbst traditionsbildend sein. 40 Eine vergleichbare Überbietungsformel, in der das Glück eines Liebenden der gegenwärtigen Welt als höher eingestuft wird als das eines mythologischen, findet sich auch am Ende des Gedichts Ad Rosinam (Schede 1586, 166-170): Vlysse ero beatior (v. 120). Auch hier werden Elemente des Mythos wachgerufen, die nicht explizit erwähnt sind. Wie Odysseus wartet auch der Dichter bei Schede 20 Jahre auf die Erfüllung der erhofften Liebe (Vgl. Kühlmann / Seidel / Wiegand 1997, 1413). Jochen Schultheiß 258 entspricht auch die Situation, in der man sich das Gedicht gesprochen vorstellen muss, ganz der Tradition des antiken Epithalamiums und greift sogar auf dessen kulturgeschichtlichen Ursprung zurück, den die Etymologie des Terminus bewahrt: Der Sprecher verabschiedet das Paar vor dem Schlafgemach in die Hochzeitsnacht, wie er es auch in Catulls carmen 61 tut. Die breit gestreuten Textbelege zeigen jedoch, dass Schede aus der erotischen Poesie weit mehr rezipiert als die catullischen Epithalamien 61, 62 und 64. Das Hochzeitsgedicht wird durch seinen Reichtum an Reminiszenzen zu einem gelehrten Spiel zwischen dem Dichter und den Adressaten, die sich geschmeichelt fühlen, wenn sie die Anspielungen und Vergleiche erkennen. 41 Beurteilt man die Bedeutung der literarischen Modelle, die für dieses Gedicht herangezogen wurden, wird deutlich, dass Schede Pindar gerade noch in der metrischen Form folgt, in den Inhalten orientiert er sich jedoch gänzlich an der Liebesdichtung, insbesondere an Catull. Ein mögliches pindarisches Element könnte man allenfalls noch in den Neologismen vermuten. Solche finden sich mit mellilinguis (10) und tumulticrepus (12) im Abel-Strasburger- Gedicht und mit prolecebrae in 43/ 44 im Welser-Gedicht. Dieses Streben nach dem ungewohnten Ausdruck braucht nicht auf eine direkte Pindarrezeption zurückzugehen, sondern kann auf ein von Horaz und Ronsard vermitteltes Bild von pindarischer Lyrik zurückgeführt werden, auf dessen Grundlage Melissus seine Odendichtung entwickelt. IV Ergebnisse Kommen wir auf die anfangs aufgeworfene Frage zurück, wie die Pindarrezeption Paulus Melissus Schedes zu charakterisieren ist. Am Ende der Untersuchung lassen sich folgende Ergebnisse festhalten: 1. Im 16. Jahrhundert findet eine Entwicklung von einer direkten Pindarrezeption hin zu einer Form von pindarischer Dichtung statt, die nach den Regeln einer sich etablierenden Gattung arbeitet. Der Vergleich Schedes mit Ronsard macht deutlich, dass bei dem Franzosen die pindarischen Oden noch Produkte einer auf den konkreten Prätext bezogenen Pindarrezeption sind, während bei dem Neulateiner eine direkte Auseinandersetzung mit dem antiken Dichter nicht mehr festzustellen ist. 42 Eine pindarische Ode zu dichten 41 Die Forschung betont in Hinblick auf die dichterische Verwendung der Mythologie oft einseitig die Produzentenseite und verliert die Adressaten der Gedichte aus dem Auge, die die geweckten Assoziationen nachvollziehen müssen und so Teil eines Wechselspiels werden (vgl. z.B. Gastgeber 2008, 32). 42 Dass ein direkter Pindarbezug in anderen Gedichten Schedes vorliegt, erscheint fraglich. Die bloße Verwendung des Sonnenvergleichs in Schedes Ode auf George Buchanan muss nicht zwingend mit Schmitz 1993, 180-181 als eine Reminiszenz an Pindars Pria- Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 259 bedeutet für Schede, in den Formen einer Gattung zu dichten, die durch bestimmte Charakteristika definiert ist, die als pindarisch aufgefasst werden. Diese sind ihm über Ronsards Odes pindariques und Horazens Pindar-Ode vermittelt. In der Anwendung dieser Gattungselemente fühlt er sich jedoch frei zu Weiterentwicklungen. Eine narrative Ausgestaltung mythischer Erzählungen, wie sie konstitutives Element der Gedichte Pindars sind, findet bei Schede keinen Platz. So bleibt als einziges pindarisches Element, das alle drei untersuchten Gedichte verbindet, die triadische Strophenform mit ihren freien Metren. 2. Schede vollzieht eine Öffnung der Tradition: Der Neulateiner hat als Erster die pindarische Form für Epithalamien verwendet und so für vielfache Anwendungsbereiche geöffnet. Dass Ronsards pindarische Oden vom Publikum nicht sonderlich goutiert wurden, mag dazu beigetragen haben, dass Schede den Adressatenkreis seiner Oden erweitert hat. Er löst das pindarische Dichten aus einem meist höfischen Kontext und richtet es auf eine bürgerliche Empfängergruppe und deren Bedürfnisse aus. Die pindarischen Epithalamien an die Nürnberger und Augsburger Paare (A, B) zeigen die Übertragung einer enkomiastischen Dichtungsform, die bisher dem Preis des französischen Hochadels gedient hat, auf das Zeremoniell des städtischen Patriziats. Dem Bürgertum kommt eine solche poetische Praxis entgegen, da es eine Selbstdarstellung in den Formen der Nobilität betreibt. Neben dieser Übertragung einer aristokratischen Tradition in den patrizischen Kontext kennt Schede jedoch auch die scherzhaft-ironische Brechung. In dem pindarischen Epithalamium auf Abel Strasburger findet das Enkomion keinen Platz mehr. Schede entkoppelt das pindarische Dichten von stilistischer und inhaltlicher Höhe, indem er es mit der Thematik und der Sprache der Liebesdichtung verbindet. 3. Paul Melissus erweist sich mit seiner pindarischen Dichtung als Bindeglied zwischen der französischen Pléiade und der deutschsprachigen Barockdichtung: Man geht wohl nicht zu weit, hierbei in ihm einen Wegbereiter für die deutschsprachige Dichtung des 17. Jahrhunderts zu sehen, für die die pindarische Ode endgültig zur bürgerlichen Gelegenheitsdichtung wird. 43 Mit seiner Weitung der Gruppe von Adressaten und mit einer auf den neuen Kreis abzielenden Thematik ebnet Schede den deutschen Rezeptionsweg hin zu Opitz, der als Urheber des pindarischen Dichtens in deutscher Sprache gilt und in seinen Gedichten in dieser Form sich allgemeinmenschlichen Erfahrungen wie Geburt, Tod und eben auch der Heirat widmet. Bei Opitz ist die Orientierung an Pindar schließlich ebenfalls nur noch formaler, nicht mehr inhaltlicher Art. 44 Dass der Barockdichter, der sein literarisches Schaffen mit mel der 1. Olympischen Ode angesehen werden. In Hinblick auf die Gedichte von Amadis Jamyn und Louis de Balsac, die ganz deutliche Anspielungen auf Pindar aufweisen, ist Schmitz jedoch unbedingt zuzustimmen. 43 Vgl. zu Opitz Koch 1927, 208; Halsted 1994, 621. 44 Vgl. Koch 1927, 212. Jochen Schultheiß 260 neulateinischer Dichtung begonnen hatte und zeitlebens am Lateinischen festhielt, hierbei entscheidende Anregung von Schede erhalten hat, ist sehr wahrscheinlich. Immerhin gehört der ab 1619 zum Studium in Heidelberg weilende Schlesier zu dem jungen Dichterkreis um Julius Wilhelm Zincgref, für den Schede als wichtiges Vorbild fungiert. Ferner belegen zahlreiche Zitate, dass Schedes Werke Opitz gut bekannt sind. 45 Die vorliegende Untersuchung hat somit gezeigt, dass die Entwicklung der pindarischen Ode von einer höfischen Form hin zu einem Element der bürgerlichen Gelegenheitsdichtung bei Schede anzusetzen ist, und es wird deutlich, wie sehr die deutsche Lyrik des Frühbarocks von neulateinischen Vorläufern geprägt ist. Schedes Freiheit im Umgang mit literarischen Modellen, wie sie im Verhältnis zu Pindar und zu Ronsard dokumentiert wird, liegt in seinem poetologischen Programm begründet, das er vermittels einer ausgeklügelten Metaphorik zum Ausdruck bringt. Als eine Biene, auf die der Name Melissus verweist, erlaubt er sich von dem Griechen und dem Franzosen jeweils gerade so viel zu kosten, wie ihm beliebt. Schedes dichterische Praxis bestätigt das in der poetologischen Metaphorik enthaltene Programm, wie aus dem Beispiel seiner Epithalamien deutlich geworden ist. 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In Nuptias Sebaldi Welseri, patricii Augustani et Norimbergensis (Em. 41-43) Strophe I ELEGANTISSIMO Noricorum Juvenum, lectissimaeque puellae, Sponsis venustissimis, agedum Quae canam mihi subministra Erato pulcherrima: si te 5 Nec Gratiae destituunt comites, Aprica sertis impeditae myrteis Timpora; si nec Cupidinum Manûs agilium languent Praeacutis ferire mortalia 10 Telis corda, salubrium Auctoribus vulnerum, Antistrophe I Hoc die nuptiis consacrato Hymenaeus festa gaudia poscit; Poscit serenata laetitiis 15 Pectora, et sine nube frontem. Procul hinc rugae, procul ite Maesti Catones, tetricaeque nurûs, Vultum Sabinarum severum, tórvaque Frustra imitatae Calabridum 20 Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 263 Supercilia. nequaquam Locus aegrae molestiae cónvenit: Nec fas est animum gravi Maerore percellier. Epodos I Novae ridentia nuptae labra, 25 Puniceis simillima rosis, Rhodiisve coraliis; Flammantesque oculi, siderum Aemuli nitidê scintillantium; Faciunt pol, ut alacriores 30 Quisque gerat spiritûs, et hilariore Sit animo. Decus o quantum Ab insigni relúcet corpore! Quantus ab aureo nitor monili! Strophe II HUc ades, patriae flos SEBALDE, 35 Mihi contemplare membra decôra, Dotesque raras, quibus solidê Praedita est tua MAGDALENA. Viden’ ut jam carpere fructum Suavissimum, ceu libeat, liceat 40 Ex hortulo succis refercto? Carpite, Carpite vernantis hortuli Seu deliciolas, seu pro- lecebras; quâ Lubentiae vos trahunt, Udis non sine basiis, 45 Nudis vel amplexibus. Antistrophe II Mater ex HALLERORUM creata Genuinâ stirpe, femina praestans, Amet nurum, non quidem minus ac Peleo sociatam amasse 50 Thetidem socrus memoratur. Tum, vitricus GEUDERIDES proprium Tuis uti se praebuit votis patrem; Ipse socer, cui propinquitas Cordi est, in oculis, non ut 55 Generum, te ferat, sed ut filium. Adfines faveant tibi, et Cognata plaudat manus. Epodos II PRecari longa alicui saecula Si juvat, ut juvat; precor, uti 60 Jochen Schultheiß 264 Avis instar Arabiae Sexcentas tibi messes dehinc Ampliusque seni detur condere, Vegeto pariter ac valenti. Dignus enim es, quem Deae beneficiorum 65 Onere praecumulent, et quem Nepotes conspicentur perpertim Progenie optimâ reseminari. Zur Hochzeit des Sebald Welser, Patrizier in Augsburg und Nürnberg Auf nun, allerschönste Erato, lass mich wissen, was ich dem erlesensten unter den jungen Männern Nürnbergs, dem auserwähltesten Mädchen, den anmutigsten Brautleuten singen kann: Wenn weder die Grazien, deren besonnte Schläfen von Myrtengirlanden umwickelt werden, als Begleiterinnen dich im Stich lassen, noch die Hände flinker Cupido-Knaben in ihrer Kraft nachlassen, die Herzen der Sterblichen mit vorne zugespitzten Wurfgeschossen, den Verursachern wohltuender Wunden, zu verletzen, dann fordert am heutigen Tag, der der Vermählung geweiht ist, der Hochzeitsgott Hymenaeus festliche Freuden, fordert fröhlich aufgeheiterte Herzen, und eine Stirn frei von Verdüsterung. Entfernt euch von hier, ihr Runzeln, entfernt euch, ihr traurigen Philister, ihr unfreundlichen jungen Frauen, die vergeblich das strenge Antlitz der Sabinerinnen und die finsteren Augenbrauen der Calabriden nachahmen. Ganz und gar nicht passt der Ort für liederlichen Verdruss: Nicht erlaubt ist es, das Gemüt mit tiefer Traurigkeit zu erschüttern. Die lächelnden Lippen der frischvermählten Gattin, ganz ähnlich punischen Rosen oder rhodischen Korallen, die flammenden Augen, die glänzend funkelnden Gestirnen nacheifern, bewirken, bei Gott, dass ein jeder fröhlicher gesinnt und heiterer im Gemüt ist. O, welche Schönheit glänzt von dem ausgezeichneten Körper! Welch ein Glanz strahlt von dem goldenen Halsband! Komm hierher, Sebald, Blüte der Heimatstadt, schau mir die schönen Glieder an, mit denen deine Magdalena stattlich beschenkt ist, eine seltene Mitgift. Siehst du nicht, wie es jetzt erlaubt ist, so wie es beliebt, aus einem mit Säften gefüllten Garten die süßeste Frucht zu pflücken? Pflückt alles, pflückt alles, seien es die Genüsse eines grünenden Gartens, seien es die Verlockungen. Wohin die Vergnügungen euch ziehen, es soll nicht ohne feuchte Küsse oder nackte Umarmungen geschehen. Die Mutter, die aus dem ansässigen Geschlecht der Haller stammt, eine herausragende Frau, soll ihre Schwiegertochter lieben, freilich nicht weniger als die Schwiegermutter die Gemahlin des Peleus, Thetis, geliebt haben soll. Dann soll der Stiefvater, ein Spross aus dem Hause der Geuder, ganz so wie er sich nach deinem Wunsch als Vater anbot, als Schwiegervater selbst, dem die Verwandten am Herzen liegen, in seinen Augen dich nicht als Schwiegersohn, sondern als Sohn betrachten. Die Verschwägerten sollen dir gewogen sein, die Schar der Blutsverwandten soll Beifall klatschen. Wenn es nützt, - und wie es nützt! - für jemanden um eine lange Lebenszeit zu bitten, bitte ich darum, dass dir als munterem und gesundem Greis wie dem Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 265 arabischen Vogel von nun an 600 Ernten und mehr gegeben werden, die du einfahren kannst. Du bist nämlich würdig, dass dich Göttinnen mit der Last von Wohltaten überhäufen und dass die Enkel sehen, wie du dich fortwährend in bester Nachkommenschaft wieder erzeugst. B. Ioanni Iacobo et Ioanni Ludovico Hainzeliis, patriciis Augustanis, nuptias celebrantibus (Em. 44-46) Strophe I APERITE nunc, aperite mihi Totum Hesperidum nemus, Et odoriferos spargite flores, O Veneres, quascumque De pulchritudine certare 5 Lubido rapit. Coniugio simul Copulantur, uno eodemque Die, IACOBUS et SABINA, LUDOVICUS item et SUSANNA; HAENZELIDAE juvenes, par nobile fratrum, 10 Cum NITHERTIBUS puellis, Cognatione junctis invicem. Antistrophe I ROsae genae et rubicunda labra SABINAM; oculi nigri Decorant, et honestissima forma 15 Purpuream SUSANNAM: Utramque divitiis multis Et dote peramplâ. sed et haec melos Voce liquidâ figurare Perita, saepe provocavit 20 Nos decentibus in certamen Cantibus: illa nurûs persaepe suëvas Erubescere heu coëgit, Pulchram aemulans facem Thaumantidos. Epodos I PRosapiam NITHERDUM 25 Vetustissimam quis enunciet: Cui Triphyllon stemmatis Patricij nota? Hac ex gente sibi coniugem Deligere HENRICUS amavit 30 HAENZELIUS, qui senator optimus Cluet, idemque gnavissimus Familias indagare Vindelicas: Jochen Schultheiß 266 Vester ille, vester, o sponsi, Frater, unicaeque 35 Pater unicus VERONILLAE. Strophe II CApe gaudium, cape laetitiam IACOBE, animi integer: Cape laetitiam et gaudia copi 40 Pectore, facte adfinis, Mi LUDOVICE, tui fratris. SABINA age, SUSANNA age comptulam Explicato largius frontem. Vobis Amor Jocusque, Amorisque 45 Et Joci genitrix arridet, Pollicita intemerati pignora lecti Filios, avi patrisque Candorem, et insitam pronos sequi Antistrophe II Pietatem, et ingenuae fidei 50 Consortia. nam probis Probitas comes est: prava sequuntur Stirpe sati pravorum. Felix propago, tuam disce Sentiscere laudem, et novum adoreae 55 Nosse nomen. Ut bonae gaudent Bonum arbores tulisse fructum; Prole sic bene moratâ ipsi Exhilarantur honestanturque parentes. Deme famam et ipsum honorem; 60 Laudi quid hoc in orbe aut gloriae est? Epodos II Doctrina clariorem Utrumque efficit; velut lumina Vestra germanos. Eo Gestio vos magis 65 Celsis Aonidum immittere Arcibus, ac nomina fida Perpetuis consecrare saeculis. Sinite exemplar industriae, Sinite virtutis vos ego numerem 70 Munis atque gratus. hac solâ Pactione pol fit Hominum genus Immortale. Pindarrezeption bei Paulus Melissus Schede 267 Dem Johann Jakob und dem Johann Ludwig Hainzel, Patrizier in Augsburg, die Hochzeit feiern Öffnet mir jetzt, öffnet mir den ganzen Hain der Hesperiden, und streut wohlriechende Blumen, all ihr Liebesgöttinnen, die die Lust dazu hinreißt, in einen Wettstreit um die Schönheit zu treten. In der Ehe vereinen sie sich zugleich, an ein und demselben Tag, Jakob und Sabina, ebenso Ludwig und Susanna. Es vereinen sich die jungen Männer aus dem Hause der Hainzel, ein edles Brüderpaar, mit den Mädchen aus dem Hause der Neidhart. Sie sind nun wechselseitig in Verwandtschaft miteinander vereint. Rosenfarbene Wangen und glühend rote Lippen zieren Sabina, dunkle Augen und eine ganz ehrenwerte Gestalt zieren die in Purpur gekleidete Susanna: jede von beiden zieren sie mit vielen Reichtümern und einer sehr reichen Mitgift. Aber die zuletzt Genannte, die sich darauf versteht, ein Lied mit heller Stimme darzubringen, hat mich auch häufig mit anmutigen Gesängen zum Wettkampf herausgefordert: die zuerst Genannte hat häufig die jungen Frauen aus Schwaben, ach, zum Erröten gebracht, weil sie mit ihrem schönen Leuchten der Thaumantis (=Iris) gleichkommt. Wer soll über das uralte Geschlecht der Neidhart berichten, wem ist das Dreiblatt des patrizischen Wappens bekannt? Heinrich Hainzel liebte es, sich aus diesem Geschlecht eine Ehefrau auszuwählen, er, der als Senator in bestem Ruf steht und auch unablässig bei vindelischen Familien Untersuchungen durchführt: Er ist euer Bruder, ihr Bräutigame, und einmaliger Vater der einmaligen Veronilla. Werde fröhlich, werde heiter, Jakob, du mit unbescholtenem Sinn, werde heiter und fröhlich aus vollem Herzen, der du nun zum angeheirateten Verwandten deines Bruders geworden bist, mein Ludwig. Auf, Sabina, auf, Susanna, entfalte die geschmückte Stirn noch weiter. Euch lächeln Amor und Jocus und die Mutter von Amor und Jocus an, die Kinder versprochen hat als Unterpfand eines unbefleckten Bettes, den Abglanz des Großvaters und des Vaters, Kinder, die geneigt sind, dem angeborenen Pflichtgefühl zu folgen und der Teilhabe an der ererbten Treue, denn die Rechtschaffenheit ist Begleiterin der Rechtschaffenen. Die Kinder aus einem Stamm von verschrobenen Menschen verfolgen verschrobene Ziele. Glückliche Nachkommenschaft, lerne, dir die Lobesworte auf dich anzuhören und den neuen Namen des Ruhmes zu kennen. Wie sich die guten Bäume darüber freuen, gute Frucht hervorgebracht zu haben, so sollen sich über eine so gut gesittete Nachkommenschaft die Eltern selbst freuen und geehrt fühlen. Siehe einmal von Ruf und Ehre selbst ab, - was gereicht auf dieser Erde zum Lob und zum Ruhm? Die Gelehrsamkeit macht jeden von beiden berühmter, wie euch eure Augen zu Brüdern machen. Umso mehr frohlocke ich, euch in die erhabenen Burgen der Aoniden (=Musen) zu schicken und die treuen Namen den fortwährenden Zeiten zu weihen. Lasst zu, dass ich euch dienstfertig und dankbar als Beispiel des Fleißes und der Tugend anführe. Durch dieses Abkommen allein wird, bei Gott, das Menschengeschlecht unsterblich. Reinhard Düchting (Heidelberg) Tod in Heidelberg In memoriam Renate Neumüllers-Klauser (1925-2014) Bei der Einladung zu diesem Symposium fiel sogleich auf, dass mehrere der zu behandelnden „Würzburger Humanisten“ den Tod in Heidelberg gefunden haben: Olympia Fulvia Morata aus Ferrara und ihrer unterfränkischen Wahlheimat Schweinfurt 1555, Petrus Lotichius Secundus aus dem hessischen Schlüchtern 1560, Johannes Posthius aus Germersheim in der linksrheinischen Kurpfalz 1597 und Paulus Melissus Schede aus dem unterfränkischen Mellrichstadt 1602. Heidelberg als kulturelles Zentrum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts muss den Heidelberger Frühhumanismus von etwa 1460 bis 1508 mitdenken, von Kurfürst Friedrich I. (1449-1476) und Peter Luder bis zu dem Tod der beiden fürstlichen Mäzene Kurfürst Philipp des Aufrichtigen (1476-1508) und Wormser Bischofs und Heidelberger Kanzlers Johannes von Dalberg (gest. 1503); er zeitigte durch Luder in tiefscholastischer Umgebung ein frühes humanistisches Programm, formgeschichtlich mit Fürsten- (laus Friderici) und Städtelob (laus urbis Heidelbergae) sowie den kostbaren, überlieferungsgefährdeten Zetteln von prosaischen Vorlesungsankündigungen (intimationes); Adam Wernher von Themar um Wimpfeling hat dann eine ganze Reihe poetischer Intimationes gebosselt. Konrad Celtis steht hier für die Stiftung und Pflege von Sodalitäten mit Briefwechseln, gelehrtem Austausch, Widmungen und gegenseitigen Empfehlungen. Der Aufenthalt des berühmten „Italieners“, des Friesen Rudolf Agricola, des Petrarca-Biographen und Dialektikers, bei Celtis und dem Freund Dalberg (die Freundschaft datiert aus Pavia um 1474) in Heidelberg und sein Tod 1485 wurde sofort als etwas ganz Ehrenvolles empfunden; einen Gedenkstein in der Franziskanerkirche setze ihm zum 50. Todestag 1535 sein Landsmann Viglius Zuichen und zwar, ganz ungewöhnlich, mit einem Zitat, indem er einfach auf die Grabplatte die seinerzeitigen Gedenkverse (zwei elegische Distichen) des berühmten Venezianers Ermolao Barbaro setzen ließ: neidisches Geschick hat unter diesem Stein den Rudolf Agricola festgehalten (invida clauserunt hoc marmore fata Rodolphum / Agricolam). Es sind Gräzisten, die eine Brücke von dem Heidelberger Frühhumanismus zu der gelehrtenreichen Epoche von 1550 bis 1620 schlagen: Simon Grynaeus der Ältere lehrte bis 1529 in Heidelberg, ihn beerbte für zwei Jahre Johann Sinapius; Jacob Micyllus (Moltzer) folgte von 1533 bis 1537 und, nach Reinhard Düchting 270 Frankfurt, noch einmal von 1547 bis 1558. Schwer denkbar, dass auch Olympia Fulvia Morata neben ihm eine Griechisch-Professur hätte zugesprochen werden können; Micyllus hat auf sie sowohl Laudes als auch ein längeres Epitaphium (38 iambische Hendekasyllabi) verfasst. Quellen für alle Nachrichten sind Werke, Briefe und Gedichte der fraglichen Figuren sowie gelehrte Repertorien; wichtiges Dokument ist das frühe Heidelberger Friedhofsbuch von Melchior Adam (1612). An die Universität Heidelberg kommen nur Lotichius und (über ihren Mann Grundtler) die Morata, gekrönte Dichter sind nur Posthius und Schede; Lotichius und Schede sind unterfränkische Landsleute, die mit den anderen aus Europa und zuletzt Würzburg an den Neckar kommen. Olympia Fulvia Morata kommt ihres Mannes wegen nach Heidelberg. Das „Stadtverderben“ Schweinfurts vom 12. auf den 13. Juni 1554 lässt die beiden aus der Stadt über Hammelburg, Erbach und Hirschhorn nach Heidelberg fliehen; dorthin ist Grundtler einen Monat später, am 12. Juli, auf die dritte Medizin-Professur berufen worden; der, wiewohl Protestant, einflussreiche bischöfliche Leibphysikus Johannes Senf (Sinapius), zusammen schon mit Grundtler Lehrer und Erzieher am Hof der Este in Ferrara, hatte nun wesentlich von Würzburg aus mitgewirkt, dass Grundtler den Ruf erhielt. Das letzte Jahr der Grundtlers in Heidelberg ist oft beschrieben worden: ohne Habe und Bibliothek, ohne zukommende Behausung und regelmäßige Besoldung sterben sie hintereinander an einer wieder einmal grassierenden Pest: Morata 30jährig am 26. Oktober 1555, Grundtler (der ihr Sterben brieflich erzählt hat) und Emilio, der kleine Bruder der Olympia, am 22. Dezember; beider Freund Celio Secondo Curione sammelt Olympias fragmentarisches Werk als Reliquien ihres Geistes (tanquam eius ingenii reliquiae) mit griechischen und lateinischen Judicia, Testimonia, Laudes und Elogia (postum 1558, 1562, 1570 und 1580). Die Gedenksteine für die Eheleute in der Peterskirche, im Stil und Umfang und Format ganz ähnlich, setzte der mit Grundtler befreundete Arzt Guillaume Rascalon; der Stein für Grundtler ist nicht mehr in situ doch kopial erhalten, zu dem von O. F. Morata pilgern noch heute viele in die Universitätskapelle. Beide Grabmale waren ursprünglich auf dem Peterskirchenfriedhof (in coemiterio Petrino). Die Tafel rühmt ihre einzigartige Kenntnis beider Sprachen, also des Griechischen und Lateinischen (singularis utriusque linguae cognitio); dass sie aber auch Gräzistik lehren sollte (ut Graecas literas doceat), ist keineswegs gewiss: der Historiker Kurfürst Friedrichs II., Hubert Thomas aus Lüttich (Leodius), unterscheidet genau zwischen ordentlicher Professur für Grundtler (ut medicinam profiteatur) und Olympias privater Lehrmöglichkeit in Form von Colloquia und Sermones (wie öfters bezeugt, etwa an Theodora, der Tochter des Sinapius). Tod in Heidelberg 271 Petrus Lotichius Secundus stirbt 32jährig am 7. November 1560 in Heidelberg. Aus Wittenberger Tradition, Studien in Montpellier und Italien wird er zuletzt aus der Umgebung des Würzburger Bischofs Melchior Zobel von Giebelstadt (und früher um den Kanoniker Daniel von Stibar) im November 1557 durch Kurfürst Ottheinrich als Nachfolger von Andreas Grundtler auf die dritte Medizin-Professur berufen. Begraben wurde er, bekanntlich seit längerem kränkelnd, in der Peterskirche ohne irgendein Grabmonument, dessen er nicht bedurfte (ad D. Petri sepultus sine monumento, quo non opus habuit) - gemäß seiner Devise (symbolum): schlicht, ohne jedes Getöse (simpliciter sine strepitu); gleichwohl will ein nur literarisch erhaltenes Epitaph von Erasmus Neustetter gen. Stürmer, Kanoniker in Bamberg und Würzburg, dann Dekan des Klosters Comburg über Schwäbisch Hall das seines Grabes sein: in Prosa mit anschließenden drei elegischen Distichen inc. Unter diesem Hügel liegt der jüngere Lotichius (hoc situs est tumulo Lotichius ille Secundus) und feiert ihn mit anderen, darunter auch Posthius, einhellig als besten Poeten (carmine qui primus), als glänzendsten neulateinischen Stern nach Helius Eobanus Hessus (gest. 1540) und vor Paulus Melissus Schede (gest. 1602) - ein ungekrönter König ohne poetischen Lorbeer und Insignien. Johannes Posthius stammt aus dem linksrheinischen Germersheim und ist früh mit Heidelberg verbunden (am Sapienzkolleg, Magister-Examen) und darf im Namen der akademischen Jugend den alternden Melanchthon bei seinem letzten Besuch in Heidelberg im Oktober 1557 mit lateinischen Versen begrüßen; er studiert dann Medizin in Italien und Frankreich und wird 1568 Leibarzt der Würzburger Bischöfe; 1585 zieht es Posthius in gleicher Profession zu Administrator Johann Casimir und dem damals noch unmündigen Kurfürsten Friedrich IV. nach Heidelberg. Er lernt Paulus Melissus Schede gut kennen; beide sind Verehrer der Poesien des Lotichius, Neustetter (der den Stein für Lotichius gestiftet hatte) war auch sein Mäzen. Der im November 1576 in Regensburg zum Dichter gekrönte Posthius starb als Archiater Palatinus 60jährig am 24. Juni 1597 in Mosbach, wohin er vor einer Seuche in der Stadt gezogen war. Begraben wurde er auf dem Friedhof s. Petri in Heidelberg mit einem knappen lateinischen und wenig längeren deutschen Epitaph, das auch des Tods seiner Frau Rosina Braesamer, einer gebürtigen Würzburgerin, im Jahr 1610 gedenkt. Paulus Melissus Schede aus Mellrichstadt wurde nach Helius Eobanus Hessus und Lotichius der gefeiertste deutsche Neulateiner; im Mai 1564 in Wien von Kaiser Ferdinand I. zum Dichter gekrönt, hat er über Jahrzehnte viele andere gekrönt (darunter Reinhard Düchting 272 auch 1600 Melchior Adam, den frühen Dokumentaristen der Heidelberger Friedhöfe). Der reformierte Kurfürst Friedrich III. beauftragt ihn bekanntlich mit einem deutschen Psalter (Teildruck Heidelberg 1572), dann huldigt er in virtuosen Poesien der englischen Königin Elizabeth. 1570 und endgültig 1586 wird er als Kurpfälzischer Rat und Bibliothekar der Bibliotheca Palatina nach Heidelberg berufen, wo er 62jährig am 3. Februar 1602 stirbt; sein Nachfolger als Bibliothekar der Bibliotheca Palatina wird bekanntlich Janus Gruter bis zu seinem Tod 1627. Adams Buch der Grabmonumente 1612 ist zeitnah, nur zehn Jahre später verfasst, kennt aber keine Grabschrift für Schede; doch überliefert allein der Codex Palatinus Latinus 1905 mehr als zwanzig Epicedien In obitum Pauli Melissi (teils mit Betonung: sub hac humo, sub hoc saxo), darunter Dichtungen von Theodor Rhodius und Johann Jakob Grynaeus, einem der jüngeren Grynaei. Nicht alle sind Poetae laureati, nicht alle im ältesten Heidelberger Friedhofsbuch dokumentiert, nicht alle wechseln von einer Universität zu einer anderen; Würzburg wird erst 1582 unter Julius Echter wiederbegründet in gegenreformatorisch-jesuitischem Geist. Der Schweinfurter Grundtler hatte drei Jahre nach Sinapius in Heidelberg studiert, beide lehrten am Fürstenhof in Ferrara, beide kehrten nach Unterfranken zurück; Grundtler wird mit seiner Morata als Stadtphysikus von Schweinfurt noch unter Kurfürst Friedrich II. nach Heidelberg berufen; mit Zuichem, der Rudolf Agricola den Stein gesetzt hatte, stand auch Sinapius in brieflichem Kontakt. Lotichius kam schon unter dem Lutheraner Ottheinrich als Nachfolger Grundtlers an den Neckar. Posthius soll auch vor der Katholizität der alt-jungen Würzburger Universität nach Heidelberg gewichen sein, den Mellrichstädter Schede hatte man schon früher gewinnen wollen. Alle vier sind nicht mehr altgläubig, sondern Protestanten mit reformiertem Zuschnitt - anders hätten sie kaum in und um die Peterskirche bestattet werden können, der ältesten Kirche der Stadt, die seit der Reformation durch Ottheinrich 1556 lutherisch und seinem Nachfolger Friedrich III. dem Frommen reformiert ausgerichtet ist - die Bewegung von Würzburg nach Heidelberg ist somit auch ein Symptom dafür, dass die Universität Heidelberg von rund 1550 bis gegen 1620 in politisch-konfessionell kontroversen Zeiten und Fronten eine außergewöhnliche Attraktivität gewonnen hat als Asyl der in Italien, Frankreich und den spanischen Niederlanden bedrohten Reformierten, die in der Administration des Hofs, im an Bedeutung gewinnenden Kirchenrat und natürlich an der Universität tätig sind, alle tüchtige Juristen, Mediziner, Kirchenrechtler, Theologen, Historiker und Philologen einschließlich (konvertierter) Juden; dabei hat im kurpfälzischen Territorium in diesen Jahrzehnten, ganz ungewöhnlich im frühen Deutschland und von den zeitgenössischen Chronisten immer vermerkt, der Bekenntnisstand fünfmal gewechselt und ist dann dominant calvinistisch geblieben. Tod in Heidelberg 273 Literaturverzeichnis I. Adam, Melchior: Apographum monumentorum Haidelbergensium, Heidelberg 1612 = Adam. Drüll, Dagmar: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386-1651, Heidelberg 2002 = Drüll. Flood, John L. / Shaw, David J.: Johannes Sinapius 1505-1560. Hellenist and Physician in Germany and Italy, Genf 1997 (Travaux d’Humanisme et Renaissance, Bd. 311). Flood, John L.: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook I-IV, Berlin / New York 2006 = Flood. Neumüllers-Klauser, Renate: Die Inschriften der Stadt und des Landkreises Heidelberg, Stuttgart 1970 (Die Deutschen Inschriften, Bd. 12) = Neumüllers-Klauser. Hartmann, Volker / Kühlmann, Wilhelm: Heidelberg als kulurelles Zentrum der Frühen Neuzeit. Grundriß und Bibliographie, Heidelberg 2012. Hartmann, Volker / Kühlmann, Wilhelm: Heidelberg, in: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit, Bd. 2, Berlin / Boston 2012, 831-899. Kühlmann, Wilhelm / Seidel, Robert / Wiegand, Hermann (Hgg.): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, Lateinisch und deutsch, ausgewählt, übersetzt, erläutert und herausgegeben, Frankfurt am Main 1997 (Bibliothek der Frühen Neuzeit 5 = Bibliothek deutscher Klassiker 146) = Humanist. Lyrik 16. Kühlmann, Wilhelm / Wiegand, Hermann (Hgg.): Parnassus Palatinus. Humanistische Dichtung in Heidelberg und der alten Kurpfalz. Lateinisch-Deutsch, Heidelberg 1989 = Parnassus Palatinus. II. Olympia Fulvia Morata (1526-1555) Adam 70 - Neumüllers-Klauser 150-152 Nr. 276-277 (278 Grundtler) - Drüll 193 (Art. Grundtler) - Parnassus Palatinus 38-39 (und 280-282) - Kat. O. F. Morata, Schweinfurt 1986 - Kat. O. F. Morata, Heidelberg 1998 - Düchting, Reinhard: La dotta Heidelberg intorno al 1550 come ultimo asilo (1554-1555) di Olimpia Fulvia Morata, in: Atti del Convegno internazionale Olimpia Morata: Cultura umanistica e riforma protestante tra Ferrara e l‘Europa (Ferrara 2004) = Schifanoia 28 / 29, 2005, 343-348 - Flood, John L.: Olimpia’s German friends, in: (wie oben Düchting), 331-341. Petrus Lotichius Secundus (1528-1560) Neumüllers-Klauser 169 - 170 Nr. 296 - Drüll 358 - 359 - Parnassus Palatinus 50-63 (und 276-278) - Humanist. Lyrik 16, 395-497 (und 1178-1239) - Scholz, Udo W.: Lotichius an seinen Freund Zobel, in: Boris Körkel / Tino Licht / Jolanta Wiendlocha (Hgg.): Mentis amore ligati. Lateinische Freundschaftsdichtung und Dichterfreundschaft in Mittelalter und Neuzeit. Festgabe für Reinhard Düchting, Heidelberg 2001, 473-479 - Wiegand, Hermann: Poetische Kommunikation. Der Paduaner Freundeskreis um Petrus Lotichius Secundus, in: (wie oben Scholz), 541-559. Reinhard Düchting 274 Johannes Posthius (1537-1597) Adam 62 und 104 - Neumüllers-Klauser 292-293 Nr. 483-484 - Flood III 1585-1589 - Parnassus Palatinus 72-79 (und 286-288) - Humanist. Lyrik 16, 707-750 (und 1365- 1394) - Karrer, Klaus: Johann Posthius (1537-1597). Verzeichnis der Werke und Briefe mit Regesten und Posthius-Biographie, Wiesbaden 1993 (Gratia, Bd. 23). Paulus Melissus Schede (1539-1602) Epicedia: s. Metzger, Wolfgang: Die humanistischen, Triviums- und Reformationshandschriften der Codices Palatini Latini in der Vatikanischen Bibliothek (Cod. Pal. Lat. 1461-1914), Wiesbaden 2002, 325-326 - Flood IV 1820-1829 - Parnassus Palatinus 82- 105 (und 289-291) - Humanist. Lyrik 16, 753-861 (und 1395-1430). Allgemeiner Index Der Allgemeine Index erfasst Einträge zun Personen- und Ortsnamen sowie zu Schlüsselbegriffen rund um den Würzburger Humanismus. Bei den Eigennamen wird der Familienname vorangestellt, sofern er eindeutig als solcher erkennbar ist. Die Namen literarischer Personen und Orte werden ebenfalls verzeichnet. Druckorte und Ethnika sind dann berücksichtigt, wenn sie in der Darstellung bedeutungstragend sind. Wo die Wiedergabe der Namen nicht in der jeweils gebräuchlichste Form - deutsch, englisch, lateinisch, italienisch, französisch, spanisch - erfolgt, wird der deutschen Variante der Vorzug gegeben. Abano 200 Abnoba (mons) 24 Adam, Melchior 210, 270, 272 Aderlass 40 Adula 23-24 Aemulatio 72-73, 75, 234 Aeneas 42 Agathyrser 25 Agricola, Rudolf 269, 272 Aitiologie 42, 209, 248 Alexandria 162, 165-166 Alfons II. von Ferrara 252 Alkaios 66, 225 Allegorie 81, 85 Alpen 24, 26, 30-32 Alt, Georg 47 Altdorfer, Albrecht 32 Alte Mainbrücke 3 Amator 39-41 Amerbach, Bonifatius 9 Ammonius, Agricola, s. Peurle, Johannes Amor / Cupido 42, 204, 206 Anglicus, Bartholomäus 187 Anshelm, Thomas 4, 6, 148-149 Antenor 200 Apelles 77-79, 82-83 Apoll 42-43, 219, 248 Archimedes 130 Archytas von Tarent 220 Arquà / Arquatum 200, 203 Artolphus, Hieronymus 11 Astrologie 37, 42, 44, 108, 129 Astronomie 37, 129 Ateius Praetextatus 223 Atlas 26, 31 Augsburg 73-74, 108, 115, 252-253, 259 Augustus / Octavian 70, 130, 165 Autobiographie 37-39, 121, 185, 187, 189, 191, 196-197, 201, 203- 204 Aventinus, Johannes 54 Baïf, Jean Antoine de 251 Balde, Jakob 79, 214 Balsac, Louis de 258 Bamberg 271 Barbara 37, 40-41, 44 Barbaro, Ermolao 269 Bargaeus, Petrus Angelius / Pietro degli Angeli aus Barga 219-220 Barock 213, 235-236, 239, 246, 259- 260 Basel 1, 2, 7-9, 11, 14, 32, 59, 122, 144 Bauernkrieg 144, 155 Bayerischer Erbfolgekrieg 102 Beatus Rhenanus 8, 143-146, 148- 149, 155-156 Bebel, Johannes 7, 8, 11, 14 276 Allgemeiner Index Beda Venerabilis 130, 153 Beka, Johannes de 110 Bembo, Pietro 197, 199-201, 203 Benediktiner 101-103, 121, 143, 147- 148, 157 Bergbau 26, 39 Beros(s)us 111 Berruguete, Pedro 77 Bersman, Gregor 256 Bèze, Thomas de 211 Bibliotheca Marciana 201 Bibliotheca Palatina 210, 272 Bibra, Lorenz von 151-152 Biene (Metapher) 209, 220, 230, 245, 259 Bildung / Erziehung 49-52, 81, 89, 192 Bodin, Jean 60 Böhmen 21, 25-26, 180, 185, 190-191 Bolerus, Martin 13 Bologna 196, 201 Bonifatius 111 Bonstetten, Albrecht von 32 Bostius, Arnold 135-136 Bovelles, Charles de 135-136 Braesamer, Rosina 271 Brahe, Tycho 209 Brenta 200, 203 Breslau 222 Brodericus, Stephanus 176-183 Brutus, Giovanni Michele 220 Bucer, Martin 8, 9, 15, 147 Buchanan, George 258 Buchdrucker 1-16 Buchonia 24 Bucyron, Françoise de 2, 3, 12 Buda (Ofen) 175, 178 Bukolik 222, 249 Bürgertum 47-62, 252-253, 254, 259-260 Bursfelder Reformkongregation 102, 121 Byzanz 41 Calcagnini, Celio 12 Calepinus, Ambrosius 5 Calvin, Johannes 2, 15 Calvinismus / Calvinisten 210-211, 222, 272 Camerarius, Joachim 1, 2, 11-12, 211, 256 Campano, Giannantonio 50-51 Caramuel, Juan 132 Caesar 50, 61, 70, 104, 126 Caselius, Johannes 256 Catull 212, 233, 256 Cecrops 66-67, 72 Celtis, Konrad 1, 19-34, 47-62, 65- 75, 77-86, 105, 107-108, 269 Chlodio 135 Chur 108, 115 Cicero 104, 130, 132-133, 196, 217, 230 Cinnamus 165 Ciofano, Ercole 220 Cles, Bernhard 180 Cochlaeus, Johannes 80 Collange, Gabriel de 122 Comburg 271 Confessio 187-188 Cordus, Euricius 83 Corvinus, Matthias 68, 130, 175 Cranach, Lukas 77 Cratander, Andreas 8-9, 11 Cremona, Liutprand von 110 Curio, Jacob 10 Curione, Celio Secondo 5, 270 Cuspinian, Johannes 59, 175-183 Cynthia 38, 44, 234 Cyprian von Karthago 130, 135 Daedalus 67, 72, 219 Dahlberg, Johann von 54, 269 Daker 21 Daripinus, Georgius Sibutus 102, 114 Delia 39 Dettelbach 113 Deutschland / deutsch 19-34, 37, 47, 50-52, 54-55, 58, 59, 60-62, 66- 68, 71-74, 77, 79-83, 87, 94, 128, Allgemeiner Index 277 153, 176, 180, 182, 186, 196, 211- 212, 218, 245, 251, 259, 272 Deventer 185 Di Lasso, Orlando 209, 232 Dichterkrönung 102, 114, 209-210, 237, 270-271 Dichtungstheorie 195, 207 Diogenes Laertius 111 Diplomatie 103, 105 Domitian 165-166, 168 Don 25 Donau 20-21, 24, 44 Donauschule 32 Dorat, Jean 248, 251 Dousa, Janus 227 Druckermarke 8 Druiden 24-25, 28, 52-54, 59, 61 Dürer, Albrecht 77-86 Echter, Julius 272 Efeu (Metapher) 204, 217-218, 220- 221, 256 Egenolph, Christian 13 Eger 24, 27 Ekphrasis 29, 43 Elbe 21, 25-26, 44 Elegie 42, 162, 195-207 Elegisches Distichon 87, 160, 162- 163, 167, 170, 269, 271 Elephantus, Christoph 3 Elisabeth I. 209-210, 214, 234, 272 Elsass 9, 24, 144 Elsula 37, 40, 43, 59 Enkomium 41, 80, 248, 252-253, 256, 259 Enoc, Pierre 251 Epigraphik 153-154 Epikureismus 215-216, 222 Epinikien 247-248 Epitaphium 160, 171, 270-271 Epithalamium 12, 245-267 Epitheta 29-30 Epochenbewusstsein 65-75 Erasmus von Rotterdam 1, 13, 15 Erbach 270 Erfindung 65-75, 136, 203 Erfurt 1-2, 160-161, 210 Ernst von Sachsen 87, 93 Este, Anna d’ 2 Este, Ercole II. d’ 2, 11-12 Este, Renée d’ 2, 15-16 Estienne, Henri 209 Esztergom / Gran 178 Ethnographie / Ethnologie 23, 37, 58, 60 Ettlingen 9 Etymologie 156 Europa 22-23, 26-27, 28, 33-34, 49, 77, 82, 176, 226, 270 Fabricius 239 Faramund 135 Ferdinand I. von Habsburg 175- 176, 179, 180, 182, 210, 271 Ferrara 1-2, 11-12, 14, 269-270 Ferrini, Bartholomeo 12 Festgedicht 44 Festung Marienberg 2 Festus 223 Fichard, Johann 6, 12, 14 Fichtelgebirge 24-25, 27-28, 33, 52- 53 Ficino, Marsilio 54 Fischart, Johann 13 Flaminio, Marc Antonio 197, 200- 201 Flandern 80 Florenz 105, 248 Flussgedicht 44 Fontana, Johannes 105 Fouquet, Jean 77 Fracastoro, Girolamo 197, 200-201, 203 Franken 21, 25, 48, 52-54, 58, 60, 102, 107, 109-110, 113, 128, 135, 151-152, 209, 270, 272 Frankfurt am Main 12-13, 212, 214, 270 Frankfurt an der Oder 199-200 Frankfurter Herbstmesse 8 Frankreich 68, 77, 79-80, 82-83, 204, 210, 248, 251, 259, 272 278 Allgemeiner Index Franziskanerkirche (Heidelberg) 269 Französisch 57, 122, 211, 245, 254 Freiburg 12, 24 Freie Künste 6, 71, 73 Friedrich (der Weise) von Sachsen 87, 89, 93, 98, 112 Friedrich I. 269 Friedrich II. 270, 272 Friedrich III. (Kaiser) 67-71, 101 Friedrich III. (der Fromme) von der Pfalz 211, 272 Friedrich IV. von der Pfalz 212, 271 Fuchsmag, Johann 159 Funck, Engelhard s. Scintilla Furor Teutonicus 73 Galen 2, 59 Gallien / Gallier 25, 28, 52, 53, 59, 61, 152-153 Gallus, Cornelius 40 Gallus, Robertus 110 Ganay, Germain de 135-137 Garb, Rudolf 145 Gegenreformartion 272 Geldern 24 Gelegenheitsgedichte s. Kasualpoesie Genealogie 112-113 Genf 210, 251 Gengenbach 153 Gerau, Nicolas von 145 Germanien / Germanen 25, 28, 34, 49-51, 54, 56, 59-60, 69, 74, 128, 156 Germersheim 269, 271 Geschichtsbild 130-131 Geschichtsschreibung 101, 107-114, 123-124, 130-131, 135, 143-157, 176-183 Geten 21 Gicht 13 Giebelstadt 271 Giraldi, Giambattista 12 Giraldi, Lilio Gregorio 12 Glauburg, Adolph von 122 Goldenes Zeitalter 66, 69, 71-72 Goudimel, Claude 211 Gregor der Große 148, 154 Griechenland / Griechen 48, 52, 59, 72, 79, 245 Griechisch 1-2, 4, 7, 13-14, 20, 25, 28, 49, 55, 60-61, 77, 111, 128-129, 156, 185, 209, 214, 256, 269-270 Grille / Zikade 215-217, 220, 222, 225, 230, 245 Grundtler, Andreas 271-272 Gruterus, Janus 210, 222, 272 Grynäus, Simon 1-2, 7-8, 11, 14-15, 269, 272 Guajakkur 6, 203 Gutenberg, Johannes 65-75 Habsburger 175, 179, 182 Hagenau 4, 6, 10 Hagiographie 109, 113 Hagius, Johannes 196 Hainzel, Johann Jakob 253 Hainzel, Johann Ludwig 253 Hammelburg 270 Harz 24, 31 Haselberg, Johannes 151 Hasilina 37, 39-40, 43 Hassberge 210 Haßfurt 10 Hegendorff, Christoph 1, 4 Heidel, Wolfgang Ernst 104, 121 Heidelberg 1, 3, 4-8, 10, 12, 14, 102, 147, 210, 212, 221-222, 233, 237, 246, 260, 269 Heilbronn 113 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 54, 162, 175 Helmstedt 256 Helvetier 30-31 Hendecasyllabus 167 Herkules 7 Herkunftsmythos 54 Herkynischer Wald 19-34, 53 Hesiod 60 Hessen 21, 24 Hessus, Helius Eobanus 1, 4, 79, 271 Allgemeiner Index 279 Hippokrates 2, 11 Hirsau 111 Hirschhorn 270 Hodoeporicon 43, 185-192 Hofheim 10 Holanda, Francisco de 80 Holbein, Hans 7 Holzschnitt 3, 85-86 Homer 111 Horaz 67, 90, 204, 215-218, 220, 221, 224, 227, 232-234, 245-246, 248, 252, 258-259 Huber, Wolf 32 Hugenottenpsalter 211, 272 Hügshofen / Honcourt / Hugonis cura 144-145 Hunibald 109-113, 116-117, 123 Husaren 178, 180 Hutten, Ulrich von 79, 204 Hydrographie 27, 33 Imitatio 73, 90, 195-207, 245 Ingenium 67, 72, 82 Ingolstadt 2, 52, 105 Innozenz VIII. (Papst) 168 Innsbruck 114, 116, 151, 159 Irenicus, Franciscus 4 Isingrin, Michael 7, 11-12, 14 Italien / Italiener 11, 28, 33, 50-52, 54, 61-62, 67-68, 72, 77-86, 160, 196, 199-200, 204, 206, 210, 218, 247, 255, 271-272 Itinerar s. Hodoeporicon Jamyn, Amadis 258 Jena 210 Jesuiten 272 Jeuchdenhammer, Johannes 8-9 Joachim I. von Brandenburg 102, 104, 107, 115 Johann von Köln 110 Johannes Antonius 162, 165-168 Johannes Secundus 256-257 Johannisberg am Rhein 185 Julian Apostata 20 Juno 42, 164 Jupiter 42, 66-67, 70-71, 219 Jura / Juristen 9, 12, 215, 254, 256, 272 Juvenal 90 Kabbala 103 Kahlenberg 24-25 Kalixt III. (Papst) 51 Kallimachos 220 Karl der Große 25, 130 Karl V. 2, 12, 16 Karlsbad 185, 191 Karmeliten 107, 110 Karolinger 133 Karpathen 23-24 Kartäuser 107 Kassel 78, 133 Kasualpoesie 160, 246, 259-260 Katholizismus 272 Kemnath 52 Kilian (Heiliger) 160 Klassizismus 223, 226-227, 229, 231-232, 240 Kobian, Valentin 9-11 Koblenz 21 Köln 101-103, 107, 108, 114-115, 149 Königsberg i. Pr. 199 Königsberg (Unterfranken) 210 Konzil 114, 116 Kosmogonie 23 Krakau 37, 39, 43, 182 Kryptographie / Geheimschrift 101-117, 121-138 Kussgedicht 166, 257 Lahr 147 Lampert von Hersfeld 110 Landschaft 19-34 Lang, Matthäus 105, 108, 115 Lateinschule 12 Lauchheim an der Jagst 3 Lausitz 24 Lechfeld 73-74 Lehrgedicht 23, 33 Leipzig 1, 4, 10, 87, 210, 254, 256 280 Allgemeiner Index Leodius, Hubert Thomas (aus Lüttich) 270 Leonardo da Vinci 77 Lernutius, Janus 225-226 Leucorinus, Melchior 226 Libyen 33 Liebesdichtung 201, 206, 211 Liebeselegie 37-38, 234 Limburg 102 Linz am Rhein 104 Lipsius, Justus 223, 226-229 Livius Andronicus 223, 232, 238 Lobwasser, Ambrosius 211, 239 Locher, Jakob 57-59 Lorbeer 204 Lotichius, Petrus Secundus 195- 207, 269-272 Lotzer, Johannes 6, 10 Lübeck 37 Luder, Peter 269 Ludwig (Louis) II. von Frankreich 2 Ludwig II. von Ungarn 175-176, 181 Ludwig V. (Pfalz) 6 Lucan 200 Lukian 12-13 Luscinius, Ottomarus 13 Luther, Martin 2, 4, 14, 144, 181, 272 Luzern 28 Lyon 13 Maas 25 Maastricht 113 Magie 103, 121, 131, 135-136, 191 Main 24, 27 Mainz 37, 67, 109-110, 115, 149 Manardi, Giovanni 1, 11 Manierismus 209-240 Manutius, Aldus 247 Märchen 187, 189, 191 Marcomir I. 109, 151-152 Marcus Antonius 165 Maria Laach 185 Markgrafenkrieg 3 Marot, Clément 211 Martial 159-171 Masowien 25 Maternus, Iulius Firmicus 111 Maximian 38, 40-43 Maximilian I. (Kaiser) 23, 37, 43, 47, 59, 67-71, 78, 81, 101, 105, 117, 122, 124, 131, 137, 151-152, 162- 164 Maximilian II. (Kaiser) 210 Mayer, Martin 51 Medici, Katharina de’ 248 Medici, Lorenzo de’ 105 Medizin 2, 4, 10-13, 15, 59-60, 196, 201, 203-204, 270-272 Melancholie 10 Melanchthon, Philipp 1, 3-4, 13, 15, 271 Mellrichstadt 93, 269, 271-272 Memoria / Mnemotechnik 105-107 Mennel, Jakob 109 Merkur 43-44, 60 Merowinger 104, 109 Metrik 87-98, 247-252 Michelangelo 77-78, 80 Micyllus, Jacob (Moltzer) 1, 12-13, 269 Miltenberg am Main 185 Mittelalter 20, 40-41, 58-59, 89, 91, 94, 103, 104, 108, 110, 123, 137, 186-188, 191-192 Modena 201 Modius, Franciscus 215 Mohács 175, 176-183 Molther, Menrad 6, 14 Molza, Francesco Maria 200-201 Monau, Jakob 222 Montpellier 196, 270 Morata, Olimpia Fulvia 2-3, 15, 269-270, 272 Morato, Fulvio Pellegrino 2 Morus, Thomas 13 Mosbach 271 Mosellanus, Petrus 4, 13 Münster, Sebastian 3, 14-16 Muret, Marc-Antoine 210 Musik 66 Allgemeiner Index 281 Mythologie 135, 164, 248, 254, 257, 259 Naab 24, 27 Narrenspiegel 58, 61 Nation / Nationalismus / national 19, 31, 32, 34, 49, 57, 62, 67-68, 71, 75, 77-79, 80, 82-83, 128 Navagero 197, 200-201 Nemesis 39 Neologismus 224, 227-229, 233, 247, 251, 258 Neumünsterkirche (Würzburg) 114, 160 Neustätter, Erasmus (Stürmer) 271 Niederlande 34, 272 Nordeuropa 24 Nordsee 20, 24-25, 27, 44 Normannen 104, 135 Norwegen 34 Numismatik 153-154, 156 Nürnberg 3, 20, 22-23, 27-28, 32, 37, 47-62, 77, 79, 82, 210, 252-253, 259 Nürnberger Rat 22, 48, 78 Oberrhein 144 Obscuritas 217, 218, 249, 254 Obsopoeus, Vicentius 13 Obszönität 161, 168-171, 256-257 Odenwald 24, 26 Oder 24-26 Oecolampadius, Johannes 1-2, 8 Offenburg 143, 147, 155-156 Offo 153-156 Opitz, Martin 246, 259-260 Orsini, Fulvio 224 Ortenau 145 Österreich 24, 34, 176 Ostsee 25 Otium 200-203, 237 Ottelin, Jakob 146-147 Ottheinrich 271-272 Otto der Große 74 Ovid 39-40, 90, 204, 222 Padua 196, 198, 200-201, 207 Panegyrik 67, 70-71, 160, 166, 209, 247-249, 253, 259, 269 Paracelsus 236 Paraklausithyron 204 Paris 6, 8, 13, 210, 214, 246, 251 Paronomasie 165 Parrhasios 77, 79 Patrizier s. Bürgertum Pavia 1, 269 Personifikation 29-31, 42 Pest 93, 98 Peterskirche 270-272 Petrarca 197, 200, 203, 269 Petri, Heinrich 13-14 Peurle, Johannes 2 Peutinger, Konrad 6, 108 Pforzheim 148 Phalaeceus 160 Phidias 79 Philhelvetismus 34 Philipp der Aufrichtige 269 Philosophie 52, 55, 61, 81, 83, 130, 216, 256 Picaroroman 187 Piccolomini, Enea Silvio 185-187 Pighinutius, Fridianus 93, 98 Pindar 214, 219-220, 232-233, 239, 245-267 Pinder, Ulrich 59 Pirckheimer, Willibald / Birckheimerus, Bilibaldus 13, 78, 159 Pirmin (Heiliger) 152-153, 156 Pisa 113, 116, 219 Platter, Thomas 189 Pléiade 209, 213, 245-250, 259 Poeta doctus 209, 223 Poeta laureatus 102, 204, 209, 272 Poetik 87-98, 199 Poetologie 42, 44, 163, 195-207, 209- 240, 245, 251, 259 Polen 21, 25-26, 79-80, 83, 181 Pollich (Polich, Mellerstadt), Martin 59, 93, 98 Pomponius Gauricus 40 282 Allgemeiner Index Porphyrios 111 Porta, Giambattista della 236 Posthius, Johannes 254, 269-272 Prael, Johannes 149 Pressburg 179 Preußen 25 Prodigia 70 Prokne 216 Prometheus 70 Promotionsfeier 6 Propemptikon 70 Properz 37-40, 42, 44 Prosodie 88-89, 98 Protestantismus 14, 144, 270, 272 Quentell, Petrus 149-150 Quintilian 57-59 Raffael 77 Rascalon, Guillaume 270 Recusatio 204-206, 216, 218 Reformation 2, 4, 144, 272 Regensburg 37, 43, 50, 59 Regino von Prüm 110 Reichenbach (Kloster) 52 Reichsapfel 81 Reichstag 101-102, 107, 181 Reichswald 20 Reisebericht s. Hodoeporicon Resch, Conrad 8 Rhein 20-21, 24, 33, 44, 52-53 Rhein-Donau-Kanal 25 Rhetorik / Eloquenz 16, 29, 49, 52, 89, 105, 179, 199, 207, 256 Rhodius, Theodor 272 Rhodos 181 Rhone 33 Ribeaupierre (von Rappoltstein), Ulrich de 144 Richmond 214 Riemenschneider, Tilman 114 Rigi 28 Riphäische Berge 25 Rivius, Johannes 79 Robortello, Francesco 195-197, 206 Rom 39, 160 Romantik 32 Ronsard, Pierre de 246-247 Rosina 211, 222 Rudolf II. (Kaiser) 218 Rummel, Johannes 108, 115 Runen 104, 135 Russland / Russisch 34, 57 Saale 24, 27 Sabinus, Georg 200, 203 Sachs, Hans 13 Sachsen 25, 112 Sainte-Marthe, Scévole de 251 Salmoneus 67 Sapidus, Johannes, s. Witz, Johannes Sapphische Strophe 160 Sappho 66, 225 Sarmaten 20 Satire 44, 57-58, 61 Saturn 42 Saturnalien 166-168 Saturninus, Lucius Antonius 164 Sbrulio, Ricardo 79, 83 Scaliger, Joseph Justus 211, 221 Scaliger, Julius Caesar 200 Schede, Paulus Melissus 209-240, 245-267, 270-271 Schedel, Hartmann 159, 187 Scheurl, Christoph 79-80, 83 Schlüchtern 269 Schmalkadischer Krieg 203-204 Schöber, David Gottfried 80 Scholastik 58, 269 Schottland 34 Schreyer, Sebald 48 Schuttern 143-157 Schwabach 160, 171 Schwaben 33 Schwäbisch Hall 271 Schwalbe 216 Schwan 204, 216, 219-220, 230, 245 Schwarz, Berthold 65-75 Schwarzes Meer 24-25, 33 Schwarzwald 21, 24, 26 Schweinfurt 1, 2, 14, 269-270, 272 Allgemeiner Index 283 Schweiz 19, 28, 32 Scintilla, Engelhardus / Funck, Engelhard 159-171 Sebastian (Heiliger) 93, 98 Seefahrt 70 Selbststilisierung 38 Sélestat (Schlettstadt) 144, 155 Seneca 90 Serntein, Zyprian von 105 Servitium amoris 40 Setzer, Johannes 3-7 Sidney, Philip 209, 221 Sidney, Robert 221 Siebenbürgen 25, 27, 30 Sigismund I. von Polen 176-177 Sigonio, Carlo 196 Simius (Metapher) 220 Simmern 102 Simonetta, Cicco 126 Sinapius, Johannes (Senff) 1-16, 269-270, 272 Sinapius, Theodora 2, 3, 270 Sirleto, Gugliemo 217 Sizilien 203 Sodalitas litteraria Rhenana 59, 102, 128, 147 Spanien 77, 79-80, 82, 187, 272 Spätantike 40, 253, 256 Spessart 24 Speyer 5, 111 Speyerer Reichstag 211 Sphragis 82 Sponheim (Abtei) 101, 102, 104, 107, 110-112, 114, 121, 135-136, 150 St. Jakob (Schottenkloster, Würzburg) 102, 107-108, 112, 114 St. Thomas (Straßburg) 145 Stabius, Johannes 109-110, 112-113, 117 Städtebeschreibung / Städtelob 22- 23, 47, 160, 186-187, 269 Statius 253 Stein, Simon 210 Stiebar, Daniel 2, 271 Strabo 54 Straßburg 1, 2, 5-6, 8-9, 133, 144, 146, 148, 151, 155 Straßburger, Abel 254, 259 Stromer, Peter 20 Stuttgart 229 Sueton 104 Sunthaym, Ladislaus 109 Syphilis 6, 203 Szapolyai, Johann von 175, 179, 182 Szepter 81 Tacitus 50-51, 59, 61 Taubmann, Friedrich 238-239 Taunus 24 Taurus 26, 31 Telesikrates 249 Themar, Adam Werther von 269 Themse 221 Theokrit 249 Thoming, Martha 254 Thüringen 21, 24-25, 112 Tiberius 25, 28, 52, 54 Tibull 34, 39-40, 42-43 Tirol 34 Tironische Noten 104, 111, 129, 131- 135 Tizian 77 Tod / Vergänglichkeit 39, 44, 66, 171, 269-274 Tolhopf, Johannes 52 Tomicki, Piotr 181 Tragödie 42, 90 Translatio artium 72-75 Translatio imperii 54, 72 Translatio studii 54, 72 Trithemius, Johannes 54-55, 57, 101-117, 121-138, 143-157, 185 Troja 108, 164, 200 Tschechien / Tschechisch 122, 189 Tübingen 2, 11-12, 144, 147 Tucher, Sixtus 54 Tuisto 59 Türken / Osmanen 175-176, 180- 182, 210 Ulm 105 284 Allgemeiner Index Ungarn 21, 34, 57, 79-80, 82, 175- 183, 210 Unterwelt 39, 66 Uppsala 125, 159, 162 Ursula 37, 40, 43-44 Utrecht 40 Varusschlacht 73 Vasari, Giorgio 80 Vates / vaticinium 82, 109 Velius, Caspar Ursinus 83 Venedig 196, 201, 269 Veneto 201, 203 Venus 42, 254 Verrius Flaccus 223 Vidoue, Pierre 6-9 Vieheuser, Siegmund 218-219 Villeggiatura 203 Vils 25 Virunius, Ponticus 13 Volkssprache 185-192, 245 Volz, Paul 143-157 Wagner, Peter 57 Wässerndorf (Schloss) 101, 114 Weichsel 44 Weidner, Johannes 229 Weißenburg, Otfrid von 111, 123 Welser, Sebald 252 Westerwald 21, 26 Widel, Johannes 145 Widukind von Corvey 110 Wien 1, 24, 37, 104, 107, 110, 112, 115, 117, 124, 131, 137, 146, 175- 176, 210, 271 Wiener Neustadt 114 Wimpfeling, Jakob 79-80, 83, 93, 144, 146, 159, 161-162, 269 Winterburger, Johann 47 Wirsberg, Friedrich von 15 Wittenberg 1, 4, 7, 144, 196, 204, 210, 238, 246, 270 Witz, Johannes (Sapidus) 8, 144 Wolfenbüttel 137 Worms 269 Würzburg 14, 53, 101, 104, 107-109, 112-114, 116, 122, 150-151, 157, 160, 209-210, 269-272 Würzburger Dom (St. Kilian) 3, 16, 108, 114 Zasius, Ulrich 9, 12 Zincgref, Julius Wilhelm 211, 260 Zobel, Johannes 6 Zobel, Melchior 2, 3, 6, 15-16, 271 Zuichen, Viglius 269, 272 Zwickau 210 Stellenindex Der Stellenindex enthält Einträge zu sämtlichen in diesem Band vorkommenden antiken, mittellateinischen oder neulateinischen Autoren. Auch volkssprachliche Texte sind erfasst. Wo es keine gebräuchliche Zitierweise gibt, wird die Seitenzahl im Haupttext angegeben. Für die jeweils verwendeten Ausgaben der neulateinischen Werke sei auf das Literaturverzeichnis des jeweiligen Artikels verwiesen. Abano, Petrus von Conciliator 108 Agricola, Rudolph Epistulae 4: 68 Alberti, Leon Baptista De componendis Cifris 126 Álvares, Manuel De Institutione Grammatica Libri Tres 228 Ambrosius Epistulae 1, 6, 5: 216 Exameron 5, 22, 76: 216 Aristoteles Meteorologica 1, 13, 350b4-5: 20 Organon 111 Poetica 195-196 Auctor ad Herennium 1, 3: 90 Barth, Caspar von Adversaria 237 Beatus Rhenanus In libellum de Germania Castigationes 156 Rerum Germanicarum libri tres 31 Beda Venerabilis De arte metrica 94 Bembo, Pietro Aetna 203 Bibel Genesis 1, 9: 225-226 1 Thess 5, 21: 145 Bingen, Hildegard von Lingua ignota 104 Biondo, Fabio Italia illustrata 47 Boissard, Jean-Jacques Icones quinquaginta virorum illustrium 210 Bonstetten, Albrecht von Superioris Germaniae confoederationis descriptio 28 Brandt, Sebastian Ad dominum Johannem Bergmann de Olpe 75 Das Narrenschiff 4: 57-58 Bruni, Leonardo Laudatio urbis Florentinae 23 Butzbach, Johannes Odeporicon 185-192 286 Stellenindex Caesar De bello Gallico 4, 26, 5: 226 6, 14, 6: 52 6, 18: 53 6, 25-28: 20 Catull Carmina 4: 225 5, 7: 257 7, 3: 166 7, 7: 166 7, 12: 257 12, 1: 257 16: 197 56, 2: 257 61: 247, 258 61, 127: 257 61, 131-135: 257 61, 34-35: 256 62: 247, 258 64: 247, 258 64, 273: 257 99, 16: 257 Celtis, Konrad Amores 22-23, 37-44, 48 praef. 51: 22 praef. Bl. Avi r : 31 1, 1: 42-43 1, 3: 43 1, 6: 39 1, 8, 4-5: 22, 26 1, 12, 31-41: 53 1, 12, 35-42: 28 1, 12, 38: 22 1, 13: 44 1, 15: 44 1, 15, 8: 22 2, 1: 43 2, 2: 42 2, 2, 49-51: 27 2, 2, 50: 22 2, 4: 43 2, 4, 5: 22 2, 6: 44 2, 6, 11: 22 2, 7: 44 2, 9: 58-59 2, 9, 151-152: 69 2, 10, 21-26: 27 2, 10, 21-22: 22, 26 2, 13: 44 2, 13, 1-4: 27 3, 1: 43 3, 8: 44 3, 11: 40 3, 13: 44 3, 13, 26: 27 3, 14: 43-44 4, 2: 43 4, 2, 17: 22 4, 3: 41 4, 9: 40-41 4, 14: 43 4, 15: 82 4, 15, 30: 43 Ars versificandi et carminum 87-98 Epigrammata 5, 67: 77-86 Epistolae 54 97: 47 Epodi 15/ 16: 67 Epitoma in utramque Ciceronis rhetoricam […] 105-106 Germania generalis 22-33, 47-51 Widmungsepigramm 23 7-8: 47 7, 10-14: 69 9: 33 13: 33 164-196: 24-25 164: 26 165-168: 31 166: 30 168: 30 170: 29 171: 30 172: 29 173: 30 Stellenindex 287 174: 30 188: 30 189-196: 27 189: 29-30 190: 30 191: 30 195: 30 196: 29-30 197-253: 24-25 197: 29 198-199: 31 201: 29 203: 29 206-216: 30 208: 29 209: 28 214: 29 215: 29-30 221: 31 222: 29 226: 29, 31 227: 29-30 228: 30 229: 29 230: 30 231: 30 233: 30, 31 234: 30, 31 236: 29-31 237: 29, 31 239: 29 245-246: 27 241-242: 26 242: 29 243-244: 31 246: 30 247: 29-31 248: 29, 31 252: 30 253: 29, 31 254-265: 24-25 254-255: 30 255: 26, 29 256-265: 26 258: 30 259: 29 262: 29 263: 29 263-265: 29 280: 31 Germania illustrata 22, 31, 42-43, 47, 61 Oratio in gymnasio in Ingelstadio publice rectitata 62 5, 7-8: 49-52 Norimberga 22-32, 47-62 Einleitungsepigramm 22 Bl. Mv r : 20-21 1-43: 24-25 6: 29 9-10: 31 15-16: 31 30: 29 30-33: 30 41-42: 27 43-136: 24-25 46: 29 47: 29 51: 29 54: 29-30 56: 27 59: 29 61: 29 66-70: 27 69: 29 70-86: 27 70: 27, 30 71-73: 30 72-73: 29 73-74: 30 75: 30 78: 31 86: 31 86-88: 26 89: 30 90: 30 91: 31 93: 31 97-98: 29 98-99: 31, 33 288 Stellenindex 111: 29 112: 30 115: 29-30 128: 31 129: 27 130: 29 132: 31 135: 29-31 136: 31 137-265: 24-25 136: 30 138-146: 26 150: 29 151: 29 156: 29 160: 29 189-190: 27 213-216: 26 221: 30 222: 30 Odae 22 Einleitungsgedicht des Theodoricus Frisius 22 1, 1: 69 1, 25/ 26: 67 2, 12, 7: 22 2, 18, 10: 22 3, 1, 14-15: 22, 26 3, 6, 26: 22 3, 11-13: 48 3, 11, 15: 22 3, 17, 28: 22 3, 17, 38: 22 3, 25, 4: 22 3, 28, 20-35: 28 3, 28, 42: 22 3, 8: 65-75 3, 9: 65-75 4, 5: 93 Schlussepigramm 22 Chytraeus, Nathan Carminum nuptialium et epitaphiorum libri III 256 Cicero Brutus 244: 228 Fragmenta 17 Morel: 91 Pro Murena 13: 228 Pro Quinctio 30: 153 Claudian Carmina 10: 247 Curio, Jacob Tabulae resolutae 10 Cuspinian Caesares 178 Consules 178 Diarium 175 Oratio protreptica 175-183 Daripinus, Georgius Sibutus Ad Ionannem Tritemium abbatem Spa[n]humensem 102 Panegyricus 102 Diodor 5, 21, 1: 20 Diomedes Ars grammatica 1, 505, 7: 88 1, 518, 14: 88 Donatus Vita Vergili 44: 231 Ennius Annales 459 V.: 219 Epistolae Obscurorum Virorum 185 Erasmus von Rotterdam Adagia 144 Fabricius, Vincentius Pransus paratus 237 139f.: 238 Stellenindex 289 Fracastoro, Girolamo Syphilis 3, 35-419: 203 Fredegar Chronik 54 Fuchs, Leonhard Historia stirpium commentarii insignes 11, 14 Gellius 6, 9: 223 9, 4, 8: 257 10, 12, 9-10: 220 17, 9, 1-5: 126 Gembloux, Sigebert von Chronik 153 Gesta Treverorum 110 Giraldi, Lilio Gregorio De annis et mensibus caeterisque temporum partibus 12 De re nautica libellus 12 De sepulchris & vario sepeliendi ritu libellus 12 Herculis vita 12 Historiae poetarum 12 Symeonis Sethi Magistri Antiochiae 12 Glarean Helvetiae descriptio et in laudatissimum Helvetiorum foedus panegyricum 32-33 17: 33 21: 33 27: 33 49: 33 58: 31 64-69: 33 76-80: 33 172: 33 173: 33 174-176: 33 Gohory, Jacob Vsu & Mysteriis Notarum Liber 122 Hegendorff, Christoph In actiones Verrinas et in topica […] adnotatiunculae 4 S. Marci Evangelion cum adnotationibus 4 Heidel, Wolfgang Steganographia 121 Hemmerlin, Felix De nobilitate et rusticitate dialogus 65 Hersfeld, Lampert von Veterum commentaria 153 Hesiod Erga 145: 27 Hieronymus De viris illustribus 121 Hippocrates De aëre, aquis, locis 59-62 Horaz Ars poetica 1-5: 91 28: 218 70-72: 223 93: 218 93-98: 229 440f.: 224 Carmina 1, 1: 88 1, 2: 70-71 1, 3: 70-71 1, 6, 9: 218 1, 9: 232 1, 26: 218 2, 10: 229 2, 13: 66 2, 13, 21-36: 225 2, 18, 15: 216 3, 1-6: 70 290 Stellenindex 3, 29, 53-56: 216 4, 2: 247, 251 4, 2, 1-4: 219 4, 2, 10-12: 247 4, 2, 4-24: 249 4, 4: 232 Epistulae 1, 1, 14: 145 1, 1, 76: 225 1, 2, 22: 233 1, 2, 34: 221 1, 3, 14: 229 1, 5, 21: 145 1, 19, 39/ 42: 227 2, 1, 29f.: 227 Epodi 15, 3-6: 218 Saturae 1, 1, 106f.: 219 1, 4, 23: 227 1, 10, 18: 220 1, 10, 56: 227 2, 3, 2: 227 Hrabanus Maurus Carmina 9: 91 De Clericorum institutione 148- 150 De inventione linguarum 104 De laudibus sanctae crucis 104 Hygin Fabulae 45, 5: 216 Institoris, Heinrich Malleus maleficarum 107 Irenicus, Franciscus Germaniae exegeseos volumina duodecim 32 Isidor von Sevilla Origines 1, 22: 134 1, 25: 134 Kircher, Athanasius Polygraphia nova 122 Laus Pisonis 77-80: 216 Liber historiae Francorum 54 Lindener, Michael Rastbüchlein 189 Lonigo, Ognibene da Libellus de arte metrica 93 Lotichius Elegien 1, 10: 204 3, 4: 195-207 3, 10, 17-20: 196 Lotzer, Johannes Ein nützlich Regimen vnd vnderweysung, […] 6 Lukrez De rerum natura 2, 975: 227 Luder, Peter Elegia ad Panphilam amicam suam singularem 35: 50 Lukian Podagra 12-13 Lullus, Raimundus Ars compendiosa inveniendi veritatem 104 Manardi, Giovanni Epistularum medicinalium libri duodeviginti 11 Martial Epigrammata 1 Epist. 1-3: 170 1 Epist. 9-10: 171 1, 34, 10: 171 1, 40: 170 1, 41, 13: 169 1, 77, 6: 171 Stellenindex 291 1, 84, 3: 171 1, 90, 6: 171 1, 90, 7: 171 1, 110: 163 2, 28, 1: 169 2, 34, 3: 171 2, 43, 13: 169 2, 54, 5: 169 2, 77, 7-8: 163 3, 58: 163 3, 83: 163 4, 11: 164-165 5, 5: 168 5, 5, 2: 169 5, 6: 168 5, 6, 8: 169 5, 15, 2: 170 6, 17: 165 6, 34: 166 6, 34, 2: 166 6, 65: 163 6, 65, 5-6: 163 8, 29: 163 9, 95b: 170 9, 97: 169 9, 97, 1-2: 170 9, 97, 11-12: 170 10, 33, 9-10: 170 11, 2, 5: 166 11, 6: 167-168 11, 15: 167 11, 16: 167 11, 16, 14-16: 168 12, 37, 1-2: 169 13, 2, 1: 169 Maximian De Senectute 40 Einleitungselegie 5: 41 113: 42 Mela, Pomponius 3, 3, 29: 20 Melanchthon, Philipp Dialectica 4 Molther, Menrad Lucta Christiana 6 Romanorum Pontificum omnium [...] vita et mores 6 Morhof, Daniel Georg Polyhistor 1, 7, 3, 10, p. 1067f.: 237, 239 Münster, Sebastian Cosmographia 2, 14 Germaniae descriptio 32 Murmellius, Johannes De librorum amatore ad Henricum Morlagium 75 Nizzoli, Mario Thesaurus Ciceronianus 5 Oecolampadius, Johannes Dragmata Graecae Litteraturae 8 Opitz, Martin Deutsche Poeterey 260 Teutsche Poemata 211 Widmungsschreiben zu den Klageliedern Jeremiae 239 Otto von Freising Chronica sive Historia de duabus civitatibus 3, 3: 73 Ovid Amores 37-38 1, 1: 42 3, 1: 42 3, 5, 42: 234 Ars amatoria 3, 287: 257 Epistulae ex Ponto 18: 164 19: 164 Heroides 43, 234, 257 Ibis 9: 170 Metamorphoses 14, 661-668: 217 292 Stellenindex Tristia 3, 2, 11: 50 5, 2, 31: 50 Perger, Bernhard Grammatica nova 93 Perotti, Niccolò De generibus metrorum 91, 93 Persius Saturae prol. 6: 218 Petrarca De remediis utriusque fortunae 99: 73 Petron Satyrica 136, 4: 191 Peuerbach, Georg von Positio sive determinatio de arte oratoria sive poetica 58 Peurle, Johannes Hippocratis […] sententiarum medicarum libri septem 2 Piccolomini, Silvio Enea De liberorum educatione 185-186 Europa 186 Germania 28, 51 2, 4: 54 2, 5-6: 51 Somnium de fortuna 185-186 Pindar Isthmische Ode 7: 249 Olympische Ode 1: 258 Olympische Ode 14: 246 Pythische Ode 9, 26-28: 249 Pirckheimer, Willibald Germaniae […] perbrevis explicatio 31 Pius II. s. Piccolomini, Enea Silvio Platon Phaidros 203 259c: 216 Plautus Epidicus 151: 223 Plinius der Ältere Naturalis historia 4, 80: 20 10, 132: 20 16, 6: 20 28, 35: 257 28, 101: 257 30, 13: 52 Plinius Epistulae 1, 5, 2: 220 Porta, Giambattista della De Furtivis Literarum Notis 122 Properz Elegiae 3, 3, 3: 220 3, 3, 4: 219 4: 39, 43 4, 4, 1: 38 4, 4, 3: 38 4, 4, 7: 38, 44 4, 7, 6: 234 4, 8: 38 Prudentius Liber Cathemerinon 5: 91 Ptolemaios Geographia 2, 11, 7: 20 Quintilian Instutio oratoria 1, 6, 3: 223 8, 3, 56-58: 231 12, 10: 230 12, 10, 58: 231 Stellenindex 293 Rhetorica ad Herennium 1, 3: 90 Robortello, Francesco In librum Aristotelis de arte poetica explicationes 195-197 Ronsard, Pierre de Le voyage de Tours ou les Amoureux […] 249-250 Odes 1: 250 1, 3: 248 1, 3, 19: 249 2, 2, 36-37: 248 3, 3: 249 6: 250 10: 250 Sabinus, Georg Hodoeporicon itineris Italici 199- 200 Sachs, Hans Der fahrend Schüler im Paradeis 189 Schede, Paulus Melissus Acanthae 211-212 6, 2: 233 9, 24: 223 11: 222 Schediasmata Mel. I p. 3-7: 234 p. 22-24: 251 p. 35-36: 254-259 p. 65f.: 210 p. 80: 236 p. 85-87: 252 Mel. II p. 162: 221 p. 163f.: 221 p. 110: 214 p. 123: 217 p. 125f.: 219 p. 134: 218 p. 146: 215 Mel. III. p. 134: 218 p. 166-170: 257 p. 251-253: 251 Mel. V p. 314: 224 p. 315f.: 220 p. 316: 223 p. 318: 217 Mel. VI p. 400: 215 Mel. VII p. 406f.: 222 p. 407: 215 p. 409: 226 p. 424-427: 221 p. 445-447: 220, 223 Mel. VIII p. 472: 238 p. 475-477: 219 p. 481: 226 p. 482: 227 p. 487: 215 Mel. IX p. 516: 222 p. 525: 227 Eleg., p. 41: 210 Eleg. II, p. 88-90: 232 Eleg. III, p. 131, 1f.: 234 Epica, p. 13-18: 227 Epod. II, p. 24: 220 p. 20-22: 219 Mele sive odae ad Norimbergam 251 Meletemata parod. II, p. 381-383: 225 Schediasmatum reliquiae 214 p. 164: 211 Schedel, Hartmann Weltchronik 53 Bl. CCLXXXVI r : 21, 26 Scheurl, Christoph Libellus de laudibus Germaniae et ducum Saxoniae fol.h 5 (43 ab ): 78 294 Stellenindex Schmid, Erasmus Pindari Periodos 47-48: 246 Schott, Caspar Schola Steganographica 122 Selenus, Gustavus (Herzog August II.) Cryptomenytices et Cryptographiae Libri IX: 121-122 Seneca der Ältere Controversiae 2, 12: 222 Seneca der Jüngere Apocolocyntosis 237 De beneficiis 4, 5, 2: 225-226 Sinapius, Johannes Adversus ignaviam 1, 4, 6, 8 Defensio eloquentiae 1, 4 De laudibus Astronomi 11 Literarum profanarum studium […] 4 Suinfurtum oppidum Ostrofranciae 14 Statius Silvae 1, 2: 247 Strabon 4, 6, 9: 20 7, 1, 3: 20 7, 1, 5: 20 Sudaχ 473: 20 Sueton Augustus 88: 126 Claudius 25, 5: 52 Iulius 56: 126 Prata frg. p. 254, 1f. Reiff: 216 Tacitus Annales 74, 156 Germania 22-23, 47-48, 50, 73 2, 3: 59 9, 1-2: 60 15: 74 17: 56 19: 51 30: 20 Taubmann, Friedrich Melodaesia 284: 257 Tibull Elegiae 1, 8, 29f.: 234 Trithemius, Johannes Annales Hirsaugienses 108, 113- 114, 116, 131 Bd. 1, fol. A 3 r: 131 Bd. 2, 5-8: 128 Bd. 2, 670: 116 Bd. 2, 669-670: 116 Bd. 2, 670-672: 116 Bd. 2, 693-694: 136 Antipalus maleficorum 107 Catalogus illustrium virorum Germaniae 121, 159, 161-162 Chronicae sive annales de temporibus et gestis Germanorum 113 Chronicon Sponheimense 109 410-411: 136 424-425: 115 430-431: 115 431: 109, 116 Compendium S. Jacobi 15: 102, 116 Compendium sive breviarium 109- 110, 113, 135, 150-152 De demonibus 107 De septem secundeis / Chronologia mystica 108, 122 De scriptoribus ecclesiasticis 102, 121, 161 Stellenindex 295 Nepiachus 1829-1831: 121, 136 Octo Quaestiones 101, 107-108, 114, 116 Opera historica 2, 569: 115 Polygraphia 103-108, 115, 121-138 Steganographia 103-107, 121-124, 131-132, 135 Varro De lingua Latina 7, 46: 219 De gente / vita populi Romani frg. 14 Riposati / 294 Salvadore: 216 Res rusticae 1, 2, 14: 223 Vergil Aeneis 42-43, 200 1, 464: 164 1, 617: 88 3, 549: 92 8: 88 8, 87: 204 10, 284: 8 10, 467: 92 Eclogae 1, 1: 92 8, 63: 220 Vigenère, Blaise de Traicté des chiffres ou secretes manieres 122 Villa Dei, Alexander de Doctrinale 94 Virdung, Johannes Nova medicinae methodus 9-10 Vita Pirmini 156 Volz, Paul Chronik von Schuttern 145-157 Willich, Jodocus In Cornelii Taciti […] Germaniam commentarii 31 Wimpfeling, Jakob De arte metrificandi libellus 93 De laudibus sanctae crucis Peroratio 161 Epithoma Germanorum 67: 77 Wirsberg, Friedrich von Exhortation 15-16 Witz, Johannes (Sapidus) Epigrammata 9 076008 NET 14 - Wischmeyer 28.07.2008 15: 36 Uhr Seite 1 User: Steffen Hack l www.fotosatz-hac Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Floris van Schoonhoven Lalage sive Amores Pastorales - Lalage oder Bukolische Liebesgedichte (1613) herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Iris Heckel NeoLatina, Vol. 22 2014, 468 Seiten, €[D] 98,00 / SFr 124,00 ISBN 978-3-8233-6897-7 Floris van Schoonhoven (~1594-1648) verfasste in Leiden lateinische Gedichte, die 1613 als Poemata antehac non edita erschienen. Im vierten Buch dieser Sammlung, das den Titel Lalage sive Amores Pastorales trägt, umwirbt der Hirte Daphnis die Geliebte Lalage. Einen besonderen Reiz dieses ludicrum carmen macht das Zusammenspiel von bukolischem Setting, metrischer Vielfalt und Elementen der Liebeselegie und des Romans aus. Hier knüpft der Autor an die literarische Tradition der Lusus Pastorales an, die um 1500 in Italien entstand. Der vorliegende Band bietet eine moderne Edition des lateinischen Textes mit deutscher Übersetzung und einen ausführlichen Kommentar, in dem Schoonhovens souveräner Umgang mit antiken Vorbildern wie Catull oder Horaz, aber auch mit humanistischen Prätexten deutlich wird. In der Einleitung werden nach einem Kapitel zu Schoonhovens Leben und Werk die Struktur des Gedichtbuches, Sprache, Metrik und Imitationstechniken sowie die Gattungszugehörigkeit untersucht. 076008 NET 14 - Wischmeyer 28.07.2008 15: 36 Uhr Seite 1 User: Steffen Hack l www.fotosatz-hac Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Stefan Tilg / Isabella Walser (Hrsg.) Der neulateinische Roman als Medium seiner Zeit The Neo-Latin Novel in its Time NeoLatina, Band 21 2013, VIII, 262 Seiten €[D] 98,00/ SFr 124,00 ISBN 978-3-8233-6792-5 Der neulateinische Roman ist ein bisher nicht einmal in seinen Umrissen bekanntes Forschungsfeld von großem literatur- und kulturgeschichtlichem Interesse. Das 14. Freiburger Neulateinische Symposion, die erste internationale Konferenz zu diesem Thema, hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Forschungsfeld in seiner zeitlichen und inhaltlichen Dimension auszuloten und damit künftiger Beschäftigung mit der lateinischen Erzählliteratur der Frühen Neuzeit einen Impuls zu geben. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf der Relevanz der neulateinischen Romane als Medium ihrer eigenen Zeit. Die Ergebnisse sind im vorliegenden Konferenzband gesammelt. 076008 NET 14 - Wischmeyer 28.07.2008 15: 36 Uhr Seite 1 User: Steffen Hack l www.fotosatz-hac In diesem Band wird das kulturgeschichtliche Phänomen des Humanismus an dem geographisch definierten Paradigma Würzburgs und seines Umlands untersucht. Mögen die Gelehrten unterschiedlichen Herrschaften, Nationalitäten, Konfessionen und Geschlechtern angehören, haben sie doch teil an einer überwölbenden res publica eruditorum, die die Trennlinien durch die Gesellschaft überwindet. Dieser Prozess vollzieht sich einerseits auf der Ebene der Akteure, etwa durch persönliche Netzwerke, andererseits im Bereich der literarischen Produktion über intertextuelle Bezüge. Voraussetzung dafür ist der den Humanismus begründende, von allen Mitwirkenden gepflegte Rückbezug auf die Antike. Die Beiträge zeigen auf, dass Unterfranken mit seinem Hauptort Würzburg eine Kernregion des deutschen Humanismus darstellte, von der eine auf ganz Europa wirkende Strahlkraft ausging. Der Band leistet einen wichtigen Schritt zur Erschließung der editorisch und interpretatorisch größtenteils noch unbearbeiteten Textcorpora fränkischer Humanisten. Neo L atina