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Sprache und Rhetorik der Emotion im Partnerwerbungsgespräch

2016
978-3-8233-9017-6
Gunter Narr Verlag 
Lisa Becker

Der Band untersucht rhetorische Strategien der emotionalen Kommunikation in Partnerwerbungsgesprächen. Ausgehend von der Annahme, dass eine bewusste Steuerung emotionaler Gesprächsprozesse durch einen strategischen Kommunikator die Erreichung des angestrebten Ziels wahrscheinlicher macht, geht er der Frage nach, welche Möglichkeiten sich in solchen Gesprächen bieten, mit Hilfe sprachlich-textlicher Mittel emotional zu überzeugen. Dabei konzentriert er sich - in Abgrenzung zu Studien emotionaler Körpersprache - ganz auf die verbale Seite der Kommunikation. Als Datenbasis dienen die Transkripte eines Korpus aus Face-to-Face-Gesprächen. Basierend auf einem methodisch innovativen Ansatz zur Untersuchung des Verhältnisses von Sprache und Emotion, liefert der Band zahlreiche neue Erkenntnisse für die Rhetorik-, Emotions- und Gesprächsforschung.

Sprache und Rhetorik der Emotion im Partnerwerbungsgespräch Lisa Becker Sprache und Rhetorik der Emotion im Partnerwerbungsgespräch Lisa Becker Sprache und Rhetorik der Emotion im Partnerwerbungsgespräch Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISBN 978-3-8233-8017-7 Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2014/ 15 von der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................ 9 I Rhetorik der Chimären? - Einleitung ............................. 11 II Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik .. 17 1 Emotionspsychologie ........................................................... 17 2 Sprache, Text und Emotion ................................................. 23 3 Gespräch und Emotion ........................................................ 43 4 Gesprächsrhetorik und Emotion ........................................ 54 5 Fazit ........................................................................................ 61 III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 65 1 Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus........ 65 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln..................... 74 3 Typologisierung des Befunds ............................................. 84 3.1 Schlüsselkonzept: Emotionale Bewertung............................ 85 3.2 Bewertung als Valenz-Zuweisung......................................... 90 4 Identifikation rhetorischer Strategien................................ 92 5 Fazit ........................................................................................ 97 IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation ....... 99 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren.............. 99 1.1 Sprecher-Erregung................................................................. 102 1.2 Hörer-Steuerung .................................................................... 112 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung .................................................................. 116 2.1 Explizite emotionale Bewertungen...................................... 123 2.2 Implizite emotionale Bewertungen ..................................... 133 3 Meta-emotionale Kommunikation................................... 138 4 Fazit ...................................................................................... 144 V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch .............................................................................. 147 Inhaltsverzeichnis 6 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik........................ 149 1.1 Passungsexploration pro forma ............................................. 153 1.2 Wahrhaftigkeitspostulat ....................................................... 155 1.3 Eine diplomatische Alternative: Neutrale Responsitivität 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächs- steuerung ................................................................... 162 2.1 Drei emotionalrhetorische Strategien.................................. 165 2.2 Passungsevidenz .................................................................... 170 3 Anschluss an Aristoteles ................................................... 175 4 Fazit ...................................................................................... 186 VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung........................................................................ 189 1 Ästimation ........................................................................... 192 1.1 Image-Ästimation .................................................................. 194 1.2 Kontakt-Ästimation ............................................................... 200 2 Demonstration emotionaler Konvergenz........................ 205 2.1 Exkurs: Zur Problematik gesprächsorganisatorischer Elementareinheiten ................................................................ 211 2.2 Situation emotionaler Konvergenz (SK) ............................. 213 2.3 Situation emotionaler Divergenz (SD) ................................ 218 2.4 Proagieren ............................................................................... 221 2.5 Proaktiv reagieren.................................................................. 252 3 Fazit ...................................................................................... 262 VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung...................................................................... 267 1 Eine Bühne für starke Gefühle.......................................... 270 2 Herzblut statt Smalltalk..................................................... 272 3 Gute Ansätze und vertane Chancen ................................ 274 4 Fazit ...................................................................................... 281 VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung..................................................................... 283 1 Thematische Intimisierung ............................................... 284 2 Intimitätsstufen................................................................... 289 159 Inhaltsverzeichnis 7 3 Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK................. 294 4 Fazit ...................................................................................... 297 IX Rhetorische Gesprächsanalyse....................................... 299 1 Fragenkatalog für emotionalrhetorische Gesprächsanalyse .......................................................... 300 2 Exemplarische Gesprächsanalyse .................................... 303 3 Fazit ...................................................................................... 313 X Schlussbetrachtung ........................................................... 315 Anhang..................................................................................... 321 1 Abkürzungsverzeichnis..................................................... 322 2 Abbildungsverzeichnis ...................................................... 323 3 Beispielverzeichnis ............................................................. 324 4 Gesprächsverzeichnis Teilkorpus II................................. 326 5 Gesprächserfolg Teilkorpus II .......................................... 327 6 Gesprächsthemen und Intimitätsstufen Teilkorpus II 329 7 Intimisierungstrend „Samstagmorgen-Gespräch“ ........ 333 8 Emotionalrhetorische Interaktion „Samstagmorgen- Gespräch“ ....................................................................... 335 9 Instruktionen Beurteilungsstudie .................................... 336 10 Transkriptionskonventionen ............................................ 338 11 Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ ................ 339 Sachwortverzeichnis ............................................................. 3 Literaturverzeichnis ............................................................ 59 383 Vorwort Die Frage, was emotionale Sprache und Kommunikation ausmacht und wie Gespräche auf emotionaler Ebene gesteuert werden können, ist für die zwischenmenschliche Interaktion von elementarer Bedeutung, weil Menschen bei aller geforderten Rationalität eben auch - manchmal sogar ausschließlich - ihren Emotionen folgen, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen und zu handeln. Um der Frage emotionaler Kommunikation und Gesprächssteuerung nachzugehen, nutzt die vorliegende Arbeit Datenmaterial aus dem Projekt „Courtshiprhetorik“, das - gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft - in den Jahren 2000 bis 2004 am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen durchgeführt wurde und sich mit der verbalen Ebene des menschlichen Partnerwerbungsverhaltens befasste. Mit diesem Projekt wurde der Gegenstandsbereich der Allgemeinen Rhetorik erstmals systematisch um die Kommunikationsform ‚Gespräch‘ erweitert. Zwei Untersuchungen zu allgemeinen strategischen Aspekten (Becker 2009) bzw. zu Argumentationsstrategien (Guhr 2008) in Partnerwerbungsgesprächen sind bereits aus dem Projekt hervorgegangen. Die emotionale Ebene strategischer Kommunikation in solchen Gesprächen ist bislang jedoch noch keiner eingehenden rhetorikwissenschaftlichen Untersuchung unterzogen worden. Besonderer Dank gebührt meinem Erstbetreuer und Doktorvater Prof. Dr. Joachim Knape für die Begleitung meines Dissertationsprojekts. Seine richtungsweisenden Ratschläge und kritischen Beobachtungen waren grundlegend für das Voranschreiten des Projekts. Ohne sein Vertrauen in meine Arbeit und das Maximum an konzeptueller Freiheit, das er mir dabei zugestanden hat, hätte ich die vorliegenden Erkenntnisse nicht gewinnen können. Ebenso danke ich meiner Zweitbetreuerin Prof. Dr. Susanne Winkler, die mein Projekt insbesondere auf linguistischem Gebiet begleitet hat. Ihre vielfältigen Anregungen und ihre Begeisterung für mein Erkenntnisinteresse haben meine Auseinandersetzung mit emotionaler Sprache enorm vorangetrieben und bereichert. Für wertvolle Hinweise auf linguistischem Gebiet danke ich außerdem Prof. Dr. Britta Stolterfoht. Dr. Tobias Schmohl gilt mein herzlicher Dank für den kontinuierlichen fachlichen Austausch über meine Arbeit. Sein Lektorat hat der Arbeit zu ihrem letzten Schliff verholfen. Vorwort 10 Meinem Mann Claus Becker danke ich für das gründliche Lektorat und (nicht nur) in diesem Zusammenhang für seinen untrüglichen Blick füs Wesentliche. Allen anderen, die mir durch inspirierende Diskussionen über meine Arbeit geholfen haben, einen Pfad durch den Dschungel emotionaler Gesprächswelten zu schlagen, sei ebenfalls herzlich gedankt. Abschließend danke ich der Promotionsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung, die mein Promotionsprojekt von 2011 bis 2014 finanziell und ideell gefördert hat. Oberboihingen im Januar 2016 Lisa Becker , I Rhetorik der Chimären? - Einleitung I Rhetorik der Chimären? - Einleitung Auf den ersten Blick scheinen Emotionen wissenschaftlich schwer greifbar zu sein. Denn sie können ganz unterschiedlich perspektiviert werden, z.B. als Gefühle, als Handlungsimpulse, als Bewertungen, als körperliche Erregung, als Ausdrucksphänomene. In dieser Hinsicht ähneln sie Chimären, d.h. mehrköpfigen, mit gängigen Mitteln nicht zu bezwingenden, aber umso faszinierenderen Mischwesen - sicherlich einer der Gründe für die in jüngster Zeit boomende Emotionsforschung. 1 Wissenschaftlich betrachtet hat das Konzept ‚Emotionen‘ etwas von einer Chimäre und einem Chamäleon zugleich. Aber diese wenig schmeichelhafte Charakterisierung der Heterogenität und Instabilität steht im krassen Gegensatz zur Stabilität und alltagsweltlichen Gewißheit der Gefühle (Fiehler 1990: 10). Wie die in diesem Zitat auftauchende Metapher des Chamäleons verdeutlicht, sind Emotionen zudem ephemere Erscheinungen. Sie lassen sich nicht so einfach „festhalten“ und untersuchen. Da Wissenschaft aber immer irgendeine Form von Zugriff voraussetzt, ähnelt der Emotionsforscher manchmal einem Insektenkundler vor präparierten Schmetterlingen in einem Schaukasten: er fixiert etwas genuin Flüchtiges. Die meisten Menschen kennen Schmetterlinge aus eigener Erfahrung, und die meisten Menschen wissen auch, wie sich Emotionen anfühlen. 2 Genau diese sinnliche Gewissheit aber droht, so scheint es, die Objektivität des Forscherblicks zu trüben - vor allem da, wo Emotionen nicht mit technischer Apparatur „gemessen“, sondern mit analytischem Verstand „beobachtet“ werden. Letzteres ist auch beim wissenschaftlichen Analysieren von Gesprächen der Fall: Emotionen sind einer formalen, von mentalistischen Kategorien absehenden Analyse, wie sie durch konversationsanalytische Postulate anvisiert wird, zunächst kaum zugänglich. Insgesamt erscheint das ‚Gebiet des Subjektiven‘ für die Objektivierbarkeit nicht besonders geeignet, nicht nur, weil es zu reich und zu unübersichtlich ist, sondern vor allem, weil es uns ‚zu nah‘ ist (Drescher 2003: 6). Über Emotionen als innerpsychische Vorgänge können in einer auf qualitativen Methoden basierenden Gesprächsanalyse nur Vermutungen angestellt werden - was vorliegt, sind nun einmal Ausdrucksphänomene und keine 1 Zum Boom der Emotionsforschung siehe Kurilla (2013: 403-409). 2 Eine Ausnahme bilden von Alexithymie („Gefühlsblindheit“) betroffene Menschen. Sie sind nur schwer oder nicht in der Lage, eigene Emotionen zu erkennen und zu beschreiben. I Rhetorik der Chimären? - Einleitung 12 Informationen zu mentalen Repräsentationen. Deshalb kann es auf diesem Gebiet nicht um die Erforschung einer - wie auch immer gearteten - innerpsychischen Realität der Emotion gehen. Ausgangs- und Anhaltspunkt für gesprächsanalytische Ansätze zum Thema „Emotion“ kann vielmehr nur deren „diskursive Realität“ sein, wie sie etwa Drescher konzipiert: Im folgenden vertrete ich in einer konsequenten linguistischen Weiterentwicklung der These von der sozialen Realität der Emotionen die Auffassung, daß diese auch eine spezifische diskursive Realität besitzen. Denn wenn Emotionen sich überwiegend in der Interaktion konstituieren und Interaktionen wiederum maßgeblich durch das Medium der Sprache bestimmt sind, dann bedeutet das zugleich, daß ein nicht unerheblicher Teil der Emotionen spezifische Spuren im Diskurs als dem sprachlichen Produkt der Interaktion hinterlassen muß. Insofern können Emotionen als eine globale diskursive Praxis verstanden werden (Drescher 2003: 80). Emotion als „diskursive Praxis“ zu verstehen - Gruber (1996: 247) spricht von „situierten Praktiken“ - bedeutet, sie als sprachlich-kommunikatives Phänomen bzw. als ein Merkmal kommunikativer Interaktion zu begreifen. Entsprechende Forschungsansätze interessieren sich nicht dafür, ob bei einem Kommunikator tatsächlich eine Emotion vorliegt, sondern dafür, was an seiner Rede emotional erscheint, d.h. für eine „‚Phänomenologie‘ der emotionalen Kommunikation“ (Drescher 2003: 3) bzw. für ein entsprechendes Repertoire sprachlicher Mittel. In anderen Worten: Der vorliegenden Arbeit liegt ein diskursimmanenter Emotionsbegriff zu Grunde, was bedeutet, dass nicht Weltwissen über Emotionen untersucht wird (z.B. Wie kommt eine Emotion zustande? Bei welchen physiologischen Reaktionen liegt eine Emotion vor? etc.), sondern Sprachwissen über Emotionen, und zwar insbesondere die Frage, was unter emotionaler sprachlicher Kommunikation zu verstehen ist und wie sie in der sozialen Interaktion stategisch eingesetzt werden kann. Die Rhetorik als wissenschaftliche Disziplin ist für solche Fragestellungen prädestiniert, weil sich die von ihr erforschten Wirkungsprinzipien im sprachlich-kommunikativen Diskurs, dem Logos, entfalten. Für Gesprächsforschung scheint sich die auf monologische Reden spezialisierte „Kunst des Überzeugens“ auf den ersten Blick allerdings weniger zu eignen: Die Vorzüge des rhetorischen Zugangs zu Affekten liegen in der Konzentration auf den Darstellungsaspekt, wobei die Ausdrucksmittel als konventionelle Techniken erfaßt, unter funktionalen Gesichtspunkten systematisiert und mitunter auch bezüglich spezifischer Wirkungen beschrieben werden. Allerdings liegt der rhetorischen Affektlehre ein eher einseitiges Verständnis der Kommunikation zugrunde, das auf der Vorstellung eines sich an sein Publikum wendenden Redners basiert. Die im Zusammenhang mit der Ana- I Rhetorik der Chimären? - Einleitung 13 lyse spontaner Begegnungen zentralen Prinzipien der Kooperativität, Reziprozität und Interaktivität erhalten in der rhetorischen Sicht der Kommunikation, die auf die wirkungsvolle monologische Rede in typisierten Situationen vor Gericht, im Parlament etc. ausgerichtet ist, keinen Raum. Für einen interaktionistisch ausgerichteten Ansatz stellt dies ein wesentliches Defizit dar (Drescher 2003: 91). Dass die für die Rhetorik konstitutive Produzentenperspektive entgegen solcher Einschätzungen mit Blick auf dialogische Kommunikation kein Defizit bedeutet, sondern schlicht eine besondere Variante der Gesprächsbetrachtung impliziert, hat die jüngste Forschung zur Gesprächsrhetorik bereits gezeigt (siehe Kap. II.4) und soll auch anhand der vorliegenden Untersuchung, die sich dem emotionalen Überzeugungsmittel speziell in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung widmet, deutlich werden. Ausgehend von der Annahme, dass eine bewusste Steuerung emotionaler Gesprächsprozesse durch einen strategischen Kommunikator, einen Orator, 3 die Erreichung des von ihm angestrebten kommunikativen Ziels wahrscheinlicher macht, soll in der vorliegenden Arbeit die Frage beantwortet werden, welche Möglichkeiten sich für einen Orator in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung ermitteln lassen, mit Hilfe sprachlichtextlicher Mittel emotional zu überzeugen bzw. welche kommunikativen Strategien ihm auf emotionaler Ebene zur Verfügung stehen, um in solchen Gesprächen seine Chancen auf Erfolg - bestehend in der Einwilligung des Adressaten in eine Fortsetzung des Kontakts - zu maximieren. Kurz gesagt: Die vorliegende Arbeit untersucht emotionale Kommunikationsprozesse in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung unter Einsatz rhetorischer, linguistisch- und hermeneutisch-interpretativer Methodik auf rhetorische Strategien hin. Aus Gründen eines methodischen Reduktionismus wird dabei ausschließlich die segmentale Ebene der Lautsprache berücksichtigt, wie sie in den Transkripten der Korpus-Gespräche protokolliert ist - die suprasegmentale (phonologische) Ebene und nonverbale Ausdrucksformen werden zurückgestellt und bei Bedarf lediglich zu Kontrollzwecken herangezogen. An eine angemessene Untersuchung para- und nonverbaler emotionaler Ausdrucksformen wären ganz eigene methodische Anforderungen zu stellen, die unser diskurssemantischer Ansatz nicht leisten kann. 3 In der vorliegenden Arbeit wird im rhetorischen Kontext das Begriffspaar Orator / (strategischer) Kommunikator - Adressat verwendet, im linguistischen Kontext hingegen das Begriffspaar Sprecher - Hörer. Dabei wird aus sprachökonomischen Gründen auf eine Genderung der Termini verzichtet (bei der Analyse konkreter kommunikativer Interaktionen wird anschaulichkeitshalber ggf. von einer Adressatin gesprochen). An dieser Stelle genüge der allgemeine Hinweis, dass - sofern nicht anders angegeben - selbstverständlich beide Geschlechter mitgemeint sind. I Rhetorik der Chimären? - Einleitung 14 Angesichts des formulierten Desiderats drängt sich rasch die Frage auf, was „emotional“ in diesem Kontext eigentlich genau bedeutet. Dass Emotion in der vorliegenden Arbeit als „diskursive Praxis“ verstanden wird, macht die „Chimäre“ noch nicht besser greifbar. Solange nicht klar ist, welche sprachlich-kommunikativen Strukturen in Gesprächen als emotional zu betrachten sind und weshalb, kann auch nicht untersucht werden, was unter emotionaler Gesprächsrhetorik als dialogischer Variante erfolgsorientierter strategischer Kommunikation (vgl. Knape 2000a: 33) zu verstehen ist. Doch welcher Aspekt von Emotion ist für emotionale Kommunikation in Gesprächen charakteristisch? Der Gefühlsaspekt? Der Erregungsaspekt? Der Bewertungsaspekt? Der motivationale Aspekt? Womöglich alle vier Aspekte gleichzeitig? Doch wären dann nicht tendenziell alle Äußerungen als emotional einzustufen? Erweist sich emotionale Rhetorik in Gesprächen am Ende gar als eine „Rhetorik der Chimären“? Die Frage, welche sprachlich-kommunikativen Strukturen in Gesprächen „emotional“ erscheinen, könnte natürlich unter Rückgriff auf bereits bestehende rhetorische und linguistische Theorien zu emotionaler Sprache und Kommunikation beantwortet werden. Die Rhetorik etwa würde hier mit gewissen „Affektfiguren“ aufwarten, die Linguistik mit Theorien zu Ausdruck und Thematisierung bzw. Darstellung von Emotion. Allerdings wäre bei einem solchen Vorgehen zu Recht in Frage zu stellen, ob die im Kontext monologischer Rede systematisierten Affektfiguren bzw. die nicht unbedingt auf der Basis von Korpora gesprochener Sprache entwickelten linguistischen Kategorien als Basis für eine rhetorische Untersuchung emotionaler Gesprächsprozesse tatsächlich geeignet sind. Aufgrund dessen wird im Folgenden eine induktive Herangehensweise vorgezogen im Hinblick auf die Frage, wie ein Repertoire sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation konkret aussehen könnte. Die vorliegende Arbeit entwickelt entsprechende Kategorien ausgehend von einer Beurteilungsstudie mit Laien-Kodierern. Dabei basiert die Beurteilungsstudie auf demselben Datenmaterial wie die auf ihr aufbauende rhetorische Theoriebildung, was eine materielle Homogenität des Untersuchungsgegenstandes gewährleistet. Als Datenbasis dienen der vorliegenden Arbeit die 22 Transkripte des Tübinger Gesprächskorpus, das in einer experimentell arrangierten Face-to- Face-Situation erhoben wurde. Die Aufzeichnung erfolgte im Jahr 2003 im Rahmen des Tübinger DFG-Projekts „Courtshiprhetorik“ (siehe dazu Kap. III.1). Um in einem ersten methodischen Schritt ein datenbasis-spezifisches Repertoire sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation zu erheben, I Rhetorik der Chimären? - Einleitung 15 kam eine auf dem Gebiet der korpusbasierten sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung zur segmentalen (inhaltlich-verbalen) Komponente sprachlich-kommunikativer Emotionalität innovative Methode zum Einsatz: die Laien-Intuitionsheuristik (siehe Kap. III.2). Sie ermöglicht es, emotionale Strukturen in Gesprächen zu identifizieren, ohne dabei auf bereits existierende Theorien zu Sprache und Emotion zurückzugreifen - das Ergebnis ist eine Merkmalsrekonstruktion dessen, was Sprachbenutzer unter emotionalen Ausdrucksweisen verstehen. Letztlich wird mit Hilfe der Laien-Intuitionsheuristik eine bestimmte Form der kulturellen Kodierung von Emotion abgefragt. In unserem Ansatz steht diese Methode daher gleichsam für eine „Zähmung“ der „Emotions-Chimäre“: Welche sprachlich-kommunikativen Strukturen als emotional zu betrachten sind, wird von einer Gruppe von Laien-Kodierern intuitiv beurteilt („Beurteilungsstudie“) bzw. festgelegt. Die in einem zweiten Schritt vorgenommene Analyse und Typologisierung des Befunds der Beurteilungsstudie durch den Experten gilt dann der Frage, über welches ihrer „Gesichter“ sich die - mittels der Laien-Intuitionsheuristik bereits „gezähmte“ - „Emotions-Chimäre“ im Rahmen des gegebenen Untersuchungszwecks am besten greifen lässt. Im vorliegenden Fall konnte aus dem Befund eine über den Bewertungsaspekt von Emotion perspektivierte Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation entwickelt werden. In einem dritten und für unser Erkenntnisinteresse entscheidenden methodischen Schritt wurde schließlich das Korpus systematisch nach den typologisierten Strukturen durchmustert und die mit solchen Strukturen verbundenen Interaktionssequenzen auf strategische Aspekte hin untersucht. Dabei konnten drei emotionalrhetorische Strategien identifiziert werden, deren Kombination und persuasionstheoretische Kontextualisierung in ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung mündete. Das Modell ist in erster Linie produktionstheoretisch-deskriptiv konzipiert, d.h. es beschreibt en und diskutiert die mit diesen jeweils verbundenen Chancen und Risiken. Es lässt sich jedoch auch rezeptionstheoretisch wenden, d.h. im Rahmen emotionalrhetorischer Gesprächsanalyse nutzen. Die hier vorerst nur angedeuteten Ergebnisse lassen bereits erahnen, dass emotionale Rhetorik in Gesprächen durchaus nicht als theoretisch und praktisch kaum greifbare „Rhetorik der Chimären“ aufgefasst werden muss. Es lassen sich auf sprachlich-kommunikativer Ebene nämlich konkrete Strukturen beschreiben, die von Sprachbenutzern als „emotional“ beurteilt werden und die auf der Ebene kommunikativer Interaktion mit bestimmten rhetorischen Strategien in Verbindung gebracht werden können. I Rhetorik der Chimären? - Einleitung 16 Die Arbeit folgt folgendem Aufbau: Kapitel II skizziert den für die Untersuchung relevanten Forschungsstand. Kapitel III präsentiert und diskutiert ausführlich Datenbasis und Methode. Kapitel IV präsentiert die anhand der Beurteilungsstudie identifizierten und mittels Expertenanalyse typologisierten sprachlichen Mittel für emotionale Kommunikation. Kapitel V klärt die rhetorische Perspektive auf Partnerwerbungsgespräche, stellt das Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in seiner theoretischen Konzeption vor und setzt es in einen Bezug zum Rhetorik-Konzept des Aristoteles. Die Kapitel IV bis VIII behandeln die drei emotionalrhetorischen Strategien, die mit ihnen jeweils verbundenen Handlungsoptionen sowie diesbezügliche Chancen und Risiken im Detail. In Kapitel IX werden ein anhand des Modells entwickelter Fragenkatalog für die emotionalrhetorische Gesprächsanalyse von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung präsentiert sowie eine exemplarische Gesprächsanalyse vorgenommen. Kapitel X resümiert und diskutiert die Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf weiterführende Forschung. II „ EmotionalesTerrain“: Sprache,Gespräch,Rhetorik Sprache, Gespräch und Rhetorik sind eng verwandte Forschungsfelder, die in diesem Kapitel als „emotionales Terrain“ in den Blick genommen, d.h. unter dem Gesichtspunkt ihrer Fokussierung auf emotionale Phänomene beleuchtet werden. Im Feld Sprache und Emotion interessieren im Rahmen des vorliegenden Ansatzes Arbeiten, die etwas darüber aussagen, welche lautsprachlich-segmentalen Strukturen als emotional gelten können (Kap. II.2). Im Feld Gespräch und Emotion sind Ansätze relevant, welche sich diskursanalytisch mit emotionalen Phänomenen in der mündlichen kommunikativen Face-to-Face-Interaktion befassen (Kap. II.3). Auf dem Feld von Rhetorik und Emotion sind Überlegungen zur Gesprächsrhetorik allgemein sowie speziell zur emotionalen Ebene strategischer Kommunikation in Face-to- Face-Gesprächen von Belang (Kap. II.4). Aus der Fülle an Literatur zum Themenkomplex kristallisieren sich einige einschlägige und die vorliegende Untersuchung unmittelbar tangierende Arbeiten heraus, die in der Folge exemplarisch vorgestellt und diskutiert werden. Dabei handelt es sich um sprach- und kommunikationswissenschaftliche Beiträge, insbesondere aus den Disziplinen der Sozio- und Pragmalinguistik, der kognitiven Linguistik, der Sprachpsychologie und der Rhetorik. Auf weitere, für unsere Arbeit relevante Literatur, z.B. zur sozialpsychologischen Attraktionsforschung, wird an entsprechenden Stellen in den einzelnen Kapiteln verwiesen. Zwar wird im Rahmen des vorliegenden Ansatzes nicht gefragt, was eine Emotion ist, wie sie zustande kommt und ob sie bei einem Kommunikator tatsächlich vorliegt, sondern wie sprachlich-kommunikative Phänomene, denen von Sprachbenutzern das Prädikat „emotional“ zugeschrieben wird, im Rahmen von Gesprächen persuasiv instrumentalisiert werden können. Dennoch sollen als Hintergrund für den engeren Forschungsrahmen einige einführende Bemerkungen zum emotionspsychologischen Blickwinkel auf die Frage der Konzeption von Emotion gemacht werden (Kap. II.1). 1 Emotionspsychologie Die psychologisch-multidiziplinär ausgerichtete Zeitschrift Emotion review veröffentlicht im Jahr 2010 eine Ausgabe, die der Definition von Emotion eine Spezial-Sektion widmet. Der renommierte Emotionspsychologie Caroll E. Izard bemerkt darin: II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 18 The evidence showing that „emotion“ has no generally accepted definition seems a clarion call for researchers who continue to use the term to provide their own operational definition, or at least specify what they mean by the term (Izard 2010: 369). Mit seiner Befragung von 35 namhaften Emotionsforschern aus einer Vielzahl von Disziplinen knüpft Izard (2010) an die bekannte Liste der Emotionsdefinitionen von Kleinginna/ Kleinginna (1981) an. Letztere hatten 92 Definitionen und neun skeptische Stellungnahmen zum Begriff „Emotion“ aus Monographien und Zeitschriften zusammengestellt und diese in elf Kategorien eingeteilt: affektiv, kognitiv, physiologisch, emotionales/ expressives Verhalten, disruptiv, adaptiv, multi-Aspekt, restriktiv, motivational sowie skeptische Stellungnahmen (Infragestellung der Nützlichkeit eines Emotionskonzepts). Am Ende kamen sie zu folgender Arbeitsdefinition: Emotion is a complex set of interactions among subjective and objective factors, mediated by neural/ hormonal systems, which can (a) give rise to affective experiences such as feelings of arousal, pleasure/ displeasure; (b) generate cognitive processes such as emotionally relevant perceptual effects, appraisals, labeling processes; (c) activate widespread physiological adjustments to the arousing conditions; and (d) lead to behavior that is often, but not always, expressive, goal-directed, and adaptive (Kleinginna/ Kleinginna 1981: 355). Demnach ist Emotion etwas, das (a) als Erregung bzw. Lust/ Unlust erfahrbar ist, das mit (b) kognitiven Prozessen und (c) physiologischen Anpassungsprozesse einhergeht und das (d) bestimmte Verhaltensreaktionen auslöst. Zu welchem Ergebnis kommt demgegenüber 30 Jahre später Izard? Er ließ die Emotionsforscher folgende Fragen beantworten (vgl. Izard 2010: 364): 1. Was ist eine Emotion? 2. Was ist die Hauptfunktion von Emotion? 3. Was löst eine Emotion aus? 4. Wie wird Emotion am effektivsten reguliert? 5. Gibt es schnelle, automatische und unbewusste Verbindungen zwischen Emotion, Kognition und Aktion? 6. Welche weitere Frage sollte erforscht und diskutiert werden? Die Befragung ergab kein einheitliches Konzept von Emotion. Es ließ sich jedoch eine relativ hohe Übereinstimmung bzgl. der Strukturen und Funktionen von Emotion feststellen. Izard fomuliert folgendes Ergebnis, das er nicht als Definition, sondern als Deskription von Emotion verstanden wissen will: Emotion consists of neural circuits (that are at least partially dedicated), response systems, and a feeling state/ process that motivates and organizes 1 Emotionspsychologie 19 cognition and action. Emotion also provides information to the person experiencing it, and may include antecedent cognitive appraisals and ongoing cognition including an interpretation of its feeling state, expressions or socialcommunicative signals, and may motivate approach or avoidant behavior, exercise control/ regulation of responses, and be social or relational in nature (Izard 2010: 367). Gegenüber den Ergebnissen von Kleinginna/ Kleinginna (1981) konstatiert Izard im Rahmen seiner Umfrage vor allem zwei Unterschiede: Zum einen berücksichtigten viele der von ihm gesammelten Definitionen „(a) neural circuits and neurobiological processes, (b) phenomenal experience or feeling, and (c) perceptual-cognitive processes as aspects of emotion“ (ebd.: 368). Zum anderen fielen praktisch alle Definitionen in die Kategorie „Multi- Aspekt“, während dies nur für 35% der von Kleinginna/ Kleinginna gesammelten Definitionen galt. Izard betrachtet multikomponentiell ausgerichtete Emotionsmodelle daher als zukunftsweisend (vgl. ebd.). Bereits zehn Jahre zuvor stellen Zentner/ Scherer (2000) angesichts der Vielzahl heterogener Emotionstheorien die Forderung nach integrativen Theorien auf, die der Multikomponentialität des Phänomens Rechnung tragen sollen. Hinsichtlich emotionspsychologischer Modellierung von Emotion beobachten sie partikuläre und integrative Ansätze. Zu den partikulären Ansätzen rechnen sie erstens die so genannten dimensionalen Modelle, d.h. Modelle, die sich auf eine oder mehrere zentrale Dimensionen von Emotion wie z.B. Aktivation/ Erregung oder Valenz beziehen. An diesen Modellen, die vor allem der Erforschung subjektiver Gefühlszustände und ihrer verbalen Etikettierungen dienen (vgl. ebd.: 156), kritisieren sie u.a., dass sie hinsichtlich der in ihnen thematisierten Komponenten von Emotion oft nicht vergleichbar seien. (ebd.: 153). Zu den partikulären Ansätzen zählen Zentner/ Scherer zweitens die so genannten Circuit-Theorien sowie die Theorien diskreter Emotionen wie z.B. Basisemotions-Modelle. Während die vorwiegend neuropsychologisch geprägten Circuit-Theorien davon ausgehen, dass eine geringe Anzahl evolutionär entwickelter neuronaler Schaltkreise für die Ausdifferenzierung von Emotionen erster und zweiter Ordnung verantwortlich ist (vgl. ebd.: 154), bringen Basis-Emotionsmodelle, die historisch in einem engen Zusammenhang zur Gesichtsausdrucksforschung stehen (vgl. ebd.: 156), eine begrenzte Anzahl von Emotionen (häufig Ärger, Angst, Freude, Trauer, Ekel) in Verbindung mit physiologischen, ausdrucks- und verhaltensmäßigen Reaktionsmustern, wobei auf typische Auslösesituationen Bezug genommen wird. Auch wenn Mischungen (blends) möglich sind, ist eine genaue Vorhersage emotionaler Reaktion mittels solcher Modelle kaum möglich (vgl. ebd.: 155). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 20 Eine dritte Gruppe partikulärer Ansätze stellen nach Zentner/ Scherer die semantisch orientierten, einzelsprachlich-spezifischen Emotionsmodelle dar, die lexikalisch oder sozial-konstruktivistisch ausgerichtet sind und kaum Aussagen über Emotionsprozesse machen (vgl. ebd.). Integrative Ansätze bzw. komponentielle Theorien vereint demgegenüber die Grundannahme, dass Emotionen durch kognitive Bewertungsprozesse ausgelöst werden und die Reaktionsmuster in unterschiedlichen organismischen Subsystemen vom Resultat dieser Bewertungsprozesse abhängen (vgl. ebd.: 157). Für sie ist das Bemühen charakteristisch, „die Verbindung zwischen Emotionsauslösung einerseits und den sich daran anknüpfenden differentiellen Reaktionsmustern in den verschiedenen Subsystemen zu beschreiben und zu erklären“ (ebd.: 158). Im Gegensatz zur Theorie der Basisemotionen liefern die komponentiellen Ansätze keine grob gerasterten, sondern hochaufgelöste Bilder der Ausdifferenzierung von Emotion. Einer ihrer Vorteile besteht darin, dass sie „eine Mehrzahl der in der Literatur thematisierten Aspekte oder Komponenten von Emotionen“ einbeziehen und miteinander verknüpfen. Zudem vereinen sie in einem Modell sowohl Aspekte der Emotionsauslösung als auch Aspekte emotionaler Reaktion (vgl. ebd.: 161). Ein bekanntes multikomponentielles Emotionsmodell ist das Komponenten- Prozess-Modell („component process model“, CPM) von Scherer. 4 Das Modell berücksichtigt eine Reihe von Aspekten, die in der Emotionsforschung als einschlägig gelten können, so z.B. auch die „emotionale Reaktionstrias“ (Zentner/ Scherer 2010: 151) der physiologischen Reaktion, des Ausdrucks und des subjektiven Erlebens. Es ist mit vielen Emotionstheorien kompatibel (vgl. Scherer: 2009, 1334; Zentner/ Scherer: 2000, 160) und soll hier als Beispiel für emotionspsychologische Forschung zu der Frage, was eine Emotion ist, kurz vorgestellt werden. Das CPM erfasst Emotionen über ihre Funktionen und identifiziert die „organismischen Subsysteme“, die sich herausgebildet haben, um diese Funktionen zu erfüllen (vgl. Scherer 1990). Es operiert mit fünf Teilkomponenten von Emotion: 4 Das Modell wird erstmals in Scherer (1981) vorgestellt. Für einen Überblick siehe z.B. Scherer (1990; 2001; 2005); für neueste empirische Evidenz des CPM und eine Abgrenzung gegenüber anderen Emotionstheorien siehe Scherer (2009). 1 Emotionspsychologie 21 Emotion component Organismic subsystem Emotion function Cognitive component (appraisal) Information processing Evaluation of objects and events Neurophysiological component (bodily symptoms) Support System regulation Motivational component (action tendencies) Executive Preparation and direction of action Motor expression component (facial and vocal expression) Action Communication of reaction and behavioural intention Subjective feeling component (emotional experience) Monitor Monitoring of internal state and organism-environment interaction Abb. 1: Verhältnis zwischen organismischen Subsystemen und den Emotionskomponenten bzw. Emotionsfunktionen nach Scherer (2005: 689), leicht modifiziert Körperliche Symptome, Ausdrucksverhalten und subjektive Erlebniskomponente wurden lange Zeit als wesentliche Komponenten von Emotion betrachtet. Scherer fügt ihnen noch die kognitive und die motivationale Komponente hinzu. 5 Der kognitiven Komponente kommt in dem Modell entscheidende Bedeutung zu, da sie den Prozess der Emotionsentstehung in Gang setzt. Sie überwacht die externe Umwelt und organismusinterne Vorgänge daraufhin, ob Ereignisse eintreten, die hinsichtlich der (aktuellen) Bedürfnisse und Ziele des Organismus als bedeutsam zu bewerten sind. Tritt ein Ereignis ein, welches das entsprechende Subsystem als diesbezüglich signifikant bewertet, alarmiert das kognitive System die übrigen Systeme. Die neurophysiologische Komponente dient der homöostatischen Regulation des Organismus und der Erzeugung der für instrumentelle Handlungen nötigen Energie (vgl. Scherer: 1990, 5f.). Scherer assoziiert den Aspekt der Erregung (arousal) speziell mit der neurophysiologischen Komponente (vgl. 2005: 698). 5 Plantin (2003) macht die Komponenten Scherers für die Linguistik anschlussfähig. Unter der Annahme „l’émotion structure le matériel verbal selon des lignes précises“ präsentiert er ein System von „Achsen der Konstruktion von Emotion“, das dem von Caffi/ Janney (1994) ähnelt und in welchem der Aspekt der Evaluation eine zentrale Rolle spielt (vgl. ebd.: 122ff.). Bis auf die Achse der Evaluation und der Intensität sind Plantins Achsen (type d’évènement, types des personnes, analogie, temps, lieu, causalité/ agentivité, conséquences, contrôle, normes, distance) für unsere Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation allerdings nicht anschlussfähig. II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 22 Die motivationale Komponente dient der Entscheidung über und der Planung von instrumentellen Handlungen, der Vorbereitung und Richtung dieser Handlungen, als auch [sic! ] der Vermittlung zwischen konfligierenden Motiven und Plänen […]. Der Zustand dieses Subsystems wird durch die jeweilige Plan- und Zielstruktur des Organismus bestimmt (Scherer: 1990: 5f.). Die expressive Komponente „dient vorwiegend dem Ausdruck und damit der Kommunikation von Reaktion und Intention sowie der Ausführung willentlicher Handlungen“ (ebd.). „Kommunikation von Reaktion“ dürfte sich hier auf unkontrolliertes bzw. reflexhaftes Ausdrucksverhalten (z.B. ein vor Schreck aufgerissener Mund), „Kommunikation von Intention“ hingegen auf gezieltes kommunikatives Handeln beziehen. 6 Die Komponente subjektiven Erlebens („Gefühlskomponente“) hat eine Monitoring-Funktion. Sie reflektiert und integriert die Zustände der anderen Subsysteme und lenkt die Aufmerksamkeit auf für den Organismus wesentliche Bedingungen der Umwelt und Innenwelt (vgl. Scherer: 1990). Der Kerngedanke besteht bei Scherers Modell darin, dass eine Emotion durch die jeweiligen Zustände der fünf Subsysteme zu einem bestimmten Zeitpunkt konstituiert wird. Im emotionsfreien Zustand befinden sich die Subsysteme in individuellen Gleichgewichtszuständen (Homöostase). Tritt ein für den Organismus emotional signifikantes Ereignis ein, kommt es zu kurzfristigen Veränderungen an diesen Gleichgewichtszuständen bzw. zu „speziell bei Emotionen anzutreffenden Auslenkungen der Systemzustände“ (ebd.: 7). Eine Emotion kommt genau dann zustande, wenn sich alle Systeme - ausgelöst durch kognitives Appraisal - für einen bestimmten Moment „kurzschließen“: In the framework of the component process model, emotion is defined as an episode of interrelated, synchronized changes in the states of all or most of the five organismic subsystems in response to the evaluation of an external or internal stimulus event as relevant to major concerns of the organism. In other words, it is suggested to use the term “emotion” only for those periods of time during which many organismic subsystems are coupled or synchronized to produce an adaptive reaction to an event that is considered as central to the individual’s well-being (Scherer: 2001: 93). 6 Scherers Unterscheidung von Kommunikation und Handlung ist insofern irreführend, als der intentionale Gebrauch symbolischer Zeichen natürlich auch eine Form des Handelns darstellt. Reflexhafte (unwillkürliche) Ausrufe, unbewusste Veränderungen der Stimme ebenso wie unwillkürlich einsetzende Mimik und Gestik (motorischer Ausdruck) stellen nicht-instrumentelles Ausdrucksverhalten dar, welches von intentionalen Sprachhandlungen strikt zu unterscheiden ist. 2 Sprache, Text und Emotion 23 Letzten Endes lassen sich mit dem CPM konkrete Vorhersagen darüber aufstellen, welche Reaktionen (z.B. physiologische Veränderungen, Ausdrucksprozesse, Verhaltenstendenzen) auf bestimmte Reize zu erwarten sind (vgl. Zentner/ Scherer 2000: 159). Da die Komponente kognitiver Bewertung im CPM eine fundamentale Rolle spielt, kann es trotz seiner multikomponentiellen Ausrichtung tendenziell zu den kognitionstheoretischen Ansätzen der Emotionspsychologie gerechnet werden (vgl. Mandl/ Reiserer 2000: 95). So verstehen Zentner/ Scherer (2000: 159) das CPM als ein „durch ein komponentielles Reaktionsdifferenzierungsmodell“ erweitertes „Bewertungsmodell“. Die in der Emotionsforschung diskutierte Frage, ob Kognition und Emotion getrennte (wenn auch interagierende) Systeme sind oder nicht (siehe z.B. Schwarz-Friesel 2008) bzw. ob kognitives Appraisal (kognitive Bewertungsprozesse) als Ursache - wie in den frühen Appraisal-Theorien - oder als Komponente von Emotion anzusehen ist, beantwortet Scherer mit seinem Modell dahingehend, dass solche Bewertungsprozesse eine zentrale Komponente von Emotion darstellen. 2 Sprache, Text und Emotion In der Tradition der rhetorischen Systematik werden Emotionen häufig mit „Affektfiguren“ (Plett 2001: 80) in Verbindung gebracht. „Emotionale Sprache“ wäre in diesem Sinne so etwas wie eine „elocutio der Affektfiguren“. Lausberg (vgl. 2008: §§ 808-851) zählt zu den „affektischen Figuren“ die exclamatio (Ausruf), die evidentia („lebhaft-detaillierte Schilderung“), die sermocinatio (fingierte Rede von Personen), die fictio personae (Dinge als sprechende Personen), die expolitio (Ausmalendes Verweilen bei einem Gedanken), die similitudo (Vergleich) und die aversio (Abwendung von einer behandelten Sache). Bei Plett (2001: 80ff.) finden sich die sogenannten „Appellfiguren“, die er auch als „Schauspielerfiguren“ bezeichnet: interrogatio (rhetorische Frage), aporie (gespielter Zweifel an der eigenen rednerischen Kompetenz), communicatio (Sprecher behandelt das Publikum als seinen Berater), subiectio („fiktiver, aus Frage und Antwort bestehender Dialog“), prokatalepse (vorwegnehmende Widerlegung möglicher gegnerischer Einwände), concessio („fiktive rednerische Kapitulation“), permissio (ironische Aufforderung zur Handlung), exclamatio (Ausruf), apostrophe (aversio, Abwendung vom primären und Hinwendung zu einem sekundären Publikum), sermocinatio (Charakterisierung von Personen durch fiktive Rede). Gut gespielt seien diese Figuren „sehr affektstark“, weshalb manche von ihnen - Plett meint hier vor allem interrogatio, exclamatio und apostrophe - auch als „Affektfiguren“ bezeichnet würden (vgl. ebd.: 80). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 24 Bis auf evidentia bzw. sermocinatio (siehe Kap. VI.2.4.1.1.3) und exlamatio (siehe Kap. IV.1.1.2) sind die Affektfiguren allerdings nicht geeignet, um den Befund unserer Beurteilungsstudie zu erklären. Wenngleich Alltagsrhetorik, die in der vorliegenden Arbeit zum Gegenstand gemacht wird, in stilistischer Hinsicht nicht einfach mit elaborierter monologischer Rede bzw. schriftlicher Kommunikation (insbesondere literarischen Texten) auf eine Ebene gestellt werden kann, sollte diese Erkenntnis durchaus in künftige Überlegungen zu einer „Affektpragmatik der Figuren“ (Till 2008: 662) und deren Bedeutsamkeit im Vergleich mit anderweitigen Phänomenen emotionaler Kommunikation einfließen (siehe hierzu auch Kap. III.3.1). 7 Inzwischen gibt es erste Ansätze, welche die Differenz und zugleich das Zusammenspiel linguistisch motivierter Strukturen („Emotionssemantik“) und anderweitig motivierter Textkomponenten („Emotionsstilistik“) deutlich machen (Knape 2014). Als ergiebiger erweist sich in dieser Hinsicht die linguistische Forschung zu Sprache und Emotion. Hier lassen sich in erster Linie pragmatisch-kommunikative und semantisch-lexikalische Ansätze unterscheiden (vgl. Schwarz-Friesel 2013: 13). Die pragmatisch-kommunikative Perspektive ist dabei typisch für auf kommunikative Interaktion bezogene Arbeiten, wie z.B. Fiehler (1990) und Drescher (2003), die im nächsten Abschnitt besprochen werden, für sprechakttheoretische Ansätze wie Marten-Cleef (1991) und Sander (2003), für Ansätze wie Sandig (2006), die sich mit stilistischen Handlungsmustern wie EMOTIONALISIEREN befassen, für pragmalinguistische Studien zu Mitteln emotiver Kommunikation wie Caffi/ Janney (1994) oder zur argumentativen Konstruktion von Emotion in der gesprochenen und geschriebenen Sprache wie Plantin (2011). Die semantisch-lexikalische Perspektive interessiert sich demgegenüber vor allem für einzelsprachlich-spezifisches Emotionsvokabular (z.B. Hermanns 1995, 2002; Bednarek 2008). Im Arbeitsfeld der Semantik finden sich auch eher allgemeine Untersuchungen zu Dimensionen emotionaler Bedeutung (z.B. Fries 2007, 2009), zur Konzeption von Emotionalität im linguistisch relevanten Sinn (Sandhöfer-Sixel 1988, 1990) oder zu emotionalen Strukturen, geordnet nach Wort-, Satz- und Textebene (z.B. Jahr 2000a; Schwarz-Friesel 2013). 8 Allerdings konstatiert Schwarz-Friesel (vgl. 2013: 15) zu Recht, dass die meisten linguistischen Untersuchungen zum Thema Emotion nach wie vor lexikalische Detailanalysen darstellen. Neben entweder pragmatisch-kommunikativ oder semantisch-lexikalisch ausgerichteten Untersuchungen erscheinen auch zunehmend integra- 7 Zur Rolle figurativer Sprache in der emotionalen Kommunikation siehe auch Gibbs/ Leggitt/ Turner (2002). 8 Für einen ausführlicheren Forschungsüberblick siehe Schwarz-Friesel (2013: 12ff.). 2 Sprache, Text und Emotion 25 tiv orientierte Arbeiten (z.B. Oster 2010; Schwarz-Friesel 2013) und Sammelbände (z.B. Niemeier/ Dirven Hgg. 1997; Fussell Hg. 2002; Pohl/ Ehrhardt Hgg. 2012). Korpuslinguistische Forschung zu Sprache und Emotion nimmt in jüngster Zeit zu (z.B. Bednarek 2008; Oster 2010). Die Idee, Texte zusammenzustellen, um sprachliche Studien daran vorzunehmen, entstand bereits in den 60er Jahren im Rahmen der Lexikographie (vgl. Bonelli Tognini 2010: 15). Mittlerweile sind korpuslinguistische Methoden selbst Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Reflexion geworden (z.B. O’Keeffe/ McCarthy Hgg. 2012). Dennoch wird in der linguistischen Forschung zu emotionaler Sprache und Kommunikation bis heute an konzeptuell entscheidenden Stellen oft nicht, oder nur unsystematisch, mit empirisch bzw. experimentell gewonnenem Datenmaterial gearbeitet. Insbesondere mangelt es an angemessener Berücksichtigung textlinguistischer Zusammenhänge. Allzu oft wird auf Seiten der Linguistik noch ausschließlich vom Sprachsystem her gedacht. Häufig werden per Experten-Intuition gewonnene Beispielsätze angeführt (z.B. Fiehler 1990; Plantin 2011; Turgay 2012; Schwarz-Friesel 2013 für die Wort- und Satzebene), ohne - und hier wird es problematisch - diese Methode der Datengewinnung kritisch zu reflektieren. Insbesondere sind Untersuchungen kritisch zu sehen, die umgangssprachliche, introspektiv gewonnene Beispielsätze mit Beispielen aus literarischen, teils lyrischen, teils dramatischen Texten vermengen (z.B. Fries 2007; 2009) und daraus vermeintlich allgemeine Erkenntnisse für emotionale sprachliche Strukturen ableiten, ohne die Relevanz des Befundes als textsortenspezifisch limitiert auszuweisen. Behrens (2008: 28) spricht bzgl. linguistischer Forschung allgemein von einer „vital necessity of new methodological devices“. Introspektive Datengewinnung anhand von Experten-Intuition könne in gewissen Bereichen durchaus nützlich sein (vgl. ebd.: 27). Sie stellt jedoch klar: every data collection method counts, and every kind of hypothesis that is based on a certain type of data should be checked against other data sources, so hypothesis based on natural discourse data against the intuition of native speakers just as much as vice versa. It is rather the manner of how introspective data are traditionally treated in terms of evidence in linguistic argumentation that appears to me unsound (ebd.: 27f.). Der Forderung nach einem problembewussteren Umgang mit dem methodischen Vorgehen ist im Bereich linguistischer Forschung zu Sprache und Emotion grundsätzlich zuzustimmen. Die Notwendigkeit, introspektiv gewonnenes Datenmaterial systematisch zu überprüfen, wurde erst Mitte der 90er Jahre allgemein anerkannt. Zuvor, so Behrens, sei die kritische Einwendung, dass Introspektion keinen direkten Schlüssel zu Kompetenz darstelle, auf taube Ohren gestoßen. Dabei repräsentiere Introspektion eine eigene Art II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 26 von Performanz, deren Ergebnis erst analysiert werden müsse, um Kompetenz zu rekonstruieren. Weitgehend unbeachtet geblieben sei daneben auch die Einwendung, dass „Beobachtbarkeit“ im linguistischen Kontext schon deshalb eine Illusion darstelle, weil sprachliche Äußerungen nicht in derselben Weise wie physische Objekte messbar seien, sondern zunächst einmal interpretiert werden müssten (vgl. ebd.: 4). Per Experten-Intuition introspektiv gewonnene Beispielsätze mögen zwar dem Kriterium der Sprachrichtigkeit genügen, doch ob sie wirklich repräsentativ sind für empirisch bzw. in experimentell arrangierten Gesprächen zwischen durchschnittlichen Sprachbenutzern beobachtbare Phänomene sprachlich-kommunikativer Emotionalität, ist fraglich (in dieser Hinsicht sind besonders Fiehler 1990 und Turgay 2012 zu kritisieren). Im Folgenden werden für unsere Untersuchung relevante Aspekte der unmittelbar an unser Forschungfeld angrenzenden Arbeiten von Schwarz- Friesel (2013), Marten-Cleef (1991) und Sandhöfer-Sixel (1988, 1990) näher vorgestellt und diskutiert. Schwarz-Friesel (2013) beschäftigt sich in ihrer Monographie ausführlich mit dem Verhältnis von „Sprache und Emotion“. Als Vertreterin der kognitiven Linguistik begreift sie Emotionen als „mehrdimensionale Kenntnis- und Bewertungssysteme […], die maßgeblich Einfluss auf verschiedene kognitive Prozesse, insbesondere die der Sprachverarbeitung, nehmen“ (ebd.: 365), wobei sie davon ausgeht, dass sich Kognition und Emotion nicht immer strikt trennen lassen, sondern in einer engen repräsentationalen Verflechtung im Gedächtnis und in einer prozessualen Wechselwirkung bei der mentalen Verarbeitung von Informationen stehen (ebd.: 2). Schwarz-Friesel nimmt an, dass Produktion und Rezeption sprachlicher Äußerungen oft maßgeblich von emotionalen Komponenten determiniert werden und es insofern falsch wäre, emotionale Komponenten als „bloße Performanzfaktoren“ einzustufen (vgl. ebd.). Sobald ein Sachverhalt sprachlich kodifiziert werde, entstehe automatisch eine kognitive Zwischenebene, auf der bestimmte lexikalische Mittel und syntaktische Strukturen gewählt werden, mit denen u.a. emotionale Bewertungen des Sprechers zum Ausdruck gebracht werden könnten (vgl. ebd.: 31): Die sprachliche Darstellungsrepräsentation vermittelt über den referenziellen Wert hinaus emotionale Bewertungen und kognitive Fokussierungen. Jede sprachliche Darstellung eines außersprachlichen Sachverhalts enthält somit immer eine Perspektive, eine Deutung, eine bestimmte Stellungnahme, die sich explizit oder implizit über die jeweiligen Lexeme und ihre syntaktische Anordnung ausdrückt (ebd.: 32). Emotionen charakterisiert Schwarz-Friesel näherhin als 2 Sprache, Text und Emotion 27 permanent verankerte, interne Kenntniszustände im menschlichen Organismus und der Persönlichkeitsstruktur [...], die repräsentationale und prozedurale Aspekte involvieren und die als Bewertungsinstanzen sowohl auf die eigene Ich-Befindlichkeit als auch auf externe Befindlichkeiten im Gesamtkomplex menschlichen Lebens und Erlebens bezogen sind. Emotionale Zustände sind mehrdimensional verankert und können regulativ bewusst oder unbewusst auf den Menschen einwirken. Sie involvieren körperliche Wahrnehmungen, seelische Empfindungen und ausdrucksbezogene Manifestationsformen. Emotionen sind als Ausdruckskomponenten auf der verbalen und nonverbalen Ebene wahrnehmbar (ebd.: 73). Als Kenntnissysteme speichern sie teils angeborene Empfindens- und Verhaltensmuster, teils individuell erworbene Erlebens- und Erfahrungswerte. Als Bewertungssysteme „werden sie (teils bewusst, teils unbewusst) benutzt, um innere und äußere Sachverhalte je nach Situation einzuschätzen und Urteile zu treffen“ (ebd.). Den Begriff des „Gefühls“ grenzt Schwarz-Friesel von dem der „Emotion“ ab. Bei einem Gefühl handele es sich um die „seelisch-subjektiv und geistig instrospektiv empfundene Realisierung“ von Emotion (ebd.: 86) bzw. um denjenigen „Erlebensteil von Emotion […], der bewusst und als subjektiver Zustand erfahrbar und sprachlich mitteilbar“ sei (ebd.: 48; vgl. hierzu auch Zentner/ Scherer 2000: 159). Gefühl sei folglich „zwar Teil der Emotion, nicht aber die komplette Emotion selbst“ (ebd.: 86). Vereinfacht gesagt, handelt es sich demnach bei einem Gefühl um eine bewusst erlebte Emotion. Wenn allerdings, wie Schwarz-Friesel postuliert, nur der Gefühlsanteil von Emotion sprachlich mitteilbar wäre, wäre es streng genommen falsch, das Wort „Emotion“ im Kontext der Verbalisierung empfundener „affektiver Zustände“ überhaupt zu verwenden. Schwarz-Friesel nimmt es hier aber selbst nicht genau, spricht dennoch von „Darstellung und Ausdruck von Emotionen“ (ebd.: 144). Sie konstatiert: „In vielen Fällen meinen wir also Gefühle, auch wenn wir von Emotionen sprechen und umgekehrt“ (ebd.: 86; vgl. auch 139ff.). Weiterhin konturiert Schwarz-Friesel den Begriff der „emotionalen Einstellung“. Dabei handelt es sich um „auf referenzielle Sachverhalte bezogene Bewertungsrepräsentationen, die die Wahrnehmung und Urteilsleistungen von Menschen erheblich determinieren können“ (ebd.: 86). Diese können positiv, negativ oder neutral sein, in der Intensität variieren und sind entweder permanent oder nicht-permanent (vgl. ebd.: 84). Im Unterschied zu dieser Einteilung Schwarz-Friesels wird in der vorliegenden Arbeit terminologisch nicht zwischen „emotionaler Einstellung“ und „Emotion“ differenziert. Das liegt daran, dass die von uns untersuchten sprachlich-kommunikativen Strukturen in der Beurteilungsstudie durch Kodierer aus bestimmten Gründen einheitlich nur als „emotional“ markiert werden sollten - darüber später mehr. Gemeinsame Bezugsbasis der Strukturen ist die Bewertungsfunktion von Emotion, weshalb im Rahmen unserer II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 28 Untersuchung einheitlich von der Kommunikation emotionaler Bewertung oder auch von emotionaler Kommunikation (im Unterschied zu meta-emotionaler Kommunikation als einem Kommunizieren über emotionale Bewertung) gesprochen wird (siehe Kap. III.3.1, Kap. IV.3). Für die vorliegende Arbeit sind vor allem die Überlegungen von Schwarz-Friesel zu emotionalen Phänomenen auf Wort- und Satzebene relevant (siehe hierzu auch Jahr 2000a). Positiv hervorzuheben ist hier ihr Einwand gegen die in der lexikalischen Semantik existierende Ansicht, dass mit explizit emotionsthematisierenden Wörtern, wie z.B. wütend, keine Emotionen zum Ausdruck gebracht werden könnten (siehe dazu Kap. IV.3). Allerdings beschreibt sie auf Wort- und Satzebene eine Vielzahl von Phänomenen, die sich im Befund unserer Beurteilungsstudie nicht beobachten lassen. Dies mag zum einen daran liegen, dass bestimmte von Schwarz-Friesel angeführte Phänomene in den der Beurteilungsstudie zugrundeliegenden Gesprächen gar nicht vorkommen, zumal sich die Linguistin teils auch auf Schriftsprache und literarische Texte bezieht. Zum anderen mag es aber auch sein, dass die Expertenintuition bzgl. der Frage, welche sprachlichkommunikativen Strukturen als „emotional“ zu betrachten sind, teilweise von der Intuition der durch uns konsultierten Laien-Kodierer abweicht. Problematisch ist, dass Schwarz-Friesel bzgl. Wort- und Satzebene großenteils introspektiv gewonnene, teils umgangssprachlich erscheinende, teils auf gehobenes Register hindeutende Beispieläußerungen mit Beispieläußerungen aus historischen Briefen und Belletristik aus unterschiedlichen Literaturepochen mischt (vgl. z.B. ebd.: 158f.), ohne dabei klarzustellen, ob sich ihre Theorie auf Schriftsprache oder auf gesprochene Sprache bezieht bzw. für welche Textsorten sie gelten soll. Insbesondere ihre umgangssprachlichen Beispiele wirken im Unterschied zu unserem Korpus gesprochener Sprache oft eigenartig artifiziell und konstruiert. Typische Phänomene „mündlicher Emotionalität“ wie z.B. die von uns identifizierten symbolischen Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung in Form von Intensitätsmarkern sowie der Hörer-Steuerung (siehe Kap. IV.1) lassen sich bei diesen Beispielen nicht systematisch beobachten. Zumindest für umgangssprachliche mündliche Kommunikation scheinen die von Schwarz-Friesel auf Wort- und Satzebene beschriebenen Mittel zur Gefühlsmitteilung hinsichtlich ihrer Typizität mit Vorsicht zu genießen zu sein. Bei der Beschreibung emotionaler Strukturen auf Textebene bezieht sich Schwarz-Friesel zwar regelmäßig auf bestimmte Textsorten (literarische Texte, Texte massenmedialer Krisenberichterstattung, Werbetexte), doch im Rahmen der allgemeinen Ausführungen hierzu arbeitet sie teilweise wieder mit konstruierten Beispielen. Marten-Cleef (1991) befasst sich aus sprechakttheoretischer Perspektive mit der Frage, wie mit Hilfe von EXPRESSIVA Gefühle zum Ausdruck gebracht 2 Sprache, Text und Emotion 29 werden können. 9 Die Arbeit aus der Münsteraner Schule ist insofern problematisch, als sie auf einem in der Forschung bis heute kolportierten Missverständnis der Searle’schen EXPRESSIVA basiert. Das Missverständnis besteht darin, dass die zentrale Funktion dieser illokutiven Klasse im Ausdruck von Emotionen bzw. Gefühlen bestehe. Um zu verstehen, worauf der Irrtum beruht und um die Arbeit von Marten-Cleef richtig einordnen zu können, sind zunächst einige Ausführungen zum Konzept der EXPRESSIVA bei Searle (1976) erforderlich. Searle bemerkt zur illokutiven Klasse der EXPRESSIVA: The illocutionary point of this class is to express the psychological state specified in the sincerity condition about a state of affairs specified in the propositional content. The paradigms of Expressive verbs are ‚thank‘, ‚congratulate‘, ‚apologize‘, ‚condole‘, ‚deplore‘, and ‚welcome‘ (Searle 1976: 12). Searle verwendet den Begriff der „psychischen Einstellung“ (psychological state) nicht grundsätzlich im Sinne von Emotion. Er zielt mit dem Begriff auf Aufrichtigkeitsbedingungen von Sprechakten im Allgemeinen. Psychische Einstellungen sind laut Searle (vgl. ebd.: 4) Glaube (Feststellungen, Behauptungen etc.), Absicht (Versprechen, Drohungen etc.), Wunsch und Verlangen (Aufforderungen, Bitten etc.) oder auch Wohlgefallen (Gratulationen, Glückwünsche, Willkommensgrüße etc.). 10 Wohlgefallen (pleasure) geht zwar in eine emotionale Richtung, und Searle/ Vanderveken (1985: 39) formulieren den expressiven illokutionären Punkt später deutlicher so, dass ein Sprecher „expresses his feelings (or attitudes) about the state of affairs represented by P [proposition]“. Dennoch 9 Siehe hierzu auch die zeichentheoretische Arbeit von Konstantinidou (1997), die sich u.a. ausführlich mit Aspekten „expressiver“ bzw. „emotiver“ Sprache befasst (vgl. ebd.: 1-41; siehe hierzu auch Stankiewiecz 1964). In unserem Zusammenhang kommt ihr vor allem das Verdienst zu, systematisch zwischen dem Ausdrücken von Gefühlen mittels sprachlicher Zeichen (Senderperspektive) und dem Auslösen von Gefühlen mittels sprachlicher Zeichen (Adressatenperspektive) zu unterscheiden. Dem rhetorischen Konzept der Affektübertragung entspricht dabei die von Konstantinidou ebenfalls vorgesehene Möglichkeit, dass sprachliche Zeichen zugleich ein Gefühl des Sprechers ausdrücken und beim Hörer ein Gefühl evozieren können (vgl. ebd. 75ff.). In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass das Auslösen von emotionalen Reaktionen beim Hörer keineswegs nur durch emotionale Äußerungen des Sprechers möglich ist (siehe dazu auch die Kategorie der Ästimationsevokation, Kap. VI.1.1). Zudem muss das manifestierte Gefühl qualitativ nicht mit dem evozierten übereinstimmen (vgl. etwa folgende Interaktion eines Ehepaars: Prima, heute Abend kommt Fußball! - Mannomann! Dein dauerndes Fußballgeglotze nervt! ). 10 Hermanns (vgl. 2002: 359) hält fest, dass die Verwendung des Wortes „expressiv“ im Sinne von „Ausdruck“ in der Sprachwissenschaft insbesondere im Zusammenhang mit propositionalen Einstellungen (z.B. glauben, dass / vermuten, dass u.ä.) gebräuchlich ist. In diesem Sinne werde etwa mit dem Wort vermutlich kein Vermuten konstatiert, sondern ausgedrückt. Er resümiert: „Ausgedrückt werden also in der Tat nicht nur Emotionen“ (ebd.). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 30 besteht der illokutionäre Punkt der von Searle angeführten Beispiele für EX- PRESSIVA nicht in erster Linie in einem Emotionsbzw. Gefühlsausdruck. Die von ihm gewählten Beispiele (1976: 12) verdeutlichen das: I apologize for stepping on your toe. I congratulate you on winning the race. I thank you for paying me the money. Bei allen drei Äußerungen geht es um die Beziehung des Sprechers zum Hörer. Sie wird sprachlich-kommunikativ modelliert anhand von Fakten, die mit dem Hörer „zu tun haben“: der Sprecher ist dem Hörer auf den Zeh getreten, der Hörer hat ein Rennen gewonnen, der Hörer hat dem Sprecher Geld gegeben. Der Sprecher verhält sich mit diesen Äußerungen auf eine bestimmte Weise zum Hörer, er beeinflusst seine Beziehung zu ihm, indem er seine Einstellung zu den Tatsachen kommuniziert. Searle/ Vanderveken (1985: 211) konstatieren: „most of the expressive speech acts that have acquired special verbs naming them are essentially hearer-directed.“ Die von ihnen gewählten Beispiele für EXPRESSIVA apologize, thank, condole, congratulate, complain, lament, protest, deplore, boast, compliment, praise, welcome, greet (vgl. ebd.: 1985: 211) veranschaulichen diesen Gedanken. Um zu verstehen, was den eigentlichen Charakter der Searle’schen EX- PRESSIVA ausmacht, ist zu vergegenwärtigen, dass sie ihren Ursprung in den Behabitativa (Konduktiva) Austins haben. Austin führt diese Kategorie wie folgt ein: The fourth, behabitatives, are a very miscellaneous group, and have to do with attitudes and social behaviour. Examples are apologizing, congratulating, commending, condoling, cursing, and challenging (Austin 1962: 151). Weitere von Austin angeführte (hier nur auszugsweise wiedergegebene) Beispiele sind: Entschuldigungen, Dank, Mitgefühl (beglückwünschen, gratulieren, bedauern, beklagen, Beileid aussprechen u.a.), Einstellungen (seine Hochachtung bezeigen, kritisieren, klagen, murren, sich beschweren, verübeln, mißbilligen, nichts dagegen haben, zustimmen, bereuen, gutheißen, loben, empfehlen, verwerfen, ignorieren), Grüße, Wünsche (jdm. etw. Wünschen, auf jdn. Anstoßen, segnen, verfluchen, verwünschen) und Herausforderungen (vgl. ebd.: 159). Ein gemeinsames Kriterium dieser Beispiele ist auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Austin bezeichnet die Klasse der Behabitativa als „Schocker“ („a shocker this“, ebd.: 150) - laut Sander (vgl. 2003: 17) allerdings nicht, um eine Unzulänglichkeit dieser Klasse zu signalisieren, wie Searle es nahelegt (vgl. 1976: 7f.), sondern um auf die Notwendigkeit des Überdenkens gewisser Grundannahmen der Sprachphilosophie hinzuweisen. Immerhin präzisiert Austin: Behabitatives include the notion of reaction to other people’s behaviour and fortunes and of attitudes and expressions of attitudes to someone else’s past 2 Sprache, Text und Emotion 31 conduct or imminent conduct. There are obvious connexions with both stating or describing what our feelings are and expressing, in the sense of venting our feelings, though behabitatives are distinct from both of these (Austin 1962: 159). Bedauerlicherweise geht Austin nicht näher darauf ein, inwiefern eine Unterscheidung der Behabitativa von Gefühlsbeschreibungen und -ausdrücken notwendig ist, doch seine Bemerkung lässt keinen Zweifel daran, dass Gefühlsäußerung für die Klasse der Behabitativa nicht das zentrale Kriterium ist. Ihr zentrales Kriterium ist vielmehr das Verhalten des Sprechers gegenüber anderen. Austin weist zu Recht auf die Nähe der Behabitativa zu den Kommissiva hin (ebd.: 160). Searle (vgl. 1976: 8) bemängelt angesichts dessen die mangelnde definitorische Klarheit der Behabitativa und hält dafür, dass Nutzen und Nachteil für den Sprecher und Hörer sowie der Ausdruck von Einstellungen hier eine Rolle spielten. Dass mit den von Searle (1976) angeführten Beispiele für EXPRESSIVA danken, gratulieren, entschuldigen, kondolieren, beklagen und willkommen heißen gewisse „Einstellungen“ zum Ausdruck gebracht werden, und dass damit u.U. auch gewisse Phänomene emotionalen Ausdrucks verbunden sein können, kann zwar nicht in Abrede gestellt werden; ihr eigentlicher gemeinsamer Nenner aber ist - ausgehend von der ursprünglichen Konzeption Austins - in einem Einwirken auf den Adressaten bzw. auf die Beziehung zu ihm zu sehen. Nach Rolf dienen expressive Sprechakte genauer gesagt dazu, auf die Gemütslage ihres Adressaten regulativ einzuwirken, und zwar dadurch, daß der Sprecher selbst bestimmte Gefühle zum Ausdruck bringt. Auf das Gemüt des anderen wird mit Hilfe expressiver Sprechakte in zweierlei Weise Einfluß zu nehmen versucht: stabilisierend, wenn das seelische Gleichgewicht des Adressaten gefährdet ist; destabilisierend, wenn eine Verhaltensänderung herbeigeführt werden soll, in Bezug auf die seitens des Sprechers angenommen wird, daß sie auf Seiten des Adressaten eine bestimmte emotionale ‚Aufrüttelung‘ voraussetzt (Rolf 1994: 227). An dieser Stelle wird im Unterschied zu Rolf nicht behauptet, dass die Funktion (der illokutive Punkt) von Sprechakten wie danken oder entschuldigen darin bestehe, ein „Gefühl“ zum Ausdruck zu bringen - eher dürfte es sich in den meisten Fällen um rituell verankerte Interaktionsroutinen ohne nennenswerte emotionale Motivation handeln. 11 Unter Bezugnahme auf den von Rolf erwähnten Zweck des „regulativen Einwirkens“ könnte gesagt werden, dass es sich bei den Searleschen EXPRESSIVA im Grunde um SO- ZIO-REGULATIVA handelt. 11 Hindelang (1978a: 65ff.) bezeichnet die Searleschen EXPRESSIVA dementsprechend als „Ritualia“ (siehe auch Löbner 2003: 47). Allerdings scheint möglich, dass Sprechakte wie danken umso eher emotional motiviert sein können, je weniger sie in einer bestimmten Situation erwartbar bzw. rituell vorgesehen sind. II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 32 Sander sieht das besondere Unterscheidungsmerkmal der EXPRESSIVA denn auch weniger im Gefühlsausdruck als in ihrer sozialen Funktion. Er postuliert daß für die vermeintlich „expressiven“ Sprechakte in Wirklichkeit ihre soziale Funktion konstitutiv ist, insofern diese dann ebenso wie Aufforderungen oder Versprechen Akte der Selbstverpflichtung oder Versuche der Beeinflussung anderer Akteure darstellten, bei denen innere Zustände allenfalls mittelbar eine Rolle spielen (Sander 2003: 12f.). Angesichts dessen, so Sander weiter, wäre keine eigene Klasse der EXPRES- SIVA anzusetzen (vgl. ebd.). Er argumentiert völlig zu Recht, daß „Ausdruckshandlungen“ sehr viel stärker im Hinblick auf ihre praktische Funktion zu rekonstruieren sind, als dies üblicherweise geschieht. Wer sich […] für eine Handlung entschuldigt, verleiht nicht (nur) einem Gefühl der Reue Ausdruck; vielmehr beinhaltet eine Entschuldigung anscheinend auch eine kommissive Komponente: Der Autor legt sich wie bei einem Versprechen darauf fest, bestimmte zukünftige Handlungen zu vollziehen oder zu unterlassen. Und auch ein Dank [...] ist mehr als das bloße Äußern innerer Zustände, sondern weist ein direktives Moment auf: Mit einem Dank gibt man dem Adressaten zu verstehen, welche Handlungen man auch in Zukunft begrüßen wird. Kurz: Es bestätigt sich der Verdacht, daß nichts für die Annahme einer eigenen Klasse von EXPRESSIVA spricht, sondern daß die üblichen Verdächtigen tatsächlich Beispiele für Kommissiva, Direktiva oder allgemeiner: für obligationenerzeugende Sprechakte sind. Damit zeichnet sich zugleich ein Weg ab, zwei komplementäre Fehldeutungen zu vermeiden: Sprechakte wie das Entschuldigungen [sic! ] sind nicht im Sinne des bloßen Ausdrucks zu verstehen - aber ebenso fragwürdig wäre es, diese Äußerungen in den Bereich der völlig unverbindlichen, rein phatischen Kommunikation („small talk“) abzuschieben, da hiermit der verpflichtende Charakter solcher Sprechakte unberücksichtigt bliebe (ebd.: 16). Dass mit Sprechakten wie danken oder entschuldigen tatsächlich Verpflichtungen eingegangen werden, ist fraglich - möglicherweise geht es hier eher um das Einlösen von Verpflichtungen. Unabhängig davon bleibt festzuhalten: Wenn Austin und Searle sich mit den Kategorien der „Behabitativa“ bzw. „EXPRESSIVA“ großenteils auf dieselben Phänomene beziehen, dann ist Austins Bezeichnung für den Inhalt dieser Kategorie deutlich angemessener als die von Searle. Denn in erster Linie geht es hier nicht um emotionalen Gefühlsausdruck, sondern um sozioregulatives sprachliches Handeln, mit welchem sich der Sprecher gegenüber dem Hörer in bestimmter Weise positioniert und - häufig im Rahmen ritualisierter Interaktion - Einfluss auf ihn nimmt. Diese Art von Sprechakten ist also als Teil des Beziehungsmanagements in Gesprächen (Knape 2009a: 32- 35) anzusehen. Da eine solche Einflussnahme aber auch bei direktiven oder kommissiven Sprechakten gegeben ist, muss bezweifelt werden, dass die 2 Sprache, Text und Emotion 33 Annahme einer eigenen illokutiven Klasse der SOZIO-REGULATIVA Sinn ergibt. Angesichts dessen erscheint die Arbeit von Marten-Cleef (1991) mit dem Titel „Gefühle ausdrücken. Die expressiven Sprechakte“ in gleich zweifacher Hinsicht problematisch: Erstens basiert sie auf der Annahme, dass die EXPRESSIVA dazu dienten, Gefühle auszudrücken, und zweitens auf der Annahme, dass sie eine eigene illokutive Klasse konstituierten, wobei letztere Annahme erstere rechtfertige (vgl. ebd.: 35). Eine stichhaltige Begründung für diese Annahme liefert Marten-Cleef nicht. Arbeiten wie Hindelang (1978a), der die EXPRESSIVA als RITUALIA versteht, oder Weigand (2003), welche die EXPRESSIVA den DEKLARATIVA zuordnet mit der Begründung, dass durch sie „soziale Beziehungen des Umgangs geschaffen“ würden, „wie sie von konversationellen Normen des Alltags gefordert werden“ (ebd.: 83), hält sie lediglich entgegen, dass Searles DEKLARATIVA innerhalb einer außersprachlichen Institution angesiedelt seien, was für die expressiven Typen nicht gelte, und dass nicht jeder Ausdruck psychischer Befindlichkeit in ritualisierter Form erfolge (vgl. Marten-Cleef 1991: 34f.). 12 Sie bezieht sich dabei auf Searle/ Vanderveken (1985), die, so Marten-Cleef, auch Verben benennen würden, welche „nicht-ritualisierte Formen expressiven Sprachhandelns“ bezeichneten (Marten-Cleef 1991: 35). Um welche Verben es sich dabei genau handeln soll und inwiefern sie als nicht-ritualisiert zu betrachten wären, lässt sie offen. Allerdings konzediert sie, dass „Searles Beispiele seiner eigenen Charakterisierung der Klasse nicht ganz entsprechen“ (ebd.: 34). Die Liste von Searle (1976) habe dazu geführt, daß EXPRESSIVA „meist als ritualisierte Mittel zur Pflege sozialer Beziehungen angesehen worden sind. Diese Sicht wird der Vielschichtigkeit dieser Klasse nicht gerecht“ (vgl. Marten-Cleef 1991: 35). Marten-Cleef spricht damit den von Searle gewiss nicht mit Unbedacht gewählten Beispielen tendenziell ihre Paradigmatik ab. Dies ist kritisch zu sehen und scheint nur dadurch erklärbar, dass sie ganz offensichtlich einer oberflächlichen Lesart des von Searle/ Vanderveken (1985) verwendeten Begriffs „feeling“ aufsitzt. Die Autoren setzen im Rahmen der EXPRESSIVA „feelings“ mit „attitudes“ gleich (vgl. ebd.: 39), sprechen am Ende dann aber nur noch von „attitude“ (ebd.: 211), d.h. von einer Haltung bzw. Einstellung. Es sei daran erinnert, dass Searle (1979) an dieser Stelle ursprünglich den Begriff des „psychological state“ gebraucht, den er allerdings auch als allgemeines Kriterium zur Beschreibung aller illokutiver Klassen verwendet. Doch auch jenseits terminologischer Finessen muss Marten-Cleef entgegengehalten werden, und das ist das Entscheidende, dass Emotionsbzw. 12 Im Rahmen des thematischen Musters „performativer Gefühlsausdruck“ spricht Marten-Cleef indes selbst von „Routineformeln“ wie z.B. „Herzlichen Glückwunsch“ (vgl. 1991: 99ff.). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 34 Gefühlsausdruck kein Spezifikum einer bestimmten Sprechaktklasse darstellt. Jede der Sprechaktklassen nach Searle kann mit emotionalen Ausdrucksphänomenen einhergehen. So kann z.B. die Äußerung Der Film ist echt toll, die nach unserer Typologie in (Kap. IV) eine emotionale Bewertung darstellt, als assertiver Sprechakt betrachtet werden. Die Äußerung Mach verdammt noch mal das Fenster zu bringt Ärger des Sprechers zum Ausdruck und stellt gleichzeitig einen direktiven Sprechakt dar. Mit der Äußerung Ich schwöre dir, dass ich dich liebe bringt der Sprecher eine Emotion zum Ausdruck, gleichzeitig vollzieht er einen kommissiven Sprechakt. Hiermit erkläre ich dich zur wunderbarsten Mutter der Welt hat zweifellos emotional bewertenden Charakter, wäre jedoch formal als deklarativer Sprechakt einzustufen. Dies bestätigt auch Schwarz-Friesel (2013: 27): „Letztlich können wir mit allen Sprachhandlungstypen emotionale Zustände und Prozesse ansprechen und auslösen, so dass eine eindeutige Aussage zugunsten des Primats der emotionsausdrückenden Funktion der Expressiva relativiert werden muss.“ An anderer Stelle stellt sie fest: „Es macht [...] wenig Sinn, Expressiva als eine spezifische Subgruppe von Sprechakten abzugrenzen, da prinzipiell alle illokutionären Typen zur Vermittlung von Gefühlen genutzt werden können“ (Schwarz-Friesel 2010). Auch Sbisà (1990: 294) hält fest: „we have not identified the expression of affect with any kind or class of illocutionary acts.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Fries (1996) bei seinem Modell einer „Konzeptuellen Struktur (CS)“ von Äußerungsbedeutungen die illokutive und die emotionale Komponente analytisch trennt. 13 Dass die von Marten-Cleef präsentierte Taxonomie der EXPRESSIVA Fragen aufwirft, ist angesichts dieser Einwände nicht verwunderlich. Marten-Cleef (1991: 79) unterscheidet zwischen sympathisierenden (dem Adressaten zugeneigten), opponierenden (gegen den Adressaten gerichteten) und abreagierenden EXPRESSIVA und differenziert in allen drei Kategorien zusätzlich nach Sprecher-Präferenz bzw. Sprecher-Aversion: sympathisierende EXPRESSIVA • mit Sprecher-Präferenz: KOMPLIMENT, GRATULIEREN, GUTER WUNSCH (WOHLERGEHEN/ GELINGEN WÜNSCHEN), WILL- KOMMEN HEISSEN (JEMANDEN WILLKOMMEN HEISSEN/ ET- WAS BEGRÜSSEN), SPRACHLICHER GUNSTERWEIS, DANKEN • mit Sprecher-Aversion: MITLEID BEKUNDEN (BEDAUERN BE- KUNDEN/ KONDOLIEREN), SORGE BEKUNDEN, SICH ENT- SCHULDIGEN 13 Fries (1996: 57) spricht von Emotion als „spezifischer Komponente der Äußerungsbedeutung einer sprachlichen Äußerung“. Er verwendet den Begriff der „Konzeptuellen Struktur (CS)“, mit welcher Äußerungsbedeutungen anhand der Komponenten Repräsentationsgehalt, Informationsgewichtung (Thema-Rhema), Illokution und Emotion erklärt werden können (vgl. ebd.: 63). 2 Sprache, Text und Emotion 35 opponierende EXPRESSIVA • mit Sprecher Präferenz: SPOTTEN, TRIUMPHIEREN, ANTIPATHI- SCHER WUNSCH • mit Sprecher-Aversion: KLAGEN, SCHIMPFEN, KRITTELN abreagierende EXPRESSIVA • mit Sprecher-Präferenz: FROHLOCKEN, JUBELN, HOFFNUNG ÄUSSERN • mit Sprecher-Aversion: JAMMERN, FLUCHEN, ANGST ÄUSSERN Abgesehen von dem formalen Manko, dass Marten-Cleef bei ihren Sprechaktbezeichnungen teils Verben, teils Substantive verwendet, ist hier zu fragen, weshalb z.B. KRITTELN, nicht aber die ebenso emotional belegten Illokutionen SCHMÄHEN, VERHÖHNEN, NÖRGELN, FLEHEN oder TRÖSTEN in der Taxonomie auftauchen. 14 Fraglich ist auch, ob „Hoffnung“ oder „antipathischer Wunsch“ Gefühle darstellen. 15 Weshalb SCHIMPFEN und KLAGEN nicht auch eine abreagierende Komponente haben sollen, ist ebenfalls unklar. Marten-Cleef untersucht im weiteren Verlauf jeden expressiven Sprechakttyp auf die Frage hin, mit welchen „thematischen Mustern“ er realisiert werden kann. Dieses Verfahren findet sich bereits bei Hindelang (1978b), der unter Bezug auf Halliday (1973) semantische Dimensionen heranzieht, um Untermuster der Sprechakte des AUFFORDERNS zu beschreiben und diesbezüglich von „semantischen Mustern“ spricht (Hindelang 1978b: 155). 16 14 Zillig (1982) führt in seiner sprechakttheoretischen Arbeit zu Formen des BEWERTENS auch KLAGEN, JAMMERN, NÖRGELN (vgl. Marten-Cleefs KRITTELN), SCHMÄ- HEN und VERHÖHNEN (vgl. Marten-Cleefs SPOTTEN, zum Unterschied siehe Marten-Cleef 1991: 223) als bewertende Sprechakte an. TRÖSTEN und FLEHEN bezeichnet er als implizite Bewertungen, ebenso JUBELN, FLUCHEN, DANKEN, KONDOLIE- REN und GRATULIEREN. Die letzteren beiden zählt er zu den rituellen sprachlichen Handlungen (vgl. ebd.: 105ff.). 15 Marten-Cleef (1991: 92) äußert sich dazu verwirrend: „Ein WUNSCH ist keine expressive Sprechhandlung, wenn in ihm ein Wunsch oder eine Absicht ausgedrückt werden. In einer Taxonomie expressiver Sprechakte werden nur solche WÜNSCHE berücksichtigt, deren psychische Basis ein Gefühl wie Hoffnung oder Wohlwollen ist. Dazu zählt auch das Handlungsmuster ANTIPATHISCHER WUNSCH, mit dem der Sprecher Hoffnung auf zukünftiges Mißgeschick des Adressaten bringt, sowie HOFFNUNG ÄUSSERN, bei dem eine auf das zukünftige, von ihm nicht beeinflußbare Wohlergehen des Sprechers selbst gerichtete Hoffnung ausgedrückt wird.“ 16 Halliday (1973) entwickelt das Konzept der „Soziosemantik“, deren Zielsetzung er folgendermaßen beschreibt: „we attempt to formulate some general principles for this kind of ‚socio-semantics‘, in which meaning is related both to the internal structure of language and to the social contexts in which language operates. Meanings are expressed through grammatical patterns; but meanings are themselves the expression, or realization, of options in behaviour, and some of these options have a broad sociocultural significance“ (ebd.: 8). Hindelang (1978b: 142f.) bemerkt dazu: „In Hallidays II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 36 Bei den thematischen Mustern handelt es sich um paradigmatische Äußerungsformen einer Sprechaktklasse. 17 Marten-Cleef unterscheidet folgende Muster (ebd.: 96ff., Beispiele auszugsweise): PERFORMATIVER GEFÜHLSAUSDRUCK (PG) explizit performative Äußerung bzw. Routineformel Bsp: Ich gratuliere zur Beförderung! Ich danke Ihnen für Ihr Interesse an unserem Produkt. EMPFINDUNGSAUSDRUCK (EA) Interjektionen und einfache Ausrufe Bsp.: Mein Gott! Ach, du grüne Neune! HINWEIS AUF DIE EMOTION (HEM): Gefühlszustand des Sprechers explizit (mit Emotionswort) sagen, wie man sich fühlt Bsp.: Ich bin sehr enttäuscht über dein Verhalten! Man, was bin ich froh, daß ich noch rechtzeitig gekommen bin! HINWEIS AUF DIE FAKTEN (HF): Ursache des Gefühlserlebnisses, sagen, was der Fall ist Bsp.: Die Sonne scheint! Bestanden! Unser Mohrle ist gestorben! HINWEIS AUF DIE EVALUATION (HE): Bewertung eines Sachverhalts oder einer Person sagen, wie man etwas/ jemanden bewertet Objektbewertung (HEO) Bsp.: Das ist vielleicht eine Bummelei! Sauwetter! Den Vorschlag finde ich großartig! Frohe Weihnachten! 18 Sprecherbewertung (HES) Bsp.: Ich bin ein Egoist. Konzeption vermittelt die Semantik zwischen den durch soziale Kontexte konstituierten Verhaltensmustern („behaviour patterns“) und den grammatisch bestimmten Äußerungsformen. […] Die semantische Fragestellung in der Soziosemantik läßt sich damit etwa wie folgt formulieren: Welche Auswahl aus dem Bedeutungsrepertoire seiner Sprache kann ein Sprecher zur kommunikativen Bewältigung eines Situationstyps treffen? Die Auswahl auf der semantischen Ebenen impliziert bereits eine weitgehende Vorentscheidung hinsichtlich der grammatischen Eigenschaften der Äußerungen.“ 17 Nach Zillig (1982: 19) sind Äußerungsformen zu verstehen als „syntaktisch und semantisch beschreibbare Einheiten der Sprache, die - und darin unterscheiden sich Äußerungsformen von Sätzen - in ihrer Funktion innerhalb von Situationstypen untersucht werden.“ 18 Diese Äußerung sollte nicht zu HINWEIS AUF DIE EVALUATION gezählt werden. Es handelt sich um eine Routineformel wie Herzlichen Glückwunsch, welche Marten- Cleef zum PERFORMATIVEN GEFÜHLSAUSDRUCK zählt (1991: 101). 2 Sprache, Text und Emotion 37 Ich verstehe mich selbst nicht mehr! 19 Adressatenbewertung (HEA) Du Satansbraten! Ich finde, du siehst phantastisch aus! HINWEIS AUF DIE REAKTION (HR): Reaktion auf einen Sachverhalt sagen, wie man auf ein Faktum reagiert Bsp.: Ich könnte heulen! Ich zittere am ganzen Körper! Ich könnte heulen! Die thematischen Muster richten sich nach inhaltlichen Merkmalen von Äußerungen, d.h. sie beziehen sich auf eine semantische Ebene, die quer zur handlungspragmatischen Ebene der Illokutionen-Taxonomie eingezogen wird. Sie werden gebildet, indem „unter Abstraktion vom Verwendungskontext“ danach gefragt wird, „wovon in den Äußerungen die Rede ist bzw. welche allgemeinen Aspekte der Sprechsituation thematisiert werden“ (ebd.: 97). Der Sprechakt JAMMERN etwa kann z.B. über das thematische Muster HEM (Ich bin (ganz/ völlig) verzweifelt! ), über das Muster HF (Das Manuskript ist verschwunden! ), über das Muster HE (Das ist ungerecht! ) oder über das Muster HR (Ich könnte heulen! ) realisiert werden und nimmt dann entsprechende Äußerungsformen an (vgl. ebd.: 329f.). Interessanterweise spiegeln sich bestimmte thematische Muster im Befund unserer Beurteilungsstudie wider - hierauf wird in Kap. IV.2 im Detail zurückzukommen sein. Bei dem Versuch, die EXPRESSIVA von anderen Sprechakttypen abzugrenzen, stößt Marten-Cleef erwartungsgemäß auf Probleme: Sprechakte des BEWERTENS machen den EXPRESSIVA ihren Rang als eigenständige illokutive Klasse streitig. Angesichts dessen muss sie einräumen, dass die Nähe der EXPRESSIVA zu den BEWERTUNGEN auf der Hand liege und die Grenze zwischen ihnen insofern fließend sei, als allen Gefühlen eine Bewertung zugrunde liege (vgl. ebd.: 88f.). 20 19 Die Kategorie HES ist in sich sehr heterogen. Hier sollen Merkmale der Person des Sprechers wie Charakter, Aussehen, psychische und physische Fähigkeiten, Einstellungen, Gewohnheiten und Verhalten bewertet werden (vgl. Marten-Cleef 1991: 117). Mit den von Marten-Cleef hier außerdem angeführten Äußerungen wie Ich helfe doch gern oder Das läßt mich um Jahre altern wird sprechakttheoretisch nur sehr indirekt die Person des Sprechers bewertet. Ähnliches gilt für die Kategorie HEA. 20 Den engen Zusammenhang zwischen Emotion und Bewertung sieht auch Zillig (1982), der Sprechakte des BEWERTENS untersucht. Er stellt fest, dass der Ausdruck von Gefühlen auf der Seite des Sprechers und das Auslösen oder die Veränderung von Gefühlen auf der Seite des Hörers i.d.R. direkt mit Formen der BEWERTUNG verbunden sei. Umgekehrt seien negative bzw. positive Gefühle des Sprechers durchaus auch als Basis der BEWERTUNGEN anzusehen (vgl. ebd.: 108f.). Zillig bringt hier den Begriff „impliziter Bewertungen“ ins Spiel, zu denen er etwa spontane Gefühlsausbrüche wie II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 38 Um dennoch Unterschiede zwischen EXPRESSIVA und BEWERTUN- GEN aufzuzeigen, greift Marten-Cleef (vgl. ebd.: 89f.) auf die terminologisch sehr undifferenzierte Bewertungstypologie von Hindelang (1978a) zurück. Dieser begreift JUBELN und FLUCHEN, die normalerweise als typische EX- PRESSIVA gehandelt werden, als BEWERTUNGEN, genauer, als BEWER- TUNGS-KONSTATIERUNGEN. 21 Marten-Cleef bemüht sich in wenig überzeugender Weise, Letztere systematisch von den EXPRESSIVA zu unterscheiden: Zu betonen ist, daß alle EXPRESSIVA eine Bewertung zwar beinhalten, das mit ihnen verfolgte Kommunikationsziel aber nicht im Ausdrücken dieser Bewertung besteht. So wird z.B. das expressive Handlungsmuster FLU- CHEN mit der Äußerungsform „So ein Mist! “ nicht vollzogen, um irgendeinen Gegenstand negativ zu bewerten, sondern um einem Gefühl angesichts eines negativ bewerteten Gegenstands Luft zu machen. Das Verhältnis stellt sich so dar, daß der Sprecher das Gefühl Ärger zum Ausdruck bringt, nachdem er einen Sachverhalt wahrgenommen und negativ bewertet hat. Und eine Möglichkeit, den Ärger auszudrücken, besteht wiederum darin, eine negative Bewertung zu äußern. Demgegenüber ist der illokutionäre Punkt von BEWERTUNGS-KONSTATIERUNGEN das Ausdrücken einer Bewertung aufgrund eines vom Sprecher empfundenen Gefühls. Hier ist die Abfolge der Bedingungen genau umgekehrt (Marten-Cleef 1991: 90f.). Die Unterscheidung expressiver von bewertenden Sprechakten anhand vermeintlicher Abfolgen von „Bewerten“ und „Fühlen“ erscheint hier reichlich spekulativ und artifiziell. Angesichts dessen überrascht es wenig, dass es FLUCHEN und JUBELN, aber auch Sprechakte wie KONDOLIEREN, GRATULIE- REN, TRÖSTEN und DANKEN zählt. „Implizite Bewertungen“ definiert er etwas vage als Bewertungen, „die in den Bedingungen für den Vollzug anderer Sprechakte vorkommen“ (ebd.: 105). 21 Hindelang (vgl. 1978a: 60) unterscheidet anhand des Kriteriums „Widerspruchmöglichkeit“ folgende drei Kategorien von BEWERTUNGEN: 1. BEWERTUNGS-BE- HAUPTUNG: Der Sprecher äußert seine BEWERTUNG mit einem Gültigkeitsanspruch und ist bereit, diesen zu verteidigen, Beispiel: MEINUNG ÄUSSERN (Die Diäten der Abgeordneten sind zu hoch.) 2. BEWERTUNGS-INFORMATION: Der Sprecher führt den Rezipienten in ein bestimmtes Normensystem ein, wobei die Überprüfung von Geltungsansprüchen keine Rolle spielt, Beispiele: LOBEN und TADELN (Lehrer zum Schüler: Du hast gut aufgepaßt! ) 3. BEWERTUNGS-KONSTATIERUNG: Der Sprecher bringt ein unmittelbares, persönliches Wertgefühl zum Ausdruck, das einem direkten Empfinden entspricht, Beispiele: JUBELN und FLUCHEN (Das ist ja phantastisch! , So ein Mist! ). - Angesichts dessen stellt sich die Frage, weshalb nicht auch BEWERTUNGS-KONSTATIERUNGEN mit einer hohen Verteidigungsbereitschaft des Sprechers verbunden sein sollen. Etwas als „phantastisch“ zu bezeichnen ist grundsätzlich nicht weniger verteidigungsbedürftig als Diäten als „zu hoch“ zu bezeichnen. Zillig (vgl. 1982: 95) wiederum bemerkt bzgl. der von ihm beschriebenen Illokution MEINUNGSÄUSSERN, dass sie mit einer geringen Verteidigungsbereitschaft verbunden sei. 2 Sprache, Text und Emotion 39 Marten-Cleef auch bei dem Versuch, expressive Äußerungsformen des thematischen Musters HINWEIS AUF DIE EVALUATION (HE) von bewertenden Sprechakten zu unterscheiden, an Argumenten fehlt. 22 Die Schwierigkeiten werden dadurch noch erhöht, dass sogar Searle/ Vanderveken den Bewertungsaspekt der EXPRESSIVA stark machen: It is an odd fact about those verbs in English that name expressive illocutionary forces that almost without exception they indicate that there is something good or bad about the state of affairs represented by the propositional content of the expressive. Apparently we find it worthwhile to have a name for expressive illocutionary forces only if there is something good or bad involved, even though the concept of expressing a psychological state carries no such presupposition. In what follows many of the psychogical states already carry the belief that the object of the state is good or bad, e.g. pleasure and sorrow (Searle/ Vanderveken 1985: 211). Marten-Cleef konstatiert etwas ratlos, dass hier „nur die EXPRESSIVA inhärente Bewertung, nicht aber das Gefühl als ihre psychische Basis Beachtung“ finde (1991: 47). Sie resümiert: „So ist überraschenderweise festzustellen, daß EXPRESSIVA, obwohl Gefühle als ihr Spezifikum ausgewiesen sind, beschrieben werden, ohne daß ihre spezifische Eigenschaft thematisiert wird“ (ebd.). Demgegenüber bleibt nur ein weiteres Mal anzumerken, dass es Searle mit dem Begriff des „psychological state“ nicht speziell um emotionale Gefühle geht. Mit den kognitiven Emotionstheorien kann davon ausgegangen werden, dass Bewertungen die Basis von Emotionen bzw. Gefühlen darstellen. Wenn Marten-Cleef bzgl. BEWERTUNGSKONSTATIERUNGEN und EXPRES- SIVA von „großen Familienähnlichkeiten“ (ebd.: 91) spricht, so ist zu entgegnen, dass die Unterscheidung entsprechender „Familien“ eine artifizielle ist, da diese Familien jeweils an bestimmte usuelle Bedeutungskontexte rückgebunden sind. 23 Sander betrachtet den Bewertungsaspekt zu Recht als zentrales Charakteristikum der EXPRESSIVA: 22 „Bei der Abgrenzung der EXPRESSIVA von den BEWERTUNGEN ist bereits darauf hingewiesen worden, daß eine Möglichkeit, ein Gefühl auszudrücken, darin besteht, daß man eine Bewertung äußert. Äußerungsformen dieser Art folgen dem thematischen Muster HINWEIS AUF DIE EVALUATION (HE). Wie bereits […] betont wurde, dürfen diese Ausdruckstypen nicht mit Sprechhandlungen nach dem Muster BEWER- TEN verwechselt werden. Ähnlichkeiten mit deren Äußerungsformen könnten allerdings leicht dazu verleiten. Dazu zählen u.a. der Gebrauch von Modaladverbien zur Kennzeichnung des hohen Grades (sehr, zutiefst, so, zu usw.), verbale Subjektivitätseinstufungen (ich finde, ich halte usw., nur indikativisch) sowie Wertwörter (Idiot, faseln, toll usw.) (Marten-Cleef 1991: 114f.). 23 Auch in der lexikalischen Semantik gibt es Ansätze, Emotion gegen Bewertung auszuspielen (siehe etwa Römer 2012), obwohl erstere sinnvoll nur als eine besondere Form von Bewertung betrachtet werden kann (siehe Kap. III.3.1). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 40 Für die Korrektheit expressiver Sprechakte ist allein ein evaluatives Urteil bzw. die kognitiv-evaluative Komponente einer Emotion ausschlaggebend, unabhängig davon, ob ein Affekt „hinzutritt“ bzw. in der Emotion „enthalten“ ist oder nicht (Sander 2003: 22). Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Irrelevanz von Affekten“ und resümiert: „Was also von den Empfindungen im Kontext ,expressiver‘ Sprechakte übrigbleibt, scheint letztlich nur der Umstand zu sein, daß evaluative Urteile häufig von Empfindungen begleitet werden“ (ebd.: 25). Den Bewertungsaspekt von Emotion machen auch die linguistischen Arbeiten von Sandhöfer-Sixel (1988, 1990) stark. Ihre theoretischen Konzepte wurden im Hinblick auf ein Korpus von zehn vorwiegend natürlichen Gesprächen zwischen Dialektsprechern unterschiedlichen Alters entwickelt, die im Vereinsleben (Stammtischlokale u.ä.) eines kleinen Dorfes aufgezeichnet wurden (vgl. 1988: 71ff.). Sandhöfer-Sixel (1990) vertritt die (angesichts des Befunds der vorliegenden Beurteilungsstudie fragwürdige) Ansicht, dass es keine neutralen oder emotionslosen Sprachäußerungen gebe (ebd.: 274). Im Hinblick auf emotionale Äußerungen spricht sie von „emotionalen Bewertungen“, welche für sie eine „Kategorie der Modalität“ darstellen: Emotionalität im linguistisch relevanten Sinne meint die emotionale Bewertung eines Gegenstands durch den Sprecher und wird als eine Kategorie der M [Modalität] verstanden. M als Ganzes ist die subjektive Stellungnahme eines Sprechers zu einem in P [Proposition] dargestellten Gegenstand, aber auch zu modalen Stellungnahmen selbst. Emotionale Bewertung als modale Kategorie meint die persönliche Anteilnahme des Sprechers an einem Gegenstand (der äußeren und inneren Welt) und umfaßt sowohl Bewertungen des affektiven Typs, mit denen der Sprecher über seine subjektive Befindlichkeit informiert, als auch kognitive Bewertungen, die des Sprechers Beurteilung eines Gegenstandes vor dem Hintergrund eines Wertsystems und mit Hilfe eines bestimmten Wertmaßstabs kundtun (ebd.: 276f). Emotionale Bewertung als Modalität wäre demnach eine „Satzkomponente, die sich grundsätzlich vom propositionalen Gehalt des Satzes unterscheidet“ (ebd.). Unter „subjektiver Stellungnahme“ versteht Sandhöfer-Sixel zum einen die „(hier zu vernachlässigende) Bewertung der Gültigkeit eines Gegenstands durch den Sprecher = Gültigkeitsmodalität (GM)“ und zum anderen „des Sprechers emotionale Bewertung eines Gegenstands = emotionale Modalität (EM)“ (ebd.: 268). Bzgl. der in unserem Zusammenhang interessierenden Kategorie EM unterscheidet Sandhöfer-Sixel zwischen einer „affektiven Komponente mit Erfahrungen des Typs ‚Erregung‘, ‚Lust - Unlust‘“ und einer „kognitiven Komponente mit Etikettierungen positiver und negativer Art“ (ebd.: 268). Zum Typ affektiver Bewertung (vgl. SAB) zählt sie Äußerungen wie Ich bin 2 Sprache, Text und Emotion 41 glücklich, Ich hasse Anna oder Hurra, Anna kommt. Es handele sich dabei um „selbstbeschreibende Urteile, mit denen der Sprecher über seine emotionale Befindlichkeit (möglicherweise, aber nicht notwendigerweise gegenüber einem Gegenstand) informiert“ (ebd.: 29). Die Frage lautet hier: „Wie fühle ich mich? “ Zum Typ kognitiver Bewertung (vgl. VAB) zählt sie Äußerungen wie Das hast du gut gemacht, Anna ist ein schönes Mädchen, Die Hose sitzt nicht richtig oder Das finde ich gut/ super/ irre. Dabei handele es sich um „umweltbeschreibende Urteile, mit denen der Sprecher darüber informiert, wie er einen Gegenstand auf der Basis eines bestimmten Wertsystems und unter Heranziehen eines Wertmaßstabs qualifiziert“ (ebd.: 269). Die Frage lautet hier: „Wie qualifiziere ich einen Gegenstand? “ Die affektive und die kognitive Komponente stellen dabei keine „disjunkten Klassen, sondern Grobbereiche mit gegenseitigen Überschneidungen“ (ebd.: 270) dar. An welcher sprachlichen Einheit die EM festgemacht wird, bleibt allerdings unklar. Einerseits bezieht sich Sandhöfer-Sixel auf ganze Äußerungen, andererseits erwähnt sie als Beispiel für Überschneidungen zwischen den beiden Komponenten Schimpfwörter, also einzelne Lexeme (vgl. ebd.). Sie beschreibt verschiedene Untertypen der beiden Komponenten, zu deren Beschreibung sie die Parameter „Polarität“ und „Intensität“ heranzieht. An Ausdrucksformen eines bestimmten Bewertungstyps unterscheidet sie Evaluatoren wie schlecht und Intensifikatoren wie sehr, sau-, wahnsinnig. 24 „Evaluatoren und Intensifikatoren zusammen bilden die Gruppe der emotionalen Modilisatoren. Emotionale Modilisatoren heißen also alle sprachlichen Mittel, die einen bestimmten Bewertungstyp realisieren oder intensivieren“ (ebd.: 272). Die Untertypen der kognitiven Komponente nennt Sandhöfer-Sixel APPR - DISAPPR. Für APPR etwa stehen Realisationen wie Die Arbeit ist gut, Das Haus ist schön. Sie könnten mit Intensifikatoren des „strong-Bereichs“ wie sehr (gut), wunder-(schön) etc. oder des „weak-Bereichs“ wie ganz (gut), recht (schön) etc. angereichert werden. Bei der affektiven Komponente unterscheidet sie die Untertypen PLEAS - DISPLEAS, ATT - DISATT, SURP sowie INTEREST (vgl. ebd.: 273f.). Konkrete Beispiele fehlen hier und die Abgrenzung ist teilweise unklar. Das grundlegende Problem des Ansatzes von Sandhöfer-Sixel ist der Modalitätsbegriff, auf dem er beruht. Sandhöfer-Sixel versteht die Modalität M als „nicht-P“ bzw. „Minus P“ (vgl. ebd.: 267). Doch worin genau besteht die Proposition P? In Sätzen wie Schön, daß Anna kommt und Ich freue mich über Annas Kommen zählt Sandhöfer-Sixel nur das Referenzobjekt Anna und die Prädikation 24 Vgl. dazu unsere Kategorien Valenzmarker (Kap. IV.2.1.2) bzw. Intensitätsmarker (Kap. IV.1.1.1). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 42 kommzur Proposition (vgl. 1988: 51). 25 Die Lexeme schön und freue versteht sie in solchen Sätzen als modale Aspekte. Diese Einteilung wird allerdings in der neueren Forschung so nicht vorgenommen: Fries (2007: 300) spricht bzgl. Sätzen wie Ich habe seit langem Angst vor der Operation von einer „propositionalen Kodierung von Emotion“. Schwarz-Friesel (vgl. 2013: 181f.) fasst Sätze wie Ich freue mich, dass es Mutti wieder besser geht als Doppelproposition auf, bestehend aus einer Einstellungsproposition EP mit eingebetteter Sachverhaltsproposition (EP = Freuen, Ich (P = Besser Gehen, Mutti)), und rechnet damit die emotionalen Bedeutungselemente in solchen Sätzen ebenfalls zur Proposition. Letztlich spielt es keine Rolle, welche Detailstufe bei der Integration emotionaler Strukturen in die „Proposition“ einer Äußerung angesetzt wird - wenn ein komplementäres Verhältnis von Modalität und Proposition angenommen wird, muss beides systematisch voneinander getrennt werden. Das scheint bei Sandhöfer-Sixel jedoch nicht gewährleistet, wenn sie feststellt, dass „M und P auch mit ein- und demselben Lexem zum Ausdruck gebracht werden können“ (1988: 52) - würde dies doch bedeuten, dass die von ihr beobachtete Emotionalität keine „Modalität“ im Sinne eines Gegenbegriffs zur Proposition darstellt. Was Sandhöfer-Sixel im Grunde meint, formuliert sie folgendermaßen: Entscheidend ist vielmehr das inhaltliche Kriterium, daß ein begrifflicher Inhalt die Bezugsbasis einer modalen Stellungnahme bildet. Die Komponente P wird in dieser Arbeit also in Relation zu M definiert: P umfaßt alle begrifflichen Inhalte, auf die M sich bezieht (Sandhöfer-Sixel 1988: 52). Die „begrifflichen Inhalte“ sind offenbar das, was emotional bewertet wird, d.h. der Gegenstand emotionaler Bewertung (siehe Kap. III.3.2). Sandhöfer-Sixel rechnet Evaluatoren wie schlecht zu den emotionalen Modalisatoren, obwohl schlecht in einem Satz wie Das Essen ist schlecht durchaus Teil der Proposition ist - zumindest, wenn man Proposition mit Sandhöfer-Sixel (vgl. 1988: 51) im Sinne Searles als Einheit aus Referenzobjekt und Prädikation versteht. 26 Wenn Sandhöfer-Sixel im Zusammenhang der Konnotation dann auch noch konstatiert, dass Emotion ein „Phänomen der Inhaltsebene“ (1990: 276) sei, steigert das die Verwirrung weiter. Ein zentrales Anliegen Sandhöfer-Sixels besteht darin, den Modalitätsbegriff in Abgrenzung zum Propositionsbegriff als eine geeignete Kategorie für Emotionalität im linguistischen Sinn zu beschreiben. Angesichts dessen überrascht ihre Aussage, dass „die Art der Realisation von P durch sprachliche Mittel“ in ihrer Arbeit keine Rolle spiele (1988: 52). 25 Sandhöfer-Sixel rechnet beide Beispiele der affektiven Komponente PLEAS zu. Es wäre aber zu fragen, ob das Beispiel „Schön, daß Anna kommt“ nicht zur kognitiven Komponente APPR (Wie qualifiziere ich die Tatsache, dass Anna kommt? ) gezählt werden müsste. 26 „Referring and predicating = performing propositional acts“ (Searle 1969: 24). 3 Gespräch und Emotion 43 Drescher (2003: 44) resümiert bzgl. Sandhöfer-Sixels dichotomischer Unterscheidung treffend: „‚Emotionale Modalität‘ fungiert [...] als Oberbegriff für Bewertungen kognitiver wie affektiver Natur, die sich durch einen jeweils anderen propositionalen Gehalt - Sprecherbefindlichkeit vs. Gegenstand - unterscheiden.“ Anhand dieser Bestimmung wird deutlich, dass der propositionale Gehalt das Unterscheidungskriterium für die von Sandhöfer- Sixel beschriebenen Bewertungstypen darstellt. Dann aber ist die Proposition keine Kategorie, die - wie Sandhöfer-Sixel meint - von sprachlich-kommunikativer Emotionalität abzugrenzen wäre (siehe hierzu auch Kap. IV.2). 27 Insgesamt kann Sandhöfer-Sixels Konzeption einer „emotionalen Modalität“ nicht überzeugen. 28 3 Gespräch und Emotion Die Gesprächsforschung ist ein multidisziplinär geprägtes Feld mit unterschiedlichen methodischen Richtungen. Der amerikanischen Soziologie entstammt bspw. die auf Beobachtung und Dokumentation setzende „ethnomethodologische Konversationsanalyse“, die auch von der Linguistik aufgegriffen und methodisch weiterentwickelt wurde (siehe ausführlich Deppermann 2010). In England entstand Mitte der 80er Jahre die „diskursive Psychologie“ (Potter/ Wetherell 1987; Edwards/ Potter 1992), welche psychologische Phänomene nicht als etwas Innerpsychisches, sondern als Diskursphänomene betrachtet (vgl. Deppermann 2010: 644). Anstatt aus verbalen Daten auf Psychisches zu schließen bzw. mit Hilfe von Annahmen über Psychisches Interaktionshandeln zu erklären, interessiert sich die rhetorisch-diskursfunktional ausgerichteten Ansätzen nahestehende diskursive Psychologie dafür, wie mittels verbaler Thematisierung von Psychischem soziale Handlungen vollzogen werden (vgl. ebd.: 655). Angesichts ihrer jüngsten Entwicklung kann die diskursive Psychologie als eine weniger formalistisch-detailgenaue und stärker auf soziale Wissensbestände und Handlungen bezogene Spielart der Konversationsanalyse verstanden werden (vgl. ebd.: 645). Innerhalb der Linguistik beschäftigen sich z.B. folgende Strömungen mit Gesprächen: die „Dialoggrammatik“ als auf Introspektion und Intuition basierende Weiterentwicklung der Sprechakttheorie; die empirisch orientierte, funktional-pragmatische „Diskursanalyse“; die aus der Germanistischen 27 Schwarz-Friesel (vgl. 2013: 173ff.) etwa widmet der Kategorie „Emotive Satzbedeutung“ und in Verbindung damit dem Stichwort „Proposition“ immerhin ein ganzes Kapitel. 28 Zur Problematik einer modalen Auffassung sprachlicher Emotionalität siehe auch Volek (1977: 126f.). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 44 Linguistik hervorgegangene, empirisch ausgerichtete „Gesprochene-Sprache-Forschung“ bzw. ihre Weiterentwicklung zur linguistischen „Gesprächsanalyse“ bzw. „Konversationsanalyse“ (vgl. Schu 2001: 1013). 29 Gesprächsanalytische Monographien mit Bezug zu Emotionen beziehen sich meist auf bestimmte Gesprächssorten wie z.B. Streitgespräche (Spiegel 1995; Gruber 1996), psychotherapeutische Gespräche (z.B. Käsermann 1995) oder Arzt-Patienten-Gespräche (speziell zur Emotion der Angst siehe Lindemann 2012). 30 Eine größere Bandbreite an Forschungsfragen zur Rolle von Emotionen in der kommunikativen Interaktion decken linguistisch-multidisziplinär ausgerichtete Sammelbände ab wie z.B. Weigand (Hg. 2004), Peräkylä/ Sorjonen (Hgg. 2012) oder Plantin/ Doury/ Traverso (Hgg. 2000). Letztere sind besonders hervorzuheben, weil sie die in solchen Bänden üblicherweise behandelten Aspekte der theoretischen Konzeptualisierung des Verhältnisses von Sprache und Emotion, der emotionalen Ausdrucksmittel und Interaktionsmuster unter Bezugnahme auf die antike Rhetorik perspektivieren und dabei auf unterschiedliche Korpora zurückgreifen. Im Folgenden werden für unsere Untersuchung relevante Aspekte der unmittelbar an unser Forschungsfeld angrenzenden soziolinguistisch perspektivierten Arbeiten von Drescher (2003), Fiehler (1990) sowie die sprachpsychologische Untersuchung von Käsermann (1995) näher vorgestellt und diskutiert. Drescher (2003) befasst sich im Rahmen ihrer konversationsanalytischen Arbeit „Sprachliche Affektivität“ mit der „Darstellung emotionaler Beteiligung“ 31 am Beispiel eines Korpus französischsprachiger Gespräche 32 unterschiedlichen Typs. Ihr Ziel ist, „die emotionale Dimension der Kom- 29 Ausführliche Überblicke finden sich z.B. bei Imo (2013); Brinker u.a. Hgg. (2001). 30 Für einen ausführlichen Forschungsüberblick zu den Gesprächstypen siehe Fiehler (2001: 1434ff.). 31 Von einer „Manifestation der emotionalen Beteiligung“ in Streitgesprächen spricht auch Spiegel (1995: 205ff.). Was die sprachlichen Mittel für Manifestation emotionaler Beteiligung angeht, bedient sie sich der Typologie von Grimm/ Engelkamp (1981), die „subjektive affektive Bewertungen“ (Ich liebe Blumen; Ich finde Blumen schön) von „generalisierten affektiven Bewertungen“ (Blumen sind schön) und „impliziten affektive Bewertungen“ (Köter, Liebling) unterscheiden. 32 Es handelt sich vorwiegend um transkribierte Tonaufnahmen - mehrheitlich aus Interviews, die ein französischer Journalist mit der Mannschaft eines Segelbootes durchführte. Außerdem berücksichtigt werden Aufzeichnungen einer moderierten Diskussion zwischen Journalisten und Politikern im französischen Rundfunk sowie die Aufnahme eines arrangierten Gesprächs zwischen einer jungen Französin und einem etwa gleichaltrigen Afrikaner, die sich im Rahmen eines Seminars an der Universität Bielefeld über ihre Erfahrungen mit den Deutschen unterhalten. Als vierte Komponente wird die Videoaufnahme einer französischen Talkshow mit einbezogen, in der bekannte Schauspielerinnen über das Verhältnis zu ihren Müttern sprechen. Bis auf 3 Gespräch und Emotion 45 munikation sowohl auf mikroals auch auf makrostruktureller Ebene zu untersuchen und ihre Relevanz für zwischenmenschliche Begegnungen herauszustellen“ (ebd.: 3). Es geht ihr zum einen um die diskursiven Verfahren, mit denen Emotionalität signalisiert wird, zum anderen um die interaktionellen Kontexte, in denen sie auftritt. Dabei besteht ein wesentliches Anliegen darin, „eine (kommunikations-) linguistisch handhabbare Konzeptualisierung der Gefühle zu unterbreiten, die zugleich die Interdisziplinarität des Untersuchungsgegenstandes berücksichtigt“ (ebd.). Wie uns geht es Drescher nicht um eine mentalistische „Rekonstruktion der Befindlichkeiten der Interaktanten“, sondern um eine „‚Phänomenologie‘ der emotionalen Kommunikation“ (ebd.), bzw. um die Frage, was auf kommunikativer Ebene als „emotional“ zu gelten hat. Dieser Frage geht sie u.a. im Rahmen einer - in erster Linie auf Wortarten bezogenen - Auswertung französischer Grammatiken auf Kategorien der Affektivität nach, kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass in der Mehrzahl der Fälle „vermutlich keine eineindeutige Form- Funktionszuordnung“ möglich sei (ebd.: 63). Besondere Aufmerksamkeit widmet Drescher den impliziten Formen des nicht-thematischen Emotionsausdrucks, also jenem Bereich, den Fiehler mit seinem auf Thematisierung konzentrierten Ansatz schuldig bleibt (vgl. ebd.: 84). Solche Formen, so Drescher, repräsentierten den weitaus geläufigeren Typ emotionaler Kommunikation (vgl. ebd.: 85). Drescher nimmt an, dass implizite Formen der Darstellung emotionaler Beteiligung „1. konventionell, 2. indexikalisch bzw. kontextsensitiv, 3. dynamisch, 4. weitgehend emotionsunspezifisch“ sind sowie „Verfahrenscharakter“ aufweisen (vgl. ebd. 85). 33 Für uns ist im Zusammenhang mit den in Kap. IV zu beschreibenden sprachlichen Mitteln emotionaler Kommunikation vor allem letzterer Aspekt interessant. Drescher versteht unter „Verfahren […] Formulierungsroutinen, mit denen einzelne sprachliche Mittel in komplexe, interaktiv funktionale Einheiten integriert werden“ (ebd.: 88). „Spezifisch affektive Verfahren“ bündeln und verfestigen einzelne „Formen und Strukturen“, welche „damit als routinisierte Lösungen für die Bearbeitung dieser spezifischen kommunikativen Aufgabe zur Verfügung stehen“ (ebd.: 89). Affektive Verfahren sind also funktional spezifizierte und potentiell äußerungsübergreifende Formulierungsroutinen mit einer spezifischen Gestalt, das Bielefeld-Gespräch handelt es sich um Gespräche, die nicht für wissenschaftliche Zwecke gewonnen wurden. Kritisch anzumerken ist, dass der Interview-Modus eine Gesprächsform darstellt, die von einer stark reglementierten Rollenverteilung zwischen den Interaktionspartnern geprägt ist. Einseitigkeit vor allem bei der Vergabe des Turn-Taking sowie im Bereich des Themenmanagements sind die Folge. 33 Zur Indexikalität und Emotionsunspezifizität sprachlicher Mittel zur Kommunikation emotionaler Bewertung siehe Kap. IV.1. II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 46 die losgelöst von ihrer je einmaligen Verwendung zu beschreiben ist. Es handelt sich um die mikrostrukturellen Bausteine der Darstellung emotionaler Beteiligung, in denen in besonderer Weise der mit dem Darstellungskonzept fokussierte Aspekt der Durchführung greifbar wird, insofern die Annahme spezifisch affektiver Verfahren Antwort gibt auf die Frage nach dem wie, nach der spezifischen Art und Weise, emotionale Beteiligung zu übermitteln (ebd.). Drescher sieht hier eine Parallele zu den rhetorischen Affektfiguren wie z.B. der exclamatio. Sie selbst untersucht leider nur die Interjektionen und die Reduplikationen (z.B. des französischen Intensitätsadverbs très), wobei die Reduplikationen angesichts des Befunds unserer Beurteilungsstudie für die in unserem Untersuchungskorpus vorkommende sprachlich-kommunikative Emotionalität nicht repräsentativ sind. Was jedoch grundlegende Prinzipien der Ausgestaltung solcher Verfahren bzw. der von uns beschriebenen Typologie sprachlicher Mittel betrifft, so spiegeln sich alle vier von Drescher angeführten „interaktionssemantischen Dimensionen der Darstellung emotionaler Beteiligung“ (ebd.: 96ff.) - Evaluation, Intensivierung, Subjektivierung, Veranschaulichung - in Kategorien der vorliegenden Arbeit wider: Der Aspekt der Evaluation bzw. der Bewertungsaspekt von Emotion bildet die Grundlage für unsere anhand der Beurteilungsstudie entwickelte Konzeption sprachlich-kommunikativer Emotionalität (siehe Kap. III.3). Drescher versteht Bewerten als semantische Kategorie. Sie stellt fest, „daß sich die Spezifität der emotionalen Bedeutung bei einer genaueren Betrachtung in andere semantische Kategorien ‚auflöst‘, wobei an erster Stelle die des Bewertens stehen dürfte“ (ebd.: 44). An anderer Stelle hält sie fest: Das Evaluieren bzw. Bewerten ist wohl die wichtigste semantische Dimension im Zusammenhang mit der Darstellung emotionaler Beteiligung. Darauf deuten nicht nur die Frequenz von Bewertungen in den untersuchten Daten hin, sondern auch die Konstanz, mit der diese Dimension im Zusammenhang mit der Beschreibung des sprachlichen Gefühlsausdrucks Erwähnung findet. Bewertungen kann man als den sprachlichen Ausdruck einer auf einer positiv-negativ-Dimension einzuordnenden Haltung eines Individuums gegenüber einem Objekt auffassen. Für Bewertungen wie für Emotionen ist also die subjektive Anteilnahme des Sprechers konstitutiv. In beiden Fällen kommt ein Bezogensein des Sprechers auf etwas, sein Interesse an einem Objekt, einer Person, einem Sachverhalt etc. zum Ausdruck, wobei in der Regel eine Präferenz erkennbar wird (ebd.: 98). Auf das, was Drescher als „positiv-negativ-Dimension“ der „Haltung eines Individuums gegenüber einem Objekt“ bezeichnet, wird in Kap. III.3 zurückzukommen sein. Der Aspekt der Intensivierung findet sich bei uns im Emotions-Indikator des Intensitätsmarkers (siehe Kap. IV.1.1.1), dem Aspekt der Subjektivierung 3 Gespräch und Emotion 47 entspricht die bei der Realisationsvariante VAB beobachtbare „Subjektivitätsformel“ (siehe Kap. IV.2.1.2), und dem Aspekt der Veranschaulichung entsprechen bei uns gewisse Muster zur Insinuation emotionaler Konvergenz beim Gesprächspartner (siehe Kap. VI.2.4.1.1). Wenngleich zu bemängeln ist, dass Drescher ihre theoretischen Überlegungen deutlich zu wenig durch Korpus-Beispiele illustriert - dies hat zur Folge, dass an vielen Stellen offen bleibt, auf welche sprachlichen Phänomene sie sich genau bezieht -, so liefert ihre Arbeit dennoch insgesamt einen hervorragenden Ansatz zur Theorie sprachlicher Affektivität in kommunikativer Interaktion. Ein besonderes Verdienst stellt dabei ihr Konzept einer „affektiven Synchronisation“ der Interaktanten dar, worunter sie „eine Übernahme bzw. Angleichung der unterschiedlichen Erlebensperspektiven“ versteht (ebd.: 130). Durch affektive Synchronisation kann es zu dem […] Gefühl des Einsseins mit anderen kommen, das auf dem Eindruck eines Individuums beruht, mit allen anderen identifiziert zu sein, weil die bei anderen hervorgerufenen Reaktionen mit der eigenen Reaktion praktisch identisch sind (ebd.). Zu bemängeln ist - wie gesagt -, dass sie ihre theoretischen Überlegungen nicht unmittelbar durch Korpus-Beispiele veranschaulicht. So bleibt an vielen Stellen offen, auf welche sprachlichen Phänomene sie sich genau bezieht. Das Konzept der affektiven Synchronisation ist eng verwandt mit unserem Konzept der emotionalen Konvergenz, welches im Rahmen der Erzeugung von Sympathie als einer wichtigen emotionalrhetorischen Strategie eine Rolle spielt (siehe Kap. VI.2). Während Ersteres die Gefühlskomponente von Emotion betont, unterstreicht Letzteres deren Bewertungskomponente. Die soziolinguistische Arbeit von Fiehler (1990; vgl. auch 2001, 2008) mit dem Titel „Kommunikation und Emotion“ kann bis heute als das deutschsprachige Standardwerk zur emotionalen Kommunikation betrachtet werden. Auch über zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buches wird es regelmäßig zitiert - scheinbar gibt es, einmal abgesehen von kognitionslinguistischen Werken zum Verhältnis von Sprache und Emotion (Schwarz- Friesel 2013), keine aktuelleren Forschungserkenntnisse zu diesem Thema. Das ist umso erstaunlicher, als die Arbeit von Fiehler (1990) etliche konzeptuelle Schwachstellen aufweist, auf die in der Folge hingewiesen werden soll. Fiehler (1990) untersucht die Rolle der Emotionen in der mündlichen verbalen Interaktion aus diskursanalytischer Perspektive. Dabei geht es ihm nicht primär darum, „bestimmte theoretische und methodische Positionen zu exemplifizieren und ihre Möglichkeiten und Grenzen zu diskutieren“, sondern darum, „einen Gegenstandsbereich unter Zuhilfenahme verschiedener Konzepte ansatzweise zu theoretisieren“ (ebd.: 7). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 48 Die Emotionen interessieren Fiehler als „sozial verfasste Phänomene“, die „Normen unterliegen und sozial geregelt sind“ (ebd.: 2). Sie erfüllen für ihn die Funktion einer „bewertenden Stellungnahme“, stellen „ein spezifisches Verfahren und eine spezifische Form der Bewertung“ dar (ebd.: 45). 34 In der Bewertung sieht Fiehler gar eine grundlegende Funktion von Kommunikation: Die Konzeptualisierung des Kommunikationsprozesses hat zum Ziel, der Kommunikation von Emotionen einen systematischen Ort zuzuweisen und sie nicht nur als periphere bzw. additive Erscheinung zu verstehen. Dies geschieht, indem Kommunikation aufgefaßt wird als Einheit aus einem behandelten Thema und dem wechselseitigen Austausch von Bewertungen. Damit wird Kommunikation nicht monofunktional bestimmt - z.B. als Austausch von Information -, sondern es werden zwei grundsätzlich gleichrangige Funktionen von Kommunikation angenommen. Die Kommunikation von Emotionen läßt sich dann einordnen als eine spezifische Form der Kommunikation von Bewertungen (ebd.: 6). Die Ansicht, dass Emotionen spezifische Formen von Bewertungen darstellen, wird auch in der vorliegenden Arbeit vertreten. Allerdings wäre bzgl. der von Fiehler angenommenen, offensichtlich am Organonmodell von Bühler (1934) orientierten zwei gleichrangigen Funktionen von Kommunikation zu fragen, weshalb hier die dritte, für die Rhetorik maßgebliche Sprachfunktion (Appell) neben Informieren (Darstellung) und Bewerten (Ausdruck) keine Erwähnung findet. Als „Definition des Begriffs Emotion“ (ebd.: 62) führt Fiehler eine Liste von 15 Aussagen über Emotionen an, welche er als „Komponenten einer interaktiven Konzeptualisierung von Emotionen“ (IK) betitelt. Um Fiehlers Emotionskonzept zu kondensieren, können die entsprechenden Komponenten anhand der Original-Zitate aus Fiehler (1990) unter Beibehaltung ihrer Reihenfolge wie folgt zusammengefasst werden: Emotionen sind „primär als interaktive Phänomene“ relevant, werden als „etwas Öffentliches“ betrachtet, können, müssen aber nicht „Emotionsmanifestationen in der Interaktion“ zugrunde liegen, und sind für die Interaktionsbeteiligten mit spezifischen Aufgaben verbunden. Ihre Konstitution ist eine „regelhafte und geregelte Leistung von Personen“, sie „erfüllen primär die Funktion einer bewertenden Stellungnahme“, sind „geregelt“, „werden in der Interaktion kommuniziert“ und können, sofern interaktionsrelevant manifestiert, „interaktiv prozessiert werden“. Darüber hinaus sind sie als „eine spezifische 34 Diesen Zusammenhang zwischen Emotion und Bewertung macht in Bezug auf Sprache auch Jahr (2000a) explizit stark. Sie setzt sich äußerst ausführlich mit de zwischen beiden Konzepten auseinander (siehe ebd.: 66ff.). 3 Gespräch und Emotion 49 Form des Erlebens“ beschreibbar. Es handelt sich um „dynamische Erscheinungen“, die „individuell wie interaktiv […] regulierbar“ sind (vgl. ebd.: 44f.). 35 Die Vielfalt der Facetten seiner Konzeptualisierung von Emotion spiegelt Fiehlers Arbeit durchaus wider, leider mangelt es ihr jedoch - wie auch der Definition - an Übersichtlichkeit und an der Formulierung trennscharfer Kategorien. Herausgegriffen werden sollen im Folgenden zwei Punkte, die von genereller Bedeutung für emotionale Interaktion sind. Der erste Punkt bezieht sich auf den Aspekt der „Regelhaftigkeit“, welcher in den von Fiehler formulierten, im Kern auf Ekman/ Friesen (1969) und Hochschild (1979) zurückgehenden „Gefühlsregeln“ greifbar wird. 36 Fiehler unterscheidet folgende Regeltypen (vgl. 1990: 77ff.): 1. Emotionsregeln (= feeling rules): kodifizieren, welches Gefühl für einen bestimmten Situationstyp angemessen und sozial erwartbar ist 2. Manifestationsregeln (= display rules): kodifizieren, in welcher Situation welches Gefühl zum Ausdruck gebracht werden darf oder muss 3. Korrespondenzregeln: kodifizieren, welche korrespondierende Emotion X zu empfinden und/ oder zu manifestieren ist, wenn gedeutet wird, dass der Interaktionspartner eine Emotion Y hat 4. Kodierungsregeln: kodifizieren, welche Verhaltensweisen als Manifestation einer bestimmten Emotion gelten Diese Regeln sind konstitutiv für die mit Emotionen verbundenen kommunikativen Prozesse - den zweiten herauszugreifenden Punkt -, welche Fiehler anhand der drei Kommunikationsaufgaben Manifestation von Emotionen, Deutung von Emotionen und interaktiver Prozessierung von Emotionen beschreibt (vgl. ebd.: 95f.). Für uns sind vor allem die Aspekte der Manifestation und Prozessierung interessant. Bei der Manifestation unterscheidet Fiehler zwischen „Ausdruck“ und „Thematisierung“ von Emotion, wobei er unter „Emotionsausdruck“ alle „Verhaltensweisen im Rahmen einer Interaktion“ versteht, „die im Bewußtsein, daß sie mit Emotionen zusammenhängen, in interaktionsrelevanter Weise manifestiert und/ oder so gedeutet werden“ (ebd.: 100). Unter der „verbalen Thematisierung emotionalen Erlebens“ hingegen versteht er „alle Verfahren und sprachlichen Mittel, eigene oder fremde, gegenwärtige, vergangene oder zukünftige emotionale Befindlichkeit bzw. Vermutungen über 35 Die letzten drei, hier nicht aufgeführten Punkte der IK - „Erleben wird in der Interaktion auf verschiedenen Stufen der Konkretisierung manifestiert, bis hin zu abgrenzbaren Emotionen“, „Relevant sind nur Emotionen, die im Prinzip berichtbar bzw. erfragbar sind“ und „Es gibt interindividuelle Unterschiede hinsichtlich Emotion“ (ebd.) - charakterisieren den Begriff „Emotion“ als solchen nicht näher. 36 Ekman/ Friesen (vgl. 1969: 75) unterscheiden fünf „display rules“: Deintensivierung, Intensivierung, Simulation, Neutralisierung und Maskierung. Hochschild (1979: 563ff.) spricht von „feeling rules“ („what I should feel“). Zu den Gefühlsregeln im Zusammenhang mit der Philosophie Adam Smiths siehe auch Gibbard (2005). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 50 ein solches emotionales Erleben nach Art und Intensität einem anderen verbal zu vermitteln“ (ebd.: 114). Diese beiden Bestimmungen sind allein schon deswegen problematisch, weil Letztere unter Erstere subsumiert werden kann: Die verbale Vermittlung einer Emotion „nach Art und Intensität“ stellt durchaus eine Verhaltensweise dar, die im Bewusstsein, dass sie mit Emotionen zusammenhängt, manifestiert werden kann. Auch kann es keine Bedingung für emotionsausdrückende Verhaltensweisen sein, dass sich die Kommunikatoren darüber „bewusst“ sind, dass diese Verhaltensweisen „mit Emotionen zusammenhängen“. Zu Recht zählt Fiehler neben einem in kommunikativer Absicht produzierten Emotionsausdruck auch einen sich unwillkürlich, d.h. ohne kommunikative Absicht „ereignenden“ Emotionsausdruck zu der Kategorie „Ausdruck“ (vgl. ebd.: 102) - ein Emotionsausdruck kann demnach auch reflexhaft-unbewusst zustande kommen. 37 Leider grenzt Fiehler seine Analyse jedoch auf Emotionen ein, die den Beteiligten bewusst sind (vgl. ebd.: 8) bzw. auf eine Form von Emotionalität, über die diese „zumindest im Grundsatz sprechen könnten“ (ebd.). Der Möglichkeit subliminal auftretender Emotionen - nicht immer dringen sie uns ins Bewusstsein -, trägt er damit freilich keine Rechnung. 38 Bei der Kategorie „Thematisierung“ unterscheidet Fiehler (vgl. ebd.: 115ff.): (1) begriffliche Erlebens- und Emotionsbenennungen, (2) Erlebens- und Emotionsbeschreibungen, (3) Benennung/ Beschreibung erlebensrelevanter Ereignisse / Sachverhalte und (4) Beschreibung/ Erzählung der situativen Umstände eines Erlebens. Zu (1) zählt er Äußerungen wie Ich bin ärgerlich. Zu dem Beispiel Das ist ja ekelhaft bemerkt er, dass ohne Einbezug des Kontexts nicht geklärt werden könne, ob es sich um eine Erlebensbenennung oder um eine Bewertung handele (vgl. ebd.: 118). Die Bemerkung ist insofern nicht nachvollziehbar, als Emotion nach Fiehlers eigener Aussage sowohl eine „spezifische Form der Bewertung“ als auch eine „spezifische Form des Erlebens“ ist (ebd.: 45). Im Rahmen unserer Typologie sprachlicher Mittel wären beide Beispiele zu den emotional bewertenden Äußerungen zu zählen (Ersteres zur expliziten Realisationsvariante SAB, Letzteres zur expliziten Realisationsvariante VAB, 37 Fiehlers Ausführungen hierzu sind einigermaßen verwirrend und beinhalten kontraintuitive Einstufungen von Äußerungen wie Ich bin wütend als nicht emotionsausdrückend (vgl. ebd.: 104f.; siehe hierzu Kap. IV.3). 38 Aus rhetorischer Perspektive ist anzumerken, dass bei einem Adressaten, der sich jeder seiner emotionalen Regungen bewusst wäre, mit stark erhöhtem kognitiven Widerstand zu rechnen wäre. 3 Gespräch und Emotion 51 siehe Kap. IV.2.1), d.h. zu einer Kategorie, die in der vorliegenden Arbeit systematisch von „emotionsthematisierenden“ (meta-emotionalen) Äußerungen unterschieden wird (zur Terminologie siehe Kap. III.3.1, Kap. IV.3). Unter (2) versteht Fiehler Äußerungen wie Ich fühlte mich deprimiert, was in unserer Typologie den meta-emotionalen Äußerungen (speziell der vergangenheitsbezogenen Variante) entspricht (siehe Kap. IV.3). Zu (3) rechnet Fiehler Äußerungen wie Mein Hund ist gestern überfahren worden. Dies entspricht in unserer Typologie den impliziten emotionalen Bewertungen (GAB) (siehe Kap. IV.2.2). Was Fiehler unter (4) versteht, ist aufgrund des Fehlens repräsentativer Beispiele nicht klar. Diese Kategorie scheint jedoch einer Mischung aus dem zu entsprechen, was in unserem Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung unter den auf der Textebene angesiedelten Insinuationsmustern „Deskriptive Elaboration“ (DE) bzw. „Narrative Krisis“ (NK) zu verstehen ist (siehe Kap. VI.2.4.1.1). Bei der oben erwähnten Kommunikationsaufgabe Prozessierung von Emotionen unterscheidet Fiehler (vgl. ebd.: 149) die Prozessierungsstrategien Eingehen (Zeigen von Anteilnahme), Hinterfragen (Problematisierung der Angemessenheit der vom Interaktionspartner manifestierten Emotion), Infragestellen (Nichtakzeptanz der vom Interaktionspartner manifestierten Emotion) und Ignorieren (offensichtliches Vermeiden eines Eingehens auf die vom Interaktionspartner manifestierte Emotion). Die für unser Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung zentralen Phänomene emotionaler Konvergenz bzw. Divergenz zwischen zwei Gesprächspartnern lassen sich mit diesen Prozessierungsstrategien allerdings nicht angemessen beschreiben, weil Letztere zu wenig auf den Bewertungscharakter emotionaler Kommunikation bzw. zu sehr auf das „Reden über Emotionen“ abheben. Am ehesten sind noch - wenngleich in einem eher allgemeinen Sinne - Konzepte wie das „Divergenzmuster“ (ebd.: 156ff.), das „Anteilnahmemuster“ (ebd.: 150ff.) und das „Muster der Bewertungsteilung“ (ebd.: 221ff.) für unser Modell anschlussfähig, auf welche Fiehler teils im Zusammenhang der Prozessierungsstrategien, teils im Zusammenhang abschließender empirischer Analysen 39 eingeht (siehe Kap. VI.2.2 und VI.2.3). Fiehler (vgl. ebd.: 189ff.) führt folgende auf sechs Fragen beruhende „Methodik der Emotionsanalyse“ für aufgezeichnete bzw. transkribierte kommunikative Interaktionen an: 1. Was wird von den Interaktionspartnern an Emotionen und Emotionsdeutungen thematisiert (Erlebensbenennungen, -beschreibungen)? 39 Fiehler zieht 13 Transkripte unterschiedlichster Gesprächstypen heran (z.B. Fernsehstreitgespräche, psychotherapeutische Gespräche). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 52 2. Welche Emotionen können bei den Interaktionspartnern in der gegebenen Situation eine Rolle spielen? (durch den Analysanden auf der Grundlage von Empathie zu vergegenwärtigen) 3. Durch welche Indikatoren drücken sich Emotionen und Emotionsdeutungen in der Interaktion aus? (Konzentration auf besonders ‚emotionale‘ Stellen) 4. Wie modifizieren die unterstellten Emotionen das kommunikative Verhalten innerhalb der ausgewählten Sequenzen und wie modifizieren diese Äußerungen wiederum die Emotionslagen der beteiligten Personen? 5. Ausweitung von Schritt 3 und 4 auf die gesamte Interaktion 6. Sind in der Interaktion Realisierungen bekannter kommunikativer Muster der interaktiven Emotionsprozessierung zu finden? Für unseren rhetorischen Blick auf Emotionalität in Gesprächen ist diese Methodik zu unspezifisch. Für die vorliegende Untersuchung wurde eine eigene Methode zur Identifikation von strategischen Aspekten emotionaler Gesprächsprozesse entwickelt (siehe Kapitel III.4). Abschließend sei kritisch angemerkt, dass Fiehler, wenngleich er bei den empirischen Analysen auf Korpusmaterial zurückgreift, im konzeptionellen Teil mit introspektiv gewonnenen Beispielsätzen arbeitet, welche nicht unbedingt typische Merkmale des ihn interessierenden mündlichen Diskurses aufweisen. 40 Die Untersuchung von Käsermann (1995) ist zwar nicht diskursanalytisch bzw. linguistisch-qualitativ, sondern sprachpsychologisch-quantitativ perspektiviert, doch ihr bereits im Titel anklingender Anspruch, „Emotion im Gespräch“ unter dem Aspekt von „Auslösung und Wirkung“ zu analysieren, erscheint auf den ersten Blick für eine rhetorikwissenschaftliche Arbeit zum Thema durchaus interessant. Bei genauerer Betrachtung stellt sich freilich heraus, dass sich Käsermanns Arbeit auf die Frage beschränkt, inwiefern sich Gesprächsereignisse, die von einem Teilnehmer als unerwartet interpretiert werden, auf diesen emotionalisierend auswirken. Zu diesem Zweck untersucht sie den Zusammenhang zwischen nicht-emotionalen Stimuli, z.B. Problemen beim Sprecherwechsel sowie inhaltlichen Missverständnissen, und dem Auftreten emotionaler Reaktionen. Emotionalisierung nimmt sie letztlich als einen Effekt mangelnder Kooperativität des Gesprächspartners in den Blick (vgl. ebd.: 194). 40 Dasselbe ist bei Turgay (2012) zu kritisieren. 3 Gespräch und Emotion 53 Käsermanns Untersuchung bezieht sich auf neun Gespräche zwischen jeweils einem Therapeuten und einem Klienten. 41 Als Indikatoren für Emotionalisierung zieht sie physiologische Messungen (Fingerpulsvolumen) sowie Urteile über die globale „Gesprächsgüte“ heran. Verbale Indikatoren (emotionale Textstrukturen) werden nicht berücksichtigt, da diese lediglich durch Intuition definierbar seien (vgl. ebd.: 95); Emotionsvokabular spielt in der Untersuchung - wie Käsermann betont - keine Rolle (vgl. ebd.: 197). Käsermanns Analyse operiert mit funktionalen Dreiersequenzen von Gesprächsbeiträgen A1-B1-A2, wobei A1 als Interpretationsangebot von Sprecher A betrachtet wird und Sprecher B dieses Angebot in B1 interpretiert. Falls im Ablauf der Sequenz etwas Unerwartetes geschieht oder Sprecher A sich missverstanden fühlt, kann er dies in A2 korrigieren (vgl. ebd.: 65f.). Problematisch ist dabei Käsermanns Annahme eines „emotionalisierungsneutralen unbehinderten, reibungslosen“ Ablaufs (ebd.: 193), von dem aus die Abweichung („das Unerwartete“) definiert wird. Denn die Tatsache, dass es nicht zu Missverständnissen oder Problemen beim Sprecherwechsel kommt, bedeutet noch lange nicht, dass ein Gespräch „emotionalisierungsneutral“ verläuft. Käsermann resümiert bzgl. ihrer Untersuchung von entsprechenden Dialogausschnitten etwas lapidar erstens, dass aktuelle Emotionalisierungen kommunikativ bedingt sind, und zweitens, dass aus Merkmalen der Emotionalisierung auf kommunikative Erwartungen geschlossen werden kann, die Voraussetzung oder Mediatoren dafür bilden, dass ein Betroffener ein bestimmtes, potentiell unerwartetes Ereignisses [sic! ] tatsächlich als emotionalisierende Abweichung interpretiert (ebd.). Am Ende stellt sie fest, dass sich die Ergebnisse der Arbeit bescheiden ausnähmen. Sie sagten weder etwas über die Entstehung sogenannter „großer“ Emotionen aus, noch darüber ob „die erfasste Emotionalisierung wenigstens positiv oder negativ getönt“ sei. Auch „Vorstellungen über die mögliche Funktion einer so verstandenen Emotionalisierung“ fehlten. Damit stelle sich die Frage, „ob die vorliegende Arbeit denn überhaupt etwas mit den üblichen Gegenständen emotionspsychologischer Überlegungen zu tun“ habe (ebd.: 197). Zweifellos wäre es auch im Rahmen einer sprachpsychologischen Arbeit mit dem Titel „Emotion im Gespräch“ sinnvoll gewesen, verbale Emotionsindikatoren bei der Analyse nicht gänzlich auszublenden. 41 Bei einem für ihre Untersuchung zentralen Gespräch übernahm Käsermann selbst die Therapeutenrolle. Sie bemerkt dazu, dass sie bemüht gewesen sei, trotz gezielter Stimulusproduktion den Charakter eines „natürlichen“ Gesprächs nicht zu zerstören. Es sei allerdings schwierig, am Gespräch teilzunehmen und gleichzeitig als Beobachter quasi-experimentell zu intervenieren (vgl. ebd. 98). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 54 4 Gesprächsrhetorik und Emotion In der Gesprächsforschung sind genuin rhetorische Ansätze bislang noch stark unterrepräsentiert. Bis auf Kallmeyer (Hg. 1996) und Knape (Hg. 2009) wurden bis dato noch keine systematischen Anläufe unternommen, eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung des Verhältnisses von Rhetorik und Gespräch in Theorie und Praxis anzustoßen. 42 Zwar gibt es Versuche, den Persuasionsbegriff dialoggrammatisch zu erschließen (Ortak 2004) oder rhetorisch-stilistische Aspekte in gesprächslinguistische Untersuchungen mit einfließen zu lassen (siehe Überblick bei Gansel 2009). Auch entstanden im Rahmen des Tübinger Courtshiprhetorik-Projektes, dessen Datenmaterial auch die vorliegende Untersuchung nutzt, bereits zwei Untersuchungen zu allgemeinen strategischen Aspekten (Becker 2009) bzw. zu Argumentationsstrategien (Guhr 2008) in Partnerwerbungsgesprächen. Jedoch existiert bislang noch keine spezifisch rhetorische Variante von Gesprächsanalyse, die etwa den Einsatz unterschiedlicher Überzeugungsmittel (rational-argumentative; emotionale; auf das Redner-Image bezogene) methodisch-integrativ berücksichtigt. Dies liegt vor allem daran, dass sich die antiken Rhetoriker weitestgehend auf die monologische Rede beschränkten. Gespräche rückten hier im Rahmen der Dialektik als einer der Wahrheitsfindung dienenden Kunst argumentierender Wechselrede in den Blick. Aristoteles betrachtet die Rhetorik als Gegenstück zur Dialektik. Er definiert sie „als Fähigkeit [...], das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen“ (Arist. Rhet. I,1,1; Übers. n. Krapinger) und grenzt sie damit zugleich im Sinne einer lediglich auf Wahrscheinlichkeiten gründenden Kunst von der Dialektik ab. Insgesamt finden sich bei den antiken Rhetorikern nur wenige kurze Bemerkungen zum Gespräch, die meist mit einem Verweis auf die dialektische Methode verbunden sind (vgl. Knape 2009a, 14f.). 43 Aus der Sicht moderner Gesprächsforschung stellen philosophische Streitgespräche - wie „rhetorikfrei“ sie auch immer sein mögen - nur eine von vielen Gesprächssorten dar. Gegenstand rhetorikwissenschaftlicher Untersuchung können neben institutionell-formellen Gesprächssorten wie z.B. Schlichtungsgesprächen selbstverständlich auch informelle Alltagsgespräche sein, sofern hier Überzeugungsvorgänge stattfinden. Ein früher wissenschaftlicher Versuch zur Gesprächsrhetorik findet sich bei Morel (1983). Sie versucht die im Hinblick auf monologische Rede ent- 42 Populärwissenschaftliche Rhetorik-Ratgeber mit Bezug zur Kommunikationsform des Gesprächs wie z.B. Hartig (1988) oder Versuche, solche Ratgeber wissenschaftlich aufzubereiten (Blumenthal 1985), werden durch die vorliegende Arbeit nicht berücksichtigt. 43 Zur einer historischen Einordnung der Gesprächsrhetorik siehe auch Geißner (1996). 4 Gesprächsrhetorik und Emotion 55 wickelte Rhetorik-Systematik ansatzweise auf Gespräche zu übertragen, indem sie ein Korpus aus spontanen Alltagsgesprächen zwischen einander bekannten Personen sowie aus Fernsehbzw. Rundfunk-Interviews und -Debatten auf rhetorisch-argumentative Stilmittel hin untersucht. Kallmeyer (1996: 10) kritisiert zu Recht solche vom monologischen Modus her denkende und eloquenzrhetorisch verzerrten Ansätze: Für gesprächsrhetorische Ansätze reiche es nicht aus, Formulierungsleistungen zu beschreiben, sondern es komme darauf an, „den gesprächsanalytischen Zugriff auf die klassisch-rhetorischen Gegenstände anzuwenden und neuartige Gegenstandsaspekte […] einzubeziehen“. Sein eigenes Konzept einer Gesprächsrhetorik konturiert er folgendermaßen: Gesprächsrhetorik konzentriert sich also auf die praktisch-rhetorischen Probleme beim sprachlichen Handeln unter Interaktionsbedingungen. Auch wenn die Beteiligten in der Interaktion keine Gelegenheit haben, große Reden zu halten, gestalten sie ihre Beiträge rhetorisch. Diese Eigenschaft wird vor allem bei komplexen Äußerungen sichtbar, ist aber im Kern unabhängig von der Länge des Redebeitrags. Auf eine Formel gebracht, geht es um ‚rhetorische Verfahren in interaktiven Prozessen‘. Die einzelnen Züge des individuellen Handelns in der Interaktion bringen Chancen und Gefahren für die Durchsetzung der eigenen Interessen und die weitere Interaktionsentwicklung mit sich. Die rhetorische Analyse trägt dem durch die Darstellung von rhetorischen Potentialen sprachlicher Verfahren unter bestimmten Kontextbedingungen Rechnung, wobei die rhetorischen Potentiale durch Chancen und Risiken des Handelns verdeutlicht und Handlungsalternativen aufgezeigt werden. Mit der Darstellung von Chancen und Risiken ist kein normativer Anspruch verbunden. Die Gesprächsrhetorik ist deskriptiv. Die Beschreibung soll zwar Grundlagen für sprach- und kommunikationskritische Betrachtungen liefern, aber primär ist die Darstellung auf die faktische Kommunikationspraxis gerichtet, d.h. die tatsächlich verwendeten Verfahren der Beeinflussung in der Problem- und Konfliktbearbeitung und ihre Wirksamkeit (ebd.: 10f.). Wenngleich Kallmeyer seinen Rhetorik-Begriff etwas zu sehr auf Konfliktbearbeitung verengt - im Zentrum stehen bei ihm Versuche der Sprecher, „sich durchzusetzen, sich in Auseinandersetzungen zu behaupten, recht zu behalten und plausibel und suggestiv Sachverhalte darzustellen“ (ebd.: 7; siehe auch Kallmeyer/ Schmitt 1996) -, liegt er in epistemologischer Hinsicht richtig: Eine Wissenschaft der Gesprächsrhetorik muss im Grundsatz empirisch, d.h. nicht-normativ ausgerichtet sein, weil sie sich ansonsten in unwissenschaftlichem Ideologismus verliert. Wenn das in der vorliegenden Untersuchung entwickelte Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung ein deskriptives Modell darstellt, welches Handlungsoptionen beschreibt und entsprechende Chancen und Risiken aufzeigt, dann ist letzterer Aspekt nicht im Sinne eines normativen Anspruchs, sondern allenfalls im Sinne eines Beitrags zur Normendiskussion zu verstehen (siehe auch Kap. V.2). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 56 Angesichts der Tatsache, dass gesprächsrhetorische Ansätze in der rhetorikwissenschaftlichen Forschung bislang insgesamt noch deutlich unterrepräsentiert sind, verwundert es kaum, dass eingehende Untersuchungen zur emotionalen Rhetorik in Gesprächen bislang noch ein Desiderat darstellen. Ein gewisser Versuch findet sich immerhin in dem auf die antike Rhetorik Bezug nehmenden sprachwissenschaftlichen Sammelband zur Emotion in der Interaktion von Plantin/ Doury/ Traverso (2000), doch rhetorikwissenschaftliche Theoriebildung im engeren Sinne kann und muss die Linguistik natürlich nicht leisten. Ein genuin rhetorikwissenschaftliches Fundament rhetorischer Gesprächsbetrachtung entwickelt Knape (2009a). Seine Konzeptualisierung von Gesprächrhetorik dient unserer Arbeit als Ausgangspunkt, weil sie eine systematische Anknüpfungsmöglichkeit für rhetorische Theoriebildung zur Rolle von Emotionen in Gesprächen beinhaltet. Ausgehend von Platons Bestimmung der Rhetorik als Psychagogie (Seelenlenkung) versteht Knape unter Rhetorik in der kommunikativen Praxis allgemein die „Beherrschung erfolgsorientierter strategischer Kommunikationsverfahren“ (Knape 2000a: 33) durch einen Orator, d.h. durch einen auf Persuasion (lat. persuasio; dt. Überzeugung) abzielenden, handlungsmächtig eingestellten und aktiv hervortretenden strategischen Kommunikator (vgl. Knape 2009a: 16; 2000a: 33ff.). Mit Persuasion wird dabei struktural der Wechsel von einem mentalen Zustand in einen anderen bezeichnet, der bei Menschen als erwünschte Reaktion auf kalkulierte, Widerstand umgehende oder überwindende rhetorische Handlungen eintritt. Dies wird meistens als das eigentliche Erfolgsziel rhetorischer, also strategischkommunikativer Praxis angesehen. Im weiteren Sinn versteht man unter P. auch den gesamten vom Kommunikator initiierten Überzeugungsvorgang mit dem Ziel, bei anderen einen Standpunktwechsel herbeizuführen (Knape 2003: 874; vgl. Schmohl 2016: 430f.). Die Theorie der allgemeinen Rhetorik ist damit gewissermaßen eine Theorie des Herbeiführens von Standpunktwechseln. Dabei interessiert sie sich nicht für den Kommunikator in Hinblick auf seine Rolle als Mitspieler im Konzert der kommunikativen Welt, sondern in Hinblick auf seine Rolle als Solist oder Dirigent, falls er den Taktstock ergreifen sollte. Sie ist mithin keine allgemeine Kommunikationstheorie, sondern eine spezielle. Ihre Perspektive ist ausschließlich die strategische Kommunikation des Menschen (Knape 2000a: 34). Demnach kommt es für den Rhetoriker, auch in Gesprächen, „auf seine Zentralperspektive an, die strategisch von kommunikativen Zielsetzungen und handlungstheoretisch von Steuerungsprämissen her denkt“ bzw. Fragen der „kommunikativen Effizienz und des Erfolgs“ in den Blick nimmt 4 Gesprächsrhetorik und Emotion 57 (Knape 2009a: 24). Besonders hervorzuheben ist dabei der Aspekt des Aptums (Angemessenheit), der sich auf die Notwendigkeit der Situations- und Zieladäquanz oratorischen Kalküls bezieht. Knape grenzt die monologische Rede systematisch vom Gespräch ab. Die folgende Tabelle fasst wesentliche Unterscheidungsmerkmale zusammen (vgl. ebd.: 16ff.): Rede Gespräch Performanzmodell Monologisch: unidirektionale, kontinuierliche Ansprache von Adressaten durch einen Orator Dialogisch: poly- oder bidirektionale, diskontinuierliche (Turn-Taking), wechselseitig auf einander bezogene kommunikative Interaktion zwischen mindestens zwei Oratoren, die funktional als aktive Gegenoratoren zu betrachten sind Setting Kommunikative Rahmenbedingungen, die kein spontanes Turn- Taking vorsehen Kommunikative Rahmenbedingungen, die Turn-Taking vorsehen Textmerkmale Auf nur einen (evtl. kollektiven) Orator als Urheber und seine Strategie beziehbare Kohäsionsu. Kohärenzmerkmale Auf mindestens zwei Oratoren und ihre Strategien beziehbare Kohäsions- und Kohärenzmerkmale des Gesamttextes Abb. 2: Unterscheidungsmerkmale von Rede und Gespräch nach Knape (2009a) In terminologischer Hinsicht ist anzumerken, dass trotz funktionaler Konzipierung von Gesprächspartnern als „aktive Gegenoratoren“ der einzelne Gesprächsorator seinen Interaktionspartner als „Adressat“ seines strategischen kommunikativen Handelns betrachtet - allerdings eben nicht im Sinne eines passiven Zuhörers, sondern in der Funktion eines aktiven, Gegenrede produzierenden Kommunikationspartners. Dementsprechend wird der Gesprächspartner des Orators in unserer Arbeit nicht als „Gegenorator“, sondern als „Adressat“ bezeichnet, wobei prinzipiell angenommen wird, dass dieser eigene kommunikative Strategien verfolgt. Situativität bzw. Face-to-Face-Kommunikation ist für Gespräche konstitutiv (vgl. ebd.: 17). Sekundärmediale (intersemiotisch komplexe) Kommunikationstypen wie z.B. kommunikative Interaktion per Telefon (Stimme, II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 58 Sprache) oder Videokonferenzen (Stimme, Sprache, Bilder) stellen medialisierte, dimissive Reduktionsstufen des Gesprächs dar. 44 Im Fall tertiärmedialer (unisemiotischer) Kommunikation wie z.B. schriftlicher Distanzkommunikation liegt hingegen kein Gespräch vor (bzgl. Chats etwa kann allenfalls von der Simulation eines Gesprächs die Rede sein). In anderen Arbeiten wird für Gespräche oft das Kriterium der Mündlichkeit angesetzt (vgl. z.B. Hess-Lüttich 1996), welches sich auf die stimmliche Performanz von Lautsprache bezieht. Gebärdensprachliche Kommunikation sollte hier jedoch auch mit einbezogen werden. 45 In Anknüpfung an Knape 2009a kann mithin folgende Gesprächsdefinition formuliert werden: 46 Ein Gespräch ist eine Abfolge wechselseitig aufeinander bezogener (mündlicher oder gebärdensprachlicher) Äußerungen von mindestens zwei alternierenden Kommunikatoren in einer Face-to-Face-Situation. Der Begriff des Gesprächs wird in der vorliegenden Arbeit im Übrigen nicht synonym mit dem Begriff des Dialogs verwendet, zu welchem in der Forschung, etwa in der lingustischen „Dialoganalyse“, teils sehr allgemeine, kommunikativ-universelle Konzeptionen existieren (vgl. Diskussion ebd.: 18ff.). Knape präzisiert den „gesprächsrhetorischen Fall“, der dann gegeben ist, wenn „Agonalität und Persuasivität als Grundbedingungen des Rhetorischen ins Spiel kommen“, genauer gesagt, „wenn jemand sein Anliegen im Wettstreit (Agonalität) und unter Widerstandsbedingungen (Antistase) verteidigen und durchsetzen muss“ (2009a: 22f.). Im Hinblick auf Gesprächssorten wie z.B. Partnerwerbungsgespräche, bei denen sich der Adressat u.U. eher passiv verhält, kann das Konzept des Agons im Sinne des aktiven Konkurrierens um eine Position - prototypisch realisiert in Streitgesprächen - allerdings etwas in die Irre führen. Für den 44 Knape (vgl. 2000a: 97ff.) unterscheidet drei Arten von Kommunikationstypen: einen primärmedialen (Face-to-Face-Präsenz), einen sekundärmedialen (Präsenzverfremdung, z.B. durch Fernsehen) und einen tertiärmedialen (Präsenzentfremdung, z.B. Publizistik). Anzumerken ist, dass Kommunikation in Form von „vom Sprecher abgetrennte[n]“ akustischen Texten aufgrund deren intersemiotischer Komplexität (Stimme, Sprache, vgl. ebd.: 98), anders als von Knape (vgl. ebd.: 103) postuliert, einen Fall von Sekundär- und nicht von Tertiärmedialität darstellt. 45 Zur Gebärdenrhetorik siehe Wiegeler (2012). 46 Vgl. zu dieser Definition etwa die von Käsermann (1995: 5): „Spezifische Merkmale von Gesprächen sind zum Beispiel die Vorstellung einer nicht-solitären und wechselweise geordneten Aktivität, die sich in diesem Punkt unter anderem von einer gemeinsamen Wanderung unterscheidet; ausserdem [sic! ] impliziert diese Art von Aktivität eine nicht-zufällige Ausrichtung auf mindestens einen Partner, die Erwartung, ihn zu erreichen, ihn mit dem Gesagten sinngemäss [sic! ] ansprechen zu können und eine Replik zu erhalten.“ 4 Gesprächsrhetorik und Emotion 59 allgemeinen rhetorischen, also „persuasiven Fall“ in Gesprächen reicht es bereits aus, dass „asymmetrische mentale Ausgangsbedingungen“ gegeben sind, d.h. dass „eine mentale Differenz in der Sache unter den Gesprächspartnern vorliegt und ein Gesprächspartner (der Orator in rhetorischer Absicht) andere Menschen von Standpunkt A zum Standpunkt B bringen möchte“ (ebd.: 23). Dazu sind insbesondere auch solche Fälle zu zählen, bei denen der Adressat von einer Position der Unentschiedenheit zu einer Position der Entschiedenheit geführt werden soll. Knape formuliert schließlich folgendes Konzept einer Gesprächsrhetorik: Gesprächsrhetorik befasst sich mit den Möglichkeiten erfolgsorientierten kommunikativen Handelns eines Kommunikators unter Bedingungen permanenten Interaktionsdrucks in multioratorischer Personenenkonstellationen, daraus entstehender struktureller Kontingenz und geringer Berechenbarkeit des Geschehens während eines ephemeren Kommunikationsvorgangs. Mit anderen Worten: Die Gesprächsrhetorik untersucht, wie ein individueller oder kollektiver Orator seinen eigenen kommunikativen Erfolg (d.h. sein Anliegen zu verteidigen oder gar durchzusetzen) in situativen, daher flüchtigen Kommunikationsereignissen sichern kann, an denen mehrere Oratoren mit differenten Teil- oder Globalzielen aktiv teilnehmen und deren Handeln in der angegebenen Situation zu einer komplexen und hoch kontingenten Gemengelage führt (ebd.: 26f.). Der Gesprächsorator (Collocutor) benötigt drei Kompetenzen, die mit gesprächsrhetorischer Theorie zu unterfüttern sind: Gesprächsvorplanungs-, Gesprächsanalyse- und Gesprächsmanagementkompetenz. In einem allgemeinen Sinn muss der Orator eine „zeitpunktgenaue Situationsbewältigungskompetenz“ entwickeln, „die unter der Bedingung eigener situativer Involviertheit in der Fähigkeit zur raschen Analyse, Entscheidung, Planung und Handlung“ (ebd.: 27) besteht. Knape unterscheidet in Erweiterung des antiken Produktionsstadienmodells sechs Officia collocutoris (ebd.: 27ff.): Intellektion, Invention, Verlaufsobservation, Verlaufsinterpretation, Handlungskalkulation, Intervention. Intellektion und Invention sind dabei als strategische Kalküle vor Gesprächsbeginn zu konzipieren. Die Intellektion beinhaltet vor allem die Analyse der Settingbedingungen, das antizipatorische Adressatenkalkül, Instrumenten- und Medienkalküle sowie das Einstellen auf Chancen und Risiken der Gesprächsgattung. Die Invention bezieht sich auf vorsorglich präparierbare Elemente des Gesprächstexts, wie z.B. Schlüsselbegriffe, konkrete Formulierungen von Themen, Argumenten usw. Verlaufsobservation, -interpretation und Handlungskalkulation haben ihren Platz im laufenden Gespräch. Der Orator beobachtet, was im Gespräch II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 60 geschieht, analysiert die Vorgänge und leitet daraus, u.U. in Form hoch beschleunigter Reaktionsautomatismen, taktische Kalküle für sein eigenes Handeln ab. Die Intervention, das eigentliche oratorische Handeln, beschreibt Knape mit Hilfe der analytischen Unterscheidung von sieben, auf unterschiedlichen, in der Praxis aber zusammenhängenden Ebenen angesiedelten oratorischen Gesprächs-Managements (vgl. ebd.: 32ff.): (1) Beziehungs-Management (Manifestation von Partnersensibilität) (2) Image-Management (Selbstdarstellung des Orators), (3) Rationalitäts-Management (rationales Argumentieren), (4) Emotions-Management (emotionales Tuning), (5) Themen-Management (inhaltlich-thematische Gesprächssteuerung), (6) Formulierungs-Management (Ausdrucksstil), (7) Performanz-Management (Gestik, Mimik, Stimmführung). Die letzten drei - eher technischen - Managements sind dabei als „integraler Handlungsbestandteil“ (ebd.: 40) der ersten vier Managements zu konzipieren. Der Begriff des „Managements“ bezieht sich im rhetorischen Fall auf die Aufgabe des Orators, „so weit moderierend (lenkend) in den Gesprächsablauf einzugreifen, wie es die eigene Sache fordert und wie es das Grice’sche Postulat einer ‚Kooperation unter kompetitiven Bedingungen‘ zulässt“ (ebd.: 32). Das Management-Konzept soll der durch kontinuierlichen Sprecherwechsel bedingten Schwierigkeit Rechnung tragen, dass „sich bei zahlreichen Gesprächsarten das Proagieren und Reagieren, Steuern und Gegensteuern, strategische Vorausplanen und taktische Umschwenken die Waage halten, ja oft ganze Strategien revidiert werden müssen, um die oratorischen Ziele noch zu erreichen“ (ebd.: 31). In einem sehr allgemeinen Sinne dient oratorisches Gesprächsmanagement einer Kontingenz-Reduktion mittels kommunikativer Akte (vgl. ebd.). Systematischer Anknüpfungspunkt und theoretischer Ausgangspunkt für unsere Untersuchung ist das gesprächsoratorische Emotions-Management. Knape formuliert folgende Emotionsdefinition: Eine Emotion ist ein psychischer Erregungszustand mit subjektiver Erlebnisqualität jenseits des Reinrationalen und mit messbaren physiologischen Begleiterscheinungen, der die Anziehung und Abstoßung eines emotional ergriffenen Subjekts gegenüber bestimmten Phänomenen der Welt beeinflusst (ebd.: 39). Wesentlich ist hier der Aspekt der „Anziehung und Abstoßung“, der in engem Zusammenhang mit dem Bewertungsaspekt von Emotion zu sehen ist 5 Fazit 61 (positives kognitives Appraisal führt zu Anziehung, negatives zu Abstoßung). Auf dieser Basis konturiert Knape gesprächsoratorisches Emotions-Management wie folgt: Einen ganz wesentlichen Beitrag zum Gelingen von Gesprächen leistet das emotionale Tuning, also jene Einstimmung der Gesprächspartner, die man allgemein mit Begriffen wie Stimmung und Atmosphäre oder speziell mit Gefühlshaltung gegenüber bestimmten Sachverhalten umschreiben kann […]. Auch ist mit Aristoteles davon auszugehen, dass der Orator im Gespräch proaktiv stimulierend einzugreifen vermag. […] Dabei ist das strategische Teilziel, eine emotionale Hin- oder Abneigung gegenüber einer Sache oder Person bei den Gesprächspartnern zu erzeugen (ebd.: 38f, Hervorhebung von mir, L.B.). Hier sei gleich angemerkt, dass der Begriff der emotionalrhetorischen Gesprächssteuerung in der vorliegenden Arbeit gegenüber dem Begriff des Emotions-Managements 47 bevorzugt wird, weil er stärker auf die diskursive Ebene emotionaler Kommunikation bezogen ist. 5 Fazit Bei den im Detail besprochenen sprachwissenschaftlichen Forschungsarbeiten kristallisiert sich mehrheitlich der Bewertungsaspekt von Emotion als geeignete Grundlage für Theoriebildung zu sprachlich-kommunikativer Emotionalität heraus - dies entspricht auch dem derzeit wohl einflussreichsten Zweig der Emotionspsychologie, den kognitionstheoretischen Ansätzen. Die traditionell monologisch ausgerichtete Rhetorik bietet mit ihrem emotionalen Figurenarsenal kein geeignetes Intrumentarium, um den Befund unserer Beurteilungstudie flächendeckend zu erklären. Da die rhetorikwissenschaftliche Gesprächsforschung gegenwärtig noch in den Kinderschuhen steckt, steht hier bislang noch kein alternativer Ansatz zu Strukturmerkmalen emotionaler Kommunikation zur Verfügung. In der linguistischen Forschung hingegen finden sich zumindest in Teilen brauchbare Ansätze. Als problematisch erweisen sich hier Arbeiten, die sprachlich-kommunikative Emotionalität als Modalität verstanden wissen wollen, oder auch sprechakttheoretische Ansätze, welche an dieser Stelle die Searle’schen EXPRESSIVA ins Feld führen, weil sie deren illokutiven Zweck im Gefühlsausdruck wähnen. Letztere Ansätze können nicht überzeugen, weil die EXPRESSIVA im Grunde nicht dem emotionalen Gefühlsausdruck 47 Der Begriff „Emotionsmanagement“ wird in der psychologischen Forschung u.a. auch im Zusammenhang mit dem emotionspsychologischen Konzept der Metaemotion verwendet, bei dem es u.a. um Gefühlsregulation geht (vgl. Dohle 2011: 124). II „ Emotionales Terrain“: Sprache, Gespräch, Rhetorik 62 dienen, sondern als rituell instrumentalisierbare SOZIO-REGULATIVA fungieren. Doch egal, ob man danken oder begrüßen eine gefühlsausdrückende oder eine sozio-regulative Funktion zusprechen will - die Annahme einer entsprechenden eigenen illokutiven Klasse ergibt in beiden Fällen keinen Sinn, weil die jeweiligen Funktionen auch von anderen Sprechaktklassen nach Searle ausgeübt werden können. Insbesondere Versuche, emotionales Fühlen und Bewerten auf Sprechaktebene systematisch zu unterscheiden, müssen scheitern, weil Emotionen bzw. Gefühle (als bewusst erlebte Emotionen) stets einen Bewertungsaspekt beinhalten. In methodischer Hinsicht ist an der nicht-korpusbasierten linguistischen Forschung zu Sprache bzw. Kommunikation und Emotion zu kritisieren, dass gerade an konzeptionellen Stellen oft mit per Experten-Intuition introspektiv gewonnenem Datenmaterial gearbeitet wird, ohne dass dies methodologisch reflektiert wird. So argumentieren Linguisten häufig mit selbst konstruierten Beispiel- Strukturen, von denen sie - vermutlich halb intuitiv, halb unter zirkelschlussartigem Rekurs auf theoretische Prämissen - behaupten, dass sie emotional seien. 48 Dass solche Strukturen als wissenschaftlich fundierte Belege für Thesen zu Prinzipien sprachlich-kommunikativer Emotionalität taugen, ist zu bezweifeln, weil ihre Konstruktion mit einiger Wahrscheinlichkeit durch entsprechende theoretische Prämissen gesteuert wird. 49 Zudem werden solche Strukture oft nicht ausreichend dahingehend gekennzeichnet, ob sie eher der gesprochenen oder eher der geschriebenen Sprache zugedacht sind und für welche Textsorten (z.B. literarische Texte, E-Mails) bzw. Gesprächssorten (z.B. formell, informell) sie repräsentativ sein sollen. 50 48 Drescher (2003: 10) weist auf die Gefahr eines Zirkelschlusses hin: „Die Deutung emotionaler Manifestationen stützt sich auf bestimmte Ausdrucksmittel, die im Umkehrschluss wiederum als konventionelle Hinweise auf Emotionalität gelten. Dieser Schwierigkeit läßt sich nur dadurch begegnen, daß der ausschließliche Rekurs auf die Introspektion des Forscher durch breit gefächerte empirische Untersuchen abgelöst, zumindest aber ergänzt wird.“ 49 Schu (2001: 1014) konstatiert im Zusammenhang von Gesprächslinguistik und Empirie: „Konstruierte Beispieläußerungen (unterschiedlicher Komplexität) stehen in der Gefahr, einerseits aus einem bestimmten Interesse konstruiert und eingeschätzt zu werden und andererseits die individuelle Intuition zu idealisieren […], sie haben ‚keinen von der Kompetenz des Forschers unabhängigen Belegwert‘“. 50 So fällt bspw. auf, dass die im Befund unserer Beurteilungsstudie systematisch auftretenden symoblischen Emotions-Indikatoren (s. Kap. IV.1) in den selbstkonstruierten Beispielen linguistischer Forschung zu emotionaler Sprache nicht systematisch auftreten. Da unser Befund der gesprochenen Sprache entstammt und die Emotions-Indikatoren hier systematisch auftreten, könnte im Rahmen linguistischer Studien z.B. geprüft werden, inwiefern solche Indikatoren besonders typisch für die gesprochene Sprache sind. 5 Fazit 63 Hinzu kommt, dass selbstkonstruierte Beispiel-Strukturen oft ohne Angaben zur konkreten Verwendungssituation präsentiert werden, d.h. es werden ko- und kontextisolierte Beispielsätze formuliert, die hinsichtlich ihrer emotionalen Qualität in einer Situation X möglicherweise ganz anders zu beurteilen wären als in einer Situation Y. 51 Hier ist zu betonen, dass ohne Einbezug konkreter Äußerungskontexte keine tragfähigen Erkenntnisse über emotionale Kommunikation gewonnen werden können. Zwar deutet unsere Beurteilungsstudie darauf hin, dass es kontextinvariabel-emotionale Satzbedeutungen gibt (siehe Kap. IV.2), doch methodisch kann ein solcher Befund nur aus einer kontextsensitiven Betrachtung von Strukturen resultieren. Dies wurde im Rahmen unserer Studie dadurch gewährleistet, dass den Laien-Kodierern keine isolierten Strukturen, sondern ein komplettes Gesprächstranskript vorgelegt wurde, welchem sie die kontextuelle Einbindung der Strukturen entnehmen konnten. Mit diesen Bemerkungen soll freilich nicht die Methode der introspektiven Datengewinnung an sich in Frage gestellt werden - sie stellt durchaus eine nützliche Annäherung an den Phänomenbereich emotionaler Sprache dar. Problematisch ist es allerdings, wenn diese Methode nicht gleichzeitig kritisch diskutiert wird im Hinblick auf den Umfang des Geltungsanspruchs entsprechender Untersuchungsergebnisse, insbesondere was die Übertragbarkeit der gewonnenen Strukturen in andere Verwendungskontexte angeht. Angesichts dessen sind korpusbasierte Ansätze wie der vorliegende ein Schritt in die richtige Richtung, weil Datenmaterial und Methode bei solchen Ansätzen üblicherweise eingehend diskutiert werden. 51 Behrens (2008: 22f.) problematisiert zu Recht die Notwendigkeit der Kontext-Imagination im Rahmen von Grammatikalitätsurteilen durch Muttersprachler: „I think that every linguist working on a highly context-sensitive area such as aspect is familiar with the phenomenon that native informants tend to repeatedly change their opinions about the same linguistic expressions because new situational contexts cross their minds over and over again.“ III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode Das vorliegende Kapitel widmet sich der Frage, anhand welcher Datenbasis, mit welchen methodischen Mitteln und theoretischen Konzeptualisierungen die in Kap. I thematisierte „Emotions-Chimäre“ im Rahmen unseres Ansatzes „gezähmt“, d.h. wissenschaftlich zugänglich gemacht wurde. Als Datenbasis für unsere Untersuchung dient ein Teilkorpus des Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus (Kap. III.1). Anhand zweier Gespräche aus diesem Korpus wurde in einem ersten methodischen Schritt eine Beurteilungsstudie durchgeführt zu der Frage, welche sprachlichen Strukturen von Sprachbenutzern als „emotional“ beurteilt werden (Kap. III.2). In einem zweiten methodischen Schritt wurde der Befund der Beurteilungsstudie auf linguistischer Ebene analysiert und typologisiert. In diesem Zusammenhang wird auf das für unsere Arbeit zentrale Konzept der emotionalen Bewertung und das hierfür konstitutive Prinzip der Valenz-Zuweisung einzugehen sein. Im selben Zug werden terminologische Festlegungen für die weitere Arbeit getroffen (Kap. III.3). In einem dritten und für das eigentliche Erkenntnisinteresse der Arbeit entscheidenden methodischen Schritt wurde schließlich das Korpus systematisch nach den anhand der Beurteilungsstudie identifizierten und im Anschluss typologisierten Strukturen durchmustert und die mit solchen Strukturen verbundenen Interaktionssequenzen auf strategische Aspekte hin untersucht. Aus den Ergebnissen wurde ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung entwickelt (Kap. III.4). 1 Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus Das für unsere Untersuchung herangezogene Gesprächskorpus entstand im Rahmen des Projekts „Courtshiprhetorik“, das in den Jahren 2000 bis 2004 an der Universität Tübingen durchgeführt und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde. 52 Im Rahmen dieses Projekts erfolgte eine systematische Auseinandersetzung mit dem von der Gesprächsforschung bis zu diesem Zeitpunkt vernachlässigten Bereich der Partnerwerbung aus rhetorischer Perspektive, d.h. es wurde die „sprachlich- 52 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das seinerzeitige Experimentaldesign von der psychologischen Ethikkommission der DFG geprüft und genehmigt wurde. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 66 strategische Seite der Flirtkommunikation jenseits des nonverbalen Verhaltens“ (Knape/ Becker/ Guhr 2009: 233) in den Blick genommen. Im Rahmen des Projekts wurden experimentell zwei Gesprächskorpora gewonnen: Tübinger Teilkorpus I und Teilkorpus II (zu der folgenden Korpusbeschreibung vgl. die ausführliche Darstellung des Projekts, des Experiments und der Teilkorpora bei Knape/ Becker/ Guhr: 2009; siehe auch Guhr 2008; Becker 2009). Teilkorpus I entstand im Jahr 2000 und besteht aus 21 computervermittelten, d.h. schriftlich nach Art einer Chat-Kommunikation im Internet geführten Gesprächs-Simulationen, bei denen die Teilnehmer instruiert wurden, ein Face-to-Face-Gespräch in einem imaginierten Setting zu simulieren. Teilkorpus I wird in den Arbeiten von Guhr 2008 und Becker 2009 ausführlich behandelt. In der vorliegenden Arbeit findet es keine Berücksichtigung. Die vorliegende Untersuchung bezieht sich ausschließlich auf Teilkorpus II. Teilkorpus II (siehe auch die Arbeit von Guhr 2008) stammt aus dem Jahr 2003 und umfasst 22 Face-to-Face-Gespräche zwischen Studierenden (s. Gesprächsverzeichnis in Abschnitt 4 des Anhangs). Die Gespräche fanden in einer Universitätscafeteria statt und dauerten jeweils ca. 15 Minuten. Teilnehmer waren 24 Probanden (12 männliche, 12 weibliche) sowie 12 Konfidenten (6 männliche, 6 weibliche), wobei jeder Konfident zwei Gespräche mit jeweils verschiedenen Probanden des anderen Geschlechts führte. 53 Das Experimentaldesign sah dabei für den Probanden die Rolle des strategischen Kommunikators (Orators), für den Konfidenten die Rolle des Adressaten vor. Der Proband erhielt die Instruktion, den Konfidenten in der Cafeteria anzusprechen und dessen Telefonnummer bzw. E-Mail-Adresse herauszufinden oder eine weitere Verabredung zu vereinbaren. Der Konfident hatte die Aufgabe, sich auf ein Gespräch einzulassen und sich eine Meinung über den Probanden zu bilden. Sowohl Probanden als auch Konfidenten glaubten, an einem rhetorikwissenschaftlichen Experiment zur nonverbalen Kommunikation in Alltagssituationen teilzunehmen. In einer Vorbesprechung nahmen die Konfidenten ein Attraktivitätsranking der Probanden anhand von Porträt-Aufnahmen vor. Im Experiment sollten die Konfidenten dann jeweils sowohl ein Gespräch mit einem von ihnen als eher attraktiv eingeschätzten Probanden als auch ein Gespräch mit einem von ihm als eher unattraktiv eingeschätzten Probanden führen. Zustande kamen am Ende 12 Gespräche mit männlichen Oratoren und 10 mit 53 Die Umkehrung des traditionellen Rollenbildes führte teilweise zu Schwierigkeiten. Manche weiblichen Oratoren (Probanden) gaben die Gesprächsführung mehr oder weniger an den männlichen Adressaten (Konfidenten) ab, so z.B. in den Gesprächen Nr. 13 und Nr. 16 (vgl. Knape/ Becker/ Guhr 2008: 241). Gender-Aspekte werden in unserer Arbeit allerdings nicht behandelt. 1 Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus 67 weiblichen Oratoren. Die Gespräche wurden in Bild und Ton aufgezeichnet sowie mit Hilfe des Programms HIAT-DOS transkribiert. Für unsere Untersuchung, die sich im Zuge eines methodischen Reduktionismus allein auf segmentale Lautsprachkomponenten bezieht (siehe Kap. III.2), werden ausschließlich die Transkripte der Gespräche herangezogen. Darin wurden die sprachlichen Äußerungen der Gesprächsteilnehmer sowie prägnante para- und nonverbale Ausdrucksphänomene ähnlich einer Partitur in ihrer zeitlichen Abfolge exakt protokolliert. In Kap. IV werden die auf linguistischer Ebene zu analysierenden sprachlichen Strukturen aus den Transkripten in Form einfacher Beispiel-Sätze (Fließtext, jedoch mit Transkriptionszeichen für Pausen etc.) wiedergegeben. Bei der rhetorischen Untersuchung des Gesprächskorpus in Kap. V-VIII hingegen werden als Beispiele dienende Transkriptauszüge in vereinfachter Partiturform dargestellt. 54 Die Beispiele in Kap. IV werden mit dem Kürzel „L“ (für „linguistisch“) vor der fortlaufenden Nummer des Beispiels versehen, die Beispiele in den Kapiteln V-VIII mit dem Kürzel „R“ (für „rhetorisch“); die fortlaufende Nummerierung der Beispiele beginnt bei „R“ von vorn. Hinter der in Klammern stehenden fortlaufenden Nummer jedes Beispiels folgt eine Quellenangabe bzgl. Korpus-Gespräch und Zeile des Original-Transkripts (die Zeilenangaben beziehen sich dabei auf die Nummer der Zeile, in der das Zitat im Original-Transkript beginnt). Fiktive Beispiele: (L1)17,2 = Beispiel 1 in Kapitel IV stammt aus Gespräch Nr. 17, Zeile 2 (R1)8,20 = Beispiel 1 in Kapitel V stammt aus Gespräch Nr. 8, Zeile 20 Ein Verzeichnis der so gekennzeichneten Beispiele findet sich im Anhang (Abschnitt 3). In Fußnoten erwähnte Beispiele fallen nicht unter die fortlaufende Nummerierung bzw. das Beispielverzeichnis - sie werden lediglich mit einer Quellenangabe bzgl. Korpus-Gespräch und Zeile des Original- Transkripts versehen. Eine vereinfachte Darstellung des Original-Transkripts findet sich in Abschnitt 11 des Anhangs. Was die Verwendung des Tübinger Teilkorpus II als Datenmaterial für die vorliegende Untersuchung betrifft, ist die Frage, wie natürlich bzw. realistisch die Gespräche dieses Teilkorpus sind und wie gut sie sich in dieser 54 Transkriptionszeichen der Intonation und Sprechgeschwindigkeit werden nicht wiedergegeben. Inhalt und zeitliche Abfolge der Gesprächsbeiträge werden detailgetreu dargestellt. Die Zeilenumbrüche der Transkriptauszüge in Kap. V-VIII können aus Darstellungsgründen vom Original-Transkript bzw. von dessen vereinfachter Darstellung im Anhang abweichen. Die Transkriptionskonventionen finden sich in Abschnitt 10 des Anhangs. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 68 Hinsicht für rhetorikwissenschaftliche Gesprächsforschung eignen, einer abwägenden Beurteilung zu unterziehen. Die Frage der „Natürlichkeit“ ist in unterschiedlichen Fragezusammenhängen unterschiedlich relevant. Im vorliegenden Fall hing alles davon ab, ob die Versuchsteilnehmer in einer semi-natürlichen Gesprächssituation in einer Cafeteria in der Lage waren, ein ihnen sehr vertrautes Gesprächsverhalten (zwischen Smalltalk und Flirt bei einer Erstbegegnung) an den Tag zu legen und dabei situationsbedingte Textstrukturen zu entfalten. Im Ergebnis zeigen die Videos, dass die Probanden und Konfidenten sehr schnell in einen quasi-natürlichen Interaktionsmodus hineinfanden. Ausschlaggebend war dabei sicherlich auch, dass der Gesprächstypus allen Teilnehmern sehr geläufig war. Insofern beurteilen Knape/ Becker/ Guhr (2009: 240-242) das Tübinger Teilkorpus II in ihrer eigenen „Korpuskritik“ recht günstig in seinem Wert für die Erhebung bestimmter, eben auch sprachstruktureller Daten. Ginge es um weiter reichende rhetorische Fragestellungen (z.B. um globale Strategieprobleme, bei denen nach direkten Kausalitäten gefragt wird), wäre die Authentizitäts- oder Natürlichkeitsfrage sehr viel kritischer zu sehen. Kurz: Für die hier untersuchten Fragen kann das Tübinger Teilkorpus II als angemessen aussagekräftig gelten; bei einem anderen Erkenntnisinteresse wäre völlige „Natürlichkeit“ vielleicht eher zu bevorzugen (wie auch immer man das dann technisch bewältigen kann, ohne gegen die Regeln ethisch vertretbarer wissenschaftlicher Experimente zu verstoßen). Schank (1979), der sich ausführlich mit dem Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Konversationsanalyse befasst, definiert natürliche Gespräche wie folgt: „Ein Gespräch in der Alltagswelt soll als natürliches Gespräch gelten, wenn es nicht speziell zum Zwecke der Aufnahme unternommen wurde, sondern auch ohne diese durchgeführt worden wäre“ (ebd.: 74). Dies trifft auf unsere Korpus-Gespräche nicht zu. Sie wurden im Rahmen eines experimentellen Settings unter der Befolgung bestimmter Instruktionen geführt. 55 Allerdings erweisen sich die Gespräche im Hinblick auf das spontane kommunikative Agieren der Gesprächsteilnehmer als durchaus realistisch bzw. wirklichkeitsnah. Inwiefern? Schank (1979) spricht sich in Bezug auf die Konversationsanalyse zu Recht für die Trennung der Begriffe „Spontaneität“ und „Natürlichkeit“ aus. Ihm zufolge kann jenes Handeln als „spontan“ gelten, „das sich nicht im vorhinein um die Bewußtmachung aller möglichen Folgen bemüht. Spontanes Handeln geht also Risiken ein und kann zu unbeabsichtigten Konsequenzen führen“ (ebd.: 78f.). 55 Schu (2001: 1020) stellt fest, dass Natürlichkeit nur graduell erreicht werden könne - u.a. angesichts der ethisch und juristisch begründeten Notwendigkeit einer Offenlegung der Beobachtung und des damit allenfalls minimierbaren Beobachterparadoxons. 1 Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus 69 Das kommunikative Handeln der Gesprächsteilnehmer in Teilkorpus II stellt spontanes Handeln im von Schank beschriebenen Sinne dar. Dies betrifft zum einen die sprachlich-kommunikative Ebene der Interaktion: Keines der Gespräche weist eine nicht-spontane, planvoll-gekünstelt wirkende verbale Ausdrucksweise der Sprecher auf. 56 Die Teilnehmer drücken sich so aus, wie sie es in einer nicht-experimentellen Situation auch tun würden, nutzen die für private Kommunikation zwischen Studierenden üblichen umgangssprachlichen Register. Die in Kap. IV dargestellte Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation bezieht sich somit auf Äußerungen, wie sie in Gesprächen zwischen Studierenden auch unter nicht-experimentellen Bedingungen vorkommen. Nach Schank (1979: 89) können Gespräche mit eingeschränkter Natürlichkeit „durchaus eine geeignete Grundlage zur Untersuchung gesprochensprachlicher Syntax sein“. Betroffen ist zum anderen die strategische Ebene kommunikativer Interaktion. Erstens haben die Probanden i.d.R. „schon ein sehr gutes, selbst lebensweltlich generiertes Erfahrungswissen über Erstkontaktgespräche“ (Knape/ Becker/ Guhr 2009: 240f.), welches es ihnen erlaubt, spontan bestimmte Gesprächsstrategien einzusetzen, die ihnen aus vergleichbaren Gesprächen unter nicht-experimentellen Bedingungen bekannt sind. Mit einem Erstkontaktgespräch unter Studierenden in einem für diese Zielgruppe typischen Setting fühlten sich die Versuchsteilnehmer offensichtlich gut vertraut. Hätten sie demgegenüber bspw. ein Personalgespräch zwischen einer Führungskraft und ihrem Mitarbeiter simulieren müssen, hätten sie vermutlich deutlich weniger spontan bzw. verkrampfter agiert. Was die Tatsache angeht, dass das oratorische Telos anders als in natürlichen Gesprächen per Instruktion von außen vorgegeben wurde, so sollte von ihr nicht darauf geschlossen werden, dass die Probanden entsprechende Strategien mit geringerem Engagement verfolgt hätten als in einer natürlichen Situation. Die Videoaufnahmen lassen entsprechende Schlüsse zu. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Probanden in einem experimentellen Setting unter gewissem sozialen Druck stehen - ein Scheitern beim Versuch der Zielerreichung könnte von ihnen u.U. gegenüber dem Versuchspartner oder auch der Versuchsleitung als „peinliche“ persönliche Niederlage empfunden (vgl. ebd.). Zudem wurden - sowohl was die sprachlich-kommunikative als auch was die strategische Ebene kommunikativer Interaktion angeht - mögliche Auswirkungen des Beobachterparadoxons dadurch reduziert, dass ein lediglich auf nonverbale Kommunikation abhebender Untersuchungszweck mitgeteilt wurde. D.h. die Gesprächsteilnehmer dürften sich in erster Linie hinsichtlich ihres nonverbalen und nicht hinsichtlich ihres lautsprachlichen 56 In Gespräch Nr. 13 siezt Orator F zu Beginn M, ansonsten ist ihr Sprachverhalten aber unauffällig. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 70 Verhaltens beobachtet gefühlt haben. Insbesondere die in unserer Arbeit interessierende emotionale Ebene lautsprachlicher strategischer Kommunikation stand für die Versuchsteilnehmer in keiner Weise als Untersuchungsfokus im Raum, so dass sie sich in dieser Hinsicht weitgehend unbefangen verhalten haben dürften. Ihre versuchsbedingt in erhöhtem Maß vorhandene metakommunikative Aufmerksamkeit dürfte sich schwerpunktartig auf körpersprachliche Aspekte wie Mimik und Gestik gerichtet haben, von denen ja in der Instruktion die Rede war. 57 Die Frage nach der Eignung der Gespräche für rhetorikwissenschaftliche Gesprächsforschung muss also differenziert betrachtet werden. Wenn Schank (1979: 89) allzu kategorisch behauptet, dass „Gespräche mit eingeschränkter Natürlichkeit“ zur „Untersuchung bestimmter Handlungspläne“ nicht geeignet seien, so ist dem entgegenzuhalten, dass in solchen Gesprächen sehr wohl Handlungspläne identifiziert werden können, dass diese Handlungspläne allerdings nicht ohne Weiteres in einen kausalen Bezug zur Erreichung bzw. Verfehlung eines bestimmten kommunikativen Ziels gesetzt werden dürfen. Angesprochen ist damit das im Experimentaldesign vorgesehene Erfolgskriterium der Gespräche. Diesem zufolge wird ein Gespräch dann als erfolgreich betrachtet, wenn der Adressat in die Fortsetzung des Kontakts einwilligt (oratorisches Telos) - genauer gesagt, wenn es dem Orator gelingt, die Kontaktdaten (Telefonnummer, E-Mail, Adresse) des Adressaten zu erhalten und/ oder ein weiteres Treffen zu verabreden (vgl. Knape/ Becker/ Guhr 2009: 239). Dieses Erfolgskriterium ist bei genauerer Betrachtung der Gespräche jedoch problematisch. Denn es gibt einige Gespräche, in denen die Oratoren die Instruktionen der Versuchsleitung nicht befolgen. Bei den Gesprächen Nr. 10, 11, 12 und 19 geschieht das insofern, als die Oratoren den Adressaten jeweils ihre Telefonnummer geben anstatt die der Adressaten zu erfragen. Diese teils durchaus positiv verlaufenden Gespräche kurzerhand als „nicht erfolgreich“ einzustufen, wird ihrem Geschehen jedoch nicht gerecht. Bei Nr. 10 und 11 lassen die Adressaten immerhin offen, ob es zu einem weiteren Treffen kommt (mal sehen), bei Nr. 12 zeigt sich der Adressat nicht abgeneigt, stellt allerdings die Bedingung, dass der Orator für ein weiteres Treffen in seinen Wohnort Stuttgart kommen müsse. Bei Nr. 19 lässt der Adressat keinen Zweifel daran, dass er sich ein weiteres Mal mit dem Orator treffen möchte. Ein Spezialfall ist Nr. 18: Hier ignoriert der Orator die Instruktionen insofern, als er es dem Zufall überlässt, ob es zu einer Fortsetzung des Kontakts kommt (Aber vielleicht sehen wir uns ja auf dem Chemikerfest am … sechsten? ). Ein anders gelagerter Fall ist Gespräch Nr. 6, das nach obigem Erfolgskriterium als „erfolgreich“ zu verbuchen wäre. Hier erhält der Orator zwar die Telefonnummer der Adressatin, die sich sogar für einen gemeinsamen 57 Zum Begriff der „metakommunikativen Aufmerksamkeit“ siehe Schank (1979: 80ff.). 1 Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus 71 Kinobesuch aufgeschlossen zeigt. Allerdings werden die Partnerwerbungsabsichten des Orators insofern massiv konterkariert, als die Adressatin im letzten Moment sein Einverständnis dafür einfordert, dass sie ihren Freund zum Kino-Date mitbringt (R24). Der Orator willigt ein - möglicherweise unter der berechtigten Befürchtung, dass die Adressatin ansonsten die Fortsetzung des Kontakts verweigern könnte. Dieses Gespräch muss trotz Erhalt der Telefonnummer realistischerweise als „nicht erfolgreich“ betrachtet werden, weil die Adressatin keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich nicht auf eventuelle Partnerwerbungsabsichten des Orators einlassen wird und weil der Orator diesbezüglich klein beigibt. Angesichts der angeführten Fälle kann über Erfolg oder Misserfolg bei den Gesprächen sinnvoll nur dann entschieden werden, wenn vom Orator auch tatsächlich Maßnahmen ergriffen wurden, um den Erfolg zu erzielen, d.h. wenn er zumindest aktiv versucht hat, die Telefonnummer des Adressaten oder eine verbindliche Verabredung zu erhalten. In der vorliegenden Arbeit gilt daher Folgendes: Erfolgreich ist der Orator dann, wenn er die Telefonnummer des Adressaten oder eine verbindliche Verabredung erhalten hat und dabei seine Partnerwerbungsabsicht aufrechterhalten kann. Nicht erfolgreich ist der Orator entweder dann, wenn er er trotz entsprechender Versuche die Telefonnummer des Adressaten nicht erhalten bzw. keine weitere Verabredung erzielen konnte, oder aber dann, wenn er zwar den Erhalt der Telefonnummer oder eine weitere Verabredung erzielen konnte, seine Partnerwerbungsabsichten aufgrund entsprechender Signale des Adressaten jedoch nicht aufrechterhalten kann. Ignoriert der Orator die Instruktion, ist schlicht kein Urteil über Erfolg oder Misserfolg möglich. Demnach lassen sich die Gespräche in zwölf erfolgreiche, fünf nicht erfolgreiche und fünf diesbezüglich nicht beurteilbare Gespräche einteilen (siehe tabellarische Übersicht in Abschnitt 5 des Anhangs). Allerdings bleibt auch bei dieser Klassifizierung problematisch, dass im Erfolgsfall nicht ohne Weiteres darauf geschlossen werden kann, dass der Orator-Proband sich im Gespräch strategisch optimal verhalten hat bzw. dass im Fall eines Misserfolgs nicht darauf geschlossen werden kann, dass er sich strategisch suboptimal verhalten hat. In anderen Worten: Im gegebenen Experimentaldesign kann von einem Einwilligen bzw. Nicht-Einwilligen in die Fortsetzung des Kontakts seitens des Adressaten-Konfidenten nicht mit Sicherheit auf optimales bzw. suboptimales Gesprächshandeln des Orator-Probanden geschlossen werden. 58 58 Darauf deutet auch die Auswertung der von den Probanden und Konfidenten im Anschluss an die von ihnen geführten Gespräche ausgefüllten Fragebögen hin, in welchen das Gespräch und der Gesprächspartner bewertet werden sollten. Hier wurde u.a. auch der Aspekt „Einstellungsänderung“ (Worauf beruhte der Ersteindruck, wodurch hat er sich ggf. geändert? ) abgefragt. Knape/ Becker/ Guhr (vgl. 2009: 239) kommen hier zu III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 72 Denkbar wäre etwa, dass der Konfident trotz suboptimaler Intervention des Probanden einwilligt, weil er den Probanden im Rahmen des Experiments nicht bloßstellen will oder weil er glaubt, auf diese Weise einen präferierten Befund zu liefern. Auch die Tatsache, dass der Konfident sich „im wahren Leben“ in einer Partnerschaft befindet und selbst in einer simulierten Situation keinen „Treuebruch“ begehen will, kann einen Einfluss auf das Gesprächsergebnis haben. Dies zeigt etwa Gespräch Nr. 7, in dem die Adressatin die Fortsetzung des Kontakts unter entsprechender Begründung ablehnt: Ja ich hab n Freund also.. was solln wir da was trinken gehen.. ich glaub das würd er nich so gern sehn oder Gespräch Nr. 6, in dem die Adressatin ankündigt, dass sie gerne ihren Freund zum Kino-Date mitbringen möchte. Möglicherweise haben die Oratoren in diesen beiden Gesprächen emotionalstrategisch durchaus angemessen gehandelt, sie bleiben jedoch aufgrund „äußerer Umstände“ chancenlos. 59 Schließlich können auch äußerliche Attraktivitätsmerkmale des Probanden einen Einfluss auf die Entscheidung des Konfidenten hinsichtlich der Fortsetzung des Kontakts haben. 60 Hinzu kommt, dass die in dieser Arbeit vorgenommene isolierte Betrachtung der emotionalen Überzeugungskomponente in den Korpus-Gesprächen keinen Rückschluss darauf zulässt, inwiefern Gesprächsmaßnahmen, die speziell unter diese Komponente fallen, tatsächlich für den Ausgang der Gespräche verantwortlich sind. Denn grundsätzlich können auch anders geartete Überzeugungsmittel dem Ergebnis, dass sich kein Zusammenhang zwischen positiver bzw. negativer Einstellungsänderung auf Seite des Konfidenten und dem Erfolg des Gesprächs erkennen lässt. Geht man davon aus, dass entsprechende Einstellungsänderungen zu einem wesentlichen Teil auf die rhetorische Intervention des Orators zurückzuführen sind, stützt dieses Ergebnis die obige Annahme. 59 In immerhin fünf der Gespräche erwähnen die Konfidenten, dass sie einen Freund bzw. eine Freundin haben (Nr. 5, 6, 7, 11, 16). Nach unserer Klassifikation verlaufen zwei davon erfolgreich, bei einem ist kein Urteil möglich und zwei verlaufen nicht erfolgreich. Inwiefern im Gespräch nicht erwähnte, aber potentiell existierende Partnerschaften im „wahren Leben“ der Konfidenten einen Einfluss auf den Verlauf jener Gespräche haben, die nach obigem Kriterium nicht unter die Kategorie „erfolgreich“ fallen, kann nicht gesagt werden. Die Fälle, in denen sich die Konfidenten auf lebensweltlich existierende Partnerschaften berufen, deuten jedenfalls darauf hin, dass die Versuchssituation zuweilen in den Hintergrund geriet, was den realistischen Charakter der Gespräche begünstigt haben dürfte. - Rauch (1992: 302) führt „Eruieren, ob es einen Rivalen gibt“ als spezifisches rituelles Merkmal von Paardialogen an. In unserem Korpus findet sich allerdings kein Fall, bei dem ein Orator offensichtlich zu eruieren versucht, ob es einen Rivalen gibt. 60 Laut Knape/ Becker/ Guhr (2009: 239) ist bei dem Face-to-Face-Experiment zwar kein Zusammenhang zwischen der Attraktivitätseinschätzung durch den Konfidenten und dem Erfolg des Probanden ersichtlich. Das bedeutet natürlich nicht, dass die äußerliche Attraktivität des Probanden keinerlei Einfluss auf den Ausgang des Gesprächs hat. Im Fall des Experiments war ihr Einfluss offenbar lediglich nicht entscheidend. 1 Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus 73 - rationale Argumentation sowie das Image des Orators - einen Einfluss darauf haben, ob der strategische Kommunikator sein Telos erreicht oder nicht. Um eine Korrelation der emotionalen Überzeugungskomponente mit dem Gesprächserfolg messen zu können, wäre ein Versuchsaufbau erforderlich, bei dem ihr Einsatz in ein und demselben Gespräch unter Konstanthaltung anderweitiger Gesprächsmaßnahmen variiert wird - und das bei möglichst vielen Gesprächen desselben Typs. Dies würde jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur zu einem inkohärenten Gesprächsgeschehen, sondern auch zu Inkonsistenzen im Persuasionsprozess und damit zu insgesamt suboptimalem oratorischen Gesprächshandeln führen: Da die Variation einer Überzeugungskomponente eine Auswirkung auf die Gemengelage der beiden anderen Komponenten haben kann, bestünde im Fall einer Fixierung zweier Komponenten bei gleichzeitiger Variierung der dritten die Gefahr, dass die Überzeugungsmittel nicht mehr sinnvoll aufeinander abgestimmt sind. Überdies können atechnische (kunstfremde bzw. redeexterne) Einflussfaktoren einen ähnlich spezifischen Effekt haben wie bestimmte emotionalrhetorische Strategien. So wirkt sich bspw. physische Attraktivität häufig sympathiebegünstigend aus (vgl. Mees/ Rohde-Höft 2000: 245). Um angesichts dessen die Wirksamkeit der in der vorliegenden Arbeit beschriebenen entechnischen (kunstgemäßen bzw. redeinternen) Maßnahmen zur Erzeugung von Sympathie isoliert messen zu können, müssten zusätzlich zur Konstanthaltung von Argumentation und Orator-Image auch sympathiebeeinflussende kunstfremde Faktoren konstant gehalten werden. Was bedeutet dieser Befund für die vorliegende Arbeit? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es im Folgenden nicht um Erfolgsmessung gehen kann. Da es im Rahmen des gegebenen Experimentaldesigns nicht möglich ist, einen statistischen Zusammenhang zwischen emotionalrhetorischen Maßnahmen und oratorischem Erfolg herzustellen, kann sich unser Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung nicht um die Frage drehen, welches kommunikative Handeln zum Gesprächserfolg führt und welches nicht - dies würde einen normativen Anspruch implizieren, den unser deskriptives Modell weder erheben will noch kann. In dieser Arbeit geht es demgegenüber um die (keineswegs unerhebliche) strukturanalytische Frage, welche Handlungsoptionen dem Orator zur Verfügung stehen und welche Chancen und Risiken jeweils mit diesen Optionen verbunden sind (Näheres siehe Kap. V.2). Aufgrund dessen wurde unser Modell auch auf Basis aller Gespräche des Teilkorpus II bzw. der ihnen enthaltenen, in emotionaler Hinsicht auffälligen Interaktionssequenzen entwickelt - unabhängig davon, ob sie erfolgreich verlaufen oder nicht. Wo in den Kapiteln VI-VIII dennoch auf obige Klassifizierung Bezug genommen wird, ist daher stets zu berücksichtigen, dass kein statistischer Zu- III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 74 sammenhang zwischen den betreffenden emotionalrhetorischen Maßnahmen und dem Eintritt von oratorischem (Miss-)Erfolg hergestellt werden kann. Aufgrund der geringen Fallzahlen und mangelnden statistischen Signifikanz wäre hier ohnehin keine Validität gegeben. Die in der vorliegenden Arbeit beschriebenen emotionalrhetorischen Strategien und Maßnahmen wurden mit qualitativen und nicht mit quantitativen Methoden identifiziert (siehe Kap. III.4). Korpusstatistische Angaben dienen hier in erster Linie der Illustration. Sollten gewisse Tendenzen ersichtlich sein, wären diese mit Hilfe empirischer Studien zu überprüfen. 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln Die Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln emotionaler Kommunikation versteht sich als Ausgangsimpuls für die vorliegende Untersuchung. Mit ihrer Hilfe sollte in einem ersten methodischen Schritt ein Eindruck davon gewonnen werden, welche sprachlich-kommunikativen Phänomene in den Gesprächen des Teilkorpus II von Laien auf dem Gebiet „Sprache und Emotion“ als „emotional“ beurteilt werden. 61 Die ansonsten mit qualitativen Methoden durchgeführte Untersuchung wird hier durch ein quantitatives Moment eingeleitet: Ermittelt werden sollten Strukturen, die von möglichst vielen Sprachbenutzern als „emotional“ beurteilt werden. Hinsichtlich solcher Strukturen wird in der vorliegenden Arbeit ausdrücklich nicht postuliert, dass von ihnen auf das tatsächliche Vorliegen einer (physiologisch messbaren) Emotion beim Sprecher geschlossen werden kann (siehe hierzu auch Sandhöfer-Sixel 1988: 26ff.). Über entsprechende Zusammenhänge kann und soll hier nichts ausgesagt werden. 62 Die Beurteilungsstudie widmet sich ausschließlich der Frage, was an der Rede eines 61 Vgl. dazu die von Fiehler (1990: 188) bzgl. einer Emotionsanalyse von Gesprächen erwähnte methodische Strategie, „in einer Interaktion zunächst die Sequenzen aufzusuchen und zu analysieren, die dem Vorverständnis nach besonders emotional erscheinen. Von hier aus kann sich ein Zugang zur emotionalen Struktur der gesamten Interaktion ergeben. Dies können zum einen besonders dynamische Sequenzen sein, zum anderen Sequenzen, in denen deutlich erkennbar soziale Muster der Emotionsprozessierung realisiert werden“. 62 Fiehler (2001: 1427) unterscheidet zwischen einer Betrachtung von Emotionen im Rahmen des „Personalsystems“ (individuelles Innenleben) und einer Betrachtung von Emotionen als „öffentliche Phänomene in sozialen Situationen interpersoneller Interaktion“. Bei letzterer Betrachtungsweise, die auch unser Ansatz vertritt, wird gefragt „nach Funktion und Stellenwert von Emotionsmanifestationen in der Interaktion, unabhängig davon, ob die Beteiligten die manifestierten Emotionen auch empfinden bzw. ‚wirklich‘ haben.“ Drescher (2003: 77) hält fest „Nach der rollentheoretischen Konzeption von Emotion gestaltet ein Individuum in bestimmten Situationen und auf der Basis verinnerlichter sozialer Normen sein eigenes Verhalten als emotional, ähnlich wie ein Schauspieler seine Rolle ‚mit Gefühl‘ interpretiert. Das Problem der Authentizität von Gefühlen ist hier von nachgeordneter Bedeutung. Da der Schluss von der Geste auf 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln 75 Sprechers von kompetenten Sprechern des Deutschen als sprachlicher Ausdruck von „Emotion“ eingestuft wird. Die Tests dienten der Phänomen- Heuristik. Berücksichtigt wird dabei ausschließlich die segmentale 63 Komponente der Lautsprache, wie sie in den Transkripten der Korpus-Gespräche protokolliert ist. Suprasegmentale (phonologische) Sprachkomponenten bzw. paraverbale (z.B. Lachen) und nonverbale Ausdrucksformen (Mimik, Gestik) werden im Sinne eines methodischen Reduktionismus zurückgestellt und höchstens bei Bedarf zu Kontrollzwecken herangezogen (ähnlich die Vorgehensweise bei Sandhöfer-Sixel 1988: 83). Die Konzentration auf die segmentale Sprachkomponente betrifft in der vorliegenden Arbeit sowohl die Ebene der sprachlichen Mittel für emotionale Kommunikation als auch die diese Mittel instrumentalisierende rhetorische Ebene strategischer Gesprächsführung. Dabei ist unbestritten, dass Emotionen auch stimmlich, mimisch und gestisch zum Ausdruck kommen, womit freilich noch nichts über den jeweiligen Anteil gesagt ist. Die von Mehrabian/ Ferris (1967) in Bezug auf die Kommunikation von Gefühlen und Einstellungen postulierte Gewichtung 7% verbal, 38% vokal und 55% mimisch gilt höchstens für ganz bestimmte Fälle mehrdeutiger Botschaften, ist jedoch aufgrund methodologischer Problematik im Grunde gar nicht haltbar (pointierte Kritik übt Lapakko 1997). Streng genommen besagen Mehrabians Studien lediglich, dass 17 weibliche Psychologie-Studierende beim Hören des mit drei unterschiedlichen Intonationsvarianten ausgesprochenen Wortes maybe via Tonband eher auf die Stimme reagierten als auf das Einzelwort bzw. dass 20 Psychologie- Studentinnen beim Ansehen von Fotos dreier weiblicher Models, welche versuchten, mimisch Zuneigung, Neutralität oder Abneigung zu kommunizieren, die Einstellung der Models eher anhand der Fotos als anhand des Wortes maybe bestimmten (vgl. Lapakko 1997: 64). Andere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die segmentale Sprachkomponente im Rahmen emotionaler Kommunikation sehr wohl von erheblicher Bedeutung ist. So kommt nach einer Studie von Krauss u.a. (1981) bei der Beurteilung einer Äußerung hinsichtlich ihres affektiven Gehalts der segmentalen Sprachkomponente im Vergleich zur vokalen und körpersprachlichen Komponente entscheidendes Gewicht zu. Boueke u.a. (1995: 107) gestehen para- und nonverbalen Faktoren im Rahmen der affektiven das Gefühl nicht mit Sicherheit zu ziehen ist, kann nicht zwischen fingierten Formen wie der ‚Stilisierung von Gefühlen‘ oder der Verwendung ‚emotionaler Masken‘ einerseits und ‚echtem‘ emotionalen Erleben andererseits unterschieden werden.“ Dass kommunizierten Emotionen nicht immer ein authentisches Gefühl zugrunde liegen muss, konstatiert speziell in Bezug auf Fiehlers Korrespondenzregel auch Kurilla (2013: 511ff.). 63 Zu segmentalen und suprasegmentalen Zeichen siehe Henne/ Rehbock (2001: 73ff.). III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 76 Ausgestaltung mündlicher Texte eine „vornehmlich unterstützende Funktion“ zu - Emotionalität werde „vor allem durch rein sprachliche Elemente ausgedrückt.“ Konstantinidou bemerkt: Wenn die Informationen der expressiven Kanäle nicht zueinander im Widerspruch stehen, wird dem verbalen Kanal größere Bedeutung beigemessen. Die verbale Dominanz wird in solchen Fällen durch eine Reihe von Untersuchungen aus dem klinischen Bereich unterstützt (Konstantinidou 1997: 120). Péter (1984: 251) konstatiert: „Es zeigte sich, dass die emotionale Intonation, falls sie nicht in ausreichendem Maße durch den Sinn der Äußerung und/ oder durch die Sprechsituation unterstützt ist, nicht immer eindeutig wahrgenommen bzw. spezifiziert werden kann“ (vgl. dazu auch Drescher 2003: 93). Auch die Studie von Local/ Walker (2008) relativiert die Bedeutsamkeit der phonetischen Ausdruckskomponente für den Emotionsausdruck in der Alltagskonversation. 64 Cosnier hält fest: on sait parfaitement que la parole, expression du code linguistique, est susceptible (1) d’exprimer des émotions, (2) d’en provoquer. La preuve en est donnée par les textes écrits dont le meilleur exemple est celui des romans qui sont justement conçus pour cela […]. C’est un fait que le code linguistique, même utilisé dans sa forme pure qu’est la forme écrite, est un instrument parfaitement capable de provoquer (transmettre) des émotions. […] Donc, la communication émotionelle peut fonctionner sans voix et sans gestes... mais 64 Was den Eindruck betrifft, den ein Kommunikator durch den Einsatz emotionaler Sprache beim Adressaten erzeugt - in der Rhetoriksystematik ist hier die Überzeugungskomponente des Orator-Images angesprochen -, deutet eine Studie von Berry u.a. (1997) darauf hin, dass die segmentale Sprachkomponente eine wichtige Rolle spielt. Ihren Ergebnissen zufolge hat die Verwendung bestimmter Wörter, insbesondere von positiven bzw. negativen Emotionswörtern, einen entscheidenden Einfluss auf den ersten Eindruck, welchen sich Rezipienten von einem Sprecher bzgl. der Kategorien Kompetenz, Dominanz und Herzlichkeit machen. Obwohl positive Emotionswörter lediglich 5% und negative lediglich 1% der Wörter ausmachten, beeinflussten sie die entsprechenden Eindrücke stark. Berry u.a. (vgl. ebd.: 534) kommen zu dem Schluss, dass sich der Faktor „Wortwahl“ im Rahmen solcher Urteile durchaus gegenüber Faktoren wie physischer Attraktivität oder para- und nonverbaler „Expressivität“ behaupten könne. Auch Nagel (2012) kommt bei ihrer - allerdings nicht speziell auf emotionale Kommunikation fokussierenden - Untersuchung von Politiker-TV-Duellen mittels RealTimeResponse-Messungen zu dem Schluss, dass die verbalen Kommunikationsdimensionen deutlich wichtiger seien als die nonverbalen, was das Hervorrufen eines positiven oder negativen Eindrucks beim Rezipienten angehe. „Die verbale Ausgestaltung, insbesondere die Inhalte/ Themen, erwies sich damit gegenüber dem visuellen Verhalten der Politiker als deutlich wichtigerer Einflussfaktor für die Zuschauereindrücke“ (ebd.: 255). Die Parasprache hat dieser Untersuchung zufolge nur mäßigen Einfluss: „Während die Parasprache in der Wahrnehmung Merkels bis zu 8 Prozent der Veränderungen in den Urteilen der Zuschauer erklären konnte und sich damit als durchaus relevant erwies, hatte sie auf die Wahrnehmung Schröders keinen Einfluss“ (ebd.). 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln 77 tout nous porte à croire que dans la vie courante, elle fonctionne souvent encore mieux avec eux (Cosnier 2003: 59f.). Unabhängig von der Frage, welcher der emotionalen Ausdruckskanäle in einer bestimmten Situation dominiert, sollten die betreffenden Kanäle im Sinne eines methodischen Reduktionismus solange analytisch getrennt werden, bis geklärt ist, welchen Beitrag jede einzelne liefert. 65 Gegenwärtig ist in der Forschung leider noch immer die Tendenz zu einer wenig erhellenden Vermischung der emotionalen Ausdruckskomponenten zu konstatieren. Häufig wird lautsprachlicher Emotionsausdruck schwerpunktartig anhand der segmentalen Struktur und unter unsystematischem Einbezug der suprasegmentalen Struktur untersucht, was die Aussagekraft der Ergebnisse verwässert - dies beobachtet auch Drescher (vgl. 2003: 92). Immerhin existieren mittlerweile einschlägige Untersuchungen speziell zur emotionalen Prosodie (z.B. Kehrein 2002; Hancil 2009). Unsere Beurteilungsstudie 66 setzt sich aus zwei Teilstudien zusammen, welche im Jahr 2010 am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen durchgeführt wurden. Sowohl in Teilstudie 1 als auch in Teilstudie 2 wurde Probanden, bei denen es sich mit wenigen Ausnahmen um Studierende der Allgemeine Rhetorik handelte, das Transkript eines Face-to-Face- Gesprächs aus Teilkorpus II vorgelegt mit der Instruktion, in dem Gesprächsprotokoll solche Strukturen zu unterstreichen, die ihnen in irgendeiner Weise „emotional“ vorkamen. 67 65 Unter Bezug auf Nagel (vgl. 2012: 82ff.) ist nur dann vor experimenteller Vereinzelung von Kommunikationskanälen zu warnen, wenn aus ihnen Aussagen über das Gewicht eines bestimmten Kanals bei der Beeinflussung des Rezipienten abgeleitet werden sollen. Um eine solche Ableitung geht es in unserer Arbeit nicht. Es wird lediglich die Annahme vertreten, dass die segmentale Sprachkomponente im Rahmen emotionaler Kommunikation keine marginale Rolle spielt. 66 Featherston (2008), der Beurteilungsstudien auf dem Gebiet der Grammatikalität einsetzt, macht deutlich, dass die von der Forschung aufgrund vermeintlich mangelnder Präzision und Objektivität öfters problematisierten „judgment studies“ durchaus ein probates Mittel zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnis darstellen, sofern sie - wie im Fall der vorliegenden Untersuchung - mit ganzen Gruppen von Informanten (üblicherweise 25-30 Personen) arbeiten (vgl. ebd.: 71). - Mit der Durchführung von Beurteilungsstudien im Bereich nonverbaler Ausdrucksphänomene befasst sich ausführlich Rosenthal (1982). 67 Gegenstand von Teilstudie 1 waren darüber hinaus drei Chat-Gespräche aus Teilkorpus I, die ursprünglich ebenfalls als mögliches Datenmaterial für unsere Untersuchung in Betracht gezogen worden waren. Die drei Chat-Gespräche wurden jeweils von 18 Probanden bearbeitet, wobei es sich bis auf wenige Ausnahmen um andere Probanden handelte als jene, welche im Rahmen derselben Teilstudie das Gespräch aus Teilkorpus II bearbeiteten. Da der Untersuchungsfokus später auf Teilkorpus II eingeschränkt wurde, fließt der Befund der Chat-Gespräche nicht in die vorliegende Arbeit mit ein. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 78 Teilstudie 1 wurde mit anderen Probanden durchgeführt als Teilstudie 2. Zudem wurde bei Teilstudie 1 ein anderes Korpus-Gespräch verwendet als bei Teilstudie 2, wobei darauf geachtet wurde, dass es sich um Gespräche handelte, die im Rahmen des Experiments von unterschiedlichen Personen geführt worden waren - auf diese Weise wurde insgesamt sprachliches Material von vier unterschiedlichen Sprechern beurteilt. 68 Um ausreichend potentiell markierbare Strukturen anzubieten, wurden zudem in beiden Teilstudien eher emotionsträchtige Gespräche gewählt. Die in diesen Gesprächen auftretende Art sprachlich-kommunikativer Emotionalität (siehe Typologie in Kap. IV) ist für die Gespräche in Teilkorpus II insgesamt charakteristisch. Bevor näher auf die Methode eingegangen wird, sollen zunächst die zwei Teilstudien im Detail beschrieben werden. Der Teilstudie 1 lag das Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ (Nr. 17) zugrunde. Dieses Gesprächsprotokoll bearbeiteten 18 Probanden („Kodierer“) mit einem durchschnittlichen Alter von 25 Jahren, darunter zehn weibliche und acht männliche. Sie wurden ohne spezielle Auswahlkriterien aus verschiedenen, nicht speziell emotionalen Aspekten gewidmeten Rhetorik-Lehrveranstaltungen rekrutiert und erhielten vorab lediglich die Hintergrundinformation, dass sie an einer Studie zur Gesprächsrhetorik teilnahmen. In einem dafür vorbereiteten Raum bearbeiteten sie - jeder für sich - sukzessive drei Aufgabenstellungen (siehe Abschnitt 9 des Anhangs), welche in schriftlicher Form auf jeweils gesonderten Papierbögen ausgeteilt und zusätzlich von der Versuchsleitung mündlich erläutert wurden. 69 Dabei wurde darauf geachtet, dass die Probanden die jeweils nachfolgende Aufgabenstellung erst nach Abschluss der vorangehenden Aufgabe einsehen konnten. Dadurch sollte verhindert werden, dass die Probanden bei der ersten Aufgabe nur solche Markierungen vornehmen, von denen sie glauben, dass sie sie auch begründen können. Die erste Aufgabe für die Kodierer bestand darin, das Gesprächsprotokoll durchzulesen und gleich beim ersten Durchlesen im Vertrauen auf die eigene Intuition spontan all jene Textstellen zu unterstreichen, die ihnen als „in irgendeiner Weise ‚emotional‘“ erschienen. Wenn etwas als besonders stark emotional empfunden wurde, sollte es doppelt unterstrichen werden. Bewusst sollte hier also ein Alltagsverständnis von kompetenten Sprechern abgerufen werden, ohne präzise Vorgaben. 68 Es ist davon auszugehen, dass sich bei jedem Sprecher minimale Formulierungs-Idiosynkrasien finden. Je höher die Anzahl an einbezogenen Sprechern ist, desto schwächer fällt dies ins Gewicht. 69 Fünf der Probanden bearbeiteten die Aufgaben aus organisatorischen Gründen zu einem späteren Zeitpunkt in Eigenregie. 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln 79 Auf eine Erläuterung des Wortes „emotional“ wurde bei dieser Aufgabe bewusst verzichtet, um einen Eindruck davon zu gewinnen, was die Kodierer von sich aus als „emotional“ beurteilen würden. Um den Anreiz, eine Textstelle zu markieren, eher niedrigschwellig zu gestalten, wurden die Kodierer mündlich dazu angehalten, im Zweifel lieber eine Unterstreichung mehr vorzunehmen als eine weniger. Die zweite Aufgabe lautete, die vorgenommenen Markierungen auf dem Seitenrand des Transkripts kurz zu begründen und - dies wurde mündlich hinzugefügt - die jeweilige Emotion wenn möglich zu benennen. Dabei brauchten die Kodierer nur solche Markierungen zu erläutern, bei denen es ihnen leichtfiel, etwas über den Grund ihrer Einschätzung auszusagen. Die dritte Aufgabe bestand im Ausfüllen eines resümierenden Fragebogens zu dem bearbeiteten Gespräch (siehe Kap. IX.2). Jeder Kodierer erhielt für die Bearbeitung der Aufgaben so viel Zeit wie nötig. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer betrug ca. eine Stunde. Der Teilstudie 2 lag das Transkript des „Orangensaft-Gesprächs“ (Nr. 4) zugrunde. Dieses Gesprächsprotokoll bearbeiteten 21 Kodierer mit einem durchschnittlichen Alter von 25 Jahren, darunter neun weibliche und zwölf männliche. Bei ihnen handelte es sich um Teilnehmer eines Seminars zu Rolle von Emotionen in der Gesprächsrhetorik, d.h. um Studierende, die durch ein paar zuvor abgehaltene Sitzungen bereits bis zu einem gewissen Grad für die Thematik sensibilisiert worden waren. 70 Die Aufgaben waren dieselben wie in Teilstudie 1, mit Ausnahme eines Zusatzes bei der zweiten Aufgabe, welcher darin bestand, dass die Kodierer bzgl. jeder markierten Struktur zusätzlich die Intensität der Emotionalität auf einer Skala von 1 - 10 (1 = schwach emotional, 10 = stark emotional) bewerten und auf dem Seitenrand des Transkripts notieren sollten. 71 Damit sollte die in Teilstudie 1 gegebene Möglichkeit der doppelten Unterstreichung stärker ausdifferenziert werden. Die vorliegende Untersuchung basiert auf dem Befund von Aufgabe 1 aus Teilstudie 1 und 2. Auf die in Aufgabe 2 erfragten schriftlichen Begründungen („Kommentare“) der Kodierer zu den markierten Strukturen wird insbesondere im Fall der impliziten emotionalen Bewertungen zurückge- 70 Was die Ergebnisse von Teilstudie 1 und 2 angeht, konnten keine systematischen Unterschiede zwischen den Kodierungen der unsensibilisierten Teilnehmer (Teilstudie 1) bzw. der sensibilisierten Teilnehmer (Teilstudie 2) festgestellt werden. 71 Diese Vorgehensweise erinnert in gewisser Hinsicht an die aus der Psychophysik bekannte Methode der „Magnitude Estimation“, bei welcher Versuchspersonen die Stärke eines Reizes anhand von Zahlenwerten beurteilen sollen. Featherston (2008) hat diese Methode im Bereich der Grammatikalitätsforschung zu „Thermometer Judgments“ modifiziert. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 80 griffen (siehe Kap. IV.2.2). Die in Teilstudie 2 zusätzlich abgefragten Angaben zur Intensität flossen nicht in die vorliegende Untersuchung mit ein. 72 Auf die Fragebogen-Untersuchung zum Samstagmorgen-Gespräch (Teilstudie 1, Aufgabe 3) wird im Rahmen der exemplarischen Analyse dieses Gesprächs eingegangen (siehe Kap. IX.2). Die Methode, auf der unsere Beurteilungsstudie basiert, kann als Laien-Intuitionsheuristik bezeichnet werden und ist im Zusammenhang mit unserem Untersuchungsgegenstand insofern innovativ, als in der korpusbasierten sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Forschung zur segmentalen Komponente sprachlich-kommunikativer Emotionalität i.d.R. von Experten festgelegt wird, welche der in einem Korpus enthaltenen Strukturen als emotional zu gelten haben. 73 Drescher etwa beschreibt ihre eigene Methode zur Identifizierung entsprechender Strukturen so: Im Wesentlichen geht es […] darum, durch Mikroanalysen ein (sprachliches) Verhaltensmuster, also eine rekurrente formale Einheit, zu isolieren, die mit der Lösung einer kommunikativen Aufgabe bzw. der Zuschreibung einer kommunikativen Bedeutung korreliert werden kann. Dem geht die Annahme voraus, daß es sprachliche Mittel gibt, die konventionellerweise mit einer (komplexen) kommunikativen Bedeutung - hier dem Ausdruck von Emotionen - verbunden sind und die so die Wahrnehmung der Interaktanten und damit auch die der Analysierenden lenken. Um eine solche Beziehung zwischen Formen und Funktionen aufzudecken, sind die Analysen an einer Vielzahl von Gesprächsausschnitten zu wiederholen, wobei gerade die Berücksichtigung abweichender oder marginaler Vorkommen zu einer besseren Kenntnis und damit zu einer Ausgrenzung des zur Diskussion stehenden Musters verhilft (Drescher 2003: 9). Positiv hervorzuheben ist dabei, dass Drescher die Rolle der Experten-Intuition thematisiert und methodologisch reflektiert: Die Bestimmung einer Sequenz als ‚affektiv‘, ‚emotiv‘ etc. erfolgt primär unter Rekurs auf hermeneutisch-interpretative Verfahren. Rekonstruiert wird 72 Bei den Angaben zur Intensität in Teilstudie 2 war keine ausreichende Auswertungsobjektivität gegeben, weil die von den Kodierern am Seitenrand notierten Intensitäts- Kennziffern (Skala 1-10) nicht immer eindeutig einer bestimmten Struktur zugeordnet werden konnten. 73 In der mit sprachlichen Methoden arbeitenden emotionspsychologischen Forschung, z.B. zur introspektiven Beurteilung des eigenen Gefühlszustandes oder zur Verwendung von Emotionsbezeichnungen, kommen hingegen durchaus Laienbefragungen (Fragebögen) zum Einsatz (siehe Debus 2000). Mit Hilfe des Semantischen Differentials nach Osgood/ Suci/ Tannenbaum (1957) etwa können affektive Einstellungen zu bestimmten Konzepten oder auch emotionale Wortbedeutungen anhand bipolarer Skalen analysiert werden. 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln 81 eine solche komplexe kommunikative Bedeutung zunächst unter Zuhilfenahme des (Alltags-) Wissens des Analysierenden als einem kompetenten Mitglied der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Den Ausgangspunkt bildet das intuitive Verständnis einer Passage als ‚affektiv‘. Der Rekurs auf die eigene Deutungskompetenz ist in diesem Zusammenhang unvermeidlich (ebd.). Auch Kerbrat-Orecchioni (1980: 71) geht offen mit der Rolle der Intuition bei der Ermittlung von „subjektivitätsträchtigen“ sprachlich-kommunikativen Strukturen durch Experten um: „Pour effectuer le repérage des unités qu’il nous semble légitime de considérer comme subjectives, nous nous fierons avant tout, il faut l’avouer sans ambages, à notre intuition.“ Nun ist der Einsatz von Experten-Intuition als Ausgangspunkt für wissenschaftliche Theoriebildung ein durchaus probates Mittel für den Erkenntnisgewinn - bei hermeneutisch-interpretativen Methoden gehört er sozusagen zum Standard-Repertoire. Dass vom Experten festgelegt wird, welche sprachlichen Strukturen als emotional zu gelten haben, ist aber dann problematisch, wenn diese Vorgehensweise nicht methodologisch reflektiert wird. Drescher postuliert daher völlig zu Recht, dass der Analysierende sein intuitives Verständnis methodisieren, d.h. Grundlagen entsprechender Interpretation explizieren müsse (vgl. ebd.). Das ist vor allem deswegen erforderlich, weil das „Reich der Expertenintuition“ auf Denkstrukturen basiert, die nie ganz frei sind von Prämissen aus bereits rezipierten Theorien - ansonsten wäre nicht von einem „Experten“ zu sprechen. Dabei kann es unter Experten natürlich sehr unterschiedliche Meinungen geben - so wird in der Linguistik etwa eine skurrile Diskussion darüber geführt, ob mit Sätzen wie Ich bin wütend eine Emotion „ausgedrückt“ wird oder nicht (siehe Kap. IV.3). Ein Ziel der vorliegenden Arbeit besteht vor diesem Hintergrund darin, solchen und ähnlichen Experten-Diskussionen durch die Fokussierung auf Laien-Urteile einen neuen Impuls zu geben. Um Laien auf dem Gebiet „Sprache und Emotion“ handelt es sich bei den Teilnehmern von Teilstudie 1 und 2 in dem Sinne, als diese sich vorab nicht - zumindest nicht über einen großen Zeitraum hin - wissenschaftlich-systematisch mit der Frage auseinandergesetzt hatten, welche sprachlich-kommunikativen Strukturen von Forschern als emotional betrachtet werden. 74 Hintergrundhypthese: Es ist unklar, was im Deutschen als sprachlicher Ausdruck von Emotionalität zu gelten hat. 74 Dies gilt auch für die bis zu einem gewissen Grad für die Thematik sensibilisierten Teilnehmer der Teilstudie 2. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 82 Unsere Laien-Intuitionsheuristik operiert mit drei Basishypothesen: 1. Laien sind in der Lage, in Form eines Gesprächstranskripts präsentierte sprachlich-kommunikative Strukturen intuitiv danach zu beurteilen (zu kodieren 75) , ob sie emotional sind oder nicht. 76 2. Bei den Kodierungen der Laien lassen sich gewisse Häufungen (Cluster) feststellen, d.h. bestimmte Strukturen werden von den Kodierern besonders häufig als „emotional“ beurteilt. 3. Dem Experten ist es möglich, aus den von der Clusterbildung betroffenen Strukturen eine konsistente Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation abzuleiten. Was die erste These betrifft, so wurde sie durch die problemlose Umsetzung der Instruktionen durch die Probanden bestätigt: Bis auf eine Ausnahme 77 waren alle Teilnehmer der Studie ohne Weiteres in der Lage, zwischen 75 Zum methodischen Schritt des Kodierens im Rahmen von Gesprächsanalysen siehe Potter/ Wetherell (1987: 167). 76 Zur Bedeutsamkeit von Laien-Urteilen im Bereich des Emotionalen heißt es bei Russell (1980: 1162): „In their daily interactions with others, most people interpret the moods of others, anticipate each other’s emotional response and seek to modify those emotional responses. In doing so, laymen must rely on their own knowledge about emotion. Laymen have learned about emotions, organizing and summarizing their knowledge into a cognitive structure. In turn, the cognitive structure helps to shape the perception and interpretation of specific events. It would be used in interpreting verbal descriptions of emotion, including anything from a subtle hint to an explicit declaration. It would be used in interpreting nonverbal evidence of emotional states, including facial expression, tone of voice, slips of the tongue, overt actions, blushing or any of a host of other possible cues. And to anticipate my thesis to be presented later, it would be used in conceptualizing and reporting one’s own emotional state. People might be said to have an implicit theory of emotions, suggesting an analogy to implicit personality theory or to a scientific theory. Indeed, the laymen’s cognitive representation of emotion is presumably implicit in the sense that few if any could explicitly state their complete conceptual framework; it must be inferred from judgments made about emotion. It may also be useful to think about the cognitive representation as like a theory in that it includes a set of categories (each labeled by a term such as happy, excited, or sad) interrelated in a systematic fashion (an implicit taxonomy of emotions).“ 77 Eine Probandin unterstrich sämtliche Strukturen im Transkript und notierte folgende Begründung: „In meinen Augen gibt es keine emotionslose Kommunikation. Sei es die Tonlage, ein Blick, die Körpersprache, ... Da es sich hier um einen Text handelt, können wir nur von der Intonation ausgehen und die fällt auch nicht einfach aus, sondern findet unablässig statt, insbesondere beim Flirt.“ Mit dieser Einschätzung blieb sie im Kreis der Probanden allerdings allein. Dies stützt die gestaltpsychologische Auffassung, dass sich emotionale Strukturen als „Figur“ von einem nicht-emotionalen „Grund“ abheben (vgl. Drescher 2003: 94f.; 2001: 191). 2 Beurteilungsstudie zu sprachlichen Mitteln 83 transkribierten emotionalen und unemotionalen Strukturen der Lautsprache zu unterscheiden. 78 Für diese Aufgabe mussten sie weder die Aussprache dieser Strukturen hören noch die jeweiligen Sprecher mimisch oder gestisch agieren sehen. 79 Auch die zweite These wurde durch den Befund der Beurteilungsstudie bestätigt. Dieser wies tatsächlich Strukturen auf, die von einer auffällig großen Anzahl der Kodierer markiert worden waren. Um solche Strukturen zu identifizieren, wurde jedem Kodierer zunächst ein eigenes Kürzel (z.B. „Gu“, „O“) zugewiesen. 80 Dann wurde für jede einzelne Transkript-Zeile eines Sprechers - gesondert für den Sprecher „M“ bzw. die Sprecherin „F“ - notiert, welche Kodierer sie jeweils markiert hatten. Schließlich wurden die zu jeder Zeile notierten Kodierer-Kürzel ausge- 78 Auf die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung deutet auch folgende Bemerkung Fiehlers (1990: 205) hin: „Analog zu den Interaktionsbeteiligten besitzt natürlich auch die die Interaktion analysierende Person Erwartungen über ‚normales‘, d.h. Interaktionstyp- und situationsentsprechendes Erleben, auf deren Grundlage sie die Interaktionszüge der Beteiligten deutet und - auch unabhängig von Indikatoren - Erlebenszuschreibungen vornimmt.“ 79 Anzumerken ist, dass die Transkripte durchaus Hinweise auf non- und paraverbale Ausdrucksphänomene enthalten (z.B. Betonung, Sprechgeschwindigkeit, Lachen, Gestik etc.). Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Laien-Kodierer bei der Markierung von Strukturen auch durch Transkriptvermerke wie „lacht“ o.ä. beeinflusst wurden. Allerdings wurden die Markierungen keineswegs systematisch bei solchen Vermerken vorgenommen. Zudem deuten neueste Hirnforschungsstudien darauf hin, dass in Form literarischer Beschreibungen von Stimmen dargebotene, d.h. schriftsprachlich kodierte Hinweisreize auf die affektive Qualität einer Stimme zerebral ähnlich repräsentiert werden wie vokale affektive Hinweisreize selbst (vgl. Brück 2013: 57ff.). Dies wird u.a. in Verbindung gebracht mit der simulierten Perzeption stimmlicher Charakteristika, dem sog. Phänomen der „inner voice“, welches mittels bildgebender Verfahren detektiert werden kann. Die „innere Stimme“ tritt auch dann auf, wenn der Leser nicht explizit instruiert wird, sich den Klang einer Stimme vorzustellen. Sie wird durch die schriftliche Präsentation von wörtlichen Zitaten eines Sprechers verstärkt (vgl. ebd.: 73f.). Möglicherweise simulierten auch die Probanden unserer Beurteilungsstudie mental unbewusst die Stimmen der protokollierten Sprecher. Dies könnte erklären, weshalb sie die Aufgabe problemlos erfüllen konnten. - Weiterhin kann prinzipiell nicht ausgeschlossen werden, dass gewisse Äußerungen allein deswegen markiert wurden, weil sie emotionsbezeichnende Wörter wie z.B. traurig enthalten. Ein solches Screening-Verhalten, d.h. die selektive Wahrnehmung und Markierung emotionaler Wörter ohne Rücksicht auf die Bedeutung der gesamten Äußerung, könnte eine einfache, wenngleich eher kontraintuitive Strategie zur Bewältigung der Aufgabe darstellen. Dass ein solches Vorgehen im Fall unserer Kodierer aber wenig wahrscheinlich ist, belegen deren differenzierte und oft sehr treffenden Erläuterungen zu den markierten Strukturen. 80 Die Kürzel werden in der vorliegenden Arbeit bei der Wiedergabe von Kodierer-Kommentaren zu einzelnen Markierungen verwendet. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 84 zählt. So konnte zu jeder beliebigen Transkript-Zeile eines Sprechers angegeben werden, wie oft und von wem sie markiert worden war. 81 Zeilen, welche durch mindestens zehn Kodierer markiert worden waren, wurden als signifikant eingestuft (natürlich nicht im statistischen Sinn) und dann in der Strukturanalyse genauer untersucht. Dabei wurden genauere Identifikationen vorgenommen, auf welche sich die Übereinstimmung der Kodierer offensichtlich bezog. 82 Dass auch die dritte These zu bestätigen ist, d.h. dass sich aus den Einschätzungen der Laien tatsächlich eine konsistente Typologie sprachlichkommunikativer Emotionalität ableiten lässt, zeigt die ausgehend von der Beurteilungsstudie entwickelte Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation (siehe Kap. III.3, IV). 3 Typologisierung des Befunds In einem zweiten methodischen Schritt wurde der Befund der Beurteilungsstudie auf linguistischer Ebene qualitativ analysiert. Hierzu wurden die durch mindestens zehn Kodierer als „emotional“ markierten Strukturen zunächst nach semantischer Ähnlichkeit (z.B. „positive Emotion“ vs. „negative Emotion“ des Sprechers) und morphologischer bzw. syntaktischer Ähnlichkeit (z.B. Modalpartikeln, Objektsprädikative) sortiert. Anschließend wurden die so gebildeten Kategorien auf ihre jeweilige kommunikationspragmatische Funktion hin untersucht und systematisiert. Auf diese Weise wurde aus dem Befund der Beurteilungsstudie eine Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation entwickelt. In die Typologisierung des Befunds wurden ausschließlich Strukturen einbezogen, die in der Beurteilungsstudie - wie gesagt - durch mindestens zehn Kodierer, d.h. je Teilstudie durch rund die Hälfte der Kodierer, 83 als „emotional“ markiert worden waren. Strukturen, die durch einen bis neun Kodierer markiert worden waren, wurden nicht berücksichtigt. Diese Vorgehensweise wurde gewählt, um Strukturen zu selektieren, bzgl. deren emotionaler Qualität relativ große Einigkeit herrscht bzw. um zu vermeiden, 81 Die Zuordnung markierter Transkript-Zeilen zu den jeweiligen Kodierern war insbesondere dann von Nutzen, wenn zu einer bestimmten Struktur die Erläuterungen der betreffenden Kodierer konsultiert werden sollten. 82 Häufig nehmen die betreffenden Strukturen ganze Zeilen ein oder erstrecken sich sogar über zwei oder mehr Zeilen. 83 An jeder Teilstudie partizipierten durchschnittlich 19,5 Kodierer (Mittelwert von 18 Kodierern in Teilstudie 1 und 21 Kodierern in Teilstudie 2), also rund 20 Kodierer. 3 Typologisierung des Befunds 85 dass idiosynkratisch-nichtrepräsentative Markierungen einzelner Kodierer den Befund und die davon ausgehende Theoriebildung verwässern. 84 Über die Frage, wo die „Berücksichtigungsschwelle“ für entsprechende Strukturen bei unserer verhältnismäßig geringen Anzahl an Kodierern sinnvollerweise angesetzt werden sollte, ließe sich natürlich diskutieren. 85 Für unseren Untersuchungszweck erwies sich die 50%-Variante als probater Mittelweg, zumal sich nach Abschluss der Analyse zeigte, dass jene Strukturen, die zwar von einer gewissen Anzahl an Kodierern (etwa 5-9) markiert, bei der Analyse jedoch nicht berücksichtigt worden waren, typologisch den berücksichtigten markierten Strukturen entsprechen, so dass das Ergebnis der Typologisierung weitestgehend repräsentativ für den Gesamtbefund der Beurteilungsstudie ist. Da die Art sprachlich-kommunikativer Emotionalität, wie sie in den der Beurteilungsstudie zugrundeliegenden Korpusgesprächen auftritt, für die Gespräche in Teilkorpus II insgesamt charakteristisch ist, lässt sich die Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation ohne Weiteres auf das gesamte Teilkorpus anwenden. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnten mit ihrer Hilfe in allen Gesprächen des Teilkorpus emotionale Interaktionssequenzen isoliert und darauf aufbauend typische emotionalrhetorische Strategien identifiziert werden. Es erübrigt sich zu sagen, dass diese qualitative Art der Phänomen-Heuristik nichts mit Statistik zu tun hat, um die es ja auch nicht geht. Die Typologie wird in Kap. IV ausführlich beschrieben. Zuvor sind jedoch Bemerkungen zu konzeptuellen und terminologischen Grundlagen erforderlich. 3.1 Schlüsselkonzept: Emotionale Bewertung Die Annahme, dass Emotionen bewertende Funktion haben, liegt nicht nur den gegenwärtig wohl einflussreichsten Ansätzen der Emotionspsychologie 84 Dieser Gedanke klingt auch bei Drescher (2003: 10) an: „Aus heuristischen Gründen eignen sich v.a. solche Stellen für einen ersten analytischen Zugriff, in denen das relevante Phänomen, in unserem Fall Emotionsmanifestationen, besonders deutlich zum Ausdruck kommt. […] Es bietet sich an, zunächst von solchen eher eindeutigen Stellen auszugehen und diese genau auf rekurrente sprachliche Formen und Strukturen hin zu untersuchen. Die Orientierung an den in diesem Zusammenhang erhobenen sprachlichen Mitteln kann dann bei der Analyse weniger deutlich markierte Sequenzen als Heuristik dienen. Wenn eine Verbindung zwischen formalen Einheiten einerseits und kommunikativen Bedeutungen andererseits empirisch ermittelt und durch eine Vielzahl von Analysen bestätigt wurde, können in einem zweiten Schritt die offenbar konventionell an der Manifestation von Emotionen beteiligten Mittel den Status von potentiell affektiven Indikatoren erhalten.“ 85 Hier wäre zwischen dem Erfassen einer möglichst großen Bandbreite an Phänomenen (niedrigere Schwelle) und dem Erfassen möglichst einschlägiger Phänomene (höhere Schwelle) abzuwägen. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 86 zugrunde, nämlich den kognitiven Theorien bzw. Appraisal-Theorien (vgl. Dohle 2011: 66), zu denen auch das Modell von Scherer gezählt werden kann. 86 Die „Alltagsplausibilität“ (vgl. ebd.) der mit diesen Theorien verbundenen Annahmen macht den Bewertungsaspekt von Emotion insbesondere auch für sprach- und kommunikationswissenschaftliche Arbeiten (insbesondere Fiehler 1990; Jahr 2000a; Schwarz-Friesel 2013) zum Thema Emotion attraktiv - dies wurde bereits in Kap. II deutlich. 87 Sander bringt die fundamentale Bedeutung des Bewertungsaspekts für die Konzeptualisierung von Emotionen auf den Punkt: Will man einer wenig empfindsamen Seele, die auf der phänomenalen Ebene vielleicht nur in der Lage ist, zwischen hedonistisch positiv und negativ zu unterscheiden, nicht die Fähigkeit, unser Gefühlsvokabular korrekt zu verwenden, oder sogar das Haben bestimmter Gefühle absprechen, ist für die Unterscheidung verschiedener Emotionen offensichtlich allein deren kognitives oder evaluatives Moment wesentlich (Sander 2003: 22). Auch in der vorliegenden Untersuchung kristallisierte sich der Bewertungsaspekt von Emotion als Schlüssel für die Typologisierung des Befunds der Beurteilungsstudie und damit zugleich als Basis für gesprächsrhetorische Theoriebildung zu sprachlich-kommunikativer Emotionalität heraus - die durch mindestens zehn Kodierer markierten Strukturen lassen sich mit seiner Hilfe auf konsistente Weise systematisieren bzw. typologisieren (siehe Kap. III.3, IV). Wenn Emotion im Folgenden mit Fiehler (1990: 45) als „eine spezifische Form der Bewertung“ betrachtet wird, dann bedeutet das - mit Hilfe der von Knape (vgl. 2008: 919ff.) im Hinblick auf Überzeugungsstrategien entwickelten sieben Orientierungsaspekte (instruktiv, verfikativ, axiomativ, evaluativ, emotiv, direkt-stimulativ, voluntativ) ausgedrückt -, dass der emotive Orientierungsaspekt nicht als konkurrierende Kategorie, sondern als Spezifikation bzw. Unterkategorie des evaluativen gefasst wird.88 Der Frage, worin das Spezifikum des „Emotionalen“ gegenüber dem „Bewertenden“ auf sprachlich-kommunikativer Ebene besteht, wird in Kap. IV.2.1.2.1 nachgegangen. 86 Zu entsprechenden Theorien siehe allgemein Scherer (1999), Reisenzein (2000) und Mandl/ Reiserer (2000). 87 Wenn Hermanns (2002: 359) im Zusammenhang lexikalischer Semantik behauptet, es gäbe „Emotion ohne Wertung“, und dies mit „nicht auf einen Gegenstand (einen Sachverhalt, eine Person) bezogenen Gefühlen“ wie Heiterkeit und Gutgelauntheit begründet, verwechselt er Emotionen mit ungerichteten bzw. nicht klar auf ein auslösendes Ereignis bezogenen Stimmungen bzw. Gemütslagen. 88 Der evaluative Orientierungsaspekt bezieht sich bei Knape (2008: 922f.) auf die Leitfrage „Ist die Sache, um die es geht, wertvoll, gut oder schön? “, der emotive auf die Leitfrage „Spricht die Sache, um die es geht, die Gefühle an? “. 3 Typologisierung des Befunds 87 Die kommunikationspragmatische Orientierung der Rhetorik legt eine handlungstheoretische Perspektivierung emotionaler Äußerungen nahe. Unsere Untersuchung nimmt (emotionale) Äußerungen daher grundsätzlich als (emotionale) sprachlich-kommunikative Handlungen in den Blick. Kombiniert mit der Annahme, dass Emotionen Formen von Bewertungen darstellen, kann emotionales sprachlich-kommunikatives Handeln dann näherhin als emotional bewertendes sprachlich-kommunikatives Handeln konzipiert werden. 89 Dabei ist emotional bewertendes sprachlich-kommunikatives Handeln (wie jegliches Handeln eines strategischen Kommunikators) unter Rückgriff auf die sozialen Handlungstypen von Max Weber (vgl. 1972: 12f.) als „zweckrationales Handeln“ zu konzipieren: 90 Es stellt ein rationaler Kontrolle unterliegendes, an Ziel-Mittel-Kalkülen orientiertes Handeln dar. Dementsprechend gehen wir - anders etwa als Konstantinidou, die im Rahmen ihres semiotischen Ansatzes den der psychischen Entlastung dienenden Ausdruck von Emotion von deren intentionaler Kommunikation unterscheidet (vgl. 1997: 105ff.) - davon aus, dass prinzipiell alle Äußerungen eines strategischen Kommunikators als intentionale Äußerungen zu betrachten sind. - Selbst die sogenannte „affektive Entladung“ in Form einer Exklamation erfolgt aus rhetorischer Perspektive strategisch-gezielt. 91 Für den „affektuellen“ Handlungstyp Webers hingegen, der sich auf hedonistisch-selbstbezügliche Befriedigung akuter affektiver Bedürfnisse (z.B. die Befriedigung von Rachegelüsten) bezieht, ist im Reich strategischer Kommunikation kein Platz. D.h. emotional bewertendes sprachliches Handeln eines Orators, wie es in unserem persuasionsrhetorischen Ansatz konzipiert wird, ist kein rationaler Kontrolle entzogenes „affektuelles“ Handeln 89 Zum Zusammenhang von Emotion und Bewertung im Rahmen sprachlichen Handelns siehe insbesondere die Diskussion der Arbeit von Marten-Cleef (1991) in Kap. II.2. Ausführliche Überlegungen zum Zusammenhang von Emotion und Bewertung auf textueller Ebene finden sich bei Jahr (2000a). 90 Bei Weber (1972: 12) heißt es: „Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein 1. zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als „Bedingungen“ oder als „Mittel“ für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigne Zwecke, - 2. wertrational: durch bewußten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden - unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, - 3. affektuell, insbesondere emotional: durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen, - 4. traditional: durch eingelebte Gewohnheit.“ 91 Neuere Studien deuten darauf hin, dass die Verbalisierung einer empfundenen Emotion nicht zu einer „affektiven Entladung“ bzw. zu einer „Auflösung“ der Emotion führt. Beim in der Forschung vielbeschworenen, vermeintlich kathartischen Effekt verbalen Emtionsausdrucks würde es sich demnach um einen Mythos handeln. Im Rahmen kommunikativer Interaktion dient Emotionsausdruck insbesondere der sozialen Integration und Erzeugung von Bindung (vgl. Rimé/ Herbette 2003: 77; ausführlich Zech 2003). III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 88 im Sinne Webers, sondern bewusst gesteuertes, einem persuasiven Zweck dienendes Handeln. Dass zweckrationales oratorisches Handeln immer auch über einen gewisse „wertrationale Verankerung“ 92 im Sinne gesellschaftlicher Allgemeinverträglichkeit oratorischen Anliegens verfügen sollte, manifestiert sich im antiken vir-bonus-Ideal, das auch im Kontext der modernen Rhetoriktheorie noch seine Gültigkeit hat. Wie Drescher (2003: 82) konstatiert, werden „in der linguistischen Forschungstradition Konzepte wie Expressivität, Affektivität, Emotion, Emotionalität, Affekt, Gefühl aber auch Subjektivität oder Emphase in der Regel in einem vortheoretischen Sinn verwendet und als mehr oder weniger austauschbar behandelt“ (vgl. hierzu auch Schwarz-Friesel 2013: 138ff.). Einen extremen Fall stellen Plantin/ Traverso (2000: 7) dar, die den Begriff émotion ausdrücklich als Sammelbecken für Begriffe wie affect, éprouvé, humeur, sentiment, disposition und état d’âme verwenden. Auch Fiehler (1990) spricht scheinbar unreflektiert an manchen Stellen von „Emotionen“, an anderen Stellen von „Gefühlen“ und dann wieder von „Erleben“, wobei unklar ist, ob hier jeweils Unterschiedliches gemeint ist oder ob die Begriffe schlicht synonym verwendet werden - Letzteres scheint dabei eher der Fall zu sein (vgl. z.B. ebd.: 113; 40ff.; 77); Marten-Cleef (vgl. 1991: 49) expliziert wenigstens, dass sie die Begriffe „Emotion“ und „Gefühl“ synonym verwendet. Terminologische Differenzierungen wie etwa bei Schwarz-Friesel (siehe Kap. II.2) sind derzeit jedenfalls noch rar. Um die kommunikationspragmatische Perspektive der vorliegenden Arbeit zu unterstreichen, bevorzugen wir zur Bezeichnung von emotional bewertendem sprachlich-kommunikativem Handeln die Formulierung (sprachliche) Kommunikation emotionaler Bewertung 93 - kürzer: emotionale Kommunikation - gegenüber in der Forschung gebräuchlichen, teils das tatsächliche (physiologisch messbare) Vorhandensein einer Emotion suggerierenden Begriffen wie „Emotionsausdruck“, „Gefühlsausdruck“, „Affektausdruck“, „Ausdruck emotionaler Einstellung“ „emotionale Stellungnahme“ u.ä. und 92 „Affektuelle und wertrationale Orientierung des Handelns unterscheiden sich durch die bewußte Herausarbeitung der letzten Richtpunkte des Handelns und durch konsequente planvolle Orientierung daran bei dem Letzteren. Sonst haben sie gemeinsam: daß für sie der Sinn des Handelns nicht in dem jenseits seiner liegenden Erfolg, sondern in dem bestimmt gearteten Handeln als solchen liegt. Affektuell handelt, wer sein Bedürfnis nach aktueller Rache, aktuellem Genuß, aktueller Hingabe, aktueller kontemplativer Seligkeit oder nach Abreaktion aktueller Affekte (gleichviel wie massiver oder wie sublimer Art) befriedigt“ (Weber 1972: 12). 93 Der Begriff der emotionalen Bewertung findet sich z.B. auch bei Fries (1991: 9f.; 2007; 2009), Jahr (2000a: 77) und Sandhöfer-Sixel (1990); Grimm/ Engelkamp (1981) sprechen von „affektiven Bewertungen“. 3 Typologisierung des Befunds 89 verwenden diese Formulierung in unserer Untersuchung systematisch (siehe hierzu auch die terminologischen Überlegungen in Kap. IV.3). 94 Sofern es um die linguistische Ebene sprachlicher Kommunikation geht, wird in unserer Arbeit anstelle von emotional bewertender sprachlicher Kommunikation oft von emotional bewertenden - kürzer: emotionalen - Äußerungen gesprochen. Der Äußerungsbegriff betont dabei den in Gesprächen gegebenen Aspekt der Mündlichkeit lautsprachlich-kommunikativen Handelns (vgl. Brinker/ Sager 2006: 11). Er bezieht sich ausschließlich auf eine „Gliederungseinheit der Gesprächsoberfläche (dem Begriff ‚Segment‘ in der Textanalyse vergleichbar) und enthält noch keine weiteren grammatischen, thematischen oder pragmatischen Implikationen“ (ebd.). Unsere handlungspragmatische Konzeption sprachlich-kommunikativer Emotionalität ist von Ansätzen abzugrenzen, welche Letztere als formal-stilistisches Oberflächen-Phänomen betrachten, wie z.B. dem dialoggrammatischen Ansatz zur Persuasion von Ortak (2004). Ortak konstatiert zunächst, dass im Allgemeinen ein Zusammenhang zwischen der emotiven und der evaluativen Komponente hergestellt werde (vgl. ebd.: 57). Umso mehr überrascht es, dass Ortak wenige Zeilen weiter einer hinsichtlich ihrer persuasionstheoretischen Implikaturen problematischen Reduktion sprachlicher Emotionalität auf figurative Sprache aufsitzt: Demgemäß zeichnet sich sprachliche ‚Emotionalität‘ in persuasiven Zusammenhängen durch den intensiven Einsatz rhetorischer Figuren aus. Je deutlicher die Deviation ausgeprägt ist, desto ‚emotionaler‘ ist die Sprache. Umgekehrt weist der weitgehende Verzicht auf solche stilistischen Mittel auf einen neutralen, ‚sachlichen‘, d.h. ‚rationalen‘ Stil hin. Für den persuasiven Kalkül-Typ ist diese stilistische Unterscheidung von Oberflächen-Tokens im Prinzip zweitrangig (ebd.: 58). Damit verbannt Ortak emotionale Einflussgrößen - entgegen der aristotelischen Pathos-Konzeption (siehe Kap. V.3) - aus der Ebene persuasiven Kalküls, spricht ihnen den Rang einer eigenen Überzeugungskomponente ab. Die eloquenzrhetorische Assoziation von sprachlicher Emotionalität mit rhetorischen Figuren (insbesondere Affektfiguren, siehe Kap. II.2) bzw. mit einem reinen Ornatus-Aspekt ist natürlich nicht neu (siehe hierzu Till 2008: 658ff.). Bereits Quintilian, für den Figuren die „paradigmatischen Emotionserreger“ (ebd.: 659) sind, hält fest: Die Gefühlsregungen nun gar lassen sich durch nichts stärker lenken. Denn wenn schon der Ausdruck der Stirn, Augen und Hände starken Eindruck auf die Erregung der Gemüter macht, wieviel mehr erst der Ausdruck der Rede 94 Wenn an einigen Stellen aus Gründen besserer Lesbarkeit von der (sprachlich-kommunikativen) Emotionalität eines Gesprächsteilnehmers die Rede ist, so bezieht sich dieser Ausdruck näherhin auf dessen emotional bewertendes sprachlich-kommunikatives Handeln. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 90 selbst, wenn er ihr Mienenspiel so zurechtlegt, wie es der gewünschten Wirkung entspricht (Quint. Inst. or. IX,1,21; Übers. n. Rahn). Für persuasionsrhetorische Ansätze greifen stilistische Konzeptionen sprachlich-kommunikativer Emotionalität jedoch zu kurz, weil sie die inhaltlich-pragmatische Tiefendimension des kommunikativ Emotionalen, den Bewertungsaspekt, verkennen. Denn das Herbeiführen von mentalen Wechseln ist auf kognitiver Ebene eng mit dem Induzieren von Bewertungen verbunden: Wenn der Adressat die vom Orator gewünschte Position annimmt bzw. ablehnt, hat er sie i.d.R. zuvor bewertet. Die Valenz dieser Bewertung kann der Orator mit rationaler Argumentation, mit Image-Bildung und in erheblichem Ausmaß eben auch mit der Kommunikation emotionaler Bewertung beeinflussen. Ansätze, die demgegenüber die emotionale Überzeugungskomponente auf stilistisch-formale Auffälligkeiten (Devianzen) im Text reduzieren, gehen an ihrem eigentlichen Kern vorbei und verkennen ihr beträchtliches Einflusspotenzial auf Persuasionsprozesse. Was unsere Untersuchung betrifft, erweist sich das emotionale Figurenarsenal der Rhetorik (siehe Kap. II.2) nicht als geeignet, um den Befund der Beurteilungsstudie systematisch zu erklären. Demgegenüber ermöglicht eine Konzeption sprachlich-kommunikativer Emotionalität als emotional bewertendes Handeln eine sinnvolle Systematisierung des Befunds nach Form und Funktion der darin enthaltenen Strukturen. Überdies eignet sie sich hervorragend für gesprächsrhetorische Theoriebildung zu emotionalen Überzeugungsprozessen in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung. Denn die in solchen Gesprächen ablaufende Passungsexploration (siehe Kap. V.1.1) erfolgt auf emotionaler Ebene in Form eines kommunikativen Abgleichs emotionaler Bewertungen (siehe Kap. VI.2), d.h. die Gesprächspartner prüfen im Lauf des Gesprächs, inwiefern sie Dinge emotional gleich bzw. verschieden bewerten. Das Ergebnis ist dann ausschlaggebend dafür, ob und wie sehr sich die Gesprächspartner sympathisch finden und im Zusammenhang damit, ob sie die Möglichkeit eines Wiedersehens positiv oder negativ bewerten. 3.2 Bewertung als Valenz-Zuweisung Wenn emotionales Bewerten im Folgenden als spezifische Form des Bewertens betrachtet wird, dann ist auf linguistischer Ebene erstens zu fragen, was unter einem Bewertungsakt zu verstehen ist und zweitens, worin auf der segmentalen Ebene sprachlicher Kommunikation das Spezifikum emotionalen Bewertens gegenüber anderweitigen Formen des Bewertens besteht. Der vorliegende Abschnitt befasst sich mit der ersten Frage; der zweiten Frage wird in Kap. IV.2.1.2.1 nachgegangen. Wie emotionale Bewertungen auf rhetorischer Ebene einzuordnen sind, zeigt Abb. 7 (Kap. V). 3 Typologisierung des Befunds 91 Unter einem sprachlich-kommunikativen Bewertungsakt (einer bewertenden Äußerung) wird im Folgenden eine lautsprachliche Handlung verstanden, mit der ein Sprecher einem Gegenstand eine bestimmte Valenz (einen positiven bzw. negativen Wert) zuweist: 95 Sprecher Gegenstand Abb. 3: Prinzip eines sprachlich-kommunikativen Bewertungsakts (linguistische Betrachtungsweise) Der Begriff Gegenstand emotionaler Bewertung wird in unserer Arbeit systematisch als Terminus für externe und interne emotionsauslösende Reize verwendet, d.h. er steht stellvertretend für alle denkbaren materialen und abstrakten Objekte, Sachverhalte, Situationen etc., auf die sich eine Emotion beziehen kann (siehe hierzu auch die Bemerkungen von Sander 2003: 21f.). Der Begriff Valenz wird nicht im linguistischen Sinn, 96 sondern im emotionspsychologischen Sinn verwendet, d.h. er steht für die evaluative Dimension von Emotion bzw. für die Unterscheidung zwischen einer positiven Wertigkeit (Anziehung) und einer negativen Wertigkeit (Abstoßung), die einem auslösenden Reiz zugewiesen werden kann. 97 Nach Zentner/ Scherer (2000) ist die Ansicht, nach der „Valenz das wichtigste Prinzip der Emotionsdifferenzierung“ (ebd.: 152) darstellt, in der Emotionsforschung nach wie vor weit verbreitet, insbesondere bei sozialpsychologisch orientierten Ansätzen. Sie halten fest: Die Möglichkeit zwischen negativen und positiven Emotionen unterscheiden zu können, erweist sich in gleich zweifacher Hinsicht als bedeutsam: Die Dimension „positiv-negativ“ erfasst, was man oft als wichtigste Gefühlsqualität ansieht; überdies entsprechen die zwei Pole der Valenzdimension den Verhaltensorientierungen der Annäherung und der Vermeidung (ebd.: 153). 95 Zur linguistischen Konzeption von Bewertung siehe auch Fries (1991: 23f.). Neben dem Aspekt der Wert-Zuweisung (WZ) zu einem Bewertungsobjekt berücksichtigt er zusätzlich noch die Möglichkeit, dass über Werteskalen eine Zuordnung des Bewertungsobjekts zu Vergleichsobjekten vorgenommen werden kann. 96 In der Linguistik wird unter Valenz im weitesten Sinne die Eigenschaft von Wörtern (z.B. Verben) verstanden, eine bestimmte syntaktische Ergänzung durch andere Wörter zu erfordern. 97 Caffi/ Janney (1994: 338) bemerken zur evaluativen Dimension von Emotion: „The psychological view, at the most reduced level, is that people typically respond affectively to objects of appraisal (if and when they respond) mainly by feeling positively or negatively evaluatively inclined toward them.“ - Mit dem Begriff des „Werts“ befasst sich z.B. auch Zillig (1982: 240ff.). Zum Zusammenhang von Werten und Emotion allgemein siehe Schmitz (2000). Valenz (+/ -) III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 92 Das Prinzip der Valenz-Zuweisung liefert den Schlüssel zur Typologisierung des Hauptbefunds der durch mindestens zehn Kodierer markierten Strukturen (siehe Kap. IV.2). Denn die sprachlich-kommunikative Emotionalität, wie sie sich im Befund präsentiert, ist keine „Emotionalität der großen Gefühle“, sondern in erster Linie eine „Emotionalität der positivbzw. negativ-Bewertung von Gegenständen“. Für unsere Untersuchung bedeutet dies u.a., dass i.d.R. keine qualitativdiskreten 98 Emotionsbezeichnungen (z.B. „Freude“, „Trauer“) erforderlich sind, um emotionale Äußerungen der Gesprächspartner im Rahmen unseres Modells emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung adäquat zu beschreiben - meist reicht es aus, schlicht von positiver bzw. negativer emotionaler Bewertung eines Gegenstands (z.B. Skifahren) zu sprechen. 99 Hin und wieder muss aber dennoch auf Emotionsbezeichnungen zurückgegriffen werden, um emotionale Interaktionsprozesse anschaulicher beschreiben zu können. 4 Identifikation rhetorischer Strategien In einem dritten und für unseren rhetorikwissenschaftlichen Ansatz entscheidenden methodischen Schritt wurde dann untersucht, ob im Gesprächskorpus vorkommende emotionale Interaktionssequenzen regelmäßig mit bestimmten strategischen Aspekten in Verbindung gebracht werden können - und wenn ja, worin Letztere bestehen. 98 Feldman Barrett (1998) beschäftigt sich mit der Frage der Eignung von „discrete emotion models“ gegenüber „dimensional emotion models“ bei der Benennung eigener emotionaler Zustände durch Probanden und stellt diesbezüglich fest, dass sich dimensionale Modelle eher für Personen mit Valenz-Fokus und diskrete Modelle eher für Personen mit Erregungs-Fokus eignen. 99 Das bedeutet jedoch nicht, dass verbale Formulierungsroutinen emotionaler Bewertung grundsätzlich emotionsunspezifisch wären bzw. dass sie nur in Kombination mit para- und nonverbalen Ausdruckskanälen auf eine bestimmte emotionale Qualität hindeuten würden, wie dies Drescher (vgl. 2003: 89) in Anlehnung an Ochs/ Schieffelin (1989) behauptet. Zumindest bei der von uns beschriebenen Realisationsvariante SAB (siehe Kap. IV.2.1.1) kann sehr wohl eine affektive Qualität benannt werden - dies zeigen auch die Kommentare der Kodierer. Was die Realisationsvariante VAB betrifft, können, sofern emotionsbezeichnende Valenzmarker vorhanden sind (siehe z.B. Das ist ja schon ziemlich ärgerlich), durchaus auch präzise Emotionen benannt werden. Lediglich bei Realisationen von VAB, die keine emotionsbezeichnenden Valenzmarker enthalten, kann dies Probleme bereiten (siehe z.B. Das finde ich ja schon ziemlich doof). Hier mag zutreffen, was Ochs/ Schieffelin (1989: 15) - freilich zu generalisierend - bemerken: „From this cross-linguistic research, it appears that linguistic structures more often specify a range of affective meanings than pinpoint a precise affective meaning. Thus, many structures simply encode ‚positive affect‘ (which may cover happiness, excitement, love, sympathy) or ‚negative affect‘ (which may cover sadness, worry, anger, disappointment).“ 4 Identifikation rhetorischer Strategien 93 In einem ersten Teilschritt wurde zunächst das gesamte Teilkorpus II nach sprachlichen Strukturen durchmustert, welche den typologisierten Strukturen aus der Beurteilungsstudie entsprechen. In einem zweiten Teilschritt wurden die mit solchen Strukturen verbundenen emotionalen Interaktionssequenzen dann systematisch auf strategische Aspekte hin analysiert. 100 Dazu wurde eine rhetorik-spezifische Perspektivierung der Gesprächssituation angesetzt: Das kommunikative Geschehen wurde systematisch aus der singulären Sichtweise des Probanden, welcher sich qua Instruktion in der Rolle des erfolgsorientiert-strategisch agierenden Orators befand, in den Blick genommen. 101 Anhand dieser Perspektivierung wurde untersucht, welche emotionalen Bewertungen der Orator-Proband dem Konfidenten kommuniziert, wie der Orator-Proband durch den Konfidenten kommunizierte emotionale Bewertungen prozessiert sowie ob und ggf. mit welchen Mitteln (z.B. Fragen) der Orator-Proband die Kommunikation emotionaler Bewertung durch den Konfidenten evoziert. 102 Anders gewendet: Das Kommunizieren, Prozessieren und Evozieren emotionaler Bewertung durch den Orator-Probanden wurde funktional als strategisches Mittel zur Erreichung des kommunikativen Telos (Einwilligung des Adressaten in die Fortsetzung des Kontakts) betrachtet. Dabei wurde der Möglichkeit Rechnung getragen, dass die entsprechenden kommunikativen Handlungen des Orator-Probanden die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung aufgrund suboptimaler Kalküle im konkreten Fall de facto senken konnten, obwohl sie vom Probanden idealiter dazu gedacht waren, diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen (so kann bspw. ein gut gemeintes Kompliment bei bestimmten Adressaten eine Abwehrreaktion hervorrufen). Parallel dazu wurde auch das kommunikative Handeln des Konfidenten, der qua Instruktion die Adressatenrolle innehatte, in den Blick genommen. 100 Vgl. hierzu auch die Vorgehensweise von Svennevig (vgl. 1999: 82ff.), der bei seiner Untersuchung von Kennenlern-Prozessen in Erstkontaktgesprächen die konversationsanalytisch-deskriptive Methode mit einem pragmatischen Ansatz kombiniert, indem er zunächst Interaktionsstrukturen in Form von Sequenzmustern beschreibt und sie anschließend unter Rückgriff auf Theorien der Höflichkeitsforschung u.ä. auf konversationale Strategien hin untersucht bzw. funktional begründet: „the first step of the analysis consists in identifying conversational procedures employed by the interactants. This results in a description of certain conversational sequences. The second step consists in interpretation of these sequences with a focus on how they can be seen as conventionally realizing theoretically defined pragmatic strategies, in this case strategies of getting acquainted“ (ebd.: 88). 101 Grundsätzlich könnte natürlich auch der Konfident als Orator betrachtet und sein Gesprächsverhalten hinsichtlich rhetorischer Strategien analysiert werden. Das Versuchsdesign, aus dem das Gesprächskorpus hervorgegangen ist, prädestiniert jedoch den qua Instruktion auf die Erreichung eines Gesprächsziels abzielenden Probanden für die Oratorrolle. 102 Vgl. dazu die viel allgemeiner gehaltene „Methodik der Emotionsanalyse“ bei Fiehler (1990: 189ff.; siehe Kap. II.3). III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 94 Genauer gesagt wurden Gesprächsaktivitäten des Konfidenten, die im Zusammenhang mit den genannten kommunikativen Handlungen des Orator- Probanden auftreten, daraufhin untersucht, inwiefern sie auf eine Erhöhung bzw. Senkung der Wahrscheinlichkeit einer Zielerreichung durch den Orator-Probanden hindeuten (so stellt bspw. euphorisches Zustimmen tendenziell ein Anzeichen für Sympathie als einer wichtigen Voraussetzung für die Fortsetzung des Kontakts dar). Aus entsprechenden Erkenntnissen wurden wiederum Rückschlüsse auf die Erfolgsträchtigkeit bestimmten oratorischen Handelns gezogen. Fallübergreifende Analysen 103 ergaben hier, dass die emotionalen Interaktionssequenzen regelmäßig mit bestimmten strategischen Aspekten in Verbindung gebracht werden können, welche sich in Form dreier emotionalrhetorischer Strategien systematisieren lassen: Erzeugung von Sympathie, Erzeugung von Euphorie und Forcierung des Intimisierungsprozesses. In einem dritten Teilschritt wurden die drei Strategien persuasionstheoretisch kontextualisiert und zu einem Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung kombiniert (siehe Kap. V.2). Hinsichtlich der Vorgehensweise im Rahmen des zweiten Teilschritts schließt sich die vorliegende Arbeit der methodologischen Reflexion von Drescher an: Empirische Analysen bilden den Ausgangspunkt der Untersuchung und stellen zugleich den wichtigsten Maßstab dar, an dem sich die Theoriebildung zu bewähren hat. Die Daten werden nicht nur zur Illustration bzw. Verifikation einer vorab konzipierten theoretischen Position herangezogen, sondern sie dienen der Entdeckung relevanter Phänomene, d.h. sie haben einen entscheidenden heuristischen Wert und steuern maßgeblich die Theoriebildung (Drescher 2003: 7). 103 Eine nähere Schilderung dieses Verfahrens findet sich bei Deppermann (2008: 94): „In der fallübergreifenden Analyse werden die Interpretationen und Hypothesen, die an einigen wenigen Gesprächsausschnitten entwickelt worden sind, geprüft und ausgearbeitet. Erst wenn ein großes Maß an Phänomenvarianz untersucht wurde, können wohlbegründete Aussagen über die Eigenschaften von Gesprächspraktiken und Interaktionsaufgaben gemacht und unausgewiesene Generalisierungen vermieden werden.“ Die methodischen Schritte der fallübergreifenden Analyse sind nach Deppermann (vgl. ebd.: 95f.): 1. Gegenstandskonstitution (Hypthesenbildung anhand erster detaillierter Sequenzanalysen) 2. Sampling (Kollektion von Fällen der interessierenden Gesprächspraktik) 3. Gegenstandsanalyse (Analyse der ausgewählten Vergleichsfälle) 4. Wiederholung der ersten drei Schritte bis zur theoretischen Sättigung, d.h. bis zur Herausbildung und Bestätigung eines konsistenten und in seiner Grundstruktur nicht mehr modifikationsbedürftigen Musters. 4 Identifikation rhetorischer Strategien 95 In ihrer „Beobachtungshaltung“ trägt ein solches Vorgehen durchaus Züge der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, allerdings teilt es keineswegs deren Postulat einer vermeintlich voraussetzungsfreien Annäherung an die Daten bzw. einer Festlegung des Untersuchungsgegenstandes durch die Daten (vgl. ebd.). Vielmehr laufen die „durch die Daten angeregten Entdeckungsprozeduren nicht unabhängig von der Anbindung an bestimmte Erkenntnisinteressen sowie der Einbindung in einen theoretischen Kontext“ ab: „Auch eine induktive Untersuchung des Materials erfolgt nie völlig naiv, sondern sie macht bei der Sichtung der Daten von Erwartungen und Hypothesen bezüglich der interessierenden Phänomene Gebrauch“ (ebd.). Die für die vorliegende Arbeit zentrale (den o.g. zweiten Teilschritt leitende) Hypothese besteht darin, dass die in den Korpus-Gesprächen enthaltenen emotionalen Interaktionssequenzen regelmäßig mit bestimmten strategischen Aspekten in Verbindung gebracht werden können. Um welche strategischen Aspekte es sich konkret handelt, wurde mittels Korpusanalysen induktiv ermittelt. Potter/ Wetherell vergleichen diesen Prozess mit Fahrradfahren: Analysis of discourse is like riding a bicycle compared to conducting experiments or analysing survey data which resemble baking cakes from a recipe. There is no mechanical procedure for producing findings from an archive of transcript. […] Just as with bike riding, it is not easy to convey the analytic process in abstract. Words fail us at this point, it is not a case of stating, first you do this and then you do that. The skills required are developed as one tries to make sense of transcipt and identify the organizational features of the documents. Nevertheless, there is a basic lesson that is inescapable: analysis involves a lot of careful reading and rereading. Often it is only after hours struggling with the data and many false starts that a systematic patterning emerges. False starts occur as patterns appear, excitement grows, only to find that the pattern postulated leaves too much unaccounted, or results in an equally large file of exceptions (Potter/ Wetherell 1987: 168). Die im Rahmen unserer Untersuchung identifizierten emotionalrhetorischen Strategien und Interaktionsmuster sind das Ergebnis eines langwierigen, auf Fallvergleichen beruhenden Prozesses des Modellierens, Verwerfens, neuerlichen Modellierens und zigfachen Modifizierens von Erklärungsansätzen für das, was in den Korpus-Gesprächen auf der emotionalen Ebene kommunikativer Intervention passiert. Der Fallvergleich verläuft nach Deppermann als spiralförmiger Prozeß der wechselseitigen Ausarbeitung von Gegenstandskontitution (Was will ich wissen? Was sind der Gegenstand und der Phänomenbereich meiner Untersuchung? ) und Gegenstandanalyse (Welche Eigenschaften haben die untersuchten Daten? […]) (Deppermann 2008: 94). III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 96 In ähnlichem Sinne betont Drescher das Zusammenspiel von Induktion und Deduktion für den Prozess des Erkenntnisgewinns zu „sprachlicher Affektivität“ in Gesprächen: Empirische Beobachtungen und theoretische Überlegungen befruchten sich in diesem Prozeß wechselseitig und treiben so die Hypothesenbildung voran. Dieser Kreislauf aus induktiver und deduktiver Vorgehensweise läßt sich in der linear angeordneten Darstellung der Ergebnisse nur begrenzt abbilden. Umso wichtiger scheint es mir, den simultanen Rekurs auf beide Wege des Erkenntnisgewinns zu betonen. Die empirische Beobachtung wirkt zurück auf die theoretische Konstruktion und dient keineswegs nur zu deren Bestätigung (Drescher 2003: 8). Experten-Intuition spielt bei diesem Prozess natürlich auch eine Rolle. Sie ist besonders im Anfangsstadium hermeneutisch-interpretativer Hypothesenbildung hilfreich, um einen ersten Zugang zum Datenmaterial zu gewinnen. Ihr Einbezug ist selbstverständlich durch systematische, detailgenaue Fallvergleiche zu ergänzen. Entsprechende Ergebnisse müssen ausreichend plausibilisiert bzw. am Gesprächstext belegt werden (siehe auch Kap. IX). Als für die Plausibilisierung hilfreich erweist sich die Tatsache, dass der Analysierende seine eigene Interpretation eines Gesprächsbeitrags daran überprüfen kann, welche Reaktion der Beitrag beim reagierenden Gesprächsteilnehmer auslöst: In seinen Deutungen stützt sich der Analysierende jedoch nicht nur auf sein methodisch kontrolliertes Verständnis einer bestimmten Gesprächssequenz. Um die Gültigkeit seiner Analysen und insbesondere seiner funktionalen Zuschreibungen nachzuweisen, kann er auch auf die Nachfolgeäußerungen der am Gespräch unmittelbar beteiligten Interaktanten zurückgreifen. Diese stellen ein im Gesprächstext enthaltenes Verständnisdokument dar, in dem die Deutungen der eigentlichen Adressaten und ersten Interpreten der entsprechenden Äußerungen gleichsam konserviert sind. Damit verfügt der Analysierende über eine zweite Bedeutungsschicht, die als Bestätigung seiner Interpretation in Anspruch genommen werden kann (Drescher 2003: 10). Freilich unterliegt auch das „im Gesprächstext enthaltene Verständnisdokument“ der Interpretation durch den Analysierenden, d.h. der Beleg für die eigene Interpretation kommt selbst nur durch Interpretation zustande. Immerhin aber muss die Deutung eines Gesprächsbeitrags auch mit der Deutung eines diesen deutenden nachfolgenden Gesprächsbeitrags vereinbar ein, was den Interpretationsspielraum deutlich verengt. 5 Fazit 97 5 Fazit Das Tübinger Courtshiprhetorik-Gesprächskorpus ist für die vorliegende Untersuchung rhetorischer Strategien in emotionalen Kommunikationsprozessen prädestiniert, weil das Experimentaldesign einen der Gesprächsteilnehmer per Instruktion in die Rolle eines strategischen Kommunikators (Orators) versetzt. Ausgangspunkt für die in einem ersten Schritt anstehende „Zähmung der Emotions-Chimäre“, d.h. für die Frage, woran sich Emotionalität in einem Gesprächstext eigentlich festmachen lässt, ist das quantitative Moment einer Beurteilungsstudie, anhand derer Strukturen identifiziert werden, die von möglichst vielen Personen als emotional beurteilt werden. Anstatt von bestehenden Theorien deduktiv auf Erscheinungsformen sprachlich-kommunikativer Emotionalität zu schließen (top-down-Prinzip), bezieht unsere Untersuchung ihren Impuls aus einem induktiven Explorationstest mit einer Gruppe von Laien-Kodierern, die anhand eines Gesprächstranskripts intuitiv beurteilen sollten, welche sprachlich-kommunikativen Strukturen als „emotional“ zu betrachten sind (bottom-up-Prinzip). Gewählt wird damit eine Herangehensweise, die hinsichtlich der Frage, was genau emotionale Kommunikation ausmacht, ohne Prämissen auskommt. Es wird angenommen, dass zunächst einmal keine Gewissheit darüber besteht, welche sprachlich-kommunikativen Äußerungsformen von kompetenten Sprechern des Deutschen als emotional betrachtet werden. Die Laien-Intuitionsheuristik erweist sich als geeignetes Mittel zur induktiven Erhebung von Phänomenen emotionaler Kommunikation. Ausgehend von jenen Strukturen, die von einer erhöhten Anzahl von Laien-Kodierern als „emotional“ beurteilt worden waren (quantitatives Moment), konnte mittels qualitativer Expertenanalyse eine Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation entwickelt werden. Die sprachlich-kommunikative Emotionalität, wie sie sich im Korpus präsentiert, ist keine „Emotionalität der großen Gefühle“, sondern in erster Linie eine „Emotionalität der positivbzw. negativ-Bewertung von Gegenständen“. Unsere Typologie basiert daher auf dem Konzept der emotionalen Bewertung. Im Unterschied zu einem Verständnis sprachlich-kommunikativer Emotionalität als Phänomen stilistischer Devianz (das eine eigene Untersuchung erfordern würde) eröffnet die Zentralsetzung des Bewertungsaspekts von Emotion eine pragmatische Tiefendimension des kommunikativ Emotionalen, die im Rahmen handlungstheoretischer Ansätze der Gesprächsrhetorik oder auch der interaktionalen Linguistik bestens operationalisiert werden kann. Im Fall der vorliegenden Untersuchung ist der Bewertungsaspekt von Emotion konstitutiv für die Erfassung der emotionalen Ebene von Passungsexploration, die in Form eines kommunikativen Abgleichs emotionaler Bewertungen erfolgt. III „Zähmung der Chimäre“: Datenbasis und Methode 98 Die im Rahmen unserer Untersuchung identifizierten emotionalrhetorischen und Strategien und Interaktionsmuster sind das Ergebnis eines langwierigen, auf Fallvergleichen beruhenden Prozesses des Modellierens und zigfachen Modifizierens von Erklärungsansätzen für das, was in den Korpus-Gesprächen auf der emotionalen Ebene kommunikativer Intervention passiert. Was die Interpretation von Interaktionssequenzen angeht, hat die Analyse von Gesprächen gegenüber der Analyse monologischer Texte den Vorteil, dass sie auf dateninterne Interpretationsstützen in Form von Gesprächsteilnehmer-Repliken zurückgreifen kann. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation Im Folgenden werden sprachliche Mittel emotional bewertender Kommunikation beschrieben, wie sie anhand der Beurteilungsstudie identifiziert wurden und für das unserer Untersuchung zugrundeliegende Teilkorpus II charakteristisch sind. Die Typologisierung der durch mindestens zehn Kodierer markierten Strukturen (siehe Kap. III.3) ergab als Hauptbefund drei sprachliche Realisationsvarianten emotionaler Bewertung, die als ein Phänomen der Satzebene zu beschreiben sind. Dabei handelt es sich um eine das Sprechergefühl akzentuierende Variante (SAB), eine valenzakzentuierende Variante (VAB) und eine den Gegenstand emotionaler Bewertung akzentuierende Variante (GAB). Während SAB und VAB explizite emotionale Bewertungen darstellen, handelt es sich bei GAB um implizite emotionale Bewertungen (siehe Kap. IV.2; ein Abkürzungsverzeichnis findet sich in Abschnitt 1 des Anhangs). Auf der Wortebene lassen sich bei allen drei Realisationsvarianten symbolische Emotions-Indikatoren beobachten. Da die Beschreibung der drei Realisationsvarianten emotionaler Bewertung Vertrautheit mit dem Konzept der symbolischen Emotions-Indikatoren voraussetzt, werden Letztere zuerst behandelt (siehe Kap. IV.1). Einen Nebenbefund stellen meta-emotionale Äußerungen dar: Unter den durch mindestens zehn Kodierer markierten Strukturen findet sich eine kleine Anzahl von Äußerungen, mit denen über emotionale Bewertungen kommuniziert wird ohne diese „zum Ausdruck“ zu bringen. Wie deutlich zu machen sein wird, ist dieser Typ sprachlicher Mittel von emotionaler (emotional bewertender) Kommunikation im engeren Sinne zu unterscheiden (siehe Kap. IV.3). Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird der meta-emotionale Typ dennoch unter der Überschrift des vorliegenden Kapitels präsentiert. Zur Illustration der jeweiligen Kategorien werden Beispiele aus den typologisierten Strukturen der Beurteilungsstudie herangezogen. Ein Verzeichnis der Beispiele findet sich in Abschnitt 3 des Anhangs. 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren Die von den Kodierern markierten Strukturen geben Anlass zu der Vermutung, dass emotionale Bewertungen der Realisationsvarianten SAB, VAB und GAB auf der Wortebene häufig ein bis zwei Charakteristika aufweisen, IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 100 welche im Folgenden als symbolische Emotions-Indikatoren bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um bestimmte Wörter, die als Hinweis auf eine die betreffende Äußerung begleitende Emotion des Sprechers interpretiert werden können. Im Unterschied zum Index (z.B. Rauch als Zeichen für Feuer) sind symbolische Emotions-Indikatoren nicht durch einen Realbezug zu ihrem Objekt gekennzeichnet, sondern durch einen konventionellen Bezug, d.h. sie deuten nicht realiter, sondern lediglich symbolisch - aufgrund von Konvention - auf eine Emotion des Sprechers hin, haben also Zeichencharakter. 104 Für die kommunikative Praxis bedeutet der Symbol-Status dieser sprachlichen Emotions-Indikatoren, dass von ihnen nicht auf das tatsächliche (physiologisch messbare) Vorliegen einer Emotion beim Sprecher geschlossen werden kann. Vielmehr lässt sich mit der Verwendung eines symbolischen Emotions-Indikators u.U. auch nur der Anschein einer aktuell vorhandenen Emotion erwecken, d.h. ein Sprecher kann dieses Vorhandensein mit dem Gebrauch entsprechender Wörter simulieren. Der Charakter eines symbolischen Emotions-Indikators ist insofern der eines Schein-Indikators ohne echte symptomatische Aussagekraft (was allerdings nicht ausschließt, dass zum Zeitpunkt der Äußerung tatsächlich eine physiologisch messbare Emotion vorliegen kann). Diese Bemerkungen sind wichtig, um keine naturalistic fallacy aufkommen zu lassen. Es sind zwei Arten von symbolischen Emotions-Indikatoren zu unterscheiden: Symbolische Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung stehen für emotionale Erregung des Sprechers. Sie können über zwei Arten von Markern realisiert werden: über Intensitätsmarker (Steigerungspartikeln) und über Interjektionen. 104 Zur Unterscheidung von Index und Zeichen siehe Eco (1977). Zur Frage der Indexikalität symbolischer Zeichen siehe Konstantinidou (1997: 86-99), die hier treffend von einem „doppelten semiotischen Gesicht“ (ebd.: 98) bestimmter emotiver sprachlicher Zeichen spricht (sie bezieht sich allerdings auf emotional konnotierte Wörter wie „Heimat“); vgl. auch die Kategorie der „Andeutung gewisser psychischer Zustände oder inneren Erlebens mittels intentionaler Zeichensetzung“ bei Péter (1984: 248), welche sich auf einen „nicht begriffsmäßig gestalteten Bewußtseinsinhalt“ bezieht, von „gefühlsbezeichnenden“ sowie „emotional gefärbten“ Wörtern zu unterschieden ist, und Intonation, Interjektionen und Modalpartikeln umfasst; vgl. außerdem die Unterscheidung notionaler (begrifflicher) und emotionaler (erlebensbezogener) Bedeutungstypen sprachlicher Zeichen bei Volek (1977: 129f.), wobei Volek den emotionalen Typ vor allem auf die Interjektion bezieht. Drescher (2003: 40) spricht in Anlehnung an Volek (1990: 332) von einer automatischen „Mitbezeichnung des Sprechers als Träger der emotionalen Haltung“, welche „dem emotionalen Zeichen den Charakter eines symbolischen Indexes (symbolic index)“ verleiht. Bei Lang (1983: 332f.) findet sich bzgl. Einstellungsausdrücken wie leider die Formulierung „ausgedrückte, d.h. durch absichtsvoll produzierte Indizien signalisierte Einstellungen“. Rehbock (1992: 114) spricht in diesem Zusammenhang von „intentionalen indikatorischen Zeichen“. 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 101 Symbolische Emotions-Indikatoren der Hörer-Steuerung stehen für das Bemühen des Sprechers um Bestätigung der von ihm kommunizierten emotionalen Bewertung durch den Gesprächspartner bzw. Hörer. Sie werden über Appellmarker (typischerweise Modalpartikeln) realisiert. Die Intensitätsmarker (z.B. sehr) und Appellmarker (z.B. schon) sind nicht valenz-spezifizierend, d.h. sie vermitteln keine Information darüber, ob mit der Äußerung, in der sie auftreten, eine positive oder eine negative emotionale Bewertung kommuniziert wird. 105 Mit gewisser Einschränkung gilt das auch für die Interjektionen, von denen einige durchaus eine Valenz zum Ausdruck bringen (z.B. Igitt! ). 106 Unser Konzept der symbolischen Emotions-Indikatoren ist insofern enger gefasst als das der indexikalischen affect keys bei Ochs/ Schieffelin (vgl. 1989: 15), worunter diese auch affekt-spezifizierende - d.h. zugleich auch valenz-spezifizierende - linguistische Mittel verstehen. 107 Intensitätsmarker und Appellmarker fungieren als als nicht-notionale (nicht-begriffliche) Hinweise auf die emotional bewertende Funktion von Äußerungen, in denen sie auftreten. Die Valenz der emotionalen Bewertung wird dabei durch die Satzbedeutung - bzw. im Fall der impliziten emotionalen Bewertungen: durch das logische In-Bezug-Setzen der Satzbedeutung zum Äußerungskontext - determiniert. Bei emotionalen Bewertungen der Realisationsvarianten SAB, VAB und GAB treten Intensitäts- und Appellmarker typischerweise gehäuft auf (siehe Kap. IV.2). 108 Damit verkörpern Intensitäts- und Appellmarker in exemplarischer Weise, was Drescher (vgl. 2001: 187) unter linguistischen Mitteln versteht, die für sich genommen nicht unbedingt emotionale Zeichen darstellen, sondern diese Funktion nur in einem „emotive cluster“ entfalten. D.h. hier 105 Den Intensitätsmarkern und Appellmarkern entspricht in der sprechakttheoretischen Arbeit zu BEWERTUNGEN von Zillig (1982) die Kategorie der „funktionalen Ergänzungen“. Während Marten-Cleef (1991) Äußerungsformen expressiver Sprechakttypen mit Hilfe von thematischen Mustern beschreibt, greift Zillig bei seiner Untersuchung auf die Unterscheidung von „Grundformen“ (Aussageformen im Positiv) und „funktionalen Ergänzungen“ zurück (vgl. ebd.: 145ff.). Die funktionalen Ergänzungen bestehen aus „Gradpartikeln“ (Steigerungspartikeln) wie durchaus, ganz, höchst, sehr, überaus, viel, weitaus, ziemlich, aus „affektischen Abtönungspartikeln“ (Modalpartikeln) wie doch und ja und aus „Subjektivitätsformeln“ wie ich finde. 106 Helbig/ Buscha (2000: 203) unterscheiden Interjektionen mit eindeutigem (z.B. hurra) und Interjektionen mit mehrdeutigem Gefühlsausdruck (z.B. ach, ah). Die Valenz von hurra ist eindeutig positiv, die von ach und ah hingegen kann in Abhängigkeit vom Kontext variieren. 107 Vgl. zur weiten Definition des affect keys auch das weit gefasste Konzept des - in terminologischer Hinsicht allerdings eher irreführenden - „affektiven Kontextualisierungshinweises“ bei Drescher (2003: 87). 108 Diese Marker-Typen können aber auch bei meta-emotionaler Kommunikation vorkommen (siehe Kap. IV.3). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 102 wird nicht die Annahme vertreten, dass Steigerungspartikeln und Modalpartikeln in allen möglichen Arten von sprachlichen Handlungen als symbolische Emotions-Indikatoren fungieren. Dies wird lediglich für emotionale Bewertungen der Realisationsvarianten SAB, VAB und GAB postuliert, d.h. für Äußerungen, mit denen eine Valenz kommuniziert wird. In solchen Äußerungen führen sie zu einer Art „emotionaler Signalisierungsredundanz“. 109 1.1 Sprecher-Erregung Symbolische Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung nehmen nicht auf den für unseren Ansatz ansonsten zentralen Bewertungsaspekt, sondern auf den Erregungsaspekt von Emotion Bezug (vgl. die neurophysiologische Komponente des CPM von Scherer, Kap. II.1). Zwei Arten von Markern können im Rahmen von SAB, VAB bzw. GAB symbolisch emotionale Erregung des Sprechers indizieren: zum einen Intensitätsmarker (Steigerungspartikeln), zum anderen Interjektionen. Im Fall der Intensitätsmarker erfolgt die symbolische Indizierung emotionaler Erregung sozusagen in Reinform, weil diese Marker in ihrer rein steigernden Funktion für sich genommen keine emotionale Valenz zum Ausdruck bringen. Letzteres gilt auch für viele Interjektionen; allerdings gibt es hier auch Ausprägungen, mit denen eine Valenz kommuniziert wird. Bei Intensitätsmarkern handelt es sich um Synsemantika, die emotionalen Bewertungen metaphorisch gesprochen ihre affektive „Temperatur“, 110 d.h. eine gewisse Lebendigkeit verleihen. Interjektionen hingegen stehen für einen reflexhaften Ausdruck emotionaler Erregung. Sie markieren symbolisch den Zeitpunkt, in dem der Sprecher anzeigt, von emotionaler Erregung ergriffen zu sein, und erzeugen so einen Eindruck affektiver Unmittelbarkeit. 1.1.1 Intensitätsmarker In der vorliegenden Arbeit wird die These vertreten, dass Intensitätsmarker im Rahmen emotionaler Bewertung auf rhetorischer Ebene eine Funktion haben, die von der auf linguistischer Ebene oft beschriebenen graduierenden Funktion abweicht. Diese rhetorische Funktion besteht im Signalisieren von emotionaler Erregung des Sprechers. Um zu verdeutlichen, worin das Spezifikum der rhetorischen Funktion besteht, wird die Funktion der Intensitätsmarker zunächst aus linguistischer Sicht beschrieben. 109 Drescher (2003: 88) spricht im Zusammenhang mit dem Verfahrenscharakter der Darstellung emotionaler Beteiligung von einer „Signalisierungsredundanz […] auch innerhalb der verbalen Dimension“. 110 Emotionen werden metaphorisch oft mit Temperatur in Verbindung gebracht, z.B. „Zuneigung ist Wärme“ (vgl. Kövecses 1995: 322). 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 103 Linguistische Funktion: Graduierung Linguistisch betrachtet haben Intensitätsmarker in erster Linie graduierende Funktion, d.h. sie weisen die Semantik eines Bezugsworts einer „impliziten Gradskala“ (Helbig/ Buscha 2000: 196) zu. Besonders deutlich wird das an einer typischen Variante, den Steigerungspartikeln. 111 Diese können entweder eine verstärkende Funktion (Intensifikatoren) oder eine abschwächende Funktion (Deintensifikatoren) erfüllen. 112 Typische Beispiele aus der Beurteilungsstudie sind: Bezugswort mit positiver Valenz (z.B. gemütlich): (L1)4,52 aber eigentlich find ichs ganz gemütlich (L2)17,33 allein schon Schnee find ich so. hm. ziemlich cool 113 (L3)17,176 es ist voll geil (L4)8,52 also is ja ganz toll also wirklich 114 Bezugswort mit negativer Valenz (z.B. anstrengend): (L5)17,150 aber sonst. Es deprimiert mich.. nbisschen (L6)4,186 und das: is dann doch auch schon relativ anstrengend (L7)4,48 ich finds auch ziemlich frech (L8)4,47 voll ätzend. ja (L9)4,143 das find ich ganz krass, also Je nachdem, ob die Semantik des Bezugsworts (häufig ein Adjektiv) eine positive oder eine negative emotionale Valenz aufweist, und je nach Intensi- 111 Helbig/ Buscha (2000) sprechen von „Steigerungspartikeln“; Hentschel (1998) spricht von „Intensivpartikeln“; geläufig ist auch die Bezeichnung „Gradpartikeln“. Bei Helbig/ Buscha wird die Bezeichnung „Gradpartikel“ für Partikeln wie sogar, nur, einzig etc. verwendet. Letztere Partikeln werden gelegentlich auch als „Fokuspartikeln“ bezeichnet. Zu den Steigerungspartikeln siehe auch Helbig (1990: 52ff.). 112 Quirk u.a. (vgl. 2005: 598f) verwenden ein etwas komplexeres Kategoriensystem: I. AMPLIFIERS: Maximizers (z.B. completely), Boosters (z.B. very much), II. DOWNTON- ERS: Approximators (z.B. almost), Compromisers (z.B. more or less), Diminishers (z.B. partly), Minimizers (z.B. hardly). 113 Diese Struktur wurde von unter zehn Kodierern markiert, sie wird hier jedoch zur Vervollständigung der Systematik aufgenommen. 114 Dieses Beispiel stammt nicht aus der Beurteilungsstudie, sondern aus Gespräch Nr. 8 des Teilkorpus II. Die Äußerung wird in R66 nochmals aufgegriffen. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 104 tätsgrad, kommen nur bestimmte lexikalische Realisationen von Intensitätsmarkern in Frage. Das folgende Schaubild stellt dies exemplarisch für die in den obigen Beispielen auftretenden Intensitätsmarker dar: 115 Abb. 4: Typische Intensitätsmarker des Korpus nach Vorkommen bei positiver bzw. negativer emotionaler Valenz des Bezugsworts und nach Intensitätsgrad Voll (umgangssprachlich für sehr) 116 steht bei beiden Valenzausprägungen für ein Maximum an Intensität. Während ziemlich eher als Intensifikator zu betrachten ist, kann relativ eher als Deintensifikator angesehen werden. Im unteren Bereich der Intensitätsskala werden (je nach Valenz des Bezugsworts) unterschiedliche Intenstitätsmarker verwendet: ganz bei positiver, bisschen bei negativer Valenz. Der Deintensifikator ganz steht für eine unbetonte Variante, der Intensifikator ganz dagegen für eine betonte Variante (vgl. Trost 2006: 165). Bei relativ und ziemlich handelt es sich um unbetonte Varianten. Wird ziemlich betont, nimmt der Intensitätsgrad gegenüber der unbetonten Variante zu. Manche Kombinationen von Intensitätsmarkern und Bezugswörtern sind nicht möglich, z.B. ganz super (ganz unbetont) oder relativ spitze. Bei letzteren Beispielen scheint eine semantische Unverträglichkeit von Deintensifikatoren und Adjektiven mit einer Semantik „extremer Bewertung“ vorzuliegen. Die im zumindest im Jugendjargon nicht ungewöhnliche Kombination bisschen scheiße in (L10)1,180 ja.: nee, das war son bisschen scheiße am Anfang 117 115 Weitere im Korpus vorkommende Intensitätsmarker sind bspw. sehr, so, echt, richtig, total, absolut, brutal, tierisch, richtig, eher, recht. 116 Nach Ansicht Hentschels (1998: 121) gehören die Intensivpartikeln mehrheitlich einem neutralen Sprachregister an. 117 Dieses Beispiel stammt nicht aus der Beurteilungsstudie, sondern aus Gespräch Nr. 1 des Teilkorpus II. 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 105 zeigt allerdings, dass ein extrem negativ bewertendes Adjektiv durchaus deintensiviert werden kann - möglicherweise betrifft die o.g. semantische Unverträglichkeit nur Adjektive mit extrem positiver Bewertung. Abgesehen von den Steigerungspartikeln können auch andere Partikelbzw. Wortarten als Intensitätsmarker fungieren. 118 Im Korpus findet sich z.B. ein intensivierender Gebrauch der Gradpartikel nur (L11) bzw. des Adjektivs pur (L12): (L11)17,305 es war echt nur Str[ess]/ . also das war. also (L12)4,186 ja? Stress. Stress pur Eine ähnliche Funktion haben intensivierende Bewertungspräfixe (L13) und deintensivierende Diminutivsuffixe (L14; vgl. Schwarz-Friesel 2013: 152) oder auch exklamativ-intensivierend gebrauchtes wie (L15): (L13)4,6 das wär natürlich supercool (L14)17,38 vielleicht nochn Teechen trinken (L15)4,125 höh. wie böse Negation lässt sich mittels Partikeln wie gar oder überhaupt intensivieren: (L16)17,143 und ich hab darauf überhaupt gar keine Lust mehr Als eine Spezialform von Deintensifikator kann die „Nicht-so“-Abschwächung betrachtet werden: (L17)4,133 war auch nich so toll (L18)4,61 ja bin ich aber jetzt gar nich so begeistert von der Idee (L19)4,18 da hab ich irgendwie nich so/ so richtig Lust drauf im Moment (L20)17,53 was ich nich so/ (…) gar nich mag, sind Die „Nicht-so“-Abschwächung besteht in ihrer Grundform aus einer Negationspartikel (nicht) und einem Intensifikator (so im Sinne von in solchem Ausmaß), also aus einer „verneinten Intensivierung“ (L17). Gelegentlich finden sich weitere intensivierende Elemente, die sich entweder auf die Negationspartikel beziehen und damit den Abschwächungseffekt reduzieren (L18: gar 118 Die Klassifikation eines Wortes als Intensitätsmarker ist funktional begründet (vgl. Van Os 1989: 83). Wörter wie „echt“, „einfach“ oder „richtig“, die homonym auch als Adjektive, Modalwörter oder Modaladverbien verwendet werden, können bei bestimmten Verwendungsweisen die Funktion eines Intensitätsmarkers übernehmen. Intensitätsmarker beziehen sich stets auf ein anderes (i.d.R. autosemantisches) Wort, wobei ein synsemantischer Effekt entsteht, der als Verstärkung bzw. Abschwächung bezeichnet werden kann. Trost (vgl. 2006: 157) sieht darin eine funktionelle Annäherung an Gradadjektive („scheußlich kalt“, „tief religiös“, „unverschämt teuer“), will Letztere jedoch aufgrund ihrer immer noch präsenten ursprünglichen Bedeutung von den Steigerungspartikeln unterschieden wissen. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 106 nich so) oder aber auf das verneinte Lexem und damit den Abschwächungseffekt verstärken (L19: nich so richtig Lust). Dass die „Nicht-so“-Abschwächung litotischen Charakter haben kann (L17, L18), lässt sich mit Hilfe von L20 verdeutlichen: Zwar liegt hier keine Litotes vor (mag hat keine superlativistische Semantik), 119 doch zeigt die Selbstkorrektur des Sprechers in Form des Ausdrucks gar nich, dass er das zunächst offenbar routinemäßig verwendete nich so als Untertreibung empfindet. In den Korpus-Gesprächen treten Intensitätsmarker gelegentlich im Rahmen zustimmender Äußerungen auf: (L21)17,32 des macht so ne so ne Winterharmonie, irgendwie - Ja, voll Solche zustimmenden Äußerungen stellen keine emotionalen Bewertungen dar, weil sie kein Wort enthalten, aus dem sich eine Valenz ersehen ließe (wie z.B. toll). In solchen Fällen kann von einer emotional getönten Zustimmung gesprochen werden (siehe auch Kap. VI.2.2). Rhetorische Funktion: Offensivvs. Protektiv-Modus In Abgrenzung zur linguistischen Sichtweise wird im Folgenden die These vertreten, dass die rhetorische Funktion der Intensitätsmarker bei emotional bewertenden Äußerungen im Signalisieren von emotionaler Erregung des Sprechers besteht. Demnach möchte ein Sprecher mit der Äußerung, dass er einen bestimmten Gegenstand voll super findet, nicht unbedingt kommunizieren, dass er ihn, in hohem Ausmaß super‘ findet. Vielmehr signalisiert er in erster Linie, dass der Gegenstand ihn in emotionale Erregung versetzt - unabhängig davon, ob dem tatsächlich so ist oder nicht, denn wie oben erwähnt können symbolische Emotions-Indikatoren auch simulativ verwendet werden. Analog dazu will ein Sprecher mit der Äußerung, dass er einen bestimmten Gegenstand ein bisschen doof findet, nicht unbedingt kommunizieren, dass er ihn nur, in geringem Ausmaß‘ als negativ bewertet. Vielmehr signalisiert er, dass er emotional anstatt sachlich-nüchtern auf den Gegenstand reagiert bzw. dass dieser ihn nicht „kalt lässt“, sondern ihn emotional involviert. Dabei macht es auch in der rhetorischen Betrachtungsweise der Intensitätsmarker einen Unterschied, ob Intensifikatoren oder Deintensifikatoren verwendet werden. Diesbezüglich kann zwischen einem Offensiv-Modus (Intensifikatoren) und einem Protektiv-Modus (Deintensifikatoren) der symbolischen Indizierung von emotionaler Erregung des Sprechers differenziert werden. 120 119 Plett (2001: 96) definiert die Litotes als „Substitution eines superlativischen Ausdrucks durch die Verneinung seines Gegenteils“. 120 In der Forschung sind ähnliche Phänomene unter den Begriffen „Intensifying“ (z.B. Swales/ Burke 2003; Athanasiadou 2007; Biscetti 2008; Cacchiani 2009) und „Hedging“ (z.B. Markkanen/ Schröder Hgg. 1997) bekannt. Sie können auch unter den Oberbegriff 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 107 Die beiden rhetorischen Modi unterscheiden sich hinsichtlich des Grads an Kontrolle, welche der Sprecher beim Signalisieren von emotionaler Erregung ausübt: Abb. 5: Rhetorische Modi der symbolischen Indizierung von emotionaler Erregung des Sprechers Der Offensiv-Modus symbolisiert eine ungehemmte kommunikative Veräußerlichung emotionaler Erregung. Der Sprecher lässt seiner (evtl. nur simulierten) emotionalen Erregung freien Lauf, kontrolliert ihren Ausdruck nicht und mutet sie damit dem Hörer gewissermaßen ungefiltert zu. In den Korpus-Gesprächen tritt dieser Modus vorwiegend bei emotionalen Bewertungen mit positiver Valenz auf - negative Valenz in Erstkontaktgesprächen offensiv zu kommunizieren, könnte vom Gesprächspartner als unhöflich (weil stimmungsgefährend) empfunden werden. Bei Uneinigkeit der Gesprächspartner hinsichtlich der emotionalen Bewertung eines Gegenstands verstärkt der Offensiv-Modus die Kluft zwischen den Positionen eher noch (für Beispiele siehe Kap. VI.2.5.3). Der Orator kann den Offensiv-Modus symbolischer Indizierung von Sprecher-Erregung im Gespräch bspw. nutzen, um sich als temperamentvoller 121 Charakter zu inszenieren (siehe z.B. L3) oder auch, um den Effekt emotionaler Übereinstimmung mit dem Gesprächspartner zu verstärken (L22, siehe auch R26): (L22)4,2 is dumm dass hier kein Automat hat, ge. - mh ja. voll ätzend des „Sprecher-Engagements“ gefasst werden: „the framework groups together under the heading of ‚engagement‘ all those locutions which provide the means for the authorial voice to position itself with respect to, and hence to ‚engage‘ with, the other voices and alternative positions construed as being in play in the current communicative context. In addition, it includes meanings which in the literature have beeen given such labels as ‚hedges‘, ‚downtoners‘, ‚boosters‘ and ‚intensifiers‘. These locutions are grouped together under the heading of ‚graduation‘ […]“ (Martin/ White 2005: 94). 121 „Temperament refers to one’s disposition toward experiencing and expressing emotions, as well as one’s general level of activity and attitudinal control of emotions and actions“ (Gartstein/ Rothbart 1999: 657). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 108 Demgegenüber symbolisiert der Protektiv-Modus eine restringierte Kommunikation emotionaler Erregung. Der Sprecher kontrolliert seine (zumindest dem Anschein nach vorhandene) emotionale Erregung deutlich, „schützt“ sich, indem er das für die Valenz der emotionalen Bewertung ausschlaggebende (valenzdeterminierende) Wort deintensiviert und bezieht somit nur auf zurückhaltende Weise bzw. „verdeckt“ Position. 122 Die Notwendigkeit der Protektion verweist dabei erst recht auf das Phänomen, dem die Protektion gilt, nämlich auf die emotionale Erregung des Sprechers (mit diesem Prinzip operiert auch die entsprechende Simulation emotionaler Erregung). So verweist in L5 das Relativieren bzw. Herunterspielen des Deprimiertseins umso mehr auf die stark negative Valenz dieses Gefühlszustands. Der Sprecher möchte hier vermutlich nicht kommunizieren, dass er nur ,ein bisschen‘ deprimiert ist, sondern dass er ,sehr deprimiert‘ ist (vgl. auch L20). Insofern ist es wichtig, den Protektiv-Modus nicht als „abgeschwächte Emotionalität“ zu verstehen, wie Sandhöfer-Sixel (vgl. 1988: 219) dies bzgl. vergleichbarer Strukturen unzutreffenderweise nahelegt. Auch das folgende Beispiel (gemeint ist Orangensaft): (L23)4,37 is ganz gut. der ist gut 123 deutet durch die Selbstkorrektur des Sprechers darauf hin, dass die Deintensivierung hier nicht graduierend-wörtlich gemeint ist. Dies gilt auch für die folgenden beiden Sätze, die in kurzem Abstand von ein und demselben Sprecher in Bezug auf denselben Gegenstand emotionaler Bewertung geäußert werden: (L24)17,190 es war schon eigentlich ganz cool 124 (L25)17,194 undswar/ also ich fands ziemlich cool Die Äußerungen sind nicht dahingehend zu interpretieren, dass der Sprecher den Gegenstand zuerst ,in geringem Ausmaß‘ und dann ,in hohem Ausmaß‘ cool findet, sondern es handelt sich um ein rhetorisches Phänomen, bei dem sich der Sprecher dem Hörer gegenüber zunehmend aus der Reserve begibt, indem er seine emotionale Erregung bzw. den Anschein derselben immer weniger zügelt. Der Protektiv-Modus tritt im Korpus sowohl bei emotionalen Bewertungen mit positiver als auch mit negativer Valenz auf. Bei negativer Valenz wird er interessanterweise oft von symbolischen Emotions-Indikatoren der Hörer-Steuerung begleitet (siehe dazu Kap. IV.1.2). 122 Hübler (1983: 155ff.) weist bzgl. des litotischen Understatements (siehe hierzu die oben behandelte „Nicht-so-Abschwächung“) auf den Aspekt der Gesichtswahrung (face saving) hin. 123 Diese Struktur wurde von weniger als zehn Kodierern markiert, sie wird hier jedoch aus Illustrationsgründen aufgenommen. 124 Diese Struktur wurde ebenfalls von weniger als zehn Kodierern markiert, auch sie wird hier jedoch aus Illustrationsgründen aufgenommen. 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 109 Im Unterschied zum Offensiv-Modus sorgt der Protektiv-Modus für eine eher moderate Modellierung emotional bewertender Position. Ein potentieller Kontrast zur Position des Adressaten wird kommunikativ abgemildert; generell wird eine gewisse Kompatibilität mit abweichenden emotionalen Bewertungen signalisiert. 125 In ähnlichem Sinne hält Adamzik (1984: 256) fest: Je weniger ausgeprägt der Sprecher den Wert eines Objektes erscheinen läßt, desto geringere Widerspruchsbereitschaft signalisiert er nämlich gegenüber einer anderslautenden Meinung und desto geringer ist auch der Solidarisierungseffekt mit Gleichgesinnten. Oratoren können den Protektiv-Modus bspw. gegenüber einem weitgehend unbekannten Gesprächspartner nutzen, um drohende oder unausweichliche Effekte emotionaler Divergenz (ggf. prophylaktisch) abzumildern (Beispiele siehe Kap.VI.2.5.3). 126 In weiterführenden Studien wäre die hier vorgestellte These zur rhetorischen Funktion der Intensitätsmarker in emotionalen Bewertungen zu überprüfen. Grundsätzlich ist nicht auszuschließen, dass die linguistische und die rhetorische Funktion bei emotional bewertenden Äußerungen in bestimmten Fällen gleichzeitig gegeben sein können. 127 1.1.2 Interjektion Die Interjektion gilt meist als reflexhafter Ausdruck emotionaler Erregung. Sie markiert symbolisch den Zeitpunkt, in dem der Sprecher von emotionaler 125 Martin/ White (2005: 139) sprechen bzgl. Äußerungen wie „a real wonder“ bzw. „kind of marvellous“ von sharpening bzw. softening: „Under sharpening (a real brat, a genuine hero), the effect is to indicate maximal investment by the authorial voice in the value position (either negative or positive) being advanced and hence to strongly align the reader into the value position being advanced. When the softened term is a negative one, the effect is to indicate a lessening of the speaker/ writer’s investment in the value position and hence to offer a conciliatory gesture directed towards maintaining solidarity with those who hold contrary views.“ 126 Dazu passt, dass nach einer Studie von McMullen/ Pasloski (1992) mit weiblichen Probanden Hedging umso weniger eingesetzt wird, je vertrauter der Gesprächspartner und das Thema sind; je vertrauter das Thema, desto eher werden Intensifikatoren eingesetzt. Zum unterschiedlichen Gebrauch von Intensifikatoren und Hedging bei Männern und Frauen siehe Bradac/ Mulac/ Thompson (1995). 127 Ausschlaggebend könnte hier möglicherweise die Semantik von Adjektiven in Konstruktionen wie Das ist total herrlich sein - je stärker die affektive Semantik des Adjektivs (herrlich), desto eher könnte die rhetorische Funktion vorliegen, je schwächer die affektive Semantik (vgl. Das ist total überzeugend), desto eher die graduierende Funktion. Vgl. hierzu auch Kap. 2.1.2.2 sowie die Untersuchung von Gutzmann/ Turgay (2012). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 110 Erregung ergriffen wird und erzeugt so einen Eindruck spontan-affektiver Unmittelbarkeit. Für den Begriff Interjektion gibt es in der Linguistik keine einheitliche Definition (vgl. Schwarz-Friesel 2013: 154f.). Insbesondere der zeichentheoretische Status von Interjektionen wird bis heute diskutiert (siehe z.B. Reisigl 1999: 29ff.; Weber 2004; Kleiber 2006). Gebräuchlich ist zumindest die Unterscheidung primärer Interjektionen wie ach! , bäh! , brrr! , huch! , hoppla! , oh! , juhu! , igitt! , uh! , puh! uh! von sekundären Interjektionen wie Meine Güte! , Au Backe! , Donnerwetter! , Mensch! , Verdammt noch mal! (vgl. Schwarz-Friesel 2013: 156f.). 128 Idealtypische Interjektionen dienen primär dem spontanen Ausdruck starker, subjektiver Emotionalität und haben keine referenzielle (nominative) Funktion, d.h. mit Interjektionen verweisen wir nicht auf Gegenstände (im weitesten Sinne) in der Welt, sondern sie dienen ausschließlich der Expressivität emotionalen Empfindens. Sie stellen in der Regel eine spontane, unmittelbare Reaktion auf ein nonverbales Ereignis oder eine Äußerung dar […]. In der mündlichen Kommunikation werden sie oft von nichtsprachlichen Phänomenen wie Mimik und Gestik verstärkt (Schwarz-Friesel 2013: 155). Interjektionen stellen Satzäquivalente 129 dar und können eine Valenz zum Ausdruck bringen. In unserer Typologie werden sie jedoch nicht als eigenständige Realisationsvariante emotionaler Bewertung geführt, weil sie oft als Begleitelement der Varianten SAB, VAB bzw. GAB auftreten. Im Korpus begleiten Interjektionen oft explizite emotionale Bewertungen. Als symbolische Indikatoren emotionaler Erregung verleihen sie entsprechenden Äußerungen besondere „Lebendigkeit“: (L26)17,180 oh, das war super Wie L26 zeigt, wird in den HIAT-DOS-Transkripten des Korpus normalerweise kein Ausrufezeichen verwendet. Da intonatorische Aspekte aus Gründen des methodischen Reduktionismus in unserer Arbeit nicht berücksichtigt werden, können nur solche Strukturen zweifelsfrei als „Ausruf“ identifiziert werden, bei denen es sich entweder eindeutig um Interjektionen 128 Reisigl (1999: 15) bemerkt zu der Unterscheidung: „Die Termini technici ‚primär‘ und ‚sekundär‘ sind […] weder streng sprachphylogenetisch noch sprachontogenetiscch zu interpretieren. Weder ist es richtig, daß primäre Interjektionen am Ursprung der Sprachentwicklung überhaupt stehen, noch, daß ein Kind primäre Interjektionen als erste Äußerungsformen erwirbt. Vielmehr sind die Ausdrücke ‚primär‘ und ‚sekundär‘ aufeinander bezogene, korrelative Begriffe, die nichts anderes heißen als ‚gleich schon, von Anfang an so und nicht anders verwendet‘ auf der einen Seite und ‚erst an zweiter Stelle, erst nachträglich so, nämlich als Interjektion, verwendet‘ auf der anderen Seite.“ 129 Helbig/ Buscha (2000: 203) betrachten die Interjektion als Satzäquivalent. Sandhöfer- Sixel (1988: 183) spricht diesbezüglich von „syntaktischer Isoliertheit“, Schwarz-Friesel (2013: 156) von „syntaktische[r] Autonomie“. 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 111 handelt 130 oder die eine exklamative Syntax 131 aufweisen. Typisch für das Korpus sind hier z.B. mit Interjektionen kombinierte „Wie-Exklamationen“ (L15). Drescher (2003: 59ff.) subsumiert solche Konstruktionen unter dem Begriff „affektive Syntax“. In der rhetorischen Terminologie entspricht der Interjektion die exclamatio. 132 Hinsichtlich des für beide Konzepte konstitutiven Aspekts des Ausrufs besteht in der Forschung weitestgehende Einigkeit, dass er mit „Emotionsausdruck“ einhergeht. 133 130 Interjektionen sind in Transkripten bisweilen nicht leicht von Gesprächspartikeln zu unterscheiden. Eine kontextunabhängige Kategorisierung ist problematisch, weil sie bei der Analyse konkreter Äußerungen zu falschen Schlussfolgerungen führen kann. Henne (1978) zählt die Interjektionen zu den Gesprächswörtern, bei denen er außerdem Rückmeldungspartikeln und Gliederungspartikeln unterscheidet. Die Klassifizierung der Interjektion als Gesprächswort wird ihr jedoch nicht gerecht, denn die von Henne (vgl. 1978: 44) angeführten Beispiele oweh, ach, o kommen nicht nur in Gesprächen, sondern z.B. auch in monologischen Reden oder literarischen Texten vor. Was zutrifft, ist, dass die Interjektion ein Phänomen der gesprochenen Sprache darstellt. - Burkhardt (1982) nimmt eine „Neubestimmung der Kategorie Gesprächswort anhand semantischer und pragmatischer Kriterien“ (ebd.: 156) vor. Er unterscheidet diesbezüglich Rückmeldungspartikeln wie hm, ja, genau, richtig (rückbestätigend) und ja? , bitte? , was? , hm? (rückfragend), Interjektionen wie zisch! , peng! , klatsch! (schallnachahmend) und aua! Hoppla! Mensch! Igitt! , Sprechhandlungspartikeln wie ja, wehe, hallo, na (illokutionsvollziehend bzw. satzwertig) und ja, ruhig, gefälligst, schön (illokutionstransformierend), Gliederungspartikeln wie ja, also, so (gesprächsakteinleitend) und ne, ja, gell (gesprächsaktintern-gliedernd) bzw. ne (? ), ja (? ), hm (? ), gell (? ) (gesprächsaktausleitend) sowie Abtönungspartikeln wie ja, denn, eigentlich, halt und abtönende Gliederungspartikeln wie naja, tja, na. Aus pragmatischer Sicht ist angesichts solcher starrer Taxonomien anzumerken, dass viele Gesprächspartikeln multifunktional sind. So können z.B. ja und also auch als Ausruf performiert werden. 131 Zur von parasprachlichen Merkmalen unabhängigen Bestimmung von Exklamationen siehe Sandhöfer-Sixel (1988: 183). Einige unstrittige Exklamativtypen führt Larrory (2004: 3) auf. 132 Der Begriff der exclamatio ist allgemeiner als der der Interjektion - er kann sich auch auf ganze Sätze beziehen. Bei Weber (2004: 15) heißt es: „In der sprachwissenschaftlichen Literatur tritt ‚Ausruf‘ bzw. ‚Exklamation‘ in verschiedenen Zusammenhängen auf, nämlich (1) in der der Orthographie als ‚Ausrufezeichen‘, (2) in der Grammatik als ‚Ausrufewort‘ und ‚Ausrufesatz‘, (3) in Rhetorik, Stilistik und Pragmatik als ‚Ausruf‘ und (4) in der Semiotik als Form der Kundgabe, eventuell auch des Appells“. Zur Exklamation im Deutschen siehe allgemein den Sammelband von Krause/ Ruge (Hgg. 2004). 133 Lausberg (2008: § 809) charakterisiert die exclamatio als „Ausdruck des Affekts“. Weber (vgl. 2004: 22) konstatiert, die Einheit der exclamatio liege in ihrem „Gefühlswert“, nicht in der grammatischen Form. Larrory (2004: 3) kommt zu dem Schluss, dass „alle formalen Typen der Exklamation, wie sie in Grammatiken aufgeführt werden, […] die Funktion eines affektiven Kommentars [erfüllen]: Einem Sprecher ermöglichen sie, auf eine bestehende Tatsache affektiv zu reagieren und sie qualitativ zu kommentieren“. Auch Rosengren (1992: 303) ist der Ansicht, dass „die Exklamation eine Bewertung und eine affektiv-emotionale Einstellung zum Ausdruck bringt“. Reisigels Behauptung, dass „weder der Ausrufecharakter noch die Gefühlsbetontheit […] konstitutive IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 112 Dass emotionale Ausrufe auch simuliert werden können, betont bereits Quintilian. Die exclamatio sei ein Gefühlsausdruck („adfectus enim est“, vgl. Quint. Inst. or. IX,3,97), der jedoch nur dann als Figur gelten könne, wenn er vorgetäuscht und durch Kunst hervorgebracht sei (vgl. Quint. Inst. or. IX,2,27). Auch Plett kennzeichnet die exclamatio als Kunstmittel: Ausruf: Ausdruck des Affekts, der durch Interjektionen (z.B. „o, ah, ach, wehe“), emphatische Aussprache (pronuntiatio) und pathetisches Vokabular kenntlich ist. Aus rhetorischer Sicht ist die Exclamatio ein Kunstmittel; d.h. die ihr zugrundeliegenden Affekte sind geheuchelt, simuliert (Plett 2001: 83). Natürlich müssen emotionale Ausrufe in Gesprächen nicht generell simuliert sein. Allerdings haftet ihnen oft etwas dramatisierend-Artifizielles an. Dies betrifft durchaus auch unspektakuläre Gesprächsroutinen wie z.B. empathische Kurzkommentare: (L27)4,114 dieses Buch woa: . Das hat er gar nich. - oah shit Auch beim folgenden Beispiel ist die sekundäre Interjektion mein Gott im Gesprächskontext weniger als reflexhaft-natürlicher Ausruf zu interpretieren, denn als Mittel gezielter hyperbolischer Dramatisierung: (L28)4,197 ja: mein Gott. Sind auch nich so wichtig Rhetorisch betrachtet eignet sich die (zumindest dem Anschein nach) affektive Unmittelbarkeit der Interjektion etwa zur Auflockerung von Situationen, die durch Befangenheit der Gesprächspartner geprägt sind. Grundsätzlich kann der Orator mittels emotionaler Ausrufe Involvement signalisieren bzw. sich als temperamentvoller und authentisch-spontaner Charakter inszenieren. 134 In unserem gesprächsrhetorischen Modell erzeugen Interjektionen im Rahmen des Insinuationsmusters ME (siehe Kap. VI.2.4.1.1.3) Aufmerksamkeit für kleine dramatische Inszenierungen des Orators und verleihen ihnen besondere Lebendigkeit. 1.2 Hörer-Steuerung Als symbolische Emotions-Indikatoren der Hörersteuerung fungieren bei SAB, VAB und GAB bestimmte Appellmarker. Sie stehen für das Bemühen des Sprechers um Bestätigung der von ihm kommunizierten emotionalen Bewertung durch den Hörer bzw. Gesprächspartner. Im Rahmen der drei Re- Merkmale von Interjektionen“ (1999: 51) seien, erscheint freilich reichlich kontraintuitiv. Reisigls Begründung, jedes Wort und jeder Satz könne als Ausruf benutzt werden, steht in keinem Bezug zu seiner Behauptung. 134 Drescher (vgl. 2003: 221) weist im Zusammenhang mit dem strategischen Einsatz von Emotionalität darauf hin, dass Emotionen als Authentizitätsmarker fungieren und damit die Glaubwürdigkeit eines Interaktanten erhöhen können. 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 113 alisationsvarianten emotionaler Bewertung indizieren sie insofern symbolisch eine Emotion des Sprechers, als das Bemühen des Sprechers um Zustimmung bzw. Verständnis darauf hindeutet (zumindest dem Anschein nach, denn Appellmarker können auch simulativ eingesetzt werden), dass ein mangelndes Teilen seiner Position durch den Hörer für ihn problematisch wäre - und zwar deswegen, weil er selbst mit einer bestimmten Emotion auf den betreffenden Gegenstand reagiert. In kommunikationsstrategischer Hinsicht leisten die Appellmarker auf der Wortebene damit das Gleiche wie die Insinuationsmuster DE, NK und ME (siehe Kap. VI.2.4.1.1) auf der Textebene: sie insinuieren emotionale Übereinstimmung (Konvergenz) mit dem Gesprächspartner bzw. fungieren als Konvergenz-Appell. Bei den Appellmarkern handelt es sich in erster Linie um Modalpartikeln (auch „Abtönungspartikeln“) wie aber, auch, bloß, denn, doch, eigentlich, eben, einfach, etwa, erst, halt, ja, nun, mal, nur, schon, vielleicht, ruhig, wohl (vgl. Helbig 1990: 36; Hartmann 1998: 660; Helbig/ Buscha 2000: 194ff.). Doch auch Modalwörter (siehe Helbig/ Helbig 1993) wie natürlich, echt 135 und Adverbien wie irgendwo, manchmal, auch 136 können in emotionalen Bewertungen einen vergleichbaren Effekt haben. Die Appellmarker können einzeln (L29-L31) oder in Kombination (L32, siehe auch L6) vorkommen: (L29)17,32 is natürlich richtig geil (L30)17,182 das war echt total klasse (L31)4,62 nee. Ich finds auch ganz angenehm. wenn du (L32)17,313 für mich is irgendwo manchmal echt schon bisschen hart Bei den Beispielen (L29) und (L30, siehe auch R27) treten die Appellmarker in Verbindung mit dem Offensiv-Modus symbolischer Indizierung von Sprecher- Erregung auf (richtig geil bzw. total klasse), bei L31 und L32 (siehe auch L6) in Verbindung mit dem Protektiv-Modus (ganz angenehm bzw. bisschen hart). Regelmäßig finden sich Appellmarker bei emotionalen Bewertungen im Protektiv-Modus. Der Zusammenhang liegt auf der Hand: Der Sprecher ist unsicher, wie seine emotionale Bewertung beim noch weitgehend fremden Gesprächspartner ankommt. 137 Um das Risiko einer „Frontalkollision“ (einer als eklatant empfundenen Divergenz) emotionaler Bewertungen zu minimieren, schwächt er die Valenz der von ihm kommunizierten emotionalen Bewertung nicht nur kommunikativ ab, sondern versieht sie zusätzlich noch mit einem Konvergenz-Appell. 135 Echt bzw. das in dieser Funktion verwendungsgleiche wirklich können auch als Intensitätsmarker eingesetzt werden: 4,126 s wirklich gemein; 17,108 aber is echt krass. 136 Ob es sich bei auch um eine Modalpartikel oder um ein Modaladverb handelt, ist bei Äußerungen aus den Korpus-Gesprächen manchmal auch anhand des „Erststellen- Tests“ (Modalpartikeln sind nicht Erststellen-fähig) schwer zu sagen. 137 Zur Abtönung als Ausdruck von Unsicherheit siehe Thaler (2010). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 114 Die bei negativen emotionalen Bewertungen im Protektiv-Modus häufig anzutreffende erhöhte Anzahl von Appellmarkern (L32, siehe auch L6) ist dadurch erklärbar, dass der Sprecher hier verstärkt um eine konvergente (zustimmende, Verständnis signalisierende) Reaktion des Hörers werben muss. Denn eine divergente Reaktion des Hörers würde das „Gesicht“ des Sprechers bedrohen: Letzterer bliebe mit seiner negativen emotionalen Bewertung allein, stünde im Fall von L 32 (siehe auch L6) womöglich als nicht belastbar oder sogar als „Miesepeter“ da. Um dem vorzubeugen, versucht der Sprecher, die emotionale Bewertung mit Hilfe von Appellmarkern als begründet und somit zustimmungswürdig zu präsentieren - die Reihung der Marker wirkt hier wie ein „rechtfertigender Puffer“. 138 Tendenziell weniger gefährdend für das Image des Sprechers scheint demgegenüber die Kommunikation von emotionaler Bewertung mit positiver Valenz (siehe Kap. VI.2). Dementsprechend finden sich in solchen Fällen zwar gelegentlich (L29, L30), keineswegs aber systematisch Appellmarker. Die Modalpartikeln als typische Appellmarker stehen für einen rhetorischen Gestus auf einer elementaren Ebene von Sprache, der sie nicht nur für die Steuerung von Rezeptionsprozessen des Hörers im Rahmen emotionaler Bewertung, sondern für jegliche Art strategischer Kommunikation prädestiniert - zu denken ist hier bspw. an kommunikative Akte wie Konzedieren (schon), Insistieren (doch), Koordinieren (auch), „Ehrlich-Sprechen“ (eigentlich). Die Funktion des Konvergenz-Appells basiert bei den Appellmarkern auf einem subtilen In-Bezug-Setzen der emotionalen Bewertung zum Äußerungskontext und zu Wissensbeständen 139 der Gesprächspartner: 138 Zur Kombinierbarkeit und Reihenfolge der Modalpartikeln als neuerem Ansatz in der Modalpartikel-Forschung siehe König (2010: 93). Thaler (2010: 164f.) bemerkt, dass die „jeweilige Bedeutungskomponente […] zum Teil erst in Kombination mit anderen abtönenden Ausdrucksmitteln erlangt“ werde, „wobei der Beitrag eines einzelnen Elements zur Gesamtbedeutung der Äußerung semantisch oft nur schwer zu bestimmen“ sei. „Nicht selten lässt sich in der untersuchten Situation der Unsicherheit eine interessante Kombination aus verstärkenden und abschwächenden Partikeln innerhalb einer Äußerung beobachten. Diese wirken auf subtile Weise zusammen“. 139 Nach Schulz (2012: 270) haben Abtönungspartikeln „immer einen epistemischen Einschlag, sprich Wissensbezug und so auch Bezug zu kognitiven Operatoren wie Vergleichen, Argumentieren, Synchronisieren oder Koordinieren.“ Er spricht ihnen eine „epistemisch-relationierende Fähigkeit“ zu. Ihre Funktion sei „die epistemische Verortung der Proposition im Wissen von H in Relation zum eigenen Wissen, die [...] eine genaue Einordnung in den kommunikativen Gesamtzusammenhang erlaubt und richtiges Verständnis erst herstellt“ (ebd.: 269f.; vgl. hierzu auch Zillig 1982: 147). Coniglio (2011) spricht vom „Hörerbezug“ einer Modalpartikel bzw. von einer Instantiierung der Interaktion zwischen Sprecher und Hörer in Form einer Bezugnahme auf den conversational background als beiden Gesprächspartnern zugänglichem Wissen (vgl. ebd.: 18). König (2010: 80) fasst die gängigen Charakterisierungen der Modalpartikeln als „Illokutionsmodifikatoren, als Ausdruck für epistemische Einstellungen, als Signale 1 Wortebene: Symbolische Emotions-Indikatoren 115 Sie [die Modalpartikeln] ordnen die Äußerung in den Handlungs- und Interaktionskontext ein, indem sie z.B. zum Konsens (Das haben wir ja / doch vereinbart.) oder zum Dissens (Das haben wir aber vereinbart.) beitragen, indem sie z. T. die Präferenz des Sprechers für eine zustimmende (Sie trinken doch eine Tasse Kaffee? ) oder für eine negative Antwort (Rauchst du etwa? ) erkennen lassen (Helbig/ Buscha 2000: 196). Abschließend ist zu betonen, dass Appellmarker nicht die Valenz einer emotional bewertenden Äußerung festlegen. 140 Wenn bzgl. Modalpartikeln immer wieder etwas unbeholfen von „Einstellungsausdrücken“ (Brandt u.a. 1992: 71f, vgl. auch Helbig/ Buscha 2000: 196, Schulz 2012: 270; kritisch: Kwon 2005: 27ff.), oder von von einem Mittel zum „Ausdruck von Emotionalität“ (Schulz 2012: 270) die Rede ist, ist dies zu vergegenwärtigen. 141 Zutreffender erscheint die Formulierung von Schwarz-Friesel (2013: 181), die etwas vorsichtiger von einer „emotive[n] Lesart von Modalpartikeln“ spricht. bzw. Regulierungsmittel für interpersonale Beziehungen, als Metakommentare zu Äußerungen, als Mittel der Verankerung im Redekontext“ zusammen. Bei Weydt (2010: 19) heißt es: „Die Zusatzinformationen, die die Partikeln vermitteln, zeigen, dass der Sprecher den Wissensstand des anderen in den Blick nimmt. Mit Partikeln zeigt er an, dass er seinen Gesprächspartner genau wahrgenommen hat.“ - Die Modalpartikel- Forschung (siehe z.B. Moroni 2010: 23ff.) beschreitet seit einigen Jahren neue Wege (zu neueren Ansätzen siehe König 2010: 92f.). Die Behauptung von Werner (2010: 188), dass Modalpartikeln entgegen bisheriger Forschungsannahmen „weder regulierend, noch definierend, noch steuernd, noch indizierend“ seien, erscheint allerdings fragwürdig. 140 In diesem Zusammenhang ist außerdem anzumerken, dass Modalpartikeln und Modalwörter (vgl. „Modalpartikeln“ bei Schwarz-Friesel 2013: 181; Löbner 2003: 45) zwar die Satzbedeutung entscheidend verändern können (vgl. Schwarz-Friesel 2013: 183), dass sie aber nicht zum propositionalen Gehalt einer Äußerung zu rechnen sind. Vgl. hierzu etwa Helbig/ Buscha (2000: 193), die für alle Arten von Partikeln postulieren, dass sie die Wahrheitsbedingungen von Sätzen semantisch nicht berühren, sowie Schulz (2012: 80). 141 Schulz (2012: 270) bemerkt, die Abtönungspartikeln könnten „als eigenständiges funktional-grammatisches Mittel zum Ausdruck von Emotionalität, Einstellungen und Wertungen mit epistemischer Verbindungs- und Präzisierungskraft kategorisiert werden“, bzw. „zusammenfassend als spezifische Wissenspartikeln beschrieben werden, die als Synepistemae fungieren, Mitgemeintes oder Nebensinn sowie Emotionales und Einstellungsaspekte vermitteln. Dadurch leisten sie einen Beitrag zur Verortung des interaktiven Beitrags im gesamten diskursiven wie textuellen Zusammenhang.“ Auf die Frage, wie genau Abtönungspartikeln Emotionalität zum Ausdruck bringen, geht Schulz nicht ein. Es bleibt anzumerken, dass eine „emotionsausdrückende“ Funktion von Abtönungspartikeln regelrecht im Widerspruch zu ihrem von Schulz richtig beobachteten „epistemischen Einschlag“ stehen würde. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 116 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung Die Typologisierung der von den Kodierern markierten Strukturen (siehe Kap. III.3) ergab als Hauptbefund drei sprachliche Realisationsvarianten emotionaler Bewertung, die als ein Phänomen der Satzebene zu beschreiben sind. In allen drei Realisationsvarianten treten regelmäßig symbolische Emotions- Indikatoren auf. Zur Unterscheidung der drei Realisationsvarianten, die jeweils gewisse „Formulierungsroutinen“ 142 repräsentieren, wird auf semantischer Ebene das Prinzip der Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung herangezogen. Es knüpft unmittelbar an das in Kap. III.3.2 beschriebene Prinzip der Valenz- Zuweisung (siehe Abb. 3) an und betrifft die Frage, welche der am sprachlichen Akt emotionaler Bewertung beteiligten „Instanzen“ 143 Sprecher, Valenz bzw. Gegenstand ein Sprecher bei der konkreten sprachlichen Formulierung emotionaler Bewertung inhaltlich hervorhebt bzw. gegenüber den anderen beiden Instanzen „präferiert“: Abb. 6: Instanzenpräferenz sprachlicher Realisationsvarianten emotionaler Bewertung Die Präferenz manifestiert sich in der Satzbedeutung. Diese erfasst entweder das mitzuteilende Gefühl 144 des Sprechers oder die Valenz, die der Sprecher 142 In funktionaler Hinsicht illustrieren die Realisationsvarianten emotionaler Bewertung das, was Drescher (2003: 89f.) als „Verfahrenscharakter“ der Darstellung emotionaler Beteiligung bzw. als „funktional spezifizierte und potentiell äußerungsübergreifende Formulierungsroutinen“ beschreibt (siehe Kap. II.3). 143 Die Valenz wird hier aus Gründen terminologischer Einheitlichkeit ebenfalls als Instanz bezeichnet. 144 Ein Gefühl ist eine bewusst erlebte Emotion (vgl. den in Kap. I.2 behandelten Gefühlsbegriff bei Schwarz-Friesel 2013). Es wird allerdings nicht postuliert, dass von den hier beschriebenen sprachlich-kommunikativen Strukturen auf das tatsächliche Vorliegen 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 117 dem Gegenstand emotionaler Bewertung zuweist, oder einfach nur den Gegenstand der emotionalen Bewertung. Das Erfassen einer bestimmten „Instanz“ emotionaler Bewertung durch die Satzbedeutung kann dabei als ein Setzen von Akzenten bei der Konstruktion emotionaler Bedeutung konzipiert werden. Bei den Strukturen, die in der Beurteilungsstudie durch mindestens zehn Kodierer als „emotional“ beurteilt wurden, lassen sich - wie gesagt - drei verschiedene Arten der Konstruktion emotionaler Bedeutung unterscheiden: 145 1. Sprechergefühl-akzentuierende Konstruktion emotionaler Bedeutung (SAB) 2. Valenz-akzentuierende Konstruktion emotionaler Bedeutung (VAB) 3. Gegenstand-akzentuierende Konstruktion emotionaler Bedeutung (GAB) Die Kategorie SAB umfasst Äußerungen, deren Satzbedeutung mittels spezifischer lexikalischer Marker das mit der emotionalen Bewertung einhergehende Gefühl des Sprechers erfasst: Ich freue mich ja schon total über das Geschenk. Die Kategorie VAB umfasst Äußerungen, deren Satzbedeutung mittels spezifischer lexikalischer Marker die Valenz erfasst, die der Sprecher dem Gegenstand emotionaler Bewertung zuweist: Finde das Geschenk ja echt toll. / Das Geschenk ist ja echt toll. Die Kategorie GAB umfasst Äußerungen, deren Satzbedeutung den Gegenstand emotionaler Bewertung, nicht jedoch das Sprechergefühl oder die dem Gegenstand zugewiesene Valenz erfasst: [Na, wie geht’s? ] - Habe eben doch tatsächlich ein Geschenk bekommen. 146 Wie die Beispiele deutlich machen, fungiert die Art von Akzentsetzung bei der Konstruktion emotionaler Bedeutung auf der Satzebene als Unterscheidungskriterium für unterschiedliche sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation. Dabei ist hervorzuheben, dass die Satzbedeutung von emotional bewertenden Äußerungen nicht unbedingt über expressive Bedeut- einer Emotion bzw. eines Gefühls beim Sprecher geschlossen werden kann (siehe Kap. III.2). 145 Vgl. die Überlegungen von Marten-Cleef (1991: 106ff.), die hier jedoch mehr Kategorien unterscheidet. 146 Um den formalen Unterschied zwischen den Konstruktionsvarianten an einem inhaltlich einheitlichen Beispiel (positive emotionale Bewertung eines Geschenks) aufzuzeigen, ein solches sich im Korpus jedoch nicht findet, wurden die hier angeführten Beispieläußerungen ausnahmsweise nach den typischen semantischen und syntaktischen Schemata entsprechender Äußerungen aus dem Korpus unter Imitation des entsprechenden sprachlichen Registers konstruiert. Entsprechende Korpus-Beispiele finden sich in den Abschnitten zu den jeweiligen Konstruktionsvarianten. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 118 ungselemente zustande kommen muss, sondern dass sie auch durch deskriptiven Satzinhalt bzw. durch den propositionalen Gehalt eines Satzes konstituiert werden kann (vgl. Sätze wie Ich freue mich über das Geschenk). 147 Für unseren Ansatz bedeutet dies eine Abkehr von einem nicht-propositionalen Verständnis sprachlich-kommunikativer Emotionalität (vgl. Konstantinidou 1997: 23) bzw. von einer linguistischen Betrachtungsweise des Verhältnisses von Sprache und Emotion, die man als „expressivistisch“ bezeichnen könnte, 148 weil sie die Ausdrucksfunktion (expressive Funktion) sprachlicher Zeichen, wie sie im Organon-Modell von Bühler (1934) beschrieben wird, als für sprachlich-kommunikative Emotionalität konstitutiv erachtet. Typisch für diese Betrachtungsweise sind Aussagen wie „It is the emotional feeling of the speaker that is expressed and communicated in the expressive function“ (Foolen 1997: 15). Entsprechende Ansätze sehen in der Interjektion bzw. dem Exklamativ-Modus (z.B. Aijmer 2004; Stankiewicz 1964: 239, 253) oder auch in paraverbalen Phänomenen, etwa der Prosodie, prototypische Realisationsformen sprachlicher Emotionalität und koppeln Letztere damit systematisch von der Darstellungsfunktion nach Bühler ab (siehe hierzu auch die Diskussion um den Begriff „Emotionsausdruck“ in Kap. IV.3). 149 Unsere Typologie steht demgegenüber Ansätzen nahe, die - wie z.B. Fries (2007, 2009) - emotionale Sprache auch mit deskriptivem Satzinhalt (im 147 Bei emotional bewertenden Äußerungen ist sowohl eine propositionale Kodierung emotionaler Bedeutung (z.B. Ich bin traurig darüber) als auch eine nicht-propositionale Kodierung emotionaler Bedeutung (z.B. Das ist schade) möglich. 148 „Expressivistisch“ wird hier nicht im moralphilosophischen Sinne einer „gefühlsorientierten Urteilsbildung“ verwendet, sondern im linguistischen Sinne einer „Betonung der Ausdrucksfunktion sprachlicher Zeichen“ bei der Konzeption des Verhältnisses von Sprache und Emotion. Zu unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs „expressiv“ in der Linguistik siehe Hermanns (2002: 359). 149 Laut Schwarz-Friesel (vgl. 2013: 153) gelten die Interjektionen in der linguistischen Forschung als „prototypische expressive Mittel“. Nach Ansicht von Rehbock (1992: 114) findet die Kommunikation von Emotion jenseits des propositionalen Gehalts einer Äußerung statt: „Zeichentheoretisch handelt es sich bei allen ‚ausdrückenden‘ Verhaltensweisen und Handlungen darum, daß aus diesen auf einen momentanen ‚inneren‘ Zustand des Emittenten als Ursache des Geäußerten geschlossen werden kann oder soll. Im Falle nicht-intentionalen Ausdrucksverhaltens vollziehen Perzipienten einen Erfahrungsschluß aus dem Symptom auf dessen Ursache. In intentionalen expressiven Handlungen dagegen werden nonverbale oder verbale Zeichen gebraucht, damit sie deren Existenz als Wirkung einer ‚inneren‘ Ursache kausal indizieren; eben darin liegt ihr ‚point‘. Auf eine unmittelbare Weise ist dies der Fall, wenn Sprecher und Sprecherinnen Empfindungen, Emotionen oder Einstellungen gestisch, mimisch, prosodisch, interjektional oder stilistisch, mithin in der Regel zusätzlich zum propositionalen Gehalt einer Äußerung ‚ausdrücken‘.“ - Sichtweisen wie die von Rehbock entsprechen der Konzentration ausdruckspsychologischer Emotionsforschung auf nonbzw. paraverbalen Emotionsausdruck. Zu ausdruckspsychologischen Ansätzen siehe Ellgring (2000), der allerdings zu Recht einräumt: „Selbstverständlich kann auch eine sprachliche Mitteilung Ausdruck einer Emotion sein“ (ebd.: 85). 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 119 Sinne einer „Darstellung“ von Sachverhalten) in Verbindung bringen und im Zuge dessen emotionale Strukturen beschreiben, die vom „Tunnelblick“ expressivistischer Ansätze nicht erfasst werden. 150 Allerdings knüpft unsere Typologie nicht allein an die Bedeutungsebene sprachlich-kommunikativer Emotionalität an - basiert sie doch auf dem Konzept emotional bewertenden Handelns. Vielmehr impliziert die Unterscheidung von Varianten emotional bewertender Äußerungen anhand von Akzentsetzungen bei der Konstruktion von Satzbedeutung, dass die Handlungsebene mit der Bedeutungsebene kombiniert wird. Genauer gesagt wird die Kategorie „emotional bewertendes sprachlich-kommunikatives Handeln“ unter Rückgriff auf semantische Kriterien in Subkategorien ausdifferenziert. Insofern stehen die Abkürzungen SAB, VAB und GAB nicht nur für Konstruktionsvarianten emotionaler Bedeutung, sondern zugleich für unterschiedliche sprachlich-kommunikative Realisationen („Formulierungen“) emotionaler Bewertung. Wie Abb. 6 zeigt, können die Realisationsvarianten emotionaler Bewertung SAB, VAB und GAB zusätzlich danach unterscheiden werden, ob die emotionale Bewertung explizit oder implizit kommuniziert wird. Bei SAB und VAB handelt es sich um explizite Realisationsvarianten emotionaler Bewertung: Die Valenz lässt sich hier unmittelbar aus der Satzbedeutung der Äußerung entnehmen. Die expliziten Realisationsvarianten sind aufgrund der konzeptuellen Nähe zwischen dem Aspekt der Valenz- Zuweisung (VAB) und dem Gefühl des Sprechers (SAB) „eng verwandt“. Drescher beschreibt dies so: Eine […] Bestimmung von Gefühlen über Bewertungen findet ihre spiegelbildliche Entsprechung in der Charakterisierung von Bewertungen über Gefühle. […] Äußerungen der Form X ist gut/ schlecht sind demnach als ein verkürzter Ausdruck von X ruft ein positives/ negatives Gefühl hervor zu verstehen (Drescher 2003: 44) . Die auffallende Regelmäßigkeit, mit der Strukturen, welche SAB bzw. VAB repräsentieren, durch die Kodierer als „emotional“ beurteilt wurden, könnte ein Hinweis darauf sein, dass Äußerungen nach diesen Mustern von Sprachbenutzern kontextunabhängig als „emotional“ empfunden werden. Das wäre in gesonderten Studien mit breiterer und stärker diversifizierter Datenbasis zu überprüfen. Um ein Zeichen in Richtung dieser These zu setzen, wird den 150 Fries (2007) unterscheidet propositionale und nicht-propositionale Kodierungen von Emotion, wobei die nicht-propositionale Kodierung unserer impliziten Realisationsvariante emotionaler Bewertung entspricht. Bzgl. der propositionalen Kodierung bemerkt er: „Emotionen werden in solchen Fällen als Propositionen (im Sinne von Satz- Bedeutungen) kodiert, das heißt, als Prädikationen“ (ebd.: 300). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 120 expliziten Realisationsvarianten SAB bzw. VAB in der vorliegenden Arbeit eine emotionale Satzbedeutung 151 zugesprochen. Für die Zuordnung einer Äußerung zu SAB bzw. VAB ist übrigens unerheblich, ob im selben Satz noch auf den Gegenstand emotionaler Bewertung Bezug genommen wird oder nicht (Ich freue mich ja schon wahnsinnig [darüber]; Echt toll [, das Geschenk]). Bei VAB ist zudem unerheblich, ob der Sprecher grammatisch durch eine „Subjektivitätsformel“ (z.B. ich finde, siehe Kap. IV.2.1.2) repräsentiert ist (Ich finde das Geschenk ja echt toll) oder nicht (Das Geschenk ist ja echt toll). 152 Im Unterschied zu SAB und VAB handelt es sich bei GAB um eine implizite Realisationsvariante emotionaler Bewertung. Hier kann definitiv nicht von einer emotionalen Satzbedeutung gesprochen werden, denn ob mit einer entsprechenden Äußerung eine emotionale Bewertung kommuniziert wird und welche Valenz sie hat, hängt vom Kontext ab: Implizite emotionale Bewertungen müssen vom Hörer inferentiell erschlossen werden; ihre Valenz ergibt sich dabei aus dem logischen In-Bezug-Setzen der Satzbedeutung zum Äußerungskontext. Nach Schwarz-Friesel (2013: 33) ist eine Inferenz „ein kognitiver Prozess, der auf unserem Weltwissen beruht, Diskontinuitäten im Text überbrückt und vom Leser bei lückenhaften Informationen, aber auch bei Problemfällen und scheinbaren Unsinnigkeiten eingesetzt wird.“ 153 Für das Ziehen emotionaler Inferenzen ist dabei immer auch eine empathische Projektion notwendig, d.h. der Hörer muss sich gefühlsmäßig in die Situation des Sprechers hineinversetzen. 151 Zu „emotiven Satzbedeutungen“ siehe die allgemeinen Ausführungen von Schwarz- Friesel (2013: 173ff.). 152 Anders Grimm/ Engelkamp (1981: 21f.), die „subjektive affektive Bewertungen“ (Ich liebe Blumen; Ich finde Blumen schön) von „generalisierten affektiven Bewertungen“ (Blumen sind schön) unterscheiden. Als dritte Kategorie nennen sie „implizite affektive Bewertungen“ (Köter, Liebling). 153 Rickheit/ Sichelschmidt/ Strohner (2009: 393) bemerken zum Begriff der Inferenz: „In der Psycholinguistik herrscht Einigkeit darüber, dass die mentale Repräsentation eines Sachverhalts durch Inferenzen erweitert und angereichert werden kann. Unklar ist jedoch, wie und inwieweit so etwas geschieht. In Bezug auf das ‚Wie‘ ist ungeklärt, ob Inferenzen eher durch die jeweiligen Konzepte oder eher durch die jeweiligen Schemata veranlasst werden. In Bezug auf das ‚Inwieweit‘ steht einer minimalistischen Auffassung (Inferenzen nur, wenn unbedingt nötig) eine maximalistische Auffassung gegenüber (Inferenzen immer, wenn irgend möglich). Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen: Wann und in welchem Ausmaß Inferenzen gezogen werden, hängt sicher auch vom individuellen Wissen und von der jeweiligen Kommunikationssituation ab. Ergebnisse neuerer Studien legen nahe, dass Inferenzen vor allem gezogen werden, wenn sie zur Textkohärenz beitragen. Bestimmte Kasusrollen, Intentionen und Emotionen, raumzeitliche und kausale Zusammenhänge gehören damit zu den wahrscheinlichen Inferenzkandidaten.“ 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 121 Wenngleich die beiden expliziten Realisationsvarianten VAB und SAB mit wortwörtlichem kommunikativen Sinn operieren, die implizite Realisationsvariante GAB hingegen mit inferentiell zu erschließendem kommunikativen Sinn, ist keine der drei Realisationsvarianten „emotionaler“ ist als die anderen - es handelt sich schlicht um unterschiedliche Vollzugsmöglichkeiten für ein- und dieselbe sprachlich-kommunikative Handlung. Die Ergebnisse der Beurteilungsstudie deuten jedenfalls nicht darauf hin, dass eine Realisationsvariante emotionaler Bewertung durch die Kodierer als „emotionaler“ beurteilt worden wäre als die anderen. In diesem Zusammenhang sei gleich angemerkt, dass unsere Unterscheidung expliziter von impliziter emotionaler Bewertung abzugrenzen ist von der Unterscheidung zwischen „Thematisierung“ und „Ausdruck“ von Emotion in der linguistischen Forschung (siehe Kap. IV.3). Letztere begreift emotionale Explizitheit tendenziell als ein „Reden über Emotion“ und emotionale Implizitheit als ein „Ausdrücken von Emotion“, wobei die Unterscheidung an einzelnen Lexemen festgemacht wird. Im Rahmen unserer Typologie hingegen bedeutet emotionale Explizitheit, dass der kommunikative Sinn einer emotionalen Äußerung mit ihrer wortwörtlichen Bedeutung übereinstimmt. Dies hat den Vorteil, dass der Adressat das Gemeinte mit hoher Wahrscheinlichkeit angemessen rezipiert, und den Nachteil, dass das Gemeinte - etwa im Konfliktfall - schlecht zurückgenommen werden kann. Emotionale Implizitheit bedeutet dementsprechend, dass der kommunikative Sinn einer emotionalen Äußerung von ihrer wortwörtlichen Bedeutung abweicht. Für den Sprachbenutzer hat dies den Vorteil, dass das Gemeinte im Nachhinein leichter korrigiert werden kann und den Nachteil, dass der Adressat das Gemeinte u.U. nicht angemessen rezipiert, weil er den „Sinn zwischen den Zeilen“ nicht erkennt. 154 Der Befund der Beurteilungsstudie zeigt allerdings, dass implizit emotionale Äußerungen von den Kodierern - vermutlich auch aufgrund des Phänomens der Explizit-Eskortierung (siehe Kap. 2.2) - sehr wohl als „emotional“ erkannt und sinnvoll interpretiert wurden (darauf deuten die Kommentare der Kodierer hin). Emotionale Explizitheit bzw. Implizitheit wird in der vorliegenden Arbeit demnach an der Ebene des kommunikativen Sinns von Äußerungen festgemacht und nicht an der lexikalischen Ebene. Für das „Reden über Emotion“ ist in unserer Typologie im Übrigen die Kategorie meta-emotionale Kommunikation vorgesehen. 154 Marten-Cleef (1991: 349) bemerkt bzgl. des thematischen Musters HF, dem in unserer Typologie die implizite Realisationsvariante GAB entspricht: „Da die jedem Gefühlserlebnis inhärente Bewertungskomponente durch Äußerungsformen nach HINWEIS AUF DIE FAKTEN dem Adressaten nur in geringem Maße zu erkennen gegeben werden kann, eignen sich diese Äußerungsformen für die Erreichung der intendierten Kommunikationsziele nur bedingt“. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 122 In der Forschung finden sich hin und wieder Kategorisierungen, die unserer Unterscheidung von SAB, VAB und GAB z.T. entsprechen. Eine in gewisser Hinsicht mit unseren Kategorien SAB und VAB vergleichbare Kategorisierung liegt etwa den korpusbasierten Arbeiten von Sandhöfer-Sixel (1988, 1990) zugrunde. Sie unterscheidet einen affektiven und einen kognitiven Typ emotionaler Bewertung. Ihre Beispiele für den affektiven Typ dürften weitgehend mit SAB und ihre Beispiele für den kognitiven Typ mit VAB identifizierbar sein. Allerdings kann Sandhöfer-Sixels Erklärungsansatz einer „emotionalen Modalität“ nicht überzeugen (siehe Kap. II.2). Auf der Ebene lexikalischer Semantik unterscheidet Bednarek (vgl. 2009: 167f.; 2008) in ähnlicher Weise zwischen für SAB typischen „overt emotion terms“ (z.B. surprised in I’m surprised) und für VAB typischen „covert emotion terms“ (z.B. surprising in that’s surprising): Resources of overt affect directly name an emotional response of Emoters (fear, love hate), whereas resources of covert affect denote events, or situations that cause or trigger emotional responses in emoters (e.g. surprising, disappointing), and thus more indirectly denote such an emotional response (Bednarek 2009: 171). Zu den unsrigen noch ähnlicheren Ergebnissen kommt interessanterweise der ansonsten unbefriedigend umgesetzte sprechakttheoretische Ansatz von Marten-Cleef (1991). Auch sie kreuzt die Ebene sprachlichen Handelns mit der Bedeutungsebene, indem sie gewisse „thematische Muster“ zur Beschreibung der konkreten Äußerungsformen von expressiven Illokutionstypen heranzieht (siehe Kap. II.2). Dabei finden sowohl SAB und VAB als auch GAB Entsprechungen in bestimmten thematischen Mustern. So korrespondiert SAB mit dem thematischen Muster HEM (HINWEIS AUF DIE EMO- TION), VAB mit dem Muster HE (HINWEIS AUF DIE EVALUATION) 155 und GAB mit dem Muster HF (HINWEIS AUF DIE FAKTEN) 156 . 155 Unserer Realisationsvariante VAB entspricht bei Marten-Cleef (1991) vor allem die Subkategorie „Objektbewertung“ (HEO) des thematischen Musters HE. Marten-Cleef unterscheidet hier näherhin zwischen dem Bewerten von Handlungen, Ereignissen, Zuständen und Sachen. Bei „Sachen“ führt sie das Beispiel Den Vorschlag finde ich großartig! an. Alle anderen von ihr angeführten Beispiele entsprechen syntaktisch nicht VAB. VAB ist in dieser Hinsicht also enger definiert als das thematische Muster HE bzw. HEO, bei dem die unterschiedlichsten syntaktischen Konstruktionen möglich sind (vgl. ebd.: 116ff.). Dafür ist bei VAB die Unterscheidung von bewerteten Handlungen, Ereignissen usw. hinfällig: Die Valenzzuweisung kann sich auf alle möglichen Gegenstände emotionaler Bewertung beziehen, auch auf Sprecher und Adressat. Möglich wären insofern auch Äußerungen wie Ich finde mich total toll, die Marten-Cleef unter der Subkategorie „Sprecherbewertung“ (HES) fassen würde oder wie Du bist total doof, die unter die Subkategorie „Adressatenbewertung“ (HEA) einzuordnen wäre. 156 Zum Muster HF heißt es bei Marten-Cleef (1991: 112): „Äußerungsformen nach dem thematischen Muster HINWEIS AUF DIE FAKTEN (HF) thematisieren den vom Sprecher wahrgenommenen Sachverhalt, den man als Anlaß seines Gefühlserlebnisses ansehen muß. Als Ursachen von Emotionen kommen Handlungen bzw. Unterlassungen, 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 123 An dieser Stelle sei betont, dass es sich bei unserem Ansatz zur Beschreibung sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation nicht um einen sprechakttheoretischen Ansatz handelt - denn es wird weder auf das methodische Instrumentarium sprechakttheoretischer Ansätze zurückgegriffen, noch wird eine Taxonomie entsprechender Illokutionen entwickelt (wie etwa bei Marten-Cleef 1991). Der einzige Typus sprachlichen Handelns, um den es bei unseren Überlegungen geht, ist die emotionale Bewertung. Ihre unterschiedlichen Äußerungsbzw. Realisationsformen werden in den folgenden Abschnitten zu beschreiben sein. Unabhängig von solchen methodischen Abgrenzungen ist Marten-Cleefs Resümee, dass sowohl HEM als auch HE - im Unterschied zu den übrigen thematischen Mustern - für die Realisierung aller expressiver Sprechakttypen verwendbar seien (vgl. 1991: 347ff.), im Hinblick auf unsere Ergebnisse von Bedeutung: Ausgerechnet diese beiden Muster finden (neben dem Muster HF) in unserem Befund Entsprechungen. 157 Den „Allzweckcharakter“ von HE erklärt Marten-Cleef interessanterweise mit der Bemerkung, „daß jedem Gefühlserlebnis eine Bewertung der aktuellen Situation in Rückbezug auf den Sprecher inhärent ist“ (ebd.: 349) - ein weiterer Hinweis darauf, dass der Bewertungsaspekt von Emotion eine geeignete Basis für die Typologisierung sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation darstellt. 2.1 Explizite emotionale Bewertungen Der Befund der Beurteilungsstudie weist zwei unterschiedliche Realisationsvarianten expliziter emotionaler Bewertung auf: SAB und VAB. Bei SAB erfasst die Satzbedeutung das mit der emotionalen Bewertung einhergehende Gefühl des Sprechers (SAB), bei VAB erfasst er die Valenz, welche der Sprecher dem Gegenstand emotionaler Bewertung zuweist. Beide Realisationsvarianten weisen bestimmte lexikalische Marker auf: Bei SAB finden sich Gefühlsmarker (z.B. ich freue mich), bei VAB Valenzmarker Ereignisse und Zustände in Frage. Äußerungsformen nach dem Muster HF enthalten keine Bewertung. Nach ihrer Form beurteilt, werden Äußerungsformen dieses Typs zuweilen nur als Realisationsmöglichkeiten assertiver Sprechakte angesehen. Unter Berücksichtigung entsprechender Handlungsbedingungen, wie etwa der, daß sowohl für den Sprecher als auch für den Adressaten die Fakten offensichtlich sind, sind Äußerungsformen nach HF aber durchaus konventionelle Formulierungsmöglichkeiten für expressive Sprechhandlungen.“ Hier ist anzumerken, dass solche Äußerungsformen natürlich nur wortwörtlich betrachtet keine Bewertung beinhalten. Implizit hingegen wird diese sehr wohl kommuniziert. 157 Hinweise auf Marten-Cleefs Kategorien HEM und HE finden sich in gewisser Weise auch bei Zillig (1982), der Sprechakte des BEWERTENS untersucht und als Ziele von BEWERTUNGEN u.a. die primären Ziele Objektinformation („Der Sprecher sagt etwas über das Objekt der BEWERTUNG“) und Einstellungsinformation („Der Sprecher will mitteilen, welche Gefühle und Einstellungen er gegenüber dem Objekt der BEWER- TUNG hat“) unterscheidet (vgl. ebd.: 304). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 124 (z.B. toll). Die Bezeichnungen der Marker korrespondieren mit den Bezeichnungen der jeweiligen Realisationsvarianten. Dabei ist erstens anzumerken, dass nicht nur die Valenzmarker, sondern auch die Gefühlsmarker valenzdeterminierend sind. D.h. auch die Gefühlsmarker legen mit ihrer Semantik die Valenz der expliziten emotionalen Bewertung fest. Zweitens hängt die Einstufung eines Wortes als Gefühlsbzw. Valenzmarker nicht von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wortart ab. Es kommt auf die syntaktische Einbindung des betreffenden Wortes an. Das Adjektiv traurig z.B. kann sowohl als Gefühlsals auch als Valenzmarker fungieren. 158 Drittens spielen bei der Verwendung von Gefühls- und Valenzmarkern auch Registerfragen eine Rolle. Dieser Aspekt kann hier aber nicht vertieft werden. Es sei lediglich vermerkt, dass die im Befund der Beurteilungsstudie enthaltenen Gefühlsbzw. Valenzmarker oft der Umgangssprache angehören. VAB tritt im Korpus deutlich häufiger auf als SAB. 159 Eine mögliche Erklärung für die ungleichen quantitativen Verhältnisse besteht darin, dass der gefühlsbetonende Charakter von SAB gegenüber dem bewertungsbetonenden Charakter von VAB als intimere Ausdrucksform empfunden und deswegen in Gesprächen mit hoher Intimitätsschwelle sparsam eingesetzt wird. Zudem zieht der Sprecher, indem er Gefühle (SAB) kommuniziert, die Aufmerksamkeit des Adressaten verstärkt auf sich. Er präsentiert sich als „Gefühlswesen“, das über seinen Zustand reflektiert und tendenziell von seinem Gegenüber emotional bestätigt werden will. Damit bringt er den Adressaten auf subtile Weise in einen „empathischen Zugzwang“. VAB vermittelt demgegenüber eher eine Sachorientierung, die die Aufmerksamkeit vom Sprecher weg und im Zuge der Valenzzuweisung verstärkt auf den Gegenstand emotionaler Bewertung lenkt. 158 In der Äußerung 4,198 Aber ich finds traurig (siehe auch R68) fungiert traurig nicht als Gefühlsmarker im Rahmen von SAB (vgl. Ich bin traurig), sondern als Valenzmarker im Rahmen von VAB; vgl. hierzu auch die Unterscheidung „overt emotion term“ (surprised) vs. „covert emotion term“ (surprising) bei Bednarek (2009: 167f.). Die Äußerung wurde interessanterweise durch 20 von insgesamt 21 Kodierer als „emotional“ markiert, obwohl sie keine symbolischen Emotions-Indikatoren (siehe Kap. IV.1) enthält. Dies liegt möglicherweise daran, dass hier eine Gefühlsqualität mit einer Valenzzuweisung und damit die jeweiligen „Kernaspekte“ der beiden expliziten Realisationsvarianten kombiniert werden. 159 Im Samstagmorgen-Gespräch z.B. tritt VAB 27-mal, SAB hingegen nur 12-mal auf; im Orangensaft-Gespräch tritt VAB 24-mal, SAB nur 4-mal auf. 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 125 2.1.1 Sprecherakzentuierung (SAB) Die das Sprechergefühl akzentuierende Realisationsvariante emotionaler Bewertung (SAB) betont auf semantischer Ebene das mit der emotionalen Bewertung einhergehende Gefühl des Sprechers, welches lexikalisch durch einen Gefühlsmarker repräsentiert wird. Im Befund der Beurteilungsstudie finden sich z.B. adjektivische Gefühlsmarker in Kombination mit dem Kopulaverb sein. Genauer gesagt handelt es sich um adjektivische Subjektsprädikative, 160 bei denen sich das Satzsubjekt auf den Sprecher bezieht. Beispiele sind L18 und L33: (L33)4,53 ja: . aso ich bin eigentlich ganz froh in Gesellschaft Typisch für SAB sind auch Konstruktionen mit es und Verben wie ankotzen oder deprimieren, wobei das Akkusativobjekt auf den Sprecher referiert. Beispiele hierfür sind L5 und L34 (siehe auch R34): (L34)17,6 und sowieso. kotzt es mich grad son bisschen an Auch Konstruktionen mit Lust haben (L16, L19) bzw. mögen (L20, L35) sind zu SAB zu zählen: 161 (L35)17,26 des mag ich ganz doll Gemeinsam ist den in den Beispielen enthaltenen Gefühlsmarkern, dass auf ein Gefühl des Frohseins, des Begeistertseins, des Deprimiertseins, des Angekotztseins, auf ein Gefühl der Lust auf etwas bzw. auf ein Gefühl des Mögens Bezug genommen wird. Im Befund der Beurteilungsstudie findet sich bei SAB fast immer symbolische Indizierung von Sprecher-Erregung, was der expliziten emotionalen Bewertung zusätzlich „Temperatur“ verleiht. Hörer-Steuerung tritt hingegen nur unsystematisch auf (z.B. bei L33). Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Sprecher sich wegen des mit SAB tendenziell verbundenen „empathischen Zugzwangs“ weniger um bestätigende Reaktionen des Hörers bemühen muss. 160 Das Subjektsprädikativ bestimmt im Verbund mit Kopulaverben (sein, werden, bleiben) das Subjekt des Satzes näher. Zu Subjektsbzw. Objektsprädikativ siehe Helbig- Buscha (2000: 221). 161 Mögen referiert nicht auf einen akut vorliegenden Gefühlszustand wie etwa deprimiert sein, sondern bringt eine stabile, im Moment des Sprechens bewusst gefühlte emotionale Einstellung zum Ausdruck (zum Begriff der „Einstellungsinformation“ in Bewertungsdialogen siehe Zillig 1982: 119). Lust haben steht demgegenüber für ein akutes Gefühl spontaner emotionaler Zugeneigtheit und betont die hedonistische Dimension von Emotion (Lust/ Unlust). Durch den Einbezug von Gefühlsmarkern wie Lust haben und mögen ist unsere Kategorie SAB weiter gefasst als Marten-Cleefs thematisches Muster HINWEIS AUF DIE EMOTION, zu dem sie nur Äußerungsformen zählt, die emotionsbezeichnende Wörter enthalten (vgl. 1991: 110). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 126 2.1.2 Valenzakzentuierung (VAB) Die valenzakzentuierende Realisationsvariante emotionaler Bewertung (VAB) betont auf semantischer Ebene die Valenz, welche der Sprecher dem Gegenstand emotionaler Bewertung zuweist. Dabei wird die Valenz lexikalisch durch einen Valenzmarker repräsentiert. Im Befund der Beurteilungsstudie tritt VAB in Form von Äußerungen auf, die einen Valenzmarker in Form eines adjektivischen Objektsbzw. Subjektsprädikativs aufweisen (zu entsprechenden Konstruktionen siehe auch Zillig 1982: 142ff.; Schwarz-Friesel 2013: 183). Ein typisches Beispiel für VAB ist L36. Hier steckt die Valenz im adjektivischen Objektsprädikativ (schön), wobei das Objekt des Satzes (Bibliothek) auf den Gegenstand emotionaler Bewertung und das Subjekt des Satzes (ich) auf den Sprecher referiert: (L36)4,86 Ich find die Bibliothek auch nich so. schön 162 Objektsprädikative treten in Konstruktionen mit Verben wie nennen, finden, halten für, bezeichnen als auf (vgl. Helbig-Buscha 2000: 221); im Korpus ist hier die einleitende Formel Ich finde typisch - Zillig (1982: 149) spricht diesbezüglich von einer „Subjektivitätsformel“. Weitere Beispiele für VAB sind L1-L3 und L6-L9. Bei den Beispielen L1, L2, L7 und L9 handelt es sich um Objektsprädikative. Bei L1, L7 und L9 ist der Gegenstand emotionaler Bewertung nur pronominal repräsentiert (bei L1 und L7 in Form eines apostrophierten s), bei L2 wird explizit auf diesen Gegenstand referiert. Bei den Beispielen L3, L6 und L8 hingegen steckt die Valenz im adjektivischen Subjektsprädikativ (geil, anstrengend, ätzend), wobei das Satzsubjekt bei L3 und L6 pronominal auf den Gegenstand emotionaler Bewertung referiert. Der Sprecher als bewertende Instanz ist hier grammatisch nicht repräsentiert; man kann solche Sätze aber als elliptische Konstruktionen auffassen ([Ich finde,] es ist voll geil). Stark elliptische Konstruktionen wie L8, bei denen Subjekt und Prädikat ausgelassen und nur das Subjektsprädikativ und ein Intensitätsmarker vorhanden sind, treten in den Korpus-Gesprächen häufig auf. In solchen Fällen kann von einer „verkürzten VAB“ gesprochen werden. 163 Bei VAB treten im Befund der Beurteilungsstudie systematisch Emotions- Indikatoren der Sprecher-Erregung auf. Sie verleihen dem aufgrund des adjektivischen Prädikativs „offenkundigen“ Bewertungscharakter entsprechender Äußerungen die spezifisch emotionale „Note“. Oft kommt auch Hörer-Steuerung hinzu (siehe z.B. L29-L32). 162 Das Beispiel wurde zu Demonstrationszwecken gegenüber dem Wortlaut im Transkript leicht modifiziert. 163 Zu verkürzten Aussageformen siehe Zillig (1982: 144f.). 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 127 2.1.2.1 Ironie VAB kann auch mit Ironie kombiniert werden. Plett (2001: 116) charakterisiert Ironie als „Ersetzung des eigentlichen durch den entgegengesetzten Ausdruck“ und als „extreme Form der tropischen Substitution“. Er unterscheidet eine ironische Strategie offenen Vortäuschens (simulatio) von einer ironischen Strategie des Verbergens (dissimulatio): „Die verdeckte Ironie ist in der Regel signallos, weil sie sich aus handlungstaktischen Gründen nicht entlarven will. Anders die offene Ironie, deren Reiz gerade im Erkennen derselben besteht. Die Signale setzt der Kontext“ (ebd.: 121). Die in Teilkorpus II identifizierbare Ironie ist eine unverhohlene Simulationsironie, die darauf drängt, vom Gesprächspartner erkannt zu werden. Ironie führt bei emotionalen Bewertungen zu einer Valenzumkehr, die vom Hörer inferentiell erschlossen werden muss. 164 Bei L37 (siehe auch R47) liegt eine Valenzumkehr von scheinbar positiv zu tatsächlich negativ vor: (L37)17,3 jetzt wa: t ich hier und sitz und denk. toll. Hab mich am Samstag extra rausgequält Diese euphemistische Ironie tritt im Korpus häufiger auf. 165 Manchem Sprecher scheint es gelegentlich unangenehm zu sein, emotionale Bewertungen mit negativer Valenz wortwörtlich-direkt zu kommunizieren. Verwendet er stattdessen Ironie, bleibt es dem Gesprächspartner überlassen, sich die korrekte, konträre Valenz zu erschließen. Laut Hartung (1998: 162), der Ironie in alltagssprachlichen Gesprächen untersucht, „zeigt die empirische Beobachtung, daß mit Ironie fast ausschließlich negativ bewertet wird.“ Dies wird durch unser Korpus bestätigt. Euphemistische Ironie könnte bei VAB insofern als eine Sonderform des Protektiv-Modus symbolischer Indizierung von Sprecher-Erregung interpretiert werden, als der Sprecher hier nur „verdeckt“ Position bezieht. Das symbolische Moment emotionaler Erregung wäre dabei in der Enkodierung von Valenzumkehr zu sehen, in einem „affektbedingten Umschlag ins Gegenteil“ auf 164 Die Valenzumkehr erfolgt über eine pragmatische Implikatur, welche durch die Ausbeutung der Konversationsmaxime der Qualität nach Grice (1975) zustande kommt: Die wörtliche Bedeutung einer Äußerung erscheint in einem gegebenen Kontext als „unwahr“. Der Maximenverstoß wird jedoch durch die Annahme „repariert“, dass der Sprecher das Gegenteil dessen meint, was er sagt. Als Beispiele für Verstöße gegen die erste Untermaxime der Qualität, „Sage nichts, was du für falsch hältst“, führt Grice (1975) die Tropen Ironie, Metapher, Litotes und Hyperbel an. - Tropen werden für Untersuchungen zu Expressivität und Affektivität häufig herangezogen (vgl. Gévaudan 2008: 733). Besonders Ironie wird mit Emotionalität in Verbindung gebracht (siehe z.B. Schwarz-Friesel 2009, 2010). 165 Weitere (nicht der Beurteilungsstudie entstammende) Korpus-Beispiele für euphemistische Ironie sind: 10,141 aha, äh, toll, ich habs große Latinum und brauchs nicht; 11,48 ja, klasse, in drei Wochen hab ich Klausur und ich hab noch nix gemacht; 11,131 weil die ja so ein tolles Wetter haben, da oben, ne so dunkelgrau den ganzen Tag. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 128 sprachlich-kommunikativer Ebene. Das könnte auch erklären, weshalb sich in ironischen VAB der Beurteilungsstudie keine Intensitätsmarker finden - diese würden durch den Effekt der Valenzumkehr ersetzt. Rhetorisch-funktional betrachtet, muss euphemistische Ironie in Kombination mit emotionaler Bewertung als ein Mittel emotionaler Distanzierung betrachtet werden. Die Distanzierung gilt hier in erster Linie dem Gegenstand emotionaler Bewertung, welcher sozusagen nur mit „spitzen Fingern spöttischer Uneigentlichkeit“ angefasst wird. Im Rahmen der Demonstration von emotionaler Konvergenz bekommt aber auch der Gesprächspartner die Distanzierung zu spüren, weil der Gegenstand emotionaler Bewertung hier gewissermaßen als „virtuelles Bindeglied“ bzw. als „vereinendes Moment“ zwischen den Gesprächspartnern fungiert: Einigkeit hinsichtlich der einem Gegenstand zuzuweisenden Valenz konstituiert Sympathie bzw. emotionale „Nähe“ (siehe Kap. VI). Eine ironisch-distanzierte Bezugnahme auf das „vereinende Moment“ will jedoch keine rechte Nähe aufkommen lassen. Wenn Schwarz-Friesel (2009: 227f.) betont, dass Ironie durchaus zur Vermittlung positiver Einstellungen, zur Konfliktreduzierung und zum Scherzen verwendet werden könne, sollte das nicht über die latent meist doch gegebene Problematik von Ironie auf der emotionalen Ebene sozialer Interaktion hinwegtäuschen: Wer auf spöttischen Unernst zurückgreift, um sich emotional mitzuteilen, nimmt die Möglichkeit in Kauf, dass sein Kommunikationspartner, besonders bei geringem Vertrautheitsgrad, verunsichert wird - eine subtile Art von „Zumutung“, die er ihm unter Verzicht auf Ironie ersparen würde. Die Problematik des Distanzierungsbzw. Verunsicherungseffekts von Ironie im Kontext der Demonstration emotionaler Konvergenz (siehe Kap. VI.2) ist von der Ironie-Problematik in Konfliktszenarien zu unterscheiden. Hartung (1998: 166) macht deutlich, dass Ironie die Gefahr einer „dramatischen Verschärfung“ des Konflikts zwischen Gesprächspartnern insofern erhöht, als für die inferentielle Erschließung gegnerischer Ironie das Einnehmen der gegnerischen Perspektive und in Verbindung damit meist die Entwertung der eigenen Position erforderlich ist: Um die ironische Äußerung des Gegners verstehen zu können, wird der Rezipient gezwungen, vorübergehend dessen Perspektive einzunehmen und auf der Grundlage der gegnerischen Auffassung (Wissensbestände) die Äußerung zu entwerten, die meistens in direktem Zusammenhang mit seiner eigenen, im Konflikt vertretenen Meinung steht. Dieser mentale Vorgang verursacht die emotionale Verschärfung, die Ironie in Konflikten meistens auslöst. Hinzu kommt, daß die Verwendung von Ironie die eigentlich umstrittenen Wissensbestände als fraglos geteilt darstellt, die eigene Meinung also zur selbstverständlichen, nicht zur Diskussion stehenden Norm macht. Auch die potentiell erheiternde Wirkung schlägt hier bei den Betroffenen ins genaue Gegenteil um, wenn ihre Meinung - unter Umständen auch noch vor Publikum - lächerlich gemacht wird (ebd.). 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 129 In ähnlicher Weise betrachtet bereits Aristoteles Ironie im Rahmen seiner emotionspsychologischen Ausführungen als Auslöser für Zorn. Zorn gelte u.a. Menschen, „die unseren ernsthaften Überlegungen ironisch begegnen, denn Ironie drückt Verachtung aus“ (Arist. Rhet. II, 2,24; Übers. n. Krapinger). In der emotionalen Kommunikation jenseits von Konfliktszenarien drückt Ironie zwar nicht unbedingt Verachtung, aber doch eine gewisse Distanziertheit des Sprechers aus, die nicht dazu geeignet ist, soziale Bindung und emotionale Nähe zu verstärken. 166 2.1.2.2 Emotionale vs. rationale Bewertung Im Zusammenhang mit VAB ist auf die (bereits in Kap. III.3.2 aufgeworfene) Frage einzugehen, worin auf der segmentalen Ebene sprachlicher Kommunikation eigentlich das Spezifikum emotionalen Bewertens gegenüber anderweitigem Bewerten gesehen werden kann. Anders gefragt: Gibt es auch so etwas wie rational-sachlich erscheinende Realisationsformen sprachlich-kommunikativer Bewertung? Empfinden Sprachbenutzer manche bewertenden Äußerungen als eher „emotional bewertend“, andere hingegen als eher „rational bewertend“ - und wenn ja, welche Merkmale haben entsprechende Äußerungen? Dieser Aspekt wurde im Rahmen der Beurteilungsstudie nicht gezielt untersucht und wäre in gesonderten Studien zu prüfen. Zweifellos gibt es Äußerungen, die aufgrund ihrer sprachlichen Formulierung - unter Ausklammerung paraverbaler Aspekte - eher rational-sachlich wirken, wie z.B. Der Wein ist hervorragend oder Mein Sehvermögen ist schlecht. Anknüpfungspunkt für solche Äußerungen ist in unserer Typologie die Realisationsvariante VAB, denn bei Sätzen mit einem adjektivischen Prädikativ wird der „Wert“, den ein Sprecher einem Gegenstand zuweist, durch lexikalische Marker wie toll, ätzend u.ä. besonders deutlich. Doch worin liegt der Unterschied zwischen VAB und Äußerungen wie Der Wein ist hervorragend? Gewisse Kategorisierungsversuche für die Unterscheidung rational evaluierender Äußerungen von emotional evaluierenden Äußerungen finden sich in den auf die englische Sprache bezogenen Untersuchungen von Martin/ White (2005) und Martin (2003). Martin/ White (vgl. 2005: 42ff.) unterscheiden evaluative Äußerungen („appraisal“, „attitude“) nach den Kategorien „judgment“ (Ethik/ Moral - Regeln und Regulation), „appreciation“ (Ästhetik/ Werte - Kriterien und Einschätzung) und „affect“ (positive/ negative Emotionen). „Judgment“ und „appreciation“ betrachten sie dabei als 166 Zur Wirkung von Ironie in emotionaler Kommunikation siehe auch Gibbs/ Leggitt/ Turner (2002). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 130 „institutionalised affect“, weil Affekt das ontogenetisch ursprünglichste dieser Systeme darstelle.167 Nach Martin (2003: 173) sind für die Kategorie „affect“ Strukturen wie I feel (very) x typisch (I feel very happy/ sad). Für die Kategorie „judgment“ hingegen sind Strukturen wie It was x of him/ her to do that (It was kind/ cruel of him to do that), und für die Kategorie „appreciation“ Strukturen wie I consider it x (I consider it innovative/ unimaginative) typisch (siehe hierzu auch Bednarek 2009). Wenngleich Martins Typologie für das Englische nicht unmittelbar mit dem Deutschen vergleichbar ist, kann doch konstatiert werden, dass VAB (Das ist x / Ich finde es x) gewisse strukturelle Ähnlichkeiten mit Martins Kategorien „judgment“ bzw. „appreciation“ aufweist. Da VAB durch die Kodierer jedoch als „emotional“ gekennzeichnet wurde, erscheint die Kategorienbildung von Martin - unter dem Vorbehalt idiomatischer Unterschiede zwischen Englisch und Deutsch - fraglich. 168 Laut Fiehler (vgl. 1990: 49) haben emotionale Bewertungen einen deutlicheren „Ich-Bezug“ als anderweitige Bewertungen. So sei die Äußerung Die Suppe ist versalzen unpersönlicher und objektivierter als die Äußerung Ich bin sauer. Auch hätten nicht-emotionale Bewertungen eher einen überzeitlichen und überindividuellen Charakter. Jahr (vgl. 2000a: 75ff.) versucht unter Bezug auf Fiehler emotionale Bewertungen mit Hilfe des Konzepts der „Ich-Beteiligung/ Selbstbetroffenheit“ von nicht-emotionalen Bewertungen abzugrenzen: Sei bei einer Bewertung zugleich Selbstbetroffenheit des Sprechers gegeben, handele es sich um eine emotionale Bewertung. Selbstbetroffenheit versucht Jahr anhand der Intensitätsvariablen „psychologischer Nähe mit der im Text behandelten Thematik“ zu erfassen. Aus dieser und weiteren Variablen, deren Relevanz sich aus dem situativen Rahmen und der Inhaltsseite von Texten ergibt, erstellt Jahr eine mathematische Formel, mit der sie den Emotionalitätsgrad von Sachtexten bestimmt (vgl. ebd.: 109f.). Bei einer emotionalen Intensität unter 0,07 liege demnach keine Emotionalität vor, bei einem Wert von 0,07-0,099 befinde sich der Übergangsbereich zwischen Nicht-Emotionalität und Emotionalität, bei einem Wert oberhalb von 0,100 beginne schwache Emotionalität. - Dass mathematische Formeln und situationserlöste Richtwerte ein geeignetes Instrument zur Untersuchung von emotionalen Textstrukturen darstellen, darf bezweifelt werden. Jahr gesteht zu, dass es sich bei solchen Werten nur um subjektive Schätzwerte handeln kann (vgl. ebd.: 214). 167 Vgl. auch Malrieu (1999: 83f.), der evaluative Prozesse grundsätzlich als affektiv verankert betrachtet. 168 Auch Hunston (vgl. 2011: 136) hält die Unterscheidung von Appreciation und Judgment nach den von Martin vorgeschlagenen Kategorien für problematisch. Die Zuordnung von Äußerungen zu dem einen oder anderen Bereich erscheint verhältnismäßig subjektiv (vgl. ebd. 21). 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 131 Brauchbarer erscheint angesichts dessen Fiehlers schlichte Annahme, dass ein weiterer Unterschied zwischen emotionalen und nicht-emotionalen bewertenden Stellungnahmen im Aspekt der Intensität und Dynamik bestehe. Was bei geringerer Intensität als Bewertung erscheine (Ich finde dich sympathisch.), werde bei höherer Intensität als emotionale Stellungnahme gedeutet (Du bist mir ja so sympathisch! ) (vgl. 1990: 49). In ähnlicher Weise konstatiert Sandig (vgl. 2006: 249) hinsichtlich der stilistischen Handlungsmuster BEWERTEN und EMOTIONALISIEREN, dass diese insofern zusammenhingen, als das letztere ein „gesteigertes“ Bewerten sei - im Sinne Fiehlers schließe es ein „Erleben“ des Bewertens ein. Zwar operiert Fiehler bei den obigen beiden Beispielen mit Interpunktionszeichen wie Punkt bzw. Ausrufezeichen, was darauf hindeutet, dass er (auch) die paraverbale Ebene im Blick hat, doch enthält sein zweites Beispiel immerhin auch einen Appell- und einen Intensitätsmarker. Wie bereits dargelegt, lässt sich im Befund der Beurteilungsstudie beobachten, dass emotionale Bewertungen der Realisationsvariante VAB auf der Wortebene systematisch mit symbolischen Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung (Intensitätsmarker) bzw. der Hörer-Steuerung (Appellmarker) einhergehen. Davon ausgehend könnte unter Stützung auf Fiehlers Annahme die These aufgestellt werden, dass solche Marker bei rational-sachlich wirkenden Bewertungen fehlen. Doch auch die Semantik des adjektivischen Valenzmarkers spielt eine gewisse Rolle dabei, ob eine Äußerung eher emotional bewertend oder eher rational-sachlich bewertend wirkt. Bei VAB verstärken häufig Valenzmarker mit affektiv erscheinender Semantik (z.B. toll) die durch die symbolischen Emotions-Indikatoren erzeugte „emotionale Temperatur“ der Äußerung. Doch was genau ist bei Adjektiven unter einer „affektiven Semantik“ zu verstehen? Der im Rahmen emotionaler Wortbedeutungen oft bemühte Begriff der Konnotation erweist sich hier leider als wenig hilfreich, weil nach wie vor nicht recht klar ist, was genau unter einer „affektiven Nebenbedeutung“ eines Wortes zu verstehen ist, ob diese situationsabhängig, ko- und kontextabhängig ist oder nicht, und ob entsprechende Bedeutungselemente nicht vielleicht doch Teil der Denotation sind (vgl. Schwarz-Friesel 2013: 169). Versucht man, affektiv-evaluative Adjektiv-Semantik von rein evaluativer abzugrenzen, kommt man der Sache schon näher. Woran liegt es, dass manche wertenden Adjektive emotional („affektiv“) erscheinen, andere hingegen nicht (vgl. z.B. toll vs. gut)? In der Forschung existieren durchaus gewisse Klassifizierungsversuche, so etwa die Unterscheidung zwischen emotiven und evaluativen faktiven Adjektiven bei Norrick (1978). Fries (1991) unterscheidet im Zusammenhang mit der Differenzierung zwischen emotionalen und anderweitigen Bewertungen graduierbare Adjektive wie schnell, hoch, laut und Adjektive wie gut, IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 132 schlecht, blöd, doof, faul, wobei Letztere einen weniger genau spezifizierbaren Wert festlegten und oft nicht über klar benennbare Antonyme verfügten (vgl. ebd.: 11f.). Für unseren Kontext finden sich hier jedoch keine zufriedenstellenden Antworten. Es könnte z.B. sein, dass Adjektive, deren ursprünglicher Wortsinn eher deskriptiv ist, wie z.B. dumm (Das Mädchen ist dumm i.S. von unintelligent), eine affektiv-wertende Semantik entfalten, wenn sie metaphorisch auf einen Referenten angewendet werden, welcher mit der ursprünglichen Semantik des Wortes nicht vereinbar ist (Die Uhrzeit ist dumm i.S. von unpassend; vgl. auch ätzende Säure vs. ätzende Stimmung). Umgekehrt könnte es sein, dass wertende Adjektive, bei denen auf den ersten Blick nicht zwischen einem ursprünglichen deskriptiven und einem etymologisch jüngeren evaluativen Wortsinn unterschieden werden kann (z.B. gut), tendenziell keine affektive Semantik aufweisen. Möglicherweise bedarf es jedoch der Kombination verschiedener Kriterien, um eine sinnvolle Abgrenzung emotional bewertender von rationalsachlich bewertenden Adjektiven vorzunehmen bzw. um zu definieren, was bei Adjektiven unter einer „affektiven Semantik“ zu verstehen ist. Dabei wären auch Registerfragen zu berücksichtigen. Zusammengefasst könnten in Bezug auf Alltagskonversation die folgenden beiden Thesen helfen, auf der segmentalen Ebene sprachlich-kommunikativer Äußerungsformen trotz erwartbarer Grauzonen ein gewisses Maß an Abgrenzung zwischen emotional erscheinenden und rational-sachlich erscheinenden Bewertungen zu ermöglichen. Die Thesen kennzeichnen Spezifika emotional bewertender Äußerungen und wären anhand weiterführender Beurteilungsstudien zu überprüfen: 1. Emotional bewertende Äußerungen mit adjektivischem Prädikativ weisen symbolische Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung und/ oder der Hörer- Steuerung auf. Bei rational-sachlich bewertenden Äußerungen mit entsprechender Syntax treten diese nicht auf. Ihnen mangelt es daher an „emotionaler Temperatur“. 2. Bei emotional bewertenden Äußerungen mit adjektivischem Prädikativ und Emotions-Indikatoren verfügen die Valenzmarker (Adjektive) häufig über eine affektive Bedeutungskomponente, welche die „emotionale Temperatur“ der Äußerung zusätzlich verstärkt. So wirkt etwa die Äußerung Das ist ja voll ätzend emotionaler als die Äußerung Das ist ja voll schlecht. Von Alltagskonversation abzugrenzen sind in diesem Zusammenhang stark formalisierte Bewertungssituationen, in denen Experten-Evaluatoren (z.B. Restaurant-Kritiker) qualifizierte, anhand objektiver Kriterien ermittelte Urteile abgeben. Finden sich bei entsprechenden Bewertungen Intensitätsmarker, so sind sie eher nicht als Emotions-Indikatoren emotionaler Sprecher- Erregung (rhetorischer Protektivbzw. Offensiv-Modus) zu interpretieren, sondern in ihrer graduierenden Bedeutung wörtlich zu verstehen. 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 133 2.2 Implizite emotionale Bewertungen Neben vielen Beispielen für die beiden expliziten Realisationsvarianten emotionaler Bewertung beinhaltet der Befund der Beurteilungsstudie auch einige implizite emotionale Bewertungen. Bei impliziten emotionalen Bewertungen formuliert der Sprecher lediglich den Gegenstand emotionaler Bewertung. Schwarz-Friesel (2010: 8) drückt es so aus, „dass Feststellungen expressive Bedeutungen implizit (qua Implikatur und konzeptueller Elaboration) allein über die Kodierung des referenziellen Sachverhalts transportieren können.“ Fries (2007: 304) spricht diesbezüglich von „nicht-propositionaler Kodierung von Emotion“, bei der „eine Emotion X in einem bestimmten Verhältnis zu einer Prädikation Y kodiert“ werde. Jahr notiert: Bei einer impliziten Bewertung werden Sachverhalte scheinbar neutral beschrieben, wobei durch Auswahl von Informationen und die Art der Darstellung den Lesern nahegelegt wird, bestimmte Schlüsse zu ziehen und Bewertungen vorzunehmen. Das heißt, Emotionen werden durch inhaltlich ausgeführte Positionen kommuniziert (Jahr 2000a: 79). Dass mit einer entsprechenden Äußerung eine emotionale Bewertung kommuniziert wird, und welche Valenz diese aufweist, muss vom Hörer inferentiell erschlossen werden. Dabei ist die Betrachtung des Kontexts unabdingbar. So liegt bei der kontextisoliert präsentierten Äußerung (L38)17,21 jetzt sitz ich hier. alleine zwar nahe, dass hier eine implizite emotionale Bewertung kommuniziert wird - das demonstrativ nach einer kurzen Pause hinzugefügte alleine deutet darauf hin, dass das Alleinsein für den Sprecher emotional belegt ist -, doch welche Valenz hat die emotionale Bewertung? Wer sich Gesellschaft wünscht, bewertet Alleinsein emotional negativ; wer hingegen froh ist, allein zu sein, bewertet es positiv. Hat etwa jemand befürchtet, beim Arzt auf ein volles Wartezimmer zu stoßen, dieses aber wider Erwarten leer vorgefunden, könnte er die Person, mit der er im Anschluss verabredet ist, per Handy freudig darüber informieren, dass der Arztbesuch voraussichtlich schneller beendet sein wird als gedacht. Bei L38 wird aus dem Kontext ersichtlich, dass der Sprecher sein Alleinsein emotional negativ bewertet. Para- und nonverbale Indikatoren wie Intonation und Mimik verdeutlichen die Valenz von impliziten emotionalen Bewertungen zwar ebenfalls, doch den entscheidenden Ausschlag gibt letztlich der Kontext: Würde L38 bspw. von einer Heiterkeit signalisierenden Intonation und Mimik begleitet, dann könnte ohne Anbetracht des Kontexts nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um Ironie handelt. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 134 Im Korpus ist interessanterweise zu beobachten, dass die Sprecher ihren impliziten emotionalen Bewertungen des Öfteren explizite emotionale Bewertungen desselben (oder eines übergeordneten) Gegenstands voranstellen oder nachfolgen lassen. Dieses Phänomen wird im Folgenden als Explizit-Eskortierung impliziter emotionaler Bewertung bezeichnet. Explizit-Eskortierung ist als eine Art Kontexthinweis zu konzipieren. Sie besteht darin, dass eine implizite emotionale Bewertung von einer Deutungshilfe in Form expliziter emotionaler Bewertung begleitet („eskortiert“) wird (Beispiele werden im nächsten Abschnitt behandelt). Auf diese Weise erleichtert Explizit-Eskortierung dem Hörer die Erschließung einer impliziten emotionalen Bewertung bzw. ihrer vom Sprecher intendierten Valenz. Gleichzeitig sorgt die doppelte - implizite und explizite - Kodierung emotionaler Bewertung für Nachdruck, was erklären könnte, weshalb angesichts der scheinbar ohnehin oft gegebenen Notwendigkeit von Deutungshilfen nicht einfach ganz auf implizite emotionale Bewertungen verzichtet wird. Ohne Explizit-Eskortierung hat emotionale Implizitheit für den Sprecher den Vorteil, dass der Hörer ihn in emotionaler Hinsicht nicht auf explizit Gesagtes „festlegen“ kann. Dies ist insbesondere bei der prophylaktischen Abschwächung potentieller emotionaler Divergenz von Vorteil, denn implizite emotionale Bewertungen „kollidieren“ auf elokutiver Ebene weniger heftig mit valenzmäßig konträren Bewertungen, Widerspruchshandlungen u.ä. als explizite emotionale Bewertungen (siehe Beispiel R36 in Kap. VI.2.3). 2.2.1 Gegenstandsakzentuierung (GAB) Implizite emotionale Bewertungen entsprechen in unserer Typologie der gegenstandsakzentuierenden Realisationsvariante emotionaler Bewertung (GAB). GAB betont auf semantischer Ebene den Gegenstand emotionaler Bewertung. Dabei erfasst die Satzbedeutung ausschließlich den Gegenstand - Sprechergefühl und Valenz der impliziten emotionalen Bewertung werden nicht erfasst. Allerdings kann GAB durchaus Wörter enthalten, die in den expliziten Realisationsvarianten SAB und VAB als Gefühlsbzw. Valenzmarker fungieren (vgl. z.B. lieben in L41 oder gemütlich in L40). Solche Wörter sind in GAB jedoch nicht valenzdeterminierend, sondern schlicht Teil der Darstellung des Gegenstands emotionaler Bewertung. Der Befund der Beurteilungsstudie deutet darauf hin, dass GAB mit symbolischen Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung und/ oder der Hörer- Steuerung einhergeht. 169 Bis auf zwei Fälle, bei denen jeweils eine Hyperbel 169 Auch Marten-Cleef (1991: 114) konstatiert bzgl. des thematischen Musters HINWEIS AUF DIE FAKTEN, dem bei uns GAB entspricht, dass sich hier Abtönungspartikeln (in unserer Terminologie: Appellmarker) fänden. 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 135 als Ersatz zu fungieren scheint (siehe L41, L42), weisen alle der von zehn und mehr Kodierern markierten impliziten emotionalen Bewertungen entweder Intensitätsmarker oder Appellmarker oder beides auf. Möglicherweise fungieren die symbolischen Emotions-Indikatoren im Rahmen von GAB als Signale an den Hörer, dass mit der betreffenden Äußerung eine implizite emotionale Bewertung kommuniziert wird. So enthält das folgende Beispiel für GAB (die bezieht sich auf die Kommilitonen des Sprechers) den Appellmarker halt: (L39)17,135 und am Wochenende sind die halt weg Obiger Vermutung zufolge signalisiert halt hier zunächst einmal nur, dass eine implizite emotionale Bewertung kommuniziert wird. Um herauszufinden, welche Valenz sie hat, muss der Kontext betrachtet werden. Die Äußerung ist in folgenden Gesprächsbeitrag eingebettet: „Naja, is auch voll doof, weil eigentlich ja/ nKumpel hat mich heut versetzt, und ansonsten. Fahren alle nach Hause, weil alle mit denen ich studier halt irgendwie hier aus der Umgebung kommen, und am Wochenende sind die halt weg, und toll. Und ich sitz hier so und ua: “ (siehe auch R53). Die Kodierer (mit Kürzel wiedergegeben) kommentieren an dieser Stelle, dass der Sprecher Frust (M) und Trauer (Sm) zum Ausdruck bringt bzw. sich über seine Einsamkeit beklagt (C, Su, Pl). In unserer Terminologie ausgedrückt, weist der Sprecher dem Gegenstand ‚Kommilitonen sind am Wochenende nicht da‘ eine negative Valenz zu. Diese Valenz wird bestätigt durch die Valenz der vorausgehenden VAB is auch voll doof sowie durch die Valenz der nachfolgenden ironischen VAB und toll. Die Explizit-Eskortierung durch VAB hilft hier, die Valenz von GAB korrekt zu erschließen. Im folgenden Beispiel äußert sich der Sprecher emotional über eine Erfahrung, die er an Weihnachten bei seiner Rückkehr nach Hause gemacht hat (siehe auch R36): (L40)4,189 grad so.. man muss feststellen, dass [...] man mit den Leuten mit denen man früher wenigstens noch gemütlich was trinken gehen konnte, dass man mit denen auch nichts mehr anfängt 170 Die Kodierer notieren Melancholie (Fg), Enttäuschung (H, Kr), Gefühl von Verlust (Al, D), Wehmut (D, Sh), Unglücklichsein über vergangene Erfahrungen (Sh). Zweifellos kommuniziert der Sprecher hier eine negative emotionale Bewertung. Dass es sich dabei um die implizite Realisationsvariante GAB handelt, ist zu betonen. Denn es finden sich zwar Wörter, die auf emotional konnotierte Gemütlichkeit (gemütlich) bzw. auf mangelnde emotionale Verbundenheit (nichts mehr anfangen) referieren, doch sind diese Wörter für 170 Die Auslassung „Mama und Papa älter werden und.“ wurde von lediglich neun Probanden markiert, was daran liegen könnte, dass sie keine in emotionaler Hinsicht auffälligen Wörter enthält. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 136 sich genommen nicht valenzdeterminierend. 171 Die Valenz der impliziten Bewertung erschließt sich erst aus der in der Äußerung enthaltenen Antithese: Wenn der Sprecher feststellen muss, dass ihm etwas Schönes früher möglich war, heute jedoch nicht mehr, dann konstituiert dieses Feststellen für ihn den Gegenstand einer negativen emotionalen Bewertung. Dass L40 emotional konnotierte Wörter enthält, macht die Äußerung also keineswegs zu einer explizit emotionalen. 172 Vielmehr muss die emotionale Bewertung hier inferentiell aus der wortwörtlich kommunizierten Antithese erschlossen werden. Auch bei L40 scheinen Appellmarker (wenigstens, noch) zu signaliseren, dass eine implizite emotionale Bewertung kommuniziert wird. Zudem liegt auch hier Explizit-Eskortierung vor: Der Sprecher schickt L40 eine VAB voraus (und das: is dann doch auch schon relativ anstrengend), welche sich auf den übergeordneten Gegenstand ‚Weihnachten zu Hause‘ bezieht, und dem Hörer hilft, die negative Valenz von GAB zu erschließen. 2.2.2 Hyperbolische Ambivalenz bei GAB Im Zusammenhang mit GAB lässt sich im Befund ein besonderes Phänomen beobachten. In zwei Fällen markierten die Kodierer Äußerungen, die eine implizite emotionale Bewertung mit einer Hyperbel kombinieren (L41, L42). Mit einer Hyperbel wird etwas extremer ausgedrückt als es ist.173 Die beiden Fälle legen nahe, dass Hyperbeln im Rahmen von GAB einen irritie- 171 Keineswegs bezweckt der Sprecher mit (L40), ein positives „Gefühl der Gemütlichkeit“ oder ein „Gefühl mangelnder emotionaler Verbundenheit“ zu kommunizieren. Dies entspräche der irrigen Auffassung, emotionale Explizitheit sei eine Frage der Wortbedeutung (siehe Kap. IV.2.3). Was er zum Ausdruck bringt, ist Frust und Enttäuschung aufgrund gewandelter Verhältnisse. - Ein Kodierer notiert zu dem Wort gemütlich hintersinnig: „Beschreibung zu einer Situation“ (O). Anders gesagt, der Sprecher bringt mit diesem Wort in der aktuellen Gesprächssituation kein Gefühl zum Ausdruck, sondern er beschreibt mit ihm eine Situation. Erst die Kontrastierung dieser Situation mit einer entgegengesetzten Situation impliziert eine emotionale Bewertung. 172 L40 ist ebenso wenig explizit emotional wie die Äußerung Früher hatte ich ja noch einen Chauffeur, heute muss ich halt zu Fuß gehen. 173 Plett (2001: 96f.) definiert die Hyperbel als „Ersetzung des dem Gegenstand angemessenen durch einen übertreibenden Ausdruck“. Sowohl Plett als auch Lausberg bringen die Hyperbel mit Affekt in Verbindung. Bei Plett heißt es: „Sie aktiviert die Einbildungskraft vermöge der ihr innewohnenden Energie und schafft dadurch die Voraussetzung für ein emotionales Beteiligtsein des Aufnehmenden“ (ebd.). Lausberg (2008: § 579) misst ihr „evozierend-poetische Wirkung“ bei, die „in der Poesie als affektische Vorstellungshilfe“ benutzt werde. „In der Schöpfung einer momentanen poetischen evidentia liegt ihre Bestimmung und Grenze. Die Glaubwürdigkeit […] wird für einen Augenblick zugunsten einer eindringlichen evidentia zurückgestellt“(Lausberg 2008: § 909). 2 Satzebene: Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung 137 renden Einfluss auf die Valenz haben können. Der Effekt kann als hyperbolische Ambivalenz 174 impliziter emotionaler Bewertung bezeichnet werden. Er besteht darin, dass ein Sprecher eine implizite emotionale Bewertung mit uneindeutiger Valenz kommuniziert. Folgende Sätze lassen sich als Beispiele anführen: (L41)4,27 aber astrein. Meine Mitbewohner lieben mich dafür (L42)4,145 ja eben. hier is heile Welt un. alle gebildet und. ham Geld und keine Arbeitslosen Bei L41, die auf den ersten Blick als meta-emotionale Äußerung (Reden über Emotionen anderer Personen) erscheinen könnte (siehe zu dieser Problematik Kap. IV.3), bezieht sich der Sprecher darauf, dass er vor anstehenden Prüfungen des Öfteren die Wohnung putzt, anstatt zu lernen. Seine Mitbewohner profitieren von dieser in Sachen „Lerndisziplin“ eher zweifelhaften Tugend. Dass sie ihn dafür lieben, stellt natürlich eine Übertreibung dar. 175 Bei L42 bezieht sich der Sprecher auf die Universitätsstadt Tübingen. In Wirklichkeit sind dort natürlich nicht ausnahmslos alle, sondern viele Einwohner verstärkt gebildet bzw. vermögend, Arbeitslosigkeit ist dort nicht gänzlich abwesend, sondern niedrig und heile Welt herrscht dort mit Sicherheit auch nicht überall. Bei beiden Beispielen changiert die Valenz der impliziten emotionalen Bewertung eigentümlich zwischen positiv und negativ hin und her: Bei L41 ist die Beliebtheit des Sprechers bei seinen Mitbewohnern einerseits Grund zur Freude, andererseits profitieren die Mitbewohner ungeniert von der „Schwäche“ des Sprechers. Wie der Sprecher den Gegenstand Meine Mitbewohner lieben mich dafür emotional tatsächlich bewertet, bleibt unklar. Bei L42 erscheint die Stadt Tübingen einerseits als perfektes „Schlaraffenland“, andererseits als eine Welt, die an einer gesunden Normalität des Lebens vorbeigeht. Bildung, Geld und Arbeit zu haben ist zwar positiv, doch eine Stadt, in der ausnahmslos alle dies haben, erscheint künstlich und letztlich suspekt. 176 Auch hier bleibt offen, wie der Sprecher emotional tatsächlich zu der Stadt steht. 174 Zum Zusammenhang von Ambivalenz und Emotion aus linguistischer Sicht, insbesondere unter Bezugnahme auf den Begriff der Ambiguität, siehe Stamenov (2004). 175 Ein Kodierer notiert am Seitenrand: „Übersteigerung der explizit genannten Emotion als humoristischer Anklang - selbstironische, gutmütige Aussage, die das (gewünschte) Lachen auslöst“ (Kr). Weitere Kodierer-Kommentare zu (41): „Witz, der trotzdem Wahrheit enthält“ (Sn), „Leicht ironisch, aber die Aussage ist klar“ (Ce), „Eher metaphorisch“ (D) [Anmerkung L.B.: Der Kodierer meint hier vermutlich den tropischen Charakter der Hyperbel], „Übertreibung um zum Lachen zu Bringen“ (Bb), „Starke Emotion ‚Liebe‘ wird auf den WG-Kontext übertragen“ (Pf). 176 Tatsächlich unterstellt nur ein einziger Kodierer bei (42) eine positive Valenz: „wohlfühlen, er ist am richtigen Ort angekommen; er sieht hier nicht die üblichen Probleme, die es in der Welt gibt“ (Sn). Die anderen Kodierer äußern sich bei (42) interessanterweise nicht zur Valenz. Ein Kodierer notiert lediglich, der Sprecher sei „erregt“ (Al). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 138 Ähnlich wie euphemistische Ironie bei VAB (siehe Kap. IV.2.1.2.1) könnte hyperbolische Ambivalenz bei GAB als eine Sonderform des Protektiv-Modus Symbolischer Indizierung von Sprecher-Erregung interpretiert werden. Anders als bei Ironie bezieht der Sprecher hier nicht mittels Valenzumkehr „verdeckt“ Position, sondern er legt sich erst gar nicht eindeutig auf eine Position fest. Das symbolische Moment emotionaler Erregung wäre dann in der Enkodierung von Valenzverwischung - gewissermaßen als Folge eines „erregungsbedingten Hin- und Hergerissenseins“ - zu sehen. 177 Dies könnte auch erklären, weshalb sich im Befund der Beurteilungsstudie unter den Beispielen für GAB ausschließlich bei Äußerungen mit hyperbolischer Ambivalenz keine Intensitätsbzw. Appellmarker finden: Letztere würden durch den Effekt der Valenzverwischung ersetzt. 3 Meta-emotionale Kommunikation Der Hauptbefund der Beurteilungsstudie besteht aus Äußerungen, mit denen explizite oder implizite emotionale Bewertungen kommuniziert werden. Entsprechende Äußerungen werden in der vorliegenden Arbeit als emotional bezeichnet (siehe Kap. III.3.1). Unter den durch mindestens zehn Kodierer als „emotional“ beurteilten Strukturen findet sich jedoch auch eine kleine Zahl von Äußerungen, mit denen über emotionale Bewertungen kommuniziert wird. Dieser Nebenbefund deutet darauf hin, dass das Reden über Emotionen in gewisser Weise auch als „emotional“ empfunden wird. Bei genauer Betrachtung handelt es sich dabei allerdings nicht um Kommunikation emotionaler Bewertung (kurz: emotionale Kommunikation), sondern um Kommunikation über emotionale Bewertungen auf einer Meta-Ebene. Diesbezüglich kann von einem Meta-Modus emotionaler Kommunikation bzw. von meta-emotionaler Kommunikation gesprochen werden. 178 Kommuniziert ein Sprecher meta-emotional, dann besteht sein sprachliches Handeln nicht einfach darin, dass er einem Gegenstand eine Valenz zuweist, sondern bspw. in der Mitteilung, dass er zu einem früheren Zeitpunkt 177 Zum Phänomen schwankender und gemischter Emotionen siehe Sullivan/ Strongman (2003). 178 Der Terminus „meta-emotional“ wird in unserer Arbeit nicht im Sinne des Konzepts der „Metaemotion“ verwendet, mit dem in der Emotionspsychologie das emotionale Bewerten bzw. Metaerleben einer eigenen Emotion bezeichnet wird, „welches Reflexionen dieser Emotionen beinhaltet und bei dem sich Personen über Eindrücke vergewissern, die eine erlebte Emotion auslösten, begleiteten und beeinflussten“ (Dohle 2011: 124). Die Äußerung Ich schäme mich dafür, dass ich wütend auf dich bin wäre Ausdruck einer solchen Metaemotion. Nach unserer Theorie würde es sich dabei jedoch nicht um eine meta-emotionale Äußerung, sondern um eine emotionale (emotional bewertende) Äußerung handeln, deren Spezifikum darin liegt, dass der Gegenstand emotionaler Bewertung in einer Emotion des Sprechers besteht. 3 Meta-emotionale Kommunikation 139 eine solche Valenzzuweisung vorgenommen hat (vergangenheitsbezogener Typus), oder in der Mitteilung, dass aus seiner Sicht bestimmte Dinge generell bestimmte Valenzzuweisungen auslösen (gesetzmäßigkeitsbezogener Typus), oder auch in der Mitteilung, dass er selbst einem bestimmten Gegenstand regelmäßig eine bestimmte Valenz zuweist (regelmäßigkeitsbezogener Typus). Bevor die einzelnen Typen meta-emotionaler Kommunikation näher beschrieben werden, sei darauf hingewiesen, dass unsere Unterscheidung zwischen emotionaler und meta-emotionaler Kommunikation eine Alternative bietet zu der linguistischen Differenzierung zwischen der Expression einer Emotion und ihrer Repräsentation. Für die linguistische Differenzierung finden sich in der Literatur diverse terminologische Varianten. So spricht Schwarz-Friesel (2013: 144ff.) von der Unterscheidung zwischen „Ausdruck“ und „Darstellung“ einer Emotion, während Fiehler (1990: 99ff.) zwischen „Ausdruck“ und „Thematisierung“ einer Emotion differenziert. Bei Bednarek (2008: 10f.) finden sich die Begriffspaare „emotional talk“ bzw. „language as emotion“ und „emotion talk“ bzw. „language about emotion“. Drescher (2001: 189f.; 2003: 84ff.) wiederum unterscheidet zwischen impliziter, „indexikalischer“ und expliziter, „symbolischer“ Kommunikation von Emotion. Nun könnte man auf den ersten Blick meinen, dass unsere Kategorie emotionaler Kommunikation der linguistischen Kategorie „Ausdruck einer Emotion“ und unsere Kategorie meta-emotionaler Kommunikation der linguistischen Kategorie „Darstellung bzw. Thematisierung einer Emotion“ entspricht. 179 Dass eine solche Entsprechung jedoch nicht grundsätzlich gegeben ist, lässt sich wie folgt begründen: In der Linguistik wird eine (teils reichlich skurrile Wendungen annehmende) Diskussion um die Frage geführt, ob mit emotionsbezeichnenden (explizit auf eine Emotion referierenden) Wörtern wie traurig - Wörtern also, die im Sinne von Bühler (1934) eine Emotion „darstellen“ bzw. „thematisieren“ - Gefühle „ausgedrückt“ werden können oder nicht. Fiehler (vgl. 1990: 104f.) und Hermanns (vgl. 1995: 145) etwa stufen Äußerungen wie Ich bin wütend bzw. Ich habe Angst nicht als Emotionsausdruck ein (vgl. Diskussion bei Schwarz-Friesel 2013: 146f.). Allenfalls das Zittern der Stimme (Fiehler) bzw. die Emphase, mit der ein solcher Satz ausgesprochen wird (Hermanns), könne als Emotionsausdruck gedeutet werden (vgl. auch Kurilla 2013: 505). 180 179 So heißt es etwa bei Drescher (2003: 84): „Emotionsthematisierungen haben im Prinzip metakommunikativen Charakter, d.h. sie machen emotionales Erleben zum Thema der Interaktion.“ 180 Ähnlich auch Gruber (vgl. 1996: 90f.), der unter „Emotionsausdruck“ paraverbale Mittel wie lautes Sprechen, aber auch Verstöße gegen die formale Kooperativität wie Unterbrechungen sowie Thematisierungen von Positionsgegensätzen streitender Gesprächspartner versteht. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 140 Solche Bemerkungen sind nicht nur Ausdruck eines angesichts der Vielfalt sprachlich-kommunikativer Emotionalität problematischen linguistischen „Expressivismus“ (siehe Kap. IV.2). Sie besagen auch ganz konkret, dass ein Sprecher auf inhaltlich-verbaler Ebene keine Emotion „zum Ausdruck bringt“ wenn er seine Wut bzw. Angst unter Verwendung eines emotionsthematisierenden Wortes kommuniziert. Das Problem dieser Sichtweise besteht darin, dass sie die Frage, ob auf kommunikationspragmatischer Ebene ein Emotionsausdruck vorliegt (ob eine Emotion kommuniziert wird), über die Explizitheit bzw. Implizitheit emotionaler Wortsemantik zu klären versucht. Zwar mag es aus der Sicht lexikalischer Semantik richtig sein, dass mit einer Äußerung wie Ich bin wütend eine Emotion explizit „thematisiert“ bzw. „dargestellt“ wird, doch die Schlussfolgerung, dass deswegen auf kommunikationspragmatischer Ebene kein „Ausdruck“ von Emotion vorliegen könne, erscheint kontraintuitiv und letztlich verfehlt. Diese Ansicht vertritt auch Schwarz-Friesel: Bezogen auf den Ausdruck von emotionalen Zuständen, Prozessen und Einstellungen […] führt dieser Unterschied zu einer artifiziellen, nicht nachzuvollziehbaren Abgrenzung der expressiven Funktion emotionsbezeichnender und emotionsausdrückender Lexeme. Auch Äußerungen mit emotionsbezeichnenden Wörtern drücken selbstreferenziell den inneren Zustand des Sprechers aus (Schwarz-Friesel 2013: 147). Aus diesem Grund sollte „Emotionsausdruck“ in kommunikationspragmatischen Kontexten nicht als eine Frage der Wortbedeutung, sondern als eine Frage der Satzbedeutung konzipiert werden (siehe Kap. IV.2). Entsprechend wird Explizitheit sprachlich-kommunikativer Emotionalität in der vorliegenden Arbeit nicht an der Wortebene, sondern an der Satzebene festgemacht. Das bedeutet, dass Äußerungen, in denen ein Wort vorkommt, welches explizit auf eine Emotion referiert (z.B. traurig) nicht automatisch explizite emotionale Bewertungen darstellen.181 Nur wenn ein solches Wort syntaktisch nach den für SAB bzw. VAB beschriebenen Mustern eingebunden ist, handelt es sich nach unserer Typologie um eine explizite emotionale Bewertung.182 Äußerungen wie Ich bin wütend oder Ich habe Angst fallen bei uns unter die Rubrik der expliziten Realisationsvariante SAB und damit un- 181 Zu Äußerungen mit emotionsbezeichnenden Wörtern siehe die korpuslinguistischen Untersuchungen von Bednarek (2008) und Oster (2010). 182 Vgl. dazu Drescher (2003: 65), die angesichts der Ergebnisse einer von ihr durchgeführten, vornehmlich auf verschiedene Wortarten bezogenen Auswertung französischer Grammatiken nach affektiven Kategorien die „Notwendigkeit eines komplementären Zugangs zu emotiven Formen und Strukturen“ sieht. Ihrer Ansicht nach „greift eine von isolierten Zeichen ausgehende Beschreibung der affektiven Dimension der Kommunikation mit Sicherheit zu kurz.“ 3 Meta-emotionale Kommunikation 141 ter die Kategorie emotionaler Kommunikation (um meta-emotionale Kommunikation würde es sich demgegenüber etwa bei den Äußerungen Gestern war ich wütend bzw. Immer, wenn ich einen Hund sehe, bekomme ich Angst handeln). Das inhaltlich-verbale „zum-Ausdruck-Bringen“ bzw. Kommunizieren einer Emotion ist mithin nichts, was sich gegen die explizit emotionale Semantik eines dabei verwendeten Wortes ausspielen ließe. Diese Ansicht lässt sich mit der Unterscheidung Ferdinand de Saussures zwischen der Sprache als einem System von Zeichen (la langue) und seiner jeweiligen instantiellen Realisation (la parole) verdeutlichen: Für auf die parole fokussierende linguistische Ansätze wie den von Fiehler macht es keinen Sinn, für die Differenzierung zwischen „Emotionsausdruck“ und „Reden über Emotion“ das Kriterium der Explizitheit emotionaler Wortsemantik heranzuziehen, denn Wortsemantik stellt eine Kategorie der langue dar. Langue und parole müssen an dieser Stelle auseinandergehalten werden, oder, um eine Bemerkung von Stankiewicz (1964: 242) zu zitieren: „the expressive resources of the message must be distinguished from the expressive devices of the code.“ 183 Eine im Korpus häufig auftretende Variante meta-emotionaler Kommunikation besteht darin, dass ein Sprecher über vergangene eigene emotionale Bewertungen kommuniziert. Oft werden dabei Gefühlsmarker verwendet; im Unterschied zu SAB steht das finite Verb jedoch im Präteritum oder Perfekt: 184 (L43)17,8 also ich fands/ oh ich war richtig glücklich heut wo ich aufgestanden bin (L44)17,184 und das war superschön, also ich hab mich nur gefreut, wie ich da drinsaß (L45)17,15 Ich hatt so kein Bock mehr (L46)17,11 Ich hatt gestern so ne Depri-Phase 183 Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang auch die sprechakttheoretischen Überlegungen von Zillig (1977) zum Unterschied zwischen Bewerten und Beschreiben sowie die Bemerkungen von Adamzik (1984: 240). 184 Marten-Cleef (vgl. 1991: 87) bemerkt bzgl. vergleichbarer Äußerungen, dass der Sprecher hier nicht ausdrücke, dass er ein bestimmtes Gefühl empfinde, sondern dass er mitteile, worin dieses Gefühl in einer bestimmten Situation bestanden habe. Solche Sprechakte würden also nicht vollzogen, um ein „augenblickliches Gefühl zum Ausdruck zu bringen“, sondern um den Adressaten „über ein früher einmal empfundenes Gefühl zu informieren.“ Bei den EXPRESSIVA, so Marten-Cleef, begegneten gefühlsbezeichnende Verben nur im Präsens oder Futur, jedoch nicht in einem Vergangenheitstempus. Sie konstatiert zu Recht, dass es „unmöglich ist, allein aus der Tatsache, daß Gefühle den Inhalt einer Äußerung bilden, abzuleiten, daß diese Äußerung ein expressiver Sprechakt sei“ (ebd.). An anderer Stelle notiert sie: „Bei der Mehrzahl der Äußerungsformen expressiver Sprechakte nach HEM steht das finite Verb des Aussagesatzes in der 1. Person Singular Präsens; andere Tempora und Personen wären typisch etwa für Ausdrucksmittel von BESCHREIBUNGEN von Gefühlen“ (ebd.: 11). IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 142 Bei L43 besteht der Gefühlsmarker in einem adjektivischen Subjektsprädikativ (glücklich), bei L44 in einem Partizip II (gefreut), bei L45 in der Wendung keinen Bock haben, bei L46 in einem Substantiv-Präfix. 185 Doch es gibt auch vergangenheitsbezogene meta-emotionale Kommunikation, die mit Valenzmarkern operiert: (L47)17,30 fand ichs auch voll geil Bei L47 steht die Subjektivitätsformel ich fand in einem Vergangenheitstempus: Der Sprecher teilt mit, dass er einem Gegenstand zu einem früheren Zeitpunkt eine bestimmte Valenz zugewiesen hat. Hier allerdings scheinen die Grenzen zwischen meta-emotionaler und emotionaler Kommunikation in pragmatischer Hinsicht zu verschwimmen. Denn sofern der Sprecher zum Zeitpunkt des Sprechens noch hinter der damaligen emotionalen Bewertung steht, könnte er alternativ auch formulieren: Ich finde [auch heute noch], es war voll geil - hierbei würde es sich dann um emotionale Kommunikation, genauer gesagt, um VAB handeln. 186 L48 stellt die verkürzte Form einer solchen VAB dar: L48 17,18 es war schon cool Der formale Unterschied zwischen L47 und der VAB in L48 wird allerdings bereits daran deutlich, dass der Sprecher sich bei L47 anschließend von der damaligen emotionalen Bewertung distanzieren kann (… aber heute finde ich es nicht mehr so toll), bei L48 hingegen wäre dies unlogisch (Es war schon cool. ? Aber heute finde ich es doof). Ein weiteres Beispiel für das Verschwimmen der Grenzen zwischen meta-emotionaler und emotionaler Kommunikation ist L25. Eine andere Variante meta-emotionaler Kommunikation besteht darin, dass über die Gesetzmäßigkeit der Auslösung von Valenzzuweisungen durch bestimmte Dinge gesprochen wird. Bei L49 etwa kommuniziert der Sprecher seine Einschätzung, dass die Sonne generell positive emotionale Bewertungen (bzw. entsprechende Stimmungen) 187 auslöst - dass er aktuell glücklich ist, bringt er damit nicht zum Ausdruck. 185 (43) und (44) verdeutlichen, auch wenn es sich dabei nicht um emotionale, sondern um meta-emotionale Äußerungen handelt, den engen Zusammenhang zwischen SAB und VAB (siehe Kap. IV.2): Bei (43) setzt der Sprecher zunächst zur Verwendung eines Valenzmarkers an, unterbricht sich dann jedoch und verwendet einen Gefühlsmarker. Bei (44) verwendet er bzgl. ein und desselben Gegenstands emotionaler Bewertung (hier: ein Konzert) zuerst einen Valenzmarker und unmittelbar im Anschluss einen Gefühlsmarker. 186 Dass das Kopulaverb sein hier im Präteritum steht, muss dabei nicht irritieren, denn bei Valenzzuweisungen zu vergangenen Ereignissen steht es zwangsläufig im Vergangenheitstempus. 187 Der Begriff „Stimmung“ (mood) wird in der Emotionspsychologie für länger andauernde emotionale Zustände ohne klaren Bezug zu einem auslösenden Ereignis verwendet (vgl. Schwarz-Friesel 2013: 70). 3 Meta-emotionale Kommunikation 143 (L49)17,27 ich finde, Sonne, des macht irgendwie. viel glücklicher Diese Variante meta-emotionaler Kommunikation kann auch als ein „Reden über Gefühlsregeln“ beschrieben werden (zu den Gefühlsregeln siehe Fiehler 1990). Eine weitere Variante meta-emotionaler Kommunikation zeigt L50 auf: (L50)4,144 ich fühl mich hier manchmal so wie in ner./ in ner Insel Hier zielt die meta-emotionale Äußerung auf die Regelmäßigkeit emotionaler Bewertung ab, indem der Sprecher mittels einer Komparation ein Gefühl beschreibt, das er manchmal hat. Mit dieser Äußerung bringt er ebenso wenig zum Ausdruck, dass er dieses Gefühl aktuell erlebt, wie z.B. mit der Äußerung Manchmal bin ich traurig: Natürlich ließen sich noch weitere Typen meta-emotionaler Kommunikation definieren. So gibt es analog zum Reden über vergangene eigene Emotionen auch ein hypothetisches Reden über zukünftige eigene Emotionen (siehe R15-R18 in Kap. VI.1.2). Weitere Typen wären z.B. das theoretische Reflektieren über Emotionen an sich (Liebe in R76) oder auch das Reden über Emotionen anderer Personen. 188 Prinzipiell besteht auch die Möglichkeit, dass mit einer vordergründig meta-emotional erscheinenden Äußerung in Wirklichkeit eine implizite emotionale Bewertung kommuniziert wird (L41). Dies kann u.U. schwer erkennbar sein. Sollte in einem solchen Fall tatsächlich eine implizite emotionale Bewertung vorliegen, wäre die Äußerung nicht als meta-emotional, sondern als „emotional“ (GAB) einzustufen. Meta-emotionale Kommunikation, insbesondere der vergangenheitsbezogene Typus, kann mit symbolischen Emotions-Indikatoren einhergehen. Bei letzterem Typus lassen sich die symbolischen Emotions-Indikatoren im Sinne einer erinnernden Vergegenwärtigung der vergangenen Emotion durch den Sprecher interpretieren. Möglicherweise liegt darin der Grund, weshalb auch meta-emotionale Äußerungen von den Kodierern als „emotional“ beurteilt wurden. Bei der Passungsexploration in Courtship-Gesprächen spielt neben der emotionalen auch die meta-emotionale Kommunikation eine Rolle (siehe Kap. VI.2.4.1.1.1). Der Hörer kann bei entsprechenden Äußerungen durchaus et- 188 Ein Beispiel für das Reden über Emotionen anderer Personen, bei dem zugleich nicht ganz klar ist, ob es sich um meta-emotionale Kommunikation oder um eine implizite emotionale Bewertung (GAB) handelt, ist 4,159 Und wirken glaube auch ganz glücklich. Der Sprecher bezieht sich hier auf seine Eltern und deren gute Ehe - ein Thema, das ihn emotional vermutlich eher nicht unberührt lässt. IV Sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation 144 was darüber erfahren, wie der Sprecher einen bestimmten Gegenstand emotional bewertet. Wird etwa darüber gesprochen, dass ein Gegenstand x regelmäßig negative Gefühle auslöst oder in der Vergangenheit emotional negativ bewertet wurde, so erhält der Hörer auf einer basalen Ebene die Information „Gegenstand x - negative Valenz“ und kann darauf emotional konvergent bzw. divergent reagieren. Hypothetisches Reden über zukünftige Emotionen findet sich etwa im Bereich der Kontakt-Ästimation (siehe Kap. IV.1.1.2). 4 Fazit Die anhand des Befunds der Beurteilungsstudie entwickelte Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation begreift emotionale Bewertung als ein Phänomen der Satzebene, das von meta-emotionaler Kommunikation als einem Kommunizieren über emotionale Bewertung zu unterscheiden ist. Sowohl in emotionaler als auch in meta-emotionaler Kommunikation treten symbolische Emotions-Indikatoren auf. Im Hinblick auf die in der Linguistik gängige Differenzierung zwischen „Ausdruck“ und „Darstellung“ bzw. „Thematisierung“ von Emotion ist an dieser Stelle davor zu warnen, „Emotionsausdruck“ auf kommunikationspragmatischer Ebene an der Frage der Explizitheit bzw. Implizitheit emotionaler Wortbedeutung festzumachen. Eine solche Konzeption führt zu kontraintuitiven Einschätzungen emotionaler Äußerungen als „nicht emotions ausdrückend“. Das inhaltlich-verbale „zum-Ausdruck-Bringen“ ei Emo tion ist mithin nichts, was sich gegen die explizit emotionale Sem tik eines dabei verwendeten Wortes ausspielen ließe. Da unser Ansatz emotionale Bewertung bzw. ihre Unterscheidung in explizite und implizite Varianten als ein Phänomen der Satzebene konzipiert, lässt er für solche fragwürdigen Rückschlüsse keinen Raum. Grundlegend für unsere Unterscheidung der Realisationsvarianten emotionaler Bewertung ist das Prinzip der Instanzenpräferenz bzw. die Frage, welche der drei am Akt emotionaler Bewertung beteiligten „Instanzen“ Sprecher, Valenz (explizite emotionale Bewertung) bzw. Gegenstand (implizite emotionale Bewertung) bei der konkreten sprachlichen Formulierung emotionaler Bewertung hervorgehoben wird. Das Erfassen einer bestimmten „Instanz“ emotionaler Bewertung durch die Satzbedeutung wird dabei als ein Setzen von Akzenten bei der Konstruktion emotionaler Bedeutung konzipiert. Indem wir die Art von Akzentsetzung bei der Konstruktion der emotionalen Bedeutung eines Satzes als Unterscheidungskriterium für unterschiedliche sprachliche Realisationsvarianten emotionaler Bewertung heranziehen und zugestehen, dass emotionale Bewertung auch durch deskriptiven Satzinhalt konstituiert werden kann, kehren wir uns von einer ner n a - 4 Fazit 145 als „expressivistisch“ zu bezeichnenden linguistischen Position ab, welche die Interjektion, den Exklamativ-Modus oder auch paraverbale Phänomene als prototypische Realisationsformen sprachlicher Emotionalität betrachtet. Stattdessen wenden wir uns Ansätzen zu, die emotionale Sprache auch mit dem propositionalen Gehalt von Sätzen in Verbindung bringen. Allerdings wird die Bedeutungsebene in unserem Ansatz mit der Handlungsebene kombiniert: Den unterschiedlichen Varianten emotionaler Bedeutungskonstruktion entspricht auf der Ebene sprachlich-kommunikativer Handlung jeweils eine eigene Realisationsvariante emotionaler Bewertung: SAB, VAB bzw. GAB. Das Spezifikum emotional erscheinender sprachlich-kommunikativer Bewertungen gegenüber rational-sachlich erscheinenden liegt unserer Auffassung nach im Fall von Sätzen mit einem adjektivischen Prädikativ (vgl. VAB) darin, dass emotional erscheinende Bewertungen symbolische Emotions-Indikatoren und häufig auch Valenzmarker mit affektiver Bedeutungskomponente enthalten, rational-sachlich erscheinende hingegen nicht. Prinzipiell könnte unsere Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation durch nachfolgende Studien weiter ausdifferenziert werden. Denkbar scheint etwa eine Subkategorisierung von VAB und SAB anhand syntaktischer Kriterien. Auch eine Variation unserer auf den Sprachgebrauch von Studierenden bezogenen Typologie im Hinblick auf anderweitige Sprecher-Gruppen (z.B. ältere Erwachsene) wäre denkbar. Eine Erweiterung der Typologie durch Hinzufügen anderweitiger Realisationsvarianten emotionaler Bewertung würde allerdings das Klassifikationsprinzip der Instanzenpräferenz verwässern. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch Das vorliegende und die folgenden Kapitel widmen sich nun dem speziell rhetorikwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit, nämlich der Frage, wie ein Orator in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung mit sprachlich-textlichen Mitteln emotional überzeugen kann bzw. welche kommunikativen Strategien ihm auf emotionaler Ebene zur Verfügung stehen, um seine Erfolgschancen zu maximieren. Das Augenmerk wird dabei ausschließlich auf die inhaltlich-segmentale Ebene lautsprachlicher Kommunikation gerichtet (siehe Kap. III.2). Nun ist der rhetorische Blickwinkel auf sprachliche Mittel emotionaler Kommunikation ein anderer als der im vorigen Kapitel eingenommene linguistische. Worin der Unterschied besteht, lässt sich gut anhand des für unsere Konzeption sprachlich-kommunikativer Emotionalität grundlegenden Prinzips der Valenz-Zuweisung (siehe Kap. III.3.2) verdeutlichen: Während es in Kap. IV auf linguistischer Ebene zur Typologisierung des Befunds der Beurteilungsstudie herangezogen wurde - zentrale Bedeutung kam dabei dem Prinzip der Instanzenpräferenz emotionaler Bewertung zu (siehe Kap. IV.2) -, wird es in den folgenden Kapiteln auf der Ebene erfolgsorientierter strategischer Kommunikation operationalisiert. Dabei geht es nicht länger um die Frage, wie emotionale Äußerungen auf Wortbzw. Satzebene beschaffen sind, sondern darum, wie sie sich in die strategische Dimension von Text 189 integrieren lassen. Das folgende Schaubild illustriert den Zusammenhang zwischen der linguistischen Betrachtungsweise (vgl. Abb. 3 in Kap. III.3.2) und der rhetorischen: 189 „Text“ kann dabei mit Knape (2009: 18) als „ein geordneter, begrenzter Zeichenkomplex in kommunikativer Absicht“ definiert werden. Diese Definition gilt auch für Gesprächstext, dessen Verlauf zwar Turn-Taking-bedingte Diskontinuitäten aufweist, dessen einzelne „Abschnitte“ (Gesprächsbeiträge) sich pragmatisch und oft auch leitthematisch aber dennoch zu einem Gesamttext formieren, welcher auf mindestens zwei Kommunikatoren beziehbare Kohäsions- und Kohärenzmerkmale aufweist (vgl. ebd.). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 148 Abb. 7: Rhetorisch-funktionale Einbettung emotionaler Bewertung in die strategische Dimension von Text (rhetorische Betrachtungsweise) Zwischen dem auf linguistischer Ebene beschriebenen sprachlich-kommunikativen Akt der Zuweisung einer Valenz zu einem Gegenstand und dem strategisch begründeten Vollzug dieses Akts im Rahmen oratorischen Handelns mit Text gegenüber einem Adressaten besteht eine Relation der Einbettung, d.h. die sprachlich-kommunikative Zuweisung einer Valenz zu einem Gegenstand wird in oratorisches Handeln mit Text eingebunden und für strategische Zwecke instrumentalisiert. Ausgehend von diesen Überlegungen wurde das Korpus systematisch nach den in Kap. IV beschriebenen sprachlichen Mitteln emotionaler Kommunikation durchmustert. Anschließend wurden die mit entsprechenden Strukturen verbundenen Interaktionssequenzen auf strategische Aspekte hin untersucht. Dabei konnten drei emotionalrhetorische Strategien identifiziert werden (zur Vorgehensweise siehe Kap. III.4). Ihre Kombination und persuasionstheoretische Kontextualisierung ergab ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung. Das Modell zeigt kommunikative Strategien auf, die einem Orator in solchen Gesprächen zur Verfügung stehen, um seine Chancen auf Erfolg - bestehend in der Einwilligung des Adressaten in eine Fortsetzung des Kontakts - auf emotionaler Ebene zu maximieren. Die theoretische Konzeption des Modells wird in Kap. V.2 präsentiert und in Kap. V.3 in einen Bezug zum aristotelischen Rhetorik-Konzept gestellt. Zunächst jedoch sind grundlegende Ausführungen zur rhetorischen Perspektive auf Partnerwerbungsgespräche erforderlich. 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 149 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik Das Spezifikum rhetorikwissenschaftlicher Gesprächsforschung besteht darin, dass sie - insbesondere in Abgrenzung zu soziologischen und linguistischen Zweigen - auf strategische Aspekte kommunikativer Interaktion fokussiert. Wenn die Rhetorik mit Knape (2000a: 33) in praktischer Hinsicht als „Beherrschung erfolgsorientierter strategischer Kommunikationsverfahren“ bezeichnet werden kann, dann gilt eine rhetorikwissenschaftliche Untersuchung von Partnerwerbungsgesprächen im Allgemeinen der Frage, wie ein strategischer Kommunikator (Orator) vorgehen kann, um im Gespräch (zum Gesprächsbegriff siehe Kap. II.4) erfolgreich Partnerwerbung zu betreiben. Becker (2009: 339) konzeptualisiert Partnerwerbung (engl. courtship) als einen „strategischen Kommunikationsprozess […], der sich im Erfolgsfall von der ersten optischen Wahrnehmung zweier gegengeschlechtlicher Individuen über eine oder mehrere Interaktionen hinweg bis zu deren erstem sexuellen Intimverkehr erstreckt“. Courtship steht ihm zufolge für „die aktive Werbung und Gewinnung eines Partners, also für den zielgerichteten kommunikativen Aufbau heterosexueller Intimbeziehungen aus der Teilnehmerperspektive“ (Becker 2009: 15f.). Diese Setzungen Beckers haben mit den Prämissen seines Untersuchungsdesigns zu tun. Sie sind keine prinzipielle Einschränkung oder Definition und schließen folglich keineswegs aus, dass Partnerwerbung selbstverständlich auch zwischen gleichgeschlechtlichen Individuen stattfindet. Auch kann sie über den ersten sexuellen Intimverkehr hinaus andauern, etwa, wenn einer der Partner weitergehende Beziehungsambitionen hat, der Beziehungsstatus nach dem ersten Intimverkehr jedoch unklar ist. Das von Becker genannte Partnerwerbungsziel ,Intimverkehr‘ resultiert aus Beckers aus der Evolutionsbiologie bezogenen Steuerungsprämissen der biologischen Partnerwerbung, die nur als Finalmotivationen aufzufassen sind und wiederum keineswegs ausschließen, dass es im kulturellen Zusammenhang auch erotisch motivierte Paarbildung gibt, die, zumindest vorläufig, ohne sexuellen Intimverkehr auskommt (siehe hierzu auch Guhr 2008: 20). Eine differenziertere Bestimmung des Courtship-Begriffs findet sich bei Guhr: Courtship muss deshalb als zumeist sprachliches Verhalten definiert werden, bei dem eine Person als potenzieller Partner einer intimen Beziehung aufgebaut und in dieser Position mit Hilfe traditioneller Partnerwerbungsgesten (wie beispielsweise Komplimenten oder Geschenken) umworben wird, ungeachtet dessen, ob diese intime Beziehung überhaupt realisierbar und/ oder tatsächlich gewünscht ist. Es wird eine Beziehung aufgebaut, die die Möglichkeit einer intimen Partnerschaft offen lässt, andere Möglichkeiten aber auf keinen Fall ausschließt. Nur aus dieser Möglichkeit, dass das gezeigte Interesse nur scheinbares Interesse ist, entsteht das für Courtship kennzeichnende Merkmal der Indirektheit (Guhr 2008: 21). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 150 Indirektheit ist zwar ein Charakteristikum von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung, allerdings sollte sie nicht wie hier in Verbindung gebracht werden mit Ungewissheit bzgl. der Frage, ob die Möglichkeit einer erotisch motivierten Paarbildung vom Kommunikator „tatsächlich gewünscht“ ist oder nur vorgegaukelt wird. Hier muss Courtship-Kommunikation begrifflich von reinem Flirt-Verhalten unterschieden werden. Während „Courtship“ bzw. „Partnerwerbung“ ernst gemeinte Bemühungen um einen potentiellen Partner - im Sinne der unten genannten Paarbildungszwecke - bezeichnet, ist unter „Flirten“ ein kommunikatives Handeln zu verstehen, welches eben dieser Verbindlichkeit entbehrt. So kann etwa der Familienvater beim täglichen Gang zum Bäcker mit der dortigen Verkäuferin „flirten“ (Was wäre ich nur ohne Sie und ihre leckeren Brezeln! ), ohne dass ihn das gesellschaftlich in Misskredit bringt. Anders verhielte es sich, wenn er versuchen würde, sie für eine Tasse Kaffee in der Mittagspause zu gewinnen - hier sähe er sich rasch dem Verdacht ernst gemeinter Bemühungen (z.B. um eine sexuelle Affäre) ausgesetzt. Natürlich kann Courtship-Kommunikation phasenweise spielerisches Flirt-Verhalten einschließen, umgekehrt aber geht ein Flirt nicht unbedingt mit echten Partnerwerbungsabsichten einher. Was die o.g. Begriffsbestimmung von Guhr betrifft, bezieht sie sich auf Flirt-Kommunikation, nicht jedoch auf Partnerwerbung bzw. Courtship. Der Courtship-Orator hat niemals nur scheinbares Interesse an seinem Adressaten, sondern stets ein aufrichtiges Interesse im Sinne eines bestimmten Paarbildungszwecks. Andernfalls würde es ihm an einer Grundlage für sein kommunikatives Handeln, dem oratorischen Zertum („innere Gewissheit“, Knape 2000a: 76) mangeln. Dies aber würde nicht nur einen Verstoß gegen die Grice’sche Konversationsmaxime der Qualität, sondern auch eine Annullierung des rhetorischen Falls bedeuten. Der Begriff der „Paarbildung“ eignet sich gut für die in unserem Kontext notwendige Bestimmung von „Partnerwerbungsgespräch“: Unter einem Partnerwerbungsgespräch ist eine verbale Interaktion zwischen zwei Kommunikatoren zu verstehen, bei welcher mindestens einer der Kommunikatoren den anderen in der Rolle eines potentiellen Partners für eine erotisch motivierte, gegen- oder gleichgeschlechtliche Paarbildung betrachtet und ihn für diese Paarbildung gewinnen will. Die Paarbildung kann dabei einem One-Night-Stand, einer sexuellen Affäre, einer romantischen Liebesbeziehung, einer Ehe u.ä. dienen. Die Annahme, dass es für die Klassifizierung eines Gesprächs als „Partnerwerbungsgespräch“ bereits ausreicht, dass nur einer der beiden Gesprächspartner den anderen in der Rolle eines potentiellen Partners sieht, ist grundlegend für unsere rhetorische Betrachtungsweise, die kommunikative Interaktion nicht als „interesseloses Miteinander“ in den Blick nimmt, sondern als eine von den Interessen eines Orators und eines Adressaten (der 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 151 funktional auch als Gegenorator betrachtet werden kann) geleitete Verhandlung ungleicher Standpunkte. Konkret bedeutetet die Tatsache, dass der Orator seinen Adressaten als Partner gewinnen will, noch lange nicht, dass der Adressat dies weiß, ahnt, oder gar billigt. Doch selbst wenn der Adressat die Partnerwerbungsabsichten des Orators erkennt und zulässt, führt das nicht automatisch dazu, dass er am Ende in eine Paarbildung einwilligt. Für eine rhetorische Betrachtungsweise von Partnerwerbungsgesprächen besteht in dieser Hinsicht die Voraussetzung, dass der Orator beim Adressaten einen persuasiven Wechsel (Metabolie) herbeiführen, d.h. ihn von einem mentalen Standpunkt A zu einem Standpunkt B bewegen muss - nur dann ist der rhetorische Fall (siehe Kap. II.4) gegeben. Im allgemeinen Sinn von Partnerwerbung könnte Standpunkt A so formuliert werden, dass der Adressat sich mindestens unsicher ist, ob er in eine Paarbildung mit dem Orator einwilligen soll und Standpunkt B so, dass der Adressat entschlossen ist, in eine Paarbildung einzuwilligen. Dem entspricht das allgemeine Ziel von Partnerwerbung, welches darin besteht, dass es zur Paarbildung (im Sinne der oben genannten Paarbildungszwecke) kommt. Zur Erreichung dieses Ziels braucht es häufig mehr als ein Gespräch - Partnerwerbung kann sich über eine Vielzahl kommunikativer Interaktionen mit stetig wachsendem Vertrautheitsgrad der Gesprächspartner erstrecken. 190 Nun geht es in unserer Arbeit um eine ganz spezielle Form des Partnerwerbungsgesprächs: das Erstkontaktgespräch zum Zweck der Partnerwerbung, bei dem sich die Gesprächspartner zu Beginn noch unbekannt sind. In der Forschung (vgl. Dindia/ Timmerman 2006: 688ff.) werden romantisch intendierte Erstkontaktgespräche mit folgenden strategischen Aufgaben in Verbindung gebracht: 1. Feststellen, ob die Zielperson ausreichend attraktiv für eine Kontaktaufnahme ist 2. Herausfinden, ob die Zielperson für ein Gespräch bzw. für eine potentielle Paarbildung aufgeschlossen ist 3. Gespräch eröffnen 4. Ein Thema gemeinsamen Interesses finden 191 5. Sich selbst positiv präsentieren 6. Zweites Treffen vereinbaren 190 Zu den verschiedenen Stadien der Anbahnung und Etablierung romantischer Beziehungen siehe Dindia/ Timmerman (2003). Zu Kommunikationsmustern im Partnerwerbungsverhalten junger Rumänen siehe Perju-Liiceanu (1978). 191 Svennevig (1999) beschreibt für Erstkontaktgespräche im Allgemeinen, d.h. für Gespräche mit dem Ziel gegenseitigen Kennenlernens, u.a. Strategien der Selbstpräsentation und der Etablierung eines „common ground“. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 152 Die besondere Relevanz des Erstkontaktgesprächs zum Zweck der Partnerwerbung besteht darin, dass es entscheidend ist für die Frage, ob überhaupt eine Chance auf Paarbildung besteht oder nicht - mit Becker (2009: 339) stellt es „die Geburtsstunde und das weichenstellende Fundament potenziell erotischer Intimbeziehungen“ dar. Haben am Ende des Gesprächs beide Teilnehmer Interesse an einer Fortsetzung des Kontakts, besteht (zumindest sofern dies nicht explizit ausgeschlossen wurde) grundsätzlich die Möglichkeit, dass es zu einem späteren Zeitpunkt zur Paarbildung kommt. 192 Daher besteht das Erfolgskriterium bzw. Persuasionsziel (Telos) eines Partnerwerbung betreibenden Erstkontakt-Gesprächsorators darin, bis zum Ende des Gesprächs die Einwilligung des Adressaten in die Fortsetzung des Kontakts zu erhalten - genauer gesagt, seine Kontaktdaten (Telefonnummer, E- Mail, Adresse) zu erhalten und/ oder die Verabredung zu einem weiteren Treffen zu erzielen (siehe auch Kap. III.1). Der vom Orator angestrebte persuasive Wechsel lässt sich dabei so beschreiben, dass der Adressat von einem Standpunkt A, auf dem er sich mindestens unsicher ist, ob er einer Fortsetzung des Kontakts zustimmen soll, zu einem Standpunkt B geführt wird, auf dem er entschlossen ist, zuzustimmen. Auf dieses Persuasionsziel und diese Textsorte bzw. diesen Gesprächstyp ist unser Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung zugeschnitten. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, inwiefern die Entscheidung des Adressaten hinsichtlich der Fortsetzung des Kontakts mittels rhetorischer Intervention überhaupt beeinflusst werden kann - bekanntlich spielt insbesondere auch die physische Attraktivität bei der Partnerwahl eine erhebliche Rolle. Aus rhetorischer Sicht ist hier grundsätzlich davon auszugehen, dass in aller Regel ein gewisser „Persuasionsspielraum“ besteht, d.h. dass der Orator die Wahrscheinlichkeit einer Einwilligung des Adressaten - wie hoch oder niedrig sie aufgrund unterschiedlicher Einflussfaktoren auch immer sein mag - durch angemessene kommunikative Intervention positiv beeinflussen kann. In anderen Worten: Auch ein Orator, dessen Attraktivität vom Adressaten als eher gering beurteilt wird, kann seine Erfolgsschancen durch die Umsetzung ziel- und situationsadäquater Persuasionsstrategien verbessern. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese Annahme durchaus begründet ist. So unterstreichen etwa Sprecher/ Duck (1994) die Bedeutsamkeit kommunikativen Handelns in heterosexuellen Erstkontaktgesprächen 192 Nach einer Studie von Sunnafrank (2004) sind Entscheidungen, die im Rahmen von Erstkontaktgesprächen hinsichtlich einer potentiellen weiteren Entwicklung des Kontakts getroffen werden, häufig repräsentativ für die tatsächliche Entwicklung des Kontakts. 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 153 im Vergleich mit von der Attraktionsforschung schwerpunktartig untersuchten Faktoren wie physischer Attraktivität oder wahrgenommener Similarität. Ihrer Studie zufolge spielt für Frauen die Qualität der Kommunikation - gemessen an Kriterien wie entspannt/ angespannt, persönlich/ unpersönlich, aufmerksam/ unaufmerksam u.ä. - neben dem Aspekt der physischen Attraktivität eine entscheidende Rolle dafür, ob sie nach einem Erstbegegnungsgespräch mit einem Mann den Wunsch nach einem Wiedersehen haben oder nicht (ebd.: 396). Bei Männern spielt demgegenüber vor allem die wahrgenommene Ähnlichkeit und die physische Attraktivität der Frau eine Rolle. Wie Sprecher/ Duck allerdings betonen, kann die Qualität der Kommunikation die wahrgenommene Ähnlichkeit beeinflussen (vgl. ebd.: 396). Hier sind rhetorische Maßnahmen angesprochen. Wie die wahrgenommene Ähnlichkeit emotionalrhetorisch beeinflusst werden kann, wird in Kap. VI.2 dargelegt. Einer Studie von Urbaniak/ Kilmann (2003) zufolge ist das „Nice Guy“- Paradox, d.h. die Annahme, dass „nette“ (liebenswürdige, aufmerksame und emotional ausdrucksstarke, vgl. ebd.: 415) Männer gegenüber weniger sympathisch wirkenden, jedoch physisch attraktiveren Männern, bei Frauen den Kürzeren ziehen, zu relativieren. Sie fanden heraus, dass sowohl die „Nettigkeit“ als auch die physische Attraktivität des Mannes bei der Partnerwahl von Frauen eine Rolle spielt. Dabei überwog der Faktor „Nettigkeit“ bei Frauen, die ernsthafte Beziehungsabsichten hatten, den Faktor „physische Attraktivität“; bei Frauen, die weniger ernsthafte, sexuell motivierte Beziehungsintentionen hatten, war es umgekehrt. Dies deutet darauf hin, dass freundliches Auftreten und positives Kommunikationsverhalten sehr wohl einen - u.U. entscheidenden - Einfluss darauf haben können, wie ein Partnerwerbungs-Erstkontaktgespräch ausgeht. Wie Finkel/ Eastwick/ Matthews (2007) herausfanden, weicht die Tatsache, wen Menschen beim Speed Dating sympathisch finden, oft stark von ihren vorab existierenden Vorstellungen über einen „Idealpartner“ ab. Auch dies kann dahingehend interpretiert werden, dass kommunikative Einflussnahme vorgefertigte Meinungen darüber, was eine Person attraktiv macht, ins Schwanken bringen und zugunsten des Kommunikators ändern kann. 1.1 Passungsexploration pro forma Was genau passiert in einem Erstkontaktgespräch zum Zweck der Partnerwerbung? Sozialpsychologisch betrachtet findet etwas statt, das mit Becker (2009: 334) als „Passungsexploration“ bzw. mit Guhr (2008: 34) als „Passungsüberprüfung“ bezeichnet werden kann: die Gesprächspartner erkunden, ob und inwiefern sie als Paar (im Sinne der oben beschriebenen Paarbildungszwecke) zusammenpassen könnten. Bei näherem Hinsehen geschieht dies über ein „Eruieren von Gemeinsamem“ (Rauch 1992: 279) bzw. Trennendem. Dabei geht es für die jeweiligen V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 154 Gesprächspartner „entweder darum, Gemeinsamkeiten ausfindig zu machen, um eine größere Nähe herzustellen, oder Trennendes aufzudecken, um Distanz zu schaffen“ (ebd.: 286). 193 Das Ergebnis der Passungsexploration ist dann entscheidend für die Frage, ob es zur Fortsetzung des Kontakts kommt oder nicht. Rhetorisch betrachtet stellt sich das Geschehen in einem solchen Gespräch allerdings etwas anders dar. Aus dieser Perspektive geht es dem Courtship-Orator nicht darum, Passungsexploration zu betreiben. Denn zum Zeitpunkt seiner kommunikativen Intervention hat er bereits die Gewissheit erlangt, dass er den Adressaten für sich gewinnen möchte. Sie stellt sein oratorisches Zertum dar, ohne welches er überhaupt nicht als strategischer Kommunikator agieren könnte. In anderen Worten: Der Orator ist zu Beginn des Gesprächs bereits davon überzeugt, dass zwischen ihm und dem Adressaten eine Form von Passung (bezogen auf o.g. Paarbildungszwecke) gegeben ist, welche zumindest eine Fortsetzung des Kontakts rechtfertigt. 194 Das Inbetrachtziehen der Möglichkeit, dass der Orator im Lauf des Gesprächs mangelnde Passung feststellen, sein Zertum verlieren und den Persuasionsversuch aufgeben könnte (Annullierung des rhetorischen Falls), ist zwar durchaus realistisch; solche Erwägungen sind jedoch vom Standpunkt rhetorischer Theoriebildung aus nicht von Interesse. Da Passungsexploration jedoch als ein konventioneller Aspekt von Partnerwerbung zu betrachten ist, muss der Orator diese Konvention bedienen, indem er pro forma Passungsexploration betreibt. D.h. er wahrt dem Adressaten gegenüber den Anschein, dass er im Lauf des Gesprächs erst herausfinden möchte, ob sie zusammenpassen könnten. Tatsächlich aber begibt sich der Orator nicht auf eine „Entdeckungsreise voller Überraschungen“, sondern er zielt mittels spezifischer Maßnahmen von vornherein darauf ab, gemeinsam mit dem Adressaten nur solche „Entdeckungen“ zu machen, welche der Erreichung seines kommunikativen Telos förderlich sind - dem Zufall überlässt er dabei nichts. Courtship-rhetorisch betrachtet, erfolgt Passungsexploration dann pro forma, wenn der Orator gezielt Gemeinsamkeiten aufdeckt und Unterschiede bedeckt hält. Auf emotionaler Ebene entspricht dem die Demonstration emotionaler Konvergenz bzw. das Verschweigen emotionaler Divergenz (siehe Kap. VI). 193 Rauch (1992: 278), die sich mit Paardialogen befasst, spricht diesbezüglich von rituellen „Dialogstücken“ bzw. „funktionalen Gesprächsmustern“. 194 Auf welcher Basis der Orator dieses Zertum gewinnt und als wie tragfähig es sich tatsächlich erweist, liegt außerhalb rhetorischen Erkenntnisinteresses. Häufig spielt äußerliche Attraktion eine Rolle. In jüngster Zeit interessiert sich die Forschung besonders für die Neurochemie der Partnerwerbung (siehe z.B. Young/ Alexander 2012). Zu sozialpsychologischen Modellen der Partnerwahl siehe Hill/ Kopp (2013: 124ff.). 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 155 In diesem Zusammenhang ist allerdings gleich auf ein Grundprinzip oratorischen Handelns hinzuweisen, welches die Chance auf (nachhaltigen) Persuasionserfolg erhöht: Wahrhaftigkeit. 1.2 Wahrhaftigkeitspostulat Buller/ Burgoon (1998: 385) beschäftigen sich mit Emotion als Motivator und Inhalt von strategischen Täuschungsprozessen in der sozialen Interaktion. Sie konstatieren: „communicators may deceive to guarantee continued love and affection from others, to escape punishment, disapproval, or embarrassment, or to prevent unpleasant repetitive relational episodes.“ Auch der Courtship-Orator kann leicht in Versuchung geraten, aus Opportunismus emotionale Täuschungsmanöver vorzunehmen. Im Bestreben, emotionale Übereinstimmung zu demonstrieren und auf diese Weise die eigenen Erfolgschancen zu erhöhen, könnte es für ihn durchaus verlockend sein, bei der Kommunikation von emotionaler Bewertung aus strategischen Gründen eine Valenz zu simulieren, die er dem betreffenden Gegenstand in Wirklichkeit gar nicht zuweist (die er gar nicht „empfindet“). Zillig (1982: 304) betont zu Recht den heiklen Beziehungsaspekt von Bewertungen: „Der Sprecher will, indem er zeigt, daß er mit dem Dialogpartner einer Meinung ist, die Beziehung zu diesem verbessern, oder er will eine gute Beziehung nicht gefährden.“ Die Frage der „Echtheit“ von Bewertungen verdichtet sich bei Zillig in den Kategorien „Zustimmung“ (ZUST) bzw. „Widerspruch“ (WID): Die Kategorien ZUST und WID können im Gespräch über Bewertungen also prinzipiell zweifach gedeutet werden. ZUST kann auf der Ebene der Proposition angelegt sein (A und B sind tatsächlich einer Meinung). Oder der Grund für ZUST liegt nicht im Inhalt einer Bewertung, sondern bedeutet auf der Beziehungsebene Konfliktvermeidung, Unterordnung oder eine gegenseitige Bestätigung zwischen A und B. Ob und gegebenenfalls wie bereits bei der einfachen Äußerung erschlossen werden kann, daß ZUST/ WID in diesem Sinne echt sind, ist mir bislang noch nicht klar (ebd.: 315f.). Jenseits moralphilosophischer Überlegungen, die nicht in unseren Gegenstandsbereich fallen, stellt sich angesichts dessen die Frage, was für den Courtship-Orator bei der Kommunikation emotionaler Bewertung zielführender ist: Strategische Simulation von Valenz oder diesbezügliche Wahrhaftigkeit? Quintilian vertritt die Annahme, dass der Redner Emotionen simulieren kann. 195 Seiner Theorie der Selbstaffektation (Quint. Inst. or. VI,2,26-36) zufolge versetzt sich der Orator im Zuge des performativen Aktes mittels 195 Zur willkürlichen Produktion emotionalen Ausdrucksverhaltens siehe auch Banse (2000: 364f.). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 156 künstlicher imaginativer Verfahren in einen Zustand emotionaler Erregung, den er dann wirksam auf den Adressaten „übertragen“ 196 kann: Das erste ist es also, daß bei uns selbst die Regungen stark sind, die bei dem Richter stark sein sollen, und wir uns selbst ergreifen lassen, ehe wir Ergriffenheit zu erregen versuchen (Quint. Inst. or. VI,2,28; Übers. n. Rahn). Wenngleich Quintilian im Unterschied zu uns das Zurschaustellen von heftiger affektiver Erregung im Blick hat und keine in performativer Hinsicht eher unscheinbare sprachlich-kommunikative Emotionalität der positivbzw. negativ-Bewertung von Gegenständen, wie sie durch die Beurteilungsstudie aufgezeigt wird, so geht es doch in beiden Fällen um simulierte Emotionalität eines Kommunikators. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass simulierte Emotionalität nach außen hin auf Dauer glaubwürdig erscheint. Insbesondere bei der inhaltlich-verbalen Simulation einer Valenz, die das Gegenteil einer tatsächlich empfundenen Valenz darstellt, wäre zu befürchten, dass es zu Unstimmigkeiten mit anderweitigen, schwerer kontrollierbaren Ausdruckskanälen von Emotion (z.B. Mimik), d.h. zu einem performativen Widerspruch kommt und der Adressat dadurch irritiert wird. 197 So kann z.B. das sprachlich-kommunikative Vortäuschen von Freude bei tatsächlich empfundenem Ärger durch die Aktivierung einer für Wut typischen Kombination von Gesichtsmuskeln sabotiert werden. 196 Hinsichtlich der interpersonalen „Übertragung“ von Emotion - Lausberg (2008: § 257) spricht von einer „Affekt-Brücke“ - existiert in der Forschung das Konzept „emotionaler Ansteckung“ (emotional contagion). Erforscht ist hier insbesondere die unwillkürliche Imitation von Mimik, aber auch gestische und stimmliche Mechanismen der Affektübertragung werden beschrieben (vgl. Hatfield/ Cacioppo/ Rapson 1994; Parkinson/ Fischer/ Manstead 2005: 181ff.). Bartsch/ Hübner (2004) entwickeln ein unterschiedliche emotionstheoretische Ansätze integrierendes Modell zur Konzeption von „emotionaler Ansteckung“ bzw. von „Gefühlsaustausch“ zwischen Kommunikationspartnern. Kurilla (2013: 519ff.) äußert sich kritisch zum Begriff der emotionalen „Ansteckung“ bzw. „Übertragung“. 197 Fiehler (1990: 106) bemerkt: „Betrachtet man Emotionsausdruck in seinem kommunikativen Aspekt, so wird diese Systematik in Form des Konzepts verschiedener Ausdruckskanäle relevant. Das Kanalkonzept impliziert eine gewisse Unabhängigkeit der Kanäle. Dies trifft partiell für produzierten Ausdruck zu, nicht aber für sich ereignenden Ausdruck. Wenn sich eine Emotion ausdrückt, so ist ihr Ausdruck ganzheitlich, d.h. liegt ein Gesamtausdrucksverhalten vor. Es ist zwar analysierbar, welche Bereiche bzw. Kanäle am Ausdruck beteiligt sind, er ist aber nicht synthetisch. Dies ist partiell anders bei produziertem Ausdruck. Diese Differenz trägt zur Unterscheidbarkeit von ‚echtem‘ und ‚gespieltem‘ Ausdruck bei.“ Drescher (2003: 79) spricht von einer „Signalisierungsredundanz“ emotionalen Ausdrucksverhaltens: „Emotionen werden simultan und meist komplementär auf mehreren Kommunikationskanälen - Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimmqualität usw. - übermittelt und in unterschiedlichen semiotischen Systemen enkodiert. Aus diesem Zusammenspiel erklärt sich auch der holistische, gestalthafte Charakter des emotionalen Ausdrucksverhaltens, in dem die Sprache nur ein, allerdings zentrales Medium ist.“ 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 157 Auch deuten Studien darauf hin, dass simulierte Emotionen unwillkürlich mit subtilen Manifestationen von negativem Affekt und Erregung (aufgrund täuschungsbedingter „Schuldgefühle“) sowie mit verringertem Involvement, d.h. mit reduzierter „innerer Beteiligung“, einhergehen (vgl. Buller/ Burgoon: 1998: 389ff.). Angesichts solcher unintendierter Nebeneffekte kann der Adressat den Eindruck gewinnen, dass der Orator nicht vertrauenswürdig sei, was bei ihm negative emotionale Reaktionen hervorrufen (vgl. ebd.: 392ff.) und u.U. die Umsetzung sämtlicher (emotional- )rhetorischer Strategien bzw. den persuasiven Umschwung (Metabolie) sabotieren könnte. Doch auch was die Nachhaltigkeit des Persuasionseffekts betrifft, ist davon auszugehen, dass emotionale Unaufrichtigkeit der (längerfristigen) sozialen Bindung des Adressaten (Systase) massiv schaden kann. 198 Bei Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung besteht insbesondere das Risiko, dass als Übereinstimmung maskierte Differenzen bei der Fortsetzung des Kontakts früher oder später entlarvt werden, was das Beziehungsgeschehen zwischen Orator und Adressat mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ beeinträchtigen oder sogar zum Kollabieren bringen kann. 199 Grundsätzlich sollte daher für emotionalstrategisches Agieren in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung - wie für jegliches oratorische Agieren unter standardkommunikativen Bedingungen (Knape 2008: 898ff.), d.h. im Rahmen ernsthafter, nicht-spielerischer Sprechhandlungen - die Konversationsmaxime der Qualität bzw. Wahrhaftigkeit nach Grice (1975: 46) gelten: Try to make your contribution one that ist true bzw. Do not say what you believe to be false. Die Maxime entspricht der aristotelischen Ethos-Komponente der Arete bzw. Integrität (vgl. Knape 2012a: 121) und ist für den Orator - wie auch die übrigen drei Konversationsmaximen (Quantität, Relevanz, Modalität) - im Sinne einer psychologischen Erwartungshaltung des Gesprächspartners zu interpretieren, auf die Rücksicht genommen werden sollte. Knape beschreibt diese Erwartungshaltung so: Der Adressat kann im rasant linearen Fortgang des Textvortrags nicht immer, nicht vollständig und nicht immer ohne Weiteres den informationellen Wert, den Realitäts-, Wahrheits- und Verbindlichkeitsgrad der verbalen Ausführungen überblicken, prüfen und nachvollziehen. Gleichwohl möchte der Adressat bis zum Beweis des Gegenteils bei seiner Vertrauenshaltung und Glaubwürdigkeitsvorannahme gegenüber dem Orator bleiben, ist er doch 198 Nachhaltigkeit ist daher das wichtigste strategische Regulativ für „ethisches“ Rhetorikverhalten im Sinne der Grice’schen Maximen und das Vermeiden von Manipulationsverdacht; siehe dazu Knape (2003: 888-890). 199 Bei sehr limitierten Formen von Beziehung wie One-Night-Stands fällt dieses Argument weniger ins Gewicht. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 158 auf den standardkommunikativen Frame eingestellt, innerhalb dessen die Grice’schen Maximen gelten (Knape 2012a: 119). Für unseren Zusammenhang kann die Grice’sche Maxime der Wahrhaftigkeit zu folgendem emotionalrhetorischem Wahrhaftigkeitspostulat spezifiziert werden: Weise beim Kommunizieren emotionaler Bewertung dem betreffenden Gegenstand eine Valenz zu, die deinem tatsächlichen Empfinden entspricht. Dieses Postulat impliziert auch, dass der Orator für den Fall, dass er Gleichgültigkeit (Null-Valenz) empfindet, überhaupt keine emotionale Bewertung kommunizieren sollte, da er andernfalls eine Valenz simulieren müsste. Was Ironie angeht - hier erfährt die wortwörtlich geäußerte emotionale Bewertung eine Valenzumkehr (siehe Kap. V.2.1.2.1) -, bezieht sich das Postulat auf die tatsächlich intendierte (implizierte) Valenz. Was Gespräche betrifft, gilt das Wahrhaftigkeitspostulat zudem für alle Arten zustimmender/ widersprechender bzw. Verständnis/ Unverständnis zum Ausdruck bringender Äußerungen, welche der Orator in Reaktion auf vom Adressaten kommunizierte emotionale Bewertungen produziert. Zwar handelt es sich bei solchen Äußerungen gemäß unserer linguistisch-formalen Typologie nicht um emotionale Bewertungen, doch funktional gibt der Orator mit ihnen ebenfalls Ausschluss über emotionale Konvergenz bzw. Divergenz (siehe hierzu Kap. VI.2.2 und VI.2.3). Allerdings ist anzumerken, dass bei Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung zumindest phasenweise ein gewisser spielerischer Flirt-Faktor gegeben sein kann, in dessen Rahmen der Charakter seriöser Passungsexploration gezielt ausgehebelt wird. Dies wäre als ein Fall sonderkommunikativen Framings innerhalb des eigentlichen standardkommunikativen Framings ernsthafter Partnerwerbung zu betrachten, der zu jenen Settings zählt, bei denen „von vornherein eine große Lizenzerwartung mit entsprechenden Toleranzen an den Gesprächstypen hängt“ (Knape 2012b: 7). 200 Scherzhaftes Flunkern, Necken des Gegenübers und höflichkeitsbedingte Komplimente etwa stellen konventionelle Mittel sonderkommunikativen Flirtverhaltens dar, im dessen Rahmen das Wahrhaftigkeitspostulat nicht streng befolgt werden muss. 201 In den Gesprächen des Teilkorpus II lässt sich Flirtverhalten allerdings so gut wie nicht beobachten. 202 Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich die Gesprächsteilnehmer in der experimentellen Face-to-Face-Situation möglicherweise etwas befangen fühlten und durch die Instruktionen 200 Zur Unterscheidung von sonder- und standardkommunikativen Bedingungen siehe Knape (2008: 898-906; 2013b: 15). 201 Zur Scherzkommunikation in Alltagsgesprächen siehe Kotthoff (Hg. 1996). 202 Eine Ausnahme stellt etwa R81 in Kap. VIII.3 dar. 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 159 unter einer gewissen Anspannung standen, welche der spielerischen Leichtigkeit eines Flirts entgegenwirkte. Auch ist zu betonen, dass die Probanden nicht instruiert wurden, mit den Konfidenten zu „flirten“, sondern lediglich die Zielvorgabe erhielten, deren Kontaktdaten zu erhalten oder ein weiteres Treffen zu vereinbaren. Unter solchen Umständen dürfte es zwischen Proband und Konfident am ehesten noch dann zu Flirt-Situationen kommen, wenn sich beide tatsächlich sehr attraktiv finden. An dieser Stelle erscheint es notwendig, einem verbreiteten Missverständnis vorzubeugen: Flirten stellt keine spezifisch emotionalrhetorische „Technik“ dar. Das Charakteristikum des Flirts besteht in der spielerischen Vermittlung erotischen Interesses. Diese Vermittlung kann, muss aber nicht mit sprachlich-kommunikativer Emotionalität einhergehen. Den in der Beurteilungsstudie von den Laien-Kodierern als „emotional“ markierten Äußerungen, mit welchen die emotionalrhetorischen Strategien unseres Modells operieren, kann auf inhaltlich-verbaler Ebene jedenfalls kein Flirtcharakter zugesprochen werden. Was die para- und nonverbale Ebene betrifft, auf der sich Flirtverhalten zweifellos auch stark manifestiert, kann in unserer Arbeit keine Aussage getroffen werden. 1.3 Eine diplomatische Alternative: Neutrale Responsitivität Da Rhetorik bei aller geforderten Wahrhaftigkeit aber strategische Kommunikation bedeutet, soll an dieser Stelle noch eine Technik vorgestellt werden, welche der Orator in strategisch heiklen Situationen anwenden kann, ohne dabei gegen das emotionalrhetorische Wahrhaftigkeitspostulat zu verstoßen: die Technik der Neutralen Responsitivität. Sie ermöglicht es dem Orator, das Gespräch auf elegante Weise fortzusetzen für den Fall, dass es strategisch unvorteilhaft wäre, in Reaktion auf eine Äußerung des Adressaten eine tatsächlich empfundene Valenz wahrheitsgemäß zu kommunizieren. Neutrale Responsitivität stellt eine Technik zur wertungsneutralen Prozessierung von emotional bewertenden Äußerungen des Gesprächspartners bzw. von Ästimation evozierenden Äußerungen (siehe Kap. VI.1.1) des Gesprächspartners dar. Im Rahmen dieser Technik geht der strategische Kommunikator höflich auf die Äußerung des Adressaten ein, ohne sich dabei jedoch selbst emotional zu positionieren. Neutral-responsiv zu agieren bedeutet, inhaltlich auf die vom Adressaten kommunizierte Aussage Bezug zu nehmen und dabei Interesse an ihr zu bekunden, ohne sie (emotional) zu bewerten bzw. ihr zuzustimmen oder ihr zu widersprechen. 203 Neutrale Responsitivität kann in dieser Hinsicht als Demonstration wertungsneutralen 203 Fiehler (vgl. 1990: 149) unterscheidet lediglich die vier Prozessierungsstrategien Eingehen, Hinterfragen, Infragestellen und demonstratives Ignorieren, wobei er sie so definiert, dass der Kommunikator bei keiner von ihnen emotional neutral erscheint. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 160 kommunikativen Involvements 204 betrachtet werden. Sie stellt somit eine „diplomatische Alternative“ zur Kommunikation von emotionaler Bewertung dar. Partner-Responsitivität in einem allgemeinen Sinn ist für die Entstehung vertrauensvoller Beziehungen sehr wichtig. Studien zeigen, dass selbst Tiere Partner mit responsivem Verhalten gegenüber unresponsiven Partnern bevorzugen (vgl. Berscheid/ Regan 2005: 147f.). In unserem Kontext kann der Orator Neutrale Responsitivität vor allem in zwei Fällen einsetzen. Der erste Fall ist dann gegeben, wenn der Orator unter Berücksichtigung des emotionalrhetorischen Wahrhaftigkeitspostulats keine Image-Ästimation kommunizieren kann an einem Punkt, an dem der Adressat auf diese hofft (siehe Kap. VI.1.1). Neutrale Responsivität hilft hier, das Gesicht des Adressaten einigermaßen zu wahren, indem zumindest Interesse an der sein Image betreffenden Mitteilung des Adressaten und damit indirekt am Adressaten selbst bekundet wird. Der zweite Fall besteht darin, dass der Orator emotionale Divergenz in Bezug auf eine vom Adressaten geäußerte emotionale Bewertung empfindet. Der Einsatz von Neutraler Responsivität ermöglicht es ihm hier, die Kommunikation emotionaler Divergenz elegant zu vermeiden, ohne dabei dem emotionalrhetorischen Wahrhaftigkeitspostulat zuwider zu handeln (siehe Kap. VI.2.5.2). In diesem Sinne dient Neutrale Responsitivität der Vermeidung von Konflikt als einer typischen Höflichkeitsmaxime. 205 Zwei typische, im Korpus auftretende Realisationsformen von Neutraler Responsitivität sind Rückfragen aller Art, die sich auf die emotionale Bewertung bzw. die ästimationsevozierende Äußerung beziehen (siehe R14 in Kap. VI.1.1; R66 in Kap. VI.2.5.2) sowie Echo-Wiederholungen (siehe R14 in Kap. VI.1.1; R38 in Kap. VI.2.4.1; zum Begriff der Echowiederholung siehe Gallèpe 2004: 44). Möglich sind grundsätzlich auch bewertungsneutrale Anmerkungen und Interpretationen der Äußerung des Gesprächspartners sowie Aufforderungen an diesen, seine Aussage näher zu erläutern. Zu denken ist hier an die Konzepte des „continuation elicitors“ bei Svennevig (1999: 108f.) bzw. 204 „Involvement behavior signals that an individual is available for communication and is interested in the conversation at hand“ (Andersen/ Guerrero 1998a: 310). In der Forschung werden oft folgende fünf Dimensionen kommunikativen Involvements genannt (vgl. ebd.): Unmittelbarkeit (z.B. Berührung, körperliche Nähe), Ausdrucksstärke (z.B. stimmliche und gestische Lebendigkeit), flüssiges Interaktionsverhalten (z.B. flüssiges Sprechen, glatter Sprecherwechsel), geringe soziale Ängste (Entspanntheit), Alterzentrismus (Aufmerksamkeit gegenüber dem Partner); vereinzelt wird als weitere Dimension positiver Affekt genannt. 205 Zur Konfliktvermeidung als Höflichkeitsmaxime siehe Kessel (2009: 171). Mit dem rhetoriktheoretischen Ort von Höflichkeit befasst sich Knape (2012b). Höflichkeit hat für ihn lediglich den Status einer „Rahmen- oder Randbedingung des Kommunikationserfolgs“ (ebd.: 8). 1 Partnerwerbungsgespräch und Rhetorik 161 des „reflective statement“ und des „statement of interest“ bei Dillon (1990: 183ff.). Unter einem „reflective statement“ versteht Dillon Antwortansätze wie z.B. So, you feel/ think that ...; So, you’re saying that ...; I get from what you say that …; Oh, in your mind, the …; So what you’re talking about is …; You think/ mean, in other words, that ... Unter einem „statement of interest“ versteht Dillon Äußerungen wie I’d like to hear more of your views on X; Elaborate on that; What else do you think about X? ; That’s interesting, I’d like to hear more of your views on that. Nicht zu Neutraler Responsitivität zu zählen sind reine Aufmerksamkeitssignale wie aha, hmhm, ja o.ä. Solche Minimaläußerungen sind zwar deutlich weniger aufwändig, aber nicht responsiv im Sinne einer Entgegnung mit sinnvollem Inhalt. Bei Dillon (1990: 198) heißt es zu solchen Gesprächspartikeln („fillers“) lapidar: „They encourage the speaker by showing him that what he is saying is falling on not altogether deaf ears, and that the mind between these ears shall not for the moment venture forth to displace his own.“ Zu kritisieren ist an der Technik der Neutralen Responsitivität, dass sie beim Adressaten keine Ungewissheit reduziert und in dieser Hinsicht für ihn dispräferierte Reaktionen hervorbringt. Tatsächlich dürfte der Adressat es vor dem Hintergrund der Passungsexploration vorziehen, auf eine von ihm kommunizierte emotionale Bewertung eine Reaktion zu erhalten, aus der ersichtlich ist, ob der Orator ihm zustimmt oder nicht (siehe Kap. VI.2.4.1). Angesichts dessen wäre in Gesprächen, in denen der Orator wiederholt Neutrale Responsitivität anwenden muss, um die Kommunikation von emotionaler Divergenz zu vermeiden, zwischen einem Schaden durch potentielle Antipathie-Effekte aufgrund eingestandener emotionaler Divergenz und einem Schaden durch mangelnde Ungewissheitsreduktion abzuwägen. Am Ende muss der Orator in der konkreten Gesprächssituation natürlich immer prüfen, ob es in strategischer Hinsicht tatsächlich angezeigt ist, emotionale Divergenz zu verschweigen. Wie in Kap. VI.2.5.2 erläutert wird, kann es ab und an durchaus von Nutzen sein, gezielt emotionale Divergenz zu demonstrieren. Ob Neutrale Responsitivität in einer bestimmten Situation die bessere Alternative darstellt, hängt u.a. davon ab, wie oft es im Gespräch bereits zu Situationen emotionaler Divergenz kam, wie der Adressat auf Divergenz reagiert hat bzw. ob es Anzeichen dafür gibt, dass der Adressat Neutrale Responsitivität nicht goutiert. Grundsätzlich sollte der Orator den Einsatz von Neutraler Responsivität nicht überstrapazieren. Im Idealfall benötigt er diese Technik nicht. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 162 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung Wenn es im folgenden Teil der Arbeit um die Frage geht, wie ein Orator in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung emotional überzeugen kann bzw. welche Möglichkeiten ihm auf emotionaler Ebene zur Verfügung stehen, um seine Chancen auf kommunikativen Erfolg zu maximieren, dann kann die Fähigkeit bzw. das Potenzial, diese Möglichkeiten situations- und zieladäquat zu nutzen, als emotionalrhetorische Gesprächskompetenz auf dem genannten Gebiet bezeichnet werden. Der Aspekt der Situationsbzw. Zieladäquanz ist für den Kompetenzbegriff deshalb wichtig, weil sich Kompetenz letztlich erst in der Realisierung konkreter Handlungen beweist, diese Handlungen aber stets im Kontext einer bestimmten Situation und i.d.R. auch - in der Rhetorik stets - im Dienst einer bestimmten Absicht stehen. Der Aspekt der Situationsadäquanz taucht auch in Knapes Bestimmung des Begriffs der rhetorischen Kompetenz auf: Rhetorische Kompetenz besteht demnach in der Fähigkeit zu situationsgerechter Handlungsabstimmung und Wahl der Kommunikationsmittel, kurz: in der Fähigkeit zu projektiven (einfühlenden) und antizipatorischen (vorwegnehmenden) Adressaten- und Instrumentariumskalkülen. Anders gesagt: rhetorische Kompetenz besteht in der Fähigkeit, in einem gegebenen Kommunikationszusammenhang die situationsgerechte Selektion persuasionsrelevanter Aspekte vorzunehmen (Knape 2003: 887). Der Aspekt der Zieladäquanz spiegelt sich bei dieser Konzeption im Aspekt der „Persuasionsrelevanz“ wider (Persuasion als allgemeines Ziel oratorischer Intervention). Knape/ Becker/ Guhr erwähnen den Aspekt der Situations- und Zieladäquanz kompetenten rhetorischen Handelns bei ihrer Bestimmung des Begriffs der „emotionalen Gesprächskompetenz“ allerdings nicht gesondert. Unter Letzterer verstehen sie im Einzelnen: […] die Fähigkeit des Orators zur Kontrolle seiner eigenen Emotionen und seines Emotionsausdrucks, die korrekte Deutung aktueller Emotionen des Adressaten und insbesondere die Fähigkeit zur Generierung intendierter Emotionen des Adressaten mittels affektstimulierender sprachlich-kommunikativer Interventionsmittel jenseits des logisch rationalen Argumentierens (Knape/ Becker/ Guhr 2009: 246). Diese Bestimmung kann in gewisser Weise als spezifisch gesprächsrhetorische Variante des psychologischen Konzepts der „Emotionalen Kompetenz“ 206 betrachtet werden, welches den effektiven Umgang mit Emotionen 206 Das Begriff der „Emotionalen Kompetenz“ wird oft in Verbindung gebracht mit dem der „Emotionalen Intelligenz“ (siehe z.B. Ciarrochi/ Forgas/ Mayer Hgg. 2006), wobei der Begriff „Intelligenz“ in diesem Zusammenhang teilweise kritisch gesehen wird (vgl. Ciarrochi/ Scott 2006: 232). 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung 163 und emotional behafteten Themen bezeichnet (vgl. Ciarrochi/ Scott 2006: 232). In der Forschung werden unter „Emotionaler Kompetenz“ z.B. folgende Aspekte verstanden: das Bewusstsein über den eigenen emotionalen Zustand; die Fähigkeit, Emotionen der anderen zu erkennen und zu verstehen; die Fähigkeit, Emotionsvokabular auf gängige Weise zu gebrauchen; die Fähigkeit zu Empathie und Verständnis; das Wissen darum, dass Emotionen auch simuliert und für strategische Zwecke benutzt werden können; die Fähigkeit, mit negativen Emotionen klarzukommen (Selbstregulation); das Wissen darum, dass Beziehungen z.T. durch den Grad emotionaler Unmittelbarkeit und Echtheit im Ausdruck sowie den Grad der emotionalen Symmetrie (z.B. Paarbeziehung vs. Eltern-Kind-Beziehung) bestimmt werden; emotionales Selbstvertrauen bzw. Vertrauen auf die eigenen Gefühle (vgl. Buckley/ Saarni 2006: 53). Allerdings ist der Kompetenzbegriff im Rahmen wissenschaftlich-deskriptiver Modellbildung einigermaßen problematisch, weil er einen normativen Anspruch impliziert. Deppermann liefert im Kontext seiner Überlegungen zum Begriff der Gesprächskompetenz folgende Definition des Begriffs: Festzuhalten scheint mir, dass ‚Kompetenz‘ auf jeden Fall eine Fähigkeit meint, die individuell zuzuschreiben ist, ein Potenzial bzw. Repertoire von Alternativen beinhaltet, generativ ist (eine unbestimmte Menge von Handlungen regelbasiert erzeugen kann), kognitiv verankert ist, normativ abgegrenzt ist (im Sinne der Unterscheidung von kompetenten und inkompetenten Handlungen) (Deppermann 2004: 17). Nun ist das in der vorliegenden Arbeit entwickelte gesprächsrhetorische Modell aber - ganz im Sinne des Postulats von Kallmeyer (1996) - kein normatives, sondern ein deskriptives Modell, das oratorische Handlungsoptionen beschreibt und diese im Hinblick auf jeweilige Chancen und Risiken diskutiert. Es ist ausdrücklich kein Modell, das festlegen will, worin emotionalrhetorisch „kompetente“ bzw. „inkompetente“ Handlungen bestehen. Das rhetorische Kompetenzkonzept verfällt nicht dem „nomothetischen Irrtum“, sondern setzt auf „Wahrscheinlichkeitskalküle“ in gegebenen Settings, in denen „Möglichkeitswissen“ abgerufen werden kann (Knape 2003: 885). Ganz anders dagegen die Ratgeberliteratur, die häufig insofern problematisch ist, als sie Empfehlungen generalisiert, ohne ausreichend nach unterschiedlichen kommunikativen Situationen und Absichten zu differenzieren - der Aspekt der Situations- und Zieladäquanz kompetenter Handlungen ist bei solchen Ratschlägen nicht gewährleistet. Was Wissenschaft auf diesem Gebiet leisten kann, sind Beschreibungen von Zusammenhängen und von damit verbunden Chancen und Risiken, in unserem Fall: Beschreibungen von Möglichkeiten, die einem strategischen Kommunikator zur Verfügung stehen und von Vor- und Nachteilen, welche V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 164 diese in einer bestimmten Situation und angesichts eines bestimmten Zielvorhabens mit sich bringen können. Es geht also nicht um die Festlegung von Normen, sondern um eine Normendiskussion, wie auch Deppermann herausstellt: Wie Max Weber bereits Anfang des letzten Jahrhunderts festgestellt hat, hat die Wissenschaft als Wissenschaft keine Werte oder Ideologien vorzugeben. Sie kann sich aber sehr wohl an der Normdiskussion beteiligen, indem sie zeigt, welche Handlungsweisen für welche Ziele mehr oder weniger tauglich sind, welche Sachverhalte für welche Ziele zu mobilisieren sind, welche eventuell unerwünschten Konsequenzen die Verfolgung und Erreichung dieser Ziele nach sich zieht und in welchen Abhängigkeiten und in welchem eventuell widersprüchlichen Verhältnis unterschiedliche Ziele zueinander stehen [...]. All diese Fragen stellen sich regelmäßig im Bereich der Kommunikationsbeurteilung, -beratung und -training. Empirisch begründete Antworten auf diese Fragen und realistische Erwartungen, was Gespräche leisten können und was nicht, bedürfen der detaillierten gesprächsanalytischen Untersuchung, und deshalb hat die Gesprächsforschung auch in dieser Hinsicht einen wesentlichen Beitrag zu leisten (Deppermann 2004: 26). Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein solcher Beitrag von Seiten der Rhetorikwissenschaft. Deswegen stellt sie den normativ konnotierten Begriff der rhetorischen Gesprächskompetenz zurück zugunsten eines für deskriptive Modellbildung anschlussfähigeren weil wertungsneutralen Begriffs der rhetorischen Gesprächssteuerung, welcher im Kern schlicht darauf referiert, dass ein Kommunikator im Gespräch eine oder mehrere Strategien einsetzt, um ein kommunikatives Ziel (Telos) zu erreichen. Eine rhetorische Strategie ist mit Knape/ Becker/ Böhme (2009: 153) „das auf einen komplexen kommunikativen Prozess bezogene Erfolgs- und Effektivitätskalkül des Orators, in dessen Mittelpunkt die Analyse der relevanten Ziel-Widerstand-Mittel-Relationen steht“. Ausgehend davon kann im Folgenden unter emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung die Implementierung und permanente Aktualisierung von auf die emotionale Ebene sozialer Beziehung abzielenden Erfolgs- und Effektivitätskalkülen in der mündlichen kommunikativen Interaktion verstanden werden (zur Gesprächsdefinition siehe Kap. II.4). Besonders hervorzuheben ist dabei die aufgrund der hohen Kontingenz des Gesprächsverlaufs gegebene Notwendigkeit permanenter Überprüfung des oratorischen Kalküls auf seine aktuelle Situations- und Zieladäquanz hin. Die von Knape/ Becker/ Guhr angeführten drei Aspekte der Kontrolle der eigenen Emotionen und ihres Ausdrucks, der Deutung von Adressaten-Emotionen und der emotionalen Stimulation des Adressaten können dabei durchaus als grundlegende Dimensionen emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung gelten. Die Kontrolle eigener Emotionen und die Deutung der 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung 165 Emotionen des Gegenübers sind dabei aber noch nicht Teil praktischer oratorischer Intervention. Als mentale Operationen gehören sie zur Ebene strategischer Planung, sind relevant für das Persuasionskalkül, welches während des Gesprächsvollzugs laufend aktualisiert werden muss. Die Dimension der Stimulation hingegen bezieht sich auf die Ebene kommunikativer Handlung. Sie besagt allgemein formuliert, dass der Gesprächsorator mit seinen Äußerungen beim Adressaten emotionale Reaktionen hervorruft, welche den Persuasionsprozess begünstigen sollen. Unser im Folgenden zu präsentierendes, anhand von emotionalen Interaktionssequenzen in Teilkorpus II entwickeltes Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung konzentriert sich angesichts dieser Unterscheidung in erster Linie auf die Dimension der Stimulation, d.h. die im Modell ausgewiesenen Handlungsoptionen verantworten sich im weitesten Sinne der Frage, wie der Orator dem Adressaten mittels kommunikativer Handlungen emotionale Anreize setzen kann: Anreize, den Orator sympathisch zu finden, Anreize, sich gemeinsam mit ihm zu begeistern, Anreize, den Prozess wachsenden Miteinander-vertraut-Werdens zuzulassen. Auf die Dimension der Kontrolle eigener Emotionen bzw. der Deutung von Emotionen des Adressaten wird im Modell nur dort eingegangen, wo es für die darin ausgewiesenen Handlungsoptionen relevant ist (zur Kontrolle siehe z.B. Kap. VI.1.2; zur Deutung siehe z.B. Kap. VII.3). Unser Modell basiert auf der Annahme, dass der Courtship-Orator durch die angemessene Umsetzung dreier emotionalrhetorischer Strategien (siehe Kap. V.2.1) eine spezifische Form persuasiver Evidenz generieren kann, welche die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Adressat in die Fortsetzung des Kontakts einwilligt. Es ist in erster Linie produktionstheoretisch konzipiert, d.h. es weist Handlungsoptionen für den Gesprächsorator aus, welche diesem für die Umsetzung von bestimmten emotionalrhetorischen Strategien zur Verfügung stehen. Die Handlungsoptionen werden in Kap. VI-VIII im Einzelnen beschrieben, durch Korpus-Beispiele und korpusstatistische Angaben illustriert sowie hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Chancen und Risiken diskutiert (Letzteres erfolgt zentral in den jeweiligen Fazit-Kapiteln). Das Modell lässt sich jedoch auch rezeptionstheoretisch wenden, d.h. im Rahmen emotionalrhetorischer Gesprächsanalysen einsetzen. Dies wird in Kap. IX in Form eines aus dem Modell abgeleiteten Fragenkatalogs sowie einer exemplarischen Gesprächsanalyse umgesetzt. 2.1 Drei emotionalrhetorische Strategien Die emotionalen Interaktionssequenzen im Tübinger Teilkorpus II lassen sich regelmäßig mit drei emotionalrhetorischen Strategien in Verbindung bringen: V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 166 1. Erzeugung von Sympathie 2. Erzeugung von Euphorie 3. Forcierung des Intimisierungsprozesses Alle drei Strategien operieren mit sprachlichen Mitteln für emotionale Kommunikation, wie sie durch die Beurteilungsstudie identifiziert wurden und für das Korpus typisch sind. In Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung können sie dazu beitragen, die Erreichung des kommunikativen Telos, d.h. die Einwilligung des Adressaten in eine Fortsetzung des Kontakts, wahrscheinlicher zu machen. Während zwei der Strategien auf einer lokalen Betrachtungsweise des Gesprächs beruhen - bei der Erzeugung von Sympathie bzw. von Euphorie wird die Ebene einzelner Gesprächssequenzen (Sequenz-Ebene) in den Blick genommen -, steht die dritte Strategie für eine globale Betrachtungsweise: die Forcierung des Intimisierungsprozesses bezieht sich auf den thematischen Verlauf der gesamten kommunikativen Interaktion (Ebene des Gesamtgesprächs). 207 An dieser Stelle folgen zunächst ein kurzer Überblick über die drei Strategien sowie Überlegungen zum einem entsprechenden Adressatenkalkül. Die einzelnen Strategien werden in Kap. VI-VIII ausführlich dargestellt. Im Rahmen der Strategie der Erzeugung von Sympathie zielt der Orator darauf ab, die Zuneigung des Adressaten für sich zu gewinnen bzw. - in unserer Terminologie ausgedrückt - vom Adressaten emotional positiv bewertet zu werden. Der Begriff der Sympathie wird in der vorliegenden Arbeit gemäß dem deutschen Wortgebrauch im Sinne von ,Zuneigung‘ verwendet und dabei in erster Linie als potentielles Resultat eines kommunikativen Abgleichs emotionaler Bewertungen zwischen Interaktionspartnern konzipiert - basierend auf der Annahme, dass sich zwei Personen sympathisch sind, wenn sie herausfinden, dass sie etwas emotional gleich bewerten. In ähnlichem Sinne hält Aristoteles im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu Lieben und Freundschaft fest: „Freunde sind ferner diejenigen, für die dasselbe gut und schlecht ist“ (Arist. Rhet. II,4,4; Übers. n. Krapinger). Das in dieser Hinsicht wichtigste Instrument für die Erzeugung von Sympathie stellt die Demonstration emotionaler Konvergenz dar. Der Orator demonstriert emotionale Konvergenz mit dem Adressaten, indem er gezielt aufzeigt, dass er Gegenstände emotional gleich bewertet wie der Adressat. 208 Ein weiteres Instrument, die Ästimation, erzeugt Sympathie auf dem Weg kommunikativer Vermittlung von Wertschätzung für den Adressaten. 207 Vgl. zum Aspekt der lokalen bzw. globalen Gesprächsbetrachtung die Unterscheidung von Sequenzmustern und Makroprozessen bei Deppermann (2008: 75ff.). 208 Vgl. zum Begriff der „emotionalen Konvergenz“ den Begriff der „affektiven Synchronisation“ bei Drescher (siehe Kap. II.3). 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung 167 Im Rahmen der zweiten Strategie, der Erzeugung von Euphorie, wirkt der Orator darauf hin, den Adressaten in Begeisterung zu versetzen. Der Begriff der Euphorie wird in der vorliegenden Arbeit im Sinne von ‚Begeisterung‘ als einer starken positiven emotionalen Erregung verwendet. Das Instrument zur Erzeugung von Euphorie ist die thematische Vertiefung von Gegenständen, die der Adressat emotional auffallend positiv bewertet. Dabei geht es in erster Linie darum, den Adressaten zum Schwärmen, d.h. zu überschwänglicher, pathetisch-amplifikativer Kommunikation emotionaler Bewertung anzureizen und nach Möglichkeit selbst in die Begeisterung des Adressaten mit einzustimmen. Im Rahmen der dritten Strategie, der Forcierung des Intimisierungsprozesses, nutzt der Orator Effekte emotionaler Konvergenz, um den Intimisierungsprozess, d.h. den Prozess wachsender Vertrautheit zwischen ihm und dem Adressaten verstärkt voranzutreiben (zu forcieren). Genauer gesagt geht es dabei um eine Herstellung von Vertrautheit auf thematischer Ebene: der Courtship-Orator wirkt darauf hin, die anfängliche Unvertrautheit mit dem Adressaten durch die gezielte Wahl von Gesprächsthemen sukzessive in ein möglichst hohes Maß an Vertrautheit (Intimität, Familiarität) zu überführen. Hierzu beginnt er mit eher unverbindlicheren Gesprächsthemen und wechselt dann schrittweise zu verbindlicheren Themen. Das emotionalrhetorische Instrument, um diesen Prozess zu forcieren, ist die Aktivierung der Schleusen-Funktion von Situationen emotionaler Konvergenz (SK). Hierbei werden Effekte emotionaler Konvergenz genutzt, um bei der Themenwahl relativ rasch höhere Intimitätsgrade („Intimitätsstufen“) zu erreichen. Die Erzeugung von Sympathie beim Adressaten stellt in unserem Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung die wichtigste Strategie dar, weil sich ohne eine gewisse Sympathie des Adressaten weder effektiv Euphorie erzeugen noch der Intimisierungsprozess forcieren lässt. Sowohl die Erzeugung von Euphorie als auch die Forcierung des Intimisierungsprozesses bauen auf Situationen emotionaler Konvergenz auf, indem sie diese erweitern (Euphorie) bzw. für die thematische Steuerung des Gesprächs instrumentalisieren (Intimisierung). Idealtypisch verfolgt der Orator alle drei Strategien parallel. In der kommunikativen Praxis sind jedoch auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen möglich. Dies hängt vor allem davon ab, gegen welche Strategien der Adressat welches Maß an Widerstand zeigt. Knape (vgl. 2000a: 58ff.) unterscheidet fünf Arten von kommunikativem Widerstand: kognitiven Widerstand, Sprachwiderstand, textuellen Widerstand, medialen Widerstand und situativen Widerstand. Zu ergänzen ist der affektive Widerstand in Form von Emotionen oder eher ungerichteten emotionalen Stimmungen („heiter sein“, „niedergeschlagen sein“) des Adressaten, V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 168 welche dem persuasiven Anliegen des Orators entgegenstehen. Er kann unter die Rubrik des kognitiven Widerstands subsumiert werden oder als sechste Kategorie gelten. Diese Art von Widerstand „kann sich grundsätzlich sowohl gegen rationale Argumentation als auch gegen emotionale Stimulation richten“ (Überall 2013: 166). Im Kontext der drei genannten emotionalrhetorischen Strategien besteht affektiver Widerstand in einer vom Adressaten entweder nur empfundenen oder auch kommunizierten emotionalen Divergenz, welche den von der jeweiligen Strategie intendierten Effekt behindert. 209 Das kognitive und affektive Widerstandspotenzial des Adressaten muss der Orator im Rahmen seines Adressatenkalküls einschätzen. In einem Erstkontaktgespräch besteht für ihn generell die Schwierigkeit, dass er kein Vorwissen über seinen Gesprächspartner besitzt. Er kann sein kommunikatives Anliegen jedoch nur dann erfolgreich kommunikativ zur Geltung bringen, wenn er ein gewisses Maß an Wissen über dessen kognitive, emotionale und charakterliche Dispositionen besitzt. Je zügiger es ihm gelingt, die diesbezügliche Ungewissheit im Lauf des Gesprächs zu reduzieren, desto höher sind seine Erfolgschancen. Dazu muss er entsprechende Hinweise, die er im Lauf des Gesprächs erhält, fortwährend registrieren, analysieren und strategisch für sich nutzen. Worin das spezifisch emotionalrhetorische Adressatenkalkül in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung besteht, lässt sich anhand der drei genannten Strategien beschreiben: Bei der Erzeugung von Sympathie muss der Orator in Erfahrung bringen, welche Gegenstände der Adressat emotional positiv bzw. negativ bewertet, bei der Erzeugung von Euphorie muss er herausfinden, was dazu geeignet ist, den Adressaten in Begeisterung zu versetzen und bei der Forcierung des Intimisierungsprozesses gilt es, sich ein Bild davon zu machen, wie zugänglich der Adressat für persönliche Themen ist bzw. in welchem Tempo der thematische Intimisierungsprozess vorangetrieben werden kann, ohne den Adressaten vor den Kopf zu stoßen. Was die ersten beiden Strategien betrifft, so wird das Informationsdefizit des Orators dabei vor allem dadurch gedeckt, dass der Adressat emotionale Bewertungen kommuniziert. Diese geben Aufschluss darüber, was der Adressat mit positiver Valenz belegt und was nicht bzw. was sein Herz höherschlagen lässt und was nicht. Das Kommunizieren emotionaler Bewertung steht in Erstkontaktgesprächen für kleine „Offenbarungsinseln“ im Rauschen des Gesprächsflusses, auf denen augenblicksweise Fragmente der emotionalen Disposition des Gesprächspartners erkennbar werden. Für ein angemessenes Adressatenkalkül 209 Dessen unbenommen kann der Adressat einer Anwendung der drei emotionalrhetorischen Strategien natürlich auch mit kognitivem Widerstand begegnen, etwa, indem er das emotionalrhetorische Agieren des Orators rational-sachlich hinterfragt. 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung 169 muss der Orator diese „Inseln“ systematisch erkunden und Beobachtungen fortlaufend in sein Ziel-Mittel-Kalkül integrieren. Grundsätzlich könnte der Orator natürlich abwarten, bis der Adressat von sich aus emotionale Bewertungen kommuniziert. Mit Blick auf die Persuasionsabsicht ist es jedoch zielführender, wenn er ihm entsprechende Anreize setzt (siehe Kap. VI.2.4). Was die dritte Strategie betrifft, so ergeben sich für den Orator entsprechende Anhaltspunkte aus der Art und Weise, wie der Adressat auf Intimisierungsversuche reagiert. Lässt sich dieser z.B. nur zögerlich auf Themen ein, die einer höheren Intimitätsstufe angehören, oder wechselt er schnell wieder zurück auf eine niedrigere Intimitätsstufe, dann muss der Orator bei der Forcierung des Intimisierungsprozesses vorsichtiger sein als bei einem Adressaten, der bereitwillig jeden Intimisierungsschritt mitgeht, oder den Prozess sogar voller Neugier selbst vorantreibt .210 Grundsätzlich besteht (wie in jedem strategischen Kommunikationssetting) auch die Möglichkeit extremer Zieldiskrepanz zwischen Orator und Adressat. Das negativste Szenario sieht so aus, dass sich der Adressat trotz Bereitschaft zur Gesprächsführung von vornherein dazu entschieden hat, ein eventuelles Angebot zur Fortsetzung des Kontakts in jedem Fall auszuschlagen. Unter diesen Umständen (Orator: Einwilligung in die Fortsetzung des Kontakts erzielen; Adressat: Einwilligung unter jeden Umständen verweigern) besteht für den Orator nur dann eine Chance, das Blatt für sich zu wenden, wenn er entsprechende Anzeichen in der Interaktionssituation spontan erkennt und sein strategisches Kalkül frühzeitig an die erschwerten Bedingungen anpasst. 211 Doch selbst bei einem nur leicht ablehnend eingestellten Adressaten sollte der Orator Anzeichen des Widerstands keinesfalls übergehen - dies dürfte den „Gegenwind“ eher verstärken -, sondern mit einem modifizierten Kalkül reagieren. 210 Brunell/ Pilkington/ Webster (2007) untersuchen die Assoziation von Intimisierung mit Risiko in Gesprächen zwischen Paaren. Demzufolge können insbesondere schlechte Beziehungserfahrungen die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung schwächen. Kashdan u.a. (2011) befassen sich mit der Bedeutung von Neugier für den Intimisierungsprozess in Erstkontaktgesprächen. Sie bemerken u.a., dass Situationen, die wenig Gelegenheit zu Selbstoffenbarung geben, von neugierigen Menschen als langweilig empfunden werden können (vgl. ebd.: 1070). 211 Zum hier zugrunde gelegten Begriff spontanen situativen rhetorischen Handelns siehe Knape (2013a). Dass es für den Orator wichtig ist, von vornherein gezielt darauf zu achten, ob der Adressat (als aktiver Gegenorator) entsprechend negative Absichten verfolgen könnte, verdeutlicht die Studie von Russell/ Schober (1999), derzufolge Interaktionspartner, die nicht über das Ziel ihres Gegenübers informiert sind, dazu neigen, Anzeichen für eine bestehende Zieldiskrepanz zu übersehen bzw. falsch zu deuten. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 170 Lassen sich etwa bei der Umsetzung einer bestimmten Strategie vermehrt Abwehrreaktionen beobachten, kann der Orator - zumindest vorübergehend - die entsprechenden Maßnahmen zurückfahren und stattdessen Maßnahmen im Rahmen einer anderen Strategie verstärken. Reagiert der Adressat bspw. zurückhaltend auf Intimisierungsversuche, kann der Orator verstärkt auf die Erzeugung von Euphorie setzen. Lässt sich der Adressat hingegen nur schwer euphorisieren, kann der Orator schwerpunktartig mit der Erzeugung von Sympathie und mit der Forcierung des Intimisierungsprozesses arbeiten. Maßnahmen zum Umgang mit extrem erhöhtem, u.U. sogar offensiv kommuniziertem Widerstand des Adressaten wären in einer gesonderten Arbeit zu eruieren. 212 Standard-Strategien, wie sie unser emotionalrhetorisches Modell ausweist, dürften unter solchen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit versagen - gefragt wäre dann eine erhöhte Kreativität des Orators. 213 2.2 Passungsevidenz Was den persuasionstechnischen „Gegenpol“ zu emotionalrhetorischer Intervention betrifft - rationale Argumentation -, liegt in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung ein Sonderfall vor. Denn üblicherweise findet in solchen Gesprächen keine explizite Argumentation für die Fortsetzung des Kontakts statt - mit einer Ausnahme, dem von Guhr (2008, 2009) untersuchten „Nutzargument“ für die Fortsetzung des Kontakts. Dieses beruht darauf, dass ein mit der Fortsetzung des Kontakts verbundener konkreter Nutzen für den Adressaten aufgezeigt wird, z.B. ein Kinobesuch, eine Einladung zum Kaffee o.ä (vgl. Guhr 2009: 296ff.). 214 In R1 hat das durch den Orator explizierte Nutzargument - es bezieht sich auf einen gemeinsamen Kinobesuch - fast schon parodistische Züge. Die Adressatin reagiert mit Lachen: 215 212 Zum Widerstand gegen Persuasion im Allgemeinen siehe den von Knowles/ Linn (Hgg. 2008). 213 Für Überlegungen zum kreativen Umgang mit Emotionen in der Rhetorik siehe Überall (2013); zu Kreativität und rhetorischer Theorie im Allgemeinen siehe Schmohl (2013). 214 „Einen beliebten Katalisator [sic! ] auf dem Weg zu einer Verabredung bietet das smalltalk-hafte Eruieren gemeinsamer Interessen und Vorlieben, das dazu führt, daß man sich ganz nebenbei und unverbindlich zu einer solchen Aktivität verabredet“ (Rauch 1992: 298). 215 Lachen ist ebenfalls zu den emotionalen Hörersignalen zu zählen. Als paraverbale Artikulation zählt es nicht zum Untersuchungsgegenstand unserer auf die segmentale Sprachkomponente ausgerichteten Arbeit. Da es aber in den Transkripten des Korpus notiert ist, kann es bei der Gesprächsanalyse hin und wieder zur Stützung gewisser 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung 171 (R1)10,290-------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja, erstens, ich will den Film gern sehn und zweitens für dich ist es fast --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M schon noch ne studienbegleitende Maßnahme in Englisch F ja %lacht In der Partnerwerbung stellt das Nutzargument ein konventionelles Mittel zur gesichtswahrenden Kaschierung der tatsächlichen Absicht des Courtship-Orators, nämlich der Paarbildung mit dem Adressaten (vgl. Kap. V.1), dar. 216 Guhr charakterisiert diesen Argumentationstyp folgendermaßen: Nutzargumentation ist Maske, um Sympathie oder Antipathie zu verkleiden. Sie ist eine Strategie der Indirektheit, in der weder Orator noch Adressat sich persönlich über ihre Gefühle für ihre Handlungen rechtfertigen müssen, weil sie dies unpersönlich über den Topos „Ich handle nur so, dass es nützlicher als schädlicher ist.“ tun. Eine gute Argumentation macht es dem Adressaten im positiven Fall leichter, das Angebot des Orators anzunehmen, im negativen Fall schwieriger, unter Wahrung der Höflichkeit abzulehnen, und nur aus diesem Grund hilft sie dem Orator. Da aber der Adressat durchaus auch zu weniger höflichen Formen greifen kann, garantiert die Argumentation in keinem Fall für den Erfolg. Die Sprecher lassen die Masken fallen, das Gespräch wird persönlich - bis hin zu Beschimpfungen. Das Nutzargument wird dann nicht mehr gebraucht, da sich das Gespräch nicht mehr auf der Ebene der Indirektheit bewegt (Guhr 2009: 305). Zwar bietet das Nutzargument dem Orator Schutz vor emotionaler Verletzung in Form von Zurückweisung, allerdings riskiert er mit solchen vorgeschobenen Begründungen, an mangelnder echter Überzeugung des Adressaten abzuprallen, ja womöglich sogar Überdruss (lat. taedium) angesichts Interpretationen herangezogen werden. - Zum Hervorrufen von Hörerlachen im Rahmen interaktiver Spaßkonstitution siehe Müller (1983). Zum Emotionspotenzial von Lachen als Form der Metakommunikation siehe Sucharowski (2012). 216 „Als Begründung, warum der Orator eine Fortsetzung des Kontaktes wünscht, wird im Großteil der aufgezeichneten Gespräche nicht die [...] Zuneigung des Orators zum Adressaten angegeben, sondern es werden unpersönliche Gründe gefunden, warum ein Treffen für den Orator, den Adressaten oder beide Gesprächsteilnehmer nützlich sei. Der Orator verstößt damit gegen die Maximen der Qualität (denn er ist nicht aufrichtig) und die Maxime der Relevanz (denn die von ihm vorgebrachten Gründe sind nicht die eigentlich ausschlaggebenden). Da der Adressat über ein gutes Wissen über die kommunikativen Bedingungen von Erstkontaktgesprächen verfügt, kann er erkennen, dass die ihm vorgebrachten Gründe nicht mit den eigentlichen Zielen des Orators übereinstimmen, und somit Vermutungen über das eigentliche Ziel anstellen. Er überprüft, ob diese Ziele mit seinen eigenen konform sind und äußert dann wieder auf der Ebene der unpersönlichen Gründe Zustimmung oder Ablehnung. So bleibt das Gesicht beider Gesprächspartner gewahrt“ (Guhr 2009: 299f.). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 172 der hohen Konventionalität des Arguments hervorzurufen. 217 Auch kann bei einem Adressaten, der mit den Konventionen von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung weniger vertraut ist, Irritation hinsichtlich der wahren Absicht des Orators hervorgerufen werden - Unsicherheit und Misstrauen bieten jedoch keine gute Basis für erfolgreiche Persuasion. Paradoxerweise kann das Nutzargument im Sinne eines eher schwachen, weil erkennbar vorgeschobenen Arguments die Persuasionswahrscheinlichkeit aber auch erhöhen. Erkenntnisse der Persuasionsforschung deuten darauf hin, dass eine geringe Anzahl schwacher Argumente Widerstand gegen Persuasion effektiver reduzieren kann als eine große Anzahl starker Argumente (vgl. Fuegen/ Brehm 2008). Sogar eine stark verfestigte Einstellung kann sich angesichts schwacher Befürwortung einer dieser Einstellung entgegengesetzten Position bedeutend verändern (vgl. ebd.). Aus diesem Blickwinkel besteht der Vorteil des Nutzarguments darin, dass es mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit kognitiver Reaktanz einhergeht als der Versuch, den Adressaten mit einer Argumentation zu überzeugen, welche die wahren Absichten des Orators enthüllt und etwa so lauten könnte: Wir sehen die Dinge auffallend ähnlich, deswegen sollten wir als Paar zusammenkommen. / Wir finden uns offensichtlich gegenseitig sehr attraktiv, deswegen sollten wir eine Affäre beginnen. Solche aufgrund ihrer Direktheit zumindest in Erstkontaktgesprächen nicht praktikablen Argumente könnten selbst im Fall, dass der Adressat sie untergründig als stichhaltig empfindet, Abwehrreaktionen hervorrufen: „Telling people to choose Alternative A threatens their freedom to choose Alternative B, and the best way to reestablish this freedom is to actually choose Alternative B“ (Sherman/ Crawford/ McConnell 2008: 151). Das aufgrund seines offenkundigen Scheincharakters eher schwache Nutzargument erzeugt demgegenüber weniger Druck auf den Adressaten, den vom Orator intendierten persuasiven Wechsel von A nach B zu vollziehen. Unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren scheint das persuasive Potenzial von Nutzargumentation im Erstkontaktgespräch zum Zweck der Partnerwerbung jedoch eher begrenzt - allzu leicht wird es dem Adressaten auf diese Weise gemacht, das Angebot zur Fortsetzung des Kontakts auf eine für den Orator (und damit zugleich für sich selbst) gesichtswahrende Art und Weise auszuschlagen (Ich gehe nicht so gern ins Kino; Ich mag keinen Kaffee; Ich habe keine Zeit). Umso mehr ist angesichts dessen zu fragen, ob der Orator dem Adressaten nicht auch einen wirklich (substanziell) „guten Grund“ (Guhr 2009) für die Fortsetzung des Kontakts liefern könnte. Einen Grund, dem sich der Adressat - im Unterschied zum Nutzargument - kaum entziehen kann, und der - 217 Zum Begriff taedium siehe Quint. Inst. or. IV,1,49. 2 Ein Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung 173 im Unterschied zu einer die wahren Absichten des Orators enthüllenden Argumentation - nicht gegen den Courtship-Modus der Indirektheit bzw. das ungeschriebene Gesetz verstößt, Partnerwerbung während des Erstkontakts nicht als solche zu deklarieren. Tatsächlich kann der Orator durch emotionalrhetorische Intervention einen substanziell guten Grund liefern: Setzt er die drei genannten Strategien erfolgreich um, generiert er eine spezifische Form persuasiver Evidenz 218 , welche im Folgenden als stillschweigende Passungsevidenz bezeichnet wird und vom Adressaten bei seiner Entscheidung bzgl. der Fortsetzung des Kontakts nur schwerlich ignoriert werden kann. Müsste diese Art „sinnfälliger Belegkraft“ expliziert werden - was im Gespräch natürlich strikt zu unterbleiben hat, weil ihr spezifisches Wirkungspotenzial ja gerade auf Unausgesprochenem beruht -, dann könnte sie etwa so formuliert werden: ‚Wir sind uns sympathisch‘ - ,Wir können uns gemeinsam begeistern‘ - ‚Wir sind uns bereits relativ vertraut‘. Jeder der drei Aspekte repräsentiert gewissermaßen das Fazit aus einer erfolgreichen Umsetzung der entsprechenden emotionalrhetorischen Strategie, wobei jedes Fazit als deutlicher Hinweis auf eine emotio nale Passung zwischen den Gesprächspartnern und damit auf einen wirklich guten Grund für Fortsetzung des Kontakts zu verstehen ist. Je nachdem, ob es dem Orator gelingt, das gesamte Strategienbündel oder auch nur ein bis zwei Strategien erfolgreich anzuwenden, steht die emotionalrhetorisch generierte Passungsevidenz am Ende des Gesprächs „vollständig“ oder auch nur in Teilen im Raum. Ihre stillschweigende Präsenz konstituiert dabei eine besondere Form von „zwanglosem Zwang“ - nicht den des „besseren Arguments“ im Sinne von Habermas,219 sondern den einer gewissermaßen direkt ins Auge, oder besser: „ins Herz“ springenden Antwortbotschaft auf die Frage nach dem Ergebnis der - vom Orator freilich nur pro forma durchgeführten - Passungsexploration. Die Abbildung illustriert den persuasionstheoretischen Kern unseres Modells, nämlich die Generierung von stillschweigender Passungsevidenz mittels Erzeugung von Sympathie, Erzeugung von Euphorie und Forcierung des Intimisierungsprozesses (jeweilige Instrumente in Kursivdruck): 218 Zum rhetorischen Stilmittel der evidentia siehe Kapitel VI.2.4.1.1.3. 219 Vgl. Habermas (1984: 144); siehe dazu kritisch Knape (1998). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 174 Abb. 8: Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung: Generierung von stillschweigender Passungsevidenz durch Umsetzung dreier emotionalrhetorischer Strategien Die Umsetzung einer emotionalrhetorischen Strategie ist im Sinne der Kategorien des „Elaboration Likelihood Models of Persuasion“ (ELM) von Petty/ Cacioppo (1986) nicht als Einflussnahme über den Zentralweg von Persuasion (rationale Argumentation) zu konzipieren, sondern als Einflussnahme über den Peripherweg (emotionale Hinweisreize u.ä.): 220 Der Orator setzt dem Adressaten mittels emotionaler Kommunikation bestimmte Anreize, damit dieser in die Fortsetzung des Kontakts einwilligt. Dabei argumentiert er nicht explizit, etwa unter Artikulation einer Schlussregel wie bspw. Da ich dir sympathisch bin, wir uns gemeinsam begeistern können und auch schon relativ vertraut miteinander sind, lohnt es sich, den Kontakt fortzusetzen, sondern er lässt entsprechende Hinweisreize - emotionale Übereinstimmung, euphorische Momente, Intimisierungsschritte - „für sich sprechen“. Im Gegensatz zu expliziter rationaler Argumentation wie z.B. dem Nutzargument können solche Hinweisreize den Entscheidungsprozess des Adressaten beeinflussen, ohne dass dieser sich gedanklich intensiv mit ihnen auseinandersetzen muss (niedriger Elaborationsgrad). Es genügt, wenn der Adressat am Ende des Gesprächs den Eindruck hat, dass zwischen dem Orator und ihm eine Passung gegeben ist - rational begründen können muss er diesen Eindruck nicht unbedingt. 220 Für eine Diskussion des ELM siehe Petty/ Wegener (1999). Zu Rolle von Affekten aus Sicht der Persuasionforschung siehe z.B. auch Jorgensen (1998); Petty/ Fabrigar/ Wegener (2003). 3 Anschluss an Aristoteles 175 Grundsätzlich besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass die Passungsevidenz im Sinne eines stillschweigenden Gesprächsfazits vom Adressaten kognitiv elaboriert („gedanklich geprüft“) wird. 221 Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt, wenn der Adressat sich von den Konsequenzen seiner Entscheidung unmittelbar betroffen fühlt (was im Fall der Entscheidung für oder gegen eine Fortsetzung des Kontakts gegeben sein dürfte) oder auch, wenn der Adressat grundsätzlich ein erhöhtes Bedürfnis nach gedanklicher Auseinandersetzung mit Information (need for cognition) hat. 222 Aufgrund dessen kann der Courtship-Orator mit der Generierung von Passungsevidenz in persuasiver Hinsicht gerade auch dann punkten, wenn er es mit einem eher misstrauischen Adressaten zu tun hat. Denn die Befürchtung, ein Opfer von Manipulation zu werden, kann bei einem solchen Interaktionspartner nicht nur dazu führen, dass er das Gesprächsverhalten des Orators mit erhöhter Vigilanz beobachtet, sondern auch dazu, dass er die für seine Entscheidung bzgl. der Fortsetzung des Kontakts relevanten Informationen stärker kognitiv elaboriert. Konnte der Orator jedoch erfolgreich Passungsevidenz generieren, braucht er die Möglichkeit, dass sich der Adressat gedanklich kritisch mit ihr auseinandersetzt, nicht zu fürchten - im Gegenteil: Es ist wahrscheinlich, dass erfolgreich generierte Passungsevidenz im Sinne eines substanziell guten Grundes für die Fortsetzung des Kontakts einer intensiven kognitiven Elaboration eher „standhalten“ kann als das in persuasiver Hinsicht eher fadenscheinige Nutzargument. Da starke kognitive Elaboration tendenziell zu nachhaltigerem Persuasionserfolg führt als schwache (vgl. ebd.: 173ff.), wäre eine kritische gedankliche Auseinandersetzung des Adressaten mit der generierten Passungsevidenz für den Orator sogar von Vorteil. 3 Anschluss an Aristoteles Aristoteles definiert die Rhetorik als Fähigkeit, „das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen“ (Arist. Rhet. I,2,1; Übers. n. Krapinger). Er unterscheidet dabei drei Überzeugungsmittel: Sachkenntnis (z.B. durch rationale Argumentation), Integrität (als Grundlage der Glaubwürdigkeit des Redners) und Empathie (via emotionale Stimulation des Adressaten). Wie lässt sich unser Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung mit der aristotelischen Konzeption des emotionalen Überzeugungsmittels, der Erregung von 221 Ob der Adressat die Passungsevidenz dabei auf unterschiedliche Aspekte hin analysiert oder ob er lediglich ihre Quintessenz hochbeschleunigten Kognitionsprozessen unterzieht, bleibt dabei offen. 222 Zur Rolle der motivationalen Komponente bei der Elaboration von entscheidungsrelevanter Information siehe Petty/ Cacioppo (1986: 81ff.); zum Begriff des need for cognition siehe ebd.: 48. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 176 Emotionen beim Adressaten, vereinbaren? Ist das überhaupt möglich? Um dies zu beantworten, muss zunächst das emotionale Überzeugungsmittel bei Aristoteles näher betrachtet werden. Bekanntlich scheint hinsichtlich der Frage, ob Emotionserregung in den Augen des Aristoteles eine kunstgemäße und legitime Methode der Rhetorik darstellt, ein Bruch zwischen Kapitel 1 des ersten Buches der Rhetorik und dem Rest der Schrift zu bestehen: In I,1 kritisiert Aristoteles die zeitgenössischen Rhetoriktheoretiker hinsichtlich ihrer Konzentration auf Emotionserregung, welche nicht zur Sache gehöre: Diejenigen, die zur Zeit Redetheorien aufstellen, haben nur einen kleinen Teil von ihr mühevoll erarbeitet; denn nur die Überzeugungsmittel sind Bestandteil einer Theorie, alles andere ist Beiwerk; über die Enthymeme, die die Grundlage der Beweisführung darstellen, sagen sie nichts aus, sondern sie beschäftigen sich in den meisten Fällen mit Nebensächlichkeiten. Verleumdung, Mitleid, Zorn und dergleichen Seelenzustände fallen ja nicht in unser Thema, sondern sollen nur den Richter beeinflussen. [..] Den Richter soll man nämlich nicht verwirren, indem man ihn zu Zorn, Neid oder Mitleid reizt (Arist. Rhet. I,1,3; Übers. n. Krapinger). In I,2 hingegen führt Aristoteles die Emotionserregung als eines von drei kunstgemäßen Überzeugungsmitteln ein - in Abgrenzung zu kunstfremden Überzeugungsmitteln wie z.B. Zeugenaussagen, Schriftsätzen u.ä.: Von den durch die Rede (lógos) geschaffenen Überzeugungsmitteln gibt es drei Arten: Sie sind zum einen im Charakter (êthos) des Redners angelegt, zum anderen in der Absicht, den Zuhörer in eine bestimmte Gefühlslage (páthos) zu versetzen, zuletzt in der Rede selbst, indem man etwas nachweist oder zumindest den Anschein erweckt, etwas nachzuweisen (Arist. Rhet. I,2,3; Übers. n. Krapinger). Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, dass Aristoteles im zweiten Buch ausführlich auf Emotionen eingeht. Dabei definiert er Emotion bzw. Affekt (gr. páthos, ‚das, was einem widerfährt‘, ,was man erleidet‘, siehe Rapp 2002: 543ff.) wie folgt: 223 Unter „Affekte“ verstehen wir das, durch dessen Wechselspiel sich die Menschen in ihren Urteilen unterscheiden und dem Kummer und Vergnügen folgen, z.B. Zorn, Mitleid, Furcht und so weiter, sowie das Gegenteil davon (Arist. Rhet. II,1,8; Übers. n. Krapinger). Auffällig an dieser Bestimmung ist, dass Emotionen Urteile beeinflussen können - hierauf wird weiter unten zurückzukommen sein. Angesichts des scheinbaren Bruchs in der aristotelischen Behandlung der Emotionserregung wird in der Forschung teilweise die Ansicht vertreten, 223 Zur (häufig synonymen) Verwendung der Begriffe Emotion und Affekt in der sprachwissenschaftlichen Literatur siehe Kap. III.3.1. 3 Anschluss an Aristoteles 177 dem ersten Buch liege eine ganz andere, strengere Rhetorik-Auffassung zugrunde als dem zweiten bzw. hier seien zwei zu unterschiedlichen Zeitpunkten entstandene Fragmente ohne Berücksichtigung inhaltlicher Widersprüche zusammengesetzt worden. Dieser Ansicht hält Rapp (2002: 107ff.) einen alternativen Erklärungsansatz entgegen (vgl. dazu auch Dow 2007). Er argumentiert erstens, dass Aristoteles den Begriff der písteis („denn nur die Überzeugungsmittel sind Bestandteil einer Theorie“) in I,1 im Sinne der Fachterminologie der von ihm kritisierten Vorgänger verwendet (‚sachbezogenes Argument‘), ihn in I,2 hingegen erstmals in der von ihm selbst geprägten Bedeutung der drei kunstgemäßen Überzeugungsmittel („durch den Hörer“ - „durch den Redner“ - „durch das Argument selbst“) gebraucht. Das erklärt freilich noch nicht, weshalb Aristoteles die Emotionserregung zuerst verurteilt, sie anschließend aber ohne jeglichen Rechtfertigungsversuch in seine eigene Überzeugungsmethodik integriert. Rapp argumentiert zweitens, dass Aristoteles nicht die Erregung von Emotion schlechthin ablehne, sondern lediglich die ausschließliche Konzentration auf diesen Aspekt bzw. die Vernachlässigung der rationalen Beweisgründe. Demnach stellt die Emotionserregung, wie Aristoteles sie im Rahmen seiner eigenen Theorie konzipiert, eines von mehreren Überzeugungsmitteln dar - das Enthymem bspw. findet daneben ausreichende Beachtung. Daraus, so Rapp, dürfe jedoch nicht gefolgert werden, dass Aristoteles nur den isolierten Einsatz von Emotionserregung ablehne, ihn hingegen in Kombination mit anderen Überzeugungsmitteln als legitim betrachte. 224 Vielmehr sei die ausschließliche Konzentration auf Emotion nach Aristoteles nur dann problematisch, wenn sie sich auf außerhalb der Sache Liegendes konzentriere (vgl. ebd.: 109). Rapp legt nahe, dass Aristoteles seine eigene Methode der Emotionserregung als nicht „außerhalb der Sache liegend“ betrachtet. Sie sei von ihm als Teil der Gedankenführung (Dianoia) konzipiert, d.h als Teil einer inhaltsbezogenen Weise der Überzeugung, auf die sich die ersten beiden Bücher im Unterschied zum dritten Buch, das der sprachlichen Form (léxis) und der Disposition der Redeteile gewidmet ist, beziehen. Für die von Aristoteles konzipierte Methode der Emotionserregung heiße das, dass sich „der Aristotelische Redner darauf verstehen [müsste], die Emotionen aus objektiv beschreibbaren Merkmalen eines vorliegenden Falles heraus zu entwickeln“ (ebd.: 112). 225 Dies 224 Vgl. dazu die Auslegung von Hawkinson (1999: 491): „[...] according to Aristotle, it is ethical to use emotional appeals if logos and ethos are used and if the appeals are made to the audience’s mean“. Emotionale Appelle wären demnach nur dann ethisch vertretbar, wenn sie durch angemessenen Einsatz von Logos und Ethos gestützt würden. 225 In eine ähnliche Richtung geht die von Plantin (2011) vertretene Theorie einer argumentativen Konstruktion von Emotion. Er nimmt in diesem Zusammenhang an, dass Vernunft (raison) und Emotion im argumentativen Diskurs untrennbar verbunden seien. V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 178 bedeute nicht, dass diese kunstgemäße Methode nicht auch dazu gebraucht werden könne, von der Sache abzulenken. Es bedeute schlicht, dass Emotionen in einen transparenten Zusammenhang mit Urteilen gestellt würden, wobei sich Urteile in einem emotionalen Zusammenhang prinzipiell genauso auf den behandelten Gegenstand (die Sache) beziehen könnten wie die argumentativen Überzeugungsmittel (vgl. ebd.). Emotionen interessieren Aristoteles unter dem Gesichtspunkt ihres Einflusses auf Entscheidungen bzw. Urteile, auf welche die Rhetorik abzielt (vgl. Arist. Rhet. II,1,2). Dies wird schon im ersten Buch deutlich: Mittels der Zuhörer überzeugt man, wenn sie durch die Rede zu Emotionen verlockt werden. Denn ganz unterschiedlich treffen wir Entscheidungen, je nachdem, ob wir traurig oder fröhlich sind, ob wir lieben oder hassen (Arist. Rhet. I,2,5; Übers. n. Krapinger). Starke, auf ein Objekt gerichtete Emotionen wie Liebe und Hass kommen für die Urteilsbeeinflussung offenbar ebenso in Frage wie eher ungerichtete emotionale Stimmungen („traurig sein“, „fröhlich sein“). Auch bei seiner oben zitierten Emotionsdefinition richtet Aristoteles das Augenmerk zentral auf die urteilssteuernde Funktion der Emotionen bzw. auf die Dimension der Valenz (negativ vs. positiv bzw. Kummer vs. Vergnügen), was durchaus an das Konzept emotionaler Bewertung erinnert. 226 Tatsächlich ist die Frage, ob der aristotelischen Rhetorik eine kognitivistische Emotionstheorie zugrunde liegt, in der Forschung diskutiert worden (vgl. Rapp 2002: 559ff.). Immerhin teilt Aristoteles eine wichtige Annahme der modernen Vertreter kognitiver Emotionstheorien, nämlich die, dass Emotionen propositionale Einstellungen sind, die sich durch „repräsentierte Gehalte und nicht durch irgendeine Gefühlsqualität“ voneinander unterscheiden (vgl. ebd.: 563). Rapp ist der Ansicht, dass Emotionen für Aristoteles wesentlich auf dem Charakter beruhen, welcher sich durch „Streben“ (im Sinne eines unreflektiert-intuitives Tendieren zu einer Sache) ausdrücke (vgl. ebd.: 568). So bestehe der Unterschied zwischen emotionalen und rationalen Urteilen bzw. Bewertungen für Aristoteles darin, dass bei ihnen die Logik des Übergangs von einem allgemeinen Urteil zum besonderen Fall 226 Vgl. dazu Rapp (2002: 580) über die Emotionen in der Rhetorik des Aristoteles: „In den früheren Abschnitten hatte sich gezeigt, dass die für Emotionen wesentliche Form der Bewertung durch den arationalen Seelenteil in einer Lustbzw. Unlustempfindung besteht, mit der ein Sachverhalt oder ein Merkmal gleichsam Zustimmung oder Ablehnung erfährt, indem es als zu meidend oder zu erstrebend eingestuft wird. Aristoteles bringt nun oft (im so genannten ‚praktischen Syllogismus‘) zum Ausdruck, dass das, was die strebende Einstellung zu einem Objekt veranlasst, sich so verhält, wie das Urteil ‚φ erscheint als gut...‘ oder ‚φ erscheint als schlecht‘.“ 3 Anschluss an Aristoteles 179 nicht geprüft werde (vgl. ebd.: 580). 227 Daher sei die der Rhetorik zugrundeliegende Emotionstheorie am ehesten mit denjenigen modernen Theorien vergleichbar, die Emotionen zwar als propositionale Einstellungen, nicht aber ausschließlich aufgrund von Urteilen erklären wollen, sondern erstens die physiologischen Voraussetzungen angemessen (nämlich nicht nur als Epiphänomen) berücksichtigen und zweitens den Unterschied zwischen einer emotionslosen Bewertung und einer (ebenfalls bewertenden) Emotion hinreichend deutlich machen können, etwa indem sie die in Emotionen involvierten Wertungen als Ausdruck des Strebens behandeln (ebd.: 568). Kognitiv akzentuierte multikomponentielle Emotionsmodelle wie das Komponenten-Prozess-Modell von Scherer (siehe Kap. II.1) erfüllen diese Anforderung. Scherers Modell berücksichtigt nicht nur die physiologische Komponente, sondern sorgt insbesondere in Form der subjektiven Gefühlskomponente und der dem Aspekt des „Strebens“ Rechnung tragenden, Handlungstendenzen generierenden motivationalen Komponente für eine Konturierung des Spezifikums emotionaler Bewertung gegenüber dem, was man als „rationale“, auf intensiver kognitiver Elaboration von Informationen basierende Urteilsfindung bezeichnen könnte. Um dem Redner Wissen darüber zu vermitteln, wie er „zur Sache gehörende“ emotionale Bewertungen hervorrufen kann, setzt sich Aristoteles im zweiten Buch der „Rhetorik“ mit verschiedenen Emotionen wie z.B. Zorn und Sanftmut, Liebe und Hass auseinander, wobei er jeweils auf drei Aspekte eingeht (aristotelische „Affekt-Trias“): 1. auf die Gemütsverfassung des Emotionsträgers, 2. auf Personen, denen die Emotion gilt, 3. auf Auslöser der Emotion (vgl. Arist. Rhet. II,1,9; siehe auch Knape 2000b: 44-48). Der Rückgriff auf Wissen bzgl. dieser Aspekte unterscheidet die aristotelische Methode der Emotionserregung von der in I,1 kritisierten konventionellen Methode, welche Emotionen mit Hilfe von Floskeln oder Performanzaspekten zu triggern versucht, anstatt sie auf substanzielle Art und Weise, nämlich durch intersubjektiv nachvollziehbares Bezugnehmen auf Emotionsauslöser, zu evozieren. Wird eine Emotion nur mittels Floskeln, Stimme oder Gestik evoziert, besteht keinerlei Sachbezug und der Zuhörer kann eine Emotion empfinden, ohne zu wissen warum (vgl. Rapp 2002: 556). Ein der Sache angemessenes Urteil wird so eher verhindert als befördert, ja es bleibt zu fragen, ob hier überhaupt „geurteilt“ wird (vgl. Arist. Rhet. I,1,10; Rapp 2002: 576). 227 „Das arationale Strebevermögen geht nun von der Einschätzung ‚φ erscheint als gut...‘ direkt dazu über, einen Gegenstand, der φ aufweist, zu erstreben, als sei der Gegenstand gut, allein weil er φ aufweist. In der wohlerwogenen Evaluation dagegen, also in der Evaluation durch den rationalen, zum Vergleich und zur Hierarchisierung befähigten Seelenteil, ist ein solcher direkter Übergang gerade nicht möglich“ (Rapp 2002: 580). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 180 Die aristotelische Methode der Emotionserregung zielt in einem allgemeinen Sinne darauf ab, Urteile zu modifizieren (vgl. Rapp 2002: 578). Der Einfluss der Emotionen auf die Urteilsbildung besteht dabei genauer gesagt darin, dass sie den Urteilenden vorbereiten, entscheidungsrelevante Faktoren vertreten, ersetzen oder betonen, entgegengesetzte Emotionen und die ihnen entsprechenden Urteile verhindern oder auch in zweifelhaften Fällen den Ausschlag geben (vgl. ebd.: 577ff.). Dabei muss es […] nicht in jedem Fall darum gehen, den Richtern durch die Emotionen ein F für ein nicht-F vorzumachen; vielmehr unterstützt der passende emotionale Zustand die argumentativ-beweisende Überzeugungsbemühung in jedem Fall, indem sie das Urteil schneller und zuverlässiger zustande bringt (ebd.: 578). In diesem Sinne können „Emotionen […] die rhetorische Bemühung wie ein zusätzliches Argument unterstützen und differenzieren“ (ebd.: 579). Damit wird das Überzeugungsmittel, das zunächst dem Ziel einer in der Sache begründeten Überzeugung entgegensteht, [...] so umgestaltet, dass es nicht nur den ursprünglich bestehenden Bedenken entzogen wird, sondern sogar in den Dienst der sachbezogenen Überzeugung gestellt werden kann (ebd.: 113). Nachdem geklärt ist, wie das emotionale Überzeugungsmittel nach Aristoteles zu konzipieren ist, nämlich als eine objektiv fundierte Technik, die dem Sachargument zum Durchbruch verhelfen soll, kann nun die Frage beantwortet werden, inwiefern sich unser Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung mit diesem Modell vereinbaren lässt. Zunächst ist festzustellen, dass sich unser Modell im Unterschied zur monologisch konzipierten Emotionserregung bei Aristoteles auf einen interaktiv konstituierten Kommunikationsprozess bezieht, d.h. emotionale Kommunikation erfolgt hier potentiell bilateral. Das bedeutet zum einen, dass der Orator seinerseits mit emotionalrhetorischer Intervention eines aktiven Gegenorators rechnen muss (siehe etwa Kap. VI.2.5.3) und zum anderen, dass der Orator vom Adressaten verbale Rückmeldungen auf seine emotionalrhetorische Intervention hin erhält und sein strategisches Kalkül entsprechend justieren muss. Wenngleich die Anpassung des oratorischen Kalküls aufgrund von Rückmeldungen des Adressaten einigen mentalen Aufwand bedeutet, welcher für den unerfahrenen Orator mit dem Risiko einhergeht, dass er das parallel weiterlaufende Gesprächsgeschehen vorübergehend nicht ausreichend kontrollieren kann, bergen die Rückmeldungen auch einen Vorteil gegenüber der monologischen Rede: Bei Letzterer muss der Redner ganz auf sein Vorwissen setzen; in emotionaler Hinsicht kann er höchstens der Mimik 3 Anschluss an Aristoteles 181 und Gestik der Zuhörer entnehmen, ob diese in gewünschter Weise auf seinen affektiven Stimulus reagieren. Dabei besteht ein erhöhtes Risiko für Fehldeutungen (was bedeutet bspw. ein Zucken um den Mund? ), auch können reglose Gesichter die Identifikation emotionaler Reaktionen unmöglich machen (in aufgeheizten Situationen sind bei monologischen Reden freilich auch Zwischenrufe möglich). Im Gespräch hingegen kann der Orator anhand der regelmäßig erfolgenden verbalen Rückmeldungen des Adressaten deutlich besser erkennen, wie dieser auf emotionale Stimuli reagiert. Wie wichtig das in Gesprächen gegebene Rückmeldeverhalten des Adressaten bei völliger Ungewissheit bzgl. dessen emotionaler Dispositionen ist, lässt sich verdeutlichen anhand des hypothetischen Konstrukts eines Courtship-Erstkontakts, bei dem der Orator eine monologische Rede an einen ihm bis dato unbekannten, schweigenden, kaum Mimik und Gestik zeigenden Adressaten richtet, welchen er auf emotionaler Ebene von einer zwischen ihnen gegebenen Passung überzeugen will: Ohne Hinweise darauf, wie der Adressat bestimmte Dinge emotional bewertet, kann der Orator keine emotionale Konvergenz demonstrieren und damit auf diesem Weg auch keine Sympathie erzeugen. Euphorie kann der Orator ohne Wissen über persönliche Vorlieben des Adressaten ebenfalls nicht zielgerichtet erzeugen, und ohne die Gewissheit, dass bzgl. eines bestimmten Gegenstands emotionale Konvergenz vorliegt, kann er den Konvergenzeffekt auch nicht instrumentalisieren, um den Intimisierungsprozess zu forcieren. Im Gespräch hingegen kann der Orator anhand der verbalen Rückmeldungen des Adressaten Stück für Stück entsprechendes Wissen erwerben, sich auf dieser Basis vorsichtig voran tasten und sein emotionalrhetorisches Adressatenkalkül durch Einbezug der erhaltenen Informationen zunehmend ausdifferenzieren. Am aristotelischen Grundgedanken der emotionalen Stimulation eines Adressaten durch einen strategischen Kommunikator ändern Unterschiede zwischen Gespräch und Monolog allerdings nichts. In beiden Fällen wirkt ein Orator mittels emotionaler Kommunikation auf einen Adressaten ein - im Fall des Monologs ohne, im Fall des Gesprächs mit verbalem Rückmeldeverhalten des Adressaten. Nun liegt das Charakteristikum des emotionalen Überzeugungsmittels bei Aristoteles aber nicht darin, dass der Adressat bei der emotionalen Beeinflussung sich als passiver Zuhörer verhält, sondern darin, dass er mit Hilfe von „zur Sache gehörenden“ Emotionen überzeugt werden soll. Anders gesagt: Die emotionale Einflussnahme des Orators soll nicht von seinem persuasiven Anliegen ablenken, sondern mitten hinein zielen. Das Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung ist mit der aristotelischen Konzeption des emotionalen Überzeugungsmittels vereinbar, weil die Emotionen des Adressaten, welche der Orator in letzter Instanz hervorrufen will, hier in einem V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 182 sachlichen Bezug zu jener Urteilsbildung stehen, welche für den intendierten persuasiven Umschwung (Metabolie) von entscheidender Bedeutung ist, nämlich zur Urteilsbildung über den Orator selbst, und zwar in seiner Eigenschaft eines potentiellen Partners. In unserem Modell wird dieser „Sachbezug“ emotionaler Stimulation durch die wichtigste emotionalrhetorische Strategie, die Erzeugung von Sympathie, gewährleistet: Dem Adressaten wird Anlass dafür gegeben, dass er dem Orator mit Zuneigung begegnet, oder anders ausgedrückt, dass er den Orator emotional positiv bewertet. Dieser Anlass ist vor allem die vom Orator demonstrativ kommunizierte emotionale Konvergenz zwischen ihm und dem Adressaten. Die verschiedenen Gegenstände emotionaler Bewertung, anhand derer der Orator en passant emotionale Konvergenz demonstriert (z.B. ein bestimmter Kinofilm, den beide mögen), sind in dieser Hinsicht lediglich Mittel zum Zweck. Denn die an ihrem Beispiel aufgezeigte emotionale Konvergenz dient letztlich nur dazu, eine am Ende alles entscheidende, positive emotionale Bewertung jenes „Gegenstandes“ zu veranlassen, auf welchen sich der persuasive Wechsel tatsächlich bezieht: die Person des Orators. Die finale, alles entscheidende, im aristotelischen Sinne „zur Sache gehörende“ Emotion, die der Orator beim Adressaten hervorrufen möchte, gilt in unserem Modell also ihm selbst. Was die anderen beiden emotionalrhetorischen Strategien betrifft, dienen sie zwar nicht der Evokation einer auf den Orator gerichteten Emotion, doch zielen sie darauf ab, die Beziehung des Adressaten gegenüber der Person des Orators zu beeinflussen. So ist es im Rahmen der Erzeugung von Euphorie nicht erforderlich, dass der Adressat sich über den Orator selbst begeistert (obgleich dies der Idealfall wäre) - es reicht aus, wenn er dies bzgl. irgendwelcher anderer Gegenstände tut, die er auffallend positiv bewertet. Allerdings besteht ein wesentliches Moment dieser Strategie darin, dass der Orator an der Begeisterung des Adressaten partizipiert und so die Bindung des Adressaten an seine Person fördert. Auch im Rahmen der Forcierung des Intimisierungsprozesses werden emotionale Übereinstimmungseffekte für eine soziale Annäherung der Person des Adressaten an die Person des Orators instrumentalisiert. Im Übrigen fördert diese Strategie eine zielorientierte thematische Steuerung des Kommunikationsprozesses und hilft somit, die - im vorliegenden Fall auf eine Anbringung des Nutzarguments abzielende - Dianoia (Gedankenführung) zu stabilisieren, was ebenfalls der aristotelischen Konzeption des emotionalen Überzeugungsmittels entspricht. Insofern sind alle drei emotionalrhetorischen Strategien als „zur Sache gehörend“ zu betrachten. Außerhalb der Sache liegend wäre z.B. eine emotionalrhetorische Intervention, welche unter der Annahme, dass der Adressat in positiver Gemütsverfassung eher in die Fortsetzung des Kontakts einwilligt, ausschließlich darauf abzielt, die aktuelle Stimmung des Adressaten 3 Anschluss an Aristoteles 183 zu beeinflussen (etwa durch das Erzählen von Witzen) und nicht zusätzlich auch seine Emotionen gegenüber dem Orator als einem potentiellen Partner. Hier wäre freilich das Risiko, dass der Adressat in solchen Gesprächsaktivitäten das Klischee eines dubiosen Überrumpelungsversuchs zu erkennen glaubt und Abwehrreaktionen zeigt, eher hoch (siehe z.B. R81 in Kap. VIII.3). Was die Vigilanz des Adressaten gegenüber stereotypen „Aufreißer- Sprüchen“ im Allgemeinen betrifft, genügt es in Gespräch Nr. 6 bereits, dass Orator M im Zuge der Gesprächseröffnung die Frage stellt, ob F „nicht auch in dem Seminar vom Müller“ sei, um F zu alarmieren und sie wenig später zu einem gereizten Einwurf zu bewegen: (R2)6,18----------------------------------------------------------------------------------------------- M Das is eben die Frage ich dachte ich hätte dich aus dem Seminar schon/ F jaja Ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M F kommdas ist schon nur so ne Anmache gewesen. Oder? (Wieder) son --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Neinnein neinnein. F Spruch Im Gegensatz zu solchen und ähnlichen Versuchen „unsachgerechter“ Einflussnahme stehen die in unserem Modell beschriebenen drei Strategien für eine von Aristoteles postulierte inhaltsbezogene Weise der Überzeugung. Im Kontext der Partnerwerbung äußert sich dies darin, dass die hervorzurufenden emotionalen Bewertungen in einem Bezug zu demjenigen „Gegenstand“ stehen, welchem das für den persuasiven Umschwung erforderliche Urteil des Adressaten gilt: der Person des Orators. D.h. der Adressat entwickelt Sympathie für den Orator, er erlebt Euphorie gemeinsam mit dem Orator, und er lässt auf der Basis von emotionaler Übereinstimmung mit dem Orator den Prozess wachsender Vertrautheit zu. Der enge Oratorbezug emotionaler Stimulation ist für den Überzeugungsprozess im Partnerwerbungsgespräch deswegen so wichtig, weil der strategische Kommunikator hier für sich selbst wirbt. Willigt der Adressat in die Fortsetzung des Kontakts ein, dann bejaht er bis zu einem gewissen - selbstverständlich unter größtmöglichem Vorbehalt weiterer Beziehungsentwicklung stehenden - Grad die Person des Orators. Die emotionale Brisanz dieses Schritts bzw. das Sprengpotenzial seiner Verweigerung kann durch eine stellvertretende Verhandlung der Beziehung in Form von Nutzargumentation nicht wirklich entschärft werden. Bei einer angemessenen emotionalrhetorischen Intervention ist dies auch gar nicht notwendig. Denn erfolgreich generierte Passungsevidenz liefert einen substanziell guten, „sachgerechten“ Grund für eine Einwilligung in die Fortsetzung des Kontakts. Sie wirkt wie ein zusätzliches, stichhaltiges Argument, das der Adres- V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 184 sat bei Bedarf intensiv kognitiv elaborieren kann und das im Sinne einer Verstärkung des eher schwachen Nutzarguments am Ende sogar ausschlaggebend für den persuasiven Umschwung sein kann. Demnach kommt dem emotionalen Überzeugungsmittel in Form der drei emotionalrhetorischen Strategien bei Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung beachtliches Gewicht zu. Die folgende Abbildung veranschaulicht eine mögliche Gewichtung der drei aristotelischen Persuasionskomponenten innerhalb dieser Gesprächssorte (S., E. bzw. I. stehen für die drei emotionalrhetorischen Strategien): Abb. 9: Persuasionsmodell für Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung 3 Anschluss an Aristoteles 185 Offenbleiben muss an dieser Stelle, wie die auf die Glaubwürdigkeit bzw. das Image des Orators bezogene Überzeugungskomponente (das aristotelische Ethos; siehe Knape 2012a) in das Zusammenspiel der Überzeugungskomponenten in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung zu integrieren wäre. Möglicherweise lässt sich hier analog zur emotionalen Komponente auch eine spezifische Form Ethos-bezogener Passungsevidenz modellieren. Dies wäre Gegenstand einer eigenen Arbeit. Auf Aspekte des Orator-Images wird in den folgenden Kapiteln nur dort Bezug genommen, wo sie in unmittelbarem Zusammenhang mit emotionalrhetorischer Intervention stehen. Eine besondere Rolle spielt in unserem Modell der emotionalrhetorische Umgang mit dem Adressaten-Image (siehe Kap. VI.1.1). Abschließend seien noch ein paar Anmerkungen zur Abgrenzung von Ethos und Pathos gemacht. Im Gegensatz zu Pathos ist Ethos bei Aristoteles keine emotionale Kategorie. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit, den Charakter bzw. das „Image“ des Redners, zu welcher dieser mit der Demonstration von Sachkompetenz (Phronesis), Integrität (Arete) und Wohlwollen gegenüber dem Adressaten (Eunoia) beiträgt (vgl. Rhet. II,1,5; Knape 2012a: 121f.). Nach Aristoteles fällt Ethos in Beratungsreden stärker ins Gewicht als Pathos, vor Gericht ist es umgekehrt (vgl. Arist. Rhet. II,1,4). Irritierenderweise wird das aristotelische Ethos im Kontext der Relektüre des Aristoteles in der römischen Antike zu einer Kategorie der schwachen Affekte umgedeutet, während Pathos für starke Affekte steht (vgl. hierzu Till 2008: 651ff.). Die Verwischung der ursprünglich klar konturierten aristotelischen Trias lässt sich bei Cicero deutlich konstatieren (Cic. De or. II,212). 228 An der Systemstelle des Ethos spricht er von conciliare, welches Merklin mit „Gewinn der Sympathie“ übersetzt: So konzentriert sich die gesamte Redekunst auf drei Faktoren, die der Überzeugung dienen: den Beweis der Wahrheit dessen, was wir vertreten, den Gewinn der Sympathie unseres Publikums und die Beeinflussung seiner Gefühle im Sinne dessen, was der Fall jeweils erfordert [ut probemus vera esse, quae defendimus; ut conciliemus eos nobis, qui audiunt; ut animos eorum, ad quemcumque causa postulabit motum, vocemus] (Cic. De or. II,115; Übers. n. Merklin). 228 Den Grundstein für die Verwischung legt unglücklicherweise Aristoteles selbst, indem er ankündigt, den Aspekt der Eunoia im Abschnitt über die Affekte zu besprechen (vgl. Arist. Rhet. II,1,8). Dies scheint allerdings traktatökonomisch begründet; so verweist Aristoteles im Satz zuvor bzgl. der anderen beiden Aspekte des Ethos auf das erste Buch. Zudem ist mit Eunoia das Wohlwollen des Redners gegenüber dem Publikum gemeint und nicht die Erzeugung von Wohlwollen beim Publikum durch den Redner (conciliare). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 186 Außerdem koppelt Cicero in seinem Werk Orator die Emotionen in Form der Wirkungsfunktionen delectare und movere/ flectere an bestimmte Stilarten: Jedoch so viele Aufgaben des Redners, so viele Stilarten gibt es auch: die einfache beim Beweisen, die gemäßigte beim Unterhalten, die heftige beim Beeinflusssen [sed quot officia oratoris, tot sunt denera dicendi: subtile in probando, modicum in delectando, vehemens in flectendo] (Cic. Or. 69; Übers. n. Kytzler). Bei Quintilian schließlich werden Ethos und Pathos endgültig als „sanfte“ und „starke“ Emotionen in einem eigenen Kapitel unter dem Oberbegriff des adfectus behandelt (Quint. Inst. or. VI,2,8-12; vgl. auch Till 2008: 652). Nun mag die in unserem Modell vorgenommene Unterscheidung zwischen Sympathie und Euphorie auf den ersten Blick an die römische Dichotomie der „schwachen und starken Affekte“ erinnern. Demgegenüber sei betont, dass unsere Konzeption von Rhetorik bzw. Persuasion auf der aristotelischen Trias Logos, Ethos, Pathos und nicht auf deren Umdeutung durch die römischen Rhetoriktheoretiker basiert. Das bedeutet, dass unserem Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in der aristotelischen Rhetorik ausschließlich die Systemstelle des Pathos entspricht. Insbesondere hat die Strategie der Erzeugung von Sympathie, wie sie in unserem Modell konzipiert wird, nichts mit dem in der Exordialtopik monologischer Rede verankerten Konzept des Erzeugens von Wohlwollen beim Publikum (captatio benevolentiae) zu tun, wie es etwa Cicero im Zusammenhang mit dem Begriff des conciliare („geneigt machen“) anklingen lässt (Cic. De or. 2,315; 322). Ihm zufolge soll der Adressat zu Beginn der kommunikativen Intervention mittels schmeichelhafter Worte für den Redner und seine Sache eingenommen werden; erst im Anschluss folgt dann die eigentliche persuasive Intervention. In unserem Modell hingegen durchzieht die Erzeugung von Sympathie als elementare Komponente persuasiver Intervention das gesamte Gespräch. 4 Fazit Ein konventionelles Charakteristikum von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung ist die Passungsexploration, d.h. die Gesprächspartner erkunden, ob und inwiefern sie als Paar (im Sinne unterschiedlicher Paarbildungszwecke) zusammenpassen. Da für den strategischen Kommunikator allerdings schon zu Beginn feststeht, dass er den Adressaten für sich gewinnen möchte - ansonsten läge kein rhetorischer Fall vor -, betreibt er die Passungsexploration lediglich pro forma, d.h. er wahrt gegenüber dem Adressaten den Anschein, dass auch er erst einmal herausfinden möchte, ob eine Passung gegeben ist, und bedient so entsprechende Erwartungen. Tatsächlich aber wirkt er - unter Berücksichtigung des Wahrhaftigkeitspostu- 4 Fazit 187 lats - mittels spezifischer Maßnahmen darauf hin, dass der Adressat die Passung als gegeben betrachtet und auf dieser Basis in die Fortsetzung des Kontakts einwilligt. Das anhand von emotionalen Interaktionssequenzen in Teilkorpus II entwickelte Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung beruht auf der Annahme, dass der Courtship-Orator durch die angemessene Umsetzung dreier emotionalrhetorischer Strategien - der Erzeugung von Sympathie, der Erzeugung von Euphorie sowie der Forcierung des Intimisierungsprozesses - eine spezifische Form persuasiver Evidenz generieren kann: die stillschweigende Passungsevidenz. Sie stellt eine zwar nicht explizierte, aber durchaus schlagkräftige Antwort auf die Frage nach dem Ergebnis der Passungsexploration dar und unterstützt den vordergründig durch explizite (Nutz-) Argumentation bewerkstelligten Persuasionsprozess wie ein zusätzliches Argument. Das Modell ist in erster Linie produktionstheoretisch-deskriptiv konzipiert, d.h. es beschreibt Handlungsoptionen des Gesprächsorators und zeigt damit verbundene Chancen und Risiken auf. Es lässt sich jedoch auch rezeptionstheoretisch wenden, d.h. im Rahmen emotionalrhetorischer Gesprächsanalysen einsetzen. Beiden Einsatzmöglichkeiten kommt zugute, dass das Modell sowohl eine lokale als auch eine globale Betrachtungsweise des Gesprächs beinhaltet. So werden nicht nur punktuelle Interaktionsmomente, sondern auch die Verlaufsstruktur des Gesprächs in das strategische Kalkül bzw. die Analyse mit einbezogen. Was den aristotelischen Grundgedanken der emotionalen Stimulation eines Adressaten durch einen strategischen Kommunikator angeht, ändern Unterschiede zwischen Gespräch und Monolog nichts. Nach Aristoteles’ Konzeption beruht das emotionale Überzeugungsmittel auf der Evokation von „zur Sache gehörenden“ Emotionen, welche nicht vom Sachargument ablenken, sondern es inhaltlich stützen und ihm Geltung verschaffen sollen. Unser Modell ist mit dieser Konzeption vereinbar, weil die in letzter Instanz zu evozierenden Emotionen des Adressaten hier in einem sachlichen Bezug zu jener Urteilsbildung stehen, welche für den intendierten mentalen Wechsel (den Entschluss zur Einwilligung in die Fortsetzung des Kontakts) von entscheidender Bedeutung ist, nämlich zur Urteilsbildung über die Person des Orators in seiner Eigenschaft eines potentiellen Partners. In diesem Zusammenhang sind pauschale Postulate eines Generalverdachts der Manipulation, mit denen emotionale Rhetorik bis heute konfrontiert wird, klar zurückzuweisen. 229 Kommunikation ist nie frei von emotionalen Prozessen, und diese „sachgerecht“ zu steuern, ist prinzipiell genauso legitim wie die Steuerung gedanklicher Prozesse mittels rationaler Argumentation oder die Einflussnahme auf Ebene des Orator-Images. Dass auch 229 Zur Kritik am Begriff der Manipulation bzw. an dessen unfundiertem Gebrauch siehe Ortak (2004: 244ff.). V Emotional überzeugen im Partnerwerbungsgespräch 188 hier entsprechende Techniken missbräuchlich eingesetzt werden können, steht auf einem anderen Blatt, welches in den Zuständigkeitsbereich der Moralphilosophie fällt (vgl. Knape 2000a: 34). Grundsätzlich entwickelt die Rhetoriktheorie ihre Techniken natürlich im Hinblick auf deren gesellschaftlich verträglichen Einsatz und unterscheidet sich damit fundamentalrhetorisch gesehen von kriminellkommunikativen Methoden der Manipulation und des Betrugs (vgl. Knape 2006: 75ff.) VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung Im Rahmen der Strategie der Erzeugung von Sympathie wirbt der Orator um die Zuneigung des Adressaten. Dafür stehen ihm in unserem Modell zwei emotionalrhetorische Instrumente zur Verfügung: die Ästimation und die Demonstration emotionaler Konvergenz. Während der Orator das Instrument der Ästimation nutzt, um dem Adressaten zu kommunizieren, dass er ihn wertschätzt, dient die Demonstration emotionaler Konvergenz dazu, emotionale Übereinstimmung und damit einen wichtigen Sympathie-Faktor kommunikativ evident werden zu lassen. Bevor die mit den Instrumenten verbundenen Handlungsoptionen im Einzelnen vorgestellt werden, ist der Begriff der Sympathie in seiner Bedeutung für interpersonelle Beziehungen und speziell für Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung näher zu beleuchten. In zwischenmenschlicher Hinsicht hat Sympathie eine „brückenbildende“ Funktion: Sie ermöglicht es Individuen, auf emotionaler Ebene miteinander in Beziehung zu treten. Sympathie kann in dieser Hinsicht auch als Beziehungsemotion 230 konzipiert werden. Einer Person Zuneigung entgegen zu bringen bedeutet, dass man die Person anziehend findet und sie mag (vgl. Mees/ Rohde-Höft 2000: 239, „eine anziehende Person mögen“). In unserer Terminologie ausgedrückt bedeutet das nichts anderes, als die Person emotional positiv zu bewerten. „Gegenstand“ der zu erzeugenden Beziehungsemotion Sympathie ist in unserem emotionalrhetorischen Modell die Person des Orators. Die englischsprachige Attraktionsforschung spricht bzgl. des Gefühls der Zuneigung auch von liking - oder spezifischer: von affection. Rubin grenzt affection als von emotionaler „Wärme“ gekennzeichnete zwischenmenschliche Verbundenheit gegenüber dem Begriff des respects als „kühlerer“ Form der Achtung einer Person jenseits von persönlicher Beziehung ab: 230 Vgl. den Begriff der „Beziehungsemotion“ bei Mees (2006: 110f.). Sympathie wäre nach der dort angeführten Typologie näherhin als eine positive „Attraktivitätsemotion“ bzw. „Zuneigungsemotion“ zu konzipieren. Vgl. dazu auch Drescher (2003: 175): „Gefühle legen die Position von Personen im sozialen Raum durch Sympathie bzw. Antipathie fest. Sie sind an der Strukturierung sozialer Situationen beteiligt und werden nicht selten als eine Art ‚sozialer Kitt‘ gesehen. Ihr Einfluß auf die Kommunikation wird im Bereich der interpersonalen Beziehungen am greifbarsten. Insofern erstaunt es nicht, daß die affektive Dimension, sofern sie in Kommunikationsmodellen überhaupt Berücksichtigung findet, in der Regel als ein Teil der Beziehungskonstitution gesehen wird. Meist geht der Gefühlsausdruck in der Beziehungsebene auf.“ VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 190 Affection is liking that is based on the way another person relates to you personally, and it is experienced as an emotional warmth and closeness. […] Respect is liking that is based on another person’s admirable characteristics or actions in spheres other than personal relations. It is a cooler, more distant sort of liking (Rubin 1973: 27). Das für Ansätze strategischer Kommunikation interessante Werben um Zuneigung wird in der Forschung auch als affinitiy seeking bezeichnet. Bell/ Daly (1984: 91) definieren das Konzept so: „Affinity-seeking is defined as the active social-communicative process by which individuals attempt to get others to like and to feel positive toward them.“ 231 Affinity seeking ist demnach eine strategische, intentionale und soziale Aktivität (vgl. Daly/ Kreiser 1994: 131). Einer Studie von Martin/ Rubin (1998) zufolge soll allein schon die Tatsache, dass ein Interaktionspartner den Eindruck hat, sein Gegenüber versuche, Strategien des affinity seeking anzuwenden, diesen tendenziell mit Sympathie reagieren lassen (vgl. ebd.: 141). Basierend auf den Ergebnissen von Gruppen-Brainstormings listen Bell/ Daly 25 Strategien des affinity seekings auf (vgl. 1984: 96f.; hier in der deutschen Übersetzung von Becker 2009: 93f.): Altruistisch sein, Kontrolle übernehmen, Gleichheit unterstellen, sorgenfrei sein, Kontrolle überlassen, Konversationsregeln einhalten, dynamisch sein, Selbstenthüllungen provozieren, Freude bereiten, Einbeziehen des anderen, Beeinflussen der Intimitätswahrnehmung, aufmerksam zuhören, nonverbal involviert sein, offen sein, optimistisch sein, autonom sein, physisch attraktiv sein, interessant sein, nützlich sein, den anderen in seinem Selbstbild bestätigen, häufig präsent sein, einfühlsam sein, Gemeinsamkeiten hervorheben, soziale Unterstützung leisten, vertrauenswürdig sein. Die hier genannte Strategie des Hervorhebens von Gemeinsamkeiten (similarity) entspricht vom Grundgedanken her in etwa dem Instrument, auf das sich unsere Strategie der Erzeugung von Sympathie schwerpunktartig bezieht, nämlich der Demonstration emotionaler Konvergenz (siehe Kap. IV.2). Der Strategie, den anderen in seinem Selbstbild zu bestätigen (self-concept confirmation), entspricht in unserem Modell eine Variante des zweiten Instruments der Sympathie-Erzeugung, die Image-Ästimation (siehe Kap. VI.1.1). Es wird deutlich, dass unser Konzept der Sympathie-Erzeugung deutlich enger gefasst ist als das allgemeine Konzept des affinity seekings von Bell/ Daly. Deren Strategie des Freude-Bereitens (facilitate enjoyment) entspricht in unserem Modell im weitesten Sinne die Strategie der Erzeugung von Euphorie, die Beeinflussung der Intimitätswahrnehmung (influence perceptions of closeness) hingegen korrespondiert grob mit unserer Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses. Hierauf wird in den Kapiteln zu den betreffenden Strategien zurückzukommen sein. 231 Einen Überblick über die Forschung zum affinity seeking liefern Daly/ Kreiser (1994). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 191 Becker (2009: 311) sieht in der Gewinnung der Sympathie des Gesprächspartners ein „wichtiges interaktionales Ziel bei der Initiierung zwischenmenschlicher Beziehungen.“ Er betrachtet Sympathie-Gewinnung im Rahmenhandlungsplan der männlichen Partnerwerbung in heterosexuellen Erstkontaktgesprächen als ein globales persuasives Teilziel in Courtship-Gesprächen, um dessen Erreichung sich der Orator von der Phase der Etablierung des Gesprächs an über die gesamte Phase der Passungsexploration zweier Persönlichkeiten bis hin zum Treffen der Verabredung bemühen muss (vgl. ebd.: 232f.). Das Teilziel der Sympathie-Gewinnung tritt sogar in den Instruktionen der männlichen Probanden des von Becker (2009) untersuchten, für unsere Arbeit jedoch nicht herangezogenen Tübinger Teilkorpus I des Courtshiprhetorik-Projekts auf: a) „Sprechen Sie die Frau an“, b) „verwickeln Sie sie in eine lockere Unterhaltung“, c) „versuchen Sie sie kennen zu lernen“, d) „versuchen Sie das Interesse und die Sympathie der Frau zu gewinnen“, e) „versuchen Sie das Interesse und die Sympathie der Frau festzustellen“ (vgl. ebd.: 231). Neben dem globalen Teilziel der Sympathie-Gewinnung führt Becker noch die globalen Teilziele „Kennenlernen“ und „Sympathie prüfen“ an - im Unterschied zu den lokalen, d.h. nur punktuell anzustrebenden Teilzielen „Kontaktherstellung“, „Gesprächsmotivierung“, „Verabredung“ und „Kontaktbeendigung“ (vgl. ebd.: 232). Während es laut Becker bei der Sympathie-Gewinnung um positive Selbstdarstellung, die Betonung von Gemeinsamkeiten, Komplimente, die Preisgabe persönlicher Information, das Zeigen von Empathie und das Ermuntern des Gegenübers zum Reden geht (vgl. ebd.: 311f.), umfasst das Teilziel der Sympathie-Prüfung vor dem Hintergrund der Passungsexloration zwei Aspekte: „Zum einen geht es darum zu prüfen, wie sympathisch man dem anderen ist, zum anderen darum, für sich selbst heraus zu finden, wie sympathisch man den anderen findet“ (ebd. 317). Der zuletzt genannte Aspekt kann allerdings nicht Teil rhetorischer Theoriebildung sein, denn wie in Kap. V.1.1 dargelegt, steht das Zertum des Orators bzgl. der zwischen ihm und dem Adressaten gegebenen Passung am Gesprächsbeginn bereits fest. Was die Art und Weise betrifft, auf die der Orator prüft, ob der Adressat ihm Sympathie entgegenbringt, kann gesagt werden, dass unter den von Douglas (1987) basierend auf Befragungen beschriebenen Strategien des affinity testings (von denen manche sich auch auf nonverbale Aspekte beziehen) - nämlich Confronting, Withdrawing, Sustaining, Hazing, Diminishing self, VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 192 Approaching, Offering, Networking - für die Korpus-Gespräche am ehesten die des Sustainings charakteristisch ist. Kommunikatoren prüfen mit dieser Strategie, ob die Sympathie des Adressaten gegeben ist, indem sie insbesondere durch das Stellen von Fragen dafür sorgen, dass die Interaktion kontinuierlich aufrechterhalten wird. Geht der Adressat auf die Fragen ein, und setzt sich das Gespräch fort, wird allein die Tatsache dieser Fortsetzung als Indiz dafür gewertet, dass der Adressat dem Kommunikator gegenüber positiv eingestellt ist. Dieser Schluss kann freilich trügen, denn es ist auch möglich, dass der Adressat sich allein aus Gründen der Höflichkeit mit dem Kommunikator unterhält. Douglas stuft Sustaining dementsprechend als weniger effizient ein, spricht der Strategie jedoch ein hohes Maß an sozialer Angemessenheit (social appropriateness) zu und stuft sie als besonders gebräuchliche Strategie zur Sympathie-Prüfung ein (vgl. ebd.: 13). Der Aspekt, dass der Orator prüft, wie sympathisch er dem Adressaten ist, wird in unserer Arbeit allerdings nicht gesondert untersucht. Die Möglichkeit, dass er feststellen könnte, dass der Adressat ihn nicht oder nicht ausreichend sympathisch findet, würde schlicht emotionalrhetorisches Scheitern bedeuten. Im Folgenden werden die beiden Instrumente zur Sympathie-Erzeugung, die Ästimation und die Demonstration emotionaler Konvergenz, im Detail vorgestellt. 1 Ästimation Attraktionstheoretisch gesprochen genügt das Instrument der Ästimation (Wertschätzung) einem Grundprinzip zwischenmenschlicher Zuneigung, das Rubin (1973: 65) so formuliert: „There is a very general principle about liking and loving […]. It is that people are atttracted to those others who are rewarding to them, who fulfill their needs and gratify their desires.“ Ein Grundbedürfnis des Menschen ist das nach Wertschätzung. Wer einem anderen Menschen zeigt, dass er ihn (emotional) positiv bewertet, der befriedigt - ganz im Sinne der Theorie positiver Verstärkung nach Byrne (1971) - dessen Bedürfnis nach Anerkennung. Im Normalfall führt dies dazu, dass sich die ästimierte (mit Wertschätzung bedachte) Person gut fühlt und mit Sympathie auf den Ästimator reagiert. Denn wir „mögen Menschen, die uns mögen bzw. schätzen - und wir lehnen jene ab, von denen wir uns abgelehnt fühlen“ (Mees/ Rohde-Höft 2000: 245). So erwies sich etwa nach einer Studie von Lamm/ Wiesmann/ Keller (1998), bei der weibliche Probanden befragt wurden, wen sie sympathisch finden bzw. lieben könnten bzw. in wen sie sich verlieben könnten, für alle drei Arten von „Gefühlsbeziehung“ neben Ähnlichkeit und guten Eigenschaften der Zielperson auch die Wahrnehmung, dass die Zielperson der eigenen Person positive Gefühle entgegenbringt, als ein wichtiger Faktor. Der 1 Ästimation 193 Ausdruck von Wertschätzung als konkrete Manifestation dieser Gefühle scheint hier - metaphorisch gesprochen - auch ein Gefühl „zwischenmenschlicher Wärme“ zu erzeugen, welches dem Adressaten signalisiert, dass er sich in der Anwesenheit des Orators entspannen kann. 232 Aus selbstwerttheoretischen Ansätzen lässt sich ableiten, dass Ästimation den Grad der Attraktion, welche gegenüber dem Ästimator empfunden wird, erhöht (vgl. Mikula/ Stroebe 1991: 79). In der Persuasionsforschung gibt es zudem Hinweise darauf, dass das Bestätigen des Adressaten in seinem Selbstwertgefühl bei ihm Widerstand gegen Persuasionsversuche reduziert (vgl. Zuwerink Jacks/ O’Brian 2008). Im Folgenden bezieht sich der Begriff der Ästimation im Allgemeinen auf (meta-) emotionale Kommunikation mit dem Zweck, dem Gesprächspartner die eigene Wertschätzung zu signalisieren. So ästimiert F im folgenden Beispiel etwa das Hobby von M „Rollenspiele“. Da sich Menschen normalerweise stark mit ihren Hobbys identifizieren, bringt F mit der Äußerung das is ja toll indirekt ihre Wertschätzung für die Person von M zum Ausdruck: (R3)14,76--------------------------------------------------------------------------------------------- F A: h, das is ja toll. M ..ähm wir spielen nämlich Rollenspiele. Häufig tritt Ästimation in Form emotionaler Kurzkommentare 233 auf wie z.B. einer verkürzten VAB (R4: cool) (R4)17,117-------------------------------------------------------------------------------------------- F Ich komm aus Thüringen. M Aus Thüringen? Ah ja, cool oder einer Interjektion (R5: Wow) auf: 232 Mit der Metapher der „interpersonal warmth“ beschäftigen sich ausführlich Andersen/ Guerrero (1998a). Sie beschreiben das Konzept u.a. mit Hilfe von Begriffen wie Intimität, Bindung und enger Beziehung. 233 Bei Brinker/ Sager (vgl. 2006: 62) entspricht dem emotionalen Kurzkommentar die „Einstellungsbekundung“ wie z.B. das ist ja interessant, das glaube ich nicht, ach Gott. Henne/ Rehbock (vgl. 2001: 173f.) sprechen von „spontanen Kommentarschritten“ und führen als Beispiele Äußerungen wie Das find ich nich so gut und Das is ja auch reizend an. Emotionale Kurzkommentare haben gesprächssteuernde Funktion (vgl. ebd.: 174; Brinker/ Sager 2006: 63). Ihre Auswirkung auf den weiteren Verlauf eines Gesprächs kann erheblich sein. Dillon (1990: 197) bezeichnet solche Kommentare als „phatics“: „although modest in themselves, they serve important functions and have substantial effects on discussion. Indeed, phatics are among the most powerful alternatives available. Responses to phatics are longer and richer than answers to questions of any type.“ Im Sinne von Lorenzo-Basson (2003) können bestätigende emotionale Kurzkommentare auch als eine Form „empathischer Echos“ verstanden werden. Sie stellt den manipulativen Charakter solcher „Echos“ heraus. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 194 (R5)8,235--------------------------------------------------------------------------------------------- M Drei Monate. %lacht F Wie lang warst du denn da unterwegs? Drei Monate? Hmhm. Wow. %lacht Bei den genannten Beispielen handelt es sich um emotionale Bewertungen mit positiver Valenz. Zwar können in bestimmten Situationen auch emotionale Kurzkommentare mit negativer Valenz dazu führen, dass der Gesprächspartner sich gewertschätzt oder geschmeichelt fühlt, wie etwa in R6, wo F bedauert, dass M bald gehen muss: (R6)4,56----------------------------------------------------------------------------------------------- M so lang kann ich nich bleiben. F mh. Schade. Allerdings muss in solchen Fällen die dem Gesprächspartner entgegengebrachte Wertschätzung aus einer negativen Valenz (wie sie z.B. mit dem Wort schade ausgedrückt wird) inferentiell erschlossen werden (z.B. ,Das Bedauern der Abwesenheit einer Person bedeutet Wertschätzung ihrer Anwesenheit‘). Dies kann u.U. für kontraproduktive Effekte sorgen. So könnte M in R6 das Gefühl bekommen, dass F sich aufgrund seines frühzeitigen Gehens einsam fühlt und dadurch unter Rechtfertigungsdruck geraten - selbst wenn F diesen Effekt durch ihren Kommentar keineswegs bezweckt hat, sondern einfach nur Wertschätzung zum Ausdruck bringen wollte. Prinzipiell kann Ästimation mittel eines negativen emotionalen Kurzkommentars beim Gesprächspartner zu gewissen Irritationen und Stress führen und so der Entstehung und Verfestigung von Sympathie subtil entgegenwirken. Deswegen beschränkt sich unser Konzept der Ästimation auf emotionale Bewertungen bzw. meta-emotionale Kommunikation mit positiver Valenz. In den folgenden Abschnitten werden exemplarisch zwei für Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung typische Arten der Ästimation vorgestellt: zum einen die Ästimation des Adressaten-Images (Image-Ästimation), zum anderen die Ästimation der Fortsetzung des Kontakts (Kontakt- Ästimation). 1.1 Image-Ästimation Mit der Ästimation des Adressaten-Images (kurz: Image-Ästimation) signalisiert der Orator seinem Gesprächspartner Wertschätzung in Bezug auf das von diesem kommunikativ vermittelte Selbstbild bzw. Image. Diese Art und Weise der Sympathie-Erzeugung stellt eine emotionalrhetorische Spezifikation des protektiven face-work-Konzepts von Goffman (1967) dar. Goffman versteht unter face-work Folgendes: „By face-work I mean to designate the actions taken by a person to make whatever he is doing consistent with face“ (ebd.: 12). Er beobachtet dabei zwei Regeln: Selbstrespekt und 1 Ästimation 195 Rücksichtnahme. D.h. Interaktanten bemühen sich im Normalfall nicht nur, ihr eigenes Gesicht zu wahren, sondern sie empfinden aus empathischen Gründen auch Abneigung gegenüber einer Bloßstellung des Gegenübers und sind daher bemüht, auch dessen Gesicht zu wahren (vgl. ebd.: 10f.). Goffman unterscheidet diesbezüglich zwischen einer defensiven (der eigenen Gesichtswahrung dienenden) und einer protektiven (das Gesicht des Interaktionspartners schützenden) Orientierung von face-work (vgl. ebd: 14). Dass „die Sorge des einzelnen nicht nur dem eigenen Image gelten [muss], sondern auch dem des Interaktionspartners“, schlägt „sich in kontinuierlicher balancierender Imagearbeit (‚face work‘)“ nieder (Holly 2001: 1387). Goffman definiert Image (face) als the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact. Face is an image of self delineated in terms of approved social attributes - albeit an image that others may share (Goffman 1967: 5). Image bezeichnet demnach ein kommunikativ vermitteltes, für andere attraktives Selbstbild. Indem der Orator Image-Ästimation betreibt, bestärkt er den Adressaten in dessen Selbstbild (vgl. die entsprechende Strategie bei Bell/ Daly 1984), gibt ihm zu verstehen, dass seine Person „gut ankommt“ und erzeugt auf diese Weise Sympathie. Zugleich ermutigt er den Adressaten, noch mehr von sich preiszugeben. Dies wiederum erlaubt es dem Orator, sein Adressatenkalkül zu präzisieren und u.U. sogar potentielle Gegenstände emotionaler Konvergenz zu identifizieren. Die emotionalrhetorische Spezifikation des protektiven face-work-Konzepts in Gestalt von Image-Ästimation besteht darin, dass kommunikative Handlungen in Form emotionaler Bewertungen vorgenommen werden, welche dazu dienen, das Gesicht des Adressaten zu wahren, genauer gesagt, dass der Orator auf Äußerungen des Adressaten, die für dessen Selbstbild (Image) relevant sind, mit der Kommunikation von positiver emotionaler Bewertung reagiert. Unter einer Image-relevanten Äußerung des Adressaten wird im Folgenden eine Äußerung verstanden, mit welcher dieser über einen Aspekt informiert, der mit hoher Wahrscheinlichkeit konstitutiv für sein Selbstbild ist und bei welcher es sich auf der Ebene sprachlicher Mittel nicht um eine emotionale Bewertung handelt - denn der oratorische Umgang mit vom Adressaten kommunizierten emotionalen Bewertungen wird in unserem Modell systematisch im Rahmen des Instruments der Demonstration emotionaler Konvergenz in den Blick genommen (siehe Kap. VI.2). 234 234 Natürlich können auch mit emotionalen Bewertungen Selbstbild-relevante Aspekte vermittelt werden. Die Image-bildende Funktion emotionaler Bewertung wird in unserer Arbeit allerdings nicht untersucht, weil sie nicht unter das emotionale (Pathos), sondern unter das auf die Glaubwürdigkeit des Redners (Ethos) bezogene Überzeugungsmittel nach Aristoteles fällt. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 196 Potentielle Auslöser für Image-Ästimation sind demnach z.B. sachliche Mitteilungen des Adressaten wie Schwimmen ist mein Hobby oder Ich gehe jede Woche schwimmen, nicht aber emotional bewertende Äußerungen wie Ich mag Schwimmen total (SAL). 235 Image-relevante Aspekte sind z.B. Studienfächer (R7), Auslandsaufenthalte (R8), Wohnort (R9) oder besondere Fähigkeiten (R10): (R7)19,10--------------------------------------------------------------------------------------------- F Nee ich studier Medizin eigentlich, ja. M ach cool. (R8)11,122-------------------------------------------------------------------------------------------- M also plan ich, also entweder nach Uppsala, Schweden F Oh, wie cool, ja, da --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M F sind lauter Freunde von mir jetzt grad (R9)11,158-------------------------------------------------------------------------------------------- M wenn du runtergehst, Richtung Piccolo-Bar genau F oh, wie cool, da wohnst du? (R10)20,260------------------------------------------------------------------------------------------ M Ich kann übrigens auch toll chinesisch selber kochen. Ja. %lacht F Wow. Nich schlecht. %lacht Bei R11 ästimiert F die Information, dass M sich einen luxuriösen Kaffeeautomaten gekauft hat. Der Kaffeeautomat bedeutet für das Image von M, dass er technologisch auf dem neuesten Stand ist, Wert auf Qualität legt und sich als Student in finanzieller Hinsicht offenbar Einiges leisten kann: (R11)1,33--------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja, ich hab mir letzte Woche ne ne/ . so nen Vollautomat gekauft Son F Cool --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Riesending Nee, von Krups. F Von Jura oder von Seico oder was? 235 Auf emotional bewertende Äußerungen wird üblicherweise nicht mit Ästimation, sondern mit der Kommunikation von emotionaler Konvergenz bzw. Divergenz reagiert. Mit Ästimation auf eine emotionale Bewertung zu reagieren, würde lediglich bedeuten, dass man die Bewertung gutheißt; ob man sie auch teilt, würde dabei eigentümlich unklar bleiben. So kann es eine Mutter z.B. zu schätzen wissen, dass ihr Kind Spinat liebt, obwohl sie selbst keinen Spinat mag. 1 Ästimation 197 Image-Ästimation tritt in 15 Gesprächen des Korpus insgesamt 85-mal auf. Die Auftrittshäufigkeit je Gespräch variiert dabei zwischen einem und dreizehn Mal. Bei den Gesprächen, die in Sachen Image-Ästimation Spitzenreiter sind (Nr. 18, 19 und 20) fällt auf, dass Letztere fast ausschließlich vom Adressaten betrieben wird. In Gespräch Nr. 20 werden sogar alle 11 Fälle von Image- Ästimation vom Adressaten vorgenommen. Hierzu ist zum einen zu bemerken, dass ästimierendes Gesprächshandeln durchaus „Typsache“ ist, d.h. manche Kommunikatoren betreiben es routinemäßig, andere wiederum kaum oder gar nicht. So wurden die Gespräche Nr. 19 und 20 etwa mit demselben Konfidenten (Adressaten) geführt (vgl. Knape/ Becker/ Guhr 2009: 238), dessen Kommunikationsverhalten grundsätzlich von einem erhöhten Maß an Image-Ästimation geprägt zu sein scheint. Andererseits ist zu konstatieren, dass es sich bei den drei betreffenden Gesprächen um weibliche Oratoren und männliche Adressaten handelt. Es könnte sein, dass die hier von den männlichen Adressaten verstärkt betriebene Image-Ästimation Ausdruck der klassischen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ist, in dem Sinne, dass der Mann glaubt, bei der Partnerwerbung die Führung übernehmen zu müssen. Gemäß dem Wahrhaftigkeitspostulat sollte der Orator nur dann Wertschätzung für den Adressaten zum Ausdruck bringen, wenn er dessen personenbezogene Information auch tatsächlich positiv bewertet. Bewertet er die Information negativ oder steht er ihr gleichgültig gegenüber, dürfte es von Vorteil sein, die Äußerung nicht einfach zu ignorieren, sondern nach Möglichkeit Neutrale Responsitivität (siehe Kap. V.1.3 und nachfolgendes Beispiel R14) anzuwenden, um Interesse an der Äußerung des Adressaten zu bekunden und so dessen Gesicht einigermaßen zu wahren. Im folgenden Beispiel etwa scheint F dankbar für die Gesichtswahrung durch Orator M, der Neutrale Responsitivität in Form einer Echo-Wiederholung an den Tag legt: (R12)2,225-------------------------------------------------------------------------------------------- M Augenheilkunde? F Ja, Augenheilkunde Ja. Jetzt kommt nich dieser %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M F Aufschrei, normalerweise sagen dann alle gleich i: : , Augenheilkunde VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 198 Ungünstig wäre es demgegenüber, wenn der Orator eine empfundene negative Valenz kommunizieren würde, weil damit ein für das Image des Adressaten konstitutiver Aspekt abgewertet würde. R13 zeigt, dass sich der Adressat hier durchaus angegriffen fühlen kann: (R13)11,35-------------------------------------------------------------------------------------------- M und was studierst du? Mathe? . Oje. Ja, Mathe F Mathe. Ja, das sagen immer alle o-------lachend----------o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hatt ich auch mal in der Schule. F Ja, das sagen immer alle, voll scheiße, o----lachend-------------o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M F wenn du sagsch Mathe, dann alle so oh nein, mein schlechteschtes Fach --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F in der Schule und wieso, was machsch du? M bewertet das Studienfach von F emotional negativ (oje). F reagiert zwar zunächst mit Lachen - möglicherweise um zu überspielen, dass das für sie in gewisser Weise kränkend ist -, doch dann lässt sie eine emotionale Bewertung folgen, die keinen Zweifel daran lässt, dass die ungeschickte Reaktion von F bei ihr ein negatives Gefühl hervorruft: voll scheiße, wenn du sagsch Mathe, dann alle so oh nein, mein schlechteschtes Fach in der Schule. Mittels des Insinuationsmusters ME (siehe Kap. VI.2.4.1.2.3) versucht F, bei M Empathie für ihr negatives Gefühl zu erzeugen, indem sie den Gefühlsauslöser mimetisch inszeniert (dann alle so oh nein, mein schlechteschtes Fach in der Schule), doch ohne Erfolg: M reagiert mit einem emotionslosen Hörersignal (hmhm). Äußerungen des Adressaten, mit denen dieser in scheinbar emotionsneutraler Weise über für sein Image relevante Aspekte informiert, sind aus der Sicht des Orators als potentiell ästimationsevozierende Äußerungen zu betrachten, d.h. als Äußerungen, die möglicherweise darauf abzielen - oder vorsichtiger ausgedrückt, die mit dem (bewussten oder unbewussten) Wunsch einhergehen -, vom Orator eine ästimierende Reaktion zu erhalten. Denn Image-Ästimation evozierende Äußerungen stellen kleine Selbstoffenbarungen eines Gesprächsteilnehmers dar. Sie müssen als emotionalstrategisch sensible Gesprächsmomente eingestuft werden, weil sich die betreffende Person durch die Preisgabe von Image-relevanter Information grundsätzlich dem Risiko einer Gesichtsbedrohung aussetzt. Menschen stehen üblicherweise hinter ihren selbstgewählten Lebensumständen sowie hinter unabänderlichen, aber für das Selbstbild konstitutiven Aspekten wie 1 Ästimation 199 z.B. Name oder lokaler und sozialer Herkunft. Bei negativer Bewertung solcher Image-Komponenten, evtl. auch schon bei ihrer mangelnden Würdigung, fühlen sie sich häufig gekränkt und reagieren tendenziell mit Antipathie. 236 Spitzt man den Gedanken zu, gehen Image-Ästimation evozierende Äußerungen mit einer subtilen Form der konditionellen Relevanz 237 von Gesprächsbeiträgen einher, d.h. sie sind untergründig mit einer spezifischen Reaktionsverpflichtung des Gesprächspartners verbunden, die mittels einer Paarsequenz so beschrieben werden kann: ,Bitten‘ um Wertschätzung (Ästimationevokation) - ,Erweisen‘ von Wertschätzung (Ästimation) Die konditionelle Relevanz solcher Äußerungen ist längst nicht so stark konventionalisiert wie z.B. die illokutionären Paarsequenzen GRUSS - GEGEN- GRUSS, VORWERFEN - RECHTFERTIGEN (vgl. Brinker/ Sager 2006: 83f.). Dafür ist sie viel zu unterschwellig, was sich darin äußert, dass sich der ästimationsevozierende Charakter Image-relevanter Äußerungen nicht an ihren Sprechakt-Eigenschaften festmachen lässt (formal handelt es sich dabei weder um direkte noch um indirekte Sprechakte des Bittens). Die Ästimationsevokation scheint eher in so etwas wie einer schwach kodierten konversationellen Implikatur zu gründen. Der Orator kann sich die konditionelle Relevanz der Ästimationsevokation zu Nutze machen, indem er den Adressaten durch das Stellen von Fragen dazu bringt, ästimationsevozierende Informationen zu kommunizieren und anschließend - je nach seinem Empfinden - mit Ästimation bzw. Neutraler Responsitivität darauf reagiert. 238 Auf diese Weise kann er im Gespräch immer wieder Gelegenheiten für die Erzeugung von Sympathie beim Adressaten schaffen. Denn wenn der Orator aufgrund des emotionalrhetorischen Wahrhaftigkeitspostulats nur mit Neutraler Responsivität reagieren kann, zeigt er doch immerhin Interesse am Adressaten und beweist Sensibilität und Kompetenz im Bereich gesichtswahrenden Verhaltens. Ein Beispiel für eine angemessene „Bedienung“ der mit Image-Ästimation verbundenen konditionellen Relevanz ist R14. Hier erfragt M (in diesem Fall zufällig der Konfident in der Adressatenrolle) das Studienfach von F. F beantwortet die Frage erwartungsgemäß mit einer Information zu ihrem Studienfach, Kunstgeschichte. M reagiert nach einer neutral-responsiven Echo- 236 Nach konsistenztheoretischen Ansätzen zur Wertschätzung als Attraktionsdeterminante gilt dies u.U. nicht, wenn die ästimierte Person sich selbst negativ beurteilt. Dies ist jedoch auch eine Frage dessen, was konkret ästimiert wird und durch wen dies geschieht (vgl. Mikula/ Stroebe 1991: 79f.). 237 In der Gesprächsforschung wird neben dem Begriff der „conditional relevance“ (Schegloff 1968: 1085) auch von „Reaktionsverpflichtung“ (Tiittula 2001: 1366) bzw. „bedingter Erwartbarkeit“ (Henne/ Rehbock 2001: 18) gesprochen. 238 Vgl. hierzu das Konzept der „Selbstpräsentations-Sequenz“ bei Svennevig (1999: 91ff.). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 200 Wiederholung, die evtl. der Zeitgewinnung dienen könnte (etwa um sich bewusst zu machen, wie er den Gegenstand „Studienfach Kunstgeschichte“ tatsächlich emotional bewertet), mit Ästimation (Aha. Cool.): (R14)16,31-------------------------------------------------------------------------------------------- F Kunstgeschichte M Dein Nebenfach. Italienisch. Und dein Hauptfach? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja-a Was machst du? Du M Kunstgeschichte. Aha. Cool. Ich? Ohje, Informatik --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F machst Informatik? Ah ah. Normale Informatik oder (irgend ne Bio) M hmhm Ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Informatik? M Normale Informatik Auf die Gegenfrage von F antwortet M freilich strategisch ungeschickt, indem er sein eigenes Studienfach durch die Interjektion Ohje mit einer negativen emotionalen Valenz assoziiert und F auf diese Weise signalisiert, dass er in dieser Hinsicht ein schwieriges Image hat. F reagiert (zum Vorteil für M) mit Neutraler Responsitivität: Zunächst mit einer Echo-Frage (Du machst Informatik? ), dann mit einer präzisierenden Rückfrage (Informatik oder (irgendne Bio) Informatik? ). Im Anschluss wahrt F das Gesicht von M zusätzlich, indem sie erwähnt, dass sie einige Informatiker kenne und sogar mit drei Informatikern zusammen in einer WG wohne - ein Signal, dass sie in der Lage ist, das vermeintlich schwierige „Informatiker-Image“ differenziert zu betrachten. 1.2 Kontakt-Ästimation Der Versuch des Orators, ein weiteres Treffen zu verabreden bzw. die Telefonnummer des Adressaten zu erhalten, stellt in strategischer Hinsicht den Höhepunkt des Courtship-Gesprächs dar: Hier entscheidet sich, ob der Orator mit seinem persuasiven Anliegen Erfolg hat oder nicht. Das Instrument der Ästimation der Fortsetzung des Kontakts (kurz: Kontakt- Ästimation) kann in dieser Situation hilfreich sein: Der Orator macht deutlich, dass ihm die Fortsetzung des Kontakts in emotionaler Hinsicht etwas bedeuten würde. Auf diese Weise bekundet er dem Adressaten indirekt seine Wertschätzung und erzeugt so Sympathie. Kontakt-Ästimation erfolgt in Form von Äußerungen, die eine potentielle Fortsetzung des Kontakts mit positiver emotionaler Bewertung in Verbindung bringen. Zehn Korpus-Gespräche weisen diese Form der Ästimation 1 Ästimation 201 seitens der Oratoren auf (Nr. 1, 4, 6, 10, 12, 14, 16, 17, 18, 21), in einem Gespräch (Nr. 13) erfolgt sie seitens des Konfidenten in der Adressatenrolle. Sieben dieser Gespräche verlaufen erfolgreich, bei dreien ist kein diesbezügliches Urteil möglich und eines verläuft nicht erfolgreich (zur Problematik des Gesprächserfolgs siehe Kap. III.1). Beispiele für Kontakt-Ästimation sind R17-R18: (R15)16,255------------------------------------------------------------------------------------------ F Ja cool, das fänd ich ja sehr schön, wenn wenn das mal klappen würde M --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F M Bestimmt (R16)1,211--------------------------------------------------------------------------------------- M Schön schön.. ja, swär doch cool, vielleicht sehen wir uns ja dann da F ja %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M wieder %lacht (R17)1,224-------------------------------------------------------------------------------------------- M ja, und vielleicht sehn wer uns auch beim Konzert Wär schön, würd F Genau M mich freun (R18)10,335------------------------------------------------------------------------------------------ M und ich würd mich echt freuen, wenn, wenn, wenn du anrufsch und F --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja, mal sehen ok %lacht Da sich die Sprecher hier hypothetisch auf Emotionen in der Zukunft beziehen, handelt es sich um Fälle meta-emotionaler Kommunikation. Während R15 und R16 mit Valenzmarkern operieren, finden sich in R17 und R18 Gefühlsmarker - besonders eindrücklich wirkt die amplifizierende, interessanterweise ohne symbolische Emotions-Indikatoren auskommende Aneinanderreihung beider Formen in R18. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 202 Bei R19 handelt es sich übrigens nicht um Kontakt-Ästimation, da sich die emotionale Bewertung s war cool nicht auf die Fortsetzung des Kontakts bezieht, sondern auf das bisher erfolgte Gespräch. Man könnte hier von einer Ästimation der Gesprächssituation sprechen: 239 (R19)4,236-------------------------------------------------------------------------------------------- M ja. Sehn wir uns ma wieder? s war cool. o------------schaut auf Handy----------------o F ja. Ich denk ma. Bei der Kontakt-Ästimation sind auch emotionale Kurzkommentare wie z.B. super oder schön möglich. So bemerkt etwa Orator F nach dem Speichern der Telefonnummer von M auf ihrem Handy: (R20)21,293------------------------------------------------------------------------------------------ F Schön. packt Handy in Jackentasche M Dann speicher mich mal ((2 Sec)) packt Handy weg Mit Ausnahme von Kontakt-ästimierenden Äußerungen verläuft die Verhandlung der Fortsetzung des Kontakts i.d.R. unemotional. Viele Gesprächsteilnehmer suggerieren an diesem für das Ergebnis der Passungsexploration aufschlussreichen Punkt Belanglosigkeit oder sogar Gleichgültigkeit. Dies konstatiert auch Rauch (1992), die sich mit dem rituellen Muster „sich verabreden“ zwischen potentiellen Partnern befasst: „Es gehört ganz offensichtlich zum rituellen Spiel bei der Gestaltung erster Begegnungen, daß es gilt, Gleichgültigkeit zu demonstrieren, wirkliches Interesse zu kaschieren, um dieses aber doch hin und wieder subtil einfließen zu lassen“ (ebd.: 298). Das Demonstrieren von emotionaler Gelassenheit bzw. Coolness an diesem für den kommunikativen Erfolg entscheidenden Punkt dient dazu, das eigene Gesicht zu wahren für den Fall, dass der Gesprächspartner an einer Fortsetzung des Kontakts kein Interesse haben sollte. Der Orator dürfte gut daran tun, die Konvention einer solchen „Let’s-Meet-again-Coolness“ bis zu einem gewissen Grad einzuhalten. Allerdings sollte er es damit im eigenen Interesse nicht übertreiben, denn bei aller Vorliebe für Unaufdringlichkeit fühlen sich die meisten Menschen doch geschmeichelt, wenn andere den Kontakt mit ihnen zu schätzen wissen. Letzterem im entscheidenden Moment Ausdruck zu verleihen, kann die Chance auf kommunikativen Erfolg u.U. erheblich erhöhen. Was das Korpus betrifft, so sind immerhin sechs von 239 Weitere Beispiele für eine solchen Ästimations-Typus wären: Schön. Schön, dass ich dich gefunden habe“ (R82); aber eigentlich find ichs ganz gemütlich (L1); ja: . aso ich bin eigentlich ganz froh in Gesellschaft (L33); es war richtig cool. (so) mit dir zu plaudern (R21); s war cool (R19). 1 Ästimation 203 zehn Gesprächen, in denen Kontakt-Ästimation seitens des Orators zum Einsatz kommt, erfolgreich. 240 Kontakt-Ästimation ist in erster Linie zu einem Zeitpunkt sinnvoll, an dem noch offen ist, ob der Adressat in die Fortsetzung des Kontakts einwilligen wird. Doch auch, wenn der Adressat bereits eingewilligt hat, kann (neuerliche) Kontakt-Ästimation den Sympathiefaktor noch erhöhen und damit einen positiven Verlauf der Fortsetzung des Kontakts begünstigen. Bei R21 legt der Orator M, unmittelbar nachdem er die Telefonnummer des Adressaten erhalten hat, mit einer weiteren Kontakt-Ästimation nach: (R21)4,243-------------------------------------------------------------------------------------------- M nee weil es war richtig cool. (so) mit dir zu plaudern. ich meld mich F ok --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M einfach mal. F ja genau. Anders als das von Guhr (2008) beschriebene Nutzargument (siehe Kap. V.2.2), welches als Maske für die wirkliche Motivation des Orators fungiert, gewährt Kontakt-Ästimation einen kurzen Einblick in Beweggründe hinter dieser Maske. Zwar stellen jene Beweggründe bei konventionellen Erstkontakt-Gesprächen i.d.R. ein offenes Geheimnis dar, doch die selbstbewusstcharmante Bezugnahme auf dieses Geheimnis kann dem Adressaten durchaus imponieren. Signalisiert der Adressat trotz aller Bemühungen des Orators, dass er kein Interesse an einer Fortsetzung des Kontakts hat, kann es für den Orator dennoch strategisch vorteilhaft sein, weiterhin wertschätzendes Verhalten an den Tag zu legen. Bei R22 etwa ästimiert der Orator trotz der bereits erhaltenen, offensiv kommunizierten Abfuhr die Bekanntschaft der Adressatin: (R22)7,218-------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja: Kann ich dir mal d äh meine geben? Okay. ((2 %lacht F Ne: ich glaub net. Wiegt den Kopf auffällig hin und her, --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Sec)) Aber war trotzdem nett dich kennengelernt zu haben. %lacht F lacht dann nickt Solange das Gespräch nicht beendet ist, besteht prinzipiell auch nach einer abweisenden Reaktion des Adressaten auf den Vorschlag zur Fortsetzung 240 In einem Fall (Gespräch Nr. 6, siehe R24) kündigt die Adressatin allerdings an, ihren Freund zum verabredeten Treffen mitzubringen und in einem Fall (Gespräch Nr. 16) erwähnt der Adressat, dass er eine Freundin hat. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 204 des Kontakts noch die Chance einer „Kehrtwende“. In diesem Kontext ist interessant, dass die Fortsetzung des Kontakts bei acht Korpus-Gesprächen nicht nur gegen Ende, sondern zusätzlich bereits in der Gesprächsmitte verhandelt wird. Im Fall eines negativen Signals bei der ersten Anfrage könnte der Orator insofern versuchen, das Gespräch fortzuführen, den Adressaten umzustimmen und zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Anfrage starten (dieser Fall kommt im Korpus allerdings nicht vor). Ein negatives Beispiel für die Reaktion des Orators auf eine Abfuhr ist R23. Hier hat die Adressatin auf seine Anfrage bzgl. eines gemeinsamen Kinobesuch bereits mitgeteilt, dass sie weder am selben Tag noch am Wochenende Zeit hat. Orator M beleidigt daraufhin den Herkunftsort der Adressatin und damit indirekt auch die Adressatin selbst: (R23)10,278------------------------------------------------------------------------------------------ M In F äh, Wochenende bin ich nämlich eigentlich, äh, daheim, also in Albstadt --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Albstadt? Albstadt-Ebingen Oh, ah, da hab ich ganz üble Mandanten F hm, ne ( ) --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M schon gehabt ja, ja, die sind ganz üble Älbler da die die streiten F Echt? was? Ja? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M sich um alles des is fu: rchtbar F Stimmt schon ja gut, ich mein, ich bin auch %lachend o-------------------------lachend----- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Kann man halt eh nix dafür, du %lacht F nicht stolz auf meine Herkunft ----------------------------------------o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M bisch ja ein leuchtendes Beispiel dann dagegen F Es hat ganz den Anschein, dass Orator M seine eigenen Emotionen hier nicht ausreichend unter Kontrolle hat. Mangelnde Affektregulation - Frust angesichts des gescheiterten Versuchs, sich fürs Kino zu verabreden - scheint ihn dazu zu verleiten, an F das Gegenteil von Image-Ästimation zu vollziehen. F wahrt hier zwar dem Anschein nach ihr Gesicht selbst, in dem sie den Fehltritt von M mit Humor nimmt und sich sogar solidarisch zeigt. Daran, dass M sich mit seinen beleidigenden Äußerungen keinen Gefallen getan hat, ändert freilich auch sein eigentümlich ironisch anmutender Versuch nachträglicher Gesichtswahrung (du bisch ja ein leuchtendes Beispiel dann dagegen) nichts. Nachdem er sich etwas später auch noch spöttisch-abwertend über 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 205 die allgemeine Wohnsituation in Tübingen äußert, und F ihm daraufhin entgegenhält, dass ihre eigene Wohnsituation in Tübingen durchaus schön sei, stehen die Chancen von M vermutlich nicht mehr gut. Am Ende des Gesprächs reagiert die Adressatin dann auch zurückhaltend auf seinen wohlweislich von Kontakt-Ästimation begleiteten Wunsch, sie möge ihn anrufen. In R24 hingegen bewahrt Orator M Haltung. Nachdem er die Telefonnummer von F erhalten hat und die beiden einen gemeinsamen Kinobesuch ins Auge gefasst haben, teilt F auf impertinent wirkende Weise mit, dass sie ihren zuvor erwähnten Freund zum Treffen mitbringen möchte: (R24)6,209-------------------------------------------------------------------------------------------- M Julia. Thomas. Das ja n Zufall. F Und du? Wie mein Freund. Den kann ich aber (mitbringen) oder? %beide lachen M stimmt zu und verbirgt seine sicherlich vorhandene Brüskierung erst einmal, lässt F stattdessen in Ruhe ihre Telefonnummer für ihn notieren. Doch gegen Gesprächsende wirkt er zunehmend demotiviert und kurz angebunden. F scheint seine berechtigte Enttäuschung zu spüren: Sie versucht, durch Fragen Anteilnahme am Tagesablauf von M zu signalisieren. Doch ihre Unverfrorenheit bzgl. des Mitbringens ihres Freundes sitzt. Das Gespräch endet mit Äußerungen, die trotz des Lachens von F im wahrsten Sinne des Wortes darauf hindeuten, dass die Stimmung auf dem Gefrierpunkt angelangt ist: (R25)6,233-------------------------------------------------------------------------------------------- M Jaja ganz furchtbar hier. F Hier ziehts n bisschen äh? Ja. Deshalb hab ich Dreht den Kopf zur Seite % lachend --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M F meinen Mantel angelassen. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz Das wichtigste emotionalrhetorische Instrument zur Erzeugung von Sympathie-Effekten ist die Demonstration emotionaler Konvergenz. Dieses Instrument stellt gewissermaßen eine spezifisch emotionalrhetorische Interpretation der von Bell/ Daly (1994: 97) im Rahmen des affinity-seekings beschriebenen Strategie des „Hervorhebens von Gemeinsamkeiten“ dar: Similarity. The affinity-seeker seeks to convince the target that the two of them share many similar tastes and attitudes. Example: The affinity-seeker often points out things to the target that the two of them have in common. Die Annahme „similarity which is positive and reinforcing breeds liking“ (Andersen/ Guerrero 1998a: 323) gilt in der Sozialpsychologie geradezu als VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 206 Gemeinplatz. In der Attraktionsforschung ist der Aspekt der Similarität (Ähnlichkeit) potentieller Partner seit Byrne (1971) auch als „law of attraction“ bekannt. Byrne konnte zeigen, dass Einstellungsähnlichkeit zu interpersoneller Attraktion241 führt. Er begründete den Zusammenhang mit dem Potenzial an positiver Verstärkung (Belohnung), das soziale Interaktion zwischen Individuen mit Einstellungsähnlichkeit beinhaltet (vgl. ebd.: 164f.). Andere Arten von Ähnlichkeit - nach Byrne z.B. Similiarität der Persönlichkeit, der Intelligenz, des wirtschaftlichen Status oder des Verhaltens - gelten gegenüber dieser spezifischen Art von Similarität als weniger einschlägig oder sind diesbezüglich zumindest umstritten (vgl. Rubin 1973: 169f.; Berscheid/ Hatfield Walster 1978: 88; Tidwell/ Eastwick/ Finkel 2013: 199). Einstellungsähnlichkeit kann jedenfalls als eine zentrale Grundlage für Paarbeziehungen betrachtet werden (vgl. Rubin 1973: 197f.; Mikula/ Stroebe 1991: 80ff.). Dabei deuten Studien darauf hin, dass es vor allem die von den betreffenden Interaktionspartnern wahrgenommene und weniger ihre tatsächliche (anhand eines Vergleichs von Selbsteinschätzungen ermittelbare) Ähnlichkeit ist, woran sich eine mögliche Passung bemisst (vgl. Tidwell/ Eastwick/ Finkel 2013). Einstellungsähnlichkeit ist für die Entstehung von Attraktion deshalb wichtig, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in vielen Punkten zu Einigkeit führt. Einigkeit mit dem Interaktionspartner wiederum wird als angenehm - im Sinne von Byrnes: als „belohnend“ - empfunden, weil sie Selbstbestätigung bedeutet: 242 Beeing agreed with on such a fundamental issue may amount to confirmation of one’s very identity, and disagreement may be equated with disconfirmation. […] one of the most important reasons for people’s desires to affiliate with others is to obtain just this sort of self-confirmation (Rubin 1973: 141). Attraktion und Sympathie gründen demnach letztlich auch auf einer Bestätigung der eigenen Identität durch andere: „Similarity, in the general case, fosters attraction because of the rewards a similar person can provide, such as joint activities, easy communication, and support for one’s own view of the world“ (ebd.: 150). Nun mag eingewendet werden, dass Kompatibilität zwischen Partnern nicht unbedingt auf dem Prinzip der Ähnlichkeit basieren müsse bzw. dass auch Gegensätzlichkeit bzw. Komplementarität eine gute Basis für Paarbildung darstelle (vgl. Becker 2009: 204). 241 Berscheid/ Hatfield Walster (1978: 3f.) definieren „interpersonelle Attraktion“ als „an indiviual’s tendency or predisposition to evaluate another person or the symbol of the person in a positive (or negative) way“. 242 Unter bestimmten Bedingungen kann Ähnlichkeit allerdings auch als bedrohlich wahrgenommen werden. So kann die Tatsache, dass man einen bestimmten Wesenszug an sich negativ bewertet, dazu führen, dass man eine andere Person, bei der dieser Wesenszug stark ausgeprägt ist, ablehnt (vgl. Rubin 1973: 159f.). 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 207 Dass Gegensätzlichkeit ebenfalls einen gewissen Attraktionswert haben kann („Gegensätze ziehen sich an“), soll hier keinesfalls in Abrede gestellt werden. Allerdings muss zwischen den unterschiedlichen Ebenen interpersoneller Attraktion differenziert werden, auf denen Ähnlichkeit bzw. Komplementarität zum Tragen kommen. So scheint sich das Prinzip der Similarität vor allem auf Wertvorstellungen von Partnern zu beziehen (value consensus), während das Prinzip der Gegensätzlich die Ebene der Bedürfnisse einer Persönlichkeit betrifft (need complementary) (vgl. Rubin 1973: 197f.). Demnach versteht sich bspw. ein Paar gut, das die Bedeutsamkeit von Treue in der Beziehung gleich bewertet und in dem der eine Partner gerne umsorgt werden möchte, während der andere Partner gerne umsorgt, selbst aber nicht das Bedürfnis hat, umsorgt zu werden. Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass Gegensätzlichkeit bzw. Bedürfnis-Komplementarität erst in einem späteren Stadium von Paarbeziehungen ausschlaggebend für deren Gelingen wird, während Similarität bzw. Wertekonsens vor allem im Anfangsstadium von Beziehungen - und somit auch in Erstkontaktgesprächen - einen Einfluss darauf hat, wie erfolgreich die Paarbildung verläuft (vgl. ebd.). Angesichts dessen könnte eine vorsichtige Konturierung von Gegensätzlichkeiten auf der Bedürfnisebene in einem fortgeschrittenen Stadium der Partnerwerbung u.U. durchaus sinnvoll sein. Speziell im Rahmen von Erstkontaktgesprächen muss ein systematisches Herausstellen von Unterschieden allerdings als kontraproduktiv betrachtet werden, weil es hier zunächst einmal notwendig ist, eine Ausgangsbasis der Gemeinsamkeiten zu modellieren (siehe dazu auch die Korpusstatistik in Kap. VI.2.5.1). Worin genau besteht nun die emotionalrhetorische Interpretation des „Hervorhebens von Gemeinsamkeit“ im Sinne von Bell/ Daly? Allgemein formuliert besteht sie im kommunikativen Hervorheben spezifisch emotionaler Gemeinsamkeiten mit dem Kommunikationspartner. Eine emotionale Gemeinsamkeit zu haben bedeutet - in unserer Terminologie ausgedrückt - auf der Ebene emotionaler Bewertung annähernd bzw. weitestgehend übereinzustimmen bzw. zu konvergieren. Hierfür steht im Folgenden der Begriff der emotionalen Konvergenz .243 Emotionale Konvergenz bedeutet, dass sich die emotionalen Bewertungen der Gesprächspartner auf denselben Gegenstand beziehen und dieselbe Valenz (positiv/ positiv bzw. negativ/ negativ) aufweisen. Demonstriert der Orator emotionale Konvergenz, dann schafft er mittels kommunikativer Maßnahmen gezielt Evidenz dafür, dass er hinsichtlich der emotionalen Bewertung eines 243 In der Forschung zur Emotionen in der sozialen Interaktion wird auch der Begriff des „emotionalen Matchings“ verwendet (vgl. Andersen/ Guerrero 1998b: 84f.). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 208 bestimmten Gegenstands annähernd bzw. weitestgehend mit dem Adressaten übereinstimmt. 244 Der Begriff der Konvergenz steht dabei nicht für absolute Deckungsgleichheit (Kongruenz), sondern für die Annäherung von Positionen. So spielt es für das Vorliegen von emotionaler Konvergenz z.B. keine Rolle, ob die emotionalen Bewertungen genau die gleiche Qualität und Intensität aufweisen oder ob die sprachlichen Mittel, mit denen sie kommuniziert werden, sich gleichen. Entscheidend ist lediglich, dass die Interaktionspartner „valenzmäßig in dieselbe Richtung tendieren“, d.h. dass entweder beide eine positive oder beide eine negative Valenzzuweisung vornehmen. 245 Zwar muss emotionale Konvergenz nicht unbedingt kommuniziert werden - sie kann auch nur stillschweigend empfunden werden. Um allerdings emotionale Konvergenz im Gespräch „dingfest“ zu machen, müssen die Gesprächspartner einen kommunikativen Abgleich emotionaler Bewertungen vornehmen, d.h. ihre emotionalen Bewertungen kommunizieren (siehe Kap. VI.2.2). Die Annäherung von Positionen, die der Begriff der Konvergenz impliziert, verweist auf den Beziehungsaspekt von Sympathie. Im Sinne des Attraktionsaspekts der Similarität ist davon auszugehen, dass das kommunikative Evidentwerden von emotionaler Konvergenz zwischen zwei Gesprächspartnern deren emotionales Verhältnis positiv beeinflusst und ein entscheidendes Moment wechselseitiger Beziehungskonstitution darstellt. Insofern misst Zillig (vgl. 1977: 314f.) der Kommunikation von Bewertung hinsichtlich ihrer Konsequenzen für die Beziehungsebene zu Recht bedeutendes Gewicht bei. Ihm zufolge beeinflusst sie neben der Ebene der Machtverhältnisse und der Ebene des Bekanntheitsgrads auch die Ebene der „emotionalen Verbindung“. Für den Orator geht es beim Instrument der Demonstration emotionaler Konvergenz darum, dem Adressaten zu demonstrieren, dass zwischen ihnen 244 Fiehler (1990: 221) spricht seinem Muster der „Bewertungsteilung“ einen „demonstrativen Charakter“ zu. Es gehe dabei um die wechselseitige Verdeutlichung dessen, dass eine Bewertung gefordert sei bzw. um die Demonstration von Gleichheit (vgl. ebd.: 222). Kallmeyer (1979: 558) spricht im Rahmen seiner Ausführungen zum Interaktionsmuster „Exaltation“ (siehe auch Kap. VII) von einer Manifestation von „Reziprozitätsverhältnissen“ - z.B. von einer „wechselseitigen Geteiltheit von Bewertungen und Relevanzsetzungen“ -, welche sich der Darstellungsform „Demonstrieren“ bediene. In ähnlicher Weise spricht Drescher (2003: 130) von einem „Signalisieren von affektiver Reziprozität“ als entscheidendem Beitrag zur „affektiven Synchronisation“ der Interaktanten. 245 Die Redewendung, zwei Personen seien „ähnlich gepolt“, illustriert die Annahme, dass sich Menschen, die sich hinsichtlich der Zuweisung von Positiv-/ Negativ-Valenzen zu Gegenständen einig sind, sympathisch finden. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 209 auf emotionaler Ebene Einigkeit herrscht. Gelingt ihm dies, hat er einen wesentlichen Beitrag geleistet, um den „Sympathie-Test“ zu bestehen. 246 Was die Valenz konvergierender emotionaler Bewertungen betrifft, so ist es auf einer grundlegenden Ebene unerheblich, ob sie positiv oder negativ ausfällt - entscheidend ist, dass sich die Gesprächspartner diesbezüglich einig sind. Wenn es im Rahmen der Passungsexploration um die „Kompatibilität von Werten“ (siehe hierzu Becker 2009: 203ff.) geht, dann spielt es demnach keine Rolle, ob diese Werte anhand von positiver oder negativer Bewertung von Gegenständen vermittelt werden. Insbesondere kann „Einigkeit im Negativen“ ebenso verbindend wirken wie „Einigkeit im Positiven“. So tragen etwa Drescher (2003: 187f.) zufolge „gemeinsam inszenierte Entrüstungen […] zur Konstitution einer geteilten moralischen Haltung und damit zur Festigung interpersonaler Beziehungen bei“. Andersen/ Guerrero (vgl. 1998b: 85) konstatieren, dass sich das Teilen negativen Affekts positiv auf die Beziehung zwischen Interaktionspartnern auswirke, wenn es zu Verständnis, Empathie und dem Eindruck des Einander-ähnlich-Seins führe. Interessanterweise weist von den über 150 Fällen emotionaler Konvergenz im Tübinger Teilkorpus II die eine Hälfte eine positive Valenz und die andere Hälfte eine negative Valenz auf. 247 Bei den erfolgreichen Gesprächen deutet nichts darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der im Gespräch überwiegenden Valenz und dem Erfolg des Orators gibt: Bei fünf von zwölf erfolgreichen Gesprächen überwiegt die Anzahl der Fälle positiver Konvergenz (Konvergenz mit positiver Valenz) die der Fälle negativer Konvergenz (Konvergenz mit negativer Valenz), bei sechs ist es umgekehrt und bei einem herrscht Gleichstand. Bei den nicht erfolgreichen Gesprächen überwiegt nur in einem Fall die positive Konvergenz, in drei anderen Fällen die negative; in einem Gespräch manifestiert sich keine Konvergenz. Bei den Gesprächen, die hinsichtlich ihres Erfolgs nicht beurteilt werden können, überwiegt in drei Gesprächen negative Konvergenz, in zweien positive Konvergenz (zur Problematik des Erfolgskriteriums siehe Kap. III.1). 246 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass es in Gesprächen auch Konsens (bzw. Dissens) geben kann, der auf sprachlich-kommunikativer Ebene rational-sachlich erscheint. Ein Beispiel wäre etwa 4,213: F: a: ber das könnte auch daran liegen, dass se vielleicht nich hier wohnen. Wenn se nur einmal zu Besuch warn. - M: s richtig. ja. Auch rational-sachlich erscheinende Formen des Bewertens können zu Konsens (bzw. Dissens) führen (zur Abgrenzung emotionaler von rational-sachlich erscheinenden Formen des Bewertens siehe Kap. IV.2.1.2.2). Solche Phänomene werden durch unser emotionalrhetorisches Modell nicht erfasst, können die Wahrscheinlichkeit oratorischen Gesprächserfolgs jedoch ebenfalls beeinflussen. 247 Ausnahmen bilden drei Fälle, in denen „Ambivalenz“ vorliegt, d.h. in denen die Valenz der emotionalen Bewertung zwischen positiv und negativ changiert (zur hyperbolischen Ambivalenz siehe Kap. IV.2.2.2). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 210 Anzumerken bleibt freilich, dass sich das kontinuierliche Kommunizieren von negativer Valenz durch einen Gesprächsteilnehmer - insbesondere bei häufiger Wiederholung - durchaus stimmungsgefährdend bzw. demotivierend auf den Interaktionspartner auswirken kann. Auf einen solchen Zusammenhang und seine negativen Konsequenzen deuten Studien hin, denen zufolge umgekehrt unterschiedliche Stimmungslagen bei Interaktionspartnern dazu führen, dass diese zunehmend negative Themen verhandeln und sich im Lauf der Interaktion als immer feindseliger und kälter empfinden (vgl. Andersen/ Guerrero 1998b: 84). 248 Das kontinuierliche Kommunizieren von negativer Valenz kann außerdem Konsequenzen für das Image des Kommunikators haben. So kann der Adressat den Eindruck gewinnen, sein Gesprächspartner tendiere generell zu negativen Sichtweisen und Pessimismus bzw. dazu, anderen durch das Kommunizieren von negativer Valenz „die Laune zu verderben“, was im Rahmen von Erstkontakten als besonders unangemessen zu gelten hat. 249 Dies scheint etwa in Gespräch Nr. 17 der Fall zu sein. Hier toleriert der Orator-Proband das Übellaunigkeit des Konfidenten allerdings nicht lange (siehe R34 in Kap. VI.2.3; Kap. IX). Demgegenüber dürfte die Kommunikation von emotionaler Bewertung mit positiver Valenz das Kommunikator-Image tendenziell weniger gefährden. Das entsprechende Risiko hängt allerdings auch vom konkreten Gegenstand emotionaler Bewertung ab, denn allgemein Verpöntes gut zu finden kann für das eigene Image durchaus schädlich sein. In jedem Fall aber stellt die Empfehlung, Pessimismus zu vermeiden, eine Höflichkeitsmaxime dar (vgl. Kessel 2009: 171). Der im Korpus eher selten auftretende Fall, dass ein Gesprächsteilnehmer eine emotionale Bewertung mit uneindeutiger Valenz kommuniziert, etwa im Rahmen einer impliziten emotionalen Bewertung mit hyperbolischer Ambivalenz (siehe Kap. IV.2.2.2), ist aus emotionalrhetorischer Sicht deswegen problematisch, weil Konvergenz nur in Bezug auf eine eindeutige Valenz demonstriert werden kann. Um in solchen Fällen Irritationen zu vermeiden, kann der Orator durchaus einmal nachfragen. 248 Zu einem möglichen Zusammenhang von Stimmung und negativer Valenz siehe auch Kap. VI.2.3. 249 Interessant scheint in diesem Zusammenhang der Befund von Berry u.a. (1997), dass der Gebrauch von negativen Emotionswörtern durch einen Sprecher generell mit negativen Eindrücken beim Rezipienten einhergeht. Allerdings galt das Umgekehrte für positive Emotionswörter nicht: Sie hatten zwar einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Sprechers als „dominant“, nicht jedoch auf seine Wahrnehmung als „kompetent“ oder „herzlich“. Die Autoren sehen eine mögliche Begründung für diesen Befund darin, dass das Reden über positive Gefühle bei Erstbegegnungen als erwartbar und angemessen gilt, das über negative Gefühle hingegen nicht, wobei deviantes Verhalten eher zu Urteilsbildungen über Persönlichkeitsdispositionen führe (vgl. ebd.: 535). 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 211 Das Gegenteil von emotionaler Konvergenz ist emotionale Divergenz (Nichtübereinstimmung). 250 Sie liegt dann vor, wenn sich die emotionalen Bewertungen der Gesprächspartner auf denselben Gegenstand beziehen und eine konträre Valenz aufweisen (positiv/ negativ bzw. negativ/ positiv). Die Demonstration emotionaler Divergenz muss nicht zwangsläufig, kann aber tendenziell - insbesondere bei wiederholtem Auftreten - beim Gesprächspartner einen antipathischen Effekt auslösen. Für den nach Sympathiegewinn strebenden Orator ist das Evidentwerden von emotionaler Divergenz aufgrund eigener oder fremder kommunikativer Handlungen daher problematisch (siehe Kap. VI.2.5.2). Da er mit diesem Problem aber umzugehen wissen muss, wird im Folgenden nicht nur auf den für die Erzeugung von Sympathie wichtigen Konvergenz-Fall, sondern auch auf den Divergenz-Fall und die jeweiligen Manifestationsformen eingegangen. Die Demonstration emotionaler Konvergenz erfolgt im Rahmen einer Gesprächssequenz, die als Situation emotionaler Konvergenz (SK) bezeichnet werden kann. Der gegenteilige Sequenztyp ist die Situation emotionaler Divergenz (SD). 251 Bevor in den folgenden Abschnitten beide Konzepte im Detail vorgestellt sowie Chancen und Risiken oratorischer Handlungsoptionen diskutiert werden können, sei noch kurz auf die Frage der für SK bzw. SD konstitutiven gesprächsorganisatorischen Elementareinheiten eingegangen. 2.1 Exkurs: Zur Problematik gesprächsorganisatorischer Elementareinheiten Goffman (1971: 144) definiert den Turn bzw. Gesprächsschritt als „all of what an individual does and says during his turn at bat“, d.h. ihm zufolge umfasst ein Turn alles, was ein Gesprächsteilnehmer kommuniziert, während er an der Reihe ist. Vom Turn werden in der Gesprächsforschung normalerweise die Hörersignale unterschieden. Letztere werden auch als „Rückmeldeverhalten“ („back-channel-behavior“, vgl. Duncan 1973: 34f.) bezeichnet: Es handelt sich dabei um kurze sprachliche und nichtsprachliche Äußerungen des Hörers, die nicht auf eine Übernahme der Sprecherrolle zielen. Mit ihnen signalisiert der Hörer dem Sprecher in erster Linie Aufmerksamkeit, eventuell noch Zustimmung oder Ablehnung (Brinker/ Sager: 2006: 62). Bei den Hörersignalen lassen sich mit Brinker/ Sager (vgl. 2006: 62f.) näherhin Kontaktsignale wie z.B. ja, mhm, stimmt, genau, ich weiß, ja gut, eben, na ja, ich weiß nicht und Einstellungsbekundungen wie z.B. das ist ja interessant, das 250 Fiehler (1990: 156ff.) verwendet den Begriff der Divergenz im Zusammenhang mit dem Konzept „Divergenzmuster“ (siehe auch Kap. VI.2.3). 251 Vgl. dazu in einem allgemeinen Sinne die Kapitel „Gegensätze und Emotionen“ sowie „Gemeinsamkeiten und Emotionen“ bei Fiehler (1990). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 212 glaube ich nicht, ach Gott unterscheiden. Bei Gesprächsschrittbeanspruchungen (bei Duncan 1973: „claiming-of-the-turn-signals“) versucht der Hörer erfolglos, die Sprecherrolle zu erlangen (z.B. Also ich/ ich/ ...). In unseren Korpus-Gesprächen erweist sich eine Unterscheidung der Gesprächsbeiträge nach Turn bzw. Hörersignal allerdings oft als schwierig. Der Sprecherwechsel ist hier von hoher Kontigenz und Flüchtigkeit geprägt. Vermutlich dürfte es teilweise sogar den Gesprächsteilnehmern selbst schwerfallen, die Frage zu beantworten, ob sie mit einer bestimmten Äußerung die Sprecherrolle an sich ziehen wollen bzw. ob sie „an der Reihe sind“ (Turn) oder nicht (Hörersignal). Bublitz (1988: 153) fordert insofern zu Recht „a clear division between communicative actions and communicative rights“, d.h. eine Unterscheidung von faktischem kommunikativem Handeln und theoretisch-abstrakter Rederechtsverteilung. Wenn er in diesem Zusammenhang nicht einfach nur zwischen Sprecher und Hörer, sondern zwischen einem auf thematischer Ebene dominanten und größere Gesprächsbeiträge leistenden „primären Sprecher“, einem kleinere Gesprächsbeiträge leistenden „sekundären Sprecher“ und einem Hörersignale gebenden „Hörer“ differenziert (vgl. ebd. 153ff.), verkompliziert dies die Sache freilich eher. Abgesehen davon, dass Redeumfänge und thematische Dominanz zweier Gesprächspartner durchaus ähnlich sein können, wäre auch hier zu fragen, wo die Abgrenzung zwischen einem „kleineren Gesprächsbeitrag“ und einem „Hörersignal“ liegt bzw. woran festgemacht werden kann, ob ein Sprecher bei seiner Äußerung das Rederecht bei sich sieht oder nicht. Das Problem der Festlegung gesprächsorganisatorischer Elementareinheiten anhand des Kriteriums der Rederechtsbeanspruchung sehen auch Henne/ Rehbock: Verbale Äußerungen sind nicht eo ipso Gesprächsschritte oder Rückmeldungen, sondern werden als solche interpretiert, und zwar nicht nur vom Gesprächsforscher, sondern auch von den Interaktanten während des Gesprächs, wenn sie sich selbst oder dem Partner jeweils das Recht zubilligen, „an der Reihe zu sein“. „An der Reihe sein“ bedeutet für den Sprecher, eine bestimmte Redezeit für die Entfaltung eines als thematisch-illokutive Einheit konzipierten „Schritts“ beanspruchen zu können. Umfang, Inhalt und Verbindlichkeit dieses Anspruchs variieren jedoch entsprechend den Erfordernissen des jeweiligen Gesprächstyps, den Kommunikationsstilen der Beteiligten, den situativen Bedingungen, und demgemäß verlagert sich auch jeweils die Grenze zwischen „Sprecher“- und „Hörer“äußerungen [sic! ] (Henne/ Rehbock 2001: 261). Als Beispiel führen die Autoren an: Wenn sich Freunde in einer hitzigen Diskussionsphase unbekümmert ins Wort fallen und den Gesprächsschritt ohne Zimperlichkeit erobern, simultan behaupten, aber auch klaglos preisgeben, verflüchtigt sich der „turn“-Begriff 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 213 im strengen Sinne einer wechselnden und wechselseitig respektierten Rollenverteilung. Dies geschieht auch dort, wo stichomythischer Wechsel den Gesprächsverlauf kennzeichnet: im zugespitzten Schlagabtausch eines Streitgesprächs oder beim locker-flachsenden Geplänkel. Die Bälle, die man dann einander zuwirft, können mit einem Griff aufgefangen und zurückgeworfen werden, und spezielle Rückmeldungen über das Sammeln und Ordnen von Ballserien erübrigen sich: Die kurzen Gesprächsschritte haben zugleich rückmeldende Funktion (ebd.: 262). Es wird deutlich, dass das der Unterscheidung von Turn und Hörersignal zugrundeliegende Kriterium der Rederechtsbeanspruchung bei informellen Gesprächen problematisch ist, weil es die Unterscheidung einer aktiven Sprecherrolle und einer passiven Hörerrolle voraussetzt und häufig nicht klar ist, welcher der Interaktanten wann welche Rolle innehat. De facto gibt es eben zwei Sprecher, die sich mit mehr oder weniger Überschneidung ihrer Gesprächsbeiträge abwechseln. Um die geschilderte Problematik zu umgehen, verwenden wir im Folgenden ausschließlich den diesbezüglich neutralen Begriff des Gesprächsbeitrags, der mit Brinker/ Sager (vgl. 2006: 63) einen Oberbegriff für Gesprächsschritt (Turn) und Hörersignal darstellt. Dies gewährleistet insbesondere, dass auch kurze - ggf. (partiell) simultan gesprochene - emotionale Äußerungen vom Sequenzschema einer SK bzw. SD erfasst werden. 2.2 Situation emotionaler Konvergenz (SK) Eine Situation emotionaler Konvergenz (SK) ist eine Gesprächssequenz, in der es zur Demonstration von annähernder bzw. weitestgehender emotionaler Übereinstimmung mit dem Gesprächspartner kommt. 252 Die Minimalsequenz einer SK besteht aus zwei Gesprächsbeiträgen, wobei Gesprächspartner A im Rahmen seines Beitrags eine emotionale Bewertung (gemäß der Typologie in Kap. IV.2) äußert und Gesprächspartner B im Rahmen seines Beitrags entweder 1. eine emotionale Bewertung kommuniziert, welche sich auf denselben Gegenstand bezieht und dieselbe Valenz aufweist wie die emotionale Bewertung von A (zu dieser Kategorie zählen insbesondere auch empathische Kurzkommentare wie z.B. uah, klasse) oder 252 Vgl. dazu das Muster der (nicht notwendigerweise emotionalen) „Bewertungsteilung“ bei Fiehler (1990), das allerdings komplexer aufgebaut ist: „(1) Einführung eines Themas (2) Bekundung einer Bewertung durch Sp (2a) Äußerung einer Bewertung (2b) Verdeutlichung, daß auch vom Interaktionspartner eine (gleiche) Bewertung gefordert wird (3) Bekundung der Bewertungsteilung durch Hö (3a) Äußerung einer Bewertung (3b) Demonstrative Betonung der Gleichheit der Bewertung“ (ebd.: 221). Als Beispiel für eine „vollständige Instanz“ des dreiteiligen Musters führt Fiehler folgende nur zweiteilige Sequenz an: „A: ,Schönes Wetter heute, nicht? ‘ - B: ,Ja, wirklich ein herrliches Wetter! ‘“ (ebd.). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 214 2. eine Äußerung kommuniziert, die sich als Zustimmung zu der emotionalen Bewertung durch A interpretieren lässt (z.B. Stimmt / Du hast Recht / oder Ja, voll / Total u.ä.; auch längere Bemerkungen, die im Sinne einer Zustimmung gedeutet werden können, sind hier möglich; reine Aufmerksamkeitssignale wie hmhm / ja oder Kopfnicken zählen nicht dazu) oder 3. eine Äußerung kommuniziert, mit der er Verständnis für die emotionale Bewertung durch A zum Ausdruck bringt (z.B. Das verstehe ich / Das kenne ich / Das kann ich nachvollziehen u.ä., ohne sich im selben Zug von der Position von A zu distanzieren). 253 Die Reaktionsvarianten 1-3 stehen für drei verschiedene Arten, auf die Gesprächspartner B emotionale Konvergenz demonstrieren kann. Formal betrachtet bezieht sich Variante 1 auf emotionale Äußerungen (im Sinne von Kap. IV), während sich die Varianten 2 und 3 auf unemotionale Äußerungen beziehen. Eine diesbezügliche Grauzone stellen emotional getönte Zustimmungen wie Ja, voll / Total dar (siehe Kap. IV.1.1.1.1); aufgrund ihrer zustimmenden Funktion werden sie hier zu Variante 2 gezählt. Dementsprechend enthält eine SK stets mindestens eine emotionale Äußerung - die von Gesprächspartner A -, wobei die Reaktion von Gesprächspartner B auf sprachlich-kommunikativer Ebene emotional sein kann (Variante 1), aber nicht muss. D.h. die Demonstration emotionaler Konvergenz kann durch B sowohl mittels emotionaler als auch mittels unemotionaler Äußerungen realisiert werden. Einer emotionalen Bewertung zuzustimmen (Variante 2) bzw. Verständnis für sie zum Ausdruck zu bringen (Variante 3), stellt auf sprachlich-kommunikativer Ebene zwar keine emotionale Äußerung gemäß der in Kap. IV.2 beschriebenen Realisationsvarianten emotionaler Bewertung dar; der Sprecher kommuniziert damit aber dennoch, dass er emotionale Konvergenz empfindet. Grundsätzlich können die jeweiligen Gesprächsbeiträge auch mehr als eine emotional bewertende bzw. eine Zustimmung oder Verständnis zum Ausdruck bringende Äußerung beinhalten (siehe die Äußerungen von F in R27). Abgesehen von der Minimalsequenz kann eine SK auch mehrere Gesprächsbeiträge umfassen. Sie kann z.B. wiederholtes Reagieren (Varianten 1-3) von Gesprächspartner B (siehe die Äußerungen von M in R27) oder auch mehrere aufeinanderfolgende Minimalsequenzen beinhalten (R31). 253 Eine solche Distanzierung läge z.B. bei der folgenden Äußerung vor: „Das kann ich nachvollziehen, aber ich selbst empfinde das anders.“ Zum Ausdrücken von Verständnis vgl. in einem allgemeinen Sinne das „Anteilnahmemuster“ bei Fiehler (1990: 150ff.). 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 215 Gelegentlich können im Rahmen von SK (bzw. SD) statt emotionaler Äußerungen im engeren Sinne (Kap. IV.2) auch meta-emotionale Äußerungen (Kap. IV.3) zum Einsatz kommen (R43). Beispiele für die Reaktionsvariante 1 sind R26-R28: (R26)4,2----------------------------------------------------------------------------------------------- M Is dumm dass hier kein Automat hat, ge F mmh ja. voll ätzend. Bei R26 reagiert F auf die negative emotionale Bewertung (VAB) von M mit einer negativen emotionalen Bewertung (verkürzte VAB). Der von F verwendete Offensiv-Modus unterstreicht, dass sie dieselbe Valenz empfindet wie M - der Konvergenz-Effekt wird dadurch betont. 254 (R27)17,182------------------------------------------------------------------------------------------ F Das war so gut, das war echt total klasse, und richtig mit Feuer, und. und M uah, klasse --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nriesengroßer Chor, und das war superschön, also ich hab mich nur M ua: h --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F gefreut, wie ich da drinsaß M m echt so ua: h cool, auf jeden Fall, doch. Bei R27 reagiert M wiederholt mit positiven emotionalen Bewertungen (Interjektionen, verkürzte VAB) auf die zahlreichen positiven emotionalen Bewertungen von F. Dabei entspricht die dreifach wiederholte Interjektion uah in ihrer Ausdrucksstärke dem von F verwendeten Offensiv-Modus (total klasse, superschön, nur gefreut). (R28)17,18-------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm schön M und des war sehr, sehr cool Bei R28 geht es um einen Cocktail-Abend, dessen Besuch M emotional positiv bewertet. F zeigt durch einen empathischen Kurzkommentar, dass sie ihm das schöne Erlebnis gönnt. Genau genommen bewertet sie allerdings nicht den Cocktail-Abend, sondern die Tatsache, dass M durch den Cocktail- 254 Ähnliches wird in der Untersuchung von Pomerantz (vgl. 1984: 65ff.) deutlich, der bei konversationellem Beipflichten die Typen upgrade (durch Verwendung stärkerer Evaluationsmarker oder Intensitätsmarker) und downgrade (schwächere Evaluationsmarker) unterscheidet, wobei upgrade zur Kommunikation starker Übereinstimmung verwendet werde. „Downgraded agreements“ hingegen würden oftmals Divergenz- Sequenzen einleiten. In ähnlicher Weise stellt Adamzik (1984: 256) fest, dass „die Abänderung einer Wertung durch einen graduell höheren Wertausdruck als Reaktion auf eine vorangegangene Wertung des Gesprächspartners i.a. […] eher als Bestätigung aufzufassen ist“. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 216 Abend positive Emotionen hatte. Die Gegenstände „Cocktail-Abend“ (M) bzw. „positive Emotion durch Cocktail-Abend“ stehen hier in einem Kontiguitätsverhältnis (Ursache-Wirkung). Ein Abduktionsschluss ist möglich: Die positive Bewertung der Wirkung (positive Emotionen) einer bestimmten Ursache (Cocktail-Abend) geht im Normalfall mit einer positiven Bewertung der Ursache einher. In Spezialfällen wie diesem ist auch dann von emotionaler Konvergenz zu sprechen, wenn sich die emotionalen Bewertungen der Gesprächspartner bei genauerer Betrachtung nicht auf exakt denselben Gegenstand beziehen. Beispiele für die Reaktionsvariante 2 sind R29 und R30: (R29)17,150------------------------------------------------------------------------------------------ F aber sonst. Es deprimiert mich.. nbisschen. M Mja: schon. Bei R29 stimmt M der negativen emotionalen Bewertung mit der unemotionalen Äußerung Mja: schon zu. (R30)17,215------------------------------------------------------------------------------------------ F hmhm M sonst is ja voll peinlich, ich studier hier und kennst nichts, und so hm. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Des stimmt schon M Vergrab mich hinter meinen Büchern Bei R30 stimmt F der negativen emotionalen Bewertung (is ja voll peinlich) mit der simultan produzierten unemotionalen Äußerung Des stimmt schon zu. Ein Beispiel für das Auftreten beider Reaktionsvarianten (1 und 2) ist R31: (R31)17,31-------------------------------------------------------------------------------------------- M und dann, also wenn dann noch die Sonne scheint, is natürlich richtig --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Des macht so ne so ne Winter- M geil, aber allein schon Schnee find ich so. hm. Ziemlich cool. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F harmonie, irgendwie Schön, aber dann mag ichs auch wieder, s M Ja, voll. So echt (zu: m) is cool. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F wennwenns draußen so kalt ist und so.. so viel Schnee liegt dann so. drin-. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nen im Bett zu kuscheln. Und. Und Musik zu hören Des is schön. M Uoah: Voll, ja 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 217 Bei R31 (siehe auch R41 in Kapitel IV.2.4.1.2.1) werden mehrere Minimalsequenzen zu einer umfangreicheren SK kombiniert. Zunächst reagiert F auf die explizite emotionale Bewertung seitens M (VAB) konvergent mit einer impliziten emotionalen Bewertung (Des macht so ne so ne Winterharmonie) (Minimalsequenz 1), die von einer expliziten emotionalen Bewertung eskortiert wird (verkürzte VAB: irgendwie....schön). 255 M reagiert auf diese emotionalen Bewertungen wiederum konvergent (Minimalsequenz 2) mittels einer emotional getönten Zustimmung (Ja, voll) und einer VAB (is cool). F verschiebt nun den Gegenstand emotionaler Bewertung vom „Winter draußen“ zum „Winter drinnen“. Dabei verwendet sie eine SAB (dann mag ichs auch wieder) und eine VAB (Des is schön). M reagiert konvergent (Minimalsequenz 3) mit einer simultan geäußerten Interjektion (Uoah: ). Er wiederholt die Demonstration emotionaler Konvergenz mit einer emotional getönten Zustimmung (Voll, ja). Beispiele für die Reaktionsvariante 3 sind R32 und R33: (R32)4,17--------------------------------------------------------------------------------------------- M und da hab ich irgendwie nich so/ so richtig Lust drauf im Moment. F Kenn ich so. (R33)8,44--------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja nee grad keine Lust zu lernen %lacht leicht F Ja das kann ich gut verstehen. Bei R 32 und R33 zeigt F jeweils Verständnis für die emotionale Bewertung von M (es handelt sich um SAB, d.h. das Sprechergefühl wird akzentuiert), indem sie zum Ausdruck bringt, dass es ihr schon ähnlich ergangen ist bzw. dass sie die von M kommunizierte emotionale Bewertung nachvollziehen kann. Insbesondere dann, wenn es um akute Gefühlszustände eines Gesprächspartners geht, kann diese Variante der Demonstration emotionaler Konvergenz zum Einsatz kommen. Akuten Gefühlen kann man nicht zustimmen, man kann sie jedoch empathisch nachvollziehen bzw. Verständnis für sie zeigen. SK treten bis auf eine Ausnahme 256 in allen Gesprächen des Korpus auf, und zwar zwischen einmal und 16-mal, im Durchschnitt 7-mal pro Gespräch, insgesamt über 150-mal. Während von den fünf nicht erfolgreichen Gesprächen alle bis auf eine Ausnahme (Nr. 9) eine unterdurchschnittlich hohe Anzahl 255 Zum Phänomen der Explizit-Eskortierung impliziter emotionaler Bewertungen siehe Kap. IV.2.2.1. 256 Im nicht erfolgreichen Gespräch Nr. 3 kommt es weder zu SK noch zu SD. Das Gespräch ist für das Korpus äußerst untypisch, weil die Gesprächspartner die meiste Zeit damit verbringen, über eine historische Frage zu diskutieren, bzgl. derer sie sich nicht einigen können. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 218 an SK aufweisen (eines, Nr. 3, weist überhaupt keine SK auf), findet sich bei vier der zwölf erfolgreichen Gespräche eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an SK. 257 Drei der fünf Gespräche, bei denen bzgl. Erfolg kein Urteil möglich ist, weisen ebenfalls eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an SK auf (zur Problematik des Erfolgskriteriums siehe Kap. III.1). 2.3 Situation emotionaler Divergenz (SD) Bei der Situation emotionaler Divergenz (SD) handelt es sich in Analogie zu SK um eine Gesprächssequenz, in der es zur Demonstration von emotionaler Nichtübereinstimmung mit dem Gesprächspartner kommt. 258 Die Minimalsequenz einer SD besteht aus zwei Gesprächsbeiträgen, wobei Gesprächspartner A im Rahmen seines Beitrags eine emotionale Bewertung (gemäß der Typologie in Kap. IV.2) äußert und Gesprächspartner B im Rahmen seines Beitrags entweder 1. eine emotionale Bewertung kommuniziert, welche sich auf denselben Gegenstand bezieht und die entgegengesetzte Valenz aufweist wie die emotionale Bewertung von A, oder 2. eine Äußerung kommuniziert, die sich im weitesten Sinne als Widerspruch oder Vorbehalt gegenüber der emotionalen Bewertung von A interpretieren lässt (z.B. Das finde ich nicht / Weiß nicht so recht u.ä.; auch längere Bemerkungen, die dahingehend zu deuten sind, dass die von A geäußerte emotionale Bewertung nicht geteilt wird, sind hier möglich) oder 3. eine Äußerung kommuniziert, mit der er Unverständnis für die emotionale Bewertung seitens A zum Ausdruck bringt (z.B. Das kann ich nicht nachvollziehen / Wieso denn? ). Im Übrigen gelten für SD analog die erläuternden Bemerkungen zu SK. Beispiele für die Reaktionsvariante 1 sind R34 und R35: 257 Dass freilich auch solche Gespräche erfolgreich verlaufen können, in denen es nicht besonders oft zu SK kommt, zeigen erfolgreiche Gespräche wie Nr. 14, (1 SK), Nr. 20 (2 SK) und Nr. 21 (2 SK), die allerdings alle auch keine SD aufweisen. 258 Vgl. dazu in einem sehr allgemeinen Sinne einerseits die von Fiehler (vgl. 1990: 209) aufgezeigten „Möglichkeiten, eine Gegenposition zu formulieren“ sowie Fiehlers „Divergenzmuster“ (vgl. ebd.: 156ff.), das er als zentrales kommunikatives Verfahren für die Prozessierungsstrategien Hinterfragen und Infragestellen betrachtet. Beim „Divergenzmuster“ handelt es sich um ein nicht explizit über bestimmte Gesprächseinheiten (z.B. Turns) definiertes, inhaltlich von SD abweichendes Konzept, für das Fiehler im Unterschied zu seinem Muster der „Bewertungsteilung“ (siehe Kap. VI.2.2) leider kein abstraktes Schema formuliert. Der Kommunikator versucht hier insbesondere durch das Aufzeigen von Alternativen, regulierend auf Emotionen des Gesprächspartners einzuwirken. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 219 (R34)17,6--------------------------------------------------------------------------------------------- F Aber es is M un und sowieso. Kotzt es mich grad son bisschen an, aber. Naja: --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F heut voll nschöner Tag, find ich Bei R34 hat die emotionale Bewertung von M (SAB) eine negative Valenz, die von F (VAB) hingegen eine positive. Der von F eingesetzte Offensiv-Modus verstärkt die Kluft zu der von M im Protektiv-Modus kommunizierten Valenz noch. Der Gegenstand emotionaler Bewertung ist bei beiden im weitesten Sinne die aktuelle (Tages-)Situation. (R35)17,249------------------------------------------------------------------------------------------ F Aber gut, wenn du die M ich finds voll cool. Ich finds tota: l sympathisch. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Dozenten dann nicht verstehst, dann isses schon bisschen schwierich. M Bei R35 hat die emotionale Bewertung von M (VAB) eine positive Valenz, die von F hingegen (VAB) eine negative. Der von M verwendete Offensiv- Modus (voll cool, total sympathisch) lässt seine Position nicht gerade kompatibel mit abweichenden Positionen erscheinen. Der von F verwendete Protektiv-Modus (bisschen schwierig) signalisiert demgegenüber diese Kompatibilität. Ein Beispiel für die Reaktionsvariante 2 ist R36: (R36)4,189-------------------------------------------------------------------------------------------- M Grad so.. man muss feststellen, dass Mama und Papa älter werden und. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dass man mit den Leuten mit denen man früher wenigstens noch gemütlich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M was trinken gehen konnte, dass man mit denen auch nichts mehr anfängt --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M bei mir schon (leise) F mh das kommt drauf an. aso. Viele meiner wirklich: . besten Freunde --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F von.früher. zu denen hab ich immer noch Kontakt Bei R36 kommuniziert eine implizite emotionale Bewertung (GAB) mit negativer Valenz: Er ist frustriert über eine gewisse Entfremdung von Eltern und früheren Freunden. Die Tatsache, dass M die Valenz der emotionalen Bewertung nicht expliziert, hat dabei einen prophylaktisch abschwächenden Effekt auf eine evtl. nachfolgende Divergenz-Demonstration seitens des Adressaten, welche hier auch prompt erfolgt. F reagiert mit einer Relativierung, VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 220 die sich als Widerspruch interpretieren lässt: Ihre Kontakte zu alten Freunden erweisen sich im Unterschied zu denen von M als durchaus noch fruchtbar. Ein Beispiel für die Reaktionsvariante 3 ist R37: (R37)6,129-------------------------------------------------------------------------------------------- M München is scheiße einfach. So. Hmhm. Das is ne total.ver- F Echt? Wieso? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M snobte Stadt F ((3 Sec)) Ich würde lieber nochmal in ne Großstadt ziehen du. Bei R37 kommuniziert F ihr Unverständnis für die von M geäußerte emotionale Bewertung mittels der Frage Wieso? und indem sie M ihre Präferenz für Großstädte entgegenhält. SD treten im Korpus im Vergleich zu SK deutlich seltener auf, nämlich nur 13-mal. Daraus kann freilich nicht geschlossen werden, dass die Gesprächsteilnehmer nur selten emotionale Divergenz empfinden. Vielmehr steht zu vermuten, dass sie die Divergenz nur in eingeschränktem Umgang kommunizieren, um Antipathie-Effekte zu vermeiden (siehe Kap. VI.2.5.2) bzw. die eigene soziale Anerkennung nicht zu gefährden oder auch um eine gewisse Gesprächsharmonie zu wahren (zum „Harmonieprinzip“ bei Kessel (2009) siehe Kap. VII.1). 259 Die 13 SD verteilen sich auf acht Gespräche (Nr. 4, 6, 7, 9, 15, 17, 18, 21). In vier dieser Gespräche (Nr. 7, 9, 15, 21) kommt es dabei jeweils nur zu einer einzigen SD, in den anderen zu zwei oder drei SD. Bis auf ein Gespräch (Nr. 7: 1 SK, 1 SD) überwiegt die Anzahl der SK die der SD, in den meisten Fällen um ein Vielfaches. Drei der Gespräche mit SD sind nicht erfolgreich (Nr. 6, 7, 9), vier erfolgreich (Nr. 4, 15, 17, 21) und bei einem (Nr. 18) lässt sich der Erfolg nicht beurteilen (zur Problematik des Erfolgskriteriums siehe Kap. III.1). Auffällig ist, dass bei allen Gesprächen, die SD beinhalten, die Anzahl der Konvergenz-Fälle mit negativer Valenz die Anzahl der Konvergenz- Fälle mit positiver Valenz überwiegt - bis auf eine Ausnahme („Gleichstand“ bei Nr. 15). Möglicherweise erhöht „Einigkeit im Negativen“ in gewisser Weise die Bereitschaft, Uneinigkeit kommunikativ evident werden zu lassen. Dies könnte u.U. an einer die Stimmung der Gesprächsteilnehmer negativ beeinflussenden und damit womöglich auch deren Bedürfnis nach 259 Nach Studien von Chen/ Berger (2013) kann das Vermeiden von Unannehmlichkeiten verhindern, dass divergierende Meinungen zur Diskussion gebracht werden. Je stärker die Positionen der Interaktionspartner divergierten, desto geringer werde die Wahrscheinlichkeit einer kontroversen Diskussion. Das Bedürfnis nach Konfliktvermeidung sei umso höher, je mehr es in der betreffenden Situation um soziale Anerkennung gehe. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 221 Harmonie reduzierenden Wirkung der Kommunikation von negativer Valenz liegen (siehe auch Kap. VI.2.4.1). Beispiele bieten die Gesprächspassagen R64 (Kap. VI.2.4.2) und R70 (Kap. VI.2.5.3), in denen die Gesprächsteilnehmer zweimal emotionale Konvergenz mit negativer Valenz demonstrieren, anschließend jedoch bzgl. eines anderweitigen Gegenstands emotionale Divergenz evident werden lassen. Nachdem die Gesprächssequenz-Typen SK und SD nun vorgestellt wurden, können in den folgenden Abschnitten die mit ihnen verbundenen Handlungsoptionen des Orators aufgezeigt sowie entsprechende Chancen und Risiken diskutiert werden. 2.4 Proagieren Da das Instrument der Demonstration emotionaler Konvergenz ein relativ komplexes Tableau an oratorischen Handlungsoptionen umfasst, ist es sinnvoll, in diesem Zusammenhang zwischen proaktivem und reaktivem oratorischen Handeln zu unterscheiden. Jede Gesprächshandlung (kommunikative Handlung in einem Gespräch) ist proaktiv, insofern sie eine Wahl aus mehreren Handlungsoptionen darstellt und den Reaktionsspielraum des Interaktionspartners einschränkt. 260 Jede Gesprächshandlung - außer einer initialen -ist reaktiv, insofern sie auf eine vorangehende folgt und in einem inhaltlichen Bezug zu dieser steht (bei abrupten Themenwechseln ist Letzteres nicht der Fall). Obwohl also fast jede Gesprächshandlung zugleich proaktiv und reaktiv ist, werden die beiden Betrachtungsweisen zur besseren Übersichtlichkeit im vorliegenden Kapitel analytisch getrennt. Zunächst wird erläutert, wie der Orator im Zusammenhang mit der Demonstration emotionaler Konvergenz proagieren kann. Die Demonstration emotionaler Konvergenz ist nur möglich, wenn im Gespräch überhaupt emotionale Bewertungen kommuniziert werden. Es liegt demnach im Interesse des emotionalstrategisch agierenden Orators, dass dies geschieht. Gesprächshandlungen, mit denen der Orator aktiv potentielle Gelegenheiten für SK schafft, werden im Folgenden unter der Kategorie oratorischen Proagierens gefasst. Es werden folgende zwei charakteristische Fälle besprochen: 1. Der Orator übernimmt selbst die Initiative und kommuniziert eine emotionale Bewertung, auf die der Adressat dann reagieren muss (eigeninitiatives Abgeben emotionaler Bewertung). 2. Der Orator animiert den Adressaten zur Kommunikation emotionaler Bewertung, indem er diese erfragt (Erfragen emotionaler Bewertung). 260 Im Sinne des Kooperationsprinzips nach Grice (1975) macht nur eine bestimmte Bandbreite an Reaktionen auf eine Äußerung Sinn. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 222 Im ersten Fall spekuliert der Orator darauf, dass der Adressat emotional konvergent reagiert, im zweiten Fall darauf, dass der Adressat eine emotionale Bewertung kommuniziert, auf die der Orator selbst emotional konvergent reagieren kann. Die folgenden Ausführungen beziehen sich in beiden Fällen auf Gegenstände, die im Gesprächszeitraum vor der betreffenden Interaktion noch von keinem der Gesprächspartner emotional bewertet wurden, d.h. auf Situationen, in denen zunächst noch Ungewissheit darüber besteht, wie der Gesprächspartner den betreffenden Gegenstand emotional bewertet. 2.4.1 Eigeninitiatives Abgeben emotionaler Bewertung Mit dem eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung zielt der Orator darauf ab, Gelegenheiten für die Demonstration emotionaler Konvergenz bzw. SK zu schaffen. Kommuniziert er auf eigene Initiative die emotionale Bewertung eines bestimmten Gegenstands, dann spekuliert er darauf, dass der Adressat emotional konvergent reagiert. 261 Tritt eine solche Reaktion tatsächlich ein, liegt eine SK vor und die Initiative des Courtship-Orators war erfolgreich. Die Demonstration emotionaler Konvergenz erfolgt in diesem Fall - anders als beim Erfragen emotionaler Bewertung (siehe Kap. 2.4.2) - zwar nicht durch den Orator, sondern durch den Adressaten, doch entscheidend ist, dass sie überhaupt erfolgt. Der Orator kann die Reaktion des Adressaten dann strategisch geschickt prozessieren (siehe „Fall zwei“ in Kap. VI.2.5.1). Kommuniziert der Adressat hingegen keine Konvergenz, muss der Orator dies einzuordnen wissen und entsprechende Reaktionsoptionen kennen (siehe Kap. VI.2.4.1.1). Das eigeninitiative Abgeben emotionaler Bewertung durch den Orator kann in diesem Zusammenhang als Stimulus für den Adressaten betrachtet werden, im Gegenzug seine eigene - idealerweise konvergierende - emotionale Bewertung des betreffenden Gegenstands zu kommunizieren. 262 Erstens 261 Drescher (2003: 129f.) sieht in der Reziprozität eine „grundlegende Eigenschaft der Darstellung emotionaler Beteiligung“: „Stellt ein Interaktant emotionale Beteiligung dar, so ist dies als eine Einladung an den bzw. die anderen Teilnehmer zu verstehen, diese spezifische Erlebensperspektive zu teilen.“ Laut Fiehler (1990: 223) wird im Rahmen des Musters der „Bewertungsteilung“ (siehe Kap. VI.2.2) bei der Bekundung einer Bewertung durch einen Sprecher eine „strenge konditionelle Relevanz“ aufgebaut. Diese besteht sicherlich dahingehend, dass eine - wie auch immer geartete - Stellungnahme bzw. Positionierung des Gegenübers erwartet wird, nicht aber dahingehend (wie von Fiehler intendiert), dass in jedem Fall eine Zustimmung erwartet wird. Auch sollte hier nicht von einer „strengen“ konditionellen Relevanz wie etwa bei Frage-Antwort-Sequenzen gesprochen werden - eher von einer konditionellen Relevanz mit präferierten (konvergenten) und dispräferierten (divergenten) Reaktionen. 262 Stevenson (1975), einer der Hauptvertreter emotivistischer meta-ethischer Theorie, bemerkt: „Just as factual sentences bear on the hearer’s beliefs, so evaluative sentences 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 223 scheint das Bedürfnis, sich gegenüber fremden Positionen selbst zu positionieren, in gewisser Weise ein menschliches Grundbedürfnis zu sein - darauf deutet zumindest die hohe Anzahl an SK bzw. SD in den Gesprächen des Korpus hin. Zweitens ist im Sinne der in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung wichtigen Reduktion von Ungewissheit 263 bzgl. der Persönlichkeitsdispositionen der Gesprächsteilnehmer davon auszugehen, dass es für denjenigen, der sich als erster positioniert hat, angenehm ist und von ihm als höflich empfunden wird, wenn sein Gesprächspartner sich unmittelbar darauf ebenfalls positioniert und somit seinen vorübergehend entstandenen Informationsvorsprung 264 aufgibt. Denn damit verschließt sich der reagierende Gesprächspartner demonstrativ die Möglichkeit, den Informationsfluss einseitig für sich auszunutzen bzw. ermöglicht auch seinem Gegenüber im betreffenden Punkt die Passungsexploration - auf subliminaler Ebene kommt dies einem „Goodwill-Signal“ gleich. 265 Unter diesem Gesichtspunkt ist Höflichkeit in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung insbesondere auch eine Frage des Ermöglichens von Passungsexploration. bear, beyond that, on his attitudes. Or as i am accustomed to put it, the sentences respectively tend to ‚evoke‘ the hearer’s beliefs or attitudes“ (ebd.: 208). Stevenson bevorzugt im weiteren Verlauf den Begriff des „Einladens“: „Just as a factual sentence typically invites-so-to-speak the hearer to share the speaker’s expressed belief, so an evaluative sentence […] typically invites-so-to-speak the hearer to share the speaker’s expressed attitude“ (ebd.: 209). 263 Nach der „uncertainty reduction theory“ von Berger/ Calabrese (1975) und Douglas (1994) geht es bei Erstkontaktgesprächen zentral darum, Ungewissheit zu reduzieren bzw. an einen Punkt zu kommen, an dem das Verhalten des Gesprächspartners antizipiert werden kann. Selbstoffenbarung (self-disclosure) und das Stellen von Fragen sind typische Mittel, um Ungewissheit zu reduzieren. Die Reduktion von Ungewissheit fördert dabei die Entstehung von Sympathie (vgl. Taraban/ Hendrick/ Hendrick 1998: 333f.). „As the other person recognizes the specialness of disclosure, that very recognition draws forth reciprocal disclosure from the partner. In this way, ideally, the two people in interaction begin to create a bond between them, that, in the beginning of the relationship, carries the emotional tone that we call liking“ (ebd.: 348). 264 Zum Informationsvorsprung siehe auch den Begriff des protérhêmas in der Gesprächsrhetorik bei Knape (2009: 25). 265 Rubin (1973: 168f.) bemerkt im Zusammenhang mit Selbstoffenbarungen von Individuen: „Knowing more about another person than he knows about you is a way to remain ‚one-up‘ in interpersonal relationships. […] If, on the other hand, the recipient of an intimate disclosure is predisposed to keep alive the possibility of a more symmetrical relationship, then he will demonstrate his trustworthiness and good intentions by disclosing something about himself in return. He thus equalizes the vulnerability of the two parties, implicitly telling the other, ‚I am as willing to let you know me as you are to let me know you.‘ And he may go on to take further initiatives in disclosing himself, thus facilitating a gradually spiraling build-up of intimacy.“ VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 224 2.4.1.1 Widerstände Teilt der Adressat die vom Orator eigeninitiativ kommunizierte emotionale Bewertung und kommuniziert er dies auch, kommt es zu einer SK und das Kalkül des Orators ist aufgegangen. Doch es gibt auch die Möglichkeit, dass der Adressat nicht in gewünschter Weise reagiert. Hier sind zwei Arten von Widerständen zu unterscheiden: Zum einen Widerstand in Form von Verweigerung emotionaler Positionierung, zum anderen Widerstand in Form von Kommunikation emotionaler Divergenz. Erstere Art von Widerstand manifestiert sich darin, dass der Adressat überhaupt nicht auf den Stimulus zur Kommunikation emotionaler Bewertung reagiert und stattdessen eine Reaktion zeigt, aus der sich keine emotionale Positionierung erkennen lässt - etwa, indem er statt einer Antwort reine Aufmerksamkeitssignale wie aha, mhm, soso kommuniziert, Neutrale Responsitivität einsetzt oder das Thema wechselt. Nun muss das nicht bedeuten, dass der Adressat sich seiner Positionierung - wie auch immer sie aussehen mag - nicht bewusst ist; wahrscheinlicher ist, dass er sie verschweigen will (sei es, um im Divergenz-Fall nicht unhöflich zu sein, sei es, um dem Orator den Triumph emotionaler Konvergenz zu versagen). Für den Orator ist ein solches Verhalten des Adressaten insofern von Nachteil, als er sein Adressatenkalkül nicht entsprechend justieren kann und er im Fall einer vom Adressaten stillschweigend empfundenen Divergenz keine Möglichkeit hat, dieser konstruktiv zu begegnen (siehe Kap. VI.2.5.2) - andererseits werden die mit Divergenz tendenziell verbundenen antipathischen Effekte in einem solchen Fall auch nicht durch die kommunikative Evidenz einer SD forciert. Kommt es im Gesprächsverlauf wiederholt zu solchen „Ausweichmanövern“ des Adressaten, kann es sein, dass er kategorisch emotionale Distanz zum Orator wahren will. Auf der Ebene emotionaler Beziehung bedeutet dies eine „Kontaktverweigerung“: Es entsteht der Eindruck, dass der Adressat sich bedeckt hält, sich emotional verschließt, dem Gesprächspartner abweisend oder gleichgültig gegenübersteht. Grundsätzlich kann das eigeninitiative Abgeben emotionaler Bewertung durch den Orator auch als Akt der Selbstoffenbarung (self-disclosure, siehe auch Kap. VIII.1) betrachtet werden. Selbstoffenbarungen rufen beim Interaktionspartner tendenziell Sympathie hervor (vgl. Collins/ Miller 1994), weshalb der Orator mit dem eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung nicht nur auf Sympathie-Effekte einer evtl. resultierenden SK spekulieren, sondern auch versuchen kann, den Adressaten mit seiner Offenheit positiv zu beeindrucken. Erwidert der Adressat die Selbstoffenbarung jedoch nicht, deutet dies stark darauf hin, dass er sich nicht näher auf den Orator einlassen will. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 225 So zeigt bspw. Adressat M in Gespräch Nr. 16 ein auffällig hohes Maß an Neutraler Responsivität. Anstatt sich gegenüber Orator F emotional zu positionieren, kommuniziert er auffällig oft Echowiederholungen. Seine mangelnde Stellungnahme irritiert und scheint F zu verunsichern. Als Beispiel für sein Verhalten sei R38 angeführt. Hier wird F von M zunächst mittels einer Frage aufgefordert, München (emotional) 266 zu bewerten. Doch statt im Gegenzug ebenfalls eine emotionale Bewertung abzugeben, reproduziert M die Antwort von F lediglich und hinterfragt sie anschließend auch noch mit spöttischem Unterton - F lässt sich in die Enge treiben: (R38)16,107------------------------------------------------------------------------------------------ F München ist schön Ja %lacht M Wie ist München denn so? München ist schön? Warum --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja das weiß ich auch %lacht M bist du dann in Tübingen, wenn München so schön ist? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nich so genau Wie sich nach einer Weile herausstellt, hat Adressat M eine Freundin - vermutlich einer der Gründe, weshalb er gegenüber Orator F auf emotionaler Ebene weitgehend Distanz wahrt. 267 Die zweite Art von Widerstand besteht darin, dass der Adressat emotional divergent reagiert. In diesem Fall muss der Orator die abweichende Position des Adressaten sofort in sein emotionalrhetorisches Adressatenkalül integrieren und sich um eine strategisch angemessene Prozessierung der mit dem Risiko antipathischer Effekte behafteten SD bemühen (siehe hierzu „Fall zwei“ in Kap. VI.2.5.2). Da grundsätzlich immer ein gewisses Risiko emotionaler Divergenz besteht, liegt es nahe, dass der Orator (insbesondere in der Anfangsphase des Gesprächs) nicht leichtfertig vom eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung Gebrauch machen sollte. Er kennt den Adressaten zu Beginn nicht und kann im Lauf des Gesprächs auch nur in relativ begrenztem Umfang etwas 266 Da die Äußerung München ist schön keine symbolischen Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung bzw. der Hörer-Steuerung aufweist, wäre zu diskutieren, ob die Semantik von schön in dieser Aktualisierung tatsächlich als emotional einzustufen ist und es sich somit um eine emotionale Bewertung oder eine auf kommunikativer Ebene eher rational wirkende Bewertung handelt (siehe Kap. IV.2.1.2.2). 267 Kurioserweise verläuft das Gespräch, in dem es nur dreimal zu emotionaler Konvergenz kommt, dennoch erfolgreich. Gegen Ende tauscht M bereitwillig mit F Telefonnummern aus und fragt dabei sogar - das Klischee konventioneller Rollenverteilung bedienend - als erster nach der Nummer von F. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 226 über ihn in Erfahrung bringen. Das Adressatenkalkül befindet sich permanent im Aufbau, aktualisiert sich gewissermaßen im Sekundentakt. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, möglichst zutreffend einzuschätzen, was der Adressat emotional wie bewerten könnte. Genau das aber entscheidet beim eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung darüber, ob es zu SK und damit zu einem Sympathie-Effekt kommt, oder zu SD, und damit tendenziell zu einem Antipathie-Effekt. Letztlich gibt es für den Orator keine Gewissheit darüber, wie der Adressat einen bestimmten Gegenstand emotional bewertet. Zwar dürfte es bei der durch unser Korpus repräsentierten Zielgruppe der Studierenden tendenziell positiv belegt sein, ins Kino oder etwas trinken zu gehen, neue Leute kennenzulernen, ins Ausland zu gehen, Musik zu hören oder Sport zu treiben und tendenziell negativ, bei Verabredungen versetzt zu werden oder übers Wochenende lernen zu müssen - daher scheint es beim eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung noch am praktikabelsten, solche eher allgemein gehaltenen Gegenstände zu wählen (für Überlegungen zum Präzisierungsgrad des Gegenstands emotionaler Bewertung siehe auch Kap. VI.2.4.2). Doch muss sich der Orator darüber im Klaren sein, dass der Adressat selbst den gängigsten Valenzzuweisungen widersprechen kann. So kann er das Kinoprogramm oder die Gastronomie vor Ort als unattraktiv bewerten, es anstrengend finden, neue Kontakte zu knüpfen, es als Gruppenzwang empfinden, „unbedingt ins Ausland zu müssen“, sich über gängige Musikrichtungen lustig machen, Sport als „Mord“ bezeichnen bzw. Versetzt-Werden und Lernen am Wochenende als „halb so schlimm“ abtun. Insbesondere stark ablehnend eingestellte Adressaten können jeder vermeintlich noch so allgemein vertretbaren Position des Orators etwas entgegenhalten - u.U. auch, um zu signalisieren, dass sie sich durch Bemühungen des Orators nicht gewinnen lassen werden. In solchen Fällen wird es selbst für emotionalrhetorisch hochkompetente Oratoren schwierig, das Blatt zu ihren Gunsten zu wenden. Extrem erhöhtem Widerstand des Adressaten kann möglicherweise nur mit radikaler Abweichung von Standardstrategien und der Entwicklung kreativer Alternativkalküle begegnet werden (siehe Kap. V.2.1). Das folgende Beispiel zeigt, dass sich Unbedacht und Vorschnelligkeit beim eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung ungünstig auswirken können: (R39)6,99--------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja. Hab ich gesehn ja. War ich aber. F Und Matrix hasch aber gesehn? Hm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M nich so begeistert F Echt? Ich kenn fascht niemanden der den Film nich mag. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 227 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja? Ja ich würd nich sagen ich mag ihn nich aber es es reißt mich F Hmhm. Hm. Ja ((2 Sec)) Hm. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M nicht so vom Hocker einfach. Hmhm. F Hm. Ja ((2 Sec)) Hm. Ohne ersichtliche Notwendigkeit begibt sich Orator M in R39 mit einer emotionalen Bewertung des Films aus der Reserve. Prompt bekundet F mit ihrer Rückfrage (Echt? ) Unverständnis, glaubt überdies auch noch die Mehrheit auf ihrer Seite. Der Versuch von M, die SD abzumildern, indem er seine Position nachträglich relativiert, beeindruckt F wenig - kurzzeitig herrscht Schweigen. Es hat nicht den Anschein, dass M den Divergenz-Effekt hier kontrolliert bzw. strategisch gezielt zu Tage treten lässt (siehe dazu Kap. VI.2.5.2). Vielmehr prescht er - offensichtlich unreflektiert - mit einer emotionalen Bewertung vor, die ihn der Adressatin offenbar nicht gerade sympathisch macht. Besser wäre es gewesen, M hätte F zunächst gefragt, wie sie den Film emotional bewertet. Anschließend hätte er seine eigene emotionale Bewertung verschweigen und stattdessen Neutrale Responsitivität einsetzen können. Alternativ hätte M, anstatt eine emotionale Bewertung des Films zu kommunizieren, auch rasch eine Themenverschiebung (z.B. Gehst du oft ins Kino? ) vornehmen und so die potentiell Divergenz-trächtige Situation entschärfen können. So aber bietet er der Adressatin Angriffsfläche. Wenigstens bedient M sich hier des Protektiv-Modus (nich so begeistert), was seine emotionale Positionierung zumindest nicht völlig unvereinbar mit anderen Positionen erscheinen lässt (zur Verwendung des Protektiv-Modus bei Ungewissheit bzgl. Divergenz oder Konvergenz siehe auch Kap. VI.2.5.3). In R40 erweist sich eine durch M eigeninitiativ kommunizierte emotionale Bewertung als besonders ungeschickt. Der Gegenstand emotionaler Bewertung, ein Dialekt, ist in diesem Fall nämlich konstitutiv für das Image von F: 268 (R40)18,141------------------------------------------------------------------------------------------ F das is gemein o---lachend--o M Was ich ganz unangenehm find is Sächsisch, diese hä: is böse, --------------------------------------------------------------------------------------------------------- 268 In diesem Fall ist F zwar die Probandin in der Oratorrolle und M der der Konfident in der Adressatenrolle, doch an dieser Stelle geht es lediglich um das Prinzip einer bestimmten Interaktionsproblematik. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 228 F also urspünglich bin ich daher Fettnäpfchen o-------------lachend-----------o %lacht M ja, nein, also ach so, ok %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ja, hm, hab da so ne Gabe dafür M stürmt, offenbar ahnungslos, mit einer negativen emotionalen Valenz voran - und verwendet dabei auch noch den Offensiv-Modus (Intensifikator ganz in ganz unangenehm). Dadurch wird seine emotionale Bewertung für abweichende Positionen nicht gerade anschlussfähig. F kontert: Wer Sächsisch negativ bewertet, bedroht damit ihr „Gesicht“. Zum Glück nimmt sie den ungewollten Affront anschließend aber gelassen: Sie hoffe, dass man ihr die Herkunft nicht mehr unbedingt anhöre. Auf den darauffolgenden neuerlichen Fauxpas von M (also ich würd dich jetzt auch nicht unsympathischer finden, wenn du Sächsisch sprechen würdest) reagiert sie mit Humor (ich wills nicht darauf ankommen lassen). Wie die Beispiele zeigen, ist das eigeninitiative Abgeben emotionaler Bewertung nicht nur mit der Chance verbunden, dass es zu einer SK kommt, sondern auch mit dem Risiko, dass es zu einer SD oder zu Ausweichmanövern des Adressaten im Verbund mit dem Risiko einer stillschweigend empfundenen Divergenz kommt. Um die Wahrscheinlichkeit entsprechend widerständigen Verhaltens des Adressaten zu reduzieren, kann der Orator bei der eigeninitiativen Abgabe emotionaler Bewertung auf bestimmte Techniken zurückgreifen, mit denen er dem Adressaten auf subtile Weise nahelegt, konvergent zu reagieren. 2.4.1.2 Konvergenz insinuieren Bei der eigeninitiativen Abgabe emotionaler Bewertung, beim Reagieren auf die Aufforderung zu emotionaler Bewertung (siehe Kap. VI.2.5.3) und in ähnlichen Situationen kann der Orator emotionale Konvergenz insinuieren. Die Insinuation emotionaler Konvergenz bezeichnet rhetorische Techniken mit dem Zweck, emotionale Bewertung auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die den Adressaten animieren soll, konvergent zu reagieren bzw. affektiven Widerstand (siehe Kap. V.2.1), der ihn von einer konvergenten Reaktion abhalten könnte, zu minimieren. Das Grundprinzip der im Folgenden vorzustellenden drei Techniken ist die Veranschaulichung. Drescher (2003) betrachtet sie als eine von vier Dimensionen der Darstellung emotionaler Beteiligung (siehe Kap. II.3). 269 Mit- 269 Laut Drescher (2003: 101) handelt es sich bei der Veranschaulichung um eine „bislang wenig erforschte Dimension, bei der das ikonische Prinzip auf verschiedenen Ebenen 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 229 tels veranschaulichender Verfahren verhilft ein „Sprecher seinen Gesprächspartnern zu dem Gleichzeitigkeitserlebnis des Augenzeugen“ (ebd.: 101). Dabei zieht die Unmittelbarkeit der „Anschauung“ den Gesprächspartner in die Erlebens- und damit zugleich auch in die Bewertungsperspektive des Sprechers hinein. In der vorliegenden Arbeit werden auf der Basis des Gesprächskorpus drei unterschiedliche Techniken der Insinuation emotionaler Konvergenz bzw. Insinuationsmuster unterschieden: Deskriptive Elaboration (DE), Narrative Krisis (NK) und Mimetische Evidenz (ME). DE beruht auf der anschaulichen Beschreibung des Gegenstands emotionaler Bewertung, NK auf der Erzählung einer in emotionaler Bewertung kulminierenden Geschichte und ME auf der dramatisierenden Inszenierung emotionaler Bewertung. Kommuniziert der Orator emotionale Bewertung im Verbund mit einem oder mehreren dieser Muster, insinuiert er emotionale Konvergenz. Die emotionalrhetorische Funktion der Insinuationsmuster ist mit derjenigen der Hörer-Steuerung durch Appellmarker (siehe Kap. IV.1.2) vergleichbar: In beiden Fällen bemüht sich der Sprecher darum, die emotionale Bewertung so zu kommunizieren, dass sie dem Adressaten zustimmungswürdig erscheint. Doch während die Appellmarker auf der Wortebene operieren, sind die Insinuationsmuster auf der Textebene anzusiedeln. Dabei operieren DE und NK jeweils mit einer bestimmten „Grundfunktion“ von Text, nämlich mit Deskription bzw. Narration. 270 ME hingegen lässt sich am ehesten mit dem stilistischen Mittel der Evidenz (evidentia) in Verbindung bringen. Im Unterschied zu den „Superstrukturen“ bei Van Dijk (1980) - er versteht darunter globale Strukturen, die den Typ eines ganzen Textes kennzeichnen, wie z.B. Erzählstrukturen, Argumentationsstrukturen u.ä. (vgl. zum Tragen kommt. Da es überwiegend diskursive Verfahren sind, die diesen Effekt hervorrufen, verwundert es nicht, daß die entsprechenden Ausdrucksmittel in den Grammatiken kaum berücksichtigt wurden. Teilweise Beachtung fanden sie hingegen im Rahmen narratologischer Untersuchungen, da verschiedene Techniken der Veranschaulichung, wie etwa Inszenierung und/ oder Detaillierung eines Geschehens […] gehäuft im Zusammenhang mit der Ausgestaltung eines narrativen Kerns zu beobachten sind. Mit ihrer Hilfe wird die Erlebensperspektive des Sprechers, die auch zu der des Hörers werden soll, rekonstruiert. Nur so kann eine Affekt-Brücke im Sinne der rhetorischen Affektlehre entstehen, durch die es letztlich zu einer ‚affektiven Synchronisation‘ der Interaktanten kommt.“ 270 Heinemann/ Viehweger (1991: 237) sprechen bzgl. Narration, Deskription und Argumentation von „komplexen Strategiemustern“. Brinker (2005: 65ff.) greift diese Kategorien im Zusammenhang mit der Entfaltung von Themen in Texten auf und fügt der narrativen, deskriptiven und argumentativen „Grundform thematischer Entfaltung“ noch eine explikative hinzu. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 230 ebd.: 128) 271 - prägen die Insinuationsmuster nicht den gesamten Gesprächstext eines Kommunikators, sondern lediglich Teile davon, d.h. sie heben sich in Form und Funktion vom übrigen Gesprächstext ab. Übrigens können sie auch in monologischen Redetexten zum Einsatz kommen. 2.4.1.2.1 Deskriptive Elaboration (DE) Das Insinuationsmuster Deskriptive Elaboration (DE) beruht auf einer anschaulichen Beschreibung des Gegenstands emotionaler Bewertung oder auch von Aspekten, die mit diesem Gegenstand in Zusammenhang stehen. 272 Der Begriff der Elaboration im Sinne von „Ausarbeitung“ steht hier für das Anführen von Details. Oft werden im Rahmen von DE auch nur ein oder zwei Details genannt, die dann stellvertretend fürs Ganze stehen (pars pro toto). Das Objekt selbst aber - und das darf als ein wesentliches Spezifikum von Deskriptionen angesehen werden - sollte der Textproduzent (dem Ziel entsprechend) durch Auswahl und Anordnung bestimmter Lexeme […] kennzeichnen, und zwar so detailliert […] wie möglich und - mit Blick auf den Rezipienten - wie nötig (Heinemann 2000: 361). Oft genügen wenige „Stichwörter“, um die Imagination des Adressaten anzuregen, und darum geht es dem Orator bei DE ganz besonders. Indem er dem Adressaten den Gegenstand emotionaler Bewertung unter Betonung von Charakteristika, die eine bestimmte Valenzzuweisung rechtfertigen, kommunikativ vergegenwärtigt, schafft er gewissermaßen Evidenz für eine solche Valenzzuweisung. Ihr kann sich der Adressat nicht entziehen - die Zustimmung erscheint ihm als einzig angemessene Reaktion. Folgende Gesprächspassage, die viele von den Kodierern markierte Strukturen enthält, stellt ein gutes Beispiel für DE dar: (R41)17,29-------------------------------------------------------------------------------------------- M ich muss sagen, als es letztens so geschneit hat, fand ichs auch voll geil. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm hmhm M also weißt du, wenn so so dick Schnee lie: gt und dann, also wenn dann --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F M noch die Sonne scheint, is natürlich richtig geil, aber allein schon Schnee --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Des macht so ne Winterharmonie irgendwie Schön, M find ich so. hm. ziemlich cool Ja, voll. So echt 271 „[...] eine Superstruktur ist eine Art Textform, deren Gegenstand, Thema, d.h.: Makrostruktur, der Textinhalt ist“ (Van Dijk 1980: 128). 272 Vgl. hierzu in einem allgemeinen Sinne die Kategorie „Beschreibung/ Erzählung der situativen Umstände eines Erlebens“ bei Fiehler (vgl. 1990: 125f.). 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 231 F aber dann mag ichs auch wieder, wenns wenns draußen so kalt ist und M (zu: m) is cool --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F so.. so viel Schnee liegt dann so. drinnen im Bett zu kuscheln. und. und M --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Musik zu hören Des is schön. und dann is schön warm im Zimmer.. M Voll, ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F und. vielleicht nochn Teechen trinken M hmhm Ja, doch, des is.. ja Tee is geil. Doch, des stimmt Tee - -------------------------------------------------------------------------------------------------------- F M is geil. Doch, des stimmt. Orator F und Adressat M beschreiben in R41 gemeinsam etwas, das insgesamt als Winterstimmung oder, wie F es ausdrückt, Winterharmonie bezeichnet werden kann. Beide bewerten diesen Gegenstand emotional positiv (is natürlich richtig geil; des macht so ne Winterharmonie, irgendwie schön). Erwähnt werden Aspekte wie Schnee, Kälte draußen, im Bett kuscheln, Musik hören, Wärme im Zimmer und Tee, die den Gegenstand emotionaler Bewertung anschaulich illustrieren. DE wird hier interaktiv bzw. wechselseitig durch F und M konstituiert. Die Gesprächspassage ist von wiederholten Demonstrationen emotionaler Konvergenz geprägt (siehe R31 in Kap. VI.2.2). Letzteres ist auch bei R42 (siehe auch R27) beobachtbar: (R42)17,178------------------------------------------------------------------------------------------ F Ich war/ zu Weihnachten hab ich ne Karte bekommen für Carmina --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Burana. Kennst du des? Oh, das war super. Das war bei uns in der, Erfurt- M Ja o--nickt--o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F er Messehalle, und. das. das war so ein Ensemble das is überall rum M oh, wie geil --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F rumgeturnt. Das war so gut, das war echt total klasse, und richtig mit M uah, klasse --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Feuer, und. und nriesengroßer Chor, und das war superschön, also ich M ua: h --------------------------------------------------------------------------------------------------------- VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 232 F hab mich nur gefreut, wie ich da drinsaß M m echt so ua: h cool, auf jeden Fall, doch. Die Wörter Riesich, groß, monumental, schön, Feuer, Chor sollen in der Vorstellung des Adressaten M Bilder entstehen lassen, die ihn emotional ergreifen. Die Intensifikatoren in so gut, total klasse, riesengroß, superschön, nur gefreut indizieren symbolisch, dass diese Bilder für F mit emotionaler Erregung verbunden sind. Die Wiederholung von rum sowie und lässt sich so interpretieren, dass F angesichts der erinnerten eindrücklichen Bilder kurzzeitig die Kontrolle über den Sprachfluss verliert. Sie konzentriert sich ganz darauf, ihre Begeisterung für M nachvollziehbar zu machen. M reagiert auch tatsächlich mit vier emotional konvergenten Ausrufen (oh, wie geil; dreimal uah). R43 zeigt, dass auch meta-emotionale Kommunikation für DE geeignet ist bzw. zu einer SK führen kann: (R43)17,23-------------------------------------------------------------------------------------------- F Also ich fand des/ ich bin halt raus/ also ich hatte voll die Lust heut spa- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F zieren zu gehen, und es hat so schön nach Herbst gerochen. des mag ich M Ja, voll --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ganz doll Und die Sonne, ich finde, Sonne, des macht irgendwie. viel M echt? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F glücklicher, des... (lebt) M Ja, auf jeden Fall, vor allem im Winter Orator F beschreibt hier ihre Gefühle und Eindrücke des Tages. Sie nutzt dazu die vergangenheitsbezogene (ich hatte voll die Lust) sowie die auf die Gesetzmäßigkeit von Valenzzuweisung bezogene Variante meta-emotionaler Kommunikation (ich finde, Sonne, des macht irgendwie. viel glücklicher). M kann das Geschilderte offenbar nachvollziehen - er demonstriert emotionale Konvergenz. Typisch für DE ist eine „angedeutete Ausführlichkeit“, d.h. die Beschreibung wird detailliert begonnen und dann - in einem scheinbar unvollständigen Stadium (oft schon nach einem Satz) - abgebrochen. Denn es geht hier nicht um eine akkurate und umfassende Deskription eines Sachverhalts hinsichtlich aller seiner Facetten, nicht um sachliche Information, sondern um emotionale Bewertungen, welche die spezifische Beschaffenheit des Gegenstands beim Kommunikator evoziert und welche dieser beim Adressaten ebenfalls evozieren möchte. Indem er emotional signifikante Aspekte des Gegenstands herauspickt, kombiniert und benennt, spekuliert er darauf, dass der Adressat sie emotional gleich bewertet wie er. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 233 Von allen drei Insinuationsmustern verdeutlicht DE am stärksten das gemeinsame Grundprinzip der Veranschaulichung. Die imaginations-anregende Wirkung dieses Musters ist hervorragend geeignet, die Stimmung des Adressaten zu beeinflussen, welche wiederum die Wahrscheinlichkeit des Persuasionserfolgs beeinflussen kann (siehe zu diesem Zusammenhang Kap. VII). 2.4.1.2.2 Narrative Krisis (NK) Das Insinuationsmuster Narrative Krisis (NK) instrumentalisiert einen emotionalen Effekt, der mit dem Höhepunkt einer konversationellen Erzählung verbunden ist. Dieser Höhe- oder Wendepunkt, auf den das griechische Wort krísis (dt. ‚Beurteilung‘, ‚Entscheidung‘) Bezug nimmt, lässt sich an einem unerwarteten, emotional signifikanten, „kritischen“ und damit erzählwürdigen Ereignis innerhalb einer Geschichte festmachen und ist für narrative Strukturen allgemein charakteristisch. 273 Die Insinuation emotionaler Konvergenz basiert bei NK darauf, dass die emotionale Bewertung, die am Höhepunkt der Erzählung (oft implizit) kommuniziert wird, dadurch nachvollziehbar gemacht wird, dass die „Vorgeschichte“ des kritischen Ereignisses, auf welches sie sich bezieht, geschildert und somit die Basis für eine entsprechende emotionale Bewertung geschaffen wird. 274 Der Adressat wird durch die narrative Verlaufsstruktur Schritt für Schritt in eine geistige Position gebracht, in der er den Eintritt des kritischen Ereignisses emotional gleich bewertet wie der Erzähler (Orator) bzw. in der er sich der Angemessenheit der vom Erzähler insinuierten Bewertung nicht entziehen kann. Dieses Vorgehen erfordert vom Orator ein hohes Maß an „strategischer Einfühlung“ in die emotionalen Bewertungsprozesse des Adressaten. 275 Er muss herausfinden, welche Informationen zum Ablauf der Geschichte der Adressat benötigt, um das kritische Ereignis wie vom Orator gewünscht zu bewerten. Insbesondere dann, wenn die vom Orator zu kommunizierende 273 Zu Präzisionsversuchen des Kriteriums der Erzählwürdigkeit eines Ereignisses siehe Gülich/ Hausendorf (2000: 374). 274 Drescher weist im Zusammenhang von Erzählungen auf die besondere Bedeutung evaluativer Mittel hin. In ihnen komme „der narrative Punkt, die raison d’être der Erzählung zum Ausdruck“ (2003: 191). Fiehler (1990: 236) konstatiert: „Häufig dominiert beim Erzählen nicht die Absicht, dem anderen vergangene Ereignisse nahezubringen oder ein außergewöhnliches Erleben zu verdeutlichen, sondern die vergangenen Ereignisse werden primär erzählt, um dem Zuhörer die eigene Bewertung dieser Ereignisse zu kommunizieren.“ Vgl. hierzu auch Fiehlers Kategorie „Beschreibung/ Erzählung der situativen Umstände eines Erlebens“ (ebd.: 125f.). 275 Keen (2010) spricht bzgl. narrativer literarischer Texte von einer „strategischen Einfühlung“ des Autors im Sinne der Bestrebung, beim Leser Empathie hervorzurufen. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 234 emotionale Bewertung gegen gesellschaftlich konventionalisierte Gefühlsregeln wie z.B. „Über Geschenke freut man sich“ verstößt, kann der Rückgriff auf das Insinuationsmuster NK hilfreich sein, weil es den Grund für die deviante Valenz der emotionalen Bewertung nachvollziehbar macht und so potentiellen affektiven Widerstand reduziert. 276 Im Zuge dessen können etwa gewisse „Ausnahmen von der Gefühlsregel“ definiert, konsensuell legitimiert und im Fall weiterer Verbreitung kollektiv verankert werden. Doch selbst wenn die Erzählung lediglich eine bestehende Gefühlsregel bestätigt, trägt sie durch ihre Anschaulichkeit zu deren gesellschaftlicher Verfestigung bei. Drescher betont den identitätsstiftenden Charakter von Erzählungen: Auf der interpersonalen Ebene tragen Erzählungen nicht selten zur Konsensbildung bzw. zur Festigung einer sozialen Beziehung bei. Da sie der interaktiven Verständigung über Werte und Normen dienen, begünstigen Erzählungen nicht nur die individuelle Identitätskonstitution, sondern auch die Herausbildung kollektiver Identitäten, wobei letztere gerade durch eine geteilte emotionale Beteiligung im Sinne einer affektiven Synchronisation gefördert wird (Drescher 2003: 193). Konversationelle Erzählungen können gelegentlich recht kurz sein und fallen dann im Gesprächsfluss kaum auf. Doch auch wenn sie nur aus wenigen Sätzen bestehen, muss ein kritisches Ereignis bzw. ein (mehr oder minder intensiver 277) emotionaler Höhepunkt identifizierbar sein. Diese Annahme liegt auch dem bekannten Strukturmodell von Labov/ Waletzky (1973) zur Analyse narrativer Strukturen in Alltagserzählungen zugrunde. Ihm zufolge gliedert sich eine Erzählung in folgende thematische Einheiten (vgl. ebd.: 111ff.; Brinker 2005: 70): 1. Orientierung (Angaben zu Person, Ort, Zeit und Handlungssituation) 2. Komplikation (Darstellung eines ungewöhnlichen Ereignisses) 276 Cin/ Zanna/ Fong (2008) sprechen im Zusammenhang von Widerstandsreduktion durch „narrative Persuasion“ von einer „Transportabilität“ des Adressaten: Je stärker der Adressat in der Lage ist, sich vom Verlauf der Geschichte „gefangen nehmen“ zu lassen, desto eher kann mittels narrativer Strukturen ein persuasiver Akt herbeigeführt werden. - Im Zusammenhang von NK geht es freilich zunächst einmal nur um die Insinuation von emotionaler Übereinstimmung bzgl. eines bestimmten Gegenstands und nicht notwendigerweise um einen finalen persuasiven Akt. Prinzipiell aber lässt sich NK auch zur Erzeugung von emotionaler Konvergenz hinsichtlich eines im Zentrum des persuasiven Akts stehenden Gegenstands einsetzen (z.B. hinsichtlich der verabscheuungswürdigen Tat eines Angeklagten, aufgrund derer dieser die Höchststrafe verdient). 277 Im Fall einer Erzählung, die zur starken Emotionalisierung des Adressaten dient, wie im Fall des von Knape (2009b) behandelten „Pathosnarrativs“, welches insbesondere in literarischen Texten zur Anwendung kommt, erscheint der emotionale Höhepunkt intensiver als in Erzählungen, die von alltäglichen, eher unspektakulären Begebenheiten handeln. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 235 3. Evaluation (Bewertungen, emotionale Einschätzungen und Stellungnahmen des Erzählers zu den erzählten Ereignissen) 4. Resolution (Auflösung der Komplikation in positiver oder negativer Hinsicht) 5. Coda (Stellungnahme des Erzählers vom Erzählzeitpunkt aus; fakultativ) Dass im Grunde erst die emotionale Signifikanz des ungewöhnlichen Ereignisses die Geschichte erzählenswert macht, wird bei Gülich/ Hausendorf (2000) deutlich. Sie führen neben den in der Erzählforschung diskutierten Kriterien der Singularität bzw. Erzählwürdigkeit des Ereignisses das der „Emotionalität“ an: Mit dem Kriterium der Erzählwürdigkeit hängt das der Emotionalität eng zusammen […]. Relevanzsetzungen des Erzählers ergeben sich weniger aus den Ereignissen selbst als aus den damit verbundenen Emotionen und Bewertungen. […] Das Vorhandensein oder Fehlen von Emotionalität wird im allgemeinen als Kriterium für die Unterscheidung zwischen Erzählung und Bericht angenommen. […] Emotionalität kommt also mit Hilfe verschiedener sprachlicher Formen zum Ausdruck, so dass Erzählwürdigkeit (auch erst) beim Erzählen bzw. durch das Erzählen selbst hergestellt wird. […] Entsprechend spielen sprachliche Gestaltungsmittel in mündlichen und schriftlichen, alltäglichen […] ebenso wie in literarischen Erzählungen eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der Ereignisqualität als singulär, erzählenswert bzw. ungewöhnlich und emotional (Gülich/ Hausendorf 2000: 374). Demnach wird die emotionale Signifikanz des Ereignisses durch den Erzählerdiskurs modelliert. Zwar kann sie durchaus expliziert werden (z.B. Das war so schrecklich für mich! ), häufig bleibt sie jedoch implizit (siehe z.B. die emotionalen Bewertungen von M in R44) und ergibt sich allein aus dem narrativ modellierten Spannungsbogen der Geschichte, dessen Höhepunkt das kritische Ereignis markiert. Boueke u.a. (1995: 92-118) ziehen zur Beschreibung der affektiven Markierung von Erzählungen die Kategorien „Valenz“, „Plötzlichkeit“ und „psychologische Nähe“ (Hineinziehen des Zuhörers in das Geschehen) heran. Sie halten fest, dass jeweils Inkongruenzen bzw. Kontraste die fundamentalen Faktoren der (narrativen) emotionalen Aktivierung bilden, also Diskrepanzen zwischen den Erwartungen und den tatsächlichen Ereignissen für den Aktanten sowie der Kontrast zwischen den sich daraus ergebenden Erzählkonstituenten für den Zuhörer (ebd.: 94). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 236 Unerwartetheit 278 - nicht etwa Spektakularität 279 - des Ereignisses ist demnach das entscheidende Kriterium bei der Identifikation des emotionalen Moments der Erzählung. Probzw. analeptische oder elliptische Sprünge im narrativen Diskurs können diese Identifikation natürlich erschweren. Quasthoff (2001: 1302) unterscheidet bei konversationellen Erzählungen zwischen der „Diskurswelt der Sprechsituation“ und der „Diskurswelt der ‚Geschichte‘“ und beschreibt verschiedene „gesprächsorganisatorische Jobs einer narrativen Diskurseinheit“ (Darstellung von Inhaltsrelevanz, Thematisierung, Elaborierung/ Dramatisierung, Abschließen, Überleiten). Sie versteht Erzählen als „interaktive Gesprächsstruktur“, die sich vom normalen turn-by-turn-talk abhebt. Sobald die Gesprächspartner die Welt der Geschichte betreten, tritt eine Art „Erzählritual-Kontrakt“ in Kraft, d.h. es gelten das konventionelle Ablaufschema der narrativen Diskurseinheit und besondere Regeln des Sprecherwechsels (erlaubt sind i.d.R. - wenn überhaupt - nur kurze Unterbrechungen zum Zweck der Verständnissicherung). Insbesondere das emotional signifikante kritische Ereignis (nach Quasthoff markiert durch „Elaborierung/ Dramatisierung“) ist innerhalb der spezifischen Struktur eines narrativen Ablaufschemas per Konvention vorgesehen. Diese Konvention macht sich der Orator im Rahmen von NK zunutze. Für ihn hat sie den Vorteil, dass er die emotionale Signifikanz des Ereignisses nicht unbedingt explizieren muss, weil der Adressat im Rahmen des Erzählritual-Kontrakts von vornherein mit einem Höhepunkt emotionaler Bewertung rechnet und sich deren Valenz aus dem Verlauf der Geschichte selbst erschließen kann. R44 illustriert das Funktionsprinzip von NK: (R44)4,107-------------------------------------------------------------------------------------------- M da is em Kumpel von mir. Mal was voll Geiles passiert. Der hat n Brief ge- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M kriegt/ also diese kleine Postkarte von wegen ähm. Buch irgnwie/ ja ozögerlich o F ja. 278 Bzgl. der von der griechischen Tragödie hervorzurufenden emotionalen Effekte éleos (Jammer) und phóbos (Schauder) bemerkt Aristoteles: „Diese Wirkungen kommen vor allem dann zustande, wenn die Ereignisse wider erwarten eintreten und gleichwohl folgerichtig auseinander hervorgehen“ (Arist., Poet., 9,9; Übers. n. Fuhrmann). 279 Drescher ist der Meinung, dass „die Bedeutung der inhaltlichen Dimension für die kommunikativen Effekte von Erzählungen“ überschätzt werde: „Den in Alltagserzählungen rekonstruierten Ereignissen fehlt nicht selten das Ungewöhnliche im Sinne einer kontextfrei zu ermittelnden reportability“ (2003: 189). Dem gegenüber ist anzumerken, dass Alltagserzählungen aber stets über eine aus dem Kontext ersichtliche Erzählwürdigkeit verfügen. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 237 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M entweder du kriegst ja dass dus zurückgeben musst oder eben auch dass F mh. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M u du von der Fernleihe was ausgeliehen hast oder so. und der hat dieses F ja. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Kärtchen gekriegt, hat nich richtig draufgeschaut. hat nun gedacht dieses --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dieses Buch woa: . Das hat er gar nich. un is an die Uni-Bib dann ir- F oah shit. a: hm. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M gendwie n Tag drauf gegangen und hat gsagt er hat dis Buch nich. er F ja. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M kanns auch nich zurückbringen. und dann hat sie gemeint, ja: dasschon --- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M logisch. Er hat es auch bestellt. äm sie haben ihn benachrichtigt dass ers o - --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M abholen kann. und das war ihm dann schon irgendwie glucksend -o %glucksendes F oh: nee: . --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ziemlich peinlich. und dann. Hat er sich ähm so mm! Ach so ja gut, Lachen --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M und dann hat die F/ Dame ihm das Buch geholt. er hat/ er war echt durch --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M n Wind und hat die gesagt, ja jetzt bräucht ich noch Ihren Ausweis und --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hat er eben. sein Personalausweis rausgeholt. Un dann Die %lacht o-- F %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M muss auch echt gedacht haben er ist total durchgeknallt jetzt so. --------------------------------------lachend------------------------------------o F höh. wie böse. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mh. Ja die muss halt F s wirklich gemein. ( ) gut. Könnte mir auch passiern. o - zu sich kommend -o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M auch gedacht haben, die Studenten wieder: . mh. Ham F Ja. Völlik verblasen. mh. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 238 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M sie aber auch nich ganz unrecht. F Ja: dis stimmt schon, manchmal is man --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F schon so verplant. Die von Orator M erzählte Geschichte über das Missgeschick seines Freundes enthält zwei kritische Ereignisse bzw. emotionale Höhepunkte. Der erste besteht darin, dass der Freund erfährt, dass er das Buch nicht zurückgeben, sondern abholen soll, der zweite darin, dass er anstatt seines Bibliotheksausweises seinen Personalausweis vorlegt. Die Aneinanderreihung der Höhepunkte hat einen steigernden Effekt, durch den sich die im ausführlichen Vorlauf erzeugte Spannung in zwei Stufen entlädt (ein Kodierer notiert bzgl. M: „Versucht Geschichte spannend zu machen“ (Lg)). Die mit den beiden kritischen Ereignissen verbundenen emotionalen Bewertungen von M bzw. F wurden in der Beurteilungsstudie jeweils von mehr als zehn Kodierern markiert. Es handelt sich dabei um die Äußerungen von M und das war ihm dann schon irgendwie ziemlich peinlich sowie Die muss auch echt gedacht haben er ist total durchgeknallt. jetzt so. Markiert wurden auch die emotionalen Kommentare von F zu diesen Äußerungen höh. wie böse. sowie s wirklich gemein. Die beiden Äußerungen von M stellen implizite emotionale Bewertungen (GAB) mit positiver Valenz dar: M amüsiert sich über das von seinem Freund empfundene Gefühl der Peinlichkeit (Gegenstand emotionaler Bewertung 1) und über die Stutzigkeit der Bibliotheksangestellten (Gegenstand emotionaler Bewertung 2). Dass der Freund angesichts seines Irrtums ein Gefühl der Peinlichkeit empfunden hat bzw. dass die Bibliotheksangestellte ihn als „total durchgeknallt“ betrachtet haben dürfte, ruft bei M so etwas wie Schadenfreude hervor, was auch sein Lachen zeigt (in Kodierer notiert: „Lachen (Freude) über die Ironie der Geschichte“ (Al)). Beide emotionalen Bewertungen gehen verstärkt mit symbolischen Emotions-Indikatoren einher (Appellmarker: dann, schon, irgendwie; auch, echt; Intensitätsmarker: ziemlich; total) - M scheint emotional stark involviert. Zum einen ist er mit dem Protagonisten persönlich befreundet, d.h. dessen Verhalten und Erlebnis lässt ihn nicht kalt (ein Kodierer notiert „humorvolle, indirekte Personenbeschreibung (Person, zu der ein Bezug existiert)“ (R)). Zum anderen handelt es sich um ein für Erstsemester nicht untypisches Missgeschick. Als Studierender kann sich M durchaus mit dem Freund identifizieren (F expliziert diese Identifikation mit ihrem Kommentar Könnte mir auch passiern). Die Kommentare von F zeigen, dass sie die kritischen Ereignisse und ihre emotionale Signifikanz für M erkannt hat. Sie bewertet die Ereignisse im Unterschied zu M nicht implizit, sondern explizit (VAB), dafür aber aus der 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 239 Perspektive des Protagonisten, d.h. negativ (böse, gemein), wobei sie emotional involviert scheint (symbolische Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung höh, wirklich). Allerdings zeigt ihr Lachen, dass sie sich aus ihrer eigenen Perspektive durchaus über die Ereignisse amüsiert. Das Zusammenspiel der Ausdruckskomponenten erscheint hier ambig (verbal: negative Valenz, paraverbal: positive Valenz), allerdings dominiert unterm Strich die positive Valenz des unwillkürlichen Lachens - F reagiert emotional konvergent mit M. Die anschließende Solidarisierung beider Gesprächspartner mit dem Protagonisten ist offenbar nötig, um den für M und F durchaus gesichtsbedrohenden Effekt ihrer Schadenfreude zu relativieren. Die Reaktion des Adressaten gibt bei NK Aufschluss darüber, ob das kritische Ereignis mit Erfolg konvergenzinsinuierend modelliert wurde. In R45 nimmt der Adressat (hier zufällig der Proband in der Oratorrolle, was aber dennoch das Funktionsprinzip von NK illustriert) den emotionalen Höhepunkt sogar vorweg, indem er den Erzähler unterbricht und mittels VAB (das is richtig klasse) emotionale Konvergenz kommuniziert: (R45)10,320------------------------------------------------------------------------------------------ M Wen kennsch du, der jemand kennt, der diese Wohnung hat? F ne, es war --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F schon Beziehung, aber,aber halt jetzt nicht ähm es war halt Zufall, ich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F hab, ich also ich kenn eine, die studiert au Englisch und Spanisch und --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F die isch mittlerweile aber schon etwas ( ) und die, ja die hat halt da --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F zur Zwischenmiete kurz gwohnt und mit der hab ich mich, ja, letschten --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm aha, ja F Sommer halt troffen hier, eigentlich um sie wegen ihrem Studium --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ein bisschen auszufragen und da hat sie gemeint, ja sie weiß, dass da eine --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M aha F im Oktober rausgeht aus der WG und dann bin ich gleich runter zur --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M das is richtig klasse F Vermieterin und dann hat sie gleich gsagt das war also VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 240 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm hmhm F richtig Glück, ja ich musst gar nix suchen ich hab praktisch gar --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M riesig, ja ja nicht angfangen ghabt mit suchen und hab schon was ghabt Angesichts der Unterbrechung führt F das Insinuationsmuster NK, welches an dieser Stelle vermutlich mit der Äußerung ich kann die Wohnung haben geendet hätte, nicht zu Ende, bestätigt M aber mit der Äußerung das war also richtig Glück, ja in seiner emotionalen Interpretation. Allerdings kehrt sie noch einmal zu NK zurück, indem sie die Erzählung mit einem Fazit (Labov/ Waletzky: „Coda“) vervollständigt (ich musst gar nix suchen). Offenbar genügt ihr die indifferente Gesprächspartikel hmhm als Reaktion von M an dieser Stelle nicht ganz, denn sie lässt ein neuerliches, inhaltlich zugespitztes Fazit folgen, woraufhin M seine emotionale Konvergenz noch einmal nachdrücklich zum Ausdruck bringt (riesig, ja). 2.4.1.2.3 Mimetische Evidenz (ME) Beim Insinuationsmuster Mimetische Evidenz (ME) performiert der Sprecher eine Art Rede in der Rede, indem er seine momentane Rede unterbricht, um die vergangene, zukünftige bzw. hypothetische Rede eines anderen oder seiner selbst wörtlich zu zitieren. Auch die Wiedergabe eines inneren Monologs ist möglich. Die Insinuation emotionaler Konvergenz beruht dabei auf dem dramatischen Charakter und der Evidenz (evidentia) des wörtlichen Zitats bzw. auf der simulierten Unmittelbarkeit fremder bzw. eigener Rede. ME liegt die Annahme zugrunde, dass simulative Performanz (mímesis), die als solche markiert ist, mit einem Appell an die Empathie des Adressaten einhergeht. In diesem Sinn ergeht überall da, wo ein dramatischer Akt - sei es die Aufführung einer ganzen Tragödie oder ein einzelner, ins Gespräch eingestreuter Satz - zum Einsatz kommt, eine implizite Aufforderung an den Adressaten, sich mit allen Sinnen von der simulierten Realität beeindrucken und emotional mitreißen zu lassen. Kommt der Adressat dieser Aufforderung nach, begibt er sich in einen „Rezeptionsmodus“, in welchem er insbesondere vom Simulator kommunizierte emotionale Bewertungen teilt. Auf stilistischer Ebene entspricht dem Insinuationsmuster ME in etwa die rhetorische Figur der sermocinatio (Impersonation). Plett (vgl. 2001: 86) stuft sie als Appellfigur ein, die zum Ausdruck starker oder schwacher Affekte geeignet ist. Nach Lausberg (2008: § 820) stellt die sermocinatio eine „der Charakterisierung natürlicher (historischer oder erfundener) Personen dienende Fingierung von Aussprüchen, Gesprächen und Selbstgesprächen 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 241 oder unausgesprochenen gedanklichen Reflexionen der betreffenden Personen“ dar. Sie stehe im Zusammenhang mit der evidentia, „ohne ein notwendiger Teil der Figur der evidentia selbst zu sein“ (ebd.). Die evidentia eignet sich nach Plett (2001: 32) generell „zum Bewegen der Affekte“. Der Grund dafür ist das eindringliche Phantasiebild, das durch die Verlebendigung von Totem (vgl. kinetische Metapher, Prosopopoiie), durch die Vergegenwärtigung von Vergangenem bzw. Zukünftigem (z.B. im epischen Präsens), durch die Aktualisierung von Abwesendem (Teichoskopie) im Rezipienten erzeugt wird. Dieser wird zum „fiktiven Augenzeugen“ (Lausberg) eines inneren Schauspiels, wozu der Text manchmal durch die cernas- Formel („sieh’ doch, wie [...]“) ausdrücklich einlädt. Eigenschaften dieses Schauspiels sind Konkretheit, Aktualität und Bewegung. Das Endziel der „enargetischen“ Darstellung ist die Ununterscheidbarkeit von Fiktion und Wirklichkeit, anders gesprochen: eine Illusionswirkung. Dazu tragen die meisten rhetorischen Stilkategorien bei, vor allem Amplifikation, Tropen und Appellfiguren. Die Voraussetzung dafür ist das Meiden von elokutioneller Affektiertheit oder - positiv formuliert - das Verbergen des rhetorischen Kunstcharakters (celare artem) (ebd.). Das Vermeiden von „elokutioneller Affektiertheit“ äußert sich bei ME darin, dass der Sprecher sich gewissermaßen nicht die Mühe einer stilistisch gehobeneren indirekten Rede oder einer kognitiv aufwändigeren sinngemäßen Wiedergabe in eigenen Worten macht, sondern stattdessen das scheinbar einfachste und „natürlichste“ Mittel eines wörtlichen Zitats wählt. Die kalkulierte Schlichtheit dieses Insinuationsmusters soll die im Verbund mit ME kommunizierte emotionale Bewertung besonders eindrücklich und „wahrhaftig“ erscheinen lassen. Die Sermocinatio eignet sich hervorragend zur Nachahmung „starker Augenblicksaffekte“ (pathopoeia, Lausberg 2008: § 821). Das plötzliche dramatisierende Heraustreten des Sprechers aus seinem normalen Rededuktus geht für den Adressaten mit einem Überraschungseffekt einher: Er wird sozusagen durch die emotionale Suggestivkraft der mimetischen Evidenz „überrumpelt“ und für die vom Sprecher kommunizierte emotionale Valenz eingenommen. Sandlund (2004) beobachtet im Rahmen ihrer soziolinguistisch-konversationsanalytisch perspektivierten empirischen Untersuchung zu der Frage, welche emotionalen Phänomene bei Diskussionen von Studierenden in Hochschulseminaren auftreten, 280 ein ähnliches Phänomen, nämlich die von 280 Sandlund identifiziert drei zentrale Emotionsbereiche - Frustration, Verlegenheit und Vergnügen -, und untersucht diese im Hinblick auf ihr sequentielles Umfeld, ihre interaktionalen Auslöser, ihre Prozessierung und Regulierung. Zu berücksichtigen ist, dass die von Sandlund untersuchten Polyloge (academic talk-in-interaction) in einem institutionell stark reglementierten Setting stattfinden. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 242 reported speech (indirekter Rede) abzugrenzende talk dramatization, worunter sie „hypothetical talk, inner speech/ thoughts, or enactments of possible talk“ (ebd.: 232) versteht: talk dramatizations represent imaginary, hypothetical or intra-cognitive speech. This particular type of reported speech has not been covered in the literature on reported speech in interaction, and as will be demonstrated, it can perform a set of particular actions in the pursuit of mutual enjoyment. The different types of reported speech can take many different syntactical forms, but it is through their place in a sequence, through prosodic cues and accompanying actions that the different forms can be distinguished. […] However, since we are dealing with hypothetical talk here, the teller of reported speech does not design the reporting to re-enact the emotional stance of an actual past conversation, but rather, a personal attitude toward what is being constructed, reported speech as joking, or dramatizations of an imagined scenario. […] talk dramatization in particular is used as a device for eliciting positive feelings, laughter and involvement, and [...] in modeling appropriate emotional responses (ebd.: 235). Was die Korpus-Gespräche betrifft, handelt es sich bei der im Rahmen von ME kommunizierten emotionalen Bewertung meist um eine verkürzte VAB, welche durch die Partikel so eingeleitet wird. Diese Partikel ersetzt umgangssprachlich das verbum dicendi, d.h. sie fungiert als Zitatmarker. Das Zitat selbst beginnt oft mit der Gesprächspartikel hm, welche eine gewisse Informalität signalisiert. Ein Beispiel ist die Äußerung so hm, toll in R46: (R46)17,172------------------------------------------------------------------------------------------ F %lacht M also wenn ich in son Konzert gehe, dann sitz ich da echt so hm, toll %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja das is auch alles so/ es geht alles so M lass das auf mich einwirken und so. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F so auf dich/ es is riesich so groß und monumental. Es is is auch schön. M Ja.. es ist voll geil F reagiert auf die ME von M mit DE (es is riesich so groß und monumental), welche in einer konvergenten emotionalen Bewertung gipfelt (Es is is auch schön), wobei die Verdoppelung des Verbs is auf gesteigerte emotionale Erregung hindeuten könnte. ME kann auch in Verbindung mit ironischer VAB auftreten. Bei R47 fungiert das Verb denken als Zitatmarker für die Wiedergabe eines kleinen inneren Monologs (toll. Hab ich mich...): 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 243 (R47)17,3--------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M jetzt wa: t ich hier und sitz und denk. toll. Hab ich mich am Samstag %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm das is auch immer so ne Sache, find ich. %lacht M extra rausgequält auch voll matschich und so %lacht M ist von einem Freund versetzt worden und bewertet dies emotional negativ. Orator F reagiert konvergent - mit der Wendung das is auch immer so ne Sache signalisiert sie Verständnis. Auffällig ist, dass sowohl bei R46 als auch bei R47 jeweils beide Gesprächspartner mit Lachen auf ME reagieren. Im Korpus lässt sich das öfters beobachten. Das dramatische Moment von ME appelliert mit seinem leicht hyperbolischen Grundzug offenbar an den Humor, was konvergente Reaktionen des Adressaten noch begünstigen dürfte. Im folgenden Beispiel wird ME mit einer impliziten emotionalen Bewertung verbunden. Dabei handelt es sich um die von den Kodierern als „emotional“ markierte Äußerung hast mich gar nich vermisst (oder): (R48)4,217-------------------------------------------------------------------------------------------- M und dann stellt sich zufälligerweise raus, ja ich war noch zwischendurch F Die andern die ( ) eim/ --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M im Ausland studiern und/ hast mich gar nich vermisst (oder). F ja M will in R48 vermutlich zum Ausdruck bringen, dass er es emotional negativ bewertet, wenn man Bekannten, die plötzlich „von der Bildfläche verschwunden waren“, nach längerer Zeit wieder begegnet und von ihnen mit dem gespielten Vorwurf konfrontiert wird, sie nicht vermisst zu haben. M zitiert diese Bekannten hier in der Ich-Form. Er empfindet die zitierte Äußerung der Bekannten offenbar als Heuchelei bzw. als Ausdruck einer „Pseudo-Verbindlichkeit“, d.h. das von M angeführte Zitat bildet den Gegenstand einer impliziten emotionalen Bewertung mit negativer Valenz. Durch das wörtliche Zitieren der Bekannten erzeugt M zugleich eine Evidenz, die F von der Misslichkeit der Situation überzeugen soll. Die Kodierer kommentieren, teils etwas drastisch: „Anflug von Hass, emotionales Solidaritätsangebot an F“ (Gu), „erregt, aggressiv“ (Al), „Beschreibung einer unangenehmen Situation“ (To). Doch auch das launige Element von ME wird konstatiert: „Humor“ (Re). Bei R49 zitiert M seinen eigenen inneren Monolog während eines Erlebnisses, bei dem ihm bewusst wurde, dass er den schwäbischen Dialekt nicht VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 244 versteht. Dabei expliziert er seine negative emotionale Bewertung dieser Tatsache mit einer VAB (Kacke.): (R49)17,257------------------------------------------------------------------------------------------ F o----------------lacht----------------o M Ich saß da das kann doch gar nich sein, andere Sprache, so hm. Kacke.und --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ja. hab ich gedacht.was geht denn jetzt? So hö? Voll krass.. %schüttelt Kopf Bei R50 bewertet M die Tatsache, dass er angesichts des Massenveranstaltungscharakters von Vorlesungen sich selbst versichern muss, ein Individuum zu sein, implizit emotional negativ (vgl. auch die Explizit-Eskortierung war son bisschen scheiße). Sein Lachen zeigt jedoch, dass er es mit Humor nimmt: (R50)1,180-------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja: . Nee, das war son bisschen scheiße am Anfang in Tübingen. dann --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M kommsch in n Hörsaal. und hocken 500 Leut drin und. so. ich bin ein F hmhm hmhm die Hälfte --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M so. ich bin ein Individuum %lacht F Stehplätze Bei R51 wird Prokrastinationsverhalten implizit emotional negativ bewertet, doch auch hier zeigt das Lachen der Gesprächspartner, dass sie dem „Handlungsaufschub“ zugleich eine amüsante Seite abgewinnen können. (R51)18,52-------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M Geh ich jetzt zur Vorlesung, ach ne, egal, ach ne Hausarbeit, ah ja, ne hm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M nächstes Semester %lacht Nicht selten operiert ME mit Interjektionen. Sie sorgen für eine besondere Lebendigkeit und erzeugen Aufmerksamkeit (siehe Kap. IV.1.1.2). Mit Drescher (2003: 107) laden sie den Gesprächspartner zum „affektiven Mitschwingen“ ein und tragen so zur „affektiven Synchronisation der Interaktanten“ bei. Sie beobachtet eine gehäufte Verwendung von Interjektionen „im Zusammenhang mit der Redewiedergabe als einer ‚nachspielenden‘, vereindringlichenden Inszenierung anderer ‚Stimmen‘“ und sieht in dieser Wortart ein „mimetisches Element“ (ebd.: 219). 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 245 Bei R52 wird die Interjektion hey mit dem Zitatmarker so und einer positiven impliziten emotionalen Bewertung zu ME kombiniert: (R52)18,127------------------------------------------------------------------------------------------ F o---- M ja, es is immer seltsam, so Leute aus dem Norden zu treffen, so hey, ihr o---- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ---------lacht----------------------o M sprecht mal nicht Schwäbisch ---------lachend-------------------o Bei R53 knüpft ME mit der Interjektion ua: an die ironische VAB und toll an: (R53)17,135------------------------------------------------------------------------------------------ M und am Wochenende sind die halt weg, und toll. Und ich sitz hier so und --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ua: Auch in diesen Beispielen geht es darum, eine emotionale Bewertung bzw. ein Gefühl, das der Kommunikator in einer bestimmten Situation hat, für den Gesprächspartner nachvollziehbar zu machen und ihn zu einer konvergenten Reaktion anzuregen. Zudem kann sich der Orator mit entsprechenden Äußerungen als „temperamentvoll“ inszenieren. Einen Sonderfall von ME stellen Ideophone wie z.B. klack-klack (zum Begriff des Ideophons siehe Reisigl 1999: 199) dar. Mit ihnen werden Geräusche imitiert und auf diese Weise emotionale Reize sinnlich erfahrbar gemacht. Im folgenden Beispiel bezeugen sich die Gesprächspartner negative emotionale Konvergenz bzgl. der Säuberung des Milchschäumers an einem Kaffeeautomaten. M illustriert das Ärgernis zum Schluss mittels eines Ideophons: (R54)1,71--------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja, F Das einzige Doofe is m/ trinkst du dann mit Milchschaum oder so? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M meischtens bin ich zu faul des mit dem Milchschaum %lacht F Ja genau des isses --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dann musch des Teil wieder putzen und.. irgendwie F nämlich, und dann des Saubermachen genau --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hab ichs au noch net so ganz raus, also gestern hats voll gschpritzt dann.. F %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M also ich hatte halt/ weil man muss dann ja irgendwie nochmal durch- F .. kenn ich VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 246 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M blasen, dass die restliche Milch raus isch. Und da hatt ich irgendwie noch F hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Milch in dem Glas und des hats dann voll so psch %imitierende Bewegung F %lacht Die ME qua Ideophon (so psch) markiert in R54 das emotional signifikante Ereignis einer stark verkürzten NK, mit der M sein gestriges „Putz-Erlebnis“ anschaulich vermittelt. Bei R55 erwirkt M bei F eine konvergente Reaktion bzgl. des Fahrstils mit einer bestimmten Art von Ski und unterstreicht seine Position mit einer ME qua Ideophon (pchchchch): (R55)2,176-------------------------------------------------------------------------------------------- M aber das sah auch nich so wirklich elegant aus wie die da rumgeeiert sin, F Nee, das sieht immer --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M das war so bisschen pchchchch %Handbewegung F bisschen komisch aus ME kann verstärkt durch para- und nonverbale Ausdrucksphänomene begleitet werden und sich zu regelrechten Show-Einlagen auswachsen. 281 Wie schon R54 deutlich machte, kann ME auch mit NK kombiniert werden. 282 In R56 verwendet der Kommunikator wiederholt ME (und sie dann immer so (wauwau); und ich so hm, was, wie bitte, nomal; und dann ham sie gmeint, ja, das Zimmer isch schon vergeben; und ich so oh), um die erzählte Geschichte - Erlebnisse in Montreal - anschaulich und hinsichtlich ihrer negativen emotionalen Signifikanz nachvollziehbar zu vermitteln: (R56)11,99-------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja im Laden hab ich versucht, mich mit Leuten zu unterhalten, das ging. 281 Das gesprächsrhetorische Konzept des Inszenierens von Schmitt (2003) hebt im Zusammenhang mit Emotionalität vor allem auf prosodische und gestisch-mimische Ausdrucksphänomene ab (vgl. ebd.: 204). 282 Lausberg (2008: § 1171-1241) ordnet die Sermocinatio bzgl. des Direktheitsgrades der kommunikativen Vermittlung einer Geschichte zwischen dem reinen Erzählen (narratio, minimaler Direktheitsgrad) und dem reinen Handeln (dráma, maximaler Direktheitsgrad) ein: „Der mittlere Direktheitsgrad nimmt also dramatische Elemente in sich auf, allerdings nicht durch sichtbare Beteiligung mehrerer Personen, sondern dadurch, daß der Erzähler, wenn er die Reden der Erzählungspersonen berichtet, aus seiner Erzählerrolle heraustritt und jeweils in direkter Rede wie eine Erzählungsperson redet. […] Das Hauptmittel dieses mittleren Direktheitsgrades ist also die sermocinatio“ (ebd.: § 1174). 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 247 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M überhaupt nicht F Ja, es isch echt, des isch so scheiße, am Anfang musst ich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F da ein Zimmer suchen und und dann hab ich halt auch so probiert --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F französisch, ja so, von der Schule konnt ich ja schon und dann hab ich da --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F immer so angrufen und ich konnt net verstehen, was die Leute da gsagt --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm F ham. Sie ham ja immer verstanden, was ich gsagt hab und sie dann --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F immer so (wauwau) und ich so hm, was, wie bitte, nomal und dann ham --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M und dann waren sie verärgert am aufleg- F sies drei mal gsagt und dann so --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M gen, gell? %lacht F und dann ham sie gmeint, ja, das Zimmer isch schon vergeben und --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ich so oh %lacht Die ME und dann ham sie gmeint, ja, das Zimmer isch schon vergeben - als verbum dicendi fungiert hier gmeint - markiert den negativen emotionalen Höhepunkt der Geschichte, den der Adressat aufgrund des humorigen Effekts von ME mit Lachen quittiert. 283 Eine weitere ME und ich so oh markiert die emotionale Signifikanz der narrativen Krisis zusätzlich. 2.4.2 Erfragen emotionaler Bewertung Indem der Orator den Adressaten danach fragt, wie dieser einen bestimmten Gegenstand emotional bewertet, kann er zum einen gezielt Informationen über emotionale Dispositionen, Einstellungen, Vorlieben und Abneigungen des Adressaten gewinnen, die für die Ausdifferenzierung seines Adressatenkalküls wichtig sind. Zum anderen, und darum geht es vor dem Hintergrund der Erzeugung von Sympathie mittels des Instruments der Demonstration emotionaler Konvergenz in erster Linie, kann das Erfragen emotionaler Bewertung potentiell in eine SK münden. Antwortet der Adressat mit einer emotionalen Bewertung, kann der Orator im Anschluss daran mit etwas 283 Für die Integration von ME in NK, insbesondere in Verbindung mit Hörerlachen, finden sich auch Beispiele bei Müller (1992). VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 248 Glück (Wahrhaftigkeitspostulat) emotionale Konvergenz demonstrieren (siehe hierzu „Fall eins“ in Kap. VI.2.5.1). R57 illustriert das Ablaufschema des Erfragens emotionaler Bewertung zum Zweck der Demonstration emotionaler Konvergenz (das Handeln der Konfidentin F dient hier als Vorbild für oratorisches Handeln): (R57)11,255------------------------------------------------------------------------------------------ M ja, war lustig, also war so mitten im Odenwald, auf einem Berg F ja wars gut? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M obenauf, total idyllisch war ganz schön, ne, war lustig, nette Zeit, F cool --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M erholsam %lacht F cool %lacht F erfragt eine emotionale Bewertung. M reagiert mit positiver emotionaler Bewertung, wobei er zugleich mittels DE Konvergenz insinuiert. F demonstriert daraufhin gleich zweimal emotionale Konvergenz. Das Erfragen emotionaler Bewertung expliziert in emotionaler Hinsicht den Vorgang des „Eruierens von Werten“, das Becker (2009: 201ff.) als eine Strategie des Courtship-Orators herausstellt. Nach Becker animiert der Orator in einem ersten Schritt den Adressaten durch das Stellen von Fragen zur Mitteilung von Werten, in einem zweiten richtet er seine Selbstdarstellung im Gespräch daran aus. Die Fragen sollen dabei nicht zusammenhanglos erscheinen, sondern kontextuell fließend in einander übergehen (vgl. ebd.: 208). In unserem emotionalrhetorischen Modell dient das Erfragen emotionaler Bewertung anders als bei Becker nicht zum Modellieren eines attraktiven Orator-Images, sondern zum Provozieren von Situationen, in denen potentiell emotionale Übereinstimmung kommuniziert werden kann. Im Rahmen des Erfragens emotionaler Bewertung kann der Orator entweder geschlossene, d.h. mit ja oder nein beantwortbare Fragen stellen (R57) oder aber offene Fragen: (R58)17,248------------------------------------------------------------------------------------------ F Wie findest du das mit den mit dem schwabisch schwäbischen Dialekt? M Ich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M finds voll cool. Ich finds tota: l sympathisch. Offene Fragen können den Adressaten tendenziell zu ausführlicheren Antworten bewegen, wie etwa in R59. Hier reagiert die Adressatin F mit einer 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 249 meta-emotionalen Äußerung des vergangenheitsbezogenen Typs, um ihre aktuelle Einstellung gegenüber einem Musiker zu erläutern. Das Insinuationsmuster ME (Ja ich versteh alles so gut usw.) animiert M zu einer konvergenten Reaktion: (R59)7,114-------------------------------------------------------------------------------------------- M Wie gefällt dir sow/ sowas wie Xavier Naidoo? F Hm also/ ich hatte ne --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Zeit also vor ein zwei Jahren da fand ich ihn ganz schrecklich, weil er --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F immer so auf.. Ja ich versteh alles so gut und ich bin irgendwie der Predi- o-nachahmend salbungsvoll aber stark ironisierend------------o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ger und dann hatt ich ne Phase da hab ichs gehört und und es geht irgend --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F wie dann auf den Geischt, also der braucht n guten Tag um/ damit ich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ihn im Radio lass Dass geschlossene Fragen durchaus nicht nur mit ja oder nein, sondern je nach Gesprächigkeit des Gegenübers zusätzlich mit emotional bewertenden Äußerungen beantwortet werden können, machen neben R57 auch die auf Studienfächer bezogenen Beispiele R60 und R61 deutlich: (R60)12,18-------------------------------------------------------------------------------------------- M Hm, macht Spaß? F Ja: , is ganz okeh. irgendwie %holt tief Luft o-bewegt sich unruhig hin und her-o (R61)6,13--------------------------------------------------------------------------------------------- M Macht schon Spaß? Schon? hmhm F Ja, doch schon. Isch n bisschen anstrengend, also is --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F sehr anspruchsvoll aber/ ja macht schon Spaß. In Abgrenzung zu offenen Fragen, bei denen der Gegenstand emotionaler Bewertung stark präzisiert wird (R58, R59), können auch offene Fragen gestellt werden, die den Gegenstand emotionaler Bewertung nur grob festlegen und eine Präzisierung dem Adressaten überlassen. Typisch für die Korpus-Gespräche sind hier etwa Fragen nach bevorzugten Filmen oder Musikrichtungen, wie z.B. in R62 und R63: (R62)6,65--------------------------------------------------------------------------------------------- M Was für Filme magst du denn? F Hm. Ganz unterschiedlich, also. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 250 (R63)17,47-------------------------------------------------------------------------------------------- F Was magst du für Musik? M Ähm: mja. Hiphop. und. mehr so Black Music. - -------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Nbisschen Antwortet der Adressat wie in R63 mit einer bestimmten Präferenz, kann der Orator ggf. emotionale Konvergenz demonstrieren (z.B. mit Äußerungen wie Das mag ich auch total). Die Antwort des Adressaten kann manchmal auch recht ausführlich ausfallen. Bewirkt sie zudem eine Themenverschiebung, kann dies zur Folge haben, dass die Demonstration emotionaler Konvergenz sich am Ende nicht auf den ursprünglich erfragten Gegenstand bezieht. In R64 etwa fragt F, wie M die Musikrichtung House findet. Am Ende demonstriert sie jedoch nicht emotionale Konvergenz in Bezug auf House, sondern in Bezug auf Hiphop (bei F handelt es sich in diesem Fall zwar um die Konfidentin in der Adressaten-Rolle, das Prinzip wird aber dennoch deutlich): (R64)7,103-------------------------------------------------------------------------------------------- F Und so House? Also Tü/ äh Stuttgart Tübingen sag ich schon isch ja auch --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Hmhm. F so ne House Stadt einfach. Also alle hören House immer zu ( ) in --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ich find das ab und zu mal ganz nett, wenn man F diesen Clubs vor allem. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M irgendwo mal in nen Club geht oder / aber nich jetzt jedes Wochenende --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M oder jeden Tag so dass ich mein/ in meinem Auto die ganze Zeit House F hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hören würde oder so. Also Hiphop mag ich überhaupt nich. F Hm. Ja ich auch --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Und.. ich finde Heavy Metal find ich %lacht %lacht Ja. F net. Damit kann man mich jagen. Ja. %amüsiert --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M auch schrecklich, also zu zu harten F hmhm Hm. Ja das ganze Grunge Zeug und so. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja F (Skar) des mag ich auch nich so 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 251 M bewertet das gelegentliche Hören von House emotional positiv. Hiphop hingegen bewertet er emotional negativ. F stimmt auffälligerweise erst der emotionalen Bewertung von Hiphop zu - bzgl. House verschweigt sie möglicherweise Divergenz. Angespornt durch die emotionale Konvergenz, geht M mit der emotionalen Bewertung einer weiteren Musikrichtung, Heavy Metal, aus der Reserve. F reagiert auch hier konvergent. Beim Erfragen emotionaler Bewertung zum Zweck der Demonstration emotionaler Konvergenz hat der Orator also die Wahl, ob er den betreffenden Gegenstand stark präzisiert und darauf hofft, dass der Adressat ihn emotional gleich bewertet wie er selbst (R58 und R59), oder ob er seine Frage so stellt, dass er dem Adressaten die nähere Präzisierung des Gegenstands überlässt und darauf spekuliert, dass sie beide den vom Adressaten präzisierten Gegenstand emotional gleich bewerten (R62, R63). In beiden Fällen besteht das Risiko, dass der Orator aufgrund des emotionalrhetorischen Wahrhaftigkeitspostulats anschließend keine emotionale Konvergenz demonstrieren kann, weil er den betreffenden Gegenstand emotional anders bewertet als der Adressat (für Reaktionsmöglichkeiten im Divergenz-Fall siehe Kap. VI.2.5.2). Sofern der Orator den Gegenstand stark präzisieren möchte, kann es von Vorteil sein, einen zu wählen, den er selbst emotional (stark) positiv bewertet. Denn solche Gegenstände lassen sich im Konvergenz-Fall auch im Rahmen der Erzeugung von Euphorie gut nutzen (siehe Kap. VII). Übertreiben sollte der Orator es mit dem Erfragen emotionaler Bewertung freilich nicht - ein Erstkontaktgespräch zum Zweck der Partnerwerbung ist kein Verhör. In R65 signalisiert Orator M mittels des humorigen Inflektivs Ausfrag, dass er sich der Grenzen neugierigen Ausforschens bewusst ist: (R65)3,84--------------------------------------------------------------------------------------------- M hm. was/ was/ was fandest du so spannend? Was/ was ja. F ((1sek.)) Jetzt in Englisch? . Oder. %erstaunt --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M was/ was ist dein aha. F Also ich hab immer lieber Literatur als Linguistik gemacht. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M und was F sagen wir mal so. ich mach ja Staatsexamen da muss ich ja beide Bereiche --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hm. Und was speziell bei/ bei/ bei Literatur? also welche/ F machen. und ja. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M welche Schwerpunkte. Ausfrag. %Geste mit beiden F Och das kann ich so gar nich sagen VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 252 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Händen auf F zu, %lacht F %lacht 2.5 Proaktiv reagieren Im Zusammenhang mit dem Instrument der Demonstration emotionaler Konvergenz muss der Orator nicht nur wissen, wie er aktiv potentielle Gelegenheiten für SK schaffen kann, sondern auch, welche Reaktionsmöglichkeiten er hat, wenn der Adressat - eigeninitiativ oder reaktiv - emotionale Bewertungen kommuniziert bzw. wenn der Adressat ihn seinerseits auffordert, eine emotionale Bewertung zu kommunizieren. Dabei muss der Orator sowohl für den von ihm präferierten Fall emotionaler Konvergenz (SK) als auch für den von ihm dispräferierten Fall emotionaler Divergenz (SD) gewappnet sein. Oratorisches Reagieren in Gesprächen ist als proaktives Reagieren im Sinne eines „strategisch-souveränen“ Reagierens zu konzipieren: Der handlungsmächtig eingestellte Orator muss auch in der reaktiven Position stets sein Ziel im Auge behalten bzw. seine Reaktion so kalkulieren und proaktiv umsetzen, dass sie die Erreichung des strategischen (Teil-)Ziels begünstigt. Im Folgenden werden unter der Kategorie proaktiven Reagierens im Zusammenhang mit dem Instrument der Demonstration emotionaler Konvergenz Gesprächshandlungen subsumiert, die der Orator in Reaktion auf vom Adressaten kommunizierte emotionale Positionierungen (emotionale Bewertungen, Manifestationen emotionaler Konvergenz bzw. Divergenz) vornimmt bzw. mit denen der Orator auf die Aufforderung des Adressaten reagiert, eine emotionale Bewertung abzugeben. Es werden folgende charakteristische Fälle besprochen: Bei Konvergenz: 1. Der Orator empfindet bzgl. einer vom Adressaten kommunizierten emotionalen Bewertung Konvergenz und muss reagieren 2. Der Orator muss auf die Demonstration emotionaler Konvergenz durch den Adressaten reagieren Bei Divergenz: 1. Der Orator empfindet bzgl. einer vom Adressaten kommunizierten emotionalen Bewertung Divergenz und muss reagieren 2. Der Orator muss auf die Demonstration emotionaler Divergenz durch den Adressaten reagieren Bei Aufforderung zu emotionaler Bewertung: Der Orator muss auf die Aufforderung des Adressaten reagieren, eine emotionale Bewertung abzugeben 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 253 Auch in diesem Abschnitt beziehen sich die Ausführungen auf Gegenstände, die im Gesprächszeitraum vor der betreffenden Interaktion noch von keinem der Gesprächspartner emotional bewertet wurden. 2.5.1 Bei Konvergenz Bzgl. des Umgangs mit emotionaler Konvergenz sind aus der Sicht des Orators zwei Fälle hervorzuheben. Der erste Fall besteht darin, dass der Orator bzgl. einer durch den Adressaten kommunizierten emotionalen Bewertung emotionale Konvergenz empfindet und reagieren muss. Der zweite Fall besteht darin, dass der Adressat in Reaktion auf eine vom Orator geäußerte emotionale Bewertung Konvergenz demonstriert hat und der Orator darauf reagieren muss. Zum ersten Fall. Das emotionalrhetorische Wahrhaftigkeitspostulat (siehe Kap. VI.2.5.2) besagt, dass der Orator bei der Kommunikation emotionaler Bewertung dem betreffenden Gegenstand eine Valenz zuweisen sollte, die seinem tatsächlichen Empfinden entspricht. Tritt nun der Fall ein, dass der Adressat eine emotionale Bewertung kommuniziert, mit welcher der Orator Übereinstimmung empfindet, dann dürfte es für ihn i.d.R. strategisch günstig sein, die Gelegenheit zur Demonstration emotionaler Konvergenz nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, sondern die empfundene Konvergenz auch zu kommunizieren. Denn je mehr Bereiche sich finden, in denen zwischen den Gesprächspartnern offenkundig Einigkeit herrscht, desto eher dürfte sich im Sinne des Attraktionsprinzips der Ähnlichkeit zwischen ihnen das Gefühl entwickeln, auf einer grundlegenden Ebene Gemeinsamkeiten zu haben und einander sympathisch zu finden. Dieser Chance könnte das Risiko entgegengehalten werden, dass ein Übermaß an kommunizierter emotionaler Übereinstimmung unnatürlich wirken und den Adressaten dahingehend misstrauisch machen könnte, dass er dem Orator die strategische Simulation von Konvergenz unterstellt. Für den Orator würde dies einen Glaubwürdigkeitsverlust bedeuten. Becker stellt ähnliche Überlegungen an: Zweitens wird ein quantitativ ausgewogeneres Verhältnis zwischen miteinander kompatiblen und inkompatiblen Werten endoxal als natürlicher und glaubwürdiger eingestuft. Oder anders gewendet: Wenn der Seduktor zu viele Werte expliziert, die von der Adressatin als mit den ihrigen kompatibel eingestuft werden, gerät er bei ihr viel eher in den Verdacht, zum Zweck eines courtshipstrategischen Erfolgs opportunistisch zu lügen, eben weil er glaubt, dass der Adressatin eine möglichst große Menge an miteinander kompatiblen Werten wichtig sei (Becker 2009: 206). Im Korpus finden sich allerdings keine Hinweise darauf, dass sich der Orator durch häufiges Demonstrieren emotionaler Konvergenz einem schädlichen Opportunismus-Verdacht aussetzt. Im Gegenteil: In so gut wie allen VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 254 Gesprächen überwiegt die Anzahl der SK die der SD, meist sogar um ein Vielfaches (einzige Ausnahme ist Gespräch Nr. 3, in dem es weder zu SK noch zu SD kommt) - und das offensichtlich ohne negative Konsequenzen für den weiteren Gesprächsverlauf. 284 In 14 Gesprächen kommt es gar nicht erst zu SD, stattdessen zu mehreren SK, in sieben Fällen sogar zu ausgesprochen vielen SK (Nr. 5: 9 SK, Nr. 10: 10 SK, Nr. 4: 12 SK, Nr. 19: 15 SK, Nr. 8/ 11/ 17: 16 SK). Von den sieben Gesprächen mit besonders vielen SK verlaufen vier erfolgreich (Nr. 4, 5, 8, 17), bei dreien ist formal kein Erfolgsurteil möglich (Nr. 10, 11, 19; bei Nr. 19 lässt der Adressat allerdings keinen Zweifel daran, dass er den Orator wiedersehen will). Je öfter emotionale Konvergenz im Gespräch evident wird, so scheint es, desto stärker fühlen sich die Gesprächspartner motiviert, die Passungsexploration voranzutreiben: Übereinstimmung mit dem anderen wird aufgrund des weiter oben erwähnten Effekts der Selbstbestätigung normalerweise als angenehm („belohnend“) empfunden und ermutigt dazu, weitere Felder der Übereinstimmung zu eruieren. Der Orator braucht sich demnach mit der Demonstration emotionaler Konvergenz im Normalfall nicht zurückzuhalten, sondern kann sich dieses Instruments so oft wie möglich bedienen. 285 Ein häufiges Demonstrieren emotionaler Konvergenz hat außerdem den Vorteil, dass sich auf diese Weise viele Gelegenheiten bieten, den Intimisierungsprozess zu forcieren (siehe Kap. VIII). Was die sprachliche Gestaltung der Demonstration emotionaler Konvergenz betrifft, zeigt das Beispiel R26 (Kap. VI.2.2), dass die Verwendung des Offensiv-Modus besonders vorteilhaft sein kann, weil sie den Konvergenz-Effekt betont. Der zweite Fall besteht darin, dass der Orator auf die Demonstration emotionaler Konvergenz durch den Adressaten reagieren muss. In diesem Fall geht es für den Orator darum, den günstigen Konvergenz-Effekt nicht einfach „verpuffen“ zu lassen, sondern ihn strategisch sinnvoll zu prozessieren. Hier sind zwei Reaktionsoptionen hervorzuheben: 284 Dabei ist zu betonen, dass es in Teilkorpus II für die Konfidenten außer der Instruktion, sich auf das Gespräch einzulassen, keine weitere Instruktion gab, sich gegenüber dem Orator in bestimmter Weise zu verhalten. Anders in Teilkorpus I - hier wurden die Probanden instruiert, auf die Annäherungsversuche des Orators positiv bzw. negativ bzw. neutral zu reagieren. 285 Bei Gibbard (2005: 283) heißt es: „Was eine Person gesellschaftsfähig macht, ist zu einem guten Teil diese Sehnsucht nach Sympathie mit unseren Gefühlen. Wir wünschen uns, daß andere ‚unsere Motive teilen‘“. - Bei Adressaten hingegen, die dem Orator gegenüber von vornherein stark ablehnend eingestellt sind (siehe Kap. VI.2.4.1.1), ist es möglich, dass sie emotionale Konvergenz mit ihm negativ bewerten, weil sie der Entstehung von Sympathie keine Chance geben wollen. In solchen Extremfällen dürfte sich Partnerwerbung generell als schwierig erweisen. Für die emotionalrhetorische Ebene müssten hier gesonderte, den erschwerten Bedingungen angemessene Handlungsmodelle entwickelt werden. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 255 Sofern es sich um emotionale Konvergenz mit positiver Valenz handelt, kann der Orator versuchen, durch geschicktes Fragestellen herauszufinden, ob der betreffende Gegenstand für den Adressaten Euphorie-trächtig ist und dann gegebenenfalls Maßnahmen zur Erzeugung von Euphorie ergreifen (siehe Kap. VII). Alternativ kann er den Konvergenz-Effekt aber auch für die Forcierung des Intimisierungsprozesses nutzen, d.h. die Schleusen-Funktion von SK aktivieren und in Reaktion auf die Konvergenz-Demonstration des Adressaten zu einem Gesprächsthema wechseln, das einer höheren Intimitätsstufe angehört (siehe Kap. VIII). Letztere Option kann der Orator auch im Fall von Konvergenz mit negativer Valenz nutzen. Beide Reaktionsoptionen kommen übrigens auch für das weitere Prozedere im Rahmen des „ersten Falls“ in Frage, d.h. der Orator kann auch im Anschluss an die durch ihn selbst vollzogene Demonstration emotionaler Konvergenz versuchen, Euphorie zu erzeugen bzw. den Konvergenz-Effekt für die Forcierung des Intimisierungsprozesses nutzen. 2.5.2 Bei Divergenz Auch bzgl. des Umgangs mit emotionaler Divergenz sind aus der Sicht des Orators zwei Fälle zu hervorzuheben. Der erste Fall besteht darin, dass der Orator bzgl. einer durch den Adressaten kommunizierten emotionalen Bewertung Divergenz empfindet und reagieren muss. Der zweite Fall besteht darin, dass der Adressat in Reaktion auf eine vom Orator geäußerte emotionale Bewertung emotionale Divergenz demonstriert hat und der Orator darauf reagieren muss. Zum ersten Fall. Wie bereits konstatiert, enthält das Korpus auffällig wenige SD - in über der Hälfte der Gespräche lassen sich überhaupt keine beobachten. Diese Tatsache sollte aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Gesprächsteilnehmer auch tatsächlich entsprechend selten emotionale Divergenz empfinden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie emotionale Divergenz öfter empfinden als kommunizieren (siehe Kap. VI.2.3). Die Zurückhaltung der Gesprächsteilnehmer hinsichtlich der Demonstration emotionaler Divergenz dürfte darauf zurückzuführen sein, dass es in den meisten Arten von Erstkontaktgesprächen aufgrund mangelnder Vertrautheit der Interaktanten als unhöflich gilt, sich einen Schlagabtausch zu liefern. Der Partnerwerbungskontext verschärft diese Konvention zusätzlich. Angesichts des tentativen Charakters der Passungsexploration scheint es hier besonders notwendig, behutsam mit dem Gesprächspartner umzugehen und sich an mögliche „Untiefen“ vorsichtig heranzutasten. Ein ungehemmtes Offenlegen von Divergenzen kann vom Gegenüber leicht als Provokation oder gar Angriff empfunden werden. Angesprochen ist hier insbesondere der Aspekt der Aggressionskontrolle bzw. des Aggressionsverzichts, welcher laut Knape (2012b) neben VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 256 partnerbezogener Situationseichung sowie Respekterweisung eine wichtige kommunikative Leistung im Rahmen des höflichkeitstheoretischen Zusatzkalküls des Orators darstellt (vgl. ebd.: 7). Um sich die gegenseitige Respekterweisung zu erleichtern, dürften die Gesprächspartner in Erstkontaktgesprächen normalerweise bemüht sein, das Evidentwerden von Divergenzen bzw. Situationen mit Konfliktpotenzial zu vermeiden. Dass Unterschiede in der emotionalen Bewertung von Gegenständen die Sympathie zwischen Interaktionspartnern nicht gerade begünstigen, sondern auf der Beziehungsebene eher „trennend“ wirken bzw. tendenziell Antipathie (emotionale Abneigung) gegenüber dem Gesprächspartner schüren, liegt auf der Hand. Selbstverständlich muss eine vorübergehend auftretende emotionale Uneinigkeit keineswegs dazu führen, dass die Gesprächspartner mit einem Gefühl der Antipathie auseinandergehen. Vereinzelt entstehende SD können im Rahmen der Passungsexploration durchaus „verkraftet“ werden, sofern genügend SK vorhanden sind - dies belegen u.a. gelungene Gespräche wie Nr. 4 und 17, die beide SD enthalten. Grundsätzlich aber implizieren SD im Unterschied zu SK ein Moment emotionaler Entfremdung bzw. ein gewisses Konfliktpotenzial, das auf der Beziehungsebene häufig mit einem antipathischen Effekt einhergehen dürfte. Zudem besteht im Sinne der Theorie des „false consensus“ von Ross/ Greene/ House (1977), derzufolge Menschen ihre eigenen Werturteile als verhältnismäßig gewöhnlich und angemessen, davon abweichende Werturteile anderer Personen hingegen als ungewöhnlich und unangemessen empfinden, das Risiko, dass der Adressat divergierende emotionale Bewertungen seitens des Orators als „eigenartig“ empfindet, was nicht gerade zu einem attraktiven Orator-Images beitragen würde. Aus diesen Gründen ist für den Orator bzgl. der Kommunikation von emotionaler Divergenz grundsätzlich Vorsicht angebracht. Da er bei seinem Gegenüber ein Maximum an Sympathie hervorrufen möchte, scheint es in der Mehrzahl der Fälle sinnvoll, kein unnötiges Risiko einzugehen und potentiell Antipathie-trächtige Situationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Für den Fall, dass der Orator bzgl. einer durch den Adressaten kommunizierten emotionalen Bewertung Divergenz empfindet, dürfte es demnach tendenziell von Vorteil sein, diese Divergenz zu verschweigen (auf Ausnahmen wird noch einzugehen sein). Mit dem Wahrhaftigkeitspostulat ist das Verschweigen von emotionaler Divergenz insofern zu vereinbaren, als dieses lediglich besagt, dass bei der Kommunikation von emotionaler Bewertung keine Valenz simuliert werden sollte, d.h. dass eine divergierende emotionale Bewertung nicht zu einer konvergierenden verfälscht werden sollte und umgekehrt. Mit dem Verschweigen von emotionaler Divergenz (von emotionalen Bewertungen mit divergierender Valenz) handelt der Orator dem Wahrhaftigkeitspostulat insofern nicht zuwider, weil er schlicht überhaupt keine Valenz kommuniziert. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 257 Um im Zuge des Verschweigens von Divergenz dennoch elegant zu agieren, kann der Orator Neutrale Responsitivität einsetzen. Bei R66 teilt F (hier die Konfidentin in der Adressatenrolle), wie im Gespräch deutlich wird, die Naturbegeisterung von M bzw. seine positive emotionale Bewertung eines Waldspaziergangs zwar nicht, doch geht sie mittels Rückfragen geschickt auf ihren Gesprächspartner ein: (R66)8,52--------------------------------------------------------------------------------------------- M also is ja ganz toll also wirklich . Zwei Rehe gesehn. Jaja %lacht leicht F Hmhm Wa? Zwei %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Jaja Nee, F Rehe? Echt? Ja bist du da vom Weg abgegangen in den Wald rein? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M aber das sind nur so kleine, kleine Forstwegchen Jaja, im F aha, echt? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Schönbuch An dieser Stelle kann natürlich nur gemutmaßt werden, dass die Konfidentin F emotionale Divergenz empfindet - möglicherweise fühlt sie auch nur Gleichgültigkeit (Null-Valenz). In R67 agiert sie jedenfalls weniger geschickt als in R66 - die einsilbigen Aufmerksamkeitssignale verhehlen ihre mangelnde Begeisterung kaum: (R67)8,68--------------------------------------------------------------------------------------------- M naja F bist du mehr so der Naturfreund oder wie achtest du da auch drauf? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich kenn mich nich wirklich aus aber, ich bin gern draußen .. so. F Hmhm Echt? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja schon. gern n bisschen spazieren Ja is auch schön, also wie F Hmhm Hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M gesagt so die Rehe oder so.. Is echt witzig. %lacht Zweifellos gibt es auch Situationen, in denen es als strategisch unvorteilhaft einzuschätzen wäre, empfundene emotionale Divergenz zu verschweigen. Eine solche Situation ist z.B. dann gegeben, wenn der Adressat den Orator VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 258 auffordert, eine emotionale Bewertung abzugeben. Dieser Fall wird in Kap. VI.2.5.3 erörtert. Die Befürchtung, dass ein Übermaß an demonstrierter emotionaler Konvergenz den Adressaten misstrauisch machen könnte, wird durch das Korpus zwar nicht bestätigt (siehe Kap. VI.2.5.1). Prinzipiell kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Adressat den Orator unter bestimmten Bedingungen der opportunistischen Simulation von emotionaler Konvergenz verdächtigt. Treten entsprechende Anhaltspunkte auf, kann es durchaus einmal sinnvoll sein, unter Berücksichtigung des Wahrhaftigkeitspostulats strategisch gezielt emotionale Divergenz zu demonstrieren. Denn der Schaden durch Simulationsverdacht kann u.U. schwerwiegender ausfallen als mögliche Antipathie-Effekte. Durch die gezielte Demonstration emotionaler Divergenz kann der Orator in solchen Situationen demonstrieren, dass er nicht darauf angewiesen ist, aus strategischen Gründen Valenzen vorzutäuschen, die er nicht wirklich empfindet. Dieser „Souveränitätsbeweis“ kann nicht nur die Situation entschärfen, sondern den ursprünglich misstrauischen Adressaten u.U. sogar beeindrucken bzw. sich positiv auf das Orator-Image auswirken. Im oben genannten zweiten Fall - der Adressat hat in Reaktion auf eine vom Orator geäußerte emotionale Bewertung emotionale Divergenz demonstriert und der Orator muss darauf reagieren - scheint es für den Orator i.d.R. angezeigt, potentiellen Antipathie-Effekten nach Möglichkeit entgegenzuwirken. In Frage kommen hier etwa diplomatische Kommentare dahingehend, dass man in solchen Belangen durchaus unterschiedlicher Meinung sein könne. Auf diese Weise wird signalisiert, dass gewisse Uneinigkeiten der allgemeinen Sympathie keinen Abbruch tun. Allerdings betonen solche Kommentare die Divergenz - bei einem wenig diskussionsfreudig wirkenden Adressaten kann eine kommentarlose Themenverschiebung evtl. sinnvoller sein. R68 veranschaulicht, dass die oratorische Prozessierung einer vom Adressaten vollzogenen Divergenz-Demonstration eine gewisse Gratwanderung darstellen kann. Der Passage geht eine Äußerung des Orators M voraus, mit der er die Tatsache, dass ihn mit Bekannten von früher nichts mehr verbindet, emotional negativ bewertet (L40). Adressatin F unterbricht seine Äußerung mit der Demonstration emotionaler Divergenz, indem sie ihm hinsichtlich der Bedeutsamkeit flüchtiger Bekannter widerspricht - diese seien auch nich so wichtig: (R68)4,196-------------------------------------------------------------------------------------------- M und: / nee vermutlich nich. aber ich finds. F Ja: mein Gott. Sind auch nich so wichtig. Das 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 259 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M traurig F stimmt schon ja. M hat Glück, dass sein emotionales Insistieren bei F dann doch noch zu einer unerwarteten Demonstration emotionaler Konvergenz führt. Zwar beweist er mit seinem Insistieren Selbstbewusstsein, doch könnte die von ihm gewählte Reaktionsoption bei einer weniger diplomatischen Adressatin dazu führen, dass diese ihrerseits die Divergenz-Demonstration wiederholt und sich die Fronten auf diese Weise verhärten. 2.5.3 Bei Aufforderung zu emotionaler Bewertung Es besteht die Möglichkeit, dass der Orator vom Adressat mittels einer Frage dazu aufgefordert wird, eine emotionale Bewertung zu einem bestimmten Gegenstand abzugeben. In diesem Fall muss der Orator seinerseits auf eine der in Kap. VI.2.4.2 behandelten Fragen reagieren. Unproblematisch ist der Fall, bei dem zum Zeitpunkt der Frage bereits klar ist, wie der Adressat selbst den betreffenden Gegenstand emotional bewertet und der Orator diesbezüglich Konvergenz empfindet - hier kann der Orator die von ihm gewünschte emotionale Konvergenz demonstrieren. Problematisch ist hingegen der Fall, bei dem zum Zeitpunkt der Frage bereits klar ist, wie der Adressat selbst den betreffenden Gegenstand emotional bewertet und der Orator diesbezüglich Divergenz empfindet - hier steht bereits fest, dass eine aufrichtige Antwort des Orators Divergenz evident werden lässt. Schwierig ist auch der Fall, bei dem zum Zeitpunkt der Frage noch unklar ist, wie der Adressat selbst den betreffenden Gegenstand bewertet, denn hier besteht zumindest das Risiko, dass die vom Orator kommunizierte emotionale Bewertung von der des Adressaten abweicht. Um die mit dem Evidentwerden von emotionaler Divergenz potentiell verbundenen antipathischen Effekte zu vermeiden, könnte dem Orator in beiden Fällen ein Ausweichmanöver opportun erscheinen. Ausweichmanöver sind in den genannten Situationsvarianten allerdings als äußerst problematisch zu betrachten. Zum einen gilt es als unhöflich, Fragen nicht zu beantworten, indem man schweigt oder ihnen durch Kommunizieren irrelevanter Inhalte ausweicht. Beides stellt einen Verstoß gegen das Kooperationsprinzip nach Grice dar, das Schweigen einen Verstoß gegen die Maxime der Qualität, das „Vorbeireden“ an der Frage einen Verstoß gegen die Maxime der Relevanz. Bei einer ausweichenden Reaktion läge außerdem der Verdacht strategischer dissimulatio nahe, was beim Adressaten Misstrauen schüren und sich u.U. ungünstiger auswirken kann als eingestandene Divergenz. Der Versuch, unvorteilhafte Informationen zu verbergen, kann den Adressaten nicht nur irritieren, sondern ihn auch dazu bringen, auf seiner Frage zu insistieren, was den Orator erst recht in Zugzwang bringt. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 260 Ausweichmanöver und Unaufrichtigkeit in Reaktion auf Fragen werden auch von Dillon (1990) als problematisch hervorgehoben. Ihm zufolge (vgl. ebd.: 154ff.) sind folgende Antwort-Strategien aus Sicht des Fragenden kritisch zu bewerten: Evading (Ausweichen, z.B. How old are you? - Nice weather we’re having.), Lying (Lügen), Stonewalling (Hinhalten des Gesprächspartners durch korrekte, aber wenig informative Antworten wie z.B. Did you give it in October? - No.), Co-operating (besser: „Ahnungslos-Sein“ wie z.B. Which students got an F in linguistics in Autumn 1989? - I don’t know of any linguistics course in Autumn 1989.), Withholding and concealing (Zurückhalten und Vertuschen von Information, z.B. in Gerichtsprozessen), Distorting (Verzerren von Information), Acquiescing (Gefällig-Sein, d.h. die vom Gegenüber bevorzugte Reaktion zeigen). Für den Orator dürfte es kaum ratsam sein, eine dieser Antwort-Strategien in Reaktion auf die Frage, wie er einen bestimmten Gegenstand emotional bewertet, einzusetzen. Für den Fall, dass zum Zeitpunkt der Frage bereits klar ist, wie der Adressat den betreffenden Gegenstand bewertet, stellen insbesondere Lying und Acquiescing keine geeigneten Strategien dar, denn das Simulieren einer nicht empfundenen Valenz würde einen Verstoß gegen das (aus guten Gründen bestehende) Wahrhaftigkeitspostulat bedeuten. Angesichts dessen kann es für den Orator noch am vorteilhaftesten sein, der Aufforderung des Adressaten unter Beachtung des Wahrhaftigkeitspostulats nachzukommen und mit einer aufrichtigen emotionalen Bewertung zu antworten - egal, ob dies zum Evidentwerden von Divergenz, Konvergenz oder keinem von beidem führt. Das Bedienen der konditionellen Relevanz (conditional relevance) einer Frage-Handlung hat in diesem Fall Vorrang vor dem Bestreben, das Evidentwerden von Divergenz zu vermeiden. In R69 haben die Gesprächspartner festgestellt, dass sie das gleiche Studienfach haben: Medizin. Adressatin F fordert Orator M mittels einer Frage auf, das Studium emotional zu bewerten. M weiß bei seiner Antwort noch nicht, wie F das Studium ihrerseits emotional bewertet. Doch anstatt sich dadurch verunsichern zu lassen, antwortet M ohne zu zögern und allem Anschein nach aufrichtig: (R69)8,117-------------------------------------------------------------------------------------------- M Naja grade nich so. %lacht leicht F Ja wie gefällt dir das Studium so? %lachend Obwohl im Anschluss an die Passage deutlich wird, dass F das Studium unterm Strich emotional positiv bewertet, hat die Aufrichtigkeit von M keine negative Auswirkung. Im Gegenteil, M demonstriert auf diese Weise, dass er keine Angst vor möglicher Divergenz hat. In dem Gespräch kommt es anschließend noch zu vielen SK und der Orator hat am Ende Erfolg. 2 Demonstration emotionaler Konvergenz 261 Bei R70 weiß der befragte Orator aufgrund vorhergehender Äußerungen der Adressatin bereits, wie sie selbst den betreffenden Gegenstand emotional bewertet, nämlich anders als er - antwortet er aufrichtig, wird folglich Evidenz divergent werden. Denn Orator M hat die Adressatin F zuvor seinerseits gefragt, wie sie den Sänger Xavier Naidoo emotional bewertet und die Antwort erhalten, dass sie ihn bis vor einiger Zeit ganz schrecklich fand und ihn auch heute noch kritisch sieht (siehe R59 in Kap. VI.2.4.2). Am Ende ihres Gesprächsbeitrags stellt F die heikle Gegenfrage Gefällt des dir? M kommuniziert vorsichtig Divergenz: (R70)7,122-------------------------------------------------------------------------------------------- M Ich war im Sommer auf dieser Arena of Sound des is in Stuttgart im Som- F (Konzert) --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mer ja immer und da hat der nen Auftritt gehabt.. ja, ich findes ganz. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M nett Eigentlich. F hmhm M setzt hier zunächst - möglicherweise gerade wegen des absehbaren Divergenz-Effekts - zur Insinuierung emotionaler Konvergenz mittels NK an: Er beginnt, von einem Konzertbesuch zu erzählen. Mit einer detaillierten Erzählung könnte er auf subtile Weise Verständnis für seine divergierende emotionale Bewertung Xavier Naidoos heischen. M bricht die Erzählung jedoch gleich wieder ab - möglicherweise in der Annahme, dass die Wirksamkeit von NK an dieser Stelle nur bedingt gegeben sei, weil F bereits negative Valenz kommuniziert hat und von dieser Position nicht so einfach zurücktreten kann ohne unglaubwürdig zu wirken. M fasst sich nunmehr kurz und kommuniziert eine positive Valenz. Interessanterweise lenkt F in Reaktion darauf differenzierend ein (Ja, ich find die Musik an sich isch nich schlecht/ er isch n guter Musiker) und beschränkt ihre Abneigung gegenüber Naidoo auf die Art wie ers rüberbringen will. R69 und R70 machen deutlich, dass die Verwendung des Protektiv-Modus der symbolischen Indizierung von Sprecher-Erregung (siehe Kap. IV.1.1.1.2) beim Reagieren auf die Aufforderung zu emotionaler Bewertung insofern von Nutzen sein kann, als die eigene Position eher moderat formuliert und tendenziell anschlussfähig für divergierende Positionen gemacht wird (R69: nich so; R70: ganz nett; bei R70 setzt der Orator zusätzlich noch einen „vermittelnd“ wirkenden Appellmarker ein: eigentlich). 286 286 Demgegenüber illustrieren R34 und R35 (siehe Kap. VI.2.3), dass der Offensiv-Modus im Divergenz-Fall die Kluft zwischen den emotionalen Bewertungen der Gesprächspartner auf sprachlich-kommunikativer Ebene noch verstärkt. VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 262 Im Fall der Aufforderung zu emotionaler Bewertung durch den Adressaten birgt ein unerschrockenes Antwortverhalten des Orators die Chance, selbst einem negativ voreingenommenen Adressaten ein Stück weit zu imponieren und auf diesem Weg im Divergenz-Fall u.U. sogar einen gewissen Ausgleich für potentielle antipathische Effekte zu schaffen. Mit einer selbstbewussten Antwort in Reaktion auf die Aufforderung zu emotionaler Bewertung können für den Orator durchaus positive Effekte für sein Image verbunden sein. 3 Fazit Im Rahmen der Strategie der Erzeugung von Sympathie wirbt der Orator um die Zuneigung des Adressaten. Dafür stehen ihm zum einen das Instrument der Ästimation und zum anderen das Instrument der Demonstration emotionaler Konvergenz zur Verfügung. Beim Instrument der Ästimation sind Image-Ästimation und Kontakt-Ästimation zu unterscheiden. Mittels Image-Ästimation, welche als emotionalrhetorische Spezifikation des protektiven face-work-Konzepts von Goffman betrachtet werden kann, erzeugt der Orator Sympathie auf dem Weg des positiv-emotional bestärkenden Umgangs mit dem Adressaten-Image. Indem er dem Adressaten positive Anerkennung zollt, kann er die Chance erhöhen, dass dieser sich in seiner Gegenwart wohlfühlt und Sympathie für ihn entwickelt. Ein gewisses Risiko besteht darin, dass der Orator ästimationsevozierende Äußerungen des Adressaten nicht als solche erkennt und/ oder die damit verbundene subtile Form konditioneller Relevanz nicht bedient. Der Adressat könnte sich in einem solchen Fall u.U. zu wenig wahrgenommen bzw. mangelhaft anerkannt fühlen, was der Erzeugung von Sympathie entgegenwirken würde. In jedem Fall stellt die mit ästimationsevozierenden Äußerungen des Adressaten verbundene subtile Form konditioneller Relevanz einen Prüfstein für die emotionalrhetorische Sensibilität des Orators im Rahmen der Erzeugung von Sympathie dar. Image-Ästimation markiert eine Schnittstelle zum gesprächsoratorischen Image-Management, sofern man darunter - in Abweichung von Knape (2009a) - nicht nur die Modellierung des Orator-Images, sondern auch den Umgang mit dem Adressaten-Image versteht. Im Hinblick auf Gespräche erscheint eine solche Erweiterung des Image-Managements unbedingt angezeigt, weil rhetorische Gesprächskunst zu einem erheblichen Teil auf protektivem face-work beruht. Mittels Kontakt-Ästimation kann der Orator die Chance erhöhen, dass der Adressat der Fortsetzung des Kontakts zustimmt. Indem er dem Adressaten das Gefühl vermittelt, dass ihm sympathiebedingt wirklich an einem Wiedersehen gelegen ist, soll sich dieser als interessante Person wahrgenommen fühlen, über deren Bekanntschaft man sich freut. Das Risiko besteht in diesem Zusammenhang darin, dass der Orator die Kontakt-Ästimation bewusst Fazit 263 unterlässt, weil er glaubt, ohnehin keine Chance zu haben bzw. weil er sich emotional „nichts vergeben“ will. Beim Adressaten kann eine scheinbar emotionsneutrale Anfrage zur Kontaktfortsetzung („Let’s-meet-again-Coolness“) ohne entsprechende Ästimation aber als halbherziger Versuch ankommen, was ihn seinerseits wenig motivieren dürfte einzuwilligen. Auch durch ein zu spätes Anbringen der Kontakt-Ästimation kann der Orator die Chance verspielen, dem Adressaten glaubhaft den Eindruck zu vermitteln, dass er seine Gesellschaft wertschätzt. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass der Orator nach einer ersten ablehnenden oder zurückhaltenden Reaktion des Adressaten auf seine Anfrage Schwierigkeiten hat, sein Frustgefühl zu verbergen und dem Adressaten gegenüber womöglich sogar unwirsch wird. Denn solange das Gespräch nicht beendet ist, besteht letztlich immer noch eine Restchance für den Orator, das Blatt für sich zu wenden - mangelnde Affektkontrolle aber verspielt hier das letzte Quäntchen einer Erfolgsschance. Daher ist - einmal abgesehen von entsprechenden Höflichkeitsmaximen - auch in Situationen, die eher auf eine „Niederlage“ hindeuten, ungebrochen wertschätzendes Verhalten als strategisch sinnvoll zu erachten. Im Rahmen des Instruments der Demonstration emotionaler Konvergenz erzeugt der Orator im Sinne des Attraktionsprinzips der Similarität Sympathie, indem er emotionale Übereinstimmung mit dem Adressaten kommunikativ evident werden lässt, Unterschiede emotionaler Bewertung hingegen tendenziell verbirgt. Er kann diesbezüglich sowohl proagieren als auch proaktiv reagieren. Im Rahmen des Proagierens hat er zum einen die Möglichkeit, eigeninitiativ eine emotionale Bewertung abzugeben. Damit verbindet sich für ihn die Chance, potentielle Gelegenheiten für die Demonstration emotionaler Konvergenz und damit für die Erzeugung von Sympathie zu schaffen. Allerdings besteht zum einen das Risiko, dass der Adressat bzgl. des vom Orator gewählten Gegenstands emotionale Divergenz kommuniziert, was mit einem antipathischen Effekt zu Lasten des Orators verbunden sein kann. Zum anderen besteht das Risiko, dass der Adressat sich bei seiner kommunikativen Reaktion einer emotionalen Positionierung enthält und der Orator nicht weiß, woran er ist. In letzterem Fall kommt es wenigstens nicht zu einem kommunikativen Evidentwerden von Divergenz und damit auch nicht zu einer Forcierung evtl. vorhandener antipathischer Effekte, es besteht aber immer noch die Möglichkeit, dass der Adressat stillschweigend Divergenz empfindet. Das Risiko affektiven Widerstands kann der Orator jedoch reduzieren, indem er beim eigeninitiativen Abgeben emotionaler Bewertung mit Hilfe der Techniken der Deskriptiven Elaboration, Narrativen Krisis bzw. Mimetischen Evidenz emotionale Konvergenz insinuiert und dem Adressaten so eine Reaktion der Übereinstimmung nahelegt. Ähnlich wie mit der eigeninitiativen Abgabe emotionaler Bewertung verbindet sich für den Orator im Rahmen des Proagierens auch mit dem Erfragen 3 VI Sympathie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 264 emotionaler Bewertung die Chance, potentielle Gelegenheiten für die Demonstration emotionaler Konvergenz zu schaffen. Im Unterschied zu ersterer Maßnahme muss er dafür aber nicht zwingend selbst aus der Reserve gehen - dies wird nur dann nötig, wenn der Adressat ihn im Gegenzug seinerseits auffordert, den erfragten Gegenstand emotional zu bewerten. Zudem kann der Orator sein emotionalrhetorisches Adressatenkalkül anhand der erfragten Information gezielt präzisieren. Ein Risiko besteht darin, dass der Orator in Reaktion auf die emotional bewertende Antwort des Adressaten Divergenz empfindet und daher keine Konvergenz demonstrieren kann. Diese Situation kann jedoch der Einsatz von Neutraler Responsitivität entschärfen. Im Rahmen des proaktiven Reagierens kann der Orator durch die Demonstration emotionaler Konvergenz in Reaktion auf vom Adressaten kommunizierte emotionale Bewertungen die Chance erhöhen, dass dieser ihn sympathisch findet. Die Befürchtung, dass ein häufiges Demonstrieren emotionaler Konvergenz durch den Orator beim Adressaten einen Simulationsverdacht auslösen könnte, findet sich im Korpus nicht bestätigt. Vielmehr scheint ein breites Überwiegen von emotionaler Konvergenz die Gesprächspartner erst recht zu motivieren, weitere Felder der Übereinstimmung zu eruieren. Demonstriert umgekehrt der Adressat in Reaktion auf eine vom Orator geäußerte emotionale Bewertung positive emotionale Konvergenz, kann der Orator durch geschicktes Fragestellen herausfinden, ob der betreffende Gegenstand sich evtl. für Maßnahmen zur Erzeugung von Euphorie eignet. Unabhängig von der Valenz der emotionalen Konvergenz kann der Orator den Übereinstimmungseffekt aber auch für die Forcierung des Intimisierungsprozesses nutzen. Reagiert der Orator hingegen mit der Demonstration emotionaler Divergenz auf eine vom Adressaten kommunizierte emotionale Bewertung, riskiert er einen antipathischen Effekt. Daher erscheint in entsprechenden Situationen das Verschweigen von emotionaler Divergenz in Kombination mit Neutraler Responsivität tendenziell als angemessene Reaktionsoption. In manchen Fällen kann es dem Orator allerdings auch einen Imagevorteil bringen, ganz bewusst emotionale Divergenz zu demonstrieren. Auf diese Weise kann er zeigen, dass er selbstbewusst zu seiner Position steht bzw. dass Opportunismus nicht seine Sache ist. Reagiert umgekehrt der Adressat auf eine vom Orator geäußerte emotionale Bewertung mit der Demonstration emotionaler Divergenz, hat der Orator die Möglichkeit, dem drohenden Antipathie-Effekt mittels diplomatischer Kommentare entgegenzuwirken. Allerdings kann dies zugleich dazu führen, dass der Adressat die Divergenz verstärkt registriert. Kommentarlose Themenwechsel können daher u.U. sinnvoller sein. Selbst wenn der Orator es tendenziell vermeidet, emotionale Divergenz zu kommunizieren, kann er das Evidentwerden von Divergenz zwischen den Gesprächspartnern nur in eingeschränktem Maß kontrollieren. Z.B. 3 Fazit 265 kann der Adressat in Reaktion auf eine eigeninitiative Abgabe emotionaler Bewertung durch den Orator trotz gleichzeitiger Insinuation emotionaler Konvergenz schlussendlich Divergenz demonstrieren. Auch Situationen, in denen der Orator vom Adressaten mittels einer Frage aufgefordert wird, eine emotionale Bewertung abzugeben, sind anfällig für Divergenz-Evidenz. Denn trotz des Risikos oder womöglich sogar der Gewissheit, dass die von ihm kommunizierte emotionale Bewertung von der des Adressaten abweicht, kann es für den Orator in solchen Fällen von Vorteil sein, ganz unerschrocken wahrheitsgemäß zu antworten und sich auf diese Weise ein Image selbstbewusster Aufrichtigkeit zu verleihen. U.U. kann dies sogar einen Ausgleich für potentielle antipathische Effekte schaffen. Generell kann bei drohender Divergenz der Protektiv-Modus symbolischer Indizierung von Sprecher-Erregung nützlich sein, weil die eigene Position auf diese Weise eher moderat formuliert und anschlussfähig für divergierende Positionen gehalten wird. VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung Im Rahmen der Strategie der Erzeugung von Euphorie zielt der Orator darauf ab, beim Adressaten Begeisterung hervorzurufen und nach Möglichkeit (ohne gegen das Wahrhaftigkeitspostulat zu verstoßen) selbst an dieser Begeisterung zu partizipieren. Das Instrument dafür ist die thematische Vertiefung. Mit diesem Instrument dehnt der Orator die interaktive Verhandlung eines Gegenstands, bzgl. dem der Adressat eine auffallend positive emotionale Bewertung kommuniziert hat (z.B. unter Einsatz des Offensiv-Modus), inhaltlich und zeitlich aus - z.B. unter Einsatz des Insinuationsmusters DE. Auf diese Weise soll der Adressat in einen Zustand der Euphorie bzw. Begeisterung (der starken positiven emotionalen Erregung) versetzt und zum Schwärmen, d.h. zu überschwänglicher, pathetisch-amplifikativer Kommunikation positiver emotionaler Bewertung angereizt werden. 287 Setzt der Orator die thematische Vertiefung erfolgreich ein, und ist er im Idealfall auch noch in der Lage, in die Begeisterung des Adressaten mit einzustimmen, kann dies die Stimmung des Adressaten insofern positiv beeinflussen, als dieser die Möglichkeit hat, aus dem kommunikativen Teilen seiner Begeisterung zu „kapitalisieren“ (dieses Konzept wird weiter unten näher erläutert). Eine positive Beeinflussung der Stimmung des Adressaten erhöht die Chance der Zielerreichung, da der Adressat die Option der Fortsetzung des Kontakts mit höherer Wahrscheinlichkeit positiv bewertet, wenn er sich in guter Stimmung befindet (zumindest, solange er nicht denkt, dass seine gute Stimmung nicht auf den Orator zurückzuführen sei). 288 Für die kommunikative Partizipation des Orators an der Euphorie des Adressaten erweist sich die wiederholte Demonstration emotionaler Konvergenz in Verbindung mit Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung, wie z.B. Intensitätsmarkern im Offensiv-Modus (total super, wahnsinnig toll u.ä.) als geeignetes Mittel. Wirksam sind auch emotional getönte Zustimmungen (Ja, voll! ), jegliche Mittel zur Signalisierung kommunikativen und emotionalen Involvements wie z.B. empathisch-antizipative Bemerkungen (Da hast du dich doch bestimmt wahnsinnig gefreut! ) und bei Bedarf - sofern sich die Euphorie des Adressaten auf einen für sein Image relevanten Gegenstand wie 287 Sandig (2006: 254) charakterisiert „Schwärmen“ als „graduell sehr ,positives‘ emotionales Bewerten“. 288 Personen berufen sich bei der Entscheidungsfindung nur dann auf ihre aktuelle Stimmung, wenn deren informationeller Wert für das Entscheidungsproblem nicht in Frage gestellt wird (vgl. z.B. Schwarz/ Clore 1983, 2003: 299; Schwarz/ Bless/ Bohner 1991: 163f.). VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 268 z.B. ein Hobby bezieht - natürlich Image-Ästimation (z.B. mittels von Interjektionen wie Wow! ). R41 (siehe Kap. VI.2.4.1.2.1) ist ein Beispiel für die Erzeugung von Euphorie unter Einsatz des Insinuationsmusters DE. Orator F lässt sich auf die von Adressat M ins Spiel gebrachte Winter-Thematik mit Schnee und Sonne ein, bringt deren positive Valenz mit dem Begriff der „Winterharmonie“ auf den Punkt und vertieft dann geschickt den möglicherweise erotisch konnotierten Aspekt des Kuschelns im Bett wenns draußen so kalt ist. F bezieht auch das Trinken von Tee in die Euphorisierung mit ein. M lässt sich tatsächlich begeistern: Tee is geil. Doch, des stimmt. Tee als geil zu bezeichnen wirkt etwas hyperbolisch, doch gerade hier manifestiert sich die offenbar gelungene Euphorisieurung von M. Durch die thematische Vertiefung von Gegenständen, die von M auffallend positiv bewertet werden - zu beachten ist hier der Offensiv-Modus bei fand ichs auch voll geil, bei is natürlich richtig geil und bei den emotional getönten Zustimmungen Ja, voll. bzw. Voll, ja sowie die Interjektion Uoah: - entsteht hier eine Art „euphorischer Dynamik“ zwischen den Gesprächspartnern: sie schaukeln sich emotional gegenseitig hoch. Die Stimmung des Adressaten M dürfte dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv beeinflusst werden. Über eine positive Beeinflussung der Stimmung des Adressaten hinaus kann die Erzeugung von Euphorie auch noch andere Vorteile für den Orator haben. So zeigen eine Reihe von Studien, dass erhöhte emotionale Erregung zu intensiveren Attraktionsreaktionen führt (vgl. Mikula/ Stroebe 1991: 88; Sternberg 1988: 177). Insbesondere kann nach McClanahan u.a. (1990) positive emotionale Erregung dazu führen, dass ein Interaktionspartner trotz offensichtlich mangelnder Similarität auf Einstellungsebene als attraktiv wahrgenommen wird, wobei die erregungsbedingte „Verblendung“ nicht auf eine verzerrte Wahrnehmung der tatsächlichen Einstellungen, sondern auf eine durch größeres Wohlwollen geprägte Bewertung abweichender Einstellungen zurückzuführen ist. Aus dieser Perspektive stellt die Erzeugung von Euphorie eine Vorbeugungsmaßnahme gegen mit Divergenz potentiell verbundene antipathische Effekte dar. Die Strategie der Erzeugung von Euphorie kann außerdem mit dem sozialpsychologischen Konzept des „Kapitalisierens“ aus positiven Ereignissen in Verbindung gebracht werden. Langston (1994) und Gable u.a. (2004) konnten mit Hilfe verschiedener Studien zeigen, dass sich das kommunikative Teilen positiver Begebenheiten mit anderen Menschen positiv auf die Emotionen, Stimmungen und das generelle Wohlbefinden desjenigen auswirkt, der die positive Begebenheit kommuniziert - und zwar zusätzlich zum positiven Effekt der Begebenheit an sich. Je aktiver und konstruktiver der Kommunikationspartner - in unserem Fall der Orator - auf dieses sogenannte „Kapitalisieren“ (Langston 1994) aus positiven Ereignissen reagiert bzw. je weniger er sich diesbezüglich passiv oder destruktiv verhält, desto größer VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 269 ist demnach der Nutzen für den kapitalisierenden Kommunikator - in unserem Fall für den Adressaten. 289 Aus dieser Perspektive bietet der Orator dem Adressaten im Rahmen der Erzeugung von Euphorie die Möglichkeit, aus von ihm positiv bewerteten Ereignissen zu kapitalisieren. Insbesondere ergaben zwei der Studien von Gable u.a. (2004), dass enge Beziehungen, in denen der Partner für gewöhnlich enthusiastisch auf Kapitalisierungsversuche reagiert, mit höherer Beziehungszufriedenheit, insbesondere was Intimität angeht, einhergehen. Das kommunikative Kultivieren positiver Emotionen fördert demnach die soziale Bindung bzw. Systase (vgl. ebd.). Oatley/ Johnson-Laird (1987: 46) konstatieren im Zusammenhang mit Glücksgefühlen: „the social communication of emotions leads each actor to become aware of the other’s euphoric feelings, and a euphoric mutual emotion is created. Such emotions act to cement social relations“. Partizipiert der Orator mit kommunikativen Mitteln an der erfolgreich evozierten Euphorie des Adressaten, erzeugt dies eine Art bindungsfördernden, gemeinschaftlichen Glücksgefühls, welches nach Rimé/ Herbette sogar eine Verringerung der physischen Distanz zwischen den Interaktionspartnern nach sich ziehen kann: En somme, on peut constater que la situation de partage social de l’émotion favorise l’émergence de comportements qui sont caractéristiques de la relation d’attachement. Le partage d’une expérience émotionelle intense peut ainsi entraîner la réduction de la distance physique entre deux personnes. Par là, ce processus apporte une contribution précieuse au maintien et au renforcement des relations interpersonnelles et de l’intégration sociale (Rimé/ Herbette 2003: 81). Dass das kommunikative Teilen von Euphorie mit Äußerungssequenzen eingeht, die sich vom normalen Gesprächsfluss abheben, stellt bereits Kallmeyer (1979) fest. Er beschreibt ein Interaktionsmuster der „Exaltation“, das in seinem Kern den Euphorie-Sequenzen in unserem Korpus entspricht: Bei der Analyse von alltagsweltlichen Gesprächen fallen immer wieder Äußerungen von gesteigerter emotionaler Expressivität auf […], welche offensichtlich konstitutiv für die Auslösung und Fortsetzung von bestimmten Äußerungssequenzen sind. Im Rahmen dieser Sequenzen verhalten sich die Beteiligten in erkennbarer Weise anders als im Kontext. Diese Sequenzen scheinen von der alltagsweltlichen Handlungsfunktionalität abgehoben zu sein, die Ökonomiegesichtspunkte zielgerichteter Handlungsrealisierungen greifen offensichtlich nicht. Den besonderen Stil derartiger Sequenzen kann 289 Langston (1994: 1122) definiert „Kapitalisieren“ als „process of benificially interpreting positive events“. Gable et a. (2004: 228) präzisieren die Definition zu einem „process of informing another person about the occurrence of a personal positive event and thereby deriving additional benefit from it“. VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 270 man in sehr vielen Fällen alltagssprachlich als ,Schwärmen‘ oder ,Sich Begeistern‘ bezeichnen. Ich nenne das Interaktionsmuster, das diesen Sequenzen zugrunde liegt, deshalb Exaltation (ebd.: 549). Neben „harmonischen Exaltationen“ behandelt Kallmeyer auch „kontroverse Exaltationen“. Während Erstere als kommunikative Ausdehnung von Situationen emotionaler Konvergenz (SK) verstanden werden können (siehe Abschnitt VII.2), wären Letztere als erweiterte Situationen emotionaler Divergenz (SD) zu konzipieren und als solche für den Courtship-Orator tendenziell zu vermeiden (siehe Kap. VI.2.5.2). Metaphorisch betrachtet, stellt geteilte Euphorie in Partnerwerbungsgesprächen durchaus eine Kostprobe für sexuelle Interaktion dar - der Erregungszustand fungiert dabei als tertium comparationis. Sternberg (vgl. 1988: 177) spricht sogar ganz real von einer aphrodisierenden Wirkung emotionaler Erregung. 1 Eine Bühne für starke Gefühle Bildhaft gesprochen, eröffnet der Orator dem Adressaten im Rahmen der Erzeugung von Euphorie eine „Bühne für starke positive Gefühle“ und feuert ihn bei der Inszenierung dieser Gefühle durch begeisterte Zurufe an. Dabei kommt es darauf an, dass der Orator nicht nur moderat positiv, sondern regelrecht enthusiastisch reagiert, denn nur so kann der Adressat nach der Kapitalisierungstheorie von Gable u.a. (2004) seinen Nutzen aus dem kommunikativen Teilen seiner Begeisterung maximieren: „part of the motivation of sharing personal good news may be precisely to elicit active engagement and enthusiasm (and not just positivity) from the other“ (ebd.: 242). Um den Adressaten in Euphorie zu versetzen, kann der Orator sich zunächst selbst auf die „Bühne“ begeben und - z.B. unter Einsatz des Insinuationsmusters DE - Begeisterung für einen Gegenstand kommunizieren, von dem er aufgrund entsprechender Äußerungen weiß, dass der Adressat ihn emotional positiv bewertet - auf diese Weise kann er versuchen, den Adressaten mit seiner Euphorie „anzustecken“. Bei R42 etwa (siehe Kap. VI.2.4.1.2.1) hat Adressat M bereits kommuniziert, dass er Klassik emotional unverhohlen positiv bewertet (Also sonst auf Klassik also steh ich eigentlich auch voll (S 170)) und beide Gesprächspartner haben emotionale Konvergenz bzgl. entsprechender Konzerte demonstriert. Orator F nutzt nun die Gelegenheit, um sich selbst auf die „Bühne der starken Gefühle“ zu begeben und eine Konzert-Erfahrung zu beschreiben, die für sie hohes Euphorie-Potenzial birgt. Dass M sich „in Stimmung bringen“ lässt, zeigen wiederholte Exklamationen (oh, wie geil; uah, klasse; ua: h, m echt so ua: h cool). Im Rahmen der Theorie des affinity seeking von Bell/ Daly entspricht der Erzeugung von Euphorie im weitesten Sinne das „Bereiten von Freude“: Eine Bühne für starke Gefühle 271 Facilitate Enjoyment. The affinity-seeker tries to maximize the positiveness of relational encounters with the target. Example: The affinity-seeker enthusiastically participates in an activity the target is known to enjoy (Bell/ Daly 1984: 97). Besagte „Aktivität“ stellt in unserem Fall eine von Orator (affinity seeker) und Adressat (target) gemeinschaftlich konstituierte Gesprächsaktivität dar, welche auf der Inhaltsebene einen für den Adressaten mit (starken) positiven Emotionen verbundenen Gegenstand verhandelt und auf der Ausdrucksebene von emotionalen Bewertungen geprägt ist. Kallmeyer spricht bzgl. des Interaktionsmusters der „Exaltation“ von einem „expressiven Ton“: Um eine solche Sequenz in Gang zu bringen, muß der Partner in hinreichend markanter Weise in den expressiven Ton einstimmen. Ein derartiges Aufschaukeln durch den Wechsel von unmarkierten zu markierten Formen und von der untergeordneten Einbettung zum Fokus eines gemeinsam zu realisierenden Äußerungskomplexes ist sehr häufig bei der Entstehung von Sequenzen der Exaltation zu beobachten (Kallmeyer 1979: 551). Der Orator stimmt in den „expressiven Ton“ des erfolgreich euphorisierten Adressaten ein, indem er sich durch den Einsatz der im vorangehenden Abschnitt genannten Mittel bei der Demonstration emotionaler Konvergenz stark involviert zeigt. Dies erzeugt ein Gefühl emotionaler Verbundenheit: „When involvement cues convey both interest and positive affect, they are likely to promote feelings of interpersonal warmth and emotional connectedness“ (Andersen/ Guerrero 1998a: 310). Zugleich gibt sich der euphorisch involvierte Orator das Image eines lebhaften, begeisterungsfähigen oder wie es bei Bell/ Daly heißt, „dynamischen“ Charakters: Dynamism. The affinity-seeker presents herself or himself as an active enthusiastic person. Example: The affinity-seeker is lively and animated in the presence of the target (Bell/ Daly 1984: 96). Für den Fall, dass sich die Euphorie des Adressaten auf einen Gegenstand richtet, den der Orator selbst emotional nicht positiv bewertet, kann er mittels Neutraler Responsitivität immerhin Interesse bekunden (siehe R66 in Kap. VI.2.5.2) und so zumindest hinsichtlich seiner Aufmerksamkeit für den Gesprächspartner positiv punkten. Euphorie-Sequenzen stellen formal betrachtet ausgedehnte Situationen emotionaler Konvergenz (SK) dar, in denen es typischerweise wiederholt zur Demonstration positiver emotionaler Konvergenz kommt. Durch die Wiederholungen wird die emotionale Konvergenz kommunikativ expandiert. Inhaltliche Redundanzen sind dabei erwünscht, denn in Euphorie-Sequenzen geht es in erster Linie um das beziehungsfördernde Teilen positiver emotionaler Erregung und weniger um den Austausch von Informationen. Kall- 1 VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 272 meyer sieht darin eine „Ausblendung der Handlungsfunktionalität“ entsprechender Äußerungen. Er bemerkt bzgl. des Interaktionsmusters der „Exaltation“: Mit der Ausblendung der Handlungsfunktionalität hängt auch die Eigenschaft zusammen, daß die Darstellung von Sachverhalten nicht an Informationsgefälle gebunden ist; vielmehr ist häufig zu beobachten, daß sich die Beteiligten Informationen wiederholen, von denen sie sich zugleich bestätigen, daß sie sie als im Prinzip geteilt voraussetzen. Mit dieser Veränderung in den Konstitutionsregeln geht eine spezifische Darstellungsform einher, das Demonstrieren, das dadurch entsteht, daß die Manifestation von definierenden Eigenschaften und Reziprozitätsverhältnissen expandiert wird (Kallmeyer 1979: 563). Dem ist entgegenzuhalten, dass kommunikative Maßnahmen zum Zweck der Beziehungspflege eine ganz eigene „Handlungsfunktionalität“ haben - diese beruht eben nur nicht auf der Darstellung von Informationen, sondern auf einem - im Sinne Kallmeyers: „demonstrativen“ - Halten von Kontakt unter wiederholter gegenseitiger Versicherung von (emotionaler) Übereinstimmung. Auf der Ebene der Passungsexploration markiert das interaktive Konstituieren von Konvergenz-Redundanzen Zonen, in denen die Eruierung möglicher Divergenzen vorübergehend ausgesetzt wird und stattdessen eine gemeinschaftliche Konzentration auf emotionale Übereinstimmung erfolgt. 2 Herzblut statt Smalltalk Was die Themenwahl im Rahmen der Erzeugung von Euphorie betrifft, sind Überlegungen von Kessel (2009) interessant, die sich mit Smalltalk befasst. Sie konstatiert, dass die von ihr ausgewertete Ratgeberliteratur zu Smalltalk teils von sogenannten „Lieblingsthemen“ abrate, da hier die Gefahr des Monologisierens und Schwadronierens bestehe, wodurch der Gesprächspartner kaum eine Chance habe, „sich gleichberechtigt ins Gespräch einzubringen“. Nur ein einziger Ratgeber empfehle „Herzblut-Themen“, da man hier leidenschaftlich werden und damit etwas über sich persönlich aussagen könne (vgl. ebd.: 157). Kessel empfiehlt im Hinblick auf harmonischen Smalltalk die Vermeidung von Euphorie (vgl. ebd.: 173). 290 290 Kessel formuliert unter Bezug auf das Grice’sche Kooperationsprinzip ein Harmonieprinzip „mit dem Ziel des Aufbaus oder der Pflege der sozialen Beziehung zwischen den Gesprächspartnern“ (ebd.: 172). Sie ordnet dem Prinzip unter der Obermaxime Fördere Harmonie die Smalltalk-Maximen sag etwas, präsentiere Interessantes, sei kurz (oder auch: der Reihe nach), sei persönlich, sei optimistisch, zeige Interesse, suche Gemeinsamkeiten zu und unter der Obermaxime Vermeide Disharmonie die Smalltalk-Maximen vermeide lange Monologe, vermeide Belastendes, vermeide Mehrdeutigkeit und Dunkelheit des Herzblut statt Smalltalk 273 Diese Empfehlung läuft unserer Strategie der Erzeugung von Euphorie zuwider. Dies wird jedoch nur dann zum Problem, wenn es sich bei Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung um eine spezifische Form von Smalltalk handelt. Ist dies der Fall? Kessel schlägt - ausgehend von einer eigens durchgeführten Umfrage sowie ihrer Auswertung der Ratgeberliteratur - folgende Definition von Smalltalk vor: Smalltalk ist eine eigenständige Gesprächssorte, bei der man vorzugsweise mit einer fremden oder weniger bekannten Person wohlwollend über ein möglichst unverfängliches und konfrontationsarmes Thema spricht. Der Informationsgehalt spielt dabei eine untergeordnete Rolle, da die Herstellung oder Pflege der zwischenmenschlichen Kontakte im Vordergrund steht. Prototypischerweise findet Smalltalk bei einem gesellschaftlichen Anlass („Party“) statt (Kessel 2009: 88). Als wichtigste Kriterien, so Kessel, erwiesen sich in dem von ihr untersuchten Datenmaterial das Gesprächsthema, die Gesprächsdauer und der Bekanntheitsgrad des Gesprächspartners (vgl. ebd.: 87) - das Kriterium der Gesprächsdauer spielt in ihrer Definition allerdings keine Rolle. Dem Definitionsvorschlag Kessels ist entgegen zu halten, dass Smalltalk prinzipiell auch über längere Zeit betrieben werden und auch zwischen Personen stattfinden kann, die sich gut bekannt sind, die das Gespräch jedoch aus bestimmten Gründen - etwa aufgrund eines vorangegangenen Streits auf unverfängliche Art und Weise führen, beginnen oder beenden möchten (vgl. hierzu auch die relativierenden Bemerkungen von Kessel ebd.: 62, 88). Als eigene Gesprächssorte ist Smalltalk deswegen nicht zu betrachten, weil er modulartig in die verschiedensten Gesprächssorten integriert werden kann, z.B. am Anfang und/ oder am Ende von Vorstellungsgesprächen, Verkaufsgesprächen, Tischgesprächen etc. Dementsprechend kann er in den unterschiedlichsten Situationen zum Einsatz kommen - „gesellschaftliche Anlässe“ stellen hier nur eine von vielen Varianten dar. Ausdrucks, vermeide Selbstzentriertheit, vermeide Euphorie, vermeide Neugier, vermeide Konflikte (vgl. ebd.: 173). Angesichts dessen ist zu fragen, weshalb Euphorie der Harmonie zwischen zwei Gesprächspartnern abträglich sein soll (vgl. auch den Begriff der „harmonischen Exaltation“ bei Kallmeyer 1979). Denn geteilte Euphorie bedeutet zweifellos auch eine Form der Harmonie. Doch Kessel meint hier vermutlich eine Harmonie der sanften Affekte. Starke Affekte, so möglicherweise die Annahme, könnten die Gesprächspartner im Divergenzfall stark entzweien und die höfliche Beziehungspflege in einen Streit ausarten lassen. Unabhängig davon ist zu konstatieren, dass das von Kessel formulierte Ziel des Harmonieprinzips an seinem eigentlichen Gegenstand „Harmonie“ (gr. harmonia, ,Fügung, Einklang‘) vorbeigeht. Tatsächlich wäre der Zweck eines Harmonieprinzips von Beziehungskommunikation in einem Höchstmaß an Einklang mit dem Gesprächspartner zu sehen. 2 VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 274 Die entscheidenden Definitionskriterien für Smalltalk scheinen der funktionale Aspekt der Beziehungspflege bzw. -initiierung und der Aspekt thematischer Unverfänglichkeit zu sein. Betreibt jemand Smalltalk, dann engagiert er sich aus strategischen Gründen - etwa zur Wahrung eines guten Verhältnisses unter Nachbarn - in konfrontationsarmer Beziehungskommunikation. In diesem Sinne kann Smalltalk definiert werden als eine Gesprächspraktik, die der unverfänglichen Beziehungspflege bzw. -initiierung dient und in unterschiedlichsten Gesprächssorten strategisch einsetzbar ist. Demnach stellen Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung keine spezifische Form von Smalltalk dar. Sie nutzen diese Gesprächspraktik i.d.R. lediglich zur unverfänglichen Gesprächsinitiierung (siehe hierzu die Intimitätsstufe 1 „Setting“ in Kap. VIII.2). Was ansonsten im Rahmen von Partnerwerbungsgesprächen passiert, stellt aufgrund der persuasiven Absicht des Orators alles andere als unverfängliche Beziehungskommunikation dar. Wenn Kessel für Smalltalk die Vermeidung von Euphorie postuliert, gilt das für unseren Zusammenhang folglich nicht. Positive „Herzblut-Themen“ des Adressaten zu verhandeln ist dem kommunikativen Telos eines Erstkontaktgesprächs zum Zweck der Partnerwerbung - der Einwilligung des Adressaten in die Fortsetzung des Kontakts - angemessen, und zwar aus den am Eingang des Kapitels genannten Gründen. Verfällt der euphorisierte Adressat vorübergehend in ein schwelgerisches Monologisieren, dann ist dies aus Sicht des Orators geradezu erwünscht. In jedem Fall aber muss der Orator sich bei der Erzeugung von Euphorie nach den inhaltlichen Vorlieben des Adressaten richten und nicht umgekehrt. Ansonsten kann beim Adressaten schnell Überdruss entstehen. 3 Gute Ansätze und vertane Chancen In den Korpus-Gesprächen sind Euphorie-Sequenzen statistisch deutlich weniger stark repräsentiert als einfache SK. Sie sind emotional intensiver und verlangen ganz bestimmte Gegenstände emotionaler Bewertung. Meist kommt es in einem Gespräch nur zu ein bis zwei solcher Sequenzen; in etlichen Gesprächen finden sich überhaupt keine, in manchen nur gewisse Ansätze. Dies mag z.T. auch darauf zurückzuführen sein, dass sich die Gesprächsteilnehmer in der Versuchssituation, in der sie unter Beobachtung standen, eher kontrolliert verhielten und weniger stark aus sich heraus gingen. Auch ist grundsätzlich denkbar, dass der Anreiz bzw. die Bereitschaft, beim Gesprächspartner Euphorie hervorzurufen oder selbst Euphorie zu zeigen, vor allem dann gegeben ist, wenn tatsächlich eine (insbesondere sexuelle) Attraktion besteht, was bei der experimentell arrangierten Zuordnung von Proband und Konfident nicht mit Sicherheit gewährleistet werden konnte. Gute Ansätze und vertane Chancen 275 Im Folgenden werden anhand einiger Beispiele konkrete Ausgestaltungsmöglichkeiten der Erzeugung von Euphorie sowie entsprechende Chancen und Risiken aufgezeigt. Wenn es sich um einen begeisterungsfähigen Adressaten handelt, genügt seitens des Orators manchmal nur wenig, um das Gegenüber ins Schwärmen zu bringen. In R71 reagiert Adressat M überraschend euphorisch auf die Mitteilung, dass Orator F ein Auslandsjahr in Norwegen verbracht hat. F reagiert geschickt mit der Frage, wo M seinen Auslandsaufenthalt verbringen möchte und lässt auf die zum Image von M beitragende Antwort einen ästimierenden Kurzkommentar folgen: (R71)18,155------------------------------------------------------------------------------------------ F Ich war in Norwegen hmhm M Cool, Auslandsjahr, wo warst du? oah, wie geil --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M das is cool, kannst du auch Norwegisch sprechen, oder hast du dich da so --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mittlerweile schon, ja, vorher konnt ichs nicht, aber jetzt gehts %lacht M durchgehan- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M gelt? Oah, krass (heftig). Oah, Auslandsjahr will ich auch machen, auf je- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Wo willst du hin? Cool, ja M den Fall Nach Kanada Doch, ja, auf jeden Fall Etwas später (R72) erfährt Orator F auf Nachfrage, dass M einen Hip-Hop- Tanzkurs besucht. Sie reagiert auch hier geschickt mit einem ästimierenden Kurzkommentar, denn die Image-relevante Information, dass M zu Hip- Hop tanzt, könnte bei manchem Gesprächspartner auch Belustigung hervorrufen. Anschließend vertieft sie das Thema, indem sie nachfragt, wie M den Tanzkurs findet. M reagiert prompt mit Euphorie. Leider unterbricht ihn das Handyklingeln von F: (R72)18,216------------------------------------------------------------------------------------------ F Was machst du für Sport? Cool Das %lacht M Ähm, Hip-Hop-Tanzkurs eigentlich o------lachend---------o --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hab ich mir auch überlegt Ob ich das nächstes Semester machen soll. M Echt? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Is das gut? M Das is so Ja, also es macht, es macht einfach tierisch Spaß 3 VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 276 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm %lacht M und du kommst dir so saudoof dabei vor, es ist halt so ne Choreo- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M graphie einstudieren und bisschen, aber es is halt irgendwie so, du --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M kommst dir tierisch scheiße dabei vor, das is so ne Spiegelwand und du --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M siehst dich ständig und denkst dir so ä: h %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mein Handy hat gerade geklingelt, ich fürchte, meine Freundin, die ruft an Wenn der Adressat, anders als in diesen Beispielen, nicht von sich aus Hinweise auf Gegenstände emotionaler Bewertung mit Euphorie-Potenzial kommuniziert, kann der Orator auch versuchen, die Preisgabe solcher Gegenstände bzw. Euphorie-trächtiger Themen durch superlativistische Fragen wie z.B. Was war der bislang tollste Urlaub in deinem Leben? hervorzurufen. 291 Im Korpus finden sich gelegentlich gute Ansätze zur Euphorisierung, auf welche die Adressaten allerdings nicht richtig anspringen. Als Orator M in Gespräch Nr. 10 erfährt, dass F für eine Weile nach Spanien gehen will, zeigt er sich begeistert über die Wohnsituation einer Bekannten in Spanien, doch anstatt sich anstecken zu lassen, reagiert F nüchtern: (R73)10,105------------------------------------------------------------------------------------------ M Ähm, die war dann in, in, in, in, die hat auch in, in Spanien dann gewohnt --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M und hat ne Wohnung gegenüber vom, vom, na ha: dieses, dieser be- F ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M rühmte Palast, na genau, gegenüber von der ( ) die hat einen F ( ) hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M wunderbaren Blick von, von der Gartenterrasse ghabt,die hat gsagt fan- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M tastisch einfach Ne, allein F Wieso, hasch die mal besucht, oder wie, dann? 291 Zu Möglichkeiten für Fragen siehe Becker (2009: 201ff.). 277 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M aus der Erzählung also und, und ein paar Bilder geschickt, äh es war F ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M beneidenswert äh, ne, ne Dachterrasse F ja das überleg ich mir auch, Granada --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hmhm hmhm, auch schön F oder so oder Salamanca halt muss mal gucken. In Gespräch Nr. 2 begeistert sich Orator M über ein bestimmtes Skigebiet - ermutigt durch die von F zuvor kommunizierte positive emotionale Bewertung desselben. F bestätigt zwar erneut, dass sie das Skigebiet schön findet, bleibt ansonsten aber zurückhaltend und erwirkt schließlich eine Themenverschiebung, die der Euphorie von M ein Ende setzt: (R74)2,127-------------------------------------------------------------------------------------------- M ja ja F bin ich auch schon mal gefahren is ganz nett Da kann man jetzt auch --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Jau jau, des is F rüberfahren von Mayerhofen nach. Ähm (Gerlos) glaub ich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ja m ne neue Skischaukel. Da bin ich letztes Jahr noch gewesen, des/ echt, --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M des ham se supertoll gemacht Des is spitze, is F Des is schön geworden, ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M spitze gemacht worden. Ich muss sagen, es is groß, mittlerweile sehr sehr F hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M groß, tolle Abfahrten, und das Beste is, wenn du dann auf der einen Ecke --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M anfängst, dann kannst wirklich runterschaukeln, nur ein Lift hoch, und F hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dann kannst wieder zweimal bis rüber zur Gerlosplatte, und hinten sogar F hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M nochmal runter, also des is echt Wahnsinn, des is schon so.. ja: zweimal --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M am Tach, und dann hast den Vormittag wirklich schon rum. Des geht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M also..wahnsinnig F Fährst du Ski, oder. Snowboard? Gute Ansätze und vertane Chancen 3 VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 278 In R75 fragt Orator M die Adressatin F, wie sie den Buchautor Milan Kundera findet, von dem er sich gerade ein Buch besorgt hat. Auf ihre positive Reaktion hin vertieft er das Thema geschickt unter wiederholter Demonstration emotionaler Konvergenz: (R75)10,19-------------------------------------------------------------------------------------------- M Wie findest du den? F Richtig, gut, ich hab, äh, eben die, äh, Leichtigkeit des --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Die Unabhängig/ genau das hab ich geholt. Ich fand des so klasse. F Seins Ja, --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M genial, klasse F des isch echt, ja des hab ich glesen und dann aber noch eins --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M F das fand ich dann noch besser eigentlich, also die Unst, die Unsterb, die --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Die hab ich noch nicht gsehn, ja, was gibt’s noch, das Buch F Unsterblichkei --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M vom Lachen und Vergessen gibt es noch und F Ich hab nur die zwei gelesen --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dann hab ich noch eins, äh, äh, mal selber gelesen, äh, die, die, die, das --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Buch über die Lächerlichkeit der Liebe. Das war auch klasse. So kurze F Echt? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Geschichten so auf sechs Seiten, aber der kann des wunderbar F hmhm ja, der --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M irgendwie zusammenfassen und F isch super F reagiert zwar positiv, aber nicht euphorisch. Orator M lässt den Inhalt von „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ kurz Revue passieren und startet dann einen weiteren kleinen Euphorisierungsversuch bzgl. der schriftstellerischen Künste Kunderas: (R76)10,52-------------------------------------------------------------------------------------------- M aber eigentlich ist es ne klasse Liebesgeschichte oder? .. Und F ja Isch echt gut, ja. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M es ten/ ist immer so die Grundfrage, ist Liebe irgendwas Leichtes oder --------------------------------------------------------------------------------------------------------- 279 M Schweres F ja, also ich fands eher deprimierend, aber trotzdem schön, also --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja, eben, eben dieses diese bittersüße also sowohl natürlich wenn F ja hmhm --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M man weiß, es geht nicht gut aus, man kriegt ja auch irgendwie auf der --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dritten Seite gesagt die verunglücken tödlich andererseits, äh, sie F ja genau --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M können einander nich irgendwie, voneinander lassen und das is F ja, ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M klasse, ja, wie Kundera des beschreibt ja.. ja F demonstriert zwar auch hier emotionale Konvergenz, bleibt dabei aber eher zurückhaltend und überlässt M das Schwärmen. Dieser nutzt die emotionale Konvergenz schließlich in R77 für einen mutigen thematischen Intimisierungsschritt, indem er die Adressatin zu ihrem Verständnis von Liebe befragt. 292 Zum Glück für M reagiert diese spontan ohne Ablehnung auf die für ein Erstkontaktgespräch ungewöhnliche, da äußerst private und insofern durchaus riskante Frage: (R77)10,62-------------------------------------------------------------------------------------------- M für dich was Schweres oder was Leichtes? Wenn ich dich des so fragen F --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M darf? Was Leichtes? Ja, kommt, kommt, F Was Leichtes Haja, also schon %lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M kommt immer drauf an, ja.. F gut, ich mein ich mein, ich hab auch noch keine --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F schlechten Erfahrungen gemacht, deswegen wahrscheinlich Darüber hinaus finden sich in den Korpus-Gesprächen auch Situationen, die sich für die Erzeugung von Euphorie anbieten würden, von den Oratoren jedoch nicht genutzt werden. So thematisiert bspw. die Adressatin F in Gespräch Nr. 6 einen Film, von dem sie begeistert ist, doch anstatt das Thema zu vertiefen (etwa mittels einer Frage nach der Handlung des Films) und F auf diese Weise Gelegenheit 292 Formal betrachtet wäre dies ein Beispiel für einen stufeninternen Intimisierungsschritt (Intimitätsstufe 3, siehe Kap. VIII.2). Gute Ansätze und vertane Chancen 3 VII Euphorie erzeugen: lokale Gesprächsbetrachtung 280 zu „euphorischer Entfaltung“ zu geben, interessiert sich M nur für den Ort, an dem der Film gezeigt wurde: (R78)6,66--------------------------------------------------------------------------------------------- F ich ehe gerne in Filme die überhaupt kein Mensch kennt, also irgendwie --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Hmhm F zum Beispiel sagt dir Doogma was? Diese Doogma Filma da habe ich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F irgendwie/ also da steh ich voll drauf. Der beschte war Italienisch für An- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Nnn, den kenn ich glaub ich nich/ F fänger kennscht den? Der kam mal im --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M In Tübingen? Sowas kommt doch eher F Sommernachtskino letschtes Jahr. JaJa/ --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M in Tübingen eigentlich als in Stuttgart oder? In Gespräch Nr. 5 hat Orator M mit dem Thema „Tasmanien“ zwar offensichtlich einen Treffer erzielt, verwertet diesen jedoch nicht: (R79)5,132-------------------------------------------------------------------------------------------- M Was mich persönlich dann noch reizt in diesem Zusammenhang isch. Tas- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M manien. F Ja: das soll super schön sein. aber ich wollt eigentlich unbedingt --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hingehen aber. Es wird einfach zu knapp von der Zeit. das reicht einfach --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Man kann net alles machen. F net. Auch wenn F keine Zeit hat, Tasmanien zu besuchen, könnte M durchaus noch ein paar schwärmerische Worte über das Land verlieren, und dieses so zum gemeinsamen „Sehnsuchtsort“ stilisieren. 293 Stattdessen leitet er einen Themenabschluss ein. 293 Auf inhaltlicher Ebene kann eine gewisse verspielte Irrationalität, wie sie etwa auch für das Schwelgen in Zukunftsträumen typisch ist, das Gefühl euphorischer Verbundenheit steigern. Rauch (1992: 304) beobachtet bei Paardialogen u.a. ein rituelles Muster „Weltflucht“, das mit Wendungen wie Vielleicht sollten wir ein neues Leben anfangen operiert. 281 4 Fazit Mit der Erzeugung von Euphorie verbinden sich für den Orator die Chancen, die Stimmung des Adressaten zu verbessern, den eigenen Attraktionsgrad in den Augen des Adressaten zu steigern und die soziale Bindung (Systase) zwischen sich und dem Adressaten zu fördern. Alle drei Aspekte erhöhen die Chance, dass der Adressat in die Fortsetzung des Kontakts einwilligt. Um zielgerichtet Euphorie erzeugen zu können, muss der Orator in der Lage sein, auch subtile Hinweise auf euphorie-trächtige Themen zu erkennen und diese im Rahmen des Instruments der thematischen Vertiefung konsequent für sich zu nutzen. Bei mangelnden Hinweisen können geeignete Themen gezielt erfragt werden. Damit ist freilich das Risiko verbunden, dass der Orator einen Gegenstand, der für den Adressaten emotional hochgradig positiv belegt ist, divergent bewertet und daher nicht in die Euphorie des Adressaten einstimmen kann. Neutrale Responsitivität erlaubt in solchen Fällen jedoch eine elegante Prozessierung der Begeisterung des Adressaten. Ein schwerer wiegendes Risiko besteht für den Orator darin, dass er bei der Erzeugung von Euphorie mehr auf seine eigenen Vorlieben abhebt als auf die des Adressaten - bei Letzterem kann dies Überdruss hervorrufen. Problematisch ist es auch, wenn der Orator dem Adressaten nicht genügend Raum für die kommunikative Entfaltung von Euphorie lässt und sich stattdessen mit seiner Begeisterung permanent selbst in den Vordergrund drängt. Der Adressat könnte sich in einer solchen Gesprächssituation langweilen, was sich negativ auf sein Interesse an einer Fortsetzung des Kontakts auswirken kann. Es erscheint plausibel, dass Euphorie-Sequenzen hinsichtlich ihrer Dauer nicht überstrapaziert bzw. nicht bis zu einem Punkt getrieben werden sollten, an dem das Hochgefühl bereits wieder abflacht. Zum einen sind starke Emotionen „anstrengend“ und können im Gespräch nicht über einen längeren Zeitraum mit unverminderter Intensität kultiviert werden. 294 Zum anderen würde im Fall eines Abflachens wertvolles „Anschlusspotenzial“ für einen Intimisierungsschritt (siehe Kap. VIII) verschenkt. Sinnvoll kann z.B. ein Wechsel zu einem intimeren Thema sein, wenn die Euphorie ihren Höhepunkt erreicht hat. 294 Drescher (2003: 95) spricht von einem „oszillierenden“ Charakter bzw. einem „dynamischen Ansteigen und Abfallen der Affektivität“ in der Interaktion bzw. von „Eskalation“ bzw. „Deeskalation“ emotionaler Beteiligung (ebd.: 94). 4 Fazit VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung Während die beiden zuvor besprochenen Strategien mit einer lokalen Betrachtungsweise der emotionalen Interaktion im Gespräch einhergehen (Sequenz-Ebene), impliziert die dritte Strategie eine globale Betrachtungsweise: Im Rahmen der Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses wird der thematische Verlauf des gesamten Gesprächs in den Blick genommen. Im Rahmen dieser Strategie werden Effekte emotionaler Konvergenz instrumentalisiert, um eine spezifische Art der Themenprogression zu erleichtern. 295 Diese beruht auf einer sukzessiven Erhöhung des Intimitätsgrades der gewählten Gesprächsthemen. Ihr entspricht eine gesonderte Strategie, die als Strategie thematischer Intimisierung bezeichnet werden kann, im Rahmen der gesprächsoratorischen Managements nach Knape (2009a) dem Themen-Management zuzuordnen ist und ausdrücklich keine spezifisch emotionalrhetorische Strategie darstellt. Während der Begriff Intimität in der Forschung oft mit den Aspekten „zwischenmenschlicher Wärme“ und Affekt in Verbindung gebracht wird (vgl. Andersen/ Guerreo 1998a: 306f.), bezeichnet er in der vorliegenden Arbeit ein allgemeines Gefühl der Vertrautheit zwischen Personen und ist nicht speziell emotional konnotiert. 296 Mit einer Person vertraut zu sein, kann zwar durchaus bedeuten, ihre emotionalen Dispositionen und typischen emotionalen Reaktionsweisen zu kennen, doch kann sich die Vertrautheit auch auf bestimmte Denkweisen oder Verhaltensspezifika, z.B. Alltagsroutinen, beziehen (etwa bei Kollegen oder Nachbarn). Intimität in einem allgemeinen Sinne wird im Folgenden konzipiert als ein Merkmal interpersonaler Relation, welches bei den Beziehungspartnern mit dem Gefühl einhergeht, einander vertraut bzw. aneinander gewöhnt zu sein. Wenngleich die Strategie thematischer Intimisierung also keine spezifisch emotionalrhetorische Strategie darstellt, spielt sie eng mit einer solchen zusammen, und zwar mit der in diesem Kapitel eigentlich interessierenden Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses. Letztere erleichtert nämlich die Umsetzung der Ersteren: Im Rahmen der Forcierung des Intimisierungsprozesses werden Situationen emotionaler Konvergenz (SK) instrumentalisiert, um einen eleganten Wechsel von einer niedrigeren auf eine höhere thematische Intimitätsstufe zu vollziehen. Nutzt der Orator eine SK auf diese Weise, aktiviert er ihre Schleusen-Funktion. Mit Hilfe dieses Instruments kann 295 Zur thematischen Steuerung von Gesprächen im Allgemeinen siehe Tiittula (2001: 1368ff.). 296 Gefühle der Vertrautheit, des Wissens u.ä. werden in der Forschung auch als „kognitive Gefühle“ bezeichnet (vgl. Greifeneder/ Bless/ Pham 2011: 108). VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 284 er den thematischen Intimisierungsprozess verstärkt vorantreiben bzw. forcieren. 297 Festzuhalten bleibt vorerst, dass die Forcierung des Intimisierungsprozesses als eine spezifisch emotionalrhetorische Strategie zu konzipieren ist, welche zwar eng mit der nicht spezifisch emotionalrhetorischen Strategie der thematischen Intimisierung zusammenspielt, analytisch jedoch von ihr zu trennen ist. Im Folgenden wird zunächst genauer erläutert, was unter der Strategie thematischer Intimisierung zu verstehen ist. Anschließend wird ein auf Basis des Korpus entwickeltes System thematischer Intimitätsstufen vorgestellt. Darauf aufbauend wird erklärt, was genau unter der Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK, dem oratorischen Instrument zur Forcierung des Intimisierungsprozesses, zu verstehen ist und worin entsprechende Chancen und Risiken bestehen. 1 Thematische Intimisierung Für die Strategie thematischer Intimisierung ist der Begriff des „Themas“ wesentlich. Aus textlinguistischer Sicht definiert Brinker (2005: 56) „‚Thema‘ als Kern des Textinhalts, wobei der Terminus ‚Textinhalt‘ den auf einen oder mehrere Gegenstände (d.h. Personen, Sachverhalte, Ereignisse, Handlungen, Vorstellungen usw.) bezogenen Gedankengang eines Textes bezeichnet.“ Wird das Thema im Text nicht expliziert, muss es durch das „Verfahren der zusammenfassenden (verkürzenden) Paraphrase“ aus dem Textinhalt abstrahiert werden. Brinker weist darauf hin, dass es hierbei keine mechanische Prozedur gebe, die am Ende automatisch zur „richtigen“ Themenformulierung führe. Vielmehr beruhe die textanalytische Bestimmung eines Themas primär auf interpretativen Verfahren, die vom Gesamtverständnis des Texts beeinflusst würden (vgl. ebd.). Was Gesprächstexte betrifft, lässt sich „Thema“ im Sinne von „Kern des Textinhalts“ auf unterschiedliche Texteinheiten anwenden, z.B. auf den Gesprächsbeitrag, die Gesprächssequenz oder das gesamte Gespräch. Entsprechend kann zwischen dem globalen Gesprächsthema und den auf einzelne Gesprächsbeiträge oder -sequenzen bezogenen Teilthemen unterschieden werden (vgl. Brinker/ Sager 2006: 82). Brinker differenziert allgemein zwischen „Thema“ und „kommunikativem Hauptgegenstand“ eines Textes: In der Alltagssprache versteht man unter einem Thema den „Gegenstand“ eines Textes, eines Gesprächs, einer bildlichen Darstellung u.ä. (vgl. etwa das 297 Kallmeyer/ Schmitt (1996: 21) verwenden den Begriff des Forcierens für „Gesprächsaktivitäten eingeschränkter Kooperativität“, worunter sie das Erweitern eigener Möglichkeiten und das Verringern fremder Möglichkeiten verstehen. 1 Thematische Intimisierung 285 Thema eines Vortrags, ein Thema behandeln usw.) Allerdings bezieht sich das Wort „Thema“ nicht nur auf den den kommunikativen Hauptgegenstand eines Textes (den dominierenden Referenzträger), wie er sich sprachlich in den nominalen und pronominalen Wiederaufnahmen manifestiert, sondern das Alltagskonzept „Thema“ umfaßt vielfach auch das, was im Text „in nuce“ über diesen zentralen Gegenstand ausgesagt wird, d.h. den Grund- oder Leitgedanken eines Textes (Brinker 2005: 56). In Bezug auf Gespräche unterscheiden Brinker/ Sager (2006: 82) dementsprechend z.B. zwischen „Kaffeepulver“ als kommunikativem Hauptgegenstand und dem „Mitbringen von Kaffeepulver“ als Thema eines Gesprächsausschnitts. Eine solche Unterscheidung würde das Erstellen der im Folgenden benötigten Thementypologie unnötig verkomplizieren. Für unsere Zwecke genügen einfache Themenbezeichnungen wie „Kaffeepulver“ - nähere Informationen, z.B. ob das Pulver mitgebracht wird, ausgegangen ist oder eine gute Qualität aufweist, sind hier nicht erforderlich. Daher bezieht sich der Begriff des Gesprächsthemas in der vorliegenden Arbeit auf den kommunikativen Hauptgegenstand einer Gesprächssequenz (einer Abfolge von Gesprächsbeiträgen). 298 Wie bereits erwähnt, wirkt der Courtship-Orator im Rahmen der Strategie thematischer Intimisierung darauf hin, die anfängliche Unvertrautheit mit dem Adressaten durch die gezielte Wahl von Gesprächsthemen sukzessive in ein möglichst hohes Maß an Vertrautheit (Intimität) zu überführen. Hierzu beginnt der tendenziell mit unverbindlicheren Gesprächsthemen und geht im weiteren Verlauf des Gesprächs schrittweise zu verbindlicheren Themen über, bis er schließlich sein „Zielthema“, die „Fortsetzung des Kontakts“, erreicht. 299 Die Strategie thematischer Intimisierung zielt demnach darauf ab, in angemessener Weise zu jenem Gesprächsthema vorzudringen, dessen Verhandlung unter Anbringung des Nutzarguments über Erfolg bzw. Misserfolg oratorischer Intervention entscheidet. Hierin ist ein Moment aristotelischer Dianoia (rationaler Gedankenführung) zu sehen, weshalb die Strategie thematischer Intimisierung im Sinne der Management-Kategorien nach Knape (2009a) genauer gesagt eine dem Rationalitäts-Management unterstellte Form von Themen-Management repräsentiert. 300 Nebenbei ist die Strategie für den 298 In Einzelfällen, z.B. bei einem besonders langen Gesprächsbeitrag oder bei abrupten Themenwechseln, kann sich der Begriff des Gesprächsthemas auch auf den kommunikativen Hauptgegenstand eines einzigen Gesprächsbeitrags beziehen. 299 Zur thematischen Aspekten des Kennenlernprozesses in Erstkontaktgesprächen allgemein siehe auch Svennevig (1999: 163ff.). 300 Themen-, Formulierungs- und Performanz-Management sind nach Knape (2009a) als integrale Bestandteile der übrigen Managements zu betrachten (siehe Kap. II.4). VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 286 Courtship-Orator natürlich auch deswegen von Vorteil, weil „Vertrautheit mit einer anderen Person die allmähliche Herausbildung bzw. Festigung von Sympathie“ begünstigt (Mees/ Rohde-Höft 2000: 239). Bei Bell/ Daly findet sich der Aspekt der Intimisierung im Sinne einer Forcierung des Eindrucks zwischenmenschlicher Nähe (Closeness): Influence Perceptions of Closeness. The affinity-seeker engages in behaviors which cause the target to perceive the relationship as closer than it has actually been. Example: The affinity-seeker uses nicknames and talks about „we“ rather than „you and I,“ when discussing their relationship with the target (Bell/ Daly 1984: 97). Während das von Bell/ Daly gewählte Beispiel die sprachlich-stilistische Beeinflussung des Intimitätsgrades betrifft, erfolgt der soziale Annäherungsprozess im Rahmen thematischer Intimisierung auf einer rein inhaltlichen Ebene. Dabei spielt es für den Intimitätsgrad eines Themas keine Rolle, mit welchen sprachlichen Mitteln es aktualisiert wird (möglich sind z.B. emotionale Bewertungen, sachliche Feststellungen u.ä.). Die sozialpsychologische Forschung verhandelt Intimisierungsprozesse u.a. unter dem Stichwort self-disclosure (Selbstoffenbarung eines Gesprächspartners). 301 Gelingt es dem Orator, etwa mittels eigener Selbstoffenbarungen, den Adressaten zu Selbstoffenbarungen zu bewegen, steigert dies nicht nur den Intimitätsgrad, sondern es begünstigt auch die Entstehung von Sympathie und positiven Emotionen beim Adressaten: „self-disclosure within get-acquainted conversations ist accompanied by liking or feelings of social attraction to conversation partners and by an increase in positive emotions“ (Vittengl/ Holt 2000). 302 In Erstkontaktgesprächen dürfen die Selbstoffenbarungen natürlich nicht zu intim sein: „Even in fleeting encounters, people respond to personal disclosures that are too intimate by withdrawing rather than by reciprocating“ (Rubin 1973: 171). Der Orator muss bei seinen eigenen Selbstoffenbarungen folglich darauf achten, dass sie dem im Gespräch bislang erreichten Intimitätsgrad angemessen sind. Letzteres gilt auch für Selbstoffenbarungen, zu denen der Orator den Adressaten mittels Fragen animiert (in R77 geht der Orator diesbezüglich ein gewisses Risiko ein). 301 Siehe z.B. Rubin (1973: 160ff.); für einen knappen Forschungsüberblick siehe Andersen/ Guerrero (1998a: 314). 302 Die Frage, ob Selbstoffenbarung zu Sympathie für den Gesprächspartner führt oder umgekehrt, behandeln bereits Altman/ Taylor (1973). Sie vermuten, dass es sich dabei um einen bidirektional-reziproken Prozess handelt (ebd.: 52). Collins/ Miller (1994) führten an einer hohen Anzahl von Studien eine Meta-Analyse zum Zusammenhang von „self-disclosure“ und „liking“ durch und kamen zu folgenden Ergebnissen: 1. Personen, die Selbstoffenbarung betreiben, erzeugen Sympathie 2. Je sympathischer eine Person ist, desto eher erfährt sie Selbstoffenbarung durch andere 3. Selbstoffenbarung gegenüber einer Person erhöht in der Folge den Grad der Sympathie, die man für sie empfindet (vgl. dazu auch Taraban/ Hendrick/ Hendrick 1998: 333f.). 1 Thematische Intimisierung 287 Der angemessene Umgang mit der Privatsphäre des Adressaten ist ein allgemeiner Grundsatz im Rahmen der Strategie thematischer Intimisierung. Einerseits muss der Orator die Gesprächsthemen und ihre Abfolge so wählen, dass sich der Adressat nicht durch vorschnelle Pseudo-Vertraulichkeit in seiner Privatsphäre verletzt fühlt, andererseits muss er dafür sorgen, dass die Interaktion nicht dauerhaft den Charakter unpersönlichen Smalltalks annimmt - ansonsten könnte die Erreichung des kommunikativen Telos am Ende an zurückhaltungsbedingter Unverbindlichkeit scheitern. Bei dieser Gratwanderung benötigt der Orator Trittsicherheit. Dazu muss er wissen, welche Themen in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung eher als „unverbindlich“ und welche eher als „verbindlich“ bzw. „intim“ eingestuft werden können. Becker (2009: 334ff.), der sich auf das Tübinger Teilkorpus I des Courtshiprhetorik-Projekts konzentriert (im Rahmen eines Computer-Chats simulierte Gespräche), ordnet den darin vorkommenden Gesprächsphasen typische Teilziele, Widerstände, Sprechakt-Sequenzmuster und „Topoi“ 303 bzw. typischen Gesprächsthemen zu (im Folgenden werden neben den Teilzielen nur die Themen abgebildet): I. Phase der Kontaktanbahnung: Teilziel: Kontakt herstellen Aspekte der gegenwärtigen Situation, des Settings, der Adressatin II. Phase der Etablierung des Gesprächs: Teilziel: Gesprächsmotivierung soziodemographische und biographische Basisdaten der Adressatin Aspekte der gegenwärtigen Situation, des Settings, der Adressatin III. Phase der Passungsexploration zweier Persönlichkeiten Teilziel: Kennenlernen soziodemographische und biographische Basisdaten Tübingen, Herkunft, Wohnort Ausbildung, Studium, Prüfung, Praktikum, Auslandsaufenthalt, Nebenjob, Beruf, Stress Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft Lebenseinstellung, Interessen, Zukunftspläne Freizeit, Hobbies [sic! ], Sport, Kino, Reise, Musik, Literatur, Urlaub, Ausgehgewohnheiten soziale/ persönliche Beziehungen, (Ex-)Partner, Familie Teilziel: Sympathie gewinnen 303 Becker (2009) verwendet diesen Begriff weitgehend synonym mit charakteristischen „Gesprächsthemen“. VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 288 Ausbildung, Studium, Prüfung, Praktikum, Auslandsaufenthalt, Nebenjob, Beruf, Stress Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft Lebenseinstellung, Interessen, Zukunftspläne Freizeit, Hobbies [sic! ], Sport, Kino, Reise, Musik, Literatur, Urlaub, Ausgehgewohnheiten soziale/ persönliche Beziehungen, (Ex-)Partner, Familie Teilziel: Sympathie/ Passung prüfen Bindungsstatus der Adressatin Kompetenz/ Wissen der Adressatin Schlagfertigkeit der Adressatin IV. Phase der Aushandlung einer zukünftigen Fortsetzung des Kontakts Teilziel: Verabreden Zweites Treffen (Möglichkeit) Ort eines weiteren Treffens (unspezifisch, Setting) Zeit eines weiteren Treffens (Wochentag, Tageszeit, Uhrzeit) Telefonnummer, Emailadresse V. Phase der Auflösung des Kontakts Teilziel: Kontakt beenden Weggehen Glück Gespräch Gesprächsende Seduktor Adressatin zweites Treffen Wenngleich Becker die hier aufgelisteten Themen nicht speziell auf den Aspekt der Intimisierung hin untersucht - sein Schwerpunkt liegt auf der Sprechhandlungsanalyse -, wird durch die Phasenaufteilung und Teilziele indirekt deutlich, dass z.B. das Thema „Setting“ auf einem niedrigeren Intimitätsniveau rangiert als Themen wie „Lebenseinstellung“ oder „Bindungsstatus des Adressaten“. Auch wird deutlich, dass bestimmte Themen in verschiedenen Phasen auftreten können, z.B. „soziodemographische Basisdaten“ und „Studium“. Die von Becker angeführte Phasengliederung und insbesondere die damit verbundenen Teilziele konstituieren einen „Rahmenhandlungsplan“ (Becker 2009: 230ff.), der als allgemeine Struktur von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung grundsätzlich auch für das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Tübinger Teilkorpus II Gültigkeit beanspruchen 2 Intimitätsstufen 289 kann. Im unserem aktuellen Zusammenhang interessieren jedoch ausschließlich Aspekte der thematischen Intimisierung bzw. der Zuordnung von Themen zu Intimitätsstufen. Da das von Becker untersuchte Teilkorpus I im Rahmen eines anderen Versuchsaufbaus gewonnen wurde als das von uns untersuchte Teilkorpus II und dies u.U. zu Unterschieden bei den Gesprächsthemen und deren Abfolge führen könnte, erwies sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung eine eigene thematische Analyse des zweiten Teilkorpus als notwendig. 2 Intimitätsstufen Die bekannte „social penetration“-Theorie von Altman/ Taylor (1973) beschreibt den Prozess sozialer Annäherung mit Hilfe unterschiedlicher Intimitätslevels, in die mittels interpersoneller Kommunikation sukzessive vorgedrungen wird. Die Intimitätslevels entsprechen dabei Persönlichkeitsschichten, die sich wie die Schichten einer Zwiebel um den Persönlichkeitskern herum legen. In den äußeren Schichten sind biographische Aspekte wie Geschlecht, Alter und persönliche Geschichte angesiedelt, in den mittleren Schichten Einstellungen und Meinungen und in den inneren Schichten Selbstkonzepte, Ängste und Grundwerte (vgl. ebd.: 17f.). Für kommunikative Annäherungsprozesse ist diesem Ansatz zufolge typisch, dass zunächst und in aller Breite Themen aus den äußeren Schichten bzw. niedrigen Intimitätslevels verhandelt werden und erst später und in geringerem Umfang Themen aus den inneren Schichten bzw. höheren Intimitätsleveln (vgl. ebd.: 30). Wenn im Folgenden auf Basis von Teilkorpus II eine Zuordnung von Gesprächsthemen zu Intimitätstufen vorgenommen wird, entspricht dies im Grundgedanken der Intimitätslevel-Theorie von Altman/ Taylor. Allerdings bezieht sich unsere Zuordnung speziell auf Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung, wie sie im Rahmen des Versuchsaufbaus zwischen Studierenden geführt wurden (bei anderen Zielgruppen wäre zumindest der Themenbereich „Studium“ anders zu besetzen). Im Rahmen der thematischen Analyse wurden die Gespräche des Teilkorpus II jeweils in drei etwa gleichlange Phasen eingeteilt. Für jede Phase wurden die darin vorkommenden Gesprächsthemen chronologisch aufgelistet; trat ein bestimmtes Thema innerhalb einer Phase mehrmals auf, wurde es mehrmals aufgeführt. Sehr kurze thematische Abschnitte wurden nicht erfasst, es sei denn, sie bezogen sich auf Themen, die im Korpus regelmäßig auftreten (z.B. Studienfach, Name, Herkunft, Buch zurückgeben) oder sie waren hinsichtlich des Intimisierungsprozesses besonders auffällig (z.B. das Thema „Ehe der Eltern“ in Gespräch Nr. 4). Rituelle Handlungsmuster wie Begrüßung und Verabschiedung wurden nicht erfasst, weil sie keine „Themen“ im eigentlichen Sinn und außerdem Standard sind. VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 290 Die so ermittelten Themen (siehe tabellarische Übersicht in Abschnitt 6 des Anhangs) lassen sich im Wesentlichen nach fünf Bereichen sortieren (hier jeweils mit einigen exemplarischen Themen illustriert): 1. Setting Örtliche Gegebenheiten (z.B. Leere/ Kälte im Raum), zeitliche Gegebenheiten (z.B. Wochenende), Grund der Anwesenheit (z.B. Versetztwerden, Referat, Buch zurückgeben/ ausleihen), Wetter, aktuelle Gesprächssituation Orator/ Adressat, Uhrzeit 2. Studium Studienfach, Studieninhalte, Semesterzahl, Studienfortschritt, Seminare, Studienort, Berufspläne, Auslandsaufenthalt, Sprachen, Prüfungen, Referat, Praktikum, universitäre Lokalitäten, Zimmersuche, Bibliothek, Nebenjob 3. Privatperson Hobbys, Kino, Party, Lesen, Ausgehen, Musik, Reisen, Konzert, Kunst, soziale Kontakte, Sprachen, Einkaufen, Sport, Natur, Wohnverhältnisse, Weihnachten daheim, Essen, Tageslaune, Partnersuche, Liebe 4. Fortsetzung Kontakt Kontaktdaten (i.d.R. Telefonnummer) und/ oder Termin, Inhalt etc. eines weiteren Treffens + Universelle Personalia (personal shift) Name, Herkunft, Dialekt, Wohnort, Alter Im Tübinger Teilkorpus II finden sich demnach im Wesentlichen die gleichen Themen wie in Teilkorpus I (vgl. die Liste von Becker (2009) im vorigen Abschnitt), was auf eine hohe Konventionalität der Themen in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung hindeutet - die unterschiedlichen Experimentaldesigns scheinen hier jedenfalls keinen nennenswerten Einfluss gehabt zu haben. Die intendierte Zuordnung von Themen zu Intimitätsstufen erfolgt nun darüber, dass jeder thematische Bereich als eine eigene Intimitätsstufe konzipiert wird. Die erste Stufe beginnt mit Aspekten des Settings im Sinne von situativ unmittelbar „Naheliegendem“. Hier geht es noch nicht so sehr um die Personen der Gesprächsteilnehmer an sich, sondern um den Ort, an dem sie sich gerade aufhalten, um den Grund ihrer Anwesenheit u.ä. Bei diesen Themen auch geht es meist weniger um ihren Informationsgehalt an sich denn darum, einen Kontakt zum Gesprächspartner aufzubauen. 304 Mit ihnen kann Smalltalk (siehe Kap. VII.1) betrieben werden. 304 Vgl. hierzu den Begriff des „Nullthemas“ bei Schank (1977: 239ff.). 2 Intimitätsstufen 291 Auf der zweiten Stufe folgt der thematische Bereich Studium, der für die Zielgruppe des Korpus charakteristisch ist und für Courtship-Gespräche außerhalb dieser Zielgruppe zu „Ausbildung/ Beruf“ verallgemeinert werden könnte. In diesem Bereich stehen durchaus schon die Personen der Gesprächsteilnehmer im Mittelpunkt, allerdings unter der speziellen Perspektive fachlicher Berufsqualifikation und dadurch bedingter Lebensgestaltung. Die dritte Stufe bezieht sich auf die Gesprächsteilnehmer als Privatpersonen. 305 Hier werden vor allem Freizeit- und Alltagsaktivitäten jenseits des Studiums sowie persönliche Interessen verhandelt. Letztlich jedoch fällt alles, was im Leben der Gesprächsteilnehmer eine Rolle spielt und nicht einem der anderen Bereiche zugerechnet werden kann, in diesen Bereich. Auch sehr spezielle, für das Korpus kaum repräsentative Themen wie z.B. „Dollar- Note“, „Rehe“ oder „Liebe“ können zu diesem Bereich gezählt werden, sofern sich die Gesprächsteilnehmer als Privatpersonen für sie interessieren. Die vierte Stufe besteht im Grunde aus einem einzigen Thema, der Fortsetzung des Kontakts als kommunikativem Telos. 306 Auf dieser Stufe werden die Personen der Gesprächsteilnehmer durch eine Art soziales Ritual - den Austausch von Kontaktdaten bzw. eine Verabredung - miteinander „verbunden“. Einen Sonderstatus hat der in eckigen Klammern stehende Bereich Universelle Personalia. Er umfasst steckbriefartig-universelle Aspekte zur Person, die in den Korpus-Gesprächen in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Intimitätsstufe vorkommen. I.d.R. hat der Wechsel von einem Thema aus den übrigen Bereichen zu einem Thema des Bereichs Universelle Personalia einen intimitätsverstärkenden Effekt. Das liegt daran, dass es hier um substanzielle Informationen zu einer Person geht, die von ihr selbst teilweise nicht oder nur schwer beeinflusst werden können (vor allem Name, Herkunft, Alter), aber dennoch erheblich zu ihrem Image beitragen und insofern besonders gesichtswahrende Reaktionen des Gegenübers erfordern (siehe Kap. VI.1.1). Durch die Thematisierung eines solchen Aspekts wird jegliches bereits erreichte Intimitätslevel der Gesprächspartner zusätzlich intensiviert. D.h. die Wahl eines Themas aus dem Bereich Universelle Personalia sorgt in der vorliegenden Stufenordnung für einen „Plus-Effekt“ gegenüber der Intimitätsstufe des im Gespräch unmittelbar vorangehenden, 305 Tolhuizen (1989) geht der Frage nach, wie Partner, die sich bereits daten, die Beziehung im Lauf wiederholter Dates intensivieren können und unterscheidet dabei verschiedene Strategien. U.a. assoziiert er „Personalisierte Kommunikation“, d.h. das Reden über Persönliches, mit Intimität (vgl. ebd.: 430). Dem thematischen Bereich „Privatperson“ entspricht demnach eine verhältnismäßig hohe Intimitätsstufe. 306 Ein Kodierer notiert bzgl. der Äußerung 17,119 Aber hast du vielleicht Lust, dass wir mal in den Film gehen? : „Drängen nach nächstem Level“ (MP). Dies expliziert regelrecht, dass das Thema „Fortsetzung des Kontakts“ im Intimisierungsprozess eine eigene Stufe darstellt. VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 292 nicht diesem Bereich entstammenden Themas. Der „Plus-Effekt“ kann auch als personal shift bezeichnet werden. Er liegt z.B. vor, wenn die Gesprächspartner von ihren Studienfächern (Stufe 2) auf ihre Herkunft (Stufe 2+) zu sprechen kommen, oder von der Freizeitaktivität „Party“ (Stufe 3) auf ihr Alter (Stufe 3+). Die Abfolge der vier thematischen Intimitätsstufen wurde auf der Basis von Teilkorpus II entwickelt und ist als prototypisch für dieses zu verstehen. Wie aus der tabellarischen Übersicht der Gesprächsthemen in Abschnitt 6 des Anhangs ersichtlich wird, stellt das Setting in den Korpus-Gesprächen meist den ersten Themenbereich dar, i.d.R. gefolgt vom Bereich Studium, dem seinerseits der Bereich Privatperson folgt. Die Fortsetzung des Kontakts wird bei allen Gesprächen gegen Ende der Interaktion verhandelt (bei acht Gesprächen wird sie zusätzlich bereits in der Gesprächsmitte angesprochen, siehe auch Kap. VI.1.1.2). Der Bereich Universelle Personalia taucht in den unterschiedlichsten Phasen auf. Dabei ist zu konstatieren, dass die Korpus-Gespräche nur tendenziell eine lineare Abfolge der Intimitätsstufen aufweisen - das Überspringen eines Levels oder das zwischenzeitliche Zurückspringen auf ein niedrigeres Level kommen öfters vor. Häufig wird etwa vom Bereich Privatperson zunächst wieder auf den Bereich Studium zurückgesprungen und anschließend erneut der Bereich Privatperson bedient. Insgesamt jedoch nimmt die Vorkommenshäufigkeit des Bereichs Privatperson vom ersten bis zum letzten Gesprächsdrittel zu, während die des Bereichs Studium abnimmt. 307 Gleichzeitig fällt auf, dass bei über der Hälfte der Gesprächssituationen, in denen die Fortsetzung des Kontakts verhandelt wird, ein Thema aus dem Bereich Privatperson unmittelbar vorausgeht, d.h. den Übergang zur höchsten Intimitätsstufe vorbereitet. Die Abfolge der Intimitätsstufen spiegelt sich in gewisser Weise auch in der Zuordnung von Gesprächsthemen zu Gesprächsphasen bei Becker (siehe die Liste im vorigen Abschnitt). Das Setting taucht bei Becker in Phase I und II, also zu Beginn des Gesprächs auf, Studium sowie Freizeit/ Hobbys (vgl. Privatperson) in Phase III, wobei Studium wiederholt vor Freizeit/ Hobbys angeführt wird. Die Fortsetzung des Kontakts entspricht bei Becker Phase IV, sozio- und biographische Basisdaten (vgl. Universelle Personalia) finden sich in Phase II und III. Manche Themen können prinzipiell mehr als einem Bereich bzw. einer Stufe zugeordnet werden. Wird z.B. das Thema „Lesen“ im Rahmen des Studiums verhandelt, entspricht dies einer niedrigeren Intimitätsstufe, als wenn es im Sinne einer „Lieblings-Freizeitbeschäftigung“ besprochen wird. Das Thema 307 Der Bereich Studium kommt bei 21 Gesprächen im ersten Drittel, bei 17 im zweiten und bei 14 im dritten Drittel vor. Der Bereich Privatperson kommt bei 14 Gesprächen im ersten Drittel, bei 17 im zweiten und bei 18 im dritten Drittel vor. 2 Intimitätsstufen 293 „Referat“ etwa kann sowohl im Sinne eines Anlasses für die aktuelle Anwesenheit in der Cafeteria (Setting) als im Sinne einer Studienleistung mit bestimmtem Inhalt (Studium) aufgegriffen werden. In ähnlicher Weise können bestimmte Aspekte aus Setting (z.B. „Buch zurückgeben“ als Grund der Anwesenheit) oder aus Privatperson (z.B. „soziale Kontakte“ außerhalb der Hochschule) auch unter Studium verhandelt werden („Buch zurückgeben“ als studentische Alltagsroutine; „soziale Kontakte“ an der Hochschule) und umgekehrt. Bei solchen polyvalenten Themen muss der Kontext genau betrachtet werden, um sie einer passenden Intimitätsstufe zuzuordnen. Angesichts der Option polyvanter Themen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Intimisierungssschritte zu vollziehen bzw. thematische Übergänge zu gestalten. Eine Möglichkeit besteht darin, einen deutlichen Themenwechsel zu vollziehen, wobei das neue Thema B einer höheren Intimitätsstufe angehört als das alte Thema A (siehe z.B. R81 in Kap. VIII.3). Eine andere Möglichkeit besteht darin, anhand eines polyvalenten Themas C eine sanfte Themenverschiebung 308 zu vollziehen, wobei das Thema zuerst auf einer niedrigeren Intimitätsstufe (C) und im Anschluss auf einer höheren (C’) verhandelt wird. So wird in Gespräch Nr. 17 zunächst allgemein über persönliche Probleme mit Dialekt im Alltag gesprochen (Stufe 3 Privatperson) und nach einem launigen Einwurf von F (Ja, du kannst des schon richtich gut) speziell über den Dialekt von M (personal shift bzw. Universelle Personalia), d.h. es erfolgt ein Intimisierungsschritt von 3 zu 3+ (dieses Beispiel wird auch in Kap. IX.2 besprochen). Natürlich stellt das System der vier Intimitätsstufen eine Vereinfachung dar - grundsätzlich könnten die thematischen Bereiche auch weiter ausdifferenziert werden, etwa mittels einer stufeninternen Feingliederung, die den Intimitätsgrad einzelner Themen noch genauer bestimmt. 309 Doch auch so vermittelt das System einen Eindruck davon, wie die thematische Steuerung von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung aussehen kann. Dass der Orator die Reihenfolge der Stufen im Rahmen der Strategie thematischer Intimisierung nicht immer streng einhalten kann, versteht sich von selbst. In jedem Fall ist es von Vorteil, wenn im Gespräch ein gewisser Intimisierungstrend erkennbar ist. In Gespräch Nr. 17 liegt ein deutlicher Intimisierungstrend vor. Die tabellarische Aufbereitung der darin auftretenden Gesprächsthemen zeigt, dass diese, je weiter das Gespräch voranschreitet, zunehmend aus den Stufen 3 und 4 stammen (siehe Abschnitt 7 des Anhangs). 310 308 Zum Unterschied zwischen Themenwechsel und Themenverschiebung siehe etwa Tiittula (2001: 1368). 309 In Gespräch Nr. 7 etwa wechseln die Gesprächspartner von „sozialen Kontakten“ im Allgemeinen zum Thema „Partnersuche“. Dies könnte als stufeninterner Intimisierungsschritt (Stufe 3) gedeutet werden. Ein weiteres Beispiel wäre R77 in Kap. VII.3. 310 Ähnlich starke Intimisierungstrends lassen sich bei den Gesprächen Nr. 4, Nr. 15 und Nr. 16 beobachten. VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 294 Nachdem geklärt wurde, was unter thematischer Intimisierung zu verstehen ist, kann im folgenden Abschnitt genauer erläutert werden, wie der Intimisierungsprozess emotionalrhetorisch forciert werden kann. 3 Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK Für den Courtship-Orator stellen Intimisierungsprozesse im Rahmen des Erstkontakts eine Gratwanderung dar. Einerseits besteht bei Annäherungsversuchen die Gefahr, dass sie vom Adressaten als plump und damit als Verstoß gegen den Courtship-Modus der Indirektheit empfunden werden - dies verdeutlicht etwa die „allergische“ Reaktion der Adressatin F kurz nach Gesprächsbeginn: (R80)7,4----------------------------------------------------------------------------------------------- M Ähm ich heiße übrigens Martin. Julia? Hi Atmet vernehmlich aus F Julia Hm Hallo. Kennscht du mich oder leise, reserviert --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Du hast mir gefallen und dann dachte F / Du kommst so direkt auf mich zu. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich, zu ner schönen Dame setz ich mich hin. Naja Lacht etwas verlegen F Jaja. Bisschen direkt hä? Immer Schnauf ämüsiert lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Angriff ist die beste Verteidigung. Angriff ist die beste. lacht leicht F so direkt? Bitte? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Verteidigung F Ja, das kommt drauf an. o---------zögernd----------o M macht die Sache nicht gerade besser, indem er als Begründung für seine Kontaktaufnahme das Äußere von F anführt - die irritierte Reaktion von F deutet darauf hin, dass er ihr zu nahe getreten ist. Andererseits darf der Orator auch nicht zu distanziert agieren, etwa, indem er nur unverbindliche Gesprächsthemen wählt - ansonsten kommt der Vorschlag für die Fortsetzung des Kontakts aus heiterem Himmel und stößt aufgrund mangelnder Nachvollziehbarkeit u.U. auf wenig Begeisterung. Um beide Extreme zu vermeiden, kann der Orator die Strategie thematischer Intimisierung anwenden, d.h. den Intimisierungsprozess durch die Wahl von Gesprächsthemen mit bestimmtem Intimitätsgrad schrittweise 3 Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK 295 vorantreiben. Dabei hat er die Möglichkeit, den Intimisierungsprozess mit emotionalrhetorischen Mitteln zu forcieren. Das Instrument für die Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses ist die Aktivierung der Schleusen- Funktion von Situationen emotionaler Konvergenz (SK): Ist es zwischen den Gesprächspartnern zu einer SK, ggf. sogar zu einer euphorisch erweiterten SK (Euphorie-Sequenz) gekommen, kann der Orator die Gelegenheit für einen thematischen Intimisierungsschritt nutzen. Vollzieht er diesen - sei es anhand eines Themenwechsels oder einer Themenverschiebung (siehe Kap. VIII.2) - im Anschluss an die SK, überspielt der positive Effekt emotionaler Übereinstimmung die strategische Brisanz des Wechsels von einer niedrigeren zu einer höheren Intimitätsstufe. Metaphorisch kann diesbezüglich von einer Schleusen-Funktion der SK gesprochen werden: Die SK ähnelt einer Schiffahrtsschleuse, die Wasserstandsunterschiede zwischen einzelnen Abschnitten einer Wasserstraße überwindbar macht. Das Erklimmen einer höheren Intimitätsstufe entspricht in diesem Bild der Beförderung eines Schiffes auf ein höheres Wasserstandsniveau, wobei der intimisierungsbegünstigende Effekt emotionaler Konvergenz mit dem Anheben des Wasserpegels in der Schleusenkammer vergleichbar ist. Auf psychologischer Ebene lässt sich der intimisierungsbegünstigende Effekt emotionaler Konvergenz folgendermaßen erklären: Emotionale Übereinstimmung zwischen Interaktionspartnern wird von ihnen im Normalfall als positiv bzw. - im Sinne der Theorie positiver Verstärkung nach Byrne (1971) - als „belohnend“ empfunden, weil sie Selbstbestätigung bedeutet (siehe Kap. VI.2). Auf Basis der Annahme, dass Gefühle Urteile beeinflussen (vgl. Greifeneder/ Bless/ Pham 2011), führt der mit SK verbundene Belohnungseffekt beim Adressaten dazu, dass dieser den Intimisierungsschritt positiv beurteilt. In diesem Sinne hilft der positive Effekt emotionaler Konvergenz, beim Adressaten die Toleranz für Intimisierung - zumindest kurzfristig - zu erhöhen bzw. entsprechenden kognitiven Widerstand zu reduzieren. Für den Orator bedeutet dies, dass die Gelegenheit für einen thematischen Intimisierungsschritt im Anschluss an SK besonders günstig ist - er muss sie lediglich nutzen, d.h. die Schleusen-Funktion der SK aktivieren. Die Forcierung des Intimisierungsprozesses erfordert in dieser Hinsicht ein Gespür für den rechten Moment (kairós). Reduziert der Orator durch die Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK kognitiven Widerstand beim Adressaten, so ist davon auszugehen, dass er tendenziell größere Intimisierungsschritte wagen kann (z.B. von Stufe 1 auf Stufe 3 statt auf Stufe 2) als ohne Rückgriff auf diesen „Mechanismus“. Des Weiteren erscheint plausibel, dass er Intimisierungsschritte bereits zu Zeitpunkten vollziehen kann, an denen er dies unter anderen Umständen noch VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 296 unterlassen hätte, um den Adressaten nicht durch vorschnelle „Annäherung“ zu brüskieren. Beides kann angesichts der Tatsache, dass der Orator nicht weiß, wie viel Zeit ihm der Adressat für die Durchsetzung seines persuasiven Anliegens gewähren wird, wertvolle Zeitersparnis bedeuten. R81 illustriert die Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK: (R81)17,45-------------------------------------------------------------------------------------------- F Ähm. ich hab grad nBuch ausgeliehen M Und was machst du hier sonst so? --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F für meine Freundin.. und jetzt. hab ich gedacht, setz ich mich einfach M ah ja --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mal hin und trink nbisschen was und kucke, ob ich jemanden finde zum M und nbisschen relaxen % lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F unterhalten.. Schön. Schön, dass ich dich gefunden % lacht M Ja, kuck % lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F habe Gehst du auch manchmal M Ja! Das war Zufall. Aber. wies denn so spielt.. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F tanzen? Hier leitet Orator F unmittelbar nach einer SK (Schön. Schön, dass ich dich gefunden habe - Ja! ) mittels eines Themenwechsel von Intimitätsstufe 1 (Setting: Gesprächssituation Orator/ Adressat) zu Intimitätsstufe 3 (Privatperson: Ausgehen) über. R82 ist ein Beispiel für die Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK im Rahmen eines personal shifts: (R82)17,104------------------------------------------------------------------------------------------ F ja % lacht M Na, in Tübingen is ja sowieso voll andre Filmwelt is voll heftig, gibts % lacht --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F stimmt schon hmhm M voll die alternativen Filme, und ansonsten eigentlich gar nich so das, was --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M man eigentlich so erwarten würde. ich mein, klar, man fährt nach Reutlin- --------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M gen, is kein Problem, aber is echt krass Ich komm ja ich komm aus 4 Fazit 297 --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ( ), so im Norden, 650 km von hier entfernt. % räuspert sich --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M und ähm ( ) wir ham auchn Kino, aber es is halt echt so, da laufen --------------------------------------------------------------------------------------------------------- M so Mainstream-Filme. M wechselt hier vom Thema „Kino“ zum Thema „Herkunft“ und damit von Intimitätsstufe 3 (Privatperson) zu Intimitätsstufe 3+ (Universelle Personalia). Obwohl er - vielleicht aus Unsicherheit - gleich wieder zum Thema Kino zurückkehrt, scheint F den Intimisierungsversuch herausgehört zu haben. Bei ihrem nächsten Gesprächsbeitrag spricht sie M ganz direkt auf seine Herkunft an (is mir is mir jetzt gar nich so richtig aufgefallen, dass du gar kein Schwabe bist) und erwähnt dann, dass sie auch nicht aus Schwaben komme, sondern aus Thüringen. Unabdingbar ist die Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK für den Intimisierungsprozess natürlich nicht. Sie kann ihn jedoch vorantreiben, und zwar umso stärker, je öfter der Orator im Gesprächsverlauf von ihr Gebrauch macht. Das setzt natürlich voraus, dass es im Gespräch zu einer gewissen Anzahl an SK kommt. Von den zwölf erfolgreichen Korpus-Gesprächen weisen immerhin sieben (d.h. alle bis auf Nr. 13, 14, 15, 20, 21) jeweils mindestens eine SK mit aktivierter Schleusenfunktion auf (teils handelt es sich dabei um personal shifts). Nr. 17 weist davon zwei, Nr. 4 vier, Nr. 8 sogar fünf auf diese drei Gespräche gehören zu den Spitzenreitern, was die Anzahl an enthaltenen SK angeht. Von den Gesprächen, bei denen kein Erfolgsurteil möglich ist, enthalten alle eine SK mit aktivierter Schleusen-Funktion. Von den nicht erfolgreichen Gesprächen enthält nur Nr. 9 eine aktivierte Schleuse (zur Problematik des Erfolgskriteriums siehe Kap. III.1). 4 Fazit Im Rahmen der Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses rückt das Gespräch im Unterschied zu den beiden zuvor besprochenen emotionalrhetorischen Strategien als Ganzes in den Blick, d.h. es wird nicht punktuell (lokal), sondern in seiner Verlaufsstruktur (global) betrachtet: Unter Nutzung von Konvergenz-Effekten treibt der Orator den Prozess thematischer Intimisierung verstärkt voran, d.h. er überführt die anfängliche Unvertrautheit mit dem Adressaten durch die gezielte Wahl von Gesprächsthemen sukzessive in ein möglichst hohes Maß an Vertrautheit (Intimität). VIII Intimisierung forcieren: globale Gesprächsbetrachtung 298 Das Instrument für die Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses, die Aktivierung der Schleusen-Funktion von SK, stellt für den Orator eine gewisse Herausforderung dar, weil er im Anschluss an eine SK, d.h. innerhalb von Sekunden, mit einem geeigneten Themenwechsel reagieren muss. Da er grundsätzlich nur bedingt steuern kann, ob und wann es zwischen ihm und dem Adressaten zu einer SK kommt, muss er immer darauf vorbereitet sein, entsprechende Momente zu erkennen und zu nutzen (kairós). Je effektiver und eleganter der Orator den Intimisierungsprozess forciert, desto vertrauter mit ihm wird sich der Adressat am Ende des Gesprächs fühlen, was wiederum die Chance einer Einwilligung in die Fortsetzung des Kontakts erhöht. Doch die Forcierung des Intimisierungsprozesses birgt auch ein gewisses Risiko. Besonders wichtig scheint in diesem Zusammenhang das richtige Maß (Aptum). Während ein gelegentliches Aktivieren der Schleusen-Funktion von SK den Intimisierungsprozess unauffällig, aber wirksam voranbringen kann, würde ein allzu häufiger Gebrauch dieses Mechanismus das „Annäherungsgeschehen“ zwischen den Gesprächspartnern wohl eher unnatürlich erscheinen lassen und es belasten: Der Adressat könnte den Eindruck gewinnen, dass der Orator es mit seinen Annäherungsversuchen allzu eilig habe und nicht über das für Erstbegegnungen nötige Maß an Distanzwahrung verfüge. Ständige, womöglich abrupt wirkende und mit großen Intimisierungsschrittten verbundene Themenwechsel im Anschluss an SK dürften statt wachsender Vertrautheit eher Unruhe und Anspannung ins Gespräch bringen und könnten den Adressaten verstören. Der Orator braucht hier viel Fingerspitzengefühl. Will er die Schleusen- Funktion von SK aktivieren, muss er in kürzester Zeit sehr genau kalkulieren, welche Intimitätsstufe er anpeilen bzw. zu welchem Thema er wechseln kann, ohne den Adressaten vor den Kopf zu stoßen. Sanfte Themenverschiebungen ermöglichen hier grundsätzlich weichere Übergänge, allerdings sind sie in unserer Systematik nur bei Themen möglich, die sich mehreren Intimitätsstufen zuordnen lassen. Inwieweit der Adressat das Forcieren von Intimisierung zulässt oder nicht, hängt auch von seiner Persönlichkeitsdisposition ab (siehe die Überlegungen zum emotionalrhetorischen Adressatenkalkül in Kap. 5.2.1). Um hier angemessen agieren zu können, muss der Orator jegliche Reaktion des Adressaten auf Intimisierungsversuche genau registrieren und in sein Kalkül für die weitere Vorgehensweise einbeziehen. Grundsätzlich wären neben der hier beschriebenen spezifisch emotionalrhetorischen Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses (die von der Strategie thematischer Intimisierung analytisch zu trennen ist) auch andere Strategien der Forcierung des Intimisierungsprozesses möglich, z.B. eine entsprechende Nutzung positiver Image-Effekte. IX Rhetorische Gesprächsanalyse Das in der vorliegenden Arbeit präsentierte Modell für emotionalrhetorische Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung wurde aus einer produktionstheoretischen Perspektive heraus konzipiert, d.h. es beschreibt Handlungsoptionen eines strategischen Kommunikators, die je nach Situation mit unterschiedlichen Chancen und Risiken verbunden sein können. Das Modell lässt sich jedoch auch rezeptionstheoretisch wenden, d.h. im Rahmen einer auf emotionale Aspekte fokussierenden rhetorischen Gesprächsanalyse nutzen. Ein Gespräch rhetorisch zu analysieren bedeutet, das Interaktionsgeschehen aus der Perspektive des strategischen Kommunikators zu betrachten und zu untersuchen, inwiefern dessen Handeln die Erreichung eines Persuasionsziels begünstigt. Dabei ist anzumerken, dass die rhetorische Gesprächsanalyse im Gegensatz zu dem, was Deppermann (2008) für die Konversationsanalyse postuliert, nämlich Freiheit von Intentionszuschreibungen (vgl. ebd.: 83), immer auch Annahmen über Intentionen der Kommunikationspartner miteinbezieht, denn die Rhetorik denkt grundsätzlich in Kategorien von Absicht und Wirkung. Nichts Anderes tun Gesprächspartner, wenn sie während der Interaktion das kommunikative Handeln des Gegenübers auf möglicherweise zugrundeliegende Absichten hin analysieren und ihre eigene Kommunikationsstrategie daran ausrichten. Insofern ist es die genuine Aufgabe rhetorischer Gesprächsanalyse - die, etwa unter Verwendung des Kürzels RGA, 311 dringend als methodisch eigenständige Variante gesprächsanalytischer Verfahren etabliert werden sollte -, Gesprächspraktiken auf möglicherweise zugrundeliegende Strategien zur Erreichung eines Persuasionsziels hin zu untersuchen und entsprechende Zusammenhänge zu beschreiben. Interessanterweise bezieht Deppermann den Aspekt „strategischer Nutzungen“ von Gesprächspraktiken in seine Ausführungen zur Konversationsanalyse mit ein: Strategische Nutzungen einer Gesprächspraktik liegen dann vor, wenn die mit ihr verbundenen erwartbaren regelbasierten Reaktionen oder Inferenzen von Gesprächspartnern dazu benutzt werden, um andere, nicht offengelegte Ziele zu erreichen. Der Versuch und insbesondere der Erfolg strategischer Nutzung spricht dafür, daß das postulierte Muster so stabil und verbindlich 311 Analog zu Abkürzungen wie KA für Konversationsanalyse oder DP für diskursive Psychologie könnte für die rhetorische Gesprächsanalyse das Kürzel RGA eingeführt werden. IX Rhetorische Gesprächsanalyse 300 ist, daß der strategische Nutzer auf regelhafte Konsequenzen vertrauen kann (Deppermann 2008: 101). Dass Deppermann den Aspekt nicht weiter ausbaut, verwundert nicht - sähe er sich doch gezwungen zu erklären, wie eine Untersuchung „strategischer Nutzungen“ unter dem von ihm geforderten Verzicht auf Intentionszuschreibungen bewerkstelligt werden soll. In jüngeren Publikationen bezeichnet Deppermann denn auch die Meinung, Kognitionszuschreibungen aus Gesprächsanalysen heraushalten zu können, als letztlich „aporetisch“ (vgl. Deppermann 2010: 657) und fordert eine stärkere Bewusstmachung und Explizierung „unvermeidlicher“ Annahmen über kognitive Prozesse der Interaktanten (vgl. Deppermann 2012). Im Hinblick auf die rhetorische Gesprächsanalyse bleibt abschließend zu betonen, dass ihr Ziel nicht darin besteht, Intentionen der Gesprächsteilnehmer zu ergründen, sondern Gesprächspraktiken in einen Zusammenhang mit Persuasionsstrategien zu stellen. Wenn in die Erarbeitung entsprechender Zusammenhänge Annahmen über mögliche kognitive Kalküle der Gesprächsteilnehmer mit einfließen, so müssen sie unter engstem Bezug auf konkrete Gesprächsstrukturen und ihren Kontext 312 entwickelt werden, gut begründet und mit der Interpretation des gesamten Gesprächsverlaufs lückenlos vereinbar sein. Anhaltspunkte für eine auf emotionale Aspekte fokussierende rhetorische Gesprächsanalyse auf Basis unseres Modells für emotionalrhetorische Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung bieten ein Fragenkatalog (Kap. IX.1) sowie die exemplarische Analyse eines Korpus- Gesprächs (Kap. IX.2). 1 Fragenkatalog für emotionalrhetorische Gesprächsanalyse Der folgende Fragenkatalog basiert auf dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten Modell für emotionalrhetorische Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung. Er hilft herauszuarbeiten, inwiefern der Orator die vom Modell erfassten emotionalrhetorischen Strategien umsetzt und welche Chancen und Risiken er dabei eingeht. 312 Svennevig (1999: 87) betont die Rolle des Kontexts bei der Analyse von Gesprächsstrategien: „Analyses of conversational strategies should thus proceed by close investigation of single excerpts. This does not mean that the identification of instances of strategies cannot be generalized to types of utterances or sequences. […] The methodological point here is that strategies may be assigned to general classes of utterances in an activity type on the condition that this context-sensitivity is itself made part of the analysis.“ 1 Fragenkatalog für emotionalrhetorische Gesprächsanalyse 301 Der Fragenkatalog ist zwar für die Analyse von Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung prädestiniert, er kann jedoch - ggf. in Teilen - auch auf andere Gesprächssorten angewandt werden, sofern in diesen eine oder mehrere der betreffenden Strategien zielführend sind (siehe hierzu auch Kap. X). Strategie der Erzeugung von Sympathie: Instrument der Ästimation: Betreibt der Orator Image-Ästimation? Wenn ja, bei welchen Themen? Wie reagiert der Adressat auf die Image-Ästimation? Betreibt der Orator Kontakt-Ästimation? Wenn ja, wie reagiert der Adressat darauf? Reagiert der Orator mit Neutraler Responsitivität in Reaktion auf Ästimationsevokation? Wenn ja, bei welchen Themen? Wie reagiert der Adressat auf die Neutrale Responsitivität? Gibt es ästimationsevozierende Äußerungen des Adressaten, die der Orator weder mit Ästimation noch mit Neutraler Responsitivität prozessiert? Instrument der Demonstration emotionaler Konvergenz: Wie viele SK gibt es? Bei welchen Gesprächsthemen? Welche Valenz weisen die SK jeweils auf (positiv/ negativ)? Wer reagiert jeweils konvergent - der Orator oder der Adressat? Wie viele SD gibt es? Bei welchen Gesprächsthemen? Wer reagiert jeweils divergent - der Orator oder der Adressat? Proagieren: Gibt der Orator eigeninitiativ emotionale Bewertungen ab? Bei welchen Themen? Wie reagiert der Adressat jeweils darauf (mit emotionaler Konvergenz, Divergenz, Neutraler Responsitivität oder anderweitigen Manifestationen? ) Insinuiert der Orator emotionale Konvergenz mit Hilfe der Insinuationsmuster DE, NK, ME? Bei welchen Themen? Zeigt die Insinuation Erfolg, d.h. reagiert der Adressat konvergent? Wenn nein, was könnten die Gründe dafür sein? Erfragt der Orator emotionale Bewertungen? Bei welchen Themen? Setzt er dabei offene oder geschlossene Fragen ein? Präzisiert er dabei den Gegenstand emotionaler Bewertung oder überlässt er dies dem Adressaten? Wie reagiert der Adressat? Proaktiv reagieren: Reagiert der Orator konvergent auf vom Adressaten kommunizierte emotionale Bewertungen? Setzt er dabei evtl. den Protektiv- oder den IX Rhetorische Gesprächsanalyse 302 Offensiv-Modus ein? Wie reagiert der Adressat seinerseits auf die konvergente Reaktion des Orators? Wie prozessiert der Orator konvergente Reaktionen des Adressaten? Nutzt er sie für die Forcierung des Intimisierungsprozesses bzw. - sofern es sich um positive Valenz handelt - für die Erzeugung von Euphorie beim Adressaten? Reagiert der Orator divergent auf eine durch den Adressaten kommunizierte emotionale Bewertung? Setzt er dabei evtl. den Protektiv- oder den Offensiv-Modus ein? Wie reagiert der Adressat seinerseits auf die divergente Reaktion des Orators? Wie prozessiert der Orator divergente Reaktionen des Adressaten? Versucht er einem potentiellen Antipathie-Effekt mittels diplomatischer Kommentare oder Themenwechseln entgegenzuwirken? Wie reagiert der Orator auf Aufforderungen des Adressaten zu emotionaler Bewertung? Mit einer emotionalen Bewertung (im Offensiv- oder im Protektiv-Modus? ), mit einem Ausweichmanöver oder sonstigem Verhalten? Wie reagiert der Adressat? Strategie der Erzeugung von Euphorie: Nutzt der Orator das Instrument der thematischen Vertiefung, d.h. dehnt er die interaktive Verhandlung eines Gegenstands, bzgl. dem der Adressat eine auffallend positive emotionale Bewertung kommuniziert hat, inhaltlich und zeitlich aus? Gelingt es dem Orator auf diese Weise, den Adressaten zum Schwärmen zu bringen? Wenn ja, stimmt er in die Euphorie des Adressaten mit ein? Wenn nein, nutzt er die Technik der Neutralen Responsitivität? Wie reagiert der Adressat? Erfragt der Orator in Ermangelung entsprechender Hinweise gezielt Gegenstände, die der Adressat emotional besonders positiv bewertet? Lässt der Orator Gelegenheiten zum Hervorrufen von Euphorie ungenutzt? Äußert der Orator anhaltend Euphorie in Bezug auf einen Gegenstand, den zwar er selbst, offenbar jedoch nicht der Adressat emotional positiv bewertet? Wie reagiert er auf Anzeichen von Überdruss seitens des Adressaten? Strategie der Forcierung des Intimisierungsprozesses: Aktiviert der Orator im Gesprächsverlauf (ggf. mehrfach) die Schleusen- Funktion von SK? Auf welche thematischen Intimitätsstufen bezieht sich dabei der Intimisierungsschritt? Wie reagiert der Adressat? Vollzieht der Orator personal shifts? Ist auf der Ebene der Gesprächsthemen insgesamt ein Intimisierungstrend erkennbar? In welchem Ausmaß ist dieser auf Intimisierungsschritte seitens des Orators zurückzuführen? 2 Exemplarische Gesprächsanalyse 303 2 Exemplarische Gesprächsanalyse Im Folgenden wird das „Samstagmorgen-Gespräch“ (Nr. 17, Transkript siehe Anhang), welches auch Gegenstand der Beurteilungsstudie war, exemplarisch analysiert. Da Ausschnitte aus diesem Gespräch bereits systematisch in die Ausführungen zu den Handlungsoptionen im Rahmen der drei emotionalrhetorischen Strategien (Kap. VI-VIII) eingebunden wurden, wird an dieser Stelle auf eine formale Beantwortung des Fragenkatalogs, der diese Handlungsoptionen noch einmal widerspiegelt, verzichtet. Stattdessen wird das Gespräch in seinem chronologischen Verlauf anschaulich besprochen, d.h. unter Bezugnahme auf die oben eingeführten Modellkategorien detailliert beschrieben und interpretiert. Zum Schluss wird eine Einschätzung zu der Frage gegeben, inwiefern das kommunikative Handeln des Orators in Gespräch Nr. 17 die Erreichung des Persuasionsziels (Einwilligung des Adressaten in die Fortsetzung des Kontakts) begünstigt. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung eingegangen, welche im Rahmen der Beurteilungsstudie zu diesem Gespräch durchgeführt wurde. Anzumerken ist, dass Gespräch Nr. 17 zu jenen Gesprächen des Tübinger Teilkorpus II zählt, die von einem weiblichen Probanden in der Rolle des Orators (F) und einem männlichen Konfidenten in der Rolle des Adressaten (M) geführt wurden. Analog zu den Gesprächen mit männlichen Oratoren erhielt die Orator-Probandin in Gespräch Nr. 17 die Instruktion, den Konfidenten in der Cafeteria anzusprechen und dessen Telefonnummer bzw. E- Mail-Adresse herauszufinden oder eine weitere Verabredung zu vereinbaren. Der Konfident hatte die Aufgabe, sich auf das Gespräch einzulassen und sich eine Meinung über die Gesprächspartnerin zu bilden. Der Gesprächstext wird zwecks besserer Lesbarkeit großenteils sinngemäß wiedergegeben. Auf oben bereits zitierte Passagen wird an entsprechenden Stellen in Klammern verwiesen. Eine Tabelle zum Themenverlauf und damit verbundenem Intimisierungstrend sowie ein Schaubild zur emotionalrhetorischen Interaktion in Gespräch Nr. 17 finden sich im Anhang (Abschnitte 7 und 8). Orator F eröffnet das Gespräch mit der Frage, ob Adressat M allein hier sei. M antwortet, dass er eigentlich eine Referatsbesprechung gehabt hätte, der Referatspartner jedoch nicht gekommen sei. Die Tatsache, dass er sich an diesem Samstagmorgen extra aus dem Bett gequält habe, nun aber versetzt worden sei, bewertet er emotional negativ (L37, R47). F reagiert zunächst konvergent, indem sie Verständnis bekundet, doch als M mit der Kommunikation negativer Valenz fortfährt, indem er verkündet, dass ihn momentan ohnehin alles ankotze, gebietet sie seiner Übellaunigkeit mittels der Demonstration emotionaler Divergenz Einhalt: Im Gegensatz zu M bewertet IX Rhetorische Gesprächsanalyse 304 sie den heutigen Tag emotional positiv, beim Aufstehen war sie sogar richtig glücklich (L43), obwohl es ihr am vorherigen Tag nicht so gut ging. F wechselt damit auf gesprächsthematischer Ebene von Inimitätsstufe 1 (Setting) zu Intimitätsstufe 3 (Privatperson). M hakt ein: Auch ihm ging es am Vortag nicht gut, er hatte aufgrund unerfreulicher Arbeitsergebnisse im Büro eine regelrechte Depri-Phase (L46). Doch am Abend war er auf einem coolen Cocktail-Abend. F quittiert den Wechsel zu positiver Valenz mit emotionaler Konvergenz (schön). Docht M verfällt gleich wieder ins Jammern: Am Morgen habe er sich noch einen ganz netten Tag erhofft, nun aber sitze er allein da (L38). Der Nachsatz aja, nich mehr ganz alleine bewegt kann die neuerliche Negativität nur mäßig abmildern und bewegt F zu der trotz ihres Lachens etwas gereizt wirkenden Äußerung, es sei ja gut, dass sie auch noch da sei. Orator F kommuniziert nun mittels des Insinuationsmusters DE demonstrativ positive Valenz, indem sie über die glücklichen Gefühle spricht, die sie angesichts des Geruchs nach Herbst und der Sonne heute bereits hatte. Die Insinuation emotionaler Konvergenz greift: M stimmt F darin zu, dass Sonne glücklich macht und lässt sich sogar zu einer von wechselseitiger Demonstration emotionaler Konvergenz geprägten Euphorie-Sequenz hinreißen (R41). Er findet nicht nur Sonne, sondern auch Schnee in Kombination mit Sonne voll geil. Orator F vertieft das Thema geschickt, indem sie die Winterharmonie „nach drinnen verlegt“: Im Bett zu kuscheln und dann vielleicht nochn Teechen zu trinken sei schön. Der für ein Erstkontaktgespräch ungewöhnlich intime, latent erotisch konnotierte Aspekt des „Kuschelns im Bett“ verleitet den vermutlich überraschten Adressaten zu der eher unerwarteten Äußerung Tee is geil. Nachdem damit schon recht früh eine hohe Stufe thematischer Intimisierung und ein hoher Emotionalitätsgrad erreicht sind, wechselt M zurück auf die unverfänglichere Stufe 1 (Setting): Er fragt F, was sie hier sonst so mache. F antwortet, sie habe ein Buch für ihre Freundin ausgeliehen; ansonsten habe sie einfach sehen wollen, ob sie jemanden zum unterhalten finden würde. Beide lachen. F macht einen kühnen Vorstoß: Schön, dass ich dich gefunden habe. M demonstriert mit einem nachdrücklichen Ja! emotionale Konvergenz. F aktiviert nun die Schleusen-Funktion von SK und vollzieht elegant einen neuerlichen Schritt von Intimitätsstufe 1 (Setting) zu Intimitätsstufe 3 (Privatperson): Sie fragt M, ob er auch manchmal tanzen gehe (R81). M bejaht etwas verunsichert. F fragt, welche Musik M mag. Seine im Protektiv- Modus übermittelte Antwort - Hiphop und mehr so Black Music. nbisschen - führt zu emotionaler Divergenz, die F offen kommuniziert: Sie mag nur die Musik der 70er und 80er. M lenkt ein, er sei für vieles offen, höre auf Parties eigentlich alles. Nur Schlager und Volksmusik bewertet M emotional negativ. F demonstriert Konvergenz. Offenbar erscheint M seine Reaktion dann 2 Exemplarische Gesprächsanalyse 305 aber doch etwas zu konziliant: er betont noch einmal den divergenz-trächtigen Gegenstand „Hiphop“. F wechselt das Thema, fragt M, ob er gerne liest. M kommt wegen des Studiums wenig zum Lesen. Eigentlich lese er gerne, nur in der Schule habe er das Interpretieren von Texten voll blöd gefunden. M insinuiert mittels ME emotionale Konvergenz: Und dann so: die Sonne scheint. Was will se sagen? Die Sonne scheint, des ist halt. hm nein, der Person geht es gut.. Hm ja okay. F reagiert konvergent (des kenn ich auch). M kommt auf den Film „Herr der Ringe“ zu sprechen, den er sehr geil fand. F reagiert zunächst mit Neutraler Responsitivität: Sie fragt zurück, ob M den Film gesehen hat. M bejaht, er fand die filmische Umsetzung ziemlich gut. F reagiert erneut neutral-responsiv mit der Frage, ob M den zweiten Teil gesehen habe. Hierauf nun räumt M - u.U. antizipierend, dass F den zweiten Teil kritisch sieht - ein, dass er diesen nicht so spannend fand wie den ersten Teil, dass er ihn allerdings auch lustiger fand. Auf eine Valenz legt er sich damit nicht fest. F macht auf eher unemotionale Weise deutlich, dass sie den zweiten Teil des Films negativ bewertet. M stimmt zu. 313 Damit schließt er sich erneut im Nachhinein der Position von F an, obwohl seine eigene Position zu Beginn eine andere war. Seine nachgeschobene, etwas opportunistisch wirkende Bemerkung, er habe sich den Film ga: nz anders vorgestellt, würdigt F nur mit einem Aufmerksamkeitssignal (hmhm). Nach weiteren Pro- und Contra-Erörterungen zum Film fragt F, ob M den Film Bowling for Columbine gesehen habe. Dies ist nicht der Fall. M äußert, dass in Tübingen eine voll andre Filmwelt existiere - das sei voll heftig (R83). F demonstriert emotionale Konvergenz (stimmt schon). Nun aktiviert Adressat M die Schleusen-Funktion von SK und wechselt thematisch zu seiner geographischen Herkunft (personal shift von Stufe 3: Privatperson zu Stufe 3+: Universelle Personalia), so im Norden, 650 km von hier. Sein anschließendes Räuspern könnte darauf hindeuten, dass er diese Information für nicht unwesentlich hält - Orator F könnte in ihr eine Image-Ästimationsevokation erkennen. Da F zunächst nicht auf die Information eingeht, beeilt sich M, den in Sachen Gesichtswahrung sensiblen Punkt durch Äußerungen über die Kinowelt in seiner Heimat zu überspielen. Doch F kommt zurück auf die Herkunft von M: Ihr sei nicht aufgefallen, dass M kein Schwabe sei. Sie selbst komme nämlich auch nicht aus Schwaben. M fragt, woher sie denn komme. 313 In diesem Fall liegt ausnahmsweise keine SK vor, da die den Film bewertende Äußerung von F offenbar nicht als emotionale Bewertung gelten kann: Aber den zweiten Teil, den fand ich auch nich so gut umgesetzt (17,81). In der Beurteilungsstudie wurde diese Äußerung, wohl aufgrund der unemotionalen Semantik des Prädikativs gut umgesetzt, nur von drei Kodierern als emotional markiert, d.h sie wirkt trotz des Vorhandenseins von Appell- und Intensitätsmarkern auf sprachlich-kommunikativer Ebene eher rational-sachlich. Die Abgrenzung emotionaler von rationaler Bewertung fällt auf kommunikativer Ebene nicht immer leicht (siehe Kap. III.3.1). IX Rhetorische Gesprächsanalyse 306 Auf die Ästimationsevokation Ich komm aus Thüringen reagiert er mit Image- Ästimation (R4). Auf diese positive Rückmeldung hin wagt F den entscheidenden Intimisierungsschritt: Sie wechselt unter Bezugnahme auf den vorher bereits angesprochenen Film zum Thema „Fortsetzung des Kontakts“ (Stufe 4): Aber hast du vielleicht Lust, dass wir mal in den Film gehen? - Sie hat Erfolg: Ja, klar. Doch auf jeden Fall. M ist sogar bereit, im Anschluss mit ihr etwas trinken zu gehen. F kommuniziert eine kurze Kontakt-Ästimation (Schön! ), und auch M zeigt sich erfreut über das Date (Cool! ). Um von der emotionalen Brisanz der Situation abzulenken, vollzieht M nun eine Art Übersprungshandlung. Er wechselt zurück auf Intimitätsstufe 3 (Privatperson) und bagatellisiert seine Freude über die Verabredung mit Hilfe der Information, dass es ihm am Wochenende generell an Verabredungen mangele - möglicherweise soll dies den Eindruck erwecken, es gehe ihm weniger um die Person von F als um eine Unternehmung an sich. Seine Freunde, so M, seien am Wochenende halt weg. Mittels ME (und ich sitz hier so und ua: ) insinuiert er Konvergenz bzgl. dieser impliziten negativen emotionalen Bewertung der Abwesenheit seiner Freunde (L39 und R53). F reagiert konvergent: Sie kommuniziert mit der von Lachen begleiteten, spöttisch wirkenden Äußerung Die Schwaben, die nach Hause fahren ihr Verständnis. M bestätigt nochmals die emotionale Konvergenz: Ja, voll schrecklich! Die unmittelbar anschließend von ihm geäußerte positive emotionale Bewertung Aber ja cool bezieht sich offenbar auf die beschlossene Fortsetzung des Kontakts - M wirkt ob der freudigen Überraschung etwas durcheinander. M wechselt unvermittelt zurück auf Intimisierungsstufe 2 (Studium), indem er nach dem Studienfach von F fragt. Möglicherweise möchte er so die neuerlich emotional aufgeladene Situation beruhigen. F studiert Erziehungswissenschaften. M kommuniziert Image-Ästimation: Erziehungswissenschaften, das ist cool. F vermisst an dem Fach jedoch das Mathematisch-Logische. Das deprimiere sie ein wenig. M demonstriert Konvergenz (R29). Ein solches Fach wäre nichts für ihn (wie M zu Beginn erwähnt hat, studiert er Biochemie). Allerdings vermisse er auch ein Fach wie Politik, in dem man diskutieren könne - M wahrt hier auf subtile Weise das Gesicht von F. M wechselt wieder zu Intimisierungsstufe 3 (Privatperson): Er sei kürzlich auf dem Konzert eines amerikanischen Orchesters gewesen, das war so: geil. Mit ME insinuiert er emotionale Konvergenz, die von F dann auch unter Einsatz von DE kommuniziert wird (R46). Orator F erkennt im Thema „Konzert“ Potenzial für die Euphorisierung des Adressaten und schwärmt nun mit Hilfe von DE von ihrem Besuch der Carmina Burana. M lässt sich mitreißen und bekundet seine emotionale Konvergenz unter verstärktem Einsatz von Emotions-Indikatoren der Sprecher-Erregung (R42). 2 Exemplarische Gesprächsanalyse 307 F kommt nochmals auf den Konzertbesuch von M zurück äußert die (angesichts der von M bereits kommunizierten positiven emotionalen Bewertung eigentlich überflüssige) Frage, ob er die Veranstaltung empfehlen könne - damit bietet sie M nochmals Raum für eigene euphorische Entfaltung an. Doch M bleibt nun sachlich. Er bejaht, weist aber daraufhin, dass das Konzert nicht wiederholt werde. Er gehe jedoch demnächst auf ein Konzert des Hochschulorchesters. F scheint sich zu interessieren, erfragt Details. Doch die Fortsetzung des Kontakts ist bereits gesichert. So verweist F lediglich auf die Semesterbonbons (Gutscheine für Veranstaltungsbesuche u.ä. im ersten Semester) welche sie gerne noch einsetzen würde. Für einen Moment wechselt F zu Stufe 2 (Studium): Auf ihre Frage hin stellt sich heraus, dass F und M beide „Erstsemester“ sind. M quittiert die von F kommunizierte Information zu ihrer Semesterzahl mit Image-Ästimation (Ah, cool! ). M wechselt wieder zu Stufe 3 (Privatperson): Er initiiert eine längere Passage über Ausflugsmöglichkeiten in der Region. F demonstriert emotionale Konvergenz mit M dahingehend, dass es ja voll peinlich wäre, hier zu studieren und sich nicht auszukennen. Es folgt eine Passage zum Thema „Radfahren“, in der F das hügelige Tübinger Stadtgebiet aufgrund der anstrengenden Steigungen emotional negativ bewertet und M Konvergenz demonstriert. Orator F wechselt zu einem Divergenz-trächtigeren Thema, indem sie M mittels einer Frage dazu auffordert, den schwäbischen Dialekt emotional zu bewerten. Es hat den Anschein, als ob sie den eher unsicher wirkenden und offensichtlich sehr um Konvergenz bemühten M nun endlich dazu bringen möchte, unter Ungewissheit als erster aus der Reserve zu gehen und klar Position zu beziehen. M reagiert diesmal wie gewünscht. Er kommuniziert - mutig im Offensiv-Modus - positive Valenz: Ich finds voll cool. Ich finds tota: l sympathisch (R58). F konfrontiert ihn postwendend mit einer divergenten Reaktion: Wenn man die Dozenten nicht verstehen könne, dann sei das aber schon bisschen schwierig (R35). M rudert daraufhin ein weiteres Mal zurück, insinuiert mittels einer kurzen NK Konvergenz bzgl. seiner negativen emotionalen Bewertung der Tatsache, dass er neulich im Wartezimmer eines Arztes die Unterhaltung zweier alter Frauen nicht verstehen konnte. Die kurze narrative Sequenz gipfelt in einer aufgeregt wirkenden ME (R49). M scheint alles andere als entspannt. Möglicherweise ist ihm bewusst, dass seine Art und Weise, bzgl. der Valenz emotionaler Bewertungen zu lavieren, auf F wenig glaubwürdig wirkt. Zusätzlich dürfte es ihn verunsichern, dass F an dieser Stelle keine Konvergenz demonstriert, sondern - abgesehen von einem Lachen anlässlich der ME - seine Äußerungen nur noch mit Aufmerksamkeitssignalen (hmhm) begleitet. M beeilt sich daraufhin, die ursprünglich von ihm kommunizierte positive Valenz erneut geltend zu machen: Dialekte verschwänden mehr und mehr, das finde er schade. Er selbst habe sich das Schwäbische teils auch schon angeeignet - so sage er ab und IX Rhetorische Gesprächsanalyse 308 zu Ich geh jetzt schaffen statt arbeiten. Allerdings, so beginnt er neuerlich zu lavieren, finde er den schwäbischen Ausdruck „schaffen“ voll widerlich. In Sachen „Valenz-Stringenz“ redet M sich zunehmend um Kopf und Kragen. F, die bislang nur Aufmerksamkeitssignale produziert hat, hakt erst beim Stichwort widerlich wieder ein und demonstriert die von M vermutlich ersehnte emotionale Konvergenz: Sie habe die gleichen Probleme. Als M, offenbar erleichtert, scherzhaft den schwäbischen Dialekt imitiert, nutzt F den günstigen Moment für einen eleganten Intimisierungsschritt: Sie aktiviert die Schleusen-Funktion der vorangegangenen SK und vollzieht einen personal shift von privaten Alltagsproblemen mit Dialekt (Stufe 3: Privatperson) zum Dialekt von M (Stufe 3+: Universelle Personalia), wobei sie M ein wenig aufzieht: Ja, du kannst des schon richtich gut. M nimmt die Äußerung mit Humor. Schließlich insistiert er bzgl. des Schwäbischen Dialekts aber doch auf positiver Valenz, wenn auch vorsichtig im Protektiv-Modus: is ganz cool, eigentlich. Orator F zeigt sich sogar konziliant und demonstriert Konvergenz: Ja, es is witzich. Nachdem M sich noch eine Weile über seinen eigenen Dialekt amüsiert hat - er wirkt dabei unsicher -, wechselt F zurück auf Stufe 3 (Privatperson): M komme sicherlich nicht oft nach Hause? M bestätigt dies. An Weihnachten sei er nach Hause gefahren, jedoch sei es stressig gewesen. Den alten Freundeskreis nicht mehr zu sehen und sich auseinander zu leben, sei für ihn irgendwo manchmal echt schon bisschen hart (L32). Orator F quittiert die in hochgradigem Protektivmodus kommunizierte, sehr emotional wirkende Äußerung von M nur mit einem Lachen. Sie wechselt lieber das Thema - möglicherweise ist ihr der bei M neuerlich aufkeimende „Jammerton“ unangenehm. Sie fragt, ob M ein Auto habe oder mit der Bahn fahre. M redet infolge dessen über hohe Fahrpreise bei der Bahn. F kommuniziert dabei wiederum nur Aufmerksamkeitssignale, geht jedoch weder auf den Versuch von M ein, mittels ME Konvergenz zu insinuieren (echt so. gehst ann Automaten, und dann so allein von Heidelberg bis nach. Köln oder so dreißig Euro, und ich so. hä? wie? kann doch nich.), noch demonstriert sie Konvergenz in Reaktion auf die von M im Offensiv-Modus kommunizierte negative emotionale Bewertung der Bahnverbindungen (von Tübingen aus sind die Verbindungen so scheiße, das is der Hammer) bzw. der daraus resultierenden Seltenheit, nach Hause zu fahren (is so heftich). Es könnte sein, dass M hier versucht, mit dem Offensiv-Modus seine Unsicherheit zu überspielen und gleichzeitig bei F eine Reaktion zu provozieren. Doch F relativiert seine Bemerkung, er komme erst im März wieder nach Hause, mit der Äußerung Aber da komm ich auch erst nach Hause. Immerhin scheint sie M der Spur nach Recht zu geben: Wenn das Wochenende für lange Bahnfahrten draufginge, so F, könne man es überhaupt nicht genießen. M macht deutlich, dass er am Wochenende schlicht keine Zeit für lange Bahnfahrten habe. Er fühle sich in Tübingen allerdings auch ganz wohl, 2 Exemplarische Gesprächsanalyse 309 wohne zum Glück in einer WG, das sei eigentlich schon ganz cool. Der Protektiv-Modus macht die emotionale Bewertung des Gegenstands „WG“ anschlussfähig für eine potentielle divergente Reaktion. Doch F reagiert positiv: Is ja schön, dass du eine gefunden hast. M demonstriert mittels einer emotional getönten Zustimmung Konvergenz: Ja, voll. F aktiviert daraufhin erneut die Schleusen-Funktion von SK und fragt, ob die WG von M direkt in der Stadt liege. Sie erfragt damit indirekt den genauen Wohnort von M, was als personal shift von Stufe 3 (Privatperson) zu Stufe 3+ (Universelle Personalia) interpretiert werden kann. M verneint. F reagiert zurückhaltend mit neutralen Gesprächspartikeln (achso, hmhm) - möglicherweise hätte sie im Fall eines Bejahens Image-Ästimation betrieben. So versucht M, sein Gesicht selbst zu wahren: Da: . ja: . s is eigentlich ganz cool. Tatsächlich scheint er die Wahl seines Wohnorts rechtfertigen zu wollen, denn er beginnt mit einer NK, in der er die Zimmerknappheit zur Zeit seiner Suche drastisch zu illustrieren versucht (Stufe 3: Privatperson), doch als er zum Höhepunkt mittels ME ansetzt (und ich so..), sieht F auf die Uhr und unterbricht ihn. Sie müsse los, habe noch einen Termin. Nach einer kurzen gegenseitigen Bestätigung von Zeit und Ort des verabredeten Kino-Dates (Stufe 4: Fortsetzung des Kontakts) verabschieden sich die beiden. Hinsichtlich der Frage, inwiefern das kommunikative Handeln von Orator F die Erreichung des Persuasionsziels begünstigt, sind zusammenfassend folgende Aspekte positiv einzuschätzen: F demonstriert relativ häufig emotionale Konvergenz: in 10 von insgesamt 16 SK übernimmt sie den konvergent reagierenden Part, in 5 tut dies M; bei der ersten Euphorie-Sequenz wird von beiden Seiten emotionale Konvergenz demonstriert. F gelingt es zweimal, M in Euphorie-Sequenzen zu verwickeln, indem sie Gesprächsthemen vertieft, auf die M positiv reagiert. Dabei überträgt sie ihre eigene Begeisterung geschickt auf ihren Gesprächspartner. F aktiviert dreimal die Schleusen-Funktion von SK (zweimal in Form eines personal shifts). Auf diese Weise gelingt es ihr, die thematische Intimisierung zu forcieren. Sie gelangt so bereits recht früh auf eine sehr hohe Intimitätsstufe, wo sie die Einwilligung des Adressaten in die Fortsetzung des Kontakts erzielt und Kontakt-Ästimation kommuniziert. Gegen Gesprächsende, an dem sie nochmals kurz auf die Fortsetzung des Kontakts zu sprechen kommt, forciert sie die Intimisierung geschickt mittels zweier personal shifts und stärkt so beim Adressaten das entstehende Gefühl von Vertrautheit. F nutzt wiederholt das Insinuationsmuster DE, was die Chance auf eine konvergente Reaktion des Adressaten erhöht. Allerdings macht der Adressat häufigeren Gebrauch von der Insinuation emotionaler Konvergenz (vorwiegend ME; NK). Kritisch einzuschätzen sind demgegenüber folgende Aspekte: IX Rhetorische Gesprächsanalyse 310 F demonstriert dreimal emotionale Divergenz. Neutrale Responsitivität wäre hier vorteilhafter, denn die Demonstration emotionaler Konvergenz birgt das Risiko von Antipathie-Effekten. Sollte F hier versuchen, den Adressaten, dem es an „Valenz-Stringenz“ mangelt, so zu „erziehen“, dass er klar Position bezieht, wäre dies als eine fragwürdige Abweichung vom Persuasionsziel zu betrachten. F kommuniziert keine Image-Ästimation, der Adressat hingegen dreimal. Letzteres deutet darauf hin, dass der Adressat eine Sensibilität für Gesichtswahrung besitzt und möglicherweise seinerseits auf Image-Ästimation hofft. Unterm Strich gesehen verhält sich Orator F emotionalrhetorisch vorteilhaft. Sie behält ihr Persuasionsziel im Auge und steuert das Gespräch darauf zu, indem sie mittels der Demonstration emotionaler Konvergenz, der Euphorisierung des Adressaten und der Forcierung des Intimisierungsprozesses stillschweigende Passungsevidenz generiert. Abschließend sei in diesem Zusammenhang noch die Auswertung des Fragebogens zu Gespräch Nr. 17 angeführt, welchen die 18 Teilnehmer der Teilstudie I als dritte Aufgabe ausfüllten (siehe Kap. III.2). Pro Frage war nur eine Angabe möglich. Im Folgenden wird über den Antwort-Ausprägungen jeweils die Anzahl der Probanden angegeben, welche sich für die entsprechende Ausprägung entschieden hatten (gerundete Prozentzahlen in Klammern): 1. Wie beurteilen Sie die Gesprächsatmosphäre zwischen F und M allgemein? 0 4 (22%) 3 (17%) 8 (44%) 3 (17%) sehr schlecht eher schlecht ganz okay gut sehr gut 2. Wie beurteilen Sie die Stimmung (Gemütsverfassung, Laune) von F? 0 4 (22%) 5 (28%) 6 (33%) 3 (17%) sehr schlecht eher schlecht ganz okay gut sehr gut 3. Wie beurteilen Sie die Stimmung (Gemütsverfassung, Laune) von M? 0 4 (22%) 5 (28%) 8 (44%) 1 (6%) sehr schlecht eher schlecht ganz okay gut sehr gut 2 Exemplarische Gesprächsanalyse 311 4. Welchen Grad an Emotionalität messen Sie den Äußerungen von F bei? 0 12 (67%) 6 (33%) 0 unemotional etwas emotional ziemlich emotional äußerst emotional 5. Welchen Grad an Emotionalität messen Sie den Äußerungen von M bei? 1 (6%) 5 (28%) 9 (50%) 3 (17%) unemotional etwas emotional ziemlich emotional äußerst emotional 6. Welchen Grad an Emotionalität messen Sie dem Gespräch insgesamt bei? 0 10 (56%) 8 (44%) 0 unemotional etwas emotional ziemlich emotional äußerst emotional 7. Äußert sich die Emotionalität von F - sofern gegeben - überwiegend direkt (vordergründig, explizit) oder überwiegend indirekt (untergründig, implizit)? 8 (44%) 10 (56%) überwiegend direkt überwiegend indirekt 8. Äußert sich die Emotionalität von M - sofern gegeben - überwiegend direkt (vordergründig, explizit) oder überwiegend indirekt (untergründig, implizit)? 14 (78%) 4 (22%) überwiegend direkt überwiegend indirekt IX Rhetorische Gesprächsanalyse 312 9. Wie einfühlsam finden Sie F? 1 (6%) 7 (39%) 8 (44%) 2 (11%) nicht einfühlsam etwas einfühlsam ziemlich einfühlsam äußerst einfühlsam 10. Wie einfühlsam finden Sie M? 4 (22%) 7 (39%) 7 (39%) 0 nicht einfühlsam etwas einfühlsam ziemlich einfühlsam äußerst einfühlsam 11. Angenommen, F will die Stimmung von M positiv beeinflussen. Wie geschickt verhält sich F angesichts dessen? 1 (6%) 6 (33%) 10 (56%) 1 (6%) sehr ungeschickt eher ungeschickt ziemlich geschickt äußerst geschickt 12. Angenommen, M will die Stimmung von F positiv beeinflussen. Wie geschickt verhält sich M angesichts dessen? 2 (11%) 12 (67%) 2 (11%) 2 (11%) sehr ungeschickt eher ungeschickt ziemlich geschickt äußerst geschickt Wenngleich Konzepte wie „Gesprächsatmosphäre“ oder „Stimmung“ in der vorliegenden Untersuchung nicht näher behandelt werden, sind die Einschätzungen der Probanden als Ergänzung zu unserer exemplarischen Analyse doch aufschlussreich. Die Gesprächsatmosphäre und die Stimmung der Gesprächspartner wird von den Probanden mehrheitlich für gut befunden, wobei die Stimmung von Orator F etwas besser bewertet wird - möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass M immer wieder ins Jammern verfällt. Was die Emotionalität der beiden angeht, wird M im Schnitt eine höhere bescheinigt als F - angesichts der teils etwas spröden Reaktionen von F auf emotionale Äußerungen von M und der Tatsache, dass M im Gegensatz zu F Image-Ästimation betreibt, verwundert dies kaum. 3 Fazit 313 Interessant ist, dass über die Hälfte der Probanden das Gespräch, welches eines der emotionalsten Gespräche im Tübinger Teilkorpus II darstellt, insgesamt lediglich als „etwas emotional“ bewertet; immerhin 44% bewerten das Gespräch als „ziemlich emotional“. Allerdings hatten die Probanden keine Vergleichsmöglichkeit. Es steht zu vermuten, dass hier auch die Gesprächssorte eine gewisse Rolle spielt. So dürften etwa Streitgespräche tendenziell einen deutlich höheren Emotionalitätsgrad bescheinigt bekommen als Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung. Bei der Frage, ob sich die Emotionalität von F bzw. M eher direkt oder eher indirekt äußert (Frage 7 und 8) könnte es einen gewissen Zusammenhang mit dem wahrgenommenen Emotionalitätsgrad der jeweiligen Äußerungen (Frage 4 und 5) geben: Während die Äußerungen von F mehrheitlich als „etwas emotional“ und als „überwiegend indirekt“ beurteilt wurden, waren bei den mehrheitlich als „ziemlich emotional“ eingeschätzten Äußerungen von M knapp 80% der Probanden der Ansicht, dass hier überwiegend eine „direkte“ Emotionalität vorliegt. Dass F gegenüber M ein minimaler Vorsprung in Sachen Einfühlsamkeit zugestanden wird, könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie in diesem Gespräch die Oratorrolle innehat (dies wurde den Probanden allerdings nicht mitgeteilt) und sich im Zuge dessen etwas stärker um den Adressaten bemüht (z.B. durch das Stellen von Fragen) als umgekehrt. Schließlich wird F ein erhöhtes Maß an Geschicklichkeit bei der positiven Beeinflussung der Stimmung von M attestiert, was in einem sehr allgemeinen Sinne zu unserem obigen Fazit passt, dass F insgesamt über eine gute emotionalrhetorische Gesprächskompetenz verfügt. Die umgekehrte Frage nach der entsprechenden Geschicklichkeit von M wurde aus Kontrollgründen gestellt. Sie macht angesichts der Tatsache, dass M sich qua Instruktion in der Adressatenrolle befand bzw. einen eher passiven Part übernehmen sollte, natürlich keinen Sinn und wurde von den Probanden auch mit einer negativen Einschätzung der Geschicklichkeit quittiert. 3 Fazit Ein Gespräch rhetorisch zu analysieren bedeutet, das Interaktionsgeschehen aus der Perspektive des strategischen Kommunikators zu betrachten und zu untersuchen, inwiefern dessen Handeln die Erreichung eines Persuasionsziels begünstigt. Der auf Basis unseres Modells entwickelte Fragenkatalog hilft, diese Aufgabe für emotionale Aspekte strategischer Kommunikation in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung zu bewerkstelligen. Er kann - ggf. in Teilen - auch auf andere Gesprächssorten angewendet werden, bei denen eine oder mehrere der betreffenden Strategien zielführend sind. IX Rhetorische Gesprächsanalyse 314 Die Rhetorische Gesprächsanalyse (RGA) sollte zukünftig als methodisch eigenständige Variante gesprächsanalytischer Verfahren etabliert werden. Als solche hat sie die Aufgabe, Gesprächspraktiken auf möglicherweise zugrundeliegende Strategien zur Erreichung eines Persuasionsziels hin zu untersuchen und entsprechende Zusammenhänge zu beschreiben. X Schlussbetrachtung X Schlussbetrachtung Anhand von 22 Gesprächsprotokollen wurde in der vorliegenden Arbeit die Frage beantwortet, welche Möglichkeiten sich für einen strategischen Kommunikator in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung ermitteln lassen, mit Hilfe sprachlich-textlicher Mittel emotional zu überzeugen bzw. welche kommunikativen Strategien einem Orator in solchen Gesprächen auf emotionaler Ebene zur Verfügung stehen, um seine Erfolgschancen zu maximieren. Methodisch hat sich die Untersuchung allein auf die in den Gesprächstexten erkennbaren sprachlichen Tatsachen konzentriert. Vorauseilende Annahmen über Emotionalität im psychologischen Sinn sollten im Kern der Studie nicht als Prämissen herangezogen werden, auch wenn im Verlauf der Untersuchung natürlich entsprechende Forschungsergebnisse einbezogen und diskutiert wurden. Ausgangspunkt sollte das durchschnittliche Sprachwissen von kompetenten Sprechern des Deutschen (native speakers) sein. Ihr spontanes Verständnis des Zusammenhangs von Sprache, Text und Emotion sollte im Sinne einer Phänomen-Heuristik zu induktiven Eingrenzungen emotionaler Sprachlichkeit auf Basis durchschnittlicher Spracheinschätzungen führen. Zu diesem Zweck wurde zunächst anhand einer Beurteilungsstudie mit Laien untersucht, welche segmentalen (von der Phonologie absehenden) Strukturen der Lautsprache in einem Gesprächstranskript als „emotional“ beurteilt werden. Aus den Ergebnissen wurde eine Typologie sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation entwickelt, mit deren Hilfe im Gesprächskorpus emotionale Interaktionssequenzen identifiziert und auf strategische Aspekte hin untersucht wurden. Dabei konnten drei emotionalrhetorische Strategien identifiziert werden: die Erzeugung von Sympathie, die Erzeugung von Euphorie und die Forcierung des Intimisierungsprozesses. Mit Hilfe des Konzepts der stillschweigenden Passungsevidenz wurden die Strategien persuasionstheoretisch kontextualisiert und zu einem Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung für Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung kombiniert. Das Generieren von stillschweigender Passungsevidenz mittels einer angemessenen Umsetzung der drei emotionalrhetorischen Strategien durch den Gesprächsorator ist vereinbar mit der aristotelischen Konzeption eines „sachgerechten“ emotionalen Überzeugungsmittels, weil Sympathie, Euphorie und Intimität in einem sachlichen Bezug zu jener Urteilsbildung stehen, welche für den persuasiven Umschwung von entscheidender Bedeutung ist, nämlich zur Urteilsbildung über den Orator in seiner Eigenschaft eines potentiellen Partners. X Schlussbetrachtung 316 Allerdings macht die formale Beschaffenheit der identifizierten sprachlichen Mittel deutlich, dass sprachlich-kommunikative Emotionalität in Alltagsgesprächen in emotionaler Hinsicht wenig mit einer monologischen „elocutio der Affektfiguren“ zu tun hat. So deutet das Ergebnis der Laien- Intuitionsheuristik darauf hin, dass der Schlüssel zu emotionaler Rhetorik in Gesprächen nicht im Aspekt stilistisch-formaler Devianz, sondern im inhaltlich-funktionalen Bewertungsaspekt von Emotion liegt. Dieser eröffnet eine pragmatische Tiefendimension des kommunikativ Emotionalen, mit der sich emotionale Gesprächsinteraktion als Austausch von Bewertungen verstehen und beschreiben lässt. Von einer sich dem wissenschaftlichen Zugriff entwindenden „Rhetorik der Chimären“ kann dann aber keine Rede sein - eher von einer gut (be-)greifbaren „Rhetorik der emotionalen Bewertungen“. Die Beurteilungsstudie hat in diesem Zusammenhang auch noch den Vorteil, dass sie den Prozess genuin gesprächsrhetorischer Theoriebildung nicht vorab mit Hilfe von Prämissen monologischer Rhetorik im Keim erstickt. Wenn sie großenteils andere Ergebnisse zu Tage fördert als Affektfiguren, ist dies als Hinweis darauf zu verstehen, dass ein modernes rhetorisches Arsenal sprachlicher Mittel für emotionale Kommunikation mehr beinhalten sollte als die aus der Antike tradierte Liste stilistischer Auffälligkeiten. Indes sind die Ergebnisse der Laien-Intuitionsheuristik nicht nur für die Rhetorik interessant. Auch anderweitigen an Gesprächsforschung beteiligten Disziplinen wie z.B. der Linguistik steht mit der handlichen Typologie ein Instrument zur Verfügung, mit dem Gespräche effektiv nach emotionalen Strukturen durchsucht werden können. Außerdem könnte die linguistische Forschung dem vorliegenden Befund mit weiteren Studien genauer nachgehen, z.B., indem sie die Abgrenzung der Realisationsvarianten emotionaler Bewertung im Grauzonen-Bereich präzisiert, Fragen des Sprachregisters prüft oder auch grundsätzlich untersucht, inwiefern die aus unserer Sicht an der Forschung zu Sprache und Emotion zu bemängelnde „expressivistische Blickverengung“ angesichts der vorliegenden Ergebnisse in Frage gestellt werden muss. Was das Arbeiten mit Intuitionsheuristiken im Bereich sprachlich-kommunikativer Emotionalität angeht, so kann und sollte es methodisch verfeinert werden. Für weiterführende Untersuchungen erscheint etwa eine gesonderte Intensitätsstudie empfehlenswert, bei welcher Strukturen, die in einer vorausgehenden Studie durch Kodierer als „emotional“ beurteilt wurden, gezielt auf Fragebögen präsentiert werden und anhand von Mehrpunktskalen - evtl. unter Vorgabe von Referenzwerten (siehe z.B. Featherston 2008) - bezüglich ihrer Intensität einzuschätzen sind. X Schlussbetrachtung 317 In Anknüpfung an die hier vorgelegte Methodik könnten auch im Rahmen ganz anderer Fragestellungen der Gesprächsforschung Beurteilungsstudien zum Einsatz kommen. Auf dem Gebiet der Gesprächsrhetorik etwa könnten auf diese Weise Äußerungen identifiziert werden, mit denen Image-Aspekte kommuniziert werden. In der linguistischen Forschung zu Streitgesprächen könnten Intuitionsheuristiken z.B. verwendet werden, um konfliktträchtige Interaktionssequenzen zu ermitteln. Das vorliegende Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung für Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung kann im Rahmen weiterer Forschung hinsichtlich der Übertragbarkeit auf anderweitige Gesprächssorten und Überzeugungsmittel hin diskutiert, erweitert, exzerpiert und modifiziert werden. Im Folgenden werden zwei Punkte genannt, die in diesem Zusammenhang relevant sein können. Der erste Punkt betrifft die Frage der Übertragbarkeit des in erster Linie produktionstheoretisch konzipierten Modells bzw. seiner Komponenten auf anderweitige Gesprächssorten mit Persuasionslagen. Diese Frage stellt sich nicht nur im Kontext gesprächsrhetorischer Theoriebildung, sondern auch im Hinblick auf anwendungspraktische Zusammenhänge (z.B. Trainings zum strategischen Einsatz von Emotionalität in Gesprächen). Hierzu ist zu sagen, dass das speziell im Hinblick auf Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung entwickelte Modell in seiner Gesamtheit grundsätzlich auch auf solche Erstkontaktgespräche anwendbar ist, bei denen der Orator auf eine Fortsetzung des Kontakts im Sinne einer platonischen Freundschaft abzielt, denn in emotionaler Hinsicht geht es auch hier um das Aufzeigen von Passungsevidenz im Sinne von ‚Wir sind uns sympathisch‘ - ,Wir können uns gemeinsam begeistern‘ - ‚Wir sind uns bereits relativ vertraut‘. Da äußerliche Attraktivität bei solchen Gesprächen u.U. weniger ins Gewicht fällt als bei der Partnerwerbung, könnte hier evtl. sogar mehr Persuasionsspielraum bestehen. Abgesehen davon kann jede der drei emotionalrhetorischen Strategien auch aus dem Modellzusammenhang gelöst, in anderweitigen Gesprächssorten eingesetzt und mit dort jeweils typischen emotionalen, rationalen bzw. Image-bezogenen Strategien zu neuen Modellen kombiniert werden. Die Erzeugung von Sympathie kann in diesem Zusammenhang als eine grundlegende rhetorische Strategie gelten, die bei praktisch jedem Erstkontaktgespräch mit persuasivem Anspruch eine Rolle spielt, sofern der Gewinn der Zuneigung des Adressaten dem Persuasionsziel förderlich ist. In Frage kommen hier etwa berufliche Vorstellungsgespräche und alle Arten von Beratungsgesprächen (z.B. Verkaufsgespräche oder auch Arzt-Patienten-Gespräche, bei denen hinsichtlich der Kompetenz des Arztes oder der Eignung einer bestimmten Therapie Überzeugungsbedarf besteht). Doch X Schlussbetrachtung 318 selbst wenn es sich nicht um ein Erstkontaktgespräch handelt, das Verhältnis der Gesprächspartner in puncto Sympathie jedoch noch nicht ausreichend geklärt ist oder neu ausgehandelt werden muss (etwa nach einer Auseinandersetzung), kann die Erzeugung von Sympathie den Persuasionserfolg - u.U. sogar entscheidend - beeinflussen. Auch die Erzeugung von Euphorie kann in ganz unterschiedlichen Gesprächssorten zum Einsatz kommen. Egal ob zwischen einander unbekannten oder sich bereits bekannten Gesprächspartnern - überall dort, wo es die Implementierung des persuasiven Anliegens begünstigt, die Stimmung des Adressaten zu verbessern und dabei gleichzeitig soziale Bindung an den Orator zu fördern, kann auf diese Strategie zurückgegriffen werden, z.B. in Gesprächen zwischen Freunden oder in psychotherapeutischen Gesprächen mit persuasivem Anspruch. Die Forcierung des Intimisierungsprozesses eignet sich in erster Linie für Erstkontaktgespräche, doch auch Gespräche, bei denen vorab bereits ein gewisser Vertrautheitsgrad besteht, können vom Einsatz dieser Strategie profitieren - nicht zuletzt übrigens „Zweit-“ und „Drittkontaktgespräche“ zum Zweck der Partnerwerbung, bei denen das Persuasionsziel typischerweise nicht mehr nur in der Fortsetzung des Kontakts, sondern in der Paarbildung besteht. Aber auch anderweitige Arten von sozial symmetrischen „Kennenlern-Gesprächen“ mit Persuasionslage wie z.B. Vorstellungsgespräche in Wohngemeinschaften u.ä. kommen hier in Frage. Je nach Gesprächssorte, Teilnehmer-Zielgruppe und Setting wäre dann eine eigene Typologie von Themenbereichen und entsprechenden Intimitätsstufen in Anschlag zu bringen. Der zweite Punkt betrifft die Möglichkeit, das Modell rezeptionstheoretisch zu wenden und es im Rahmen rhetorischer Gesprächsanalysen einzusetzen. Hier ist im Hinblick auf weitere Forschung das Desiderat eines alle drei aristotelischen Überzeugungsmittel integrierenden, mit unterschiedlichen Gesprächssorten kompatiblen Modells rhetorischer Gesprächsanalyse zu formulieren. Dafür wären zunächst für unterschiedliche Gesprächssorten jeweils rational-, emotionalbzw. Image-rhetorische Modelle zu entwickeln. Anhand einer Gesamtschau dieser Modelle wären schließlich Eckpunkte einer integrativ-multikompatiblen rhetorischen Gesprächsanalyse (RGA) zu identifizieren, welche zum festen Bestandteil rhetorikwissenschaftlicher Lehrpläne werden könnte. Die vorliegende Arbeit gewinnt ihre Erkenntnisse aus einer Haltung heraus, die Deppermann (2008: 85) als „Haltung der methodischen Fremdheit“ bezeichnet und für konversationsanalytische Forschung postuliert. Er versteht darunter eine Haltung, bei der die Selbstverständlichkeit des Immer-Schon-Verstanden-Habens der Alltagsphänomene, mit denen man sich beschäftigt, ebenso eingeklammert X Schlussbetrachtung 319 wird wie das praktische Interesse und die Bewertungen, die wir normalerweise mit den Ereignissen verbinden. Es geht um die Erkenntnis des Bekannten […], das dazu einem technischen Blick unterworfen wird, der gerade das Triviale und scheinbar Klare als rätselhaft und befragenswert behandelt. Nur dadurch kann die Struktur der „unproblematischen Probleme“ […] und Routinen freigelegt werden, die so selbstverständlich geworden sind, daß sie im Alltag nur von denen analysiert werden, die sie noch nicht beherrschen (ebd.). Zwar wird der Einsatz von Emotionalität im Gespräch von manchem für etwas Triviales, intuitiv optimal Steuerbares gehalten. Allerdings deutet die Fülle an Ratgeberliteratur darauf hin, dass viele Menschen sich hier eher unsicher fühlen. Das Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung vermittelt Einblicke hinter die Kulissen von etwas vermeintlich Trivialem. Als Forschungsbeitrag wurde es aus der Überzeugung heraus entwickelt, dass junge Wissenschaftszweige Wachstumsimpulse benötigen, deren Stärke gerade auch in der Konkretion und praktischen Anschauung liegt - ansonsten laufen solche Zweige Gefahr, sich im Astgewirr theoretischer Abstraktion zu verlieren. Wenn die Gesprächsrhetorik sich als ein starker Zweig innerhalb der Allgemeinen Rhetorik etablieren will, muss sie künftig verstärkt substanzielle Vorstöße unternehmen. Anhang Anhang 322 1 Abkürzungsverzeichnis CPM „component process model“ von Klaus Scherer (II.1) DE Deskriptive Elaboration (VI.2.4.1.2.1) GAB Gegenstand-akzentuierende Konstruktion emotionaler Bedeutung (IV.2.2.1) ME Mimetische Evidenz (VI.2.4.1.2.3) NK Narrative Krisis (VI.2.4.1.2.2) SAB Sprechergefühl-akzentuierende Konstruktion emotionaler Bedeutung (IV.2.1.1) SD Situation emotionaler Divergenz (VI.2.2) SK Situation emotionaler Konvergenz (VI.2.3) VAB Valenz-akzentuierende Konstruktion emotionaler Bedeutung (IV.2.1.2) Abbildungsverzeichnis 323 2 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Verhältnis zwischen organismischen Subsystemen und den Emotionskomponenten bzw. Emotionsfunktionen nach Scherer (2005: 689), leicht modifiziert.....................................21 Abb. 2: Unterscheidungsmerkmale von Rede und Gespräch nach Knape (2009a) ............................................................................57 Abb. 3: Prinzip eines sprachlich-kommunikativen Bewertungsakts (linguistische Betrachtungsweise) ..........................................91 Abb. 4: Typische Intensitätsmarker des Korpus nach Vorkommen bei positiver bzw. negativer emotionaler Valenz des Bezugsworts und nach Intensitätsgrad................................104 Abb. 5: Rhetorische Modi der symbolischen Indizierung von emotionaler Erregung des Sprechers ...................................107 Abb. 6: Instanzenpräferenz sprachlicher Realisationsvarianten emotionaler Bewertung..........................................................116 Abb. 7: Rhetorisch-funktionale Einbettung emotionaler Bewertung in die strategische Dimension von Text (rhetorische Betrachtungsweise) .................................................................148 Abb. 8: Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung in Erstkontaktgesprächen zum Zweck der Partnerwerbung: Generierung von stillschweigender Passungsevidenz durch Umsetzung dreier emotionalrhetorischer Strategien .........174 Abb. 9: Persuasionsmodell für Erstkontaktgespräche zum Zweck der Partnerwerbung ......................................................................184 Anhang 324 3 Beispielverzeichnis Zur Kodierung der Beispiele s. Kap. III.1 Beispiele in Kapitel IV („linguistisch“) (L1)4,52 103 (L2)17,33 103 (L3)17,176 103 (L4)8,52 103 (L5)17,150 103 (L6)4,186 103 (L7)4,48 103 (L8)4,47 103 (L9)4,143 103 (L10)1,180 104 (L11)17,305 105 (L12)4,186 105 (L13)4,6 105 (L14)17,38 105 (L15)4,125 105 (L16)17,143 105 (L17)4,133 105 (L18)4,61 105 (L19)4,18 105 (L20)17,53 105 (L21)17,32 106 (L22)4,2 108 (L23)4,37 108 (L24)17,190 108 (L25)17,194 108 (L26)17,180 110 (L27)4,114 112 (L28)4,197 112 (L29)17,32 113 (L30)17,182 113 (L31)4,62 113 (L32)17,313 113 (L33)4,53 125 (L34)17,6 125 (L35)17,26 125 (L36)4,86 126 (L37)17,3 127 (L38)17,21 133 (L39)17,135 135 (L40)4,189 136 (L41)4,27 137 (L42)4,145 137 (L43)17,8 142 (L44)17,184 142 (L45)17,15 142 (L46)17,11 142 (L47)17,30 142 (L48)17,18 143 (L49)17,27 143 (L50)4,144 143 Beispielverzeichnis 325 Beispiele in Kapitel V-VIII („rhetorisch“) (R1)10,290 171 (R2)6,18 183 (R3)14,76 193 (R4)17,117 194 (R5)8,235 194 (R6)4,56 194 (R7)19,10 196 (R8)11,122 196 (R9)11,158 196 (R10)20,260 196 (R11)1,33 197 (R12)2,225 198 (R13)11,35 198 (R14)16,31 200 (R15)16,255 201 (R16)1,211 201 (R17)1,224 201 (R18)10,335 201 (R19)4,236 202 (R20)21,293 202 (R21)4,243 203 (R22)7,218 203 (R23)10,278 204 (R24)6,209 205 (R25)6,233 205 (R26)4,2 215 (R27)17,182 215 (R28)17,18 216 (R29)17,150 216 (R30)17,215 216 (R31)17,31 216 (R32)4,17 217 (R33)8,44 217 (R34)17,6 219 (R35)17,249 219 (R36)4,189 219 (R37)6,129 220 (R38)16,107 225 (R39)6,99 227 (R40)18,141 228 (R41)17,29 231 (R42)17,178 231 (R43)17,23 232 (R44)4,107 237 (R45)10,320 239 (R46)17,172 242 (R47)17,3 243 (R48)4,217 243 (R49)17,257 244 (R50)1,180 244 (R51)18,52 244 (R52)18,127 245 (R53)17,135 245 (R54)1,71 245 (R55)2,176 246 (R56)11,99 246 (R57)11,255 248 (R58)17,248 248 (R59)7,114 249 (R60)12,18 249 (R61)6,13 249 (R62)6,65 249 (R63)17,47 250 (R64)7,103 250 (R65)3,84 251 (R66)8,52 257 (R67)8,68 257 (R68)4,196 258 (R69)8,117 260 (R70)7,122 261 (R71)18,155 275 (R72)18,216 275 (R73)10,105 276 (R74)2,127 277 (R75)10,19 278 (R76)10,52 278 (R77)10,62 279 (R78)6,66 280 (R79)5,132 280 (R80)7,4 294 (R81)17,45 296 (R82)17,104 296 Anhang 326 4 Gesprächsverzeichnis Teilkorpus II Nummer Titel Geschlecht Orator 1 Kaffee-Gespräch männlich 2 Biochemiker-Gespräch männlich 3 Dollar-Note-Gespräch männlich 4 Orangensaft-Gespräch männlich 5 Australien-Gespräch männlich 6 Dogma-Gespräch männlich 7 Angriff-Gespräch männlich 8 Rehe-Gespräch männlich 9 Kunst-Gespräch männlich 10 Kundera-Gespräch männlich 11 Klettern-Gespräch männlich 12 Turnen-Gespräch männlich 13 Einkaufen-Gespräch weiblich 14 Rollenspiel-Gespräch weiblich 15 Zimmersuche-Gespräch weiblich 16 Wohnheimparty-Gespräch weiblich 17 Samstagmorgen-Gespräch weiblich 18 Idioten-Gespräch weiblich 19 Lego-Gespräch weiblich 20 China-Gespräch weiblich 21 Türsteher-Gespräch weiblich 22 Rechnungswesen-Gespräch weiblich Gesprächserfolg Teilkorpus II 327 5 Gesprächserfolg Teilkorpus II Gespräch Nr. erfolgreich nicht erfolgreich kein Urteil möglich (Instruktion ignoriert) Details 1 x Telefonnummer (Notierung wird nur simuliert) 2 x Versuche, ein Treffen auszuhandeln bzw. Tel. zu erhalten, scheitern 3 x Erfragt erfolglos Tel., Mail 4 x Telefonnummer 5 x Telefonnummer, Mail 6 x Adr. bringt zum Date ihren Freund mit 7 x Adr. lehnt Tel. u. Verabred. wg. Freund offensiv ab 8 x Telefonnummer 9 x Versuche, ein Treffen anzuregen, scheitern 10 x Or. gibt Adr. Tel. 11 x Or. gibt Adr. Tel. 12 x Or. gibt Adr. Tel. 13 x Telefonnummer 14 x Telefonnummer, Verabredung 15 x Telefonnummer 16 x Telefonnummer 314 17 x Verabredung 18 x Or. versucht weder Tel. zu erhalten noch verbindl. Verabredung zu erzielen 314 In Gespräch Nr. 16 gibt der männliche Adressat dem weiblichen Orator auf eigene Initiative seine Telefonnummer, teilt dem Orator jedoch auf dessen anschließende Nachfrage hin auch seine eigene mit. Anhang 328 Gespräch Nr. erfolgreich nicht erfolgreich kein Urteil möglich (Instruktion ignoriert) Details 19 x Or. gibt Adr. Tel. 20 x Verabredung 21 x Telefonnummer 22 x Telefonnummer Gesprächsthemen und Intimitätsstufen Teilkorpus II 329 6 Gesprächsthemen und Intimitätsstufen Teilkorpus II Intimitätsstufen (s. Kap. VIII.2): Stufe 1: Setting Stufe 2: Studium Stufe 3: Privatperson Stufe 4: Fortsetzung Kontakt (+) personal shift Nr./ Titel 1. Gesprächsdrittel 2. Gesprächsdrittel 3. Gesprächsdrittel 1 Kaffee Wochenende, Referat, Studienfach, Semesterzahl, Prüfungen, Kaffeeautomat Kaffeeautomat, Fortsetzung Kontakt, Wohnort, Milchschäumer, Einkaufen, Herkunft, Bundeswehr Berufspläne, Konzert, Fortsetzung Kontakt 2 Biochemiker Bibliothek, Studienfach, Herkunft, Dialekt, Ausgehen Studienort, Wetter, Skifahren Studienfortschritt, Berufspläne, Buch, Fortsetzung Kontakt, Party 3 Dollar- Note Studienfach, Literaturrecherche, Studienfach, Studieninhalte Historisches Interesse, Konstituierung von Amerika, Dollar-Note Dollar-Note, Fortsetzung Kontakt, Dollar-Note 4 Orangensaft Getränk, Referat, Buch, sich vor Lernen drücken, Referat, Versetztwerden, Namen, Termindruck, Studienfach, Bibliothek Bibliothek, akademische Prägung des Studienorts, Nebenjob, Ehe der Eltern, Herkunft, Pendeln Soziale Kontakte, Partnersuche, Fortsetzung Kontakt, Buch 5 Australien Wochenende, Seminare, Dozenten, Studienfach, Semesterzahl, Exmatrikulation, Auslandsaufenthalt, Nebenjob Auslandsaufenthalt, Fortsetzung Kontakt, Auslandsaufenthalt Reisegefährten, Fortbewegungsmittel Reise, Fortsetzung Kontakt, Stress 6 Dogma Studienfach, Anmache, Verwechslung, Studienfach, Ausgehen, Kino Ortsanbindung, Herkunft, Großstadt, Kino, Fortsetzung Kontakt Anschlussaktivität, Wohnort, Referat, Naturvs. Geisteswissenschaften, Wohnort, Zimmersuche, Uhrzeit, Fortsetzung Kontakt, Anhang 330 Nr./ Titel 1. Gesprächsdrittel 2. Gesprächsdrittel 3. Gesprächsdrittel Namen, Referat, Zugluft im Raum 7 Angriff Buch, Namen, Anmache, Studienfach, Semesterzahl, Herkunft / Dialekt, Studienfachwahl, Studienort, Pendeln Ausgehen, Musik Anschlussaktivität, Gesprächssituation Orator/ Adressat, Party, Kennenlernen zw. Adressatin u. ihrem Partner, Semesterzahl, Studienfach, soziale Kontakte, studienfachspezifischer Kleidungsstil, Fortsetzung Kontakt 8 Rehe Wetter, Skifahren, Buch, Versetztwerden, Studienfach, Semesterzahl, Studieninhalte, Spaziergang, Rehe, Natur Wohnort, Studienplan, Bekannter, Namen, Seminar, gemeinsame Bekannte, Studieninhalte Fortsetzung Kontakt, Zufallsbekanntschaften, Reisen, Alter 9 Kunst Anlass Anwesenheit, Buch, Wohngemeinschaft, Wohnort, Kunstausstellung, Studienfach, Nebenjob, Semesterzahl, Herkunft, Ausgehen, Kunst Studienfach, Semesterzahl, Studienfachwechsel, Studienfortschritt, Prüfungen, Seminare, Latinum, Sprachen Namen, Dialekt, Internet, Herkunft, Biographisches, Latinum, Wochenende, Fortsetzung Kontakt, Buch 10 Kundera Kälte im Raum, Studienfach, Buch, Studieninhalte, Schriftsteller, Literatur, Liebe, Studienfach Auslandsaufenthalt, Seminar, Latinum, Studienfach Referendariat, Berufspläne, Studienfachwahl, Kino, Fortsetzung Kontakt, Herkunft, Namen, Wohnort, Zimmersuche, Buch 11 Klettern Warten, Vorabendaktivitäten, Klettern, Namen, Referat, Studienfach, Prüfungen, Herkunft, Studienort, Sprachen, Fortsetzung Kontakt, Wohnort, Mitbewohner, Wohnverhältnisse Zimmersuche, Bekannte, Wohnverhältnisse, Zivildienst, Gesprächsthemen und Intimitätsstufen Teilkorpus II 331 Nr./ Titel 1. Gesprächsdrittel 2. Gesprächsdrittel 3. Gesprächsdrittel Sport, Semesterzahl, Auslandsaufenthalt Auslandsaufenthalt, Fortsetzung Kontakt 12 Turnen Versetztwerden, Buch, Wohnort, Studienfach, Ausgehen, Bekannte, Prüfungen Party, Ortsanbindung, Berufspläne, Kälte im Raum, Reisen, Auslandsaufenthalt, Praktikum, Sprachen, Turnen Studienfach, soziale Prägung durch Studienfach, Hobbys, Fortsetzung Kontakt, Namen, Herkunft, Fortsetzung Kontakt 13 Einkaufen Versetztwerden, Pause machen, Studentenleben, Studienort, Studienfach, Berufspläne, Studienfortschritt Studieninhalte, aktuelle Gesprächssituation Orator/ Adressat, soziale Kontakte, Herkunft, Biographisches, Pendeln, Studienbelastung Anschlussaktivität, Einkaufen, Prüfungen, Fortsetzung Kontakt, Chor, Namen, Studienfach 14 Rollenspiel Party, Namen, Studienfach, Versetztwerden, Sprachen, Japan Party, Kino, Rollenspiel, Fortsetzung Kontakt, Sprachen Fortsetzung Kontakt 15 Zimmersuche Studienfach, Herkunft, Studienort, Zimmersuche Herkunft, Leistungskurse Schule, Studienortwahl, soziale Kontakte, Ausgehen, Kino Ausgehen, Kino, Fortsetzung Kontakt, Namen 16 Wohnheimparty Kälte/ Leere im Raum, Namen, Referat, Studienfach, Semesterzahl, Wohnort, Party, Ausgehen, Kino Herkunft, Städte, Kino, Fortsetzung Kontakt Ausgehen, Wochenende, Fortsetzung Kontakt, Namen, Party, Anschluss-Aktivitäten 17 Samstagmorgen Versetztwerden, Tageslaune, Studienfach, Vortagsaktivitäten, Wetter/ Jahreszeiten, Buch, Gesprächssituation Orator/ Adressat, Ausgehen, Musik, Lesen, Kino Herkunft, Fortsetzung Kontakt, soziale Kontakte, Studienfach, Konzert Semesterzahl, Gegend kennenlernen, Radfahren, Dialekt, Weihnachten daheim, soziale Kontakte, Bahnfahren, soziale Anhang 332 Nr./ Titel 1. Gesprächsdrittel 2. Gesprächsdrittel 3. Gesprächsdrittel Kontakte, Wohnort, Zimmersuche, Fortsetzung Kontakt 18 Idioten Leere im Raum, Versetztwerden, Studienfach, Semesterzahl, Buch, Naturvs. Geisteswissenschaften Herkunft, soziale Kontakte, Party, Fortsetzung Kontakt, Herkunft, Dialekt, Studienortwahl Auslandsaufenthalt, Studienfach, Sport, Fortsetzung Kontakt 19 Lego Leere im Raum, Buch, Gebäude, Namen, Studienfach, universitäre Lokalitäten, Semesterzahl, Alter, Herkunft, Legoland Pendeln, Studienfachwahl, Kunst, Seminar Studienortwahl, Herkunft, Fortsetzung Kontakt 20 China Versetztwerden, Studienfach, Semesterzahl, Auslandsaufenthalt, Berufspläne, Studieninhalte, Auslandsaufenhalt Auslandsaufenthalt, Essen in China, Herkunft Soziale Kontakte in China, Fortsetzung Kontakt, Namen, Essen 21 Türsteher Versetztwerden, Beziehungsproblem einer Freundin des Orators Studienfach, Semesterzahl, Beziehungsproblem einer Freundin des Orators Auslandsaufenthalt, Wohnort, Zimmersuche, Party, Fortsetzung Kontakt, Namen, Party 22 Rechnungswesen Versetztwerden, Buch, Messe, Studienfach, Studieninhalte, Kino, Herkunft, Loreley Namen, Herkunft, Schule, Sprachen, Auslandsaufenthalt, Leistungskurse Schule Fortsetzung Kontakt, Prüfungen, Doppeldiplom Ausland, Seminare, Fortsetzung Kontakt Intimisierungstrend „Samstagmorgen-Gespräch“ 333 7 Intimisierungstrend „Samstagmorgen-Gespräch“ Stufen thematischer Intimisierung und Intimisierungstrend Anhang 334 Emotionalrhetorische Interaktion „Samstagmorgen-Gespräch“ 335 8 Emotionalrhetorische Interaktion „Samstagmorgen- Gespräch“ Die jeweiligen Gesprächsaktivitäten werden oberhalb (Orator) bzw. unterhalb (Adressat) des Zeitstrahls angesiedelt. Die Legende gilt spiegelbildlich sowohl für „Orator“ als auch für „Adressat“ und wird aus Platzgründen einmal oberhalb und einmal unterhalb des Zeitstrahls dargestellt. SED bzw. SEK werden jeweils auf der Seite des Konvergenz bzw. Divergenz demonstrierenden (konvergent/ divergent reagierenden) Gesprächsteilnehmers platziert. * Thematische Intimisierung: x/ y = Intimisierungsschritt von Stufe x nach Stufe y Fortsetzung: Anhang 336 9 Instruktionen Beurteilungsstudie Teilstudie 1 (Samstagmorgen-Gespräch) Nickname: _________________ o weiblich o männlich Alter: _________ Sie nehmen an einem Experiment zur Gesprächsforschung teil. Ihre Angaben werden anonym ausgewertet und ausschließlich zu Forschungszwecken verwendet. __________________________________________________________________ Das Experiment gliedert sich in drei Teile. Bitte lesen Sie sich die Instruktionen jeweils aufmerksam durch. Die Instruktionen zu Teil 2 und Teil 3 erhalten Sie im Anschluss. Teil 1 Diesem Bogen ist die schriftliche Aufzeichnung eines Gesprächs beigefügt. Aufgabe: Lesen Sie sich das Gespräch durch und markieren Sie gleich beim ersten Durchlesen spontan alle Textstellen, die Ihnen in irgendeiner Weise „emotional“ erscheinen. Markieren Sie durch Unterstreichung. Empfinden Sie etwas als besonders stark emotional, markieren Sie durch doppelte Unterstreichung. Vertrauen Sie dabei Ihrer Intuition. Überlegen Sie nicht lange, sondern folgen Sie Ihrem ersten Eindruck. Instruktionen Beurteilungsstudie 337 Markieren Sie Textstellen, die Ihnen „vordergründig“ emotional erscheinen ebenso wie Textstellen, die Ihnen „untergründig“ bzw. „indirekt“ emotional erscheinen. Das können Einzelwörter oder ganze Textpassagen sein. Wichtig: Es gibt kein „richtig oder falsch“! Gefragt ist Ihr ganz persönlicher Eindruck! Teil 2 Aufgabe: In Teil 1 haben Sie Markierungen vorgenommen. Geben Sie nun zu diesen Markierungen - jedoch nur in Fällen, wo Ihnen dies möglich erscheint - jeweils eine kurze Begründung: Warum kommt Ihnen die markierte Textstelle emotional vor? Notieren Sie Ihre Erläuterung auf dem Seitenrand direkt neben der jeweiligen Markierung. Falls der Platz nicht ausreicht, nutzen Sie die Rückseite des jeweiligen Blattes. Geben Sie in diesem Fall zu jeder Erläuterung die fortlaufende Nummer der Textpassage an, auf die sich die Erläuterung bezieht. Sie brauchen nur solche Markierungen zu erläutern, bei denen es Ihnen leicht fällt, etwas über den Grund Ihrer Einschätzung auszusagen. Teil 3 Aufgabe: Bitte beantworten Sie abschließend die folgenden Fragen. Kreuzen Sie die Antwort an, die Ihnen spontan am zutreffendsten erscheint. (nur 1 Kreuz pro Frage) … [Die Fragen werden in Kap. IX.2 der vorliegenden Arbeit wiedergegeben.] Anhang 338 10 Transkriptionskonventionen . = kürzere Pause ((3 Sec)) = längere Pause / = Abbruch in Wort oder Satz : = Dehnung Beispieltext = Betonung ( ) = unverständliche Äußerung (Beispieltext) = vage verständliche Äußerung (siehe z.B. R70) F = weiblicher Gesprächsteilnehmer M = männlicher Gesprächsteilnehmer Steht M bzw. F in der oberen Transkriptzeile, bedeutet das, dass M bzw. F in diesem Gespräch qua Instruktion die Oratorrolle zugewiesen wurde: Orator M: Orator F: --------------------------------- --------------------------------------- M F F M Para- und nonverbale Ausdrucksphänomene wie Lachen, Mimik oder Gestik werden in Kursivdruck unterhalb der Zeile des betreffenden Sprechers notiert: --------------------------------------------- M Redetext %lacht F Redetext o-nickt-o Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 339 11 Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 1----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Bist auch alleine hier? M Ja: . Ja, ich wolte eigentlich nRe 2----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ferat. mit nm Kumpel besprechen, aber der is nich gekomm %lacht 3----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M en.. und. Jetzt wart ich hier und sitz und denk. Toll. %lacht 4----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm das %lacht M hab ich mich am Samstag extra rausgequä: lt 5----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F is auch immer so ne Sache, find ich %lacht M auch voll matschich und so und irgendwie %lacht 6----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M so ha: un und sowieso. kotzt es mich grad son bisschen an, 7----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Aber es is heut voll nschöner Tag, find ich, M aber. Naja: voll 8----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Also ich fands/ oh ich war richtig glück M auf jeden Fall 9----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F lich heut wo ich aufgestanden bin. Gellgestern gings mir 10---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nich so gut, aber. Heut war ich M Echt? Mir auch. Absolut gar ni 11---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M ch. Also ich mein, ich hatt gestern so ne Depri-Phase. 0-lachend-0 12---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Aber s lag auch daran, dass ich echt bis irgendwie sechs 13---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M Uhr im Laber stand, ich studier Biochemie, und ich stand 14---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M im Labor von ein Uhr bis sechs Uhr abends. und. Ich mein %lacht 15---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich hatt so kein Bock mehr, es hat nichts geklappt, wir 16---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mussten nachher unsere Versuche abbrechen. Is echt so. 17---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hm. Und dann. Hatten zum Glück gestern Abend ( ) n Anhang 340 18---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm schön M Cocktail-Abend, und das war sehr, sehr cool. Doch, %lacht 19---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M des war schon cool. Ja, und heute halt aufgestanden, und 20---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M da war so Sonne, hab ich gedacht, na gut, es könnt ja ga 21---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M nz nett werden, jetzt sitz ich hier. alleine. aja, nich 22---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, gut, dass ich auch noch M mehr ganz alleine, aber. %lacht 23---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F da bin Also ich fand des / %lacht M ja! Wies denn so kommen kann %lacht 24---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ich bin halt raus/ also ich hatte voll die Lust heut spa 25---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F zieren zu gehen, und es hat so schön nach Herbst gerochen 26---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Des mag ich ganz doll Und die Sonne, ich finde M Ja, voll echt? 27---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Sonne, des macht irgendwie. Viel glücklicher, des (lebt) M Ja, auf jeden 28---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Fall, vor allem im Winter, also wenns dann halt so/ ob 29---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M wohl, ich muss sagen, als es letztens so geschneit hat, 30---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M fand ich s auch voll geil. Also ich weißt du, wenn so so dick 31---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M Schnee lie: gt. und dann, also wenn dann noch die Sonne 32---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M scheint, is natürlich richtig geil, aber allein schon 33---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Des macht so ne so ne Winterharmonie M Schnee find ich so, hm. Ziemlich cool 34---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F irgendwie Schön, aber dann mag ichs auch wie M Ja, voll. So echt (zu: m) is cool 35---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F der, wenns wenns draußen so kalt ist und so.. so viel 36---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Schnee liegt dann so. drinnen im Bett zu kuscheln. und. und M Uoah: 0 Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 341 37---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Musik zu hören Des is schön. Und dann is schön M Voll, ja -nickt-----------0 38---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F warm im Zimmer.. und. Vielleicht nochn Teechen trinken M hmhm Ja, doch , des is.. ja 39---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Tee is geil. Doch, des stimmt. Und was machst du hier son 40---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ähm, ich hab grad nBuch ausgeliehen für meine Freu M st so? 41---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ndin.. und jetzt. Hab ich gedacht, setz ich mich einfach M ah ja 42---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mal hin und trink nbisschen was und kucke, ob ich jem M und nbisschen rel %lacht 43---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F anden finde zum unterhalten.. Schön. Sch %lacht M axen Ja, kuck %lacht 44---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ön, dass ich dich gefunden habe M Ja! Das war Zufall. Aber. 45---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Gehst du auch manchmal tanzen? M wies denn so spielt.. m: 46---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmh M ja: also. In welche Richtung jetzt? Also so abends weg, und 47---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F m Was magst du für Musik? M und so, ja schon, klar, also Ähm: mja 48---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Also doch M HipHop. und. Mehr so Black Music. nbisschen 49---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nich so meine Richtung. Ich mag nur 70er 80er M achso. obwohl, %lacht 50---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ja, also prinzipiell bin ich eigentlich so generell 51---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M offen , aber so nSchwerpunkt darauf. Also, ich hör jetzt 52---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M auch ich hör auch Beatles, oder was weiß ich . . also, ich 53---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M bin da/ was ich nich so/ ( ) gar nich weg, sind Schlager. 54---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Die mag ich auch nich M Und so. Volksmusik is sowieso ( ), ansonsten Anhang 342 55---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M auf Parties eigentlich. hör ich so alles. Also zum Beispiel 56---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M auch son bisschen ( ) oder so is ziemlich cool. 57---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M Aber dich halt so mit Schwerpunkt. auf Hiphop. Und so %lacht 58---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Liest du gern? M Lesen. Ja: . Also, ich komm im Moment 59---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M echt wenig dazu, weil ich vo: ll viel studieren muss und 60---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F aja, das Problem hab ich auch M so.. (und des is) also, des hört sich jetzt 0-lachend-0 61---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M bisschen nach Rumgeheule an, so ich armer Stud %Heullaut 62---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nee nee M ent. Aber es is echt voll anstrengend. Und (ach ich) son 63---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M st eigentlich schon. Also ich find Bücher eigentlich/ al 64---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M so wenn ich dazu komme, mag ichs voll gern. Also in der 65---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Schule nich so, weil irgendwie fand ichs voll blöd, wenn 66---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M man sowas durchexerziert. Und wenn man irgendwie was au 67---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Was reinin M seinander pflücken muss. und. ach, ich weiß nich 68---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F terpretieren muss, jaja M Ja genau.Und dann so: die Sonne schei 69---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Des kenn ich auch %lacht M nt. Was will se sagen? Die Sonne scheint, des ist halt. 0-lachend----0 70---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Was wollte der Autor damit sagen? M hm Nein, der Person geht es gut.. Hm, ja okay. Nee, aber 71---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M was ich zum Beispiel cool fand, war das Parfüm, das Buch 72---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm nee ah, ich hab M kennst das, von Patrick Süskind, das is son Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 343 73---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F davon gehört M ziemlich cool, doch. Und. Ja generell aber 74---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M auch son bisschen. Fantasy, Herr der Ringe fand ich sehr 75---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Hast du den Film M geil, hab ich voll oft gelesen und so 76---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F gekuckt? M Ja: : . Also ich mien ich fands als Umsetzung ziem 77---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm Wie fandest M lich gut, aber swar halt nur ne Umsetzung 78---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F du den zweiten Teil? M hm, also ich fand ihn nicht %atmet ein 79---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm Ja M so spannend wie den ersten Teil, aber lustiger. 80---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mehr auf Komik gemacht M Also, es war ja, schon der Zwerg! %lacht 81--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Aber den zweiten Teil, den fand ich auch nich so gut umge 82---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F setzt. Ich fand, sie haben zu viele Geschichten reininter pretiert 83---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ja, voll. und die hams irgendwie nich so/ also. 84---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M ich habs mir voll anders vorgestellt, ich hab echt/ m: 85---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M ich hab/ also ich mein klar, wenn man sowas lie: st, dann 86---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F (stimmt sch M macht man sich seine eigene Welt, und dann. aber ich 87---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F on) hmhm Ab M habs mir ga: nz anders vorgestellt also %schüttelt den Kopf 88---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F er die Personen waren gut besetzt, oder? M mh, schon, doch, %nickt 89---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M also wenn ich drüber nachdenk ( ) doch, %lacht 90---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M eigentlich. Also, ich ich fand halt, sie ham irgendwo. Anhang 344 91---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M bisschen was rausgelassen, also ich mein klar, muss man 92---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm Ja gut, aber die M ja, weils halt ne Buchumsetzung is, und aber 93---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Liebesgeschichte hätten se jetzt nich reinbringen müssen %lacht M %genervt 94---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Hab ich gedacht so hallo: ! Was geht da klingender Laut 95---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ab? Na klar, es kommt halt echt alles nich so raus, und 96---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dann denkst du dir so: Was haben se da jetzt, und wo ha 97---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M m ses her, und wieso machen sies? Weil des halt teilweise 98---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja. Es hat nich so es hat nic M auch echt so nich den Wert 99---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F h so richtig hingepasst, da hat der Zusammenhang gefehlt 100-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F . des geht voll weg vom Buch Hast du Bowling for Col M voll Ja: 101-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F umbine gekuckt? Ja, der soll/ ich hab halt M Nee %schüttelt Kopf 102-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F gelesen ne Kritik. Der soll voll gut sein, und der soll M %nickt 103-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F auch richtig Kassenschlager hier sein M hmhm. Na, in Tübi 104-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja %lacht M ngen is ja sowieso voll andre Filmwelt is voll heftig, %lacht 105-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F stimmt schon M gibt’s voll die alternativen Filme, und ansonsten eigentl 106-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M ich gar nich so das, was man eigentlich so erwarten würde 107-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Ich mein, klar, man fährt nach Reutlingen, is kein Pr 108-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M oblem aber is echt krass ich komm ja ich komm aus ( Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 345 109-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ), so im Norden, 650 km von hier ent %räuspert sich 110-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M fernt. und ähm ( ) wir hamauchn Kino, aber es 111-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M is halt echt so, da laufen so Mainstream-Filme. Ich mein, 112-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm hmhm M das is auch ganz nett, ( ) total andere Welt, wenn 113-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, stimmt schon. Ah, stimmt, is M man hier ins Kino geht 114-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mir is mir jetzt gar nich so richtig aufgefallen, dass 115-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F du gar kein Schwabe bist. Ich hab das nbisschen (durch M Nee %lacht 116-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F s Schaffen) vermisst. Ich komm nämlich auch nich %lacht M Jaja %lacht 117-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ausm Schwabenland Ich komm aus Thüringen M Achso, woher? Aus 118 ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Also auch 500km entfernt. Da kommt %lacht M Thüringen? Ah ja cool %lacht 119-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F man nich so oft nach Hause. Aber hast du viel M Doch, schon 120-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F leicht Lust, dass wir mal in den Film gehen? Also wenn 121-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F dich des interessert, so. Waffen. Äh, es geht um Waffen M Worum 122-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F in den USA. ( ).. Und der soll ja ziemli M Schon 123-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ch gut sein. Und der läuft M Ja, klar. Doch, auf jeden Fall. 124-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F noch. Der läuft noch 20: 30 und M Und der läuft noch? Ja cool. 125-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F 22.45 oder so hmhm. oder M Ja, dann gehen wir später, oder? 126-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F frü/ oder wir gehen früher und gehen dann noch was trinken Anhang 346 127-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Schön! M das können wir auch Wann dann? Heute oder so? Hast 128-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Wir können auch heute gehen, ja. M du Zeit? Ja. Ja klar. Sam 129 ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Und vor allem, das is M stag. Hab ich was zu tun. Cool! %lacht 130-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja ganz günstig, dass es hier immer gleichbleibender Prei M Ja, 131-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F s is hmhm M voll. Ja, das stimmt. auf jeden Fall. Naja, is auch 132-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M voll doof, weil eigentlich ja/ nKumpel hat mich heut vers 133-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M etzt, und ansonsten. fahren alle nach Hause, weil alle, 134-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mit denen ich studiert halt irgendwie aus der Umgeb 135-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M ung kommen, und am Wochenende sind die halt weg, und toll. 136-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Die Schwaben, die nach Hause M Und ich sitz hier so und ua: 137-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F fahren %lacht M ja, voll schrecklich. Aber ja cool. Uns was stu 138-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ich studier Erziehungswissenschaften M dierst du eigentlich? 139-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, das is ganz M Erziehungswissenschaften, das ist cool 140-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F schön, aber ich hab das gleiche Problem mit den Texten, 141-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ich muss so viel lesen, und ich schaffs gar nich mehr, M %lacht 142-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nebenbei noch was anderes zu lesen, und ich hab darauf 143-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F überhaupt gar keine Lust mehr, und die ganzen Texte 144-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nerven mich so an und es fehlt doch irgendwo bissc M Ja. hmhm 145-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F chen das Mathematisch-logische daran, find ich. Und ich M Ja %nickt Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 347 146-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F bin dann auch so bisschen Matheschiene noch und. das fehlt 147-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mir. und da versuch ich grad noch nebenbei son bissc 148-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hen C++ zu lernen.. Programmiersprache %lacht M Achso ah ja, okay %lacht 149-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F U: nd. Naja, ich versuch das da son bisschen hinzukriegen M . 150-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F , aber sonst. Es deprimiert mich.. nbisschen M hmhm Mja: schon. 151-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M also sowas könnt ich gar nich studieren, also ich finds 152-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M tierisch interessant, also ich/ mich interessiert sowas 153-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M echt , und mir fehlts irgendwo auch, dass ich mir so/ in 154-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M der Schule hat man halt so den ganzen Themenbereich ghabt, 155-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M und jetz hab ich da son ( ), nur noch Natur 156-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm ja M wissenschaften. ich mein, es interessiert mich auch, und 157-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich finds auch super, aber halt mir fehlt echt so son 158-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M Fach wie Politik oder so, wo du echt mal diskutieren kan 159-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja. Aber auch die (Argumente, da bleibts nbissche M nst, und 160-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F n hinten raus) M Ja, voll. Also ich mein muss sich halt echt 161-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M drum kümmern, also ich mein, was gut is, in Tübingen kann 162-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M man viel machen, also zum Beispiel auch abends mal in 163-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M nKonzert gehen. swar/ letztens war ein amerikanisches Orch 164-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ester, da war so amerikanisches Orchester hier. Swar 165-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Wo hat das gespielt? M gar nich so: ( ) In der neuen Aula im Anhang 348 166-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M Festsaal ham die gespielt. Also swar/ also ich weiß weil 167-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M nKumpel.. nKommolitone spielt auch beim Hochschulorch 168-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ester hier, und das warn irgendwie so die Gastpartner, 169-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M und dann hab ich mir sowas auch angehört, und das war so: 170-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M geil, was die da gespielt haben. Also sonst auf Klassik 171-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M also steh ich eigentlich auch voll. Also ich mein jetzt 172-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M nich so, dass ichs halt immer so höre, aber ich. also 173-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M wenn ich in son Konzert gehe, dann sitz ich da echt so 174-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja das is %lacht M hm, toll lass das so auf mich einwirken und so. %lacht 175-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F auch alles so/ es geht alles so so auf dich/ es is rie 176-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F sich So groß und monumental. Es is is auch schön. Also, M Ja.. es ist voll geil 177-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Klassik find ich auch nich so aber also manchmal isses 178-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F wirklich schön. Ich war/ zu Weihnachten hab ich ne Karte 179-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F bekommen für Carmina Burana. Kennst du des? Oh, das M Ja 180-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F war super. Das war bei uns in der Erfurter Messehalle, und. M o--nickt--o 181-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F das. das war so ein Ensemble,das is überall rum rum M oh, wie geil 182-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F geturnt. Das war so gut, das war echt total klasse, und M uah, klasse 183-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F richtig mit Feuer, und. und nriesengroßer Chor, und das M ua: h 184-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F war superschön, also ich hab mich nur gefreut, wie ich da M m 185-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F drinsaß Aber tust dus emp M echt so ua: h cool, auf jeden Fall, doch. Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 349 186-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F fehlen, in der Festhalle? Also hier in der Neuen Aula, M hm? 187-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F diese Veranstaltung? Diese Orchesterveranstaltu M Was? Nochmal 188-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ng? Ob du die empfehlen tust M Was ist mit der? Achso: ja: %atmet 189-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M also schon. Also, es war jetzt halt sowieso ne einmalige aus 190-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M Sache. Aber ich fands/ es war schon eigentlich ganz cool. 191-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm hmhm M Es war mal sowas anderes, weil man echt so abends okay 192-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M ., sonst triff man sich, oder. Ja: . oder man geht halt 193-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M irgendwie in ne Kneipe und das wars dann halt, und das war 194-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M echt mal sowas anderes. Undswar/ also ich fands ziemli 195-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ch cool. Also ich spiel/ in zwei Wochen spielen sie noch 196-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mal al also nich die, sondern das Hochschulorchester hier 197-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M .. und also das/ da geh ich auf jeden also ich mein kl 198-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F In zwei Wochen M ar, allein schon wegen meinen Kommilitonen 199-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ist des? Auch wieder am Wochenende? M hmhm in zwei Wochen 200-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Und wie heißen die? M Ja. Am Samstag. .. keine Ahnung! %lacht 201-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Aber ich kann nochmal meinen Kumpel fragen. Wie und wo und 202-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ich hab nämlich noch diese. M wann und so. Also ich weiß 203-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Semesterbonbons. Anfänger ( ). M . Die hab ich auch noch. 204-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Hast du jetzt erst angefangen? M Stimmt. Ja, ich bin Erst Anhang 350 205-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ich auch Deshalb. Die gelten ja nur noch M semester Ah cool! Wie krass, Ja: %lacht 206-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F bis Ende März M Echt? Oh. Scheiße. Oh, da muss ich mich 207-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M nbisschen beeilen. Nee, ich wollt noch voll viel mach 208-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Noch schnell alle ausgeben M en. Ich wollt noch in diese Klo 209-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F aja, da wolt ich auch M ster, Bebenhausen, also ich wollt mir das mal nbisschen 210-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F noch hin, hmhm M angucken und so (und halt) hab ich gedacht, vielleicht 211-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja, wenns schönes Wetter is M im Frühling oder so, wenns halt bisschen schöner is, ne. 212-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F wenn die Sonne schein, Das stim M Ja, oder sowas wie jetzt 213-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mt, heute man das auch machen M Ja: . eigentlich wär ganz cool, 214-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M aber.. naja, halt mal nbisschen Umgebung kennenlernen. 215-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M Sonst is ja voll peinlich, ich studier hier und kennst %lacht 216-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm Das stimmt schon M nichts, und so hm. vergrab mich hinter Büchern. 217-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, ich wollte immer mal mit dem Fahhrad hinfahren, aber 218-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mein Fahrrad is grad zur Zeit kaputt Des is M hm: ja, des is 219-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F t/ hat irgendwie n Hinterrad Rücktritt, keine Ahnung, irg M %la 220-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F endn Problem mitm Hinterrad, und ich kriegs nich gebacken, M Scheiße cht 221-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F das irgendwie mal hinzubringen zu so nem Radladen. M hmhm Ja Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 351 222-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Und die günstigsten sicher sicher alles son bi M Also. %atmet aus 223-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F sschen weiter verstreut M Und dann bis man sich dann aufraf 224-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm Vor allem, das Problem is ja M ft, und dann. denkt so häh. 225-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nun noch, dass das Vorderrad läuft, das Hinterrad geht M hmhm 226-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja nich mehr, also muss ichs hochheben und schieben, das M %atm 227-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F is nbisschen kompliziert M oah: . Ja, Radfahren tu ich auch gar n et 228-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich. Also, ich hab nFahrrad hier, und ich mein ich komm 229-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ausm Emsland, das is alles platt, da kann man schön grad 230-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja hmhm M eaus fahren, keine Hügel, keine Berge.. hm, und hier 0-----lachend------------0 231-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja, so () M ist das echt so, also für mich sind das schon Berge, son 232-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, das das kenn ich auch, da hab ich auch die M bisschen. 233-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Erfahrung damit gemacht. Ich wohn im Geigerle. Und. Da M %nickt 234-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F läufst du erstmal runter, und dann läufst du/ wenn/ ich 235-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ich studier neben der Stiftskirche. Dann läufst du wied M hmhm 236-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F er hoch, und wenn du dahinter nochmal hinwillst, läufst 237-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F du wieder runter. Und wenn du mitm Fahrrad fährst, dann M hmhm 238-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ist des öh: In Thürigen ist es halt auch so, is M chocho %lachet 239-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F alles flach, und Hügel sind dann hm also bisschen geringer, Anhang 352 240-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F und hier ist alles so. Was, das sind doch keine Berge M Ja 241-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F , das ist doch überhaupt nicht anstrengend, und wo ich M %lacht 242-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F immer. also am Anfang nach Hause gekommen bin, war ich im 243-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mer voll fertig von den Bergen, von dem Laufen M Ja: , echt 244-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Aber die sind ja dran gewöhnt. %seufzt M so. hm. Des is so krass.. Ja 245-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M , und die lachen dich hier voll aus, wenn du sagst, hö, 246-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M das sind Berge So uäh gar nich. Fahr mer in die Alpen 247-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M . Ja. Okay, das sind richtich Berge, aber hier auch schon 248-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ie findest du das mit den mit dem schwabi M so. hm. toll. 249-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F sch schwäbischen Dialekt? M Ich finds voll cool. Ich finds 250-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Aber gut, wenn du die Dozenten dann M tota: l sympathisch. 251-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nicht verstehst, dann isses schon bisschen schwierich. M Des 252-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ja. Ablso ich hab/ also normal so die Jungen als Studen 253-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M ten versteht man ja alles noch, weil die echt so. ja halt 254-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M noch relativ eben leichten Akzent haben, aber ich saß 255-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M letztens echt beim Arzt, und da haben sich so zwei alte 256-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Frauen unterhalten, die ham richtiges Schwäbisch geschwät 257-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M zt halt.. und ich hab nichts verstanden. Ich saß da das %lacht 258-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F 0--------lacht-----------------------0 M kann doch gar nich sein, andere Sprache, so hm. Kacke. Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 353 259-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Und. ja. hab ich gedacht. was geht denn jetzt? So hö? Voll 260-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M krass.. Is echt so. Es is schon. Also der %schüttelt Kopf 261-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Urschwabendialekt ( ). Aber sonst mag ichs eig 262-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm hmhm M ntlich voll gern, weils son weicher Dialekt is. Weil ic 263-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M h eigentlich so nich so den richtigen Dialekt hab, ich 264-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mein klar, jeder spricht irgendwie kein perfektes Hochdeu 265-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M tsch, aber ich mein. So Niedersachsen, da redet man halt 266-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M irgendwo schon. so relativ gutes Hochdeutsch. Und is mal 267-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm ja M irgendwo find ich schade, weil es geht voll verloren, 268-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich mein wir ham zwar auch Plattdeutsch, aber sredet ha 269-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M lt keiner, des reden halt die alten Leute, und ansonsten 270-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M is halt echt. voll. voll. Ja s sverschwindet halt immer 271-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M mehr, und des is bisschen schade. Und dann find ichs ha 272-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M lt cool, wenn wenn die Leute Dialekt haben ich merk ich 273-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M eigne mir ich mir das schon so an, s is echt so, 274-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dass ich dann zwischendurch sag. Ich geh jetzt schaffen 275-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja %lacht M statt ich geh arbeiten. uah, das is so. also schaffen find 276-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M ich echt voll gewöhnungsbedürftig und widerlich. Ich 277-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M bin/ okay, also wenn ich sag ich habs geschafft, dann kann 278-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M ich das gut nachvollziehen, aber ich geh schaffen, so. 279-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Das stimmt schon, ich hab die gleichen Probleme. M . naja. Anhang 354 280-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F In Thüringen is es auch nicht so richtig n Dialekt, also nur 281-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F die Älteren oder die richtich wirkich im Dorf wohnen, 282-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F die ham son Dialekt, aber. Sonst sprechen wir schon rich M hmhm jaja 283-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F tich Hochdeutsch Und hier der ( M ja, klar. 284-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ) Wie heißt des? Wir können alles. Nur kein Hochdeu 285-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F tsch Ich find des passt so M hm ja Mir kennet alles schwät 286-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, du kannst das schon richtich gut %lacht M zen Ja: ich äh %lacht 287-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ja wenn wenn ich will, aber es ist noch nich so in Flei 288-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M sch und Blut übergegangen. Das dauer glaub ich nochn Ja 289-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hr, und dann. Red ich fast genauso. Nee, is aber ec %lacht 290-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ja, es is witzich M ht/ is ganz cool, eigentlich Ja, und ich 291-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hab auch zwei/ also ich wohn inner WG, und meine Mitbew 292-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ohner reden zum/ reden auch beide son krasses Schwäbisch, 293-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F na dann dann dann dauerts wicklich ni %lacht M und dann isses noch mehr 294-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F cht mehr lang. bis dus drin hast M Ja: Ja: . Es is auch echt dass 295-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich mal zwischendurch sag. noi statt nein, dann. ha n 296-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M oi. Und dann so. Nein! Ich habs grad gesagt. Blöd. %lacht 297-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Dann kommst du aber sicherlich auch nicht oft na %lacht M echt so 298-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ch Hause? Aber zu Weihnachten warst du zu M . .Nä Zu Weihnach %schüttelt Kopf Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 355 299-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Hause? M ten war ich zu Hause, und ich war über Allerheiligen zu 300-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F da war ich auch zu Hause, hm M hause, weils halt der Freitag dann frei war, und dann.. 301-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M des war aber auch nur Hektik, ich bin echt donnerstags 302-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M dann gefahren, bin ( ) abends angkommen, am Freitag 303-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M war ( zu meinen) Kumpels, war irgendwie fast nie zu Hause 304-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Freitag Samstag und Sonntagmittag gefahren, und so. ok 305-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M ay, eigentlich. Es war echt nur Str/ . Also das war. also %lacht 306-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M Weihnachten fand ich ganz cool, und. s is schon ne Umst 307-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ellung, obwohl andererseits, ich kann mit den Leuten mal 308-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M telefonieren, ich mein des geht. Ich mein, schade find 309-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich halt echt so den alten Freundeskreis, den man jetzt 310-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hm M also absolut gar nich mehr sieht. ( ) is halt so, dass 311-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M du dich jetzt umstellen musst. Ich mein klar, ich kann 312-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mit den Leuten reden, aber man lebt sich halt auch nor 313-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mal auseinander; und. für mich is irgendwo manchmal echt 314-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M schon bisschen hart. so. wenn ich dann denk. mit dem wü 315-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Hast du nAuto oder fä M rd ich jetzt gern was machen, oder.. 316-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hrst du mit der Bahn? Und wie lange bra M Nee, mit der Bahn. 317-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F uchst du? Ah ja %nickt M mhm acht Studen. So sechs bis/ je nachdem 318-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M welche Verbindung ich nehm, und. es is so teuer geword Anhang 356 319-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M en. Mit dieser tollen Fahrpreisumstellung, is echt der/ 320-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M also vorher hab ich so dreißig Euro bezahlt mit Bahn 321-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M card, dreißig fünfunddreißig Euro für eine Fahrt, und 322-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M jetzt zahl ich halt also zu bis zu fünfzig Euro, ich mein 323-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich hab jetzt auch immer andere Preise bezahlen müssen, 324-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M dis sind. voll komisch, echt so. Gehst ann Automaten, und %lacht 325-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dann so allein von Heidelberg bis nach. Köln oder so dr 326-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %lacht M eißig Euro, und ich so. hä? wie? Kann doch nich. und und 327-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich hab zum Glück nKommilitonen, der nimmt mich mit bis 328-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M nach Heidelberg, weil von Tübingen aus sind die Verbind 329-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M ungen so scheiße, das is der Hammer.. Naja: . Aber s is 330-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M schon. Das nächste Mal komm ich nach Hause im März erst 331-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Aber da komm ich auch erst nach Hause. M wieder, is so heftich. 332-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Oder vielleicht fahr ich schon früher, das weiß ich 333-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F noch nicht, aber das ist dann immer so viel Geld. M Ja, schon. 334-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Und es is wenn wenn du übers Wochenende fahren willst, M Ja, eben 335-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F dann is des auch so viel Zeit, ich mein du hast überhau 336-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F pt nichts zu Hause, ich mein du kannst es überhaupt nicht 337-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F genießen, du sitzt nur in der Bahn, weißt wenn du/ bis M ja %nickt 338-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F du zu Hause bist und dann. is irgendwie überhaupt nichts M mja. 339-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M Also am Wochenende fahren geht bei mir einfach gar Transkript des „Samstagmorgen-Gesprächs“ 357 340-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M nicht, weil ich einfach n Praktikum hab von freitags bis 341-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F mhm M was weiß ich, fünf sechs Uhr abends, und wenn ich dann no 342-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ch in nZug steige, bin ich samstags vormittags da und kann 343-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F (bissch M sonntags mittags wieder fahren und dafür dann insgesa 344-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F en) viel M mt irgendwie 80 90 Euro zu berappen is nbisschen %schnalzt 345-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ( ) M teuer. Und andererseits, ich vermiss es auch nich so, 346-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich hab hier echt schon nette Leute gefunden, und. ich 347-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M mein wie gesagt, ich kannmit den Leuten reden und so, al 348-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M so am Telefon, deshalb find ich gehts. also. ich fühl mi 349-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ch hier eigentlich ganz wohl, bin zum Glück auch in ner 350-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm Is ja schön, M WG. und das is eigentlich schon ganz cool.. 351-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F dass du eine gefunden hast Ist die in der Stadt irg M Ja, voll %lacht 352-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F endwo, direkt? Achso hmhm M Ne, Lustnau Da: . Ja: . S is eigentlich 353-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ganz cool. Ja, des is so krass gewesen, ja ich mein erst 354-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M mal hab ich sowieso nich gedacht gehabt, dass ich hier 355-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M studieren werd, voll, ich mein Tübingen und Biochemie is 356-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M schon sehr krass, also is schon/ hätt ich nich gedacht, 357-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M dass ich das irgendwie schaff, aber naja, irgendwie ham 358-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F %nickt M se mich dann doch genommen, und ähm. ja, und dann hab 359-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich bin ich halt einfach (stumpf) hier runtergefahren, 360-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M hab mich in der Jugendherberge eingemietet und mir nZimmer Anhang 358 361-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M gesucht, und das war (das is ja so hart hier, ne, das 362-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hmhm M is der Hammer. Also ich mein, ich hatte Glück, weil ich 363-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F ja M noch im August gekommen bin.. dann war die Zimmersituat 364-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ion noch ganz/ nich ganz so schlecht, und ich hab echt/ 365-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- M ich war zwischendurch echt so verzweifelt, weil nix war, 366-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ich glaub ich muss los, ich %sieht auf die Uhr M und ich so.. mu 367-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F hab noch nTermin Jaja okay Wie? M sst weg? J a, kein Problem.. Aber. heut Abend? 368-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Genau! Wir wollen/ 20 Uhr 30 wars, ne Gut, okay M 20 30 Wel 369-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F Ähm hm hm hm hm hm Äh M ches Kino. wars nochmal? Blaue Brücke? 370-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F : . ich weiß gar nich, ich glaub s is Arsenal M Arsenal. Al 371-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F okay ..Viertel M les klar. Treffen wir uns um viertel nach acht? 372-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F nach acht, okay M Viertel nach acht vorm Arsenal, alles kl 373-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- F 20 c.t. Ist das, ne? Tschüs! %lacht M ar. .. Ja! Okay. ciao %lacht Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Adamzik, Kirsten (1984), Sprachliches Handeln und sozialer Kontakt. Zur Integration der Kategorie ‚Beziehungsaspekt‘ in eine sprechakttheoretische Beschreibung des Deutschen, Tübingen. Aijmer, Karin (2004), Interjections in a Contrastive Perspektive, in: Weigand, Edda (Hg.), Emotion in dialogic interaction. Advances in the Complex, Amsterdam u.a., 99-119. Altman, Irwin/ Dalmas A. Taylor (1973), Social Penetration. The Development of Interpersonal Relationships, New York u.a. Andersen, Peter A./ Laura K. 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Linn (Hgg.), Resistance and Persuasion, Hove, East Sussex, 235-257. 381 Sachwortverzeichnis Sachwortverzeichnis Adressat ......................................... 57 Adressaten-Image....... 185, 194, 262 Adressatenkalkül.......... 59, 166, 168 Affektfigur ........... 14, 23, 46, 89, 316 affinity seeking............................ 270 Affinity seeking........................... 190 Agonalität ...................................... 58 Alltagsgespräch .................... 54, 316 Ambivalenz, hyperbolische...... 137, 210 Angemessenheit.................. 192, 233 Antipathie .................... 256, 258, 264 Antistase ........................................ 58 Appellfigur ............................ 23, 240 Appellmarker ..... 101, 112, 113, 114, 115 Aptum .................................... 57, 298 Argumentation, rationale ..... 73, 90, 168, 170, 174, 187 Ästimation ................... 189, 192, 262 Ästimationsevokation ................ 199 Attraktion ............ 189, 268, 274, 281 Attraktivität, physische 73, 152, 153 Aufmerksamkeitssignal .... 161, 214, 224, 257 Ausdruck von Emotion... 27, 29, 87, Siehe auch Emotionsausdruck Ausdrucksfunktion .................... 118 Ausdruckskanäle .................. 77, 156 Äußerungsformen ........ 36, 122, 132 Äußerungskontext 63, 101, 114, 120 Ausweichmanöver.............. 224, 259 Basisemotion ................................. 19 Behabitativa............................. 30, 31 Beobachterparadoxon .................. 69 Bewertung, emotionale .... 28, 34, 40 Beziehungsmanagement........ 32, 60 Bindung, soziale. 129, 157, 269, 281, 318 Courtship ..................................... 149 Courtshiprhetorik ...................54, 65 Darstellungsfunktion..................118 Datengewinnung.....................25, 63 Deduktion ......................................96 Deintensifikator... 103, 104, 105, 106 Dialektik .........................................54 dissimulatio............................127, 259 Distanzkommunikation ...............58 Divergenz, emotionale ......211, 220, 255, 263, 264 Divergenz, Verschweigen von emotionaler .....................256, 264 Echo-Wiederholung....160, 197, 200 Einstellung, emotionale ..........27, 88 Einstellung, psychische ................29 Elaboration, deskriptive .............230 elocutio ...................................23, 316 Emotion, Definition von...17, 48, 60 Emotionsausdruck45, 49, 50, 76, 88, 111, 139, 140, 141, 144, Siehe auch Ausdruck von Emotion Emotionsbezeichnung ..................92 Emotions-Indikator.....................100 Emotions-Management ................60 Emotionssemantik.........................24 Emotionsstilistik............................24 Emotionsvokabular.........24, 53, 163 Empathie .............. 163, 175, 191, 240 Erfolgskriterium ............70, 152, 209 Erzählung.....................................233 Ethos .....................................157, 185 Euphorie .......................................267 Euphorie-Sequenz.......................271 Evidenz, mimetische...................240 exclamatio ..........................23, 46, 111 Expertenanalyse ......................16, 97 Experten-Intuition.......25, 62, 80, 96 Explizit-Eskortierung..................134 EXPRESSIVA .....................28, 29, 61 Face-to-Face-Kommunikation .......57 Sachwortverzeichnis face-work ............................... 194, 262 Flirt ....................................... 150, 158 Framing ......................................... 158 Gefühl............................................. 27 Gefühlsausdruck. 30, 32, 61, 88, 112 Gefühlsmarker .................... 123, 125 Gegenorator................... 57, 151, 180 Gegenstand emotionaler Bewertung. 91, 133; Gegenstand-akzentuierende 134 Gespräch, Definition von............. 58 Gesprächsanalyse ................... 44, 54 Gesprächsatmosphäre................ 312 Gesprächsbeitrag ........................ 213 Gesprächskompetenz . 162, 163, 164 Gesprächskorpus .......................... 65 Gesprächs-Managments, oratorische ................................ 60 Gesprächsorator...................... 57, 59 Gesprächspartikel............... 111, 161 Gesprächsrhetorik ............ 54, 55, 59 Gesprächsschritt ......... 211, 212, 213 Gesprächssequenz 96, 166, 211, 213, 218, 221, 284, 285 Gesprächssorte ... 44, 54, 58, 62, 184, 273, 274, 301, 313, 317, 318 Gesprächsthema ......................... 285 Glaubwürdigkeit ........ 175, 185, 253 Graduierung................................ 103 Handlungsoption, oratorische ... 15, 163 Höflichkeitsmaxime ... 160, 210, 263 Hörersignal.................................. 211 Image-Management ............. 60, 262 Indirektheit.................. 149, 171, 173 Induktion ....................................... 96 Inferenz ........................................ 120 Insinuation emotionaler Konvergenz ... 228, 233, 240, 265, 304, 309 Insinuationsmuster..................... 229 Instanzenpräferenz ........ 116, 144, 147 Inszenierung........ 112, 229, 244, 270 Integrität ...................... 157, 175, 185 Intensifikator ....... 103, 104, 105, 106 Intensitätsmarker................ 100, 101 Interaktion, kommunikative 24, 51, 57, 150 Interjektion ...................................109 interrogatio ......................................23 Intimisierung ...............................283 Intimisierungstrend ....293, 303, 333 Intimität ........................................283 Intimitätsgrad ..... 167, 283, 286, 293, 294 Introspektion ...........................25, 43 involvement .........................242, 271 Involvement ......... 112, 157, 160, 267 Ironie.............................................127 Kodierer..........................................78 Kompetenz, emotionale .....162, 163 Konnotation ...........................42, 131 Konstruktion emotionaler Bedeutung ......................117, 144; Gegenstand-akzentuierende 117; Sprechergefühl-akzentuierende 117 125 Valenz-akzentuierende 126 Konvergenz, emotionale ....207, 208 Konversationsanalyse......43, 68, 95, 299 Konversationsmaxime ........150, 157 Krisis, narrative .............51, 229, 233 Laien-Intuitionsheuristik 15, 80, 82, 97, 316 Linguistik, kognitive...............17, 26 Logos.......................................12, 186 Manipulation ...............175, 187, 188 Metabolie .......................151, 157, 182 Modalität, emotionale.............40, 43 Modalpartikel 84, 101, 102, 113, 114, 115 Modell emotionalrhetorischer Gesprächssteuerung....15, 51, 55, 65, 73, 94, 148, 152, 162, 165, 167, 175, 181, 187, 315, 317, 319 Nachhaltigkeit .............................157 Natürlichkeit......................68, 69, 70 Nicht-so-Abschwächung............105 Normendiskussion................55, 164 384 , . ...... 117, Sachwortverzeichnis Nutzargument.... 170, 171, 172, 174, 182, 184, 203, 285 Objektsprädikativ ................. 84, 126 Offensiv-Modus .......................... 107 Officia collocutoris .......................... 59 Orator ............................................. 56 Orator-Image 73, 185, 187, 248, 256, 258, 262 Orientierungsaspekte ................... 86 Paarbildung ................................. 150 Partnerwerbung . 13, 15, 65, 94, 147, 149, 150, 151, 152, 154, 157, 158, 162, 165, 168, 170, 171, 172, 175, 181, 183, 185, 186, 189, 191, 194, 207, 223, 251, 273, 274, 287, 288, 290, 293, 299, 300, 301, 313, 315, 317, 319 Partnerwerbungsgespräch 9, 16, 54, 58, 147, 149, 150, 183, 270, 274 Passungsevidenz, stillschweigende .................................. 173, 187, 310 Passungsexploration . 153, 158, 161, 209 Pathos ........................................... 185 Peripherweg ................................ 174 Persuasion ............................. 56, 184 Phänomenologie ..................... 12, 45 Proposition ...................... 40, 41, 118 Prosodie ................................. 77, 118 Protektiv-Modus ......................... 108 Psychagogie................................... 56 Rationalitäts-Management .. 60, 285 Realität, diskursive ....................... 12 Rede, monologische .. 12, 13, 54, 57, 181 Relevanz, konditionelle ............. 199 Responsitivität, neutrale ... 159, 197, 199, 200, 257 Satzbedeutung, emotionale . 63, 120 Schleusen-Funktion...... 167, 255, 283, 295, 297, 298, 302, 304, 305, 308, 309 Selbstaffektation.......................... 155 self-disclosure ........................ 224, 286 sermocinatio ............................ 23, 240 Setting .... 57, 59, 66, 68, 69, 158, 163, 274, 287, 288, 290, 292, 293, 296, 304, 318 Similarität.... 153, 206, 207, 208, 263, 268 Situation emotionaler Divergenz ..........................................211, 218 Situation emotionaler Konvergenz ..........................................211, 213 Smalltalk.......................................272 SOZIO-REGULATIVA ...........31, 33 Sprachbenutzer.....15, 17, 26, 65, 74, 119, 121, 129 Sprachkomponente, segmentale .75 Sprechakt..................................34, 37 Sprechakttheorie ...........................43 Steigerungspartikel ....100, 102, 103, 105 Stimmung....... 61, 142, 167, 178, 182 Strategie, emotionalrhetorische.165 Strategie, rhetorische ..................164 Streitgespräch ... 44, 54, 58, 213, 313, 317 Subjektsprädikativ ......125, 126, 142 Sympathie, Erzeugung von ..47, 73, 94, 166, 167, 168, 170, 173, 182, 186, 189, 190, 199, 205, 211, 247, 262, 263, 301, 315, 317, 318 Systase ..........................157, 269, 281 Telos ..... 69, 70, 73, 93, 152, 154, 164, 166, 274, 287, 291 Thematisierung von Emotion.... 14, 49, 121, 139, 144 Themen-Management ..60, 283, 285 Themenprogression ....................283 Themenverschiebung 227, 250, 258, 277, 293, 295, 298 Themenwechsel.. 221, 264, 293, 295, 296, 298, 302 Topoi.............................................287 Turn...............................211, 212, 213 Überzeugungskomponente ..72, 89, 90, 185 Überzeugungsmittel .....54, 175, 315 Ungewissheit ...... 150, 161, 168, 181, 222, 223, 227, 307 3 5 8 Sachwortverzeichnis Valenz ............................................ 91 Valenzmarker...................... 123, 126 Valenzumkehr............. 127, 138, 158 Valenz-Zuweisung ................. 91, 92 Veranschaulichung. 46, 47, 228, 233 Vertiefung, thematische .... 167, 267, 268 Vertrautheit..................................167 vir-bonus-Ideal................................88 Wahrhaftigkeitspostulat.............158 Widerstand...................167, 168, 169 Zentralweg ...................................174 Zertum, oratorisches...150, 154, 191 386 JETZT BESTELLEN! Narr Francke Attempto Verlag GmbH+Co. KG www.francke.de Monika Schwarz-Friesel Sprache und Emotion UTB M 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2013 XIV, 410 Seiten €[D] 24,99 ISBN 978-3-8252-4039-4 Emotionen sind für das menschliche Leben und Erleben konstitutive Phänomene: Sie bestimmen maßgeblich unsere Bewusstseins-, Denk- und Handlungsprozesse. Mittels der Sprache werden Emotionen ausgedrückt und benannt, geweckt, intensiviert oder generiert. Das vorliegende Buch zeigt, wie vielfältig die sprachlichen Möglichkeiten sind, unserer Gefühlswelt Ausdruck zu verleihen. Emotion wird zunächst als mehrdimensionales Kenntnis- und Bewertungssystem definiert und es wird ein integrativer Ansatz vorgestellt, demzufolge Sprache, Kognition und Emotion relevante Schnittstellen haben. Anhand innovativer Fallstudien werden die textuellen Manifestationen zentraler Gefühle erörtert, die eine besonders intensive Symbiose von Emotion und Sprache aufweisen: Angst, Trauer, Liebe, Verzweiflung und Hass. Die Neuauflage wurde ergänzt und umfassend aktualisiert. Der Band untersucht rhetorische Strategien der emotionalen Kommunikation in Partnerwerbungsgesprächen. Ausgehend von der Annahme, dass eine bewusste Steuerung emotionaler Gesprächsprozesse durch einen strategischen Kommunikator die Erreichung des angestrebten Ziels wahrscheinlicher macht, geht er der Frage nach, welche Möglichkeiten sich in solchen Gesprächen bieten, mit Hilfe sprachlich-textlicher Mittel emotional zu überzeugen. Dabei konzentriert er sich - in Abgrenzung zu Studien emotionaler Körpersprache - ganz auf die verbale Seite der Kommunikation. Als Datenbasis dienen die Transkripte eines Korpus aus Face-to-Face-Gesprächen. Basierend auf einem methodisch innovativen Ansatz zur Untersuchung des Verhältnisses von Sprache und Emotion, liefert der Band zahlreiche neue Erkenntnisse für die Rhetorik-, Emotions- und Gesprächsforschung. ISBN 978-3-8233-8017-7