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Wirtschaft erzählen

2017
978-3-8233-9072-5
Gunter Narr Verlag 
Irmtraud Behr
Anja Kern
Albrecht Plewnia
Jürgen Ritte

Die aufeinander folgenden Finanz- und Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrzehnts haben Phänomene der Wirtschaft zunehmend ins Zentrum öffentlicher Debatten gerückt. Dabei geht es im fachlichen wie im populären Diskurs ebenso wie in fiktionalen Werken um die Erzählbarkeit und damit die Erklärbarkeit komplexer, die gesamte globalisierte Welt erfassender Phänomene. Dieser interdisziplinär ausgerichtete Band nähert sich dem Phänomen des Erzählens ökonomischer Sachverhalte aus linguistischer, literaturwissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher, historischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive.

Irmtraud Behr / Anja Kern / Albrecht Plewnia / Jürgen Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen Narrative Formatierungen von Ökonomie Behr / Kern / Plewnia / Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen 73 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Die aufeinander folgenden Finanz- und Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrzehnts haben Phänomene der Wirtschaft zunehmend ins Zentrum öffentlicher Debatten gerückt. Dabei geht es im fachlichen wie im populären Diskurs ebenso wie in fiktionalen Werken um die Erzählbarkeit und damit die Erklärbarkeit komplexer, die gesamte globalisierte Welt erfassender Phänomene. Dieser interdisziplinär ausgerichtete Band nähert sich dem Phänomen des Erzählens ökonomischer Sachverhalte aus linguistischer, literaturwissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher, historischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive. 065517 SDS 73 - Behr.qxp_065517 U_SDS 73 - Behr 20.09.17 20: 15 Seite 1 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 73 Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Angelika Wöllstein Band 73 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Irmtraud Behr / Anja Kern / Albrecht Plewnia / Jürgen Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen Narrative Formatierungen von Ökonomie Redaktion: Melanie Steinle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz und Layout: Cornelia Häusermann Druck und Bindung: CPI buchbücher, Birkach Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-8072-6 INHALT Irmtraud Behr (Paris) / Albrecht Plewnia (Mannheim) / Jürgen Ritte (Paris) Reden über Geld ...................................................................................................... 7 Sabine Seelbach (Klagenfurt) Herr und Hund. Narrationen des Linearen und des Nichtlinearen in der Wirtschaftsessayistik ................................................................................. 15 Birger P. Priddat (Witten/ Herdecke) Entscheidung als notwendige Fiktion. Über eine fundamentale narrative Struktur in der Ökonomik: Wahrscheinlichkeit und Erwartung ................... 27 Anne-Laure Daux-Combaudon (Paris) Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung ............................... 39 Marie-Laure Pflanz (Nanterre) „Tyrannowerbus rex“: Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen von Wirtschaftsakteuren in Wirtschaftsartikeln .................... 57 Lothar Schnitzler (Bonn) Nichts ist spannender als Wirtschaft. Erzählung als Arbeit - Methoden und Produktionsbedingungen wirtschaftsjournalistischer Narration ................................................................ 73 Eva Gredel (Mannheim) Wort- und Themenkarriere in der Wirtschaftskommunikation: Nachhaltigkeitsberichte als Teildiskurse ........................................................... 93 Patrick Farges (Paris) Israels „fleißige Jeckes“. Der deutsch-jüdische Einwanderer als wirtschaftlicher Pionier und erfolgreicher Entrepreneur in Palästina/ Israel ........................................ 111 Dirk Hohnsträter (Hildesheim) Apple: Kult und/ oder Code ............................................................................... 125 Iuditha Balint (Duisburg-Essen) Mehrfach überschritten. Dimensionen entgrenzter Arbeit in literarischen und wissenschaftlichen Texten .............................................. 135 Stephan Habscheid (Siegen) Erzählen von Transformation, Transformation des Erzählens. Narrative Diskurse im Kontext von Management und Organisation ......... 151 Inhalt 6 Christine Künzel (Hamburg) Stroh zu Gold spinnen: Zur möglichen Bedeutung und Funktion von Märchen im Kontext der Analyse von Finanzkrisen ............................. 167 Irmtraud Behr (Paris) / Monika Dannerer (Innsbruck) Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen ............. 179 Markus Raith (Freiburg) „Die letzten Tage Europas“. Untergangsszenarien in Text-Bild-Formaten .................................................. 203 Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia (Mannheim) Rettung - Pleite - Griechenland. Wortschatzstatistik in Zeiten der Finanzkrise ................................................ 213 Philippe Verroneau (Dijon) Die Euro-Krise in den Massenmedien: Vom Fachdiskurs zum „Storytelling“ .............................................................. 235 Thomas Lischeid (Weingarten) „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch. Symbole und Narrative der Großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. zwischen aktuellem Mediendispositiv, Spielfilm und Gegenwartsliteratur ............... 247 Patrick Galke (Freiburg) Von Räubern und Beraubten. Wie die Frage nach Schuld und Unschuld Finanzkrisenerzählungen bestimmt ...................................... 267 IRMTRAUD BEHR (PARIS) / ALBRECHT PLEWNIA (MANNHEIM) / JÜRGEN RITTE (PARIS) REDEN ÜBER GELD In dem für heutigen Geschmack vielleicht etwas larmoyant anmutenden Roman von Hans Fallada Kleiner Mann, was nun? aus dem Jahre 1932 - Fallada reagierte damit auf die große Weltwirtschaftskrise - stellt die so mittellose wie herzensgute Figur Lämmchen an einer Stelle die etwas naiv klingende, aber irgendwie doch noch - oder wieder - aktuelle Frage: „Wie kann man lachen, richtig lachen, in solcher Welt mit sanierten Wirtschaftsführern, die tausend Fehler gemacht haben, und kleinen entwürdigten, zertretenen Leuten, die stets ihr Bestes taten? “ Das ist, wie ein zeitgenössischer Theoretiker des Kapitalismus vom Schlage eines Joseph Vogl für die heutige Zeit vielleicht zu bedenken geben würde, eine etwas unterkomplex formulierte Frage an die überkomplexe, autopoietische Selbstreferentialität des digitalen Finanzkapitalismus und seinen Echtzeithandel. Etwas burschikoser fiele wohl die Antwort des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton aus: „It’s the economy, stupid.“ Wirklich glücklich wird man mit beiden Antworten nicht. Denn das eine ist die Frage, wie es zu „goldenen Handschlägen“ für Versager auf höchstem Niveau und historischen Allzeithochs am New Yorker NASDAQ und Dow Jones und beim Frankfurter DAX kommen kann bei gleichzeitigen Massenentlassungen, Unterbezahlungen, generalisierter Prekarität und drohenden wie realen Staatsbankrotten - das lässt sich vielleicht noch nach den Maßgaben finanzökonomischer Rationalitäten und Interessen erklären -, das andere aber ist, und darauf läuft allabendlich vor den Börsennachrichten, die dem TV-Konsumenten nebulöser erscheinen müssen als die Ansagen der stets freundlichen Diplom-Meteorologen gleich im Anschluss, Lämmchens Frage hinaus, was an dem offenbaren Unglück der Vielen und dem Glück der Wenigen, am Zusammenbruch der „res publica“ zugunsten von Banken, Brokern und Hedgefonds so unentrinnbar Naturgesetzliches, Zwangsläufiges sein soll wie am alljährlichen Azorenhoch. Das, was dabei noch an politischem Handlungsraum übrig zu bleiben scheint, erfordert Entscheidungen, die, mit einem Wort der naturwissenschaftlich ausgebildeten deutschen Kanzlerin Angela Merkel, „alternativlos“ sind. Für viele berufene und selbst ernannte Analytiker von ökonomischen Systemen klingt das wie die resignierte Akzeptanz von Freiheitsberaubung … Aber wie auch immer man sich politisch positioniert, die aufeinander folgenden Finanz- und Wirtschaftskrisen seit Beginn des dritten Jahrtausends, des neuen Säkulums, haben Phänomene der Wirtschaft zunehmend ins Zentrum öffentlicher Debatten gerückt. Davon zeugt der Publikumserfolg eines nicht Irmtraud Behr / Albrecht Plewnia / Jürgen Ritte 8 gerade laienfreundlichen Werks wie Das Gespenst des Kapitals aus der Feder des Kulturwissenschaftlers Joseph Vogl (2010/ 2012) oder der Band des Ökonomen Thomas Piketty Le Capital au XXIe siècle (2013; die englische und die deutsche Übersetzung folgten 2014), davon zeugen auch internationale Filmproduktionen wie The Wolf of Wall Street mit Leonardo DiCaprio aus dem Jahre 2013, Weltbestseller wie John Lanchesters Roman mit dem so schlichten wie programmatischen Titel Capital (2012) oder, wieder auf den deutschen Sprachraum beschränkt, viel diskutierte Theaterstücke wie etwa Andres Veiels Das Himbeerreich (2013) und Elfriede Jelineks Die Kontrakte des Kaufmanns. Eine Wirtschaftskomödie (erstmals 2009) sowie Romane von Tilman Rammstedt (Die Abenteuer eines ehemaligen Bankberaters, 2012) oder Rainald Götz’ Johan Holtrup (2013). Davon zeugte auch schon, last but not least, die Einlassung eines so medienwirksamen Philosophen wie Peter Sloterdijk in Im Weltinnenraum des Kapitals aus dem Jahre 2006. In all diesen theoretischen wie künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem komplexen System - Ernst Cassirer würde gesagt haben: mit der symbolischen Form - „Wirtschaft“ geht es um die Erklärbarkeit und vor allem die Erzählbarkeit von Phänomenen, die die gesamte globalisierte Welt umspannen. Man beobachtet, wie im vorliegenden Band geschehen, Strategien der Verbildlichung, der Metaphorisierung, die abstrakte Vorgänge zurückholen sollen in eine von konkreten Objekten und Anschauungen geprägte Vorstellungswelt: Da ist die Rede von „platzenden Blasen“, „sensiblen Märkten“, „Rettungsschirmen“ und dergleichen mehr. Um diese Denkfiguren herum oder diese extrapolierend kristallisieren sich Erzählungen von Wirtschaft. Nicht nur in fiktiven Ausformungen, sondern auch in strenger wissenschaftlich strukturierten Diskursen und nicht zuletzt in den Medien. Auf einer „makrostrukturellen“ Ebene von Erzählungen lassen sich dabei zuweilen Phänomene beobachten, wie sie etwa der amerikanische Historiker Hayden White schon vor über einem halben Jahrhundert an den großen Geschichtserzählungen des 19. Jahrhunderts analysiert hat (in Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, 1973): Es sind vielfach literarische Modelle, narrative Makrostrukturen wie Tragödie (alle Beteiligten sind irgendwie schuldlos schuldig, das Desaster des „horreur économique“, wie schon 1996 die französische Journalistin Viviane Forrester in einem viel beachteten Buch formulierte, nimmt einen schicksalsmäßigen Lauf), Komödie und Satire (wie etwa auch in Märchen, in denen die Ökonomie oftmals eine zentrale Rolle spielt, in Hans im Glück zum Beispiel, ein Text, den man als romantische Parodie auf die Logik der Wertschöpfung qua Warentausch lesen kann - wie man übrigens auch in den Bremer Stadtmusikanten „Altermondialisten“ avant la lettre entdecken mag …) oder epischer Ritter- und Abenteuerroman. Reden über Geld 9 Allen diesen Formen gemein ist eine Art „kommunikativer Verarbeitungsbedarf“, der, im weitesten Sinne, nach narrativen Befriedigungen sucht, nach Narrativen: Es muss über Wirtschaft in der einen oder anderen Form geredet werden. Wir brauchen mithin Erzählungen über Wirtschaft. Aber wo und wie wird erzählt? Die Autoren dieses Bandes untersuchen natürlich literarische Texte, Märchen, Spielfilme und andere Bild-Text-Kombinationen. Sie untersuchen aber auch Unternehmenskommunikation, d.h. Kommunikationsformen in Unternehmen ebenso wie externe Kommunikation, Markenkommunikation, Nachhaltigkeitsberichte und anderes mehr. Aber auch in Fachdiskursen finden sich Erzählungen oder narrative Elemente, ebenso wie in der Presse und in den Medien, sei es im Internet oder in klassischen Publikationsformen. Erzählungen begegnen fast überall. Was soll man nun unter „Erzählung“ verstehen? Was sind die Zwecke und Funktionen von Erzählungen? „Erzählungen“ können unterhaltsam sein, sie stellen Gemeinsamkeit her, mit ihnen werden Wissen, Erfahrung, Erleben vermittelt, sie haben eine orientierende Funktion. Vergleichen wir die Definitionen in zwei Überblicksartikeln, einem sprachwissenschaftlichen und einem geschichtswissenschaftlichen, so können wir Gemeinsamkeiten feststellen. Erzählungen werden als „kommunikative und rekonstruktive Tätigkeit“ (Gülich/ Hausendorf 2000) angesehen oder als „zeitstrukturierte Repräsentation von Ereignissequenzen“ (Saupe/ Wiedemann 2015). Für Saupe/ Wiedemann stehen die sinn- und kohärenzstiftenden Funktionen im Vordergrund, Erzählungen werden auf eptistemischer Ebene als eine grundlegende Form des Weltzugangs betrachtet, insofern sie Konfigurationen anbieten, in denen sich Heterogenes zu spezifischen Plots oder Fabeln verdichtet, also zu einer kohärenten Synthese. Sie dienen der Konstitution und Transformation von personaler und kollektiver Identität. Die Frage der Wahrheit oder der Wahrscheinlichkeit der erzählten Ereignisse ist zentral, ebenso die Frage, ob erst die Erzählung Ordnung in das Erleben bringt, oder ob die Welt vorgeordnet ist. Die spezifische Stärke von Erzählungen liegt darin, dass sie nicht von dem Immergleichen, Erwartbaren berichten, sondern das Unerwartete, die Abweichungen und ihre Konsequenzen in bestimmte, intelligible Formen bringen: „aus ihrer Verkettung beziehen die Elemente der Erzählung ihre Bedeutung, verwandelt sich kontingentes Geschehen in Geschichte“ (Saupe/ Wiedemann 2015, S. 4). Gülich/ Hausendorf betonen hingegen die Komplexität des Erzählens. Über das Bearbeiten narrationsspezifischer kommunikativer Aufgaben hinaus dienen Erzählungen zur Sinnbildung, sie können in verschiedenen Kontexten funktionalisiert werden und erfüllen wesentliche gesellschaftliche Aufgaben. Erzählen wird als eine der Grundformen der menschlichen Kommunikation angesehen, als „Verarbeitungsleistung“ hat sie nicht nur historisch-anthropologische, kulturelle, identitätsstiftende Aspekte, sondern auch technische, deren Erforschung sich Irmtraud Behr / Albrecht Plewnia / Jürgen Ritte 10 die (Text-, Gesprächs-, Diskurs-)Linguistik vornimmt. Drei Analyseperspektiven werden unterschieden: Die Perspektive auf die Interaktion zwischen Erzähler und Zuhörer, die Perspektive auf den Erzähltext als solchen, die Perspektive auf die Geschichte. Die Perspektiven schließen die Berücksichtung des Kommunikationsmediums mit ein, das nicht ohne Auswirkungen auf die Konstitution und Strukturierung des Erzähltextes ist. So unterscheidet schon Ehlich (1983/ 2007) sinnvoll zwischen professionellen und nicht-professionellen Erzählern. Kann es eine Typologie der Erzählungen geben? Welches sollen die Kriterien sein? Neben thematischen kommen auch mediale, strukturelle und kognitive Aspekte zum Tragen. Lebensgeschichten, Reiseberichte - aber auch Markenerzählungen können thematisch geordnet werden. Damit ist nichts über die interne Struktur, die Länge oder das Medium der Erzählung gesagt, noch weniger über die Einbettung in allgemeine Kommunikationsprozesse: Man kann sein Leben in einem narrativen Interview erzählen, in einem Roman, bei einem Arztbesuch oder um Waschmaschinen zu verkaufen. Erzählungen sind dann gelungen, wenn sie etwas „Erzählwürdiges“ vermitteln. Das Kriterium der Erzählwürdigkeit stützt sich einerseits auf Konzepte wie Diskontinuität, „das Außergewöhnliche“, „das Unerwartete“, andererseits hängt es eng mit dem Kriterium der Emotionalität zusammen. In struktureller Hinsicht lassen sich die Modelle und Muster anführen, die dem Ansatz von Labov/ Waletzky (1967) folgend in verschiedenen Arbeiten wieder aufgenommen werden. Das zentrale Kriterium ist dabei das der Transformation i.w.S., der Komplikation, die mehr oder weniger unerwartet auftaucht und aufgelöst werden muss. Die narrativen Techniken auf Text-, Satz-, grammatischer oder lexikalischer Ebene dienen dazu, die Ereignisfolge in eine sinnhafte, erkennbare und kommunizierbare Erzählung zu überführen. Je nachdem, an welcher Auffassung man sich orientiert, wird man diese oder jene Schwerpunkte setzen: Beachtung der Erzähltechniken, Funktionalisierbarkeit der Erzählung bzw. erzählender Elemente und Züge, allgemeine Deutungsmuster. Aber man wird sich darüber einig sein, dass Erzählungen im engen, eigentlichen Sinne über die Darstellung der reinen Abfolge von Ereignissen hinausgehen und das Unerwartete, die Auflösung einer Komplikation, zu fassen und in eine abgeschlossene Form zu bringen versuchen. Das Erzählen in diesem Sinne, das über das bloße chronologische Berichten der Abfolge von Ereignissen hinausgeht, ist ein Bearbeiten der Welt, ein Zugänglichmachen, ein Verfügbarhalten. Über Geld muss gesprochen, über ökonomische Themen debattiert, von Wirtschaft folglich erzählt werden. Wie manifestiert sich das Erzählerische, wenn, zunächst einmal in einem sehr unspezifischen Zugriff, Wirtschaft zum Thema wird? Dass es eben nicht in erster Linie um Chronologien geht, sondern um Konstruktionen, zeigt Sabine Reden über Geld 11 Seelbach in ihrem Beitrag „Herr und Hund. Narrationen des Linearen und des Nichtlinearen in der Wirtschaftsessayistik“; sie erprobt an verschiedenen narrativen Modellen den Umgang mit Unerwartetem und Unbekanntem und die erzählerische Bewältigung der daraus resultierenden Ungewissheiten. - Um tatsächliche Ungewissheiten - dann nämlich, wenn von der Zukunft die Rede ist - geht es auch Birger P. Priddat in seinem Beitrag „Entscheidung als notwendige Fiktion. Über eine fundamentale narrative Struktur in der Ökonomik: Wahrscheinlichkeit und Erwartung“. Ungewissheiten sind, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, misslich, daher besteht bei vielen Entscheidungsträgern die Neigung, die Grundlagen der eigenen Entscheidungen für sicherer zu halten, als sie sind, und sie dazu narrativ abzusichern. - Wenn diese Entscheidungsträger, etwa in der Wirtschaftspresse, ihrerseits zum Gegenstand von Erzählungen werden, geschieht dies typischerweise unter Zuhilfenahme bestimmter Markierungstechniken zum Transport von Parainformationen, etwa Metaphern zur Typisierung. Wie so etwas über das Vergeben zusätzlicher Namen funktioniert, zeigt Marie-Laure Pflanz in ihrem Beitrag „„Tyrannowerbus rex“. Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen von Wirtschaftsakteuren in Wirtschaftsartikeln“. - Ebenfalls aus sprachwissenschaftlicher Perspektive untersucht Anne-Laure Daux-Combaudon „Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung“; sie zeigt, wie in der Presseberichterstattung über wirtschaftliche Themen narrative Strukturen durch Rückgriff auf Wissens-Frames aus anderen Lebensbereichen geschaffen werden. - Einen Einblick in die journalistische Praxis bietet Lothar Schnitzler mit seinem Beitrag „Nichts ist spannender als Wirtschaft. Erzählung als Arbeit - Methoden und Produktionsbedingungen wirtschaftsjournalistischer Narration“; er berichtet vom (sich wandelnden) Selbstverständnis, Motiven und Begrenztheiten des Wirtschaftsjournalisten. Dass das Erzählen der Welt zugleich immer auch ein Formen der Welt bedeutet und insbesondere das Formen der Weise, in der man gesehen werden möchte, zeigt Eva Gredel in ihrem Beitrag „Wort- und Themenkarriere in Wirtschaftskommunikation: Nachhaltigkeitsberichte als Teildiskurse“; sie untersucht die relativ junge Textsorte der Nachhaltigkeitsberichte von Dax- 30-Unternehmen sowohl aus textlinguistischer als auch aus diskursanalytischer Perspektive. - Wie sich eine Vielzahl von Einzelgeschichten zu einem Narrativ verdichten, das durchaus in einem Spannungsverhältnis zu den historischen Realitäten stehen kann, lässt sich im Beitrag „Israels „fleißige Jeckes“. Der deutsch-jüdische Einwanderer als wirtschaftlicher Pionier und erfolgreicher Entrepreneur in Palästina/ Israel“ von Patrick Farges nachvollziehen; er befasst sich mit der retrospektiven Stilisierung der Figur des pionierhaften Entrepreneurs in den biografischen Erzählungen deutschsprachiger Immigranten nach Israel. - Um ein Narrativ ganz anderer Art geht es Dirk Irmtraud Behr / Albrecht Plewnia / Jürgen Ritte 12 Hohnsträter in seinem Betrag „Apple: Kult und/ oder Code“; er zeigt in einer kulturwissenschaftlichen Analyse, wie sich die Selbstinszenierung von Apple, die fundamental ist für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens, aus einem etwas paradoxen Differenz-Narrativ speist. - Das erzählerische Bearbeiten der Welt ist auch das Thema von Iuditha Balint. Formen der Institutionalisierung von Arbeit können als eine der Grundbedingungen von Wirtschaft betrachtet werden; Balint analysiert in ihrem Beitrag „Mehrfach überschrittene Dimensionen entgrenzter Arbeit in literarischen und wissenschaftlichen Texten“, wie erzählerisch mit den sich ändernden Bedingungen der Arbeitswelt umgegangen wird. Was sich hier bereits andeutet, dass nämlich das Reden über Geld, aus dem sich das Erzählen von Wirtschaft ergibt, nicht selten in einen Krisendiskurs mündet, wird im Beitrag von Stephan Habscheid über „Krisenerzählungen in Organisationen“ noch deutlicher; er zeigt, wie Mitarbeiterzeitungen genutzt werden, um durch bestimmte Erzähltechniken unternehmerische Entscheidungen in Krisensituationen zu legitimieren. - Christine Künzel zeigt, dass solche Krisendiskurse gerne strukturelle Gattungsanleihen bei Märchen nehmen; in ihrem Beitrag „Stroh zu Gold spinnen: Zur möglichen Bedeutung und Funktion von Märchen im Kontext der Analyse von Finanzkrisen“ weist sie nach, dass viele ökonomische Narrative einem ähnlichen Fiktionsvertrag unterliegen wie bestimmte Märchenelemente. - Narrativität lässt sich graduell bestimmen; Irmtraud Behr und Monika Dannerer tun das in ihrem Beitrag „Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen“ für ein kontrastiv konzipiertes Korpus mit Zeitungstexten zur Erdölkrise 1973 und zur Griechenland-Krise 2010-2012; dabei können sie, verkürzt gesagt, eine leichte Zunahme der Narrativität feststellen. - Auch wenn der eigentliche Text nach wie vor als der zentrale Informationsträger wahrgenommen wird, steht er in den Printmedien, erst recht aber in Online-Publikationen, in einem von Bildern (mit)gestalteten Kontext. Um das komplexe Zusammenspiel von Text und Bild geht es Markus Raith in seinem Beitrag „„Die letzten Tage Europas“. Untergangsszenarien in Text-Bild-Formaten“. Reden über Wirtschaft ist, jedenfalls in jüngerer Zeit, oft ein Reden über Krisen. Welche Spuren die Bankenkrise seit 2008 sowie die sich anschließende Euro-Krise im deutschen Wortgebrauch hinterlassen haben, untersuchen Astrid Adler, Rainer Perkuhn und Albrecht Plewnia in ihrem Beitrag „Rettung - Pleite - Griechenland. Wortschatzstatistik in Zeiten der Finanzkrise“; sie zeigen, dass sich die statistischen Vorkommenswahrscheinlichkeiten verschiedener Kookkurrenzpartner von krisenrelevanten Einzelwörtern auffällig verschoben haben. - Die Behandlung der Euro-Krise ist auch das Thema von Philippe Verroneau; er beschreibt in seinem Beitrag „Die Euro-Krise in den Massenmedien: Vom Fachdiskurs zum „Storytelling““ die zunehmende Auf- Reden über Geld 13 tretenshäufigkeit bestimmter, überwiegend negativer Metaphern. - Thomas Lischeid bezieht außer den Massenmedien auch Literatur und Filme in seine diskurs- und kultursemiotische Analyse mit ein; er entwirft in seinem Beitrag „„Sinnen & Simulieren“ diskurs-und kultursemiotisch. Symbole und Narrative der Großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. zwischen aktuellem Mediendispositiv, Spielfilm und Gegenwartsliteratur“ ein Analysemodell, das insbesondere Symbole und Bilder mitberücksichtigt. - In gewissem Sinne ist die Bankenkrise zunächst ein abstraktes Phänomen; mit welchen Techniken journalistisches Erzählen diese Abstraktheit aufzubrechen versucht (und dabei Partei ergreift), zeigt Patrick Galke im letzten Beitrag dieses Bandes „Von Räubern und Beraubten. Wie die Frage nach Schuld und Unschuld Finanzkrisenerzählungen bestimmt“. Die in diesem Band versammelten Aufsätze gehen zurück auf die Vorträge einer Tagung, die im November 2013 in Paris als gemeinsame Veranstaltung der Université Sorbonne Nouvelle/ Paris 3 und des Instituts für Deutsche Sprache stattfand. Die Herausgeber sind allen, die an der Entstehung dieses Bandes beteiligt waren, zu Dank verpflichtet, in erster Linie natürlich den Referenten der Pariser Tagung und Autoren der Beiträge. Für die materielle Unterstützung der Tagung danken die Herausgeber der Deutsch-Französischen Hochschule, dem Maison Heinrich Heine in Paris sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und nicht zuletzt natürlich den veranstaltenden Institutionen, der Université Sorbonne Nouvelle/ Paris 3 und dem Institut für Deutsche Sprache. Literatur Ehlich, Konrad (2007): Alltägliches Erzählen. In Sprache und sprachliches Handeln. Band 3: Diskurs- Narration - Text - Schrift. Berlin/ New York, S. 372-393. [Zuerst veröffentlicht in Sanders, Willy/ Wegenast, Klaus (Hg.): 1983. Erzählen für Kinder - Erzählen von Gott. Begegnungen zwischen Sprachwissenschaft und Theologie. Stuttgart u.a., Kohlhammer, S. 128-150.] Gülich, Elisabeth/ Hausendorf, Heiko (2000): Vertextungsmuster: Narration. In: Brinker, Klaus (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Bd. 1. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 16.1). Berlin/ New York, S. 369-385. Labov, William/ Waletzky, Joshua (1973[1967]): Narrative analysis: oral versions of personal experience. Deutsche Übersetzung: Erzählanalyse. Mündliche Versionen persönlicher Erfahrung. In: Ihwe, Jens (Hg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Eine Auswahl. (= Texte zur Theorie der Literaturwissenschaft 2). Frankfurt a.M., S. 78-126. Saupe, Achim/ Wiedemann, Felix (2015): Narration und Narratologie. Erzähltheorien in der Geschichtswissenschaft. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, Stand: 28.1.2015.http: / / docupedia.de/ zg/ saupe_wiedemann_narration_v1_de_2015 DOI: http: / / dx.doi.org/ 10.14765/ zzf.dok.2.580.v1 (Stand: 10.1.2017). SABINE SEELBACH (KLAGENFURT) HERR UND HUND. NARRATIONEN DES LINEAREN UND DES NICHTLINEAREN IN DER WIRTSCHAFTSESSAYISTIK Abstract An der Börse sind zwei und zwei nie vier, sondern fünf ‒ minus eins. Es kommt schließlich zur Vier, aber nie direkt. 1 Das geflügelte Wort André Kostolanys unterliegt einer narrativen Schemabildung: Kontinuität wird nicht nach dem Muster der aufsteigenden Zahlenreihe hergestellt, sondern gleichsam epizyklisch, also auf Umwegen. Wie seine berühmtere Metapher vom Spaziergänger (Wirtschaft) mit Hund (Börse), so beschreibt auch die Zahlenversion derselben die Vorstellung einer letztlich doch linearen Aufwärtsbewegung, in der der Mensch Herr und behaust bleiben kann. Das neue Jahrtausend stellt diese Beherrschbarkeitsnarratio offenbar in Frage. ‒ Der Beitrag untersucht drei narrative Modelle im Bereich der Wirtschaftskommunikation: das lineare Modell des „homo oeconomicus“, das nichtlineare Modell des „Schwarzen Schwans“ und den synthetischen Versuch der „Antifragilität“ nach Nassim Taleb. Wie Hans Blumenberg in „Arbeit am Mythos“ bemerkt, werden Geschichten erzählt, „um etwas zu vertreiben. Im harmlosesten [...] Fall die Zeit. Sonst und schwererwiegend: die Furcht“ (Blumenberg 1990, S. 40). Blumenberg qualifiziert jene Furcht als das immerwährende menschliche Erschrecken vor der Unverfügbarkeit der Welt, dem Wirken von Kontingenz und dem daraus resultierenden semantischen Unbehaustsein des Menschen. Erzählen wird in diesem Zusammenhang begreifbar als ein Akt der Integration jenes Unverfügbaren in einen menschlichem Verstehen zugänglichen Bezirk. Im Vorgang des Erzählens werden Ereignisse und Daten zu narrativen Schemabildungen zusammengefügt, in denen sie als begreifbarer Zusammenhang von Ursachen und zumeist kausal funktionierenden Verläufen auf bestimmte Ziele hin aufscheinen. Die Schemabildung, selbst Ergebnis im kulturellen Gedächtnis sedimentierter Erfahrung, liegt dabei ihrem Gegenstand voraus. Mit dieser spezifischen Ordnungsleistung trägt das Erzählen Sinn in die Welt. Dieser narrativ gewonnene Sinn-Ertrag würde nicht allein eine Orientierung im bereits Erfahrenen ermöglichen, die „gebaute“ Logik würde auch gesicherte Prognosen ermöglichen und Zukunft methodisierbar machen. Kritische Rationalisten von Popper bis Adorno haben die Notwendigkeit eines solchen strategischen „Sinnorgans“ 2 nie bestritten, denn „der Mensch als weltoffenes Wesen, genötigt, sein Leben zu führen, bleibt auf Zukunftssicht verwiesen, um existieren 1 Michael C. Kissing: Kostolanys Know-how (15.3.2017). http: / / www.intelligent-investieren. net/ 2016/ 02kostolanys-know-how-der-boerse-ist-2-mal.html (Stand: 3.7.2017). 2 „Wir scheinen ein Organ zu haben, das den Dingen einen Sinn verleiht.“ (Taleb 2010, S. 90). Sabine Seelbach 16 zu können. Die empirische Unerfahrbarkeit seiner Zukunft muß er, um handeln zu können, einplanen“ (Koselleck 2000, S. 205). Gleichwohl haben sie das konstruktivistische Täuschungsgeschäft (Adorno 1998) 3 jener schematisch prästabilierten Syntheseverfahren des Erzählens und deren notwendigerweise konjekturalen Status immer kritisch reflektiert. Mit merklicher Phasenverschiebung hat dieses kritische Bewusstsein Eingang in die Diskussionszusammenhänge anderer Bereiche sozialer Erfahrung gefunden. Mit zunehmender Durchsetzung der Erkenntnis, dass der homo narrans sich keineswegs auf die Domäne künstlerischer Reflexion zurückzieht, dass vielmehr die produktive Wirkkraft von Erzählungen einen konstitutiven Faktor gesellschaftlicher Prozesse darstellt, avancierte der Begriff „Erzählung“ zu einer Art Leitkategorie der Geschichts- und Sozialwissenschaften. Hinter den vermeintlich szientistischen (wahrheitsfähigen) Erkenntnisformen konnten nunmehr alternative kognitive Verfahren als eigentlich dominante sichtbar gemacht werden, hermeneutische Verfahren, die auf der jeweils verfügbaren Datenbasis Konjekturen über die Welt lieferten, gleichwohl aber Deutungshoheit beanspruchten. 1. Der homo oeconomicus Im Bereich der Wirtschaftslehre bildete im 20. Jahrhundert die neoklassische Konjektur des homo oeconomicus die Denkgrundlage, also „die Norm eines Akteurs, der das Marktgeschehen als rationaler Entscheider und Nutzenmaximierer beobachtet und in dieser Eigenschaft seinerseits berechenbar ist“ (Koschorke 2012, S. 294). Die Elemente dieser Fiktion sind neben der allmächtigen Rationalität des Menschen vor allem die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit. Was für Mathematiker die Riemann’sche Vermutung, 4 das ist für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler die Prognostik. Wo jene auf der Suche nach ontischen Qualitäten von Primzahlen sind, so suchen diese in die amorphe Masse gegenwärtiger, im Fluss befindlicher menschlicher Angelegenheiten Muster 3 Vgl. dazu die knappe und prägnante Zusammenfassung der Narrationskritik seit Adorno bei Müller-Funk (2002, S. 29-32). 4 „Riemann’sche Vermutung“: Bernhard Riemann (1826-1866) hat auf der Grundlage der Untersuchungen von Leonard Euler (1707-1783) weitreichende, gleichwohl noch immer als unbewiesen geltende Hypothesen über den Zusammenhang der nichttrivialen Nullstellen der Zeta-Funktion mit der Verteilung und den Eigenschaften von Primzahlen aufgestellt. Bis in die Gegenwart hinein stellt die R.V. als eines der gravierenden ungelösten mathematischen Probleme der analytischen Zahlentheorie eine Herausforderung an Mathematiker dar. Der distanzierte Beobachter stellt mit Interesse fest, wie diese Wissenschaftler im Laufe ihrer Untersuchungen mit einer an Zwangsläufigkeit grenzenden Regelmäßigkeit einem transzendentalokkultistischen Ordnungsgedanken verfallen. Herr und Hund 17 der Ordnung, Wiederholbarkeit, Erwartbarkeit, ergo Sicherheit hineinzulesen. Quelle dieser Erwartbarkeitsmuster sind hauptsächlich die statistisch gemessenen Verläufe der Vergangenheit gewesen. André Kostolany, selbst ein kategorischer Gegner der klassizistischen Wirtschaftslehre, hat mit seiner behaglichen Herr-und-Hund-Börsenmetapher (der Herr gehe, wie die Wirtschaft, linear voran, der Hund dagegen - die Börse - umspiele mit seinen epizyklischen Bewegungen lediglich diese Linie) 5 ein typisches Beispiel einer retrospektiv ausgerichteten Beherrschbarkeitsnarratio geliefert. Auch wenn diese sich viel stärker an Kategorien der Phantasie und Intuition als an solche der Messbarkeit bindet, bleibt sie letztlich der Annahme prinzipieller „Verstehbarkeit“ wirtschaftlicher Prozesse und ableitbarer menschlicher Handlungsmöglichkeiten - wie auch einem linearen Entwicklungskonzept - verpflichtet. Diese Narratio, letzten Endes Relikt der Aufklärung und seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder Gegenstand wissenschaftstheoretischer Kritik, hat nunmehr ihre Dominanz verloren, ist einer Wahrnehmung alternativer Plausibilität gewichen: Gerade am Beginn des 21. Jahrhunderts laufen auf verschiedenen Ebenen soziale Prozesse aus dem Ruder des Erwartbaren, hinaus aus dem Toleranzbereich der Normalabweichung (Glockenkurve), 6 was es tendenziell unmöglich macht, Zukunft erfahrungsgeleitet als deterministische Fortsetzung des Vergangenen zu prognostizieren und sie somit in die alte lineare Ordnung des Spaziergängers mit Hund „hinein zu erzählen“. Die semantische Behausung des 20. Jahrhunderts bröckelt, Ängste sind die Folge und, dies kompensierend, der Bedarf an alternativen Narrationes - Erzählungen der inklusiven Vernunft, um es mit Odo Marquard zu sagen, 7 die also in der Lage sind, die neuen Erfahrungen sinnstiftend zu integrieren. 2. Der Schwarze Schwan Es entbehrt nicht einer gewissen Logik, dass dabei eine lang verfügbare Narratio aus dem wissenschaftstheoretischen Bereich des kritischen Rationalismus an Relevanz gewinnt: die Narratio vom Schwarzen Schwan. Diese for- 5 Zu dieser Metapher vgl. u.a. Hardach (2007, S. 185); Originalton A.K.: https: / / www.youtube. com/ watch? v=GomcMKBIjMA (Stand: 9.4.2015). 6 „Glockenkurve“ (auch Gauß-Kurve): nach Carl Friedrich Gauß (1777-1855) ein Typus von Wahrscheinlichkeitsverteilungen, in welchem Zufallsvariablen dann als normalverteilt gelten, wenn ihre Zahl gegen unendlich strebt und durch viele unabhängige Einflüsse entsteht, von welchen jeder einzelne Einflussbereich von vergleichbar geringem Wirkungsgrad bleibt. 7 Odo Marquard (2008, S. 59) hat dargelegt, dass das Erzählen als kulturelle Praktik gerade das aufsucht, was „einer exklusiven Rationalität nicht in den Kram passt - einem Plan kontingent planwidrig oder einem System kontingent unvordenklich dazwischenkommt und widerfährt“. Sabine Seelbach 18 muliert die Erfahrung von Nichtlinearität. Ein schwarzer Schwan verkörperte bis ins 17. Jahrhundert hinein das Nichtvorstellbare. Alle Schwäne sind weiß. Dann wurden in Westaustralien schwarze Schwäne entdeckt. Sicherlich war es nicht zuletzt die Poetizität dieses Bildes, die den Schwarzen Schwan dann spätestens seit Karl Poppers Arbeit am Induktionsproblem zu einer Art Kunstfigur werden ließ, zu einem poetischen Exempel für das Ende der Normalität, die Widerlegung der Prognosen, die Zerstörung von Gewissheiten. Obwohl er in der Natur äußerst selten vorkommt, muss seine Existenz wahrgenommen werden. Er ist Sinnbild des unaufgelösten Rests aller Problemlösungen, die lebende Wahrscheinlichkeit all dessen, das außerhalb unseres Erwartungshorizonts liegt. Gerade in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends erscheint das solcherart Unerwartete in ungekannter Häufung: der 11. September, die Finanzkrise, Fukushima, die arabische Revolution - es erscheint fast so, „als wollte der Schwarze Schwan das Wappentier des gerade begonnenen Jahrhunderts werden“, so Gabor Steingart (2011), Chefredakteur des Handelsblatts. Hinter der Ebene der Poetizität wird ein wissenschaftstheoretisches Problem manifest, welches auf skeptizistischer Basis durch den kritischen Rationalismus bereits gültig bearbeitet wurde. Beispiele wissenschaftlicher Gewissheitszerstörung wie z.B. die Relativierung der Newtonschen Gravitationstheorie durch Einstein waren die Denkvoraussetzung für Karl Popper, der in der Folge den Induktionsbeweis als allein tragfähiges Mittel der Überprüfung einer Annahme in Frage stellte. Induktionsbeweise entstammen der Mathematik und folgen der Struktur der natürlichen Zahlen, schreiben unter dieser Prämisse Ergebnisse der Form arithmetischer Folgen fest, liefern also lineare Narrationes. Die Problematik der Übertragbarkeit mathematischer Methoden in den Bereich der beweglichen menschlichen Angelegenheiten - seit der Antike kritisch reflektiert 8 - hat jüngst gar zum Ruf nach einem „mathematical turn“ geführt. 9 In der kognitiven Psychologie, die sich zentral mit wirtschaftlichen Prozessen und deren Bewertung auseinandergesetzt hat, wird seit längerer Zeit vor der Gefahr von Bestätigungsfehlern 10 gewarnt, in denen die induktiv gewonnene Aussage „kein Beweis für eine Möglichkeit“ mit der fehlerhaften Aussage „Beweis für keine Möglichkeit“ verwechselt und somit die falsche Sicherheit des Verstehens erzeugt wird. 11 8 Aristoteles zur Wissenschaftsfähigkeit der menschlichen Angelegenheiten: Nikomachische Ethik VI,3 (1139b). 9 So der Physiker und Philosoph Marco Weber, der zum Problem der Voraussagbarkeit arbeitet. Der „mathematical turn“ sei erforderlich, um die Leistungsmöglichkeiten und -grenzen der Mathematik in den Wissenschaften besser zu verstehen. Vgl. Weber (2014). 10 Zur kognitiven Verzerrung des Bestätigungsfehlers vgl. Wason (1968). 11 Schlagende Beispiele dafür, wie „eine bezwingende Erzählung […] die Illusion der Zwangsläufigkeit“ erzeugt, finden sich u.a. bei Kahneman (2012, S. 248ff.) (Zwangsläufigkeit des Erfolgs von Google). Herr und Hund 19 Nassim Nicolas Taleb, der seine Einsichten aus einer 20-jährigen Tätigkeit im Handel mit Derivaten bezieht, hat die Beschreibung solcher kognitiver Verzerrungen ins narratologische gewendet. Ein Beispiel für die verfehlte Linearitätserwartung auf Grund fehlerhafter Geschichten über die Vergangenheit ist die „Truthahn-Illusion“ (Taleb 2010, S. 61). 12 Der Truthahn gewinnt im Laufe seines Lebens zunehmend Gewissheit, dass der Mensch sein Wohltäter und Freund ist, ganz dazu auf der Welt, um es ihm angenehm zu machen. Die Plausibilität dieser Annahme steigt mit jedem Tag, wird zunehmend mit Wahrheitsfähigkeit verwechselt und erreicht ihren Höhepunkt und ihren tiefen Fall am Abend vor Thanksgiving. Der Zweifel an der Verlässlichkeit der Urteile, die wir allein aus messbaren Ergebnissen bereits erfahrener Verläufe gewinnen, wird auf einen bündigen Satz gebracht: „Tausend Tage können nicht beweisen, dass wir Recht haben, aber ein einziger Tag, dass wir uns irren.“ (Taleb 2010, S. 81). Die Feststellung, dass hierin eine Kampfansage gegen die Dominanz der Vergangenheit über unsere Modellbildungen zu sehen ist, bedarf in narratologischer Hinsicht der Präzisierung. Es ist die Allgültigkeit jener auf der Struktur der natürlichen Zahlen beruhenden linearen Narratio, die hier auf den Prüfstand gestellt wird. Als Erzählung: Der Hund stürzt in eine Felsspalte und reißt den Spaziergänger mit sich. Die Gegen-Narratio vom Schwarzen Schwan birgt also zunächst einmal ein intendiertes Beunruhigungspotenzial, welches im Fehlen eines Hinweises a priori auf seine Möglichkeit, in seinen enormen Auswirkungen, am meisten aber in der Desillusionierung unserer hermeneutischen Instrumente begründet ist. 3. Rückschaufehler Es ist jedoch frappierend, wie auch im Falle einer solchen Narratio des Nichtlinearen die tröstlichen Energien menschlichen Erzählens mobilisiert werden und sogar dem Schwarzen Schwan ein Behausungs- und Beruhigungspotenzial abgewonnen wird. Er ist nämlich im Nachhinein erklärbar. 13 In retrospektiven Rationalisierungen wird eine neue Illusion von Verstehen, ergo von Beherrschbarkeit erzeugt, so als hätte man mit den plötzlich eingetretenen Konsequenzen auch das sie produzierende Drehbuch in Händen. Doch erweist sich dieses Drehbuch als Konstruktion a posteriori, quasi ein „Artefakt 12 Vgl. dazu auch Gigerenzer (2013, S. 117, 291-293). 13 Der Schwarze Schwan hat drei wesentliche Eigenschaften: „Es ist erstens ein Ausreißer - es liegt außerhalb des Bereichs der regulären Erwartungen, da nichts in der Vergangenheit überzeugend auf seine Möglichkeit verweisen kann. Es hat zweitens enorme Auswirkungen. Drittens bringt die menschliche Natur uns trotz seines Status als Ausreißer dazu, im Nachhinein Erklärungen für sein Eintreten zu konstruieren, um es erklärbar und vorhersagbar zu machen.“ (Taleb 2010, S. 2). Sabine Seelbach 20 post factum“. 14 Auch das überraschende Ereignis kann zum Kern einer kausalen Erzählung werden (Kahneman 2012, S. 247): Der 11. September wurde ermöglicht durch kommunikative Probleme innerhalb des Sicherheitsapparates der USA (ebd., S. 253) - behebt man diese nachhaltig, so wird ein solches Ereignis in Zukunft unmöglich sein. Die Bankenkrise 2008 wurde ermöglicht durch eine kreditinduzierte Immobilienblase. Regulierung wird solches künftig verhindern. 15 - Durch das Einzwängen in einen solchen narrativen Rahmen wird dem Geschehen ein Gutteil seines Schreckens genommen. Ihm wird eine erkennbare Ursache, ein linearer Verlauf nach dem Muster von Kausalität und ein konsequentes Ziel zugeordnet. Das Ereignis erhält gleichsam eine Vita. Ordnung gibt Sicherheit - auf Grund der Vitenkenntnis werden vorbeugende Maßnahmen ermöglicht, die dann in eine sichere Zukunft führen. Man kann von narrativer Beruhigung sprechen. Das Ordnungsbedürfnis ist es, das zu sogenannten Rückschaufehlern 16 führt und die behausungstechnisch akzeptablere alte Narratio der Erkennbarkeit und Prognostizierbarkeit wieder ins Recht setzt. Die Bindung an das alte Narrativ ist stärker, 17 die Verdrängung von Realität wird dagegen in Kauf genommen. Als besonders interessant erscheinen in diesem Zusammenhang die Bewertungen solcher Ereignisse, die die vorherigen Prognosetätigkeiten ad absurdum führen, nämlich diejenigen Katastrophen, die gern mit dem Epitethon „Jahrhundert-“ versehen werden und dem Ereignis somit eine besonders exzeptionelle Stellung einräumen. Damit bleiben die Prognosen prinzipiell richtig und vom Vorwurf der Fehlerhaftigkeit entlastet. Und so bleibt der Maßstab auch der Worst-Case-Szenarien und Stresstests immer der bisherige Worst Case - der aber seinerseits nur deshalb eintreten konnte, da die Vorkehrungen auf den zuvor gültigen Worst Case hin bemessen waren. Fukushima genügte dem Maß des schlimmsten Erdbebens, das zuvor in dieser Region stattgefunden hatte, ungeachtet der Tatsache, dass schon dieses eine Überraschung gewesen war, die sich so noch nie ereignet hatte. Alan Greenspan entschuldigte sich angesichts der Bankenkrise in seiner Rede vor dem amerikanischen Kongress mit einer strukturell ganz ähnlichen Aussage: So etwas habe es noch nie zuvor gegeben. Man könnte die Reihe auch kleiner dimensioniert fortsetzen, etwa 14 Hans-Jürgen Goertz prägte den Begriff mit Blick auf die narrative Dimension der Geschichtsschreibung. Vgl. Goertz (2001, S. 20). 15 Treffende Beispiele für verfehlte Strategien narrativer Beruhigung (Medizin, Terrorismusbekämpfung u.a.) finden sich in großer Zahl bei Gigerenzer (2013, S. 16-23) u.ö. 16 Unter dem Begriff Rückschaufehler (ʻhindsight bias᾿) wird in der Psychologie das Phänomen beschrieben, wie die im Vorfeld des Ereignisses verfügbaren Informationen im Lichte des Ereignisses selbst neu bewertet werden und zur Überschätzung seiner Vorhersagbarkeit führen. Beispiele vgl. Kahneman (2012, S. 252-257). 17 Zur Dominanz von Narrativen der Erwartungssicherheit, ihrer Ausgrenzungsleistung gegenüber Erscheinungen der Kontingenz und der Erschaffung eines „Bereich[s] relativer Nichtzufälligkeit“ in ihrem Innern vgl. Koschorke (2012, S. 29-51, hier S. 47). Herr und Hund 21 mit den Hochwassern des vergangenen Jahrzehnts, von denen jedes einzelne mittlerweile in den Rang eines „Jahrhunderthochwassers“ gerückt wird. Die inflationäre Verwendung des Epitethons verweist auf das zugrundeliegende Problem. Entgegen aller Erfahrung soll das lineare Narrativ der natürlichen Zahlen zusammen mit dem dazugehörigen methodischen Instrumentarium wieder ins Recht gesetzt werden. Ausreißer sollen lediglich die Regel bestätigen, nicht aber grundsätzlich in die Bewertung des Künftigen einbezogen werden. Induktionsinstinkte weisen weiterhin den Weg. 4. Antifragilität Diese Entwicklung, die Ignoranz gegenüber der kritischen Bestandsaufnahme und die narrative Eingemeindung der Unsicherheit, die weiterhin mit den alten sozialwissenschaftlichen Tools gemessen werden soll, das Seltene und damit Unerwartbare in Denkfiguren der Wiederholung gezwungen werden soll, das Nichtlineare in solche der Linearität, hat Nassim Nicolas Taleb bereits in seinem Buch „Der Schwarze Schwan“ antizipiert. Nun wartet er in seinem neuen Buch mit einer neuen Narratio auf, die sich der Problematik des Ungewissen von einer ganz anderen Seite her nähert. Seine Empfehlung ist es, „unsere heute übliche Vorgehensweise im Bereich Vorhersagen und Risikomanagement auf den Kopf zu stellen“ (Taleb 2013, S. 23). Das Konzept heißt Antifragilität. Der neue und etwas sperrige Begriff wird gefunden, um das Gemeinte abzugrenzen von Resilienz oder Robustheit, also von der Fähigkeit eines Systems, Störfälle auszugleichen und sich selbst gleich zu bleiben. Das Antifragile dagegen profitiert von Störfällen, macht sie sich zunutze. Die Vorstellung von Antifragilität bezieht Taleb aus Bereichen der Natur, deren Anschauung in metaphorischer Weise auf die menschliche Gesellschaft übertragen wird. Grundsätzlich sieht er im allgegenwärtigen Streben nach Optimierung und Kontingenzreduktion die Ursache für die zunehmende Anfälligkeit gesellschaftlicher Systeme. „Indem wir Zufälligkeit und Instabilität unterdrücken, haben wir die Wirtschaft, unsere Gesundheit, das politische Leben, das Erziehungswesen, fast all unsere Lebensbereiche fragilisiert“ (ebd., S. 23f.), überfürsorglichen Eltern gleich, die ihre Schützlinge in Reinräumen aufziehen und damit deren Immunsystem lahmlegen. Ein funktionierendes Immunsystem bedürfe jedoch eines angemessenen Quantums an Stressoren. Immunisierung als Leitmetapher wird sodann in mehrere „Unter-Metaphern“ ausdifferenziert. Die erste: Mithridatisation, abgeleitet von Mithridates von Pontos, der sich gegen Gift immunisierte, indem er es zunächst in unschädlichen, dann sukzessive steigenden Dosen zu sich nahm. Das Antidotum Mithridatium avancierte in der Antike zu einer hochgelobten Methode. Eine geringfügige Schädigung führt zur Robustheit, die aber noch Sabine Seelbach 22 nicht der angestrebten Antifragilität gleichkommt. Daher die zweite Metapher: Hormesis (Bereich der Pharmazie): eine kleine Menge einer schädlichen Substanz verbessert durch die ausgelöste Überreaktion den Gesamtzustand des Organismus. Melioration durch Stressoren. Die Idee des posttraumatischen Wachstums wird sodann auf die Ökonomik übertragen: Gesellschaftliche Meliorationen - Innovationen - würden in erster Linie durch Stressoren befördert, ergäben sich aus Rückschlägen, Problemen, Notsituationen, die die hierzu nötige Überschuss-Energie freisetzten. Ingenium mala saepe movent. 18 Der kreative Geist wird oft durch das Missgeschick in Gang gesetzt. Im Unterschied zur behausungsorientierten Sicherheitsstrategie der Risikominimierung (die, wie gesehen, auf narrativen Verzerrungen hinsichtlich des rationalistischen Potenzials des Menschen beruht) wird das Scheitern bei Taleb nachgerade als Innovationsfaktor, sozusagen die Hefe im Teig, gefeiert. Dennoch soll das Risiko nicht ganz ungebremst walten. Es werden Gegenmittel zum Gegenmittel bereitgestellt: Das erste: Redundanz. Der überwiegend negativ - im Sinne von Überflüssigkeit - konnotierte Begriff erfährt hier eine klare Aufwertung, wieder mit Blick auf die Natur. Das Risikomanagement der Natur arbeite mit verschiedenen Redundanzschichten - wie etwa der menschliche Organismus, der mittels symmetrischen Doppelungen im Organ- und Gefäßsystem über Ersatzteile und zusätzliche Kapazitäten verfügt. Der an Normalverläufen des Erwartbaren orientierte, planende Mensch sieht in Redundanzen etwas Ineffizientes, das es durch Optimierung auszumerzen gilt. Im Unterschied zu natürlichen Systemen ist ein durch Optimierung geschrumpftes gesellschaftliches System dem Störfall hilflos ausgesetzt - ein Beispiel: die Stilllegung des Mainzer Hauptbahnhofs im Sommer 2013 in Ermangelung einer ausreichenden Anzahl von Stellwerksleitern. So wie die Hydra auf äußere Stressoren mit Verdopplung reagiere, seien Überkompensation und Redundanz auch im wirtschaftlichen Bereich insofern offensive und effiziente Prinzipien, als sie die Fähigkeit erfolgreichen Umgangs mit Stressoren erweitern (Taleb 2013, S. 75). Diese Aufwertung der Redundanz verlangt ein radikales Umdenken, steht sie doch in eklatantem Widerspruch zu den über Jahrhunderte etablierten Erfolgsrezepten der Rationalisierung und Optimierung. Zweitens: Small is beautiful. Es geht um die größere Widerstandsfähigkeit kleinerer, dezentraler Systeme im Gegensatz zu den im Zuge der Globalisierung entstandenen Kolossen, deren Füße - entgegen dem zugrundeliegenden Motto vom „too big to fail“ - aus Ton sind. Ein zweites Mal argumentiert Taleb hier gegen die in Grundmetaphern vergegenständlichten elementarsten Konzepte unserer Kultur: „‘Größer ist besser’ ist kohärent mit mehr ist oben 18 Ovid: Ars Amatoria 2.43. Herr und Hund 23 und gut ist oben. ‘Kleiner ist besser’ ist damit nicht kohärent.“ (Lakoff/ Johnson 2011, S. 31). Drittens: Senecas Hantel. Die Standardbotschaft des Stoizismus besteht in der emotionalen Immunisierung gegenüber dem wechselhaften Schicksal, die Verarbeitung von Kontingenzerfahrung hin zur Robustheit. Seneca habe aber mehr als das thematisiert. Er erkannte die emotionale Beeinträchtigung, die der Mensch durch seine Besitztümer erleidet und somit zum Sklaven seiner materiellen Umstände wird. Seneca begegnete dieser Fragilität mit mentalen Übungen, in denen er seine Besitztümer abschrieb. Wenn es dann tatsächlich zu Verlusten kam, fühlte er keinen Schmerz, und es gelang ihm mit dieser Methode, seine Freiheit dem Zugriff der Umstände zu entwinden. (Taleb 2013, S. 75) Entgegen der gewöhnlichen Risiko- und Verlustaversion, der Vermeidung späteren Bedauerns und also der Entscheidungsvermeidung (Status-quo-Effekt) geht es hier also um die Rückeroberung der psychischen Kontrolle über die Zufälligkeit des Lebens. Mentale Autarkie befähige dann zu jener bimodalen Strategie, die Taleb im Bild der Hantel fasst. 19 Es handelt sich um die Kombination zweier Extreme, einer extrem sicherheitsorientierten Strategie (z.B. großformatige Anlagen in „langweiligen“ Sparformen) und einer extrem riskanten Strategie (z.B. kleinformatige Anlage in maximal riskanten Wertpapieren). Damit sei Robustheit gegen Schwarze Schwäne zu erreichen, aber tendenziell noch mehr. Denn die immerhin existierende Möglichkeit, mit dem riskanten Produkt erfolgreich zu sein, eröffnet die Chance der Melioration, bei vergleichsweise geringem Verlustrisiko. Ein antifragiler Zustand wäre erreicht. Die Unsicherheit wird in diesem Modell nicht durch komplexe Vermeidungsmodelle weggerechnet, sondern zunächst einmal positiv angenommen, aber domestiziert. Viertens schließlich: Antiteleologie. Agens non movet nisi ex intentione finis 20 - Ein Handelnder bewegt sich nicht, außer aus dem Streben nach einem Zweck heraus - so Thomas von Aquin, der hier den arabischen Aristoteles- Kommentator Averroes zitiert. Die ebenfalls kulturell dominante Vorstellung, zu wissen, wohin man geht, es auch in der Vergangenheit stets gewusst zu haben, bezeichnet Taleb als teleologische Täuschung. Dem hält er die Metapher des rationalen Flaneurs entgegen, der im Unterschied zum Gefangenen eines teleologischen Plans bei jedem Schritt das Vorhaben evaluiert, dieses gemäß neu hinzukommenden Informationen modifiziert und damit sich selbst nicht in ein irreversibles Programm einsperrt. Er verändert seine Ziele. Eine solche Optionalität bietet die Möglichkeit, „von der positiven Seite der 19 „Nahezu alle Lösungen des Ungewissheitsproblems sind hantelförmig.“ (Taleb 2013, S. 229). 20 Thomas von Aquin: De beatitudine. In: Summa Theologiae I.II, qu. 1, art. 2. Sabine Seelbach 24 Ungewissheit zu profitieren, ohne von der negativen Seite mit ernsthaften Schädigungen rechnen zu müssen“ (Taleb 2013, S. 241). Im Ergebnis lässt sich Talebs Modell auf drei zentrale Begriffe bringen: Immunisierung, Schrumpfung, Balance. Er verabschiedet darin nicht allein die lineare Narratio von der rationalistischen Herrschaft des Menschen über seine Angelegenheiten, er übersteigt auch die gegenwärtig vorherrschende Ideologie der Nachhaltigkeit, die zwar auf einem gewachsenen Risikobewusstsein aufruht, letzten Endes jedoch weiterhin von dem Glauben an die gesellschaftlichen Fähigkeiten zur Transformation des Ungewissen hin zu kalkulierbaren Risiken beseelt ist und damit Nichtlinearität wieder einfangen, auf Linie bringen will. Hingegen versucht er, einen Zustand permanenter Anpassungsfähigkeit zu kultivieren, und steht damit neueren Vorstellungen von Resilienz vielleicht doch näher, als er selbst zugibt. Hinzugefügt wird demgegenüber die schon erwähnte - und erklärtermaßen sehr alte - Idee des posttraumatischen Wachstums, eine Idee der schockinduzierten Melioration, die letztlich in evolutionären Vorstellungen wurzelt. Evolution impliziert immer Weiterentwicklung, hat aber bekanntlich auch ihren Preis. 21 Und so hängt auch Nassim Taleb letztlich einem narrativen Modell an, und zwar ganz bewusst und dezidiert. Beleg dafür ist nicht zuletzt die Fülle der von ihm herangezogenen Metaphern, von denen jede - wie gesehen - einen narrativen Kern enthält. Er definiert in diesem Zusammenhang zwei grundsätzlich verschiedene Typen von Erzählungen, die er - wiederum metaphorisch - an den Titanenbrüdern Prometheus und Epimetheus expliziert. Während Epimetheus, der „Hinterherdenker“, auf „die retrospektive Verzerrung hereinfällt und sich zu Ereignissen der Vergangenheit im Nachhinein narrative Theorien zurechtzimmert“ (Taleb 2013, S. 295), die Zukunft als Projektion der Vergangenheit konstruiert, damit vom Verstehen der Geschichte ausgeht und ein Telos derselben ableiten zu können vermeint, sei die Methode des „Vorausdenkers“ Prometheus von vornherein optional und heuristisch angelegt. Erzählmuster sind hier keine unhinterfragbaren fixen Verstehensentwürfe mit Wahrheitsanspruch, die die Illusion epistemologischer Belastbarkeit nähren, sondern variable Instrumente im Rahmen eines trial-and-error-Verfahrens. Taleb liefert somit den Gegenentwurf eines Narrativs der Sollbruchstellen. 21 Das seelische Immunisierungstraining etwa erinnert doch stark an die im modernen Spitzenmanagement mittlerweile üblichen Meditationsübungen, mit denen das Subjekt Abstand gewinnt zu den emotionalen Fehlerquellen von Entscheidungsvorgängen - aber auch Abstand von moralischen Bewertungen. Wie in der Evolution profitieren auch im Bereich der Wirtschaft vom Scheitern nur wenige. Der Untergang der anderen wird ohne jegliche Reflexion in Kauf genommen. Herr und Hund 25 Literatur Adorno, Theodor W. (1998): Über epische Naivetät (1943). In: Adorno, Theodor W.: Noten zur Literatur. Darmstadt, S. 34-48. Blumenberg, Hans (1990): Arbeit am Mythos. 5. Aufl. Frankfurt a.M. Gigerenzer, Gerd (2013): Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. München. Goertz, Hans-Jürgen (2001): Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität. Stuttgart. Hardach, Gerd (2007): Kontinuität und Wandel. Hessens Wirtschaft seit 1945. (= Schriften zur hessischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte 7). Darmstadt. Kahneman, Daniel (2012): Schnelles Denken, langsames Denken. München. Koschorke, Albrecht (2012): Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt a.M. Koselleck, Reinhart (2000): Zeitschichten. Studien zur Historik. Frankfurt a.M. Lakoff, Georg/ Johnson, Mark (2011): Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. 7. Aufl. Heidelberg. Marquard, Odo (2008): Vernunft als Grenzreaktion. In: Marquard, Odo: Glück im Unglück. Philosophische Überlegungen. München. Müller-Funk, Wolfgang (2002): Die Kultur und ihre Narrative. Wien/ New York. Steingart, Gabor (2011): Die Ankunft des Schwarzen Schwans. Ein Kommentar. www. h a nd e l s bla tt. c om/ p a norama / a u s all e r-we lt/ k a t a s troph e n-di e a nkunftdes-schwarzen-schwans/ 3962600.html (Stand: 8.2.2014). Taleb, Nassim Nicolas (2010): Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Aus dem Englischen von Ingrid Proß-Gill. München. Taleb, Nassim Nicolas (2013): Antifragilität. Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen. München. Wason, Peter (1968): Reasoning about a rule. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 20, S. 273-281. Weber, Marco (2014): Die Kompetenzillusion. In: FAZ, 7. Januar 2014, S. 29. BIRGER P. PRIDDAT (WITTEN/ HERDECKE) ENTSCHEIDUNG ALS NOTWENDIGE FIKTION. ÜBER EINE FUNDAMENTALE NARRATIVE STRUKTUR IN DER ÖKONOMIK: WAHRSCHEINLICHKEIT UND ERWARTUNG Abstract Was in Märkten sich künftig ereignen wird, kann man nicht wissen, nur erwarten. Was man erwartet, wird in der Ökonomik probabilistisch eingearbeitet: als Risikoentscheidungen. Elena Esposito zufolge besteht unter Ökonomen aber ein fundamentales Missverständnis bezüglich der Prognosefähigkeit der Wahrscheinlichkeitstheorie. Die Wahrscheinlichkeitstheorie werde statt zur Berechnung von Unsicherheit zur Erzeugung von Sicherheit verwendet und so in ihren Grundzügen missverstanden (Esposito 2007, 2010, 2014; ähnlich Morgan 2012). Indem man eine (subjektive) Wahrscheinlichkeit von 80% des Ereigniseintrittes schätzt, wird sie epistemisch verbucht als ‘fast sicher’ / ‘so gut wie sicher’. Dabei ist nur - subjektiv - das Risiko genauer spezifiziert, aber es wird geglaubt, man wisse, was kommt. Das riskante, nur wahrscheinliche Ereignis als irgendwie durch diesen Prozess bemessen angeben zu können, ist eine operative Fiktion. Man lasse sich nicht verführen durch den mathematischen Modus der Modellaussagen: es sind fingierte, d.h. fiktionale Aussagen (sie entstammen z.B. keiner häufigkeitsbzw. frequenzstatistischen Ausmessung). 1. Das Esposito-Theorem: Zeitdifferentialität Grundsätzlich wird alles Vergangene und Zukünftige von der Gegenwart aus betrachtet. Wir unterscheiden demnach zwischen einer zukünftigen Gegenwart und einer gegenwärtigen Zukunft (Esposito 2007, S. 100). Letztere bildet die Zukunft ab, wie sie sich uns aktuell darstellt; hierein fallen alle wahrscheinlichkeitstheoretisch gebildeten Zukunftsprognosen. Die zukünftige Gegenwart hingegen bleibt kontingent, bis sie dereinst einmal zur Gegenwart geworden ist. Folgt man Elena Esposito, ist die Wahrscheinlichkeitstheorie kein Instrument, um die (zukünftige) Realität abzubilden, sondern eine anhand von nachvollziehbaren Regeln entwickelte Fiktion, die an die Stelle der Zukunft tritt - diese Fiktion heißt: gegenwärtige Zukunft. Es handelt sich um eine „realistische“ Fiktion, die um die „Wechselwirkungen zwischen Beobachtern und Zeithorizonten bereinigt ist“ (ebd., S. 57). Diese Wechselwirkungen führen jedoch im tatsächlichen ökonomischen Prozess zu einer Zirkularität von sich aufeinander beziehenden Beobachterperspektiven und daraus abgeleiteten Entscheidungen, die mit gleichgewichtstheoretischen Modellen nicht abzubilden ist, denn die Gegenwart hängt nach diesem Verständnis von der Zukunft ab, wel- Birger P. Priddat 28 che wiederum davon abhängig ist, was in der Gegenwart von der Zukunft erwartet wird (Esposito 2010, S. 22). Elena Esposito versteht (wie einige andere Ökonomen auch ‒ u.a. Frank A. Knight, George A. Akerlof, George L. S. Shackle) Märkte als spekulativ - vollständige Information ist von vornherein ausgeschlossen; demnach beruhen Märkte grundlegend auf unvollständiger Information und Unsicherheit. Ein spekulativer Markt braucht Unsicherheit, und spekulativ sind solche Märkte, auf denen die Preise sich als Reaktion auf Meinungen bezüglich der zukünftigen Preise bewegen. Aber das gilt für jeden Markt. Tatsächlich ist unvollkommenes Wissen gerade eine Voraussetzung für das Funktionieren der Wirtschaft, weshalb alle Transaktionen immer zu einem gewissen Grad eine Ausbeutung des Nichtwissens darstellen. (Esposito 2007, S. 93) Akteure treffen auf einem solchen Markt Entscheidungen nicht anhand von wahrscheinlichkeitstheoretisch gebildeten Erwartungen, sondern aufgrund von Informationen, die sie aus der Beobachtung anderer Akteure (und deren Beobachtungen) ableiten (man erwartet - in diesem Fall - folglich keine zukünftigen Ereignisse, sondern beobachtet gegenwärtige). Dabei entsteht eine Vielzahl von Informationen, die jeweils fiktive Realitäten bilden und es unmöglich machen, daraus ein gesamtwirtschaftliches Modell abzuleiten, das auf einer wahr/ falsch-Unterscheidung der unterschiedlichen Informationen beruht. In der Ökonomie sind diese fiktiven Realitäten in Form von Statistiken, Prognosen und Modellen zu finden. Wenn man sie nach Elena Esposito richtig interpretiert, sind sie nicht als Informationen, sondern als Beobachtungsinstrumente zu verstehen, deren Wert darin liegt, Unsicherheit nicht auszuschalten - um vermeintlich sichere Aussagen treffen zu können -, sondern um Möglichkeiten zu erzeugen, deren Nutzen gerade darin liegt, unsicher zu bleiben (Esposito 2007, S. 92ff.). In einer Marktsituation, die durch unvollständige Information gekennzeichnet ist, liegt die Unvollständigkeit nicht darin, dass relevante Daten bewusst unter Verschluss gehalten werden, sondern darin, dass wichtige Informationen zum Zeitpunkt t noch gar nicht existieren, sondern erst im Interaktionsprozess zwischen den Akteuren und ihrem Umfeld (Beobachtung der Beobachtung) erzeugt werden. Akteure befinden sich laufend in einem Prozess der gegenseitigen Beobachtung, außerdem kommunizieren sie miteinander und müssen ihre beliefs immer neu an die sich verändernden Umstände anpassen (Esposito 2010, S. 24f.; vgl. auch ähnlich Brodbeck 1996, S. 129). Dabei führt die Suche nach neuen Informationen nicht zu einer Abnahme, sondern zu einer unausweichlichen Zunahme von Unsicherheit bzw. Ungewissheit, weil sich jeder Akteur mit zunehmender Informationsmenge darüber bewusst Entscheidung als notwendige Fiktion 29 wird, dass er - risikoausgesetzt - zu wenig weiß. Problematisch wird dieser Zustand erst, wenn er negativ bewertet wird. Erwartungen sind unsere Vorstellungen von der Zukunft und ihren Ereignissen. Da das System komplex ist, also mindestens eine Möglichkeit mehr enthält, als wir überblicken (meist mehrere Möglichkeiten mehr), haben wir es systematisch mit einer ‘gegenwärtige Zukunft’/ ‘zukünftige Gegenwart’- Differenz zu tun, in der sich Ereignisse auftun können, die wir nicht ermessen, berechnen oder erwarten können. Damit müssen wir rechnen (ohne es rechnen zu können): unser erwartete Zukunft kann different zur tatsächlich eintretenden werden. Die Prognosen leisten nicht, was man von ihnen gewöhnlich erwartet; aber das, was man von ihnen gewöhnlich als Voraussage erwartet, hilft, die Entscheidungsfähigkeit zu animieren. In diesem Sinne sind sie Verfahren, die nicht die Versicherung der genauen Vorhersage leisten, aber den Zugriff auf Entscheidbarkeit simulieren helfen. Sie simulieren Genauigkeit (die sie faktisch, wegen der zeitmodalen Differenz, nicht halten können), aber es reicht aus, um ein Versprechen auf eine Handlungsausrichtung zu geben. Die Herstellung von Entscheidbarkeit, ihre eigentliche Leistung, erreichen sie über eine Fiktion: die fiktive Erwartung. Ökonomische Modelle behandeln die Zukunft als wahrscheinlichkeitsberechenbar. Sie wollen die Risiken ermitteln, um die Entscheidungen sicherer zu machen. Risiken bleiben aber Risiken; der Vorteil dieser Betrachtungsweise besteht darin, zu wissen, auf welche Risiken man sich einlässt bzw. einlassen will. Dadurch wird die Zukunft nicht sicherer oder gewisser, aber auf die ‘gegenwärtige Zukunft’ eingegrenzt. Wir schließen Alternativen, deren Folgen wir nicht oder nur als negativ einschätzen können, eher aus (oder versichern uns dagegen (hedging)). Eine Zukunft, die anders eintritt als erwartet, ist kein Desaster, kein Unglück, sondern eine Möglichkeit, anders zu handeln (vgl. Esposito 2014). 2. Wahrscheinlichkeit als narrative Fiktion Was Elena Espositio skizziert hatte: dass die Wahrscheinlichkeiten, die die Ökonomie (und ihre Prognostik) beanspruchen, selber eine Form fiktiver Erzählung sind (Esposito 2007; kritisch Spoerhase 2007), ist von Rüdiger Campe genauer ausgearbeitet worden (Campe 2002). Er erinnert daran, dass die Reflexion über das Wahrscheinliche aus der Rhetorik entstammt, der es „um Systematisierung von wahrscheinlichen Argumenten gegangen war, keinesfalls aber um deren Berechnung“ (Dembeck 2012, S. 1). Bei Cicero noch wird, für die Gerichtsprozessargumentation, die performative Dimension der To- Birger P. Priddat 30 pik entfaltet, nach dem „Modell der wahrscheinlichen Erzählung“ (Campe 2002, S. 141). Die Topik müsse nicht nur die „Kunst, wahrscheinliche Argumente zu finden“ umfassen, sondern auch „die Kunst des Urteils über Wahrscheinlichkeiten“ (ebd., S. 114, vgl. ausführlich S. 115-362). Die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitskonzepte im 17. und 18. Jahrhundert läuft parallel mit der Entwicklung der Ästhetik. Die poetologischen Diskurse um das Wahrscheinliche - das semantische Verständnis der Wahrscheinlichkeit - sind hinter der heutigen Kalkültheorie verdeckt geblieben. Es geht in der ästhetischen „Politik des Scheins des Wahren“ um die Wahrscheinlichkeit als „Wahrnehmung von Sinn“ (Campe 2002, S. 212; mit Bezug auf Baumgarten). Hierin wird die Engführung der zwei im 17. Jahrhundert entwickelten Arten von Statistik vermittels der Evidenz tabellarischer Darstellung vollzogen. Die politische Arithmetik einerseits und andererseits die topische Staatsbeschreibung, die den Staat in seinem je singulären, gegenwärtigen Zustand beschreibt, ohne numerische Informationen einzufügen, bleiben zuvor lange Zeit getrennt (teils noch bis 1760). Erst die mathesis forensis, später die ‘ angewandte Mathematik ’ , die das statistische Allgemeinwissen aller ‘ Verwaltungswissenschaften ’ umfasst, und schließlich pragmatisch die aus der statistischen Nebentätigkeit des protestantischen Pfarrers Johan Peter Süßmilch hervorgegangene Schrift über die Göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts (1741) vollziehen die Semantisierung und Ästhetisierung des Zahlenwerks in der Tabelle. (Dembeck 2012, S. 4; zur Geschichte der beschreibenden Statistik in Deutschland vgl. auch Twellmann 2011) Tabellen nämlich zeigen „etwas, das sie nicht aussagen, und sagen damit etwas aus, das sie nur zeigen“ (Campe 2002, S. 224). Die Tabelle stellt den statistischen Schein des Wahren vor Augen: Ihre statistisch gewonnenen Zahlenwerke sind ‘wahrscheinliche Aussagen’. Das haben wir heute so gründlich vergessen, dass wir statistisch aufbereitete Zahlen als ‘Fakten’ zu bezeichnen geneigt sind, d.h. sie zu einer realitas machen, wo sie nur eine probabilitas ist - ein blind gewordener Realismus, der statistische Tabellen als Argumente verwenden lässt, wo sie doch nur ciceroianische ‘wahrscheinliche Erzählungen’ sind. Wir haben es mit zwei Verschränkungen von drei Dimensionen zu tun: mit der Erzählung, den Zahlen und dem Bild (der Tabelle, in der die Zahlen zu wahrscheinlichen Aussagen formiert werden). Das Tabellen-Bild - ein älterer, bisher kaum wahrgenommener iconic turn im 18. Jahrhundert - ist ein wahrscheinliches Argument, ohne ontologischen Gehalt (darin fiktiv, vgl. Esposito oben), aber es dient dazu, Einschätzungen für Urteile zu gewinnen, die reelle Entscheidungen generieren. Das Fiktive operiert hier als katalytischer token. Entscheidung als notwendige Fiktion 31 Diese Poetologisierung der Statistik hat System: alle Singularitäten einer Geschichte in einem tableau zusammenzuführen, das ein eigenes Bild entwirft, das alle Singularitäten nicht nur überformt, sondern zu einer eigenen Geschichte zusammenfasst. „Die Tabelle, so Campe, kann nämlich im engen Bezug auf rhetorische Techniken der abschließenden enumeratio und des eine Zusammenschau ermöglichenden tableau gesehen werden“ (Dembeck 2012, S. 5). „Der Roman ist zwar kein Tableau im technischen Sinne, aber sein poetologisches Defizit an Geformtheit kann er nur kompensieren, indem er sich als Tableau einer Welt verfasst zeigt“ (Campe 2002, S. 242). An Wielands Geschichte des Agathon (1766/ 67) - neben vielen anderen - expliziert Campe es genauer: Es „müssen die unverbundenen Singularitäten der Wirklichkeit erst gerahmt werden, um in ihrer Verbundenheit beobachtbar zu werden“ (Dembeck 2012, S. 7). Zudem gilt für den Erzähler, dass die „Technik der narrativen Darstellung, der unwahrscheinlichen Rahmung von Wahrscheinlichkeit und Berechenbarkeit von Verhaltenskontingenzen“ schlicht „am Werk“ sind (Campe 2002, S. 334). Das, was der Erzähler als sinnhafte Konstruktion seiner Geschichte anbietet, ist ja gerahmte Zusammenstellung von disparaten Wirklichkeitsanteilen, die nur durch die narratio sinnhaft, d.h. wahrscheinlich werden. „Im Vollzug der narrativen Rahmung muss davon ausgegangen werden, die im Erzählten hergestellte Wahrscheinlichkeit der Darstellung entspreche einer vorgängigen Wahrscheinlichkeit des Dargestellten“ (Dembeck 2012, S. 7). Der Roman macht also einerseits deutlich, dass er das Erzählte nur vermittels seiner Rahmung als wahrscheinlich vorstellen kann. Andererseits rückt er die Umstände dieser Rahmensetzung ins Ungewisse, macht sie also gerade nicht wahrscheinlich. Damit ist hier der Rahmen der wahrscheinlichen Darstellung unwahrscheinlich geworden - ganz im Sinne der Figur der unwahrscheinlichen Wahrscheinlichkeit, zu der sich die explizite und implizite Theorie dieses Romans verdichten. (ebd., S. 8) Wir haben es mit einer kontingenten Setzung des Rahmens (frame) zu tun, innerhalb dessen die Geschichte/ Erzählung so konzipiert erscheint, als ob sie einer vorgängigen Wahrscheinlichkeit entspricht. So wird der erzählte ‘Schein des Wahren’ erzählte Wahrheit, d.h. über die Fiktion reell. Die Konstruktion des Rahmen wird intransparent gehalten, um über den Erzähler eine Geschichtswahrscheinlichkeit anzubieten, die statt auf ihre (unwahrscheinliche) Konstruktion auf einen vorgängigen Schein verweist, als ob sie wahr wäre. Diese fiktionale Transposition ist entscheidend, denn sie simuliert das Wahrscheinliche - und jede Erzählung ist eine Wahrscheinlichkeitsgeschichte - als tatsächlich, quasi-real (über die Konnotation von Fiktion und Simulation vgl. Loprieno 2011). Birger P. Priddat 32 Anstelle der doppelten Konstruktion: Der Konstruktion der narratio des Rahmens und der Erzählung innerhalb des Rahmens, die unwahrscheinliche Teile/ Frakta zu einem sinnhaften konstruiertem Narrativ verbindet, wird die Erzählung - der zweite Teil - als quasi-wahrhaftig, d.h. nicht als wahrscheinlich, sondern als quasi-real nachvollzogen. So nimmt die Erzählung den Leser/ Hörer ‘in die Geschichte hinein’: als für ihn mit durchlebbare. Die Rahmen/ Erzählung-Konstruktion klappt um in eine narratio/ Realität-Projektion. Da jeder weiß, dass es eine ‘erzählte Realität’ ist, kann man auch wissen, dass ‘erzählte Realität’ keine Realität, sondern fiktiv ist, d.h. Wahrscheinlichkeit. Die Irritation beruht darauf, dass die Konsistenz einer narratio so überzeugend ist, dass der Rezipient guten Glaubens wird, fortan die Welt aus der Perspektive der Erzählung neu zu betrachten. Sein belief system ändert sich (bzw. seine Beobachter-Qualität), er ‘bildet sich’, gewinnt neue Weltsicht oder Welt-Anschauung (vgl. Loprieno 2011). Indem das Einschlüpfen in die narratio das belief-system ändert oder affiziert, wird das, was der Leser/ Akteur dadurch neu sieht, zur neuen Figuration von Welt, und damit für ihn zur neuen Realität. Wenn wir das Wort ‘Realität’ verwenden, denken wir gewöhnlich, es wäre etwas extern Vorgegebenes. Doch damit naturalisieren wir es vorschnell, machen es zu einem Sein unabhängig davon, was es uns verwirklicht. Denn das Wirkliche (= Reale) ist letztlich das, was verwirklicht wird, so durch solche Prozesse. Diese Realität ist kein extern Vorgegebenes (physikalistisches), sondern ein poietisches Produkt. Wozu liest man sonst eigentlich, wenn nicht, um die Welt kennenzulernen? Oder anders kennenzulernen? Oder noch anders: eine andere Welt. 3. Rückübertragung: Prognose als erzählte Zukunft Die Poetologie des Wahrscheinlichen ist keine Gegenrede zum Wahrscheinlichkeitskalkül, aber ein Hinweis auf eine andere Wirkungswelt des Wahrscheinlichen als narrative Poiesis. Es geht hier nicht nur um eine Legitimation der Leistung von Literatur - obwohl das ein eigenständiges Thema sein kann, wenn wir, qua Poietik, das produktive Moment von Weltaufschließung als eine besondere Form der Ökonomie benennen würden, die weit über den eng gefassten Produktionsaspekt der modern economics hinauswiese (Priddat 2014). Sondern es geht um die Aufbereitung einer Klärung der Fragen des Glaubens, Hoffens und Überzeugtseins (vgl. Priddat 2015), die in den Untersuchungen der ökonomischen Entscheidungen zunehmend eine Rolle zu spielen beginnen. Dann aber wäre der frame - der individuelle Rahmen - jeweils eine spezifische Fiktion über das, was zu entscheiden ansteht, aus je spezifischen Erzählungen über die Welt bezogen. Beckert übersetzt das auf die Ökonomie: Entscheidung als notwendige Fiktion 33 The actor, in order to choose a course of action, must put himself imaginatively in the situation in which the goal is already achieved. While this holds true for all action, it is not a necessary condition for action that the actor can rationally calculate how the future will look. Under conditions of uncertainty this is exactly what he cannot do. Instead of leading to paralysis, uncertainty is “overcome” by suspending the disbelief in the calculability of future states, and by acting based on fictional depictions which are handled by the actors as if they were true representations of the future. These fictional depictions take narrative form. It is through their story-structure that imaginings of future states become determinate (Iser 1993). (Beckert 2011, S. 7; mit Bezug auf Isers literaturtheoretische Reflektion über das Fiktive und Imaginäre) Und dann wäre die Kommunikation untereinander der Versuch, sich auf gemeinsame Erzählungen/ Rahmen zu verständigen. Das, was die linguistic communities oder Sprachspielgemeinschaften bilden, wären dann kommunikativ generierte Makroerzählungen, eine Art von Weltbegriffsmanagment (wie es z.B. im marketing ganz pragmatisch längst gehandhabt wird: als massive Form der economics of persuasion), in dem die disparata der Welt, ihre Frakta und Teilwahrnehmungen fokussiert werden, in eine gemeinsame (oder gemeinsam geteilte: shared) Semantik gebracht, um die Heterogenität der individuellen Weltsichten zu clustern, um hinreichend gemeinsam verständliche Entscheidungen zu lancieren und um Erwartungen zu bilden, die man wechselseitig verstehen kann. Folglich ist das, was wir oben entfalteten, kein literaturwissenschaftliches separatum, sondern ein Erklärungsangebot, die belief-systems (bzw. Handlungsprogramme) der Akteure darauf hin zu prüfen, wieweit sie einen Rahmen bilden, in dem disparate Fakta des Singulären und Diskreten, die unverbunden scheinen, in sinnhafte Konglomerate gefasst sind, die die individuellen wie sozialen Voraussetzungen bilden, innerhalb derer überhaupt Entscheidungen getroffen werden (bei Jurij M. Lotman finden wir einen passenden Begriff: die Semiosphäre (Lotman 2010). Alle Zeichen, Bedeutungen, stories etc., lässt sich daraus übersetzen, die die Entscheidungen der Akteure beeinflussen, leiten oder ordinieren, bilden den semiosphärischen Raum der Märkte). Dann aber sind die belief-systems Narrative, d.h. konsistente wahrscheinliche Erzählungen, die die unverbundenen Singularitäten der Wirklichkeit rahmen, um sie in ihrer Verbundenheit als beobachtbar erscheinen lassen zu können (vgl. auch Koschorke 2012). Was wir hier entfaltet haben, ist die Struktur der Prognose, nun aber nicht als kalkulative Ereignisbestimmtheit, sondern als narratio des möglichen Entscheidungsraumes, den man sich selber oder gemeinschaftlich festlegt. Es ist jener Erwartungsraum (Semiosphäre), den wir voraussetzen als eine Vertrauensarena, in dem erst wir uns trauen, zu entscheiden, ohne sicher zu sein, dass das, was wir uns darin vorstellen bzw. imaginieren, tatsächlich Birger P. Priddat 34 eintreten muss. Es generiert aber eine fiktive Gewissheit, die ausreicht, zu entscheiden, d.h. das, was eigentlich fiktiv bleibt, zu realisieren. Indem wir ein gemeinsames shared mental model der Zukunft entwerfen, gewinnen wir Orientierungen, die wesentlich darin bestehen, dass sich alle mehr oder minder kohärent in ihren Verhalten aneinander ausrichten können (vgl. Svetlova 2012). Die narratio ist die Versicherung, einigermaßen ähnliche Ansichten zu haben, d.h. uns nicht allzu sehr zu irren (weil sich dann nämlich alle gleich mit irren würden). Sie ist ein kommunikatives Faktum. So simulieren wir gemeinsame Erfahrungen im Raum der Unsicherheiten, in dem wir gerade, weil zukunftsbezogen, individuell erfahrungslos sind. Möglicherweise haben wir es hier mit einer alternativen Erklärung des Schwarmverhaltens zu tun: nicht Ansteckung/ contagion (Hirshleifer/ Teoh 2009), sondern affirmative/ affektive Erzählrezeption. - Was die Erfahrungen als erinnerte Geschichte bedeuten, wird über die Fiktion des Wahrscheinlichen zu einer möglichen Geschichte ausgefaltet, die als Substitut der Erfahrung fungiert. - Erst darüber wagt man, sich für die Zukunft zu entscheiden, die über das Wahrscheinliche die Form einer plausiblen Erzählung/ Fiktion gewinnt. - Und zwar nicht als Erfahrung (man weiß, dass das Vergangene nicht für das Zukünftige gelten können muss), aber in der Form der Erfahrung, indem wir uns im vertrauten semantischen Raum einer Erzählung bewegen. - Es ist eine Mimesis der Form der Erfahrung als Erzählung, die wir auf die Zukunft anwenden. - Somit bleibt etwas Vertrautes in Kraft, obwohl wir uns im erfahrungslosen Raum des Zukünftigen aufhalten (dass die vertraute Form der Erzählung die Form einer präzisen probabilistischen Bestimmheit gewinnt, ist eine Art von hyperfiction, die das, was darin imaginiert wird, als real missversteht). - Realität wird als Frage der Prägnanz beobachtbar, die sich durch Wiederholungen von Unterscheidungsoperationen und als je spezifische Kontrastbildung realisiert... Wiederholungen benötigen dazu Replikas, die für sie selbst und für andere Zeichenfunktionen anschlussfähig sind. [...] Gesellschaften prägen durch Wiederholung, Verkettung, Organisierung und Typisierung von Zeichenfunktionen Register des jeweils als Wirklichkeit Geltenden, des Wahrscheinlichen, normativ Anschlussfähigen und überhaupt des Vorbildlichen, mitsamt allen Komplementärwerten, aus. Das Zusammenspiel dieser Formen von Kontingenz im Vollzug einer Zeichenfunktion lässt sich als Oszillation beschreiben. (Rustemeyer 2011, S. 3) Die ‘Oszillation’ generiert jene synthetisierende Narratio, in der wir uns dann entscheidend bewegen, auf ihren simulierten Plafond (Loprieno 2011). Entscheidung als notwendige Fiktion 35 Es geht, vorsichtig interpretiert, um die Herstellbarkeit von Handlungen; dass sie immer wieder gelingen, ist das mimetische Moment: dass Anschlussfähigkeit hergestellt wird. In dem Sinne steht das Handeln auf eine Zukunft hin in Kontinuität des Handelns als Mimesis des Handelnkönnens. Nicht was entschieden wird, ist dominant, sondern dass entschieden werden kann. Die Vergangenheit, als der vertraute Handlungsraum, kopiert sich aber nicht blind über die Gegenwartsentscheidung in die Zukunftsvorstellung (wie manche statistischen Musterprojektionen), sondern über die Form der Erfahrung, die die Form einer Geschichte/ narratio annimmt, in der man die Zukunft - ob wahrscheinlichkeitspragmatisch binarisiert oder nicht - sich einbildet bzw. vorstellt. Es ist dieser, von Campe so exemplarisch vorgeführte, Einbildungs-Vorgang, der über das Vertraute der Erfahrung - nicht als (ja historisch kontingente) Erfahrung, sondern als Form der Erfahrung - die Zukunft, die uns ungewiss ist, vertraut erzählt. In diesem Sinne hat das Erwarten eine versichernde tradierte Form, die es inhaltlich aber völlig offen lässt. „Myth and stories organise the anticipation of futures“, fasst Patomäki zusammen (Patomäki 2006, S. 8). Die Versicherung, die die Prognose gegen Kontingenz leisten sollte, wandelt sich in eine Analyse der alternativen Möglichkeiten, die anstelle der prognostizierten ergriffen werden könnten: eine Analyse von counterfactuals (vgl. Svetlova 2009). Damit macht sie nur die Seite der Prognose stark, die in ihr sowieso enthalten ist, die sie aber ausblendet. Denn wenn jede bestimmte Prognose andere Möglichkeiten ausblendet, ist es nur konsequent, Methoden für Zukunftsaussagen zu verwenden, die die ausgelassenen Möglichkeiten wieder einblenden. Der Verlust an (sowieso imaginärer) Präzision wird durch einen Gewinn an Einschätzbarkeit aufgewogen. Fund managers, analysiert Svetlova, arbeiten so: [They] structure their forecasting procedures as an adjustment of the estimates that already circulate in the market. They do not aim to predict rates of return, but rather the dynamic of market estimates. The forecasting procedure takes the form of a plausibility check of the consensus scenario. Those findings contradict the prevalent theoretical idea that investors either make a point forecast or assign probabilities to possible outcomes. (Svetlova 2010, S. 101; Kursivsetzung von B.P. Vgl. auch Svetlova 2009 und 2012) In ähnlicher Diktion Beckert: Fictional expectations, however, are not teleological in the sense that actors fix a future state in their mind and all steps to be taken derive from this representation of a goal. Instead, imaginaries and courses of action emerge in a reciprocal process in which goals and means inform each other, based on experiences of the situation and their interpretation, as well as the power structures in the field. Calculation enters this dialogical process continuously when actors att- Birger P. Priddat 36 empt to find “proof” for the soundness of the imaginaries constituting their decisions. (Beckert 2011, S. 24) Die Prognose wird zu einer anderen Versicherung: nicht der einer - illusionären - Genauigkeit der Vorhersage, sondern der des Gewinns an neuen Möglichkeiten. Es ist eine Form der öffnenden Versicherung neuer Handlungsfelder, nicht der der Rettung der alten. Das, was wir hier ‘versichern’ nennen, ist ein Modus des Sich-Versicherns von alternativen Möglichkeiten - nicht als Bewahrung alter Erwartungen, sondern als Zugewinn an Anschlussmöglichkeit. Kultur, schreibt der Philosoph Dirk Rustemeyer, „markiert den Bereich, innerhalb dessen Unterscheidungsoperationen mit Anschlusswahrscheinlichkeit rechnen dürfen sowie den Grad möglicher, noch anschlussfähiger Abweichungen von typisierten Unterscheidungsformen“ (Rustemeyer 2011, S. 4). Diese Funktion des Prognostischen weist nicht nur darauf, das die Wirtschaft eine eigene Kultur entfaltet hat, sondern, wie der Soziologe Jens Beckert insistiert, dass diese Anschlusskultur wesentlich sei für das Verständnis „of the dynamics of capitalism“ (Beckert 2011, S. 25). Literatur Beckert, Jens (2011): Imagined Futures: Fictionality in Economic Action, MPIfG Discussion Paper 11/ 8, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln Max Planck Institute for the Study of Societies. Köln. Brodbeck, Karl-Heinz (1996): Erfolgsfaktor Kreativität. Die Zukunft unserer Marktwirtschaft, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Campe, Rüdiger (2002): Spiel der Wahrscheinlichkeit. 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In dieser Hinsicht ermöglicht eine konventionelle Wirtschaftsmetapher wie z.B. eine Fusion ist eine Hochzeit unterschiedliche narrative Themenentfaltungen und die Entwicklung unterschiedlicher „Geschichten“, von der Liebesheirat bis zur Notehe. Diese Metaphern, die den Keim einer Erzählung in sich tragen, dienen der Meinungsäußerung, was ihr Vorkommen in journalistischen Texten und insbesondere in den Überschriften erklärt. 1. Problemstellung Dass Metaphern „Erzählungen [sind], die sich als Einzelwort maskieren“; 1 ist schon von vielen treffend bemerkt worden. Vor allem in der Literaturwissenschaft ist mehrmals gezeigt worden, dass sie zu metaphorischen Projektionen führen können. In der Sprachwissenschaft wurde die Idee entwickelt, dass sie sich sogar zu Metaphorisierungstexten entfalten können bzw. zu „relativ abgeschlossenen Texten“, die sich durch die „Ausnutzung zahlreicher Prädikationen eines Wissens-Frames [...] aus einem Ursprungsbereich und deren Projektion auf einen Zielbereich“ (Pohl 2002, S. 105) kennzeichnen. Wirtschaftsmetaphern sind jedoch in der Regel konventionell oder lexikalisiert. Es wird sogar von toten Metaphern gesprochen. Listen und Analysen von allgemein verbreiteten Wirtschaftsmetaphern findet man u.a. bei Hundt (1995) und Jäkel (2003, S. 189-218). Bei Jäkel (2003) machen die Sprachvergleiche zwischen Deutsch und Englisch deutlich, dass in den zwei untersuchten Sprachen die gleichen Wirtschaftsmetaphern benutzt werden, und dass auch in Fachtexten von Wirtschaftsmetaphern Gebrauch gemacht wird. Das entspricht der aktuellen Idee, dass analogisches Denken auch in den Wissenschaften üblich ist (Skirl/ Schwarz-Friesel 2007, S. 39). Heute, und eigentlich bereits seit Lakoff/ Johnson (1980), wird allgemein anerkannt, dass Wirtschaftsmetaphern als nötiges Sprachmittel zu verstehen sind, in einem Be- 1 Konersmann (2008, S. 17), zitiert nach Nünning (2013, S. 131). Anne-Laure Daux-Combaudon 40 reich, wo es schwierig ist, komplexe Sachverhalte und komplexe Phänomene zu beschreiben. 2 Aber behalten trotz alledem Wirtschaftsmetaphern nicht ein gewisses Textpotenzial? Können lexikalisierte Wirtschaftmetaphern nicht zu Metaphorisierungstexten führen? Lässt sich die narrative Dimension der Wirtschaft, die im Mittelpunkt dieses Bandes steht, nicht anhand der narrativen Themenentfaltung der Wirtschaftsmetaphern veranschaulichen? Ziel dieses Beitrags ist es, erstens den Forschungsgegenstand ‘Metaphern und Metaphorisierungstexte’ mit Hilfe der Theorie der konzeptuellen Metapher und der Frame-Semantik genau zu definieren und zu zeigen, wie Metaphern zu Metaphorisierungstexten führen können, zweitens anhand eines Korpus aus Pressetexten deutscher Sprache die narrative Dimension von Metaphorisierungstexten, die sich auf Wirtschaftsmetaphern stützen, zu analysieren, und drittens zu erklären, warum Wirtschaftsmetaphern vor allem in den Überschriften eine große Rolle spielen. 2. Theoretischer Rahmen, Methode und Korpusbildung Auch wenn die Metapher traditionnell eher Thema der Literaturwissenschaft ist, darf ihre Bedeutung in journalistischen Texten nicht übersehen werden, da sie, wie Lits (2008, S. 170) unterstreicht, in diesen viel häufiger auftrete, als man es ahnen könne. Dies erkläre sich nicht nur durch die Durchdringung der Sprache und unseres Denkens und Handelns von der Metapher selbst, 3 sondern auch durch das Verhältnis zwischen Journalismus und Literatur, denn es seien die gleichen Autoren, die in den beiden Diskursbereichen tätig seien. Wenn man sich aber für Metaphern in Pressetexten interessiert, muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich die Metapher in der Presse (sei sie wirtschaftlich oder nicht) von der Metapher in der Literatur unterscheidet. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Arten der Metapher. In dieser Hinsicht wollen wir mit Lits (2008, S. 170) unterscheiden zwischen der poetischen Metapher als vom Dichter persönlich geschaffener Figur und der journalistischen Metapher als Wiederaufnahme einer abgedroschenen rhetorischen Figur, die andere Bedeutungen trägt als die einfache Denotation. 4 Indem der Journalist 2 Diese heute weit verbreitete Idee ist weit entfernt von den Thesen von Wolff (1976) und Schmitt (1988), für die der Gebrauch von Wirtschaftsmetaphern in journalistischen Texten auf die Manipulationsabsicht des Journalisten zurückzuführen sei, und genauer gesagt auf die ideologische Funktion der Metapher. 3 Lits (2008) bezieht sich auf Lakoff/ Johnson (1980). 4 Natürlich lassen sich poetische Metaphern auch in der Presse finden, wie auch lexikalisierte Metaphern in der Literatur. Ausschlagebend für die Bezeichnungen ist aber, dass ad hoc ge- Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 41 zu einer lexikalisierten Metapher greift, verstößt er nicht gegen die Ordnung des Diskurses, sondern greift zu Bildern, die er mit seinen Adressaten teilt, und wiederholt einen Diskurs, der in der Gesellschaft, an die er sich richtet, geläufig ist. Trotz Wiederholung dieses Diskurses kann man aber verschiedene Variationen der Metaphern vorfinden. 5 Mit ihrer Theorie der konzeptuellen Metapher haben Lakoff/ Johnson (1980) die Verbindung zwischen dem menschlichen Denksystem und der Strukturierung in Metaphern deutlich gemacht: Mit der Metapher werden physische oder kulturelle Erfahrungen auf vage oder abstrakte Begriffe projiziert. Eine Metapher ist insofern konzeptuell, als in ihr zwei konzeptuelle Bereiche systematisch in Verbindung gesetzt werden. Dabei spielt der eine Bereich die Rolle des Zielbereichs (target domain) und der andere die Rolle des Ursprungsbereichs (source domain). X lässt sich als Y verstehen, womit ein konzeptueller Bereich mithilfe eines anderen Bereichs, eines bekannten Erfahrungsbereichs, zugänglich gemacht wird. Aus dieser Theorie folgt, dass Metaphern allgegenwärtig sind und dass deren Gebrauch sich nicht auf eine ausschmückende Funktion beschränken lässt. In unserer Analyse haben wir den theoretischen Rahmen der konzeptuellen Metapher mit dem Rahmen der Framesemantik in Verbindung gebracht. Im Anschluss an Pohl (2002) sind wir der Meinung, dass die kognitive Beschreibung der metaphorischen Projektion mit dem von Konerding (1993) eingeführten Begriff des Matrix-Frames kompatibel ist, bzw. „dass die kognitive Metapherntheorie durch den Frameansatz bereichert werden kann“ (Pohl 2002, S. 134). In der Framesemantik ist der Frame ein Wissensrahmen, der die komplexe Abspeicherung unseres Wissens in unserem Bewusstsein darzustellen ermöglicht. Ein Frame entspricht prototypischem Wissen, das nach der Verallgemeinerung von in verschiedenen Bereichen der Wirklichkeit erlebten Erfahrungen abgespeichert wird. Das kann mit folgendem Szenario veranschaulicht werden: Kathrin und Christian strahlen im edlen Phönixsaal. Nachdem sie sich geküsst haben, klatschen alle Gäste Beifall. Als Kathrins Vater ankündigt, dass der Holzstamm auf dem Sägebock noch vor dem Sektempfang zersägt wird, ist im Publikum die Freude groß. schaffene Metaphern überwiegend in der Literatur vorkommen, während konventionelle Metaphern in der Presse üblich sind. 5 Lits (2008, S. 172) vertieft seine Analyse und erstellt eine Tabelle, in der er die beiden Metaphernarten unterscheidet. Er verteidigt hier u.a. den Standpunkt, dass der Erzähler hinter einer journalistischen Metapher verschwindet. In diesem Punkt bin ich mit ihm nicht einverstanden, wie ich im Laufe des Beitrags zeigen werde. Anne-Laure Daux-Combaudon 42 Aus diesem Text 6 lässt sich herleiten, wie alt ungefähr Kathrin und Christian sind und dass sie sich gerade das Ja-Wort gegeben haben, und zwar in einem Rathaus in Deutschland, genauer: in Hamburg, und wir können zu Recht viele Vermutungen über ihre gegenseitige Liebe anstellen oder über die moderate Weise, wie sie sich geküsst haben. Der Frame der semantischen Einheit [SICH KÜSSEN] ist ein eingespeicherter Wissensrahmen, der vom Sprecher aktiviert werden kann. In der Regel sind zwei Personen an einer Handlung ‘sich küssen’ beteiligt, und das Motiv der Handlung kann von Anerkennung bis Liebe reichen. Die besondere Gebrauchsbedeutung ‘Küssen eines Brautpaares’, nachdem sich beide das Ja- Wort gegeben haben, ist vom Kontext herzuleiten, u.a. vom institutionnellen Rahmen des Hamburger Rathauses oder von der Anwesenheit von Gästen. Die Kontextdaten ermöglichen eine Spezifizierung der Handlung ‘sich küssen’, und in diesem besonderen Kontext steht das Küssen eines Brautpaares im Vordergrund. Nach Konerding (1993) lassen sich 12 Matrixframes 7 definieren, auf die alle Frames zurückführbar sind. So gehört z.B. der Frame ‘sich küssen’ zum Matrixframe ‘Handlung’. Besonders aufschlussreich ist, dass alle diese Matrixframes sich durch eine Liste von strategisch entscheidenden Fragen beschreiben lassen, die einem Potenzial von Prädizierungen (auch Prädikationen) entsprechen. Zum Matrixframe ‘Handlung’ z.B. gehören die Prädikationen zu den Motiven, die es für die Handlung gibt (Liebe), zur Charakterisierung der Dauer der Handlung und ihrer charakteristischen Phasen („ja sagen“, dann „sich küssen“) 6 Das Gleiche illustriert Ziem (2005, S. 2) mit dem Szenario einer Geburtstagsfeier. Auch der hier entwickelte Frame des Sich-Küssens ist auf Ziem (2008, S. 237-248) zurückzuführen. Es wurde für den Beitrag dieser Frame ausgewählt, weil er zu dem für unsere Beweisführung entscheidenden Substantivtyp ‘ Handlung ’ gehört (siehe unten) und die weiter unten in dem Artikel behandelte Thematik der Hochzeit vorbereitet. Dass über Geld und Wirtschaft anhand von Liebesthemen gesprochen wird, steht aber nicht im Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Dafür, wie Sexualität als Ursprungsbereich für das Verständnis von Wirtschaft als Zielbereich dienen kann, wird auf Fischer (2012) verwiesen. 7 Da Konerding (1993) die Matrixframes aus dem Substantivbestand des Deutschen herleitet, wird auch von ‘Substantivstypen’ gesprochen. Es wird unterschieden zwischen den primären Typen von Matrixframes: 1) Gegenstand I: natürliche Gegenstände, 2) Gegenstand II: Artefakt, 3) Gegenstand III: Stoff, 4) Organismus, 5) Person I: mit temporärer/ dauerhafter Eigenschaft bzw. Disposition, 6) Person II: in berufsbezogener Rolle, 7) Ereignis, 8) Handlung / Interaktion / Kommunikation, 9) Institution / soziale Gruppe, und den sekundären Typen (sekundäre Typen unterscheiden sich von primären dadurch, dass sie meronymische Beziehungen herstellen): 10) Teil / Stück von, 11) Gesamtheit / Bestand / Menge (von), 12) Zustand / Eigenschaft (von). Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 43 oder zur Charakterisierung der Mitspieler/ Interaktionspartner und ihrer Rollen in der Handlung (eine Braut und ihr Bräutigam). Zu einem Frame gehören daher: - slots oder Leerstellen, die dem Prädikationspotential entsprechen. Das Prädikationspotenzial kann durch eine Liste von entscheidenden Fragen veranschaulicht werden; - fillers oder konkrete Füllwerte, die den expliziten Prädikationen entsprechen (im Fall unseres Beispiels besetzen einige Kontextdaten bestimmte aufgerufene Leerstellen des Frames: Die Handlung findet in einem institutionellen Rahmen statt, eine Braut und ihr Bräutigam sind am Küssen beteiligt, und es gibt Zuschauer); - und default-werte oder Standardwerte, d.h. die impliziten Prädikationen (in unserem Beispiel: Es handelt sich um einen leichten Kuss, der einen symbolischen Wert hat und von gegenseitiger Liebe zeugt). Nach Pohl (2002), die sich auf die Theorie der konzeptuellen Metapher und auf die Framesemantik stützt, kann eine Metapher Anlass zu einem Metaphorisierungstext geben, 8 wenn die metaphorische Projektion zwischen zwei zum selben Matrixframe gehörenden Bereichen (Ziel- und Ursprungsbereichen) stattfindet. Denn in solchen Fällen lassen sich viele Prädikationen projizieren. Meine Hypothese: Sind viele (bei gleichem Substantivtyp: alle) Prädizierungen der Nominationen aus Ursprungs- und Zielbereich vergleichbar, wird auch das Verfahrensmuster der metaphorischen Projektion in der Weite der Wissensstrukturierung anwendbar. Die metaphorische Projektion ist dann prädiktabel und bei vorhandenem Wissen bei Produzenten und Rezipienten leicht erschließbar. Dieser Sachverhalt sollte zutreffen bei der metaphorischen Projektion innerhalb des gleichen Substantivtyps (EREIGNIS > EREIGNIS, HAND- LUNG > HANDLUNG usw.). Auch die Produktion eines komplexen Metaphorisierungstextes ist erwartet und möglich. (Pohl 2002, S. 118) Auf diese Hypothese haben wir uns gestützt, um das narrative Textpotenzial der Wirtschaftsmetaphern zu prüfen. Soll eine Metapher Anlass für eine narrative Themenentfaltung sein, dann muss sie zuerst zu einem Metaphorisierungstext führen können. 8 In dieser Hinsicht ist die Idee zu nuancieren, dass alle Metaphern „Erzählungen“ seien, „die sich als Einzelwort maskieren“ (vgl. Konersmann (2008, S. 17) zitiert nach Nünning (2013, S. 131)). In Anlehnung an Pohl (2002) denke ich, dass unterschieden werden kann zwischen Metaphern, die narrativ sehr produktiv sind und „zu [denen] sich komplexe Metaphorisierungstexte ausbuchstabieren [lassen]“ (ebd., S. 106-107) und Einzelmetaphern, die zu keinem Netz von metaphorischen Projektionen führen. Anne-Laure Daux-Combaudon 44 Basierend auf der Hypothese von Pohl (2002) haben wir einige Wirtschaftsmetaphern unter all denen, die von Hundt (1995) und Jäkel (2003) aufgelistet werden, ausgewählt und uns auf diejenigen konzentriert, deren Ziel- und Ursprungsbereiche zum selben Matrixframe gehören. Außerdem wurde das Hauptaugenmerk auf die Matrixframes Person / Ereignis / Handlung gelegt, da es in diesem Beitrag um das narrative Textpotenzial der Wirtschaftsmetaphern geht: Personen, Ereignisse und Handlungen sind auch zentrale Elemente in Erzählungen. Daher wurden Wirtschaftsmetaphern ausgewählt, die auf folgenden Matrixframes beruhen: Matrixframe 5) 9 Person I > Person I (mit temporärer/ dauerhafter Eigenschaft bzw. Disposition) Matrixframe 6) Person II > Person II (in berufsbezogener Rolle) Matrixframe 7) Ereignis > Ereignis Matrixframe 8) Handlung > Handlung In der Database FACTIVA wurde systematisch nach folgenden Schlüsselwörtern gesucht: Eine wirtschaftliche oder politische Massnahme ist eine Operation (Handlung > Handlung) Schlüsselwörter: Patient, Operation, (Milliarden-)Infusion, (Geld-/ Finanz-) Spritze Wirtschaftspolitische Steuerung ist Bedienen einer Maschine (Handlung > Handlung) Schlüsselwörter: Motor, Lokomotive, Cockpit, Turbulenzen, (Voll-)Gas geben, auf der Bremse stehen Wirtschaftspolitische Steuerung ist Regulierung des Wasserflusses (Handlung > Handlung) Schlüsselwörter: (Kredit-)Hahn Eine finanzielle Krise ist eine Krankheit (Ereignis > Ereignis) Schlüsselwörter: Krise, Seuche, Grippe, moderne Pest Eine Fusion ist eine Hochzeit (Handlung > Handlung) Schlüsselwörter: Hochzeit, Fusion, Zusammenschluss Die Suche wurde auf die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 2013 und auf die deutsche Sprache beschränkt. Daher wurden in der Arbeit Quellen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Betracht gezogen, und sowohl Tageszeitungen als auch wöchentlich und monatlich erscheinende Zeitschrif- 9 Die Zahlen entsprechen den 12 von Konerding (1993) definierten Matrixframes-Typen, s. Anmerkung 7. Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 45 ten und Magazine der regionalen und der überregionalen Presse. Die ausgewerteten Artikel können verschiedenen Textsorten von der Nachricht bis zum Kommentar zugeschrieben werden. Die Identifizierung der Metaphern erfolgte manuell. Es zählen zum Korpus die Artikel, in denen eine Metapher vorliegt, die vom Verfasser remotiviert wird, d.h. die Anlass zu mindestens einer Prädikation gibt. Am Ende wurden 300 Artikel in das Korpus aufgenommen. Nach der Analyse fällt auf, dass im Korpus einige Metaphorisierungstexte vorkommen und dass metaphorische Projektionen sehr häufig in den Überschriften auftreten. 3. Wirtschaftsmetaphern als Anlass zu einer narrativen Themenentfaltung in meinungsbetonten Texten Im Hinblick auf die in diesem Band behandelte Problematik ist das Vorhandensein von narrativen Metaphorisierungstexten im Korpus besonders bemerkenswert und ihre systematische Analyse mit den Mitteln der kognitiven Linguistik besonders aufschlussreich. Mit Text 1) wird deutlich, dass eine konventionelle Wirtschaftsmetapher (hier eine finanzielle Krise ist eine Krankheit und eine politische Massnahme ist eine Operation) sich zu einem ganzen, narrativen Text entfalten kann. (1) Kommentar - Chronischer Patient Europa Die Krise ebbt nicht ab. Hochspannung und dramatische Rettungsaktionen bis in die frühen Morgenstunden ‒ daran haben sich Beobachter des Brüsseler Gipfelreigens eigentlich schon gewöhnt. Nach zahlreichen Notoperationen ist der Patient Europa heute zwar stabil -keineswegs aber geheilt. Im Gegenteil: Aus der akuten Erkrankung namens Schuldenkrise ist in den letzen Monaten eine chronische geworden. Schon hängt der nächste Eurostaat am Tropf der Geldgeber: das arg ins Schleudern geratene Zypern, dessen Banken sich massive Geldwäschevorwürfe gefallen lassen müssen. Auch die Sorge um andere Krisenländer ebbt nicht ab. Portugal und Irland benötigen mehr Zeit für die Rückzahlung ihrer Hilfskredite. Frankreich muss seine Defizitziele mit dem Sanktus der Kommission auf die lange Bank schieben. Und von Griechenland spricht aus gutem Grund längst keiner mehr. Freilich: Ein Allheilmittel gegen die Krise gibt es nicht. Geboten aber wäre mehr Konsequenz bei der Behandlung, damit der Patient Europa bald wieder zu Kräften kommt. (Die Presse, 16.3.13, Sektion: EU) 10 10 In den Beispielen werden die Elemente der Titelei (Überschrift, Schlagzeile, Dachgespann, Titel, Head usw.) fett gedruckt. Anne-Laure Daux-Combaudon 46 In der metaphorischen Übertragung werden die Prädikationen des Matrixframes ‘Handlung’ verbalisiert, die in der Tabelle kursiv erscheinen (als Zitate aus dem Artikel). Sie entsprechen konkreten Füllwerten. Es werden lediglich die Prädikationen des Ursprungsbereichs aufgelistet. Tab. 1: Eine Auswahl der Leerstellen, die der Matrixframe ‘Handlung’ eröffnet. Kursiv gedruckt sind die konkreten Füllwerte aus Text 1) 11 11 Vgl. Konerding (1993, S. 341-348). 1. Welche Motive gibt es für die Handlung? Was hat die Handlung zur Voraussetzung? Verpflichtung im beruflichen Kontext (Rettungsaktionen, Notoperationen) 2. Worin besteht das Wesentliche der Handlung für den Aktanten? das Retten (Rettungsaktionen, damit der Patient bald wieder zu Kräften kommt) 3. In welchen übergeordneten Zusammenhängen figuriert die Handlung? Patientenbehandlung (daran schon gewöhnt) 4. Welche wesentlichen Phasen bzw. Teilereignisse/ Zustände weist die Handlung auf? Gibt es besonders charakteristische Phasen? Erkrankung, Behandlung, Rettungsaktionen/ Notoperationen, Aufwachen des Patienten (stabil - keineswegs aber geheilt), Besserung (wieder zu Kräften kommt) 5. Von welcher Dauer sind die Handlung und die charakteristischen Phasen? Rettungsaktionen bis in die frühen Morgenstunden 6. Welche wesentlichen Mitspieler/ Interaktionspartner sind beim Vollzug der Handlung beteiligt? Ärzte bzw. Chirurgen, der Patient (Körper und Organe), Familienangehörige und Öffentlichkeit (Beobachter), Pflegepersonal (Geldgeber, Kommission) 7. Durch welche relevanten Eigenschaften oder Zustände sind die jeweiligen Mitspieler und ihre Rollen gekennzeichnet? Hochspannung, dramatisch, die Sorge um 8. Welche Mittel, Strategien, Taktiken (unter Berücksichtigung welcher Mitspieler) benutzt der Aktant? Rettungsaktionen, Notoperationen, Infusion (hängt am Tropf) 9. Muss der Aktant besondere Fähigkeiten aufweisen? Welche sind das? In der Regel Konsequenz bei der Behandlung 10. Welcher Art sind die wesentlichen Fehler, die der Aktant beim Vollzug der Handlung machen/ verursachen kann. Welcher Art sind die negativen Folgen/ Wirkungen? Wenn bei der Behandlung zu wenig Konsequenz eingesetzt wird (geboten wäre mehr Konsequenz bei der Behandlung), dann tritt eine Verschlimmerung des Zustands des Patienten ein (aus der akuten Erkrankung ist eine chronische geworden) 11. Welches sind die Folgen der Handlung für den Aktanten und die Mitspieler der Handlung? Was zieht die Handlung nach sich? In der Regel wird nach einer Operation eine Genesung erwartet, im Text aber wird nicht nur keine stabile Situation und keine Beruhigung beschrieben (Die Krise/ Die Sorge ebbt nicht ab), sondern sogar eine Verschlechterung des Zustands des Patienten: Aus der akuten Erkrankung ist eine chronische geworden, mit einer Verbreitung im ganzen Körper des Patienten (schon d(as) nächste Organ ist ins Schleudern geraten, auch ... andere Krisen(organe) sind Anlass zur Sorge: der nächste Eurostaat, Zypern, dessen Banken, andere Krisenländer, Portugal, Irland, Frankreich, Griechenland). 12. Mit welchen anderen Handlungen überschneidet sich die Handlung? Welches sind die Unterschiede zu diesen Handlungen? Die Operation wird ein(em) Allheilmittel gegenüber gesetzt, das es nicht gibt. Umso wichtiger ist, dass die Chirurgen den Patienten mit mehr Konsequenz behandeln. Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 47 Die Gesamthandlung entspricht einer narrativen Themenentfaltung. Hier wird die narrative Thementfaltung in Anlehnung an Brinker (2010 7 / 1985, S. 62) definiert, der das klassisch gewordene Strukturmodell von Labov/ Waletzky (1967) weiter entwickelt. Die narrative Themenentfaltung wird als eine Grundstruktur verstanden, die aus Situierung, Repräsentation und Resümee besteht, und die folgende thematische Bedingungen erfüllen soll: Das Thema einer Erzählung wird durch ein abgeschlossenes, singuläres Ereignis repräsentiert (Kriterium 1), das [...] ein „Interessantheitskriterium“ [...] bzw. „gewisse Minimalbedingungen von Ungewönlichkeit“ [...] erfüllt (Kriterium 2) und an dem der Erzähler zumeist in irgendeiner Weise beteiligt ist (Kriterium 3). (Brinker 2010/ 1985, S. 63) In dieser Hinsicht ist Text 1) tatsächlich ein narrativer Text. Der Artikel erfüllt die thematischen Bedingungen für Erzählungen (s.o.): Der Erzähler schildert eine Nacht voll von Rettungsaktionen (Kriterium 1) und voller Spannung und Dramatik (Kriterium 2), denen er beigewohnt hat (Kriterium 3). Schematisch dargestellt ergibt sich für Text 1) folgende narrative Grundstruktur: 12 Situierung Die Szene spielt in Brüssel, Europa, implizit in der Nacht. Repräsentation Handlungssequenz Komplikation 12 Ein Patient ist erkrankt. Auflösung Nach der Operation ist sein Zustand stabil - Der Patient ist aber keineswegs geheilt (im Gegenteil). Resümee Die Operation ist gescheitert: Mehr Konsequenz bei der Behandlung ist nötig. Tab. 2: Narrative Grundstruktur von Text 1). Auch Text 2) erweist sich als ein narrativer Metaphorisierungstext, in dem die politische Handlung in den Bereich der medizinischen Handlung übertragen wird. Der meinungsbetonte Pressetext nimmt die Form einer Pressemitteilung nach einer Operation an. (2) Protest erfolgreich Der Patient Katholische Kliniken Oldenburger Münsterland (KKOM) liegt noch immer auf der Intensivstation. Allerdings ist die Therapie eingeleitet, die Linderung bringen soll. Wann und in welchem Maße Heilung zu erwarten ist, ist völlig offen: Jetzt muss sich zeigen, ob die richtigen Schritte gewählt wurden. Die Überlebenschancen werden derzeit aber als recht hoch angesehen. 12 Interessanterweise taucht das Wort ‘Komplikation’ auch im Kontext eines operativen Eingriffs auf. Anne-Laure Daux-Combaudon 48 Löningen hat sich für den klaren Schnitt entschieden: Es wird mit dem Christlichen Krankenhaus Quakenbrück zusammengehen. Die Verbindung mit KKOM war dermaßen vergiftet, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht fruchtbar gewesen wäre. Emstek hängt noch immer am Tropf, hier müssen in den nächsten Tagen Beratungen weitere Klarheit bringen. Hoffnungen sind berechtigt. Großes Lob für die Mitarbeitervertretungen, die Vertreter der Kuratorien, die Menschen in den Gemeinden: Ohne ihren ausdauernden Kampf wäre der Tod der Kliniken in Emstek und Löningen wohl längst beschlossen. (Nordwest- Zeitung, 8.2.13, Sektion: Politik ‒ Meinung) Auch hier werden einige Prädikatoren des Matrixframes ‘Handlung’ ausgewählt, wie man aus der Übersicht entnehmen kann: 1. Welche Motive gibt es für die Handlung? Was hat die Handlung zur Voraussetzung? Kampf gegen den Tod, liegt noch immer auf der Intensivstation, hängt noch immer am Tropf, Verbindung mit KKOM vergiftet 2. Worin besteht das Wesentliche der Handlung für den Aktanten? Rettung von KKOM, Emstek und Löningen, und Linderung (soll Linderung bringen) 3. In welchen übergeordneten Zusammenhängen figuriert die Handlung? Patient Krankenhaus 4. Welche wesentlichen Phasen bzw. Teilereignisse/ Zustände weist die Handlung auf? Gibt es besonders charakteristische Phasen? Beratungen, Entscheidung, Therapie, Abwarten (< jetzt muss sich zeigen) 5. Von welcher Dauer sind die Handlung und die charakteristischen Phasen? Ergebnis der Operation erst in den nächsten Tagen deutlich 6. Welche wesentlichen Mitspieler/ Interaktionspartner sind beim Vollzug der Handlung beteiligt? der Patient KKOM (Löningen und Emstek), Quakenbrück als neuer Partner für Löningen, die Mitarbeitervertretungen, die Vertreter der Kuratorien, die Menschen in den Gemeinden 7. Durch welche relevanten Eigenschaften oder Zustände sind die jeweiligen Mitspieler und ihre Rollen gekennzeichnet? Ausdauer (ihren ausdauernden Kampf) 8. Welche Mittel, Strategien, Taktiken (unter Berücksichtigung welcher Mitspieler) benutzt der Aktant? Einleitung der Therapie, Schritte wählen, hat sich entschieden, klarer Schnitt, Beratungen, beschlossen 9. Muss der Aktant besondere Fähigkeiten aufweisen? Welche sind das? In der Regel Konsequenz bei der Behandlung 10. Welcher Art sind die wesentlichen Fehler, die der Aktant beim Vollzug der Handlung machen/ verursachen kann. Welcher Art sind die negativen Folgen/ Wirkungen? falsche Schritte (ob die richtigen Schritte gewählt wurden), Todesgefahr (Überlebenschancen), der Tod 11. Welches sind die Folgen der Handlung für den Aktanten und die Mitspieler der Handlung? Was zieht die Handlung nach sich? Heilung des Patienten KKOM noch offen, Überlebenschancen als sehr hoch angesehen, Löningen gerettet, Emstek noch immer am Tropf, aber Hoffnungen sind berechtigt 12. Mit welchen anderen Handlungen überschneidet sich die Handlung? Welches sind die Unterschiede zu diesen Handlungen? Eine Operation, in der Handelnde und Mitspieler einen besonderen, ausdauernden Kampf geführt haben Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 49 Tab. 3: Eine Auswahl der Leerstellen, die der Matrixframe ‘Handlung’ eröffnet. Kursiv gedruckt sind die konkreten Füllwerte aus dem Text 2) Die Auswahl der verbalisierten Prädikatoren zeigt, dass auch Text 2) ein meinungsbetonter Text ist. Genau weil in der metaphorischen Übertragung einige Elemente hervorgehoben und andere vernachlässigt werden, ermöglicht die Metapher den Ausdruck einer Meinung. In dieser Hinsicht sind Metaphorisierungstexte meinungsbetont. Text 2) liegt aber dafür nicht weniger als Text 1) einer narrativen Themenentfaltung zugrunde, die Tabelle 4 schematisiert: 13 Situierung Im Münsterland … Repräsentation Phase 1 Komplikation ... ist die Verbindung Löningen - KKOM sehr vergiftet. Handlung Es wurde der Schnitt Löningen - KKOM beschlossen (zugunsten einer Verbindung Löningen - Quakenbrück). Auflösung Dadurch wurde Löningen gerettet. Repräsentation Phase 2 Komplikation KKOM ist noch auf der Intensivstation, Emstek am Tropf. Handlung Eine Therapie wurde eingeleitet, Beratungen finden in den nächsten Tagen statt. Auflösung Die Überlebenschancen werden als hoch angesehen, die Hoffnungen als berechtigt. Resümee Es ist ein erfolgreicher Protest. Bestimmte Akteure werden beglückwünscht (Großes Lob für...). 12 Tab. 4: Narrative Grundstruktur von Text 2) Bemerkenswert ist, dass in den zwei Texten dieselbe Metapher verwendet wird, in Text 1) um Kritik auszuüben, in Text 2) hingegen um Akteure einer Handlung zu loben. Aber während die Handelnden der Operation in Text 2) explizit benannt werden, werden in Text 1) die Chirurgen (Ursprungsbereich, Standardwert) bzw. die Handelnden des „Brüsseler Gipfelreigens“ (Zielbereich) nicht identifiziert, so dass der Aufruf nach „mehr Konsequenz“ nicht 13 Im Gegensatz zu Adam (2011) macht Brinkers Modell (2010/ 1985) nicht deutlich, dass die zusammenfassende Einschätzung durch den Erzähler in der erzählenden Zeit die narrative Sequenz umrahmen kann, was in Text 2) vorbildlhaft der Fall ist. (Überlebenschancen), der Tod 11. Welches sind die Folgen der Handlung für den Aktanten und die Mitspieler der Handlung? Was zieht die Handlung nach sich? Heilung des Patienten KKOM noch offen, Überlebenschancen als sehr hoch angesehen, Löningen gerettet, Emstek noch immer am Tropf, aber Hoffnungen sind berechtigt 12. Mit welchen anderen Handlungen überschneidet sich die Handlung? Welches sind die Unterschiede zu diesen Handlungen? Eine Operation, in der Handelnde und Mitspieler einen besonderen, ausdauernden Kampf geführt haben Anne-Laure Daux-Combaudon 50 gerichtet ist und vor allem dazu dient zu unterstreichen, dass die aktuelle politische Methode, um die wirtschaftliche Lage Europas zu bessern, nicht funktioniert. Das Beispiel wirft die Frage nach der Rolle bzw. den Funktionen der Medien in unserer Gesellschaft auf, da in Text 1) nicht geklärt wird, wer die politischen Entscheidungen trifft, die die europäische Wirtschaft betreffen, und wie diese getroffen werden. Aus Platzgründen kann das Thema nicht weiter entwickelt werden. Es wird aber auf Meunier (1994) verwiesen, der deutlich macht, dass in den Medien remotivierte Bilder, wenn sie lediglich als „Operatoren einer Inszenierung“ 14 verwendet werden, nur die Elemente verbalisieren, die der Erzählung dienen, und dass sie dadurch die Kenntnisse der Leser über die behandelten Probleme und seine Handlungsfähigkeiten in der Gesellschaft beschränken. Texte 1) und 2) sind das Ergebnis einer Vertextung des narrativen Potenzials von Wirtschaftmetaphern. Es sind aber die einzigen Beispiele von Metaphorisierungstexten dieser Art im Korpus. Die anderen metaphorischen Projektionen mit einem Ursprungsbereich aus der Wirtschaft sind in den Überschriften zu finden. 4. Der Gebrauch von Wirtschaftsmetaphern in den Überschriften Die Analyse der Wirtschaftsmetaphern und der die Wissensframes konstituierenden verbalisierten Prädikationen in den Überschriften zeugt von der Komplementarität von Überschriften und Metaphern, zum einen weil Überschriften und Metaphern gern spielerisch wirken und den Ko-Text bzw. den Artikel als komprimierte Erzählung darstellen, und zum anderen weil sowohl Überschriften als auch Metaphern der Meinungsäußerung dienen. 4.1 Wenn der Titel den Keim einer Erzählung in sich trägt In den Überschriften ist auffällig, dass die Wirtschaftsmetapher dann verwendet wird, wenn das aktuelle Thema einen Bereich betrifft, der von der Sprachgemeinschaft als Ursprungsbereich für eine konventionelle, metaphorische Projektion der Wirtschaftssprache verwendet wird. Im Mittelpunkt des Titels steht somit eine Ideenverbindung. So in den Belegen 3) bis 6), in denen die Krankenhäuser, die in einer schwierigen finanziellen Lage sind, als Patienten bezeichnet werden (cf. die konventionellen Metaphern eine Institution ist eine Person und eine Wirtschaftskrise ist eine Krankheit). Dass diese Verwendung einer konventionellen Metapher für das Textverstehen problematisch sein kann (denn zum Frame der Institution Krankenhaus gehören eben 14 Vgl. Meunier (1994, S. 170): „comme un opérateur de mise en spectacle“. Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 51 Patienten 15 , d.h. dass die Institution im Zielbereich durch die metaphorische Übertragung die Institution ist eine Person zu einer der an der Institution interessierten Personen im Usprungsbereich wird), zeigen die Belege 5) und 6), in denen das Wortspiel deutlich gemacht wird, entweder durch die Anführungszeichen oder durch die Unterstreichung des Paradoxons mit dem Wort „Schieflage“. (3) Patient Charité muss abspecken. (Berliner Kurier, 24.2.2013) (4) Der Patient Krankenhaus kommt so einfach nicht auf die Beine. (Stuttgarter Nachrichten, 18.4.13) (5) „Patient“ Krankenhaus wird wiederbelebt. (Sächsische Zeitung, 6.12.2012) (6) Schieflage: Krankenhaus am Tropf. (Nordwest-Zeitung, 17.8.2013) Auch in Beispiel 7) wird der Zufall des Zusammenfallens von einem üblichen Bild mit einer spezifischen Situation unterstrichen: Der Leiter eines kleinen Theaters in Geldnot spielt gerade eine Patienten-Rolle: (7) Zwangspause für „Patient“ Ullrich in Geldnot! Kleines Theater macht drei Monate dicht. Seine aktuelle Rolle passt zur Situation seines Kleinen Theaters: Walter Ullrich (82) spielt in dem Stück „Sonny Boys“, das gestern Abend Premiere hatte, einen Patienten. Und auch sein Theater, das unter akutem Geldmangel leidet, kränkelt. (Express, 19.4.2013) Ähnlich wird die Turbulenzen-Metapher (wirtschaftliche Entwicklung ist passive Aufwärtsbewegung und Krise ist Turbulenzen) sehr häufig für Fluggesellschaften in schwieriger finanzieller Lage verwendet (Belege 8) bis 13)), oder auch für den Windkraftmarkt (s. Beleg 14)). (8) Rolex-Erbe mit Airline in Turbulenzen (Blick, 26.3.2013) (9) Luxair-Gruppe in kräftigen Turbulenzen (Trierischer Volksfreund, 20.3.2013) (10) Dreamliner bringt Zuliefer in Turbulenzen (Wrtschaftsblatt, 30.1.2013) (11) Heftige Turbulenzen bei ukrainischer Airline (Wirtschaftsblatt, 14.1.2013) (12) Air Berlin in Turbulenzen: Mehdorn macht den Abflug (Ostsee-Zeitung, 8.1.2013) (13) Die AUA kommt nicht aus den Turbulenzen (Wirtschaftsblatt, 25.1.2013) (14) Turbulenzen um Windreich-Finanzen (Dow Jones German Newswire, 5.3.2013) 15 Vgl. Konerding (1993, S. 327-334) und den Matrixframe ‘Institution’. Anne-Laure Daux-Combaudon 52 Aufschlussreich für unser Thema ist, dass in vielen dieser Beispiele die Titel den Keim einer Erzählung in sich tragen. Belege (4) und (6) bis (14) entsprechen der Komplikation einer Mini-Erzählung, 16 die eine Handlungssequenz und eine Auflösung impliziert, womit das Interesse für den Artikel geweckt wird. In diesen Titeln wird die narrative Dimension einer konventionellen metaphorischen Übertragung humoristisch in den Vordergrund gerückt - wobei vor allem die Motivationsfunktion der Überschrift erfüllt wird, die „eine Aussage enthalt[en soll], die neugierig macht [und] attraktiv formuliert ist“, um „zum Lesen ein[zu]laden“ (Häusermann 2011, S. 187). 4.2 Metaphorische Projektion und Meinungsäußerung Auch wenn hier auf die Frage der Überschrift als Textsorte nicht weiter eingegangen werden kann, 17 ist zu unterstreichen, dass in der Überschrift die Redaktion zu Wort kommt. Sehr wenige der von den Autoren vorgeschlagenen Titel werden von der Redaktion angenommen - und nicht nur aus Platzgründen bei der Zusammensetzung der Zeitschrift oder des Magazins, auch weil die Titelei Kohäsion für die ganze Zeitung herstellen soll. In der Titelei kommt die Redaktion zu Wort. Genau darauf ist zurückzuführen, dass Wirtschaftmetaphern in der Überschrift vorkommen, auch wenn sie später im Laufe des Textes gar nicht wieder aufgenommen werden und auch wenn der Artikel nicht zu den meinungsbildenden Texten gehört. Betrachten wir im Korpus den Gebrauch der Metapher die Fusion ist eine Hochzeit: Abhängig von den Prädikaten, die verbalisiert werden, werden ganz unterschiedliche Hochzeiten erzählt. Die übliche Unterscheidung zwischen einer Liebes- und einer Vernunftheirat basiert auf der Unterscheidung der Motive, die zur Handlung führen (Punkt 1 in der Liste der Prädikatoren zum Substantiv Handlung, siehe oben). Genau mit dieser Unterscheidung spielten US Airways und American Airlines, als sie am 14. Februar 2013, d.h. am Valentinstag, ihren Zusammenschluss ankündigten. Das Motiv der Hochzeit wurde aber von den Medien unterschiedlich behandelt, so dass sehr unterschiedliche Geschichten erzählt wurden. (15) Airline-Fusion Zwei Giganten der Lüfte feiern das Fest der Liebe Die Luftfahrtriesen US Airways und American Airlines fusionieren zur weltgrößten Fluggesellschaft - und verkünden ihre Hochzeit genau am Valentinstag. Für die Lufthansa ist das weniger romantisch. (Berliner Morgenpost, 14.2.2013, Sektion: Wirtschaft) 16 In anderen Titeln wird auf die Handlung oder die Auflösung fokussiert - aus Platzgründen kann aber nicht näher auf das Thema eingegangen werden. 17 Vgl. Nord (1993, S. 43) Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 53 (16) Airline-Hochzeit am Valentinstag American Airlines und US Airways fusionieren zur weltgrößten Fluggesellschaft. US Airways war seit Jahren auf der Suche nach einem Partner und wurde spöttisch das „hässliche Mädchen“ genannt. (Welt kompakt, 15.2.2013, Sektion: Wirtschaft) (17) US-Airlines: Letzter Ausweg Ehe - American Airlines und US Airways schließen sich zu einem Giganten zusammen (Deutsche Logistik-Zeitung, 22.2.2013) In (15) wird eine zum Punkt 6 in der Liste der vom Matrixframe ‘Handlung’ eröffneten Leerstellen (Mitspieler und Interaktionspartner) gehörende Prädikation explizit gemacht, und die Lufthansa wird erwähnt, die jetzt als überflüssiger Dritter dabei ist. In 16) wird auf das Ziel der Hochzeit (Leerstelle 1 in der obigen Liste: zur weltgrößten Fluggesellschaft) hingewiesen und auf den Kontext (Leerstelle 3: seit Jahren auf der Suche nach einem Partner), wobei sie an Romantik verliert. In (17) wird ein anderes Motiv für die Hochzeit eingeführt als das offizielle, nämlich die Not. Nach diesen Überschriften wird selbstverständlich die Lektüre der Artikel, auch wenn sie alle die gleichen Elemente behandeln, unterschiedlich gelenkt und der Leser anders beeinflusst. Hier wird an die These von Nord (1989) erinnert, die im Titel ein „Mittel zum Text“ sieht, da er „die Rezeption des Ko- Texts [steuert]“ (ebd., S. 528). Auch wenn die Metapher die Fusion ist eine Hochzeit eine lexikalisierte ist, machen diese Beispiele deutlich, wie unterschiedlich sie verbalisiert werden kann. Und diesen unterschiedlichen Remotivierungen eines gleichen Wissensframes liegen unterschiedliche Meinungen zugrunde. Von der Vielfalt der Erzählungen, die die Metapher anbietet, zeugen noch die Auszüge 18) und 19), die mit anderen Kontexten zu tun haben. (18) Gelungene Ost-West-Hochzeit BERLIN ‒ Eine Ost-West-Senderhochzeit und eine Frau an der Spitze - der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) hat mit seiner Gründung vor zehn Jahren gleich zwei Premieren geschafft. Am 1. Mai feiert die Zwei-Länder-Anstalt ihr zehnjähriges Bestehen und am selben Tag tritt Gründungsintendantin Dagmar Reim ihre dritte Amtszeit an. (Nordwest-Zeitung, 29.4.2013, Sektion: Kultur- Fernsehen) (19) Manchmal reichen gute Gründe halt nicht Im Englischen gibt es den schönen Begriff des „Perfect Fit“. Als solcher wurde auch der nun geplatzte Versuch einer Fusion von Hapag-Lloyd und Hamburg Süd mehrfach tituliert. [...] Bei näherer Betrachtung war der „Fit“ also von vornherein nicht so „perfect“, wie es den Anschein hatte. Die Welt wird für beide Reedereien davon nicht untergehen. Auch als Single kann man glücklich sein. (DVZ-Deutsche Logistik-Zeitung, 26.3.2013, Sektion: Meinung) Anne-Laure Daux-Combaudon 54 In (18) wird das Aufgehen des Senders Freies Berlin und des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg am 1. Mai 2003 in der gemeinsamen Rundfunkanstalt RBB als Mischehe dargestellt (Leerstelle 7 in der obigen Liste: Welches sind die Eigenschaften der Handelnden? ), wobei ihre Dauer als besonders großer Erfolg bezeichnet werden kann. Und in (19) wird von einer Hochzeitsabsage berichtet, für die in der Überschrift und mit dem letzten Satz des Artikels verallgemeinernde Äußerungen eingeführt werden, die von einem der Handelnden oder Mitspieler ausgesprochen worden sein könnte, wobei die Entscheidung entdramatisiert wird. 5. Schlussbetrachtung Viele Wirtschaftsmetaphern sind zwar lexikalisiert und konventionell, diese Tatsache darf aber nicht übersehen lassen, dass ihre potenzielle narrative Dimension weiter besteht, die nur remotiviert zu werden braucht, um Anlass zu einem Metaphorisierungstext zu geben. Genau auf dieses narrative Textpotenzial der Wirtschaftsmetaphern ist ihre Bedeutung in den Überschriften aller journalistischen Textsorten und in den Kommentaren zurückzuführen. Dadurch werden sie zu spielerischen und meinungsbetonten Elementen. Trotz - oder wegen - ihrer Fixiertheit räumen Wirtschaftsmetaphern dem Sprecher weitestgehende Freiheiten ein. Vieles hängt davon ab, was für die metaphorische Projektion im Frame selegiert wird. Zwar darf der Gebrauch konventioneller Wirtschaftsmetaphern in der Presse nicht mit einer kommunikativen Absicht der Journalisten in Verbindung gebracht werden, denn sie sind ja lexikalisiert - dies darf aber wiederum nicht heißen, dass der Gebrauch einer lexikalisierten Wirtschaftsmetapher immer folgenlos ist. Dass die Medien die Welt bzw. die Wirklichkeit darstellen, muss hier hinterfragt werden. Insofern stimmen wir mit Meunier (1994) überein, wenn er sagt, dass die Medien und die Welt ineinander verstrickt seien, so dass die in den Medien verwendeten semiotischen Systeme durch die Darstellung der Wirklichkeit auch zu deren Konstruktion beitrügen. Da diese Systeme nach Meunier (ebd., S. 72) sowohl „Empfangsstrukturen“ als auch „Herstellungsstrukturen“ der Wirklichkeit 18 sind, sollte die Vertextung von Wirtschaftsmetaphern weiter erforscht werden. 18 Vgl. Meunier (1994, S. 72): „Il faut convenir que les systèmes sémiotiques (langages, formes d’énonciation, formes de narration…) coproduisent les réalités qu’[ils] reproduisent. Ces systèmes sont à la fois des structures d’accueil et de mise en forme de la réalité.“ Wirtschaftsmetaphern und narrative Themenentfaltung 55 Literatur Adam, Jean-Michel (2011): Les textes: types et prototypes. 3. Aufl. Paris. Brinker, Klaus (2010/ 1985): Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Bearbeitet von Sandra Ausborn-Brinker. (= Grundlagen der Germanistik 29). Berlin. Fischer, Fiorenza (2012): „Von geilem Geiz, sexy Geldanlagen, maroden Bräuten und finanzstarken Bräutigamen - Wirtschaftssprache und Sexualität“. 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MARIE-LAURE PFLANZ (NANTERRE) „TYRANNOWERBUS REX“: EINE BETRACHTUNG ZUR VERWENDUNG VON ÜBER - UND BEINAMEN VON WIRTSCHAFTSAKTEUREN IN WIRTSCHAFTSARTIKELN Abstract Ausgehend von der Feststellung, dass immer häufiger Wirtschaftsartikel die Person des Unternehmers/ Managers porträtieren, befasst sich dieser Beitrag mit der Analyse solcher Artikel. Es wird untersucht, inwiefern derselbe Wirtschaftsakteur auf verschiedene Weise benannt wird. Oft werden dazu lexikalische Kreationen oder auch Anglizismen verwendet. Hierbei tritt zutage, dass diese Benennungen nicht zufällig erfolgen, sondern damit vom Autor stilistische, informative und gar argumentative Zwecke verfolgt werden. Gegenstand des folgenden Beitrags ist die Frage, inwieweit Wirtschaftsakteure in Wirtschaftsmagazinen und -zeitungen mit anderen Benennungen als ihren Eigennamen bezeichnet und beschrieben werden und wie somit Wirtschaftsartikel in lebendige Artikel oder, zum Teil sogar, in Kurzbiographien verwandelt werden. Angeregt wird diese Fragestellung davon, dass sich in den letzten fünfzig Jahren spezialisierte Wirtschaftszeitschriften (und die Wirtschaftsteile von Zeitungen und Zeitschriften) inhaltlich gesehen sehr verändert haben. Noch vor einem halben Jahrhundert standen Zahlen und Institutionen im Vordergrund der Artikel. Seitdem jedoch sind Wirtschaftsproblematiken der Öffentlichkeit deutlich näher gekommen. Wirtschaftliche Themen sind heute allgegenwärtig. Sie sind eine Dauerthematik geworden, und selbst im täglichen Leben wird jeder Sprecher damit konfrontiert. Auch Unternehmen werden immer öfter personifiziert dargestellt. Somit rücken auch die Führungskräfte der Unternehmen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Im wahrsten Sinne des Wortes erhält „die Wirtschaft“ heute ein Gesicht. Es ist das Gesicht der Vorstandsmitglieder des Unternehmens - sie werden zunehmend von der Öffentlichkeit mit dem Unternehmen gleichgestellt. Infolgedessen verlagert sich die Thematik etlicher Wirtschaftsartikel von der Beschreibung der eigentlichen wirtschaftlichen Vorgänge hin zur Darstellung der Wirtschaftsakteure. Was die verschiedenen Arten der Bezeichnungen angeht, muss man zwischen „Beinamen“ und „Übernamen“ unterscheiden: Marie-Laure Pflanz 58 Der Begriff « Übername » wird unterschiedlich verwendet: […] in engem Sinne, so auch hier, für jene Beinamen, die nicht zu den Patronymika, Herkunfts-, Wohnstätten oder Berufsnamen gehören […], sondern aus körperlichen, geistigen, charakterlichen Merkmalen eines Menschen, aus Ereignissen seiner Lebensgeschichte u.ä. gewonnen sind. (Kunze 1998, S. 139) Insofern betrachten wir im Folgenden „Beinamen“ als Bezeichnungen, die auf bestimmte Charakteristiken hinweisen und „Übernamen“ als inoffizielle zusätzliche Benennungen, als „Spitznamen“ also. Infolgedessen kann man davon ausgehen, dass Übernamen echte Eigennamen sind, wenn sie auch in den folgenden Beispielen meist Gelegenheitsbildungen sind, während Beinamen - theoretisch zumindest - auch auf andere Personen angewendet werden könnten, da diese wie gerade definiert auf objektiven Charakteristiken beruhen. Im ersten Teil dieser Untersuchung werden Bezeichnungen und hier besonders Spitznamen der Wirtschaftsakteure im Titel von Wirtschaftsartikeln analysiert. Im darauffolgenden Teil werden wir auch auf deren Vorkommen im Textteil der Artikel eingehen. Im dritten und letzten Teil wird die Frage der spezifischen Rolle der Anglizismen in Personenbenennungen erläutert. 1 1. Übernamen in Titeln 1.1 Wirtschaftsartikel, Definition Das Thema „Fachsprache“ ist in der neueren Linguistik Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen (Möhn/ Pelka 1984; Fluck 1985; Lerat 1995; Gautier 2012 u.a). Mittlerweile hat sich die Literatur vom Begriff „Fachsprache“ abgewendet und sich eher auf das Konzept des „Fachdiskurses“ geeinigt, denn nach Gautier (2008, S. 4) „weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass Unterschiede zur Gemeinsprache nur auf quantitativer Ebene ausgemacht werden können“. Es wird hier davon ausgegangen, dass ein sogenannter „Wirtschaftsartikel“ als solcher kategorisiert werden kann, da die Thematik des Artikels wirtschaftlicher Natur ist und Fachlexik vorhanden ist. 2 Bei der Wahl eines Spitznamens im Titel geht es darum, die Bedeutungserweiterung eines bestimmten Wortes so zu verwenden, dass sie mit dem üblichen Image oder Denotat einer Person „kollidiert“. 1 Die Beispiele stammen entweder aus DER SPIEGEL oder aus CAPITAL , 2011 bis 2013. 2 Es ist nicht Zweck dieses Beitrags, näher auf die Kategorisierung solcher Artikel einzugehen. Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 59 1.2 Übernamen deutscher Herkunft Das sprachliche Zeichen ist zwar arbiträr im Sinne von Saussure, aber die Auswahl eines ‘Spitznamens’- der oft ein Wortspiel enthält - ist wiederum motiviert, denn der Journalist kann sich auf ein bestehendes Signifikat stützen. In der Tat arbeitet ein Wortspiel gleichzeitig mit dem Signifikant und mit dem Signifikat eines Lexems oder Syntagmas: Quintessenz der Mehrzahl aller Wortspieldefinitionen ist, bei aller qualitativen oder methodischen Differenz, ein Grundtypus, dessen Basis „die Eigenart des Wortes ist, sowohl Klangkörper als auch Bedeutungsträger zu sein“ (Rauch 1982: 28); Klang und Bedeutung werden dabei gegeneinander ausgespielt. (Heibert 1993, S. 12) Als Beispiel mag hier die Bezeichnung des Vorstandsvorsitzenden des Microsoftkonzerns Steve Ballmers als „Großwildjäger“ in einem Artikel des Magazins CAPITAL aus dem Jahr 2012 dienen ( CAPITAL 10/ 2012, S. 122ff.). Die Benennung Steve Ballmers als „Großwildjäger“ kündigt implizit schon im Titel den Inhalt des Artikels an, wenn dies auch in spielerischer Art geschieht. Aufgabe Steve Ballmers und des Microsoftkonzerns zu dieser Zeit war, laut CAPITAL , Wachstumschancen in neuen digitalen Kategorien zu nutzen und Apples Vorsprung auf diesen Märkten einzuholen, gleichsam wie ein „Jäger“ den Applekonzern wieder „einzufangen“. Die Jagd ist hier gleichsam eine Metapher für den Rückgewinn des verlorenen Geländes. Das Kompositum „Großwild“ ist eine Metapher für Apple und gleichzeitig auch eine Bezugnahme auf die Größe des Applekonzerns, welchen es einzuholen gilt. Mit dem Substantiv „Jäger“ ist der Vorstandsvorsitzende und Wirtschaftsakteur Steve Ballmer gemeint. Die narrative Dimension wird noch durch das Bild auf der ersten Seite des Artikels verstärkt: Hier sieht man Steve Ballmer hinter einem „Fenster“ im „Windowslook“ stehen und „nach Beute“ Ausschau halten. Die Verwendung eines Übernamens im Titel kann auch ein Wortspiel mit dem Eigennamen eines Wirtschaftsakteurs sein. Als Beispiel soll hier ein Artikel über die Deutsche Telekom aus dem Magazin CAPITAL mit einem Wortspiel über den Namen des damaligen Geschäftsführers der Deutschen Telekom, René Obermann, aufgeführt werden. Der Titel lautet: „René Übermann“ (CAPITAL 04/ 2011, S. 25). Das Wortspiel ist leicht verständlich und regt geradezu zur Lektüre an. Wiederum sucht der Journalist über die Auswahl des Spitznamens Interesse herbeizuführen: Schon im Titel schafft der Schreiber eine versteckte Kritik gegenüber Obermann, da seine Geschäftsergebnisse bei der Deutschen Telekom nicht den Erwartungen der Märkte entsprechen. Trotz dieser relativen Fehlleistung scheint René Obermann, so der Journalist, in der Öffentlichkeit einen guten Ruf zu behalten und seine zahlreichen Aufgaben zu meistern. Marie-Laure Pflanz 60 1.3 Spitznamen englischer Herkunft Die oben erwähnten Beispiele sind Spielwörter mit deutschen Lexemen. In letzter Zeit dient allerdings die englische Sprache häufiger dazu, dem Journalisten Stoff für einen prägnanten Titel zu geben. Zum Beispiel veröffentlichte im Jahr 2013 DER SPIEGEL (42/ 2013, S. 74ff.) einen Artikel über die neue Strategie des Technologiekonzerns Yahoo. Der Artikel wird mit einem Foto der weltweiten Geschäftsführerin Marissa Meyer illustriert und eingeführt. Der Titel lautet „Frau mit Freak-Faktor“. Der Journalist verlässt sich hier, um Interesse für den Artikel zu erwecken, auf die Zweideutigkeit des Anglizismus „Freak“: einerseits ist ein Freak eine computerbesessene Person - die meist auch computerbegabt begabt ist - und andererseits bezeichnet dieses Lexem ursprünglich ein Monster. 3 Der Beiname dient auch dazu, diese Provokation etwas zu verhüllen, denn der Vergleich eines Top-Managers eines großen IT-Konzerns mit einem Untier ist auf Englisch eher akzeptabel als in deutscher Sprache. Die Technik des „Code-Switching“ bringt eine Distanz zur möglichen Kritik, vor allem deswegen, weil der Bildträger englischer Herkunft ist. Weiterhin sind sowohl der Yahoo-Konzern als auch Marissa Meyer amerikanischer Herkunft, wodurch sich die englische Sprache ebenfalls erklären lässt. Auf die verschiedenen Funktionen der Anglizismen wird im dritten Teil kurz eingegangen. Anglizismen werden aber vom Schreiber auch für deutsche Personen kreativ verwendet, um Beinamen mit neuen Wortbildungen zu erfinden. In einem CAPITAL -Artikel des Monats April 2013 (04/ 2013, S. 22ff.) wird ein Prominentenpaar dargestellt: Paul Achleitner, Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank und seine Gattin Ann-Kristin Achleitner, u.a. im Aufsichtsrat der Munich-Re Versicherung sitzend und gleichzeitig Professorin an einer Hochschule in München. Neben beider Foto ist folgende Überschrift zu lesen: „das A-Team“. Der Nachname des Ehepaares beginnt mit dem Buchstaben „A“, und beide arbeiten in ähnlichen Wirtschaftssegmenten als mögliches „Team“. Diese Benennung im Titel bezieht sich auf eine bekannte amerikanische Fernsehserie der 1980er Jahre. Somit wird das Ehepaar Achleitner mit einer Gruppe ehemaliger Angehöriger einer Spezialeinheit der US-Armee verglichen, das sogenannte „A-Team“, welches Probleme in der amerikanischen Provinz mit oft recht ausgefallenen Methoden löste. Übertragen bedeutet dies, dass das Ehepaar Achleitner ebenfalls in der Lage ist, Probleme der deutschen Wirtschaft zu lösen. In der Tat sind sie Mitglieder in verschiedenen Gremien und Aufsichtsräten und fungieren dort oft als Mittler oder Vermittler. 3 Es könnte, in den Augen des Lesers auch eine Anspielung auf das Fernsehprogramm „Fear Factor“ hinzukommen. Dabei handelt es sich um eine Reality Show, die mit Ängsten der Kandidaten spielt. Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 61 1.4 Das Prinzip eines Wortspiels Bezeichnungen in Titeln sind oft erfundene Namen - Ad-hoc-Kreationen also -, daher sind es eher „Spitznamen“. Wenn ein solcher Übername schon im Titel verwendet wird, geht es darum, der Leserschaft einen Anreiz zur Lektüre zu liefern. Die verschiedenen Nomina, die später innerhalb des Textes verwendet werden, sind im Gegenteil dazu meist gängigere Bezeichnungen. All diese Bei- und Übernamen beruhen auf Wortspielen. Daher werden wir uns kurz mit der Technik eines Wortspiels beschäftigen. 1.4.1 Rolle der Metasprache Die Benutzung eines Wortes kann nur dann ein Wortspiel ergeben, wenn eine bestimmte Voraussetzung erfüllt wird, und zwar dass das Wort in einer bestimmten Weise metasprachlich verwendet wird (auch im Sinne Jakobsons). Somit treffen Signifikant und Signifikat auf einer Ebene aufeinander, die vom Leser nicht erwartet wird. Dies stellt auch Hausmann fest, der die metasprachliche Rolle des Wortspiels folgendermaßen darstellt: Das Kennzeichen der metasprachlichen Formulierung ist ja das Ablösen der Information vom Sachkontext, von der Situation, während das Wortspiel gerade angewiesen ist auf eine Situation, auf einen Sachkontext. Oder anders ausgedrückt: Das Denotatum einer metasprachlichen Aussage ist die Sprache, jedes Wortspiel denotiert aber auch einen Sachverhalt auf der Objektebene. (Hausmann 1974, S. 16) Was Hausmann als Paradoxon darstellt, ist nichts anderes als die Beschreibung der „connotation autonymique“, wie Rey-Debove sie theorisiert: On appelle connotation langagière réflexive, ou autonymique, la situation d’un signe qui signifie, comme connotateur son signifiant et son signifié dénotatif […] La connotation autonymique offre l’intérêt de signifier en bloc la chose et son nom, et de mettre en relation deux niveaux de langage dont l’un est hors code. (Rey-Debove 1997, S. 253f.) Für Rey-Debove stellt also die „connotation autonymique“, die autonymische Konnotation, einen Zwischenzustand zwischen Objektsprache und Metasprache dar, da das Wort gleichzeitig auf sich und auf eine außersprachliche Referenz hinweist. Es könnte sich die Frage stellen, inwieweit ein Wortspiel tatsächlich unter der Kategorie „connotation autonymique“ einzureihen wäre, da das Lexem oder Syntagma im Fall von autonymischer Konnotation ein Zeichen seines Status tragen muss (Rey-Debove 1997, S. 259). Da es sich aber in diesem speziellen Fall um die Verwendung von Humor handelt, geht der Schreiber in jedem Falle das Risiko ein, nicht verstanden zu werden; daher ist die Abwesenheit Marie-Laure Pflanz 62 eines expliziten Zeichens von Autonymie zu erklären. Rey-Debove schreibt selbst, dass die „connotation autonymique“ ein bevorzugtes Terrain für Wortspiele ist (ebd., S. 280f.). Es ist also kein Paradoxon, dass im Fall von Humor die autonymische Konnotation weder visuell noch sprachlich explizit wird, sondern die implizite autonymische Konnotation hier gerade Träger des Wortspiels ist. 1.4.2 Verschiedene Techniken Der Großteil der Wortspiele, die in Titeln von Wirtschaftsartikeln auftreten, beruhen auf dem Prinzip der Annomination oder der Paronomasie. Im Fall der Annomination kollidiert die eigentliche Bedeutung mit der übertragenden Bedeutung eines Lexems. Diese Technik wird für die Bezeichnungen „Großwildjäger“ und „Frau mit Freak-Faktor“ verwendet. Dies ist nicht mit der Paronomasie zu verwechseln; dabei handelt es sich um ein Wortspiel durch Koppelung klangähnlicher oder gleich lautender Wortformen, die im Unterschied zum Polyptoton und zur Figura etymologica keinen semantischen Zusammenhang haben. (Bußmann 2008, S. 508) Als Beispiel sollen die Lexeme „Obermann“ und „Übermann“ dienen: Sie unterscheiden sich nur durch einen Buchstaben und eignen sich daher sehr gut als Paronyme. Im Fall der Verwendung der Bezeichnung „das A-Team“ finden wir kein Wortspiel im eigentlichen Sinne. Der Witz beruht auf einer suggerierten Analogie zwischen dem beruflichen Leben des Ehepaars Achleitner und den Aufgaben der amerikanischen Serienprotagonisten, der Eigenname „A-Team“ wird hier generisch verwendet, gemäß der Technik der Antonomasie. Dieses Hin und Her zwischen Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit beruht auf komplexen Mechanismen, die auf verschiedene Ebenen der Sprachfunktionen anspielen. Die Wortspiele regen zur Lektüre an und ermöglichen dem Schreiber gleichzeitig, seine Meinung auszudrücken und ein Urteil abzugeben. Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 63 2. Beinamen, die mit der Textgliederung zusammenhängen Wirtschaftsartikel werden üblicherweise als journalistische Textmuster betrachtet. Das Hyperthema solcher Artikel ist grundsätzlich ein Unternehmen und/ oder sein Vorstand/ Geschäftsführer, der in diesem Fall oft in metonymischem Zusammenhang zum Unternehmen steht. Ist diese Person das Hauptthema des Textes, dann wird sie im Text regelmäßig erwähnt. Man spricht hier von einer Referenzkette. Der Referent - also das außersprachliche Bezugsobjekt, auf das sich der Text bezieht - bleibt der gleiche. 2.1 Das Prinzip der Renominalisierung Laut Weinrich ist „die einfachste Form der Rekurrenz [...] die wörtliche Wiederholung des gleichen Nomens“ (Weinrich 2005, S. 369). Im Artikel „Frau mit Freak-Faktor“ über Marissa Meyer wäre es das Einfachste, immer wieder „Marissa Meyer“ zu wiederholen. Um eine Redundanz zu vermeiden, wird dazwischen immer wieder das Pronomen „sie“ anaphorisch verwendet. Dem Prinzip der Renominalisierung (ebd., S. 377) zufolge wird zwischen Pronomen und Substantiven abgewechselt. Für die referenzielle Funktion des Textes würde dieses Vorgehen ausreichen. Was den Stil und die Informationsstruktur des Artikels angeht, wäre dies jedoch unzureichend. Der Text wäre trocken, bliebe langweilig, gerade wenn es, wie hier, um Themen aus der Wirtschaft geht. Aus diesem Grund greift der Schreiber andere Nomina auf, die den gleichen Referenten bezeichnen: In vielen Texten finden wir indes die Konstanz des Themas weniger durch eine wortgleiche Rekurrenz seiner Nomina als vielmehr durch eine Abfolge verschiedener Nomina mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung gesichert. Durch diese „Quasi-Rekurrenz“ lässt sich das Durchhalten der textuellen Thematik mit lexikalischer Variation vereinbaren. (ebd., S. 370) 2.2 Zwei Beispiele Wenn sich ein Artikel mit einem Manager beschäftigt, bekommt dieser im Laufe des Artikels verschiedene Beinamen. Bei Betrachtung eines weiteren Beispiels, einer Reportage über Emilio Botin, den Chef der spanischen Bank Santander ( CAPITAL 12/ 2012, S. 72ff.), wird dies klar deutlich. Schon im Titel wird Emilio Botin sehr aufwertend dargestellt: „Ein Bankier wie ein Baum“. Die in der heutigen Wirtschaftssprache immer seltener werdende Verwendung des Gallizismus „Bankier“ hat eine klar aufwertende Bedeutung (siehe Pflanz 2012). Diese Person wird im Artikel der Reihe nach noch folgendermaßen bezeichnet: Marie-Laure Pflanz 64 Emilio Botin El Presidente Emilio Botin-Sanz de Santuolay Garcia de los Rios der Patriarch der kleinwüchsige Mann mit der hohen Stirn der „kleine Emilio“ den damals 52-Jährigen Emilio III der Junior Großwildjäger der interviewscheue Chef der Jesuitenschüler dem Präsidenten der Chef (der erste) europäische(r) Banker Spaniens Vorzeigebanker Emilio El Presidente Im Verlauf des Textes werden weiterhin regelmäßig sein regulärer Name sowie Pronomina anstelle dieser Bezeichnungen verwendet. Die Liste macht offenkundig, dass die Auswahl der Beinamen und Übernamen der Leserschaft zusätzliche Informationen über den Protagonisten des Artikels liefert. Der Artikel enthält also physische und biografische Elemente, die in einigen Fällen über die berufliche Welt weit hinausgehen. In einem Artikel über Karen Heumann, eine Werbemanagerin ( CAPITAL 01/ 2007, S. 135-140), finden wir eine ähnliche Situation. Den ersten Beinamen finden wir schon im Titel: „die Kundenversteherin“. Dann wird die Protagonistin im Lauf des Artikels folgendermaßen genannt: Karen Heumann der schlanken Frau mit dem locker gebundenen Pferdeschwanz die 41-Jährige Chefstrategin die Wirtschaftswissenschaftlerin Top-Managerin „Markenpatriotin“ Heumann die Frau mit dem Mädchennamen Wörner „La Teutonne“ die neue Chefin die bekennende Hobbygärtnerin die Dame des Hauses die Werbefrau Karrierefrau Macherin des Jahres die Managerin Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 65 Es geht hier nicht so sehr darum, Wortspiele zu erzeugen, sondern verschiedene Benennungen für die Wirtschaftsakteure Emilio Botin oder Karen Heumann einzuführen. Die eingeführten Namen können entweder übliche Bezeichnungen für einen Topmanager sein oder können spezifisch sein und somit ausschließlich die porträtierte Person beschreiben. Dieser Renominalisierungsprozess mit verschiedenen Benennungen erfüllt drei Funktionen: - Erstens werden dem Leser nach und nach Informationen über die beschriebene Person gegeben. - Der Journalist kann zweitens damit die Textstruktur erleichtern oder sie zumindest nicht unnötig komplizieren (durch getrennte, zusätzliche Sätze würde der „rote Faden“ des Artikels unterbrochen). - Drittens wird der Artikel abwechslungsreicher und interessanter dargestellt. Es stellt sich nun die Frage, ob diese verschiedenen Beinamen auch kategorisiert werden können. Tatsache ist, dass diese verschiedenen Bezeichnungen sowohl die berufliche als auch die private Sphäre betreffen. 2.3 Schnedeckers Theorie Schnedecker (2005) hat festgestellt, dass Bezeichnungen, die nach und nach verwendet werden, typisch für die Pressesprache sind; es handelt sich genauer gesagt um ‘Porträtartikel’. Was den Inhalt dieser zusätzlichen Informationen angeht, können sich, so Schnedecker, diese Bezeichnungen auf vier verschiedene Domänen der beschriebenen Person beziehen: - Beruf, - Diverse Lebensetappen, - Objektive Charakteristiken, meistens physischer Natur, - Subjektive Charakteristiken, meist aufwertend. Diese vier Kategorien lassen sich in der Tat in deutschsprachigen Wirtschaftsartikeln wiederfinden. 2.3.1 Beruf Der Beruf wird oft erwähnt, und dazu werden zwangsweise Informationen über den Studiengang oder beruflichen Werdegang eines Managers gegeben. So findet man für den Vorstandsvorsitzenden einer Firma sehr oft in deutschen Artikeln die gängigen Bezeichnungen „Chef“, „Boss“, „CEO“ oder „Topmanager“. Marie-Laure Pflanz 66 In unseren beiden Beispielen findet man „Bankier“, „Spaniens Vorzeigebanker“, „europäischer Banker“, „der Chef“ und sogar „El Presidente“ für Emilio Botin. Was Karen Heumann angeht, sind die Bezeichnungen „Chefstrategin“, „Wirtschaftswissenschaftlerin“, „Top-Managerin“, „die neue Chefin“, „die Werbefrau“, „die Managerin“ in diese Kategorie einzuordnen. 2.3.2 Lebensetappen Im oben erwähnten Artikel über Emilio Botin und die Bank Santander sind die verschiedenen Lebensetappen des Bankers aufzufinden, und zwar folgende: „der Patriarch“, der „kleine Emilio“, „Emilio III“, „der Junior“, „der Jesuitenschüler“. Bei Karen Heumann geht es genau so: „die 41-Jährige“, „die Frau mit dem Mädchennamen Wörner“. 2.3.3 Physische Merkmale In jedem der Artikel lässt sich jeweils ein Beiname finden: „der kleinwüchsige Mann mit der hohen Stirn“ (Botin) und „die schlanke Frau mit dem locker gebundenen Pferdeschwanz“ (Heumann). 2.3.4 Subjektive Charakteristika In dieser Kategorie finden wir Bezeichnungen wie „Spaniens Vorzeigebanker“, oder „der interviewscheue Chef“ für Emilio Botin. Bei Karen Heumann sind die Beinamen „Markenpatriotin“, „la Teutonne“, „Macherin des Jahres“ und „Karrierefrau“ zu finden. Alle drei Beinamen sind in beruflicher Hinsicht zu verstehen. Karen Heumann wird „Markenpatriotin“ genannt, weil ein gewisser Affekt sie mit den Produkten verbindet, die sie vermarkten soll. Sie wurde während ihrer Studentenzeit in Südfrankreich „la Teutonne“ genannt, weil sie so zielstrebig, ehrgeizig und genau war. Und sie kann „Karrierefrau“ genannt werden, weil sie mit 41 Jahren eine beispiellose Karriere in der Werbebranche zurückgelegt hat. Diese subjektiven Charakteristiken weisen grundsätzlich auf die beruflichen (und herausragenden) Fähigkeiten des Protagonisten hin. Ein anderes Beispiel, und zwar die Bezeichnung „Alphatier“, kommt auch des Öfteren vor. Grundsätzlich sind diese subjektiven Charakteristiken intellektueller und charismatischer Natur („Vorzeigebanker“, Alphatier“, „Superheldin“) oder heben das Ansehen des Managers in der Öffentlichkeit hervor. Es stellt sich die Frage, ob man nicht eine fünfte Kategorie hinzufügen sollte, die mit dem Privatleben der Bezugsperson zu tun haben würde. Sie könnte folgende Informationen in sich vereinen: Informationen zu Familie, zu Hob- Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 67 bys oder sonstige private Informationen. In diese Kategorie würden wir folgende Übernamen aufnehmen: der „Großwildjäger“ - hier bei Emilio Botin im eigentlichen Sinne verwendet, und nicht wie bei Steve Ballmer in übertragendem Sinne - oder auch die Bezeichnung „die bekennende Hobbygärtnerin“ für Karen Heumann. Also ermöglicht es diese „stratégie de dévoilement progressif de l’information“, so Schnedecker, einiges über einen Wirtschaftsakteur zu erzählen. Und wie schon erwähnt, wird ein Teil dieser Information nicht beruflicher Natur sein. 3. Die spezifische Rolle der Anglizismen Es geht aus dieser Analyse hervor, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bezeichnungen, die für die Wirtschaftsakteure und besonders für Topmanager benutzt werden, Anglizismen sind (vgl. auch Pflanz 2012). Zum Teil sind es Lehnwörter und zum Teil Neubildungen. Diese Tatsache kann nicht außer Acht gelassen werden. Die Gründe, weshalb die Deutschen immer wieder und immer mehr Anglizismen verwenden, sind Anlass und Gegenstand etlicher Theorien (vgl. Zindler 1959; Carstensen 1965; Glahn 2000 usw.). Fakt ist, dass Anglizismen Teil des deutschen Vokabulars geworden sind. Genauer betrachtet, stellt man fest, dass diese englischen Bezeichnungen einen stilistischen Wert haben (vgl. Pfitzner 1978). Für Pfitzner kann man diesen stilistischen Wert auf verschiedene Parameter zurückführen: das Lokalkolorit, die Sprachökonomie, den Ton und den Affekt. 3.1 Lokalkolorit Der erste Punkt ist das sogenannte Lokalkolorit. Wenn in Artikeln von englischen oder amerikanischen Verhältnissen die Rede ist, dann werden Anglizismen zur Schilderung dieser Realität benutzt (Pfitzner 1978, S. 40). Dies trifft auch für die Beinamen, die den Wirtschaftsakteuren gegeben werden, zu, wenn diese mit einer amerikanischen Bezeichnung versehen werden. Als Beispiel mag hier eine Benennung wie „Society-Queen“ für eine Texanerin dienen ( CAPITAL 08/ 2012, S. 44). 3.2 Sprachökonomie Der zweite Grund ist die Sprachökonomie, also die Kürze: viele recht kurze Anglizismen wie „Star“, „Test“ „Look“ u.a. erweisen sich für die Bildung von Komposita als sehr nützlich (Pfitzner 1978, S. 162). In diesem Zusammenhang sind immer wieder Beispiele zu beobachten, gerade in Porträtartikeln, wo eine englische Bezeichnung einen Sachverhalt sehr treffend und in knapper Form Marie-Laure Pflanz 68 zusammenfasst, wie z.B. die Kreation „No-Name-Banker“. Wir haben es hier mit einem Hapax-legomenon zu tun. Es bezeichnet einen Banker, der für eine kleine Bank arbeitet („Banker“: die Person fungiert hier als Metonymie für die Institution). Besser, und vor allem kürzer, kann man eine solche Person auf Deutsch nicht ausdrücken. Als Beispiel kann auch der schon erwähnte Artikel aus CAPITAL über die Achleitners angeführt werden. Die Bezeichnungen „It- Paar“ oder „Business-Couple“ charakterisieren in wenigen Silben die wichtige berufliche und wirtschaftliche Rolle der Achleitners ( CAPITAL 04/ 2013). 3.3 Ton Als nächster Punkt kommt das, was Pfitzner den „Ton“ nennt. Damit beschreibt er alle stilistischen Werte die im weiteren Sinne mit Humor zu tun haben (z.B.: Humor, Parodie, Ironie). Wir haben im ersten Teil dieses Beitrages schon erwähnt, wo und inwieweit dies bewusst vom Autor des Artikels eingesetzt wird (z.B. die Darstellung Marissa Meyers als „Frau mit Freak-Faktor“). 3.4 Affekt Der letzte Grund, Anglizismen zu verwenden, wäre der, dass Anglizismen mit einem besonderen Affekt verbunden sind, sei es durch Aufwertung, Abwertung oder Verhüllung (vgl. auch Altleitner 2007, S. 292ff.). Zum Beispiel wird eine Aufwertung mit der gängigen Bezeichnung „Top“manager erreicht. Das Lexem „Manager“ allein ist in der deutschen Sprache so gängig geworden (und seit der Finanzkrise des Jahres 2008 zum Teil in Verruf geraten und somit stark abwertend konnotiert), dass es eine Aufwertung mit dem Präfix „Top“ bedarf (vgl. Pflanz 2009). In der Tat werden im Fall von Anglizismen fremde Morpheme benutzt, die morphosemantisch nicht motiviert sind. Diese Morpheme sind dem Empfänger mehr oder weniger bekannt und müssen zuerst kognitiv verarbeitet werden. Gerade bei Komposita wie „Frau mit Freak-Faktor“ werden die Morpheme des Kompositums auseinandergenommen, damit das Signifikat verstanden wird. Ein Grund für die Verwendung von Anglizismen ist also auch, dass diese frei von üblichen Konnotationen sind, zumindest solange sie Neologismen sind. Abschließend lässt sich sagen, dass sich Pfitzners Parameter in allen vier Punkten auch in Personenbezeichnungen nachweisen lassen. Also trägt die Verwendung von Anglizismen in puncto Personenbeinamen dazu bei, Wirtschaftsartikeln einen besonderen stilistischen Wert zu verleihen. Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 69 4. Schluss Aus obiger Analyse geht hervor, dass Wirtschaftsakteuren in Fachartikeln viele verschiedene Bezeichnungen gegeben werden. Zum einen liegt es an der Textstruktur selbst, die einen Renominalisierungsprozess erfordert, und zum anderen gibt es gerade im Titel dem Journalisten die Möglichkeit, mit einem Wortspiel das Interesse der Leserschaft zu wecken. Hinter der spielerischen Funktion mancher Übernamen steckt ein metasprachliches Phänomen, in welchem der Schreiber gleichzeitig mit der Referenz und mit dem Code spielt. Dies entspricht dem, was Rey-Debove (1978 und 1997) als „connotation autonymique“ beschreibt, die dann eintritt, wenn ein Wort oder ein Syntagma sich gleichzeitig auf die Sprache und auf die außersprachliche Welt bezieht. Dies belegt, wie bedeutungsvoll die Metasprache ist, da sie auch immer wieder in Fachartikeln verwendet wird: Durch Metasprache werden Wortspiele erzeugt, die kreativ mit der Sprache umgehen, oft ironisch sind und die es dem Schreiber ermöglichen, verhüllt seine Meinung auszudrücken. Auf der Kommunikationsebene ist feststellbar, dass Journalisten die Technik der Renominalisierung benutzen, um dem Leser zusätzliche Informationen über die Bezugsperson zu geben: Dies ermöglicht dem Schreiber, einerseits die Textstruktur zu vereinfachen und andererseits seine Meinung verhüllt zu vermitteln. Diese Verhüllungsfunktion kann durch das Benutzen von Anglizismen noch verstärkt werden. Blakemore (1992) schreibt, dass die Verwendung von Ironie grundsätzlich ein Risiko impliziert, und zwar das Risiko, nicht verstanden zu werden. Wenn das Verstehen nun aber gelingt, dann tritt das ein, was Blakemore „increase in intimacy“ nennt: eine Erhöhung der Nähe zwischen Schreiber und Leser. Man kann hier eine Parallele zur Verwendung von Spielwörtern und nicht gängigen Anglizismen ziehen. Die Leser aber, welche die Fremdwörter und Wortspiele verstehen, genießen den Witz umso mehr. Auf jeden Fall tragen die lexikalischen Abwechslungen bei längeren wirtschaftlich orientierten Texten dazu bei, diesen Wirtschaftsartikeln eine narrative Dimension zu geben: Ihre Verwendung sagt mehr über einen Wirtschaftsakteur aus, und private Facetten dieser Person können besser offengelegt werden. Dadurch werden Wirtschaftsakteure einer breiteren Öffentlichkeit näher gebracht, näher als ihre Position im Wirtschaftsleben es alleine möglich und nötig machen würde. Heute sind Wirtschaftsakteure auch Gesellschaftsakteure und die immer häufigere Verwendung von Über- und Beinamen in Wirtschaftsartikeln ist ein deutliches Zeichen dafür. Wir sind Zeugen einer immer größeren Verflechtung des wirtschaftlichen und des gesellschaftlichen Lebens, die heute weit Marie-Laure Pflanz 70 über die alleinige Anwesenheit beim Wiener Opernball hinausgeht, wie dies noch vor einer Generation der Fall war. Literatur Altleitner, Margret (2007): Der Wellness-Effekt: die Bedeutung von Anglizismen aus der Perspektive der kognitiven Linguistik. Frankfurt a.M. Blakemore, Diane (1992): Understanding utterances. An introduction to pragmatics. Oxford. Bußmann, Hadumod (2008): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart. Carstensen, Broder (1965): Englische Einflüsse auf die deutsche Sprache nach 1945. Heidelberg. 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Eine Betrachtung zur Verwendung von Über- und Beinamen 71 Schnedecker, Catherine (2005): Les chaînes de référence dans les portraits journalistiques: éléments de description. In: Travaux de linguistique 2005/ 2. Paris, S. 85-133. Weinrich, Harald (2005): Textgrammatik der deutschen Sprache. Hildesheim. Zindler, Horst (1959): Anglizismen in der deutschen Presse nach 1945. Dissertation, Kiel. LOTHAR SCHNITZLER (BONN) NICHTS IST SPANNENDER ALS WIRTSCHAFT ERZÄHLUNG ALS ARBEIT - METHODEN UND PRODUKTIONSBEDINGUNGEN WIRTSCHAFTSJOURNALISTISCHER NARRATION Abstract Die wissenschaftliche Textanalyse blendet die Produktionsbedingungen, unter denen Narration entsteht, weitgehend aus. Der vorliegende Text will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen und zeigt die Herausforderungen von Medienarbeitern im Berufsalltag. Ebenso geht der Autor, der über zwanzig Jahre lang Redakteur beim Düsseldorfer Magazin Wirtschaftswoche war, auf die ökonomische Situation der Unternehmen ein, die Journalisten beschäftigen. Und er zeigt, wie und warum Wirtschaftsjournalisten aus trockenen Fakten spannende Geschichten machen. Vorbemerkung Gewöhnlich finden sich in einem Sammelband zu einem Kolloquium wissenschaftliche Abhandlungen. Mein Beitrag bildet - methodisch und stilistisch 1 - eine Ausnahme. Ich bin - anders als die übrigen Autorinnen und Autoren dieses Bandes - nicht in der Forschung tätig, sondern Journalist. Ich werde aus der Praxis berichten und dies in journalistisch-erzählender Manier. Meine Einlassungen über Narration sind also selbst narrativ. Im ersten Abschnitt möchte ich die Entwicklung vom fakten- und zahlenorientierten Schreiben zum erzählenden Wirtschaftsjournalismus am Beispiel der deutschen Wirtschaftstageszeitung Handelsblatt darlegen. Danach will ich die Methoden erläutern, die meine Zunft nutzt, um langweiliges Aufzählen (von Fakten und Zahlen) durch lebendiges Erzählen zu ersetzen. Zum Schluss gehe ich auf die redaktionellen Zwänge und das wirtschaftliche Umfeld ein, die die Arbeit von Journalisten prägen. Nicht die Texte und deren Strukturen stehen im Mittelpunkt dieses Beitrages, sondern die Menschen, die sie hervorbringen sowie deren Arbeitsmethoden und -bedingungen. 1 Z.B. Verwendung der 1. Person, alltagssprachliche Wendungen etc.; gleichwohl versteht sich der Beitrag als Teil des wissenschaftlichen Diskurses. Lothar Schnitzler 74 Geschichte versus Artikel Anders als in der Wissenschaft geht es Journalisten nur selten um allgemeingültige Aussagen. Auch das einzelne Ereignis kann für Journalisten Relevanz haben. Journalistische Analysen gelten meist nur für den Tag und für das einzelne Ereignis, auf das sie sich beziehen. Ausnahmen wie der journalistische Essay bestätigen diese Regel nur. Ähnlich wie in der Literatur erscheint die analysierende Quintessenz in der Presse oft nur als Nebenprodukt. Im Zentrum steht die Geschichte. „Wo ist die Story? “ „Was will Deine Geschichte denn erzählen? “, lauten die Kernfragen in Redaktionssitzungen. Typisch für diese Haltung ist die Episode, die sich vor Jahren während der montäglichen Themenkonferenz der Wirtschaftswoche zutrug. Eine junge Ressortleiterin hatte die Vorstellung einer geplanten Geschichte mit den Worten eingeleitet: „Und dann haben wir noch einen Artikel über …“ Weiter kam sie nicht. Chefredakteur Stefan Baron 2 schnitt ihr das Wort ab: „Artikel kann ich nicht brauchen. Wir machen hier Geschichten.“ Einmal abgesehen von der besonderen Art des damaligen Chefredakteurs, Konferenzen zu leiten, die ein britischer Kollege einmal mit der Sitzungskultur des nordkoreanischen Verteidigungskomitees verglichen hat, ist der Begriff Artikel unter Journalisten inzwischen fast zu einem Unwort geworden. Tatsächlich geht der Trend in der gesamten Berichterstattung seit langem vom faktenbefrachteten Artikel zur lebendigen Geschichte. Selbst in Tageszeitungen, die traditionell der Nachricht verpflichtet sind, finden wir heute „magazinig“ erzählte Geschichten längst nicht nur auf der Seite 3, wo schon immer die Reportagen und Hintergrundstorys ihren Ort hatten. Vom Faktenhuber zum Storyteller Ich werde in den folgenden Zeilen die Wandlung vom Faktenjournal zur narrativen Zeitung am Beispiel des Handelsblattes erläutern. Die Wirtschaftswoche, für die ich als Redakteur in den Jahren 1991 bis 2013 schrieb, und das Handelsblatt erscheinen im gleichen Verlag, die Redaktionen arbeiten völlig getrennt, sitzen aber im gleichen Haus. Als ich Anfang der Neunzigerjahre im Verlagshaus auf der Düsseldorfer Kasernenstraße anfing, fühlten sich die Kollegen der Wirtschaftswoche den Journalisten des Handelsblattes schreiberisch deutlich überlegen. Mit einem gewissen Recht: Während die Handelsblatt-Artikel (hier ist das Wort Artikel angebracht) vor allem Zahlen und Fakten präsentierten, bettete die Wirt- 2 Stefan Baron, Chefredakteur der Wirtschaftswoche von 1991 bis 2007, 1991 bis 1996 zusammen mit Volker Wolff. Nichts ist spannender als Wirtschaft 75 schaftswoche die trockenen Tatsachen in unterhaltsame Geschichten ein. Eine Geschichte in der Wirtschaftswoche las sich in den Achtzigerjahren wie folgt: Richtige Unternehmer Er ist ein Kapitalist aus dem Bilderbuch. René Obermann fährt Porsche und hält sich für seine Dreizimmerwohnung eine Haushälterin. „Geld“, sagt er, „ermöglicht es einem, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“ Der Spruch klingt wie die Werbung einer Bank, doch er kommt aus dem Munde eines Studenten. Der 26jährige BWL-Studiosus betreibt mit seinem Partner … 3 Handelsblatt-Artikel kamen deutlich nüchterner daher: Private Krankenversicherung: Verband legt Rechenschaftsbericht für 1985 vor. Mit Beitragseinnahmen von 13,5 Mrd. DM und Gesamtaufwendungen von rund 13 Mrd. DM stiegen die Ausgaben der 40 Mitgliedsunternehmen des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen auch im Jahr 1985 stärker als die Beitragseinnahmen. 4 Der erste Satz mutet dem Leser gleich fünf Wortungetüme von je fünf Silben und mehr zu. Keine Person, keine Aktion, kein Ort, keine Atmo, keine provokante These - nichts lockert den Artikel auf. Der Leser wird mit einem Haufen von abstrakten Zahlen und Institutionen allein gelassen. Erzählungen fangen einladender an. Solche Einstiege sind im Handelsblatt inzwischen selten geworden. Heute würden sich Überschrift und der Einstieg in die Geschichte auch im Handelsblatt wahrscheinlich wie folgt lesen: Auf dem Weg zur Pleite? Die Privaten Krankenkassen haben die Spendierhosen an. Ihre Ausgaben stiegen stärker als Einnahmen. Wie lange halten die Privatkassen das noch durch? Noch sind die Versicherungen nicht im Minus, aber mit 13 Milliarden ... Das Handelsblatt musste - nicht zuletzt aus kaufmännischen Gründen - den Weg vom nüchternen Zahlenchronist zum Storyteller gehen. Der Kulturwandel, den ich als Redakteur des Schwesterblatts Wirtschaftswoche aus nächster Nähe verfolgen konnte, dauerte fast 20 Jahre. Und er beschränkte sich nicht auf den Schreibstil. Auch die Menschen änderten sich. Es gab dort einen Journalistentyp, der inzwischen verschwunden ist. Manche Kollegen bezeichneten diese oft älteren Mitarbeiter im Scherz als „Herrenreiter-Journalisten“. Sie trugen stets Krawatte zum dunklen Anzug und wirkten im persönlichen Umgang eher dis- 3 Wirtschaftswoche 16/ 1989, Seite 42 ; Obermann war von 2006 bis 2013 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom. 4 Handelsblatt Nr. 110 vom 12.6.1986, Seite 10. Lothar Schnitzler 76 tanziert. Rheinische Leichtigkeit war ihnen trotz des Redaktionssitzes in Düsseldorf fremd. Im Auftreten glichen sie damit den Bankiers und Industriekapitänen, über die sie schrieben. Die „Herrenreiterkollegen“ verfügten - nicht zuletzt deshalb - über hervorragende Verbindungen in die Unternehmen und in die Politik. Die Nähe zu den Wirtschaftsführern führte dazu, dass die Kollegen die Gerüchte in den Führungsetagen der Unternehmen oft kannten, bevor sie sich verbreiteten. Davon konnte man aber im Blatt meist nichts lesen. „Wenn das Handelsblatt alles veröffentlichte, was es so weiß ...“, war seinerzeit ein geflügeltes Wort. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einem älteren Branchenexperten des Handelsblattes. Ich, damals noch junger Magazinjournalist, hatte spöttisch bemerkt, dass die Artikel im Handelsblatt sich häufig eng an die Pressemitteilungen der Unternehmen hielten. „Wir halten uns an die Fakten“, meinte der Kollege dazu, „Gerüchte sind für uns kein Gegenstand. Wir rätseln nicht herum, über das, was kommen mag. Wir schwafeln nicht“. Anders gesagt: Keine Spekulation, keine Wertung, keine Geschichten. Das ist heute ganz anders - so wie das Bild, das sich den Besuchern in der Redaktion bietet. Die Kollegen sitzen in T-Shirt oder Pullovern am Computer und tragen Krawatte nur, wenn sie einen außerhäusigen Termin haben. Man duzt sich. Die Einzelzimmer sind durch Redaktionssäle ersetzt worden. Geändert hat sich auch die Geschlechtszusammensetzung. Rund ein Drittel der „Kollegen“ sind heute Kolleginnen. Damals gab es im Wirtschaftsjournalismus nur wenige Frauen. Warum erzähle ich diese Einzelheiten? Zum einen, um wie eingangs erwähnt zu verdeutlichen, dass die Geschichten nicht aus einer Redaktionsmaschine kommen, sondern dass hinter den Storys - wie schon zu Märchenzeiten - konkrete Erzähler stecken. Zum anderen, um zu zeigen, dass es einen bestimmten Typus von Menschen braucht, der erzählen kann. Die so genannte Herrenreiter-Generation der Wirtschaftsjournalisten war zum Storytelling kaum in der Lage. Ich erinnere mich noch an die Klage eines Handelsblatt- Kollegen, der seinerzeit klagte: „Wer von uns kann ein lebendiges Portrait schreiben? “ Das Handelsblatt stand mit der zögerlichen Erschließung der Narration als journalistisches Mittel nicht allein. Tatsächlich hat der deutsche Wirtschaftsjournalismus das Erzählen mit hundertjähriger Verspätung entdeckt. Andere Pressegenres nutzten die Narration viel früher. Alfred Kerr, Egon Kisch oder Josef Roth erzählten schon Anfang des vergangenen Jahrhundert Geschichten. Das verspätete Storytelling im Wirtschaftsjournalismus führte dazu, dass sich der Wandel dann beschleunigt vollzog, im Kern zwischen 1995 und 2005. Eine Ausnahme bilden dabei die Wirtschaftsmagazine, die bereits ab den Nichts ist spannender als Wirtschaft 77 Sechzigerjahren 5 verstärkt narrative Formen nutzten. Dennoch dauerte es über 30 Jahre, bevor sich das Erzählen als selbstverständliches Stilmittel auch außerhalb der Magazinwelt durchsetzte. Zuletzt gaben kaufmännische Gründe den Ausschlag: So war das Handelsblatt spätestens ab der Gründung der deutschen Financial Times im Jahr 2000 gezwungen, erzählerische Formen noch stärker zu betonen. Der Wandel des Handelsblattes vom Faktenzähler zum Storyteller vollzog sich im Wesentlichen in drei längeren Phasen. 1) Die erste Phase begann bereits 1989 unter dem Chefredakteursgespann Rainer Nahrendorf und Waldemar Schäfer. 6 Ab 1995 wurden die Artikel in verstärktem Maße erzählerischer. Aber es gab noch immer weite Strecken im Blatt im gewohnten nachrichtlichen und offiziösen Stil. Das Duo kreierte eine narrative Report-Seite und holte Edelfedern (auch von linken Blättern) in die Redaktion. Bis dahin hatte fast ausschließlich die wirtschaftliche Fachkompetenz gezählt. 2) Die zweite Phase setzte 1999 ein, als Berndt Ziesemer zum stellvertretenden Chefredakteur befördert wurde. Ziesemer hatte zuvor für die Wirtschaftswoche 7 gearbeitet, war also von Hause aus „Magaziner“ und damit Erzähler. Die Überschriften wurden witziger, die Anzahl der Geschichten im Blatt nahm zu. Und er wechselte das Nordische Zeitungsformat gegen das kleine Tabloidformat aus. 3) Einen starken Schub in Richtung Erzählen gab es unter der Ägide von Gabor Steingart 8 ab 2010. Auch Steingart war Magaziner, zunächst bei der Wirtschaftswoche, ab 1990 beim Spiegel. Unter seiner Führung wurde das Blatt meinungsstärker - und boulevardiger. Kampagnen wurden ein Mittel, um Leser zu fesseln. Erinnert sei hier an seine umstrittene Einstandskampagne: „Wir kaufen griechische Staatsanleihen“ (so im Handelsblatt vom 3. Mai 2010, S. 6). 5 Einige Wirtschaftsmagazine wurden zwar vor den Sechzigerjahren gegründet. Die Wirtschaftswoche z.B. geht auf den 1926 gegründeten Deutschen Volkswirt zurück. Sie erhielt ihren Charakter als narratives Magazin aber erst nach der Umbenennung in „Wirtschaftswoche“ im Jahre 1970. 6 Co-Chefredakteure von 1989 bis 2001, bis 1994 mit Hans Mundorf, ab 2002 mit Berndt Ziesemer. 7 Zwischen 1990 und 1994 arbeitete Ziesemer als gemeinsamer Moskau-Korrespondent sowohl für die Wirtschaftswoche wie für das Handelsblatt, danach bis Ende 1997 war er Wirtschaftswoche-Korrespondent in Tokio, 1997 bis 1999 Autor für die Wirtschaftswoche. 8 Gabor Steingart wechselte mit Beginn des Jahres 2013 in die Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt, arbeitet aber weiterhin auch journalistisch für das Blatt. Als Chefredakteur folgte ihm Hans-Jürgen Jakobs. Lothar Schnitzler 78 Die gute alte Tante Handelsblatt, die brav die Pressemitteilungen umformulierte, ist spätestens seit Gabor Steingarts Einstieg tot. Heute ist das Handelsblatt im Grunde ein Magazin im Zeitungsformat. Nur so ist es dem Blatt gelungen, die Konkurrentin Financial Times Deutschland 9 schließlich in die Knie zu zwingen. Der deutschsprachige Ableger der britischen Wirtschaftstageszeitung musste Ende 2012 das Erscheinen einstellen. Mit ihrem narrativen Stil hatte die Financial Times Deutschland das Handelsblatt über Jahre vor sich her getrieben - nicht geschäftlich, aber journalistisch. Steingart stellte kurz nach der Einstellung des Blattes dazu fest, dass er möglicherweise seine Bestellung an die Spitze der HB-Redaktion der Financial Times Deutschland verdanke: „[Die]… haben das Handelsblatt auf Trapp gebracht. Dafür muss man dankbar sein. Vielleicht wäre ich als Chefredakteur, als jemand, der 20 Jahre vorher beim Spiegel war, gar nicht in Düsseldorf auf diesem Posten heute.“ 10 Narration als Verführung Nun sind in den vergangenen Jahrzehnten etliche Analysen zum Zusammenhang von verlegerischem Erfolg und Storytelling erschienen. Ich begnüge mich an dieser Stelle mit einem Verweis auf die Veröffentlichungen des Readership Institutes der Northwestern University 11 in Evanston und der Nieman Stiftung an der Harvard Universität 12 . Vom kapitalistischen Verwertungsinteresse abgesehen, scheiden sich jedoch bei der Diskussion über Storytelling seit jeher die Geister. Die einen verurteilen die Emotionalisierung und Personalisierung, die typisch fürs Storytelling sind. Diese Fraktion behauptet, die narrative Präsentation erschwere dem Leser die kritische Distanz und Analyse. Oft schwingt in dieser Argumentation der Vorwurf des Boulevardjournalismus mit. Hier sei hingewiesen auf die Studien von Cornelia Voss über Emotionalisierung und Narration in der Bild- 9 Die Financial Times Deutschland startete am 21. Februar 2000 und stellte am 7. Dezember 2012 das Erscheinen ein. 10 Deutschlandfunk, 7. Dezember 2012: „Handelsblatt-Chefredakteur: Einstellung der FTD ökonomisch auch Erleichterung, Gabor Steingart im Gespräch mit Silvia Engels zur Einstellung der Financial Times Deutschland.“ 11 The Power to grow Readership, Evanston 2001, o.A. www.readership.org/ impact/ power_to_ grow.pdf; siehe dazu auch Berning 2009, www.reporter-forum.de/ fileadmin/ pdf/ Theorie/ Berning.pdf. 12 Der Gründer des Nieman Program on Narrative Journalism an der Harvard University, Mark Kramer, bringt diesen Zusammenhang auf den Punkt: „[…] The basic assertion is simple - newspapers might both improve coverage and retain more readers by employing storytelling techniques to convey news. […] Editorial interest in narrative has been stimulated in the course of a search for remedies to widespread current business problems: declining or stagnant newspaper circulation, aging readership, and decreased minutes spent reading papers.“, Narrative Journalism comes of Age, Nieman Reports Fall 2000, Article I, Cambridge, MA. Nichts ist spannender als Wirtschaft 79 zeitung (Voss 1999) und von Peter A. Bruck und Günther Stocker zur Rezeption von Boulevardblättern (Bruck/ Stocker 1996). Andere betonen den aufklärerischen Charakter der Narration. Storytelling ermögliche auch Lesern mit geringerer Vorbildung die Teilnahme am öffentlichen Diskurs, die bei bloßer Faktenvermittlung gleich am Anfang des Artikels ausstiegen oder die Lektüre gar nicht begonnen hätten. So fordert der Medienforscher Herbert Flath in seiner umfassenden Untersuchung „Storytelling im Journalismus“ geradezu mit Nachdruck Narrativität, denn zur Aufgabe des Journalisten gehöre auch, „Informationen so zu gestalten, dass der Rezipient sie versteht und sich ihnen überhaupt zuwenden möchte“ (Flath 2012, S. 4). Flath referiert einen weiteren gesellschaftspolitischen Aspekt journalistischen Storytellings: Für die Experten unter den Lesern (z.B. Manager, Banker oder Unternehmer) bringe Storytelling zwar einige (wenige) Nachteile mit sich wie den etwas größeren Zeitaufwand bei der Rezeption im Vergleich zu einem nachrichtlich strukturierten Artikel. Den Laien, wie jenen Lesern, die erst im Rahmen der Popularisierung von Wirtschaft zur Wirtschaftspresse gestoßen sind, biete narrativer Journalismus dagegen erhebliche Vorteile wie bessere Merkbarkeit, Unterhaltung, Schwellenabbau (ebd., S. 253ff.). Im journalistischen Alltag spielen diese Überlegungen allerdings keine große Rolle. Sie gehören zu den beliebten Themen der Studiengänge für Journalismus oder auf Medientagungen von Parteistiftungen oder kirchlichen Einrichtungen. Wenn Journalisten vor dem Computer sitzen - die Deadline im Nacken - und sich den Kopf über einen Einstieg oder eine Überleitung zerbrechen, wollen sie vor allen Dingen die Leser in die Geschichte hinein ziehen oder beim Lesen halten, kurz gesagt: Spannende Storys bringen. Wie erzählen? Was aber macht eine gut erzählte Geschichte aus? Eine gut erzählte Geschichte ordnet das Gerümpel der Botschaften. Sie hält die Leser bei der Stange. Sie appelliert gleichzeitig an Bauch und Kopf. Sie hinterlässt Spuren im Hirn des Lesers. Der Folk- und Rockpoet Bob Dylan sagte einmal über Barack Obama, der unter anderem ein erfolgreicher Autor war, bevor er US-Präsident wurde: „Er lässt dich gleichzeitig fühlen und denken.“ 13 13 Zitat übersetzt durch den Autor; Original siehe: The Atlantic, Daily Dish, 6.4.2009, www.theatlantic.com/ daily-dish/ archive/ 2009/ 04/ -it-makes-you-feel-and-think-at-the-same-time-andthat-is-hard-to-do/ 203516/ . Dylan lobt darin den narrativen Stil Obamas: „His writing style hits you on more than one level. It makes you feel and think at the same time, and that is hard to do. He says profoundly outrageous things. He‘s looking at a shrunken head inside of a glass case in some museum with a bunch of other people, and he‘s wondering if any of these people realize that they could be looking at one of their ancestors.“; siehe dazu und zu den vorlaufenden Zeilen auch Lampert/ Wespe (2011, S. 11) sowie Poganatz (2012, S. 53). Lothar Schnitzler 80 Möglich machen Journalisten das vor allem mit zwei Mitteln: Personalisierung und Emotionalisierung. Wir lassen den Leser die Angst, Hoffnung, Enttäuschung und den Triumph der Hauptfigur durchleben. Der Leser imitiert im Geiste das Fühlen der Figuren. Damit erreichen wir, dass der Leser gepackt wird und unsere Geschichte liest. Hinzu kommt die Nutzung der „narrativen Gier“ (Bruck/ Stocker 1996, S. 260) des Lesers. Er will wissen, wie es weitergeht mit seinem Protagonisten. Deswegen bauen Journalisten - besonders vor schwierigen Stellen, die den Leser herausfordern - gerne „Cliffhanger“ ein. Oder sie führen eine neue Figur ein, wenn der Protagonist ausgelutscht ist. Doch es reicht nicht, eine interessante Figur mit schönen sprachlichen Bildern vorzustellen. Journalisten folgen einer fest vorgegebenen Dramaturgie, die im Grund schon auf Aristoteles zurückgeht. Die so genannte Storykurve, die heute an allen Journalistenschulen gelehrt wird, gibt zu Anfang der Geschichte einen Höhepunkt vor, um den Leser in das Geschehen zu ziehen, dann werden die Einzelheiten und Hintergründe geliefert (der Leser ist ja bereits gefangen), um schließlich mit einem Wendepunkt oder einem augenzwinkernden Ausstieg die Geschichte abzuschließen (Lampert/ Wespe 2011, S. 19f.). Vor allem im Magazinjournalismus der Printmedien gelten eiserne Regeln. Ausnahmen gelten natürlich für Kurzmeldungen oder nachrichtliche Kästen. Im Folgenden 14 stelle ich diese Regeln vor. Zur Veranschaulichung dienen Auszüge einer Geschichte in der Wirtschaftswoche (Ausgabe 14/ 2009: „Gefallene Engel“) über das Schicksal insolventer Unternehmer. Einstieg (hohe Emotionalität): Mit einer fesselnden Szene oder einer Minigeschichte, am besten um die Hauptfigur der Geschichte. Möglich sind auch amüsante Bemerkungen, die neugierig machen. Die Geschichte von Georg Asmass* klingt wie eine Erzählung von Kafka: Ein unbescholtener Betreiber eines kleinen Reisebüros in Norddeutschland bekommt eines Morgens einen Anruf von einem großen Reiseveranstalter: Warum denn die Lastschrift von der Bank zurückgebucht worden sei? „Ein Irrtum“, dachte Asmass und rief seine Bank an. Doch von der Sekretärin des Zweigstellenleiters bekam der Reisekaufmann nur die Auskunft: Es bleibe bei den Rückbuchungen. Asmass versteht die Welt nicht mehr: „Wir waren doch solvent.“ Der eingeschaltete Anwalt kann nicht viel erreichen. Im Gegenteil: Die Bank droht dem Kaufmann mit Abbruch der Geschäftsbeziehung. Der Anwalt warnt vor Insolvenzverschleppung, Asmass geht zum Gericht. […] 14 Die hier beschriebenen Regeln basieren zu großen Teilen auf einem redaktionsinternen Papier des seinerzeitigen Textchefs (1992-1995) der Wirtschaftswoche, Christoph Peck (*1949-2011†). Nichts ist spannender als Wirtschaft 81 Danach erlebt der heute 55-Jährige eine Folge von Demütigungen, Inkompetenz und Schlampereien. […] Inzwischen arbeitet der Kaufmann in seinem einstigen Geschäft als Angestellter. Asmass hat heute kein Konto mehr, sein Gehalt bekommt er in bar ausgezahlt. *Name geändert These (sinkende Emotionaltät): Nach Zeile 30 bis 50 muss die zentrale These kommen: Immer mehr Unternehmen …, erstmals macht einer etwas, das die Branche revolutionieren könnte …, etc. Wer in Deutschland pleitegeht […], erlebt die Vertreibung aus der bürgerlichen Gesellschaft. Die Reform des Insolvenzrechtes 1999 hat für die Schuldner zwar Erleichterungen gebracht. […] Doch … Portal: (Emotionales Tal): Hier sagt der Autor, warum das Thema wichtig ist: Thema auf Kongressen, Gegenstand von Prozessen, Diskussion in der Branche oder unter Experten. Auch die Auswirkungen und Folgen der zentralen Thesen beschreiben die Autoren. […] Doch im Vergleich zu Großbritannien oder Frankreich, wo Schuldner nach einem Jahr oder 18 Monaten ein normales Leben führen dürfen, leben hierzulande gefallene Unternehmer am Rande der Gesellschaft. „Den Leuten wird das Leben unnötig schwer gemacht, das hilft auch den Gläubigern nicht“, sagt Bestsellerautorin Anne Koark, die ihre Erfahrungen als insolvente Unternehmerin als Buch veröffentlicht hat […]. In angelsächsischen Ländern erntet ein Pleiteunternehmer Bewunderung, wenn er wieder aufsteht […]. Henry Ford legte vier Pleiten hin, der Regisseur Francis Ford Coppola drei. […] Die Erfolgsrate ehemaliger Pleitiers, so eine Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn (IfM), ist ebenso groß wie die unbelasteter Gründer. „Das ist ein kleines Wunder“, sagt IfM-Insolvenzexperte Peter Kranzusch, „wenn man bedenkt, wie schwer es für Wiedergründer ist, Kredite oder einen Mietvertrag zu erhalten - von den familiären und persönlichen Schwierigkeiten ganz abgesehen“. Rückrolle (geringe Emotionalität): Wie ist es zu dem jetzigen Zustand gekommen? Was (welches Denken, welche Haltungen) hat dazu geführt? „Gestern noch angesehener Mittelständler, dessen Anweisungen befolgt wurden, heute machtloser Bittsteller bei Justiz und Verwaltung“, sagt Asmass. Dabei ist nur eine Minderheit der Insolvenzen auf kriminelles Verhalten zurückzuführen. Böswilligkeit der Schuldner ist nach Erhebungen von Autorin Koark in den von ihr angeregten Selbsthilfegruppen nur in etwa sechs Prozent der Fälle im Spiel. Lothar Schnitzler 82 Diskussion der Details (weniger Emotionalität): Aber kurze emotionale Spitzen, um den Leser bei der Stange zu halten, unter Umständen weitere Beispiele, aber kürzer. Asmass’ Verwalter ließ sich erst drei Tage nach dem Antrag blicken, nahm keine einzige Akte in die Hand und verschwand nach 20 Minuten. Anfragen wurden mit dem Hinweis abgeschmettert, der Verwalter betreue 160 Verfahren und habe keine Zeit. […] Der rheinische EDV-Unternehmer Arthur Marx* musste mit ansehen, wie sein Unternehmen in wenigen Tagen so zerfleddert wurde, dass an eine Fortführung nicht zu denken war - obgleich er sich den Verwalter in Absprache mit dem Gericht ausgesucht hatte und eine Weiterführung geplant war. „Nach vier Tagen schon hatte ich keinen Einblick mehr in die Konten.“ Bei der Ausbeinung der Büroeinrichtung kamen Computer mit sensiblen militärischen Daten unter den Hammer: Sie gingen gegen den Protest von Marx für je 50 Euro weg. Der EDV-Unternehmer ist heute, sieben Jahre nach der Zerschlagung seiner Firma, als Softwareberater tätig. Dazwischen erlebte er alle Tiefen der Insolvenzopfer. Das Privathaus wurde versteigert, Freunde distanzierten sich, die Familie zerbrach. Insolvenzler sind einsam: Nur die Hälfte der betroffenen Ehen übersteht die Insolvenz, stellte das IfM fest. Etwa 60 Prozent ihrer Ratsuchenden seien suizidgefährdet, berichtet Insolvenzberaterin Koark. Schluss (hohe Emotionalität, Lösung des emotionalen Staus): Auflösung, Überraschung, Wendung. Der Leser soll sich denken: Geht doch! Oder amüsiert aufblicken. Oder resümierend den Kopf schütteln. Dass eine Insolvenz nicht nur für Konzerne ein Neuanfang sein kann, beweist die Sanierung des Krefelder Speziallogistikers Kahl. Von Anfang an ging der […] Insolvenzverwalter […] von einer Fortführung aus. Die Söhne eines der beiden Gründer übernahmen das Ruder. Die Jungen stellten das Unternehmen in wenigen Monaten um. Es gelang ihnen, profitablere Aufträge hereinzuholen. In den vergangenen fünf Jahren haben […] die Brüder den Umsatz […] mehr als verdreifacht. „Wir stehen heute besser da als vor der Insolvenz“, sagt Kahl. Ein Ausnahmefall. […] Nur drei Prozent der Verfahren dürften 2009 nach Schätzungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform als rettende Planinsolvenz ablaufen. Tröstlich: Im Vergleich zu 2004 ist das eine Verzehnfachung. Die Hoffnung stirbt zuletzt - das gilt auch für die Insolvenzkultur in Deutschland. Nichts ist spannender als Wirtschaft 83 David gegen Goliath Ich habe in den vorlaufenden Abschnitten gezeigt, wie Journalisten Erzählungen aufbauen, warum Narration in der Wirtschaftspresse so wichtig ist und am Beispiel des Handelsblattes den Wandel vom Nachrichtenzum Erzählmedium nachgezeichnet. Im Folgenden werde ich die Bedingungen aufzeigen, unter denen Journalisten ihre Geschichten schreiben. Dabei beginne ich mit den Stör- und Stressfaktoren im Redaktionsalltag, gehe dann über zur wirtschaftlichen Lage von Journalisten und zu den Verwertungsbedingungen von Verlagskapital unter den Bedingungen der fünften Medienrevolution. 15 Geschichten schreiben sich nicht allein. Hinter jeder Geschichte steckt eine kleine Schöpfungsgeschichte. Die Storys in der Presse, die spannenden Features im Rundfunk sind Ergebnis harter Arbeit, von Kämpfen, entmutigenden Niederlagen und strahlenden Siegen sowie hartnäckigen Recherchen. 30 Anrufe oder mehr, um einen Betroffenen zu finden, der bereit ist, über seinen Fall zu sprechen, sind keine Seltenheit. 16 Nur in den seltensten Fällen reicht ein Anruf bei der Pressestelle eines Verbandes oder einer Selbsthilfegruppe, um auf den idealen Helden für die Geschichte zu stoßen. Dazu kommen die internen Auseinandersetzungen. Stressfaktoren gibt es reichlich im redaktionellen Alltag: Zeitdruck, Zwang zur Exklusivität, aber auch Fehleinschätzungen von Vorgesetzten oder Kollegen, Politkontrolle oder juristischer Druck von außen, den die Geschäftsführungen oder Chefredaktionen oft ungefiltert an die Kollegen weitergeben. Dabei gilt nach wie vor: Die besten Geschichten sind die, über die sich jemand ärgert. Also Geschichten, die Journalisten gegen die Presseabteilungen von Firmen, Ministerien oder Organisationen recherchieren. Das Problem für die Kollegen: Die Verärgerten machen Ärger. Wenn beispielsweise der seinerzeitige Geschäftsführer des deutschen Automobilclubs ADAC, Karl Obermair, die Enthüllungen von Journalisten der Süddeutschen Zeitung über mögliche Manipulationen des Preises „Gelber Engel“ als „kompletten Unsinn“ und einen „Skandal für den Journalismus“ bezeichnete, von „Unterstellungen und Unwahrheiten“ sprach, bedeutete das 15 Vgl. Giesecke (1990, S.75ff.); Giesecke definiert vier Medienrevolutionen: Sprache, Schrift, Buchdruck, elektrische und elektronische Medien ab Ende des 19. Jahrhunderts. Ergänzt durch die Unterscheidung bei Neil Postman zwischen elektrischen und elektronischen Medien ergibt sich ein fünfphasiges Modell; vergl. Postman (1993, 1985) sowie Elisabeth Burr, Sprachbetrachtungen und Medienrevolutionen, hier besonders 2. Kapitel, Medienrevolutionen im Überblick, Vorlesung Wintersemester 2002/ 03, Universität Duisburg, www.uni-leipzig.de/ ~burr/ Historisch/ Medienrevolutionen/ Medienrevolutionen_%DCberblick.pdf. 16 Lampert/ Wespe (2011, S. 61) erwähnen die Schweizer Autorin Nicole Krättli, die trotz Zusicherung der Anonymität 41 Anrufe tätigen musste, um eine Protagonistin für eine Story über junge Migrantinnen, die sich ihr Jungfernhäutchen reparieren lassen, zu finden. Lothar Schnitzler 84 für die betroffenen Kollegen, dass sie unter erheblichen Druck gerieten. In vergleichbaren Situationen klingelt das Telefon nicht nur bei den journalistischen Enthüllern. Auch bei den Chefredakteuren und bei den Verlagsleitungen machen die Bosse Druck. Bis die Lügengebäude der Beschuldigten zusammenbrechen und der investigative Journalist als Held der Redaktion gefeiert wird, kann viel Zeit vergehen. Bis dahin steht er oft im Regen. Im Falle des ADAC-Skandals verging nur knapp eine Woche, bis der mächtige Autofahrerverband klein beigab. 17 In anderen Fällen ziehen sich die Auseinandersetzungen über Jahre 18 hin. Nur selten kann ein Journalist einschätzen, welche Folgen eine Story für ihn im Nachhinein hat. Ob es einen Prozess gibt. Oder ob ein Freund des Verlegers oder Chefredakteurs vergrätzt ist. Oft genügt ein Leserbrief und die Autoren sind ihren Job los. Werbung und Wunder Wirtschaftsjournalisten müssen darüber hinaus immer damit rechnen, dass es Ärger mit Werbekunden gibt. Sie schreiben schließlich über diejenigen, die mit ihren Anzeigen dafür sorgen, dass der Verleger ihr Gehalt zahlen kann. Kritischer Wirtschaftsjournalismus ist deshalb eigentlich ein Wunder, besonders in der Berichterstattung über Unternehmen. Dazu zwei Beispiele: „Volkswagen ohne Piëch? “ - so lautete die Titelgeschichte des Handelsblattes am Freitag, den 6. September 2013. Der seinerzeit 76-jährige Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch baue gesundheitlich ab, war da zu lesen. Intern seien die Beteiligten schon mit dem Aufbau des Nachfolgers befasst. VW dementierte entschieden. Schon in der nächsten Ausgabe entschuldigte sich das Blatt auf der Titelseite mit den Worten: „Sollte das Handelsblatt mit seinen Formulierungen die Gefühle des VW-Aufsichtsratschefs verletzt haben, so bedauern wir das.“ Und einen Tag darauf erschien ein großer Artikel über den Auftritt des mopsfidelen Piech auf der Frankfurter Automesse. Es geht auch anders. Ich hatte seinerzeit eine Geschichte über die Swatch Group geschrieben, einen der führenden Uhrenbauer mit Marken wie Omega, Bréguet oder eben der Swatch 19 . Darin war zu lesen, dass die Schweizer Gruppe das Geschäft mit den Plastikuhren, die unter der Stammmarke Swatch firmieren, zugunsten der Luxusmarken herunterfahren wolle. Darüber hatte sich der inzwischen verstorbene Swatch-Group-Chef Nicolas Hayek, ein Fir- 17 Allerdings gab der Verband die Wahrheit nur in kleinen Stücken preis. Es dauerte mehrere Wochen, bevor der Verband alle Fakten offen legte. Zur Chronologie der Affäre siehe: www . t-online.de/ auto/ news/ id_67660168/ adac-affaere-in-der-chronologischen-uebersicht-abschlussbericht-von-deloitte-liegt-vor.html. 18 Siehe z.B. unter „Anwälte drohen“. 19 Wirtschaftswoche 31/ 2004, S. 40. Nichts ist spannender als Wirtschaft 85 menpatriarch alter Ordnung, ziemlich aufgeregt. Er stoppte sämtliche Anzeigen für das Blatt. Über Jahre. Auch Interviews gab es nicht mehr. Für mich als Autor hatte der Anzeigenstopp allerdings keine negativen Folgen. Der damalige Chefredakteur Baron stand nach kurzer Prüfung der Sache hinter mir - und die Verlagsleitung auch. Anwälte drohen Kommen wir zum rechtlichen Druck. Nicht immer haben Journalisten kistenweise Originaldokumente, mit denen sie ihre Behauptungen belegen können. Würde man sie darauf verpflichten, könnten sie ihrer Beobachterpflicht nicht nachkommen. Oft sind sie auf mündliche Aussagen von beteiligten Managern oder Politikern angewiesen. Die Folge ist, dass bei rechtlichen wie vorrechtlichen Auseinandersetzungen Aussage gegen Aussage steht. Vielfach kommt es deshalb - wider besseres Wissen - zu keiner Berichterstattung. Doch selbst wenn die Beweise vorliegen, müssen sich Journalisten mit Drohungen von Anwälten auseinandersetzen, manchmal bevor sie ein einziges Wort geschrieben haben. 20 Journalisten werfen bei ihrer Arbeit einen Rechercheschatten, schon allein, weil sie den Personen, über die sie berichten, Gelegenheit zur Darstellung ihrer Sicht geben müssen. Das aber gibt Medienanwälten frühzeitig Gelegenheit zur Einschüchterung. In den einschlägigen Schreiben heißt es dann: „Unser Mandant [hat] uns bereits jetzt beauftragt, eine mögliche Berichterstattung auf Zulässigkeit zu überprüfen. Wir hoffen dass eine rechtliche Auseinandersetzung vermieden werden kann.“ Wohlgemerkt, es geht nicht um wahre oder unwahre Behauptungen, sondern um die Berichterstattung an sich. Damit nicht genug. Die Schreiben schließen mit dem Verbot, diese Drohung zum öffentlichen Thema zu machen: „Eine Veröffentlichung […] dieses Schreibens auch auszugsweise würde rechtliche Schritte nach sich ziehen. Wir bitten um dringende Beachtung.“ Doch es gibt Schlimmeres als anwaltliche Drohungen im Vorfeld: Mein langjähriger Büronachbar, der spätere Wirtschaftswoche-Korrespondent in New York, Martin Seiwert, grub im Sommer 2008 eine Geschichte aus, bei der es um Betrug, Urkunden- und Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung beim 20 Wie Spiegel-Online-Kommentator Jan Fleischhauer, der im Oktober 2014 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes einige Fragen zu einer Antiziganismus-Studie gestellt hatte und darauf einen Brief eines prominenten Medienanwalts erhielt. Er forderte die Rechtsabteilung des Spiegel darin auf, „zu veranlassen, die Position meiner Mandanten wahrheitsgemäß wiederzugeben und sich an die üblichen Regeln journalistischer Sorgfalt zu halten“. Man könne „die Stoßrichtung, in die Herr Fleischhauer mit seinem Artikel hier offenbar denkt, nicht nachvollziehen“, schon die „Unterstellungen in den Fragen“ entbehrten „jeglicher Grundlage“. Siehe www.spiegel.de/ politik/ deutschland/ antidiskriminierungsstelle-fragen-unerwuenschtfleischhauer-kolumne-a-995811.html. Lothar Schnitzler 86 Maschinenbauer Mahlo ging. Das war zunächst eine tolle Story 21 für den Kollegen: Biedere Mittelstandsfirma in Bayern entpuppt sich als kriminelles Nest. Doch wenige Wochen später setzte die Unternehmensfamilie ein Verbot durch, die Behauptungen zu wiederholen. Firmenleitung und Betriebsrat sprachen von einer „beispiellosen Kampagne zur Kriminalisierung eines seriösen mittelständischen Unternehmens“ 22 . Die ursprünglich beteiligten Polizeibeamten, auch der Oberstaatsanwalt und natürlich auch mein Kollege gerieten in den Strudel von Ermittlungen. Die regionale Presse startete eine Kampagne gegen Seiwert. Fünf Jahre blieb das so. Fünf Jahre, in der der Kollege als unseriöser Journalist dargestellt werden konnte - gestützt durch Gerichtsurteile. Erst dann wendete sich das Blatt. Ein Gericht gab im Sommer 2013 Seiwert abschließend Recht. Später Sieg! Launen der Götter Wie erwähnt: Hinter jeder Story steckt eine andere Story. Die Story von einem Journalisten, der einem Manager oder Politiker telefonisch hinterherläuft und ihn erst kurz vor Abgabe in Kanton oder Baltimore an die Strippe bekommt. Oder auch nicht. Was aber, wenn der der Kernthese davon abhängt? Oder die Story von einem Journalisten, der mit seiner Familie in Ferien ist und „bis morgen“ eine paar Bespiele von Pleiteunternehmern aufschreiben soll. Oft sind die Vorgaben der Chefredakteure („Ruf’ doch mal schnell fünf Vorstandsvorsitzende an, die regelmäßig ihre Kinder schlagen ….“) unerfüllbar. Das französische Journalistenportal pigiste de l’extrême veröffentlichte im September 2014 Auszüge von Gesprächen zwischen Pariser Chefredakteuren mit ihren freiberuflichen Mitabeitern in der Provinz. Da gab es den Chef, der für einen Fernsehbeitrag Bilder von einer kinderreichen Familie verlangte „mit Kindern unter zehn, der Vater von Entlassung bedroht, die Mutter mit zwei Teilzeitjobs, die wegen der geplanten Einschränkung der Familienhilfe finanziell jonglieren müssen“. Natürlich mussten die Aufnahmen drei Stunden später fertig sein. Zusätzlich bestand der Chefredakteur auf „einem behinderten Haustier, und die Kinder sollten am besten rothaarig sein“ 23 . Ein anderer verlangte für einen Beitrag über einen Raubüberfall auf einen Juwelierladen 21 „Maschinenbau, Arm gerechnet“, Wirtschaftswoche 30/ 2008, S. 48; Wochenblatt Regensburg: „Geheimnis-Verrat bei Mahlo: Welche Rolle spielten Journalist und Staatsanwalt? “, 4.11.2010, http: / / mobil.wochenblatt.de/ nachrichten/ regensburg/ regionales/ art1172,19423 sowie „Mahlo, Whistleblower gewinnt“, Wirtschaftswoche 33/ 2013 S. 13. 22 Siehe www.finanznachrichten.de/ nachrichten-2008-07/ 11416712-mahlo-weist-berichterstattungzurueck-landgericht-muenchen-untersagt-wirtschaftswoche-verbreitung-falscher-behauptungen-ueber-mahlo-gmbh-co-kg-mahl-007.htm. 23 Siehe: http: / / pigistedelextreme.tumblr.com/ post/ 98790994319/ top-des-expressions-de-redacteursen-chef. Übersetzung aus dem Französischen durch den Autor. Nichts ist spannender als Wirtschaft 87 Gespräche mit dem Beraubten, den Zeugen, den Eltern des Räubers, dem Staatsanwalt, der Polizeigewerkschaft und einer Stimme aus dem Volke über die zunehmende Unsicherheit. Zeithorizont: Wenige Stunden. Die erwähnten Beiträge auf pigiste de l’extrême waren anonym (weil die Schreiber sonst ganz schnell arbeitslos wären). Bezeichnend aber ist, dass die anhängenden Kommentare von Journalistenkollegen ausnahmslos bestätigen, dass die beschriebenen Fälle durchaus typisch sind. Kaum ein Gewerbe ist so autoritär strukturiert wie die Medienbranche. Nicht nur absurde Rechercheaufträge machen den Journalisten das Leben schwer. Hinzu kommen die wechselnden Launen und Einschätzungen der Redaktionsbosse. Manchmal mag ein Chefredakteur einen Politiker oder Konzernchef nicht. Und fast immer erwartet er, dass seine Redakteure das ebenso sehen - und niederschreiben. So habe ich über fast zwei Jahrzehnte im eigenen Blatt verfolgen könne, wie sich ‒ parallel zur Einschätzung der Chefredakteure ‒ das Image des früheren Vorstandsvorsitzenden und Aufsichtsratchefs des Volkswagenkonzerns, Ferdinand Piëch, wandelte. Anfang der Neunzigerjahre präsentierte die Wirtschaftswoche den VW-Chef als gestörten Charakter, im Laufe der Jahre mauserte er sich dann zum genialen Unternehmensführer. Höhepunkt des seinerzeitigen Piëch-Bashings war eine Fernanalyse mit dem Erfolgsautor 24 und Psychologen Peter Lauster im Jahr 1993. Dem populären Seelenarzt hatten die Kollegen Videomaterial vorgeführt, das als Basis für ein Interview diente. Tenor des Interviews: Piëch ist ein „psychisch-emotional verarmter, eindimensionaler Fanatiker voller unterdrückter Aggressionen“, vor „dem man sich fürchten muss“. 25 In einem begleitenden Kommentar fasste damals Wirtschaftswoche-Chefredakteur Baron zusammen: „Dieser Mann hätte nie VW-Chef werden dürfen.“ 26 Später wurde Piëch als Lichtgestalt beschrieben. Typisch für die Berichterstattung waren jetzt Formulierungen wie „Erfolg auf ganzer Linie“, „vorausschauend und genial kalkulierend“, den anderen stets „ein paar Schachzüge voraus“. 27 Zur Ehrenrettung meiner Kollegen sei erwähnt, dass sie in ihren Geschichten auch die Ecken und Kanten des VW-Übervaters benannten. Und 24 Allein der Titel Die Liebe, Düsseldorf 1980, erreichte eine Auflage von 1,2 Millionen. 25 „Unterdrückte Aggressionen, Der Kölner Diplom-Psychologe und Bestsellerautor Peter Lauster über die Persönlichkeitsstruktur von VW-Chef Ferdinand Piëch“, in: Wirtschaftswoche 33/ 1993, S. 38. 26 „Orwell lässt grüssen! Stefan Baron über den VW-Skandal“, Wirtschaftswoche 33/ 1993, S. 3. 27 Vgl. dazu die Titelgeschichte in der Wirtschaftswoche 16/ 2012, S. 48, „Die sieben Gesichter des Ferdinand P., Wahnsinnig genial. Die Erfolgsgeheimnisse des Ferdinand Piëch“. Lothar Schnitzler 88 es sei erwähnt, dass angesichts der Erfolge von Piëch sich der Blick der Wirtschaftspresse auf ihn insgesamt veränderte. 28 Dennoch: Die Einschätzung des damaligen Wirtschaftswoche-Chefredakteurs war im Vergleich zum Piëch-Bild anderer Organe extrem überzogen, auch wenn die Forschungen von Mareen Bewernick, Georg Schreyögg, Jana Costas 29 zeigen, dass das Image des VW-Vormannes in der deutschen Wirtschaftspresse immer schillernd war - und Begriffe wie „besessen“, „brutal“ oder „unberechenbar“ zur Charakterisierung von Piëch auch in anderen Blättern auftauchten. Für die Kollegen in der Redaktion, die über Volkswagen berichteten, war die aggressive Haltung der Redaktionsspitze gegenüber dem VW-Chef jedenfalls eine Herausforderung. Traumjob und Medienkrise Die Profession gilt trotz der beschriebenen Erschwernisse als Traumberuf. Die Auslese ist folglich extrem. Bei der Hamburger Henry-Nannen-Schule kommen auf 20 Plätze 2000 Bewerber, bei der Burda-Journalistenschule 2200 Bewerber auf 30 Plätze. Trotz dieser harten Selektion gibt es ein Überangebot an guten Journalisten. Jeder Journalist mit fester Stelle weiß, dass draußen vor den Redaktionsstuben viele fähige Kollegen ohne Festanstellung gern mit ihm tauschen würden. Seit der Internetkrise um die Jahrtausendwende hat sich die Lage noch einmal verschärft. Wer als alteingesessener Journalist seinen Job behalten hat, ist froh, wenn die Höhe seines Einkommens real gleich geblieben ist. Die nachrückenden jungen Kollegen verdienen in der Regel deutlich weniger. Zusätzlich verändern sich die Produktionsbedingungen: Weniger Reisen, Redaktionssäle statt Einzelzimmer und weniger Leute für die gleiche Anzahl von Geschichten. Dabei können die Journalisten, die ihren Job noch haben, von Glück reden. Komplette Redaktionen werden geschlossen. Bei der Schließung der Financial Times Deutschland 30 verloren rund 300 Medienarbeiter ihren Job, bei dem linksliberalen Traditionsblatt Frankfurter Rundschau 31 fielen etwa 400 Arbeitsplätze weg. Allein zum Jahresanfang 2013 gingen damit rund 250 Arbeitsplätze für Wirtschaftsredakteure verloren - also zehn Prozent aller Stellen für hauptberufliche Wirtschaftsjournalisten in Deutschland. 28 Vgl. Bewernick/ Schreyögg/ Costas (2013, S. 434ff.). 29 Siehe Fußnote 27. 30 Am 7. Dezember 2012. 31 Insolvenz im November 2012, Fortführung mit reduzierter Mannschaft und neuen Gesellschaftern ab März 2013. Nichts ist spannender als Wirtschaft 89 In Frankreich ist die Situation noch schlimmer. Laut Le Monde 32 will Lagadère Active 383 Jobs streichen, France Télévisons 361, Nice-Matin 200, Sud-Ouest 140, Ouest France 137, L’Union 87, Le Figaro 80 - insgesamt sind circa 1500 feste Stellen gefährdet (Stand 2013). Narrative Kompetenz hat angesichts dieses existenziellen Drucks einen schweren Stand. Storytelling hat nicht zuletzt etwas mit Innehalten, mit Zeithaben und Gelassenheit zu tun. Woher aber sollen die Kollegen die notwendige Gelassenheit hernehmen, wenn die Einschläge immer näher kommen und sie sich ständig fragen müssen, wann es sie trifft. Storys fallen nicht vom Himmel. Eine Story braucht deutlich mehr Recherche als ein nachrichtlicher Artikel. Es ist nicht einfach, einen gefallenen Unternehmer wie Georg Asmass zu finden. Es ist nicht einfach, ihn davon zu überzeugen, offen zu reden. Und es ist nicht einfach, die weiteren Personen, die durch die Geschichte führen, zu finden. Für eine gute Geschichte brauchen Journalisten mehr Personenbeispiele 33 als sie letztlich für die Leser aufschreiben. Magazinjournalismus funktioniert nach dem Eisberg-Prinzip: Der größte Teil der Recherche bleibt den Lesern verborgen. Der Aufwand für die Recherche einer Story ist folglich erheblich. Zeit ist ein knappes Gut für erzählende Journalisten. Und angesichts eingedampfter Redaktionen und dem zunehmenden Zwang, neben der Printausgabe zusätzlich die Online-Ausgabe mit Storys zu beliefern, verstärkt sich der Zeitdruck noch. Doch auch den Verlagen steht das Wasser bis zum Hals. Das Internet frisst Auflage und Werbeeinnahmen. Die verkaufte Auflage der Tagespresse ging in Deutschland seit der Wiedervereinigung um fast ein Drittel 34 von 27,3 Millionen auf 18,2 Millionen (2012) Exemplare zurück, ihre Werbeeinahmen halbierten sich fast seit der Jahrtausendwende auf 3,23 Milliarden Euro im Jahre 2012. 35 Noch schlimmer sieht es in der Wirtschaftspresse aus: Die Bruttowerbeerlöse des deutschen, monatlich erscheinenden Wirtschaftsmagazins Capital 36 etwa verminderten sich von 2002 bis 2011 um mehr als zwei Drittel, die des monatlich erscheinenden Managermagazins um etwa die Hälfte und die der Wirtschaftswoche um 29 Prozent. Dass die Medienzeitschrift Wirtschafts- 32 Siehe „Médias: combien d’emplois menacés ou supprimés en 2013? “ Le Monde.fr, 26.10.2013, www.lemonde.fr/ actualite-medias/ article/ 2013/ 10/ 26/ au-moins-un-millier-d-emplois-menaces-dans-les-medias_3501704_3236.html? xtmc=combien_d_emplois_menaces_ou&xtcr=1. 33 Zum einen, um das spannendste und typischste Beispiel auszulesen, zum andern, um die recherchierten Fälle einordnen zu können. 34 Media Perspektiven, 11/ 2012, S. 571. 35 Die deutschen Zeitungen in Zahlen und Daten, Berlin 2014, Hrsg. Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, S. 9. 36 Zwischen Februar 2000 und April 2008 14-tägliche Erscheinungsweise. Lothar Schnitzler 90 journalist trotz des Rückgangs die Wirtschaftswoche als „Klassenprimus“ feierte, verdeutlicht die Lage der Branche. 37 Auch ein Blick auf die Auflagen in der Wirtschaftspresse spricht Bände. Börse Online hat laut IVW von 2000 bis 2014 über 90 Prozent und Capital rund 75 Prozent der „harten“ Auflage 38 verloren, die Wirtschaftswoche rund ein Drittel, das Mittelstandsblatt Impulse die Hälfte. 39 Jenseits der Wirtschaftspresse leiden selbst Dickschiffe wie Stern, Focus und Spiegel. Das klassische Geschäftsmodell der Printmedien mit seiner Mischung von Werbe- und Verkaufseinnahmen kommt unter Druck. Die Leser, aber auch die Werbekunden wandern zunehmend ins Internet ab. Zwar gibt es kaum noch ein Blatt ohne Online-Ausgabe. Doch bis auf wenige Ausnahmen machen alle Print-Verlage mit ihren Internetausgaben Verluste. In der Alles-Umsonst-Welt des Webs gibt es noch keine funktionierende Strategie für die Presse. Noch immer können sich 77 Prozent der deutschen Internetnutzer nicht vorstellen, für News im Netz zu zahlen (Picard 2014). In den USA oder in Frankreich liegen die Zahlen ähnlich hoch. Selbst bei der New York Times, die zu den Pionieren im Netz gehört, betrug der Anteil der Internet-Nutzer zwölf Monate nach der Einführung im März 2011 ganze 1,6 Prozent (Siegert 2013), wenn auch im nachfolgenden Jahr der Anteil fast um ein Drittel anstieg. Inzwischen gilt das Modell der New York Times allerdings als Erfolgsstory. Mitte 2014 lasen 870.000 Leser die elektronische Bezahlversion des Blattes. Nur noch rund 681.000 Leser zahlten für die Printausgabe. 40 Andere Blätter wie San Francisco Chronicle und die Dallas Morning News mussten ihre Bezahlschranken wieder einstellen. Ein erfolgreicher Umstieg in die neue Internet- Medienwelt sieht anders aus. Ich bin nun am Ende meiner Geschichten hinter den Geschichten. Einige Themen, die den Arbeitsalltag und damit die Bedingungen wirtschaftsjournalistischer Narration mitbestimmen, konnte ich hier aus Platz- und Zeitgründen nicht ansprechen, wie Sprachregelungen, Pressereisen oder die gegenseitige Abhängigkeit von Informanten und Journalisten. Auch in dieser Hinsicht ist der vorliegende Beitrag narrativ und nicht streng wissenschaftlich: Eine Story ist nie vollständig, immer nur auswählend. 37 Wirtschaftsjournalist 4/ 2012, S. 25. 38 Unter „harter Auflage“ verstehen die Vertriebsleute in den Zeitungsverlagen Kioskverkäufe und Abonnements zum Normalpreis. Verglichen wurden die Auflagen jeweils im ersten Quartal. 39 Verglichen wurden Auflagen jeweils im ersten Quartal, bei Capital wegen der wechselnden Erscheinungsweise zwischen Februar 2000 und April 2008 die Quartale 3/ 1999 und 3/ 2014. 40 Die Zahlen beziehen sich auf die Ausgaben Montag bis Freitag. Vgl. Ken Doctor, „The newsonomies of new cutbacks at The New York Times“, NiemanLab, 1. Oktober 2014: www. niemandlab.org/ 2014/ the-newsonomies-of-the-cutbacks-at-the-new-york-times/ . Nichts ist spannender als Wirtschaft 91 Literatur Bewernick, Mareen/ Schreyögg, Georg/ Costas, Jana Costas (2013): Charismatisiche Führung: Die Konstruktion von Charisma durch die deutsche Wirtschaftspresse am Beispiel von Ferdinand Piëch. In: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Jahrgang 65/ September 2013, S. 434. Bruck, Peter/ Stocker, Günther (1996): Die ganz normale Vielfältigkeit des Lesens: zur Rezeption von Boulevardzeitungen. Münster. Flath, Herbert (2012): Storytelling im Journalismus. Ilmenau. Giesecke, Michael (1990): Als die alten Medien neu waren. In: Weingarten, Rüdiger (Hg.): Information ohne Kommunikation. Frankfurt a.M. Lampert, Marie/ Wespe, Rolf (2011): Storytelling für Journalisten. Konstanz. Picard, Robert G. (2014): New Approaches to Paid Digital Content. In: Digital News Report 2014, Reuters Institute, S. 80. Poganatz, Hilmar (2012): Drama, Baby, Drama. In: Medium Magazin 07+08/ 2012, S. 53. Postman, Neil (1985): Wir amüsieren uns zu Tode. Frankfurt a.M. Postman, Neil (1993): Technopoly. New York. Siegert, Svenja (2013): Was man über die Bild-Paywall wissen muss. In: Journalist 7/ 2013, S. 74. Voss, Cornelia (1999): Textgestaltung und Verfahren der Emotionalisierung in der BILD-Zeitung. Frankfurt. EVA GREDEL (MANNHEIM) WORT - UND THEMENKARRIERE IN DER WIRTSCHAFTSKOMMUNIKATION: NACHHALTIGKEITSBERICHTE ALS TEILDISKURSE Abstract Der vorliegende Artikel konturiert eine neue Textsorte, die in der Wirtschaftskommunikation in den letzten Jahren aufgekommen ist und die als Effekt der Wort- und Themenkarriere der Lexeme Nachhaltigkeit und nachhaltig zu sehen ist: Nachhaltigkeitsberichte haben in Unternehmen Handlungsrelevanz entwickelt und dort zur Einrichtung neuer organisatorischer Elemente wie z.B. Nachhaltigkeitsabteilungen geführt. Nachhaltigkeitsberichte werden im Folgenden nicht nur aus einer textlinguistischen Perspektive bezüglich ihrer textuellen Verfasstheit untersucht, sondern werden auch aus einer diskursanalytischen Perspektive als Teildiskurse verstanden, die an gesamtgesellschaftliche Diskurse anschließen. Deshalb sollen zunächst die relevanten Termini aus dem Bereich der Diskursanalyse besprochen werden. Dabei werden Diskurse nicht nur auf Verbales beschränkt verstanden, sondern auch Bilder werden als diskursive Elemente miteinbezogen. Als Korpus zur Querschnittanalyse in Kapitel 3 dienen die Nachhaltigkeitsberichte der Dax-30-Unternehmen aus dem Jahr 2012. Für die qualitative Analyse in Kapitel 4 wurden Nachhaltigkeitsberichte der Jahre 2000 bis 2012 untersucht. 1. Theoretische Rahmen: Diskurse - Sprachbilder - Bilder In diesem Artikel sollen Nachhaltigkeitsdiskurse als Teildiskurse untersucht werden. Nina Janich formuliert mit Bezug zu Werbekommunikaten folgende Idee: „Werbekommunikation ist ja immer eingebunden in andere mediale Kommunikationsformen und bezieht sich immer in ihrer Argumentation explizit oder implizit auf in Politik oder Gesellschaft aktuelle Themen“ (Janich 2010, S. 279). Ähnliches wird auch hier angenommen: Nachhaltigkeitsberichte schließen als Teildiskurse an gesamtgesellschaftlich relevante Diskurse zu Nachhaltigkeit an und greifen Elemente des in diesen Diskursen etablierten Sagbarkeitsraumes auf. Nachhaltigkeit wird verstanden als ein Sprachbild, d.h. als „ein in der je konkreten Formulierung nahegelegter Zusammenhang“ (Henn-Memmesheimer et. al 2012, S. 159). 1.1 Énoncés als Elemente eines diskursiv etablierten Sagbarkeitsraums Weit verbreitet ist in linguistischen Diskursanalysen der Verweis auf den Foucaultschen Diskursbegriff, wobei jedoch oftmals mit dessen strukturalistisch geprägtem Duktus gerungen wird: Zentral ist dann die Frage, inwieweit Dis- Eva Gredel 94 kurse als einzelnen Akteuren vorgängige Systeme zu verstehen sind oder inwieweit diskursive Entwicklungen entlang des sprachlichen Handelns von einzelnen Akteuren zu rekonstruieren sind. Ausgehend von Foucaults Diskursbegriff legt Dietrich Busse in seiner Dissertation 1987 den ersten Entwurf einer linguistischen Diskursanalyse vor (vgl. Busse 1987). Ihm geht es darum, die systemorientierten Elemente des Foucaultschen Diskursbegriffs zu kritisieren, um handlungsorientierte Aspekte einzubringen: Wir werden noch sehen, daß infolge des völlig verschiedenen geistesgeschichtlichen Hintergrunds eine wörtliche Übernahme von Foucaults Theorien in ein handlungsorientiertes Sprachmodell ausgeschlossen ist. […] Ein Problem bietet dabei der sprachtheoretische Hintergrund Foucaults, der, obgleich selten expliziert, eher in der Richtung strukturalistischer Konzepte in der Nachfolge Saussures zu suchen ist. (Busse 1987, S. 221) Während Busse zunächst die Inkommensurabilität des Foucaultschen Diskurs-Begriffs mit handlungsorientierten Ansätzen postuliert, findet er in der Folge durchaus Anknüpfungspunkte: Im Versuch, eine allgemeine Definition des Diskurses zu finden, bestimmt Foucault ihn als ‘eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören’ (AS 141; 156). Aussagen (énoncés) dürfen nicht mit Äußerungen verwechselt werden. Da sie aber immer nur in solchen erscheinen können, bezeichnet Foucault den Diskurs in seiner allgemeinsten Definition als „Menge von sprachlichen Performanzen“ (ensemble de performances verbales). Hier sehe ich einen der Anknüpfungspunkte für eine handlungsorientierte Sprachbetrachtung […] (Busse 1987, S. 224) Mit dem oben genannten Foucaultschen Konzept der Énoncés lässt sich auch die soziologische Diskursanalyse in Verbindungen bringen: Reiner Keller postuliert in diesem Zusammenhang die Dualität diskursiver Strukturen (vgl. Keller 2011, S. 72). Gemeint ist damit, dass Äußerungen einzelner Akteure zum einen diskurskonstituiert - also durch Diskursaussagen geprägt - sind und andererseits auch wiederum diskurskonstituierend in den Diskurs hineinwirken. Die bereits oben beschriebenen Énoncés können also als Elemente eines Sagbarkeitsraums gesehen werden (vgl. Frank 1984 und 1988; Spitzmüller/ Warnke 2011), die die Integration system- und handlungsorientierter Ansätze zulassen. Dabei ist diese Menge an Aussagen nicht als starres System, sondern als prinzipiell offen zu konzipieren. In der Folge seiner oben besprochenen Dissertation baut Busse die Beschäftigung mit Diskursen aus einer linguistischen Perspektive weiter aus und liefert einige Jahre später in Zusammenarbeit mit Wolfgang Teubert die methodische Dimension nach. Als forschungspraktisch machbaren Zugang zu Diskursen präsentieren Busse und Teubert die Korpuslinguistik: „Unter Diskursen verstehen wir im forschungspraktischen Sinn virtuelle Korpora, deren Wort- und Themenkarriere 95 Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird.“ (Busse/ Teubert 1994, S. 14). Die so eingebrachte Engführung diskursanalytischer Fragestellungen mit korpuslinguistischen Methoden hat sich als brauchbar erwiesen und wurde in den letzten Jahren systematisch ausgebaut (vgl. Bubenhofer 2009). Mit dem Kompositum Diskurslinguistik verweisen Jürgen Spitzmüller und Ingo Warnke darauf, dass die Diskurslinguistik in den Kanon der linguistischen Teildisziplinen aufzunehmen ist. Sie verstehen Diskurse zwar als „transtextuelle Sprachstrukturen“ (Spitzmüller/ Warnke 2011, S. 25), integrieren jedoch in ihr Modell zur Diskurslinguistischen Mehr-Ebenen-Analyse (DIMEAN-Modell) eine Analyseebene, die die Akteure in den Blick nimmt. Auch Jürgen Spitzmüller und Ingo Warnke tragen somit der Forderung nach einer handlungsorientierten Dimension von Diskursanalysen Rechnung. 1.2 Multikodale Erweiterung von Diskursanalysen Bereits Verbreitung gefunden haben Ansätze in der Linguistik, die Texte nicht als rein verbale Phänomene begreifen (vgl. Henn-Memmesheimer/ Geiger 1998; Stöckl 2004 und Eckkrammer/ Held 2006) sondern ihren multikodalen bzw. multimodalen Charakter relevant setzen. Eine sehr wichtige These ist dabei, dass in der Mehrzahl der alltäglichen Kommunikate verbale Elemente nicht isoliert, sondern im „Wechselspiel“ mit visuellen Elementen vorkommen und dieses „Wechselspiel“ in einer Textsorte zu wiederkehrenden „Strategien visuell-verbaler Textgestaltung“ (Henn-Memmesheimer/ Geiger 1998, S. 55) führt. Versteht man Diskursanalysen dann als transtextuelle Sprachanalysen, liegt es auch nahe, eine multikodale Erweiterung von Diskursanalysen zu erarbeiten. Gezeigt werden soll deshalb in der Folge, wie Nachhaltigkeitsberichte an Énoncés gesamtgesellschaftlich relevanter Diskurse zu Nachhaltigkeit anschließen und diese auch „ins Bild setzen“. An einigen Stellen wird im Kontext diskursanalytischer Fragestellung eine multikodale bzw. multimodale Erweiterung von Diskursanalysen thematisiert bzw. kontrovers diskutiert. Spitzmüller/ Warnke warnen eher vor dieser Erweiterung des diskurslinguistischen Gegenstandsbereichs und beschreiben diese als „übergenerierend“: Dabei laufen sie [linguistische Diskursanalysen, die auch Bilder in den Blick nehmen] jedoch Gefahr, übergenerierend zu sein, also über ihren Gegenstand weitergreifende Aussagen zu machen, als dies mit linguistischen Verfahren möglich ist, denn die Linguistik verfügt zwar über ausgefeilte Methoden zur Sprachanalyse, (noch) nicht aber zur sprachbezogenen Bildanalyse (Spitzmüller/ Warnke 2011, S. 16) Eva Gredel 96 Ekkehard Felder hingegen integriert in die Auswahl möglicher Analyseebenen im Rahmen diskurslinguistischer Untersuchungen auch die „Ebene der Text-Bild-Beziehungen“, die die sog. „Interpikturalität“ miteinbeziehen kann (Felder 2012, S. 142), was in Kapitel 4.2 und 4.3 relevant ist. Kämper/ Scharloth/ Wengeler sehen ebenfalls die Integration der Diskussion visueller Elemente als zentral für Diskursanalysen (vgl. Kämper et al. 2012, S. 2). Verfolgt wird in diesem Artikel deshalb ein semiotischer Ansatz, bei dem „Bilder als wahrnehmungsnahe Zeichen“ (Sachs-Hombach 2003, S. 11) verstanden werden. Eine der zentralen Thesen dieses Artikels ist deshalb, dass die visuell-verbale Gestaltung von Nachhaltigkeitsberichten auf diskursiven Effekten beruht. 2. Wortkarriere: Nachhaltigkeit - quantitativ und qualitativ Korpuslinguistisch informiert kann Beate Henn-Memmesheimer die Wortkarriere der Lexeme Nachhaltigkeit und nachhaltig rekonstruieren und zeigen, dass sie seit den 1990er Jahren hochfrequent in medialen Diskursen vorkommen (vgl. Henn-Memmesheimer 2006 sowie Henn-Memmesheimer et al. 2012). Die von Rödel vorgebrachte Behauptung, dass „der Begriff der ‘Nachhaltigkeit’[…] in den vergangenen Jahren in der politischen und kommerziellen Kommunikation geradezu inflationär geworden [scheint]“ (Rödel 2013, S. 115), ist jedoch so nicht haltbar, wie auch Abbildung 1 zeigt: Zwar steigt die absolute Vorkommenshäufigkeit des Begriffs bis zum Jahr 2002 an, danach zeigt sich jedoch „in der quantitativen Modellierung […] kein Wachstum mehr, sondern - z.B. im Pressekorpus - Schwankungen auf einem hohen Niveau“ (Henn-Memmesheimer et al. 2012, S. 182f.): Wort- und Themenkarriere 97 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Abb. 1: Phasen der Häufigkeitsentwicklung zum Suchstring: nachhalt* ODER sustainab* in geistes- und sozial wissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln (Quelle: Henn-Memmesheimer et al. 2012, S. 171) Auch beim qualitativen Blick auf die bei Henn-Memmesheimer et al. untersuchten Texte wird deutlich, dass sich die Bedeutung der Lexeme nach Driften in verschiedene Domänen zwar leicht gewandelt hat, zentrale Aspekte zum Begriff Nachhaltigkeit und nachhaltig in Diskursen aber erhalten bleiben (vgl. Henn-Memmesheimer 2006 sowie Henn-Memmesheimer et al. 2012). Ursprünglich in der Forstwirtschaft als Handlungsmaxime gesetzt, wird der Begriff in politischen Diskursen aufgegriffen und kommt dann auch in journalistischen Texten vor: Die Verwendung in der Forstwirtschaft brachte Facetten mit sich, die es ermöglichten, mit den Lexemen nachhaltig und Nachhaltigkeit eine Art des Wirtschaftens projektiv im Blick auf zukünftige Generationen zu beschreiben (Henn- Memmesheimer et al. 2012, S. 182) In wirtschaftsnahen Kontexten konnte der Begriff sogar Handlungsrelevanz entwickeln. Wie dies mit den gesamtgesellschaftlich relevanten Diskursen zusammenhängt, formuliert Beate Henn-Memmesheimer folgendermaßen: In wirtschaftlichen und politischen Kontexten wird das Bild terminologisch ausgeweitet und festgeschrieben zum Ökonomie, Ökologie und soziales Handeln umfassenden normativen Schlüsselbegriff und damit zur Beschreibung einer regulativen Regel in einer modernen Gesellschaft, (Henn-Memmesheimer et al. 2012, S. 182) In den letzten Jahren wurden Nachhaltigkeitsbeauftragte eingesetzt, ganze Abteilungen aufgestellt und die Textsorte der Nachhaltigkeitsberichte entwickelt, was im Folgenden anhand der Analyse von Nachhaltigkeitsberichten gezeigt werden soll. Eva Gredel 98 3. Konturierung einer neuen Textsorte: Nachhaltigkeitsberichte Um die Relevanz von Nachhaltigkeit und nachhaltig nicht nur als Schlüsselbegriffe einer regulativen Idee zu eruieren, sondern auch deren Relevanz für Unternehmen zu illustrieren, wurde im Rahmen einer Querschnittstudie untersucht, welche D A X -30-Unternehmen 1 einen Nachhaltigkeitsbericht in Deutschland online zur Verfügung stellen. Insgesamt halten 19 Unternehmen einen eigenständigen Bericht vor, acht Unternehmen stellen online keinen Nachhaltigkeitsbericht zur Verfügung, zwei Unternehmen weisen ein Kapitel zum Thema Nachhaltigkeit in ihrem sog. integrierten Geschäftsbericht aus: - 19 Unternehmen mit Nachhaltigkeitsberichten: didas, Allianz, Bayer, Beiersdorf, Commerzbank, Continental, Daimler, E.ON , Heidelberg Cement, Henkel, K+S, Lufthansa, The Linde Group, Munich Re, Deutsche Post DHL , RWE , Siemens, Volkswagen - 8 Unternehmen ohne Nachhaltigkeitsbericht: BMW, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Fresenius, Fresenius Medical Care, Infineon Technologies, Merck, ThyssenKrupp - 3 Unternehmen mit „integriertem Geschäftsbericht“: BASF, Deutsche Börse, SAP Deutlich wird, dass für fast zwei Drittel der Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit so relevant ist, dass Ressourcen dafür aufgebracht werden, im Rahmen der CSR-Maßnahmen 2 einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, der Stakeholder über die Aktivitäten des Unternehmens in diesem Bereich informiert. Drei Unternehmen integrieren das Thema Nachhaltigkeit in ihrem Geschäftsbericht und widmen der Thematik jeweils ein eigenes Kapitel. In den sog. integrierten Geschäftsberichten wird dem Thema Nachhaltigkeit weniger Raum gewidmet (gemessen am Seitenumfang) als in den eigens erstellten Nachhaltigkeitsberichten. Fraglich bleibt also, ob die Thematik durch die Aufnahme in den für eine größere Zahl der Stakeholder-Gruppen relevanten Geschäftsbericht eine Aufwertung erfährt oder ob dies Hinweis auf einen Rückgang des Interesses am Thema Nachhaltigkeit ist. 1 Für die vorliegende Analyse wurde die Zusammensetzung des Deutschen Aktienindex (DAX) vom 13.8.2013 herangezogen. 2 „Corporate Social Responsibility; Abk. CSR stellt einen aus dem Anglo-Amerikanischen kommenden (normativen) Schlüsselbegriff der Unternehmensethik dar, welcher die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen aufspannt“ (Gabler Wirtschaftslexikon, s.v. CSR). Wort- und Themenkarriere 99 4. Narrative Strategien in Nachhaltigkeitsberichten Im Folgenden sollen nun anhand einer Textsammlung von Nachhaltigkeitsberichten aus den Jahren 2000 bis 2012 narrative Strategien analysiert werden, die für diese neue, oben beschriebene Textsorte charakteristisch sind. Insgesamt werden drei Phänomene als narrative Elemente in den Blick genommen: Es handelt sich um graphostilistische Marker, mythische und christliche Symbolik sowie die visuell-verbale Gestaltung von Nachhaltigkeitsberichten. 4.1 Graphostilistische Marker: Überdimensionierte Anführungszeichen und digitalisierte Handschriften Wie Günter Bentele und Howard Nothaft ausführen, steht im Zentrum der CSR-Aktivitäten der Unternehmen - zu denen sich auch Nachhaltigkeitsberichte rechnen lassen -, die „(massen-)mediale Konstruktion von Verantwortung und Verantwortlichkeit“ (Bentele/ Nothhaft 2011, S. 45ff.). Um diesem Ziel der medialen Konstruktion von Verantwortung und Verantwortlichkeit gerecht zu werden, werden Nachhaltigkeitsberichte häufig mit den Texten der wichtigsten Akteure eines Unternehmens eröffnet: In fast jedem der untersuchten Nachhaltigkeitsberichte steht zu Beginn der Ausführungen ein Grußwort des Vorstandsvorsitzenden oder es kommen sogar mehrerere Vorstandsmitglieder zu Wort, die über die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens informieren. In zahlreichen Nachhaltigkeitsberichten ist auffällig, dass diese Vorworte mit typographischen Besonderheiten einhergehen: So sind die Grußformeln („Liebe Leserinnen, liebe Leser“, Bayer 2012) in den Vorworten und auch die Unterschriften der Vorstandsvorsitzenden und Vorstandsmitglieder als digitalisierte Handschriften integriert (z.B. unterschreibt der Vorstandsvorsitzender Dr. Marijn Dekkers das Vorwort zum Nachhaltigkeitsbericht der Bayer AG). Eva Gredel 100 Abb. 2: Vorwort zum Nachhaltigkeitsbericht der Daimler AG Abb. 3: Vorwort zum Nachhaltigkeitsbericht der Bayer AG Jürgen Spitzmüller konstatiert, dass digitalisierte Handschriften als typographische Besonderheiten in einer Zeit, in der viele Dokumente computergeschrieben sind, sozialstilistisch als Zeichen für Authentizität gedeutet werden: Dass dies offenbar so wahrgenommen wird, obwohl digitalisierte Handschriften ja gerade nicht echte Originale, sondern beliebig replizierbare Kopien sind, hat wiederum mit den sozialsymbolischen Werten zu tun, die der Handschriftlichkeit zugeschrieben werden - Werte, die einen Medienwechsel offenbar zumindest teilweise überstehen. (Spitzmüller 2010, S. 116) Die zahlreich vorzufindenden direkten Zitate der wichtigen Akteure im Unternehmen in den Nachhaltigkeitsberichten weisen ebenfalls typographische Besonderheiten auf: Abb. 4: Allianz 2012 Abb. 5: Adidas 2012 Die überdimensionierten Anführungszeichen (Abb. 4 und 5) markieren typographisch die direkten Zitate der Manager und verweisen hier wiederum auf die Relevanz, die der Thematik innerhalb des Unternehmens zugeschrieben Wort- und Themenkarriere 101 wird: Das Thema Nachhaltigkeit wird - so suggerieren die typographisch hervorgehobenen Zitate zu Beginn des Nachhaltigkeitsberichts - an höchster Stelle im Unternehmen besprochen und vorangetrieben. 4.2 Intertextualitätsphänomene in Nachhaltigkeitsberichten: Mythische Elemente und christliche Erlösungssymbolik Eine weitere Analyseebene, die bei der Untersuchung von Nachhaltigkeitsberichten eine große Rolle spielt, sind die sogenannten Intertextualitätsphänomene. Nina Janich macht für die Analyse von Printanzeigen folgenden Vorschlag zu Definition von Intertextualität: Intertextualität ist eine konkret belegbare Eigenschaft von einzelnen Texten und liegt dann vor, wenn vom Autor bewusst und mit einer bestimmten Absicht auf andere, vorliegende einzelne Texte oder ganze Textgattungen/ Textsorten […] Bezug genommen wird. Den Bezug nehmenden Text nennen wir „Phänotext“; der, auf den Bezug genommen wird, heißt Referenztext. (Janich 2010, S. 232) Besonders passend erscheint im Rahmen des hier angesetzten semiotischen Ansatzes, dass Nina Janich Intertextualität nicht nur auf den verbalen Code von Printanzeigen bezieht, sondern auch „bildliche Anspielungen über den visuellen Code“ (Janich 2010, S. 233) von Printanzeigen als Intertextualitätsphänomene versteht. Nimmt man diesen Vorschlag von Janich auch bei der Analyse von Nachhaltigkeitsberichten ernst, wird schnell ersichtlich, dass sich Nachhaltigkeitsberichte v.a. auf der Ebene des visuellen Codes mythischer Elemente und christlicher Erlösungssymbolik bedienen, wie u.a. folgende Gegenüberstellung zeigt: Abb. 6: Darstellung des Vorstandes der BASF SE (Nachhaltigkeitsbericht 2010) Eva Gredel 102 Abb. 7: Leonardo da Vinci. Das letzte Abendmahl (1494 - 1498) 3 Die in Abbildung 6 gezeigte Darstellung ist überschrieben mit dem Titel „Der Vorstand der BASF SE nach einer Strategietagung“. Auch wenn dieser Bildtitel suggeriert, dass es sich um das inoffizielle Treffen der Vorstandsmitglieder nach getaner Arbeit handelt, ist die Darstellung dennoch hochgradig inszeniert. Relativ zentral und mit einer für die Jesus-Darstellung bei Leonardo da Vinci charakteristischen Handgeste wird der ranghöchste im Vorstand, der Vorstandsvorsitzende der BASF SE Jürgen Hambrecht gesetzt. Allerdings ist er nicht wie die Jesus-Figur bei Leonardo da Vinci im Mittelpunkt der Fluchtpunktlinien zu sehen, sondern seitlich versetzt. Den Mittelpunkt der Zentralperspektive stellt - im Einklang mit den diskursiv etablierten Énoncés - die Bepflanzung rund um die dargestellte Tischgruppe dar, was den im Nachhaltigkeitsdiskurs verhandelten ökologischen Aspekten in visueller Anspielung auf die „christliche Erlösungssymbolik“ (Röll 1998, S. 242) ins Bild setzt. Nachhaltigkeitsberichte bedienen sich jedoch nicht nur der oben genannten christlichen Symbolik, sondern greifen auch auf Elemente der griechischen Mythologie zu. Die oftmals mit CSR-Aktivitäten und Nachhaltigkeitsstrategien propagierte Verantwortung spielt bei der folgenden Bebilderung des Nachhaltigkeitsberichts von Siemens eine zentrale Rolle: 3 Das Bild findet sich im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie. Das hier verwendete Foto wurde abgerufen am 10.11.2013 unter http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Das_Abendmahl _(Leonardo_da_Vinci). Wort- und Themenkarriere 103 Abb. 8: Titelseite des Nachhaltigkeitsberichts von Siemens 2009 Abb. 9: Statue auf dem Plaza del Toral in Santiago de Compostela, 18. Jahrhundert 4 4 Das verwendete Foto wurde abgerufen am 10.11.2013 unter http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ tlas_(Mythologie). Eva Gredel 104 Das Titelbild des Nachhaltigkeitsberichts von Siemens aus dem Jahr 2009 zeigt klare Anspielungen über den visuellen Code auf die Mythenfigur des Atlas und die künstlerische Darstellung derselben. Reiner Abenstein formuliert die folgenden wichtigen Aspekte in Zusammenhang mit dem Atlas-Mythos: Der Name Atlas bedeutet „Träger“ oder „Dulder“. Seine ihm von Zeus auferlegte Arbeit ist es, am westlichen Rand der Welt auf der Schulter jene Säule zu tragen, die den Himmel stützt. [...]. (Abenstein 2005, S. 105) Atlas ist also die Figur der griechischen Mythologie, die die Verantwortung für den Erhalt bzw. das Weiterexistieren der gesamten Welt „auf seinen Schultern“ trägt. Im Nachhaltigkeitsbericht von Siemens findet sich eine Variante dazu: Hier sind es Kinder, die symbolisch eine Weltkugel auf ihren Schultern tragen. Diese Inszenierung ist auf zweierlei Art bedeutsam: Zum einen weist sie wiederum auf die Tatsache hin, dass nachhaltiges Handeln in Diskursen als „eine Art des Wirtschaftens projektiv im Blick auf zukünftige Generationen zu beschreiben“ (Henn 2012, S. 182) ist. Andererseits wird deutlich, dass eben auch schon die Jüngsten im Unternehmen (d.h. die fotografierten Kinder der Betriebskindertagesstätte) auf ihre Verantwortung gegenüber der Welt bzw. gegenüber der Umwelt hingewiesen werden. Die Liste der in Nachhaltigkeitsberichten ins Bild gesetzten christlichen und mythischen Elemente ließe sich noch erweitern. So sei z.B. die Tiermetaphorik bzw. -symbolik, derer sich das Unternehmen Lufthansa bei der vielfältigen Inszenierung des Vogels Kranich in zahlreichen Kommunikaten bedient, genannt. 4.3 Bildinventare und visuell-verbale Textgestaltung in Nachhaltigkeitsberichten Bei der Zusammenschau mehrerer Nachhaltigkeitsberichte wird deutlich, dass in dieser neuen Textsorte immer wieder diskursiv etablierte Aspekte ins Bild gesetzt werden. Die gesamtgesellschaftlich relevante Thematik der Nachhaltigkeit bzw. des nachhaltigen Handelns von Unternehmen wird durch bestimmte Praktiken und Sagbarkeitsregeln geprägt, die einzelne Akteure zwar befolgen, aber nicht ohne Weiteres zu benennen vermögen. Im Rahmen einer diskursanalytischen Untersuchung werden diese Effekte durch Analyse großer Textsammlungen sichtbar und zugänglich. Die oben bereits erwähnte Darstellung von Kindern wird in vielen Berichten aufgegriffen. Kinder werden dabei nicht nur als Profiteure der Nachhaltigkeitsstrategie der Unternehmen und des Wirtschaftens mit Blick auf zukünftige Generationen gezeigt, sondern auch schon in ihrer Rolle als später Verantwortliche präsentiert. So werden Kinder nicht nur spielend dargestellt, wie z.B. auf der Titelseite des Nachhaltigkeitsberichts von Siemens (Abb. 10), sondern auch in schöpferischer Tätigkeit, wie im Nachhaltigkeitsbericht von Henkel (Abb. 11): Wort- und Themenkarriere 105 Abb. 10: Titelseite des Nachhaltigkeitsberichts von Siemens 2012 Abb. 11: Nachhaltigkeitsbericht von Henkel 2012 Eva Gredel 106 Um an den in medialen Diskursen zu Nachhaltigkeit besonders relevant gesetzten Aspekt „der ökologische[n] Verantwortung“ (Raupp/ Jarolimek/ Schultz 2011, S. 11) anzuschließen, finden sich in vielen Nachhaltigkeitsberichten zahlreiche Landschaftsaufnahmen: Abb. 12: Titelseite des Nachhaltigkeitsberichts von Siemens 2007/ 2008 Abb. 13: Nachhaltigkeitsbericht von Lufthansa 2012 Wort- und Themenkarriere 107 Es handelt sich jedoch nicht um Darstellungen unberührter Natur, sondern um Aufnahmen kultivierter Landschaften, die als Reminiszenz auf die ursprüngliche forstwirtschaftliche Verwendung des Lexems Nachhaltigkeit bzw. nachhaltig gedeutet werden können. Oftmals werden Technik und Natur dann so montiert, dass die unproblematische Koexistenz der Produkte bzw. der technischen Errungenschaften der Unternehmen durch die Darstellungen plausibel wird. 5. Fazit Nachhaltigkeitsberichte sind als diskursive Effekte der Wort- und Themenkarriere der Lexeme Nachhaltigkeit bzw. nachhaltig zu verstehen. Die Autoren der Nachhaltigkeitsberichte schließen dabei an gesamtgesellschaftlich relevante Diskurse an, weshalb Nachhaltigkeitsberichte als Teildiskurs vorgestellt wurden. Immer wiederkehrende narrative Strategien bzw. narrative Elemente in Nachhaltigkeitsberichten sind im Bereich der typographischen Gestaltung graphostilistische Marker wie digitalisierte Handschriften und überdimensionierte Anführungszeichen zur semiotischen Konstruktion von Verantwortung bzw. Vertrauen. Auf der Ebene der intertextuellen Bezüge greifen die Autoren der Nachhaltigkeitsberichte auf Elemente der christlichen Erlösungssymbolik sowie auf mythische Elemente zu, um auch über diese narrative Strategie den Eindruck von Vertrauenswürdigkeit zu erwecken. Letztlich zeugen die visuellen Elemente der untersuchten Nachhaltigkeitsberichte davon, dass die Autoren an die diskursiv etablierten Aspekte zum Konzept Nachhaltigkeit anschließen und diese ins Bild setzen: Kinder werden auf Bildern präsentiert, um nachhaltiges Handeln als Wirtschaften mit Blick auf zukünftige Generationen vor Augen zu führen. Als Reminiszenz auf die forstwirtschaftliche Herkunft des Konzepts der Nachhaltigkeit sind in Nachhaltigkeitsberichten nicht Aufnahmen unberührter Natur zu sehen, sondern kultivierte Landschaften. Durch die hier durchgeführte korpuslinguistisch informierte Diskursanalyse zum Konzept der Nachhaltigkeit wurde es möglich, das sichtbar zu machen, was in der diskursiven Praxis in Form von geteilten Wissensbeständen Wirksamkeit entfaltet und mit den Foucaultschen Énoncés in Verbindung gebracht werden kann. Literatur Abenstein, Reiner (2005): Griechische Mythologie. Paderborn. Bentele, Günter/ Nothhaft, Howard (2011): Vertrauen und Glaubwürdigkeit als Grundlage von Corporate Social Responsibilty: Die (massen-)mediale Konstruktion von Verantwortung und Verantwortlichkeit. In: Raupp, Juliana et al. (Hg.): Handbuch CSR. Wiesbaden, S. 45-114. Eva Gredel 108 Bubenhofer, Noah (2009): Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse. Berlin. Busse, Dietrich (1987): Historische Semantik. Stuttgart. Busse, Dietrich/ Teubert, Wolfgang (1994): Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik. In: Busse, Dietrich/ Hermanns, Fritz/ Teubert, Wolfgang (Hg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen, S. 10-28. Eckkrammer, Eva/ Held, Gudrun (2006): Textsemiotik - Plädoyer für eine erweiterte Konzeption der Textlinguistik zur Erfassung der multimodalen Textrealität. In: Eckkrammer, Eva/ Held, Gudrun (Hg.): Textsemiotik. Frankfurt a.M., S. 1-10. Felder, Ekkehard (2012): Pragmasemiotische Textarbeit und der hermeneutische Nutzen von Korpusanalysen für die linguistische Mediendiskursanalyse. In: Felder, Ekkehard/ Müller, Marcus/ Vogel, Friedemann (Hg.): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin, S. 115-174. Frank, Manfred (1984): Was ist Neostrukturalismus? Frankfurt a.M. Frank, Manfred (1988): Zum Diskursbegriff bei Foucault. In: Fohmann, Jürgen/ Müller, Harro (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt a.M., S. 25-44. Henn-Memmesheimer, Beate (2006): Wortgeschichten: Driften im semantischen Raum. In: Eitelmann, Matthias (Hg.): Ex praeteritis praesentia. Sprach-, literatur- und kulturwissenschaftliche Studien zu Wort- und Stoffgeschichten. Festschrift zum 70. Geburtstag von Theo Stemmler. Unter Mitarbeit von Theo Stemmler. Heidelberg, S. 43-68. Henn-Memmesheimer, Beate et al. (2012): Zur Dynamik eines Sprachbildes: Nachhaltig. In: Hansen-Kokorus, Renate/ Henn-Memmesheimer, Beate (Hg.): Sprachbilder und kulturelle Kontexte. Eine deutsch-russische Fachtagung, Mannheim, S. 159-190. Henn-Memmesheimer, Beate/ Geiger, Susi (1998): Visuell-verbale Textgestaltung von Werbeanzeigen. In: Kodikas-Code (21/ 1-2). Tübingen, S. 55-74. Janich, Nina (2010): Werbesprache. Ein Arbeitsbuch. Tübingen. Kämper, Heidrun/ Scharloth, Joachim/ Wengeler, Martin (2012): Einleitung. In: Kämper, Heidrun/ Scharloth, Joachim/ Wengeler, Martin (Hg.): 1968. Eine sprachwissenschaftliche Zwischenbilanz. Berlin/ New York, S. 1-23. Keller, Reiner (2011): Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen. 4. Aufl. Wiesbaden. Raupp, Juliana/ Jarolimek, Stefan/ Schultz, Friederike (2011): Corporate Social Responsibility als Gegenstand der Kommunikationsforschung. Einleitende Anmerkungen, Definitionen und disziplinäre Perspektiven. In: Raupp, Juliana/ Jarolimek, Stefan/ Schultz, Friederike (Hg.): Handbuch CSR. Kommunikationswisssenschaftliche Grundlagen, disziplinäre Zugänge und methodische Herausforderungen. Wiesbaden. S. 9-18. Rödel, Michael (2013): Die Invasion der „Nachhaltigkeit“. Eine linguistische Analyse eines politischen und ökonomischen Modeworts. In: Deutsche Sprache 41, S. 115-141. Röll, Franz Josef (1998): Mythen und Symbole in populären Medien. Frankfurt a.M. Wort- und Themenkarriere 109 Sachs-Hombach, Klaus (2003): Kann die semiotische Bildtheorie Grundlage einer allgemeinen Bildwissenschaft sein? In: Sachs-Hombach, Klaus (Hg.): Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen. Köln, S. 9-26. Spitzmüller, Jürgen (2010): Typografische Variation und (Inter-)Medialität. Zur kommunikativen Relevanz skripturaler Sichtbarkeit. In: Deppermann, Arnulf/ Linke, Angelika (Hg.): Sprache intermedial. Stimme und Schrift, Bild und Ton. Berlin/ New York, S. 97-128. Spitzmüller, Jürgen/ Warnke, Ingo (2011): Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin. Springer Gabler Verlag (Hg.): Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Corporate Social Responsibility. Online unter: http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Archiv/ 5128/ corporate-social-responsibility-v12.html. (Stand: 9.4.2015). Stöckl, Hartmut (2004): Die Sprache im Bild - Das Bild in der Sprache. Zur Verknüpfung von Sprache und Bild im massenmedialen Text. Konzepte. Theorien. Analysemethoden. Berlin. PATRICK FARGES (PARIS) ISRAELS „FLEI ß IGE JECKES“. DER DEUTSCH - JÜDISCHE EINWANDERER ALS WIRTSCHAFTLICHER PIONIER UND ERFOLGREICHER ENTREPRENEUR IN PALÄSTINA/ ISRAEL Abstract Die Emigration nach Palästina von deutschsprachigen Juden („Jeckes“) in den 1930er Jahren ist als „Fünfte Alija“ in die zionistische Geschichtsschreibung eingegangen. Seit einigen Jahren zeigt sich ein reges historisches Interesse für die Jeckes und deren Beitrag zum Aufbau Israels. Diese neue Jeckes-Historiografie findet zeitgleich mit einer Hinterfragung der „großen zionistischen Erzählung“ in Israel statt. Besonders soll auf den wirtschaftlichen Aspekt dieser Meistererzählung eingegangen werden. Der Artikel stützt sich auf Lebenserzählungen und lebensgeschichtliche Interviews mit deutschsprachigen Israelis. Auffällig ist in diesen Selbstzeugnissen die Anzahl von Erfolgsgeschichten, die eine (männlich konnotierte) Figur des pionierhaften Entrepreneurs narrativ konturieren. Retrospektive Narrative von individuellem Wirtschaftserfolg des Israel Style-Unternehmers mit Pioniergeist und Entrepreneurqualitäten dienen also zur kollektiven (Wieder-)Erlangung eines jeckischen Stolzes. Dies soll mit der historischen Realität der Wirtschaftslage im Mandatsgebiet Palästina bzw. in Israel verglichen und kulturwissenschaftlich und kulturgeschichtlich mit Repräsentationen des „Neuen Juden“ verglichen werden. 1. Einleitung Der Titel des vorliegenden Beitrages entstammt einer Studie von Klaus Kreppel über deutsch-jüdische Unternehmer der Stadt Nahariya im Norden Israels (vgl. Kreppel 2002). Eine ähnliche Formulierung findet man in der Lebenserzählung Jehuda Adlers, der im Interview sagt. „Aber mein Vater gehörte zu den fleißigen Jeckes, die von früh bis Abend arbeiteten. Gleich nach dem Morgengebet ging es los“. 1 In der Historiografie und im Erinnerungsdiskurs über die deutschen Juden in Palästina/ Israel (im israelischen Sprachgebrauch: „Jeckes“) spielt die Figur des „fleißigen“ Entrepreneurs eine bedeutende Rolle. Es geht einerseits um die Hervorhebung eines identitätsstiftenden, distinktiv deutschen Habitus inmitten eines fremden und oft als „orientalisch“ charakterisierten sozioökonomischen Umfeldes. Andererseits dient die Anspielung auf eine Tradition jenes Fleißes, der bereits von den „Vätern“ praktiziert worden sei, auch zur intergenerationellen Verankerung in ein distinktiv jüdisches Zugehörigkeitsgefühl. Dies wird besonders im gerade zitierten Selbstnarrativ Jehuda Adlers hervorgehoben, der den „deutschen“ Fleiß narrativ unmittel- 1 Interview mit Jehuda Adler in Greif/ McPherson/ Weinbaum (Hg.) (2000, S. 65). Patrick Farges 112 bar mit der religiösen Praxis (dem „Morgengebet“) verknüpft. Schließlich ist in diesem Beispiel auch interessant, dass das Familiengedächtnis hier geschlechtsspezifisch zu sein scheint: Erinnert wird ausdrücklich an den Fleiß des Vaters. 2 Als „Fünfte Alijah“ (Aufstieg ins „Gelobte Land“) ist die (E)Migration deutschsprachiger Juden nach Palästina in den 1930er Jahren in die Geschichtsbücher eingegangen. Nachdem diese Migrantengruppe lange Zeit historiografisch unterbeleuchtet wurde, zeigt sich seit einigen Jahren ein reges historisches Interesse für die Jeckes in Israel und deren Beitrag zum Aufbau und zur Staatswerdung Israels. Diese neue Jeckes-Historiografie findet zeitgleich mit einer grundsätzlichen Hinterfragung der „großen Erzählung“ des Zionismus statt: Besonders kritisiert wird u.a. der (männlich konnotierte) Mythos des „Neuen Juden“, der kraft seines pionierhaften körperlichen Einsatzes unfruchtbares Land erobert und fruchtbar macht. Im vorliegenden Artikel soll besonders auf den wirtschaftlichen Aspekt dieser „großen Erzählung“ eingegangen werden. 3 - Mit welchen wirtschaftlichen Mitteln emigrierte man nach Palästina? - Wie war die Realität der Wirtschaftslage in Palästina/ Israel? Der Beitrag stützt sich einerseits auf das von Anne Betten und Miryam Dunour in den 1990er Jahren erhobene „Israel-Korpus (1. Generation)“, bestehend aus annähernd 150 Interviews mit deutschsprachigen Israelis, 4 andererseits auf weitere lebensgeschichtliche Quellen (wie z.B. Autobiografien und andere Selbstzeugnisse). Besonders auffallend sind in all diesen narrativen Selbstzeugnissen die Erfolgsgeschichten, die die Figur des pionierhaften Entrepreneurs narrativ konturieren. 2 Zum „geschlechtsspezifischen Erinnerungsdiskurs“ innerhalb des bürgerlichen Familiengedächtnisses siehe Gebhardt (1999, insb. S. 25ff.). 3 Die Begriffe „große Erzählung“ bzw. „Masternarrativ“ sind auf den Narrative Turn zurückzuführen, der verschiedene kulturwissenschaftlich orientierte Bereiche betrifft. Der u.a. auf Roland Barthes’ Begriff der Alltagsmythologien basierende Narrative Turn stellt die Narrativität sozio-kultureller Erfahrung in den Vordergrund. Ein für den vorliegenden Beitrag wichtiges Element dieser Narrativität sind z.B. die kleinen exemplarischen Erzählungen über alltägliche Helden, die zu Kristallisationspunkten kollektiver Identität und kollektiven Gedächtnisses werden. 4 Das Korpus befindet sich jetzt am Institut für Deutsche Sprache (Mannheim), vgl. http: / / dsavoeff.ids-mannheim.de/ DSAv/ KORPORA/ IS/ IS_DOKU.HTM (Stand 28.10.2013). Israels „fleißige Jeckes“ 113 2. Die Figur des Einwanderer-Unternehmers in wirtschaftshistorischer Perspektive Die wirtschaftlichen Diskurse, die im Kontext von Migrationen kursieren - vom Diskurs über „billige Arbeitskräfte“ bis hin zum Diskurs über „hoch qualifiziertes human capital“ -, beeinflussen und verändern die politisch-historische Perzeption der Migration. Der in der Ankunftsgesellschaft ausgeübte Beruf wird zum Distinktionskriterium zwischen „guten“ und „schlechten“ Einwanderern. Deshalb stellen Geschichten von Einwanderergruppen den Entrepreneur als community leader und Erfolgssymbol gerne in den Vordergrund. 5 Dieses Narrativ wird oftmals von Einwanderern selbst übernommen und tradiert, die somit ihren eigenen Lebensweg als heroische Überbrückung von Anfangshürden bis hin zur erwarteten Verbesserung der Lebensqualität der nächsten Generation stilisieren. Individuelle Geschichten entsprechen also oftmals dem sozial akzeptierten Narrativ des Einwanderer-Entrepreneurs. Es scheint also, als erhöhten individuelle Erfolgsgeschichten den symbolischen Status aller Mitglieder der eigenen Gemeinschaft. Doch wie werden diese Erfolgsgeschichten symbolisch konstruiert? Im Falle der Jeckes in Israel ist die archetypische Entrepreneur-Figur wohl Stef Wertheimer, der „German-born Israeli business magnate, philanthropist and former politician“ (so seine Wikipedia-Seite 6 ), der von der Zeitschrift Forbes als einer der „World’s billionaires“ aufgelistet wird. 7 Stef Wertheimer wurde 1926 in Kippenheim in Süddeutschland geboren. 8 Seine Familie emigrierte 1937 nach Palästina und siedelte sich zunächst in Tel Aviv an. 1952 gründete er die Firma ISCAR (Israel Carbide 9 ), die dank der boomenden Konjunktur der 1950er und 1960er Jahre, sowie der inneren Nachfrage nach Hartmetallen bald zum Imperium wuchs. Im Interview mit Klaus Kreppel wird Stef Wertheimer als „schwäbischer Tüftler“ bezeichnet, der den „Weltmarkt“ „erobert“. 10 Somit 5 Zum Stellenwert des Narrativs über Unternehmensbzw. Wirtschaftsethik in der Geschichte siehe das Impulsreferat von Jens Ivo Engels und Julian Ostendorf, „Geschichte von Unternehmensethik schreiben. Konzeptionelle Überlegungen“, Vortrag Tagung „’Krumme Touren’ in der Wirtschaft. Zur Geschichte ethischen Fehlverhaltens und seiner Bekämpfung in Privatwirtschaft und Unternehmen“, DFG Projekt „Korruption in der Moderne“, Institut für Geschichte der TU Darmstadt, 28.-30. November 2013. 6 http: / / en.wikipedia.org/ wiki/ Stef_Wertheimer (Stand 28.10.2013). 7 www.forbes.com/ profile/ stef-wertheimer (Stand 2.10.2013). 8 Wertheimer gehört also zu der „Generation 1,5“ unter den Jeckes, d.h. zu den Jüngeren, die noch teilweise in Deutschland sozialisiert wurden und als Kinder bzw. Jugendliche nach Palästina kamen. 9 Siehe www.iscar.com/ newarticles.aspx/ countryid/ 1/ newarticleid/ 163 (Stand 28.10.2013). 10 „Interview mit Stef Wertheimer. Ein ‘schwäbischer Tüftler’ erobert den Weltmarkt. Aus der Geschichte des Unternehmens ISCAR“ in Kreppel (Hg.) (2002, S. 171-182). Patrick Farges 114 wird er in die lange Liste der innovativen „fleißigen Schwaben“ eingeordnet, die sich von klein auf hochgearbeitet haben, wie etwa Robert Bosch 11 oder Gottlob Bauknecht 12 . Besonders hervorgehoben werden bei Wertheimer seine philanthropischen Leistungen, ja seine individuelle Leistung zum nationalen Aufbau Israels und zum zionistischen Projekt. Indem er Industrieparks in wirtschaftlich vernachlässigten Regionen Israels errichtete, habe er zum industriellen Boom beigetragen. Die Leistung des Entrepreneurs Wertheimer wird als vielschichtig dargestellt: Nicht nur ist der jeckische Entrepreneur innovativ, industriell - er zeigt auch soziales Engagement und hilft, das brisante Problem der Völkerverständigung in dieser Weltregion zu lösen. In Tefen tragen, so das 2005 veröffentlichte Buch The Tefen Model. Industrial Development for Economic Independence, „Juden und Araber“ gemeinsam zur „Success Story“ des „Tefener Modells“ der Verständigung bei, in dessen Kern sich das „Industrial Entrepreneurship for Coexistence“ 13 befinde. 2008 erhielt Stef Wertheimer für seinen „Beitrag zur Verständigung von religiösen oder ethnischen Gruppen“ die seit 1968 vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit verliehene Buber-Rosenzweig-Medaille. Die (Selbst-)Mythisierung des Einwanderer-Entrepreneurs ist evident. Über Wertheimers Mission bemerkt aber der israelische Historiker und kritische Historiograf Tom Segev lakonisch, Wertheimer sei fest davon überzeugt, dass sein individueller Erfolg ein großer Beitrag zum Zionismus sei. 14 Diese nüchterne Feststellung soll nicht die erbrachte industrielle Leistung des innovativen Entrepreneurs Wertheimer in Frage stellen: Es geht lediglich darum, die mythisierende Dimension des Narrativs aufzuweisen. Der „Fall Wertheimer“ entspricht dem gängigen Mythos der Entrepreneur- Elite, der im wirtschaftlich-kommerziellen Storytelling so prägend ist. In seiner historischen Untersuchung dieses immer wieder mobilisierten Mythos nennt der Betriebswirtschaftswissenschaftler Eric Godelier (2010) mehrere Merkmale des Entrepreneurs: Dieser sei eine männliche (oder männlich wirkende) Figur mit Charisma und innovativen Ideen, überdurchschnittlichen Kompetenzen, taktischem Gefühl und Durchsetzungsvermögen. 15 Anhand 11 Siehe Peter Reinhardt, „Ein schwäbischer Tüftler und sozialer Unternehmer“, in Augsburger Allgemeine, 22.10.2011, www.augsburger-allgemeine.de/ wirtschaft/ Ein-schwaebischer-Tueftler-und-sozialer-Unternehmer-id16841736.html (Stand 28.10.2013). 12 Siehe Inge Nowak, „Schwäbischer Tüftler: Das schwere Erbe Gottlob Bauknechts“, in Stuttgarter Zeitung, 16.01.2012, www.stuttgarter-zeitung.de/ inhalt.schwaebischer-tueftler-das-schwere-erbe-gottlob-bauknechts.659d1f10-7af6-4f2f-819c-4a127f9fbdd2.html (Stand 28.10.2013). 13 Vgl. Simmons (Hg.) (2005). Das Buch ist die englische Übersetzung der 2003 erschienen hebräischen Erstfassung und enthält zahlreiche Zitate Stef Wertheimers. Es ist eindeutig ein Dokument externer Unternehmenskommunikation mit politischen Implikationen. 14 Interview Patrick Farges mit Tom Segev, Jerusalem, 28.4.2013. 15 Siehe auch March/ (2003). Israels „fleißige Jeckes“ 115 dieser Merkmale werden laut Godelier quasi austauschbare Erfolgsnarrative des „selbstgemachten Mannes“ geschaffen, die zahlreiche narrative Affinitäten mit Heldengeschichten aufweisen. 16 Doch bei solch narrativer Glättung des „Entrepreneurschicksals“ - wie bei Stef Wertheimer etwa - werden grundlegende sozioökonomisch und historisch relevante Fragen übersehen: - In welchem genauen wirtschaftlichen Umfeld war es möglich, erfolgreich zu sein? - Wie wurden technische bzw. soziale Kompetenzen angeeignet? - Inwiefern können wirtschaftliches Scheitern bzw. soziale Deklassierung überhaupt Gegenstand der eigenen Lebensgeschichte sein? 17 Es geht also hier nicht darum zu behaupten, die persönlichen Narrative seien „gefälscht“, sondern lediglich den Grad ihrer narrativen und rhetorischen Konstruiertheit in den Vordergrund zu stellen. 3. Der wirtschaftshistorische Kontext der „Fünften Alija“ Die in der Jeckes-Historiografie benutzte Bezeichnung „Fünfte Alija“ (Aufstieg) 18 sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um eine - wenn auch besondere - Migrationswelle handelt, die auch von ökonomischen Determinanten mitgeprägt wurde. Denn obzwar die Emigration von Juden aus Mitteleuropa sich nach der rapiden Durchsetzung einer antisemitischen NS-Hasspolitik als lebensrettend erwies, so war diese Emigrationswelle, wie 16 Auch in den Männlichkeitsstudien spielt die Figur des Entrepreneurs eine zentrale Rolle. Laut der australischen Soziologin Raewyn Connell schafft die (neo-)liberale, kapitalistische Kultur männliche Entrepreneur- und Manager-Figuren, deren postulierte Eigenschaft zum Hauptmerkmal hegemonialer Männlichkeit werden: rationales Handeln, rasches Entscheiden, brutale Effizienz usw. Raewyn Connell: „Masculinités, colonialité et néolibéralisme“, Gespräch mit Mélanie Gourarier, GianfranNco Rebucini und Florian Vőrős, in Contretemps. Revue critique,10.September2013,www.contretemps.eu/ interviews/ masculinités-colonialité-néolibéralismeentretien-raewyn-connell (Stand: 25.10.2013). 17 In dieser Hinsicht hat Claire Zalc sehr überzeugend am Beispiel von Paris in der Zwischenkriegszeit gezeigt, inwieweit der selbstständige Entrepreneur-Status oft prekäre Situationen zu kaschieren versucht. Nicht selten war im Hinblick auf geltende Restriktionen auf dem Arbeitsmarkt das selbstständige Unternehmen (im Handelssektor etwa) die einzige zugängliche Möglichkeit für Neueinwanderer, einen wirtschaftlichen, wenn auch prekären, Status zu erhalten. Die Figur des Entrepreneurs war also bei weitem nicht sozial bestens platziert. Siehe Zalc (2008). 18 Dan Diner macht auf den mythischen und sakralen Charakter dieser Bezeichnung aufmerksam: „Mit seiner Ankunft im gelobten Land legt der als Rückkehrer verstandene Einwanderer die seiner Biographie eingeschriebene historische Zeit ab, um sich einem sakral eingefärbten Zeitverständnis zu fügen. [...] ‘Aliya’ bedeutete insofern nicht allein Ortswechsel, sondern auch einen sakral konnotierten Zeitenwechsel“ (Diner 2003, S. 236). Patrick Farges 116 andere Migrationswellen auch, in einen migrationshistorischen und -wirtschaftlichen Kontext eingebettet, in denen Push- und Pull-Faktoren interagierten. Ein erster kontextueller Aspekt bezieht sich auf die Bedingungen der Ausreise und Auswanderung, die den Neuanfang in Palästina prägten. Diese Bedingungen unterschieden sich erheblich voneinander, je nach: - Einwanderungsdatum, d.h. der sich ständig verschärfenden politischen Lage sowie den Schikanen des nationalsozialistischen Regimes (siehe Benz (Hg.) 1996); - Möglichkeiten des Vermögenstransfers; - Alter; - Ausbildung (Art der Ausbildung und Fortgeschrittenheit der Ausbildung); - sozialem Status bei der Emigration und deren Vorbereitung. Außerdem war die Palästina-Einwanderung durch ein System von Einwandererkategorien geregelt, deren Quoten die britische Mandatsregierung nach einem „Zertifikatssystem“ festlegte, das stark von der wirtschaftlichen „Aufnahmefähigkeit“ Mandatspalästinas, also von konjunkturellen Faktoren, abhing. 19 Schließlich muss die Rolle der zionistischen Organisationen erwähnt werden, welche für die (nicht nur ideologische) Vorbereitung und die praktische Organisation der Einwanderung verantwortlich waren. Hagit Lavsky bemerkt hierzu: Auch wenn ein Großteil der deutschsprachigen Einwanderer nicht aus zionistischen Motiven kam, so war der deutsche Zionismus doch einer der wichtigsten Faktoren, die dem Charakter der Einwanderung und der Art und Weise seiner Integration im Lande ihren Stempel aufprägte. (Lavsky 2005, S. 72) Außerdem waren wichtige wirtschaftsinstitutionelle Schlüsselpositionen im Mandatsgebiet Palästina bereits seit den 1920er Jahren von deutschen Zionisten - die zu der Zeit weniger als 1% des Jischuw darstellten - besetzt, die somit maßgebend an der Gestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen Palästinas beteiligt gewesen waren. 20 Man kann also davon ausgehen, dass jüdischen Einwanderern aus Deutschland zumindest ein Teil des wirtschaftlichen und wirtschaftsinstitutionellen Umfeldes, ja ein Teil der „Wirtschaftskultur“ im Mandatsgebiet, bekannt vorkam. Aus diesen institutionellen Gege- 19 Hinzu kamen die ab April 1935 einsetzenden und bis 1939 andauernden „arabischen Unruhen“ als Reaktion auf die wachsende jüdische Einwanderung. Die britische Mandatsbehörde reagierte, indem sie die Zuteilung der Zertifikate stark einschränkte. Nur die Einwanderung von „Kapitalistenzertifikaten“ blieb bis zum Kriegseintritt Englands beinahe unbeschränkt. 20 Hagit Lavsky nennt Arthur Hantke als Leiter der Palestine Land Development Company, Arthur Ruppin als Leiter der Abteilung für Siedlungsarbeit, Richard Kaufmann in der Gesellschaft für die Landentwicklung und Julius Berger im Jüdischen Nationalfonds (Lavsky 2005, S. 74). Siehe auch Bloom (2011). Israels „fleißige Jeckes“ 117 benheiten heraus wuchsen sicherlich z.T. die oft zelebrierten Erfolgsgeschichten und Existenzgründungen der Jeckes in allen Bereichen der Wirtschaft. 21 Das Masternarrativ über den heroischen Einwanderer-Entrepreneur, der das „Gelobte Land“ missionarisch bewirtschaftet, muss also mit Blick auf diesen komplexen migrationswirtschaftlichen Kontext nuanciert werden. Pioniere, Entrepreneure und Visionäre hat es zwar gegeben, doch muss auch der Makro-Kontext mitbetrachtet werden, zumal die ökonomische Eingliederung der während der 1930er Jahre Neueingewanderten durch die kontrazyklische Konjunktur in Palästina während des Zweiten Weltkrieges erleichtert wurde. Nori Möding bemerkt: Der Zweite Weltkrieg bedeutete den wirtschaftlichen Aufschwung, d.h. vorrangig berufliche Integration oder den Beginn beruflicher Integration, für die meisten der befragten Immigrierten, die sich schließlich in der israelischen Mittelbis Oberklasse integrieren konnten. (Möding 1998, S. 528) In einem gedächtnishistorischen Artikel über die „Unternehmer Israel Style“ behauptet Shlomo Erel nichts anderes: Fest steht, dass die deutschsprachige Alija-Welle (1933-1940) zu einer Zeit ins Land kam, als die Wirtschaft Palästinas zum Aufbruch in die Moderne ansetzte. Die mitteleuropäischen Einwanderer konnten dank der Erfahrungen, die sie im fortschrittlichen Europa gesammelt hatten, diese Entwicklung beschleunigen. Das Bankwesen wurde erweitert und reorganisiert. Neue Industriezweige im Bereich der Pharmazeutik, Glasherstellung, Molkereiproduktion, Konfektion, Metallwarenindustrie, des Hotelgewerbes und des Getreidesilo-Baus blühten auf. (Erel 1994, S. 380) Die von Shlomo Erel aufgezählten Branchen - man könnte auch noch das Gesundheitswesen hinzunehmen (siehe Livnat 2012) - sind auch genau diejenigen, die in der Historiografie als die großen Erfolge des Unternehmungsgeistes der Jeckes gesehen werden. 22 21 Zu den wirtschaftlichen Spezifizitäten der „deutschen Alija“ gehören auch die ökonomischen Transferoperationen, die unter dem „Ha’avara“ (Transfer-)Abkommen stattfanden. Dieses Kapitel gehört zu den komplexesten in der Geschichte der Beziehungen zwischen Zionisten und Nationalsozialisten. Siehe Israel-Korpus, Interview Anne Betten mit Elchanan (ehem. Erwin) Scheftelowitz, 27.4.1994, Jerusalem. 22 Weitere ökonomische Aspekte, die in der Literatur und in den Selbstzeugnissen wenig thematisiert werden, sind etwa die Rolle der „Wiedergutmachungsgelder“ für die Sicherung einzelner jeckischer Existenzen und die Entfaltung persönlicher Unternehmungsprojekte. Hierzu zählen auch die Renten, die einzelne Jeckes jeden Monat über Deutschland erhielten und über die kaum berichtet wird. Siehe Wassermann (2004). Patrick Farges 118 4. Der jeckische Entrepreneur zwischen Identifikations- und Witzfigur Ein Teil der „Jeckes-Witze“ drehen sich um die Figur des Entrepreneurs, der versuche, in einem Kontext von „Basar“-Mentalität Redlichkeit, Geschäftsethik und Fairness zu bewahren. Shlomo Erel erzählt diesbezüglich: Die faire Einstellung im Berufsleben beschwor so manche Tragödie herauf. […] Nur wenige der Neuankömmlinge vermochten sich mit der Basar-Mentalität anzufreunden, zunächst einen überhöhten Preis zu fordern, um dann den gewünschten niedrigeren wirklich zu erzielen. Der Konkurrent in der Straße gegenüber war stets preiswerter, da elastischer, und mehr als einer hat später dann das Café oder den Laden des Flüchtlings aus Deutschland aufgekauft. (Erel 2008) Nachum Gross wiederum bringt dies auf eine kurze Formel: „Ein Einwanderer aus Deutschland mit Vermögen findet einen ansässigen Partner mit Erfahrung; nach einer Weile hat der Partner Vermögen und der Jecke Erfahrung“ (Gross 2005, S. 136, Endnote 4). Und Dov Ostro, 23 Besitzer einer Kaffeerösterei in Tel Aviv, behauptet über sich selbst: Ich bin ein Jecke in jeder Beziehung. Ich bin mehr als pünktlich. [...] Bei mir ist ein Wort ein Wort. Meine Kunden sagen mir immer: „Man sieht, dass Du ein Jecke bist, beim Gewicht. Ein Kilo bei Dir ist immer ein Kilo plus zehn Gramm“. Und ich erkläre den Leuten dann, dass sie nicht für die zehn Gramm Tüte bezahlen brauchen. 24 Was bleibt also vom Bild des jeckischen Entrepreneurs? Sicherlich ein identitätsstiftendes narrativ geladenes Bild von Unternehmerinitiative und verhältnismäßigen Innovationen, das der gesamten Jeckes-Gruppe zugute kommt. Zweifellos kristallisieren sich historisches Jeckes-Bild und erinnerte Jeckes- Identität am Beispiel des erfolgreichen männlichen Groß-Entrepreneurs. Doch mindestens genauso prägend waren in Wirklichkeit die Klein- und Mittelbetriebe, die Familienunternehmen (siehe Gross 2005) sowie die Frauen als innovative Wirtschaftsakteurinnen. Es muss hier betont werden, dass die Erfolgsgeschichten des „Sich-von-klein-auf-Hocharbeitens“, die im memoriellen Diskurs überwiegen, nicht spezifisch nur auf Männer zurückzuführen sind. 25 Was die meisten Studien über die erfolgreichen Entrepreneur-Jeckes 23 Geb. 1921 als Hans Gideon Ostro in Bremen. Emigration 1933 nach Palästina. Kaffeerösterei in Tel Aviv in der Nähe des alten Busbahnhofs. 24 Interview mit Dov Ostro in Greif/ McPherson/ Weinbaum (Hg.) (2000, S. 2f.). 25 In seinem sehr kurzen Überblick über jeckische Entrepreneure betont Nachum Gross, er wolle „besonders Initiativen von Frauen“ behandeln. Doch außer der Rolle der Frauen als „Zuverdienerinnen“ nennt er lediglich Frauen, die Pensionen eröffneten - allen voran Käthe Dan, deren kleines Hotel die Grundlage für die Dan Hotels Kette bilden sollte (Gross 2005, S. 133). Israels „fleißige Jeckes“ 119 nicht thematisieren, ist die Tatsache, dass in vielen Fällen die Frauen „ihren Mann standen“ und mitunter schneller zum Familienunterhalt beizutragen imstande waren. Historiographisch lässt sich, so Christine Backhaus-Lautenschläger über den US-Fall, der Unterschied in der Wahrnehmung männlicher vs. weiblicher „Migrationsschicksale“ wie folgt erklären: Die soziale Deklassierung der männlichen Intellektuellen oder der Angehörigen höherer Berufe wird generell als Problem registriert und ernst genommen. Demgegenüber schwingt in den die Frauen einbeziehenden Schilderungen die Erwartung mit, dass sie ihre eigene Deklassierung überwinden müssten; sie könnten (und müssten) als „Berufslose“ jede Art von Arbeit zur Subsistenzsicherung verrichten; ein anderes Verhalten wäre unakzeptabel. (Backhaus-Lautenschläger 1991, S. 134) Die anfänglichen Überbrückungsjobs zahlreicher Frauen finanzierten manches berufliche Umorientierungsprojekt der Männer mit. Schließlich muss unterstrichen werden, dass die Geschlechtsverhältnisse am Arbeitsmarkt in den Pionierjahren Palästinas/ Israels sich zugunsten der Männer entwickelten, die immer mehr in den besser bezahlten - und besser qualifizierten - Wirtschaftssektoren arbeiteten. 26 In Bezug auf die Überwindung sozialer Deklassierung ist die Geschichte der „Eier-Jeckes-Wirtschaft“ besonders bekannt. Es handelt sich um eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, wie erfindungsreich und klug die gebildeten Akademiker aus Deutschland trotz allem waren. Besonders emphatisch erzählt diese Geschichte David Bar-Levi, 27 der sich selbst vom Eier-Jecke zum Kellner und schließlich zum Beamten im Finanzministerium hochgearbeitet hat: In Kfar Schmarjahu, da sind diese so genannten Eier-Jeckes, nicht? 28 Kennen Sie schon die Geschichte? Also das waren alles Akademiker und Ärzte usw., die haben da Hühnerfarmen aufgemacht und haben die Eier vermarktet, unter anderem auch nach Jerusalem. Hier gab es also einen Vertreter, der eben die Eier verkauft hat hier an die Hotels, an die Restaurants, an die Cafés und an Private. Er hatte also Leute herumlaufen, die auch privat Eier verkauften und da sagte der zu mir: „Weißt du, wenn du das machen willst, das kannst du machen“. Sag ich: „Ja, mach ich. Wie macht man das? Ich hab im Leben noch nie was verkauft! “ - ich bin aus einer Familie, wo es keine Kaufleute gab. Durch die Generationen gab es keine Kaufleute -, da sag ich also: „Ja, mach ich. Wie macht man Als Beispiel innerhalb des „Israel-Korpus“ kann Gertrud Towa Kedar (geb. 1901 als Trude Frisch in Nürnberg) genannt werden, die eine kleine Kuhwirtschaft und einen Laden selbst betrieb und ab und zu auch mal auf dem Schwarzmarkt verkaufte (Israel-Korpus, Interview Anne Betten mit Gertrud Towa Kedar, Nürnberg, 6.7.1991). 26 Diese Tendenz unterstrich bereits eine Studie aus dem Jahre 1948: siehe Turnowsky-Pinner (1948). Siehe auch Lacoue-Labarthe (2002, S. 98ff.). 27 Geb. 1912 als Heinz Levisohn in Essen. Emigration 1939. 28 Bekannter ist eigentlich die Geschichte der Eier-Jeckes von Ramot Hashavim. Patrick Farges 120 das? “ Da sagt er: „Du gehst auf den Markt, kaufst dir zwei Körbe und dann kommst du jeden morgen hier um halb acht zu mir in meinen Laden, dann füll ich dir die Körbe und dann gehst du los von Haus zu Haus, Treppe rauf, Treppe runter, klopfst an den Wohnungen und fragst sie, ob sie frische Eier haben wollen. Und dann legst du dir so langsam einen Kundenstamm zu. Das musst du natürlich morgens bezahlen, die zwei Körbe voll, die bezahlst du und dann verkaufst du die. Ich sage dir die Preise und was du übrig hast, das ist dein Verdienst.“ Also ich hab das getan, zwei Körbe gekauft, bin losgegangen in hier, Rechawia, durch diese schönen Treppen rauf, Treppen runter, und hab gesagt: „Ich verkauf hier frische Eier“ usw. Und auf diese Weise habe ich so langsam mir so einen Kundenstamm besorgt. […] Nach einigen Monaten hab ich auch in einem kleinen Café in der Stadt Eier verkauft; die brauchten ja Frühstückseier. Die brauchten ja nicht so viel, die kauften nicht in Massen und da ging ich manchmal dann morgens frühstücken. Eines Tages sagte der zu mir: „Ach vielleicht wissen Sie jemand, der hier nachmittags arbeitet an der Kaffeemaschine? “ […] Da hab ich mir im Moment dann überlegt, sag ich: „Ja, ich weiß jemand, mach ich! “ Sagt er: „Was? Sie wollen das machen? “ Sag ich: „Ja, [Eier verkaufen] mach ich morgens und das [an der Kaffeemaschine arbeiten] mach ich dann nachmittags.“ Also morgens bin ich losgegangen und hab bis mittags um eins, Treppe rauf, Treppe runter, diese Eier verkauft und nachmittags bin ich gerannt in die Stadt und hab dann in diesem kleinen Café hinter der Theke an der Kaffeemaschine ausgegeben usw. Daraus ergab sich, dass ich eines Tages den vollen Job [an der Kaffeemaschine] hatte morgens von sechs bis nachmittags um vier. […] Und dann gab ich das Eiergeschäft auf und hab diesen Job übernommen. Das war 1940 rum. Ich hab nie mehr soviel Rühreier gegessen, wie zu der Zeit! 29 Besonders interessant an diesem Auszug ist - neben der besonders enthusiastischen, dialogischen und bildlichen Erzählweise des Sprechers - die Tatsache, dass die Geschichte hier eine doppelte Dimension aufweist: Einerseits rekurriert der Sprecher auf die gute alte Eierjeckes-Geschichte von Akademikern, die Hühnerfarmen betreiben. Somit spielt er auf einen bekannten Bezugsrahmen an, der die kollektive Jeckes-Identität der pionierhaften Entrepreneure aufgreift. 30 Andererseits erzählt David Bar-Levi aber auch hier seine ganz persönliche Geschichte: die Geschichte von schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs und von fragmentarischen Übergangstätigkeiten in einem sich wandelnden Wirtschaftsumfeld, wo man nur knapp über die Runden kommt. Von linearer erfolg- und glorreicher Entrepreneurgeschichte ist hier keine Spur. Genau diesen Aspekt des beruflichen Zick-Zack-Kurses nach der Einwanderung bei allgemeiner Mittellosigkeit beschreibt auch Moshe Cederbaum im Interview: 29 Israel-Korpus, Interview Anne Betten mit David Bar-Levi, Jerusalem, 16.4.1991. 30 Eine andere ebenso bekannte Geschichte ist die Erfindung des Sahne-Eises durch Jeckes. Israels „fleißige Jeckes“ 121 Also die Situation war ziemlich schwierig, und gerade die Juden aus Deutschland nahmen damals alle möglichen Berufe an, verkauften Eier von Haus zu Haus, trugen Milch aus, wuschen Wäsche, gingen als Reinigungsarbeiter in die Häuser. Wir hatten damals gar keine Scham, waren uns gar nicht unbequem oder, sagen wir, das lag vielleicht daran, dass wir alle ungefähr auf dem gleichen Standard lebten, während heute die Differenzen viel ausgeprägter sind. Und das Gucken in den Topf des Nächsten, des Nachbarn ist heute viel ärger als damals. 31 5. Schluss: ein Economic Turn in der (deutsch-)jüdischen Geschichte? Wie der Artikel gezeigt hat, ist die Jeckes-Historiographie in vielerlei Hinsicht undistanziert gegenüber dem Mythos des (männlich konnotierten) pionierhaften Entrepreneurs. 32 Dabei muss festgestellt werden, dass vor allem die Situation der sozialen Deklassierung dominierte. 33 Im Vergleich zu vielen sozial-beruflichen Positionen (u.a. der älteren Jeckes) vor der Auswanderung - Freiberufler, Akademiker, Juristen, Mediziner … - war die wirtschaftliche Existenz nach der Emigration bestenfalls frustrierend. Die retrospektiven Narrative von individuellem Wirtschaftserfolg, wo sich Pioniergeist und Entrepreneurqualitäten inmitten eines politisch und wirtschaftlich feindlichen Umfeldes durchsetzen, dienen also - so meine These - zur kollektiven (Wieder-)Erlangung eines jeckischen Stolzes. Somit ist die Entrepreneur- Figur ein Knotenpunkt zwischen individueller und kollektiver Erinnerung, zwischen zionistischem Masternarrativ und kritischem Familiengedächtnis, zwischen bildungsbürgerlicher Tradition und orientalischer „Basar“-Mentalität. Der vorliegende Artikel stellt auch einen Versuch dar, einen „Economic Turn“ in die Jeckes-Historiographie einzuführen. Denn es ist nicht leicht, jüdische Wirtschaftsgeschichte zu schreiben, ohne die Geister von Shylock, Karl Marx oder Werner Sombart wachzurufen. Gideon Reuveni bemerkt hierzu: [T]he general image of the Jews is overloaded with tropes and motifs taken from the sphere of economics. Yet despite the centrality of economics to Jewish life and to the image of Jews and Judaism in modern times, Jewish historiography has generally tended to highlight religious, cultural, and political aspects of the Jewish past more intensively than its economic features. (Reuveni 2010, S. 1) 31 Israel-Korpus, Interview Anne Betten mit Moshe Cederbaum, Tel Aviv, 25.04.1991. 32 Dies hängt sicher auch damit zusammen, dass, so Yoav Gelber, „die Schreibung der Wirtschaftsgeschichte des zionistischen Unternehmens […] aus der Feder von Wirtschaftsfachleuten, nicht von Historikern“ (Gelber 2000, S. 22) stammte. 33 Zur „Deklassierung“ siehe Bourdieu (1978). Patrick Farges 122 Die letzte Frage, die sich stellt, wäre also: Gibt es einen jeckischen Entrepreneur-Geist, oder um es frei nach Max Weber zu formulieren, so etwas wie eine „jeckische Ethik“ und einen „Geist des Unternehmertums“? Die These des „geschäftlichen Geists“ der Juden ist nämlich eine alte (und problematische) These, die bereits Werner Sombart in Anlehnung an Max Webers Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904-05) systematisierte. Sombart veröffentlichte 1911 Die Juden und das Wirtschaftsleben und wollte hiermit seinen eigenen Beitrag zu der durch das Webersche Werk ausgelösten „Kapitalismusdebatte“ (Berg (Hg.) 2011) leisten. Alle Eigenschaften, die Max Weber im Protestantismus und Puritanismus verankert sah, wurden laut Werner Sombart noch intensiver von Juden praktiziert: Der Jude sei also der wahre „Homo Economicus“. 34 Die Folge von diesen äußerst problematischen Thesen ist, so Jonathan Karp, dass „there has never been a systematic and programmatic effort to construct a subfield of economic scholarship within Jewish studies “ (Karp 2009, S. 8). Dabei ist die Wirtschaft ein wichtiger Aspekt der Kultur: Deshalb appellieren die immer mehr kulturwissenschaftlich orientierten Jüdischen Studien an einen „Economic Turn“. Im Hinblick auf die Jeckes würde dies folgendes bedeuten: Mehr als die individuellen Pionier-Entrepreneure müsste der historische Wandel unterstrichen werden, der aufgrund der Masseneinwanderung europäischer Juden - nicht nur der Jeckes aus Deutschland und Österreich - die Konsumkultur in Palästina/ Israel vollkommen veränderte. Entgegen jeglichen Pioniergeistes wollten diese Migranten ihre mitteleuropäischen Konsumgewohnheiten wiederfinden und trugen zur allmählichen „Modernisierung“ der Konsumkultur in Palästina/ Israel bei. Zum modernen Konsum gehörten Geschäfte (statt Schuk-Ständen), dekorierte Schaufenster, Cafés im Wiener Stil sowie Hotels und Restaurants. Der Jecke Chaim Stubezki erinnert sich an die Tel Aviver Allenby-Straße, die er bei seiner Ankunft vorfand: Die Schaufenster waren so staubig, dass ich nie wusste: Ist das nun ein Friseur oder ein Lebensmittelgeschäft? Auch dass man in Palästina schon zum Frühstück Salate aß, daran mussten wir uns gewöhnen. Die deutsche Einwanderung hat eine gewisse Ordnung in das Vor-Israel gebracht: Plötzlich wurden Wohnungen mit Verträgen vermietet (und nicht per Handschlag), der Fisch wurde in Plastiktüten gereicht (und nicht mehr in Zeitungspapier), und wenn man einen Handwerker bestellte und man Glück hatte, dass es ein Flüchtling aus Deutschland war, dann kam er pünktlich auf die Minute! (Schmitz 2005) 34 Im Laufe des Industrialisierungsprozesses seien, so Derek Penslar (2001, S. 38), der ökonomische Status der Juden und ihre Identifikation mit bestimmten Wirtschaftssektoren neue Stützen einer sonst schwankenden, immer säkularisierteren modernen jüdischen Identität geworden. Israels „fleißige Jeckes“ 123 Weniger als die einzelnen Entrepreneur-Schicksale müssen also die bildungsbürgerlichen Konsumgewohnheiten im Kontext einer gefühlten Deklassierung ins Blickfeld geraten. Literatur Backhaus-Lautenschläger, Christine (1991): … Und standen ihre Frau. Das Schicksal deutschsprachiger Emigrantinnen in den USA nach 1933. Pfaffenweiler. Benz, Wolfgang Benz (Hg.) (1996): Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft. München. Berg, Nicolas (Hg.) (2011): Kapitalismusdebatten um 1900. Über antisemitisierende Semantiken des Jüdischen. Leipzig. Bloom, Etan (2011): Arthur Ruppin and the Production of Pre-Israeli Culture. Leiden/ Brill. Bourdieu, Pierre (1978): Classement, reclassement, déclassement. In: Actes de la recherche en sciences sociales 24, S. 2-22. Diner, Dan (2003): Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten. München. Erel, Shlomo (1994): Unternehmer Israel Style. In: Erel, Shlomo (Hg.): Kaleidoskop Israel. Deutschsprachige Einwanderer in Israel erzählen (aus Briefen, Tagebüchern, Aufzeichnungen und Gedichten). Klagenfurt, S. 379-392. Erel, Shlomo (2008): Deutsche Juden: Die ‘Jeckes’ im israelischen Humor. 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Eine narratologische Untersuchung des Unternehmens griffe zu kurz, wenn sie dieses Narrativ lediglich als Marketingstrategie kulturkritisch dekonstruierte. Vielmehr ist ein erweiterter Formbegriff nötig, der auch danach fragt, welche Unterscheidungen Apples Produkte ermöglichen und welche sie ausschließen. Wenn Unternehmen sich selbst und ihre Produkte erzählend präsentieren, schwingt bei deren Analyse nicht selten ein kulturkritischer Unterton mit. Man habe es mit raffinierten Marketingstrategien zu tun, die Gebrauchswertgleichheiten und fragwürdige Produktionsumstände verdunkelten. „Wo die Konkurrenz in Bezug auf Zweckmäßigkeit und innere Eigenschaften zu Ende ist - und oft genug schon vorher - muss man versuchen, durch den äußeren Reiz der Objekte, ja sogar durch die Art ihres Arrangements das Interesse der Käufer zu erregen“, beobachtete bereits 1896 Georg Simmel in seiner Besprechung der Berliner Gewerbe-Ausstellung (vgl. Simmel 2009, S. 63f.). Ins Kritische gewendet wurde die - tatsächliche oder vermeintliche - Prävalenz des Erscheinungsbildes spätestens in Wolfgang Fritz Haugs erstmals 1971 erschienener „Kritik der Warenästhetik“, deren Grundannahme bis in die populäre Konsumkritik der Gegenwart nachwirkt (vgl. Haug 2009). Im Fall der Firma Apple ist dies besonders auffällig, zum einen, weil sie ihr narratives Vokabular lange Zeit aus gegenkulturellen Beständen bezog, zum andern, weil die Frage, ob Design als Oberflächen- oder Tiefenphänomen zu verstehen sei, nicht nur Konsumenten, sondern auch Patentgerichte umtreibt. Im Folgenden entwickle ich die Überlegung, dass eine narratologische Analyse Apples zu kurz griffe, wenn sie Werbekampagnen, Inszenierungstechniken und Markendiskurse als ein letztlich produktunabhängiges, nachträgliches In-Form-Bringen begriffe. Vielmehr schlage ich vor, der Analyse einen Formbegriff zugrunde zu legen, der „die Operation der Unterscheidung selbst als substantiell“ (Baecker 2007, S. 57) begreift und kommunikative Ereignisse als Wirklichkeit hervorbringende Handlungen auffasst. Auf diese Weise können neben mündlichen und schriftlichen Materialien auch Designentscheidungen und digitale Interfaces in die Formanalyse einbezogen, verglichen, auf innere Dirk Hohnsträter 126 Spannungen und Widersprüche, tieferliegende Grundunterscheidungen sowie Einschlüsse und Ausschlüsse hin beobachtet werden. Drei Erzählstränge sind es, aus denen sich das Apple-Narrativ herausprofiliert: die heroische Geschichte des Gründers, der Wandel vom unternehmerischen David zum Konzern-Goliath und schließlich die Verlagerung der Differenz ins Produkt. Apples Erzählung, so die These, formiert sich differenziell, kreist inhaltlich um Differenz und artikuliert sich in unterschiedlichen, gleichwohl miteinander verknüpften Strängen, die im zeitlichen Verlauf eine Reihe von Verschiebungen erfahren. 1. Steve Jobs. Ein Heldenepos Die erste Geschichte ist bekannt. Ihre autorisierte Fassung legte Jobs-Biograf Walter Isaacson 2011 vor, zudem existieren zahlreiche inoffizielle Versionen, häufig einzelne Lebensabschnitte hervorhebend oder anekdotisch verdichtend. 1 Einer der gegenwärtig angesehensten Drehbuchautoren Hollywoods, Aaron Sorkin, schrieb eine Drehbuchfassung von Isaacsons Biografie, deren Stoff sich mühelos in die Schemata eines Robert McKee oder Syd Field packen lässt. Erzählt wird eine hochgradig heroisierte Gründungsgeschichte, die am 1. April 1976 in der sprichwörtlichen Garage ihren Ausgang nimmt und nach diversen Widerständen, Triumphen, Niederlagen und Comebacks nicht nur mit der wertvollsten Marke aller Zeiten endet, sondern mit der Transformation ganzer Industrien: der Computerindustrie (einschließlich des Software- Marktes) ohnehin, aber auch der Musik-, der Film- und der Telefonbranche. Wollte man diese Erzählung interpretieren, so läse sie sich wie ein Musterfall des von Joseph Schumpeter 1912 in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ beschriebenen Unternehmers, der als schöpferischer Zerstörer kreativ ist und dessen Kreativität eine Kombinationskunst darstellt. Der charismatische Unternehmer braucht keine Marktforschung - er hat das divinatorische Talent, aus der Fülle der Innovationen jene Erfindungen zu identifizieren, die sich vermarkten lassen, und deren Vermarktung dann auch erfolgreich durchzusetzen (vgl. Reckwitz 2012, S. 149-154, bes. 151f.). Bei Jobs bestand die Kombinationsleistung in der Verbindung von ‘liberal arts’ und ‘technology’ - so die Selbstbeschreibung des Apple-Gründers und Isaacsons Fazit. Will man bei der Interpretation eine Ebene tiefer gehen und die mythischen Muster freilegen, die der Geschichte von ‘His Steveness’, dem ‘iMächtigen’ zugrunde liegen, so bietet sich ein Blick in die von Markus Metz und Georg 1 Isaacson (2013), vgl. auch die dortige Bibliografie sowie www.stevejobsarchive.net (Stand: 31.7.2017). Apple: Kult und/ oder Code 127 Seeßlen vorgelegte Streitschrift „Kapitalismus als Spektakel“ an. Metz und Seeßlen widmen Jobs in ihrem auf Guy Debord anspielenden Buch ein Kapitel und deuten die hier als Heldengeschichte beschriebene Narration als eine Heiligenlegende. Dabei identifizieren sie folgende Elemente: „Auserwählung, Lehre, Sammlung der Jünger, Wunder/ Erlösung, Prüfung/ Verrat, Vollendung, Passion, Tod und Wiederauferstehung, Vermächtnis, Gemeinde“ (Metz/ Seeßlen 2012, S. 37-48, hier S. 39). An dieser Stelle soll es genügen, auf die Deutung von Metz und Seeßlen zu verweisen. Denn so zutreffend sie sein mag, so sehr reproduziert sie bloß ein bekanntes religionskritisches Schema, anstatt „zur Ahnung einer neuen Aufklärung vorzudringen“, wie die Autoren zu Beginn des Buches ihren Anspruch formulieren (ebd., S. 11). Zu kurz greift ein Vorgehen, das in biografischer Kritik verbleibt, anstatt sich tiefer auf kulturhistorische Verschiebungen einzulassen und konkrete Produktanalysen vorzunehmen. 2. Think different. Die Ökonomisierung der cDifferenz Warum die Firma Apple Apple heißt, darüber kursieren viele Erklärungen. Ob es der Apfel vom Baum der Erkenntnis war, das Plattenlabel der Beatles, die Ernährungsweise von Steve Jobs oder der Wunsch, im Telefonbuch vor dem Konkurrenten Atari eingetragen zu werden - jede der vier Möglichkeiten sagt etwas Treffendes aus über das Unternehmen. 2 Der Apfel, in seiner Schlichtheit auch ein frühes Anzeigenmotiv, ist so vielfach konnotiert wie später das „i“ aus iMac, iPod, iPhone und iPad. Ganz gleich, ob es für Information, Internet oder Ich steht - es hätte nicht besser gewählt sein können. 3 Doch Markenerzählungen verdichten sich nicht nur in Namen, sie bilden ein Ensemble aus Texten, Bildern und identitätserzeugenden Differenzen. In diesem Sinne ist der berühmte Slogan „think different“ Programm und Performanz zugleich. Grammatisch fragwürdig und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich ziehend, markiert er nicht nur eine Absetzung von der grau-bürokratischen Welt IBMs und Microsofts und nicht nur die Aufforderung zu kreativem Eigensinn, sondern auch die für jede Markenbildung grundlegende Operation einer alleinstellenden Unterscheidung. Im Fall Apples war dies lange Zeit die Assoziation der Firma mit gegenkulturellen Impulsen. Bereits der ikonische, von Ridley Scott inszenierte Werbespot aus dem Jahr 1984, der IBM 2 Dazu Wagner (2011, S. 28-41, hier S. 33f.), wo auch auf die Ambiguität des „byte“ in den Apfel hingewiesen wird. Zu ergänzen wäre die Nähe des Firmenamens Apple zur App, also der Application (Anwendung), die das Operating System (Betriebssystem) um konkrete Funktionen ergänzt. 3 Vgl. Wagner (2011, S. 38) sowie Segall (2012, S. 107-111). Dirk Hohnsträter 128 als Big Brother darstellte, zeugte davon. Jobs leitete die Premiere ein, indem er Bob Dylans „The Times They Are A-Changin“ zitierte. Gut zehn Jahre später, nach seiner Rückkehr als Firmenchef, entstand die berühmte Think-different-Kampagne: ohne Produktbilder, statt dessen mit Schwarzweißfotos berühmter Persönlichkeiten, darunter, erneut, Dylan. Der Text ist bekannt: „Here’s to the crazy ones [...] The rebels [...] The ones who see things differently [...] they change things [...] We make tools for these kinds of people.“ 4 Es wäre leicht, Apples Assoziation von Kulturkritik und Konsum als arbiträr zu entlarven und dann - wie es beispielsweise Evgeny Morozov tut - von einer genaueren Analyse der Objekte abzusehen. 5 Morozov schreibt: Apple’s most incredible trick, accomplished by marketing as much as by philosophy, is to allow its customers to feel as if they are personally making history [...] That Jobs could launch a campaign against capitalism by using capitalism’s favorite weapon - and get away with it! - was truly remarkable. Gleichwohl lohnt es sich, ein wenig genauer hinzuschauen. Interessant an der Think-different-Lyrik ist nämlich vor allem die folgende Zeile: „We make tools for these kinds of people.“ Dieser Satz bietet einen Konnex zwischen Kulturkritik und Konsum an, der über bloße Zuschreibungen hinausweist: das tool. Bei seiner berühmten Rede in Stanford 2005 legte Steve Jobs eine autobiografische Spur, die auf den Ursprung dieses Begriffs verweist: „When I was young, there was an amazing publication called The Whole Earth Catalog, which was one of the bibles of my generation. It was created by a fellow named Stewart Brand not far from here in Menlo Park.“ 6 Die Bedeutung von Stewart Brand und die Wirkung seines Whole Earth Catalog auf die sogenannte kalifornische Ideologie und das Silicon Valley ist kaum zu überschätzen (vgl. Diederichsen/ Franke (Hg.) 2013, bes. S. 40 sowie 43-48). 1968 begründet, erschien der Katalog bis 1972 regelmäßig, sporadisch bis 1998. Es handelte sich vor allem um einen Produktkatalog, der - eingebettet in gegenkulturelle Inspiration - Nützliches von der Axt bis zum Taschenrechner vorstellte. Das Magazin hatte einen Slogan, der auf dem Titelblatt abgedruckt war: „access to tools“. Der Begriff des tools, des Werkzeugs, verweist auf eine Vorstellung von Ermöglichung, von Dingen, mit denen man etwas machen kann, das man ohne sie nicht machen kann. Es ist ein emanzipativer Geist, der hier beschworen wird, und um die Emanzipation zu verwirklichen, braucht man Werkzeuge. In Brands Katalog waren das übrigens - trotz Technikbegeisterung - sehr häufig Bücher. In Jobs’ Post-Gutenberg-Galaxis über- 4 http: / / web.archive.org/ web/ 20010228171255/ www.apple.com/ thinkdifferent/ (Stand: 31.7.2017). 5 www.newrepublic.com/ article/ 100978/ form-fortune-steve-jobs-philosopher (Stand: 31.7.2017). 6 http: / / news.stanford.edu/ news/ 2005/ june15/ jobs-061505.html (Stand: 31.7.2017). Apple: Kult und/ oder Code 129 nimmt der Computer die Rolle des wichtigsten tools. Den Rechner als Werkzeug zu begreifen, genauer gesagt, als Werkzeug zu Kreativität und Emanzipation, darin lag der Leitgedanke des Apple-Gründers. „We make tools for these kinds of people“, und mit „these kinds of people“ sind die „crazy ones“ gemeint, die Weltveränderer, Querdenker und Kreativen. Mit diesem Befund kann man auf zwei mögliche Arten weiterarbeiten. Die eine - die im dritten Abschnitt eingeschlagen wird - besteht darin, die tool- Metapher ernst zu nehmen und sich der Analyse der Produkte zuzuwenden. Die andere beharrt weiterhin auf der Arbitraritätsvorstellung und tut die Behauptung eines inneren Zusammenhangs von Protest und Produkt als Marketingtrick ab. Sie behauptet, Apple wolle den Kunden ihr Geld mit überteuerten, aber raffiniert beworbenen Waren aus der Tasche ziehen. Das Problem dieser Variante ist es jedoch, dass sie einen intentionalistischen Fehlschluss begeht, wie Luc Boltanski und Ève Chiapello überzeugend gezeigt haben. 7 Wer ins Ökonomische integrierter Kreativität mangelnde Authentizität vorhält, so die Autoren, stütze seine Kritik auf die Unergründlichkeit angenommener Absichten. Will man eine solche Hermeneutik des Verdachts vermeiden, bleibt nur ein genauerer Blick auf die Produkte selbst. 8 3. Dinge, die Unterschiede machen Es ist wichtig zu sehen, dass der tool-Begriff bei Apple nicht nur in der Kampagne zitiert wird, sondern direkt Eingang in das Design-Konzept findet (siehe auch Wagner 2011, bes. S. 32 und 35). Im sogenannten „Lost Interview“, welches der Journalist Robert Cringely 1995 geführt und 2012 aus dem Archiv wieder hervorgeholt hat, äußert sich Steve Jobs zur Herkunft seiner Produktphilosophie aus dem Geist der Gegenkultur: It‘s the same thing that causes people to wanna be poets instead of bankers [...] and I think that‘s a wonderful thing. And I think that that same spirit can be put into products. And those products can be manufactured and given to people and they can sense that spirit. 9 Es fällt auf, dass Jobs im Verlauf des Gesprächs „things“ sagen will, stockt, sich korrigiert, und schließlich „products“ sagt. In einem anderen Gespräch konkretisiert er Apples Designverständnis: „Most people make the mistake of 7 Vgl. Boltanski/ Chiapello (2003, S. 81, 380 und 471f., bes. 480 („Ökonomisierung der Differenz“), 482 und 484). 8 Boltanskis und Chiapellos Argument lässt sich auch gegen die verbreitete Behauptung anführen, Apple treffe bestimmte Designentscheidungen, um Profite zu maximieren und Bedürfnisse zu wecken. Was in einem generellen Sinn ebenso zutreffend wie trivial ist, bedürfte bei der Zurechnung auf konkrete Produkteigenschaften eines detaillierteren Nachweises. Vgl. als ein Beispiel Borries (2011, S. 59). 9 Vgl. www.stevejobs-thelostinterview.de (Stand: 7.4.2014). Dirk Hohnsträter 130 thinking design is what it looks like [...] That’s not what we think design is. It’s not just what it looks like and feels like. Design is how it works.“ 10 Man kann argumentieren, dass das gegenkulturell motivierte tool-Denken die Anfänge Apples widerspiegle, nicht aber die Gegenwart eines Marktführers, der ganz mainstreamfreundlich damit wirbt, dass das iPhone die meistbenutzte Kamera der Welt sei. Doch zunächst gegenläufige Evidenzen. Auch der aktuelle Mastermind Apples, Chefdesigner Jonathan Ive, pocht darauf, es gehe Apple nicht um das Erzeugen von schönem Schein, nicht um ‘Design‘: „We don‘t really talk about design, we talk about developing ideas and making products“. 11 In einem Firmenvideo aus dem Jahr 2013 wird diese Philosophie unterstrichen. Der Film illustriert das Designverständnis des Unternehmens in paradigmatischer Weise. Der von unaufdringlichem Klavierspiel und wenigen Geräuschen begleitete, in Schwarz-Weiß gehaltene Clip zeigt ein Spiel von Punkten, Strichen und geometrischen Figuren, das mit kurzen Textzeilen korrespondiert. Angesprochen werden Aspekte des Gestaltungsprozesses wie Intention, Fokus, Vereinfachung, Perfektionierung, Revision und Zeit. Zentral ist folgende Aussage: „there are a thousand no’s for every yes“. Design wird hier als ein Treffen von Unterscheidungen aufgefasst, als Differenzierungsvorgang, der so lange andauert, „until every thing we touch enhances each life it touches“. 12 Es ist unschwer zu erkennen, dass die erwünschte Funktion - to „enhance“ life - deutlich weniger rebellisch ausfällt als die Idee eines „tools“ für die „crazy ones“. Auch eine andere, zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte Kampagne, die wegen ihrer lyrischen Form einen Vergleich mit der alten Think-different-Werbung nahelegt, schwächt das weltumstürzende Ziel ab. Dort heißt es: „This is it. This is what matters. The experience of a product. How it makes someone feel. [...] Who will this help? Will it make life better? “ 13 Bei aller Vollmundigkeit fallen diese Zeilen deutlich bescheidender und vor allem individualistischer aus als der tool-spirit der jungen Jahre. Hat also die ‘i-Deo-Logie’, die narzisstische Interpretation des kleinen „i“ den rebellischen Gründergeist abgelöst? Einmal mehr: Die Antwort kann nur an den Geräten selbst gewonnen werden, durch Beobachtung der Unterscheidungen, die sie eröffnen oder verhindern. Und der Befund, den eine solche Analyse ergibt, ist widersprüchlich. 14 Zum einen finden 10 www.nytimes.com/ 2003/ 11/ 30/ magazine/ the-guts-of-a-new-machine.html (Stand: 13.7.2017). 11 www.telegraph.co.uk/ technology/ apple/ 9283706/ Jonathan-Ive-interview-simplicity-isntsimple.html (Stand: 13.7.2017). 12 www.apple.com/ designed-by-apple/ (Stand: 7.4.2014). 13 www.apple.com/ designed-by-apple/ (Stand: 7.4.2014). 14 Von Borries’ Verdacht eines „die Lebenslügen der Konsumgesellschaft“ (2011, S. 63) verschleiernden Designs bleibt äußerlich und ist deshalb als bloße Behauptung zurückzuweisen. Apples Produkte verhindern ja keineswegs kritische Information. Und wie, möchte man zurückfragen, sähe denn ein Design aus, das „die Lebenslügen der Konsumgesellschaft“ exponierte? Warum sollte eine solche Bloßlegung Aufgabe des Produktdesigns sein? Apple: Kult und/ oder Code 131 sich Eigenschaften, die Apples Geräte weniger als Werkzeuge denn als Fetische erscheinen lassen. Man kann beispielsweise das aus formgefrästem Aluminium gefertigte Gehäuse des MacBook Pro lesen, wie Roland Barthes 1955 die „Déesse“ gelesen hat, und beobachtet dann „eine neue Phänomenologie der exakten Passung, so als ginge man von einer Welt verschweißter Bauteile über in eine Welt fugenlos gefügter Elemente“. 15 Das sogenannte Unibody-Gehäuse erscheint aus dieser Perspektive als gleichsam platonischer Gegenstand, übernatürlich, vollkommen und rein. Daran ändern auch anthropomorphe Züge wenig, die sich etwa daraus ergeben, dass der Ruhezustandsanzeiger des Notebooks mit der durchschnittlichen Atemfrequenz eines Erwachsenen blinkt: 12 Mal pro Minute. 16 Apples Anthropomorphisierung technologischer Geräte reicht zurück bis zum Apple II aus dem Jahr 1977, der im Gegensatz zu konkurrierenden Modellen gleich nach dem Einschalten funktionstüchtig war, über eine grafische Benutzeroberfläche verfügte und die Nutzer mit dem berühmten lächelnden Icon und einem handgeschriebenen „Hello“ begrüßte. 17 In der Anthropomorphisierung und der mit ihr verbundenen, vielfach als erfolgsentscheidend angesehenen intuitiven Bedienbarkeit ist bereits die zweite Lektürerichtung angelegt, nämlich eine, die nicht die perfekte Form herausstreicht, sondern deren Inkorporierung durch die Nutzer. Sie verweist auf das taktile Erkunden, nicht das visuelle Bestaunen. Bereits die von Apple massenwirksam eingeführte Computermaus gehört in diesen Zusammenhang, erst recht aber die Touchscreens der mobilen Geräte iPhone, iPad und Apple Watch, welche, wenn man so will, Computertechnologie streichelbar machen. 18 Wenn Kommunikation tatsächlich als eine Operation aufgefasst werden muss, die Wirklichkeit nicht nachträglich verpackt, sondern allererst hervorbringt, dann stellen sich vor diesem Hintergrund unter anderem folgende Fragen: Was heißt es, berührungssensitive Interfaces zu benutzen, bestimmte Wischgesten einzuüben und sie zu habitualisieren? Welche Vollzüge ermöglicht oder verhindert ein solches Produkt? Welche Möglichkeiten werden mitgeführt, aufgezwungen oder ausgeschlossen? Erleichtert oder erschwert die Produktbeschaffenheit jene emanzipativen Ideen, für die Apple nach eigenen Angaben Werkzeuge herstellt? 15 Vgl. Barthes (2010, S. 196-198, hier S. 197) zum Citroën DS 19 auf dem Pariser Autosalon im Oktober 1955. 16 https: / / bits.blogs.nytimes.com/ 2011/ 10/ 06/ steve-jobs-designer-first-c-e-o-second/ ? _r=0 (Stand: 13.7.2017). 17 Umberto Ecos Vergleich der Betriebssysteme MS-DOS und MacOS mit den christlichen Konfessionen setzt bei der anthropomorphen Erscheinungsweise an. Vgl. Bürdek (2001, S. 40). 18 Analog erneut Barthes (2010, S. 198). Dirk Hohnsträter 132 Jaron Lanier hat einen solchen analytischen Zugriff im Blick, wenn er in seinem Buch „Gadget“ schreibt: „Unterschiedliche Mediendesigns stimulieren unterschiedliche Potentiale der menschlichen Natur“ (Lanier 2010, S. 14f.). Bewirkt also die serielle Produktion bestimmter Informationsarchitekturen eine Uniformisierung des Nutzerverhaltens? Oder eröffnet sie Spielräume einer breit gestreuten Emanzipation Einzelner? Solche Fragen können nicht generell kulturkritisch, sondern nur am Gerät beantwortet werden. 19 Sie erfordern von der Kulturwissenschaft einen Ansatz, der über Zeichenanalysen hinausweist und Dinge daraufhin untersucht, wie sie Vorgabe und Eigensinn aneinander koppeln. Beispielsweise hat David Gelernter einmal gefragt, was es eigentlich impliziere, dass E-Mails nicht in virtuellen Umschlägen verpackt daherkommen. 20 Denn mit der ‘Umschlaglosigkeit’ gehen bestimmte Vorstellungen von Temporalität, Privatheit oder Wert einher. Was Apple betrifft, so ergaben sich in der Ära nach Steve Jobs eine Reihe interessanter Entwicklungen. Nicht nur reagierte der neue CEO Tim Cook erstmals auf Vorwürfe, die Apples Produktionsbedingungen betreffen. Nach der Entlassung des Softwarexperten Scott Forstall und der Erweiterung der Kompetenzen von Chefdesigner Jonathan Ive auf Software entfernte sich die Firma vom sogenannten Skeomorphismus, also der Anlehnung der grafischen Benutzeroberfläche an analoge Gegebenheiten. Mancher Interpret sah darin eine Zäsur, die dem Übergang vom ornamentalen 19. Jahrhundert in die Sachlichkeit der Moderne entspräche. 21 Auf eine Formensprache, die sich der menschlichen Lebenswelt anähnelt, folge nun ein genuin digitales Design. Man wird beobachten müssen, ob diese Prognose zutrifft - und wenn ja, ob dabei Formen in Erscheinung treten, die weniger und weniger als emanzipationsfördernde Erzählung und mehr und mehr als narzissmusaffine Ereignisse zu beschreiben wären. Literatur Baecker, Dirk (2007): Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt a.M. Barthes, Roland (2010): Mythen des Alltags. Vollständige Ausgabe. Berlin. Boltanski, Luc/ Chiapello, Ève (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz. 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Dabei wird Arbeit als soziale und ökonomische Praxis betrachtet und ihre Entgrenzung mit Blick auf ihre marktökonomischen Dimensionen erforscht. Werden nun jedoch nicht nur die Modi des Arbeitens, sondern auch die Modi des Erzählens und der Reflexion über Arbeit und andere Lebensbereiche in Betracht gezogen, ergeben sich auf sprachlicher und epistemischer Ebene weitere Dimensionen dieser Entgrenzung. Anhand von exemplarischen Analysen werden in diesem Aufsatz diese drei Dimensionen entgrenzter Arbeit veranschaulicht. Im Zuge des Wandels der Arbeit und der Arbeitswelt hat sich in der Phase der New Economy in den 1990er Jahren im wissenschaftlichen Diskurs das Konzept der Entgrenzung der Arbeit etabliert. Damit wird versucht, ein Phänomen zu fassen, das mit den Veränderungen der „Organisationsbedingungen von Arbeit“ einhergeht und womit im Allgemeinen die Deregulierung der traditionellen Grenze zwischen dem betrieblichen, dem marktökonomischen und dem privaten Bereich gemeint ist: Betrieblich bzw. institutionell festgelegte, starr strukturierte und somit mehr oder minder begrenzte Arbeitsbedingungen werden aufgebrochen, flexibilisiert und somit entgrenzt und die Strukturierung bzw. Gestaltung des Arbeitsalltags und der Arbeitsbedingungen wird immer mehr den Arbeitnehmern selbst überlassen. Daher ist die Frage nach der Entgrenzung der Arbeit immer auch eine Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Nicht-Arbeit, also von Arbeit und anderen Tätigkeiten, die üblicherweise nicht als berufliche Arbeit verrichtet werden, sondern etwa in die Bereiche der Freizeit oder des Familialen bzw. Partnerschaftlichen fallen. Wenn in der Forschung von der Entgrenzung der Arbeit gesprochen wird, ist stets diese - wie ich sie nennen will - marktökonomische Entgrenzung gemeint. Untersuchungsgegenstände sind dort immer berufliche Arbeitsverhältnisse, Strukturen der Erwerbsarbeit, Organisationsbedingungen von Ar- 1 Der Aufsatz entstand im Kontext meiner Dissertation „Erzählte Entgrenzungen. Narrationen von Arbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ und präsentiert einige der dort erzielten Ergebnisse. Iuditha Balint 136 beit etc. Kurzum: Die Forschung bezieht sich stets auf die Arbeit als ökonomische Kategorie (vgl. paradigmatisch Voß 1998; Döhl/ Kratzer/ Sauer 2000; Minssen (Hg.) 2000; Gottschall/ Voß 2005). Meine These allerdings ist, dass sich die Entgrenzung der Arbeit nicht auf die ökonomische Kategorie beschränken lässt. Vielmehr lassen sich - im Hinblick auf das Vokabular der Geistes- und Sozialwissenschaften auf der einen, auf fiktionale und faktuale Erzählungen auf der anderen Seite - Verweise darauf beobachten, dass die Arbeit seit den 1990er Jahren auch ihre sprachlichen und epistemischen Grenzen überschreitet: Erstens lassen sich in der Alltags- und Wirtschaftssprache zahlreiche arbeitsweltliche Ausdrücke entdecken, die nicht nur Inhalte, sondern auch Semantiken der Arbeit in diese Bereiche transportieren; und zweitens fungiert Arbeit immer öfter als Wissensrahmen, durch den die narrative Kohärenz von Texten überhaupt gewährleistet werden kann. Im Folgenden werde ich daher dafür argumentieren, dass die Entgrenzung der Arbeit als eine dreifache gesehen werden muss: marktökonomisch, sprachlich-metaphorisch und epistemisch. Als Untersuchungsgegenstände dienen dabei wissenschaftliche Textsorten, literarische Essays, Romane sowie Interviews mit Managern aus dem deutschsprachigen Raum. 1. Marktökonomische Entgrenzung der Arbeit Das Ausmaß der marktökonomischen Entgrenzung der Arbeit ist enorm und wird in der Arbeitssoziologie mit Blick auf ihre unterschiedlichen Dimensionen untersucht: 2 Zeit, Raum, Arbeitsmittel/ Technik, Sozialorganisation, Inhalt/ Qualifikation, Sinn/ Motivation. (1) Mit der zeitlichen Entgrenzung ist die Zunahme der Dauer der Erwerbsarbeit gemeint, aber auch, dass die Arbeitszeiten bzw. die Zeitformen und der Arbeitsrhythmus flexibel und immer wieder aufs Neue verhandelt werden müssen. Das Arbeiten an sich dehnt sich zeitlich aus, seine Strukturen ändern sich grundlegend, und daher auch die Dauer und die Strukturen der Freizeit. (2) Auch räumlich überschreitet die Erwerbsarbeit ihre marktökonomischen Grenzen - bedingt etwa durch Rationalisierungsbzw. Optimierungsprogramme der Unternehmen, da der Verzicht auf betriebliche Arbeitsräume zur Kostensenkung führt, den Arbeitnehmer näher an die Kunden heran bringt (Außendienst), oder weil die Arbeitnehmer dadurch ihre Arbeitsprozesse und Arbeitszeiten besser steuern können (Home Office) und dadurch ihre Motivation gesteigert werden kann. (3) Durch den betrieblichen Einsatz unterschiedlicher Medien(technologien) in immer größerem Umfang erhöhen sich der Grad und die Formen der Interaktion zwischen den Mitarbeitern; auch die Art und Weise der Verwendung von Medien(technologien) wird vielfältiger und kann individuell festgelegt 2 Vgl. hierfür und für die folgenden Ausführungen über die Dimensionen der Entgrenzung von (1) bis (6) Voß (1998, S. 474ff.). Mehrfach überschritten 137 werden. Arbeit wird also auch medial und technologisch entgrenzt. (4) Die Deregulierung und Enthierarchisierung marktökonomischer Formen der Arbeit - also die Veränderung der sozialen Organisationsformen -, wie z.B. die Zunahme an projektartigen Tätigkeiten, führt dazu, dass einzelne Arbeitsbereiche, Gruppen oder Individuen autonom und häufiger über die „konkreten Regeln der Kooperation und Arbeitsteilung“ (Voß 1998, S. 475) entscheiden. (5) Auch auf die wachsenden Forderungen der Arbeitswelt in Zusammenhang mit dem Erwerb fachlich relevanter Inhalte und Qualifikationen müssen Arbeitnehmer anpassungsfähig reagieren. Gefragt werden weniger standardisierte fachlich-berufliche Qualifikationen. Vielmehr wird auf soft skills wie Kommunikationskompetenz, Belastbarkeit, Selbstmanagement etc. Wert gelegt, die im Rahmen der beruflichen Qualifikation(sphase) nicht oder weniger im Fokus stehen. 3 (6) Auf Basis der (späten) Erkenntnis, dass Arbeitnehmer die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit unterschiedlich auffassen und auch die Motivation zur Arbeit individuell unterschiedlich sehen, setzen Betriebe auf die „Fähigkeiten zur Eigenmotivierung und selbstständigen Sinnsetzung der Arbeitskräfte“ (Voß 1998, S. 475) und halten sich regulativ zurück. Dementsprechend wird Arbeit auch in dieser Hinsicht entgrenzt. Hiermit wird eines deutlich: Der Abbau bzw. das Offenhalten von marktökonomischen Strukturen geht mit wachsenden Anforderungen an die (Leistung der) Mitarbeiter einher und erfordert von diesen immer mehr Eigeninitiative. Da zudem die Re-Strukturierung der Arbeit oft von den Mitarbeitern unternommen wird, müssen diese über Kompetenzen verfügen, die es erlauben, diese Begrenzung möglichst erfolgreich und risikofrei zu gestalten. Somit werden mit Entgrenzungsprozessen einerseits Strukturen aufgelöst, die für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer kontraproduktiv sind; andererseits jedoch werden Aspekte des Arbeitens und der Arbeit eliminiert, die bislang als Orientierungshilfe dienten. 4 Paradigmatisch für diese marktökonomisch entgrenzte Form der Arbeit sind individuelle Lebens- und Arbeitskonzepte von bildenden Künstlern, Musikern, Schriftstellern oder eben Wissenschaftlern, die innerhalb traditioneller, räumlich und zeitlich begrenzter sowie ökonomisch unmittelbar produktiver Rahmenbedingungen von Erwerbsarbeit kaum erklärt und legitimiert werden können. Die Arbeitszeiten dieser Berufsgruppen sind unregelmäßig, die Unterscheidung zwischen Werk- und Feiertagen, Arbeit und Pause, Arbeit 3 In letzter Zeit lässt sich allerdings die Tendenz beobachten, diese Qualifikationen durch Weiterbildungen für Angestellte und entsprechende Seminarangebote für Studierende erneut in das Qualifikationsprogramm der Betriebe und Ausbildungsstätten einzubinden und somit diese Entgrenzung zu begrenzen. 4 Voß spricht diesbezüglich von der stets gültigen Zweischneidigkeit von Strukturen. Vgl. Voß (1998, S. 476). Iuditha Balint 138 und Nicht-Arbeit kann hier oft nicht aufrechterhalten werden, und die Dauer der Arbeitszeit variiert ebenfalls. Räumlich ist die Erwerbsarbeit in diesen Berufen ebenfalls kaum begrenzbar: Man denkt nach, recherchiert, liest und schreibt, man arbeitet nicht nur im Büro, sondern auch am heimischen Schreibtisch, im Zug, in Cafés oder im Urlaub. Zu dieser zeitlichen und räumlichen Entgrenzung trägt auch der Einsatz unterschiedlicher Medien (technologien) bei. Die Zunahme projektförmiger Tätigkeiten von kurzer oder mittellanger Dauer verlangt zudem ein hohes Maß an individueller und kooperativer Koordinationsfähigkeit. Geradezu exemplarisch spiegelt sich diese marktökonomische Entgrenzung der Arbeit in dem von Christoph Markschies und Ernst Orsterkamp herausgegebenen Vademekum der Inspirationsmittel, einem Kompendium, in dem Vertreter wissenschaftlicher und künstlerischer Berufsgruppen über die Art und Weise berichten, wie sie ihren Arbeitsalltag bewältigen, woher sie ihre Inspiration zur Arbeit schöpfen und wie sie sich zur Arbeit motivieren. In einem der Essays erzählt Ernst Osterkamp von einem seiner Arbeitstage und schildert zunächst seine morgendlichen Emotionen, Erwartungen und Arbeitsvorgänge: „Dies wird ein wunderbarer, ein vom Glück des Schreibens erfüllter Tag! […] Die Gedanken für den Festvortrag liegen längst bereit […]. Das Thema ist gut gewählt; so etwas schreibt sich fast von selbst. Nur noch ein kurzer Blick in die Notizen, dann kann es losgehen.“(Osterkamp 2012, S. 17). Ernüchternd heißt es im nächsten Absatz, dass „[d]ie Notizen […] insgesamt eine Enttäuschung“ (ebd.) sind. „Aber der Tag ist ja noch lang, der Optimismus ungebrochen […]. Ein Anfangssatz wäre jetzt gut! Ich hatte mir da doch dies herrliche Zitat notiert… leider ungenau. Leider auch die Quelle ungenau. Außerdem klingelt gerade das Telefon.“ (ebd.). Am Mittag dann folgende Zeilen: „Und schon ist das Zitat gefunden. Allerdings eignet es sich […] nicht für den Anfang. Manchmal hat man eben Pech. Aber der Rasen ist gemäht. Immerhin.“ (ebd., S. 17f.). Nach einem Mittagessen, dem Durchstöbern von Zeitungen und einem Kaffe - allesamt Tätigkeiten, die im Text als Vermeidungsstrategien gewertet werden und in den Bereich der Nicht-Arbeit fallen - gerät der Erzähler allerdings in Panik, da ihm das Schreiben nicht gelingt. Abends heißt es schließlich: Die Dämmerung schreitet voran; vielleicht wäre es das Beste, wenn ich mir einen Fred-Astaire-Film anschauen würde. […] Bevor ich zum Abendessen gehe, blicke ich noch einmal auf das leere Blatt, auf dem die Erträge eines arbeitsreichen Tages fixiert sind. Als ich drei Stunden später den Blick wieder hebe, liegen fünf engbeschriebene Blätter vor mir. […] Fünf Seiten, das ist kein schlechter Ertrag für einen vom Glück des Schreibens erfüllten Tag. Außerdem habe ich jetzt ein Glas Rotwein verdient. Apropos Rotwein: Die Eule der Minerva beginnt erst in der Dämmerung ihren Flug. Ich weiß, dass Hegel es irgendwie anders gemeint hat, aber wo er recht hat, hat er recht. (Osterkamp 2012, S. 18) Mehrfach überschritten 139 Dieser Text macht deutlich, dass Strukturen und die Inhalte der Erwerbsarbeit zunehmend Einzug in die Sphäre des individuellen Lebensentwurfs halten, und dass sich der Übergang zwischen den vermeintlich säuberlich voneinander zu unterscheidenden Bereichen ‘Arbeit’ und ‘Leben’ als fließend bzw. unsichtbar erweist. Bereits im zweiten Absatz verschwimmt, sowohl inhaltlich als auch erzähltechnisch, die Grenze zwischen Arbeit und Leben, wenn es im Hinblick auf die Notizen des Erzählers heißt: „Bei Lichte besehen - herrlich die Morgensonne, der Rasen müsste gemäht werden -, bei Lichte besehen also lässt sich keine rechte Kohärenz zwischen den leitenden Stichworten ausmachen.“ (Osterkamp 2012, S. 17) Der Gedanke an das Rasenmähen macht deutlich, dass sich Osterkamps Schreibtag zu Hause ereignet. Bemerkenswerterweise spiegelt die Struktur des Satzes die Struktur des Arbeitstages des Verfassers wider, denn die arbeitsbezogenen Satzelemente umrahmen und bestimmen folglich die gedankliche Abschweifung. Die zeitliche Ausdehnung der Arbeit führt - auch bedingt durch die Einstellung des Autors, dass der wissenschaftliche Arbeitsprozess durch Inspiration in Gang kommt - also dazu, dass die Arbeit die Privatsphäre bestimmt und die strikte Trennung von Arbeits- und Freibzw. Erholungszeit wegfällt: Die Privatsphäre existiert nur in Relation zur Arbeit. Dies wird auch durch die Kombination unterschiedlicher Arten von Arbeit unterstrichen, erledigt doch der Verfasser sowohl wissenschaftliche als auch häusliche Arbeiten: Er denkt über den Vortrag nach und schreibt ihn, produziert dadurch Wissen und (positive wie negative) Emotionen, 5 erledigt aber auch die Gartenarbeit. Bevor er jedoch am Abend den Festvortrag tatsächlich schreibt, ist sein Tag - ökonomisch gesehen - von Nichtstun gekennzeichnet. Er versucht zu schreiben, tut es jedoch nicht. Und dennoch heißt es am Abend, er habe sich „fürchterlich angestrengt“, obwohl „nichts dabei herausgekommen“ ist. Dieses ‘Nichts’ ist allerdings relativ, hat doch der Verfasser z.B. den Rasen gemäht und für den Vortrag nutzlose Gedanken eliminiert. Die Vorbereitung auf das Schreiben - wie die Wissensaneignung, das kreative Nachdenken als Vorarbeit, die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Thema, den eigenen Ideen etc. - wird also nicht als Arbeit empfunden, obwohl sie es faktisch ist. Was also zählt, ist nicht der Arbeitsprozess, sondern das Resultat, wenn auch die Aussage des Verfassers über das „Glück des Schreibens“ Anderes denken lässt. Diese morgendliche Hoffnung auf einen „vom Glück des Schreibens erfüllte[n] Tag“ verweist erstens darauf, dass durch Arbeit nicht nur Ideen und Wissen entstehen, son- 5 Dass die Arbeit nicht voranschreitet, wird als „tief deprimierend“ empfunden, als läge ein „schwarze[r] Deckel auf der Seele“. Der Autor gerät in „Panik“, verwendet Wörter wie „Paralyse“ um die Aussichtslosigkeit seiner Lage zu verdeutlichen und denkt enttäuscht an das „Leben jenseits der Festvorträge“. Diesen Emotionen steht „das Glück des Schreibens“ entgegen. Nicht zu vernachlässigen sind die Emotionen des Publikums, die durch den Vortrag ausgelöst werden. Vgl. Osterkamp (2012, S. 18 und 17). Iuditha Balint 140 dern auch Emotionen erzeugt werden 6 und somit das Leben des Menschen auch psychisch tiefgreifend von den jeweils ausgeübten Tätigkeiten beeinflusst wird. Zweitens unterstreicht der Rückgriff auf das Glück die Überzeugung des Verfassers hinsichtlich der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit. Doch nicht nur die Sinngebung, auch die Motivation, den Vortrag zu schreiben, ist subjektiv: Der Verfasser freut sich darauf, einen Vortrag zu schreiben, der „elegant“, „gehaltvoll“ und „für ein breites Publikum von Interesse“ ist (Osterkamp 2012, S. 17). Es wird ersichtlich: Ob die Arbeit gelingt, ist stark von der Eigeninitiative des Verfassers abhängig, seine Fähigkeiten und Ressourcen produktiv einzusetzen bzw. zu nutzen und Störfaktoren erfolgreich zu beseitigen. Geschildert werden nicht die fachlichen Qualifikationen, die den Wissenschaftler dazu befähigen, einen stilvollen, geistreichen und allgemeinverständlichen Vortrag zu verfassen, sondern der Mangel an Disziplin, der das Vortragschreiben verhindert. Hier werden verschiedene Dimensionen der Entgrenzung der Arbeit geschildert. Denn ob auf zeitlicher, räumlicher, inhaltlicher, ideeller oder motivationaler Ebene bzw. bezüglich der Qualifikation des Verfassers: Die traditionellen betrieblichen oder institutionellen Strukturen, die die Arbeitsbedingungen begrenzen und übersichtlich gestalten, fehlen ausnahmslos. Es wäre jedoch verfehlt, diesen Essay als Kritik der marktökonomischen Entgrenzung der Arbeit zu verstehen. Denn auch, wenn die ablenkenden Faktoren die Arbeit des Verfassers stark erschweren, seine Einstellung, dass wissenschaftliche Arbeit der Inspiration bedarf, pointiert die Notwendigkeit offener Strukturen im Fall kreativ-wissenschaftlicher Arbeit. 2. Die metaphorische Entgrenzung in der Wissenschaftsterminologie Ein Blick auf die Wissenschaftssprache verrät, dass die Arbeit dort eine metaphorische Entgrenzung erfährt und somit die Art und Weise beeinflusst, wie Wissen (u.a. sprachlich) geformt wird. Einerseits kann diese Entgrenzung an der inflationären Verwendung und der möglicherweise damit einhergehenden Hybridisierung des Begriffs ‘Arbeit’ festgemacht werden. Andererseits jedoch lässt sich in manchen wissenschaftlichen Disziplinen eine auffällig häufige Übernahme von Begriffen aus der Arbeitswelt beobachten sowie eine Tendenz, diese Übernahme nicht zu thematisieren und die genaue Bedeutung der übernommenen Begriffe im Hinblick auf die Bedeutungsverschiebung der so entstandenen Komposita nicht zu reflektieren. Dies ist sowohl in empirischen soziologischen und psychologischen Studien der Fall als auch in Schriften der reflexiven Psychologie und der Philosophie - also in Disziplinen und Teildisziplinen, in denen die sinnliche Wahrnehmbarkeit der analysier- 6 Vgl. Hardt (2004, S. 84: „Arbeit produziert Wissen, Ideen und Affekte“). Mehrfach überschritten 141 ten Gegenstände nur selten gegeben ist. Die Verwendung von Arbeits-Metaphern und sonstigen Ausdrücken, die mit arbeitsweltlichen Begriffen operieren, ist in der Wissenschaftssprache kein neues Phänomen. Neu ist allerdings ihre häufige Verwendung, wobei mit diesen Begriffen insofern an die Tradition angeschlossen wird, als sie auf dasjenige Konzept der ‘Arbeit’ verweisen, das im europäischen Raum kulturell verankert ist und stets mit Mühe, Last, Anstrengung und Beschwerlichkeit, aber auch mit einem konkreten Ziel im Sinne eines Produkts verbunden wird. Diese Konnotationen des Arbeitsbegriffs - und allgemein des arbeitsweltlichen Vokabulars - lassen sich auch in sozialpsychologischen Untersuchungen über die Herausbildung personaler Identität und die Abläufe in Identitätsbildungsprozessen beobachten. Ende der 1990er-Jahre wird dort vermehrt auf Begriffe aus der Arbeitswelt zurückgegriffen; die Komposita und Ausdrücke, die dabei entstanden sind, haben die disziplinare Begriffsbildung nachhaltig bestimmt. Im Folgenden sollen einige wenige Beispiele aus der deutschsprachigen Debatte genannt und die Reichweite der nicht-reflektierten Bedeutung der Übernahme arbeitsbezogener Begriffe kurz umrissen werden. Florian Strauß und Renate Höfer definieren in ihrem 1998 erschienenen Aufsatz „Entwicklungslinien alltäglicher Identitätsarbeit“ alle Arten von Handlungen implizit als Arbeit; sie schreiben nämlich Folgendes: „Subjekte arbeiten (indem sie handeln) permanent an ihrer Identität“ (Strauß/ Höfer 1998, S. 273). In der Tat prägt Handeln die Identität von Subjekten; doch nicht alle Handlungen können als Arbeit aufgefasst werden, denn nicht alle sind (um zumindest ein paar grundlegende der Merkmale von Arbeit zu nennen) zielgerichtet, sinnhaft oder bewusst intendiert. Der Begriff wird also in diesem Kontext allzu generalisierend und daher, wenn auch nicht ganz falsch, so doch unpräzise verwendet. Nichtsdestoweniger geht er in das Vokabular der Identitätstheorien ein. Der oben zitierte Satz von Strauß und Höfer kommt sogar in einer der bahnbrechenden Untersuchungen von Heiner Keupp im Wortlaut identisch und als nicht markiertes Zitat wieder vor, 7 wobei Keupp den Begriff der Handlung differenzierter sieht. Im Sammelband „Identitäts-arbeit heute“, in dem Strauß und Höfer ihren o.g. Aufsatz veröffentlichen, sind die Beschreibungen personaler Identitätsbildungsprozesse unverkennbar eng mit dem Vokabular der Arbeitswelt verbunden: Helga Bilden spricht dort über die „Arbeit an sich selbst“, darüber, dass Personen „an sich arbeiten“ und somit „sich selbst herstellen“ (vgl. Bilden 1998, S. 237, 245, 246). Auch Wolfgang Kraus und Beate Mitzscherlich greifen auf den arbeitsweltlichen Wortschatz zurück, wenn sie etwa über „Identitäts-Management“, „Identität als Strategie“ oder „Identitäts- 7 Vgl. Keupp et al. (2006, S. 215). Es ist hierbei allerdings zu beachten, dass Keupp und Höfer über Jahre hinweg eng zusammen gearbeitet haben. Iuditha Balint 142 strategien“ schreiben. 8 Interessanterweise gehen die Autoren in ihrem Aufsatz von James E. Marcias klassischer Identitätstheorie aus und postulieren bereits im Titel „die Notwendigkeit ihrer Reformulierung“. Woraus sich im Rahmen dieser Reformulierung die Notwendigkeit der Benutzung von Arbeits-Metaphern jedoch ergibt, bleibt dort unklar. 3. Metaphorische Entgrenzung in der literarischen und der Alltagssprache Die metaphorische Entgrenzung der Arbeit, die sich in der Wissenschaftsterminologie gezeigt hat, lässt sich auch in der Alltagssprache, in Interviews mit Führungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft oder in ihren Autobiographien beobachten. Dort wird verstärkt mit rhetorischen Mitteln - am häufigsten mit Metaphern - operiert, die Semantiken der Arbeitswelt in andere Lebensbereiche übertragen und das Wissen über Letztere nachhaltig prägen bzw. konstituieren. Man denke nur an Ausdrücke wie: Zeit in etwas investieren, die Freizeit effizient nutzen, eine funktionierende Beziehung haben oder Beziehungsarbeit leisten. Die Verwendung dieser Metaphern erhellt einen semantischen Sachverhalt, der in Theorien der Arbeit wenig Beachtung findet. Da Metaphern nicht nur Inhalte, sondern auch Konzepte, Denkmuster und -strukturen aus einem Bereich in einen anderen übertragen, gelten sie als Denk- und Reflexionsbilder - oder wie Lakoff und Johnson es formulieren: „Das Wesen der Metapher besteht darin, daß wir durch sie eine Sache oder einen Vorgang in Begriffen einer anderen Sache bzw. eines anderen Vorgangs verstehen und erfahren können.“ (Lakoff/ Johnson 2004, S. 13, Hervorhebung durch I.B.) Diese Erfahrungsdimension der Metapher erlaubt es, alltägliche Handlungen, die bestimmten gewohnten aber nicht als solche definierten Mustern folgen, mit Begriffen erklärbar zu machen, die gewohnten Abläufen aus der Arbeitswelt entlehnt sind. In der Folge werden u.a. Regeln, Strukturen, Abläufe der Alltagswelt mithilfe von Regeln, Strukturen, Abläufen der Arbeitswelt sichtbar gemacht, erklärt bzw. gedeutet. Hohes Reflexionsniveau weist z.B. die von Hubertus von Grüneberg verwendete Metapher in der (Selbst-)Aussage „Management ist größtenteils Muskelarbeit“ (Nolte/ Heitdmann 2009, S. 153) auf. Das Zitat macht auf eine komplexe zirkuläre Bewegung aufmerksam: Die Arbeit schreibt sich auf doppelte Art (faktisch und metaphorisch) in den Körper ein und der Körper transportiert diese Arbeit metaphorisch in die Sphäre der Arbeitswelt zurück. Diese komplexe Bewegung wird jedoch mit der Verwen- 8 Vgl. Kraus/ Mitzscherlich (1998, hier besonders S. 156, 167). Die Wortfeldanalyse dieses Aufsatzes ergibt, dass der Begriff ‘Strategie’ seinen Weg in die Wissenschaftssprache nicht direkt aus der Militärsprache findet, sondern auf einem Umweg über die Sprache der Arbeitswelt. Mehrfach überschritten 143 dung der Metapher „Muskelarbeit“ deutlich reduziert: Das, was sonst unausgesprochen bzw. nur schwer erklärbar wäre, wird konkret veranschaulicht. Ähnlich verhält es sich mit der poetischen Sprache der Texte, die von der Arbeits- und Lebenswelt handeln. Anders als i.d.R. die Alltagssprache ist sich die poetische Sprache ihres Verdichtungsgrades bewusst. Und fiktionale Literatur hat zudem das Privileg, neues Wissen präsentieren und ästhetisch reflektieren zu können ohne es (und sich) erklären zu müssen. 9 Gerade in entsprechenden Satiren ist die Entgrenzung metaphorisch derarat überzeichnet, dass sie unübersehbar wird. So reflektiert z.B. Joachim Zelters Roman „Schule der Arbeitslosen“ die Entgrenzung der Arbeit, wie sie in der Arbeitssoziologie behandelt wird, reformuliert diese literarisch - u.a. mithilfe von Metaphern - und macht damit auf die Auswirkungen der Entgrenzung der Arbeit auf die Identitätsbildungsprozesse der Figuren aufmerksam. Nicht nur wird Arbeit als arebeit auf die Selbstbildungsprozesse übertragen; auch Liebe und Erotik werden zu Arbeit, jeglicher interpersonaler Kontakt soll das modellhafte Bild des - wie es im Roman heißt - „stabilisiert[en], euphorisiert[en], flexibilisiert[en]“ (Zelter 2006, S. 6) Menschen widerspiegeln. Wechselnde erotische Beziehungen sind daher nicht nur möglich, sondern ausdrücklich erwünscht. Die Interdependenz zwischen personaler Identität und sozialem Umfeld wird hier auf satirisch-groteske Weise deutlich, indem die Strukturen, Codes und Inhalte des Lebensbereichs ‘Arbeit’ zunächst im Programm der Weiterbildungsmaßnahme und später auch in den Selbsterzählungen der Trainees analogisch in die Lebensbereiche ‘Familie’ und ‘Freizeit’ transportiert werden und letztere verdrängen: „In Sphericon gibt es strenggenommen keine Freizeit, aber Zeit: Zeit zum Tun, Zeit zum Machen, Zeit zum Verbessern, Zeit zum neu Anfangen […] Zeit zum Lernen, Zeit zum Nachdenken, Zeit zum Umdenken. Zeit für neuartige Lebensentwürfe. Zeit für autobiographische Konzeptionen. Zeit für fortwährende Bewerbungsarbeit […].“ (ebd., S. 42f.). Folglich kann den Bereichen ‘Freizeit’ und ‘Partnerschaft’ kein Eigenwert in der Herausbildung personaler Identität zukommen. 10 Damit macht der Roman implizit auf die Mechanismen aufmerksam, die mit der Entgrenzung der Arbeit einhergehen und die die berufliche Teilidentität zur alleinigen Identitätsbildungsquelle erheben. Dementsprechend reduziert sich auch die sichtbare Oberfläche der Identität, d.h. die Kernnarrationen der Figuren, 9 Vgl. Foucault (1992); Vogl (1997a, S. 107-127 und 1997b, S. 462-480). 10 Vgl. Gergen/ Gergen (1998, S. 17-56). In direkter Anlehnung daran Wolfgang Kraus „Identität als Narration. Die narrative Konstruktion von Identitätsprojekten“. Colloquium vom 22.4.1999. http: / / web.fu-berlin.de/ postmoderne-psych/ berichte3/ kraus.htm (Stand: 31.7.2017). Es werden fünf einander bedingende Merkmale identifiziert, die überzeugende Selbstnarrationen aufweisen müssen: 1) sinnstiftender Endpunkt, 2) Einengen des Erzählten auf relevante Ereignisse, 3) narrative Ordnung der Ereignisse, 4) Herstellen erkennbarer Kausalverbindungen zwischen den Ereignissen, 5) Setzen von Grenzzeichen. Iuditha Balint 144 auf Inhalte über die Karriere und die erfolgreiche autobiographische Autorschaft. Wie selbstverständlich offenbaren diese Selbstthematisierungen die Merkmale sog. wohlgeformter Narrationen; sie werden sogar im Fach „Biographisches Arbeiten“ (Zelter 2006, S. 46) unterrichtet. Wenn ein Lebenslauf „in der vorliegenden Fassung […] unhaltbar“ (ebd., S. 63) ist, können auch „Transaktionen von Lebenslauf zu Lebenslauf“ vorgenommen werden, „biographische Transaktionen“ (ebd., S. 65) also, sofern sie letztlich zur narrativen Geschlossenheit eines adäquaten Lebenslaufes führen. Der Text entlarvt zudem Arbeitslosigkeit als Arbeit und operiert dabei mit Substantivmetaphern wie „Sucharbeit, Fahndungsarbeit, Trainingsarbeit, Bewerbungsarbeit, Beratungsarbeit und Regiearbeit“ (ebd., S. 34). Das Leben der erwerbslosen Figuren wird dann als „biographisches Arbeiten“ präsentiert, das von einer ganz bestimmten „Bewerbungsästhetik“ (ebd., S. 47) geprägt ist. Der Roman macht auf zwei Aspekte analogisch-metaphorischer Sprachverwendung aufmerksam: Erstens entlarvt er die Entgrenzung der Arbeit als teils (alltags-)sprachliches Phänomen; und zweitens zeigt er, dass die Benutzung arbeitsweltlicher Metaphern in der Spähre der Nicht-Arbeit die Legitimation der Arbeitswelt als hegemoniale Sphäre ermöglicht und erleichtert. 11 4. Epistemische Entgrenzung Neben den bereits thematisierten Ausprägungen entgrenzter Arbeit veranschaulicht die Literatur zudem eine epistemische Entgrenzung: Da das (sprachliche) Wissen einer Kultur stets im historischen Prozess und kommunikativ formiert wird, verwundert es wenig, dass mit der marktökonomischen Entgrenzung der Arbeit notwendigerweise eine Zunahme an und eine Veränderung in den Narrationen einhergeht, die auf das Thema Arbeit zurückgreifen. Es fällt auf, dass Arbeit nicht selten als impliziter Wissensrahmen (vgl. Ziem 2005, S. 277) fungiert, auf den (literarische) Texte verweisen, und durch den die (narrative) Kohärenz der Texte überhaupt gewährleistet wird. Framesemantische Ansätze, die sich mit solchen Wissensrahmen auseinandersetzen, machen auf Bedeutungselemente von Ausdrücken aufmerksam, die syntaktisch konkret nicht in den jeweiligen Äußerungen oder Texten enthalten sind, in denen diese Ausdrücke vorkommen: Denn „[d]ie syntaktische Struktur und die semantische (’logische‘) Struktur eines Satzes“ (Busse 2011, S. 37) können durchaus verschieden sein. In diesem Bewusstsein geht die Frame- Semantik über die lexikalischen Grenzen der semantischen Wortanalyse hinaus und untersucht die Bedeutungen von Aussagen unter der Berücksichtigung der jeweiligen „Bedingungen des Verstehens“ (vgl. Busse 11 Vgl. mit Blick auf sprachliche Legitimationstechniken im Bereich der Politik Bergem (1996, S. 195ff.). Mehrfach überschritten 145 2009, S. 83). Die Bedeutungen von Wörtern oder Aussagen gehen dabei nicht nur über ihre lexikalischen Bedeutungen, sondern auch über das explizit Verbalisierte hinaus; insofern erscheint „die zumindest partielle Explikation [...] verstehensrelevanten Wissens“ (Busse 2008, S. 87, Hervorhebung durch I.B.) unabdingbar. Dieses Wissen ist kulturell bedingt, meist konventionalisiert und speist sich aus der Vergangenheit des Rezipienten, des jeweiligen verstehensrelevanten Diskurses bzw. der historisch gewachsenen „Bedeutungskonventionen“: Jedes Feststellen der ‘ Bedeutung ’ eines Wortes, Satzes, Textausschnitts ist daher in einem gewissen Sinne ‘historisch’, sofern es auf Bedeutungskonventionen (und andere sprachliche oder epistemische Regeln zurückgreift. Die Veränderung ist der Konventionalität mithin untrennbar eingeschrieben, von ihr begrifflich-logisch nicht zu trennen. (Busse 2008, S. 89) Unter Wissensrahmen werden im Grunde „dynamische und kulturspezifische“, „zusammenhängende epistemische Strukturgefüge“ verstanden, die „ganzheitliche[n], das heißt nicht-propositionale[n] Charakter“ haben, „typisierte und strukturierte Segmente kollektiven Wissens“ sind und sich „inhaltsspezifisch“ gestalten (alle Zitate aus Ziem 2005, S. 277). Wissensrahmen sind hierarchisch geordnet, d.h. es gibt mehrere Slots (Leerstellen) und Ebenen, die miteinander verbunden sind und unterschiedliche Beziehungen zueinander aufweisen. In John von Düffels Roman „Ego“ sticht die epistemische Entgrenzung der Arbeit geradezu hervor, da die zielgerichtete Arbeit am Körper sowohl das herkömmliche Fitnesstraining als auch die herkömmliche (Berufs-)Arbeit ersetzt. Für gewöhnlich kommt Arbeit als Wissensrahmen lediglich als berufliche Tätigkeit einer Person oder einer Figur vor, was bedeutet, dass der Wissensrahmen Arbeit meist in den Diskurs über den Wissensrahmen Beruf integriert ist. Dies ist im Fall des Protagonisten des Romans durchaus der Fall; er und die Inhalte seiner Handlungen werden hauptsächlich im Bereich seiner Berufsarbeit geschildert. Allerdings richten sich diese Handlungen nicht auf den Gegenstand seiner Berufsarbeit (Consulting), sondern auf den Gegenstand seiner Fitnessübungen (Körper). Das „Wissen um den Phänomenbereich Arbeit“ (Düffel 2001, S. 279) ist an den Stellen des Romans am stärksten ausgeprägt, wo Philipp an seinem Körper arbeitet. 12 Der Körper wird hier als des Protagonisten wertvollstes und permanent zu seiner Modellierung antreibendes Kapital verstanden, ganz im Sinne Bourdieus als „akkumulierte Arbeit […] in verinnerlichter, ‘inkorporierter’ Form“ (Bourdieu 1983, S. 183). 13 12 Die folgenden Ausführungen zu John von Düffels „Ego“ orientieren sich an Balint (2013), hier S. 94ff.). 13 Explizit zum körperlichen Kapital vgl. Bourdieu (1982). Iuditha Balint 146 Nicht nur, dass Arbeitsutensilien 14 zu Trainingsgeräten umfunktioniert werden, Erwerbsarbeit wird durch die Arbeit am Körper ersetzt. Die Überlappung von Körperarbeit und Erwerbsarbeit illustrieren nicht nur Passagen, in denen die herkömmliche industrielle Arbeit an der Maschine anhand des Fitnesstrainings im „Maschinenpark“ (Düffel 2001, S. 97) beschrieben wird. Auch in folgender Passage, in der Philipp den Seniorpartner Sprick vom Flughafen abholen soll - von dessen Entscheidung seine Ernennung zum Juniorpartner mit abhängt -, kommt Fitness als Erwerbsarbeit zum Ausdruck. Der Protagonist ist hier bemüht, einen guten Eindruck bei seinem Vorgesetzten zu machen. Da er den Morgen mit Isabell verbracht hat und sein Training daher ausfallen ließ, klagt er, am Flughafen angekommen, nicht nur über „Workoutentzug“ und verwendet damit eine Vokabel, in der Arbeit und Training ununterscheidbar werden. Ferner überlegt er, was er „für einen festen Händedruck tun“ kann. Die „Strategie“ besteht also darin, das Ziel, den Vorgesetzten zu beeindrucken, mit Mitteln der Körperlichkeit zu erreichen. (E 239) Als Störung erscheinen hier die im Auto vergessenen „Fist-Twister“ (E 238) aus, sodass der Protagonist zu anderen Mitteln greifen muss: Ich halte nach einem Laden Ausschau, der Freizeitartikel verkauft. Vielleicht kann ich hier irgendwo einen Softball auftreiben und ihn so lange kneten, bis Sprick den Erdboden erreicht. Ich bin davon überzeugt, daß ich die halbe Partnerschaft schon in der Tasche hätte, wenn ich den alten Sprick gleich mit einem festen Händedruck begrüßen würde. Es rächt sich, daß ich heute morgen nicht trainiert habe. Mit einem durchgearbeiteten Muskelkorsett könnte ich der Musterung durch unseren Senior viel gelassener entgegensehen. (Düffel 2001, S. 238) Die Kohärenz der zitierten Zeilen erschließt sich erst vollständig, wenn der Leser der argumentativen Logik des Protagonisten folgt bzw. wenn er das vom Text bereitgestellte verstehensrelevante Wissen abruft, T raining als Arbeit am K örper versteht, und Arbeit am Körper als Erwerbsarbeit konzeptualisiert. Der in ihnen evozierte Wissensrahmen A rbeit am K örper lässt sich wie folgt aufschlüsseln: Slot: Tätigkeit - Filler: halte nach einem Laden Ausschau Slot: Arbeitssubjekt - Filler: Ich Slot: Arbeitsraum - Filler: Flughafen Slot: Arbeitsmittel - Filler: Softball Slot: Objekt der Arbeit - Filler: Sprick Slot: Arbeitsmotivation - Filler: der Musterung viel gelassener entgegensehen Slot: Störelement - Filler: heute morgen nicht trainiert 14 Z.B. Schreibtische oder Aktenkoffer. Vgl. Düffel (2001, S. 25 und 214). Mehrfach überschritten 147 Slot: Mittelfristiges Arbeitsziel 1 - Filler: durchgearbeitetes Muskelkorsett Slot: Mittelfristiges Arbeitsziel 2 - Filler: Sprick mit einem festen Händedruck begrüßen Slot: Langfristiges Arbeitsziel - Filler: Partnerschaft in der Tasche haben Analog zu anderen Passagen des Romans wird in diesen Zeilen eine Entkopplung vom Verständnis der Arbeit als Berufsarbeit sichtbar. Dagegen wird Körperarbeit mithilfe epistemisch relevanter Komponenten der Berufsarbeit als Arbeit inszeniert. Daher verwundert es wenig, dass die berufliche Laufbahn des Protagonisten Philipp durch die Arbeit am Körper vorangetrieben wird. Körper und Karriere sind in der Wahrnehmung des Protagonisten (und des Erzählers) eine Symbiose eingegangen, die allein durch die Intervention anderer Körper gestört werden kann. Die exzessive Körperhygiene, die Fitnesssucht des Unternehmensberaters und die Erhaltung der Gesundheit dienen der Erzeugung und Erhaltung von Schönheit als ökonomisches Kapital. Die Perfektionierung des Ich findet in Philipps Fall ausschließlich auf der artikulierten, „sichtbaren, exponierten Oberfläche der Person“ (Deupmann 2008, S. 157) statt; sie erfolgt analog zum arbeitsweltlichen Handeln, erfordert „Planung, Investition und Kalkulation“ (Ablaß 2008, S. 171). Die Nutzenkalkulation erstreckt sich dabei auch auf ernährungsphysiologische Sachverhalte. Selbst die Ernährung dient ausschließlich der Stärkung des Körpers, ist folglich nicht mit Lust, Genuss oder Gesundheit verbunden, sondern erfolgt nach ökonomischen Maßstäben und bedeutet zielgerichtetes Arbeiten (vgl. Düffel 2001, S. 58f., 134 oder 150). Ernährungsbezogene Eigenheiten fungieren als gesellschaftliche Distinktionsmerkmale und unterstützen (auch) die Positionierung des Romanhelden innerhalb der hierarchischen Strukturen der Unternehmensberatung. In ironischer Manier erfolgt dabei der Rekurs auf die von Max Weber beschriebene asketisch-protestantische Haltung (vgl. ebd., S. 58f. oder 272); 15 die beim Protagonisten derart stark ausgeprägt ist, dass sie zu einem selbstzerstörerischen Umgang mit dem eigenen Körper führt und damit implizit auf das selbstdestruktive Potenzial entgrenzter Arbeit verweist (vgl. z.B. ebd., S. 78, 80 oder 97). Eigentliches Ziel der Arbeit ist hier freilich ausdrücklich nicht der erwünschte ideale Körper, sondern das berufliche Vorankommen des Protagonisten, die erstrebte Karriere. Dass er am Ende die ersehnte Stelle bekommt, veranschaulicht die Auffassung über herkömmliche Arbeit, die seit den ersten marktökonomischen Entgrenzungsbewegungen den Arbeitsdiskurs prägt: Relevant ist das Resultat der Arbeit, nicht der Arbeitsprozess. 15 Den Kontrollverlust über den eigenen Körper und seine Funktionen - und folglich die Brüchigkeit des Konzepts des homo oeconomicus - unterstreichen die Szenen, in denen Heißhungerattacken mit sexueller Begierde bzw. Gewaltfantasien parallelisiert werden (vgl. z.B. Düffel 2001, S. 253ff.). Iuditha Balint 148 5. Fazit Die dreifache Entgrenzung der Arbeit wirkt sich auf besonders umfassende Weise auf die Wahrnehmung von Arbeit aus. Diese überschreitet nicht nur auf der marktökonomischen Ebene den Raum, der ihr traditionell zugewiesen wird, sondern sie bestimmt auch die Kommunizierbarkeit lebensweltlicher Sachverhalte und Phänomene. Literarische und nicht-literarische Texte machen darauf aufmerksam, dass sich die Grenzen dessen, was herkömmlich als Nicht-Arbeit oder Sphäre der Nicht-Arbeit bezeichnet wird, auch sprachlich und epistemisch zunehmend vom Vokabular der Arbeitswelt verwischt werden. Sprachliche und narrative Aspekte der Arbeit scheinen also ihr Recht auf Berücksichtigung in der Quantifizierung ihrer Entgrenzung zu fordern. Daher schließt an diese Erkenntnis die Frage an, wie sich dieses erzählte Wissen, der Erkenntnisgewinn der untersuchten Narrative in den wissenschaftlichen Diskurs integrieren lässt. Literatur Ablaß, Stefanie (2008): Ökonomisierung des Körpers: Interdependenzen von ökonomischer und physischer Sphäre im Wirtschaftsroman. 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STEPHAN HABSCHEID (SIEGEN) ERZÄHLEN VON TRANSFORMATION, TRANSFORMATION DES ERZÄHLENS. NARRATIVE DISKURSE IM KONTEXT VON MANAGEMENT UND ORGANISATION Abstract Die tief greifenden Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den 2000er Jahren gingen einher mit kontroversen Debatten, in deren Kontext „Wirklichkeitserzählungen“ (Klein/ Martínez (Hg.) 2009), wie sie für ökonomische Kontexte charakteristisch sind, eine relevante Ressource der Persuasion darstellten. Der vorliegende Beitrag behandelt derartige Formate auf der Ebene des Managements von Organisationen. Im Mittelpunkt des theoretischen Teils steht eine Weiterentwicklung des Konzepts der Wirklichkeitserzählung im Blick auf eine semiologische Klärung der Frage, wie in derartigen Narrationen der charakteristische Wirklichkeitsbezug hergestellt wird. Im empirischen Teil werden Daten aus einem Projekt über Mitarbeiterzeitungen aus dem Untersuchungszeitraum unter der Perspektive der Wirklichkeitserzählungen reanalysiert: Untersucht werden charakteristische narrative Formate und deren „Sitz im Leben“ (Gunkel 1906/ 2004), und es wird nach den ästhetischen und pragmatischen Kosten gefragt, die mit derartigen Funktionalisierungen des Erzählens in Organisationen möglicherweise verbunden sind. 1. Transformationen, wirtschaftlich und erzählerisch „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“ - unter diesen Titel stellt der Historiker Philipp Ther seine jüngst erschienene Rekonstruktion der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte nach 1989 (Ther 2014). Im Mittelpunkt des Buches steht ein tiefgreifender, von Vordenkern der neoliberalen Schule konzipierter gesellschaftlich-ökonomischer Umbau, nicht nur vom Sozialismus zur Marktwirtschaft in den Staaten Mittel- und Osteuropas, sondern auch - im Sinne einer späteren „Kotransformation“ (ebd., S. 38) - hin zur Durchsetzung neoliberaler Prinzipien in den westeuropäischen Staaten, (zunächst) besonders im Norden Europas (siehe ebd., S. 26-40). 1 Als ein prominentes Beispiel für diesen Prozess gelten die in der ersten Hälfte der 2000er Jahre von der rot-grünen Koalitionsregierung in der Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Reformen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (siehe ebd., S. 281-290). 1 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die (anhaltende) Debatte um grundlegende Reformen im Süden Europas im Anschluss an die wirtschaftlichen Krisen nach 2008 als Transformationsdiskurs verstehen, in dem nun „[d]er Süden als neuer Osten“ erscheint (ebd., S. 253, 268ff.). Stephan Habscheid 152 In der Zeit der - lange anhaltenden - Konflikte um diese Reformen erzählte, so berichtete es der Journalist Gabor Steingart (2006) im SPIEGEL, 2 der deutsche Chef eines bekannten Beratungsunternehmens, [Datum 1a: ] „[g]ern […] den Witz von den zwei barfüßigen Läufern, die in der afrikanischen Steppe dem Löwen zu entkommen versuchen. Der eine hält plötzlich an und zieht sich Turnschuhe an. Der andere fragt: Du glaubst doch nicht im Ernst, daß Du jetzt schneller bist als der Löwe? Nein, erwidert der Turnschuhträger, aber ich bin nun schneller als du.“ Beispiele wie diese widerlegen zunächst die Annahme, 3 wie sie etwa Hermann Bausinger (1991) in der Tradition von Walter Benjamin und Harald Weinrich vertreten hatte: Das Erzählen sei in der modernen Gesellschaft weithin obsolet geworden, an den Rand gedrängt durch effizientere Formen „hastiger Nachrichtenübermittlung“ (Weinrich 1973, S. 333, zitiert nach Ayaß 1997, S. 205) und durch moderne Praktiken der Wahrheitsfindung, die sich an einem positivistischen Wissenschaftsverständnis orientieren: „Es wird nicht mehr erzählt“ (Bausinger 1991, S. 4, zitiert nach Ayaß 1997, S. 205). Gegen derartige Auffassungen bestätigen Beispiele wie Gabors Artikel die Annahme, von der auch das Pariser Kolloquium ausging: dass wir, so formulieren es Christian Klein und Matías Martínez (2009), „[i]n den verschiedensten Bereichen der alltäglichen Lebenswelt und nicht zuletzt auch auf den Gebieten wissenschaftlicher Erkenntnis […] mit Hilfe von Erzählungen“ Verständigung und Orientierung erlangen, dass mit anderen Worten Erzählungen nach wie vor „eine grundlegende Form unseres Zugriffs auf Wirklichkeit“ darstellen (Klein/ Martínez 2009, S. 1). Dies gilt nicht zuletzt auch für die Welt der Wirtschaft (siehe Kleeberg 2009). So macht auch Steingarts Beispiel - auf der Ebene der histoire wie des discours (vgl. dazu Klein/ Martínez 2009, S. 7) - Gebrauch von narrativen Ressourcen: Ein imaginiertes, fiktives Geschehen wird entsprechend dem Strukturtyp einer Witzerzählung aufbereitet. Bezieht man darüber hinaus auch den sozialen Kontext, den viel zitierten „Sitz im Leben“ (Gunkel 1906/ 2004, siehe dazu Klein/ Martínez 2009, S. 8), in die Analyse mit ein und fragt nach den an soziale Kontexte gebundenen kommunikativen Funktionen, die eine solche Erzählung - in der Unternehmensberatung bzw. Wirtschaftsberichterstattung - erfüllt, so tritt ihr Charakter als „Wirklichkeitserzählung“ deutlich in den Vordergrund. 2 Nach einem Artikel in der gedruckten Ausgabe des SPIEGEL wird der Witz einleitend zitiert in Habscheid/ Hartz (2007, S. 195). Der Analyse im vorliegenden Beitrag liegt Steingarts Artikel „Unterschichtendebatte: Die neue soziale Frage“ in SPIEGEL ONLINE zugrunde. 3 Ich folge hier der Argumentation von Ayaß (1997, S. 205), dort entwickelt im Blick auf die kirchliche Fernseh-Sendereihe „Das Wort zum Sonntag“. Erzählen von Transformation 153 Unter Wirklichkeitserzählungen kann man zunächst mit Klein/ Martínez (2009) „einen bestimmten Modus erzählender Rede“ (ebd., S. 2) verstehen, in dem in Bezug „auf eine intersubjektiv gegebene Wirklichkeit“ (ebd., S. 1) Behauptungen „mit Wahrheitsanspruch“ (ebd., S. 2) und mit „Referentialitätsanspruch“ (ebd., S. 4) aufgestellt werden. Teilweise werde dabei, so Klein und Martínez, unmittelbar „auf reale, räumlich und zeitlich konkrete Sachverhalte und Ereignisse“ referiert (ebd., S. 6), etwa im Kontext der Geschichtsschreibung, in anderen Fällen würden „fiktive Fallgeschichten […] im Sinne der Praxisregulierung oder der Festlegung allgemeiner Strukturmerkmale mit Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit funktionalisiert“ (ebd., S. 7). Mit dem zweiten Fall - einer Hybridisierung von faktualem und fiktionalem Erzählen - haben wir es bei der Geschichte über die zwei barfüßigen Läufer zu tun. Es handelt sich um eine für den Wirtschaftskontext typische Erzählung, die ein spieltheoretisches Modell rationalen Handelns in einer Krise mit schwarzem Humor in Szene setzt („Geschichten vom rationalen Handeln“, siehe dazu Kleeberg 2009, S. 142). Darüber hinaus gilt der „Referentialitätsanspruch“ aber auch der konkreten wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Lage der Gegenwart, wie die Einbettung der Witzerzählung in Steingarts (2006) SPIEGEL-Artikel belegt. Vor der oben zitierten Passage heißt es nämlich: [Datum 1b: ] „Das eben unterscheidet die Globalisierung vor und nach dem Eintreffen der neuen Angreiferstaaten ganz erheblich: […]. Der kleine Mann ist kleiner als je zuvor. […] Nun könnten die Reformer erwidern: Weil das alles so ist, müssen die Menschen schneller laufen. Die Welt von gestern ist untergegangen, bewegt euch gefälligst, seid flexibel, seid billig, lernt, was das Zeug hält.“ Unmittelbar danach kommt - als Beleg für die Rhetorik der Reformer, aber auch zur Gewinnung von Evidenz für ihre Argumentation - der eingangs zitierte Witz („Gern erzählt der deutsche McKinsey-Chef …“), bei dem sich allerdings in dieser Situation ein befreiendes Lachen vielleicht gar nicht einstellen mag. Festzuhalten wäre jedenfalls zunächst, dass es im Blick auf Wirklichkeitserzählungen im Kontext der Wirtschaft einer narratologischen Perspektive bedarf, wie sie in der Tradition von Hermann Gunkel und anderen von Klein und Martínez (2009) entwickelt wurde: einer Perspektive also, die Fragen nach dem (mehr oder weniger musterhaften) Inhalt und nach der Struktur von Erzählungen mit Untersuchungen zur Situierung, zum Kontext und zur jeweiligen epistemischen Qualität des Erzählens verbindet. Stephan Habscheid 154 Allerdings bin ich der Auffassung, dass das Konzept des Referentialitätsanspruchs in linguistischer Perspektive noch einer Präzisierung bedarf. Genauer gesagt, möchte ich im Sinne einer medientheoretischen Sprachauffassung, 4 wie sie prominent Ludwig Jäger (2010 u.ö.) vertritt, eigens betonen, dass auch im Fall von Wirklichkeitserzählungen sprachliche Zeichen „nicht direkt auf die Gegenstände in der Welt“ referieren können, sondern nur „indirekt dadurch, dass sie auf andere Zeichen verweisen“ (Deacon 1997, S. 99, zitiert nach Jäger 2010, S. 311). Es stellt sich dann allerdings die Frage, wie in den Wirklichkeitserzählungen der charakteristische Wirklichkeitsbezug überhaupt zustande kommt. Ich meine, er entsteht - und das haben wir am Beispiel der situierten Witzerzählung deutlich gesehen - nicht durch Referenz auf eine außersprachliche Wirklichkeit, sondern durch Bezüge zu anderen (u.a. sprachlichen) Äußerungen, denen sich unser ‘Wissen’ über die Wirklichkeit verdankt. So wird beispielsweise die Witzerzählung durch den Pressetext, in den sie eingebettet ist, in Beziehung gesetzt zu formalisierten bzw. numerisch präzisierten ökonomischen Analysen, 5 zur Wettbewerbsfähigkeit von Gesellschaften, zu Theorien über Mechanismen der Evolution und zu Modellen rationalen Handelns, wie sie Leserinnen und Lesern durch Popularisierungen der Spieltheorie vertraut sind. Allgemein bleibt auch in Wirklichkeitserzählungen jede Repräsentation der Realität an einen Diskursraum gebunden, „weil sich erst hier, im medialen Raum kommunikativer Bezugnahmen, sowohl Subjekte möglicher Referenzhandlungen als auch Welten ausbilden können, auf die referiert werden kann“ (Jäger 2010, S. 306, unter Bezug auf Robert B. Brandom). Charakteristisch für Wirklichkeitserzählungen ist demnach also nicht, dass es sich um Äußerungen „mit unmittelbarem Bezug auf die konkrete außersprachliche Realität handelt“, wie es verkürzend an einer Stelle bei Klein/ Martínez (2009, S. 1) heißt, sondern dass in ihnen narrative Elemente textuell mit Kontexten verknüpft sind, in denen intersubjektives Wissen über die Wirklichkeit hervorgebracht wird. An dieser Stelle treffen sich die medientheoretischen Überlegungen im Anschluss an das Konzept der Wirklichkeitserzählungen mit dem Begriff der ‘Interdiskursivität’ aus der Diskurstheorie Jürgen Links, der freilich deutlicher den kontingenten historischen Zusammenhang von Wissensdomänen und Machtverhältnissen, horizontaler und vertikaler Strukturierung der Gesellschaft in den Blick nimmt (siehe Link 2003). Für diese an Michel Foucault anschließende Perspektive ist das Verhältnis von Spezial- und Interdiskursen wesentlich. Spezialdiskurse wie z.B. die „politische Ökonomie“ sind 4 Einen Überblick gibt Habscheid (2014). 5 Vgl. zu derartigen Formaten Kleeberg (2009, S. 137f.). Erzählen von Transformation 155 nicht einfach mit (institutionalisierten) ‘Wissenschaften’ identisch; sie öffnen jeweils auf der Basis ‘historischer Aprioris’ und weiterer konstitutiver Regeln einen speziellen Raum von ‘Sagbarkeit’ und damit ‘Wißbarkeit’, wodurch ein spezieller Bereich von Gegenständen (Objekten) konstruiert wird. Gleichzeitig damit konstituiert der Diskurs seine legitimen Sprecherpositionen, also seine Subjekte. Dabei sind die Diskurse stets mit entsprechenden Praktiken und Techniken gekoppelt, woraus sich die Macht seiner Subjekte über seine Objekte und damit auch ihre gesellschaftliche Macht erklärt. So konstituieren und behandeln die Ärzte der ‘klinischen Medizin’ die Körper ihrer Patienten als soziale Gegenstände, so die Psychoanalytiker ihre Seelen. (Link 2003, S. 12) Und, so könnte man mit Blick auf das eingangs zitierte Beispiel hinzufügen: Wirtschaftswissenschaftler konstituieren so ein rationalistisches Menschenbild, das zum Beispiel in eine Prognose über Entscheidungen unter bestimmten Situationsbedingungen eingeht. Demgegenüber gehören (einfache) Narrative zu denjenigen zentralen Bestandteilen von Kultur, die - etwa im Kontext der öffentlichen Medienkommunikation, aber z.B. auch an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik bzw. Management - Wissen über die Grenzen der Spezialdiskurse hinweg vermittelbar, aufeinander beziehbar und nutzbar machen (ebd., S. 14): den Interdiskursen. Die Frage der Pariser Tagung nach der „narrativen Dimension der Wirtschaft“ führt in diesem Sinne also auf das Feld der ‘Interdiskursanalyse‘: Die Interdiskursanalyse fragt […] danach, aus welchen Spezialdiskursen dominantes und akzentuiertes Wissen in die Interdiskurse einfließt und wie es symbolisiert, narrativiert und damit subjektiviert wird. […] Es entspricht der Subjektivierungsfunktion der modernen Interdiskurse, daß sie nicht bloß von ‘oben’, vom professionellen Wissen der Spezialdiskurse gespeist werden, sondern gleichzeitig immer auch von ‘unten’, vom sogenannten Alltagswissen, dem Elementardiskurs. (ebd., S. 15) Vor diesem Hintergrund scheint mir im Blick auf die „Mikroebene“ der Texte besonders die Frage von Interesse zu sein, welche ‘textexternen’ und ‘textinternen’ Transformationen grundlegende narrative Formate erfahren, wenn sie zu anderen als ihren alltäglichen Zwecken genutzt, in spezifische institutionelle Kontexte (hier: Unternehmen) gestellt und im Rahmen von Machtausübung (hier: seitens des Managements) genutzt werden. Damit verbunden ist auch die Frage nach dem rhetorischen Erfolg diskursiver Strategien: Welche ästhetischen Gewinne und Verluste gehen zum Beispiel damit einher, wenn Witze im managerialen oder wirtschaftspolitischen Diskurs didaktisiert werden? Werden unter Umständen im Zuge der Transformation die Funktionsmechanismen des Erzählens derart außer Kraft gesetzt, dass die Erzählungen rhetorisch ins Leere gehen? Stephan Habscheid 156 Derartigen Fragen möchte ich im Folgenden im Blick auf Kommunikationsprozesse in Organisationen weiter nachgehen. Ich greife dabei exemplifizierend auf Daten aus einem Projekt zurück, das einige Jahre zurückliegt. Das Projekt wurde 2005/ 2006 im Rahmen eines Wettbewerbs, „Geisteswissenschaften gestalten Zukunftsperspektiven“, durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie (MIWFT) des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert und unter der Leitung von Clemens Knobloch und mir an der Universität Siegen durchgeführt; die Projektmitarbeiter waren Ronald Hartz und Tom Karasek. Im Fokus des Projekts stand die Untersuchung der sprachlichen Inszenierung von ‘kollektiver Identität’ und ‘Einigkeit’ in organisationsinternen und massenmedialen Öffentlichkeiten (vgl. Hartz/ Habscheid 2006; Hartz/ Karasek/ Knobloch 2007; Habscheid/ Knobloch 2009). Für den organisationalen Teil konnte aufgrund einer Kooperation mit einem deutschen Industrieunternehmen zunächst ein Textkorpus von dreizehn Mitarbeiterzeitungen (MAZ) für eine detaillierte Analyse herangezogen werden; ergänzend haben wir durch Anfragen bei den DAX-30-Unternehmen weitere MAZ von 20 Unternehmen einbeziehen können. Natürlich war es nicht möglich, eigens für das Pariser Kolloquium ein empirisches Nachfolgeprojekt durchzuführen. Was ich jedoch machen konnte, war - neben einer Bündelung der narratologisch relevanten Erkenntnisse - eine Re-Analyse von Teilen unseres damaligen Materials unter der Perspektive der Wirklichkeitserzählungen - ein Schlüsselkonzept, das uns seinerzeit noch nicht zur Verfügung stand. Inwieweit die sprachlich-kommunikativen Praktiken, die sich für die damalige historische Konstellation anhand dieses Datenmaterials beobachten lassen, auch in der Gegenwart noch in Mitarbeitermedien vorzufinden oder hierfür typisch sind, wäre nur im Rahmen eines größeren empirischen Nachfolgeprojekts zu klären (wobei kulturvergleichende Perspektiven eine sehr sinnvolle Erweiterung darstellen würden). Was man jedenfalls sagen kann, ist, dass MAZ und vergleichbare Medien für die interne Unternehmenskommunikation nach wie vor für sehr relevant gehalten werden: Im Wettbewerb für Mitarbeitermedien, inkom, den die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) alljährlich veranstaltet, gilt die Kategorie „Print“ sogar nach wie vor als „Königsklasse“. 6 Ich stütze mich im Folgenden auf das bereits erwähnte Teilkorpus aus einem großen Industrieunternehmen. Die drei untersuchten MAZ waren auf verschiedenen Ebenen des Konzerns angesiedelt - globales Unternehmen, Werksebene und Produktionslinie. Wir haben diese drei im Kontext des Projekts für eine englischsprachige Publikation (Hartz/ Habscheid 2006) anonymisierend bezeichnet mit „Company News“ (die MAZ für das globale Unternehmen), „Site News“ (die MAZ auf der Werksbene) und „Production News“ 6 www.inkom-grandprix.de (Stand: 5.4.2015). Erzählen von Transformation 157 (die MAZ für die Produktionslinie). Nach Informationen, die uns das Werk seinerzeit gab, hatte jeder Mitarbeiter kostenlosen Zugang zu allen drei Medien (ebd., S. 22). Eine erste, eher kommunikationswissenschaftlich orientierte, quantitative Inhaltsanalyse, bei der die Artikel von Ronald Hartz induktiv nach Themenfeldern geordnet und gezählt wurden, gab Aufschluss über thematische Schwerpunktsetzungen und den generellen Charakter der drei Magazine (ebd., S. 22f.): „Company News“ thematisierte insbesondere die Präsentation neuer Produkte sowie weitere Events und PR-Aktivitäten (Messen, Festlichkeiten, Wohltätigkeitsveranstaltungen etc.); diese MAZ repräsentierte damit stilistisch im Wesentlichen den Typ eines „Branding“-Magazin (nach Cauers 2005), das die Unternehmensaktivitäten mit einem besonderen Lifestyle verknüpft. „Site News“ behandelte demgegenüber erwartungsgemäß auch Themen, die im Zusammenhang mit dem Standort stehen, und sie thematisierte betriebliche Angelegenheiten, die an die Alltagsperspektiven der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anknüpfen (Werksfeiern; Betriebssport; Gesundheit etc.). „Production News“ richtete den Fokus besonders auf den Produktionsablauf und die damit in Zusammenhang stehenden technologischen Fragen. In Verbindung mit den thematischen Präferenzen ließ sich weiter feststellen, dass die Magazine auf unterschiedliche Art bzw. in unterschiedlichem Maß ‘Nähe’ 7 zum Adressaten herstellten (Hartz/ Habscheid 2006, S. 22f.): Während die „Production News“ sich durch eine eher sachorientierte Themenwahl auszeichneten, setzten die „Company News“ und die „Site News“ verstärkt auf Personalisierung. Dabei wurden, den thematischen Schwerpunkten entsprechend, in den Konzernnachrichten überwiegend prominente Führungskräfte in Szene gesetzt, während die Werksnachrichten durch die sprachliche und bildliche Darstellung von „normalen“ Mitarbeitern im Arbeitsalltag oder in ihrer Freizeit ihrer Zeitung einen „Human touch“ verliehen. 2. „Hyper-Stilisierungen“: Figurenzeichnung unter didaktischen Vorzeichen In beiden Medien taucht ein Typ von Texten auf, den man mit Bernhard Kleeberg als eine „Art Bedienungsanleitungsnarrativ für den individuellen Erfolg“ (Kleeberg 2009, S. 152) charakterisieren kann: In derartigen Wirklichkeitserzählungen „werden komplexe reale Situationen“ didaktisch zu Konstellationen vereinfacht, „in denen eindeutige Informationen, Handlungsoptionen und somit Entscheidungen logisch ableitbar sind“ (ebd.). Wir 7 Diese Kategorie macht auch der Kommunikationswissenschaftler Klaus Haller (1982) für die Analyse von MAZ fruchtbar. Stephan Habscheid 158 hatten dafür zu Beginn schon ein prototypisches Beispiel gesehen: die Erzählung über die beiden barfüßigen Läufer in der Wüste. In den MAZ haben wir es typischerweise nicht mit fiktionalen Geschehnissen zu tun, sondern mit einer journalistischen Aufbereitung biographischer Erlebnisse: „[T]he articles construe ‘heroes’ of everyday life“ (Hartz/ Habscheid 2006, S. 30), z.B. durch Geschichten über gute Taten, die Bewältigung von Lebenskrisen und Schicksalsschlägen, Erfolge im Beruf oder bei ambitionierten Freizeitbeschäftigungen (ebd., S. 30-32). In solchen Erzählungen treten idealtypische Protagonisten auf (Kleeberg 2009, S. 152), die mit der jeweils adressierten Hierarchieebene korrespondieren. Diese Figuren verkörpern Leitbilder individueller Rationalität und Moralität (ebd.), wie sie im Alltag und in den Massenmedien kommunikativ zirkulieren. Die Erzählungen restilisieren solche evaluativ getönten Stereotype nach den besonderen Erfordernissen von Management und Organisation. Man könnte hier in Anlehnung an ein Konzept, das die Kultursoziologen Herbert Willems und York Kautt (2003) anknüpfend an Erving Goffman für die Werbung entwickelt haben, von „Hyper-Stilisierungen“ (ebd., S. 27) alltäglicher kommunikativer Identitätskonstruktionen sprechen. In solchen Erzählungen tritt, wie Kleeberg (2009, S. 153f.) herausarbeitet, der Mensch nicht nur als Träger ökonomischer Interessen in Erscheinung, sondern entsprechend dem Konzept der Humanressourcen auch als ein kulturelles Wesen. Betrachten wir dazu ein Beispiel aus den Site News: 8 [Datum 2: ] Mitarbeiterband „Bluessection“ spielt in der Tradition der Blues-Altmeister Der Rhythmus, wo jeder mitmuss […] One, two, three, … Braun gibt den Takt vor - und ab geht die Post: mit ‘C.C. Rider’, ‘Hound Dog’, ‘Mystery Train’ oder anderen Klassikern. Einfacher, erdiger Blues, direkt aus dem Bauch heraus gespielt, meist beschränkt auf maximal drei Akkorde, frisch, aber authentisch, ohne jeglichen Schnickschnack. […] Wann genau Braun vom Blues-Virus infiziert wurde? Der 36-Jährige lacht. ‘Wahrscheinlich schon mit der Muttermilch. Für mich gab es immer nur diesen Rhythmus, wo jeder mit muss.’ […] Großen Wert legt Braun darauf, dass es bei der ‘Bluessection’ sowohl menschlich als auch musikalisch stimmt. ‘In unserer Band ist keiner dabei, der Flausen im Kopf hat und berühmt werden will.’ (SN = Site News, August 2005) Zu Beginn wird eine alltägliche Szene im Proberaum aus einer In-situ-Perspektive geschildert, wie man es vom Muster der Reporterstimme in der Presse her kennt. Später wird die Stimme dann in einer Art Interview abgetreten an den Protogonisten Braun; dies bietet die Möglichkeit, in ‘seinen’ sprachlichen Stil zu wechseln. Typisch hierfür ist die gehäufte Verwendung von Rou- 8 Zum Zweck der Anonymisierung wurden die Eigennamen in den Texten verändert. Erzählen von Transformation 159 tineformeln, die konventionell auf unhinterfragte Wissensbestände der Lebenswelt verweisen (vgl. Feilke 1994): Wann genau Braun vom Blues-Virus infiziert wurde? Der 36-Jährige lacht. ‘Wahrscheinlich schon mit der Muttermilch. Für mich gab es immer nur diesen Rhythmus, wo jeder mit muss.’ (SN = Site News, August 2005) Gegen Ende fließen - wiederum phraseologisch vermittelt - Elemente alltäglicher moralischer Kommunikation in den Text ein: Orientierungsmuster, die aus organisationaler Perspektive (bis zu einem gewissen Grad) wünschenswert erscheinen, werden so durch Ressourcen allgemein geteilter Moralität gerechtfertigt (vgl. Habscheid et al. 2015, S. 396-399): Großen Wert legt Braun darauf, dass es bei der ‘Bluessection’ sowohl menschlich als auch musikalisch stimmt. ‘In unserer Band ist keiner dabei, der Flausen im Kopf hat und berühmt werden will.’ (SN = Site News, August 2005) Solche Erzählungen und Schilderungen lassen sich zunächst rhetorisch als Verfahren zur Erzeugung von Aufmerksamkeit und Involvement interpretieren (Hartz/ Habscheid 2006, S. 30). In diesem Sinne gehen Kommunikationswissenschaftler wie Klaus Haller (1982) davon aus, dass eine derartige Aufbereitung betrieblicher Themen die Attraktivität der MAZ für den Adressaten erhöht. Spezifischer im Sinne der organisationalen Kommunikation erscheinen noch andere Aspekte (Hartz/ Habscheid 2006, S. 30ff.): So lässt sich in der analytischen Tradition kritischer Theorien der Rekurs auf die Lebenswelt als Teil eines hegemonial agierenden Diskurses begreifen, der gemeinschaftlich akzeptierte Welt- und Ansichten aufgreift - und zwar ihrem Sinn und ihrer Form nach - und sie zu Herrschaftszwecken transformiert. Herrschaft im Modus der Kultur ist nicht nur auf die Aufmerksamkeit, sondern auch auf die Akzeptanz und die interpretierende Mitwirkung der Beherrschten angewiesen. In diesem Sinne können Erzählungen dazu beitragen, den Raum organisationaler Identifikationsmöglichkeiten unter Beteiligung der Betroffenen zu regulieren und in diesem Modus der Kontrolle jene Individuen hervorzubringen (siehe Alvesson/ Willmott 2002), die Organisationen (vermeintlich) benötigen, um ‘in der Geschichte’ zu bestehen. 3. Große Erzählungen: Wir in der Geschichte Die kollektive Sicht auf Geschichte ist ebenfalls wesentlich narrativ verfasst, und zwar sowohl auf der Mikroebene einzelner Texte als auch im Blick auf musterhafte Repräsentationen ‘der Geschichte‘, die sich langfristig durch den Diskurs ziehen und die als geteilte Wissenshintergründe abrufbar sind. Im Blick auf die Wirtschaft lassen sich als derartige Muster narrativer Sachverhaltsdarstellung mit Bernhard Kleeberg (2009, S. 140) beispielsweise „Erfolgs- Stephan Habscheid 160 und Fortschrittsnarrative, Wachstums-, Krisen- und Gleichgewichtsnarrative“ idealtypisch rekonstruieren. Betrachten wir dazu Beispiel für einen Text aus einer MAZ, der im Wesentlichen auf die gleichen Ereignisse und Protagonisten rekurriert wie der eingangs zitierte Text von Steingart und der diese Elemente einer historischen Konstellation auch in ganz ähnlicher Weise zeitlich und kausal zu einem Prozess kombiniert: [Datum 3: ] Die Globalisierung hat in den letzten 15 Jahren deutschen Produkten viele neue Märkte erschlossen. Im gleichen Schritt hat sich die Konkurrenzsituation im Welthandel erheblich verschärft. Das Ergebnis ist bekannt: Zuletzt produzierte keiner teurer als das Werk S. […] - weder [im Konzern] noch bei deutschen Konkurrenten, noch im europäischen Ausland. Von Fernost ganz zu schweigen […] Die Verhandlungen […] waren von Erfolg gekrönt: Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft des Werks sind gestellt. (SN = Site News, September 2004) In einem übergeordneten Prozess werden also das eigene Werk und damit die Adressaten des vorliegenden Textes verortet, und es wird deutlich gemacht, dass dieses Wissen über die eigene prekäre Stellung als ein bereits geteiltes und durch ökonomische Fakten untermauertes vorauszusetzen ist: „Das Ergebnis ist bekannt: Zuletzt produzierte keiner teurer als das Werk S. […] - weder [im Konzern] noch bei deutschen Konkurrenten, noch im europäischen Ausland.“ Offensichtlich haben wir es hier mit einem Krisennarrativ zu tun (vgl. zum Folgenden den Überblick in Habscheid/ Koch 2014), und man kann anhand dieses Beispiels die Charakteristika derartiger Narrative herausarbeiten: 1) Der Krisenbegriff ist diagnostisch angelegt: Es wird eine Zustandsveränderung, die als negativ bzw. unerwünscht zu bewerten ist, aus Entstehungsfaktoren heraus erklärt. Allgemein wird in den untersuchten MAZ die Gegenwart oft als eine solche Krisensituation für das Unternehmen codiert (Hartz/ Habscheid 2006, S. 24-27); interdiskursiv wird hierbei typischerweise auf die damals vorherrschende Standortdebatte Bezug genommen - der Standort ist gekennzeichnet durch (zu) hohe Lohn(neben)kosten, unflexible Arbeitsmärkte und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. 2) Krisenerzählungen haben einen deontischen Charakter: Allgemein werden Katastrophen in der Moderne nicht mehr als zu ertragende Bedrohungen aufgefasst, vielmehr sollen sie durch rationale Risiko-Kalküle und Sicherheitsmaßnahmen so weit wie möglich beherrscht werden (siehe Walter 2010, S. 95-180). D.h.: Wer über Krisen (und ihr Potenzial zur Eskalation) spricht, etwa als Politiker oder Manager, muss auch über Maßnahmen sprechen, wie die Krise zu bewältigen (und die Katastrophe zu vermeiden) ist (vgl. Streeck 2013, S. 8 Anm. 2). Damit befestigt er zugleich seinen Führungsanspruch (Kleeberg 2009, S. 139). Erzählen von Transformation 161 3) Durch Krisenerzählungen werden politische und organisationale Entscheidungen legitimiert. Dementsprechend mündet der Bericht in die Darstellung und Bewertung einer Entscheidung, die die Unternehmensleitung und der Betriebsrat zur Reduktion von Kosten und zur Erhöhung der Produktivität getroffen haben. Indem die Adressaten als Akteure in historischen Szenarien und Prozessen positioniert werden, ergeben sich aus der Konstruktion von Pfadabhängigkeiten unmittelbare Handlungskonsequenzen für diese selbst (siehe dazu Hartz/ Habscheid 2006, S. 24-27). Insgesamt sind diese Erzählungen, wie Kleeberg zeigt, „durch einen teleologischen Zug gekennzeichnet“ (Kleeberg 2009, S. 139): „Nie wird Kontingenz ins Spiel gebracht, werden Unsicherheit, mangelndes oder unverfügbares Wissen jenseits ihrer Bändigung im Risikokalkül präsentiert“ (ebd.). 4. Einigkeitsfassaden: Stimmen und Stimmungen Bereits 1982 bestimmte der Kommunikationswissenschaftler Klaus Haller in einer Untersuchung über „Werkszeitungen in der Bundesrepublik Deutschland“ als ein Charakteristikum dieses Mediums seine ausgeprägte Konfliktarmut; auch in unserem Material präsentieren alle drei Magazine weitgehend ein Bild der Harmonie (siehe Habscheid 2008). Organisationsinterne Interessens- und Perspektivendivergenzen, Konflikte und Gegnerschaften werden kaum thematisiert, dagegen Gemeinsamkeiten explizit herausgestrichen, wie z.B. in dem folgenden Editorial des Werkleiters: [Datum 4: ] Denn die Signale sind deutlich: Der Wettbewerb lässt uns keine Atempause. […] Wir alle sind gefordert, weiterhin in unsere Zukunft zu investieren. Wir haben bereits in der Vergangenheit Enormes geleistet. Jetzt möchte ich mit Ihnen auch diese Aufgabe meistern. Verlassen Sie sich darauf, dass wir in diesem Werk alle das Gleiche wollen. Die Führungskräfte, der Betriebsrat und ich haben die gleichen Ziele wie Sie als Mitarbeiter. Wir wollen unsere Arbeitsplätze sichern. (SN = Site News, September 2004) Eine solche Kommunikation ist paradox: Dass Einigkeit betont werden muss, beweist, dass sie aus Sicht des Sprechers nicht - oder jedenfalls noch nicht - hinreichend gegeben ist bzw. von den Adressaten gesehen wird. Adressiert wird hier vielmehr ein Publikum, dem politische Konfliktlinien etwa im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen und Betriebsvereinbarungen aus den öffentlichen Medien und dem Diskurs am Arbeitsplatz allgemein vertraut sind. Hinzu kommt, dass durch die Struktur des Globalisierungs- und Krisendiskurses Spannungen noch verschärft werden - denken wir an die Geschichte von den zwei barfüßigen Läufern. Derartige Diskurse konstruieren die Be- Stephan Habscheid 162 troffenen als Vereinzelte, Ängstliche, Getriebene, die im Kampf ums Überleben auf den eigenen Vorteil bedacht sind. Für soziale Gebilde, die jedenfalls bis zu einem gewissen Grad angewiesen sind auf die Friedfertigkeit und Kooperationsbereitschaft ihrer Mitglieder, ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Konflikte und Stimmungen diskursiv zu managen. Dass die Verantwortlichen dabei nicht nur auf echte Verhandlungslösungen setzen, sondern auch auf die symbolische Konstruktion kollektiver Identität, zeigte eindrücklich die Kampagne „Du bist Deutschland“, die im Herbst 2005 (nach den vorgezogenen Neuwahlen) den sozialpolitischen Konflikt um die Agenda-2010-Politik mit einem modernisierten nationalen Diskurs zu verknüpfen versuchte (vgl. Holly 2009). Auch im Fall von Unternehmen für die Darstellung einer gemeinsamen Identität steht ein breites Spektrum von Themen zur Verfügung, die sich - anknüpfend an Wodak et al. (1998) „[z]ur diskursiven Konstruktion nationaler Identität“ - unter fünf Kategorien bündeln lassen (siehe Habscheid 2008, S. 264ff.): 1) die Konstruktion einer gemeinsamen Mentalität, eines spezifischen unternehmensbezogenen Menschenbildes, etwa im Blick auf moralische Eigenschaften; 2) die Konstruktion einer gemeinsamen Geschichte, die Verortung des einzelnen Adressaten in einem ‘historischen’ Handlungsraum, z.B. durch Mythen und Erzählungen über die Gründung des Unternehmens, berühmte Protagonisten und deren Leistungen, die historische Mission, die frühere Bewältigung von Krisen usw.; 3) die Konstruktion einer gemeinsamen Kultur, die Verortung der Adressaten in einem Feld geteilter Zeichen und Bedeutungen, z.B. der Verweis auf gemeinsame kulturelle Alltagspraktiken, unhinterfragte Wissensbestände, den Sinn und ästhetischen Wert der hergestellten Produkte, geteilte Lebensstile usw.; 4) die Konstruktion einer gemeinsamen Gegenwart und Zukunft, die Verortung der Adressaten im Kontext geteilter Rahmenbedingungen, Herausforderungen, Risiken, Projekte, Visionen; 5) die Konstruktion einer geteilten materiellen Umwelt, die Verortung der Adressaten im ‘Standort’ eines Werkes, einer Region, einer Umgebung von Artefakten (Gebäuden, Maschinen usw.). Erzählen von Transformation 163 5. Schluss: Grenzen einer Kommodifizierung des Erzählens Dass sich nicht alle Adressaten derartige Erzählungen zu eigen machen, zeigen widerständige Diskurse wie etwa ein Aufkleber, den man in der Arbeitswelt in Deutschland immer noch sieht; der sprachliche Text lautet (mit einer gewissen Variation und mit unterschiedlichen Bebilderungen): [Datum 5: ] Wir sind hier bei der Arbeit und nicht auf der Flucht! Dieser Text taucht typischerweise natürlich nicht in den so genannten Mitarbeitermedien auf, er wird vielmehr durch eine Art subversives Mitarbeitermedium tradiert, eben durch Aufkleber, die man allerdings auch nur dort anbringen kann, wo der öffentliche Raum in der Organisation nicht durch „corporate verbal hygiene practices“ (Cameron 1995) reguliert wird. Der Diskurs erscheint damit einerseits als vergleichsweise schwach, andererseits ist ein solcher Typ von Diskurs aber vielleicht auch besonders machtvoll, weil er in jeder Hinsicht „bodenständig“ ist: Er handelt nicht nur vom Arbeitsalltag, sondern er erstreckt sich gleichsam materiell in den Arbeitsalltag hinein, ähnlich wie die Gesprochene Sprache im informellen Gespräch. (Dementsprechend finden wir auch deiktische Ausdrücke wie wir und hier, die den Text situativ am Arbeitsplatz verankern; vgl. zu derartigen Diskursen ‘in der materiellen Welt’ grundlegend Scollon/ Scollon 2003). Bemerkenswert ist nun, dass auch in diesem Gegendiskurs mit dem Kollektivsymbol der Flucht gearbeitet wird, wie in der eingangs zitierten Witzerzählung über die beiden Läufer, die dem Löwen zu entkommen versuchen. Im Fall des Aufklebers dient das imaginierte Geschehen nun aber nicht dazu, die Wirklichkeit mit Hilfe der Metapher didaktisch vereinfachend zu strukturieren, sondern es wird eben diese Metapher als abwegig zurückgewiesen. Diskurssemantisch wird dabei gegen den Versuch einer Denormalisierung des Alltags, wie er vom Management und von wirtschaftspolitischen Akteuren vorgetragen wird, die alltägliche Evidenz der Normalität gesetzt, die hier - materiell und sprachlich - an den common sense rückgebunden ist. Nun gibt es sicher viele Gründe dafür, wenn hegemoniale Wirklichkeitserzählungen in Organisationen sich nicht in dem Sinne durchsetzen, dass das Publikum sie sich zu eigen macht. Die begrenzte Wirkung hat vielleicht auch etwas mit den ästhetischen Eigenschaften der hegemonialen Wirklichkeitserzählungen zu tun, nämlich mit der aus (schlechten) Predigten bekannten Tendenz zur ‘Schließung’ und ‘Vereindeutung’ (Mauz 2009, S. 201): keine Ambivalenz, keine Alternativen, keine Konflikte - vielmehr eindimensionale Helden, vorsehbare Geschehnisse und fassadenhafte Einigkeit. Stephan Habscheid 164 Internetquellen Deutsche Public Relations Gesellschaft e.V. inkom. > 2015 Der DPRG -Medienpreis für Interne Kommunikation. www.inkom-grandprix.de/ (Stand: 5.4.2015). Steingart, Gabor (2006): Unterschichtendebatte: Die neue soziale Frage. In: SPIEGEL ON-LINE www.spiegel.de/ wirtschaft/ unterschichtendebatte-die-neue-soziale-frage-a-443019.html (Stand: 5.4.2015). Literatur Alvesson, Mats/ Willmott, Hugh (2002): Identity Regulation as Organizational Control: Producing the Appropriate Individual. In: Journal of Management Studies 39 (5), S. 619-644. 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CHRISTINE KÜNZEL (HAMBURG) STROH ZU GOLD SPINNEN: ZUR MÖGLICHEN BEDEUTUNG UND FUNKTION VON MÄRCHEN IM KONTEXT DER ANALYSE VON FINANZKRISEN Abstract Die zentrale Rolle von Erzählungen in ökonomischen Diskursen ist inzwischen zwar erkannt worden, doch wurden Formen und Funktionen einzelner Narrative bisher kaum näher untersucht. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende Beitrag als Versuch zu verstehen, sich einmal exemplarisch einer ganz bestimmten Erzählgattung und deren Funktion zu widmen: dem Märchen. Gerade in Zeiten von Finanzkrisen wird in medialen Diskursen gern auf Märchen angespielt, insbesondere auf solche, in denen das Motiv einer wundersamen Geldbzw. Goldvermehrung eine zentrale Rolle spielt. Zugleich wird der Begriff Märchen im Sinne der Untergattung des Lügenmärchens verwendet, um den fiktionalen Charakter bestimmter Finanzprodukte zu markieren. Der Beitrag ist von der These geleitet, dass die zentralen ökonomischen Narrative (wie etwa Wachstumsprognosen) wie Märchen auf einem besonderen Fiktionsvertrag basieren, der bewirkt, dass Aspekte des Wunderbaren nicht als solche wahrgenommen, sondern als selbstverständlich empfunden und verarbeitet werden. Gerade in Zeiten von Finanzkrisen scheint sich eine Qualität der Finanzwirtschaft zu offenbaren, die in unterschiedlichen Kontexten als Literarizität, Poetizität oder Fiktionalität bezeichnet wird. Dabei handelt es sich offensichtlich um Eigenschaften aus dem Bereich der schönen Literatur, mit denen eine Abkoppelung der sogenannten Realwirtschaft von den Finanzmärkten, d.h. ein Verlust an Wirklichkeitsbezug, bezeichnet wird. Doch verstellt die Tatsache, dass die ästhetischen Qualitäten der Finanzwirtschaft zumeist nur in Krisenzeiten - und hier stets als Problem, wenn nicht gar als Ursache bzw. Auslöser von Finanzkrisen - betrachtet werden, den Blick darauf, dass ein komplexes Finanzsystem ohne die Kulturtechnik des Fingierens gar nicht funktionieren könnte (vgl. Beckert 2011; Künzel 2014; Priddat in diesem Band). Vor dem Hintergrund, dass die Begriffe Literarizität, Poetizität und Fiktionalität dem Bereich der Literaturwissenschaft entstammen, ist es zum einen erstaunlich, dass sich Literaturwissenschaftler/ innen bisher kaum in die Debatte um mögliche Deutungen und Ursachen der letzten Finanzkrise von 2008 eingemischt haben; 1 zum anderen scheinen die Wirtschaftswissenschaften das Analyse- und Erklärungspotenzial bestimmter Aspekte der Finanzkrise von Disziplinen wie Literatur- und Kulturwissenschaften bisher leider (noch) nicht erkannt zu haben. 1 Eine der wenigen Ausnahmen bildet Vogl (2010/ 2011). Christine Künzel 168 Den folgenden Ausführungen liegt die These zugrunde, dass ökonomische Theorien und Transaktionen sich ebenfalls wesentlicher Prinzipien der Fiktionalität bedienen, die laut dem englischen Schriftsteller und Philosophen Samuel T. Coleridge auf einem besonderen Verhältnis zwischen Text und Leser bestehen, in dem der Leser einem fiktionalen Text mit einer „willing suspension of disbelief“ (vgl. Coleridge 1983, S. 6) - also einer bewussten Aussetzung der Frage nach der Glaubwürdigkeit bzw. Wahrhaftigkeit - begegnet. Grundlage dieser „willentliche[n] Aussetzung der Ungläubigkeit“ (Eco 1994, S. 103) ist ein Pakt bzw. Vertrag zwischen dem Autor (dem Produzenten) und dem Leser (dem Rezipienten) eines literarischen, sprich: fiktionalen, Textes, der sogenannte „Fiktionsvertrag“ (ebd.). Das Prinzip eines Fiktionsvertrages ist wohl kaum je prägnanter dargestellt worden als in Hans Christian Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider. Der vergleichsweise kurze Märchentext beschreibt sehr präzise das Funktionieren von Fiktionen auf der Grundlage gesellschaftlicher Konventionen. Entlarvt wird die Fiktion als solche durch eine Instanz, die (noch) nicht vertraut ist mit der Kulturtechnik des Fingierens. Es ist ein Kind, das ausruft: „Aber er hat ja nichts an! “ (Andersen 2005, S. 107). Was das Märchen eindrücklich vorführt, ist die Macht von Fiktionen und deren Funktionsweise sowie die Tatsache, dass Fiktionen nur in dem Maße real werden können, wie andere überzeugt sind, dass diese real und eben nicht fiktiv sind. 2 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass im Kontext von Finanzkrisen immer wieder auf das Märchen Des Kaisers neue Kleider verwiesen wird (vgl. u.a. Ehalt 2009, S. 15; Finel-Honigman 2010, S. ix). Dass der Begriff des Fiktiven ausschließlich in Krisenzeiten im Zusammenhang mit problematischen finanzökonomischen Produkten und Transaktionen assoziiert wird, täuscht über den Umstand hinweg, dass die Finanzökonomie grundsätzlich auf Fiktionen angewiesen ist, angefangen bei der sogenannten „Geldfiktion“ (vgl. Schnaas 2010, S. 16, Hervorh. im Orig.), die darin besteht, dass sich die Bedeutung des Geldes nicht etwa aus seinem materiellen Wert ergibt, sondern allein aus dem Versprechen bzw. Glauben daran, dass ein - von seinem Materialwert her betrachtet - wertloses Stück Metall (Münze) oder Papier (Geldschein, Wertpapier) einen bestimmten Wert hat. Zu den Paradoxien der Geldfiktion zählt allerdings die Prämisse, dass die Fiktion nur dadurch aufrechterhalten werden kann, dass auf eine vollständige Realisierung verzichtet wird (vgl. Bonus 1990, S. 160). Hinzu kommt, dass der Begriff des Fiktiven in der Alltagssprache negativ konnotiert ist und mit Schein, Lüge und Betrug gleichgesetzt wird. Dabei geht eben jener Aspekt verloren, dass mittels Fiktionen ein hohes Maß an Kreativi- 2 Für den ökonomischen Kontext vgl. Bonus (1990, S. 13), wo es in Bezug auf Vermögen heißt: „Ein Vermögen ist real nur in dem Maße, wie andere überzeugt sind, daß es real und eben nicht fiktiv sei, und es ist fiktiv, wenn niemand mehr an seine Realität glaubt.“ Stroh zu Gold spinnen 169 tät und Innovation freigesetzt werden kann (vgl. Beckert 2011, S. 12 und 24). Ohne Fiktionen wäre ein komplexes Geldwirtschaftssystem nicht funktionsfähig. Akte des Fingierens setzen dort an, wo trotz der mit den Mitteln rationaler Wahrscheinlichkeitsrechnung gewonnenen Erkenntnisse Unsicherheiten bzw. Erkenntnislücken in Bezug auf Ereignisse in der Zukunft bestehen (vgl. ebd., S. 6). Fiktionen sind insofern als Medien zur Verarbeitung von Unsicherheitsmomenten besonders geeignet, da sie bei aller Unsicherheit und bei allem Risikobewusstsein Handlungsfähigkeit garantieren. An dieser Stelle setzt der Wirtschaftssoziologe Jens Beckert an, indem er die zentrale Rolle der Fiktionalität in ökonomischen Transaktionen untersucht. Beckerts These lautet, „dass Entscheidungen intentional rationaler Akteure in Fiktionen verankert sind“ (ebd., S. iii). Fiktionen definiert Beckert in diesem Kontext als: […] images of some future state of the world or course of events which are cognitively accessible in the present through mental representation. ‘Fictionality’ in economic action is the inhabitation in the mind of an imagined future state of the world. (ebd., S. 1) Beckert weist darauf hin, dass sich Akteure - obwohl sie wissen (sollten), dass Imaginationen der Zukunft als solche nicht seriös, sprich: nicht faktual, sind - so verhalten, „als ob“ diese es wären. Insofern sind die meisten ökonomischen Transaktionen von Fiktionen motiviert (vgl. ebd., S. 11). Im Gegensatz zu literarischen Fiktionen zeitigen Fiktionen im ökonomischen Bereich allerdings Auswirkungen in der realen Welt (vgl. ebd.). Um sie zu kommunizieren, müssen diese fiktionalen Szenarien und Erwartungen allerdings verbalisiert, sprich: in entsprechende Narrative gefasst, werden. Laut Beckert präsentieren sich solche Narrative in Form von Erzählungen oder Theorien (vgl. ebd., S. 12). Während Theorien des Storytelling bereits Einzug in die Wirtschaftssoziologie gehalten haben, wird ihnen von Seiten der Ökonomik bisher noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eine der Ausnahmen bilden die Studien der US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin Deirdre (vormals Donald) McCloskey, die mit ihren Untersuchungen The Rhetoric of Economics (1985, 1998) und If You’re so Smart. The Narrative of Economic Expertise (1990) den Grundstein des New Economic Criticism legte. Plainly and routinely, 90 percent of what economists do is […] storytelling. Yet, even in the other 10 percent, in the part more obviously dominated by models and metaphors, the economist tells stories. Economists tell a lot of stories, and must practise therefore the art of telling. (McCloskey 1990, S. 16) Aber auch in einem jüngeren Zweig der Ökonomik, der von Methoden und Erkenntnissen der Psychologie profitiert, den Behavioral Economics, wurde die Bedeutung von Erzählungen bereits entsprechend gewürdigt. In ihrer einschlägigen Studie zu Aspekten der Finanzkrise mit dem Titel Animal Spirits. How Human Psychology Drives the Economy, and why it matters for Global Capita- Christine Künzel 170 lism (2009) beschreiben George Akerloff und der 2013 mit dem Nobelpreis für Ökonomik ausgezeichnete Robert Shiller unter anderem, wie Erzählungen das Vertrauen von Investoren in Märkte beeinflussen: „High confidence tends to be associated with inspirational stories, stories about new business initiatives, tales of how others are getting rich.“ (Akerlof/ Shiller 2009, S. 55). Obwohl die zentrale Rolle des Storytelling für die Wirtschaft inzwischen erkannt wurde - „Ohne Storytelling [ist] die moderne Wirtschaft nicht lebensfähig! Storytelling [ist] nicht Schmiermittel, sondern Generator der Wirtschaft! “ (Posner-Landsch 2007, S. 69) -, liegen bisher allerdings kaum systematische Untersuchungen zum Charakter der Erzählungen vor, die finanzökonomische Diskurse prägen. Vereinzelt werden bestimmte inhaltliche Merkmale benannt wie Wachstum, Erfolg, Gewinn. McCloskey verweist mit Bezug auf die Strukturalisten Todorov und Propp auf wesentliche Elemente der Erzählung, führt dies jedoch nicht weiter an Beispielen aus. Auch Beckert arbeitet zwar bestimmte Merkmale ökonomischer Storys heraus, stellt aber keine Bezüge zu literarischen Gattungen her. Immerhin hatte McCloskey schon gefordert: „An economist should be aware that he adopts more than a `mere style´ when he adopts the conventions of a genre. […] Economists would do well to know what genre they are reading or writing.“ (McCloskey 1990, S. 30f.). Da bis heute jedoch keine Studien vorliegen, die sich genauer mit den verschiedenen Textgattungen der Ökonomik und der ökonomischen Praxis beschäftigen, möchte ich mich hier zumindest exemplarisch an einer Textgattung versuchen. Im Zentrum der folgenden Überlegungen wird die Frage nach der möglichen Funktion und Bedeutung einer ganz bestimmten literarischen Gattung - möglicherweise der literarischen Gattung schlechthin 3 -, dem Märchen, in Bezug auf die Darstellung von Finanzkrisen stehen. Dabei ist die Frage nach den möglichen Funktionen dieses Genres von der These geleitet, dass Fiktionen sowohl produktive wie problematische Funktionen im Kontext ökonomischer Diskurse, hier insbesondere in der Finanzwirtschaft, aufweisen (können). Auffällig ist die Tatsache, dass in Krisenzeiten - nicht nur in der medialen Berichterstattung - gehäuft sowohl auf den Begriff und die Gattung Märchen als auch auf einzelne Märchentexte angespielt wird. Dies spiegelt sich unter anderem auch in den Titeln aktueller Buchpublikationen wider, u.a.: Wolfgang Schmidbauer: Das kalte Herz: Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle (2012), Wilhelm Hankel: Die EURO-Lüge: … und andere volkswirtschaftliche Märchen (2010), Marlene Posner-Landsch: StoryTelling - StorySelling: Märchen und Märchenerzähler in der Wirtschaft (2007), Eugen Drewermann: Von der 3 Vgl. Neuhaus (2005, S. 374). Neuhaus (ebd., S. 1) stellt fest, dass „Literatur […] in diesem Sinne immer Märchen“ sei. Stroh zu Gold spinnen 171 Macht des Geldes oder Märchen zur Ökonomie (2007), Klaus Popp: Das Märchen vom guten Zins: Auswege aufzeigen, Krisen verhindern mit Fairconomy (2006), aber auch in älteren Titeln, wie etwa Robert Naumann: Theorie und Praxis des Neoliberalismus: das Märchen von der freien oder sozialen Marktwirtschaft (1957). Die Frage ist nun, ob dieser Rückgriff lediglich der Ohnmacht angesichts der scheinbaren Unerklärlichkeit der Ursachen und Auswirkungen bestimmter ökonomischer Phänomene geschuldet ist, oder ob dem Märchen als Gattung möglicherweise eine zentrale Rolle in der Deutung von ökonomischen Zusammenhängen und Krisen zukommt. Im Rahmen der vorliegenden Fragestellung sind insbesondere die folgenden Funktionen der Gattung und des Begriffs Märchen von Bedeutung: 1) Als Synonym für eine unglaubwürdige Erzählung, sprich: zur Bezeichnung einer Lügengeschichte; 2) als die literarische Gattung schlechthin im Sinne eines exemplarischen Falls fiktionalen Erzählens, der gekennzeichnet ist durch ein besonderes Spannungsverhältnis von Realität und Wunderwelt (Neuhaus 2005, S. 373f.); 3) als Medium zur Verbreitung und Stabilisierung von Ideologien (affirmativ, reflexionshemmend) (ebd., S. 25); 4) als Mittel der Ideologiekritik (vgl. etwa das Beispiel Des Kaisers neue Kleider) (subversiv, reflexionsfördernd) (ebd., S. 23 und 374); 5) als Medium der Vermittlung von Wissen 4 (hier ökonomischen Wissens). Bereits der umgangssprachliche Gebrauch des Begriffes „Märchen“, der in den Medien vorherrscht, weist auf zwei Aspekte hin, die auch für eine genauere Analyse der Funktion von Märchen in diesem Kontext eine zentrale Rolle spielen könnten. Das ist zum einen der Umstand, dass mit dem Begriff „Märchen“ umgangssprachlich im Allgemeinen „erfundene, unwahre Geschichten“ (Lüthi 2004, S. 1) 5 bezeichnet werden. McCloskey nennt diese Art der Geschichten „snake oil“, um zu kennzeichnen, dass es sich ihrer Meinung nach um „wrong stories“ handele, „[which] take a particularly dangerous form“ (McCloskey 1990, S. 3). Zum anderen stehen im Zentrum des Märchengeschehens wunderbare Ereignisse, die sich Versuchen der rationalen Erklärung entziehen. Das Wunder wird in der Märchenforschung immer wieder als das „ausschlaggebende Ingredienz“ (Rölleke 2009, S. 508.) 6 für die Gattungszugehörigkeit genannt. „‘Märchen’ sind“ - so die Definition von Heinz Rölleke - „zum Teil mündlich tradierte, meist formelhafte Prosaerzählungen, in denen ‘selbstverständliche’ Wunder begegnen“ (ebd., S. 508). 4 Vgl. Pöge-Alder (2011, S. 33). 5 Vgl. auch Schödel (2010, S. 55). 6 Vgl. auch Neuhaus (2005, S. 374). Christine Künzel 172 Auf eben eine solche Neigung, Wunder als etwas Selbstverständliches zu behandeln, wie sie für Märchen charakteristisch ist, wird regelmäßig in Zeiten von Finanzkrisen angespielt. Diese Neigung, die durch einen „[e]xzessive[n] Optimismus“ 7 gekennzeichnet ist, wird zugleich als eine der wesentlichen Ursachen für Finanzblasen und -krisen benannt. 8 Mit Blick auf die Finanzwirtschaft rückt hier insbesondere das Phänomen der wundersamen Geldvermehrung in den Fokus, das zu den beliebtesten Motiven des Märchens zählt: Dabei wird das Geld bzw. Gold entweder aus dem Nichts geschaffen wie etwa in der berühmten Erzählung vom Fortunatus und seinem Glückssäckel (erschienen anonym 1509), einem Geldbeutel, der, wann immer man in ihn hineingreift, Geld bereithält - ein Topos, der in Hauffs Märchen Das kalte Herz in einer Variante weiterlebt, aber auch in den Märchen, in denen Gold produzierende Tiere eine zentrale Rolle spielen, wie etwa der Goldesel in Tischlein deck dich. In einer zweiten Märchen-Variante wird Geld oder Gold aus wertlosem Material hergestellt - wie z.B. in dem Märchen Rumpelstilzchen, wo eine Müllerstochter mit Hilfe eines Zwerges Stroh zu Gold spinnt. Das Märchen vom Rumpelstilzchen ist insofern interessant, als es gewissermaßen ein Märchen im Märchen darstellt. Die Sehnsucht des Müllers nach sozialem Aufstieg ist so groß, dass sie ihn dazu führt, ein Märchen in die Welt zu setzen: nämlich, dass seine Tochter Stroh zu Gold spinnen könne. Eugen Drewermann, der sich u.a. mit seinen psychoanalytischen Märchen-Interpretationen einen Namen gemacht hat, deutet diesen Umstand folgendermaßen: […] dieser sein [des Müllers, C.K.] Wunsch wirkt so stark, dass er die Wände der Wahrheit ins Wahnhafte aufwirft: Das Gespinst seiner Sehnsucht wird zur Kunstspinnerei seiner Tochter; das Symbol seiner Hoffnung behauptet sich als reale Erfahrung […]. (Drewermann 2007, S. 27) Interessant ist in diesem Kontext der Hinweis von Marlene Posner-Landsch auf die gemeinsame etymologische Wurzel der Begriffe Gewinn, Wunsch und Wahn: Die Wörter Gewinn, Wunsch und Wahn gehören alle drei zur indogermanischen Wurzel *uen[e], und die bedeutet umherziehen, streifen, nach etwas suchen oder trachten. Diese Wurzel bezog sich ursprünglich auf Nahrungssuche, Jagd und Krieg. Aus *uen[e] entwickelten sich dann die Bedeutungswendungen wünschen, verlangen, begehren, lieben, gern haben. Und daran wiederum knüpfen im Germanischen die Worte Wunsch und Wahn an. Wobei Wahn ursprünglich Hoffnung, Erwartung, Vermutung meinte. […] Wenn Wunsch, Wahn und Gewinn zusammengehören, dann verstehe ich auch die Wirtschaft besser. (Posner-Landsch 2007, S. 78; Hervorh. im Orig.) 7 So im Untertitel eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.3.2012, S. 17): „Hohe Liquidität treibt Kurse ungebrochen. Exzessiver Optimismus bereitet zunehmend Sorgen.“ 8 In der Märchenforschung wird der Glaube an das Wunderbare zuweilen als ein „Zeichen für Regression“ betrachtet. Vgl. Neuhaus (2005, S. 33). Stroh zu Gold spinnen 173 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass in den Beschreibungen der Euphorie, die zur sogenannten New Economy-Blase (1999/ 2000) führte, immer wieder auf den Topos des Märchenhaften verwiesen wird. Die Welt war zum Märchenland geworden. Die Banken, die die Aktien an die Börse brachten, stellten jeden Tag aufs Neue unter Beweis, dass sie in der Lage waren, aus Stroh Gold zu machen. (Frank 2011, S. 160) Diese Welt [die des Neuen Marktes, C.K.] war eine Märchenwelt. Die Unternehmen verkündeten Storys von neuen Geschäftsideen, erfolgversprechenden Businessplänen und vom immerwährenden Aufschwung. (Posner-Landsch 2007, S. 106) Posner-Landsch verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es die Storyteller im Rahmen der New Economy zu einer wahren Meisterschaft gebracht hätten, indem das Produkt in diesem Fall keine Story hatte, sondern die Story war (vgl. Posner-Landsch 2007, S. 65). Heute sind es insbesondere bestimmte Finanzprodukte - wie Derivate, Futures, Swaps etc. - die ihren Wert allein über eine Story erhalten (vgl. (Finel-Honigman 2010, S. 68). Auf die Bedeutung von Storys bei der Zuschreibung von Wert hatte McCloskey bereits hingewiesen, indem sie konstatierte: „Stories impart meaning, which is to say worth“ (McCloskey 1990, S. 27). Die Vorstellung, die sowohl dem Glückssäckel als auch dem Stroh-zu-Gold- Spinnen zugrunde liegt, knüpft an ein anderes, weit verbreitetes und seit dem Mittelalter beliebtes Märchen an: das vom Schlaraffenland, das in verschiedenen Versionen von Hans Sachs über die Brüder Grimm und Wilhelm Hauff tradiert wurde (vgl. Wunderlich 2007, S. 97-110 und Richter 1995). Das Märchen vom Schlaraffenland verbindet zwei wesentliche Merkmale des Märchens miteinander: das Prinzip des Wunderbaren und den Hang zum Utopischen. So beschreibt Ernst Bloch den Zustand des Schlaraffenlandes gewissermaßen als die Utopie, auf die das Märchen grundsätzlich abzielt. Das technisch-magische Märchen geht derart nur indirekt oder notgedrungen auf Besitz; es geht auf die Verwandlung der Dinge […]. […] - es intendiert Schlaraffenland. (Bloch [1959]1985, S. 414f.) Was verbindet nun das Märchen mit seiner Vorliebe für Wunder und seinem Hang zum Happy End und zur Utopie mit ökonomischen Narrativen? Im Hinblick auf das Märchen vom Schlaraffenland ist es die „ökonomische[ ] Vision“ eines Konsumverhaltens, das sich an einem grenzenlosen Überfluss orientiert und gänzlich „ohne den Produktionsfaktor Arbeit“ (Wunderlich 2007, S. 103) auskommt, da genau genommen gar keine Produktion stattfindet: Jede Erwerbstätigkeit ist überflüssig, jeder kann sich ohne Restriktionen in seinen Konsumentscheidungen nach seiner den Konsum bejahenden Mentalität und seiner hedonistischen Grundhaltung richten. (ebd.) Christine Künzel 174 Aus heutiger Perspektive betrachtet scheint sich das Konzept des Schlaraffenlandes aus einem konsequenten Zu-Ende-Denken bzw. des Wörtlich-Nehmens bestimmter ökonomischer Modelle und Theorien zu ergeben. Dies betrifft insbesondere die sogenannten „growth stories“, die unbegrenztes stetiges ökonomisches Wachstum verheißen, aber auch die Ausklammerung des Aspektes der Begrenztheit von Rohstoffen und anderen Ressourcen aus vielen ökonomischen Modellen. Insofern zeichnen sich auch ökonomische Modelle und Theorien durch einen Hang zum Utopischen aus, den sie mit der Gattung Märchen teilen. Somit ist der Glaube an Wunder im Vergleich zu früheren Epochen wohl nicht geringer geworden (vgl. Pöge-Alder 2011, S. 63), er hat sich möglicherweise lediglich auf andere Bereiche - wie etwa Teile der Finanzökonomie - verlagert. In einem Beitrag zum „Erzählen im ökonomischen Diskurs“ konstatiert Bernhard Kleeberg: „Ökonomisches Erzählen ist Erzählen von einer besseren Zukunft, es hat einen utopistischen Zug“ (Kleeberg 2009, S. 139). Jens Beckert konstatiert einen solchen utopistischen Zug auch im Hinblick auf die Hypothese der effizienten Märkte: „Rather than ‘being true’, traders act as if the efficient-market hypothesis were true. The theory is akin to utopian thought, emphasizing a gap between reality and the ideal“ (Beckert 2011, S. 230). Ganz in diesem Sinne stellt Stefan Neuhaus in seiner Studie zum Märchen fest, dass es eben dieses „Spannungsverhältnis von Realität und Wunderwelt ist, das auf einer metafiktionalen Ebene dem von Realität und Fiktion entspricht“ und damit in besonderem Maße den „Anforderungen der literarischen Moderne und Postmoderne gewachsen“ (Neuhaus 2005, S. 373) sei. Die auf die Zukunft ausgerichtete Erwartungshaltung, die im Allgemeinen mit dem Wunsch nach höherem Gewinn bzw. einer Statusverbesserung verbunden ist, 9 führt dazu, dass die Differenz zwischen Erwartung bzw. Wunschdenken und Realität in einem Kurzschluss der Vergegenwärtigung von Zukunft ausgeblendet wird. 10 So führt die Besessenheit von der Zukunft in ökonomischen Kommunikations- und Transaktionsprozessen zuweilen dazu, den fiktiven Status der imaginierten Zukunft auszublenden und diese vielmehr als (zukünftige) Realität zu begreifen. Anders als literarische Fiktionen, die sich mit dem Modus des Möglichen begnügen, sind ökonomische Fiktionen darauf angelegt, imaginierte in „wahrscheinliche Zukünfte“ (Vogl 2010/ 2011, S. 25) zu überführen, sprich: Erwartungen und Wünsche so zu behandeln, als sei es gewiss, dass diese Realität werden - obwohl man genau 9 Ähnliches gilt für das Happy End des Märchens, vgl. dazu Neuhaus (2005, S. 372) und Pöge- Alder (2011, S. 31). 10 „Mit Hilfe des Wunderbaren, das im Kern mit Animismus oder in seiner Inszenierung mit dem Begriffspaar Zauberei und Magie bezeichnet ist, können Wünsche ‘ausgeübt’ werden, die sonst durch Restriktionen der Alltagswelt verhindert würden […].“ Neuhaus (2005, S. 37). Stroh zu Gold spinnen 175 weiß, dass nicht einmal „eine korrekt berechnete Wahrscheinlichkeit auf die Zukunft eine Sicherheit bietet“ (Esposito 2007, S. 10). In diesem Punkt deckt sich das ökonomische Prinzip einer „gegenwärtig-reale[n] (Zukunfts-)Illusion“ (Schnaas 2010, S. 59; Hervorh. im Orig.) mit dem Anspruch des Märchens, „eine mächtigere, wesentlichere Wirklichkeit darzustellen“ (Lüthi 2004, S. 118). All dies deutet darauf hin, dass ökonomischen Narrativen eine besondere Form des Fiktionsvertrages zugrunde liegt. Dieser bewirkt nicht nur, dass der fiktionale Status des Dargestellten verschleiert bzw. nicht wahrgenommen wird, sondern wirkt dahingehend, dass nicht einmal überdeutliche Fiktionssignale - wie etwa Merkmale des Wunderbaren als Gattungsmerkmal des Märchens - als solche wahrgenommen werden. Dies führt u.a. dazu, dass Szenarien, die in anderen Kontexten dezidiert als unrealistisch, ja, gar als Lüge abgetan würden, in bestimmten (finanz-)ökonomischen Kontexten geglaubt werden. Insofern entspricht die Haltung ökonomischer Akteure der Logik der Märchenwelt, wo „Paradoxa […] so selbstverständlich sind, dass sie kaum mehr als solche empfunden werden“ (ebd., S. 26) bzw. „dass hier so selbstverständlich von Wundern und vom Wunderbaren die Rede ist, ohne dies irgendwie zu betonen, wie es etwa Sagen und Legenden tun“ (Rölleke, S. 509). Beispielhaft ist in diesem Kontext der Fall des Hamburger Hochstaplers Jürgen Harksen, der von den späten 1980er Jahren bis in die 90er Jahre hinein als „Geld-Guru“ „Rechtsanwälte, Bank- und Konzernvorstände, Steuerberater, Ärzte [und] Wirtschaftsprüfer [...] hinters Licht“ (Harksen/ Mailänder 2006, S. 16) führte. Als dieser Fall nach Harksens Auslieferung aus Südafrika im Februar 2003 vor dem Landgericht Hamburg verhandelt wurde, offenbarten sich die Schwierigkeiten, konkrete strafrechtliche Tatbestände zu ermitteln. Im Verlauf des Prozesses äußerte sich in den Zeugenaussagen der Geschädigten eben jenes Dilemma der Fiktionalität bestimmter finanzökonomischer Bereiche, insbesondere des Investment Banking: Wenn die Instrumente der Finanzwirtschaft zu einem großen Teil auf einem Fiktionsvertrag basieren, wie lassen sich diese dann vom Tatbestand der Täuschung und des Betrugs abgrenzen? Eben dies war das Problem im Fall Harksen: „Ob der Tatbestand der Täuschung, der ein unverzichtbares Element des Betrugs darstellt, bei meinem Geschäftsmodell gegeben war, galt während der Verhandlung als strittig“ (ebd., S. 291). Die Aussagen der Zeugen im Prozess bestätigten geradezu exemplarisch die Bedeutung des Storytelling für ökonomische Transaktionen und zugleich deren Problematik. Harksens Talent lag wohl hauptsächlich in seiner Fähigkeit, ein brillanter Geschichtenerzähler zu sein - und er war sich (im Gegensatz zu den meisten Ökonomen) der verschiedenen Gattungen bewusst, die er bediente. Seine Klientel schenkte sogar den unwahrscheinlichsten, sprich: wunderbarsten, Szenarien Glauben. Christine Künzel 176 Wer großes Geld bewegen will, braucht große Legenden, und die konnte ich liefern. Je märchenhafter die Legende, desto eher wurde sie mir geglaubt. Für meine Kunden gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder alles ist total erlogen, oder es kann nur wahr sein, gerade weil es so abenteuerlich klingt. Zudem gab mir die Absurdität meiner Geschichten eine kleine moralische Rechtfertigung: Wenn meine Kunden bereit waren, mir mehr oder weniger offenkundigen Unsinn zu glauben, dann mussten sie eben dafür büßen. (ebd., S. 109) Auf dieser Argumentation baute Harksens Verteidiger, der Hamburger Star- Anwalt Gerhard Strate, seine Verteidigung auf. Ein kurzer Auszug aus Harksens Rekonstruktion der Aussagen soll dies verdeutlichen. Auf die Frage des Richters: „Sie waren also überzeugt von den Geschichten von Herrn Harksen? Haben Sie schon mal Faktor 13 erlebt? “ erwiderte ein Vermögensberater: „Ich hielt das für möglich“ (ebd., S. 290). Die Zeugen wiederholten auf derartige Fragen immer wieder das Gleiche: „Es hätte plausibel geklungen, deshalb hätten sie es geglaubt“ (ebd.). Daraufhin konfrontierte Harksens Verteidiger die Zeugen mit folgender Deutung: Wenn Faktor 13 unrealistisch ist, kann keine Täuschung vorliegen, denn jeder muss wissen, dass 1300 Prozent genauso realistisch sind wie die 0 im Roulettespiel. [...] Herr Harksen sagte Ihnen, ich will Sie betrügen, und Sie haben es nicht geglaubt und ihm trotzdem Geld gegeben. Kann man das noch Betrug nennen? (ebd., S. 290ff.) Strate hätte ebenso gut argumentieren können: Herr Harksen hat Ihnen Märchen erzählt, und Sie haben diese Märchen geglaubt. Verurteilt wurde Harksen am Ende „wegen einfachen Betrugs“ - „[r]echtlich gesehen hätte ich auch einen Freispruch bekommen können“ (ebd., S. 292) -, das heißt er wurde wegen eines bloßen Vergehens, nicht wegen eines Verbrechens verurteilt. Einfach bedeutete in diesem Falle: „Betrug mit der Zunge“, sprich: mittels Geschichten, Fiktionen. Harksen war offenbar ein begnadeter „Märchenerzähler[ ] in der Wirtschaft“ (Posner-Landsch 2007, S. 19). Quelle Hans Christian Andersen: Des Kaisers neue Kleider, in: ders.: Gesammelte Märchen, Frankfurt a.M. 2005, S. 102-107. Literatur Akerlof, George A./ Shiller, Robert (2009): Animal Spirits. How Human Psychology Drives the Economy, and why it matters for Global Capitalism. Princeton. Beckert, Jens (2011): Imagined Futures. Fictionality in Economic Action. Max-Planck- Institut für Gesellschaftsforschung. Köln 2011(MPIfG Discussion Paper 11/ 8). Online unter: www.mpifg.de/ pu/ mpifg_dp/ dp11-8.pdf (letzter Zugriff: 22.3.2014). Stroh zu Gold spinnen 177 Bloch, Ernst [1959](1985): Bessere Luftschlösser in Jahrmarkt und Zirkus, in Märchen und Kolportage. In: Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. (= Werkausgabe 5). Frankfurt a.M., S. 409-415. Bonus, Holger (1990): Wertpapiere, Geld und Gold. Über das Unwirkliche in der Ökonomie. Granz u.a. Coleridge, Samuel T. (1983): Biographia Literaria or Biographical Sketches of My Literary Life and Opinions. Bd. 2. Hrsg. v. James Engell u. W. Jackson Bate. Princeton. [Originalausgabe 1817.] Drewermann, Eugen (2007): Von der Macht des Geldes oder Märchen der Ökonomie. 2. Aufl. Düsseldorf. Eco, Umberto (1994): Der Wald der Fiktionen. München/ Wien. Ehalt, Hubert Christian (2009): Kritik der lobpreisenden Monolge. Vorwort. In: Röggla, Kathrin (Hg.): Gespensterarbeit, Krisenmanagement und Weltmarktfiktion. (= Wiener Vorlesungen im Rathaus. Edition Gesellschaftskritik 6). Wien, S. 11-15. Esposito, Elena (2007): Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität. Frankfurt a.M. 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Betrachtungen zum literarischen Homo oeconomicus. Zürich. IRMTRAUD BEHR (PARIS) / MONIKA DANNERER (INNSBRUCK) NARRATIVE ELEMENTE IN ZEITUNGSTEXTEN ZU WIRTSCHAFTLICHEN KRISEN Abstract Zeitungsartikel mit wirtschaftlichem Inhalt sind nicht immer nach dem Textmuster „Bericht“ geschrieben, sie können auch erzähltechnische Elemente enthalten. Die Autorinnen untersuchen wirtschaftliche Krisenberichterstattungen aus deutschen, schweizerischen und österreichischen (Wochen-)Zeitungen; sie postulieren, dass Bericht und Erzählung nicht dichotomische Textmuster darstellen, sondern Pole einer Skala, auf der die konkreten Texte verortet werden können. Sie differenzieren vier Grade der Narrativität: nicht / schwach/ mittel/ stark narrativ. Es zeigt sich, dass der Anteil der schwach und mittel narrativen Texte zwischen 1973 und 2010-12 stark zunimmt. Außerdem werden die Positionen der Gesamtnarration „Krise“ ebenfalls je nach Untersuchungszeitraum bzw. Zeitung verschieden besetzt. Insgesamt dient der Einsatz narrativer Techniken dazu, durch eine textuelle Umsetzung der Krankheitsmetapher zunehmend abstraktere Prozesse zu veranschaulichen. 1. Einleitung und Fragestellung Narration und Information - Erzählen und Berichten - scheinen sich vordergründig auszuschließen, dies macht es interessant, sich mit narrativen Elementen in Zeitungstexten zu beschäftigen, gleichzeitig ist es dadurch aber auch nötig, diese Spannung eingangs näher zu erläutern. Das Erzählen dient - v.a. in homileïschen Kontexten - der Unterhaltung, der Verarbeitung persönlicher Erfahrungen oder auch der Konstruktion von Identität. Subjektivität, das erzählwürdige Ereignis, der Aufbau von Spannung etc. gelten als zentrale Eigenschaften von Erzählungen, sobald man über die Minimaldefinition von Labov/ Waletzky (1967/ 1997, S. 21) hinausgeht, die die Temporalität betont, welche die Entwicklung und ggf. Transformation von Situationen und Sachverhalten bedingt. Journalisten informieren über Tatsachen, Sachverhalte, Handlungen mit Tätern und Opfern, Zielen und Zwecken. Sie informieren über Ereignisse, die zeitlich und örtlich verankert sind. Die Berichterstattung erfolgt in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen, in mehr oder weniger konstanten Formaten. Als Ereignisse gelten sowohl Zustände als auch Vorgänge und Handlungen. Während Vorgänge und Handlungen eine Abfolge aufweisen und sich kettenbildend aneinander anschließen können, verfügen Zustände nicht über eine interne Zeitlichkeit im Sinne einer Veränderung. Die journalistische Berichterstattung kann sich den Ereignissen auf mehrere Arten nähern: gerafft, Irmtraud Behr / Monika Dannerer 180 kondensiert oder aber ausführlich, detaillierend. Es besteht die Möglichkeit, mehrere Berichte über ein Ereignis oder eine Ereigniskette zu bringen und somit die Entwicklung von politischen, sozialen, wirtschaftlichen Situationen zu begleiten. In unserem Beitrag wollen wir der Frage nachgehen, ob und weshalb gerade wirtschaftliche Prozesse oder Ereignisse narrativ dargestellt werden (können). Welche Funktionen erfüllt das Erzählen, welche Differenzqualität kann im Verhältnis zum Berichten erzielt werden? Und gibt es in der Wirtschaft besondere Ereignisse, die sich vielleicht sogar besser erzählen als berichten lassen (z.B. die Unternehmensgeschichten 1 )? Für welche Zielgruppe (z.B. Fachleute/ Nichtfachleute) gilt dies? Der Beitrag stützt sich auf Texte aus Tages- und Wochenzeitungen. Neben der Analyse der grundlegenden Funktionen des Erzählens in Pressetexten über wirtschaftliche (Krisen-)Ereignisse und der Frage nach den vordringlichen Adressaten wird in der Analyse herausgearbeitet, welche sprachlichen Mittel des Erzählens in Berichten und Kommentaren auftreten, aber auch, welche Ausschnitte aus ökonomischen Vorgängen bzw. Ereignissen und Entwicklungen erzählt, welche berichtet werden und wie solche Mischungen in einzelnen Texten realisiert werden. Da das Datenkorpus diachron angelegt ist, soll es auch Aufschluss darüber gewähren, ob es Hinweise für eine Zunahme oder für eine qualitative Veränderung des Erzählens in Pressetexten gibt. 1 Bekannt sind Erzählungen im ökonomischen Kontext etwa aus der Managementliteratur, wo Mythen über Unternehmen narrativ geschaffen oder gefestigt werden (vgl. z.B. den Film „The Social Network“ (2010) über den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder die Filme über den Apple-Gründer Steve Jobs - „Jobs“ (2013) von J. M. Stern und „Steve Jobs“ (2015) von D. Boyle). Letztlich handelt es sich dabei immer um Siegergeschichten, die verbreitet werden sollen, und für die gilt: Je größer die Hindernisse sind, die ein Sieger zuvor überwinden muss, desto strahlender steht er danach da. Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 181 2. Aspekte des medialen Erzählens über Krisen 2.1 Erzählen und Wirtschaft Die Diskurse über Wirtschaft sind vielfältig: normativ, argumentativ, deskriptiv, programmatisch, historisch, didaktisch … und eben auch narrativ. Die konkreten Texte können Züge von mehreren Diskursarten tragen. Die Wirtschaft, auch Ökonomie genannt, besteht aus Einrichtungen, Maschinen und Personen, die Angebot und Nachfrage generieren und regulieren. (http: / / wirtschaftslexikon.gabler.de/ Definition/ wirtschaft.html) In dieser Definition sind bereits einige Faktoren genannt, die einen narrativen Zugang zur Wirtschaft erlauben: es gibt Akteure (Personen, Einrichtungen), Handlungen (generieren, regulieren), Interaktion (Angebot und Nachfrage) und Werkzeuge (Maschinen). Ergänzt werden müssten - sie fehlen möglicherweise nicht von ungefähr - Intentionen, Ziele/ Zwecke und Betroffene. 2.2 Erzählen und (Wirtschafts-)Krise(n) Krisen sind Transformationen von Situationen, sie sind Zeichen und Zeiten der Instabilität, „schwierige Situation[en], die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstell[en]“ (Duden DWDS, 1978, S. 1586). Sie haben stark aktionale und temporale Aspekte. Krisen sind Bestandteil des wirtschaftlichen Lebens, des Lebens schlechthin. Wir alle haben Erfahrungen mit ökonomischen Krisen, die zu gesellschaftlichen Krisen werden können. Als Wirtschaftskrise wird eine Phase des Wirtschaftslebens bezeichnet, in der sich das Wachstum der Wirtschaft negativ entwickelt. Dies kann eine einzelne Volkswirtschaft betreffen, aber auch Auswirkungen auf andere Volkswirtschaften haben, oder sich sogar zu einer Weltwirtschaftskrise ausweiten. Information über die Wirtschaftsentwicklung ist also immer auch Information über die mögliche eigene Betroffenheit. Zeitungen und Zeitschriften sind voll von Texten über Krisen. Es gibt kurze und ausführliche Berichte, Reportagen und Grundsatzartikel, Artikelserien, Stellungnahmen von Experten usw. Zu den Faktoren, die die Art und Weise der Berichterstattung bestimmen, zählen der Neuigkeitswert der Informationen, das angesprochene Publikum und die Verstehensarbeit, die der Leser leisten muss. Mit dem Erzählen erfolgt eine Konstitution von Wissen, zumeist bedarf es einer Reihe von Artikeln, um den Verlauf einer Krise darzustellen. Um eine Krise als Krise zu erkennen, muss laut Nünning einer Reihe von Ereignissen und Vorfällen kollektiv ein hohes Maß an Relevanz, eine große Tragweite zuerkannt werden (Nünning 2013, S. 122). Zeitungen und Zeit- Irmtraud Behr / Monika Dannerer 182 schriften sind Teil des öffentlichen Diskurses, der Krisenhaftigkeit festzustellen vermag. Eine Krise ist kein isoliertes Ereignis, sondern eine Entwicklung. Eine Vielzahl von Handlungen, Zustandsveränderungen, Ereignissen steht in einem dynamischen Zusammenhang, der sich in einer oder in mehreren Hinsichten auf einen Entscheidungspunkt hin entwickelt, also auf einen kritischen Punkt hin, an dem sich entscheidet, wie sich der weitere Verlauf der Ereignisse gestaltet - anders gesagt, ob das Ganze glücklich enden wird oder nicht. 2 Die Sammlung von Einzelereignissen zu einer Krisenerzählung hat die Funktion, sie als solche in ihren kulturellen und ideologischen Aspekten sichtbar, erfahrbar und bearbeitbar zu machen. Nünning zeigt, dass die Existenz und Erfahrung von Krisen durch vier Momente geprägt ist: Diskursivität (d.h. semiotische und besonders sprachliche Repräsentation), Konstruktivität (auf der Ebene der Erzählmuster und auf der Ebene der Begriffsbildung), Narrativität (d.h. musterhafte Versprachlichung in Form von Erzählungen 3 ) und Perspektivengebundenheit (auf der Ebene der Auswahl der relevanten Elemente und auf der Ebene der Gestaltgebung) (Nünning 2013, S. 130). Zentral ist für Nünning die „Latenzperiode“, in der eine wichtige Entscheidung bevorsteht - ein „Element der Unentschiedenheit“, eine schwierige Situation, eine bedrohliche Zuspitzung von Schwierigkeiten: Krisen sind […] insofern eine sehr spezielle Form von Ereignis bzw. eigentlich von Nicht-Ereignis, als sie genau jenen Wendepunkt markieren, an dem eine Entscheidung über den Fortgang der Entwicklung oder Handlung ansteht. (Nünning 2013, S. 124) In dieser Art von Latenzperiode kommt es zu einer „Suspendierung von Ereignishaftigkeit“, bei der ein Wandel bevorsteht, sich aber noch nicht vollzogen hat. Um mit Brown zu sprechen: „‘At the turning point an old order is lost and a new one has yet to arrive’“ (Brown 1997, S. 8; zit. n. Nünning 2013, S. 124). Die Bezeichnung von Ereignissen/ Veränderungen als Krisen erlaubt einen Rückgriff auf „kulturell verfügbare (Krisen-)Plots“ (Nünning 2013, S. 128). Sie werden dadurch beeinflusst, dass es sich bei der Rede von einer Krise auch 2 So z.B. der Artikelanfang: „Vielleicht kommt ja alles wieder ins Lot: Griechenland verzichtet auf das Referendum, die einschneidenden Reformen im Land gehen weiter, das Euro-Rettungspaket wird wie geplant nach Athen geschickt. Aber die Situation ist nicht ausgestanden.“ (Zeit-online wirtschaft, 4.11.2011, Die Kosten der Drachme.) 3 Das Erzählen spielt im Kontext von Krisendarstellungen eine ganz besonders zentrale Rolle: „Situationen, die als ‘Krise’ wahrgenommen werden, sind solche, die ‘geradezu zum Erzählen dränge[n], zum Erfinden von kohärenten, sinn- und identitätsstiftenden Geschichten, Modellen und Versuchsanordnungen‘“ (Hielscher 2001, S. 314; zit. n. Nünning 2013, S. 136). Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 183 um die Verwendung einer Metapher handelt 4 - die „krisis“ ist in der antiken Medizin der Zeitpunkt, zu dem es sich entscheidet, ob ein Patient wieder gesund wird oder ob er stirbt. Wenn die Gesamtnarration „Krise“ mit der „Krankeitsmetapher“ erfasst wird, sind folgende Elemente relevant: Ein Patient bzw. krisenbetroffener Organismus zeigt Krankheitssymptome bzw. Aspekte eines Krisenzustands, die von einem Diagnostiker (Arzt, Beobachter) mittels einer Anamnese (Ermittlung der Vorgeschichte) diagnostiziert werden (Art und Beschaffenheit des Kranken, Zustand des Kranken). Der Therapeut, der mit dem Arzt oder Beobachter identisch sein kann, bestimmt eine Therapie. Mit der Krisennarration sind gleichzeitig immer auch bestimmte Konnotationen verbunden, wie „Bedrohung, Unruhe und Gefahr sowie Angst, Beängstigung, Furcht und Sorge“ (Nünning 2013, S. 132f.) Die „Krankheit“ kann zu Genesung bzw. Aufschwung führen oder auch zu Tod oder Untergang (von Individuen, Staaten, Unternehmen etc.). Varianten des Weiterwurstelns und Aussitzens führen in der Regel zur Verschärfung und Verfestigung der Krise (ebd., S. 134). Wird ein Ereignis als „Krise“ bezeichnet - und dies ist in der medialen Berichterstattung nicht selten -, so weckt dies zum einen die Aufmerksamkeit der Rezipienten, es erlaubt aber auch den Agierenden (Politikern), sich als Ärzte, Experten und Krisenmanager zu stilisieren, die über Diagnose- und Therapiekompetenz verfügen, und es appelliert durch das Evozieren des Gefühls einer kollektiven Bedrohung und Gefahr an die „Compliance“ der direkt und indirekt Betroffenen (ebd., S. 136-141) und erhöht ihre Bereitschaft, auch unpopuläre Maßnahmen als notwendig hinzunehmen. 2.3 Erzählen in der Zeitung Martínez/ Scheffel (2000, S. 9) unterscheiden faktuales und fiktionales Erzählen. Ist jede Erzählung ein Versprachlichen eines zeitlich vorausliegenden erzählwürdigen Vorgangs, so lassen sich doch verschiedene Arten unterscheiden. Ein zentraler Unterschied besteht in Hinsicht auf Realitätscharakter und Redesituation. Der Realitätscharakter betrifft die erzählten Ereignisse, die real oder erfunden sein können. Die Redesituation ihrerseits kann eine alltägliche oder eine dichterische sein. Faktuales Erzählen liegt vor, wenn in einer nicht-dichterischen Erzählsituation über reale Vorgänge berichtet wird. Es ist Teil einer realen Kommunikation. Demgegenüber sind die dichterischen Erzählungen fiktional; auch wenn 4 Metaphern sind in diesem Sinne „Erzählungen, die sich als Einzelwort maskieren“ (Konersmann 2008, S. 17, zit. n. Nünning 2013, S. 131). Irmtraud Behr / Monika Dannerer 184 sie in einem empirisch-wirklichen Geschehen wurzeln, haben sie keinen Anspruch auf unmittelbare Referenzialisierbarkeit (ebd., S. 13). Fiktionalität ist kontextuell über spezifische Verfahren der Repräsentation markiert, vor allem durch literarische Erzähltechniken (Martínez 2009, 190). Fiktionale Texte gehören also nicht nur der realen, sondern darüber hinaus auch einer zweiten, imaginären Kommunikationssituation an. Jeder Zeitungstext ist nach Blöbaum das Ergebnis einer „aktuellen Selektion und Vermittlung von Informationen“ (Blöbaum 1994, S. 261, zit. n. Martínez 2009, S. 179). Dabei führen Faktoren wie Aktualitätsgrad und Textgestaltung zur Konstitution von verschiedenen journalistischen Textsorten, wie Nachricht, Bericht, Reportage (Martínez 2009, S. 180; Burger 2005, S. 205-224), die in einer Art „Narrativitätshierarchie“ stehen. Die Reportage ist die Textsorte mit dem höchsten Anteil an erzählenden Elementen; sie soll dem Leser ein Ereignis vermitteln, gleichzeitig aber auch das Erleben des Ereignisses erlauben, wobei der Reporter die Perspektive des teilnehmenden Beobachters einnimmt. Martinez stellt die Hypothese auf, dass die rasch zunehmende Bedeutung des Internets für die Verbreitung aktueller Nachrichten dazu führen [könnte], dass im Printjournalismus der Aktualitätsgrad der Meldungen unwichtiger wird und man sich dort stattdessen mehr auf umfangreichere Berichte und Reportagen konzentriert. Die Bedeutung des Erzählens und die Vielfalt der Erzählformen würden dann eher zuals abnehmen. (Mart í nez 2009, S. 190-191) Demnach könnten auch Berichte literarische Erzähltechniken aufnehmen. Wie groß darf der Anteil von erzählenden Elementen im Sinne von literarischen Erzähltechniken sein, um den faktualen Geltungsanspruch nicht in Frage zu stellen? Dadurch, dass die Narration nicht das übliche Vertextungsmuster in Zeitungen darstellt, erhebt sich weiters die Frage, wer in den Artikeln was - welche Ausschnitte aus einer Folge von Ereignissen und Handlungen - erzählt, wie Berichten und Erzählen miteinander verbunden werden, an welchen Stellen eines Berichtes narrative Elemente eingefügt werden und an wen er sich mit dieser Erzählung wendet, d.h. an welches Segment innerhalb des Kreises der Zeitungsleser. Damit wollen wir auch die Frage nach den Funktionen des Erzählens im Rahmen von Berichten (und Kommentaren) noch einmal stellen. Zunächst aber gilt es, Überlegungen zur Textsorte bzw. zur sprachlichen Handlung des Erzählens im Unterschied zum Berichten anzustellen. Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 185 2.4 Erzählen - Berichten Die Vertextungsverfahren, die bei der Herstellung von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln verwendet werden, orientieren sich an verschiedenen Mustern, die durch die Dichotomie „Berichten - Erzählen“ erfasst werden können. Konrad Ehlich (2007, III, S. 371-393) unterscheidet in der Semantik des Verbs „erzählen“ zwei Bedeutungen. „Erzählen 1 “ meint ganz allgemein eine sprachliche Handlung, mit der ein Sprecher/ Schreiber einen Hörer/ Leser über ein Geschehen informiert, also Wissen teilt. Synonyme, die zugleich auf bestimmte Ausformungen der Informationsvermittlung abzielen, sind z.B. „Schildern“, „Berichten“, „Darstellen“. „Erzählen 2 “ meint hingegen prototypisch eine besondere Art der Darstellung, nämlich die Wiedergabe von Geschehen, das die Partizipation an einer gemeinsamen Welt ermöglichen soll (ebd., S. 382). Sowohl mit Erzählen 1 als auch mit Erzählen 2 produziert ein Sprecher Geschichten von konstruiertem Geschehen, die beiden Formen stellen keine Dichotomie dar, sondern sind eher als Pole aufzufassen. Wesentlich für Erzählen 2 ist das Unerwartete, das im Erzählen umgesetzt wird (ebd., S. 383). Erzählen 2 ist also Erzählen im engeren Sinne, das über die reine Abfolge von Geschehnissen hinaus das Moment des Überraschenden, Erzählwürdigen enthält und mit spezifischen Mitteln repräsentiert (vgl. z.B. Quasthoff 1980, 1987; Gülich/ Hausendorf 2000). Zumal das Erzählen 1 auch das Berichten umfasst, können nicht nur Erzählen 1 und Erzählen 2 als Pole aufgefasst werden, sondern auch Bericht und Erzählung (im Sinne von Erzählen 2 ). Konkrete Texte können also Merkmale der beiden Textmuster aufweisen. Die folgenden konstitutiven Faktoren können als zentrale Unterschiede in der Vertextung aufgefasst werden, die die Polarität Bericht - Erzählen deutlich machen. 5 1) Sachverhalt: Bei der Darstellung des wiedergegebenen Sachverhalts steht im Bericht die Entstehung eines Tatbestandes, die Feststellung eines Vorgangs bzw. Resultats im Vordergrund. Demgegenüber bevorzugt die Erzählung die Komplikationshandlung, den Geschehensablauf und deren (überraschende) Auflösung/ Wende. 2) Rolle des Sprechers: Bei einem Bericht tritt der Berichtende in den Hintergrund, er ist auswechselbar. Hingegen ist für eine Erzählung von zentraler Bedeutung, WER etwas WIE erzählt - dazu gehören nicht nur Formen der stilistischen Gestaltung von Erzählungen, sondern auch Bewertungshandlungen, die explizit oder implizit vorgenommen werden. 5 Differenzierungen synoptisch zusammengestellt nach Hoffmann (1984), Ludwig (1984), Rehbein (1984). S.a. Grießhaber (2002-2006). Irmtraud Behr / Monika Dannerer 186 3) Organisation des Wissens im Diskurs: Beim Bericht geschieht die Rekonstruktion des Vorgangs von einer gleichbleibenden Origo aus. Der Hörer/ Leser gewinnt verwertbares Wissen über den Vorgang, er kann sein eigenes Handeln danach ausrichten. Die Erzählung hingegen kombiniert Versetzung in eine fiktive Welt, Szenik und perspektivisch wechselnde Darstellung. Sie „transpositioniert“ den Hörer/ Leser in Anteilnahme, Erstaunen, Freude, er soll aus der „Lehre“ ggf. Erkenntnisse ziehen können. 4) Relevanz: Der Bericht beansprucht generelle Relevanz, die der entsprechenden Selektion der Elemente entspricht, es kommt zu keiner Steigerung oder Gewichtung einzelner Elemente. Die Erzählung hingegen stellt die besonders zu bewertende Handlung heraus, sie vermittelt den Relevanzpunkt durch spezifische erzählerische Mittel (z.B. Kontrastierung, Steigerung, Tempuswechsel, direkte Rede) und Kommentierung. 5) Sprachliche Mittel: Der Bericht enthält sprechaktbezeichnende Verben, Passivformen, argumentative Konnektoren, indirekte Rede und Redezitate, die Aktanten sind häufig nicht als Individuen, sondern als „Funktionsträger“ von Bedeutung. Dahingegen zeichnet sich die Erzählung durch szenisches Sprechen, direkte Rede mit dem Architerm „sagen“ und erzählendes/ historisches Präsens aus. Sie weist einen hohen Detaillierungsgrad auf, Ankündigungen und einen text- und geschichtsschließenden Abschluss. 6) Typische textuelle Mittel: Der prototypische Bericht stellt eine abstrahierende Reduktion komplexer Vorgänge dar. Er fixiert relevante Daten und spart unwichtige Details aus. Um diese resümierende Darstellung von Ereignissen verstehen zu können, muss der Leser über institutionsbezogenes Wissen verfügen. Demgegenüber bringt die Erzählung Ereignisse perspektiviert in Zusammenhang, der Sprecher bringt sich ein. Der Wahrheitsanspruch erstreckt sich auch auf die Perspektive der Präsentation, die Ereignisse werden bewertet. 7) Zweck (funktionale Einbettung): Bericht und Erzählung unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Funktionalisierung in anderen Text- oder Diskursformen. Der Bericht dient dazu, entscheidungsrelevante Formulierungen aus oder für Institutionen zu liefern, seine Funktion ist es, komplexe Sachverhalte mit Ereignisstruktur zu speichern und übertragbar zu machen. Die Erzählung hingegen dient der Homileïk, der Unterhaltung (Ehlich 1983); sie ist sprecherbezogen und erfüllt damit eine Funktion für den Identititätsgewinn (je nach Erzählung für den Erzähler und/ oder den Leser); Erzählungen können in/ für andere(n) Muster(n) funktionalisiert werden. Genau diese Möglichkeit, Erzählungen (im Sinne von Erzählen 2 ) oder erzählerische Elemente in andere Texte oder Diskurse zu integrieren, soll im Zuge der Datenanalyse genauer betrachtet werden: (Wie) kommen unterhalb der Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 187 Ebene der Makroerzählung „Wirtschaftskrise“ in den einzelnen Texten über Teilereignisse ihrerseits Elemente von Erzählen 2 bzw. literarische Erzähltechniken zur Verwendung? 3. Datenkorpus Um den Anteil von narrativen Elementen an Zeitungsartikeln zu ermitteln, wurde ein relativ umfangreiches Textkorpus an Berichten zusammengestellt. M. Dannerer konstituierte ein Korpus von insgesamt 385 Artikeln aus österreichischen und Schweizer Tageszeitungen, die über zwei größere Krisen berichten: 152 Texte aus den „Salzburger Nachrichten“ (SN), 138 Texte aus „Die Presse“ und 95 Texte aus „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ). Davon entfallen 265 Texte auf die „Erdölkrise“ des Jahres 1973 (99 aus den SN, 87 Presse, 79 NZZ), und 120 auf die „Griechenlandkrise“ in den Jahren 2010-2012 (davon 52 SN, 51 Presse, 16 NZZ). 6 I. Behr stellte ein Korpus von rund 300 Artikeln zum Thema „Griechenland- Paket“ aus Zeit-online wirtschaft zusammen, die aus den Jahren 2010-2013 stammen. In dem Gesamtkorpus sind also Texte aus den drei deutschsprachigen Ländern vertreten. Bei den Krisen handelt es sich um globale bzw. europäische Krisen, die die enge Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Ereignisse und Entscheidungen zeigen. War die Ölkrise durch eine politische Krise ausgelöst worden, stand bei der Griechenlandkrise zuerst die ökonomische Krise im Vordergrund, die auch zu einer politischen geführt hat/ führt. Die hier untersuchten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sind Teil der diskursiven Konstitution und Bewältigung dieser Krisen. Sie geben in regelmäßigen Abständen Bericht über Ereignisse, die für die Entwicklung der jeweiligen Krise als relevant angesehen werden. Die einzelnen Teilereignisse erlangen so eine temporale und inhaltliche Abgeschlossenheit, auch wenn die Entwicklung der Gesamtnarration zum jeweiligen Zeitpunkt durchaus noch offen sein kann. Jeder Text über eines der Teilereignisse ist das Ergebnis von Strukturierungs- und Erzählverfahren. 6 Für die Zusammenstellung und Aufbereitung der Textkorpora von M. Dannerer sei an dieser Stelle Corina Wurzrainer und Sebastian Meier nachdrücklich gedankt. Irmtraud Behr / Monika Dannerer 188 4. Analyse - Graduierung und Entwicklung 4.1 Grade der Narrativität Fasst man Bericht und Erzählung nicht dichotom, sondern polar auf, gilt es, eine Skala zu beschreiben, auf der die Texte eingeordnet werden können. Der Anteil narrativer Elemente variiert von Text zu Text. Der Schreiber kann seinen Text rein berichtend verfassen, oder aber mehrere der o.g. Techniken anwenden. Die Texte können damit auf einer Skala verortet werden, die von „nicht narrativ“ bis „stark narrativ“ reicht. 7 Als „nicht narrativ“ werden Texte angesehen, die keine aktualisierenden narrativen Elemente im Sinne von Punkt 3-5 (s.o.) enthalten. Solche Texte stellen die größte Gruppe dar. Text (a) „Die Erdölkrise und die italienischen Automobilexporte“ (NZZ, 21.11.1973) 8 ist lediglich über das Erscheinungsdatum aktualisiert und auf den anvisierten Lesezeitpunkt perspektiviert. Der Text entspricht den Merkmalen, die für den Bericht genannt wurden: Der Sachverhalt wird argumentativ dargestellt, wobei der Berichtende im Hintergrund bleibt, in indirekter Rede werden die Positionen von Funktionsträgern wiedergegeben. Als „schwach narrativ“ werden Texte angesehen, die über die reine Sachverhaltsdarstellung hinaus unerwartete Details geben und auf diese Weise dem Leser punktuell Personen oder Vorgänge näherbringen. In Text (b) „Folgen der Erdölkrise“ (NZZ, 2.12.1973; vgl. Anhang) wird das Prädikat „problematisch werden“ illustriert: „[…] infolge der Treibstoffdrosselung der Tankstellen […] durch die Erdölraffinerien ist für die Automobilfahrer das Benzintanken problematisch geworden. Längs der Autobahnen liegen unzählige Lastwagen still, denen der Treibstoff ausgegangen ist […]“. Solche Detaillierungen werden allerdings lediglich sparsam eingesetzt. Als „mittel narrativ“ können Texte angesehen werden, die über Detaillierungen hinaus noch andere narrative Merkmale aufweisen. In Text (c) „Brandts Treffen mit Pompidou im Zeichen der Nahostkrise“ (NZZ, 29.11.1973; vgl. Anhang) sind längere Strecken narrativ gehalten. Der Journalist dramatisiert das Gespräch zwischen dem deutschen Bundeskanzler und dem französischen Staatspräsidenten mittels zweier Verfahren. Er stellt die Protagonisten 7 Wichtig ist festzuhalten, dass hier eine textlinguistische, keine semantische Perspektive vertreten wird. Die narrative Qualität von Metaphern ist nicht das Thema dieses Aufsatzes. So wird z.B. der folgende Artikelanfang nicht als narrativ eingestuft: „Die Konjunkturlokomotive Deutschland zieht Staaten wie Österreich auch 2012 mit und rettet ihnen ein schwaches Plus in der Wirtschaftsleistung.“ (SN 2012: Schuldenkrise bremst die Wirtschaftskraft) 8 Vgl. Anhang. Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 189 Brandt und Pompidou heraus und er lässt diverse Personen sprechen, am liebsten mit Lokalkolorit: Es war Brandt, der es aufbrachte, und Pompidou war der Mann, an den er im Namen der Solidarität appellierte, denn Frankreich wiegt sich einstweilen noch […] in der Gewißheit, daß ihm von den erdölproduzierenden Arabern […] eine Vorzugsstellung eingeräumt werde, die jeder Taxichauffeur in Paris […] mit dem entwaffnenden Schlußargument nachweist -‚et c’est moi qui vous le dis‘ Darüber hinaus entwickelt der Text ein Bedrohungsszenario und enthält explizit bewertende Elemente: Und die Ölscheichs sind innerhalb der Stadtmauern […] und sich dabei nicht scheuen, den Erdölkonsumländern die extremsten Forderungen zu stellen […] Den Vogel schoss in diesem Punkte […] Ghadhafi, der hitzig-fanatische ‘Kalif von Tripolis’ ab […]. Als „stark narrativ“ werden Texte angesehen, die sowohl vergegenwärtigende, als auch bewertende und emotionsweckende Elemente enthalten (Text d). Der Artikel „Der erste autofreie Sonntag“ (NZZ, 26.11.1973; vgl. Anhang) erfüllt alle Bedingungen. Er ist von zwei Photos eingerahmt, die die beiden Seiten des Problems illustrieren: einerseits endlose Autoschlangen, andererseits Radfahrer vor einer Großstadtkulisse. Die Fotos korrelieren mit dem Szenario, das im Text entworfen wird: Mehr oder weniger verwaiste Autobahnen und das übrige Straßennetz als Tummelplatz zahlreicher Vélofahrer, Fußgänger oder Reiter - so präsentierten sich am Sonntag gegen 10 Uhr die sonst an einem sonnigen Sonntag vormittag stark befahrenen Verbindungswege des Kantons Zürich. […] Auf zahlreichen Straßen tummelten sich Radfahrer jeden Alters, Spaziergänger mit und ohne Rucksäcke, mit und ohne Kinderwagen. Ganze Familien oder auch Einzelgänger genossen es sichtlich, sich einmal ungehindert auf der Straße bewegen und reinere Luft als sonst einatmen zu können. Die Befindlichkeit der betroffenen Autofahrer und besonders der Radfahrer wird als „Gelassenheit, Behagen, Gleichmut“ beschrieben, das Ereignis wird in seiner zeitlichen Strukturierung dargestellt: Dann verebbte der kurzfristig dichte Fahrzeugstrom, und die Beamten hatten wieder Zeit zum Plaudern. Die kommentierenden Ausdrücke dienen hauptsächlich dazu, die von vielen als wohltuend empfundene Einmaligkeit der Situation herauszustellen. Irmtraud Behr / Monika Dannerer 190 4.2 Quantitative Entwicklung Die Artikel des österreichischen und Schweizer Pressekorpus zur Ölkrise und Nahostkrise 1973 sowie zur Griechenlandkrise 2010-2012 wurden daraufhin untersucht, wie viele „narrative“ Elemente sie enthalten (vgl. Abb. 1). 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% NZZ 1973 Pres 197 sse 73 SN 1973 NZZ 2010 Presse 2010-12 SN 2010- -12 nicht schwa mittel stark narrativ ach Abb. 1: Prozentanteil narrativer Zeitungstexte nach Grad der Narrativität Es stellt sich heraus, dass der Anteil der schwach bis stark narrativen Texte zunimmt. Für die NZZ verdoppelt sich der Anteil von ca. 12% 1973 auf 25% 2010. Für die Presse liegt der Anteil schwach bis stark narrativer Texte 1973 bei knapp 20%, für den Zeitraum 2010-12 bei 35%. Die SN zeigen mit einer Verdreifachung der Werte den höchsten Anstieg, von knapp 15% 1973 auf 45% für den Zeitraum 2010-12. Das Wachstum geht zumeist auf eine Zunahme der schwach narrativen Texte zurück, nur die NZZ und die Presse verzeichnen einen klaren Anstieg der mittel narrativen Texte. Von den 300 Artikeln aus Zeit-online wirtschaft 2010-13 können 30 als „mittel narrativ“ eingestuft werden, der Anteil ist also relativ gering und liegt etwas unter dem für die österreichischen Artikel. Ein Vergleichskorpus zu 1973 liegt nicht vor. 4.3 Platzierung und Funktion der narrativen Elemente Narrative Elemente im o.g. Sinn finden sich insgesamt selten. Wenn sie auftreten, dann stehen sie häufig am Artikelanfang, vor allem als schildernde Detaillierung einer Ausgangssituation: nicht narrativ schwach mittel stark NZZ Presse SN NZZ Presse SN 1973 1973 1973 2010 2010-12 2010-12 Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 191 Es ist ein würdiger Rahmen. Kerzen flackern, Weihrauchduft durchzieht den Raum. Auf einem kleinen Altar liegt ein in Gold eingebundenes Evangelium. Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou ist mit seiner neuen Regierung ins Palais des Staatspräsidenten gekommen. Dort legt das Kabinett vor dem Athener Erzbischof Ironymus II. den Amsteid ab. (Zeit-online wirtschaft, 17.6.2011, Papandreous letztes Aufgebot) Sie können aber auch über den ganzen Text verstreut auftreten. 9 Im Artikel vom 11.8.2011 (Text e), finden sich narrative Elemente in der Überschrift („Retten, retten, retten“) sowie im Lead 10 . Der Textanfang ist ebenfalls narrativ gehalten. 11 In den berichtenden Teilen werden hier und da ausmalende Details gegeben. 12 Das Foto trägt seinerseits dazu bei, Emotionen zu wecken. Irmtraud Behr & Monika Dannerer 18 Text e: Zeit-online wirtschaft, 11.8.2011 9 Die Abbildung von Text (e) signalisiert durch Einrahmung die Platzierungen der narrativen Elemente. 10 „Die Weltwirtschaft steht wieder mal am Abgrund. Das ist aber kein Grund zur Panik - sondern einer zur entschlossenen Reaktion.“ 11 „Die Krise ist so groß, dass die Deutschen jetzt Gold in kleinen Stücken kaufen. Das lässt sich leichter von der Bank nach Hause tragen. Es lässt sich einfacher unters Kopfkissen schieben oder zwischen die Nachtwäsche im Kleiderschrank. Gold in kleinen Stücken zu haben vermittelt ein glänzendes Gefühl der Sicherheit, wenn draußen der Sturm tobt. Und der tobt gewaltig.“ 12 „Rund um den Globus brechen zum Wochenbeginn mit atemberaubender Geschwindigkeit die Aktienmärkte ein.“ Irmtraud Behr / Monika Dannerer 192 4.4 Versetzung in einen realen/ typisierten Raum Die Artikel aus Zeit-online wirtschaft teilen sich in solche mit und ohne direkten Aktualitätsbezug. In Zeit-online wirtschaft-Artikeln mit geringerem Aktualitätsbezug wird der Leser in typisierte Vorstellungsräume versetzt. Dazu werden eine oder mehrere Identifikationsfiguren angeboten: prototypische Vertreter der griechischen Gesellschaft werden vorgestellt, ihre soziale Stellung, die Lebensbedingungen und die Atmosphäre werden geschildert. Die Personen kommen in direkter oder indirekter Rede zu Wort; aus ihrer Grundhaltung, ihrer Einschätzung der Lage lassen sich Perspektiven ablesen. Neben diesen Identifizierung hervorrufenden Elementen werden eher berichthaft Hintergrundinformationen zur allgemeinen Krise und zur Evolution der Einzelschicksale gegeben. Sie wohnt nicht weit entfernt von den Jachten der reichen Griechen am Ägäischen Meer. Sie geht hier manchmal spazieren und staunt über die vierstöckigen schwimmenden Paläste derer, die ihre Konten im Ausland haben und immer gerade nicht an Bord sind, wenn der Steuereintreiber vorbeikommt. Im Gegensatz zu diesen Privilegierten hat sie nur einen einzigen Pass und verfügt über keinerlei Ausreiseoption. […] Somit entspricht sie also nicht dem Bild, das Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche von den Griechen entwarf. (Zeit-online wirtschaft, 26.5.2011, Protestieren, durchhalten, weitermachen) Die weitaus größte Zahl der Zeit-online wirtschaft-Artikel hat einen hohen Aktualitätsbezug. Durch narrative Elemente wird der Leser in absente reale Vorstellungsräume versetzt. Politisch wichtige Ereignisse werden über die Politiker, Banker, Experten, über Details zum Zeitpunkt, zu den Örtlichkeiten und ggf. zur Stimmung des Ereignisses vergegenwärtigt. Kausale und temporale Beziehungen zwischen den Ereignissen werden als unerwartet dargestellt, was eine gewisse Spannung aufbaut; Stimmung und Begleitereignisse stellen also einen Teil der Information dar. Die zentralen Fakten werden dagegen im Berichtsmodus gegeben. „Dann schreiben Sie es doch rein“, ruft SPD-Chef Sigmar Gabriel der FDP im Deutschen Bundestag zu. Und Guido Westerwelle tut es. Jetzt müssen die Liberalen erklären, warum sie, die Steuersenkungspartei, plötzlich für eine zusätzliche Steuer auf die Gewinne der Banken sind. Worum geht es? Am Freitag hat der Bundestag über die Finanzhilfen für Griechenland abgestimmt. Parallel zum Gesetz legte Schwarz-Gelb einen Entschließungsantrag vor, in dem gefordert wurde, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen. (Zeit-online wirtschaft, 7.5.2010, FDP ärgert sich über Westerwelle) Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 193 4.5 Elemente der Gesamtnarration - Entwicklung Die Positionen der Gesamtnarration „Krise“ werden in den drei Teilkorpora verschieden besetzt. Die folgende Tabelle soll die damit erkennbare diachrone Entwicklung zwischen Teilkorpus 1 auf der einen Seite und Teilkorpus 2 und 3 auf der anderen Seite übersichtlich darstellen. Die Teilkorpora bestehen aus den folgenden Texten: Die Artikel der NZZ, der Presse und der SN zur Ölkrise 1973 bilden das Teilkorpus 1, diejenigen zur Griechenlandkrise das Teilkorpus 2. Die Artikel aus der Zeit-online wirtschaft zur Griechenlandkrise bilden das Teilkorpus 3. Teilkorpus 1 NZZ, Presse, SN 1973 Teilkorpus 2 NZZ, Presse, SN 2010-12 Teilkorpus 3 Zeit-online wirtschaft 2010-13 Auslöser bzw. Kern der Krise Parteien im Nahost-Konflikt Politiker und Reiche in Griechenland Griechische Schuldenpolitik Treibende Akteure Erdölproduzierende Länder, Beteiligte im Nahost-Konflikt Rating-Agenturen, Politiker, europäische Institutionen Politiker, europäische Institutionen Opfer der Krise Autofahrer Steuerzahler Steuerzahler, Banken (potenziell) Art der Krise Politische Krise, die zu einer Wirtschaftskrise wird Wirtschaftskrise, Ringen um Lösungen Wirtschaftskrise, Ringen um Lösungen Narrativ dargestellte Ausschnitte der Entwicklung konkrete Auswirkungen konkrete Auswirkungen; Politiker beim politischen Geschäft Auswirkungen auf den einfachen Mann; Politiker beim politischen Geschäft Dargestellter Ort der Krise [Nahost] - Auswirkungen in Europa, jeweils in nächster Nähe Griechenland, Brüssel alle Euroländer Deutschland, Griechenland Funktionen der narrativen Darstellung(en) Panik/ Hamsterkäufe verhindern, um Verständnis für Maßnahmen werben Verständnis für EU-Maßnahmen erwirken Politisches Ringen kontextualisieren Irmtraud Behr / Monika Dannerer 194 Schematisch gesehen sind im Korpus 1 die Parteien im Nahostkonflikt die Auslöser der Krise, auch wenn sie nicht explizit genannt werden, im Korpus 2 die Politiker und Reichen in Griechenland, im Korpus 3 eher die Schuldenpolitik Griechenlands. Die treibenden Akteure sind im Korpus 1 die erdölproduzierenden Länder und die Beteiligten im Nahostkonflikt. In Korpus 2 und 3 sind es die Ratingagenturen (nur Korpus 2), die Politiker sowie die europäischen Institutionen. Opfer der Krise sind in Korpus 1 die Autofahrer, in Korpus 2 die Steuerzahler, in Korpus 3 hingegen Steuerzahler und potenziell auch Banken. In Korpus 1 erscheint die Krise als eine politische Krise, die zu einer Wirtschaftskrise wird. In Korpus 2 und 3 geht es demgegenüber vordringlich um eine Wirtschaftskrise. Es ist das Ringen um politische Lösungen auf Landes- und Europaebene, das mit narrativen Mitteln dargestellt wird. Die narrativ dargestellten Ausschnitte der krisenhaften Entwicklung betreffen in Korpus 1 die direkten Auswirkungen auf den „kleinen Mann“ und nur selten die konkreten Bedingungen der politischen Entscheidungsfindung. In Korpus 2 werden neben den direkten Auswirkungen vermehrt die Politiker beim politischen Geschäft narrativ dargestellt. In Korpus 3 überwiegt die narrativierende Berichterstattung über das politische Tagesgeschäft gegenüber den Schilderungen der Lebensbedingungen der Griechen. Krisen sind zeitlich und räumlich verortet. Die zeitliche Dimension und die journalistische Berichterstattung laufen weitgehend parallel. Die räumliche Dimension ist in Korpus 1 stark an den Erscheinungsort der jeweiligen Zeitung gebunden, wo die Auswirkungen auf das tägliche Leben beobachtet werden. Europa spielt ebenfalls eine gewisse Rolle. In Korpus 2 stellen Griechenland, Brüssel und die Euroländer die Kulisse dar, in Korpus 3 vor allem Deutschland und Griechenland. Auch wenn es viele Übereinstimmungen bzw. Konstanten gibt, so ist das Erzählen offenbar zunehmend auf distante und abstrakte Protagonisten und Vorgänge gerichtet, die es damit zu vergegenwärtigen bzw. zu veranschaulichen versucht. 5. Schluss Die Analyse hat gezeigt, dass es innerhalb des untersuchten Datenkorpus tatsächlich einen Trend hin zu einer stärkeren Nutzung narrativer Mittel in Zeitungsberichten gibt. Sie sind in Tagesebenso wie in der untersuchten Wochenzeitung zu finden. Allerdings ist es für die Beurteilung der Texte und für die Feststellung der Funktion der narrativen Elemente sinnvoll, eine Skalarität von „Narrativität“ zu entwickeln. Im Beitrag wurde eine vierstufige Skala vorgeschlagen, die Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 195 von „nicht narrativen“ über „schwach narrative“ und „mittel narrative“ bis hin zu „stark narrativen“ Texten reicht. Während in „schwach narrativen“ Texten nur einzelne Detaillierungen enthalten sind, sind es in den „mittel narrativen“ Texten bereits spezifischere Elemente wie z.B. eine kurze direkte Rede. Die verhältnismäßig seltenen „stark narrativen“ Texte enthalten neben Mitteln der Vergegenwärtigung auch bewertende und emotionsweckende Elemente. Diachron betrachtet haben in den letzten 40 Jahren besonders stark die „schwach narrativen“ Texte zugenommen, es treten also vermehrt einzelne narrative Elemente auf, die bevorzugt, aber nicht ausschließlich, an den Textanfängen zu finden sind - etwa um Politiker, die Motive ihres Handelns oder konkrete Auswirkungen auf „den einfachen Mann“ besser greifbar zu machen. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass die Entwicklungen in den einzelnen Zeitungen sehr unterschiedlich verlaufen, dass die Anteile an narrativen Texten insgesamt sowie auch die spezifische Mischung, welcher Grad der Narrativität bevorzugt wird, sich deutlich unterscheiden. Die Elemente, die in die Gesamtnarration eingebunden werden, scheinen aber in allen Zeitungen zunehmend abstrakter zu werden (komplexe und letztlich sehr abstrakte internationale politische und finanztechnische Prozesse). Im Kontext des Berichts von Krisen ist die „Krisennarration“ häufig verbunden mit einem expliziten oder impliziten Rückgriff auf die Krankheitsmetapher. Die Funktion narrativer Elemente ist es, u.a. Verständlichkeit über das „Sichtbarmachen“ zu erzielen, das durch eine bestimmte Perspektivierung erleichtert wird. Über die stärkere Detaillierung wird Glaubwürdigkeit erhöht und Nähe zu den Adressaten hergestellt - zu den Entscheidungsträger ebenso wie zu den von Entscheidungen Betroffenen. Sie soll über ein mögliches eigenes Betroffensein informieren und damit z.B. rationales Verhalten fördern (also z.B. die Vermeidung von Hamsterkäufen), sie wirbt aber zugleich auch um Verständnis - Verständnis für politisches Ringen und für (unpopuläre) Maßnahmen (im Dienste des Heilens einer „Krankheit“). Literatur Blöbaum, Bernd (1994): Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung. Opladen. Burger, Harald (2005): Mediensprache. Eine Einführung in Sprache und Kommunikationsformen der Massenmedien. Berlin. Brown, Marshall (1997): Turning Points. Essays in History of Cultural Expressions. Stanford. Irmtraud Behr / Monika Dannerer 196 Duden (1978): Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in sechs Bänden. Mannheim u.a. Ehlich, Konrad (1983): Alltägliches Erzählen. In: Sanders, Willy/ Wegenast, Klaus (Hg.): Erzählen für Kinder - Erzählen von Gott. Stuttgart u.a., S. 128-150. Ehlich, Konrad (2007): Sprache und sprachliches Handeln. 3 Bände. 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Anhang a) Nicht narrative Texte: NZZ, 21.11.1973 Irmtraud Behr / Monika Dannerer 198 b) Schwach narritive Texte: NZZ, 2.12.1973 Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 199 c) Mittel narrative Texte: NZZ, 29.11.1973 Irmtraud Behr / Monika Dannerer 200 d) Stark narrative Texte: NZZ, 26.11.1973 Narrative Elemente in Zeitungstexten zu wirtschaftlichen Krisen 201 MARKUS RAITH (FREIBURG) „DIE LETZTEN TAGE EUROPAS“ UNTERGANGSSZENARIEN IN TEXT - BILD - FORMATEN Abstract Über die Wirtschaftskrise wird sowohl in der Printpresse wie auch in den neuen Medien zumeist in Wort und Bild berichtet. Dabei sind beide Zeichensysteme aufeinander bezogen und übernehmen spezifische kommunikative Aufgaben, die erst in ihrem Zusammenspiel sichtbar werden. Am Beispiel von Buchcovern und einer Internetwerbung wird untersucht, wie Texte und Bilder mit ihren jeweiligen Möglichkeiten Untergangsszenarien entwerfen. Vor allem ihre narrative Dimension ergibt sich erst aus dem erzählerischen Potenzial von kurzen Textblöcken und Bildern, das sich ganz anders darstellt als bei längeren Texten. Geschichten werden eher präsupponiert und angedeutet als ausfabuliert, was sich wesentlich auf ihre Ästhetik auswirkt: Kollektivsymbolik, Metaphorik und Analogiebildungen stehen im Zentrum dieser Form von faktualen Text-Bild-Erzählungen. Text-Bild-Formate sind beinahe allgegenwärtig: nicht nur in etablierten Printmedien (Zeitschriften, Bücher etc.), sondern vor allem im Internet, das überwiegend aus Text-Bild-Gefügen besteht, häufig ergänzt um akustische Elemente. Sie können als eine spezifisch mediale Repräsentation von Szenarien aufgefasst werden. Wie aber geht dies, vor allem bei Krisenszenarien, vonstatten? Denn weder entfalten diese „kleinen Formate“ ihre Gegenstände narrativ, wie Romane, Sachbücher oder Zeitungsartikel dies tun, noch exemplifizieren sie sie durch Diagramme oder Schaubilder. Zur medialen Spezifik dieser Formate ist mit Rolf Parr (2007, S. 54) zunächst festzuhalten: Sprache ist hier [...] eingebettet in und verschränkt mit anderen Zeichensystemen, und zwar in multimodalen und multikodalen Zeichenkomplexen, die gleichermaßen auf Kombinationen von Schrift, Bild und Ton beruhen wie auch auf Differenzen zwischen ihnen. Mithin haben wir es auch mit einer spezifischen Form des Erzählens 1 zu tun. Narrativität wird erzeugt durch das Zusammenspiel von Bildern und kurzen Textelementen. Vor allem im Hinblick auf Bilder stellt sich die Frage nach dem Erzählen, meint dies im eigentlichen Sinne doch „die autonome Mitteilung, die eines vorhandenen Textwissens nicht bedarf“ - im Gegensatz zur bloßen Illustration eines Textes durch ein Bild (Grünewald 2010, S. 4). 1 Vgl. in diskursanalytischer Hinsicht Meier (2005). Markus Raith 204 Bei bilddominierten Formaten handelt es sich eher um ein Erzählangebot, eher um Gezeigtes als Erzähltes, das aktiv rezipiert werden muss. Es bedarf einer narrativen Lektüre, bei der das im Einzelbild Nicht-Gezeigte imaginierend ergänzt wird. 2 Esders vergleicht die narrative Dimension von Text-Bild- Gefügen in der Werbung daher mit Techniken des impliziten Erzählens im barocken Emblem (Esders 2010, S. 20). Vor allem aufgrund der knappen Textinformation - üblicherweise bestehen Text-Bild-Aufmacher im Internet aus einem Foto, einem Titel und einer Legende - spielen Kollektivsymbole eine zentrale Rolle. Sie sind „geeignet, eine enorme Menge an fachlichen Informationen aus verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen und ihren Spezialdiskursen zu kommunizieren“ (Parr 2007, S. 55). Dabei erfüllen diese Formate verschiedene Funktionen: zuallererst Komplexitätsreduktion; dann das Übersetzen von Spezialwissen in Interdiskurse; schließlich die Integration gesellschaftlicher Teilbereiche. Dabei müssen prägnante Bilder und Texte - oft auch sprachliche Bilder - gefunden werden, um Fachwissen verständlich zu kodifizieren und abstraktes Wirtschaftsgeschehen auf Alltagszusammenhänge zu beziehen (vgl. ebd., S. 55f.). Betrachten wir zunächst Buchcover, die als Text-Bild-Gefüge und im Sinne Genettes als paratextuelle Elemente verstanden werden können. Sie verweisen in der Regel auf den Inhalt des Buches, haben aber aufgrund ihrer exponierten Stellung und der Verschränkung von ästhetischen und ökonomischen Aspekten eine besondere Funktion für die Aufmerksamkeitsgewinnung. Wie werden also Krisenszenarien in Büchern mit entsprechender Thematik paratextuell entworfen? Henryk M. Broder: Die letzten Tage Europas Das titelgebende Textelement Die letzten Tage Europas ist Teil eines dichten intertextuellen Netzes. Es verweist vor allem auf historische Untergangserzählungen, die im kollektiven Gedächtnis fest verankert sind: etwa ‘die letzten Tage Pompejis’ oder Spenglers Der Untergang des Abendlandes. Ausdrücklich wird das ökonomische Krisenszenario in einen europäischen Rahmen eingebettet, dies bezeugt nicht nur die sprachliche Evokation übernationaler und im Sinne Lyotards großer Krisenerzählungen, sondern auch die Europa- Flagge, welche die Verlängerung des Buchstabens „l“ in „letzten“ bildet. Raum und Zeit werden einander auf diese Weise nicht nur semantisch, sondern auch grafisch zugeordnet. Auch hier spielt die temporale Dimension des 2 Vgl. Renner (2013), der den Forschungsstand zum Erzählen mit Einzelbildern resümiert. In anderer Terminologie ist vom narrationsinduzierenden Charakter der Einzelbilder die Rede bzw. davon, dass Einzelbilder Geschichten eher präsupponieren als erzählen. In jedem Falle wird die Bedeutung einer aktiven, sinnkonstruierenden Rezeption hervorgehoben. Die letzten Tage Europas 205 Szenarios eine Schlüsselrolle. Der Zeitvektor weist in die unmittelbar bevorstehende Zukunft, kann die Zeitangabe des Untergangs doch in Tagen (und nicht in Monaten oder gar Jahren) gemacht werden. Ein zweiter Zeitvektor weist hingegen, auf der visuellen Ebene, in die Vergangenheit. Am unteren Rand des Buchcovers findet sich die Abbildung eines großen Schiffes in Sinklage, das unschwer als die untergehende Titanic zu erkennen ist. Durch das Bildelement wird im Rezeptionsprozess also eine Untergangserzählung aktiviert, die zum festen Repertoire europäischer Kollektivsymbolik gehört. Wie verhält es sich zu den Textanteilen? Schriftblock und Bild werden grafisch parallelisiert und zeigen beide nach unten bzw. - nimmt man die verwendete Metaphorik auf - befinden sich in Schief- oder Sinklage. Inhaltlich wird die Metapher des Untertitels („wie wir eine gute Idee versenken“) im Bild des Schiffes aufgenommen und von uneigentlicher in eigentliche Rede überführt. Typografisch wird dies sehr anschaulich visualisiert, indem sich der schief gesetzte Titelblock teils über und teils unter einem angedeuteten Wasserspiegel befindet: Der obere Teil ist dunkler und deutlicher als der gleichsam bereits gesunkene untere und hellere Teil der Schrift. Die Materialität der Schrift verstärkt auf diese Weise die Botschaft, die sie auch medial übermittelt. Warum aber wird das europäische Wirtschaftskrisenszenario gerade mit dem Untergang der Titanic in Verbindung gebracht? Neben der allgemeinen Popularität von Schiffs- und Seefahrtsmetaphorik im Bereich der Wirtschaft und Politik wird hier sicherlich eine ganz spezifische Analogie suggeriert. In der Vergangenheit wie in der Gegenwart scheint menschliche Hybris im Spiel zu sein. Galt die Titanic als unsinkbar, so gilt heute - zumindest bis zur Krise - die neoliberale Finanzwirtschaft als Garant für Wachstum und Gewinne. Das Buchcover legt auf diese Weise den Schluss nahe, dass die Geschichte womöglich doch als Lehrmeisterin dienen könnte. Ein Krisenszenario wird in Analogie zu einer vergangenen Katastrophenerzählung entworfen und enthält so mindestens zwei implizite Varianten: Entweder man lernt aus den Fehlern der Vergangenheit oder man wiederholt sie. Krisenerzählung und Krisenszenario, Vergangenheit und unmittelbare Zukunft werden im Gestus der Ermahnung aufeinander bezogen und den Zeitgenossen vergegenwärtigt. Thomas Wieczorek: Abgewirtschaftet Eine ähnliche Gestaltung, aber im nationalen Rahmen, findet sich in Thomas Wieczoreks Abgewirtschaftet. Hier ist eine deutsche Flagge zu sehen, die - wie die Titanic - nach unten und aus dem Bild heraushängt. Diese Visualisierung verweist auf ein nicht näher dargestelltes und darstellbares „unten“, das den üblichen (Verstehens- und Vorstellungs-)Rahmen überschreitet. Die Flagge Markus Raith 206 suggeriert auf diese Weise einen Niedergang, der in der Zeit stattfindet, aber räumlich dargestellt wird. Die unbekannte, bedrohliche Zukunft manifestiert sich als nicht mehr einsehbarer Raum unterhalb des Rahmens. Das unterstreichen die Textelemente. Der Titel des Buches lautet: Abgewirtschaftet. Ein einziges Wort erfordert eine hohe Inferenzleistung seitens der Rezipienten. Wie würde man das Partizip Perfekt vervollständigen, d.h. in welchen Satz würde man es einbetten? Zwei Möglichkeiten scheinen naheliegend, wobei wie im vorigen Beispiel Vergangenheit und Zukunft aufeinander bezogen sind. Als Subjekt des zu vervollständigenden Satzes wäre Deutschland einzusetzen, dies legt die Fahne nahe, wenn man sie hier als Visualisierung eines Satzgliedes versteht. Der imaginierte Titel würde dann lauten: „Deutschland hat abgewirtschaftet“, mithin wäre eine zeitgeschichtliche Bilanz gezogen. Versteht man das Buchcover als Entwurf eines Krisenszenarios, das die Rezipienten durch Ausfüllen der Leerstellen bzw. durch die Aktivierung präsupponierten Wissens und kultureller Deutungsmuster (vgl. Altmayer 2004) im Rezeptionsakt konstruieren, dann könnte der Titelsatz auch lauten: „Deutschland wird abgewirtschaftet haben“. Im Futur II würde dann ein Untergangsszenario imaginiert, wofür auch der Untertitel spricht: „Warum unser Land verkommt und wer daran verdient.“ Hier handelt es sich um die Bestandsaufnahme einer negativen Entwicklung, die bereits begonnen hat und sich in die Zukunft fortsetzen wird. Untertitel und Titel verhalten sich zueinander wie Zustandsbericht und Zukunftsprognose. Ein Ist-Zustand wird als Szenario in die Zukunft extrapoliert. Walter Krämer: Kalte Enteignung Eine weitere paratextuelle Variante des Krisen- und Untergangsszenarios findet sich auf dem Cover von Walter Krämers Kalte Enteignung. Wir haben es bei diesem Titel mit einem ökonomischen Fachbegriff zu tun, der gleichwohl anschaulich-bedrohlich wirkt, da die verwendeten Begriffe auch in der Umgangssprache geläufig und reich an Konnotationen sind. Überdies wird der Begriff „kalt“ durch die dunkelblaue Hintergrundfarbe visuell verstärkt. Der Untertitel „Wie die Euro-Rettung uns um Wohlstand und Renten bringt“ evoziert im futurischen Präsens ein Verlust-Szenario, das die nahe und ferne Zukunft - Wohlstand und Renten - betrifft. Bemerkenswert ist im Hinblick auf die Wechselwirkung von Text und Bild, dass die Schrift auch als visuelles Element eingesetzt wird. Ähnlich wie in Barock-Gedichten oder in der Avantgarde-Poesie doppelt die Schrift grafisch ihre Aussage. Bei Krämer sind Titel und Untertitel so angeordnet, dass sie den Umriss eines Pfeils ergeben, der abwärts zeigt. Das Cover funktioniert also Die letzten Tage Europas 207 nach einem ähnlichen Prinzip wie etwa Johann Helwigs Gedicht Die Sanduhr, dessen Verse trichterförmig als eine solche angeordnet sind. Nils Ole Oehrmann: Tod eines Bankers Ein letztes Beispiel mag diesen Überblick über paratextuelle Schrift-Bild-Gefüge abschließen: Nils Ole Oehrmanns Tod eines Bankers. Was man isoliert wahrscheinlich der Textsorte Kriminalgeschichte oder Thriller zuordnen würde, wird durch Untertitel und Bildelement in ein anderes Licht gerückt. Visuell wird der Tod eines Bankers durch ein Herzfrequenzdidagramm repräsentiert, wie wir es aus Arztserien (oder auch Krimis) kennen. Zu sehen sind die beiden Achsen mit den Schwankungen der Linie, die auf den Exitus zulaufen. Räumlich wird also ein Vorgang in der Zeit als Abwärtsbewegung dargestellt und in einen medizinischen Kontext eingebettet. Die in ökonomischen Zusammenhängen durchaus übliche Krankheitsmetaphorik (die Wirtschaft als Patient, der kranke Mann Deutschland etc.) wird visuell ins Spiel gebracht. Allerdings erfährt sie durch den Untertitel Eine Sittengeschichte der Finanzbranche eine entscheidende Modifizierung. Einerseits wird ein medizinischer Befund moralisch-ethisch aufgeladen, und andererseits wird die Finanzbranche exemplarisch und personifiziert im titelgebenden Tod eines Bankers vorgeführt. Dabei wird eine äußerst suggestive Analogie zwischen Einzelperson („eines Bankers“) und gesellschaftlichem Segement („Finanzbranche“) entworfen, die als implizites Szenario verstanden werden kann. Was in Bezug auf den Banker festgestellt wird („Tod“), steht im Sinne eines Niedergangs- Szenario der Finanzbranche noch bevor - und womöglich der ganzen Gesellschaft, die sich davon abhängig gemacht hat. Fassen wir zusammen: Auf allen vier Buchcovern wird durch das Zusammenspiel von Schrifttext, Bild und Grafik ein Untergangsszenario evoziert. Sowohl auf schriftsprachlicher wie auf visueller, sowohl auf semantischer wie auf formal-grafischer Ebene werden Abwärtsbewegungen vorgeführt, die ein Kollektiv betreffen. Dies zeigt sich nicht nur an der gehäuften Verwendung von Kollektivsymbolik, sondern auch am ausgiebigen Gebrauch der Pronomen „wir“ und „uns“. Diese omnipräsente Visualisierung von Untergangsszenarien als Abwärtsbewegung, welche sich als gesellschaftliches Deutungs- und Orientierungsmuster im Hinblick auf die Wirtschaftskrise etabliert, spannt aber auch den Rahmen für Gegenbewegungen auf. So benutzt etwa die neue Partei AfD (Alternative für Deutschland), die bereits in ihrem Namen die Idee des Szenario trägt, konsequent die Aufwärtsbewegung, visualisiert im Parteienlogo als sukzessive nach oben zeigender Pfeil. Organisationen und Vereinigungen vermögen sich auf diese Weise im Rahmen einer Aufwärtsbewegung zu posi- Markus Raith 208 tionieren, sich selbst also als positive Variante in ansonsten negativ ausgerichteten sozioökonomischen Szenarien darzustellen. Werbung im Internet Ein besonders aufschlussreiches, weil krasses Beispiel findet sich in bemerkenswerter Konstanz auf den Startseiten verschiedener Internetanbieter. 3 In seinem Zentrum befindet sich ein Text-Foto-Grafik-Gefüge. Der Text verkündet in knapper und offensiver Weise ein Krisenszenario: „Dax Absturz in kürze [sic]! “ Sprachlich in Form einer Eilmeldung verfasst - als elliptischer Satz, dessen Dringlichkeit durch das Satzzeichen unterstrichen ist -, wird diese Ankündigung von einem dicken, roten Pfeil begleitet, der direkt nach unten zeigt. Im Hintergund erkennt man überdies Zahlenreihen, welche sich im Absturz zu befinden scheinen, suggeriert durch Bewegungsunschärfen am Rand des Bildes. Dazwischen aber findet sich der Kopf eines Mannes, der zuversichtlich lächelt. Diese Spannung wird durch den Begleitext aufgelöst, der mitteilt: „Günter Hannich zeigt ihnen KOSTENLOS sofort 5-Aktien mit Crash- Schutz. Gratis- PDF ! “. Es handelt sich mithin um eine Werbung, die auf Schockeffekte durch Krisenszenarien setzt. Fasst man die knappen Text-Bild-Aufmacher im Internet als eine Form von paratextueller Schwelle - ähnlich einem Buchcover - auf, stellt sich die Frage, was sich in diesem Falle hypertextuell „dahinter“ befindet. In einem längeren Text, unterbrochen durch einige wenige Fotos, wird dort narrativ ein worstcase-Szenario entworfen, das sich einer Semantik des Untergangs, ja der Apokalypse bedient. Verschiedene (sprach- und bild-)rhetorische Strategien kommen dabei zum Einsatz. 1) „Wenn - dann“-Konstruktionen „Wenn die USA endgültig pleite sind....Wenn Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland zusammenbrechen....Wenn die Banken erst einmal schließen....dann wird es zu spät sein. Dann ist für 99% aller privaten Anleger der Ofen aus. Dann ist das schöne Geld wahrscheinlich für die anderen immer verloren [sic! ]“ Sieht man einmal von der schiefen Syntax und den merkwürdigen Sprachregisterwechseln ab, wird hier ein weltökonomisches Untergangsszenario entworfen. Im ersten Teil werden im futurischen Präsens verschiedene Krisenentwicklungen durch „wenn“-Sätze mit konditionalem und temporalem Charakter skizziert und etwaige Folgen durch Auslassungspunkte in ihrer Bedrohlichkeit verstärkt. Im zweiten Teil sind durch „dann“-Konstruktionen diese Folgen genau benannt, vor allem im Hinblick auf (private) Anleger und natürlich die Leser der Werbung. 3 www.gevestor-group.de/ index.php? id=520563. Die letzten Tage Europas 209 2) Komposita Komposita ähnlicher und gleicher Begriffe in zahlreichen Variationen verstärken diese Drohkulisse: „Finanz-Chaos, Euro-Untergang, Mega-Finanz-Krise, Euro-Chaos, Euro-Tod, Schulden-Chaos, Banken-Tsunami, Euro-Untergang, Super-Crash“. 3) Warnhinweise Zusätzlich werden Warnhinweise in biblisch-prophetisch anmutender Sprache gegeben: „Und viele Menschen werden dabei ihr ganzes Geld verlieren“. Vor allem die Verwendung des Futur und der Satzanfang mit „Und“ belegen, dass es sich eher um eine Verkündigung oder Weissagung handelt als um ein rational fundiertes Zukunftsszenario mit verschiedenen Varianten, die man eher im Konjunktiv vorführen würde. Weitere Warnhinweise sind sprachlich dem Bereich des Strafrechts entnommen: „Wer auf diese Informationen verzichtet, riskiert sein ganzes Geld“. Die Last der Verantwortung wird somit den Lesern der Werbung aufgebürdet: den Newsletter nicht zu abonnieren, hieße wider besseres Wissen zu handeln. 4) Alarmismus Angesichts des Untergangsszenarios wird die Dringlichkeit zu handeln durch die Häufung bzw. Redundanz von Zeitadverbialen markiert: „jetzt“ / „ab sofort“ / „rechtzeitig“ / „frühzeitig“ / „täglich aktuell“ bzw. „täglich“ / „jetzt stets aktuell als erster“. Durch diese Akzentuierung wird suggeriert, dass das Szenario - eigentlich auf die Zukunft gerichtet - bereits Gegenwart, bereits real geworden ist und dass daher keine Zeit zu verlieren ist. Das verstärken auch die vielen Bindestrich-Komposita, welche Eile anzeigen. Offenbar ist keine Zeit für Appositionen, Relativsätze, lange Erklärungen komplexer Sachverhalte o.Ä. Als Extremform sprachlicher Komplexitätsreduktion spannen diese Komposita einen Rahmen auf, bei dem es zur (zwangsläufigen) Katastrophe nur eine Alternative gibt: die Anlagetipps von Günter Hannich. Diese Alternative ist freilich, folgt man den Ausführungen des Textes, nur denen vorbehalten, die seinen Newsletter abonnieren. Das Katastrophenszenario dient also dem Zweck, Hannich als Retter- und Erlöserfigur zu präsentieren. Als solcher wird er sowohl visuell als auch sprachlich legitimiert. Auf einem in den Text eingelassenen Foto erscheint er als Geschäftsmann (Krawatte/ Hemd/ Anzug), mit kantigem, gebräuntem Gesicht und grauen Strähnen, die Erfahrung signalisieren sollen. Diese optischen Merkmale werden sprachlich aufgenommen. Im Text wird Hannich als „Bestseller-Autor“ (Verbindung von Geist und Geld/ Bekanntheitsgrad) und „wichtigster Geld-Experte“, der „seit mehr als 25 Jahren die wichtigsten Aktien-Crashs vorhergesagt“ hat, legitimiert, also durch wissenschaftliche Expertise und Erfahrung. Markus Raith 210 Die Verweise auf vergangene Verdienste rekurrieren abermals auf das Vokabular der Weissagung. Seine prophetischen Fähigkeiten ermöglichen es dem Retter, innerhalb des Krisen-Szenarios die richtige Variante, den Ausweg zu finden, der den Lesern des Newsletters „offenbart“ wird. Die Rettung naht in Form einer elektronisch-medial übermittelten sprachlichen Nachricht: „Jetzt kommt die Warheit [sic! ] ans Licht.“ Diese Rettung zielt - ähnlich wie im Falle der AfD - auf einen nationalen Rahmen ab, markiert durch die Farbgestaltung der Seite (schwarz/ rot/ gold). Das Nationale dient hier allerdings nicht als integrierendes, vereinendes Moment (z.B. durch die Vorstellung, dass die Deutschen für Spanier und Griechen zahlen), sondern als Bezugsgröße für Abgrenzungsmechanismen, denen zwar eine Semantik der Auserwählung/ Jüngerschaft (1%) zugrunde liegt, die letztlich aber ein egologisches Konzept nahelegen. Immerhin fordert Hannich seine Leser auf, zu Krisenprofiteuren zu werden, die nicht nur ihren „Besitz retten“: „Sie vermehren Ihr Geld sogar! Denn Sie nutzen mit geschickten Anlagen die spezielle Krisensituation zu ihren Gunsten.“ Es wird demnach nur ein ausgewählter Kreis gerettet. Die Idee der Jüngerschaft, wie sie im 20. Jahrhundert seit dem George-Kreis in der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte prominent zu finden ist, wird zum Angebot, einer Gruppe von Krisengewinnlern beizutreten. Dieses Angebot folgt dem für Werbung so typischen Paradox der inklusiven Exklusivität: Man kann dem auserwählten Kreis mühelos und vor allem kostenlos angehören, abonniert man den Newsletter. Resümee Die Autoren von Text-Bild-Gefügen - das haben die Beispiele gezeigt - setzen auf Multikodalität und Kollektivsymbolik, um Szenarien zu entwerfen. Im Zusammenspiel von knappen Textelementen und Bildern besteht auch hier das zentrale Definitions- und Differenzkriterium im Zeit-Vektor, der auf gesellschaftliche Zukünfte gerichtet ist. Sowohl die Buchcover als auch die Internet-Werbung beruhen auf einem Entwurf sozialer Zeit aus der Vergangenheit und Gegenwart einer Gesellschaft in deren Zukunft hinein, massendynamische Prozesse der Vergangenheit bzw. Gegenwart werden ‘linear’ das Zypern-Drama das Zypern-Drama in die Zukunft projiziert. 4 Da diese Zukunftsentwürfe aber nicht als bloß fiktional aufzufassen sind, sondern fiktivprojektiv sind, also wahrscheinlicherweise real, d.h. in empirische Realität umgesetzt und dabei beobachtet werden können, ist ihre wirklichkeitsmodellierende Kraft nicht zu unterschätzen. 4 Vgl. den Beitrag von Thomas Lischeid in diesem Band. Die letzten Tage Europas 211 In den vorgeführten Beispielen werden durchweg worst-case-Szenarien 5 entworfen, die weniger auf Erkenntnis oder das Gewinnen von Handlungsoptionen setzen, als vielmehr pessimistische Grundstimmungen zu verstärken scheinen. Fast immer geht es um eine Gegenwart, von der aus auf eine (bedrohliche) Zukunft geblickt wird, die herandrängt oder unmittelbar bevorsteht. Der Verweis auf die Vergangenheit soll hingegen das aktuelle Bedrohungsszenario verstärken und im Falle der Internet-Werbung zugleich die Expertise des Retters legitimieren. In diesen Szenarien werden typische Handlungsmuster von Katastrophenfilmen integriert (Untergang einer Gesellschaft/ Kultur; mahnender, nicht erhörter Warner; Rettung für einige wenige etc.), dies zeigt sich nicht zuletzt am Kollektivsymbol Titanic. Dass dies vor allem aus ökonomischen, nämlich Gründen der Aufmerksamkeitsgewinnung geschieht, liegt im Falle von Buchcovern und Aktien-Werbung nahe. Dennoch sollte die diskursprägende bzw. -verstärkende Kraft dieser Formate nicht unterschätzt werden. Geht man davon aus, dass jede mediale Darstellung bereits eine Deutung, eine bestimmte Perspektive und also einen Rezeptionsrahmen durch die Art ihrer Konstruktion vorgibt, zeigt sich die wahrnehmungsformende Wirkung solcher Formate: Sie erzeugen eine „Hintergrundrealität“, von der man ausgehen kann [...]. Auf diese Weise freilich werden genau die (nur scheinbar selbstverständlichen) Perspektiven formiert, in denen Menschen ihre Wirklichkeit wahrnehmen. Und es werden [...] Normen verbreitet, die Menschen sich bewusst oder unbewusst zu Eigen machen. In diesem Sinne wirken Massenmedien auch als normative Leitmedien und erzeugen Konformität gerade durch Einübung in routinierten Umgang mit Irritation. (Schmitz 2004, S. 18) Zieht man die für gewöhnlich flüchtige und oft nebenbei sich vollziehende Rezeption von massenmedialen Text-Bild-Gefügen in Betracht, leuchtet diese Diagnose umso mehr ein. Während Bilder - insbesondere Fotos - vermeintlich Realität abbilden, da die Betrachter bei ihrer semantischen Verarbeitung „auf kognitive Schemata der alltäglichen Wahrnehmung zurückgreifen“ (Schnotz/ Dutke 2004, S. 75) können, nehmen (Schrift-)Texte oft explikative Funktionen ein. Kurz und pauschalisierend gesagt: Bilder zeigen und Texte erklären; auf diese Weise formieren sie in ihrem massenmedialen Zusammenspiel - häufig en passant - unsere Perspektive(n) auf die Welt. Ein zentrales Verfahren dabei ist das Operieren mit Analogien, die auf Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten von zwei verschiedenen Ideen oder Gegenständen verwei- 5 Dabei werden häufig Darstellungen benutzt, die in vielen Punkten dem entsprechen, was Pörksen (1997) als Visiotype definiert. Visiotype sind u.a. dadurch charakterisiert, dass „Piktogramm und Photographie im aggressiven futurischen Präsens“ stehen und „eine lineare Bewegung“ (62) anzeigen; dass sie „eine Drohung“ darstellen, „die mit Angstlust erlebt wird“ (62); dass sie „in der Abstraktion“ (63) kulminieren und funktional als „ein auf eine konkrete Lösung drängender Imperativ“ (63) verstanden werden können. Markus Raith 212 sen. Sie „reduzieren das Unbekannte durch Bekanntes und sie bewirken damit vor allem eines: Sie erleichtern den Umgang mit Komplexität“ (Reinmann-Rothmeier/ Vohle 2002, S. 347). Auf diese Weise verkürzt sich allerdings auch das epistemische Potenzial des Szenarios auf die Überbetonung des Krisenhaften. Wirkliche Alternativen oder Varianten werden, wenn überhaupt, nur implizit angedeutet. Literatur Altmayer, Claus (2004): Kultur als Hypertext. München. Esders, Michael (2010): Storytelling. Über die Enteignung des Erzählens. In: Merkur Januar 2010, 64, 1, S. 25-35. Grünewald, Dietrich (2010): Erzählen mit Bildern. Einzelbild und Bildfolge - das „Prinzip Bildgeschichte“ als narrative Kunst. In: K und U 347/ 48, S. 4-11. Meier, Stefan (2005): Zeichenlesen im Netzdiskurs. Überlegungen zu einer semiotischen Diskursanalyse multimedialer Kommunikation. In: Fraas, Claudia/ Klemm, Michael (Hg.): Mediendiskurse. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Frankfurt a.M., S. 123-141. Parr, Rolf (2007): Börse im Ersten. Kollektivsymbole im Schnittpunkt multimodaler und multikodaler Zeichenkomplexe. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 1/ 2007 (Medialität und Sprache, hrsg. von Werner Holly und Ingwer Paul). Bielefeld, S. 54-71. Pörksen, Uwe (1997): Weltmarkt der Bilder. Eine Philosophie der Visiotype. Stuttgart. Reinmann-Rothmeier, Gabi/ Vohle, Frank (2002): Pädagogisch-psychologische Ideen für die Repräsentation und Kommunikation von Wissen im Netz - ein narrativer Ansatz. In: Huber, Hans-Dieter/ Lockemann, Bettina/ Scheibel, Michael (Hg.): Bild‒ Wissen‒Medien. Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter. München, S. 337-362. Renner, Karl N. (2013): Journalistische Wirklichkeitserzählungen und fotografische Bilder. In: Diegesis 2.2, S. 33-50. Schmitz, Ulrich (2004): Sprache in modernen Medien. Berlin. Schnotz, Wolfgang/ Dutke, Stephan (2004): Kognitionspsychologische Grundlagen der Lesekompetenz: Mehrebenenverarbeitung anhand multipler Informationsquellen. In: Artelt, Cordula et al. (Hg): Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz. Vertiefende Analysen im Rahmen von PISA 2000. Wiesbaden, S. 61-99. ASTRID ADLER / RAINER PERKUHN / ALBRECHT PLEWNIA (MANNHEIM) RETTUNG - PLEITE - GRIECHENLAND Wortschatzstatistik in Zeiten der Finanzkrise Abstract Wenn sich die Welt, über die wir reden, ändert, ändert sich auch der Sprachgebrauch. An der Konstruktion der Bedeutung von Wörtern haben die Kontexte und lexikalischen Nachbarschaften, in denen sie verwendet werden, einen hohen Anteil. In diesem Beitrag zeigen wir für drei ausgewählte Einzelwörter aus dem Finanzkrisendiskurs - nämlich „Rettung“, „Pleite“ und „Griechenland - anhand von Analysen am Deutschen Referenzkorpus (DeReKo), welche Verschiebungen es für die statistischen Vorkommenswahrscheinlichkeiten verschiedener Kookkurrenzpartner dieser Einzelwörter in jüngerer Zeit jeweils gegeben hat. Dabei zeigt sich, dass in allen drei Fällen seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise solche Partnerwörter dominant werden, die thematisch unmittelbar mit dem Diskurs um diese Krise verbunden sind. 1. Wörter in Kontexten Viel ist in diesem Band von skrupellosen Bankern die Rede und von einer entfesselten Finanzbranche, deren auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtetes Handeln im Verein mit einer bemerkenswerten Bereitschaft, Risiken zu ignorieren, eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelöst hat. Ein prominentes Muster, das sich in der diskursiven Bearbeitung dieses jüngsten Kapitels der Weltwirtschaftsgeschichte ergeben hat, unterscheidet einerseits in Akteure, die überwiegend mit negativen Attributen belegt werden (eben die skrupellosen Banker), und andererseits passiv Beteiligte, denen tendenziell eine Opfer-Rolle zugeschrieben wird. Die Bedeutung eines Wortes lässt sich bis zu einer gewissen Abstraktionsstufe extensional beschreiben; das wird beispielsweise in einsprachigen Wörterbüchern versucht. Das zehnbändige Duden-Wörterbuch definiert etwa „Banker“ als „Bankier, Bankfachmann“, verbunden mit dem Register-Hinweis „ugs.“, also umgangssprachlich (Duden 1999, Bd. 1, S. 455, s.v. „Banker“); eine pejorative Nebenbedeutung, wie sie in vielen in diesem Band besprochenen Texten unüberhörbar mitschwingt, ist nicht gebucht. Natürlich ist damit noch nicht alles gesagt. Tatsächlich hat der Wortschatz immer auch eine dynamische Komponente, die Bedeutung eines Wortes wird wesentlich bestimmt durch die Kontexte, in denen es gebraucht wird. Das hat einerseits sehr praktische kognitive Vorteile, weil auf diese Weise der Prozess der Rezeption von Sprache, der ja immer zeitlich linear verläuft, durch Kontextroutinen sozusagen vorentlastet werden kann, es können Bedeutungskomponenten quasi Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 214 vor-aktiviert werden. Etwas plakativ formuliert: Wer „backen“ hört, weiß, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der „Kuchen“ folgt. Auf der anderen Seite können besonders häufige Kontexte Wortbedeutungen prägen und umprägen; dieses Verfahren ist als Epitheton ornans schon aus der antiken Rhetorik bekannt: Wenn Odysseus oft genug „der listenreiche“ geheißen hat, denkt man dieses Attribut irgendwann auch ohne seine explizite Nennung mit. Es können Nebenbedeutungen entstehen, Allusionspotenzial, Mitgemeintes. Dabei gibt es Präferenzen, manche Kontexte sind häufiger als andere, manche Verbindungen systematischer als andere. Indem sich die Welt ändert, ändern sich auch die präferierten Gebrauchskontexte, und in diesem Sinne ändert sich auch die Bedeutung eines Wortes. Welche Folgen hat es nun für die Bedeutung einzelner Wörter, wenn sie verstärkt oder gar dominant in bestimmten Kontexten vorkommen? Im Folgenden wollen wir auf der Basis eines großen elektronischen Textkorpus, des Deutschen Referenzkorpus (DeReKo; Kupietz et al. 2010; Kupietz/ Keibel 2009) des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), untersuchen, ob sich im Zuge der Finanzkrisen der vergangenen Jahre bereits Änderungen im Sprachgebrauch nachweisen lassen in dem Sinne, dass für einzelne Wörter, die in diesem Diskurs Schlüsselwörter sind, bestimmte lexikalische Nachbarschaften statistisch auffällig geworden sind. 2. Auf der Suche nach Kookkurrenzen Es geht also um Haltungen gegenüber Entitäten, die finanzwirtschaftlich bzw. finanzpolitisch eine Rolle spielen. Dabei fokussieren wir darauf, wie diese Haltungen in überregionalen Medien zum Ausdruck kommen. Die Aspekte eines Wortes, aus denen sich sprachlich eine Haltung konstituiert, sind für gewöhnlich nicht Bestandteile seiner Bedeutung im eigentlichen Sinne; nur in besonderen Fällen wird dies auch lexikografisch erfasst und dokumentiert. So heißt es etwa im zehnbändigen Duden-Wörterbuch unter dem Lemma „Itaker“: Ita|ker, der; -s - [zu ↑Italien] (ugs. abwertend): Italiener […] (Duden 1999, Bd. 5, S. 1988). Der Rechtschreibduden liefert eine sehr ähnliche Angabe, dort heißt es: Ita|ker, der; -s - (ugs. veraltend abwertend für Italiener) (Duden 2013, S. 565) Geringfügig abweichend ist die Online-Version des Rechtschreibdudens strukturiert; hier liest man unter dem Lemma „Itaker, der“ in der Kategorie „Bedeutungsübersicht“ lediglich den Eintrag „Italiener“, in der Kategorie „Gebrauch“ findet sich hingegen der aus der Printfassung bekannte Eintrag „umgangssprachlich veraltend abwertend“ (www.duden.de/ rechtschreibung/ Rettung - Pleite - Griechenland 215 Itaker, 12.1.2017). Dass es hier Übergänge, Unschärfen und gewisse lexikografische Ungleichzeitigkeiten gibt, zeigt etwa das Lemma „Polacke, der“: Hier ist der pejorative Aspekt als Teil der Bedeutung - eben in der Kategorie „Bedeutungsübersicht“ und nicht unter „Gebrauch“ - notiert: „diskriminierende Bezeichnung für Pole“ (www.duden.de/ rechtschreibung/ Polacke_Schimpfwort_Pole, 12.1.2017). Lexikografen lesen die durch ein Wort ausgedrückte Haltung aus seinem Gebrauch innerhalb einer Sprechergemeinschaft, eventuell auch mit Bezug zu einem bestimmten Zeitraum, heraus. Neben der situativen Einbettung, in der eine gesprochene Äußerung auch anhand der Betonung als Beleidigung o.Ä. erkennbar ist, ist die sprachliche Kontextualisierung ein guter Indikator für die wertende Einordnung. So wurde etwa der Itaker in abwertender, ja beleidigender Weise mit dem Wort Spaghettifresser kombiniert, analog etwa auch Kanake mit Dönerfresser oder Knoblauchfresser. Diese Formulierungen können auch durchaus in berichtenden schriftsprachlichen Texten Nicht-Beteiligter nachgewiesen werden, die den besonderen Charakter u.a. auch mit beschimpft als … kommentieren. In den bisher genannten Beispielen sind die Wörter quasi in ihrer gesamten Verwendungsbreite mit einer Haltung aufgeladen. In anderen Fällen können Wörter in vielen Situationen neutral gebraucht werden. Ihnen können aber über konnotierende Verwendungsweisen hinsichtlich bestimmter Aspekte Markierungen angeheftet werden. Diese können sich in gewissen Diskursen bis hin zu quasi klischeehaften Vorstellungen oder Stereotypen verfestigen: Manche Nationen gelten z.B. als übertrieben sparsam, andere als besonders fleißig, weil oft genug zu lesen ist: Schotten sind […] geizig und Japaner […] emsig. Moderne Lexikografen verlassen sich nicht (nur) introspektiv auf ihre Intuition, sondern greifen auf empirische, korpusbasierte Methoden zurück, um typische (schrift-)sprachliche Kontextualisierungen aufzuspüren. Ein bewährtes, implementiertes Verfahren dazu ist die Kookkurrenzanalyse des IDS (Belica 1995), die über das Recherchesystem C O S MA S II (Bodmer Mory 2014) auf das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo) anwendbar ist. Das Ergebnis einer derartigen Analyse zu einem gegebenen Bezugswort ist eine Liste von typischen Wortverbindungen, die durch die Nennung der Partnerwörter und der hervorstechenden syntagmatischen Realisierung angegeben werden. Abbildung 1 zeigt schematisch und grob vereinfacht nur die Partnerwörter von Zweiwortkombination zu dem Bezugswort Schwaben in einer hierarchischen Darstellungsform. Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 216 Schwaben sparsam xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx Schwaben xxxxxxx xxxxxxx sparsam xxxxxxx geizig xxxxxxx fleißig xxxxxxx emsig ⓑ ⓐ ⓒ Abb. 1: Stereotypen andeutende Partnerwörter in Kookkurrenzprofilen zweier unterschiedlicher Datenquellen (fiktiv) Die Gesamtheit aller signifikant auffälligen Wortverbindungen nennen wir Kookkurrenzprofil des Bezugswortes. Von der Fülle der ermittelten Informationen verwenden wir im Folgenden vor allem das Vorhandensein eines oder mehrerer Einstellung-indizidierender Partnerwörter und deren Rang (vgl. (a) in Abb. 1), d.h. deren Position im Verhältnis zur statistischen Auffälligkeit aller Wörter im Profil. Für den Vergleich zweier (oder mehr) verschiedener Datenbestände können Hinweise auf unterschiedliche Haltungen darin zum Ausdruck kommen, dass ein betrachtetes Partnerwort auf unterschiedlichen Rängen ermittelt wurde (vgl. (b) in Abb. 1), dass derselbe Aspekt mit einem stärker konnotiert aufgeladenen Partnerwort oder mit einer größeren Bandbreite an Partnerwörtern ausgedrückt wird (vgl. (c) in Abb. 1). Der Vergleich der beiden Profile in Abbildung 1 legt also nahe, dass in den dem linken Profil zugrundeliegenden Quellen Schwaben in erster Linie als sparsam betrachtet werden. In den Quellen, die dem rechten Profil zugrunde liegen, wird dieser Aspekt bereits höher gewertet, zusätzlich verstärkt durch die negativ aufgeladene Charakterisierung als geizig. Darüber hinaus zeigt dieses Profil auch weitere Bewertungen wie fleißig und emsig. Unterscheiden sich die beiden Datenbestände nur darin, dass sie aus aufeinander folgenden Zeitabschnitten gespeist sind, kann man den Befund als Zunahme bewertender Haltungen interpretieren. Rettung - Pleite - Griechenland 217 Dass zwei Wörter gemeinsam auftreten, ist noch kein hartes Indiz dafür, dass der dadurch ausgedrückte Sachverhalt als gegeben gesehen werden kann. Grundsätzlich könnte die Verbindung auch Teil einer längeren Fügung sein, in der der Zusammenhang gerade negiert oder in Frage gestellt wird („Schotten sind gar nicht geizig ...“) oder als nicht-faktisch beschrieben wird („wird behauptet, dass die Schotten geizig seien ...“). 1 Die Überprüfung, ob derartige Formulierungen nur Einzelfälle im Vergleich zur systematisch-stereotypen Verwendung darstellen, ist zwingender Teil einer korpuslinguistischen Vorgehensweise, die stets quantitative und qualitative Auswertungen miteinander verknüpft. Für die folgenden Untersuchungen ausgewählter Begriffe wenden wir die Kookkurrenzanalyse auf zeitlich gegliederte, homogen zusammengesetzte Teilmengen des Deutschen Referenzkorpus (Institut für Deutsche Sprache 2013) an. Die Analyseergebnisse werden auf zwei unterschiedliche Arten visualisiert. Anstelle der oben gezeigten hierarchischen Form setzen wir eine ringförmige (bzw. genaugenommen hyperbolische) Darstellung ein, wie sie in Perkuhn (2007a, b) eingeführt wurde (vgl. Abbildung 2, links). Dadurch kann das gesamte Profil auf einer begrenzten Fläche gezeigt sowie das Vorhandensein und der Rang bestimmter Partnerwörter hervorgehoben werden (vgl. (a) in Abb. 2). Der Vergleich zweier Grafiken vermittelt einen Eindruck von einer eventuell beobachteten unterschiedlichen Breite von Partnerwörtern, die eine ähnliche Haltung ausdrücken (vgl. (c) in Abb. 2). Ausgewählte Partnerwörter, deren Rang sich über die verschiedenen Zeitabschnitte hin markant verändert hat (vgl. (b) in Abb. 2), werden mit Rangverlaufskurven illustriert, wie sie in Perkuhn/ Belica (2016) eingesetzt wurden (vgl. Abb. 2, rechts). Dazu werden die Ränge der Wörter in den Kookkurrenzprofilen der jeweiligen Zeitabschnitte auf einer logarithmischen Skala aufgetragen, um die Stärke der Veränderung gewichtet ausdrücken zu können. 1 Oder es sind Teile stark idiomatischer Fügungen wie „ist [etwas|was] faul im Staate Dänemark“ - alle Beispiele, Kookkurrenzen und Syntagmen sind durch Recherchen und Analysen in unseren Korpora belegt. Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 218 ⓑ Schwaben xxxxxxx sparsam xxxxxxx geizig fleißig emsig ⓐ ⓒ xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx xxxxxxx Rang absteigend Rang aufsteigend Messpunkte / Zeitabschnitte Abb. 2: Hyperbolische Darstellung eines Kookkurrenzprofils/ Rangverlaufskurve (schematisch) Grundsätzlich lassen sich die Auffälligkeiten bei den Wortverbindungen leichter an (flektierten) Wortformen festmachen, so dass in den Beispielen zu einem Lemma-Bezugswort die Partnerwörter in flektierter Form ermittelt und angezeigt werden. Über die Flexion hinaus wird auch die Verwandtschaft der Partnerwörter über einen gemeinsamen Wortbildungsstamm ausgenutzt, um leichter auf Hinweise zu Wortfeldern zu gelangen, die im Kern dieselbe Haltung zum Ausdruck bringen. 3. Kookkurrenzprofile von „Rettung“, „Pleite“ und „Griechenland“ 2005 - 2011 Im Folgenden wollen wir zeigen, wie sich die Kookkurrenzprofile, d.h. die präferierten Gebrauchskontexte und die lexikalischen Nachbarschaften, von drei ausgewählten Einzelwörtern unter dem Einfluss der Finanzkrise verschoben haben. Das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo) umfasst geschriebene deutschsprachige Texte aus den deutschsprachigen Ländern, darunter eine große Zahl von Zeitungstexten. Unser Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Jahr 2005, also mit einem kleinen Abstand vor Ausbruch der Krise. Ausgewählt haben wir aus einer umfangreichen Liste von Kandidaten, die Begriffe aus dem Finanz- und Bankwesen und aus dem Kontext der Euro-Krise sowie eine Reihe von Staatennamen enthielt, drei Wörter mit besonders charakteristischen Mustern: aus dem Bereich des finanzpolitischen Krisenmanagements das Schlüsselwort „Rettung“, aus dem Kernbereich der Wirtschafts- und Finanzwelt das Wort „Pleite“, und schließlich von den Staatennamen das von der Krise in besonderer Weise betroffene „Griechenland“. Alle drei Wörter haben eine alltagssprachliche Grundbedeutung, die zunächst nichts mit der Finanz- und Staatsschuldenkrise zu tun hat; verworfen haben wir entsprechend sehr spezielle Termini wie „Immobilienblase“ und insbesondere solche, die überhaupt erst im Kontext des Finanzkrisen-Diskurses geprägt oder popularisiert wurden, wie etwa „Bad Bank“ oder „Eurobonds“. Rettung - Pleite - Griechenland 219 3.1 „Rettung“ 2005 - 2011 Dass Banken oder gar Staaten in derartige Schwierigkeiten geraten können, dass über ihre „Rettung“ gesprochen werden muss, ist eine der Erkenntnisse der vergangenen Krisenjahre. Zunächst hat das Wort „Rettung“ jedoch einen recht unspezifischen und breiten Geltungsbereich. Wir zeigen nun die Kookkurrenzprofile von „Rettung“ in Dreijahres-Schritten. 3.1.1 „Rettung“ 2005 Betrachten wir also zunächst die Kookkurrenzpartner von „Rettung“ im Jahr 2005. Abbildung 3 präsentiert in der oben erläuterten hyperbolischen Darstellungsweise diejenigen Wortformen, die im Korpus mit dem Lemma „Rettung“ signifikant auffällige Wortverbindungen eingehen; die ersten acht Partnerwörter, beginnend auf Position neun Uhr, sind in der Darstellung lesbar gemacht. Schiffbrüchiger naht letzte letzter Freibades Mombacher Hallenbades Hoffnung DGzRS bremen patientengerechte Familienehre Burgdenkmäler verliebt Oberlahr angeschlagenen Freibads Gesellschaft Bürgerinitiative privatwirtschaftlicher Schritte Bades wundersamen Verletzten Sachwerten Alu−Werke nahte Volksentscheids Effektgewitter schnelle U−Boots Unternehmens Aluminium−Werke Photo−Me Überlebenden Weltraumteleskops AgfaPhoto Arbeitsplätzen Altrheins Kiras Flug HAW Volksgesetzgebung Versandsparte Minute Sekunde Zehn Initiativen Orchesters Versuch Baukonzerns Lanz−Kapelle Ertrinkender insolventen Not taz Brandbekämpfung Lebens Personen Traditionsunternehmens Lahrer Gestalt Schwimmbades Seeleuten verunglückter Bemühungen Matrosen Letzte eingeklemmten Zukunftsvertrag Menschen Mediziner atomaren verqualmten profitables Regenwaldes Initiative Bündnis Leica Wildtieren Ahrweiler Geisel Hubble Drehleiter eingeschlossenen vermissten mögliche vorläufige Kulturgüter Afrikas alternden Überlebender einzige Eingeschlossenen wundersame beizutragen Abstieg Ernstfall Verletzter finanzielle Scorpio Borussia dramatischen bedeuten Regensburg ISS Sicht Übung unternommen bedrohten Raumstation Unterschriften einzusetzen Agenturen vorzeitigen Welt Person Bergung gehofft Deutsche Tochter Kindes Jobs tausende höchster Chance Chancen vieler Helfer Jahn Nation tragbare feine Arbeitsplätze gelang Aussicht suchten Bau Walter Vereins beitragen Lampertheimer Versorgung Katze bringen endgültige wartet warteten finanziellen greifbar Werks Bergleute Beitrag spät Hauses Juden 140 direkte deutschen eingesetzt sieben Möglichkeit Möglichkeiten möglicherweise Sanierung Kampagne Menschheit Marine aussehen Theaters getan finanziell jüdischen Nase benötigen spektakuläre Wiederaufbau geübt bringt warten beteiligt Nürnberger Basis Dortmund Lindenhof passieren Standorte Passagiere genießt kam Beschäftigten erhofft verletzten Therapie Deutschen hoffen gescheitert Bewohner Rhein Gebäudes Linken Menschenleben Rettung Abb. 3: Kookkurrenzprofil von „Rettung“ 2005 (1) Das Ergebnis ist einigermaßen unspektakulär und vergleichsweise leicht zu interpretieren. Zum einen gibt es Kookkurrenzen, die sich als (allgemeinsprachliche) usuelle Wortverbindungen einstufen lassen („Rettung naht“ ist eine feste Wendung) oder auf dem Wege dahin sind (die Festigkeit der Paarung „letzte Rettung“ bzw. „letzter Rettung“ - man beachte, dass hier bei den Kookkurrenzprofilen die Wortformen betrachtet werden und nicht die diesen zugrundeliegenden Lexeme - ist intuitiv plausibel; auch dass, wenn von Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 220 „Menschenleben“ die Rede ist, es sehr häufig um deren „Rettung“ geht, dürfte nicht weiter verwundern). Zum zweiten gibt es Wörter, die insgesamt sehr selten sind, deren gemeinsames Auftreten mit dem betrachteten Partnerwort aber statistisch gesehen wenig wahrscheinlich ist, so dass sie in der Rangliste trotz ihrer absolut niedrigen Auftretensfrequenz relativ weit oben erscheinen; auf diese Weise werden ein Hallenbad in Mombach und ein Freibad (übrigens dasjenige in Oberlahr) kurzzeitig zu prominenten Partnerwörtern. Die dritte Gruppe schließlich bilden Wörter, die nicht zuletzt deswegen statistisch auffällig sind, weil sie als Teile von Institutionennamen vorkommen; hier ist es das Wort „Schiffbrüchiger“. Abbildung 4 zeigt dasselbe Kookkurrenzprofil mit einer um eine Position erweiterten Hervorhebung. Menschenleben Schiffbrüchiger letzte letzter Freibades Mombacher Hallenbades Hoffnung bremen patientengerechte Familienehre Burgdenkmäler verliebt Oberlahr angeschlagenen Freibads Gesellschaft Bürgerinitiative privatwirtschaftlicher Schritte Bades wundersamen Verletzten Sachwerten Alu−Werke nahte Volksentscheids Effektgewitter schnelle U−Boots Unternehmens Aluminium−Werke Photo−Me Überlebenden Weltraumteleskops AgfaPhoto Arbeitsplätzen Altrheins Kiras Flug HAW Volksgesetzgebung Versandsparte Minute Sekunde Zehn Initiativen Orchesters Versuch Baukonzerns Lanz−Kapelle Ertrinkender insolventen Not taz Brandbekämpfung Lebens Personen Traditionsunternehmens Lahrer Gestalt Schwimmbades Seeleuten verunglückter Bemühungen Matrosen Letzte eingeklemmten Zukunftsvertrag Menschen Mediziner atomaren verqualmten profitables Regenwaldes Initiative Bündnis Leica Wildtieren Ahrweiler Geisel Hubble Drehleiter eingeschlossenen vermissten mögliche vorläufige Kulturgüter Afrikas alternden Überlebender einzige Eingeschlossenen wundersame beizutragen Abstieg Ernstfall Verletzter finanzielle Scorpio Borussia dramatischen bedeuten Regensburg ISS Sicht Übung unternommen bedrohten Raumstation Unterschriften einzusetzen Agenturen vorzeitigen Welt Person Bergung gehofft Deutsche Tochter Kindes Jobs tausende höchster Chance Chancen vieler Helfer Jahn Nation tragbare feine Arbeitsplätze gelang Aussicht suchten Bau Walter Vereins beitragen Lampertheimer Versorgung Katze bringen endgültige wartet warteten finanziellen greifbar Werks Bergleute Beitrag spät Hauses Juden 140 direkte deutschen eingesetzt sieben Möglichkeit Möglichkeiten möglicherweise Sanierung Kampagne Menschheit Marine aussehen Theaters getan finanziell jüdischen Nase benötigen spektakuläre Wiederaufbau geübt bringt warten beteiligt Nürnberger Basis Dortmund Lindenhof passieren Standorte Passagiere genießt kam Beschäftigten erhofft verletzten Therapie Deutschen hoffen gescheitert Bewohner Rhein Gebäudes Linken DGzRS naht Rettung Abb. 4: Kookkurrenzprofil von „Rettung“ 2005 (2) Hier tritt zusätzlich als Partnerwort die „DGzRS“ auf, die „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ - womit zugleich klar ist, warum die Wortform „Schiffbrüchiger“ so ein starker Kookkurrenzpartner von „Rettung“ ist. Für das Jahr 2005, d.h. für die Zeit vor Ausbruch der großen Finanz- und Wirtschaftskrisen, lässt sich konstatieren, dass sich im öffentlichen Diskurs das Wort „Rettung“ überwiegend in alltagssprachlichen Kontexten findet; unter den prominenten Kookkurrenzpartnern ist von Geld und Banken und Euro und dergleichen noch nichts zu sehen. Rettung - Pleite - Griechenland 221 3.1.2 „Rettung“ 2008 Ganz anders sieht das drei Jahre später aus. Abbildung 5 zeigt die Kookkurrenzpartner von „Rettung“ für das Jahr 2008 - das Jahr, in dem die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers infolge der ab 2007 einsetzenden Finanzkrise Insolvenz beantragte, in deren Folge eine ganze Reihe weitere Geldhäuser auch in Deutschland in Schieflage gerieten und - überwiegend mit öffentlichen Mitteln - „gerettet“ wurden. Banken Estate Hypo AIG Immobilienfinanzierers Alitalia Aktionsbündnisses Bank letzter naht Finanzbranche Qimonda Menschenleben Gesellschaft bedrohten Lehman Fannie Burgdenkmäler Stearns Finanzsystems Bankensystems Weltklimas Parbat Milliarden angeschlagener letzte US−Versicherers Nanga Klimas Bear milliardenschweren Südtiroler Welt bedrohter Versicherungsriesen Kehrer Fortis Investmentbank Fluggesellschaft Delphine krisengeschüttelten maroden Schiffbrüchigen nahte Ringen Fluglinie milliardenschwere Airline EU−Reformvertrags Lavamaars US−Hypothekenfinanzierer 700−Milliarden−Dollar−Paket Fortis−Bank US−Versicherungskonzerns EU−Notfonds Minute Flächentarifvertrags Milliardenpaket Staat Planeten Finanzmärkte freigemacht Bergkameraden Sekunde erkrankter Gesetzesänderung 500−Milliarden−Euro−Paket Unternehmens Landesbank notleidender belgisch−niederländischen Aufbau−Verlags WestLB endgültigen geratenen Bergsteiger Ertrinkender Montag/ 13.00 deutschen Beitrag Konzerns Spitzenbankern staatliche Familienehre Milliardenlöcher GDR Mae insolventen Konzerntochter Paket Extrembergsteigers dramatische Dramatische bereitstellen Landesbanken IKB−Bank Hubschrauber Großdemonstration Biologie−Studentin Hoffnung Brothers Anleiheversicherer 500−Milliarden−Pakets Bemühungen Lissabon−Vertrags Speicherchip−Tochter Amphibien abgestürzten Freizeitbads beteiligen Ambac Finanzkonzerns Helikopterflüge BayernLB Milliardenbeträge Nones Kulturdenkmals finanziell Staatsbeihilfen 700−Milliarden Dollar−Paket Maßnahmen fieberhaft Finanzsektors Welterbes 500−Milliarden−Paket Not−Zinssenkung Plan Cowen 700−Milliarden−Dollar−Fonds Blankenburg EU−Konferenzen Investorengruppe & verwahrloster spektakulären Firmenimperiums Finanznot beizutragen Finanzinstitute Bankenbranche Sprachgesetze Juden US−Regierung Dexia dreistellige Speicherchipherstellers Carlitz verschütteten US−Banken Atomtechnik Apfelweins Hoffnungen Grundsätze Freddie Klimakatastrophe Regenwälder Helgoländer Steuerzahler Wenger Autobranche Spektakuläre Schalmeienklänge Sicht ankam Raketenabwehr Industriebank Not eingeklemmter Telefonhäuschen Gedanke Brokerhauses Deutschen Verhandlungen Privatbanken Menschen Zeitdruck Vermissten Großbank beigetragen Tschad drohenden Bergung Finanzspritze Großteils Notfonds Biner spät italienischen Paulson Frattini SachsenLB US−Autoindustrie Reformvertrags Lavamaar Infineon−Chef Verletzten konstruktive potenziellen Sarkozys kriselnden Stefani Liebenburg Ertrinkenden gemeinsame Steuergelder Verschütteten Immobilienfinanzierer unbeteiligter Fußball−Wunder FARC−Rebellen Klinikmitarbeiter Übungen vermeintliche Augenmerk Fonds verletzten versprechen bevorstehende 99ers Hoberg T e r m Bürgerkomitee Finanzmarktes Group aufzubringen Finanzwelt Betancourts US−Immobilienkrise Milliarden−Paket Personen Kasse US−Autobauer Staatsbankrott Versicherers Welterbestätten Rahmenabkommen Menschenlebens CAI Lauterns Kreuzteich Deutsche Investoren Aussicht Überwindung Merckle kämpfenden Hedge−Fonds EU−Vertrags indianischer schwerkranke geschwunden Fensterbänken Verein direkte Instituts öffentliches anfertigen misslingt Bankensektors fünftgrößte scheitern Drehleiter spektakuläre eingeschlossenen Turmes vermissten gescheitert schnelle geeinigt endgültige höchster verkünden Messner einzugreifen Steuergeld Krisengipfel verunglückter Ressortchefs American Sponsoren gerichtet Pleite Geiseln US−Investmentbank Standortes Kreditinstituts quittieren einzige galt weitgehend Aktionen Autoindustrie Konjunktur angeschlagene ergreifen Brandbekämpfung Maßnahmenpaket Hypothekenbanken Unfallopfern aufzulegen schwer Institute teure aufbringen Hertie Karmann Abgrund vorlegt Hilfspaket Urwälder Gefahrenbereich Geldnot Noahs Pappeln Krisenregionen Notverkauf mögliche Jobs Fed Börsianer flossen Auffassungen Bähr Seefahrer Meetings eingeklemmten Hapag−Lloyd Neelie Hapag Bund sportliche Menschheit Deckel Aufspaltung abgesegnet US−Kongress Hypothekenbank vorläufige US−Wirtschaft Luft Gesetz Sarkozy Opel Aufruf Kompromiss Aussichten Ehre Untersuchungsausschuss radikal Grundrecht kranker warten beraten hoffen International entscheidend zugesagt Iren Vertrags Franco Investitionsprogramm erwägen Leitern geglückten Entscheidende akuter Spezielle Kroes bringen Chancen Mittel bereitgestellt Alleingang Gelingt Krisensitzung Paukenschlag wirkliches Regenwald Milliardensummen gestorbenen engagiert Anleger drohen lebenden Staatschef stürzen vorläufigen Langen Bündnisses zurückhaltend Pellenz Mindestlöhne hektisch dreistelligen Verunglückten Vorschläge Insolvenz Demonstration Abstieg Höhen Werks weltgrößten Long Überleben privater Denkmals erfüllten Kapitalspritze Standorts geheißen absteigen sanken Sanierungsarbeiten Szenarien Bundesregierung Person Bush stärker gesichert Initiative Kampagne Arche Steinbrück brennenden Desaster Notenbank Letzte Lloyd Automobilindustrie abschließende Bochumer Euro leisten Lösung gebeten finanzielle Amerikaner finanziellen Beschäftigten Obama bundesweiten kranken Opfers Vorschlägen zweier scheiterte Trümmern 7 2 Moderator Bestellung Bayerns Citigroup Artenvielfalt Baugewerbe späte Nabu Umstrukturierung Himalaya Stunden Möglichkeiten Hauses verkündet Tigers weltweiten Börsen Düsseldorfer Ice Motors notwendigen Summen verzweifelt ausgerichtet bereitzustellen gehofft Volkswagen Selbstanzeige Protestaktion Anstalt zusammengeschlossen Auftraggeber Tiefen Selbstverständlichkeit aussichtslos Bäume hofft staatlichen erleichtert verhindert warteten engagieren Lissabon vereinbarten Prinzipien Reinhold Kapitalismus scheitert Rezession vorgelegte Hochtouren Werften professionellen Flocke Babys Capital Kanzleramt hilflosen Rückschlag Vereins bedeuten Erde Erleichterung stehenden lehnt vereinbar Freilassung Bewahrung tagelang begraben Mitgliedstaaten ausharren Kollaps Krise brachte Verkauf Verfügung EU−Kommission Forderungen verhandelt demonstriert Schlosses Chrysler Belegschaft Theaters Nationalen erhoffen auszugeben geschnürt Flughafens Pfaff Chance Schloss Wetter Verwendung Nachricht unternommen amerikanischen entscheidet Feuerwehrleute aufkommen Völker Strategie Unfallstelle Priorität Grundsätzlich einzelner Unfallopfer maßgeblich Arbeitsplätzen Anlauf Krediten Verstaatlichung kam Weg Idee Tochter privaten kämpfen prüft vergeblich Versorgung 1200 deutlicher umsetzen dramatischen üben De Gebäudes riesige Brown Investor Kompetenz Aktionstag lokalen Kongo verbrannt verletzte Projekts Mithilfe bundesweite Insolvenzverwalter Feuerwehr Konzept eingesetzt glauben nationalen umstrittenen Stiftung prüfen informiert gestartet Augenblick Außenminister hessischen Passagiere Gelder spenden Doppel locker Förderverein rang Autobauer Business Häusern Dollar setzt Sprecher Simon Tisch Sachsen öffentliche Suche beitragen schweren ruft Münchner Staates notwendige überraschend Siege verpflichtet einzelne Vertretern Absturz unterschiedlichen Einsatzkräfte Schließung Anzeichen grundsätzliche investieren Zeiss 90er Armut Wettlauf erfolglos koordiniert Real DGzRS HRE Aktionsbündnis Krankenhäuser Mittelstandsbank angeschlagenen Schiffbrüchiger Rettung Abb. 5: Kookkurrenzprofil von „Rettung“ 2008 Hier sieht man einerseits bestimmte Kontinuitäten: „Schiffbrüchiger“ ist nach wie vor ein wichtiger Kookkurrenzpartner; außerdem gibt es hier in der Darstellung, nicht hervorgehoben, einige Einzelwörter, die statistisch unwahrscheinlich sind und nur punktuell emergieren („Krankenhäuser“, „Aktionsbündnis“ - ähnlich wie bei 2005 die Wörter „Freibades“ und „Hallenbades“). Der wichtigste Kookkurrenzpartner ist aber tatsächlich schon „Banken“; unter den Top Ten stehen außerdem, in der Grafik halb verdeckt, die „Mittelstandsbank“ (gemeint ist die IKB Deutsche Industriebank, die ab 2007 vor allem mit Mitteln der staatlichen KfW gerettet wurde) sowie die „HRE“, die „Hypo Real Estate“ (die nach der Lehman-Insolvenz in existenzielle Schwierigkeiten kam, als erste deutsche Bank staatliche Garantien in Anspruch nahm und dann 2009 verstaatlicht wurde). Natürlich gehört auch die Wortform „angeschlagenen“ in diesen Kontext. Hinter dem Eintrag „HRE“ verbergen sich, in Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 222 der Grafik nicht lesbar, noch drei interessante Felder, nämlich der Namensbestandteil „Real“ der HRE, außerdem die von 2005 schon bekannte „DGzRS“ sowie, ebenfalls die Kontinuität zu 2005 sichernd, die Wortform „naht“ als Teil einer usuellen Wortverbindung. 3.1.3 „Rettung“ 2011 Was hat sich in den folgenden drei Jahren verändert? Durch eine ganze Reihe von finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Regierungen und Notenbanken kam es zwar zu einer gewissen Stabilisierung des Bankensektors, zugleich erhöhte sich aber die Staatsverschuldung erheblich; die daraus entstehende krisenhafte Zuspitzung, in deren Folge die europäische Gemeinschaftswährung unter massiven Druck geriet, betraf insbesondere Griechenland, aber auch Portugal, Zypern, Spanien und Irland. Diese Entwicklung spiegelt sich sehr eindrucksvoll im Kookkurrenzprofil von „Rettung“ des Jahres 2011 (vgl. Abb. 6). Griechenlands Schiffbrüchiger Banken DGzRS Gesprächsreihe Staatspleite Euros verschuldeten Athens Landes angeschlagenen Gemeinschaftswährung Pleite Nationalen Gesellschaft beteiligen angeschlagener Staatsbankrott Euro−Staaten Eurostaaten Freestyle−Bergsteiger Bankrott Gläubiger letzter WestLB Währung Burgdenkmäler klammer maroder Menschenleben wackelnder Krisenfonds Hoffnung Kosten Italiens Schuldensünders Portugals Eurozone Dekret Sparprogramm wundersame Schuldensünder pleitebedrohten Beteiligung Schuldenstaates Regierung Griechenland letzte privater drohenden Krisenstaaten Felsspalte Hubschraubern Mittelmeerlandes Pleitestaates Libyen verschütteten Unternehmens Sekunde kriselnder Staatsfinanzen Euro−Landes Versicherungen Euro−Länder verschuldeter bedrohten hoch Hilfsmaßnahme Pleitekandidaten beitragen Bildung Lösung Saab Währungsunion Verschütteter mögliche Dexia Verletzten Weltklimas Euro−Sorgenkindes Superhelgi Bergung erschwerte Steuerzahler verriegelt 1860 BayernLB Europas Bergleute Währungshüter Quietscheentchens sportliche strauchelnden Weg koordinierte Milliardenbürgschaften Deutschen nationalen EU−Sondergipfel Giorgos Privat−Banken eingeklemmt EFSF wundersamen Entrauchung endgültigen Staatsbürger nahte Finanzsektors Eurolandes Privatsektor Euro−Finanzminister Schuldenstaaten überschuldeter Freunde verkorksten Raumschlacht finanziellen Euroländer Schiffsbrüchiger Deutsche direkte Fußball−Zweitligisten Ku’damm−Bühnen Champions−League−Platzes Währungsfonds Manjipoor Krisentreffen substanziell Ciosz langfristigen Phobos−Grunt Landesbank Vermissten Abwicklungsanstalten Insolvenz Yasuní Bundesligaspielzeit freiwillig Verletzter Euroländern Schuldenkrise Kreditinstituten US−Geiseln Krisenstaates Pleitestaaten Milliarden verletzter Eichborn stärker finanziell Besatzungsmitgliedern Autobauers Parlamentsbauten hochverschuldeter Parlamente Dramatische eingeklemmten Traditionsunternehmens Kletterers Vorschnelle Nicht−Euro−Staaten finanzielle Bergarbeiter Sanierungsprogramme Spektakulärste Holzverarbeiters Z−Baus Juden Euro−Zone milliardenschwere Pompejis belgisch−französischen Minute Maßnahmen Menschheit Letzte schwinden Währungsreserven Missglückter geordnete Euro−Ländern schwand Bootsflüchtlingen Versuchsballons chilenischen Bergleuten schonende Seenotkreuzer Restprogramms schnelle akuter Großbanken Privatsektors Nato−Angriffe Liebenburger Ringen harten scheitern vorläufige vorgezogene Körpertemperatur eingeschlossenen geradestehen Regierungsgegnern Warmduscher Brüssel zielen Sektors Sparpakets Bundeswehreinsatzes belgisch−französische Gefahrenlagen w a r gemeinsame Aussicht zustimmen Diplomaten verschärfte zugesagte schiefen notleidender Erdbebenopfern NBA−Saison Rochusclub privaten Beschlüsse Papandreou 421 bereitstehen Maßnahmenpaket verunglückter Schuldnerstaaten spät Klarheit Staatsanleihen geforderte gepumpt Rodenstock Heranziehung Milliardenbetrag Ringens apokalyptischer beteiligt müssten eingesetzt vieler Opel vermissten Sicherheitskräften Libyens Raumsonde Sechziger Eishockeys Finanzkrise mitzutragen vorzeitigen wacht Wildcard schwächerer Volksliedes Kampf Regierungschefs spektakulären Glaube gerungen Europäern baskischen hochverschuldeten Aussperrung überschuldeten Kindes Kumpel Planeten sportlicher Finanzbranche Klimas gefährdeter US−Autobauer Militärintervention zionistischen unwegsamem Personen Investoren Pläne Freibades stündlich Elephant erfolgsverwöhnten Leiningen Welt Chancen irischen höchster ägyptischen Bankenkrise Liebenburg Bemühungen dramatischen Freistaat Parlamentswahlen Beckenbauer vorgestellten Turms Krisengipfel insolvent Manroland gepocht Schritt Staaten 3 3 Geldgeber Eckpunkte Kulturgüter Gewerkschaftsmitglieder Regimegegner warten Chance Vorschläge Berichten umfassende Sparmaßnahmen Großbank Dunz Ostafrika Regenwaldes Ungleichheiten Princess europäischen Verhandlungen Luxemburg Unfallstelle Rettungsschirm Pfleiderer Neuenfels Euro−Bonds erschöpfte Solidarität Sollte erfolgreichen uneins Evakuierung späte dementieren Seeweg vorangekommen isolierte auskennen Gläubigern Persischen Absicherung vermeintliche Verhaltensweisen förmlich Umschuldung spektakuläre aussichtslos eisernen prekären Not Ahlen Irlands Arminia Regenwald Gummersbach Schildkröte Landesbanken Vereins gescheitert Fonds Flüchtlingen Wichtigste Klubs verzweifelt israelischer Hürde alternativlos Tieres Beschlüssen dauere kurz rückt Neuer Gestalt Löwen Spekulanten schwindet Ankauf Fußball−Bundesliga Grundstein absteigen Äußerste weit Paket Diskussionen Kameraden Werks Versicherer Hubschrauber gelungene eindringlich Spekulation Belegschaft demonstriert Fahrers marode 132 spaltet 20−jährige Tauziehen Beitrag aufgerufen eingebunden Anlauf Mädchens Alstom verunglückten greifbar Cameron bergen bluten Waldes Doms private Griechen Debatte Versuch bedeuten erschwert profitiert Anstrengungen glückliche verletzten Bielefeld bemühte dauerhafte Flugzeuge Friedens insolventen Baustein Eurobonds Hochdruck betonten Sparpaket Regierungssprecher Weltwirtschaft aufwenden Aufstockung bangen Möglichkeiten geringer verlangt staatliche verpflichtet Frankfurt/ Main verpasst Schirm Clubs Staatsregierung Commerzbank greifen lauter Chrysler verdankt Tournee zerschlagen winkt verbuchen teure Relegation beiträgt Optionen dramatische Landsleute Einbeziehung geratenen Gondel Hochtouren Hilfe schwer hoffen Demokratie Voraussetzung benötigt griechischen entscheidende Stärkung Verpflichtungen Prinzessin ungewiss verständigt Bades sozialistischen Motors europaweit Eisbrecher anfordern Preis hofft einzige teurer V i e r kämpft blockiert Festivals freie vermeintlich erneute Zweitligisten Appell Finanzen Bekenntnis strikt Jahrestag Strang schafften angebliche problematisch bedeutenden Eifer Abstiegskampf Russlands bringen Merkel Soldaten tief Zentralbank Internationale Front Einsatzkräfte Sarkozy aufkommen Einbindung Hochwasser erschweren lehnen bedeutete durchzusetzen Rechtsstaat Unfallopfer Kristina Meldungen akademischen einzelner Baumholder maroden Katze Brandbekämpfung Roma kam Staat Bank ziehen gefordert deutscher technische kostet nötig wären jüngsten Position Plan Ausland aufgefordert Operation Feuerwehrleute Stabilität Gebäudes Ernstfall mobilisieren Kleinstadt jüdischer nährt Summen endgültige Soziales Konzepte München Rolle Tausende möglichst Erde Gut Einsätze Sparkassen gering Schiff Untergang sank Wolfsburger Rückschlag aufbringen womöglich Schaeffler irdischen Museums Initiativen erlebte Dunkelheit verhängt verschuldete Piraten Gegenzug Sicherheitskräfte Versuche Dankbarkeit hunderte Morgengrauen dauerhaften Verfall Länder schaffen anderer Person Wege geplante Helfer Schäuble Handeln Abstieg Berlusconi Garantien EU−Gipfel Profis konzentrieren Mission Demonstranten Jobs Aktionäre Bereitschaft Umständen Instituts Schritten Premier Entwicklungen einzig Zinsen beenden Stationen Favre gereicht Kollaps sportlichen Spezialisten Präsidium Real Hypo Estate HRE Hoffnungen naht Euro Rettung Abb. 6: Kookkurrenzprofil von „Rettung“ 2011 Wir sehen hier einerseits die alten Bekannten (die „DGzRS“ ebenso wie das „naht“ aus dem besprochenen Phraseologismus), außerdem mit „Gesprächsreihe“ den Typus kurzzeitig emergierender Partnerwörter. Andererseits erkennt man, wie der Finanzdiskurs zunehmend dominant wird: Die „Banken“ stehen unter den Kookkurrenzpartnern immer noch an dritter Stelle, die „Hypo Real Estate“ (inklusive ihrer Einzelglieder) ist schon etwas nach hin- Rettung - Pleite - Griechenland 223 ten gerückt. Neu hinzugekommen ist die terminologische Bewältigung der Eurokrise: „Euro“ und „Euros“, die „Staatspleite“ und - sogar schon an erster Stelle - „Griechenlands“. 3.2 „Pleite“ 2005-2011 Während „Rettung“ in seiner semantischen Extension zunächst noch vergleichsweise unspezifisch ist (‘jemanden aus einer bedrohlichen Lage befreien’) und man, um von „Bankenrettung“ oder „Staatenrettung“ sprechen zu können, ein bis zwei Metaphorisierungsstufen durchlaufen muss, ist „Pleite“, das, wie gesehen, im Kompositum „Staatspleite“ im Jahr 2011 zum wichtigen Partnerwort von „Rettung“ avanciert, in der Bedeutung ‘Bankrott’ von vornherein auf finanzielle Kontexte hin spezifiziert. Gleichwohl sind die Muster, die sich beim Vergleich der Kookkurrenzprofile von „Pleite“ der Jahre 2005, 2008 und 2011 zeigen, denjenigen von „Rettung“ erstaunlich ähnlich. 3.2.1 „Pleite“ 2005 Abbildung 7 zeigt, in der gewohnten hyperbolischen Darstellungsform, das Kookkurrenzprofil von „Pleite“ (inklusive „pleite“; Groß- und Kleinschreibung haben wir nicht unterschieden), wie es sich aus den Korpusdaten für das Jahr 2005 ergibt. Pannen Pech Folge drohende Serie bitteren Walter−Bau−Konzerns erneuten & Bittere dritte fünfte Baukonzerns gegangen bittere droht kurz neuerlichen zweite vierte deftige gegangene kassierten Holzmann Walter−Bau sechste Erneute drohenden abgewendet gehen Spiel abwenden AHBR kassierte 63,25 vier derben TSV−Reserve Walter peinliche wandelnden Reiseveranstalters letztwöchige Handball−Europameister z w e i weitere Schlusslicht Augsburger vierten hinnehmen 0: 4 totalen WorldCom 26: 37 deutliche Schachtjor Peinliche AgfaPhoto Fairchild drei Erste Interflug Pannenserie erste Kirch spektakuläre herbe zuletzt getrieben jüngsten kassiert Trainer Dornier Intertainment dritten Wiedergutmachung Paderborn Deftige Müdens Spielen Saisonauftakt indiskutablen Rande gerettet Bauriesen Fehlstarts Zahl voller Rumänien ausbügeln fünften Rover Viertes steuert Eimer Bau verantwortlich abzuwenden Autobauers Investors neuerliche abhaken Saisonspiel vorentscheidenden Partien Unternehmens Rand einzuspringen AGR Siege bedeutete vorangegangenen deftigen flossen Henke Rot−Weißen blamiert Schwergewichte nächste bewahren besiegelte Enron Amateuren Medienkonzerns siebten höhere 2: 3 verhinderten bedrohten abgehakt 2: 4 Revanche besiegelten angeknüpft Bauunternehmens Teamwettbewerb HSG befürchtete peinlichen Oberhaus Negativserie Traditionsfirma dumme erneute Remis private billigend unerwarteten schmerzte nahtlos Betriebes Ignaz weiteren jüngste Bratislava Privatpersonen geprägte ukrainischen traditionsreichen Auftakt retten Hinspiel Philipp Halbfinale siebte besiegelt totale Rapolder Titelkandidaten privaten deutlichen überraschende 0: 8 21: 25 badischen achte kassieren Dritte Kastellaun 59. ging Leo Lahnstein finanzielle Falle Saisonstart Konzerns Kette Bremm überraschenden Zugzwang derbe Klare 0: 5 verhindern laufenden Ferrari mitverantwortlich Spvgg Strabag zuzuschreiben unnötige Zwei Gründe verhinderte kommentierte Heimspiel Duell Hinrunde Pflegeversicherung EU−Verfassung Lutzerath Sog gabs Klassenverbleib Konkurrenten Aufsteigers verdienten 3: 4 gemacht Coach Drei Leverkusen folgten treibt Frust 05er Fußballer Gründer treiben ausverkauften Baumann Schützlinge vergangenen letzte erlebte zahlreichen betroffen sportlichen Fehlstart Skibbe stehenden sechsten Aufsteiger Düsseldorf bedroht wirkte anschließenden Sasic Kämpfen Baufirma WM−Qualifikation 3: 6 Barcelona letzten 2004 Grund Firmen Siegen vermeiden Schumacher Spieltag Liverpool Schuld 0 5 einstecken leisteten Rasen ginge fünf setzte Polen Anleger Bielefeld hohen Frank Kirchberg denkt Vorwoche 5000 Heimspielen enttäuschenden bedrohte Punktgewinn Brasilien erspart Nowitzki höchste Vierte nationalen achten gegangenen Genossenschaft Boss Pleite Abb. 7: Kookkurrenzprofil von „Pleite“ 2005 Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 224 Ähnlich wie bei „Rettung“ ist 2005 von der Finanzkrise, von Banken und von Staaten noch nichts zu sehen. Dominant sind unspezifische Partnerwörter: „(pleite) gegangenen“, „drohende (Pleite)“, „bitteren (Pleite)“ - wobei letztere Wendung übrigens häufiger, etwa im Kontext von Sportereignissen, nicht in der Bedeutung ‘Bankrott’, sondern metaphorisiert in der Bedeutung ‘Niederlage’ vorkommt. Von anderer Art sind die Partnerwörter „Pech“ und „Pannen“, die auf die Fernsehsendung „Pleiten, Pech und Pannen“ der ARD zurückzuführen sind (auch „Serie“ und „Folge“ gehören hierher). Eindeutig Teil eines ökonomischen Diskurses ist wiederum das Aufscheinen des „Walter-Bau-Konzerns“, der bis zu seiner Insolvenz im Jahre 2005 zu den größten deutschen Bauunternehmen gehörte. 3.2.2 „Pleite“ 2008 Ähnlich wie bei der (chronologisch eigentlich auf die „Pleite“ folgenden) „Rettung“ schlägt sich die 2007 einsetzende Bankenkrise unmittelbar im Kookkurrenzprofil von Pleite nieder (vgl. Abb. 8). Lehman Brothers Pech US−Investmentbank bewahrt drohende Investmentbank Folge US−Bank gerettet bittere bedrohten drohenden Serie abzuwenden Pooths bewahren peinlichen Stearns Milliardenhilfen AIG kurz kassierten Rand Milliardenunterstützung Alitalia dritte vierte jüngsten retten Franjo Reiseveranstalters Konzerns erste Chrysler Banken totalen gehen stehende Bear verstaatlicht Elektrogeräte−Unternehmens Pooth Motors totale & Erneute Kroatien Unternehmens herbe Peinliche Mutterkonzerns Welde−Tochter Mittelstandsbank BenQ historische unerwartete Spekulationen bedrohte Versicherungsriesen gegangen Handy−Sparte weiteren fünfte vorbeigeschrammt Bittere droht Estate haarscharf Notverkauf verhindern Hoffenheim gegangene Pooth−Firma Rettungsaktion deftigen Herbe Geldinstitut Firmengruppe getrieben Milliardenspritzen weitere drohender Speicherchipherstellers erneute IndyMac Auftaktwochenende Wall−Street−Legende Falle Hypo US−Sparkasse kassierte erneuten Anderlecht Woolies überraschende Bankenverbänden spektakulären weltgrößten entronnene Viertelfinal−Chance stehenden Finanzmarktkrise Verstaatlichung Fluggesellschaft einstecken GM−Chef z w e i Sparraten Ausmaß neuerliche Palmbräu Insolvenzgutachten hinnehmen festsitzen milliardenschwere offensiveres Ireland ideenlose überraschenden unnötige Walter−Bau−Konzerns Tursunov drei Nowitzki fünftgrößte Aufsteiger unerwarteten Tableau entronnen viertgrößten Boersma/ Bram Milliarden−Krediten Geschäftspartners Turn−Wettbewerbe Ex−Firma General Wagoner Zinsgeschäften Cottbus Finanzhäuser Hypothekenfinanzierer Woolworths Uefa−Cup−Saison US−Investmenthauses Haarde Schleuderpreis US−Versicherungskonzern peinliche Finanzsystem Emiel Bank Real Wiedergutmachung siebte verhinderte nacheinander Staatshilfen Immobiliensektor bittersten abgewendete Irún Abosender Firma Derby Autobauern Urlaubsort bestraften deutlichen treiben gerutscht Qimonda US−Geschichte Urlaubern schönzureden Ellscheid nächste HRE Einlagensicherungsfonds Unnötige Frauen−Auswahl DekaBank schlittern Spielen kassiert Zivilprozessen zuletzt Wolfsburg 1: 4 kommentierte Immobilienfinanzierer Schuld Schalker zweistellige Todesstoß Tipsarevic Schwick Börsenexperten Handygeschäft grußlos sechsten Fusionen Langenhahn bewahrte achte Balingen derbe 8400 Mutterhauses Küchenstudio Bandorfer Immobilienfinanzierers abgehakt Boxer manövriert 17.9. Dreisatz Schalke−Manager Zweite bedroht Kreditwürdigkeit Leisure Sigulda überheblichen knapp Remis voller besiegelt 66. verklagt Großkunden Wettbewerbsregeln Geldanleger 0: 4 abwenden Stephen Magazins Autoindustrie Texaner Unión Freezers Belastungen Pflichtspiel Fannie Safina Kamp−Lintfort US−Staaten schlittert geschickt Rezession Mavericks sieglosen Banco grassierte 25: 32 Quarterbacks geschlittert vierten Konkurrenten Verona Entlassungen neuerlichen SGM Handysparte Prause Geir Finanzkrise Breuer Geheimdienst Unkenntnis Janko Pannenserie denkwürdige geretteten Fußball−Bezirksoberliga Industriebank Ligaspiel Kyllburg wiederzusehen setzte Prozess XL lettischen SachsenLB ernüchternden Hypothekenbank Emittenten wahrscheinliche bewahrten Peking betroffen höhere abgewendet besiegelte 1: 5 Autozulieferer Milliardenverlusten erträglicher rutschen unglückliche Vorrunden Brady Garros Mutual Kroes Pohlheim Bruchertseifen Fall früheren größte deutliche 2: 5 Frontzeck verfolgten US−Notenbank Dudenhöffer Ausbeute deftige Dmitri Gegentoren fremdem Valladolid Hotspur einstehen 16: 21 Opel Zorn Rick RSC Dimitar BAWAG Vereinspräsident Rundumschlag Henin Duisburg Abstiegskampf Großbank Focus UEFA−Pokal argentinischen Versicherern Wörsdörfer stehendes isländischen blamablen Totalverlust Prunk Kellerkinder beurteilte zweite Institut Landesbank vermeiden Steuerzahler gerissen rettet Fluggesellschaften erlebten schuld Rehhagel theoretische Warnungen Infrastrukturmaßnahmen gesät riskanten insolvent Katakomben Stanislawski Friesenheimer Knappe erlebt Norwegen kassieren Außenseiter Utah Straßenrennen Deutlichkeit Deutlich Finanzspritze elfte fröhlicher Leerstände überarbeiteten verantwortlich Partien Zusammenhang Bush kurzem Staates BayernLB reißen Saarlouis Opel−Mutter Sparer Autobauers Fluglinie Brands Mittelklasse magere klaren verpasste Sechs Düsseldorfer spektakulär 96. Tottenham staatlicher Allofs Schelte empfindliche Nachholspiel Ratlosigkeit abzusichern Rettung Freddie Eisbären überwiesen fassungslos Daun blenden geerntet Ignaz unnötigen Handball−Bundesligisten Geldanlage mitverantwortlich kubanischen Hans−Hermann müsste Instituts 0: 5 Yorker Saisonspiel 1899 ritt Tabellenkeller Großwallstadt Nokia Panathinaikos Ypsilanti Eigentore Hohn vorhersehbar Uerdingen US−Autobauer Größte endeten Leverkusens haften BaFin traditionsreichen Miene vier verhindert Siegen einzige Gründe geraten Stewart erwartete sportlichen Söhne einigermaßen Badener Tabellenletzten Milliardenhöhe eilte Favre Borsig Ruderer Droht Gegentore beispiellose 4: 5 Dormagen Domaschenko Tage Hannover wenige Ärger höchste Winterpause Frust Manchester Kongress Ausfälle gleichzeitigen Pokal Kreditinstitut Finanzwirtschaft dementiert Hedgefonds Vierte schlitterte Folgen Krise Stuttgart Monate folgten Bochum Bielefeld Kirch absehbar Federer sahen eigenem verarbeiten Banker Dreharbeiten 3,5 Rückschläge appelliert elften Pflichtspielen entgeht Altmeister Verschärfung 49. Zahl geführt drohen fürchten mögliche vorerst Rückschlag Böse Zulieferer Niederländer Patzer Sportfreunde rutschte Hitzfeld 2: 4 EU−Staaten Königsklasse Notfall Melsungen Mülheim−Kärlich verzichtete Silvio vorgeführt sechste Schwaben rutschten Spitzenspiel amerikanischen Kaiserslautern Fonds Karlsruhe Schlusslicht Gründung ausgerechnet Hertha Viertelfinale rettete Fußball−Bundesliga Rheinböllen heimischer führenden Emmelshausen Klinsmann Mobile verwickelt zählten Dierdorfer doppelte rutscht Ablösung verschuldete enttäuschenden Sozialismus Übernahmen schwacher überwunden Rage deutschen Zwei Spieltag italienischen unmittelbar befürchten gelassen Erste höchsten Ehemann olympischen Absturz Berlusconi Treffern gestanden Rekordmeister kleineren Kliniken erfolgreichsten Kleinanleger Jol Hambuch Finanzaufsicht Trainer sechs zweiten Angst Grund Bremen Landes Düsseldorf Siege Weltmeister beinahe Saisonstart Dirk wies Fürth gezwungen erwarteten Südkorea Eishockey Karlsruher Kuba Gesundheitsfonds Hilfen Ryanair Kreuznacher verdienten verunsichert Daum Beinahe Anlauf Drittligisten verhinderten Metro Meister Konzern rechnen nahm laufenden 2: 3 knappen Großbritannien Skandal Kanada geschützt hinterlassen Neitersen siebten scheiterten Holzmann Rasen Rekord Dallas derartige Gründer Tränen Flensburg anmelden verpassten Erzrivalen schlimme rasant Auswärtsspiel Vorletzten ausgeführt Kohlschreiber Bayern Spiel Milliarden größten Nummer Olympischen fünften öffentliche Anleger Erinnerungen Fünf hofft Kapital Werder Rostock nochmals bedient Beschäftigte Interview tiefer Finnland Thorsten Schwimmer Mac Abschreibungen Bundestrainer versetzt Sorge Fremde diverse Verzögerungen Serben umstrittenen vermeintlich angemeldet Dritte UEFA−Cup wertete Galatasaray Maxfield Spanien Island Lehman−Bank bitteren gegangenen Pannen Pleite Abb. 8: Kookkurrenzprofil von „Pleite“ 2008 Die beiden Spitzenplätze besetzt die Bank der „Lehman“ „Brothers“ (da mit dem Kookkurrenzexplorer immer einzelne Wortformen gesucht werden und „Lehman“ und „Brothers“ jeweils eigene orthografische Einheiten darstellen, besetzen sie auch jeweils eigene Ranglistenplätze; Analoges galt oben für die Rettung - Pleite - Griechenland 225 „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS)“); außerdem taucht sie als „US-Investmentbank“ sowie etwas weiter unten in der Rangliste als „Lehman-Bank“ auf. Daneben gibt es die erwartbaren Fortschreibungen; „drohende“, „gegangenen“ und „bitteren“ sind nach wie vor präsent, „Pannen“ kommt wieder prominent vor, „Pech“ ist ebenfalls vorhanden. Interessant ist, dass sich in diesem Schaubild bereits die Entwicklung der folgenden Jahre abzeichnet. Staatennamen haben bislang als Kookkurrenzpartner statistisch keine auffällige Rolle gespielt; hier erscheinen, wenngleich noch auf hinteren Rangplätzen, erstmals „Spanien“ und das von der Bankenkrise schwer getroffene „Island“. 3.2.3 „Pleite“ 2011 Damit ist bereits die Richtung angedeutet, in die sich das Bild bis 2011 verschiebt. Abbildung 9 zeigt das Kookkurrenzprofil von „Pleite“ für 2011. Griechenlands Brothers US−Investmentbank bedrohte Griechenland Kirch bedrohten Folge Leo gerettet Kirch−Gruppe Serie US−Bank bewahrt retten abzuwenden drohenden bewahren Medienmoguls bittere kurz Investmentbank Athens Manroland Knot Saab droht Medienimperiums Konzerns Rettung Medienunternehmers Euro−Landes nacheinander totale erneuten herbe Bittere Elektronik−Gerätehandel Breuer Medienzar spektakulären vierte abgewendet verhindern sechste Klaas dritte mitverursacht 2002 Wertpapierhändlers zugefallen Abwenden geschlittert nächste BayernLB Schuldensünder erste Teldafax Maxfield Superwahljahr Druckmaschinenherstellers deftige Notenbankchef kassiert Medien−Imperiums zweite Ringermannschaft Portugal Peinliche zugefallenen Milliardenhilfen Rand bedroht Euro−Länder kassierte Medienzars City Finanzsystem treiben US−Großbank kassierten einstigen Kirch−Konzerns Schuldensünders Eurolandes Medienkonzerns Krisenfonds wenige bevorstehende milliardenschweren Holzverarbeiter kriselnder Pooth−Firma US−Wertpapierhändlers Global geprägte bittersten BVB−Verfolger Energiebranche Verlustrisiko neuerlichen herben hinnehmen spektakulär Pfleiderers Schadenersatzstreit einstecken getrieben Finanzriesen stehende Solon Solarmodulherstellers jüngsten historische Pfleiderer Medienunternehmer mögliche Erneute sofortigen Deutsche−Bank−Kenner Finanzmarktkrise Genossenschaftsbanken vier Athen Eurostaaten Chefcoach−Debüt erfolglose vierten Liga−Spiel Florett−Quartetts Schlusspunkt peinliche Banken Landes abwenden gerückte Pooth Bankmanagers HRE ernüchternden Fitch Anwaltskanzlei Lebensmittelriesen Athen/ Luxemburg Bank Dortmund unerwartete Finanzkonzerns Bonitätsbewertung Angst Monate Rennserie verzweigten Rande anstecken Pflichtspielen Milliardenkrediten Restrukturierungskonzept Nächste erneute Schuldenbergen Beluga Abstiegsstrudel Mitgliedslandes EEAG zuletzt Millionenbonus z w e i Italiens rutschen Arcandor akut kollabiert Börsigs unerwarteten achte Hauptsponsors staatlichem verschuldet saisonübergreifend Holzverarbeiters Finanzmärkte Währungsfonds neuerliche Speicherchiptochter Erste verschuldete Tabellen−Zehnten Ägypten−Reisen Neun peinlichen Sechzigern Kampf Landtagswahlen Dynamo Streitigkeiten Parmalat 67,3 rettete Droht krachenden Mitleidsbonus Länderspielgeschichte 2: 3 110 verhinderten Wirtschaftslage Arcandor−Konzerns Straubing Firmengruppe Fußball−Zweitligisten drittgrößten US−Post vorbeigeschrammt zustandegekommene Schäuble Champions Sicherheiten Rettungsschirm EZB−Chefvolkswirt US−Buchhandelskette UEFA−Cup−Teilnehmer Anic deutliche Rösler fünfte angeschlagener Hospelt Qimonda Beluga−Reederei Spekulationen Landesbank elfte Guthaben Internationalem entronnen Anfangseuphorie drohen G20 wahrscheinliche besiegelte stabilen Middelhoff Arbeitgebers Bewahrung Griechenland−Hilfen Schalke League unnötige hagelte 59−Jährigen wüst drei Euro−Staaten bedrohlich Rettungspaket Münchens Bronzemedaillen Sentimentalität taumelnden Bundesliga−Derby Zuge überraschende Kreditwürdigkeit Schweich gerutscht aufeinanderfolgenden Perfektionisten US−Fluggesellschaft Köln einsteigen Schuldenschnitt Ratingagentur Überzahlspiel Atompolitik 4: 14 Führungsriege 4: 8 Champions−League−Siegers 25.11. Spiel schrittweise schlüpfen ätzt nachdachte Mineralölwirtschaft zeitgleiche gesenkt Wiedergutmachung Bankrott Dexia Buxtehude Rettungsfonds 31.10. umschiffen Falle schweren sechsten Fußball−Bundesliga Babbel Petkovic Flächenbrand Pauli deutlichen Eurozone beschert siebte gedroht Autobauers Blondie Höwedes harmloses angefacht Euro−Rettung Autoherstellers Missmanagement Medienmogul Zwangsabstieg Platzhirsch Reiseveranstaltern stemmten betroffen Griechen höchste griechischen griechische Schadenersatz gestützt Euroländer Remis Hilfen enorme rutscht gestorbenen Euro−Land Kirchs abrutschen zwecklos Solbakken weiteren finanzielle historischen verursacht Schuld Wirtschaftskrise Zweitligisten Gerüchte Sechziger Labbadia Holzland unnötigen Garantien hochverschuldete neunte Wahrenholz freimachen Milliarden letzte Finanzkrise besiegelt Befürchtungen Göttinger Böse Barroso unglücklichen Tabellenschlusslicht geschlafen Millionenbetrag Jugendfußball Lautern Biosprit Pound Königsblauen folgenlos Kölliker 2008 größte Furcht Löcher Euro−Zone Gegentore Kauflust besiegelten einsehen Hüfner folgenschweren Unzenberg erlebte schicken einstige Lissabon kompletten Ex−Chef Linder Borders Überschuldung lancierte gewarnt leitet Nowitzki zweieinhalb Patzer kontrollierte unmittelbare beschimpft Offenbacher zweithöchste beizulegen schwindet Panikmache Breisiger Papandreou verschleiert zweifelhafte Auswirkungen Unternehmens Autohersteller Wall Kredit Finanzmärkten einzelner ALBA zugeben kämpfenden Erfolgsspur erneuter Kellerduell haarscharf HSG Leverkusen hohe unausweichlich Daum ringt Sportdirektor Freezers Tuchel 3: 5 Gegentoren gewappnet Erzrivalen Notlage begleichen Sachverständigenrat spezialisierten herbeiführen revanchieren Streitereien fünf Gefahr Auftakt Parlament voller Gläubiger Saisonspiel böse Sparkasse klaren Auswärtsspiel Mercedes Rivalen Gifhorns Bratislava Märklin Drogensucht offenbarte Euro−Krise plagen Geschädigten setzte vorerst gerissen Bayer Zweite Hinspiel absehbar Arsenal aufgelegt Weltwirtschaft steuern Lokalrivalen beherrschen Historische EFSF Rechtsaußen schlimmere griechischer Abstriche deftigen Engpässe Petzschner mögliches gehen Wolfsburg groß Schuldenkrise zogen Werder Regierungen wütend 45. kurzfristige Biebertal Skandinavier repräsentative Krediten marode Unternehmern wertlos Rica Erzgebirge Weis geordnete traditionsreichen Handballerinnen totalen erleidet Land Spielen Drei Hintergrund gab’s Street geschickt rutschten vergleichbar Paulis Versicherungen fassungslos Geldgeber Mavs empfindliche weithin Kaymer Einlagensicherung Geldhäuser Realwirtschaft Aue verdaut Genugtuung angegangen vermeiden Hannover China warnte Absturz fünften Klopp drohe stürzt Pokal verkraften stünden Frankfurt/ Main Gladbach Blamage Marseille wurmt Schaefer Spekulation Oenning eskaliert Paolo Tabellenkeller zweiten Folgen erlebt Herbst 1860 Manchester siebten Abstiegskampf Paderborn Szenario Franzosen EU−Staaten zweistelligen Igor Autobauer Austritt Augsburger Versicherte begehrt Vorgeschichte Piräus 511 Schleck abgehakt ärgerte häufen Kastellaun Derschen Skandalen größten Partien schließt rechtzeitig höhere unterdessen Absteiger Eisbären überraschenden radikalen wehrt Reederei systematisch Aufarbeitung Ausschluss Tepco Helsinki Reislingen infrage weitere Staaten scheint verhindert umstrittenen Löwen möglichen Schlusslicht Jobs Plan Turbulenzen käme Insolvenz 2008. senken sportliche vermieden Costa Veh Einstieg änderte Befragung Köpfen endgültigen Nadal knappe Bleibt Kastellaun/ Simmern gleichzeitigen klagte ließe entgehen könnte elf Zusammenfassung letzter Bremer Einschätzung verhinderte Toren Party tiefer Umstände Mönchengladbach zurückgewiesen Wut Mendig Manuel spektakuläre beitragen Äußerungen Staates spekuliert elften leiden Insolvenzen Tübingen Hagen vermisst verschuldeten befragt Bundesligisten dramatischen Gerüchten Sparkassen Fall Stück verantwortlich Dresden traf Aufsteiger Japan rechnet Spieltag enttäuscht Peking Derby geringer Investor warnt schlimmsten startete Prognose Bauch Ingolstadt schwedischen Spätestens Direkt Leonardo schickte Übernahmen Gehälter Saisontreffer Rost Audi weiblichen Texaner Versagen unbekannten jetzige Ausweg Hilfspaket Ausrutscher steht Krise folgte dritten Siegen Firmen gewann Konsequenzen EHC achten Gründe hinterlassen erhöht geschützt verliert Verfolger Kapital Sorge setzten Dreier Saisonstart Benedikt steuert Stärkung Mavericks stärkt profitierte Matthäus Zertifikate Portugals Konsequenz 88. Spanien Irland Lehman−Brothers gegangenen Lehman−Bank drohende bitteren Pech Pannen Lehman Pleite Abb. 9: Kookkurrenzprofil von „Pleite“ 2011 Hier gibt es zunächst, ebenso wie 2008, die erwartbaren Kontinuitäten von „drohende“, „bitteren“ und „gegangenen“ (verdeckt von „Lehman-Bank“), außerdem weiterhin „Pannen“ und „Pech“. Die Insolvenz von Lehman Brothers, die ja schon drei Jahre zurückliegt, ist diskursiv noch immer höchst vi- Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 226 rulent („Lehman“, „Brothers“, „US-Investmentbank“, „Lehman-Bank“ und „Lehman-Brothers“). Hinzugekommen sind allerdings die Staatennamen, auf einem der hinteren Rangplätze, wie schon 2008, „Spanien“, außerdem (statt „Island“) „Irland“. Vor allem aber avanciert „Griechenland“/ „Griechenlands“ zum statistisch auffälligen Kookkurrenzpartner von „Pleite“, ohne Flexionsendung schon auf Platz 8, im Genitiv gar an erster Stelle. Interessant ist nun zu sehen, welche Muster sich ergeben, wenn man „Griechenland“ seinerseits zum Ausgangspunkt der Kookkurrenzanalyse nimmt. 3.3 „Griechenland“ 2008 - 2011 Bei den beiden bisherigen Kandidaten haben wir die Jahre 2005, 2008 und 2011 betrachtet. Da Griechenland erst mit der auf die Bankenkrise folgenden Staatsschuldenkrise in den Fokus des öffentlichen Diskurses rückte, beginnen wir hier etwas später und nehmen dafür alle Jahre von 2008 bis 2011 einzeln in den Blick. 3.3.1 „Griechenland“ 2008 Abbildung 10 zeigt das Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ für 2008. Zu diesem Zeitpunkt ist die finanzielle Schieflage des Landes in den Korpora noch nicht abzulesen. Titelverteidiger Rehhagel Italien Mazedonien Schweden Europameister Portugal Zypern antiken Russland Namensstreit Vize−Weltmeister Frankreich Rumänien Bulgarien Vassaras Charisteas Angelos Telekomanbieter Slowakei Telekomanbieters Marfin 64: 87 Athen Tsiartsiani Fußball−Europameister Telefonnetzes entthronten Luxemburg Olympia Slowenien Otto Namensstreits Krawalle Ex−Europameister Locomondo Malta Belgien Polizeikugel Töchtern Lettland erschüttert Veto Investmentgesellschaft Staatsnamen Landes−Chef Gastgeber beigetretenen Ungarn Süden Trauermärschen Fackellauf Fußball−Tragödie Erdbeben Koutroumanidou Telekomkonzern Nikopolidis weitergereister Nationaltrainer Telefonkonzern EM−Titelverteidiger Kostas Europameisters Finnland Ausschreitungen Arvanity/ Vassiliki Karadassiou Tagelöhner Brasilien Waldbränden Generalstreiks Großbritannien Moldawien Krawallen Arvanity/ Karadassiou Dänemark Feuers Karamanlis Thanou Athos Jihoon Olympischen Kroatien Norden antike Efthalia Mittelklasse−Team zurückgeschickter Irland Puerto Streits B−Elf 69: 89 EOE Gruppenspiel ATHEN Angola Vizeweltmeister 71: 79 Koutroumanidou/ Tsiartsiani Landesteilen Erdstoß NATO−Mitglied weitergereisten 15−jährigen Alexandros Olympia−Zweiten Vlasios Nikolaidis Obristenjunta Kalomira Kalinikos Meineids−Prozess Dopingskandal Streit protestierenden 93: 86−Sieg Einwanderer amtierenden 24,77 Luft−Luft−Flugkörper Olympische verheerenden Triumphmarsch Vassiliki Auftaktverlierer Kreanga 93: 86 92: 69 Vorrundenspiel 0: 2 Streiks Enthellenisierung Sirusho zurückzuschicken Sparer Beitrittskriterien 2,7. Nationalen Antonios Rehakles Kasnaferis EM−Abschied EU−Mitglied Dassin Flottenverband US−Staatsanwälte Protesten Estland orthodoxen Arvaniti Polen Niederlande Mittelmeer gescheiterten Ex Mazedoniens tagelangen zurückreisen Mönchsrepublik Frühlingstemperaturen 86: 93 Feuer Weltmeister Urlaub Stätte Verkehrsprobleme V−Zeichen Zuständen Bosnien−Herzegowina ungelösten Maras Tschechien Unruhen schweren EU−Staaten Einlagen Mittelmeerinsel Sandstränden Schärenküste Rico Fährverkehr Gewalt größter Vetternwirtschaft Siemens−Schmiergeldaffäre Doping−Fällen Alexandroupolis Lage illegaler Thessaloniki homosexuellen Trauungen Tankschiffen Serbien orthodoxe Militärdiktatur Zustrom Anschlusses Infokanal Peking Proteste 20.45 Nowitzki Asylbewerber östlichen Schülers Einspruch ausgeschiedenen Mikis entthronte Afrikameister 01378 Doppel−Weltmeister Motorradunfalls Schwarzmeerhafen 1: 0 größten Betroffen Ränge 39,6 Asylanträge 08.30 Hauptroute Spielen droht Streik teilgenommen Klägern Staffellauf Gruppenerste Korruptionsfällen Fackellaufs 0: 1 Ägypten gefolgt langjährigen Kreta Zyperns Amanatidis Balearen Zeltfreizeit Winterstürme siebtgrößte Kontrolle Generalstreik 2: 0−Sieg vereister Abhörskandal Paaren übergibt Rehhagels unbegrenzte Schockzustand fortschrittlichsten Vander Werder−Coach schwersten Komitee 3: 3 Zakynthos durchlebt Arschawin Viertelfinalist Siemens−Manager Viertelfinale Oberhaupt Kaman Beilegung Feta Aragonés Protestwelle beispiellose Seismologen Welle dunklen Piräus Waldbrände Polizeigewalt Supercup Vortäuschung EM−Vorrundenspiel Gewaltwelle verfeindet EM−Finals T e il e Beben Titelverteidigung 15−Jährigen Bauermann Nationalcoach Patras 15: 7 Reeperbahn Baudenkmäler Ekaterina griechischem Schisma Gruppenerster Katsouranis demonstrierenden Maltas versinkt Einwanderern Schmiergeldaffäre 2 0 0 6 / 2 0 0 7 Christodoulos Grundsteuern Burgas Namen gesamten weite Asylbewerbern Entzündung EM−Finale Flotten Olympiakos Israel blieben Spitzenreiter Sonntagmorgen Zehntausende mazedonischen Komitees akzeptabel zurückschicken Erliegen Jugendaustausch geraten Solidarität entspannt Garantie Dopingfall größtem sommerliche Schweres Vereinskollege Anti−Doping−Agentur Österreich Republik Ukraine erschütterte EM−Titel ungemütlichen 21: 23 Cannstatt 9: 16 Niederlanden Ausbau Mallorca Italiens getrennt ausgelöst Basketballer angekündigten Nationale lahm 2: 0−Erfolg Schlappe geglückten durchgespielt versöhnlichen Tischer 1: 2 Holland Brände entzündet Fußballer jahrelangen Auftaktspiel existierenden Abschiebungen Korbjäger Schatzsuche Xanthi rehabilitieren 9: 13 Süditalien 21: 15 Außenseiters wirbelte GRUPPE Albanien reisen Armenien Handelspartner bekunden Gewichtheber Hellenic klanglos EM−Triumph Britney Südkoreaner umgesiedelt Mintal China größte Ruhe griechischen Marokko stammende zehnte Wiederherstellung operative Unwetter gehörenden Produktionsstätten Privatschulen Medieninteresse Ioannis 2: 4 jugoslawischen teuersten Schwedens Schiffen unbedeutenden verkleinern Häufung Spears gedulden Freizeiten 2004 Reise erhebliche damalige kennengelernt Meteorologen Wintereinbruch Vittek Demontage weilt rausgeschmissen Aragones Titelträger Gruppe Einstieg dauern Winde Nigeria drohte angeführten scheiterten verbreitete sangen 115 WM−Qualifikation Andalusien EM−Aus kläglich EM−Spiel Befreiungsschlag Argentinien unterlag Athleten Neuseeland traditionell heimgesucht überstehen Kleinasien Willkür bescheren Alptraum Zukauf Abflug gestreikt Trainer 2: 1 alten Telekom Beitritt Ausbruch lehnt Mitgliedschaft Reporter Flamme fliegen Sophia Stücken Topfavorit Jahrhunderte warnten gesperrten Halbzeitpause Sackgasse Madeira perfektes Spiel verloren Druck Norwegen Libanon starkem dauert gleichnamige EU−Länder Angehörige Bekannten Erfüllung Treffern Saenko Führungstreffer Papstes mehrtägigen Kompromissbereitschaft entfielen destruktiven beendeten Cornwall Skopje Larissa 2: 0 Halbfinale Coach Montenegro Korruption scheitern EM−Qualifikation Visum mächtig Essener erhofften Migration Korfu übernehmen Turnier verlor Mexiko Griechen Litauen olympischen Kälte Gifhorn Pokal Ostermontag Geschäftsjahr Beliebtheit landesweite Medienberichten Länderspiel Reisende Nordafrika Saloniki Zöllner Mitteleuropa Testspiele Torschütze England Schnee Flüchtlinge folgten Flüge perfekt belegte Tunesien Weißrussland Europameisterschaft illegale Frankreichs Jamaika getragen Aserbaidschan verrückt 8 2 Andrej gelacht Gruppengegner gewaltigen Skandinavier Hunderten lahmgelegt eröffneten Dopings kommt Salzburg Teams leben Jahrzehnten Jugoslawien 1: 3 Außenseiter Testspiel türkische zweites illegalen blockiert 1: 2. Übergabe Experiment Schwere Autonomen amtierende zusammenarbeiten umliegenden schlimmsten Pracht vergangenen geführt Kanada offiziellen Südafrika Dirk Worten lebte Berg Demonstrationen Donnerstagabend Zahlung Torhüter Kenia Kriterien Generalprobe Senegal Filialen Sardinien Streitkräfte gewusst angeblichen Schneefälle schaffte Klage 2: 3 Reisen Angreifer beenden Einmarsch zurückgekehrt gebildet Ankunft bestreitet Mittwochabend unterlagen unterschrieben gewaltsamen Kim unterzeichnet Bukarest 0 2 Sommerspiele 3: 0−Sieg beklagt Randale versinken sang Verdächtige Hauptstadt Kirche Monaten 7 0 Temperaturen elf Bündnis Inseln Vorrunde 1974 schreibt späten bestätigt Skandal Westen Ausländer Später Antike Jordanien Endspiel Schlagzeilen getöteten Montagmorgen späteren 1,2 baltischen übersetzt wirklichen Samstagabend Fackel lehnten Ministerien Schlange ganz Tod gewann Vertrag berichtete getroffen Ministerpräsident 0: 0 Demonstranten Sturz 8 8 stammen Ganz entdecken Teilen verursacht Urlauber umgehen 110 Truppen 7 7 Lieder absagen Bundestrainer Bürgerkriegs Werder neuesten Instanz benachbarten ferne beendete wild Türkei Spanien Griechenland Abb. 10: Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ 2008 Rettung - Pleite - Griechenland 227 Verantwortlich für die statistisch auffälligsten Partnerwörter von „Griechenland“ ist 2008 der Fußball. 2008 fand die Fußball-Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz statt. Griechenland ging mit Trainer Otto „Rehhagel“ als „Titelverteidiger“ ins Turnier, „Europameister“ wurde schließlich „Spanien“; Griechenland hingegen, gemeinsam in einer Gruppe mit „Schweden“, schied punktlos bereits in der Vorrunde aus. „Italien“ und die „Türkei“ (die es bei der EM immerhin bis ins Halbfinale schaffte, wo man dann gegen Deutschland verlor) dürften auch außerhalb des EM-Kontextes häufiger zusammen mit Griechenland vorkommen; insbesondere gilt das für Griechenlands nördlichen Nachbarn „Mazedonien“. 3.3.2 „Griechenland“ 2009 Im Folgejahr spielt der Fußball erwartungsgemäß keine Rolle mehr. Abbildung 11 zeigt das Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ für 2009. Italien Türkei Irland Portugal Bulgarien Malta Mazedonien Zypern Rehhagel Kroatien antiken Slowenien Ungarn Ex−Europameister Stadt−Guerilla Rumänien Siemens−Managers Siemens−Landeschef Kalinikos Ukraine Kreanga Siemens Lettland Karavelas Namensstreit Ex−Siemens−Finanzchef Russland Staatsnamen Balkan−Halbinsel Belgien 71: 69 Dänemark Waldbrände Karamanlis Medaillen−Kandidat Luxemburg Finnland Slowakei Geschichtsprofessorin Österreich Siemens−Manager Namensstreits Fährentest Serbien 76: 84 Siemens−Schmiergeldskandal Theofanis Kostas Euro−Mitglieder Polen Reiseführerin Autovermieter Charisteas Papandreou Tschechien Basketball−Nation Brände ATHEN Bulgariens Steuersummen Landeschef Gekas KKE EM−Zwischenrunde früheren Niederlanden ausgebrochen Schweden Tsitos Abschiebung Nachbarstaaten Gewalt−Spirale Nationaltrainer Waldbränden Korfu Smack Christos Siemens−Landesgesellschaft 40−Jähriger trampen vorgespiegelt AUTONOME Mittelmeeranrainer dänisch−deutscher reißt ALTER fachten Filippos 82: 64 Rückführungsabkommens meldeten EU−Subventionen Nachbarn Hauptstraßen Euro−Länder Giorgos Buschbrände Sisyphusarbeit Aufsehen Kos Dimitropoulos Schifffahrtsnationen Feuern Kakos Europameister Wahlpflicht Norwegen Brandherde Theaterpreis Dubai Irakers Antiterror−Experten Brandschutz Scamarcio viertgrößten Tsoumeleka Angelos klägliches Otto Athen Moldawien Streits Stöckelschuhe Intercity−Verkehr Sympathie−Bonus Haushaltskrise Gassystem Auslieferung bekanntester verheerenden EU−Mitglied Autoclubs Gewaltspirale Athanasia She Dimitrios Angelopoulos Anbauverbote 68: 65 Thessaloniki Anschlägen multikulturelle Wütende Damanaki Kreditwürdigkeit Bromberg Fernsehsenders unpassierbar Xanthi Marokko Kanu Telefongesellschaft Wackelkandidat Ioannis zerrütteten Autobahnen Mazedoniens Georgia Krawalle Gruppensieg verbrannten zweifachen Krimineller Ex−Chefs Winde sinkender Bydgoszcz Siemens−Chef EU−Staat Zwischenrundenspiel Koalitionsregierungen 33: 41 Amanatidis Europäern OFI 15,2 bekanntestem Wunschergebnis frühere härter Rasmussen Sicherheitssystem Polizeikugel scheitert 31: 28 Rehhagels unvergessen 39: 32 Urlaubsländer Costa−Gavras Flüchtlinge griechischen Hitzfeld Eurozone baden Umfangreiche Euro−Ländern Umweltstiftung Vulkanismus Spross Königsfamilie Nicht−EU−Ausländer Sakis Basketball−EM Ratingagentur 27: 22 Hyuk Verheerende Asylbewerbers Sozialisten Parlamentswahl Verfolger Akropolis Staatsbankrott Landeschefs 24: 21 Israel Länder Korruption gestoppt Unruhen Haftbefehl Finanzprobleme Vizeweltmeister Baudenkmäler verdorben Weltmarktpreise Basketball−Bundes 24: 22 Lammfleisch alten Urlaub gesorgt drohe 12,9 DBB−Auswahl fallender Bevölkerungsaustausch Auslieferungshaft Indonesien zeitweise Spitzenreiter Mitgliedsländer Seebeben herabgestuft Anschlusses Straßenverbindungen 7 7 Litauen erlassen Geldwäsche Auftraggeber Choreografie baltischen Samsonow Todesrate Titelverteidiger betroffen großes Migranten Albanien gelernt 2800 Bitten Wettrüsten Hoheitsgebiet Asyl Asylverfahren siegten schickten MON wochenlanger Ägypten Streiks gewaltsamen gesundheitlichen versagt Tester wanderte Geländewagen Bombenanschlägen Großbritannien Wellen Dance orthodoxen regierte verstößt Endspielen Großauftrag Hitzewelle Unwettern Militärputsch Sommerurlaub abgesetzt Grenze beschränkt Kreta 140 existierenden geschleust Ruinen Südliche jahrelangen untergetaucht Piccoli Kaugummi Fluglotsen Abschiebungen feuern Deutschland Serie illegal Company deutschem stöhnt angefacht Kavala Entführungen Fitch Bauern Island Algerien Ottmar Menschenleben diesjährigen verjährt Trockenheit Beilegung Illegale Kommunistische Spitzenspieler wehen Athos Funkstille Riccardo Baltikum Kassel National Peloponnes Bergbau Stephane Bruttoinlandsproduktes weitet Beitrittsverhandlungen Schweiz Parlamentswahlen Eden Staatsanleihen Vize−Weltmeister behielt Machtwechsel Stella aufgebraucht England Weißrussland Besitz benachbarten Währungsunion Bonität Juncker längerem Betrug Verstärkungen 8.00 560 Athens Patras Niederlande 3: 1 früherer dauert Flucht T i m e Strahlen Kleinasien antike enttäuschte Juliane Kommunistischen kommt Italiens 18.15 Test gebildet Götter Militärdiktatur Herzinfarkt WM−Qualifikation Zusammenstößen Oppositionsführer 0: 0 Regionen Ministerpräsident bedroht blockiert Tausende Estland sozialistische Küsten vorläufig Sardinien Schwarze geflossen andauernden Verbrecher eingereist späte Staatsdefizit 16: 11 philippinischen rauchen Ländern Reise Holland gestartet erwarteten gereist Lieferung Orthodoxe betreute verbringt Einflüsse 15−Jährigen Rallye verliert getragen Protesten Wiege Theo fürchten abgeschoben wahrte Zählern zugegeben 25: 19 Richtung Europäische kleinere Tunesien kämpft Schwere dreht Betroffen restlichen zehnjährigen Schüsse Nordwesten drohenden einzuführen 14: 12 Kroaten Olymp Panathinaikos Entführung 25: 20 Krise Chef schlägt Ferien belastet Mallorca mithalten EU−Ländern demonstriert 810 Piräus 25: 21 Persien fahren höhere Sofia Hektar Veto Erdbeben Streitkräfte 12,7 Nature 5: 2 Asylsuchenden schwache heftige bedrohten Start wirft Jugoslawien droht Rom siebten geboren fordern Ausschreitungen Herkunft warf Welle daheim zurückkehren Wertung Pflicht 6,5 lebenslange Mittelmeerraum diskriminiert teuren Mittelmeer vorgezogene 23: 25 T e il e Tourismus stammt EU−Staaten Meer Ruhe Sorge bot südlichen Briten Senegal Rechte Antike Armenien Beobachter Freiwillige Nordafrika illegale Staaten China Dezember Niederlage Republik Westen Mexiko Coach gewonnen persönlich warten Anteil versuchen Hauptstadt gefolgt schweren Spaniens vergangene blockieren herrscht Sowjetunion Fähre empfahl beantragen Athener Eidgenossen existiert verändern Insbesondere vereinbart Knapp Regierungswechsel Südfrankreich Michael anderem gilt zahlen Druck Touristen versucht Vater standen 2: 1 Proteste verstärkt Gründen demnächst Südkorea Mannes Kosovo Leverkusen Vorstellung angeblich gewannen Testspiel Bayer Sizilien zeichnet Spanien Frankreich Christoforakos Staatsverschuldung Überschuldung Griechenland Abb. 11: Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ 2009 Auch hier sind es vor allem Ländernamen, die in der Rangliste weit oben stehen; die gemeinsamen Kontexte beziehen sich vor allem auf Politik, Wirtschaft und Tourismus - bei „Irland“, „Portugal“ und „Spanien“ ist auch schon die Eurokrise das verbindende Element; außerdem mit „Christoforakos“ ein Personenname (Michael Christoforakos war ein Siemens-Manager, der in Griechenland der Korruption angeklagt und 2009 in Deutschland in Ausliefe- Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 228 rungshaft genommen wurde). Was sich hier aber auf den hinteren Rängen bereits abzeichnet, ist das Schuldenthema; „Überschuldung“ und „Staatsverschuldung“ sind 2009, wenn auch noch nicht sehr prominent, erstmals auffällige Kookkurrenzpartner von „Griechenland“. 3.3.3 „Griechenland“ 2010 Schon im Folgejahr wird das Schuldenthema klar dominant; Abbildung 12 zeigt das Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ für 2010. Irland verschuldete Schuldenkrise Rettungspaket Hilfspaket Staatspleite Giorgos Finanzhilfen Rettung Papandreou Hilfen Athen Kreditwürdigkeit Milliardenhilfen Italien hoch Notfallplan bedrohte Euro−Staaten Finanzhilfe Hilfe Orte Milliarden−Hilfen Bankrott Staatsanleihen Finanzkrise Krise Rehhagel Eurozone Euro−Zone Paketbombe Ex−Europameister antiken Kredite Herabstufung Fall Schulden Südkorea Anleihen Paketbomben Türkei Falle Sparprogramm Streiks notfalls Milliarden Zahlungsausfall Milliardenhilfe Kredithilfen pleite EU−Kredite ATHEN Notkredite 22,4 Nigeria Zypern Attikou−Straße Rettungsplan # # Herodou Portugals Ratingagentur Vikelidis Defizitsünder Str Ramschstatus Euroländer Zahlungsfähigkeit Milliarden−Hilfe Ackermann−Interview milliardenschweren Not−Kredite Zahlungsunfähigkeit & 5,5−Milliarden−Euro Massenschlägerei zahlungsunfähig Akropolis Staaten Staatsfinanzen zurückzahlen PIIGS−Staaten Euro−Krise Argentinien Notpaket Spekulanten klammen Tankwagen Papakonstantinou Pleite Währungsfonds krisengeschüttelten bankrotte Spetses EU−Hilfe Tank Adelshochzeit braucht Poor’s Rettungspakete Omonoia−Platz Sparkurs Moody’s Marfin−Egnatia Euro−Ländern EZB−Ausnahmeregelung 110−Milliarden−Programms Finanzlage Kleanthis 54: 82 Syntagma helfen 110 geschnürt Präsidialgebäude Vertriebs−Infrastruktur Nikolaos Sparanstrengungen Kapitalmarkt herabgestuft Hilfskredite prekärer KKE milliardenschwere Hilfspakets Milliarden−Finanzhilfe Länder angeschlagene pleitegehen Bundesbürgschaft Euro−Gruppe PIIGS Pleite−bedrohte Managerfirma Euro−Land Spata EU−Hilfen Euro−Darlehen Skaramangas Venizelos Staatsanleihe Gianniotis Banken Schuldenkrisen Wawel Maroussi Nothilfe Meerengen Fast−Staatsbankrott gerettet Sonnenländern Pleitekandidaten Basketballhalle Generalstreik Euro−Partner Milliarden−Krediten HSY Euro−Staates beteiligen Kalinikos Zinsen Theodosic Regierungschef Flüge Krisenland Notfall−Kredite Beinahe−Bankrott drohenden Notfall Rettungsschirm Finanzprobleme Kreanga Beitrittes Fotsis 80: 72 74: 73 Jemen Finanzmarktsteuer Notfall−Krediten Dax Kreta Beinahe−Pleite umfasst Sparmaßnahmen Finanzspritze Gemeinschaftswährung undisziplinierte Euro−Beitritt Serbien Krediten beispiellosen Krstic Solomou Bonität Milliardenbeträgen beschlossen Luftraum Abstufung Griechisches Kreditpaket Giorgios Haushaltskrise BB+ Sparpolitik Hilfszahlungen finanzielle WM−Qualifikation Milliarden−Hilfspaket Rettungspaketen Lkw−Besitzer Otto Ministerpräsident dramatisch Nationaltrainer protestieren Rettungspakets Sirtaki Garantieerklärung muss drohende entschärft Charisteas Sparvorgaben Sonderbehandlung Problemländern Qualifikationsrückspiel Last Zahlungskraft Blatnik Südbalkan Haushaltsrelevanz Molkereichef PIIGS−Länder exportschwachen landesweite Abschiebungen Polokwane borgen Rettungsaktion Klemme Kreditlinien Finanzchaos 21.737069 Rumänien Zentralbank Fitch Hilfsprogramm ausufernde Flitterwochen Flüchtlingsorganisation Korydallos Agrinio Notfallhilfen Griechenland/ Leute/ Adel Stabilität Thessaloniki Hilfsmaßnahmen Staatskrise finanzschwache Eurogebiets Eleftherios 23.59 Euro−Problemländer EU−Hilfspakets Pleite−Kandidat geeinigt Rettungsmaßnahmen 76: 77 Kaita linksautonomer Euro−Sorgenkind Jury−Entscheid Maximou−Gebäude Mantzos Sparprogramme Finanzstabilität 27: 20 Tatiana reicheren Zahlungsausgleich Landgrenze Beton−Taktik Europameister Finanzmärkte verheerend Staatsbankrotts Hilfsplan Militärflugzeug Risikoaufschläge Rüstungsausgaben Luftpost hause Missas Finanzbranchen WM−Quali−Spielen 59: 15,9 Lage Sorgen steckt Wagens Emiraten Milliardenkredite dreijähriges südeuropäischer Attikou Tsangari Auffangschirm Hausaufgaben WM−Premiere Fänge Menschenrechtsverletzung Fai herabstuften Araouzou Ex−Siemens−Zentralvorstand Athen/ Piräus Milina Versicherer Brüssel/ Athen Fast−Bankrott WM−Play−offs Lastwagen Tambo Hilfszusage Hilfssystem Jung−Soo tiefer Athener Austritt Platzverweis lahm adressiert Finanzspritzen Blankoscheck Nenad gewettet Staatsnamen Urlaub Bulgarien Fass Irlands Angelos kündigten bestochen Kurierdienste Kreditwirtschaft Syntagma−Platz IWF−Hilfen Fyssas Haushaltslage Krawalle südeuropäischen Kommunistischen Sparplan Eurogruppe Wirtschaftsbereich BBB+ Ramsch−Niveau Notorischen Drei−Jahres Chung−Yong angeschlagenen Krisen schweres Staatshilfen Krisenländer ausgeflogen Volos Sparauflagen Verhandlungskreisen Euro−Landes Ramsch−Status Proteste Testspiel Spyridon trügerisches Hinterkopfes Ba1 Kanzlerin Zusammenbruch Trichet höheres Zinssatz heranziehen WM−Qualifikationsspiele Terrorverdächtigen Pleite−Kandidaten Lastwagenbesitzer Ex−Königs Euro−Währungsgebiets Ierapetra Attenberg Ländern Merkel müsse bekommt Hilfspakete alternativlos WM−Gruppenspiel anti−deutschen Mittelmeerstaat 123,2 Pleitestaaten Fluglotsen Lastwagenfahrer Rehn geflohen Takis Weltwährungsfonds Durchsuchungen Transparency klamme Ländergruppe Erzfeinde manövrierte pleitegeht Gewerkschaftsverbände Euro−Staat U−Boot−Geschäft 1: 2 Spaniens Finanzmärkten drastischen wetten Schuldenberg Einfallstor Anschlagserie Milliarden−Kredite EU−Grenzschutzagentur Defizitsündern steckenzubleiben Kazlauskas Brodowski Christou Geldeinlagen EU−Hilfspaket verschärft Gläubiger versinkt Georgios Mikis griechisches Königliches Rettungsprogramm gesondertes Finanzierungsbedingungen Mai−Kundgebungen Freifahrschein Fast−Pleite Paraskevi BRÜSSEL/ ATHEN Mehrjahresprogramm finanziellen retten 8,4 geliehen Schweizerin glaubwürdiges türkisches Sprengstoffanschläge Milliardenpaket Notfallhilfe Kreditkosten Wachstumseinbruch Hilfspaketen Haushaltspolitik separates Schuldenproblem zurückzuschicken strapaziösen 126,8 Haftungsgemeinschaft Konsolidierungsstrategie EU−Kommission wachsenden Abgrund Anleihe Ratings Frontex Drachme ausgelöste überschuldete Einstellungsstopp Postsendungen Sicherheitsnetz Herabstufungen Trainer−Fuchs Polizeigewahrsam Saloniki Pakistaner Antonis rechtzeitigen Bail−out Renditen gegenwärtigen Arabischen Europäischer desolate Sani anarchistischen weiterreicht Hilfsantrag Kadritzke Flugüberwachung 2: 0−Auftaktsieg Misstönen möglichen Malta glaubwürdig Anschläge greifbare Junk Datenmaterial Kauflust zahlungsfähig Defizitländer unternähmen Hilfsmechanismus frühlingshaftes weiten Leitindex abgeschoben gewehrt schwächelnde unpopulären krisengeschüttelte Volkswirtschaftliche Michalis Hilfsgesuch Testpartien Ehebrecher Athina Euro Spekulationen strengen zehnjährige Währungsunion Estland bankrott schwierigsten Grenzschützer Rehhagels Kreditzusagen Asselborn TV−Kommentator Mazedonien Goldman gigantischen ablehnt verstößt übereinstimmenden U−Boote Lex übergegriffen geschnürte skeptischen Flugreise Fundamentaldaten Rettungsschirme Beistrich Topthema gespottet BERLIN/ BRÜSSEL antideutschen Notkrediten Kroatien Belgien vorerst engagiert Einigung einspringen strikten stufte Barroso verlautete Ausstand plädiere Süditalien Nordens Drehscheibe Olympiakos Herabsetzung Ioannis entschlossenen Kos Streikwelle Lienen Ausstands abgestraft Patras Finanzierungsbedarf explosiven klammer Problemkind Landesweite Hilfszusagen Frühjahr Parlament Bundeskanzlerin frisches Eilverfahren Finanzmarkt Urlaubsland verhandelten Sympathisanten Panathinaikos Cha einzustimmen subventionierten Kredithilfe Buschfeuer geplanten massiv Anders Ökonomen Adria Hügel Finanzmisere 13,6 10: 10 Rating Engpässen Internationalem frischem Mitgliedsländern Spielstand rascher Einschnitten Adelaide Strukturreformen geschleust abgeschossen Milos ausgelösten Staatsbediensteten Cotter abzulaufen finanziell Senegal bedrohten Euroraum EU−Finanzminister Eurostaaten Balkans Trainingsplatz beispringen Nothilfen Domino−Effekt linksextremen geschnürten Euro−Rettungspaket Salpingidis stornieren Gesamtrechnung Defensivmann Kandare steht Brüssel gebracht schreibt droht größter geholfen Kanzleramt Sorgenkind Rendite gigantische Haushaltszahlen 1: 2−Niederlage rigiden Krisenstaaten deutschen Größe Regierungschefs Arme verteidigt Beitritt Paket Zuletzt Algerien strukturellen Hilfsaktion Fiasko hartes Durban eingeschlagenen Hilfsgelder Heuchelei Wackelkandidaten abgewertet verdichten Finanzkrisen lahmlegen getönt Marktsituation EM−Dritten aufgehäuft gesteinigt Kuratel Bügeln stärksten vergleichbar Geldgeber Euro−Raum Nikosia EU−Recht zehnjährigen Abflüge 1,56 Rettungsaktionen 10557 Kanu Fregatten Uhr/ ARD Fußball−Nationaltrainer überbordenden Sparzwang Orthodoxe herausfindet Mitgliedstaat Auftaktmatch christlich−liberale 0,57 Frisches Staatspleiten WM−Tor Rzeczpospolita Fünf−Tore−Vorsprung Kredits Aris Geld Finanzminister bewahren erschüttert Notenbank Ausstieg Ausschluss schmerzhaften Eskalation zeitgleich Ruanda 5−7 Erzrivalen Korfu Kontrolleure kriselnden Euro−Rettungsschirm alleingelassen Handelsüberschuss fließe Briefbombenserie Pakets failed abgesetzten rüttelt Russland Bundesregierung zahlen Aussicht Schäuble Beteiligung wiederholen Verunsicherung unterdessen beschlossene aufrechterhalten Vorrundengruppe Stabilisierung Befürworter Sprengsatz Dimitrios herrschten Eurokrise austreten beistehen Sog Haushaltsprobleme Stützung verlaufenen Blogger Schuldnern Staatspapiere Gedeih Verderb Wirtschaftsreformen einzigartiger US−Banken linksextremistischen wirtschafts Frankreich Unterstützung Flüchtlinge zweites Rezession Maradona Mrd verschärfte rückt Note Maizière Aschewolke Atemzug Bundeskabinett laufe Abflug T rip vergebenen Sparbemühungen Zapatero zusammenführen Schuldenabbau knüpft Staatengemeinschaft WM−Test angenehmer Finanzbedarf lockerte Vidosic Finanznöte Streithähne Haushaltsloch grundsätzlicher Sparziele linksliberale Sommerurlaub Menetekel mögliche harten Defizit schwere Demonstrationen jahrelang Abschiebung Juncker Länderspiel europäisches Kommunalwahlen griechischer Finanznot offenkundig Nigerianer zweistellige Sanierungsfall glaubwürdige baden Kostas Amoklauf Vorbereitungsspiel immenser WM−Sieg Luftfracht herabgesetzt Ruland WM−Achtelfinale lautstarke Gruppenspielen angewandten eingestuften präzisieren Ungarn Zweifel Märkten Sparpaket Volumen Asyl wahrscheinlicher bilateralen Wenige abschließen Elfenbeinküste Neuaufbau heiratet bekräftigt Autonomen Kläger Prinzen WM−Spiel Finanzsituation antike emotionalen Fluglinien Streits Gruppengegner finanzpolitischen fundamentalen potenziell gebrachte Euro−Finanzminister schwächelt Ultima Stabilisierungs Bloemfontein linksextreme ächzt Internationalen massiven kostet Premier griechische ausgegeben Milliardenhöhe Sparpläne Abschreibungen Agenturen Zusammenhänge 9,3 sammelte Aldi Handelns 6: 5 unbewohnte Südkoreas Gewalttaten Ratio apn spekulative stöhnt Sanierungsmaßnahmen Krisensitzung 2: 0−Sieg Steuerhinterzieher verleiten EU−Experten notorische wütender Grundfesten Urlaubsziel Fährverkehr Baltikum Großbritannien zeigt Touristen Slowakei Einschätzung Abwehr Märkte Sachs BRÜSSEL EU−Ländern verordnet derartige Festnahme illegalen unmittelbare Papieren Spielregeln beispiellose Finanzexperten Analyst warmes eingereist Eurostat Rüstungsgüter Teammanager Waldbrand Schülers sorge milliardenschweres Brandanschlag Milliardenbetrag Gekas 30000 Finanzproblemen atmet deutsche Probleme harte griechischen Rand Hochzeit Wird Benzin bittet gewähren gewarnt Netanjahu Anzeichen verändern grünes Luftverkehr anderswo extremen schwarz−gelbe solidarisch angedroht nachhaltiges Rating−Agentur Heino spannt begleichen Nikolas Niels flüssig abwenden EU−Staat verglich Finanzministeriums Europäische Luxemburg verhindert ausfallen Aufnahme Donnerstagabend Boot Renten leidet Jean−Claude Misere Verbindlichkeiten beschlossenen zwingt Verbindungen Crash isoliert typischen illegal Zusagen verübt einzudämmen stammende übertroffen klargestellt EU−Kommissionspräsident schlechtere ersparen gezögert Causa Rettungsfonds Euroland Buchungen Gruppenspiel Totschlag immensen entsandt Alptraum Modalitäten Rachel Rodríguez haushaltspolitischen Kippe 154 heikle trieben zehnjähriger Zögern 23.00 Theodoros beantragten Finnland erlebt bedroht Steuerzahler entschlossen EU−Staaten beraten Chaos Lettland wiederholt fließen Port Turbulenzen Einzelfall Toten Befürchtungen Georgien abermals Bedrohung Empörung Dutzende Hürde abgebrochen Medienberichten klagen leihen abgewendet abzuwenden Campingplatz stabilisiert Spargel ausstehenden 25: 20 fiskalische Stimmrecht Sparpakete vorzubeugen Sondergipfel Mykonos abgesegnet Santos Staatsdefizit abbrechen Krisenfall A1 EU−Partner bereitstellen lahmgelegt pessimistischen Droht 10,5 blutig Europas Angela europäische Streit Sorge sparen Ägypten weiteres Anstrengungen stehe legten Drama Streik l a Tages Flüchtlingen beschließen Papiere Konditionen Verabschiedung bestehende 2014 brauche Unentschieden gewaltige fließt bereiten bekomme bat School eintreten Bemerkungen Lehman benötige wehrt Ruinen 23.15 zweijährigen Ägäis einräumen Eurokurs Ferienhäuser DHB−Auswahl zusammenbrechen umsetzt Sündenfall kommerzielle gemein 9,5 Druck künftig Norwegen sogenannten Griechen sorgt positive Spur Zusammenfassung erneute drohe Sparen kräftig Slowenien Titelverteidiger fällig Ringen 3,1 gesendet käme Exporte Prozesse Finanzmittel Ratingagenturen billigen teilzunehmen anhaltende stabilisieren Alarm Weißrussland Zone Umstrukturierung ähnelt Aufschlag orthodoxe Stabilitätspakt Hilferuf Monarchie Mittwochmorgen Ex ausgeliehen ankurbeln Champion begibt willens begrenzen Fähre 2012 2: 0 Insel Deutschlands dringend Dortmund Korruption reisen freiwillig Kann Lehren Vereinigten Unsicherheit getrieben jemals marode stehende Gerüchte wichtigste senden zuzustimmen erledigen Beistand Spitzenreiter Jonas Polster Wettbewerbsfähigkeit Kater Manöver immens 2,6 gefährdeten vergleichen schrumpfen verschlechtert beantragen gebucht helle Abstufungen Problems Ressentiments gereist reißt Gladbach vertrauen Mitten Eagles Manndeckung inwieweit Millionenhöhe Kraftakt Vetternwirtschaft Krisenmanagement EU−Mitglieder Europa Weg Situation verhindern wirklich bezahlen höher Solidarität Anleger Westerwelle entscheidende zugesagt dramatischen zuversichtlich kehrte bekräftigte politisches Elizabeth verlangen gefolgt drohte verschafft Ausschreitungen Belastungen Volksabstimmung Mitgliedsstaaten spekuliert Daumen skeptisch Würde prüft Rückspiel verabschieden Welle bezweifeln Neuseeland Päckchen Engagements ungewöhnlich Fernando fertiggestellt Landsleute unbekannten protestierten verzeichnete Bruttoinlandsprodukt strenge stammenden Pröll Verbandes Balkan beherrschte Aserbaidschan beruhigt gewährten liberale Ausfuhren Bologna Konstantin 2,3 bezwang benötigten armes Iraker schrumpfte Volkswirtschaften Jiabao Landeschef Asylbewerber auskommen rasche Euro−Länder Schuldensünder Spanien Portugal Staatsbankrott hochverschuldete hochverschuldeten verschuldeten Schuldensünders Staatsschulden Staatsverschuldung Umschuldung umschulden überschuldeten Schuldenfalle verschuldeter Haushaltsdefizit Schuldendrama Verschuldung Schuldenberge verschuldet Schuldendebakel bekanntgeworden Kanzleramts Bankensektor Schuldenprobleme Schuldenberges Schuldenaufnahme Neuverschuldung Schuldenlast Überschuldete Überschuldung schuldengeplagte Griechenland Abb. 12: Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ 2010 In weißer Schrift gesetzt sind hier alle Wortformen, die den Wortstamm -schuldenthalten, ganz vorne „Schuldensünder“, „verschuldete“, „Schuldenkrise“; es sind bereits zu viele, um sie im Schaubild alle lesbar zu machen. Auch die übrigen Einträge gehören thematisch in diesen Kontext: der „Staatsbankrott“ sowieso, natürlich auch die „Euro-Länder“, namentlich die ebenfalls von der Krise schwer getroffenen (und der Unterstützung der übrigen Euro-Länder bedürftigen) Länder „Portugal“, „Irland“ und „Spanien“. 3.3.4 „Griechenland“ 2011 Dieses Bild verdichtet sich im Jahr darauf noch einmal erheblich; Abbildung 13 zeigt das Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ für 2011. Rettung - Pleite - Griechenland 229 Irland Umschuldung Rettung 021 Staatspleite Schuldensünder Euro−Zone Insolvenz Schuldenkrise Italien Eurozone Pleite Papandreou Orte Giorgos Spanien Str 5−7 Austritt geordnete Kreditwürdigkeit pleite Hilfen Parlament Milliardenhilfen verschuldeten Schuldenstand Hilfsprogramm Euro−Länder Zahlungsausfall Gläubiger Staatsbankrott Kredittranche Schulden pleitebedrohte Finanzministerium Euro−Staaten krisengeschüttelte hoch zahlungsunfähig mögliche Fitch Banken bedrohte Finanzhilfen Lage Bankrott Milliarden−Rettungspakete Euro−Partner Staatsanleihen Tranche 1 0 Pleitekandidaten Milliarden−Hilfen Venizelos zweites hochverschuldete Rettungsplan Verbleib ATHEN Ministerpräsident EFSF Länder Schuldenkrisen pleitegehen Moody’s braucht Euroländer Nikis Troika Euroland Währungsfonds Krisenländer höchsten Streiks Drachme Zahlungsunfähigkeit Milliarden Staatsinsolvenz Kredite Krisenländern Finanzhilfe Sparziele Hilfspakets pleitebedrohten Verpflichtungen Sparanstrengungen herabgestuft Schuldenschnitts Hilfszahlungen Evangelos Griechisches Anleihen neues Ausschluss Sparmaßnahmen Euro−Ländern # # zweite Aktienmarkt Schuldenlast überschuldete Rösler Ratingagenturen Währungsunion Ratingagentur Rating−Agentur erwäge engagiert Milliarden−Hilfspaket Rettungsschirm zweithöchsten Rettungspakete Finanzkrise drohende Notkredite Krisenstaaten Attikus Thessaloniki Türkei beteiligen Bonität gerettet Hilfszahlung Marshallplan Staaten Spekulationen 23.731164 Wirtschaftsleistung Kapitalmärkten Zypern EU−Finanzminister stuft Premier Schuldensündern Krise Hanth Sparprogramm Schuldensünders Fall Ländern Falle Zusatzsicherheiten möglichen Ausweitung krisengeschüttelten geordneten Forderungen Finanztropf Tatort−Hochsicherheitsgefängnis zurückzahlen Sorgen EU/ Finanzen/ Griechenland teilweisen Regierungschefs 109 Eurogruppe PIIGS−Staaten retten Euroraum Scheideweg Fließt befindlichkeitsmäßig Hilfsplan Geldgeber Euro−Sorgenkind Dionisiou Areopagitou seriositätsmäßig Stabilisierungsprogramms Finanzlage Euro−Finanzminister kriselnder Eurostaat Ramschstatus Papademos U−Boot−Geschäften 11742 Attikou−Straße & Papakonstantinou umschulden Durchsuchungen/ Razzien muss Hilfe Wackelkandidaten Extra−Sicherheit Flüge Euro−Krisenländer Rauswurf Referendums Zahlungsfähigkeit Auszahlung Portugals Knot zweiten Hilfstranche Fließen Kreta Kreditengagement Keratsini 21.737069 Gläubigern Ramschniveau Übergangsregierung Rettungspakets Spar−Verpflichtungen drohenden Juncker Milliardenkredite verschuldeter klamme Euro−Austritt 56: 69 40.450239 Tönnies−Freund bedrohten Euroländern Eurostaaten Agenturen Karaiskakis Sparprogramms Schuldenproblem 2.7. Regierungschef Internationalem milliardenschweres Bestechungsgelder 50−prozentigen Finanzminister angeschlagene Krisengipfeln EU−Taskforce Ausscheiden Euro−Land Finanzbedarf Schuldenländer Abgrund 21.767921 GR−10180 Finnland Referendum Poor’s Sparauflagen 26.599445 wettbewerbsfähig Kredithilfen Euro−Abschied milliardenschwere Herodou Lefkimi abgewendet Extra−Paket Euro−Rettungsschirm Eleftherios Dublin−Verfahren Mittelstreckenziele finanziell brauche Korfu EU−Kommission Mazedonien angespielt Euro−Krisenländern Eurosünder Schäuble Verschuldung kriselnden US−Ratingagentur 028 Alexandroupolis Extra−Sicherheiten notfalls Krisengipfel Rehagel droht reichten Co−Gastgeber Lastenteilung Kastanienblättern IWF−Finanzhilfen Patras Rettungsprogramm Präsidialgebäude antiken Irlands Eurokrise desolate Herabstufungen Kredit−Bedingungen bekommt Zentralbank Fach Euro−Raum pleitegeht Bonitätsbewertung Euro−Staats Zahlungsaufschub Hilfskredite Investitionen limitiert Rettungsmaßnahmen Acht−Milliarden−Tranche Malta Sparpolitik 142,8 nächste beraten sparen Spar 100−Milliarden−Euro−Paket Forderungsverzicht Schuldenprobleme austräte EU/ IWF−Hilfen Regierungen hart angeschlagenen Demonstration Notregierung EU−Task−Force Herabstufung Krisentreffen Milliardenhilfe Athen/ Berlin 62: 38 U−Boot−Geschäfte milliardenschweren geschnürt Euro−Rettung bankrott Kalinikos Sophias dementierter Platz Hilfspakete Polytechnikum Euro−Hilfen KKE Dauerdebatten Milliarden−Rettungspaket Marshall−Plan Rettungsbeschlüssen 54351 Abstufung lahmende Hilfskrediten Nettokreditengagement verdichten Risikoaufschläge Kavouri Krisenfonds milliardenschwerer Parlamentsvotum müsse notleidende Euro−Sondergipfel 26,16 Euro−Austritts Koukoulakis Einschätzung frisches Reformbemühungen Milliarden−Hilfe aufgeschobene EU−Sorgenkind Pleitekandidat Koila Gegenzug Asylsuchende Agios 64: 56 Schuldenberg Milliardenkrediten Turbulenzen Georgis 24−Stunden−Streik geplagten Kreanga krisengeplagte EFSF−Aufgaben ungeordnete Beitritts Staatspapieren Nachrichten Solidarität Gerüchte Ausgeben Pissias Brüssel Versicherer kündigt beschließen Röslers Euro−Sorgenkindes Lagonissi Belgien Kreditausfall Giorgios Pauschalurlauber Hilfsprogramms Berlin/ Athen Rettungspakts Kroatien Bulgarien Jean−Claude Euro−Gipfel Euro−Gegner Syngrou Euro−Partners Zinsen Dax Privatisierungen Trichet radikalen strecken lodernden Milliarden−Tranche Sparfortschritte Euro−Rettungshilfen dringend Notkrediten Wirtschaftsregierung Igoumenitsa 50−prozentiger Defizitprobleme weiche Rettungsschirme Ansteckungsgefahren herabzustufen gewichtigsten erhält wächst Ausstieg Euro−Rettungsfonds Sparprogramme Leistungseinschränkungen Euroraums Euro−Staates 2004−Champion 2012 harten Rumänien Volksabstimmung fünfte Bilanzen zurückgeschickt 5: 4−Erfolg Buchungszahlen Eurolandes Pleitestaaten Lösung Hilfszusagen Haircut Dreierkommission Riesenfeuerwerke Finanzfiaskos Amarousiou EU−Hilfsprogrammen Reformen Unsicherheit Athener Krediten Gegenleistung Abschiebungen Miniermotte Euro−Ausstieg bereit 110 Taxis zurückzahlt krisengeplagten Ex−Nationaltrainer Reformzusagen Zahlungsausfalls neuen 140 Fass leihen sanfte Gemeinschaftswährung Georgios Lohnkürzungen Nikolaos Noten Rettungsfonds Frontex Landgrenze Ex−Fußballnationaltrainer helfen Georgien Sorgenkind Generalstreik austreten Problemfall Sparbemühungen Ratings Spata Umschuldungsplan Polizeiinterventionen Universitäts−Asyl U−Boot−Aufträge 15125 Milliarden−Auszahlung gewarnt zurückgeschreckt Taumeln 27: 31 Kreditbewertung Schuldensenkung Europartnern Schulden−Staaten Hilfsbeiträge Giannotis Anleihen−Tausch griechische Finanzmärkte Evros Spyros Orte−[Finanzministerium Eurobonds−Debatte Reform−Zusagen Trockenheit Peloponnes Kreditlinien Schuldenreduktion Besatzungsstreitkräften Euro−Ausstiegs Hebelmechanismen wahrscheinlicher freigeben Eurobonds lahmgelegt Euro−Währung Nothilfen EFSF−Fonds EEAG umschuldet bankrottgeht Höhe unterstützen Engagements Rate Waldbrände aufkaufen Hilfspaketen Finanzdesaster Rettungsgipfel Euro−Gemeinschaft Monopolstatus Druck Defizit fließen Dach Finanzspritze Abwendung bankrotten Problemländer Grenzzauns Regierungswechseln Experten−Troika Stützaktion Extra−Garantien privaten privater Lettland EU−Kommissionspräsident Gläubigerbanken unwahrscheinliches Kallithea Paradisos Athen/ Frankfurt Bewerbernachfrage Europas freiwilligen Arme Finanzprobleme Milliardenhöhe T ui Klaas Austritts separates Ex−Coach eingewanderten Erforderliche Euro−Staat Attikou Randländern Teilerlass Daniilidou marktfreundliche Sparkurs Flüchtlingsstrom Kanu geliehen Staatskrise Generalstreiks Staatsbesitz herumkomme Migrationswelle Finanzminsterium Stabilisierung strukturellen konsumiert strukturell widersinnig Braunkohlegebiet haircut Melia Eisfee notwendigen EU−Gipfel 340 glaubwürdigen zurückverfolgt Staatspleiten Nachfahre Provopoulos Euro−Sünder Rückführungsabkommen F−67000 Fortsetzen sonnenreichen Photovoltaik−Branche EU−Förderfonds Programmumsetzung könnte werde Sicherheiten Finanzbranche lahm befinde spitzt Sparvorgaben Atempause EU−Sondergipfel Staatsnamen U−Booten Mankell Staatsbesitzes 21.06. 16,57 EURO−KRISE 10553 erfüllen profitiert Vize−Weltmeister Bruttoinlandsprodukt Rückführung ringt Rating−Agenturen aufzulegen Adrion Grenzzaun schrumpfenden Eurogruppen−Chef zugespitzten Einfallstor Dauerkrise Hilfsprogrammen 719 Euro−Beitritt Euro−Krisengipfel Spach Gipfel−Ergebnis Wirtschaftszahlen Länderstudie Euro−Währungsunion Öko−Förderung Gipfelergebnis Konsultationsrunde PAME Eurogipfel Sorgenkinds WestImmo Beschlüsse Rezession Ankündigung setzten Weißrussland Sparen Euros extreme herrschen Hiobsbotschaften Hilfsmaßnahmen verbilligte finanzschwache Geldhäuser EU−Strukturfonds randaliert Notfallplan Milliardenzahlungen Milliarden−Garantien Milliardenschulden Kreditauszahlung Krisen−Staaten Aufnahme abzuwenden freigegeben Lagarde Piräus Brandherde Asylbewerbern Nicht−EU−Ausländer Hoffnungsschimmer US−Konjunkturdaten ausgehende verbauen schwelenden Namensstreit EU−Rettungsschirm 00186 Sozialbetrug herbeizureden umgeschuldet Rettungsbemühungen Ferienobjekte Herod Solar−Anlagen Agrinion Notkredite−Paket ausgesprochen bleibe Sparpaket Litauen daraufhin Kredit Ökonomen ungeordneten gestecktes aufgeflammte Krisenstaat Schuldenquote 340. Rettungskosten Schuldenfiasko Not−Regierung Wiederaufbauplan Refinanzierungsbedarf Drattsew Geld Situation benötigt Paket Verbindlichkeiten Möglicherweise Krawalle Ansteckungsgefahr Ausnahmefall Hilfsgelder Finanzsektor negativer fertiges ausrufen Euro−Stabilisierung Sparzusagen Kreditgarantien festzusetzenden Finanzierungsstrukturen EUROKRISE Kreditausfalls finanzielle Sollte Migranten Gaza ca eingegangenen Euro−Gruppe Loi Finanzinstitutionen Wettskandal Hilfsgeldern Rettungspläne Allerwichtigste Asylsystem 45,7 Pleitestaat Bankenbeteiligung mitfühlendes Hilfsmilliarden Versuchsballons steht wirtschaftliche warnte dauerhaft Zusagen EU−Länder unausweichlich ausgezahlt baden schultern gewappnet grüßen ermutigen Milliardenkredit Kreditrate klammer Giannis 28: 43 Rettungspaketen Lebensarbeitszeiten versunkenes Notpaket Linke−Abgeordneten weitere kämpft verkraften geeinigt faire Kommunistische Finanznot Ultima bankrotte Chigi Paluch Investitionsklima Händlerin Kettenreaktionen Dreht Milliardenpaket Führungswechseln nonchalante Euro−Retter Nikolaou Finanzinstrument Wachstumsoffensive zypriotischer europäische Schicksal spekuliert Stufen Aserbaidschan verfehlten Nordosten erschütterte eingereist eindämmen Zinslast gesetzte Tagungsort Pranger ermahnte Solarstrom Bekommt Kreditinstitut Reisehinweise Schuldnerländer Immobiliensteuer Häuserpreise Kredit−Tranche Schuldenwirtschaft Sonderlösungen Marktgerüchte überraschend höheren debattiert radikale einhalten Strukturreformen Dobrindt Gefallen Eurostat innenpolitische Südländer EU−Land Teilentschuldung abgestuft Kreditzusagen Finanzsektors EZB−Chefvolkswirt Fußball−Arena Problemstaaten Industriegebiete Sondervereinbarung 3: 0−Sätzen Gewerkschaftsverbandes Gianniotis Athen/ Brüssel Euro gemessen Versicherungen Entwicklungen Unterdessen gebilligt Rehn Szenario strikt schlechtere Mazedoniens Erleichterungen Prüfbericht Sektors versinkt nachkommt EU−Hilfen Reisekonzern Anpassungsprogramm Schuldners Konsolidierungsmaßnahmen Notkredit Sofias risikobehaftete deutsch−griechische Tourcoing Papadimos Schicksalswoche Stützungsprogramme EU−Hilfspaket Dänemark bevorstehende Eile Gipfels Finanzministers Steuerzahlern Lichtblick rue Ministerrunde linksliberale unklare Spyridon Gedeih Notenbanker Syntagma−Platz kreditwürdiger herabstufen verfehle EU−Fonds hochverschuldet Zahlungsstopp diskutierter Reiseagentur Luxusvillen neue andere Europäer verpflichtet rückt möglicher Gesamtzusammenfassung Hilfsprogramme Eröffnungsspiel Wachstumsimpulse Staatsdefizit Riley durchgreifende Staatsbediensteten Profiteure Gewinnmitnahmen streikende unabsehbare EU−Schuldenkrise Wochenauftakt Erklärer Euro−Regierungen CDU−Wirtschaftspolitiker Informationslage Schuldendrama hungerstreikenden Rubens−Gemälde Keqiang liege vereinbarten marode engagierten Brüderle Solarenergie schrumpft Reichenbach insolvent U21 Konjunkturdaten teilweiser überschuldet lieh Versicherungswirtschaft aufgeflammten zugespitzte Steinbrücks zappeln aussteigt Schuldenmacher Zinskosten 5,05 abwartenden Haftungsrisiken Euro−Landes Staatsschuldenkrisen Top−Ligen Rückzahlungsfristen Merkel erklären stehe investieren zurückgewiesen Tunesien verschärft spekulieren gebannt baldige Bankenkrise günstigere EU−Staats Gerangel befeuert ausgehenden finanzpolitischen versilbern Euro−Raums Eleftherotypia Dramatisch regierungsnahe trudelt Bestechungsgeldern Schuldnerstaaten Defizitziel Megalopolis Polizeioffiziere Statistikamtes Schicksalstag Rettungsplans Russland Polen müssten vorerst Einwanderer grünes bewahren Staatspräsidenten Laufzeiten 5: 4 ökonomisch Akropolis bangt Finanzspritzen Gruppengegner fallengelassen wahrscheinliche Reformtempo schnürt umgetauscht Gesamtpaket Kadritzke Verliert Wachstumsaussichten Aufbauprogramm EU−Partnern Eleni bilaterales produktives Zwillingstürmen Schmiergeldskandal Reformdruck Beteiligung massiven drastischen blockiert gezahlt Europäischer auslaufen Sonderfall debattieren Kraftakt vorübergehenden abschreiben Waldbränden Kavala geradestehen Ankurbelung Mittelamerika rudert einreisen Massenentlassungen freimachen Blaupause Finanzkollaps wackelnde Default unwahrscheinlicher Prokuristen Privatisierungswelle Volos abzeichnende US−Börsen geplagte Générale zeitweisen Haushaltsziele Sonderabgabe ausbleibender Gläubigerbeteiligung zapft Finanzierungsbedarf Kommission Monats Asylverfahren Unsicherheiten 3,0 Staatsfinanzen kommerziellen stufte Geldhahn KRISE Staatseigentum Rettungsschirms dränge Bankenrettung signifikante befeuern Einfuhren Wirtschaftszeitung dämpfte Ratio Verderb Selective unabsehbar Fährverkehr Hankel Munitionslager nachdachte Souveränitätsrechte unkalkulierbare EU−Fördergeldern rekapitalisieren Milliardenbetrag Gewerkschaftssprecher Gewerkschaften Stabilität Italiens Beine Medienberichten eindringlich vereinbarte Premierminister Löcher Marino Staatsschulden Vorabend schützt Schäffler ausscheiden bezweifelt Sparpakets Panathinaikos 8,4 geheißen Samaras Euro−Bonds EM−Qualifikationsspiele Geldspritze 38,5 Zakynthos eingeschlagene kollabieren Kreditpaket Millionenverluste Finanzstabilität Kreditausfallversicherungen FDP−Finanzpolitiker 56,7 geschröpft Finca politische fordert gesprochen EU−Staaten unterdessen Instrumente einzelner Kapitalmarkt benötige Haushaltsdefizit radikaler gerungen Rompuy Geldern anhaltender Geldgebern Stützpunkt zusammenbricht EM−Qualifikation strapazieren 22,4 gebeutelt abwerten Erwerbslose Polizeisprecherin Flottille südeuropäische Privatsektors Zahlungsschwierigkeiten motivierter Börsenstart Europageschäft Greece wackelnden EU−Spitzen Kreditrisiko Stabilitätspolitik ungewissem Loukas Schuldverschreibungen Wochenschluss 25: 16 Folgen hängt Zusammenfassung kräftig Gipfel abermals gestoppt Staatsverschuldung Garantien 2015 verschärfen Bosnien−Herzegowina Großbanken tiefer dramatische abwenden Kollaps Hungerstreik kriegt erzwungenen 1879 solidarisch schmerzhaften Vertrauensabstimmung Rückkauf Verweigerung eingedämmt Poul erniedrigend Photovoltaik−Anlagen zurückzuschicken Halbmast substanzielle Crédit Dexia Rettungsversuche Zwischenlandung Maximou ärmste beispielloser erörterten nachhaltigem notorischer drückende Fischzucht Brüssel/ Berlin fallenzulassen beschlossen Debatte beteiligt Steuerzahler denkbar weist steckt erlassen Bundesfinanzminister Barroso verunsichert Rehhagel unwahrscheinlich unumgänglich ausreichen verstärkte bescheinigt Staatengemeinschaft schnüren anhaltende zweistellig relevanten aufgekauft nachfolgende angeschlagener kriselnde Begehren beurteilte EU−Experten Normalzustand Regierungssitz ultimative streikten Kauflust Südeuropas taumelt gestützte Konjunkturentwicklung Karolos Papierlosen finanzschwachen Auffanglagern Tschechien solle Fonds Ägypten geholfen belastet harte massiv Wettbewerbsfähigkeit Überlegungen Demonstrationen Lucas spart Krisen verschärfte Verschärfung belasteten spaltet mitzumachen Ansteckung akute entschlossene weckt beginne exportieren Kreditgeber Kommunistischen Bundesfinanzministeriums fällige Versicherern überstellt südlicher westeuropäischen Junioren−Weltmeisterschaft tristen Arbeitsniederlegungen Schnellschüsse Protektorat Photon rücke Währungsraum rassistisch Société Turniersieger Alexandros Importen angeschoben Takis Strasbourg leichtfertigen 27−jähriger EU−Regierungen Eurorettung Grenzübergängen Soffin Restrukturierungsprogramm EU−Mitglied Immobilienpreise Komme einbrachten 17,6 Tsafos größten anderer Proteste Sachen schwere Reise investiert internationaler enorme Wirtschaftskraft Ausnahmezustand Renten Bedrängnis Bundesbürger Zerreißprobe EU−Ratspräsident Pfand zehnte 119 Aufstockung Verglichen klargemacht Tourist Suchaktion Zinserhöhung Christos Verabredungen Rechtmäßigkeit Behördenangaben Telefonkonferenz Medienbericht schwerwiegenden Etappensieg Ferienwohnung Mesopotamien hämmerte Uhr/ Sport1 Ovtcharov Georgiou erschütterten zwecklos Fernsehmoderatorin Landweg taumelnde Europa Frankreich Schweden internationale freiwillig Urlaub Schluss Währung Bereitschaft drittes Aktivisten stabilisieren bekäme Könnte stärkeren Urlaubern Abschreibungen Aufsicht mögliches privatisieren Reformkurs Abschiebung Verstoß EU−Partner funktionierte Rettungsaktion Droht Bruttoinlandsproduktes Staatshilfen EU−Ministerrat Geldsegen ausgelöste trüb Antonis Athina Wittwer erbitterte Jiabao Kefalonia Steuerfahnder einstehen Vizepremier ungelösten US−Arbeitsmarktbericht 68−Jährige Lastwagens Dimitrij Vassilis Grünen−Chef eingepreist Umsicht Dominoeffekt Laderaum warnend Probleme gesenkt Überleben verfehlt Klarheit umzusetzen Kommt sozialistische Einzelfall Zahlung Zaun Online strukturelle Spekulation Regierungswechsel auswirken Belastungen Wiege Soll Regierungskrise Bankensektor reformiert Billionen steuert Staatsdienst 166 drastischer bezweifeln ambitionierten tragfähig Asylantrag Auslaufen EU−Währungskommissar nutze Oppositionspartei Fluglinien abverlangt jahrzehntelangen Ungemach baldigen Denkverbote Epizentrum gestreikt Sommerurlaub angefragt stemmt gigantisches existenzielle Reformanstrengungen Sonderregelung Syntagma Finanzkrisen Ausgabenkürzungen Betrugsfall Privatisierungsprogramm Anlaufstellen Zeitbombe loi Zinsniveau schweren Fortschritte entschlossen reisen hängen Niederlande Diskussionen benötigten zurzeit Geduld freiwillige Befürchtung Gerichtshof Exporte Renditen Taxifahrer bekomme akzeptabel Volkswirte stammende ausgebrochen Wirtschaftswachstum Fehlbetrag heiklen versichern aufatmen ernster Stadium Zitterpartie zittert 128 Rettungsaktionen einzudämmen EU−Gipfels Schätzung Bundeskanzleramt Milliardensummen forcieren drohender ausreichenden mancherorts Flaggen verfehlen Fördergeldern Klemme hagelte Kursverluste Retten Emiraten berichtigen Hauptgründe Finanzmarkt 444 verunsicherten Dimokratia Stabilitätskriterien spare unpopulären Kapitalmärkte tiefgreifende 11011 Möchte alternativlos Staatsstreich Regierungsgeschäfte hohen Sorge Worten gleichzeitig benötigte Mexiko Mallorca abgesagt spanische Desaster gefährliche auszuschließen lebende Zielen ausgehandelt Athens Sparpläne maroden angebliche unvermeidlich abgeschoben Hiobsbotschaft mitzutragen Thomsen weitreichenden Finanzämter Task bedrohlich Nachbarland Avenue Palace zurückhaltender 102 angefallen Verzögerungen Kaunas Bremse Menschenrechtsorganisationen Nothilfe 176 verteuern Portfolio Einsetzung maßgebliche Reformprogramm Horrorszenario EU−Minister Sonnenstrom Psychodrama brisant 16,7 Geldwirtschaft lancierte schlittert Finanzämtern Issing angreifbar Siemens−Konzern Patsche potenziell aufgeschoben zurückkaufen europäischen Investoren Rückkehr Luxemburg 31. Äußerungen schwierige gelöst gestrichen hauptsächlich rettet jahrelang anderswo schlimmsten zwingend Abschaffung Betracht Berechnungen raschen sicherstellen Szenarien außerordentlich Vermittlung ausschließen gegriffen kompletten Einstufung Spekulanten neuerliche Skepsis EU−Ländern antike Schieflage gigantischen Wohin Weidmann ökonomischer ESM Ganzes gefährlichsten beschlossenen verübt überschlagen vereinbaren Nea geordnetes niedrigsten Eindämmung kommerzielle finanzierte Hilfsaktion Roche Panikmache beherrschbar Finanzsituation hinterlegen heuchlerisch aufzubürden unmenschlich überschaubaren Notenbankchef Chios desaströsen bestünden 15000 Altkanzler leistungsfähige Vermögenswerten Finanzinstitute Käme Misswirtschaft 2010 hält internationalen Zukunft geplant müsste entscheiden finanziellen 120 womöglich beitragen dramatischen Entlastung schlägt Immobilien 2014 Estland zahlt Steinbrück streiten erschüttert weichen Bundesverfassungsgericht bevorstehenden Votum Finanzmärkten bat finanzieller Brände niedrigeren Entlassungen kooperieren offener Händlern Steuerhinterziehung Investitionsprogramm Geldes erhalte schafften zugesagten bereitete bitteren Fluglotsen Attacke gerückt begibt Mitgliedsländer ungelöst Süditalien Atomausstieg Europaparlament Führende Nova belaste Cem verdichtet Bankensystem Nachbarstaaten Merkels umsetzt gehaltenen CSU−Generalsekretär Treuhandanstalt schleppende dokumentierte Privatanleger Papoulias FMS Verzug Fällt abgehandelt Kurzfristig unangenehmen langsame fortwährend beißt wachse Abschlag toben Landesgrenze herbeiführen Europäischen größte langfristig Märkten Kurse Nachbarn verschaffen Notwendigkeit dramatisch Freigabe Absage Zusammenbruch angekündigten anstehenden stärksten Verzicht geforderten überwiesen rechtlich Häfen Wahrscheinlichkeit drückt Hausaufgaben Konkurs betreffen Konditionen wirkliche stehende erörtert Rating Atemzug verschlechtert Anlegern Kräften Auftrieb Strang geflossen wehrt sanften Misstrauen Mrd endlosen 158 verheerende Machtkampf reformieren 206 Hängepartie Vertrauensfrage Kommentatoren operativen zunehmender Beschlüssen hochrangige verbesserten Kettenreaktion abgewartet unkontrollierten gelinge FDP−Fraktionschef vorangetrieben abgewertet LUXEMBURG Sicherlich entscheide 177 Bringt funktioniere Evakuierung Kernproblem Banks G20−Gipfel unübersichtlich Qualifikationsspiel zahle 7,0 klammen Instabilität Maltas übermorgen mindern ausgestanden Alkoholiker Euro−Rettungsschirms Köbler 1820 herbe Kommentaren gelungener zinsgünstige Außenstände separaten einstufen überheblich zehntausende ausgeschlossen näher Slowenien befürchtet Erklärung Unruhe Arbeitslosigkeit 2020 Sozialisten Brüsseler Bewältigung Schottland Zweitens Protesten skeptisch Algerien Schiffen Sektor verlässt Architekt verlangten Ostern bewahrt Absicherung Özdemir beschränkt illegaler dauerhaften oberste angespannten eingestuft Henning gereist besprochen Ansturm hieße verfahren Wirtschaftslage Würden Neubeginn schwedische Präzedenzfall bekämen Außenministerium Wiedereinführung zugeben Steuergeldern anstehen Tabu Haushaltsplan Gewähr schlagartig Flüchtling Keitel Schmerzensgeld Fetzen greifbare Wahrheiten akut IGH Konturen abermalige Folker Langem betrachte unhaltbar Spardruck 3: 1−Erfolg zyprischen Arabien 9,5 Raabe überschattet Volke Internationaler Alltagsleben Statistikbehörde Beistand bezwungen krasser Geldinstitute Equipe geordneter kommt Blick Kurs fallen schreibt Einigung dürften Serbien vereinbart dritte dürfe massive Hinweise Bundeskanzlerin Spiegel rasch Auflagen entscheidet Ringen gewähren Neues bekräftigte Commerzbank Agentur Flüchtlingen belasten Spaniens bedroht Nordafrika Beitritt enger Mittelmeer akuten anhaltenden reiche Ausweg bezifferte Mitgliedstaaten Ausfälle Hans−Werner aufzunehmen Herman abgeschnitten abwarten reißt Asylbewerber Depression Student Strauss−Kahn Anschläge Arthur Überweisung Stabilitätspakt Äußerung Hunderttausende lehnen europäisches billigen plädieren vorbereiten versprochenen getroffenen Armenien angespannte schwersten stabilisiert 10,5 Geht geeignete beruhigen vertagt griechischer Finanzsystem lägen schwindet Bann Regierungsbildung EURO Chefin Umwege erschweren Gründungsmitglied Konservativen Stützung verbleiben absegnen Schäubles zusammengekommen 64−Jährige Streckung verlässliche einzubeziehen provozieren rigide erörtern pflegte Goldreserven Koppelin Währungsumstellung auszuzahlen Hellenen Nord−LB Rausschmiss 11,3 desaströse 1530 Zeigefinger Geschwistern Zinssenkungen Rabatt scheitere gr Rettungspaket verschuldete Euro−Krise Schuldenschnitt Hilfspaket Euro−Schuldensündern Schuldenländern Schuldendebakel Schuldenstaaten Schuldentragfähigkeit hochverschuldeten Staatsschuldenkrise schuldengeplagten Schuldenerlass schuldengeplagte Schuldentragödie schuldengeplagter Schuldensumpf umzuschulden Euro−Schuldensünder überschuldeten Euro−Schuldenkrise Euro−Schuldensünders Schuldensituation Teilschuldenerlass Schuldenabkommen Entschuldung Schuldenverzicht Umschuldungsverhandlungen Schuldenerlasses Schuldenbergen hochverschuldeter Schuldenerleichterung Euro−Schuldenstaaten Überschuldete Überschuldung Schuldenberge Staatsschuld schuldet verschuldet Athen Portugal Griechenland Abb. 13: Kookkurrenzprofil von „Griechenland“ 2011 Das Jahr 2011 brachte einen vorläufigen Höhepunkt der griechischen Staatsschuldenkrise; entsprechend finden sich praktisch ausschließlich solche Kookkurrenzpartner, die mit dem Schuldenthema zu tun haben. In weißer Schrift erscheinen wieder alle Wortformen mit dem Wortstamm -schuld-, aber auch die übrigen Partnerwörter auf den vorderen Plätzen stehen in diesem Kontext: „geordnete“ hat seinerseits als prominentesten Partner „Insolvenz“ (erstmals wurde 2011 über einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone und die Rückkehr zur Drachme diskutiert); außerdem wird jetzt - was sich auch 2010 schon abzeichnete - verstärkt über Lösungsmöglichkeiten gesprochen: „Hilfen“, „Milliardenhilfen“, „Schuldenerlass“, „Umschuldung“ und „umschulden“ usw. Insgesamt hat in der Berichterstattung das Staatsschuldenthema in eindrucksvoller Weise alle anderen Fragestellungen in den Hintergrund gedrängt. 4. Rangverlaufskurven von „Griechenland“, „Pleite“ und „Rettung“ 2005 - 2012 Mit den bisherigen Darstellungen in Form von Zeitschnitten haben wir jeweils einzelne Jahre, für die wir die Rangfolge der Kookkurrenzpartner eines gegebenen Ausgangsworts abgebildet haben, in den Blick genommen. Dabei zeigt der Vergleich der jeweiligen Jahresbilder zum Teil erhebliche Verschie- Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 230 bungen innerhalb der Ranglisten. Diese Verschiebungen sollen nun in ihrer Diachronie für unsere drei Ausgangswörter - „Rettung“, „Pleite“ und „Griechenland“ - in Rangverlaufskurven für ausgewählte Kookkurrenzpartner sichtbar gemacht werden. Um die Darstellung nicht zu überfrachten, beschränken wir uns dabei jeweils auf vier bzw. fünf Partnerwörter. 4.1 „Rettung“ 2005 - 2012 Abbildung 14 zeigt die Rangverlaufskurve von „Rettung“ für die Jahre 2005 bis 2012. 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 1 2 4 8 16 32 64 128 256 n.v. Rettung ausgewählte Partnerwörter naht Banken Hypo Griechenlands (unauffällig) Jahr Kookkurrenz-Rang Abb. 14: Rangverlaufskurve von „Rettung“ 2005 - 2012 Auf der y-Achse ist in einer logarithmischen Skala der jeweilige Rang der betrachteten Wortform hinsichtlich ihrer statistischen Auffälligkeit aufgetragen; sind die Werte so niedrig, dass die Wortform statistisch unauffällig bleibt, erfolgt ein Eintrag in der untersten Zeile. In den ersten Jahren ist das Partnerwort „naht“ (als Teil der alltagssprachlich geläufigen und vergleichsweise unspezifischen usuellen Verbindung „Rettung naht“) in der Rangliste sehr weit vorne, es bleibt auch auf einem der ersten fünfundzwanzig Plätze. Mit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 sind plötzlich die „Banken“, die vorher überhaupt keine Rolle spielten, der wichtigste Kookkurrenzpartner von „Rettung“, und sie bleiben auch für die Folgejahre wichtig. Im selben Kontext emergiert auch das Partnerwort „Hypo“ (als Teil der „Hypo Real Estate“), erreicht 2008 Platz 8 und 2009 Platz 6, um dann, nach Rettung - Pleite - Griechenland 231 erfolgreicher Rettung der HRE durch Verstaatlichung, wieder in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Sehr augenfällig wird in dieser Abbildung die oben schon beschriebene Phasenverschiebung der Krisenräume: Stehen 2008 klar die Banken im Fokus des Interesses, so rücken zwei Jahre später die Staatsfinanzen, namentlich einiger Mitglieder der Euro-Zone, in den Blickpunkt. Folgerichtig wird ab 2010 „Griechenlands“ zum statistisch wichtigsten Partnerwort von „Rettung“. 4.2 „Pleite“ 2005 - 2012 Eine - mutatis mutandis - sehr ähnliche Entwicklung zeigt sich beim Wort „Pleite“. Abbildung 15 zeigt die Rangverlaufskurve von „Pleite“ für den Zeitraum von 2005 bis 2012. Abb. 15: Rangverlaufskurve von „Pleite“ 2005-2012 Von einer „bitteren“ Pleite wird oft im übertragenen Sinne gesprochen, etwa bei Sportveranstaltungen, bei politischen Abstimmungen usw., weniger häufig im konkreten Sinne in Bezug auf Insolvenzen. In dem Maße, in dem sich das Verhältnis der Vorkommenshäufigkeit von „Pleite“ im Sinne von ‘Niederlage’ und von „Pleite“ im Sinne von ‘Insolvenz’ zugunsten des letzteren verschob, ging die relative Relevanz von „bitteren“ als Partnerwort zurück. Ab 2008, mit der Pleite der Lehmann-Bank, steht „Lehman“ viermal an erster und einmal an zweiter Stelle; ab 2010 wird die griechische Staatsverschuldung auch im Textkorpus virulent, mit den beiden Partnerwörtern „Griechenlands“ und „Griechenland“. 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 1 2 4 8 16 32 64 n.v. Pleite ausgewählte Partnerwörter bitteren Lehman Griechenland Griechenlands (unauffällig) Jahr Kookkurrenz-Rang Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 232 4.3 „Griechenland“ 2005 - 2012 Betrachtet man die Kookkurrenzpartner von „Griechenland“, ergibt sich das inzwischen schon erwartbare Bild. Abbildung 16 zeigt die Rangverlaufskurve von „Griechenland“ für 2005 bis 2012. 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 1 2 4 8 16 32 64 128 256 512 1024 n.v. Griechenland ausgewählte Partnerwörter antiken Europameister Schuldensünder Staatsbankrott Schuldenschnitt (unauffällig) Jahr Kookkurrenz-Rang Abb. 16: Rangverlaufskurve von „Griechenland“ 2005 - 2012 Das im Jahr 2005 erstplatzierte Partnerwort, „Europameister“, ist nur in der ersten Hälfte des hier betrachteten Zeitraums relevant; ab 2009 spielt es praktisch keine Rolle mehr. Umgekehrt ist gut erkennbar, dass diejenigen Wörter, die mit der Finanz- und Staatsschuldenkrise zu tun haben, bis 2009 im Diskurs praktisch nicht vertreten waren, diesen aber ab 2010 klar dominierten: „Staatsbankrott“ mit Position 8 im Jahr 2010, „Schuldensünder“ mit Position 4 im selben Jahr sowie, leicht phasenverschoben, „Schuldenschnitt“ auf Position 5 in den Jahren 2011 und 2012. Wie übermächtig der Schuldendiskurs in Bezug auf Griechenland geworden ist, lässt sich auch daran ablesen, dass sogar das Partnerwort „antiken“, bei dem man ja eine gewisse Zeitlosigkeit und Stabilität erwarten könnte, ab 2010 hinsichtlich seiner statistischen Auffälligkeit erkennbar in den Hintergrund gedrängt wird. 5. Kookkurrenzprofile im Vergleich Was zeigt sich in der Zusammenschau der hier vorgestellten Analysen? Der Ansatz, Verschiebungen von Gewichten im Diskurs sichtbar werden zu lassen und nachzuzeichnen, indem prominente Einzelwörter auf ihre Kookkurrenz- Rettung - Pleite - Griechenland 233 partner hin untersucht werden, hat sich als tragfähig und ergiebig erwiesen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich seit 2008 zunächst als Bankenkrise, dann seit 2010 verstärkt als Staatsschuldenkrise insbesondere im Euro-Raum manifestierte, hat im Korpus deutliche Spuren hinterlassen. Für die drei Ausgangswörter, die wir hier näher betrachtet haben, bedeutet das im Einzelnen: 1. Kookkurrenzprofil von „Rettung“: Das Wort „Rettung“ weist auf den oberen Rangplätzen zunächst unauffällige und erwartbare bzw. leicht erklärliche Kookkurrenzpartner auf („naht“ als Teil der usuellen Verbindung „Rettung naht“ sowie die „Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS)“ in ihren jeweiligen sprachlichen Einzelteilen); diese Partner sind persistent vertreten. Ab 2008, mit dem Einsetzen der Bankenkrise, ist schlagartig „Banken“ als Partnerwort präsent, außerdem die Namen diverser Banken, deren Schwierigkeiten in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt waren. Ab 2010 fallen die „Banken“ und die Bankennamen im Ranking etwas zurück; zur Bankenkrise trat die Staatsschuldenkrise, wobei sich die Situation Griechenlands als besonders kritisch erwies; entsprechend ist ab 2010 der statistisch auffälligste Kookkurrenzpartner „Griechenlands“. 2. Kookkurrenzprofil von „Pleite“: Auch bei „Pleite“ gibt es zunächst - und persistent - überwiegend unauffällige bzw. unmittelbar plausible Kookkurrenzpartner („bitteren“). Und auch bei „Pleite“ zeigt sich sehr deutlich ein Reflex des zweistufigen Krisenverlaufs: 2008 schlägt die Lehman-Pleite unmittelbar durch (mit „Lehman“ auf dem ersten Platz sowie mehreren Synonymen); auf den hinteren Plätzen erscheinen allerdings auch schon die Namen von Staaten. Die Lehman-Bank (mit verschiedenen Varianten) bleibt auch in den Folgejahren sehr auffällig, hinzu treten aber auch hier ab 2010 „Griechenlands“ bzw. „Griechenland“ als statistisch auffällige Kookkurrenzpartner. 3. Kookkurrenzprofil von „Griechenland“: Bei „Griechenland“ selber lässt sich dieser Effekt ebenfalls zeigen. Bis einschließlich 2008 ist in Bezug auf Griechenland von größeren finanziellen Schwierigkeiten noch keine Rede, die statistisch auffälligsten Partnerwörter haben mit der Fußball-Europameisterschaft zu tun. Ab 2009 zeichnet sich aber auf den hinteren Rangplätzen der Schuldendiskurs schon ab, ab 2010 ist von Griechenland deutlich überwiegend im Zusammenhang mit seiner Staatsverschuldung die Rede. Insgesamt zeigen diese Befunde, dass der Sprachgebrauch tatsächlich sehr sensibel auf die Zeitläufte [! ] reagiert; aktuelle Entwicklungen finden ihren unmittelbaren Niederschlag in den elektronischen Textkorpora und können mit dem entsprechenden Instrumentarium eindeutig nachgewiesen werden. Eine interessante Frage wird sein, in welcher Richtung sich die Kookkurrenzprofile der hier untersuchten Wörter in ein paar Jahren mit einigem Abstand zu den rezenten Krisenszenarien verändert haben werden; die Korpora werden auch das zeigen können. Astrid Adler / Rainer Perkuhn / Albrecht Plewnia 234 Literatur Belica, Cyril (1995): Statistische Kollokationsanalyse und -clustering. Korpuslinguistische Analysemethode. Mannheim. http: / / corpora.ids-mannheim.de (Stand: 22.9.2017). Bodmer Mory, Franck (2014): Mit COSMAS II „in den Weiten der IDS-Korpora unterwegs“. In: Institut für Deutsche Sprache (Hg.): Ansichten und Einsichten. 50 Jahre Institut für Deutsche Sprache. 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Sie spielen meist eine zentrale Rolle auf der Textebene, indem sie wesentlich zur Kohärenz eines Abschnitts bzw. eines ganzen Artikels beitragen. Diese innovativen Kommunikationsformen mögen zwar das Interesse des breiten Publikums an wirtschaftlichen Debatten wecken, aber sie führen oft zu einer groben Vereinfachung, die den technischen Aspekt der Euro-Krise völlig beiseite lässt. Außerdem sind die benutzten Bilder in der Regel sehr negativ gefärbt, was die Angst der Öffentlichkeit vor einem weltweiten Zusammenbruch der Finanzmärkte sicherlich noch verstärkt und dem Vertrauen der Bürger in Europa nicht gerade dient. Die Vorliebe der Massenmedien für düstere Szenarien enthüllt somit eine bewusste Strategie der Dramatisierung, die immer mehr zum „Storytelling“ tendiert. 1. Einführung Wer sich seit Langem für das Wirtschaftsgeschehen interessiert, ist mit sachlichen Berichten vertraut, die meistens eine Menge von Zahlen und Termini enthalten, was die Lektüre umso schwerer macht und den Eindruck einer gewissen Kühle verstärkt. Dies entspricht zwei bedeutenden Merkmalen des Fachdiskurses überhaupt, und zwar dem „Werkzeugcharakter“ und der „Gefühlsneutralität“, die schon von Fluck (1996, S. 34ff.) hervorgehoben wurden. Gleichermaßen betrachtet Roelcke (2010, S. 68) die „Exaktheit und Eindeutigkeit von Fachwörtern“ als zwei Eigenschaften, die „die fachliche Kommunikation […] hinsichtlich ihrer Deutlichkeit, Verständlichkeit und Ökonomie unterstützen sollen“. Daraus lässt sich ableiten, dass Fachsprachen vor allem durch Zweckmäßigkeit, Präzision und Knappheit gekennzeichnet sind. Die Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrzehnts haben aber das Interesse der Öffentlichkeit an wirtschaftlichen Fragestellungen geweckt und dabei neue Kommunikationsformen nötig gemacht: Von nun an werden solche Themen wie Kaufkraft, Inflation oder Arbeitslosigkeit nicht nur im engen Kreis der Experten diskutiert, sondern auch vor dem breiten Publikum, das mit vollem Recht an den entsprechenden Debatten beteiligt sein will. Unter diesen Umständen ist der Fachbericht nicht richtig angepasst, denn er schafft Philippe Verronneau 236 oft eine unüberwindbare Informationsbarriere zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Eingeweihten: Auch komplizierte Aspekte der Globalisierung sollen allgemein verständlich sein, was für Spezialisten eine echte Herausforderung darstellt. In diesem Kontext kommt den Medien eine zentrale Rolle zu: Die Vermittlung fachlichen Wissens durch die Presse erfordert innovative Muster, die das Verständnis technischer Fragen erleichtern und attraktiv genug sind, um immer mehr Leser zu gewinnen. Charakteristisch dafür ist die Behandlung der Euro- Krise im Wirtschaftsteil der Zeitungen und Zeitschriften: Seit ein paar Jahren sind Konstrukte wie Rettungsschirm, Rettungspaket oder Hilfspaket üblich geworden und dienen weitgehend zur Veranschaulichung der verwickelten Hilfsmechanismen in der Euro-Zone. Solche Bezeichnungen zeigen das Bedürfnis nach Konkretisierung von abstrakten Vorgängen und erfüllen eine wichtige Funktion in „halbfachsprachlichen Texten“ (Burger 1998, S. 48), die an den durchschnittlichen Leser gerichtet sind. In dieser Textsorte werden nämlich Wendungen bevorzugt, die zur Erklärbarkeit von Fachbegriffen der Wirtschaft beitragen. Parallel dazu zeichnet sich nun eine weitere Tendenz ab: Komplexe Phänomene der Wirtschaft sollen nicht nur erklärbar sein, das heißt, zugänglich gemacht werden, sondern auch erzählbar, das heißt, sich in einen narrativen Rahmen einordnen lassen. Ein Zeichen dafür ist die verlebendigende Metaphorik, die sich neuerdings in den Massenmedien (Skirl 2007, S. 72): In Zeitungsartikeln sind nun einige bildliche Ausdrücke in Bezug auf die Finanzkrise zu finden, was offensichtlich den traditionellen Merkmalen des Fachdiskurses widerspricht. Folglich scheint das Kriterium der Erzählbarkeit allmählich den Vorrang zu bekommen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, auf dieses Verfahren näher einzugehen, um die narrative Dimension von Wirtschaftsfakten zu durchleuchten. Dazu wurde ein Korpus von ca. 60 Artikeln aus Der Spiegel und Manager Magazin zusammengestellt, 1 die von September 2012 bis Juni 2013 auf der Webseite www.spiegel.de (Spiegel Online) erschienen sind und alle die Euro-Krise zum Mittelpunkt haben. Dabei stellen sich zwei Hauptfragen: - Auf welchen sprachlichen Prozessen beruhen die innovativen Erzählformen, die im Wirtschaftsteil der Presse allmählich an Bedeutung gewinnen? - Sind es bloße Unterhaltungsformen für den überforderten Leser oder spezielle Kommunikationsstrategien, die einem bestimmten Zweck dienen? 1 Nach der angeführten Textstelle werden die jeweilige Zeitschrift und das Veröffentlichungsdatum in Klammern angegeben. Die Eurokrise in den Massenmedien 237 Auf die lexikalische Studie, die sich mit der ersten Frage befasst, folgt eine textuelle Analyse, die den zweiten Punkt betrifft. Im Anschluss daran wird die Wirkung dieser neuartigen Kommunikationsformen beurteilt. 2. Lexikalische Studie Die Art und Weise, wie die Medien über die Staatsverschuldung im Euroraum berichten, liefert aufschlussreiche Beispiele für die Behandlung wirtschaftlicher Fragen überhaupt. In einer ersten Reihe von Artikeln wird der Schuldenstand der Euroländer sachlich dargestellt, wie etwa in den folgenden Auszügen aus Der Spiegel und Manager Magazin: (1) Spaniens Schulden haben Ende 2012 einen Rekordwert erreicht: Die Verbindlichkeiten des krisengeplagten Euro-Staates summierten sich auf 884 Milliarden Euro. Das entspricht 84,1 Prozent der Wirtschaftsleistung Spaniens, wie die Zentralbank des Landes mitteilte. Die spanische Regierung hatte eigentlich nur mit einer Verschuldung in Höhe von 79,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gerechnet. Sie musste aber unter anderem 40 Milliarden Euro aus dem europäischen Rettungspaket in Anspruch nehmen, um dem maroden Bankensektor des Landes beizuspringen. Diese Hilfen spiegeln sich im Schuldenstand wider. (Der Spiegel, 15.3.2013) (2) Trotz drastischer Einsparungen in Spanien sind die Staatsschulden des Euro- Krisenlandes nach Informationen der Zeitung „El País“ 2012 um den Rekordbetrag von 146 Milliarden Euro gestiegen. Nie zuvor in der spanischen Geschichte hätten die Verbindlichkeiten des Staates in einem Jahr so stark zugenommen, berichtete das Blatt am Sonntag unter Berufung auf offizielle Quellen. Die Gesamtschulden des Staates beliefen sich damit auf über 882 Milliarden Euro. Dies entspreche 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zuletzt sei dies in Spanien im Jahr 1910 so hoch gewesen, schrieb die Zeitung. Im ersten Jahr der Amtszeit der konservativen Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy seien die Staatsschulden um 400 Millionen am Tag gestiegen. (Manager Magazin, 17.2.2013) In beiden Artikeln wird die Situation Spaniens nüchtern beschrieben: Der Journalist beruft sich auf offizielle Quellen (z.B. die Zentralbank), die den heutigen Schuldenbetrag genau angeben und dessen Entwicklung ins Gedächtnis zurückrufen. Folgerichtig sind hier exakte Zahlen zu finden (Geldvolumen bzw. Prozente) sowie mehrere Wirtschaftstermini (z.B. Verbindlichkeiten; Bruttoinlandsprodukt), die den fachlichen Charakter des Berichts unterstreichen. Demgegenüber kann die Verschuldung eines Landes anhand von lexikalisierten Metaphern bezeichnet werden, wie z.B. Schuldenlast und Schuldenberg: Philippe Verronneau 238 (3) Das Problem: Die ESM-Milliarden erhöhen Spaniens Staatsschulden und treiben das Land noch stärker in einen Teufelskreis. […] Dadurch steigt die Schuldenlast. […] Die Folge: Ihr Schuldenberg wächst weiter. (Der Spiegel, 28.9.2012) (4) Italien kämpft mit einem Schuldenberg von mehr als zwei Billionen Euro […]. (Manager Magazin, 22.2.2013) Beide Komposita sind zwar im wirtschaftlichen Kontext schon lange üblich geworden, aber die ursprüngliche Bedeutung der Substantive Last und Berg ist dafür nicht verloren gegangen: So wird nahegelegt, dass die angehäuften Schulden schwer auf den Schultern liegen und das betreffende Land bald erdrücken könnten. Die Berg-Metapher gibt sogar Anlass zu einer Personifizierung Italiens (4), das mit diesen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Eine noch subjektivere Darstellung der Euro-Krise erfolgt in einem Artikel aus Manager Magazin, in dem das Substantiv Schulden systematisch mit negativ gefärbten Lexemen assoziiert wird: (5) Euro-Krise. Wie Europa in die Schuldenfalle lief. [Titel]. Wie konnte es zu der Schuldenorgie kommen? […] [Die hohen Schulden] erdrosseln die wirtschaftliche Dynamik, so dass die Länder immer tiefer im Schuldensumpf versinken. […] Wie konnte es sein, dass zivilisierte, hoch gebildete Gesellschaften sich in Friedenszeiten in völliger Ignoranz in immer höhere Schulden stürzen konnten? […] Die Schuldenmanie der letzten beiden Jahrzehnte war vor allem Privatsache. […] Dass der Westen sich derart der Schuldenorgie hingegeben hat, ist kaum erklärbar ohne eine gewisse ideologische Verblendung. […] Aber der Weg in die Schulden begann schon viel früher. […] Bürger, Unternehmen, Finanzsektoren und Staaten haben in beispielloser Euphorie eine kollektive Schuldenorgie angezettelt. (Manager Magazin, 19.9.2012) Bemerkenswert sind die mit Schuldengebildeten Komposita, deren rechter Bestandteil (-falle, -orgie, -sumpf, -manie) einen verhängnisvollen Prozess andeutet, welcher mit einem sittlichen Verfall gleichgesetzt wird. Die äußerst negative Konnotation der Nomina wird durch verbale Konstruktionen verstärkt (in die Schuldenfalle laufen, im Schuldensumpf versinken, sich in immer höhere Schulden stürzen, sich der Schuldenorgie hingeben; eine kollektive Schuldenorgie anzetteln), die den unaufhaltsamen Charakter des Geschehens betonen. Die fortgesetzte Metapher beruht somit auf einer kühnen Kombination zwischen Schuld und moralischem Übel, die auf eine strenge Verurteilung des ganzen Vorgangs hinweist. Eine weitere ergiebige Metaphorik liefern die Lexeme, die dem semantischen Bereich des Feuers angehören. Sie bieten die Grundlage für zahlreiche Verbildlichungen im Kontext der Euro-Krise: Die Eurokrise in den Massenmedien 239 (6) So startete denn die Währungsunion am 1. Januar 1999 mit elf Ländern, darunter Italien, Spanien, Portugal, Irland - also jenen Staaten, die in der Schuldenkrise als Erste im Feuer standen. (Manager Magazin, 21.9.2012) (7) „Zypern spielt mit dem Feuer.“ Und das Land sei gerade dabei, sich zu verbrennen, wird in Kauders Umfeld ergänzt. (Der Spiegel, 22.3.2013) (8) Doch kaum ist im Südwesten Europas etwas Ruhe eingekehrt, lodert die Krise in Griechenland wieder auf. (Der Spiegel, 24.9.2012) (9) Dabei lauern gleich in mehreren Ländern noch ungelöste Probleme, die erneut einen Flächenbrand anfachen könnten. Spiegel Online zeigt, wo die Krisenbrandherde schwelen. (Der Spiegel, 21.2.2013) (10) Die schwelende Krise war eines der wichtigsten Themen beim EU-Gipfel. (Der Spiegel, 15.3.2013) (11) Griechenland ist erneut zum Brandherd in der Euro-Krise geworden. (Der Spiegel, 26.9.2012) (12) Die Zyprer fordern ihrerseits schnelle Entscheidungen und warnen vor einem erneuten Aufflammen der Euro-Krise. (Der Spiegel, 15.3.2013) (13) Die Angst vor einem Wiederaufflammen der Euro-Krise ist in dieser Woche mit Macht wiedergekehrt. (Manager Magazin, 22.2.2013) Die angeführten Belege illustrieren eine Reihe von Metaphern, die alle auf der bekannten Analogie zwischen Feuer und akuter Gefahr beruhen. Dazu dienen verschiedene Verben wie auflodern (8), schwelen (9-10), aufflammen (in 12- 13 substantiviert) oder das Substantiv Brandherd (9-11), deren metaphorische Bedeutung lexikalisiert ist. Diese stark konventionalisierte Assoziation ermöglicht aber auch zuweilen einen kreativen Sprachgebrauch, wie in (7), wo der Phraseologismus mit dem Feuer spielen originell erweitert wird, und zwar mit dem Verb sich verbrennen, das das allzu nachlässige Verhalten Zyperns noch stärker betont. Ebenfalls dient die Verbindung im Feuer stehen (6) zur ausdrucksstarken Bezeichnung einer hochgefährlichen Lage. Insgesamt vermitteln diese Metaphern den Eindruck, dass die Währungskrise - genauso wie das Feuer - jederzeit ausbrechen kann, sobald ein einziger Funke dazukommt, wobei niemand imstande wäre, den Brand zu löschen. Dieser unheimliche Gedanke wird dadurch verstärkt, dass jedes Land anscheinend bedroht ist und beinahe vor dem Abgrund steht, wie manche klischeehafte Bilder vermuten lassen. Typisch für diese beängstigende Darstellung ist der Artikel „Euro-Retter sorgen sich um Frankreich“ (aus Der Spiegel, 22.2.2013), in dem die spöttisch genannte Grande Nation plötzlich zum Sorgen- Philippe Verronneau 240 kind des Euro-Raums herabgestuft wird, weil ein Politiker sich radikal dazu geäußert hat. (14) Der wirtschaftliche Ausblick mies, das Defizit über den EU-Vorgaben: Die Sorgen um das schwächelnde Frankreich wachsen. […] CDU-Fraktionsvize Fuchs nennt die Grande Nation ein „Sorgenkind des Euro-Raums“. (Der Spiegel, 22.2.2013) Der auf solche Weise geschilderte Absturz einer Großmacht ist symptomatisch für die Behandlung der Euro-Krise in der Alltagspresse: Statt Zahlen und Termini sind dort einfache Formeln beliebt, die ohne Nuancen wieder aufgenommen werden und sich umso leichter einprägen. Dies läuft auf eine gewisse Dramatisierung hinaus, die in der Wahl von bestimmten Lexemen sichtbar wird: (15) Doch das das Drama um Zypern Drama um Zypern zerrt auch an den Nerven der sonst so kühl-kontrollierten CDU-Vorsitzenden. (Der Spiegel, 22.3.2013) (16) Womöglich hätte sich das Zypern-Drama dann ab dem vergangenen Wochenende bis heute nicht in diesem Maße zugespitzt. (Der Spiegel, 22.3.2013) (17) […] manches hätte besser laufen können in diesem Drama. (Der Spiegel, 25.3.2013) (18) Womöglich wäre es nicht zu einem solchen Showdown wie am Wochenende gekommen. (Der Spiegel, 25.3.2013) (19) Kleines Land, aufgeblähter Bankensektor ‒ die Kombination dieser beiden Merkmale wurde Zypern zum Verhängnis. (Der Spiegel, 27.3.2013) (20) Das Land steckt mittendrin in einem Horrorszenario. (Der Spiegel, 27.3.2013) Die Substantive Drama (15, 16, 17), Showdown (18) und Verhängnis (19), die auf die Zypern-Krise bezogen werden, erwecken den Anschein, als ob die Kraftprobe zwischen dem kleinen Land und der Europäischen Union zwangsläufig einen fatalen Ausgang haben würde. Die geführten Verhandlungen gleichen von nun an einer antiken Tragödie, in der das Schwinden des Schwächeren unausweichlich ist. So ist auch das Horrorszenario (20) zu verstehen, das die extreme Zuspitzung der Lage ahnen lässt. Folglich haben die am häufigsten auftretenden Metaphern eines gemeinsam: Sie tendieren dazu, die negativen Seiten der Währungsunion hervorzuheben und eine düstere Zukunft für die Euro-Zone zu prophezeien. In dieser Absicht werden meist konventionelle Figuren benutzt, die auf fest verankerte Konzeptualisierungen verweisen und damit problemlos gedeutet werden können, wie zum Beispiel die Feuer-Metapher, die auf uralte Ängste zurückgeht. Manche Belege zeigen aber, dass das bildlich verwendete Substantiv leicht in verbale Konstruktionen integriert wird, welche den lexikalisierten Gebrauch kreativ erweitern können. Nun stellt sich die Frage, ob Die Eurokrise in den Massenmedien 241 dieses Verfahren zur globalen Darstellung von wirtschaftlichen Verhältnissen geeignet ist und wie es sich auf die Leserschaft auswirkt. 3. Textanalyse Zieht man ganze Textstellen in Betracht, so merkt man, dass Metaphern nicht nur als einzelne Wörter, sondern auch als umfangreichere Komplexe vorkommen. Als Beispiel dafür dient zuerst die - eher unerwartete - Tod-Metapher, die in den folgenden Auszügen benutzt wird: (21) In den vergangenen Wochen stand ein anderer, wirtschaftlich weitaus wichtigerer Euro-Staat im Mittelpunkt: Spanien. Um jeden Preis wollten die Krisenmanager verhindern, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone in den Todesstrudel gerät. In jenen verhängnisvollen Kreislauf aus steigenden Zinsen für spanische Staatsanleihen, die wiederum zu einem höheren Haushaltsdefizit in Madrid führen, was das Misstrauen an den Märkten befeuert - und die Zinsen noch weiter nach oben treibt. (Der Spiegel, 24.9.2012) (22) Warum hat sich der Westen selbst derart stranguliert, dass er nun von einem ökonomischen Nahtod-Erlebnis zum nächsten taumelt? (Manager Magazin, 19.9.2012) Interessant daran ist vor allem die Tatsache, dass die unkontrollierte Verschuldung als ein Teufelskreis erscheint, der niemals zu durchbrechen ist und zum unvermeidlichen Niedergang der betreffenden Nation führt. Die kreative Assoziation zwischen Pleite und Todesspirale bildet die Basis für die ganze Beschreibung und erzielt eine besondere Wirkung, indem sie eine eigentümliche Vorstellung des ökonomischen Prozesses aufdrängt. Die etablierte Relation verstärkt somit das Gefühl der Ausweglosigkeit, das schon von mehreren bildlichen Ausdrücken hervorgerufen wurde. 2 Nicht nur Metaphern können übrigens einen solchen Effekt haben, sondern auch manche Vergleiche zwischen Staatsschulden und kränklicher Selbstzerstörung. Die Anspielung auf Drogenabhängigkeit (23) und Schmerztabletten (24), die eine explizite Parallele zwischen Krise und pathologischem Zustand zieht, ist tatsächlich ebenso negativ konnotiert wie die bisher untersuchten Mittel. (23) Der Prozess der Selbstzerstörung begann mit einem Selbstbetrug. Wie bei einem Drogenabhängigen, der sich selbst vormacht, er habe gar kein Problem - außer wenn er gerade keine Drogen zur Hand hat. (Manager Magazin, 19.9.2012) (24) „Wir haben die Symptome der Krise mit viel Geld bekämpft, aber die Ursachen nicht beseitigt“, sagt Hanno Beck, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule 2 Siehe Belege (15) bis (20). Philippe Verronneau 242 Pforzheim. Er vergleicht das Geld mit einer Schmerztablette. „Die Tablette lindert das Krankheitsbild, aber irgendwann lässt die Wirkung nach. Und dann muss man sich überlegen, ob man die nächste Pille einwirft.“ (Der Spiegel, 21.2.2013) Ein Artikel verdient eine besondere Aufmerksamkeit, denn er illustriert am besten die verschiedenen Mittel, die zur Darstellung von Wirtschaftsphänomenen eingesetzt werden können. Im Europa-Dossier vom 10.9.2012 beschäftigt sich Der Spiegel mit den Faktoren, die Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Umdenken der Griechenland-Politik veranlasst haben. Dazu werden mehrere Schlüsselbegriffe eingeführt, die die Prognosen der „Troika“ 3 über dieses Land erhellen sollen, wie etwa die Top-Down-Methode oder die Schuldentragfähigkeitsanalyse. Mit der folgenden Erläuterung wird die Art und Weise verständlich, wie die Experten ihren Bericht schönen können, um das gesetzte Ziel zu erreichen: (25) Gelingen könnte die Verschönerung der Wirklichkeit durch die in der Wirtschaft beliebte Top-Down-Methode. Dabei werden die Parameter eines Modells so lange geändert, bis am Ende das erwünschte Ergebnis herauskommt. Kern des Troika-Berichts ist die „Schuldentragfähigkeitsanalyse“. Sie berechnet, unter welchen Bedingungen Griechenlands Schulden bis zum Jahr 2020 auf das halbwegs erträgliche Maß von 120 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung sinken könnten. (Der Spiegel, 10.9.2012) Solche Periphrasen haben eine wichtige Aufgabe: Sie sind dazu bestimmt, Fachwörter zu umschreiben und dabei komplexe Mechanismen anschaulich zu machen. Einen ähnlichen Zweck verfolgen die beiden Substantivmetaphern, auf denen der ganze Artikel aufbaut, und zwar Kettentheorie versus Dominotheorie: (26) Bis zu diesem Zeitpunkt galten Merkel und ihr Finanzminister als Anhänger der „Kettentheorie“. Die Währungsunion stellt demnach eine Kette dar, in der jedes einzelne Land ein Glied bildet. Griechenland ist das schwächste, scheidet es aus, wird die Kette insgesamt stärker. Doch seit dem Sommer gibt es im Merkel-Umfeld mehr Anhänger der „Dominotheorie“. Danach wird die Währungsunion durch einen griechischen Austritt nicht stärker. Im Gegenteil: Fällt Griechenland, droht anschließend womöglich ein Land nach dem anderen zu kippen. (Der Spiegel, 10.9.2012) 3 Die in den Medien gern verwendete Bezeichnung „Troika“ bezieht sich auf die drei Institutionen (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds), die mit der Schuldenaufsicht in der Euro-Zone beauftragt sind und die Anwendung der entsprechenden Maßnahmen kontrollieren. Die Eurokrise in den Massenmedien 243 Über ihre explizierende Funktion hinaus haben beide Metaphern eine besondere Wirkung: Sie legen nahe, dass das Los eines einzigen Landes die ganze Euro-Zone gefährden kann. Dieser Gedanke drängt sich umso stärker auf, als die Dominotheorie mit dem benachbarten Konzept Domino-Effekt erweitert wird, das an den Höhepunkt der Krise 2008 erinnert und bei manchen eine Reaktion der Panik hervorruft: (27) Im Kanzleramt wird befürchtet, ein solcher Schritt könne einen ähnlichen Domino-Effekt auslösen wie die Lehman-Pleite 2008. Der Untergang der New Yorker Bank stürzte damals die komplette Weltwirtschaft in den Abgrund. Allein in Deutschland schrumpfte die Wirtschaft um fünf Prozent, Hunderttausende wurden zusätzlich arbeitslos. (Der Spiegel, 10.9.2012) Die Fortsetzung der Metapher ermöglicht sogar die Bildung von zwei weiteren Komposita, die die Konjunkturexperten selbst bezeichnen: Den Dominotheoretikern widersetzen sich die Kettentheoretiker in der Debatte um Deutschlands Finanzpolitik. (28) Die Auswirkungen auf Konjunktur, Wachstum und Beschäftigung wären ebenso katastrophal wie unkalkulierbar, argumentieren die Dominotheoretiker. Nur eines sei sicher: Fällt Griechenland, muss Deutschland erstmals zahlen […]. (Der Spiegel, 10.9.2012) (29) Am Ende setzten sich die Dominotheoretiker durch. […] Unterstützung bekam die Dominofraktion an Merkels Hof ausgerechnet von einem Mann, der sich in den letzten Wochen eher gegen die Kanzlerin positionierte: dem Bundesbank- Präsidenten. (Der Spiegel, 10.9.2012) (30) Ein wichtiger Mitstreiter Merkels allerdings ist nach wie vor Kettentheoretiker. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat seinen Gesprächspartnern in der Euro-Gruppe bedeutet, er halte das Risiko eines Griechenland-Austritts für vertretbar. (Der Spiegel, 10.9.2012) Die mehrmalige Verwendung von Ausdrücken dieses Typs in Bezug auf die Debattenteilnehmer zeigt, dass die grundlegende Opposition zwischen den beiden aufgestellten Theorien erheblich zur Kohärenz des Textes beiträgt. Im Laufe des Artikels wird ein Kontinuum etabliert, das auf der anfänglichen Konzeptualisierung beruht und den einheitlichen Aufbau des Ganzen hervortreten lässt. Somit werden die Argumente der Politiker schematisch zusammengefasst, was ihre jeweilige Auffassung von der Zukunft Europas global zu verstehen gibt. Man darf aber nicht übersehen, dass es sich um eine grobe Verbildlichung handelt, die die Einstellung der einen und der anderen zur griechischen Frage nur oberflächlich widerspiegelt und vorrangig der Polemik dient: Solche knappen Formeln lassen vermuten, dass die Währungsunion ständig bedroht bleibt, weil jeder Kompromiss zwischen den beiden Lagern von vornherein ausgeschlossen ist. Folglich werden die wirtschaftlichen Philippe Verronneau 244 Argumente von rein politischen Fragen verdrängt, die mit persönlichen Streitereien verbunden sind. Zur Betonung der schwebenden Gefahr werden auch zwei lexikalisierte Metaphern kombiniert, die das politische Kalkül Bundeskanzlerin Merkels als hoch riskantes Unternehmen erscheinen lassen: Die Anspielung auf befürchtete Turbulenzen und die darauf folgende Spiel-Metapher verstärken beim Leser den Eindruck, dass der verfolgte Kurs allzu gewagt ist und womöglich den Interessen Deutschlands zuwiderlaufen könnte. (31) Zum großen Ganzen gehört für Merkel allerdings stets auch die Innenpolitik. Ihre neue Milde hat für sie den Charme, dass sie die Wahl im kommenden September ohne die Turbulenzen eines griechischen Euro-Austritts erreichen könnte. Dafür ist sie bereit, mit hohem Einsatz zu spielen. (Der Spiegel, 10.9.12) Schließlich wird eine unübliche Formel benutzt, die den Artikel abrundet: Ein eventuelles Scheitern in der Griechenland-Frage wird als GAU, das heißt als „größter anzunehmender Unfall“ für Merkel bezeichnet, in Anlehnung an den schwersten Störungsfall, der in einem Kernkraftwerk auftreten kann. Kein Zweifel, dass ein so optimistisches Szenario die Deutschen beruhigen wird … (32) Das wäre der GAU für Merkel - und dieses Risiko geht sie bewusst ein. (Der Spiegel, 10.9.2012) 4. Fazit Vergleicht man die ersten Belege (1-2) mit dem Europa-Dossier vom 10.9.2012 (Belege 25 bis 32), so zeigt sich, dass die Behandlung von wirtschaftlichen Fragen unterschiedliche Formen annehmen kann, die vom rein fachlichen Bericht bis zur verlebendigenden Beschreibung reichen. Diese Entwicklung liegt vor allem an der Anhäufung von Metaphern, die meistens konventioneller Art sind, aber auch gern kreativ erweitert werden. Viele Substantive wie Schuldenberg, Schuldenfalle, Brandherd oder Aufflammen sind im Zusammenhang mit der Schuldenkrise üblich geworden und tragen zur Verbildlichung der betreffenden Phänomene bei. Auffallend ist, dass sie insgesamt beängstigend wirken, indem sie die bestehende Gefahr überspitzen und die Zukunft der Währungsunion schwarzmalen. Diese Tendenz gipfelt in der Wahl von bestimmten Lexemen wie Drama oder Horrorszenario, die bewusst zur Dramatisierung der Lage führen und wenig Hoffnung lassen. Diese spezielle Metaphorik spielt eine wichtige Rolle auf der Textebene: Sie dient nicht selten als Basis für umfangreiche Komplexe und sorgt dabei für die inhaltliche Kohärenz des Textes. Am häufigsten funktioniert sie nach dem Prinzip der Konkretisierung abstrakter Vorgänge: Schwer fassbare Konzepte Die Eurokrise in den Massenmedien 245 wie Staatsanleihezinsen oder Schuldentragfähigkeitsanalyse werden anhand von direkt erfahrbaren Elementen illustriert, was das jeweilige Phänomen anschaulich macht. Die benutzten Bilder, die auch in Vergleiche oder Umschreibungen integriert werden können, haben aber eines gemeinsam: Sie sind ebenso negativ gefärbt wie die einzelnen Wörter, die in Bezug auf die Staatsverschuldung verwendet werden. Folglich nähren sie das Gefühl, dass der Euro-Raum ständig in Gefahr schwebt und an der Pleite eines einzigen Mitglieds scheitern kann. Die Vorliebe der Massenmedien für verknappte Formeln führt schließlich zu einer groben Vereinfachung, die den komplexen Wirtschaftsmechanismen kaum Rechnung trägt. Bevorzugt werden Etiketten wie Dominotheoretiker und Kettentheoretiker, die auf den politischen Kampf verweisen und viele technische Aspekte beiseitelassen. Solche kompakten Benennungen mögen zwar zum globalen Verstehen der Debatte beitragen, aber sie liefern nur oberflächliche Kenntnisse über die Ursachen der europäischen Spannungen. Entscheidender noch als die Erklärbarkeit der wirtschaftlichen Fakten ist deren Erzählbarkeit: In den Vordergrund werden die Themen gestellt, die Aufsehen erregen und polemischen Zwecken dienen. Es geht nämlich immer mehr darum, das Wirtschaftsleben so zu inszenieren, als ob es ein permanentes Happening wäre, vielleicht nach dem Modell von TV-Serien, in denen Geld oft persönliche Konflikte auslöst. So schwindet allmählich der informative Charakter der mitgeteilten Nachrichten zugunsten von Szenarien, in denen Wirtschaft, Politik und private Interessen eng miteinander verflochten sind. Damit entwickeln sich neue narrative Formen, die zum „Storytelling“ tendieren: Wirtschaft wird zu einem Kommunikationsobjekt unter anderem, das ein breites Publikum heranziehen soll. Ob die anspruchsvollen Mediennutzer etwas dabei zu gewinnen haben, bleibt aber fraglich … Literatur Burger, Harald (1998): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. (= Grundlagen der Germanistik 36). Berlin. Fluck, Hans-Rüdiger (1996): Fachsprachen. 5., überarb. und erw. Aufl. Tübingen/ Basel. Roelcke, Thorsten (2010): Fachsprachen. 3., neu bearb. Aufl. (= Grundlagen der Germanistik 37). Berlin. Skirl, Helge/ Schwarz-Friesel, Monika (2007): Metapher. Heidelberg. THOMAS LISCHEID (WEINGARTEN) „SINNEN & SIMULIEREN“ DISKURS - UND KULTURSEMIOTISCH - SYMBOLE UND NARRATIVE DER GRO ß EN FINANZ- UND WIRTSCHAFTSKRISE 2007FF. ZWISCHEN AKTUELLEM MEDIENDISPOSITIV, SPIELFILM UND GEGENWARTSLITERATUR Abstract Der Beitrag stellt am Beispiel der Großen Weltwirtschaftskrise seit dem Jahr 2007 ein diskurs- und kultursemiotisches Untersuchungsmodell vor, das sich der narrativen Dimension wirtschaftsbezogener Themen und Probleme in Massenmedien, Film und Literatur widmet. Zur Erfassung seines Gegenstandbereichs geht es von der konstitutiven Bedeutung von Symbolen und anderen analogiebildenden Verfahren in der Sprache der Massenmedien aus und ergänzt diese um weitere wichtige Parameter einer Erzählanalyse im weiteren Sinn (mit Blick auf Diskursanteile der Alltagswelt und spezifischer Fachwissenschaften, intertextuelle und interpikturale Aspekte, intermediale Text-Bild-Ton-Kombinatorik, die Bedeutung diskursiver Positionen und pragmatischer Applikationen). Anschließend wird für eine Erzählanalyse im engeren Sinne die Ebene unterschiedlicher Darstellungen geschichtlicher Zeit (Vergangenheits- und Gegenwartsorientierung vs. Zukunfts-Prognostik) von der Ebene verschiedener diskursiver Stil- und Tonlagen unterschieden (Realismus, Pararealismus und Autoreflexivität; Faktualität vs. Fiktionalität). Die konkreten Beispiele entstammen der internationalen Film- und Romanproduktion der Gegenwart, wie sie das in erster Linie massenmedial vermittelte Krisengeschehen von Anfang an mit begleiten (u.a. Chandlers „Der große Crash“ für den Spielfilm; Goetz, Lancaster, Chirbes u.a.m. für die Literatur). 1. Mediensymbolik im Dispositiv aktueller Mediensprache Die konstitutive Bedeutung symbolischer Elemente und Redeweisen für die Darstellung von Themen und Inhalten aller Art sowie für die damit zusammenhängende Bildung subjektiver und kollektiver Identitäten ist seit längerem in der Wissenschaft bekannt. Die semiotische Diskurs- und Kulturanalyse in Anlehnung an Foucault (1969/ 1973), aber auch andere Ansätze haben diese Wirkungsmacht des „Symbolischen“ an vielfältigen Beispielen aus den Bereichen der Massenmedien, aber auch der Literatur und Kunst belegen können (vgl. z.B. Link 1978; Parr 2007; Lischeid 2012a u. 2012b; „symbolisch“ hier verwendet als Oberbegriff für alle analogiebildenden Verfahren von Metaphern, Synekdochen, Metonymien usw.). Es ist wohl nur folgerichtig, dass eine solche Beobachtung auch in dem umfangreichen und vielfältigen Text-, Bild- und Tonmaterial Bestätigung findet, das aus Anlass der Großen Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Jahr 2007 in den Massenmedien und an ande- Thomas Lischeid 248 ren Orten produziert worden ist. Wie erste Forschungsbeiträge zeigen, sind es, neben anderen, insbesondere Metaphern und Symbole der Natur, der Technik und der religiösen Apokalypse, die als Bilder der akuten Bedrohung wirken (Erdbeben, Tsunami, Sturm, Strudel, explodierende Atomkraftwerke, Armageddon usw.). Darüber hinaus bilden der menschliche Organismus sowie Gebäude und Fahrzeuge aller Art wichtige Reservoirs der Bildgenerierung: Die Krise erscheint entsprechend als infektiös kollabierende Menschen- Körper am gähnenden Abgrund, als einstürzende Bank-Gebäude mit drohendem Dominoeffekt oder als sich steil abwärts bewegende Tal-Fahrt (vgl. z.B. Link 2009; Parr 2009; Vogl 2010; Peter 2011; Voßkamp/ Schmitz (Hg.) 2012). Um nur eins von vielen möglichen Beispielen zu nennen, sei eine „Infografik“ aus der Anfangszeit der den gesamten Globus erfassenden Krisenentwicklung zitiert: Abb. 1: „Abgeschrieben“, dpa-infografik, 18.4.2008 Leicht nachzuvollziehen ist an dem Beispiel, wie seine Darstellungsweise an die geläufige Symbolik einzelner Krisen-„Gebäude“ anschließt und sie offenbar zur umrisshaften „Skyline“ einer Großstadtmetropole erweitert (man denke an großen internationalen Finanzplätze New York, London oder Frankfurt a.M.). Darüber hinaus eröffnet das groß in den Vordergrund gesetzte Bild der beiden Pipelines, die ihr Transportgut gleichsam ‘vorschriftswidrig’ in einer Sickergrube außerhalb der Stadt abführen, einen imaginären Darstellungsraum, der an die bekannten großen Produktions- und Reproduktionskreisläufe jeder modernen Gesellschaft wie Energie, Verkehr und Handel denken lässt. Von der Seite des symbolisch Gemeinten aus gedacht: Die ‘Störung’ und ‘Gefahr’, die dem globalen Finanzhandel aus Anlass der thematisierten „Subprime-Krise“ offenbar so schwer zusetzt, wie es Text, Bild und Diagramm der Infografik nahelegen, gibt zugleich der Befürchtung Raum, „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 249 dass auch auf die übrigen systemischen Teilsektoren von Politik, Gesellschaft und Kultur auf der ganzen Welt in ihren jeweiligen und als interdependent vorzustellenden System- und Reproduktionslogiken bedroht sein könnten. Link hat in seinem Buch „Normale Krisen? Normalismus und die Krise der Gegenwart“ (2013) ein Modell entworfen, wie die diagrammatische Vorstellung des ökonomischen Reproduktionszyklus im Bereich der „Konjunkturentwicklung, die sich generell zwischen spiralförmig aufwärtsführenden Korridoren „normaler Phasen“ (‘logistische S-Kurve’), Abwärtskurven unterschiedlicher „De-Normalisierung“ sowie Vektoren möglicher „Re-Normalisierung“ bewegt, mit den schon beispielhaft genannten Bildern, Metaphern und Symbolen der aktuellen Mediensprache („Aufschwung“, „Blase“, „Abwärtsspirale“ usw.) zusammenzudenken ist: Abb. 2: Metaphorische/ Symbolische Modell-Logik „Konjunkturentwicklung“ (vgl. Link 2013, S. 82, leicht abgewandelt und erweitert) Diese modellhaft entworfene Systematik von Medien- und Kollektivsymbolen, die insgesamt als eine sich dynamisch-prozesshaft strukturierende und ‘flukturierende’ Struktur vorzustellen ist, prägt aber nicht nur den Bericht über einzelne Ereignissituationen wie die der zitierten Infografik, sondern sie besitzt auch eine mitkonstituierende Kraft im Falle kleiner, mittlerer und großer ‘Erzählungen’ zum Themenbereich der aktuellen Krise. Dies soll im Folgenden am Beispiel des Kinofilms und der Gegenwartsliteratur erläutert wer- Thomas Lischeid 250 den, wobei die inhaltliche Ergebnisdarstellung zugleich mit bestimmten methodischen Überlegungen verbunden sein wird. 2. Aktuelle Narrative des Films und diskurssemiotische Analyse-Parameter Spielfilme, aber auch Filme dokumentarischer und dokumentaristischer Art bilden heutzutage das wohl wichtigste Paradigma populär-massenmedialer und zumeist ‘realistisch’ formierter Darstellungsweisen. Als ein Beispiel dafür, wie sich Symbolik und Narrativität gegenseitig bedingen, indem die Aussage eines Films in einer einzigen symbolischen Szene konzentriert und umgekehrt der gesamte Erzählinhalt wie aus einem einzigen, massenmedial bekannten Symbol gleichsam ‘herausgesponnen’ erscheint, diene ein Zeitungsartikel der FAZ über die Verarbeitung der Großen Krise im Kino der Gegenwart (Philip Krohn: „So sieht das Kino die Finanzmärkte“, vom 21.2.2014). Der Autor, der sich einer ganzen Reihe von fiktiven und dokumentarischen Filmwerken der Gegenwart widmet, wählt zum Einstieg eine Szene aus J.C. Chandors Spielfilm „Der große Crash“ (im Original „Margin Call“, USA 2010, mit Kevin Spacey, Jeremy Irons u.a.). Wie an seinen Ausführungen deutlich wird, ist sein Fokus ganz offenbar dadurch motiviert, dass sich in dieser Szene die medial bekannten Krisen-Symbole von ‘Bankgebäude’ und ‘Absturz’ mit Bildern entsprechender Charakterfiguren und deren Rede- und Handlungssituationen symptomatologisch koppeln: Seine eindrucksvollste Szene lässt das Finanzkrisenkino hoch oben über den Dächern von New York spielen: Will Emerson ist Risikomanager einer namenlosen Bank. Einer seiner Mitarbeiter hat gerade entdeckt, dass das Institut kurz vor der Pleite steht. Denn in den Büchern hat es massenhaft hypothekenbesicherte Kreditverbriefungen stehen und ihr Ausfallrisiko bislang unterschätzt. Gemeinsam mit dem Jungspund und einem noch unerfahrenen Kollegen wartet Emerson auf die Ankunft des Vorstandschefs, der auf diese niederschmetternde Erkenntnis eine Antwort finden muss. Sie besteigen das Dach ihrer Bank, der Blick schweift über die Skyline. Emerson tritt über die Balustrade. „Sie kennen doch die Angst, am Abgrund zu stehen? “, ruft er seinen Mitarbeitern [...] zu. „Es ist nicht die Angst herunterzufallen, sondern zu springen.“/ Symbolisch fasst Regisseur J.C. Chandler in seinem Debütwerk „Margin Call“ (auf Deutsch: „Der große Crash“) sein Leitthema in ein Bild: Ein Manager steht am Abgrund. Gemeint ist die Bank und mit ihr das gesamte Finanzsystem. Es ist der Vorabend einer unüberschaubaren Kettenreaktion, die Emerson und sein Chef auslösen werden. Denn wenn sie die toxischen Papiere auf einen Schlag verkaufen, brechen morgen die Kapitalmärkte zusammen. Weil sie nicht in den drohenden Strudel gerissen werden wollen, müssen sie selbst handeln - sie sind gezwungen zu springen. (Krohn 2014) „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 251 Ich habe diesen Artikel nicht nur gewählt, weil sich an ihm gut die Weiterverarbeitung massenmedialer Symbolik im Medium des Films nachweisen lässt, sondern auch, weil an seiner Behandlung des Themas die analytischen Parameter durchscheinen, die nicht nur für die journalistische, sondern auch für wissenschaftliche, insbesondere diskurs- und kultursemiotisch orientierte Vorgehensweise leitend sind, insofern sie sich eben mit künstlerisch-literarischen Werken einschließlich des Films beschäftigen möchten. In diesem Sinne sind insbesondere fünf Analyse-Parameter zu unterscheiden: Erstens, wie bisher fokussiert, die Analyse der interdiskursiven Ebene des je aktuellen, allgemein-öffentlichen Mediendispositivs mitsamt seiner stereotypen Kollektivsymbole, Charakterfiguren und Handlungsschemata und mit Bezug auf das in Frage stehende Werk. Neben Chandlers Film und dessen offensichtlichen Zusammenhang mit dem aktuellen Mediendispositiv finden in Krohns Artikel mehrere andere Filme Erwähnung, die ebenfalls eine solche Art von Bezugnahme motivieren. Hier handelt es sich insbesondere um Beispiele, die als die filmische Inszenierung von Lebensläufen zu verstehen sind, die wiederum zuerst in den internationalen Massenmedien zu schon skandalöser Berühmtheit gelangt sind. Weiterhin betont der Autor, dass sich insbesondere das Hollywoodkino dabei mit Vorliebe, weil publikumswirksam auf diejenigen Akteure kapriziert, deren illustres Treiben offenbar jede Grenzen von Normalität nachweislich und nachdrücklich weit hinter sich gelassen hat, und zwar typischerweise in Form von überschwänglichen Geld-, Sex- und Drogen-Orgien (vgl. James Deardens „Rogue Trader“ (1999) über den Spekulanten Nick Leeson und neuerdings Martin Scorseses „Wolf of Wall Street“ (2013) über Penny-Stock-Betrüger Jordan Belfort und mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle). Zweitens die Ebene der spezialisierten Fach- und Wissenschaftsdiskurse, womit die mögliche Verbindung von Werk und in der Regel wissenschaftlichen Spezialdiskursen und deren populärwissenschaftlicher Adaption gemeint ist (vgl. dazu generell überblickshaft den Band „Literatur und Wissen“ von Borgards et al. (Hg.) 2013). Im Falle des Finanz- und Börsenfilms bietet sich für eine solche Untersuchungsperspektive naturgemäß ökonomisches und verwandtes Fachwissen an, für das dann gegebenenfalls angenommen werden kann, dass es in einer filmischen Inszenierung eine spezifische, häufig komplexitätsreduzierte ‘Widerspiegelung’ erfährt (einschließlich möglicher Verfremdungen verschiedenster Art). In diesem Sinne geht Krohns Artikel, der in der Rubrik ‘Finanzmärkte’ der FAZ erschienen ist, zentral dem explizit aufgeworfenen Problem „Was lernt der Zuschauer? “ nach und unterzieht die einzelnen Beispiele einer fachdiskursiven Begutachtung (in der übrigens Chandlers Film um Längen gegenüber konkurrierenden Versionen von Oliver Stone („Wall Street II“, USA 2010), Christoph Hochhäuslers („Unter dir Thomas Lischeid 252 die Stadt“, D 2010) und Marc Tourneuil („Le Capital“, F 2012) gewinnt). In solchen Untersuchungszusammenhängen ist aber auch an Dokumentarfilme - einschließlich ihrer dokumentaristischen Abwandlungen - und deren genretypischer Aufbietung von Experten-Interviews und ihren spezialdiskursiven Wissens-Darlegungen zu denken, die übrigens auch Krohn teilweise mit berücksichtigt: so z.B. in Alexander Kluges DVD-Projekten „Nachrichten aus der ideologischen Antike“ (D 2008) und „Früchte des Vertrauens“ (D 2009), in Charles Fergusons „Inside Job“ (USA 2011) sowie in Marc Bauders „Master of the Universe“ (D 2013, mit dem ehemaligen Investmentbanker Rainer Voss). Drittens die Ebene inner-ästhetischer Korrelative im Bereich von Film, Literatur und Kunst: Dieses gewissermaßen ‘intertextuelle’ Vorgehen gehört bekanntlich zur Grundausstattung interdiskursiven und wissenschaftlichen Vorgehens verschiedenster ‘Ansätze’. Charakteristisch hierfür ist die Erinnerung an die gattungsmäßige Tradition, an große historische Vorläufer, gegenwärtige Parallelen und intermediale Abhängigkeiten. In diesem Sinne darf in Krohns Artikel natürlich nicht der Verweis auf den bekanntesten Finanz- und Wirtschaftsfilm überhaupt fehlen, auf Oliver Stones „Wall Street“ aus der Boomzeit der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts (USA 1987, mit Michael Douglas in der berühmt gewordenen Figur des „Gordon Gekko“). Zugleich kommt er nicht umhin, einschlägige alte und neue Literatur-Verfilmungen zu benennen: Brian de Palmas Adaption von Tom Wolfes „Fegefeuer der Eitelkeiten“ (USA 1990, 1987) und David Cronenbergs filmische Umsetzung von Don DeLillos Roman „Cosmopolis“ (USA 2012, 2003; vgl. Vogl 2010, S. 9ff.). Darüber hinaus zitiert Krohn ein Beispiel aktueller Theaterproduktion in Gestalt von Andreas Veiels Dokumenten-Montage „Das Himbeerreich“ (Stuttgart, 2013). Über diese drei genannten Aspekte hinaus sei noch auf zwei weitere wichtige Parameter verwiesen: Viertens die Ebene der intermedialen und intermodalen Beschaffenheit künstlerischer Werke als bekanntem generellen Trend moderner Darstellungsweisen, womit die potenzielle Verbindung von Formen der Sprache und Schrift mit Bild- und Ton-Ereignissen verschiedenster Art zu verstehen ist. Der Film gibt in diesem Zusammenhang das wohl komplexeste dynamische semiotische System ab, im Unterschied zu anderen, sei es statischen, monomodalen oder weniger multimedial verfassten Formen und Formaten (zur Literatur im engeren Sinne siehe die Ausführungen unten). Fünftens die Ebene diskursiver Positionen und sozialer Applikationsvorlagen: Mit dem Terminus „diskursive Position“ ist die fundamentale Tatsache der soziokulturellen Situiertheit und ideologischen Funktionalität bezeichnet, die mit jeder Erzeugung von Symbolen und Narrationen durch und für ihre „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 253 jeweiligen ‘Sprecher’ und gesellschaftlichen Gruppen verbunden ist. Grob zu unterscheiden ist zwischen eher affirmativ-hegemonialen, ambivalent-reformerischen und kritisch-antihegemonialen Positionen (wobei deren jeweilige Spektren selbst wiederum mannigfaltig durch Formen der Akzentuierung, Abweichung und Neukopplung untergliedert sind). Auf dem Gebiet der Wirtschaft, aber auch auf den mit ihr verbundenen Feldern von Politik, Gesellschaft und Kultur ist die ‘Artikulation’ solcher Positionen mit einer bekanntlich enormen diskurssemiotischen Bedeutung und Wirkungsmacht verbunden, historisch wie auch natürlich je gegenwärtig-aktuell. Der damit zusammenhängende Terminus der „pragmatischen Applikation“ zielt auf die Möglichkeit, die je Werk in literarisch-künstlerischer Form inszenierten Charaktere, Situationen und Symbole, die selbst wiederum für bestimmte ideologische und diskursive Positionen ‘stehen’, durch den Betrachter auf andere Praxisbereiche zu ‘übertragen’ und damit gleichsam „zu leben“. Das sicherlich bekannteste Beispiel, das der Finanz- und Börsenspielfilm hierfür entwickelt hat, bildet die Figur des „Gordon Gekko“ aus dem schon erwähnten Film „Wall Street“ von Oliver Stone, die immer wieder und offenbar erst recht im Rahmen der Großen Krise eine gewisse Renaissance erlebt hat. Denn auf dem Höhepunkt der US-amerikanischen Krisenentwicklung wurde nicht nur ein wiederum recht erfolgreiches Remake des Films produziert, sondern die Popularität von Film und Hauptdarsteller wurde auch dazu genutzt, der öffentlichen Kampagne des FBI gegen „Insiderhandel“ Unterstützung zu verleihen. Einem Zeitungsartikel, der sich mit diesem Thema befasst, ist gut die ambivalente Spannung zwischen Schauspieler- (Douglas) und filmischer Figuren-Rolle (Gekko), Faktualität (Leben) und Fiktion (Spielfilm), ‘richtiger’ und ‘falscher’ Film-Interpretation mitsamt den entsprechenden Möglichkeiten an Applikation und Gegen-Applikation abzulesen: Die amerikanische Bundespolizei FBI hat bei ihren Ermittlungen gegen illegalen Insiderhandel an der Wall Street prominente Schützenhilfe erhalten. Der Schauspieler Michael Douglas, der im Jahr 1987 in der Rolle des skrupellosen Finanzhais Gordon Gekko im Film ‘Wall Street’ weltberühmt und ein Kultstar in den Handelssälen von Investmentbankern wurde, hat im Auftrag der Behörde ein Video gefilmt, um auf das Thema aufmerksam zu machen. ‘Der Film war Fiktion, aber das Problem ist echt’, sagt Michael Douglas in dem einminütigen Werbespot, der auf den Wirtschaftssendern CNBC und Bloomberg läuft. ‘Um Insiderhandel zu melden, kontaktieren Sie Ihr FBI-Büro vor Ort’, fordert Douglas das Publikum auf./ [...] Gordon Gekko wird am Ende von „Wall Street“ wegen Insiderhandels verurteilt. Das brachte den FBI-Agenten David Chaves, der in New York zwei Einheiten für Wirtschaftskriminalität leitet, auf die Idee mit dem Werbespot [...]. Douglas selbst hat zur Rolle des Gekko, für die er einen Oscar als bester männlicher Hauptdarsteller erhielt, ein gespaltenes Verhältnis. Zahlreiche Kinobesucher wurden von Gekko, der mit gegelten Haaren und Hosenträgern den mondänen Stil der Epoche verkörperte und Gier zu ei- Thomas Lischeid 254 ner Tugend erhob, trotz der dubiosen Geschäfte zu einer Karriere an der Wall Street inspiriert. Bei den Dreharbeiten zum aktuellen Video und zum Film „Wall Street: Geld schläft nicht“, der im Jahr 2010 ins Kino gekommenen Fortsetzung des ersten Streifens, wurde Douglas von echten Wall-Street-Händlern und Bankern oft freudig begrüßt. ‘Ich bin ein Verbrecher im Film. Merken die das nicht’, fragte sich Douglas immer wieder. (vgl. nks 2012) 3. Aktuelle „Krisen“-Literatur und die Hypothese diskurssemiotischer Feld-Parameter Wenden wir uns der „Literatur“ in einem etwas engeren, also schriftbzw. print- und buch-medialen Sinne zu. Damit das literarische Feld, das sich im Rahmen gegenwärtiger Literaturproduktion zum Thema der Großen Krise ausgebildet hat (und wohl noch ausbilden wird), annäherungsweise abgesteckt werden kann, sei zunächst eine grundsätzliche Überlegung vorausgeschickt. Zentral gehört hierin der Hinweis, dass auch die folgenden Ausführungen im Sinne einer diskurs- und kultursemiotischen Perspektivierung des Untersuchungsfelds zu verstehen sind. Dies geschieht im Folgenden vor allem im Anschluss an Link (1990, 2008, 2012), Rancière (2000/ 2008, 2003/ 2005, 2011/ 2013) sowie Rustemeyer (2006, 2009, 2013), und zwar, indem ausgewählte Termini und Konzepte dieser Autoren hier verdichtend rekonfiguriert werden. In diesem Sinne gehen wir im Weiteren von der Voraussetzung aus, dass es wohl als typisch für den aktuellen, ja vielleicht auch generell ‘modernen’ Literatur-Diskurs gelten kann, dass er seine spezifische Prägung durch eine Art doppelter Basisorientierung erfährt. Diese Doppel-Orientierung besteht darin, dass die eine ‘Ausrichtung’ sich auf die Frage der Thematisierung zeitlicher Verhältnisse, die andere sich auf Probleme des literarischen Stils und Tons bezieht. Mit der ersten Orientierung ist also die Richtung des temporalen Zeitvektors gemeint, den der jeweilige Text vom perspektivischen Standpunkt seiner jeweiligen Gegenwart aus entwirft: nämlich eher in Richtung auf eine erinnerte oder imaginierte Vergangenheit oder eher in Richtung auf eine vorgestellte Zukunft hin. Der andere Typ an Orientierung bezieht sich hingegen auf die Frage der „diskursiven Tonart“, die für die jeweilige Darstellung als stil-typologisch prägend anzusetzen ist. Entsprechend dieser Ausrichtung lässt sich eine analytische Tätigkeit von Fragen leiten, ob ein Werk als eher „realistisch“ oder „para-realistisch“ („phantastisch“ in einem weiten Sinn), als „faktual“ oder „fiktional“ bzw. als „pragmatisch-massenmedial“ oder „kunst-literarisch“ einzustufen ist. Die nachfolgende Übersicht versucht, diese ‘Doppelmatrix’ in die Form eines Schemas zu bringen und mit passenden Beispieltexten der Gegenwartsliteratur, die der aktuellen „Krisen“-Thematik gewidmet sind, zu ‘füllen’. Um grob zwischen vergangenheits- und zukunfts-orientierten Darstellungstypen im „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 255 schon angesprochenen Sinne unterscheiden zu können, werden auf der ‘horizontalen Achse’ die Termini „aktual-historisch“ versus „aktual-antizipierend“ als in diesem Sinne konstitutive Begriffsopposition verwendet (wobei der Terminus „antizipierend“ auch mit Bezug auf Bloch (1959) gewählt ist). Es ist davon auszugehen, dass ein übergroßer Anteil an Literatur eher dem ersten Fall zuzuordnen ist; es sollte aber nicht übersehen werden, dass der zweite Fall einen ebenso wichtigen und tendenziell immer gewichtigeren Anteil ausmacht (gemeint sind hier nicht nur alle Spielarten von Science Fiction, deren Handlung durch einen zeitlichen und räumlichen ‘Sprung’ von der jeweils aktuellen Gegenwart entfernt erscheint und häufig zu para-realistischen Versionen tendiert, sondern gerade auch die mehr oder minder realistischen Simulationen einer nahen Zukunft‚ die ihre Szenarien aus konkreten Tendenzen und Möglichkeiten der jeweiligen historischen Lage ‘vor Ort’ gewinnen). Vergleichbare Überlegungen einer solchen temporal-kairologischen Zweiteilung literarischer, insbesondere narrativer Literatur lassen sich natürlich auch bei anderen, aber verwandten Theoretikern finden, etwa in den „Tausend Plateaus“ von Deleuze/ Guattari (1980/ 1992, Kap. 8, S. 263ff.) oder neuerdings in der „Allgemeinen Erzähltheorie“ kultursemiotischen Typs von Koschorke (2012, bes. S. 224ff.). Für die ‘vertikale Achse’ des Schemas ist Entsprechendes zu formulieren. Eine Reihe verschiedener historischer wie auch gerade neuerer Literatur- und Medienästhetiken geht von der expliziten oder impliziten Voraussetzung aus, dass „Literatur“ insbesondere eine Sache ihrer jeweiligen „diskursiven Tonart“ ist (z.B. Link 1990). Im Rückgriff auf Rancière (2000/ 2008) und Link (2008) scheint uns in diesem Feld eine Unterscheidung zwischen eher „realistischer“ und eher als „para-realistisch“ zu bezeichnender Literatur als konstitutiv (Letzteres als Oberbegriff für historisch-systematische Phänomene der Weißen und Schwarzen Romantik, des Symbolismus und Surrealismus, von Phantastik, Fantasy, Horror usw.). Die Kultursemiotik Rustemeyers hat in ähnlicher Weise das Zusammenspiel „realistischer“ und „surrealer“ Formen als grundlegend für literarisch-künstlerische Darstellungen erkannt, deren wechselseitige Gemengelage selbst wiederum so etwas wie eine Art ‘höheren Realismus’ abgebe (anhand des Spielfilms als Paradigma massenkultureller Phänomene, vgl. Rustemeyer 2013, S. 500ff.). Im Schema hinzugenommen ist eine weitere, subkategoriale Achse, die das Problem von Ausmaß und Reichweite des verwendeten Literaturbegriffs betrifft: Demnach gehen wir von einem weiten Begriffsverständnis aus, das sich nicht nur auf institutionalisierte, womöglich rein fiktionale Literatur bezieht (im Schema „kunstliterarisch“ genannt), sondern auch mehr oder minder „elementar-literarisch“ bzw. „poetisch“ geprägte Formen mit einbegreift, die ansonsten in der Regel als „pragmatisch“, „faktual“ bzw. „massenmedial“ gekennzeichnet werden (z.B. die Thomas Lischeid 256 Reportage, der Sachcomic oder das Szenario; vgl. Link 1983 bzw. Vogl 2002). Mit „auto-funktional“ als drittem Begriff auf dieser Ebene der Schema-Einteilung sind schließlich alle Symptome und Zeichen von „Selbstreferenz“, „Selbstreflexivität“ oder „Auto-Reflexivität“ gemeint, die in der Forschung gemeinhin als besonders markante Charakteristika moderner Literarizität gelten. Gegenüber diesem Gestus von Metareflexivität, den moderne Literatur offenbar schon selbst von sich entwickelt, fühlt sich die Diskurs- und Kultursemiotik aufgerufen, Literatur - wie auch Kunst und Film - dabei zu beobachten, wie sie sich selbst und die Welt beobachtet (vgl. z.B. Rustemeyer 2009). Zu vermuten ist, dass ein ‘Aufeinanderbeziehen’ dieser angesprochenen Achsen und ihrer jeweiligen ‘Pole’ geeignete Möglichkeiten eröffnet, eine kriteriengeleitete Beschreibung, Analyse und Interpretation von Literatur zu betreiben. Zu vermuten ist auch, dass ein solches Konzept ein taugliches Instrumentarium für größere Themen und Zeiträume, eventuell ganze Phasen und Groß-Epochen - wie zum Beispiel die „Moderne“ seit 1800 - abgeben könnte. Hinsichtlich des aktuellen Themas der „Großen Krise“ lässt sich das Schema mit den im Folgenden aufgeführten und später noch zu erläuternden Beispielen veranschaulichen (wobei die einzelnen Exempla eine subjektive und den momentanen Erkenntnisstand spiegelnde Auswahl aus einem viel größeren und sicherlich noch zukünftig anwachsenden Spektrum bilden). Die Grenzen zwischen den einzelnen Möglichkeitsfeldern, die durch das Wirken der angesetzten Feld-Parameter eröffnet werden (den einzelnen „Kästchen“ im Schema), sind natürlich nicht als ‘holistisch’, in sich fest und hart abgeschlossen zu verstehen, sondern als durchlässig und ‘weich’; die einzelnen Text- und Medienbeispiele repräsentieren zum Teil in ihrer ganzen Fülle ein bestimmtes Aussage- und Darstellungsfeld, zum Teil sind es bestimmte und markante Einzelaspekte und Tendenzen innerhalb von Werken, die eine bestimmte Zuordnung motivieren (oder auch mehrere Zuweisungen möglich erscheinen lassen). „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 257 aktual-historisch (= Simulation von Vergangenheit und Gegenwart) aktual-antizipierend (= Simulation wahrscheinlicher und möglicher Zukunft) realistisch pragmatisch Katja Kullmann: „Rasende Ruinen, Wie Detroit sich neu erfindet“ (2012) Philip Plickert: „Die Alternative“ (2010); Winand von Petersdorff: „Griechenland ist pleite - ein Szenario“ (2011) kunstliterarisch Kristof Magnusson: „Das war ich nicht“ (2010) Rainald Götz: „Johann Holtrop“ (2012) John Lancaster: „Kapital“ (2012) Rafael Chirbes: „Am Ufer“ (2013/ 2014) Markus A. Will: „Die Stunde des Adlers“ (2012); Jonas Lüscher: „Der Frühling der Barbaren“ (2013) autofunktional Petros Makaris: „Finstere Zeiten“ (2009-2012) Ulrich Schulte: „Herrschaftszeiten, Geschichten von Herrn Keiner“ (2012) Hans Magnus Enzensberger: „Herrn Zetts Betrachtungen“ (2013) Christoph Hein: „Vor der Zeit, Korrekturen“ (2013) pararealistisch pragmatisch Miriam Migliazzi/ Mart Klein: „Der Superknall“ (2011) Guido Grandt: „2018, Deutschland nach dem Crash“ (2013) kunstliterarisch Aleksandr Voinov: „Nicht Amerika“ (2010) Philippe Claudel: „Die Untersuchung“ (2010/ 2012) Dietmar Dath: „Deutschland macht dicht, Eine Mandelbaumiade“ (2010) autofunktional Julien Maret: „Tirade“ (2011/ 2013) Dietmar Dath: „Deutschland macht dicht, Eine Mandelbaumiade“ (2010) Tab. 1: Feld der Gegenwartliteratur zur Finanz- und Wirtschafts Dass es sich bei den hier aufgeführten Bespieltexten in der Regel um erzählende, „narrative“ Texte handelt, ist dem Umstand geschuldet, dass dies die für den Themenbereich wohl einschlägigste Literaturform darstellt (im Vergleich zu Lyrik oder Drama). Definitorisch sei angemerkt, dass hier „Erzählungen“ bzw. „Narrationen“ diskurs- und kultursemiotisch als „Elemente und Artikulation von Sinnfeldern“ verstanden werden, „die eine temporale Profilierung des kulturellen Raumes vornehmen und sich dabei spezifischer Topoi, Metaphern und Denkformen bedienen“. Auf ihrer semantischen und symbolischen Ebene erzeugen sie „Transformationsspektren der sinnhaften Formierung von Thomas Lischeid 258 Zeit zu Geschichte, die einer eigenen Logik folgen, weil sie in ihrer Ordnung Ereignisse, […], Relationen und Chronologien, Subjekte und Objekte des Erzählens allererst festlegen“ (Rustemeyer 2006, S. 93f.). Bezogen auf den konkreten Themen- und Motivkreis existieren inzwischen eine Reihe von fachwissenschaftlichen Darstellungen, die auf Fragen historischer Vorläufer (z.B. Künzel et al. (Hg.) 2011; Schößler 2013), aktuelle Paralleldiskurse (z.B. Gremliza (Hg.) 2012; Hörisch 2013) sowie übergreifende Problemzusammenhänge eingehen (zu „Krisen“-Darstellungen im Film bzw. Literatur vgl. z.B. Wende/ Koch (Hg.) 2010 und Nünning 2013). Offenbar gemeinsam ist den Literaturwie auch Fachdiskursen ein spezifisches „Sinnen und Simulieren“ in Krisenzeiten, frei nach einem Wort Theodor Fontanes, dem großen Romancier und Mitbeobachter des Börsen-, Finanz- und Wirtschaftsgeschehens im 19. Jahrhundert: „Denn die, die Not leiden, wollen vor allem aus ihrer Not und ihrem Elend heraus und sinnen und simulieren bloß, wie das zu machen sei“ (Fontane 1980/ 1995, S. 41). In diesem Rahmen vertreten unsere aktuellen Beispieltexte bestimmte Einzel- und Teilfelder des aktual-historischen Nach-„Sinnens“ und antizipierenden „Simulierens“, deren Gesamtpanorama übrigens auch die Bildung von Hypothesen weiterer und zukünftiger Literaturproduktion im aktuellen Feld stimulieren könnte (im Sinne einer antizipierenden, generativen Poetik). So ließe sich - etwas forciert weitergedacht - die Vermutung anstellen, dass ein Proust, Joyce oder Kafka von heute, also mithin rund 100 Jahre später zu Beginn des 21. Jahrhunderts, sein avanciertes Werk so schreiben müsste, dass es all die im Schema genannten ‘Orte’ und Tendenzen repräsentieren und möglichst innovativ verfremdend transformieren würde. Ein solch avanciertes Werk liegt offenbar (noch? ) nicht vor. Stattdessen gehen wir im Folgenden auf einige schon vorfindbare und im Schema genannte Bespieltexte kurz ein: aktual-historisch/ realistisch Der Mainstream an Narrativen zur Großen Krise folgt dem Paradigma realistischen Erzählens, sei es eher faktual als reportagemediale Dokumentation oder fiktiv-kunstliterarisch als Kurzgeschichte, Novelle oder Roman. Inzwischen finden sich eine ganze Reihe von Erzählungen dieses Typs aus Nordamerika und ganz Europa. Ihr realistischer Ton besteht darin, sich an die Daten- und Faktenlage, wie sie aus dem Dispositiv der Massenmedien bekannt ist, sowie an die sie begleitenden Symbole zu halten und diese anhand des figurativen Personals und deren Situationen und Handlungen anschaulich und plausibel zu inszenieren, womit - literaturtypisch gesehen - dem massendynamischen und komplexen Charakter des zugrundeliegenden Großereignisses per Konfiguration und Interaktionismus ein konkretes und überschaubares ‘Gesicht’ verliehen wird. Im Mittelpunkt der erzählten Handlung „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 259 steht in der Regel die Konfrontation zwischen der Boomzeit vor und dem Eintritt der Krise nach dem Schicksalsjahr 2007, wodurch der realismustypische Katabasis-Effekt eines Abstiegs bzw. Absturzes auf den nun neu geltenden „Boden der Tatsachen“ ausgelöst wird (man vergleiche den Titel der deutschen Fassung von Carol Edgarians US-amerikanischen Roman „Three Stages of Amazement“: „Zeiten der Ernüchterung“; engl. 2011/ dt. 2012). Als Beispieltexte solcher Art sind anzusehen: - Katja Kullmanns „Rasende Ruinen, Wie sich Detroit neu erfindet“ (2012) als Beispiel einer faktual-pragmatischen, dokumentarischen und autobiografischen Reportage über das nordamerikanische Krisen-„Experiment“ in Michigan/ USA. - „Johann Holtrop, Abriss der Gesellschaft“ (2012) von Rainald Götz als in wichtigen Aspekten biografistisch-dokumentaristischem und zugleich sarkastisch abrechnendem ‘Schlüsselroman’ über einen bekannten deutschen Manager und dessen Großunternehmen seit der Jahrtausendwende (Thomas Middelhoff von der Bertelsmann AG), dessen zuletzt etappen- und stufenweiser „Abstieg“ in Anlehnung an typische Symbole und Topoi des aktuellen Mediendispositivs verläuft (vom Herz-„Kollaps“ über „Depression“ bis hin zum „Selbstmord“). - John Lancesters „Capital“ („Kapital“, engl. u. dt. 2012) als distanziert polyperspektivische Darstellung von Bewohnern einer Londoner Vorstadtstraße und damit einem der führenden Finanzhandelsplätze der Welt (mit bewussten literaturhistorischen Anleihen an den literarischen Realismus seit Balzacs „Comédie humaine“ und mit Fokus auf die unterschiedlichen Krisen-Reaktionen zwischen dem besorgten Investmentbanker Roger Yount und dessen verschwendungsfreudiger Frau Arabella). - „Am Ufer“ von Rafael Chirbes (span. „En la orilla“ 2013, dt. 2014) als in zentralen Passagen ich-monologisch ausgerichtete Simulation von Bewusstseinsprozessen der handelnden Akteure, dargestellt im Rahmen eines großen Familien- und Gesellschafts-Epos über die Immmobilien-, Finanz- und Wirtschaftskrise in Spanien (teils in deutlicher Anlehnung an die Symbolik des aktuellen Mediendispositivs, teils mit Anklängen an berühmte Vorbilder der Weltliteratur wie Molly Blooms stream of consciousness im „Ulysses“ oder den polyphonen und mythopoetischen Stimmenchor im „Finngans Wake“ von James Joyce). Hinzuzunehmen sind verschiedene kulturpolitische Zeitungsartikel des griechischen Krimi-Autors Petros Makaris (gesammelt publiziert in „Finstere Zeiten“, dt. 2012), der Geschichtenband „Herrschaftszeiten, Geschichten von Herrn Keiner“ von Ulrich Schulte (2012) sowie „Herrn Zetts Betrachtungen“ von Hans Magnus Enzensberger (2013). Diese drei vereint der teils faktuale, Thomas Lischeid 260 teils fiktionale Typ der Schreibweise, um parabolisch und zugleich autofunktional berühmte Beispiele aus dem Kanon der Weltliteratur auf den aktuellen Kairos der Krise zu applizieren: Homer und die attische Tragödie bei Makaris, Brechts Keuner-Geschichten bei Schulte, Sokrates, Epikur und Montaigne bei Enzensberger. Ihre literaturimmanenten Applikationen sind zugleich mit jeweils verschiedenen diskursiven Positionen verbunden: einer hegemonialen und re-normalisierenden bei Makaris, einer dezidiert anti-hegemonialen und radikal gesellschaftskritischen bei Schulte, einer erkenntniskritischen, skeptizistisch-pragmatischen bei Enzensberger. aktual-historisch/ para-realistisch Para-realistische Schreibweisen zeichnen sich dadurch aus, dass sie den realistischen Pfad der Darstellung und dessen Grenzen, wie sie dem soeben behandelten Erzähltyp eigen sind, deutlich überschreiten, und zwar mittels ‘phantastischer’, die Gesetze der Natur und sozialhistorischer Apriori verletzender Elemente im weiten Sinne. Solche Elemente finden sich bekanntlich selbst schon im Mediendispositiv angelegt, etwa dann, wenn von „Zauberlehrlingen“, „Zombie-Banken“ und „geldpolitischen Voodookünsten“ im Zusammenhang mit Finanz- und Wirtschaftsproblemen die Rede ist oder die Gesamtsitutation wiederholt und zentral als „bizarr“, „kafkaesk“ oder „surreal“ gekennzeichnet wird. Faktuale wie fiktionale Narrative knüpfen an diese Symbolik an und tauchen das Geschehen in ein Licht zwischen Wahrheit und Traum, Wirklichkeit- und Unwirklichkeit, dem der „Boden“ von Erkenntnis und Möglichkeiten erfolgversprechenden Handelns völlig entzogen ist und in der sich die Protagonisten gleichsam in einem Zustand des permanenten ‘freien Falls’ wiederfinden. Im Sinne eines ‘höheren Realismus’ setzt diese Schreibweise auf die Überzeugung, sich durch die Wahl nicht-realistischer Darstellungsmittel weitaus adäquater auf die ‘Realität’ beziehen zu können, als es jede rein realistische Darstellungsweise jemals zu tun vermag, und zwar sowohl hinsichtlich des gemeinten Sachverhalts als auch hinsichtlich der Wirkung auf Bewusstsein und Tiefenpsyche des Lesers. Als Textbeispiele hierfür wären meiner Interpretation nach zu nennen: - die Kurzgeschichte „Nicht Amerika“ (2010) des deutschen, in London als Finanzjournalist tätigen Schriftstellers Aleksandr Voinov, der sich den Elementen der „Infektion“ (durch einen exotischen Pilz), eines seltsamen „Körper-Geschwürs“ (dessen Anblick an bizarre, ästhetisch verfremdete und absolut gesetzter Kurvenscharen erinnert, wie sie in normaler Form als Kurvenverläufe massenmedialer Diagramme bekannt sind) sowie der massenhaften Mutation von Großstadtbewohnern zu gehirnlosen und paralysierten „Zombies“ bedient, um ein Krisenchaos nahezu apokalyptischen Ausmaßes zu entwerfen, dessen Initialzündung vom Büro eines Londoner Hedge-Fonds ausgegangen ist. „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 261 - Philippe Claudels parabelhafter Roman „Die Untersuchung“ (frz. „L’Enquête“, 2010/ 2012), der sich offenbar, ohne im Text die Große Krise oder sein literarisches Vorbild explizit zu benennen, auf das aktuelle Mediendispositiv und seiner Deskription einer „kafkaesken“ Situation bezieht und diese im Sinne seines berühmten Namensstifters narrativiert: Man stelle sich dazu Kafkas „Landvermesser“ als modernen „Ermittler“, ähnlich denjenigen der bekannten Krisen-„Troika“, vor, der in seinem „Schloss“, sprich einer riesigen ‘globalen’ Firma in einer unbekannten Stadt, seine Untersuchung über anormale Statistiken aufnimmt (signifikanter Anstieg der Selbstmordrate), im Lauf der Handlung gleichsam zugleich Einlass und Abweisung erhält (so wie der „Mann vom Lande“ in der berühmten Türhüterlegende), sich auf einmal selbst beobachtet und angeklagt findet (man denke an „Josef K.“ im Prozess) und schließlich - wie in der kleinen Mäuse-„Fabel“ - keinen anderen Ausweg in seiner absurden und völlig undurchsichtig gehaltenen Situation mehr sieht, als offenen Auges in sein Unglück zu rennen. - das Erstlingswerk des westschweizerischen Autors Julien Maret mit dem Titel „Rengaine“, deutsch „Tirade“ (frz. 2011/ dt. 2013), das es in seiner experimentellen, an Motive aus Lewis Carolls, Kafkas und vor allem Samuel Becketts Romanen erinnernder Schreibweise schafft, konstitutive Elemente des aktuellen Krisendiskurses aufzunehmen und - ohne diesen direkt zu benennen - so in Gestalt eines scheinbar rätselhaften, hermetisch-absoluten und vor allem psychotisch-delirierend wirkenden Ich-Monologs weiterzubearbeiten, dass dessen Formen und Regeln autofunktional transparent werden: die zentrale Rolle von Leitsymbolik (hier völlig para-normal verfremdet und ästhetisch absolut gesetzt in Form des (Ab-)„Sturzes“ in ein „Loch“ bzw. durch eine Art Abwasser-„Röhre“ ohne ersichtliches Ende), die gehäufte Verwendung von surrealen Bildmontagen und Katachresen-Mäandern, der Bezug auf das diskursive Dreieck von Alltagssprache, Mediensprache und fachsprachlichen Elementen, die Aporie zwischen dem Eindruck höchster, authentischer Subjektivität und gleichermaßen computersimulierter Stereotypie, schließlich die Aporie des endlich Zu-Ende-Kommen-Wollens von Reden und Handeln einerseits und der Geste des ewigen Weiter-Sprechen-Müssens andererseits (was auch formal als ‘Endlosschleife’ im Text inszeniert wird). aktual-antizipierend (realistisch & para-realistisch) Die Erzählungen, die statt Vergangenheit und Gegenwart dominant Fragen kurz- und mittelfristiger Zukunft figurativ und interaktionistisch auserzählen, sind wiederum in eher faktuale oder fiktionale sowie eher realistische oder para-realistische zu unterscheiden. Zudem liegt es nahe, diese Differen- Thomas Lischeid 262 zierungen mit dem jeweiligen Grad an Komplexität und Autofunktionalität, mit dem die jeweiligen Szenarien und Simulationen erzeugt werden, in Zusammenhang zu sehen. Kurz gefasst lassen sich wohl drei Komplexitätsstufen unterscheiden: - In einfachen Simulationen („Simulation 1.0“) wird lediglich mit einem einzigen Szenario gearbeitet, das als Simulation möglicher und wahrscheinlicher bzw. erwünschter und/ oder befürchteter Zukunft angenommen wird. Hinsichtlich des Themenbereichs der Großen Krise sind hier insbesondere die faktual-pragmatischen „Szenarien“ zu nennen, die sich mit Chancen und Risiken eines Griechenland-Austritts aus der EU befassen und ganz unterschiedliche politisch-ökonomische Folgeabschätzungen, Wünschbarkeiten und Handlungsanleitungen erzeugen (vgl. z.B. bestimmte Zeitungsartikel der FAZ mit von Petersdorff ‘für’ und Plickert ‘gegen’ einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone). - komplexere Szenarien imaginieren die Möglichkeit mehrerer und in der Regel konkurrierender Zukunfts-Entwürfe („Simulation 2.0“); so wird beispielsweise in Markus A. Wills fiktivem Polit- und Wirtschafts-Thriller „Die Stunde des Adlers“ (2012) ein Deutschland mittelfristiger Zukunft entworfen, in der eine Partei in der Art der „Alternative für Deutschland (AfD)“, genannt die „Deutsche Mark-Partei“ bzw. kurz „die Markigen“, nach einem Kanterwahlsieg die neue Bundesregierung stellt. Derem Hauptziel, das in einer Wiedereinführung der D-Mark mitsamt rigidem Spardikat besteht, wirken die couragierten Vertreter der Bundesbank entgegen, und zwar mit ihrem eigenen Zukunftsprojekt einer friedenserhaltenden Rettung von Euro und Europa (das am Ende auch die glückliche Oberhand behält). - Der Typ einer autofunktionalen und hier im konkreten Fall auch para-realistischen Simulation von Zukunft („Simulation 3.0“) wird prototypisch durch Dietmar Daths Roman „Deutschland macht dicht“ (2010) vertreten. Gemäß seiner ‘verrückten’ Personalpolitik lässt er neben einer Gruppe ganz fiktional-realistisch gezeichneter Figuren, der Jugendgruppe um Hendrik, Rosalie und Clea als den Protagonisten im engeren Sinne, eine ganze Reihe dezidiert ‘nicht normaler’ Gestalten auftreten, die offensichtlich den Bereichen der Massenmedien, der Kinder- und Jugend-Literatur sowie bestimmten Kunst-, Politik- und Wissenschaftsdiskursen entstammen: Sponge-Bob, der Hase Felix, eine sprechende Staffelei, ein alter Kommunist, der Chaostheoretiker Mandelbrot (genannt „Mandelbaum“; man vergleiche dazu auch die beigefügten Illustrationen von „Piwi“). Diese trash-artige Figurenmontage erzeugt im Kopf des Lesers große Fragezeichen der Bedeutungszuschreibung und stimuliert auf diese Weise eine fortwährende Reflexion auf die ‘Konstruiertheit’ und die mögliche Sinn- „Sinnen & Simulieren“ diskurs- und kultursemiotisch 263 haftigkeit der mit diesen Figuren verbundenen Fabel. Ein möglicher symbolischer Sinn ergibt sich schließlich, wenn man das Ganze als Allegorie einer umfassenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ausnahmesituation in Zeiten einer Großen Krise liest. In diesem Sinne wären die aufgeführten Figuren als Vertreter eines sozialen Blocks von Alltag, Medien und Kunst, von Wissenschaft und zivilem Widerstand aufzufassen, die sich gegen einen Machtblock aus hegemonialer Politik und Wirtschaft aufbäumen, wobei dieser Machtblock zentral durch den sich am Schluss offenbarenden „Gespenster-Geist des Kapitals (im Sinne von Marx, Simmel und Vogl) in Verbindung mit einer menschenfressenden Monsterbestie als ‘Gewaltmonopol’ repräsentiert wird. Diese ganze, durch und durch pararealistische und zugleich autofunktionale Simulation setzt mit der Vorstellung eines totalen gesellschaftlichen Ausnahmezustands chaotischen Ausmaßes ein, der auch die fundamentalen Parameter von Raum und Zeit erfasst, und der sich zudem in Gestalt eines permanenten Gewaltregimes zu verfestigen droht. Die sich dagegen erhebende Rebellion der Zivilgesellschaft, deren durchschlagender Erfolg sich erst durch den plötzlichen Auftritt eines Kung-Fu kämpfenden „Christus“ als Allegorie des geschichtlich Unvorherseh- und Unkalkulierbaren ereignet, eröffnet am Ende den Blick in eine spezifisch trans-normalistische Bifurkation. Als Alternative zu dem angedeuteten Gesellschaftszustand des „new normal“, der einer Rückkehr zur Alten Normalität mehr als bedenklich nahe kommt, scheint die konkrete Utopie einer ‘Paradies-Insel’ voll ‘irdischem Südsee-Glück’ unübersehbar durch. Literatur Bloch, Ernst (1959): Das Prinzip Hoffnung. 2 Bde. Frankfurt a.M. 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Die verschiedenen faktualen und fiktionalen Darstellungen des Geschehens operieren latent und explizit mit einer Opposition von Tätern und Opfern, die Schuld stets klar zuweist und funktionale Erklärungen moralischen Erwägungen unterordnet. Am Beispiel der SPIEGEL -Reportage „Der Bankraub“ verdeutlicht der folgende Beitrag, mit welchen Vertextungsstrategien der Artikel die genannte Opposition inszeniert. Während er dem Leser die Möglichkeit bietet, das Handeln der Krisenopfer nachzuvollziehen, verweigert er diese Perspektive für die als Täter markierten Opfer. Damit steht der Text diachron und synchron exemplarisch für Narrative ökonomischer Krisen. Systemische Erklärungen befriedigen uns kaum, schon gar nicht, wenn Menschen das Unglück anderer Menschen verursachen. Angesichts von Naturkatastrophen mögen sie vielleicht genügen; wobei: Fragen wir nicht auch nach einem verheerenden Erdbeben wie 2010 auf Haiti, wer verantwortlich ist für die Schäden, gegen die besserer Schutz hätte bestehen sollen? Solche Fragen kommen in sozialen Kontexten noch entschiedener auf, nicht zuletzt angesichts einer Finanzkrise, die unvorstellbare Milliarden Dollar irgendwohin verschwinden ließ und lässt, die Menschen in Arbeitslosigkeit stürzt, Banken kollabieren lässt, Rentenpläne und Ersparnisse gefährdet oder womöglich aufzehrt und die, zu allem Überfluss, auch noch den Staat nötigt, private Verluste mit kollektivem Kapital abzufangen. Für derlei muss jemand verantwortlich sein, dafür muss jemand die Schuld tragen. Das System reicht uns als Erklärung nicht. Wir brauchen weniger Erklärungen als vielmehr Sündenböcke, wir benötigen Täter und deren Opfer. Was wir nicht brauchen, sind hingegen komplexe Prozesse, die angeblich alles Unglück erklären. So jedenfalls muss schließen, wer die öffentliche Debatte um die Finanzkrise 2007ff. in den (auflagenstärksten) Printmedien verfolgt und wer die bisher publizierten literarischen Krisen-Adaptionen liest. Einerseits trifft man als Leser auf schuldhaft handelnde Banker, die als Schwindler gierig und rücksichtslos nach Milliarden jagen, 1 andererseits wimmelt es von tragisch schul- 1 Für solche Schwindler finden sich gleich mehrfach Beispiele in der deutschen und englischsprachigen Literatur. Vorrangig sind hier die Romane „Union Atlantic“ von Adam Haslett Patrick Galke 268 digen oder sogar gänzlich unschuldigen „Opfern“ des spekulativen Treibens. 2 Um die Finanzkrise mit solchen Akteuren darzustellen, greifen auch journalistische Texte, so meine These, auf verschiedene literarische Muster zurück, mit deren Hilfe sie den Diskurs um die Finanzkrise vorrangig als Frage nach Schuld inszenieren. Wie solche an literarischen Vorbildern angelehnte Krisengeschichten erzählt werden, möchte ich beispielhaft an der ersten großen Reportage in Deutschland zeigen (vgl. Zink/ Ismer/ Scheve 2012; Kuck/ Römer 2012; Wengeler/ Ziem 2010; Link 2013; Nünning 2012). Sie erschien im S P I E - G E L 47/ 2008, einige Wochen nachdem die Lehman-Bank Teilinsolvenz beantragt hatte, und trägt den bezeichnenden Titel „Der Bankraub“. 3 Zu Beginn der Titelgeschichte steht das Ergebnis des angepriesenen ‘Raubzugs’, die Finanzkrise. Sie zeichnet den Artikel als Phase ohne Vergleich, etwas, das so bisher noch nicht dagewesen sei (DS, S. 46). Als wäre er eine Kriminalgeschichte, möchte der Artikel die „Chronik eines Kapitalverbrechens“ (DS, S. 45) entfalten, wozu er zunächst eine Investorenmesse in Zürich beschreibt und dem Leser nicht nur das Verbrechen - nämlich die zerstörte Weltwirtschaft - zeigt, sondern sogleich verkündet, dass, wer nach Schuldigen suche, in der Schweizer Metropole alle „Hauptverdächtigen“ der Krise finden könne (ebd.). Es sind, glaubt man dem kriminologischen Spürsinn des Erzählers, die Banken, allen voran JP Morgan. Indem der Text von „Hauptverdächtigen“ spricht, stellt er implizit die Schuldfrage und scheint den Begriff ‘Schuld’ hier juristisch konnotiert zu verwenden. Schuld in diesem Sinne meint „die Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens“, das ein Recht bzw. eine Norm bricht. 4 Solche Schuld will der Erzähler, folgt man seinen Ankündigungen, erweisen, wozu er das vorsätzliche oder fahrlässige Handeln der Banken und Banker zweifelsfrei belegen müsste. So wie er die und Kristof Magnussons „Das war ich nicht“ zu nennen. In beiden Texten handeln die Banker systemisch wichtiger Banken betrügerisch und nehmen den Schaden Dritter bewusst in Kauf. Vgl. Magnusson (2010); Haslett (2009). Für einen ersten, leider sehr schematischen Vergleich beider Texte vgl. Lüdeker (2012). 2 Es darf indes nicht als neue Strategie gelten, den Fokus auf die Schwindler zu richten. Bereits die Aufarbeitung des Gründerkrachs thematisiert strukturelle Erklärungen nur marginal, während es vielen Texten insbesondere darum zu tun ist, Akteuren an der Börse Schuld nachzuweisen oder diese von Schuld freizusprechen. Selbst in der Familienzeitschrift Die Gartenlaube erschienen im Zuge der Spekulation Artikel, die dem Schwindel auf den Grund zu gehen suchten, und nicht nur in Romanen der großen Realisten tauchen wiederholt Börsenschwindler auf. Auch Romane, die sich eindeutiger auf den Börsenkrach beziehen, stellen vorrangig böse Schwindler und ahnungslose Opfer dar. Vgl. „Das Gründungsfieber der Jetztzeit. Skizze für die guten lieben - Actionäre. Von einem Eingeweihten“. In: Die Gartenlaube, 1872, Heft 36, S. 592-594; Klapp (1877); Spielhagen (1877). 3 DER SPIEGEL 47/ 2008, S. 44-80. Zitate aus diesem Text weise ich nachfolgend mit der Sigle DS und Seitenzahlen in der Klammer nach. 4 Vgl. Welzel (1967, S. 103). Eine moderne Auslegung findet sich bspw. bei Krauß (1994). Von Räubern und Beraubten 269 Banker eingangs beschreibt, steht ihre Schuld aber wohl schon fest; sie sind von der Krise unberührt; obwohl die Weltwirtschaft in einer tiefen Rezession steckt, raffen sie weiter Profite zusammen, und der Text suggeriert, dass es sich um eine „Clique von verträumten, inkompetenten, betrügerischen Geschäftemachern“ handele (ebd.). Die Spannung der Kriminalgeschichte ist also schon dahin. Der Erzähler will aber nicht nur den Banken folgen, sondern gibt auch vor, klären zu wollen, wie es möglich war, dass die verschiedensten Menschen sich durch die Finanzkrise betroffen finden, dass sie den Banken zum Opfer fielen. Folgerichtig führt er nach der Einleitung zuerst Betroffene der Krise ein; Menschen oder Institutionen, die entweder in verbriefte Produkte investiert und dabei Geld verloren haben oder die Kreditnehmer im amerikanischen Immobilienmarkt waren und ihre Schulden irgendwann nicht mehr tilgen konnten. Die Vorgeführten stehen repräsentativ für andere, ungenannte: Es traf Leute wie den Elektriker Manfred Blume aus Hamburg-Uhlenhorst, Männer wie den Ingenieur Tim Smith aus Ohio, es traf die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Oldenburg. (DS, S. 47) Besonders ausgiebig erzählt der SPIEGEL die Geschichte des Ingenieurs Timothy E. Smith aus Connecticut. 5 Ich will mich hier auf Tim, wie ihn die Redaktion nennt, konzentrieren. Tims Entscheidung, sich und seiner Familie ein Haus zu kaufen, leitet die erste von sieben Phasen der Krisengeschichte ein. 6 Sie beginnt 1995 und endet 2008. Ein amerikanischer Handschlag, ein amerikanischer Vertrag: dreieinhalb Seiten, klare Worte, ein amerikanischer Traum, 330 Harvard Avenue in Terrace Park bei Cincinnati, Ohio: unten 78 Quadratmeter, oben 67. Unten Küche, Esszimmer, Wohnzimmer, oben Bad und drei Schlafzimmer. Rasen rundherum und alte Bäume. Wer hier wohnt, hat es geschafft, ist gehobener Mittelstand, endlich. (ebd.) Hier handelt nicht die Bank, sondern Tim, ein Mann, der an einfache und ehrliche Prinzipien glaubt, an Ehrenwörter, symbolisiert durch den Handschlag unter Männern. Tim ist aber auch ein prototypischer Amerikaner, der dem amerikanischen Traum nachjagt; hier in einer einfachen und durchschnittlichen Form des Einfamilienhauses mit kleinem Garten und weißen Zäunen. Durch biografische Rückblenden und physiognomische Beschrei- 5 Vor dem Hintergrund der Diskussionen um den scheinbaren Konflikt zwischen der produktiven Realökonomie einerseits und der unproduktiven, rein spekulativen Finanzökonomie anderseits scheint es mir kein Zufall, dass mit Smith hier ein Vertreter der Realökonomie der Finanzkrise zum Opfer fällt. 6 Diese Phaseneinteilung lehnt sich an die keynesianische Krisentheorie Hyman Minskys an, was uns die Redakteure freilich nicht verraten. Vgl. hierzu Minsky (2011). Patrick Galke 270 bungen entwirft der Text Tim als einen Mann der Mitte, einen Menschen mit Talenten, aber auch mit Schwächen. Tim Smith ist blond, er hat breite Schultern, starke Arme. Er war ein guter Basketballer in der Highschool, nicht groß genug für die wirkliche Karriere. Ein Techniker, geboren in Charleston, West Virginia, er ging auf die Virginia Tech und verließ sie mit dem Ingenieurdiplom. In Miami, Florida, hat er seine Frau getroffen, Tim, der Sportler, traf Kelley Newton, die Denkerin. (ebd.) Und Tim ist einer, der den Prinzipien seiner Zeit folgt, ihnen nicht entkommen kann, da er gar keinen Grund sieht, nach anderen Prinzipien leben zu wollen. „Man muss besitzen, man darf nicht mieten in Amerika“, sagt Timothy E. Smith, damals ist er 36 Jahre alt, „mieten ist für Versager.“ Nur Trottel mieten, weil jeder in Amerika weiß, dass die Preise für Häuser steigen und steigen werden. (ebd.) Im zentralen amerikanischen Glauben an Besitzerwerb also schließt Tim einen, aus seiner Sicht, unkomplizierten Darlehensvertrag mit den bisherigen Besitzern des Hauses. 7 Bis dahin stellt der Text Tim als einen mittleren Charakter vor, wie wir ihn seit Aristoteles kennen. Ein Charakter, der weder makellos ist noch über herausragend schlechte oder gute Eigenschaften verfügt, sondern unvollkommen und mit kleineren und größeren Fehlern ausgestattet ist, die ihn dennoch nicht als schlechten Charakter erscheinen lassen. Deshalb können Leser sich mit einem Helden wie Tim identifizieren. Er ist zwar ein stattlicher Kerl, der zu Highschoolzeiten recht gut Basketball spielen konnte, aber für eine Profikarriere reichten sein Talent und seine Körpergröße nicht aus; auch intellektuell ragt er nicht sonderlich hervor, an einer durchschnittlichen Uni hat er den durchschnittlichen und bodenständigen Beruf eines Ingenieurs erlernt (vgl. DS: 47). Auch seine Wünsche sind durschnittlich: zwei Kinder, ein Haus, finanziell sicheres Auskommen, kein Reichtum. 8 Mit dem Hauskauf und einem ersten Darlehen wollen er und seine Frau Kelley diese Ziele erreichen. Ihre Entscheidung für einen höheren Kredit führt die Familie zunächst tatsächlich ins Glück - weil Tim ein Amerikaner ist, weil er 7 Paul Krugman sieht in der vor allem durch Ronald Reagan forcierten Eigenheimpolitik einen wichtigen Ursprung der Immobilienblase. Seine These hat er nicht nur in wissenschaftlichen Journalen vertreten, sondern auch breitenwirksam in einer Kolumne der New York Times. Vgl. www.nytimes.com/ 2009/ 06/ 01/ opinion/ 01krugman.html? _r=2&em& (Stand : 7.4.2014). Diese These erfährt jedoch einigen Widerspruch unter liberalen Ökonomen. Vgl. http: / / money. usnews.com/ money/ blogs/ capital-commerce/ 2009/ 06/ 04/ did-reagan-cause-the-2008-crisis (Stand: 7.4.2014). 8 Zum Problem des mittleren Charakters vgl. Aristoteles (1982, Kapitel 13, 1453a). Von Räubern und Beraubten 271 sich wie ein Amerikaner verhält und weil der Zeitgeist, so erzählt es der Text, ihm einschärft, dass die Häuserpreise immer weiter steigen müssten, er sich also nicht verschulde, sondern in die Zukunft seiner Familie investiere (vgl. DS: 53). 9 Die Bewertungen der Banken stützen seine Annahmen: Das Haus steigt in wenigen Jahren um 60% im Wert (ebd.). Vor dem Hintergrund dieses Wertgewinns und weil Tims amerikanischer Fortschrittsglaube ihm nur Optimismus erlaubt, trifft er jedoch eine folgenschwere Entscheidung, die ihm vor dem Hintergrund seiner damaligen Informationen valide erscheint. Tim Smith ist glücklich im neuen Haus, er will seine Schulden umschichten, und die nette Bank von nebenan, die Star Bank, 205 West 4th Street in Cincinnati, hilft dabei. Es ist ein Backsteinbau, ein Schalter, selten gibt es eine Schlange, freundliche Angestellte grüßen die Kunden mit Namen. Am Anfang hatte Smith 127.500 Dollar Schulden bei den Verkäufern des Hauses, den Fenders, jetzt nimmt er 176.000 Dollar Kredit bei der Bank auf zu einem Zinssatz von 8,5 Prozent. Festgeschrieben. Laufzeit 360 Monate. Er löst seinen Kredit bei den Fenders ab und hat noch Geld übrig. Er macht alles richtig. (DS, S. 52) Dieser letzte Satz wechselt in Tims Wahrnehmungsperspektive und führt uns seinen eigenen Optimismus ebenso vor wie die ökonomische Ideologie der Zeit, die das Sich-ständig-Verschulden zum unhinterfragten ökonomischen Prinzip erhoben hat. Tim lebt dieses Prinzip, und seine Handlungen erscheinen ihm folgerichtig, weil er schlau sein möchte und sich an den Regeln seiner Zeit orientiert. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, der Leser infolge der Exposition aber schon ahnen muss: Tim hat mit diesem Schritt sein eigenes Glück gewendet. Als er das erste Darlehen durch ein weiteres, höheres ablöst (vgl. DS, S. 53), gerät er in eine Schuldenspirale, die er nicht überschaut. Schließlich folgt der schlimmste Fehltritt, auch dieser wirkt zunächst wie der bestmögliche Entschluss: Er folgt der Offerte eines anderen Unternehmens, das ihm mehr Geld bietet als sein langjähriger Arbeitgeber. Kaum hat Tim in der neuen Firma Fuß gefasst, meldet diese nach nur sechs Monaten Konkurs an. Daraufhin ist Tim ohne Job, ohne Einkommen. Über nennenswerte Rücklagen verfügt er nicht, schließlich haben er und Kelley - weil sie Amerikaner sind - stets konsumiert. 9 Der Text zeigt, warum Menschen wie Tim sich so leicht in die Schuldenfalle locken ließen: „Die Leute benutzen jetzt Häuser wie Kreditkarten, verschulden sich aufs Wohneigentum, und warum auch nicht? Der Boom - oder ist es eine Blase? - geht weiter. Es werden jetzt jedes Jahr rund 1,5 Millionen neue Privathäuser in den USA gebaut, und trotzdem steigen die Preise weiter und weiter, 1999 im Landesdurchschnitt um satte acht Prozent, in den Ballungszentren, an den Küsten noch schneller. Wer seine eigenen vier Wände schon besitzt, wird reich im Schlaf. Und er kann sich nach Belieben Geld holen von der Bank, jedes Jahr mehr.“ (DS, S. 53) Patrick Galke 272 Auf den ersten Blick trägt Tim durch sein Handeln zweifelsfrei Schuld an der eigenen Notlage, die ihn in den finanziellen Ruin führt. Die Lage wirkt eindeutig: Erst nimmt er einen kleinen Kredit auf, dann einen etwas größeren und schließlich einen, der doppelt so hoch ist wie der erste Kredit. Eine plötzliche Arbeitslosigkeit kalkuliert er nicht ein, handelt also nicht vorsätzlich, aber doch immerhin fahrlässig. Er wägt Risiken nicht ab, weil er sie kategorisch ausschließt. 10 Der Text zeigt Tim jedoch nicht nur als schuldigen Charakter. Er legt uns nahe, dass Tim weniger schuldig als vielmehr ahnungslos zu nennen ist. Die Folgen seiner Darlehensnahme und der anschließenden Kredite ist für ihn, glaubt man den Beteuerungen des Textes, nicht absehbar. Wo er sich finanziell übernommen hat, sieht er nicht, weil er nicht weiß, dass die Preise überhöht sind und auf fragwürdigen Kalkulationen beruhen, dass die Immobilienpreise nicht immer weiter steigen können. Weder überschaut er mögliche Folgen seines individuellen Verhaltens noch dessen volkswirtschaftliche Implikationen. Im Glauben daran, sein Glück zu befördern und alles richtig zu machen, läuft er geradewegs in sein Unglück. Das drückt insbesondere die wiederkehrende Formel aus: Tim Smith mache alles richtig. 11 Das zeigen aber auch die bereits angeführten Hinweise auf den Zeitgeist, auf das typische Denken der Amerikaner, für die Tim geradezu beispielhaft steht. Auch subjektiv ist Tim unschuldig. Aus seiner Perspektive sind alle Entscheidungen ökonomisch rational. Nachdem die Banken ihn juristisch unter Druck setzen, mit Zwangsversteigerung drohen, unterschreibt er zwar die geforderten Verträge. „Ein neuer Vertrag also“, heißt es, „sechs Seiten. Ein neuer Sargnagel. Tim unterschreibt“. Moralisch hat er sich allerdings nichts zuschulden kommen lassen: „Wir waren doch gar nicht gierig“, sagt er, „wir wollten bloß klug sein wie alle anderen“. Die Erzählerstimme widerspricht Tim nicht. Das vom Artikel vorgestellte Schuldkonzept erinnert deutlich an das Prinzip der ἁμαρτία, das mit Kierkegaards Definition einen Sonderfall ethischer Schuld benennt (vgl. Kirkegaard 1986). Während die reine ethische Schuld Verfehlungen ganz auf das Subjekt wirft und Schuld als Folge individuellen Handelns begreift, steht tragische Schuld auf halbem Weg zwischen Handeln und Schicksal. ἁμαρτία bildet das Ineinander von (subjektiver) Schuld und Unschuld: 1. Da bspw. der erschwerende Umstand der Tat dem Helden während der Tat nicht bekannt ist, sondern durch einen subjektiven Irrtum unerkannt bleibt. Tim begeht, bevor er beschließt, sich zu verschulden, zwei Irrtü- 10 Wiederholt betont der Text, wie fraglos Tim die neoliberale Doktrin der Zeit befolgt. So etwa auch S. 58: „Tim Smith ist Republikaner, das hier ist sein Land, sein System, es ist das beste System der Welt. Risiken? Es gibt keine Risiken.“ 11 Sie finden sich auf den Seiten 52, 53 und 58 des Artikels. Von Räubern und Beraubten 273 mer: Einerseits glaubt er an ständig steigende Häuserpreise, andererseits erkennt er nicht, dass der neue Job unsicherer ist als der langjährige zuvor. Die ἅμαρτία ist 2. eine subjektive Unschuld und erzeugt unverdientes Leiden, weil der Held für sein Handeln, das objektiv eine Verfehlung sein mag, nur mittelbar verantwortlich ist, die Folgen kann er weder absehen, noch intendiert er sie. 12 Außerdem entspringt die Handlung keiner schlechten, moralisch fragwürdigen Absicht und zielt nicht auf Schlechtes. Auch dies trifft, wie oben gezeigt, auf Tim zu. Nach Aristoteles ermöglicht die ἁμαρτία bekanntlich Schauder und Jammer bzw. Furcht und Mitleid; sei es, wie in der aufklärerischen Diskussion, auf den Zuschauer oder in der Lesart Goethes auf die Charaktere bezogen. Im vorliegenden Fall scheint mir der Text vor allem die Sympathie auf Tim zu lenken, der Leser soll Mitleid für ihn empfinden, für den Bürger aus der Mitte der Gesellschaft. Dieses Mitleid wird verstärkt, weil Tim auch noch ein Betrugsopfer geworden ist. Irgendeine der Banken hat Unterschriften gefälscht. Bevor die unrechte Praxis der Banken jedoch erwiesen ist, müssen Tim und Kelley ihre Schulden abtragen; sie fallen der rücksichtslosen Praxis der Banken zum Opfer. Das lenkt den Blick zurück zu den Tätern, zu den wahrhaft Schuldigen, sie zeichnet der Text als herzlose Wesen: Tim Smith sagt, da habe er geweint. „Ein kafkaesker Alptraum“, sagt er. „Einmal wollten sie 5000 Dollar für irgendwas, und ich habe gefragt, woher ich es nehmen solle.“ „Keine Ahnung“, habe der Mann von Litton Loan am Telefon gesagt, „hör doch auf zu essen“. (DS, S. 62) Wer sind die Täter, die Verführer: Menschen und Unternehmen, die mit ihren Produkten die Krise ausgelöst haben und mit den Produkten, mit dem Geld der Opfer Profit gemacht haben. Für die Banken steht hier JP Morgan und für die Banker Blythe Masters, die Frau, die als Erfinderin des wichtigsten Verbriefungssystems „Bistro“ gilt. Mit diesem hat sie „auf den Märkten offene Türen […] eingerannt, [weil] sie […] die perfekte Besetzung für den Verkaufsjob war. Sie ist jung, Mitte 30, smart, fotogen, durchsetzungsstark.“. Während Tim uns als Durchschnittsbürger auf der Jagd nach seinem Teil vom amerikanischen Traum entgegen tritt, hat Masters in Canterbury eine Eliteschule besucht. Anschließend studierte sie am ebenfalls elitären Trinity-College in Cambridge Economics und bewies sich währenddessen bei einem Praktikum für JP Morgan in London als talentierte und fleißige Managerin. Nach ihrem Abschluss 1991 arbeitet sie dort als Rohstoffhändlerin. Drei Jahre später zieht sie nach New York. Als die Krisengeschichte des SPIEGEL 1998 einsetzt, steht sie auf einem frühen Höhepunkt ihrer Karriere. Masters hat die sensationelle Bistro-Erfindung im eigenen Haus durchgesetzt, sie überzeugte Auf- 12 Vgl. hierzu Sauer (2009); Kommerell (1984, S. 128). Patrick Galke 274 sichtsbehörden, sie gewann andere Banken, sie verzauberte Großinvestoren. Die Resonanz war überwältigend. Binnen zwei Wochen hatte sie alle Bistro-Anteile verkauft, hatte 9,7 Milliarden Dollar bewegt, eine Frau Mitte 30, in der Männerwelt der Wall Street, sie ist eine Sensation. Blythe Masters ist rund um die Uhr im Einsatz, Handy und Smartphone sind immer zur Hand, sie telefoniert selbst zu Pferde, eine passionierte Reiterin, und ihre Teamkollegen bekommen binnen 30 Sekunden Antwort auf ihre E-Mails. Masters ist „pushy“, sagen Mitarbeiter, sie ist „sharp“ und hundert Prozent ergebnisorientiert. Selbst zur Geburt ihres Babys nimmt sie sich Finanzunterlagen mit ins Krankenhaus, um sich die Wartezeit zu vertreiben. Fotos aus der Zeit zeigen sie in stolzer Macher-Pose, im roten, hochgeschlossenen Kostüm, die Hände selbstbewusst in die Seiten gestemmt, ein strenger Jedi-Ritter der Finanzwelt, getragen vom phänomenalen Ruf des „Bistro“-Papiers. (DS, S. 52) Masters ist exzeptionell in jeder Hinsicht: Aussehen, Begabung, Schulbildung, Karriere. Der Text zeichnet sie als engagierte, aber auch kühle, als skrupellos profitorientierte Frau des Geldes, die noch im Kreißsaal mehr an das Geschäft als an ihre Mutterrolle denkt. Wo bei Tim Smith ein einfühlendes Erzählen stattfindet, das sich bemüht, uns die Perspektive Tims zu vermitteln, sein Denken verständlich zu machen und es in den Kontext des Zeitgeistes einzuordnen, erfährt Masters eine distanzierte Beschreibung, ihr Verhalten bewertet der Text, sucht aber nicht, es dem Leser zu erklären. Stattdessen unterstellt er ihr und ihresgleichen, anders als Tim, niedere Absichten: Es sieht aus, in der Rückschau, als hätten einige Händler ein perfektes Verbrechen organisieren wollen. […] Es ist, als würde der größte und dabei sauberste Diebstahl der Weltgeschichte eingefädelt. Denn wozu sonst können CDOs von CDOs von CDOs gedacht gewesen sein, als ein falsches Spiel zu verschleiern? (DS, S. 50) Hier wird es besonders deutlich: Schuld an der Misere sind die Banker; Schuld trägt Blythe Masters, die mit ihrem egoistischen, auf Profit zielenden Handeln, der Erfindung und Vermarktung von „Bistro“ die Kettenreaktion in Gang gesetzt hat. Ob die Argumente für eine tragische Schuld auch für sie infrage kommen, weil sie vielleicht ebenso wenig absehen konnte, wohin ihr Handeln führen könnte, erörtert der Text, wenn überhaupt, nur in Nebenbemerkungen. Sie hat ermöglicht, dass Banken „fragwürdige Assests“ verpacken (DS, S. 50), hat die Produkte aufdringlich vermarktet. Weil es Masters auch nach der Krise noch gut geht und weil sie eine Bankerin ist, kommt das Tragische für sie offenbar nicht infrage. Erzählerisch scheint mir an dieser Geschichte des SPIEGELS bemerkenswert, dass die Erzählstimme selbstverständlich die Position eines moralisch überlegenen Beobachters einnimmt, der über die Handelnden souverän urteilt. Das Von Räubern und Beraubten 275 Konzept einer gelebten Gleichzeitigkeit scheint dabei nur auf, wenn es um die „Opfer“ geht. Ihrem Denken folgt er durch die verschiedenen Mittel der Gedankenwiedergabe, begibt sich nicht nur auf ihre raum-zeitliche Position, sondern übernimmt ihre Wahrnehmungsperspektive. Immer wieder streicht er dabei heraus, dass alle Beteiligten blind waren, die eigene Rolle, die möglicherweise eigene Blindheit des Journalismus hingegen, steht nicht zur Debatte. Wo der Text, anstatt Schuld betonen zu wollen, fragen könnte, warum Risiken nicht erkannt wurden, warum niemand sehen wollte oder konnte, welche Risiken in den Verbriefungskaskaden lauerten, wartet er mit Slogans auf oder verweist auf den politisch-ökonomischen Zeitgeist. Abgesehen vom Verweis auf das fragwürdige Verhalten der Deutschen Bank im Falle der Smiths zeigt der Text nie auf, wo die Banken strafbar gehandelt haben. Auch in anderen Reportagen (Der kranke Gorilla; 13 Schuld und Sühne 14 ), die sich im SPIEGEL finden, aber auch im FOCUS oder HANDELSBLATT, 15 arbeiten Autoren die Krise mit den Kriterien der Schuld und Unschuld auf. Sie argumentieren und erzählen gewissermaßen in einem vormodernen Modus. Anstatt Funktionsweisen, regelhafte Abläufe und systemische Motivationen für menschliches Handeln zu beleuchten, moralisieren die vorgestellten Texte den abstrakten Diskurs. Im Artikel über AIG, dem „Hauptquartier der Gier“, heißt es bspw.: Diese Katastrophe haben Menschen gemacht, und sie haben sich dabei die Taschen vollgestopft, und wer Handelnde, Verantwortliche, Schuldige sucht, wird fündig. Und er bleibt zurück mit der beunruhigenden Frage, wie nahe sich der globale Kapitalismus und gutorganisierte Kriminalität in diesen Jahren eigentlich waren. 16 Auch hier das Kriminelle, auch hier die Hervorhebung individueller und eindeutiger Schuld, ohne freilich zu fragen oder zu beantworten, wie Verantwortung in den komplexen Strukturen, die der Einzelne selten überblickt, möglich ist oder möglich sein könnte. Solche Kategorien wenden die Texte nur beim Blick auf die Opfer an, was diese, wie ich gezeigt habe, im Gegensatz zu den Tätern nur als tragisch Schuldige erscheinen lässt. Diese Moralisierung und Personalisierung des Krisengeschehens zeigen schon Texte über historische Finanzkrisen. Bereits in Romanen über die Gründerzeit tauchen vor allem Verführer und Verführte auf. Autoren wie Friedrich Spielhagen, der mit seinem Roman „Sturmflut“ den einflussreichsten literari- 13 Vgl. DER SPIEGEL 5/ 2008, S. 20-32. 14 Vgl. DER SPIEGEL 8/ 2009, S. 60-72. 15 Vgl. FOCUS 44/ 2008; im HANDELSBLATT ist neben zeitnahen Artikeln vor allem die sechsteilige Reihe „Fünf Jahre Lehman-Pleite“ zu nennen, die vom 9. bis 14. September 2013 erschien. 16 Der Spiegel 29/ 2009, S. 42-59, hier S. 45. Patrick Galke 276 schen Text über den Gründerkrach verfasste, erzählen von Verbrechern und moralisch degenerierten Figuren (vgl. Zobeltitz 1906; Mailler 1949): Handwerkern, die endlich auch einmal ihr Geld für sich arbeiten lassen wollen, schwatzen gierige Gründer Aktien auf, und ahnungslose Adelige fallen den Betrügereien ebenso zum Opfer wie unschuldige Damen und ehrliche Kaufleute. Die Suche nach Sündenböcken führte bekanntlich in eine breite antisemitische Debatte, die alle Schuld bei jüdischen Bankiers suchte. 17 Selbst in der Gartenlaube schrieb Otto Glagau über den Gründerschwindel und entschuldigte die Ruinierten, deren „nationale Begeisterung“ ausgenutzt worden sei, 18 weil die Gründer die „heiligsten Gefühle“ des Volkes aktiviert und in falsche Bahnen gelenkt hätten (vgl. Glagau 1877). In der ökonomischen Fach-Debatte verläuft die Diskussion indes zumeist in der völlig gegenläufigen Richtung. Hans-Werner Sinn, prominentester deutscher Analyst der Krise, sieht mit Blick auf die antisemitischen Reinigungsdebatten nach dem Krach von 1929 jede Frage nach Schuld als bloße Suche nach Sündenböcken. Statt um Schuld gehe es um falsche Anreize und fehlende Regeln. 19 Blickt man auf historische Parallelen, die nicht nur die Reportagen der Leitmedien, sondern auch Ökonomen wie Sinn aufrufen, finden die in ihren Schuldkonzepten unterschiedlichen Darstellungen wieder zusammen. Die Große Depression ist die mindeste Gefahr, Nationalsozialismus und II. Weltkrieg stehen mahnend am Horizont. 20 Das wäre aber schon ein anderer Aufsatz - über Angst. Literatur Aristoteles (1982): Poetik. Griechisch/ Deutsch. Übers. u. hrsg. v. Manfred Fuhrmann. Stuttgart. Glagou Otto (1877): Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland. Leipzig. Haslett, Adam (2009): Union Atlantic. New York u.a. Kirkegaard, Sören (1986): Der Reflex des Antik-Tragischen in dem Modern-Tragischen. In: Kirkegaard, Sören: Entweder - Oder. Ein Lebensfragment, herausgegeben von Victor Eremita. In: Kirkegaard, Sören: Gesammelte Werke und Tagebücher, 32 Bde., Hrsg. v. Hayo Gerdes und Hans M. Junghans, Bd. 1: Entweder - Oder. Gütersloh, S. 147-176. Klapp, Michael (1877): Die Bankgrafen. Roman aus der Schwindelzeit. 2 Bde. Bern. 17 Für eine Auswertung der literarischen Spuren dieses Antisemitismus vgl. Schößler (2009). 18 Es geht um die Begeisterung über die Reichsgründung und den Sieg über die Franzosen, der dem Deutschen Reich Reparationszahlungen in Höhe von fünf Milliarden Talern bescherte. Vgl. Pinner (1937); Schäffle (1885). 19 www.stern.de/ wirtschaft/ news/ unternehmen/ hans-werner-sinn-managerschelte-erinnert-anantisemitismus-643517.html (Stand: 25.9.2017). 20 Vgl. für einen ersten Überblick Link (2013). Von Räubern und Beraubten 277 Kommerell, Max (1984): Lessing und Aristoteles. Untersuchungen über die Theorie der Tragödie. Frankfurt a.M. Krauß, Detlef (1994): Schuld im Strafrecht. Zurechnung der Tat oder Abrechnung mit dem Täter? Antrittsvorlesung 3. Juni 1992. (= Reihe Öffentliche Vorlesungen der Humboldt-Universität zu Berlin 38). Berlin. 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Eichinger / Albrecht Plewnia / Melanie Steinle (Hrsg.) Sprache und Integration Über Mehrsprachigkeit und Migration 2011, 253 Seiten €[D] 72, - ISBN 978-3-8233-6632-4 58 Inken Keim / Necmiye Ceylan / Sibel Ocak / Emran Sirim Heirat und Migration aus der Türkei Biografische Erzählungen junger Frauen 2012, 343 Seiten €[D] 49, - ISBN 978-3-8233-6633-1 59 Magdalena Witwicka-Iwanowska Artikelgebrauch im Deutschen Eine Analyse aus der Perspektive des Polnischen 2012, 230 Seiten 72, - ISBN 978-3-8233-6703-1 60 Kathrin Steyer (Hrsg.) Sprichwörter multilingual Theoretische, empirische und angewandte Aspekte der modernen Parömiologie 2012, 470 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-6704-8 61 Ludwig M. Eichinger / Albrecht Plewnia / Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg (Hrsg.) Sprache und Einstellungen Spracheinstellungen aus sprachwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive. Mit einer Sprachstandserhebung zum Deutschen von Gerhard Stickel 2012, 370 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6705-5 62 Heiko Hausendorf / Lorenza Mondada / Reinhold Schmitt (Hrsg.) Raum als interaktive Ressource 2012, 400 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6706-2 63 Annette Klosa (Hrsg.) Wortbildung im elektronischen Wörterbuch 2013, 279 Seiten €[D] 78, - ISBN 978-3-8233-6737-6 64 Reinhold Schmitt Körperlich-räumliche Aspekte der Interaktion 2013, II, 334 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6738-3 65 Kathrin Steyer Usuelle Wortverbindungen Zentrale Muster des Sprachgebrauchs aus korpusanalytischer Sicht 2014, II, 390 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6806-9 66 Iva Kratochvílová / Norbert Richard Wolf (Hrsg.) Grundlagen einer sprachwissenschaftlichen Quellenkunde 2013, 384 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6836-6 67 Katrin Hein Phrasenkomposita im Deutschen Empirische Untersuchung und konstruktionsgrammatische Modellierung 2015, 510 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-6921-9 68 Stefan Engelberg / Meike Meliss / Kristel Proost / Edeltraud Winkler (Hrsg.) Argumentstruktur zwischen Valenz und Konstruktion 2015, 497 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-6960-8 69 Nofiza Vohidova Lexikalisch-semantische Graduonymie Eine empirisch basierte Arbeit zur lexikalischen Semantik 2016, ca. 340 Seiten €[D] ca. 88, - ISBN 978-3-8233-6959-2 70 Marek Konopka / Eric Fuß Genitiv im Korpus Untersuchungen zur starken Flexion des Nomens im Deutschen 2016, 283 Seiten €[D] 108, - ISBN 978-3-8233-8024-5 71 Eva-Maria Putzier Wissen - Sprache - Raum Zur Multimodalität der Interaktion im Chemieunterricht 2016, 282 Seiten €[D] 108, - ISBN 978-3-8233-8032-0 72 Heiko Hausendorf / Reinhold Schmitt / Wolfgang Kesselheim Interaktionsarchitektur, Sozialtopographie und Interaktionsraum 2016, 452 Seiten €[D] 138, - ISBN 978-3-8233-8070-2 73 Irmtraud Behr, Anja Kern, Albrecht Plewnia, Jürgen Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen Narrative Formatierungen von Ökonomie 2017, 278 Seiten €[D] 108, - ISBN 978-3-8233-8072-6 74 Arnulf Deppermann, Nadine Proske, Arne Zeschel (Hrsg.) Verben im interaktiven Kontext Bewegungsverben und mentale Verben im gesprochenen Deutsch 2017, 494 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-8105-1 75 Nadine Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung Eine Analyse von Diskursen zur Rechtschreibreform unter soziolinguistischer und textlinguistischer Perspektive i. Vorb., ca. 460 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-8106-8 76 Eric Fuß, Angelika Wöllstein (Hrsg.) Grammatiktheorie und Grammatikographie i. Vorb., ca. 200 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-8107-5 77 Jarochna D ą browska-Burkhardt, Ludwig M. Eichinger, Uta Itakura (Hrsg.) Deutsch: lokal - regional - global 2017, 474 Seiten €[D] 138, - ISBN 978-3-8233-8132-7 Irmtraud Behr / Anja Kern / Albrecht Plewnia / Jürgen Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen Narrative Formatierungen von Ökonomie Behr / Kern / Plewnia / Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen 73 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Die aufeinander folgenden Finanz- und Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrzehnts haben Phänomene der Wirtschaft zunehmend ins Zentrum öffentlicher Debatten gerückt. Dabei geht es im fachlichen wie im populären Diskurs ebenso wie in fiktionalen Werken um die Erzählbarkeit und damit die Erklärbarkeit komplexer, die gesamte globalisierte Welt erfassender Phänomene. Dieser interdisziplinär ausgerichtete Band nähert sich dem Phänomen des Erzählens ökonomischer Sachverhalte aus linguistischer, literaturwissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher, historischer und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive.