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Interdisziplinäre Vernetzung in der Lehre

2015
978-3-8233-7907-2
Gunter Narr Verlag 
Hardy Frehe
Lina Klare
Georgios Terizakis

Über Interdisziplinarität wird in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit angeregt diskutiert. Dabei wird jedoch zumeist auf Interdisziplinarität in der Forschung abgehoben, während Interdisziplinarität in der Lehre kaum Beachtung findet. Der vorliegende Sammelband nimmt sich mit Blick auf drei Felder - Vielfalt in der Lehre, Kompetenz- und Organisationsentwicklung - diesem Thema an und schließt somit eine Lücke in der Literatur- und Forschungslandschaft. Dieses Buch geht zurück auf die Fachtagung "Interdisziplinäre Vernetzung: Ziele, Herausforderungen, Synergien", die 2014 an der Technischen Universität Darmstadt stattfand. Sie stand in Zusammenhang mit dem Projekt "Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an" (KIVA), das eine Verbesserung von Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre zum Ziel hat.

Interdisziplinäre Vernetzung in der Lehre Vielfalt, Kompetenzen, Organisationsentwicklung Hardy Frehe / Lina Klare Georgios Terizakis (Hrsg.) Interdisziplinäre Vernetzung in der Lehre Hardy Frehe / Lina Klare / Georgios Terizakis (Hrsg.) Interdisziplinäre Vernetzung in der Lehre Vielfalt, Kompetenzen, Organisationsentwicklung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Informationen zum Projekt „Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an“ (KIVA) an der Technischen Universität Darmstadt sind zu finden unter: www.kiva.tu-darmstadt.de Diese Publikation ist im Rahmen des Projekts „Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an“ (KIVA), gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), entstanden. © 2015 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-6907-3 Inhaltsverzeichnis Grußwort Ralph Bruder ............................................................................................ 7 Interdisziplinarität in der Lehre: Schlagwort oder Praxis an deutschen Hochschulen? Einleitende Bemerkungen zum vorliegenden Band Hardy Frehe, Lina Klare und Georgios Terizakis..................................... 9 I. Vielfalt der Interdisziplinarität: Universitäre Lehre im Vergleich Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität Christoph Hubig..................................................................................... 15 Typen von Interdisziplinarität in der Lehre der Technischen Universität Darmstadt Hardy Frehe............................................................................................ 25 Erste Diskussion: Vielfalt von Interdisziplinarität Hardy Frehe............................................................................................ 37 II. Kompetenzentwicklung: Was kann und soll Interdisziplinarität in der Lehre bewirken? Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen: Herausforderung oder Anmaßung? Ralf Tenberg ........................................................................................... 45 Kontinuität oder Bruch? Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests Andreas Kaminski .................................................................................. 59 Zweite Diskussion: Was kann und soll Interdisziplinarität in der Lehre bewirken? Lina Klare ............................................................................................... 75 III. Organisationsentwicklung: Unter welchen Voraussetzungen entfaltet sich Interdisziplinarität? Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der Technischen Universität Darmstadt Matthias Adam....................................................................................... 83 Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre zwischen pragmatischer Governance und strategischer Organisationsgestaltung Georgios Terizakis .................................................................................. 97 Dritte Diskussion: Organisationsentwicklung Hardy Frehe.......................................................................................... 111 Interdisziplinarität in der Lehre: Vielfalt der Problemstellungen und Herausforderungen für die Hochschulorganisation Petra Gehring und Georgios Terizakis ................................................ 117 Index ................................................................................................... 119 Abbildungsverzeichnis ..................................................................... 123 Zu den Autorinnen und Autoren.................................................... 125 Ralph Bruder Grußwort Die Technische Universität Darmstadt mit ihrem breiten Spektrum an Fächern in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie den Geistes- und Sozialwissenschaften wird durch eine stark ausgeprägte Interdisziplinarität in Lehre und Forschung charakterisiert. Gelebte Interdisziplinarität und Offenheit gegenüber anderen Fachdisziplinen gehören zu den Leitideen im Bereich Studium und Lehre. Wie auch die Beiträge in diesem Tagungsband unterstreichen, ist die praktische Umsetzung von interdisziplinärer Lehre nicht selten ein komplexes Unterfangen. Bevor konkrete Maßnahmen zur Förderung der Interdisziplinarität verwirklicht werden können, erscheint es ratsam, dass sich alle Beteiligten über das jeweilige Verständnis von Interdisziplinarität austauschen. Die vielfältigen Formen und Ausprägungen von Interdisziplinarität bedingen jeweils unterschiedliche Umsetzungen in der Lehre. Der Herausforderung, wie sich Interdisziplinarität in der Lehre operationalisieren lässt, widmet sich an der TU Darmstadt insbesondere das Projekt Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an (KIVA), das im Rahmen des Bund-Länder-Programms für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre (Qualitätspakt Lehre) gefördert wird. KIVA möchte Studierende für ein Studium der MINT-Fächer begeistern, die interdisziplinäre Vernetzung in der Lehre intensivieren, das studentische Engagement fördern und die Studieneingangsphase stärken. In sechs Teilprojekten werden diese Ideen umgesetzt. Das Teilprojekt KIVA VI - Entwicklung Interdisziplinarität - ist in besonderem Maße mit Interdisziplinarität in der Lehre befasst. Zu den Aufgaben des Teilprojekts gehört es, Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Interdisziplinarität in der Lehre zu identifizieren, weiterzuentwickeln und auf der Ebene der Organisationsentwicklung zu verankern. Gerade weil die TU Darmstadt in diesem Bereich bereits auf eine Vielzahl an Ansätzen und Initiativen zurückgreifen kann, ist es an KIVA VI, dieses Potential zu systematisieren und zu analysieren. Das Teilprojekt fragt nach den verschiedenen Formen von Interdisziplinarität, den Strukturen, die sie fördern und behindern sowie den Anforderungen, denen interdisziplinäre Lehre genügen muss. Außerdem beschäftigt sich KIVA VI mit der Frage, wie ein Mehrwert für die Studierenden generiert und gemessen werden kann. Auf dieser Grundlage unterstützt KIVA VI die Fachbereiche bei der Formulierung in- 8 Ralph Bruder terdisziplinärer Lernziele und -konzepte sowie bei der Identifikation geeigneter Formate, Modelle, Themen, Partner und Infrastrukturen. Zu den Ergebnissen, die KIVA VI nach zwei Jahren Projektlaufzeit in einem Produktpaket zusammengestellt hat, gehört unter anderem ein universitätsweites Format für interdisziplinäre Module im Wahlpflichtbereich (Interdisziplinäre Lehrformate), wodurch bessere und individuelle Transfermöglichkeiten und hochschulweit kompatible Credit-Point-Größen erreicht werden sollen. Erstellt wurden darüber hinaus ein Mapping der interdisziplinären und fachübergreifenden Anteile in den Studienordnungen der TU Darmstadt sowie Piktogramme von Interdisziplinaritäts-Typen in den Lehrveranstaltungen der Universität (vgl. Frehe in diesem Band). Da KIVA VI mit zahlreichen Facetten des Themas Interdisziplinarität in der Lehre vertraut ist, bot sich ein Austausch der eigenen Kenntnisse und Erfahrungen als Gastgeber der Tagung „Interdisziplinäre Vernetzung: Ziele, Herausforderungen, Synergien“ an. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Vergleichsprojekte „Erste Klasse für die Masse“ (Technische Universität Berlin), „Starker Start ins Studium“ (Goethe-Universität Frankfurt), dem „Universitätskolleg“ (Universität Hamburg) und „Agenda Lehre“ (Technische Universität München) wurde der Frage nach den Zielen, Möglichkeiten und Grenzen von interdisziplinärer Lehre nachgegangen. Die Tagung umfasste drei Themenblöcke, denen auch die vorliegende Dokumentation folgt. Im ersten stand der Begriff der Interdisziplinarität mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Typen im Vordergrund. Anschließend beschäftigten sich die Referentinnen und Referenten sowie die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer mit den durch interdisziplinäre Lehrveranstaltungen geförderten Kompetenzen. Abschließend wurde den Strukturen, die eine Entfaltung von Interdisziplinarität ermöglichen, nachgegangen. Die Tagung „Interdisziplinäre Vernetzung: Ziele, Herausforderungen, Synergien“ war für die TU Darmstadt und ganz speziell für das Teilprojekt KIVA VI ein großer Erfolg, denn sie ermöglichte nicht nur umfassenden Austausch und Vernetzung zwischen den Vergleichsprojekten, sondern auch mit weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet. Wie der vorliegende Tagungsband dokumentiert, bleibt das Thema Interdisziplinarität in der Lehre ein wichtiges Thema und eine besondere Herausforderung für die deutschen Hochschulen. Hardy Frehe, Lina Klare, Georgios Terizakis Interdisziplinarität in der Lehre: Schlagwort oder Praxis an deutschen Hochschulen? Einleitende Bemerkungen zum vorliegenden Band Interdisziplinarität ist in der Hochschullandschaft ein vieldiskutierter, vielschichtiger und geradezu schillernder Begriff. In der Regel wird er mit dem Wunsch nach Förderung an die Hochschulen herangetragen. Dabei ist begrifflich nicht eindeutig bestimmbar, was sich hinter „Interdisziplinarität“ alles verbirgt. Die Unschärfe des Begriffs bedeutet nicht nur für die Forschung eine interessante Herausforderung, auch die Lehre sieht sich dieser gegenüber. Die Technische Universität Darmstadt wendet sich explizit den Forderungen mit dem Qualitätspakt-Lehre-Projekt KIVA - Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an zu und macht dies sogar zu einem strategisch wichtigen Projekt. Die Fachtagung „Interdisziplinäre Vernetzung: Ziele, Herausforderungen, Synergien“, die am 31. Januar 2014 in den Räumlichkeiten der Technischen Universität Darmstadt stattfinden konnte, war für das Teilprojekt KIVA VI eine Möglichkeit, die in der ersten Projektphase gesammelten Ergebnisse und Erkenntnisse mit anderen im Qualitätspakt Lehre stehenden Projekten zu teilen, zu diskutieren und zu systematisieren. Die Auswahl der bundesweit teilnehmenden Projekte fiel auf Vorhaben mit dem Fokus auf Interdisziplinarität sowie Organisationsentwicklung: „Erste Klasse für die Masse“ der Technischen Universität Berlin, „Starker Start ins Studium“ der Goethe-Universität Frankfurt, das Universitätskolleg „Brücken in die Universität - Wege in die Wissenschaft“ der Universität Hamburg sowie das Projekt „TUM: Agenda Lehre“ der Technische Universität München. Zielsetzung der Vernetzung mit den verschiedenen Projekten war vorrangig der Erfahrungsaustausch über die Vielfalt, Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer und fachübergreifender Lehre, um so einen pragmatischen Zugang zu einem unscharfen Komplexbegriff zu finden sowie diesen durch unterschiedliche Praxisbeispiele kleinzuarbeiten. Interdisziplinarität in der Lehre ist ein Thema des „doings“ und aus dem Alltag des modernen Wissenschaftsmanagements nicht mehr wegzudenken. Dabei befindet sich dieses Thema nicht nur auf der „edlen Höhe“ durchdachter und normativ anspruchsvoller Konzepte, sondern auch auf der Ebene des im Alltag häufigeren und weniger emphatisch begrüßten fachübergreifenden Modulaustauschs. Dies und die extreme Vielfalt auf dem Gebiet 10 Hardy Frehe, Lina Klare, Georgios Terizakis der Lehrveranstaltungen empfiehlt ein pragmatisches Vorgehen, das an der Praxis des Bestehenden als Ausgangspunkt ansetzt. Im Gegensatz zum großen Feld der Praxis sieht das Nachdenken und Forschen darüber anders aus. Es gibt weder einen großen Literaturkorpus noch so etwas wie gesichertes Wissen darüber. Beides sind enorme Herausforderungen für ein Projekt, das eben jene besondere Form der Interdisziplinarität weiterentwickeln soll. Zusätzlich ist das KIVA-Projekt an einer Hochschule angesiedelt, die sich im besonderen Maße als interdisziplinär begreift. Das Strategiepapier des Präsidiums weist dies als „Kultur der Interdisziplinarität“ (Präsident der TU Darmstadt 2014) aus. In dem vorliegenden Buch wird der Ansatz verfolgt, das Thema der Interdisziplinarität speziell auf die Lehre anzuwenden. Mehr noch: Die eigentliche Aufgabe besteht darin, der Interdisziplinarität in der Lehre eine neue Perspektive eigener Berechtigung einzuräumen. Interdisziplinäre Lehre sollte beispielsweise in Prozesse und Infrastrukturen qualitätsgesichert an der Hochschule eingebettet sein, um problemlösungsorientiertes Lernen zu ermöglichen. Dadurch kann sie auch nachhaltiger Ideengeber für die Entwicklung des Wissenschaftsverständnisses selbst werden, da sie sowohl Gesellschaftsrelevanz besitzt, als auch Innovationskraft entfalten kann. Damit schließen wir an das Plädoyer für eine Interdisziplinarität in der Lehre im Plural an (Terizakis/ Gehring 2014), denn nur so können die vielfältigen Formen, Fächer und Ansätze in ihrer Verwirklichung gedacht werden. Als Faustformel kann deshalb festgehalten werden, dass Interdisziplinarität in der Lehre eine Kombination aus fachlichem Inhalt, didaktischer Form sowie derer organisatorischen Einbettung ist. In diesem Dreieck vollzieht sich Interdisziplinarität in der Lehre (vgl. Terizakis in diesem Band), wobei fachliche Selbstverortung und Didaktik auf disziplinären Füßen stehen, während die organisatorische Ausgestaltung zur Herausforderung jeder Hochschule gehört und somit die Spitze des Dreiecks bildet. Diese Perspektive ist durchaus neu und bedarf einer weiteren Erläuterung, was das Anliegen dieser Veröffentlichung ist. Die Herausgeber haben auf Grundlage der Tagung daher dem Thema einen Sammelband gewidmet, da es bisher an Literatur für Interdisziplinarität in der Lehre mangelt. Somit sollen die einzelnen Beiträge und dokumentierten Diskussionen eine erste relevante Sammlung sein. Die dokumentierten Diskussionsrunden sind ein methodisches Instrument, welches das oft Gesagte der wissenschaftlichen Debatte zugänglich macht, indem die AutorInnen die Diskussionsrunden unter Rücksprachen mit den TeilnehmerInnen zusammenstellen. Die hier vorliegenden Beiträge und Diskussionen orientieren sich am Tagungsprogramm und fassen das Thema „Interdisziplinarität“ von drei verschiedenen Richtungen: „Vielfalt von Interdisziplinarität“, „Kompetenzentwicklung“, „Organisationsentwicklung“. Dabei wird jeder Teil anhand der Interdisziplinarität in der Lehre: Schlagwort oder Praxis? 11 Fragen nach den Möglichkeiten und Herausforderungen, die Interdisziplinarität für die Hochschulen mit sich bringt, durchdekliniert. Im ersten Teil „Vielfalt von Interdisziplinarität“ stellt Prof. Dr. Christoph Hubig (TU Darmstadt) mit seinem Beitrag „Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität“ eine theoretische und begriffliche Einordnung von Interdisziplinarität vor. Dr. Hardy Frehe (TU Darmstadt) zeigt mit dem Aufsatz „Typen von Interdisziplinarität in der Lehre der Technischen Universität Darmstadt“ die bereits bestehende Vielfalt von Interdisziplinaritäts-Typen. Diesen folgt eine dokumentierte Diskussion, an welcher Dr. Gabriele Wendorf (TU Berlin) sowie Dr. Peter Zervakis (HRK) teilnahmen, in der aus der Praxis heraus die Vielfalt von Interdisziplinarität und ihre unterschiedlichen Ansätze und Umsetzungen diskutiert wurde. In einem zweiten Teil „Kompetenzentwicklung“ wird der Blick auf die Wirkungsgrade und -bereiche von interdisziplinärer und fachübergreifender Lehre gerichtet. Prof. Dr. Ralf Tenberg (TU Darmstadt) schildert in seinem Beitrag „Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen: Herausforderung oder Anmaßung? “ die Komplexität und Umsetzung eines Kompetenzmodells in den Projekten. Dr. Andreas Kaminski (TU Darmstadt) zeichnet mit seinem kritischen Beitrag „Kontinuität oder Bruch? Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests“ die historische Entwicklungslinie zum Thema Kompetenzen nach. Die anschließende Podiumsdiskussion mit den Gästen Prof. Dr. Karsten Albe (TU Darmstadt), Sören Felchow (TU Darmstadt) sowie Prof. Dr. Rosemarie Mielke (Universität Hamburg) dokumentiert Antworten auf die Fragen: Wie kann mit der Bologna-Forderung nach Kompetenzorientierung in der interdisziplinären Lehre umgegangen werden? Welche Kompetenzen gilt es zu fördern im Spezial- und Sonderfall „Interdisziplinarität“? Der dritte und letzte Block dieses Buches wendet sich der „Organisationsentwicklung“ zu. Zur Frage „Unter welchen Voraussetzungen entfaltet sich Interdisziplinarität“ versammeln sich ein Beitrag von Dr. Matthias Adam (TU Darmstadt) „Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt“, der die essentielle Frage verfolgt, wie sich interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb einer disziplinär geprägten Institution wie der Hochschule verwirklichen lässt, sowie ein Artikel von Dr. Georgios Terizakis (TU Darmstadt) zu „Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre zwischen pragmatischer Governance und strategischer Organisationsgestaltung“ über die Frage nach der organisatorischen Ausgestaltung von Interdisziplinarität in der Lehre. Zum Abschluss dieses Blocks steht abermals eine Diskussionsrunde um Dr. Martin Lommel (Goethe-Universität Frankfurt), Prof. Dr.-Ing. Klaus Diepold und Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Rudolf A. Bauer (beide TU München) statt, die lebhaft die organisatorischen Hürden aus der Praxis schildert. Prof. Dr. Petra Gehring und Dr. Georgios Teri- 12 Hardy Frehe, Lina Klare, Georgios Terizakis zakis wagen im Schlusswort eine Retrospektive zur Tagung sowie eine Vorausschau zu Anschlussperspektiven für die Forschung. Die Herausgeber danken Maike Arnold und Katharina Kleinschnitger für die intensive Betreuung der Fachtagung und des Buches, der KIVA- Gesamtkoordination Beate Kriegler und Melanie Fritsch für ihre kompetente und hilfreiche Begleitung der Tagung sowie allen PodiumsteilnehmerInnen. Zusätzlich möchten wir unseren Dank Dr. Bernd Villhauer vom Narr Verlag aussprechen, der als Lektor das Buch überhaupt erst ermöglichte. Ferner danken wir den ModeratorInnen der Tagung: Dr. Robin Kröger, Tobias Blank sowie Michaela Abdelhamid, die als unsere Kollegin die Tagung konzeptionell und strukturell maßgeblich gestaltet hat und so eine wesentliche inhaltliche Ideengeberin für dieses Buch ist. Ihr gilt unser größter Dank. Literatur Präsident der TU Darmstadt 2014: Programm des Präsidiums 2014 - 2019, Darmstadt. Georgios Terizakis und Petra Gehring (2014): „Das Programm Interdisziplinarität. Anmerkungen zu einem wissenschaftspolitischen Großbegriff“, in: Pflege und Gesellschaft 1, S. 18-29. I. Vielfalt der Interdisziplinarität: Universitäre Lehre im Vergleich Christoph Hubig Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität 1 Interdisziplinarität „Interdisziplinarität“ wird in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich gebraucht und in einem weiten Sinne zur Charakterisierung eines Arbeitsmodus eingesetzt, in dem Angehörige unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen gemeinsam eine Fragestellung bearbeiten. Ohne den Anspruch zu erheben, quasi im Sinne einer „kantischen Begriffspolizei“ (Georg Simmel) diesen Sprachgebrauch zu monieren, sei es dennoch erlaubt, in philosophischer Absicht eine Begriffsdifferenzierung anzubringen, die die Art der jeweiligen Zusammenarbeit präziser erfasst: strikt zwischen Multidisziplinarität, Transdisziplinarität und einer Interdisziplinarität im engeren Sinne zu unterscheiden. Damit soll keineswegs eine Trennung der gemeinsamen Arbeitsmodi suggeriert werden; vielmehr sind die Übergänge fließend. Freilich vermag eine begriffliche Unterscheidung in höherem Maße Anschlussstellen für weiterführende Überlegungen zu markieren, indem entsprechende Fragehorizonte und Suchräume in ihrer Spezifik freigelegt werden können. Unter Multidisziplinarität soll eine arbeitsteilige Aufgabenbewältigung durch das Zusammenführen disziplinär definierter Fach- und Methodenkompetenzen verstanden werden. Wenn z. B. in den Sozialwissenschaften statistische Verfahren zum Einsatz kommen, im Versicherungswesen Erträge der Mathematik zur Berechnung von Wahrscheinlichkeiten eingesetzt werden, die Hirnforschung sich auf bildgebende Verfahren stützt, im Felde der Simulation Technology Physiker oder Ökonomen die Modelle, und Mathematiker die numerischen Lösungsverfahren entwickeln, die Informatiker hingegen die Algorithmen optimieren, ist zunächst multidisziplinäres Arbeiten gegeben. (Freilich setzt im letzteren Falle bereits bei der Validierung und Verifikation interdisziplinäres Arbeiten ein, wenn mit Blick auf die zu erzielenden Lösungen/ Prognoseleistungen Fehlertoleranzen, Unschärfen und Unsicherheiten konzediert oder abgelehnt werden.) Analoges gilt für das Wirtschaftsingenieurwesen, in dem Erträge der Ingenieurwissenschaften (Inventionen und Optimierungen) unter technischen Kriterien (Effektivität, Effizienz/ Wirkungsgrad etc.) mit ökonomischen Kalkulationen und dem Einsatz psychologischer Methoden bei der Nutzermodellierung und der Marktforschung im weiteren Sinne parallelisiert werden. 16 Christoph Hubig Auch hier findet sich ein fließender Übergang zu einer Interdisziplinarität im engeren Sinne, wenn gefragt wird, inwieweit die zur Disposition stehenden Inventionen (Artefakte, Verfahren etc.) zu Innovationen werden können, also marktfähige Produkte abgeben. Bevor wir diese Linien weiterverfolgen, ist auf Transdisziplinarität einzugehen. Wie das Präfix „trans-“ besagt, werden hier die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinarität überschritten. Dies ist gegeben, wenn für die Rekonstruktion der Problemgenese, die konkrete Problemstellung, die Aushandlung von Indikatoren als repräsentativen und privilegierten Observablen (einschließlich Signifikanzschwellen und Inkaufnahme von Dunkelziffern) wissenschaftsexterne Interessenlagen geltend gemacht werden und auf das Erfahrungswissen von Laien und Entscheidern zurückgegriffen wird. Ein lebensweltlich-praktisches Know-how kann u. a. relevant werden für die Erfassung regionaler Spezifika im weitesten Sinne (soziale, ethnische, kulturelle, ökologische, faktische realtechnische Verfasstheiten des Gegenstandsfeldes mit entsprechenden Problemlösungsdruck, Krisenanfälligkeit, Allokationsproblemen, Amortisationslasten, Entwicklungspotenzialen in Abhängigkeit von Ressourcen einschließlich „Humanressourcen“ (Bildungsstand etc.). Unter wissenschaftsexternen Werten und Kriterien sowie entsprechenden funktionalen Erfordernissen werden neben den Problemstellungen dann auch und gerade die Problemlösungen validiert. Eine solche Transdisziplinarität, die - mit unterschiedlicher Akzentuierung - allgemein als „mode-2“ (Michael Gibbons) einer Formierung der Wissenschaft bezeichnet wird macht die Entwicklung entsprechender Partizipationsverfahren erforderlich, über die das disziplinenexterne Know-how eingebracht werden kann. Typen solcher Transdisziplinarität finden sich u.a. im Felde der Energiebereitstellung/ Energiedienstleistungen, der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung (einschließlich Umwelttechnik), der Kriminalistik, der Sozialmedizin, des Ubiquitous Computing, der Infrastrukturforschung und Technik, der Agrikulturchemie, Ökotrophologie, der Intercultural Studies etc. Interdisziplinarität nun in einem engeren Sinne hebt zunächst, wie das Präfix „inter-“ besagt, (analog zu einer grundsätzlichen unterstellten Gemeinsamkeit bei „Intersubjektivität“ oder „Interkulturalität“) darauf ab, dass die Verschiedenheit individueller und spezifischer Methodiken der Disziplinen unter einem gemeinsamen Forschungsdesign zusammengeführt werden können. Es geht also darum, inwieweit „Alterität“ (nicht: „Alienität“) zielführend zur Bearbeitung und Lösung von Problemlagen eingesetzt werden kann, deren Grundbegriffe nicht rein disziplinär definierbar sind. Beispiele hierfür wären etwa Lärmforschung, Stadtforschung, Forschungen zur Energiewende, Klimaforschung, Entwicklungsprojekte, zu kultureller Identität und Regionalismus, zur Krisendiagnostik und Krisenprävention etc. Die durch die Grundbegriffe in den Problemstellungen erfassten Sachla- Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität 17 gen lassen sich in ihren Aspekten aus der Sicht einzelner Disziplinen zwar beleuchten, nicht aber soweit in Gänze erfassen, dass originäre befriedigende Lösungsansätze aus den einzelnen Disziplinen selbst heraus entwickelt werden können. (Analoges gilt für Intersubjektivität im Unterschied zu Transsubjektivität - im Rahmen letzterer müssen unterschiedliche Subjektkonzepte verhandelt werden -, oder es gilt für Interkulturalität im Unterschied zu einer Transkulturalität, welche sich für fremde Kulturen mit ihrerseits spezifischen Kulturkonzepten überhaupt) öffnet. Die spezifische Verfasstheit solcher Grundbegriffe wird nachfolgend unter dem Titelwort „Komplexbegriffe“ weiter verhandelt werden. Abb. 1: Interdisziplinarität (eigene Darstellung) 2 Problemorientierung/ Mischformen Soweit wissenschaftliche Aktivitäten nicht einem zweckfreien oder selbstzweckhaften Spiel mit Modellierungen geschuldet sind (was in kreativen Phasen durchaus förderlich sein kann), von purer zielabstinenter Neugier getrieben oder selbstvergessen genießend irgendwelche faszinierenden Wege erkunden (was im Rahmen institutionalisierter Wissenschaft allenfalls am Rande oder in Nischen realisierbar erscheint), sind diese Aktivitäten „problemorientiert“. Ein Problem besteht darin bzw. liegt dann vor, wenn (a) im Lichte einer unerwünschten Ausgangslage (b) eine zu bewältigende Aufgabe als zu 18 Christoph Hubig überwindende „Hürde“ identifizierbar ist, sodass (c) sich eine intendierte und aus guten Gründen erwartbare Lösung abzeichnet bzw. avisierbar erscheint oder zumindest als noch diffuser oder unklarer Kandidat im jeweiligen Horizont erstrebbar erscheint (was z. B. für das durchaus wünschbares, aber nicht zweckhaft erstrebbare Perpetuum mobile gilt; zur Zweckhaftigkeit gehört immer die grundsätzlich unterstellte Herbeiführbarkeit). Für das Unerwünschtsein einer Ausgangslage (a) können dabei externe Bestimmungen als „transdisziplinäre Anteile“ maßgeblich sein, aber auch Theoriedefizite („weiße Flecken auf der Landkarte“) oder Theoriedefizienzen (Inkonsistenzen, fehlende Kohärenzen), welche insgesamt die „(multi-) disziplinären Anteile“ ausmachen. Schließlich lassen sich auch und gerade bei der Identifizierung ungewünschter Ausgangslagen „interdisziplinäre Anteile in einem engeren Sinne“ dahingehend identifizieren, dass die zur Beschreibung der unerwünschten Ausgangslage eingesetzten Begriffe und Titelworte (z. B. „Verödung der Innenstädte größerer Kreisstädte“ oder zunehmende Lärmbelästigung etc.) die bereits erwähnten Komplexbegriffe aufweisen, die nicht aus Sicht einer einzelnen Disziplin hinreichend freigelegt werden können. Analoges gilt für die Formulierung der konkreten Aufgaben (b) in Form von to-do-Listen, welche extern oder disziplinenintern oder in multi- oder interdisziplinärer Absicht formuliert werden können. Letzteres betrifft im Fall der Multidisziplinarität Erfordernisse einer organisierten Arbeitsteilung, im Falle der Interdisziplinarität Erfordernisse der Koordination gemeinsamer Lösungsstrategien, insbesondere des Abgleichs einzelner, möglicherweise einseitiger Befunde sowie die Zusammenführung von Teilergebnissen in gemeinsame Resultate. Und wiederum analog verhält es sich bei den Lösungen (c), in deren Feld durchaus Spannungsverhältnisse zwischen transdisziplinär-externen, disziplinären und interdisziplinären Bewertungen einer Lösung als gelungen, faktisch erfolgreich, relativ zum Aufwand vertretbar etc. festzustellen sind. Bei der Auflösung solcher Konflikte werden oftmals den externen Instanzen aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft gewisse Privilegien eingeräumt, um die Wertung und den Umgang mit Erträgen von Wissenschaft und Technik in gewisse Richtungen zu gestalten oder auch zu begrenzen. Was aus wissenschaftlicher und technischer Perspektive als Lösung erscheint, kann aus guten Gründen (unter allgemeiner zu organisierender oder organisierter Legitimation) oder aus problematischen Gründen (Partialinteressen, Lobbyismus) als „nicht praktikabel“, „zu aufwändig“, „moralisch problematisch“, „mit zu hohen Risiken behaftet“ etc. zurückgewiesen werden (z. B. der Rubbia-Reaktor, Forschungs- und Entwicklungslinien im Felde der Biotechnologien, des Geo- Engineerings etc.). Bezüglich der Dreistufigkeit in der Modellierung von Problemlagen von (a) bis (c) lassen sich also nicht von vorneherein Zuordnungen zu Transdiziplinarität, (Multi-)disziplinarität oder Interdisziplinarität vornehmen. Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität 19 Abb. 2: Problemorientierung/ Mischformen (eigene Darstellung) 3 Komplexbegriffe Unter Komplexbegriffen wie „Lärm“, „Kommunikation“, „Klima“, „Krebs“, „Energiedienstleistungen“ etc. werden Unterscheidungen nicht zwischen, sondern an Problemstellungen versammelt und unter einem einheitlichen Interesse zusammengeführt. Die durch Komplexbegriffe erfassten Themen und entsprechend thematisch umrissenen Gegenstandsfelder können unter verschiedenen Aspekten erfasst werden, die jedoch für sich gesehen immer einseitig bleiben und deshalb nur in ihrer Zusammenführung einen jeweiligen gelingenden theoretischen Weltbezug (Modellierung) und praktischen Weltbezug (Möglichkeitsraum des Intervenierens) eröffnen. So sind mit Blick auf „Lärm“ als Quelle einer Umweltbelastung Aspekte der Akustik, der Medizin, der Psychologie, der Soziologie (Konventionen), der Geisteswissenschaften und der Ästhetik (Lärmqualität), des Rechts, der Politik sowie der einschlägigen Techniken mit ihren Potenzialen zur Lärmverminderung und Lärmerzeugung zusammenzuführen. Analoges gilt für Gestaltungserfordernisse im Bereich von „Kommunikation“, für die Aspekte der Informationstechnik, der Informatik, der Medienwissenschaften, der Biologie (Verfasstheit natürlicher Sensorik), der Hirnforschung, der Elektrotechnik, der Linguistik, der Soziologie, der Ergonomie u.v.a. mehr relevant werden. „Klima“ ist Thema der Physik, der Chemie, der Biologie, der Meteo- 20 Christoph Hubig rologie, der Wirtschaftswissenschaften, der Politikwissenschaften, der Geologie, der Systemtheorie etc.; ähnlich verfasst ist das Problemfeld „Krebs“, zu dessen Aufgabenbewältigung Genetik, Zellbiologie, Chemie, Pharmazie, Medizin, Psychologie, Informatik etc. zusammenzuführen sind, wie es auch beim Thema „Energiedienstleistungen“ (Licht, Wärme, Mobilität etc.) gilt, für das Erträge der Energietechnik, der Physik, der Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie, der Ökologie u.v.a. mehr maßgeblich werden. Analoges gilt für die bereits angeführten Komplexbegriffe wie „Stadt“ oder „Entwicklung“ (im Kontext von Entwicklungshilfe), ferner für „Verkehr“, „Versorgung“ (mit Gütern), „Bildung“ etc. Je nach Verfasstheit der Problemlage lässt sich durchaus eine unterschiedliche Privilegierung disziplinärer Anteile in ihrer Aspekthaftigkeit rechtfertigen, was die jeweilige Interdisziplinarität nicht beschädigt, sondern intern strukturiert und gewichtet: Manche Problemlagen sind in besonderem Maße ethisch sensitiv, sodass hier die philosophische Ethik spezielle Problemhypotheken zu bewältigen hat; andere stellen besondere Herausforderungen für ökologische und ökonomische Akzentuierungen dar, sodass im interdisziplinären Verbund entsprechenden disziplinären Ansätzen eine gewisse Dominanz zu konzedieren ist; wiederum andere, wie etwa die Krebserkrankungen fokussieren die Medizin als Leitwissenschaft im interdisziplinären Verbund mit den anderen erwähnten Disziplinen, aus denen Forschungserträge als notwendige Bedingungen des Weiterführens der Forschungslinien zu rekrutieren sind. Abb. 3: Komplexbegriffe (eigene Darstellung) Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität 21 4 Die Stufigkeit der Komplexbegriffe Neben erwähnten Dominanzen und Privilegierungen einzelner Disziplinen im interdisziplinären Verbund, die auf Basis inhaltlicher Erwägungen vertretbar oder abweisbar erscheinen, zeigt eine Durchmusterung des großen Spektrums von Komplexbegriffen interne formale Unterschiede, die sich in einem Stufenschema sortieren lassen: Erstens finden wir direkt objektstufige Begriffe, die sich auf ein (problematisches) Phänomen beziehen und ein Gegenstandsfeld mit seinen Grenzen thematisieren. „Lärm“ oder „Krebs“, „Stadt“ oder „Verkehr“ beziehen sich auf Phänomene oder Phänomenbereiche, deren Grenzen/ Extension in Abhängigkeit von interdisziplinär zu eruierenden und zu systematisierenden Eigenschaften/ Intensionen im Gegenstandsfeld identifiziert werden können. Daneben finden wir - zweitens - sogenannte „Inbegriffe“, für die „unter einem gemeinsamen Interesse“ (Edmund Husserl) ganz unterschiedliche, kategorial inhomogene Elemente versammelt sind - materiale Objekte, Prozesse und Verfahren, Dispositionen und Fähigkeiten, Fertigkeiten, Routinen, Algorithmen und Schemata, Ergebnisse eines Prozessierens der und der Art etc. -, sodass derartige Inbegriffe nicht einfach als Gattungsbegriffe in klassifikatorischer Absicht eingesetzt werden können und nicht die Basis für sortale Unterscheidungen abgeben. „Krankheit“, „Energiedienstleistungen“, „Wissen“, „autonome Systeme“, „grüne Gentechnik“ sind Beispiel für diesen Typus von Begrifflichkeit. Hiervon sind - drittens - Begrifflichkeiten zu unterscheiden, die als Titelworte für sogenannte Paradigmen (i. S. Thomas S. Kuhns) auftreten, d.h. regelhafte/ regelrechte Ausrichtungen entsprechender interdisziplinärer Wissenschaften begründen. Solche Regeln orientieren die Konstitution des jeweiligen Gegenstandsfeldes überhaupt, sie prägen die erforderliche Architektonik der Theoriebildung und sie legen einen Kanon von Methoden und instrumentellen Verfahren fest, unter denen das jeweilige Gegenstandsfeld erschlossen und ggf. in technischer Absicht gestaltbar erscheint. Exemplarische Titelworte für solche Paradigmen sind „Klima“, „Kommunikation“, „Umwelt“, „Globalisierung“. Schließlich finden wir auf einer vierten Stufe Komplexbegriffe, hinter denen sich bestimmte Ideen mit Anspruch auf Anerkennung verbergen. Wie die Inbegriffe (z. B. Krankheit) mit ihrer Interessenbindung sind diese Konzepte in hohem Maße „normativ geladen“; sie basieren auf unterstellten Wertungen oder fordern Wertungen ein, die sich insbesondere auf den Alleinvertretungsanspruch oder zumindest die Privilegierung eines Anspruchs bei der Identifizierung umfassender allgemeiner Sachlagen beziehen. Beispiele für solche Ideen mit Anspruch auf (anzuerkennende oder abzulehnende) Orientierung sind globale Charakterisierungen der Gesellschaft 22 Christoph Hubig z. B. als Wissensgesellschaft, freiheitliche Gesellschaft , technotope Gesellschaft, digitale Gesellschaft, Risikogesellschaft; Analoges gilt für Ideen zur „Nachhaltigkeit“, ferner für Natur, die als „Gaia/ Organismus“, als Biosphäre oder technomorph als „System“, als Schöpfung, Evolutionsgeschehen, intrinsischer Wert oder Existenzbedingung der Menschen in Verbindung mit entsprechenden Forderungen nach Unantastbarkeit und Tabuisierung oder Nutzung, Beherrschung und Verfügung gefasst werden kann. Gleiches findet sich in basalen Ideen vom Menschen in Relation zu anderen Spezies oder bei der Unterstellung eines Prinzips - nennen wir es Gott -, das alles „zusammenhält“ und in diesem Status Ideen wie die einer Systematisierung allererst ermöglicht (Albert Einstein). Abb. 4: Stufigkeit der Komplexbegriffe (eigene Darstellung) 5 Die Rolle der Transdisziplinarität Wenn wir bezüglich bestimmter Problemlagen von „unerwünschten“ oder „schädlichen“ Effekten sprechen, über „Zumutbarkeit“ oder „fehlende Nachhaltigkeit“ reflektieren, zeigt sich eine „normative Geladenheit“, die sich in die Komplexbegriffe fortschreibt (etwa die negative Konnotation von Lärm) und für den Umgang mit Lösungsangeboten im Lichte der normativ geladenen Problematisierung die entsprechende Orientierungsinstanz fordert. Da Wissenschaft und Technik nicht für sich beanspruchen können, zur Klärung basaler normativer Fragen die maßgebliche Instanz abzugeben, erweisen sich wissenschaftsexterne/ wissenschaftstranszendente Instanzen als normative Regulative in umso höherem Maße, als die Problemlagen „tief“ und umfassend geartet sind und die Lösungen mit allgemeineren bis hin zu „globalen“ Ansprüchen auftreten, als bedeutsam. Im Lichte solcher externer normativer Regulative werden die Ausgangslagen je nach Problemtiefe mitbewertet, wird der Horizont der Gesichtspunkte mit dem Spektrum Komplexbegriffe: Der Einstieg in problemorientierte Interdisziplinarität 23 von Unterscheidungen an... festgelegt, und es werden die Lösungen bewertet, resp. je nach Eingriffstiefe in unterschiedlich dominanter Weise mitbewertet. Die Adressierung der notwendig zu beteiligenden Disziplinen hängt von solchen Orientierungen genauso ab wie die Architektonik der Problemstellung, von deren Vorgabe die entsprechende Proportionierung multidisziplinärer oder interdisziplinärer „Anteile“ bestimmt ist. Das bedeutet keineswegs, dass eine „mode-2 Wissenschaft“ die klassische Wissenschaftsform und Wissenschaftsorganisation ablöst und wir in ein neues Zeitalter der Wissenschaftlichkeit eintreten, wie manche behaupten; es bedeutet aber auch und gerade, dass im Zuge steigender Eingriffstiefe in die äußere Natur und die innere Natur des Menschen sowie der damit verbundenen Langfristigkeit (bis hin zur Irreversibilität) gezeitigter Folgen die Relevanz transdisziplinärer Orientierung bzw. die Verwiesenheit auf solche Orientierung steigt. Für alle Konstellationen von Multidisziplinarität, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität gilt aber nach wie vor, dass ohne seriöses, verlässliches und belastbares disziplinäres Arbeiten solche Konstellationen zum Scheitern verurteilt sind. Wollte jemand originär und von jedem disziplinärem Bemühen befreit interdisziplinär arbeiten, gliche er demjenigen, der zwischen den Stühlen gleichsam auf seinem Sessel schwebt bar jeglichen Anschlusses an die sonstige Einrichtung des Zimmers, entsprechend unbelastet von den Anforderungen und den damit verbundenen Leistungen disziplinärer Arbeit. Gewissermaßen degenerierte Vorstellungen von Interdisziplinarität der Art „von allem ein bisschen“ (so bei manchen Fassungen der sogenannten Kulturwissenschaften) oder der Art „von allem das Grundsätzliche“ (als Parole mancher Philosophie, die sich als „Spezialisierung aufs Allgemeine“ versteht), ferner irrlichternde Interdisziplinaritäts-Designs mit ausstehendem, wechselndem oder diffusen Methodenkanon (in manchen Typen von „Medienwissenschaften“) geben hier problematische Beispiele ab. Dies gilt auch für Konzeptionen „interdisziplinärer“ Studiengänge als grundständige Studiengänge. Für die Organisation von Studiengängen überhaupt ist es selbstverständlich geboten, einzelne Veranstaltungen mit interdisziplinären Fragestellungen auch und gerade bereits in Eingangsphasen oder im Grundstudium anzubieten, damit eine Sensibilität für Problemorientierung erarbeitet wird. Sollen interdisziplinäre Konstellationen hingegen zu einer Studienform organisierbar werden, sollten sie aus den erwähnten Gründen - wie auch der Wissenschaftsrat z. B. mit Blick auf „Simulation Technology“ empfiehlt - erst als Aufbau-Masterstudiengänge angeboten werden, damit das erforderliche einzubringende disziplinäre Know-how abrufbar ist. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist ohne solide disziplinäre Fundamentierung nicht möglich. 24 Christoph Hubig Abb. 5: Die Rolle der Transdisziplinarität (eigene Darstellung) Hardy Frehe Typen von Interdisziplinarität in der Lehre der Technischen Universität Darmstadt Dieser Beitrag greift die Vielfalt von Interdisziplinarität in der Lehre auf. Er schließt an die Arbeit am Begriff ‚Interdisziplinarität„ von Christoph Hubig an (vgl. Beitrag in diesem Band). Es werden Typen von Interdisziplinarität (ID-Typen) in der Lehre der Technische Universität Darmstadt vorgestellt und anhand der Praxis der Lehre in den modularisierten Studiengängen konkretisiert. Die Kartierung bietet die Möglichkeit, den fachübergreifenden Anteil in den Studiengängen durchdacht in der Entwicklung zu gestalten. 1 Interdisziplinarität in der Lehre Interdisziplinarität in der Forschung stellt sich als Kollaboration dar (vgl. Gehring 2013: 142f.), in denen Vertreter ihres Faches ihre fachliche (verbriefte) Expertise in unterschiedenen Operationstiefen wie Interdisziplinarität, Transdisziplinarität, Multidisziplinarität oder Transwissenschaft einbringen (vgl. bspw. Bogner et al. 2010). 1 Die Arbeitsdefinition von Interdisziplinarität der TU Darmstadt, die kleine, mittlere und große Interdisziplinarität je nach Nähe der kooperierenden Fächer unterscheidet, stellt sich als brauchbar für die Forschung dar und wird in der Ausschreibung der ‚Förderinitiative Interdisziplinäre Forschung„ an der TU Darmstadt verwendet. 2 In der Lehre hingegen fehlt bei den Studierenden die fachliche Expertise. Sie sind (noch) nicht virtuose Teilnehmer, die auf fachtypische Weise kollaborieren können, wenngleich in Projekten in der Studieneingangsphase die fachübergreifende Zusammenarbeit zur Herausbildung eines fachlich geprägten Selbstverständnisses beitragen kann (KIVA Teilprojekt: ‚Interdisziplinäre Projekte in der Studieneingangsphase„). In der Lehre vermitteln Fachdozenten Fachstoff und fachtypische Methodik an Fachstudierende. Unter der fachübergreifenden Lehre wird hier die Abweichung von diesem Schema verstanden. Die vielfältigen Formen sollen durch die ID-Typen abgebildet werden. Sie standen am Anfang der 1 Wenn aufgrund der Lesbarkeit nur die männliche Form verwendet wird, sind immer beide Geschlechter gemeint. 2 vgl. bspw. http: / / www.tu-darmstadt.de/ media/ dezernatvi/ forschung/ dokumente_ 1/ foerderung/ Ausschreibung_Foerderinitiative-Interdisziplinaere-Forschung_ Herbst_2013.pdf 26 Hardy Frehe Analyse der Interdisziplinarität in der Lehre durch KIVA VI an der TU Darmstadt, um Formen, die den Status quo beschreiben, zu identifizieren und dann die Vielfalt zu ordnen. Sie lagen in ihrer ursprünglichen Form den Antrittsbesuchen bei den Fachbereichen und den Studienbereichen zugrunde, in denen das Verständnis von Interdisziplinarität in den Fachbereichen der TU Darmstadt im Gespräch mit den Studiendekanen, Studiengangskoordinatoren, Geschäftsführern und weiteren Gesprächspartnern wie weiteren KIVA-Mitarbeitern erhoben wurde. In der Analyse der interdisziplinären und fachübergreifenden Anteile in den Studiengängen (Mapping) wurde mittels qualitativer und quantitaver Erfassung eine Landkarte der interdisziplinären Lehre an der TU Darmstadt erstellt und die Wahlmöglichkeiten der Studierenden ausgehend von den ursprünglichen, sich auf Studiengänge beziehenden ID-Typen (KIVA VI-Piktogramme „ID- Typen/ Lehrformen“, siehe Abb. 7) untersucht. Während die vorliegenden, sich auf Lehrveranstaltungsebene beziehenden ID-Typen abstrakt sein müssen, zielt das Mapping auf die gelebte Praxis der mit der Bologna-Reform modularisierten Studiengänge. Ergänzungen der ID-Typen werden am Ende des dritten Punktes dargestellt. KIVA VI sucht und findet auf vier Ebenen Zugänge zur Interdisziplinarität in der Lehre der TU Darmstadt: Lehrveranstaltungen (ID-Typen), Studiengänge (Mapping), Studien-Abschlüsse und Studienorganisation (vgl. AG Gesamtkatalog). Der Beitrag stellt den Ansatz auf den ersten beiden Ebenen dar. Abb. 6: Ebenen der Interdisziplinarität in der Lehre (Entwicklung Petra Gehring) Die kontinuierliche Fortentwicklung der ID-Typen in der Analyse der fachübergreifenden Lehre dient der Entwicklung von Konzepten, um Voraussetzungen für eine gelungene, durchdachte interdisziplinäre Lehre zu identifizieren und eine durchdachte Interdisziplinarität zu implementieren. Sie nehmen die Vielfalt ernst, helfen das Feld zu vermessen und das Programmwort Interdisziplinarität kleinzuarbeiten, um zu einem deutlicheren Zugriff auf dieses Feld gegenüber dem, was sich in dem bisherigen Diskurs Typen von Interdisziplinarität 27 über Interdisziplinarität vorfinden lässt, zu gelangen. Der „Weg über eine Kartierung von praktizierter und gewollter Vielfalt unterläuft ein Stück weit die große Erwartung von der Interdisziplinarität als Programm - man wird ein Spektrum teils eingebürgerter, teils experimenteller und nicht immer explizit begründeter Formen antreffen, eine Art boundary work im Bereich von Sozialisation und Vermittlung“ (vgl. Terizakis/ Gehring 2014: 24). 2 Typen von Interdisziplinarität in der Lehre Die ID-Typen in der Lehre sind durch die fachliche Expertise der Dozenten (Modulverantwortlichkeit), der Disziplin des Studiengangs der Studierenden, den vermittelten Stoff und die Methodik der Lehrveranstaltung bestimmt. Eine weitverbreitete Form ist der Export einer Lehrveranstaltung in einen Studiengang oder in mehrere Studiengänge. Diese Lehrveranstaltung kann auch allen Fachbereichen offen stehen. Es können Module exportiert werden, die auch Studierenden der eigenen Disziplin offenstehen, oder es werden spezielle Module angeboten, die auch maßgeschneidert sein können. Nach den ‚Grundsätze für Studium und Lehre der Technischen Universität Darmstadt„ sollen vermehrt „eigens entwickelte Service-Veranstaltungen […] von einer komplementären Disziplin angeboten werden“. 3 Einen Sonderfall stellt die Vermittlung eines fachfremden Stoffes dar, der also ohne fachlich-verbriefte Expertise gelehrt wird. Zu erörtern ist in diesem Fall, inwiefern der Stoff in den Fächern der Dozenten eine Rolle spielt und ob die Dozenten aufgrund ihrer fachlichen Expertise doch insoweit damit vertraut sind, dass sie die Studierenden hinreichend qualifiziert unterrichten können. In der Lehre sind (auch) andere Qualifikationen gefordert als in der Forschung. Die Formen der Qualitätssicherung in der Lehre sind darauf zuzuschneiden. Weitere Typen der Interdisziplinarität in der Lehre zeichnen sich durch Beteiligung von mehreren Dozierenden, vor allem von verschiedener Disziplinen (Fächern), aus. Diese Lehrveranstaltungen können sich wiederum an Studierende einer Disziplin oder an Studierende verschiedener Studiengänge richten, bzw. allen Studierenden offen stehen. Bei den Teamteaching- Veranstaltungen oder den Ringvorlesungen ist insbesondere die Frage nach der Modulverantwortlichkeit interessant. Sonderformen sind Gastbeiträge, Kurse, in denen General (Soft) Skills vermittelt werden, und Lehrveranstaltungen, die Interdisziplinarität als solche thematisieren. Anbei die Übersicht der ID-Typen (Stand Oktober 2013). Die Piktogramme zeigen Typen von Interdisziplinarität im Lehrveranstaltungsangebot der TU Darmstadt und 3 vgl. http: / / www.tu-darmstadt.de/ media/ illustrationen/ die_universitaet/ tu_dokumente/ TU_Grundsaetze_Studium_und_Lehre.pdf 28 Hardy Frehe visualisieren, was sich hinter einer Lehrveranstaltung verbirgt, die importiert werden soll. Abb. 7: Typen der Interdisziplinarität in Lehrveranstaltungen der TU Darmstadt 4 3 Interdisziplinarität auf der Ebene der modularisierten Studiengänge 3.1 Interdisziplinäre Studiengangsanteile in der Lehre Die abstrakten ID-Typen in der Lehre sind ausgehend von den seit der Bologna-Reform modularisierten Studiengängen zu konkretisieren. Es werden Module als Teil der Studien- und Prüfungsordnung studiert und in den Modulbeschreibungen werden Lernergebnisse, Lerninhalte und Prüfungen festgelegt. Von Belang ist, dass die Module der fachübergreifenden Angebote sich im Pflichtbereich, in besonders zugeschnittenen Nebenfächern und in fachübergreifenden Wahlpflichtbereichen finden. In einem weiteren Schritt ließe sich nachfrageorientiert erheben, welche Lehrveranstaltungen den Studierenden zugänglich gemacht werden und - weitergehend - wie stark diese frequentiert werden. In den fachübergreifenden Wahlpflichtbereichen finden sich neben den explizit an Studierende anderer Disziplinen gerichtete Veranstaltungen solche, die für alle Studierende geöffnet sind. Diese Bereiche können mehr oder weniger gestaltet werden und zuweilen findet sich das gesamte Angebot der 4 Dank bei der Ausarbeitung der ID-Typen gebührt Anna Zdiara. Typen von Interdisziplinarität 29 Module der TU Darmstadt, das auch im extracurricularen Bereich ‚Zusätzliche Leistungen„ zur Verfügung steht. Konkret sind fachübergreifende Veranstaltungen ausgehend von den Studiengängen zu bestimmen, die sich in vier Profile unterscheiden lassen. Von den abgesehen von basalen Pflichtveranstaltungen aus anderen Fachbereichen mono-disziplinären Studiengängen, zu denen die meisten Studiengänge gehören, lassen sich die Studiengänge mit einem starken Nebenfach oder einem großen fachübergreifenden Anteil (30 Credit Points und mehr) unterscheiden. In den Kombinationsstudiengängen finden ungefähr gleichgewichtig zwei Disziplinen zueinander und in den Studiengängen der Studienbereiche können mehr als zwei Disziplinen beteiligt sein. Ausgehend von dem Profil stellt sich Interdisziplinarität in der Lehre je anders dar und findet sich in unterschiedlich zugeschnittenen Wahlpflichtbereichen, in denen fachübergreifende Veranstaltungen gewählt werden können. 3.2 Beispiele (ID-Typen) Die interdisziplinären Studienanteile lassen sich anhand von Beispielen erläutern. Die Serviceveranstaltungen von einem Dozenten (Modulverantwortlichen) im Pflichtbereich vermitteln grundständige Studieninhalte. Die Studieninhalte sind kanonisch in den Studiengängen verankert wie die Mathematik-Vorlesungen in den Ingenieurstudiengängen, die Aufgaben aus der betreffenden Ingenieurwissenschaft lösen. Die Lehrveranstaltungen für einen Fachbereich können ‚maßgeschneidert‟ sein. Es handelt sich um exklusiv für einen Studiengang zugeschnittene Module aus anderen Fachbereichen, die im eigenen Fachbereich nicht verwendet werden wie die Lehrveranstaltung ‚Philosophische Aspekte des Maschinenbaus‟. Der Kurs wurde zuletzt im Sommersemester 2012 vom Institut für Philosophie für den Fachbereich Maschinenbau angeboten. Es lassen sich ‚hausgemachte‟ Angebote identifizieren, in denen ohne fachlich-disziplinär ausgewiesener Expertise Lehrinhalte vermittelt werden, die aus der eigenen Profession angeeigneten Lehrinhalte für die Studierenden der eigenen Profession vermittelt werden, wie z.B. ‚Betriebswirtschaftslehre für Ingenieure‟, die von Maschinenbauer aus dem Fachgebiet ‚Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen„ auf die Studierenden des Masterstudiengangs Maschinenbau zugeschnitten wird. Eine (nicht aufgenommene) Zwischenform liegt vor, wenn Dozenten einer anderen Profession im Fachbereich für die Vermittlung der Lehrinhalte nach den Qualitätsstandards des jeweiligen Fachbereichs berufen werden. 30 Hardy Frehe Sie verfügen über die fachlich-disziplinäre Expertise, drohen aber von dem Forschungsprozess im eigenen Fach abgeschnitten zu sein. Besondere Veranstaltungen sind Ringvorlesungen, die für Studierende aller Fachbereiche geöffnet sind oder sich an alle Studierende explizit richten. In diesen Ringvorlesungen können sich Fachbereiche an der TU Darmstadt vorstellen oder konzentriert ein Thema für die uniweite Öffentlichkeit aufbereiten. So wurde im Wintersemester 2012/ 13 in der Ringvorlesung ‚Katastrophen„ des Evenarí-Forums für Deutsch-Jüdische-Studien an der TU Darmstadt Naturkatastrophen, politischen Katastrophen und Möglichkeiten des Katastrophenmanagements interdisziplinär analysiert. In Team-Teaching Veranstaltungen kooperieren Dozenten verschiedener Disziplinen. Sie planen und führen die Lehrveranstaltung gemeinsam durch. Eine integrative Vermittlung wird angestrebt: Die Lehrveranstaltung soll nicht durch nacheinander angeordnete Einzel-Sitzungen einen rein additiven Charakter besitzen. Hier ist zu fragen, ob integriertes Team-Teaching in der Lehre verwirklicht wird oder Dozenten abwechselnd ihre Sicht der Dinge vermitteln. In Mathematikkursen werden die Rechenbeispiele aus dem Gebiet der Nehmerprofession gewählt, doch in speziellen Lehrveranstaltungen (‚Mathematik für Chemiker„) kooperieren die Dozierenden, um eine besser Vermittlung (Durchfallquote) zu gewährleisten. 3.3 Förderung von Interdisziplinarität durch KIVA an der TU Darmstadt Mit dem KIVA-Projekt soll signifikant der ID- Anteil in der Lehre verstärkt werden. Bestimmte ID-Typen stehen im Fokus einzelner Teilprojekte wie die Lehrveranstaltungen von Dozenten, die als Gäste an der TU Darmstadt bestimmte Bereiche oder Themenfelder in ihren Lehrveranstaltungen aufnehmen. Im Teilprojekt KIVA ‚Fonds für Gastprofessuren„ wird die Lehre in drei verschiedenen Programmlinien (Gender/ MINT, Lehramt/ MINT, Internationalität/ Interkulturalität) durch Gastbeiträge gefördert. Innovative Ansätze in der Lehre sollen für geschlechtsspezifische Aspekte sensibilisieren und eine vielfältige, auf Diversity eingehende Lehre fördern. Interdisziplinarität als grenzüberschreitende Projektarbeit wird im KIVA- Teilprojekt ‚Interdisziplinäre Projekte in der Studieneingangsphase„ realisiert und soll im Pflichtbereich der Studiengänge implementiert werden. In diesen problemorientierten Projekten vereinen sich verschiedene ID-Typen und im exemplarischen Lernen vollzieht sich disziplinäre Sozialisation in der Studieneingangsphase: Typen von Interdisziplinarität 31  Team-Teaching: Die Aufgabestellung wird von Professoren der beteiligten Fachbereiche gemeinsam entwickelt, die Bearbeitung in der Projektwoche betreut und in der Abschlusssitzung gemeinsam gewürdigt.  Neben den disziplinären Fachbegleitern werden fachfremde Teambegleiter (studentische Tutoren) in Projektarbeit fördernden General Skills von der Hochschuldidaktischen Arbeitsstellen der TU Darmstadt (HDA) ausgebildet. Diese Teambegleiter helfen dabei, die Projektarbeit auf Kurs zu bringen, überlassen nach dem pädagogischen Konzept der minimalen Hilfe die Ausführung den beteiligten Studierenden aus den verschiedenen Fachbereichen, ziehen sich immer weiter zurück und greifen nur bei Bedarf ein. „Die Teambegleiter werden, zusätzlich zur dreitägigen Team-Fachbeleiter- Schulung, in einer zweitägigen Schulung von Mitarbeitern der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle speziell auf ihre Rolle und Aufgaben während der Projektveranstaltung vorbereitet. Sie lernen dabei, dass sich jedes Team aufgrund seiner einzigartigen Zusammensetzung unterschiedlich verhält. Teambegleiter haben im Rahmen des Projekts den Auftrag, die Projektteams beim Erwerb von Teamkompetenz und Präsentationskompetenz zu unterstützen. Wichtige Voraussetzungen dafür ist beispielsweise eine hohe Beobachtungskompetenz, so dass mit einem fundierten Hintergrundwissen über Teamarbeit jedem Projektteam ein angemessenes Maß an Unterstützung geboten werden kann. Bei der Begleitung eines Teams geht es folglich ganz übergeordnet darum, das Team zu selbstständiger erfolgreicher Teamarbeit anzuleiten. Bei gut funktionierender Teamarbeit sollten sich die Teammitglieder in Führungsrollen abwechseln und, zumindest phasenweise, Koordinations- und Moderationsaufgaben übernehmen.“ (Möller-Holtkamp 2007: 139) Im KIVA Teilprojekt ‚Ausbau der Tutorinnen- und Tutorenqualifizierung„ werden zudem studentische Hilfskräfte geschult und begleitet. KIVA bezieht sich in seinem Bemühen um signifikante Stärkung des ID- Anteils in der Lehre der TU Darmstadt auf alle ID-Formen und kann sich an spezielle Formen, die sich an alle Studierende richten und von Dozenten verschiedener Fachbereiche getragen werden, anschließen, wie die interdisziplinären Ringvorlesungen oder die interdisziplinären Studienschwerpunkte (siehe unten). 3.4 Modulebene Bestimmte Formen von realisierter Interdisziplinarität in der Lehre an der TU Darmstadt erschließen sich erst auf der Modulebene und lassen sich 32 Hardy Frehe nicht mit den abstrakten ID Typen abbilden, insofern sind die Lehrveranstaltungen ausgehend von den modularisierten Studiengängen zu betrachten. Dabei stellt sich die Zuordnung zu explizit interdisziplinären Anteilen in einem Studiengang als ein Problem heraus: Trägt eine fachfremde Lehrveranstaltung als ‚reine„ Serviceveranstaltung relevante Grundkenntnisse zu einem von einem anderen Fachbereich verwalteten Studiengang bei oder liefert sie darüber hinaus ein funktional-übergreifendes, bereichernderes Element. Im Mapping der Studiengänge der TU Darmstadt wurden bestimmte Lehrexporte als derart kanonisch begriffen, dass sie nicht als interdisziplinär betrachtet werden sollten. Darunter fallen Serviceveranstaltungen im Pflichtbereich bspw. der Mathematik in den Ingenieurwissenschaften. Bestimmte Lehrveranstaltungen lassen sich unterschiedlich einordnen: Sind im Bachelorstudiengang Politikwissenschaft die Lehrveranstaltungen ‚Einführung in Volkswirtschaftslehre„ und ‚Öffentliches Recht (Rechts- und Juristenmanagement)„ ‚reine„ Serviceveranstaltungen und vermitteln also als Kernveranstaltungen relevante Grundkenntnisse aus den Bereichen Wirtschaft und Recht, oder sind diese als interdisziplinär zu begreifen, da es bundesweit uneinheitlich in den politikwissenschaftlichen Bachelorstudiengängen gehandhabt wird. In den Curricula mehrerer Studiengängen (bspw. in den Masterstudiengängen: Angewandte Geowissenschaft, Bauingenieurwesen und Umweltingenieurwesen) finden sich als Angebote der jeweiligen Fachbereiche ‚Interdisziplinäre Projekte„ neben/ zusätzlich zu den interdisziplinären Projekten in der Studieneingangsphase (KIVA V). Diese Projekte sind teilweise als ‚fachgebietsübergreifendes Projektstudium‟ charakterisiert, die schwerpunktmäßig systemische und instrumentelle Kompetenzen befördern sollen. Diese Projekte realisieren teilweise Kooperationen zwischen Disziplinen und/ oder ziehen Experten aus der außeruniversitären Praxis heran. 5 Viele Projekte wie bspw. die Advanced Design Projects des Fachbereiches Maschinenbaus, in denen Entwurfsaufgaben mithilfe der Konstruktionsmethodik des Maschinenbaus zu lösen sind, können auch als fachgebiets- und fachbereichsübergreifende Projekte durchgeführt werden. Gemischt-disziplinäre Module als ID-Form in der Lehre zeigen sich nur auf der Modulebene. So sind im Bachelorstudiengang im Wahlpflichtbereich ‚Interdisziplinarität‟ drei 8 CP-Module ‚Interdisziplinäre Anwendung‟ ein- 5 Im Modul ‚Interdisziplinäres Projekt Bauingenieurwesen„ geht es um die ausschnittsweise Bearbeitung eines möglichst realen Bauund/ oder Planungsprojektes durch studentische Projektteams, und zwar anhand eines auf den Studiengang bezogenen Infrastrukturvorhabens oder Ingenieurbauwerks im Rhein-Main-Gebiet. In dem Masterstudiengang Umweltingenieurwissenschaften werden in Projektarbeit neben naturwissenschaftlichen Grundlagen bei der Betrachtung von Handlungsstrategien bei technischen Innovationen auch human- und gesellschaftswissenschaftliche Ansätze herangezogen. Typen von Interdisziplinarität 33 zubringen. In vier Modulen (‚Arbeit und Gesundheit‟, ‚Wirtschaft und Gesellschaft‟, ‚Organisation und Individuum‟ und ‚Informationsverarbeitung‟) sind Kurse aus anderen Fachbereichen eingehängt. Bei den beiden Modulen ‚Beratung und Coaching‟ und ‚Teambegleitung und Supervision‟ sind die Kurse auf die Begleitung von interdisziplinären Aufgabenstellungen (‚Beratung und Coaching im interdisziplinären Kontext‟ und ‚Begleitung von Projektteams‟) zugeschnitten. Diese gemischt-disziplinären Module erfüllen auch die in der Studiengangentwicklung (Akkreditierungsprozess) geforderte Integrationsfunktion in gemischtdisziplinären Studiengängen. So weist der Kombi-Bachelorstudiengang ‚Psychologie in IT‟ der Fachbereiche Humanwissenschaft (Institut für Psychologie) und Informatik ein Praktikumsmodul auf, in dem ein reales Projekt an der Schnittstelle von Psychologie und Informatik zu bearbeiten ist. Diese ID-Form soll (bloße) Multidisziplinarität (die anderswo durchaus auch ihre Berechtigung hat) überwinden. Besonders durchdachte Formen curricular verankerter Interdisziplinarität finden sich in den Nebenfächern der Studiengänge der TU Darmstadt. In dem Bachelorstudiengang Soziologie finden sich im 42 Credit Points umfassenden Wahlpflichtbereich neben einem Optionalbereich ein Wahlpflichtfach, welches in zwei aufeinander aufbauenden 15 CP-Modulen (Grundmodul und Vertiefungsmodul) zu studieren ist. Eine gestaffelte, durchdachte Form von Interdisziplinarität findet sich im Bachelorstudiengang Pädagogik im Wahlpflichtbereich ‚Fachübergreifende Studien‟. Die Studierenden bringen drei 15 CP-Module aus vier Bereichen ein: a) Module mit engem sachlichen Bezug zur Pädagogik (Psychologische Grundlagen, Sozialstruktur Deutschlands etc.), b) Module, in denen nützliche Kompetenzen für pädagogische Tätigkeiten erworben werden können (Trainerausbildung ‚Kompass‟; Teambegleiter etc.), c) Module, durch deren Studium ein TU Darmstadt spezifisches Profil ausgeprägt werden kann (Interdisziplinärer Studienschwerpunkt, Technikdidaktik, Technikgeschichte etc.) und d) Module, deren Studium eine allgemeine Horizonterweiterung ermöglicht (Einführung in die deutsche Sprachwissenschaft etc.). Die Studierenden finden abgestimmte Wahlmöglichkeiten in ihrem Studiengang vor. In dem Kombi-Bachelorstudiengang „Joint Bachelor of Arts“ des Fachbereichs ‚Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften„ findet sich im Optionalbereich (18 CP) eine Zusammenstellung von Bereichen, in denen den Studierenden passgenau Module angeboten werden. In dem Bereich ‚Interdisziplinär„ werden fachbereichsübergreifende Ringvorlesungen wie ‚Was steckt dahinter? ‟, ‚Interdisziplinäre Projekte (KIVA V)‟ und ‚Teambegleitung von interdisziplinären Studienprojekten‟ sowie der Katalog der interdisziplinären Studienschwerpunkte angeboten. Der VDI forderte seit den 1990er Jahren in den Curricula der Ingenieurstudiengängen einen ca. 20%igen Anteil fachübergreifender Lehrveranstal- 34 Hardy Frehe tungen. 6 Im Masterstudiengang Information and Communication Engineering findet sich der 6 CP-Bereich ‚Non-technical Electives‟, in dem die Studierenden zwischen ‚Business Administration‟ (Buchführung, Einführung in die Betriebswirtschaftslehre etc.) und ‚Languages‟ (Deutsch als Fremdsprache) wählen, wobei ‚non German speaking students‟ zwei Deutschsprachkurse belegen müssen. Diese Module lassen sich dem Bereich ‚ergänzende Disziplinen der Ingenieurpraxis‟ zuordnen. Diese Disziplinen „wie Betriebswirtschaftslehre, Technisches Englisch, Patent- oder Baurecht, Projektmanagement, Präsentations- und Moderationstechniken u. ä.“ sind laut VDI (1990) 7 „teilweise schon heute in Studienplänen verankert[.], weil sie unverzichtbare fachspezifische Qualifikationen vermitteln“. Die Empfehlung lautet, dass diese Fächer einen Umfang von 10% des Gesamtstudiums haben. In weiteren 10% der Ingenieurausbildung sollen die Systemzusammenhänge von Technik, Umwelt und Gesellschaft vermittelt werden. Solche Angebote finden sich unter anderem auch in dem interdisziplinären Angebot der interdisziplinären Studienschwerpunkte (iSP), welches interdisziplinäre Veranstaltungen zu kleinen Curricula kombiniert, die in den Wahlpflichtbereichen konzentriert studiert werden können. In den durchdachten Curricula des iSP findet sich jeweils als ein verbindendes Element die Vorlesung Global Challenges, im Wintersemester 2013/ 14 mit dem Thema: ‚Herausforderung Nachhaltigkeit - Aus dem Wald in die Welt„. In diesem Feld offerieren die Ringvorlesungen ein Angebot, das von der gesamten Universität und auch interessierten Bürgern wahrgenommen werden kann. Diese Ringvorlesungen können von Dozenten verschiedener Disziplinen gehalten und verantwortet werden wie die Ringvorlesung ‚Was steckt dahinter? „, in der Dozenten verschiedener Disziplinen durch Berichte von ihren Forschungsarbeiten ein allgemeines Verständnis der mathematisch-naturwissenschaftlichen und der technischen Entwicklung an der TU Darmstadt vermitteln möchten. 8 Neben diesem kontinuierlichen Angebot 9 finden sich besondere interdisziplinäre Ringvorlesungen wie ‚Forschungsmethoden für Ingenieure„. Auch von Dozenten eines Fachbereichs gehaltene Ringvorlesungen können sich mit aktuellen Themen an Hörer aller Disziplinen richten wie die Vorlesung ‚Die europäische 6 vgl. http: / / www.vdi.de/ fileadmin/ media/ content/ hg/ 21.pdf ‚Empfehlung des VDI zur Integration fachübergreifender Studieninhalte in das Ingenieurstudium‟. Düsseldorf, 1990. Vgl. auch die folgenden VDI-Stellungnahmen des VDI zur Ingenieursausbildung. 7 ‚Empfehlung des VDI zur Integration fachübergreifender Studieninhalte in das Ingenieurstudium‟, Düsseldorf, 1990. 8 vgl. http: / / www.wsd.tu-darmstadt.de/ 9 vgl. auch Evenarí-Forum/ ‚Global Challenges„. Typen von Interdisziplinarität 35 Wirtschaftskrise„ des Fachbereichs ‚Rechts- und Wirtschaftswissenschaften„, die sich im Sommersemester 2013 an die gesamte Universität und eine interessierte Öffentlichkeit richtete. 10 4 Interdisziplinaritäten Die Analyse der Praxis fachübergreifender Veranstaltungen, die an der TU Darmstadt eine lange Tradition aufweisen, unterstreicht die Vielfältigkeit der Formen: Die Interdisziplinarität gibt es nicht. Wünschenswert ist es, durchdachte interdisziplinäre Anteile in den Studiengängen zu realisieren, wobei Teile den Zugriff auf das gesamte Angebot der TU Darmstadt beinhalten können/ sollten. Der Aspekt der Interdisziplinarität in der Lehre sollte in der curricularen Selbstverständigung der Fachbereiche beachtet und ein zugeschnittenes Angebot angestrebt werden. Die Vermittlung von robustem Wissen, von ‚kritischem Denken„ 11 und die Förderung der Ausbildung von Urteilskraft sollte die Reflexion der Studiengänge hinsichtlich der interdisziplinären Anteile anleiten. Auszubuchstabieren ist hierbei das, was durch Interdisziplinarität in der Lehre gewonnen wird. In der Lehre ist die Bedeutung fachlicher Expertise so zu gewichten, dass die Dozenten nicht vom Forschungsstand abgeschnitten sind, aber dennoch nicht das gleiche Profil wie in der Forschung aufweisen müssen. Die Qualitätssicherung in der Lehre muss dies berücksichtigen und entsprechende Formen finden. Literatur Alexander Bogner, Karen Kastenhoffer und Helge Torgersen (Hrsg.) (2010): „Inter- und Transdisziplinarität - Zur Einleitung in eine anhaltend aktuelle Debatte“, in: Inter- und Transdisziplinarität im Wandel? - Neue Perspektiven auf problemorientierte Forschung und Politikberatung, Baden-Baden: Nomos, S. 7-21. Petra Gehring (2013): "Technik in der Interdisziplinaritätsfalle. Anmerkungen aus Sicht der Philosophie“, in: Journal for Technical Education (JOTED) 1, S. 132-46. Susanne Möller-Holtkamp (2007): Fachintegrierte Förderung von Teamkompetenz. Evaluationsstudie über eine Projektveranstaltung im Fachbereich Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt, Berlin: Logos Verlag. Georgios Terizakis und Petra Gehring (2014): „Das Programm Interdisziplinarität. Überlegungen zu einem wissenschaftspolitischen Großbegriff“, in: Pflege und Gesellschaft 1, S. 18-29. 10 Ein anderes Beispiel ist die Vorlesung ‚Das Jahr 1913: Götterdämmerung oder Morgenröte einer neuen Zeit„ des Instituts Geschichte im Sommersemester 2013. 11 vgl. http: / / www.tu-darmstadt.de/ media/ illustrationen/ die_universitaet/ tu_dokumente/ TU_Grundsaetze_Studium_und_Lehre.pdf Hardy Frehe Erste Diskussion: Vielfalt von Interdisziplinarität Universitäre Lehre im Vergleich Interdisziplinarität wird seit vielen Jahren diskutiert und gilt als etablierte Begrifflichkeit, aber es wird moniert, dass es an einem einheitlichen Konzept mangele, an einem intersubjektiv geteilten Verständnis von Interdisziplinarität (vgl. Bogner et al. 2010: 7). Es wird angenommen, dass die Problemlösefähigkeit in dem Maße steige, wie die Probleme in der Forschung interdisziplinär bearbeitet werden (ebd.: 10). In der Lehre erlangte der interdisziplinäre Kompetenzerwerb eine zentrale hochschulpolitische Bedeutung. Doch was ist interdisziplinärer Kompetenzerwerb? Wie soll ausbuchstabiert werden, was als Interdisziplinarität zu verstehen sei und wie die Praxis den damit formulierten Ansprüchen gerecht werden soll, bzw. gerecht werden sollte. Oder wäre ‚Interdisziplinarität als eine Aufgabe im Plural zu verstehen„? (Vgl. Terizakis/ Gehring 2014: 27) Die Publikation zur Tagung „Interdisziplinäre Vernetzung: Ziele, Herausforderungen, Synergien“ stellt die Beiträge und Diskusionen zu diesen Punkten dar. Die Tagung versammelte Projekte des Qualitätspakts Lehre, die in vergleichbaren Größenordnungen interdisziplinäre Zielsetzungen verfolgen (siehe Einleitung). Es erwies sich als Desiderat, den Austausch über Interdisziplinarität in der Lehre zu befördern, da gerade die Forderung nach Interdisziplinarität in den Projekten und auch in den Hochschulen selbst unterschiedlich umgesetzt wird, worin sich die differenten Vorstellungen des Interdisziplinaritätsdiskurses konkretisieren. Die Tagung stellt einen Ort dar, einander die Erfahrungen und Ergebnisse vorzustellen, um voneinander zu profitieren und die Arbeit an interdisziplinär bestimmten Lehrangeboten voranzubringen. Der Kontrast von eher zentral ansetzenden Konzeptionen und dezentralen Flächenlösungen evozierte einen befruchtenden Austausch, der sowohl die Vielfalt von Interdisziplinarität als auch die unterschiedlichen organisationellen Ansätze zum Ausdruck brachte. Die Podiumsdiskussion fokussierte interdisziplinäre Projekte in der Studieneingangsphase und schloss an folgende zwei Vorträge an. Christoph Hubig (TU Darmstadt) präzisierte verschiedene Formen der Interdisziplinarität (im weiteren Sinne) und diskutierte die problemorientierte Interdisziplinarität als Transdisziplinarität in Differenz zu der auch zu würdigenden Multidisziplinarität und der Interdisziplinarität im engeren Sinn. Hardy Frehe (TU Darmstadt, KIVA VI) ging auf Formen interdisziplinärer Lehre an der TU Darmstadt typisierend ein und warf die Frage nach 38 Hardy Frehe der ‚durchdachten‟ Interdisziplinarität für die Vergleichstagung auf. Für die Podiumsdiskussion wurden Dr. Gabriele Wendorf (Vizepräsidentin, TU Berling) und Dr. Peter Zervakis (Projektleitung ‚nexus„, HRK) gewonnen. Die interdisziplinären Projekte in der Studieneingangsphase wurden ausgehend von einem Gesamtblick auf die Bologna-Reform diskutiert. Die maßgeblichen Punkte finden sich hier dargestellt. Literatur Alexander Bogner, Karen Kastenhoffer und Helge Torgersen (Hrsg.) (2010): „Inter- und Transdisziplinarität - Zur Einleitung in eine anhaltend aktuelle Debatte“, in: Inter- und Transdisziplinarität im Wandel? - Neue Perspektiven auf problemorientierte Forschung und Politikberatung, Baden-Baden: Nomos Verlag, S. 7-21. Georgios Terizakis und Petra Gehring (2014): „Das Programm Interdisziplinarität. Überlegungen zu einem wissenschaftspolitischen Großbegriff“, in: Pflege und Gesellschaft 1, S. 18-29. Podiumsgäste Dr. Gabriele Wendorf Vizepräsidentin der TU Berlin für Nachwuchsförderung, wissenschaftliche Weiterbildung, Lehrerbildung und Corporate Identity, Gesamtprojektleitung „Erste Klasse für die Masse“ Dr. Peter Zervakis Leitung des Projekts „nexus - Konzepte und gute Praxis für Studium und Lehre“ der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Dokumentation Dr. Hardy Frehe Wissenschaftlicher Mitarbeiter, KIVA VI Lina Klare Wissenschaftliche Mitarbeiterin, KIVA VI Moderation: Interdisziplinarität in der Lehre ist ein ‚Komplexbegriff„, der vielfältig und vor allem problemorientiert ausgestaltet werden kann. Wir wollen jetzt darüber sprechen, wie dies deutsche Hochschulen, und exemplarisch die TU Berlin, umsetzen. Frau Dr. Wendorf, Sie haben die Gesamtprojektleitung für das Qualitätspakt-Lehre-Projekt „Erste Klasse für die Masse“ inne. Eine der Projektlinien tu project ermöglicht Studierenden, problemorientiert eigenverantwortliche interdisziplinäre Projektwerkstätten rund um das Thema Nachhaltigkeit ins Leben zu rufen. Was wollen Sie dadurch bei Studierenden erreichen? Was ist der ‚Benefit für Studierende„? Erste Diskussion: Vielfalt von Interdisziplinarität 39 Wendorf: Die TU Berlin verfügt über acht Projektlinien, eine davon, die Linie tu projects, geht auf die an der TU Berlin entwickelten Projektwerkstätten zurück. Diese Linie intendiert die Förderung von projektorientiertem Lernen in den Bachelorstudiengängen mit Fokus auf interdisziplinären Projekten und Projekten zum Thema Nachhaltigkeit. Das Ziel dieser Projektlinie ist es, den Praxis- und Forschungsbezug in die Lehre zu integrieren sowie Selbstorganisationsfähigkeit der Studierenden bereits früh im Studium zu fördern. Jedes der in dieser Projektlinie ausgewählten Projekte läuft über zwei Jahre, und die Studierenden befassen sich interaktiv mit dem Projektthema. Wichtig ist, dass sich die Studierenden überhaupt mit interdisziplinären Projekten bzw. mit transdisziplinären Themen befassen und an Praxis- Problemen arbeiten. In einer Projektwerkstatt wurde jüngst z.B. an der Konstruktion von Bambusfahrrädern gearbeitet. Die Ideen stammen dabei von den Studierenden selbst. Sie werden von der Zentraleinrichtung Wissenschaftliche Weiterbildung und Kooperation (ZEWK) beraten und betreut und bekommen Sachmittel sowie Personalmittel für studentische Mitarbeitende, die die Projekte verantworten. Moderation: Was entgegnen Sie Kritikern, die zuerst die Disziplin gelehrt wissen wollen, bevor interdisziplinäre Projekte bearbeitet werden können, die dann auch einige Ressourcen binden? Wendorf: Die Projekte müssen nicht zwangsläufig in der Studieneingangsphase durchgeführt werden. Ein interdisziplinäres Projekt braucht den Anschluss an ein Fach. Die intensive Berschäftigung mit einem Thema und Studierenden aus unterschiedlichen Disziplinen lässt jedoch erstaunlich fundierte und komplex durchdachte Problembearbeitungen und Lösungen entstehen. Dabei werden erhebliche personelle Ressourcen von den Studierenden selbst eingebracht. Eine andere Projektlinie, tu mint grün, das interdisziplinäre, zweisemestrige Orientierungsstudium, ist explizit für die Eingangsphase gedacht. In diesen zwei Semestern werden unter anderem durch Tutorien unterstützte Projektarbeiten durchgeführt, in der erste komplexe Aufgabenstellungen bearbeitet werden, die technische Lösungen und Nachhaltigkeit verbinden. Moderation: Herr Zervakis, in Vorgesprächen über den Bolognaprozess sprachen wir über Etikettierungen bzw. Lehrformeln, die Aufmerksamkeit erzeugen sollen. Warum hat man sich in Deutschland schwer getan, Bologna umzusetzen? Zervakis: Seit über zehn Jahren wird in Deutschland an der Umsetzung der Europäischen Studienreform gearbeitet. Ebenso lange unterstützt die Hochschulrektorenkonferenz ihre Mitgliedshochschulen mit unterschiedlichen Projekten bei ihren Reformmaßnahmen. Allerdings sehen sich die Hoch- 40 Hardy Frehe schulen mit vielen Herausforderungen konfrontiert, wie z.B. mit steigenden Studierendenzahlen, mit fehlenden Betreuungsangeboten wegen der nicht mithaltenden Grundfinanzierung, und mit zunehmend differenzierteren Erwartungen der Studierenden an Studienangebote wie -bedingungen. Diese sind nicht primär durch „Bologna“ verursacht, werden aber durch die Einführung von Bachelor und Master erst sichtbar. Der mit Bologna begonnene grundlegende Umbau von Studium und Lehre versetzt die Hochschulen in die Lage, mit den genannten Herausforderungen umzugehen. Ob die europäische Studienreform langfristig zu einem Erfolg wird, hängt wesentlich davon ab, dass es jenseits der Strukturfragen gelingt, einen echten Kultur- und Mentalitätswandel bei allen mit Studium und Lehre befassten Personenkreisen zu bewirken. Mithilfe des Projekts „nexus“ konnte die HRK in den vergangenen Jahren eine allseits akzeptierte gemeinsame Informations-, Beratungs- und Vernetzungsplattform aufbauen, um die Veränderungsprozesse weiter voranzubringen. Moderation: In Berlin verabschiedeten die Lehrenden ein Manifest zur Lehre. Was hat es damit auf sich? Wendorf: Mit dem Hochschulpakt III wollen wir neue Impulse in die Uni hereinbringen. Es soll ein Kulturwandel im Bereich Lehre angestoßen werden. In bisher zwei Strategieworkshops im Schloss Ziethen gaben sich die beteiligten Lehrenden Zielvorstellungen und reflektierten Bedarfe. Es entstand Ende 2012 das Ziethener Manifest, das Grundsätze und Zielvorstellungen für die Lehre an unserer Universität festhält. Auf verschiedenen Follow-ups wurden weiter Konkretionen vorgenommen (Ziethen II) und konkrete Maßnahmen erarbeitet. Eines der Ergebnisse ist auch die Plakat- und Postkartenkampagne: ‚Was ist gute Lehre„. Es wurden verschiedene Personen befragt und jeweils mit einem eigenen Statement auf einem Plakat in der Universität präsent gemacht. Dies erzielt große Aufmerksamkeit und die Möglichkeit, mit Postkarten oder auf einer Online-Plattform eigene Kommentare abzugeben, wurde für Rückmeldungen genutzt. Letzlich sind viele kleine Schritte nötig, um einen Prozess des Wandels anzustoßen. Moderation: Herr Zervakis, ist problemorientierte, motivierende, anwendungsorientierte, studierendenzentrierte Lehre denn automatisch zeitaufwändig? Also sind ressourcenbindende innovative Lehrkonzepte notwendig oder kann dies auch in ganz klassische Formate integriert werden? Welche Rolle spielt dabei die hochschuldidaktische Bildung? Zervakis: Bei der Studierendenzentrierung der Lehre, dem sozusagen hochschuldidaktischen Credo des „shift from teaching to learning“, handelt es sich um eines der Themen, die in der ursprünglichen Liste der Bologna-Ziele nicht besonders auffielen, über deren zentrale Bedeutung für das Gelingen der Bologna-Reform mittlerweile weitgehend Konsens besteht. Und zahlrei- Erste Diskussion: Vielfalt von Interdisziplinarität 41 che Hochschulen haben die Einführung des zweistufigen Systems von Studienabschlüsssen erfolgreich dazu genutzt, um Studiengänge zu entwickeln, die die Studierenden und deren Lernprozesse ins Zentrum stellen. Nexus hat die Botschaft in die Hochschulen getragen, dass für eine grundlegende Verbesserung von Studium und Lehre sowie eine erleichterte Anerkennung von Studienleistungen eine weitreichende Kompetenz- und Lernergebnisorientierung unumgänglich ist. Und die Lehrenden werden für die Vorteile einer stärkeren fachspezifischen curricularen Einbindung von Praxisbezügen sensibilisiert. Bachelorprogramme bilden immer mehr die Grundlage für vielgestaltige und flexible Bildungs- und Berufsbiographien. Dr. Robin Kröger (Projektleitung KIVA V, TU Darmstadt): Es geht darum, die gesellschaftlichen Anforderungen, die großen Probleme anzugehen. Dafür ist die fachliche und überfachliche Ausbildung wichtig. Zervakis: Nexus weist den Weg zu einer Verständigung darüber, wie mit dem gesellschaftlichen Auftrag umzugehen ist, neben der Fachlichkeit auch die berufliche Relevanz der gestuften Studiengänge zu fördern. Die Hochschulen wehren sich zu Recht gegen den konkreten Berufsbezug eines Studiums, aber hochschuldidaktische Innovationen zur Stärkung der Beschäftigungsbefähigung, wie etwa das problembasierte Lernen, das forschende Lehren oder das Service Learning, haben als gelebte Realität ihren Weg in die Hochschulen gefunden. Diese sind durchaus zeit- und personalaufwändig. Momentan stehen die Hochschulen allerdings vor der schwierigen Aufgabe, diese grundlegende Neuorientierung der Lehre, Studienorganisation und Beratung ohne angemessene Ressourcen vornehmen zu müssen. Das größere Gewicht für die Lehre drückt sich bislang nicht in einer entsprechend gesteigerten Grundfinanzierung aus. Die aus dem Qualitätspakt Lehre stammenden beachtlichen Beträge sind nur zeitlich befristete Projektmittel. Das Engagement vieler Lehrender erfährt wenig Anerkennung, sei es durch Leistungszulagen oder durch Reduzierung der Lehrverpflichtungen. Bestehende strukturelle und finanzielle Defizite im Bereich von Studium und Lehre können nicht länger durch ein vermehrtes Engagement Einzelner kompensiert werden. Dipl.-Psych. Marion Eger (Hochschuldidaktische Arbeitsstelle, TU Darmstadt): Wie viele Studierende sind in den Projektwerkstätten und mit wie vielen Ansprechpartner können Sie sich austauschen? Wendorf: Dies ist in jedem Projekt anders. Es sind jeweils zwei Tutoren dabei, die für das Projekt finanziert werden und mindestens ein Professor oder eine Professorin ist als Ansprechpartner verfügbar. In den Projekten sind ca. zwischen 12 und 20 Studierende, und gut zehn Projektwerkstätten laufen parallel. Die Projekte sind oft so fundiert und praxisnah, dass es Ab- 42 Hardy Frehe nehmer für Ergebnisse gibt, d.h. die Ergebnisse werden in der Praxis aufgenommen. Sören Felchow (Student, TU Darmstadt): Nach welchen Kriterien werden Projekte angenommen? Wendorf: Wichtig für die Förderung sind der interdisziplinäre Ansatz und der Bezug zur Praxis, d.h. die konkrete Handlungsebene. Dr. Martin Lommel (Wissenschaftsreferent, Goethe-Universität Frankfurt): Im Feld der Interdisziplinarität ist es sicherlich so, dass einzelne Projekt begeistern können und geschätzt werden. Aber sind die dann für eine hohe Zahl von Studierenden relevant, vor allem wenn man Interdisziplinarität als Teamteaching sieht, und nicht den einfachen Lehrexport darunter versteht? Ist dann Interdisziplinrarität wirklich eine Lösung der Probleme in der Studieneingangsphase? In Frankfurt fangen pro Jahr 8000 Studierende an. Ein umfassendes Teamteaching ist da unvorstellbar, zumal es durch die Anrechnungsmöglichkeit auf das Lehrdeputat erschwert wird. Kröger: Man kann nicht alle Problem auf einmal lösen! In den problemorientierten KIVA V-Projekten nahmen in diesem Wintersemester rund 2.100 Studierende teil. Natürlich ist es im Verhältnis ein hoher Aufwand: In einer Woche geht es um Ausbildung, ums Kennenlernen, um verschiedene Kompetenzen, um Motivation und darum, das eigene Fach im Kontrast zu anderen Fächern kennen zu lernen. In den praxisnahen Projekten werden in dieser Woche erstaunliche Ergebnisse erarbeitet. Die Beobachter sagen, dass sie dies den Erstsemesterstudenten nicht zugetraut hätten. Felchow: Der Maschinenbau machte sehr gute Erfahrungen mit den Projektwochen in der Studieneingangsphase. Dort sagt man, auch durch diese Projekte würden die Abbruchquoten gesenkt. Ich selbst war im letzten November Tutor in dem interdisziplinären Studieneingangsprojekt der Informatik, der Biologie, der Philosophie und der Politikwissenschaft. Es ließ sich gut der Benefit der Veranstaltung für die Studierenden erkennen und es war erstaunlich mitzuerleben, wie engagiert sich alle beteiligten und fächerübergreifend zusammenarbeiteten. So etwas müsste garantiert für alle Studierenden angeboten werden. II. Kompetenzentwicklung: Was kann und soll Interdisziplinarität in der Lehre bewirken? Ralf Tenberg Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen: Herausforderung oder Anmaßung? Seit Oktober 2011 wird an der TU Darmstadt über eine Laufzeit von fünf Jahren das Projekt KIVA - Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an - durchgeführt. Als Teilprojekt des BMBF-Gesamtprogramms Qualitätspakt Lehre (QPL) sollen damit die Lehrqualität sowie die Betreuung der Studierenden verbessert werden. Leitmotiv des KIVA- Projekts ist ein interdisziplinärer Ansatz, der gegenüber den anderen QPL- Projekten ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Dass Interdisziplinarität einen bedeutenden Beitrag zu guter Lehre leisten kann, war im Vorfeld des Projekts eine Grundannahme, die plausibel erschien und (im Antrag) argumentativ gut abgestützt wurde. Wie sich dies theoretisch genauer verhält (bzw. verhalten sollte), wurde dabei zunächst nicht gefragt. Fest steht zum jetzigen Zeitpunkt, dass sich der KIVA-Ansatz aus Sicht vieler Beteiligter im Verlaufe der zurückliegenden drei Jahre bewährt hat. Um nun einen Ordnungsrahmen für die vielfältigen Eindrücke und Rückmeldungen aus der Implementierung aufzuspannen und zudem der anstehenden Verstetigung des Ansatzes ein stabiles wissenschaftliches Fundament zu schaffen, ist eine genauere theoretische Klärung des Grundansatzes und seiner Zusammenhänge erforderlich: Zunächst wird dazu (1) der hochschuldidaktische Ausgangspunkt geklärt. Anschließend erfolgt auf dieser Basis (2) eine Klärung des Kompetenzbegriffs bzw. Kompetenzkonzepts. Darauf bezogen wird versucht, (3) Disziplinarität und Interdisziplinarität in Zusammenhänge hochschulischer Lehre einzuordnen. In den nächsten beiden Schritten wird (4) der Erwerb und die Vermittlung hochschulischer Kompetenzen sowie (5) die Bestimmung disziplinärer und interdisziplinärer Kompetenzen erörtert. Im (6) abschließenden „neuen Blick auf KIVA“ werden die Ausgangsüberlegungen zusammengefasst und kritisch in den KIVA-Projektrahmen zurückgeführt. 1 Hochschuldidaktischer Ausgangspunkt Vor drei Jahren startete das bislang umfassendste Förderprogramm des Bundes für hochschulische Lehre mit einem Gesamtumfang von ca. zwei Milliarden Euro. Dieses „Bund-Länder-Programm für bessere Studienbe- 46 Ralf Tenberg dingungen und mehr Qualität in der Lehre“, kurz Qualitätspakt Lehre (QPL), bezieht in allen 16 Bundesländern insgesamt 186 Universitäten und Fachhochschulen ein. Als zentraler „Hebel“ in diesem Programm wurde das Lehr-Personal fokussiert. Dieses sollte in quantitativer Hinsicht durch eine Erhöhung der Personalausstattung und in qualitativer durch Qualifizierung unterstützt werden. Wie dies im Einzelnen erfolgen sollte, war von den Antragstellern hochschulspezifisch darzustellen, d.h. in übergreifenden Konzepten für ganze Universitäten. Dies bedingte einen konzeptionellen „Auflösungsgrad“, der weitgehend auf strukturelle und prozessuale Aspekte begrenzt ist. Dezidierte didaktische Präzisierungen erscheinen in solchen „Makro-Perspektiven“ kaum möglich. Die Auswahl der dazu eingereichten Anträge wurde daher auch nicht von Hochschuldidaktikern vorgenommen, sondern von Experten aus Wissenschaft, Hochschulmanagement und Studierenden, geleitet von einer Sprachwissenschaftlerin. Damit wird deutlich, dass es sich beim QPL nur am Rande um ein didaktisches Programm handelt. Hochschulische Lehre soll primär dadurch verbessert werden, dass mehr und besser ausgebildetes Personal vor Ort ist, um Veranstaltungsspektren zu bereichern, Veranstaltungsgrößen zu verringern, die Veranstaltungsverwaltung zu professionalisieren und neuen Veranstaltungsideen eine Chance zu geben. Didaktik und Methodik in der Hochschullehre werden hier nicht explizit aufgegriffen, vielmehr geht man davon aus, dass sie in einem engen Zusammenhang mit den Lehrpersonen und den ihnen vorliegenden Lehrbedingungen stehen. Dies ist gleichermaßen opportun und probat, denn so bleibt es den Programmträgern erspart, sich in das komplexe und gleichermaßen diffuse Gebiet der Hochschuldidaktik zu begeben. Ein QPL-Einzelprojekt läuft unter dem Akronym KIVA an der TU- Darmstadt und fokussiert eine „Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung“. Der Grundgedanke dieses universitären Großprojekts liegt darin, die verfügbaren Zusatzmittel für die Lehre insbesondere so zu investieren, dass die Kompetenzentwicklung der Studierenden durch eine verbesserte Nutzung hochschuldidaktischer Potenziale vor allem in Aspekten von Interdisziplinarität unterstützt wird. Dies wird in einer Reihe von Teilprojekten umgesetzt:  durch die Einrichtung von ergänzenden oder erweiternden Professuren in interdisziplinären Schnittzonen wie der Mathematik, der Naturwissenschaftsdidaktik oder auch der Genderforschung,  durch den Ausbau und die Erweiterung der bereits etablierten interdisziplinären Studienprojekte und  durch die Unterstützung der Fachbereiche bei der Formulierung interdisziplinärer Lernziele und -konzepte sowie bei der Identifikation geeigneter Formate, Modelle, Themen, Partner und Infrastrukturen. Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen 47 Der Prämisse einer Interdisziplinarität wird somit ein hohes (hochschul-) didaktisches Potenzial beigemessen, welches durch vielfältige Wege freigesetzt werden soll. Eine genauere Klärung dieses Konstrukts wird dabei jedoch nicht vorgenommen. Hubig (vgl. Beitrag in diesem Band) unterscheidet zwischen Interdisziplinarität und Transdisziplinarität; dabei akzentuiert er die Qualität in der wissenschaftlichen Verbindung zweier oder mehrerer Fachdisziplinen. Interdisziplinarität steht in dieser Sichtweise für relativ beliebige, disziplinübergreifende Bezüge im Sinne eines „disziplinären Nebeneinanders“. Transdisziplinarität hingegen setzt den Anspruch eines integrativen Ansatzes, in welchem die eingebundenen Fachdisziplinen neue Wege erschließen und so ein eigenständiger Raum zwischen diesen Disziplinen entsteht. Gehring (2013) weist - speziell im Zusammenhang mit technischen Fakultas - auf die erforderliche Verwendung des Plurals hin. Sie markiert dabei unterschiedliche Ansatzpunkte für Interdisziplinaritäten, zum Beispiel jenen der den Techniken genuin ist, indem diese schon seit jeher Naturwissenschaften und Mathematik integrieren, oder jenen der Orientierung einer Hochschullehre für die unmittelbaren Technikbereiche (die Ingenieurbildung) versus einer Hochschullehre für technikbezogenen Bereiche (z.B. die Lehrerbildung für berufsbildende Schulen). In diesen Ausführungen wird sehr deutlich, warum eine technische Universität in hohem Maße an Interdisziplinaritäten interessiert sein muss, denn letztlich ist sie nichts anderes als ein großes interdisziplinäres Gesamtgebilde, welches die Forschung und Lehre unterschiedlichster Teilbereiche mit dem Ziel hoher Effektivität und Qualität integrieren muss. Der KIVA-Ansatz erweist sich somit auch als eine Akzentuierung einer grundlegenden Prämisse einer Technischen Universität, für deren vielschichtiges und dabei durchaus interdependentes Zusammenwirken von Forschung und Lehre aller Fraktale. 2 Hochschulische Kompetenzen Im KIVA-Konzept wird der Anspruch vielfältiger Interdisziplinarität (ohne diese genauer zu spezifizieren) konstatiert und dabei mit dem (ebenfalls kaum spezifizierten) Kompetenzbegriff in Verbindung gesetzt. Durch interdisziplinäre Vernetzung sollen die Studierenden Kompetenzen entwickeln, also ihr Studium - jenseits der Studienpläne und Modulhandbücher - durch einen neuen Aspekt bereichern. Welche Kompetenzen dabei intendiert werden, bleibt jedoch offen, ebenso wie das dabei vorliegende Kompetenzverständnis. Rhein (2011: 217) stellt grundlegend fest, dass der Kompetenzbegriff durchaus unterschiedlich verwendet wird und umreißt dabei einen Minimalanspruch in der 48 Ralf Tenberg „Fähigkeit zur erfolgreichen Bewältigung mehr oder weniger komplexer Anforderungen in mehr oder weniger komplexen Situationen“. Mit dieser bewusst vagen Definition weist er mitunter auf die Feststellung von Erpenbeck und Rosenstiel (2003: XII) hin, dass der Kompetenzbegriff „theorierelativ“ ist, also nur „innerhalb der spezifischen Konstruktion einer Theorie von Kompetenz eine definierte Bedeutung“ erhalten kann. Klieme und Hartig (2007) kennzeichnen Kompetenzen als Dispositionen, die dazu befähigen, variable Anforderungssituationen in einem bestimmten Lern- oder Handlungsbereich (Domäne) erfolgreich zu bewältigen. Dabei übernehmen sie das Dispositionsverständnis von Chomsky (1965), der aus sprachwissenschaftlicher Perspektive „competence“ als dispositionale Voraussetzung für „performance“ definierte. Kompetenzen sind demgemäß Dispositionen, welche in Performanzen wirksam werden (können). Zudem weisen sie darauf hin, dass die Domäne als komplexer Funktions- und Kommunikationsraum zu sehen sei, nicht aber im Sinne eines Tätigkeitsspektrums oder Aufgabenpakets (Klieme/ Hartig 2007). Auf das komplexe Individuum projiziert, ergeben sich also vielfältige Dispositionen in allen menschlichen Bezugs- und Bewusstseinsebenen. Eigenständiges Handeln wird demgemäß von personalen Eigenschaften bedingt, von Werten und Haltungen konstituiert, von Wissen bestimmt, durch Erfahrungen konsolidiert und aufgrund von Willen bzw. Motiven vollzogen (Rhein 2011: 218). Diese Vielfalt hinterlegt den hohen Anspruch einer Kompetenzorientierung in Bildungsprozessen. Sie ist jedoch auch dafür verantwortlich, dass zwischen der Kompetenz (also dem Aggregat der jeweils relevanten Dispositionen) und der Performanz (also der tatsächlich erfolgenden Handlung) keine unmittelbare Beziehung hergestellt werden kann. Weder kann genau prognostiziert werden, welche spezifischen Handlungen aus einem bestimmten dispositionalen Gefüge erfolgen werden, noch lässt sich exakt aufklären, auf welche spezifischen Dispositionen konkret vollzogene Handlungen zurückgehen. Dieses Emergenz-Problem ist jedoch im Bereich anspruchsvoller humaner Phänomene nichts Ungewöhnliches. Gegenteilig ist es genau diese enorme Vielfalt möglicher Wechselwirkungen unterschiedlichster Parameter, welche zentrale Humanbefähigungen wie Kreativität, Problemlösung, aber auch moralisches und soziales Handeln erst ermöglichen. Kompetenz ist somit bislang theoretisch - wenn überhaupt - nur in eingegrenzten Zusammenhängen, unter spezifischen Prämissen und mit Inkaufnahme erheblicher Unschärfen definierbar. Dies wird letztlich angesichts der Vielfalt und gleichermaßen Unterschiedlichkeit aktueller Kompetenzmodelle deutlich. Um dieser „Komplexitäts-Falle“ zu entgehen, werden in der Bildungspraxis seit dem Aufkommen des Kompetenz- Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen 49 Anspruchs vielfältige sektorale Ansätze definiert, in welchen nur wenig Wert auf theoretische Stimmigkeit gelegt wird. Derartige „Kompetenz- Konzepte“ stellen sich als pragmatische Gefüge mit einer klaren Nutzen- Fokussierung dar, also primär einer Überwindung rein wissensorientierter Curricula im Zuge eines breit konstatierten Paradigmenwechsels. Dies gilt auch bzw. insbesondere für den Kompetenzansatz des Qualitätsrahmens für Deutsche Hochschulen (QDH). Der QDH ist das aktuelle Rahmenwerk für die Gestaltung, Konkretisierung und auch Akkreditierung von Studiengängen in Deutschland. Im Zuge des sog. Bologna-Prozesses zur Schaffung eines europäischen Hochschulraums wurde der QDH in ähnlicher Struktur wie der dänische Qualifikationsrahmen, der Irish Qualifications Framework, der UK Qualifications Framework und der Scottish Credit and Qualifications Framework entwickelt. Um die zentrale Idee einer „Outcome-Orientierung“, also einer Orientierung an Lernergebnissen, an Stelle von Lerninhalten, umzusetzen, richtete man diese Rahmenwerke zentral auf die Beschreibung von Kompetenzen aus. Im QDH wird übergreifend festgestellt: „Die Kategorie „Wissen und Verstehen“ beschreibt die erworbenen Kompetenzen mit Blick auf den fachspezifischen Wissenserwerb (Fachkompetenz). Die Kategorie „Ko nnen“ umfasst die Kompetenzen, die einen Absolventen/ eine Absolventin dazu befa higen, Wissen anzuwenden (Methodenkompetenz) und einen Wissenstransfer zu leisten. Daruber hinaus finden sich hier die kommunikativen und sozialen Kompetenzen wieder“ (KMK 2010). Im QDH werden schließlich sechs Kategorien ausdifferenziert, welche eine Beschreibung der Kompetenzen Studierender in allen Hochschularten und Studiengängen, auf den drei Niveaustufen (a) Bachelor, (b) Master und (c) Dr. bzw. Ph.D. ermöglichen sollen: 1. Wissen, gestuft in (a) Grundlagenwissen, (b) Vertiefungswissen und (c) Spezialisierungswissen. 2. Verständnis, gestuft in Orientierung an das Niveau von Fachwerken, also (a) Lehrbuchniveau, (b) Fachjournal-Niveau und (c) Überschreitung des Fachjournal-Niveaus. 3. Systemische Kompetenzen im Sinne reflexiver Befähigungen, gestuft in (a) geschlossen-beurteilende, (b) offen-entscheidende und (c) neugestaltende. 4. Instrumentelle Kompetenzen im Sinne operativer Befähigungen, gestuft in (a) direkte Wissensanwendung, (b) erweiterte Wissensanwendung und (c) Wissensgenerierung. 5. Kommunikative Kompetenzen (informationsbezogen), gestuft in Orientierung an die Informationsakquise (a) Informationen unabhängig vom Forschungskontext, (b) Informationen aus dem konsolidierten For- 50 Ralf Tenberg schungskontext und (c) Informationen aus dem aktuellen Forschungskontext. 6. Kommunikative Kompetenzen (sozial-kommunikativ), gestuft in (a) team-partizipierend, (b) team-verantwortlich und (c) team-leitend. Dieses „Kompetenzmodell“ wäre wissenschaftlich kaum tragfähig, da es erhebliche Inkonsistenzen aufweist, welche grundlegend aus dem Nebeneinander von „Wissen“ und „Können“ entstehen. Die axiomatische Beziehung zwischen Kompetenz und Performanz wird aufgehoben, indem man sie konzeptionell gleichsetzt. Theoretisch ebenso unschlüssig ist das Nebeneinander instrumenteller, systemischer und kommunikativer Kompetenzen, denn die ersten beiden Kategorien werden mit „Wissen und Verstehen“ in Verbindung gebracht, die dritte jedoch nicht. Wird bei kommunikativen Kompetenzen Wissen und Verstehen als irrelevant erachtet, und wenn ja, welche anderen Dispositionen sind hier kompetenzbestimmend? (Tenberg 2014: 7). Eine weitere Schwäche des QDH-Kompetenz-Ansatzes wird im Hinblick auf die Taxierung der drei hochschulischen Niveaustufen deutlich, vor allem bei den Aspekten 2. und 3. Angesichts der Unschärfe des Konstrukts „Verständnis“ wird dieses nicht direkt mit einschlägigen Kategorien taxiert, sondern indirekt über das Niveau der Schriften, die von den Studierenden verstanden werden sollen. Noch unschärfer wird der Ansatz bei den „systemischen Kompetenzen“. Hier werden latent affektiv-moralische Kategorien adressiert, welche im Hinblick auf das Kompetenz-Konstrukt generell in Frage zu stellen sind bzw. einer genaueren Klärung bedürfen. Zusammengefasst ist somit festzustellen, dass es sich beim QDH- Kompetenzansatz eher um ein terminologisches Gebilde handelt, denn um ein theoretisch fundiertes Konzept. Empirische Studien mit theoretischen Bezügen zum QDH wurden bislang nicht veröffentlicht. Selbst der Bolognaprogrammatischen Intention, eine Outcome-Orientierung im Hochschulraum zu fundieren, kann dieser Ansatz kaum gerecht werden, da er sich in hohem Maße auch auf intersubjektive Kategorien wie Wissen und Verständnis abstützt. Analysiert man Studienordnungen an deutschen Hochschulen, wird eine enorme Vielfalt in der curricularen Anwendung des QDH deutlich, die teilweise auch als Beliebigkeit eingestuft werden könnte (Tenberg 2014: 23). Was jedoch konkret unter hochschulischen Kompetenzen zu verstehen ist, ist bislang theoretisch nur angedacht, jedoch kaum ausdifferenziert und empirisch völlig unerschlossen. 3 Disziplinarität vs. Interdisziplinarität Im Eingangsteil wurde schon darauf hingewiesen, dass der Begriff der Interdisziplinarität keineswegs exakt und allgemein anerkannt definiert ist. Gegenteilig wird dieser aus durchaus unterschiedlichen Zugängen kontro- Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen 51 vers konturiert und unterliegt zudem einem anhaltenden Wandel, der mit dem disziplinären Selbstverständnis und den sich immer wieder verändernden Vorstellungen von wissenschaftlicher Zusammenarbeit einhergeht (Gehring 2013: 4 ff.). Dabei sind trennscharfe Wissenschaftsdisziplinen im 21. Jahrhundert kaum noch erkennbar. Waren es früher klare wissenschaftliche Prämissen wie Forschungsgegenstände, -felder oder -zugänge, welche spezifische Disziplinen markierten, sind es heute zumeist eher kollektive oder standespolitische Rudimente wie beispielsweise Wissenschaftsgesellschaften, Vortrags- oder Veröffentlichungsräume, die eine disziplinäre Abgrenzung aufrecht halten. Mit der quantitativen Zunahme von Disziplinen im 20. Jahrhundert im Zuge der naturwissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Ausdifferenzierung wurden die disziplinären Räume zunächst immer enger. Die damit einhergehende Zunahme in der Forschungskooperation zog das Entstehen überdisziplinärer Räume nach sich, bzw. die Abspaltung von Subdisziplinen oder „Hybrid-Disziplinen“. Beispiele dafür sind Biochemie (Chemie innerhalb der Biologie), Theoretische Physik (Mathematik innerhalb der Physik), Mechatronik (systemische Koppelung von Metall-, Elektro- und Informationstechnik) und Materialwissenschaften (funktionale Nutzung von Physik, Chemie für die Metall-, Bau- und Elektrotechnik). Selbst die ehemalige Aufteilung der Wissenschaft in Natur-, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften löst sich (angesichts der „Empirisierung“ der Humanwissenschaften) inzwischen teilweise auf. Betrachtet man den aktuellen Stand der Ingenieurwissenschaften, integrieren diese neben allen Naturwissenschaften und der Mathematik auch die Informatik sowie die Rechts- und Humanwissenschaften. Exklusive Gegenstände, Fragestellungen und Verfahren der Erkenntnisgewinnung gibt es kaum noch. Praxen, die eineindeutig aus spezifischen Disziplinen hervorgehen, werden seltener. Forschungsgemeinschaften konstituieren sich zunehmend auch nach nicht-disziplinären Aspekten „quer“ zu den Disziplinen. Interdisziplinäre Forschung gewinnt an Umfang und Bedeutung. Moderne Studiengänge tragen dem Rechnung durch einen disziplinären Kern und „interdisziplinäre Applikationen“. Trotz der fortschreitenden Erosion dieser Kategorie beschreibt Rhein (2011: 219) Fachdisziplinen als bedeutsame wissenschaftliche Rahmungen, welche Thematiken und Handlungsräume definieren und für diese Zuständigkeit beanspruchen; „sie praktizieren je spezifische Bearbeitungsmodi von Aufgabenstellungen und Herangehensweisen an Problemlösungen und haben hierfür in der Regel typische Denk- und Handlungsmuster entwickelt“ (ebd.). Ein Studium ist aus dieser Perspektive eine mehr oder weniger gelenkte Einsozialisierung in eine Disziplin, denn im 52 Ralf Tenberg „Verlaufe eines Studiums werden von den Lernenden die disziplinbezogenen Wissensbestände, Problemdefinitionen und handlungsorientierten Programme erworben, typische Werte verinnerlicht und eine disziplinbezogene Identität aufgebaut“ (ebd.). Damit wird den universitären Disziplinen im Bereich der Lehre vieles von der Bedeutung zurückgegeben, die sie absehbar im Bereich der Forschung eingebüßt haben. Dies wird insbesondere im Hinblick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs deutlich, für den dieser fachlich fundierte und fachsprachlich kodifizierte Sozialisationsprozess von wesentlich größerer Bedeutung ist, als für jene Studierenden, die nach dem Studium die Universität verlassen. In beiden Fällen muss somit davon ausgegangen werden, dass Disziplinarität ein basaler Aspekt eines Studiums ist, welcher einer Interdisziplinarität jedoch nicht entgegensteht, sondern für diese - gegenteilig - sogar eine Grundvoraussetzung darstellen müsste, denn eine defizitäre oder gar fehlende Einsozialisierung in eine Fachdisziplin wäre für die Studierenden gleichbedeutend mit einem fachlichen Identitätsproblem. Orientierung in einem interdisziplinären Raum - ob an der Universität oder im Beruf - erfordert einen genuinen Ausgangspunkt und einen stabilen Bezugspunkt. Je schwächer dies ausgeprägt ist, desto unsicherer werden Entwicklungen folgen, die sich darauf rückbeziehen sollten. Im ungünstigsten Falle entwickelt sich eine weitgehend bezugslose Multidisziplinarität, im Sinne einer „fachlichen Heimatlosigkeit“. 4 Erwerb und Vermittlung hochschulischer Kompetenzen Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen kann ein hochschulischer Kompetenzaufbau als ein disziplinär geprägter „Prozess der Transformation von personalen in intrapersonale Kompetenzen“ verstanden werden (ebd.). Durch den enormen Umfang und die hohe Komplexität akademischen Wissens könnten auf Basis dieser Grundannahme jedoch unzählige Varianten für eine Realisierung dieser Transformation impliziert werden. Erst die Anbindung an konkrete Zielperspektiven hochschulischer Bildung kann hier eine Reduzierung und Strukturierung herbeiführen. Welche Ausprägungen hochschulische Kompetenzen erhalten, lässt sich nach Rhein (2011: 220) anhand vier prototypischer Konzepte beschreiben: 1. Kompetenzorientierung als Vorbereitung auf erkenntnisorientierte Forschung im Tätigkeitsbereich von Universitäten oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen. 2. „Kompetenzorientierung als Zugriff auf den instrumentellen Charakter von Wissenschaft mit ihren Methoden, Konzepten und Wissensbestän- Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen 53 den“ (ebd.) im Tätigkeitsbereich von staatlichen oder privatwirtschaftlichen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. 3. „Kompetenzorientierung als Vorbereitung auf Handlungsanforderungen anspruchsvoller Tätigkeiten“ (ebd.) im Tätigkeitsbereich von UniversitätsabsolventInnen. 4. „Kompetenzorientierung als Betonung von employability aber auch citizenship“ im Tätigkeitsbereich von FachhochschulabsolventInnen. Eine deutliche Trennlinie markiert Rhein hierbei zwischen 1./ 2. und 3./ 4: „Während die dritte und vierte Lesart Anwendungskontexte betonen, verlegen die ersten beiden Optionen den Kompetenzgedanken in die Wissenschaft selbst“ (ebd). Selbstorganisiertes Handeln und die diesem zuzuschreibenden Dispositionen unterscheiden sich absehbar deutlich voneinander, was insbesondere für die Universitäten problematisch erscheinen muss, da sie die ersten drei Ausprägungen in ihren Bildungsgängen nicht nur bereithalten, sondern zudem (zumindest in Anteilen) integrieren müssen, denn ihre Studiengänge müssen seit Bologna sowohl „Employability“ schon auf Bachelor-Niveau gewährleisten, als auch grundständig die langen Wege in die Spitzenforschung anbahnen. Damit verschwimmen in vielen Studiengängen die Zielperspektiven, was sich deutlich in deren Curricula abzeichnet. Werden dort überhaupt Kompetenzformulierungen verwendet, sind diese selten konform zu einem Theorieansatz (wie z.B. dem QDH) (Tenberg 2014: 23). Für eine Kompetenzvermittlung sind jedoch nicht nur übergreifende Ziele und Curricula kennzeichnend, sondern zudem auch die Methoden hochschulischer Kompetenzvermittlung. Hierfür sind wiederum traditionell die Fachdisziplinen zuständig. Ob bzw. inwiefern diese auf den Kompetenz- Anspruch durch methodische Modifikationen bzw. Innovationen bislang reagiert haben, lässt sich in Ermangelung diesbezüglicher Forschung kaum mutmaßen. Ein plausibler Monitor wäre hier möglicherweise das universitäre Prüfungswesen. Wo aber wird bislang kompetenzorientiert geprüft? Wie sehen solche Prüfungen aus, welche didaktische Relevanz, aber auch welche empirische Güte weisen sie auf und: Wie werden dabei wiederum die vier unterschiedlichen prototypischen Ausrichtungen von Rhein abgebildet? Als einen ersten Ansatz, hier Akzente zu setzen, kann das BMBF- Förderprogramm KoKoHS (Kompetenzen im Hochschulsektor) verstanden werden. In dessen Bekanntmachung vom 24.09.2010 wird festgestellt: „So zentral das Thema Kompetenzmodellierung und -erfassung im Zuge der zunehmenden Outputorientierung für den Schulbereich geworden ist, so vernachlässigt stellt es sich - mit Ausnahmen im Bereich der Lehrerausbildung sowie der Medizin - für den Hochschulbereich dar. Betrachtet man das Forschungsfeld der Modellierung und Messung der an Hochschulen vermittelten domänenspezifischen und generischen Kompetenzen von Studieren- 54 Ralf Tenberg den und Promovierenden unterschiedlicher Fachdisziplinen, muss - auch mit Blick auf die internationale Forschungslandschaft - eine erhebliche Forschungslücke konstatiert werden“ (BMBF 2010). Betrachtet man jedoch die inhaltliche Orientierung der Ausschreibung, werden keine in sich geschlossenen hochschuldidaktisch relevanten Kompetenzkonzepte adressiert, vielmehr sollen hier - in Anlehnung an die internationalen Vergleichsstudien - hochreliable Messinstrumente entwickelt werden. Ähnlich wie in PISA wird ein Vergleich auf large-scale-Niveau anvisiert, hinter dem politische, nicht jedoch didaktische Ansätze und Ansprüche stehen. Ob so dann letztlich eine verstärkte Kompetenzorientierung an den Hochschulen erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. Die dringend erforderlichen didaktisch-methodischen Entwicklungsprozesse können damit jedoch kaum umgangen oder substituiert werden. Letztlich wäre ohne diese ein hochschulisches „teaching on the test“ zu erwarten, nicht aber eine Lösung der vorausgehend erörterten grundlegenden, vielschichtigen und äußerst komplexen Grundproblematik kompetenzorientierter Hochschullehre. 5 Bestimmung disziplinärer und interdisziplinärer Kompetenzen Ausgehend von der Feststellung, dass Studieren als ein Einsozialisieren in eine Fachdisziplin zu verstehen ist, müsste im Hinblick auf den Aspekt der Interdisziplinarität nun festgestellt werden, wie sich diese in den einzelnen Studiengängen bis zum heutigen Stand etabliert hat. Dies erscheint relativ einfach, da die Curricula vorliegen und diese nur einer Analyse unterzogen werden müssen, welche kategorial zwischen disziplinären Kompetenzen und interdisziplinären unterscheidet. Interessanter, aber schon deutlich schwieriger wäre dann eine Analyse über die Gründe für die jeweilige interdisziplinäre Anreicherung, sowohl in qualitativer, als auch in quantitativer Hinsicht. Zum Beispiel wäre zu klären, warum genau jene elektrotechnischen Kompetenzen einem angehenden Maschinenbauingenieur in genau jenem Umfang und mit genau jenem Anspruch vermittelt werden und nicht andere in anderen Umfängen oder Ansprüchen. Daraufhin ließen sich Überlegungen bezüglich deren Beibehalten oder Ändern anstellen, ebenso Überlegungen bezüglich anderer interdisziplinärer Studienanteile. Schwieriger zu klären wären dabei aber genau jene Kompetenzen, die nicht explizit in den Studienplänen konkretisiert sind, oder in so schwach ausgeprägter Form, dass sie mit einer derartigen Analyse kaum abgebildet werden können. Dies sind dann (im Sinne von Rhein 2011: 221) übergreifende akademische Kompetenzen wie „der Umgang mit Komplexität, der Umgang mit unspezifisch definierten Problemstellungen, das Denken in Möglichkeitsräumen sowie theoretisch- Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen 55 reflexive, forschungsbezogene, aisthetische, ethische und poietische Kompetenzen“ (ebd.). Genau diese Kompetenzen könnten die hier erörterte Spannung zwischen Disziplinarität und Interdisziplinarität möglicherweise auflösen, denn sie sind in beiden Ausprägungen vorstellbar. In disziplinärer Form stehen sie über einem bestimmten Denk- und Handlungsraum, in interdisziplinärer Form werden sie diesbezüglich relativiert und abstrahiert. Das heißt, dass Rheins übergreifende akademische Kompetenzen einen Dualismus verkörpern, der - hochschuldidaktisch gewendet - eine Brückenfunktion erfüllen kann, die für die Interdisziplinarität in der Forschung schon seit langem selbstverständlich ist: Indem universitäre Lehrveranstaltungen genau jene Kompetenzen nicht nur adressieren, sondern darüber hinaus reflektieren und im Übergang in andere Fachdisziplinen relativieren, erreicht man das, was der Kompetenzgedanke in seiner Grundidee vorsieht: die Schaffung von Dispositionen für ein eigenständiges Handeln; im vorliegenden Falle jedoch auf einem äußerst hohen Niveau menschlichen Denkens und Verstehens. 6 Ein neuer Blick auf KIVA Vor dem Hintergrund der vorausgehenden Analyse stellt sich der KIVA- Ansatz in neuer Form dar. Das Projekt hat einzigartig in diesem Umfang und mit dieser Tragweite das Thema interdisziplinärer Kompetenzen in der hochschulischen Bildung eröffnet und damit eine wichtige Tür aufgestoßen. Dabei werden nun theoretische Unschärfen sowie Desiderata in konzeptionellen, empirischen und didaktischen Belangen deutlich. Dies gilt an erster Stelle im Hinblick auf den kompetenzorientierten Ansatz, denn aktuell sind Kompetenzen aus hochschuldidaktischer Sicht nur vage theoretisch geklärt. Konsistente didaktische Systeme, welche den Kreis aus Curriculum, Vermittlung und Überprüfung in sich geschlossen abbilden, fehlen bislang. Das in Deutschland aktuell dominierende Rahmenkonzept des QDH ist diesbezüglich kaum tragfähig und wird in den bisherigen Gestaltungs- und Akkreditierungsprozessen sehr variantenreich interpretiert. Weitere Unschärfen sind sowohl für die Einzelkonzepte von Disziplinarität und Interdisziplinarität festzustellen, als auch für deren (mögliche) Zusammenhänge. Insbesondere wird bei diesbezüglichen hochschulbezogenen Überlegungen eine erhebliche Differenz zwischen Forschung und Lehre deutlich, welche letztlich darauf hinweist, dass das Studieren im 21. Jahrhundert teilweise in großer Entfernung zum wissenschaftlichen Kontext stattfindet. 56 Ralf Tenberg Dies muss jedoch nicht als Defizit verstanden werden, denn wenn inzwischen mehr als 50% eines Altersjahrgangs von Schulabgängern in ein Studium gehen, muss Studieren sowohl aus volkswirtschaftlicher Sicht, als auch im Hinblick auf individuelle Neigungen und Begabungen in großen Anteilen Berufsausbildung sein. Rheins vier Prototypen einer grundsätzlichen Studienorientierung bieten dazu einen Differenzierungsansatz und machen deutlich, dass die Grundidee eines Studierens als Einsozialisierens in eine Fachdisziplin nicht direkt umsetzbar ist, sondern auf diese vier Varianten „durchdekliniert“ werden muss. Für die Prototypen 1 und 2, die vorwiegend wissenschaftsorientiert sind, erscheint dies relativ klar; im traditionellen Sinne kann hier auch im 21. Jahrhundert ein sinnvoller Weg von der Disziplinarität in die Interdisziplinarität gegangen werden. Für die Prototypen 3 und 4, welche weitgehend anwendungsorientiert sind, erscheint dies eher fragwürdig, da die Wissenschaftsdisziplinen in der Welt außeruniversitärer akademischer Berufe kaum Bedeutung haben. Ein/ e BetriebsleiterIn arbeitet ebenso wenig disziplinär oder interdisziplinär wie ein/ e ControllerIn oder ein/ e PersonalleiterIn. Hier könnte man also möglicherweise auf den tradierten Weg disziplinfundierter Lehre verzichten. So plausibel dies in derartigen konzepttheoretischen Betrachtungen erscheint, so schwierig ist dies bezogen auf die universitäre Realität. Da zu Beginn eines Universitätsstudiums noch offen sein muss, ob der Weg in die Forschung oder in die Anwendung gehen soll, müssen die Basisbereiche der Studiengänge möglichst multiperspektivisch angelegt sein. Dies würde aber deutlich für einen Studienbeginn mit disziplinärer Ausrichtung sprechen, da ansonsten die Studienwege in die Forschung kaum optimal vorgezeichnet wären, denn dies bedingt Disziplinarität als Basis für Interdisziplinarität. Ausdifferenziert könnte dann aber im Master werden, jedoch nur dort, wo schon ein Ausschluss der einen oder anderen Grundorientierung vollzogen ist. Dazu zählen sicher die sogenannten Fortbildungsmaster, welche generell anwendungsorientiert sind, nicht jedoch die Masse der konsekutiven Masterstudiengänge, welche die ehemaligen monostrukturierten Diplom- oder Staatsexamensstudiengänge im Zuge der Bologna-Reform abgelöst haben. Auch hier gilt das Gebot der Multiperspektivität mit der Konsequenz, dass der Disziplinarität ein hoher Stellenwert einzuräumen ist und Interdisziplinarität dieser in sinnvoller und begründeter Weise nachbzw. beizuordnen ist. Auszunehmen wären hier jedoch wissenschaftsorientierte Hybridstudiengänge wie beispielsweise die Materialwissenschaften, da es hier keine Ausgangsdisziplin gibt. Die einzelnen Ansätze im KIVA-Projekt wurden nicht basierend auf einer derartigen theoretischen Auseinandersetzung über das Verhältnis von Disziplinarität und Interdisziplinarität gestaltet und durchgeführt, sondern in enger Ausrichtung auf die curriculare und methodische Realität der aktuellen Lehrveranstaltungen an der TU Darmstadt. Diese wiederum wurden Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen an deutschen Hochschulen 57 wahrscheinlich in ihrer Gestaltung und Akkreditierung im Zuge der Bologna-Reform kaum bezüglich interdisziplinärer Kompetenzen konzipiert, vielmehr orientierte man sich dabei wahrscheinlich an tradierten und erfahrungsbasierten Ansätzen aus den Vorgängerstudiengängen. Daher werden in KIVA auch weitgehend Aspekte adressiert, die am ehesten „übergeordneten akademischen Kompetenzen“ nach Rhein zuzuordnen sind. Beispiele sind hier die projektartigen Einstiegsveranstaltungen in die Ingenieurstudiengänge, in welchen deren Studierende gemeinsam mit Studierenden aus Human- und Wirtschaftswissenschaften komplexe Entwicklungsprojekte eigenständig umsetzen und reflektieren, oder die Gender-MINT-Ansätze, über welche Gender-Aspekte in Lehrveranstaltungen aus dem mathematischen, informationstechnischen, naturwissenschaftlichen und technischen Bereich reflektiert und aufgearbeitet werden. Aktuell wird das gesamte Projekt evaluiert. Damit werden sich aus KIVA eine Reihe von interessanten und durchaus relevanten Informationen ergeben, welche in jedem Falle einschlägige Rückmeldungen in die vielen Einzelformate ermöglichen werden sowie übergreifende Aussagen über die Gesamtanlage des Projekts und dessen Stärken und Schwächen. Um jedoch das Potenzial der durch KIVA eröffneten Thematik interdisziplinärer Kompetenzen in der Hochschulbildung systematisch zu erschließen, wäre ein neuer Ansatz erforderlich, der die hier skizzierten Überlegungen differenziert und in einem Gesamtdesign konkretisiert, das den aktuellen hochschuldidaktischen Forschungsstand implementiert. Die dabei absehbaren Ausmaße wären ähnlich dem KIVA-Projekt zu prognostizieren, da die Spuren der Interdisziplinarität durch den gesamten Lehrbereich einer Hochschule führen müssen. Als zentrale Ordnungsgedanken wären die folgenden bedeutsam: 1. Grundlegende curriculare Analysen der (einzubeziehenden) Studiengänge bezüglich ihrer disziplinären und interdisziplinären Facetten vor dem Hintergrund der vier Prototypen der Zielsetzung von Studiengängen nach Rhein. 2. Empirische Erhebungen über die disziplinäre Selbstwahrnehmung sowohl bei Lehrenden aller Rollen und Entwicklungsstufen einer Disziplin als auch bei Studierenden aller Studienabschnitte und -profilierungen in engeren disziplinären Kontexten, insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung und Bedeutung von Interdisziplinarität. 3. Empirische Erhebungen über die Selbstwahrnehmung sowohl bei Lehrenden aller Rollen und Entwicklungsstufen in un- oder überdisziplinären Bereichen (z. B. in Hybridstudiengängen) als auch bei Studierenden aller Studienabschnitte und -profilierungen in solchen Kontexten, insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung und Bedeutung von Disziplinarität. 4. Herleitung und Verifizierung strukturierter und empirisch fundierter, studiengangspezifischer Konzepte der jeweiligen Anreicherungen und 58 Ralf Tenberg Beziehungen aus Disziplinarität und Interdisziplinarität (Synopse aus 1, 2 und 3). 5. Klärung des universitären Kompetenzverständnisses, sowohl über die Studienpläne als auch über die Lehrenden selbst. 6. Ausbau von KIVA-Ansätzen oder Aufbau von neuen Ansätzen interdisziplinärer Lehre auf Basis eines tragfähigen Grundkonzepts (Synopse aus 4 und 5), Implementierung der neuen Formate und Einbettung dieser in gestaltungsorientierte Forschung (design based research). Mit einem so fundierten KIVA II ließen sich die pragmatischen Ziele des Qualitätspakts Lehre (Bereicherung der Hochschullehre durch mehr, besseres bzw. besser ausgebildetes Lehrpersonal) absehbar ebenso gut erreichen, wie mit KIVA. Darüber hinaus wären jedoch weitere, hochschuldidaktisch sehr bedeutsame Erträge absehbar, in Form von theoretischen Modellierungen und empirischen Befunden über elaborierte Lehrformate, welche wiederum Rückschlüsse sowohl auf die Theorie als auch auf die hochschulischen Curricula sowie auf die neuen Formate im Hinblick auf interdisziplinäre Kompetenzvermittlung ermöglichen könnten. Literatur Bundesministerium für Bildung und Forschung (2010): Bekanntmachung von Richtlinien zur Förderung von Forschungsvorhaben zum Themenfeld ,Kompetenzmodellierung und Kompetenzerfassung im Hochschulsektor„. Noam Chomsky (1965): Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge, MA: MIT Press. John Erpenbeck und Lutz von Rosenstiel (Hrsg.) (2003): „Einführung“, in: Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag, I-XIV. Petra Gehring (2013): „Technik in der Interdisziplinaritatsfalle. Anmerkungen aus Sicht der Philosophie“, in: Journal of Technical Education 1(1), S. 1-16. Eckhard Klieme und Johannes Hartig (2007): „Kompetenzkonzepte in den Sozialwissenschaften und im erziehungswissenschaftlichen Diskurs“, in: Manfred Prenzel, Ingrid Gogolin und Heinz-Hermann Krüger (Hrsg.): Kompetenzdiagnostik, Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 8, Wiesbaden: VS Verlag, S. 11-32. Kultusministerkonferenz (KMK) (2010): La ndergemeinsamen Strukturvorgaben zur Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengangen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10.10.2003, i.d.F. vom 04.02.2010. Rüdiger Rhein (2011): „Kompetenzorientierung im Studium? ! “, in: Isa Jahnke und Johannes Wildt (Hrsg.): Fachbezogene und fachübergreifende Hochschuldidaktik und Studiengangsentwicklung. Blickpunkt Hochschuldidaktik, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 215-26. Ralf Tenberg (2014): „Kompetenzorientiert studieren: didaktische Hochschulreform oder Bologna-Rhetorik? “, in: Journal of Technical Education 1(1), S. 1-30. Andreas Kaminski Kontinuität oder Bruch? Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests Die Geschichte der Kompetenz gilt als die Geschichte eines epistemischen und psychometrischen Bruchs. Durch Kompetenzorientierung in der (interdisziplinären) Lehre soll nicht bloß Wissen vermittelt werden. Durch Kompetenzprüfungen sollen nicht eine abstrakte, allgemeine Leistungsfähigkeit namens Intelligenz ermittelt, sondern möglichst alltagsnahe erfasst werden, wie gut Individuen in der Lage sind, auf kreative Weise Probleme zu lösen. Die Genese des Kompetenzbegriffs wird daher in diesem doppelten Bruch gesehen: in der Abgrenzung zu Wissen und Intelligenz. Kompetenz als Können sei einerseits mehr als Wissen, das unter Umständen gar nicht praktisch wirksam werde und dann lediglich ‚totes Wissen„ sei. Kompetenz sei andererseits besser geeignet, um Prognosen zu treffen, ob sich jemand in einem bestimmten Feld werde bewähren können, da die Kompetenzmessung - anders als die Intelligenzmessung - präzise auf das Anforderungsprofil in einem bestimmten Tätigkeitsbereich bezogen sei und daher nicht lediglich eine äußerst allgemeine Fähigkeit prüfe. Dies zusammen genommen erläutert, warum Kompetenzen im Kontext von Interdisziplinarität als förderlich erscheinen. Der intelligente ‚Nerd„ kann unfähig sein, im Team zu arbeiten, oder angesichts komplexer, unstrukturierter Herausforderungen, die neue, kreative Lösungen erfordern, versagen. Doch stimmt diese Geschichte? Ist die Genese des Kompetenzbegriffs durch diesen zweifachen Bruch bestimmt? Ich glaube nicht. Kompetenzprüfungen weisen eine viel größere Kontinuität mit anderen psychometrischen Verfahren auf, als es die Proklamation des zweifachen Bruchs darstellt. Insbesondere sind die Unterschiede zum Intelligenzbegriff und zu psychotechnischen Eignungsverfahren (beides Erfindungen der angewandten Psychologie um 1900) geringer als gedacht; das heißt nicht, dass es keine Differenzen gibt. Nur sind sie weniger ausgeprägt bzw. an anderen Stellen zu finden, als üblicherweise erwartet wird. Im Folgenden suche ich einige markante Punkte in dieser Geschichte auf. Ich entwickle einen Vorschlag, der mir angemessener erscheint, als die oben umrissene Geschichte der Kompetenz. Es handelt sich dabei um einen tentativen Versuch. Eine umfassendere, gründliche Geschichte nicht nur des Kompetenzbegriffs, sondern der Techniken und Formen der Prüfung steht 60 Andreas Kaminski aus, so sehr es auf der Hand liegt, diese Geschichte zu schreiben. 1 Die Vervielfältigung von Prüfungsformen und -ereignissen, die Geschichte der Testbewegung und die Formen ihrer Kritik im 20. Jahrhundert sind von zu großer Bedeutung, um dieses Thema unbearbeitet zu lassen. 2 1 Genese der Intelligenzforschung Um 1900 entsteht die Idee einer neuen Disziplin: der praktischen oder angewandten Psychologie. Bereits in den Jahrzehnten zuvor wurden auf experimentellem Wege geistige Eigenschaften und Verhaltensweisen gemessen (vgl. etwa Fechner 1860; Heidelberger 1993). 3 Die praktische Relevanz dieser Messpraktiken wurde schnell verstanden. 4 Aus der grundlagenorientierten Messung von Eigenschaften wurde die anwendungsorientierte Messung von Leistungen 5 bzw. der Leistungsfähigkeit. Um 1900 entwickelten Théodore Simon und insbesondere Alfred Binet ein Verfahren, um die intellektuelle Leistungsfähigkeit von Schülern zu ermitteln: der Intelligenztest entstand (vgl. dazu Binet/ Simon 1904; Binet/ Simon 1908; Binet 1909; Binet 1910). Fortentwickelt durch Psychologen wie William Stern (vgl. hierzu Stern 1912b; Stern 1918a; Stern 1912a) in Deutschland und Lewis M. Terman (vgl. Terman 1916) im angelsächsischen Sprachraum entstand eine Prüfungsform, die auf eine allgemeine Denkfähigkeit abzielte: die Fähigkeit zu abstraktem, räumlichem, logischem Denken sollte durch eine, wie Charles Spearman (vgl. Spearman 1904) es nannte, „general ability“ bedingt sein, welche gemessen werden könne. 1 Es gibt inzwischen ein DFG-gefördertes wissenschaftliches Netzwerk Geschichte der Prüfungen 1900-2000, dessen Antragssteller und Sprecher der Verfasser ist. Vgl. dazu http: / / www.dfg-gpt.de [21.11.2014]. 2 Vgl. Boltanski 2008; Boltanski/ Thevenot 2007; Boltanski/ Chiapello 2006; Gelhard 2011; Alkemeyer et al. 2013; Kaminski 2010; 2011; 2013. 3 Vgl. zur frühen Diskussion dieser Messpraktiken Schlaudt 2009. 4 Die Arbeit von James McKeen Cattell stellt hier einen Wendepunkt dar, sofern es Cattell einerseits um die exakte wissenschaftliche Messung geht, auf dass die Psychologie den Status einer exakten Wissenschaft erhält, andererseits um den praktischen Nutzen, der für Individuen beispielsweise in einem verbesserten „training“ bestehen könnte. Vgl. McKeen Cattell 1890: 373. McKeen Cattell, welcher der erste Assistent Wilhelm Wundts war, bevor er der erste Professor für Psychologie in den USA wurde, ging nach seiner Promotion zunächst zu Francis Galton nach London. Ein Schüler McKeen Cattells war Edward Lee Thorndike. Mir ist nicht bekannt, ob McKeen Cattell der eugenischen Bewegung angehörte, Galton und Thorndike waren jedoch beide Vertreter der Eugenik. Das ist zumindest insofern von Bedeutung, als es beleuchtet, dass die Entwicklung von Testverfahren in einem Umfeld starker praktischer Interessen erfolgte. 5 Über die Geschichte des Leistungsbegriffs ist ebenfalls nicht viel bekannt. Es gibt inzwischen zumindest einige Vorarbeiten der Historikerin Nina Verheyen hierzu. Vgl. Verheyen 2014 und Verheyen 2012. Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests 61 Intelligenztests kamen erstaunlich schnell und in erstaunlich vielen Bereichen zum Einsatz: von den Schulen (vgl. dazu Terman et al.; Stern 1918a) über das Militär (siehe Yerkes 1921), Unternehmen (siehe beispielweise Giese 1924), die Psychiatrie (vgl. Stern 1919) oder in Fragen sozialer Devianz bis zur Delinquenz (vgl. ferner Goddard 1912; Burt 1925). Sie galten schnell als die am besten entwickelte psychometrische Prüfungsform. Es gibt viele Gründe, die zu ihrer Durchsetzung beitrugen: Sie waren relativ kostengünstig, man benötigte keine Apparaturen, ihre Durchführung und Auswertung wurde auch von angelerntem Personal durchgeführt; sie versprachen eine wissenschaftliche Exaktheit (es gibt nur richtige und falsche Antworten), ihr Ergebnis suggerierte Klarheit und Evidenz: eine Zahl für eine Person, was zudem die Erstellung von sozialen Rangreihenfolgen in Selektionsprozessen ermöglicht. Drei Gründe möchte ich jedoch eigens hervorheben, da sie für die spätere kompetenztheoretische Kritik an den Intelligenzprüfungen von Bedeutung sind. (1) Allgemeinheit: Intelligenz sollte nicht irgendeine psychische Eigenschaft sein, sondern gleichsam die allgemeinste oder schlechthin zentrale. In den frühen Intelligenztheorien zeigt sich dies sowohl am Begriff der Intelligenz (der g-Faktor bei Spearman etwa, wobei g hier für „general“ steht) als auch und vor allem an den Folgen, welche dem Intelligenzmaß zugeschrieben wurden. Das Intelligenzmaß einer Person sollte maßgeblich verantwortlich sein für den Schulerfolg, den Erfolg in bestimmten Berufen und ganz allgemein für ihren Lebensweg. So sollten soziale Devianzphänomene wie Kriminalität, Prostitution, Geisteskrankheit oder soziale Verwahrlosung auf einen Mangel an Intelligenz zurück zu führen sein. 6 Auch wenn diese Position sich historisch deutlich abgemildert hat, gelten Intelligenzmaße teilweise bis heute als zentraler Faktor für den Erfolg von Personen und Gesellschaften. 7 (2) Prognosewert: Der Vorzug von Intelligenzprüfungen sollte darauf beruhen, dass sie das genauste und verlässlichste Instrument sind, um den Erfolg einer Person zu prognostizieren - in Schule, Unternehmen oder hinsichtlich ihrer Biographie allgemein. Dieser behauptete Vorzug hängt mit dem vorangegangenen zusammen: Sofern Intelligenz ein zentraler Faktor in der Leistungsfähigkeit einer Person ist, bietet die Messung und damit Feststellung der Intelligenz einen hohen Prognosewert eben für diese grundlegende Leistungsfähigkeit. (3) Gerechtigkeit: Die Intelligenztests sollten die Leistungsfähigkeit eines Individuums durch Messung bestimmen. Ein Individuum wird präzise im gesellschaftlichen Raum verortbar, die 6 Vgl. dazu exemplarisch Termans Ausführungen zum Nutzen und Gebrauch der Intelligenztests: Terman 1916: 3-21. 7 Thilo Sarrazins Denken hat seine Vorläufer nicht nur im 19. Jahrhundert oder um 1900. Vielmehr gab es wiederholt im 20. Jahrhundert wissenschaftliche Versuche, einen Zusammenhang zwischen dem Intelligenzniveau einer Population und dem Reichtum der Gesellschaft aufzuweisen. Vgl. dazu etwa Eysenck 1971 und Herrnstein/ Murray 1996. 62 Andreas Kaminski Prüfung bestimmt seinen Platz in der Rangreihenfolge der Population. 8 Indem ein exakter Test an die Stelle von sozialer Herkunft oder die unzureichende Urteilskraft der Lehrer mitsamt ihren verdeckten Präferenzen und Vorurteilen 9 tritt, ist das Urteil gerechter, so der Gedanke. 10 2 Intelligenz statt Wissen Für die Legitimation der psychometrischen Prüfungstechniken allgemein war es von Bedeutung, dass sie nicht eine aktuelle Leistung (eine Performanz), sondern eine Leistungsfähigkeit (eine Disposition) messen. Statt auf „äussere Leistungen, auf unsachliche Empfehlungen“ zielten die psychometrischen Verfahren „auf die tatsächlichen Fähigkeiten“ (Spreng 1934: 34). 11 Diese Anforderung wurde nachdrücklich an die Intelligenzprüfungen gestellt: „Gegen die von Binet und seinen Nachfolgern aufgestellten Tests wird mit Recht der Vorwurf erhoben, daß sie nur zum Teil die eigentliche Intelligenz treffen, zum Teil aber noch vom Schulwissen, von Gedächtnisfunktionen, von der Sprachfähigkeit abhängig sind. Die höheren Intelligenztests müssen nun, soweit irgend möglich, gegen solche Einwände geschützt sein, bei der - entsprechend der Definition der Intelligenz - der Prüfling sich mit neuartigen geistigen Anforderungen in sinnvoller Weise abzufinden hat. Man muß also versuchen, die Tests so zu gestalten, daß sie keiner in der Schule ausgeübten Aufgabe ähnlich sind und auch nicht positive, von Unterricht oder Umwelt bestimmte Kenntnisse fordern“ (Stern 1918a: 67). Die psychometrischen Prüfungstechniken stellen den Zusammenhang von Allgemeinheit, Prognosewert und Gerechtigkeit her, indem sie Dispositionen ermitteln. Dispositionen sind latent, sie können nur indirekt erfasst werden (Stern 1912a: 11f.). In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass sie eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen. Zumindest überdauern sie ganz offensichtlich die jeweilige Akte, die mit ihrem Vollzug auch schon vergangen ist. Sie betreffen „die chronische geistige Beschaffenheit eines Menschen“ (ebd.: 1). Sofern die Intelligenzprüfung nicht (primär) den aktuellen Wissensstand erfasst, sollten Vorurteile und die soziale Benachteiligung unterer Schichten durch sie vermieden werden. 8 Terman dachte sogar daran, dass nationale Indexe und damit ein internationaler Vergleich auf dieser Grundlage möglich würden, vgl. Terman 1916: 65. 9 Die Körperlichkeit der körperlosen Institution, vgl. Boltanski 2008: 136. 10 Diese Legitimation zieht sich durch die Texte. Vgl. Stern 1912a: 45-6; Stern 1918a: 65; Moede/ Piorkowsky 1918: 128. 11 Natürlich beruht auch die Darstellung von Wissen auf Fähigkeiten, aber der Gedanke ist, dass erst die psychometrischen Verfahren die Fähigkeit zweifelsfrei festzustellen in der Lage sind und nicht lediglich eine aktuelle Leistung. Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests 63 3 David McClellands Intervention: Kompetenz statt Intelligenz Die bislang gegebene Darstellung der Genese der Intelligenzprüfung entspricht ganz der Auskunft der Kompetenztheorie - insbesondere ihrer Kritik an den Intelligenzprüfungen. Blicken wir dazu auf den Kampfruf, mit dem die Idee einer neuen, anderen Prüfungsform anhebt: zu David McClellands Aufsatz „Testing for competence rather than intelligence“ von 1973 (vgl. dazu auch Gelhard 2011). Der Psychologe McClelland zieht darin ein Fazit auf gut sieben Jahrzehnte Intelligenztest. McClelland stellt zunächst fest, dass die bisherige Geschichte der Intelligenz- und Eignungstests als Erfolgsgeschichte erscheint - jedenfalls, wenn man sie an den Kriterien Größe, Einfluss und Popularität beurteilt (McClelland 1973: 1). Doch er ist skeptisch, ob diesen Tests zurecht diese Bedeutung zukommt. Von entscheidender Bedeutung sei ihre Validität 12 , und diese sei alles andere als zweifelsfrei erwiesen (ebd.). Die Hauptlinien seiner Kritik zielen auf den Nachweis, dass die Validität von Intelligenzprüfungen keineswegs als gesichert gelten kann. Zunächst wendet sich McClelland dem Argument zu, dass Intelligenz- und Eignungsprüfungen die Bildungsabschlüsse von Probanden vorauszusagen in der Lage sind. Zwischen beiden besteht eine hohe Korrelation. Diese ist allerdings kaum verwunderlich, so McClelland, da die Testaufgaben den Schulaufgaben ähneln (ebd.). 13 Daher taugt die Korrelation nicht als Nachweis der Validität. Es sei denn, man zeigte, dass Bildungsabschlüsse ihrerseits ein guter Voraussageindikator wären. Doch für was? McClelland nach haben Psychologen große Schwierigkeiten zu belegen, dass der Bildungsabschluss zu etwas anderem eine gute Korrelation aufweist als - zu den Intelligenz- und Eignungstests. Zwischen dem Bildungsabschluss und Indikatoren für den beruflichen Erfolg lassen sich, so McClelland, keine klaren Beziehungen identifizieren. McClelland diskutiert im weiteren Verlauf noch andere Argumente, die als Zeichen der Validität von Intelligenztests angesehen werden - um zu demonstrieren, dass sie bislang kaum skeptisch geprüft wurden und es gute Gründe gibt, an ihrer Aussagekraft zu zweifeln. Doch McClellands Aufsatz endet damit nicht. Während der erste Teil dem Nachweis der fehlenden Validität von Intelligenztests gewidmet ist, schlägt der zweite eine andere, neue Testform vor: die Kompetenzprüfung. Wie kommt McClelland dazu und was bedeutet dieser vorgeschlagene 12 Diese bezeichnet in der Regel das Qualitätskriterium, dass ein Test in der Tat das misst, was er vorgibt, zu messen. Ferner wird ein Test als valide bezeichnet, wenn die ihm zugeschriebene Aussagekraft (Prognosewert) diese auch tatsächlich zukommt. 13 Diese und die folgenden Abschnitte von McClelland gebe ich in einer Übersetzung von Manfred Paul Buddeberg wieder. Die Übersetzung wollen Andreas Gelhard und ich für eine zukünftig herausgebende Anthologie zu Prüfungstechniken verwenden. 64 Andreas Kaminski Wandel? Zwischen beiden Teilen besteht eine Verbindung. Im ersten Teil führt McClelland folgenden Gedanken an: „[N]ehmen Sie mal an, Sie seien ein Bewohner des Ghettos im Roxbury- Revier von Boston. Um für die Tätigkeit als Polizist in Betracht zu kommen, müssen Sie einen dreistündigen allgemeinen Intelligenztest absolvieren, bei welchem Sie die Bedeutung von Wörtern wie ‚in Zaum halten„, ‚Pyromane„ oder ‚Vokabular„ kennen müssen. Wenn Sie nicht genügend über diese Wörter wissen oder nicht mit dazugehörigen Wortentsprechungen spielen können, kommen Sie nicht in Betracht und müssen sich mit Tätigkeiten wie der eines Hausmeisters zufrieden geben, für die von der Kommission für den Öffentlichen Dienst in Massachusetts ein ‚Intelligenz„-Test noch nicht verlang wird.“ (McClelland 1973: 4) Doch wie sollten dann Polizisten ausgewählt werden? Der zweite Teil seines Aufsatzes entwickelt eine Reihe von Bedingungen, die Tests erfüllen sollten und die sie dann zu Kompetenzprüfungen machen. Der erste ist die Kriterienanalyse: „Kriterien auszuwählen bedeutet, dass die Tester sich aus ihren Büros, wo sie endlose Spiele mit Wörtern, Papier und Bleistift betreiben, heraus- und in das Feld hineinbegeben müssen, wo sie tatsächliche Leistung in deren Komponenten aufschlüsseln. Wenn man testen will, wer ein guter Polizist werden wird, muss man losgehen und herausfinden, was ein Polizist tut. Man begleite ihn ringsum, erstelle eine Liste seiner Tätigkeiten und treffe aus dieser Liste bei der Überprüfung der Bewerber eine Auswahl.“ (McClelland 1973: 7) Dieser kurze Einblick in McClellands Kritik (der Intelligenztests) und sein Transformationsvorschlag der Prüfungsform (Kompetenztest) korrespondieren in negativer Weise den oben geschilderten Vorzügen von Intelligenztests. Als diese galten: ihre Allgemeinheit, ihr Prognosewert und die damit verbundene Gerechtigkeit der Selektion. Wie man unschwer sieht, zieht McClelland alle drei behaupteten Vorzüge in Zweifel. Die Freilegung der ungeklärten Validität der IQ-Tests erfolgte durch die Diskussion ihres Prognosewerts. So sei es unklar, ob Intelligenzprüfungen etwas anderes als den Bildungserfolg zu prognostizieren imstande seien; und diese Korrelation sei eben eine triviale, da beide mit ähnlichen Aufgaben operierten. Die behauptete Allgemeinheit der Intelligenz wird zum einen dadurch in Frage gestellt, dass mit der Validität zugleich der Gegenstand „Intelligenz“ selbst problematisch wird. Wenn nicht feststeht, dass Intelligenzprüfungen valide sind, können sie auch nicht als Beleg dafür gelten, dass es etwas wie Intelligenz gibt. 14 Zum anderen wäre für McClelland Allgemeinheit keineswegs ein 14 Diese Kritik mag extrem erscheinen, aber das spricht nicht schon gegen sie. Unabhängig vom Status der Intelligenzprüfungen ist innerhalb der Psychologie selbst nach mehr als einhundert Jahren Psychometrie die Frage aktuell geworden, ob geistige Leistungen überhaupt gemessen werden können! Vgl. Michell 2000, 1997, 2005; Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests 65 eindeutiger Vorzug. Dies wird deutlich in seinem Aufruf an die Psychologen, den Lehnstuhl zu verlassen und sich in das Feld zu begeben, für das ein Test entwickelt werden soll. Schließlich steht mit den genannten Punkten die behauptete Gerechtigkeit dieser Prüfungsform in Frage. 15 4 Die neue Testbewegung: Kompetenz statt Wissen und Qualifikation McClellands Vorschlag, Kompetenzen zu testen, markiert aus seiner Sicht und der ihm folgenden Kompetenzbewegung, einen grundlegenden Wandel. Dokumentiert ist dieses Selbstverständnis im Handbuch Kompetenzmessung (Erpenbeck/ Rosenstiel 2007b). Dort wird Kompetenz gegenüber Wissen, Fertigkeiten und Qualifikationen abgegrenzt. 16 Qualifikationen würden durch eine vollkommene andere Prüfungsform bestimmt. Denn Qualifikationen werden in „abgetrennten, normierbaren und Position für Position abzuarbeitenden Prüfungssituationen [abgefragt]. Die zertifizierbaren Ergebnisse spiegeln das aktuelle Wissen, die gegenwärtig vorhandenen Fertigkeiten wider. […] Danach sind Qualifikationen Positionen eines gleichsam mechanisch abgeforderten Prüfungshandelns, sind Wissens- und Fertigkeitspositionen.“ (Erpenbeck/ Rosenstiel 2007a: XIX) Diese Kritik am mechanischen Prüfen (und Wissen) ist prägend für die Kompetenztheorie (Gelhard 2011). Doch auf welcher Grundlage findet diese Unterscheidung von Kompetenz und Qualifikation (sowie Wissen und Fertigkeiten) statt? Was sind Kompetenzen, so dass ihre Messung die Kompetenztheorie dazu berechtigt, für sich in Anspruch zu nehmen, eine grundlegend andere Prüfungsform entwickelt zu haben - die, so darf man vermuten, auch nicht der Kritik anheimfällt, welche McClelland gegenüber den Intelligenztests vorbrachte? Um dies zu verstehen, müssen wir uns dem Kompetenzbegriff zuwenden. Bei Erpenbeck und Rosenstiel heißt es dazu: Trendler 2009; Borsboom 2005; Markus/ Borsboom 2012. Zu einer Einschätzung diese Debatte um die Möglichkeit der Psychometrie siehe auch Kaminski 2014. 15 McClelland präsentiert noch wesentlich mehr Einwände, welche den Intelligenztest sogar nicht nur als einen nicht besonders gerechten, sondern im Gegenteil besonders ungerechten Test erscheinen lassen, da er im Verdacht steht, Individuen nach deren sozialer Reputation zu sortieren, statt tatsächliche Unterschiede in der Leistungsfähigkeit aufzudecken. 16 „Danach sind Fertigkeiten, Wissen, Qualifikationen eben keine Kompetenzen - wiewohl es keine Kompetenzen ohne Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen gibt.“ (Erpenbeck/ Rosenstiel 2007a: XII). 66 Andreas Kaminski „Kompetenzen sind in Entwicklungsprozessen entstandene, generalisierte Selbstorganisationsdispositionen komplexer, adaptiver Systeme - insbesondere menschlicher Individuen - zu reflexivem, kreativem Problemlösungshandeln in Hinblick auf allgemeine Klassen von komplexen, selektiv bedeutsamen Situationen (Pfade).“ (Erpenbeck/ Rosenstiel 2007a: XI) Versuchen wir, einige Elemente dieser Begriffsbestimmung zu erörtern. Der Gedanke ist: Kompetenzen zielen auf Problemlösungen - in diesem Sinne sind sie praktisch wirksam („Problemlösungshandeln“). Dabei reproduzieren sie nicht lediglich bekannte Lösungen für bekannte Probleme, sondern es werden neue Lösungen für zumindest aus Sicht des Probanden unbekannte Probleme gefunden („kreativ“). Diese Lösungen werden aber nicht blind hervorgebracht, sondern die Person passt ihr Verhalten an die jeweilige Situation an („adaptiv“), und zwar in der Weise dass sie ihren Handlungserfolg überprüft („reflexiv“). Um diese Lösungen zu entwickeln, werden Wissen und Fertigkeiten benötigt, aber diese allein stellen noch nicht eine Kompetenz dar. Diese ist erst dann gegeben, wenn eine Person ihr Wissen und ihre Fertigkeiten in selbstorganisierter Weise dazu nutzt, eine neue, der Situation adäquate Problemlösungen zu entwickeln. Eine Kompetenz stellt ferner nicht den einmaligen Fall eines solchermaßen charakterisierten Problemlösungshandelns dar, sondern sie ist eine Disposition, die generell in Situationen dieses Typs Akte hervorbringt („generalisierte Selbstorganisationsdispositionen“). 17 5 Erster Vergleich: Intelligenz- und Kompetenzbegriff Sind Kompetenzen Dispositionen, die Personen in die Lage versetzen, eigenständig (selbstorganisiert) neue Lösungen für Probleme zu finden, für die sie noch nicht über Problemlösungen verfügen, dann ist damit eine Erklärung verbunden, warum sie über ‚bloße„ Qualifikationen hinausgehen. In diesem Fall bieten sie auch eine bessere Prognose als Qualifikationen dafür an, ob eine Person im Beruf erfolgreich sein wird. Denn der Berufsalltag ist dadurch charakterisiert, dass immer wieder neue Situationen entstehen, für die man nicht punktgenau ausgebildet war; für die man die Handlung erst (er)finden muss. „Einem ‚gelernten„ Multimediadesigner mit besten Abschlussnoten kann in der Praxis schlicht nichts einfallen.“ Denn die „Qualifikationen“, die er erworben hat, sind „Positionen eines gleichsam mecha- 17 Auf diese Weise wird verständlich, warum insbesondere interdisziplnäre Projekte Kompetenz zu erfordern scheinen. Sie stellen Probleme, für die in keiner der beteiligten Disziplinen für sich genommen schon Lösungen bereit stehen. Eine Lösung zu finden, heißt hier genau: selbstorganisiert, verschiedene Disziplinen zu arrangieren/ koordinieren und dadurch in Lage zu kommen, etwas zu entwickeln, was in keiner Einzeldisziplin bereits vorliegt. Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests 67 nisch abgeforderten Prüfungshandelns, sind Wissens- und Fertigkeitspositionen“ (Erpenbeck/ Rosenstiel 2007a: XIX). Sie sagen nicht voraus, wie sich eine Person im Berufsalltag verhält, der nicht wie eine Qualifikationsprüfung strukturiert und durchbestimmt ist. 18 So überzeugend diese Herausstellung der Kompetenzprüfungen gegenüber den klassischen Prüfformen wirkt, so fraglich wird sie, wenn man den Kompetenz- und Intelligenzbegriff einem wirklich durchgeführten Vergleich unterzieht. Der Psychologe William Stern hat als vielleicht erster eine theoretisch entwickelte und praktisch fundierte Begriffsbestimmung der Intelligenz gegeben. Zunächst definiert Stern das Gegenstandsniveau der Intelligenzforschung. Diese, so Stern, beschäftigt sich nicht mit psychischen Akten, den „Denktätigkeiten und den Denkinhalten, also mit den in bestimmten Zeitpunkten vorhandenen akuten Bewußtseinsvorgängen. ‚Intelligenz„ dagegen ist ein Ausdruck für eine Disposition, d.h. eine dauernde Fähigkeit und Strebigkeit zur Vollziehung von Denktätigkeiten; sie gehört damit gleichsam einer anderen Dimension der Persönlichkeit an.“ (Stern 1912a: 1) Gleichwohl gibt es einen Zusammenhang, so Stern, zwischen Akten und Dispositionen, sofern letzte nur über aktuell vollzogenen Denkleistungen zugänglich, also nur über sie vermittelt erforschbar sind. Dass der Gegenstand der Intelligenzforschung damit auf der gleichen Ebene angesiedelt ist, wie der der Kompetenzforschung stellt natürlich keine Überraschung dar. Denn, wie Erpenbeck und Rosenstiel feststellen, gilt dies „für die meisten psychologischen Konstrukte wie Begabung, Intelligenz, Kognition, Motivation usw.“ (Erpenbeck/ Rosenstiel 2007a: XVIII). Doch folgen wir Stern weiter. Zunächst geht es ihm um eine zweifache Abgrenzung. Er unterscheidet Intelligenz einerseits vom Gedächtnis. „Das Gedächtnis hat seine Rolle da zu spielen, wo der Mensch vor gleiche Situationen und Aufgaben gestellt ist, wie sie ihm früher begegnet sind; und es bewirkt, daß er auf diese bekannten Reize mit immer steigender Treffsicherheit und Kraftersparnis zu antworten vermag.“ (Stern 1912a: 4) Es handelt sich um eine auffallend ähnliche Abgrenzung, wie sie vonseiten der Kompetenztheorie zur bloßen Qualifikation hin getroffen wird. Diese Ähnlichkeit hat nicht nur damit zu tun, dass die Intelligenztheorie die Intelligenz in ähnlicher Weise gegenüber Wissen (und Gedächtnis) abgrenzt. Sondern die Übereinstimmung führt in das Zentrum des Intelligenzbegriffs hinein. Deutlicher wird dies, wenn Stern schreibt, Intelligenz 18 Die interdisziplinäre Projektorientierung zielt genau auf diesen Punkt: Ein Projekt soll Anforderungen stellen, die erst durch Kompetenzen, nicht allein durch Wissen und Fertigkeiten erfüllt werden können. 68 Andreas Kaminski „tritt dort ins Spiel, wo die ständig wechselnde Konstellation der Umweltverhältnisse sich zu einem für das Individuum neuartigen Reiz formt, auf welchen auch nur mit einer für das Individuum neuartigen, momentan erst zu erzeugenden geistigen Tätigkeit reagiert werden kann.“ (Stern 1912a: 4) Die kreative Leistung, welche von der Kompetenz gefordert wird, steht also auch im Mittelpunkt des Intelligenzbegriffs. Jemand, der sich als intelligent, und jemand, der sich als kompetent erweisen will, muss auf eine neuartige Problemsituation so antworten, dass er eine neue Lösung dafür entwickelt (und nicht eine bekannte mechanisch oder gedächtnismäßig wiederholt). Die Abgrenzung, die Stern nun nach der anderen Seite hin vornimmt, ist damit schon erläutert. Er unterscheidet Intelligenz nämlich andererseits von bloßer Kreativität, da die Kompetenz nicht nur eine pure „schöpferische Tat“ ist, sondern vielmehr eine „Handlungsweise, die - auch in ihrer Neuartigkeit - durch die Konstellation der Welt da draußen bedingt ist“ (Stern 1912a: 5). Das heißt, sie ist auf ein Problem bezogen, das es zu lösen gilt. Sterns Bestimmung von Intelligenz lautet entsprechend: „Intelligenz ist die allgemeine Fähigkeit eines Individuums, sein Denken bewußt auf neue Forderungen einzustellen; sie ist allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens.“ (Stern 1912a: 2 f.) Auch wenn Sterns Terminologie der Theoriesprache um 1900 erwächst, so ist die sachliche Analogie, ja Homologie, zwischen Intelligenz- und Kompetenzbegriff damit freigelegt worden. Neben dem homologen Begriff springt konsequenterweise die gleiche Abgrenzung ins Auge. So wie sich die Kompetenz von der bloßen Qualifikation, da es nur totes Wissens sein könnte, abheben soll, sollen Intelligenz und Kenntnisse bzw. Gedächtnisleistungen sich voneinander unterscheiden. Angesichts dieser Gemeinsamkeiten wird jedoch der Status, den die Kompetenzbewegung für sich reklamiert, fraglich. 6 Zweiter Vergleich: Psychotechnische Eignungsprüfung und Kompetenzprüfung Die Kompetenztheorie beansprucht einen bislang nicht untersuchten und vor allem nicht gemessenen Gegenstand, die Kompetenz ins Zentrum der Forschung gestellt zu haben. Dieser neuartige Untersuchungsgegenstand sollte sich auch im Begriff von diesem Gegenstand zeigen. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Intelligenz- und Kompetenzbegriff ist aber, wie eben gezeigt wurde, nicht zu erkennen. Man könnte daher eine andere Strategie wählen und die Differenz etwa darin suchen, dass es eine Intelligenz, aber viele Kompetenzen gibt. Jedoch zeigt sich dieser Unterschied bei näherer Betrachtung als geringer, als gemeinhin angenommen wird. Die Systematik Kompetenzprüfungen im Verhältnis zu Intelligenz- und Eignungstests 69 in den Kompetenztheorien unterscheidet zwischen Kompetenzklassen und gruppen. Auch in der Intelligenzforschung werden schon früh - nicht etwa erst seit den 1930er - 40er Jahren - verschiedene Intelligenzarten und darauf aufbauende Intelligenztypen unterschieden. So werden bei William Stern etwa die Arten theoretischer und praktischer, aktiver und passiver, analytischer und synthetischer Intelligenz unterschieden (Stern 1912a: 18-25). Es mag also zwar eine Intelligenz geben, aber schon früh tritt sie in verschiedenen Form oder Aspekten in Erscheinung. Nun gibt es jedoch noch ein anderes Distinktionsmerkmal, welches die Kompetenztheorie für sich in Anspruch nimmt. Dieses ist: Die Kompetenzmessungen werden geleitet durch die Kriterienauswahl des jeweiligen Feldes, um das es sich handelt. McClelland forderte: Der Psychologe dürfe nicht eine allgemeine Leistungsfähigkeit zu messen versuchen, sondern die, um die es im jeweiligen Anwendungsfeld geht. Wortentsprechungen zu finden, bestimme nicht das Anforderungsprofil eines Polizisten. Im Zentrum der Prüfung müsse jedoch das stehen, was das Tätigkeitsfeld ausmacht. Nun findet sich exakt dieser Gedanke am Beginn der angewandten Psychologie: Der Psychologe müsse das Tätigkeitsfeld, für das die Eignung einer Person geprüft werden solle, untersuchen. Dem entsprechend war nach 1900 bereits die Regel: Zunächst werden die Anforderungen des Tätigkeitsfelds analysiert und in einem Profil festgehalten. Daraus wurden schließlich die Kriterien für zu entwickelnde Tests abgeleitet. 19 In welchem Maße diese Anforderungsanalyse umgesetzt wurde, lässt sich beispielsweise an den Prüfungen für Flugbeobachter oder Straßenbahnschaffner erkennen, deren Tätigkeitsfeld in der Prüfung gleichsam simuliert wurde (vgl. Kronfeld 1919; Stern 1918b). 7 Zwei Figuren des Sozialen Nach dem bisherigen Stand fällt es deutlich schwerer aus als erwartet, eine klare Unterscheidung zwischen den Intelligenz- und Eignungstests auf der einen Seite und den Kompetenzprüfungen auf der anderen Seite zu treffen. Zum einen weisen der Intelligenz- und der Kompetenzbegriff eine große Ähnlichkeit auf, zum anderen werden die von der Kompetenztheorie geforderten Anforderungsdefinitionen (Kriterienanalysen) bereits zu Beginn der angewandten Psychologie intensiv durchgeführt. Nun könnte man versuchen, ob nicht in der inhaltlichen Bestimmung der jeweiligen Kompetenzen ein Unterschied zur Intelligenz auszumachen ist. Ist es nicht gerade die Betonung der nichtlogischen, der sozialen und kommunikativen Handlungsfähigkeit, welche die Kompetenztheorie kennzeichnet? Allerdings wird bereits zu Beginn der Intelligenzforschung von einer 19 Nicht besonders früh, aber sehr illustrativ wird dies bei Spreng 1934: 10 deutlich. 70 Andreas Kaminski praktischen Intelligenz gesprochen; es gibt ferner auch seit den 1920er Jahren Überlegungen zur sozialen Intelligenz (vgl. Moss/ Hunt 1927; Thorndike 1920). Heißt dies, dass der Unterschied zwischen den „alten“ Prüfungsformen um 1900 und den Kompetenzprüfungen nicht so groß ist, wie es die Kompetenztheorien behaupten? Zwar scheint es mir richtig zu sein, dass die Kompetenzbewegung kein gutes Gedächtnis für die Geschichte der Psychometrie hat. Aber trotz meiner bisherigen Argumentation bin ich der Meinung, dass es einen Bruch zwischen den Prüfungen um 1900 und um 2000 gibt. Diesen würde ich aber nicht im Begriff des Gegenstandes, in der inhaltlichen Charakterisierung allein oder in den Kriterienanalysen sehen. Man sollte stattdessen umgekehrt beginnen und vom Sozialen die Prüfungstechnik verstehen. Um 1900 gibt es eine Programmformel, die in zahllosen Aufsätzen wiederholt wird: der richtige Mann am richtigen Platz. Die Prüfungen fungieren dabei als Zuweisungsmechanismus. Es geht nicht primär darum, Personen auszusieben, sondern sie an die Stelle zu bringen, an der sie mit ihren Fähigkeiten richtig sind. Diese Formel verliert im Verlauf des 20. Jahrhunderts an Evidenz, auch wenn sie nie ganz erlischt. Dennoch ist zu bemerken, wie es in den Kompetenztheorien am Ende des Jahrhunderts nicht mehr darum geht, diese perfekte Harmonie, diese Entsprechung (dieses matching) zu leisten, sondern die Kompetenzen zu trainieren. Dieser Einschnitt scheint mir viel tiefgreifender zu sein. Die Sozialität ist nun eine mit sich, die einer Arbeit an sich, um sich zum richtigen Mann zu machen angesichts der Kämpfe und Kooperationen mit anderen. Auch die Kooperation wird zu einer Aufgabe an das Individuum, so wie der Umgang mit Konflikten. Die Intelligenzforschung hat dafür kein Sensorium. Sie ist in diesem Sinne ganz ‚unpsychologisch„. Das Prüfungsdispositiv um 1900 gehörte zu einer heterogenen sozialen Konfiguration: der passenden harmonischen Verteilung der Individuen an die ihnen gemäßen Orte. Das Prüfungsdispositiv um 2000 ist die Arbeit an sich - es geht darum, sich zum Richtigen zu machen. Literatur Thomas Alkemeyer, Andreas Gelhard und Norbert Ricken (Hrsg.) (2013): Techniken der Subjektivierung, München: Fink. Alfred Binet (1909): „Les signes physiques de l'intelligence chez les enfants“, in: L'année psychologique, S. 1-30. Alfred Binet (1910): „Nouvelles recherches sur la mesure du niveau intellectuel chez les enfants d'école“, in: L'année psychologique 17, S. 145-201. Alfred Binet und Théodore Simon (1904): „Méthodes nouvelles pour le diagnostic du niveau intellectuel des anormaux“, in: L'année psychologique 11, S. 191-244. Alfred Binet und Théodore Simon (1908): „L'intelligence des imbéciles“, in: L'année psychologique, S. 1-147. 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Auf einer zweiten Ebene werden ebenso didaktische, konzeptionelle Fragen wichtig (vgl. Tenberg in diesem Band) - hierunter fällt auch obige Frage: „Was kann und soll Interdisziplinarität in der Lehre bewirken? “ Der Wirkungsbereich und -grad von interdisziplinärer und fachübergreifender Lehre charakterisiert sich je nach Ausrichtung der Lehrveranstaltung. Insbesondere können und sollen interdisziplinäre Lehrveranstaltungen einen Mehrwert für die Studierenden haben, ihnen einen Blick über die eigene Disziplin hinweg ermöglichen und schließlich damit wieder einen Gewinn für ihr eigenes Studienfach darstellen. Die Wirkung von Lehre wird in Studienordnungen und Modulplänen an dem Begriff der ,Kompetenz„ festgemacht. Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen ist seit Bologna eine wesentliche Forderung und damit auch Herausforderung, die sich an die Lehre und Forschung von Hochschulen richtet: So wird im Lehr-Lernprozess eine Orientierung an Learning-Outcomes angestrebt u.a. mit dem Ziel der internationalen Durchlässigkeit und Vergleichbarkeit sowie als Grundlage der kompetenzorientierten Prüfung. Der Kompetenzbegriff ist nicht nur ein ‚Bologna-Begriff„, sondern auch ein Komplexbegriff (vgl. Hubig in diesem Band), mit dem sich die Hochschulen auseinandersetzen müssen: „Spricht man über den Kompetenz-Anspruch mit aktiven Hochschullehrern/ Hochschullehrerinnen, erhält man unterschiedliche Reaktionen in der ganzen Spannbreite des hier Denkbaren“ (Tenberg 2014: 27). Interdisziplinarität ist selbst(verständlich) keine Kompetenz, allerdings lassen sich an und mit Interdisziplinarität verschiedene Kompetenzen ausbilden und erweitern. So können sich Studierende beispielsweise in einer interdisziplinären Lehrveranstaltung durch die Zusammenarbeit mit Studierenden aus anderen Fächern vernetzen, an einer fachübergreifenden Aufgabe ihre Problemlösefähigkeit stärken sowie ihre Persönlichkeitsentwicklung durch die Teamarbeit fördern. Für das durch den Qualitätspakt Lehre (QPL) 76 Lina Klare geförderte Projekt der TU Darmstadt Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an (KIVA) war und ist die Bearbeitung des Themas „interdisziplinäre Kompetenzentwicklung“ ein Anliegen, weshalb ihm auch ein zentraler Punkt bei der Fachtagung eingeräumt wurde. Die Begriffe Interdisziplinarität und Kompetenz zusammen zu bringen, stellt konzeptuell eine Herausforderung dar, da beide Begrifflichkeiten nicht trennscharf zu bestimmen sind. Dennoch sind Hochschulen und Universitäten (auch in den unterschiedlichen QPL-Projekten) mit deren Ausgestaltung in der Praxis konfrontiert. Daher wurde zum Thema „Kompetenzentwicklung - was kann und soll interdisziplinäre Lehre bewirken? “ mit der im Folgenden skizzierten Podiumsdiskussion ein kleiner Einblick in einen interessanten und herausfordernden Reflexionsprozess aus der Hochschulpraxis gegeben. In dem Gespräch wurden die Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer Lehre thematisiert und Ideen für diese gesammelt sowie der Austausch über den Komplexbegriff ,Kompetenz„ und dessen Ausgestaltung in der Lehre angeregt. Literatur Ralf Tenberg (2014): „Kompetenzorientiert studieren - didaktische Hochschulreform oder Bologna-Rhetorik? “, in: Journal of Technical Education 2(1), S. 16-29. Podiumsgäste: Prof. Dr. Karsten Albe Fachbereich Materialwissenschaften, TU Darmstadt, („Interdisziplinarität erhält seinen Wert in der Lehre durch maßgeschneiderte Interdisziplinarität“) Sören Felchow Student der Masterstudiengänge Maschinenbau sowie Technik und Philosophie, TU Darmstadt, („Interdisziplinarität in der Lehre muss als sichtbarer Wert gelebt werden“) Prof. Dr. Rosemarie Mielke Lenkungsgruppe des Universitätskollegs der Universität Hamburg, „Studieren lernen: Reflexives Studieren“, („Interdisziplinarität in der Lehre ist an erster Stelle ein Auseinandersetzungsprozess für Hochschulen als Organisationen“) Dokumentation: Dr. Hardy Frehe Wissenschaftlicher Mitarbeiter, KIVA VI Lina Klare Wissenschaftliche Mitarbeiterin, KIVA VI Zweite Diskussion: Was kann und soll Interdisziplinarität bewirken? 77 Moderation: Wie sollen die Probleme der auf Kompetenz zielenden interdisziplinären Lehre angegangen werden? Wo sehen sie Bedarfe, bewusst mit dem Thema Interdisziplinarität umzugehen? Mielke: Sie sehen an unserem Poster zum Universitätskolleg: Es ist ein sehr komplexes Gebilde, welches mit Mitteln des Qualitätspaktes Lehre finanziert wird. Interdisziplinarität liegt vielen Angeboten als Metadisziplinarität zugrunde. Die Handlungskompetenz ist an der Universität Hamburg sehr wichtig. Bei der persönlichen Kompetenz ist der Hinweis von Bedeutung, dass die Studierenden in einzelnen Projekten selbst zu Führungskräften werden und als Entscheidungsträger Verantwortung übernehmen können. Sie lernen in den Projekten zu lernen, über sich selbst nachzudenken, z. B. über die zentrale Frage ‚warum studiert man das, was man studiert? „ und über ihre Lerninhalte zu reflektieren. Dafür werden z. B. Portfolios geführt, die häufig mit e-learning-tools umgesetzt werden, aber manchmal läuft es auch ohne ‚e„. Die Projekte bereiten die Studierenden nicht nur auf ihr Fach vor. Die Universität Hamburg will ein Studieneingangskolleg aufbauen, das Möglichkeiten zur allmählichen Einführung ins Studium bereitstellt. Dabei soll disziplinäres Denken gezielt durch interdisziplinäre Impulse erweitert werden. Die Idee ‚Interdisziplinarität„, wie sie in den Studieneingangsphase- Projekten von KIVA V gelebt wird, nehmen wir gerne mit nach Hamburg. Albe: Materialwissenschaft ist historisch gesehen ein multidisziplinäres Fach, folgt man der Definition von heute Vormittag (vgl. Hubig in diesem Band), das sich über interdisziplinäre Forschungsansätze zu einer eigenständigen Disziplin entwickelt hat, die Ansätze der Natur- und Ingenieurwissenschaften integriert. Insofern eignet sich die Materialwissenschaft vielleicht besonders gut als Anschauungsobjekt für interdisziplinäre Lehre. In den Anfangssemestern haben wir bis zu 60% Lehrimport. Aus der Praxis kann ich berichten, dass die Bereitschaft anderer Fachbereiche, Lehrinhalte zu exportieren, sehr groß ist. Im Sinne der Fragestellung liegen die großen Hürden der interdisziplinären Lehre aber darin, die Lehrveranstaltungen an die Bedürfnisse der anderen Disziplin(en) anzupassen. Nur wenn das geschieht, stellt interdisziplinäre Lehre einen Gewinn dar. Im Fall der Materialwissenschaft heißt das, dass die Studenten aus der Interdisziplinarität dann eine Fachidentität entwickeln können. Felchow: Mein Zugang zur Interdisziplinarität beruht auf meinen Erfahrungen, und zwar einerseits als Bachelorstudent des Maschinenbaus mit der Veranstaltung ‚Philosophische Aspekte des Maschinenbaus„ - eine Vorlesung der Philosophie gepaart mit Tutorien - und andererseits als Student des Masterstudiengangs Technik und Philosophie. Außerdem war ich Tutor bei der Veranstaltung ‚Philosophische Aspekte des Maschinenbaus„ und den Studienprojekten in der Eingangsphase von KIVA V. Ich erlebe an der TU 78 Lina Klare Darmstadt, dass auf Interdisziplinarität viel Wert gelegt wird. Diese wird z. B. gelebt von der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle, der Philosophie und dem Maschinenbau, der sich die gerade erwähnte Kooperation gewünscht hatte. Probleme entstehen z. B. durch Überschneidungen von Lehrveranstaltungen. Die Kombination der zwei Masterstudiengänge ist sehr herausfordernd, weil sehr verschiedene persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gefragt sind. Gewissermaßen müssen zwei Seiten der Persönlichkeit parallel entwickelt werden. Dabei gibt es Unterstützung durch ein Mentorensystem. Moderation: Wie werden welche Kompetenzen gefördert? Felchow: Es bildet sich bei der Interdisziplinarität des Masterstudiengangs Technik und Philosophie die Kompetenz des Übersetzens heraus. Diese ist aufgrund der unterschiedlichen (Wissenschafts-)Sprachen und den verschiedenen Ansätzen der Disziplinen eine Kernkompetenz. Darüber hinaus entwickelt sich in praktischen Fragen und Diskussionen die Fähigkeit zur Vermittlung zwischen Studierenden verschiedener Disziplinen. Man erwirbt des Weiteren ein Grundlagenwissen. Wer Interesse hat, kann in Kontakt kommen mit einer Fachkultur, die der ersten sehr fremd ist und dadurch persönlich reifen. Moderation: Ist es nicht sehr schwierig: Überschreitet man das bloße Fach oder erfährt man von dem anderen Fach nur einen engen Ausschnitt? Mielke: Studierende kommen oft nur dann hinzu, wenn sie Credit Points bekommen. Vermittelt werden allgemeine berufsqualifizierende Kompetenzen. Was Interdisziplinarität angeht, so muss das Thema von unten und von oben bearbeitet werden. Es wird von den Disziplinen unterschiedlich gesehen: Es gibt verschiedene Haltungen und Meinungen der Fächer zu dem Thema. Entscheidend ist nicht das, was auf der Universitäts-Homepage steht, das Wesentliche ist der Prozess. Es ist wie mit den Klassenregeln: Wenn die Kids sie nicht aufgestellt haben, halten sie sie nicht ein. Der Prozess ist bewusstseinsbildend. Dies geschieht in unserer Universität bspw. auch in den Wissenschaftscafés in zweibis dreistündigen Sitzungen in lockerer Atmosphäre. Man diskutiert miteinander und es setzen sich ca. 60 Leute an disziplinär gemischten Tischen zusammen. Es bedarf genau solcher Formate. Moderation: Was macht gute Interdisziplinarität aus? Sind es gute informelle Kontakte oder bedarf es Träger des Begleitprozesses? Dr. Gabriele Wendorf (Vizepräsidentin, TU Berlin): Interdisziplinarität wird durch informelle Kontakte belebt, gute Interdisziplinarität erreicht man durch Reden und Zusammenstehen. Man könnte überspitzt sagen: Was früher gemeinsames Kaffeetrinken war, dafür gibt es jetzt Credit Points. Zweite Diskussion: Was kann und soll Interdisziplinarität bewirken? 79 Dabei muss man aber auch bedenken, dass das Zusammensitzen in Projekten nicht ausreicht. Dass das begeistert, haben wir ja schon gesehen. Prof. Dr. Christoph Hubig (TU Darmstadt): Man muss die Frage mitbedenken: Wie geht es dann weiter? Interdisziplinarität muss institutionell und strukturell verankert sein, denn irgendwann sind die Anschubmittel des Qualitätspaktes Lehre aufgebraucht. Es wäre zu erwägen, regelmäßige Foren zur Problemfindung und -identifizierung einzurichten, von denen aus dann ein spezifischer Handlungsbedarf für interdisziplinäres Forschen und Lehren reklamiert werden kann. Echte Interdisziplinarität steht und fällt mit einer Problemstellung, die nicht disziplinär oder (arbeitsteilig) multidisziplinär zu bearbeiten ist. Albe: Was kann man für Interdisziplinarität tun? Man könnte z. B. einen interdisziplinären Wahlpflichtbereich schaffen, dessen Lehrangebote für Studierende der Natur-, Ingenieur,- und Gesellschaftswissenschaften gleichermaßen von Interesse sind und in allen Studiengängen anerkannt werden. Dort könnte dann z.B. eine Vorlesung ‚Materialien für das 21. Jahrhundert„ angesiedelt sein. Die Vorlesungsreihe „Was steckt dahinter? “ ist ja im Grunde schon ein Schritt in diese Richtung. Allerdings zeigt sich, dass derartige Angebote häufig im Dickicht der verschiedenen Studienordnungen und CP- Bewertungen untergehen und von den Studierenden kaum wahrgenommen werden. Felchow: Es ist wichtig, dass die einzelnen Wissenschaftler im Kontakt sind, aber bei den Lehrveranstaltungen kommt es vor allem auf die Tutorien an. Moderation: Wie soll Kompetenzentwicklung untersucht werden? Mielke: In der Begleitforschung des Universitätskollegs wird an einem Rahmenmodell gearbeitet, mit Hilfe dessen die Anforderungsprofile der Studiengänge und die erforderlichen Kompetenzen auf ihre Passung hin analysiert werden können. Dr. Robin Kröger (Projektleitung KIVA V, TU Darmstadt): Bei den Projekten in der Studieneingangsphase von KIVA V zeigte sich, dass die Projektwoche Studierende und Verantwortliche gleichermaßen begeistert hat. Bei den Studierenden initiierte es, mehr Verantwortung zu übernehmen und sich durch das induktive Lernen an der Detailaufgabe auch für abstraktere Themen zu öffnen. Für den Erfolg der Projekte sind zwei Punkte entscheidend: a) die gute Aufgabenstellung und b) das Vorhandensein verantwortlicher Professoren, die das Projekt mittragen und schützen. III. Organisationsentwicklung: Unter welchen Voraussetzungen entfaltet sich Interdisziplinarität Matthias Adam Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der Technischen Universität Darmstadt 1 Einleitung Disziplinen sind im Erkenntnisprozess wie in der Organisation der Wissenschaft tief verankert. Disziplinen definieren Gegenstandsbereiche und Forschungsmethoden. Sie organisieren die Ausbildung von Studierenden und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und sie bilden einen Rahmen für wissenschaftliche Kommunikation und Qualitätsbewertung. Wie Interdisziplinarität angesichts dieser starken Rolle von Disziplinen an Universitäten erfolgreich organisiert werden kann, ist daher Gegenstand vielfältiger Versuche und Untersuchungen (siehe exemplarisch dazu Weingart/ Padberg 2014). Im Fokus stehen oft besondere Strukturen für Interdisziplinarität wie interdisziplinäre Forschungszentren, Kollegs oder Institutes for Advanced Studies, die eigens für die Zusammenarbeit mehrerer Fächer aufgesetzt sind. Vergleichsweise wenig untersucht ist dagegen die Frage, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit sich innerhalb der allgemeinen Strukturen einer Universität, die der disziplinären Organisation der Wissenschaft folgen, realisieren lässt. Diese Frage halte ich für wichtig. Denn eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist sicherlich in vielen Forschungs- und Lehrzusammenhängen wissenschaftlich angezeigt. Besondere Strukturen für Interdisziplinarität können aber nur für manche dieser Fälle aufgesetzt werden. Sie betreffen daher eher Ausnahmesituationen von Interdisziplinarität und können die meisten Kooperationsbedarfe nicht abdecken. Der Regelfall wird sich innerhalb der disziplinären Strukturen von Universitäten mit ihrer Gliederung in Fakultäten bzw. Fachbereiche abspielen. Wie also lässt sich in solchen Strukturen Interdisziplinarität erfolgreich realisieren und entwickeln? Die Technische Universität (TU) Darmstadt ist ein guter Untersuchungsfall für diese Frage. Zum einen versteht die TU Darmstadt Interdisziplinarität seit langem als eines ihrer charakterisierenden Merkmale. So hat sie bereits 1987 das Zentrum Interdisziplinäre Technikforschung eingerichtet, das bis 2008 die interdisziplinäre Kooperation in Forschung und Lehre förderte und danach vom Forum für interdisziplinäre Forschung abgelöst wurde. Es gibt eine lange Tradition und ein hoher Selbstanspruch als interdisziplinär ausgerichtete Universität. Zum anderen ist das Selbstverständnis der TU Darm- 84 Matthias Adam stadt auf eine Form der Interdisziplinarität gerichtet, die nur begrenzt einer Strukturierung in besonderen Organisationseinheiten zugänglich ist. Eine vorherrschende Begründung für Interdisziplinarität an der TU Darmstadt macht diese an von Technik aufgeworfenen wissenschaftlichen Problemen fest, die nur von mehreren Disziplinen gemeinsam lösbar sind. So formuliert beispielsweise das Leitbild der TU Darmstadt aus dem Jahr 2007: „Wir konzentrieren uns auf Technik - aus der Perspektive der Ingenieur-, Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften, von der Erkenntnis bis zur Anwendung im Alltag.“ 1 Ganz ähnlich ist die Zielsetzung im größten Teilprojekt des KIVA-Projekts 2 , den interdisziplinären Projektkursen, formuliert: „Studierende der Studieneingangsphase aus den Fachrichtungen der Ingenieurwissenschaften, den Naturwissenschaften sowie den Gesellschafts-, Human- und Geisteswissenschaften bearbeiten gemeinsam eine Aufgabenstellung.“ 3 Die TU Darmstadt hebt damit stark auf probleminduzierte Kooperationen ab, die einerseits von Problem zu Problem jeweils sehr unterschiedliche Disziplinen erfordern und andererseits oft über eine große Breite von Fächern gehen. Im Fokus steht dagegen nicht so sehr beispielsweise Interdisziplinarität an den Rändern benachbarter Disziplinen. Daher kommt der Fähigkeit, innerhalb der herkömmlichen, disziplinenbasierten Strukturen anlassbezogen über Fächergrenzen hinweg zu kooperieren, an der TU Darmstadt eine besondere Bedeutung zu. Im Folgenden lege ich den Schwerpunkt auf die Frage, wie die allgemeinen Strukturen der TU Darmstadt und die vorhandenen Prozesse und Mechanismen ihrer Entwicklung und Gestaltung solche Interdisziplinarität ermöglichen, fördern oder vielleicht eher hemmen. Näher eingehen werde ich erstens auf Berufungsverfahren und die damit verbundene Entwicklung der Professurenstruktur, zweitens auf das Mittelverteilungsmodell und drittens auf den Zyklus von Fachbereichsevaluation und Zielvereinbarung an der TU Darmstadt. Ich werde jeweils die Strukturen und Prozesse wie auch konkrete Erfahrungen mit der Entwicklung von Interdisziplinarität in deren Rahmen schildern. Wie an vielen Universitäten gibt es an der TU Darmstadt auch besondere Strukturen und Einrichtungen, die der Organisation und Förderung von Interdisziplinarität dienen. Um ein vollständiges 1 http: / / www.tu-darmstadt.de/ universitaet/ profil_1/ tu_leitbild.de.jsp [15.08.2014]. 2 Projekt Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an (KIVA) der TU Darmstadt im Qualitätspakt Lehre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Laufzeit 2011-2016. 3 http: / / www.kiva.tu-darmstadt.de/ kiva_v/ index.de.jsp [15.08.2014]. Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 85 Bild der interdisziplinären Strukturentwicklung zu zeichnen, werde ich zunächst die wichtigsten Strukturen dieser Art skizzieren. 2 Strukturen der Interdisziplinarität an der TU Darmstadt 2.1 Forschungscluster Wie andere Universitäten auch hat die TU Darmstadt für sich einige wissenschaftliche Schwerpunktfelder definiert, die an der TU Darmstadt als Forschungscluster firmieren. Seit 2009 gibt es fünf Forschungscluster: - Thermofluiddynamik und Verbrennungstechnologie - Moderne Materialen und Werkstoffe - Teilchenstrahlen und Materie - Integrierte Produkt- und Produktionstechnologie - Future Internet 4 Unter Forschungsclustern versteht die TU Darmstadt umfassende wissenschaftliche Netzwerke in der Universität, die sich koordiniert entwickeln. 5 Grundlage der Einrichtung von Forschungsclustern sind koordinierte Verbundforschungsprojekte wie Sonderforschungsbereiche der DFG oder Projekte der Exzellenzinitiative des Bundes sowie Hessens (LOEWE-Programm 6 ). Die Forschungscluster werden auf Zeit eingerichtet und können verlängert werden, wenn sie weiterhin erfolgreich sind. Sie erhalten eine gewisse Grundfinanzierung aus dem Haushalt der Universität. Die Forschungscluster der TU Darmstadt sind allesamt interdisziplinär angelegt. Beispielsweise gehören dem Forschungscluster Thermofluiddynamik und Verbrennungstechnologie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Fachbereichen Maschinenbau, Materialwissenschaft, Chemie, Physik und Mathematik an, die gemeinsam an Themen wie Strömungen in Verbrennungsprozessen oder fluide Grenzflächen arbeiten. Angewandte ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen, naturwissenschaftliche Grundlagenforschung und die Entwicklung von Methoden der mathematischen Modellierung greifen in den Projekten des Forschungsclusters ineinander. Organisatorisch liegen die Forschungscluster quer zu den disziplinär aufgestellten Fachbereichen. Sie bilden damit einen Rahmen, in dem sich Wissenschaftler regelmäßig abstimmen, gemeinsame Forschungsprojekte 4 Die einzelnen Forschungscluster wie die Forschungsstrukturierung als solche durchlaufen zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Berichts eine Evaluation. 5 TU Darmstadt, Weiterentwicklung der Forschungsstruktur, http: / / www.tudarmstadt.de/ media/ dezernatvi/ forschung/ dokumente_1/ weiterentwicklung_forschungsschwerpunkte.pdf [15.08.2014]. 6 Forschungsförderungsprogramm Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlichökonomischer Exzellenz (LOEWE) des Bundeslands Hessen. 86 Matthias Adam konzipieren und weitere strukturbildende Maßnahmen etwa in der Nachwuchsförderung oder für das Studium angehen. Zudem sind die Forschungscluster in die Strukturentwicklung der Universität insgesamt eingebunden, etwa in Evaluationen von Fachbereichen sowie Berufungsverfahren (siehe dazu Abschnitt 3). Es gibt jedoch keine Professuren, die ausschließlich in Forschungsclustern verankert wären. Professorinnen und Professoren der Forschungscluster sind daher stets auch Mitglied eines Fachbereichs. Die Forschungscluster sind mithin als eher „leichte“ Querstrukturen konzipiert. In der Praxis sind Forschungscluster zum einen wichtig im sichtbaren Profil der Universität nach außen. Sie schlagen sich entsprechend in der externen Kommunikation der TU Darmstadt nieder. Zum anderen organisieren sie nach innen die Herausbildung neuer Forschungsverbünde. Die weitaus meisten der Verbundinitiativen an der TU Darmstadt, die etwa auf die Einwerbung eines Sonderforschungsbereichs abzielten, sind seit 2009 aus Forschungsclustern heraus entstanden. Beispiel dafür ist der 2013 eingerichtete Sonderforschungsbereich Multi-Mechanismen-Adaption für das künftige Internet, der im Forschungscluster Future Internet entstand. 2.2 Studienbereiche Auch im Bereich Studium und Lehre hat die TU Darmstadt etablierte Strukturen quer zu den Fachbereichen: die Studienbereiche. Mit Stand 2014 gibt es fünf Studienbereiche: - Computational Engineering - Energy Science and Engineering - Informationssystemtechnik - Mechanik - Mechatronik Die Studienbereiche sind die Träger und Organisatoren entsprechender interdisziplinärer Studiengänge (Master und zum Teil auch Bachelor). Dazu haben sie ein Studiendekanat und erforderliche Kommissionen wie eine Prüfungskommission. Die Studierenden der Studienbereiche bilden ihre eigenen Fachschaften. Professorinnen und Professoren sind auch hier stets Fachbereichen zugeordnet, die Studienbereiche verfügen nicht über eigene Professuren. Beispielsweise sind am Studienbereich Computational Engineering Professuren aus den Fachbereichen Informatik, Elektrotechnik und Informationstechnik, Bau- und Umweltingenieurwissenschaften, Maschinenbau und Mathematik beteiligt. Der Studienbereich bietet einen Bachelorstudiengang sowie einen darauf aufbauenden Masterstudiengang an. In der Praxis zeigt sich, dass die Studienbereiche attraktive Studienangebote machen. So ist die Zahl der eingeschriebenen Studierenden der Studienbereichen von 2008 bis 2013 von 230 auf 590 gestiegen. Die interdisziplinä- Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 87 ren Felder der Studienbereiche finden zum Teil auch eine Fortführung in einer strukturierten Doktorandenausbildung. Die beiden in der Exzellenzinitiative geförderten Graduiertenschulen der TU Darmstadt setzen auf Studienbereichen auf (Computational Engineering sowie Energy Science and Engineering). Studienbereiche erweisen sich damit als zweckmäßige Strukturen zur Organisation von Interdisziplinarität in Studiengängen und darüber hinaus. 2.3 Forum für interdisziplinäre Forschung Während Forschungscluster und Studienbereiche auf bereits bestehenden, engen Vernetzungen in Forschung bzw. Lehre beruhen, zielt das Forum für interdisziplinäre Forschung (FiF) der TU Darmstadt darauf ab, als offene Plattform für den interdisziplinären Austausch in der Universität zu wirken und interdisziplinären Kooperationsinteressen einen Rahmen zu bieten, um sich zu entwickeln. Das FiF wurde 2009 eingerichtet. Wechselnde Fellows aus der Universität gestalten mit Unterstützung einer Geschäftsstelle ein wissenschaftliches Programm mit variablen Themenschwerpunkten. Die Themen werden in verschiedenen Veranstaltungsformaten von öffentlichen Abendveranstaltungen bis zur Abfolge von Workshops für feste Arbeitsgruppen umgesetzt. Aus einem universitätsinternen Förderprogramm können zudem neue interdisziplinäre Kooperationen in der Forschung eine Anschubfinanzierung erhalten. Mit dem FiF hat die TU Darmstadt eine Einrichtung etabliert, die auf oft informelle interdisziplinäre Netzwerke in der Universität aufbaut und diese unterstützt. Die Themen entwickeln sich damit „bottom-up“ aus den Interessen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Format der Unterstützung wird auf die Thematik angepasst, von Veranstaltungen eher in die universitäre oder breitere Öffentlichkeit bis hin zu strategisch ausgerichteten Prozessen, die auf konkrete Forschungsverbünde und -anträge zielen. Die Wirkungen solcher Netzwerkarbeit sind naturgemäß nicht immer leicht festzumachen und klar zuzuschreiben. In einigen Fällen hat das FiF dazu beigetragen, neue Forschungsanträge etwa für Graduiertenkollegs auf den Weg zu bringen. In einem weiteren Verständnis der Wirkungen stärkt das FiF aber insbesondere die interdisziplinäre Forschungskultur, also Offenheit, Aufmerksamkeit, Bereitschaft und Fähigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Mit diesem Wirkungsspektrum hat die TU Darmstadt das FiF in einer internen Evaluation 2013 positiv beurteilt und die Weiterführung beschlossen. 88 Matthias Adam 3 Interdisziplinarität in Prozessen der Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 3.1 Berufungen Die damit skizzierten besonderen Strukturen für Interdisziplinarität bilden einen Hintergrund, vor dem ich nun die allgemeinen Strukturen und deren Entwicklung an der TU Darmstadt genauer betrachte. Ein zentraler Prozess der Strukturentwicklung einer Universität sind Berufungsverfahren. Im regulären Berufungsverfahren an der TU Darmstadt wird in einem ersten Schritt über die wissenschaftliche Ausrichtung einer zu besetzenden Professur und die Besetzung der Berufungskommission entschieden (bis zur Freigabe einer Professur); sodann setzt der Fachbereich die Berufungskommission ein, die durch Ausschreibung und Auswahlarbeit einen Berufungsvorschlag („Berufungsliste“) erstellt; schließlich entscheidet der Präsident nach einer Beteiligung von Hochschulrat und Senat über den Berufungsvorschlag und führt mit der Kandidatin oder dem Kandidaten Verhandlungen. 7 Alle drei Phasen des Verfahrens haben sicherlich Einfluss auf die Voraussetzungen für interdisziplinäre Kooperationen in der Universität. Die entscheidenden strukturellen Weichenstellungen werden aber in der ersten Phase mit der Ausrichtung der Professur und der Besetzung der Berufungskommission gelegt, auf die ich mich im Folgenden konzentriere. Denn in der ersten Phase wird der Rahmen für das weitere Verfahren abgesteckt. Wichtiges Thema der ersten Phase bis zur Freigabe ist die wissenschaftliche Ausrichtung der Professur. Die Ausrichtung ist entscheidend dafür, an welche Professuren in anderen Fachbereichen eine interdisziplinäre Anschlussfähigkeit in Forschung oder Lehre besteht. Der Vorschlag für die Ausrichtung der Professur kommt an der TU Darmstadt in aller Regel vom Fachbereich und damit aus einer einzelnen Disziplin heraus. Das Präsidium hat bis zur Freigabe der Professur mehrere Möglichkeiten, auf die interdisziplinäre Passfähigkeit Einfluss zu nehmen. So ist der Fachbereich aufgefordert, im Freigabeantrag „Aussagen zu der strategischen Bedeutung und Einbindung der zu besetzenden Professur innerhalb und außerhalb des Fachbereichs“ zu treffen (Leitfaden für Berufungsverfahren, §2). Das Präsidium prüft vor der Freigabe, ob diese Einbindung plausibel dargelegt ist. Zudem gibt es zwischen Präsidium und Fachbereich eine mehrjährige Zielvereinbarung, in der bereits gemeinsame Zielsetzungen über die Ausrichtung von absehbar zu besetzenden Professuren formuliert sind (siehe dazu Abschnitt 3.3). 7 TU Darmstadt, Leitfaden für Berufungsverfahren, http: / / www.intern.tu-darmstadt.de / dez_i/ ref_ia/ informationen_zum_berufungsverfahren/ leitfaden_fuer_ berufungsverfahren_an_der_tu_darmstadt/ startseite_leitfaden_berufungsverfahren.de .jsp [15.08.2014]. Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 89 Schließlich hat das Präsidium - wie auch der Fachbereich - die Möglichkeit, ein Perspektivgespräch anzuberaumen. In dem Gespräch werden offene Fragen der Ausrichtung der Professur zwischen Fachbereich und Präsidium besprochen, „[bei] Bedarf werden die Perspektivgespräche auch fachbereichsübergreifend geführt“ (Leitfaden für Berufungsverfahren, §1). Inwieweit die Ausrichtung einer Professur interdisziplinäre Anschlussmöglichkeiten berücksichtigt, hängt daher zum einen davon ab, ob der Fachbereich von sich aus solche Anschlussmöglichkeiten sucht und in seine Überlegungen einbezieht. Zum anderen ist das Präsidium als Akteur gefordert, um ein eventuelles fachübergreifendes Interesse an einer Professur ins Spiel zu bringen. In der Praxis führen Präsidium und Fachbereiche nicht bei jeder Professur ein Perspektivgespräch, schon aus Gründen des Aufwands nicht, aber auch weil eine bestimmte Ausrichtung oftmals schlüssig begründet oder bereits vereinbart ist. Für Perspektivgespräche bieten sich aus Sicht des Präsidiums Professuren an, bei denen Klärungsbedarf hinsichtlich der Ausrichtung besteht oder von denen es sich besondere interdisziplinäre Bezüge verspricht. Anlass zu einem Perspektivgespräch bot beispielsweise 2009 eine Professur in den Sportwissenschaften der TU Darmstadt, die schließlich als Professur für Sportbiomechanik gewidmet wurde. Als die Professur zur Besetzung anstand, war zwischen Präsidium und Fachbereich bereits eine generelle Ausrichtung der Sportwissenschaften auf das Schnittfeld von Sport und Ingenieurwissenschaften vereinbart. Auch ein Studiengang Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Informatik lief bereits mehrere Jahre im Fachbereich. Die offene Frage war jedoch, wie die vakante Professur so ausgerichtet werden kann, dass dieser weite interdisziplinäre Rahmen mit zukunftsträchtigen wissenschaftlichen Inhalten gefüllt wird. Zu dem Perspektivgespräch hat das Präsidium alle Fachbereiche eingeladen, von denen man Bezüge zur künftigen Professur erwarten konnte, von Informatik und Elektrotechnik über Maschinenbau bis zu Materialwissenschaften und Biologie. Ergebnis des Gesprächs war die Verständigung auf eine Ausrichtung, die sowohl an die Informatik wie an den Maschinenbau eine hohe Anschlussfähigkeit hat. Nach der erfolgten Besetzung der Professur sind entlang dieser Schnittstellen bereits vielfältige interdisziplinäre Forschungs- und Lehraktivitäten entstanden. Ein weiterer Schritt in der ersten Phase des Berufungsverfahrens ist die Besetzung der Berufungskommission. Auch hier liegt die Initiative zunächst beim Fachbereich und damit innerhalb einer Disziplin. Der Berufungskommission gehören an der TU Darmstadt in der Regel fünf Professorinnen und Professoren des Fachbereichs sowie Fachbereichsmitglieder aus den weiteren Gruppen an. Jedoch ist mindestens ein professorales, beratendes Mit- 90 Matthias Adam glied aus einem anderen Fachbereich regelmäßig vorgesehen, vielfach nehmen die Fachbereiche mehrere Mitglieder anderer Fachbereiche in die Kommission auf. 8 Diese Mitglieder anderer Fachbereiche haben in der Regel Interesse an einer interdisziplinären Kooperation mit der Professur. Dass sie als beratende Mitglieder kein Stimmrecht haben, spielt in der Praxis meist eine untergeordnete Rolle. Ihr Votum zur interdisziplinären Passfähigkeit von Kandidatinnen und Kandidaten hat Gewicht und schlägt sich regelmäßig in den Berufungsberichten nieder. Der Präsident stimmt der Besetzung der Kommission mit der Freigabe der Professur zu. Er hat dabei die Möglichkeit - von der auch Gebrauch gemacht wird -, weitere beratende Mitglieder aus anderen Fachbereichen für die Kommission vorzuschlagen. Beispiele wie das geschilderte Perspektivgespräch sind Mechanismen, um interdisziplinäre Bezüge systematisch in der Professurenstruktur der Universität anzulegen. Dessen ungeachtet ist an der TU Darmstadt das Berufungsverfahren - wie üblicherweise an Universitäten in Deutschland - stark im Fachbereich und damit in einer Disziplin angesiedelt. Die umfangreichste Arbeit an der konkreten Personalauswahl findet in der zweiten Phase des Berufungsverfahrens statt, die im Berufungsvorschlag mündet. Akteure hier sind die Berufungskommission, die Dekanin oder der Dekan des Fachbereichs sowie der Fachbereichsrat, der über den Berufungsvorschlag abstimmt. Inwiefern interdisziplinäre Anschlussoptionen einer Professurenausrichtung in der konkreten Personalauswahl Beachtung finden, hängt daher wesentlich daran, dass diese Optionen auch vom Fachbereich und der Berufungskommission getragen und gesucht werden. Das Präsidium kann dies in der Regel dann erst mit Vorliegen des Berufungsvorschlags überprüfen und die Bereitschaft und Planungen der Kandidatinnen und Kandidaten zur konkreten interdisziplinären Kooperation in der Berufungsverhandlung thematisieren. Im Ergebnis zeigt sich beim Berufungsverfahren, dass es im Wechselspiel von Präsidium und Fachbereich auf beide Akteure ankommt, um interdisziplinäre Verknüpfungen in der Professurenstruktur der Universität anzulegen. Zwar hat das Präsidium einige Möglichkeiten, dies einzufordern oder zu prüfen. Für die erfolgreiche Realisierung kommt es aber entscheidend darauf an, dass auch der Fachbereich solche Verknüpfungen sucht und für sich anstrebt. 8 Hinzu kommt an der TU Darmstadt ein „Senatsbeauftragter“, ein in Berufungsverfahren erfahrener Professor, der als Ratgeber in Verfahrensfragen und zugleich zusätzlicher Berichterstatter gegenüber Senat und Präsidium vom Präsidenten in die Berufungskommission entsandt wird. Da Senatsbeauftragte die Verfahrensqualität im Blick behalten sollen, werden sie bewusst fachfern benannt und haben nicht die künftige interdisziplinäre Anbindung der Professur im Fokus (Leitfaden für Berufungsverfahren, §6). Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 91 3.2 Indikatorbasierte Mittelverteilung Die Mittelverteilung in einer Universität ist ein wesentlicher Mechanismus der Steuerung und Strukturentwicklung. Zum einen werden über die Mittelverteilung vielfach Strukturentscheidungen in einer Universität umgesetzt, etwa Prioritätensetzungen oder die Einrichtung und Streichung von Professuren. Zum anderen wirken gängige indikatorbasierte Mittelzuweisungen über Anreizsetzungen auf die Entwicklung der Fächer ein, beispielsweise auf deren Drittmitteleinwerbung oder ihre Aufnahme von Studierenden. Die TU Darmstadt hat 2005 begonnen, die Mittel der Fachbereiche über ein indikatorbasiertes Verteilungsmodell zu verteilen, das beide Steuerungsfunktionen abbildet. In dem seit 2009 geltenden Modell werden 60% der Gesamtzuweisungen nach „Zählprofessuren“, d.h. der budgetrelevanten Professurenanzahl, verteilt. Diese Zuweisungen lassen sich durch diskretionäre Entscheidungen steuern. 40% der Mittel werden formelgebunden für tatsächliche Leistungen und Belastungen in Forschung und Lehre verteilt. Die gewichtigsten Indikatoren dafür sind Studierende, Absolventen, Drittmittel sowie Promotionen. Die Verteilungssumme im gesamten Modell belief sich in 2014 auf rund 115 Millionen Euro und damit auf etwa die Hälfte der Grundmittel der Universität. Die Fachbereiche erhalten auf diesem Weg ihre gesamten Personal- und Sachmittel (jedoch ohne Infrastruktur- und Energiekosten). Ein solches Mittelverteilungsmodell bildet eine Rahmenbedingung für viele Entscheidungen der Fachbereiche wie der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Welche Forschungsprojekte verfolgt und wohin dann entsprechende Drittmittel verbucht werden, für wen Studierende und Absolventen zählen - all dies hat über das Mittelverteilungsmodell finanzielle Auswirkungen für die Fachbereiche und deren Mitglieder. Im Hinblick auf Interdisziplinarität stellt sich daher die Frage, ob diese durch das Mittelverteilungsmodell der TU Darmstadt eher befördert oder behindert wird. Meine Einschätzung dazu ist, dass die Mittelverteilung sich weitgehend neutral gegenüber Interdisziplinarität verhält. Dafür spricht zum Ersten, wie die Indikatoren im Modell im Einzelnen konstruiert sind. So zählen Studierende nicht nur für den Fachbereich, der einen bestimmten Studiengang anbietet oder dafür verantwortlich ist. Vielmehr werden die Studierenden nach den Anteilen aufgeteilt, die verschiedene Fachbereiche am Studiengang haben. Der Verteilungsschlüssel ergibt sich aus den Curricularanteilen gemäß Kapazitätsverordnung. Ebenso werden die Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge allen am Curriculum beteiligten Fachbereichen anteilig gutgeschrieben. Damit bildet das Modell detailliert ab, wenn es in Studiengängen interdisziplinäre Vernetzungen gibt. Aufwände der Fachbereiche für Studierende anderer Fachbereiche sind im Ergebnis genauso finanzwirksam wie für „eigene“ Studierende. Bei Drittmitteln wird ähnlich verfahren, auch sie werden für die 92 Matthias Adam Mittelverteilung den beteiligten Fachbereichen und anteilig zugeordnet. So werden beispielsweise die Drittmittel von Sonderforschungsbereichen, an denen mehrere Fachbereiche beteiligt sind, auf die jeweiligen Projektleiterinnen und -leiter und deren Fachbereiche verteilt. Für die Mittelverteilung spielt es daher keine Rolle, ob Kooperationspartner in einem Verbundprojekt aus demselben Fachbereich oder einem anderen Fachbereich kommen. Zum Zweiten spricht für die weitgehende Neutralität des Mittelverteilungsmodells, wie in den letzten Jahren eine Reihe interdisziplinärer Studiengänge wie fächerübergreifender Verbundforschungsprojekte an der TU Darmstadt neu etabliert wurden. Die Psychologie hat seit 2012 zusammen mit der Informatik die Bachelor- und Masterstudiengänge Psychologie in IT eingerichtet. Ein Masterstudiengang Energy Science and Engineering verbindet seit 2012 die Energieforschung in Ingenieur-, Natur- und Sozialwissenschaften der TU Darmstadt. An Verbundforschungsprojekten sind etwa 2011 die Forschergruppe Lokale Generierung handlungsrelevanten Wissens (Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Bau- und Umweltingenieurwissenschaften, Architektur) und 2013 der Sonderforschungsbereich Kryptographiebasierte Sicherheitslösungen (Fachbereiche Informatik und Physik) neu eingerichtet worden. Diese Studiengänge und Verbundprojekte sind aus Entwicklungen heraus entstanden, die von den beteiligten Fachbereichen bereits seit längerem verfolgt und vom Präsidium unterstützt werden. Sie sind jeweils wissenschaftlich gut motiviert und damit sicherlich nicht Folge etwa einer besonderen Anreizsetzung für Interdisziplinarität im Mittelverteilungsmodell. Aber genauso wenig hat das Modell diese Initiativen behindert. Das Verteilungsmodell der TU Darmstadt weist die Mittel den Fachbereichen und damit den disziplinären Organisationseinheiten der Universität zu. Jedoch wird über die geschilderte Verrechnung der Leistungen und Belastungen quer zu den Fachbereichen offenbar ein Ausgleich geschaffen, der eine weitgehende finanzielle Neutralität des Verteilungsmodells gegenüber interdisziplinären Vorhaben herstellt. 3.3 Evaluation von Fachbereichen Ein weiterer wichtiger Prozess der Strukturentwicklung an der TU Darmstadt ist die Evaluation von Fachbereichen. In einem sechsjährigen Zyklus werden seit 2009 sukzessive alle Fachbereiche der TU Darmstadt extern evaluiert. 9 Auf Grundlage der Evaluationsergebnisse schließt der Präsident dann Zielvereinbarungen über fünf Jahre mit den Fachbereichen. Gegenstand der Evaluation sind sowohl der aktuelle Leistungsstand wie die Zukunftsplanungen der Fachbereiche in Forschung, Lehre und Organisation. Typische Themen der Zielvereinbarungen sind die Schwerpunktbildung im 9 Siehe http: / / www.intern.tu-darmstadt.de/ dez_i/ ref_ic/ evaluationen_ic/ index.de.jsp [15.08.2014]. Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 93 Fachbereich, die Ausrichtung von zur Besetzung anstehenden Professuren, geplante Verbundaktivitäten in der Forschung, die Qualität der Lehre und die Nachwuchsförderung. Das Evaluationsverfahren an der TU Darmstadt ist grundsätzlich auf die einzelnen Fachbereiche zentriert und damit disziplinär ausgerichtet. Im Mittelpunkt des Verfahrens stehen Stand und Entwicklung eines Fachbereichs, bewertet durch externe Fachgutachterinnen und -gutachter. Interdisziplinäre Kooperationen eines Fachbereichs werden in dieses Verfahren einbezogen, indem sie im Selbstbericht vom Fachbereich thematisiert sowie von den Gutachterinnen und Gutachtern in Gesprächen mit Kooperationspartnern aus anderen Fachbereichen diskutiert werden. Eine systematische Rolle im Evaluationsverfahren kommt in diesem Zusammenhang auch den interdisziplinären Forschungsclustern der TU Darmstadt zu. Vertreter der Forschungscluster werden regelmäßig zu den Gutachtergesprächen hinzugezogen, und die Rolle des Fachbereichs in den Forschungsclustern der Universität ist stets Thema der Begutachtung. Allerdings werden auch die interdisziplinären Aktivitäten des Fachbereichs letztlich aus einer disziplinären Perspektive bewertet, da die externen Gutachterinnen und Gutachter aus dem evaluierten Fach kommen. Das Verfahren mündet zudem in einer Zielvereinbarung zwischen Präsidium und Fachbereich, die Entwicklungsziele des Fachbereichs festschreibt. Eine multidisziplinäre Perspektive auf die Entwicklung von Fachbereichen kommt in dem Evaluationsverfahren nur zustande, wenn sie gezielt hergestellt wird. Das Beispiel der Evaluationen der Bau- und Umweltingenieurwissenschaften sowie der Geowissenschaften in den Jahren 2010 bzw. 2012 zeigt, wie dies erreicht werden kann. In beiden Fachbereichen gab es vor den Evaluationen die Idee, die um das Thema Wasser gruppierten Professuren der beiden Fachbereiche stärker aufeinander auszurichten. Die Fachbereiche wie das Präsidium haben daraufhin in beiden Evaluationen eine entsprechende passfähige Ausrichtung zum Thema gemacht. Die Gutachterinnen und Gutachter haben diese Ideen aufgegriffen und Schwerpunktbildungen empfohlen - durchaus in Konkurrenz zu anderen, innerdisziplinären Schwerpunkten -, die auf abgestimmte Berufungen in den beiden Fachbereichen abzielen. In den Zielvereinbarungen wurden diese Ausrichtungen schließlich festgeschrieben. Das Beispiel zeigt, dass die Evaluation von Fachbereichen bei entsprechendem Interesse der Beteiligten auch fachbereichsübergreifende, interdisziplinäre Strukturen zum Gegenstand haben kann. Solche interdisziplinären Aspekte müssen aber explizit in das Verfahren eingebracht werden, das an der TU Darmstadt grundsätzlich auf die Organisationseinheit Fachbereich ausgerichtet ist. 94 Matthias Adam 4 Schlussfolgerungen: Interdisziplinäre Strukturentwicklung Wie kann also Interdisziplinarität innerhalb der allgemeinen Strukturen an einer Universität erfolgreich organisiert und entwickelt werden? Die skizzierten Organisationsformate und Entwicklungsprozesse an der TU Darmstadt sowie die geschilderten Erfahrungen legen folgendes Bild nahe. Die allgemeinen Strukturentwicklungsprozesse wie Berufungsverfahren, Mittelverteilung und Evaluation setzen - jedenfalls an der TU Darmstadt - ganz überwiegend bei den Fachbereichen und damit bei weitgehend disziplinär verfassten Organisationseinheiten an. Dazu sehe ich keine plausible Alternative, da Disziplinen weiterhin der primäre Rahmen für wissenschaftliche Relevanz- und Qualitätsbewertungen sind, wie Berufungsverfahren und Peer-Evaluationen sie erfordern. Die anders lautenden Prognosen einer Entwicklung hin zu transdisziplinärer „mode-2“-Wissenschaft (vgl. Gibbons et al. 1994) haben sich in den Strukturentwicklungsprozessen an der TU Darmstadt noch nicht realisiert. Dennoch können die allgemeinen Strukturentwicklungsprozesse so gestaltet werden, dass sie interdisziplinäre Anschlüsse systematisch ermöglichen. In Berufungsverfahren kann interdisziplinäre Kooperation zum Kriterium gemacht werden. Ein Mittelverteilungsmodell lässt sich so ausgestalten, dass intra- und interdisziplinäre Kooperation gleich behandelt werden. Auch in die Evaluation von Fachbereichen können Fragen der Entwicklung interdisziplinärer Felder eingebracht werden. Damit interdisziplinäre Anschlussoptionen dann auch Realität werden, braucht es Akteure in der Universität, sei es aus den betroffenen Fachbereichen selbst, der Universitätsleitung oder anderen Einheiten. Interdisziplinarität wird nur Wirklichkeit, wenn sie als Entwicklungsoption immer mit vorgesehen ist und sich bietende wissenschaftliche Chancen aktiv gesucht werden. Die besonderen Strukturen für Interdisziplinarität werden in diesem Zusammenhang dann auch für die Entwicklung der disziplinären Strukturen der Universität wichtig. Interdisziplinäre Einrichtungen wie die Forschungscluster, die Studienbereiche oder das Forum für interdisziplinäre Forschung an der TU Darmstadt sind einerseits mögliche Akteure für Interdisziplinarität in den allgemeinen Strukturentwicklungsprozessen. So bewirkt die systematische Beteiligung der Forschungscluster an den Fachbereichsevaluationen, dass der Beitrag jedes Fachbereichs zum interdisziplinären Profil der Universität zum Thema der Evaluation wird. Andererseits können die interdisziplinären Einrichtungen die Bereitschaft in der Universität zu Interdisziplinarität wie auch die Fähigkeit dazu in der Breite befördern. Sie tragen in diesem Sinn zu einer Kultur der Interdisziplinarität bei, wie sie Universitäten wie die TU Darmstadt für sich als Anspruch formulieren. Für beide Funktionen ist es aber wichtig, dass die interdisziplinären Einheiten nicht Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt 95 von der Universität abgesondert werden, sondern eng mit der disziplinär strukturierten Universität verwoben bleiben. Literatur Michael Gibbons, Camille Limoges, Helga Nowotny, Simon Schwartzmann, Peter Scott und Martin Trow (1994): The New Production of Knowledge. The Dynamics of Science and Research in Contemporary Societies, London: Sage. Peter Weingart und Britta Padberg (2014): University Experiments in Interdisciplinarity: Obstacles and Opportunities, Bielefeld: Transcript Verlag. Georgios Terizakis Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre zwischen pragmatischer Governance und strategischer Organisationsgestaltung 1 Hochschulen zwischen den Schlagworten Governance und Interdisziplinarität Der Bologna-Prozess löst seit 15 Jahren eine Reihe von lebhaften Reaktionen und Debatten innerhalb und außerhalb der Hochschulen aus. 1 Sieht man von ideologisch-symbolischen Konflikten ab, wird im Kern um die Weiterentwicklung der Hochschulen sowie um deren institutionellen und organisatorischen Kontext gerungen, und damit um das die Lehre und Forschung betreffende Selbstverständnis der Hochschulen insgesamt (vgl. bspw. für den wissenschaftlichen Diskurs Münch 2011 und den wissenschaftspolitischen Diskurs HRK 2010). Die Tatsache, dass jede Hochschule für sich um Positionierung bemüht ist und bemüht sein muss („Profilierung“), kommt hinzu. Dabei geraten wissenschaftliche Großbegriffe wie Interdisziplinarität in den Fokus und werden rethematisiert (Terizakis/ Gehring 2014: 20ff.). Sowohl im Bereich der Forschung als auch im Bereich der Lehre werden Neujustierungen vorgenommen, die innovative oder zumindest neue Governancearrangements zu benötigen scheinen (vgl. Terizakis 2012: 254ff., zu historischen Umbrüchen im deutschen Hochschulsystem vgl. Bartz 2010). In der Politikwissenschaft werden unter dem Stichwort „Governance“ 2 solche innerhochschulischen wie auch außerhochschulischen Regelungsformen untersucht, die - gemessen an traditionellen Formen der Wissenschaftssteuerung - neue, dynamische und zumeist flexiblere 3 Arrangements 1 Ich danke Katharina Kleinschnitger für hilfreiche Unterstützung. 2 Hier wird Governance im Mayntz‟schen Sinne als Regelungsstruktur verwendet und vor allem als organisationbezogener Begriff genutzt, verwandt zum stärker soziologisch konnotierten Begriff der Organisationsentwicklung. 3 Das Wort flexibel ist einer der meist missbrauchten Begriffe der letzen Jahre. Er wird hier in seiner Bedeutung „unter veränderten Umständen anpassungsfähig“ und damit als Hinweis auf dynamische Prozesse verwendet. Damit soll keinem Vorwand Vorschub geleistet werden, Ressourcenkürzungen oder Prekärisierung von stabilen Arrangements mit Flexibilisierung gleichzusetzen. Vielmehr soll durch diesen Begriff eine Elastizität in die vormals starre Ausgestaltung von Organisationen angedacht werden, um kreativ und kontextspezifisch mit den Bologna-Herausforderungen umzugehen. 98 Georgios Terizakis versprechen (vgl. Terizakis 2012). Dabei ist von politischer Seite der Wunsch handlungsanleitend, die Produktion von Forschungsergebnissen nicht mehr dem Zufall wissenschaftlicher Idiosynkrasien zu überlassen (Knie/ Simon 2009: 532), sondern mit Anreizen wie Exzellenzinitiativen zu beeinflussen und den damit verbundenen Verlust früher Steuerungsgewalt durch Wettbewerbseffekte zu kompensieren. Inzwischen gibt es auch im Bereich der Lehre mit dem Qualitätspakt Lehre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) einen ähnlichen Steuerungsversuch, der bei hochschulseitig entwickelten, innovativen Lehrkonzepten vor allem hohe Studierendenzahlen kompensieren soll. Gleichzeitig wird eine gesteigerte gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Nachfrage nach Wissen diagnostiziert, die als Folge eine Steigerung der Nachfrage nach Wissensproduzenten nach sich zieht (Mayntz et al. 2008) - unabhängig davon, wer und in welcher Konstellation Wissen produziert. Hochschulen als zentrale Wissensproduzenten antworten in der Forschung auf diese Veränderungen mit Ausgründungen, Neugründungen und schließlich mit neuen Kooperationen. In dieser Konstellation hat sich der Governancebegriff in der Wissenschaftspolitik und -organisation fest verankert. In erster Linie wird dabei auf den Paradigmenwechsel von hierarchischer, politischer Steuerung hin zu einer flexibleren Regierungs- und Regelungsform, eben Governance, verwiesen. Diese zeichnet sich in der „klassischen“ Ausprägung in Mixturen aus Netzwerk, Hierarchie und Markt aus (vgl. Heinelt et al. 2011 sowie Beiträge in Egner/ Haus/ Terizakis 2012). Die Hochschulreformen der 1960er und 1970er Jahre hatten hingegen eine quantitative Ausweitung der Hochschulen als auch eine gesteigerte Staatstätigkeit zur Folge (vgl. Bartz 2010: 15, 25). Der Begriff Governance verspricht nun in einer kritischen Lesart den entscheidenden Vorteil zu haben, indem er das eigene Scheitern und die eigene Begrenztheit mitdenkt und damit prinzipielle Veränderbarkeit von Steuerung und Planung thematisiert (Jessop 1998). Kölbel (2004; vgl. Knie/ Simon 2010) spricht in diesem Zusammenhang von einer Hybridsteuerung, die traditionelle Formen der staatlich dominierten Steuerung ersetzt. Trotz der scheinbar weicheren Form der Steuerung gilt es, die Wissenschaft „einerseits als besonders schützenswertes Gut zu definieren, aber andererseits [ist] kein wirkliches Vertrauen in die Leistungsfähigkeit [der Wissenschaft] der eigentliche Grund für die vielfältigen und sich in der Regel widersprechenden Governance-Formen in der Wissenschaftspolitik“ (Knie/ Simon 2009: 541, Ergänzungen GT). Aus der Ausweitung der Staatstätigkeit wurde Staatsversagen und als deren Folge wiederum entstanden weichere Governancearrangements, die jedoch keineswegs den Steuerungsanspruch der „Politik“ auf die Wissenschaft und die Hochschulen eliminieren. Soweit die von außen an die Wissenschaftsorganisation getragenen Steuerungsversuche. Governance innerhalb der Wissenschaft stand bisher relativ wenig im Fokus der Forschungsarbeit, was insbesondere für den Bereich der Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre 99 Lehre gilt. Vor allem Veränderungen durch den Bologna-Prozess haben eine schon angedeutete breite Debatte entfacht. Diese findet aber keinen äquivalenten Widerhall in Untersuchungen, die den innerhochschulischen Selbstumbau reflexiv begleiten - auch wenn einzelne Fachöffentlichkeiten sicher auszunehmen sind. Welchen Weg nimmt die für gute universitäre Forschung seit Jahrzehnten erkannte und, trotz aller Diskussionen, breit konsentierte Zielstellung der interdisziplinären Durchlässigkeit im Innenleben von Hochschulen seit Bologna? 4 Interdisziplinarität 5 wird in diesem Beitrag bewusst weit definiert, nämlich in einem mindestens dreifachen Sinn von (1) zwischenfachlichem Kontakt, (2) generalistischem bzw. „transdisziplinärem“ Methodenwissen sowie (3) Gesellschaftsbzw. Problembezug in der Lehre. Interdisziplinarität ist in diesem Zusammenhang ein besonders interessantes Beispiel, da sie zum einen eine lange Genese und Transformation innerhalb der Organisation Hochschule durchlaufen hat (vgl. Terizakis/ Gehring 2014), und zum anderen weil sie als „diffuses“ Thema von vielen Akteuren adaptiert werden kann. Mit Blick auf innerhochschulische Governancearrangements lautet die These des Beitrags: Das hochschulische Leiden an Bologna hängt auch mit Fragen der organisatorischen Ausgestaltung von Herausforderungen wie Interdisziplinarität in der Lehre zusammen. Dabei ist die größere Herausforderung, wie hochschuleigene, endogene Formen des Umgangs gefunden werden können. Innovationen im Bereich der Forschung und Lehre entstehen weder durch einen reaktiven noch durch einen „kritischen“, sprich abwehrenden Umgang mit den Vorgaben, sondern sie entstehen (oder entstehen nicht) durch eigenwillige und in entscheidenden Punkten auch durch maßgeschneiderte „Neuerfindungen“ an den Hochschulen selbst. Die Bologna-Reform kann als das genommen werden, was sie sein sollte: der Versuch der Harmonisierung der europäischen Hochschullandschaft durch vergleichbare Rahmenbedingungen. Diese Gelegenheit wird unterschiedlich wahrgenommen und bewertet, und sie zeitigt auch eine Fülle von kontingenten Effekten, was sich am Beispiel der Rolle von „Interdisziplinarität in der Lehre“ zeigen lässt. In diesem Beitrag habe ich zunächst den fachlichen und diskursiven Kontext geklärt, um mich im zweiten Schritt den Voraussetzungen für Interdisziplinarität in der Lehre zu nähern. Denn, dies ist schon in der Einführung deutlich geworden, jenes Feld ist als Feld eigener Berechtigung nicht recht in den Blick geraten, sondern wird in der Regel als Appendix oder Fortsetzung der Interdisziplinarität in der Forschung behandelt. Diese Voraussetungen werden am Beispiel der Technischen Universität Darmstadt 4 Für einen Einblick in diese Debatte kann das Heft 4/ 1997 der Zeitschrift „Ethik und Sozialwissenschaften“ empfohlen werden. 5 Unter Interdisziplinarität wird auch der arbeitspragmatische Begriff der fachübergreifenden Lehre subsumiert. 100 Georgios Terizakis skizziert. Im Folgenden wird ein konkretes organisatorisches Setting thematisiert, das eine distinkte Antwort auf die beschriebene Herausforderung gibt. Abschließend werden einige Muster der Interdisziplinarität in der Lehre beschrieben, um dann auf die in der Einführung diskutierten organisatorischen und governancethereoretischen Fragen eine Antwort zu skizzieren. Somit soll nicht nur über Wissenschaft geredet werden, sondern Anknüpfungspunkte in der Wissenschaft selbst gesucht werden. 2 Interdisziplinarität in der Lehre am Beispiel der TU Darmstadt 2.1 Vorklärungen für Interdisziplinarität in der Lehre: Chaos oder Vielfalt? Das Feld der Interdisziplinarität in der Lehre weist sich durch eine rhetorische Wichtigkeit bei gleichzeitiger Ungenauigkeit des Gegenstandes aus. Insofern steht eine Entscheidung bevor, wenn dieses Feld bearbeiten werden soll: Wie kann und soll dieses massive Feld überhaupt beschrieben werden? Es geht um Hunderte, oft gar um über Tausende, von Lehrveranstaltungen und Modulen an jeder Organisation sowie um eine unüberschaubare Zahl von Studiengängen; hinzukommen Sonderformen, wie AGs, Projekte und ähnliches mehr. Zum einen ist also der Bereich der Lehre selbst als ausladend zu bezeichnen. Zum anderen verhält sich das Thema Interdisziplinarität hierzu analog und bildet geradezu die gesamte Wissensproduktion und organisation in der Wissenschaft nach. Interdisziplinarität in der Lehre ist nicht chaotisch, sondern genauso ausdifferenziert, wie das restliche Wissenschaftssystem selbst. Insofern stellt sich die Frage, wie Ordnung in diese Vielfalt gebracht werden kann und was hierzu nötig ist. Zunächst sind dreierlei Vorklärungen notwendig: 1. Hochschulen sind als Organisationen ziemlich individuell. Dieser leichte Anthropomorphismus sei an dieser Stelle erlaubt. Sie sind also als eine spezifische Organisation zu sehen, die ihre Entwicklungsgeschichte und Eigenheiten hat, welche zunächst geklärt und dargestellt werden müssen, um auf endogene Entwicklungsmöglichkeiten zu fokussieren. 2. Es empfiehlt sich ein pragmatischer Umgang mit dem Begriff, der die darunter gefaßte Vielfalt unterstreicht (vgl. Terizakis/ Gehring 2014). Interdisziplinarität kann als catch all-Begriff (miss-)gebraucht werden und schließt damit leider nichts mehr aus. Es gibt hierzu eine sehr ausführliche Literaturlage, zumindest seit den 1970er Jahren. Interdisziplinaritäten und fachübergreifende Lehre kann und sollte nur aus dem inhaltlichen und didaktischen Verständnis der Fächer selbst heraus verstanden werden. Dies kann einen pragmatischen Ausgangspunkt bieten, interdisziplinäre Lehre Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre 101 zu sichten und, wenn nötig, kann er dabei helfen, in einem zweiten Schritt informierte Entscheidungen zu treffen, welche Interdisziplinarität eine Hochschule und/ oder ein Fach will. 3. Lehre ist nicht gleich Forschung. Dies klingt banal, ist es aber in diesem Zusammenhang nicht. Gerade die Bologna-Debatte hat den guten alten Humboldt mitten in unsere Zeit katapultiert und zwar als Gewährsmann, dass seit Bologna alles schlechter wird, zumal in der Lehre (vgl. Terizakis 2014). Humboldt ist der Vordenker und Macher der organisatorischen Einheit von Forschung und Lehre. Bei einer unzulässigen Verkürzung von Humboldts Diktum führt dies in der Interdisziplinarität in der Lehre zu einer Reihe von Problemen: Ist die Lehre der Forschung nachgestellt und muss das folglich in der Interdisziplinarität nicht auch so sein? Und überhaupt: Was soll Interdisziplinarität in der Lehre als eigener Bereich sein? Wenn Lehre nicht als organisatorisch eigenständiger Bereich behandelt wird, sind kaum adäquate Lösungen möglich. Unter den skizzierten, durchaus schweren Vorklärungen, gilt es die interdisziplinäre Lehre zu entwickeln: endogen, pragmatisch und als unabhängiges Feld eigener Berechtigung. Im Folgenden wird dies am Beispiel der Technischen Universität Darmstadt weiter ausgedeutet. 2.2 Zwei Governancesäulen der Interdisziplinarität Die TU Darmstadt kann auf eine lange und reichhaltige Geschichte im Bereich der Interdisziplinarität sowohl in der Forschung als auch in der Lehre zurückblicken. Als Polytechnische Hochschule, die im Jahr 1877 gegründet wurde, hat sie ihren Schwerpunkt auf die Ausbildung von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern gelegt. Erst nach den zwei Weltkriegen kamen die sozial-, geschichts- und humanwissenschaftlichen Institute - sowie weitere „harte“ Wissensschaften wie die Informatik - hinzu und machten eine breite interdisziplinäre Kooperation möglich. Der „Darmstädter Weg“ zeigt sich allein schon in einem breiten Fächerangebot, der sich anhand der 13 Fachbereichen illustrieren lässt: von „klassischer“ Ingenieursausbildung, zu Naturwissenschaften bis zur Philosophie und Politikwissenschaft. Interdisziplinarität bildet dabei so etwas wie ein Leitmotiv, das sich durch alle Strukturen niederschlägt. 6 In einem solch gewachsenen Feld empfiehlt es sich, induktiv auf verschiedenen Ebenen zu analysieren, wie zunächst Interdisziplinarität in der Lehre innerhalb einer Organisation funktioniert und entstanden ist. Dazu wurden in dem hier zugrundeliegden Projekt 7 Vertretungen aller Fachbereiche, Studiendekane und interdisziplinär tätige Akteure befragt. Es wurden 6 Vgl. http: / / www.tu-darmstadt.de/ universitaet/ profil_1/ tu_leitbild.de.jsp [24.6.2014], Treuheit 1997. 7 Vgl. http: / / www.kiva.tu-darmstadt.de/ kiva_vi/ index.de.jsp [26.6.2014]. 102 Georgios Terizakis Studienordnungen geprüft und Lehrveranstaltungen typenartig sortiert. Ziel war es, zu verstehen, was Interdisziplinarität in der Lehre fördert und behindert. Dabei ist eine Landschaft erschienen, die in ihrer Vielfalt und kleinteiligen Verästelung ernstgenommen werden sollte (vgl. Frehe in diesem Band). Jedes Fach entwickelt dabei andere Ansätze und verfolgt andere Interessen. Es gilt die Vielfalt dieses Themas kleinzuarbeiten, darzustellen, zu kommunizieren und mögliche Lücken, je nach Organisation, systematisch zu schließen. So hoch das Schlagwort auch gehalten wird - Interdisziplinarität ist ein schwieriges Geschäft, schon allein weil in der Forschung eine gewisse Uneinigkeit besteht, was darunter zu verstehen sei (vgl. Jungert 2010). Die immer wieder diagnostizierte Schwammigkeit von Interdisziplinaritätsprogrammen lässt sich wohl nur durch eine differenzierte Betrachtung und Umsetzung mildern. Einigkeit herrscht immerhin bei der Feststellung, dass in der Forschung Interdisziplinarität helfen kann und soll, gesellschaftlich definierte Probleme zu lösen - sei es durch „Finalisierung“ (Böhme et al. 1973), den Leitgedanken eines Forschungsmodus „mode-2“ (vgl. Gibbons et al. 1994) oder einfach nur, weil man weiß, dass große Forschungsverbünde für die Bewältigung „großer Themen“ nur auf kollaborativen Wegen vorankommen. Da Gesellschaft und Politik in der Regel nicht in disziplinären Kategorien denken, stellen sich Aufgaben und Probleme, die mehrerer Disziplinen bedürfen. Und da Hochschulen wiederum sich gerne als Labor der Gesellschaft verstehen, nehmen sie die Herausforderung, Interdisziplinarität zu organisieren, im Prinzip auch willig an. An der TU Darmstadt sieht der Lösungsvorschlag hierzu so aus, dass Interdisziplinarität in Forschung und Lehre zwei fundamental unterschiedliche Herangehensweisen benötigt, da unterschiedliche Logiken diesen zugrundeliegen. Es haben sich zwei Säulen des „Regierens“ dieser Bereiche etabliert, die sich zwar wechselseitig befruchten, aber die zunächst einer klaren Zuordnung bedürfen. Im Bereich der Forschung sind Goverenancearrangements erprobter und unkomplizierter, gerade in Zeiten von Bologna. Denn Forschungskooperationen sind der Regelfall wissenschaftlicher Kooperation, auch wenn dabei disziplinäre Grenzen überschritten werden. Insofern gibt es eine einfache Regelung für diese Fälle: die große, mittlere und kleine Interdisziplinarität: „Kleine Interdisziplinarität ist die Kooperation von zwei oder mehreren (a) eng benachbarten oder (b) traditionell häufig zusammenarbeitenden Fächern. Mittlere Interdisziplinarität ist die Kooperation von zwei oder mehreren Fächern, in welcher (a) NaturwissenschaftlerInnen und IngenieurInnen oder (b) SozialwissenschaftlerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen zusammenarbeiten. Große [„Breite“] Interdisziplinarität ist die Kooperation von zwei oder mehreren Fächern aus Ingenieurs- oder Naturwissenschaften einerseits und So- Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre 103 zial- oder Geisteswissenschaften andererseits.“ (Senat der TU Darmstadt 2008) In diese Definition fügen sich alle interdisziplinären Forschungskooperationen an der TU Darmstadt, wobei es eine signifikante „graue Zone“ gibt, die nicht in den Bereich der Lehre hinüberreicht. Hier sind vor allem Graduiertenschulen zu nennen. 8 Als zweite Säule der Interdisziplinarität ist die Lehre als Feld eigener Anforderungen erkannt - und auch eines anderen Verständnisses dessen, was „interdisziplinär“ meinen kann. In diesem Bereich sind bottom up TUspezifische Einheiten gebildet worden die sogenannten Studienbereiche. Externe Anreize haben das Thema Interdisziplinarität in der Lehre zusätzlich vorangetrieben. Hintergrund ist dabei eine innerorganisatorische Prioritätensetzung, die nicht zuletzt auf Betreiben von Fachbereichen zurückgeht. Zudem existieren interdiszipliäre Studenschwerpunkte, die als historisch gewachsene Kooperationen interdisziplinäre Minicurricula anbieten. Die TU Darmstadt hat mit dem Projekt KIVA - Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an 9 , gefördert im Rahmen des Qualitätspakts Lehre des BMBF, zum einen den Ansatz eines hochschulweiten Ausbaus interdisziplinärer Projektwochen in der Studieneingangsphase gewählt. Zum anderen ist eine bessere konzeptionelle Durchdringung und Effektivierung der interdisziplinären Lehre avisiert. 10 Aus diesem Zusammenhang ist die vorliegende Publikation entstanden. Diese zwei verschiedenen Ausprägungen der Säule „Lehre“ zeigen deutlich, dass die Vielfalt des Lehrangebots eine einheitliche Vorgehensweise nicht rechtfertigen würde. Vielmehr entwickeln sich unterschiedliche Ausprägungen von Kooperationen, Projekten oder neuen Organisationseinheiten, die dieser Vielfalt Rechnung tragen. Im Bereich der Lehre kann man zu Recht von Interdisziplinaritäten im Plural sprechen. 2.3 Muster für Interdisziplinarität in der Lehre Was macht nun den Kern der Interdisziplinarität in der Lehre aus? Die Unübersichtlichkeit verleitet dazu, von einer chaotischen Situation zu sprechen. Ein analytischer Blick lässt jedoch Muster für eine Organisation, in diesem 8 Als organisatorischer Rückhalt für die Forschungskooperationen fungiert das „Forum interdisziplinäre Forschung (FiF). Als vernetzendes Forschungsforum intensiviert das FiF die dezentralen Aktivitäten und steht für den Paradigmenwechsel vom „starren“ Zentrum zu einer flexiblen, dynamischen Netzwerkstruktur. Dabei ist die Tradition der Interdisziplinarität eine Richtschnur, allerdings unter geänderten organisatorischen Vorzeichen (FiF 2012). 9 http: / / www.kiva.tu-darmstadt.de/ kiva_gesamt/ index.de.jsp [26.6.2014]. 10 http: / / www.kiva.tu-darmstadt.de/ kiva_vi/ interdisziplinaritaet/ index.de.jsp [26.6.2014]. 104 Georgios Terizakis Fall für die TU, erkennen. Hierzu folgen drei Anmerkungen aus der eigenen Projektarbeit:  Alle Studiengänge haben interdisziplinäre und fachübergreifende Anteile: In Zeiten von Bologna sollte dies selbstverständlich sein, es kann aber auch nicht als „Normalfall“ interpretiert werden. Insofern fühlt sich die TU Darmstadt nicht nur entsprechend ihrem Leitbild als interdisziplinär, sondern sie ist es selbst in der Lehre, da die Fächer enorm miteinander vernetzt sind.  Die Lehrveranstaltungslandschaft kann typologisiert werden: Wenn man die Lehrveranstaltungen sortiert, ergibt sich daraus eine instruktive Typologie derselben (vgl. Frehe in diesem Band). Diese Typologie ist aus der Analyse TU-Darmstadt entstanden. Allerdings sind die Typen so allgemein, dass Vergleiche mit anderen Hochschulen möglich sein sollten. Beispielsweise ist der Typ „Ringvorlesungen“ auch anderorts zu finden und gehört zum Standardrepertoire der interdisziplinären Lehre.  Und last not least gibt es immer Spielraum für Feintuning, an jeder Hochschule: An der TU führt das große Angebot im interdisziplinären und fachübergreifenden Bereich zu einem enormen Angebot. Hier kann eine Fokussierung helfen. Beispielsweise kann in unüberschaubaren Bereichen mit Optionen gearbeitet werden, die Studierenden und Lehrenden helfen sollen, das große Feld mittels weniger Möglichkeiten zu erschließen. Andernfalls kann eine zu große interdisziplinäre Auswahl bei einem Großteil der Studierenden auch abschreckend und frustrierend wirken und gegenbenfalls den Studienerfolg gefährden. Dies sollte nicht durch wenige sehr motivierte Studierende überdeckt werden, denn interdisziplinäre Lehre sollte möglichst viele erreichen, wenn sie denn „heilsame Wirkung“ durch die Vermittlung interdisziplinärer Kompetenzen, entfalten soll. Im Kern vernetzt - und das ist der zentrale Mehrwert - interdisziplinäre Lehre Studierende anhand inhaltlicher und didaktischer Konzepte aus unterschiedlichen Fächern. Was hier angedeutet wird, ist, dass Interdisziplinarität in der Lehre je nach Blickwinkel zu wenig oder zu viel angeboten wird. Wenn zu viel angeboten wird, wirkt es wie ein nicht bewältigbares, wucherndes Chaos. Wenn zu wenig angeboten wird, dann wird die „heilsame Wirkung“ dieser vermisst. Aus meiner Sicht verbirgt sich dahinter aber etwas anderes: Eine auf Sortierung wartende Lehrrealität an deutschen Hochschulen, die eine über Jahre gewachsene Komplexität und Vielfalt birgt. Interdisziplinarität in der Lehre kann sehr produktiv sein, wenn diese von dem Plural der Thesen und der Ideen her gedacht und angewendet wird. Interdisziplinarität als großer monolithischer Komplexbegriff wird (und eigentlich muss) zu verschiedenen Interdisziplinaritäten in unterschiedlichen Bereichen kleingearbeitet werden. Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre 105 Organisatorische Ausgestaltung der Hochschule Fachliche Selbstverortung Fachorientierte Didaktik Für Interdisziplinarität in der Lehre steht hier zwar die organisationsbezogene Perspektive im Vordergrund, aber die oben genannten Stichworte verweisen auf zwei weitere Aspekte: die schon genannte inhaltliche Selbstdefinition der Fächer sowie die didaktische Ausgestaltung von interdisziplinären Angeboten (vgl. die Einleitung zu diesem Band). In diesem Dreieck vollzieht sich Interdisziplinarität in der Lehre, wobei fachliche Selbstverortung und Didaktik auf disziplinären Füßen stehen, während die organisatorische Ausgestaltung zur Herausforderung jeder Hochschule gehört und somit die Spitze des Dreiecks bildet. Abb. 8: Dreieck der Interdisziplinarität in der Lehre (eigene Darstellung) 3 Organisatorische Auswirkungen der Vielfalt in Lehre und Forschung: unterschiedliche Governancemodi als Antwort Interdisziplinarität in der Lehre soll Studierende nach ihrem Abschluss befähigen, gesellschaftsrelevante Probleme lösen zu können und damit ihre sogenannte Employability zu erhöhen - so der Wunsch und das nicht erst seit Beginn des Bologna-Prozesses. Das genannte Ziel ist sowohl organisatorisch als auch inhaltlich-didaktisch nicht leicht umzusetzen. Dennoch ist es eine Aufgabe, die zum Beispiel im Rahmen des Qualitätspaktes Lehre des BMBF adressiert worden ist und vor allem adressiert werden sollte. Der geschilderte Weg der TU Darmstadt zeigt, dass Spielraum für eine bestimmte - auch gewachsene - Form des Setzens eigener Prioritäten ist und auch Experimente im Zeitalter von Bologna nicht etwa verschwinden. In der Kombination externer Impulse kann sich, im Gegenteil, hier unter dem Vorzeichen des vergleichsweise alten Hochschulentwicklungs- und Bildungsschlagwortes „Interdisziplinarität“ ein kreativer eigener Weg herausbilden, Interdisziplinarität der Lehre 106 Georgios Terizakis auch wenn nicht ein permanentes Anwachsen interdisziplinärer Angebote in der Lehre gemeint sein kann. Eine mögliche Option, kreativ den eigenen Weg zu beschreiten, ist den Kompetenzerwerb neu aufzustellen. Unter dem Eindruck einer zunehmenden spezielleren Arbeitsteilung und einem gestiegenen Problemlösungsdruck durch öffentliche Aufmerksamkeit verändern sich die beruflichen Anforderungen an Hochschulabsolventen, um die anstehenden gesellschaftlich definierten Probleme lösen zu können. Die Problemlösungsfähigkeit - so die gängige Annahme - steigt in dem Maße, indem interdisziplinär vernetzt an Problemen gearbeitet wird, da der Zuschnitt der Probleme dies erfordert. Dabei wird es verstärkt relevant sein, ob Hochschulabsolventen kompetent genug sind, dieser Anforderung gerecht zu werden. In diesem Sinne ist die Etablierung eines interdisziplinären Kompetenzerwerbs von zentraler hochschulstrategischer Bedeutung. Anhand des Beispiels TU Darmstadt kann unterstrichen werden, dass interdisziplinäre Vernetzung zwischen Studierenden, aber auch zwischen Lehrenden, in diese Richtung eine einschneidende Wirkung entfaltet. Die interdisziplinäre Vernetzung ist geradezu selbst als zentrales Entwicklungsziel zu betrachten; wird dies ermöglicht, dann ergeben sich Kooperationen aus einer fachlichen Logik heraus. Um diese Perspektive zur Geltung zu bringen, scheint es ratsam, unterschiedliche Governancekonzepte in den Bereichen Lehre und Forschung zu verfolgen. Lehre, zumal interdisziplinärer Art, zeichnet sich durch eine enorme Vielfältigkeit aus, die flexible, zu ermöglichende, aber auch verbindliche Regelungen erfordert. Dieser Governancemodus kann als ein eher horizontaler gedacht werden, da die Unterrichtsinhalte und deren Didaktik Sache der Fächer und ihrer Vertreter sind. Dieser kann sicher nicht als angebotsorientierter, marktlicher Modus gedacht werden, in dem Angebote in Konkurrenz um die Gunst der Studierenden treten, auch wenn davon einige Elemente enthalten sein mögen. Gleichzeitig erhöht sich mit den Anforderungen durch Interdisziplinarität die Möglichkeit des wechselseitigen Einflusses. Hochschulen als Organisation sollten den horizontalen, wechselseitigen Austausch der Lehrenden soweit wie möglich unterstützen und fördern. Zugleich erhöhen sich damit die Regelungsbedarfe hinsichtlich der Verbindlichkeit gegenüber den Studierenden: Was nützt es Studierenden, wenn sie aus einer großen Anzahl an interdisziplinären Lehrveranstaltungen auswählen können, ohne eine Verbindlichkeit bezüglich der Anrechnung zu haben? Ein Mindestmaß an institutioneller Regelung ist insofern in einem die Vielfalt anerkennenden Governancemodus notwendig. In der Forschung sind die Anforderungen etwas verschoben. Auch hier definieren Fachvertreter, was ihr Fach ausmacht und mit welchem anderen Fach/ Kollegen eine Kooperation fruchtbar erscheint. Jedoch werden in der Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre 107 Forschung die Interessen des Faches elementarer berührt, da Ressourcen und Renommee in einem stärkeren Maße von dieser fruchtbaren Kooperation (und deren Förderung und Anerkennung) abhängen, während Lehre in der Regel weniger ressourcenstark ist und auch weniger Renommee verheißt; mit Ausnahme von Preisen in der Lehre, die sicher nicht mit eingeworbenen Forschungsmitteln konkurrieren können. Zudem werden solche Kooperationen weniger stark unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung betrachtet, z. B. unter der Frage, ob bei solchen Kooperationen auch exzellente Fachvertreter miteinander arbeiten. Insofern ist eine hochschulweite Regelung als Basis der Kooperation notwendig, die vertikal und verbindlich in der Hochschule verankert werden. Der Mix aus beiden Governancemodi - Netzwerk und Hierarchie - kann jedoch ermöglichen, dass angemessen auf die Implementierung von Interdisziplinarität in Zeiten von Bologna reagiert werden kann. Marktliche Regelungen treten eher in wettbewerbsorientierten Bereichen auf, vor allem dort, wo es um die Ausschüttung von Ressourcen geht; man denke etwa an Ausschüttungen der Hochschulressourcen unter den Fakultäten, die aber auch enormes Konfliktpotential in sich bergen und deshalb von eher konsensorientierten Governancearrangements ausgenommen sind. Dies passiert salopp gesagt „vor der Klammer“. Die beiden Governancelösungen treffen innerhalb der Hochschule auf verschiedene Ebenen und erzeugen dadurch unterschiedliche Antworten. Ein kursorischer Blick lässt erahnen, welche Vielfalt an Interdisziplinaritäten innerhalb der Hochschulen in Zeiten von Bologna möglich ist. Zudem lassen sich so die groben Kategorien der Governanceforschung - Netzwerk, Markt, Hierarchie - weiter erläutern: Lehre Forschung Organisationsebene der gesamten Hochschule Verbindlich-hierarchische Regelung unter Wahrung der Fachautonomien Verbindlich-hierarchische Regelung aus Forschungsnetzwerken heraus Ebene der Disziplinen Fachliche Diskurse der Lehrendenetzwerke Inhaltlich-fachliche Diskurse der Forschernetzwerke Ebene der Lehrveranstaltungen und Projekte Inhaltliche und didaktische Angebote für Studierende + Gemeinsame Lehrkooperationen Wettbewerb um Ressourcen + Produktion von Forschungsergebnissen Abb. 9: Ebenenmatrix der Interdisziplinaritätsorganisation (eigene Darstellung) Die beschriebenen Arrangements sind der distinkten Praxis einer bestimmten Hochschule geschuldet, die jedoch in der hier abstrakter gefassten Form durchaus verallgemeinerbar erscheinen. Sie können zeigen, dass eben endogene und kleingranulare Formen der Übersetzung des großen Stichworts 108 Georgios Terizakis „Interdisziplinarität“ effektiv sein können, auch und gerade im Bereich der interdisziplinären Lehre, der bisher nicht als eigenständiger Bereich wahrgenommen wird. Sicher sind an anderen Organisationen weitere Lösungen der Hybridsteuerug zu entdecken, was weitere Untersuchungen zeigen könnten und auf die Forschungsdessiderate in diesem Bereich verweist, um die „Praktiken des Regieren“ (Haus 2008)“ der interdisziplinären Lehre präziser beleuchten zu können. Wie nachhaltig und passgenau diese Veränderungen sind, stehen auf einem anderen Blatt. Denn diese Hybridsteuerung ist der Versuch mit einer spezifischen Herausforderung umzugehen und ist noch nicht nachhaltig in die Hochschulrealität integriert. Ob diese Governancelösungen als hierfür taugen, diese Erfolgsgarantie ist nicht gegeben, was die kritische Governanceforschung als Vorteil der Governanceperpektive versteht (vgl. Jessop 1998). Gegensteuern ist möglich und der „Bologna-Express“ (Münch 2011) fährt auf beweglichen Schienen. Literatur Olaf Bartz (2010): „Reform im Wachstum - Umbrüche im Hochschulsystem der Bundesrepublik Deutschland“, in: Ralf Schneider und Birgit Szczyrba (Hrsg.): Hochschuldidaktik aufgefächert - vernetzte Hochschulbildung, Münster: LIT-Verlag, S. 15- 28. Gernot Böhme, Wolfgang van den Daele und Wolfgang Krohn (1973): „Die Finalisierung der Wissenschaft“, in: Zeitschrift für Soziologie 2, S. 128-44. Björn Egner, Michael Haus und Georgios Terizakis (Hrsg.) (2012): Regieren, Festschrift für Hubert Heinelt, Wiesbaden: VS-Verlag. Forum interdisziplinäre Forschung (2012): FiF 2009-2012, Darmstadt. Michael Gibbons, Camille Limoges, Helga Nowotny, Simon Schwartzmann, Peter Scott und Martin Trow (1994): The New Production of Knowledge. The Dynamics of Science and Research in Contemporary Societies, London: Sage. Michael Haus (2008): „Governance-Rhetorik und Institutionenpolitik. Politisierung und Depolitisierung in der Konstruktion neuer Praktiken des Regierens“, in: Gunnar Folke Schuppert, Michael Zürn (Hrgs.): Governance in einer sich wandelnden Welt. Politische Viertelsjahresschrift Sonderheft 41, Wiesbaden, S. 95-117. Hubert Heinelt, Gerd Held, Tanja Kopp-Malek, Ulf Matthiesen, Eva Reisinger und Karsten Zimmermann (2011): „Governance and Knowledge: How do they interact? Conceptual propositions”, in: Rob Atkinson, Georgios Terizakis und Karsten Zimmermann (Hrsg.): Sustainability in European Environmental Policy. Challenges of Governance and Knowledge, New York, NY: Routledge, S. 52-76. Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (2010): Kreative Vielfalt. Wie die deutsche Hochschule den Bologna-Prozess nutzen, Bonn. Andreas Knie und Dagmar Simon (2010): „Stabilität und Wandel des deutschen Wissenschaftssystems“, in: Dagmar Simon, Andreas Knie und Stefan Hornbostel (Hrsg.): Handbuch Wissenschaftspolitik, Wiesbaden: VS-Verlag, S. 26-38. Andreas Knie und Dagmar Simon (2009): „Verlorenes Vertrauen? Auf der Suche nach neuen Governance-Formen in einer veränderten Wissenschaftslandschaft“, in: Sebastian Botzem, Jeanette Hofmann, Sigrid Quack, Gunnar Folke Schuppert und Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre 109 Holger Straßheim (Hrsg.): Governance als Prozess - Koordinationsformen im Wandel, Baden-Baden: Nomos Verlag, S. 527-45. Matthias Kölbel (2004): Wissenschaftsmanagement in der Wissenschaft, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin. Bob Jessop (1998): “The rise of governance and the risk of governance failure: the case of economic development”, in: International Social Science Journal, No. 155, S. 29-45. Michael Jungert (2010): „Was zwischen wem und warum eigentlich? Grundsätzliche Fragen der Interdisziplinarität? “, in: Michael Jungert, Elsa Romfeld, Thomas Sukopp und Uwe Voigt (Hrsg.): Interdisziplinarität. Theorie, Praxis, Probleme, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 1-12. Renate Mayntz, Friedhelm Neidhardt, Peter Weingart und Ulrich Wengenroth (Hrsg.) (2008): Wissensproduktion und Wissenstransfer. Wissen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, Bielefeld: transcript. Richard Münch (2011): Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschulreform, Berlin: Suhrkamp. Senat der Technischen Hochschule Darmstadt (2008): Verstärkung der disziplinenübergreifenden Zusammenarbeit, Arbeitsdefinition Interdisziplinarität, Darmstadt. Georgios Terizakis (2014): „Intellektualität in Zeiten von Bologna“, in: Assunta Verrone und Peter Nickl (Hrsg.): Wie viel Vernunft braucht die Gesellschaft? , Diogene Edizioni: Pomigliano d„Arco, S. 49-54. Georgios Terizakis (2012): „Neue Strukturen in der Forschung: Governance im Wissenschaftsbetrieb“, in: Björn Egner, Michael Haus und Georgios Terizakis (Hrsg.): Regieren, Wiesbaden: VS Verlag, S. 249-61. Georgios Terizakis und Petra Gehring (2014): „Das Programm Interdisziplinarität. Anmerkungen zu einem wissenschaftspolitischen Großbegriff“, in: Pflege und Gesellschaft 1, S. 18-29. Werner Treuheit (1997): Interdisziplinarität in der Lehre. Planung und Verlauf einer Lehrveranstaltung mit Entscheidungsspiel, Darmstadt: TU Darmstadt Schriftenreihe Wissenschaft und Technik. Hardy Frehe Dritte Diskussion: Organisationsentwicklung Unter welchen Voraussetzungen entfaltet sich Interdisziplinarität? Wie entfaltet sich Interdisziplinarität? Im dritten Block der Publikation wurde die institutionelle-organisatorische Ebene der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Forschung und in der Lehre aufgegriffen. Was sind sinnvolle Strukturen für Interdisziplinarität, die ja die Komplexität noch einmal erhöht? Wie lassen sich interdisziplinäre Studiengänge entwickeln und angesichts der durch die Interdisziplinarität verkomplizierten Verwaltungsprozesse betreiben? Wie lässt sich da die Zusammenarbeit organisieren? Wie soll Qualitätssicherung in diesem Bereich funktionieren, und zwar sowohl in der Forschung als auch in der Lehre? Sollten besondere Organisationseinheiten geschaffen werden? Die organisationalen Fragen wurden im Anschluss an die Vorträge von Matthias Adam: „Interdisziplinäre Strukturentwicklung an der TU Darmstadt“ und von Georgios Terizakis: „Entwicklungspotentiale der interdisziplinären Lehre zwischen pragmatischer Governance und strategischer Organisationsgestaltung“ diskutiert. Für die Podiumsdiskussion wurden Dr. Martin Lommel von der Goethe-Universität Frankfurt und Prof. Dr. Klaus Diepold und Dr. Rudolf Bauer von der TU München gewonnen. Die interdisziplinären Projekte in der Studieneingangsphase wurden ausgehend von einem Gesamtblick auf die Bologna-Reform diskutiert. Die maßgeblichen Punkte finden sich hier dargestellt. Podiumsgäste Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Rudolf A. Bauer Stellvertretende Leitung des Hochschulreferats Studium und Lehre, Beauftragter für Qualitätsmanagement, „TUM: Agenda Lehre“, TU München Prof. Dr.-Ing. Klaus Diepold Vizepräsident der TU München für Diversity und Talent Management, Fakultät für Elektro- und Informationstechnik Dr. Martin Lommel Projektkoordination „Starker Start ins Studium“, Goethe-Universität Frankfurt 112 Hardy Frehe Dokumentation Dr. Hardy Frehe Wissenschaftlicher Mitarbeiter, KIVA VI Lina Klare Wissenschaftliche Mitarbeiterin, KIVA VI Moderation: Auf der Forschungsebene scheint es Interdisziplinarität zu geben. Wie ermöglichen Organisationen die Entwicklung von Interdisziplinarität in der Forschung und in der Lehre? Was ließe sich ändern? Diepold: In der Forschung müssen alle Beteiligten miteinander auf einem hohen inhaltlichen Niveau kommunizieren. Im Rahmen der Exzellenzinitiative wurden Exzellenzcluster gefördert, in denen übergeordnete wissenschaftliche Fragestellungen bearbeitet werden. Diese Fragestellungen erfordern den Aufbau von Schnittstellen zwischen Ingenieuren, Naturwissenschaftlern, Soziologen und Psychologen usw. In diesen (interdisziplinären) Clustern lassen sich auch neue Studiengänge entwickeln. Maßgeblich sind die Erfordernisse der Forschung und nicht die interdisziplinäre Lehre um ihrer selbst willen. Wir fragen, welche Studierende mit welchen Kompetenzen wir für diese Forschung brauchen bzw. welche interdisziplinären Ansätze und Kompetenzfelder können wir aus einer deratigen Forschungsumgebung in die Ausbildung transferieren. Den resultierenden Katalog setzen wir dann konsequent in der Lehre um. Im Bachelorbereich bietet die TU München das Studium der ‚Allgemeinen Ingenieurwissenschaften„ an, das fachlich Unentschlossenen und/ oder talentierten jungen Menschen mit einem breiten Interessensspektrum einen Überblick der Ingenieurwissenschaften gewinnen lässt. Nach dem Bachelorabschluss können die Absolventen im Rahmen eines Masterstudiums sich in eine spezielle ingenieurwissenschaftliche Fachrichtung vertiefen. Im Masterbereich wird Interdisziplinarität gelebt im Rahmen des englischsprachigen Studienganges ‚Technology Management„ (ein vom Elitenetzwerk Bayern gefördertes Projekt), der eine unternehmerische Zusatzqualifikation für Studierende aller Fachrichtungen vermittelt. Bauer: Grundsätzlich sollte man sich ja mal fragen, wofür man Interdisziplinarität braucht. Man kommt dann schnell zu dem Punkt, dass Lösungen von den klassischen Disziplinen immer auch einer Beschränkung unterliegen. An der TUM wurde daher seit Längerem darauf geachtet, dass die organisatorische Weiterentwicklung immer auch Raum für die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht. So wurde im Jahr 2002 die School of Management als weitere Fakultät gegründet, in der interdisziplinär, lehrstuhl- und fakultätsübergreifend geforscht wird und wo vor allem Bildungsforscher mit den Pädagogen zusammenarbeiten. Dritte Diskussion: Organisationsentwicklung 113 Schon vorher wurde das Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt gegründet. Die bestehenden Fakultäten im Bereich der Life Sciences wurden in einer Matrix zusammengeführt, in der nun Forschungsdepartments und Studienfakultäten dafür sorgen, dass die Wissenschaftler jeweils für Forschung und Lehre in einem befruchtenden Umfeld arbeiten können. Diepold: In den fachübergreifenden Themenfeldern wie z. B. der ‚Kognitiven Robotik„ stellt sich die Frage, woher bekommen wir die Nachwuchswissenschaftler für dieses interdisziplinär angelegte Forschungsfeld? Wer kann eigentlich im Feld ‚Kognitive Robotik‟ auf internationalem Niveau forschen? Psychologen, Ingenieure, Informatiker? Wissenschaftler welcher Fachdisziplin sind in der Lage, diese interdisziplinären Themen zu bearbeiten? Wie werden diese Nachwuchskräfte und Fachleute ausgebildet? Kommunikationsfähigkeit ist dabei eine Schlüsselqualifikation. Bauer: Interdisziplinäre Studien funktionieren zum einen durch gemeinsame Gestaltung eines Studiengangs wie beispielsweise in dem Feld Klimadesign, in dem Techniker und Architekten zusammenarbeiten, damit Architektur und Technik eine aufeinander abgestimmte Einheit bilden. Hier tragen die Architekten den Masterstudiengang ClimaDesign (M.Sc.) in Zusammenarbeit mit den Bauingenieuren und anderen Ingenieurwissenschaften. Oder im Masterstudiengang Biomedical Informatics, den Informatiker und Mediziner gemeinsam betreiben. Hier, gewissermaßen zwischen den traditionellen Fakultäten, finden zunehmend Studienangebote statt. Eine weitere Form der Inderdisziplanarität kann dadurch abgebildet werden, dass die Zusammensetzung der Studierenden bewusst heterogen erfolgt. Damit können in der Lehre gezielt die verschiedenen Sichtweisen der Ursprungsqualifikation eingebracht werden, wie beispielsweise in unserem Masterangebot Umweltplanung und Ingenieurökologie, bei dem neben den Ingenieurdisziplinen auch Geographen, Biologen, Landschaftsplaner und andere zusammen studieren. Moderation: Wenn wir weiter die Organisationsbrille aufbehalten, dann lässt sich sagen, dass Interdisziplinarität die Komplexität immens erhöht. Dann muss sich dies lohnen und auch organisierbar bleiben! Wie wird dies in Frankfurt umgesetzt? Lommel: Das Lehren und das Lernen erfolgt in der Disziplin. In dieser wird das Wissen vermittelt. Mit den Mitteln des Qualitätspaktes Lehre richteten wir vier fachbereichsübergreifende Zentren für Lehre in den Sozialwissenschaften, den Geisteswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Lehrerbildung ein. Die Probleme der Lehre sind den Disziplinen ähnlich und drehen sich um die Grundlagenausbildung - also der Vermittlung von Methoden in den Sozialwissenschaften oder Lehre von Mathematik, Biologie 114 Hardy Frehe und Chemie für die naturwissenschaftlichen Studiengänge - und der Förderung von Grundlagenkompetenzen, wie z.B. das analysierende Lesen und das präzise Schreiben in den Geisteswissenschaften. Interdisziplinarität entsteht bereits durch den Austausch zwischen den Fächern in den Zentren, aber grundlegend bleibt der disziplinäre Ansatz. In den Zentren kommunizieren dann die Lehrenden. Diese Zentren ermöglichen die Reduktion von Komplexität. Ein Beispiel für die Arbeit der Zentren auf Organisationsebenen im Bereich der Lehre wäre das Trennen von Nebenfachvorlesungen. Diese wurden dann auf die Studiengänge zugeschnitten. Somit fördern die Zentren die Interdisziplinarität in der Lehre. Moderation: Die interdisziplinären Cluster ermöglichen Interdisziplinarität in der Forschung. Zentren arbeiten der Lehre zu. Wie ist das Qualitätsmanagement hier aufgestellt? Wird das Qualitätsmanagement der Disziplinen unterwandert und damit ausgehebelt? Bauer: Das Qualitätsmanagement der TUM ist so gestaltet, dass es weder zu Doppelungen noch zu Lücken kommt. So gibt es beispielsweise auf der Ebene der strategischen Entscheidungen Regelkreise, etwa bei der Einrichtung der Integrated Research Center, auf der personellen Ebene durch das Berufungssystem und im Bereich der Lehre wiederum die studiengangsbezogenen Steuerungs- und Sicherungssysteme. Lommel: Wir sind durch die fachliche Qualitätssicherung in der Lage bei Problemen gegenzusteuern. Die Studiengangevaluation erfolgt quantitativ und qualitativ. Sie bezieht die Diskussion mit Studierenden ein. Die generelle Einschätzung im Bereich Interdisziplinarität lautet, dass wir eher disziplinär geworden sind. Moderation: Bestehen nicht auch Verlustängste bei den Disziplinen, wenn die interdisziplinären Ausrichtungen stark gemacht werden? Gewinnt man dann zum Beispiel externe Referenten hinzu? Diepold: Sicherlich gibt es Kollegen, die hektische Flecken bekommen, wenn eine stärker interdisziplinäre Ausrichtung eines Studiengangs angestrebt wird. Für die Erweiterung müssen die bisherigen Studieninhalte ausgedünnt werden. Nur so wird Platz geschaffen, um neue Kompetenzen zu vermitteln und den Kanon von Themen den gesellschaftlichen Herausforderungen anzupassen. Diese Prozesse sind schwierig und erfordern viel Überzeugungsarbeit, in der mitunter handmassierend die Kollegen bekehrt werden müssen, aber die Anstrengung lohnt sich. Moderation: Bestehen wirklich so stabile Strukturen in der Lehre und behindern die Entwicklung von Studiengängen? Können wir dann die Stu- Dritte Diskussion: Organisationsentwicklung 115 dieneingangsphase durch interdisziplinäre Ansätze gestalten? Und: Trauen Sie der Idee Interdisziplinarität mehr zu als den Lernlaboren in den 90ern? Bauer: Mit jeder Struktur wird die Komplexität erhöht. Vor zu vielen Strukturen habe ich immer ein bisschen Angst. Wir sollten nicht vergessen, wie Hochschullehre funktioniert. Studierende brauchen auch Freiheit und Zeit zur Reflexion. Strukturen sind dann gut, wenn sie helfen, und problematisch, wenn sie zu sehr einengen. Die Anforderungen sind völlig gleich, egal ob es sich um klassische Angebote aus einer Disziplin handelt oder um gemeinsame Angebote aus verschiedenen Einheiten. Man kann aber über die letzten Jahre auch eine deutlich erhöhte Bereitschaft der Zusammenarbeit feststellen. Diepold: Wenn der angestrebten Interdisziplinarität die intrinsische Kraft fehlt, dann wird der Ansatz schnell seinen Schwung verlieren. In diesem Fall macht es wenig Sinn, ein bestehendes Programm und damit eine bestehende Struktur aufrecht zu erhalten. Die Hochschule ist dann gefordert, flexibel genug zu sein und gegebenenfalls neue Wege zu suchen und auszuprobieren. Lommel: Wichtig ist, eine Balance zwischen Kontinuität und Flexibilität zu finden. Bei den Projekten zeigen sich eineinhalb Jahre vor Projektende Ausdünnungserscheinungen. Strukturen haben den Vorteil, dass Stellen verstetigt werden können und somit eine verlässliche Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern und Dozenten geschaffen wird. In Teamteaching-Veranstaltungen ist das besonders wichtig, denn da muss die Chemie zwischen den Lehrenden stimmen. Die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern befördert die interdisziplinäre Forschung, aber in der Lehre braucht es dazu zusätzliche Impulse. Diepold: Zeitlich befristete Stellen schaffen neue Spielräume und bringen neben neuen Gestaltungsmöglichkeiten auch Probleme mit sich. So läuft die Exzellenzinitiative 2017 zunächst aus. An der TU München haben wir neue Strukturen aufgebaut, müssen aber sehen, wie diese sich bewähren und wie es damit nach 2017 weitergeht. Die prekäre Grundfinanzierung der Universitäten wurde ja heute Vormittag schon angesprochen: Der alimentierende Staat stellt für die Bildung nicht genügend Mittel zur Verfügung und die Hochschulen verwalten den resultierenden Mangel. Prof. Dr. Rosemarie Mielke (Universitätskolleg, Universität Hamburg): Das Qualitätsmanagement muss doch von den Fachkulturen jeweils getragen sein. Man bezieht sich auf Fachjournale, Fachtagungen und dergleichen! Welche Erfahrungen stellen sich bei interdisziplinären Studien ein? Gibt es da Besonderheiten. 116 Hardy Frehe Diepold: Im Feld der Interdisziplinarität stellen sich bei Publikationen neue Probleme! Welche Medien veröffentlichen etwas Interdisziplinäres? Wer begutachtet dies? In welcher Fachdisziplin kann man die Ergebnisse veröffentlichen? Wird sich im Feld der ‚Kognitiven Robotik„ eine richtige Fachgesellschaft mit eigener Identität gründen? Wie sieht dies aus bei der Forschungsförderung: Wie kann man einen richtigen interdisziplinären Antrag bei der DFG platzieren! Ich denke, die DFG muss bezogen auf interdisziplinäre Forschung jenseits von SFBs weiterdenken und sich auf die damit auftretenden Herausforderungen stärker einstellen. Prof. Dr. Petra Gehring (KIVA VI, TU Darmstadt): Was in der Organisation der Forschung funktioniert, lässt sich nicht einfach auf die Lehre übertragen. Die Orientierung an Exzellenz ist in der Forschung nötig, gut und naheliegend, aber wie organisieren wir die Qualitätsmaßstäbe in der interdisziplinären Lehre? Sind die, die Lust zur interdisziplinären Lehre haben, auch die richtigen, um sie anzubieten? Reicht es, jemanden anzusprechen, den man zufällig kennt? Für Fragen der Ausgestaltung interdisziplinärer Lehre haben wir in den Universitäten noch keine qualitätssichernden Strukturen. Der Studiengangsbau wird sehr gut unterstützt, die Forschung funktioniert mittels klarer Orientierung an Exzellenz. Wie aber sollte das Qualitätsmanagement bei der interdisziplinären Lehre angelegt sein? Kann dies wirklich von der Module importierenden Disziplin getragen werden? Im Zweifel doch eher nein. Die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Verstetigung und der Angst vor verfestigten Strukturen zwischen Prozesssteuerung, die der Sache angemessen ist, und Dynamisierungsnotwendigkeiten, die sich bottom-up nicht unbedingt von alleine ergeben, sollten wir nicht aus den Augen verlieren. Bauer: Uns hilft hier im Qualitätsmanagement tatsächlich die Outcome- Orientierung des Bologna-Prozesses. Entscheidend für die Gestaltung und für den ganzen Regelkreis eines Studiengangs ist das Ergebnis eines Studiengangs - sein Qualifikationsprofil. Daran hängen die Inhalte und die Lehr- und Lernformen. Voraussetzung ist allerdings eine Kultur des Miteinanders und die grundsätzliche Bereitschaft zur permanenten Weiterentwicklung. Wir haben hier in den letzten Jahren überwiegend sehr gute Erfahrungen gemacht. Strukturen sind da unser geringstes Problem, rechtliche Vorgaben schon eher. Petra Gehring und Georgios Terizakis Interdisziplinarität in der Lehre: Vielfalt der Problemstellungen Herausforderungen für die Hochschulorganisation Die Blickrichtung dieses Buches zeigt uns ein erstaunlich unbearbeitetes Feld inmitten einer ansonsten bestens beforschten und begleiteten Hochschul-Entwicklungslandschaft: die Interdisziplinarität in der Lehre. Jedenfalls ist hier mehr und anderes gefragt als eine einfache Analogiebildung zur Interdisziplinarität in der Forschung ‒ nicht nur, weil Studierende disziplinäres Wissen und ein disziplinäres Selbstverständnis im Studium als Basis überhaupt erst erwerben, sondern auch, weil Lehr-Lern-Situationen in vielerlei Hinsicht anders aussehen als Forschungssituationen. Zwar bietet etwa der Leitgedanke der „Problemorientierung“ eine gemeinsame Grundlage, er kann nicht nur Forschung, sondern auch interdisziplinäre Lehre motivieren (vgl. Hubig in diesem Band). Zauberworte wie „Team“ oder auch „Projekt“ ergeben noch lange keine interdisziplinäre Didaktik mit entsprechenden Kompetenzen von Dozent/ innen. Und auch die den Studierenden im Wege guter Interdisziplinarität zu vermittelnden Kompetenzen (Stichwort learning outcomes) verstehen sich keineswegs von selbst. So könnte man als Suchbegriff das den interdisziplinären Plural herausstellende Wort „Fächerdidaktik“ verwenden, wobei es sicher eine Vielzahl von Didaktiken ist, die hier zu finden wären: Ein für beide Seiten guter Brückenschlag zwischen Informatikstudierenden und Studierenden der Soziologie (mittels Team-Teaching durch Dozenten beider Fachrichtungen) sieht anders aus als die Vermittlung von Grundbegriffen der Wissenschaftstheorie durch einen Dozenten der Philosophie an Studierende des Maschinenbaus ‒ und „Wissenschaftstheorie für Architekten“ oder „…für Theologen“ ist noch einmal anders anzulegen. Vielfalt muss kultiviert werden, Wissen ist nicht einfach zu haben. Zum Einstieg könnte organisationsspezifische Typisierung von Studiengängen und Modulen helfen (vgl. Frehe in diesem Band). Freilich ist dies nur ein erster Schritt. Die Herausforderungen an Hochschulorganisation und an ein Qualitätsmanagement, das Interdisziplinarität in der Lehre nicht nur pauschal, sondern systematisch (und auch kritisch differenzierend) fördert, liegen ebenfalls auf der Hand. Selbstzweck ist Interdisziplinarität nicht ‒ wer das sagt, müsste nicht nur über ihre Zwecke etwas sagen können, sondern auch wissen, wie man das, was man sich von interdisziplinären Lehranteilen und 118 Petra Gehring, Georgios Terizakis erhofft, auch tatsächlich qualitätsgesichert umsetzt. Hierbei hat nicht nur das Gewicht, was die Dozenten im Hörsaal oder Seminarraum tun, sondern Qualitätsmerkmale sind etwa auch gute Modulbeschreibungen, leicht erreichbare Orientierungshilfen und maßgeschneiderte Beratung, reibungsloser Im- und Export von Lehreinheiten, Auffindbarkeit fachübergreifender, interdisziplinärer Angebote für Studierende, kohärentes Prüfen, problemlose Notenverbuchung. „Kultur der Interdisziplinarität“, das Dreieck fachlicher Inhalte, didaktischer Formen sowie deren organisatorischer Einbettung umfassen, ist hier ein attraktives Stichwort (vgl. Terizakis in diesem Band). Es lädt zum Aufbruch ein, lässt aber auch den Umfang der anliegenden Aufgaben ahnen. Alles in allem ist Fachliteratur zum Thema rar und Forschung fehlt, auch Leitbilder sieht man im Grunde wenig, auch wenn die Debatten hierzu rege geführt werden. Der „Qualitätspakt Lehre“ bietet Chancen: Er schafft Laborsituationen und ermöglicht neue Gesprächsachsen. So erscheint tatsächlich der Austausch von Praktiker/ innen über die gelebte Praxis als der richtige anstehende Schritt. Die Entdeckung der Interdisziplinaritäten in der Lehre verweist zunächst auf die eigene Praxis an jeder Hochschule selbst, die es weiter zu erschließen gilt, um die dort anzutreffende Vielfalt angemessen zu spiegeln und in den Austausch mit anderen zu treten. Dass Qualitätspaktprojekte diesen Schritt tun wollen, wurde auf der in diesem Buch dokumentierten Darmstädter Tagung deutlich. Das Gespräch und die Selbsterforschung soll fortgesetzt werden ‒ seitens der TU Darmstadt gilt das Augenmerk unter anderem dem „Darmstädter Modell“ zur Qualitätsverbesserung der Interdisziplinarität in der Lehre als eines der Ziele von KIVA. Zur Vernetzung und Entwicklung von Modellen sollte freilich über Evaluationen hinaus auch praxisnahe Forschung kommen: Man weiß weder über Good Practices in der Lehre noch über didaktische Modelle noch über die Lösung von Managementproblemen genug. Als ein Zwischenergebnisse kann festgehalten werden, dass das I-Wort für die Zwecke der Lehre sinnvoller Weise in den Plural hineinführt: Interdisziplinaritäten müssen entdeckt, differenziert und ebenengenau beschrieben werden, in Studiengängen entsprechend zielgerichtet(er) verankert sowie qualitätvoll gestaltet werden ‒ und zwar bewusster als bisher. Index A Austausch 8, 37, 76, 87, 106, 114 C Curricula 32-4, 49, 53-4, 58 D Didaktik 10, 46, 105-6 Hochschuldidaktik 46, 58, 108 Disposition 16, 62, 66-7 Selbstorganisationsdispositionen 66 Diversity 30, 111 E Employability 53, 105 Entwicklung 7, 10, 16, 20, 25-6, 34, 60, 84-5, 88, 91, 93-4, 112, 114, 123 Persönlichkeitsentwicklung 75 Evaluation 85, 87, 92-4 Expertise 25, 27, 29-30, 35 F Fachbereich 29, 32, 35, 76, 88-91, 93 Fächerdidaktik 117 Fachkultur 78 Fertigkeiten 21, 65-6, 78 Förderung 7, 9, 30, 35, 39, 42, 58, 83-4, 107, 114 Forschung 7, 9, 12, 25, 27, 35, 37-8, 47, 51-3, 55-6, 58, 68, 75, 83-4, 87- 8, 91-2, 94, 97-9, 101-3, 106-9, 111- 6 Forschungscluster 85-7, 93-4 G Governance 11, 97-8, 108-9, 111 H Hierarchie 98, 107 Hochschulmanagement 46 Hybrid-Disziplinen 51 I Identifikation 8, 46 Implementierung 45, 58, 107 Integrationsfunktion 33 Intelligenz 11, 59, 61-4, 67-9, 72 Intelligenzarten 69 Intelligenzforschung 67, 69-71 Intelligenzmaß 61 Intelligenzmessung 59 Intelligenztest 60, 63-5 Intelligenztheorien 61 Intelligenztypen 69 IQ-Tests 64 Interdisziplinaritäten 11, 25, 37, 47, 100, 103-4, 107 Interkulturalität 16, 30 Intersubjektivität 16 K Kommunikation 19, 21, 83, 86, 115 Kompetenzen 8, 11, 32-3, 42, 45, 47- 50, 52-5, 57-9, 65-6, 68-71, 75, 78- 9, 104, 112, 114 Kompetenzansatz 49-50 Kompetenzbegriff 47-8, 65, 68-9, 75 Kompetenzbewegung 65, 68, 70 Kompetenzentwicklung 7, 9-11, 45-6, 76, 79, 84, 103 120 Index Kompetenzerwerb 37, 106 Kompetenzklassen 69 Kompetenzmessung 58-9, 65, 71 Kompetenzmodell 50 Kompetenzprüfung 63 Kompetenztheorie 63, 65, 67-9 Kompetenzvermittlung 53, 58 Teamkompetenz 31, 35 Komplexbegriff 9, 38, 75-6, 104 Komplexität 11, 52, 54, 104, 111, 113-5 Kooperation 39, 70, 78, 83, 90, 94, 101-2, 106 L Lehre 7-11, 25-32, 35, 37-41, 45-7, 52, 55-6, 58-9, 75-7, 79, 83-4, 86-8, 91-2, 97-109, 111-6 Lehrveranstaltung 27-30, 32, 75, 109 Lernziele 8, 46 M mode-2 16, 23, 94, 102 Module 8, 27-9, 32-4 Multidisziplinarität 15, 18, 23, 25, 33, 37, 52 N Nachhaltigkeit 22, 34, 38-9 Netzwerk 60, 98, 107 O Organisation 23, 33, 83-4, 87, 92, 99- 101, 103, 106, 116 Wissenschaftsorganisation 23, 98 Outcome-Orientierung 49-50, 116 P Paradigmenwechsel 98, 103 Performanz 48, 50, 62 Persönlichkeit 67, 78 Planung 98, 109 Praxis 10-1, 25-6, 32, 35, 37-9, 42, 58, 66, 71, 76-7, 86, 89-90, 107, 109 Problem 17, 32, 42, 48, 68, 84, 116 Problemlösefähigkeit 37, 75 Problemlösungsfähigkeit 106 Problemorientierung 23 Problemlösungshandeln 66 Projektarbeit 30-2, 104 Projektwoche 31, 79 Prüfungstechnik 70 Q Qualifikationen 27, 34, 65-6 Qualifikationsprüfung 67 Qualifizierung 46 Qualität 7, 46-7, 93 Qualitätsbewertung 83 Qualitätsmanagement 111, 114-6 Qualitätssicherung 27, 35, 107, 111, 114 R Reflexion 35, 115 Reflexionsprozess 76 S Schlüsselqualifikation 113 Schnittstelle 33, 112 Selbstorganisationsfähigkeit 39 Selbstverständnis 51, 65, 83, 97 Serviceveranstaltungen 29, 32 Sozialisation 27, 30 Steuerung 91, 98 Hybridsteuerung 98, 108 Wissenschaftssteuerung 97 Strukturentwicklung 11, 85-6, 88, 91-2, 111 Studienbereiche 29, 86-7, 94, 103 Studieneingangsphase 7, 25, 30, 32, 37-9, 42, 77, 79, 84, 103, 111, 115 Studiengang 27, 29, 32-3, 89, 91 Index 121 T Team-Teaching 30-1, 75 Transdisziplinarität 15-6, 23, 25, 35, 37-8, 47 V Verantwortung 77, 79 Vermittlung 11, 27, 29-30, 35, 45, 55, 78, 104, 113 Vernetzung 7-9, 37, 45-7, 76, 84, 103, 106 Verständnis 7, 26, 34, 37, 49-50, 87, 100 Vielfalt 9-11, 25-6, 37, 48, 50, 100, 102-4, 106-8 W Weiterbildung 38-9 Wissen 10, 21, 35, 48-50, 59, 62, 65- 7, 98, 109, 113 Grundlagenwissen 49, 78 Schulwissen 62 totes Wissen 59 Wissensgesellschaft 22 Wissensproduktion 100, 109 Wissenstransfer 49, 109 Wissenschaft 9, 16-8, 22-3, 46, 51-3, 60, 83, 94, 98, 100, 108-9 Transwissenschaft 25 Wissenschaftlichkeit 23 Z Zielvereinbarung 84, 88, 93 Zusammenarbeit 11, 15, 23, 25, 51, 75, 83, 87, 109, 111-3, 115 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Interdisziplinarität .................................................................................. 17 Abb. 2: Problemorientierung/ Mischformen .................................................... 19 Abb. 3: Komplexbegriffe ..................................................................................... 20 Abb. 4: Stufigkeit der Komplexbegriffe ............................................................. 22 Abb. 5: Die Rolle der Transdisziplinarität ........................................................ 24 Abb. 6: Ebenen der Interdisziplinarität in der Lehre ....................................... 26 Abb. 7: Typen der Interdisziplinarität der TU Darmstadt............................... 28 Abb. 8: Dreieck der Interdisziplinarität in der Lehre .................................... 105 Abb. 9: Ebenenmatrix der Interdisziplinaritätsorganisation ........................ 107 Zu den Autorinnen und Autoren Matthias Adam, Dr. Leitung Dezernat I - Struktur und Strategie, Technische Universität Darmstadt Ralph Bruder, Prof. Dr. Vizepräsident der TU Darmstadt, Professor für Arbeitswissenschaft, Leitung Institut für Arbeitswissenschaft (IAD), Technische Universität Darmstadt Hardy Frehe, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter KIVA VI „Entwicklung Interdisziplinarität“, Technische Universität Darmstadt Petra Gehring, Prof. Dr. Professorin für Philosophie, Institut für Philosophie, Projektleitung KIVA VI „Entwicklung Interdisziplinarität“, Technische Universität Darmstadt Christoph Hubig, Prof. Dr. Professor für Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur, Institut für Philosophie, Technische Universität Darmstadt Andreas Kaminski, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Philosophie, Technische Universität Darmstadt Lina Klare Wissenschaftliche Mitarbeiterin KIVA VI „Entwicklung Interdisziplinarität“, Technische Universität Darmstadt Ralf Tenberg, Prof. Dr. Professor für Technikdidaktik, Leitung Arbeitsbereich Technikdidaktik, Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik, Technische Universität Darmstadt Georgios Terizakis, Dr. Projektleitung KIVA VI „Entwicklung Interdisziplinarität“, Technische Universität Darmstadt Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Tel. +49 (07071) 9797-0 • Fax +49 (07071) 97 97-11 • info@narr.de • www.narr.de JETZT BES TELLEN! JETZT BES TELLEN! Simon Meier, Daniel H. Rellstab, Gesine L. Schiewer (Hrsg.) Dialog und (Inter-)Kulturalität Theorien, Konzepte, empirische Befunde 2014, 296 Seiten, €[D] 59,00 / SFr 76,00 ISBN 978-3-8233-6906-6 In der globalisierten Welt ist der Dialog über kulturelle Sinngrenzen hinweg zum Alltagsphänomen geworden. Der Sammelband zeigt, wo die sprach- und kommunikationswissenschaftliche Forschung zum Thema der interkulturellen Kommunikation heute steht, wie die Zusammenhänge von Dialog und Kultur konzeptualisiert werden und welche empirischen Erkenntnisse in diesem Rahmen möglich sind. Über Interdisziplinarität wird in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit angeregt diskutiert. Dabei wird jedoch zumeist auf Interdisziplinarität in der Forschung abgehoben, während Interdisziplinarität in der Lehre kaum Beachtung findet. Der vorliegende Sammelband nimmt sich mit Blick auf drei Felder - Vielfalt in der Lehre, Kompetenz- und Organisationsentwicklung - diesem Thema an und schließt somit eine Lücke in der Literatur- und Forschungslandschaft. Dieses Buch geht zurück auf die Fachtagung „Interdisziplinäre Vernetzung: Ziele, Herausforderungen, Synergien“, die 2014 an der Technischen Universität Darmstadt stattfand. Sie stand in Zusammenhang mit dem Projekt „Kompetenzentwicklung durch interdisziplinäre Vernetzung von Anfang an“ (KIVA), das eine Verbesserung von Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre zum Ziel hat.