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Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension

2017
978-3-8233-9038-1
Gunter Narr Verlag 
Tanja Prokopowicz

Die vorliegenden Fallstudien stellen eine empirische Untersuchung von interkomprehensiven Lernprozessen dar. Unter Interkomprehension versteht man die Fähigkeit, bisher nicht gelernte Sprachen auf der Basis von Vorkenntnissen verstehen zu können. Die Studie beleuchtet die interkomprehensiven Interaktionen deutschsprachiger Romanistikstudierender, die auf einer webbasierten Plattform (www.galanet. eu) mit romanophonen Muttersprachlern an einem Projekt arbeiteten. Arbeitssprachen des Projekts sind Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Italienisch und Rumänisch. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage, wie die Forschungsteilnehmenden die interkomprehensionsbasierte Mehrsprachigkeit erleben und welche Rückwirkungen sich daraus für die Ausbildung ihrer Sprachlernkompetenz ergeben. Die Studie basiert auf einem qualitativen Design. Durch die Analyse von Forums- und Chatnachrichten, Lernprotokollen, Sprachlernbiographien und Interviews konnten Chancen und Grenzen interkomprehensiven Lernens aus der Sicht der Forschungsteilnehmenden ermittelt werden.

Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Tanja Prokopowicz Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension Eine explorative Fallstudie zu romanischer Mehrsprachigkeit aus der Sicht deutschsprachiger Studierender Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Tanja Prokopowicz Mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch Interkomprehension Eine explorative Fallstudie zu romanischer Mehrsprachigkeit aus der Sicht deutschsprachiger Studierender Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8038-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Vorwort Während des Entstehungsprozesses dieser Arbeit haben mich zahlreiche Menschen begleitet, denen mein aufrichtiger Dank gebührt. Allen voran danke ich meinen Doktoreltern, Prof. em. Dr. Franz-Joseph Meißner und Prof. Dr. Hélène Martinez für die konstruktiven Gespräche und Diskussionen zum Thema Mehrsprachigkeit. Als Stipendiatin der Herbert und Ingeborg Christ Stiftung für das Lehren und Lernen fremder Sprachen war ich in der glücklichen Lage, mein Forschungsprojekt im Rahmen einer Qualifikationsstelle umsetzen zu können. Den Stiftungsinhabern danke ich daher sehr herzlich für ihr Vertrauen in mich als Nachwuchswissenschaftlerin. Ferner danke ich Prof. Dr. Jürgen Kurtz, Prof. em. Dr. Michael Legutke, Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer sowie den KollegInnen des Graduiertenkollegs „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ der JLU Gießen für den fruchtbaren Meinungsaustausch rund um das Thema Fremdsprachendidaktik und deren Erforschung. Die Entwicklung meines Projekts hier in regelmäßigen Abständen vorstellen zu können, war eine wertvolle Erfahrung, die ich allen NachwuchswissenschaftlerInnen wünsche. Außerdem danke ich herzlich meinen ehemaligen Kolleginnen am Institut für Romanistik, allen voran Prof. Dr. Steffi Morkötter und Anna Schröder-Sura - nicht nur für den intensiven fachlichen Austausch. Julia Fritz und Sabine Kauß-Oswald danke ich darüber hinaus für die Durchsicht des Manuskripts. Meine Freundinnen und Freunde haben mich gerade in Phasen des Zweifelns immer wieder bestärkt und ermutigt, diesen Weg weiterzugehen. Ein sehr herzliches Dankeschön geht an: Dr. Nora Benitt, Verena Fries, Dr. Dinah Leschzyk, Dr. Kerstin Lundström, Kirsten Schmidt, Katharina Schön und Tass Wolf. Schließlich gebührt meiner Familie ein besonderer Dank, die mich fortwährend unterstützt und immer an mich geglaubt hat. Diese Studie wäre ohne das Einverständnis der StudienteilnehmerInnen, mich an ihren Introspektionen teilhaben zu lassen, nicht möglich gewesen. Ihnen danke ich für ihre Bereitschaft, an der Untersuchung teilgenommen zu haben. Inhaltsverzeichnis Vorwort ...........................................................................................................V Abbildungsverzeichnis ................................................................................. I X Verzeichnis der Datenauszüge .................................................................. X I Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. X II 1. Ausgangslage und Erkenntnisinteresse .............................................. 1 2. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz ...................................... 7 2.1 A propos Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik ..................7 2.2 Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz ............... 10 2.2.1 Zum Kompetenzbegriff .............................................................................. 12 2.2.2 Merkmale mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz ..................... 13 2.2.3 Dimensionalisierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz im REPA.................................................................................. 16 2.3 Sprachlernkompetenz ................................................................................. 23 2.4 Zwischenfazit ............................................................................................... 33 3. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension.......................................................................... 35 3.1 Sprachlernbasierte Interkomprehension.................................................. 36 3.1.1 Multi-language learning awareness .......................................................... 38 3.1.2 Transferbegriff und Transfertypologie..................................................... 41 3.1.3 Der Mehrsprachige didaktische Monitor................................................. 42 3.1.4 Empirische Untersuchungen zur Interkomprehensionskompetenz .............................................................. 43 3.2 Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet ............................... 47 3.2.1 Interaktionsbasierte Mehrsprachigkeit .................................................... 50 3.2.2 Aufgabenorientierter Mehrsprachenerwerb............................................ 55 3.2.3 Simultaner Mehrsprachenerwerb ............................................................. 60 3.2.4 Rezeptive und produktive Mehrsprachigkeit .......................................... 61 3.3 Zwischenfazit ............................................................................................... 64 4. Forschungsdesign .............................................................................. 67 4.1 Forschungsfragen ........................................................................................ 67 4.2 Gütekriterien qualitativer Forschung ....................................................... 70 4.3 Der Erhebungskontext: Galanet ................................................................ 75 4.3.1 Die Sitzung El tour do mondo en norante zile........................................ 75 4.3.2 Asynchrone Kommunikation im Forum und der messagerie .............. 78 4.3.3 Synchrone Kommunikation im Chat ....................................................... 82 V Inhaltsverzeichnis 4.3.4 Das dossier de presse .................................................................................. 84 4.4 Forschungsfeld und forschungsethische Überlegungen ........................ 86 4.4.1 Die StudienteilnehmerInnen ..................................................................... 87 4.4.2 Das Seminar ................................................................................................. 90 4.5 Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns ............................ 91 4.5.1 Triangulation ............................................................................................... 94 4.5.2 Fallstudien .................................................................................................... 95 4.5.3 Zur Einzelfallauswahl.................................................................................. 97 4.6 Datenerhebung ............................................................................................ 99 4.6.1 Sprachdaten: Forums- und Chatauszüge ................................................. 99 4.6.2 Lernprotokolle ............................................................................................. 99 4.6.3 Sprachlernbiographien ............................................................................. 104 4.6.4 Leitfadeninterviews ................................................................................... 105 4.7 Zusammenfassung..................................................................................... 108 5. Datenanalyse und Auswertung ....................................................... 111 5.1 Allgemein-methodische Überlegungen ................................................. 111 5.1.1 Transkription ............................................................................................. 111 5.1.2 Computergestützte Datenauswertung mit MAXQDA ........................ 112 5.2 Gegenstandsangemessenheit der Auswertungsmethode ..................... 112 5.3 Kodieren und die ‚Kunst‘ des ständigen Vergleichens......................... 115 5.4 Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze .................................. 118 5.4.1 Sprachdaten: Forums- und Chatauszüge ............................................... 118 5.4.2 Lernprotokolle ........................................................................................... 122 5.4.3 Sprachlernbiographien ............................................................................. 124 5.4.4 Leitfadeninterviews ................................................................................... 127 5.5 Einzelfallauswertung und Fallrekonstruktion ....................................... 129 5.6 Zusammenfassung..................................................................................... 130 6. Einzelfalldarstellungen .................................................................... 133 6.1 Meltem ........................................................................................................ 133 6.1.1 Kurzporträt................................................................................................. 133 6.1.2 Interaktion im Forum............................................................................... 135 6.1.3 Interaktion im Chat .................................................................................. 140 6.1.4 Mehrsprachigkeit aus Meltems Sicht: „Es hat mich auf jeden Fall bereichert und es hat auch meinen Horizont erweitert“...................... 158 6.1.5 Gesamtbetrachtung ................................................................................... 164 6.2 Marco .......................................................................................................... 166 6.2.1 Kurzporträt................................................................................................. 166 6.2.2 Interaktion im Forum............................................................................... 167 6.2.3 Interaktion im Chat................................................................................... 173 6.2.4 Mehrsprachigkeit aus Marcos Sicht: „Dass man einen breiteren Horizont kriegt und nicht nur so eingleisig denkt im Hinblick auf eine Sprache“.............................................................................................. 173 VIII Inhaltsverzeichnis 6.2.5 Gesamtbetrachtung ................................................................................... 180 6.3 Jennifer........................................................................................................ 182 6.3.1 Kurzporträt................................................................................................. 182 6.3.2 Interaktion im Forum............................................................................... 184 6.3.3 Interaktion im Chat .................................................................................. 195 6.3.4 Mehrsprachigkeit aus Jennifers Sicht: „Das motiviert einen und macht einem die Sprachen ein bisschen sympathischer“ .................... 201 6.3.5 Gesamtbetrachtung ................................................................................... 206 6.4 Sabine .......................................................................................................... 208 6.4.1 Kurzporträt................................................................................................. 208 6.4.2 Interaktion im Forum............................................................................... 210 6.4.3 Interaktion im Chat .................................................................................. 219 6.4.4 Mehrsprachigkeit aus Sabines Sicht: „Das war wie eine Schatzsuche nach irgendwas, was man dann halt versteht“ ................ 235 6.4.5 Gesamtbetrachtung ................................................................................... 242 6.5 Anja ............................................................................................................. 243 6.5.1 Kurzporträt................................................................................................. 243 6.5.2 Interaktion im Forum............................................................................... 246 6.5.3 Interaktion im Chat .................................................................................. 252 6.5.4 Mehrsprachigkeit aus Anjas Sicht: „Einfach diese Bewusstheit, dass man immer Verbindungen zwischen den Sprachen bauen sollte“........................................................................................................... 267 6.5.5 Gesamtbetrachtung ................................................................................... 272 6.6 Karina.......................................................................................................... 275 6.6.1 Kurzporträt................................................................................................. 275 6.6.2 Interaktion im Forum............................................................................... 276 6.6.3 Interaktion im Chat .................................................................................. 280 6.6.4 Mehrsprachigkeit aus Karinas Sicht: „Die Blockaden sind gefallen, es hat Spaß gemacht, es war halt mal was ganz anderes“ ..... 282 6.6.5 Gesamtbetrachtung ................................................................................... 288 7. Fallübergreifende Zusammenschau................................................ 291 7.1 Habitualisierung an IC-basierten Mehrsprachenerwerb ..................... 291 7.2 Erleben mehrsprachiger Interaktion vor dem Hintergrund des Sprachlernverständnisses ......................................................................... 292 7.2.1 Kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis .......................... 292 7.2.2 Nicht-kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis ............... 293 7.3 Zustandekommen einer Lernsituation im Forum ................................ 294 7.3.1 Rezeptionsorientierte Beteiligung ........................................................... 294 7.3.2 Rezeptions- und produktionsorientierte Beteiligung........................... 296 7.4 Zustandekommen einer Lernsituation im Chat.................................... 298 7.4.1 Nicht IC-basierte chats privés.................................................................. 299 7.4.2 IC-basierte chats privés ............................................................................ 299 X I Inhaltsverzeichnis 7.4.3 IC-basierte Chats in der salle de discussion........................................... 301 7.5 Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit................... 303 7.5.1 Haltungen gegenüber Brücken- und Zielsprache(n)............................ 303 7.5.2 Haltungen hinsichtlich der romanophonen TeilnehmerInnen und Kulturen...................................................................................................... 307 7.5.3 Haltungen gegenüber der sprachlichen und kulturellen Vielfalt ....... 309 7.6 (Psycho)typologische Nähe und Distanz zwischen Brücken- und Zielsprache(n) ............................................................................................ 311 7.7 Mehrsprachigkeit und Metakognition ................................................... 314 8. Fazit und Ausblick ........................................................................... 319 8.1 Diskussion der Befunde............................................................................ 319 8.2 Implikationen für die pädagogische Praxis ........................................... 331 8.3 Kritische Reflexion des angewandten Forschungsansatzes ................. 338 8.4 Forschungsperspektiven........................................................................... 342 9. Literaturverzeichnis......................................................................... 345 10. Anhang .................................................................................................. 365 10.1 Startseite Galanet....................................................................................... 365 10.2 Seminarplan ............................................................................................... 366 10.3 Kategoriensystem MAXQDA (Auszug)................................................. 367 10.4 Interviewleitfaden...................................................................................... 374 10.5 Datenauszüge ............................................................................................. 376 i. Chatauszug chat privé (Chat 9: Meltem-romanoE) ...................................... 376 ii. Lernprotokoll Meltem...................................................................................... 377 iii. Sprachlernbiographie Marco ......................................................................... 380 iv. Interviewauszug Karina .................................................................................. 381 X Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Globale Kompetenzbereiche REPA (2013: 20) ...............17 Abbildung 2: Sprachlernkompetenz als transversale Kompetenz........27 Abbildung 3: Einflussfaktoren auf Tertiärsprachenerwerb nach Mißler (2000: 8) ...............................................................................30 Abbildung 4: Choix du thème...................................................................58 Abbildung 5: Espace d’autoformation .....................................................77 Abbildung 6: Salle des ressources .............................................................77 Abbildung 7: Auszug aus dem Forum der Phase 1 (Übersicht der Threads) ...............................................................................79 Abbildung 8: Forumsdiskussion Être un citoyen du monde ................80 Abbildung 9: Qui est où? ...........................................................................83 Abbildung 10: Panneau d’affichage............................................................83 Abbildung 11: StudienteilnehmerInnen....................................................90 Abbildung 12: Übersicht Chatdatenkorpus ............................................101 Abbildung 13: Übersicht zur Datenerhebung ........................................109 Abbildung 14: Paradigmatisches Modell in Anlehnung an Strübing (2008: 28) ...........................................................................116 Abbildung 15: Kodierte Forumsnachricht Jennifer ...............................119 Abbildung 16: Kodierter Chatauszug (Chat 9).......................................121 Abbildung 17: Kodiertes Lernprotokoll Meltem....................................123 Abbildung 18: Dokumentenmemo Sprachlernbiographie Marco........125 Abbildung 19: Kode-Matrix-Browser Interview Karina .......................129 Verzeichnis der Datenauszüge Datenauszug 1: Forumsdiskussion Une identité plurielle, Beitrag Meltem ................................................................................... 136 Datenauszug 2: Chat 8 Meltem - Marcella, Chatsequenz 1 ........................ 141 Datenauszug 3: Chat 8 Meltem - Marcella, Chatsequenz 2 ........................ 143 Datenauszug 4: Chat 9 Meltem romanoE, Chatsequenz 1 ....................... 146 Datenauszug 5: Chat 9 Meltem romanoE, Chatsequenz 2 ....................... 147 Datenauszug 6: Chat 9 Meltem romanoE, Chatsequenz 3 ....................... 148 Datenauszug 7: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 1 .................. 151 Datenauszug 8: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 2 .................. 152 Datenauszug 9: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 3 .................. 153 Datenauszug 10: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 4 .................. 154 Datenauszug 11: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 5 .................. 156 Datenauszug 12: Einleitungstext zur Forumsdiskussion élargir son horizon.................................................................................... 168 Datenauszug 13: Forumsdiskussion élargir son horizon ............................... 169 Datenauszug 14: Einleitungstext Forumsdiskussion Le regard des autres.. 188 Datenauszug 15: Forumsdiskussion non lasciamoci cosi! salutamoci! Ciao, au revoir, Beitrag Jennifer.......................................... 194 Datenauszug 16: Chat 2 Jennifer - FrancesaMere .......................................... 196 Datenauszug 17: Chat 1 Jennifer - Sophie/ Madrid ........................................ 200 Datenauszug 18: Einleitungstext Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales ................................................. 213 Datenauszug 19: Forumsauszug Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales ................................................. 214 Datenauszug 20: Einleitungstext A propos des préjugés................................. 217 Datenauszug 21: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 1 ................... 221 Datenauszug 22: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 2 ................... 223 Datenauszug 23: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 3 ................... 224 Datenauszug 24: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 4 ................... 227 Datenauszug 25: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 5 ................... 229 Datenauszug 26: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 6 ................... 230 Datenauszug 27: Chat 5 Sabine antonella67................................................. 232 Datenauszug 28: Forumsdiskussion A propos des préjugés, Beitrag Anja ... 249 Datenauszug 29: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 1 ....................................................................... 253 Datenauszug 30: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 2 ....................................................................... 256 Datenauszug 31: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 3 ....................................................................... 259 Verzeichnis der Datenauszüge XI Datenauszug 32: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 4 ....................................................................... 262 Datenauszug 33: Chat 10 Anja - Agnes ........................................................... 265 Datenauszug 34: Forumsdiskussion Feste tradizionali, Beitrag Karina ...... 277 Datenauszug 35: Forumsdiskussion Apprendre une langue par un séjour à l’étranger, Beitrag Karina....................................... 279 V Abkürzungsverzeichnis BS Brückensprache GeR Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen I Interview IC Interkomprehension GT Grounded Theory JLU Justus-Liebig-Universität k.A. keine Angabe KMK Kultusministerkonferenz LP Lernprotokoll REPA Referenzrahmen für plurale Ansätze und Kulturen SLB Sprachlernbiographie SLK Sprachlernkompetenz Z Zeile ZS Zielsprache 1. Ausgangslage und Erkenntnisinteresse Das ist ja das eigentliche Geheimnis des menschlichen Umgangs mit der Sprache. Wir können unendlich viel mehr verstehen als wir selber zu verwenden imstande sind. (Wandruszka 1990: 157) Die vorliegende Fallstudie ist in der Mehrsprachigkeitsbzw. Interkomprehensionsdidaktik verortet. Sie untersucht die Ausbildung von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz bei deutschsprachigen Romanistikstudierenden 1 in einem webgestützten, auf romanischer Interkomprehension (IC) basierenden Lernarrangement (G ALANET ). G ALANET ist einem Erwerbsparadigma 2 zugeordnet, das IC als eine spezifische Form der Kommunikation definiert, « où chacun peut s’exprimer dans une de ses langues dite de référence […] et comprendre les langues des autres » (Degache 2004: 33). Die Plattform richtet sich grundsätzlich an romanophone MuttersprachlerInnen, die in Chat- und Forumsdiskussionen i.d.R. in ihrer Muttersprache (im Weiteren L1 3 ) kommunizieren und lesend die Beiträge der übrigen TeilnehmerInnen verstehen. Es wird vorausgesetzt, dass heteroglott-romanischsprachige Personen einander verstehen und sich mittels IC ‚unbekannte‘ romanische Sprachen erschließen können. Allerdings zeigen empirische Studien, dass diese Annahme nur bedingt zutrifft (u.a. Calvi 2001; Jamet 2007). Auch romanophone Personen verstehen nicht von vornherein ‚unbekannte‘ romanische Sprachen, was eine entsprechende Didaktik, die sog. didactique des langues voisines/ apparantées (Dabène 1975), erfordert. Die romanischsprachige Forschung hat zahlreiche empirische Studien zur interromanischen IC vorgelegt (u.a. Masperi 1998; Carrasco Perea 2004; Carullo, Marchiaro & Pérez 2010) und auch G ALANET hat ein großes Forschungsinteresse hervorgerufen (u.a. Degache 2006a; Melo 2006; Álvarez Martínez 2008). Diese Untersuchungen fokussieren u.a. den Erwerb mehrsprachiger 1 Um der Verwendung einer gendersensiblen Sprache gerecht zu werden, werden im Text neben geschlechtsneutralen Bezeichnungen wie Studierende auch Personenbezeichnungen verwandt, die mittels des sog. Binnen-I gebildet sind. 2 Die Dichotomie von Lernen und Erwerb, die auf Krashen (1985) zurückgeht, lässt sich empirisch nicht nachweisen, so dass die Verwendung der beiden Begriffe kritisiert wurde (vgl. z. B. Edmondson & House 2011: 264f.). Obwohl die Begrifflichkeiten nicht eindeutig abgrenzbar sind, ist deren Unterscheidung mit Blick auf den Untersuchungskontext notwendig (vgl. Kapitel 4.3). Im Rahmen dieser Arbeit wird Erwerb daher als Oberbegriff verwendet, während sich Lernen auf eine konkrete Lernsituation, d.h. lernerseits gesteuertes Fremdsprachenlernen bezieht. 3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden die Akronyme L 1 für die Erstsprache, L 2 für die erstgelernte Fremdsprache und L x für die nachgelernten Fremdsprachen verwendet. Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass Sprachen voneinander abgrenzbar sind oder additiv erworben werden (vgl. auch Hu 2001: 22). Ausgangslage und Erkenntnisinteresse 2 kommunikativer Kompetenz aus romanophoner Sicht. Die Teilnahme einer Gruppe deutschsprachiger Spanischbzw. Französischstudierender wirft allerdings neue Fragen auf: Zum einen unterscheidet sich deren sprachliches und kulturelles (Vor-)Wissen wesentlich von dem der romanophonen TeilnehmerInnen. Zum anderen bedienen sie sich zur Kommunikation einer nachgelernten romanischen Sprache (sog. Brückensprache), so dass ihre funktional-kommunikativen Kompetenzen nicht denen der romanophonen MuttersprachlerInnen entsprechen. Diese Unterschiede sind nicht nur mit Blick auf die affektiv-attitudinale Dimension der mehrsprachigen Kommunikation auf der Plattform bedeutsam, sondern auch für den IC-basierten Mehrsprachenerwerb, der auf sprachlichen (und kulturellen) Transferprozessen gründet. Die romanophonen TeilnehmerInnen verfügen bereits mit ihrer L1 über ein breites Transferpotential, was durch die Kenntnis weiterer (romanischer) Sprachen erhöht wird. Die Transferprozesse der in dieser Studie fokussierten Gruppe hingegen basieren auf einer bzw. mehreren nachgelernten (romanischen) Fremdsprache(n), so dass zu untersuchen ist, ob und inwieweit dies Auswirkungen auf das Erleben der interkomprehensiven Interaktion hat. Im Vergleich zur romanischsprachigen IC-Didaktik definiert ihr deutschsprachiges Pendant IC als Kompetenz, „fremde Sprachen oder Varietäten zu dekodieren, ohne sie in zielsprachlicher Umgebung erworben oder formal erlernt zu haben“ (Meißner 2010a: 381). Aus deutscher Sicht hebt IC also zunächst auf (hörende oder lesende) Rezeption ab. Sieht man von einigen wenigen Projekten aus dem romanophonen Raum ab, die neben der Dekodierung mehrsprachiger Texte auch die Förderung metakognitiver Kenntnisse und Fähigkeiten zum Ziel haben (z.B. Eurom5, Euromania oder Itinéraires romans 4 ), ist die deutschsprachige IC-Didaktik im Vergleich zur binnenromanischen IC zudem stärker dem reflexiven Lernen fremder Sprachen verpflichtet. 5 Denn IC- Ereignisse lassen Einsichten in Spracherwerbsprozesse zu, was die Nähe von IC zu Konzepten wie Sprach(lern-)bewusstheit bzw. Sprachlernkompetenz erklärt (vgl. Meißner 2011: 38). So untersuchte die deutschsprachige IC-Forschung u.a. das Hörverstehen in ‚unbekannten‘ romanischen Fremdsprachen (Meißner & Burk 2001) sowie die Förderung von Sprachlernkompetenz durch interkomprehensiven Unterricht (Böing 2004; Bär et al. 2005; Bär 2009; Schöpp 2008; Morkötter 2016). 4 www.eurom5.com/ , www.unilat.org/ DPEL/ Intercomprehension/ Itineraires _romans/ fr, www.euro-mania.eu eu/ index.php. 5 Diese sprachlernbasierte Form von IC ist dennoch eng mit der kommunikationsorientierten Form verbunden, denn die Unterschiede liegen v. a in der Funktion von IC begründet. So kann IC als Lerngegenstand oder aber auch als Kommunikationsmittel konzeptualisiert werden, was jedoch nicht zwangsläufig mit der Vernachlässigung sprachlernbasierter Aktivitäten einhergeht (vgl. auch Kapitel 3.1 bzw. 3.2). Ausgangslage und Erkenntnisinteresse 3 Auch die Ausbildung kognitiver und metakognitiver Strategien durch interkomprehensionsbasierte Lernarrangements wurde untersucht (u.a. Meißner & Morkötter 2009; Meißner 2012). Ohne vorauszugreifen sei erwähnt, dass die Befunde der genannten Untersuchungen in dieselbe Richtung weisen: IC-Erfahrungen beeinflussen die Selbstwirksamkeitserfahrungen der Lernenden und haben dementsprechende motivationale Rückwirkungen (vgl. u.a. Bär 2009; Bär 2010; Meißner & Morkötter 2009). So konnten Auswirkungen auf die affektiv-attitudinalen Dimensionen des Fremdsprachenlernens nachgewiesen werden, was bspw. den Lerngegenstand, aber auch Einstellungen zu Fragen der Mehrsprachigkeit angeht. Mit der vorliegenden Untersuchung werden die kommunikative und die sprachlernbasierte Definition von IC zusammengeführt. Damit wird aus hiesiger Sicht dem Forschungsdesiderat begegnet, IC in einer kommunikationsorientierten Form zu untersuchen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage, welche Rückwirkungen sich aus einer interaktionsbasierten Form der IC auf die Sprachlernkompetenz der deutschsprachigen TeilnehmerInnen ergeben, die einen integralen Bestandteil von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz ausmacht (vgl. u.a. Beacco 2010; Candelier et al. 2013). Neben dem Erleben der mehrsprachigen Kommunikation und dem Fokus auf Sprachlernkompetenz wird der Blick im Rahmen dieser Untersuchung ebenso auf interkulturelle Aspekte zu richten sein, denn IC ist nicht von Interkulturalität zu trennen. Dieses Prinzip liegt sowohl der sprachlernbasierten als auch der kommunikativen Form von IC zugrunde (vgl. Meißner 1995), und lässt sich auf folgende Formel bringen: „Sprache impliziert Kultur. Daher ist die Mehrsprachigkeitsdidaktik auch eine Mehrkulturalitätsdidaktik“ (Meißner 2002a: 27). Während sich interkulturelle Kommunikation i.d.R. zwischen Ausgangs- und Zielkultur(en) in ein und derselben Sprache vollzieht, ist diese Perspektive in einem mehrsprachigen Setting zu erweitern. Aufgrund der Begegnungssituation auf der Plattform wirken IC und Interkulturalität zudem auf besondere Weise zusammen, da die InteraktionspartnerInnen als sozial Handelnde agieren und gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Es besteht insofern Einigkeit, dass « la dimension interculturelle de l’IC ne doit pas être comprise comme une dimension en plus de l’interaction mais comme une de ses constituantes inaliénables » (Araújo e Sá & Melo-Pfeifer 2009: 121, Hervorhebung im Original). Es wird allerdings kritisiert, dass Forschungsbeiträge zur IC oftmals nur die sprachliche Dimension fokussieren (ebd.), obwohl interkulturelle Faktoren bei der Sinnkonstruktion eine ebenso wichtige Rolle spielen. Der hier in Rede stehende Untersuchungsbereich - die IC-Erfahrungen deutschsprachiger Studierender in Interaktion mit romanophonen MuttersprachlerInnen - verlangt aus folgenden Gründen die Berücksichtigung interkultureller Aspekte: Zum einen kommunizierte die untersuchte Gruppe in einer Fremdsprache, d.h. sie fungierten auf der Plattform nicht als Vertreter jener Zielkultur, deren Ausgangslage und Erkenntnisinteresse 4 Sprache sie sich bedienten. Zum anderen waren die germanophonen Studierenden in der computervermittelten Kommunikationssituation für die übrigen Teilnehmenden nicht ohne weiteres als VertreterInnen der - zumeist - germanophonen Kultur wahrzunehmen. Das bemerkenswerte interkulturelle Potential, das sich daraus ergibt, stellt somit innerhalb des untersuchten Settings alles andere als eine quantité négligeable dar. Vor dem Hintergrund der durch die Neuen Medien vermittelten interkomprehensiven Kommunikationssituation ist außerdem nach dessen Potential für die Ausbildung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz zu fragen. Zwar ist festzustellen, dass Studien zu Spracherwerbsprozessen und interkulturellem Lernen sowohl für die computervermittelte asynchrone Kommunikation (u.a. Tamme 2001; Zeilinger-Trier 2007), als auch für die synchrone Kommunikation im Chat vorliegen (u.a. Tudini 2001; Wilden 2007; Razola 2009; Marques- Schäfer 2013). Allerdings handelt es sich hierbei um Lernszenarien, die den Erwerb einer Zielsprache bzw. in Austauschprojekten zweier Zielsprachen zum Ziel hatten. Auch wenn aus romanischer Sicht Forschungsarbeiten zu interkomprehensiven Erwerbssituationen im Chat existieren (Melo 2006; Álvarez Martínez 2008), besteht aus deutscher Sicht für die medial vermittelte, interkomprehensive Kommunikation ein Forschungsdesiderat. Berücksichtigt man einerseits die spezifische Kommunikationsbzw. interkulturelle Situation, die sich aus dem mehrsprachigen Setting der Plattform ergibt, und andererseits die potentielle Möglichkeit, die medial vermittelte Interaktionssituation in eine Sprachlernsituation zu überführen, ergibt sich folgende, forschungsleitende Fragestellung (s. Kapitel 4.1 für die weiterführenden Forschungsfragen): Wie erleben deutschsprachige Studierende interkomprehensionsbasierte, romanische Mehrsprachigkeit in Interaktion mit ihren KommunikationspartnerInnen und welche Rückwirkungen ergeben sich daraus für die Entwicklung ihrer mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz? Ausgangslage und Erkenntnisinteresse 5 Zur Gliederung der Arbeit Einleitend wurden in Kapitel 1 die Ausgangslage sowie das dieser Arbeit zugrundeliegende Erkenntnisinteresse skizziert. Davon ausgehend geben Kapitel 2 und 3 Einblick in die theoretische Rahmung der Studie. Kapitel 2 nimmt die theoretische Verortung des Untersuchungsgegenstandes innerhalb der Mehrsprachigkeitsbzw. IC-Didaktik vor. Es werden zunächst sprachen- und bildungspolitische Grundlagen skizziert, die maßgeblich für die Entwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik im deutschsprachigen Raum sind und vor deren Hintergrund die Förderung von individueller Mehrsprachigkeit stattfindet. Daran anknüpfend arbeitet Kapitel 2.2 die Merkmale mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz heraus und zeigt, wie sich der Aufbau mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz modellieren und dimensionalisieren lässt. Kapitel 2.3 hebt auf die sog. Sprachlernkompetenz ab, die neben der Mobilisierung des mehrsprachigen Repertoires auch die Fähigkeit zum reflexiven Sprachenlernen umfasst und einen integralen Bestandteil von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz ausmacht. Da sich IC als bewusstheitsfördernde Methode an der Schnittstelle zur Förderung von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz und Sprachlernkompetenz befindet, gibt Kapitel 3 einen Einblick in die Dimensionen interkomprehensiven Lernens und arbeitet den Beitrag der IC zur Förderung von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz bzw. Sprachlernkompetenz heraus. Hier steht insbesondere die Frage im Mittelpunkt, inwieweit sich das Lernziel mehrsprachige kommunikative Kompetenz durch IC-basierten Fremdsprachenerwerb erreichen lässt. Es werden überblicksartig die Grundlagen und Lernziele der IC-Didaktik erörtert, wobei zwei Perspektiven auf den Gegenstand unterschieden werden: Zum einen ist dies die sprachlernbasierte Form von IC, die auf Grundlage von Untersuchungen mit deutschsprachigen SchülerInnen und StudentInnen entwickelt wurde (Kapitel 3.1). Zum anderen wird die kommunikative bzw. interaktionsbasierte Form von IC thematisiert (Kapitel 3.2), da IC auf der Plattform G ALANET mittels eines interaktionsbasierten Lernarrangements inszeniert wird. Nachdem der theoretische Rahmen umrissen ist, wird in Kapitel 4 das qualitative Forschungsdesign vorgestellt, das innerhalb eines interpretativ-explorativen Paradigmas verortet ist. Mit Blick auf den Forschungsgegenstand werden zunächst die Forschungsfragen dargelegt (Kapitel 4.1). Daran anknüpfend erfolgt eine Diskussion um die der Studie zugrundeliegenden Gütekriterien (Kapitel 4.2). Kapitel 4.3 gibt einen Einblick in den Erhebungskontext der Plattform G ALANET , bevor Kapitel 4.4 das Forschungsfeld umreißt und Raum für forschungsethische Überlegungen bietet. Die Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesgins wird in Kapitel 4.5 thematisiert, das sich insbesondere durch die Anwendung triangulierender Verfahren sowie die Zugrundelegung Ausgangslage und Erkenntnisinteresse 6 einer Fallstudie auszeichnet. Das Kapitel schließt mit der Vorstellung der einzelnen Datenerhebungsinstrumente, die vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses sowie ihres Stellenwertes innerhalb der Untersuchung vorgestellt werden. Kapitel 5 dient der Skizzierung des Datenanalyseverfahrens. Nachdem allgemeinmethodische Überlegungen zur Transkription und computergestützte Datenauswertung erfolgt sind (Kapitel 5.1), wird in Kapitel 5.2 die Gegenstandsangemessenheit der Auswertungsmethode erörtert. Am Beispiel einzelner Datensätze soll der Prozess der Datenanalyse nachvollziehbar gemacht werden (Kapitel 5.4). Das Kapitel schließt mit Anmerkungen zur Einzelfallauswertung und Fallrekonstruktion (Kapitel 5.5). Die forschungsmethodischen Ausführungen in Kapitel 4 und 5 dienen als Hintergrundfolie für die Einzelfalldarstellungen (Kapitel 6), anhand derer rekonstruiert wird, wie sich IC in Interaktion aus der Sicht deutschsprachiger Studierender empirisch darstellt. Die Ebene der Einzelfalldarstellungen wird in Kapitel 7 im Zuge der Theoretisierung schließlich zugunsten einer analytischen Zusammenschau verlassen, indem daten- und fallübergreifend Kernkategorien für das gesamte Sample sowie Überschneidungs- und Differenzierungsbereiche herausgearbeitet werden, welche gleichsam die Ergebnisse der vorliegenden Studie darstellen. Die kontextspezifischen Ergebnisse, die sich auf das untersuchte Setting G A- LANET beziehen, werden in Kapitel 8.1 unter Rückgriff auf die in Kapitel 2 und 3 dargelegten theoretischen Diskurse diskutiert, um eine Rückbindung der empirisch nachweisbaren Phänomene an bereits bestehende Theorie vorzunehmen. Darüber hinaus wurden auch über den Kontext hinausgehende Ergebnisse herausgearbeitet, anhand derer sich Implikationen für die mehrsprachige pädagogische Praxis im Hochschulbzw. Schulkontext ableiten lassen, auf die Kapitel 8.2 eingeht. Kapitel 8.3 bewertet schließlich in einer kritischen Rückschau den angewandten Forschungsansatz, bevor die Arbeit mit dem Aufzeigen künftiger Forschungsperspektiven schließt (Kapitel 8.4). 2. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz Aus fremdsprachendidaktischer Sicht hat der Kompetenzbegriff spätestens seit Piephos Arbeiten zur kommunikativen Kompetenz (1974) eine Aufwertung erfahren. Das heutige Verständnis von Kompetenz ist allerdings deutlich komplexer, nicht zuletzt, weil es sich bei der Kompetenzorientierung um einen weitreichenden Reformprozess handelt. Als Meilenstein dieses Reformprozesses gilt der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen: lehren - lernen - beurteilen (Europarat 2001) (GeR), der aus Sicht der Mehrsprachigkeitsdidaktik v. a. deshalb bedeutsam ist, weil er sich für das übergeordnete Lernziel „mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz“ stark macht (Europarat 2001: 163). 6 Es geht im Folgenden nicht darum, die Implikationen der Kompetenzorientierung für den Fremdsprachenunterricht nachzuzeichnen. 7 Vielmehr werden zunächst die sprachen- und bildungspolitischen Grundlagen skizziert, vor deren Hintergrund sich das Lehr- und Lernziel mehrsprachige kommunikative Kompetenz und damit die Mehrsprachigkeitsbzw. IC-Didaktik etabliert haben (Kapitel 2.1). Daran anknüpfend erfolgt in Kapitel 2 unter Rückgriff auf entsprechende Referenzdokumente die Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz. Dazu ist einleitend der Kompetenzbegriff zu definieren (Kapitel 2.2.1), um darauf aufbauend die Merkmale mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz herausarbeiten (Kapitel 2.2.2) sowie deren Dimensionalisierung vornehmen zu können (Kapitel 2.2.3). Daneben stehen im Zentrum dieser Untersuchung die Rückwirkungen der interaktionsbasierten IC auf die Sprachlernkompetenz, welche in Kapitel 2.3 umrissen wird. 2.1 A propos Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik A propos Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik Vorläufer einer Mehrsprachigkeitsdidaktik ante litteram lassen sich weit in die Geschichte hinein verfolgen (vgl. Meißner 2010b). Die Formel „Didaktik der Mehrsprachigkeit“ geht auf Mario Wandruszka zurück, der sie erstmals in Die 6 Die Förderung dieses Lernziels wird durch weitere Publikationen des Europarates gestützt. Hier sind insbesondere folgende Dokumente zu nennen: „From linguistic diversity to plurilingual education. Guide for the development of language education policies in Europe“ (Beacco 2007) und « Guide pour le développement et la mise en œuvre de curriculums pour une éducation plurilingue et interculturelle » (Beacco 2010). 7 Für einen Überblick über die Diskussion um Kompetenzorientierung vgl. u.a. die Bände der Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts (Bausch et al. 2003, Bausch et al. 2005, Bausch et al. 2009). Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 8 Mehrsprachigkeit des Menschen erwähnt (1979: 313ff.). 8 Obwohl er didaktische Begriffe im engeren Sinne (wie LernerIn, LehrerIn, Lernen usw.) nicht verwendet, ist aus pädagogischer Sicht bemerkenswert, dass Individuen seiner Ansicht nach bereits mit dem Erwerb der L 1 potentiell mehrsprachig werden, was er unter dem Konzept der „inneren Mehrsprachigkeit“ zusammenfasst (ebd.). Diese findet sich nicht nur in der Lexik wieder, sondern auch in sprachlichen Registern, Fachsprachen oder im sog. Bildungswortschatz. Wandruszka spricht sogar von der „europäischen Sprachgemeinschaft“ (1990: 9f.), die er auf den gemeinsamen Wortschatz griechisch-lateinischen Ursprungs zurückführt, der die materielle Grundlage der Mehrsprachigkeit darstellt (vgl. auch Bertrand & Christ 1990: 210). Legt man dies zugrunde, wird deutlich, dass Mehrsprachigkeit der Regelfall, Einsprachigkeit hingegen die Ausnahme ist (vgl. Christ, H. 2002: 14), wie sich auch aus dem folgenden Zitat ergibt: [L]e plurilinguisme ne commence pas avec l’apprentissage d’une langue dite « étrangère », mais par le contact avec des répertoires verbaux diversifiés et intralinguistiques revient alors à poser le plurilinguisme comme constitutif de l’identité linguistique et culturelle. (Perrefort 2006: 178) Dies bedeutet, dass auch Einsprachigen zahlreiche „Brücken“ zu anderen Sprachen zur Verfügung stehen. Der Gedanke der Erziehung zur Mehrsprachigkeit gewann spätestens in den 1970er Jahren auch in der deutschen Sprachenpolitik zunehmend an Bedeutung. Zentral sind insofern die Homburger Empfehlungen von 1979, die sich mit ihrem Modell der „sprachenteiligen Gesellschaft“ für ein mehrsprachiges Europa einsetzen (Christ et al. 1980: 1-13). Diesen Gedanken führen die Vorschläge für einen erweiterten Fremdsprachenunterricht fort, in denen die Forderung nach sprachenübergreifender Vernetzung laut wird (vgl. Bertrand & Christ 1990). Die Autoren legen darin eine offene Definition von Mehrsprachigkeit zugrunde, denn sie betonen, daß unter Mehrsprachigkeit nicht zu verstehen ist, man müsse mehrere Sprachen gleichermaßen beherrschen. Als mehrsprachig darf schon der bezeichnet werden, der auf der Basis der Kenntnis seiner Muttersprache eingeschränkte Kenntnisse in wenigstens zwei weiteren Sprachen entweder in gleichen oder in unterschiedlichen Diskursbereichen hat (um z.B. soziale Kontakte in gesprochener oder geschriebener Sprache aufnehmen oder Texte lesen oder Fachgespräche führen zu können). (Bertrand & Christ 1990: 208) Das Bildungsziel Mehrsprachigkeit anwortet auf den Wunsch der EU, die Mehrsprachigkeit ihrer BürgerInnen zu fördern: „Jeder sollte 3 Gemeinschaftssprachen beherrschen“ (Europäische Kommission 1995: 62), auch bekannt unter der Formel Muttersprache + mindestens zwei weitere Sprachen. Vor diesem Hintergrund fördert die EU Mehrsprachigkeit durch entsprechende Instrumente, z.B. den GeR (Europarat 2001) oder das Europäische Sprachenportfolio 8 Vgl. Christ, H. (2002), Meißner (2008a: 72) und Morkötter (2004: 67). A propos Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik 9 (Europarat 2006). Die Formel lässt unterschiedliche Kompetenzniveaus in unterschiedlichen Fertigkeitsbzw. Diskursbereichen zu. Zudem wird zwischen produktiver und rezeptiver Mehrsprachigkeit differenziert: Die angeführte Definition der […] Mehrsprachigkeit ist insoweit ″ offen ″ , als sie den Begriff weder an ein bestimmtes Kompetenzniveau bindet noch an konkrete Grundfertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben). Sie erfaßt damit alle Stufen des Fremdsprachenlernens einschließlich der auf Rezeption beschränkten Sprachkompetenz. (Meißner 1995: 174) Diese sog. individuelle Mehrsprachigkeit bezieht sich auf Lernanstrengungen einzelner Personen und ist damit „pädagogisch planbar“ (Meißner 2004a: 105). Individuelle Mehrsprachigkeit ist daher nicht als zufälliges, summarisches Produkt aller erlernten Fremdsprachen, sondern als ein sprachenvernetzender Lern-/ Erwerbsprozess zu verstehen, wie auch Meißner (2004b: 227) unterstreicht: „Whereas plurilingualism appears as the result of organised learning and, to a certain extent, of didactical monitoring, multilingualism is the product of incidental and uncontrolled exposure to the target language.“ Die Unterscheidung zwischen Mehrsprachigkeit (Plurilingualismus) und Vielsprachigkeit (Multilingualismus) ist also grundlegend (vgl. u.a. Meißner 2005a: 126; Degache & Masperi 2007: 260). Denn im Gegensatz zur individuellen Mehrsprachigkeit bezeichnet Vielsprachigkeit die Koexistenz mehrerer Sprachen in einer Gesellschaft, die z.B. durch Zuwanderung multilingual (und infolgedessen auch multikulturell) ist oder über mehr als eine Nationalsprache verfügt (vgl. Morkötter 2005: 57). Auch der GeR greift diese Unterscheidung auf, indem er betont, dass das übergeordnete Lernziel im Erwerb einer mehrsprachigen sowie plurikulturellen Kompetenz liegt (vgl. Europarat 2001). 9 9 Die Begriffe mehrsprachig (bzw. plurilingual) und plurikulturell werden in Verbindung mit Kompetenzen uneinheitlich verwendet. Während Coste, Moore & Zarate (1997) von « compétence plurilingue et pluriculturelle » sprechen und der GeR diese Begriffe übernimmt, ist in Publikationen jüngeren Datums v. a. die Rede von « compétence plurilingue et interculturelle » (vgl. Candelier et al. 2013: 8, Fußnote 9). Auch Byram (2009: 7) unterscheidet plurikulturelle von interkultureller Kompetenz. Erstere umfasst die Fähigkeit, sich mit zwei oder mehreren Kulturen zu identifizieren, was sich bspw. durch einen längeren Auslandsaufenthalt oder eine Migrationsgeschichte ergeben kann. Byrams Verständnis von Plurikulturalität hebt demnach auf identitätsstiftende Merkmale ab, während interkulturelle Kompetenz u.a. die Fähigkeit bezeichnet, Alteritätserfahrungen bewusst gestalten und analysieren zu können. Nach Byram bedeutet interkulturelle Kompetenz « d’être ouvert, intéressé, curieux à l’égard des membres d’autres cultures, […] et d’utiliser cette conscience aiguisée de l’altérité pour entrer en relation et avoir des échanges avec des personnes autres, potentiellement pour agir ensemble en vue d’objectifs communs » (ebd.). Vor dem Hintergrund des identitätsstiftenden Aspekts von plurikultureller Kompetenz kann deren Entwicklung also nicht Ziel des Fremdsprachenunterrichts sein. Im Sinne des zu erreichenden Lernziels wird in dieser Arbeit daher Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 10 Um den Erwerb individueller Mehrsprachigkeit systematisch zu fördern, bieten sich mehrsprachigkeitsdidaktisch-basierte Lehr-/ Lernverfahren an. Denn bei der Mehrsprachigkeitsdidaktik handelt es sich um „eine einzelne Sprachen übergreifende Methode, die das synergetische Potential nutzen will, das zwischen den Sprachen (und Kulturen) liegt“ (Meißner 2002a: 27). Den wohl ersten belegten unterrichtspraktischen Versuch unternahm Fritz Abel, der Französischlernenden der 11. Klasse rezeptive Spanisch- und Italienischkenntnisse vermittelte. Er bilanziert die Unterrichtsreihe wie folgt: „Man kann in einem […] auf zehn Stunden begrenzten Kurs ausgehend vom Französischunterricht […] Schülern einen bemerkenswerten Grad von Lesefertigkeit in beiden Sprachen vermitteln“ (1971: 356). 10 Die „Umrisse der Mehrsprachigkeitsdidaktik“ (Meißner 1995) entwickelten den Gedanken nach sprachübergreifener Vernetzung weiter, indem sie „die übereinzelsprachliche Lernökonomie und die Verbindung von Ms [Mehrsprachigkeit, T.P.] und Mehrkulturalität zusammenführten“ (Meißner 2005a: 129), so dass nun auch die interkulturelle Dimension der Mehrsprachigkeit in den Blick rückt. Inzwischen hat sich die Mehrsprachigkeitsdidaktik in allen Bildungsphasen als „politisches und pädagogisches Leitprinzip“ (Meißner 2005a: 130) etabliert. Den „Kern der Mehrsprachigkeitsdidaktik“ (Meißner 2004a: 106) stellt die IC- Didaktik dar, die eine Methodik für die Förderung individueller Mehrsprachigkeit durch mehrsprachigkeitsbasierte Lehr-/ Lernverfahren liefert (vgl. Kapitel 3). Auch Capucho versteht die IC-Didaktik als wichtiges Instrument für den Erwerb individueller Mehrsprachigkeit: « Soutenir l’IC, c’est collaborer au développement du multilinguisme en Europe, basé sur le plurilinguisme des citoyens » (2010: 100). 2.2 Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz Der Begriff „mehrsprachige Kompetenz“ ist spätestens seit Publikation des GeR zentral für spracherwerbsbezogene Ansätze geworden, die nicht nur eine Zielsprache, sondern zugleich mehrere Sprachen in den Blick nehmen. Auf Grundlage des GeR wurden 2004 auf nationaler Ebene Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschul- und den mittleren Bildungsabschluss formuliert (KMK 2004a). Sie stellen einen Erwartungshorizont in Bezug auf Lernziele dar, indem sie festlegen, welche Kompe- der Begriff mehrsprachige (plurilinguale) kommunikative Kompetenz verwendet, der interkulturelle Kompetenz gleichsam miteinschließt (vgl. auch Kapitel 2.2.2). 10 Mehrere Beiträge in Meißner & Reinfried (1998) belegen, dass Abels Erfahrungen keinen Einzelfall darstellen. Besonders Lehrende der Tertiärsprachen (Italienisch und Spanisch als zweite Fremdsprache) bedienen sich ihres eigenen mehrsprachigen Repertoires für ihre Lehrtätigkeit (ebd.). Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz 11 tenzen Lernende nach einer bestimmten Lernzeit entwickelt haben sollten. Neben dem Erwerb interkultureller Kompetenz als oberstem Lernziel (KMK 2004a: 6) soll der Unterricht in der ersten Fremdsprache die Grundlage für die Bewältigung mehrsprachiger kommunikativer Situationen schaffen: Vom Fremdsprachenunterricht in der ersten Fremdsprache ist daher zu erwarten, dass die kommunikativen, interkulturellen und methodischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler für ihr Handeln in mehrsprachigen Situationen am Ende der Sekundarstufe I verlässlich ausgebildet worden sind. (ebd.) 2012 wurden die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die allgemeine Hochschulreife vorgelegt (KMK 2012). Darin wird neben der Förderung individueller Mehrsprachigkeit auch das ‚Lernen des Lernens‘ als bedeutsam hervorgehoben: „Dem schulischen Fremdsprachenunterricht kommt eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von Mehrsprachigkeit und im Hinblick auf lebensbegleitendes Sprachenlernen zu“ (KMK 2012: 9). Die Bildungsstandards von 2004 und 2012 stimmen darin überein, dass sie Kompetenz als pädagogisches Leitprinzip fassen und im Einklang mit dem GeR auf die Förderung von individueller Mehrsprachigkeit abheben. Dennoch bleibt festzustellen, dass eine Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz in den Bildungsstandards unterbleibt und auch der GeR in dieser Hinsicht defizitär ist. Dieser legt zwar Beschreibungen für unterschiedliche Kompetenzbereiche (funktional-kommunikative, interkulturelle und methodische Kompetenzen) vor und führt aus, dass sich mehrsprachige kommunikative Kompetenz aus einer Verknüpfung dieser Bereiche zusammensetzt. Allerdings bemerkt H. Christ (2003: 61), dass im GeR „kaum Konkretes zur Entwicklung von Mehrsprachigkeit (und ebenso wenig über Interkulturalität) gesagt wird“ und kritisiert, dass sich die Kompetenzbeschreibungen nur auf eine Zielsprache beziehen, während mehrsprachige Diskursphänomene wie bspw. Code-switching ausgespart werden (2003: 65). Candelier (2008: 68) bemängelt, dass Deskriptoren für die mehrsprachige kommunikative Kompetenz fehlen und auch Meißner (2010c: 66) macht darauf aufmerksam, dass der GeR keine methodischen Hilfen bietet, um Synergien zwischen dem Sprachen- und interkulturellen Lernen herzustellen. Um mehrsprachige kommunikative Kompetenz modellieren zu können, ist im folgenden Kapitel daher zunächst der dieser Arbeit zugrundeliegende Kompetenzbegriff zu thematisieren. Daran anküpfend werden unter Rückgriff auf entsprechende Referenzdokumente (u.a. Candelier et al. 2013; Coste, Moore & Zarate 1997; Beacco 2007; Beacco 2010) die Merkmale mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz herausgearbeitet (vgl. Kapitel 2.2.2). Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 12 2.2.1 Zum Kompetenzbegriff Kompetenzen sind hoch komplex, da sie sich aus unterschiedlichen Teilelementen zusammensetzen. Das dem GeR zugrundeliegende Verständnis von Kompetenz hebt auf den Handlungsaspekt von Kompetenzen ab, nach dem diese erst in konkreten Lern- oder kommunikativen Situationen sichtbar werden: Kompetenzen sind die Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fertigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen. (Europarat 2001: Kapitel 2) (Hervorhebung im Original). Allerdings lassen sich Kompetenzen nicht auf die Summe von Wissen, Können und persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen reduzieren (Martinez & Schröder-Sura 2011: 71), denn sie zeigen sich vielmehr in der Fähigkeit, aus einem Repertoire von (Teil-) Kompetenzen zu schöpfen und diese miteinander zu kombinieren, um den in Lern- oder Kommunikationssituationen gestellten Anforderungen begegnen zu können. Weinert unterstreicht diese Kombination von Fähigkeiten und Fertigkeiten, denn er versteht unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. (2001: 27) Weinert fasst Kompetenzen als Problemlösefähigkeit, die sich durch Einsatz verfügbaren Wissens bzw. Fertigkeiten und durch Entfaltung affektiv-attitudinaler Komponenten herausbilden. Auch der Referenzrahmen für plurale Ansätze und Kulturen (REPA 11 ) (Candelier et al. 2013) versteht Kompetenz als Handlungskompetenz, die auf der Performanzebene zum Tragen kommt. Der REPA sieht sich als Ergänzung des GeR, in dem die Kompetenzbereiche um Mehrsprachigkeit und interkulturelles Lernen eine Aufwertung erfahren. Für die Entfaltung von Handlungskompetenz stellt der REPA die sog. Mobilisierungskompetenz (savoir-mobiliser) heraus, die die Aktivierung interner wie externer Ressourcen bezeichnet: [L]es compétences représentent […] des unités d’une certaine complexité, impliquant l’individu dans sa totalité et liées à des tâches socialement pertinentes dans le contexte desquelles elles sont activées ; elles consistent, dans ces situa- 11 Soweit nicht anders gekennzeichnet beziehe ich mich im Folgenden auf die französische Version des Cadre de Référence pour les Approches Plurielles des Langues et des Cultures (CARAP), für die zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Gegensatz zur deutschen Version bereits eine Druckfassung vorliegt. Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz 13 tions, en la mobilisation de ressources diverses qui peuvent être internes (relevant de savoirs, de savoir-faire et de savoir-être) ou externes (usage d’un dictionnaire, recours à un médiateur…). (Candelier et al. 2013: 11) Der REPA betont, dass die Entfaltung von Kompetenzen innerhalb eines sozialen Kontextes stattfindet und unterstreicht damit deren Bedeutung im Rahmen von fremdsprachigen Handlungssituationen. Es wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass die Trennschärfe zwischen Kompetenzen und Ressourcen nicht immer eindeutig ist und sich ihre Beziehung vielmehr als eine Beziehung von komplexen bzw. abstrakten Elementen (Kompetenzen) und einfachen bzw. konkreten Elementen (Ressourcen) konzeptualisieren lässt (vgl. Candelier et al. 2013: 11f.). Für die Weiterentwicklung von Kompetenzen bzw. Ressourcen unterstreicht Beacco daher die Wichtigkeit von « compétences transversales à plusieurs langues » (2010: 16f.), also zu etablierende Querverbindungen, die sich sowohl dimensionenübergreifend in Bezug auf savoir, savoir-faire und savoir-être als auch in Bezug auf die Bündelung unterschiedlicher Teilressourcen herstellen lassen (vgl. Meißner 2013a). Das im REPA vorgelegte Kompetenzmodell wird der Mehrdimensionalität und Komplexität der mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenzbereiche gerecht, indem dargestellt ist, wie sich diese Bereiche systematisch vernetzt und integriert erwerben lassen (vgl. Meißner 2010c: 66). Der REPA vereint vier plurale Ansätze: éveil aux langues 12 , integrierte Sprachendidaktik, IC und interkulturelles Lernen. Es handelt sich um Ansätze, die mehr als eine Sprache bzw. Kultur in den Blick nehmen: « qui mettent en œuvre des activités d’enseignement-apprentissage qui impliquent à la fois plusieurs […] variétés linguistiques et culturelles » (Candelier et al. 2013: 7, Hervorhebungen im Original). Bevor der REPA zur Dimensionalisierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz herangezogen wird (Kapitel 2.2.3), thematisiert das folgende Kapitel zuächst deren Merkmale. 2.2.2 Merkmale mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz Das Verständnis von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz, das dem GeR zugrunde liegt und auf Coste, Moore & Zarate (1997 : 12) 13 zurückgeht, ist entscheidend für dessen Modellierung: 12 Bei éveil aux langues handelt es sich um einen sprachenübergreifenden Ansatz, der neben den Schulfremdsprachen und Herkunfts- oder Umgebungssprachen der SchülerInnen auch Sprachen zum Unterrichtsgegenstand macht, die nicht Teil des Fächerkanons sind. SchülerInnen sollen nicht nur eine Bewusstheit im Hinblick auf die Sprachenvielfalt erfahren, sondern auch eine positive Haltung gegenüber der gesellschaftlichen und individuellen Mehrsprachigkeit entfalten (vgl. Candelier 2005). 13 Es handelt sich um den Artikel « Compétence plurilingue et pluriculturelle. Vers un cadre européen commun de référence pour l’enseignement et l’apprentissage des Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 14 On désignera par compétence plurilingue et pluriculturelle, la compétence à communiquer langagièrement et à interagir culturellement possédée par un acteur qui maîtrise, à des degrés divers, plusieurs langues, et a, à des degrés divers, l’expérience de plusieurs cultures, tout en étant à même de gérer l’ensemble de ce capital langagier et culturel. Nach dieser Auffassung setzt sich das den Kompetenzen zugrundeliegende Repertoire sowohl aus den Sprachals auch den Kulturerfahrungen eines Menschen zusammen. Sprache und Kultur werden als nicht zu trennende Elemente konzeptualisiert: « [L]a relation entre dimensions linguistique et culturelle est affirmée comme intrinsèque et indissociable » (Castellotti & Moore 2011: 243), so dass die genannten Dimensionen eine übergreifende Kompetenz bilden. Diese kommt in kommunikativen Situationen zum Tragen, in denen Menschen ihr mehrsprachiges und interkulturelles Repertoire zum Zwecke der Interaktion einsetzen: « Parler de compétence plurilingue et pluriculturelle c’est donc s’intéresser à la compétence à communiquer d’acteurs sociaux en mesure d’opérer dans des langues et des cultures différentes » (Coste, Moore & Zarate 1997 : 9). Coste, Moore & Zarate verorten mehrsprachige kommunikative Kompetenz innerhalb einer interaktionsorientierten Perspektive des Fremdsprachenlernens. Es geht um die Fähigkeit, das Repertoire entsprechend den Anforderungen der kommunikativen Situation zur Entfaltung zu bringen, was Araújo e Sá & Melo (2007a: 8) wie folgt fassen: “[I]ndividuals’ verbal behavior could be evidence of ‘plurilingual communicative competence’ in action, that is, a capacity to pass from one language to another according to the communicative situation“. Die Rahmenbedingungen der kommunikativen Situation (SprecherInnen, Sprachen, Themen usw.) haben also einen Einfluss darauf, welche Kompetenzbereiche angesprochen werden: « L’individu plurilingue dispose ainsi d’un capital linguistique qu’il gère en fonction des situations et de ses interlocuteurs » (Coste, Moore & Zarate 1997: 26). Aus der obigen Definition ergibt sich außerdem, dass das plurilinguale und interkulturelle Repertoire i.d.R. von einem Ungleichgewicht gekennzeichnet ist, da verschiedene Kompetenzbereiche unterschiedlich ausgeprägt sein können. 14 Das kulturelle Vorwissen kann gegenüber dem sprachlichen Vorwissen ungleich ausgebildet sein, wenn Individuen zwar über Kenntnisse in einer Sprache, nicht aber über entsprechende kommunikative und kulturelle Erfahrungen verfügen (vgl. auch Beacco 2007: 68). Das Ungleichgewicht kann aber auch Kompetenzbereiche innerhalb einer (oder mehrerer) Sprache(n) betreffen. Es ist denkbar, dass Individuen über Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen langues : études préparatoires », der Vorüberlegungen zur Förderung individueller Mehrsprachigkeit beinhaltet, die den GeR maßgeblich beeinflussten. 14 Dies erinnert an die offene Definition von Mehrsprachigkeit von Bertrand & Christ (1990), vgl. auch Kapitel 2.1. Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz 15 Kompetenzbereichen einer Sprache verfügen (welche wiederum unterschiedlich ausgeprägt sein können), während sie in einer bzw. weiteren Sprache(n) lediglich partielle Kompetenzen aufweisen (vgl. Coste, Moore & Zarate 1997: 12; Castellotti & Moore 2011: 244). Der Umstand des Ungleichgewichts verweist allerdings nicht auf eine eingeschränkte Kompetenz (vgl. Coste, Moore & Zarate 1997: 26), sondern ist auch durch die Anforderungen der kommunikativen Situation bedingt. Diese kann - je nach Beschaffenheit - den Fokus auf einen Fertigkeitsbereich erfordern: « Une compétence plurilingue […] peut ainsi être mise en action pour des activités langagières précises (par exemple de réception orale, ou de production spécialisée, en fonction de son parcours, de ses besoins, de ses projets ...) » (Castellotti & Moore 2011: 244). Mehrsprachige kommunikative Kompetenz stellt ein integratives Konstrukt dar, das die Verschränkung einzelner Kompetenzen und Kompetenzbereiche betont: « [I]l n’y a pas là superposition ou juxtaposition de compétences toujours distinctes, mais bien existence d’une compétence plurielle, complexe, voire composite et hétérogène » (Coste, Moore & Zarate 1997: 12; vgl. auch Europarat 2001: 163). Dies bedeutet eine Abkehr von additiven Auffassungen hin zu einem integrativen Verständnis vom Sprachenlernen bzw. Kompetenz, « ne résultant pas d’une simple addition de compétences monolingues, elle autorise des combinaisons, des alternances, des jeux sur plusieurs tableaux » (Coste, Moore & Zarate 1997: 13). Beacco beschreibt dies so: « Le cœur de l’éducation plurilingue et interculturelle réside dans les transversalités à établir » (2010: 9, im Original durch Fettdruck hervorgehoben). Die zu etablierenden Verbindungen beziehen sich auf alle den Lernenden zur Verfügung stehenden Sprachen und kulturellen Erfahrungen, welche „gemeinsam eine kommunikative Kompetenz [bilden], […] und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren“ (Europarat 2001: 17). Degache (2006a: 11ff.) bemerkt, dass der Erwerb mehrsprachiger Kompetenz in kommunikativen IC-Situationen innerhalb einer Sprachfamilie Besonderheiten unterliegt, da sich die zu etablierenden Querverbindungen aufgrund der potentiellen Transparenz der Sprachen vergleichsweise leicht herstellen lassen. Außerdem geht es auch darum, Verbindungen zwischen bereits gesammelten Erfahrungen und neuen kommunikativen Situationen herstellen zu können. Der Begriff mehrsprachige kommunikative Kompetenz beschreibt ein dynamisches Konstrukt, was Beacco wie folgt fasst: “Being plurilingual means, […] having a certain degree of competence (oral, written, etc) in several linguistic varieties, with varying functions, the whole being subject to changes over time“ (2007: 65). Da die Anforderungen der Lernaufgabe bzw. der kommunikativen Situation die Mobilisierung verschiedener Ressourcen verlangt, ist deren Komposition stets in Abhängigkeit des Lerngegenstandes bzw. der Kommunikationssituation zu fassen. Daraus ergibt sich, dass mehrsprachige kommunikative Kompetenz « dynamique, évolutive et malléable » (Castellotti & Moore 2011: 245) ist. Die Bewältigung kommunikativer Situationen gibt also Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 16 Gelegenheit, das Repertoire auszubauen. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz umfasst daher auch die Fähigkeit, das mehrsprachige Repertoire eigenständig zu erweitern (vgl. Beacco 2010: 8), was unter dem Begriff Sprachlernkompetenz gefasst wird (vgl. Kapitel 2.3). Entscheidend ist, dass die Konzeptualisierung der (Mehr-)Sprachenerfahrungen eine Verknüpfung des sprachlichen und kulturellen Vorwissens sowie bereits vorhandenen Lernerfahrungen vorsieht. Sämtliche Sprach- (lern)erfahrungen bilden ein gemeinsames, mehrsprachiges Repertoire. Diese Vorstellung findet sich auch im GeR wieder, der betont, dass sich die Spracherfahrung eines Menschen in seinen kulturellen Kontexten erweitert, von der Sprache im Elternhaus über die Sprache der ganzen Gesellschaft bis zu den Sprachen anderer Völker (die er entweder in der Schule oder auf der Universität lernt oder durch direkte Erfahrung erwirbt). (Europarat 2001: 17) Das dieser Arbeit zugrunde gelegte Begriffsverständnis von mehrsprachiger kommuniativer Kompetenz schließt daher auch eine auf Sprachlernkompetenz bezogene Dimension mit ein (vgl. Kapitel 2.3), die sich in mehrsprachigkeitsbasierten Lernarrangements auf folgende Formel bringen lässt: «[d’]apprendre à apprendre dans et par la pluralité » (Castellotti & Moore 2011: 250). Auch der REPA fasst die savoir-apprendre Dimension des Kompetenzbegriffs als transversal (Candelier et al. 2013: 15), da diese nicht nur in die Bereiche savoir, savoir-faire und savoir-être, sondern ihrerseits auch in einzelne Teilressourcen integriert ist, was eine gegenseitige Verstärkung zur Folge hat. Zur weiteren Modellierung von mehrsprachiger Kompetenz ist ein Blick in den REPA lohnenswert, der im Folgenden zur Dimensionalisierung der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz herangezogen wird. 2.2.3 Dimensionalisierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz im REPA Auf der Basis einer umfangreichen Dokumentenanalyse im Hinblick auf plurale Ansätze stellt der REPA Deskriptorenlisten zur Verfügung, mit denen sich mehrsprachige kommunikative Kompetenz modellieren und dimensionalisieren lässt (vgl. Candelier et al. 2013; Candelier, Daryai-Hansen & Schröder-Sura 2012: 244). Für den Aufbau einer mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz ist die Entfaltung zweier übergeordneter Kompetenzbereiche essentiell (Candelier et al. 2013: 20-24). Es handelt sich um die Kompetenz zur Kommunikation im Kontext sprachlicher und kultureller Alterität (C 1 15 ) sowie 15 C steht für compétence. Der REPA formuliert für diese Kompetenzbereiche Deskriptoren, die in Anlehnung an die die englischen Begrifflichkeiten abgekürzt sind (K für knowledge, A für attitudes, S für skills). Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz 17 die Kompetenz zum Aufbau und zur Ausweitung eines mehrsprachigen und interkulturellen Repertoires (C 2) (s. Abb. 1). Diesen beiden Kompetenzbereichen sind weitere Kompetenzen untergeordnet, die für deren Entwicklung förderlich sind. Das Kompetenzmodell umfasst insgesamt 13 Kompetenzbereiche, die sog. globalen Kompetenzen: Abbildung 1: Globale Kompetenzbereiche REPA (2013: 20) Das Modell visualisiert keine Querverbindungen zwischen einzelnen Kompetenzbereichen, die auf den ersten Blick klar voneinander abgrenzbar scheinen. Zudem könnten die Anordnung sowie die Nummerierung nahelegen, dass es Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 18 wichtige und weniger wichtige Kompetenzbereiche gibt. Allerdings weist der REPA ausdrücklich darauf hin, dass bewusst auf eine Strukturierung mittels Pfeilen zur Darstellung von Querverbindungen verzichtet wurde, « car cela laisserait entendre - à tort - que nous maitrisons le jeu complexe des liens qui les unissent » (Candelier et al. 2013: 20). Der Verzicht auf strukturierende Elemente erlaubt es vielmehr, angesichts der Anforderungen kommunikativer Situationen oder Lernaufgaben unterschiedliche Beziehungen zwischen den zu erreichenden, globalen Kompetenzen zu etablieren. Der REPA stellt Ressourcen für diese globalen Kompetenzen zusammen, deren Deskriptoren gemäß GeR den Bereichen deklaratives Wissen (savoir), Einstellungen bzw. Haltungen (savoir-être) und prozedurales Wissen (savoirfaire) zugeordnet sind. Der Bereich für savoir-apprendre ist in diese drei Bereiche eingearbeitet, denn entsprechende Deskriptoren finden sich zum einen jeweils am Ende der Deskriptorenliste in den Kategorien langue et acquisition / apprentissage (savoir), attitudes face à l’apprentissage (savoir-être) und savoirapprendre (savoir-faire) wieder (Candelier et al. 2013: 60). Zum anderen sind savoir-apprendre Elemente auch immer in einzelne Teilressourcen der Bereiche savoir, savoir-faire und savoir-être integriert. So umfasst bspw. die Ressource K 3.4.1 Savoir qu’on peut essayer de s’appuyer sur les ressemblances linguistiques {°liens généalogiques / emprunts / universaux°} pour faciliter la communication aus dem Bereich savoir auch eine sprachlernbezogene Dimension, die zum Tragen kommt, indem Wissen um interlinguale Ähnlichkeiten in Kommunikationssituationen mobibilisert und diese als Lernmöglichkeit begriffen wird. Die Deskriptoren folgen den can do-Aussagen des GeR, da sie in Form von Verbalphrasen oder Nomen bzw. Nominalgruppen (z.B. beobachten / analysieren können, Aufgeschlossenheit, Wille zu interagieren) verfasst sind. Ressourcen sind nur beschreibbbar im Hinblick auf ein Objekt, denn erst durch den Bezugspunkt wird die zu mobilisierende Ressource konkret, z.B. Interesse / Neugier gegenüber sprachlicher und kultureller Diversität (Candelier et al. 2013: 58; vgl. auch Meißner 2013a: 15). Der Entfaltung eines bestimmten Kompetenzbereiches geht die Mobilisierung von Ressourcen voraus, die sich sowohl horizontal aus den Kategorien savoir, savoir-être und savoir-faire, als auch vertikal aus unterschiedlichen Teilressourcen zusammensetzen können, wodurch die Mehrdimensionalität von Kompetenzen ausgedrückt wird. Die Mehrdimensionalität ergibt sich aber auch dadurch, dass sich Wissenskomponenten aus einem Bereich gleichermaßen in allen anderen Bereichen wiederfinden (vgl. Meißner 2013a: 10), was zu einer gegenseitigen Verstärkung führt und die wechselseitige Beziehung der Dimensionen und Ressourcen unterstreicht. 16 16 So finden sich prozedurale und attitudinale Wissenskomponenten auch in der Kategorie savoir wieder, denn in interkulturellen Kommunikationssituationen ist Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz 19 Der REPA stellt anhand eines Kompetenzbereiches (C 1.4 Compétence d’adaptation) exemplarisch dar, welche Ressourcen zum Aufbau dieser Kompetenz beitragen können (Candelier et al. 2013: 84-91). Mehrsprachige kommunikative Kompetenz kann allerdings nie ganz eindeutig operationalisiert werden, da deren Realisierung zum einen in Abhängigkeit zur kommunikativen Situation bzw. der Lernaufgabe steht (vgl. Kapitel 2.2.2). Zum anderen ist deren Komposition an die dem Sprachhandelnden zur Verfügung stehenden Ressourcen gebunden sowie an dessen Fähigkeit, diese überhaupt mobilisieren zu können (vgl. Candelier et al. 2013: 85). Die Operationalisierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz bzw. einzelner Kompetenzbereiche kann daher immer nur approximativ erfolgen. Im Folgenden erfolgt dies für den Bereich C 4, Compétence à donner du sens à des éléments linguistiques et/ ou culturels non familiers erfolgen (vgl. Abb. 1). Dieser erscheint vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses, dem Erleben von IC in Interaktion (vgl. Kapitel 1), von besonderer Bedeutung. Die Dekodierung von bisher nicht gelernten romanischen Sprachen ist für die StudienteilnehmerInnen eine notwendige Voraussetzung für deren Interaktionen auf der Plattform. Insofern ist v. a. die Mobilisierung von Ressourcen von Bedeutung, die der IC zugeordnet werden können. Für den Bereich savoir können insofern v. a. folgende Deskriptoren 17 betroffen sein: K 6 Savoir qu’il existe entre °les langues / les variétés linguistiques° des ressemblances et des différences K 13 Savoir qu’il existe entre les (sous-)cultures des ressemblances et des différences Es sind zwei Perspektiven zu unterscheiden: Das Wissen um sprachliche wie kulturelle Unterschiede kann zum einen durch die Interaktion auf der Plattform erworben werden, wenn TeilnehmerInnen neben der von ihnen studierten romanischen Brückensprache nicht über Kenntnisse in weiteren romanischen Sprachen verfügen und bis dato keinen nennenswerten Kontakt zu weiteren romanischen Sprachen hatten. Lernende, die neben ihrer Brückensprache Kenntnisse in einer zusätzlichen romanischen Sprache haben oder aber zwei romanische Sprachen studieren und damit über zwei romanische Brückensprachen verfügen, dürften Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede noch deutlicher wahrnehmen, da ihr sprachliches (und kulturelles) Vorwissen im Vergleich zur erstgenannten Gruppe größer ist. In jedem Fall dürfte das mehrsprachige Setting dazu geeignet sein, den Blick auch auf Sprachen und Kulturen zu richten, die bisher nicht Lerngegenstand waren, so dass für alle TeilnehmerIn- bspw. neben dem sprachlich-kulturellen Vorwissen (savoir) das Wissen um Begrüßungsformeln und deren Anwendung (savoir-faire) sowie das Wissen, warum sich Gefühle von Andersartigkeit einstellen können (savoir-être) relevant. 17 Zu den Darstellungskonventionen s. Candelier et al. 2013: 18. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 20 nen eine dahingehende Sensibilisierung zu erwarten ist. Angesichts der Sprachenvielfalt und des interaktionsbasierten Lernarrangements seien im Folgenden vier Ressourcen des Bereichs K 6 herausgegriffen: K 6.7 Savoir que les mots peuvent se construire de façon différente selon les langues K 6.7.2 Savoir que l’ordre des éléments qui composent un mot peut être différent d’une langue à l’autre K 6.10 Savoir qu’il existe entre les systèmes de communication °verbale / non verbale° des ressemblances et des différences K 6.10.3 Savoir que les règles d’adresse [relatives à la façon dont on s’adresse à d’autres] peuvent différer d’une langue à l’autre {qui ose parler à qui ? qui commence à parler ? } qui peut-on tutoyer ou voussoyer ? ...} Das in diesen Ressourcen dargestellte Wissen ist zu mobilisieren, um bspw. in einem Chat mit rumänischsprachigen TeilnehmerInnen auf der Plattform aktiv werden zu können. Die Ressourcen K 6.7 bzw. K 6.7.2 können für die Dekodierung des Rumänischen von Bedeutung sein, das auf der morphosyntaktischen Ebene im Vergleich zu den romanischen Schwestersprachen Abweichungen aufweist. So geht bspw. der bestimmte Artikel nicht dem Nomen voraus, sondern wird ihm angehängt. Die Fähigkeit, zur Bedeutungserschließung auf Segmentierungen zurückzugreifen, findet sich im Deskriptor S 1.4 bzw. S 1.4.1 wieder: Savoir °observer / analyser des structures syntaxiques et/ ou morphologiques bzw. Savoir décomposer un mot composé en mots, so dass die Vernetzung von savoir und savoir-faire hier deutlich wird. Innerhalb der Dimension savoir-faire ist insbesondere der Bereich S 5 hervorzuheben, der auf die Nutzbarmachung des sprachlichen Vorwissens der Lernenden und damit auf IC-Strategien rekurriert (Candelier et al. 2013: 54f.; vgl. auch Kapitel 3.1.2). Die Ressourcen K 6.10 bzw. K 6.10.3 kommen insbesondere in Chatkonversationen zum Tragen, in denen Skripts in Form von Begrüßungsbzw. Verabschiedungsformeln angewandt werden, welche sich sprachenübergreifend allerdings unterschiedlich manifestieren können. Davon betroffen sind auch Anredeformeln, deren Wahl von der Partnerhypothese abhängt. Eng mit diesem Wissen verbunden ist wiederum die savoir-faire Dimension, welche sich in den Deskriptoren S 6.3 Savoir communiquer en prenant en compte les différences °socio-linguistiques / socioculturelles, insbesondere aber S 6.3.1 Savoir utiliser à bon escient les formules de politesse sowie S 6.3.2 Savoir utiliser à bon escient les marques d’adresses wiederfindet. So ist in Kommunikationssituationen nicht allein das Wissen um bestimmte Anrede- oder Begrüßungsformeln wichtig, sondern v. a. deren adäquate Anwendung. Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz 21 Vor dem Hintergrund des interaktionsbasierten Lernarrangements scheint neben der Wahrnehmung von kulturellen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschieden (K 13) v. a. der Bereich K 10 Cultures et relations interculturelles von Bedeutung. Es steht außer Frage, dass die wahrgenommenen kulturellen Ähnlichkeiten und Unterschiede einen Einfluss auf die interkulturelle Kommunikation bzw. das Gelingen der Interaktion haben können, so dass Ressourcen im Bereich der interkulturellen Kommunikation zu mobilisieren sind. Im Folgenden ist Deskriptor K 10.4 dargestellt: K 10.4 Savoir que les relations et la communication interculturelles sont influencées par les °connaissances / représentations° que l’on a des autres cultures et que les autres ont de notre propre culture K 10.4.1 Savoir que les connaissances qu’on a des cultures comportent souvent des aspects stéréotypés […] K 10.4.2 Connaître quelques stéréotypes d’origine culturelle qui peuvent influer sur les relations et la communication interculturelles K 10.4.3 Savoir qu’il y a des préjugés culturels Durch das Inkontakttreten mit Anderssprachigen im Chat wird eine interkulturelle Kommunikationssituation hergestellt, die nicht nur aufgrund der gegebenen Mehrsprachigkeit Besonderheiten unterliegt. Diese ergeben sich v. a. auch aufgrund kultureller Aspekte, die die Kommunikation nachhaltig beeinflussen können. So kann Wissen um stereotypisierte Vorstellungen, Übergeneralisierungen, und Vorurteile dazu beitragen, sensibel gegenüber kulturellen und sprachlichen Missverständnissen zu sein bzw. zu werden. Entsprechende Einsichten können sich durch das Beobachten des eigenen interkulturellen Handelns, aber auch durch die Analyse fremdkulturellen Handelns in der Interaktionssituation ergeben. Auf der Plattform wird die interkulturelle Kommunikation aber nicht nur durch die Interaktion der TeilnehmerInnen herbeigeführt und dadurch in Anwendung erfahrbar gemacht, sondern auch durch die Inhalte der Forumsdiskussionen. Eine Vielzahl der im Forum eingebrachten Themen beinhalten interkulturelle Fragestellungen (vgl. Kapitel 4.3), die auf eine intensive Diskussion auf der Metaebene abheben, da hier unterschiedliche, kulturell geprägte Sichtweisen und Haltungen zum Ausdruck gebracht werden. Die Tatsache, dass interkulturelle Themen aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert und analysiert werden, dürfte zu einer kulturellen Bewusstheit und Steigerung der Sensibilität im Hinblick auf interkulturelle Fragestellungen beitragen. Insofern scheint auch der Bereich S 4 Savoir °parler de / expliquer à d’autres° certains aspets de °sa langue / de sa culture / d’autres langues / d’autres cultures° von Bedeutung. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 22 Neben den zu mobilisierenden Ressourcen aus den Bereichen savoir und savoir-faire ist bereits die savoir-être Dimension angeklungen, welcher in einem Kontext von sprachlicher und kultureller Alterität, wie sie auf der Plattform gegeben ist, eine besondere Bedeutung zukommt. Die Tatsache, dass die StudienteilnehmerInnen mit romanophonenen Studierenden gemeinsam an einem Projekt arbeiten und sich in der mehrsprachigen Kommunikation ‚unbekannte‘ Sprachen erschließen müssen, unterstreicht nicht nur die Wichtigkeit sozialer Aspekte, sondern auch die der persönlichkeitsbezogenen Dimension des mehrsprachigen Fremdsprachenerwerbs. Die folgende Abbildung zeigt drei Ressourcen aus dem Bereich A 2 - A 4: A 2.4 Être sensible <à la fois> aux différences et aux similitudes entre des °langues / cultures° différentes A 3.2 Curiosité envers la découverte du fonctionnement °des langues / des cultures° […] A 3.2.1 Être curieux (et désireux) de comprendre les similitudes et différences entre sa °langue / culture° et la °langue / culture° cible A 4 Acceptation positive °°de la diversité °linguistique / culturelle° / de l’autre / du différent°° A 4.1 Maitrise de ses °résistances / réticences° envers ce qui est différent °linguistiquement / culturellement° Um ‚unbekannte‘ Sprachen lesend verstehen zu können ist eine Sensibilität in Bezug auf sprachliche Gemeinsamkeiten essentiell, wie sie in der Ressource A 2.4 beschrieben wird. Die Identifikation von intra- und interlingualen Transferbasen ist für IC-basierten Fremdsprachenerwerb eine notwendige Bedingung, denn erst durch deren Identifizierung lassen sich zielsprachliche Texte auf der Basis des Vorwissens erschließen (vgl. Kapitel 3.1.2). Der Transferaktivität voraus geht die grundsätzliche Haltung der Lernenden, sich einerseits auf die sprachliche Vielfalt einlassen (A 3.2), und sich andererseits ‚unbekannte‘ Sprachen verstehbar machen zu wollen (A 3.2.1), so dass diese Ressource auch eine volitionale Dimension umfasst. Es ist auch denkbar, dass der Versuch, den mehrsprachigen Input zu erschließen lernerseits mit Frustrationserfahrungen verbunden ist. Dann gilt es, mit den Widerständen umzugehen, die das sprachlich und kulturell Unbekannte auslösen können, es aber dennoch wertzuschätzen (A 4.1, vgl. A 5.3.3.1 Être ouvert (et maîtriser ses propres résistances éventuelles) envers ce qui semble incompréhensible et différent). Vor dem Hintergrund des interaktionsbasierten Settings sei des Weiteren noch auf folgende Teilressourcen aus dem Bereich savoir-être hingewiesen, die die Bereitschaft und den Willen des Sprachhandelnden beschreiben, in mehrsprachigen kommunikativen Situationen aktiv zu werden. Grundsätzlich erscheint insofern die Disposition, sich an mehrsprachiger Kommunikation be- Sprachlernkompetenz 23 teiligen zu wollen und sich den Rahmenbedingungen der kommunikativen Situation anpassen zu können (A 7.2 Disponibilité à s’engager dans la communication (verbale / non verbale) plurielle en suivant les conventions et rites appropriés au contexte). Auch die Bereitschaft, den Herausforderungen mehrsprachiger Interaktion begegnen zu wollen, ist essentiell (A 7.3 Être prêt à affronter des difficultés liées aux situations et interactions °plurilingues / pluriculturelles°). Insofern ist Bereich 6 innerhalb der Skills hervorzuheben, der eigens Ressourcen zu savoir interagir umfasst, z.B. S 6.2 Savoir demander de l’aide pour communiquer dans des groupes bi/ plurilingues. Die Darstellung der Komposition von Ressourcen für den Kompetenzbereich C 4, Compétence à donner du sens à des éléments linguistiques et/ ou culturels non familiers erfolgte zwar mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand, ist aber weder exhaustiv, noch generalisierbar. Denn die Mobilisierung von Ressourcen stellt sich nicht nur höchst individuell dar, sondern variiert auch in Bezug auf die Beschaffenheit der kommunikativen Situation, insbesondere, was die verhandelten Themen angeht. Die Skizzierung der Ressourcen zum Aufbau mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz sollte allein dazu dienen, Möglichkeiten der Komposition von Ressourcen angesichts einer mehrsprachigen Kommunikationssituation nachvollziehen zu können. Die Fähigkeit zur Mobilisierung von Ressourcen berührt das Konzept der Sprachlernkompetenz (SLK), die im folgenden Kapitel thematisiert wird. 2.3 Sprachlernkompetenz Sprachlernkompetenz Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive gilt das lebenslange Lernen als eines der übergeordneten Lernziele: „Language teaching should above all seek to make learners autonomous, i.e. teach them to learn languages by themselves by developing a reflective approach to how they learn“ (Beacco 2007: 67). Lernende sollen in die Lage versetzt werden, auch über den (schulischen) Fremdsprachenunterricht hinaus Lernbzw. kommunikative Erfahrungen zu Spracherwerbszwecken nutzen zu können. Eine reflexive Haltung gegenüber dem Spracherwerb zielt auf Lernerautonomie ab, die es Lernenden ermöglicht, Spracherwerbsprozesse eigenständig zu initiieren und bewusst zu gestalten. Der Zusammenhang zwischen Mehrsprachigkeit, Mehrsprachenerfahrungen und autonomem Lernen wurde empirisch nachgewiesen, allerdings wurde gleichzeitig deutlich, dass nicht jeder mehrsprachige Lernende auch autonom ist (vgl. Martinez 2008). 18 Autonom lernen nur diejenigen, „die aus dem mehrsprachigen Repertoire eine Kompetenz machen“ (Martinez & Schröder-Sura 18 Vgl. auch die Artikel des Sammelbandes von Doyé & Meißner (2010) zum Zusammenhang von IC und Lernerautonomie. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 24 2011: 69), d.h. LernerInnen, denen es gelingt, entsprechende deklarative, prozedurale und persönlichkeitsbezogene Ressourcen zu mobilisieren. Die Mobilisierungskompetenz lässt sich auch unter SLK fassen, die die Fähigkeit bezeichnet, angesichts kommunikativer Situationen auf das mehrsprachige Repertoire zurückzugreifen und es eigenständig zu erweitern. SLK gilt daher als integraler Bestandteil mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (vgl. Kapitel 2.2). Im Folgenden werden die einzelnen Bestandteile von SLK herausgearbeitet. Besonderes Augenmerk liegt auf dem Beitrag von IC-basierten Lernverfahren zur Entwicklung bzw. Entfaltung von SLK. Die Tatsache, dass SLK auch Einzug in die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) gefunden hat, unterstreicht deren curriculare Relevanz für das Fremdsprachenlernen. Eine Form von SLK findet sich bereits in den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004a), welche dadurch erreicht werden soll, dass „Bezüge zwischen den von den Schülerinnen und Schülern erlernten Sprachen hergestellt und sie durch entsprechende Methoden und Einsichten ihre Fähigkeit zu lebenslangem, selbstständigen Sprachenlernen weiter entwickeln“ (KMK 2004a: 7f.) Wie die sprachenübergreifenden Bezüge und Einsichten in den Spracherwerbsprozess herzustellen sind, bleibt allerdings offen, so dass SLK allein auf dieser Grundlage nicht operationalisierbar ist (vgl. u.a. Meißner & Tesch 2010b: 17f.; Martinez & Meißner 2014). Die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife legen im Vergleich dazu einen erweiterten Lernbegriff zugrunde (vgl. Meißner & Tesch 2008: 47), der SLK als eigenen Kompetenzbereich ausweist (vgl. KMK 2012: 11). Hier umfasst SLK die Fähigkeit und Bereitschaft der Lernenden, den eigenen Spracherwerb zu analysieren und bewusst zu gestalten, um daraus Erkenntnisse für die Planung und Durchführung weiterer Spracherwerbsprozesse zu ziehen, „wobei die Schülerinnen und Schüler auf ihr mehrsprachiges Wissen und auf individuelle Sprachlernerfahrungen zurückgreifen“ (KMK 2012: 25). Es wird zudem unterschieden zwischen einem grundlegenden und einem erhöhten Niveau 19 (KMK 2012: 25f.). Das grundlegende Niveau umfasst die Fähigkeit • den Sprachlernprozess zu reflektieren und zu optimieren (S 1 20 ), • die eigenen rezeptiven und produktiven Kompetenzen zu prüfen und z.B. durch geeignete Strategien zu erweitern (S 2), • eine Selbsteinschätzung der sprachlichen Kompetenzen vorzunehmen und diese als Grundlage für die Planung weiterer Lernprozesse zu nutzen (S 3), 19 Das erhöhte Niveau beschreibt die Standards 2 und 4 in einer differenzierteren Variante, ohne jedoch inhaltlich vom grundlegenden Niveau abzuweichen. 20 ‚S‘ steht für Standard. Sprachlernkompetenz 25 • Begegnungen mit / in der Fremdsprache für das Sprachenlernen nutzbar machen zu können (z.B. im Gespräch mit Angehörigen der Zielsprache, durch TV, Internet, Radio, …) (S 4), • durch Erproben sprachlicher Mittel die eigene Kompetenz zu festigen und dafür auch auf Kompetenzen zurück-zugreifen, die in anderen Sprachen erworben wurden (S 5). S 1 beschreibt Sprachenlernen als einen selbstreflexiven Aneignungsprozess, der sich durch entsprechende Einblicke kontrollieren und damit optimieren lässt. S 2 betrifft die Fähigkeit, die eigenen funktional-kommunikativen sowie interkulturellen Kompetenzen zu analysieren und zu bewerten, um auf dieser Grundlage den weiteren Lernprozess planen zu können (S 3). Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand sind insbesondere S 4 und S 5 hervorzuheben: S 4 beschreibt die Fähigkeit, auch außerhalb institutionalisierter Lernkontexte Gelegenheiten zum Fremdsprachenerwerb wahrzunehmen. So bieten bspw. Kommunikationssituationen in der Zielsprache die Chance, Aufmerksamkeit auf den Spracherwerbsprozess zu richten und so das mehrsprachige Repertoire selbständig zu erweitern, da grundsätzlich „jede Begegnung mit der Zielsprache auch im Sinne einer Spracherwerbssituation erfahren werden kann und […] die bewusste Auseinandersetzung mit der in authentischen Situationen erlebten Fremdsprache zur Weiterentwicklung der jeweiligen Lernersprache führt“ (Martinez & Meißner 2014). Die Auseinandersetzung mit der eigenen Lernersprache findet sich auch in S 5 wieder, der die Erprobung sprachlicher Mittel mit dem Ziel der Festigung und unter Fruchtbarmachung bereits bestehenden Vorwissens beschreibt. So kann die Aktivierung des mehrsprachigen Vorwissens zur Bedeutungserschließung bei der Rezeption zielsprachlicher Texte hilfreich sein, was allerdings impliziert, dass der zwischensprachliche Transfer als Strategie wahrgenommen und bewusst eingesetzt wird (Martinez & Meißner 2014, vgl. auch Kapitel 3.1.2 zum Transferbegriff). Martinez & Meißner (2014) stellen insofern heraus, dass metakognitive Fähigkeiten grundlegend für die Reflexion des Sprachlernverhaltens und den bewussten Umgang mit Sprachlernprozessen sind, was auf einem Zusammenspiel von kognitiven, metakognitiven und affektiv-attitudinalen Faktoren gründet: Lernende greifen auf bereits erworbenes metakognitives Wissen zurück, wie etwa das Wissen über die (eigenen) kognitiven und affektiven Faktoren, die das eigene Fremdsprachlernen beeinflussen (Personenwissen), [...] das Wissen darüber, was eine Aufgabe verlangt und welche Anstrengungen sie erfordert (Aufgabenwissen) sowie strategienbezogenes Wissen […]. Insgesamt wird anhand der Bildungsstandards für SLK ersichtlich, dass deren Verständnis „auf einer Lernkonzeption beruht, die Fremdsprachenlernen als einen aktiven und reflexiven Konstruktionsprozess des lernenden Subjekts modelliert“ (ebd.). Allerdings wird in den Standards der KMK von 2012 die Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 26 persönlichkeitsbezogene Dimension von SLK nicht besonders deutlich herausgestellt, die als komplexe Kompetenz natürlich auch affektiv-attitudinale Aspekte umfasst (vgl. Weinert 2001: 27). Ein Blick auf die von Castellotti & Moore vorgebrachte Begriffsbestimmung von ‚mehrsprachiger Aneignungskompetenz‘ kommt daher einem holistischen Verständnis von SLK wesentlich näher: savoir mettre en relation des ressources dans plusieurs langues/ variétés pour résoudre des problèmes dans des langues/ variétés peu familières ; se positionner comme interlocuteur bienveillant/ attentif dans les échanges exolingues […] ; associer, confronter, articuler des expériences diverses de la pluralité pour les transformer en compétence ; être conscient des facteurs de diversité et des enjeux qui lui sont liés pour gérer des situations de contact (interlinguistique et interculturel); mettre en œuvre une attitude réflexive vis-à-vis ses propres savoirs et expériences […] (2011: 250f.) Die Mobilisierung von Ressourcen in den Bereichen savoir und savoir-faire dient in mehrsprachigen kommunikativen Situationen einerseits dazu, Verständnis- oder Ausdrucksschwierigkeiten zu meistern und diese andererseits als Lernmöglichkeit zu verstehen, so dass mehrsprachige Aneignungskompetenz hier als Handlungsbzw. Problemlösefähigkeit konzeptualisiert wird (vgl. Kompetenzbegriff Kapitel 2.2.1). Zum anderen umfasst die Aneignungskompetenz auch eine savoir-être Dimension, die nach der obigen Definition u.a. lernerseitige Haltungen und Einstellungen in exolingualen Gesprächssituationen 21 betriwfft. Der REPA drückt die affektiv-attitudinale Dimension von SLK aus, indem er der persönlichkeitsbezogenen Ressourcenliste einen eigenen Bereich zuweist, der sich auf Attitudes face à l’apprentissage (A 17-19) bezieht. So ist bspw. eine grundsätzliche Motivation zum Sprachenlernen (A 18) oder eine positive Haltung gegenüber dem Sprachenlernen (A 18.1) ein essentieller Bestandteil von SLK. SLK beinhaltet also neben deklarativem und prozeduralem Wissen auch eine persönlichkeitsbezogene Komponente und ist damit transversal zu fassen, wie sich auch aus dem Modell von Martinez & Schröder (2012: 73) ergibt: 21 Exolinguale Kommunikationssituationen sind von einer Asymmetrie gekennzeichnet, die sich aus unterschiedlichen Kompetenzniveaus der SprecherInnen ergibt, während die GesprächspartnerInnen in endolingualen Kommunikationssituationen über (annähernd) ähnliche ausgebildete Kompetenzniveaus in den verwendeten Sprachen verfügen (vgl. Masperi & Quintin 2007: 116, vgl. auch Kapitel 3.2). Sprachlernkompetenz 27 savoir savoir-faire savoir-être Abbildung 2: Sprachlernkompetenz als transversale Kompetenz Schließlich erklärt die mit der Selbstreflexion einhergehende Bewusstheit die Nähe von SLK zu Konzepten wie Sprachenbewusstheit bzw. Sprachenlernbewusstheit, die einen elementaren Bestandteil von SLK ausmachen und eine notwendige Bedingung für deren Entwicklung sind. SLK ist allerdings deutlich komplexer, da sie - wie erwähnt -neben kognitiven und metakognitiven auch affektiv-attitudinale Aspekte miteinbezieht und daher weiter als das Konzept der Sprachen(lern-)bewusstheit greift. SLK ist maßgeblich an der Förderung individueller Mehrsprachigkeit beteiligt, wie Martinez & Meißner (2014) festhalten: Auf der Grundlage einer kontinuierlichen Reflexion umfasst SLK neben der Entfaltung entsprechender (Lern-)Strategien auch Einsichten in attitudinale sowie motivationale Faktoren des Fremdsprachenlernens, so dass SLK dank dieser Einblicke entscheidend zur Ausbildung der individuellen Mehrsprachigkeit sowie des lebenslangen Lernens beiträgt. Untersuchungen zeigen, dass IC aufgrund des Anknüpfens an Vorwissen sowie der Fruchtbarmachung vorheriger Lernerfahrungen ein Weg zur Förderung mehrsprachiger (Lern-)bewusstheit sein kann (vgl. Meißner 2008b: 40), woraus sich ebenfalls ein Potential zur Förderung von SLK ergibt: „Interkomprehensionsverfahren sind, da sie den Lerngegenstand Sprache(n) und das Lernen zusammenschalten, wirkungsvolle Strategien zur Entfaltung von Sprachlernkompetenz“ (Meißner 2010d: 40). IC ist in starkem Maße dem selbstreflexiven und damit dem bewusstheitsfördernden Lernen verpflichtet, da metakognitive Prozesse in Gang gesetzt werden, durch die sich Lernprozesse überwachen und evaluieren lassen (vgl. Kapitel 3.1.1). Denn IC versteht sich als eine Methode, die die „Sensibilisierung für den eigenen Sprachenlernprozess durch mehrsprachig-vergleichendes und reflektorisches Lernen“ ermöglicht (Meißner 2008a: 85), so dass das ‚Lernen des Lernens‘ elementarer Bestandteil von IC-Erwerbsprozessen ist. Im Rahmen von IC entfaltet sich SLK zum einen dadurch, dass Aufmerksamkeit auf bestimmte sprachliche Phänomene gelenkt wird, so dass Sprachvergleiche initiiert werden können. Zum anderen wird aber auch der Lernprozess als solches fokussiert. IC-basierter Spracherwerb hebt daher auf SLK Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 28 ein zweifaches Ziel ab, Mehrsprachenerwerb und Förderung von Bewusstheit in Bezug auf Sprachlernprozesse (vgl. auch Kapitel 3.1.1). In unterrichtlichen Lehr-/ Lernarrangements kann die Aufmerksamkeitslenkung durch die Lehrperson gesteuert werden. In ungesteuerten Erwerbsszenarien wie G ALANET obliegt es allerdings den Lenenden, ihre Aufmerksamkeit entsprechend zu lenken. IC dient hier primär der Kommunikation, so dass der Mehrsprachenerwerb implizit in bzw. durch Sprachverwendung stattfindet (vgl. Kapitel 3.2). Allerdings ist es ebenso denkbar, dass Lernende die Kommunikationssituation explizit als Lernsituation begreifen, indem sie sich bspw. eingehend mit dem sprachlichen Input auseinandersetzen oder die mehrsprachige Kommunikationssituation z.B. im Hinblick auf pragmatische Aspekte reflektieren (vgl. S 4, KMK 2012: 25). So sieht Jessner (2004: 17) in der „Fähigkeit, ihre/ seine Aufmerksamkeit auf ihre/ seine Sprache(n) zu lenken und als Konsequenz Sprache(n) manipulieren zu können“ einen der wichtigsten Unterschiede zwischen ein- und mehrsprachigen Menschen. Aufmerksamkeit bzw. Bewusstheit ist also eine notwendige Bedingung für die Entwicklung individueller Mehrsprachigkeit durch IC-basierte Kommunikation und die Entfaltung von SLK. Diese umfasst neben der Fähigkeit zur Aufmerksamkeitslenkung daher auch die Bewusstheit, Kommunikationssituationen als Sprachlernsituationen wahrzunehmen. Mit Blick auf die mehrsprachige Interaktionssituation ist denkbar, dass TeilnehmerInnen dazu angeregt werden, ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die funktional-kommunikativen Kompetenzen in Brückensowie Zielsprache, sondern ebenso auf interkulturelle Aspekte der Interaktionssituation richten. SLK ist daher spezifisch zu fassen, da je nach involvierten Kompetenzen bzw. Ressourcen andere Strategien zum Einsatz kommen (Martinez & Meißner 2014), deren Anwendung zu überwachen und ggf. anzupassen ist. Das Monitoring 22 des brückensprachlichen Outputs bedeutet bspw., die eigene Lernersprache (Selinker 1972) mit den Äußerungen anderer TeilnehmerInnen abzugleichen und ggf. zu modifizieren, was eine entsprechende Haltung in Bezug auf Fehler voraussetzt. 23 Ferner ist denkbar, dass KommunikationsteilnehmerInnen auch in ihrer Zielsprache produktiv werden, so dass sich bewusstheitsfördernde Effekte in Bezug auf ihre zielsprachliche Lernersprache einstellen können (vgl. Kapitel 3.2.4). Auch der Prozess der transferbasierten Bedeu- 22 Wenden (1998: 525) definiert Monitoring unter Bezug auf Flavell (1981) als „ keeping track of how the learning process is going and taking appropriate measures to deal with difficulties that interfere with the process“. 23 Vgl. hierzu die Ressourcen A 17.3 Être disposé à apprendre de ses erreus; K 7.1.2 Savoir qu’il est normal de faire des erreurs lorsqu’on ne maitrise pas encore la langue aus dem REPA. Sprachlernkompetenz 29 tungserschließung der Zielsprache/ n kann analysiert werden, um so den Strategieeinsatz bewusst zu machen und damit kontrollieren zu können. 24 Meißner fasst die Vorteile von IC im Hinblick auf die Ausbildung von SLK in diesem Zusammenhang wie folgt zusammen: „[I]ntercomprehension-analysis is a powerful strategy for identifying the individual’s plurilingual and learning processing patterns“ (Meißner 2014a). Die Aufmerksamkeitssteuerung auf sprachliche Phänomene einerseits und den Lernprozess andererseits steht in enger Verbindung zum Einsatz von Lernstrategien (vgl. Meißner 2008b, Meißner 2010d: 32). Mehrsprachig Lernende verfügen nicht nur über ein umfassendes sprachliches Repertoire, sondern auch über ein umfassendes Strategieninventar, das sie beim Erlernen weiterer Fremdsprachen fruchtbar machen können (vgl. Meißner 2010d). Den Rückgriff auf lernrelevantes Vorwissen und adäquate Strategien sieht auch Mißler (2000: 8, siehe Abb. 3) als spracherwerbsfördernd, die neben diesen beiden Faktoren auch affektiv-attitudinale Aspekte berücksichtigt (vgl. auch Meißner 1995: 174). Das Modell ist auch für die Entwicklung von SLK durch IC aufschlussreich: Neben den bereits gelernten Sprachen und der erreichten Kompetenzniveaus (1: experience of language learning), die in Form des Vorwissens eine entscheidende Größe für gelingende IC-Prozesse darstellen (vgl. Meißner 2002b: 130), vereint Abschnitt 2 (further relevant variables) Faktoren, die zum Großteil persönlichkeitsbezogenen Bereichen zuzuordnen sind. Bär (2009: 519) konnte die motivierende Wirkung von IC-Unterricht sowie die positive Haltung gegenüber Fremdsprachen und Auswirkungen auf die Selbstwirksamkeit der SchülerInnen nachweisen (vgl. auch Kapitel 3.1.4). Nach Mercer (2012: 11) bezieht sich Selbstwirksamkeit auf „[a] person’s expectation of their ability to perform a particular task in a specific context“. Wenden (1998: 518) fasst dies unter Personenwissen: „[W]hat learners believe about their effectiveness as learners in general, i.e. self-efficacy beliefs about their ability to mobilize and manage the resources necessary to learn and to sustain the effort“. Selbstwirksamkeit ist Teil des Selbstkonzepts, das im Kontext des Erlernens von Fremdsprachen Vorstellungen umfasst, die eine Person von sich als Sprachenhandelnde/ r hat: „[A] learner’s self-concept refers to their general sense of competence and related evaluative beliefs about themselves as a language learner“ (Mercer 2012: 12). Mercer (2012: 10f.) legt dar, dass das Selbstkonzept eng mit Konstrukten wie Motivation, Haltungen und Strategien zusammenhängt und daher nicht nur kognitive, sondern auch affektive und volitionale Dimensionen umfasst. 24 Vgl. die Ressourcen A 19.2.1 S’interroger sur les stratégies de compréhension °adaptées / spécifiques° face à une langue / un code inconnu(e); K 7.2 Savoir que l’on peut s’appuyer sur les ressemblances (structurelles / discursives / pragmatiques / ) entre les langues pour apprendre des langues; S 7.3 Savoir tirer profit, pour l’apprentissage, d’acquis préalables relatifs aux langues et cultures aus dem REPA. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 30 Martinez (2008: 133) macht darauf aufmerksam, dass das Selbstkonzept mit dem sog. Sprachlernverständnis in Verbindung steht, worunter sie „die subjektive Sicht [von LernerInnen] auf sich selbst als Fremdsprachenlerner, auf die Fremdsprache und auf ihren eigenen Fremdsprachenlernprozess“ versteht. Sie weist des Weiteren auf den Zusammenhang zwischen bereits gemachten Sprachlernerfahrungen und der Herausbildung des Sprachlernverständnisses hin, das in enger Abhängigkeit zur Sprachlernbiographie der LernerInnen steht (Martinez 2008: 295). 1) experience of foreign language learning • number of previously learned foreign languages • duration of foreign language learning • proficiency attained in previously learned foreign languages • length of stays abroad • frequency of use of previously learned languages outside the classroom • frequency of use of media in a foreing language (2) further relevant variables • self-concept • motivation • risk-taking • value of experience • focus on form • search for rules • focus on the target language • negative emotions/ experience • learner autonomy Abbildung 3: Einflussfaktoren auf Tertiärsprachenerwerb nach Mißler (2000: 8) Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit und Sprachlernverständnis haben daher einen direkten Einfluss auf Sprach- und Sprachlernhandlungen bzw. den Umgang mit Sprachlernerfahrungen. So spricht vieles dafür, dass LernerInnen mit positiven Selbstwirksamkeitserfahrungen sich auch solchen kommunikativen Situationen bzw. Lernaufgaben stellen, in denen im Sinne eines risk-taking die Gefahr besteht, Fehler zu machen (vgl. Wenden 1998: 521; Oxford 1999: 63). LernerInnen mit negativen Selbstwirksamkeitserfahrungen wenden hingegen eher Strategien an, um potentielle Situationen des Misserfolgs zu umgehen: „[L]earners may choose coping oriented goals, i.e. they try to minimize the dis- (3) learning strategies • memory strategies • cognitive strategies • compensation strategies • metacognitive strategies • affective strategies • social strategies ( Sprachlernkompetenz 31 comfort resulting from their lack of skills, or choose to avoid the task completely“ (Wenden 1998: 522). Motivationsstrategien oder Strategien zum Umgang mit Frustrationserfahrungen, die Dörnyei neben „language learning strategies“ und „goal setting strategies“ (2001: 90) als Strategien der Selbstregulierung fasst, deuten ebenfalls auf die enge Verbindung von Strategien zum savoir-être hin. Selbstregulierungsstrategien werden auch als affektive Strategien bezeichnet und von Mißler (2000: 8) in Bereich 3 neben fünf weiteren Lernstrategien aufgeführt. 25 In Anlehnung an Oxford (1990) wird auch in der IC-Didaktik die Unterscheidung von kognitiven (direkten) und metakognitiven (indirekten) Strategien getroffen (vgl. Meißner & Morkötter 2008: 209). 26 Unter kognitiven interkomprehensiven Strategien werden mentale Handlungspläne verstanden, die bewusst oder unbewusst angewandt werden, um einen zielsprachlichen Text zu dekodieren (ebd.). Der zwischensprachliche Transfer (vgl. Kapitel 3.1.2), der auf einer gezielten Fruchtbarmachung des deklarativen wie prozeduralen Vorwissens beruht, gilt in der IC-Didaktik als wichtige Lernstrategie (vgl. u.a. Martinez & Schröder-Sura 2011: 68). Die Aufmerksamkeitslenkung bezüglich der Transferhandlung setzt einerseits ein Monitoring voraus, andererseits führt sie zu neuen Monitorprozessen, auf deren Basis sich schließlich Sprachen(lern)bewusstheit bzw. SLK entwickelt, die es den Lernenden ermöglicht, „sich weitere Sprachen auf der Basis vorhandener (linguistischer und didaktischer) Vorkenntnisse anzueignen“ (ebd.). Unter metakognitiven Strategien sind solche zu fassen, die das Überwachen der Lernhandlung und deren Evaluation betreffen und durch die Lernende ihren Sprachlernprozess selbstregulierend gestalten (vgl. Wenden 1998: 519). Kognitive und metakognitive Strategien sind daher eng miteinander verbunden, wie sich aus folgendem Zitat ergibt: As intercomprehension is based on intelligent guessing, i.e. comparing linguistic patterns belonging to a target language and/ or the source language(s) which provide bases of transfer, consciousness-raising is highly concerned. It affects linguistic and individual language learning knowledge. In other words, intercomprehensive strategies link cognitive to metacognitive knowledge. (Meißner 2014: 11) Die durch intelligent guessing und Hypothesenbildung gewonnenen Einblicke in das Funktionieren von Sprachen und der reflexive Umgang mit Sprachen 25 De Florio-Hansen (1997) macht darauf aufmerksam, dass die Klassifikation von Strategien nicht immer eindeutig und daher umstritten ist, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Grobgliederung in kognitive, metakognitive und sozial-affektive Strategien grundsätzlich Konsens findet. 26 Vgl. Bär (2009) und Morkötter (2014) zu empirischen Belegen im Hinblick auf die Unterscheidbarkeit metakognitiver und kognitiver Strategien innerhalb der IC-Didaktik. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 32 ermöglichen den Erwerb metakognitiver Strategien, die es Lernenden langfristig erlauben, die „deklarative und vor allem prozedurale Verfügbarkeit strategischen und (meta)kognitiven Wissens und die Fähigkeit seines Transfers auf andere, neue Aufgaben- und Lernerkontexte“ zu realisieren (Morkötter 2011: 202f.). Wenden fasst dies als transfer of learning: „In learning transfer, metacognitive knowledge facilitates the appropriate choice of previously learned strategies to achieve learning goals and/ or to deal with problems encountered during the learning“ (1998: 526; vgl. auch Kapitel 3.1.2). Der erfolgreiche Einsatz von Strategien hängt wiederum eng mit den Selbstwirksamkeitserfahrungen der LernerInnen zusammen, wie sie weiter ausführt: Additionally, the realization that a particular strategy can be effective will strengthen their belief about the effectiveness of strategies, i.e. general strategy knowledge, which, in turn, will strengthen their self-efficacy beliefs. The learner will be more convinced that they can exercise control over their learning, thus reciprocally reinforcing their general strategy knowledge. (1998: 527) Mit Blick auf die interaktionsbasierte IC auf der Plattform sind des Weiteren Diskurssowie Kommunikationsstrategien herauszustellen. Diskursstrategien sind sprachliche Routinen, um ein Gespräch zu beginnen, es aufrecht zu erhalten und schließlich höflich zu beenden (vgl. Rampillon 1997: 177f.). Kommunikationsstrategien kommen zum Einsatz, wenn kommunikative Lücken entstehen, um einen Kommunikationsabbruch zu vermeiden (ebd.). Neben Umschreibungen sind Übertragungen in andere Sprachen und v. a. Code-switching-Ereignisse zu nennen, die in plurilingualen Gesprächssituationen ein gängiges Phänomen darstellen (vgl. Araújo e Sá & Melo 2007a: 10). Das mehrsprachige Repertoire der KommunikationspartnerInnen macht je nach Art der kommunikativen Situation die Auswahl der „Strategien zur Bewältigung von Aufgaben, wenn nötig eben auch unter Einsatz sprachlicher Mischformen oder des Wechsels zwischen Sprachen“ (Europarat 2001: 133) möglich. Der Rückgriff auf weitere Sprachen erfolgt i.d.R. strategiegeleitet zum Zwecke der Bedeutungsaushandlung: « Les plurilingues recourent au changement de langue [...] de manière stratégique pour négocier du sens, porter des messages de contenu » (Coste, Moore & Zarate 1997: 25). Als weitere Kommunikationsstrategie gilt die Themenvermeidung, bei der bestimmte Sachverhalte ausgespart werden, weil sie aus Sicht des Lernenden sprachlich nicht zu realisieren sind oder es sich um interkulturelle Themen von Brisanz handelt, die die soziale Beziehung der GesprächspartnerInnen negativ beeinflussen könnten (vgl. Rampillon 1997: 177f.). Vor diesem Hintergrund scheinen des Weiteren Kompensationsstrategien, z.B. in Form der Ambiguitätstoleranz erwähnenswert. Nach Long (1983: 137) betrifft Ambiguitätstoleranz die Fähigkeit eines native speakers, uneindeutige Äußerungen eines nonnative speakers zu tolerieren. Dies ist aber auch in umgekehrter Weise denkbar, wenn Lernende in exolingualen Kommunikationssituationen die Äußerungen Zwischenfazit 33 ihrer GesprächspartnerInnen nicht disambiguieren können oder aber die interkulturelle Kommunikationssituation den GesprächspartnerInnen eine Ambiguitätstoleranz abverlangt, so dass dieses Konzept in Anlehnung an Oxford weiter zu fassen ist: „Tolerance of ambiguity is the acceptance of confusing situations. Second language learning has a great deal of ambiguity about meanings […].“ (1999: 62). Die Anwendung von Strategien und das lernerseitige Reflektieren über das Funktionieren von mehrsprachiger Kommunikation in pragmatischer, aber auch interkultureller Hinsicht dienen daher der Bewusstheitsförderung und damit dem Aufbau bzw. der Entwicklung von SLK. 2.4 Zwischenfazit Zwischenfazit Zu Beginn des Kapitels wurden zunächst die sprachen- und bildungspolitischen Grundlagen skizziert, vor deren Hintergrund die Förderung individueller Mehrsprachigkeit stattfindet. Daran anknüpfend erfolgte die theoretische Verortung des Untersuchungsgegenstandes innerhalb der IC-Didaktik, dem Kern der Mehrsprachigkeitsdidaktik, mit der sich individuelle Mehrsprachigkeit und damit der Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz fördern lässt. Die Merkmale mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Mehrsprachige kommunikative Kompetenz umfasst sämtliche Sprach- und Kulturerfahrungen eines Menschen; • Mehrsprachige kommunikative Kompetenz ist innerhalb einer interaktionsorientierten Perspektive des Fremdsprachenlernens verortbar; • Das mehrsprachige Repertoire entfaltet sich zum einen in Abhängigkeit der den Sprachhandelnden zur Verfügung stehenden Ressourcen, zum anderen in Abhängigkeit der Rahmenbedingungen der kommunikativen Situation (z.B. beteiligte SprecherInnen, verhandelte Themen, verwandte Sprachen); • Bei mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz handelt es sich i.d.R. um partiell ausgeprägte Kompetenzen in mehreren, d.h. mindestens zwei Fremdsprachen; • Mehrsprachige kommunikative Kompetenz umfasst den strategiegeleiteten Umgang mit diesem Ungleichgewicht; • Bei mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz handelt es sich um ein integratives Konstrukt, das die Verschränkung einzelner Kompetenzen und Kompetenzbereiche betont; • Es handelt sich ferner um ein dynamisches Konstrukt, das auch die Fähigkeit der LernerInnen umfasst, das mehrsprachige Repertoire selbständig zu erweitern. Mehrsprachige kommunikative Kompetenz 34 Außerdem wurde in diesem Kapitel exemplarisch gezeigt, wie sich anhand des REPA der Aufbau mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz modellieren und dimensionalisieren lässt. Die grundlegende Fähigkeit zur Mobilisierung von Ressourcen für die Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz wurde als deren zentrales Element herausgestellt. Diese sog. Mobilisierungskompetenz steht in enger Verbindung zur Sprachlernkompetenz, die die Mobilisierung des mehrsprachigen Repertoires sowie reflexives Sprachenlernen umfasst. Die mehrsprachige Kommunikationssituation auf der Plattform dürfte die StudienteilnehmerInnen geradezu einladen, Ressourcen zu mobilisieren, um sich bisher nicht erlernte Sprachen verstehbar zu machen und mit den übrigen TeilnehmerInnen interagieren zu können. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Frage, ob der IC-basierte Fremdsprachenerwerb auf der Plattform für die StudienteilnehmerInnen eine Gelegenheit darstellt, ihren Spracherwerb bewusst zu gestalten und zu reflektieren. Die IC-Methode befindet sich als bewusstheitsförderndes Verfahren an der Schnittstelle zur Entfaltung von SLK und individueller Mehrsprachigkeit, da sie die Aufmerksamkeit einerseits auf sprachliche Strukturen als Vergleichsgegenstand lenkt, andererseits den Blick aber auch auf Sprachlernprozesse richtet. In einem ungesteuerten Erwerbszenario wie G ALANET stellt sich allerdings die Frage, wie die lernerseitige Aufmerksamkeitssteuerung erfolgt, was eng mit der Ausbildung bzw. Anwendung von Strategien zusammenhängt. Mehrsprachige LernerInnen verfügen nicht nur über ein breites sprachliches Repertoire, sondern auch über ein umfassendes Strategieninventar, die angesichts der exolingualen Kommunikationssituation auf der Plattform fruchtbar gemacht werden können. Mit Blick auf das Erkenntnisinteresse und die Merkmale der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz leiten sich weitere Fragen ab: Sind die StudienteilnehmerInnen in der Lage, ihr mehrsprachiges Repertoire zum Zwecke der Interaktion zu mobilisieren und kommunikationsorientiert einzusetzen? Gelingt es ihnen, auf der Grundlage der IC-basierten Kommunikationssituation ihre mehrsprachige kommunikative Kompetenz zu erweitern? Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, ob die deutschsprachigen LernerInnen die ICbasierte Chatkommunikation und Interaktion im Forum der Plattform G ALA- NET überhaupt als eine Möglichkeit zur Entfaltung von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz wahrnehmen. Das folgende Kapitel 3 gibt zunächst einen Einblick in die Dimensionen interkomprehensiven Lernens, um daran anknüpfend den Beitrag von IC zur Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz herausarbeiten zu können. 3. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension Nachdem im vorausgegangen Kapitel das Konstrukt der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz umrissen wurde, erfolgt dies nun für den zweiten Teilbereich, die Interkomprehension (IC), mit der sich der Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz fördern lässt. Degache & Melo (2008: 7) fassen IC als « un concept aux multiples facettes ». Während im deutschsprachigen Raum eine Definition verbreitet ist, die auf ein rezeptives Verständnis in bisher ungelernten Sprachen abzielt - IC bedeutet hier, wie in Kapitel 1 erwähnt, - „das Verstehen einer fremden Sprache, ohne diese zuvor formal erlernt zu haben“ (Meißner 2004a: 97), hebt IC auf der Plattform G ALANET stark auf kommunikative Aspekte ab. IC wird hier als eine mehrsprachige Form der Kommunikation verstanden, in der SprecherInnen sich ihrer jeweiligen L 1 bedienen und gleichzeitig die Äußerungen der GesprächspartnerInnen verstehen (vgl. Carrasco, Degache & Pishva 2008: 63). Die verschiedenen Facetten von IC bilden sich in Forschungszweigen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung ab (vgl. Meißner et al. 2011): • Deskriptiv-linguistische Forschung, d.h. Identifikation und Beschreibung der Sprachinventare, um diese für die IC nutzbar zu machen. (u.a. Uzcanga Vivar 2011); • Psycholinguistische Forschung, d.h. mentale Verarbeitung ‚unbekannter‘ romanischer Sprachen (u.a. Jamet 2009) • Unterrichtsbezogene Forschung zur Durchführung und Implementierung interkomprehensionsbasierten Unterrichts (u.a. Bär 2009) bzw. LernerInnenforschung zum Zusammenhang von Lernerautonomie und IC (Martinez 2008) sowie IC und Sprachlernkompetenz (Morkötter 2016); • Forschungen zum didaktischen Potential webbasierter Lern- und Lehrarrangements (u.a. Kostomaroff 2011). Die erwähnten Formen von IC unterscheiden sich v. a. in Bezug auf deren Funktion (IC als Lerngegenstand vs. IC als Kommunikationsmittel), sie sind allerdings gleichermaßen für die Verortung des Forschungsprojekts von Bedeutung. So wird zunächst die sprachlernbasierte Form von IC thematisiert, die auf Grundlage von Untersuchungen mit deutschsprachigen LernerInnen entwickelt wurde und anhand derer die Prozesse beim Erschließen bisher ungelernter Sprachen und die zugrunde gelegte Aufgabentypik erläutert werden (Kapitel 3.1). Die Dimensionen interkomprehensiven Lernens auf G ALANET unterscheiden sich im Vergleich zur sprachlernbasierten IC nicht nur im Hinblick auf die kommunikationsorientierte Form von IC, sondern auch durch die Zugrundelegung einer komplexen Aufgabe in Form einer Projektarbeit, die auf Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 36 einen simultanen Mehrsprachenerwerb abhebt. Zudem ist hervorzuheben, dass die Brückensprache mit Blick auf das interaktionsbasierte Setting nicht nur als Basis für das interlinguale Verstehen, sondern zugleich als Kommunikationsmittel dient, so dass sowohl eine rezeptive als auch produktive Form von Mehrsprachigkeit gegeben ist. Diese Dimensionen werden in Kapitel 3.2 herausgearbeitet. 3.1 Sprachlernbasierte Interkomprehension Sprachlernbasierte Interkomprehension Die sprachlernbasierte IC-Didaktik wurde auf Grundlage von Untersuchungen mit Deutschsprachigen entwickelt, die basierend auf Kenntnissen in einer (oder mehreren) romanischen Sprache(n) zielsprachliche Texte in einer ungelernten romanischen Fremdsprache erschlossen. Konkret geschieht das Erschließen durch die Aktivierung von sog. ‚Transferbasen‘, die im mehrsprachigen mentalen Lexikon gespeichert sind und abgerufen werden (vgl. auch Kapitel 3.1.2). Sprachen sind im mentalen Lexikon nicht getrennt voneinander repräsentiert, sondern eng miteinander verknüpft und bilden ein umfassendes mehrsprachiges Lexikon (vgl. Meißner 1999b: 69; Raupach 1997: 30; Scherfer 1997: 195). Je höher die Ähnlichkeit der Sprachen, desto höher deren Interkomprehensibilität. Allerdings ist nicht jeder Text gleichermaßen erschließbar, denn entscheidend ist die typologische Nähe bzw. Distanz zwischen Ausgangs- und Zielsprache. Wenn ein Text aus ca. 30% nicht erschließbaren, sog. opaken, Formen besteht, sind selbst typologisch ähnliche Sprachen interkomprehensiv nicht verstehbar (vgl. Meißner 2007: 87). Ferner ist Interkomprehensibilität auch nicht durch die Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie garantiert (vgl. auch Zeevaert & Möller 2011). Selbst innerhalb der Romania sind sind der Interkomprehensibilität Grenzen gesetzt, was z.B. das Rumänische betrifft: „Wer die Sprache einer europäischen Sprachfamilie kennt, erreicht damit noch nicht per se interkomprehensiv ‚alle‘ anderen […] Sprachen der Familie“ (Meißner 2005: 136). Auch die fundierte Kenntnis der Brückensprache ist ausschlaggebend für IC: „Alle auf Interkomprehension beruhenden Prozesse laufen umso erfolgreicher ab, desto stärker ein Individuum auf eine für die Zielsprache operabel funktionierende Brücken- oder Transfersprache, aber auch auf entsprechende Strategien zurückgreifen kann“ (Meißner 2002b: 130). Daraus folgt, dass allein das (deklarative wie prozedurale) Vorwissen der Lernenden die Bezugsgröße für gelingende IC darstellt. Die sprachfamilienübergreifende Form von IC, wie sie mit EuroCom (Klein & Stegmann 2000) zu finden ist bzw. EuroComRom 27 27 Der Untertitel spricht für sich: « EuroComRom - Les sept tamis. Lire les langues romanes dès le départ ». Die sieben Siebe umfassen 1. Internationaler Wortschatz, 2. Panromanischer Wortschatz, 3. Lautentsprechungen, 4. Graphien und Aussprachen, 5. Panromanische syntaktische Strukturen, 6. Morphosyntaktische Elemente, Sprachlernbasierte Interkomprehension 37 (Meißner et al. 2004) will deutschsprachigen Lernenden panromanische IC ermöglichen, indem transferierbares sprachliches Material linguistisch beschrieben wird. Anhand von sieben Analyseschritten sollen romanische Zielsprachen dekodierbar gemacht werden. 28 Beim interkomprehensiven Lesen erfolgt zunächst die Identifikation der sprachlichen Formen in der Zielsprache (dem sog. Transferauslöser) auf lexikalischer, morphologischer oder syntaktischer Ebene (vgl. Meißner 2002a: 30). Es handelt sich um Einheiten, die dank Kenntnissen in einer Sprache (sog. Ausgangs- oder Brückensprache, im Folgenden BS) auf andere Sprachen (sog. Zielsprachen, im Folgenden ZS) übertragbar sind. Die sich so aufgrund von Kontrast- oder Korrespondenzrelationen ergebenden Transferbasen werden schließlich in eine Spontan- oder Hypothesengrammatik überführt, die Hypothesen zur ZS enthält, die in der weiteren Auseinandersetzung mit der ZS oder durch Hinzuziehung externer Ressourcen verifiziert oder falsifiziert werden (zur Hypothesengrammatik s. Kapitel 3.1.3). Meißner (2008a: 76f.) fasst die Prozesse beim Erschließen fremder Sprachen wie folgt zusammen: 1. Erkennen von Transferbasen auf Grundlage des Vorwissens. 2. Entwurf der Hypothesengrammatik basierend auf deklarativem und prozeduralem Wissen. 3. Aufbau mehrsprachiger Kompetenz durch das „Zwischen den Sprachen Lernen“. 4. … pro- und retroaktive Transfertätigkeiten. 5. Verifizierung Aus- und Aufbau des mehrsprachigen mentalen Lexikons durch … 6. / Falsifizierung der Hypothesengrammatik, ggf. durch Hilfsmittel. 7. Didaktisches Monitoring durch Kontrolle und Überwachung des interkomprehensiven Spracherwerbsprozesses. Durch das Vergleichen sprachlicher Strukturen in unterschiedlichen Sprachen sowie semantischen, funktionalen und kommunikativen Vergleichen wird i.d.R. eine bemerkenswerte Verarbeitungstiefe und -breite erreicht, die auf 7. Prä- und Suffixe. Mit EuroComGerm (Hufeisen & Marx 2007) und EuroComSlav (Zybatow & Zybatow 2002) liegen entsprechende Werke für die germanische bzw. slawische Sprachfamilie vor. 28 Meißner (2004b: 102) bezeichnet Die Sieben Siebe „als das grundlegende linguodidaktische Referenzwerk für die Anlage des romanischen Interkomprehensionsunterrichts“ im deutschsprachigen Raum. Allerdings ist anzumerken, dass Die sieben Siebe zunächst ausschließlich sprachliche Phänomene in den Mittelpunkt stellten, um die Dekodierung zielsprachlicher Texte zu erleichtern, und die dabei eingesetzten Strategien und Vorgehensweisen bzw. Transferprozesse zunächst außer Acht ließen. Das Standardwerk wurde schließlich von Meißner (2004c) um eine « Introduction à la didactique de l’eurocompréhension » ergänzt, wodurch der didaktische Mehrwert von IC stärker in den Fokus rückte. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 38 dem Entwurf und der Kontrolle individueller Sprachypothesen der Lernenden beruht. Die Ausbildung eines Leseverständnisses auf der Basis von Vorkenntnissen hat zur Folge, dass interkomprehensiv Lernende nach vergleichsweise wenig Input über eine hohe Lesekompetenz in der ZS verfügen. Diese entspricht in etwa dem Kompetenzniveau, das sie in ihrer BS besitzen (vgl. Meißner 2008a: 84f.). Die motivationalen Auswirkungen des interkomprehensiven Ansatzes sind daher erheblich: Da die ZS als in weiten Teilen erschließbar erlebt wird, erfährt die Selbstwirksamkeit der LernerInnen eine deutliche Stärkung (vgl. Bär 2009: 519). Zugleich führt der Rückgriff auf relevantes Vorwissen zu einer Aufwertung der BS (vgl. Meißner 2008a: 85), die nun zusätzlich als Schlüssel zum Verstehen anderer Sprachen begriffen werden und eine neue Nützlichkeit für den Erwerb weiterer Sprachen entfaltet. Aber auch die ZS wird neu konzeptualisiert. Darüber hinaus findet eine Revision der lernerseitigen Vorstellungen zu Sprachen, Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen statt: „Die Erfahrung mit mehrsprachiger IC-basierter Lesekompetenz optimiert die Haltung gegenüber fremden Sprachen“ (Meißner 2010f: 136). 3.1.1 Multi-language learning awareness Entscheidend für IC ist die Tatsache, „dass Lernen immer an bereits vorhandene Wissensbestände anknüpft“ (Reinfried 1998: 23), indem neue Informationen in bereits bestehende mentale Strukturen integriert werden. 29 Grundlage dafür ist ein inferentieller Lernbegriff (Meißner 2002a: 23), der auf sprachenvernetzendes Lernen abzielt, was H. Christ (2002: 18) wie folgt zusammenfasst: Man lernt nicht eine Sprache für sich allein, sondern man lernt sie (auch) vorbereitend für das Lernen anderer Sprachen. […] Man lernt nicht mehr nur in der einen Richtung Ausgangssprache - Zielsprache, sondern auch in der umgekehrten und vor allem lernt man zwischen den Sprachen, d.h. sowohl weiteres Sprachenlernen vorbereitend wie bereits Gelerntes nutzend. Inferieren wird als „Lernstrategie, die das Vorwissen der Lernenden systematisch nutzt“ gefasst (Meißner 1996: 293). Grundlegend ist insofern das Prinzip der Bewusstmachung bzw. des kognitiven Lernens (vgl. Meißner 2002a: 23). 30 Durch das ‚Zwischen-Sprachen-Lernen‘ werden Vergleichsprozesse initiiert, die inhärentes, nicht bewusstes Wissen einer Bewusstwerdung zuführen, das so für den Lernprozess fruchtbar gemacht werden kann. Die Bewusstmachung be- 29 Zur Rolle des Vorwissens s. auch Bär (2009: 36ff.), der Vorwissen unter das Prinzip der Kognitivierung subsumiert. Doyé (2006: 16f.) bezeichnet das Anknüpfen an zuvor Gelerntes als Passung. Zum Begriff der pädagogischen und psycholinguistischen Passung s. Meißner (2010e: 47ff.). 30 Für Doyé (2006) zählt Bewusstmachung neben Autonomie und Motivation zu den allgemein-pädagogischen Aspekten der IC-Didaktik. Sprachlernbasierte Interkomprehension 39 trifft keineswegs nur sprachliche Strukturen, sondern vielmehr sämtliche Wissens- und Könnensbereiche, d.h. savoir, savoir-faire, savoir-être, savoir-comprendre, savoir-apprendre (vgl. Bär 2009: 33) und umfasst damit sowohl die kognitive als auch die affektiv-attitudinale Dimension des Fremdsprachenerwerbs (vgl Meißner 1999a: 16). Daher ist die interkomprehensive Methode lernerzentriert und legt einen konstruktivistischen Lernbegriff zugrunde (vgl. Meißner 2005a: 137). 31 In Auseinandersetzung mit der neu zu erwerbenden Fremdsprache wird das „Vorwissen (re)organisier[t], um es dem Sprachen- und Sprachlernwachstum zugänglich zu machen“ (Meißner 2007: 84f.) Dieses Vorwissen speist sich aus unterschiedlichen Wissensbereichen (Doyé 2006: 19; vgl. auch Doyé 2004): • General knowledge (enzyklopädisches Wissen oder Weltwissen; hierzu ist auch das Wissen über Lernen zu zählen) • Cultural knowledge (Wissen um die enge Verbindung von Sprache und Kultur) • Situational knowledge (Wissen, dass schriftliche oder mündliche Kommunikation sowohl von der Produktionsals auch Rezeptionssituation beeinflusst wird) • Behavioural knowledge (Wissen, dass Kommunikation bestimmten Routinen unterliegt) • Pragmatic knowledge (Wissen, dass/ wie Kommunikation und Kontext einander beeinflussen) • Graphic knowledge (Sprache als Schriftsystem, unterschiedliche graphematische Realisierung ähnlicher Laute) • Phonological knowledge (sprachenübergreifende phonologische Korrespondenz-/ Divergenzregeln) • Grammatical knowledge (Wissen um grammatikalische Strukturen, Grammatik als System) • Lexical knowledge (Wissen um sog. Internationalismen, Morphosyntax und Etymologie) Schon beim Erwerb der L 1 spielen die o. g. Wissenskategorien eine Rolle, erlangen aber beim Erwerb einer L 2 -L x ein besonderes Gewicht, wenn es gelingt, das Vorwissen mit dem neuen Lerngegenstand zu verknüpfen. Bär (2009: 87ff.) fügt den oben angesprochenen Prinzipien (Zwischen-Sprachen-Lernen, Bewusstmachung) noch das der Authentizität hinzu: Interkomprehensiver Fremdsprachenerwerb erfolgt i.d.R. mit nicht-lehrintentionalen Texten, deren 31 Wolff (2004: 93) verweist darauf, „dass sich das Wissen des Einzelnen auf subjektive Weise organisiert und strukturiert. Dafür sind aber nicht die Konstruktionsprozesse verantwortlich, die bei allen Menschen gleich sind, sondern die unterschiedlichen Wissensbestände, auf welchen die Konstruktionsprozesse basieren. Verschiedene Menschen, die den gleichen Informationen ausgesetzt sind, gelangen zu unterschiedlichen Wissensstrukturen, da sie unterschiedliches Vorwissen haben.“ Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 40 Einsatz sich positiv auf die Motivation der Lernenden auswirkt. Damit geht eine „Maximierung des Inputs“ und des Intakes einher (Meißner 2008a: 85), denn sprachliche Strukturen werden nicht didaktisch aufbereitet präsentiert, sondern begegnen dem Lernenden so, wie sie auch innerhalb der Zielkultur rezipiert bzw. produziert werden. Das Inferieren und die Fruchtbarmachung des Vorwissens bahnen eine sprachenübergreifende Sensibilisierung an, der eine wichtige Funktion innerhalb der IC-Didaktik zukommt: Durch bewusstheitsfördernde Lehr-/ Lernverfahren (die mit der IC einhergehen) werden den Lernenden die oben aufgeführten Wissensbestände deutlich und deren synergetisches Potential damit für den Spracherwerb nutzbar. Sprach-(lern)bewusstheit gilt daher als bedeutsames Element der IC-Didaktik (vgl. auch Morkötter 2005: 68), weshalb IC-basierte Lehr-/ Lernarrangements auch als „multi-language and learning awareness raising strategy“ konzeptualisiert werden (Meißner 2012). Während bewusstheitsfördernde Ansätze im einzelzielsprachlichen Fremdsprachenunterricht i.d.R. ausgangs- und zielsprachliche Strukturen in den Blick nehmen, werden im IC-Lernparadigma sämtliche den Lernenden zur Verfügung stehenden Sprachen herangezogen. Müller-Lancé (2002: 142) führt dazu Folgendes aus: „Es ist ohnehin nicht möglich, die Muttersprache im mentalen Lexikon völlig von der Fremdsprache zu trennen […]. Allerdings sollte man sich zusätzlich bemühen, neu erworbenes Sprachwissen mit dem Wissen aus anderen Fremdsprachen zu verknüpfen.“ Eng mit der Mehrsprachenbewusstheit verknüpft sieht Meißner (1995: 180f.) die Mehrkulturalitätsbewusstheit, die ebenfalls den zweiseitigen Vergleich zwischen Ausgangs- und Zielkultur im herkömmlichen Fremdsprachenunterricht zugunsten einer umfassenden „multilateralen Kulturbewußtheit“ ablöst (ebd.). 32 Es ist daher wichtig zu betonen, dass die IC-Didaktik nicht ausschließlich lexikalische Ähnlichkeiten zwischen Ausgangs- und Zielsprache(n) fokussiert, um das Lernziel ‚plurilinguale language awareness‘ zu erreichen - die Entwicklung einer mehrsprachigen Lernbewusstheit (multi language learning awareness) bzw. der Erwerb von Sprachenlernkompetenz ist ebenso ausgewiesenes Lernziel (vgl. Christ, H. 2002: 21). Des Weiteren nennt Christ u.a. „Sprachlernprozesse durchschauen, inhaltsbezogen lernen, 33 individuelle Sprachlerntechniken lernen, Sprachen anwenden lernen, adressatenbezogen sprachlich handeln lernen, im Adressaten den Angehörigen einer anderen Kultur entdecken, Sprachen nach spezifischen Bedürfnissen lernen“ (ebd.). Durch Einsichten in Spracherwerbsprozesse, wie sie IC-basiertes Lernen ermöglicht, werden Lernende in die Lage versetzt, die gemachten Sprachlernerfahrungen beim Erwerb einer dritten, vierten, usw. Fremdsprache gewinnbringend einzusetzen. Damit erklärt sich die Relevanz interkomprehensiven Lernens für die Ausbildung von 32 Vgl. auch Meißner (1996: 285) und Meißner (2002a: 27). 33 Bär fasst dies als ‚Prinzip der Authentizität‘ (2009: 87f.). Sprachlernbasierte Interkomprehension 41 Sprachlernkompetenz (vgl. Kapitel 2.3). So bemerkt auch Morkötter (2008: 296): „Während es die ursprüngliche Hauptabsicht der IC-Didaktik war, rezeptive Mehrsprachenkompetenz zu fördern, wird sie heute darüber hinaus als ein Mittel der Entwicklung von Sprachenlernkompetenz betrachtet.“ Zentral ist in diesem Zusammenhang der Transferbegriff, der u.a. die Übertragung bereits gemachter Sprachlernerfahrungen auf neue Lernsituationen umfasst, wie das folgende Kapitel zeigt. 3.1.2 Transferbegriff und Transfertypologie Ein Kriterium für die Kategorisierung von Transferprozessen betrifft die Transferrichtung. Grundlegend ist zu unterscheiden zwischen pro- und retroaktivem Transfer. 34 Beim proaktiven Transfer werden sprachliche Schemata aus den mental verfügbaren Sprachen (L 1 -L n ) auf die ZS (L x ) übertragen. Das Ziel des Transfers kann entweder die Identifikation oder aber die Produktion einer neuen Form betreffen. Die Sprachverarbeitung erfolgt dabei „proaktiv entschlüsselnd im Hinblick auf die ‚neue’ Sprache und auf deren Strukturen“ (Meißner 1999a: 19). Retroaktiver Transfer hingegen bezeichnet einen Verarbeitungsprozess, der sich von der ZS ausgehend auf die bereits verfügbaren Sprachen vollzieht. Beide Transferarten führen zu Modifikationen in der mentalen Repräsentation sowohl der Brückenals auch der Zielsprache/ n. Die durch das Vergleichen erkannten Regularitäten bzw. Irregularitäten werden in die Hypothesengrammatik überführt (zur Hypothesengrammatik vgl. Kapitel 3.1.3). Neben dem pro- und retroaktiven Transfer werden weitere Transfertypen unterschieden (vgl. Meißner 2006: 64): • Intralingualer Transfer: Es handelt sich um einen Transfer, der sich innerhalb eines sprachlichen Systems vollzieht, indem z.B. vom Adjektiv auf das Substantiv geschlossen wird. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um die BS oder ZS handelt. • Interlingualer Transfer: Dieser Transfertyp betrifft mehrere dem/ der Lernenden zur Verfügung stehenden Sprachen und macht sprachliche (Ir- )Regularitäten bewusst. • Didaktischer Transfer: Dies betrifft die Übertragung von Lernstrategien und Ressourcen, die sich aus individuellen Sprachlernerfahrungen speisen und deren Kenntnis den Spracherwerb positiv beeinflussen kann. 34 Die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Transfer, die ein erfolgreiches bzw. nicht erfolgreiches Inferieren bezeichnet, ist in der IC-Didaktik nicht üblich. Zum einen lassen die Begriffe aufgrund der Adjektive positiv vs. negativ keinen wertfreien Gebrauch zu. Zum anderen kann selbst ein negativer Transfer Aufschluss über die dem Transferprozess zugrundeliegenden Überlegungen geben und damit als Analysebasis für den gescheiterten Transfer dienen. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 42 Das Zusammenwirken der verschiedenen Phasen des Transferprozesses lässt sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Meißner 1998a: 46f.): Am Anfang steht das Interesse, das Verstehenwollen, das Lernende dazu bewegt, sich einem Text oder einer mündlichen Äußerung zuzuwenden. In einem zweiten Schritt wird der Spracherwerbsapparat aktiviert und das Suchen von Transferbasen eingeleitet. Die Suchbreite hängt von den involvierten Sprachen und den zur Verfügung stehenden Sprachen und damit von der Beschaffenheit des mehrsprachigen mentalen Lexikons ab. Je mehr vorgelernte Sprachen deklarativ und/ oder prozedural vorhanden sind, desto mehr Transferbasen stehen bereit. Die Suchbreite beeinflusst die Hypothesenbildung nachhaltig und damit auch deren Falsibzw. Verifizierung. Schließlich erfolgt die sog. Plausibilitätsprüfung, indem die gebildete(n) Hypothese(n) überprüft werden. In interkomprehensiven Kommunikationssituationen kann dies durch das soziale Lernumfeld geschehen, d.h. die Mitlernenden bzw. InteraktionspartnerInnen. Handelt es sich nicht um Kommunikationssituationen, greifen anderweitige Disambiguierungsprozesse, z.B. mithilfe eines Wörterbuches. 3.1.3 Der Mehrsprachige didaktische Monitor In Bezug auf die IC-basierte Sprachverarbeitung, die das Ergebnis des Transferprozesses ist, unterscheidet Meißner (vgl. u.a. 2002c) ein Drei-Phasen-Modell: 1. Jeder Transferprozess beginnt mit dem Erkennen intrabzw. interlingualer Korrespondenzen bzw. Divergenzen auf Grundlage von Transferbasen. Darauf basierend werden Hypothesen zu Regularitäten in der BS und ZS gebildet, die die sog. Hypothesen- oder Spontangrammatik darstellen (vgl. Meißner 2002b: 130ff.; 2002c: 122). Da diese Hypothesen im Sinne der zielsprachlichen Norm nicht notwendigerweise korrekt sein müssen, sind Plausibilitätsprüfungen notwendig. So unterliegt die Hypothesengrammatik einer ständigen Umformung, wie das folgende Zitat verdeutlicht: Il s’agit d’une construction spontanée de durée éphémère qui est corrigée, recomposée et complétée avec chaque acte intercompréhensif qui met en marche des activités mentales proet rétroactives entre la languecible et les langues de transfert. (Meißner 2004c: 18) Die Hypothesengrammatik beinhaltet nicht nur Informationen zur ZS, sondern zugleich Informationen über alle dem Lernenden zur Verfügung stehenden Sprachen. Sie verarbeitet bereits bestehendes Wissen, überträgt und verknüpft es mit dem zielsprachlichen, neu erworbenen Wissen. Bei der Transfertätigkeit handelt sich - wie erwähnt - um « une activité transferentielle pluridirectionnelle » (Meißner 2006: 64), die sowohl proals auch retroaktive Verarbeitungsprozesse umfasst. 2. Die durch Transferprozesse gewonnenen Erkenntnisse werden in einem ‚Intersystem‘, dem Mehrsprachenspeicher abgelegt, der interlinguale Korrespondenzen, z.B. lexikalischer, graphophonischer Sprachlernbasierte Interkomprehension 43 und morphosyntaktischer Art beinhaltet. Im Gegensatz zur Hypothesengrammatik sind die im Mehrsprachenspeicher zusammengetragenen Inhalte langfristig verfügbar und bilden das mehrsprachige Repertoire, aus dem LernerInnen ihre lingualen Ressourcen schöpfen. Mit zunehmender Transfererfahrung geht eine Automatisierung des Transferprozesses einher, da Lernende Rückgriff auf die im Mehrsprachenspeicher abgelegten Regularitäten nehmen können, die im Laufe interkomprehensiven Verstehens immer wieder aktiviert werden und sich so verfestigen. 3. In enger Verbindung mit diesen Aktivitäten kommt es schließlich zur Ausbildung des metakognitiven Strategienspeichers, dem sog. Didaktischen Monitor. Er umfasst im Gegensatz zur Hypothesengrammatik und dem Mehrsprachenspeicher keine lingualen Ressourcen, sondern prozedurales Wissen darüber, welche Strategien zu einem gelungenen bzw. nicht gelungenen Transfer führen. Der Didaktische Monitor ist also zuständig für die Sensibilisierung in Bezug auf Sprachlernprozesse, weshalb er maßgeblich an der Herausbildung einer multi-language and learning awareness (vgl. Kapitel 3.1.1) bzw. Sprachlernkompetenz (vgl. Kapitel 2.3) beteiligt ist. Die Bewusstmachung der zugrundeliegenden Lernprozesse trägt zur Lernerautonomie und Initiierung des lebenslangen (Sprachen-)Lernens bei, da das erworbene prozedurale Wissen bei jeder neu zu erlernenden Sprache wieder eingesetzt werden kann. 3.1.4 Empirische Untersuchungen zur Interkomprehensionskompetenz Die deutschsprachige IC-Didaktik hat zahlreiche empirische Untersuchungen zur IC-Kompetenz deutschsprachiger LernerInnen hervorgebracht, die vor dem Hintergrund des Erkenntisinteresses, dem Erleben IC-basierter Interaktion aus der Sicht deutschsprachiger TeilnehmerInnen, von Bedeutung sind. Meißner & Burk (2001) führten eine Studie zur Hörverstehenskompetenz deutschsprachiger Studierender in ihnen ‚unbekannten‘ romanischen Sprachen durch. Die StudienteilnehmerInnen (Studierende aller Fachbereiche) verfügten über Kenntnisse in mindestens einer romanischen Sprache. Ziel der Untersuchung war, ihre Hörverstehensprozesse unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Hypothesenbildung sowie eingesetzter Strategien zu beschreiben. Es handelte sich u.a. um Nachrichtentexte, die die StudienteilnehmerInnen mehrfach mit jeweils unterschiedlicher Aufgabenstellung und Zielsetzung hörten: Globalverstehen und inhaltliches Zusammenfassen nach dem ersten Hören, Ergänzung der Zusammenfassung nach dem zweiten und Feinverstehen nach dem letzten Durchgang. Die Datenerhebung erfolgte durch Fragebögen, lautes Denken und teilnehmende Beobachtung. Die Autoren kommen zu folgenden Ergebnissen: Bei allen StudienteilnehmerInnen ist eine Hörverstehensfähigkeit in der ihnen ‚unbekannten‘ Sprache Spanisch vorhanden. Inhaltlich wird der Text verstanden, da die wichtigsten Argumente (sechs Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 44 von insgesamt acht) korrekt wiedergegeben werden können. Zur Bildung der Hypothesen stellen die Autoren fest, dass die StudienteilnehmerInnen auf Transferbasen aus ihnen bereits bekannten Sprachen zurückgreifen. Dabei ist auffällig, dass die darin enthaltenen Entwürfe weit über den zielsprachlichen Input hinausweisen. Böing (2004) legt einen Erfahrungsbericht zu einem zweiwöchigen IC-Projekt vor, das er in der 8. Klasse eines zweisprachigen Gymnasiums (deutschfranzösisch) durchführte. Ziel war, eine Lesekompetenz in der bis dato den SchülerInnen ‚unbekannten‘ ZS Spanisch zu entwickeln. Die Vermittlung bzw. die Entdeckung von Erschließungsstrategien durch die LernerInnen war ebenfalls ausgewiesenes Ziel. Aus der IC-Methodik kamen u.a. Interlinearübersetzungen, die Erstellung einer Hypothesengrammatik, Lautdenkprotokolle und lexikalische Serien zum Einsatz. Lernbegleitend führten die SchülerInnen ein Lernertagebuch, außerdem reflektierten sie ihre bisherigen Sprachlernerfahrungen in einer Sprachlernbiographie. Das Projekt schloss mit einem Abschlusstest, der die Übertragung eines spanischen Textes in die L 1 oder die BS vorsah. Die Auswertung des Tests ergab, dass das Gros der SchülerInnen im Leseverstehen die Kompetenzstufe B2 des GeR erreichte, was in etwa ihrer Lesekompetenz in ihrer BS (Französisch) entsprach. 35 Auch wenn diese Ergebnisse für sich sprechen und sich die SchülerInnen im Allgemeinen sehr positiv über das Projekt äußerten ist anzumerken, dass sie sich v. a. negativ über das Fehlen der produktiven Kompetenz „Sprechen“ äußerten, und sie sich zudem mehr Hörverstehensaufgaben gewünscht hätten. Bär (2009) untersuchte in insgesamt vier Fallstudien basierende Untersuchung IC-basierten Unterricht in den Jahrgangsstufen 8 bis 10. 36 Als Datenerhebungsinstrumente kamen u.a. Lautdenkprotokolle, Lerntagebücher und Videoaufzeichnungen bzw. Unterrichtsbeobachtungen zum Einsatz. Bär (2009: 505ff.) kommt zu folgenden Ergebnissen, die er in Bezug auf die von ihm aufgestellten Prinzipien der IC-Didaktik, dem Prinzip der Bewusstmachung, der Lernerautonomisierung, der Authentizität und dem Prinzip der Rezeptivität diskutiert. Er stellt in Anlehnung an Doyé (2004, 2006; vgl. auch Kapitel 3.1.1) und die von ihm aufgestellten Wissenskategorien fest, dass ein Rückgriff auf sämtliche Wissenskategorien nachgewiesen werden kann, mit Ausnahme des behavourial knowledge, dem „in einem auf das Leseverstehen fokussierenden IC-Unterricht keine Bedeutung“ zukommt (vgl. Fußnote 550, S. 506). Er kommt weiterhin zu dem Ergebnis, dass „z. T. deutliche Unterschiede zwi- 35 Von 27 SchülerInnen erreichten 17 B2, 6 SchülerInnen B1 und zwei SchülerInnen A1. 36 Bär führte interkomprehensionsbasierten Unterricht mit dem Ziel der Förderung von individueller Mehrsprachigkeit und Sprachlernkompetenz mit den ZS Spanisch und Italienisch durch (zu den Lernzielen s. Bär 2009: 104f.). Sprachlernbasierte Interkomprehension 45 schen den einzelnen Fallstudien beim Rückgriff auf die vorhandenen Brückensprachen sichtbar [werden]“ und unterstreicht insofern die „Notwendigkeit einer starken Brückensprache“ (2009: 507, Hervorhebung im Original). Interessant ist, dass der Fokus aller SchülerInnen zu Beginn des IC-Unterrichts auf der Einzelwortebene lag. Mit fortschreitender Dauer des Projekts war allerdings festzustellen, dass „auch immer häufiger der Einsatz von Kontextanalysen sowie Plausibilitätskontrollen oder auch die Hinzuziehung außertextueller Wissensbestände beim Erschließungsprozess“ stattfanden (2009: 507). Offensichtlich wandten die Lernenden mit zunehmender IC-Erfahrung eine breitere Palette an Strategien an. Weitere Sprachen kommen beim Erschließungsvorgang nur selten zum Einsatz: Die SchülerInnen der Klasse 8 (Fallstudie I) rekurrieren nur in Ausnahmefällen auf das Englische als BS, die Schüler der Fallstudie III (über die Hälfte dieser Klasse ist zweisprachig, d.h. deutsch-französisch) nutzen sowohl das Englische als auch das Spanische als Transfersprachen „nur in einem sehr geringen Umfang“ (2009: 508). Bezüglich des sprachenvergleichenden Vorgehens stellt Bär (2009: 510) fest, dass dieses bei der Schülerschaft auf breite Zustimmung traf. Die SchülerInnen zeigten sich überrascht, was die Bewusstwerdung der zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen BS und ZS anging und den Vorteilen, die sie daraus für ihren Lernprozess ziehen konnten. Die Hypothesengrammatik wird insofern als ein wichtiges Instrument zur Bewusstwerdung von Sprachlernprozessen gesehen (2009: 511f.). Zur Förderung der Sprachlernbewusstheit setzte Bär introspektive Verfahren in Form von Lerntagebüchern ein, anhand deren Einträgen er fallübergreifend attestiert, dass nur wenige SchülerInnen eine Reflexionstiefe aufwiesen, die ihnen Einblicke in ihr Sprachlernverhalten ermöglicht hätte. Er kommt daher zu der Einschätzung, dass der Einsatz von Lerntagebüchern im Unterricht einer gewissen Steuerung bedarf, zumal die SchülerInnen keinerlei Erfahrungen damit hatten (vgl. Fußnote 562, S. 512). Auf die Frage, ob die SchülerInnen durch den IC-Unterricht gelernt hätten, eine Sprache (weiter) zu lernen, antworten 92% bejahend (obwohl die Reichweite der Antwort aufgrund des geschlossenen Fragetyps eingeschränkt sei, wie der Autor bemerkt) (2009: 515). Das Prinzip der Authentizität hat dabei eine motivierende Wirkung: Diese Motivation überträgt sich mehrheitlich auch auf das Erlernen von Sprachen insgesamt. So geben die meisten Schüler fallübergreifend an, dass sich ihr Blick auf Sprachen durch den Interkomprehensionsunterricht positiv verändert habe (Stichwörter savoir-être, Selbstwirksamkeit). Außerdem seien sie nach eigenen Aussage motiviert worden, die interkomprehensiv erlernte ZS auch zukünftig weiterlernen zu wollen; diese Aussage treffen über 85% der befragten Schüler.“ (2009: 519). Fallübergreifend beklagen einzelne SchülerInnen die Abwesenheit der zielsprachlichen Mündlichkeit bzw. des Sprechens im IC-Unterricht (2009: 520), ein Befund, der sich mit dem von Böing (2004) deckt. Bärs Fazit fällt dennoch Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 46 positiv aus: „Innerhalb von wenigen Unterrichtsstunden [konnte] eine Leseverstehenskompetenz in der neuen ZS erreicht werden, die es ihnen erlaubt, Lesetexte in einer unbekannten, aber nahverwandten Sprache sinngemäß zu verstehen“ (2009: 521). Er stellt als Gründe für den Erfolg bzw. Misserfolg besonders die „persönliche Sprachlernbiographie sowie das Alter und die Sprachlernerfahrung der SchülerInnen und das hiermit verbundene Maß der mentalen Verfügbarkeit von Transfersprachen“ heraus (2009: 522). Insgesamt hält Bär fest, dass IC-Unterricht einen Anstoß zur Lernerautonomisierung geben und dass er „sowohl ein Interesse als auch Freude und Motivation für das Erlernen der jeweiligen Zielsprache Spanisch oder Italienisch“ auslösen kann (2009: 523). Morkötter (2016; vgl. auch Morkötter 2011) analysiert IC in den Jahrgangsstufen 5-7 und deren Potential zur Förderung von Sprachlernkompetenz. Ihr Forschungsinteresse gilt der Frage nach dem Vorwissen junger SchülerInnen und den beim Erschließungsvorgang eingesetzten Strategien. Als ZS setzt sie Italienisch und Niederländisch ein. Grundsätzlich stellt Morkötter fest, dass die SchülerInnen zur Aktivierung ihres mehrsprachigen Wissens in der Lage sind. Auffällig ist, dass die SchülerInnen ihr Weltwissen und den Kontext beim Textverstehen miteinbeziehen, also nicht allein auf der Einzelwortebene verbleiben (vgl. Morkötter 2011: 215). Allerdings wird auch deutlich, dass die SchülerInnen Schwierigkeiten beim Verknüpfen verschiedener Strategien, z.B. von topdown und bottom-up-Strategien haben (vgl. Morkötter 2011: 216). Am Beispiel des zielsprachlichen Wortes organizzato zeigt sie, dass der zugrundeliegende Wiedererkennungstransfer sowohl interlingual als auch intralingual syntaktisch erfolgt, wie sie an einem Unterrichtsgespräch belegt (vgl. Morkötter 2011: 218). In einer ersten Schlussfolgerung kommt sie zu dem Ergebnis, dass sich Niederländisch und Italienisch für frühen IC-Unterricht anbieten und dass Wiedererkennungstransferprozesse „alle Ebenen der sprachlichen Struktur“ betreffen können. Außerdem deutet sich an, dass junge LernerInnen fehlendes linguales Wissen mit Weltwissen kompensieren (Morkötter 2011: 220f.). Basierend auf diesen empirischen Ergebnissen wurden nicht nur IC-Prozesse modelliert, sondern auch eine IC-Methodik entwickelt, die spezifische Aufgabentypen umfasst (vgl. z.B. Meißner 2005b). Bei den Aufgabenformaten handelt es sich u.a. um Interlinearübersetzungen, die eine Wort-für-Wort- Übersetzung aus der Zielin die Ausgangssprache darstellen. Sie folgen dem strukturellen Aufbau des zielsprachlichen Textes, zielen aber nicht auf eine stillistisch bzw. grammatikalisch korrekte Übertragung ab. Ein weiterer Aufgabentyp ist das sog. diagnostische Schreiben, d.h. Schreiben in der Zielsprache, um Lücken in der Lernersprache deutlich zu machen (vgl. Meißner 2010g). Ziel ist dabei nicht die Produktion eines Textes, der sich an der zielsprachigen Norm orientiert, sondern vielmehr das Erkennen interlingualer Transferbasen und deren Disambiguierung auf Grundlage des sog. Produktionstransfers (vgl. Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 47 Meißner 2008c: 275f.) bzw. der mehrsprachigen Interlanguage. Die Disambiguierung erfolgt im Rahmen der sprachlernbasierten Variante von IC i.d.R. auf Grundlage weiteren zielsprachlichen Inputs und/ oder durch Hinzuziehung externer Ressourcen wie (online) Wörterbüchern oder Grammatiken. In der interaktionsbasierten Variante von IC kann die Disambiguierung durch den/ die KommunikationspartnerInnen erfolgen. Das diagnostische Schreiben ermöglicht Lernenden Einsicht in ihre Lernersprache, welche sich im Produkt (dem zielsprachigen Text) abbildet, der anschließend als Reflexionsanstoß über die zugrundeliegenden Hypothesen bzw. Transferprozesse sowie die weitere Planung des Lernprozesses genutzt werden kann. Daneben entfaltet das diagnostische Schreiben auch eine gedächtnisstützende Funktion. Die Vorteile des diagnostischen Schreibens ergeben sich auch aus der Tatsache, dass Lernende die Zielsprache/ n produktiv ‚erleben‘ können. Wortserien, 37 d.h. eine Gegenüberstellung mehrsprachiger grammatikalischer und morphologischer Korrespondenzen, helfen, Phänomene des Lautwandels oder Unterschiede in der Orthographie deutlich zu machen. Durch den Einsatz dieser Aufgabentypen werden interkomprehensiv Lernende dazu angeleitet, interlinguale Regelhaftigkeiten bzw. Abweichungen zu erkennen und zu systematisieren. Derlei Aufgabenformate eignen sich also für die Sensibilisierung in Bezug auf Transferprozesse und haben damit eine stark bewusstheitsfördernde Komponente, die sich zur Förderung einer multi-language learning awareness (vgl. Kapitel 3.1.1) und damit zum Aufbau von Sprachlernkompetenz (vgl. Kapitel 2.3) fruchtbar machen lässt. 3.2 Interaktionsbasierte Interkomprehension: G ALANET Interaktionsbasierte Interkomprehension: GALANET Der deutschen IC-Didaktik verwandte Ansätze finden sich im romanischsprachigen Raum in der sog. didactique des langues apparentées / voisines. Dabènes Artikel « L’enseignement de l’espagnol aux francophones: pour une didactique des langues voisines » (Dabène 1975) stellt hier den ersten Versuch dar, sprachliche Ähnlichkeiten in systematischer Weise für eine mehrsprachige Didaktik zu nutzen. 38 In den folgenden Jahren entstanden im romanischsprachigen Raum Projekte, die trotz ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen, Zielgruppen und Vorgehensweisen mindestens zweierlei gemeinsam haben: Einerseits den Ansatz, das vorhandene Synergiepotential zwischen den Sprachen für den Erwerb einer mehrsprachigen Lesekompetenz bzw. kommunikativen Kompetenz zu nutzen, und andererseits das ‚Lernen des Lernens‘ zu fördern (vgl. Degache 37 Interaktive Übungen zu Wortserien finden sich ebenfalls auf G ALANET im Bereich Espace d’autoformation (vgl. Kapitel 4.3). 38 Meißner (2010c: 61) macht darauf aufmerksam, dass diese Entwicklung interessanterweise parallel zu den in Deutschland geführten Diskussionen um eine sprachenteilige Gesellschaft stattfand (vgl. Kapitel 2.1). Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 48 & Melo 2008: 12). 39 So entstand Mitte der 1990er Jahre u.a. das multimediale Lernprogramm G ALATEA (vgl. u.a. Degache 2002; Degache 2006a). Dem mehrsprachigkeitsdidaktischen Prinzip folgend, dass romanophone SprecherInnen bereits mit ihrer L 1 über ein rezeptives Repertoire verfügen, das den Erwerb einer Sprache derselben Sprachfamilie erleichtert, entstanden sieben CD- Roms. 40 Deren interaktive Aufgabenformate 41 zielen nicht nur auf die Herausbildung einer Lesekompetenz in einer ‚unbekannten‘ romanischen Sprache ab, sondern regen zudem metasprachliche Reflexionen an, die auf Sprachvergleichen basieren (vgl. Séré 2010: 90f.). Auf der Grundlage von G ALATEA wurde schließlich das Projekt G ALANET auf den Weg gebracht, das durch das Internet eine (virtuelle) Kontaktsituation zwischen SprecherInnen romanischer Zielkulturen herstellt. 42 Es handelt sich um eine halb-öffentliche Lernplattform, die eine kommunikative Form von IC vorsieht und auf Aufgabenorientierung basiert (vgl. Degache 2004). 43 Ziel dieses « dispositif d’apprentissage collaboratif des langues romanes » (Degache 2005: 52) ist die Ausbildung einer mehrsprachigen Lesekompetenz in allen am Projekt beteiligten Sprachen, die durch die mehrsprachige Interaktion der TeilnehmerInnen in Chat- und Forumsdiskussionen angebahnt werden soll. Die TeilnehmerInnen setzen sich i.d.R. aus Studierenden der am Projekt beteiligten Universitäten zusammen (vgl. Fußnote 40). Die auf der Plattform vorhandenen Sprachen umfassen Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Katalanisch und Spanisch; mitunter sind auch rumänischsprachige TeilnehmerInnen vertreten. Voraussetzung für eine Teilnahme ist, mindestens eine der genannten Sprachen zu sprechen bzw. zu schreiben (vgl. Degache 2004: 36). Grundsätzlich ist ein Lernszenario so angelegt, dass der Spracherwerb auf der « acquisition des stratégies qui permettent de comprendre progressivement les langues en présence » (Séré 2010: 91) basiert. Vorkenntnisse in einer weiteren romanischen Sprache sind nicht zwingend erforderlich, können sich aber durchaus als hilfreich erweisen, da sie sich positiv auf 39 Vgl. Degache (2004: 88-96) für eine Aufstellung der seit den 1990er Jahren im romanischsprachigen Raum entstandenen Projekte zur IC bzw. Melo & Araújo e Sá (2007: 126f.), die computervermittelte IC-Projekte ab 2004 aufführen. 40 An der Entwicklung beteiligt waren folgende Universitäten: Universidade de Aveiro (Portugal), Université Lumière Lyon 2 (Frankreich), Universitat Autònoma de Barcelona (Spanien), Universidad Complutense de Madrid (Spanien), Università degli Studi di Cassino (Italien), Université Mons-Hainaut (Belgien) sowie federführend die Université Stendhal Grenoble III (Frankreich). Für eine detaillierte Darstellung s. Dabène (1994: 41-45) und Degache (2001: 269-281). 41 In Anlehnung an Quiring & Schweiger (2006) wird Interaktivität im Rahmen dieser Arbeit als Interaktion zwischen MediennutzerIn und Mediensystem verstanden (sog. Nutzer-System-Interaktivität). 42 Vgl. Kapitel 3.2.2 für eine Beschreibung des Projektszenarios bzw. Kapitel 4.3 für eine detaillierte Darstellung der Plattform. 43 Interessierte können sich unter www.galanet.eu Zugang zur Plattform verschaffen. Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 49 die Motivation auswirken können, wie Degache bemerkt: „[I]t appears that students who already know two Romance languages (the reference language and another one), (sic) seem to be more enthusiastic“ (2003: 14). I. d. R. schreiben die TeilnehmerInnen in ihrer L 1 und verstehen lesend die Beiträge der übrigen NutzerInnen. Es würde allerdings zu kurz greifen, stets die L 1 für die interaktionsbasierte IC zugrundezulegen, denn im Prinzip kann jede Sprache für das interlinguale Verstehen dienen. IC allein an muttersprachliche Kompetenzen zu binden, ist demnach zu eng gefasst. Nach Degache (2002 : 279) kann IC auch Kommunikationsformen betreffen, « où des locuteurs de langues romanes différentes sont amenés à communiquer en comprenant la (les) langue(s) des autres ». Balboni (u.a. 2010: 20) geht einen Schritt weiter und schlägt anstelle von IC den Begriff der ‚Interkommunikation‘ vor, bei der es sich um „la capacità di parlare o scrivere in maniera comprensibile per persone che non conoscono la lingua del parlante“ handelt. Es geht also um die Fähigkeit der SprecherInnen, in der Interaktion ‚unbekannte‘ Sprachen interkomprehensiv zu erschließen - gleich ob es sich dabei um die L 1 oder eine nachgelernte Sprache handelt. In jedem Fall verfügen die InteraktionspartnerInnen über asymmetrische Kompetenzen, so dass die Gesprächssituation als exolingual einzustufen ist (vgl. auch Degache 2006a: 14): Ainsi, une interaction sera qualifiée d’endolingue lorsque les interlocuteurs maîtrisent à hauteur égale les langues convoquées dans le discours ; inversement, nous qualifierons d’exolingue une interaction entre des interlocuteurs qui maîtrisent inégalement les langues actualisées dans l’échange. (Masperi & Quintin 2007: 116) (Hervorhebungen im Original). Im Gegensatz zu den romanophonen UserInnen, die i.d.R. in ihrer L 1 kommunizieren, und damit als « facilitateurs dans l’apprentissage de leur langue maternelle » (Álvarez Martínez 2009: 185) fungieren, interagierten die StudienteilnehmerInnen in einer nachgelernten Fremdsprache. Dies hat eine asymmetrische Kommunikationssituation zur Folge, die nicht ohne Konsequenzen auf das Erleben der Interaktion bleibt (vgl. Prokopowicz 2011). So bemerkt auch Byram (1997: 41): „The FL (foreign language, T.P.) speaker may experience a degree of powerlessness vis à vis a native speaker. They may sense the constraints of insufficient knowledge and skill in linguistic competence to meet the specific requirements of the interaction.” Trotz des skizzierten Kompetenzgefälles auf sprachlicher, kultureller und Diskursebene gibt es außersprachliche Faktoren mit verbindender Wirkung. Dies liegt in der Zusammensetzung der Gruppen begründet: Les participants à la plateforme Galanet présentent en effet beaucoup de points communs. Beaucoup sont étudiants spécialistes de langues ou de linguistique et didactique, ce sont donc des sujets ayant au niveau culturel une formation et des centres d’intérêt concordants. Leur motivation est elle-même similaire, ils Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 50 s’intéressent à l’apprentissage des langues, tant pour les apprendre que pour les enseigner. (Degache & López Alonso 2007: 111). 3.2.1 Interaktionsbasierte Mehrsprachigkeit Der auf der Plattform zugrunde gelegte interaktionsorientierte Ansatz von IC steht in Verbindung zur sog. Interaktionshypothese (vgl. u.a. Vygotsky 1978; Long 1983), derzufolge Spracherwerb erfolgt, indem LernerInnen Sprache als Kommunikationsmittel verwenden. 44 Degache (2004: 35) fasst dies mit Blick auf G ALANET wie folgt zusammen: « La nécessité d’agir conjointement doit stimuler les interactions, et les interactions doivent faire émerger la nécessité d’améliorer les habilités réceptives […] dans les quatre langues ». Die Interaktion kann mit native speakers oder peers erfolgen, wobei die zu erwerbenden sprachlichen Strukturen innerhalb der „zone of proximal development“ (Vygotsky 1978: 90) liegen sollten. Der zu dekodierende Input kann sich über dem Sprachniveau des Lernenden befinden, da in Kommunikationssituationen die Möglichkeit besteht, dessen Bedeutung bei Bedarf auszuhandeln. Wesentliches Merkmal von Interaktion ist die Tatsache, dass es sich um einen ko-konstruktiven Prozess handelt, der deshalb auch als „die wechselseitige Beeinflussung von Individuen (oder Gruppen) in ihren Handlungen“ bezeichnet wird (Edmondson & House 2011: 238). Kerbrat-Orecchioni (2005: 15) teilt ebenfalls die Idee der gegenseitigen Einflussnahme: « [O]n a toujours affaire à un système d’influences mutuelles, ou bien encore à une action conjointe » (Hervorhebung im Original). Als ko-konstruktive Elemente macht Long (1983) in exolingualen Interaktionssituationen ‚input‘ und ‚speech modifications‘ aus. Lernerseitiges Verstehen kann einerseits durch die Verwendung kurzer, wenig komplexer Sätze vereinfacht werden, was auch als ‚foreigner talk‘ bezeichnet wird (Long 1983: 126f.). Vor allem aber sind es ‚speech modifications‘, die Aushandlungsprozesse in Form von Erklärungen, metasprachlichen Kommentaren, Paraphrasierungen u.a. m. in Gang setzen, die als spracherwerbsfördernd gelten (vgl. Long 1983: 131). Solche Modifikationsbzw. Adaptionsleistungen der Interaktionspartner erfolgen aus zwei Gründen: „(1) to avoid conversational trouble, and (2) to repair the discourse when trouble occurs“ (ebd.). Es ist insofern wichtig zu betonen, dass Verständnis- oder Ausdrucksschwierigkeiten nicht als Defizite bezogen auf die Kompetenzen der Lernenden aufgefasst werden, sondern vielmehr « comme occasions de mise en œuvre pratique des capacités de résolution collaborative des problèmes » (Pekarek Doehler 2000: 6). 44 IC-basierte Kommunikation versteht sich im Rahmen dieser Arbeit als eine Form der Interaktion, die synchron im Chat oder asynchron im Forum stattfinden kann (vgl. Kapitel 4.3.2 bzw. 4.3.3). Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 51 Der Frage, inwieweit solche Interaktionen spracherwerbsfördernd wirken, wurde auch in Bezug auf computervermittelte, synchrone Kommunikation 45 nachgegangen (u.a. Beißwenger 2001; Tudini 2003; Knierim 2004; Kötter 2004; Razola 2009; Marques-Schäfer 2013). Die IC-basierte Interaktion auf der Plattform G ALANET - im Chat oder im Forum - stellt hingegen ein Forschungsfeld dar, das aufgrund des mehrsprachigen Settings neue Fragen aufwirft. So wurde zunächst die chatbasierte IC-Interaktion in den Chaträumen der Plattform in den Blick genommen. 46 Melo (2006) untersucht, wie romanophone TeilnehmerInnen IC in Encontros Interculturais Plurilingues (EIP) aushandeln und kokonstruieren. Sie analysiert Chatepisoden, in denen es um die Aushandlung von Vorstellungen über Sprache geht. Melo kommt zu dem Ergebnis, dass diese die Interaktion in zweierlei Hinsicht beeinflussen: Zum einen sind sie Teil des Vorwissens der Teilnehmenden, zum anderen werden sie aber auch in der Interaktion ko-konstruiert. Sie arbeitet folgende Dimensionen von EIPs heraus: • sozio-affektiv (z.B. Thematisierung der Sprachen(lern-)biographie, eigene Mehrsprachigkeit, Erfahrungen mit mehrsprachiger Kommunikation), • kognitiv-verbal (z.B. Umgang mit Verständnisproblemen) • linguistisch-kommunikativ (z.B. in Form von Sprachwechseln) Bezogen auf die affektive Dimension stellt Melo (2006) fest, dass sich in den Vorstellungen über Sprache Haltungen der TeilnehmerInnen angesichts der sprachlichen und kulturellen Vielfalt auf der Plattform manifestieren, welche sich z.B. auf die Bereitschaft zum Inkontakttreten auswirken. In sprachlichen Handlungen zeigt sich die Mobilisierung des strategischen Repertoires, das in einer sprachlich und kulturell komplexen Umgebung zum Tragen kommt, wie sie auf der Plattform gegeben ist. Strategien können z.B. Sprachvergleiche oder 45 Unter einer fremdsprachendidaktischen Perspektive ist computervermittelte Kommunikation (CMO - Communication médiatisée par l’ordinateur bzw. CMC - Computer mediated communication) abzugrenzen vom computergestüzten Lernen (ALAO - Apprentissage des langues étrangères asisté par l’ordinateur bzw. CALL - Computer assisted language learning). Letztere umfassen i.d.R. geschlossene Übungen mit einem Fokus auf Form, während computervermittelte Kommunikation eine Interaktionssituation herstellt, die den Spracherwerb mit einem Fokus auf Kommunikation und Inhaltsorientierung fördern soll. Es handelt sich um asynchrone wie synchrone Kommunikationsformen in Form von Chats, Foren, Emails, die durch das Internet die Kommunikation zwischen zwei oder mehreren InteraktionsteilnehmerInnen ermöglichen (vgl. Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 23). 46 Auf der Plattform gibt es zwei Möglichkeiten zu chatten: In den drei Chaträumen (salon de discussion rouge, bleu, jaune) ist die TeilnehmerInnenzahl unbegrenzt, die Chats werden im archive des chats gespeichert und sind für die UserInnen einsehbar. Daneben gibt es die Möglichkeit, eine sog. conversation privée bzw. chat privé zu führen. Dabei handelt es sich um einen Chat zwischen zwei Personen, dessen Inhalt nicht archiviert wird. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 52 die Suche nach Ähnlichkeiten usw. umfassen (kognitiv-verbale Dimension). Was die linguistisch-kommunikative Dimension angeht, stellt Melo fest, dass Vorstellungen über Sprache die Mobilisierung des sprachlichen und kommunikativen Repertoires hemmen oder fördern können. Wesentliches Ergebnis ist, dass EIPs dazu geeignet sind, den Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz zu fördern. Melo zeigt, dass zwischen den Vorstellungen von Sprache und der Entwicklung einer mehrsprachigen Kompetenz eine Verbindung besteht. Sie verweist außerdem darauf, dass IC das Ergebnis eines Interaktionsprozesses ist, den die Teilnehmenden durch Mobilisierung ihres plurilingualen Repertoires (sprachliche und nicht-sprachliche Kenntnisse, Motivation, Haltungen) ko-konstruieren. Melo & Araújo e Sá (2007) arbeiten in einer Analyse eines Chatdatenkorpus heraus, dass sich IC-basierte Interaktion als lernförderlich erweist. Dies wird deutlich, da « les sujets avouent et dénouent ensemble les problèmes de communication posés dans et par l’interaction, sont conscients des enjeux et des problèmes que ce type d’interaction peut poser » (Melo & Araújo e Sá 2007: 123), so dass Anpassungen der Interaktionsstruktur die Folge sind. Durch die Mobilisierung ihres plurilingualen Repertoires räumen die TeilnehmerInnen Verstehensprobleme aus dem Weg. Melo & Araújo e Sá fassen IC daher « comme l’ensemble d’attitudes et d’aptitudes à comprendre et à se faire comprendre dans des situations d’interaction où plusieurs langues se partagent le territoire discursif » (ebd.). Die lernförderliche Dimension von IC-basierten Chats ergibt sich auch daraus, dass diese geeignet sind, die Herausbildung einer mehrsprachigen und mehrkulturellen Bewusstheit anzubahnen, wie Melo- Pfeifer & Araújo e Sá in ihrer Studie von 2010 zeigen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass « [l]es rencontres interculturelles plurilingues sont des espaces d’interaction, de médiation, de négociation et, par ce biais, de mobilisation de la conscience linguistique et culturelle » (Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010: 268). Neben den angesprochenen Aushandlungsprozessen führt das Lernszenario der Plattform dazu, dass Sprachen bzw. die interkomprehensive Kommunikation oft Gesprächsgegenstand der Chats sind (Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010: 273; vgl. auch Vela Delfa 2009: 169). In den Interaktionen materialisieren sich u.a. Haltungen der TeilnehmerInnen gegenüber dem Sprachenlernen und Sprachen, deren wahrgenommene typologische Nähe bzw. Distanz sowie Selbst- und Fremdevaluationen der sprachlichen Kompetenzen. Dieses « parler sur les langues » kann als Zeichen von mehrsprachiger Bewusstheit gewertet werden, « vu que, […] les langues sont observées, comparées, décrites, hiéarchisées et évaluées, la façon dont ils [die TeilnehmerInnen, T.P.] négocient leurs images nous en donne une preuve supplémentaire » (Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010: 274). Álvarez Martínez (2008) untersucht Möglichkeiten und Grenzen von ICbasierten Chats für den Erwerb des Spanischen. Sie analysiert 55 französischspanische Chatsequenzen und nimmt zwei Ebenen in den Blick: Neben einer Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 53 linguistischen Analyse der Chats im Hinblick auf graphische, morphosyntaktische und lexiko-semantische Elemente führt sie eine Interaktionsanalyse durch. Álvarez Martínez kommt in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass IC-basierte Chatkommunikation ‚secuencias potencialmente adquisicionales‘ (2008: 491ff.) aufweist. Der sog. ‚contrato didáctico‘ 47 spielt dabei eine wichtige Rolle für den Spracherwerb im Chat. Ihmzufolge sind sich MuttersprachlerInnen als SprachexpertInnen und Sprachenlernende der Asymmetrie ihrer jeweiligen sprachlichen Repertoires bewusst und nehmen Anpassungsleistungen vor (2008: 579). So geben native speakers ihr Sprachenwissen an Sprachenlernende weiter, die bei Bedarf Verständnis- oder Ausdrucksschwierigkeiten signalisieren. Eine dahingehende Sensibilität fördert die Anwendung von Strategien, die das gegenseitige Verstehen in der exolingualen Kommunikation sichern, indem sie Bedeutungsaushandlungen anstoßen. Die Bitte um Erklärung (solicitación) eines opaken Wortes ist bei Álvarez Martínez die am häufigsten auftretende Verständnissicherungsstrategie. Die Bitte um Erklärung hat in den meisten Fällen eine Vereinfachung (facilitación) des Outputs in Form einer Übersetzung oder eine Definition zur Folge. Außerdem macht sie Paraphrasierungen (reformulación paraphrastica) und Selbstbzw. Fremdkorrekturen (reparación) als wichtige Elemente der ‚secuencias potencialmente adquisicionales‘ aus (2008: 527). Álvarez Martínez'‘ Befunde unterstreichen, dass sich IC-basierte Chats für die Initiierung von Spracherwerbsprozessen gewinnbringend einsetzen lassen können: „[I]nteracciones sincrónicas on line desarolladas en un contexto de comunicación exolingüe constituyen un input interactivo favorable al desarollo de algunos mecanismos que propician la adquisicón de una lengua extranjera“ (2008: 583). Dies begründet sie u.a. mit der Möglichkeit, durch die medial vermittelte Kommunikation einen Zugang zu einer authentischen Form von Sprache zu erhalten, die einem realen Diskurs nahekommt (vgl. Álvarez Martínez 2008: 573). Als Mechanismen, die in Interaktionssituationen zum Tragen kommen und Auswirkungen auf die ‚Zone der nächsten Entwicklung‘ (Vygotsky 1978) haben, nennt sie u.a.: • selbst-initiierte Reformulierungen von lernerseitigen Äußerungen mit korrektivem Charakter; • die Möglichkeit, lernerseitige Äußerungen mit Äußerungen der MuttersprachlerInnen zu vergleichen; • die Möglichkeit, seitens der LernerInnen korrektives Feedback einzuholen (Álvarez Martínez 2008: 573). 47 Die Konstrukte contrat didactique und sequences potentiellement aquisitionnelles (SPA) gehen auf den Artikel « Acquisition et contrat didactique : les séquences potentiellement acquisitionnelles dans la conversation exolingue » von De Pietro, Matthey und Py (1988) zurück (zitiert nach Degache 2006: 33-48.). Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 54 Die Forschungsergebnisse zu IC-basierten Chats belegen, dass diese Interaktionsform neben der Förderung einer mehrsprachigen und mehrkulturellen Bewusstheit auch Gelegenheit zu Bedeutungsaushandlungen und somit zum kokonstruktiven Spracherwerb geben kann. Zwei Aspekte begünstigen dies: Zum einen das mehrsprachige Setting, das dazu führt, dass unstrukturierter, mehrsprachiger Input vorliegt, der aus LernerInnensicht vermutlich nicht ohne weiteres verständlich ist. Zum anderen die Tatsache, dass im Chat im Falle von Verständnisproblemen ein sofortiges Reagieren möglich ist. Für Kerbrat-Orecchioni (2005: 17) ist die Möglichkeit des unmittelbaren Reagierens in Interaktionssituationen zentral, was auf Chats, nicht aber auf den Austausch im Forum zutrifft. Dies könnte u.a. ein Grund dafür sein, dass sich der Diskurs im Forum für die Anbahnung von Bedeutungsaushandlungen im Vergleich zum Chat weniger eignet (vgl. Degache & Tea 2003). Degache (2004) analysiert 718 Forumsnachrichten der ersten Sitzung (protosession) und stellt fest, dass Bedeutungsaushandlungen in nur 40 Forumsbeiträgen auftreten. Als Erklärungsansatz verweist er einerseits auf die Tatsache, dass die meisten TeilnehmerInnen neben ihrer L 1 ebenfalls Kenntnisse in einer weiteren romanischen Fremdsprache hatten. Andererseits führt auch das zeitversetzte Antworten dazu, dass die Möglichkeit besteht, anderweitige Ressourcen, z.B. in Form von (online- )Wörterbüchern heranzuziehen, um Verständnisprobleme ad hoc zu lösen (vgl. Degache 2004: 42f.). Bezogen auf Anpassungsleistungen der ForumsteilnehmerInnen stellt Degache (2004: 44) Folgendes fest: « Néanmoins, de nombreux messages, plutôt longs et culturellement marqués, peuvent être vus comme mal adaptés à la spécificité de cette situation de communication exolingue-plurilingue » , die sich damit weit über der ‚Zone der nächsten Entwicklung‘ befinden. Es ist deutlich geworden, dass in einem auf Interaktion basierendem Erwerbsparadigma die Kooperation der KommunikationsteilnehmerInnen entscheidend ist. So bemerkt auch Byram (1997: 32), dass gelungene Interaktion sich v. a. „in terms of the establishing and maintenance of human relationships“ zeigt. Diese hängt in starkem Maße von attitudinalen Faktoren ab, wie z.B. „the willingness of the interlocutors to expect problems of communication caused by lack of overlap in their respective knowledge of the world and of each other’s country“ (ebd.). Lernen durch Interaktion wird als soziale Tätigkeit verstanden, die in einen sozialen Kontext eingebettet ist, bei der deklaratives wie prozedurales Wissen ko-konstruiert werden. Pekarek Doehler (2000 : 2) fasst dies wie folgt zusammen: « [L]a conception de l’apprenant [est celle T.P.] d’un acteur social qui développe des compétences langagières variables à travers son interaction avec d’autres acteurs sociaux ». Die sprachlich Handelnden nehmen in fremdsprachigen Interaktionssituationen Rückgriff auf vorherige kommunikative Erfahrungen und schöpfen dabei aus ihrem sprachlichen savoir- und savoir-faire-Repertoire. LernerInnen werden zudem in ihrer ganzen Persönlichkeit angesprochen, so dass der savoir-être-Dimension eine wichtige Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 55 Rolle zukommt. Álvarez Martínez (2008: 584) bringt dies wie folgt auf den Punkt: „[E]ste tipo de encuentros conlleva el compromiso cognitivo, afectivo y comportamental de los interlocutores en los procesos colaborativos de construcción y de gestión del aprendizaje“. 3.2.2 Aufgabenorientierter Mehrsprachenerwerb Aufgabenorientierung geht mit dem kommunikativen bzw. interaktionsbasierten Ansatz einher, da der Fokus auf dem inhaltsorientierten und mitteilungsbezogenen Austausch der TeilnehmerInnen liegt (vgl. Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2008). Álvarez Martínez (2008: 576) beschreibt dies für den IC-Erwerbskontext auf der Plattform wie folgt: „[L]a posibilidad o, mejor dicho, la necesidad de trabajar de forma colaborativa para realizar la tarea final permite a los estudiantes practicar la lengua en acción enfrentándose a situaciones comunicatives reales“. Die Zugrundelegung einer Aufgabe auf der Plattform führt dazu, dass der IC-basierte Sprachgebrauch weniger Ziel als Zweck ist, um das gestellte Aufgabenziel zu erreichen (vgl. Puren 2002). Van den Branden (2006: 9) verdeutlicht dies wie folgt: „In other words, tasks invite the learner to act primarily as a language user, and not as a language learner“ (Hervorhebung im Original). Ziel einer Sitzung 48 auf G ALANET ist die Erstellung und Publikation einer mehrsprachigen Webseite zu einem vorher ausgewählten Thema, des sog. dossier de presse. 49 Auf die motivierende Wirkung der Publikation von Lernertexten wurde vielfach hingewiesen (vgl. u.a. Ollivier 2008: 587). Die beiden Interaktionsformen Forum und Chat dienen einerseits der Themenfindung und Diskussion der Inhalte, die in das dossier de presse eingehen sollen. Andererseits erlauben sie die Projektplanung und Aufgabenverteilung, so dass ein bedeutungsvoller Austausch der TeilnehmerInnen sowohl auf der Inhaltsals auch auf der Planungsebene gegeben ist. Die zugrunde gelegte Aufgabe stößt also die auf IC basierenden Interaktionen der TeilnehmerInnen an, was sich wie folgt zusammenfassen lässt: « Il ne s’agit plus de ‘parler sur’ ou de ‘communiquer avec’ mais ‘d’agir avec’: le but est désormais l’accomplissement d’une activité conjointe à des fins collectives » (Melo-Pfeifer 2009 : 70). Dies deckt sich mit der von Van den Branden (2006: 4) zugrunde gelegten Definition einer Aufgabe: „A task is an activity in which a person engages in order to attain an objective, and which necessitates the use of language.“ G ALANET legt eine komplexe Aufgabe zugrunde, die sich aufgrund des Projektzsenarios durch ihren offenen Charakter auszeichnet. Es gibt keinerlei Beschränkungen hinsichtlich des Inhalts der Forums- oder Chatdiskussionen 48 ‚Sitzung‘ (session) bezeichnet die i.d.R. drei Monate dauernde Projektphase auf der Plattform. 49 Für das Zustandekommen des dossier de presse vgl. Kapitel 4.3.4. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 56 bzw. des dossier de presse. Form und Inhalt des dossier de presse sind vielmehr ergebnisoffen. Die TeilnehmerInnen bringen in den Foren Themen ein, die aus ihrer Sicht diskutierenswert sind und stimmen gemeinsam ab, welche Themen weiterverfolgt werden sollen. Araújo e Sá, Ceberio & Melo (2007: 131f.) stellen insofern fest, dass die auf der Plattform vertretenen Sprachen nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch beliebtes Kommunikationsthema sind. Sie haben aus Sicht der TeilnehmerInnen einen „Bedeutungsgehalt und Lebensweltbezug“ (Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 20), so dass die damit hergestellte lebensweltliche Relevanz der Aufgabe motivationsfördernd wirken dürfte. Rösler (2007: 71) fasst dies für den Kontext Deutsch als Fremdsprache wie folgt zusammen: Die oft geforderte emotionale und subjektive Zugriffsweise der Lernenden […] ist hier gegeben, ohne dass sie über bestimmte Texte von den Lehrenden in den didaktischen Diskurs eingeführt wird. Diese Art von Landeskunde geschieht in der Interaktion aus den persönlichen Interessen der Lernenden heraus. Außerdem obliegt es den TeilnehmerInnen zu entscheiden, welche Schritte zum Erreichen des Aufgabenziels nötig sind und wer welche Teilaufgaben übernimmt. Nach Rösler ist damit ein zentrales Element von projektbasierten Lernarrangements gegeben: „Ein wichtiges Merkmal von Projektarbeit ist […], dass Thema und Lernweg von den Lernenden selbst bestimmt werden“ (2007: 168). Die Selbststeuerung betrifft auch die Entwicklung ihrer mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz auf der Plattform. Der Fokus auf Inhaltsorientierung bedeutet keineswegs die Vernachlässigung von formfokussierten Aktivitäten (vgl. Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 22f.; Van den Branden 2006: 7ff.). Auf der Plattform können spracherwerbsförderliche Aktivitäten zum einen durch die selbstgesteuerte Analyse der mehrsprachigen Chat- und Forumsnachrichten angestoßen werden. Zum anderen existiert aber auch eine Reihe von geschlossenen Übungsformaten in der espace d’autoformation (z.B. Übungen zum IC-basierten Lese- und Hörverstehen, vgl. Kapitel 4.3.1). Die Beteiligung am Projekt durch Interaktion bzw. die Durchführung von Übungen ist insofern als Lernangebot zu verstehen, das von den TeilnehmerInnen angenommen werden kann oder auch nicht (vgl. Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 37). Allerdings führt die Offenheit des Projekts auch dazu, dass erhöhte Anforderungen an die TeilnehmerInnen in Bezug auf ihre Selbststeuerungsbzw. Sprachlernkompetenz gestellt werden. Durch computervermittelte Kommunikation wird eine authentische Interaktionssituation hergestellt, die aufgrund der Aufgabenstellung die Aushandlung verschiedener Sichtweisen erlaubt und damit geeignet ist, interkulturelles Lernen anzubahnen. Die Aufgabenstellung hebt auf eine intensive Diskussion der eingebrachten Themen ab, welche die TeilnehmerInnen vor ihrem spezifischen kulturellen Hintergrund kommentieren und diskutieren. Aufgrund der internationalen Zusammensetzung der TeilnehmerInnen ist gewährleistet, Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 57 dass verschiedene Perspektiven, Einstellungen und Orientierungen zum Ausdruck kommen, die sie in Forums- und Chatdiskussionen verhandeln (vgl. u.a. Degache 2006a: 134ff.; Degache & López Alonso 2007; Melo & Araújo e Sá 2007; Arismendi 2011). Dank des mehrsprachigen und mehrkulturellen Settings dürften Fremdverstehensprozesse initiiert werden, die über den einfachen Vergleich zwischen Ausgangs- und Zielkultur hinausgehen. Die Tatsache, dass es sich um selbst eingebrachte Themen handelt, fördert die Authentizität der Interaktionen, da lernerseits entsprechende Redebzw. Diskussionsanlässe bestehen. Mit der Aufgabenstellung werden zudem soziale Kompetenzen gefördert. Biebighäuser, Schmidt & Zibelius (2012: 24f.) bemerken dazu: „Die kollaborative Wissenskonstruktion, die durch die Bearbeitung von Aufgaben mittels CMC [computer-mediated communication, T.P.] erfolgt, entspricht auch den soziokulturellen und konstruktivistischen Prinzipien des Fremdsprachenlernens“. Die gemeinsame Bearbeitung einer komplexen Aufgabe sowie die Möglichkeit zur ko-konstruktiven Bedeutungsaushandlung und der mitteilungsbezogenen, mehrsprachigen Interaktion auf der Plattform tragen dazu bei, dass TeilnehmerInnen primär als sprachlich und sozial Handelnde agieren. Sie werden somit in ihrer ganzen Persönlichkeit (vgl. Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 21) - und nicht etwa nur in ihrer LernerInnenidentität - angesprochen. Degache (2006a: 136f.) fasst die Anforderungen, die insofern an die TeilnehmerInnen gestellt werden, wie folgt zusammen: [L]a finalité actionnelle du scénario pédagogique de Galanet est celle d’un acteur social […], impliqué dans une action collective à l’échelle internationale et amené […] à prendre en compte les points de vue et les spécificités de différents groupes culturels, à prendre des décisions en concertation (et par l’interaction), à devoir réaliser une tâche collective avec des partenaires en choisissant et définissant en commun les stratégies les plus indiquées pour y parvenir… Die Komplexität der Aufgabe ergibt sich daraus, dass sich das Projekt in mehrere Teilaufgaben unterteilen lässt, die zum Erreichen des Aufgabenziels führen. Die Projektplanung bzw. Aufgabenverteilung findet in Forums- und Chatdiskussionen statt. 50 Die zeitliche Unterteilung in vier Phasen entspricht dabei einer Aufgabensequenzierung (vgl. Degache 2004: 141f.): Phase 1: Briser la glace/ Choix du thème In Phase 1 geht es um eine erste Orientierung auf der Plattform und um die Ausbildung prozeduralen Wissens in Bezug auf die plurilinguale Interaktion. Die UserInnen sollen insbesondere für verschiedene Sprechakte (z.B. deskriptiv, narrativ oder argumentativ) sensibilisiert werden und sich Wissen um spra- 50 Vgl. Kapitel 4.3 für eine detaillierte Darstellung des Verlaufs derjenigen Sitzung, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht wurde. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 58 chenübergreifende Analogien aneignen. Außerdem sollen die TeilnehmerInnen einander kennen lernen und über das Diskussionsforum, den Chatraum oder durch persönliche Nachrichten miteinander in Kontakt treten, so dass allmählich eine „comunidad virtual de Galanet“ entsteht (Álvarez Martínez 2008: 207). Nachdem ‚das Eis gebrochen ist‘, einigt man sich auf einen Namen für die laufende Sitzung und wählt gegen Ende der Phase 1 ein Thema für das zu erstellende dossier de presse aus. Die Abstimmung gliedert sich in zwei Etappen (s. Abb. 4). Zunächst erfolgt die Einbringung von Themen und deren Abstimmung innerhalb der eigenen Gruppe (hier: proposition de thème de notre équipe), das Thema mit den meisten Stimmen (durch den Pfeil gekennzeichnet) wird den übrigen Gruppen vorgeschlagen und zur Abstimmung gestellt (choix d’un thème commun). Den Zuschlag erhält das Thema, das die meisten Stimmen verzeichnet (s. letzte Spalte in der Abbildung). Phase 2: Remue-méninges Nachdem das Oberthema für das dossier de presse feststeht, werden im Forum der Phase 2 mögliche Unterthemen gesammelt und diskutiert, die thematisch mit dem gewählten Oberthema in Verbindung stehen. Es geht v. a. um einen Ideenaustausch und eine Reflexion der Unterthemen im Hinblick darauf, ob sie von Interesse für das dossier de presse sind, welche Aspekte sie umfassen und ob sie sich für einen Unterpunkt (rubrique) eignen. Im Laufe der Phase werden die Unterthemen weiter ausgearbeitet und erörtert. Jede Gruppe benennt schließlich zwei rédacteurs / rédactrices, die eine gruppenübergreifende équipe rédactionnelle bilden. Abbildung 4: Choix du thème Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 59 Phase 3: Collecte des documents et débat In dieser Phase erfolgt die Diskussion und Ausarbeitung der endgültigen Unterthemen. Außerdem tragen die Teilnehmer-Innen Zusatzmaterial zusammen, das in thematischem Zusammenhang zu den Unterpunkten steht und externe Links, Video- oder Fotodateien, aber auch weitere Texte umfassen kann. Das zusätzliche Bild- und Datenmaterial wird ebenfalls zur Diskussion gestellt, indem die Teilnehmenden aushandeln, ob es überhaupt für eine Verwendung im dossier de presse in Frage kommt oder ob es ungeeignet erscheint. Phase 4: Dossier de presse Die letzte Phase dient dazu, das dossier de presse gemeinsam vorzubereiten, um schließlich die Publikation vorzunehmen. 51 Dazu werden zunächst Zusammenfassungen der Diskussionen zu den Unterthemen erstellt, die wiederum zur Diskussion gestellt werden. Die équipe rédactionnelle nimmt schließlich die Publikation in der salle de rédaction vor, indem die einzelnen Bestandteile, d.h. die Zusammenfassungen der Diskussionen zu den Unterthemen sowie das ausgewählte Zusatzmaterial zusammengeführt werden. Durch das Zusatzmaterial erhält das dossier de presse einen multimedialen Charakter, da es sich um eine mehrsprachige Webseite mit Hyperlinks handelt. Gegen Ende der Phase 4 ist eine Evaluation des Projektszenarios durch die Teilnehmenden vorgesehen, für die ein Thread 52 im Forum eingebracht wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die auf G ALANET zugrunde gelegte Aufgabe folgende von Biebighäuser, Schmidt & Zibelius (2012: 45f.) aufgestellten Qualitätsmerk-male einer guten Web 2.0 53 Aufgabe erfüllt: • selbstständige Problembearbeitung in interaktionalen Formen; • offener Charakter der Aufgabenstellung; • vielfältige Interaktionsformen vorhanden (Chat, Forum, …); • Möglichkeit zur Diskursteilnahme und Bedeutungskonstruktion; • Förderung fremdsprachlicher Kompetenzen; • Förderung interkultureller, sozialer und medienbezogener Kompetenzen. 51 Die dossiers de presse aller Sitzungen sind unter www.galanet.eu einsehbar. 52 Thread bezeichnet eine Reihe von Nachrichten zu einem Thema. 53 Unter Web 2.0 Anwendungen versteht man die Möglichkeit, ohne Programmierkenntnisse Inhalte zu produzieren (user generated content) und sie mit anderen UserInnen zu teilen. Damit verlagerte sich das Nutzungsverhalten von einem rein rezeptiven Gebrauch hin zu einer partizipativen und produktiven Teilnahme an medialen Diskursen (vgl. Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 27f.). Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 60 3.2.3 Simultaner Mehrsprachenerwerb Die Interaktion auf der Plattform hebt auf einen simultanen Mehrsprachenerwerb in allen am Projekt beteiligten romanischen Sprachen ab. Neben der Ausbildung von Kommunikations- und metalinguistischen Strategien lautet das Lernziel « [c]omprendre au terme d’une session des interlocuteurs s’exprimant dans 3 autres langues romanes, en les considérant sur un pied d’égalité, à l’écrit » (Degache 2006a : 38). Das Lernziel ‚mehrsprachige Lesekompetenz‘ wird allerdings nicht konsekutiv bzw. additiv erreicht, sondern durch einen integrativ-simultanen Ansatz, wie Degache (2006a: 114) an anderer Stelle bemerkt: « [T]outes les langues de la famille ciblée sont abordées en même temps, sous l’angle de la contrastivité systématique ». Um am medial vermittelten Diskurs - im Forum wie im Chat - teilzunehmen, ist es nötig, die mehrsprachigen Äußerungen der übrigen UserInnen lesend zu verstehen. TeilnehmerInnen können sich im Forum nur dann sinnvoll in die Diskussion einbringen, wenn sie die bereits vorgebrachten Argumente nachvollzogen haben. Sie können dann angemessen interagieren, wenn es ihnen gelingt, die Diskussionsinhalte zumindest grob zu überblicken. In der salle de discussion wird die Notwendigkeit der simultanen Rezeption aufgrund der synchronen Kommunikationsform besonders deutlich: Würden RezipientInnen Äußerungen in bestimmten Sprachen aussparen, bliebe dies nicht ohne Auswirkungen auf die Interaktion. Wortmeldungen oder Nachfragen blieben unbeantwortet, was die Ko-konstruktion der IC-basierten Interaktion negativ beeinflussen dürfte. Degache (2006a : 115) fasst die kommunikative Praxis auf der Plattform daher wie folgt zusammen: « Galanet […] ne peut pas échapper à la simultanéité plurilingue, à moins de dénaturer la session ». Angesichts des mehrsprachigen Settings stellt sich die Frage, wie TeilnehmerInnen mit dem unstrukturierten Input umgehen. Die romanophonen TeilnehmerInnen verfügen wie gesagt mit ihrer L 1 bereits über ein breites linguales (und kulturelles) Transferrepertoire, das sie beim Erschließen der übrigen romanischen Sprachen mobilisieren können. Kenntnisse in weiteren romanischen Sprachen erhöhen dieses Repertoire. Beiträge in der jeweiligen L 1 sind für sie ohnehin ohne weiteres verständlich, so dass sie sich auf die Dekodierung der nicht bzw. teilweise erworbenen Zielsprache(n) konzentrieren können. TeilnehmerInnen aus anderen Sprachfamilien verfügen nicht über dieses Transferpotential. Die Sprachlernbiographie und das plurilinguale Vorwissen dürften also einen Einfluss auf die Wahrnehmung und Verarbeitung des Inputs haben. Es stellt sich insofern die Frage, wie Input aus LernerInnensicht zu verständlichem Input werden kann. Teilnehmende begegnen im interkomprehensiven Lernarrangement ja nicht nur einer zu erwerbenden ZS, sondern zugleich mehreren ‚unbekannten‘ Sprachen. Aus romanophoner Sicht konnte gezeigt werden, dass v. a. die Interaktionsform Chat dazu geeignet ist, IC-basierte Spracherwerbsprozesse (vgl. Melo & Araújo e Sá 2007; Álvarez Martínez 2008) Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 61 bzw. bewusstheitsfördernde Prozesse (vgl. Melo 2006; Araújo e Sá & Melo 2007a; Araújo e Sá & Melo 2007b; Melo-Peifer & Araújo e Sá 2010) anzustoßen. Auch für den Austausch im Forum liegen entsprechende Ergebnisse vor (vgl. Degache & Tea 2003). Durch das projektartige Lernarrangement liegt der Fokus bei G ALANET auf Interaktion und Inhaltsorientierung. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Interaktion von den TeilnehmerInnen im Sinne eines selbstreflexiven Aneignungs-prozesses (vgl. Königs 2010: 322) auch als Lernsituation begriffen wird, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf sprachliche Formen richten. Richard Schmidt (1990) bezeichnet diese Aufmerksamkeitslenkung als noticing, die aus seiner Sicht eine notwendige Bedingung für Lernen darstellt. Ihmzufolge führt nicht allein der zielsprachliche Input zum Lernen, sondern erst die zielgerichtete, bewusste Beschäftigung mit dem Input, der auf diese Weise zu Intake wird: „[I]ntake is that part of the input that the learner notices“ (1990: 139). Noticing dürfte lernerseits höchst individuell verlaufen. Das Konstrukt ist innerhalb des hier untersuchten Gegenstandsbereiches von zentraler Bedeutung, denn erst durch die bewusste Identifikation von Transferbasen im zielsprachlichen Input können Vergleiche zwischen Brücken- und Zielsprache(n) und damit Erwerbsprozesse in Gang gesetzt werden. 3.2.4 Rezeptive und produktive Mehrsprachigkeit Auf der Grundlage einer vorhandenen mehrsprachigen Lesekompetenz lassen sich weitere rezeptive sowie produktive Kompetenzbereiche erschließen. Degache (2006a: 134) spricht insofern von einer « hiérarchisation des compétences », denn das Lernszenario hebt grundsätzlich auf die Ausbildung aller funktional-kommunikativen Kompetenzbereiche ab. Degache & Álvarez Martínez (2009) gehen in ihrer Untersuchung der Frage nach, inwieweit sich IC-basierte Chats für den Erwerb von Mündlichkeitsaspekten eignen. Sie zeigen, dass sich Mündlichkeit in den von ihnen untersuchten schriftlichen Interaktionen materialisiert. Sie kommen daher zu dem Schluss, dass IC-basierte Chats dazu geeignet sind, Lernende für die Eigenheiten des mündlichen Diskurses zu sensibilisieren. In Anlehnung an die Unterscheidung von Konzeption und Medium nach Söll (1985: 17-25) lässt sich festhalten, dass sich in Chats zwar eines graphischen Kodes bedient wird, der allerdings konzeptuell dem phonischen Kode nahesteht (was sich bspw. an Satzabbrüchen oder Ellipsen zeigt). Auch Álvarez Martínezv(2008: 575) weist darauf hin, dass sich Chats aufgrund ihrer Nähe zur gesprochenen Sprache für die Ausbildung von mündlichen Sprachfertigkeiten einsetzen lassen. Außerdem finden sich auf der Plattform in der espace d’autoformation zwei IC-basierte Module mit Übungen zum Hörverstehen. Die Teilnehmenden haben zudem bei der Profilerstellung die Möglichkeit, Audio-Dateien hinzuzufügen, die den Text ihrer Profilbeschreibung in gesprochener Sprache wiedergeben. Außerdem werden Beiträge Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 62 in den Diskussionsforen häufig mit Links zu Audio- oder Videodateien versehen, um z.B. Argumente zu untermauern oder Beispiele zu geben (vgl. Degache 2006a: 145). Diese Dateien geben den TeilnehmerInnen die Möglichkeit zur Durchführung von Hörverstehensbzw. Hörsehverstehensübungen. Die rezeptive Mehrsprachigkeit auf der Plattform bezieht sich also nicht nur auf das lesende Verstehen, sondern kann bei Interesse auch auf das hörende Verstehen ausgeweitet werden. Das Lernarrangement bietet neben der Ausbildung rezeptiver Kompetenzen auch die Möglichkeit zur produktiven Sprachverwendung. TeilnehmerInnen sind dazu aufgefordert, « à traiter (en réception et en production) des textes dans plusieurs langues romanes » (Degache 2006a : 137). Insofern ist die romanische Perspektive auf das Projekt von der deutschen zu unterscheiden. Romanophone TeilnehmerInnen kommunizieren auf der Plattform i.d.R. in ihrer L 1 , können aber auch jede andere romanische Sprache verwenden, sofern sie über entsprechende Kenntnisse verfügen (vgl. Degache 2004: 33; Degache & López Alonso 2007; Masperi & Quintin 2007). Die germanophonen TeilnehmerInnen kommunizieren hingegen - wie bereits erwähnt - in einer nachgelernten romanischen Fremdsprache. Grundsätzlich erlaubt Kommunikation in einer Fremdsprache den Lernenden, ihre Sprachkenntnisse produktiv anzuwenden und so den funktional-kommunikativen Bereich auszubauen (zur Outputhypothese vgl. Swain 2000). Dies kann durch Monitoring-Prozesse, d.h. die Überprüfung und eventuelle Modifikation der eigenen brückensprachlichen Äußerungen erfolgen. Um mit den übrigen TeilnehmerInnen zu interagieren, ist für die StudienteilnehmerInnen Output in der BS nötig. Dieser Output kann dann dazu dienen, Lücken in der brückensprachlichen Lernersprache 54 (Selinker 1972) aufzudecken und bewusst zu machen: „In speaking or writing, learners can ‘stretch’ their interlanguage to meet communicative goals. To produce, learners […] need to create linguistic form and meaning, and in so doing, discover what they can and cannot do“ (Swain 2000: 99). Die IC-basierte Interaktion auf der Plattform macht Lernersprache sichtbar, die sich im Moment ihres Entstehens beobachten lässt (vgl. Meißner 2008c, Meißner 2010f). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, korrektives Feedback einzuholen. Swain spricht insofern vom kollaborativen Dialog. Darunter versteht sie eine Interaktion, „that constructs linguistic knowledge. […] It is where language use and language learning can co-occur. It is language use mediating language learning. 54 Zu den Merkmalen der Lernersprache zählt, dass sich in ihr Spuren der L 1 und der Zielsprachen sowie der vorgelernten Sprachen materialisieren. Sie ist nicht an der zielsprachlichen Norm orientiert, d.h. sie weist ‚Fehler‘ auf. Innerhalb des Konzepts Lernersprache werden Fehler allerdings nicht primär als Abweichungen von der zielsprachlichen Norm, sondern als fehlgeleitete Hypothesen begriffen, die Aufschluss über die Hypothesenbildung und den Spracherwerbsprozess geben können. Interaktionsbasierte Interkomprehension: Galanet 63 It is cognitive activity and it is social activity“ (2000: 97). Álvarez Martinez fasst dies für die Interaktion auf der Plattform wie folgt zusammen: [E]l hecho de que los estudiantes puedan interactuar con nativos constituye una de las aportaciones más interesantes desde el punto de vista adquisicional, puesto que la participación […] favorece la obtención de manifestaciones realmente representativas de la interlengua. (2008: 573). Die postulierte Notwendigkeit einer starken BS (u.a. Bär 2009) erhält in einem kommunikativen Setting wie G ALANET daher eine stärkere Gewichtung, da die diese nicht nur Transfergrundlage, sondern gleichzeitig auch Kommunikationsmittel ist. Des Weiteren ist auf der Plattform grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, auch in der ZS produktiv zu werden. 55 Die Produktion in der ZS ist von Seiten des Lernszenarios nicht intendiert, allerdings räumt die mehrsprachige Lernumgebung den TeilnehmerInnen die Möglichkeit ein, auch ihre zielsprachlichen Hypothesen in der Kommunikation zu testen. Rezeptive und produktive Mehrsprachigkeit zeigen sich in Form von schriftlicher Mediation 56 , wenn die Teilnehmenden Rückgriff auf ihr gesamtes sprachliches Repertoire nehmen, um Verständnisschwierigkeiten auszuräumen. Degache (2006a: 160) spricht insofern von « médiation plurilingue réciproque », die sowohl in Forumsdiskussionen, aber v. a. in den Chaträumen zum Tragen kommt. Er zeigt in seiner Untersuchung, dass Verständnisschwierigkeiten Auslöser für Mediationen auf der Plattform sein können (2006b: 67). Diese werden durch einen « métadiscours informatif » in Form von Übertragungen bzw. einen « métadiscours explicatif » durch Rückgriff auf Beispiele, Synonyme, Antonyme etc. behoben, so dass ein « étayage réciproque » (ebd.) entsteht. Degache (2006a: 145) macht außerdem darauf aufmerksam, dass die Aufgabenstellung des Projektszenarios Mediationskompetenz erfordert bzw. dazu geeignet ist, ihre Ausbildung anzubahnen, « puisqu’au moment de la réalisation de la tâche, il est nécessaire de rapporter la parole d’autrui et de synthétiser les débats ». Lenz & Berthele (2010: 18ff.) fassen Mediation als eine Methode, mehrsprachige kommunikative Kompetenz zu erreichen. Mit Blick auf G ALANET ist festzuhalten, dass es sich um eine schriftliche Mediationsform handelt. Aus Sicht der StudienteilnehmerInnen handelt es sich bei den involvierten Sprachen jeweils um Fremdsprachen: In der BS sind in der Regel alle Kompetenzbereiche ausgeprägt, während in der zu erwerbenden ZS nur eine rezeptive Lesekompetenz ausgebildet wird. 55 Vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.4 und die Ziele des diagnostischen Schreibens. 56 Mediation ist eine Form der kommunikativen Übersetzung mit dem Ziel, die Kommunikation durch ein inhaltsorientiertes Übersetzen aufrecht zu erhalten. Es geht also nicht um ein passgenaues Übersetzen, sondern um das Übertragen von Inhalten bzw. Ausräumen von Verständnisschwierigkeiten. Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch Interkomprehension 64 3.3 Zwischenfazit Zwischenfazit In Kapitel 3 wurde gezeigt, welchen Beitrag IC für die Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz leisten kann. Dabei wurden zwei Perspektiven unterschieden: Um Ähnlichkeiten und Differenzierungsbereiche deutlich zu machen, wurden zum einen die Prinzipien der sprachlernbasierten Variante von IC (vgl. Kapitel 3.1), zum anderen die der interaktionsbasierten IC auf der Plattform dargelegt (vgl. Kapitel 3.2). Zwei Punkte sind mit Blick auf die hier durchgeführte Untersuchung besonders hervorzuheben: Zum einen handelt es sich - wie erwähnt - bei G ALANET um ein Projekt, das ursprünglich für romanophone MuttersprachlerInnen konzipiert wurde. Dies ist deshalb wichtig zu unterstreichen, da deren sprachliches und kulturelles (Vor-)Wissen sich wesentlich von dem der germanophonen Studierenden unterscheidet. So bemerkt auch Meißner, „dass die um Eurom 4 und G ALATEA entstandenen Lernprogramme nicht ohne weiteres von deutschsprachigen LernerInnen nutzbar sind, da diese eben in der Regel nicht über hinreichende Kenntnisse in einer romanischen T.sprache [Transfersprache, T.P.] verfügen“ (2005a: 131). Die Untersuchung versteht sich daher als Beitrag zur Erforschung des didaktischen Mehrwerts eines webbasierten Lernarrangements für Romanophone (G ALA- NET ) aus der Sicht deutschsprachiger LernerInnen. Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand ist festzuhalten, dass IC-basierte Kommunikation auf G ALANET - neben dem Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz - v. a. auf den Erwerb einer mehrsprachigen Lesekompetenz in bisher ungelernten romanischen Fremdsprachen abzielt (vgl. Kapitel 3.2). Bezogen auf die von den StudienteilnehmerInnen studierte romanische Sprache (sog. Brückensprache) ist aus Sicht der untersuchten Gruppe hingegen neben Rezeption auch Produktion nötig, um mit den übrigen TeilnehmerInnen interagieren zu können. Die StudienteilnehmerInnen weisen unterschiedlich ausgeprägte Wissens- und Könnensbereiche auf: In ihrer Brückensprache verfügen sie über mehr oder weniger ausgeprägte funktionalkommunikative Kompetenzen. Die Kompetenzen in der bzw. den Zielsprache/ n sind hingegen nur rezeptiv ausgeprägt bzw. werden erst durch die Teilnahme am Projekt erworben. So gilt es, dieses Ungleichgewicht nach Möglichkeit durch den Einsatz geeigneter Strategien zu kompensieren, wie Coste, Moore & Zarate (1997: 27) betonen: « C’est la gestion stratégique du déséquilibre qui reste l’enjeu dans la construction des plurilinguismes » (Hervorhebung im Original). Es stellt sich ferner die Frage, wie die StudienteilnehmerInnen mit dem authentischen, zielsprachigen Input umgehen und wie sich dies auf ihr Erleben der mehrsprachigen Interaktion auswirkt. Dies betrifft insbesondere die Anwendung von Strategien, um sich ggf. auch typologisch distante Sprachen zu erschließen. So sind für die vorliegende Untersuchung v. a. die in Kapitel 3.1.4 referierten Forschungsergebnisse der deutschsprachigen Forschung zur IC- Zwischenfazit 65 Kompetenz relevant. Die Studien fokussieren das Verstehen einer bzw. zweier Zielsprachen, mit denen sich die StudienteilnehmerInnen allerdings nacheinander beschäftigen. Das hier untersuchte Setting sieht hingegen grundsätzlich die Rezeption mehrerer Zielsprachen vor. Mit Ausnahme der Untersuchung von Meißner & Burk (2001) wurde zudem eine lesebasierte Form von IC zugrunde gelegt, die eine längerfristige Auseinandersetzung mit dem zielsprachigen Input möglich macht. Dies trifft in dieser Untersuchung zwar auf Forumsnachrichten, nicht aber auf Chatdiskussionen zu. Ein Nichtverstehen im Chat dürfte mit direkten Auswirkungen auf das Erleben der mehrsprachigen Interaktion verbunden sein, die zu untersuchen sind. Schließlich liegt den in Kapitel 3.1.4 thematisierten Untersuchungen ein gesteuertes IC-Lernparadigma zugrunde, während für G ALANET in einem ungesteuerten Erwerbsparadigma zu verorten ist. In der deutschsprachigen IC-Forschung besteht daher ein Desiderat in Bezug auf interaktionsbasierte IC, das diese Untersuchung zu schließen sucht. Es ist zu untersuchen, ob es den deutschsprachigen TeilnehmerInnen gelingt, entsprechende Ressourcen in der Begegnungssituation zu mobilisieren, um sie einerseits für die interkomprehensive Kommunikation, andererseits aber auch für ihren Spracherwerb nutzbar zu machen. Bevor in Einzelfalldarstellungen der Frage nachgegangen wird, wie sich IC in Interaktion aus der Sicht deutschsprachiger Romanistik-Studierender empirisch darstellt, gibt Kapitel 4 einen Einblick in das dieser Studie zugrundeliegende Forschungsdesign. 4. Forschungsdesign Die Verortung der Studie im fachwissenschaftlichen Diskurs dient nicht nur dazu, einen Forschungsüberblick zu geben. Ein weiteres Ziel ist die Offenlegung der rezipierten Diskurse (vgl. Hu 2001: 18; Merriam 2002: 19), da diese für die Entstehung des Forschungsinteresses, die Auswahl der Forschungsmethoden sowie die erhobenen Daten maßgeblich sind. Die Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld spricht in diesem Zusammenhang von „Abhängigkeiten im Forschungssystem“ (1996: 154), die in diesem Kapitel thematisiert werden. Kapitel 4.1 widmet sich zunächst dem Zustandekommen der Forschungsfragen. Daran anknüpfend werden die Gütekriterien qualitativer Forschung diskutiert und mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand spezifiziert (Kapitel 4.2). Nach der Darstellung des Erhebungskontextes (Kapitel 4.3) sowie des Forschungsfeldes (Kapitel 4.4) wird unter Zugrundelegung der Gütekriterien die Gegenstandsangemessenheit des Designs diskutiert (Kapitel 4.5). Die unterschiedlichen Datenerhebungsinstrumente werden unter Berücksichtigung des Erkenntnisinteresses und in Bezug auf die Forschungsfragen in Kapitel 4.6 vorgestellt. 4.1 Forschungsfragen Forschungsfragen Das grundlegende Forschungsinteresse 57 wurde bereits einleitend skizziert (vgl. Kapitel 1). Die forschungsleitende Frage lautet: Wie erleben deutschsprachige 57 Im Sinne der reflektierten Subjektivität möchte ich an dieser Stelle kurz auf mein persönliches Forschungsinteresse eingehen. Merriam (2002: 11) notiert dazu: „A research study begins with your being curious about something, and that ‘something’ is usually related to your work, your family, your community or yourself“, und auch Schart (2003: 7) merkt an, dass „sich […] jedes Forschungsvorhaben vor einem biografisch gefärbten Hintergrund vollzieht.“ In der ersten Staatsexamensarbeit untersuchte ich introspektiv meine Erfahrungen interkomprehensiver und interkultureller Natur, die ich während der Teilnahme an einer G ALANET -Sitzung machte (O paleta di culturi, Februar - Mai 2009). Einerseits waren die in diesem Zusammenhang gewonnenen Einblicke für den hiesigen Untersuchungskontext und die Sitzung El tour do mondo en noranta zile wertvoll (vgl. Kapitel 4.3), da ich bereits über Kenntnisse bezüglich des Projektverlaufs verfügte. Andererseits soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass dadurch durchaus die Gefahr bestehen kann, meine im Rahmen der Staatsarbeit gemachten Erfahrungen mit dem Forschungsgegenstand auf die Forschungsteilnehmenden zu übertragen. Durch die Offenlegung von Vorannahmen (s. u.) und die Zugrundelegung des Gütekriteriums der Reflexivität (vgl. Kapitel 4.2) soll dem allerdings entgegengewirkt werden. Forschungsdesign 68 Studierende IC-basierte, romanische Mehrsprachigkeit in Interaktion mit ihren KommunikationspartnerInnen und welche Rückwirkungen ergeben sich daraus für die Entwicklung ihrer mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz? Im Sinne der Nachvollziehbarkeit (s. Kapitel 4.2) sei an dieser Stelle kurz erläutert, wie der Untersuchungsgegenstand Anpassungen des Forschungsdesigns nach sich zog. Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth (2001b: 3) verweisen insofern auf den Prozesscharakter qualitativer Forschung, welche selten in kausal-linearer Weise exakt einem vorher entwickelten Plan [folgt]. Stattdessen führen Erkenntnisse im Verlauf der Durchführung immer wieder zu einer Revision und Präzisierung der ursprünglichen Konzepte und Verfahren, weshalb der Prozesscharakter typisch für eine gegenstandsbegründete Entwicklung qualitativer Verfahren zu sein scheint. Eine wichtige Modifizierung betrifft eine Verschiebung in der Gewichtung des Erkenntnisinteresses und die in Kapitel 1 angesprochene Engführung von Sprache und Kultur. Zunächst war geplant, die Herausbildung mehrsprachiger und mehrkultureller Bewusstheit bzw. Sprachlernbewusstheit zu untersuchen (vgl. Prokopowicz 2011). Nach der Datenerhebung (vgl. Kapitel 4.6) zeigte sich jedoch, dass Indikatoren für mehrkulturelle Bewusstheit im Gegensatz zu mehrsprachiger Bewusstheit weitaus weniger aus dem Datenmaterial emergierten. 58 Mit Blick auf das Datenmaterial wurden die Forschungsfragen daraufhin um Aspekte der mehrkulturellen Bewusstheit reduziert, so dass neben dem Erleben der mehrsprachigen Interaktion nunmehr die Sprachlernkompetenz in den Fokus des Forschungsinteresses rückte. Interkulturelle bzw. mehrkulturelle Phänomene stehen damit zwar nicht mehr im Mittelpunkt der Untersuchung, doch es erscheint dennoch sinnvoll, an ausgewiesenen Stellen darauf Bezug zu nehmen. Wie in Kapitel 1 ausgeführt sind Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität nicht voneinander zu trennen, was im Laufe der Datenauswertung ebenfalls deutlich wurde (vgl. Kapitel 5). Die weiterführenden Forschungsfragen haben sich in der Auseinander-setzung mit dem Gegenstand herauskristallisiert und wurden im Laufe des Forschungsprozesses erweitert und wie folgt spezifiziert: 1. Erleben von Interkomprehension in mehrsprachiger Interaktion 1.1 Welche Haltungen lassen sich im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit aus den Schilderungen der StudienteilnehmerInnen in Bezug auf G ALANET rekonstruieren? 58 Sabines Antwort auf die Frage nach ihrer Wahrnehmung der kulturellen Vielfalt auf der Plattform mag als Beleg für diesen Befund gelten: „Also meistens hab ’ ich die noch mehr so als Europäer dann gesehen […]. Also, ich hab ’ eigentlich ganz normal mit denen geredet, sozusagen und nicht gedacht, ok, die haben jetzt einen anderen Hintergrund.“ (Interview Zeile 54). Forschungsfragen 69 1.2 Welche Rolle spielen bereits gemachte (Mehr-)Sprachenerfahrungen für das subjektive Erleben der mehrsprachigen Interaktion? Liegt darin ein Potential, das sich positiv auf die Teilnahme an G ALANET auswirkt? 1.3 Wie gehen die Studierenden mit dem mehrsprachigen Input um? Wie ‚erleben‘ die Studierenden die eigene Kompetenz in ihrer/ (n) Brückensprache/ (n) und ihre/ (n) Zielsprache(n)? 2. Ausbildung von Sprachlernkompetenz in Interaktion 2.1 Empfinden die Teilnehmenden die mehrsprachige Interaktion mit den übrigen Projektteilnehmenden als Lernen, d.h. gelingt es ihnen, aus der Interaktionssituation eine Lernsituation herzustellen? 2.2 Wie konzeptualisieren die Teilnehmenden ihre Auffassungen vom Lernen? Inwiefern ändert die IC-Erfahrung das Sprachenlernverständnis? 2.3 Lassen sich Rückwirkungen auf die Sprachlernkompetenz der StudienteilnehmerInnen feststellen? Die Forschungsfragen basieren auf subjektiv-theoretischen Vorannahmen, die im Folgenden im Sinne der reflektierten Subjektivität expliziert werden. Dabei geht es insbesondere darum, meine subjektive Forscherinnenperspektive auf den Untersuchungsgegenstand zu thematisieren (vgl. Merriam 2002: 5) und weniger darum, innerhalb der Untersuchung einen hypothesentestenden Ansatz zugrunde zu legen (vgl. Riemer 2000: 96). • Die Interaktion der deutschsprachigen Studierenden mit romanophonen MuttersprachlerInnen sowie der innovative Aspekt des Fremdsprachenlernens mit neuen Medien werden als motivierend empfunden. Die Präsenz mehrerer Sprachen und Kulturen wird als Bereicherung aufgefasst. • Bisher ‚unbekannte‘ romanische Fremdsprachen werden dank interkomprehensiver Strategien als in weiten Teilen erschließbar erfahren, was die Selbstwirksamkeit der Studierenden stärkt. Umgekehrt kann aber auch die asymmetrische Kommunikationssituation als motivationshemmend wirken, was mit dem Selbstkonzept der Studierenden zusammenhängt. • Es findet eine Sensibilisierung für sprachliche (Ir-)Regularitäten statt, wobei der Konstruktion der Hypothesengrammatik bzw. dem Ausfüllen des Lernprotokolls eine bewusstheitsfördernde Rolle zukommt. • Produktion in der Zielsprache und Code-switching erfolgt tendenziell eher im Chat, in dem ChatpartnerInnen als language learning facilitator fungieren. Diese Übereinkunft erfolgt explizit oder auch implizit. Im Forum konzentrieren sich die Studierenden bei der Rezeption auf solche Diskussionen, die ihr Interesse wecken. Sie stoßen insbesondere bei längeren, komplexen Forumsbeiträgen bzw. Chats in den Chaträumen mit einer Vielzahl Forschungsdesign 70 von Teilnehmenden an ihre Grenzen. Vor allem rumänische Beiträge stellen aufgrund der typologischen Distanz eine besondere Herausforderung dar. • Es sind Zusammenhänge hinsichtlich einer ‚reichen‘ Sprachlernbiographie und der Mitarbeit auf der Plattform zu vermuten. Studierende mit einer Migrationsgeschichte bzw. solche, die über ‚weitreichende‘ Sprachlernerfahrungen verfügen, bringen sich in stärkerem Maße auf der Plattform ein. Sie verfügen zudem über spezifische Strategien in den Bereichen savoirêtre und savoir-faire. • Es ist eine positive Einstellung in Bezug auf die Brückensprache/ n festzustellen, die als Schlüssel zum Erschließen anderer (romanischer) Sprachen konzeptualisiert wird. 4.2 Gütekriterien qualitativer Forschung Gütekriterien qualitativer Forschung In der Diskussion um Gütekriterien plädiert Steinke (1999: 43ff., 2000: 319f.) für die Generierung spezifischer Kriterien für die qualitative Forschung. Die Übertragung quantitativer Kriterien auf die qualitative Forschung (insbesondere Objektivität, Reliabilität und Validität 59 ) ist in Anlehnung an Steinke (ebd.) zurückzuweisen, da quantitative Forschungsdesigns andere Zielsetzungen und erkenntnistheoretische Zugänge verfolgen. Diese Kriterien erscheinen allenfalls in abgeänderter Form übertragbar. Was das Kriterium der Objektivität betrifft, wird im forschungsmethodologischen Diskurs zu Recht auf die konstituierende Rolle von Forschenden in qualitativen Forschungsdesigns hingewiesen. Als ‚Erkenntnissubjekt‘ sind sie aktiv am Forschungsprozess beteiligt, indem sie z.B. Entscheidungen methodischer Art treffen, die Auswertung und Interpretation der Daten vornehmen und dabei zwangsläufig eine subjektive Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand einnehmen (vgl. u.a. Morkötter 2005: 85; Strübing 2008: 16), womit sich eine Einengung der interpretativen Reichweite qualitativer Forschung ergibt. Merriam (2002: 5) bezeichnet die Rolle der Forschenden als „primary instrument for data collection and data analysis“, 60 und auch Schart (2003: 7) bemerkt, dass „qualitativ orientierte For- 59 Aguado & Riemer nennen neben diesen drei klassischen Gütekriterien noch das Kriterium der Generalisierbarkeit (2001: 246). 60 Dieser Auffassung folgend ist es m. E. nicht angebracht, Objektivität durch die Verwendung unpersönlicher oder passiver Formulierungen herstellen zu wollen. Dies ist insbesondere in den Kapiteln zur Datenerhebung und Datenanalyse wenig sinnvoll, so dass der Gebrauch von aktiven Formulierungen naheliegt. Vgl. hierzu auch Dörnyei (2007: 293): „qualitative researchers tend to use the first person singular […] rather then the impersonal ‘the researcher’“. Gütekriterien qualitativer Forschung 71 schende gar nicht umhinkommen, sich selbst als zentrales Instrument ihrer Arbeit zu sehen.“ 61 Aguado ist bezüglich der Herstellung von Objektivität ebenfalls skeptisch, denn sie hält ‚Objektivität‘ in der empirischen (Fremdsprachen)Forschung für eine Illusion. Was bestenfalls erreicht werden kann, ist Intersubjektivität, d.h. die Ermöglichung der Nachvollziehbarkeit hinsichtlich der jeweiligen Erkenntnisinteressen und Fragestellungen, des methodologischen Vorgehens, der Analyse und Interpretation der Daten. (2000a: 122) Die Forderung nach Objektivität findet also in abgemilderter Form Berücksichtigung, und zwar als Postulat der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit. Das Kriterium der Reliabilität bezieht sich innerhalb des quantitativen Paradigmas auf eine Vorgehensweise, die die Vorab-Formulierung und anschließende Testung von Hypothesen unter Verwendung von standardisierten Messverfahren zum Ziel hat. Da qualitative Forschung grundsätzlich induktivistisch (vgl. Steinke 1999: 16; Merriam 2002: 5) und zirkulär angelegt ist, 62 kommt dieses Kriterium in qualitativen Designs durch das Herstellen einer in sich konsistenten und kohärenten Theorie und deren empirischer Verankerung zum Tragen (vgl. Merriam 2002: 27). Auch wenn das Kriterium der Validität ebenfalls nicht einfach transferierbar ist, hat sich auch im Kontext qualitativer Forschungsarbeiten die Herstellung interner und externer Validität etabliert. Interne Validität lässt sich durch ein mehrmethodisches Forschungsdesign erreichen (vgl. u.a. Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 1996: 151; Henrici 2001: 34; Riemer 2000: 96), bei dem verschiedene Methoden, Theorien oder Daten miteinander verknüpft und durch Triangulation aufeinander bezogen werden (vgl. Kapitel 4.5.1 bzw. Kapitel 4.6). 63 Externe Validität bezeichnet die nachvollziehbare Dokumentation von Entscheidungen bezogen auf den Forschungsprozess (vgl. Hülst 2010: 295). Dieses Mindestmaß an forschungspraktischen Standards ist einzuhalten, da eine Forschungsarbeit nicht zum Selbstzweck entsteht, sondern insbesondere bei (fremdsprachen-)didaktischen Fragestellungen Rückwirkungen auf die Praxis herbeizuführen sucht (vgl. Henrici 2001: 34). Außerdem soll damit die Kommunizierbarkeit der Forschungsergebnisse gewährleistet werden (vgl. Steinke 1999: 11f.). Im Folgenden werden diese Gütekriterien näher umrissen und im Hinblick auf das vorliegende Projekt konkretisiert, da diese „nicht ohne 61 Dörnyei (2007: 54) äußert sich dazu wie folgt: „[A] qualitative study is inherently subjective, interpretive as well as timeand context-bound; that is, in a qualitative inquiry ‘truth’ is relative and ‘facts’ depend upon individual perceptions“. 62 Dörnyei (2007: 243) spricht von der Iterativität des qualitativen Forschungsprozesses „using a nonlinear, ‘zigzag‘ pattern: we move back and forth between data collection, data analysis and data interpretation“. 63 Merriam (2002: 27) diskutiert Triangulation als eine Strategie, die sowohl dazu geeignet ist, Reliabilität als auch Validität herzustellen. Forschungsdesign 72 Bezug auf die jeweilige Fragestellung, Methode, die Spezifik des Untersuchungsfeldes und den Untersuchungsgegenstand“ formulierbar sind (Morkötter 2005: 84). Im Wesentlichen orientiere ich mich dabei an Steinke (2000: 324ff.), die insgesamt sieben Kernkriterien für qualitative Forschung nennt (vgl. auch Grotjahn 2006: 258f.): 1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit 2. Indikation des Forschungsprozesses 3. Empirische Verankerung 4. Limitation 5. Kohärenz 6. Relevanz 7. Reflektierte Subjektivität Die zentrale Methode zur Herstellung intersubjektiver Nachvollziehbarkeit 64 ist die Dokumentation der dem Forschungsprozess zugrundeliegenden Schritte und Entscheidungen. Damit sollen Dritte in die Lage versetzt werden, die verschiedenen Stufen des Forschungsprozesses von Beginn an nachvollziehen zu können, d.h. von der Entwicklung der Forschungsfrage(n) über die Reflexion der Datenerhebungsmethoden bis hin zu Datenauswertungsverfahren (vgl. Aguado 2000b: 127f). 65 Allerdings ist insofern notwendigerweise eine Auswahl zu treffen, da nicht alle dem Forschungsprozess zugrundeliegenden Entscheidungen thematisiert werden können (vgl. Caspari 2003: 89). Grundsätzlich gilt es, Probleme und Schwierigkeiten nicht auszusparen, 66 sondern zu explizieren, was sich mit Offenheit und Kommunikation, den Merkmalen qualitativer Forschungspraxis deckt (vgl. Aguado & Riemer 2001: 246). In der vor- 64 In der englischsprachigen Literatur zur Forschungsmethodik auch bekannt unter dem Begriff audit trail, der von Guba und Lincoln (1981) eingeführt wurde (vgl. Merriam 2002: 27), und laut Dörnyei (2007: 60) wie folgt umgesetzt werden kann: „By offering a detailed and reflective account of the steps taken to achieve the results including the iterative moves in data collection and analysis, the development of the coding frames and the emergence of the main themes“. 65 Um dem Dokumentationsprinzip zu entsprechen, wurde das Zustandekommen der Forschungsfragen in Kapitel 4.1 thematisiert. Der Erhebungskontext sowie das Forschungsfeld werden in den Kapiteln 4.3 bzw. 4.4 dargestellt. Die verschiedenen Datensätze und die Erhebungsmethoden finden in Kapitel 4.6 Erwähnung, Datenanalyse und Transkriptionsregeln werden in Kapitel 5 behandelt, so dass Nachvollziehbarkeit „sowohl auf der Ebene der Datenaufbereitung wie auch auf der Ebene der Analyse und Interpretation“ (Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 1996: 151) angestrebt wird. 66 Die Darstellung von Komplikationen trägt laut Aguado (2000a: 128f.) neben der Herstellung von Nachvollziehbarkeit auch zur „Replizierbarkeit“, „Akzeptierbarkeit“ und Transferierbarkeit“ bei. Zudem betrachtet sie Offenheit auch als ein Mittel zur Selbstreflexivität. Gütekriterien qualitativer Forschung 73 liegenden Studie werden critical incidents daher als konstitutiv für den Forschungsprozess betrachtet und als Reflexionsangebot begriffen (vgl. Prokopowicz 2016). Durch die Zugrundelegung der Gütekriterien Offenheit und Reflexivität (s. u.) werden im Forschungsprozess auftretende Schwierigkeiten transparent und daraus resultierende Modifizierungen nachvollziehbar gemacht (vgl. z.B. die Modifizierung der forschungsleitenden Frage in Kapitel 4.1). Die Transparenz bezieht sich aber nicht nur auf den Forschungsprozess, sondern gleichermaßen auch auf das Forschungsprodukt, weshalb bei den Einzelfalldarstellungen (Kapitel 6) und im Ergebnisteil (Kapitel 7 und 8) ebenso eine „Darstellung der Widersprüche, Ungereimtheiten und Unterschiedlichkeiten der Perspektiven“ (Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2001b: 6) angestrebt wird. Auch Grotjahn spricht sich für eine solche Offenheit aus, die er unter dem Gütekriterium der Transparenz fasst: Ein wichtiges Desiderat ist deshalb die möglichst weitgehende Offenlegung des Forschungsprozesses unter Einschluß der jeweiligen Wert- und Zielvorstellungen (Gütekriterium der Transparenz). Erst durch eine solche Offenlegung wird Forschung kritisierbar, und erst eine diskursive Kritik ermöglicht letztendlich Aussagen über die Güte von Forschungsresultaten (1999: 140). (Hervorhebungen im Original). Zur Herstellung intersubjektiver Nachvollziehbarkeit trägt ferner die Interpretation der Daten in Gruppen 67 sowie die Anwendung kodifizierender Verfahren bei, bei denen die einzelnen Analyseschritte deutlich gemacht und detailliert dargestellt werden (vgl. Steinke 2000). Dem letztgenannten Kriterium wird Rechnung getragen, indem ein datengeleitetes Kodierverfahren angewendet wird (vgl. Kapitel 5.3). Unter Punkt 2 (Indikation des Forschungsprozesses) versteht Steinke die Auseinandersetzung mit forschungsmethodischen Zugängen bezogen auf die Fragestellung (vgl. Kapitel 4.6) sowie die Gegenstandsangemessenheit der ausgewählten Methoden, welche ich als zentrales Gütekriterium erachte und daher in Kapitel 4.5 eingehend diskutieren werde. Empirische Verankerung (Punkt 3) meint eine datengeleitete Theoriebildung, die „dicht an den Daten (z.B. den subjektiven Sicht- und Handlungsweisen der untersuchten Subjekte) und auf der Basis systematischer Datenanalyse entwickelt werden“ soll (Steinke 1999: 328). Zur Umsetzung schlägt Steinke u.a. den Rückgriff auf Textbelege vor, auf die sich die Theorie stützt sowie die Verwendung kodifizierender Verfahren 67 Dem von Steinke geforderten „explizite[n] Umgang mit Daten und deren Interpretationen“ (2000: 326, vgl. auch Riemer 2000: 99) wurde entsprochen, indem unterschiedliche Datenauszüge und vorgenommene Auswertungen mehrfach im Forschungskolloquium „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ an der JLU Gießen präsentiert und diskutiert wurden. Forschungsdesign 74 zur Datenanalyse (ebd.). Diesen Vorschlägen wird gefolgt, indem die Datenauswertung mit der Auswertungsmethode der Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996) erfolgt (vgl. Kapitel 5). Des Weiteren werde ich sowohl bei den Einzelfalldarstellungen als auch bei der entwickelten Theorie auf das Datenmaterial Bezug nehmen. Dies geschieht einerseits, um die Entwicklungsschritte der gegenstandsbasierten Theorie nachvollziehbar zu machen (vgl. Morkötter 2005: 85), und andererseits, um so den Stimmen der StudienteilnehmerInnen ausreichend Raum zu geben (vgl. Bär 2009: 125). Die von Steinke unter Punkt 4 diskutierten Limitationen qualitativer Studien liegen insbesondere darin begründet, dass spezifische Untersuchungs- und Kontextbedingungen vorliegen, die nicht standardisiert und daher nur schwer replizierbar sind. Damit die Forschungsergebnisse einerseits einer Bewertung unterzogen und andererseits für die Praxis fruchtbar gemacht werden können, ist es notwendig, über die oben angesprochene Dokumentation detaillierte Aussagen über den Untersuchungskontext zu machen, was auch als ‚dichte Beschreibung‘ bezeichnet wird (Geertz 1987). Nach Merriam (2002: 29) beinhaltet dies die Bereitstellung einer „adequate database, that is, enough description and information that readers will be able to determine how closely their situations match, and thus whether findings can be transferred.“ Die Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld (1996: 152) sieht das Dokumentationsbzw. Offenheitsprinzip eng mit dem Kriterium der Wiederholbarkeit verknüpft, dessen Voraussetzung in der detaillierten Beschreibung „der dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand eigenen Strukturmerkmale“ liegt. Nur wenn sich diese Strukturmerkmale reproduzieren ließen, sei es grundsätzlich möglich, Wiederholbarkeit herzustellen, die ihrerseits Verallgemeinerbarkeit und Vergleichbarkeit ermögliche. Das von Steinke angeführte Kriterium der Kohärenz (Punkt 5) sagt etwas darüber aus, ob die entstandene Theorie in sich konsistent ist. 68 Gleichzeitig gilt es, Widersprüche und Schwierigkeiten offenzulegen, was sich wiederum mit dem erstgenannten Kriterium der Nachvollziehbarkeit bzw. dessen Merkmal ‚Offenheit‘ deckt. Das Gütekriterium der Relevanz (Punkt 6) beleuchtet, inwieweit die zugrunde gelegten Forschungsfragen bedeutsam sind bzw. ob überhaupt ein Forschungsdesiderat besteht (vgl. Kapitel 4.1). Die sog. reflektierte Subjektivität (Punkt 7) steht in engem Zusammenhang mit dem Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, da beide Kriterien einen selbstreflexiven 68 Laut Merriam (2002: 27) zählt die Generierung einer in sich konsistenten Theorie zu den Hauptzielen qualitativer Forschung, die zudem dazu dient, Reliabilität herzustellen: „The more important question for qualitative researchers is whether the results are consistent with the data collected. […] That is, rather than insisting that others get the same results as the original researcher, reliability lies in others‘ concurring that given the data collected, the results make sense - they are consistent and dependable“ (Hervorhebung im Original). Der Erhebungskontext: Galanet 75 Umgang bezogen auf den Forschungsprozess implizieren. So fordert auch Aguado (2000a: 128) eine Bewusstwerdung bezogen auf Forschungsgegenstand, Vorannahmen, Erkenntnisinteresse, Zielsetzung, Methodenwahl und Interpretation der Daten. Ich verstehe diese Selbstreflexion als innere Haltung, die ich als wesentlich für den gesamten Forschungsprozess auffasse. Bevor ich in Kapitel 4.5 zeige, inwieweit die vorliegende Untersuchung den hier aufgestellten Gütekriterien Rechnung trägt, werde ich im folgenden Kapitel zunächst den Erhebungskontext skizzieren. 4.3 Der Erhebungskontext: G ALANET Der Erhebungskontext: GALANET Die Plattform wurde bereits in Kapitel 3.2 im Hinblick auf Lernziele und Vorgehensweise beschrieben. Das vorliegende Kapitel beleuchtet nun die dreimonatige Projektphase, innerhalb der die Datenerhebung auf der Plattform stattfand. Zunächst skizziere ich die Sitzung El tour do mondo en noranta zile unter Beteiligung der équipe de Giessen (Kapitel 4.3.1), um einen Überblick über das Projektszenario zu geben. Daran anschließend komme ich auf die zentralen Kommunikationsformen Forum (Kapitel 4.3.2) und Chat (Kapitel 4.3.3) zu sprechen. Abschließend werde ich die Publikation der mehrsprachigen Lernertexte in Form des dossier de presse veranschaulichen (Kapitel 4.3.4). 4.3.1 Die Sitzung El tour do mondo en norante zile Bei der Sitzung handelte es sich um eine sog. session à thème, d.h. bei der vorherigen Planung hatte die responsable de la session eine themengeleitete Sitzung zu mobilité et tourisme angekündigt. Die Sitzung war auf den Zeitraum zwischen 17. Februar und 25. Juni 2010 terminiert. Es nahmen 16 Gruppen mit insgesamt 198 Studierenden aus Argentinien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Italien, Rumänien und Spanien teil. Unter den Teilnehmenden gibt es unterschiedliche Statusgruppen: Die bzw. der responsable de la session eröffnet die Sitzung und ist für die Organisation sowie die zeitliche Einteilung der Phasen verantwortlich. Die einzelnen Gruppen haben eine/ n coordinateur local/ coordinatrice locale, der/ die in der Regel auch DozentIn der Präsenzphasen an der Universität ist, und die Studierenden auf der Plattform anmeldet. Dieser Umstand führte zum einen dazu, dass ich die Aktivitäten der germanophonen Studierenden als coordintatrice locale auf der Plattform begleiten konnte und so im Sinne der teilnehmenden Beobachtung einen umfassenden Einblick in den Untersuchungsgegenstand erhielt. Meine Teilnahme an der Sitzung war für die Studierenden transparent, u.a., weil die Kommunikation mit den Studierenden über die Plattform erfolgte. Allerdings gehen mit der Doppelrolle Forschende - Lehrende erhöhte Legitimations- und Reflexionsanforderungen einher, die in Kapitel 4.4 erneut aufgegriffen werden. Forschungsdesign 76 Eine Sitzung auf G ALANET entspricht dem blended-learning Prinzip, da Online- und Präsenzphasen alternieren (vgl. Degache & Tea 2003: 80). Bei der Plattform handelt es sich um eine sog. multi-user domain (vgl. Döring 2003: 99ff.), deren Startseite die virtuelle Nachahmung einer Büroetage eines Verlages darstellt (vgl. Abbildung 10.1). Es gibt insgesamt 15 Räume, die per Doppelklick betretbar sind und im Inneren Funktionen und interaktive Aufgabenformate bereithalten. Diese Räume lassen sich in öffentliche und nicht-öffentliche Räume einteilen. Erstere sind allen angemeldeten NutzerInnen zugänglich, die letztgenannten nur bestimmten Gruppen oder einzelnen UserInnen. 69 Die Sprache des Interface ist frei wählbar (s. Anhang 10.1 rechts oben). 70 Den kommunikativen Dreh- und Angelpunkt der Plattform bilden das Forum sowie die drei Chaträume (vgl. Kapitel 4.3.2. und 4.3.3). Zwei öffentliche Räume mit informativem Charakter sind der espace d’autoformation (s. Abb. 5) und die salle des ressources (s. Abb. 6). Der espace d‘autoformation verfügt über Module, mit denen die Orientierung auf der Plattform sowie ein Überblick über das Projektszenario erleichtert werden sollen. Mit diesen Modulen lassen sich in interaktiven Anwendungen die Plattform und deren Funktionen entdecken. Außerdem ermöglichen sie die Durchführung von IC-Übungen für das ausgewählte Sprachenpaar, d.h. Brücken- und Zielsprache (s. Abb. 5 bzw. 6 rechts oben). Die Module decken die Bereiche Textverstehen (Modul 1 + 4) sowie Hörverstehen (Modul 2 + 3) ab. Vor allem die Module 1 und 7 sollen die TeilnehmerInnen für die interkomprehensive Kommunikation auf der Plattform sensibilisieren und auf die mehrsprachige Interaktion im Forum bzw. im Chat vorbereiten: 69 Für eine umfassende Darstellung s. Quintin & Masperi (2006) oder die Informationsbroschüre zu G ALANET : www.galanet.eu/ publication/ fichiers / manuel.pdf. 70 Es ist zu wählen zwischen Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Rumänisch und Katalanisch. Die Forschungsteilnehmenden entschieden sich hier i.d.R. für ihre Brückensprache. Der Erhebungskontext: Galanet 77 Abbildung 5: Espace d’autoformation In der salle des ressources finden UserInnen eine Übersicht zu IC-Strategien (s. Abb. 6). Im Gegensatz zum espace d’autoformation gibt es hier keine interaktiven Aufgabenformate, sondern lediglich Darstellungen textueller Art. Es werden u.a. Hinweise zur Erschließung von Texten gegeben, z.B. die Berücksichtigung von Kontextinformationen oder Hypothesenbildung bzgl. des Inhalts einer Forumsnachricht. Außerdem sollen die UserInnen für Schlüssel- und Vernetzungswörter sowie Satzkonstituenten sensibilisiert werden. Des Weiteren ist eine Einführung in die interromanische Phonologie und Morphologie zu finden, in der bspw. Derivation und Komposition erläutert sowie phonologische und morphologische Kongruenzen dargestellt werden. Die TeilnehmerInnen haben jederzeit Zugriff auf diese Anwendung und können sie insbesondere bei Verständnisschwierigkeiten nutzen: Abbildung 6: Salle des ressources Forschungsdesign 78 Zu den nicht-öffentlichen Bereichen zählen mon bureau und mon équipe. Im Büro können die Teilnehmenden ihr persönliches Profil erstellen, ein Foto hochladen und einen Text zur Vorstellung ihrer Person schreiben. Der Bereich mon équipe hingegen ist der gruppeninternen Kommunikation bzw. Organisation vorbehalten − er ist lediglich den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe zugänglich. Neben der Möglichkeit, Dokumente im collecticiel hochzuladen trifft man sich hier zu einem chat de l’équipe, z.B. um das weitere Vorgehen abzustimmen oder um Aufgaben zu verteilen. 4.3.2 Asynchrone Kommunikation im Forum und der messagerie Auf der Plattform gibt es zwei Möglichkeiten zur asynchronen Kommunikation: Teilnehmende können mittels der messagerie persönliche Nachrichten austauschen oder aber im Forum miteinander in Kontakt treten. Mit entsprechendem Filter lassen sich in der messagerie Nachrichten an einzelne Personen, Gruppen oder aber auch an sämtliche Teilnehmende versenden, was die gruppeninterne aber auch gruppenübergreifende Kommunikation erleichtert. Innerhalb des Lernszenarios stellt das Forum den kommunikativen Mittelpunkt dar, da hier die Diskussion der verschiedenen Themen im Hinblick auf das zu erstellende dossier de presse erfolgt (vgl. Degache & Tea 2003: 75). Es gibt insgesamt vier verschiedene Foren, die den vier Phasen entsprechen (vgl. Kapitel 3.2.2), denn mit Erreichen der nächsten Phase wird ein neues Forum eingerichtet. In der 1. Phase sind die eingebrachten Themen in der Regel unterschiedlicher Natur; im Fall der themengeleiteten Sitzung El tour do mondo en noranta zile (s. Kapitel 4.3.1), kreisten die Forumsbeiträge der Phase 1 bereits um das Thema mobilité et tourisme. Die folgende Abbildung zeigt einen Auszug aus dem Forum der 1. Phase, die Zahl in Klammern hinter den einzelnen Threads 71 gibt die Anzahl der dazu geposteten Beiträge an: 71 Der zweite Thread Trouvons un nom à la session dient der Diskussion verschiedener Namensvorschläge für die Sitzung. Die TeilnehmerInnen entschieden sich für ein Code-mixing der am Projekt beteiligten Sprachen: El tour do mondo en noranta zile. Der Erhebungskontext: Galanet 79 Abbildung 7: Auszug aus dem Forum der Phase 1 (Übersicht der Threads) TeilnehmerInnen können jederzeit einen neuen Thread im Forum posten, der i.d.R. aus einer Überschrift in Form eines Hyperlinks (s. o.) besteht, welcher zur Diskussion führt. Zudem ist der Diskussion ein kurzer Einleitungstext vorangestellt, in dem umrissen ist, welche Aspekte zur Diskussion gestellt bzw. welche Fragen aufgeworfen werden. Beispielhaft sei dies an einem Auszug der Diskussion Être un citoyen du monde veranschaulicht: Forschungsdesign 80 Abbildung 8: Forumsdiskussion Être un citoyen du monde Die geposteten Beiträge finden sich in chronologischer Reihenfolge unter dem Einleitungstext, der neueste Beitrag steht an erster Stelle. Die Struktur der Beiträge gibt Auskunft über den Namen des Verfassers (links oben) sowie den Zeitpunkt der Beitragserstellung (rechts oben). Unterhalb der Nachricht finden sich drei Hyperlinks, mit denen man zum Verfasserprofil und zum Gruppenprofil navigieren kann. Der Hyperlink statistiques informiert über die Anzahl der geposteten Beiträge gestaffelt nach Verfasser und Gruppen. In den Foren der vier Phasen wurden insgesamt 2.815 Forumsbeiträge ausgetauscht, die sich wie folgt verteilen: • Phase 1: 1.044 Beiträge (36 Threads) • Phase 2: 972 Beiträge (31 Threads) • Phase 3: 561 Beiträge (14 Threads) • Phase 4: 179 Beiträge (11 Threads) In der 1. Phase wurden also mehr als die Hälfte aller Beiträge gepostet, die im Allgemeinen zur produktivsten Phase gehört (vgl. Masperi & Quintin 2007: 118). Die Interaktion in Foren stellt eine asynchrone Form der Kommunikation dar. Dies führt zu einer zeitlichen Distanz zwischen Lesen und Verfassen der Forumsbeiträge (vgl. Rösler 2007: 49), was den Vorteil hat, dass sich einge- Der Erhebungskontext: Galanet 81 hend mit dem brücken- und zielsprachlichen Inbzw. Output auseinandergesetzt werden kann. Dies ist nicht zuletzt beim Lesen längerer Nachrichten von Vorteil, da der Dekodierungsprozess unter Zuhilfenahme von Wörterbüchern oder Rückgriff auf die in der salle de ressources bereitgestellten Ressourcen erfolgen kann. In diesem Zusammenhang geben Degache & Tea (2003: 76) allerdings zu bedenken, dass sich die Teilnehmenden gerade bei sehr langen Diskussionssträngen selten die Mühe machen, die gesamten vorangegangenen Threads zu sichten, sondern ihren Beitrag auf das Geratewohl posten. Dies hat zur Folge, dass einzelne Beiträge nicht aufeinander Bezug nehmen, so dass eine beliebige Aneinanderreihung von Meinungen zustande kommt: Ainsi, les forums sont parfois plus « multilingues » que « plurilingues » en ce sens qu’on peut y trouver des messages déposés dans des langues différentes mais sans relation évidente entre eux, […] plutôt qu’un véritable débat plurilingue où chaque intervenant tient compte des interventions précédentes au moment de se manifester […]. In einem solchen Fall ist es Aufgabe der coordinateurs bzw. coordinatrices, die UserInnen dazu anzuhalten, sich zunächst einen Überblick über die geposteten Beiträge zu verschaffen, bevor sie einen eigenen Forumsbeitrag abschicken. Degache & Tea sprechen insofern von « ajustement réciproque […] où les étudiants affirment avoir lu les différents messages qui composent la section d’un forum et avoir tenu compte des contenus de ces messages » (2003: 89). Dies kann z.B. durch die explizite Anrede eines Teilnehmenden geschehen, die oftmals durch eine Begrüßungsformel begleitet wird, welche phatische Funktion hat (vgl. Afonso & Poulet 2003: 70). Aber auch das Beantworten von Fraugen zeugt davon, dass sich TeilnehmerInnen intensiv mit der vorangegangenen Diskussion beschäftigt haben (vgl. Degache & Tea 2003: 89). Grundsätzlich besteht das Gebot, nicht zu lange Nachrichten zu verfassen, sich klar und präzise auszudrücken sowie Orthographie und Konventionen bezüglich Höflichkeit und Moral zu beachten. 72 Gerade lange Nachrichten bergen die Gefahr, dass sie von den übrigen UserInnen ‚übergangen‘ werden, da sie sich außerhalb der ‚Zone der proximalen Entwicklung‘ befinden, wie Degache (2004: 44) unter Bezugnahme auf Vygotsky feststellt: Néanmoins, de nombreux messages, plutôt longs et culturellement marqués, peuvent être vus comme mal adaptés à la spécificité de cette situation de communication exolingue-plurilingue, bien loin en tout cas de la « zone proximale de développement » (Vygotsky, 1934) de chaque participant, laquelle doit en outre prendre en compte les différentes langues à découvrir et apprendre à comprendre. 72 Dies ist u.a. in der Charta geregelt: www.galanet.eu/ autoformation/ modules/ M70/ charte_galanet.htm. Forschungsdesign 82 Zudem zeichnen sich die Forumsdiskussionen durch ein hohes Maß an Multiperspektivität aus, da die einzelnen Themen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und diskutiert werden, die auf unterschiedliche kulturelle Orientierungssysteme verweisen. Indem die Perspektiven zueinander in Relation gesetzt werden, werden u. U. Verstehensprozesse ausgelöst, die nicht nur eine geschärfte Sichtweise in Bezug auf die Zielkultur, sondern auch auf die Ausgangskultur zulassen und damit zur Herausbildung einer intercultural awareness beitragen können. Besonders interessant erscheint dabei die Tatsache, dass die Plattform nicht nur interkomprehensives bzw. interkulturelles Lernen in Bezug auf eine Zielsprache bzw. Zielkultur ermöglicht, sondern die TeilnehmerInnen zugleich Zugang zu mehreren Sprachen und Kulturen haben. 4.3.3 Synchrone Kommunikation im Chat Die Plattform sieht lediglich textbasierten Chat vor (d.h. es gibt keine Funktion, mit der sich ein voice-chat durchführen ließe). Außerdem ist der Chat nicht tutoriell begleitet, wie dies in anderen (Lern-)Umgebungen der Fall ist. Álvarez Martínez (2008: 218) unterscheidet organisierte, halborganisierte und spontane Zusammenkünfte im Chat. Unter organisierte Treffen fallen solche, zu denen sich zwei oder mehrere Gruppen verabreden, um über ein vorher festgelegtes Thema zu chatten, das z.B. aus einer Forumsdiskussion entstanden ist. Halborganisierte Chats werden ebenfalls vorher angekündigt, folgen aber nicht einer vorher festgelegten themenbasierten Diskussion, denn das Thema ergibt sich vielmehr in der Interaktion. Dies gilt ebenfalls für spontane Chats. Mit der Funktion Qui est où? sind auf der Plattform eingeloggte TeilnehmerInnen grundsätzlich für alle anderen sichtbar, d.h. es wird angezeigt, in welchem Raum sich die Personen befinden und zu welcher équipe sie gehören. 73 Die TeilnehmerInnen haben die Möglichkeit, ihren Status auf je ne veux pas être dérangé zu ändern, wenn sie nicht angeschrieben werden möchten (siehe Abb. 9). Durch Doppelklick auf eine eingeloggte Person öffnet sich ein Dialogfeld, mit dem sich eine sog. conversation privée führen lässt, die auf zwei Chatpersonen begrenzt ist. Im Gegensatz zu den Chats in den drei Chaträumen finden die chats privés meistens spontan statt. Ihr Inhalt wird außerdem nicht archiviert, sondern ist lediglich für die beiden Chattenden sichtbar 74 . Die TeilnehmerInnenzahl in einem Chat im Chatraum ist hingegen unbegrenzt und die 73 Dieses Dialogfeld öffnet sich durch Doppelklick auf ‚das Auge‘, das sich auf der Startseite links unten befindet (vgl. Startseite im Anhang 10.1). 74 Aus den chats privés konnten daher nur Daten gewonnen werden, wenn die Forschungsteilnehmenden die Chats kopierten und ihr Lernprotokoll einfügten (vgl. Kapitel 4.6.2). Der Erhebungskontext: Galanet 83 Chatsequenzen werden unter dem jeweiligen Datum im archive des chats gespeichert, so dass sie für alle TeilnehmerInnen einsehbar sind. Ein Chat im Chatraum wird i.d.R. mit einer zeitlichen Vorlaufzeit am panneau d’affichage angekündigt (siehe Abb. 10). Abbildung 9: Qui est où? Abbildung 10: Panneau d’affichage Im Gegensatz zu den Forumsdiskussionen handelt es sich bei Chats um eine synchrone Form der Kommunikation, d.h. es besteht keinerlei zeitliche Distanz in Bezug auf den Informationsaustausch. Es ist daher auch nicht möglich, sich zeitintensiv mit dem brücken- oder zielsprachlichen Inbzw. Output zu beschäftigen, was teilweise zu Ausdrucks- oder Verständnisschwierigkeiten führen kann. Rösler (2007: 61) macht darauf aufmerksam, dass dies nicht zwangsläufig mit den sprachlichen Kompetenzen der Chattenden zu tun haben muss, denn „verbale Schlagfertigkeit, schnelle Auffassungsgabe und die Fähigkeit, Forschungsdesign 84 Gedanken per Tastatur schnell zu verschriftlichen sind eigentlich nicht unbedingt eine Sammlung von Charakteristika für Fremdsprachenlernende“. Die (mehrsprachige) Kommunikation per Chat ist darüber hinaus günstig für das Aufkommen von Aushandlungsprozessen, „bei denen die Lernenden gemeinsam Bedeutungen aushandeln und welche insbesondere für die Förderung interkultureller Lernprozesse geeignet sind“, wie Biebighäuser, Schmidt & Zibelius feststellen (2012: 27). Da es sich um einen reziproken Verstehensprozess handelt, ist es nicht nur nötig, das eigene Verstehen sicherzustellen, sondern auch auszuloten, ob das Verstehen beim Gegenüber gelingt. Die ChatteilnehmerInnen sind also im besonderen Maße darauf angewiesen, ihr gegenseitiges Verstehen auszuloten und Strategien der Verständnissicherung anzuwenden. Degache (2004: 38) nennt in diesem Zusammenhang folgende Strategien: • Reformuler dans sa propre langue pour vérifier sa compréhension, • Recourir si possible ponctuellement à la langue de l’autre, • Ajuster si nécessaire sa production aux compétences réceptives du destinataire, • Solliciter l’aide d’autrui et en procurer à son tour […], • Recourir aux ressources internes et externes pour résoudre des difficultés. Chats in den Chaträumen stellen aufgrund der hohen TeilnehmerInnenzahl erhöhte Anforderungen an die ChatteilnehmerInnen, da sie sich durch eine rasche Abfolge von turns auszeichnen, wodurch es zu Überlappungen kommt. Die Redeübernahme hängt dabei in erster Linie von der Schnelligkeit ab, mit der die Nachrichten ausgetauscht werden. Es wird eher selten verhandelt bzw. explizit koordiniert, wer Rederecht erhält. Obwohl man sieht, dass andere ChatteilnehmerInnen gerade im Begriff sind, Nachrichten zu verfassen, gibt es Strategien, um die Gesprächsabfolge zu organisieren. So werden sog. turn-taking Signale benutzt, die den Wechsel eines Redebeitrages anzeigen. Degache & Álvarez Martínez (2009: 163) nennen u.a. die Verwendung des Namens von ChatteilnehmerInnen, auf die sich entweder ein Redebeitrag bezieht oder an die eine Frage gerichtet ist. Des Weiteren existieren sog. marqueurs de contact, die die Aufmerksamkeit der übrigen ChatteilnehmerInnen auf einen Redebeitrag lenken sollen, was durch Äußerungen wie oye, escuchad oder écoutez geschehen kann. Schließlich erwähnen die Autoren Fragepartikel wie ¿no? , ¿verdad? oder n’est-ce pas? , die eine Appellfunktion aufweisen. 4.3.4 Das dossier de presse Die Erstellung des dossier de presse ist das Aufgabenziel einer Sitzung auf G A- LANET , auf das die UserInnen seit der 1. Phase hinarbeiten. Die Erstellung und Publikation beruht auf einer Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen équipes, allen voran der équipe rédactionnelle, die sich aus mindestens zwei Mit- Der Erhebungskontext: Galanet 85 gliedern jeder Gruppe zusammensetzt. Diese Gruppenmitglieder verfassen einen Einführungstext für das dossier de presse und sind für die Benennung der Unterthemen zuständig. Das dossier de presse ist nicht nur in sprachlicher, sondern auch in struktureller Hinsicht ein komplexes Dokument: Es besteht aus einem Titel gefolgt von einem mehrsprachigen Einleitungstext (ligne éditoriale) sowie Rubriken, die den Unterthemen der Diskussionen aus Phase 2 bzw. 3 entsprechen. Die Überschriften der einzelnen Rubriken führen in Form von Hyperlinks zu einer Synthese der betreffenden Forumsdiskussion. Mit einem einführenden Text wird eine Rubrik vorgestellt, die außerdem Fotos und weitere Text-, Audio- oder Videodateien umfasst, die in Form von Hyperlinks zugänglich sind. Das Internet dient also der Recherche- und Informationsbeschaffung, gibt aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, die mehrsprachigen Lernertexte zu publizieren (vgl. Rösler 2007: 58). Rösler macht darauf aufmerksam, dass Lernende durch die Produktion von mitteilungsbezogenen Lernertexten „[m]it Hilfe der digitalen Medien […] in komplexen Lernumgebungen weitergehend als bisher zu Autoren werden, wenn ihre Reaktionen auf Texte im Netz selbst wiederum Gegenstände werden, mit denen andere Lernende umgehen“ (2007: 129f.). Genau dies ist auf der Plattform der Fall, denn die Lernertexte werden durch die équipe rédactionnelle korrigiert und den TeilnehmerInnen zur Diskussion gestellt, bevor sie schließlich im Netz publiziert werden. 75 Bei der Erstellung des dossier de presse steht das individuelle Interesse der UserInnen im Zentrum. Es werden Fragen bearbeitet, die zuvor von den Teilnehmenden entwickelt wurden, was nicht nur zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema führt, sondern auch für entsprechende Motivation sorgt. Aufgrund der gemeinsamen Bearbeitung der mehrsprachigen Webseite wird kooperatives Lernen gefördert, da die Themen mit den übrigen UserInnen ausgehandelt und diskutiert werden. Die interkomprehensive Kommunikation auf der Plattform erfolgt demnach nicht zum Selbstzweck, sondern verfolgt ein Ziel, das es gemeinsam zu erreichen gilt: Il ne s’agit plus seulement de comprendre une langue mais de comprendre et se faire comprendre en situation de communication plurilingue pour mener à bien une tâche de manière collaborative. (Séré 2010: 91). Nachdem nun der mediale Erhebungskontext skizziert ist, wende ich mich im nächsten Kapitel dem Forschungsfeld zu. Vollmer weist darauf hin, dass eine allein lernerorientierte Perspektive auf den Fremdsprachenerwerb zu kurz greift, da dieser stets „im Rahmen bestimmter gesellschaftlicher, sozialer, institutioneller und situativer Bedingungen stattfindet“, die es in Forschungsarbeiten zu beschreiben gilt (2001a: 22; vgl. auch Grotjahn 2006: 248; Merriam 2002: 5). Diese Bedingungen stellen nicht nur für das kollaborative Lernen auf der 75 Link zum dossier de presse: www.galanet.eu/ dossier/ index.php? IdDossier =41. Forschungsdesign 86 Plattform G ALANET ein konstituierendes Merkmal dar, sondern sind auch innerhalb dieser Studie als Einflussgröße zu sehen. Sie bestimmen u.a. den Zugang zum Forschungsfeld, die Verweildauer darin oder auch den Kontakt zu den StudienteilnehmerInnen, weshalb Dörnyei (2007: 60) sich dafür ausspricht, den Forschungskontext “in rich contextualized details“ zu beschreiben. Auch Steinke (1999: 228) plädiert im Zusammenhang mit dem aufgestellten Gütekriterium der Limitation (vgl. Kapitel 4.2) für „detaillierte Angaben der Forscher über die Kontexte, in denen die Daten erhoben wurden und genaue Beschreibungen der im Anwendungsfall interessierenden Kontexte“ (Hervorhebung im Original). 4.4 Forschungsfeld und forschungsethische Überlegungen Forschungsfeld und forschungsethische Überlegungen An der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), an der die Datenerhebung stattfand, sieht der Modulplan der Studierenden mit dem Studienziel Lehramt Französisch bzw. Spanisch im Wintersemester optional ein Seminar zur Mehrsprachigkeitsdidaktik vor. 76 Die Teilnehmenden dieses Seminares belegen i.d.R. im darauf folgenden Semester eine Übung zur IC. In diesen organisatorischen Rahmen fiel die Veranstaltung „Panromanische Interkomprehension und Mehrsprachigkeitserwerb im Chat (G ALANET )“ im Sommersemester 2010. 77 Der Beginn der Sitzung auf der Plattform überschnitt sich aufgrund unterschiedlicher Semesterzeiten mit der vorlesungsfreien Zeit an der JLU, was an der internationalen Zusammensetzung der équipes liegt. Potentielle TeilnehmerInnen wurden daher in der letzten Vorlesungswoche durch Kurzreferate in fachdidaktischen Seminaren und Vorlesungen über die Übung und die Möglichkeit zur Teilnahme an G ALANET informiert. Es gelang, insgesamt 16 76 Im Rahmen dieses Seminars verfassen die Studierenden eine Hausarbeit. Den Teilnehmenden der Übung wurde die Möglichkeit gegeben, ihre Erfahrungen mit G A- LANET in dieser Hausarbeit zu analysieren, wovon drei Studierende, die auch für die Einzelfalldarstellung ausgewählt wurden, Gebrauch machten (Anja, Marco, Sabine). Die Hausarbeiten waren also im Rahmen der Datenerhebung nicht vorhergesehen und liegen auch nicht für das gesamte Sample vor. Trotzdem bietet der Rückgriff auf diese Texte eine Erkenntniserweiterung, die im Sinne der dichten Beschreibung m. E. nicht außer Acht gelassen werden sollte, da sie zu einem tiefen Verständnis auf der Fallebene führen kann. In Anlehnung an Glasers Diktum „all is data“ (2007: 93) und Flick, der die Möglichkeit diskutiert, auch solche Dokumente der Analyse zuzuführen, die nicht explizit zu Forschungszwecken erhoben wurden (2011: 321f.), werde ich bei den jeweiligen Falldarstellungen (s. Kapitel 6.2, 6.4 und 6.5) Bezug auf die Hausarbeiten nehmen, um Lesarten bzw. Gegenlesarten zu explizieren. 77 I. d. R. werden zwei Übungen zur IC angeboten, so dass die Studierenden zwischen den beiden Übungen wählen konnten. Forschungsfeld und forschungsethische Überlegungen 87 Studierende 78 für die Teilnahme zu gewinnen, die mit sieben Studierenden zum Großteil aus dem Mehrsprachigkeitsdidaktikseminar des Wintersemesters stammten. Fünf Studierende zogen die Übung vor, sie waren in einer Einführungsvorlesung informiert worden, während sich drei Studierende lediglich für eine Mitarbeit auf der Plattform entschieden (s. Abb. 11). Was das Vorwissen bezogen auf mehrsprachigkeitsdidaktische Konzepte und Theorien betraf, handelte es sich also um eine heterogene Gruppe - die Hälfte verfügte bereits über Vorkenntnisse aus dem Hauptseminar, während die übrigen TeilnehmerInnen keinerlei theoretische Kenntnisse in Bezug auf IC hatten. Aus Forscherinnenperspektive sehe ich die unterschiedliche Gruppenzusammensetzung jedoch als Chance, zu einer differenzierten und umfassenden Erfassung des Gegenstandes zu gelangen. Mit der Doppelrolle Lehrende - Forschende gehen erhöhte forschungsmethodische Legitimations- und Reflexionsanforderungen einher, denn diese Doppelrolle kann einen Einfluss auf den Entstehungskontext der Daten haben. So bat ich die StudienteilnehmerInnen in meiner Funktion als coordinatrice der Gießener équipe bspw. in Phase 2 darum, Unterthemen für das Oberthema moblité et tourisme zu erarbeiten und in das Forum einzubringen. Die Sprachdaten in Forum und Chaträumen wurden also von den Studierenden in dem Wissen verfasst, dass diese von mir als coordinatrice im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung auf der Plattform gelesen werden würden (vgl. Kapitel 4.3 bzw. 4.6.1). Gleiches galt für die Lernprotokolle (vgl. Kapitel 4.6.2) und Sprachlernbiographien (vgl. Kapitel 4.6.3). Dieser Umstand kann u. U. Verzerrungen (Stichwort soziale Erwünschtheit) nach sich ziehen, so dass der Entstehungskontext der Daten zu reflektieren und eine entsprechende Sensibilität gegenüber dem Material angebracht ist. Gegenüber den Vorteilen, die diese Doppelrolle mit sich bringt, sind die angesprochenen Herausforderungen jedoch vergleichsweise gering. Durch die teilnehmende Beobachtung konnte ein umfassendes Kontextwissen erworben werden, das sich im Rahmen von Fallstudien mit dem Anspruch einer dichten Beschreibung (Geertz 1987) deckt (vgl. Kapitel 4.5.2). Des Weiteren musste der Kontakt zum Feld und zu den StudienteilnehmerInnen nicht eigens hergestellt werden, was sich durch das Zustandekommen eines Vertrauensverhältnisses positiv auf die Interviewsituation auswirkte (vgl. Kapitel 4.6.4). 4.4.1 Die StudienteilnehmerInnen Qualitative Forschungsansätze sind in besonderem Maße auf die Kooperation der StudiensteilnehmerInnen angewiesen, v. a. wenn es um deren Fähigkeit und Bereitschaft geht, ihre Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu ver- 78 Eine Studentin trat bereits in der Anfangsphase zurück. Forschungsdesign 88 balisieren. Die StudienteilnehmerInnen wirken konstitutiv am Forschungsprozess mit und sind deshalb in Anlehnung an Aguado keineswegs als ‚Beforschte‘ 79 zu sehen sind: Es gilt also, die Lehrenden (und Lernenden) nicht zu Datenlieferanten zu degradieren, sondern sie als Experten für das Lehren (und Lernen) von fremden Sprachen anzuerkennen […]. Grundsätzlich gilt, dass die Forschungsteilnehmer über das Forschungsvorhaben, seine Zielsetzung und das methodische Vorgehen aufgeklärt werden müssen. (2000a: 127) Es sei insofern betont, dass ich die beteiligten Studierenden nicht etwa als Forschungsobjekte, „sondern als Erkenntnissubjekte“ betrachte, und sie vielmehr als „in den Forschungsprozess integriert“ (Schart 2003: 15) verstehe. Die Einbeziehung der StudienteilnehmerInnen in den Forschungsprozess erfordert forschungsethische Überlegungen: So müssen entsprechende Abwägungen und Entscheidungen getroffen werden, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang die Beteiligten über ihre Rolle informiert werden sollen (vgl. Dörnyei 2007: 65). In der vorliegenden Studie wurden die Studierenden erst nach Abschluss der Projektphase darüber informiert, dass es sich um ein Forschungsprojekt handelt. Zwei Gründe waren dafür ausschlaggebend: Einerseits sollte die Interaktion auf der Plattform so authentisch wie möglich verlaufen, andererseits sollten die Studierenden ihre Erfahrungen in den Lernprotokollen in erster Linie für sich reflektieren. Die Offenlegung erfolgte in der letzten Seminarsitzung, in der auch das Einverständnis der Studierenden eingeholt wurde, ihre Daten in anonymisierter Form im Rahmen des Forschungsprojektes verwenden zu dürfen (sog. „informed consent“, Rallis & Rossman 2009: 276). Unter forschungsethischen Gesichtspunkten ist davon die Frage betroffen, wie Anonymität herzustellen ist, denn [q]ualitative research takes place in the field, with real people who live and work in the setting. […] Qualitative researchers must carefully consider how to treat the identities of participants. This challenge has two elements: protecting their privacy (identities, names, and specific roles) and holding in confidence what they share with you (not sharing it with others using their names). (Rallis & Rossman 2009: 275) Um diesem forschungsethischen Prinzip zu entsprechen, beziehe ich mich auf die StudienteilnehmerInnen unter Rückgriff auf pseudonymisierte Namen, welche auch auf die Forumsnachrichten bzw. Chatauszüge übertragen wurden. Da es sich bei G ALANET um eine halböffentliche Plattform handelt, zu der grundsätzlich jede/ r Interessierte Zugang hat, wurden die Forschungsteilneh- 79 Vgl. insofern auch die Kritik bezüglich der Verwendung des Begriffs ‚Probanden‘, u.a. bei Schart (2003: 19). Forschungsfeld und forschungsethische Überlegungen 89 menden nach Beendigung des Internetprojekts zudem darum gebeten, das persönliche Profilbild zu löschen. Abbildung 11 80 gibt einen Überblick über die von den StudienteilnehmerInnen zum Zeitpunkt der Studie bereits erworbenen bzw. erlernten Sprachen, die gewählte Zielsprache 81 sowie Studienfächer der TeilnehmerInnen. Studierende L 1 Studienfächer / Brückensprache(n) Kenntnis weiterer Sprachen Seminar zur Mehrsprachigkeit im WS Zielsprache Vaska Deutsch Mazedonisch Spanisch Englisch Latein Ja Italienisch Meltem Deutsch Türkisch Spanisch Englisch Latein Ja Italienisch Karina Deutsch Französisch Geschichte Englisch Ja Spanisch Baroudi Deutsch Französisch Arabisch Französisch Politik u. Wirtschaft Englisch Ja Spanisch Anja Deutsch Russisch Spanisch Englisch Französisch Ukrainisch Ja Portugiesisch Josephine Deutsch Spanisch Englisch Französisch Nein Französisch Sabine Deutsch Englisch Französisch Latein Nein Italienisch Marco Deutsch Französisch Chemie Englisch Ja Italienisch Bogdana Deutsch Polnisch Französisch kath. Theologie Englisch Ja Spanisch 80 Die Informationen sind den von den Studierenden auf der Plattform erstellten Profilbeschreibungen, der Anmeldeliste für das Seminar (vgl. Kapitel 4.2.2), den Sprachlernbiographien (vgl. Kapitel 4.5.3) bzw. Feldnotizen und informellen Gesprächen entnommen. 81 Vor Beginn der Projektphase auf G ALANET entscheiden sich alle TeilnehmerInnen für eine Zielsprache (vgl. Martins 2010: 173). Die StudienteilnehmerInnen wählten in fast allen Fällen eine bisher nicht erlernte bzw. erworbene romanische Sprache, allein Josephine verfügte über Vorkenntnisse in der gewählten Zielsprache (5 Jahre Schulfranzösisch). Die Studierenden führten in der letzten Seminarsitzung den Dialang-Test für das Leseverstehen in ihrer gewählten ZS durch. (www.lancaster.ac.uk/ research enterprise/ dialang/ about.html). Da es in der Studie nicht um die Ermittlung von Lernzuwachs geht, erfolgte für die Brückensprache keine externe Evaluierung. Forschungsdesign 90 Studierende L 1 Studienfächer / Brückensprache(n) Kenntnis weiterer Sprachen Seminar zur Mehrsprachigkeit im WS Zielsprache Judith Deutsch Spanisch Französisch Englisch Latein Indonesisch Nein Italienisch Sophia Deutsch Spanisch Geographie Englisch Französisch Nein Portugiesisch Jennifer Deutsch Französisch Sport Spanisch Englisch Nein Italienisch Sibel Deutsch Türkisch Französisch Englisch k.A. Nur Teilnahme auf Plattform k.A. Bengü Deutsch Türkisch Französisch Englisch k.A. Nur Teilnahme auf Plattform k.A. Sandra Deutsch Italienisch Spanisch Englisch Französisch Nur Teilnahme auf Plattform k.A. Carolin Deutsch Spanisch Englisch k.A. Nur Teilnahme auf Plattform k.A. Abbildung 11: StudienteilnehmerInnen Die insgesamt 16 Studierenden nahmen an der Sitzung El tour do mondo en norante zile (vgl. Kapitel 4.3.1) teil und wurden zudem gebeten, Lernprotokolle zu verfassen (vgl. Kapitel 4.6.2). Mit Ausnahme von Sibel, Bengü, Sandra und Carolin nahmen sämtliche Studierenden an dem dazugehörigen Block-seminar teil, das ich im Folgenden umreiße. Bei den fett hervorhgehobenen Namen handelt es sich um Studierende, die für das leitfadengestützte Interview ausgewählt wurden (vgl. Kapitel 4.6.4). Auf die Einzelfallauswahl (Sampling) komme ich in Kapitel 4.5.3 zu sprechen. 4.4.2 Das Seminar Das Seminar setzte sich aus online-Arbeitsphasen auf der Plattform und Präsenzphasen an der JLU zusammen, die als Blockveranstaltung organisiert waren. 82 Während der online-Arbeitsphase erfolgte die Kommunikation zwischen Studierenden und mir als Seminarleiterin über die Plattform (s. Kapitel 4.3). 82 Es fanden insgesamt vier Termine à 3 x 90 Minuten statt. Ein Überblick über die Seminarinhalte findet sich im Anhang (Kapitel 10.2). Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns 91 Da es sich formal um eine fachdidaktische Übung zur romanischen IC handelte, standen die Themen des Seminars zum einen inhaltlich im Zusammenhang mit mehrsprachigkeitsdidaktischen Konzepten und zielten darauf ab, die Teilnehmenden für sprachenübergreifendes Lernen zu sensibilisieren. Kurzreferate der Studierenden führten in die interkomprehensive Methodik (u.a. Transfertypik, Hypothesengrammatik, Mehrsprachiger Didaktischer Monitor) ein. Zum anderen wurden Themen aufgegriffen, die spezifisch für das Lernarrangement waren und sich mit Fremdsprachenerwerb durch neue Medien oder dem selbstreflexiven Lernen mithilfe von Lerntagebüchern beschäftigten. Auch relevante Konzepte wie das des interkulturellen Lernens oder das des Fremdverstehens wurden in den Seminarsitzungen erörtert. Die Übung folgte nicht nur dem Prinzip der Lernerzentrierung, sondern auch der Handlungsorientierung. Es war ein ausgewiesenes Ziel, die von den Studierenden erarbeitete ‚Theorie‘ mit der Praxis zu verzahnen. Zugleich sollte die Übung Gelegenheit bieten, das in der Praxis erworbene ‚Handlungswissen‘ mit theoretischem Wissen zu verknüpfen, indem die interkomprehensiven Erfahrungen gemeinsam besprochen und reflektiert wurden. Nachdem die vorangegangenen Kapitel den Erhebungskontext sowie das Forschungsfeld umrissen und die dieser Studie zugrunde gelegten Gütekriterien bestimmt haben, wird vor diesem Hintergrund nun die Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns diskutiert. 4.5 Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns Gegenstandsangemessenheit wird im forschungsmethodologischen Diskurs als das zentrale Kriterium diskutiert, da sie als entscheidend für den gesamten Forschungsprozess gilt. 83 So fordert nicht nur die Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld (1996: 151), dass „[n]eben der präzisen Bestimmung des spezifischen Gegenstandes […] die Wahl einer oder mehrerer gegenstandsangemessener Untersuchungsmethoden begründet werden“ sollte. Auch Müller- Hartmann & Schocker-von Ditfurth (2001b: 5) plädieren für die Erbringung des Nachweises, „dass der forschungsmethodologische Zugriff dem Wesen des zu untersuchenden Gegenstandes weitgehend gerecht wird.“ Gegenstandsangemessenheit wird dabei als Mittel verstanden, Nachvollziehbarkeit und Transparenz sicherzustellen (vgl. Kapitel 4.2), weshalb sich die folgenden Ausführungen mit der Auswahl der Methoden zur Datenerhebung beschäftigen und Auskunft darüber geben, wie die verschiedenen Methoden ineinandergreifen. 84 83 Vgl. u.a. auch Grotjahn (1999), Steinke (1999), Aguado & Riemer (2001), Aguado (2004). 84 Vgl. Aguado (2004: 25): „Gegenstand und Zweck der Forschung und die jeweils gewählten Methoden müssen aufeinander abgestimmt sein. Unabdingbar ist also auch Forschungsdesign 92 Der aufgabenbasierte und handlungsorientierte Ansatz, dem die Plattform G ALANET folgt (vgl. Kapitel 3.2.2), legt einen qualitativen Zugang nahe. Es soll gezeigt werden, wie deutschsprachige Studierende der Romanistik die mehrsprachig-romanische Kommunikation auf der Plattform wahrnehmen und wie sie innerhalb dieser (re)agieren. Wenn von Fremdsprachenerwerb durch Interaktion die Rede ist, spielen gleichermaßen sprachliche wie soziale Phänomene eine Rolle. Die qualitative Vorgehensweise ist angezeigt, da sie einen Zugang zu den Vorstellungen der Studierenden über Sprache und Kommunikation, d.h. Einsicht in ihre sprachlichen sowie sozialen Interaktionen auf der Plattform bietet. Pekarek Doehler hebt die Vorteile eines qualitativen Forschungsansatzes für interaktionsbasierten Fremdsprachenerwerb wie folgt hervor: Une telle démarche qualitative semble particulièrement intéressante, car savoir comment les images de la langue, de l’autre, de soi-même naissent et se transforment dans l’interaction sociale pourrait contribuer à mieux comprendre les divers lieux d’interaction et les cultures communicatives qui les caractérisent en tant que lieux où se forgent les compétences, les conditions de l’apprentissage, les identités d’apprenant ou de locuteur compétent et les images de ce qu’est une langue et de ce que représente son acquisition. (2000: 9) Für den vorliegenden Forschungsgegenstand erscheint daher ein offener, interpretativ-explorativer Zugang gegenstandsangemessen. Er fußt einerseits auf einer theoretisch-konzeptionellen Basis (vgl. Kapitel 2 und 3) und hebt andererseits auf eine empirische Bearbeitung ab, um zur Entwicklung einer gegenstandsbezogenen Theorie zu gelangen. Mit der Wahl des qualitativen Forschungsparadigmas gehen allerdings Verengungen für den Erkenntnisgewinn einher, denn „[j]ede Art von Forschung bringt ihre eigenen Stärken und Schwächen mit sich und keine Sicht kann den Anspruch darauf erheben, alles zu erkennen“ (Schart 2003: 17). Ein Vorteil des qualitativen Zugangs ist jedoch die Möglichkeit, zu einem detaillierten Verständnis des Forschungsgegenstandes zu gelangen (vgl. Riemer 2004: 59). Die Erhebung und Analyse der ausgetauschten Forums- und Chatdaten (Datensatz I: Sprachdaten, vgl. Kapitel 4.6.1) auf der Plattform nimmt innerhalb dieser Untersuchung einen wichtigen Stellenwert ein, da diese zum einen Aufschluss über die zugrundeliegenden kommunikativen Interaktionen geben und zum anderen Ausdruck der materiell-sprachlichen Seite der mehrsprachigen Kommunikation sind. Die Sprachdaten materialisieren interindividuelle Aushandlungsprozesse, die nicht nur auf unterschiedliche sprachliche, sondern auch kulturelle Systeme zurückzuführen sind und daher Hinweise auf gegenseitige Verstehensleistungen beinhalten. Die Forums- und Chatdiskussio- beim mehrmethodischen Vorgehen eine nachvollziehbare Begründung für die Auswahl der eingesetzten Untersuchungsverfahren hinsichtlich ihrer Gegenstandsangemessenheit und ihrer Komplementarietät [sic].“ Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns 93 nen verbinden zudem sprachliche Form mit kommunikativer Funktion auf einer Metaebene, indem Sprachlernprozesse oder interkulturelle Fragestellungen diskutiert werden. 85 Es ist denkbar, dass die Auseinandersetzung mit den diskutierten Themen sowie deren anschließende Bearbeitung und Aufbereitung für das dossier de presse (vgl. Kapitel 4.3.4) Auswirkungen auf die mehrsprachige kommunikative Kompetenz der Studierenden hat, die in den Forums- und Chatdiskussionen deutlich wird. Es gilt, durch die Analyse des Datensatzes I Indikatoren für solche Veränderungen zu identifizieren. Der Datensatz I umfasst die Produkte innerer Sprachverarbeitungsprozesse, so dass sich anhand dieser Daten allein keinerlei Aussagen über die zugrundliegenden Prozesse machen lassen. Da ich - in Anlehnung an Grotjahn - den „Sprachlernprozeß nicht nur als kognitiven, sondern auch als in wesentlichen Merkmalen emotional bestimmten Prozeß“ betrachte, ist der Einsatz von selbstreflexiven Verfahren (Datensatz II: Lernprotokolle) gegenstandsadäquat, denn „Tagebuchaufzeichnungen oder auch narrative Interviews [können] wichtige Aufschlüsse liefern“ (1999: 135f.). Der Vorteil introspektiver Verfahren ist, dass sie Zugang zu den mentalen Prozessen bieten (vgl. Dörnyei 2007: 150f.), die den sprachlichen Interaktionen zugrunde liegen. Es käme einer perspektivischen Verengung gleich, würde man allein das Produkt betrachten, ohne gleichzeitig den dahinterliegenden Prozess und die Perspektive der Studierenden mit hineinzunehmen. Einen weiteren Vorteil sieht Dörnyei darin, dass Introspektion zum einen die Reichhaltigkeit der Daten erweitert und sich zum anderen hervorragend mit anderen Methoden kombinieren lässt (ebd.). In der vorliegenden Studie werden die introspektiven Prozessdaten einerseits erweitert durch eine Reflexion bezogen auf die Sprachlernbiographie (Datensatz III), die Aufschluss über die bisherigen Sprachlernerfahrungen geben soll. Andererseits rekonstruieren leitfadengestützte Interviews die Perspektive der Studierenden retrospektiv, d.h. nach Abschluss des Projekts (Datensatz IV). Die Kombination von Produkt- und Prozessdaten sowie intro- und retrospektiver Daten verfolgt dabei zugleich zwei Ziele: Erstens ist die Zugrundelegung eines multimethodischen Vorgehens beim Forschungsgegenstand Fremdsprachenerwerb erforderlich, da es sich „um einen komplexen und dynamischen Prozess handelt, der der sowohl kognitive wie auch emotionale und soziale Dimensionen umfasst“ (Aguado 2004: 24). Um der Komplexität des Untersuchungsgegenstands gerecht zu werden, ist somit allein ein multimethodisches Vorgehen gegenstandsadäquat (ebd.). Zweitens eignet sich ein mehrmethodisches Vorgehen in besonderem Maße zur Triangulation, da diese mit einer mehrperspektivischen Betrachtungsweise des Forschungsgegenstandes einhergeht, was ich im folgenden Kapitel herausarbeiten werde. 85 Vgl. Kapitel 4.3.4, insbesondere das Thema und die Rubriken des dossier de presse. Forschungsdesign 94 4.5.1 Triangulation Triangulation bezeichnet das Betrachten eines Phänomens aus unterschiedlichen Perspektiven unter Verwendung verschiedener Datenquellen sowie Datenerhebungsverfahren (vgl. Dörnyei 2007: 61). In ihrer ursprünglichen Form wird Triangulation als Validierungsstrategie verstanden, 86 allerdings geht es dabei „weniger um die wechselseitige Validierung der Erkenntnisse, die mit den einzelnen Methoden gewonnen wurden“, sondern um ein Mittel der Erkenntniserweiterung, wie Flick (2000: 314) bemerkt. Auch Aguado & Riemer (2001: 249) geben zu bedenken, dass Validierung durch Triangulation nur dann erreicht wird, wenn kongruente Befunde vorliegen, die mithilfe verschiedener Verfahren gewonnen wurden. Aufgrund der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes ist es allerdings fraglich, ob überhaupt übereinstimmende Ergebnisse erwartet werden dürfen (vgl. Martinez 2008: 146). 87 Auch Flick (2000: 318) weist auf Folgendes hin: Ziel der Triangulation verschiedener methodischer Zugänge und Perspektiven […] sollte weniger sein, Konvergenzen im Sinne der Bestätigung des bereits Gefundenen zu erhalten. Aufschlussreich für die Theorieentwicklung wird die Triangulation von Methoden und Perspektiven vor allem, wenn sie divergente Perspektiven verdeutlichen kann. (Hervorhebungen im Original). Demnach dient Triangulation v. a. der Erkenntniserweiterung, indem versucht wird, durch die Kombination verschiedener Erhebungsverfahren und Methoden die Grenzen einzelner Verfahren auszugleichen, um so zu einem tiefen Verständnis des Untersuchungsgegenstandes zu gelangen. 88 Grundlegend ist dabei die Annahme, dass es bei qualitativer Forschung nicht darum geht, eine objektive Wahrheit (vgl. Schründen-Lenzen 2010: 150f.) anzustreben, indem übereinstimmende Ergebnisse anvisiert werden. Es geht vielmehr darum, durch die Anwendung unterschiedlicher Methoden ein breites Bild des Untersuchungsgegenstandes zu zeichnen, zu dem sowohl korrelierende als auch divergierende Perspektiven der StudienteilnehmerInnen zählen, so dass der „Triangulationsbegriff […] damit nicht methodologisch, sondern epistemologisch akzentuiert“ wird (ebd.). Flick (2000: 310f.) unterscheidet des Weiteren unter Bezug auf Denzin (1978) vier Triangulationstypen: • Datentriangulation: Untersuchung eines Phänomens durch die Kombination von Daten aus mehreren Quellen, deren Erhebung zu verschiedenen Zeitpunkten bzw. bei verschiedenen Personen erfolgt; 86 Vgl. auch Flick (2000: 310f.), Merriam (2002: 27), Aguado & Riemer (2001: 247), Schründer-Lenzen (2010: 150). 87 So bemerkt auch Grotjahn (2006: 260) Folgendes: „Das Ergebnis einer Triangulation kann Konvergenz, Komplementarität und Divergenz sein.“ 88 Vgl. auch Flick (2000: 310f.), Aguado & Riemer (2001: 249f.), Aguado (2004: 25), Rallis & Rossmann (2009: 266). Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns 95 • Investigator-Triangulation: Interpretation derselben Daten durch mehrere Forschende; • Theorien-Triangulation: Zugrundelegung unterschiedlicher theoretischer Zugänge; • Methoden-Triangulation: Einsatz verschiedener Methoden (between-method) oder unterschiedlicher Verfahren innerhalb einer Methode (withinmethod). In der vorliegenden Untersuchung werden sowohl eine Datenals auch eine Methodentriangulation angewandt, um so die Grenzen und Schwächen der jeweiligen Methoden zu überbrücken (vgl. Aguado & Riemer 2001: 247). Mithilfe der Datentriangulation werden nicht-reaktive Daten, d.h. Daten, die nicht primär zu Forschungszwecken erstellt wurden (hier: Datensatz I+II) mit reaktiven Daten (hier: Datensatz III + IV) miteinander kombiniert (vgl. Flick 2000: 313). Die Methoden-Triangulation sieht eine Verknüpfung von introspektiven bzw. retrospektiven Daten vor. So werden die introspektiven Prozessdaten aus den Lernprotokollen (Datensatz II), die Reflexion in den Sprachlernbiographien (Datensatz III) und die retrospektive Rekonstruktion in den Interviews (Datensatz IV) aufeinander bezogen. Die dadurch angestrebte Perspektivenvielfalt soll ein tiefes Verständnis des Gegenstandes mit sich bringen, um diesen möglichst facettenreich erfassen und darstellen zu können. Dabei wird so verfahren, dass „den Selbstbeobachtenden und -wahrnehmungen der Probanden […] gegenüber der Beobachtung von Forscherseite das Primat einzuräumen“ ist (Aguado & Riemer 2001a: 256). Die Theorienbzw. Investigator-Triangulation werden hingegen ausgeschlossen. Zum einen ist es ein ausgewiesenes Ziel dieser Studie, durch den explorativ-interpretativen Zugang zu einer gegenstandsbegründeten Theorie zu gelangen, so dass die vorherige Zugrundelegung verschiedener theoretischer Sichtweisen nicht gegenstandsadäquat erscheint. Zum anderen ist eine Investigator-Triangulation im Rahmen einer Dissertation aufgrund der eingeschränkten personellen Ressourcen nur schwierig zu erfüllen. 4.5.2 Fallstudien Die durch das mehrmethodische Vorgehen angestrebte Perspektivenvielfalt lässt sich besonders gut im Rahmen einer Fallstudie darstellen, 89 so dass dieser Zugang für die vorliegende Studie gegenstandsadäquat erscheint. In diesem Rahmen ist es möglich, den Untersuchungsgegenstand in all seinen Facetten und spezifischen Ausprägungen darzustellen, da Fallstudien mit einer dichten Beschreibung all ihrer konstituierenden Merkmale einhergehen. Merriam (2002: 8) bemerkt dazu: „By concentrating upon a single phenomenon or entity 89 Vgl. Richards (2011: 210): „Case studies draw upon multiple data sources“ bzw. Dörnyei (2007: 152): „Case study researchers usually combine a variety of data collection methods such as interviews, observation and document archives“. Forschungsdesign 96 (the case), this approach seeks to describe the phenomenon in depth“, 90 was sich mit dem Anspruch auf Herstellung von Nachvollziehbarkeit bzw. Dokumentation deckt (vgl. Kapitel 4.2). Auch Dörnyei (2007: 155) sieht in der dichten Beschreibung einen entscheidenden Vorteil, und empfiehlt Fallstudien zudem für wenig erforschte Gebiete: The case study is an excellent method for obtaining a thick description of a complex social issue embedded within a cultural context. It offers rich and indepth insights that no other method can yield, [...] Thus, the method is highly recommended for exploring uncharted territories [...]. Die Tatsache, dass es sich beim vorliegenden Untersuchungsgegenstand um ein bisher wenig erforschtes Feld handelt, legt einen explorativ-interpretativen Zugang nahe, 91 dessen Ziel die datengeleitete Theoriebildung ist (vgl. Fatke 2010: 166). Ähnlich wie die im vorangegangenen Kapitel beschriebene Triangulation, die auf Erkenntnisgewinn abhebt, dient eine Fallstudie der „Erweiterung bestehender oder Gewinnung neuer wissenschaftlicher […] Erkenntnis“ (Fatke 2010: 162, Hervorhebung im Original). Neben der Erkenntniserweiterung eignen sich Fallstudien im besonderen Maße für den Forschungsgegenstand Fremdsprachenerwerb, der aufgrund einer Vielzahl von intervenierenden Variablen (Stichwort: Faktorenkomplexion) lernerseits höchst individuell verläuft. 92 Aufgrund der durch Fallstudien herstellbaren dichten Beschreibung stellen sie einen forschungsmethodischen Zugang dar, der es erlaubt, die zugrundeliegenden Einzelfaktoren angemessen und ausreichend zu berücksichtigen (vgl. Riemer 2000: 100). Damit geht allerdings gleichzeitig eine Begrenztheit der Forschungsergebnisse einher, denn die Orientierung am Einzelfall kann keinen Anspruch auf Generalisierbarkeit erheben oder zu allgemeingültigen Aussagen führen. Dieses Manko wird im wissenchaftlichen Diskurs zwar einerseits gesehen (vgl. u.a. Grau 2001: 79; Riemer 2000: 100; Richards 2011: 215f.), andererseits aber billigend in Kauf genommen. In der vorliegenden Untersuchung soll die fehlende Generalisierbarkeit zumindest durch die dichte Beschreibung der zugrundeliegenden Strukturmerkmale abgemildert werden, 90 Vgl. u.a. auch Nunan (2005: 78): „A third strength of the case study is that it can represent a multiplicity of viewpoints, and can offer support to alternative interpretations“. 91 Bei Zugrundelegung eines offenen, explorativ-interpretativen Zugangs entfällt die Notwendigkeit einer Pilotstudie. Zudem kann bei dem vorliegenden Untersuchungskontext nicht davon ausgegangen werden kann, bei erneuter Durchführung ähnliche Bedingungen vorzufinden. 92 Vgl. dazu auch Grotjahn (1999: 136f.): „Die Konzeptualisierung von Fremdsprachenlernen als diskontinuierlichen, individuellen Prozeß hat profunde untersuchungsmethodische und insbesondere meßtheoretische Implikationen […]. Zum einen sind ‚qualitative‘, in die Tiefe gehende Einzelfallstudien angesagt. Zum anderen ist jedoch weit stärker als bisher […] der individuelle Lerner zu fokussieren“. Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns 97 so dass bei Bedarf entschieden werden kann, ob sich Merkmale replizieren lassen und damit Forschungsergebnisse unter Umständen auf ähnliche Situationen übertragen werden können. Es stellt sich sodann die Frage, was im Einzelnen unter einem Fall zu verstehen ist und wie es zur Einzelfallauswahl kommt. In Anlehnung an Dörnyei (2007: 152), der unter Bezugnahme auf Stake (1995, 2005) drei Typen von Fallstudien 93 ausmacht, wird bei der vorliegenden Untersuchung ein ‚multiple case study’-Design zugrundgelegt, d.h. im Mittelpunkt steht die Untersuchung eines oder mehrerer Phänomene anhand mehrerer Einzelfälle, um so die angestrebte Perspektivenvielfalt auf den Forschungsgegenstand umsetzen zu können. Ein Fall erweckt i.d.R. durch seine Besonderheit das Interesse der ForscherInnen, die den Fall durch eine „Wahrnehmungsfolie“ betrachten (Fatke 2010: 165). Das Interesse am Fall generiert sich im Spannungsfeld zwischen Allgemeinem und Besonderem, d.h. ForscherInnen haben Annahmen darüber, was allgemein und was besonders ist (ebd.). Es gilt dennoch zu prüfen und darzulegen, warum der Fall Aufmerksamkeit hervorgerufen hat, d.h. warum er bearbeitungswürdig ist. In der forschungsmethodischen Literatur wird dieser Schritt als Sampling bezeichnet (vgl. Dörnyei 2007: 125f.), das ich im nächsten Kapitel erörtern werde. 4.5.3 Zur Einzelfallauswahl Ein Fall ist eingebettet in einen größeren Kontext (vgl. Merriam 2002: 8; Richards 2011: 209f.), weshalb er nicht als isoliert zu betrachten ist, sondern vielmehr kontextabhängig, d.h. zeitlich und sozial in einen größeren Zusammenhang eingebettet ist. In der vorliegenden Studie ist der institutionelle Kontext der romanistischen Fremdsprachendidaktik an der JLU und insbesondere das Modul zur Mehrsprachigkeit maßgeblich, in dessen Rahmen die Datenerhebung stattfand (vgl. Kapitel 4.2). Die Gesamtheit des samples umfasst die 15 Teilnehmenden der G ALANET -Sitzung (vgl. Kapitel 4.3.1), für die die Datensätze I-III vorliegen (vgl. Kapitel 4.6). Da im Rahmen einer Fallstudie der Fokus aber nicht auf der Gesamtheit der Fälle liegt, sondern auf der Rekonstruktion bestimmter Einzelfälle, die in ihrer Komplexität und Idiosynkrasie dargestellt werden sollen (vgl. Nunan 2005: 89), erfolgte die Auswahl der Interviewpartner per sog. between-case sampling (vgl. Dörnyei 2007: 129). Die Einzelfallauswahl orientierte sich an ersten Erkenntnissen, die zum einen durch die teilnehmende Beobachtung (vgl. Kapitel 4.3), zum anderen durch eine erste Sichtung der Lernprotokolle gewonnen wurden. Die Auswahl der Fälle erfolgte demnach 93 Die beiden anderen Varianten bezeichnet Dörnyei (ebd.) wie folgt: a) the ‘intrinsic case study’ (die Untersuchungswürdigkeit des Falles ergibt sich aus sich heraus) und b) the ‘instrumental case study’ (es geht um das Explorieren eines breiteren Problemfeldes, der Einzelfall ist dabei von sekundärer Bedeutung). Forschungsdesign 98 kriteriengeleitet auf der Basis von Zwischenbefunden und Vorannahmen (vgl. Dörnyei 2007: 172), was auch als theoretisches Sampling 94 bezeichnet wird. In der ‚Reinform‘ der Grounded Theory (vgl. Glaser & Strauss 1967) besteht das theoretische Sampling aus einer Gleichzeitigkeit von Datenerhebung und Datenanalyse: Nach der Erhebung und Analyse eines ersten Falls werden vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses gegenstandsbasierte Hypothesen gebildet, die die Auswahl und Analyse weiterer Fälle steuern. Der Prozess des Samplings ist beendet, wenn die sog. theoretische Sättigung eintritt, d.h. wenn das Hinzuziehen weiteren, noch nicht analysierten Materials die an den Daten entwickelten Hypothesen bestätigt und nicht zur Bildung neuer Hypothesen führt (vgl. Strauss & Corbin 1996). Dieses Vorgehen bietet sich v. a. dann an, wenn Forschende vor Beginn der Datenerhebung nur über wenig Vorwissen in Bezug auf den Gegenstand verfügt (vgl. Kelle & Kluge 2010: 109). Dies war vor dem Hintergrund der durchgeführten Untersuchung allerdings nicht der Fall. Vielmehr war eine Zwischenform des theoretischen Samplings gegenstandsangemessen, bei der die gezielte Fallauswahl im Hinblick auf eine Fallkontrastierung auf der Basis gegenstandsbezogener Hypothesen zum Fall anhand der Datensätze I und II (Sprachdaten und Lernprotokolle, vgl. Kapitel 4.6.1 und 4.6.2) getroffen wurde, die von folgenden Überlegungen gekennzeichnet war: Grundsätzlich erschien es wichtig, ein in Bezug auf das Erkenntnisinteresse nützliches Sample zusammenzustellen. Die Forschungsfragen 1.2 (Welche Rolle spielen bereits gemachte (Mehr-)Sprachenerfahrungen für das subjektive Erleben der mehrsprachigen Interaktion? Liegt darin ein Potential, das sich positiv auf die Teilnahme an G ALANET auswirkt? ) führten zur Auswahl zweier Studierender mit Migrationsgeschichte. Zudem erschien es interessant, diejenigen Studierenden zu befragen, die sich durch eine hohe Aktivität auf der Plattform auszeichneten und zu differenzierten Reflexionen in ihren Lernprotokollen kamen. (Hypothese: Diejenigen Studierenden, die sich aktiv in Forums- oder Chatdiskussionen einbringen, erleben die IC-basierte Mehrsprachigkeit mitunter zwar als Herausforderung, können diese aber mittels geeigneter Strategien im Bereich savoir-être überwinden, so dass es in der Interaktion mit den übrigen TeilnehmerInnen zu Spracherwerb kommt). Um ein vollständiges Bild zu zeichnen und sich dem Forschungsgegenstand von den Rändern her zu nähern (vgl. Brüsemeister 2008: 172), sind allerdings auch solche Studierende von Interesse, bei denen das Gegenteil der Fall war, d.h. Studierende, die sich auf der Plattform nur in geringem Maße einbrachten. (Hypothese: Der Umgang mit der IC-basierten Mehrsprachigkeit auf der Plattform 94 Der Begriff theoretisches Sampling bezieht sich nicht nur auf die Einzelfallauswahl während der Datenerhebung, sondern auch auf die Auswahl zu analysierender Fälle bzw. zu analysierender Kategorien während der Datenanalyse, der hier ebenfalls ein gezieltes Aussuchen ähnlicher oder kontrastierender Fälle beschreibt (vgl. Hülst 2010: 289). Datenerhebung 99 wird von Studierenden als schwierig erlebt, die sich auf der Plattform nicht oder nur in sehr geringem Maße an Forums- oder Chatdiskussionen beteiligen und in den Lernprotokollen vermehrt von Frustrationserlebnissen berichten, die den IC-basierten Spracherwerb hemmen). Dörnyei bezeichnet diese Sampling-Strategie als „extreme or deviant case sampling“: [T]he researcher selects the most extreme cases (for example, the most motivated and demotivated learners). On the one hand, this allows us to find the limits of the experience; on the other hand, if even such cases share common elements, they are likely to be real core components of the experience. (2007: 128) Die theoriegeleitete Auswahl der Einzelfälle orientierte sich also an der Strategie des minimalen und maximalen Vergleichs, die darauf abzielt, „auf eine maximale Variation (einen maximalen Kontrast), also möglichst unterschiedliche Fälle, zu achten, was der Theorie Erklärungskraft in der Breite gibt“ (Brüsemeister 2008: 177). Auf diese Weise konnten insgesamt sieben InterviewpartnerInnen gewonnen werden, von denen sechs für die Einzelfalldarstellungen ausgewählt wurden. Die Konzentration auf sechs Einzelfälle liegt darin begründet, dass die Präsentation des siebten Falles keinerlei Zugewinn im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse mit sich gebracht hätte, da sich hier im Vergleich zu den übrigen Einzelfällen vielmehr ähnliche Muster wiederfanden. 4.6 Datenerhebung Datenerhebung Im Folgenden werden die unterschiedlichen Datenerhebungsinstrumente mit Blick auf die Forschungsfragen und das Erkenntnisinteresse vorgestellt. Die Darstellung der Erhebungsinstrumente orientiert sich am zeitlichen Ablauf der Erhebungsphase. 4.6.1 Sprachdaten: Forums- und Chatauszüge Merriam (2002: 13) nennt neben Interviews und Beobachtung ‚Dokumente‘ als erste Hauptquelle für qualitative Daten, worunter sie „[p]ublic records, personal documents, and physical material“ versteht, deren Vorteile sie v. a. darin sieht, dass sie nicht primär zu Forschungszwecken entstanden sind (sog. nichtreaktive Daten). Flick macht allerdings darauf aufmerksam, dass der jeweilige Entstehungskontext zu hinterfragen ist und Dokumente so „immer auch selbst zum Thema der Forschung werden: Was sind ihre Eigenschaften, welches sind die besonderen Bedingungen ihrer Erstellung und Nutzung etc.? “ (2011: 324f.), so dass diese Parameter bei der Analyse zu berücksichtigen sind. Unter Dokumenten sind demnach sowohl Forumsals auch Chatauszüge zu verstehen, die Datensatz I bilden. Während der Projektphase wurden im Forum der Phasen 1 - 4 insgesamt 2.815 Postings eingebracht, die sich auf 92 Forschungsdesign 100 Threads verteilen (vgl. Kapitel 4.3.2). Davon fanden insgesamt 29 Threads unter Beteiligung der untersuchten Gruppe statt (insgesamt 82 Postings). Das Chatdatenkorpus umfasst insgesamt 14 Chats (s. Abb. 12): 11 stammen aus sog. conversations privées, welche auf zwei Personen begrenzt sind und von den Teilnehmenden in ihr Lernprotokoll kopiert wurden. Drei Chats fanden in den Chaträumen der Plattform statt und sind damit auf der Plattform archiviert (Chat 12-14) (vgl. Kapitel 4.3.3). Anzumerken ist, dass die conversations privées technikbedingt keinerlei zeitliche Angaben enthalten, d.h. es können keine Aussagen über ihre tatsächliche Dauer gemacht werden. Dies ist nicht der Fall bei Chats, die in den Chaträumen stattgefunden haben - hier ist es möglich, Aussagen über die Dauer des Chats bzw. die zeitliche Abfolge der turns zu machen. Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht über das Chatdatenkorpus: Datenerhebung 101 Chat- Nr. Beteiligte Personen Verwendete Sprachen Anzahl turns Dauer Conversations privées 1 Jennifer-Sophie/ Madrid Französisch (geringer Anteil Deutsch u. Spanisch, < 5 Wörter) 51 - 2 Jennifer-Francesca- Mere Französisch, Spanisch 51 - 3 Jennifer-DanielaF Französisch 12 - 4 Sabine-MariaGrazia Französisch, Italienisch (geringer Anteil Deutsch, < 6 Wörter) 187 - 5 Sabine-antonella67 Französisch (geringer Anteil Italienisch, < 5 Wörter) 16 - 6 Meltem-Bogdana Französisch, Spanisch 15 - 7 Meltem-gavriloviciA Französisch, Spanisch, Rumänisch (geringer Anteil Deutsch, 1 Wort) 125 - 8 Meltem-Marcella Italienisch, Französisch, Spanisch 44 - 9 Meltem-RomanoE Italienisch, Spanisch 60 - 10 Anja-Agnes Spanisch, Italienisch 106 - 11 Vaska-ayumi67 Spanisch, Italienisch 46 - Chats aus den salles de discussion 12 Sandra u.a. (7 Personen) Italienisch, Französisch 58 19.55 - 20.06 h (11 Min. 13 Sandra u.a. (6 Personen) Italienisch, Französisch (Spanisch u. Rumänisch zu geringen Anteilen) 478 20.06 h - 21.02 h (56 Min.) 14 Anja u.a. (10 Personen) Italienisch, Französisch, Spanisch (zu geringen Anteilen Rumänisch) 572 10.58 h -12.16 h (78 Min. Abbildung 12: Übersicht Chatdatenkorpus Forschungsdesign 102 4.6.2 Lernprotokolle Da die Erlebnisse und Erfahrungen der Studierenden im Zentrum dieser Studie stehen, erschien es angemessen, deren Aktivitäten auf der Plattform durch ein Lernprotokoll zu begleiten. Es stellte sich zunächst die Frage nach dem Format des Lernprotokolls, das grundsätzlich in einer (relativ) offenen oder auch (besonders) strukturierten Form eingesetzt werden kann. Im ersten Fall geben Leitfragen eine bestimmte Richtung vor (vgl. z.B. Bär 2009: 138), im letzteren werden detaillierte Fragen zu bestimmten Phänomenen gestellt. Ich entschied mich für die strukturierte Variante, die zugleich mehrere Zwecke erfüllte. Zum einen diente die strukturierte Version dazu, den Studierenden einen Reflexionsanstoß bezüglich ihrer Tätigkeit auf der Plattform zu geben, der sich in der thematischen Unterteilung der Lernprotokolle in drei Bereiche widerspiegelt. So wurden die Studierenden dazu angeregt, nicht nur über den interkomprehensiven Mehrsprachenerwerb (Bereich 1: Sprachenlernen) und ihre Erfahrungen in der interkulturellen Kommunikation (Bereich 2) zu reflektieren, sondern auch über die attitudinale Dimension nachzudenken (Bereich 3: savoir-être). Bei der Erstellung des Lernprotokolls orientierte ich mich v. a. an den Deskriptoren des REPA (vgl. Candelier et al. 2013 bzw. Kapitel 2.2). 95 Die strukturierte Version des Lernprotokolls legitimierte sich auch dadurch, dass der Plattform ein ungesteuertes Erwerbsparadigma zugrunde liegt (vgl. Kapitel 3.2). Insofern fordert auch Martins für die Teilnahme an G ALANET : 96 [I]l s’avère impératif de mener un travail métacognitif, tout au long de la formation concernant les réflexions sur les opérations mentales qu’il utilise pour réaliser ses tâches, sur la prise de conscience des étapes de son raisonnement, sur ses craintes, sur des stratégies utilisées pour réussir, enfin, de prise de conscience de son propre processus métacognitif est nécessaire pour aider l’apprenant à piloter sa formation et réussir son projet. (2010: 171) Da es sich um ein fachdidaktisches Seminar handelte, erschien es angebracht, den Einsatz von Lernprotokollen als lernbegleitende Maßnahme bzw. alternative Evaluationsform (vgl. Stork 2010) im Seminar zu thematisieren. So erhielten die Studierenden die Möglichkeit, deren Einsatz selbst zu erproben. Außerdem galt es, das forschungsmethodische Spannungsfeld zwischen offenen und 95 Die Frage 3.3 aus dem Bereich savoir-être „Ich musste eigene Widerstände gegenüber dem sprachlich und kulturell Fremden überwinden. Wenn ja, welche u. wie ist mir das gelungen? “ ist bspw. den Deskriptoren A 4.1 bzw. A 5.3.3.1 entnommen. 96 Carrasco Perea & Pishva (2007: 142f.) bemerken dazu: « [L]’intégration d’une démarche réflexive (proet réactive) ne contribuerait pas à ce que l’apprenant prenne conscience de son potentiel et de ses pré-acquis mais également des capacités et compétences construites et/ ou développées au fil de la formation (langagières, certes, mais également transversales, c’est-à-dire des savoir-apprendre-comprendre les langues). » Datenerhebung 103 geschlossenen Datenerhebungsverfahren um ein geschlossenes Datenerhebungsinstrument zu ergänzen. Die Vorteile introspektiver Verfahren sind augenfällig, da sie tiefe Einblicke in den Forschungsgegenstand erlauben und von Aguado wie folgt zusammengefasst werden: Für die angemessene Untersuchung des individuellen Erlebens der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens bietet die Selbstbeobachtung den einzig möglichen Zugang [...]. Insbesondere unter der Prämisse, dass der Fremdsprachenerwerb ein hochgradig individuell verlaufender Prozess ist […], erscheint die Erhebung und Einbeziehung der individuellen, subjektiven Wahrnehmungen und Selbstwahrnehmungen nicht nur sinnvoll, sondern geradezu unverzichtbar. (2004: 32) Dörnyei (2007: 157f.) führt als weiteren Aspekt an, dass sich der Einsatz von Lernprotokollen wenig störend auf das zu beobachtende Verhalten der StudienteilnehmerInnen auswirkt, sondern diese hierdurch zu „co-researchers“ werden, „as they keep records of their own feelings, thoughts, or activities. Diary data is by definition an insider account“ (ebd.), was sich mit dem Anspruch deckt, die Forschungsteilnehmenden als aktiv an der Forschung beteiligte Personen zu verstehen (vgl. Kapitel 4.4.1). Die Schwächen, die mit der Verwendung von Lernprotokollen als Forschungsinstrument einhergehen sind im Vergleich zu den Vorteilen eher gering. Der Einsatz von Lernprotokollen bedeutet einen erhöhten zeitlichen Aufwand für das Ausfüllen, weshalb die Zahl der Lernprotokolle im Rahmen der Datenerhebung auf insgesamt vier begrenzt wurde. Pro Phase war ein Lernprotokoll abzugeben, so dass pro ForschungsteilnehmerIn insgesamt vier Lernprotokolle einzureichen waren (Datensatz II). 97 Außerdem können sich Einträge teilweise erheblich in Bezug auf Länge der Antworten und Reflexionstiefe unterscheiden (ebd.), was sich nach Sichtung der ersten erhobenen Lernprotokolle bestätigte. 98 In der ersten Seminarsitzung, die ohnehin den Einsatz von Lernprotokollen im Fremdsprachenunterricht zum Thema hatte, wurden anonymisierte Positivwie Negativbeispiele aus den Lernprotokollen der Studierenden besprochen, um die TeilnehmerInnen für ein detaillierteres Ausfüllen zu sensibilisieren und um ihnen Kriterien für aussagefähige Lernprotokolle vor Augen zu führen. 97 Von den Studierenden, die sich nur für eine Mitarbeit auf der Plattform entschieden hatten und nicht an der Übung teilnahmen liegen keine Lernprotokolle vor (vgl. Abb. 12). 98 Vgl. bspw. das von Marco definierte Lernziel „besseres Verständnis […] romanischer Sprachen“ (LP Z 25) mit Meltems Eintrag: „Ich sollte mir jedoch auf jeden Fall […] anschauen, wie man im italienischen Verben konjugiert und welche Endungen die einzelnen Personen haben“ (LP Z 214-215). Forschungsdesign 104 4.6.3 Sprachlernbiographien Sprachlernbiographien 99 sind in der Fremdsprachenerwerbsforschung ein gängiges Datenerhebungsinstrument, nicht nur um Auskunft über Zeitpunkt bzw. Dauer des Fremdsprachenerwerbs oder die Sprachenfolge zu erhalten, sondern auch, um das Sprachlernverständnis der StudienteilnehmerInnen rekonstruieren zu können (vgl. Martinez 2008: 295). Sie können erkenntnisfördernd sein, was die Einstellungen der StudienteilnehmerInnen gegenüber fremden Sprachen und Kulturen betrifft, denn „[m]an erhält so einen vertieften Einblick in Faktoren, die beim Spracherwerb der jeweiligen Person eine wichtige positive oder negative Rolle gespielt haben“ (Franceschini 2002: 47f.). Riemer (2004: 52f.) verweist darauf, dass ein solches ‚offenes Datenerhebungsformat‘ im deutschen Sprachraum zuerst von Edmondson (1997) eingesetzt wurde, der Studierende darum bat, auf ca. zwei Seiten ihr Fremdsprachenlernen retrospektiv zu beschreiben und dabei auf „Ereignisse, Faktoren und Erlebnisse“ einzugehen, die dieses positiv bzw. negativ beeinflusst haben. Bezüglich der Qualität bzw. Verwendbarkeit des Datenmaterials führt Riemer aus: Die damit gewonnenen Daten sind als qualitative, subjektive, wenig elizitierte Daten zu charakterisieren, auf die sämtliche methodologische Einschränkungen zutreffen, die Self-Reports und introspektive [...] Daten betreffen. Sie sind nur eingeschränkt vergleichbar, da die Offenheit der Fragestellung unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und unterschiedliche Breite und Tiefe der Berichte erlaubt. Selbstverständlich sind deshalb die Daten weder repräsentativ noch generalisierbar. Dennoch liegen mit ihnen Daten vor, die es erlauben, individuelle Perspektiven von „Betroffenen“ näher zu betrachten. (Riemer 2004: 52f.) In der vorliegenden Studie wurde ebenfalls ein offener Zugang favorisiert. Der Arbeitsauftrag lautete, retrospektiv über die bisher gemachten Sprachlernerfahrungen zu reflektieren. Hinsichtlich des Inhalts oder des Umfangs wurden keine weiteren Vorgaben gemacht. Ziel war es, u.a. vorhandene (Mehr-)Sprachenerfahrungen sowie die Konzeptualisierung von Sprachenlernen aus Sicht der StudienteilnehmerInnen rekonstruieren zu können. Mit der Erhebung der Sprachlernbiographie wird bewusst auf den persönlichen Hintergrund eingegangen, denn „die Frage der interlingualen Transferneigung von Individuen [ist] grundsätzlich mit den an ihre Lernerbiographien geknüpften Faktoren zu binden, so an eine Vorsensibilisierung für den interlingualen Transfer durch soziale Erfahrungen“ (Meißner 1998b: 229). Die so gewonnenen Daten geben 99 Die Sprachlernbiographie dient der Aufzeichnung und Bewusstmachung des sprachlichen und interkulturellen Lernens. Sie ist neben dem Sprachenpass sowie dem Dossier ein Teil des Europäischen Sprachenportfolios, das LernerInnen die Möglichkeit bietet, Sprachlernerfolge in Form von Zertifikaten oder Zeugnissen zu dokumentieren (vgl. Europarat 2006). Datenerhebung 105 nicht nur einen Überblick über die bisher erworbenen Fremdsprachen, sondern auch Aufschluss über den jeweiligen Lernbzw. Erwerbskontext. Besonderes Augenmerk gilt dabei der zugrundeliegenden Motivation, Fremdsprachen zu erlernen, die ihrerseits eng mit dem Selbstkonzept der LernerInnen verknüpft ist (vgl. Holder 2005: 63; Mercer 2012: 10). Motivation stellt einen entscheidenden Faktor für den Sprachlernerfolg dar und ist stark von der Haltung gegenüber Fremdsprachen und dem Fremdsprachenlernprozess geprägt, wie Gardner & Lambert (1972: 132) betonen: „The learner’s motivation for language study […] would be determined by his attitudes and readiness to identify and by his orientation to the whole process of learning a foreign language.“ Auch wenn es sich um ein „multifaceted construct“ (Dörnyei 2003) handelt, sind mit Blick auf das dieser Arbeit zugrundeliegende Erkenntnisinteresse in Anlehnung an Gardner & Lambert v. a. die Motivationsformen integrative und instrumentelle Motivation relevant: The orientation is said to be instrumental in form if the purposes of language study reflect the more utilitarian value of linguistic achievement, such as getting ahead in one’s occupation. In contrast, the orientation is integrative if the student wishes to learn more about the other cultural community because he is interested in it in an open-minded way, to the point of eventually being accepted as a member of that group. (1972: 3) (Hervorhebung im Original) Während instrumentell orientierte Lerner eine pragmatische Haltung gegenüber dem Fremdsprachenerwerb einnehmen (vgl. Dörnyei 2001: 49), geht integrative Motivation mit einer positiven Haltung gegenüber der Zielsprache bzw. der Zielkultur einher, welche sich zugleich auf die Bereitschaft zur Kommunikation auswirkt (vgl. Dörnyei 2003: 12), also den Wunsch, mit VertreterInnen der Zielsprache zu interagieren und die Fremdsprache zur Anwendung zu bringen. Man unterscheidet zum anderen zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation (vgl. Dörnyei 2001: 27; Dörnyei 2003: 8). Erstere bezieht sich auf die affektive Dimension des Fremdsprachenerwerbs, also auf Emotionen wie z.B. Begeisterung oder Vergnügen, die Lernende bei der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand verspüren. Extrinsische Motivation wirkt hingegen von außen auf Lernende ein, indem sie bspw. gelobt oder belohnt werden. Diese Motivationsformen sollen v. a. mittels der Sprachlernbiographien rekonstruiert werden, die den Datensatz III umfassen. 4.6.4 Leitfadeninterviews (Leitfadengestützte) Interviews 100 (Datensatz IV) dienen der retrospektiven Erfassung bzw. Perspektiven(re)konstruktion, d.h. der Sichtweise der Studieren- 100 Ein Interviewauszug findet sich im Anhang unter 10.5. Forschungsdesign 106 den auf deren Teilnahme am Projekt. Interviews gelten als eine der Hauptquellen qualitativer Daten auch deshalb, weil die Interviewsituation als eine besondere Form des Gesprächs aufgefasst wird, so dass sich zu Recht von einer gewissen „Kommunikationsroutine“ sprechen lässt (vgl. Dörnyei 2007: 134). Die Interviews haben die Funktion, Erkenntnisse aus den Datensätzen I-III um eine weitere Sichtweise zu ergänzen (vgl. Henrici 2001: 34), da sie „den Zugang zu individuellen und kollektiven Sinnstrukturen“ (Schart 2003: 15f.) erlauben. Bezüglich der Interviewform entschied ich mich für ein halbstrukturiertes, leitfadengestütztes Interview, dessen Vorteile Dörnyei (2007: 136) wie folgt zusammenfasst: The semi-structured interview is suitable for cases when the researcher has a good enough overview of the phenomena or domain in question and is able to develop broad questions about the topic in advance but does not want to use ready-made response categories that would limit the depth and breadth of the respondent’s story. Die halbstrukturierte Interviewform erschien zum einen gegenstandsangemessen, da ich durch meine Funktion als coordinatrice und die teilnehmende Beobachtung während der Projektphase bereits den von Dörnyei angesprochenen Überblick gewonnen hatte. Zum anderen ließ sich das in Fallstudien anvisierte tiefe und breite Verständnis des Untersuchungsgegenstandes allein durch eine Hereinnahme der Perspektiven der Beteiligten herstellen. Bei der Ausarbeitung des Leitfadens stützte ich mich zum einen auf Erkenntnisse aus der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich (vgl. Kapitel 2 und 3). Zum anderen basierte der Leitfaden auf ersten Erkenntnissen aus der teilnehmenden Beobachtung und den Lernprotokollen. Die so entwickelten Fragen umfassten zunächst drei Themenschwerpunkte: Erleben von IC in mehrsprachiger Interaktion (Themenschwerpunkt 1), Ausbildung von SLK in Interaktion (Themenschwerpunkt 2) und interkulturelles Lernen (Themenschwerpunkt 3). Das interkulturelle Lernen war damit zwar Teil des Interviewleitfadens, stand aber - wie in Kapitel 4.1 ausgeführt - vor dem Hintergrund der modifizierten forschungsleitenden Frage nicht mehr im Fokus des Erkenntnisinteresses. Die Interviewfragen des Themenschwerpunkts 1 zielen auf die Rekonstruktion von Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit und den Umgang mit dem mehrsprachigen Input ab (vgl. Forschungfrage 1.1 und 1.3). Die Fragen des zweiten Schwerpunktes sollten zum einen die savoir-être Dimension der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz erfassen. Zum anderen sollten sie v. a. Aufschluss darüber geben, ob die StudienteilnehmerInnen die Interaktionssituation mit den übrigen TeilnehmerInnen überhaupt als Lernsituation wahrnehmen und ob die IC-Erfahrung ggf. Auswirkungen auf Datenerhebung 107 die SLK der Teilnehmenden hat (vgl. Forschungsfragen 2.1 - 2.4). Nachfolgend ist ein Auszug aus dem Interviewleitfaden abgedruckt: 101 Themenschwerpunkt 1: Erleben von IC in mehrsprachiger Interaktion • Wie fandst Du die Interkomprehension auf G ALANET ? • Warum hast Du Dich für XY als Zielsprache entschieden? • War Deine Brückensprache hilfreich? (Was ist mit Deinen übrigen Sprachen? ) • Hat sich Deine Einstellung in Bezug auf die Brücken-/ Zielsprache bzw. zu Sprachen überhaupt geändert? • Wie war das für Dich im Chat? Gab es Irritationen bei der Chatkonversation? (Gab es Probleme, den anderen zu verstehen oder sich selbst verständlich zu machen? Was hast Du dann gemacht? ) Wie hast Du versucht, diese Probleme zu überwinden? • War es eine Herausforderung für Dich, gleichzeitig mit mehreren Sprachen und Kulturen zu tun haben? (Wie bist Du mit dem Gefühl umgegangen, nicht alles verstehen zu können? ) Themenschwerpunkt 2: Ausbildung von SLK in Interaktion • Hat Dich während der Teilnahme etwas besonders motiviert? • War etwas besonders demotivierend? • Wie bist Du mit dem Gefühl umgegangen, nicht alles verstehen zu können? (Gab es einen Unterschied im Forum bzw. im Chat? ) • Hast Du die Interaktion auf der Plattform als Lernen empfunden? • Du hast ja sicher eine Vorstellung davon, wie Du am besten Sprachen lernst. Glaubst Du, dass die Teilnahme am Projekt Auswirkungen auf Dein zukünftiges Sprachenlernen hat? Durch die Verwendung des leitfadengestützen Interviews war sichergestellt, dass sämtliche für die Forschungsfragen relevanten Themenbereiche angesprochen werden konnten, andererseits aber noch genügend Raum für die individuellen Darstellungen der Befragten bestand. Zur Vorbereitung auf die Interviewsituation sichtete ich zunächst die Lernprotokolle bzw. Chat- oder Forumsauszüge der Studierenden. Um den Studierenden den Einstieg in die Thematik und in das Interview zu erleichtern, legte ich ihnen einen ausgewählten Auszug aus einer Forums- oder Chatdiskussion im Sinne des stimulated recall (Dörnyei 2007: 149) vor. Diese Auszüge wurden schließlich im Interview mit der Bitte um Kommentierung bzw. Erklärung erneut aufgegriffen. Die Interviews fanden bis auf eine Ausnahme allesamt in der ersten vorlesungsfreien Woche des Sommersemesters 2010 statt, d.h. ca. vier Wochen nach 101 Der vollständige Interviewleitfaden findet sich im Anhang unter 10.4. Forschungsdesign 108 Beendigung des Projekts. 102 Noch vor Durchführung des Interviews erfolgte ein kurzes Briefing 103 in dem ich den GesprächspartnerInnen erklärte, dass es in dem Interview um die Thematisierung ihrer persönlichen Sichtweise auf ihre Teilnahme am Projekt gehe, und dass sie Gelegenheit haben würden, ihre Gedanken in Bezug auf die Projektteilnahme zu verbalisieren. Mit diesem Briefing sollte zunächst ein angenehmes Gesprächsklima hergestellt werden, das zudem positive Rückwirkungen auf die Qualität der Antworten nach sich ziehen sollte (vgl. Dörnyei 2007: 140). Um Gefälligkeitsaussagen zu vermeiden (vgl. Morkötter 2005: 105f.; Bär 2009: 129) wurde eingangs betont, dass es keine richtigen oder falschen Antworten auf meine Fragen gäbe, und die Interviewpartner alles ansprechen könnten, was ihnen zum Projekt bzw. zu den Erzählimpulsen in den Sinn kommen würde. Aufgrund meiner Doppelrolle als Forscherin und Seminarleiterin bzw. Koordinatorin auf der Plattform war nicht auszuschließen, dass sich Hawthorne-Effekte während der Interviewsituation einstellen (vgl. Dörnyei 2001: 235); allerdings wurde versucht, diese weitestgehend zu minimieren. So war das Verhältnis zwischen mir und den TeilnehmerInnen im Allgemeinen durch Vertrauen und Offenheit gekennzeichnet, was sich zum einen an teilweise sehr persönlichen Reflexionen in den Lernprotokollen belegen lässt. Zum anderen zeigt sich dies auch daran, dass die Erfahrungen mit der Plattform bereits während der Seminartermine im Plenum durchaus kritisch reflektiert bzw. kommentiert wurden. Die Interviewsituation wurde von meiner Seite als eine Form des Arbeitsbündnisses aufgefasst, das Steinke (2000: 320) wie folgt beschreibt: „Dieses Bündnis soll von Offenheit, Vertrauen, Arbeitsbereitschaft und einem möglichst geringen Machtgefälle zwischen ForscherIn und InformantIn gekennzeichnet sein.“ 4.7 Zusammenfassung Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden zunächst die Forschungsfragen sowie die zugrunde gelegten Gütekriterien mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand diskutiert. So wurde herausgestellt, dass Kriterien wie Nachvollziehbarkeit, Offenheit und 102 Vor Durchführung des ersten Interviews fand ein Probeinterview statt, nach dem der Leitfaden um einige redundante Aspekte gekürzt und Fragen umformuliert wurden. Die Interviews wurden mit dem Handyrecorder Zoom H2 aufgezeichnet, der Audiodateien im mp3bzw. wav-Format speichert. Die einzelnen Interviews unterscheiden sich teilweise deutlich im Hinblick auf ihre Länge, was der unterschiedlichen Redebereitschaft der Studierenden geschuldet ist. So umfasst das kürzeste Interview 23, das längste 65 Minuten. Insgesamt liegen ca. 4,5 Stunden Interviewmaterial in Form von Audiodateien vor. 103 Auch Dörnyei (2007: 140) fordert ein solches Briefing: „ Before starting the recording, we need to explain again the reason for the interview - understanding the purpose of the questions will increase the motivation of the interviewee to respond openly and in detail” (vgl. auch Nunan 2005: 152). Zusammenfassung 109 reflektierte Subjektivität für diese Untersuchung von zentraler Bedeutung sind. Der Einhaltung dieser Kriterien sollte u.a. damit Rechnung getragen werden, dass Modifikationen im Forschungsprozess dargestellt sowie Vorannahmen offengelegt wurden (vgl. Kapitel 4.1). Zudem wurden die wichtigsten Merkmale des Erhebungskontextes unter besonderer Berücksichtigung der Eigenschaften der Plattform G ALANET , wie z.B. der Ablauf des Projektszenarios und der Kommunikationsformen, umrissen. Daran anknüpfend erfolgte ein Einblick in das Forschungsfeld, der von forschungsethischen Überlegungen flankiert wurde und die StudienteilnehmerInnen vorstellte. Vor diesem Hintergrund wurde anschließend die Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns diskutiert. Es wurde erläutert, dass ein mehrmethodisches Vorgehen adäquat erscheint, das zugleich die im Rahmen von Fallstudien anvisierte dichte Beschreibung, aber auch triangulierende Verfahren wie das der Datentriangulation ermöglicht. Schließlich wurden die Kriterien der Fallauswahl dargelegt, bevor die Auswahl im Sinne des Erkenntnisinteresses geeigneter Datenerhebungsinstrumente vorgestellt wurde. Folgende Abbildung gibt eine Übersicht über die angewendeten Erhebungsinstrumente und die erhobenen Daten: Zeitraum Datensatz Erhebungsinstrument Februar - Juni 2010 Datensatz I Sprachdaten der Plattform: Forumsauszüge: 82 Postings der Gießener équipe Chat: 14 mehrsprachige Chats Februar - Juni 2010 Datensatz II Lernprotokolle: 12 TeilnehmerInnen x 4 Phasen Juli 2010 Datensatz III Sprachlernbiographien Juli 2010 Datensatz IV 7 retrospektive Interviews Abbildung 13: Übersicht zur Datenerhebung 5. Datenanalyse und Auswertung Die Entscheidung für eine geeignete Analysemethode orientierte sich grundsätzlich am Prinzip der Gegenstandsangemessenheit. Im Folgenden soll der Entscheidungsprozess in groben Zügen skizziert werden, um den Gütekriterien der Reflexivität und Nachvollziehbarkeit gerecht zu werden (vgl. Kapitel 4.2). Es erfolgen zunächst allgemein-methodische Überlegungen (Kapitel 5.1). Nach Anmerkungen zur Transkription wird die benutzte Software zur computergestützten Datenanalyse vorgestellt, anschließend werden Grundprinzipien der qualitativen Datenanalyse thematisiert, gefolgt von einer Reflexion über die zugrunde gelegte Methode Grounded Theory (vgl. Strauss & Corbin 1996). In Kapitel 5.3 wird die Vorgehensweise jeweils anhand der einzelnen Datentypen deutlich gemacht. Kapitel 5.4 soll einen Einblick geben, wie ich bei der Fallrekonstruktion im Einzelnen vorgegangen bin. Bei der Darstellung bin ich im Sinne der Transparenz sowohl auf die Produktebene, d.h. das Ergebnis der Analyse als auch auf die Prozessebene bedacht, die ich mithilfe von Beispielen untermauern werde. 5.1 Allgemein-methodische Überlegungen Allgemein-methodische Überlegungen 5.1.1 Transkription Die Interviewdaten wurden zunächst in das Programm f4, 104 eine kostenfrei erhältliche Software zum Transkribieren von Audio- und Videodateien überführt, die das Setzen von sog. Zeitmarken ermöglicht, welche ein einfaches Navigieren zwischen dem Rohmaterial (Audiodatei) und dem Transkript erlauben. Beim Transkribieren wurde ein Fußschalter eingesetzt, der die Transkriptionsarbeit erheblich erleichterte, so dass die Interviews vollständig transkribiert werden konnten, was für die ganzheitliche Erfassung vorteilhaft war (vgl. Dörnyei 2007: 248). Demgegenüber hätte eine partielle, nur auf einzelne Passagen bezogene Transkription unweigerlich zu einer Perspektivenreduktion geführt, die Verzerrungen zur Folge gehabt hätte. Es wurde kein spezielles Transkriptionsmodell zugrunde gelegt. Die Interviews wurden in einem ersten Schritt wortwörtlich und nach Standardorthographie transkribiert. Angesichts der zugrundeliegenden Fragestellung erscheint die standardorthographische Transkription gegenstandsangemessen und ausreichend (vgl. Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 1996: 152; Henrici 2001: 36). In einem zweiten Schritt erfolgte eine Glättung der gesprochenen Sprache zur Herstellung einer besseren Les- und Handhabbarkeit. Bei der Glättung der Interviewtranskripte 104 www.audiotranskription.de/ f4.htm. Datenanalyse und Auswertung 112 wurde darauf geachtet, keinerlei sinnverstellende Veränderungen vorzunehmen. 5.1.2 Computergestützte Datenauswertung mit MAXQDA Die Datensätze I-IV wurden in ein Programm zur Analyse qualitativer Daten (MAXQDA 105 ) überführt und dort zunächst strukturiert. Die Software erlaubt das Anlegen verschiedener Dokumententypen, d.h. unterschiedlicher Datensätze in einem Baumdiagramm, die sich aus beliebig vielen Einzeldokumenten zusammensetzen können. Die Datensätze lagen mit Ausnahme der Forumsdiskussionen bereits im Word-Format vor, beim Import der Forumsdiskussionen beschränkte ich mich vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses auf Forumsdiskussionen, an denen die deutschsprachigen Studierenden beteiligt waren (vgl. Kapitel 4.3). In einem zweiten Schritt wurden intertextuelle Verknüpfungen per Hyperlink hergestellt. Dafür wurden zunächst die Lernprotokolle der Studierenden auf Bezüge zu Forums- oder Chatdiskussionen hin untersucht, die schließlich miteinander verlinkt wurden. Mit Interviewpassagen, die einen Bezug zu Forums- oder Chatauszügen bzw. Lernprotokollen aufwiesen, wurde ebenso verfahren. Es bleibt anzumerken, dass der Einsatz eines computergestützten Analysetools ForscherInnen nicht etwa von der Analysearbeit entbindet, wie Friese (2006: 463) feststellt: „Es ist nicht Sinn und Zweck von CUQDAS [computergestützte qualitative Datenanalyse, T.P.], den Analyseprozess zu dirigieren und zu manipulieren. Die Software soll die Analyse nur unterstützen“, so dass der Mehrwert dieses Instruments zum einen in der oben beschriebenen Organisations- und Archivierungsfunktion des Programms besteht. Zum anderen eignet sich die computergestützte Datenauswertung mit MAXQDA im Besonderen für kodifizierende Datenanalyseverfahren, wie das der angewandten Grounded Theory, die ich im folgenden Kapitel thematisiere. 5.2 Gegenstandsangemessenheit der Auswertungsmethode Gegenstandsangemessenheit der Auswertungsmethode Grundsätzlich erschien zur Datenanalyse ein induktives Vorgehen gegenstandsadäquat, das sich nicht nur mit dem interpretativ-explorativen Paradigma deckt (vgl. Martinez 2008: 157), sondern sich im Besonderen zur Rekonstruktion des Erlebens der Mehrsprachigkeit aus der Sicht der deutschsprachigen TeilnehmerInnen und deren Perspektive auf das Projekt eignet (vgl. Kallenbach 1996: 92). Bei einem deduktiven Vorgehen mittels eines vorher festgelegten Kategoriensystems hätte demgegenüber die Gefahr bestanden, nur die selbst eingebrachten Kategorien aufzufinden (vgl. Ch. Schmidt 2010: 474), was 105 www.maxqda.de/ . Gegenstandsangemessenheit der Auswertungsmethode 113 der zugrunde gelegten Offenheit widerspricht. Miethe (2012: 165) spricht dahingehend von der „Gefahr der Subsumptionslogik, also nur das zu entdecken, was in den theoretischen Konzepten und Kategorien bereits angelegt war.“ Die Anwendung deduktiver Verfahren schloss ich daher aus, nicht zuletzt, weil die Zielsetzung der vorliegenden Studie Hypothesenbzw. Theoriegenerierung und nicht etwa Theorieüberprüfung lautet (vgl. Kapitel 4). In Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial galt es, eine Methode zu finden, die im Hinblick auf die Beantwortung der Forschungsfragen erkenntnisfördernd sein sollte (vgl. Kapitel 4.1). In Anbetracht der Bandbreite des erhobenen Datenmaterials und der Unterschiedlichkeit der Datensätze in Bezug auf den Entstehungskontext oder den Grad an Strukturiertheit (vgl. Kapitel 4.6), sollte die Auswertungsmethode gleichermaßen flexibel und offen in der Anwendung sein. Dies ist unerlässlich, da sich die anvisierte Datentriangulation (vgl. Kapitel 4.5.1) nur dann als sinnvoll erweist, wenn die verschiedenen Datentypen mit dem gleichen Analyseinstrument bearbeitet werden können. Die nötige Offenheit und Flexibilität bietet die Grounded Theory Methodik (GT) nach Strauss & Corbin (1996), 106 die zudem explizit auf die Erforschung von Interaktionen abhebt, was nicht zuletzt vor dem Hintergrund des interaktionsbasierten Fremdsprachenerwerbs auf der Plattform (vgl. Kapitel 3.2) für deren Gegenstandsangemessenheit spricht: Grounded Theory ist eine handlungs- und interaktionsorientierte Methode der Theorieentwicklung. Ob man Individuen, Gruppen, oder Kollektive untersucht, immer gibt es Handlung und Interaktion, die auf ein Phänomen gerichtet ist, auf den Umgang mit ihm und seine Bewältigung, die Ausführung oder die Reaktion darauf, wobei das Phänomen immer im Kontext oder unter einem spezifischen Satz von Bedingungen auftritt. (Strauss & Corbin 1996: 83) (Hervorhebung im Original) Das im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehende Phänomen betrifft das Erleben der IC-basierten, romanischen Mehrsprachigkeit aus Sicht der deutschsprachigen Studierenden in Interaktion mit ihren KommunikationspartnerInnen. Bei der Datenauswertung wird vor dem Hintergrund der Forschungsfragen darauf zu achten sein, wie die Studierenden mit dem ‚Phänomen‘ der ICbasierten Interaktion umgehen und wie sich dies auf ihr Erleben der Mehrsprachigkeit auswirkt. Als Kontext fasse ich die Plattform G ALANET , mittels der die IC-basierte Interaktionssituation inszeniert wird und die das zu untersuchende Phänomen u.a. durch die Aufgabenorientierung oder die Sequenzierung des Projekts in vier Phasen rahmt (vgl. Kapitel 3.2). 106 Vgl. Strübing (2011: 261f.) für die unterschiedlichen Spielarten der Grounded Theory Methodik. Ich habe mich für Strauss & Corbin (1996) entschieden, weil deren Vorgehensweise im Vergleich zur Glasers Variante den Einbezug theoretischen Vorwissens explizit vorsieht und m. E. nicht - wie von Glaser propagiert - völlig außer Acht gelassen werden kann. Datenanalyse und Auswertung 114 Der Entscheidungsprozess zur Wahl der Auswertungsmethode wurde von folgenden weiteren Überlegungen geleitet: Zum einen sollte die Fallebene bei der Analyse beibehalten werden, da sich nach der ersten Analyse der Interviews abzeichnete, dass sich am Einzelfall Spezifika herausbilden, die für den jeweiligen Fall genuin sind. Es erschien daher wenig gewinnbringend, eine fallübergreifende Kategorienbildung des gesamten Samples anzustreben, wie es z.B. die Qualitative Inhaltsanalyse (Mayring 2000) vorsieht. Die GT-Methodik eignet sich zudem für die fallübergreifende Kontrastierung der herausgearbeiteten Kategorien, ohne dass dabei die individuelle, fallbezogene Ebene aus dem Blick gerät. Außerdem erschien es wichtig, auch latent vorhandene Sinnstrukturen und Deutungsmuster herauszuarbeiten, die über das explizit Gesagte hinausgehen. Dies möchte ich an einem Beispiel aufzeigen. Marcos Sprachlernbiographie 107 endet mit dem Satz: „Ich habe eine hohe affektive Zuneigung zur französischen Sprache und diese Begeisterung und Freude möchte ich auch bei meinen Schülern wecken“ (Z 10-11). Das induktive Kodieren würde u.a. die Kodes „Begeisterung“ und „Freude“ bezogen auf die BS Französisch hervorbringen. Doch bei genauerer Betrachtung des Materials wird deutlich, dass die ungebräuchliche Wendung „hohe affektive Zuneigung“ floskelhaft klingt und im gesamten Text kein weiterer Beleg für Freude, Begeisterung oder Zuneigung zur französischen Sprache zu finden ist. Eine textimmanente Interpretation, d.h. das Hinzuziehen weiterer Textteile desselben Datenmaterials zur Explikation ist also nötig, um latent vorhandene Deutungsmuster innerhalb des Falls herausarbeiten zu können. Die Berücksichtigung weiterer Datensätze zur explizierenden Analyse bestimmter Textstellen im Material ist natürlich ebenso denkbar und ohnehin im Rahmen der Triangulation vorgesehen (vgl. Kapitel 4.5.1). Außerdem spielt bei der Analyse Kontextwissen eine Rolle, das in diesem Fall hilft, den Text in seinen Entstehungszusammenhang einzuordnen und vor diesem Hintergrund zu interpretieren (vgl. Flick 2011). Marco verfasste seine Sprachlernbiographie nicht anonym, sondern in dem Wissen, dass diese von mir gelesen würde. Der letzte Absatz stellt einen Bruch im Duktus seines Textes dar, so dass nicht auszuschließen ist, dass er diesen Passus eher aus Gründen der sozialen Erwünschtheit einfügte. Die alleinige kategoriale Zuordnung der Textteile „Begeisterung“ und „Freude“ hätte in diesem Fall möglicherweise eine Fehlinterpretation zur Folge gehabt und damit zu Verzerrungen geführt. Ich werde im Folgenden zunächst die Analyseschritte der GT-Methodik im Allgemeinen skizzieren, bevor ich in Kapitel 5.4 die Vorgehensweise am Beispiel der einzelnen Datensätze verdeutliche. 107 Zur vollständigen Analyse von Marcos SLB s. Kapitel 6.2.1. Kodieren und die ‚Kunst‘ des ständigen Vergleichens 115 5.3 Kodieren und die ‚Kunst‘ des ständigen Vergleichens Kodieren und die ‚Kunst‘ des ständigen Vergleichens Bei der GT-Methodik handelt es sich um ein kodifizierendes Datenanalyseverfahren, das komplexitätsreduzierend und zugleich nah am Ausgangsmaterial arbeitet und eine systematische Analyse zulässt (vgl. Steinke 2000: 324ff.). Es ist vorauszuschicken, dass der in diesem Rahmen vorgesehene Dreischritt offenes - axiales - selektives Kodieren (Strauss & Corbin 1996: 40) nicht als sukzessiv durchzuführende Analyse zu verstehen, sondern prozesshaft zu fassen ist. Grundsätzlich beginnt die Analyse zwar mit dem offenen Kodieren, im Stadium des axialen Kodierens kann sich aber durchaus die Notwendigkeit zum erneuten offenen Kodieren ergeben, so dass die Kodierarbeit vielmehr zirkulär und iterativ verläuft. Unter offenem, induktivem Kodieren versteht man das Aufsuchen von für die Forschungsfragen relevanten Indikatoren im Datenmaterial, indem bedeutungstragende Textsegmente mit einem Kode versehen werden (vgl. Miles, Huberman & Bonniol 2003: 112). Dabei werden die Daten aufgebrochen und in kleinere Einheiten extrahiert (vgl. Cohen, Manion & Morrison 2011: 561), so dass als Ergebnis dieses ersten Analyseschrittes eine Kodeliste vorliegt, die aus den Daten emergiert. Im späteren Verlauf des offenen Kodierens können wiederkehrende Phänomene im Datenmaterial auch bereits bestehenden Kodes zugeordnet werden, so dass der fortschreitende Kodierprozess nicht mehr nur offen, sondern auch thematisch-strukturierend erfolgt. Offen bzw. induktiv zu kodieren bedeutet im Übrigen auch nicht, theoretisches Vorwissen auszublenden. Die GT-Methodik sieht vielmehr ein Zusammenspiel zwischen Empirie und Theorie vor, indem bereits bestehende Theorien in Form von sensibilisierenden Konzepten für die Datenanalyse fruchtbar gemacht werden und so Anregungen liefern, so dass „ein theoretisches Raster […] im Verlauf des Forschungsprozesses in einem Wechselspiel von theoretischen Heuristiken und empirisch neuen Befunden“ entsteht (Miethe 2012: 165). Als sensibilisierende Konzepte wurden v. a. die in Kapitel 2 und 3 referierten theoretischen und empirischen Forschungsergebnisse herangezogen und für die Analyse nutzbar gemacht. Die Kodes des offenen Kodierens sind zunächst ephemerer Natur, denn sie werden durch ständiges Vergleichen ausdifferenziert und erweitert (vgl. Dörnyei 2007: 251). Dazu notiert Böhm (2000: 476): „Die wichtigste intellektuelle Tätigkeit im Auswertungsprozess besteht im Vergleichen. Hiermit ist weniger die Suche nach identischen Inhalten gemeint, sondern die Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden“, weshalb die Auswertungsmethode der GT auch als ‚Methode des ständigen Vergleichens‘ (vgl. u.a. Strübing 2008: 18) bezeichnet wird. Kodieren ist in diesem frühen Stadium der Analyse nach Hülst (2010: 286) „der erste Schritt im Prozess zur Theoriebildung“ (Hervorhebung im Original), indem häufig auftretende Aspekte zu Kategorien zusammengefasst werden. Kategorienbildung bedeutet, Konzepte um ein empirisches Phänomen Datenanalyse und Auswertung 116 zu gruppieren, wobei Kategorien abstrakter sind als Kodes und zudem inhaltliche Eigenschaften und Dimensionen des Phänomens beschreiben, auf das sie sich beziehen. Im Laufe des Kodierens entsteht so ein Kategoriensystem, das eng an das Datenmaterial angelehnt ist, dieses aber in einer komplexitätsreduzierenden Form repräsentiert und die Grundlage für die Einzelfallrekonstruktion und deren Interpretation darstellt (vgl. Kategoriensystem im Anhang 10.3). Der zweite Schritt, das axiale Kodieren, dient der Dimensionalisierung der im ersten Schritt ermittelten Kategorien, die sich durch einen ständigen Vergleich ergibt. Es handelt sich um ein systematisches In-Beziehung-setzen der Kategorien vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses, bei dem es darum geht, Subkategorien zu identifizieren, die die Kategorien in ihrer Breite auffächern. Es werden zudem Kausalitätsannahmen für das interessierende Phänomen aufgestellt und am Material überprüft. Dafür sehen Strauss & Corbin (1996: 78) das sog. paradigmatische Modell vor: Abbildung 14: Paradigmatisches Modell in Anlehnung an Strübing (2008: 28) Das paradigmatische Modell erlaubt, die aus dem offenen Kodieren entstandenen Kategorien und Konzepte neu zusammenzusetzen. Es ermöglicht ferner die Ermittlung kategorialer Beziehungen, so dass sich die Eigenschaften des Untersuchungsgegenstandes herausarbeiten lassen. Die so visualisierten Zusammenhänge zwischen den Kategorien ermöglichen schließlich einen neuen Phänomen Worum geht es? Worauf bezieht sich der Text? Ursachen Was führt zu dem Phänomen? Kontext Welches sind die Ausprägungen für die aktuelle Fragestellung? Bedingungen für Strategien? Intervenierende Bedingungen Welches sind die generellen (z.B. biographischen) Vorbedingungen für Strategien? Konsequenzen Worin resultieren die auf das Phänomen bezogenen Handlungen / Strategien? Strategien Wie gehen die AkteurInnen mit dem Phänomen um? Kodieren und die ‚Kunst‘ des ständigen Vergleichens 117 Blick auf die Daten, der das selektive Kodieren einleitet. Das selektive Kodieren dient dazu, sog. Schlüssel- oder Kernkategorien zu identifizieren, die einen Erklärungsansatz für das untersuchte Phänomen darstellen und sich als zentral für die entstehende Theorie erweisen: „Die Kernkategorie muss gewissermaßen die Sonne sein, die in systematisch geordneten Beziehungen zu ihren Planeten steht“ (Strauss & Corbin 1996: 101). Hülst (2010: 288f.) formuliert folgende Eigenschaften für Kernkategorien: • sie sollen zentral sein, um den Bezug zu möglichst vielen Themen herstellen zu können, • ihre Indikatoren sollten im Material häufig aufzufinden sein, • sie sollten Bezüge zu anderen Schlüsselkategorien aufweisen […], • sie sind das Extrakt der Analyse und führen zur Produktion von theoretischen Annahmen/ Hypothesen und Verbindungen, • sie sollten die maximale Breite einer Thematik einschließlich möglicher Variationen erfassen. (Hervorhebungen im Original) Beim selektiven Kodieren werden also nicht mehr alle in den beiden ersten Analyseschritten ermittelten Kategorien untersucht, sondern nur noch diejenigen, die das Potential einer Kernkategorie haben. Die Auswahl der vor diesem Hintergrund zu analysierenden Kategorien wird ähnlich wie das theoretische Sampling bei der Datenerhebung von Hypothesen gesteuert, die am Material verifiziert oder falsifiziert werden und so den Analyseprozess leiten. Die Datenanalyse ist abgeschlossen, wenn die sog. theoretische Sättigung eintritt (vgl. Strauss & Corbin 1996: 159). Diese liegt vor, wenn das Hinzuziehen noch nicht verkodeten Datenmaterials weder zur Generierung neuer Kodes noch zur Ausdifferenzierung bereits bestehender Kategorien führt und der iterative Prozess der Datenanalyse keine neuen Themen oder Ideen hervorbringt, die für die Forschungsfragen von Relevanz sein könnten (vgl. Dörnyei 2007: 244). 108 Da Forschende die Daten durch ihre individuell gefärbte Perspektive betrachten, analysieren und schließlich interpretieren, stellt das Kodieren einen idiosynkratischen Prozess dar. Die Analyse- und Interpretationsarbeit ist das Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen, die in ihrer Gänze nicht im Einzelnen aufgeführt werden können. Um den Datenanalyseprozess zu systematisieren und vor unkontrolliertem Einfließen von Vorwissen und Vorannahmen zu schützen, wurden Memos verfasst, die die zugrundeliegenden Entscheidungen dokumentieren und damit die Analyseschritte nachvollziehbar machen. Brüsemeister (2008: 167) definiert Memos als „Analyse- und Ergebnisprotokolle“, mit denen ForscherInnen „[w]ährend und nach der Datenauswertung, dem Vergleichen von Kategorien, […] ihre Einfälle und vorläufigen Hypothesen schriftlich festhalten“. Dörnyei (2007: 254) bezeichnet Memos daher auch 108 Vgl. Kapitel 4.5.3 zum Sampling und der theoretischen Sättigung während der Datenerhebung. Datenanalyse und Auswertung 118 als „the most important of all these analytical tools […], they […] are also likely to contain the embryos of some of the main conclusions to be drawn from the study“. Der Bezug auf Memos soll daher an einigen ausgewählten Stellen den Analyseprozess transparent machen, so dass, wie einleitend erwähnt, eine Darstellung nicht nur auf Produktebene (entwickelte Kodes und Kategorien), sondern auch auf Prozessebene angestrebt wird. 5.4 Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze Obwohl sämtliche Datensätze mit der GT-Methodik bearbeitet wurden, erscheint eine Thematisierung der Auswertungsmethode für die einzelnen Datentypen sinnvoll, da diese sich sowohl in Bezug auf ihren Stellenwert innerhalb der Untersuchung (vgl. Kapitel 4.5) als auch in ihren textuellen und inhaltlichen Eigenschaften (strukturiert vs. nicht strukturiert) sowie ihren Entstehungskontexten unterscheiden. 5.4.1 Sprachdaten: Forums- und Chatauszüge Die Auswahl der zu analysierenden Sprachdaten erfolgte kriteriengeleitet und war von folgenden Überlegungen gekennzeichnet: Zum einen wurden nur solche Sprachdaten einer Analyse zugeführt, deren VerfasserInnen im Rahmen des Samplings auch für die tiefergehende Fallanalyse vorgesehen waren (vgl. Kapitel 4.5.3). Die Auswahl der innerhalb dieser Fälle zu analysierenden Forums- und Chatdiskussionen orientierte sich zum anderen an der Maxime, anhand der Sprachdaten Indikatoren für das Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit herausarbeiten zu können. Des Weiteren wurden die Sprachdaten im Hinblick auf ihr sprachliches und interkulturelles Lernpotential ausgewählt. Für die Präsentation im Rahmen der Einzelfalldarstellung werden die Forums- und Chatnachrichten unter Beibehaltung eventueller Fehler abgedruckt, ohne dies gesondert zu kennzeichnen. Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze 119 Forumsauszüge Anhand Jennifers 109 Beitrag zur Forumsdiskussion „non lasciamoci cosi! salutamoci! Ciao, au revoir“ aus der Phase 4 werde ich skizzieren, wie ich bei der Auswertung der Forumsnachrichten vorgegangen bin. Bei der folgenden Abbildung handelt es sich um einen Screenshot aus MAXQDA, der Jennifers Beitrag und links daneben die von mir gesetzten Kodierungen zeigt: Abbildung 15: Kodierte Forumsnachricht Jennifer Der erste Analyseschritt sieht ein induktives line-by-line coding vor. Das Leitprinzip des induktiven Kodierens lautet, eng am Material entlang zu arbeiten, um so eine ständige Auseinandersetzung mit den Daten herbeizuführen. Der erste Satz des Beitrages verweist auf ein Interesse an den im Forum diskutierten Themen, womit eine Bewertung der Kommunikationssituation einhergeht, die von Jennifer positiv wahrgenommen wurde. Sie berichtet davon, eine sprachliche Sensibilisierung bezüglich der im Projekt verwandten Sprachen erfahren zu haben, was darauf verweist, dass sie auch Sprachen außerhalb ihrer ZS Italienisch rezipiert hat. Ihr Sprachlernverständnis wird an dem Satz « il était bien de pouvoir les appliquer dans le chat avec des locuteurs natifs » deutlich, der zeigt, dass Jennifer ihren Spracherwerb kommunikationsorientiert in der Interaktion mit MuttersprachlerInnen konzeptualisiert. Jennifer bewertet schließlich das Projekt, das aus ihrer Sicht nicht nur dem Spracherwerb und einer sprachlichen Sensibilisierung, sondern auch dem interkulturellen Lernen und einer interkulturellen Sensibilisierung dient. Sie unterstreicht aber auch, dass zunächst eine Phase der Gewöhnung an das Projekt nötig war, um dessen Ablauf zu verstehen. Die an diesem Beitrag entwickelten Kodes leiten nun die weitere Analyse des Einzelfalls, indem auf deren Basis folgende Hypothesen generiert wurden: 109 Vgl. Kapitel 6.3 zu Jennifers Einzelfalldarstellung bzw. 6.3.2 zur vollständigen Analyse und Interpretation von Jennifers Forumsnachricht. Datenanalyse und Auswertung 120 • Jennifer verfügt über ein kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis. • Sie hat ein ausgeprägtes Interesse an den im Projekt vorhandenen Sprachen und den im Forum verhandelten Themen. • Jennifer hat durch ihre Teilnahme nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine interkulturelle Sensibilisierung erfahren. • Gerade zu Beginn des Projekts ist eine Art ‚Gewöhnung‘ an die Plattform nötig. Diese Hypothesen, die in einem Memo festgehalten sind, lenken die Analyserichtung und die Auseinandersetzung mit weiteren Datensätzen, anhand derer die oben aufgestellten Hypothesen verifiziert bzw. falsifiziert werden. In Jennifers Fall finden sich z.B. datenübergreifend weitere Hinweise darauf, dass ihr Sprachlernverständnis kommunikationsorientiert zu fassen ist (u.a. SLB Z 14 + 30; Interview Z 34-36; LP 27-29), so dass dieser Kode mittels Datentriangulation validiert werden konnte. Auch ihr Interesse an Sprachen und Kulturen emergiert datenübergreifend aus dem Material (vgl. Einzelfalldarstellung 6.3). Um die erwähnte Subsumptionslogik zu vermeiden, also nur solche Konzepte und Kategorien in den Daten zu sehen, die man aufgrund der aufgestellten Hypothesen sucht, empfiehlt es sich, die sog. Flip-Flop-Technik anzuwenden (Strauss & Corbin 1996: 64). Dies bedeutet, z.B. die Hypothese ‚kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis‘ umzukehren und anzunehmen, dass das Gegenteil der Fall sei und auf entsprechende Indikatoren im Datenmaterial zu achten. Finden sich diese nicht, spricht dies zusammen mit den aus der Datentriangulation ermittelten Befunden für die aufgestellte Hypothese bezüglich Jennifers Sprachlernverständnis. Was die Hypothese zur Gewöhnung an die Plattform angeht, stellte sich im Laufe der Analysearbeit heraus, dass diese Wahrnehmung von allen TeilnehmerInnen bis auf Anja geteilt wurde, wodurch dieser Kode ebenfalls validiert wurde. 110 Bei den Einzelfalldarstellungen (vgl. Kapitel 6) sind die Forumsdiskussionen nur in Auszügen abgebildet. Es werden aber jeweils der Name des Threads sowie die Phase genannt, in der die Diskussion stattfand, so dass die vollständige Diskussion auf der Plattform einsehbar ist. Damit der analysierte Beitrag des Forschungsteilnehmenden dennoch in den Kommunikationszusammenhang der Diskussion eingebettet werden kann, erfolgt eine kurze Einführung in den Verlauf der Diskussion. 110 Vgl. Karina (I Z 216f.), Meltem (I Z 69-71), Sabine (I Z 31-33) und Marco (I Z 56- 57). Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze 121 Chatauszüge Bei der Analyse der Chats wurde in Anlehnung an Álvarez Martínez (2008: 406) besonderes Augenmerk auf folgende Aspekte gerichtet: 1. Die Eröffnungssequenz (Begrüßung und Vorstellung sowie die Frage, wer den Chat initiiert), 2. die Rekonstruktion der Interaktionsstruktur (insbesondere Themenfindung, d.h. Herstellung eines gemeinsamen Fluchtpunkts 111 und die Frage der Partnerhypothese) und 3. die Verabschiedungssequenz. Die folgende Abbildung zeigt einen Auszug aus einem chat privé (Chat 9, Meltem - romanoE) 112 mitsamt den vorgenommenen Kodierungen, anhand dessen ich die Auswertung der Chatdaten explizieren werde: Abbildung 16: Kodierter Chatauszug (Chat 9) Meltem initiiert den Chat und spricht ihr Gegenüber mit Namen an (1). Nicht nur die Tatsache, dass Meltem den Chat initiiert, sondern auch die Frage in Zeile 3 sprechen für ein Interesse an ihrer Chatpartnerin 113 und der mehrsprachigen Kommunikation. Meltem nimmt schließlich einen Produktionstransfer in ihre ZS Italienisch vor (8) und bittet um Bestätigung ihrer Hypothese (9). Sie bindet ihre Chatpartnerin aktiv in ihren Spracherwerbsprozess mit ein, so dass diese faktisch als language learning facilitator fungiert. Von romanoE erfährt 111 Fluchtpunkt ist ein Begriff aus der Geometrie bzw. der Kunst, der konvergierende Perspektiven bezeichnet. In Anlehnung daran verstehe ich in interkulturellen Kommunikationssituationen einen Fluchtpunkt im Sinne der Perspektivenkoordination als eine Überschneidung von Sichtweisen. 112 Die TeilnehmerInnen wurden gebeten, die chats privés in ihr Lernprotokoll zu kopieren. Der Chat aus der salle de discussion wurde auf die gleiche Weise analysiert und kodiert. Um eine bessere Nachvollziehbarkeit der Analyse zu gewährleisten, sind die Chats bei den Einzelfalldarstellungen in sinnhafte Sequenzen unterteilt, die sich z. B. durch Themenwechsel ergeben. 113 Auch wenn der Vorname romanoE männlich anmutet, handelt es sich um eine weibliche Teilnehmerin (vgl. Kapitel 6.1.3). Datenanalyse und Auswertung 122 Meltem daraufhin eine Fremdkorrektur, der ein Lob folgt, für das sich Meltem bedankt, indem sie wiederum ihre ZS verwendet. Anhand des Chatauszuges wurden mit Blick auf den Einzelfall Meltem folgende Hypothesen aufgestellt: 114 • Meltem initiiert die Kommunikationssituation und hat keine Schwierigkeiten damit, auf andere zuzugehen. • Sie hat ein ausgeprägtes Interesse am Spracherwerb durch Interaktion mit MuttersprachlerInnen, die sie als language learning facilitators wahrnimmt. • Meltem nimmt die Kommunikationssituation als eine Möglichkeit wahr, eine Lernsituation herzustellen. • Meltem will ihre Zielsprache nicht nur rezeptiv erfahren, sondern auch anwenden, was für ihr kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis spricht. Bezogen auf die Hypothese ‚Spracherwerb durch Interkation mit MuttersprachlerInnen, die als language learning facilitators fungieren‘, konnten in Meltems Fall im Datenmaterial zahlreiche Indikatoren gefunden werden, die diese Hypothese bestätigen. So lässt sich die Bedeutung sozialer Kontakte für ihren Spracherwerb durch die Interaktion mit MuttersprachlerInnen nicht nur anhand ihrer SLB nachweisen (16, 30-31, 45, 57-58), die zudem Hinweise darauf enthält, dass sie ihre KommunikationspartnerInnen als language learning facilitators ‚benutzt‘ (SLB 48-49 52-56). Auch im Interview und im Lernprotokoll finden sich das Konzept Spracherwerb durch Kontakt zu MuttersprachlerInnen (I Z 5-7, 52-54, 58-59, 153-156, 159, 170-173; LP 27-28) bzw. Bezüge auf ihr kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis (I Z 140-145; LP 329-240), so dass diese Hypothese verifiziert werden konnte und dadurch eine Validierung der vergebenen Kodes erfolgte. 5.4.2 Lernprotokolle Im Gegensatz zu den Sprachdaten zeichnen sich die Lernprotokolle dadurch aus, dass sie aufgrund von theoretischem Vorwissen vorstrukturiert wurden (vgl. Kapitel 4.6.2). Der Kodierprozess erfolgte daher nicht gänzlich offen, sondern vorwiegend thematisch-strukturierend (vgl. Kapitel 5.3). Die folgende Abbildung zeigt einen Auszug aus einem kodierten Lernprotokoll der Studierenden Meltem aus Phase 3: 115 114 S. Kapitel 6.1.3 zur vollständigen Analyse und Interpretation des Chats bzw. Kapitel 10.5 zum Chatauszug. 115 Das vollständige Lernprotokoll findet sich im Anhang unter 10.5. Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze 123 Abbildung 17: Kodiertes Lernprotokoll Meltem Anhand der Analyse der Lernprotokolle ließen sich v. a. Einblicke in die savoirêtre Dimension und motivationsfördernde wie -hemmende Faktoren des ICbasierten Fremdsprachenerwerbs auf der Plattform rekonstruieren (vgl. Punkt 3 des Lernprotokolls). Des Weiteren waren die Lernprotokolle im Hinblick auf interkulturelle Reflexionen und das Monitoring des IC-basierten Fremdsprachenerwerbs gewinnbringend. Die Analyse der Lernprotokolle bezieht sich ausschließlich auf die für die Einzelfalldarstellungen ausgewählten TeilnehmerInnen. Bezüglich des Entstehungskontexts ist anzumerken, dass die Lernprotokolle nicht anonym verfasst wurden und daher als Sekundärdaten zu betrachten sind. Es handelt sich also um Daten, die im Gegensatz zu Primärdaten (vgl. Kapitel 5.4.1) eigens für die Forschung generiert wurden. Im Vergleich zu den Forums- und Chatauszügen als Primärdaten ist daher ihr Stellenwert innerhalb der Untersuchung anders zu werten, so dass die Befunde aus den Lernprotokollen innerhalb der Falldarstellungen im Sinne des Prinzips der Erkenntniserweiterung die an anderen Datensätzen generierten Hypothesen lediglich stützen werden. Datenanalyse und Auswertung 124 5.4.3 Sprachlernbiographien Ähnlich wie bei den Lernprotokollen war bei der Analyse der SLB ihr Entstehungskontext zu beachten: Die TeilnehmerInnen verfassten ihre SLB in dem Wissen, dass diese von mir gelesen werden, so dass Sensibilität gegenüber Effekten der sozialen Erwünschtheit angebracht war (vgl. Kapitel 5.2). Wie bei der Auswertung der Sprachdaten umfasste der erste Analyseschritt ein induktives, Zeile für Zeile Kodieren (vgl. Kapitel 5.4.1). In Anlehnung an Edmondson (1996: 74) konnten so nicht nur Hinweise auf extrinsische und intrinsische Motivation im Hinblick auf den Fremdsprachenerwerb herausgearbeitet werden. Daneben konnte die Sprachenfolge, der Zeitpunkt und die Dauer des bisherigen Fremdsprachenerwerbs der TeilnehmerInnen sowie positive wie negative Faktoren, die beim Fremdsprachenerwerb eine Rolle gespielt haben, ermittelt werden (vgl. Kapitel 4.6.3). Die SLB waren des Weiteren im Hinblick auf die Einstellungen der TeilnehmerInnen in Bezug auf Sprachen und Kulturen erkenntnisfördernd, so dass es möglich war, im Sinne der dichten Beschreibung ein umfassendes Bild der StudienteilnehmerInnen zu zeichnen, das den Einzelfalldarstellungen in Form eines Kurzporträts vorangestellt ist (vgl. Kapitel 6). Außerdem ließen sich so Hinweise auf die bereits gemachte (Mehr-)Sprachenerfahrungen der Teilnehmenden rekonstruieren, um deren Einfluss auf das Erleben der Mehrsprachigkeit nachzugehen (s. Forschungsfrage 1.2, Kapitel 4.1). Die so ermittelten Punkte ließen neben den Sprachdaten (vgl. Kapitel 5.4.1) einen weiteren Einblick in das Sprachlernverständnis der StudienteilnehmerInnen zu. Vor dem Hintergrund des stark biographisch geprägten Inhalts der SLB orientierte ich mich bei der Analyse zudem an Kallenbach (1996: 97f.) und dem Begriff des Grundgedankens, der mithilfe von Indikatoren für • die Thematisierung persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen […]; • die Eigenständigkeit, mit der ein Aspekt entwickelt wird; • die Häufigkeit, mit der ein Thema zum Gesprächsgegenstand wird; • die Häufigkeit, mit der bestimmte Ausdrücke oder Begriffe benutzt werden und Metaphern herausgearbeitet wird. Es ist anzumerken, dass sich der Aspekt der Häufigkeit nicht auf Berechnungen bezieht, wie sie in quantitativen Designs vorkommen, sondern vielmehr angenommen wird, dass qualitative Forschung nicht gänzlich ohne quantitative Bezüge auskommt (vgl. Morkötter 2005: 117) und es für die Analyse und anschließende Interpretation durchaus aufschlussreich sein kann zu untersuchen, wie oft die Befragten bestimmte Themen ansprechen oder Begriffe aufgreifen. Ich beziehe mich im Folgenden auf die Analyse von Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze 125 Marcos SLB, die im Anhang unter 10.5 zu finden ist. 116 Die ermittelten Grundgedanken bzw. -themen wurden zunächst in einem Dokumentenmemo festgehalten: Abbildung 18: Dokumentenmemo Sprachlernbiographie Marco In Anlehnung an Morkötter (2005: 118) wurde zudem auf Nulldaten geachtet - es handelt sich dabei um Themengebiete, die von den StudienteilnehmerInnen ausgespart werden. So ist es gewinnbringend zu analysieren, weshalb Themen von bestimmten Personen vergleichsweise oft angesprochen werden, die bei anderen keine Erwähnung finden. Nulldaten ergeben sich durch den fallübergreifenden Vergleich der analysierten SLB. Anhand von Marcos SLB wird deutlich, dass er Kontakte zu MuttersprachlerInnen und Auslandsaufenthalte 116 S. Kapitel 6.2.1 zur vollständigen Analyse und Interpretation von Marcos Sprachlernbiographie. Datenanalyse und Auswertung 126 nicht erwähnt. Das muss natürlich nicht bedeuten, dass diese nicht stattgefunden haben, allerdings spricht viel dafür, dass sie durch die Nichterwähnung einen geringen Stellenwert innerhalb seiner SLB haben. In allen anderen Fällen - mit Ausnahme von Karina - emergierten der Kontakt zu MuttersprachlerInnen und Auslandsaufenthalte hingegen aus dem Datenmaterial, so dass die so ermittelten Nulldaten im Rahmen der Einzelfallanalyse Marco zu berücksichtigen waren. Weitere theoriegenerierende Fragen, die an das Material gestellt wurden, waren die sog. W-Fragen (vgl. Böhm 2000: 477). Außerdem wurde auf Schlüsselwörter wie ‚weil‘ oder ‚da‘ geachtet, die Aufschluss über die den Deutungsmustern zugrundeliegenden Ursachen geben oder auch auf Wörter wie ‚deshalb‘ oder ‚mit dem Ergebnis‘, welche Auskunft über Konsequenzen von Handlungen geben (vgl. Böhm 2000: 480f.; Miles, Hubermann & Bonniol 2003: 119). Anhand dieser Notizen wurden folgende Hypothesen generiert (es handelt sich um einen Auszug aus dem Dokumentenmemo zu Marcos SLB): • Marco hat kein großes Interesse an Kommunikation und am Erwerb einer weiteren FS. Das liegt aber nicht an der Plattform, von der Marco schlicht und ergreifend nicht angesprochen wird, da diese nicht mit extrinsischer Motivation operiert. • Bedeutung von Sprachen für Marco: Leistung zeigen, Erfolg haben und Job kriegen Berufsorientierung, ist eine Funktion von Sprache für ihn. • Er hat vermutlich Sprache nicht um der Sprache willen studiert, der Prozess des Sprachenlernens scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren, er wird zumindest nicht thematisiert, Marco scheint eher produkt- und ergebnisorientiert zu sein. • Keine Identifikation mit der zielsprachlichen Kultur, seine Relevanzen scheinen andere zu sein (jedenfalls nicht Fremdsprachen). • Sprache als soziales Interaktionsmedium kommt nicht vor, dürfte auch mit der Vermeidung auf der Plattform zu tun haben. Es wird deutlich, dass diese Hypothesen sich nicht ausschließlich auf die Analyse der SLB stützen, sondern auch Kontextwissen aus der teilnehmenden Beobachtung eingeflossen ist. Das Verfassen von Memos dient dazu, dieses Kontextwissen operabel und für die Analyse und anschließende Interpretation nutzbar zu machen. Durch die teilnehmende Beobachtung wurde deutlich, dass Marco in Bezug auf die Interaktion auf der Plattform eine Vermeidungshaltung einnahm. Mit Blick auf seine SLB wurde schließlich erkennbar, dass er kaum Erfahrungen mit kommunikationsorientiertem Fremdsprachenerwerb hatte, was sein Erleben der interaktionsbasierten Mehrsprachigkeit auf der Plattform beeinflusst haben dürfte. Auch die starke Betonung von extrinsischer Motivation durch gute Noten stellt insofern einen Erklärungsansatz dar, denn Marco scheint aufgrund der Analyse seiner SLB leistungszielorientiert und hat ein funktionalistisches Verständnis von Sprachen, die es ihm v. a. erlauben, Vorgehensweise bei der Analyse der Datensätze 127 gute Leistungen zu zeigen. Der Prozess des Fremdsprachenlernens sowie Kommunikation in der Fremdsprache scheinen für ihn hingegen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Diese Fallannahmen konnten im weiteren Verlauf der Analysearbeit durch Hinzuziehen weiteren Datenmaterials verdichtet werden (vgl. Einzelfalldarstellung Marco 6.2). 5.4.4 Leitfadeninterviews In Bezug auf die Leitfadeninterviews sah der erste Analyseschritt ein materialorientiertes, datengeleitetes Kodieren vor, in dem die Interviews Zeile für Zeile kodiert wurden. Wie bei der Analyse der SLB (vgl. Kapitel 5.4.3) arbeitete ich Grundthemen (Kallenbach 1996: 97f.) und Nulldaten (Morkötter 2005: 118) heraus. Zudem erschien es gewinnbringend, auch Metaphern und Vergleiche in die Analyse miteinzubeziehen, die erkenntnisfördernd sein können, da deren Konnotationen weit über das explizit Gesagte hinausgehen und sie daher in ihrer Eigenschaft als „Konzeptualisierungs- und Strukturierungspotential“ (Kallenbach 1996: 97) nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Da das induktive Kodieren bereits anhand der übrigen Datensätze I-III erläutert wurde, verzichte ich auf detaillierte Beispiele unter Rückgriff auf Interviewmaterial. Es sei insofern auf den Anhang verwiesen, in dem ein kodierter Interviewauszug zu finden ist (Kapitel 10.5). Im Folgenden thematisiere ich daher lediglich die für die Analysearbeit am Interview relevanten Charakteristika. Da die Leitfragen des Interviews auf theoretischen Vorannahmen basieren (vgl. Kapitel 4.1) und vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses für die StudienteilnehmerInnen operationalisiert wurden, erfolgte das Kodieren des Interviews in einer Mischung aus offenem und thematischem Kodieren. Der Einsatz eines Leitfadens wirkt sich darauf aus, zu welchen Themengebieten sich die Interviewpartner äußern (vgl. Kelle & Kluge 2010: 67f), so dass die Frage bzw. Antwort oftmals den zu vergebenden Kode beinhaltete. Die Dimensionen der Leitfragen (z.B. im Hinblick auf Mehrsprachigkeit oder IC) zeichneten sich daher als übergreifende Konzepte ab, so dass die entsprechenden Kodes darunter subsumiert werden konnten. Im Laufe des Kodierprozesses „müssen die ursprünglichen Leitfadenthemen jedoch schon oft differenziert und ergänzt werden, weil die Befragten Aspekte thematisieren, die nicht antizipiert worden sind“, wie Kelle & Kluge bemerken (2010: 68), so dass trotz der Leitfragen Offenheit gegenüber dem Material angebracht ist. Die Offenheit wird in solchen Fällen deutlich, in denen sich die Antwort nicht direkt auf die gestellte Frage bezieht und die Teilnehmenden Themengebiete ansprechen, die in den Leitfragen nicht vorgesehen sind (vgl. Ch. Schmidt 2010: 478). Die Frage nach demotivierenden Momenten (vgl. Kapitel 4.6.4) brachte bspw. den Kode ‚Umgang mit Fehlern‘ hervor, die in den Leitfragen nicht explizit thematisiert wur- Datenanalyse und Auswertung 128 den, sondern vielmehr aus dem Datenmaterial emergierten. Offenheit und theoretische Sensibilität angesichts des Datenmaterials stellen also sicher, dass für den Fall relevante Aspekte herausgearbeitet werden können, auch wenn diese nicht explizit in den Leitfragen des Interviews vorkommen. Die aus diesem ersten Analyseschritt resultierenden Kodes haben zunächst noch deskriptiven Charakter und befinden sich auf einem relativ geringen Abstraktionsniveau, so dass weitere Analysearbeit nötig ist. Im weiteren Verlauf des Kodierprozesses wird eine höhere Abstraktionsebene dadurch erreicht, dass Kodes durch ständiges Vergleichen ausdifferenziert und dimensionaliiert werden (vgl. Kapitel 5.3). Dies geschieht einerseits materialimmanent, d.h. auf der Basis eines Interviews und andererseits fallvergleichend, indem die Aussagen aller Interviewpartner zu einem Thema gegenübergestellt werden. Auf diese Weise können gleiche oder ähnliche Kodes zusammengefasst werden, so dass ein neuer, ausdifferenzierter Kode entsteht. Anschließend wird der neue Kode am Material dahingehend überprüft, ob das neue Label zu allen kodierten Textsegmenten passt. Wenn dies der Fall ist, spricht das für eine Kode-Validität, falls dies nicht der Fall ist, müssen die entsprechenden Textstellen neu verkodet werden. Ich möchte dieses Vorgehen am Beispiel des Kodes ‚Umgang mit Fehlern‘ kurz skizzieren. Mit Blick auf das Datenmaterial konnten vier Dimensionen des Kodes ‚Fehler‘ identifiziert werden. In einigen Fällen ließ sich mit Blick auf die exolinguale Kommunikationssituation zunächst eine grundsätzliche Angst vor der Möglichkeit, Fehler zu begehen ausmachen, was sich hemmend auf die Interaktion mit den MuttersprachlerInnen auswirkte und mit dem Kode ‚Emotionen_negativ_Angst vor Fehlern‘ bezeichnet wurde. Es konnte des Weiteren herausgearbeitet werden, dass die Angst vor Fehlern in enger Verbindung zu den Kompetenzen in der BS steht, die in allen Fällen als niedrig eingeschätzt wurde, was mit dem Kode ‚Brückensprache_Kompetenzen + Fehler‘ benannt wurde. Mit Blick auf die verschiedenen Interaktionsformen auf der Plattform zeichnete sich zudem ab, dass diese eine Auswirkung auf die Wahrnehmung von Fehlern haben können, da aus Sicht der Studierenden Fehler im Chat im Vergleich zum Forum eher als verzeihlich wahrgenommen wurden (Plattform_Chat_Rolle des Fehlers). Schließlich war auch der Umgang mit der empfundenen Angst vor Fehlern unterschiedlich: So wurden Fehler einerseits als für den Spracherwerbsprozess unumgänglich konzeptualisiert und konnten im Laufe des Projekts durch Strategien der Selbstregulierung und Selbstmotivation überwunden werden, während sie andererseits zu einer Vermeidungshaltung im Hinblick auf die Interaktionssituation auf der Plattform führten (Strategien_Umgang mit Fehlern). Für die Identifizierung der Kernkategorien in den Interviews wurde in MAXQDA mit dem sog. Kode-Matrix-Browser gearbeitet, der die Visualisierung von Besetzungshäufigkeiten von Kodierungen innerhalb einzelner oder auch mehrerer Datensätze erlaubt. Die Knoten symbolisieren durch ihre Einzelfallauswertung und Fallrekonstruktion 129 Größe, wie viele Kodierungen zu einer bestimmten Kategorie vorhanden sind. Je größer der Knoten ausfällt, desto mehr kodierte Interviewsegmente liegen vor. Der Kode-Matrix-Browser weist für Karina eine Häufung von Kodes im Bereich ‚Emotionen‘ aus, welche demnach als eine der Kernkategorien identifiziert werden konnte. Auch das LP belegt in diesem Bereich eine Häufung, was die Identifikation von ‚Emotionen‘ als Kernkategorie zusätzlich stützt: Abbildung 19: Kode-Matrix-Browser Interview Karina 5.5 Einzelfallauswertung und Fallrekonstruktion Einzelfallauswertung und Fallrekonstruktion Im Rahmen der Fallrekonstruktion wird schließlich selektiv vorgegangen, denn nicht alle durch das induktive und axiale Kodieren entwickelten Kodes und Kategorien sind mit Blick auf die Forschungsfragen von Relevanz (vgl. Strübing 2008: 21). Auf Grundlage der in den beiden ersten Schritten vorgenommenen Analyse erstellte ich unter Rückgriff auf das paradigmatische Modell (vgl. Kapitel 5.3) jeweils ein datenübergreifendes Strukturbild für die Einzelfälle. Diesen Prozess skizziere ich im Folgenden kurz (vgl. Strauss & Corbin 1996: 78f.). Das zu untersuchende Phänomen stellt die aus der Sicht der deutschsprachigen Studierenden erlebte IC-basierte Mehrsprachigkeit und die sich daraus ergebenden Rückwirkungen für die Entwicklung ihrer Sprachlernkompetenz dar (vgl. Kapitel 4.1). Es gilt, die wesentlichen Merkmale des Phänomens zu identifizieren. Diese können sich z.B. in der Art des Erlebens (positiv - negativ; bereichernd - überfordernd) manifestieren. Das Phänomen Mehrsprachigkeit ist in einen Kontext - hier die Plattform -eingebunden, innerhalb dessen Handlungen und Interaktionen stattfinden, die auf den Umgang mit der ICbasierten Mehrsprachigkeit abzielen. Als kontextspezifisch sind die Kommunikationsformen Chat und Forum zu fassen, die eine Auswirkung auf das Erleben der Mehrsprachigkeit haben dürften. Entsprechend wurde das Erleben der ICbasierten Mehrsprachigkeit getrennt nach den beiden Kommunikationsformen Chat und Forum betrachtet und rekonstruiert. Daneben ruft der Kontext Datenanalyse und Auswertung 130 die Ausbildung und Anwendung unterschiedlicher Handlungsstrategien hervor, die auf den Umgang mit dem Phänomen Mehrsprachigkeit ausgerichtet sind. So erlaubt die im Chat erlebte Mehrsprachigkeit die Ausbildung bzw. Anwendung spezifischer IC-Kommunikationsstrategien, während im Forum andere Strategien, wie das Hinzuziehen externer Ressourcen, zum Tragen kommen. Die anhand der SLB erarbeiteten Kategorien wurden als kontextunabhängige Bedingungen gefasst, da sie u.a. Aufschluss über bereits gemachte (Mehr- )Sprachenerfahrungen sowie das Sprachlernverständnis gaben. Diese Konstrukte erwiesen sich als zentral für das Erleben der Mehrsprachigkeit auf der Plattform. Als ursächliche Bedingungen konnten u.a. die Motive zur Teilnahme am Seminar identifiziert werden. So machte es einen Unterschied, ob TeilnehmerInnen angaben, das Seminar im Rahmen ihres Modulplans besuchen zu müssen oder andere Motive nannten. Hierunter fielen z.B. die Möglichkeit des Selbstaktivwerdens auf der Plattform oder der Interaktion mit MuttersprachlerInnen. Als Konsequenzen, also die auf das Phänomen bezogenen Handlungen oder Strategien, konnten z.B. eine sprachliche oder interkulturelle Sensibilisierung bzw. deren Verneinung oder auch eine positive bzw. negative Bewertung der Sprachenvielfalt herausgearbeitet werden. 117 Auf diese Weise wurden im Hinblick auf das Erkenntnisinteresse spezifische Fallmerkmale identifiziert, was Hülst wie folgt beschreibt: Die als Ergebnis einer Fallanalyse identifizierte/ n Kategorie/ n weist/ weisen zunächst ein einzigartiges dimensionales Profil auf, das nur für den einen untersuchten Fall gültig ist, später aber durch gezieltes Aussuchen ähnlicher oder kontrastierender Fälle (theoretical sampling) in einen allgemeinen Zusammenhang gestellt werden kann. (2010: 289) Auf der Grundlage des Strukturbildes konnten nun am Einzelfall Hypothesen generiert werden, die durch Hinzuziehen weiterer Fälle verifiziert bzw. falsifiziert wurden, indem diese über die weitere Analyse verdichtet wurden. Durch Fallvergleiche konnten so relevante Vergleichsdimensionen, d.h. Kernkategorien, erarbeitet werden, auf deren Grundlage die Entwicklung der gegenstandsbasierten Theorie erfolgte (vgl. Kelle & Kluge 2010: 78). Die Einzelfalldarstellungen in Kapitel 6 dienen der Darstellung der spezifischen Fallmerkmale unter Rückgriff auf die am Fall erarbeiteten Kernkategorien unter besonderer Berücksichtigung der beiden Kommunikationsformen Forum und Chat. 5.6 Zusammenfassung Zusammenfassung In Kapitel 5 wurden zunächst allgemein-methodische Überlegungen im Hinblick auf die Transkription sowie die computergestützte Datenauswertung mit 117 Es ist anzumerken, dass Ursachen und Konsequenzen nicht immer trennscharf zu behandeln waren, da Konsequenzen zu Ursachen werden können und umgekehrt. Zusammenfassung 131 MAXQDA thematisiert. Daran anknüpfend erfolgte eine Diskussion um die Gegenstandsangemessenheit der Grounded Theory-Methodik und eine Reflexion der Auswertungsmethode vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses. So wurde der Dreischritt des offenen, axialen und selektiven Kodierens am Beispiel der jeweiligen Datensätze mit Blick auf die Kunst des ständigen Vergleichens als zentrales Merkmal der GT-Methodik deutlich gemacht. Um den Prozess der Datenanalyse nachvollziehbar und transparent zu machen wurde an ausgewählten Stellen auf Memos zurückgegriffen. Kapitel 5.5 gab schließlich einen Einblick in die Vorgehensweise der Fallrekonstruktion bzw. der Einzelfallauswertungen, die in Kapitel 6 ausführlich dargestellt werden. 6. Einzelfalldarstellungen Kapitel 6 umfasst die Ergebnisse der Einzelfallstudien und zeigt, wie sich IC in Interaktion aus Sicht der UntersuchungsteilnehmerInnen empirisch darstellt. Die Einzelfallstudien beginnen mit einem Kurzporträt der Forschungsteilnehmenden, das sich auf die Analyse der Sprachlernbiographie stützt (vgl. Kapitel 5.4.3). Anschließend werden die Interaktionen auf der Plattform unter Rückgriff auf Sprachdaten aus den Forums- und Chatauszügen veranschaulicht (vgl. Kapitel 5.4.1). Um dem Triangulationsprinzip im Sinne der Erkenntniserweiterung gerecht zu werden (vgl. Kapitel 4.5.1), wird die Darstellung der Interaktionen durch Bezüge auf Segmente im Lernprotokoll (vgl. Kapitel 5.4.2) und im Interview (vgl. Kapitel 5.4.4) angereichert. Daran anknüpfend wird das Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit auf der Plattform durch die Herausarbeitung von Kernkategorien im Interview rekonstruiert. Als strukturierendes Element wurde ein prägnanter Satz aus dem Interview herausgegriffen, der sinnbildlich für das Erleben der Mehrsprachigkeit aus Sicht der StudienteilnehmerInnen steht. Die Einzelfallanalyse schließt mit einer Gesamtbetrachtung, die die rekonstruierten Sinnstrukturen und charakteristischen Merkmalsausprägungen des Einzelfalls zusammenfasst und gleichsam eine Strukturhypothese des analysierten Falls darstellt. 6.1 Meltem Meltem 6.1.1 Kurzporträt Meltem studiert zum Zeitpunkt der Untersuchung im 8. Semester Spanisch und Englisch für das Lehramt an Gymnasien. Sie wächst migrationsbedingt mit zwei Sprachen auf: „Ich behaupte, dass ich zwei Muttersprachen habe, weil ich auf deutschem Staatsgebiet geboren bin, aber meine Familie türkisch ist“ (SLB 3-4). 118 Es ist anzunehmen, dass ihre Lebenswelt weitgehend von Zweisprachigkeit geprägt ist, denn innerhalb der Familie spricht sie sowohl Deutsch als auch Türkisch, in ihrem schulischen Umfeld vornehmlich Deutsch, da ihr „Freundeskreis überwiegend aus Deutschen bestand“ (SLB 16). Meltem nimmt von der 2. bis zur 10. Klasse am Muttersprachenunterricht in Türkisch teil, der es ihr ermöglicht, „die türkische Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen“ 118 SLB bezieht sich auf die Sprachlernbiographie der Forschungsteilnehmenden, 3-4 verweist auf den zitierten Absatz bzw. die kodierte Textstelle. Bedeutungstragende Segmente wurden u.a. aus Gründen der Nachvollziehbarkeit nachträglich fett von mir hervorgehoben. Auszüge aus den Sprachlernbiographien und Lernprotokollen werden unter Beibehaltung eventueller Fehler abgedruckt. Einzelfalldarstellungen 134 (SLB 22). Ihre erste Fremdsprache Englisch erlernt sie ab Klasse 5: „Die Sprache hatte ich durchgehend in der Schule und sie zählte auch immer zu meinen Lieblingsfächern“ (SLB 24-25), so dass ihre Haltung zu Englisch affektiv besetzt ist. Ab Klasse 7 belegt sie des Weiteren Latein, das sie in der 11. Klasse mit dem Latinum abschließt, und Spanisch, welches sie bis zur 13. Klasse als Grundkurs belegt. Sie resümiert ihre Sprachenerwerbsbiographie wie folgt: „Somit habe ich aktuell zwei Muttersprachen und zwei Fremdsprachen, die ich studiere“ (SLB 29-30). Während der Schulzeit nimmt sie an einem Schüleraustausch nach Schweden teil, weil das Ziel darin bestand, sich mit dem Austauschpartner auf Englisch zu unterhalten und Schweden kennen zu lernen. In der Gastfamilie unterhielt ich mich die meiste Zeit auf Englisch und auch außerhalb der Familie war es überhaupt gar kein Problem, die englische Sprache anzuwenden (SLB 35-38). Einen weiteren Auslandsaufenthalt in Schottland in der 12. Klasse schätzt sie für den Spracherwerb weniger hilfreich ein: „Wir verbrachten eine relativ kurze Zeit dort, die uns nicht wirklich dabei half, die englische Sprache zu festigen. Außerdem unterhielten wir uns in der Gruppe nur auf Deutsch“ (SLB 42-43). Während des Studiums absolviert Meltem schließlich zwei Auslandssemester in Spanien, „der Höhepunkt in meinem Leben“ (SLB 45), wo sie u.a. mit Hispanophonen zusammenwohnt, was für ihren Spracherwerbsprozess entscheidend war, da sie ihr „sehr dabei halfen, mein Spanisch zu verbessern“ (SLB 48- 49). Aus Meltems Sicht ist die spanischsprachige Mitbewohnerin ein language learning facilitator: „Ich bat sie darum, mich bei Fehlern in der Ausdrucksweise zu korrigieren und konnte mich bei Fragen jederzeit an sie wenden“ (SLB 57- 58). Zu ihren Freunden aus Spanien hält sie weiterhin über Skype oder MSN Kontakt. Grundthemen • Adressatenbewusstheit und Einstellung zu SprachpartnerInnen (SLB 5-12, 15-20) • Erfahrungen mit Code-switching (SLB 11-12) • Bedeutung sozialer Kontakte für den Spracherwerb (SLB 16, 57-58) • Unterscheidung institutionalisiertes Fremdsprachenlernen (SLB 13-20) und Sprachenlernen durch Kontakt zu MuttersprachlerInnen (SLB 30-31) • Sprachenlernen ist mit Erfolg (SLB 26-27) und positiven Emotionen (SLB 24-25) verknüpft • Zielorientiertheit (SLB 35-36) • Wunsch, Sprachkompetenzen zu verbessern (SLB 39-40) • Wichtigkeit von Auslandsaufenthalten und Kontakten zu MuttersprachlerInnen für Spracherwerb (SLB 45) • SprachpartnerInnen als language learning facilitators (SLB 48-49, 52-56) Meltem 135 Thematisierung persönlicher Ereignisse • Englisch ist Lieblingsfach (SLB 24-25) • Klassenfahrt nach Schottland war für den Spracherwerb weniger hilfreich, da kein Kontakt zu MuttersprachlerInnen bestand (SLB 41-44) • Auslandssemester und Kontakt zu MuttersprachlerInnen (SLB 48-49, 55- 56) Nulldaten • Noten • Tests/ Prüfungen • Kultur des Zielsprachenlandes 6.1.2 Interaktion im Forum Meltem erwähnt im Interview, verglichen mit dem Chat im Forum „etwas weniger tätig“ (I Z 287) gewesen zu sein. Es spricht vieles dafür, dass sie den direkten Kontakt zu MuttersprachlerInnen im Chat für ihren Spracherwerbsprozess als wichtiger einschätzt, weil sie dort Feedback sofort und unmittelbar einholen kann, wie bei der Analyse der Chatdaten herausgearbeitet werden konnte (s. u.). Für die Analyse ihrer Interaktion im Forum bietet sich die Forumsdiskussion der Phase 2 zum Thema Une identité plurielle an, an der sich Meltem mit zwei Beiträgen beteiligte und diese im Lernprotokoll (im Weiteren LP) vom 11.04.2010 reflektiert, so dass die Produktdaten mit den Prozessdaten trianguliert werden können. Forumsdiskussion Phase 2: Une identité plurielle Meltem geht bei ihrer Aktivität im Forum interessensgeleitet vor und bringt sich in solche Diskussionen ein, die etwas mit ihrer Lebenswelt zu tun haben: „Ich hab’ […] die Forumsthemen ausgesucht, zu denen ich […] auch etwas beitragen konnte, wie z.B. Fremdsprachen, oder also, mehrere Identitäten“ (I Z 295-296). Die Forumsdiskussionen lösen bei Meltem einen Redebedarf aus, der zum Austausch mit den TeilnehmerInnen führt. Der folgende Datenauszug zeigt die letzten drei Beiträge der Forumsdiskussion Une identité plurielle inklusive des Einleitungstextes, der der Diskussion vorangestellt ist (siehe Datenauszug 1). Der Einleitungstext thematisiert das Aufwachsen in bikulturell geprägten Familien und fragt nach diesbezüglichen Erfahrungen der ChatteilnehmerInnen. Meltem schaltet sich am 11.04.2010 gegen Ende der Diskussion ein (der erste Beitrag erfolgte am 23.03.2010) und berichtet von ihrer mehrsprachigen und mehrkulturellen Lebenswelt. Mit ihrer Aussage „Yo tengo una identidad plurilingue también“ verweist sie auf den common ground, der den gemeinsa- Einzelfalldarstellungen 136 men Fluchtpunkt der Diskussion ausmacht. Meltem erklärt, dass sie zweisprachig aufgewachsen sei und berichtet von ihrem Sprachenstudium. Es scheint, als ob Meltem ihre mehrsprachige Identität nicht nur mit ihrer deutsch-türkischen Zweisprachigkeit begründet, sondern ihre Studienfächer Englisch und Spanisch miteinbezieht. Datenauszug 1: Forumsdiskussion Une identité plurielle, Beitrag Meltem Für diese Lesart spricht die Tatsache, dass sie in ihrem Beitrag auch ihr Auslandssemester in Spanien erwähnt, das nicht nur für ihren Spracherwerbsprozess von hoher Relevanz gewesen zu sein scheint, da Meltem ihn datenübergreifend erwähnt (z.B. SLB Z 45 und im Interview Z 187-189). Sie spricht in der Diskussion auch den Erwerb kulturellen Wissens während ihres Aufenthaltes in der zielsprachigen Umgebung an. Mit der Äußerung „Me siento como una hija del viento que no tiene sólo una identidad, sino varias“ verweist sie auf die enge Beziehung zwischen Identität und Sprache und die Tatsache, dass Mehrsprachigkeit zu einer plurikulturellen Identität führen kann. Sie schließt ihren Beitrag mit dem Satz „Aprender algo sobre lenguas y culturas diferentes te ayuda a conocer y apreciar a los demas mejor : )“ und geht damit über die individuelle Dimension von Spracherwerb und Identität hinaus. Die Kenntnis ‚fremder‘ Sprachen und Kulturen ermöglicht ihr nicht nur das Kennenlernen und Verstehen anderer Menschen, sondern auch deren positive Wertschätzung. Der darauf folgende Beitrag von RomanoE thematisiert schließlich die Aufwertung, die mit einer mehrsprachigen und plurikulturellen Identität einhergeht und sich laut RomanoEs Meinung durch bessere Arbeitschancen bemerkbar mache, so dass er den ideellen Wert von Mehrsprachigkeit bzw. Mehrkulturalität mit materiellen Vorteilen verknüpft. Meltem reagiert schließlich auf Meltem 137 dieses Posting, indem sie RomanoE direkt anspricht „estoy de acuerdo contigo romanoE...“ und durch ihre Zustimmung einen gemeinsamen Fluchtpunkt ihrer Perspektiven herstellt. Meltem verweist schließlich auf die gestiegene Notwendigkeit von plurilokalen Lebenspraxen, die den achtungsvollen Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen nötig mache. Die kulturelle und sprachliche Vielfalt konzeptualisiert Meltem als Reichtum, den es wertzuschätzen gilt: „es nuestro deber apreciar esta riqueza“. Diese Forumsdiskussion ist nicht nur aufschlussreich im Hinblick darauf, dass Meltem sich eine plurikulturelle Identität zuschreibt und dabei nicht nur ihre Muttersprachen, sondern auch nachgelernte Sprachen miteinbezieht, sondern gibt auch einen Einblick in ihre Einstellungen zu sprachlicher bzw. kultureller Vielfalt. Meltem hat eine offene und wertschätzende Haltung gegenüber mehrsprachigen bzw. mehrkulturellen Lebenspraxen, die vermutlich auf ihre (Mehr-)Sprachenerfahrungen zurückzuführen ist. Sie konzeptualisiert Sprachenbzw. Kulturvielfalt als schützenswertes Gut, dessen Wertschätzung sie als Pflicht betrachtet. Des Weiteren bietet sich für Meltem durch die Teilnahme an der Diskussion die Möglichkeit zum Perspektivenwechsel, wie sie in ihrem LP unter Punkt 2.4 ausführt: = In der Forumsdiskussion hatte ich gute Gelegenheit zum Perspektivenwechsel. Das Thema hieß „Une identité plurielle“ und viele Teilnehmer beschrieben, […] dass ihre Großeltern in das Land, in dem sie jetzt leben, auswanderten (z.B. aus Italien nach Argentinien) oder, dass sie mit mehreren Sprachen aufgewachsen sind. Auch ich bin in derselben Situation. Meine Eltern sind vor 35 Jahren nach Deutschland ausgewandert und auch ich wuchs mit zwei Sprachen und Kulturen auf. Ich konnte die Perspektive der anderen Teilnehmer nachvollziehen, da ich unter denselben Umständen lebe. (LP Z 150-155) Die thematische Ausrichtung der Diskussion sowie Meltems persönlicher Hintergrund führen offenbar dazu, dass sie sich in die Situation der ForumsteilnehmerInnen hineinversetzen kann, wenn diese von ihrer mehrsprachigen und mehrkulturellen Identität berichten. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema richtet Meltem nicht nur den Blick auf die Lebenslage der TeilnehmerInnen, sondern auch auf ihre eigene Lebenssituation, zu der sie Parallelen ausmacht, weshalb von einer Perspektivenkoordinierung gesprochen werden kann. Es zeigt sich, dass bei der Forumsdiskussion Kulturvergleiche angebahnt werden und Gelegenheit zur Perspektivenübernahme besteht, wie Meltem im Interview bekräftigt: Und die Themen konnten sich eigentlich auch auf meine eigene Lebenssituation gut anwenden lassen. Also, ich hab’ verstanden, was es heißt, in einem Land mit zwei Kulturen aufzuwachsen, […] und, das, was die italienischen Teilnehmer dazu beigetragen haben, das findet man auch in Deutschland, und deswegen war das eigentlich ganz einfach, seine eigene Meinung dazu beizutragen. (I Z 308-312) Einzelfalldarstellungen 138 Festzuhalten ist, dass Meltem durch die Einbringung in die Diskussion einerseits Kulturvergleiche zwischen den beteiligten Ländern anstellt und sich in die Lage der TeilnehmerInnen hineinversetzt, so dass mit Perspektivenübernahme bzw. -koordinierung ein wichtiger Bestandteil von Fremdverstehensprozessen und interkulturellem Lernen gegeben ist. Neben der Initiierung interkultureller Lernprozesse gelingt es Meltem aber auch, aus der Forumsdiskussion Implikationen für ihren zielsprachlichen Lernprozess abzuleiten. Sie kommentiert die Forumsdiskussion in ihrem LP unter 1.5 Wo habe ich Fortschritte gemacht? (Z 95-117) wie folgt: Als ich die Beiträge im Forum gelesen hatte, konnte ich mein Wissen über das Italienische erweitern. Ich habe festgestellt, dass die meisten Nomen auf o oder auf -a enden, ebenso die Adjektive. Es gibt drei Infinitivendungen im Italienischen: -are, -ere und -ire. Die Adverbien, die ich entdeckt habe, enden auf -mente. De+el wird zu del kontrahiert. Auch einige Beispiele dazu: […] − nazionalitá = nacionalidad − vantaggio = ventaja − tempo = tiempo − altro = otro − incredible = increible […] − comunicare = comunicar − conoscere = conocer Folgende Begriffe musste ich nachschlagen, um sie zu verstehen: − genitori = padres − perché = Frage − bambino = niño […] An dem Auszug zeigt sich, dass Meltem über die entsprechende Metasprache verfügt, um ihren Zielsprachenerwerbsprozess zu beschreiben und zu reflektieren. Sie geht dabei sprachkontrastierend vor, indem sie Lexemen der ZS die brückensprachlichen Entsprechungen gegenüberstellt, so dass hier eine interkomprehensive Strategie auszumachen ist, derer Meltem sich bewusst ist. Unter 1.8) Welche Strategien habe ich angewandt? notiert sie: „= Im Chat und in der Forumsdiskussion habe ich mir die Vokabeln notiert und sie mit den spanischen kontrastiert“ (LP Z 129). Außerdem strukturiert sie den zielsprachlichen Input in erschließbare bzw. nicht-erschließbare Lexeme und steuert so die Kompetenzerweiterung in ihrer ZS Italienisch. Bezüglich der analysierten Forumsdiskussion Une identité plurielle lässt sich festhalten, dass diese bei Meltem nicht nur interkulturelle, sondern auch sprachliche Lernprozesse anzubahnen vermag. Meltem 139 Forumsdiskussion Phase 4: Shock Culturale: Pregiudizio e barriera linguistica Dies zeigt sich ebenfalls an der o. g. Forumsdiskussion aus Phase 4, die im Folgenden kurz thematisiert wird, weil Meltem sich in ihrem LP intensiv mit dieser Diskussion auseinandersetzt. Meltem geht hier wiederum themengeleitet vor, denn innerhalb der Forumsdiskussion ergab sich eine Debatte um Migration, was für Meltem aufgrund ihrer persönlichen Geschichte vermutlich ein bedeutsames Thema darstellt. Obwohl sie sich nicht aktiv an der Diskussion beteiligt, arbeitet sie im LP den zielsprachlichen Input auf, indem sie nicht nur Kontrastierungen mit ihrer BS und Strukturierungen in erschließbare vs. nichterschließbare Lexeme vornimmt, sondern auch ein italienisch-spanisches Wortfeld zum Thema Migration erstellt. Es spricht vieles dafür, dass ihr Erwerbsprozess zum einen vom Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Thema geleitet wird, was auf Lernerautonomie verweist. Zum anderen scheint sich Meltem aber auch darüber bewusst zu sein, welche Strategien sie zur Aneignung ihrer ZS einsetzen muss, um ihr Lernziel zu verwirklichen. Im LP notiert sie: 1.6 Welche kurzfristigen Lernziele definiere ich für mich? = Im Forum wollte ich Italienisch mit Hilfe des Spanischen verstehen. Jedoch wollte ich diesmal etwas präziser sein und mir ein Themenfeld zu Migration und Vorurteile erstellen, in dem ich zunächst einmal einige Vokabeln heraussuchte, die aufschrieb und mit den spanischen Vokabeln kontrastierte. (Z 337-338) Die Vergleiche lösen bei Meltem metasprachliche Reflexionen aus, an denen sich sprachbewusstheitsfördernde Transferoperationen zeigen, wie am folgenden Auszug aus dem LP deutlich wird. Meltem stellt opaken Lexemen das brückensprachliche Pendant gegenüber, das sie mithilfe eines Wörterbuches (LP Z 287) ermittelt: „Unbekannte Wörter: mi piacerebbe approfondire = me gustaría entrar en detaille ([…] im Spanischen gibt es das Adjektiv „profundo“, aber kein Verb dazu; man umschreibt es mit „entrar en detaille“) (Z 326- 327). Interessanterweise führt Meltem die Suche nach dem spanischen Äquivalent des Verbes „approfondire“ nicht zum spanischen Verb „profundizar“. Allerdings löst der retroaktive Transfer verbunden mit einem Wortartwechsel dennoch einen Erkenntnisprozess aus, wenn sie feststellt, dass sich ihre BS einer Umschreibung bedient. Die Bewusstwerdung bezieht sich des Weiteren auf Suffixe als Wortbildungsmorpheme „die Substantive, die im Italienischen auf „-itá“ enden, enden im Spanischen oft auf „-dad“, wie z.B. multiculturalitá = multiculturalidad“ (Z 330) und orthographische Besonderheiten bzw. Unterschiede „im Italienischen gibt es häufig doppelte Buchstaben, dies ist im Spanischen nicht der Fall, außer bei „ll“, wie z.B. gruppo = grupo; tutte = todo; immigrazione = imigración; tolleranza = tolerancia, etc.“ (Z 332). Meltem re- Einzelfalldarstellungen 140 kurriert außerdem auf ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire, wenn sie festhält, dass sich einige Lexeme ihres Wortfeldes auch auf andere Sprachen übertragen lassen: [...] die meisten Wörter zum Wortfeld „Migration“ sind Internationalismen und können auch in anderen Sprachen verstanden werden, wie z.B. multiculturale (it.) multicultural (spa.) multiculturel (frz.) multicultural (eng.) multikulturell (dt.) (Z 334) Es zeigt sich außerdem, dass die Auseinandersetzung mit den in der Forumsdiskussion bereitgestellten Links zu einer Textsortenbewusstheit führen kann. Meltem hat Schwierigkeiten bei der Dekodierung eines nicht authentischen Zeitungstextes, für welche sie folgendes Deutungsmuster anbietet: „= Der Zeitungsartikel […], den Agnes gepostet hatte, war für mich im Gegensatz zu den Beiträgen der Italiener sehr schwer zu verstehen, da er wohl in einem formellen Italienisch verfasst wurde“ (Z 291-292). Dennoch merkt sie unter 1.5) Wo habe ich Fortschritte gemacht? Folgendes an: „= Dadurch, dass ich mich in den vorherigen Lernphasen intensiv mit dem Italienischen beschäftigt hatte, fiel es mir nicht besonders schwer, unter diesem Thema Wörter aus dem Italienischen vom Spanischen bzw. Lateinischen abzuleiten“ (Z 294-296). Meltem resümiert gegen Ende der Projektphase, dass sie durch die vorherige Auseinandersetzung mit ihrer ZS bereits eine grundständige Rezeptionsbzw. Dekodierungsfähigkeit erworben hat und evaluiert damit indirekt ihre zielsprachliche Verstehenskompetenz als positiv. 6.1.3 Interaktion im Chat Von Meltem liegen insgesamt vier chats privés vor, von denen im Folgenden drei einer Analyse unterzogen werden. Die Auswahl des Chats Meltem - Marcella (Chat 8 119 ) erfolgt, da die Interaktion wegen Sprachwechseln von Irritationen beeinträchtigt ist. Der Chat Meltem - romanoE (Chat 9) wurde ausgewählt, weil Meltem hier in ihrer ZS Italienisch produktiv wird und dazu ihre Chatpartnerin in ihren Sprachlernprozess integriert. Die dreisprachige Chatkonversation in Spanisch, Französisch und Rumänisch (Meltem - gavriloviciA, Chat 7) ist schließlich interessant, weil hier aus Meltems Sicht durch die Verwendung des Rumänischen besondere Verstehensleistungen gefordert waren. Chat 8: Meltem - Marcella Bei diesem Chat handelt es sich um einen dreisprachigen chat privé (Italienisch, Spanisch und Französisch) mit insgesamt 44 turns, der Meltem vor Beginn des 119 Die Nummerierung der Chats bezieht sich auf den Chatkorpus (s. Abbildung 12, Kapitel 4.6.1). Teile dieses Chats wurden bereits in Prokopowicz (2011: 125f.) analysiert. Meltem 141 Interviews vorgelegt wurde. Der Chatauszug eignet sich deshalb für eine tiefergehende Analyse, weil es aufgrund von Code-switching zu Missverständnissen bzw. Irritationen kommt, die im Folgenden herausgearbeitet werden. Um eine bessere Nachvollziehbarkeit der Analyseschritte zu gewährleisten, ist der Chat in sinnhafte Sequenzen unterteilt und mit Zeilenangaben versehen: 1 Meltem> Hola Marcella 2 Marcella> bonjour. Tutto bene? 3 Meltem> gracias todo va bien : ) 4 Meltem> cómo estás? 5 Meltem> de dónde eres? 6 Marcella> sono di Torino. A che punto siete con i temi da votare? 7 Meltem> qué tema? 8 Meltem> yo no he votado con un tema 9 Meltem> he escrito algo en el forum sobre extranjero y tener amigos en el extranjero 10 Marcella> i temi da trovare innanzi tutto (avant tout) nella vostra équipe 11 Meltem> y tú? 12 Marcella> io sono coordinatore di gruppo (équipe Fiume Po) 13 Meltem> vale : ) 14 Marcella> credi che riusciamo (tu crois qu’on va réussir) à faire le tour du monde en 90 jours, comme le dit le titre de la session? 15 Meltem> es un buen titulo creo 16 Marcella> Si, è un bel titolo. 17 Marcella> Dove sei in questo momento? 18 Meltem> yo estoy en el forum mirando los temas 19 Marcella> dove sei fisicamente: a casa? in una biblioteca? Che cosa vedi dalla tua finestra, dalla finestra più vicina a te 20 Meltem> yo estoy en casa : ) 21 […] Datenauszug 2: Chat 8 Meltem - Marcella, Chatsequenz 1 Meltem beginnt den Chat und schreibt Marcella an (1), d.h., sie stellt die Kontaktsituation her, was auf ihre Offenheit und Neugier an der Interaktion mit den TeilnehmerInnen hinweist. Sie zeigt durch das direkte Ansprechen eine pragmatische Kompetenz, denn das Begrüßen und namentliche Ansprechen hat phatische Funktion und dient der Öffnung des Kommunikationskanals. Meltem scheint sich dieser Kommunikationsstrategien bewusst zu sein, wenn sie im LP unter 1.8) Welche Strategien habe ich angewandt? Folgendes notiert: “Beim Chat habe ich darüber hinaus Marcella begrüßt und beim Namen angesprochen“ (LP Z 129-130). Auffällig ist, dass Marcella bereits in ihrer ersten Einzelfalldarstellungen 142 Antwort (2) Französisch und Italienisch alterniert. Meltem überbrückt durch die Verwendung des Emoticons in Zeile (3) die Abwesenheit von Mimik bzw. Gestik im Chat und signalisiert damit nicht nur ihre Gesprächsbereitschaft, sondern stellt zudem ein positives Gesprächsklima her. Mit ihren Fragen in den Zeilen (4-5) zeigt sie nicht nur ein Interesse am Gegenüber, sondern hält damit auch die Konversation in Gang. Meltems Frage nach der Herkunft (5) ruft zwar eine Antwort (6), aber keine Gegenfrage hervor, denn Marcella bezieht sich mit ihrer Frage nach der Themenwahl auf das Lernszenario der Plattform, so dass hier ein Themenwechsel auszumachen ist (die Plattform ist bis inklusive Zeile (18) Inhalt des Chats). Bemerkenswert ist, dass Marcella in Zeile (10) ungefragt eine Verstehenshilfe anbietet, indem sie den italienischen Wörtern „innanzi tutto“ die französische Übersetzung in Klammern hinzufügt. Sie zeigt damit Empathie und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, denn offenbar geht sie davon aus, dass diese Lexeme für Meltem opak sein könnten. Auch in den Zeilen (12) und (14) alterniert Marcella die Sprachen, sie beginnt mit Italienisch und übersetzt dann einen Teil ihrer Ausführungen ins Französische. Auf Marcellas Frage, wo sich Meltem gerade befinde (17), erfolgt die Antwort „yo estoy en el forum mirando los temas“ (18). Meltem bezieht die Frage auf ihre Präsenz auf der Plattform - vermutlich, weil diese bisher Thema des Chats war. Die Frage des Aufenthalts zieht eine Zweideutigkeit mit sich, welche sich einerseits auf die physische Anwesenheit der realen Person, andererseits aber auch auf den Aufenthalt in verschiedenen Räumen innerhalb der Plattform beziehen kann. 120 Diese Mehrdeutigkeit löst ein sprachliches Missverständnis aus, das Marcella mit ihrer Frage „dove sei fisicamente? “ (19) disambiguiert. Meltem reagiert schließlich mit der Äußerung „yo estoy en casa : )“ (20), mit der sie die Irritation ausräumt und diese mittels des Emoticons in ironisierender Weise kommentiert. Offenbar handelte es sich aus Meltems Sicht allerdings nicht um ein Missverständnis, denn Meltem notiert im LP unter der Frage 2.5) Gab es Missverständnisse? Wenn ja, welche und wie bin ich damit umgegangen? „= Nein, keine“ (LP Z 157). Meltem bewertet dieses Vorkommnis offensichtlich als wenig relevant, was damit zu tun haben mag, dass es sich um ein sprachliches Missverständnis handelt, das ebenfalls in einer monolingualen bzw. monokulturellen Kommunikationssituation denkbar wäre und nicht etwa auf die plurilingualen Chat zurückzuführen ist. Ein weiteres Missverständnis ergibt sich aus der Tatsache, dass Meltem in ihrer Partnerhypothese davon ausgeht, es mit einem Gegenüber zu tun haben, das in etwa ihrem Alter entspricht, da sie Marcella zunächst duzt (4, 5, 11). Als Marcella ihr in Zeile 12 jedoch mitteilt, dass sie Koordinatorin der équipe Fiume Po sei, geht Meltem zum Siezen über (24+26), wie sich aus dem folgenden Chatauszug ergibt: 120 Vgl. dazu Kapitel 4.3.3 und die Funktion Qui est où? , die anzeigt, in welchen Räumen sich eingeloggte UserInnen gerade aufhalten (Abbildung 9). Meltem 143 22 Meltem> y mi mesa está enfrente de la ventana, así que puedo ver fuera 23 Marcella> et qu’est-ce que tu vois de la fenetre de la pièce où tu te trouves? Moi je vois une cour io vedo un cortile e vedo anche... 24 Meltem> esta vez usted está hablando en francés : ) 25 Meltem> he dado cuenta de que el italiano me resulta más facil : ) 26 Meltem> usted entiende el espanol bien, no? 27 Marcella> oui, si. Ho avuto la fortuna quando ero bambina di avere una lingua materna e una lingua paterna e parlavo francese con la mia mamma e italiano con il mio papà 28 Marcella> Va bene allora continuo in italiano. Lo spagnolo è per me una lingua incantevole 29 Meltem> que bien crecer con dos lenguas : ) 30 Meltem> sí el espanol a mi me encanta también 31 Meltem> pero el italiano también 32 [...] Datenauszug 3: Chat 8 Meltem - Marcella, Chatsequenz 2 Meltem passt in der Folge ihr kommunikatives Verhalten an die für sie ‚neue’ Gesprächssituation an, was dafürspricht, dass nicht nur Bedeutungen, sondern auch die Rollen der ChatteilnehmerInnen in der Interaktion ausgehandelt werden. Meltems Antwort in Zeile (22) bezieht sich auf Marcellas Frage in der ZS Italienisch, was Meltem sehe, wenn sie aus ihrem Fenster blicke (19), die bei Meltem offenbar keine Verstehensprobleme auslöste. Als Marcella in Zeile (23) jedoch wieder ins Französische wechselt, kommt es zu weiteren Formen der Bedeutungsaushandlung. Die Lesart, dass das Verstehen der ZS Italienisch im Gegensatz zu Französisch für Meltem problemlos ist, bestätigt sich durch Hinzuziehung der folgenden Aussage aus dem Interview „[A]lso, das Italienische konnte ich eigentlich sehr gut verstehen, bei dem Französischen hatte ich einige Schwierigkeiten“ (I Z 199-200). Meltem fällt zunächst auf, dass ihre Chatpartnerin ins Französische wechselt (24), was auf den sprachbewusstheitsfördernden Aspekt der Chatkommunikation verweist. Anschließend nimmt Meltem eine Bewertung ihrer rezeptiven Kompetenzen vor, wenn sie feststellt, dass ihr das Verstehen des Italienischen leichter falle (25). In der Folge will Meltem ausloten, ob die interkomprehensive Kommunikation in ihrer BS Spanisch aus Sicht ihres Gegenübers funktioniert (26). Marcella macht ihre familiäre Situation zum Thema und verweist mit der Aussage, eine Muttersowie eine Vatersprache zu haben, auf den identitätsstif enden Aspekt von Sprachen (27). Interessant ist, dass diese Ausführungen in Meltems ZS Italienisch erfolgen und Marcella in Zeile (28) erklärt, nun auf Italienisch fortzufahren. Damit reagiert sie auf Meltems implizit geäußerten Einwand, dass ihr das Verstehen des Französischen nicht so leichtfalle. In den Zeilen (28-31) thematisieren schließlich t Einzelfalldarstellungen 144 beide Chatpartnerinnen den affektiven Aspekt von Sprachen, indem sie ihr Gefallen an Spanisch und Italienisch zum Ausdruck bringen, so dass sich hier metasprachliche Reflexionen der ChatteilnehmerInnen bezogen auf affektiv-attitudinale Dimensionen von Sprache ausmachen lassen. Marcellas Eingangsfrage (23) bleibt allerdings von Meltem unbeantwortet, was ein Beleg dafür sein könnte, dass sie diese nicht verstanden hat. Durch Hinzuziehung einer Sequenz aus dem LP der 2. Phase wird diese Lesart gestützt, bei der Meltem auf die Frage unter 1.4) Was ist mir bei meiner heutigen Tätigkeit schwergefallen? Folgendes notiert: Als ich mit Marcella gechattet hatte, hat sie ein Paar Mal vom Italienischen ins Französische gewechselt. Dies bemerkte ich dadurch, dass ich sie auf einmal nicht mehr richtig verstand. […] Insgesamt ist es mir aber schwergefallen, zu erschließen, was sie mich auf Französisch gefragt hatte, deswegen habe ich wahrscheinlich auch Antworten gegeben, die nicht zu ihrer Frage gepasst haben. (LP Z 82-84) Meltem führt aus, dass ihr die Sprachwechsel ihrer Chatpartnerin v. a. dadurch auffielen, dass sie sie „nicht mehr richtig verstand[en]“ habe. An dieser Formulierung wird deutlich, dass Meltem zwar bis zu einem gewissen Grad das Verstehen des Französischen gelingt, ihr dies aber im Vergleich zu ihrer ZS Italienisch deutlich schwieriger fällt. Durch Einbeziehen des Interviews wird dies bestätigt: Also, die Antworten auf Französisch sind mir schon schwergefallen, aber ich hab’ dann versucht nochmal drüber zu lesen und noch mal einiges zu verstehen oder einige Begriffe nachzuschlagen in online Wörterbüchern oder ich hab’ einfach den Teilnehmer dann drum gebeten, das nochmal zu erklären oder vielleicht in einer anderen Sprache nochmal zu sagen. (I Z 193-194) Dieses Zitat lässt zunächst einen Rückschluss auf Meltems Wunsch zu, ihre Chatpartnerin verstehen zu wollen, den sie durch Anwendung verschiedener Strategien umsetzt. Ihre Strategien zur Verstehenssicherung umfassen neben kommunikativen Strategien wie der Bitte um Explikation auch den Rückgriff auf andere Sprachen, so dass sie ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire für den Verstehensprozess einsetzt. Außerdem zeigt sie Strategien im Bereich savoir-faire, z.B. durch wiederholtes Lesen oder das Hinzuziehen von (online- )Wörterbüchern. Der Einsatz dieser Strategien gibt außerdem Auskunft über ihre Haltung gegenüber solchen Sprachen, die außerhalb ihrer BS bzw. ZS liegen. Meltem hat den Wunsch, auch Französisch zu verstehen und selbst die Tatsache, dass sie damit Schwierigkeiten hat, führt nicht etwa zu negativen motivationalen Folgen, wie z.B. Frustration. Trotz der Schwierigkeiten betont Meltem neben der positiven Einschätzung der interkomprehensiven Kommunikation mehrfach den positiven Effekt des Chattens: Meltem 145 [U]nd wir haben eine kurze Weile gechattet, das hat Spaß gemacht und, es war auch interessant zu sehen, dass ich auf Spanisch geantwortet hab’ und die dann entweder auf Französisch oder auf Italienisch die meiste Zeit. […] Aber ansonsten, ja, es hat mir Spaß gemacht. (I Z 13-16) Für den Chatauszug Meltem - Marcella lässt sich festhalten, dass Meltem über pragmatische Kompetenzen verfügt, da es ihr gelingt, in der von ihr initiierten Kommunikationssituation ein positives Gesprächsklima herzustellen. Kleinere (sprachliche) Missverständnisse irritieren die Chatkonversation zwar, können aber durch Disambiguierungen ausgeräumt werden. In der Interaktion sind nicht nur sprachliche, sondern auch rollenbezogene Aushandlungsprozesse auszumachen, die das kommunikative Verhalten der TeilnehmerInnen beeinflussen. Der Chatauszug belegt des Weiteren, dass Meltem beim Verstehen des Französischen Schwierigkeiten hat, was durch Hinzuziehung von Interviewzitaten und Auszügen aus dem LP trianguliert werden konnte. Trotz der Schwierigkeiten verfügt Meltem jedoch über den Wunsch, ihr Gegenüber verstehen zu wollen, der durch den Einsatz von Strategien zur Verstehenssicherung deutlich wird. Chat 9: Meltem - romanoE 121 Beim folgenden Chatauszug handelt es sich um einen zweisprachigen (Italienisch/ Spanisch) chat privé von insgesamt 60 turns, den Meltem ihrem LP vom 27.04.10 (Phase 3) beifügte. Dieser Chat gewährt nicht nur Einblicke in Meltems Einstellungen zu Fremdsprachen, sondern zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass Meltem in ihrer ZS Italienisch produktiv wird und ihre Chatpartnerin romanoE als language learning facilitator heranzieht: 1 Meltem>hola romano, cómo estás? 2 romanoE> ciao! ! ! tutto bene! ! ! grazie 3 Meltem>de dónde eres? 4 Meltem>supongo de Italia : ) 5 romanoE> IO SONO DI CASSINO (ITALIA) IO E IL MIO GRUPPO STIAMO LAVORANDO IN QUESTO MOMENTO 6 romanoE> SI ESATTO ITALIA 7 Meltem>que bien : ) me alegro mucho 8 Meltem>io sono di Germania 9 Meltem>es corecto como yo he escrito? 121 Auch wenn der nickname romanoE männlich anmutet, handelt es sich um eine weibliche Teilnehmerin. Einzelfalldarstellungen 146 10 romanoE> si dice „io sono della Germania“ 11 romanoE> comunque molto bene 12 Meltem>grazie : ) Datenauszug 4: Chat 9 Meltem romanoE, Chatsequenz 1 Nach der Begrüßungssequenz und der Frage nach dem Befinden (1-2) erfolgt die gegenseitige Vorstellung (3-5). Auffällig ist, dass Meltem in Zeile (8) einen Produktionstransfer vornimmt, d.h. sie wendet ihre ZS Italienisch in der von ihr initiierten Kontaktsituation an. Grundlage des Transfers könnte der Input aus Zeile (5) sein „IO SIONO DI CASSINO“, der zu Meltems Hypothese „io sono di Germania“ (8) führt. In Zeile (9) bittet Meltem romanoE um Bestätigung ihrer Hypothese, so dass sie ihre Chatpartnerin aktiv in ihren Lernprozess integriert. Diese reagiert in Zeile (10) mit einem korrektiven Feedback 122 und lobt schließlich ihre sprachlichen Fähigkeiten in Zeile (11). Meltem bedankt sich in ihrer ZS (12) - wenngleich nicht ganz klar ist, ob sich der Dank auf die Fremdkorrektur oder das Lob ihrer Chatpartnerin bezieht. Nicht nur die Tatsache, dass Meltem in ihrer ZS produktiv wird ist interessant, sondern auch die Art und Weise, wie sie diese Interaktion in ihrem LP zum Thema macht: 1.4 Was ist mir bei meiner heutigen Tätigkeit schwergefallen? = Bei meiner heutigen Tätigkeit habe ich einige Schwierigkeiten gehabt in Bezug auf Präpositionen, Objekte und die Konjugation von einigen Verben im Italienischen. Bei Unsicherheiten habe ich zum Teil geraten oder Bezug auf das Spanische gemacht, was sich jedoch in einigen Punkten als falsch erwies. (LP Z 190-193) Meltem nimmt den Chat zum Anlass, im LP umfassenden metasprachlichen Reflexionen nachzugehen, so dass davon auszugehen ist, dass das Schreiben in ihrer ZS einen bewusstheitsfördernden Aspekt hatte, weil ihr die Lücken deutlich werden. Außerdem gibt das obige Zitat Einblick in Strategien, die Meltem anwendet: Zum einen handelt es sich um intelligent guessing „bei Unsicherheiten habe ich zum Teil geraten“, zum anderen macht sie Gebrauch vom proaktiven Transfer, indem sie ausgehend von ihrer BS auf ihre ZS schließt. Die Tatsache, dass sich ihre Hypothesen nicht immer als korrekt erweisen, scheint sie nicht weiter zu irritieren bzw. keine negativen Auswirkungen auf ihr Selbstkonzept zu haben, da sie im Chat mit der Produktion in der ZS fortfährt: 122 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass romanoEs Feedback nicht korrekt ist, denn Meltems Output „io sono di Germania“ ist grammatikalisch betrachtet fehlerlos. Meltem 147 13 [...] 14 Meltem>puedo decirte algo en italiano? 15 Meltem>he aprendido un poquito 16 romanoE> si, certo 17 Meltem>ciao, mi chiamo Meltem 18 romanoE> brava! e quanti anni hai? 19 Meltem>io sono studentessa di spagnolo i ingles 20 romanoE> e inglese 21 Meltem>grazie : ) 22 Meltem>io ho 22 anni 23 romanoE> di niente 24 Meltem>me piacero bene parlare il italiano 25 Meltem>: ) 26 romanoE> mi piacerebbe parlare bene 27 […] Datenauszug 5: Chat 9 Meltem romanoE, Chatsequenz 2 Meltem gibt sich mit der Rezeption ihrer ZS nicht zufrieden, sie will die Kontaktsituation nutzen, um ihre ZS in Interaktion mit ihrer Chatpartnerin anzuwenden und von ihr ein korrektives Feedback einzuholen (14). Ihre Chatpartnerin ermutigt sie in diesem Bestreben (17). Meltem hat in den vorherigen Chats offenbar grundlegende Redemittel zur Vorstellung ihrer Person erworben (17, 19, 22), die sie nun zur Anwendung bringen kann. Dabei handelt es sich um bedeutungsvolle Sequenzen, die inhaltlich gesehen in einer ersten Kontaktsituation durchaus adäquat erscheinen. romanoE geht auf diese Gesprächssituation ein, indem sie einerseits Meltems zielsprachlichen Output mit einem Lob würdigt und sich andererseits durch ihre Frage nach dem Alter auch thematisch dem Gesprächsinhalt anpasst (18). Damit zeigt sie nicht nur Empathie, sondern hält auch das Gespräch in Gang, was Meltem weitere Möglichkeiten zur zielsprachlichen Produktion bietet. In Zeile (19) setzt Meltem die Vorstellung ihrer Person fort und erhält daraufhin in Zeile (20) eine Fremdkorrektur, für die sie sich in der ZS bedankt (21). In Zeile (24) drückt sie schließlich ihre Freude am ‚Sprechen’ der ZS Italienisch aus und testet erneut ihre Hypothesen, die von romanoE korrigiert werden (26). Auch wenn Meltems zielsprachliche Produktion an dieser Stelle beendet ist, ist die nachfolgende Chatsequenz von Bedeutung, da sie u.a. Einblick über Meltems Vorgehensweise gibt: 28 romanoE> ma sei gia bravissima! 29 romanoE> stai imparando autodidatta? 30 Meltem>si 31 romanoE> allora sei un fenomeno. io non sarei capace di studiare sa sola 32 Meltem>bueno esto es todo lo que puedo decir Einzelfalldarstellungen 148 33 Meltem>he notado algunas palabras en italiano 34 Meltem>y hablando con italianos aquí en galanet 35 Meltem>notando algunas expresiones : ) 36 Meltem>pero me gustaría hablar más 37 romanoE> ti sta piacendo galanet? 38 Meltem>sí mucho 39 Meltem>nunca he pensado que es tan facil leer y entender el italiano así : ) Datenauszug 6: Chat 9 Meltem romanoE, Chatsequenz 3 Zunächst erfährt Meltem wiederum ein Lob durch ihre Chatpartnerin (28), die sich daraufhin danach erkundigt, ob Meltem sich das Italienische selbstgesteuert angeeignet habe und damit explizit Meltems Sprachlernkompetenz anspricht (29). In Zeile (31) erfolgt wiederum ein Lob durch romanoE, Meltem evaluiert daraufhin ihre zielsprachlichen Kenntnisse, wenn sie ausführt, dass diese Sätze alles seien, was sie ‚sagen‘ kann (32). In Zeile (33) spricht sie ihr Vorgehen in Bezug auf den Zielsprachenerwerb an und thematisiert ihre Lernstrategien. Zum einen habe sie einige Formulierungen in der ZS notiert (35), zum anderen aber auch mit Italienern auf G ALANET ‚gesprochen‘ (34). Außerdem drückt sie den Wunsch aus, noch mehr ‚sprechen‘ zu wollen (36) und bewertet schließlich auf Nachfrage von romanoE nicht nur die interkomprehensive Kommunikationssituation, sondern auch den interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb auf der Plattform als positiv (38-39). Die Verwendung von Wörtern aus dem Bedeutungsfeld ‚sprechen‘ verweist zum einen auf den von Meltem wahrgenommenen Mündlichkeitsaspekt der Chatsprache (vgl. „es todo lo que puedo decir“ (32), „y hablando con italianos“ (34), „me gustaría hablar más“ (36)). Zum anderen ist dies aber auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass Meltem den interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb in der Kommunikation mit anderen konzeptualisiert. Im Interview thematisiere ich die Tatsache, dass sie sich ihre ZS nicht nur rezeptiv, sondern auch produktiv erschlossen hat: I: […] Du bist […] auch produktiv geworden in Deiner ZS. Wie kam das, wieso hast Du das gemacht? M: Also (lacht), einmal wollte ich auch versuchen, das was ich gelernt hab’ auch anzuwenden, es waren wirklich ganz einfache Sätze, aber ich wollte das trotzdem mal anwenden und hab’ auch die Partnerin auch gefragt, ob ich kurz auf Italienisch antworten kann. […] Ich wollte gucken, ob es klappt, ob ich das verstanden habe, so einfache Sätze im Italienischen zu bilden. (I Z 138-142) Das Zitat lässt Einblicke in Meltems Sprachlernverständnis zu, das sich als prozessbzw. kommunikationsorientiert charakterisieren lässt, was sich allein schon an dem häufigen Gebrauch des Wortes ‚anwenden‘ zeigt. Meltem erwirbt Sprache durch Interaktion, indem sie die GesprächspartnerInnen explizit Meltem 149 um Hilfestellung bittet und damit in ihren Lernprozess integriert. Die Möglichkeit, Fehler zu machen, scheint dabei keine große Rolle zu spielen bzw. werden Fehler von Meltem offenbar als unabdingbar für den Sprachlernprozess betrachtet, denn sie thematisiert weder im LP noch im Interview die Möglichkeit der Bewertungssituation im Kontakt mit MuttersprachlerInnen. Meltems Selbstkonzept wird durch das positive Feedback ihrer GesprächspartnerInnen positiv beeinflusst. Sie notiert im LP unter 3.2) Ich bin motiviert, weiter mit der Gruppe zu arbeiten: Ich fühle mich motiviert, weiter zu arbeiten. Außerdem erscheint es den meisten italienischen Galanet-Mitgliedern als interessant, dass ich schon einige Sätze mit Hilfe von Galanet auf Italienisch formulieren kann. Die Reaktionen motivieren mich, meine Hypothesengrammatik zum Italienischen auszubauen und weitere Sätze zu formulieren. (Z 265-268) Aus Meltems LP ergibt sich ferner, dass sie den Chat mit einer klaren Zielvorstellung in Bezug auf ihren Lernprozess initiiert hat: „In dem heutigen Chat lag mein Ziel darin, einige grammatikalische Konstruktionen anzuwenden und [...] mit dem Wissen, was ich mir vorher angeeignet hatte, auf Italienisch einfache Sätze zu formulieren“ (LP Z 238-239). Ihr Lernziel bestand in der Anwendung des zuvor Gelernten, so dass sie über die bloße Rezeption der ZS hinausgeht. Auf die Frage im LP, wie sich ihre Lernziele erreichen lassen (1.7) hält sie fest: „= Diese Lernziele können erreicht werden, indem man die Notizen von vorherigen Chats hinzuzieht. Außerdem hilft es, wenn man eine Hypothesengrammatik zum Italienischen erstellt und diese anwendet“ (Z 241- 242). Meltem bewertet das Erstellen ihrer Hypothesengrammatik als nützlich und zieht diese als Hilfsmittel für ihren Spracherwerbsprozess im Chat heran: „= Im Chat mit romanoE habe ich heute […] meine vorherigen Notizen zur Hypothesengrammatik des Italienischen verwendet“ (LP Z 188). Außerdem nimmt sie den Chat und die Reflexionen im LP zum Anlass, ihren weiteren Lernprozess zu planen und sich Lernziele zu setzen. Sie notiert „Ich sollte mir jedoch auf jeden Fall noch einmal genauer anschauen, wie man im italienischen Verben konjugiert und welche Endungen die einzelnen Personen haben“ (LP Z 214-215). Unter 1.5) Wo habe ich Fortschritte gemacht? führt sie Folgendes aus: = Trotz einiger Schwächen denke ich, dass ich dennoch ihre kompletten Beiträge sehr gut verstanden habe und einfache Sätze auf Italienisch formulieren konnte […] Viele Konstruktionen im Italienischen lassen sich aus dem Spanischen oder dem Lateinischen ableiten. Aus dem Lateinunterricht habe ich sofort die Verben „essere“ (→ esse = sein) und „avere“ (→ habere = haben) wiedererkannt. Zum einen haben wir im Italienischen, wie im Spanischen, ebenfalls reflexive Verben, die aus dem Dativobjekt und dem konjugierten Verb bestehen (mi chiamo). Außerdem ist mir aufgefallen, dass die Altersangabe im Einzelfalldarstellungen 150 Italienischen, mit dem Verb „haben“ gebildet wird. Im Deutschen macht es wenig Sinn, zu sagen „Ich habe 22 Jahre“, im Spanischen (yo tengo 22 años) und im Italienischen (io ho 22 anni) ist es die Regel. Meltem macht sich ihr sprachliches Vorwissen bewusst, das eine Aufwertung erfährt, da es ihr in Form des Wiedererkennungstransfers das Verstehen der ZS ermöglicht. Ihre rezeptiven Kompetenzen bewertet sie dabei als „sehr gut“, erkennt aber auch ihre sprachlichen Defizite, die als Grundlage zur Planung des weiteren Lernprozesses dienen. Meltem stellt Sprachvergleiche an, die sich nicht nur auf die BS und ZS beschränken, sondern sich (nahezu) auf ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire erstrecken. Sie geht dabei auch sprachfamilienübergreifend vor, wenn sie selbst Deutsch mit in ihre Überlegungen einbezieht. Einerseits kontrastiert sie ihre Sprachen „im Deutschen macht es wenig Sinn zu sagen ‚Ich habe 22 Jahre‘“ und bildet andererseits aber auch Analogien, „im Spanischen […] und im Italienischen […] ist es die Regel“, s. o. Durch das Entdecken der Regeln der ZS bewirkt sie zudem vermutlich Festigungseffekte in Bezug auf ihre BS. Für den Chatauszug Meltem - romanoE lässt sich festhalten, dass Meltem den Chat als Gelegenheit zum Produktionstransfer und zur Einholung eines direkten Feedbacks durch die Chatpartnerin nutzt. Sie geht dabei zielorientiert vor und zieht als Hilfsmittel u.a. ihre Hypothesengrammatik heran. Nach Beendigung des Chats nimmt sie diesen zum Anlass, im LP metasprachliche Reflexionen vorzunehmen, welche schließlich als Ausgangspunkt für die weitere Planung ihres Lernprozesses dienen. Es lassen sich Hinweise darauf finden, dass der interkomprehensive Chat bei Meltem zu einer Bewusstwerdung ihres Vorwissens führte, da sie Sprachvergleiche vornimmt, die sich fast auf ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire beziehen. Chat 7: Meltem - gavriloviciA Bei dem folgenden Chatauszug 123 handelt es sich um einen chat privé in den Sprachen Französisch, Rumänisch und Spanisch. Der Chat eignet sich aus zwei Gründen für eine tiefergehende Analyse: Die typologische Distanz des Rumänischen zu Meltems Brückenbzw. Zielsprache beeinflusst die Kommunikation nachhaltig, so dass Meltem mit erhöhten Anforderungen in Bezug auf ihren Verstehensprozess konfrontiert ist. Zum anderen lenkt sie im Interview das Gespräch auf den Chat mit gavriloviciA - es ist also davon auszugehen, dass dieses Chaterlebnis bei Meltem einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Der Chat - es ist wiederum Meltem, die die Konversation initiiert - beginnt mit einer Begrüßungssequenz und gegenseitigen Fragen nach dem Befinden 123 Meltem kopierte den Chat in ihr LP vom 27.04.2010 (Phase 3), kommentierte ihn dort aber nicht weiter, da sie die Analyse ihrer Aktivitäten auf der Plattform „in diesem LP […] auf die Chatkonversation mit der italienischen Muttersprachlerin romanoE“ konzentrierte (LP Z 182), s. Analyse des Chats 9, Meltem - romanoE. Meltem 151 (1-5). Dabei antwortet die rumänischsprachige Teilnehmerin gavriloviciA zunächst in ihrer L 1 Rumänisch: 1 Meltem>hola, cómo estás? 2 gavriloviciA> buna 3 gavriloviciA> bine 4 gavriloviciA> tu? 5 Meltem>yo estoy bien también gracias : ) 6 Meltem>de dónde eres? 7 gavriloviciA> Iasi, Romania 8 Meltem>me alegro mucho : ) 9 Meltem>yo soy de Alemania 10 gavriloviciA> imi pare bine 11 gavriloviciA> est-ce que tu comprends le roumain? 12 Meltem>entiendo un poquito el rumano 13 Meltem>sólo algunas palabras : ) 14 Meltem>que estudias? 15 gavriloviciA> foarte bine 16 [...] Datenauszug 7: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 1 Obwohl zunächst keinerlei Irritationen bzw. Missverständnisse sprachlicher Art festzustellen sind, nimmt gavriloviciA in Zeile (11) einen Sprachwechsel ins Französische vor und fragt Meltem, ob es ihr gelinge, Rumänisch zu verstehen. gavriloviciA scheint in Bezug auf mögliche Verständnisschwierigkeiten bei der plurilingualen Chatkommunikation sensibel zu sein, so dass sie bei ihrem Gegenüber auslotet, ob das interkomprehensive Verstehen des Rumänischen überhaupt funktioniert. Meltem bejaht diese Frage, auch wenn sie eine Einschränkung vornimmt wenn sie feststellt, dass sie vom Rumänischen „un poquito“ (12) bzw. „algunas palabras“ (13) verstünde. Daraufhin fährt gavriloviciA zunächst mit der Verwendung des Rumänischen fort, bevor sie wiederum in Französisch nachfragt, ob Meltem überhaupt damit einverstanden sei, dass sie Rumänisch schreibe (17): 17 gavriloviciA> est-ce que tu veux que je te parle en roumain? 18 gavriloviciA> j`ai oublié te demander 19 gavriloviciA> je comprends l’espagnol 20 Meltem>si quieres puedes hablar en rumano 21 Meltem>me gustaría entenderlo leyendo : ) 22 Meltem>entiendes el espanol? 23 gavriloviciA> mais j’ai des difficultés ? m’exprimer en espagnol 24 Meltem>sí quieres puedes hablar en francés también 25 gavriloviciA> ? était le a avec accent 26 Meltem>ahora es francés, no? 27 Meltem>: ) Einzelfalldarstellungen 152 28 gavriloviciA> oui 29 gavriloviciA> cum vrei tu 30 [...] Datenauszug 8: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 2 Die Lesart, dass Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf ihre L 1 bei der romanischen IC für gavriloviciA nicht neu sind, wird durch Zeile (17) bekräftigt, denn sie scheint sich der Herausforderungen bewusst zu sein, die für ihre Chatpartnerin mit der Rezeption des Rumänischen einhergehen. Sie fragt erneut nach, ob Meltem mit der Verwendung des Rumänischen einverstanden sei und bietet durch ihr Code-switching implizit an, ins Französische zu wechseln, um das gegenseitige Verstehen zu sichern. Sie geht offenbar davon aus, dass Französisch für ihre Chatpartnerin leichter zu verstehen sei. Meltem hingegen spricht sich in Zeile (20) explizit für die Fortführung des Chats in rumänischer Sprache aus und drückt in Zeile (21) ihr Interesse an dessen Rezeption aus. Nachdem gavriloviciA bemerkt, dass sie zwar Spanisch verstehe (19), aber Schwierigkeiten bei der Produktion habe (23), bietet Meltem an, dass sie auch auf Französisch kommunizieren könne (24). Damit unterstreicht Meltem abermals ihre Offenheit auch gegenüber solchen Sprachen, die außerhalb ihrer BS bzw. ZS liegen. Sie nimmt damit bewusst erhöhte Dekodierungsleistungen in Kauf, da es sich bei Französisch und Rumänisch um Sprachen handelt, die typologisch gesehen als distante Sprachen einzustufen sind, wenn man von Meltems BS Spanisch bzw. ihrer ZS Italienisch ausgeht. Die Selbsteinschätzung der psychotypologischen Nähe weist in dieselbe Richtung, Meltem evaluiert ihre rezeptiven Kenntnisse im Interview wie folgt: „[B]ei dem Französischen hatte ich einige Schwierigkeiten, aber die größten Schwierigkeiten hatte ich z.B. beim Rumänischen“ (I Z 200-201). Trotz der ausdrücklichen Bitte, in Rumänisch zu kommunizieren, setzt gavriloviciA die Chatkonversation in Französisch fort. Meltem hat möglicherweise Schwierigkeiten, Rumänisch und Französisch zu differenzieren, wenn sie in Zeile (26) fragt „ahora es frances, no? “, was dafürspricht, dass der interkomprehensive Chat Meltems plurilinguale Sprachbewusstheit förderte. Meltems Schwierigkeiten bei der Dekodierung französischer und rumänischer Äußerungen ihrer Chatpartnerin führen schließlich zur Anwendung von verschiedenen Strategien der Verständnissicherung, wie sich im folgenden Chatauszug zeigt: 31 Meltem> sí es verdad, hay una ciudad que se llama Konstanz en Alemania 32 Meltem> está en el sur 33 gavriloviciA> bcp d`etudiants de Iasi vont la avec la bourse Erasmus 34 Meltem>que significa „bourse“ 35 Meltem>es algo como beca? 36 gavriloviciA> oui beca Meltem 153 37 Meltem>vale : ) 38 gavriloviciA> vale bine, en rumano 39 Meltem>bine ; ) 40 Meltem>pues entonces la frase es siguiente 41 Meltem>habían estudiantes que iban a Konstanz en Alemania con una beca de Erasmus 42 gavriloviciA> en rumano? 43 Meltem>fue la frase en francés, no? 44 gavriloviciA> oui 45 Meltem>bine 46 gavriloviciA> gut 47 Meltem>muy bien en alemán : ) 48 gavriloviciA> j`ai pris quelques cours d`allemand Datenauszug 9: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 3 gavriloviciA lenkt das Gespräch auf die deutsche Stadt Konstanz und stellt damit einen common ground her, indem sie ausführt, dass dort viele rumänische Studierende ein Auslandssemester absolvieren (33). Meltem fragt daraufhin explizit nach dem für sie opaken Lexem « bourse » (34) und nimmt in Zeile (35) einen Übersetzungsversuch in ihre BS Spanisch an, um dessen Bestätigung sie bittet. Sie versucht also, ihre Verständnisprobleme einerseits durch Rückgriff auf ihr brückensprachliches Wissen zu lösen und bindet andererseits ihre Chatpartnerin aktiv in diesen Verstehensprozess mit ein, indem sie sie um Verifizierung bzw. Falsifizierung ihrer Hypothese bittet. Es auch denkbar, dass Meltem sich die opake Form « bourse » mit Hilfe ihres Weltwissens erschlossen hat, denn bei der Bedeutungserschließung dürfte das Syntagma « la bourse Erasmus » in Kombination mit Studierenden als Agens herleitbar sein. In Zeile (36) erfolgt die Bestätigung von Meltems Hypothese durch gavriloviciA, woraufhin sich Meltem bedankt (37). In Zeile (38) stellt gavriloviciA dem spanischen Wort „vale“ die rumänische Übersetzung „bine“ gegenüber und bringt damit Rumänisch zumindest partiell mit in die Chatkonversation ein. Meltem macht in Zeile (40) die Ankündigung, den französischen Satz aus Zeile (33) zu übertragen und bittet damit implizit um eine Bestätigung, d.h. sie sucht Feedback für ihre Interlinearübersetzung (41), nachdem sie die opake Form erschlossen hat. Dieser Übertragungsversuch kann als Form der Bedeutungsaushandlung betrachtet werden, welcher von gavriloviciA bestätigt wird, so dass hier eine Kokonstruktion nicht nur in Bezug auf die Bedeutungsaushandlung, sondern auch in Bezug auf Meltems Lernprozess auszumachen ist. gavriloviciA übernimmt die LehrerInnenrolle, während Meltem die Rolle der Lernenden einnimmt. Meltem nutzt in Zeile (45) das zuvor erworbene Wissen in der ZS Rumänisch und wendet es sofort an, indem sie sich auf Rumänisch bedankt. gavriloviciA geht ihrerseits in Meltems Sprache, wenn sie in Zeile (46) zeigt, dass Einzelfalldarstellungen 154 sie auch Deutschkenntnisse hat. Meltem scheint darüber erfreut zu sein, die Verwendung des Emoticons in Zeile (47) spricht jedenfalls dafür, außerdem lobt sie ihre Chatpartnerin explizit für die Einbringung des Deutschen „muy bien en alemán : ) (47)“. gavriloviciA erwähnt schließlich, dass sie Deutschkurse besucht habe (48). Die Chatkonversation setzt sich wie folgt fort: 49 Meltem>que haces durante tu tiempo? puedes escribirmelo en rumano? ; ) 50 gavriloviciA> mais je suis nulle 51 Meltem>*tiempo libre 52 gavriloviciA> timp liber 53 Meltem>oui, sí 54 gavriloviciA> nu prea am timp liber 55 gavriloviciA> lucrez 56 gavriloviciA> îmi place foarte mult s- citesc 57 Meltem>bién, parece a Espana 58 gavriloviciA> da 59 gavriloviciA> sunt limbi surori 60 Meltem>timp liber es tiempo libre, no? 61 gavriloviciA> da 62 gavriloviciA> da si oui 63 Meltem>que significa limbi surori? 64 Meltem>da entiendo : ) 65 Meltem>hay en ruso también, no? 66 gavriloviciA> des langues soeurs 67 gavriloviciA> da Datenauszug 10: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 4 In Zeile (49) nimmt Meltem einen Themenwechsel vor, sie hält das Gespräch mit ihren Fragen in Gang, womit sie ihr Interesse an der Lebenswelt ihres Gegenübers bekundet. Die Tatsache, dass Meltem gavriloviciA explizit darum bittet, dies in Rumänisch vorzunehmen unterstreicht abermals ihre Neugier und ihre Offenheit gegenüber dem Rumänischen. Offenbar ist Meltem an einer breiten Rezeptionsfähigkeit interessiert, die sich auf alle im Projekt involvierten Sprachen bezieht. Es spricht vieles dafür, dass sie die Chance nutzen möchte, sich durch den Kontakt zu einer rumänischsprachigen Muttersprachlerin in der Rezeption des Rumänischen zu versuchen. In Zeile (51) erfolgt zunächst eine Selbstkorrektur, die Meltem mit einem Asteriks versieht. Sie spezifiziert, dass sie sich für die Freizeitbeschäftigungen ihrer Chatpartnerin interessiere „tiempo libre“, so dass durch die Spezifizierung eine Form der Bedeutungsaushandlung ausgemacht werden kann. gavriloviciA überträgt diese Wortgruppe ins Rumänische und ermöglicht so direkte Vergleiche zwischen der Ausgangs- und Zielsprache (52). Im Weiteren geht gavriloviciA nicht nur inhaltlich auf Meltem 155 Meltems Frage ein, sondern auch auf ihren Vorschlag, in Rumänisch zu kommunizieren (49). Zu Meltems Antwort darauf in Zeile (57) ergeben sich zwei Lesarten: Einerseits könnte es sich um eine Replik auf gavriloviciAs Beitrag zu ihrer Freizeit handeln, die Meltem an ihren Erasmus-Auslandsaufenthalt in Spanien erinnert. Die Konstruktion „parece a *Espana“ spricht für diese Lesart. Meltems Beitrag in Zeile (57) könnte sich andererseits aber auch auf die Gegenüberstellung von „tiempo libre“ und „timp liber“ in Zeile (52) beziehen, zumal gavriloviciA dies mit einem “da“ (58) bestätigt und erklärt, dass es sich um ‚Schwestersprachen’ handele (59). Auch wenn die zweite Lesart vielmehr die Konstruktion „parece al español“ erfordert hätte, halte ich sie dennoch für wahrscheinlicher, da Thema des Chats nicht etwa Freizeitbeschäftigungen der Studierenden in Spanien und Rumänien sind, sondern Sprachvergleiche, die durch die Gegenüberstellung in Zeile (52) initiiert werden. Trotz der Gegenüberstellung besteht für Meltem ein Bedürfnis zur Disambiguierung, denn sie nimmt in Zeile (60) einen erneuten Übertragungsversuch vor und bittet explizit um Bestätigung der Hypothese. gavriloviciA kommt dieser Bitte nach und nimmt eine Validierung vor (61), um diese schließlich in der dreisprachigen Äußerung „da - si - oui“ (62) weiter zu explizieren. Offenbar geht gavriloviciA hier erneut davon aus, dass ihrer Chatpartnerin das Wort „da“ nicht bekannt sein könnte. Dabei spielt möglicherweise die Tatsache eine Rolle, dass es sich um eine Einzelwortäußerung handelt, die das Hinzuziehen des Kotextes zur Bedeutungserschließung nicht erlaubt. Meltem kennt jedoch das Lexem „da“ (64) - sie stellt Sprachvergleiche an und bittet wiederum ihre Chatpartnerin um Rückmeldung „hay en ruso tambièn, no? “ (65), was diese in Zeile (67) bejaht, so dass sich hier wiederum sprachbewusstheitsfördernde Aspekte der Chatkonversation ausmachen lassen. In Zeile (63) bittet Meltem erneut um Hilfe bei der Bedeutungserschließung - sie fragt nun explizit nach der Bedeutung von „limbi surori“, ohne ihrerseits einen Erklärungsversuch zu unternehmen bzw. ohne diesen explizit zu machen. gavriloviciA überträgt die opake Wortgruppe schließlich ins Französische (66). Es lässt sich feststellen, dass gavriloviciA einerseits inhaltlich auf Meltems Frage eingeht, aber auch ihrem Wunsch nach Spracherwerb nachkommt, indem sie auf Rumänisch kommuniziert und dabei die Rolle des language learning facilitators einnimmt. Auffällig ist, dass dies nicht explizit ausgehandelt wurde, es scheint vielmehr so, als ob Hilfestellungen beim Spracherwerbsprozess im Chat nicht explizit verhandelt werden müssen. Offenbar ist gavriloviciA als Muttersprachlerin des Rumänischen aber auch für die Herausforderungen ihrer ChatpartnerInnen sensibilisiert, die bei der Dekodierung des Rumänischen aufgrund seiner typologischen Distanz zwangsläufig auftreten. Es zeigt sich außerdem, dass Sprachen ein beliebtes Thema im Chat sind, die Anlass zu metasprachlichen Reflexionen sind, wie sich auch aus dem weiteren Chatverlauf ergibt: Einzelfalldarstellungen 156 68 gavriloviciA> limba german- mi se pare foarte grea 69 gavriloviciA> : (( 70 Meltem>es difícil para tí? 71 Meltem>la lengua alemana? 72 gavriloviciA> da 73 gavriloviciA> articolul 74 Meltem>me imagino que es una lengua difícil porque tiene los articulos, los casos 75 gavriloviciA> genul cuvintelor 76 Meltem>y muchas cosas más 77 gavriloviciA> verbele 78 gavriloviciA> timpurile verbale 79 gavriloviciA> prepozi? iile 80 gavriloviciA> prepozitiile 81 Meltem>sí los preposiciones 82 gavriloviciA> : ( 83 Meltem>no te preocupes, si sigues practicando o quedas en Alemania por algunos meses lo aprenderás seguro : ) 84 gavriloviciA> : ) 85 [...] Datenauszug 11: Chat 7 Meltem gavriloviciA, Chatsequenz 5 gavriloviciA thematisiert ihre Einstellung zur deutschen Sprache, die sie als schwierig empfindet (68). Sie spricht damit den persönlich empfundenen Schwierigkeitsgrad des Deutschen an und erklärt ihren Eindruck in der Folge durch Nennung von Gründen (73, 75, 77ff.). Die Äußerung zur deutschen Sprache versieht gavriloviciA in Zeile (69) mit einem Emoticon, das zu Meltems Verstehen beigetragen haben könnte. Die opake Form „limbi“ wurde zu einem früheren Zeitpunkt des Chats geklärt (s. o.), das Lexem „german-“ dürfte ohne weiteres erschließbar sein, so dass das Syntagma „limbi german-“ in Verbindung mit einem traurigen Smiley bei Meltem offenbar zu der Vermutung führt, dass ihre Chatpartnerin den Erwerb des Deutschen als schwierig einschätzt. Unter Rückgriff auf ihre BS Spanisch und formuliert sie diese Hypothese und bittet um Bestätigung (70 + 71), der gavriloviciA in Zeile (72) nachkommt. In der Folge finden metasprachliche Reflexionen darüber statt, warum Deutsch schwierig zu erlernen sei, indem sich eine Diskussion über das grammatische Inventar des Deutschen entfaltet und Bereiche genannt werden, von denen beide Chatpartnerinnen glauben, dass sie schwierig zu erlernen seien (73-81), so dass hier ein gemeinsamer Fluchtpunkt der Perspektiven ausgemacht werden kann. Mit ihrer Äußerung in der Zeile (83) zeigt Meltem Verständnis und Empathie für die Situation ihrer Chatpartnerin, wenn sie sie dazu ermutigt, nicht aufzugeben. Interessant ist, dass sich in dieser Chatsequenz eine Meltem 157 Rollenverschiebung dahingehend ergeben hat, dass Meltem nun als Sprachexpertin für Deutsch agiert und gavriloviciA die Rolle der Sprachenlernenden einnimmt - auch wenn sich in der weiteren Folge des Chats keine Spracherwerbssequenzen im Hinblick auf das Deutsche ergeben. Meltem gibt ihrer Chatpartnerin zwar motivationales Feedback in Bezug auf den Deutscherwerb, doch es kommt nicht dazu, dass gavriloviciA in Deutsch kommuniziert oder Meltem sie dazu auffordert und ihre Hilfe anbietet. Dies mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass die Plattform in erster Linie auf romanische IC abhebt. Meltem fasst ihre Chaterfahrungen mit gavriloviciA im Interview schließlich wie folgt zusammen: M: Und mit der Teilnehmerin aus Rumänien, da gab es eigentlich so die meisten Schwierigkeiten (lacht), weil das Rumänische wirklich sehr weit vom Spanischen entfernt ist. I: Und was hatte das für eine Auswirkung auf die Konversation, wenn Du das jetzt mal vergleichst mit der Italienerin z.B.? M: Da musste ich z.B. fast nach jedem Satz nachfragen (lacht), was sie geschrieben hat, was es bedeutet, und ja, die Konversation da in diesem Fall hat eigentlich nicht sehr gut geklappt, weil ich sie kaum verstanden hab’. Sie hat dann nochmal auf Französisch etwas geschrieben, also, beim ersten Mal, als ich’s nicht verstanden hab’, hat sie’s nochmal umschrieben im Rumänischen, und als es dann überhaupt immer noch nicht klar war, hat sie dann versucht, in eine andere Sprache zu wechseln, ins Französische glaube ich. (Z 254-262) Die psychotypologische Distanz zum Rumänischen führte dazu, dass Meltem die Chatkommunikation in der Retrospektive teilweise als nicht gelungen erinnert. Sie nimmt eine Bewertung der Rezeptionskompetenz im Rumänischen vor, bei dem sie im Vergleich zu allen anderen ZS „die meisten Schwierigkeiten“ hatte. Diese führten dazu, dass sie mehrfach nachfragen musste, was das Chaterlebnis bzw. ihr Empfinden in Bezug auf die Kommunikationssituation negativ beeinflusste. Auch die Strategien zur Verständnissicherung ihrer Chatpartnerin gavriloviciA lösen Meltems Verständnisschwierigkeiten nicht, Umformulierungen und Sprachwechsel ins Französische bleiben ohne den gewünschten Erfolg. Zusammenfassend lässt sich für den Chat Meltem - gavriloviciA festhalten, dass Meltem trotz des empfundenen Schwierigkeitsgrades über ein Interesse an der Rezeption des Rumänischen verfügt und dass diese Schwierigkeiten in der Folge keinerlei Frustrationserlebnisse oder negative Empfindungen auslösen. Es sind Formen der Bedeutungsaushandlung auszumachen, die von den ChatteilnehmerInnenn in einem reziproken Prozess kokonstruiert werden und sich nicht nur auf sprachliche Aspekte beziehen. Meltem wendet diverse Strategien der Verstehenssicherung an und sie bezieht ihre Chatpartnerin aktiv in diesen Prozess der Disambiguierung mit ein. Einzelfalldarstellungen 158 6.1.4 Mehrsprachigkeit aus Meltems Sicht: „Es hat mich auf jeden Fall bereichert und es hat auch meinen Horizont erweitert“ Vor Beginn des Interviews legte ich Meltem einen Chatauszug vor (Meltem - Marcella, zur Analyse s. Kapitel 6.1.3), mit der Bitte, sich diesen zunächst durchzulesen. Die Gesprächsatmosphäre im Interview mit Meltem erlebte ich durchweg als positiv, sie lachte viel und machte auf mich den Eindruck einer offenen und interessierten Gesprächspartnerin, die bereitwillig Auskunft auf meine Frageimpulse gab. Als wiederkehrende Begriffe im Interview ließen sich „Spaß, Sprache anwenden, gemeinsames Interesse, Kontakt zu MuttersprachlerInnen, motiviert“ und „Bereicherung“ feststellen, an denen ihre Perspektive auf die Teilnahme am Projekt deutlich wird. Des Weiteren konnten folgende Grundthemen, persönliche Erlebnisse und Nulldaten ermittelt werden: Grundthemen • Kontakt zu MuttersprachlerInnen (Z 5-7, 52-54, 58-59, 153-156, 159, 170- 173) • Selbst aktiv werden (Z 11-12, 64-66, 306) • Gemeinsames Lernziel als kollektivstiftende Funktion (Z 51-54, 217, 221) • Interesse an Sprachen und Kulturen als common ground (Z 102-105, 111- 114, 218-221, 225-228) • Sprache anwenden (Z 140-145) Thematisierung persönlicher Erlebnisse • Ausländische Freunde (Z 183-185, 187-189) • Sprache lernen durch Kontakt zu MuttersprachlerInnen (153-156) Nulldaten • Exolinguale Kommunikationssituation • Fehler • Sprachhemmungen • Frustrationserlebnisse Der Kode-Matrix-Browser zeigt für Meltem Besetzungshäufigkeiten im Bereich Motivation, ZS und IC, deren Verbindungen im Folgenden herausgearbeitet werden. An Meltems Antwort auf meine erste Frage lassen sich bereits zwei zentrale Faktoren ablesen, aus denen sie ihre Motivation bezieht. Es handelt sich um ihre Antwort auf die Eingangsfrage, warum sie sich für die Teilnahme am Projekt entschieden habe: Meltem 159 Also zum einen bin ich sehr interessiert an Fremdsprachen und in dem Seminar 124 ging es ja auch darum, mit Hilfe einer romanischen Sprache, […] eine weitere romanische Sprache zu lernen […] Und ein weiterer Grund war auch der Kontakt zu anderen Muttersprachlern […] Ja, also, das hat auf jeden Fall meinen Horizont erweitert und ich hab’ gute Kontakte zu diesen Menschen gemacht. (I Z 2-7) Meltem nennt zum einen ihr ausgeprägtes Interesse an Fremdsprachen und die Möglichkeit des interkomprehensiven Spracherwerbs, der auf sie eine motivierende Funktion hatte. Zum anderen erwähnt sie den Kontakt zu MuttersprachlerInnen, mit dem für sie eine Horizonterweiterung einherging. Mit diesem Bild beschreibt sie eindrücklich ihr Erleben, dass sich durch die Kontaktsituation und den Austausch mit den übrigen TeilnehmerInnen für sie eine Perspektivenerweiterung ergeben hat. Diese Perspektivenerweiterung ermöglichte es ihr schließlich, ihren Blick auf romanische Sprachen und Kulturen zu richten, die bis dato wohl außerhalb ihres Sichtfeldes lagen. Meltem studierte zum Zeitpunkt der Untersuchung Englisch und Spanisch, andere romanische Sprachen hatte sie bisher nicht erlernt. Vor Projektbeginn entschied sie sich zunächst für Portugiesisch als ZS, wechselte dann aber wegen der geringen Zahl an lusophonen TeilnehmerInnen zu Italienisch. Das Bild der Horizonterweiterung bzw. der Bereicherung greift sie an einer späteren Stelle im Interview erneut auf, als es um die Frage nach der sprachlichen und kulturellen Vielfalt auf der Plattform ging, so dass die Lesart „ausgeprägtes Interesse an Fremdsprachen“ validiert wird: Also, es hat mich auf jeden Fall bereichert in meiner, also, in meinen Kenntnissen und […] es hat auch meinen Horizont erweitert, ich habe vieles über andere Kulturen und Lebensweisen gelernt, auf jeden Fall. Also, es war eine Bereicherung für mich. (I Z 179-181) Meltem zeigt eine Affinität zu Fremdsprachen bzw. zum Fremdsprachenerwerb, das sich an zahlreichen Interviewstellen belegen lässt, z.B. „[Z]um einen bin ich sehr interessiert an Fremdsprachen“ (I Z 2); „[I]ch bin auf jeden Fall offen, andere Sprachen zu lernen“ (I Z 153); „Mmh, also Sprachen haben mir schon von vornherein sehr viel Spaß gemacht“ (I Z 207). Es ist also davon auszugehen, dass sie nicht nur der Kommunikationssituation auf der Plattform, sondern auch dem interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb gegenüber tendenziell aufgeschlossen war. Besonders interessant ist die Tatsache, dass Meltem mehrfach den Anwendungscharakter von Sprachen auf der Plattform in den Vordergrund rückt. So finden sich Belege dafür, dass sie Sprachenlernen 124 Meltem setzt hier das Seminar mit dem Internetprojekt gleich. Der interkomprehensive Spracherwerb war nicht das Ziel des Seminars, sondern Lernziel der Plattform G ALANET . Einzelfalldarstellungen 160 bzw. Spracherwerb kommunikationsorientiert, d.h. in Interaktion mit MuttersprachlerInnen konzeptualisiert. Dies lässt sich zum einen am Gebrauch des Wortes „anwenden“ belegen, welches an mehreren Stellen aus den Interviewdaten emergiert (Z 140, 141, 425) 125 : „Aber ich wollte das, was ich gelernt hab’ eigentlich auch anwenden. Ich wollte gucken, ob es klappt, ob ich das verstanden habe, so einfache Sätze im Italienischen zu bilden“ (I Z 143-145). Es überrascht daher nicht, dass sie den Zielsprachenerwerb nach der Teilnahme am Projekt als positiv und gelungen bewertet: „[U]nd ja, das hat eigentlich […] auch ganz gut geklappt. Ich hab’ mir einige wichtige Merkmale des Italienischen aneignen können“ (I Z 3-5). Aus dem Zitat geht hervor, dass Meltem die auf der Plattform gemachten Erfahrungen als positiv für ihren Zielsprachenerwerb einschätzt. Zum anderen legt das obige Zitat die Lesart nahe, dass sie über eine Aneignungskompetenz verfügt, was sich nicht zuletzt an der Verwendung des Wortes „aneignen“ zeigt, das sie ebenfalls mehrfach gebraucht (z.B. I Z 155). Dies könnte darauf hindeuten, dass Meltem sich in ihrem Erwerbsprozess eine aktive Rolle zuschreibt, denn sie entwirft damit das Bild einer Lernenden, die ihren Spracherwerbsprozess eigenverantwortlich steuert. Auch das folgende Zitat unterstützt diese Lesart - die Frage lautete, ob Meltem glaube, dass ihr die Teilnahme etwas für ihren Spracherwerb gebracht habe: Ja, auf jeden Fall. Also ich denke, dass ich vielleicht jetzt auch autodidaktisch eine weitere romanische Sprache erlernen kann. Also, ich denke schon, dass ich jetzt auf dem Italienischen weiter aufbauen werde. Also, es hat mich zu mehr motiviert, zu, also dazu, Italienisch zu lernen. (I Z 116-118) Sie spricht hier nicht nur den zielsprachlichen Wissenszuwachs an, den sie einerseits positiv einschätzt und aus dem sie andererseits Motivation zum Weiterlernen bezieht, sondern rekurriert auch auf ihre Fähigkeit, sich die ZS selbstgesteuert anzueignen. Der interkomprehensive Fremdsprachenerwerb auf der Plattform und der damit einhergehende Ausbau ihrer sprachlichen Kompetenzen, aber auch der Ausbau ihrer Sprachlernkompetenz bilden das Fundament, auf dem sie ihre ZS weiter aufbauen möchte. Es spricht also vieles dafür, dass Meltem ihren Zielsprachenerwerb als konstruktiven Prozess fasst, bei dem sie eine aktive Rolle einnimmt, was Hinweise auf ihren Grad an Lernerautonomie zulässt. Besonders auffällig ist, dass Meltem mehrfach Momente des Selbst-Aktiv- Werdens zeigt. Bereits in ihrem ersten LP notiert sie „[I]ch merkte, dass ich hätte jemanden ansprechen oder eine Nachricht schicken sollen, um gemeinsam eine Chatdiskussion zu eröffnen“ (LP Z 11). So initiiert sie in der Folge 125 Es war nicht etwa so, dass ich das Wort ‚Anwendung‘ oder ‚anwenden‘ in meinen Fragen vorgab, es scheint sich vielmehr um ein von Meltem in Bezug auf Sprachen oft gebrauchtes Wort zu handeln. Vgl. dazu auch Auswertung der SLB unter 6.1.1, in der sie Fremdsprachen ebenfalls unter einem kommunikationsorientierten Charakter fasst. Meltem 161 regelmäßig Kommunikationssituationen im Chat, indem sie TeilnehmerInnen anschreibt, die gerade online sind: „[I]ch hab’ ja z.B. selbst nie irgendwelche Nachrichten bekommen, ich musste selbst immer aktiv sein“ (I Z 11-12). Die Tatsache, dass sie von anderen TeilnehmerInnen keine Aufforderung zum Chatten erhält, scheint sie dabei nicht weiter irritiert zu haben, denn in Meltems Datenmaterial lassen sich keinerlei Hinweise auf Frustrationserlebnisse oder negative Emotionen finden. 126 Auf die Frage, ob die Kontaktaufnahme zu den übrigen TeilnehmerInnen für sie mit dem Überwinden einer Hemmschwelle einherging entgegnet sie: „[I]ch [hatte] eigentlich keine Probleme, weil ich ja wusste, dass es eigentlich darum geht, dass wir hier was lernen sollen und da hab’ ich einfach den ersten Schritt gemacht“ (I Z 76-77). Bemerkenswert ist auch ihre Antwort auf meinen letzten Frageimpuls, der bewusst sehr offen gehalten war: I: Ok. Ja, ich hab’ jetzt keine weiteren Fragen mehr, […] Du darfst gern noch irgendetwas sagen, noch irgendetwas anmerken, was Du möchtest. M: [A]lso ich denke schon, dass ich das bestimmt nochmal privat machen würde. Und ich bleib jetzt noch dabei, die also einige Teilnehmer noch mal im Facebook zu suchen und vielleicht so was Ähnliches, was wir im Galanet gemacht haben, nochmal mal auf, ja, im Facebook nochmal vielleicht anzuwenden. (I Z 419-425) Meltem zeigt ein Interesse an der Beibehaltung des Kontakts, das über die Sitzung auf G ALANET hinausgeht, denn auch nach Beendigung des Internetprojekts will sie am interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb festhalten. Damit unterstreicht sie abermals ihre Offenheit und Neugier gegenüber den SprecherInnen der ZS und den Wunsch, interkomprehensiv-basierten Fremdsprachenerwerb durch Interaktion in ihren Alltag zu integrieren und weiterzuführen: „[A]lso ich denke schon, dass mir die Sitzung bei Galanet schon weitergeholfen hat und ich würde das gerne weiter ausprobieren so zu lernen“ (I Z 160-161). Weitere Belege ihrer Handlungsbereitschaft lassen sich in den Chatdaten finden, wenn sie ihre ChatpartnerInnen in ihren Lernprozess einbindet, indem sie sie als language learning facilitators heranzieht, oder auch die Tatsache, dass sie in ihrer ZS produktiv wird (vgl. Analyse der Chatauszüge in Kapitel 6.1.3). Der von Meltem bereits zu Beginn des Interviews angesprochene Kontakt zu MuttersprachlerInnen spielt in ihrem Sprachlernverständnis eine zentrale Rolle - die Thematisierung von Kontaktsituationen zieht sich durch das gesamte Interview. Es scheint, als ob Meltem sich der Vorteile des Fremdsprachenerwerbs durch Interaktion bewusst ist und diese gezielt für ihren Erwerbs- 126 In allen vier Lernprotokollen notiert sie unter 3.4 Gab es Frustrationserlebnisse? Wenn ja, welche und wie bin ich damit umgegangen? „Nein, keine“ (LP Z 57, 169, 268) bzw. „Nein, gar keine“ (LP Z 385). Einzelfalldarstellungen 162 prozess einsetzen kann. Regelwissen lässt sich in ihrer Vorstellung autodidaktisch erlernen, „besser“ kann sie eine Sprache allerdings in Kommunikationssituationen erwerben, wie sich aus dem folgendem Interviewsegment ergibt: Ich würde vielleicht auch den Kontakt zu den Muttersprachlern direkt suchen, dass ich da eine Sprache darüber lerne. Dass ich mir selbst zum einen die Regeln aneigne und vielleicht auch mit Muttersprachlern in Kontakt bleibe und so auch die Sprache besser zu lernen. (I Z 153-156) Kommunikationssituationen haben für Meltem eine motivierende Funktion, es sind hier insbesondere common grounds, wie das gemeinsame Interesse der TeilnehmerInnen an (fremden) Sprachen und Kulturen, die sie hervorhebt: „[U]nd viele hatten auch dasselbe Interesse wie ich, z.B. ihre, ja, ihre Vorliebe für Spanien, Also, wir hatten eine gemeinsame Basis, über die wir uns unterhalten konnten“ (I Z 102-105). Meltem verweist damit auf für sie bedeutsame Gesprächsthemen, welche im engen Bezug zu ihrer Lebenswelt stehen, was sich ihrer Meinung nach positiv auf die Kommunikationssituation im Chat bzw. Forum auswirkte: Also, wir hatten eine gemeinsame Basis, ich konnte etwas über meine eigene Situation hier in Deutschland erzählen, dass ich z.B. mit zwei Kulturen aufgewachsen bin, das fanden die auch sehr interessant. Und auch das gemeinsame Interesse an Spanien, generell am Verreisen, ja, deswegen habe ich mich auch wohl gefühlt bei den Konversationen. (I Z 111-114) Meltem kann ihre eigenen Mehrkulturalitätserfahrungen auf der Plattform einbringen, wenn sie sich z.B. an der Forumsdiskussion zum Thema Une identité plurielle beteiligt (vgl. Kapitel 6.1.2). Sie greift im folgenden Zitat erneut die gemeinsame Basis - ähnliche Interessensgebiete - auf, die Redeanlässe im Chat schaffen, welche sie als ausschlaggebend für das Gelingen der Kommunikation bezeichnet: „[A]lso das Interesse an anderen Kulturen hat auch zu dieser erfolgreichen Kommunikation gebracht“ (I Z 227-228). Für Meltem hätte die Abwesenheit von solchen Redeanlässen in der Konsequenz sogar negative Auswirkungen auf die Kommunikation mit sich geführt: „Wenn wir jetzt z.B. nicht dieselben Interessen gehabt hätten oder, also, ich weiß nicht, dann hätte die Kommunikation vielleicht nicht funktioniert“ (I Z 219-220). Weitere common grounds ergeben sich für Meltem im gemeinsamen Ziel der UserInnen, auf Basis der BS eine ZS zu erwerben: „Weil […] zum einen waren wir mit demselben Ziel dort, und zwar eine andere Sprache zu lernen […]. [U]nd ja, das hat mich einfach positiv beeinflusst. […] Also, da war dieses gemeinsame Interesse dahinter und auch das Interesse, eine Sprache zu lernen“ (I Z 217-221). Für Meltem hat das gemeinsame Lernziel nicht nur eine kollektivstiftende, sondern auch eine motivierende Funktion, die sie bereits in ihrem ersten LP erwähnt. Unter 3.2) Ich bin motiviert, weiter mit der Gruppe zu arbeiten führt sie aus: „Ich habe bisher noch nicht an Chatdiskussionen teilgenommen, jedoch Meltem 163 verfolgen alle Mitglieder von Galanet dasselbe Ziel. Daher bin ich sehr motiviert, in Kontakt mit ihnen zu treten und Meinungen und Erfahrungen auszutauschen“ (LP Z 52-55). Weitere motivationale Faktoren findet Meltem im medialen Lernarrangement „das war eine ganz andere Lernumgebung als hier an der Uni, wir konnten uns zwar nicht sehen, aber trotzdem war immer der Gedanke dahinter, dass man ja, zu anderen Menschen aus anderen Ländern Kontakt hat und das ist eigentlich ganz schön“ (I Z 57-59). Die Möglichkeit, durch die Plattform in Kontakt mit MuttersprachlerInnen zu kommen scheint wiederum für ihre Motivation entscheidend zu sein. Auch aus den Inhalten der Forumsdiskussionen bezieht Meltem Motivation, wenn sie ausführt: „[D]a wurde das Thema Migration und Migranten in Italien behandelt und ich hab’ mir die Beiträge durchgelesen, da waren auch sehr interessante Links und auch Bilder, und das fand ich sehr interessant“ (I Z 130-132). Es lässt sich festhalten, dass Meltem über einen hohen Grad an Motivation verfügt, deren Dimensionen breit gefächert sind. Sie bezieht Motivation u.a. aus dem Lernziel, ähnlich gelagerten Interessensgebieten der TeilnehmerInnen, aus der Auseinandersetzung mit der ZS und den Themengebieten der Forumsdiskussionen sowie aus der Kontaktsituation, die die mediale Lernumgebung ermöglicht, welche Meltem als besonders motivierend empfindet. Die Lesart, dass Meltem einen hohen Grad an Motivation in Bezug auf interkomprehensiv-basierten Fremdsprachenerwerb aufweist und dass der Kontakt zu MuttersprachlerInnen dabei das zentrale Element ausmacht, wird durch Hinzuziehen von Passagen aus den Lernprotokollen gestützt. Unter 3.2) und der Aussage Ich bin motiviert, weiter mit der Gruppe zu arbeiten notiert sie im zweiten LP „Ich bin sehr motiviert, weiter mit der Gruppe zusammen zu arbeiten. [D]ie meisten Chatpartner beurteilen mein Spanisch als gut und finden es interessant, dass ich aus Deutschland komme“ (LP Z 162-164). Das Feedback ihrer ChatpartnerInnen bezüglich ihrer brückensprachlichen Kenntnisse scheint sie zu motivieren, was mit einer Stärkung ihres Selbstkonzepts einhergehen dürfte. Aber auch das Interesse der TeilnehmerInnen an ihrer Person und der Tatsache, dass sie aus einem nicht-romanophonen Land kommt, führt offenbar zu einer Motivationssteigerung. Nicht zuletzt könnte auch der Umstand eine Rolle spielen, dass - sofern TeilnehmerInnen auf der Plattform online sind - sich direkte Möglichkeiten zum Kontaktlernen im Chat ergeben. Im dritten LP führt sie schließlich zur Frage der Motivation Folgendes aus: Ich fühle mich motiviert, weiter zu arbeiten. Außerdem erscheint es den meisten italienischen Galanet-Mitgliedern als interessant, dass ich schon einige Sätze mit Hilfe von Galanet auf Italienisch formulieren kann. Die Reaktionen motivieren mich, meine Hypothesengrammatik zum Italienischen auszubauen und weitere Sätze zu formulieren. Einzelfalldarstellungen 164 Meltem wird im Chat in ihrer ZS produktiv (vgl. Kapitel 6.1.2) und erhält diesbezüglich ermutigendes Feedback von ihren ChatpartnerInnen, was von ihr als motivierend empfunden wird, so dass hier eine extrinsische Form der Motivation zu erkennen ist. Offensichtlich bestärken sie diese Rückmeldungen in ihrem Lernverhalten, denn sie will ihre Hypothesengrammatik erweitern, welche sie als lernförderlich beschreibt: Das hat mir auf jeden Fall sehr viel gebracht, vor allem das schriftliche Festhalten der einzelnen Regeln […], hat das ganze nochmal verdeutlicht, was ich wirklich gelernt hab’. Ich mein’, wenn ich mir das jetzt nicht aufgeschrieben hätte, würde ich die Unterschiede zum Spanischen vielleicht nicht erkennen. Aber es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten und das ist mir eigentlich sehr bewusst geworden. (I Z 389-392). Sie bezieht sich zunächst auf die dokumentarische Funktion in Bezug auf den Lernstand („das was ich wirklich gelernt hab’“) und führt aus, dass die Hypothesengrammatik gezielte Sprachvergleiche erlaube. Schließlich nennt sie die bewusstmachende Funktion der Hypothesengrammatik in Bezug auf interlinguale Transferbasen. Meltem nutzt das Fortschreiben der Hypothesengrammatik zum Aneignen grammatikalischen Regelwissens, das sie schließlich in Interaktion mit ihren ChatpartnerInnen zur Anwendung bringt, um sich Feedback einzuholen. Es spricht vieles dafür, dass Meltem einen Unterschied zwischen Lernen und Erwerben macht, wenn sie auf die Frage, ob sie die Teilnahme als Lernen empfunden habe, antwortet: „Ja. Zum einen Teil schon, weil ich mir ja auch die Grammatik aufgeschrieben hab’. […] Ich hab mir einige Vokabeln aufgeschrieben, bestimmte Merkmale der italienischen Grammatik, also, es war schon auch zum Teil ein Lernen“ (I Z 124-126). Meltems Konzept von Lernen ist mit Grammatik und dem Herausschreiben von Vokabeln assoziiert, in Kommunikationssituation spricht sie hingegen explizit von der Anwendung ihrer BS bzw. ZS. 6.1.5 Gesamtbetrachtung Meltems soziales Umfeld ist nicht nur aufgrund ihrer Migrationsgeschichte von Mehrsprachigkeit geprägt. Sie unterhält Freundschaften zu MuttersprachlerInnen der ZS, so dass diese Kontakte eine zentrale Rolle für den Fremdsprachenerwerb einnehmen, wobei sie immersiven Fremdsprachenerwerb als besonders hilfreich einschätzt. Insgesamt lässt sich ein hohes Interesse am Fremdsprachenerwerb erkennen, welcher durchweg mit positiven Emotionen besetzt ist. In der SLB finden sich keine Aussagen über Noten und Prüfungen was darauf hindeutet, dass Meltem Erfolgserlebnisse nicht über Noten herstellt. Vielmehr scheint die Gestaltung persönlicher Beziehungen zu MuttersprachlerInnen mit der Intention des Spracherwerbs im Vordergrund zu stehen. Die Nichterwähnung der zielsprachigen Kultur in ihrer SLB könnte ein Indikator Meltem 165 dafür sein, dass interkulturelles Lernen einen weniger wichtigen Stellenwert einnimmt als die Verbesserung der Sprachkompetenzen. Anhand der Rekonstruktion von Meltems Interaktionen auf der Plattform wurde deutlich, dass sie den interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb in der Kommunikation mit ihren InteraktionspartnerInnen konzeptualisiert und den Zielsprachenerwerb durch Sprachanwendung realisiert. So stellt sie nicht nur die Kontaktsituationen her, was ihre Offenheit gegenüber fremden Sprachen und Kulturen unterstreicht, sondern bindet ihre GesprächspartnerInnen auch aktiv in ihren Lernprozess mit ein, indem sie u.a. kommunikative Strategien der Verständnissicherung anwendet. Ihre aktive Rolle beim Erwerbsprozess weist auf ihre Aneignungsbzw. Sprachlernkompetenz hin, denn Meltem scheint den Zielsprachenerwerb als konstruktiven Prozess zu fassen, den sie u.a. mithilfe der Hypothesengrammatik strukturiert. Des Weiteren sind metasprachliche Reflexionen empirisch rekonstruierbar. Meltems reflexive Kompetenz zeigt sich zum einen darin, dass sie ihre Einstellungen zu Sprachen und Kulturen reflektiert, aber auch ihre zielsprachlichen Kenntnisse evaluiert und dies als Ausgangspunkt für die Planung ihres weiteren Lernprozesses nimmt. Auffällig ist, dass sie eine breite Rezeptionskompetenz aller am Projekt involvierten Sprachen entwickelt und für den Verstehensprozess auf ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire zurückgreift und dabei auch auf vorgelernte Sprachen wie z.B. Latein rekurriert. Allerdings zeigt sich auch, dass Meltem mit ihrer BS Spanisch Schwierigkeiten bei der Dekodierung der ZS Französisch und Rumänisch hat, die bei ihr jedoch nicht mit negativen motivationalen Folgen einhergehen, was auf ihre Fähigkeit zur Selbstregulierung verweist. Anhand der Analyse der Chatdaten konnte herausgearbeitet werden, dass Meltem über eine Adaptionskompetenz verfügt, die es ihr zum einen erlaubt, sich aufgrund einer geänderten Partnerhypothese an die Gesprächssituation anzupassen. Zum anderen gelingt es ihr auch, sich den mehrsprachigen Input verstehbar zu machen, wenn es aufgrund von Sprachwechseln mitunter zu Irritationen kommt. Meltem gelingt es, sprachliche Missverständnisse, die durch Mehrdeutigkeit hervorgerufen werden, zu überwinden, indem sie kommunikative Strategien der Verständnissicherung, wie die Bitte um Erklärung bzw. Umformulierung oder aber Übertragungsversuche in ihre BS mit der Bitte um Bestätigung anwendet, so dass eine IC-basierte Ko-Konstruktion von Bedeutung erfolgt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Meltem im Chat einen Produk-tionstransfer in ihre ZS Italienisch vornimmt und ihre Chatpartnerin damit als language learning facilitator heranzieht. Der sich dadurch ergebende bewusstheitsfördernde Aspekt im Hinblick auf Lücken in der zielsprachlichen Lernersprache dient im Verlauf des Projekts zur weiteren Planung ihres Lernprozesses. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass das Thema Sprachen im Chat aus Sicht der Teilnehmenden produktiv ist, indem bspw. identitätsstiftende Aspekte von Sprachen, deren Lernbzw. Erwerbsdimensionen, der empfundene Schwierigkeitsgrad in Bezug auf die Rezeption von verschiedenen ZS Einzelfalldarstellungen 166 oder Einstellungen gegenüber Sprachen thematisiert und diskutiert werden, was darauf verweist, dass IC-basierte Chats zur Entfaltung metasprachlicher Reflexionen beitragen können. 6.2 Marco 127 Marco 6.2.1 Kurzporträt Marco studiert Französisch und Chemie für das Lehramt an Haupt- und Realschulen im 4. Semester. Seine SLB fällt äußerst knapp aus und zeichnet sich durch eine geringe Reflexionstiefe aus. So macht er z.B. keinen Unterschied zwischen L 1 - und Fremdsprachenerwerb: „Ich habe Deutsch als Muttersprache erlernt und habe dann in Klasse 5 als erste Fremdsprache mit Englisch begonnen […]. Deutsch und Englisch habe ich im Grundkurs bis zum Abitur erlernt und Französisch habe ich im Leistungskurs ausgeübt“ (SLB 1-3). Marco erwähnt ausschließlich das schulische Fremdsprachenlernen, die Formulierung „ausüben“ deutet auf ein technizistisches Sprachverständnis hin. In der 7. Klasse belegt er Französisch und erklärt dazu: „Meine Motivation für Französisch rührt daher, dass ich in Englisch in Klasse 5 sehr schlecht gestartet bin und daher wollte ich es mit meiner zweiten Fremdsprache Französisch besser machen“ (SLB 7-8). Seine Motivation für das Fach Französisch speist er aus guten Noten: „Ich war und bin daher für Französisch sehr hoch motiviert, da meine Motivation immer mit sehr guten Noten im Gegensatz zu Englisch belohnt wurde“ (SLB 9-10). Besonders interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Passivkonstruktion „da meine Motivation […] belohnt wurde“, die an ein klassisches Reiz-Reaktions-Schema erinnert. Marco scheint ausschließlich extrinsisch motiviert, Noten und Prüfungen sind die entscheidenden Ereignisse in seiner SLB: „Im Fach Französisch habe ich in der 13. Klasse die DELF B1 Prüfung erfolgreich absolviert“ (SLB 4-5), deren Ergebnisse er en détail für die einzelnen Kompetenzen referiert. Auslandsaufenthalte und Kontakte zu MuttersprachlerInnen oder kulturelle Aspekte finden hingegen keine Erwähnung. Besonders auffällig ist der letzte Satz „Ich habe eine hohe affektive Zuneigung zur französischen Sprache, und diese Begeisterung und Freude möchte ich auch bei meinen Schülern wecken“ (SLB 10-11). Die Lesart „Begeisterung und Freude an Französisch“ erscheint aus folgenden Gründen wenig plausibel: Die in dieser Kombination schief anmutende Wendung „hohe affektive Zuneigung“ ist zum einen wenig gefühlsbetont, zum anderen lässt Marco völlig offen, worin diese genau besteht. Auffällig ist des Weiteren, dass sich im gesamten Text kein weiterer Beleg für Freude oder Begeisterung an 127 Marco legte nach der Teilnahme an G ALANET eine Hausarbeit zum Thema „Die sozial-affektive Dimension von Interkomprehension im panromanischen Chat G ALA- NET “ vor, auf die an ausgewählten Stellen Bezug genommen wird (vgl. Kapitel 4.4). Marco 167 Fremdsprachen finden lässt und die Erwähnung von Emotionen ausgerechnet im Schlusssatz des Textes erfolgt, in dem Prüfungen und Noten den überwiegenden Teil ausmachen. 128 Grundthemen • Keine Differenzierung zwischen Mutter- und Fremdsprachenerwerb (SLB 1) • Beschränkung des Fremdsprachenlernens auf institutionalisierten Kontext (SLB 1-5) • Prüfungen spielen eine wichtige Rolle (SLB 4-6) • Leistungsorientierung: Erfolg/ Misserfolg SLB 7-8, 9-10) • Extrinsische Motivation durch Noten (SLB 9-10) Thematisierung persönlicher Ereignisse • Prüfungen (SLB 4-6) • Schwierigkeiten mit dem Englischunterricht (SLB 7) Nulldaten • Kontakte zu MuttersprachlerInnen • Auslandsaufenthalte • Bezüge zur zielsprachlichen Kultur 6.2.2 Interaktion im Forum Während der Projektphase beteiligte sich Marco im Forum aktiv mit insgesamt vier Beiträgen. 129 Für die Analyse wähle ich eine Forumsdiskussion aus, die aufgrund ihres interkulturellen Lernpotentials vielversprechend erscheint. 128 Marcos Hausarbeit umfasst auch eine SLB, die er geringfügig verändert. Auffällig ist, dass er nun Auslandsaufenthalte thematisiert „Meine ersten Frankreicherfahrungen waren ein zweimaliger Tagesausflug zum Weihnachtsmarkt in Strasbourg sowie eine einwöchige Abschlussfahrt nach Fréjus in Südfrankreich. Dort durfte ich meinen Mitschülern des Leistungskurses Chemie dann immer den Übersetzer spielen und ihnen in diversen Restaurants die Speisekarten übersetzen, was mir sehr viel Anerkennung, aber auch Selbstbestätigung gebracht hat“ (S. 4). Marco nennt auch den Grund für die Aufnahme des Lehramtsstudiums: „Da Französisch meine beste Abiturprüfung war und ich sowohl von Französisch als auch von Chemie noch mehr wissen wollte entschloss ich mich Französisch und Chemie zu studieren“ (ebd.). Insgesamt wird dadurch die Lesart bestätigt, dass er vorrangig extrinsisch motiviert zu sein scheint und seine Motivation aus guten Leistungen bezieht. Der Kontakt zu MuttersprachlerInnen wird hingegen auch in dieser abgeänderten Version der SLB nicht thematisiert. 129 Marco postete einen Beitrag im Forum der 2. Phase Que fait-on dans la phase 3? (15.04.10), der aus organisatorischen Gründen erfolgte und daher für die tiefergehende Analyse nicht in Frage kommt sowie Apprendre une langue par un séjour à Einzelfalldarstellungen 168 Forumsdiskussion Phase 2: élargir son horizon Es ist das erste Mal, dass Marco auf der Plattform in Erscheinung tritt, als er im Forum der Phase 2 einen neuen Thread eröffnet, zu dem er im LP (Z 72) vom 27.03.10 notiert: „Ich habe einen neuen Unterpunkt élargir son horizon angelegt und geschrieben was ich dazu gedacht habe bzw. was ich damit verbinde.“ Er erwähnt im Folgenden den Einleitungstext, den er wie folgt formuliert: Datenauszug 12: Einleitungstext zur Forumsdiskussion élargir son horizon Marco nennt Punkte, die er für die Diskussion als wichtig erachtet, u.a. nationale und religiöse Feierlichkeiten. Er postet schließlich einen ersten Beitrag (27.03., 17.37 h, s. u.), in dem er zu verstehen gibt, dass er sich u.a. für das Schulsystem der teilnehmenden Länder interessiere. GABRIEL, ein italophoner Teilnehmer reagiert darauf und stellt Links zur Diskussion, die das französische Schulsystem sowie die Parteienlandschaft in Frankreich thematisieren. Marco reagiert noch am selben Tag auf GABRIELs Posting, indem er sich für die Informationen bedankt. Am 28.03. meldet sich wiederum GABRIEL zu Wort, der Marco direkt anspricht und explizit nach entsprechenden Informationen zu Marcos Herkunftsland fragt (siehe Datenauszug 13). Bei der Analyse der Forumsdiskussion fällt zunächst auf, dass Marco beim Verfassen des Einleitungstextes wenig spezifisch vorgeht. Der Text, der die Diskussion rahmen soll, liest sich wie eine Aneinanderreihung einzelner Punkten, die inhaltlich nicht miteinander in Bezug gesetzt werden (vgl. z.B. Einleitungstext in Kapitel 4.1.2). Marcos erstes Posting (27.03.) wiederholt im Wesentlichen den Einleitungstext, allerdings erweitert er diesen nun um eine Appellfunktion « Je m’intéresse surtout aux faites nationaux et au systèmes scolaires ». Diese Formulierung weist bereits darauf hin, dass er den Diskurscharakter des Forums zu verkennen scheint. In dieselbe Richtung weist auch Marcos knappe Antwort auf GABRIELs Postings « Ce sont des informations que j’ai cherché » mit der er Marcos Aufforderung nach Informationsbereitstellung nachgekommen ist. An diesem Punkt ist die Diskussion für Marco beendet, denn es ist das letzte Mal, dass er sich zu Wort meldet, was darauf hindeuten könnte, dass Marco das Forum weniger als Interaktions-, denn als Informationsmedium wahrnimmt und dabei den ko-konstruktiven Charakter verkennt. l’étranger (27.04.10), eine Forumsdiskussion, an der fast ausschließlich Gießener Studierende teilnahmen. Marco 169 Auf die Frage im Interview, ob er zufrieden mit dem Verlauf der Diskussion sei, antwortet Marco: „Ja, von anderen Ländern, von Frankreich zum Beispiel mal politische Aspekte zu bekommen, ja. Ich bin mit der Diskussion zufrieden“ (I Z 29-30). Die Formulierung „zu bekommen“ unterstreicht dabei seine Haltung, denn es scheint, als ob es ihm um die bloße Informationsbeschaffung ginge, ohne dabei zur Diskussion beizutragen. Datenauszug 13: Forumsdiskussion élargir son horizon Obwohl sich im weiteren Verlauf der Debatte keine kontroverse Diskussion entwickelt, ist das interkulturelle Lernpotential dennoch als hoch einzustufen. Marco stößt mit seinem Thread Kulturvergleiche zwischen Italien und Frankreich an, indem die TeilnehmerInnen das französische und italienische Schulsystem sowie das politische System gegenüberstellen. Die TeilnehmerInnen bekunden, wie wichtig sie die Auseinandersetzung mit den von Marco angerissenen Themen finden (z.B. SAMANTA am 27.03.10 „L’aspetto politico, così come l’organizzazione dei sistemi scolastici, è parte integrante del modo di vivere di un paese, non bisogna sottovalutarlo.=)“, so dass davon auszugehen ist, dass das Thema für die Teilnehmenden durchaus relevant ist. Die Tatsache, Einzelfalldarstellungen 170 dass GABRIEL Marco explizit nach Informationen aus seinem Herkunftsland bittet, unterstreicht das Interesse an der Hereinnahme einer weiteren, dritten Perspektive, die Kulturvergleiche zwischen Deutschland, Italien und Frankreich ermöglicht hätte. Es ist insofern bemerkenswert, dass GABRIEL bei seinem letzten Kontaktversuch auf Französisch kommuniziert - er wechselt in Marcos Sprache und zeigt damit Empathie, was sein Interesse an Marcos Lebenswelt unterstreicht. Marcos Haltung hingegen scheint ambivalent, denn obwohl er in seinem ersten Posting erklärt, sich für die teilnehmenden Länder und deren Schulsysteme zu interessieren, kommentiert er die von GABRIEL bereitgestellten Links nicht. Im LP vom 27.03.10 führt Marco aus: „Ich hatte teilweise Schwierigkeiten die Beiträge zu verstehen, ich konnte nicht sofort alles erschließen, was zum Beispiel GABRIEL mir geschrieben hat“ (LP Z 87). GABRIEL postet insgesamt drei Sätze in Marcos ZS Italienisch (s. o.), die zahlreiche Transferbasen (z.B. politici, sistema scolastico, partiti) sowie transparente Wörter in Form von Toponymen und Internationalismen (z.B. Francia, l’Italia, link) enthalten. Außerdem handelt es sich um asynchrone Kommunikation, d.h. Marco hatte genügend Zeit, externe Ressourcen z.B. in Form von italienischen (online-) Wörterbüchern hinzuzuziehen, um opake Wörter nachzuschlagen. Des Weiteren scheint Marco die Möglichkeit der Verständnissicherung durch die direkte Bitte um Explikation oder Spezifizierung nicht in Betracht zu ziehen. Dies spricht dafür, dass er GABRIEL nicht als language learning facilitator wahrnimmt, der ihm beim Verstehen seiner ZS helfen könnte. Die Verständnisschwierigkeiten im Forum führen also bei Marco nicht zur Ausbildung spezifischer (interkomprehensiver) Strategien oder Kommunikationsstrategien. Interessant ist außerdem die Formulierung „ich konnte nicht sofort alles erschließen“, die darauf hindeutet, dass Marco sich einem zeitlichen Druck ausgesetzt fühlte, der allerdings im Forum de facto nicht existiert. Der folgende Auszug aus dem LP deutet darauf hin, dass er die Funktionsweise des Forums missversteht: 3.4 Gab es Frustrationserlebnisse? Wenn ja, welche u. wie bin ich damit umgegangen? Ja, ich konnte nicht so schnell wie die Anderen auf die Fragen antworten, da ich noch zu viel Zeit zum Verständnis brauche, bzw. nicht so schnell französische Informationsquellen für die Anderen finden konnte. (LP 129-131) Die Schwierigkeiten, von denen Marco berichtet, treffen auf eine synchrone Kommunikationssituation im Chat zu, bei denen die TeilnehmerInnen relativ schnell auf die Beiträge der anderen ChatteilnehmerInnen reagieren müssen. Marco berichtet im Interview, keinerlei Erfahrung mit computervermittelter Kommunikation zu haben, „[I]ch habe so was noch nie gemacht“ (I Z 66), so dass davon auszugehen ist, dass er nicht über entsprechende Kenntnisse im Umgang mit neuen Medien verfügt, die Erfahrung mit G ALANET aber auch Marco 171 nicht dazu führt, die Defizite in diesem Bereich auszugleichen. Im Interview greife ich schließlich die Frage nach Frustrationserlebnissen erneut auf, die Marco beantwortet, indem er auf die Forumsdiskussion mit GABRIEL rekurriert: M: (überlegt) Es war mal ein Beitrag von Gabriel, der hat gesagt, ich sollte auch mal was zu meinem Land schreiben. Ich habe aber nichts dazu geschrieben, das hat mich also ein bisschen belastet. Ich hatte keine Zeit gehabt. […] I: OK. Und warum hast Du jetzt nichts dazu geschrieben? M: (überlegt) Ich hab’ mich schwer getan da was zu finden, ich hätte ja auf Französisch was suchen müssen, ich hätte ja nichts auf Deutsch reinstellen können. Dann wäre die Diskussion vielleicht auch ein bisschen anders verlaufen wenn ich auch was rein geschrieben hätte. I: Aha. Und […] wie war das für Dich, wenn jetzt der Gabriel sagt, schreib doch mal was über Dein Land. M: So ein bisschen Angst, so ein bisschen Hemmnis dann was zu schreiben, dass man vielleicht Fehler machen kann. (I Z 37-51) Aus dem Interviewexzerpt geht hervor, dass Marco die Kommunikationssituation im Forum und insbesondere den Kontakt zu GABRIEL als (psychische) Belastung wahrnimmt - eine Lesart, die auch von der folgenden Feinanalyse unterstützt wird. Interessant ist die Tatsache, dass Marco auf meinen Frageimpuls zum Stichwort ‚Frustrationserlebnisse‘ zunächst technische Aspekte erwähnt „Dass das mit dem Chat nicht geklappt hat“ (I Z 32). Erst auf weiteres Nachfassen (I: „Und ansonsten war da irgendetwas demotivierend, frustrierend für Dich? Neben den technischen Aspekten vielleicht noch was anderes? “ I Z 34-36) erwähnt er die Episode mit GABRIEL. Für sein Nichtreagieren auf GABRIELs Bitte bietet er zunächst ein Deutungsmuster an, das er an zeitliche Aspekte knüpft, indem er erklärt, keine Zeit gehabt zu haben. Diese Erklärung scheint aus zwei Gründen wenig plausibel: Einerseits aufgrund der asynchronen Kommunikationssituation im Forum, bei der Marco sich zum Antworten genügend Zeit hätte lassen können, zumal die Forumsdiskussion nach Eröffnung des Threads noch knapp einen Monat weitergeführt wurde. Andererseits werden durch Hinzuziehung zusätzlicher Interviewstellen weitere Deutungsmuster deutlich, die Marcos Verhalten erklärbar machen. So erwähnt er, dass es schwer für ihn gewesen sei, Informationen auf Französisch zu finden und dass diese Informationen nicht auf Deutsch hätten sein können (I Z 45). Damit spielt er auf die Tatsache an, dass er sich zur Kommunikation einer Fremdsprache bedient, während die romanophonen TeilnehmerInnen weitestgehend in ihrer L 1 kommunizieren. Offenbar nimmt Marco diese Situation als frustrierend wahr, denn sie führt bei ihm zu Unsicherheiten, wie der Angst davor, Fehler zu machen. Marco scheint Fehler überzubewerten und betrachtet sie nicht Einzelfalldarstellungen 172 als etwas Natürliches im Spracherwerbsprozess. Die Überbewertung des Fehlers führt schließlich zu Sprachhemmungen und zu einer Vermeidungsstrategie, d.h. er vermeidet Kommunikationssituationen. Bemerkenswert ist, dass Marco neben den oben angesprochenen demotivierenden Aspekten durchaus auch den motivierenden Effekt der Forumsdiskussion wahrnimmt. Auf die Frage im Interview, ob ihn etwas besonders motiviert habe, entgegnet er: „Dass mich zum Beispiel der Gabriel, dass er einen Beitrag gut gefunden hat, was ich geschrieben hab’, dass mich einer direkt angeschrieben hat und dass ihm das gefallen hat“ (I Z 22-23). Marco scheint durch das Feedback und das Angesprochenwerden im Forum motiviert zu werden. Er führt weiter aus: „Ich fand es auch sehr gut, dass zu meinem Thema so viele andere was dazu geschrieben haben, das hätte ich eigentlich nicht vorher gedacht“ (I Z 26-27). Die Tatsache, dass die von ihm eingebrachte Forumsdiskussion ein breites Echo auslöst, scheint ihn also zu motivieren. Trotz diesen motivierenden Momenten gelingt es Marco nicht, daraus Strategien für das savoir-être abzuleiten, die dazu führen könnten, seine Sprachhemmungen zu überwinden. So notiert er am 27.04.10, einen Monat nach der seinen ersten Beiträgen im Forum im LP: 3.3 Ich musste eigene Widerstände gegenüber dem sprachlich und kulturell Fremden überwinden. Wenn ja welche und wie ist mir das gelungen? Ich musste mich selbst überwinden, eigene Beiträge in Galanet zu schreiben. (Z 187-189) Es ist festzustellen, dass im LP keine tiefergehende Reflexion darüber erfolgt, wie die angesprochenen Widerstände zustande kommen und wie deren Bewältigung aussehen könnte, d.h. Marco ist sich offensichtlich seiner Defizite im Bereich savoir-être bewusst, da er sie artikuliert und benennen kann. Er scheint allerdings daraus nur bedingt Konsequenzen zum Umgang mit den von ihm wahrgenommenen Schwierigkeiten ableiten zu können. So gibt er im LP zwar an, Fortschritte gemacht zu haben und formuliert als Lernziel, im Forum aktiver zu werden: 1.5 Wo habe ich Fortschritte gemacht? Ich habe Fortschritte im Bereich der Kommunikation gemacht. Ich traue mich jetzt mehr zu schreiben. 1.6 Welche kurzfristigen Lernziele definiere ich für mich? Ich will in Phase 4 noch mehr Beiträge schreiben. 1.7. Wie kann ich diese Lernziele erreichen? Durch gezieltes Lesen und Schreiben von Beiträgen. (LP Z 154-159) Und auch im Interview verweist er retrospektiv auf eine Veränderung in Bezug auf den Umgang mit Widerständen: „Ich hab’ es viel lockerer genommen, ich Marco 173 hab’ eher mal was geschrieben dann, als zu Beginn. Also, ich hab’ es schon überwunden“ (I Z 59-60). Allerdings ist festzustellen, dass Marco sich in der 4. Phase überhaupt nicht mehr einbringt, so dass es bei insgesamt vier Forumsbeiträgen bleibt. Marco scheint weder das interkulturelle, noch das sprachliche Lernpotential der Forumsdiskussionen wahrzunehmen. Die von Marco in Phase 2 eingebracht Diskussion élargir son horizon spielt sich ausschließlich in Französisch und Italienisch ab, so dass sich hier sowohl für seine BS als auch für seine ZS lernförderliche Prozesse ergeben hätten. Blockaden im Bereich savoir-être führen aber offenbar dazu, dass er sich aus der Diskussion zurückzieht und den Kontakt zu den übrigen TeilnehmerInnen vermeidet. Das mag einerseits einer Überbewertung sprachlicher Korrektheit geschuldet sein, andererseits aber auch der Tatsache, dass er den diskursiven Charakter der Forumsdiskussion zu verkennen scheint. 6.2.3 Interaktion im Chat Von Marco liegt kein Chat vor. Er erwähnt im Interview, nicht gechattet zu haben und erklärt dies mit technischen Schwierigkeiten. Zur Frage nach Frustrationserlebnissen führt er im Interview aus: „Dass das mit dem Chat nicht geklappt hat. Also, ich wollte mal reingehen, auf einmal war es dann komplett weg. Also, die technischen Aspekte, dass die Technik nicht einwandfrei funktioniert hat“ (I Z 32-33). Der Ausdruck „ich wollte mal reingehen“ legt die Lesart nahe, dass Marco nach dieser ersten negativen Erfahrung nicht viel dafür getan hat, die technischen Komplikationen zu überwinden, um schließlich doch noch chatten zu können. 6.2.4 Als Gesprächsgrundlage für das Interview bat ich Marco, sich zunächst die von ihm eingebrachte Forumsdiskussion élargir son horizon durchzulesen (vgl. Kapitel 6.2.2). Obwohl ich also mit einem stimulated recall arbeitete, die i.d.R. das Mitteilungsbedürfnis der Interviewpartner deutlich erhöhten, handelte es sich bei diesem Interview mit einer Gesamtlänge von 26 Minuten um eines der kürzesten. 130 Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass Marco sich kaum traute, eigene Gedanken auszuführen, denn ich erlebte ihn in der Interviewsituation 130 Um dem Prinzip der Offenheit nachzukommen skizziere ich kurz, warum ich die Interviewsituation teilweise als Herausforderung empfand. Marco beantwortete meine Fragen oft mit einem einfachen Ja bzw. Nein, ohne von sich aus Begründungen anzubieten, so dass ich oft gezwungen war, nachzufassen. Es gelang in diesem Mehrsprachigkeit aus Marcos Sicht: „Dass man einen breiteren Horizont kriegt und nicht nur so eingleisig denkt im Hinblick auf eine Sprache“ Einzelfalldarstellungen 174 sehr reaktiv. Tendenziell gab Marco auch Antworten, die unter die Rubrik ‚soziale Erwünschtheit‘ fallen, bei deren Auswertung besondere Aufmerksamkeit geboten war. Als im Interview wiederkehrende Begriffe konnten „Angst, Fehler, Information, sich informieren“ ermittelt werden, anhand derer Marcos Sicht auf das Projekt erkennbar wird. Folgende Grundthemen, persönliche Ereignisse und Nulldaten waren auffindbar: Grundthemen • Angst (Z 50, 55, 94, 213, 230) • Überbewertung der sprachlichen Korrektheit (Z 50, 55, 226) • Einstellungsveränderung in Bezug auf romanische Sprachen (Z 141-142, 250) • Erwerb landeskundlicher Informationen (Z 74-77, 162-165, 180-182) • Interkulturelles Lernen (Z 5, 187-194) Thematisierung persönlicher Erlebnisse • Forumsdiskussion élargir son horizon (Z 26-27, 29-30, 37-50) Nulldaten • Positive Wertschätzung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt • Interesse am interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb • Hierarchie MuttersprachlerIn - Sprachenlernender Im Datensatz IV lässt sich eine Besetzungshäufigkeit im Bereich ‚Emotionen‘ 131 und ‚Einstellungen‘ ausmachen, wobei sich positive wie negative Emotionen die Waage halten. Der Kontakt zu MuttersprachlerInnen auf der Plattform löste bei Marco einerseits negative Reaktionen in Form von Sprachhemmungen und Angst aus, führte aber andererseits auch zu positiven Reaktionen, wie dem Gefühl von Integration und motivierenden Momenten. Im Datenmaterial können zwei Auslöser für negative Reaktionen ausgemacht werden, die zum einen im direkten Kontakt mit MuttersprachlerInnen, und zum anderen im Umgang mit der sprachlichen Vielfalt auf der Plattform begründet liegen. Bezüglich der Kontaktsituation lässt sich am Datenmaterial belegen, dass diese bei Marco zu Sprachhemmungen und Angst führt: „So ein bisschen Angst, so ein bisschen Hemmnis dann was zu schreiben, dass man vielleicht Interview eher selten, dem Interviewten den größtmöglichen Gesprächsanteil zukommen zu lassen, da ich meine Fragen teilweise mehrfach paraphrasieren musste, die Marco dann schließlich mit einem kurzen Satz beantwortete. Einige Male kam es zu längeren Gesprächspausen, wenn Marco relativ lang über meine Frage nachdachte, ohne etwas zu sagen, was ich als besondere Herausforderung empfand. 131 Auch in den LP ist eine Häufung in diesem Bereich festzustellen. Marco 175 Fehler machen kann“ (I Z 50). Marco scheint sprachliche Fehler überzubewerten, die Angst vor Fehlern ist richtungsweisend für seine kommunikative Haltung auf der Plattform, da sie zu Sprachhemmungen führt und er auf der Plattform kaum aktiv wird. Auch das folgende Interviewzitat verweist auf eine ängstliche Grundhaltung: „[E]s war erst mal eine Überwindung. Ich habe Angst gehabt, Fehler zu machen“ (I Z 55-56). In der Konsequenz zeigt Marco schließlich eine Vermeidungsstrategie, da er Interaktionen auf der Plattform aus dem Weg geht und sich aus Diskussionen im Forum zurückzieht (vgl. Kapitel 6.2.2). Obwohl er seine Angst bereits während der Sitzungen im LP protokolliert und im Interview schließlich auch den Grund dafür benennt, gelingt es ihm nicht, entsprechende Ressourcen im persönlichkeitsbezogenen Bereich zu mobilisieren, die ihm einen Umgang mit seiner Angst und den daraus resultierenden Sprachhemmungen erlauben. So sieht Marco zwar die stützende Funktion des LPs „[d]ann auch die Angstüberwindung, also ich fand das sehr gut als Reflexion […] der jeweiligen Sitzung“ (I Z 232-233). Allerdings bleibt festzustellen, dass tiefergehende Reflexionen im Bereich savoir-être und in der Folge die Ausbildung von Strategien unterbleiben. Was die Sprachenvielfalt angeht, lassen sich mehrfach Belege dafür finden, dass Marco diese als frustrierend wahrnimmt: Ich fand es teilweise ein bisschen zu viel. Mir wäre es lieber gewesen, wenn es zum Beispiel nur Italienisch gewesen wäre oder nur Spanisch, aber […] dann verschiedene Interkomprehensionen durchzuführen mit Spanisch, Italienisch. Ich hätte mich lieber auf eine konzentriert. (I Z 98-100) Aus dem Interviewsegment geht hervor, dass sich Marco angesichts der Sprachenvielfalt auf der Plattform stark gefordert wird und seine Aufmerksamkeit lieber auf den Erwerb bzw. die Rezeption einer ZS gerichtet hätte. Interessant ist die Formulierung „verschiedene Interkomprehensionen“ und die Verwendung des Wortes Interkomprehension im Plural, was darauf hindeutet, dass er IC nicht als Schlüssel zu allen romanischen Sprachen konzeptualisiert, sondern eher sprachentrennende als sprachenverbindende Aspekte fokussiert. Es lässt sich weiterhin ableiten, dass Marco die mehrsprachige Kommunikationssituation auf der Plattform nicht als bereichernd, sondern als überfordernd wahrnimmt. Vergleicht man obiges Interviewzitat mit der Eingangsfrage, findet sich ein Beleg für eine Antwort, die vermutlich aus Gründen der sozialen Erwünschtheit erfolgte: I: Aha. Du hast ja vorher auch dieses Seminar gemacht […], das heißt […] du wusstest schon, was Interkomprehension ist. Wie war das für dich auf der Plattform, das jetzt mal selbst zu erleben? M: Sehr lebendig, vor allem, wenn man erst einmal die Theorie im Seminar gehört hat und das dann auch mal praktisch anwenden konnte, das war schon schön. (I Z 6-9) Einzelfalldarstellungen 176 Marco war einer der Teilnehmer, die im vorausgegangenen Wintersemester ein Hauptseminar zur Mehrsprachigkeitsdidaktik belegt hatten (vgl. Kapitel 4.6.1), und deshalb bereits über theoretische Kenntnisse in Bezug auf IC-basiertes Sprachenlernen verfügte. Er bewertet in obigem Interviewsegment die Verknüpfung von Theorie und Praxis positiv, von der er behauptet, dass es „schön“ gewesen sei, diese „auch mal praktisch anwenden“ zu können. Die Lesart, dass er die interaktionsbasierte IC tatsächlich positiv bewertet, halte ich aus folgenden Gründen für wenig wahrscheinlich: Zum einen führte die Kommunikationssituation auf der Plattform bei Marco zu Vermeidungsverhalten, wie oben dargelegt wurde. Zum anderen finden sich im Datenmaterial kaum Hinweise auf eine praktische Anwendung von IC im Chat oder Forum. Marco ist dem interkomprehensiven Spracherwerb durch Interaktion nur in geringem Maße nachgegangen. Zum anderen erwähnt Marco mehrfach die Tatsache, dass ihn Verständnisschwierigkeiten demotiviert und frustriert haben, was sich an folgendem Interviewsegment zeigt: I: […] Du hast das selber schon angeschnitten, das Gefühl, nicht alles verstehen zu können. Wie war das? M: Das ist eher demotivierend. Wäre schon schöner gewesen, ein bisschen mehr zu verstehen oder vielleicht sogar auch alles zu verstehen. I: Aha. […] in Deinen Lernprotokollen, da hast Du geschrieben „Ich habe gelernt, nicht alles bis ins Detail verstehen zu müssen, sondern nur die Kernaussagen“. M: Gegen Ende habe ich mich damit abgefunden, dass ich nicht alles verstehen kann und da hab’ ich mich auf das Wichtigste konzentriert, dass ich die Hauptinhalte verstehen konnte von den Beiträgen. I: […] Da habe ich auch noch einen schönen Auszug aus dem LP von Dir zum Stichwort Frustrationserlebnisse, da hast Du geschrieben „Ich ärgere mich immer wieder, wenn ich nicht alles verstehe, dennoch sollte ich froh darüber sein, durch die Interkomprehension überhaupt so viel zu verstehen“. M: Im Nachhinein, man erwartet vielleicht zu viel, weil man gesehen hat, dass man durch die Interkomprehension einiges verstehen kann und zuvor hat man ja gar nichts verstanden, also man hat ja die Methode auch nicht gekannt. Man hat vielleicht zu viele Erwartungen dann darangesetzt, an die Interkomprehension. (Z 107-120) Die Forumseinträge nicht umfassend verstehen zu können, löst bei Marco Frustrationserlebnisse aus, die u.a. ein Grund für seine geringe Aktivität auf der Plattform sein dürften. Die Tatsache, dass er im LP mehrfach das Gefühl des Nichtverstehens (Z 248-249) sowie Schwierigkeiten bei der Dekodierung thematisiert (Z 87, 130, 152, 163, 209) und dies auch im Interview aufgreift, verweist darauf, dass seine Frustrations- und Ambiguitätstoleranz niedrig zu sein scheint, und er im Bereich der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen Defizite im Umgang mit demotivierenden Momenten hat. Marco bietet für den von ihm empfundenen Misserfolg ein Deutungsmuster an, das er an einer falschen Marco 177 Erwartungshaltung in Bezug auf IC festmacht. Es ist ihm offenbar wichtig, einen Forumsbeitrag en détail zu verstehen, d.h. ein Globalverstehen ist für ihn nicht ausreichend, um eine neutrale bzw. positive affektive Haltung einnehmen zu können. Obwohl Auszüge aus den Lernprotokollen der 2. Phase darauf hinweisen, dass es ihm gelingt, aus der Erfahrung des Nichtverstehens entsprechende Strategien für den Umgang mit der sprachlichen Vielfalt abzuleiten: „Ich habe aufgehört alles verstehen zu wollen, ich habe mich auf das Wichtigste konzentriert“ (LP Z 100), scheinen diese Strategien keinen nachhaltigen Effekt zu haben. Im LP der 3. Phase notiert er zu Frage 1.4 Was ist mir bei meiner heutigen Tätigkeit schwergefallen? „Ich konnte nicht alles aus den italienischen Beiträgen verstehen“ (LP Z 152). Auch in der Retrospektive greift er im Interview den Wunsch nach einem Detailverstehen der Forumsnachrichten erneut auf: „Wäre schon schöner gewesen, ein bisschen mehr zu verstehen oder vielleicht sogar auch alles zu verstehen“ (I Z 110-111). Interessant ist zudem die Tatsache, dass Marco die übrigen ForumsteilnehmerInnen in konkreten Kommunikationssituationen nicht in seinen Verstehensprozess miteinbezieht, da er keine Verständnissicherungsstrategien, wie z.B. Paraphrasierungen oder Bitte um Erklärung etc. anwendet. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Marco den ko-konstruktiven Charakter des interkomprehensiven Fremdsprachenerwerbs in Kooperation mit romanophonen SprachpartnerInnen nicht wahrnimmt, was mit seinem Lernbegriff zusammenhängen mag. Es spricht vieles dafür, dass Marcos Sprachlernverständnis instruktivistisch geprägt, d.h. eher passiv-reaktiver Natur ist, was sich an mehreren Interviewzitaten belegen lässt. Auf die Eingangsfrage, warum sich Marco zur Teilnahme am Projektseminar entschieden habe, entgegnet er: „Ich hab’ mich dazu entschieden, da ich mich über andere romanische Sprachen informieren wollte, also mich interessiert hab’ für Italienisch vor allem“ (I Z 3-4). Die Begründung für seine Teilnahme verknüpft er in erster Linie an die Einholung von Informationen, erst im Nebensatz nennt Marco schließlich ein Interesse an der ZS. Auch das folgende Interviewsegment deutet darauf hin, dass Marco die Mitarbeit auf der Plattform als eine Maßnahme der Informationsbeschaffung betrachtet: I: […] Meinst Du denn die Teilnahme auf G ALANET , diese 2 Monate, haben Dir was für Deinen Spracherwerb gebracht, also, […] hat das was für Französisch gebracht? M: (überlegt). Bezüglich auf die Sprache würde ich eher nicht sagen, ich würde eher sagen, mehr auf kulturelle Aspekte dann dahingehend, dass man mal Informationen über das Land bekommen hat […] (I Z 72-75) Marco scheint die Tätigkeit auf der Plattform weder für den Spracherwerb in seiner BS Französisch als nützlich zu empfinden, noch nimmt er die Möglichkeit des interkulturellen Lernens durch die gegebene Kommunikationssituation wahr. Für ihn besteht Tätigkeit auf der Plattform allein im Aufnehmen Einzelfalldarstellungen 178 landeskundlicher Informationen. Es spricht vieles dafür, dass Marco sich nicht darüber bewusst ist, dass er in seinem Spracherwerbsprozess eine aktive Rolle spielt und für seinen eigenen Lernprozess verantwortlich ist. Die von Marco zugrunde gelegte ‚Informationsmetapher‘ durchzieht interessanterweise nicht nur das Interview („Also, ich finde es [G ALANET , T.P.] dient sehr stark zur Information, zur Beschaffung von Informationen über die Landeskunde“ I Z 166; „Man bekommt Eindrücke wie es bei der anderen Kultur ist und kann sich darüber informieren“ I Z 183-184). Sie findet sich auch in der analysierten Forumsdiskussion und Marcos Beiträgen dazu wieder (vgl. Kapitel 6.2.2). Wie erwähnt besteht im Kontakt mit MuttersprachlerInnen für Marco durchaus auch die Möglichkeit des motivierenden Moments. Im Interview greife ich eine Passage aus dem dritten LP mit der Bitte um Kommentierung auf, in der Marco notiert, dass er „Fortschritte im Bereich der Kommunikation gemacht“ habe (LP Z 155). Die Fortschritte führt er im Interview zunächst darauf zurück, keine Erfahrungen im Umgang mit mediengestützter Kommunikation gehabt zu haben, bevor er schließlich Folgendes ausführt: „[D]ann kriegt man auch mal ein Lob dafür, über das was man geschrieben hat, das motiviert einen dann auch weiter“ (I Z 70-71). Die Formulierung „ein Lob kriegen“ könnte darauf verweisen, dass Marco in einem Reiz-Reaktions-Lernschema verhaftet ist und daher weitestgehend außengesteuert agiert. Auch weitere Interviewstellen belegen die Wichtigkeit des positiven Feedbacks durch andere: „Weil man auch positive Rückmeldungen bekommen hat […] zu den Forumsbeiträgen, also. Man hat nicht mehr so die Angst was zu schreiben, was vielleicht falsch ist“ (Z 213-214). Das positive Feedback der TeilnehmerInnen bewirkt bei Marco nicht nur eine Motivationszunahme, sondern führt auch zu einem Erfolgsgefühl bzw. einer Bestätigung, die seine Angst und Sprachhemmungen laut eigener Aussage abmildern. In der Konsequenz ändert sich sein Selbstkonzept: „Würde ich sagen, im Gegensatz zu vorher wo ich mich nie dazu getraut hab’, irgendwo was zu schreiben im Chat, im Forum, würde ich sagen ja, viel freier geworden auch, da so mal was zu schreiben, das hätte ich mir vorher nie denken lassen“ (I Z 206-208). An den Interviewzitaten lässt sich ablesen, dass er primär extrinsisch motiviert zu sein scheint, denn es sind nicht etwa die Auseinandersetzung mit der ZS oder kulturelle Aspekte, die seine Motivation ansteigen lassen. Im Datenmaterial lassen sich Hinweise darauf finden, dass sich eine Veränderung bezüglich Marcos Haltung gegenüber (romanischen) Sprachen, Kulturen und deren SprecherInnen ergeben hat. Auf die Frage im Interview, ob er glaubt, dass sich durch die Teilnahme seine Einstellung zu Sprachen verändert habe, entgegnet er: „Ich war vorher sehr auf Französisch fixiert gewesen und habe links und rechts nichts gesehen, aber jetzt würde ich schon sagen ich bin offener für andere romanische Sprachen“ (I Z 124-125). Die angesprochene Offenheit lässt sich mit einem weiteren Interviewzitat triangulieren, in dem Marco 179 Marco sich einer Metapher bedient, so dass hier der Zugang zu latent vorhandenen Deutungsmustern gegeben ist: I: Ich habe jetzt keine weiteren Fragen Marcel, möchtest Du noch irgendetwas sagen […]? M: Ich kann nur sagen, ich würde das Seminar jedem anderen weiterempfehlen, weil es im Hinblick auf die Interkomprehension wirklich sehr, sehr wichtig ist. I: Warum meinst Du, dass das wichtig ist? M: Dass man einen breiteren Horizont kriegt, und nicht nur so eingleisig denkt im Hinblick auf eine Sprache. (I Z 247-252) An der Wegmetapher zeigt sich, dass Marcos BS bisher nur in eine Richtung, in die der französischen Sprache (und Kultur), führte. Daher war die Wegrichtung vorgegeben und ein Abweichen nicht vorgesehen. Durch die Teilnahme scheint sich jedoch seine Perspektive auf Sprachen verändert zu haben, denn seine brückensprachlichen Kenntnisse erlauben ihm den Blick auf andere Sprachen und führen zu einer Perspektivenbzw. Horizonterweiterung. Anstatt sich eingleisig auf dem Weg der BS zu bewegen, kann er nun seinen Blick nach „links und rechts“ (I Z 124) richten und sich anderen romanischen Sprachen zuwenden. Im Gegensatz zur affektiven Dimension scheinen sich bei Marco in Bezug auf sein Sprachlernverständnis nur geringe Verschiebungen ergeben zu haben. Das folgende Interviewsegment gibt einen Einblick in Marcos Konzept vom Sprachenlernen - die Frage lautete, ob es hilfreich für ihn gewesen sei, mit der Hypothesengrammatik zu arbeiten: Ja, man kann ja eine Sprache normal so lernen, dass man sich nur die Grammatik nimmt oder einen Sprachkurs dazu macht, aber wenn man sich jetzt so die eigenen Hypothesen macht, das verfestigt sich besser, als wenn man nur zum Beispiel nur über so einen Sprachkurs mit normaler Grammatik lernt. Man deckt schnell die Fehler auf, wenn man das überprüft dann. Und dann hat man es besser im Kopf. (I Z 226-229). Die Feinanalyse des Segments spricht für die Lesart, dass in Marcos Sprachlernverständnis das Lernen einer Fremdsprache über Grammatik oder den Besuch eines Sprachkurses erfolgt. Dies ist wiederum ein Hinweis auf sein instruktivistisches Lernschema, in dem Sprachenlernen durch Interaktion nicht vorkommt und Fehler eine übergeordnete Rolle spielen. Zum Thema Hypothesengrammatik betont er im Interview nochmals die Wichtigkeit von Grammatik für den Fremdsprachenerwerb: „Weil das ist ja der Grundbaustein einer Sprache, das ist immer die Grammatik. Die richtige Grammatik“ (I Z 218- 219). Für Marco bildet Grammatik das Fundament einer Sprache, auf der er seine Sprachkompetenz aufbaut. Daraus lässt sich schließen, dass er beim Fremdsprachenlernen eher grammatikalische, als kommunikative oder interkulturelle Aspekte fokussiert. Es spricht auch vieles dafür, dass er die Hypothesengrammatik nicht als vollwertige Grammatik wahrnimmt, wenn er sie einer Einzelfalldarstellungen 180 „richtigen“ Grammatik gegenüberstellt. Außerdem macht er im obigen Zitat eine weitere Dichotomie auf zwischen „normalem“ Sprachenlernen und dem interkomprehensiven Spracherwerb auf der Plattform, was dafürspricht, dass für ihn sowohl IC als auch Interaktion außergewöhnliche Methoden zum Fremdsprachenerwerb darstellen. Obwohl Marco IC hier zwar durchaus positiv bewertet, und die Vorteile der IC-Methode nennt („die eigenen Hypothesen […], das verfestigt sich besser, […]. Und dann hat man es besser im Kopf“ (s. o.), scheint es, als ob die Teilnahme am Projekt keine Implikationen für ihn hat. Auf die Frage, ob er glaubt, dass die Teilnahme Auswirkungen auf sein zukünftiges Sprachenlernen hat, antwortet er: „Eher das Interesse dann noch mal so einen Einführungs- oder so einen Sprachkurs an der VHS zu machen. Was ich vorher eher nicht gemacht hätte, weil ich ja sehr auf Französisch bezogen war“ (I Z 131-132). Es lässt sich also festhalten, dass einerseits Marcos Interesse an anderen Fremdsprachen geweckt wurde, er aber andererseits durch den konstruktiven Charakter der IC-Methode durch Interaktion in seinem Lernverständnis nicht angesprochen wird. Die Tatsache, dass er sich als Romanist vorstellen kann, einen einführenden Sprachkurs zu besuchen spricht dafür, dass er die Effizienz des IC-basierten Fremdsprachenerwerbs verkennt. Offenbar ist ihm die Nützlichkeit seiner brückensprachlichen Vorkenntnisse für den Erwerb der ZS selbst nach der Teilnahme an G ALANET nicht bewusst geworden. 6.2.5 Gesamtbetrachtung Marcos SLB enthält zahlreiche Belege für eine ausgeprägte Leistungsorientierung in Bezug auf Fremdsprachen. Für Marco scheinen Außenevaluationen einen zentralen Stellenwert beim Fremdsprachenerwerb einzunehmen, denn gute Noten lassen seine Motivation ansteigen. Damit geht einher, dass er tendenziell produktorientiert zu sein scheint (Ergebnisse der Prüfungen und Noten), aber weniger am Spracherwerbsprozess als solchen interessiert ist. Die Bedeutung von Sprache ergibt sich für Marco daraus, dass er Leistung zeigen und erfolgreich sein kann, so dass seine Einstellung zu Sprachen eher funktionaler Art ist. Die Sprachen scheinen dabei austauschbar: Misserfolg in der ersten Fremdsprache Englisch führt zu Motivation und Erfolgserwartungen in der zweiten Fremdsprache Französisch, so dass Marco sich in Bezug auf Fremdsprachen zwischen den Polen Erfolg und Misserfolg verorten lässt, was wiederum seine Leistungsorientierung unterstreicht. Er hat des Weiteren ein eher technizistisch geprägtes Verständnis von Sprache, dass in der Formulierung „ausüben“ besonders deutlich wird. Aspekte wie Sprachverwendung, Kommunikation oder Identifikation mit der zielsprachlichen Kultur kommen nicht vor. Die Tatsache, dass Marco Kontakte zu MuttersprachlerInnen oder Auslandsaufenthalte nicht erwähnt muss zwar nicht bedeuten, dass diese nicht Marco 181 stattfinden bzw. stattgefunden haben. Die Lesart „geringe Relevanz von Auslandsaufenthalten oder Kontakt zu MuttersprachlerInnen“ lässt sich allerdings dadurch begründen, dass die Aussparung solcher Ereignisse dafürspricht, dass sie in Marcos Lebenswelt eine eher untergeordnete Rolle spielen. In Marcos Sprachlernverständnis kommen der Kontakt zu MuttersprachlerInnen und Lernen durch Interaktion nicht vor. Dies ergibt sich sowohl aus der Analyse seiner SLB als auch des Interviews. Es scheint im Gegenteil eher so, dass er den Kontakt zu MuttersprachlerInnen scheut und diesen daher umgeht. Marco zeigt eine ängstliche Grundhaltung, die zu Sprachhemmungen führt und einer Überwertung der sprachlichen Korrektheit geschuldet ist. So nimmt er die Gelegenheit zur interkulturellen Kommunikation und Fremdsprachenerwerb im Forum nicht wahr und zeigt ein Vermeidungsverhalten. Aus der von ihm eingebrachten Forumsdiskussion zieht er sich völlig zurück, obwohl ihn das positive Feedback der anderen ForumsteilnehmerInnen motiviert. Außerdem scheint er den Zweck des Forums nicht nachvollziehen zu können, denn er versteht die Funktion des Forums als Informationsmedium und weniger als Diskursbzw. Interaktionsmedium. Deswegen gelingt es Marco auch nicht, die übrigen Diskussionspartner im Sinne eines language learning facilitators in seinen Lernprozess zu integrieren, so dass die Anwendung von Verständnissicherungsstrategien ausbleibt. Die sprachliche Vielfalt auf der Plattform und das Gefühl des Nichtverstehens lösen bei Marco Frustrationserlebnisse aus, was damit zusammenhängt, dass er sich nicht mit einem Globalverstehen zufriedengibt, sondern mehrfach betont, dass er gerne sämtliche Forumsnachrichten verstanden hätte. Dennoch lässt sich festhalten, dass sich bei Marco eine Einstellungsveränderung dahingehend ergeben hat, dass er laut eigenen Aussagen offener für andere romanische Sprachen ist. Bezüglich seines Sprachlernverständnisses ist jedoch zu sagen, dass die Erfahrung des IC-basierten Fremdsprachenerwerbs auf der Plattform nicht dazu geeignet war, ihn nachhaltig zu beeinflussen. Marco scheint in einem klassischen Lernparadigma verhaftet, in dem er eine passiv-reaktive Rolle spielt und daher sowohl den Ko-Konstruktionscharakter des interkomprehensiven als auch den des interaktionsbasierten Fremdsprachenerwerbs verkennt. Marco konzeptualisiert Fremdsprachenlernen stark auf einer grammatikalischen Ebene, was sich an der Dichotomie zwischen normalem Fremdsprachenlernen im Kurs und IC-basierten Fremdsprachenerwerb auf der Plattform zeigt, die er aufmacht. Einzelfalldarstellungen 182 6.3 Jennifer Jennifer 6.3.1 Kurzporträt Jennifer studiert zum Zeitpunkt der Untersuchung Französisch und Spanisch im 4. Semester und weist eine reiche Sprachlernbiographie auf. Sie ist deutsche Muttersprachlerin, beginnt in der 3. Klasse mit dem Englischunterricht, den sie bis zur 13. Klasse fortsetzt. In der 7. Klasse wählt sie Französisch (2. Fremdsprache), danach Spanisch ab Klasse 9 (3. Fremdsprache), die sie beide bis zur 13. Klasse belegt. Gründe für die Wahl der Schulfremdsprachen nennt sie nicht. Auslandsaufenthalte und Kontakte zu MuttersprachlerInnen sind in ihrer Erwerbsbiographie von großer Wichtigkeit: „Obwohl in meiner Familie keine Muttersprachler fremder Sprachen vertreten sind und Fremdsprachen keinen außergewöhnlich hohen Stellenwert haben, bin ich durch viele Reisen in Kontakt mit Fremdsprachen gekommen“ (SLB 10-11). Jennifer beteiligt sich während ihrer Schulzeit an einem Schüleraustausch nach Mexiko und besucht ihre mexikanische Gastfamilie anschließend nochmals für weitere 6 Wochen. Schließlich verbringt der Sohn der Gastfamilie fünf Monate bei ihrer Familie in Deutschland. Reisen in das englisch-, spanisch- und französischsprachige Ausland nutzt sie als „Gelegenheiten zur Anwendung [ihrer] Sprachkenntnisse“ (SLB 13-14). Es geht ihr dabei allerdings nicht nur um die fremdsprachige Kommunikation, sondern v. a. kulturelle Aspekte sind dabei von zentraler Bedeutung: Meine Auslandsaufenthalte und Reisen haben bei mir das Interesse für fremde Sprachen und Kulturen geweckt. Zudem fand und finde ich es interessant, Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen zu erkennen, die eigene Kultur anderen näherzubringen und durch den Kontakt mit anderen möglicherweise einen neuen Blickwinkel auf die eigene Kultur oder gewisse Aspekte zu bekommen. (SLB 20-23) Ihre Ausführungen weisen zum einen auf ein ausgeprägtes Interesse an der Auseinandersetzung mit fremden Sprachen und Kulturen hin, zum anderen finden sich wesentliche Aspekte des interkulturellen Lernens wieder: Bewusstheit in Bezug auf kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Perspektivenwechsel und - daraus resultierend - eine veränderte Sichtweise auf das eigene kulturelle Bezugssystem. Interessant ist des Weiteren die Darlegung der Gründe für die Aufnahme des Sprachenstudiums, die sehr differenziert ausfällt. Kulturelle Aspekte stehen dabei wieder im Vordergrund (SLB 19-23), hinzu kommt eine zwischenmenschliche Dimension, aus der sie ihre Motivation bezieht: „Darüber hinaus haben mich die Gastfreundschaft und Herzlichkeit, die ich während meiner Auslandsaufenthalte kennengelernt habe, und Jennifer 183 neue Freundschaften motiviert, Fremdsprachen zu lernen“ (SLB 24-25). Darüber hinaus verweist das folgende Zitat auf eine instrumentelle Motivation, denn sie begreift Sprachen als länderübergreifendes Kommunikationsmittel: Für ein Sprachenstudium […] habe ich mich […] auf Grund der „Lebendigkeit“ und der „Nutzbarkeit“ dieser Sprachen entschieden. Französisch und besonders Spanisch werden von sehr vielen Menschen der Welt verstanden und gesprochen. Zudem gelten diese beiden Sprachen in mehreren europäischen Ländern als Amtssprachen. (SLB 26-29) Für das folgende Jahr plant sie jeweils ein Semester im spanischsprachigen und eines im französischsprachigen Ausland, welche „stark zu [ihrer] Motivation für das Fremdsprachenlernen bei[tragen]“ (SLB 39-40). Auch hier betont sie wiederum den kulturellen Aspekt: „Ich möchte nicht nur meine Fremdsprachenkenntnisse verbessern, sondern vielmehr die Kulturen Frankreichs und Spaniens kennenlernen“ (SLB 41-42). Den Mehrwert des Auslandssemesters beschreibt sie einerseits auf einer persönlichen Ebene: „Von diesen Kenntnissen und Erfahrungen kann ich nicht nur im Studium profitieren“ (SLB 42), andererseits erachtet sie den Aufenthalt aber auch als erstrebenswert in Bezug auf ihren Berufswunsch, weil sie „den Schülern zwei Kulturen und Sprachen authentischer und interessanter vermitteln kann“ (SLB 43). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei Jennifer der Anwendungscharakter von Fremdsprachen sowie interkulturelle Aspekte im Vordergrund stehen, die sie durch Auslandsaufenthalte und Kontakte zu MuttersprachlerInnen realisiert. Grundthemen • Differenzierung L 1 -Erwerb und Fremdsprachenlernen (SLB 1-2) • Auslandsaufenthalte und Reisen wecken Interesse an fremden Sprachen und Kulturen (SLB 10-11) • Sprache anwenden (SLB 14, 30) • Nutzung von Gelegenheiten zu fremdsprachiger Kommunikation mit MuttersprachlerInnen in Schule und Studium (SLB 17-18) • (Mehr-)Sprachenerfahrungen und Freundschaften zu MuttersprachlerInnen (SLB 6-9, 15-16, 17-18) • Differenzierte Darlegung der Gründe für die Entscheidung zum Sprachenstudium (SLB 19-36) • Interesse am Erkennen kultureller Unterschiede und am Perspektivenwechsel (SLB 20-24) • Reflexion der eigenen Kultur (SLB 22-23) • Sprachkenntnisse sind ebenso wichtig wie das Interesse an der zielsprachigen Kultur (SLB 41-42) Einzelfalldarstellungen 184 Thematisierung persönlicher Ereignisse • Privat organisierter Aufenthalt bei mexikanischer Gastfamilie und fünfmonatiger Besuch des Gastbruders in Deutschland (SLB 7-9) • Fakultative Auslandssemester in Spanien und Frankreich (SLB 37-38) Nulldaten • Asymmetrische Kommunikationssituation MuttersprachlerIn - Sprachenlernender • (gute/ schlechte) Noten • Prüfungen/ Tests • Gründe für die Wahl der Schulfremdsprachen 6.3.2 Interaktion im Forum Jennifer beteiligt sich im Forum insgesamt mit vier Beiträgen. Im Forum der Phase 2 postet sie am 31.03.2010 eine erste Nachricht zur Diskussion Avant de partir, durant mon séjour ... et à mon retour. Die zweite und dritte Nachricht erfolgt im Forum der 3. Phase und bezieht sich auf die Organisation des dossier de presse (Thread: apprendre und langue par un séjour à l’étranger) der Gießener équipe. Die vierte Nachricht postet sie am 23.05.2010 im Forum der Phase 4 unter dem Thread non lasciamoci cosi! salutamoci! Ciao, au revoir. Für eine tiefergehende Analyse eignet sich zum einen diese Diskussion, anhand derer sich Jennifers Perspektive auf das Projekt rekonstruieren lässt. Zum anderen kommt eine Forumsdiskussion aus der 2. Phase mit dem Titel Le regard des autres in Frage, an der sich Jennifer zwar nicht aktiv beteiligt, diese aber aufmerksam verfolgt und im LP aufgreift. Jennifers Reflexionen im LP sowie der Inhalt der Diskussion erscheinen insbesondere aus einer interkulturellen Perspektive interessant. Vor der Betrachtung der genannten Forumsdiskussionen erfolgen unter Rückgriff auf Auszüge aus dem LP sowie Interviewsegmente zunächst einige Anmerkungen zu Jennifers Interaktion im Forum. Jennifer verfügt mit ihren BS Französisch und Spanisch (vgl. Kapitel 6.3.1) bereits über zwei Arbeitssprachen des Projekts. Sie entscheidet sich zunächst für Rumänisch als ZS und begründet dies wie folgt: „[W]eil ich gern mal was ganz anderes wollte, […], weil die Kultur mir halt überhaupt nicht bekannt ist“ (I Z 13-14), d.h. sie lässt sich bei der Wahl der ZS eher von Überlegungen kultureller als sprachlicher Natur leiten. Offenbar ist sie bisher wenig mit der rumänischen Sprache oder Kultur in Kontakt gekommen, so dass ihre Entscheidung für die ZS von einer gewissen Neugier und Offenheit zeugt. Nach dem ersten Kontakt mit rumänischen Forumseinträgen korrigiert Jennifer allerdings ihre Wahl. Im Interview führt sie dazu Folgendes aus: Jennifer 185 [D]a [hab’ ich] dann doch nicht so wirklich viel verstanden und das hat mich dann doch in meiner Entscheidung beeinflusst, dass ich dann doch eher Italienisch genommen hab’, weil ich einfach gedacht hab’, dass es zu schwierig ist, […] dass ich da dann irgendwie die Lust verliere, wenn ich da nicht so viel verstehe […]. (I Z 15-17) Jennifer macht im Forum die Erfahrung, Rumänisch nur schwer interkomprehensiv erschließen zu können, so dass sie sich schließlich für Italienisch entscheidet. Dies begründet sie v. a. mit den motivationalen Auswirkungen, die das erschwerte Verstehen des Rumänischen mit sich bringt, da sie davon ausgeht, dass dies ihre Motivation negativ beeinflussen könnte. Ich greife die Frage nach dem Umgang mit dem Gefühl des Nichtverstehens des Rumänischen im Verlauf des Interviews erneut auf, woraufhin Jennifer entgegnet: „[I]ch will das dann immer gleich alles verstehen, […] ich lass mich, glaub’ ich, dann relativ schnell demotivieren, wenn’s nicht so gut klappt“ (I Z 275-267). Dieses Interviewsegment könnte die Lesart nahelegen, dass Jennifer eine geringe Frustrationsbzw. Ambiguitätstoleranz aufweist und eine Vermeidungshaltung in Bezug auf die Rezeption des Rumänischen einnimmt. Es spricht allerdings einiges dafür, dass hier vielmehr die Grenzen der IC deutlich werden. Jennifer dürfte mit zwei BS ohnehin eine breite mehrsprachige Rezeptionsfähigkeit aufweisen, die allerdings für das typologisch distante Rumänisch wenig hilfreich zu sein scheint. Nach der ersten Auseinandersetzung mit dem rumänischen Input kommt Jennifer zu der Einschätzung, dass die Beibehaltung der rumänischen ZS mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre: „Ja, also ich bin jemand, […] ich setz’ mich dann ziemlich akribisch dran und guck’ dann viel zu viel nach“ (I Z 275-277). Der erhöhte Dekodierungsaufwand bleibt dabei nicht ohne Auswirkungen auf die Kommunikationssituation, denn in den Forumsdiskussionen ist ein polyloghafter Diskurs der Themen vorgesehen, wobei möglichst auf einzelne Beiträge Bezug zu nehmen ist. Die motivationalen Konsequenzen des gesteigerten Dekodierungsaufwandes liegen insofern auf der Hand. Es lässt sich feststellen, dass bei Jennifers Wahl der ZS einerseits ein typologisches Nähe-Distanz-Verhältnis der BS zu den ZS zum Tragen kommt. Andererseits ist ihre Wahl aber auch von affektiven Überlegungen geprägt: „Italienisch […] hat sich schön angehört und ja gut, Portugiesisch finde ich jetzt vom Klang nicht so schön“ (I Z 18-19). Des Weiteren spielen positive motivationale Aspekte eine Rolle, die durch die schnelle Progression hervorgerufen werden können, welche Jennifer im Interview anspricht: „Das ist einfach motivierender, wenn man einfach schneller mehr Fortschritt machen kann in einer anderen Sprache“ (I Z 277-278). Es fällt auf, dass Jennifer sich zu Beginn der Projektphase nicht an Forumsdiskussionen oder Chats beteiligt. In ihrem ersten LP notiert sie, sich zunächst ein Profil erstellt und einen Überblick über die verschiedenen Räume der Plattform verschafft zu haben (LP Z 5). Nachdem sie sich die Profile einer Italiene- Einzelfalldarstellungen 186 rin und einer Rumänin angesehen hat, erwähnt sie, die Forumsdiskussion Découverte d’un pays durchgelesen zu haben (LP Z 6). Jennifer bringt sich zwar nicht in die Diskussion ein, doch sie kommt auf Basis des zielsprachlichen Inputs zu metasprachlichen Reflexionen im LP. So hält sie unter 1.3) fest, Rückgriff auf folgende Vorkenntnisse genommen zu haben: „Deutsch: ‚capire‘ (ital.) > ‚kapieren, verstehen‘ (dt.) Spanisch: ‚mesi‘ (ital.) > meses (span.), Französisch: ‚migliorare‘ (ital.) > ‚améliorer‘ (franz.)“ (LP Z 17-19). Daran zeigt sich, dass Jennifer in der Lage ist, ihr Vorwissen für den Dekodierungsprozess der Forumsnachrichten zu aktivieren und damit fruchtbar zu machen. Ihre Notizen lassen Rückschlüsse auf retroaktive Transferaktivitäten zu, denn Jennifer aktiviert auf Grundlage des zielsprachlichen Inputs äquivalente Lexeme in ihren BS. Es wird deutlich, dass sie die lexikalische Nähe der einzelnen Lexeme sprachenübergreifend wahrnimmt. An ihren Notizen lässt sich außerdem ablesen, dass sie für den Verstehensprozess auch auf ihre L 1 zurückgreift. Neben der umgangssprachlichen Variante des Wortes ‚kapieren‘ notiert sie die nichtmarkierte Variante ‚verstehen‘, so dass vieles dafürspricht, dass sich neben interlingualen Sensibilisierungseffekten auch intralinguale, auf die L 1 bezogene, Bewusstwerdungsprozesse ergeben dürften. Im zweiten LP finden sich Hinweise darauf, dass Jennifer an der sprachvergleichenden Vorgehensweise festhält, und zudem noch Englisch für den Verstehensprozess heranzieht: „Deutsch: ital. Scherzoso > scherzhaft Englisch: ital. possiamo > possess“ (Z 88- 89). Jennifer scheint also in der Lage, sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Sprachen zu aktivieren und dabei auch auf Wissensbestände zurückzugreifen, die außerhalb der romanischen Sprachfamilie liegen. Als Lernziel für ihre künftigen Aktivitäten notiert Jennifer im ersten LP unter 1.6) „[w]eitgehendes inhaltliches Verständnis italienischer Beiträge“ (LP Z 26) und hält im nächsten Punkt fest, wie sie dies erreichen kann: Regelmäßige Auseinandersetzung mit italienischen Beiträgen, Muttersprachler in Galanet ansprechen, um eigene Hypothesen zu bestätigen / zu verwerfen, Sätze sehr genau und reflektiert lesen. Auf bereits angefangene Hypothesengrammatik zurückgreifen und weiter ausbauen (LP Z 27-31). Jennifer kommt zu dem Schluss, dass die fortwährende Beschäftigung mit dem zielsprachlichen Input sie ihrem Lernziel näherbringt. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss die Lesart, dass sie die punktuelle Auseinandersetzung mit dem Input für die Erreichung ihres Lernziels als nicht ausreichend erachtet. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Jennifer festhält, sich dem zielsprachlichen Input konzentriert und sehr aufmerksam widmen zu wollen und dabei Rückgriff auf ihre Hypothesengrammatik zu nehmen und diese fortzuführen. Außerdem notiert sie, auch MuttersprachlerInnen in ihren Sprachlernprozess einbinden zu wollen und diese als language learning facilitators heranzuziehen. An ihren Überlegungen lässt sich ablesen, dass Jennifer in der Lage ist, ihren Lernprozess Jennifer 187 zu reflektieren, um ihn schließlich auf Grundlage dieser Überlegungen zu planen und zu steuern. Jennifer verfügt des Weiteren über eine breite Palette an Strategien, die sie begründet und überlegt einzusetzt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Jennifer ihre Aktivität auf der Plattform planvoll und lernzielorientiert organisiert, was sich anhand ihrer Aussagen im LP ablesen lässt: 1.8 Welche Strategien (z.B. Lern- oder Kommunikationsstrategien) habe ich angewandt? Lesen der Beiträge zunächst mit dem Ziel des Grobverstehens / Globalverstehens. Anschließend Lesen mit dem Ziel des Detailverstehens. Untersuchung einzelner Wörter, dabei Rückgriff auf meine Brückensprachen Spanisch und Französisch, Aufstellen einer Hypothese über die Bedeutung des Wortes, Überprüfung der Hypothese durch den Kontext > Verifizierung, Falsifizierung. (LP Z 32-35) Jennifer hat konkrete Vorstellungen davon, wie sie ihr Lernziel („weitgehendes inhaltliches Verständnis der italienischen Beiträge“, s. o.) erreichen kann und welche Strategien dafür zielführend sind. Bei der Auseinandersetzung mit den Forumsnachrichten erarbeitet sie sich zunächst die grobe Intention des Textes, d.h. sie fokussiert den globalen Inhalt, den sie schließlich im Sinne eines scaffolding zum Detailverstehen heranzieht. So notiert sie in Zeile 36: „Hypothese: ‚anche‘ (ital.) > ‚ancho‘ (span.) (=weit, breit) > Verworfen aus Kontextgründen.“ Metasprachliche Reflexionen dieser Art finden sich lediglich in den ersten beiden LPs, mit Fortschreitung des Projekts scheint Jennifer eher interkulturelle Verstehensprozesse zu fokussieren, wie sich an den LPs belegen lässt. Dies könnte daran liegen, dass sie mit zwei BS bereits über eine breite Rezeptionsfähigkeit verfügt und mit der Zeit zudem eine Habitualisierung an den mehrsprachigen Input erfolgt ist. Offenbar stellen sich Automatisierungstendenzen ein, die dazu führen, dass Jennifer sich nicht mehr so stark auf die Sprachverarbeitung konzentrieren muss und dadurch Gelegenheit erhält, ihr Augenmerk auf interkulturelle Aspekte der Kommunikationssituation zu richten. Diese Lesart lässt sich an den Reflexionen im LP und insbesondere an der folgenden Analyse der Forumsdiskussion Le regard des autres belegen und wird durch Hinzuziehen des nachfolgendenden Interviewsegments gestützt: I: Ja. Wenn Du nochmal zurückdenkst ganz am Anfang deiner Interaktion und zum Ende. Hat sich da irgendetwas verändert? J: [A]m Anfang war ich halt glaub’ ich viel mehr so auf die Sprache konzentriert […], am Schluss war’s eher so, […] dass ich einfach drüber gelesen hab’ und eigentlich nur über diese Inhaltsebene […] gegangen bin, dass ich nicht so auf die grammatische Form geachtet hab’, sondern eigentlich das dann auch verstanden hab’, wenn ich einfach nur so im Kontext gedacht hab’ […] (I Z 193-197). Einzelfalldarstellungen 188 Forumsdiskussion Phase 2: Le regard des autres Die Diskussion wird von martineA, einer der italienischen coordinatrices, eingebracht. Der Einleitungstext ist allgemein gehalten und fragt nach der Wahrnehmungsweise von Kulturen im Ausland, ohne dabei auf eine bestimmte Kultur abzuheben und regt dazu an, von persönlichen Erfahrungen zu berichten: Datenauszug 14: Einleitungstext Forumsdiskussion Le regard des autres Jennifer beteiligt sich zwar nicht an der Diskussion, reflektiert aber deren Inhalte in ihrem LP. Um eine bessere Nachvollziehbarkeit zu leisten, werde ich den Inhalt der Diskussion unter Rückgriff auf Textzitate zusammenfassen. 132 Den ersten Beitrag verfasst alelita (25.03.2010), die von Vorurteilen gegenüber Südamerikanern berichtet: „[E]n algunos aeropuertos se nos mira con desconfianza y en algunos paises se trata diferente“, ohne dies näher auszuführen. StephanieH, eine Französin, fragt daraufhin, ob alelita wisse, weshalb man Südamerikaner so behandele (26.03.2010), was allerdings unbeantwortet bleibt, da sich alelita nicht mehr in die Diskussion einbringt. GABRIEL (italienischer Herkunft) erwähnt seine Eindrücke von französischer Berichterstattung im Fernsehen, in der Italien als gläubiges und korruptes Land mit mafiösen Strukturen dargestellt würde. Er wendet ein, dass man nicht nur die negativen Seiten im Blick haben dürfe: „Il patrimonio culturale della nostra Nazione è uno dei più ricchi di tutto il mondo“ (26.03.2010). Martina, ebenfalls Italienerin, teilt diese Auffassung, gibt aber zu bedenken, dass Italien im Ausland aufgrund seiner politischen Situation schlecht dastehe: „Siamo stati molto derisi“ (26.03.2010). Am selben Tag meldet sich AngelaM zu Wort, die zu dem bisher Vorgebrachten keine Stellung nimmt, aber die Frage nach der Wahrnehmung Sardiniens aus der Sicht der ItalienerInnen aufwirft, die ebenfalls unbeantwortet bleibt. Robbina führt an, dass die Reduktion Italiens auf „pasta, pizza e mandolino“ zu kurz greife und verweist auf das kulturelle Erbe in Form von „la tradizione culinarla, le bellezze di Roma o la particolarità di Venezia…“ (26.03.2010). Die Rumänin gavriloviciA berichtet schließlich von Vorurteilen, mit denen sie sich während eines Erasmus-Aufenthaltes in Frankreich auseinandersetzen musste: „[L]a Roumanie est un pays des tziganes“ (26.03.2010). Auch Tanya (27.03.2010) bedauert, dass Italien oft als „un paese festoso, 132 Die vollständige Forumsdiskussion findet sich unter: www.galanet.eu/ forum/ message.php? Sujet=2067 (05.08.2013). Jennifer 189 sempre ‚a tavola‘, scherzoso, sorridente, mafioso“ wahrgenommen würde. GABRIEL postet schließlich am 27.03.2010 drei Links zu französischen TV- Sendungen, « [d]es examples de comme la France parle de l’Italie…“, u.a. zum Thema « Des élections en Italie - le casting de Berlusconi ». Diese Sendungen rufen ein breites Echo hervor. MariaGrazia etwa kommentiert sie folgendermaßen: „[D]evo dire che ho la mentalità francese perchè lo la penso proprio come nel tg francese! ! “ (27.03.2010). GABRIEL stimmt MariaGrazia grundsätzlich zu, gibt aber zu bedenken, dass das Italienbild in Frankreich seiner Meinung nach von einer gewissen Überheblichkeit gekennzeichnet sei: „Sembra che la Francia assuma sempre un’aria di superiorità rispetto all’Italia“ (28.03.2010). Sabry (28.03.2010) führt dazu aus, dass es kaum verwunderlich sei, wenn das Italienbild im Ausland aufgrund der andauernden politischen Skandale negativ geprägt sei: „[P]urtrobbo l’italia all’estero è famoso anche e sopratutto per la situazione politica; i continui scandali non possonno certo giovare alla ‚nostra‘ fama nel mondo.“ GA- BRIEL schließt sich Sabrys Meinung an und merkt dazu Folgendes an: “La questione politica è molto delicata ma l’Italia e la sua gente non è incarnata in un personaggio“ (28.03.2010). Schließlich bringt sich MarionC, eine Französin in die Diskussion ein, die davon berichtet, ein sechsmonatiges Auslandssemester in Cassino/ Italien verbracht zu haben. Sie beginnt ihren Beitrag mit den Worten „Completamente daccordo con tutto ciò che è stato detto sulla visione del francesi sull’Italia“ und schließt mit der Frage « Et vous que pensez-vous des Français? » (01.04.2010), die jedoch unbeantwortet bleibt. Gegen Ende der Diskussion erfolgt ein Beitrag von LorenaGB, einer Spanierin: „[L]a gente piensa que eres perezosa y que siempre estás de fiesta“ (07.04.2010). Von ähnlichen Vorurteilen berichtet BeniceN, eine Brasilianerin: „[P]essoaes de nacionalidades diferentes me disseram ‚les brésiliens font la fête tous les jours‘, ‚vous dansez la samba tout le temps? “ im letzten Beitrag zur Diskussion am 10.04.2010. Es fällt zunächst auf, dass das Gros der insgesamt 29 Nachrichten von italienischen TeilnehmerInnen gepostet wurde, die innerhalb des Projekts zahlenmäßig am stärksten vertreten waren, wodurch sich die starke Fokussierung auf Italien erklärt. Die italophonen TeilnehmerInnen berichten aus ihrer Innenperspektive von Heterostereotypen, mit denen sie in Bezug auf ihr Land konfrontiert sind. Dazu beziehen sie sich einerseits auf personale Begegnungen, andererseits aber auch auf mediale Darstellungen, die bspw. die politische Situation thematisieren. Bemerkenswert dabei ist, dass die TeilnehmerInnen teilweise auch eine Außenperspektive einnehmen, wenn sie versuchen, sich die Wahrnehmung Italiens im Ausland zu erklären. Jennifer nimmt die Forumsdiskussion zum Anlass, sich damit tiefergehend im LP auseinanderzusetzen. Zunächst fasst sie die Diskussion unter 2.1) Ich habe heute neue landeskundliche Informationen (z.B. historische/ geographische/ politische Kenntnisse) erworben zusammen: Einzelfalldarstellungen 190 Die Italiener sind sehr stolz auf ihre Tradition und Kultur und somit auch auf ihr Land. Sie bedauern, dass im Ausland oft ein zu oberflächliches und von Vorurteilen geprägtes Italienbild vorherrscht (Pizza, Pasta, Mandolinenspiel, strenge religiöse Gläubigkeit, politische Korruption). Ihrer Meinung nach verurteilen insbesondere die Franzosen die italienische Lebensart und Kultur und führen sich von oben herab als etwas Besseres auf. Einige User geben zu, dass die politische Situation in Italien Anlass zu Kritik bietet und können insofern ausländische Medien auf der einen Seite verstehen. Andererseits sind sie der Meinung, dass man nicht generalisieren kann und von den Politikern des Landes auf den Charakter der Bevölkerung schließen kann - zumindest nicht aller. Die italienischen User sind sich einig, dass Italien trotz einiger Missstände ein wunderbares Land ist, das sich auch Ausländer unbedingt einmal genauer anschauen und es besser kennenlernen sollten. (LP 109-113) Anhand von Jennifers Resümee zeigt sich, dass sie die wesentlichen Diskussionsstränge und Argumente inhaltlich erfasst hat, was dafürspricht, dass ihre Rezeptionsfähigkeit in ihrer ZS Italienisch gut ausgeprägt ist. Dieser Befund deckt sich nicht nur mit Jennifers Selbsteinschätzung im Interview: „[I]ch verstehe jetzt schon ziemlich viel [...], gut, man muss vielleicht mal ein Wort nachgucken, aber ich habe eigentlich schon ziemlich viel inhaltlich verstanden“ (I Z 237-239), sondern auch mit der Fremdevaluation durch Dialang, die eine Lesekompetenz von B1 auswies. Unter 3.1) Ich hatte Gelegenheit zum Perspektivenwechsel bzw. Übernahme. Wenn ja, in welchem Kontext? fährt Jennifer mit der Reflexion der Forumsdiskussion im LP fort. Sie notiert: Ich habe als Deutsche durch die deutschen Medien auch ein eher negatives Bild von der italienischen Politik und insofern zieht man auch schnell negative Rückschlüsse auf die italienische Kultur (Wie kann ein Volk eine solche politische Vertretung wählen? ? ? ), allerdings haben mir die Kommentare gezeigt, dass viele Italiener doch die ital. Politik kritisieren und auf eine Differenzierung zwischen Politikern und Volk bedacht sind. (LP 122) Anhand des obigen Segments zeigt sich, dass auch die bloße Rezeption einer Forumsdiskussion interkulturelle Verstehensprozesse anzubahnen vermag, sofern Gelegenheit dazu besteht, das Gelesene zu reflektieren und sich eigener Positionen dazu bewusst zu werden. Jennifer positioniert sich zunächst zu dem Vorgebrachten und stellt fest, dass auch sie ein tendenziell negatives Bild von der politischen Situation Italiens hat. Die Tatsache, dass sie dies auf die deutsche Berichterstattung zurückführt, spricht dafür, dass sie sich der Entstehungsbedingungen ihrer Sichtweise bewusst ist und nicht etwa pauschale Verurteilungen vornimmt. Des Weiteren kommt sie zu der Einschätzung, dass ihre Wahrnehmung der politischen Situation Italiens der Ausgangspunkt dafür ist, die negativ empfundenen Aspekte auf die gesamte Kultur zu übertragen. Daran zeigt sich, dass Jennifer in der Lage ist, ihre Haltungen und Einstellungen zu Jennifer 191 hinterfragen. Es spricht vieles dafür, dass ihr dies gelingt, indem sie einen Perspektivenwechsel vollzieht: Die Diskussion lädt dazu ein, die aufgeworfenen Stereotype bzw. Vorurteile aus der Innenperspektive der (italienischen) TeilnehmerInnen und damit unter einem intrakulturellen Blickwinkel nachzuvollziehen. Innerhalb der Diskussion findet Jennifer einerseits ihre persönliche Haltung bestätigt, andererseits wird sie aber auch dazu angeregt, ihre Position zu hinterfragen, so dass sie schließlich ihren Standpunkt relativieren kann. Offenbar gelingt es ihr, im Sinne einer Perspektivenkoordination die Schnittstelle zwischen Eigenem und Fremden zu erkennen, so dass hier von Fremdverstehensprozessen gesprochen werden kann. Diese Lesart wird durch Hinzunahme von Interviewsegmenten gestützt. Erwähnenswert ist, dass Jennifer die in Rede stehende Forumsdiskussion von sich aus im Interview anspricht, was ein Zeichen dafür sein dürfte, dass die Diskussion im Hinblick auf ihre Aktivität auf der Plattform einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Die Ausgangsfrage lautete, ob Jennifer die Kommunikation auf der Plattform aufgrund der Vielzahl an Sprachen und Kulturen als herausfordernd empfand, was sie verneint. In diesem Zusammenhang rekurriert sie auf die Forumsdiskussion und drückt zunächst eine gewisse Überraschung darüber aus, dass eine solche Diskussion überhaupt entstand: „[I]ch hätte einfach nicht damit gerechnet, dass die Italiener das so sehr beschäftigt“ (I Z 62). Des Weiteren wundert sie sich darüber, dass sich fast ausschließlich ItalienerInnen an der Diskussion beteiligt haben: Also, da hab’ ich schon fast irgendwie so ein bisschen das Gefühl, dass jemand Angst hatte, da jetzt irgendetwas zu sagen […]. Und wenn jetzt jemand sagt, ja, wir denken vielleicht auch ein bisschen so, dass dann vielleicht so ein bisschen Konfrontation aufkommt […]. (I Z 62-67) Jennifer beschreibt ihren Eindruck, dass sich andere TeilnehmerInnen möglicherweise in der Diskussion zurückgehalten haben könnten, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Wie an den LP-Auszügen gezeigt werden konnte, findet Jennifer ihre persönliche Wahrnehmung Italiens in der Forumsdiskussion bestätigt. Dies bezieht sich nicht nur auf die stereotypisierte Darstellung Italiens, sondern auch auf die politische Situation, der Jennifer kritisch gegenübersteht. Obwohl hier die Möglichkeit bestanden hätte, den Ursprüngen und Gründen für die stereotypisierte Wahrnehmung der italienischen Kultur aus dem Blickwinkel verschiedener Kulturen nachzugehen, unterbleibt eine tiefergehende Auseinandersetzung. Es könnte sein, dass in dieser Forumsdiskussion critical incidents bewusst vermieden werden, um damit das face der (italienischen) KommunikationspartnerInnen zu wahren. Interkulturelle Fragestellungen dieser Art bergen sicherlich das Potential zu Missverständnissen, die in kulturellen Konflikten münden könnten. Es spricht aber vieles dafür, dass diese Reibungspunkte der interkulturellen Kommunikation hier bewusst umgangen werden. Es scheint, als ob die DiskussionsteilnehmerInnen sich nicht kritisch Einzelfalldarstellungen 192 mit dem in Rede stehenden Thema auseinandersetzen wollen. Des Weiteren zeigt sich am Interviewsegment das Zusammenspiel von kognitiver und emotiver Dimensionen in interkulturellen Kommunikationssituationen. Jennifer ist sich ihrer Wahrnehmungsweise durchaus bewusst, sie positioniert sich allerdings nur mental zu der Forumsdiskussion, denn sie möchte dies im Forum nicht offenlegen. Es könnte sein, dass sie den italienischen TeilnehmerInnen mit ihrer Sichtweise nicht zu nahetreten möchte. Im Interview frage ich sie, warum sie sich dazu nicht geäußert habe, wozu sie Folgendes bemerkt: [I]ch hatte erst überlegt, ob ich nicht was schreiben soll auch dazu, weil ja, man neigt halt wirklich dazu, immer Kultur auf so bestimmte Merkmale halt dann festzumachen, die irgendwie schon zu reduzieren […], und ja, dadurch, dass die deutschen Medien halt grade mit der italienischen Politik eher kritisch umgehen, und man halt nur mit diesen Medien eigentlich konfrontiert wird und jetzt vielleicht nicht mit italienischen Medien, hab’ ich halt eigentlich auch so eher diese negative Sichtweise gehabt […]. (I Z 73-76) An diesem Interviewsegment bestätigt sich die Lesart, dass sich Jennifer ihrer verallgemeinernden Sichtweise in Bezug auf die italienische Kultur bewusst (geworden) ist. Sie beschreibt ihre Tendenz, eine Kultur auf bestimmte Attribute zu reduzieren und stellt des Weiteren fest, dass ihre Meinung zur politischen Situation Italiens stark durch die deutsche Berichterstattung geprägt ist. Offenbar geht sie davon aus, dass damit eine Perspektivenverengung einhergeht, wenn sie ausführt, dass die Beschäftigung mit italienischen Medien möglicherweise zu einer anderen Perspektive auf den Gegenstand geführt hätte. Bezüglich der Nichteinbringung in die Diskussion führt sie aus, nicht über genügend Kenntnisse zu verfügen: „[I]ch wusste aber dann nicht so ganz genau, was ich schreiben sollte, weil ich mich auch nicht so ganz genau mit Italien auskenne und […] meine Kenntnisse sind wahrscheinlich auch eher zu begrenzt, um mich da jetzt groß äußern zu können“ (I Z 77-79). Diese Einschätzung mag auf die politische Situation zutreffen, lässt sich aber nicht auf die Diskussion zu Stereotypen und Wahrnehmungen von Kulturen übertragen. An einer späteren Stelle im Interview bringt Jennifer die Forumsdiskussion erneut ein: I: Glaubst Du, Du bist jetzt irgendwie sensibilisiert worden durch die Teilnahme für verschiedene Kulturen oder für die Kulturen die dort zugegen waren? J: Ja, ich denke schon, also jetzt für Portugiesisch und Rumänisch jetzt nicht, aber also für Italienisch denke ich schon. […] I: Hat sich denn Deine Einstellung irgendwie geändert den Italienern gegenüber? J: Ja, ich denke schon, […] also vorher habe ich, glaube ich, auch so ein bisschen verallgemeinert und ja, wiegesagt, so ein paar Merkmale aus der Italienischen Kultur irgendwie rausgegriffen und dann alle Italiener damit so identifiziert Jennifer 193 sozusagen, aber ich fand es […] total interessant dieser Forumsbeitrag, wo sie eben auch über die italienische Politik geredet haben, dass sie das selbst teilweise nicht so toll finden […]. (I Z 330-339) Zunächst ist festzustellen, dass Jennifer eine Sensibilisierung im Hinblick auf die portugiesische und rumänische Kultur verneint. Dies mag daran liegen, dass luso- und rumanophone TeilnehmerInnen zahlenmäßig in der Minderheit waren und auf der Plattform nicht besonders stark in Erscheinung getreten sind. Dennoch verweist Jennifer darauf, dass die Forumsdiskussion wegen ihrer interkulturellen Brisanz ein hohes Lernpotential barg. Die Beschäftigung mit der Forumsdiskussion erlaubte Jennifer Einblicke in kulturelle Deutungsmuster aus der Innenperspektive der TeilnehmerInnen, die ihrerseits über eine kulturell geprägte Wahrnehmung der Welt verfügen. Durch den Austausch der Sichtweisen im Forum, aber v. a. durch die Möglichkeit zur Selbstpositionierung und Bewusstwerdung des eigenen Blickwinkels werden die TeilnehmerInnen dazu angeregt, ihren Blick auf die Welt mit denen ihrer Diskussionspartner zu vergleichen und ggf. zu revidieren. Es spricht vieles dafür, dass auf diese Weise Fremdverstehensprozesse angebahnt werden, die schließlich in ein savoir-comprendre münden können. Laut eigenen Angaben hat sich bei Jennifer eine Einstellungsveränderung dahingehend ergeben, dass sie ihre reduzierte und verallgemeinernde Repräsentation der italienischen Kultur zugunsten einer differenzierteren Sichtweise aufgibt. Diese Einstellungsveränderung dürfte unmittelbar mit ihrer Reflexionskompetenz zusammenhängen, die sich sowohl im LP als auch im Interview zeigt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei Jennifer Hinweise auf interkulturelle Bewusstwerdungsprozesse sowohl im LP als auch im Interview zu finden sind, so dass diese aus unterschiedlichen Datenquellen emergieren, was für deren Validität spricht. Forumsdiskussion Phase 4: non lasciamoci cosi! salutamoci! Ciao, au revoir Gegen Ende des Projekts wird im Forum ein Thread eröffnet, in dem die TeilnehmerInnen Gelegenheit haben, sich zu verabschieden. Jennifer ist die einzige Teilnehmerin aus der Gießener équipe, die davon Gebrauch macht - ihre Nachricht wird im Folgenden unter Rückgriff auf Interviewzitate analysiert: Einzelfalldarstellungen 194 Datenauszug 15: Forumsdiskussion non lasciamoci cosi! salutamoci! Ciao, au revoir, Beitrag Jennifer Zunächst lässt sich Jennifers ausgeprägtes Interesse am Projekt herauslesen, das sie auf die Kommunikationssituation und die Inhalte der Forumsdiskussionen zurückführt. Diese Lesart wird durch Hinzunahme eines Interviewsegments gestützt, das Jennifers Antwort auf die Frage, was sie zur Teilnahme am Projekt bewogen habe, zeigt: „Ich wollte einerseits gern mit Muttersprachlern in Kontakt kommen, in meinen beiden Brückensprachen, weil ich besonders mit Französisch, ja, Muttersprachlern bisher kaum Kontakt gehabt hab’“ (I Z 2-3). Es sind aber auch die Inhalte der Forumsdiskussion, die sie oben erwähnt, welche zur ihrer Motivation beitragen haben. Das folgende Interviewzitat weist in dieselbe Richtung: „Ja, also ich war eigentlich immer recht motiviert, da weiterzumachen und mir auch Beiträge durchzulesen“ (I Z 106). Ein weiterer Grund zur Teilnahme bestand für Jennifer darin, IC auszuprobieren: „Und andererseits hat’s mich natürlich auch interessiert, inwieweit ich meine Brückensprachen übertragen kann auf andere romanische Sprachen“ (I Z 7-8). An Jennifers Posting lässt sich ferner ablesen, dass sie nach eigenen Angaben eine sprachliche Sensibilisierung in ihrer ZS erfahren hat, von der sie behauptet, sie nun gut verstehen zu können: „[A]lso so in Italienisch würde ich sagen, also die meisten Beiträge habe ich verstanden“ (I Z 237-238). Neben der Sensibilisierung in der ZS Italienisch scheinen sich offenbar auch Sensibilisierungsprozesse in Bezug auf die übrigen ZS, v. a. aber Portugiesisch, ergeben zu haben: „[I]ch fand es auch eigentlich ziemlich motivierend, dass ich […] auch bei den portugiesischen Beiträgen eigentlich ziemlich viel verstanden hab’ und das ja beeinflusst ja auch die Einstellung zu anderen Sprachen“ (I Z 295-297). Jennifer spielt damit einerseits auf die motivationalen Auswirkungen von IC an, die ihr bisher ungelernte Sprachen weniger fremd erscheinen lassen. Andererseits hebt sie auf die attitudinalen Konsequenzen ab, die das Verstehen bisher ‚unbekannter‘ Sprachen mit sich führt. Es spricht vieles dafür, dass sie zumindest Italienisch und Portugiesisch als erschließbar wahrnimmt, was ihre Einstellung zu diesen Sprachen nachhaltig beeinflussen Jennifer 195 dürfte. Neben sprachlichen Aspekten führt Jennifer in ihrer Nachricht wiederum auch kulturelle Aspekte an und rekurriert auf die Inhalte der Forumsdiskussionen, die sie bereichert haben. Damit konzeptualisiert sie die mehrsprachige Kommunikationssituation gleichzeitig als mehrkulturelle Kontaktsituation, die sie an mehreren Stellen im Interview als besonders bereichernd beschreibt. So führt sie aus, dass sie daran interessiert war, mit möglichst vielen TeilnehmerInnen in Kontakt zu treten, um „viele verschiedene Meinungen kennen[zu]lernen und auch, ja, mehrere Kulturen vielleicht“ (I Z 171-172). 6.3.3 Interaktion im Chat Von Jennifer liegen insgesamt drei chats privés vor. Den Chat mit DanielaF (Chat 3) kopiert sie in Auszügen in ihr Lernprotokoll der 2. Phase, allerdings kommt es zu technischen Problemen mit der Folge, dass das Chatten nicht richtig funktioniert (LP Z 91, 124, 134). Deswegen liegt der Chat nur auszugsweise vor und ist für eine tiefergehende Analyse ungeeignet. Die Chats mit Sophie/ Madrid (Chat 1) und FrancescaMere (Chat 2) finden in der 3. Phase statt und werden von Jennifer ebenfalls im LP aufgegriffen, so dass sich hier die Möglichkeit der Triangulation bietet. Auffällig ist, dass sämtliche Chats in den Sprachen Französisch und/ oder Spanisch stattfinden, so dass keine IC-basierte Chatkommunikation vorliegt, da es sich bei diesen Sprachen um Jennifers BS handelt. Obwohl also sprachliche Aushandlungen in den Chatdaten nicht auszumachen sind, eignen sich die beiden letztgenannten Chats dennoch für eine Analyse, da sie u.a. unter kulturellen Gesichtspunkten interessant erscheinen. Chat 2: Jennifer - FrancescaMere FrancescaMere, eine italophone Teilnehmerin, initiiert die Chatkommunikation und schreibt Jennifer auf Französisch an (1-2), die ebenfalls auf Französisch antwortet (3, 5). FrancescaMere hat sich zuvor Jennifers Profil angesehen und dort erfahren, dass sie auch Spanisch studiert (7). Nachdem Jennifer dies bejaht (9), wechselt FrancesaMere auf Jennifers Frage nach einem Auslandsaufenthalt ins Spanische (10). Die weitere Chatkommunikation erfolgt auf Spanisch: Einzelfalldarstellungen 196 1 FrancescaMere> Salut! Combien de pages a votre rubrique? 2 FrancescaMere> plus ou moins 3 Jennifer> notre dossier? 4 FrancescaMere> oui 5 Jennifer> je ne sais pas, nous n’avons pas encore écrit tout le texte et votre dossier? 6 […] 7 FrancescaMere> comme j’ai lu tes infos, je sais que tu parla aussi espanol : ) 8 FrancescaMere> *parles 9 Jennifer> oui, je fais des études de francais, d’espagnol et de sport pour devenir professeur. est-ce que tu as déjà ´eté en france ou en espagne? 10 FrancescaMere> sì en Madrid : ) y tu chica? : P 11 Jennifer> que bueno! yo todavía no he estado en estos paises pero el ano que viene voy a Francia (Besancon) y a Valladolid : ) 12 [...] Datenauszug 16: Chat 2 Jennifer - FrancesaMere Jennifer bedauert die Tatsache, dass die italophone Teilnehmerin nicht auf Italienisch kommuniziert sowohl im Interview (Z 37-41), als auch in ihrem LP und notiert dort zur Frage, ob es Frustrationserlebnisse gab Folgendes: Ich hatte das „Problem“, dass meine Gesprächspartnerinnen dieselben Sprachen wie ich sprachen. Ich finde es schade, dass die Italienerin nicht in Italienisch geschrieben hat […]. Ich hätte mich gerne im Verstehen des Italienischen geübt, allerdings habe ich sie nicht darum gebeten, ins Italienische zu wechseln, da ich das Gefühl hatte, dass sie selbst gerne in einer Fremdsprache kommunizieren wollte. (LP Z 202-204) Anhand des Zitats lässt sich die Lesart entwickeln, dass Jennifer durchaus Interesse an der Rezeption des Italienischen im Chat hatte und der interkomprehensiven Chatkommunikation durchaus offen gegenüberstand. Sie kommt des Weiteren zu der Einschätzung, dass sie selbst den Sprachwechsel ihres Gegenübers ins Italienische hätte initiieren müssen. Die Tatsache, dass sie dies offenbar aus Rücksicht auf ihre Chatpartnerin nicht tut, lässt auf ihre Empathiefähigkeit schließen. Dass die Kommunikation nicht unter Verwendung von FrancescaMeres L 1 Italienisch stattfand erklärt sich Jennifer damit, dass diese unter Rückgriff auf ihre Fremdsprachen kommunizieren wollte, anstatt ihre L 1 zu verwenden und damit eine interkomprehensive Kommunikationssituation herzustellen. Dieses Deutungsmuster greift Jennifer auch im Interview auf und nennt aus ihrer Sicht folgende Gründe: „[W]eil ich eben keine Muttersprachlerin war in den anderen beiden Sprachen, weil sie dann auch ihre Fehler machen konnten und so und ja, ich das jetzt vielleicht nicht schlecht bewerte, weil Jennifer 197 ich selbst ja nicht Profi bin darin“ (I Z 43-45). Jennifer spielt damit auf das Hierarchiegefälle in exolingualen Kommunikationssituationen an. Das Hierarchiegefälle wird jedoch nivelliert, wenn beide Chatpartnerinnen in Fremdsprachen kommunizieren und sich somit auf Augenhöhe begegnen, so dass eine endolinguale Kommunikationssituation hergestellt wird. Das Begehen von Fehlern bzw. deren Bewertung durch das Gegenüber scheinen daher weniger schlimm, als es der Fall in einer exolingualen Kommunikationssituation wäre. Jennifer scheint ein Gespür für die Bedürfnisse ihrer KommunikationspartnerInnen zu haben, die ihrer Ansicht nach lieber ihre Fremdsprachen anwenden wollten, als in ihrer L 1 zu kommunizieren. Dieses Einfühlungsvermögen wird auch im Interview deutlich: Und ja, was ich allerdings schade fand, war […], dass ich zwei Brückensprachen hatte, die […] die meisten der User selbst hatten auch, dass die Kommunikation dann halt eigentlich immer nur in diesen beiden Sprachen ablief […]. Da liegt der Fehler sicherlich auch bei mir, dass ich nicht mal gesagt hab’, hey, lass uns doch mal auf Italienisch reden bzw. schreib Du mal italienisch, aber ich hatte halt auch öfters mal das Gefühl, dass die Leute dann auch eher Lust hatten, ihre Fremdsprachen anzuwenden, als nur in ihrer Muttersprache zu schreiben […]. (I Z 37-43) Jennifer bedauert zwar einserseits, nicht interkomprehensiv gechattet zu haben, scheint aber andererseits aus Rücksicht auf ihre KommunikationspartnerInnen nicht nach einem Sprachwechsel gefragt zu haben. Im Interview frage ich Jennifer danach, warum sie trotz ihres Interesses am interkomprehensiven Chat ihr Gegenüber nicht um einen Sprachwechsel gebeten habe, wozu sie Folgendes ausführt: [A]lso, wenn ich jetzt gefragt hätte, ob sie nicht auf Italienisch schreiben kann und ich dann überhaupt nichts verstanden hätte und die Kommunikation dann so zum Stocken gekommen wäre, wäre es auch schade gewesen […]. (I Z 121-122) Jennifer scheint am einsprachigen Chat festhalten zu wollen, da sie Verständnisprobleme befürchtet. Obwohl sie im Dialang-Test in der ZS B1 erreicht und auch im Interview erwähnt, zumindest im Forum keine Verständnisprobleme gehabt zu haben (I Z 237-238), scheint sie der direkten interkomprehensiven Kommunikationssituation im Chat ausweichen zu wollen. Außerdem ist es ihr wichtig, die Chatkommunikation als solche am Laufen zu halten, was darauf hindeutet, dass das interkomprehensive Chatten in den Hintergrund rückt. Es spricht vieles dafür, dass sie eine Beeinträchtigung des Chats durch die erwarteten Verständnisprobleme nicht riskieren wollte. Ein weiterer Erklärungsansatz könnte die Tatsache sein, dass Jennifer Schwierigkeiten mit der Aufrechterhaltung des Gesprächs hatte, von denen sie datenübergreifend sowohl im Interview als auch im LP berichtet. So notiert sie unter 1.4) Was ist mir bei meiner Einzelfalldarstellungen 198 heutigen Tätigkeit schwergefallen? „z. t. die Kommunikation mit der Italienerin aufrechtzuerhalten, sie hat viel Zeit für ihre Antworten gebraucht und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass sich der Gesprächsstoff langsam erschöpft“ (LP Z 165). Zum einen verweist dieser Auszug auf die Erwartungshaltung bezüglich der synchronen Chatsituation, die sich in der Regel durch eine rasche Abfolge von Antworten auszeichnet. Offenbar war dies aber im Chat mit FrancescaMere nicht der Fall, was bei Jennifer zu dem Empfinden führte, auf die Antworten ihrer Chatpartnerin warten zu müssen, was nicht ohne Auswirkungen auf das Erleben der Gesprächssituation bleibt. Zum anderen erwähnt Jennifer im obigen Auszug aber auch ihren Eindruck, dass sich der Gesprächsstoff erschöpft hätte. Sie bietet dazu im Interview ein Deutungsmuster an: [U]nd andererseits ja, fand ich’s dann auch teilweise schwierig, die Kommunikation irgendwie noch so über so eine gewisse oberflächliche Sache […] aufrecht zu halten. Weil es war halt eigentlich fast in jedem Gespräch irgendwie ja, was machst Du, woher kommst Du und ja, also das, das Oberflächliche halt und irgendwie, man wusste auch nicht genau, wie weit man darüber rausgehen kann […], weil man den anderen jetzt auch so schlecht einschätzen konnte, und dann auch irgendwie teilweise dann die Gemeinsamkeiten gefehlt haben […] und ja, deswegen ist mir bei manchen einfach so ein bisschen der Gesprächsstoff ausgegangen […]. (I Z 172-178) Jennifer berichtet von einer gewissen Oberflächlichkeit der Chats, die es ihr erschwert hat, das Gespräch in Gang zu halten. Sie führt dies auf zwei Dinge zurück. Zum einen darauf, dass es ihr schwerfiel, ihr Gegenüber einzuschätzen und zum anderen auf die Tatsache, dass Gemeinsamkeiten fehlten. Obwohl sie an anderen Stellen im LP davon berichtet, common grounds z.B. durch die Thematisierung der Vorliebe für Fremdsprachen gefunden zu haben (vgl. „Außerdem ist es schön, gemeinsame Interessen (in diesem Fall in erster Linie Begeisterung für dieselben Sprachen) festzustellen“ (LP 205), scheint dies aus Jennifers Sicht nicht auszureichen, um ihrem Eindruck der Oberflächlichkeit entgegenzuwirken. Dies könnte einerseits ein Hinweis darauf sein, dass die Vielzahl an SprecherInnen auf der Plattform es nicht zulässt, eine Art Sprachtandem zu etablieren, das sich über den Verlauf der Projektphase erstreckt und ein näheres Kennenlernen der ChatpartnerInnen erlaubt. Andererseits spricht dies auch dafür, dass Kommunikationssituationen im Chat von einer Steuerung profitieren könnten, denn die conversations privées unterliegen keinerlei inhaltlichen Vorgaben. Wenn aber gezielt Themen der Forumsdiskussionen oder die Inhalte des dossier de presse thematisiert würden, könnte damit die von Jennifer empfundene Oberflächlichkeit abgemildert werden. Auch wenn Jennifer die Einbzw. Zweisprachigkeit der Chatkommunikation bedauert und von Schwierigkeiten berichtet, den Chat in Gang zu halten, bewertet sie das Code-switching vom Französischen ins Spanische positiv, wie Jennifer 199 sie im LP (Z 205) notiert: „Es hat aber auch […] ganz nette Seiten, wenn man auch innerhalb eines Gesprächs zwischendurch mal die Sprache wechseln kann und die Kommunikation aufrechterhalten wird.“ Auch im Interview thematisiere ich den Sprachwechsel im Chat, Jennifer erklärt erneut, warum sie das Code-switching begrüßt: „Ja, […] weil das halt einfach irgendwie ganz nett ist, […] wenn man halt auch einen Kommunikationspartner hat, der eben auch in beiden Sprachen irgendwie fit ist bzw. was mit anfangen kann“ (I Z 127-129). Damit verweist sie auf den common ground, der sich dadurch ergibt, dass beide Chatpartnerinnen Kenntnisse im Französischen bzw. Spanischen haben, die mit einer Affinität zu Fremdsprachen einhergehen. Chat 1: Jennifer - Sophie/ Madrid Es handelt sich um einen einsprachigen Chat auf Französisch, den Jennifer initiiert. Nach einer kurzen Vorstellung und der Thematisierung der Herkunftsländer (ausgelassener Teil) erwähnt Sophie/ Madrid, leider nur wenige Wörter Deutsch zu können (2+3). Jennifer fragt nach, um welche Wörter es sich handelt (5), woraufhin Sophie/ Madrid mit dem Wort ‚Sonne‘ antwortet (6) und um Bestätigung ihrer Übersetzung bittet (9). Jennifer fragt daraufhin, ob Sophie/ Madrid einen Sprachkurs besucht habe (10), was diese verneint und erklärt, das Wort aus einem Lied der Band Rammstein zu kennen (11). Jennifer geht auf diese Information ein, indem sie erklärt, dass Tokyo Hotel und Rammstein die im Ausland wohl bekanntesten deutschen Bands seien, viele Deutsche aber diese Musik nicht mögen würden (12). Sophie/ Madrid entgegnet darauf, dass Tokyo Hotel in Frankreich vermehrt bei weiblichen Teenagern Anklang fände (13). Diese Wahrnehmung wird von Jennifer mit Blick auf Deutschland geteilt, bevor sie schließlich mit der Frage nach dem Auslandsaufenthalt einen Themenwechsel herbeiführt (14): 1 […] 2 Sophie/ Madrid> mais je ne connais malheureusement pas l’allemand ... 3 Sophie/ Madrid> juste quelques mots 4 Jennifer> je fais parti de l’équipe de Giessen et nous 5 avons ce thème concernant l’apprentissage d’une langue à l’étranger ou à l’école (différences etc...) pas de problèmes.. quels mots connais tu? 6 Sophie/ Madrid> sonne 7 Sophie/ Madrid> ^^ 8 Jennifer> ah : ) 9 Sophie/ Madrid> ça veut dire soleil non ? 10 Jennifer> oui c’est vrai! est-ce que tu avais un cours d’allemend à l’école? 11 Sophie/ Madrid> non, c’est juste que je connais Rammstein et je connais donc quelques mots comme ça Einzelfalldarstellungen 200 12 Jennifer> ah oui, je crois que Rammstein et Tokyo Hotel sont les deux groupes les plus connnus de l’Allemagne à l’étranger bien que beuacoup d’Allemands naiment pas Tokyo Hotel ^^ 13 Sophie/ Madrid> ouais ! ! ! en france, ce sont les filles de 15 ans qui adore tokyo hotel 14 Jennifer> oui, ici aussi.. comment se passe ton séjour à Madrid ? 15 […] Datenauszug 17: Chat 1 Jennifer - Sophie/ Madrid Zunächst ist festzuhalten, dass Sophie/ Madrid durch die Thematisierung des Erwerbskontextes in Bezug auf ihre Deutschkenntnisse einen common ground herstellt. Der Kontakt zu einer deutschen Teilnehmerin im Chat scheint offenbar der Auslöser dafür zu sein, Inhalte anzusprechen von denen sie annehmen kann, dass auch Jennifer sie als dieser Kultur Angehörende teilt. Allerdings geht es in der Chatkommunikation nicht über die bloße Thematisierung hinaus, denn Bewertungen hinsichtlich der Musik oder der Wahrnehmung der Bands bleiben aus, obwohl Jennifer diesen Aspekt in ihrem LP retrospektiv aufgreift. Sie notiert unter 2.3) Ich bin mit Autound/ oder Heterostereotypen in Berührung gekommen. Wenn ja, mit welchen bzw. in welchem Kontext? : Die Französin hat das Klischee bestätigt, dass im Ausland hauptsächlich die beiden Bands Rammstein und Toyko Hotel im Hinblick auf deutsche Musik bekannt sind. Diese Bands tragen somit zum Bild Deutschlands im Ausland bei und ggf. besonders Rammstein zum Stereotyp der „harten“, (unsympathischen? ), „bösen“ Deutschen. (LP Z 185-187) Jennifer ist sich der möglichen Außenwirkungen der in Rede stehenden Bands bewusst und reflektiert die damit transportierten Stereotype. Sie kommt zu dem Schluss, dass diese das Deutschlandbild im Ausland beeinflussen. Ihre Einschätzung zur Außenwirkung der Band Rammstein fällt negativ aus - Jennifer meint, dass diese die stereotypisierte Wahrnehmung Deutschlands im Ausland befördert. Obwohl das interkulturelle Potential des Themas als hoch einzustufen ist, da hier Sichtweisen auf einen kulturellen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven hätten diskutiert werden können - und zwar sowohl aus der Innenperspektive durch Jennifer als auch aus der Außenperspektive durch Sophie/ Madrid - findet eine weitergehende inhaltliche Auseinandersetzung nicht statt. Ich frage Jennifer im Interview, warum sie im Chat nicht weiter auf das Thema eingegangen sei, wofür sie folgendes Deutungsmuster anbietet: Ja, ich bin dann auch nicht näher darauf eingegangen, weil ich halt einfach auch Rammstein überhaupt nicht kenne, eigentlich, weil ich da nichts zu sagen kann, außer, dass ich die Musik nicht gut finde und da ich halt, ja weiß, dass die nicht gerade so […] als die friedlichsten wahrgenommen werden. (I Z 150-152) Jennifer 201 Anhand des Zitats lässt sich die Lesart entwickeln, dass Jennifer absichtlich nicht auf das Thema einging und die Diskussion damit bewusst vermied. Zum einen begründet sie das damit, dass sie nicht das Gefühl hatte, bei ihrem Gegenüber auf Vorurteile gegenüber Deutschen zu stoßen. Zum anderen glaubt sie, sich nicht genügend mit der Musik bzw. der Band auszukennen, um Aussagen darüber zu treffen. Es spricht vieles dafür, dass es im direkten Chatkontakt wichtiger ist, das Gelingen der Kommunikation zu sichern und eine angenehmene Gesprächsatmosphäre herzustellen, die durch bestimmte, relativ oberflächliche Themen gekennzeichnet ist. Die Thematisierung von Fremd- und Selbstwahrnehmung einer deutschen Band, die Autostereotype bewusst einsetzen, um zu polarisieren, scheint deswegen tendenziell in den Bereich der hot-spots zu fallen, die die interkulturelle Chatkommunikation negativ beeinflussen könnten, so dass sie offenbar vermieden werden. 6.3.4 Mehrsprachigkeit aus Jennifers Sicht: „Das motiviert einen und macht einem die Sprachen ein bisschen sympathischer“ Zu Beginn unseres Treffens legte ich Jennifer ihre Chats mit Sophie/ Madrid (Chat 1) und FrancescaMere (Chat 2) vor mit der Bitte, sich diese durchzulesen (vgl. Kapitel 6.3.3.). Bei der Auswahl des stimulated recall hatte ich mich gegen die Vorlage der Forumsdiskussion Le regard des autres (vgl. Kapitel 6.3.2) und für die Vorlage der beiden Chats entschieden. Dies hatte v. a. pragmatische Gründe, denn ich hielt die Chats einerseits aufgrund ihrer Textkürze zur Vorbereitung auf das Interview für geeigneter, als die 29 Beiträge umfassende Forumsdiskussion. Andererseits ging ich davon aus, dass die Forumsdiskussion bei Jennifer zumindest inhaltlich mental präsent war, da sie sich in ihrem LP umfassend damit beschäftigt hatte. Außerdem hatte ich Auszüge aus dem LP vorbereitet, in denen Jennifer die Forumsdiskussion thematisierte, die ich an entsprechenden Stellen mit der Bitte um Kommentierung in das Interview einbrachte. Die Interviewsituation mit Jennifer erlebte ich als durchweg positiv, meine Interviewpartnerin begegnete mir sehr offen und interessiert, sie antwortete bereitwillig sowie differenziert auf meine Fragen. Als wiederkehrende Begriffe treten v. a. Wörter wie „motiviert“ bzw. „motivierend“ und „Kultur“ bzw. „kulturell“ hervor, die sinnbildlich für Jennifers Perspektive auf das Projekt stehen. Folgende Grundthemen, persönliche Ereignisse und Nulldaten konnten ermittelt werden: Grundthemen • Motivation erfolgt sowohl über eine inhaltliche als auch über eine sprachliche und kulturelle Ebene (Z 34-37, 106, 185-187, 270-272, 277-278, 292- 294, 297-299, 227-338) Einzelfalldarstellungen 202 • positive Bewertung der mehrsprachigen Kommunikationssituation bzw. Kontakt mit MuttersprachlerInnen (Z 34-36) • Aufwertung des Vorwissens (Z 250-252) • intensive Auseinandersetzung mit Zielkultur und ZS (Z 52-60, 62-67, 64- 67, 239-240, 336-346) • Belege für cultural awareness (Z 73-76, 147-148) • Offenheit gegenüber ‚fremden’ Sprachen und Kulturen (Z 13-14) Thematisierung persönlicher Erlebnisse • Chat mit Sophie und Francesca (als stimulated recall vorgelegt) Nulldaten • Sprachangst • Fehler • Keine Schwierigkeiten bzw. Frustrationserlebnisse • Kein Gefühl der Überforderung Anhand der Besetzungshäufigkeiten wurden mit dem Kode-Matrix-Browser als Kernkategorie interkulturelles Lernen ermittelt, welche besonders häufig Überschneidungen mit den Kategorien Einstellungen, Emotionen sowie Motivation aufweisen, die im Folgenden durch Rückgriff auf Interviewzitate herausgearbeitet werden. Ausgangspunkt ist die Kommunikationssituation auf G ALANET , die es Jennifer ermöglicht, Kontakt mit MuttersprachlerInnen verschiedener Sprachen herzustellen. Jennifer bewertet die mehrsprachige Kommunikationssituation durchweg positiv und findet diese insbesondere unter einer interkulturellen Perspektive interessant. Zu ihrem Interesse an der Beschäftigung mit der Plattform trägt neben der Möglichkeit des Inkontakttretens mit MuttersprachlerInnen auch die Gelegenheit zur interkulturellen Kommunikation bei, wie sich aus folgendem Interviewzitat ergibt: Ja, einfach überhaupt erst mal die Möglichkeit, gleichzeitig mit so vielen Muttersprachlern in Verbindung zu kommen und […] an dem einen Tag mit dem zu reden, an dem anderen mit denen oder wenn man auf die Sprache keine Lust hat, redet man mit jemand anderem. Und auch gleichzeitig halt so viele verschiedene Kulturen kennenzulernen, das ist glaub’ ich extrem selten, dass man die Möglichkeit hat. (I Z 34-37) Jennifer erlebt zum einen die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu verschiedenen SprecherInnen als bereichernd, mit denen sie unter Verwendung ihrer beiden BS kommuniziert. Die Vielzahl der SprecherInnen sowie der Sprachen auf der Plattform schätzt sie als vielversprechend ein, v. a. die Möglichkeit zum Sprachwechsel bzw. die Anwendung beider BS bewertet sie positiv. Aus dem Zitat geht ferner hervor, dass Jennifer nicht nur Freude an der Verwendung Jennifer 203 und am Verstehen romanischer Sprachen hat, sondern auch an der Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen. Die mehrsprachige und mehrkulturelle Kommunikationssituation nimmt sie als etwas Besonderes und Einzigartiges wahr. Anhand des Interviewsegments lässt sich außerdem die Lesart entwickeln, dass Jennifer Sprache und Kultur als ein zusammengehörendes, nicht trennbares Konstrukt konzeptualisiert. Diese Lesart wird durch Hinzuziehen des folgenden Interviewsegments gestützt: I: Ok. Die Teilnahme auf G ALANET , würdest Du sagen, da hast Du gelernt, war das Lernen für Dich? J: Ja, schon. Also, Lernen lässt sich ja ziemlich breit definieren, also ich meine einerseits natürlich was das Sprachliche angeht […] und Lernen halt auch auf dieser kulturellen Ebene, mit z.B. mit den Italienern, dieses Beispiel. […] Ich denke auf jeden Fall, dass man davon lernt. (I Z 236-241) Es spricht vieles dafür, dass es Jennifer gelingt, nicht nur das sprachliche, sondern v. a. auch das interkulturelle Lernpotential der Plattform auszuschöpfen. Jennifer rekurriert auf meine offen gehaltene Frage nach dem Lernen sowohl auf sprachliche als auch auf kulturelle Aspekte und bezieht sich dabei auf die in Kapitel 6.3.2 analysierte Forumsdiskussion Le regard des autres. Dort konnte herausgearbeitet werden, dass die Beschäftigung mit den Inhalten der Forumsdiskussion bei Jennifer zu einer Bewusstwerdung von Stereotypen sowie einer dahingehenden Sensibilisierung führte. Es konnte ebenfalls gezeigt werden, dass Jennifer auch die Gelegenheit zur Reflexion ihrer eigenen Kultur wahrnahm. Die mehrsprachige und mehrkulturelle Kommunikation wirkt sich nicht nur positiv auf Jennifers Einstellungen zur Kultur, zur Sprache und zu den SprecherInnen, sondern auch auf ihre Motivation aus. Jennifer verfügt über ein ausgeprägtes Interesse an Sprachen und Kulturen. Das folgende Interviewsegment gibt einen Einblick in die Faktoren, die zum Entstehen ihres Interesses beitrugen und ihre Motivation während der Teilnahme beeinflussten: [I]ch finde es total interessant oder noch interessanter eigentlich jetzt mit anderen Leuten aus anderen Kulturen zu sprechen und dafür eben auch andere Sprachen zu können, und gerade, dass man auch dieses Rumänisch mal in der Gruppe hatte, fand ich das schon ziemlich motivierend eigentlich auch mal, ja in diese Richtung zu denken oder auch mal so eine Sprache zu lernen, wo die Kultur wahrscheinlich uns noch viel ferner ist, als jetzt die italienische oder die französische oder so. (I Z 291-294). Zum einen unterstreicht Jennifer erneut die Möglichkeit, auf der Plattform mit vielen verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in Kontakt treten zu können. Die Anwendung ihrer BS bzw. die fremdsprachige Kommunikation machen einen Großteil ihrer Begeisterung aus. Neben der menschlichen und sprachlichen Dimension sind es wiederum kulturelle Aspekte, die sie als besonders motivierend beschreibt. Vor allem die Präsenz des Rumänischen Einzelfalldarstellungen 204 empfindet sie als bereichernd, was Jennifer damit begründet, dass ihr die rumänische Sprache und Kultur im Vergleich zur französischen oder italienischen unbekannt sind. Dazu führt sie Folgendes aus: „Rumänisch interessiert […] mich halt besonders, weil es […] ist […] kulturell irgendwie […] weiter entfernt und insofern interessiert mich gerade das eigentlich“ (I Z 301-303). Daraus lässt sich schließen, dass sie der von ihr als ‚fern‘ bezeichneten rumänischen Kultur offen und neugierig gegenübersteht, was sich ebenfalls daran zeigt, dass sie zunächst Rumänisch als ZS wählt. Weiterhin führt sie aus, dass auch das weitgehende Verstehen von portugiesischen Beiträgen einen positiven Effekt auf ihre Motivation gehabt habe (I Z 295-296), was nicht ohne Auswirkung auf ihre affektiv-attitudinale Haltung gegenüber Fremdsprachen bleibt: [U]nd das, ja, beeinflusst ja auch die Einstellung zu anderen Sprachen, also wenn man merkt, dass man relativ viel versteht, dass man relativ viel mit dem anfangen kann, was man schon hat und dann auch noch das wahrscheinlich leicht weiter ausbauen könnte, dann motiviert das einen schon und macht einem […] die Sprachen ein bisschen sympathischer. (I Z 291-299) An dem Interviewsegment lässt sich die Lesart entwickeln, dass sich Jennifers Erfahrung mit der interkomprehensiven Kommunikation positiv auf ihre Haltung gegenüber Fremdsprachen auswirkt. Wie bei der Analyse der Forums- und Chatdiskussionen herausgearbeitet werden konnte, verfügt Jennifer über eine umfassende Rezeptionsfähigkeit, die sich nicht nur ihre ZS Italienisch, sondern mehrere ZS betrifft, so dass ihr - bis auf Rumänisch - eine weitgehende Dekodierungsfähigkeit der am Projekt beteiligten Sprachen attestiert werden kann. Jennifer nimmt romanische Sprachen auf der Basis ihrer breit entwickelten Rezeptionsfähigkeit als größtenteils erschließbar wahr, was auch ihr Selbstkonzept beeinflussen dürfte. Sie spricht im Interviewzitat zudem ihr Vorwissen an, das die materielle Grundlage der Verstehensprozesse darstellt und ihr das Verstehen überhaupt erst ermöglicht. Das Vorwissen scheint insofern eine Aufwertung erfahren zu haben (s. o. „dass man relativ viel mit dem anfangen kann, was man schon hat“). Eng mit dem Vorwissen verknüpft ist die schnelle Progression, die Jennifer anspricht. Sie glaubt, dass sich ihr Vorwissen leicht ausweiten lässt, was dafürspricht, dass sie der IC-Methode eine gewisse Effektivität zuschreibt. Insofern schätzt sie den Einsatz der Hypothesengrammatik als hilfreich ein und erwähnt im Interview ihre Dokumentations- und Memorierungsfunktion, die eine Hilfestellung für weitere IC-basierte Kommunikationssituationen ist: „[D]as merkt man sich ja alles […] man [hat] dann auch wirklich was, was einem hilft auch für die nächsten Male“ (I Z 215-219). Die breit entwickelte Rezeptionsfähigkeit, die Aufwertung des Vorwissens sowie die schnelle Progression tragen nicht nur zur Motivation bei, sondern haben auch Konsequenzen in Bezug auf die affektiv-attitudinal Dimension des Jennifer 205 interkomprehensiven Fremdsprachenerwerbs. Jennifers Erleben der mehrsprachigen Kommunikationssituation geht einher mit einer Öffnung hin zu bisher ‚unbekannten‘ romanischen Sprachen, die sie nunmehr als in weiten Teilen als erschließbar wahrnimmt. Die von Jennifer erfahrene Rezeptionsfähigkeit führt zu einer Aufwertung ihrer BS sowie einer Sensibilisierung für die Nutzbarmachung ihrer Vorkenntnisse, wie sich aus dem folgendem Interviewsegment schließen lässt: Also, ich bin vielleicht ein bisschen mehr noch draufgekommen, dass ich meine Brückensprachen anwenden kann, um andere Sprachen zu verstehen. Also, ich denk’ zwar schon, dass ich das vorher auch immer viel gemacht habe, aber man achtet vielleicht jetzt noch viel mehr drauf, was man aus den anderen Sprachen rausziehen kann, was einem behilflich sein kann. Ja. (I Z 250-252) Jennifer erwähnt, ihre BS in der Vergangenheit zum Erschließen anderer Sprachen angewendet zu haben und führt aus, dass die Teilnahme an G ALANET zu einer Bewusstwerdung beitragen habe. Es spricht vieles dafür, dass das Bewusstsein für den Einsatz der BS beim interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb zugenommen hat, wenn sie erklärt, ihrem brückensprachlichen Vorwissen mehr Aufmerksamkeit schenken zu wollen. Des Weiteren lässt sich Jennifers Motivation auch unter einem zeitlichen sowie unter einem inhaltlichen Blickwinkel betrachten. Sie führt aus, dass eine Gewöhnung an den zielsprachlichen Input eingetreten sei, dessen Dekodierung gegen Ende der Projektphase weniger Zeit in Anspruch nahm, als zu Beginn: „[E]in bisschen was war halt auch von vorher hängen geblieben, […] ich konnte dann schon was mit den Formen auch anfangen, und insofern ging das dann auch schneller und war auch irgendwie motivierender als am Anfang dann“ (I Z 197-199). Jennifer beschreibt, dass sie sich bei ihren Aktivitäten auf der Plattform auf Wissen berufen habe, das sie sich bei vorherigen Tätigkeiten angeeignet habe. Der Wissenszuwachs bezieht sich einerseits auf deklarative Wissensbestände, wenn sie ausführt, dass bestimmte grammatische Formen ihr bereits aus der vorherigen Auseinandersetzung mit dem zielsprachlichen Input bekannt waren. Andererseits dürfte sich der Wissenszuwachs aber auch auf prozedurales savoir-faire Wissen beziehen, das sich beim interkomprehensiven Erschließen herausbildet. Daran wird deutlich, dass das lernerrelevante Vorwissen einem ständigen Umformungsprozess unterliegt, denn jede Auseinandersetzung mit zielsprachlichem Input ist eine potentielle Möglichkeit, das Vorwissen anzureichern und bei künftigen IC-Ereignissen kann auf dieses Vorwissen zurückgegriffen werden. Ferner bezieht Jennifer ihre Motivation aus der inhaltlichen Beschäftigung mit den Forumsdiskussionen, wie sich aus der folgenden Aussage ergibt: „Ja, also ich war eigentlich immer recht motiviert, da weiterzumachen und mir auch Beiträge durchzulesen“ (I Z 106). Einen besonderen Stellenwert innerhalb der Forumsdiskussionen nimmt die in Kapitel 6.3.2 betrachtete Diskussion Le regard des autres ein, auf die Jennifer Einzelfalldarstellungen 206 im Interview an mehreren Stellen rekurriert, die ihr ausgeprägtes Interesse an den diskutierten Themen deutlich werden lassen: „[I]ch fand es […] total interessant dieser Forumsbeitrag, wo sie eben auch über die italienische Politik geredet haben“ (I Z 337-338). 6.3.5 Gesamtbetrachtung Jennifer zeigt eine Affinität zu fremden Sprachen und Kulturen, die sich in ihrer SLB besonders deutlich an privat organisierten Auslandsaufenthalten und den anvisierten fakultativen Auslandssemestern zeigt. Obwohl Fremdsprachen in ihrem familiären Umfeld keine besonders große Rolle spielen, kommt sie durch zahlreiche Reisen mit fremden Sprachen und Kulturen in Kontakt, welche entscheidend für ihr Interesse sind. Sie betont, dass ihr nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur des Zielsprachenlandes wichtig ist. Jennifer nutzt des Weiteren Kommunikationssituationen mit MuttersprachlerInnen im In- und Ausland zur Anwendung ihrer Sprachkenntnisse, wobei sie weder auf die asymmetrische Kommunikationssituation, noch auf Fehler eingeht. Sie scheint ihre Motivation sowohl aus einen instrumentellen sowie integrativen Dimension zu ziehen, Hinweise auf extrinsische Motivation lassen sich nicht finden. Ihre Einstellung gegenüber fremden Sprachen und Kulturen ist durchweg von positiven Emotionen wie Begeisterung und Freude sowie Offenheit gekennzeichnet. Anhand der Interaktionen auf der Plattform konnte herausgearbeitet werden, dass Jennifer ein ausgeprägtes Interesse an Sprachen und Kulturen verfügt, das datenübergreifend aus dem Material emergiert. Auffällig ist, dass sie Sprache und Kultur als Einheit konzeptualisiert und daher neben der Möglichkeit, ihre beiden BS Französisch und Spanisch in der Kommunikation mit MuttersprachlerInnen anwenden zu können, auch die Gelegenheit zum interkulturellen Lernen auf der Plattform wahrnimmt. Insbesondere die Präsenz von Rumänisch als distante Sprache und Kultur innerhalb der Romania nimmt Jennifer als Bereicherung wahr. Zunächst entscheidet sie sich aus kulturellen Gründen für Rumänisch als ZS, was allerdings mit einem erhöhten Dekodierungsaufwand einhergeht, der negative motivationale Auswirkungen zur Folge hat, so dass sie schließlich Italienisch als ZS wählt. Im IC-basierten ZS-Erwerb des Rumänischen werden die Grenzen der IC deutlich, da Rumänisch als typologisch distante Sprache aus Jennifer Sicht wenig interkomprehensibel erscheint und sie im Vergleich dazu eine schnellere Progression mit der ZS Italienisch erreichen kann. So konnte gezeigt werden, dass die bloße Rezeption von Forumsdiskussionen dazu beitragen kann, metasprachliche Reflexionen anzubahnen, die Jennifer im LP festhält. Sie stellt Sprachvergleiche an, die nicht nur zeigen, dass sie in der Lage ist, ihr Vorwissen zu aktivieren, sondern auch ihr Jennifer 207 gesamtes mehrsprachiges Repertoire zu mobilisieren, indem sie sprachfamilienübergreifend äquivalente Lexeme zusammenstellt, die inter- und intralinguale Sensibilisierungseffekte zur Folge haben. Jennifer nutzt diese Überlegungen, um ihren weiteren Lernprozess zu steuern und zu planen, wobei gezeigt werden konnte, dass sie strategiegeleitet vorgeht und den Spracherwerb kommunikationsorientiert fasst. Jennifer schätzt ihre Kompetenzen in den ZS als gut ein, was mit entsprechenden Konsequenzen für ihre Selbstwirksamkeit, aber auch eine Einstellungsveränerung in Bezug auf bisher ungelernte Sprachen einhergeht, die sie als in weiten Teilen erschließbar wahrnimmt. Neben der sprachlichen und kulturellen Vielfalt ergibt sich aus Jennifers Sicht auch ein motivierender Effekt aus der inhaltlichen Ausrichtung der Forumsdiskussionen. Im Laufe des Projekts findet eine Fokusverschiebung hin zum interkulturellen Lernen statt, was für eine Habitualisierung an die IC-basierte Kommunikation spricht. Sie nutzt Forumsdiskussionen sowohl rezeptiv als auch produktiv als interkulturelle Lernsituation, indem sie ihren eigenen Standpunkt zu den vorgebrachten Themen reflektiert, sich ihrer Einstellungen bewusst wird und so Fremdverstehensprozesse anbahnt, was zudem auf ihre Reflexionskompetenz verweist. Bezogen auf ihre Chatinterkationen ist festzuhalten, dass Jennifer nicht interkomprehensiv chattet, da ihre ChatpartnerInnen jeweils auch in den von ihr studierten Sprachen kommunizieren. Obwohl Jennifer dies bedauert, ist insofern auffällig, dass sie ihre ChatpartnerInnen nicht um ein Code-Switching bittet. Aus Jennifers Sicht scheint es wichtiger, die Chatkommunikation in Gang zu halten, als eine IC-basierte Kommunikationssituation herzustellen. Ähnliches gilt für die Thematisierung interkulturell brisanter Themen im Chat, denn trotz der Tatsache, dass Jennifer die Oberflächlichkeit der in den Chats verhandelten Themen beklagt, nimmt sie diese nicht als Gelegenheit wahr, interkulturellen Bedeutungsaushandlungen nachzugehen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Jennifer die Mehrsprachigkeit auf G A- LANET sehr positiv erlebt, was einen entsprechenden Einfluss auf ihre Motivation, ihre Einstellungen zu Kulturen und Sprachen sowie der auf der Plattform anwesenden SprecherInnen hat. Auch die IC-Methode bewertet sie als positiv, die eine Aufwertung ihres Vorwissens bewirkt und aus Jennifers Sicht sehr effektiv ist, da sie eine schnelle Progression erlaubt, die mit Auswirkungen auf ihr Selbstkonzept einhergehen. Einzelfalldarstellungen 208 6.4 Sabine 133 Sabine 6.4.1 Kurzporträt Sabine ist deutsche Muttersprachlerin und studiert Englisch und Französisch im 4. Semester für das Lehramt an Gymnasien. Ab Klasse 5 lernt sie verpflichtend Englisch und führt dazu aus: [A]ber ich habe mich schon immer für Englisch interessiert, weil meine Tante bereits vor meiner Geburt nach Amerika ausgewandert ist und sie und meine Cousine und Cousins uns alle paar Jahre besuchen kommen. Dadurch hatte ich schon als kleines Kind Kontakt mit native speakers. (SLB 3-6) Mit ihrer Verwandtschaft kann Sabine ihre Englischkenntnisse anwenden, außerdem agiert sie manchmal als Mediatorin, „was sehr motivierend war“ (SLB 12-13) In der 7. Klasse entscheidet sie sich für Französisch und gegen Latein, weil sie „lieber eine lebendige Sprache erlernen wollte“ (SLB 22). Englisch und Französisch wählt sie schließlich als Leistungskurse, „[W]eil mir in der Schule Sprachen am meisten lagen und ich auch persönliche Bezüge zu ihnen hatte“ (SLB 5). Rückblickend schätzt Sabine ihren Fremdsprachenunterricht in Französisch als „meistens ziemlich schlecht“ (SLB 25) ein und schildert, dass sie ihre Motivation der Mutter, einer Französischlehrerin, zu verdanken habe, die Sabine „zum Lernen ermuntert, […] mit Material ausgestattet und [sie] zu Frankreichaustausch und -exkursionen angemeldet hat“ (SLB 26-27). Sabine verbringt mehrere Wochen in einer französischsprachigen Familie, diese Aufenthalte sind teilweise privat organisiert und machen ihr „sehr viel Spaß“ (SLB 30). Der kommunikative Nutzen, den Sabine aus ihren Fremdsprachenkenntnissen zieht, ist dabei von besonders hohem Stellenwert, wie das folgende Zitat zeigt: Am meisten habe ich mich immer gefreut, dass ich fast alles verstanden habe, was mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben hat und einem auch Respekt bei den Gastgebern eingebracht hat bzw. konnten sie dann nicht so viele Witze machen. Da habe ich schon gemerkt, wie viel Sprache bewirkt wenn es darum geht sich in ein Umfeld zu integrieren. Ich glaube, dass ich in dieser Zeit am meisten gelernt habe. (SLB 31-35) Das Zitat lässt Rückschlüsse auf Sabines Motivation zu, die sowohl instrumenteller („wie viel Sprache bewirkt“) als auch integrativer Art ist („sich in ein Umfeld integrieren“). Des Weiteren erwähnt sie Auswirkungen im Bereich des savoir-être: Sabines Fremdsprachenkenntnisse führen zu einem Gefühl von Selbstsicherheit, das sich positiv auf Sabines Selbstkonzept ausgewirkt haben 133 Sabine legt nach der Teilnahme an G ALANET eine Hausarbeit zum Thema „Förderung autonomen Lernens durch das Interkomprehensionsprojekt G ALANET “ vor, auf die an ausgewählten Stellen Bezug genommen wird (vgl. Kapitel 4.4). Sabine 209 dürfte. Des Weiteren reflektiert Sabine ihre Einstellungen gegenüber ihren beiden Studienfächern und auch ihre Sprachkompetenzen: „Im Französischen habe ich generell einen größeren Bezug zur Sprache und habe mich auch sicherer gefühlt als in Englisch, obwohl ich wahrscheinlich Englisch de facto besser beherrsche“ (SLB 41-43). Die Tatsache, dass sie Französisch bevorzugt, obwohl Teile ihrer Familie aus dem anglophonen Ausland stammen, ist dabei besonders interessant. Mit anderen romanischen Sprachen kommt Sabine bei Reisen nach Spanien bzw. Katalonien in Kontakt: „Meistens habe ich mich dort aber mit Französisch und auch mit Englisch verständigt“ (SLB 51). Vor Beginn des Studiums absolviert sie einen Lateinkurs, den sie mit dem Latinum abschließt: „Darauf bin ich sehr stolz, kann aber leider nichts mehr, was ich in diesen Wochen gelernt habe“ (SLB 65). Trotzdem schätzt sie diese Kenntnisse als hilfreich ein, da sie „die Ausführungen zur Etymologie mancher französischer Wörter in der Veranstaltung ‚Die französische Sprache‘ so besser verstehen“ (SLB 69-71) konnte. Interessant ist, dass sie neben einer Selbsteinschätzung ihrer Kompetenzen in den beiden studierten Fremdsprachen auch ihre ZS Italienisch in ihrer Sprachlernbiographie 134 auf eine differenzierte Weise thematisiert: „Ich spreche […] fließend Englisch und Französisch und habe geringe rezeptive Kenntnisse in Latein und Italienisch“ (SLB 1-2). Grundthemen • Differenzierte Selbsteinschätzung ihrer Sprachkompetenzen (SLB 1-2) • (Mehr-)Sprachenerfahrungen vorhanden (SLB 3-11) • Interesse/ Freude an Sprachen und am Fremdsprachenerwerb (SLB 3-4, 14, 18) • Kontakte zu MuttersprachlerInnen als Motivation (SLB 14-15) • Kommunikativer und integrativer Nutzen von Sprache (SLB 31-35) • Wichtigkeit von Auslandsaufenthalten für den Spracherwerb (SLB 35) • Reflexion ihrer Haltungen gegenüber den beiden Fremdsprachen Englisch und Französisch (SLB 41-43) • Mobilisierung ihres mehrsprachigen Repertoires bei Reisen in das romanophone Ausland (SLB 51) Thematisierung persönlicher Ereignisse • Familie, die in Amerika wohnt und zu Besuch kommt (SLB 3-11) • Auslandsaufenthalte in Frankreich, die teilweise privat organisiert sind (SLB 28-30) Nulldaten • (schlechte) Noten 134 Sabine ist neben Karina (vgl. 6.6.1) die einzige, die ihre ZS in der SLB anspricht. Einzelfalldarstellungen 210 • Hemmungen durch asymmetrische Kommunikationssituation MuttersprachlerIn - Sprachenlernender • Keine explizite Erwähnung der Zielkultur 6.4.2 Interaktion im Forum Sabine bringt sich in insgesamt vier Forumsdiskussionen ein. Im Forum der 2. Phase beteiligt sie sich an den Diskussionen zum Thema Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales und Viaggare… In compagnia di se stessi o di un amico? , von denen sie die erste im LP aufgreift, weswegen sich diese Diskussion für die Analyse eignet, u.a. weil die Analyse durch Rückgriff auf die Datentriangulation mit dem Lernprotokoll erfolgen kann. 135 In der Rückschau stellt Sabine im Interview fest, sich hauptsächlich mit dem Forum beschäftigt zu haben, u.a. weil sie relativ spät entdeckt, wie das Chatten über das ‚Auge‘ funktioniert. 136 Ihre Aktivität im Forum beschreibt sie wie folgt: „[D]as war dann meistens ein bisschen so wie eine Schatzsuche nach irgendwas was man dann halt versteht und dann hat man irgendwelche Details gelernt, die ja, auf die man eben selbst nicht gekommen wäre, also das fand ich schon motivierend“ (Z 24-26). Sabine spricht zum einen die motivationale Wirkung des selbstentdeckenden und selbstgesteuerten Lernens an. Zum anderen konzeptualisiert sie Transferbasen im zielsprachlichen unstrukturierten Input als kostbar und wertvoll, weil diese ihr ein Verstehen der Forumsdiskussionen ermöglichen. Ihr erstes LP gibt einen Einblick in ihre Vorgehensweise - sie versucht, eine Interlinearübersetzung des Satzes „Mi piace l’idea che esistano una marea di diversità al di fuori del nostro paese e del nostro modo di vivere“ 137 (LP Z 18) zu erarbeiten: Versuch: Mir gefällt (plait) die Idee (l’idée), dass (que) eine marea der Diversität (diversité) existiert zu deren fuori unseres (notre) Landes (pays) und unserer Welt (*habe hier zunächst modo mit le monde verwechselt, s.u.) zu leben/ in der wir leben. (LP Z 19) Durch die Interlinearübersetzung identifiziert sie nicht nur Transferbasen im zielsprachlichen Input, welche sie mit ihrer BS kontrastiert, sondern auch 135 Im Forum der 3. Phase beteiligt sich Sabine an der Ausarbeitung des Unterthemas Apprendre une langue par un séjour à l’étranger der Gießener équipe und dessen Organisation in Phase 4. 136 Durch Doppelklick auf das ‚Auge‘ öffnet sich ein Dialogfenster, in dem angezeigt wird, welche TeilnehmerInnen gerade auf der Plattform eingeloggt sind (vgl. Kapitel 4.3.3 bzw. Startseite G ALANET Kapitel 10.1). 137 Es handelt sich um die Forumsdiskussion partir, échanger, raconter in der es um die Thematisierung von Auslandsaufenthalten ging. Der Satz ist dem Beitrag von AlessioS vom 14.03.2010 entnommen. Sabine 211 opake Formen (marea/ fuori). Es zeigt sich, dass Sabine hypothesenbildend vorgeht, denn sie erkennt die für sie nicht erschließbare Form marea vermutlich aufgrund der Endung als weibliches Substantiv („eine marea“, s. o.). Sie zieht schließlich ein Wörterbuch heran und disambiguiert die nicht transparenten Lexeme. Interessant ist, dass sie auch Deutsch mit in die Übersetzung integriert und schließlich ins Englische geht, als sie einen Italiener um Bestätigung ihres Übersetzungsversuches bittet: „[A]nschließend: einen Italiener gefragt; […] ich schreibe ihm meine Hypothese auf Englisch bevor er antwortet („I like the idea that there exists a great diversity outside our country and our world of living? “); (LP Z 23). Sie bindet also MuttersprachlerInnen aktiv in ihren Verstehensprozess ein, indem sie Feedback zu ihrer Hypothese einfordert. 138 Die Einbindung von MuttersprachlerInnen als language learning facilitators nutzt sie neben dem intelligent guessing als Strategie der Bedeutungskonstitution. Zur Frage 1.8) Welche Strategien (z.B. Lern- oder Kommunikationsstrategien) habe ich angewandt? notiert sie im LP „Raten, mir als Schlüsselwörter erscheinende Begriffe nachschlagen, reformulieren und Bedeutung hinterfragen, meine Bedeutung mit der Version eines native speaker abchecken“ (LP Z 37). Außerdem zeigen sich retroaktive Festigungseffekte in Bezug auf ihre BS, wenn sie Folgendes feststellt: „[A]ls ich den Satz nochmals durchlese, erinnere mich an das frz. Wort la marée noire aus meinem Praktikumsunterricht“ (LP Z 26). Sabine kommt durch die Auseinandersetzung mit dem zielsprachlichen Input im Forum zu tiefgehenden Reflexionen im LP. Sie reflektiert und kommentiert ihre Vorgehensweise, indem sie die Hypothesenerstellung und -testung an einem Beispielsatz nachvollzieht, den sie offenbar en détail verstehen will. Im weiteren Verlauf ihrer Teilnahme ergibt sich jedoch eine Veränderung in Bezug auf das Detailverstehen, denn sie notiert im LP der 2. Phase 139 vom 01.04.2010 unter 1.5) Wo habe ich Fortschritte gemacht? : „Ich habe mich nicht mehr an einzelnen Sätzen festgebissen, sondern viele Forumseinträge so überflogen, dass ich die Kernideen verstanden habe“ (Z 94-95). Aus Sabines Sicht scheint die Konzentration auf das globale Verstehen der Forumsbeiträge als Progression, da sie feststellt, dass es genügt, den Inhalt der Nachrichten zu- 138 Zwei Gründe sprechen dafür, dass Sabine bei der Feedbackeinholung über die Plattform hinausgeht: Zum einen wechselt sie für die Bestätigung ihrer Hypothese ins Englische. Für die Disambiguierung auf der Plattform hätte sich das typologisch näherliegende Französisch eher angeboten. Sabine hätte auch davon ausgehen können, dass ihr Gegenüber Französisch versteht, aber offenbar dient Englisch in der Kommunikation mit dem Italiener als lingua franca. Zum anderen erwähnt sie erstmals im LP der 3. Phase auf der Plattform gechattet zu haben (LP Z 286, vgl. auch Interview Z 29-31), so dass Sabine vermutlich Medien außerhalb der Plattform konsultiert, um Feedback einzuholen. 139 Sabine gibt für die Phase 2 insgesamt drei Lernprotokolle ab (01.04., 04.04., 09.04.), die im Folgenden mit Datumsangabe zitiert werden. Einzelfalldarstellungen 212 mindest grob zu verstehen. In ihrem dritten LP der 2. Phase vom 09.04.10 notiert sie unter 1.8): „Ich habe mir mehrere Einträge durchgelesen ohne alles zu verstehen und trotzdem das Wichtigste erfasst meiner Meinung nach“ (LP Z 232). Sie fährt also mit der Anwendung Arbeitsstrategie in Bezug auf das Globalverstehen fort, da sie der Ansicht ist, dass diese zielführend sei. Außerdem lässt sich an diesem Zitat eine Ambiguitätstoleranz ablesen, denn Sabine scheint es zu genügen, die Essenz der Beiträge zu verstehen. Diese Lesart wird durch Hinzuziehen des folgenden Interviewsegments gestützt: I: Wenn Du Deine Interaktion vergleichst, am Anfang und am Ende, gibt es da irgendeinen Unterschied, hat sich da irgendwas verändert bei Dir? S: Ja, also am Anfang, da hab’ ich eigentlich nur versucht, Texte zu übersetzen, […] also, dass wir dieses selbstgesteuerte Lernen irgendwie reflektieren sollen, und so, das war mir am Anfang nicht so wichtig. Ich wollte einfach nur diese Texte im Forum lesen und hab’ dann halt so Wort für Wort übersetzt und am Ende habe ich mir dann auch über andere Sachen Gedanken gemacht, wie jetzt z.B. in diesen Chats halt, wie das dann wirklich mit der Kommunikation funktioniert und so. (I Z 47-52) Die Auszüge aus den LP und das vorstehende Interviewzitat belegen, dass Sabines Verstehensstrategie sich anfangs auf das Übersetzen von Forumsbeiträgen bezieht. Es scheint, als ob ihr Fokus zu Beginn der Teilnahme eher auf der sprachlich-kognitiven Seite von IC lag. Diese Fokussierung bietet zunächst nicht viel Spielraum für anderweitige Reflexionen, u.a., weil ein Detailverstehen der zahlreichen Forumsbeiträge mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist. Im Laufe der Projektphase passt Sabine allerdings ihre Arbeitsstrategien an, indem sie nunmehr ein Globalverstehen der Beiträge vorzieht. Das deutet darauf hin, dass allmählich eine Habitualisierung an die Dekodierung des mehrsprachigen Inputs eingetreten ist. Die Habitualisierung ermöglicht es ihr schließlich, den Blick auch auf andere Bereiche zu richten, z.B. darauf, wie interkomprehensiv-basierte Chatkommunikation funktioniert. Forumsdiskussion Phase 2: Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales In Phase 2 beteiligt sich Sabine an der vorgenannten Forumsdiskussion. Der Einleitungstext fragt nach persönlichen Sprachlernerfahrungen der TeilnehmerInnen mit dem Internet, z.B. wie sie die Rezeption von Filmen oder Serien in der Originalversion für den Fremdsprachenerwerb einschätzen. Der folgende Datenauszug zeigt den Einleitungstext sowie einen Auszug aus der Diskussion (siehe Datenauszüge 18 und 19). Sabine 213 Datenauszug 18: Einleitungstext Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales andriesA bestätigt in ihrem Beitrag vom 28.03.2010 zunächst das bereits vorgebrachte Argument, dass ein Auslandsaufenthalt die beste Methode sei, um eine Fremdsprache zu erwerben und erwähnt in diesem Zusammenhang die Metapher des Sprachbades. Gleichzeitig macht sie die Einschränkung, dass ein Auslandsaufenthalt auch mit finanziellen Aufwendungen verbunden sei. Obwohl der Einleitungstext der Diskussion ausdrücklich nach den individuellen Sprachlernerfahrungen der TeilnehmerInnen mit dem Internet fragt, bringt andriesA die LehrerInnenperspektive in die Diskussion ein, indem sie behauptet, dass neuere didaktische Methoden sich zunehmend auf audiovisuellen Sprachinput stützten. Sie führt damit eine Metaebene in die Diskussion ein, die internetgestützten Fremdsprachenerwerb aus der LehrerInnenperspektive beleuchtet. DanielaF (29.03.2010) gibt zunächst einen Einblick in ihre Erfahrungen bezüglich des internetgestützten Fremdsprachenlernens, bevor sie auch auf Auslandsaufenthalte zu sprechen kommt, die sie ebenfalls für unabdingbar hält. LorenaGB (30.03.2010) greift nach der Darstellung ihrer persönlichen Sichtweise erneut die LehrerInnenperspektive auf - sie bezeichnet das Internet als „una herramienta imprescindible en la enseñanza“. LauraBeneroso (31.03.2010) unterstreicht erneut die Wichtigkeit des Internets in Bezug auf das Fremdsprachenlernen, wenn sie die Möglichkeit skizziert, das Internet zur Schulung der Aussprache heranzuziehen. Sabine greift in ihrem Beitrag (01.04.2010) schließlich zunächst das Argument bezüglich des Auslandsaufenthaltes auf, das sie bestätigt. Einzelfalldarstellungen 214 Datenauszug 19: Forumsauszug Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales Die Tatsache, dass das Thema Auslandsaufenthalt datenübergreifend aus dem Material emergiert und sowohl in ihrer SLB als auch in Sabines Forums- und Chatdaten Erwähnung findet, unterstreicht dessen Wichtigkeit aus Sabines Sicht. Sie macht in der hier in Rede stehenden Forumsdiskussion ebenfalls eine Einschränkung dahingehend, dass das Internet nicht nur finanziell gesehen Sabine 215 eine günstige Methode sei, um mit einer (Fremd-)Sprache in Kontakt zu kommen. Sie greift schließlich die von andriesA eingebrachte Sprachbad-Metapher auf und trägt vor, dass internetbasierte Methoden als unterstützende Maßnahmen (z.B. in Form der geposteten Podcasts) für einen Auslandsaufenthalt gewinnbringend sein können, um so den « contacte ‚réel‘ avec des natifs » vorzubereiten. Die Forumsdiskussion Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales regt die TeilnehmerInnen dazu an, über ihre persönlichen Sprachlernerfahrungen mit dem Internet zu reflektieren. Die Tatsache, dass immer wieder auf Auslandsaufenthalte als effektivste Methode des Fremdsprachenerwerbs rekurriert wird spricht dafür, dass dieses Argument als gemeinsamer Fluchtpunkt der Perspektiven ausgemacht werden kann. Die TeilnehmerInnen sind sich über die Effizienz des immersiven Spracherwerbs einig und tragen dies entweder explizit vor bzw. weisen dahingehende Argumente nicht zurück. Außerdem fällt auf, dass einige DiskussionsteilnehmerInnen neben der individuellen Sichtweise auf das Thema auch die LehrerInnenbzw. Schüler- Innenperspektive ansprechen, indem sie auf Vorteile internetgestützten Unterrichtens verweisen, so dass hier ein Wechsel der Perspektiven ausgemacht werden kann. Auch wenn Sabine diesen Perspektivenwechsel in dem hier analysierten Beispiel nicht vornimmt, lässt sich anhand ihres Beitrages sowie aus ihrem LP, in dem sie die Diskussion aufgreift, ableiten, dass sie nicht nur thematischen Reflexionen, sondern auch sprachlichen Reflexionen nachgeht. Sie analysiert ihren sprachlichen Dekodierungsprozess des Beitrages von DanielaF (29.03.2010, s. o.) im LP unter 1.3) Ich habe heute Rückgriff auf folgende Vorkenntnisse bzw. Sprachen genommen wie folgt: • Ich erschließe mir die Forumseinträge mithilfe meiner Französischkenntnisse, z.B. wie folgt (die roten Ausdrücke 140 habe ich nicht mit Französisch herleiten können, aber teilweise mit Hilfe des Kontextes (tg und tenemos) und dem Wörterbuch (películas, da lo) erraten): • yo utilizo mucho Internet. veo películas en lengua original, chateo con mis amigos extranjeros, escucho la radio, programas, canciones, veo el tg en lengua original, pero soy de la opinión que para el aprendizaje de una lengua tenemos que ir al extranjero, porque una lengua no es solo gramática. para conocer bien una lengua tenemos que conocer bien su cultura, su historia, vivir con sus hablantes. Internet es una buena posibilidad para mejorar y practicar pero no nos da lo que necesitamos para ser bilingue! ! ! ! (LP Z 88-89) Sabine setzt sich intensiv mit der spanischen Nachricht (Beitrag DanielaF 29.03.10) auseinander und filtert opake Lexeme heraus, die sie in ihrem LP rot unterlegt. Den Großteil der Nachricht dekodiert sie auf der Grundlage ihrer BS Französisch. Für die Disambiguierung opaker Lexeme benutzt sie den Kotext, 140 In obigem und im folgenden Datenauszug handelt es sich um die unterstrichenen Lexeme. Einzelfalldarstellungen 216 d.h. die sprachliche Umgebung, in die ein Lexem eingebettet ist (von Sabine als Kontext bezeichnet) und ein Wörterbuch für die Lexeme, die nicht ableitbar sind. Sie nimmt schließlich eine direkte Übertragung in ihre BS Französisch vor, d.h. sie geht nun nicht mehr den ‚Umweg‘ über ihre L 1 Deutsch, wie im ersten LP (s. o.): J’utilise beaucoup l’internet. Je regarde des films en la langue originale, je chatte avec mes amis étrangers, j’écoute la radio, des programmes, des chansons, je regarde la télé (tg ? ! ) en la langue originale, mais je suis de l’opinion que pour apprendre une langue tenemos qu’on va à l’étranger, parce qu’une langue n’est pas seulement de la grammaticale. Pour bien connaître une langue il faut (tenemos? ) bien connaître sa culture, son histoire, vivre avec ses locuteurs. L’internet est une bonne possibilité pour améliorer et pratiquer mais nous n’en sortons (da lo ? ) pas nécessairement « bilingue » ! ! (LP Z 90) Durch intelligent guessing und die Zuhilfenahme des Kotextes erschließt sie das Akronym „tg“, d.h. sie füllt die Lücke mit dem ihr sinnhaft erscheinenden Lexem « télé », das sowohl in den Koals auch in den Kontext passt. 141 Das Verb „tenemos“ disambiguiert sie auf ebenfalls auf diese Weise, indem sie es mit « il faut » übersetzt. Dazu notiert sie im LP: „tenemos hat für mich ausgesehen wie ein Verb in der ersten Person Plural, aber vom Kontext her müsste es « il faut » bedeuten“ (Z 91). Auch die inhaltliche Übertragung des letzten Satzes mit der opaken Form „da lo“ gelingt. Obwohl sie im LP festhält, das Detailverstehen durch die Dekodierung einzelner Sätze zugunsten des Globalverstehens aufgegeben zu haben („Ich habe mich nicht mehr an einzelnen Sätzen festgebissen, sondern viele Forumseinträge so überflogen, dass ich die Kernideen verstanden habe“ (LP Z 94-95), versucht Sabine, die Argumente der vorherigen Beiträge vollständig zu verstehen, bevor sie einen eigenen Beitrag postet. Eine mögliche Erklärung dieser Vorgehensweise ist, dass sie Argumente nicht mehrfach vorbringen möchte. Unter 3.4) Gab es Frustrationserlebnisse? notiert sie: Dadurch, dass ich nicht alle Forumseinträge verstehe, ist es schwer sich einen eigenen zu überlegen. Man will ja nicht etwas wiederholen, das schon zehnmal gesagt wurde, und das man nur nicht auf Italienisch od. Spanisch verstanden hat. (LP Z 129-130) Die Forumsdiskussion umfasst italienische, französische und spanische Beiträge. Als Sabine sich am 01.04. in die Diskussion einbringt, wurden bereits 17 Beiträge gepostet. Die Tatsache, dass sie sich direkt auf das Posting von andriesA bezieht und auch die Postings jüngeren Datums en détail verstehen will spricht dafür, dass sie den Diskurscharakter des Forums wahrnimmt. Dazu ist es nötig, nicht nur Beiträge in der gewählten ZS - in Sabines Fall Italienisch - 141 Bei „tg“ handelt es sich um ein italienisches Akronym, das für „telegiornale“ steht und von der italophonen Muttersprachlerin DanielaF im Rahmen eines Code-switchings verwendet wird. Sabine 217 zu lesen und zu verstehen, sondern sich auch die übrigen Diskussionsbeiträge zu erschließen. Auch wenn dies aus Sabines Sicht zunächst zu Frustrationserlebnissen führt, spricht doch vieles dafür, dass diese Vorgehensweise nicht nur zu einer breiten Rezeptionsfähigkeit führt, sondern auch sprachbewusstheitsfördernde Prozesse zur Folge hat, u.a. weil Sabine diese Gelegenheit nutzt, um sich im LP intensiv mit den ZS auseinanderzusetzen. Dennoch ist festzuhalten, dass nicht nur die sprachliche, sondern auch die thematische Vielfalt bzw. die hohe Anzahl an Threads zu demotivierenden Momenten führen können, wie sich aus ihrem LP ergibt: „Ich wusste zuerst nicht bei welchem Thema ich anfangen sollte zu lesen und konnte die große Menge an Einträgen und Hyperlinks, die zu zusätzlichen Informationen und Liedern etc. führen, nicht wirklich überschauen“ (LP Z 128). In der Folge konzentriert sie sich auf Beiträge in ihrer BS Französisch und strukturiert so den Input: „Ich habe die Forumseinträge, deren Thema mir unbekannt ist, nach französischen Einträgen durchsucht und versucht mir dadurch einen Überblick zu verschaffen“ (LP Z 101). Forumsdiskussion Phase 2: A propos des préjugés Darüber hinaus erwähnt Sabine im LP der 2. Phase vom 01.04.10, Forumseinträge zum Thread A propos de préjugés gelesen zu haben. Sie beteiligt sich zwar nicht aktiv an der Diskussion, thematisiert aber im LP ihre Überlegungen. Der folgende Datenauszug zeigt den Einleitungstext der Diskussion: Datenauszug 20: Einleitungstext A propos des préjugés Unter 2.3) des LPs Ich bin mit Autound/ oder Heterostereotypen in Berührung gekommen. Wenn ja, in welchem Kontext notiert sie: „[M]ir [ist] erstmals klargeworden, dass man zwischen Vorurteilen und Stereotypen unterscheiden kann. Darüber hatte ich vorher nie nachgedacht“ (LP Z 114). Sie fährt mit ihren Überlegungen fort: 2.4 Ich hatte Gelegenheit zum Perspektivenwechsel bzw. übernahme. Wenn ja, in welchem Kontext? Im selben Kontext wie in 2.3 habe ich überlegt, worin für mich der Unterschied zwischen beiden Wörtern besteht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich der Meinung, dass „Vorurteil“ negativer besetzt ist als „Stereotyp“, zu- Einzelfalldarstellungen 218 stimmen kann. Es fällt mir jedoch schwer unterschiedliche Beispiele für Vorurteile und Stereotype, die ich gegenüber einer Kultur habe, zu nennen. Ich frage mich, ob ein Vorurteil, dessen man sich bewusst ist, überhaupt noch Vorurteil genannt werden kann. (Z 117) In der Diskussion wird die Meinung vertreten, dass Vorurteile typischerweise negativ konnotiert sind, während Stereotype sowohl positiv als auch negativ sein können (z.B. Beitrag GABRIEL 22.03.10: « Je crois que dire que les Italiens sont attachés à leur mère est plutot un stéréotype et non un préjugé. Le stéréotype n’a rien de très négatif. Dire que, par example, les Tsiganes sont tous des voleurs, c’est un préjugés »). Durch die Rezeption der Beiträge reflektiert Sabine die vorgebrachten Argumente und positioniert sich dazu, was dazu führt, dass sie sich der Differenzierung von Vorurteilen rezeptionsorientierte Teilnahme an Forumsdiskussionen dazu geeignet ist, den Fokus nicht nur auf den IC-basierten Spracherwerb zu richten, indem dieser analysiert und reflektiert wird. Auch die Rezeption von Forumsdiskussionen eignet sich durch ihre inhaltliche Ausrichtung dazu, kulturelle Verstehensprozesse zu initiieren. Im zweiten LP der 2. Phase vom 04.04.10 hält Sabine unter 1.5) Wo habe ich Fortschritte gemacht? fest, sich „erstmals eine Sendung im italienischen Fernsehen angesehen“ zu haben (Z 169). Das Thema der Forumsdiskussion lautet „Alla ricerca di mondi e sapori sempre nuovi....“; im Einleitungstext wird nach Lieblingsgerichten der TeilnehmerInnen gefragt (“Quali sono i piatti tipici delle vostre tradizioni culinarie, e soprattutto qual’è la pietanza che amate di più? “). Sabine rezipiert die Diskussion aufmerksam, denn sie notiert unter 2.2) Ich habe etwas über soziokulturelles Handlungswissen (z.B. Rituale, Traditionen, Konventionen, etc.) gelernt Folgendes: In Italien ist Kochen eine Tradition und Leidenschaft. (So gab es z.B. bei Tania Palazzo’s Großmutter regelmäßig Pasta al forno alla siciliana, und wie DanielaF berichtet ist es in der Stadt Sasari Tradition Lasagne/ Ravioli/ Gnocchi als ersten und Lamm als zweiten Gang zu essen.) Ich habe mir Informationen über ein paar Kochshows angesehen, wie z.B. der „Prova del cuoco“. (LP Z 183-185) Durch die Forumsdiskussion erhält Sabine einerseits einen Einblick in die kulturelle Praxis aus der Innenperspektive der beteiligten Personen. Sie sorgt andererseits auch für weiteren Input in ihrer ZS Italienisch, als sie dem Link zur Kochshow prova del cuoco folgt, den Tanya am 31.03.10 postet. 142 Sabine versucht sich im Hörsehverstehen und geht damit nicht nur über die Plattform hinaus, sondern gleicht auch die Abwesenheit von gesprochener Sprache auf der Plattform aus. Während dem Fortgang der Projektphase greift Sabine immer wieder auf zusätzlichen Input in Form von Audiodokumenten zurück bzw. macht Grammatikübungen auf einer externen Website (LP Z 289-291). Sie 142 www.youtube.com/ watch? v=eDO_m7S-Pr4. Sabine 219 kauft sich sogar ein Buch in ihrer ZS (vgl. Kapitel 6.4.3 Chat Sabine-MariaGrazia), was dafürspricht, dass Sabine ihren Lernprozess selbstgesteuert und autonom gestaltet. Durch die intensive Auseinandersetzung mit ihrer ZS einerseits und durch die zusätzliche Inputbeschaffung andererseits kommt es zu sprachbewusstheitsfördernden Effekten, denn sie hält im zweiten LP der 2. Phase vom 09.04.10 Folgendes fest: „Die italienischen und spanischen Einträge kommen mir nicht mehr so fremd vor und ich kann Sätze etwas schneller zusammenbasteln als zu Beginn“ (Z 226). 6.4.3 Interaktion im Chat Von Sabine liegen zwei Chats vor. Ihre erste Chatbegegnung mit MariaGrazia (Chat 4: Sabine - MariaGrazia, 187 turns) reflektiert sie im LP der 3. Phase. Auszüge des Chats wurden Sabine zu Beginn des Interviews als stimulated recall vorgelegt, so dass sich im Sinne der Datentriangulation eine Analyse anbietet. Der zweite Chat (Chat 5: Sabine - antonella67, 16 turns) eignet sich deswegen für eine genauere Betrachtung, da es zu Irritationen kommt, die u.a. eine Modifizierung der Partnerhypothese zur Folge haben. Sabine ist netzaffin und chattet auch privat gerne. Die Arbeit mit neuen Medien hat auf sie nicht nur eine motivationsfördernde Wirkung, sondern ist auch einer der Gründe, weshalb sie sich für die Teilnahme am Seminar entschieden hat: [D]as mit dem Chat hat mich sehr angezogen, weil ich selbst gern viel eben chatte und im Internet tätig bin und ja, […] an der Uni hab’ ich bis jetzt noch nichts gemacht, was irgendwie, ja, das Internet oder neue Medien groß integriert und ja, das war dann eigentlich meine Motivation da mitzumachen. (I Z 8-10) Selbstgesteuertes Lernen bzw. die Möglichkeit zum Aktivwerden im Chat ist für Sabine ein weiterer Anlass, das Seminar zu belegen: „Und dadurch, dass es halt Chat war, […] also es ist nicht nur irgendwie in der Uni sitzen, sondern das man da halt eben auch selbst mitmachen kann zu Hause“ (I Z 15-17). Obwohl sie bereits Erfahrungen mit dem Chatten hat, findet sie bei ihrer Tätigkeit auf der Plattform erst gegen Mitte der Projektphase heraus, wie das Chatten funktioniert: „Also bei mir war’s halt so, dass ich erst relativ spät gecheckt hab’, wie das funktioniert mit dem Auge mit dem Chatten, und ja, deswegen bin ich halt dazu erst relativ spät gekommen, das hätte mir vielleicht Spaß gemacht, das irgendwie früher zu entdecken“ (I Z 29-31). Im LP der 3. Phase notiert sie unter 1.5) Wo habe ich Fortschritte gemacht? „ich habe endlich mal gechattet“ (Z 285-286) und bezieht sich damit auf ihre Chatkonversation mit MariaGrazia, die sie im LP aufgreift. Die Motivation bzgl. des Chattens besteht für Sabine v. a. in der Tatsache, dass sie im Chat mit kürzeren und weniger Einzelfalldarstellungen 220 komplexen Sätzen konfrontiert ist, als dies im Forum der Fall ist. Bei der Auseinandersetzung mit dem zielsprachlichen Input spielt für sie aber nicht nur die Beschaffenheit der Sätze, sondern auch die Textlänge der Forumsbeiträge eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass sie im Chat jederzeit direktes Feedback einholen kann. Aber auch inhaltliche Faktoren sind aus Sabines Sicht bedeutsam in Bezug auf ihre Motivation: S: […] Also, ich find’s im Chat viel einfacher jemanden zu verstehen, weil die Äußerungen viel kürzer sind und weil man ständig nachfragen kann. Also, das ist mir eigentlich viel leichter gefallen als jetzt in den Forumsbeiträgen, weil‘s ja viel komplexere Sätze waren und längere Texte auch. Und es ist auch noch motivierender im Chat finde ich. I: Ok, warum? S: Weil man halt eben sofort gleich wieder eine Rückmeldung bekommt, eine Antwort oder was fragen kann, was einen interessiert so. (I Z 158-163) Sabine berichtet aber nicht nur vom motivierenden Einfluss des Chattens auf ihre Person, sondern sie vollzieht einen Rollenbzw. Perspektivenwechsel, indem sie mehrfach auf das motivierende Potential für ihre zukünftigen SchülerInnen zu sprechen kommt. Sie ist offenbar in der Lage, ihre eigenen Erfahrungen mit dem medialen bzw. interaktiven Lernarrangement für ihre zukünftige Tätigkeit als Lehrende prospektiv nutzbar zu machen: [D]ass es sehr motivierend ist, so mit Chats zu arbeiten, dass man das vielleicht selbst dann auch weitergeben kann […] Dass das eine gute Möglichkeit ist für Schüler, weil sie dann eben motivierter sind, wenn sie im Chat sehen, ok, die Sache verstehe ich nicht, dass man die dann eben sofort nachguckt und sich das dann auch besser merken kann im Kontext. Als wenn man halt irgendwie Übungen macht in einem Buch und Texte liest. (I Z 175-179). Neben motivationalen Faktoren spricht Sabine im obigen Zitat auch die Möglichkeit der konkreten Sprachanwendung im Chat an. Ihrer Ansicht nach führt diese Art der Kommunikation schülerseits zu erhöhten Behaltensleistungen, da sich so erworbenes Wissen durch die Einbettung in einen Kontext besser abrufen lasse. Dem (bedeutungsvollen) Sprachgebrauch in der konkreten Kommunikationssituation stellt sie das Sprachenlernen mit dem Schulbuch gegenüber, das in ihrer Bewertung sowohl auf der motivational-affektiven als auch auf der kognitiven Seite schlechter abschneidet. Es ist aber nicht nur das Motivationspotential des Chattens an sich, das sie für ihre potentiellen SchülerInnen wahrnimmt, sondern auch die Relevanz ihrer eigenen Erfahrungen bzgl. der interkulturellen Kommunikationssituation für ihren künftigen Beruf. Auf meinen letzten Frageimpuls im Interview („Ich habe jetzt keine weiteren Fragen mehr. […] Gibt es noch etwas das Du sagen möchtest? “) entgegnet sie: „Und ich denke, […] also diese Erfahrung, wie man anhand von Chats lernen kann, wie man mit anderen Kulturen kommunizieren kann, dass ich das wahrscheinlich auch im Unterricht ein bisschen weitergeben kann“ (I Z 407-409). Die Sabine 221 von ihr vollzogenen Rollenwechsel von der Sprachenlernerin auf G ALANET zur Sprachenlehrenden deuten darauf hin, dass sie ihre persönlichen Erfahrungen auch für ihren zukünftigen Beruf fruchtbar machen möchte. Chat 4: Sabine - MariaGrazia 1 Sabine> salut : ) 2 MariaGrazia> Salut! =) 3 Sabine> est-ce que tu es aussi en train de réfléchir ce que 4 tu pourrais écrire pour Galanet? 5 MariaGrazia> ahahahh 6 MariaGrazia> je sius en train d ecrire la rubrique 7 Sabine> oh no j’ai pensé que tu parles italien : P 8 Sabine> je voulais essayer si je comprends qc lol 9 MariaGrazia> oui, je suis italienne! ! 10 MariaGrazia> se vuoi, scrivo in italiano! 11 Sabine> oui je veux bien... 12 Sabine> je vais seulement demander bcp de questions si je ne 13 comprends pas ; ) 14 MariaGrazia> prego, dica pure! =) 15 Sabine> elle s’appelle comment, la rubrique sur laquelle tu 16 écris? 17 MariaGrazia> mon equipe s appelle Shardana 18 Sabine> ah okay 19 Sabine> moi, je suis de l’équipe de Giessen 20 Sabine> et Shardana, c’est donc une ville en Italie? 21 MariaGrazia> eheh, es plus que une ville 22 MariaGrazia> è un isola 23 Sabine> scrive in italiano si.. 24 Sabine> ahhh cool! 25 MariaGrazia> la Sardegna! 26 MariaGrazia> Sardaigne 27 Sabine> scusi pour mon mauvais savoir de géographie : P 28 Sabine> et est-ce que c’est une ville près de la mer? 29 MariaGrazia> è un antico nome che èstato attribuito alla 30 Sardegna 31 MariaGrazia> La città del mio gruppo è Sassari Datenauszug 21: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 1 Sabine initiiert den Chat und begrüßt die italienische Teilnehmerin in ihrer BS Französisch (1), MariaGrazia erwidert die Begrüßung ebenfalls auf Französisch (2). Sabine fragt in (3+4) danach, was ihre Chatpartnerin gerade auf der Plattform mache, was diese wiederum auf Französisch beantwortet (6). Sabine Einzelfalldarstellungen 222 bringt explizit ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass ihre Chatpartnerin auf Französischen kommuniziert (7) und begründet dies damit, sich im Verstehen des Italienischen versuchen zu wollen (8). MariaGrazia geht schließlich auf Sabines Wunsch ein (10), was von Sabine in Zeile (11) ausdrücklich begrüßt wird. MariaGrazia kommuniziert daraufhin in der Folge zumindest kurzzeitig auf Italienisch (10, 14, 22). An der Chatsequenz zeigt sich, dass Sabine und MariaGrazia die konkrete Sprachverwendung aushandeln und sich schließlich auf einen interkomprehensiven Chat in den Sprachen Französisch und Italienisch einigen. Es zeigt sich aber auch, dass diese Übereinkunft nicht statisch ist, sondern ggf. neu verhandelt werden muss, da MariaGrazia abermals ins Französische wechselt (17, 21). Dieses Code-switching führt in der Konsequenz bei Sabine zwar nicht dazu, ihr Gegenüber erneut explizit um einen Sprachwechsel zu bitten. Vielmehr bestärkt Sabine MariaGrazia nach deren italienischen Äußerung in Zeile (22) darin, doch mit der Verwendung des Italienischen fortzufahren, wofür sich Sabine sogar ihrer ZS bedient (23). Im Interview greife ich obige Chatsequenz auf und frage Sabine, weshalb sie MariaGrazia nachdrücklich um einen Sprachwechsel bat, wozu sie Folgendes entgegnet: „[W]eil ich das ja wissen wollte, ob ich’s dann verstehe, wenn sie auf Italienisch spricht, weil mit Leuten Französisch geredet hab’ ich ja schon und ich wollte eben das dann auch mit der Interkomprehension ausprobieren“ (I Z 264-265). Im LP der 3. Phase notiert Sabine: 3.4 Gab es Frustrationserlebnisse? Wenn ja, welche u. wie bin ich damit umgegangen? Ich war etwas überrascht, als Maria mir auf Französisch geantwortet hat. Ich hatte in ihrem Profil gelesen, dass sie Italienerin ist. Also habe ich sie gebeten Italienisch zu sprechen, damit ich ausprobieren kann, wie viel ich verstehe. Sabine gibt sich nicht damit zufrieden, einen einsprachigen Chat in ihrer BS Französisch zu führen. Sie will ihre zielsprachliche Rezeptionsfähigkeit testen, was sie nicht nur im Interview, sondern auch im Chat und im Lernprotokoll bekräftigt. Ihr Wunsch nach interkomprehensiver Kommunikation emergiert datenübergreifend, woran sich die Lesart entwickeln lässt, dass Sabine neugierig und offen gegenüber dem interkomprehensiven Chat ist. Im Chat mit MariaGrazia nimmt sie eine Selbsteinschätzung ihrer rezeptiven Kompetenzen bezüglich der ZS Italienisch vor, wenn sie potentielle Verständnisschwierigkeiten antizipiert und ausführt, dass sie vermutlich viele Fragen stellen werde (12-13). MariaGrazia ermutigt und bestärkt sie darin, nachzufragen (14), so dass eine vertrauensvolle Lernbzw. Interaktionsatmosphäre schafft und Sabines interkomprehensiven Spracherwerb unterstützend begleitet, wie im Folgenden noch gezeigt wird. An der obigen Chatsequenz zeigt sich des Weiteren, dass sprachliche Missverständnisse nicht zwingend einer Klärung bedürfen. Sabine fragt in den Zeilen (15+16) nach der Rubrik für das dossier de presse, die von MariaGrazia in Sabine 223 Zeile (6) thematisiert wurde. Sie entgegnet darauf, dass ihre équipe Shardana heißt (17), was Sabines Frage nicht beantwortet. Im Interview frage ich Sabine, warum sie das Missverständnis nicht aufgeklärt hat. Sie führt Folgendes aus: [E]s war mir egal, weil mir ging’s ja einfach nur darum, jetzt diesen Chat irgendwie ins Laufen zu bringen, und […] ich wollte einfach ein bisschen mehr über sie erfahren, und was sie macht, woher sie kommt. (I Z 272-274) Den Chat in Gang zu halten hatte in diesem Moment offensichtlich größere Relevanz als die Beantwortung ihrer Frage, so dass Sabine sich auf das Thema einlässt und auf die neue Information reagiert, indem sie den Namen ihrer équipe (19) nennt. Möglicherweise inferiert sie anhand des Gießener équipe- Namens, dass es sich bei Shardana ebenfalls um eine Stadt handeln könnte (20), was von MariaGrazia allerdings verneint wird (21+22). Die Thematisierung des Herkunftsortes der italienischen Teilnehmerin bzw. die Disambiguierung, dass es sich bei Shardana um die italienische Insel Sardinien handelt, führt bei Sabine zum Erwerb landeskundlichen Wissens. Sie notiert im LP unter 2.1) Ich habe neue landeskundliche Informationen […] erworben: „Shardana (antiker/ alter Name) = Sardegna (ital) = Sardaigne (frz) = die Insel Sardinien. Sassari ist eine Stadt im Nordwesten Sardiniens. Von dort aus ist man in weniger als einer halben Stunde am Meer“ (LP Z 304-305). Obwohl Sabine in ihrer Selbsteinschätzung bzgl. ihrer Rezeptionsfähigkeit des Italienischen sehr vorsichtig ist und zu Beginn des Chats eventuelle Verständnisprobleme antizipiert, kommt es im Verlauf der Unterhaltung nicht zu nennenswerten sprachlichen Missverständnissen, die die Chatkommunikation beeinträchtigt hätten. Sabine greift vielmehr auf Verständnissicherungsstrategien zurück, indem sie Maria- Grazias Äußerungen in ihrer BS reformuliert und mit einem Fragezeichen versieht, so dass sie ihre Chatpartnerin explizit um Bestätigung ihrer Hypothese bittet (34). Im LP notiert Sabine unter 1.8) Welche Strategien (z.B. Lern- oder Kommunikationsstrategien) habe ich angewandt? „[I]ch habe häufig Rückfragen gestellt, um mich zu vergewissern, ob ich richtig verstanden habe“ (LP Z 293-294). Sabine scheint Reformulierungen als Strategie zum Verstehen als effektiv einzuschätzen, denn sie setzt im weiteren Verlauf des Chats immer wieder Paraphrasierungen in ihrer BS ein, die MariaGrazia daraufhin bestätigt: 32 […] 33 MariaGrazia> io sono andata la settimana passata al mare 34 Sabine> la semaine dernière tu etais a la mer? 35 MariaGrazia> ma senza fare il bagno, acqua è ancora troppo 36 freddda 37 MariaGrazia> oui! =) 38 Sabine> yees j’ai compris: ) 39 MariaGrazia> bravissima! Datenauszug 22: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 2 Einzelfalldarstellungen 224 MariaGrazia validiert Sabines Hypothese mit einem « oui » gefolgt von einem Emoticon (37) - sie scheint sich offenbar für Sabine zu freuen, die ihrer Freude in Zeile (38) direkten Ausdruck verleiht. MariaGrazia übernimmt schließlich die Rolle der Lehrenden, wenn sie Sabine für ihre korrekte Reformulierung ausdrücklich lobt (39). Es zeigt sich, dass die beiden Chatteilnehmerinnen die Bedeutung in einer ko-konstruktiven Weise aushandeln. Es zeigt sich aber auch, dass die IC-basierte Chatkommunikation sowie das Verstehen der ZS bei Sabine positive Emotionen auslöst. Der Chat geht wie folgt weiter: 40 MariaGrazia> ma tu sei madrelingua tedesca? 41 Sabine> oui 42 MariaGrazia> hai trovato difficile studiare una lingua romanza? 43 Sabine> pas vraiment.....alors quant à la grammaire, si, mais 44 en général ce n’étais pas trop dur 45 Sabine> j’aime le francais depuis que j’ai fait un échange 46 scolaire 47 Sabine> et toi, comment que tu parles le francais aussi? 48 MariaGrazia> sai, io ho studiato un pò di francese, poi 49 spagnolo 50 Sabine> et quelle langue est-ce que tu preferes? 51 MariaGrazia> j ai etudiè francais a l ecole 52 Sabine> hmhm 53 MariaGrazia> lo spagnolo è la mia lingua preferita! anche se 54 all’università sto studiando solo inglese e tedesco! 55 MariaGrazia> galanet è un opportunità per riprendere l uso di 56 queste lingue 57 Sabine> also studierst du auch Deutsch? 58 MariaGrazia> ja! 59 Sabine> wooow 60 Sabine> pourquoi? ? 61 Sabine> : D 62 MariaGrazia> è molto utile per il lavoro 63 […] Datenauszug 23: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 3 Nachdem Sabine ebenfalls von ihrem Herkunftsort in Deutschland berichtet, thematisieren die Chatteilnehmerinnen im weiteren Verlauf ihre Muttersowie Fremdsprachen. MariaGrazia erkundigt sich nach Sabines L 1 (40) und fragt schließlich danach, ob der Französischerwerb aus Sabines Sicht schwierig war (42). Möglicherweise nimmt MariaGrazia dabei Sabines Perspektive ein, die als germanophone Muttersprachlerin beim Erwerb des Französischen eine Sprache lernt, die außerhalb der germanischen Sprachfamilie liegt. Es könnte sein, dass MariaGrazia sich damit indirekt auf ihre Erfahrungen mit Deutsch als Fremdsprache bezieht, denn sie erwähnt in Zeile (54), neben Englisch auch Sabine 225 Deutsch zu studieren. Zweifelsohne sind der Fremdsprachenerwerb im Allgemeinen und auch der Erwerb einer Sprache außerhalb der eigenen Sprachfamilie als ein gemeinsamer Fluchtpunkt der Interessen auszumachen. Sabine nimmt zu MariaGrazias Frage nach dem Schwierigkeitsempfinden Stellung (43+44) und erwähnt in Zeile (45+46) den Schüleraustausch mit Frankreich, welchen sie ebenfalls in ihrer SLB (Z 28-30) anspricht, so dass sich die Lesart ergibt, dass dieser in ihrer Sprachlernbiographie eine entscheidende Rolle gespielt hat. Zudem geben diese Zeilen Aufschluss über Sabines Einstellung zu ihrer BS, denn ihre Aussage « j’aime le francais » (45) ist stark affektiv besetzt. In dieser Chatsequenz wird aber nicht nur das Schwierigkeitsempfinden in Bezug auf die gelernten Sprachen angesprochen, Sabine thematisiert mit ihrer Frage nach der persönlichen Präferenz (50) erneut affektiv-attitudinale Aspekte. MariaGrazia erklärt daraufhin, Französisch in der Schule gelernt zu haben (51), erwähnt ihre Spanischkenntnisse und die Tatsache, dass es ihre Lieblingssprache sei (53) und bemerkt, dass sie an der Universität nun Englisch und Deutsch studiere (54). 143 Diese Information führt bei Sabine zu einem Codeswitching ins Deutsche (57), was von MariaGrazia mit einem „ja! “ (58) beantwortet wird. Sabine fragt schließlich nach, warum MariaGrazia Deutsch studiert habe (60), was MariaGrazia damit begründet, dass Deutsch hilfreich für die Arbeit sei (62). Diese Chatsequenz zeigt, dass auch Deutsch innerhalb eines romanischsprachigen Settings Anwendung finden kann. Die Tatsache, dass beide Chatteilnehmerinnen über Deutschkenntnisse verfügen, bildet hier einen weiteren common ground. Obwohl MariaGrazia die Möglichkeit hätte, weiter auf Deutsch zu kommunizieren und ihre Kenntnisse anzuwenden, verläuft der weitere Chat unter Beibehaltung des Italienischen bzw. Französischen. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass es sich bei G ALANET um eine Plattform zur romanischen IC handelt, so dass sich eine Chatkommunikation in Deutsch aufgrund des Kontextes, d.h. der Plattform zur romanischen IC, ausschließt. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass die Erweiterung des interromanischen Settings um nicht-romanophone MuttersprachlerInnen durchaus wechselseitige Vorteile hat. Aus der Perspektive der romanophonen Muttersprachlerin mit Kenntnissen in Deutsch bzw. Englisch ergibt sich im Chat mit germanophonen MuttersprachlerInnen die Chance, sich auch in germanischer IC zu versuchen und damit über die romanische IC hinauszugehen. So weist Sabines Output in Zeile 57 z.B. Transferbasen zum Englischen auf (studieren - to study) auf. Im Interview mit Sabine thematisiere ich den Sprachwechsel ins 143 MariaGrazias Aussage in Zeile 55-56 könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb sie immer wieder Code-switchings ins Französische vornimmt, z. B. (51). G ALANET bietet ihr die Chance, auch solche Sprachen anzuwenden, die sie zu einem früheren Zeitpunkt gelernt hat und für die sie u. U. außerhalb von G ALANET kaum oder nur wenig Anwendungsmöglichkeiten hat. Einzelfalldarstellungen 226 Deutsche und frage, ob sie eine Erklärung dafür habe, dass der Chat nicht auf Deutsch fortgeführt wurde. Sie bietet folgendes Erklärungsmuster an: S: Und dann hab’ ich aber pourquoi gesagt, deswegen ist sie dann wahrscheinlich wieder ins Italienische gegangen, weil ich nicht auf Deutsch weitergemacht habe. I: Ok, und war das eine bewusste Entscheidung nicht auf Deutsch weiterzumachen oder hat sich das einfach so ergeben? S: Ja, eigentlich schon. […] Ich wollte eben eher, dass sie dann auf Italienisch schreibt. I: Ok. Ja. Verstehe. S: [...] Das ist schon cool irgendwie, wenn man auf drei Sprachen praktisch mit jemandem kommunizieren könnte und dann kann man sich […] immer so überlegen, was man grade am besten nimmt. (I Z 284-291) Sabines Sprachwechsel ins Französische könnte in der Tat der Auslöser dafür sein, dass MariaGrazia mit der Verwendung des Italienischen fortfährt. Interessant ist, dass Sabine das Code-switching ins Französische in der Retrospektive als bewusstes Vorgehen beschreibt, mit dem Ziel, im Chat weiterhin Italienisch rezipieren zu können. Offenbar will sie an der interkomprehensiven Lernsituation festhalten, obwohl sie der Verwendung von mehreren Sprachen durchaus positiv gegenübersteht, wie sich aus dem obigen Zitat ergibt. Die Bewertung der mehrsprachigen Kommunikationssituation auf der Plattform fällt aus Sabines Sicht sehr positiv aus, denn sie findet das mehrsprachige Setting mit der Möglichkeit zum Sprachwechsel und zum Verwendung aller zur Verfügung stehenden Sprachen „cool“ (s. o.). 64 […] 65 Sabine> moi je me suis acheté un livre en italien pour voir si je 66 comprends qc et parce que jaime bien lauteur 67 MariaGrazia> qual è il titolo? 68 Sabine> tu connais frederico moccia? c peut etre pas la haute 69 litterature et tresssss... schmalzig mais jaime bien hihi 70 Sabine> scusa ma ti volio sposare? 71 Sabine> ou voglio 72 MariaGrazia> uahahahahah 73 Sabine> je ne sais pas 74 Sabine> ne ris pas! ! 75 MariaGrazia> si lo conosco! 76 Sabine> tu l’as lu? 77 MariaGrazia> è l’autore tipico per adoloscenti 78 MariaGrazia> ha avuto talmente tanto successo che hanno fatto i film! 79 Sabine> mais pas de scusa ma ti volio sposare, neste pas? 80 Sabine> seulement le premier 81 MariaGrazia> no ho letto i primi tre..quando ero più Sabine 227 82 piccola..crescendo ho cambiato un pò genere! 83 Sabine> ti chiamo amore..? ! 84 Sabine> attends, jai pas compris 85 […] 87 Sabine> mais „crescendo ho camiato un po genere“? 88 MariaGrazia> 4 libro: scusa ma ti voglio sposare! 89 MariaGrazia> si...je ne lie plus ce genre de livres 90 […] Datenauszug 24: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 4 Im weiteren Verlauf des Chats sprechen die Chatteilnehmerinnen über italienische Jugendliteratur. Auslöser dafür ist, dass Sabine davon berichtet, sich ein italienisches Buch gekauft zu haben (65-66), woraufhin MariaGrazia nach dem Namen des Titels fragt (67). Sabine nennt den Autor in Zeile (68) und erwähnt auch den Buchtitel (70). Abgesehen davon, dass sich MariaGrazia in gewisser Weise darüber lustig macht, dass Sabine solche Bücher liest und dies unter Verwendung von Onomatopoetika zum Ausdruck bringt (72), da der Autor ihrer Meinung nach als typischer Jugendbuchautor gilt (77), stellt das Thema einen weiteren common ground zwischen den beiden Chatteilnehmerinnen dar. Dieses Thema erweist sich als produktiv, da die Diskussion einen stark lebensweltlichen Bezug hat und hier eine bedeutungsvolle Interaktion vorliegt. Zunächst fällt auf, dass Sabine sich weiteren Input in ihrer ZS Italienisch besorgt und dabei auf Ressourcen zurückgreift, die außerhalb der Plattform liegen. Die Tatsache, dass sie sich in der Lektüre eines Jugendromans in ihrer ZS versuchen will, zeugt einerseits davon, dass sie in der Lage ist, ihren Lernprozess selbst zu steuern und zu planen. Andererseits dürfte dies auch auf ein positives Selbstkonzept verweisen, denn immerhin traut sie sich die interkomprehensive Lektüre eines Buches in einer Sprache zu, die sie bis dato nicht erworben oder erlernt hat. Als Beweggründe führt sie im Interview dazu Folgendes aus: „[N]ach dem Motto, wenn ich schon Interkomprehension mach’, dann kann ich’s jetzt auch mal mit einem Buch ausprobieren, vielleicht, wenn mich das Thema interessiert, vielleicht versuche ich dann auch so mehr mal zu entschlüsseln“ (I Z 299-300). Es zeigt sich, dass Sabine bei der Suche nach weiterem Input themengeleitet vorgeht und zu der Einschätzung kommt, dass ihr das interkomprehensive Verstehen über Inhalte, für die sie sich interessiert, leichter fallen könnte. In jedem Fall geht mit der Diskussion um italienische Jugendliteratur die Herstellung eines gemeinsamen Fluchtpunktes einher. Sabine entscheidet sich bewusst für das Einbringen eines Themas, das mit der Lebenswelt ihrer Chatpartnerin zu tun hat, wie sich aus folgendem Interviewzitat ergibt: „[U]nd das habe ich ihr halt erzählt, weil das so was gewesen ist, was ich eben von der italienischen Kultur, wie auch immer, schon was […] ich Einzelfalldarstellungen 228 […] kannte“ (Z 301-302). Daraus ergibt sich, dass Sabine bewusst solche Themen in den Chat einbringt von denen sie annehmen kann, in Verbindung mit der Lebenswelt ihrer Chatpartnerin zu stehen. An der obigen Chatsequenz lassen sich neben inhaltlichen Aushandlungsprozessen auch Aushandlungsprozesse sprachlicher Art feststellen. Zunächst fällt auf, dass Sabine in Zeile (71) eine Selbstkorrektur vornimmt, was für eine Bewusstheit sowohl im Bereich der Orthographie als auch der Phonologie sprechen dürfte, denn das Graphem <g> in voglio wird phonematisch nicht realisiert [ ˈⱱɔʎʎ o]. Des Weiteren ergibt sich für Sabine ein Verständnisproblem auf das sie mit den Worten « attends, jai pas compris » aufmerksam macht (84). Als MariaGrazia darauf nicht eingeht und in der Aufzählung der bereits erschienenen Bücher von Fabio Moccia fortfährt (ausgelassener Teil Zeile 85), wiederholt Sabine ihre Bitte um Erklärung, indem sie den nicht verstandenen Satzteil zitiert (86), den MariaGrazia schließlich ins Französische überträgt. Möglicherweise wurde Sabines erste Bitte um Erklärung von MariaGrazia schlichtweg übersehen oder aber missverstanden, so dass Sabine erneut intervenieren muss. Im LP notiert sie unter 2.5) Gab es Missverständnisse? Wenn ja, welche u. wie bin ich damit umgegangen? Folgendes: Ich wollte wissen, ob es schon den Film zu scusa ma ti voglio sposare gibt, aber Maria hat gedacht, dass ich nicht verstanden hätte welche Bücher schon erschienen sind. Also habe ich, nachdem sie mir die Bücher nochmal aufgezählt hat, einfach den Satz, den ich nicht verstanden hatte, zitiert und sie hat es dann nochmal in anderen Worten ausgedrückt […]. (LP 313-314) Im Vergleich zur einzelzielsprachlichen Kommunikation einerseits, andererseits aber auch im Vergleich zur asynchronen Kommunikation im Forum sind die TeilnehmerInnen im interkomprehensiven Chat offenbar mit erhöhten Anforderungen im Bereich der Verstehenssicherung konfrontiert. Aufgrund der Synchronizität der Kommunikationsform kommt es einerseits zu Überlappungen, so dass nicht immer klar ist, auf welche Aussage sich die Replik von ChatpartnerInnen bezieht. Es sind aber auch sprachlich-inhaltliche Aspekte, die zu Missverständnissen führen können. Sabines Aussage « attends, jai pas compris » (84) ist äquivok, so dass es zu einem Missverständnis auf inhaltlicher Ebene kommt. Durch ihre explizite Bitte um Erklärung und das Zitieren des opaken Teilsatzes gelingt es ihr schließlich, MariaGrazia auf ihre Verständnisschwierigkeiten hinzuweisen. Dabei fällt auf, dass diese den nicht verstandenen Satz ins Französische überträgt und nicht etwa versucht, italienische Paraphrasierungen anzubieten. Möglicherweise ist dies der Tatsache geschuldet, dass die Chatpartnerinnen auf einer inhaltlichen Ebene miteinander interagieren, die im Vordergrund ihres Interesses zu stehen scheint. Sprachliche Disambiguierungsprozesse rücken hingegen in den Hintergrund und werden nicht en détail thematisiert, damit die Diskussion auf der inhaltlichen Ebene fortgesetzt werden kann. Sabine 229 91 Sabine> il s’appelle comment, le film? 92 MariaGrazia> e poi in scusa ma ti chiamo amore 93 MariaGrazia> „Scusa ma ti chiamo amore“ 94 […] 95 Sabine> alors il existe deja 96 MariaGrazia> avec Raul Bova 97 MariaGrazia> supeeeer! 98 MariaGrazia> lo conosci? 99 MariaGrazia> è un bellissimo attore 100 MariaGrazia> italiano 101 MariaGrazia> è abbastanza famoso 102 Sabine> non, je ne le connais pas 103 […] 104 MariaGrazia> è il protagonista della storia 105 Sabine> ohh jai pensé que Raul est un nom pour un homme 106 MariaGrazia> oui 107 Sabine> bien de savoir ; ) 108 […] Datenauszug 25: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 5 Nachdem MariaGrazia im Anschluss von ihrem Lieblingsautor Fabio Volo berichtet und entsprechende Literaturverfilmungen erwähnt (93), nennt sie den Namen des Schauspielers „Raul Bova“ (96) und fragt, ob Sabine ihn kenne (98). Sabine verneint dies « non, je ne le connais pas » (102) und geht offenbar davon aus, dass es sich aufgrund des Vornamens Raul um einen männlichen Schauspieler handelt. Als MariaGrazia schließlich ausführt, dass dieser „il protagonista della storia“ (104) sei, reagiert Sabine irritiert und fragt bei MariaGrazia nach (105), die ihr schließlich bestätigt, dass es sich bei Raul um einen Männernamen handelt (106). In der Chatsequenz zeigt sich, wie Weltwissen mit sprachlichem Wissen interagiert. Sabine versucht, die für sie ambiguen Informationen „[i]ch wusste, dass Raul eigentlich ein Männername ist“ (LP Z 281) mit dem sprachlichen Input in Übereinstimmung zu bringen. Sie klassifiziert das Lexem „protagonista“ aufgrund seiner weiblich anmutenden Endung -a als ein Lexem mit femininem Genus. Sie versucht dann, diese Information ihrem Weltwissen anzupassen, was ihr nicht gelingt, da sie in Zeile (105) ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck bringt. Im LP notiert Sabine unter 2.5) Gab es Missverständnisse? Wenn ja, welche u. wie bin ich damit umgegangen? „[I]ch dachte aufgrund der -a Endung, dass protagonista weiblich ist. Deswegen habe ich mich gewundert, dass Raul ein Mädchenname sein soll, aber Maria hat dann gemeint, dass es doch ein Mann ist. Also muss die -a Endung anscheinend nicht immer weiblich sein“ (LP Z 315). Durch MariaGrazias Bestätigung kommt es schließlich zu einer Umformung des sprachlichen Wissens in Bezug Einzelfalldarstellungen 230 auf das Morphem [-a], das Sabine als von der Regel abweichend erkennt („nicht immer weiblich“). 109 Sabine> maria...je pense que je dois y aller.. il y a le diner... 110 MariaGrazia> cenate presto 111 Sabine> peut etre on pourrait parler encore une fois un autre jour? 112 Sabine> presto? 113 MariaGrazia> bien sur! 114 Sabine> : ) 115 MariaGrazia> mi puoi trovare anche su facebook nel caso 116 Sabine> jai pas compris..tu peux travailler aussi sur facebook a la maison? 117 Sabine> ahhhh 118 Sabine> trouverrrr 119 MariaGrazia> aahahhah 120 Sabine> je vais essayer! ! 121 MariaGrazia> cherche: Maria Grazia 144 122 MariaGrazia> c’est moi! 123 Sabine> d’accord! 124 MariaGrazia> je suis unique! 125 Sabine> : ) 126 MariaGrazia> a bientot! 127 MariaGrazia> buona cena 128 Sabine> si 129 Sabine> buona cena! ! 130 Sabine> ciaoooooo 131 MariaGrazia> ciaooooo Datenauszug 26: Chat 4 Sabine - MariaGrazia, Chatsequenz 6 Dieser Teil der Chatanalyse bezieht sich auf die Schlusssequenz. Sabine leitet die Verabschiedung ein, indem sie MariaGrazia zu verstehen gibt, dass sie bald zu Abend essen wird und deswegen nicht weiterchatten kann (109). Sie zeigt ein Interesse an der Beibehaltung des Kontakts, wenn sie vorschlägt, die Unterhaltung an einem anderen Tag fortzusetzen (111). Es ist wahrscheinlich, dass sich Sabines Äußerung in Zeile 112 auf die Bitte um Disambiguierung des Wortes presto bezieht, das MariaGrazia in Zeile 110 eingebracht hatte, und nicht um die Frage nach einer baldigen Fortführung des Chats. MariaGrazia scheint einem weiteren Chat gegenüber sehr aufgeschlossen zu sein (113) und bietet sogar an, einen privaten Kontakt über Facebook herzustellen (115, 121). Sabine verwechselt zunächst das italienische Lexem trovare mit dem französischen Verb travailler (116) und bringt damit ihre Verständnisschwierigkeiten zum 144 MariaGrazia nennt hier noch ihren Nachnamen, der aus Gründen der Anonymität gelöscht wurde. Sabine 231 Ausdruck. Es gelingt ihr jedoch, dem Verb die richtige Bedeutung zuzuschreiben (118). Die tatsächliche Verabschiedung wird schließlich von MariaGrazia eingeleitet (126), die zudem guten Appetit (127) wünscht. Es spricht vieles dafür, dass Sabine darin eine Verabschiedungsformel erkennt, denn sie wiederholt die Formel in Zeile 129, bevor beide den Chat mit einem ciaoooooo (130) bzw. ciaooooo (131) beenden. Anhand des analysierten Chats lässt sich die Lesart entwickeln, dass eine Gesprächsatmosphäre herrschte, die aus Sabines Sicht dazu geeignet war, im Austausch mit MariaGrazia eine Lernsituation herzustellen, was u.a. auch an deren Hilfestellungen deutlich wird. Dies zeigt sich aber auch daran, dass die beiden Chatteilnehmerinnen neben Fremdsprachen und dem Fremdsprachenerwerb auch Themen finden, die privater Natur sind, und zudem vereinbaren, den Kontakt fortzusetzen. 145 Des Weiteren sind Automatisierungstendenzen sowie Prozesse der Bewusstwerdung festzustellen, wie Sabine im LP ausführt: 1.3) Ich habe heute Rückgriff auf folgende Vorkenntnisse bzw. Sprachen genommen (bitte mit Angabe eines Beispiels): [A]nsonsten habe ich eigentlich nur wieder vom Französischen aufs Italienische geschlossen. Aufgefallen ist mir aber, dass ich nicht direkt immer an die französischen Wörter gedacht habe. Ich habe also nicht bewusst Italienisch>Französisch>Deutsch übersetzt. Ich bin mir auch bewusstgeworden, dass ich das „Internationalismen-Sieb“ angewandt habe, z.B. für riflessioni, autobiografiaù, classificarlo, genre, problemi. Vielleicht stammt mein Eindruck, dass mir der Sinn ohne das bewusste ins Französisch Übertragen klar geworden ist auch daher. (LP 280-282) Die Automatisierung betrifft die Rezeption ihrer ZS, zu deren Entschlüsselung sie nicht mehr den ‚Umweg‘ über die BS geht. Offenbar hat Sabine sich soweit an den italienischen Input gewöhnt, dass sie bei der Dekodierung einzelner Wörter nicht mehr die sprachliche Form fokussieren muss, sondern sie kann sich die Bedeutung sofort erschließen, ohne dabei auf Französisch zurückzugreifen. Wie Sabine im LP ausführt gilt dies v. a. für sog. Internationalismen, bei denen sie eine Bedeutungserschließung über das Deutsche vornimmt und anhand derer sie feststellt, dass sie bei der Dekodierung das sog. Internationalismen-Sieb anwendet, was ein Hinweis darauf ist, dass sich bei Sabine eine Bewusstheit im Hinblick auf das savoir-faire ergeben hat. 146 145 Im Interview (Z 308) bestätigt Sabine, dass man sich auf Facebook geaddet, bisher allerdings keine Kommunikation stattgefunden habe. In ihre Hausarbeit fügt Sabine eine von ihr verfasste, italienische Facebooknachricht an MariaGrazia ein (S. 12), aus der hervorgeht, dass die beiden auf Facebook gechattet haben. Der private Kontakt wurde also tatsächlich hergestellt, obgleich natürlich keine Aussagen über dessen Frequenz oder Dauer gemacht werden können. 146 Im Rahmen des Seminars referierte Sabine über das Thema „(Panromanische) Interkomprehension - Die sieben Siebe“ (vgl. Kapitel 10.2, Sitzung vom 24.04.2010), Einzelfalldarstellungen 232 Chat 5: Sabine - antonella67 147 Der folgende Chat zeigt, dass es nicht immer gelingt, eine Kommunikationsbzw. Lernsituation herzustellen. Im Gegenteil gibt der Chat einen Eindruck davon, dass das savoir-être in Kommunikationssituationen eine bedeutsame Rolle spielt, die es insbesondere im Falle von critical incidents zu reflektieren gilt. 1 Sabine> salut : ) 2 antonella67> ciao! 3 Sabine> d’où est-ce que tu viens? 4 Sabine> ahh 5 Sabine> macerata 6 Sabine> oops 7 Sabine> c’est où exactement? 8 antonella67> Italia centrale 9 Sabine> tu veux aussi profiter encore un peu de Galanet avant 10 que ca finisse demain? 11 Sabine> Oh je vois dans votre profil que vous écrivez votre 12 tesi sur Galanet, si j’ai bien compris 13 antonella67> I, pour l’étude, ma thèse a été 14 sull’intercomprensione entre les langues romanes 15 Sabine> nous pouvons écrire un mémoire sur Galanet et 16 l’intercompréhension ..mais je ne suis pas encore sûre si je 17 vais le faire 18 Sabine> est-ce que vous analysez plutôt les interactions dans 19 le tchat ou dans le forum? 20 Sabine> ...vous êtes apparemment occupées alors je vous 21 laisse 22 Sabine> ciao : ) Datenauszug 27: Chat 5 Sabine antonella67 Sabine initiiert den Chat (1), antonella67 erwidert die Begrüßung (2) und signalisiert damit grundsätzlich Gesprächsbereitschaft. 148 In ihrer Partnerhypothese geht Sabine davon aus, es mit einer Studierenden zu tun zu haben, die ihr bezüglich des Alters und sozialen Status gleichgestellt ist. Dies zeigt sich an der Verwendung der umgangssprachlichen und im Chat unmarkierten Variante der Begrüßung. Sabine versucht, durch ihre Frage nach dem Herkunftsort den so dass sich hier möglicherweise Rückwirkungen ergeben haben. Es spricht vieles dafür, dass die Beschäftigung mit den ‚sieben Sieben‘ und deren Aufbereitung für das Referat dazu führten, dass die oben angesprochene Automatisierung bzw. Bewusstheit eingetreten ist. 147 Diese Chatkonversation wurde bereits analysiert (Meißner & Prokopowicz 2011), so dass hier nur in Kürze darauf eingegangen wird. 148 Vgl. Kapitel 4.3.3 und die Funktion „Bitte nicht stören“. Sabine 233 Chat in Gang zu bringen (3), woraufhin sie aber zunächst keine Antwort erhält. Dazu notiert sie im LP der 4. Phase unter 3.4) Gab es Frustrationserlebnisse? „Ich habe im Chat ewig keine Antwort bekommen“ (Z 386-387), so dass sie sich in der Zwischenzeit das Profil der Nutzerin ansieht. Dort findet sie heraus, dass diese aus Macerata stammt (5), eine tesi über G ALANET schreibt und zudem sehr viel älter ist. Dies führt zu einer Korrektur der Partnerhypothese, denn fortan siezt sie antonella67 (11-12). Sabine geht im weiteren Verlauf des Chats auf die Informationen ein, die sie dem Profil entnommen hat, indem sie davon berichtet, dass auch für sie die Möglichkeit besteht, eine Hausarbeit zu G ALANET anzufertigen (15-17). Sabine versucht also, einen gemeinsamen Fluchtpunkt der Interessen herzustellen. Mit ihrer letzten Frage (18-19) versucht Sabine letztmalig, das Gespräch in Gang zu bringen. Ihre Frage bleibt allerdings unbeantwortet, so dass Sabine den Chat schließlich beendet (20-22). Anhand des Chatauszuges lässt sich die Lesart entwickeln, dass Sabine den Chat mit bestimmten Erwartungen beginnt. Zum einen handelt es sich um Erwartungen an ihre Gesprächspartnerin, die sie zunächst als etwa gleich alt einschätzt, was sie sprachlicherseits durch die Verwendung des Du ausdrückt. Hinzu kommt, dass Chats aufgrund des Mediums tendenziell informellen Gesprächssituationen zuzuordnen sind. Die Modifizierung der Partnerhypothese bringt eine Verschiebung hin zur formellen Gesprächssituation mit sich, denn bei Sabine kommt die kulturelle Konvention des Siezens einer älteren Person zum Tragen. Das führt dazu, dass Sabine die Kommunikationssituation fortan in der Folge als asymmetrisch konzeptualisiert, was sie im LP (09.06.2010) festhält: „Als ich […] gemerkt habe, dass meine Chatpartnerin viel älter ist als ich und eine ganze Arbeit […] über Galanet schreibt, [habe ich] so viel Respekt bekommen, dass ich das Gefühl hatte sie siezen zu müssen“ (Z 387ff.). Soziale Rollenzuweisungen (Lehrerin / Lernende) und eine aus Sabines Sicht wahrgenommene Hierarchie sind weitere Gründe für die empfundene Asymmetrie, wie sich aus dem folgenden Interviewzitat ergibt: I: Und dann hast Du gesehen, oh, sie ist sehr viel älter und da steht irgendwas mit thèse […]. S: Genau, und da hab’ ich dann voll Respekt bekommen. I: Warum? Warum spielt das eine Rolle für Dich? S: Ich weiß nicht (lacht). Ja, für mich spielt es schon ’ne Rolle. Ich hab’ dann mir irgendwie wie so ’ne Professorin vorgestellt […]. Das ist irgendwie ein ganz anderes Level, als wenn man jetzt mit jemandem spricht, wo man weiß, ok, der macht das jetzt auch, um die Sprache […] ein bisschen besser zu lernen und der ist ungefähr auf demselben Niveau wie ich […]. (Z 225-231) Des Weiteren geht Sabine aufgrund der synchronen Kommunikationsform zu Recht davon aus, rasch Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Das Ausbleiben der Antworten hat Auswirkungen auf Sabines savoir-être (und damit auch auf die Kommunikationssituation). Diese Lesart wird durch Rückgriff auf Sabines Einzelfalldarstellungen 234 LP als auch das Interview gestützt. Im LP (09.06.2010) notiert sie unter 3.4) Gab es Frustrationserlebnisse? Wenn ja, welche und wie bin ich damit umgegangen? „Ich dachte, ich wäre ein bisschen zu unhöflich in den Chat „hereingeplatzt“. Jedenfalls war mir das sehr unangenehm, weshalb ich dann auch nach einigen Minuten Wartezeit einfach Tschüss gesagt habe“ (LP Z 387f.) Das Ausbleiben der Antworten und vermutlich auch die Tatsache, dass antonella67 keine Fragen an Sabine richtet führen dazu, dass Sabine sich im Chat unwohl fühlt. Es liegt ein critical incident vor, der sich v. a. im Bereich des savoir-être niederschlägt, seinen Ausgangspunkt aber auch in Verständnisschwierigkeiten hat. Sabine versteht das Wort tesi im Profil ihres Gegenübers nicht und bittet zumindest indirekt um Disambiguierung « si j’ai bien compris » (Z 12). antonella67 geht darauf ein, und erklärt mittels eines Code-switchings ins Französische « pour l’étude, ma thèse a été sull’intercomprensione entre les langues romanes » (Z 13-14). Dies sind allerdings die einzigen Momente ko-konstruktiver Bedeutungsaushandlung innerhalb der Chatsequenz, die sich ansonsten aus Sabines Sicht offenbar nicht dazu eignet, weiterführende Fragen nach der genauen Bedeutung des Wortes tesi bzw. thèse zu stellen. Im LP notiert sie, noch immer nicht zu wissen, um was es sich eigentlich handelt: „Was ist eine tesi nochmal genau? Wie eine Bachelor Thesis? “ (Z 387ff.). Es lässt sich feststellen, dass antonella67 zwar die Verständnisprobleme ihres Gegenübers wahrnimmt und auch versucht, diese auszuräumen. Offenbar ist aber die Gesprächssituation aus Sabines Sicht nicht so beschaffen, weitere Fragen zur Bedeutung stellen zu können, zumal ihre Eingangsfragen ebenfalls unbeantwortet geblieben sind. Aber es sind nicht nur Verständnisschwierigkeiten, die Sabine sich unwohl fühlen lassen, denn sie hält im LP unter 3.4) fest, sich „[A]ber eigentlich nicht nur aufgrund sprachlicher Probleme unwohl gefühlt“ zu haben (Z 387f.). Es scheint vielmehr die Erwartungshaltung an die (synchrone) Kommunikationssituation zu sein, schnelle bzw. überhaupt Antworten auf gestellte Fragen zu erhalten. Denn im Ausbleiben der Antworten ist ein face-threatening act zu sehen, der Sabines positives face ‚bedroht‘. Indem sich Sabine aus dem Chat zurückzieht, nachdem sie keine Antworten bekommt, nimmt sie selbst den face-saving act vor. Im Interview führt sie dazu Folgendes aus: Ja, also das war komisch, hätte ich nicht erwartet, ich denk’ eigentlich, dass wenn mir jemand hallo sagt, dass man auch dann auch gleich eine Antwort irgendwie zurückbekommt oder zumindest mal ein Signal, […] ich kann jetzt nicht […]. Aber es ist schon ungewohnt, wenn einem nicht sofort geantwortet wird finde ich. (Z 217-222) Der Kontakt zu MuttersprachlerInnen im interkomprehensiven Chat kann also auch zu negativen Auswirkungen im Bereich des savoir-être führen. Die Tatsache, dass Sabine Adjektive wie „unangenehm, unwohl, komisch“ benutzt, um die Chatsituation zu beschreiben, zeigt, dass es im Austausch per Chat Sabine 235 durchaus auch zu critical incidents der negativen Art kommen kann. In diesem Fall ist es umso wichtiger, sich diese bewusst zu machen und kritisch zu hinterfragen, was mithilfe bewusstmachender Methoden, wie z.B. dem Einsatz von Lernprotokollen erfolgen kann. 149 6.4.4 Mehrsprachigkeit aus Sabines Sicht: „Das war wie eine Schatzsuche nach irgendwas, was man dann halt versteht“ In der Interviewsituation mit Sabine herrschte eine angenehme Gesprächsatmosphäre, die sich u.a. dadurch auszeichnete, dass Sabine meinen Fragen mit langen und differenzierten Antworten begegnete. Grundsätzlich fällt auf, dass Sabine sich einer bildhaften Sprache bedient und immer wieder auf Metaphern zurückgreift, die an den entsprechenden Stellen thematisiert werden. Als wiederkehrende Begriffe im Interview ließen sich v. a. „Spaß, (aus-)probieren, entschlüsseln“ ausmachen, die auf Sabines Perspektive auf das Projekt verweisen. Folgende Grundthemen, persönliche Ereignisse und Nulldaten lassen sich anhand des Interviewmaterials feststellen: Grundthemen • Durch IC Hemmschwelle gegenüber anderen Sprachen senken (Z 70-71; 165-166) • Erstmaliger Kontakt zu anderen romanischen Sprachen (Z 66-67) • IC ausprobieren (Z 87-88, 102-103, 265; 299-300) • Mehrwert der Teilnahme für den zukünftigen Beruf (Z 118-125; 175-179; 407-409) • Arrangieren zusätzlicher Lernsituationen außerhalb der Plattform (Z 16- 17, 186-191, 199-202) • Mehrsprachigkeit ist cool (Z 289ff.) • Beschäftigung mit Chat ist motivierend (Z 158-160) • Wahrnehmung der romanischen Sprachfamilie als Ganzes (Z 166-168) Thematisierung persönlicher Erlebnisse • Chat mit MariaGrazia (Z 259ff.) • Chat mit antonella67 (Z 213 ff.) 149 Sabine greift den critical incident auch in ihrer Hausarbeit auf (S. 11), was die Lesart unterstützt, dass es sich beim Chat mit antonella67 durchaus um ein bedeutsames Ereignis handelte. Anhand ihrer Aussagen unterstreicht Sabine, dass das eingesetzte LP die Möglichkeit bietet, Erfahrungen zu reflektieren und sich ihrer Auswirkungen bewusst zu werden: „Ich […] habe u.a. folgendes gelernt: Dass ich meine Partnerhypothese mithilfe des Profils des Gegenübers überprüfen kann, um peinliche Situationen zu vermeiden und Anknüpfungspunkte für ein Gespräch zu finden und zu reagieren und nicht frustriert zu sein, wenn jemand nicht antwortet.“ Einzelfalldarstellungen 236 Nulldaten • Fehler scheinen eine untergeordnete Rolle zu spielen (werden nur aus LehrerInnenperspektive thematisiert) (Z 121ff.) • Sprachhemmungen in der BS • Schwierigkeiten mit der ZS • Sprachangst • Gefühl der Überforderung Der Kode-Matrix-Browser weist für Sabine eine Besetzungshäufung im Bereich Motivation und ZS auf, wobei die Kategorie ZS besonders häufig Überschneidungen zu den Kategorien Einstellungen, Motivation und Emotionen aufweist, so dass diese als Kernkategorien identifiziert werden können. Bei der Kernkategorie Motivation fällt auf, dass sich diese für Sabine aus verschiedenen Dimensionen zusammensetzt. Sabine bezieht Motivation aus der medialen Lernumgebung, durch die Auseinandersetzung mit ihrer ZS Italienisch, aber auch aus der Beschäftigung mit den Forumsdiskussionen. Das mediale Lernarrangement ist für Sabine der entscheidende Grund für ihre Teilnahme am Seminar: „[B]ei den Veranstaltungen, die ich da eben gesehen hab’ zu diesem Modul, ist mir [die] sofort ins Auge gesprungen, vor allen Dingen wegen dem Wort Chat und panromanisch“ (I Z 5-6). Ein weiterer motivationsfördernder Aspekt ergibt sich aus der Tatsache, dass Sabine selbst aktiv werden kann. Wie bei der Analyse der Aktivitäten auf der Plattform herausgearbeitet werden konnte (vgl. Kapitel 6.4.2 und 6.4.3), wird Sabine sowohl innerhalb als auch außerhalb der virtuellen Lernumgebung aktiv, was Rückschlüsse auf ihre Motivation zulässt. Sie führt u.a. Hörverstehensübungen in ihrer ZS durch und lädt sich einen Podcast herunter. 150 Die Tatsache, dass sie hörend einzelne Lexeme identifizieren kann, motiviert sie zusätzlich: [I]ch hab’ praktisch versuchen wollen, ob ich auch mehr verstehe, wenn ich das dann höre, […] ja, das ist schon viel schwieriger. Sehr viel schwieriger finde ich. Aber manchmal kann man halt so einzelne Worte trotzdem rausfiltern und das ist dann schon motivierend. […] Also, ich denk’ mir, wenn man die Wörter dann besser versteht, dann kann man auch besser das mit dem Leseverständnis verbinden. (I Z 186-191) Aus dem Zitat ergibt sich, dass sich aus Sabines Sicht lesende und hörende Teilkompetenzen gegenseitig befruchten. Phonetische Kenntnisse können für die lesende Dekodierung durchaus hilfreich sein, wenn dadurch Transferaktivitäten erleichtert werden. Es spricht vieles dafür, dass sich durch die Auseinandersetzung mit auditivem Input eine phonologische Bewusstheit herausbildet, 150 Vgl. LP (09.06.2010), Z 355: „Ich habe gesehen, dass es für Italienischlerner wie für Französischlerner das Magazin écoute im Italienischen das Magazin Adesso gibt. Also habe ich mir davon mal den Podcast heruntergeladen.“ Sabine 237 die zugleich Auswirkungen auf die Leseverstehenskompetenz hat. Durch das Audiomaterial gleicht Sabine außerdem die Abwesenheit der gesprochenen Sprache auf G ALANET aus. 151 Sabine ist offensichtlich daran interessiert, einen Gesamteindruck ihrer ZS zu erhalten und diese nicht nur lesend, sondern auch hörend zu erfahren. Durch den Input in Form von Hörverstehensübungen, nicht-lehrintentionalen Texten wie dem italienischen Roman oder Zeitungstexten, die sie durch die Links im Forum findet (vgl. Kapitel 6.4.2), arrangiert Sabine zusätzliche Lernsituationen. Der reflexive Umgang mit dem sprachlichen Input setzt Bewusstwerdungsprozesse in Gang, die sie im LP festhält: „Wenn „authentisch“ in Interviews gesprochen wird, verstehe ich eigentlich nichts. Aber wenn der Moderator deutlich spricht, kann ich schon eine ganze Reihe von Wörtern verstehen“ (Z 355). Das Arrangieren von zusätzlichen Sprachlernsituationen einerseits, aber auch die reflexive Auseinandersetzung mit der Sprache andererseits sind deutliche Hinweise darauf, dass Sabine über eine Selbststeuerungskompetenz verfügt und entsprechende savoir-apprendre Ressourcen mobilisieren kann. Sabine bezieht des Weiteren Motivation aus dem Erleben der mehrsprachigen Kommunikationssituation im Allgemeinen sowie aus der Auseinandersetzung mit ihrer ZS im Besonderen. Das folgende Interviewzitat bezieht sich auf die Frage, wie sie den interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb auf der Plattform in der Rückschau bewertet: Also, ich fand es eigentlich prima, weil es bei mir zumindest so das erste Mal war, dass ich wirklich mit anderen romanischen Sprachen in Kontakt gekommen bin. Also, vorher habe ich mich eigentlich immer nur mit dem Französischen beschäftigt, und natürlich hat mir immer meine Mutter gesagt oder sonstige Leute, ja, Du verstehst dann auch Spanisch ganz gut und Italienisch, aber so richtig probiert habe ich das eigentlich erst in Galanet und ich war dann halt schon erstaunt, […] dass es stimmt, dass man wirklich Sachen […] ganz gut entschlüsseln kann. (I Z 66-70) Sabine kommt durch die Teilnahme an G ALANET das erste Mal in Kontakt mit anderen romanischen Sprachen. Sie berichtet davon, sich vor der Teilnahme ausschließlich mit ihrer BS beschäftigt zu haben. Aus Erzählungen ist ihr bereits bekannt, dass man sich auf Grundlage der BS Schwestersprachen erschließen kann. Auf G ALANET hat sie nun erstmals die Möglichkeit, dies selbst auszuprobieren. Sabine drückt ein gewisses Erstaunen darüber aus, dass IC tatsächlich funktioniert und bedient sich dazu einer Metapher. Ihre Vorkenntnisse in Französisch konzeptualisiert sie als Schlüssel zu anderen romanischen Sprachen, mit dessen Hilfe sie in der Lage ist, sich diese zu ‚erschließen‘. Ihre 151 In der espace d’autoformation gibt es zwar auch Übungen zum Hörverstehen, doch Sabine erwähnt im Interview, diese nur einmal ausprobiert zu haben (I Z 210-211). Einzelfalldarstellungen 238 BS Französisch ist der Türöffner zu den übrigen romanischen Sprachen. 152 Dies führt schließlich dazu, dass sich „die Hemmschwelle gegenüber den anderen Sprachen gesenkt“ hat, wie sie im Interview ausführt (I Z 70-71). 153 Daraus ergibt sich die Lesart, dass die Teilnahme an G ALANET Sabine dazu anregte, den Blick auf andere Sprachen zu richten, und sich eine Einstellungsveränderung dahingehend ergeben hat, dass sie diesen nun offener gegenübersteht. Diese Lesart wird durch Hinzuziehen eines weiteren Interviewzitats gestützt: „[E]s gibt nicht mehr so viele verschiedene Fremdsprachen für mich, sondern ich mach’ das jetzt so in eine Schublade, die romanischen Sprachen und ich weiß, ich kann das jetzt ein bisschen entschlüsseln“ (I Z 166-168). Sabine konzeptualisiert die romanische Sprachfamilie als Ganzes, was dafürspricht, dass sie das sprachverbindende Element von IC deutlich wahrnimmt. Die Sprachen neben ihrer BS und ZS erfährt sie dabei als in weiten Teilen erschließbar. Auch der Kompetenzerwerb in ihrer ZS Italienisch führt zu einer Motivationszunahme. Sabine kommentiert im folgenden Zitat das Ergebnis des Dialang- Tests: Und dann haben wir auch am Ende diesen Test gemacht, wie viel wir verstehen und da ist dann ja B1 rausgekommen, da wär‘ ich fast vom Hocker gefallen, weil es sich schon ziemlich viel anhört finde ich. Weil ich in Französisch im Moment so mich auf B2 ungefähr einschätze. (I Z 88-90) Was ihre zielsprachliche Leseverstehenskompetenz betrifft, weist die Außenevaluation durch Dialang für Sabine ein Ergebnis im Bereich B1 des GeR aus - ein Resultat, das sie offenbar überrascht: Nach der dreimonatigen Projektphase erreicht Sabine eine Niveaustufe im mittleren Bereich des GeR in einer Sprache, die sie zuvor weder erlernt noch erworben hat. Auffällig ist, dass das Ergebnis nicht allzu weit entfernt von ihrer Selbsteinschätzung für Französisch liegt, das sie seit mehreren Jahren lernt (vgl. SLB Kapitel 6.4.1). Es liegt auf der Hand, dass die schnelle Progression in der ZS in Verbindung mit dem Ergebnis positive motivationale Auswirkungen haben. Diese Lesart wird durch Hinzunahme weiteren Interviewmaterials gestützt: „Ja, also ich mein’, das ist schon ein cooles Gefühl, wenn man dann so ein Ergebnis bekommt, aber ich würde jetzt nicht so sagen, oh, jetzt kann ich Italienisch“ (I Z 94-95). Das Resultat führt zu positiven Effekten auf der emotiven Ebene, mit denen eine Aufwertung des sprachlichen Selbstkonzepts einhergehen dürfte. Trotz der Freude sieht Sabine 152 Sabine greift die Schlüsselmetapher im Interview erneut auf, als es um die Frage ging, ob sie ihre Brückensprache für die Aktivität auf der Plattform als nützlich empfand (I Z 72): „Ja, auf alle Fälle. Also, zwischen Französisch und Italienisch gibt es ja viel mehr Parallelen als jetzt zwischen Englisch und Italienisch. Also, […] von daher war das für mich sozusagen der Schlüssel dazu“ (Z 73-74). 153 Im Sinne der Reflexivität ist hier zu erwähnen, dass ich im Interview das Wort Hemmschwelle selbst einbringe (I Z 53-54). Sabine greift das Wort an o. g. Stelle sowie in Zeile 165 erneut auf. Sabine 239 das Ergebnis kritisch, wenn sie unterstreicht, nicht behaupten zu wollen, dass sie nun Italienisch kann. Sie kommt vielmehr zu einer realistischen Einschätzung ihrer zielsprachlichen Kompetenzen, da sich das Ergebnis ausschließlich auf das Leseverstehen bezieht. Dass das Ergebnis dennoch Auswirkungen auf die Selbstwirksamkeit hat, zeigt sich an folgendem Interviewsegment: „Aber wenn ich jetzt irgendwie in Italien wäre, dann hätte ich keine Angst mich überhaupt nicht zurechtzufinden, weil ich wahrscheinlich Überschriften lesen könnte“ (I Z 97-98). Eine Aufwertung der Selbstwirksamkeit dürfte sich auch daraus ergeben, dass bei Sabine eine plurilinguale Sensibilisierung eingetreten ist. Sie berichtet davon, vor der Teilnahme Schwierigkeiten damit gehabt zu haben, Spanisch und Italienisch voneinander zu unterscheiden (I Z 102-103). Durch das mehrsprachige Setting und die Auseinandersetzung mit den ZS hat sich dahingehend allerdings eine Bewusstheit eingestellt, wie Sabine im Interview unterstreicht: „Aber ich glaub’, dass ich das jetzt schon, also mit dem Leseverstehen, kann ich jetzt schon unterscheiden, ob ich Italienisch oder Spanisch vor mir hab’“ (I Z 102- 105). Es scheinen sich außerdem Veränderungen im Hinblick auf ihr Sprachlernverständnis ergeben zu haben, wenn sie Folgendes feststellt: „[J]a, ich werde jetzt wahrscheinlich immer zuerst anfangen mit Lesen und denken, ok, ich kann das gleich lesen alles“ (I Z 182). 154 Bezüglich der mehrsprachigen Bewusstheit ist allerdings eine Einschränkung dahingehend zu machen, dass Sabine die Sprachenvielfalt in den plurilingualen Chaträumen mit mehreren Teilnehmenden durchaus als Herausforderung wahrnimmt. Sie begründet dies einerseits mit technischen Aspekten, d.h. der Vielzahl an Beiträgen, die die Kommunikationssituation schnell unübersichtlich werden lassen. Andererseits sind es aber auch sprachliche Aspekte, die Sabine zu folgender Aussage veranlassen: [I]ch find’s immer ein bisschen verwirrend, einmal, man kennt die anderen Sprachen nicht ganz so gut, also, wenn da jetzt noch Spanisch, Portugiesisch, andere romanische Sprachen sind […] und dadurch, dass dann noch so viele verschiedene Leute drin sind, also, das ist ja auch meistens schon viel, wenn man jetzt einen deutschen Chat hat, wo zehn Leute mitreden. (I Z 326-329) 154 Diese Lesart wird durch einen Auszug aus Sabines Hausarbeit (S. 12) gestützt, in dem sie die Vorteile des interkomprehensiven Fremdsprachenerwerbs gegenüber dem herkömmlichen Sprachunterricht wie folgt resümiert: „Dadurch, dass ich meine Ziele und Methoden selbst gewählt habe, habe ich innerhalb kürzester Zeit erheblich höhere Lernfortschritte erzielen können als in einem Sprachkurs Italienisch, den ich in der Universität im darauffolgenden Semester belegt habe, und in dem man uns zu Beginn mitgeteilt hatte, dass man sich das nächste Semester über nur im Präsens verständigen dürfe.“ Einzelfalldarstellungen 240 Für die Kommunikationssituation in einem plurilingualen Chatraum mit mehreren Teilnehmenden gelten erhöhte Anforderungen, nicht nur was die Dekodierung ‚unbekannter‘ Sprachen angeht. Die synchrone Art des Kommunizierens mit einer Vielzahl an turns lässt eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem sprachlichen Input nicht zu. Aus Sabines Sicht führt Input in Sprachen, die sie weniger gut kennt, zu Irritationen. In dieselbe Richtung weist ihre Antwort auf die Frage, ob sie es als Herausforderung empfunden habe, mehrere Sprachen im Blick zu haben: Ja, also ich habe meistens die Finger davongelassen, von den anderen Sprachen, also, Spanisch kann ich noch so’n bisschen verstehen, aber ich find’s bei den anderen Sprachen, also Portugiesisch […] find’ ich schon viel schwieriger, weil ich zu denen keinen Bezug hab‘. (I Z 146-148). Auffällig ist, dass Sabine in diesem Interviewsegment von einem persönlichen Bezug zu Sprachen berichtet, der für sie offenbar eine wichtige Rolle spielt, was bereits bei der Analyse ihrer SLB gezeigt werden konnte (6.4.1). Sabine führt aus, sich im Vergleich zu Italienisch weitaus weniger mit dem Spanischen und Portugiesischem beschäftigt zu haben. Dafür bietet sie ein Deutungsmuster an, das mit der affektiv-attitudinalen Dimension des Fremdsprachenerwerbs verknüpft ist. Da sie auf der Plattform erstmals mit anderen romanischen Sprachen in Kontakt kommt, erscheinen ihr diese fremd. Vermutlich hat sie auch in ihrer Lebenswirklichkeit kaum Berührungspunkte zu Spanisch und Portugiesisch, was zu ihrem Eindruck führt, keinen Bezug dazu zu haben. Offenbar hat aber auch die BS einen entscheidenden Einfluss darauf, wie ZS wahrgenommen werden. Auf Grundlage von Sabines BS Französisch lässt sich das Italienische weitaus leichter dekodieren, als das für die westromanischen Sprachen Spanisch und Portugiesisch der Fall sein dürfte. Ein weiterer motivationsfördernder Aspekt ergibt sich für Sabine durch die Beschäftigung mit den Forumsdiskussionen. Sie führt aus, dass es zu einer Motivationszunah-me kam, wenn sie sich inhaltlich mit den Forumstexten auseinandersetzt: „[M]eistens ist die Motivation dann aber von selbst gestiegen, als ich mich dann halt hingesetzt hab’ und wirklich angefangen hab’, die Texte zu lesen“ (I Z 23-24). Der damit einhergehende Wissenszuwachs hat einen motivierenden Effekt: „[U]nd dann hab’ ich mich mit den Texten beschäftigt und dann hab’ ich schon gemerkt, oh, du lernst andauernd neue Sachen […]. Also, war das für mich schon motivierend“ (I Z 113-116). Interessant ist, dass sie auch hier wieder die LehrerInnenperspektive mit in ihre Überlegungen einfließen lässt. Die Ausgangsfrage lautete, ob sie die Teilnahme als Lernen empfunden habe (I Z 106), woraufhin sie Folgendes entgegnet: Und vor allen Dingen hab’ ich auch was gelernt vielleicht für mein Lehrerdasein […], weil, dann kann ich vielleicht besser nachvollziehen wie das für einen Schüler ist, dann eine andere Sprache zu lernen […]. Wenn man selber das machen muss, dann merkt man eben erst, wie schwierig das ist überhaupt. Und ich Sabine 241 hab’s ja mit dem Hintergrund Französisch gemacht, also. Das hat ja ein Schüler nicht mal. Da sieht man schon wie das abläuft mit dem Sprachenlernen würde ich sagen. (I Z 118-124) Das Zitat legt zum einen die Lesart nahe, dass sich eine Bewusstwerdung in Bezug auf Sprachenlernprozesse ergeben hat. Zum anderen scheint Sabine ihre eigenen Sprachlernerfahrungen für ihren zukünftigen Beruf nutzbar machen zu wollen, indem sie zunächst einen Perspektivenwechsel von der Sprachenlernerin zu Sprachenlehrerin vollzieht. Die Tatsache, dass sie durch G ALANET die Möglichkeit hatte, Erfahrungen mit dem Erwerb einer Fremdsprache zu machen schätzt sie als förderlich für ihre zukünftige Tätigkeit als Lehrerin ein. Aus der Perspektive der Fremdsprachenlehrerin versetzt sie sich in ihre (zukünftigen) SchülerInnen, so dass Sabine einen doppelten Perspektivenwechsel vollzieht. Neben dem Sprachenlernen haben sich aus Sabines Sicht auch Chancen zum interkulturellen Lernen geboten: „[I]ch denke, dass es wirklich eine gute Möglichkeit ist, […] über andere Kulturen etwas zu lernen“ (I Z 367-368). Insofern betont sie allerdings, lediglich mosaikhafte Einblicke in Kulturen erhalten zu haben: „[I]ch hab’ ja immer mal wieder so kleine Details dann in mein LP einfließen lassen […]. Aber ich fand das schön, dass man immer so kleine Sachen gelernt hat an verschiedenen Stellen und jetzt nicht nur ein großes Projekt über Sardinien oder so gemacht hat“ (I Z 334-341). Dieses Zitat deutet darauf hin, dass die Plattform nicht die Möglichkeit bietet, sich tiefergehend mit nur einer Zielkultur zu beschäftigen, was die Ausblendung der übrigen Kulturen zur Folge hätte. Diese Lesart wird durch Hinzunahme eines weiteren Interviewsegments gestützt, indem es sich um Sabines Antwort auf die Frage handelt, ob sich eine Einstellungsveränderung in Bezug auf die beteiligten SprecherInnen bzw. deren Kulturen ergeben habe: „Mmh, eigentlich eher nicht so. Also, meistens hab’ ich die noch mehr so als Europäer dann gesehen […]. Also, ich hab’ […] nicht gedacht, ok, die haben jetzt einen anderen Hintergrund“ (I Z 369-372). Offenbar verschwimmen kulturelle Grenzen auf der Plattform, denn aus Sabines Sicht sind unterschiedliche kulturelle Hintergründe nicht spürbar. Dafür bietet sie folgendes Erklärungsmuster an: Ja, vielleicht wirklich, weil ich nicht so auf den kulturellen Hintergrund von den anderen geachtet habe. Also ich hab’ mir eher gesagt, ok, die Maria, die ist in meinem Alter, und wir können jetzt über solche Sachen reden wie Bücher und Filme und ich hatte irgendwie nicht so Vergleiche gezogen. Und versucht, jetzt irgendetwas rauszufinden, was anders ist bei ihr. (I Z 383-385) Die Herstellung von common grounds hat beim Sprachenlernen durch Kommunikation offenbar Priorität, denn Sabine scheint eher an verbindenden Elementen interessiert, als daran, kulturelle Unterschiede auszumachen. Ein Erklärungsansatz könnte das gemeinsame Lernziel der Teilnehmenden sein, zu dem Sabine Folgendes ausführt: „Ja, und Ziel der anderen war’s ja eigentlich auch dachte ich, dass sie eben auch eine fremde Sprache praktisch entschlüsseln Einzelfalldarstellungen 242 sollen oder lernen sollen, von daher war das Ziel ja eigentlich dasselbe“ (I Z 141-143). Das gemeinsame Ziel sieht Sabine im interkomprehensiven Spracherwerb, so dass hier ein Hinweis auf die kollektivstiftende Funktion des Lernziels auszumachen ist. 6.4.5 Gesamtbetrachtung Aus Sabines Ausführungen in ihrer SLB lässt sich ein ausgeprägtes Interesse an Fremdsprachen bzw. am Fremdsprachenerwerb ableiten. Dies zeigt sich zum einen an der Tatsache, dass ihr familiäres Umfeld von Mehrsprachigkeit geprägt ist, zum anderen aber auch daran, dass Auslandsaufenthalte privat organisiert werden und sie dem immersiven Spracherwerb eine wichtige Rolle zumisst. Der kommunikative Nutzen von Fremdsprachen scheint ihr dabei wichtiger zu sein als interkulturelles Lernen, denn Bezüge zur zielsprachlichen Kultur lassen sich in ihren Ausführungen nicht finden. Des Weiteren fällt auf, dass sie eine differenzierte Selbsteinschätzung ihrer Sprachkompetenzen vornimmt, indem sie zwischen produktiven und rezeptiven Kompetenzen unterscheidet. Ähnlich differenziert reflektiert sie auch ihre Einstellungen gegenüber den von ihr gesprochenen Fremdsprachen. In der Tendenz scheint sie integrativ motiviert, es lassen sich aber auch Bezüge auf extrinsische Motivation feststellen, wenn sie in Kommunikationssituationen erfolgreich kommuniziert. Ihre SLB ist insgesamt von positiven Emotionen und einem positiven Selbstkonzept geprägt. Bei der Analyse der Interaktionen auf der Plattform konnte gezeigt werden, dass Sabine die Beschäftigung mit neuen Medien als motivierend empfindet und es ihr sowohl im Forum als auch im Chat gelingt, Lernsituationen herzustellen. Im Forum wendet sie u.a. Interlinearübersetzungen an wobei auffällt, dass sie zunächst Wort für Wort vorgeht. Im weiteren Verlauf des Projekts scheint sich allerdings eine Habitualisierung an den mehrsprachigen Input ergeben zu haben, da sie in der Folge ein Globalverstehen der Forumsbeiträge vorzieht. Sabine wendet weitere Verstehensstrategien in Form von intelligent guessing an und bindet MuttersprachlerInnen aktiv in ihren Verstehensprozess ein, was sich besonders deutlich in der direkten Kommunikationssituation im Chat zeigt. Ihre Verständnissicherungsstrategien umfassen explizite Rückfragen, Reformulierungen und die Bitte um Bestätigung. Anhand der analysierten Chats konnte zudem herausgearbeitet werden, dass der Kontakt zu MuttersprachlerInnen Auswirkungen auf das savoir-être hat, die sowohl positiver wie negativer Natur sein können. Insbesondere im Falle von critical incidents bietet sich eine retrospektive Reflexion an, um die Auswirkungen der fremdsprachlichen Interaktion auf die personenbezogene Dimension ins Bewusstsein zu heben und sie damit zugänglich sowie reflektierbar zu machen. Insofern zeigt Anja 243 sich, dass Sabine über eine Reflexionskompetenz verfügt, die in den analysierten Lernprotokollen, aber auch in den Forumsdiskussionen erkennbar ist. Dem Lernprotokoll kommt dabei eine bewusstheitsfördernde Funktion zu, da Sabine darin zu tiefgehenden Reflexionen über den Gegenstand Sprache kommt. Die Reflexionen umfassen ebenfalls emotive Dimensionen des Fremdsprachenerwerbs. Insgesamt ist Sabines Sprachlernals auch Reflexionskompetenz deutlich ausgeprägt. Sabines Interaktionen auf der Plattform lassen zudem Hinweise auf ein savoir-communiquer erkennen, da sie sich sowohl in die Diskurse im Forum einlassen kann, aber auch Sprach- und Bedeutungsaushandlungen im Chat vollzieht. Dabei fällt auf, dass die thematische Ausrichtung der Forumsdiskussionen sich nicht nur zur Initiierung von sprachlichen, sondern auch zu kulturellen Bewusstwerdungsprozessen eignet, v. a. dann, wenn sich die Gelegenheit zum Perspektivenwechsel bietet. Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel zeigt Sabine nicht nur in den Forumsdiskussionen, sondern auch dann, wenn sie im Interview ihre eigenen Erfahrungen mit der Plattform aus der Perspektive der zukünftigen Lehrerin betrachtet und diese somit für ihren zukünftigen Beruf nutzbar machen will. Des Weiteren konnte herausgearbeitet werden, dass Sabine großes Interesse am interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb sowohl innerhalb als auch außerdem der Plattform hat, da sie sich zusätzlichen Input in Form von Hörverstehensübungen beschafft und den privaten Kontakt zu einer G ALANET -Teilnehmerin herstellt. Die Teilnahme scheint Sabine in ihrem Sprachlernverständnis und in ihren Einstellungen zu Sprache nachhaltig beeinflusst zu haben. Obwohl sie das erste Mal mit anderen romanischen Sprachen in Kontakt kommt, konzipiert sie die romanische Sprachfamilie nun als Ganzes. Ihre BS dient dabei als Schlüssel zum Verstehen der anderen Sprachen. 6.5 Anja 155 Anja 6.5.1 Kurzporträt Anja studiert im 8. Semester Englisch und Spanisch für das Lehramt an Gymnasien. Sie wächst bis zu ihrem 13. Lebensjahr in der Ukraine auf, bezeichnet aber Ukrainisch nicht als ihre L 1 „weil außerhalb der staatlichen Institutionen jeder die russische Sprache verwendete“ (SLB 2-3). Sie erwähnt nicht explizit, welche ihre L 1 ist, führt aber Folgendes aus: „Bis heute spielt Russisch eine sehr wichtige Rolle für mich, da ich mit meiner Familie und einigen Freunden ausschließlich Russisch spreche“ (SLB 4-5). Im folgenden Auszug evaluiert Anja ihre Kompetenzen in der russischen Sprache: 155 Anja legte nach ihrer Teilnahme an Galanet eine Hausarbeit mit dem Titel „Fremdverstehen in G ALANET - Mein Fallbeispiel“ vor, auf die an ausgewählten Stellen Bezug genommen wird (vgl. Kapitel 4.4). Einzelfalldarstellungen 244 Das Lesen, Hörverstehen oder Sprechen fällt mir leicht, allerdings benötige ich für die Verschriftlichung komplexerer Sachverhalte ein Wörterbuch, weil mir diese Begriffe eher in der deutschen Sprache geläufig sind. Auch eine mündliche simultane Übersetzung vom Deutschen ins Russische und umgekehrt erweist sich oft als schwierig. (SLB 5-8) Deutsch lernt sie in der Schule, wo sie „eine spezielle Klasse für Kinder mit Migrationshintergrund“ besucht (SLB 9-10), stellt rückblickend jedoch fest, „dass das Unterrichten dort […] nicht sehr effizient war“ (SLB 11-12). Wesentliche Fortschritte macht sie nach eigenen Angaben erst mit einer privaten Nachhilfelehrerin: „Durch sie habe ich sehr viel Input […] erhalten, denn sie hat nicht nur traditionell mit mir gelernt, sondern mich auch ein Teil ihrer Familie werden lassen, so dass ich mich gut integrieren konnte“ (SLB 13-16). Es fällt auf, dass Anja ihre SprachpartnerInnen als language learning facilitators begreift: „Das Wichtigste für mich war, dass ich sehr viel Zeit unter den deutschen Muttersprachlern verbracht habe und trotz Fehler keine Hemmungen hatte, meine Kenntnisse anzuwenden“ (SLB 17-18). In der 6. Klasse wechselt sie von der Gesamtschule auf das Gymnasium, und lernt parallel zur deutschen Sprache Englisch, ab der 7. Klasse Französisch und in der 11. Klasse schließlich Spanisch, das zu ihren Lieblingsfächern gehört (SLB 54). Sie wählt Französisch ab, da sie „in der elften Klasse auf jeden Fall Spanisch wählen wollte, und […] befürchtete, mit drei Fremdsprachen überfordert zu werden“ (SLB 27-28). In der 9. Klasse nimmt sie an einem Schüleraustausch nach Poitiers teil, der ihre „Motivation, die Französischkenntnisse zu verbessern […] sehr hoch“ ansteigen lässt (SLB 43-44), denn sie war „sehr gespannt, den Alltag einer französischen Familie mitzuerleben“ und ihre Sprachkenntnisse anzuwenden (SLB 46- 47). Daraus lässt sich schließen, dass Anja Sprache vornehmlich über Immersion lernt, was sich auch aus folgendem Zitat ergibt: Mein Aufenthalt in Andalusien letzten Sommer gehört zu meinen wichtigsten Auslandserfahrungen, weil ich zwei Wochen bei einer spanischen Familie verbracht habe und somit die spanische Kultur und den Alltag hautnah erleben konnte. (SLB 67-69) Auffallend ist, dass Anja sich mit reichem, fremdsprachlichen Input versorgt, den sie über Brieffreundschaften zu MuttersprachlerInnen arrangiert (SLB 24- 25) und dadurch, dass sie sich angewöhnt, „immer wieder Filme in der original englischen Sprache zu schauen und englische Bücher zu lesen“ (SLB 25-26). Diese Strategien überträgt sie auch auf die nachgelernten Sprachen: „ich versuche so viel wie möglich spanische Musik zu hören, Filme in der Originalsprache anzuschauen oder spanische Bücher zu lesen“ (SLB 62-63), allerdings schätzt sie den Nutzen dieser Vorgehensweise im Vergleich zu einem Auslandsaufenthalt als weniger effektiv ein: „Es ist schwer eine Sprache nur im theoretischen Kontext zu lernen. [I]ch muss zugeben, dass ein Auslandsaufent- Anja 245 halt immer noch die effektivste Methode ist, die Sprachkenntnisse zu optimieren“ (SLB 61-65), weshalb sie für das kommende Semester ein Auslandssemester in Spanien plant. Besonders interessant erscheint die Tatsache, dass Anja davon berichtet, beim Erlernen des Französischen Sprachvergleiche zum Englischen angestellt zu haben, „um die Texte […] besser erschließen zu können“ (SLB 40-41). Dazu führt sie aus, dass sie „[d]iese Strategien […] auch für die deutsche Sprache und später für das Spanische an[ge]wendet“ habe (SLB 41-42). Als Zwischenfazit der Analyse der SLB lassen sich die folgenden von Anja erwähnten (bzw. nicht erwähnten) Themen zusammenfassen: Grundthemen • (Mehr-)Sprachenerfahrungen und freundschaftliche bzw. familiäre Beziehungen zu MuttersprachlerInnen (SLB 13-15, 24-25, 66) • Kontakte zu Muttersprachlern führen zu gesteigertem Input (SLB 13) • Anwendung von Sprachkenntnissen in Interaktion mit MuttersprachlerInnen trotz Fehlern (SLB 17-18) • Beschaffung von Sprachlerninput (SLB 25-26, 62,63) • Furcht vor Überforderung beim Lernen von drei Schulfremdsprachen (SLB 28) • Sprache anwenden/ kommunizieren (SLB 31-32, 63-65) • Kommunikationssituationen führen zu gesteigerter Motivation (SLB 43- 44) • ausgeprägtes Interesse an Fremdsprachen bzw. am Fremdsprachenerwerb (SLB 51-53) • Schwierigkeit des Spracherwerbs im institutionalisierten Kontext (SLB 61) • Effizienz immersiven Spracherwerbs durch Auslandsaufenthalte (SLB 65- 68) Thematisierung persönlicher Ereignisse • Kontakt zu privater Nachhilfelehrerin, die sie Teil der Familie lassen wird, was Anja für den Spracherwerb als sehr nützlich einschätzt (SLB 13-16) • Fakultatives Auslandssemester in Andalusien (SLB 66, vgl. Interview 174- 180) • 2-wöchiger Aufenthalt in Spanien bei spanischer Gastfamilie (SLB 67-69) Nulldaten • Gute/ schlechte Noten • Prüfungen/ Tests Nachdem hier die für Anja relevanten Sprachlernerfahrungen beleuchtet wurden, soll es im nächsten Teilabschnitt um ihre Interaktion mit anderen Fremdsprachenlernenden im Forum von G ALANET gehen. Einzelfalldarstellungen 246 6.5.2 Interaktion im Forum Anja entscheidet sich zunächst für Portugiesisch als ZS, ihre Wahl ist beeinflusst von IC-Erfahrungen, die sie während eines Urlaubs in Portugal gemacht hat: „[I]ch hab’ mich überraschenderweise problemlos mit den Portugiesen verstanden, ich hab’ auf Spanisch geredet, sie haben mir auf Portugiesisch geantwortet“ (I Z 9-10). Außerdem erwähnt sie, sich bereits in einem Seminar interkomprehensiv mit portugiesischen Texten auseinandergesetzt zu haben (I Z 42-45) 156 , so dass sie einen persönlichen Bezug zur ZS hat, der ihre Wahl beeinflusst. Das Portugiesische trat jedoch auf der Plattform aufgrund der geringen TeilnehmerInnenzahl kaum in Erscheinung, wie Anja im Interview bemerkt: „Allerdings habe ich festgestellt, dass ich persönlich in Galanet fast keine Portugiesen getroffen, also weder Beiträge gesehen hab’, noch in Chatrooms angetroffen hab’, d.h. leider war diese Sprache ganz wenig vertreten“ (I Z 45-47), so dass sie sich schließlich für Italienisch entscheidet. Diese Wahl ist einerseits von praktischen Erwägungen gekennzeichnet, andererseits spielen aber auch affektive Gründe eine Rolle, wie sich aus folgendem Interviewsegment ergibt: [F]rüher in der Schule hab’ ich mir gedacht, ach, wenn ich Spanisch gut kann, dann fang ich mit Italienisch an, das ist einfach toll, so melodisch, und es gibt ja auch ein paar Lieder auf Italienisch, die hier in Deutschland bekannt sind. Also, die Sprache ist einfach sehr schön. (I Z 49-51) Im Vergleich zum Chat bewertet Anja das Verstehen der Beiträge im Forum als weniger schwierig, was sie zum einen mit der thematischen Ausrichtung der Diskussionen, zum anderen aber auch mit der Länge der Beiträge begründet, wie sie im Interview ausführt: I: Ok. Und wie fandst Du das dann mit der IC auf der Plattform? A: Wenn man Beiträge gelesen hat im Forum, war es leichter, weil der Kontext war in sich geschlossen, also, wenn man auch die Leute nicht verstanden hat, konnte man das aus dem Kontext manchmal herausfinden […]. Wenn man aber an einem Chat teilgenommen hat und da nur eine Phrase steht, die Dich jemand fragen möchte, ist es schon schwieriger, wenn man von den drei Wörtern zwei oder eins nicht versteht. (I Z 18-22) Anja berichtet davon, bei der Dekodierung der Forumsbeiträge den Kontext als Erschließungsstrategie hinzugezogen zu haben. Obwohl es sich im Forum um deutlich komplexere Satzstrukturen handelt, empfindet sie die Dekodierung des zielsprachlichen Inputs im Chat schwieriger. Sie führt dies auf die Kürze der Sätze zurück, die aus ihrer Sicht bei einer hohen Anzahl opaker Wörter 156 Anja nahm im vorausgehenden Wintersemester an einem Seminar zur Mehrsprachigkeitsdidaktik teil (vgl. Kapitel 4.4.1, Abb. 11). Anja 247 schnell unverständlich sein können. Hinzu kommt, dass ein Nichtverstehen der Forumsbeiträge aufgrund der asynchronen Kommunikationssituation andere Auswirkungen hat, als das im Chat der Fall ist. Insbesondere Fragen haben im Chat Appellfunktion - sie sollen eine Antwort der ChatpartnerInnen evozieren. Wenn Fragen aber nicht erschließbar sind, wird der Redefluss beeinträchtigt, da der Inhalt seitens des Empfängers zunächst disambiguiert werden muss. Außerdem spielen zeitliche Aspekte eine Rolle, welche die Erwartungshaltung der Chattenden beeinflussen und dazu führen, dass auf Äußerungen relativ schnell zu reagieren ist. Schließlich dürfte es auch an der virtuellen Präsenz liegen, die ein Nichtreagieren im Chat unangebracht erscheinen lässt. Chaträume erwecken den Eindruck, dass die Teilnehmenden physisch anwesend sind, so dass ein Nichtreagieren mit negativen Konsequenzen für den Gesprächsverlauf einhergehen kann. Im Forum hingegen besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, auf die Beiträge und die darin aufgeworfenen Fragen zu reagieren. Zudem gibt es die Möglichkeit, sich im Falle des Nichtverstehens ausreichend Zeit für die Disambiguierung zu lassen, und Wörterbücher o. ä. zum Verstehen heranzuziehen. Forumsdiskussion Phase 2: A propos des préjugés Anja postet im Forum insgesamt fünf Nachrichten. Im Forum der 1. Phase beteiligt sie sich sowohl an der Diskussion Quelle identité pour votre ville? als auch an der Diskussion A propos des préjugés. Ferner bringt sie sich mit zwei Beiträgen in die Diskussion Aprendizaje de una lengua (vgl. Datenauszug 18 und 19) ein. Im Forum der 3. Phase erfolgt ein Beitrag zur Organisation des dossier de presse. Aus einer interkulturellen Perspektive erscheint Anjas Beitrag zu A propos des préjugés interessant, den sie auch im Interview erwähnt, so dass sich hier die Möglichkeit der Datentriangulation ergibt. 157 Der folgende Datenauszug zeigt den Einleitungstext sowie Anjas Posting und einen weiteren Beitrag einer Teilnehmenden der Gießener équipe (siehe Datenauszug 28). Anja kritisiert in ihrem Beitrag Menschen, die Vorurteile haben, ohne dabei über Erfahrungswissen bzgl. dieser Länder zu verfügen. Sie ist der Ansicht, dass auf diese Weise vermehrt Unterschiede herausgestellt und Gemeinsamkeiten nicht wahrgenommen würden, was dazu führe, dass sich falsche bzw. einseitig auf kulturelle Unterschiede fokussierende Vorstellungen verfestigten. Daher seien Reisen wichtig, um sich selbst ein Bild machen zu können und sich bei der Meinungsbildung nicht nur auf medial vermittelte Fremdbilder zu stützen. Anhand des Forumsbeitrages lässt sich die Lesart entwickeln, dass Anja Auslandsaufenthalte, den dadurch entstehenden Kontakt zur Kultur und das angeeignete Erfahrungswissen als probates Mittel für die Überwindung von Vorurteilen betrachtet. Es spricht ferner vieles dafür, dass sie sich darüber bewusst 157 Anja greift diese Forumsdiskussion auch in ihrer Hausarbeit auf. Einzelfalldarstellungen 248 ist, dass Medien Vorurteile transportieren können, denn im Gegensatz zur medialisierten Darstellung von Kulturen scheint sie einen intrakulturellen Blickwinkel zu favorisieren. 158 158 Diese Lesart wird durch Hinzunahme des folgenden Zitats aus Anjas Hausarbeit gestützt, mit dem sie sich auf den Beitrag von BeniceN vom 11.04.2010 (s. o.) bezieht: „Dennoch denke ich, dass es schwer ist, sich komplett vom stereotypischen Denken freizusprechen. Bei mir habe ich festgestellt, dass dies der Fall war, als ich einen Beitrag über Brasilien gelesen habe. Meine Assoziationen mit diesem Land sind durch die Medien beeinflusst, so dass die wenigen Aspekte, die transportiert werden, die einzigen in Verbindung mit diesem Land sind. Aus diesem Grund war G ALANET eine gute Gelegenheit für mich, um einen Kontakt mit den Einheimischen aufzunehmen und kulturelle Aspekte kennenzulernen, die sonst vor Touristen bzw. Außenstehenden verborgen bleiben“ (Seite 11). Anja 249 Datenauszug 28: Forumsdiskussion A propos des préjugés, Beitrag Anja Bemerkenswert ist zunächst, dass Anja sich nicht auf das vorausgehende Posting ihrer Kommilitonin Carolin bezieht. Die beiden Postings unterscheiden sich nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich voneinander: Während Carolin v. a. auf negativ besetzte Autostereotype rekurriert und damit zwar wesentlich konkreter in ihren Ausführungen ist als Anja, ist auch ihr Ton ein anderer. Einen gemeinsamen Fluchtpunkt der Perspektiven sehe ich darin, dass beide Teilnehmerinnen die Vorstellung teilen, dass ein Auslandsaufenthalt Vorurteile abbauen kann. Carolin nimmt hierbei allerdings eine intrakulturelle Perspektive ein und macht dabei eine Dichotomie zwischen Eigenem und Fremden auf, wenn sie ihre Wahrnehmung von Autostereotypen als in Teilen Einzelfalldarstellungen 250 falsch zurückweist. Besonders auffällig ist der letzte Satz ihres Beitrages, der nicht zuletzt wegen der Formulierung tienen que in der Tendenz befehlsartig klingt: „Estas personas […] tienen que ir a Alemania para ver como somos en realidad“ (s. o.). Anja hingegen wählt Formulierungen, die unterstreichen, dass es sich um ihre persönliche Sichtweise handelt (vgl. me parece) und bleibt in ihren Ausführungen eher allgemein. So bezieht sie sich nicht etwa auf ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Kultur und geht auch nicht auf die im Einleitungstext aufgeworfenen Fragen ein. Anja rekurriert im Interview auf diesen Forumsbeitrag und führt dazu Folgendes aus: „Also, ich hab’ […] das diplomatisch oder nicht so direkt formuliert, weil ich wollte nicht, dass der nächste Beitrag mich irgendwie angreift persönlich, wenn irgendjemand etwas falsch versteht“ (I Z 116-118). Es scheint, als ob Anja dem Thema ein gewisses Konfliktpotential zumisst, das sie jedoch zu umgehen versucht. Durch die Analyse von Anjas Forumsbeitrages lässt sich die Lesart entwickeln, dass sie nicht nur über interkulturelle, sondern auch pragmatische Kommunikationsbewusstheit verfügt. Anja scheint sich der Tatsache bewusst zu sein, dass TeilnehmerInnen Beiträge vor dem eigenen Erfahrungshorizont interpretieren, wobei Sprache nicht nur Mittel zum Verstehen, sondern auch Quelle von Missverständnissen sein kann. Des Weiteren spricht vieles dafür, dass auch das Medium einen Einfluss auf den Umgang mit tendenziell heiklen Themen hat, da im Forum eine Ko-Konstruktion von Bedeutung im Vergleich zum Chat nur bedingt möglich ist. Dies hängt v. a. mit der asynchronen Kommunikationssituation zusammen, die ein direktes Nachfragen und eine sofortige Bedeutungsaushandlung nicht zulassen. Obwohl sich Anja in der obigen Forumsdiskussion selbst nicht auf vorhergehende Beiträge bezog, thematisiert sie sowohl im Interview (Z 108) als auch im LP die Tatsache, dass niemand Bezug auf ihren Beitrag genommen habe. Im LP notiert Anja unter 3d) Gab es Frustrationserlebnisse? Wenn ja, welche u. wie bin ich damit umgegangen? Folgendes: Ich fand es frustrierend, wenn ich einen Beitrag im Forum geschrieben habe und niemand darauf Bezug genommen hat. Um mich zu motivieren, habe ich das aber nicht persönlich genommen, schließlich gab es viele andere Beiträge, die ähnlich waren. (LP Z 326) 159 An diesem Segment lässt sich die Lesart entwickeln, dass Anja den Diskussionscharakter des Forums wahrgenommen und ein Bewusstsein für die kommunikative Situation hat, denn die bloße Aneinanderreihung von Beiträgen ohne die Bezugnahme auf bereits vorgetragene Argumente entspricht nicht der 159 Allerdings ist festzuhalten, dass Anja sich in die Diskussion einbringt, als Phase 2 bereits beendet war. Ihr Beitrag erfolgt am 15.06.2010 und damit fast zwei Monate nach dem letzten Posting. Da sich die Diskussionen zu diesem Zeitpunkt im Forum der 4. Phase abspielten, ist es aufgrund des Projektszenarios relativ unwahrscheinlich, noch eine Reaktion zu erhalten. Anja 251 kommunikativen Ausrichtung der Forumsdiskussionen. Das Ausbleiben der Kommentare führt bei Anja zu frustrierenden Momenten, welche sie allerdings überwindet, indem sie Ressourcen im Bereich savoir-être mobilisiert. Es spricht vieles dafür, dass dieser Eindruck dadurch verstärkt wird, dass die Teilnahme an den Diskussionen für Anja mit einer gewissen Selbstüberwindung einhergeht, die sie bereits im LP erwähnt: „Ich glaube, mir würde es manchmal leichter fallen etwas zu schreiben, wenn ich wüsste, dass die anderen auch Fremdsprachenlerner sind, weil man sich sonst sprachlich unterlegen fühlt“ (LP Z 111). Sie spielt damit auf die exolinguale Kommunikationssituation an, die eine wahrgenommene Hierarchie zur Folge hat. Im Interview bitte ich Anja, diese Passage zu kommentieren: A: Ja. Das hängt natürlich mit den Formulierungen zusammen, ob ich da Fehler mach’ und wenn ich weiß, dass die anderen eventuell auch damit zu kämpfen haben, dann ist es für mich nicht so schlimm, Fehler zu begehen. [U]nd ja, das war so ein bisschen die Hemmschwelle. I: Ok. Und hast Du versucht, das zu überwinden irgendwie diese Hemmschwelle? A: Ja, ich hab’ dann also […] bei Beiträgen mir mehr Zeit gelassen, das noch mehrmals durchgelesen zur Sicherheit, die Wörter nochmal im Wörterbuch nachgeguckt […]. Also, das war wie als ob ich diesen kleinen Text einem Dozenten abgebe an der Uni, dass ich da möglichst keine Fehler haben möchte […] und dann wirklich versucht hab’, mein Bestes zu geben. (I Z 124-135) Die Kommunikationssituation auf der Plattform und das Interagieren mit den KommunikationspartnerInnen machen u. U. Lücken in der BS deutlich, die zu Frustrationserfahrungen führen können. Hinzu kommt, dass die Orientierung an den Kompetenzen eines Muttersprachlers bzw. einer Muttersprachlerin das Empfinden eines Hierarchiegefälles verstärkt, das sich aus Anjas Sicht in einer Bewertungssituation niederschlägt. Dies führt in der Konsequenz zu der von Anja angesprochenen Hemmschwelle, auf der Plattform aktiv zu werden. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht ohne Auswirkungen auf das Lernerlebnis bleibt. An dem obigen Interviewsegment zeigt sich jedoch auch, dass Anja Strategien mobilisiert, um das empfundene Ungleichgewicht abzumildern. Sie berichtet, sich eingehend mit dem brückensprachlichen Output beschäftigt zu haben. Sie redigiert ihre Beiträge, indem sie Monitoring-Strategien anwendet. Daneben gelingt es Anja - wie erwähnt - Ressourcen im Bereich des savoir-être einzusetzen: I: Wenn Du mal Deine Interaktion vergleichst am Anfang des Projekts […] und am Ende, hat sich da irgendwas verändert? A: Hmm, […] also für mich persönlich hat es sich verändert, dass ich mir immer […] gesagt hab’, es ist egal, mach das jetzt, denk nicht darüber nach, es vergeudet sonst niemand damit Zeit, sich da Gedanken zu machen. Jetzt mach das einfach. Einzelfalldarstellungen 252 I: Also sich Gedanken machen, was meinst Du damit […]? A: Ja, so, ah, ist es jetzt falsch, ist es jetzt richtig, soll ich das anders formulieren […]. (I Z 160-164) Anhand des Interviewsegments lässt sich die Lesart entwickeln, dass Anja erfolgreich Strategien der Selbstmotivation mobilisiert, die dazu führen, dass sie ihre Sprachhemmungen überwinden kann. Insofern räumt sie der Arbeit mit dem LP im Interview eine bewussheitsfördernde Funktion ein: „[W]ie man mit Frustrationen umgeht, dass man […] trotzdem weitermachen muss. Und ja, immer wiederkehrende Selbstmotivation, ach jetzt schreib doch mal, jetzt denk nicht drüber, mach jetzt einfach“ (I Z 567-569). 6.5.3 Interaktion im Chat Von Anja liegen insgesamt zwei Chats vor. Es handelt sich zum einen um Chat 14, der während Phase 1 in einem Chatraum stattfand, und von ihr im LP aufgegriffen und kommentiert wird. Auszüge aus diesem Chat wurden Anja vor Beginn des Interviews als stimulated recall vorgelegt, so dass sich hier die Möglichkeit der Datentriangulation bietet. Zum anderen liegt ein chat privé mit Agnes vor, der in der 3. Phase stattfand (Chat 10) und ebenfalls von Anja im LP thematisiert wird. Hier werden u.a. Anjas Interesse an Sprachen sowie ihre diesbezüglichen Einstellungen deutlich, so dass er in die Analyse mit einbezogen wird. Zunächst erfolgt die Analyse und Darstellung des Chats aus der salle de discussion, der in vier Sequenzen unterteilt ist. Chat 14: Salon de discussion rouge 19.03.2010 160 1 […] 2 [11: 08: 21][Verdiana] Ciao Anja di dove sei? 3 [11: 08: 32][Anja] De Allemania 4 [11: 08: 44][Vale2] Cosa studi? 5 [11: 08: 46][Robbina] Anja capisci l’italiano? 6 [11: 08: 53][Anja] Espanol no es mi lengua materna, solo la 7 estudio 8 [11: 09: 12][Martina] forse ci conviene parlare in francese... 9 [11: 09: 22][Anja] eres una italiena, o? 10 [11: 09: 26][gavriloviciA] la didactica delle lingua francese 11 come lingua straniera ed educazione interculturale 12 [11: 09: 45][Robbina] gavriloviciA capisci bene l’italiano? 13 [11: 09: 49][gavriloviciA] si 160 Die vollständige Chatdiskussion kann unter www.galanet.eu/ chat/ afficher_ log_chat.php? log=ChatLog-19032010_105813.txt eingesehen werden (letzter Zu griff 12.08.2013). - Anja 253 14 [11: 09: 57][Verdiana] Noi però lo spagnolo lo parliamo molto 15 poco...comunque cerchiamo di capirci 16 [11: 09: 58][Vale2] Bene: ) 17 [11: 10: 10][Tanya] ; -)! tres bien pour nous! 18 [11: 10: 28][gavriloviciA] ; )) 19 [11: 10: 44][Robbina] Anja quante lingue sai? 20 [11: 11: 10][Vale2] GavriloviciA Dove vivi? 21 [11: 11: 13][Anja] Aleman, ingles, espanol y un poco frances y 22 tu? 23 [11: 11: 17][gavriloviciA] Iasi 24 [11: 11: 40][gavriloviciA] nel nord della Romania 25 [11: 11: 49][Robbina] Italiano ( che è la mia lingua madre), il 26 francese e un pò l’inglese 27 [11: 11: 50][gavriloviciA] e tu? 28 [11: 11: 52][Anja] ah, y ruso, porque soy de Ukraine 29 [11: 12: 11][Tanya] ahhh...voi siete già state in Italia? 30 [11: 12: 19][gavriloviciA] io non 31 [11: 12: 24][Vale2] Nel nord Italia a Torino 32 [11: 12: 26][Verdiana] Sai molte lingue Anja? Che scuola 33 frequenti? 34 [11: 12: 27][gavriloviciA] soltanto in Francia 35 [11: 12: 33][Tanya] e cosa ti piacerebbe visitare...? 36 [11: 13: 05][Anja] no entiendo la pregunta, lo siento 37 […] 38 [11: 13: 46] [Robbina] cosa vuol dire pregunta? 39 […] Datenauszug 29: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 1 Im Chatraum befinden sich zunächst insgesamt sieben UserInnen. Es lassen sich vier Gesprächsstränge ausmachen, die allerdings nicht immer eindeutig zuordbar sind, weil sie einerseits thematisch nicht abgrenzbar sind, es aber andererseits auch zu Überlappungen kommt. Ich werde mich bei der Darstellung auf solche Gesprächsstränge beschränken, die im Sinne des Erkenntnisinteresses - in diesem Fall dem Erleben der mehrsprachigen Kommunikation aus Anjas Sicht - wichtig sind und die übrigen lediglich knapp darstellen. 161 Bevor Anja den Chatraum betritt und sich am Chat beteiligt (3), sind 54 turns erfolgt, was etwa 10 Minuten entspricht (10: 58: 13-11: 08: 21). Später hinzukommende TeilnehmerInnen haben keinen Überblick über den bisherigen Chatverlauf, 161 Gesprächsstrang 2 z. B. betrifft ausschließlich Vale2 und gavriloviciA, die über ihre Studienfächer (4, 10-11) und Herkunft (20, 23-24, 27 + 31) sprechen. Da sich niemand der übrigen ChatteilnehmerInnen einschaltet, mutet diese Sequenz wie ein chat privé an, der allerdings immer wieder von Beiträgen der übrigen TeilnehmerInnen durchbrochen wird. Einzelfalldarstellungen 254 d.h. sie wissen nicht, worüber gerade gesprochen wird. Wenn TeilnehmerInnen den Chatraum hingegen betreten oder verlassen, ist dies für alle anderen sichtbar. Verdiana nimmt dies zum Anlass, Anja zu begrüßen und sie nach ihrer Herkunft zu fragen (2) (Gesprächsstrang 1: Anja - Verdiana - Robbina). Auffällig ist, dass sich die Begrüßungssequenz lediglich auf Verdianas Äußerung „Ciao Anja“ beschränkt und von Anja keine Begrüßung ausgeht. Der folgende Auszug aus ihrem LP bietet insofern einen Erklärungsansatz. Unter Punkt 3d) Gab es Frustrationserlebnisse? Wenn ja, wie bin ich damit umgegangen? notiert sie: Ja, leider. Ganz schwierig war es für mich, den Anfang zu machen. Ich wusste nicht, wie die Leute im Chat auf mich reagieren werden, und ob sie überhaupt reagieren. Aber als ein paar Beteiligten mir persönliche Fragen gestellt haben und unser Gespräch ins Rollen kam, war ich sehr erleichtert und motiviert! 162 (LP Z 58) Anhand der fehlenden Begrüßung und dem Auszug aus dem LP wird deutlich, dass die (erstmalige) Kontaktaufnahme zu den übrigen UserInnen für Anja mit einem Gefühl der Überwindung verbunden ist. Als die übrigen UserInnen sie aber direkt ansprechen und Fragen zu ihrer Person stellen, scheint das Eis gebrochen. Durch Fragen und das so signalisierte Interesse kommt das Gespräch in Gang, worin ein motivierendes Moment zu sehen ist. Anja rekurriert auch im Interview auf den Beginn des Chats und führt dazu aus: „Ja und da wurde ich auch persönlich bei den Fragen angesprochen, z.B. von der Verdiana. […] Und weil’s auch sehr zu Beginn war, ja, hab’ ich gedacht, ah, ich bin jetzt ein Teil davon, von dem Chat und schön, aufgenommen zu werden“ (I Z 365- 369). Anja beschreibt die Fragen der ChatteilnehmerInnen an sie als ein Hineingenommenwerden in die Gruppe, womit ein Gefühl der Integration einhergeht. Sie führt an anderer Stelle im Interview aus, dass dies einen Einfluss auf ihre Motivation hatte: „Ja, man sitzt vor dem PC und denkt sich ja, die haben mich wahrgenommen, ich bin jetzt ein Teil von ihnen, ich gehöre dazu, die interessieren sich für meine Person und, also, für meine Motivation war das ganz entscheidend“ (I Z 192-194). An diesem Segment zeigt sich, dass der Kontakt zu MuttersprachlerInnen und das Interesse der übrigen ChatteilnehmerInnen für Anja zu positiven Auswirkungen auf der affektiv-attitudinalen Ebene führt. Fortan fühlt sie sich in die Gruppe integriert, was Rückschlüsse auf ihre integrative Motivation zulässt. Nachdem Anja ihre Herkunft erwähnt (3), macht sie deutlich, dass Spanisch nicht ihre L 1 sei (6-7). Ihre Frage in Zeile (9) bleibt unbeantwortet, vermutlich, weil nicht klar ist, auf wen sie sich bezieht. Interessant ist, dass Robbina sowohl bei Anja (5) als auch bei gavriloviciA (12) auslotet, ob sie Italienisch verstehen, 162 Anja markiert diesen Teil ihres LP-Eintrages rot, was dafürspricht, dass es sich aus ihrer Sicht um eine herausfordernde Situation handelte. Anja 255 was von Anja allerdings unbeantwortet bleibt. Im Folgenden kommen Anja und Robbina auf ihre Sprachen zu sprechen, während es immer wieder zu thematischen Überlappungen mit Gesprächsstrang 2 bzw. 3 (s. u.) kommt. Es könnte sein, dass die Parallelität der verschiedenen Gesprächsstränge dazu führt, dass Anja die von Martina (8) und Verdiana (14-15) offen geäußerten Verständnisprobleme erst gar nicht wahrnimmt. In Zeile 19 spricht Robbina Anja schließlich direkt an und fragt, wie viele Sprachen sie spreche. Das direkte Ansprechen dient der Disambiguierung, denn so wird deutlich, an wen sich ihre Frage richtet. In Zeile 28 erwähnt Anja ihre L 1 Russisch bzw. Ukrainisch, Verdiana fragt schließlich nach Anjas Schule (32-33). Daraufhin signalisiert Anja offen ihre Verständnisprobleme (36), wobei unklar ist, um welche der beiden Fragen es sich handelt bzw. ob es sich um beide handelt. Es fällt auf, dass Anja nicht den Versuch macht, einzelne opake Wörter zu extrahieren und um deren Umschreibung zu bitten. Sie fragt auch nicht nach einer Reformulierung der beiden Fragen. Es könnte sein, dass dies der schnellen zeitlichen Abfolge im Chat geschuldet ist, der zudem noch zahlreiche thematische Überlappungen aufweist. Weiterhin fällt auf, dass Anjas offen geäußerte Verständnisprobleme keine Hilfestellungen der übrigen TeilnehmerInnen hervorrufen. Dies mag damit zusammenhängen, dass die italophonen UserInnen Anjas Äußerung (36) nicht verstehen, was sich u.a. an Robbinas Beitrag (38) zeigt: „Cosa vuol dire pregunta? “. Robbinas Frage bleibt ebenfalls unbeantwortet, was die Lesart stützt, dass sowohl Anjas Beitrag aus Zeile (36) als auch das von Robbina extrahierte opake Wort pregunta von den italophonen TeilnehmerInnen interkomprehensiv nicht erschlossen werden konnten. Im dritten Gesprächsstrang (Robbina - Martina - Verdiana gavriloviciA) lotet Robbina sowohl bei Anja (5) als auch bei gavriloviciA (12) aus, ob ihnen ein Verstehen der italienischen Beiträge gelingt, was gavriloviciA bejaht (13), bei Anja aber keine Antwort hervorruft. Dies könnte daran liegen, dass Anja sich gerade auf das Gespräch mit Verdiana konzentriert (Gesprächsstrang 1). Auffällig ist Martinas Vorschlag, ob man nicht ins Französische wechseln könne (8). Verdianas Beitrag geht in dieselbe Richtung, wenn sie das Spanische bewertet, gleichzeitig aber verspricht, sich im Verstehen versuchen zu wollen (14-15). Wie sich bereits bei der Analyse des ersten Gesprächsstrangs ablesen lässt, scheinen die spanischen Beiträge den italienischen TeilnehmerInnen Schwierigkeiten zu bereiten. Dabei ist interessant, dass sowohl Martinas als auch Verdianas Beiträge in der ersten Person Plural verfasst sind, so dass sie für alle italienischen TeilnehmerInnen zu sprechen scheinen. Insofern fällt auf, dass zumindest in dieser Chatsequenz nicht versucht wird, Verstehensstrategien anzuwenden, sondern sofort ein Sprachwechsel ins Französische vorgeschlagen wird. Anja reagiert nicht auf diese Einwände, was damit zusammenhängen könnte, dass sie den Chatraum gerade betreten hat und sich vermutlich zunächst an die schnelle Abfolge der turns im Chat gewöhnen muss, der allein aufgrund der Vielzahl an Teilnehmenden eine Herausforderung darstellen Einzelfalldarstellungen 256 kann. Der vierte Gesprächsstrang wird durch Tanyas Frage, ob jemand der TeilnehmerInnen schon einmal in Italien war, ausgelöst (29). Obwohl die Frage an alle Teilnehmenden gerichtet war, ist es zunächst allein gavriloviciA (30) die antwortet. In der folgenden Chatsequenz 2 wird das Thema ‚Italien‘ weiter ausgeführt: 40 [11: 15: 17] [GABRIEL] ..di che si parlava? ? 41 [11: 15: 23][Robbina] Anja e gavriloviciA ci consiglio di andare 42 a Venezia, è bellissima! ! 43 [11: 15: 40][GABRIEL] io non sono mai andato ma mi piace- 44 rebbe 45 [11: 15: 42][Tanya] da dove vengono Anja e gavrilonciA 46 [11: 15: 43][Anja] Ah, Venezia! Si claro! 47 [11: 15: 46][GABRIEL] nel periodo del carnevale.. 48 [11: 16: 03][Tanya] maschere veneziane...atmosfera magica! 49 [11: 16: 07][Vale2] A Venezia vorrei andarci anche io: )é bella 50 vero? 51 [11: 16: 07][Verdiana] Ma non c’é nessuno della nouvelle 52 caledonie? 53 [11: 16: 11][Anja] Si, una amaga mia fue alli! Estuvo estupendo! 54 [11: 16: 20][gavriloviciA] Tanya vengo da Iasi, Romania 55 [11: 16: 24][Anja] Pero conoces carneval en Allemania? 56 [11: 16: 30][Robbina] Si Vale2, è proprio particolare 57 [11: 16: 32][GABRIEL] no 58 [11: 16: 45][Martina] no...com’è? 59 [11: 16: 46][GABRIEL] no conosces porchè? 60 [11: 17: 01][Tanya] raccontaci Anja! 61 [11: 17: 52][Verdiana] Raccontaci Anja mi interessa molto... 62 J’adore le carneval! 63 [11: 18: 07][Bettina] Ciao! 64 [11: 18: 08][Anja] Toda la gente se disfrase y es bastante dife- 65 rente que en Valenzia, pero las ambos son mbuenas ; ) 66 [11: 18: 16][Vale2] Sono curiosa anche io... 67 […] 68 [11: 18: 39][Tanya] cosa e les ambos? ? ? Datenauszug 30: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 2 In der Zwischenzeit hat GABRIEL den Chatraum betreten, in Zeile 63 kommt Bettina hinzu, so dass sich die Zahl der TeilnehmerInnen auf neun erhöht. Im Vergleich zur ersten Chatsequenz fällt auf, dass die Diskussion nunmehr größtenteils um ein Thema kreist - den ChatteilnehmerInnen ist es gelungen, einen Anja 257 gemeinsamen Fluchtpunkt herzustellen. 163 Es handelt sich um die Thematisierung Italiens als Reiseziel - Robbina empfiehlt, Venedig zu besuchen (41-42). GABRIEL bringt den venezianischen Karneval ins Spiel (47), was für Anja der Auslöser ist zu fragen, ob die TeilnehmerInnen Karneval in Deutschland kennen (55). Es bleibt unklar, ob sich diese Frage explizit an GABRIEL richtet - immerhin bringt er das Thema Karneval ein und die Verbform bezieht sich auf die 2. Person Singular. Aber auch die übrigen TeilnehmerInnen fühlen sich angesprochen und fordern Anja dazu auf, davon zu berichten (vgl. u.a. 58 + 60). Die Nennung von Anjas Namen dient der Disambiguierung und unterstreicht gleichzeitig die Aufforderung zum Erzählen und das Interesse an Anjas Ausführungen. Anja nimmt das Interesse der übrigen Chattenden deutlich wahr und führt im Interview dazu Folgendes aus: „[W]enn sie sich für meinen Hintergrund interessieren, dann werten sie ja auch meine Person auf. Und ja, das zeigt Interesse. Ja. Da freut man sich“ (I Z 416-418). Es wird deutlich, dass die Neugierde der italienischen UserInnen auf Anja positive emotionale Auswirkungen hat, die sich in Form von Anerkennung und Freude niederschlagen. In den Zeilen 64-65 beschreibt Anja den Kölner Karneval und vergleicht ihn mit dem venezianischen, indem sie auf Unterschiede rekurriert, ohne diese genauer zu spezifizieren. Es fällt auf, dass Anjas Ausführungen ohne (inhaltliche) Reaktion der übrigen ChatteilnehmerInnen bleiben. Allein Tanya merkt ihre Verständnisprobleme an, die sich auf das Wort ambos beziehen (68), welche allerdings unbeantwortet bleiben. Das Thema Karneval stellt einen common ground dar, dessen Thematisierung für Anja eine Möglichkeit ist, einen Rückbezug zu ihrer eigenen kulturellen Lebenswelt vorzunehmen und diese mit den ChatteilnehmerInnen zu teilen. Obwohl von den ItalienerInnen zunächst ein großes Interesse daran ausgeht, bleibt eine weitergehende inhaltliche Auseinandersetzung aus. Wie gezeigt werden konnte, stellen Anjas spanische Beiträge aus Sicht der ItalienerInnen eine Herausforderung dar, was sich einerseits an den Fragen nach opaken Wörtern belegen lässt (vgl. Zeile 68), andererseits aber auch an deren Bewertung des Spanischen als schwierig zu verstehende Sprache bzw. der Bitte um Sprachwechsel zeigt (vgl. Chatsequenz 1). Durch Rückgriff auf Anjas Auszüge aus dem LP lässt sich außerdem die Lesart entwickeln, dass auch Anja Schwierigkeiten bei der Darstellung des Themas hat. Sie notiert im LP unter 1d) Was ist mir bei meiner heutigen Tätigkeit schwergefallen? „Spontan das zu sagen, was 163 Der Gesprächsstrang wird einzig von Tanyas Frage nach Anjas und gavriloviciAs Herkunft unterbrochen (45), die gavriloviciA (54), nicht aber Anja beantwortet. Die Tatsache, dass Tanya diese Frage stellt, obwohl die Herkunft der beiden Chatteilnehmerinnen bereits in Chatsequenz 1 thematisiert wurde spricht dafür, dass Chats im salon de discussion aufgrund der Vielzahl an Beiträgen erhöhte Anforderungen an die Teilnehmenden stellen. In diesem Fall kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Tanya die diesbezüglichen Äußerungen nicht verstanden haben könnte, da gavriloviciA in Tanyas L 1 Italienisch kommuniziert. Einzelfalldarstellungen 258 ich möchte, z.B. Kölner Karneval zu beschreiben“ (LP 20-21). Im Interview führt sie Folgendes dazu aus: Ja, ich hätte noch gerne erzählt, mit der Tradition mit den Kamellen. […] Das kennen die bestimmt auch nicht und mit den Zügen, […] also das ist ja das, was das da ausmacht. [A]ber wiegesagt, ich hab’ dann auch gebraucht, bis ich das zusammenhatte. (I Z 429-436) Am LP-Auszug zeigt sich, dass die Kommunikationssituation im Chat ein rasches Reagieren in der Fremdsprache erfordert und auch der Interviewauszug verweist auf zeitliche Aspekte der Chatkommunikation. Es scheint, dass einerseits das Medium die weitere Thematisierung des Karnevals nicht begünstigt, da Anja nicht viel Zeit bleibt, ihren Output zu redigieren oder Hilfsmittel hinzuziehen, die ihr die Textproduktion erleichtern könnten. Andererseits spricht aber auch vieles dafür, dass die kulturelle Dimension des Themas eine Herausforderung für dessen sprachliche Darstellung ist, da hier eigenkulturelle Inhalte für die übrigen ChatteilnehmerInnen in der Fremdsprache nachvollziehbar gemacht werden müssen. Anja beschränkt sich bei der Beschreibung des Karnevals auf Allgemeinplätze wie das Verkleiden, lässt aber Besonderheiten wie Kamellen aus, was mit der generellen Frage der Übersetzbarkeit von kulturellen Phänomenen zusammenhängen, aber auch auf die Kompetenzen in ihrer BS zurückzuführen sein könnte. Vor diesem Hintergrund dürfte die Kommunikationssituation aus Anjas Sicht dazu geeignet sein, entsprechende Lücken in der Fremdsprache aufzudecken und die Schwierigkeiten der Übertragbarkeit eigenkultureller Inhalte bewusst zu machen. In der Folge versucht Anja, den Blick weiter auf Deutschland zu richten: 69 [11: 18: 43][Anja] Ha sido alguien en Alemania? 70 […] 71 [11: 19: 12][Robbina] cosa vuol dire alguien, non compriendo 72 [11: 19: 20][Verdiana] Faccio un’po fatica a capire il senso della 73 frase Anja 74 [11: 19: 21][Anja] si, o en general? 75 [11: 19: 37][Vale2] Anche io faccio un pò fatica 76 [11: 20: 01][Robbina] Anja riesci a spiegarti in francese? 77 [11: 20: 06][GABRIEL] si non si capisce molto bene 78 [11: 20: 10][Anja] la pregunta fue, si alguien ha visitado a Ale- 79 mania 80 [11: 20: 26][Verdiana] Scusaci lo spagnolo é bellissimo ma per 81 noi è difficile.... 82 [11: 20: 40][Tanya] en francais? 83 [11: 20: 41][GABRIEL] si verdiana è vero 84 [11: 20: 44][Martina] Non potresti spiegarti in francese per fa- 85 vore? 86 [11: 20: 54][GABRIEL] oui en français peut-etre Anja 259 87 [11: 20: 55][gavriloviciA] Anja io non, l`ho traversato soltanto 88 [11: 21: 20][gavriloviciA] con la macchina 89 [11: 21: 20][Bettina] j’ai été en allemagne cet novembre.. j’ai 90 repondu à ta question? 91 [11: 21: 42][Anja] Si, muchas gracias ; ) 92 [11: 22: 05][Anja] Yo, nunca he estado en Italiy, pero muchas 93 veces 94 en Francia ! 95 […] Datenauszug 31: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 3 In Chatsequenz 3 lassen sich zwei Gesprächsstränge identifizieren: Zum einen handelt es sich um die durch Anja angestoßene Frage, ob die TeilnehmerInnen schon einmal Deutschland besucht haben (69), auf die gavriloviciA (87-88) und schließlich Bettina (89-90) reagieren. Zum anderen entsteht bei den italophonen TeilnehmerInnen erneut ein Diskurs darüber, dass Anjas spanische Beiträge schwierig zu verstehen seien. Robbina versucht, das Wort alguien zu disambiguieren (71), woraufhin sie allerdings keine Hilfestellung erfährt, während Verdiana und Vale2 bemerken, dass sie Schwierigkeiten haben, den ganzen Satz zu verstehen (72-73,75). Robbina bittet Anja schließlich direkt um ein Code-switching ins Französische (76), wozu GABRIEL ausführt, dass man Französisch - vermutlich im Vergleich zu Spanisch - sehr gut verstehen könne (77). Anja reagiert auf diese Beiträge, indem sie ihre Frage umformuliert (78- 79), d.h. sie stellt sich auf ihre ChatpartnerInnen ein und ersetzt die für die italophonen TeilnehmerInnen opaken Wörter ha sido mit ha visitado, die im Vergleich dazu eher interkomprehensibel sind. Robbinas Frage nach der Bedeutung des Wortes alguien (71) wird damit zwar nicht geklärt, denn es spricht vieles dafür, dass der inhaltliche Austausch der Chattenden wichtiger erscheint als die Aushandlung einzelner Wörter. Auch Verdiana merkt daraufhin an, dass Spanisch zwar schön, für sie aber schwer zu verstehen sei (80-81). Dabei fällt auf, dass sie wiederum für die italophonen TeilnehmerInnen als Gruppe spricht, was von GABRIEL bestätigt wird (83). In der Folge bitten Tanya (82), Martina (84-85) und GABRIEL (86) ebenfalls direkt um ein Code-switching. Dabei fällt auf, dass Tanya und GABRIEL selbst den von ihnen vorgeschlagenen Sprachwechsel vornehmen. Anja reagiert zwar auf die Verständnisprobleme ihrer ChatpartnerInnen durch Reformulierung ihrer Frage (78-79), nicht aber auf die Bitte nach Code-switching. Im Interview thematisiere ich diese Stelle im Chat, wozu Anja Folgendes ausführt: Ja, ich glaube, ich hab’ das anders verstanden, […] dass sie […] die Phrase an sich nicht verstanden haben, aber jetzt nicht, dass ich das auf Französisch schreiben soll. […] Man redet irgendwie aneinander vorbei eventuell. (I Z 460-466). Einzelfalldarstellungen 260 An diesem Segment lässt sich die Lesart entwickeln, dass auch Anja die interkomprehensive Kommunikationssituation Schwierigkeiten bereitete und es daher zu sprachlichen Missverständnissen kam. Im LP notiert sie unter 1d) Was ist mir bei meiner heutigen Tätigkeit schwergefallen? „Die anderen im Chat 100% sinngemäß zu verstehen“ (LP 20-21), so dass davon auszugehen ist, dass Anja die Äußerungen ihrer ChatpartnerInnen nicht immer in Gänze durchdrungen hat. In dieselbe Richtung weist folgender Auszug aus dem LP: 3c) Ich musste eigene Widerstände gegenüber dem sprachlich und kulturell Fremden überwinden. Wenn ja, welche und wie ist mir das gelungen? Die kulturellen Unterschiede finde ich überhaupt nicht problematisch. Das, was eher im Zentrum steht, sind die sprachlichen Unterschiede. Bei vielen Sätzen habe ich meist geraten, was es heißen könnte und, um meine Vermutungen zu bekräftigen, habe ich einzelne Worte im Onlinewörterbuch nachgeschaut. (LP 54-55) Anja hält zunächst fest, dass sie kulturelle Unterschiede wahrnimmt, ohne diese jedoch näher zu spezifizieren. Im Vergleich dazu sind aus ihrer Sicht allerdings sprachliche Unterschiede gravierender. Am Auszug zeigt sich, dass sie sowohl intelligent-guessing als auch die Hinzuziehung von online-Wörterbüchern als Verstehensstrategien einsetzt. An den Sprachdaten lässt sich wiederum belegen, dass sie eher selten auf ihre ChatpartnerInnen als language learning facilitators zurückgreift, sondern Ressourcen außerhalb der Plattform nutzt, wie sich auch aus dem LP ergibt. Insgesamt fällt auf, dass es den Chattenden größtenteils nicht gelingt, die Verständnisprobleme gemeinsam zu überwinden, so dass die Ko-Konstruktion von Sinn mitunter ausbleibt. Wenn aber sprachliche Missverständnisse im Chat nicht ausgeräumt werden, hat das direkte Auswirkungen auf die Gesprächssituation, was mit der Erwartungshaltung des Gegenübers, aber auch mit Höflichkeitskonventionen zusammenhängt. Im Unterschied zum Forum, wo es möglicherweise genügt, Beiträge grob zu verstehen, haben die Äußerungen der italophonen ChatteilnehmerInnen und deren Bitte um Code-switching eine Appellfunktion, die jedoch ins Leere läuft. Anja ist diese Situation in der Retrospektive unangenehm: „Ja, wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist es natürlich ein bisschen so peinlich“ (I Z 464), wie sie im Interview ausführt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass sprachliches Lernen zumindest nicht explizit Gegenstand des Chats ist, weil gegenseitige Hilfestellungen unterbleiben. Anja ist sich ihrer Defizite in Bezug auf die ZS Italienisch bewusst, scheint aber das sprachliche Lernen eher auf Aktivitäten außerhalb des Chattens zu verlagern, wie sich aus ihrem LP ergibt: Anja 261 Die Regelmäßigkeiten der Brückensprachen 164 zu kennen, z.B. die Endungen der Verben bei der 1. Pers. Sing. (LP Z 25-26) 1g) Wie kann ich diese Lernziele erreichen? Ich habe vor, die Kommentare der anderen mir genauer anzuschauen und Hypothesengrammatik aufzustellen (LP Z 28-29) Grundsätzlich fällt auf, dass man trotz gegenseitiger Missverständnisse und Schwierigkeiten beim gegenseitigen Verstehen nicht etwa ein Code-switching ins Englische vorschlägt bzw. vornimmt, sondern vielmehr an der interkomprehensiven Chatsituation festhält, wie sich auch an der vierten Chatsequenz zeigt. 164 Offensichtlich verwechselt Anja hier die Termini Brücken- und Zielsprache. 1f) Welche kurzfristigen Lernziele definiere ich für mich? Einzelfalldarstellungen 262 96 [11: 23: 21 [Robbina]] Anja qu’est-ce que tu as visité en France ? 97 [11: 23: 26][Martina] anche la Germania non l’ho mai vista, mi 98 piacerebbe andare! 99 [11: 23: 33][Martina] E’ bella vero? 100 [11: 23: 36][gavriloviciA] moi aussi je veux visiter l`Italie, mais 101 je ne sais pas 102 [11: 23: 42][GABRIEL] je ne suis jamais allé en allemagne 103 [11: 23: 43][Vale2] Io purtroppo non sono mai stata in Ger- 104 mania 105 [11: 23: 45][gavriloviciA] quand 106 [11: 23: 48][GABRIEL] j’aimerais un jour.. 107 [11: 24: 05][Robbina] Io sono solo andata in un paesino al sud 108 della Germania, perchè ho degli zii li 109 [11: 24: 06][Tanya] i miei nonni hanno abitato per un period 110 in Germania...e mi fa ridere pensare allo stereotipo dei crauti e 111 della salsiccia! 112 [11: 24: 22][Tanya] comè la cucina in Germania? 113 [11: 24: 24][gavriloviciA] crauti? 114 […] 115 [11: 24: 36][Robbina] Sono un tipo di verdura 116 [11: 24: 36][Anja] 4 veces Paris y otra ciudad (lo siento, he 117 olvidado el nombre) 118 [11: 24: 37][GABRIEL] birra a tutto andare... 119 [11: 24: 38][Martina] ottimo scusate! 120 [11: 24: 40][GABRIEL] : 9 121 [11: 24: 42][Tanya] si! ! una verdura particolare 122 [11: 24: 43][GABRIEL] : ) 123 [11: 24: 56][Tanya] octoberfest! 124 [11: 25: 01][GABRIEL] esatto.. 125 [11: 25: 11] [Anja] Oh, que bien, te gustó? 126 [11: 25: 17][GABRIEL] no.. 127 [11: 25: 20][Anja] el Oktoberfest? 128 [11: 25: 26][GABRIEL] la biére ne me plait pas Datenauszug 32: Chat 14, Salon de discussion rouge 19.03.2010, Chatsequenz 4 Robbina bezieht sich mit ihrer Frage (96) auf Anjas Beitrag, noch nie in Italien, dafür aber in Frankreich gewesen zu sein (vgl. Chatsequenz 3), der in diesem Fall offenbar keine Verständnisprobleme hervorruft. Dabei fällt auf, dass sich Robbina nun des Französischen bedient, also einen Sprachwechsel in die Sprache vornimmt, die sie selbst als lingua franca für den Chat vorgeschlagen hatte (vgl. Chatsequenz 3). Allerdings bleibt sie nicht beim Französischen, sondern wechselt in den Zeilen 107-108 erneut ins Italienische. Anjas Reaktion darauf findet sich in den Zeilen 116-117. Martina (97-98), GABRIEL (102+106), Vale2 (103-104) sowie Robbina (107-108) reagieren auf Anjas Frage, ob jemand der Anja 263 Teilnehmenden schon einmal Deutschland besucht habe (vgl. Chatsequenz 3). Dabei fällt auf, dass einige der Teilnehmenden (GABRIEL und gavriloviciA) nun ebenfalls auf Französisch kommunizieren. Tanya bringt schließlich das Gespräch auf Stereotypen crauti und salsiccia (109-111). Die rumänische Teilnehmerin gavriloviciA bittet um Erklärung des Wortes crauti (113), was zwei Antworten hervorbringt: Robbina erklärt, dass es sich um Gemüse handelt (115), was Tanya bestätigt: „si! ! una verdura particolare“ (121). GABRIEL scheint der Thematisierung von Stereotypen folgen zu wollen, wenn er in Zeile 108 birra einwirft, was von Tanya mit Erwähnung des Oktoberfestes fortgeführt wird (123). Zunächst ist festzustellen, dass die italophonen TeilnehmerInnen Gemeinplätze in Bezug auf Deutschland nennen, ohne diese jedoch im weiteren Verlauf zu problematisieren. So wird gavriloviciAs Frage nach der Bedeutung des Wortes crauti allein unter Rückgriff auf denotativen Sprachgebrauch erklärt, während die kulturspezifische Bedeutung außer Acht gelassen wird, was im Hinblick auf den interkulturellen Gehalt der obigen Chatsequenz jedoch zu kurz greift. Des Weiteren bleibt der Austausch über die genannten Stereotype auf einer oberflächlichen Ebene, so dass das interkulturelle Lernpotential dieser Begegnungssituation verspielt wird. Die Fremdwahrnehmung Deutschlands aus der Sicht der ItalienerInnen wird nicht weiter thematisiert, obwohl hier durchaus ein Anlass zum Vergleich der Innen- und Außenperspektive bestanden hätte. Auch das Zustandekommen und die Funktion von Stereotypen hätte weiterer Inhalt der Chatdiskussion sein können, was jedoch ebenfalls unterbleibt. Insofern ist es bemerkenswert, dass weder die Vertreter der outgroup - in diesem Fall die italienischen TeilnehmerInnen bzw. gavriloviciA als rumänische Muttersprachlerin - noch Anja als Vertreterin der ingroup die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema anbahnen. In ihrer Hausarbeit bedauert Anja, dass es nicht zu einer Diskussion rund um das Thema Stereotype gekommen ist: Zuerst war ich enttäuscht darüber, dass Deutschland auf die wenigen stereotypischen Aspekte beschränkt wurde - insbesondere, weil im Forum die Beiträge differenzierter und gegen das stereotypische Denken ausgerichtet waren. Aus diesem Grund war es etwas schwierig für mich nachzuvollziehen, warum dem stereotypischen Denken nachgegangen wird, wenn man sich von ihm im Prinzip distanzieren will. (Seite 12) Im Interview bietet Anja folgendes Erklärungsmuster dafür an: „Ja, vielleicht hab’ ich das übersehen. [I]ch hab’ das nicht bewusst ignoriert, weil ich mich beleidigt gefühlt habe […]. Aber das ist mir in dem Moment nicht aufgefallen. Leider“ (I Z 490-495). In ihrer Hausarbeit führt Anja aus, dass die Vielzahl an Teilnehmenden im Chat dazu führt, dass Beiträge übersehen und daher nicht weiter ausgeführt werden: Einzelfalldarstellungen 264 Die stereotypischen Aspekte betrafen Sauerkraut, Bier und das Oktoberfest, wobei mir diese allerdings erst im Nachhinein richtig bewusst wurden, so dass ich auf diese Äußerungen im Chat nicht reagieren konnte. Dies hatte mehrere Ursachen: Zum einen lag es daran, dass immer mehrere Leute ihren Beitrag veröffentlichten und nicht genug Zeit blieb, alle Beiträge zu lesen und zu verstehen, und zum anderen, weil neue Teilnehmer sich dem Chat anschlossen und somit die Themen unterbrochen wurden. (Seite 9) Des Weiteren lässt sich ablesen, dass Anja keine Vermeidungshaltung in Bezug auf die angeschnittenen Stereotype eingenommen hat, die eine bewusste Umgehung des Themas zum Ziel gehabt hätten. Im Gegenteil scheint sich Anja darüber im Klaren zu sein, dass die stereotypisierte Wahrnehmung einer Kultur weit verbreitet ist, wie sich aus folgendem Interviewauszug ergibt: A: Ja, ich mein’, so wie wir die Italiener alle als Pizzamacher, Pizzaesser wahrnehmen oder dieses Bild vertreten ist, so ist natürlich, also, jede Nation hat irgendwas und das mit dem Krautsalat, das ist nicht zum ersten Mal, dass ich das gehört hab’. I: Ach so, ok. Also […], das ist nicht das erste Mal, dass […] Dir das jemand entgegnet sozusagen. Ok. A: Ja, die Stereotypen, jede Nation hat sie und nur mit Kontakt kann man sie irgendwie, die Leute aufklären. (I Z 477-484) Anja ist sich der Außenwahrnehmung ihrer Kultur durchaus bewusst, wenn sie feststellt, dass eine stereotypenhafte Wahrnehmungsweise von Kulturen weit verbreitet ist. Sie zeigt des Weiteren ein gewisses Maß an Selbstreflexivität, wenn sie dies zum Anlass nimmt, sich ihrer Wahrnehmungsweise der italienischen Kultur bewusst zu werden. Es spricht vieles dafür, dass Anja auch die Funktionsweise von Stereotypen kennt und diese nicht nur als negativ besetzt versteht. Mit ihrem Hinweis darauf, dass sich Stereotype im Kontakt ausräumen lassen, scheint sie allerdings davon auszugehen, dass es sich bei der stereotypisierten Wahrnehmung von Vertretern der Zielsprache bzw. Zielkultur um ein Phänomen handelt, das es auszuräumen gilt. Chat 10: Anja -- Agnes Beim Chat Anja - Agnes handelt es sich um eine Kommunikation auf Italienisch bzw. Spanisch, in der u.a. Anjas Interesse an Sprachen sowie ihre diesbezüglichen Einstellungen deutlich werden. Anja 265 1 Anja> Hola Agnes! Te apetece chatear un poco? 2 AGNES> Hola Anja! 3 AGNES> ma certo 4 Anja> oh que bien! 5 Anja> me alegro 6 [...] 7 AGNES> e tu? cosa studi? 8 Anja> yo también estudio ingles, pero para ser profesora (un 9 día) 10 Anja> y espanol ; )) 11 Anja> con tu familia hablas romano, no? 12 AGNES> bello, anche a me piacerebbe fare la professoressa, ma 13 in italia non è un mestiere che è molto rispettato 14 Anja> sorry, molto rispettatono entiendo. Puedes decirlo con 15 otras palabras, porfa? 16 AGNES> muy respectado...los alumnos no te respectan mu- 17 cho..te tratan un poquito malo 18 Anja> ahhh, sí. este problema hay en todos los paises, pienso. 19 por desgracia... 20 [...] 21 Anja> cuanto tiempo estuviste allí? 22 AGNES> ci sono stata, Lisbona e Porto... 23 AGNES> in Andalusia? 24 Anja> sí 25 AGNES> 2 mesi durante l’estate 26 AGNES> una delle vacanze più belle in assoluto 27 Anja> wow, entonces también hablas espanol? ; ) 28 AGNES> sì : -) però, siccome siamo su Galanet volevo provare 29 l’intercomprensione 30 Anja> sabes, en la escuela yo aprendí frances, pero despues no 31 hablé la lengua nada más y casi todo olvidé. Y ahora, con el 32 galanet, entiendo casi todo lo que escriben los francesos ; ) 33 [...] Datenauszug 33: Chat 10 Anja - Agnes Anja initiiert den Chat und verweist damit grundsätzlich auf ihre Offenheit und Fähigkeit, auf AGNES zuzugehen (1). Im LP zeigt sich allerdings, dass Anja die Kontaktaufnahme als Herausforderung wahrnimmt, wenn sie unter 3c) Ich musste eigene Widerstände gegenüber dem sprachlich und kulturell Fremden überwinden. Wenn ja, welche u. wie ist mir das gelungen? Folgendes notiert: „Ich musste mich am Anfang überwinden, jemanden direkt anzuschreiben“ (Z 165-167). Daran zeigt sich, dass die direkte Kommunikationssituation bei Anja Auswirkungen auf der affektiv-attitudinalen Ebene hat, die mit einem Gefühl der Überwindung einhergehen. Die Tatsache, dass sie in der Lage ist, dennoch Einzelfalldarstellungen 266 auf ihre Chatpartnerin zuzugehen, spricht für die Mobilisierung von Ressourcen im Bereich savoir-être. AGNES ist rumänische Muttersprachlerin, die in Italien lebt, so dass beide eine Migrationsgeschichte haben, die als common ground dient, allerdings nicht weiter ausgeführt wird (ausgelassener Teil Zeile 6). Die beiden Chatteilnehmerinnen thematisieren ihre L 1 und Fremdsprachen sowie ihre Studienfächer (7-11). AGNES’ Beitrag in Zeile (12-13) ruft bei Anja Verständnisprobleme hervor, die sie in den Zeilen 14-15 mit der Bitte um Erklärung darlegt. Anja bindet also ihr Gegenüber aktiv in ihren Verstehensprozess ein und nutzt AGNES als language learning facilitator. AGNES reagiert auf Anjas Bitte um Disambiguierung, indem sie einen Sprachwechsel in Anjas BS Spanisch vornimmt. Sie erwähnt schließlich, zwei Monate in Andalusien verbracht zu haben (23 + 25). Auch wenn Anja dies nur kommentiert (27), nicht aber nach einem Code-switching fragt, führt AGNES aus, an der interkomprehensiven Chatsituation unter Verwendung des Italienischen festhalten zu wollen (28-29). Anja nimmt die Thematisierung der Kommunikationssituation schließlich zum Anlass, ihre Erfahrungen mit der Plattform zu teilen. Sie berichtet davon, in der Schule Französisch gelernt, in der Zwischenzeit aber keine Gelegenheit zum Sprechen gehabt zu haben. Bei der Beschäftigung mit französischen Beiträgen habe sie allerdings festgestellt, diese fast vollständig verstehen zu können (30-32). Die Auseinandersetzung mit französischem Input auf der Plattform führt dazu, dass Anjas ungenutztes Vorwissen reaktiviert wird. Im Interview führt sie aus, sich durch die Tätigkeit auf der Plattform an sprachliche Strukturen erinnert zu haben, von denen sie glaubte, sie längst vergessen zu haben. Durch die Abwahl des Französischen in der Oberstufe (vgl. Kurzporträt Kapitel 6.5.1) haben sich bei Anja Attritionseffekte eingestellt, denen jedoch durch die Auseinandersetzung mit französischem Input auf der Plattform entgegengewirkt wird, was nicht ohne Konsequenzen auf Anjas Selbstkonzept bleiben dürfte. An folgendem Interviewsegment wird zudem das Zusammenspiel der kognitiven Dimension in Form der Reaktivierung des Vorwissens und der affektiv-attitudinalen Dimension des interkomprehensiven Fremdsprachenlernens deutlich. Die Ausgangsfrage lautete, ob ihre BS Spanisch hilfreich gewesen sei, was Anja bejaht, dann aber auf ihre erstgelernte romanische Sprache Französisch rekurriert: [U]nd auf einmal konnte ich mich an ganz viele französische Wörter auch erinnern, […] von denen ich dachte, ich hab’ sie ganz vergessen, die kamen plötzlich wieder. Und ich hab’ sogar, ich war so motiviert zu Hause, dass ich mit meiner Schwester, […] so aus Spaß ein bisschen Französisch geredet habe, weil ich […] wieder ja, grob gesagt, in der Sprache drin war […], und das hat mich sehr gefreut. (I Z 27-32) Die ausführliche Thematisierung ihrer Erfahrung mit dem Französischen an mehreren Interviewstellen (s. auch 263f., 333f.) dürfte dafürsprechen, dass Anja 267 diese eine gewisse Bedeutsamkeit bezogen auf ihre Aktivität auf der Plattform einnimmt. Anja ist in der Lage, ihr inaktives Vorwissen zu mobilisieren, womit eine Aufwertung ihrer Vorwissensbestände einhergeht. Interessant ist insofern auch die Formulierung „in der Sprache drin [sein]“, die darauf verweist, dass Anja mit dem Französischen vertraut ist und es durchdringen kann. An dem Interviewsegment zeigt sich ferner, dass die Auseinandersetzung mit dem französischen Input und die Reaktivierung der Vorkenntnisse zu einer Motivationszunahme führen, die nicht ohne Konsequenzen auf Anjas Haltung und Einstellung zu Sprachen bleibt: A: [U]nd ja, dass man alle Sprachen, die man kennt, nutzen sollte. Man sollte nicht sagen, so, die Sprache, weiß nicht, Französisch hab’ ich abgewählt, damals, jetzt ist es in der Schublade, ich brauche es nie wieder, das ist ganz falsch, fatal. I: Fatal sogar? A: Ja weil, alles, alle Kenntnisse die man hat, die muss man einsetzen, die sollte man einsetzen, die erleichtern viel. Und ja, […] jede Sprache ist eine Bereicherung. (I Z 263-269) Es lässt sich die Lesart entwickeln, dass Anja durch G ALANET eine Bewusstwerdung dahingehend erfahren hat, dass es gewinnbringend ist, sämtliche ihr zur Verfügung stehende Sprachen für das interkomprehensive Verstehen heranzuziehen. Die Mobilisierung betrifft v. a. ihre Kenntnis des Französischen, das dadurch eine gewisse Aufwertung erfährt. Obwohl Anja es nach der 11. Klasse abwählte, macht sie die Erfahrung, dass es für die Interaktion auf der Plattform durchaus nützlich ist. Dies wird besonders deutlich, wenn sie ausführt, dass Sprachen, mit denen man sich nicht mehr beschäftigt, nicht als unwichtig abgetan und in eine Schublade verbannt werden sollten. Die Tatsache, dass sie dies mit Nachdruck ablehnt spricht insofern für sich: Sie plädiert dafür, sämtliche Sprach(lern)erfahrungen für den Erwerb weiterer Sprachen fruchtbar zu machen. 6.5.4 Mehrsprachigkeit aus Anjas Sicht: „Einfach diese Bewusstheit, dass man immer Verbindungen zwischen den Sprachen bauen sollte“ Bei Anjas Interview handelt es sich mit 1,05 Stunden um das längste aller Interviews, was einerseits an Anjas Redebereitschaft lag, andererseits aber auch am stimulated recall in Form eines Chatsauszuges (Chat 14), der Anja vor Beginn des Interviews vorgelegt wurde (vgl. Kapitel 6.5.3 zur Analyse). Besonders interessant erscheint die Tatsache, dass Anja im Interview mehrfach die Worte „Bewussheit“ bzw. „bewusst“ verwendet, ohne dass diese durch mich in meinen Fragen eingebracht worden wären. Daraus sich die Lesart ergibt, dass sich für Anja durch die Teilnahme bewusstheitsfördernde Momente im Hinblick auf Einzelfalldarstellungen 268 die erlebte Mehrsprachigkeit ergeben haben. Als weitere wiederkehrende Begriffe verwendet sie „neugierig“, das sie auf die interkomprehensive Kommunikationssituation bezieht sowie „Nähe“, mit dem sie ihr Erleben der IC-basierten Chats beschreibt, in denen sie im Vergleich zum Forum zu den übrigen ChatteilnehmerInnen Nähe aufbauen kann. Folgende Grundthemen, persönliche Ereignisse und Nulldaten konnten ermittelt werden: Grundthemen • BS anwenden und Sprache durch Kontakte zu MuttersprachlerInnen bzw. durch Interaktion erwerben (Z 3-5, 8, 173-175) • Fehler spielen eine wichtige Rolle (Z 101-105, 119-122, 127-131, 135-138 151-154) • Exolinguale Kommunikationssituation und Wahrnehmung eines Hierarchiegefälles (Z 129-130, 150-153) • Frustrationserfahrungen wegen Hierarchiegefälle (Z 101-105) • Frustrationserfahrungen wegen Ausbleiben von Feedback (Z 105-111) • Motivation durch Gefühl der Integration (Z 75-77, 196-198, 372-373) • Neugier in Bezug auf interkomprehensive Kommunikationssituation (Z 6, 9-13, 41-42) • Common grounds als kollektivstiftendes Moment (Z 89-91, 93, 96-98) • Durch Chats wird persönliche Nähe aufgebaut (82-86) Thematisierung persönlicher Erlebnisse • Mehrsprachiger Chat (als stimulated recall vorgelegt) Nulldaten • Inhaltliche Ebene der Diskussionen • Angst spielt keine Rolle • Schwierigkeiten mit der ZS Der Kode-Matrix-Browser zeigt für Anja im Interview eine Besetzungshäufigkeit im Bereich Emotionen und Einstellungen, die zahlreiche Überschneidungen mit der Kategorie Motivation aufweisen, so dass diese als Kernkategorien identifiziert werden können. Interessant ist, dass sich positive und negative Emotionen die Waage halten. Frustrationserfahrungen erlebt Anja v. a. aufgrund der exolingualen Kommunikationssituation, die sich in Sprachhemmungen niederschlagen und dazu führen, dass sie die Kontaktaufnahme zu anderen ChatteilnehmerInnen als herausfordernd empfindet und zunächst auch von Schwierigkeiten berichtet, im Forum aktiv zu werden (vgl. Kapitel 6.5.2 Anja 269 bzw. 6.5.3). 165 Die folgende Herausarbeitung der Kernkategorien zeigt, dass dies nicht nur mit einer Überbewertung sprachlicher Fehler zusammenhängt, sondern auch mit Anjas Selbstkonzept. Diese Dimensionen werden im Folgenden unter Rückgriff auf Interviewsegmente spezifiziert. Bezüglich ihrer Kompetenzen in der BS führt Anja Folgendes aus: „Ja, ich hab’ bis jetzt leider Spanisch nur im deutschen Kontext gelernt, […] [ich] war […] noch nicht im Ausland. Und deswegen denke ich, ja, dass ich da noch ein bisschen schlechter bin“ (I Z 170-171). Wie bei der Analyse der SLB gezeigt werden konnte, konzeptualisiert Anja Sprachenlernen unter einem kommunikationsorientierten Charakter und schätzt Auslandsaufenthalte als die effektivste Form des Spracherwerbs ein. Da sie bisher keinen längeren Auslandsaufenthalt im spanischsprachigen Ausland hatte, fällt die Selbsteinschätzung ihrer brückensprachlichen Kompetenzen entsprechend negativ aus, was auch Rückschlüsse auf ihr Selbstkonzept zulässt. Gleichzeitig scheint die Präsenz von MuttersprachlerInnen auf der Plattform für Anja mit einer Bewertungssituation einherzugehen, die sich zudem in einer Überwertung sprachlicher Fehler ausdrückt. Der folgende Interviewauszug bezieht sich auf die Frage, ob Anja in Bezug auf das Projekt etwas frustrierend empfand, wozu sie zunächst auf die Kommunikationssituation im Chat rekurriert: [A]lso ich hab’ natürlich versucht, immer schnell zu antworten und hab’ dann manchmal die Grammatik übersehen […], und dann kam, ja, ein Verunsicherungsgefühl, weil die sind ja alle Muttersprachler und wahrscheinlich die Fehler, die mir passieren, passieren ihnen nicht. (I Z 100-103) Es scheint, als ob die Kommunikation im Chat aufgrund der Synchronizität der Äußerungen aus Anjas Sicht mit einer gewissen Fehleranfälligkeit einhergeht. Anja möchte möglichst schnell auf die Beiträge der anderen reagieren, weshalb ihr mitunter die Zeit fehlt, ihren Output zu kontrollieren. Ihre Verstöße gegen die sprachliche Norm führen zu einem Frustrationsgefühl, das sich einerseits durch die empfundene Bewertungssituation aber auch durch eine Überbewertung der sprachlichen Korrektheit ergibt. Allerdings verfügt Anja über Selbstmotivationssowie Arbeitsstrategien, die dazu führen, dass sie mit ihren Frustrationen umgehen kann. Bei der Analyse ihrer Interaktion im Forum konnte gezeigt werden, dass sie ihre Beiträge im Forum sehr sorgfältig redigiert und Monitoring-Strategien anwendet. Aber auch im Bereich des savoir-être mobilisiert Anja Ressourcen, die ihr helfen, ihre Sprachhemmungen zu überwinden und sich schließlich aktiv in das Projekt einzubringen (vgl. Kapitel 6.5.2). Zur 165 Bei der Analyse ihrer Aktivitäten im Forum konnte auch gezeigt werden, dass sich Frustrationserfahrungen dadurch ergeben, dass Feedback auf Anjas Beiträge im Forum ausbleibt, aber auch durch die Erfahrung, nicht alles sagen zu können, was sie will (vgl. Kapitel 6.5.2 bzw. 6.5.3). Einzelfalldarstellungen 270 Erklärung bietet Anja folgendes Deutungsmuster an, wobei sie auf ihre vormaligen Erfahrungen mit dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache zurückgreift: I: Ok. Und wie war das Gefühl für Dich, nicht alles verstehen zu können, […] wie bist Du damit umgegangen? A: Hängt davon ab, wenn das nicht zu viel war, fand ich’s überhaupt nicht schlimm, weil ich war es auch im Deutschen gewöhnt, also von früher. Ich kann mit diesen Frustrationen umgehen. Wenn es allerdings so das meiste war, […] war das schon ein bisschen so schade […]. Ja, aber vom Deutschen her weiß ich, dass es normal ist, dass man nicht alles versteht. (I Z 312-319) Es lässt sich die Lesart entwickeln, dass Anja über spezifische Strategien im Bereich des savoir-être verfügt, um mit Frustrationen umgehen zu können. Anja zieht ihre früheren Sprachlernerfahrungen als Erklärungsansatz heran, wenn sie ausführt, dass ein Nichtverstehen aus ihrer Sicht nichts Ungewöhnliches sei, da sie ähnliche Erfahrungen beim Erwerb des Deutschen gemacht habe. Außerdem spricht vieles dafür, dass Anja aufgrund ihrer früheren Sprachlernerfahrungen eine hohe Ambiguitätstoleranz aufweist. Durch den Einsatz von Strategien gelingt es Anja letztlich, ein positives Lernerlebnis herzustellen. An dem Interviewzitat lässt sich aber auch die Lesart entwickeln, dass ein Umgang mit dem Gefühl des Nichtverstehens eng mit dem zu dekodierenden Input zusammenhängt. Denn wenn der Input größtenteils interkomprehensiv nicht zu erschließen ist (s. o. „Wenn es allerdings so das meiste war, […] war das schon ein bisschen schade“), hat das Auswirkungen auf die Motivation und das Selbstkonzept. In diese Richtung weist auch ein Auszug aus Anjas viertem LP: Es ist mir schon mehrmals passiert, dass ich die Einträge der anderen falsch verstanden habe. Das hat natürlich etwas demotivierend auf mich gewirkt, und hat mich auch verunsichert, so dass ich im Galanet mehr gelesen habe, als mich sehr aktiv dort zu beteiligen. Danach war ich mit meinen Antworten etwas vorsichtiger. (Z 324-325) Sie berichtet hier von ihrer Erfahrung, Beiträge mehrfach missverstanden zu haben, was zu negativen Konsequenzen sowohl in motivationaler als auch affektiv-attitudinaler Hinsicht führte. Anja passt daraufhin ihre Arbeitsstrategien an, indem sie in der Tendenz eher rezipiert, als sich selbst zu beteiligen und mit ihren Antworten überlegter umgeht. Dies spricht zum einen für ihre Adaptionskompetenz sich neuen Lernsituationen anzupassen. Zum anderen könnte dies aber auch ein Hinweis darauf sein, dass die interkomprehensive Kommunikationssituation den Teilnehmenden sowohl eine hohe Frustrationsals auch Ambiguitätstoleranz abverlangt. Das hypothesengeleitete Dekodieren des zielsprachlichen Inputs führt naturgemäß nicht immer zu korrekten Schlussfolgerungen, so dass im Ergebnis auch fehlgeleitete Transferaktivitäten stehen können. In der Auseinandersetzung mit Texten im Forum mag dies unproblematisch sein, ist aber für die direkte Interaktionssituation im Chat von größerer Anja 271 Bedeutung. Ein Nicht- oder Falschverstehen kann in Diskussionen zu Missverständnissen führen, die wiederum Auswirkungen auf der personenbezogenen Ebene haben. Ein positives Erleben der mehrsprachigen Interaktion liegt hingegen in der Reaktivierung ihres Vorwissens, dem Gefühl der Integration sowie dem Kontakt zu MuttersprachlerInnen und der Auseinandersetzung mit Fremdsprachen begründet, was zudem positive Auswirkungen auf ihre Motivation hat. Anja macht die Erfahrung, dass ihre Französischkenntnisse durch die Tätigkeit auf der Plattform aufgefrischt werden, was mit einer Aufwertung ihrer Vorkenntnisse und einer Neubewertung der Nützlichkeit vorher gelernter Sprachen einhergehen dürfte (vgl. Kapitel 6.5.3). Die Kommunikationssituation bewertet sie wie folgt: „[D]as fand ich auch gut, diese Mischung aus sozusagen Spaß, Kommunikation, diese Nähe und auf der anderen Seite auch bewusst die Sprache im Vordergrund“ (I Z 248-250). An dem Interviewsegment zeigt sich, dass Anja Freude an der mehrsprachigen Kommunikation hat und durch den Kontakt zu MuttersprachlerInnen zusätzlich motiviert wird. Für Anja ist dies einer der Beweggründe, überhaupt am Projekt teilzunehmen, wie sie im Interview ausführt: „Also, Kontakt mit so vielen Leuten auf einmal haben zu können, ist eine super Gelegenheit und man hat keinen theoretischen Kontext, in dem man Spanisch anwenden kann, sondern wirklich den reellen, wie man sonst auch sprechen würde“ (I Z 3-5). Es lassen sich vermehrt Hinweise darauf finden, dass Anja integrativ motiviert ist, wie sich auch aus folgendem Interviewsegment ergibt: Aber bei einem Chat […], vor allem mit einer Person, da wird die Nähe aufgebaut. […] Mir war gar nicht so dann im Laufe der Diskussion bewusst, dass die so weit weg sind, dass wir eigentlich ganz verschiedene […] kulturelle Hintergründe haben und eigentlich einander nicht kennen, aber man tut so persönliche Sachen von sich erzählen. (I Z 80-84) Anja berichtet von ihrer Wahrnehmung, dass im Chat nicht nur die geographische Distanz, sondern auch die kulturellen Hintergründe nivelliert würden, so dass aus ihrer Sicht Nähe aufgebaut wird und sich ein Gefühl der Integration einstellt. Bei der Analyse der Chatauszüge konnte zudem gezeigt werden, dass ähnliche Interessensgebiete bzw. die Herstellung von common grounds das Gefühl der Integration verstärken können. Es lässt sich die Lesart entwickeln, dass aus Anjas Sicht der Kontakt zu MuttersprachlerInnen und die dadurch entstehende Nähe zentral für das Erleben der mehrsprachigen Interaktion auf der Plattform sind, wie sich auch aus folgendem Interviewsegment ergibt: „Ja, […] durch die Chats, also, da wurde ich […] motiviert, weil die Leute waren sehr freundlich und haben immer persönliche Fragen gestellt und ich hab’ dann gespürt, sie interessieren sich für mich und […] das war motivierend“ (I Z 73- 75). Einzelfalldarstellungen 272 Bezüglich Anjas Einstellungen zu Sprachen bzw. SprecherInnen lässt sich ein hohes Interesse an der interkomprehensiven Kommunikationssituation rekonstruieren (I Z 5-6 und 11-13). Ihre Neugier bezieht sich dabei auf alle auf der Plattform verwendeten Sprachen, denn Anja entwickelt eine breite Rezeptionsfähigkeit, was auf eine gewisse Offenheit gegenüber Fremdsprachen schließen lässt, aber auch eine volitionale Komponente des Verstehenwollens umfasst. Folgendes Interviewsegment verdeutlicht dies: I: Jetzt hat man ja auf G ALANET nicht nur eine ZS, sondern man hat gleich mehrere Sprachen, mehrere Sprecher, mehrere Kulturen. War das eine Herausforderung für dich? A: [I]ch hab’ immer versucht, jeden Beitrag zu […] verstehen, egal, wer das gesprochen hat […] I: Ok, also du hast jetzt nicht gesagt, … A: … ich hab’ nichts aussortiert, nein. I: Und warum hast du nichts aussortiert? A: Weil ich mir gedacht hab’, ich will ja auch verstehen, was die sagen. Ich mein’, […] die Hypothesengrammatik konzentriere ich auf Italienisch, aber um einfach den Zusammenhang auch zu verstehen. Ich hab’ mir alles durchgelesen. (I Z 294-304) Anja konzeptualisiert die Sprachenvielfalt als positive Herausforderung, sie will sämtliche Beiträge verstehen und nicht etwa nur die in ihrer BS oder ZS. Dies deutet darauf nicht nur darauf hin, dass sie über eine kommunikative Bewusstheit in Bezug auf den Charakter der Forumsdiskussionen verfügt, sondern spricht auch dafür, dass sie die romanischen Sprachen als in weiten Teilen erschließbar wahrnimmt. 6.5.5 Gesamtbetrachtung Anja verfügt nicht nur aufgrund ihrer migrationsbedingten Mehrsprachigkeit über eine reiche SLB. Sie ist von Haus aus zweisprachig (Russisch/ Ukrainisch) und erwirbt im Jugendalter schließlich Deutsch. Der Kontakt zu MuttersprachlerInnen erweist sich dabei für sie als zentral, die sie nicht nur mit reichem Input versorgen, sondern Teil ihrer Kultur werden lassen, was auf eine integrative Motivation schließen lässt. Auch für ihre nachgelernten Sprachen sucht sie Kontakt zu MuttersprachlerInnen, den sie durch Brieffreundschaften oder Auslandsaufenthalte herstellt. Im Vergleich zu institutionalisiertem Sprachenunterricht schätzt sie Auslandsaufenthalte für den Fremdsprachenerwerb als sehr effektiv ein, denn sie setzt Sprache lernen gleich mit Sprache anwenden bzw. kommunizieren. Obwohl sie ein großes Interesse an Fremdsprachen und am Fremdsprachenerwerb hat, hat sie während ihrer Schulzeit Sorge, durch Anja 273 drei Fremdsprachen überfordert zu sein. Unerwähnt bleiben in ihrer SLB Noten bzw. Prüfungen, was darauf hindeuten könnte, dass Anja eher intrinsisch motiviert ist. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Anjas Einstellungen gegenüber fremden Sprachen bzw. Kulturen und deren SprecherInnen von Interesse und Offenheit gekennzeichnet sind. Mit Blick auf die Rekonstruktion von Anjas Interaktionen auf der Plattform lässt sich feststellen, dass sie die Dekodierung von Forumsnachrichten im Vergleich zu Chatäußerungen als weniger schwierig wahrnimmt. Sie begründet dies mit der Möglichkeit, den Kontext in Form der thematischen Ausrichtung der Diskussionen als Erschließungsstrategie heranziehen zu können. Im Unterschied zum Forum ist die Dekodierung von Äußerungen ihrer ChatpartnerInnen aufgrund der Kürze der Sätze aus ihrer Sicht hingegen komplizierter. Die von Anja angewandte Strategie des intelligent guessing ist im Vergleich zum Forum im Chat weniger zielführend, da im Forum ein Globalverstehen genügt, um sich in die Diskussionen einzubringen, wohingegen im Chat Detailvertehen nötig ist. Anja nimmt die Forumsdiskussionen und deren interkulturelles Lernpotential deutlich wahr und geht der Reflexion interkultureller Fragestellungen nach. Anhand der Forumsdiskussion A propos des préjugés (vgl. Kapitel 6.5.2) konnte gezeigt werden, dass sie diese zum Anlass nimmt, ihre eigenen Einstellungen zu den involvierten Kulturen zu hinterfragen und eine Bewusstwerdung dahingehend zu erfahren, dass ihre Vorstellungen stark durch Medien geprägt sind. Auch wenn Anja anmerkt, dass Auslandsaufenthalte das geeignetste Mittel zum Abbau von Vorurteilen oder stereotypisierten Vorstellungen seien, konzeptualisiert sie die medial vermittelte Kontaktsituation auf G ALANET ebenfalls als Möglichkeit, sich mit interkulturellen Fragestellungen auseinanderzusetzen und dabei eigene Perspektiven zu hinterfragen. Sie beteiligt sich aktiv an den Forumsdiskussionen und zeigt dabei eine pragmatische Kommunikationsbewusstheit, die sich darin äußert, dass Anja den interkulturellen Diskussionen um Stereotype ein gewisses Konfliktpotential zumisst. Dies führt dazu, dass sie ihre Beiträge diplomatisch formuliert und den übrigen TeilnehmerInnen mit ihren Beiträgen nicht zu nahetreten will. Bei ihrer Tätigkeit auf der Plattform ergeben sich aus Anjas Sicht allerdings Frustrationserfahrungen aus der Tatsache, dass sie in ihrer BS nicht immer das ausdrücken kann, was sie will und ihr beim Verfassen der Forumseinträge Lücken im brückensprachlichen Output deutlich werden. Eng damit verbunden ist die Wahrnehmung eines Hierarchiegefälles aufgrund der exolingualen Kommunikationssituation, die sie mitunter als eine Bewertungssituation konzeptualisiert. Dies führt dazu, dass Anja zunächst Hemmungen hat, auf der Plattform aktiv zu werden, die sie aber durch die Mobilisierung geeigneter savoir-faire Ressourcen (u.a. Monitoring des Outputs, Hinzuziehen externer Ressourcen) und savoir-être Ressourcen in Form von Selbstmotivation und Selbstregulierung überwinden kann. Dabei rekurriert Anja auch auf ihre früheren Einzelfalldarstellungen 274 Spra-chlernerfahrungen und ist in der Lage, diese für die erlebte Mehrsprachigkeit auf der Plattform in Form einer Ambiguitätstoleranz fruchtbar zu machen. Zum anderen ergeben sich Momente der Frustration aber auch daraus, dass inhaltliches Feedback auf ihre Beiträge im Forum ausbleibt und die DiskussionsteilnehmerInnen nicht auf Anjas Beiträge reagieren. Dies spricht dafür, dass Anja den Diskussionscharakter des Forums deutlich wahrnimmt, welcher sich durch die Bezugnahme auf bereits gepostete Beiträge auszeichnet. Anja kritisiert die bloße Aneinanderreihung von Beiträgen im Forum und bedauert das Nichtzustandekommen eines echten Meinungsaustausches. Anhand der Analyse der Chats konnte gezeigt werden, dass Anja über eine ausgeprägte integrative Motivation verfügt. Auch wenn sie zunächst Schwierigkeiten hat, im Chat den Anfang zu machen, wird in der synchronen Kommunikationsform aus ihrer Sicht Nähe aufgebaut, die z.B. durch Fragen der ChatteilnehmerInnen und dem damit signalisierten Interesse entsteht, was aus Anjas Sicht zu einem Hineingenommenwerden in die Gruppe führt. Es konnte allerdings auch herausgearbeitet werden, dass v. a. die Chats in den salles de discussion mit erhöhten Anforderungen an die TeilnehmerInnen einhergehen. Diese ergeben sich nicht nur aufgrund der IC-basierten Kommunikation und der erhöhten TeilnehmerInnenzahl, die zu einer Verwendung bzw. Rezeption mehrerer Sprachen führt, sondern v. a. auch im Hinblick auf die Organisation des Chats, was z.B. die Themenfindung oder die Koordination von Redebeiträgen betrifft. In dem analysierten Chat konnte gezeigt werden, dass im Gegensatz zu den chat privés die Ko-Konstruktion von Bedeutung vergleichsweise selten auftritt und die TeilnehmerInnen weniger auf einander als language learning facilitators zurückgreifen. Es spricht vieles dafür, dass das Medium und die Interaktivität des Chatraumes Bedeutungsaushandlungen vehindern und damit auch Auswirkungen auf den Verlauf der Diskussion haben. Die Vielzahl der Chatteilnehmenden und die dadurch entstehende schnelle Abfolge von turns lassen es nicht zu, dass Themen intensiv behandelt werden, so dass das interkulturelle Potential der Diskussion in der Tendenz verspielt wird. Dennoch gelingt es Anja, sich zumindest in der Retrospektive eigener Einstellungen in Bezug auf die italophonen ChatteilnehmerInnen bzw. die italienische Kultur bewusst zu werden, indem sie das Chatprotokoll erneut durchliest und somit zum Lerngegenstand macht. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Anja die Mehrsprachigkeit auf der Plattform als positiv wahrnimmt, was v. a. darin begründet liegt, dass sie ein ausgeprägtes Interesse am Fremdsprachenerwerb hat und diesen kommunikationsorientiert konzeptualisiert. Anja empfindet die Sprachenvielfalt und den Kontakt zu MuttersprachlerInnen auf der Plattform als eine Bereicherung und entwickelt eine breite Rezeptionsfähigkeit, die alle Sprachen des Projekts umfasst, so dass sie die romanischen Sprachen als größtenteils erschließbar wahrnimmt. Anjas positive Einstellungen betreffen aber nicht nur bisher ungelernte Sprachen, sondern auch vorgelernte Sprachen wie Französisch, das sie in der Karina 275 Schule zwar abwählte, durch G ALANET allerdings eine Neubewertung erfährt. Anja stellt fest, dass die Teilnahme zu einer Reaktivierung ihrer Französischkenntnisse führte, die somit eine Aufwertung erfahren. Dies hat zur Folge, dass sich Anja darüber bewusst wird, sämtliche Vorwissensbestände für den Sprachlernprozess fruchtbar zu machen. 6.6 Karina Karina 6.6.1 Kurzporträt Karina studiert zum Zeitpunkt der Erhebung Französisch und Geschichte für das Lehramt an Haupt- und Realschulen im 4. Semester. Ihre SLB fällt äußerst kurz aus, sie beschreibt im Wesentlichen das institutionelle, d.h. schulische Fremdsprachenlernen. Dabei differenziert sie nicht zwischen L 1 -Erwerb und Fremdsprachenlernen: „Neben Deutsch lernte ich seit der dritten Klasse die erste Fremdsprache: Englisch“ (SLB 3-4). Englisch führt sie als Leistungskurs bis zum Abitur fort: „[W]eil es nach meinem Empfinden nach leichter war, diese Sprache zu erlernen und sich in dieser zurechtzufinden“ (SLB 6-7), wobei sich der Vergleich vermutlich auf das Erlernen von Französisch bezieht. Die Formulierung „sich in der Sprache zurechtfinden“ verdeutlicht Karinas Haltung zu Fremdsprachen. Es gibt für sie leicht und schwer erlernbare Fremdsprachen bei denen es gilt, nicht die Orientierung zu verlieren. In der 7. Klasse belegt sie als zweite Fremdsprache Französisch, „da ich die Sprache und die Kultur sehr interessant fand und mehr darüber erfahren wollte“ (SLB 9). Bezüglich Französisch führt sie Folgendes aus: Anfangs bereitete das Fach mir sehr viel Freude, was spätestens ab der 9. Klasse abnahm. Ich verschlechterte mich sehr, so dass es mir keinen Spaß mehr bereitete. Meine Freude an dieser Sprache bekam ich in der Oberstufe wieder, was sicherlich mit meinen guten Noten zu tun hatte. Trotzdem beließ ich es bei einem Grundkurs für die Jahrgangsstufe 12 und 13, und absolvierte mein mündliches Abitur in Französisch. (SLB 10-13) Karinas anfängliches Interesse an der französischen Sprache und Kultur und die Freude am Unterrichtsgegenstand nimmt aufgrund von schlechten Leistungen ab. Sie scheint extrinsisch motiviert, allein gute Noten führen dazu, dass sie Vergnügen am Fach empfindet. Kontakte zu MuttersprachlerInnen und Auslandsaufenthalte bleiben in ihrer SLB unerwähnt, auch kommunikative Aspekte wie konkrete Situationen der Sprachanwendung spart sie aus. Des Weiteren scheint sie Schwierigkeiten zu haben, ihre Kompetenzen in Französisch realistisch einzuschätzen, denn sie absolviert zwar einerseits das mündliche Abitur, entscheidet sich andererseits aber für den DELF Test des Niveaus A2: „[D]a ich mir nicht mehr zutraute. Diesen Test schloss ich jedoch gut ab“ (SLB Einzelfalldarstellungen 276 14-15). Interessant ist die Tatsache, dass sie ihre ZS Spanisch in ihrer SLB thematisiert: Ich habe mich für Spanisch als ZS entschieden, da ich finde, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Französischen und Spanischen gibt. Somit denke ich, dass es leichter ist, die spanische Sprache zu erwerben. Schließlich ist auch der Klang dieser Sprache schön und die Kultur interessiert mich auch. (SLB 16-19) Sie erwähnt abermals den von ihr empfundenen Schwierigkeitsgrad in Bezug auf die zu erlernende Sprache, der ihre Sprachwahl nachhaltig beeinflusst, was sich an der Reihenfolge der Argumente ablesen lässt: An erster Stelle steht der Schwierigkeitsgrad, affektive Aspekte wie Klang oder Interesse an der Kultur sind für Karina nachrangig. Folgende Grundthemen, persönliche Ereignisse und Nulldaten konnten in der SLB identifiziert werden: Grundthemen • Empfundener Schwierigkeitsgrad der zu erlernenden Sprache (SLB 7 und 17) • Freude am Unterrichtsgegenstand wegen guter Noten (SLB 12) • Leistungsorientierung (Erfolg/ Misserfolg) (SLB 10-12, 14-15) • Vermeidungsstrategie: Französisch als Grundkurs (SLB 12-13) und DELF- Prüfung A2 (SLB 14-15) Thematisierung persönlicher Ereignisse • Prüfungen und Tests (SLB 3, 6, 13, 14,15) Nulldaten • Auslandsaufenthalte • Kontakte zu MuttersprachlerInnen • Keine Gründe für die Wahl von Französisch als Studienfach 6.6.2 Interaktion im Forum Während der Projektphase verfasste Karina insgesamt drei Beiträge: Den ersten postete sie im Forum der Phase 3 unter dem Thread Que fait-on dans la phase 3? , in dem es um die Benennung von RedakteurInnen für die Gießener équipe ging. Es handelte sich um einen Beitrag zu organisatorischen Zwecken, so dass dieser Forumsbeitrag wenig interessant für eine tiefergehende Analyse erscheint. Karina 277 Forumsdiskussion Phase 2: Feste tradizionali Ihr zweiter Beitrag bezieht sich auf den Thread Feste tradizionali, der gemäß des Einleitungstextes (s. u.) dazu auffordert, le feste tipiche dei nostri paesi di origine zu beschreiben: Datenauszug 34: Forumsdiskussion Feste tradizionali, Beitrag Karina Diese Diskussion stieß bei den TeilnehmerInnen auf breites Interesse, denn sie war mit insgesamt 64 Postings der am meisten kommentierte Thread im Forum der Phase 2. Es wurden zunächst diverse regionale Feierlichkeiten zur Ehrung von Schutzpatronen und der Karneval in Italien thematisiert, auch die bevorstehende Semana Santa in Spanien wurde erwähnt, dann entstand eine Debatte um die corridas de toros. Im vorletzten Beitrag berichtete eine lusophone Teilnehmerin schließlich vom brasilianischen Karneval. Karina greift dieses Thema auf, indem sie erklärt, dass Karneval in Deutschland keine große Rolle spiele. Es fällt zunächst auf, dass Karina sich relativ spät in die Diskussion einbrachte. Ihr Kommentar erfolgte am 18.04., 166 ca. einen Monat nachdem der erste Beitrag gepostet wurde - dazwischen liegen immerhin knapp 60 Beiträge. Es scheint so, als ob sie lediglich den letzten Beitrag gelesen habe, dessen Thematik sie aufnimmt und kurz kommentiert. 166 Anzumerken ist, dass zu diesem Zeitpunkt bereits Phase 3 des Projektszenarios begonnen hatte, d.h. die Forumsdiskussionen der Phase 2 waren abgeschlossen bzw. wurden unter neuen Threads im Forum der Phase 3 weitergeführt (vgl. Kapitel 3.2.2). Dies ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Karina keine Reaktionen auf ihren Beitrag erhielt. Einzelfalldarstellungen 278 Das interkulturelle Lernpotential dieser Forumsdiskussion schätze ich aus folgenden Gründen als hoch ein: Zum einen besteht die Möglichkeit, aus der Innensicht von typischen Festen und Traditionen zu erfahren, wodurch sich Vergleichsmöglichkeiten zur eigenen kulturellen Praxis ergeben. Die Thematisierung des Karnevals durch italienische und brasilianische TeilnehmerInnen sowie durch Karina belegt dabei common grounds bzw. kulturelle Gemeinsamkeiten - es können sich aber durchaus auch Unterschiede ergeben. Zum anderen ist gerade der Diskussionsstrang um die corrida geeignet, Fremdverstehensprozesse anzubahnen, da es sich um ein kulturspezifisches Thema handelt, welches zweifelsohne strittige Positionen hervorruft. 167 Karina schöpft das interkulturelle Lernpotential jedoch nicht aus, denn eine tiefergehende Auseinandersetzung, die zu einer differenzierten Wahrnehmung der Kulturen hätte führen können, unterbleibt. Stattdessen notiert sie im LP: „Ich habe mich über die verschiedenen traditionalen Feste informiert“ (Z 95) und „[i]ch habe gelernt, dass in anderen Ländern der Karneval eine bedeutende Rolle spielt und es dort richtig gefeiert wird“ (Z 99-100). Sie ist mit diesen Ausführungen sehr vage und bleibt auf einer allgemeinen Ebene, so dass davon ausgegangen werden kann, dass tiefergehende Reflexionsprozesse ausgeblieben sind. In dieselbe Richtung weist auch ihre Antwort auf die Frage nach dem interkulturellen Lernen im Interview: „Nicht viel, ich hab’ mir das angeguckt mit diesen traditionellen Festen, ja, da waren halt unterschiedliche Beiträge zu geschrieben. Sonst eigentlich gar nicht“ (I Z 218-219) Karina scheint die Forumsdiskussionen als eine Art Informationsquelle zu betrachten (vgl. ihre Formulierung im LP „Ich habe mich […] informiert“ s. o.), der Ko-Konstruktionscharakter, d.h. das gemeinsame interkulturelle Lernen durch Nachfragen, Perspektivenwechsel, Bitte um Erklärung/ Spezifizierung usw. scheint für sie keine Rolle zu spielen. Das zeigt sich auch daran, dass sie - außer in der Thematik - kaum auf den Beitrag der vorhergehenden Teilnehmerin eingeht 168 und pauschale Aussagen über den Stellenwert von Karneval in Deutschland vornimmt, die zudem nicht zutreffend sind. Forumsdiskussion Phase 3: Apprendre une langue par un séjour à l’étranger Karinas dritter Beitrag bezieht sich auf den Thread Apprendre une langue par un séjour à l’étranger, bei dem es sich um das Thema handelte, das die Gießener équipe als Rubrik für das dossier de presse ausgewählt hatte. Die Darstellung 167 Bedauerlicherweise beteiligten sich an dieser Diskussion keine spanischen TeilnehmerInnen, die aus der Innensicht hätten berichten können. ChristinaObae, eine Rumänin, bringt das Thema „corrida“ ein, das sie mit Tanya, einer Italienerin, kontrovers diskutiert. 168 In der charte d’utilisation ist festgehalten, dass sich Beiträge möglichst aufeinander beziehen sollen, damit sich in den Foren nicht eine bloße Aneinanderreihung von Themen, sondern eine Diskussion ergibt. Karina 279 umfasst Karinas sowie den vorhergehenden Beitrag einer Gießener Teilnehmerin: Datenauszug 35: Forumsdiskussion Apprendre une langue par un séjour à l’étranger, Beitrag Karina In der Seminarsitzung am 24.04. gab ich den TeilnehmerInnen die Gelegenheit, in Gruppenarbeit über mögliche Unterthemen zu diskutieren, um diese dann im Forum zu posten. Im LP notiert sie auf die Frage Was ist mir bei meiner heutigen Tätigkeit schwergefallen? „Schwer gefallen ist es mir den Eintrag zu gestalten, da ich Angst hatte, zu viele Fehler zu machen.“ (Z 80). Im Interview bitte ich sie, diesen Satz zu kommentieren: Ich weiß nicht, das lesen ja auch Muttersprachler und […] wenn die halt denken, ah, die lernt Französisch und die hat ja wirklich nichts auf dem Kasten und da sind tausend Fehler drin und so. Ich glaub’, dass macht einem so ein bisschen Angst. Halt diese Beurteilung dann. Man hat dann Angst, von den anderen verurteilt zu werden und in so eine Schublade gesteckt zu werden. (I Z 113-117) Eine Feinanalyse dieses Interviewsegments führt zu folgender Lesart: Karina schätzt ihre Kompetenzen in ihrer BS Französisch als niedrig ein („die hat ja wirklich nichts auf dem Kasten“ / „tausend Fehler“). Ihre Einstellungen zu MuttersprachlerInnen manifestieren sich v. a. in der von ihr angesprochenen Bewertungssituation („diese Beurteilung“ / „von den anderen verurteilt zu werden“), die sie als unangenehm empfindet und die ihr Angst macht. Ihre Einzelfalldarstellungen 280 Haltung gegenüber MuttersprachlerInnen erinnert an ein LehrerIn/ LernerIn- Rollenverständnis. Die Präsenz von native speakers und die exolinguale Kommunikationssituation mit dem daraus resultierenden Kompetenzgefälle führen bei Karina zu einer Schreibblockade. Karinas Interaktion auf der Plattform wird durch die Überwertung von Fehlern gehemmt und sprachliche Korrektheit scheint bei ihr einen hohen Stellenwert zu haben, da sie Fehler sowohl im LP (Z 80, 115, 136f., 162f.) als auch im Interview (Z 113-117, 143-144) mehrfach erwähnt, ohne dass ich explizit danach gefragt habe. Interessant ist, dass sie sich der hemmenden Wirkung ihrer Angst durchaus bewusst ist, allerdings keine Ressourcen im Bereich savoir-être mobilisieren kann, um ihre Angst zu meistern: I: Ok. Und, du hast ja dann einen Beitrag geschrieben in dem Forum, was hast Du versucht, um diese Angst zu überkommen? Du hast ja letztlich diesen Beitrag geschrieben, obwohl Du Angst hattest. K: Ja, weil ich den ja schreiben musste. […] I: Das heißt, Du hättest den nicht geschrieben, wenn ich das nicht gesagt hätte? K: Ich glaub’ schon, ich glaub’, dann hätte ich es mich nicht getraut. […] I: Du hattest dann also auch nicht mal Lust irgendwas zu schreiben in diesem Forum? K: Ich hat halt Angst einfach. (I Z 118-130) Aus dem Interviewzitat ergibt sich, dass Karina den Beitrag nur verfasste, weil ich sie darum gebeten hatte. Sie hat tendenziell eine ängstliche Grundhaltung, die der wahrgenommenen Bewertungssituation durch MuttersprachlerInnen als auch der Überwertung von Fehlern geschuldet ist. Obwohl sie sich zumindest ihrer Angst bewusst ist, entwickelt sie keine Strategien, mit ihr umzugehen bzw. sie in irgendeiner Form zu meistern. 6.6.3 Interaktion im Chat Von Karina liegt kein Chat vor, allerdings erwähnt sie im zweiten LP vom 24.03.2010, 30 Minuten mit einer Italienerin auf Französisch gechattet zu haben. 169 Die Rekonstruktion ihrer Perspektive auf dieses Ereignis stützt sich im Folgenden ausschließlich auf Auszüge aus ihrem LP bzw. dem Interview. Auf die Frage im LP, in dem sie sich auf den Chat bezieht, schreibt sie unter 3.3) Ich musste eigene Widerstände gegenüber dem sprachlich und kulturell Fremden überwinden. Wenn ja, welche und wie ist mir das gelungen? „Ich hatte Angst, dass ich beim Chatten zu viele Fehler mache, aber ich habe mich dann einfach getraut und es hat auch riesigen Spaß gemacht“ (LP 113-116). Im Gegensatz 169 Im dritten LP gibt Karina ebenfalls an, eine Stunde mit einer Italienerin gechattet zu haben (Z 129-130). Karina 281 zum Forum scheint Karina mit ihren negativen Gefühlen im Chat besser umgehen zu können, denn sie bewertet das Chatereignis nach dem Überwinden ihrer Angst sogar als positiv. Im Interview rekurriert sie auf den Chat, als die Frage nach motivierenden Momenten aufkommt: Ja, schon, also, dass ich meine Sprache auch selbst verbessere. Also, dass ich diese Hemmungen fallen lasse, die ich hab’, wenn ich […] Französisch sprechen soll. […] und dann im Chat hatte ich auch erst Angst, ach, jetzt musst Du mit den ganzen accents und so das schreiben, aber dann irgendwann wird man da richtig locker und das hat einen dann auch motiviert und gestärkt. (I Z 50- 53) Karina berichtet hier von motivierenden Momenten, die sie aus dem Erleben ihrer Kompetenzen in der BS bezieht. Sie ist sich bewusst, dass sie Sprachhemmungen in Kontaktsituationen an der Kommunikation hindern - so ist sie zunächst auch im Chat wegen Überbewertung der sprachlichen Korrektheit gehemmt. Interessant ist hier die zeitliche Dimension, die Karina erwähnt: Anfangs verspürt sie noch Angst und ist wegen Überbewertung der sprachlichen Korrektheit zunächst gehemmt. Doch schließlich gelingt es ihr, ihre Angst zu überwinden, woraus sie wiederum Motivation beziehen und eine positive Veränderung ihres Selbstkonzepts herbeiführen kann: „Und dann einfach mit jemandem zu chatten, und zu wissen, dass der mich versteht und dass ich gar nicht so schlecht sprechen kann, das hat mich einfach gestärkt“ (I Z 89-91). Der Chat verhilft Karina zu einem positiven Spracherlebnis, weil das Verstehen zwischen ihr und der Chatpartnerin gelingt und sie sich infolgedessen als kompetent wahrnimmt. So spricht sie im Interview vom Wegfall ihrer Schreibblockade in Bezug auf ihre BS: „[D]as Schreiben, also diese Blockade, ist einfach weggefallen auf jeden Fall“ (I Z 81-84). Für diesen Umstand liefert sie schließlich folgende Erklärung: „Vielleicht hab’ ich auch deshalb nicht so viele Hemmungen gehabt, weil sie halt auch Französisch lernt und weil sie halt keine Muttersprachlerin ist“ (I Z 103-104). Sie bewertet den einsprachigen Chat auf Französisch aus folgenden Gründen positiv: Zum einen ist die Hierarchie nicht gegeben, die sie in einer exolingualen Kommunikationssituation möglicherweise am Schreiben hindern würde; ein etwaiges Kompetenzgefälle zwischen Karina und ihrer Chatpartnerin wird von ihr zumindest als nicht sprachhemmend wahrgenommen. Zum anderen scheinen (grammatikalische) Fehler im Chat eine untergeordnete Rolle zu spielen, denn sie werden aufgrund der synchronen Kommunikationssituation eher toleriert als im Forum. Möglicherweise ist auch die Adressatenbewusstheit von Bedeutung: Während die Beiträge im Forum von allen Mitgliedern gelesen werden können, findet die Konversation im chat privé zwischen zwei Personen statt, außerdem ist das Chatprotokoll nicht öffentlich einsehbar. Karina resümiert ihre Chaterfahrungen schließlich wie folgt: Einzelfalldarstellungen 282 Ja, es war schön, sich mal mit jemandem zu unterhalten, halt die Blockaden sind gefallen, es hat Spaß gemacht […]. [Z]um Beispiel, wenn ich ins studivz gehe und schreib mir da mit jemandem im Chat das ist halt, das ist was normales, aber das ist halt was ganz Besonderes, weil man halt in seiner Fremdsprache dann schreiben kann. (I Z 284-288) Die Interaktion dient bei Karina weniger dem Spracherwerb, sondern ist stark auf eine unreflektierte und angstgeleitete Selbstaufmerksamkeit bezogen: Blockaden und Hemmungen fallen weg, sie kann schließlich ihre Angst abmildern. Die Tatsache, dass sie fremdsprachige Kommunikation als etwas ganz Besonderes konzeptualisiert könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie in ihrer Lebenswelt kaum Kontakt zu MuttersprachlerInnen hat, was sich mit Befunden aus der SLB deckt (vgl. Kapitel 6.6.1). Auch interkulturelles Lernen spielt für sie im Chat eine untergeordnete Rolle, denn sie betont, dass sie die Interaktion auf der Plattform vornehmlich als Spaß empfunden habe: „[E]igentlich mehr als Spaß, also so ein bisschen austauschen, ist halt ganz interessant zu sehen, was zum Beispiel für ein Wetter in Italien ist oder was eine Italienerin so den ganzen Tag über macht oder so“ (I 168-170). 6.6.4 Mehrsprachigkeit aus Karinas Sicht: „Die Blockaden sind gefallen, es hat Spaß gemacht, es war halt mal was ganz anderes“ Die Interviewsituation mit Karina stellte eine besondere Herausforderung dar, die ich aus Gründen der Offenheit nicht verschweigen möchte. Es handelt sich mit knapp 23 Minuten um das kürzeste Interview, was sich u.a. durch Karinas knappe Antworten ergab, die sie selbst auf eine zweite Nachfrage oftmals nicht näher auszuführen vermochte, was bei mir zu dem Eindruck führte, Informationen aus ihr ‚herauskitzeln‘ zu müssen. Die folgende Interviewpassage verdeutlicht dies: I: War das für Dich irgendwie herausfordernd, dass man gleichzeitig mit so vielen Sprachen und so vielen Kulturen zu tun hat? K: Nein. I: Nein. Warum? Kannst Du das irgendwie nochmal erklären, ein bisschen ausführen? K: Also ich weiß nicht, jetzt zum Beispiel bei den Forumsbeiträgen, wenn da so ganz viele verschiedene Sprachen sind, ich weiß nicht, irgendwie kann man sich ja mit seiner Brückensprache immer helfen […]. (I Z 204-210). Auffällig ist des Weiteren, dass Karina auf Fragen häufig mit der Formulierung „keine Ahnung“ oder „ich weiß nicht“ reagiert (s. o.), was als Indiz für eine geringe kommunikative Bereitschaft im Interview bzw. Reflexionsbereitschaft gewertet werden kann. Gleichzeitig drückt sie damit Unsicherheit bezogen auf das von ihr zugrunde gelegte Deutungsmuster (im Hinblick auf ein Ereignis oder eine Situation). Bei dem Interview schien es sich aus Karinas Sicht um Karina 283 einen Pflichttermin zu handeln, was sich insbesondere an solchen Antworten ablesen lässt, die tendenziell aus Gründen der sozialen Erwünschtheit erfolgten. Vor diesem Hintergrund drängt sich in obigem Interviewzitat die Lesart auf, dass der Kontakt mit mehreren Sprachen und Kulturen auf der Plattform aus Gründen der sozialen Erwünschtheit von Karina nicht als Herausforderung bezeichnet werden kann, zumal weitere Interviewpassagen auf das Gegenteil verweisen, wie im Folgenden dargestellt wird. Grundsätzlich war bei der Analyse von Karinas Interview also eine besondere Aufmerksamkeit auf solche Antworten zu legen, die im Verdacht standen, meiner (vermeintlichen) Erwartungshaltung nachzukommen. Als wiederkehrende Begriffe im Interview konnten „Angst, Hemmungen, Spaß“ ermittelt werden. Karina empfindet Angst v. a. wegen der Tatsache, dass sie die Kommunikationssituation mit einer Überbetonung des Hierarchiegefälles zwischen ihr als Sprachenlernende und den anwesenden MuttersprachlerInnen konzeptualisiert. Dies zeigt sich deutlich an der von ihr verwendeten ‚Schubladenmetapher‘, die sie an zwei Stellen im Interview als Erklärungsansatz heranzieht: „Man hat dann Angst, von den anderen verurteilt zu werden und in so eine Schublade gesteckt zu werden“ (Z 94-95, vgl. auch Z 116-117). Karina geht offenbar davon aus, dass ihre brückensprachlichen Kompetenzen im Vergleich zu denen der MuttersprachlerInnen defizitär sind und sieht sich einer Bewertungssituation ausgesetzt, die dazu führt, dass man ihren brückensprachlichen Output als fehlerhaft und von der Norm abweichend erkennt. Die Formulierung „in eine Schublade gesteckt werden“ impliziert, dass es sich um einen dauerhaften Zustand handelt, der von Veränderungen unberührt bleibt und den sie nicht aus eigener Kraft zu überwinden vermag. Es verweist zudem darauf, dass sie eine Dichotomie zwischen ‚gut‘ und ‚schlecht‘ aufmacht und sich mit ihren fremdsprachlichen Kenntnissen der Kategorie ‚schlecht‘ zuordnet, was Hinweise auf ihr Selbstkonzept zulässt. An der Metapher zeigt sich, dass Karina eine tendenziell passive Grundhaltung in Bezug auf den Spracherwerb einnimmt, was auch daran deutlich wird, dass sie den Spracherwerb nicht als selbstreflexiven Aneignungsprozess betrachtet. Folgende Grundthemen, persönliche Ereignisse und Nulldaten konnten anhand des Interviews identifiziert werden: Grundthemen • Blockade bei Interaktion mit MuttersprachlerInnen (Z 83, 138) • Angst (Z 51, 94-95 115, 116, 130, 138, 269, 271) • Interaktion im Forum/ Chat ist mit Überwindung verbunden (Z 113-115) • Überbewertung Fehler (Z 113-117, 143-144) • Bewertungssituation/ Hierarchie im Kontakt mit MuttersprachlerInnen (Z 113-117) Einzelfalldarstellungen 284 Thematisierung persönlicher Erlebnisse • Chaterfahrung mit italophoner Chatpartnerin (Z 50-53, 81-84, 89-91, 101- 104, 152-156, 283-287) Nulldaten • Chatpartnerin als language learning facilitator • Positive Bewertung des interaktiven Aspekts • Inhaltlicher Aspekt der Diskussionen spielt keine Rolle • Einblicke in Sprachlernverhalten • Interkulturelles Lernen • Kein Gefühl der Überforderung Der Kode-Matrix-Browser weist für Karina eine Häufung von Kodes im Bereich ‚Emotionen‘ aus, welche demnach als eine der Kernkategorien identifiziert werden konnte. Auch das LP belegt in diesem Bereich eine Häufung, was die Identifikation von ‚Emotionen‘ als Kernkategorie zusätzlich stützt. Die Kategorie Emotionen weist besonders häufig Überschneidungen mit den Kategorien Einstellungen und BS auf, deren Querverbindungen im Folgenden herausgearbeitet werden. Es lassen sich zwei Situationen ausmachen, an denen diese Verbindung deutlich wird: Erstens Kontaktsituationen mit MuttersprachlerInnen, die bei Karina Ängste hervorrufen und zweitens Kontaktsituationen mit FremdsprachenlernerInnen, die positive Emotionen bewirken können. Das erste Szenario, d.h. die Möglichkeit auf der Plattform mit MuttersprachlerInnen in Kontakt zu treten, löst bei Karina in der Tendenz negative Reaktionen aus, welche sich in ihrer Angst vor einer Bewertungssituation manifestieren: [D]ann bin ich total gehemmt, wenn ein Muttersprachler vorne steht und ich komm mir dann halt vor, als ob ich nichts kann. (I Z 87-89) [D]as lesen ja auch Muttersprachler und […] wenn die halt denken, ah, die lernt Französisch und die hat ja wirklich nichts auf dem Kasten und da sind tausend Fehler drin und so. (I Z 113-115) Folgende Aspekte scheinen als Ursache ihrer Angst eine Rolle zu spielen: Ein niedriges Selbstkonzept, das sie an ihrer BS Französisch festmacht („ich komm mir dann halt vor, als ob ich nichts kann“ s. o.), eine Überwertung von Fehlern bzw. sprachlicher Korrektheit (I Z 113-117, 143-144) und die Tatsache, dass kommunikativer Sprachgebrauch bzw. Spracherwerb durch Kommunikation eine untergeordnete Rolle zu spielen scheinen (vgl. Auswertung der SLB in Kapitel 6.6.1 und Nulldaten). Ihre Einstellung gegenüber MuttersprachlerInnen als potentiellen KommunikationspartnerInnen ist durchweg hierarchischer Natur, denn Karina nimmt in Kontaktsituationen ein Kompetenzgefälle wahr, das zu Sprachhemmungen führt: [D]iese Hemmungen […], die ich hab’, wenn ich jetzt zum Beispiel jemandem begegne und dann noch Französisch sprechen soll. Und ich hab’ dann immer Karina 285 totale Hemmungen, und dann im Chat hatte ich auch erst Angst, ach, jetzt musst Du mit den ganzen accents und so das schreiben. (I Z 49-52) In der Konsequenz zeigt Karina ein Vermeidungsverhalten, d.h. sie versucht, Kontaktsituationen auf der Plattform möglichst auszuweichen, indem sie sich z.B. im Forum nur selten zu Wort meldet (vgl. Kapitel 6.6.2). Ihr emotionaler Zustand scheint ihre Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch zu nehmen, dass es kaum zum (interkomprehensiven) Spracherwerb kommt, denn sie ist zu sehr mit ihrem savoir-être beschäftigt, als dass sie Ressourcen für andere Bereiche mobilisieren könnte. Die Daten deuten darauf hin, dass Karina mit dem Erwerb einer ZS auf Grundlage ihrer brückensprachlichen Vorkenntnisse tendenziell stark gefordert ist. Karina berichtet im LP (Z 65, 129) bzw. im Interview von einem Chat mit einer Italienerin, die den Rahmen für das zweite Szenario, den Kontakt zu anderen FremdsprachenlernerInnen, bildet. Diese Art des Kontakts kostet sie zwar zunächst Überwindung („und dann im Chat hatte ich auch erst Angst“, I Z 51), kann dann aber durchaus zu positiven Emotionen führen, welche sich im Wegfall der Sprachhemmungen („[a]ber halt, das Schreiben, also diese Blockade, die ist einfach weggefallen auf jeden Fall“, I Z 83-84) und einer positiven Bewertung der Kommunikationssituation niederschlagen („[u]nd dann einfach mit jemandem zu chatten, und zu wissen, dass der mich versteht und dass ich gar nicht so schlecht sprechen kann, das hat mich einfach gestärkt“, I Z 89- 91). In dieser Kommunikationssituation ist die Hierarchie zwischen MuttersprachlerInnen und FremdsprachenlernerInnen und das daraus resultierende Kompetenzgefälle weniger stark gegeben, so dass es ihr in der Konsequenz gelingt, ihr Selbstkonzept zu stärken und schließlich ihre Blockade abzulegen („[A]ber dann irgendwann wird man da richtig locker und das hat einen dann auch motiviert und gestärkt“, I Z 52-53). Interessant ist, dass Karina ihre Motivation nicht aus der Auseinandersetzung mit der zielsprachlichen Kultur und deren SprecherInnen bezieht, denn dazu finden sich in den Daten kaum Belege. Es ist vielmehr so, dass Karina an interkomprehensivem Spracherwerb wenig interessiert zu sein scheint, denn für sie ist bereits die monolinguale Chatkommunikation in ihrer BS zufriedenstellend: I: Ok. Ja. […] das hat dich nicht weiter gestört, dass sie auch auf Französisch geredet hat? K: (ablehnend) Gar nicht. Fand ich eigentlich gut, weil, ich konnte ja dann damit auch was anfangen. Also, ich konnte ja dann mein Französisch auch lernen. (I Z 96-102) Karina scheint bereits durch den Gebrauch der BS motiviert, deren Anwendung sie wie folgt beschreibt: „[A]ber das ist halt was ganz Besonderes, weil man halt in seiner Fremdsprache dann schreiben kann“ (I Z 286-287), was ein weiterer Hinweis darauf sein könnte, dass ihre (Mehr-)Sprachenerfahrungen nicht sehr stark ausgeprägt sind. Auffällig ist des Weiteren ihre Formulierung, Einzelfalldarstellungen 286 dass die Blockaden „einfach weggefallen“ seien (I Z 83), als sie mit der Italienerin chattet. Obwohl sie sich ihrer Defizite im Bereich savoir-être bewusst ist und diese sowohl im LP als auch im Interview artikuliert, scheint sie nicht in der Lage, den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen und daraus entsprechende Konsequenzen oder Strategien abzuleiten. So führt sie aus, dass sie zwar Fortschritte im persönlichkeitsbezogenen Bereich gemacht, dies letztlich aber nicht zu einer gesteigerten Teilnahme geführt habe („Ja, mit dem Chat. Ja, das hat sich schon verbessert aber, […] weiß nicht, dass ich dann unbedingt mehr teilgenommen hätte, das nicht unbedingt“ Z 81-82). Obwohl sie von konkreten Fortschritten in Kommunikationssituationen berichtet, gelingt es ihr nicht, den Spracherwerb auf der Plattform unter kommunikationsorientierten Gesichtspunkten zu betrachten: I: [H]ast Du das als Lernen empfunden, die Interaktion dort auf der Plattform? K: Nein, eigentlich mehr als Spaß, also so ein bisschen austauschen […]. Also es war irgendwie so ein bisschen mehr Spaß als Lernen. (I Z 167-171) Karinas Sprachlernverständnis sieht die Interaktion mit MuttersprachlerInnen nicht vor, so dass sie den Lerncharakter der interkomprehensiven Projektarbeit erst gar nicht wahrnimmt. In dieselbe Richtung weist folgendes Interviewsegment: I: Aha. Du hast ja bestimmt eine Idee davon, wie Du Sprachen lernst [...]. Glaubst Du, das hat sich jetzt verändert durch die Teilnahme? K: (ablehnend). Ich glaub’, ich lern noch genauso wie ich vorher auch gelernt habe. I: Wie lernst Du Sprachen, wenn ich kurz nochmal da einhaken darf? K: Also, meinst Du jetzt Vokabellernen oder so Grammatik und alles? I: Ja, alles, was dazu gehört. K: Ja, also in Französisch lese ich halt dann zum Beispiel französische Romane […], und halt auch um mein Vokabular aufzubessern und um besser schreiben zu können. Ja, dann schreib ich mir auch ganz viele Vokabeln immer raus, die ich dann einfach so mal zwischendurch lerne und halt Grammatik wiederhole ich dann immer mal wieder. Wenn dann halt eine Klausur ansteht. (I Z 248- 258) Die Tatsache, dass Karina nach der Sprachlernerfahrung auf G ALANET den Kontakt zu MuttersprachlerInnen in konkreten Kommunikationssituationen nicht als lernförderlich empfindet weist darauf hin, dass sie in einer Auffassung von Lernen verhaftet ist, in der Sprache als Kommunikationsmittel und Spracherwerb durch Interaktion keine Rolle spielen. Tiefergehende Einsichten in ihre Spracherwerbsprozesse bleiben aus, vermutlich, weil sie mit Kompensationsleistungen im Bereich savoir-être beschäftigt ist. Die Defizite werden ihr zwar durch die kommunikativen Ansprüche auf G ALANET bewusst, doch gelingt es ihr nicht, entsprechende Strategien, z.B. zur Selbstmotivation oder zum Überwinden ihrer Angst zu entwickeln. An ihrer Rückfrage zeigt sich ferner, Karina 287 dass Karina beim Sprachenlernen leistungszielorientiert vorgeht und den Spracherwerb tendenziell auf das Erlernen lexikalischer und grammatikalischer Phänomene reduziert. Dies wird auch an ihrer Antwort auf die Frage nach der Funktion der Hypothesengrammatik deutlich: „Also, das ist schon mal so ein Grundstein, finde ich, zum Lernen von einer anderen Sprache“ (Z 334-335). Karina konzeptualisiert die (Hypothesen)Grammatik als das Fundament von Sprachen, die aus ihrer Sicht auf Grammatik fußen und auf der sich der weitere Spracherwerb aufbauen lässt. Emotive Aspekte spielen bei Karina nicht nur in Interaktionssituationen mit MuttersprachlerInnen eine Rolle, auch bei der Rezeption von Forumsnachrichten berichtet sie von negativen Empfindungen, wenn das Gefühl des Nichtverstehens zu Frustrationen und Demotivation führt. Ihre ersten interkomprehensiven Erfahrungen im Forum beschreibt sie wie folgt: „Also am Anfang fand ich es schockierend, weil da dachte ich so, ach, ist ja doof, wenn ich hier überhaupt nichts verstehe […]. Aber nach einer Zeit geht es ja dann. Auf jeden Fall“ (I Z 229-232). Karinas erste Berührungspunkte mit IC sind negativ konnotiert, sie ist frustriert, denn das Gefühl des Nichtverstehens löst bei ihr eine Art Schock aus, der der Grund dafür sein könnte, dass sie sich in der Folge auf der Plattform sprachlos verhält und von Sprachhemmungen, Blockaden und Angst berichtet. Die sprachliche Vielfalt auf der Plattform wird von Karina mehrfach als schockierende Erfahrung (I Z 229 + 234) und nicht zu überwindende Herausforderung dargestellt, da sie behauptet, zunächst „überhaupt nichts“ (I Z 230) bzw. „gar nichts“ (I Z 234) zu verstehen, so dass davon auszugehen ist, dass ihre Einstellung zu interkomprehensivem Spracherwerb zu Beginn des Projekts eher als negativ einzustufen war. Dennoch legt das obige Zitat die Lesart nahe, dass sich mit der Zeit eine positive Veränderung ergeben hat, was ein Indiz dafür ist, dass der Zeitfaktor bei der interkomprehensiven Praxis eine Rolle spielt. Im Interview bejaht sie schließlich explizit die Frage nach einer Einstellungsveränderung und führt dazu Folgendes aus: Ich weiß nicht, es macht irgendwie Spaß, wenn man dann merkt, dass man ganz viele verschiedene Sprachen verstehen kann und wenn man schon diese Brückensprache hat für die romanischen Sprachen dann fällt es einem auch gar nicht so schwer, andere Sprachen noch zu erlernen. Und deshalb finde ich, sollte man das eigentlich nutzen und auch noch andere Sprachen erlernen. (I Z 243-247) Dies ist eine der wenigen Stellen im Interview, in der Karina positive Emotionen wie Freude erwähnt, die sie in der Auseinandersetzung mit Sprache erfährt. Dieses Zitat lässt zwei Lesarten zu. Die erste Lesart ist, dass die IC-Erfahrung sowie die erfahrene Sprachenvielfalt auf der Plattform positiv dargestellt werden. Auch die Nützlichkeit der BS wird positiv bewertet, auf deren Grundlage sich andere Sprachen erschließen lassen. Das Vorwissen erleichtert das Erlernen anderer Sprachen, für dessen Nutzbarmachung Karina plädiert. Die zweite Einzelfalldarstellungen 288 Lesart ergibt sich u.a. dadurch, dass es sich hier um eine Passage handelt, die zumindest zu großen Teilen unter die Rubrik ‚soziale Erwünschtheit‘ fallen dürfte. Die Formulierung „ganz viele verschiedene Sprachen“ (I Z 243-244), die sie mehrfach benutzt (I Z 208), verweist darauf, dass sie eher Unterschiede als Ähnlichkeiten innerhalb der romanischen Sprachfamilie fokussiert und dass das sprachenverbindende Element der IC eine untergeordnete Rolle für sie spielt. Nicht zuletzt klingt die Passage floskelhaft und wie eine Werbebotschaft für interkomprehensiven Fremdsprachenerwerb. Die Tatsache, dass die zweite Lesart wahrscheinlicher ist, lässt sich durch Hinzuziehen eines weiteren Interviewsegments untermauern. Im weiteren Verlauf des Interviews frage ich sie schließlich, ob sie sich konkret vorstellen könne, ihre ZS Spanisch weiter zu lernen: K: Also vorstellen könnte ich es mir auf jeden Fall, ich hätte total Lust dazu, aber ich habe Angst auch, dass es von der Zeit her einfach nicht machbar ist. I: Ok. K: Und ich hätte auch Angst, dass sich das dann, dass die Sprachen sich zu sehr vermischen […]. (I Z 268-273) Karinas Haltung gegenüber dem Fremdsprachenerwerb scheint weitgehend von Angst geprägt zu sein, denn sie nennt hier gleich zwei negative Aspekte, aufgrund derer sie eine Weiterbeschäftigung mit der ZS ausschließt. Zum einen spielt sie darauf an, dass der Spanischerwerb zu viel Zeit einnehmen könnte. Zum anderen fürchtet sie, das Erlernen des Spanischen könne aufgrund von Sprachvermischungen negative Auswirkungen auf ihre Kompetenzen in Französisch haben (und umgekehrt). Sie scheint den negativen interlingualen Transfer überzubewerten und verkennt die Synergieeffekte, die sich beim Erwerb einer weiteren romanischen Sprache für sie ergeben würden, da sie - wie oben dargelegt - die romanischen Sprachen tendenziell eher in ihren Unterschieden als in ihren Gemeinsamkeiten wahrnimmt. 6.6.5 Gesamtbetrachtung Auffällig ist, dass Karina in ihrer SLB kaum von persönlichen Ereignissen berichtet. Kontakt zu MuttersprachlerInnen und Auslandsaufenthalte finden keine Erwähnung. Sie scheint in einem klassischen Lernparadigma verhaftet, da sie in ihrer SLB ausschließlich das schulische Fremdsprachenlernen fokussiert. Damit geht einher, dass sie Prüfungen und Tests eine zentrale Rolle einräumt, welche sie zur Stärkung ihres Selbstvertrauens heranzieht, wenn sie für sie positiv ausfallen. Freude an der Auseinandersetzung mit Sprache ist bei ihr eng mit schulischem Erfolg gekoppelt, so dass sie überwiegend extrinsisch motiviert zu sein scheint. Weiterhin zeigt sie eine Unsicherheit in Bezug auf ihre Karina 289 Fähigkeiten und deren realistische Einschätzung, was auf ein niedriges Selbstkonzept verweist. Der empfundene Schwierigkeitsgrad der zu erlernenden Sprache spielt bei der Wahl der ZS eine übergeordnete Rolle, affektive Kriterien hingegen sind zweitrangig. Karina scheint mit dem Erwerb der ZS Spanisch auf Grundlage ihrer BS Französisch stark gefordert. Für sie ist die fremdsprachige Kommunikation auf Französisch bereits etwas Besonderes. In ihren Daten zeigen sich keine Belege für Freude an Fremdsprachen oder am Fremdsprachenerwerb, auch Interesse und Offenheit gegenüber den zielsprachigen SprecherInnen und Kulturen lassen sich aus ihren Daten nicht ablesen. Interkulturelle Verstehensprozesse werden von Karina nicht initiiert bzw. nicht als solche wahrgenommen. Auf der Plattform zeigt sie sich sehr zurückhaltend, sie tritt fast nicht in Erscheinung und scheint den Kontakt zu MuttersprachlerInnen regelrecht zu vermeiden. Ihr Sprachlernverständnis sieht den Kontakt zu MuttersprachlerInnen und Spracherwerb durch Anwendung nicht vor. Wenn es doch zu Kommunikationssituationen kommt, ist Karina stark auf ihren persönlichkeitsbezogenen Bereich konzentriert, da sie mit Sprachhemmungen, Angst und Blockaden umzugehen hat. MuttersprachlerInnen als KommunikationspartnerInnen scheinen bei ihr eine inhibierende Wirkung zu haben. Gründe dafür sind ihrem Selbstkonzept und einer Überbewertung von sprachlicher Korrektheit zu finden. Zudem zeigt sie kaum Reflexionsbereitschaft, tiefergehende Einblicke in den Lerngegenstand sind bei ihr nicht festzustellen. 7. Fallübergreifende Zusammenschau In diesem Kapitel wird die Ebene des Einzelfalles zugunsten einer analytischen Zusammenschau zum Zwecke der Theoretisierung verlassen. An ausgewiesenen Stellen ist ein Rückgriff auf den Einzelfall dennoch nötig, v. a. wenn es darum geht, lernerspezifische Besonderheiten aufzuzeigen. Grundsätzlich zielt das Kapitel aber darauf ab, mit Blick auf das Erkenntnisinteresse fall- und datenübergreifend Überschneidungssowie Differenzierungsbereiche herauszuarbeiten, die für das Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit der StudienteilnehmerInnen relevant sind. 170 Im Folgenden werden die Kernkategorien dargestellt, die beim axialen bzw. selektiven Kodieren (vgl. Kapitel 5.5) herausgearbeitet wurden. Die festgestellten Wirkungszusammenhänge zwischen den Kernkategorien werden durch entsprechende Querverweise kenntlich gemacht. 7.1 Habitualisierung an IC-basierten Mehrsprachenerwerb Habitualisierung an IC-basierten Mehrsprachenerwerb Fallübergreifend lässt sich im Laufe des Projekts eine Habitualisierung an den IC-basierten Mehrsprachenerwerb und die Rezeption des mehrsprachigen Inputs feststellen. Der anfängliche Wunsch, mehrsprachige Forumsbeiträge en détail zu verstehen, tritt zugunsten eines Globalverstehens in den Hintergrund, was auf eine Ambiguitätstoleranz hindeutet. Bei den Erschließungsvorgängen stellen sich Automatisierungstendenzen ein, die auf retroaktive Festigungseffekte im Hinblick auf die ZS schließen lassen. Offensichtlich führt die wiederholte Auseinandersetzung mit der ZS zu Wiedererkennungseffekten, insbesondere, was hochfrequente Wörter, aber auch syntaktische Strukturen angeht. Die Arbeit mit der Hypothesengrammatik stellt in diesem Zusammenhang ein zentrales Element für die mehrsprachige Sensibilisierung dar, denn sie wird - mit Ausnahme von Sabine - vom Gros der StudienteilnehmerInnen als Mittel der Bewusstwerdung gesehen, das gezielte Sprachvergleiche ermöglicht und es zudem erlaubt, den zielsprachlichen Input zu systematisieren und zu strukturieren. Bis auf Karina, die ihren ZS-Erwerb als niedrig einstuft, unterstreichen die StudienteilnehmerInnen, dass sie durch die Teilnahme eine grundlegende Leseverstehenskompetenz in ihrer ZS erworben haben. In drei Fällen (Meltem, Anja und Jennifer) wird die Leseverstehenskompetenz auf weitere romanische Sprachen ausgeweitet. Die Habitualisierung an die IC-basierte Rezeption greift 170 Für die Beantwortung einzelner Forschungsfragen (vgl. Kapitel 4.1) ist mitunter mehr als eine Kernkategorie relevant. Um Redundanzen zu vermeiden, orientiert sich die Struktur des Kapitels allerdings nicht an den Forschungsfragen, sondern vielmehr an den ermittelten Kernkategorien. Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 292 allerdings nicht beim Erschließen des Rumänischen, das als schwierig zu entschlüsseln wahrgenommen wird (vgl. Kapitel 7.6). Dies kann zu negativen affektiv-attitudinalen Konsequenzen führen, die im Fall von Jennifer zur Abwahl der ZS Rumänisch führen. Grundsätzlich wird der IC-basierte Mehrsprachenerwerb von allen TeilnehmerInnen als positiv bewertet, was zum einen dazu führt, dass die Nützlichkeit der BS für das Erschließen der ZS deutlich wahrgenommen und positiv herausgestellt wird. Zum anderen geht mit der Präsenz mehrerer ZS und deren IC-basierter Rezeption eine Einstellungsveränderung einher, da romanische Sprachen generell als in weiten Teilen erschließbar erlebt werden. Es sind selbst solche Sprachen verstehbar, die bisher nicht im Fokus des Spracherwerbsinteresses der Studierenden lagen (vgl. auch Kapitel 7.5.2). So geben bis auf Karina und Marco alle StudienteilnehmerInnen an, eine sprachliche Sensibilisierung hinsichtlich aller am Projekt beteiligten Sprachen erfahren zu haben. Es spricht vieles dafür, dass die Habitualisierung an den IC-basierten Mehrsprachenerwerb es schließlich ermöglicht, den Blick auf weitere Lerngegenstände zu richten. So reflektieren die StudienteilnehmerInnen im weiteren Verlauf des Projekts bspw. das selbstgesteuerte oder interkulturelle Lernen und auch ihr Sprachlernverhalten, das sie analysieren und bewusst gestalten (Meltem, Sabine, Jennifer, Anja). In Sabines Fall dürfte die Habitualisierung schließlich dazu beigetragen haben, dass sie ihre erworbene Lesekompetenz in der ZS auch auf das Hörbzw. das Hörsehverstehen ausweitet. 7.2 Erleben mehrsprachiger Interaktion vor dem Hintergrund des Sprachlernverständnisses Erleben mehrsprachiger Interaktion vor dem Hintergrund des Sprachlernverständnisses Anhand der Datenlage zeigt sich, dass zwischen einem kommunikationsorientierten und einem nicht-kommunikationsorientiertem Sprachlernverständnis unterschieden werden muss. StudienteilnehmerInnen mit einem kommunikationsorientierten Sprachlernverständnis nehmen MuttersprachlerInnen als language learning facilitators und Kommunikationssituation als potentielle Sprachlernsituation wahr. Ein nicht-kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass Sprachenlernen v. a. mit Fokus auf Grammatikbzw. Wortschatzerwerb, nicht aber in Interaktion mit MuttersprachlerInnen/ Peers konzeptualisiert wird. Das Sprachlernverständnis steht daher in einem engen Zusammenhang mit dem Erleben der interaktionsbasierten Mehrsprachigkeit auf der Plattform. 7.2.1 Kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis StudienteilnehmerInnen mit einem kommunikationsorientierten Sprachlernverständnis zeigen eine hohe Kommunikationsbereitschaft und nehmen das Erleben mehrsprachiger Interaktion vor dem Hintergrund des Sprachlernverständnisses 293 Lernarrangement als Möglichkeit wahr, ihre BS anzuwenden. Im Forum wird der brückensprachliche Output aufgrund der asynchronen Kommunikationssituation vor dem Posten des Beitrages zunächst analysiert und durch Hinzuziehung externer Ressourcen wie Wörterbüchern ggf. modifiziert. Die Teilnahme an Chats gibt ebenfalls die Möglichkeit, die BS produktiv anzuwenden und diesen Prozess zu überwachen. Aufgrund der Synchronizität der Kommunikation ist jedoch ein detailliertes Monitoring des brückensprachlichen Outputs nicht möglich, so dass dieser in der Tendenz fehleranfälliger ist (es kann aber durchaus zur retrospektiven Analyse der Chatprotokolle kommen). Aus der Sicht der StudienteilnehmerInnen scheinen sprachliche Fehler im Chat im Vergleich zum Forum allerdings eher verzeihlich zu sein, da es in erster Linie darum geht, die Kommunikation aufrecht zu erhalten. Aufgrund der Synchronizität können sich jedoch auch Schwierigkeiten für die brückensprachliche Produktion ergeben, da spontan auf die Äußerungen der ChatpartnerInnen zu reagieren ist. Dies betrifft v. a. kulturell geprägte Themen, die mitunter als schwierig in die BS zu übertragen wahrgenommen werden (vgl. Kapitel 6.5.3). In Anjas Fall zeigt sich, dass ein kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis sowie bereits gemachte kommunikative (Mehr-)Sprachenerfahrungen positive Auswirkungen auf den Umgang mit Sprachhemmungen haben können und entsprechende Strategien der Selbstregulierung und -motivation zum Tragen kommen (vgl. Kapitel 6.5). 7.2.2 Nicht-kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis StudienteilnehmerInnen, deren Sprachlernverständnis als nicht-kommunikationsorientiert zu charakterisieren ist, zeigen eine geringe Kommunikationsbereitschaft sowie eine Vermeidungshaltung in Bezug auf die mehrsprachige Kommunikationssituation. Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass sie mehrsprachige Forumsbeiträge rezipieren und sich Spra-chewerbsprozesse bezogen auf die BS/ ZS oder interkulturelle Lernsituationen ergeben (vgl. Kapitel 7.3.1). Durch die Nichtteilnahme am Diskurs im Forum bzw. in Chats kommt es allerdings nicht zu Output in der BS, so dass sich bezogen auf die BS keinerlei spracherwerbsfördernde Momente in der Interaktion ergeben. Dies hat zur Folge, dass diese StudienteilnehmerInnen ihre Lernersprache nicht analysieren und sich dementsprechend auch keine Monitoring-Prozesse ergeben können. Die Vermeidungshaltung führt dazu, dass Interaktions- oder IC-Strategien im Chat nicht ‚erprobt‘ oder erworben werden können. Die exolinguale Kommunikationssituation führt vielmehr dazu, dass die betroffenen deutschsprachigen Studierenden eine Hierarchie zwischen ihnen als Sprachenlernenden und den MuttersprachlerInnen als SprachenexpertInnen wahrnehmen. Es ist eine Überbewertung sprachlicher Fehler zu beobachten. Die Möglichkeit sprachlich-formale Fehler zu machen, führt zu Sprechhemmungen und beeinflusst ihre Kommunikationsbereitschaft negativ. In enger Verbindung dazu Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 294 steht das Selbstkonzept, denn die brückensprachlichen Kompetenzen werden in der Tendenz als niedrig und im Vergleich zu den MuttersprachlerInnen als defizitär eingeschätzt. Das wahrgenommene Hierarchiegefälle und die potentielle Bewertungssituation haben negative emotive Implikationen und führen zu Sprachangst und Frustrationen. Der Umgang mit diesen Empfindungen scheint die betroffenen Studierenden so sehr zu fordern, dass kaum Ressourcen für den Zielsprachenerwerb zur Verfügung stehen und sogar die Mobilisierung von brückensprachlichen Ressourcen im funktional-kommunikativen Bereich verhindert wird. Die mehrsprachige Kommunikationssituation wird als schwer zu bewältigen wahrgenommen, so dass sich lernförderliche Momente in der Interaktion mit anderen TeilnehmerInnen tendenziell nicht ergeben. 7.3 Zustandekommen einer Lernsituation im Forum Zustandekommen einer Lernsituation im Forum Im Datenmaterial zeigt sich, dass zwei Perspektiven auf das Zustandekommen einer Lernsituation im Forum zu unterscheiden sind: Zum einen können Lernsituationen im Forum durch die bloße Rezeption der Diskussionen angestoßen werden (rezeptionsorientierte Beteiligung, vgl. Kapitel 7.3.1). Zum anderen kann eine Lernsituation zustande kommen, wenn StudienteilnehmerInnen durch Postings selbst zum Diskurs beitragen (rezeptions- und produktionsorientierte Beteiligung, vgl. Kapitel 7.3.2). 7.3.1 Rezeptionsorientierte Beteiligung Es finden sich fallübergreifend Hinweise darauf, dass die thematische Ausrichtung der Forumsdiskussionen dazu geeignet ist, sowohl interkulturelles Lernen als auch Reflexionen in Bezug auf das eigene Sprachlernverhalten anzustoßen. Beide Themenbereiche sind vermehrt Gegenstand der Diskussionen im Forum. Frumsdiskussionen wie Une identité plurielle / Shock culturale: Pregiudizo e barriera linguistica / Le regard des autres / A propos des préjugés heben auf die Diskussion interkultureller Fragestellungen aus der mehrkulturellen Perspektive der TeilnehmerInnen ab. Threads wie Aprendizaje de una lengua extranjera con internet y audiovisuales / Apprendre une langue par un séjour à l’étranger bzw. die Arbeit am dossier de presse, das inhaltlich ebenfalls Fragen zum Thema Fremdsprachenerwerb beinhaltete, 171 können dazu anregen, das individuelle Sprachlernverhalten zu hinterfragen und sich des eigenen Sprachlernverständnisses bewusst zu werden. Prinzipiell stoßen die eingebrachten Themen auf das Interesse der StudienteilnehmerInnen. So wird das Vorhandensein von thematischen common grounds von allen Studierenden mit Ausnahme von 171 Vgl. insofern auch die von den StudienteilnehmerInnen bearbeitete Rubrik Apprendre une langue par un séjour à l’étranger. Zustandekommen einer Lernsituation im Forum 295 Marco und Karina als positiv hervorgehoben. Es lassen sich auch Hinweise dafür finden, dass mit dem Interesse an den Inhalten bzw. an der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Themen motivierende Effekte einhergehen. Zudem nehmen einige Studierende (v. a. Sabine und Anja) die mehrsprachige Interaktion im Forum im Vergleich zum Chat als weniger herausfordernd wahr. Dies begründen sie mit der Asynchronität der Kommunikationssituation, die ihnen genügend Zeit gibt, sich den zielsprachlichen Input zu erschließen. Insofern scheint auch die Textbeschaffenheit der Beiträge eine Rolle zu spielen, die sich im Vergleich zum Chat durch komplexe Sätze auszeichnen und zudem um ein bestimmtes Thema kreisen, so dass die Studierenden den Ko- und Kontext der Forumsbeiträge zur Bedeutungserschließung heranziehen können. Um einen groben Überblick über die Inhalte der Forumsdiskussionen zu erhalten, erfolgt mitunter auch das inhaltsorientierte Lesen solcher Beiträge, die außerhalb der BS bzw. der gewählten ZS liegen. Es deutet vieles darauf hin, dass das Entschlüsseln der Beiträge als Möglichkeit begriffen wird, den IC-basierten Spracherwerbsprozess bewusst zu gestalten und zu reflektieren. Meltem (vgl. Kapitel 6.1) und Sabine (vgl. Kapitel 6.4) greifen bspw. einzelne Beiträge von Forumsdiskussionen im LP auf und analysieren die hypothesengeleitete Dekodierung des zielsprachlichen Inputs. Sie fertigen Interlinearübersetzungen an und initiieren gezielt Sprachvergleiche, indem sie dem zielsprachlichen Input in die BS übertragen und in der Gegenüberstellung Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeiten. Hierbei gehen sie strategiegeleitet vor und ziehen neben dem intelligent guessing auch externe Ressourcen in Form von Wörterbüchern oder MuttersprachlerInnen zur Disambiguierung heran. Die Dekodierung des mehrsprachigen Inputs kann also den Blick für Sprachlernprozesse schärfen und Einblicke in metakognitive Prozesse zulassen (vgl. Kapitel 7.7). Insofern zeigt sich anhand der Daten, dass zumindest Sabine ihre hier gemachten Erfahrungen mit dem Erwerb einer Fremdsprache für ihre zukünftige Lehrertätigkeit fruchtbar machen möchte, wenn sie davon berichtet, dass es aus ihrer Sicht hilfreich war, noch einmal eine Sprache zu erlernen, um sich in ihre zukünftigen SchülerInnen hineinversetzen zu können (vgl. Kapitel 6.4). Auch Marco unterstreicht, dass der Rückgriff auf englische Vokabeln im Französischunterricht gewinnbringend sein könnte und führt aus, dass ihm dies erst durch die Teilnahme an G ALANET bzw. am Seminar bewusst geworden sei (vgl. Kapitel 6.2). Diese Befunde sprechen für potentielle Rückwirkungen der auf der Plattform gemachten IC-Sprachlernerfahrung im Hinblick auf die anvisierte Lehrtätigkeit der Studierenden. Die bewusstheitsfördernde Funktion von Forumsdiskussionen für das interkulturelle Lernen tritt besonders deutlich in Le regard des autres und A pro- Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 296 pos des préjugés (beide Phase 2) hervor, die von fast allen StudienteilnehmerInnen verfolgt werden. 172 Die Befunde deuten darauf hin, dass die in Rede stehenden Forumsdiskussionen nicht nur Anlass dazu geben, die Funktion von Stereotypen und Vorurteilen zu reflektieren, sondern auch eigene stereotypisierte Wahrnehmungen und Einstellungen zu hinterfragen. Insbesondere die Forumsdiskussion Le regard des autres scheint zu einer Bewusstwerdung im Hinblick auf die kulturelle Diversität eines Landes, in diesem Falle Italien, beigetragen zu haben. So merken bis auf Karina alle Studierenden an, durch das Verfolgen dieser Diskussionen eine interkulturelle Sensibilisierung erfahren zu haben und unterstreichen die Tatsache, dass neben dem Spracherwerb auch interkulturelles Lernen auf der Plattform stattgefunden hat. 7.3.2 Rezeptions- und produktionsorientierte Beteiligung Mit Blick auf die Daten sind zwei Gruppen in Bezug auf das Aktivwerden im Forum zu unterscheiden: Es handelt sich einerseits um Studierende, die sich erst nach Aufforderung mit eigenen Beiträgen in die Forumsdiskussionen einbringen, während andere unaufgefordert teilnehmen. Obwohl alle StudienteilnehmerInnen die mediale Lernumgebung als motivierend wahrnehmen, werden die Forumsdiskussionen von der ersten Gruppe als eine Form der Informationsbeschaffung begriffen, was dazu führt, dass sie den Diskurscharakter der Diskussionen kaum wahrnehmen. Nicht unberücksichtigt werden darf in einem Fall die fehlende Erfahrung mit CMC-Kommunikation, was das Zustandekommen von Lernsituationen im Forum zusätzlich erschweren dürfte. Außerdem finden sich bei dieser Gruppe keine Hinweise auf intrinsische Motivation, die sich bspw. in einem Interesse an den diskutierten Themen niederschlägt. Neben der fehlenden Motivation, sich inhaltlich mit den Themen auseinanderzusetzen erscheint des Weiteren das Sprachlernverständnis zentral, das bei diesen Studierenden tendenziell als nicht-kommunikationsorientiert zu charakterisieren ist (vgl. Kapitel 7.2.1). Außerdem gibt es Belege dafür, dass die Studierenden ihre Kompetenzen in der BS als vergleichsweise niedrig einstufen, was auf ihr Selbstkonzept zurückzuführen sein dürfte. Auch die Überbewertung von spra-chlich-formalen Fehlern, die nicht als etwas Natürliches im Spracherwerbsprozess wahrgenommen werden, sondern als zu vermeidende Abweichung von der Norm, wirkt sich negativ auf das Aktivwerden im Forum aus. Wie erwähnt nehmen diese Studierenden die mehrsprachige Kommunikationssituation als Bewertungssituation wahr, was in der Folge zu Sprachhemmungen und einer Vermeidungshaltung im Hinblick auf die Interaktionen im 172 Allein bei Karina findet sich kein Hinweis darauf, dass sie diese Forumsdiskussion rezipiert hat. Zustandekommen einer Lernsituation im Forum 297 Forum führt (vgl. 6.2 und 6.6). In einem Fall (Karina, vgl. 6.6) zeigte sich jedoch, dass das Aktivwerden im Forum durchaus zu positiven Effekten im Hinblick auf Sprachhemmungen führen kann, die zwar nicht gänzlich abgebaut, aber dennoch abgemildert werden konnten. Allerdings waren diese Effekte von relativ geringer Reichweite, da sie in der Folge nicht etwa zu einer gesteigerten Teilnahme an den Forumsdiskussionen führten. Bezogen auf die zweite Gruppe Studierender, die sich unaufgefordert in die Forumsdiskussionen einbringen, lässt sich fallübergreifend nicht nur ein ausgeprägtes Interesse an den diskutierten Themen, sondern auch an der mehrsprachigen Kommunikationssituation feststellen, das mit entsprechenden motivationalen Auswirkungen einhergeht. Diese Studierenden verfügen über ein kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis (vgl. Kapitel 7.2.2) und empfinden die Kommunikationssituation als positiv. Die Themen der Forumsdiskussionen mit dem Fokus auf interkulturelles Lernen und Fragen des Spracherwerbs wirken als inhaltliche common grounds, die aus Sicht der Studierenden Redeanlässe darstellen, so dass es zu bedeutungsvoller Kommunikation kommt. Bis auf einen Fall bejahen alle Studierenden dieser Gruppe, dass sich spracherwerbsfördernde Momente für die BS ergeben haben. Die Möglichkeit, Fehler zu machen spielt für den Großteil dieser Gruppe keine bzw. eine untergeordnete Rolle. In einem Fall wirkt sich die Angst vor sprachlichen Fehlern zunächst negativ auf das Aktivwerden im Forum aus, kann aber schließlich durch entsprechende Strategien der Selbstregulierung und -motivation überwunden werden. Dennoch lässt sich feststellen, dass es in den untersuchten Forumsdiskussionen nicht zu Bedeutungsaushandlungen kommt. Es lassen sich im Datenmaterial keine Hinweise darauf finden, dass die übrigen DiskussionsteilnehmerInnen aktiv in den Verstehensprozess der StudienteilnehmerInnen einbezogen wurden. Strategien der Verstehenssicherung, wie bspw. die Bitte um Paraphrasierungen oder Erklärungen sind im Datenmaterial nicht auffindbar. Offenbar liegt dies an der asynchronen Kommunikationssituation, die die Hinzunahme von externen Ressourcen ermöglicht, mit denen sich der zielsprachliche Input verständlich gemacht werden kann. Das Ausbleiben von Ko-Konstruktionsprozessen im Hinblick auf den interkulturellen Diskurs wird aus Sicht einer Studierenden sogar als demotivierend wahrgenommen, da Reaktionen der übrigen DiskussionsteilnehmerInnen auf ein von ihr eingebrachtes Posting ausbleiben (vgl. Kapitel 6.5). Dieser Befund unterstreicht die savoir-être Dimension, der in einem interaktionsbasierten Setting eine zentrale Rolle zukommt und die Notwendigkeit zur Mobilisierung von Ressourcen aus dem persönlichkeitsbezogenen Bereich. Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 298 7.4 Zustandekommen einer Lernsituation im Chat Zustandekommen einer Lernsituation im Chat Innerhalb des Chatdatenkorpus sind drei Formen von Chats zu unterscheiden: Erstens liegen chats privés vor, die in der Tendenz einsprachig verlaufen, so dass es nicht zu IC-basierter Interaktion kommt. Zweitens liegen IC-basierte chats privés vor, die sprachliche Aushandlungen aufweisen. Drittens ist die ICbasierte Kommunikationssituation in der salle de discussion zu unterscheiden, die grundsätzlich als exolingual einzustufen ist, sich darüber hinaus aber auch durch mehrere Chattende und die Verwendung mehrerer Sprachen auszeichnet. Auch wenn ein Chatauszug aus der salle de discussion nur für einen Fall (Anja) analysiert wurde (vgl. Kapitel 6.5.3), lassen sich überschneidende Merkmale mit den chats privés feststellen. Bevor diese Überschneidungsbereiche herausgearbeitet werden, werden zunächst grundsätzliche Merkmale für das Zustandekommen einer Lernsituation im Chat thematisiert. Prinzipiell geht die Kontaktherstellung im Chat für die StudienteilnehmerInnen mit einer Überwindung einher. Auf andere TeilnehmerInnen zuzugehen und einen Chat zu initiieren, tritt mit Ausnahme von Meltem fallübergreifend aus dem Datenmaterial hervor. 173 Dieser Befund unterstreicht die Wichtigkeit der savoir-être Dimension und die Fähigkeit zur Mobilisierung von Ressourcen wie Offenheit und Neugier angesichts der mehrsprachigen Kommunikationssituation. Weiterhin ist es im Chat wichtig, dass eine vertrauensvolle Atmosphäre hergestellt wird, die im Falle von Verstehensproblemen Gelegenheit zu Nachfragen bietet und damit gegenseitige Hilfestellungen ermöglicht. Obwohl es ein Gemeinplatz zu sein scheint, dass die ChatpartnerInnen grundsätzlich Zeit für einen Chat haben müssen, ist dies erwähnenswert, da ein verzögertes Reagieren bzw. ein Nichtreagieren auf Fragen zu negativen Konsequenzen auf der affektiv-attitudinalen Ebene führen kann (vgl. Kapitel 6.4.3). Darüber hinaus müssen Redeanlässe gegeben sein, damit sich eine inhaltsorientierte Kommunikation ergeben kann. Die hier analysierten Chats lassen sich unter spontanen Chats subsumieren, d.h. deren Thema war vorab nicht festgelegt und ergab sich erst in der Interaktion (vgl. Kapitel 4.3.3). Grundsätzlich verweisen bis auf Jennifer alle TeilnehmerInnen auf das Vorhandensein inhaltlicher common grounds, die zu Redeanlässen führen. Dennoch ist festzustellen, dass interkulturelle Themen zumeist oberflächlich behandelt werden, vermutlich, weil die Chattenden die Konversation nicht durch sensible Themen negativ beeinflussen wollen. Insofern scheint allerdings die retrospektive Reflexion der Chats im LP dazu geeignet, bewusstheitsfördernde Prozesse im Hinblick auf interkulturelle Fragestellungen anzubahnen. 173 Allein Karina macht diesbezüglich keine Aussagen. Da der von ihr erwähnte Chat mit einer italophonen Teilnehmerin nicht vorliegt, können keine Aussagen darüber gemacht werden, wer den Chat initiiert hat. Zustandekommen einer Lernsituation im Chat 299 7.4.1 Nicht IC-basierte chats privés Bei den nicht IC-basierten chats privés ist zwischen endolingualen und exolingualen Kommunikationssituationen zu unterscheiden. Für Karina ergab sich nach eigenen Angaben ein endolingualer, nicht IC-basierter Chat mit einer italophonen Teilnehmerin, da beide in einer Fremdsprache (Französisch) kommunizierten (vgl. Kapitel 6.6.3). Es konnte gezeigt werden, dass Karina in der Interaktion mit MuttersprachlerInnen eine Vermeidungshaltung einnimmt, die eng mit ihrem nicht-kommunikationsorientierten Sprachlernverständnis zusammenhängt (vgl. Kapitel 7.2.2). Aus Karinas Sicht führte der einsprachige, endolinguale Chat in ihrer BS allerdings dazu, dass ihre Sprechhemmungen abgemildert werden konnten und sie die Interaktionssituation als positiv wahrnahm. Auffällig ist, dass Karina ihr Gegenüber nicht um ein Code-switching ins Italienische bittet. Dies mag damit zusammenhängen, dass Karina bereits eine einsprachige Kommunikation in ihrer BS als etwas Besonderes empfindet und der IC-basierte Spracherwerb ihrer ZS Italienisch daher in den Hintergrund rückt. Zu ihrer BS Französisch berichtet Karina allerdings davon, Strategien der Verständnissicherung wie Paraphrasierungen sowie Rückfragen angewandt zu haben, und betont im Interview den spracherwerbsfördernden Aspekt des Chattens für ihre BS. Auch Jennifer chattet nicht interkomprehensiv, was sie im Gegensatz zu Karina jedoch bedauert (vgl. Kapitel 6.3.3). Das Nichtzustandekommen von IC-basierten Chats ist u.a. darauf zurückzuführen, dass Jennifer mit ihren BS Französisch und Spanisch bereits über zwei Arbeitssprachen des Projekts verfügt. Mit Blick auf Chat 1 ist das Zustandekommen einer IC-basierten Chatkommunikation aufgrund der den Chatteilnehmerinnen zur Verfügung stehenden Sprachen (Französisch und Spanisch) schlichtweg nicht möglich. Anders als Karina vermeidet Jennifer die exolinguale Kommunikationssituation mit MuttersprachlerInnen aber nicht. Jennifer nimmt zwar grundsätzlich die Möglichkeit wahr, ihr Gegenüber um ein Code-switching zu bitten, setzt dies aber aus Rücksicht auf ihre ChatpartnerInnen nicht um (Chat 2). In der Konsequenz ergeben sich keine sprachlichen Aushandlungsprozesse, allerdings nimmt Jennifer Chats durchaus als Gelegenheit wahr, Reflexionen interkultureller Art nachzugehen (Chat 1). Insofern ist jedoch herauszustellen, dass sie sich erst retrospektiv mit den im Chat aufgeworfenen Stereotypen beschäftigt, wenn sie diese im LP aufgreift und reflektiert. 7.4.2 IC-basierte chats privés Im Vergleich zu den nicht IC-basierten Chats zeichnen sich IC-basierte Chats grundsätzlich dadurch aus, dass IC in der Anwendung durch die Chattenden ko-konstruiert wird. Dies zeigt sich fallübergreifend v. a. an sprachlichen Aus- Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 300 handlungen und der Ko-Konstruktion von Bedeutung. Für die StudienteilnehmerInnen stellen die ChatpartnerInnen potentielle language learning facilitators dar, die im Falle von Verständnisproblemen als ressource humaine herangezogen werden. Im Vergleich zur Dekodierung des mehrsprachigen Inputs im Forum (vgl. Kapitel 7.3) erschwert die synchrone Kommunikationssituation Chat die Hinzuziehung externer Ressourcen in Form von Wörterbüchern etc., so dass ChatpartnerInnen zur Verstehenssicherung herangezogen werden. Mitunter zeigt sich, dass die romanophonen MuttersprachlerInnen Verständnisschwierigkeiten antizipieren, wenn sie ungefragt Paraphrasierungen anbieten oder Code-switchings vornehmen (vgl. u.a. Analyse der Chats 7 und 8, Kapitel 6.1.3). Es lassen sich nicht aber nur Bedeutungs-, sondern auch Rollenaushandlungen feststellen, die zumeist implizit erfolgen. Rollenzuschreibungen sind nicht statisch, sondern können sich im Laufe eines Chats ändern, was sich an einer adaptieren Partnerhypothese zeigt, welche für die Adaptionskompetenz der Chatteinehmerinnen spricht (vgl. Analyse Chat 5 und 9, Kapitel 6.1.3 und 6.4.3). Fallübergreifend lässt sich aus Sicht der StudienteilnehmerInnen ein Interesse an den romanophonen ChatpartnerInnen feststellen, das sich in Fragen zur Person und zur Lebenswelt widerspiegelt. In zwei Fällen geht das Interesse auch über das Projekt hinaus, da Meltem und Sabine den Kontakt zu ihren ChatpartnerInnen über soziale Medien herstellen und an der IC-basierten Kommunikation festhalten wollen. Umgekehrt erhöhen Nachfragen der romanophonen TeilnehmerInnen bei den StudienteilnehmerInnen deren Motivation. Allerdings zeigt sich auch, dass das Ausbleiben von Fragen als Desinteresse an der eigenen Person gewertet wird und dementsprechend zu negativen Auswirkungen auf der affektiv-attitudinalen Ebene führt. Grundsätzlich scheinen IC-basierte Chats die reflexive Kompetenz der TeilnehmerInnen in Bezug auf Sprachen (z.B. ihren identitätsstiftenden Aspekt, den Lern- oder Erwerbskontext, die Einstellungen zu Sprachen, den empfundenen Schwierigkeitsgrad in Bezug auf die verschiedenen ZS) zu fördern, da Sprachen häufig Thema der Chatdiskussionen sind und die TeilnehmerInnen so entsprechenden Reflexionen nachgehen. Die Thematisierung von Sprachen führt zur Herstellung von inhaltlichen common grounds, die aus Sicht der Teilnehmenden bedeutungsvolle Redeanlässe darstellen. Sprachen sind thematisch gesehen innerhalb des Lernarrangements von hoher Relevanz und erweisen sich in den Chats als produktiv. Im Gegensatz dazu ist festzustellen, dass interkulturelle Themen eher selten als Redeanlässe wirken. Kommt es doch zu deren Thematisierung, werden sie relativ oberflächlich behandelt. Fallübergreifend berichten alle Teilnehmenden von Verständnischwierigkeiten und sprachlichen Missverständnissen in der IC-basierten Chatkommunikation, so dass es mitunter auch zu Frustrationen wegen Nichtverstehens kommt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die BS der TeilnehmerInnen Zustandekommen einer Lernsituation im Chat 301 typologisch gesehen eine hohe Distanz zu der verwandten ZS aufweist, was besonders für das Rumänische gilt (vgl. Analyse Chat 7, Kapitel 6.1.3 bzw. Kapitel 7.6). Sprachliche Missverständnisse werden von den StudienteilnehmerInnen durch die Anwendung von Kommunikationsstrategien gelöst. Es lassen sich implizite Strategien der Verstehenssicherung feststellen, wenn ChatteilnehmerInnen ihr Gegenüber auf ein Verstehensproblem aufmerksam machen, ohne dabei jedoch explizit um Erklärung zu bitten. Als explizite Strategien sind die direkte Bitte um Erklärung, Paraphrasierung oder aber der Rückgriff auf andere Sprachen festzustellen. IC-basierte Chats laden die Teilnehmenden dazu ein, alle ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen anzuwenden und sie zielgerichtet einzusetzen, um das gegenseitige Verstehen zu sichern. Sie mobilisieren ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire, um Verstehensprozesse anzubahnen. Durch das Einbringen aller zur Verfügung stehenden Sprachen und deren Gegenüberstellung initiieren sie Sprachvergleiche, die für ihre mehrsprachige Sprachbewusstheit förderlich sein dürften. Allerdings setzt das Code-switching eine gewisse Flexibilität voraus, denn Sprachwechsel können auch zu Irritationen führen (vgl. u.a. Analyse Chat 7 und Chat 8, Kapitel 6.1.3). Einerseits bietet sich in diesem Fall die Möglichkeit, über sprachliche Missverständnisse ins Gespräch zu kommen, indem diese zum Gesprächsgegenstand gemacht werden. Andererseits können Sprachwechsel aber auch erhebliche Verständnisschwierigkeiten mit sich bringen, was dazu führen kann, dass die inhaltsorientierte Kommunikation zum Erliegen kommt, da die Verstehenssicherung im Vordergrund steht (vgl. Analyse Chat 4 und 7, Kapitel 6.1.3 und 6.4.3). In zwei Fällen - Meltem und Sabine - wurde die IC-basierte Chatkommunikation von den StudienteilnehmerInnen explizit eingefordert. Im Vergleich zu Karina, die sich mit einer einsprachigen Chatkommunikation in ihrer BS zufrieden gibt und Jennifer, die aus Rücksicht auf ihre Chatpartnerin nicht nach einem Code-switchting fragt (vgl. Kapitel 7.4.1), bitten Meltem und Sabine ihre Chatpartnerinnen explizit darum, den Chat unter Verwendung ihrer L 1 fortzuführen und initiieren damit den IC-basierten Fremdsprachenerwerb im Chat. Diese direkte Bitte um einen Sprachwechsel spricht nicht nur für eine gewisse Offenheit und Neugier gegenüber der IC-basierten Kommunikation. Es spricht auch dafür, dass die Studierenden die Begegnungen mit den MuttersprachlerInnen für ihre Fremdsprachenerwerb in der ZS nutzen wollen. Dies gilt in besonderem Maße für Meltem, die Chats als Gelegenheit wahrnimmt, ihre ZS produktiv zu verwenden und ein direktes, synchrones Feedback ihrer Gesprächspartnerin einzuholen. 7.4.3 IC-basierte Chats in der salle de discussion Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass es auch in den Chaträumen zu einer Ko-Konstruktion von IC kommt. Allerdings geht die Kommunikation in den Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 302 Chaträumen aufgrund der Vielzahl der TeilnehmerInnen mit erhöhten Anforderungen einher, was die inhaltliche Diskussion erschwert und diese mitunter sogar unterbindet. Dies liegt u.a. an der schnellen zeitlichen Abfolge der turns, die zu thematischen Überlappungen und einem Nebeneinander von mehreren Gesprächssträngen führen. Daher ist nicht immer erkennbar, auf welchen Beitrag sich bestimmte Äußerungen beziehen, so dass die Chattenden oftmals aneinander vorbeireden. Nichtsdestotrotz lässt sich feststellen, dass es den Teilnehmenden im Laufe des Chats gelingt, einen gemeinsamen Fluchtpunkt herzustellen und damit den Überlappungen entgegenwirken. Die gesteigerten Anforderungen ergeben sich aber auch aus der Präsenz mehrerer ZS. So ist es im Gegensatz zum Forum im Chat nicht möglich, bestimmte, schwer zu dekodierende ZS außen vor zu lassen, ohne dass dies einen direkten Einfluss auf die Kommunikationssituation hätte. Anja (vgl. Kapitel 6.5) berichtet davon, die Äußerungen ihrer ChatpartnerInnen nicht immer in Gänze durchdrungen zu haben und verweist darauf, dass ein Detailverstehen im Chat im Vergleich zum Forum wichtiger ist. Ähnlich wie Sabine schätzt sie die IC-basierte Kommunikation im Chat als schwieriger ein, u.a. weil es kaum möglich ist, den Kontext zur Bedeutungserschließung heranzuziehen. Anjas Verstehensstrategien beschränken sich daher auf kotextliches intelligent guessing und Nachfragen. In dem untersuchten Chatauszug gibt es allerdings nicht nur aus Anjas Sicht Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf das Italienische, denen sie u.a. durch Nachfragen und Bitten um Erklärung begegnet. Auch aus der Sicht der italienischsprachigen TeilnehmerInnen ergeben sich Verständnisschwierigkeiten, da sie Anjas BS Spanisch nur annährend erschließen können. TeilnehmerInnen eines Chats in der salle de discussion sind also nicht nur mit eigenen Verstehensproblemen konfrontiert, sondern müssen auch auf die Verstehensprobleme ihrer ChatpartnerInnen reagieren, was in Anjas Fall zu Reformulierungen, Erklärungen und Paraphrasierungen führte und für ihre Adaptionskompetenz spricht. Es lässt sich festhalten, dass es auch in dem analysierten Chatauszug aus der salle de discussion zu einer Ko-Konstruktion von Bedeutung kommt, allerdings ist im Vergleich zu den conversations privés sprachliches Lernen hier kein expliziter Gegenstand der Unterhaltungen. Obwohl durchaus eine Auslotung dahingehend erfolgt, ob die IC-basierte Kommunikation funktioniert und die verwendeten Sprachen aus Sicht der TeilnehmerInnen einer Bewertung im Hinblick auf ihre psychotypologische Distanz unterzogen werden, scheint die Präsenz mehrerer SprecherInnen mit unterschiedlichen Kompetenzniveaus die lernunterstützende Funktion einzelner ChatteilnehmerInnen zu erschweren. Prinzipiell lässt sich diese Beobachtung auch auf das interkulturelle Lernen ausweiten, dessen Lernpotential in dem analysierten Chat nicht ausgeschöpft wurde, womit sich Überschneidungen zu den chats privés ergeben. Es spricht im Gegenteil viel dafür, dass die Chatteilnehmenden sensible, konfliktreiche Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit 303 Themen umgehen, um die Chatkonversation nicht negativ zu beeinflussen, so dass das interkulturelle Lernpotential nicht ausgeschöpft wird. Dieser Befund deutet darauf hin, dass das Medium einen entscheidenden Einfluss auf die Behandlung von Themen hat, da interkulturelle Themen eher im Forum verhandelt werden. 7.5 Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit Das interaktionsbasierte Lernarrangement und der Kontakt zu romanophonen MuttersprachlerInnen hinterlassen eine nachhaltige IC-Erfahrung, die lernerseits Einblicke in Haltungen nicht nur gegenüber der/ n Brücken- und Zielsprache(n), sondern auch gegenüber den SprecherInnen und Kulturen sowie der kulturellen Vielfalt zulässt. Es sind Wirkungszusammenhänge zwischen den affektiv-attitudinalen Zuschreibungen gegenüber dem Fremdsprachenlernen bzw. fremdsprachiger Kommunikation und dem Erleben der mehrsprachigen Interaktion auf der Plattform feststellbar. So sind die rekonstruierten Haltungen stark von bereits gemachten kommunikativen Sprachlernerfahrungen sowie dem Sprachlernverständnis abhängig, die eine Auswirkung darauf haben, ob die IC-basierte Kommunikationssituation als Lern- oder Bewertungssituation konzeptualisiert wird (vgl. Kapitel 7.2). 7.5.1 Haltungen gegenüber Brücken- und Zielsprache(n) Brückensprache(n) Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die BS der TeilnehmerInnen durch die IC-Erfahrung in ihrer Nützlichkeit neu bewertet wird. Wie bereits erwähnt wird die BS als Transfergrundlage nach der Teilnahme als Schlüssel zum Verstehen romanischer Sprachen wahrgenommen, die bisher außerhalb des Erwerbsinteresses lagen. Die Mobilisierung des brückensprachlichen Vorwissens wird als hilfreich bewertet, auf dessen Grundlage die Rezeption bzw. das Erlernen der ZS deutlich erleichtert erscheint. Die Freude bzw. das Interesse an der Auseinandersetzung mit Fremdsprachen tritt bei einem Großteil der StudienteilnehmerInnen deutlich aus der Analyse ihrer SLB hervor. Anja und Jennifer sehen v. a. Auslandsaufenthalte als ursächlich für ihr Interesse an Fremdsprachen, die ihre Motivation zum Fremdsprachenlernen nach eigenen Angaben deutlich haben ansteigen lassen. Für Meltem markiert das Studium in Spanien sogar den „Höhepunkt“ ihres Lebens (SLB Z 45), und auch Sabine unterstreicht rückblickend, dass sie während eines Aufenthaltes in Frankreich „am meisten gelernt“ habe (SLB Z 35). Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 304 Auffällig ist, dass diese Teilnehmerinnen persönliche Beziehungen zu MuttersprachlerInnen aufbauen und Begegnungen als Sprachlernerfahrungen für ihren Fremdsprachenerwerb nutzbar machen. Die Einstellungen dieser Gruppe gegenüber Fremdsprachen sind zudem stark affektiv besetzt, was sich bspw. an Formulierungen wie „Englisch […] zählte auch immer zu meinen Lieblingsfächern“ (Meltem SLB Z 23f.), „ich habe mich schon immer für Englisch interessiert“ (Sabine SLB Z 3f.) oder „der Französischunterricht bereitete mir großen Spaß“ (Anja SLB Z 28f.) zeigt. Bei dieser Gruppe lässt sich die Motivation zur Beschäftigung mit Fremdsprachen durchweg auf integrative bzw. intrinsische Orientierungen zurückführen - für Jennifer und Sabine konnte daneben eine instrumentelle Orientierung herausgearbeitet werden. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Fremdsprachenlernen in der Kommunikation mit MuttersprachlerInnen und einer Teilhabe an deren Kultur aufgefasst wird. Die Freude an der Beschäftigung mit Fremdsprachen und das Interesse an der Sprachverwendung in Kommunikationssituationen stellen daher ursächliche Bedingungen für ein positives Erleben der Mehrsprachigkeit auf der Plattform dar. In der Konsequenz nehmen die in Rede stehenden Teilnehmerinnen die medial vermittelte Interaktionssituation auf der Plattform in einer kommunikationsorientierten Perspektive wahr (vgl. Kapitel 7.2.1). Aus Sicht dieser Gruppe bietet G ALANET die Möglichkeit, brückensprachliche Kenntnisse in der Interaktion anzuwenden, woraus sich wiederum motivierende Effekte bezogen auf ihren Fremdsprachenerwerb ergeben. Dieser Befund verweist auf die volitionale bzw. konative Dimension von Einstellungen, die sich darin zeigt, dass diese TeilnehmerInnen innerhalb des Projektszenarios den Kontakt zu romanophonen MuttersprachlerInnen suchen und Kommunikationssituationen initiieren. Für diejenigen, die über mehr als eine romanische BS verfügen, was auf Jennifer und - eingeschränkt - Anja zutrifft, bietet das mehrsprachige Setting darüber hinaus eine Möglichkeit, ihr gesamtes mehrsprachiges Repertoire zur Anwendung zu bringen bzw. bis dato nicht angewandtes sprachliches Vorwissen zu reaktivieren. Die Gelegenheit, in Interaktion mit MuttersprachlerInnen in der BS zu kommunizieren und diese so zu verbessern, wird als potentielle Lernsituation begriffen. Die Selbsteinschätzung der brückensprachlichen Kompetenzen fällt bei dieser Gruppe - mit Ausnahme von Anja - durchweg positiv aus. So gibt Sabine bspw. in ihrer SLB an, „fließend Englisch und Französisch“ zu sprechen (SLB Z 1), was auf ein hohes Selbstkonzept verweist. Auch bei der Gruppe jener, die im Sinne eines Maximalvergleichs den Gegenpol zu der oben umrissenen Gruppe darstellen, finden sich in den SLB Hinweise auf positive Emotionen in Bezug auf Fremdsprachen bzw. -erwerb. Allerdings werden Affekte wie Freude oder Motivation ausschließlich über äußere Anreize in Form von guten Noten hergestellt, was sowohl für Marco als auch Karina zutrifft. Auffällig ist, dass Karina und Marco weder Auslandsaufenthalte noch den Kontakt zu MuttersprachlerInnen in ihren SLB erwähnen Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit 305 (vgl. Kapitel 6.1.1 und 6.6.1). Vielmehr begreifen sie Fremdsprachen-lernen ausschließlich unter Verweis auf einen schulischen Bezugsrahmen. Ihr Sprachlernverständnis ist daher eher als nicht-kommunikationsorientiert zu charakterisieren (vgl. Kapitel 7.2.1). Aus Marcos und Karinas Sicht stellt die fremdsprachliche Kommunikationssituation auf der Plattform v. a. ein Risiko dar, sprachliche Fehler zu begehen. Dies verweist darauf, dass sie Sprachrichtigkeit überbewerten und Fehler als lernersprachliche Abweichungen von der Norm verkennen. Es spricht viel dafür, dass Karina und Marco Sprachenlernen eher produktdenn prozesshaft fassen. Die Angst vor Fehlern geht mit dem Selbstkonzept einher und steht in enger Verbindung zu Sprachangst. Diese äußert sich darin, dass die Studierenden von sich aus keinerlei Kommunikationsbereitschaft zeigen. Die normorientierte Einstellung zur BS und die als defizitär wahrgenommenen brückensprachlichen Kompetenzen scheinen die Interaktionen auf der Plattform regelrecht zu verhindern. Die von Marco und Karina vorgenommenen kognitiven Zuschreibungen im Hinblick auf ihre Kompetenzen in der BS und der fehlende affektive Bezug haben eine negative Rückwirkung auf die volitionale Dimension, da sie das fremdsprachliche Handeln auf der Plattform unterbinden. Während Marco und Karina sich ihrer Sprachangst zwar durchaus bewusst sind, gelingt es ihnen nur in eingeschränktem Maße, diese zu überwinden. So gibt es bei Karina Belege dafür, dass die mehrsprachige Kommunikationssituation dazu beitragen kann, ihre Sprechhemmungen abzubauen. Sie berichtet von einem endolingualen Chat mit einer Italienerin, die ebenfalls auf Französisch kommuniziert, so dass beide Chatpartnerinnen eine nachgelernte Sprache verwenden und sich dadurch auf Augenhöhe begegnen. Diese kommunikative Situation führt bei Karina zu einer Aufwertung ihres brückensprachlichen Selbstkonzeptes („zu wissen, dass der mich versteht und dass ich gar nicht so schlecht sprechen kann, das hat mich einfach gestärkt“ I Z 68-69). Im Gegensatz dazu gibt es bei Anja Hinweise darauf, dass der Einsatz geeigneter affektiver Strategien in Form von Selbstregulierung bzw. Selbstmotivation die tendenziell negative Einschätzung in Bezug auf die brückensprachlichen Kompetenzen und die daraus resultierenden Sprechhemmungen abzumildern vermag. Dies führt bei Anja in der Konsequenz dazu, dass sie schließlich mit MuttersprachlerInnen auf der Plattform in Kontakt treten und Erfahrungen mit der IC-basierten Interaktion machen kann, was auf ihre SLK im Bereich des savoirêtre verweist. Zielsprache(n) Für die Wahl der ZS lassen sich vier Gründe ausmachen: Erstens spielt die psychotypologische Distanz zwischen Ausgangs- und ZS eine Rolle (vgl. Kapitel 7.6). Im Fall von Karina führt dies bspw. zur Wahl des aus ihrer Sicht leichter zu erlernenden Spanisch, während das von Jennifer als schwer zu erschließen Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 306 wahrgenommene Rumänisch einen Wechsel zum Italienischen bewirkt. Zweitens sind affektive Aspekte (z.B. ein ‚schöner Klang‘) und drittens organisatorische Gründe ausschlaggebend, welche sich v. a. darin äußern, dass Spanisch und Portugiesisch aufgrund der geringen TeilnehmerInnenzahl auf der Plattform wenig in Erscheinung traten. Studierende, die sich zunächst für diese ZS entschieden, richteten ihren ZS-Erwerb schließlich auf Sprachen, die vergleichsweise präsenter waren. Schließlich kamen bei der Wahl der ZS auch kulturelle Aspekte zum Tragen, denn Jennifer gab an, sich zunächst für Rumänisch entschieden zu haben, da sie sich v. a. für die rumänische Kultur interessierte. Die Einstellung der StudienteilnehmerInnen gegenüber den am Projekt beteiligten ZS verändert sich dahingehend, dass bisher ungelernte romanische Sprachen nunmehr ‚attraktiver‘ und ‚sympathischer‘ erscheinen. Die Studierenden erleben das IC-basierte Erschließen romanischer Sprachen als eine Bereicherung bzw. Horizonterweiterung, die dazu führt, dass die ggf. bisher bestandene Hemmschwelle gegenüber ‚unbekannten‘ romanischen Fremdsprachen abgemildert wird. So berichtet Marco bspw. davon, vor der Teilnahme ausschließlich auf Französisch fixiert gewesen zu sein (I Z 128), während Sabine die romanischen Sprachen nach dem Projekt in ihrer Gesamtheit als eine Sprachfamilie begreift (I Z 166-168). Ein Großteil der StudienteilnehmerInnen empfindet die Kommunikation mit romanophonen MuttersprachlerInnen und die produktive und/ oder rezeptive Anwendung ihres mehrsprachigen Ressourcenwissens als besonders motivierend. Das mehrsprachige Setting wird so selbst zu einer ‚Motivationsquelle‘. Des Weiteren empfinden die Studierenden die schnelle Progression im Leseverstehen der ZS als motivierend. Das erfolgreiche Erschließen bisher ungelernter Sprachen führt zu positiven Selbstwirksamkeitserfahrungen und bewirken, dass die Studierenden im Allgemeinen eine positive Haltung zur ZS und dem IC-basierten ZS-Erwerb einnehmen. Wie erwähnt wirkt das Interesse am IC-basierten Erwerb der ZS in zwei Fällen sogar über das Projekt hinaus: So setzt Sabine den Erwerb des Italienischen durch Belegung eines Sprachkurses fort. Sie bemängelt das kleinschrittige Lehr-/ Lernverfahren und sucht privat den Kontakt zu einer G ALANET -Teilnehmerin, um weiter IC-basiert kommunizieren zu können (vgl. Kapitel 6.4). Auch Meltem behält den Kontakt über soziale Medien bei (vgl. Kapitel 6.1). Diese Befunde sprechen dafür, dass die Erfahrung mit IC-basierter Kommunikation zu einer Art Lernattitüde werden kann. Offensichtlich schätzen die Studierenden die IC-Methode als effektiv ein, da sie an der IC-basierten Kommunikation festhalten wollen. So bekunden auch Marco und Karina Interesse für das Weiterlernen ihrer ZS, allerdings fällt auf, dass Marco ausführt, Italienisch in einem Einführungskurs lernen zu wollen, während Karina aus Angst vor Sprachvermischung und Zeitnot ein Weiterlernen ihrer ZS ausschließt. Dies Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit 307 deutet darauf hin, dass diese Studierenden das Synergiepotential des IC-basierten Fremdsprachenerwerbs nicht wahrnehmen. Teilweise ergeben sich Schwierigkeiten bei der Dekodierung des mehrsprachigen Inputs, was v. a. das Rumänische betrifft und nicht ohne Auswirkungen auf das Erleben der IC-basierten Interaktion bleibt (vgl. Kapitel 7.1). Fallübergreifend bejahen alle Studierenden, dass sie eine grundlegende Lesekompetenz in ihrer gewählten ZS erworben haben (s. Abb. 11 zu den ZS der StudienteilnehmerInnen). Es zeigt sich allerdings auch, dass die übrigen ZS mitunter als schwer zu erschließen wahrgenommen werden, was zu entsprechenden Auswirkungen auf der affektiv-attitudinalen Ebene führen kann, die sich u.a. in Frustrationserlebnissen niederschlagen können. Dies berührt die Ambiguitätstoleranz der Studierenden, der in einem mehrsprachigen Setting eine besondere Rolle zukommt. Während die Aufmerksamkeit in einer einzelzielsprachlichen Lernumgebung auf nur eine zu erlernende Sprache gerichtet ist, müssen die Teilnehmenden auf der Plattform ihre Aufmerksamkeit auf mehrere ‚unbekannte‘ Sprachen richten. So konnte gezeigt werden, dass die Studierenden schwer zu erschließend wahrgenommene Sprachen bei der Rezeption aussparen und ihren IC-Erwerb auf die gewählte ZS konzentrieren. Im Laufe des Projekts zeigt sich aber auch, dass die Ambiguitätstoleranz zumindest im Hinblick auf die gewählte ZS steigt und die Studierenden sich mit dem Globalverstehen der Forumsbeiträge begnügen (vgl. Kapitel 7.1). 7.5.2 Haltungen hinsichtlich der romanophonen TeilnehmerInnen und Kulturen Angesichts der interkulturellen Kommunikationssituation zeigt sich deutlich, dass nicht nur lernerseitige Faktoren wie Motivation oder Selbstkonzept eine Rolle spielen (vgl. Kapitel 7.5.1), sondern auch Zuschreibungen gegenüber den beteiligten Zielkulturen bzw. deren SprecherInnen bedeutsam sind. Im Datenmaterial lassen sich seitens der StudienteilnehmerInnen zwei Perspektiven auf die romanophonen TeilnehmerInnen ausmachen: Auf der einen Seite wird die Möglichkeit zur Interaktion mit MuttersprachlerInnen als motivierend empfunden, was auch auf die damit einhergehende mehrsprachige Kommunikationssituation zutrifft (Meltem, Sabine, Jennifer und eingeschränkt auch Anja). Aus dem Datenmaterial geht für diese Gruppe ein ausgeprägtes Interesse an der Begegnungssituation mit VertreterInnen unterschiedlicher Sprachen bzw. Kulturen hervor. Dies zeigt sich zum einen daran, dass diese StudienteilnehmerInnen die IC-basierte Kommunikation initiieren, was für ihre Offenheit gegenüber den SprecherInnnen und Sprachen als auch ihre Handlungsbereitschaft spricht, in der mehrsprachigen Umgebung aktiv zu werden. Zum ande- Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 308 ren zeigt sich ihr Interesse auch daran, dass sie in einsprachigen Kommunikationssituationen 174 durch die Bitte um Code-switching die IC-basierte Kommunikation gezielt herbeiführen. Im Gegenteil dazu erleben aber - wie erwähnt - v. a. Marco, Karina und zum Teil auch Anja die die Kommunikationssituation als potentielle Bewertungssituation. Es spricht viel dafür, dass diese Wahrnehmung mit fehlenden kommunikativen Sprachlernerfahrungen in Zusammenhang zu bringen ist. Außerdem dürfte das Sprachlernverständnis in engem Verhältnis zum Umgang mit dieser als herausfordernd empfundenen Kommunikationssituation stehen (vgl. Kapitel 7.2). Es zeichnet sich ferner ab, dass ein Wirkungszusammenhang zwischen den Einstellungen zu der/ den Brückensprache/ n und den Einstellungen gegenüber den romanophonen SprecherInnen existiert. Bereits gemachte Erfahrungen mit Kommunikationssituationen in der BS scheinen Auswirkungen auf das Erleben der Mehrsprachigkeit zu haben (vgl. Kapitel 7.5.1), die ihrerseits die Haltungen gegenüber den romanophonen SprecherInnen sowohl der Brückenals auch Zielsprachenkultur positiv beeinflussen. Sofern bereits Erfahrungen mit dem sozial-kommunikativen Spracherwerb durch Interaktion bestehen, werden TeilnehmerInnen auf der Plattform i.d.R. als potentielle language learning facilitators wahrgenommen. Die StudienteilnehmerInnen binden die KommunikationspartnerInnen in ihren Verstehensbzw. Spracherwerbsprozess ein, indem sie Nachfragen stellen und sich Feedback einholen, das zudem eine motivierende Wirkung hat. Des Weiteren werden SprachpartnerInnen als VertererInnen einer bestimmten (romanophonen) Kultur wahrgenommen, mit denen sich eine interkulturelle Lernsituation herstellen lässt. Zum einen wird das gemeinsame Lernziel als kollektivstiftendes Moment hervorgehoben (Meltem, Sabine). Zum anderen verweisen die StudienteilnehmerInnen mehrfach auf das Vorhandensein von inhaltlichen common grounds, die sich durch ihre Affinität zu Sprachen und Fragen des Spracherwerbs ergeben. Dies zeigt sich auch daran, dass sich diese Themenbereiche in den Forums- und Chatdiskussionen als produktiv erweisen. Ferner ergibt sich aus dem Datenmaterial, dass die Teilnahme am Projekt dazu dienen kann, Einstellungen gegenüber bestimmten (romanophonen) SprecherInnen und Kulturen zu reflektieren. Diese Möglichkeit resultiert einerseits aus der Präsenz mehrerer (romanophoner) Zielkulturen, und zum anderen aus den im Forum und in den Chatdiskussionen verhandelten Themen. So eignet sich die mehrkulturelle Kommunikationssituation im Forum bspw. dazu, stereotypisierte Vorstellungen hinsichtlich der beteiligten Zielkulturen bewusst zu machen und diese zu hinterfragen, so dass sich eine differenzierte Wahrnehmungsweise ergeben kann. Insbesondere anhand der Forumsdiskus- 174 Eine einsprachige Kommunikationssituation liegt bspw. bei Chat 1 vor, bei dem beide Chattenden auf Französisch kommunizieren. Haltungen im Hinblick auf die erlebte Mehrsprachigkeit 309 sionen A propos des préjugés und Le regard des autres (beide Phase 2) wird ersichtlich, dass die StudienteilnehmerInnen, die diese Forumsdiskussionen rezipiert haben, sich zumindest ihrer Stereotype und Vorurteile im Hinblick auf die in Rede stehende italienische Kultur bewusst geworden sind (vgl. Kapitel 7.3.1). Allerdings gelingt es nicht allen Studierenden, die Funktion oder die Entstehung dieser Stereotype zu reflektieren. Im Gegensatz zu Marco, der seine Stereotype zwar benennen kann („Die typischen Spaghetti-Esser […], das Macho-Italienische, Berlusconi, in die Richtung“ I Z 196-199), kommen bspw. Jennifer und Anja zu dem Schluss, dass ihre Vorstellung einer bestimmten Kultur u.a. medial vermittelt ist. Aus Jennifers Sicht ist die tendenziell negative Darstellung der politischen Situation Italiens in den deutschen Medien der Grund dafür, dass sie Rückschlüsse auf die gesamte italienische Kultur zieht. Durch die Rezeption der Forumsdiskussionen um Vorurteile und Fremdwahrnehmungen gelingt es ihr schließlich, eine neue Perspektive dahingehend einzunehmen, dass sie nunmehr auch unterschiedliche Sichtweisen innerhalb einer Kultur wahrnimmt („[A]llerdings haben mir die Kommentare gezeigt, dass viele Italiener doch die ital. Politik kritisieren und auf eine Differenzierung zwischen Politikern und Volk bedacht sind“ LP Z 122). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Projekt nicht nur die Möglichkeit bietet, die Voreingenommenheit gegenüber bestimmten (romanophonen) Kulturen zu überwinden, sondern sich auch von der Tendenz zur Verallgemeinerung im Hinblick auf VertreterInnen eines bestimmten Kulturkreises freizumachen. Bei der Analyse der interkulturellen Interaktionen im Chat zeigt sich, dass nicht nur die IC-basierte Kommunikation, sondern auch die interkulturelle Kommunikation ko-konstruiert wird. In Begegnungssituationen können positive Haltungen gegenüber den SprecherInnen über Fragen zur eigenen Person hergestellt werden, welche nicht nur Interesse signalisieren, sondern auch der Integration in die Gruppe dienen. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Kulturen wirken auf die Interaktion ein und beeinflussen diese implizit, aber auch explizit. Für die implizite Beeinflussung sei auf Chat 1 (vgl. Kapitel 6.3.3) verwiesen, in dem Jennifer mit dem Autostereotyp des „‚harten‘, (unsympathischen? ), ‚bösen‘ Deutschen“ (LP Z 187) konfrontiert ist. Hier zeigt sich, dass die interkulturelle Kommunikationssituation auch dazu dienen kann, die Fremdwahrnehmung der eigenen Kultur zu reflektieren. Als Form der expliziten Beeinflussung sei u.a. auf Chat 14 verwiesen, in dem die Chattenden interkulturelle Themen bewusst einbringen und Vorurteile und Stereotype mit Bezug auf Deutschland diskutieren, ohne diese jedoch auf einer Metaebene zu verhandeln (vgl. Kapitel 6.5.3). 7.5.3 Haltungen gegenüber der sprachlichen und kulturellen Vielfalt Fallübergreifend lässt sich feststellen, dass mit der Präsenz mehrerer ZS und deren IC-basierter Rezeption eine Neukonzeptualisierung im Hinblick auf die Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 310 Haltungen gegenüber bisher ‚unbekannten‘ romanischen Sprachen einhergeht, da die Studierenden diese als größtenteils erschließbar erleben. Die Sprachenvielfalt auf der Plattform wird von der Hälfte der TeilnehmerInnen als positiv wahrgenommen, die zudem einen motivierenden Effekt hat (Meltem, Jennifer, Anja). Jennifer berichtet bspw. davon, dass sich ihr Blick für sprachenübergreifende Aspekte geschärft und sie durch die Teilnahme eine Bewusstwerdung dahingehend erfahren habe, ihre BS zum Verstehen anderer Sprachen heranzuziehen (I Z 250). Aus Anjas Perspektive führt v. a. die Präsenz des Französischen zu einer Neukonzeptualisierung ihres Vorwissens (vgl. Kapitel 6.5). Allein aus Marcos Perspektive stellt die sprachliche Vielfalt eine schwer zu überwindende Herausforderung dar. Er legt dar, dass er sich lieber auf die Rezeption einer ZS konzentriert hätte („Ich fand es teilweise ein bisschen zu viel. Mir wäre es lieber gewesen, wenn es zum Beispiel nur Italienisch gewesen wäre oder nur Spanisch“, I Z 102-103). Karinas Erleben der Mehrsprachigkeit ist zunächst mit Schwierigkeiten verbunden, wobei sie auf eine zeitliche Dimension verweist und feststellt, anfangs „überhaupt nichts“ verstanden zu haben (I Z 207). Dies ändert sich allerdings im Laufe des Projekts, was für die Habitualisierung der IC-basierten Rezeption mehrerer ‚unbekannter‘ romanischer Sprachen spricht (vgl. Kapitel 7.1). Auch Sabine führt aus, dass sie die Mehrsprachigkeit mitunter als „verwirrend“ wahrgenommen habe (I Z 327), was in der Konsequenz dazu führt, dass sie die IC-basierte Rezeption v. a. auf ihre ZS Italienisch richtet und weniger eine breite Rezeptionsfähigkeit anvisiert. Diese Befunde sprechen zum einen dafür, dass das Oszillieren zwischen den Sprachen manche Studierenden in der Tendenz stark fordern kann. Zum anderen zeigt sich hier die Relevanz des Einsatzes geeigneter Strategien im Bereich savoirfaire, um sich den mehrsprachigen Input verstehbar zu machen. Daneben sind aber ebenso selbstregulative Ressourcen im Bereich savoir-être zu mobilisieren, wie z.B. Strategien der Selbstmotivation oder zum Umgang mit Frustrationserfahrungen, die sich angesichts des mehrsprachigen, unstrukturierten Inputs einstellen können. Die StudienteilnehmerInnen schätzen auch die mit der kulturellen Vielfalt einhergehende Vielseitigkeit des Projekts und heben das sich daraus ergebende interkulturelle Lernpotential hervor. Bis auf Karina behaupten alle Studierenden, durch die Projektteilnahme eine interkulturelle Sensibilisierung erfahren zu haben. Die Möglichkeit, gleichzeitig mit mehreren Zielkulturen in Kontakt zu kommen, wird als Bereicherung (Meltem I Z 180-181) bzw. als etwas Außergewöhnliches konzeptualisiert (Jennifer I Z 36-37), was zudem motivierenden Effekt hat. Karina betont ebenfalls, dass das Projektszenario mit nur einer Zielkultur einseitig gewesen wäre (I Z 139). Zudem finden sich im Datenmaterial auch Hinweise darauf, dass die Sprachenvielfalt im Vergleich zur kulturellen Vielfalt als schwieriger zu meistern wahrgenommen wird. Anja unterstreicht bspw., dass sie kulturelle Unterschiede weitaus weniger bemerkt habe (Psycho)typologische Nähe und Distanz zwischen Brücken- und Zielsprache(n) 311 und aus ihrer Sicht eher die sprachlichen Unterschiede im Vordergrund standen. Auch Sabine merkt an, dass für sie der kulturelle Hintergrund der Teilnehmenden nicht spürbar gewesen sei und sie die Teilnehmenden „meistens [...] als Europäer“ (I Z 370) wahrgenommen habe. Offenbar scheinen kulturelle Grenzen auf der Plattform wenig in Erscheinung zu treten, was in der Zusammensetzung der équipes begründet liegen mag. Bei den TeilnehmerInnen handelt es sich um junge Sprachenlernende aus dem akademischen Milieu, die als Philologiestudierende über entsprechende inhaltliche common grounds verfügen. 7.6 (Psycho)typologische Nähe und Distanz zwischen Brücken- und Zielsprache(n) (Psycho)typologische Nähe und Distanz zwischen Brücken- und Zielsprache(n) Das Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit auf der Plattform steht in Abhängigkeit der den Studierenden zur Verfügung stehenden Brückensprache(n) sowie der daraus resultierenden psychotypologischen Nähe und Distanz zu der/ n Zielsprache/ n. Es lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: Zum einen umfasst das Sample Studierende, die über mehr als eine romanische BS verfügen, entweder, weil sie zwei romanische Sprachen studieren oder aber, weil sie Vorkenntnisse in einer weiteren romanischen Sprache haben. Diese Kriterien treffen auf Jennifer und Anja zu. Davon abzugrenzen sind solche Studierende, die nur über eine romanische BS verfügen und auf der Plattform erstmals in nennenswerten Kontakt mit anderen romanischen Sprachen kommen (Karina, Marco, Meltem und Sabine). Wie bereits erwähnt studiert Jennifer zwei romanische BS (Französisch und Spanisch) (vgl. Kapitel 6.3). Sie nimmt ihre ZS Italienisch als dem Spanischen sehr nahe wahr und gibt an, nicht nur die italienischen Beiträge, sondern auch die portugiesischen Beiträge ohne größere Schwierigkeiten verstanden zu haben. Ihre Selbsteinschätzung deckt sich mit der durch Dialang ausgewiesenen Lesekompetenz für Italienisch im Bereich B1 des GeR. Für das erschließende Verstehen bewertet sie ihre BS Spanisch als deutlich nützlicher als Französisch. Auch wenn Jennifer angibt, bereits in der Vergangenheit Verbindungen zwischen den Sprachen gesucht zu haben, deutet vieles darauf hin, dass ihre Bewusstheit darüber, ihr sprachliches Vorwissen zum Verstehen anderer Sprachen heranzuziehen, zugenommen hat. Dies zeigt sich insbesondere auch daran, dass es ihr gelingt, auch sprachfamilienübergreifende Ähnlichkeiten zwischen Italienisch und Deutsch wahrzunehmen. Auch Anja kann neben der von ihr studierten BS Spanisch auf eine weitere romanische Fremdsprache (Französisch) zurückgreifen (vgl. Kapitel 6.5). Im Gegensatz zu Jennifer macht sie allerdings die Erfahrung, dass ihr ungenutztes Vorwissen in Französisch durch die Teilnahme reaktiviert wird, was zu einer Neukonzeptualisierung und Aufwertung ihrer Französischkenntnisse führt. So Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 312 konnte herausgearbeitet werden, dass Anja eine Bewusstwerdung dahingehend erfahren hat, das Französische, mit dem sie sich nach dessen Abwahl in der 11. Klasse nicht mehr beschäftigt hat, nicht außer Acht zu lassen und im Gegenteil für den IC-basierten Fremdsprachenerwerb fruchtbar zu machen. Nach eigenen Angaben gelingt Anja das lesende Verstehen der ZS Italienisch und Portugiesisch gut, so dass sie eine mehrsprachige Rezeptionsfähigkeit erwirbt. Sie schätzt das IC-basierte Verstehen ‚unbekannter‘ romanischer Sprachen als leicht ein und führt dies darauf zurück, dass sie auf ihrem Vorwissen aufbauen kann. Ähnlichkeiten zwischen ihrer BS Spanisch und den Zielsprachen Italienisch bzw. Portugiesisch nimmt sie v. a. im Bereich der Lexik und Morphosyntax wahr. Es spricht vieles dafür, dass sich Kenntnisse in zwei romanischen Sprachen positiv auf das Erleben der Mehrsprachigkeit auswirken können. Wenn Teilnehmenden zwei romanische BS zur Verfügung stehen, erhöht sich nicht nur das Transferpotential für das erschließende Verstehen von Forums- und Chatbeiträgen. Auch das Nachvollziehen der Diskurse in Forum und Chat dürfte erleichtert werden, da die Rezeption der brückensprachlichen Beiträge problemlos erfolgen kann und die ‚unbekannten‘ Sprachen damit auf drei reduziert sind. Mit dieser Ausgangslage ist es wahrscheinlich - mit Ausnahme von Rumänisch (vgl. Kapitel 7.1) - eine breite Rezeptionsfähigkeit aller am Projekt beteiligten Sprachen erwerben zu können. Bei den Studierenden, die lediglich auf eine BS zurückgreifen können, verfügt das Gros über Französisch als Ausgangssprache (Karina, Marco und Sabine), während Meltem sich auf die BS Spanisch stützt. Sabine wählt Italienisch als ZS und nimmt die Parallelitäten zwischen Französisch und ihrer ZS Italienisch nach eigenen Aussagen deutlich wahr (vgl. Kapitel 6.4). Sie bewertet ihren Zielsprachenerwerb als positiv, was sich mit dem Ergebnis des Dialang-Tests (Niveau B1 GeR) deckt. Sie gibt darüber hinaus an, Italienisch nun besser von Spanisch unterscheiden zu können, was für das bewusstheitsfördernde Potential des IC-basierten Lernarrangements spricht. Dennoch hält sie fest, beim Erschließen der Forumsbeiträge mitunter Portugiesisch und Spanisch ausgespart zu haben. Auch wenn sie die Erfahrung gemacht hat, Spanisch zumindest in Teilen zu verstehen, sei ihr v. a. Portugiesisch ‚fremd‘ vorgekommen. Während Sabine also einerseits auf die psychotypologische Nähe zwischen ihrer BS Französisch und der ostromanischen ZS Italienisch verweist, nimmt sie andererseits die westromanischen Sprachen Spanisch und v. a. Portugiesisch als typologisch distante Sprachen wahr. Auch Meltem wählt Italienisch als ZS, das sie nach eigenen Angaben sehr gut lesend verstehen kann, was sich ebenfalls mit dem Dialang-Testergebnis im Bereich B1 deckt (vgl. Kapitel 6.1). Wie bei der Analyse des Chats mit Margarito herausgearbeitet werden konnte, hat sie allerdings deutliche Schwierigkeiten beim Erschließen des Französischen. Offenbar ist die ZS Französisch mit (Psycho)typologische Nähe und Distanz zwischen Brücken- und Zielsprache(n) 313 brückensprachlichen Kenntnissen in Spanisch für Meltem nur schwer interkomprehensibel. Im Gegensatz zur Dekodierung von italienischen Beiträgen, für die Meltem ihr Vorwissen in Latein und ihrer BS Spanisch fruchtbar machen kann, scheint dieses Vorwissen für die Dekodierung von Französisch aufgrund der typologischen Distanz weniger hilfreich zu sein. Dieser Befund spricht dafür, dass sich mit der BS Spanisch zwar v. a. Portugiesisch und Italienisch erschließen lassen, Französisch im Vergleich zu anderen romanischen Sprachen jedoch aufgrund seiner ausgeprägten Divergenz in Bezug auf die Graphie eine besondere Herausforderung darstellt. 175 Marco entscheidet sich u.a. wegen des schönen Klangs für Italienisch als ZS (vgl. Kapitel 6.2). In Marcos Lernprotokollen finden sich vermehrt Hinweise darauf, dass er Schwierigkeiten mit dem Erschließen italienischer Forumsbeiträge hat. Seine Selbsteinschätzung der zielsprachlichen Lesekompetenz fällt entsprechend vorsichtig aus, wenn er angibt, „ein bisschen was erlernt“ (I Z 84) zu haben. Dies deckt sich mit dem Dialang-Test, der ein Ergebnis im Bereich A1 des GeR ausweist. Es spricht vieles dafür, dass Marcos Schwierigkeiten bei der Dekodierung des Italienischen der Grund dafür sind, dass er sich anderen romanischen Sprachen nicht zuwendet und mit Blick auf das Projekt festhält, dass es ihm lieber gewesen wäre, sich nur mit einer Zielsprache zu beschäftigen, anstatt „verschiedene Interkomprehensionen“ durchzuführen (I Z 103). Karina wählt Spanisch als ZS und kommt in ihrer Selbsteinschätzung zu dem Ergebnis, einfache Sätze verstehen zu können, was sich mit ihrem Dialang-Ergebnis im Bereich A1 deckt (vgl. Kapitel 6.6). Sie führt dies darauf zurück, dass Spanisch auf der Plattform vergleichsweise wenig vertreten war. Im Gegensatz zu anderen TeilnehmerInnen schwenkt sie aber im Laufe des Projekts nicht etwa auf den Erwerb einer anderen ZS um. Im Datenmaterial finden sich keine Hinweise darauf, dass sie Schwierigkeiten bei der Dekodierung ihrer ZS hat, obwohl sie im Interview retrospektiv davon berichtet, dass ihre ersten IC-Erfahrungen auf der Plattform aus ihrer Sicht „schockierend“ (I Z 207) waren, weil sie zunächst nichts verstehen konnte. Es konnte herausgearbeitet werden, dass sie eher sprachentrennende Aspekte fokussiert und sprachenverbindende Elemente weniger wahrnimmt, wenn sie im Interview von „ganz vielen verschiedenen Sprachen“ (I Z 186f.) auf der Plattform spricht. Insgesamt ist festzustellen, dass Kenntnisse in nur einer romanischen BS sich nicht etwa negativ auf die Bereitschaft auswirken, auf der Plattform aktiv zu werden. So ergeben sich zumindest im Vergleich von Jennifer und Anja mit zwei romanischen BS sowie Meltem und Sabine mit nur einer romanischen BS keine Unterschiede im Hinblick auf ihre Motivation, sich auf der Plattform einzubringen. Ähnliches gilt für den Dialang-Test: Innerhalb des untersuchten 175 Vgl. insofern z. B. die Wortserie frz. œil vs. rum. ochi, ital. occhio, span. ojo und port. olho. Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 314 Samples scheint es keine Auswirkung zu haben, ob eine oder zwei BS zur Verfügung stehen, denn Jennifer erreicht mit Vorkenntnissen in Spanisch und Französisch dasselbe Ergebnis wie bspw. Sabine oder Meltem mit nur einer romanischen BS (B1 GeR). Dieser Befund spricht dafür, dass nicht nur das mit der/ n Brückensprache/ n zur Verfügung stehende Transferpotential eine Rolle für das erfolgreiche Erschließen des mehrsprachigen Inputs spielt, sondern ebenso die savoir-faire Dimension, die ein strategiegeleitetes Erschließen ermöglicht und fehlendes Vorwissen kompensieren kann. 7.7 Mehrsprachigkeit und Metakognition Mehrsprachigkeit und Metakognition Mit Blick auf die Daten wird deutlich, dass die Erfahrung mit IC auf der Plattform dazu geeignet ist, Einsichten in alle Dimensionen des Fremdsprachenerwerbs hervorzurufen (savoir, savoir-faire, savoir-apprendre und savoir-être), was grundsätzlich eine Möglichkeit zur Entfaltung von SLK darstellt. Es ergeben sich allerdings fallübergreifend Unterschiede im Hinblick auf diese Einsichten, was bspw. an der Reflexionstiefe in den LP deutlich wird. Lernerseits existiert innerhalb des untersuchten Settings ein dreifacher Zugang zu metakognitiven Reflexionen. Wie erwähnt sind dies die Inhalte und Themen der Forumsbzw. Chatdiskussionen (vgl. Kapitel 7.3 und 7.4) sowie der IC-basierte Mehrsprachenerwerb im Forum bzw. Chat (vgl. ebd.). Daneben lädt das Lernprotokoll zu metakognitiven Reflexionen ein. Obwohl das LP im Interview fallübergreifend als Mittel der Bewusstwerdung bzw. Reflexion verstanden wird, sind deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Reflexionstiefe auszumachen. Diese Kontraste erklären sich einerseits durch die unterschiedlich ausgeprägte Reflexionskompetenz der StudienteilnehmerInnen, liegen andererseits aber auch darin begründet, dass ein Teil des Samples den Fremdsprachenerwerb nicht als selbstreflexiven Aneignungsprozess konzeptualisiert. Dies ist u.a. auf fehlende Erfahrungen mit interaktionsbasiertem Fremdsprachenerwerb und dessen Monitoring zurückzuführen. So finden bei diesen StudienteilnehmerInnen allenfalls oberflächliche sprachlernbezogenen Einsichten statt und die Festlegung und anschließende Evaluierung erreichter Lernziele erfolgt auf unspezifische Art und Weise, so dass sie sich nur bedingt für die Planung weiterer Lernprozesse nutzen lassen. Es fällt auf, dass die Studierenden, die sich auf der Plattform nur in geringem Maße einbringen, auch zur Gruppe jener zählen, die die im LP aufgeworfenen Fragen nur rudimentär und oberflächlich beantworten (s. u.), was auf Karina und Marco zutrifft (vgl. Kapitel 6.2 und 6.6). Dieser Befund könnte dafürsprechen, dass beide nur wenig Mehrsprachigkeit und Metakognition 315 Erfahrung damit haben, über ihre Sprachlernprozesse nachzudenken und es ihnen schwerfällt, entsprechende Einsichten zu verbalisieren. 176 In Kapitel 7.3.1 wurde herausgearbeitet, dass neben der IC-basierten Interaktion auch die in den Forumsdiskussionen verhandelten Themen dazu geeignet sind, über das eigene Sprachlernverhalten zu reflektieren. Auch wenn die bloße Rezeption der Forumsdiskussionen Selbstreflexivität anzubahnen vermag, lässt sich dies im Fall von Karina und Marco nur bedingt ausweiten. Zumindest konnten anhand der Daten keine Hinweise darauf rekonstruiert werden, dass Sprachlernverhalten auf einer Metaebene reflektiert wurde. In den Falldarstellungen zu Marco und Karina konnte bspw. gezeigt werden, dass beide Studierenden das Forum als eine Art der Informationsbeschaffung konzeptualisieren und den ko-konstruktiven Charakter der IC-basierten Interaktion zu verkennen scheinen. Dieser Befund lässt sich auch auf ihren Fremdsprachenerwerb übertragen: Einerseits haben sie kaum kommunikative bzw. kulturelle Erfahrungen mit der Anwendung ihrer BS, so dass das interaktionsbasierte und ungesteuerte Lernarrangement sie in ihrer Lerneridentität nicht anspricht. Andererseits deutet vieles darauf hin, dass sie den Fremdsprachenerwerb nicht als einen selbstreflexiven Aneignungsprozess verstehen, für dessen Planung und Durchführung sie selbst verantwortlich sind. Es fällt zwar auf, dass sie sich ihrer brückensprachlichen Defizite aufgrund fehlender kommunikativer Erfahrungen v. a. im Bereich der funktional-kommunikativen Kompetenzen bewusst sind. Dies zeigt sich insbesondere an ihrer Überbewertung von Fehlern und der daraus resultierenden Sprachangst. Allerdings gelingt es ihnen nur in begrenztem Maße, diesen Umstand durch den Einsatz metakognitiver Strategien auszugleichen. Auch wenn Karina und Marco im Interview die bewusstheitsfördernde Funktion des LP unterstreichen, schöpfen sie dieses Reflexionsangebot nur eingeschränkt aus. Obwohl die vorgegebenen Fragen stark steuern (vgl. LP im Anhang, Kapitel 10.5), gelingt es ihnen vergleichsweise selten, ihr (meta-)kognitives Wissen zu verbalisieren und es für die Analyse, Planung und Evaluation ihres Sprachlernprozesses nutzbar zu machen. So antwortet Karina auf die Frage 1.9) im LP Welche Strategien (z.B. Lern- oder Kommunikationsstrategien) habe ich angewandt? ausschließlich mit „keine“ (vgl. LP Z 29, 88, 141). Obwohl sie zwar davon berichtet, zweimal mit einer Italienerin gechattet zu haben (LP Z 65, 129), nennt Karina keine Kommunikationsstrategien, die sie im Chat anwendet. 177 Dies spricht dafür, dass sie sich des Strategieneinsatzes nicht bewusst ist, denn zum einen gelingt das IC-basierte Leseverstehen auf der Plattform nur 176 Dieser Befund deckt sich mit weiteren Daten, denn Marcos und Karinas Sprachlernbiographien sowie Interviews zählen interessanterweise auch zu den kürzesten unter allen erhobenen Datensätzen. 177 Da Karina diesen Chat nicht in ihr Lernprotokoll kopierte, konnte diese Aussage nicht trianguliert werden (vgl. Kapitel 6.6.3). Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 316 unter Einsatz von Dekodierungsstrategien und zum anderen dürfte auch ein einsprachiger Chat nicht ohne Einsatz von Kommunikationsstrategien verlaufen. Des Weiteren ist auffällig, dass Karina die Frage 1.9) Habe ich Strategien verworfen bzw. neue entwickelt? zweimal mit demselben Satz beantwortet: „Ich habe einfach versucht, in anderen Sprachen fremde Wörter in meiner bekannten Fremdsprache zu suchen und zu übersetzen. Dies ist mir auch zum größten Teil gelungen“ (LP Z 90, 143f.). 178 Anhand dieser Aussagen wird zwar deutlich, dass Karina sehr wohl Dekodierungsstrategien anwendet und ihr Vorwissen für das interkomprehensive Verstehen fruchtbar macht. Allerdings sind ihre Aussagen eher vager Natur und lassen keine tiefergründigen Einsichten in Spracherwerbsprozesse zu. Karina hätte an dieser Stelle ihr hypothesengeleitetes Verstehen der fremdsprachigen Texte unter Rückgriff auf Beispiele genauer analysieren und dabei u.a. der Frage nachgehen können, in welchen Fällen die direkte Strategie des interlingualen proaktiven Identifikationstransfers zum Erfolg führt bzw. fehlschlägt, um so im Sinne eines Monitorings Kontrolle über den Erschließungsprozess auszuüben und ggf. ihre Strategien anzupassen. Bei Marco sind solche Monitoring-Prozesse zumindest ansatzweise rekonstruierbar, wenn er zu Frage unter 1.9 des LP (s. o.) notiert, dass er seine Strategien weg vom Detailhin zum Globalverstehen anpasst (LP Z 100). Dies spricht für eine metakognitive Steuerung seiner Aktivität auf der Plattform und zeigt, dass er lernökonomisch vorgeht. Überschneidungsbereiche zwischen Marco und Karina gibt es ebenfalls im Hinblick auf die Festlegung von Lernzielen sowie deren Evaluation, bei denen beide Studierende recht unspezifisch vorgehen. Als Lernziel im ersten LP definiert Marco ein „besseres Verständnis […] romanischer Sprachen“ (Z 25), ohne jedoch zu spezifizieren, was genau er unter ‚besser‘ versteht und wie er dieses Ziel erreichen will. Karina hält ebenfalls fest, ihr „Sprachniveau […] verbessern“ zu wollen (LP Z 25). Obwohl hier unklar bleibt, ob sie sich auf ihre Brücken- oder Zielsprache bezieht und ob es sich um rezeptive oder produktive Kompetenzen handelt, die sie verbessern möchte, scheint sie die IC-basierte Interaktion auf der Plattform grundsätzlich als eine Spracherwerbsmöglichkeit zu fassen, wenn sie ausführt, wie sie dieses Lernziel erreichen will: „Indem ich mich im Forum verständige mit anderen Chatteilnehmern“ (LP 27). Marcos Eintrag zur Evaluierung seines Lernfortschritts im dritten LP „ich habe Fortschritte im Bereich der Kommunikation gemacht. Ich traue mich jetzt mehr zu schreiben“ (Z 155) sowie die Festlegung eines neuen Ziels „ich will in Phase 4 noch mehr Beiträge schreiben.“ (Z 157) verweisen ebenfalls darauf, dass auch 178 Die Tatsache, dass sie diesen Satz (und weitere Sätze) mehrfach in ihr LP einfügt, könnte schließlich darauf hindeuten, dass sie das LP weniger zur aktiven Gestaltung ihres Lernprozesses, sondern eher als im Rahmen des Seminars zu erbringende Leistung wahrnimmt (vgl. Kapitel 4.4.2). Mehrsprachigkeit und Metakognition 317 er das IC-basierte kommunikative Setting zumindest theoretisch als eine Spracherwerbsmöglichkeit wahrnimmt. Im Rahmen der Falldarstellungen konnte jedoch gezeigt werden, dass sich aus Sicht dieser Studierenden v. a. die Angst vor Fehlern negativ auf ihre Kommunikationsbereitschaft auswirkt und sie sich aufgrund ihrer Sprachangst auf der Plattform nur wenig aktiv beteiligen. Anhand der Analyse der LPs zeigt sich, dass Karina sich ihrer Sprachangst durchaus bewusst ist, so dass hier Einsichten in die savoir-être Dimension des Fremdsprachenerwerbs auszumachen sind (u.a. LP Z 30). Auch in Marcos Fall lassen sich entsprechende Einblicke rekonstruieren: „Ich muss mich selbst überwinden, eigene Beiträge in Galanet zu schreiben“ (LP Z189). Allerdings nutzen beide Studierenden weder das Lernarrangement, noch das LP als Reflexionsmöglichkeit, um mit diesen Herausforderungen umzugehen oder sie gar zu überwinden. Zwar setzen beide Studierenden Strategien der Selbstregulierung ein (vgl. Karina „ich habe mich dann einfach getraut“ LP Z 116f.), allerdings gelingt es ihnen nicht, den Ursachen ihrer Sprachangst nachzugehen oder die Anwendung von Selbstregulierungsstrategien zu reflektieren und daraus begründete Folgerungen für die Planung ihres weiteren Lernprozesses zu schließen. Dieser Befund spricht dafür, dass ihre Fähigkeit zur Kontrolle und Steuerung ihrer (Meta)Kognitionen und Emotionen ebenso wie ihre Reflexionskompetenz ausbaufähig sind. Im Vergleich zur Gruppe, die im Sinne eines Maximalvergleichs den Gegenpol zu den oben umrissenen Studierenden bilden, setzen sich im LP notierte Einsichten in Spracherwerbsprozesse insbesondere was die Reflexionstiefe angeht qualitativ von den o. g. Einträgen ab. Was die Festlegung von Lernzielen betrifft, gehen diese Studierenden im Vergleich zur ersten Gruppe sehr viel spezifischer vor. Sie operationalisieren Lernziele, indem sie Ziele formulieren, die z. T. als kompetenzorientiert zu charakterisieren sind. Auf die Frage nach der Benennung kurzfristiger Lernziele (Frage 1f) antwortet Jennifer bspw.: „Grammatische Regelmäßigkeiten (z.B. unterschiedliche Zeitformen in Genus, Numerus und Tempus) erkennen und zuordnen können“ (LP Z 95). Sie unterscheidet hier zwischen deklarativen und prozeduralen Wissensbereichen, die sie zum Zwecke des Erwerbs bzw. der Evaluation operationalisiert. Diese Lernziele zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie realistischerweise erreichbar sind, sondern dass sie auch überprüfbar sind. Zudem zeigt sich, dass diese Studierenden über metasprachliches Wissen und entsprechendes Vokabular verfügen, mit dem sich die aus der kommunikativen Situation entstandenen sprachlichen Bedürfnisse verbalisieren lassen. So hält u.a. auch Anja unter Rückgriff Folgendes fest: „Die Regelmäßigkeiten der Brückensprachen 179 zu kennen, z. B die Endungen der Verben bei der 1. Pers. Sing“ (LP Z 25f.). Ein 179 Anja verwechselt hier offenbar die Termini Brücken- und Zielsprache, vgl. Kapitel 6.5. Fallübergreifende Zusammenschau 1. Ausgangslage und Erkentnnisinteresse 318 ähnlich detailliertes Vorgehen für die Beschreibung von Lernzielen zeigen auch Sabine (u.a. LP Z 310) und Meltem (u.a. LP Z 214f.). Es fällt auf, dass diese StudienteilnehmerInnen über ein kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis verfügen (vgl. Kapitel 7.2.1). Aus ihrer Sicht ist die Interaktion mit MuttersprachlerInnen eine potentielle Lernsituation. So notiert bspw. Meltem auf die Frage, wie sie ihre Lernziele erreichen will: „= Indem ich mich intensiv mit den Chatpartnern in Verbindung setze, mich regelmäßig an Diskussionen beteilige“ (LP Z 28). Auch Jennifer hält auf dieselbe Frage fest, „mit italienischen Usern chatten“ zu wollen (LP Z 98) bzw. dass sie „Muttersprachler in Galanet ansprechen [will], um eigene Hypothesen zu bestätigen / zu verwerfen“ (LP Z 29). Daraus folgt, dass grundsätzlich alle Studierenden des Samples die Möglichkeit der Interaktion als eine potentielle Spracherwerbssituation konzeptualisieren. Im Gegensatz zur Gruppe jener, deren Interaktionen aufgrund von Sprachangst unterbleiben, bringt die hier umrissene Gruppe sich allerdings in die mehrsprachigen Forumsdiskussionen ein und stellt Lernsituationen im Chat her. Weiterhin scheinen den in Rede stehenden StudienteilnehmerInnen das Überwachen und die anschließende Evaluation von durchgeführten Lernhandlungen durch eine genaue Analyse vertraut. Ihr metakognitives Bewusstsein ist stark ausgeprägt, da sie ihren Lernprozess nicht nur im Einklang mit der kommunikativen Situation, sondern v. a. gemäß den daraus entstehenden kommunikativen Bedürfnissen arrangieren und selbstverantwortlich gestalten. Meltem konzentriert die Überwachung ihres Lernprozesses bspw. ausschließlich auf den IC-basierten Erwerb ihrer ZS Italienisch und setzt sich für ihren Spracherwerb auf der Plattform unterschiedliche Lernziele, die sie auf die einzelnen Phasen verteilt. Während sie sich in den ersten beiden Phasen auf das lesende Verstehen konzentriert und dies bewertet (vgl. u.a. LP Z 85-88, 190- 214), fokussiert sie in der 3. Phase die zielsprachliche Produktion im Chat und evaluiert diesen Prozess (LP Z 238-239). Dieser Befund spricht dafür, dass sich durch die erreichte Leseverstehenskompetenz in der ZS weitere Kompetenzbereiche wie Hörverstehen oder Schreibfähigkeit ausbauen lassen. Anja hingegen überwacht und reflektiert fast ausschließlich den Spracherwerb in ihrer BS Spanisch. Die Konzentration auf eine Sprache bzw. eine Fertigkeit, aber auch das Lernziel ‚mehrsprachige Rezeptionsfähigkeit‘ zeugen davon, dass die Studierenden ihre Sprachlernprozesse gemäß ihren individuellen kommunikativen Bedürfnissen gestalten. Dies spricht nicht nur dafür, dass sie eine Bewusstheit für die Anforderungen der kommunikativen Situation haben, sondern ihren Sprachlernprozess zudem selbstverantwortlich organisieren können. 8. Fazit und Ausblick Anhand der auf Basis der Einzelfallanalysen (Kapitel 6) und der fallübergreifenden Analyse (Kapitel 7) herausgearbeiteten Befunde lassen sich kontextspezifische Ergebnisse ableiten, die sich auf das untersuchte Setting G ALANET beziehen. Vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses zeigt sich anhand dieser Ergebnisse, welche Dimensionen von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz in einem auf IC-basierenden, computergestützten Lernarrangement aus der Sicht der UntersuchungsteilnehmerInnen empirisch in Erscheinung treten. Diese kontextspezifischen Ergebnisse werden durch eine Rückbindung an den Theorieteil dieser Arbeit zunächst einer Diskussion zugeführt (Kapitel 8.1). Daneben verweisen die Befunde auch auf Phänomene, die über das Erkenntnisinteresse und die konkreten Forschungsfragen hinausreichen. Dies betrifft v. a. die Relevanz affektiver Faktoren für das Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit, die im folgenden Kapitel ebenfalls diskutiert wird. Darüber hinaus sind aber auch über den Kontext hinausgehende Ergebnisse ableitbar, anhand derer sich Implikationen für die mehrsprachige, pädagogische Praxis für den Hochschulbzw. Schulkontext herleiten lassen (Kapitel 8.2). In Kapitel 8.3 erfolgt schließlich eine kritische Reflexion des angewandten Forschungsansatzes, bei der u.a. die Einhaltung der in Kapitel 4.2 aufgestellten Gütekriterien, v. a. aber die Gegenstandsadäquatheit der Auswertungsinstrumente in einer selbstreflexiven Rückschau bewertet werden. Kapitel 8.4 schließt mit dem Aufzeigen künftiger Forschungsperspektiven und einem Ausblick auf Forschungsdesiderata, die sich aus den Ergebnissen dieser Studie ergeben. 8.1 Diskussion der Befunde Diskussion der Befunde Erleben von IC-basierter Mehrsprachigkeit in Forum und Chat Die Befunde verweisen deutlich darauf, dass das mehrsprachige Setting den Blick für sprachenübergreifendes Lernen schärft und so zu einer mehrsprachigen Sensibilisierung beiträgt (vgl. auch Araújo e Sá & Melo 2007a). Vor dem Hintergrund der Befunde zeigt sich allerdings auch, dass das Medium, d.h. die Kommunikationsform Chat oder Forum, sowohl eine Auswirkung auf das Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit, als auch auf das Zustandekommen von Lernsituationen hat. Grundsätzlich nehmen alle StudienteilnehmerInnen das mehrsprachige Lernpotential der Plattform wahr. Aus ihrer Sicht konnte bis auf Rumänisch eine Lesekompetenz in allen vorhandenen ZS erworben werden. Die Tatsache, dass bei der ZS Rumänisch die Grenzen der romanischen IC deutlich werden (vgl. Kapitel 7.6), deckt sich mit Forschungsergebnissen zur interromanischen IC (vgl. u.a. Garbarino 2009). Fazit und Ausblick 320 Bei der Erschließung von mehrsprachigen Forumsnachrichten gehen die Studierenden strategiegeleitet vor. Die gewählte Lesestrategie entspricht ihrer Leseabsicht: Inhaltsorientiertes Lesen erfolgt, um den Verlauf der Forumsdiskussionen zu überblicken. Es dient dem Erkennen „inhaltlich-thematischer Informationsteile“ (Meißner 2013b: 28) und wird vor dem Absenden eines eigenen Forumsbeitrages eingesetzt. Daneben ist spracherwerbsorientiertes Lesen rekonstruierbar, bei dem die „Informationsverarbeitung mit Fokus auf Spracherwerb“ stattfindet (ebd.). Im Laufe des Projekts verschiebt sich der Fokus vom spracherwerbsorientierten zum inhaltsorientierten Lesen, was auf eine Habitualisierung an die IC-basierte Rezeption hindeutet (vgl. Kapitel 7.1). Dabei dient die Hypothesengrammatik der Systematisierung des mehrsprachigen Inputs und als Mittel der Bewusstwerdung, was die Relevanz dieses Aufgabenformates innerhalb der IC-Didaktik unterstreicht (vgl. u.a. auch Bär 2009: 511; Meißner 2007: 96). Die Lernsituation Forum wird von einem Teil des Samples im Vergleich zum IC-basierten Chat als weniger herausfordernd wahrgenommen (vgl. Kapitel 7.3). Die rezeptions- und produktionsorientierte Beteiligung am asynchronen Forumsdiskurs (vgl. Kapitel 7.3.2) berührt die Teilfertigkeiten Lesen und Schreiben, so dass lernerseits genügend Zeit besteht, den zielsprachlichen Input zu analysieren, Hypothesen zu bilden, diese aufgrund von Disambiguierungen zu verwerfen und ggf. anzupassen (vgl. hierzu auch Meißner 2014b). Die so in der Auseinandersetzung mit den Zielsprachen entwickelten „Lösungsprozeduren fördern die Ausbildung von […] Sprachenlernkompetenz bzw. Sprachen- und Lernbewusstheit“ (Meißner 2010f: 134), was die Befunde dieser Studie bestätigen. IC-basierte Chats lassen hingegen erst in der Retrospektive eine Analyse des interaktionsbasierten zielbzw. brückensprachlichen Spracherwerbs zu. Chatprotokolle geben Einblick in ad hoc entstehende brückensprachliche Lernersprache und die Befunde unterstreichen, dass sich Chats dazu eignen, Lakunen aufzudecken (vgl. Kapitel 7.4). Auch das hypothesengeleitete Erschließen des zielsprachigen Inputs kann anhand des Chatprotokolls retrospektiv analysiert werden. Auf dieser Grundlage lässt sich die Hypothesengrammatik fortschreiben, deren Erstellung während des Chattens aufgrund der synchronen Kommunikation in den Hintergrund tritt. Die Befunde zeigen, dass sich Chats darüber hinaus auch zum Schreiben in der Zielsprache eignen, was neben einer kommunikativen auch eine diagnostische Funktion hat. Während die beim diagnostischen Schreiben entstehenden Sprachhypothesen in einem Lehr-/ Lernkontext i.d.R. von der Lehrperson oder durch Hinzuziehung externer Ressourcen wie Wörterbüchern oder Grammatiken disambiguiert werden (vgl. Meißner 2008c, 2010g), kann im Chat direktes korrektives Feedback durch die ChatpartnerInnen eingeholt werden. Ein weiterer Vorteil des Chattens ist die Erprobung bzw. der Einsatz von Interaktionsstrategien. Dies betrifft nicht nur sprachliche Routinen wie Begrüßungen oder Verabschiedungen, sondern v. a. Diskussion der Befunde 321 Interaktionsstrategien, die auch in exolingualen face-to-face Kommunikation Anwendung finden (vgl. Araújo e Sá & Melo 2007a). Das Lesen von Chatbeiträgen erfolgt aufgrund der synchronen Kommunikationssituation inhaltsorientiert und weniger zum Zwecke des Spracherwerbs. Verständnisschwierigkeiten im Chat können allerdings spracherwerbsförderlich sein, da die Möglichkeit der direkten Bedeutungsaushandlung gegeben ist (vgl. u.a. Melo 2006; Álvarez Martínez 2008; Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010). Die Befunde zeigen, dass Verständnis-schwierigkeiten 180 Code-switchings hervorrufen können, die als Verständnissicherungsstrategie aus pragmatischen Gründen erfolgen (vgl. auch Araújo e Sá & Melo 2007a). Der Rückgriff auf das mehrsprachige Repertoire zur Bedeutungsaushandlung verweist nicht nur auf eine Mehrsprachenbewusstheit, sondern auch auf die mehrsprachige kommunikative Kompetenz der StudienteilnehmerInnen (vgl. auch Araújo e Sá & Melo 2007a; Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010). Anhand der Daten wird deutlich, dass die StudienteilnehmerInnen in der Lage sind, ihre mehrsprachigen Ressourcen zu mobilisieren und zum Zwecke der Interaktion einzusetzen. Code-switchings erfolgen aber nicht nur aus pragmatischen Gründen, sondern können auch affektiven Charakter haben, z.B. wenn ChatteilnehmerInnen in die Sprache ihres Gegenübers wechseln oder aus Freude an der fremdsprachigen Kommunikation nachgelernte Sprachen verwenden (vgl. auch Araújo e Sá & Melo 2007a). Darüber hinaus können Code-switchings ein Ausgangspunkt für Sprachvergleiche sein. Dies verweist nicht nur auf die Fähigkeit der StudienteilnehmerInnen, Querverbindungen zwischen den Sprachen herzustellen, sondern ebenfalls auf ihre mehrsprachige kommunikative Kompetenz (vgl. auch Beacco 2010: 8; Candelier et al. 2013). Grundsätzlich deuten die Daten darauf hin, dass das mehrsprachige Setting Sprachwechsel und Sprachvergleiche in besonderem Maße begünstigt. Es lässt sich daher festhalten, dass IC-basierte Chats individuelle Mehrsprachigkeit und Sprachlernkompetenz fördern können und damit ein Potential zum Erwerb bzw. Aufbau von mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz aufweisen (vgl. auch Melo 2006). Die Ergebnisse deuten ferner darauf hin, dass IC-basierte Chats innerhalb des mehrsprachigen Settings ein Ausgangspunkt für sprachbezogene und interkulturelle Reflexionen auf einer Metaebene sein können (vgl. Kapitel 7.4). 180 Interessanterweise führen selbst hartnäckige Verständnisschwierigkeiten nicht auf den Rückgriff einer lingua franca wie Englisch (vgl. z. B. Kapitel 6.5.3). Melo-Pfeifer & Araújo e Sá (2010: 276) begründen dies mit dem « contrat de communication exclusivement néo-latin », der nicht-romanische Sprachen grundsätzlich ausschließe. Angesichts der Datenlage ist dies allerdings abzuschwächen, denn es zeigt sich, dass selbst Sprachen, die außerhalb der romanischen Sprachfamilie liegen, von den TeilnehmerInnen verwendet werden. So mobilisieren Romanophone bspw. ihre Deutschkenntnisse im Chat, die schließlich einen Redeanlass z. B. im Hinblick auf den Erwerbskontext, die empfundene Schwierigkeit etc. darstellen (vgl. z. B. Kapitel 6.3.3). Fazit und Ausblick 322 Sprachen und Interkulturalität sind ein wiederkehrendes Thema in den untersuchten Chats und stellen einen inhaltlichen common ground dar, der sich als produktiv erweist (vgl. u.a. Degache & López Alonso 2007; Melo 2006; Melo- Pfeifer & Araújo e Sá 2010). Die im Chat verbalisierten Haltungen gegenüber der erlebten Mehrsprachigkeit auf der Plattform, den bisherigen Lern-/ Erwerbskontext von Fremdsprachen etc. werden auf einer Metaebene diskutiert, was auf eine Mehrsprachenbewusstheit hindeutet (vgl. auch Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010). Die wahrgenommene psychotypologische Nähe bzw. Distanz von Sprachen oder der IC-Erwerbskontext auf der Plattform werden aber auch in der Interaktion erfahrbar, so dass IC von den Chattenden ko-konstruiert wird (vgl. auch Melo 2006; Melo-Pfeifer & Araújo e Sá 2010). Dies wird deutlich an der Sprachwahl oder der Auslotung, ob die IC-Kommunikation in den verwandten Sprachen funktioniert. Es besteht also ein zweifacher Zugang zu bewusstheitsfördernden Reflexionen, die das Potential zur Förderung von Sprachlernkompetenz haben. Die Datenlage verweist zudem darauf, dass die StudienteilnehmerInnen eine interkulturelle Sensibilisierung erfahren haben. Der oben erwähnte zweifache Zugang zu Reflexionen gilt auch hier: Einerseits laden die Themen der Forums- und Chatdiskussionen dazu ein, interkulturelle Fragestellungen auf einer Metaebene zu verhandeln, andererseits wird Interkulturalität aber auch in konkreten Interaktionssituationen ko-konstruiert. So stellt auch Byram (1997: 20) fest: „It is assumed that all interaction will make some reference to national identity and cultural beliefs and practices […]“. Die Befunde zeigen, dass eine rezeptionsorientierte Beteiligung an den Forumsdiskussionen dazu geeignet ist, eigene Haltungen in Bezug auf eine Zielkultur zu reflektieren und in Frage zu stellen (vgl. Kapitel 7.5), was sich mit Forschungsergebnissen zu G ALANET aus dem romanischsprachigen Raum deckt (vgl. u.a. Degache & López Alonso 2007). Die Diskussion um Auto- und Heterostereotypen wie Le regard des autres oder A propos des préjugés war aus Sicht der StudienteilnehmerInnen dazu geeignet, sich kultureller Zuschreibungen im Hinblick auf eine Kultur bewusst zu werden, diese zu hinterfragen und ggf. zu revidieren. Die Diskussion erfolgte aus der Innenperspektive der betroffenen Zielkultur (hier Italien), was einen Perspektivenwechsel begünstigen dürfte. Allerdings ist zunächst eine grundsätzliche Haltung der Lernenden erforderlich, diesen Perspektivenwechsel vollziehen zu wollen und eigene Sichtweisen ggf. zu modifizieren: „There also needs to be a willingness to suspend belief in one’s own meanings and behaviours, and to analyse them from the viewpoint of the others with whom one is engaging“ (Byram 1997: 34). Anhand der Daten zeigt sich, dass die StudienteilnehmerInnen die Forumsdiskussionen zum Anlass nahmen, nicht nur das Zustandekommen von Auto- und Heterostereotypen in Bezug auf Italien zu reflektieren, sondern auch dazu in der Lage waren, ihre eigenen Sichtweisen zu hinterfragen und ggf. zu modifizieren (vgl. Kapitel 7.5.3). Dies verweist auf eine disponibilité à (ou volonté de) suspendre son jugement, Diskussion der Befunde 323 ses représentations acquises ou ses préjugés (A 11, vgl. Candelier et al. 2013), die wesentlich für das Zustandekommen von interkulturellen Lernsituationen und Bestandteil von interkultureller Kompetenz ist: Einschätzung der eigenen Rolle in interkultureller Kommunikation, Empathie, Perspektivenwechsel und Antizipation möglicher Eindrücke des heterokulturellen Kommunikationspartners, Bereitschaft zur Korrektur der eigenen Position, Sensibilität für Auto- und Heterostereotypen […]. Meißner (2010f: 135) Allerdings zeigen dei Daten auch, dass das interkulturelle Lernpotential in der synchronen Kommunikation nur in Ansätzen ausgeschöpft wird, was sich mit Befunden zu G ALANET aus romanischer Perspektive deckt. So kommen u.a. Araújo e Sá & Melo-Pfeifer (2009: 143) zu dem Ergebnis, dass Diskussionen um Stereotypen und Vorurteile im Chat eher selten stattfinden, was sie wie folgt begründen: [L]es sujets préfèrent s’engager dans des épisodes heureux de communication interculturelle […], s’engageant dans des discussions plutôt anodines, s’affichant comme des cyber-self cordiaux et hospitaliers […] et se contentant de s’échanger des informations par rapport à leurs langues, cultures, biographies […]. Vor diesem Hintergrund scheint das Lernarrangement ausschlaggebend dafür, dass interkulturelle Themen von Brisanz im Chat umgangen werden. Die Chattenden kennen einander nicht und i.d.R. bleibt es bei einem einmaligen Chatkontakt auf der Plattform, so dass es pragmatisch durchaus angebracht ist, bei einem Erstkontakt unverfängliche Themen anzusprechen. Insofern weisen Ergebnisse aus Studien zu chatbasiertem Spracherwerb durch IC (u.a. Degache & López Alonso 2007; Araújo e Sá & Melo-Pfeifer 2009) und interkulturellem Lernen (u.a. Marques-Schäfer 2013) in dieselbe Richtung. Für das Forum ist zwar festzustellen, dass es durchaus zu einer Verhandlung interkultureller Themen kommt, allerdings führt die Vielzahl der Threads dazu, dass die tiefergreifende Diskussion mitunter ins Hintertreffen gerät. 181 Die Tatsache, dass die StudienteilnehmerInnen die kulturelle Vielfalt auf der Plattform weniger deutlich wahrnehmen als die sprachliche Vielfalt (vgl. Kapitel 7.5.3), liegt u.a. in der Zusammensetzung der équipes begründet. Bei den TeilnehmerInnen handelt es sich um Philologie- und Fremdsprachendidaktik-StudentInnen, die sich dank ihrer Ausbildung für Fragen des Spracher- 181 Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoller, weniger Themen im Forum einzubringen und diese entsprechend ausgiebig zu diskutieren. Es ist auch denkbar, Themen mit interkulturellem Lernpotential aus den Foren auszuwählen und diese im Chat zu diskutieren, u.a. um der Diskussion durch den direkten Kontakt im Chat mehr Tiefe zu verleihen oder auch den Auswirkungen des Medienwechsels auf den Verlauf der Diskussion nachzugehen. Fazit und Ausblick 324 werbs und des interkulturellen Lernens interessieren und entsprechend sensibilisiert sind. Degache & López Alonso (2007: 111) sprechen insofern von einer « culture partagée », die ein Erklärungsansatz dafür ist, dass sich aus Sicht der StudienteilnehmerInnen Redeanlässe in den Forums- und Chatdiskussionen ergeben haben und die kulturellen Grenzen im Vergleich zu den sprachlichen Grenzen weniger deutlich hervortreten. Die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten ist nicht nur aufgrund der dadurch entstehenden Redeanlässe essentiell, sondern zudem ein entscheidender Faktor für das Gelingen von interaktionsbasierten Lernsituationen (vgl. auch Byram 1997: 32). Ausbildung von Sprachlernkompetenz in Interaktion Die Befunde zeigen, dass die IC-Erfahrung neben affektiv-attitudinalen Einsichten (s. u.) auch kognitive und metakognitive Einblicke in die Dimension des Fremdsprachenerwerbs zulässt (vgl. Kapitel 7.7). Grundsätzlich bietet das mehrsprachige kommunikative Setting einen dreifachen Zugang zur Ausbildung von SLK: Es handelt sich zum einen um die thematische Ausrichtung der Forums- und Chatdiskussionen an Fragen des interkulturellen Lernens bzw. des Fremdsprachenerwerbs (vgl. Kapitel 7.3 und 7.4). Zum anderen handelt es sich um die IC-basierte Kommunikation im Forum und Chat, die Einsichten in Spracherwerbsprozesse hervorrufen kann, und schließlich deren Reflexion im Lernprotokoll, das ebenfalls zur Bewusstwerdung beiträgt. Es sind insofern allerdings die erwähnten Unterschiede im Hinblick auf die Reflexionstiefe hervorzuheben, denn nicht allen Studierenden gelingt es, den eigenen Spracherwerbsprozess so zu analysieren, dass sie auf dieser Grundlage ihren weiteren Lernprozess planen können (vgl. Standard 1-3, KMK 2012: 25). Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass diese StudienteilnehmerInnen den (IC-basierten) Fremdsprachenerwerb nicht als selbstreflexiven Aneignungsprozess wahrnehmen. Ihre Einsichten sind trotz der lenkenden Fragen des Lernprotokolls wenig konkret, so dass sie sich nicht für die Planung des Lernprozesses nutzen lassen. Diese Studierenden verfügen allenfalls in Ansätzen über das grundlegende Niveau der in den Bildungsstandards von 2012 definierten Ressourcen zu SLK (vgl. Kapitel 2.3), was im Hinblick auf ihre zukünftige Lehrtätigkeit bedenklich ist (vgl. auch Kapitel 8.3). Auch wenn Bär (2009: 512ff.) seine Studie mit SchülerInnen durchführte, sind diese Befunde mit denen der vorliegenden Studie vergleichbar: Nicht nur SchülerInnen, sondern auch angehende FremdsprachenlehrerInnen können Schwierigkeiten damit haben, ihren Fremdsprachenerwerbsprozess kritisch zu hinterfragen und diese Reflexionen zu verbalisieren. Meißner & Morkötter (2009: 55) machen jedoch mit Blick auf Kompetenzorientierung darauf aufmerksam, dass „[d]ie Frage nach der Bewusstheitsfähigkeit und Verbalisierbarkeit von metakognitivem deklarativen und prozeduralen Wissen“ grundlegend ist. Des Weiteren gelingt es diesen Studierenden nur bedingt, die Begegnungssituation auf der Diskussion der Befunde 325 Plattform als Lernsituation zu nutzen (vgl. Standard 4 KMK 2012: 25), da sie Kommunikationssituationen umgehen, so dass sich keine Möglichkeit zum Erproben sprachlicher Mittel ergibt (vgl. Standard 5 KMK 2012: 25). Die Wahrnehmung des IC-basierten Fremdsprachenerwerbs als selbstreflexiven Aneignungsprozess hat selbstredend Auswirkungen auf das Erleben der Mehrsprachigkeit. Dies betrifft v. a. die Frage, ob die Kommunikationssituation als Lern- oder Bewertungssituation wahrgenommen wird. Die Befunde verweisen darauf, dass nur ein Teil des Samples über eine ausgeprägte Selbststeuerungskompetenz verfügt und in der Lage ist, den IC-basierten Fremdsprachenerwerb eigenständig zu gestalten. Dies zeigt sich zum einen darin, dass diese Studierenden nicht nur die Forums- oder Chatdiskussionen als Reflexionsangebot wahrnehmen und diese im Lernprotokoll aufgreifen, sondern dort auch ihren IC-basierten Spracherwerb analysieren. Den betroffenen StudienteilnehmerInnen gelingt es, Ressourcen wie A 3.2 Curiosité envers la découverte du fonctionnement °des langues / des cultures° […], K 7.2 Savoir que l’on peut s’appuyer sur les ressemblances (structurelles / discursives / pragmatiques / ) entre les langues pour apprendre des langues oder S 7.3 Savoir tirer profit, pour l’apprentissage, d’acquis préalables relatifs aux langues et cultures (vgl. Candelier et al. 2013) zu mobilisieren. Außerdem nehmen sie die im Forum verhandelten Themen als bedeutungsvolle Redeanlässe wahr, welche zur IC-basierten Interaktion mit den übrigen TeilnehmerInnen führen (vgl. Kapitel 7.3.2). Erklärungsansätze für das unterschiedliche Erleben der IC-basierten Mehrsprachigkeit finden sich in der Sprachlernbiographie der StudienteilnehmerInnen, die Aufschluss über bisherige Sprachlernerfahrungen gibt (vgl. Kurzporträts der ForschungsteilnehmerInnen Kapitel 6). Vor dem Hintergrund der Befunde scheint der Lernkontext der Plattform v. a. solche LernerInnen anzusprechen, die Erfahrungen mit dem selbstgesteuerten, autonomen Spracherwerb haben. Martinez (2010) zeigt, dass LernerInnen, die sich selbst als autonom bezeichnen, stark auf IC-basierte Strategien zurückgreifen. Interkomprehensive Lehr-/ Lernverfahren setzen grundsätzlich auf die Selbststeuerungskompetenz der LernerInnen (vgl. u.a. Morkötter 2008: 295; Meißner 2010f: 140). In einem Erwerbskontext wie G ALANET spielt die Selbststeuerung eine besondere Rolle, da es gilt, den IC-basierten Fremdsprachenerwerb über den Projektzeitraum von ca. drei Monaten zu kontrollieren und die Motivation aufrechtzuerhalten (vgl. Martins 2010). Die Befunde verweisen zwar auch darauf, dass eine rezeptionsorientierte Beteiligung an den Forumsdiskussionen spracherwerbsbezogene und interkulturelle Reflexionen anbahnen kann, die für die Ausbildung von SLK förderlich sind (vgl. Kapitel 7.3.1). Allerdings lässt allein die Teilnahme an der IC-basierten Kommunikation Einsichten in brückensprachliche Spracherwerbsprozesse durch Interaktion (vgl. Swain 2000) bzw. die Ausbildung von IC-basierten Interaktionsstrategien zu (vgl. Álvarez Martínez 2008; Melo 2006). Martinez Fazit und Ausblick 326 (2008: 289) weist insofern darauf hin, dass LernerInnen tendenziell als autonom gelten, wenn es ihnen gelingt, eine authentische und selbstbestimmte Beziehung zur Fremdsprache auf- [zu]bauen. Sie sind in der Lage, eine inhaltsbezogene Interaktion bei Bedarf in eine didaktisierte Interaktion zu verwandeln, d.h. eine Erwerbssituation in eine Lernsituation und umgekehrt kontrolliert zu überführen. Die Überführung von Erwerbssituationen in Lernsituationen setzt voraus, dass Lernende ihren Spracherwerb selbstverantwortlich steuern können. Die Befunde zeigen, dass die Wahrnehmung des (IC-basierten) Fremdsprachenerwerbs als selbstreflexiven Aneignungsprozess mit dem Sprachlernverständnis und bereits gemachten Mehrsprachenerfahrungen in Verbindung steht (vgl. Kapitel 7.2). Aus der Datenlage ergibt sich, dass Studierende mit einem kommunikationsorientierten Sprachlernverständnis im Vergleich zu Studierenden mit einem nicht-kommunikationsorientierten Sprachlernverständnis einen höheren Grad an Autonomie aufweisen (vgl. Kapitel 7.2.1). Dies zeigt sich daran, dass die Kommunikationsbereitschaft dieser StudienteilnehmerInnen stark ausgeprägt ist und es ihnen angesichts des mehrsprachigen Settings gelingt, Ressourcen wie A 7.2 Disponibilité à s’engager dans la communication oder A 7.3 Être prêt à affronter des difficultés liées aux situations et interactions °plurilingues / pluriculturelles° zu mobilisieren (vgl. Candelier et al. 2013). Sie initiieren Kontaktsituationen und ziehen MuttersprachlerInnen als language learning facilitators heran. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Martinez (2008: 270), die feststellt, „dass LA [Lernerautonomie, T.P.] von Kommunikation und Interaktion mit zielsprachigen Gesprächspartnern, d.h. von dem intrinsischen Bedürfnis mündlich und schriftlich zu kommunizieren“ nicht isoliert werden kann. Auch die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass diejenigen LernerInnen ihren Spracherwerbsprozess eigenständig gestalten, die die Fremdsprache als Kommunikationsmittel auffassen, wobei Interaktion ein zentrales Merkmal ihres Fremdsprachenerwerbsprozesses ist (vgl. auch Martinez 2008: 266). Daneben sind sie in der Lage, ihren Fremdsprachenerwerb kritisch zu hinterfragen und entsprechend zu steuern: „Autonomes Lernen ist reflexives Lernen. Solches setzt lernseitig die bewusste Steuerung der eigenen Lernprozesse […] voraus“ (Meißner 2010d: 32). Diesen StudienteilnehmerInnen gelingt es, ihr mehrsprachiges kommunikatives Repertoire auf Grundlage der IC-basierten Kommunikation zu erweitern, was auf ihre Kompetenz zum Aufbau und zur Ausweitung ihres mehrsprachigen und interkulturellen Repertoires und damit auf ihre SLK verweist (vgl. Candelier et al. 2013). Demgegenüber steht die Gruppe der StudienteilnehmerInnen, die einen weniger ausgeprägten Grad an Lernerautonomie sowie ein nicht-kommunikationsorientiertes Sprachlernverständnis aufweisen (vgl. Kapitel 7.2.2). Aus deren Sicht spielt „die Beherrschung einer korrekten Sprache eine wichtigere Diskussion der Befunde 327 Rolle […] als die Fähigkeit zu kommunizieren“ (Martinez 2008: 266). Aufgrund dieser Haltung kommt es für die betroffenen StudienteilnehmerInnen nicht zu nennenswerter IC-basierter Interaktion auf der Plattform. Die Befunde zeigen, dass es ihnen nicht gelingt, entsprechende Ressourcen aus dem Kompetenzbereich C 1 (Kompetenz zur Kommunikation im Kontext sprachlicher und kultureller Alterität, vgl. Abbildung 1) zu mobilisieren oder diese im Laufe des Projekts nennenswert auszubauen. Darüber hinaus zeigt sich, dass sie den (IC-basierten) Fremdsprachenerwerb nicht als einen selbstreflexiven Aneignungsprozess auffassen. Metakognitive Fähigkeiten sind allerdings eine conditio sine qua non für die Reflexion des Sprachlernverhaltens (vgl. Meißner & Morkötter 2009; Martinez & Meißner 2014). Eine Sensibilisierung für Sprachlernprozesse, die durch IC hervorgerufen werden kann (vgl. u.a. Meißner 2008a: 85; Meißner 2010f: 139), ist bei diesen StudienteilnehmerInnen nur in Ansätzen rekonstruierbar. Ihre Kompetenz zum Aufbau und zur Ausweitung eines mehrsprachigen und interkulturellen Repertoires (C 2, vgl. Abbildung 1) ist demnach ausbaufähig. Das ungesteuerte kommunikative Setting spricht also v. a. diejenigen LernerInnen an, die bereits über kommunikative (Mehr-)Sprachenerfahrungen verfügen und diese für die Interaktion auf der Plattform G ALANET fruchtbar machen können. Affektive Faktoren und das Erleben von Interkomprehension in mehrsprachiger Interaktion Die Befunde zeigen, dass affektive Faktoren stark auf den IC-basierten Fremdsprachenerwerb einwirken: „From the point of view of affective language learning, being is just as important as doing […].“ (Arnold & Brown 1999b: 4, Hervorhebung im Original). Emotionen, die als übergeordnetes Konzept u.a. affektive, kognitive und motivationale Komponenten umfassen (vgl. Martinez 2014: 313), spielen in einem interaktionsbasierten Setting eine besondere Rolle. Lernende haben an einer sozio-kulturellen Kommunikationssituation teil und werden in ihrer ganzen Persönlichkeit angesprochen: „Wo immer aber der Mensch im Kommunikationsprozeß als kommunikativ Handelnder mit all seinen persönlichen Voraussetzungen, Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten ernstgenommen wird, öffnet sich auch der Blick für den affektiven Bereich“ (Geisler & Hermann-Brennecke 1997: 80; vgl. auch Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 9). Die bei einem Teil des Samples hervorgerufene Sprachangst, die sich in „feelings of worry and negative, fear-related emotions associated with learning or using a language“ (MacIntyre & Gregersen 2012: 103) zeigte, reduziert nicht nur die Lernfähigkeit im Allgemeinen (vgl. Arnold & Brown 1999b: 2). Sie wirkt sich zudem negativ auf die kommunikative Performanz aus und kann schließlich dazu führen, dass LernerInnen kommunikative Situationen vermei- Fazit und Ausblick 328 den (vgl. Oxford 1999: 60). So wird anhand der Daten ersichtlich, dass Sprachangst die Mobilisierung von Ressourcen im funktional-kommunikativen Bereich blockiert und sich negativ auf die Kommunikationsbereitschaft auswirken kann (vgl. auch MacIntyre & Gregersen 2012; Yashima 2012). In den Befunden spiegelt sich wider, dass Sprachangst mit lernerinternen Faktoren wie Haltungen, Selbstkonzept und Motivation in Verbindung steht (vgl. auch Oxford 1999: 60; Rost-Roth 2010: 876; Martinez 2014: 315), so dass diese Konzepte einen Erklärungsansatz für die in Kapitel 7 herausgearbeiteten individuellen Unterschiede im Hinblick auf das Erleben der IC-basierten Interaktion darstellen. Die Befunde zeigen, dass Sprachangst mit einer normorientierten Haltung zur Brückensprache einhergeht, die sich in einer Überbewertung sprachlicher Fehler niederschlägt, welche vor dem Hintergrund der Kommunikationssituation das Ideal-Ich (vgl. Dörnyei 2003: 6) bedrohen können, was Arnold & Brown (1999b: 11) wie folgt beschreiben: Internally, our critical self and our performing self can be in conflict: when as learners we perform something ‚wrong‘, we become critical of our own mistakes. Externally, we perceive others exercising their critical selves, even judging us as persons when we make an error in a second language. Wie in Kapitel 7.5.1 erwähnt, nehmen die betroffenen StudienteilnehmerInnen die Kommunikationssituation als eine Bewertungssituation wahr, so dass die empfundene Sprachangst zum Großteil ihr Erleben der interaktionsbasierten Mehrsprachigkeit dominiert. Sie orientieren sich bei der Selbsteinschätzung ihrer brückensprachlichen Kompetenzen am Ideal des native speaker, was mindestens in zweierlei Hinsicht problematisch ist: Zum einen handelt es sich um ein schwierig (bis gar nicht) umzusetzendes Lernziel (vgl. Oxford 1999: 62), das im Fremdsprachenunterricht mittlerweile keine Gültigkeit mehr hat (vgl. u.a. Byram 1997; Coste, Moore & Zarate 1997; Byram 2010). Zum anderen - und dies ist vor dem Hintergrund der Sprachlernkompetenz der StudienteilnehmerInnen von Bedeutung - wird das Übergangsstadium Lernersprache und deren Funktion im fremdsprachlichen Lernprozess nicht erkannt, deren Analyse ein Ausgangspunkt für spracherwerbsbezogene Reflexionen sein könnte (vgl. Meißner 2010f: 134). Insgesamt legen die Befunde nahe, dass die betroffenen Studierenden nicht auf Ressourcen wie bspw. Être disposé à apprendre de ses erreurs (A 17.3) oder Savoir qu’il est normal de faire des erreurs lorsqu’on ne maitrise pas encore la langue (K 7.1.2) (Candelier et al. 2013) zurückgreifen können. Sprachangst ist mit Blick auf die Befunde mit dem Selbstkonzept in Verbindung zu bringen (vgl. auch MacIntyre & Gregersen 2012: 105f.), das sich auf das sog. risk-taking auswirkt: „Students who are highly anxious about the frequent ambiguities of language learning often suffer reduced risk-taking ability“ Diskussion der Befunde 329 (Oxford 1999: 3; vgl. auch Martinez 2014: 316). Dies führt dazu, dass kommunikative Situationen weitestgehend vermieden werden (vgl. auch Wenden 1998: 522). Die Befunde zeigen allerdings auch, dass Sprachangst durch affektive Strategien der Selbstregulierung überwunden werden kann. Dies setzt zunächst jedoch eine dahingehende Bewusstwerdung voraus. Für die Fruchtbarmachung metakognitiven Bewusstseins müssen entsprechende Kapazitäten verfügbar sein (vgl. Flavell 1981: 49), da (Sprach-)Angst mit metakognitiven Prozessen inferiert (vgl. auch MacIntyre & Gregersen 2012: 104). Zur Abmilderung von Sprachangst zeigt sich in den Daten die Strategie des „positive selftalk, which can help to replace feelings of limitation by those of empowerment“ (Arnold & Brown 1999b: 17) als wirksam (vgl. Falldarstellung Anja Kapitel 6.5). Aber auch „negative self-talk“ ist rekonstruierbar (vgl. Falldarstellung Karina Kapitel 6.6), was zu einer negativen Ver-stärkung führen kann: „Many learners, especially low-achievers, have been strongly affected by years of negative selftalk, much of it on a semi-unconscious level: ‚I’ll never get this‘, ‚I’m always making mistakes‘ […]“ (ebd). Auch wenn lernerseits eine Bewusstheit in Bezug auf solcherart negative Zuschreibungen besteht, können diese so tief im Selbstkonzept verhaftet sein, dass sie nicht ohne weiteres abzulegen sind. Vor dem Hintergrund der Befunde kann sich (Sprach)Angst daher nicht nur angesichts der kommunikativen Situation einstellen (sog. „situational or state anxiety“, Oxford 1999: 60), sondern darüber hinaus Ausdruck einer Grundhaltung im Hinblick auf kommunikative Situationen und den (IC-basierten) Fremdsprachenerwerb sein. Es ist bereits angeklungen, dass Motivation innerhalb der lernerinternen Faktoren eine wichtige Rolle einnimmt (vgl. u.a. Dörnyei 2001; Dörnyei 2003; Rost-Roth 2010: 879; Mercer 2012). So verweisen die Befunde dieser Untersuchung darauf, dass intrinsisch motivierte LernerInnen nicht nur durch das mehrsprachige Setting, sondern darüber hinaus durch die Möglichkeit zur Kommunikation motiviert werden (vgl. Falldarstellungen Meltem Kapitel 6.1, Jennifer Kapitel 6.3 und Sabine Kapitel 6.4). Extrinsisch motivierte StudienteilnehmerInnen hingegen schöpfen keine bzw. kaum Motivation aus der Möglichkeit zur Sprachverwendung, sondern sie beziehen ihre Motivation v. a. durch äußere Anreize wie bspw. gute Noten (vgl. Falldarstellungen Marco Kapitel 6.2 und Karina Kapitel 6.6). Die Befunde zeigen deutlich, dass sich intrinsische bzw. integrative Motivation positiv auf den Umgang mit Sprachangst auswirken kann, v. a. wenn sich die StudienteilnehmerInnen durch das kommunikative Setting in ihrer LernerInnenidentität angesprochen fühlen. Dies Fazit und Ausblick 330 deckt sich mit Ergebnissen des TESTTAT-Projektes 182 , die belegen, dass positive Einstellungen zur L 2 mit hoher Motivation und niedriger Fremdsprachenverwendungsangst korrelieren (vgl. Grotjahn 2004: 12). Martinez (2014: 315) führt aus, dass Motivation mit kognitiven und affektiven Bewertungen u.a. im Hinblick auf die zu erlernde(n) Sprache(n) und deren Zielkulture(n), aber auch bezogen auf den Lehr/ Lernkontext einhergeht. Die medial vermittelte Interaktionssituation mit den Kommunikationsformen Forum und Chat wirkte nach Aussagen aller StudienteilnehmerInnen motivierend. So ist in Anlehnung an Vollmer (2001b: 54) festzustellen, dass „Emotionalität durch kommunikatives Handeln in erwerbsnahen Kontexten, durch authentische Sozialkontakte […] sprachliches Lernen [fördern kann], weil dadurch diese Lernerfahrungen affektiv konnotiert werden.“ Allerdings muss vor dem Hintergrund der Befunde einschränkend festgestellt werden, dass sich lernförderliche Momente eher in Verbindung mit positiven Emotionen, wie Freude an der mehrsprachigen Kommunikation oder die Motivation zur kooperativen Bearbeitung der Aufgabe ergeben. Denn nur ein Teil des Samples empfindet die auf der Plattform zugrunde gelegte Aufgabenorientierung in Form des dossier de presse und die interaktionsbasierte Mehrsprachigkeit als motivationsfördernd. Die Aufmerksamkeit, die der Aufgabe geschenkt wird und der Wunsch, sich innerhalb des Lehr-/ Lernkontextes einzubringen, sind allerdings eine Voraussetzung für (Fremdsprachen-)Lernen: This willingness to learn is in turn dependent on the attention given to the task, and is related to the learning context […], the interest it awakens in the students, as well as to the learning task’s attractiveness. These cognitive and affective factors determine the process of task solution […]. (Martinez 2014: 314). Die Befunde deuten darauf hin, dass ein geringes Interesse an der Aufgabe sich negativ auf die volitionale Dimension, also den Wunsch auf der Plattform aktiv zu werden, auswirkt. Die sog. „task motivation“ (Dörnyei 2003: 15f.) ist in einem aufgabenorientierten Lernarrangement allerdings wesentlich für die kooperative Arbeit am Projekt und damit für das Zustandekommen von sprachlichen wie interkulturellen Lernsituationen durch Interaktion. Dazu bemerken Degache & Tea (2003: 76): « La nécessité d’agir ensemble […] est supposée conduire au développement de compétences de réception et d’interaction dans les quatre langues », denn die kollaborative Aufgabenbearbeitung des dossier de presse kann nur erfolgen, wenn sich die TeilnehmerInnen entsprechend einbringen. Des Weiteren führt die mit dem Lernkontext einhergehende exolinguale Kommunikationssituation dazu, dass einige StudienteilnehmerInnen deutliche Unterschiede zwischen ihren brückensprachlichen Kompetenzen 182 „ Tests and Attitude Scales for the Year Abroad”. Es handelt sich um eine quantitative Studie zu Fremdsprachenverwendungsangst, Einstellungen und Motivation bei englischen und deutschen Studierenden (Grotjahn 2004). Implikationen für die pädagogische Praxis 331 und denjenigen der MuttersprachlerInnen wahrnehmen, was sich negativ auf ihre Kommunikationsbereitschaft auswirkt. Dörnyei (2003: 12) macht darauf aufmerksam, dass die Kommunikationsbereitschaft nicht per se mit niedrigen fremdsprachlichen Kompetenzen in Verbindung steht. So verweisen auch die Befunde darauf, dass LernerInnen mit einer ausgeprägten mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz und hoher Motivation zunächst Schwierigkeiten haben können, auf der Plattform aktiv zu werden. Insofern sind Strategien der Selbstregulierung bedeutsam: „The self-regulation of motivation, which is identified as a cognitive dimension of emotion, is based on the subjective, selfestimation of the learner’s own competence […]“ (Martinez 2014: 318; vgl. auch Dörnyei 2003: 16). Mit Blick auf die Ergebnisse ist allerdings festzuhalten, dass es nicht allen LernerInnen gelingt, selbstregulierende Strategien zu entfalten, was einerseits auf die fehlende task motivation, aber auch auf die negative Selbsteinschätzung der eigenen brückensprachlichen Kompetenz zurückzuführen ist. Insgesamt zeigen die Befunde deutlich, dass Emotion und Kognition nicht voneinander zu trennen, sondern vielfach miteinander verwoben sind (vgl. u.a. Arnold & Brown 1999b: 1; Finkbeiner 2001: 353; Wolff 2004: 92; Martinez 2014: 313). Das interaktionsbasierte Lernarrangement spricht die emotive Dimension des Fremdsprachenerwerbs in vielfältiger Weise an, allerdings wirkt es nicht per se motivierend und lernförderlich. So ist v. a. der selbstregulierende Umgang mit negativen Emotionen wie Sprachangst und Frustrationserfahrungen hervorzuheben, der auf die Fähigkeit verweist, entsprechende Ressourcen im Bereich des savoir-être zu mobilisieren (vgl. bspw. A 7.3.2 Être prêt à assumer l’anxiété inhérente aux situations et interactions plurilingues ou pluriculturelles, Candelier et al. 2013). Dies setzt allerdings ein Monitoring des Lernprozesses voraus, das zur Selbstregulierung essentiell ist (vgl. auch Meißner 2010f: 137). Nachdem nun die im Rahmen dieser Studie empirisch in Erscheinung getretenen Dimensionen mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz diskutiert wurden, thematisiert das folgende Kapitel die daraus abgeleiteten Implikationen für die mehrsprachige pädagogische Praxis. 8.2 Implikationen für die pädagogische Praxis Implikationen für die pädagogische Praxis Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die IC-basierte Interaktion auf G ALANET dazu geeignet ist, individuelle Mehrsprachigkeit zu fördern und damit den Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz anzubahnen (vgl. Kapitel 7). IC-basierte Lehr-/ Lern-verfahren durch Interaktion haben daher ein deutliches Potential für die Ausbildung von (angehenden) FremdsprachenlehrerInnen im Bereich der Mehrsprachigkeitsbzw. IC-Didaktik. Die Befunde verweisen allerdings auch darauf, dass mit dem Lernarrangement einige Herausforderungen einhergehen, aus denen sich Rückwirkungen auf die mehrsprachige, Fazit und Ausblick 332 pädagogische Praxis herleiten lassen. Da die Studie mit angehenden Lehrkräften für Französischund/ oder Spanisch durchgeführt wurde (vgl. Kapitel 4.4.1), lassen sich die abzuleitenden Implikationen sowohl aus einer Lernals auch unter einer Lehrperspektive betrachten. Die StudienteilnehmerInnen hatten eine zweifache Perspektive auf das Projekt: Es handelt sich einerseits um die Sicht von FremdsprachenlernerInnen und andererseits aber auch die von zukünftigen FremdsprachenlehrerInnen. Im Folgenden werden zunächst Implikationen für die pädagogische Praxis an Hochschulen aufgezeigt, um daran anknüpfend auf den Schulkontext zu sprechen zu kommen. Die Befunde verweisen darauf, dass der Mehrwert des IC-basierten Spracherwerbs für einen Teil der StudienteilnehmerInnen u.a. darin bestand, ihren IC-basierten Spracherwerbsprozess zu beobachten und so erleben zu können, wie es ist eine Sprache ‚neu‘ zu erlernen. Daneben zeigt sich auch, dass der Erwerb einer ‚unbekannten‘ Sprache aus derselben Sprachfamilie die Haltung gegenüber der Brücken- und Zielsprache positiv beeinflussen und für sprachenübergreifendes Lernen sensibilisieren kann (vgl. auch Bär 2009; Meißner 2010f.). Lehrkräften kommt eine besondere Rolle bei der Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit ihrer SchülerInnen zu. Es spricht vieles dafür, dass sich ihre Einstellungen und Haltungen zu Mehrsprachigkeit auf die Bereitschaft zum Einsatz von sprachenübergreifenden Lehr-/ Lernverfahren auswirken. Dies gilt im Besonderen auch für Lehrende des Englischen, das die meistgelernte erste Fremdsprache darstellt. So fordert auch Jakisch (2014: 213), dass „Englischlehrkräfte für den Einfluss der zuerst gelernten Fremdsprache auf weiteres Sprachenlernen zu sensibilisieren und ihnen Handlungsoptionen für die Einbeziehung anderer Sprachen in den Englischunterricht aufzuzeigen“ sind. Aus den Ergebnissen ergibt sich ebenfalls ein Desiderat nach einer Sensibilisierung (angehender) LehrerInnen für mehrsprachigkeitsdidaktisch-orientierten Unterricht, die bestenfalls alle Phasen der LehrerInnenaus- und fortbildung umfasst. Vor diesem Hintergrund wäre es denkbar, das Erlernen einer weiteren Fremdsprache im Curriculum angehender FremdsprachenlehrerInnen zu verankern. Insofern sind zwei Szenarien vorstellbar: Zum einen könnte es sich um eine bisher ungelernte Fremdsprache nach Wahl handeln, deren Erlernen im Rahmen eines ‚Forschungsprojekts‘ dokumentiert und reflektiert wird (s. u.). Zum anderen könnte aber auch eine bisher ‚unbekannte‘ Sprache aus derselben Sprachfamilie erlernt werden. In diesem Fall bieten sich spezielle, IC-basierte Lehr-/ Lernverfahren an, die eine spezifische Progression aufweisen, zum Hypothesentesten bzw. Fruchtbarmachung des Vorwissens einladen und so zum Erwerb von Sprachlernkompetenz beitragen. Die Befunde zeigen, dass die Bewusstheit der Studierenden für integratives Sprachenlernen durch das mehrsprachige Lernumfeld auf der Plattform gefördert werden konnte. Das IC-basierte Erlernen einer weiteren Fremdsprache hatte nicht nur das Potential, die Sprachlernkompetenz der angehenden Leh- Implikationen für die pädagogische Praxis 333 rerInnen zu fördern, sondern trug auch zum Ausbau ihrer individuellen Mehrsprachigkeitsprofile bei. Das eigene mehrsprachige Repertoire lässt sich wiederum für die zukünftige Tätigkeit fruchtbar machen, denn es spricht vieles dafür, dass LehrerInnen im Unterricht stark darauf zurückgreifen (vgl. Meißner & Reinfried 1998). Eine Öffnung des Fremdsprachenunterrichts für mehrsprachige und interkulturelle Lehr-/ Lernverfahren erfordert, dass LehrerInnen selbst über eine mehrsprachige kommunikative Kompetenz verfügen. Diese umfasst neben der Fähigkeit zu sprachbezogenen Reflexionen bzw. die Nutzbarmachung metakognitiver Einsichten auch eine entsprechende Bewusstheit für zu etablierende Querverbindungen zwischen den Sprachen (vgl. Beacco 2010: 90). Eine Expertise in Sachen Mehrsprachigkeit erscheint daher im Hinblick auf die mehrsprachigkeitsdidaktisch-basierte Unterrichtspraxis unabdingbar. Die Befunde deuten darauf hin, dass das auf der Plattform gemachte IC-Erlebnis sich in dieser Richtung als positiv erweisen könnte. Um das Bildungsziel mehrsprachige kommunikative Kompetenz zu erreichen (vgl. Kapitel 2 und 3), erscheint es vor dem Hintergrund der Befunde angebracht, lernerseits vielfältige face-to-face bzw. medial-vermittelte Interaktionsmöglichkeiten (mit MuttersprachlerInnen, anderen FremdsprachenlernerInnen usw.) zu schaffen. 183 Die Fähigkeit zur Mobilisierung von deklarativen, prozeduralen und persönlichkeitsbezogenen Ressourcen ist unabdingbar zum Aufbau mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz, die sich optimal in authentischen Interaktionssituationen entfalten kann. Daneben bieten sich aber auch aufgabenbzw. handlungsorientierte Lehr-/ Lernverfahren an, den „authentischen Austausch von Inhalten und Bedeutungen“ (Biebighäuser, Schmidt & Zibelius 2012: 2) anzustoßen, so dass das Zusammenspiel der o. g. Ressourcen beobachtbar und dadurch erlebbar wird. Mit Blick auf die Befunde ist die Verknüpfung von Handlungsbzw. Aufgabenorientierung und IC-basiertem Spracherwerb durch Interaktion durchaus dazu geeignet, bedeutungsvolle IC-basierte Kommunikation hervorzubringen und so zum Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz beizutragen. Die Befunde legen allerdings nahe, dass die StudienteilnehmerInnen teilweise Schwierigkeiten damit hatten, Einsichten in ihren Spracherwerbsprozess herzustellen bzw. diese zu verbalisieren. Königs (2014: 77) stellt insofern fest, dass „Reflektieren gelernt sein will“ und fordert, „Reflexionskompetenz in die Ausbildung zu integrieren“. Mit Blick auf die Befunde empfiehlt es sich, den Erwerb einer Reflexionsbzw. Analysekompetenz durch den Einsatz bewusstheitsfördernder Methoden in der ersten Phase der LehrerInnenausbil- 183 Das Desiderat zur Herstellung fremdsprachiger Interaktionssituationen und deren Nutzbarmachung für den Fremdsprachenerwerbsprozess gilt selbstverständlich nicht nur für angehende FremdsprachenlehrerInnen, sondern gleichermaßen für SchülerInnen. Fazit und Ausblick 334 dung stärker in den Fokus zu rücken. Dazu wären Lernarrangements zu schaffen, die die reflexive Kompetenz der angehenden LehrerInnen fördern. So könnten die oben erwähnten Interaktionsmöglichkeiten in der Fremdsprache bspw. Ausgangspunkt für ein ‚Forschungsprojekt‘ sein, in dem angehende Fremdsprachenleh-rerInnen ihren Spracherwerbsprozess über einen bestimmten Zeitraum dokumentieren und analysieren. 184 Der Einsatz introspektiver Verfahren in Form von Lernprotokollen oder Portfolios ist grundsätzlich dazu geeignet, Einblicke in Spracherwerbsprozesse hervorzurufen (vgl. Bär 2009; Stork 2010). Diese reflexiven Beobachtungen könnten sowohl für den eigenen weiteren Fremdsprachenerwerb, als auch für die spätere Berufstätigkeit nutzbar gemacht werden. Denn es versteht sich von selbst, dass zukünftige LehrerInnen nicht nur eine reflexive Haltung zu ihrem eigenen Fremdsprachenerwerbsbzw. Fremdsprachenlernprozess einnehmen und diesen optimieren können sollten. Sie sollten darüber hinaus in der Lage sein, ihre SchülerInnen zur Reflexion anzuleiten: Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lehren und Lernen. Ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation. […] Sie vermitteln grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Methoden, die es dem Einzelnen ermöglichen, selbständig den Prozess des lebenslangen Lernens zu meistern. (KMK 2004c: 5 185 , Hervorhebung im Original) LehrerInnen obliegt es, die SchülerInnen „im Sinne der Förderung von Selbststeuerung […] während ihres Unterrichts zur Reflexion (z.B. über Sprachlernprozesse, den Sprachgebrauch, über Rollen in der Interaktion)“ anzuregen (Kleppin & Spänkuch 2014: 105). Die Reflexion und adäquate Beschreibung von Fremdsprachenerwerbs- und lernprozessen sind somit unerlässlich für die Professionalisierung von FremdsprachenlehrerInnen, um die, „Lerner dabei zu unterstützen, Sprachlernkompetenz (weiter) zu entwickeln“ (Kleppin & Spänkuch 2014: 98). Für den Erwerb von Reflexionskompetenz bietet sich bspw. die Durchführung von Sprachlernberatungen an. 186 Im Rahmen von peer-coachings könnten Studierende bspw. das o. g. ‚Forschungsprojekt‘ zum 184 Neben den angesprochenen Interaktionsmöglichkeiten könnte auch der Erwerb der Fremdsprache in den sprachpraktischen Kursen bzw. der selbstgesteuerte Fremdsprachenerwerb außerhalb der Universität Ausgangslage für die reflektive Beobachtung des eigenen Fremdsprachenlernprozesses im Rahmen des ‚Forschungsprojektes‘ sein. Auch die Reflexion von interkulturellem Lernen bietet sich hier an. 185 Dieser Passus ist der Gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der Kultusministerkonferenz und Vorsitzenden der Bildungs- und Lehrerverbände (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 05.10.2000 entnommen (vgl. KMK 2004c). 186 Vgl. Kleppin & Spänkuch (2014) zum Ablauf von Sprachlernberatungen bzw. - coachings. Implikationen für die pädagogische Praxis 335 Ausgangspunkt nehmen, einander lernbegleitend zu unterstützen. Neben dem Ausbau ihrer Reflexions- und Sprachlernkompetenz könnten sie dadurch zudem Beratungskompetenzen erwerben, die ebenfalls zu den Kernkompetenzen von LehrerInnen zählen (vgl. KMK 2004b: 3). Des Weiteren deuten die Befunde darauf hin, dass es einigen StudienteilnehmerInnen nicht gelingt, Querverbindungen zwischen Theorien zum Spracherwerb und ihrem eigenen Fremdspracherwerb herzustellen. Theoretische Grundlagen, wie z.B. das Konzept der Lernersprache (Selinker 1972), die im Rahmen des Studiums vermittelt werden, finden sich mitunter in den Daten nicht wieder. Die Tatsache, dass ein Teil der StudienteilnehmerInnen nicht auf Ressourcen wie bspw. Savoir qu’il est normal de faire des erreurs lorsqu’on ne maitrise pas encore la langue (K 7.1.2, Candelier et al. 2013) zurückgreifen können, legt nahe, dass sie das theoretische Konzept ‚Lernersprache‘ nicht auf ihre Erfahrungen als Sprachenlernende übertragen können. Dieser Befund unterstreicht zum einen das erwähnte Desiderat nach höheren reflexiven Anteilen innerhalb des Studiums und zum anderen eine stärkere Verzahnung der rezipierten theoretischen Diskurse mit eigenen sprachlichen und kulturellen Erfahrungen. So sind mit Blick auf die Befunde bspw. auch die Motive für die Aufnahme des Lehramtsstudiums zu hinterfragen und aufzuarbeiten (vgl. auch Königs 2014: 77). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Motive und Haltungen anhand von Sprachlernbiographien und darin manifestierter subjektiver Theorien zum Fremdsprachenerwerb herausarbeiten lassen. Darüber hinaus geben sie Einblick in das Sprachlernverständnis. Das davon ausgehende bewusstheitsfördernde Potential unterstreicht daher die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit der eigenen Sprachlernbiographie (vgl. auch KMK 2004b: 3). Für den Schulkontext lässt sich festhalten, dass die vielfach angesprochene Forderung nach einer stärkeren Vernetzung der fremdsprachlichen Fächer (vgl. u.a. Nieweler 2001; Hufeisen 2005; Caspari & Rössler 2008; Meißner 2008d) auch durch die Befunde dieser Studie untermauert wird. So zeigt sich bspw., dass eine Studienteilnehmerin ihre vorgelernte Fremdsprache Französisch aus Furcht vor Überbelastung zugunsten von Spanisch in der Oberstufe abwählte. Durch die IC-Erfahrung auf der Plattform erfuhr ihr Vorwissen jedoch eine Aufwertung und ermöglichte ihr eine breite Transfergrundlage für das IC-basierte Erschließen ‚unbekannter‘ romanischer Sprachen (vgl. Kapitel 6.5). Dieser „gezielte Rückgriff auf in anderen Sprachen bereits Erlerntes“ (Caspari & Rössler 2008: 78) - Kernelement der IC-Didaktik - wirkt sich mit Blick auf die Befunde positiv auf die Selbstwirksamkeit und die Motivation der LernerInnen aus (vgl. auch Bär 2009). Zudem lassen die Ergebnisse der MES- Studie 187 darauf schließen, dass SchülerInnen neben den Schulfremdsprachen grundsätzlich am Erlernen weiterer Fremdsprachen interessiert sind (vgl. 187 Mehrsprachigkeit fördern: Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES). Fazit und Ausblick 336 Meißner, Beckmann & Schröder-Sura 2008). Es spricht jedoch viel dafür, dass aus SchülerInnensicht die mit der Nutzbarmachung deklarativer wie prozeduraler Vorkenntnisse einhergehenden Synergieeffekte weniger ins Gewicht fallen, als die Vorstellung, mit dem Erlernen mehrerer Fremdsprachen ‚überfordert‘ zu sein. Dies unterstreicht die Notwendigkeit zur Implementierung mehrsprachigkeitsdidaktisch-orientierter Lehr-/ Lernverfahren, die das Vorwissen der LernerInnen systematisch aufgreifen und fruchtbar machen, so dass sich sowohl für die vorals auch die nachgelernte(n) Sprachen lernförderliche Effekte ergeben. Vor diesem Hintergrund sollte der Fremdsprachenunterricht immer einen Ausblick darauf geben, wie sich das deklarative und prozedurale Vorwissen gewinnbringend für den Erwerb weiterer Fremdsprachen einsetzen lässt und welche Rückwirkungen dies auf die vorgelernte(n) Fremdsprache(n) haben kann. Die Befunde sprechen dafür, Konzepte des integrativen Sprachenlernens im Curriculum zu verankern und in den einzelzielsprachlichen Fremdsprachenunterricht zu integrieren. So wäre die Etablierung eines Gesamtsprachencurriculums angezeigt (vgl. Hufeisen 2011), das die momentan vorhandene additive Mehrsprachigkeit ablöst und eine integrative Mehrsprachigkeit im schulischen Lehr-/ Lernkontext systematisch fördert. Es greift zu kurz, mehrsprachigkeitsbasierte Unterrichtsformen auf Projektwochen oder ‚Schnupperkurse‘ zu beschränken. Es gilt vielmehr, SchülerInnen das synergetische Potential einer Fremdsprache für den Erwerb weiterer Fremdsprachen in der täglichen Unterrichtspraxis bewusst zu machen. Vor- und Rückverweise auf bereits Gelerntes bzw. noch zu Erlernendes sind aber nur ein Weg, die individuelle Mehrsprachigkeit der SchülerInnen zu nutzen und zu fördern. Die Umsetzung eines Mehrsprachenunterrichts könnte bspw. auch durch team-teaching-Phasen umgesetzt werden, in denen FremdsprachenlehrerInnen in einer Klasse gemeinsam unterrichten und die jeweiligen andere(n) Sprache(n) in ihren eigenen Unterricht miteinbeziehen (vgl. Hufeisen 2005: 10). Dies gilt umso mehr für Sprachen aus einer Sprachfamilie, die innerhalb einer Schule unterrichtet werden, da sich hier neben den oben angesprochenen Synergieeffekten auch ein spezifischer Nutzen für die Ausbildung von Sprachlernkompetenz ergeben kann (vgl. auch Caspari & Rössler 2008: 71; Bär 2009; Meißner 2010f). So sprechen sich auch Caspari & Rössler (2008) dafür aus, Französisch und Spanisch integrativ zu unterrichten und zeigen Implementierungsmöglichkeiten IC-basierten Unterrichts auf. 188 Was die Auslotung des didaktischen Potentials der Plattform und deren Anwendbarkeit auf schulische Lehr-/ Lernkontexte angeht (vgl. Kapitel 1), ist festzustellen, dass eine vergleichbare Lernarchitektur für den Schulkontext 188 Vgl. auch Bär (2009: 525f.) zu Implementierungsmöglichkeiten IC-basierten Fremdsprachenunterrichts und dessen Lernzielen. Implikationen für die pädagogische Praxis 337 durchaus denkbar ist. Selbstverständlich sollten die funktional-kommunikativen Kompetenzen in der Brückensprache entsprechend ausgebildet sein, so dass v. a. SchülerInnen der ausgehenden Mittelbzw. beginnenden Oberstufe in Frage kommen. Die Projektarbeit auf G ALANET bietet die eingangs angesprochene Möglichkeit zur fremdsprachigen Kommunikation, in der das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Ressourcen im Bereich savoir, savoir-être und savoir-faire erlebbar wird und die lernerseitige Mobilisierungskompetenz trainiert werden kann. Dies deckt sich mit den in den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache Englisch/ Französisch für die Allgemeine Hochschulreife formulierten Erwartungen an den Fremdsprachenunterricht: Die in der gymnasialen Oberstufe weiter zu entwickelnde Verstehens- und Mitteilungsfähigkeit in der Zielsprache ist stets im Zusammenhang mit den bereits vorhandenen Sprachkenntnissen bzw. kommunikativen Kompetenzen zu betrachten. Dazu gehören vor allem die Erstsprache sowie Erfahrungen mit der ersten Fremdsprache und mit weiteren Fremdsprachen, die in der Schule oder auch außerschulisch gelernt werden. (KMK 2012: 9) Durch eine Teilnahme an G ALANET können SchülerInnen wertvolle kommunikative Sprachlernerfahrungen sammeln, was zu einer Bewusstwerdung darüber beitragen dürfte, dass fremdbzw. mehrsprachige Interaktionssituationen immer auch potentielle Lernsituationen darstellen. Denn die Befunde zeigen, dass die IC-basierte Kommunikation förderlich für die Entwicklung von Sprachlernkompetenz sein kann, da innerhalb des mehrsprachigen Settings die Ausbildung der in den Bildungsstandards festgelegten Fähigkeiten und Fertigkeiten angebahnt werden (vgl. KMK 2012: 25f.). Außerdem können die SchülerInnen ihre Brückensprache produktiv verwenden und sie so im funktionalkommunikativen Bereich erweitern. Die Plattform ermöglicht darüber hinaus auch interkulturelles Lernen, das nicht nur durch die mehrsprachige Kommunikationssituation, sondern auch durch die zugrunde gelegte Aufgabenorientierung inszeniert wird (vgl. Kapitel 3.2.2). Zudem geht angesichts der Befunde von der medial vermittelten Kontaktsituation und den Kommunikationsformen Chat und Forum ein Motivationspotential aus, das sicherlich auch im schulischen Lehr-/ Lernkontext fruchtbar gemacht werden könnte. Insgesamt scheint das Projekt daher geeignet, die lernerseitige Fähigkeit zur Interaktion „in komplexen und sich verändernden mehrsprachigen, interkulturellen und multimedialen Kontexten“ (Abendroth-Timmer et al. 2011: 16) auszubilden. Allerdings ist einschränkend festzustellen, dass das Lernarrangement bezüglich der Sprachen modifiziert werden müsste. Die Ergebnisse zeigen, dass die StudienteilnehmerInnen das Oszillieren zwischen mehreren ‚unbekannten‘ Sprachen teilweise als Herausforderung erleben. Im Vergleich zu SchülerInnen verfügen Studierende i.d.R. nicht nur über weitreichendere Sprachlernerfahrungen, auch ihre Kompetenzen in der Brückensprache sind besser ausgeprägt. Fazit und Ausblick 338 Die Befunde deuten darauf hin, dass der IC-basierte, simultane Mehrsprachenerwerb die StudienteilnehmerInnen teilweise stark fordert. Für SchülerInnen wäre es daher sinnvoller, IC in einer zweisprachigen Lernumgebung zu inszenieren und sich auf den Erwerb einer ‚unbekannten‘ Zielsprache zu beschränken. Denkbare wäre bspw. ein Projekt mit der französischen und spanischen Partnerschule, bei dem die Französisch- und SpanischlernerInnen mit ihren romanophonen PartnerInnen IC-basiert kommunizieren. Auch schulintern ließe sich ein solches Projekt mit Französisch- und Spanischlernenden durchführen: Jede/ r TeilnehmerIn schreibt in ihrer/ seiner Fremdsprache und versteht lesend die Beiträge der übrigen TeilnehmerInnen. Der Einsatz mediengestützter, IC-basierter Lernarrangements dürfte SchülerInnen nicht nur die Möglichkeit bieten, ihre Medienkompetenz ausbauen (KMK 2012: 22). Darüber hinaus besteht durch G ALANET die wertvolle Gelegenheit, den Mehrwert des schulischen Fremdsprachenlernens für das rezeptive Verständnis bisher ungelernter (Fremd-)Sprachen erfahrbar zu machen. Auf diese Weise könnte den SchülerInnen aufgezeigt werden, dass sich die Relevanz des Französisch- und Spanischunterrichts auch aus der Tatsache ergibt, dass die jeweils andere Sprache durch Fruchtbarmachung der Vorkenntnisse aneigbar ist. Schließlich verweisen die Befunde darauf, dass der Fremdsprachenlernprozess stärker fokussiert werden sollte. SchülerInnen könnten ihren eigenen Lernprozess erforschen (vgl. auch Meißner 2014b), indem sie ihre Lernersprache untersuchen. So könnten sie Fehler grundsätzlich nicht als Abweichung von der zielsprachlichen Norm, sondern als Reflexionsangebot begreifen, anhand dessen sich das Zustandekommen von ‚Fehlern‘ analysieren lässt. Die Ergebnisse zeigen, dass eine mehrsprachige Lernumgebung metakognitive Reflexionen anbahnen und die Aufmerksamkeit auf den Fremdsprachenlernprozess lenken sowie für intra- und interlinguale Transferaktivitäten sensibilisieren kann. Die damit einhergehende Möglichkeit zur Selbstbeobachtung ermöglicht die Analyse und Steuerung des Lernprozesses und gibt Gelegenheit, eigene Strategien zu entwickeln und zu erproben. Durch entsprechendes Monitoring besteht die Möglichkeit, den Strategieneinsatz zu reflektieren und ggf. anzupassen. 8.3 Kritische Reflexion des angewandten Forschungsansatzes Kritische Reflexion des angewandten Forschungsansatzes Die Methodenreflexion erfolgt mit Blick auf zwei grundlegende forschungsmethodische Themenbereiche, die wesentlich für die vorliegende Studie sind: Vor dem Hintergrund der Gegenstandsangemessenheit (vgl. Kapitel 4.5) werden zum einen die Zugrundelegung der interpretativ-explorativen Fallstudie und zum anderen die Anwendung der Grounded Theory-Auswertungsmethode in einer kritischen Rückschau diskutiert. Kritische Reflexion des angewandten Forschungsansatzes 339 In Anbetracht der reichhaltigen Befunde erscheint die Bearbeitung des Forschungsgegenstandes im Rahmen von Einzelfallstudien v. a. vor dem Hintergrund der Komplexität des Fremdsprachenerwerbs gegenstandsadäquat (vgl. auch Aguado 2004: 24). In den Einzelfalldarstellungen konnten spezifische Merkmalsausprägungen herausgearbeitet werden, die ein tiefgehendes Verständnis der Fälle ermöglichten, anhand derer das individuelle Erleben der Mehrsprachigkeit nachvollziehbar wurde (vgl. Kapitel 6). Das im Rahmen der Einzelfallstudie anvisierte tiefe Verständnis des Forschungsgegenstandes (vgl. Merriam 2002) konnte einerseits durch die dichte Beschreibung (vgl. Geertz 1987), andererseits durch die mit dem mehrmethodischen Forschungsansatz einhergehende Datentriangulation umgesetzt werden (vgl. Kapitel 4.5.1). Die Datentriangulation erwies sich aber nicht nur als Mittel der Erkenntniserweiterung (vgl. Flick 2000), sondern v. a. als Validierungsstrategie hilfreich: Lesarten, die anhand eines Datensatzes gebildet wurden, konnten durch die Hinzunahme weiterer Datensätze verifiziert bzw. falsifiziert werden. Gleiches gilt für den Kodierprozess: Kodes, die anhand eines Datensatzes gebildet wurden, wurden durch Auffinden ähnlicher Konzepte in anderen Datensätzen validiert (vgl. Kapitel 5.4). Erkenntnisfördernd war zudem die Kombination von reaktiven mit nicht-reaktiven Daten (vgl. auch Flick 2011): Bei den Sprachdaten und den Lernprotokollen (Datensätze I - II, vgl. Kapitel 4.6.1 bzw. 4.6.2) handelt es sich - wie erwähnt - im Gegensatz zu den Sprachlernbiographien und Interviews (Datensätze III - IV, vgl. Kapitel 4.6.3 bzw. 4.6.4) um Daten, die nicht eigenes zu Forschungszwecken entstanden sind. Als nicht-reaktive Daten ermöglichten sie daher einen unverstellten Blick auf den Untersuchungsgegenstand. Auch die Berücksichtigung der im Rahmen der Datenerhebung ursprünglich nicht vorgesehenen Hausarbeiten der Studierenden war aufschlussreich (vgl. Kapitel 4.4), da sie „eine neue und ungefilterte Perspektive auf das Feld und die Prozesse darin eröffne[te]n“ (Flick 2011: 330). Allerdings ist in Anlehnung an Aguado & Riemer (2001: 249) einzuräumen, dass „[i]n Abhängigkeit vom gewählten methodischen Vorgehen […] jeweils immer nur bestimmte Ausschnitte aus der komplexen Wirklichkeit erfassbar [sind]. Jede Methode ermöglicht zwar Erkenntnis, begrenzt diese aber auch.“ Die begrenzte Reichweite der Ergebnisse ergibt sich zum einen aus dem explorativen Charakter der Studie, die einen Teilbereich des Untersuchungsgegenstandes, nämlich das Erleben der mehrsprachigen IC-basierten Kommunikation aus Sicht der Studienteilnehmer und den Rückwirkungen auf deren Sprachlernkompetenz fokussierte. 189 Andere Bereiche, wie z.B. IC und Aufga- 189 Die Limitation mag sich unter Gender Aspekten auch aus der Zusammensetzung des Samples ergeben, das aufgrund der spezifischen Bedingungen des Feldes nicht paritätisch zusammenzustellen war. Nur zwei der ingesamt 16 StudienteilnehmerInnen waren männliche Studenten (vgl. Kapitel 4.4.1), von denen einer, Marco, für Fazit und Ausblick 340 benorientierung durch die kooperative Arbeit am dossier de presse oder Formen der Mediation in den salles de discussion wurden hingegen nur kurz beleuchtet, was z. T. im Rahmen der Falldarstellungen erfolgte. Zum anderen ergeben sich die Limitationen der Studie aber auch durch den gewählten Forschungsansatz der Grounded Theory, deren ausgewiesenes Ziel ja gerade die Entwicklung einer bereichspezifischen, auf einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt bezogenen Theorie ist (vgl. Strauss & Corbin 1996). So sind die in der fallübergreifenden Zusammenschau herausgearbeiteten Befunde (vgl. Kapitel 7) selbstverständlich nicht auf sämtliche angehenden Französischund/ oder SpanischlehrerInnen übertragbar. Allerdings spricht viel dafür, dass diese Befunde nicht nur wichtige Anregungen für die mehrsprachigkeitsdidaktischbasierte Unterrichtspraxis, sondern auch für LehrerInnenaus- und Fortbildung liefern können (vgl. Kapitel 8.2). Mit der angewandten Grounded Theory-Methodik gehen einige Herausforderungen einher, die im Sinne der Offenheit (vgl. Kapitel 4.2) nicht unerwähnt bleiben sollen. So war v. a. zu Beginn des Forschungsvorhabens angedacht, möglichst vergleichbare Ergebnisse zu erzielen. Diese Zielsetzung musste mit Blick auf die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen der StudienteilnehmerInnen im Laufe der Datenerhebung jedoch schnell aufgegeben werden (vgl. auch Prokopowicz 2016), denn das Datenmaterial erfüllte vielmehr die von Dörnyei (2007: 125) beschriebenen Hauptmerkmale eines qualitativen Datensatzes: „Its tendency to become increasingly long and its rather unfocused and heterogeneous nature. To put it broadly, qualitative data tends to be bulky and messy.“ Die Auswertung versprach eine systematische und strukturierte Analyse der Datensätze, was sich gerade zu Beginn des Analyseprozesses als schwierig erwies, da es sich bei der Grounded Theory nicht etwa um ein standardisiertes Auswertungsverfahren handelt (vgl. u.a. Steinke 1999, Strauss & Corbin 1996). Steinke macht in Bezug auf die Grounded Theory darauf aufmerksam, dass [d]er Forschungsprozeß viele methodische Entscheidungen [enthält], die nicht regelgeleitet getroffen werden könne, sondern anhand methodischer Leitlinien erfolgen (z.B. wie die prinzipiell unendlichen Dimensionalisierungen von Kategorien und Vergleichen zwischen den Kategorien und deren Dimensionalisierung begrenzt werden können; wie der Übergang vom axialen zum selektiven Kodieren, d.h. die Auswahl der Kernkategorie, geschieht; […]. (1999: 75) Das Auswertungsverfahren erforderte also die Erarbeitung von Standards, die während des Analyseprozesses in Abhängigkeit mit dem Untersuchungsgegenstand und den erhobenen Daten etabliert wurden. Insofern erwiesen sich die die Einzelfallstudie ausgewählt wurde. Baroudi kam für eine tiefergehende Fallanalyse nicht in Frage, weil es sich um einen ehemaligen Kommilitonen handelte. Kritische Reflexion des angewandten Forschungsansatzes 341 ständige Auseinandersetzung mit den Daten und die Reflexion über ‚den Dialog mit den Daten‘ als hilfreich. Das Abfassen von Memos (z.B. Kode-Memos, die Ankerbeispiele für das Kodieren enthielten oder Dokumentenmemos zu den unterschiedlichen Datensätzen, vgl. Kapitel 5.4.3) ist in der Rückschau unentbehrlich. Sie helfen, den Prozess der Datenanalyse und die daraus emergierenden Konzepte und Kategorien zu überblicken und ermöglichen so eine systematische und strukturierte Datenanalyse. Memos halten ForscherInnen dazu an, über die Daten und deren analytische Zusammenhänge zu reflektieren und erfüllen daher eine wichtige Funktion im Hinblick auf die Selbstreflexivität. Für die vorliegende Studie war die durch das Verfassen von Memos angestoßene selbstreflexive Haltung gegenüber dem Forschungsprozess daher essentiell. So wurden critical incidents als Reflexionsangebot begriffen, die schließlich für den Forschungsprozess fruchtbar gemacht wurden, da sich auf deren Basis begründete Modifikationen vornehmen ließen (vgl. Prokopowicz 2016). Ein solcher critical incident betraf bspw. die Engführung von Sprache und Kultur (vgl. Kapitel 1), die bei der Datenerhebung berücksichtigt wurde, indem ein Teil des Lernprotokolls auf das interkulturelle Lernen abhob (vgl. Kapitel 4.6.2) und auch der Interviewleitfaden entsprechende Fragen umfasste (vgl. Kapitel 4.6.4). Nach Sichtung der ersten Datensätze wurde jedoch deutlich, dass der IC-basierte Fremdsprachenerwerb im Vergleich zum interkulturellen Lernen aus Sicht der StudienteilnehmerInnen stärker im Vordergrund stand. Aus diesem Grund wurden die Forschungsfragen (vgl. Kapitel 4.1) um Aspekte des interkulturellen Lernens gekürzt. Während der Datenanalyse zeigte sich jedoch, dass der IC-basierte Fremdsprachenerwerb durch Interaktion nicht von interkulturellen Aspekten getrennt werden kann. Dies ergibt sich einerseits aus der mehrsprachigen und mehrkulturellen Lernumgebung, andererseits aber auch durch die in den Forums- und Chatdiskussionen verhandelten Themen interkultureller Natur. So wurden in den Einzelfalldarstellungen (vgl. Kapitel 6) und auch in der fallübergreifenden Zusammenschau (vgl. Kapitel 7) auch interkulturelle Aspekte der IC-basierten Kommunikation herausgearbeitet, obwohl dieser Themenbereich nicht Teil der Forschungsfragen war. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis stellt sich grundsätzlich die Frage, ob Konzepte wie interkulturelles Lernen oder auch Sprachlernkompetenz aus dem übergeordneten Konzept der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz herausgelöst werden können. Die Befunde zeigen deutlich, dass interkulturelles und fremdsprachliches Lernen sowie Sprachlernkompetenz stark vernetzt sind. Die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (vgl. KMK 2012) fächern diese Kompetenzbereiche jedoch auf, was zu Verzerrungen führen könnte. Um einzelne Kompetenzbereiche abprüfbar zu machen, operationalisieren sie die Fazit und Ausblick 342 Teilbereiche. Die Befunde der vorliegenden Studie sprechen jedoch für ein integratives Verständnis der einzelnen Kompetenzbereiche, die nicht isoliert voneinander zu betrachten sind. 8.4 Forschungsperspektiven Forschungsperspektiven Im Rahmen dieser Studie wurde - wie erwähnt - ein Teilbereich des Untersuchungsgegenstandes, nämlich das Erleben der mehrsprachigen IC-basierten Kommunikation aus Sicht der StudienteilnehmerInnen und deren Rückwirkungen auf die Sprachlernkompetenz fokussiert. Aufgrund der empirisch in Erscheinung getretenen Dimensionen mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz wurden sowohl kontextspezifische (vgl. Kapitel 8.1) sowie über den Kontext hinausgehende Ergebnisse (vgl. Kapitel 8.2) herausgearbeitet. Ausgehend von diesen Befunden lassen sich folgende Ansatzpunkte für weitere Forschungsarbeiten aufzeigen: Die Befunde unterstreichen, dass das Erleben der Mehrsprachigkeit stark von den brückensprachlichen Vorkenntnissen abhängt. Sie haben einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung von Zielsprachen und damit auf den Erwerb mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz. Dies verweist auf einen Zusammenhang zwischen der Brückensprache und deren Einfluss auf die Entwicklung der individuellen Mehrsprachigkeit (vgl. auch Bär 2009: 529), der in künftigen Forschungsarbeiten zu untersuchen wäre. In der vorliegenden Studie wurde deutlich, dass - je nach Brückensprache - bestimmte Sprachen als leicht, andere hingegen als schwierig zu erschließen empfunden werden. So erlebten die StudienteilnehmerInnen Italienisch grundsätzlich als leicht verstehbar, während die Zielsprache Französisch mit brückensprachlichen Kenntnissen in Spanisch als wenig interkomprehensibel wahrgenommen wurde (vgl. Kapitel 7.6). Die Befunde zur Wahrnehmung des Rumänischen verweisen hingegen durchweg auf die Grenzen der romanischen IC. Um den Erwerb einer umfassenden (romanischen) mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz fördern zu können, sind empirische Untersuchungen nötig, die der Frage nachgehen, wie der IC-basierte Mehrsprachenerwerb für die jeweiligen Sprachenpaare gefördert werden kann. So ist das Zusammenspiel zwischen deklarativen und prozeduralem Vorwissen sowie der lernerseitigen Mobilisierungskompetenz empirisch zu herauszuarbeiten, um daraus begründete Schlüsse für die Förderung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz zu ziehen. Des Weiteren konnte im Rahmen dieser Studie ein Zusammenhang zwischen Sprachlernverständnis und IC-Kompetenz bzw. Sprachlernkompetenz festgestellt werden. Es bedarf insofern weiterer Anschlussforschung, die der Frage nachgeht, ob längere IC-Erfahrungen durch Interaktion das Sprachlernverständnis nachhaltig beeinflussen. So könnten Longitudinalstudien der Frage nachgehen, ob IC-Erfahrungen mit längerfristigen positiven Auswirkungen auf Forschungsperspektiven 343 das Selbstkonzept bzw. die Selbstwirksamkeit der Lernenden einhergehen. Vor dem Hintergrund der LehrerInnenaus- und Fortbildung wären zudem mögliche Rückwirkungen auf die Lehrtätigkeit zu untersuchen, insbesondere was die Einstellungen der künftigen LehrerInnen zu Fragen der Mehrsprachigkeit und ihre Bereitschaft zum Einsatz mehrsprachigkeitsdidaktisch-orientierter Lehr- / Lern-verfahren angeht. Angesichts der gewonnenen Erkenntnisse bedarf es zudem weiterer longitudinaler Studien zum Aufbau individueller Mehrsprachigkeit bzw. mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch IC bei LehrerInnen und möglichen Rückwirkungen auf die unterrichtliche Praxis. Schließlich verweisen die Befunde darauf, dass bei der Erforschung von Lehr-/ Lernprozessen die Prozesshaftigkeit des Lernens stärker in den Fokus gerückt werden sollte. Innerhalb dieser Studie wurden introspektive Prozessdaten in Form von Lernprotokollen (vgl. Kapitel 4.6.2) mit sog. Produktdaten (Forums- und Chatauszüge, vgl. Kapitel 4.6.1) kombiniert, um einen Einblick in die dahinterliegenden Prozesse zu ermöglichen. So konnte bspw. ermittelt werden, dass Sprachangst ein entscheidender Faktor für das Erleben der Mehrsprachigkeit auf der Plattform ist. Allerdings gelang es innerhalb dieser Studie nur annähernd, Ursachen der Sprachangst in Form der Überbewertung von Fehlern oder einem nicht-kommunikationsorientierten Sprachlernverständnis zu identifizieren. Daraus ergibt sich das Desiderat, in weiteren Forschungsarbeiten die hinter dem ‚Produkt‘ Sprachangst liegenden Prozesse zu erforschen und der Frage nachgehen, wie und warum Sprachangst entsteht (vgl. auch MacIntyre 2012: 108). Die Befunde der Studie verweisen außerdem auf einen Zusammenhang von Sprachangst und weiteren affektiven Variablen wie Motivation und Einstellungen, der in künftigen Forschungsarbeiten herauszuarbeiten wäre (vgl. auch Rost-Roth 2010: 876). Es konnte ferner gezeigt werden, dass Sprachlernkompetenz in einem interaktionsbasierten, auf IC beruhenden Lernarrangement gefördert werden kann. Allerdings wird angesichts der Befunde deutlich, dass Sprachlernkompetenz ähnlich wie interkulturelle Kompetenz nur schwer skalierbar ist (vgl. auch Meißner 2013b: 20). Daraus ergibt sich ein Desiderat für Untersuchungen, die Sprachlernkompetenz durch IC beschreibbar und damit operationalisierbar machen. Mit Blick auf die unterrichtliche Praxis machen erst empirisch begründete Kompetenzstrukturmodelle zu Sprachlernkompetenz deren Skalierung und Überprüfung möglich. Insofern bedarf es weiterer Anschlussforschung die sich mit der Frage beschäftigt, wie IC in (schulischen) Lehr-/ Lernkontexten identifiziert und gefördert werden kann. 9. Literaturverzeichnis Abel, Fritz (1971): „Die Vermittlung passiver Spanisch- und Italienischkenntnisse im Rahmen des Französischunterrichts“, Die Neueren Sprachen 70, 355-359. 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Anhang 10.1 Startseite G ALANET Startseite GALANET Anhang 366 10.2 Seminarplan Seminarplan Panromanische Interkomprehension und Mehrsprachigkeitserwerb im Chat (G ALANET ) Modul Fachdidaktik 10a, Übung zur Mehrsprachigkeit, SoSe 2010 Datum Thema der Sitzung 24.04.2010 • Zum Einsatz von Lerntagebüchern und Sprachenportfolios im Fremdsprachenunterricht • Zur Sprachverarbeitung: Das mehrsprachige mentale Lexikon • (Panromanische) Interkomprehension - Die sieben Siebe 08.05.2010 • Methoden der Mehrsprachigkeitsdidaktik: Hypothesengrammatik und Lautdenkprotokoll • Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikation • Fremdverstehen 29.05.2010 • Lernerautonomie - savoir apprendre • (Multi) Language Learning Awareness und Metakognition • Fremdsprachenerwerb und Motivation 26.06.2010 • Europäische Sprachenpolitik • Fremdsprachenlehren und -lernen mit Neuen Medien • Fremdsprachenerwerb im Chat Kategoriensystem MAXQDA (Auszug) 367 10.3 Kategoriensystem MAXQDA (Auszug) Kategoriensystem MAXQDA (Auszug) Codes gesamt 1533 MEHRSPRACHIGKEIT 0 MS_IKL 0 MS_IKL_common grounds 17 MS_IKL_common grounds_0 1 MS_IKL_common grounds_als Redeanlässe 17 MS_IKL_common grounds = Sprachen 8 MS_IKL_Stereotype 10 MS_IKL_Autostereotype 5 MS_IKL_Heterostereotype 7 IKL_Missverständnisse 4 IKL_Perspektivenwechsel/ Empathie 18 IKL_hot spots 3 MS_Bewertung (PF) 0 MS_lebendig/ selbst aktiv werden 2 MS_Interesse an MS 14 MS_Möglichkeit des Kontakts zu Muttersprachlern 3 MS_Sensibilisierung 0 MS_Sensibilisierung_ interkulturell 9 MS_Sensibilisierung_ sprachlich 16 MS_Sprachenvielfalt als Herausforderung 4 MS_Sprachenvielfalt_ positiv 9 MS_Sprachenvielfalt_ negativ 6 EINSTELLUNGEN 3 EINSTELL_ Kultur 0 EINSTELL_Kultur_ZS 8 EINSTELL_Kultur_BS 5 Anhang 368 EINSTELL_ Sprecher 13 EINSTELL_Sprecher_ Stereotype_ Bewusstwerdung 5 EINSTELL_Hierarchie 8 EINSTELL_Interesse an Beibehaltung des Kontakts 5 EINSTELL_ Sprachen 13 EINSTELL_BS_affektiv 2 EINSTELL_Offenheit gegenüber roman. Sprachen 14 EINSTELL_Sprachen werden attraktiver 2 EINSTELL_Verstehenwollen der romanischen Sprachen 4 EINSTELL_Spaß an Verstehen roman. Sprachen 3 EINSTELL_Freude/ Interesse am FS-Erwerb 18 EMOTIONEN 0 EMO_negativ 0 EMO_neg_Sprachhemmungen 6 EMO_neg_Selbstkonzept 9 EMO_neg_schwierigkeiten 22 EMO_neg_Schwierigkeiten_sprachlich 11 EMO_neg_Schwierigkeiten_Orientierung 5 EMO_neg_Schwierigkeiten_Kontaktherstellung 4 EMO_neg_Schwierigkeiten_technisch 6 EMO_Ängste 6 EMO_Ängste_Angst vor Fehlern 3 EMO_Ängste_vor Sprachvermischung 2 Kategoriensystem MAXQDA (Auszug) 369 EMO_Ängste_Bewertungssituation 7 EMO_Frustration 25 EMO_Frustration_wg. Nichtverstehen 8 EMO_positiv 6 EMO_pos_Selbstkonzept 9 EMO_pos_Wegfall Sprachhemmungen 10 EMO_pos_Teilnahme = Spaß 7 EMO_pos_Kommunikation in FS = besonders 1 EMO_pos_Teilnahme als Bereicherung/ Horizonterweiterung 7 EMO_pos_Kommunikationssituation 9 EMO_pos_Integration 13 EMO_pos_Erfolg/ Bestätigung 18 MOTIVATION 13 MOT_integrative 28 MOT_instrumentell 5 MOT_extrinsisch 10 MOT_intrinsisch 0 MOT_interkulturelle Dimension 0 MOT_sprachliche Dimension 16 MOT_inhaltliche Dimension 14 MOT_mediale Lernumgebung 7 MOT_gemeinsames Lernziel 6 INTERKOMPREHENSION 18 IC_Bewertung 0 IC_Bew_Typologische Distanz 17 IC_Bew_Automatisierung 12 IC_Bew_Bewusstwerdung 14 Anhang 370 IC_Bew_positiv 19 IC_Bew_neutral bis negativ 5 IC_ Bew_konstruktivistisch 4 IC + Hypothesengrammatik 6 IC + HG_ermöglicht gezielte Sprachvergleiche 6 IC + HG_Grundlage für weitere Lernprozesse 6 IC + HG_Mittel der Bewusstwerdung 7 IC + HG_systematisieren/ strukturieren 7 ZIELSPRACHE 5 ZS_Kompetenzen 23 ZS_Produktion 11 ZS_Weiterlernen der ZS 3 ZS_Rezeption 1 ZS_Rezeption_Rum. 4 ZS_Rezeption_Frz. 3 ZS_Rezeption_ andere Sprachen 4 ZS_Rezeption_+ andere Sprachen 17 ZS_Spracherwerb 18 ZS_Spracherwerb_inhaltlich 2 ZS_Spracherwerb_durch Interaktion 10 ZS_Spracherwerb_niedrig 2 ZS_Spracherwerb_Morphosyntax 3 ZS_Spracherwerb_Lexik 5 ZS_Gründe für Wahl 2 ZS_Wahl_affektiv 4 ZS_Wahl_typologische Nähe/ Distanz 5 ZS_Wahl_praktisch 3 BRÜCKENSPRACHE 2 BS_Nützlichkeit 15 BS_Spracherwerb 0 Kategoriensystem MAXQDA (Auszug) 371 BS_Spracherwerb - 3 BS_Spracherwerb+ 12 BS_Kompetenzen 13 BS_Kompetenzen+ Rolle Fehler 3 BS_Kompetenzen_niedrig 7 SPRACHLERNKOMPETENZ 0 SPRACHLERNVERSTÄNDNIS 7 SLV_LP 3 SLV_LP_Planungsinstrument 1 SLV_LP_lernunterstützende Funktion 1 SLV_LP_Dokumentation von Lernergebnissen 4 SLV_LP_Bewusstwerdung (des Lernprozesses) 5 SLV_LP_Reflexion 6 SLV_LP_Steuerungs-instrument 2 SLV_LP motivationsfördernde Funktion 3 SLV_Sprache lernen = 0 SLV_ = Grammatik, Vokabeln, Sprachkurs 6 SLV_= anwenden 17 SLV_ = Leistung zeigen 13 SLV_Teilnahme = Lernen? 7 SLV_LERN_landeskundliches Wissen 37 SLV_LERN_0 4 SLV_LERN_anwenden 9 SLV_LERN_interkulturell 13 SLV_LERN_sprachlich 6 STRATEGIEN 1 STRAT_Selbstevaluation 2 STRAT_Beschaffung von Input 9 STRAT_externe Ressourcen 13 Anhang 372 STRAT_Monitoring 12 STRAT_Umgang mit Fehlern 16 STRAT_Selbstregulierung 11 STRAT_Kommunikation 6 STRAT_Komm_Code switching 1 STRAT_Komm_Bitte um Erklärung 11 STRAT_Komm_Paraphrasierung 9 STRAT_Komm_Begrüßung/ Verabschiedung im Chat 1 STRAT_Komm_Leute gezielt ansprechen 4 STRAT_IK 17 STRAT_IK_Vorwissen 9 STRAT_intelligent guessing 5 STRAT_Initiierung von Sprachvergleichen 9 STRAT_Disambiguierung dr. Kotext/ Kontext 7 STRAT_Detailverstehen 5 STRAT_Globalverstehen 11 STRAT_Interlinearübersetzung 7 STRAT_Vermeidung 0 STRAT_Vermeidung_ZS Rumänisch 1 STRAT_Vermeidung_ Zurückziehen aus Forumsdiskussion 1 STRAT_Vermeidung Rezeption anderer ZS 2 STAT_Vermeidung_ generelles Aktivwerden 2 PLATTFORM 0 PF_Chat 38 PF_Chat_oberflächliche Kommunikation 1 PF_Chat = motivierend 2 PF_Chat_Aushandlung von Rollen 3 Kategoriensystem MAXQDA (Auszug) 373 PF_Chat_Partnerhypothese 3 PF_Deutlichmachen von Verständnisproblemen 3 PF_Chat_sprachliches Missverständnis 7 PF_Chat_den Anfang machen/ auf den anderen zugehen 12 PF_Chat_Bitte um Sprachwechsel 2 PF_Chat_Schwierigkeiten mit Output 5 PF_Chat_Verständnis-schwierigkeiten 8 PF_Chat_einsprachig in BS = positiv 2 PF_Chat_Rolle des Fehlers 1 PF_Chat_Schreibblockade kann wegfallen 3 PF_Chat_code-switching 17 PF_Chat_Bewertung positiv 7 PF_Chat_Interese am Chatpartner/ Gegenüber 14 PF_Chat_Chatpartner als language learning facilitator 16 PF_Forum 25 PF_Forum_einfacher im vgl. zum Chat 2 PF_Forum_Möglichkeit des monitorings (Output) 3 PF_Forum_keine Bezugnahme auf Postings 2 PF_Forum als Infobeschaffung 3 PF_Aktivwerden wg. Aufforderung 2 PF_Forum_Interesse an Themen 6 PF_Forum_Rolle der Zeit 2 Metaphern/ Vergleiche 24 Anhang 374 10.4 Interviewleitfaden Interviewleitfaden Themenschwerpunkt 1: Erleben von IC in mehrsprachiger Interaktion • Kannst Du nochmal sagen, warum Du Dich entschieden hast, an dem Projekt teilzunehmen? (Gab es noch andere Gründe? ) • Wie fandst Du die Interkomprehension auf G ALANET ? • Warum hast Du Dich für XY als Zielsprache entschieden? • War Deine Brückensprache hilfreich? (Was ist mit Deinen übrigen Sprachen? ) • Wie war das für Dich im Chat? Gab es Irritationen bei der Chatkonversation? (Gab es Probleme, den anderen zu verstehen oder sich selbst verständlich zu machen? Was hast Du dann gemacht? ) Wie hast Du versucht, diese Probleme zu überwinden? • Wie war das Forum im Vergleich zum Chat? Kannst Du kurz beschreiben, wie Du bei der Erschließung von Forumsnachrichten vorgegangen bist? • War es eine Herausforderung für Dich, gleichzeitig mit mehreren Sprachen und Kulturen zu tun haben? (Wie bist Du mit dem Gefühl umgegangen, nicht alles verstehen zu können? ) • Du hast im Dialang-Test zur Lesekompetenz in Ihrer Zielsprache das XX Niveau des GeR erreicht. Kannst Du das Ergebnis kurz kommentieren? • Hat sich Deine Einstellung in Bezug auf die Brücken-/ Zielsprache bzw. zu Sprachen überhaupt geändert? • Wie siehst Du die Erstellung der Hypothesengrammatik? • Welche Funktion hatte das Ausfüllen des Lernprotokolls für Dich? Themenschwerpunkt 2: Ausbildung von Sprachlernkompetenz • Stichwort Motivation. Wurde die durch irgendetwas beeinflusst? (Hat Dich während der Teilnahme etwas besonders motiviert? ) • War etwas besonders demotivierend? • Wie bist Du mit dem Gefühl umgegangen, nicht alles verstehen zu können? (Gab es einen Unterschied im Forum bzw. im Chat? ) • Hast Du die Interaktion auf der Plattform als Lernen empfunden? • Hast Du etwas dazugelernt durch die Interaktion in Bezug auf die Brücken- und Zielsprache? • Du hast ja sicher eine Vorstellung davon, wie Du am besten Sprachen lernst. Glaubst Du, dass die Teilnahme am Projekt Auswirkungen auf Dein zukünftiges Sprachenlernen hat? • Glaubst Du, dass die Teilnahme an G ALANET hilft, Sprachbewusstheit auszubilden? Was bedeutet Sprachbewusstheit für Dich? Interviewleitfaden 375 Themenschwerpunkt 3: Interkulturelles Lernen • Glaubst Du, Du hast durch die Projektarbeit landeskundliches Wissen erworben? (Hast Du z.B. etwas über Bräuche oder Sitten gelernt? ) • Stichwort interkulturelle Kommunikation. Hast Du diesen Kompetenzbereich ausbauen können? • Gab es bei der Interaktion im Forum oder Chat Missverständnisse? (Inhaltlicher/ kultu-reller Art? ) (Wie hast Du diese Missverständnisse überwunden? ) • Hattest Du Gelegenheit, über eigene Vorurteile nachzudenken? (Sie zu relativieren/ revidieren? • Glaubst Du, die Teilnahme sensibilisiert für andere Kulturen? • Hat sich Deine Einstellung gegenüber den Sprechern bzw. Kulturen der betroffenen Sprachen geändert? Anhang 376 10.5 Datenauszüge Datenauszüge i. Chatauszug chat privé (Chat 9: Meltem-romanoE) Datenauszüge 377 ii. Lernprotokoll Meltem Anhang 378 Datenauszüge 379 Anhang 380 iii. Sprachlernbiographie Marco Datenauszüge 381 iv. Interviewauszug Karina Anhang 382 Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Die vorliegenden Fallstudien stellen eine empirische Untersuchung von interkomprehensiven Lernprozessen dar. Unter Interkomprehension versteht man die Fähigkeit, bisher nicht gelernte Sprachen auf der Basis von Vorkenntnissen verstehen zu können. Die Studie beleuchtet die interkomprehensiven Interaktionen deutschsprachiger Romanistikstudierender, die auf einer webbasierten Plattform (www.galanet. eu) mit romanophonen Muttersprachlern an einem Projekt arbeiteten. Arbeitssprachen des Projekts sind Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Italienisch und Rumänisch. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage, wie die Forschungsteilnehmenden die interkomprehensionsbasierte Mehrsprachigkeit erleben und welche Rückwirkungen sich daraus für die Ausbildung ihrer Sprachlernkompetenz ergeben. Die Studie basiert auf einem qualitativen Design. Durch die Analyse von Forums- und Chatnachrichten, Lernprotokollen, Sprachlernbiographien und Interviews konnten Chancen und Grenzen interkomprehensiven Lernens aus der Sicht der Forschungsteilnehmenden ermittelt werden. ISBN 978-3-8233-8038-2