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Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen

2017
978-3-8233-9096-1
Gunter Narr Verlag 
Christoph Bürgel
Daniel Reimann

Im Zuge der Kompetenzorientierung ist die Relevanz der sprachlichen Mittel - Aussprache, Wortschatz, Morphosyntax - als Voraussetzungen für fremdsprachliche kommunikative Kompetenz vor allem in der deutschen Fremdsprachendidaktik mitunter aus dem Blick geraten. Es scheint daher an der Zeit, ein neuerliches Augenmerk auf die Funktion und Bedeutung der sprachlichen Mittel für eine effiziente Ausbildung der interkulturellen kommunikativen Handlungsfähigkeit zu richten. Diese Aspekte hat die hier in Auswahl publizierte Sektion des XXXIV. Deutschen Romanistentags in Mannheim untersucht.

Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung RFU Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung Bürgel / R Sprachliche Mittel im Unterricht eimann (Hrsg. Christoph Bürgel / Daniel Reimann (Hrsg.) Sprachliche Mittel im richt der romanischen Sprachen ussprache, Wortschatz und phosyntax in Zeiten der ompetenzorientierung Unter A Mor K Im Zuge der Kompetenzorientierung ist die Relevanz der sprachlichen Mittel - Aussprache, Wortschatz, Morphosyntax - als Voraussetzungen für fremdsprachliche kommunikative Kompetenz vor allem in der deutschen Fremdsprachendidaktik mitunter aus dem Blick geraten. Es scheint daher an der Zeit, ein neuerliches Augenmerk auf die Funktion und Bedeutung der sprachlichen Mittel für eine effiziente Ausbildung der interkulturellen kommunikativen Handlungsfähigkeit zu richten. Diese Aspekte hat die hier in Auswahl publizierte Sektion des XXXIV. Deutschen Romanistentags in Mannheim untersucht. 7 7 7 ISBN 978-3-8233-8096-2 ) Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung Herausgegeben von Daniel Reimann (Duisburg-Essen) und Andrea Rössler (Hannover) Band 7 Christoph Bürgel / Daniel Reimann (Hrsg.) Sprachliche Mittel im Unterricht der romanischen Sprachen Aussprache, Wortschatz und Morphosyntax in Zeiten der Kompetenzorientierung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb. de abrufbar. © 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG • Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISBN 978-3-8233-9096-1 5 Inhaltsverzeichnis Christoph Bürgel / Daniel Reimann Zum Stellenwert der sprachlichen Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Sprachliche Mittel und fremdsprachliche Kompetenz in Geschichte und Gegenwart Krista Segermann 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik . . . 19 Aussprache Christine Michler Aussprache und Intonation im Französischunterricht: Wertigkeit für die kommunikative Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Isabelle Mordellet-Roggenbuck Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht: Über den Stellenwert der Aussprache in der mündlichen Kommunikation und die Relevanz von bestimmten phonetischen Aspekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Eva Leitzke-Ungerer Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht: Ein Plädoyer für ein frühzeitiges systematisches Hörverstehenstraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Daniel Reimann Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen: Eine Befragung von Lehrkräften des Französischen, Spanischen und Italienischen . . . 115 Wortschatz und Grammatik Theresa Venus Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung: Sprachlernerfahrungen und subjektive Theorien von Lehramtsstudierenden der romanischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Kathleen Plötner Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht: Zur Situation des Spanisch- und Französischunterrichts an Berliner Gymnasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 6 Inhaltsverzeichnis Domenica Elisa Cicala Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico: L’insegnamento della grammatica per lo sviluppo di competenze linguistico-comunicative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Elena Schäfer Grammatik visuell: Mit grammatischen Erklärfilmen zu Ökonomie und Lernerfolg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Sprachliche Mittel und Pragmatik Kathrin Siebold Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht: Warum Forderung und Förderung nicht Hand in Hand gehen . . . . . 291 Britta Thörle Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz: Die Rolle von Diskursmarkern bei der Bewältigung von Sprecher- und Höreraufgaben in der Fremdsprache Spanisch . . . . . . . . . . . . . . . 307 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht: Drei Beispiele aus dem Spanischen, Französischen und Italienischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Robert Hesselbach Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited: Zur Bedeutung von Komplexität und Ökonomie bei der Vermittlung umgangssprachlicher Varietäten im Fremdsprachenunterricht . . . . . 361 Sprachliche Mittel und Mehrsprachigkeit Sílvia Melo-Pfeifer „ Translanguaging “ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Christian Koch Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? Über die lernökonomische Bedeutung sprachlicher Mittel bei polyglotten Sprechern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Zum Stellenwert der sprachlichen Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 7 Zum Stellenwert der sprachlichen Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht Christoph Bürgel / Daniel Reimann Der XXXIV . Romanistentag, der vom 26. bis 29. Juli 2015 an der Universität Mannheim zu Gast sein durfte, hatte sich als Thema „Romanistik und Ökonomie“ gesetzt. Diesem Rahmen hat sich auch die fachdidaktische Sektion, aus der diese Veröffentlichung hervorgeht, verschrieben - nämlich: Wie können Lernprozesse in den romanischen Sprachen „ökonomisch“, d. h. effizient, gestaltet werden? Diesbezüglich gibt es sicherlich verschiedenste Ansätze: Die Aneignung von Fremdsprachen kann u. a. über die Entwicklung von Sprachbewusstheit ( language awareness ) oder metakognitiver Strategien, sowie durch Sprachlernkompetenz im weiteren und mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze im engeren Sinn ökonomischer gestaltet werden. Die Sektion hat sich indes mit dem Rahmenthema „Zur Ökonomie des Fremdsprachenlernens: sprachliche Mittel revisited “ der Frage gestellt, ob nicht eine Neubesinnung auf die sprachlichen Mittel - Aussprache, Orthographie, Wortschatz und Grammatik -, unter den Vorzeichen der Kompetenzorientierung auch zu einer Ökonomisierung von Sprachlernprozessen beitragen kann. Denn in der Folge der Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) (Europarat 2001) und der Bildungsstandards hat sich der Fremdsprachenunterricht zumindest auf theoretisch-konzeptioneller Ebene durchgreifend verändert. Fremdsprachenlernen steht nunmehr in der Zielperspektive des Erwerbs und der Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen. Diese werden in Anlehnung an den GeR als sich über kommunikative (Teil-)Fertigkeiten artikulierende (sprachliche) Problemlösungskompetenzen modelliert und in ihrem Erwerb zeitlich und qualitativ gestuft - und getestet. Aus bildungspolitischer Perspektive unterliegt der Sprachlernprozess damit einer „Ökonomisierung“ im Sinne einer Orientierung am messbaren „Output“ bzw. „Outcome“. Dabei ist der Erwerb interkultureller kommunikativer Kompetenz zum unbestrittenen Leitziel des gegenwärtigen Fremdsprachenunterrichts avanciert. In der deutschen Fremdsprachendidaktik findet diese Entwicklung ihren Widerhall in neueren Publikationen zur Entwicklung, Förderung und Evaluation fremdsprachlicher Kompetenzen (z. B. Caspari / Schinschke 2009, Eberhardt 2013, Gnutzmann / Königs / Küster 2012, Porsch / Tesch / Köller 2010, Reimann 2014a, b, Reimann / Rössler 2013, Bürgel 2017). Aus ihr ergibt sich insofern eine weitere 8 Christoph Bürgel / Daniel Reimann Dimension von Ökonomisierung fremdsprachlicher Lernprozesse, als Verlage ihren Schwerpunkt bei der Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien zur Fremdsprachenvermittlung in diesen Jahren eindeutig im Bereich der fremdsprachlichen Kompetenzen setzen und sich hier geradezu neue Marktsegmente entwickeln konnten. Der genannten Zieldimension von Fremdsprachenunterricht stehen jedoch die von Lehrkräften vorgebrachten Klagen über die defizitäre Kommunikationsfähigkeit der Lernenden gegenüber, die sich mit neueren Sprachstandserhebungen - zumindest für das Französische als zweite Fremdsprache (Bürgel / Siepmann 2010, Bürgel 2014) - decken. Zugleich gilt es als unbestritten, dass die sprachlichen Mittel die unentbehrliche Grundlage für interkulturelle kommunikative Kompetenz bilden. So ist der deutliche Zusammenhang zwischen der Verfügung über sprachliche Mittel und kommunikative Kompetenzen exemplarisch für das Verhältnis von Wortschatz und Hörbzw. Leseverstehen in zahlreichen Studien empirisch belegt worden (Bürgel / Siepmann 2012, Hee Jeon / Yamashita 2014, Qian 2002, Stæhr 2009). Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob die Einführung der Bildungsstandards und kompetenzorientierten Kernlehrpläne zu einer Überfokussierung der Kompetenzen und einer Vernachlässigung der sprachlichen Mittel geführt hat. Mehr noch: Hat die Abwendung vom Training der sprachlichen Mittel etwa zur Folge, dass Kompetenzziele möglicherweise faktisch nicht erreicht werden? Ein wesentlicher Teil des Problems liegt dabei in dem immer wieder unreflektiert wiederholten Mantra der kommunikativen Didaktik, demzufolge sprachliche Mittel nur eine „dienende Funktion“ haben dürfen. Es ist unbestritten, dass Wortschatz und Grammatik dem Zweck und dem Gehalt der Aussage untergeordnet sind, doch ebenso unbestritten ist, dass im Sinne der Sprachbewusstheit die Reflexion und Bewusstmachung der Strukturen, des Funktionierens und der Verwendung von Sprache bzw. sprachlicher Mittel ein zentraler ‚ökonomischer Faktor‘ erfolgreichen Sprachlernens ist. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass im Zuge der Kompetenzorientierung die Relevanz der sprachlichen Voraussetzungen für das Fremdsprachenlernen gerade auch in der deutschen Fremdsprachendidaktik vorübergehend aus dem Blick geraten war. Es zeichnen sich jedoch neuere Tendenzen der Refokussierung und Neugewichtung sprachlicher Mittel beim Fremdsprachenlernen ab (Tinnefeld 2014, Bürgel / Siepmann 2016, Leitzke-Ungerer / Polzin-Haumann 2017). In diesem Kontext verortet sich auch der vorliegende Sammelband, der das Verhältnis von sprachlichen Mitteln und Kompetenzentwicklung unter dem Effizienzaspekt, d. h. zur effizienten Ausbildung interkultureller kommunikativer Kompetenzen, betrachtet. Von besonderer Relevanz schien die Frage, ob und inwiefern eine vertiefte Aneignung sprachlicher Mittel Sprachliche Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 9 den Prozess des Sprachlernens und des Sprachkompetenzerwerbs beschleunigen, mithin ökonomisieren kann. Folgende Fragen standen im Mittelpunkt der Arbeiten: - Welcher Wortschatz bzw. welche lexiko-grammatischen Konstruktionen, Kollokationen, Phraseme usw. sollen rezeptiv bzw. produktiv beherrscht werden? Wie kann sich deren effiziente und vor allem nachhaltige Aneignung gestalten? Wie kann und soll das Verhältnis von Wortschatz und rezeptiven bzw. produktiven Sprachkompetenzen bestimmt werden? Und: Wie sollte Wortschatzdidaktik in Zeiten der Kompetenzorientierung konzeptualisiert werden? - Wie kann Grammatik lern- und kompetenzwirksam für die Entwicklung von Sprech- und Schreibkompetenzen vermittelt werden? - Welche phonetischen Aspekte sind für die gezielte und effiziente Entwicklung einer guten Aussprachekompetenz der Lernenden relevant? - Welche spezifischen Eigenheiten der Schriftsprache bzw. Orthographie sind für die Entwicklung von Schreibkompetenzen relevant? Beiträge sollten diese Fragen mit Blick auf eine 'neue Ökonomie' des gelenkten Sprachlernprozesses und Sprachkompetenzerwerbs sowohl empirie- und theoriebasiert als auch anhand konkreter Beispiele diskutieren. Unter den eingereichten Vorschlägen wurde in einem peer-reviewing -Verfahren eine Auswahl der methodisch und inhaltlich besten Vorträge getroffen. Die nach der Tagung verschriftlichten Beiträge wurden erneut einem kritischen und konstruktiven peer-reviewing durch die Herausgeber bzw. bei einzelnen Fragestellungen durch ausgewiesene Fachleute unterzogen, welches zu einer Auswahl der besten Beiträge und zur Optimierung der angenommenen Aufsätze beigetragen hat. Die hier versammelten Beiträge wurden folgenden thematischen Sektionen zugewiesen: Aussprache, Wortschatz und Grammatik, Sprachliche Mittel und Pragmatik, Sprachliche Mittel und Mehrsprachigkeit. Krista Segermann eröffnet den Sammelband mit einem kenntnisreichen und umfassenden Überblick zur historischen Entwicklung der deutschen Fremdsprachendidaktik der letzten 50 Jahre aus eigenem Erleben. Im Zentrum ihres Beitrags steht die Argumentation, dass sich die Disziplin nach und nach in eine Richtung entwickelt hat, die sich immer weiter von den Erfordernissen des konkreten Fremdsprachenunterrichts entfernt und unter dem Obligo einer vermeintlichen ‚Wissenschaftlichkeit‘ hochkomplexe abstrakte Modellierungen anbietet, die vorrangig aus den Bezugsdisziplinen abgeleitet sind. Die Autorin 10 Christoph Bürgel / Daniel Reimann zeigt die Gründe für diese Entwicklung sowie Wege aus der Sackgasse der Ineffizienz des aktuellen Fremdsprachenunterrichts auf. Der erste thematische Block der sprachlichen Mittel - die Aussprache - widmet sich einem Bereich, dem die Fachdidaktik der romanischen Sprachen als eigenständigem Komplex relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Den Anfang macht Christine Michler mit einem Beitrag zur Wertigkeit von Aussprache und Intonation für die Entwicklung kommunikativer Kompetenz im Französischunterricht. Ihr zentrales Anliegen ist es, didaktische Grundsätze der Ausspracheschulung zur Diskussion zu stellen, die auf einen erfolgreichen und effizienten Spracherwerb abzielen. Ausgehend von einem erhellenden Überblick über didaktische Publikationen zur Aussprache und der Analyse bildungspolitischer Dokumente unterzieht sie ältere und aktuelle Lehrwerke einem kritischen Vergleich hinsichtlich der Prinzipien der Ausspracheschulung. Diese Ausführungen ermöglichen es ihr, handlungsleitende Prinzipien einer systematischen Ausspracheschulung sowie Desiderata hinsichtlich Aussprache und Intonation in einem kompetenzorientierten Unterricht vorzustellen. Ausgehend von der Tatsache, dass die Mündlichkeit in der fachdidaktischen Forschung und der Praxis des Fremdsprachenunterrichts verstärkt Beachtung findet, erörtert Isabelle Mordellet-Roggenbuck die Relevanz phonetischer Hör- und Sprechfertigkeiten für die effiziente Entwicklung mündlicher Kommunikationsfähigkeit. Im Zentrum ihres Beitrags steht unter Berücksichtigung der Phonetik und Phonologie als Bezugswissenschaften eine fundierte Analyse ausgewählter phonetischer Aspekte bzw. Faktoren wie die Ausgangssprache der Lernenden, die soziale Akzeptanz des sog. „fremden Akzents“ (cf. Settinieri 2011), spezifische Aussprachemerkmale des Französischen wie die liaison sowie mögliche unterschiedliche didaktische Zielsetzungen im Rahmen des Französischunterrichts. Sodann leitet die Autorin aus den besonderen Herausforderungen der französischen Aussprache für deutsche L2-Lerner eine Reihe von didaktischen Empfehlungen für eine gezielte Ausspracheschulung im Französischunterricht ab. Ziel des von Eva Leitzke-Ungerer verfassten Beitrags zu diatopischen Aussprachevarietäten im Spanischunterricht ist es, ein varietätenspezifisches auf die Aussprache fokussiertes systematisches Hörverstehenstraining vorzustellen. Ausgehend von den wichtigsten Aussprachemerkmalen der ‚großen‘ diatopischen Varietäten des Spanischen diskutiert die Autorin die zentralen Probleme, die das Hörverstehen für Fremdsprachenlernende, insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen Aussprachevarietäten, bereithält. Die anschließende Kurzanalyse aktueller Spanischlehrwerke in Bezug auf ihren Umgang mit Sprachliche Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 11 Aussprachevarietäten zeigt zwar, dass in den gängigen Lehrwerken diatopische Varietäten angesprochen werden, aber die Auswahl der Varietäten weniger überzeugend ist und zudem keine authentischen Hördokumente zur Schulung einer rezeptiven Varietätenkompetenz vorgesehen sind. Davon ausgehend stellt Leitzke-Ungerer didaktisch-methodische Kriterien für das varietätenbezogene Hörverstehenstraining vor und illustriert diese an einer wohldurchdachten und lernprogressiv konzipierten Trainingseinheit für das argentinische Spanisch. Den Abschluss des ersten thematischen Blocks bildet ein Beitrag von Daniel Reimann über eine Befragung von Lehrkräften des Französischen, Spanischen und Italienischen an Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen zum Stellenwert von Aussprache im Fremdsprachenunterricht. Die quantitative und qualitative Daten integrierende Pilotstudie belegt ein deutliches Defizit der Angebote zur Ausspracheschulung für Lehrkräfte, sowohl in ihrer Ausbildung, vor allem in aktuellen B. A./ M.Ed.-Studiengängen, als auch in späteren Fortbildungsmaßnahmen, welches Spanisch- und Italienischlehrkräfte stärker zu betreffen scheint als Französischlehrkräfte. Dieses Defizit geht einher mit einem geringeren Störungsempfinden gegenüber nicht normgerechter Aussprache insbesondere auch bei für germanophone Sprecherinnen und Sprecher charakteristischen Realisierungen sowie mit einer geringeren Schulungshäufigkeit der Aussprache im Fremdsprachenunterricht, sodass abschließend Desiderata bezüglich der Ausspracheschulung in Schule und Lehrerausbildung formuliert werden können. Der zweite thematische Block - Wortschatz und Grammatik - wird mit einem Beitrag von Theresa Venus eingeleitet, der Ergebnisse einer explorativ angelegten Pilotstudie mit 45 Lehramtsstudierenden des Französischen und / oder Spanischen zu deren Sprachlernerfahrungen und subjektiven Theorien hinsichtlich effizienter und nachhaltiger Wortschatzaneignung vorstellt. Die Studie offenbart als ebenso erhellendes wie besorgniserregendes Ergebnis, dass im Fremdsprachenunterricht nach wie vor umstrittene Verfahren der Wortschatzaneignung wie beispielsweise zweisprachige Wortgleichungen dominieren, wenngleich die befragten Lehramtsstudierenden im Laufe ihres Studiums eine kritische Haltung zu obsoleten Verfahren der Wortschatzaneignung entwickeln. Kathleen Plötner präsentiert in ihrem Beitrag Ergebnisse einer Pilotierung zum Fremdsprachenlernen (Französisch, Spanisch) an Berliner Gymnasien. Ihr Erkenntnisinteresse richtet sich zum einen auf die Ermittlung der Gründe für die massive Abwahl der zweiten Fremdsprache nach der Sekundarstufe I und zum anderen auf den Stellenwert des Verbs im Spracherwerbsprozess. Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass die hohe „Verbprogression“ mit ihren unregelmäßigen 12 Christoph Bürgel / Daniel Reimann Verben und den zahlreichen Tempus- und Modusformen einer der Hauptgründe der „Spracherwerbsfrustration“ darstellt. Insgesamt kann die Autorin innerhalb ihrer Stichprobe aufzeigen, dass defizitäre Wortschatz- und Grammatikkenntnisse der Lernenden einer der Hauptabwahlgründe der zweiten Fremdsprache sind. Als Lösung schlägt sie einen Ansatz vor, der in der neueren Fremdsprachendidaktik zunehmend an Aufmerksamkeit erfährt: das Konstruktionslernen. Der Beitrag von Domenica Elisa Cicala leistet einen einleitenden Forschungsüberblick v. a. über die italophone Forschung zum Grammatikunterricht. Auf dieser Grundlage führt sie eine kriteriengeleitete Analyse von zehn jüngeren Lehrwerken (erschienen zwischen 2003 und 2013) v. a. für die Erwachsenenbildung auf den Niveaustufen A2 / B1 durch, die in Österreich auch für die Arbeit an Sekundarschulen / Gymnasien zugelassen sind. Sodann stellt sie acht Aktivitäten zum Grammatikunterricht, die sie selbst für den hochschulischen Fremdsprachenunterricht entwickelt hat, auf sehr detaillierte Weise einschließlich Materialien und Erwartungshorizonten vor. Ihr Ziel ist dabei, u. a. die Kategorien Aspekt und Aktionsart anschaulicher zu vermitteln als dies in vielen Lehrwerken geschieht. Der Zielsetzung philologisch-hochschulischen Fremdsprachenunterrichts entsprechend, sind zahlreiche Aktivitäten stark formorientiert und kognitvierend angelegt, wobei die kommunikativ-pragmatische Funktion nicht aus dem Blick gerät. Den Abschluss des zweiten thematischen Blocks bildet der Beitrag von Elena Schäfer zur lernökonomischen Funktion von grammatikbezogenen Erklärfilmen in Französischlehrwerken. Ausgehend von einer Diskussion zum Stellenwert von Grammatik im Fremdsprachenunterricht untersucht die Autorin den diachronen Wandel der Einführung und Erarbeitung des passé composé am Beispiel der Lehrwerksreihe Découvertes (Klett) der Jahre 1994-2012. Dabei nimmt sie insbesondere die seit 2015 in den Klett-Lehrwerken verwendeten Erklärfilme zur Grammatik und deren Mehrwert für effizientes Fremdsprachenlernen in den Blick und kommt zu dem Schluss, dass sie die Verfügbarkeit des grammatischen Regelwissens begünstigen. Der dritte thematische Block zu sprachlichen Mitteln und Pragmatik wird von Kathrin Siebold mit einem Beitrag zur pragmatischen Kompetenz im Spanischen eröffnet. Ausgehend von der Prämisse, dass die Übertragung von aus der Erstsprache bekannten Kommunikations- und Interaktionsstrategien in fremdsprachlichen Settings zu unangemessenem Sprachverhalten und somit zu interkulturellen Missverständnissen führen kann, diskutiert die Autorin den aktuellen Stellenwert der Vermittlung pragmatischer Kompetenz im Fremdsprachenunterricht unter Einbezug aktueller Forschungsergebnisse. Sie arbeitet Sprachliche Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 13 abschließend heraus, dass der Forderung nach der Förderung der pragmatischen Kompetenz im fremdsprachlichen Unterricht derzeit vor allem deshalb kaum in befriedigender Weise nachgekommen werden kann, weil kein Konsens darüber besteht, welche konkreten linguistisch-pragmatischen und soziopragmatischen Kompetenzen den Lernenden vermittelt werden sollen. Britta Thörle untersucht in ihrem Beitrag die Rolle von bislang kaum im Fremdsprachenunterricht berücksichtigten Diskursmarkern bei der Bewältigung von Sprech- und Höraufgaben in der Fremdsprache Spanisch. Die Autorin zeigt mit einer luziden Analyse einer Studie zum lernerseitigen Gebrauch von Diskursmarkern, dass diese in Form und Verwendung je nach Sprecher stark variieren und vom Grad der Sprachkompetenz abhängig sind. So lässt sich beispielsweise eine größere formale Varianz und funktionale Differenzierung der Verwendung von Diskursmarkern bei der Bewältigung von Höreraufgaben bei fortgeschrittenen Lernenden beobachten. Diese Ergebnisse nimmt sie zum Anlass, um Überlegungen zu einer (Weiter-)Entwicklung der Diskursmarkerdidaktik des Spanischen anzustellen, die einen Beitrag zum effizienten Sprachlernen und Sprachkompetenzerwerb leisten soll. Einen ähnlichen Bereich der sprachlichen Mittel nehmen David Paul Gerards und Benjamin Meisnitzer in den Blick: Modalpartikeln des Spanischen, Französischen und Italienischen. An eigene linguistische Vorarbeiten anschließend entwickeln sie ein wohldurchdachtes Inventar von Kriterien, das erlaubt, ein Element einer Sprache als Modalpartikeln zu kategorisieren. Ausgehend von der Analyse des spanischen si , französischen quand même und italienischen mai , stellen die Autoren eine dreischrittige Übungsreihe vor, bei der die kognitivfunktionalen Charakteristika der Modalpartikeln im Zentrum stehen. Ziel ist es, die Fremdsprachenlernenden zu befähigen, die Verwendung von Modalpartikeln systematisch zu erfassen, um ihre interaktional-kommunikative Kompetenz zu verbessern. Robert Hesselbach nimmt in seinem Beitrag die Bedeutung und die Vermittlung von Ökonomie und Komplexität bei der Vermittlung umgangssprachlicher Varietäten im Fremdsprachenunterricht in den Blick. Der Autor zeigt anhand zweier konkreter Beispiele aus dem Französischen und dem Spanischen, dass Komplexität nicht zwangsläufig mit sprachlicher Norm sowie Ökonomie mit umgangssprachlichen Varietäten einhergeht. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis arbeitet er die Bedeutsamkeit der Beschäftigung mit umgangssprachlichen Varietäten (kontrastiv zur sprachlichen Norm) heraus, um Schülerinnen und Schüler zur kompetenten fremdsprachlichen Kommunikation zu befähigen. Abschließend plädiert er in diesem Zusammenhang vor allem für eine verstärkte 14 Christoph Bürgel / Daniel Reimann sprachliche und linguistische Schulung der Lehramtsstudierenden, um sie auf die Vermittlung sowohl standardals auch umgangssprachlicher Phänomene vorzubereiten. Silvia Melo-Pfeifer präsentiert in ihrem Beitrag die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Verwendung sprachlicher Mittel in der Interaktion in romanischen Sprachen in Chat-Rooms. In der Studie wurde, ausgehend vom Konzept des translanguaging , untersucht, welche sprachlichen Mittel in der mehrsprachigen schriftlichen Kommunikation in Chat-Rooms genutzt werden und wie sich translanguaging in diesem konkreten Kontext darstellt. Die Ergebnisse der Studie machen dabei deutlich, dass translanguaging als Mittel der Vereinfachung der Kommunikation sowie als Möglichkeit für mehrsprachiges Lernen dienen kann. Vor diesem Hintergrund wird das Potenzial des translanguaging Konzepts für den Fremdsprachenunterricht kurz beleuchtet. Ziel des Beitrags von Christian Koch über die lernökonomische Bedeutung von sprachlichen Mitteln bei polyglotten Sprechern ist es, aus Einstellungen und Sprachlernmethoden polyglotter Sprecherinnen und Sprecher mögliche Potenziale und Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht abzuleiten. Ausgehend von einem Modell zur Lernerökonomie diskutiert der Autor die Rolle sprachlicher Mittel bei romanisch-polyglotten Sprechern, um anschließend Parallelen und Unterschiede zur schulischen Fremdsprachenaneignung zu ziehen. So konstatiert er abschließend, dass Strategien und Haltungen polyglotter Sprecher zwar nicht direkt auf den Fremdsprachenunterricht übertragbar sind, sich aber aus dem Sprachlernverhalten polyglotter Sprecher durchaus Ansätze zum enrichment besonders für begabte und / oder unterforderte Schülerinnen und Schüler ableiten lassen können. Wir hoffen, mit den hier versammelten theoretisch-konzeptionellen und empirischen Arbeiten einen Beitrag zur Neubewertung der Rolle der „sprachlichen Mittel“ im Fremdsprachenunterricht, hier insbesondere der romanischen Sprachen, in Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung leisten zu können. Den einzelnen Beiträgerinnen und Beiträgern sei ebenso für ihre Arbeit an diesem Projekt gedankt wie dem Verlag Gunter Narr, allen voran unserer Redakteurin Kathrin Heyng und dem Lektorat um Karin Burger. Für die kompetente Formatierung und Mitwirkung bei der Redaktion des Bandes danken wir darüber hinaus insbesondere unseren Mitarbeitenden Mara Büter und Christian Koch. Paderborn und Essen, im Juni 2017 Christoph Bürgel und Daniel Reimann Sprachliche Mittel im kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht 15 Bürgel, Christoph. 2014. „Leseverstehenskompetenzen von gymnasialen Französischlernern auf dem Prüfstand“, in: Christoph Bürgel / Dirk Siepmann (ed.): Sprachwissenschaft und Fremdsprachenunterricht: Spracherwerb und Sprachkompetenzen im Fokus . Baltmannsweiler: Schneider, 167-183. Bürgel, Christoph. 2017. „Überlegungen zur Anbahnung nähesprachlicher Kommunikationsfähigkeit im Spanischunterricht“, in: Eva Leitzke-Ungerer / Claudia Polzin- Haumann (ed.): Varietäten des Spanischen im Fremdsprachenunterricht. Ihre Rolle in Schule, Hochschule, Lehrerbildung und Sprachzertifikaten. Stuttgart: ibidem, 115-137. Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk. 2010. „Was können Französischlehrer und -lerner? Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen auf dem Prüfstand“, in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung , 21 / 2, 191-216. Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk. 2012. „Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen von Französischlehrern und -studierenden“, in: Thomas Tinnefeld (ed.): Hochschulischer Fremdsprachenunterricht. Anforderungen, Ausrichtung, Spezifik, Saarbrücker Schriften zu Linguistik und Fremdsprachendidaktik ( SSLF ). Saabrücken: htw saar, 91-113. Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk (ed.). 2016. Sprachwissenschaft und Fremdsprachendidaktik: Zum Verhältnis von sprachlichen Mitteln und Kompetenzentwicklung . Baltmannsweiler: Schneider. Caspari, Daniela / Schinschke, Andrea. 2009. „Aufgaben zur Feststellung und Überprüfung interkultureller Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht - Entwurf einer Typologie“, in: Adelheid Hu / Michael Byram (ed.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation. Intercultural competence and foreign language learning. Models, empiricism, assessment. Tübingen: Narr, 273-288. Eberhardt, Jan-Oliver. 2013. Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Auf dem Weg zu einem Kompetenzmodell für die Bildungsstandards . Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier. Gnutzmann, Claus / Königs Frank G. / Küster, Lutz (ed.). 2012. Fremdsprachen Lehren und Lernen , 41 / 1, Themenschwerpunkt: Kompetenzen konkret . Hee Jeon, Eun / Yamashita, Junko. 2014. „L2 Reading Comprehension and Its Correlates: A Meta-Analysis“, in: Language Learning, 64 / 1, 160-212. Leitzke-Ungerer, Eva / Polzin-Haumann, Claudia (ed.). 2017. Varietäten des Spanischen im Fremdsprachenunterricht. Ihre Rolle in Schule, Hochschule, Lehrerbildung und Sprachzertifikaten . Stuttgart: ibidem. Porsch, Raphaela / Tesch, Bernd / Köller, Olaf (ed.). 2010. Standardbasierte Testentwicklung und Leistungsmessung. Französisch in der Sekundarstufe I. Münster: Waxmann. Qian, David D.. 2002. „Investigating the Relationship Between Vocabulary Knowledge and Academic Reading Performance: An Assessment Perspective“, in: Language Learning , 52 / 3, 513-536. Reimann, Daniel. 2014a. Transkulturelle kommunikative Kompetenz in den romanischen Sprachen. Theorie und Praxis des neokommunikativen und kulturell bildenden Französisch-, Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischunterrichts . Stuttgart: ibidem. 16 Christoph Bürgel / Daniel Reimann Reimann, Daniel. 2014b. „Wie evaluiert man Sprachmittlungskompetenz? Zur (Weiter-) Entwicklung diagnostischer Instrumente“, in: Französisch heute , 1, 27-33. Reimann, Daniel / Rössler, Andrea (ed.). 2013. Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. Stæhr, Lars Stenius. 2009. „Vocabulary Knowledge and Advanced Listening Comprehension in English as a Foreign Language“, in: Studies in Second Language Acquisition, 31 / 4, 577-607. Tinnefeld, Thomas (ed.). 2014. Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld zwischen Sprachwissen und Sprachkönnen . Saarbrücken: htw saar. Sprachliche Mittel und fremdsprachliche Kompetenz in Geschichte und Gegenwart 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik Krista Segermann 1. Einleitung Über fast 50 Jahre erlebte Geschichte zu berichten, ist immer ein Risiko. Der Historiker weiß natürlich, dass derlei Aussagen der subjektiven Wahrnehmung des Berichterstatters unterliegen und beansprucht nicht, dass die Nachgeborenen erfahren, „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). So ist der folgende Beitrag in dem Bewusstsein geschrieben, dass auch hier die wissenschaftliche Biographie der Autorin dem historisch Erlebten eine unvermeidlich subjektive Färbung verleiht und dass die Geschichte der Fremdsprachendidaktik auch ganz anders gesehen und dargestellt werden kann. Doch nicht nur die Darstellung in ihrer Auswahl und Akzentuierung unterliegt der Interpretation. Die Fremdsprachendidaktik selbst ist in ihrer geschichtlichen Entwicklung - wie jede andere Disziplin - als psycho-soziales Phänomen zu begreifen, das sowohl durch individuell-menschliche als auch durch gruppendynamische, politische und wirtschaftliche Gegebenheiten beeinflusst ist. Die Soziologie wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen wird selten thematisiert. Man beschränkt sich auf die Beschreibung ihrer Inhalte und Methoden und deren Veränderung. In den einschlägigen Lexika (z. B. Schröder / Finkenstaedt 1977), Handbüchern, Sammelbänden und Monographien zur Fremdsprachendidaktik werden üblicherweise die historischen Abrisse des Lehrens bzw. Lernens von Fremdsprachen immer wieder aktualisiert, die Entwicklung der Disziplin und der sie bestimmenden psycho-sozialen und sozio-ökonomischen Faktoren wird kaum in den Blick genommen. Eine Ausnahme bilden hier die Veröffentlichungen von H. Sauer, der schon früh z. B. auf den Zusammenhang zwischen „schulpolitischen Empfehlungen und Entscheidungen“ und der „Entwicklung der Fachdidaktik“ aufmerksam gemacht hat (Sauer 1968, 160). Die Diskussion um das Lehren und Lernen von Fremdsprachen ist uralt. Sie ergab sich zwangsläufig in jeder Kultur, sobald diese mit fremden Sprachen in Berührung kam, deren Prestige groß genug war, um sie lernen zu wollen. Dieser sozio-ökonomische Faktor steht also am Anfang jeder Beschäftigung mit einer fremden Sprache und er hat auch entscheidend auf die wechselvolle Geschichte der (west)deutschen Fremdsprachendidaktik eingewirkt, deren Entwicklung 20 Krista Segermann als wissenschaftliche Disziplin ich in den letzten fünf Jahrzehnten in den verschiedensten Funktionen aktiv miterlebt habe. Nach dem Ersten Staatsexamen war ich während der turbulenten Jahre um die Studentenunruhen (1966-1970) zunächst Assistentin am Romanischen Seminar der neu gegründeten Ruhr-Universität Bochum in der Abteilung Literaturwissenschaft (wo ich auch promovierte), dann Referendarin am Studienseminar Bochum. Danach (1970-1995) wurde ich - fast ein Kuriosum - zunächst vom Seminar für Englische Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Ruhr, Abteilung Dortmund als Romanistin ‚kooptiert‘ 1 und erwarb hier durch meine Mitarbeitertätigkeit bei der Ausbildung von Englischlehrern für die Volksbzw. Hauptschule erstmals selbst eine solide fremdsprachendidaktische Ausbildung. Nach der Integration der PH in die Universität Dortmund übernahm ich als kommissarische Leiterin das dem Fachbereich Sprachen angegliederte Sprachenzentrum. Schließlich folgte ich 1995 / 96 dem Ruf der Universität Jena auf eine Professur für die Didaktik der romanischen Sprachen, die ich bis zu meinem Eintritt in den Ruhestand (2007) innehatte. Aufgrund der vielfältigen Erfahrungen in und mit den Institutionen, die sich mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen beschäftigen (von der Philologie über das Studienseminar, die Pädagogische Hochschule, den Arbeitskreis der Sprachenzentren bis hin zur didaktischen Professur in einem philologisch geprägten Institut für Romanistik), scheint es mir nicht ganz abwegig, die Disziplin, in der ich fast 50 Jahre gearbeitet habe, rückblickend einer Betrachtung zu unterziehen. So spannt sich in meinem Verständnis ein großer Bogen von der auf die Verbesserung der Sprachpraxis gerichteten Aufbruchsstimmung der 60er Jahre über eine Phase der stetigen thematischen Ausweitung durch die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen der sog. Bezugswissenschaften - was zu mehr oder weniger heftigen Kontroversen führte. Aufgrund der unterschiedlichen wissenschaftsbiographischen und -soziologischen Kontexte der Protagonisten kam es danach jedoch zu keiner echten Konsolidierung. Die Entwicklungslinien der beiden Hauptakteure, der traditionellen Fremdsprachendidaktik und der mit dem Anspruch eines kompletten Neuanfangs auftretenden Sprachlehrforschung, verliefen weitgehend parallel und verbinden sich in den internationalen Handbüchern höchstens zu einem Schrägstrich-Paar (Fremdsprachendidaktik / Sprachlehrforschung). Auch die 1988 erfolgte Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“ brachte keine wirkliche Integration. Die terminologisch vermeintliche Kompromissformel „Fremdsprachenforschung“ 1 Der Plan zur Einrichtung eines Studiengangs für Französisch (Lehramt an Realschulen) zusammen mit H. Kleineidam hat sich nicht verwirklichen lassen und wurde 1980 mit der Integration der PH in die Universität Dortmund endgültig fallen gelassen. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 21 markiert eher einen Wendepunkt im Selbstverständnis der Disziplin: hin zu mehr methodologisch verfeinerten empirischen Forschungen, die sich auf mehr oder weniger relevante Teilaspekte des Fremdsprachenlehrens und -lernens bezogen - auf Kosten von Lösungsansätzen für die wirklich drängenden Probleme der Praxis. Diese jüngste Entwicklung, die in den 90er Jahren einsetzte und bis heute andauert, ist umso bedauerlicher, als die mühsam errungene Wertschätzung der Disziplin als angewandter, auf die konkrete Verbesserung der Praxis des Fremdsprachenunterrichts im weitesten Sinne gerichteter Wissenschaftszweig inzwischen weitgehend verspielt zu sein scheint. Fachdidaktische Stellen werden - nach dem Ausscheiden der Professoren der 70er, 80er und 90er Jahre - immer öfter nicht wieder besetzt, immer mehr Institute sind von der Schließung bedroht. Wie konnte es zu dieser kontraproduktiven Entwicklung kommen? Als Erklärungsversuch möchte ich hier vorweg drei Gründe anführen: • Der eine ergibt sich aus der erwähnten Interdependenz von wissenschaftlichen Disziplinen und sozio-ökonomischen Faktoren und betrifft die vielleicht überzogene Erwartung der Öffentlichkeit in Bezug auf eine messbare Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse in allen Bereichen der Gesellschaft (vor allem aber in den allgemeinbildenden Schulen). Diese Erwartung wurde weitestgehend enttäuscht. 2 • Der zweite betrifft das immer noch andauernde Ringen der Disziplin um ihre Anerkennung in der scientific community , was - psychologisch betrachtet - zu einer Art Überkompensierung eines Minderwertigkeitskomplexes durch vermeintlich optimierte ‚Wissenschaftlichkeit‘ führte. • Der dritte hängt mit der mangelhaften Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren an Schulen, Studienseminaren und Hochschulen (Fachdidaktik und Fachwissenschaft) und deren heterogener Motivationslage zusammen. Trotz vieler Bemühungen in allen drei Bereichen überwiegt in historischer Sicht der Eindruck eines - fast tragisch anmutenden - Scheiterns. Im Folgenden soll versucht werden, die verschiedenen Traditionsstränge aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen und nachzuzeichnen. 2 Jüngste Zahlen, die eher eine Verschlechterung dokumentieren, sprechen hier eine in der Tat alarmierende Sprache, cf. die empirischen Untersuchungen zu den Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften bei Bürgel / Siepmann 2010. 22 Krista Segermann 2. Die Aufbruchsstimmung der 60er und 70er Jahre Die auf das Lernen gerichtete pragmatisch motivierte Beschäftigung mit Fremdsprachen fällt zunächst einmal den Lehrenden als Aufgabe zu. Da schriftlich fixierte Texte von jeher einen höheren Stellenwert hatten als mündliche, standen das Lesen und das Schreiben bei der Vermittlung im Vordergrund. Diese Zielfähigkeiten wiederum ließen Wörter- und Grammatikbuch als geeignete Lehr- und Lernmittel erscheinen und führten zwangsläufig zu einer Art Grammatik- Übersetzungsmethode im weitesten Sinne. Die Lernmotivierung erfolgte vor allem durch den Inhalt der zu entziffernden Texte, die eine hohe kulturelle Wertschätzung besaßen. Für den abendländischen Kulturkreis bedeutete das Fremdsprachenlernen zunächst das Lernen von Griechisch und Latein, danach in gehörigem Abstand - wegen des geringeren Bildungswertes - auch das Lernen der europäischen sog. Vulgärsprachen. Die Bevorzugung der klassischen oder alten Sprachen setzte die modernen oder lebenden Sprachen bis ins 20. Jahrhundert unter einen bildungspolitischen Rechtfertigungsdruck. Von daher versteht sich das zähe Festhalten der neusprachlichen Gymnasiallehrkräfte 3 an dem literarisch-ästhetischen und sprachlich-formalen Bildungsauftrag der von ihnen vertretenen Fremdsprachen. Auch das Bemühen um eine enge Bindung an die anglistischen und romanistischen Fachwissenschaften in Gestalt von Sprach- und Literaturwissenschaften einerseits sowie die Distanzierung von der Pädagogik andererseits finden hier ihre Erklärung. Da die Pädagogik hauptsächlich dem Methodischen und damit dem ‚unwissenschaftlichen‘ Praktischen zugewandt war, wurde sie als minderwertig eingestuft. (cf. Sauer 1977). Durch die Einführung des Schulfachs Englisch bzw. - in Grenzregionen zu Frankreich - Französisch an Hauptschulen 1964 (Hamburger Abkommen) bekam die Diskussion um das Fremdsprachenlehren und -lernen eine neue bildungspolitische Dimension. „Fremdsprachen bzw. Englisch für alle“ galt als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit, der die Aufbruchsstimmung der 60er Jahre kennzeichnete. Vorbereitet und unterstützt wurde dieses Anliegen durch die Initiativen des Europarates, vornehmlich des 1962 geschaffenen „Rates für kulturelle Zusammenarbeit“ ( Council for Cultural Cooperation : CCC ), der in den Folgejahren wegweisende Projekte und Entschließungen verabschiedete und auch Seminare für Experten des Fremdsprachenunterrichts für alle Schüler ausrichtete, auf denen methodische Neuerungen aus ganz Europa diskutiert wurden. 4 In den frühen 70er Jahren 3 Sie sind seit 1887 im Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verband organisiert (mit einer Auszeit zwischen 1937 und 1947). 4 Unter anderem wurden Fragen zum Frühbeginn und zu der aus Frankreich stammenden audio-visuellen Methoden diskutiert, cf. Sauer 1968 und Neumeister 1970. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 23 entstand dann mit dem zuerst in englischer Sprache veröffentlichten Threshold Level ein Instrument zur einheitlichen Definition von Zielen und Inhalten des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts in Europa. Parallel dazu fanden auf der politischen Ebene zwischen 1959 und 1967 Konferenzen der europäischen Erziehungsminister statt, auf denen ebenfalls die notwendige Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts auf alle Europäerinnen und Europäer (also auch auf Erwachsene) zur Debatte stand und entsprechende Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen gefordert wurden. Auch auf den Konferenzen der internationalen Lehrerverbände wie der Fédération internationale des professeurs de langues vivantes ( FIPLV 5 ) oder der Internationalen Vereinigung von Verbänden der Volksschullehrer stand in den 60er Jahren die Diskussion von neuen Methoden und Hilfsmitteln für den erweiterten Fremdsprachenunterricht im Vordergrund. Die Internationale Konferenz moderner Fremdsprachenunterricht von 1964, veranstaltet vom Pädagogischen Zentrum Berlin, dokumentiert eindrucksvoll die Entwicklung der von pädagogisch-methodischen Überlegungen geprägten fachdidaktischen Diskussion - unter Einbeziehung der Methodendiskussion in den USA. 6 (Cf. Sauer 1968, 152-160) Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Rolle der Wirtschaft als Produzent des Sprachlabors, das im Zuge der in den USA entwickelten audiolingualen Methode eine überragende Bedeutung als vielversprechendes neues Medium des Fremdsprachenunterrichts gewann. 7 Der fremdsprachliche Unterricht für Schülerinnen und Schüler von eher bildungsfernen Schichten brachte ganz neue Probleme für die Lehrkräfte mit sich und verlangte nach einer Instanz, die sich speziell den methodischen Fragen der Sprachvermittlung widmete. Damit schlug die Stunde der Pädagogischen Hochschulen, denn dort wurden in den 60er Jahren die ersten Lehrstühle für Fremdsprachendidaktik eingerichtet. 8 Die mit den Studiengängen der beiden Fremdsprachen an den PH s betrauten Lehrenden - sie rekrutierten sich durchgängig aus erfahrenen Lehrern (die meisten aus dem Gymnasialbereich) - trafen 5 Sie wurde 1931 in Paris gegründet. 6 Die deutschen Philologen blieben von dieser Methodendiskussion zunächst weitgehend unberührt, da sie in ihrer Mehrheit die methodische Schulung der Gymnasiallehrer durch erfahrene ‚Schulleute‘ während des Vorbereitungsdienstes für ausreichend erachteten. 7 An der Universität Marburg wurde 1969 ein Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (ISF) eingerichtet, mit dem Ziel der bibliographischen Erfassung der gesamten fremdsprachendidaktischen Veröffentlichungen (ab 1970 bis heute), wobei der Einsatz von Materialien für das Sprachlabor anfänglich eine große Rolle spielte. 8 In Ostdeutschland entstanden zur gleichen Zeit die „Institute für Unterrichtsmethodik“, cf. Brandt (1989). 24 Krista Segermann sich seit 1963 regelmäßig zu gemeinsamen Tagungen 9 , die von den in dieser Zeit führenden Didaktikern mit den (beschränkten) finanziellen und personellen Mitteln der vorhandenen Lehrstühle ausgerichtet wurden. Die Entwicklung und Ausweitung dieser Veranstaltungen soll im Folgenden als Leitfaden für die historische Darstellung der Fremdsprachendidaktik - zunächst von 1963 bis 1987 - dienen. 10 1963: 1. Tagung der Fachvertreter für Englisch an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik (Internationales Haus Sonnenberg im Harz: H.-E. Piepho) Als Themen standen das Verhältnis Allgemeine Didaktik - Fachdidaktik, Fragen der Didaktischen Analyse, Probleme des Englischunterrichts für alle Schüler, Versuche zum Englischunterricht in Primarschulen sowie Medien und Tests zur Debatte. 1965: 2. Tagung der Didaktiker der englischen und französischen Sprache an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik ( PH Berlin: H. Schütt, H. Kreter, P. Doyé) Themen waren u. a. Strukturalistik in der Englischdidaktik, Sprachlabor, Englisch in Volksschulen, Schulfunk, englisch-amerikanische Jugendliteratur und wiederum Englischunterricht in Primarschulen. 1967: 3. Tagung der Didaktiker (Fachvertreter) der englischen und französischen Sprache an den Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik: Hochuldidaktik, Lehrinhalte und Arbeitsformen ( PH Weingarten: E. Gramsch, H. Gutschow) Diskutiert wurde wiederum das Verhältnis von Fachwissenschaft und Fachdidaktik, aber auch Probleme von Lehre und Studium in den Hochschulen, wie z. B. landeskundliche und literarische Inhalte, empirische Forschungen als Bestandteile des Studiums sowie Probleme der sowjetischen Fremdsprachenmethodik. 9 Die Vorgeschichte dieser Tagungen begann schon 1953 mit einer „Tagung der Fachdidaktiker des Englischen und des Französischen an Pädagogischen Hochschulen der Bundesrepublik und West-Berlins und an den Lehrerbildungsanstalten Bayerns“ in der Pädagogischen Hochschule Hannover. 1962 beteiligten sich Vertreter der Fremdsprachendidaktik auch am „5. Pädagogischen Hochschultag“ in Trier, wo die allgemeindidaktischen Konzepte von Wolfgang Klafki und Paul Heimann diskutiert wurden. 10 Cf. Sauer 1977 und seine undatierte Zusammenstellung der „Fachtagungen / Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“, die auch die Vorläufer einbezog, auf der Homepage der DGFF: www.dgff.de. Sauer beginnt seine Zählung mit der Tagung von 1963 im Haus Sonnenberg im Harz und erfasst alle Veranstaltungen bis einschließlich 2003. 2006 erschien die erweiterte Zusammenstellung auch in einem Verlag (s. Literaturverzeichnis). 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 25 1970: 4. Tagung der Fachdidaktiker für Neuere Sprachen an den Pädagogischen Hochschulen ( PH Lüneburg: A. Digeser, P. Doyé, E. Gramsch, H. Kreter, H. Schrey, K. Schwarz) In Lüneburg war ich zum ersten Mal dabei und erlebte die prickelnde Atmosphäre einer jungen Disziplin im Aufbau, die ihre Identität noch suchte und um Anerkennung als wissenschaftliche Disziplin rang. Es war eine Zeit des Umbruchs im Gefolge der Studentenunruhen der späten 60er Jahre. Die bisher auf die fremdsprachliche Ausbildung der Volksschullehrer fokussierte Fremdsprachendidaktik wurde mit hineingerissen in den Strudel der die Universitäten bzw. Gesamthochschulen erfassenden Forderungen nach einem mehr oder weniger radikalen Wandel in allen Bereichen der Fremdsprachenlehrerausbildung. Das tiefe Missbehagen an dem Zustand der sprachpraktischen Ausbildung an den Hochschulen, die von den Philologien nicht ernstgenommen bzw. einschließlich der sie tragenden Lehrkräfte generell als „nicht wissenschaftstauglich“ abqualifiziert wurden 11 , führte zur Gründung von Sprachenzentren an zahlreichen Universitäten 12 , die sich 1970 zum „Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute“ ( AKS ) zusammenschlossen. 13 Die bemängelten Defizite im Bereich der Ausbildung von Gymnasialbzw. Realschullehrkräften betrafen aber nicht nur die Qualität und Organisation der Sprachlehre und die daraus resultierende Sprachbeherrschung der Studierenden, sondern auch deren didaktisch-methodische Lehrfähigkeiten. Um hier Abhilfe schaffen zu können, sollten die Sprachenzentren 14 als wissenschaftliche Institute mit entsprechenden Forschungsaufträgen ausgewiesen sein. Gefordert wurde die Entwicklung einer „allgemeinen Didaktik und Methodik des Fremdsprachenunterrichts“ (sowohl für das Gymnasium als auch für die Realschule und die Berufsschule), „die in unserem Lande als Wissenschaft noch nicht existiert“ (Denninghaus / Bonnekamp 1970). 15 Außerdem sollte beim Sprachunterricht für Nichtphilologinnen und -philologen auch die Fachsprachenproblematik im Sinne einer verstärkten Berufsorientierung mit einbezogen werden. 16 Für all diese 11 So formulierte K. Vogel in einer bitterbösen Rückschau (Vogel 1985, 17). 12 Sie konnten sich dabei auf die Empfehlungen des für die politische Beratung im Hochschulbereich zuständigen sog. Wissenschaftsrates zur „Neugestaltung der Ausbildung im Bereich der Fremdsprachen“ von 1970 berufen. 13 1975 zählte der AKS bereits 22 „Organisationseinheiten“ (Westermayr 1977). 14 Zum Teil existierten sie als Weiterentwicklung von Einrichtungen mit Sprachlabor, die den damals sehr wertvollen Bonus technischer Innovation ins Spiel bringen konnten. 15 Cf. Denninghaus/ Bonnekamp 1970, 22. Der auf die Volksbzw. Hauptschule gerichtete Entwicklungsstrang der Fremdsprachendidaktik war den Autoren entweder tatsächlich unbekannt oder wurde einfach ignoriert. 16 An den der Erwachsenenbildung dienenden Volkshochschulen gab es schon seit 1968 fremdsprachliche Zertifikatskurse, die sich u. a. an den Bedürfnissen der Wirtschaft ori- 26 Krista Segermann Bereiche war eine wissenschaftliche Basis zu erarbeiten, die sich sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien niederschlagen sollte. Das „herausragende Ereignis im Kontext dieser Wissenschaftskonstituierung“ (Bausch 1988, 1730) war die acht Jahre lang (1973-1981) währende Förderung innerhalb eines DFG -Schwerpunkts „Sprachlehrforschung“, die die Initiierung von vor allem empirisch ausgerichteten Forschungsprojekten als Ausweis der Wissenschaftlichkeit ermöglichte. Die Sprachlehrforschung 17 verstand sich von Anfang an als Gegenentwurf zur herkömmlichen Fremdsprachendidaktik. Sie erhob den „Anspruch, eine weitgehend rezeptologische Fremdsprachendidaktik durch empirische Forschung und aus ihr abgeleitete Empfehlungen für die Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts zu ersetzen“ - so in der Zwischenbilanz des Koordinierungsgremiums im DFG-Schwerpunkt „Sprachlehrforschung“ von 1977. Sieben Jahre später hieß es in einem weiteren Rechenschaftsbericht, dass „das Verhältnis von Theorie und Anwendung im Bereich der Sprachdidaktik und des Sprachenlernens von Grund auf reflektiert und neu bestimmt“ werden müsse (Koordinierungsgremium 1983, 55). Sieht man sich die Liste der DFG -Projekte näher an, so fällt vor allem ihre große Bandbreite auf, die vom Literaturbericht und historisch-gesellschaftlichpolitischen Arbeiten über Untersuchungen zu Deutsch als Zweitsprache (Gastarbeiter), Deutsch als Fremdsprache und zur sprachpraktischen Hochschulausbildung bis hin zu Teilaspekten wie Faktoren sprachlicher Kommunikation, pragmatische Aspekte im Konversationsverhalten, Hörverstehen, Lesefähigkeit, Lernstrategien, Fehlerverhalten, Einstellung und Motivation reichen. Ob diese Projekte die erhofften wissenschaftlichen Erkenntnisse brachten, darf bezweifelt werden, da eine nachweisliche Dokumentierung fehlt. Neben der Sprachlehrforschung etablierte sich an den damals neu gegründeten Universitäten und Gesamthochschulen eine weitere wissenschaftliche Disziplin im fremdsprachlichen Bereich, die sog. Angewandte Linguistik. Die deutsche Sektion der AILA 18 wurde 1968 unter dem Vorsitz von G. Nickel, entierten. 17 Der ursprüngliche Terminus „Sprachlehr- und -lernforschung“ wurde verkürzt zugunsten der Lehrperspektive - eine Ironie des Schicksals, wollte sich die neue Disziplin doch gerade durch das Prinzip der „Lernerzentriertheit“ von der angeblichen „Lehrerzentriertheit“ der traditionellen Fremdsprachendidaktik absetzen. Auch das Institut an der Ruhr-Universität Bochum übernahm die kontraproduktive Verkürzung als „Seminar für Sprachlehrforschung“. K.-R. Bausch hatte hier seit 1972 den „Lehrstuhl für Sprachlehrforschung“ inne und wurde dadurch zum führenden Kopf der neuen Bewegung. 18 Die Association Internationale de Linguistique Appliquée (AILA) hatte sich schon 1963 von der universitären Sprachwissenschaft abgespalten und 1964 ihren ersten „Internationalen Kongress für Angewandte Linguistik“ in Nancy organisiert. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 27 A. Raasch und H.-E. Piepho gegründet (Sauer 1977, 106). Diese GAL (Gesellschaft für Angewandte Linguistik) widmete sich - dem Zug der Zeit folgend - den praktischen Problemen von Sprache, Sprachgebrauch und Kommunikation. Die Sprachdidaktik war dabei allerdings nur ein Aufgabengebiet neben vielen anderen. 19 3. Die Arbeitstagungen der Fremdsprachendidaktiker von 1972 bis 1987 Die Fremdsprachendidaktiker versuchten zunächst bei ihren weiteren, im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Tagungen (Neuss, Freiburg, Gießen, Dortmund), die verschiedenen Richtungen zu integrieren. Die Vorträge dokumentieren das steigende methodologische Bewusstsein und ein beachtliches wissenschaftliches Niveau der Diskussion. 1972: 5. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten der BRD ( PH in Neuss: W. Hüllen, H. Heuer, P. W. Kahl, K. Schröder, L. Weidner) In Neuss wurden sowohl sprachenpolitische und curriculare (Th. Finkenstaedt, K. Schröder) als auch lerntheoretische (H. Arndt) und forschungsmethodologische Probleme (H. Heuer 20 ) von namhaften Vertretern angesprochen. Auch die Auseinandersetzung mit den neuen Erkenntnissen der Bezugswissenschaften, allen voran mit der linguistischen Pragmatik (Hüllen) stand an. Erstmals gab es eine Veröffentlichung ausgewählter Vorträge in einer Buchpublikation (Hüllen 1973). Im gleichen Jahr vollzog sich eine weitreichende Veränderung beim Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verband ( ADNV ). Der historisch an die Höheren Schulen gebundene ADNV wurde auf Initiative von W. Hüllen und F. J. Zapp umbenannt in „Fachverband moderne Fremdsprachen“ ( FMF ), was eine Öffnung für alle Schultypen und Institutionen bedeutete. Damit wurden implizit auch die Weichen gestellt für eine fortschreitende Anerkennung der 19 Cf. die aktuelle Selbstdarstellung der GAL unter http: / / www.gal-ev.de: „Die GAL e. V. bündelt Aktivitäten und Initiativen, die sich auf die Erforschung und Optimierung von Kommunikationsprozessen in alltäglichen und professionellen Anwendungsfeldern richten: in der Wirtschaft, in Justiz und Verwaltung, im Gesundheitswesen, in Bildungseinrichtungen, in Massenmedien, u. a.“. 20 H. Heuer diskutierte hier das Problem von Unterrichtsexperimenten als Forschungsinstrumentarium und verwahrte sich dadurch gegen den „bissigen“ Vorwurf der „fachdidaktischen Folklore“, mit der „die Arbeitsergebnisse der Fremdsprachendidaktik“ 1971 in der von der AILA herausgegebenen International Review of Applied Linguistics (IRAL) pauschal verunglimpft worden waren (Heuer 1973, 70). 28 Krista Segermann fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit als Leitziel des gesamten Fremdsprachenunterrichts. 21 1974: 6. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und Studienseminaren der Bundesrepublik Deutschland ( PH in Freiburg i.B.: M. Pelz) In Freiburg wurden auch die Studienseminare offiziell ins Boot geholt. Die wiederum z.T. publizierten Vorträge (Pelz 1974) spiegeln die Fortsetzung des Bemühens um die Klärung des wissenschaftlichen Selbstverständnisses, vor allem im Verhältnis zu den „Nachbarwissenschaften“ und der Anwendung von deren Erkenntnissen, z. B. der Generativen Transformationsgrammatik. Auch die Methoden-Kontroverse zwischen dem audio-lingual approach und dem cognitive code-learning approach wurde in einem englischen Beitrag angesprochen (cf. Tran 1974). 1976: 7. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studienseminaren (Uni Gießen: H. Christ, H.-E. Piepho) Die Gießener Arbeitstagung wurde in einer „Kongressdokumentation“ festgehalten (Christ / Piepho 1977). 22 Es gab folgende Arbeitsbereiche: Ausbildung von Fremdsprachenlehrern, Beitrag der Fachwissenschaft, Lehrwerk- und Unterrichtsmittelforschung, Unterrichtsmethoden, Spracherwerbsforschung (Fragen der Ausgangs- und Zielsprachenproblematik), Landeskunde. Über allem stand das Bemühen, die unterschiedlichen Traditionen zusammenzuführen. Fast alles, was Rang und Namen hatte, war mit Referaten vertreten. Daneben war auch Raum für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlicher. Indes wuchs der Spaltpilz weiter. In seiner Eröffnungsansprache betonte H. Christ zwar die „beträchtliche Integrationskraft“ der Fremdsprachendidaktik, die nun auch die „Sprachlehrforschung“ und die „Sprachenpolitikforschung“ mit berücksichtige. In seiner ad hoc-Formulierung der drei getrennten Aufgabenbereiche 21 Auch wenn H.-R. Laurien bereits 1970 auf dem Neuphilologentag in Münster festgestellt hatte, dass durch die Einführung des Fremdsprachenunterrichts für alle Schülerinnen und Schüler „der unselige Gegensatz zwischen Gebrauchssprache und Bildungssprache irrelevant erscheint“ (Sauer 1977, 106), war der Meinungsstreit nicht so schnell beendet. In dem Themenheft „Grundsatzfragen der neusprachlichen Didaktik“ der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht von 1975 (Heft 33) wurde eine „Krise der neusprachlichen Didaktik“ beschworen und die Befürchtung geäußert, dass die neuen Effizienzfragen „den Zugang zum pädagogischen Horizont“ verstellen (Petersen, 1975, 3). In seiner bemerkenswerten Entgegnung sieht H. Gutschow in der von Petersen gestellten Frage: „Wie kann die fremde Sprache lebendiges Mittel der menschlichen Kommunikation und Interaktion sein, zugleich aber lehrbar bleiben? “ einen möglichen Ansatzpunkt zur Integration des (künstlichen) Gegensatzes (cf. Gutschow 1975). 22 H. Sauer hat 1977 in einem Beitrag in den Neusprachlichen Mitteilungen , dem Organ des FMF, eine Würdigung dieser Arbeitstagung „in historischer Perspektive“ versucht. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 29 übernahm Christ allerdings eindeutig den Standpunkt der Sprachlehrforschung, indem er dieser „die grundlegende Erforschung der Lehr- und Lernprozesse“ und der Fremdsprachendidaktik die Untersuchung der „Lehrgegenstände“ und der „Lehrmethoden“ zuwies. 23 1978: 8. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren der BRD ( PH Ruhr in Dortmund: H. Heuer, H. Kleineidam, E. Obendiek, H. Sauer) Auch bei der Dortmunder Tagung, an deren Organisation ich selbst beteiligt war, wurde wiederum der Zusammenhalt von „Fremdsprachendidaktik, Sprachlehr- und -lernforschung und angewandter Linguistik“ durch das gemeinsame „Interesse am Fremdsprachenunterricht“ vor den zahlreich erschienenen Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Richtungen beschworen (Heuer 1979, 2). Die Vielfalt der Themen war in drei großen Themenbereichen gebündelt: 1. Fremdsprachen in Schule und Gesellschaft - Begründung, Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts 2. Fremdsprachendidaktische Forschung und unterrichtliche Praxis 3. Ausbildung und Fortbildung von Fremdsprachenlehrern. Bemerkenswert ist der Plenumsvortrag „Zum Wissenschaftsverständnis der Fremdsprachendidaktik“ von R. M. Müller. 24 Er definierte die Fremdsprachendidaktik als „Theorie des Unterrichts“ und sah ihre gesellschaftliche Relevanz in der Verbesserung der Verfahren zur Erreichung des Unterrichtsziels, das er als ‚Spracherwerb‘ bezeichnete. Methodisch plädierte er - unter Berücksichtigung der historischen Dimension - für die Sammlung und Beschreibung von vorliegenden Verfahren und deren Theorieansätzen samt Effektivitätserprobung, aber auch für die Entwicklung neuer Verfahren mit Hypothesen über ihre Wirkungen. Die Forderung nach empirischer Erprobung zur Modell- und Hypothesen-Bildung versah er mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass hierbei kein naturwissenschaftlicher Gewissheitsgrad zu erreichen sei. 1981: 9. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren der BRD - Fremdsprachendidaktiker-Kongress (Uni Hannover: C. Gnutzmann, K. Hellwig, F. Jarman, K. Köhring, D. Krohn, M. Siekmann) 23 Der dritte Bereich, die Sprachenpolitikforschung, sollte sich „um die Analyse und Erforschung von Sprachenbedarf, Sprachlernbedürfnissen, Verwendungszusammenhängen, politischen Entscheidungsprozessen“ bemühen (Christ / Piepho 1977, 6). Christ definierte hier sein eigenes Arbeitsfeld und war zudem mit zwei Projekten im oben erwähnten DFG-Schwerpunkt „Sprachlehrforschung“ vertreten. 24 Müller hatte sich schon sechs Jahre vorher in ähnlicher Weise zur Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft geäußert (cf. Müller 1972). 30 Krista Segermann Bei der nächsten Arbeitstagung, die erst drei Jahre später in Hannover stattfand, wurde zum ersten Mal der Begriff ‚Kongress‘ verwendet. Die Organisatoren versuchten wiederum, eine Balance zwischen thematischer Konzentration und Offenheit zu erreichen und boten vier Hauptdiskussionsbereiche an: die „Aufarbeitung der bezugswissenschaftlichen Grundlagen“ der Fremdsprachendidaktik sowie „ihrer gesellschaftspolitischen Beziehungen“, die „Erforschung und Ausrichtung von Fremdsprachenunterricht“ und die „Vor- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern“ (Gnutzmann 1982, 274). In seiner Rückschau auf den Kongress nahm K. Hellwig eine betont vermittelnde Position ein, indem er die Ansicht vertrat, die Fremdsprachendidaktik befinde sich in einer „Zeit der Konsolidierung“, „der Aufarbeitung von Anregungen, des Zurechtrückens von Zu-wenig-Bedachtem und Vereinseitigungen, des Einlösens von Versprechungen in solider Detailarbeit und des Verknüpfens von Neuem mit Bewährtem“ (273). 1983: 10. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Studien- und Bezirksseminaren ( RWTH Aachen: J. Donnerstag, A. Knapp-Potthoff) Die Organisatoren entschieden sich gegen eine thematische Systematisierung und boten in den Sektionen und Arbeitsgruppen ein breites Spektrum der unterschiedlichsten Themen an, wobei die derzeit im Fokus der Diskussion stehenden methodischen Probleme überwogen. 25 Neben dem Unterricht in einzelnen Bereichen (Fachsprache, Hauptschule, berufsbildende Schule) wurden auch konkrete methodische Konzepte (Prinzip der Einsprachigkeit, Interaktive Verfahren, Freinet-Techniken) oder der Einsatz von Spielen, Rätseln, Filmen erörtert. Daneben standen Diskussionen zur Motivation, zur Literatur (Textzentrierung vs. Leserzentrierung) und Landeskunde (Stereotypen). Der Theorieaspekt war mit Themen wie „Grundfragen der empirischen Fremdsprachenforschung“, „Neuropsychologische Grundlagen des Fremdsprachenerwerbs“, „Spracherwerbsforschung zwischen Empirie und theoretischer Modellbildung“ oder „Normen im gesteuerten Fremdsprachenerwerb“ besetzt, und zwar vor allem von Referenten, die sich als Sprachlehrforscher verstanden (u.a. J. Vollmer, R. S. Baur, F. G. Königs). Zum ersten Mal wurde auch im fachpolitischen Diskurs Stellung bezogen, indem die Abschlussveranstaltung ein „Manifest zur Fremdsprachendidaktik und ihrer gegenwärtigen Lage“ verabschiedete. 1985: 11. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Hochschulen und Ausbildungsseminaren (PH Ludwigsburg: H. Melenk, J. Firges, G Nold, R. Strauch, D. Zeh) 25 Dies geht wahrscheinlich auch auf den Einfluss von R. M. Müller und W. Butzkamm, dem alten und dem neuen Aachener Lehrstuhlinhaber, zurück, obwohl beide nicht als Organisatoren in Erscheinung traten. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 31 Die Organisatoren der in der Publikation als ‚Kongress‘ ausgewiesenen Tagung entschieden sich für vier unverfängliche Rahmenthemen: Region (Regionalsprache, regionale Literatur, regionale Stereotypen), Drama (Perspektiven des Dramatischen bei der Vermittlung von Sprache und Literatur im Fremdsprachenunterricht und -studium), Politik (Die politische Dimension der Fremdsprachen und des Fremdsprachenunterrichts), Spracherwerb. 26 1987: 12. Fremdsprachendidaktiker-Kongress: Die Beziehung der Fremdsprachendidaktik zu ihren Referenzwissenschaften ( TU Braunschweig: P. Doyé, H. Heuermann, G. Zimmermann) Der Kongress in Braunschweig konzentrierte sich erstmalig auf ein einziges Rahmenthema, das systematisch erschlossen werden sollte. Neben der Erörterung der traditionell als Bezugswissenschaften ausgewiesenen Gruppe der Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, Landeskunde / Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft / Allgemeinen Didaktik standen auch die interdisziplinären Bezüge zu Psychologie, Politologie und Soziologie, zu Psycholinguistik und zur Medienwissenschaft zur Diskussion. 27 Der Fokus lag auf der Abgrenzung und der Betonung der Eigenständigkeit der Fremdsprachendidaktik als wissenschaftliche Disziplin, die inzwischen eindeutig an Selbstbewusstsein gewonnen hatte. 4. Die parallelen Frühjahrskonferenzen (seit 1981) Mit dem Selbstverständnis der Disziplin und ihrer Methodologie beschäftigte sich inzwischen ein anderer exklusiver Kreis, der sich unter der Führung von K.-R. Bausch, H. Christ, W. Hüllen und H.-J. Krumm 1981 als sog. „Frühjahrskonferenz“ im idyllischen Rauischholzhausen etabliert hatte und der dort bis heute jährlich vorwiegend forschungsmethodische Fragestellungen diskutiert. Dazu werden Statements der geladenen Teilnehmer auf vorgegebene Leitfragen eingefordert, die dann unter dem Titel „Arbeitspapiere der [xten] Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts“ veröffentlicht werden. 28 26 Cf. die Angaben in: Sowiport. Das Portal für die Sozialwissenschaften. http: / / sowiport. gesis.org. 27 Cf. http: / / sowiport.gesis.org. 28 Die Frühjahrskonferenzen von 1982 bis 2015 behandelten folgende Themen: Lernerzentriertheit - Inhalte - Empirie - Richtlinien - Lehrperspektive, Methodik und Methoden - Sprachbegriffe - Fortschritt und Fortschritte - Institutionelle Bedingungen - Ausbildung von Fremdsprachenlehrern - Texte - Sprachenpolitik - Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse im Spannungsfeld von Steuerung und Offenheit - Interkulturelles Lernen - Erwerb und Vermittlung von Wortschatz - Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven - Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr- 32 Krista Segermann Die Leitfragen der 1. Konferenz von 1981 lauteten: „Wie definieren Sie den methodischen Ansatz Ihrer eigenen wissenschaftlichen Disziplin? Wo sehen Sie das größte wissenschaftsmethodische Defizit bei der Erforschung des Fremdsprachenunterrichts? “ (Bausch et al. 1981, 1). Es lohnt sich, auf diese Papiere etwas näher einzugehen, weil sie ein authentisches Zeugnis ablegen für das intellektuelle Ringen jener Jahre um eine eigenständige wissenschaftliche Fremdsprachendidaktik. So provozierten die in ihrer brüsken Direktheit fast naiv anmutenden Fragestellungen eine sicherlich gewollte Klarstellung von Positionen bezüglich der ‚Wissenschaftlichkeit‘ der Disziplin. Es war vor allem das Problem des Praxisbezuges, an dem sich die Geister schieden. Hier einige Beispiele für die kontroversen Standpunkte: K.-R. Bausch (Seminar für Sprachlehrforschung Bochum) zählte die „sog. Verwertbarkeitsperspektive“ als einen der „für das Konsolidierungsstadium unserer Disziplin typischen Problembereiche“ auf, die „von zufriedenstellenden Lösungsvorschlägen (noch weit) entfernt“ seien (op.cit., 13). I. Ch. Schwerdtfeger (Seminar für Sprachlehrforschung Bochum) stellte die Frage, „wie weit alle unsere Ergebnisse sofort in Anweisungen für Unterrichtshandeln einmünden müssen / sollen“ und monierte den dadurch entstehenden ungerechtfertigten Erwartungsdruck (op.cit., 108). 29 G. List (Universität Landau) wandte sich gegen ein Verständnis von Praxisorientierung, das sich auf die Registrierung „vermeintlich objektiver“ „Ist-Zustände“ beschränkt, „um diese dann in einem nachgeordneten Schritt nach Belieben mit jeweils bevorzugten Instrumenten zu bearbeiten“ (op.cit., 75). H. J. Krumm (Universität Hamburg) vertrat die Meinung, „beim derzeitigen Zustand des Fremdsprachenunterrichts“ sei eine „empirische Forschung […] vordringlich, die sich durch ihre Handlungsrelevanz für den heutigen Fremdsprachenunterricht legitimiert“. Forschung helfe, „Alternativen zur bestehenden Unterrichtspraxis zu entwickeln, indem die Analyse der Wirklichkeit des forschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen - Kognition als Schlüsselbegriff - Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien - Interaktion - Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien - Der GER in der Diskussion - Fremdsprachenlehrerausbildung: Konzepte, Modelle, Perspektiven - Mehrsprachigkeit im Fokus - Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand - Aufgabenorientierung als Aufgabe - Textkompetenzen - Fremdsprachenlernen erforschen: sprachspezifisch oder sprachenübergreifend? - Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung - Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick - Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik - Sprachenbewusstheit - Identität und Fremdsprachenlernen - Perspektiven der Mündlichkeit - Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen (1996 gab es eine Zwischenbilanz und Perspektiven und 2011 einen Rück- und Ausblick). 29 Siehe auch ihre Äußerungen in: Schwerdtfeger 1984. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 33 Fremdsprachenunterrichts zu ‚Maßnahmenhypothesen‘ im Hinblick auf Veränderungen führt“. Vorerst beträfen „solche Maßnahmenhypothesen“, die „im Rahmen von Pilotstudien auf ihre Machbarkeit und ihre Wirkungen“ zu überprüfen wären, allerdings nur „partikulare Aussagen“ (op.cit., 62-64). F.-R. Weller meldete als Wunsch aus der ‚Praxis‘ die Beantwortung der Frage an: „Wie können wir für den Fremdsprachenunterricht zu mehr wissenschaftlicher Erkenntnissicherheit kommen? “ (op.cit., 130). H. Heuer (Universität Dortmund) stellte in seinem Statement unter dem abschließenden Punkt „Wissenschaft zwischen Grundlagen- und Zweckforschung“ unmissverständlich und mit warnendem Unterton 30 fest: „Ohne verwendungsfähige Ergebnisse wird sich die Universitätsforschung zum Fremdsprachenunterricht immer weiter vom Fremdsprachenunterricht entfernen. Auf der Ebene der schulnahen Curriculumentwicklung und der 2. Ausbildungsphase wird eine Ersatzforschung auftreten, die einem doktrinären Praktizismus erliegen könnte“ (op.cit., 49sq.). Einig waren sich wohl alle Teilnehmer darin, dass die empirische Forschung intensiviert und methodisch auf ein befriedigendes wissenschaftliches Niveau angehoben werden musste. Wie schwierig dieses Postulat umzusetzen sein würde, war ebenfalls allen bewusst. Hier einige Stellungnahmen dazu. A. Barrera-Vidal sprach von einem „Wechselverhältnis zwischen ‚reiner‘ Beobachtung der Realität, Theoriebildung und Rückkoppelungseffekt auf eben diese Realität“ (op.cit. 5) und exemplifizierte dies am Problem der Lehrwerkkritik. Als besonders „dringendes Desiderat“ an die Forschung nannte er die Klärung des Verhältnisses „zwischen dem neuen Prinzip einer kommunikativen Progression und den traditionellen Grundsätzen einer lexikalischen und grammatischen Progression“. Hier gelte es, „klare und begründete Antworten zu geben“ (op.cit., 8sq.). K.-R. Bausch mahnte die Entwicklung und Erprobung eines dem Fremdsprachenunterricht und seiner „Faktorenkomplexion“ angemessenen „differenzierten und vielfältigen Untersuchungsinstrumentariums“ zu „Datenerhebungs-, Beschreibungs- und Auswertungsverfahren“ an (op.cit., 16). 30 Aus meiner heutigen Sicht hat sich diese Warnung leider voll und ganz bestätigt. Heuer hatte sich schon 1978 mit gleicher Deutlichkeit artikuliert: „Die Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft ist verpflichtet(! ), ihre Arbeitsergebnisse auf Verwendung in der Schulwirklichkeit zu prüfen und sie in Form von Methodiken zu formulieren. […] Die methodischen Empfehlungen der Fremdsprachendidaktik prüfen nicht, wie in der Forschung, die Richtigkeit von Hypothesen, sondern machen Aussagen im Sinne einer Entscheidungstheorie für die Effektmaximierung, d. h. Brauchbarkeit einer Handlung, deren Aufwand und Machbarkeit auf das Erreichen eines pädagogischen Zieles bezogen sind“ (Heuer 1978, 95). 34 Krista Segermann L. Bredella wies auf die Gefahr einer „Verabsolutierung des empirisch-analytischen Erkenntnisideals“ hin, das die „Äußerungen der Lernenden“ als „Reflexe äußerer Bedingungen“ deute, anstatt sie als „Handlungen“ mit „Sinnanspruch“ zu verstehen (op.cit., 32sq.). H. Heuer plädierte für eine „empirisch-hermeneutisch angelegte Methode zur Untersuchung einzelsprachspezifischer Lernvorgänge“, wobei die „intuitiv angenommenen Wahrscheinlichkeiten“ und die „Daten der im Lernprozess sichtbaren und beobachtbaren Sprachoberfläche“ miteinander zu korrelieren seien (op.cit., 47). J. House-Edmondson forderte die Erarbeitung einer „ Theory of Learning “, in der „die Spannung zwischen beobachtbarem Verhalten und kognitiven Strukturen und Prozessen […] sinnvoll gelöst werden“ müsse. Sie sprach sich außerdem für „qualitative Forschungsmethoden, insbesondere Fallstudien“ in „ real life situations “ aus (op.cit., 53sq.54). W. Hüllen strebte eine „Korrelation von Modellaussagen mit Wirklichkeitsbeobachtungen“ an, die „didaktisch in Handlungsanweisungen auf mehreren Abstraktionsstufen der Unterrichtsplanung wiederkehrt“ (op.cit., 60). H. J. Krumm konstatierte: „Forschung schafft empirische Grundlagen für Sprachlehr- und Spracherwerbstheorien, soweit diese Empirie nicht auf völliger Reduktion der unterrichtlichen Komplexität beruht, sondern Lernsituation und Lernkontext einbezieht“ (op.cit., 63). G. List machte auf die erkenntnistheoretische Notwendigkeit aufmerksam, den empirischen Zugriff auf seine (subjektiven) Bedingtheiten zu prüfen, Empirie also immer als eine „kritische Form der Erkenntnisgewinnung“ zu betrachten. Unter „Grundlagenforschung“ verstand sie die Thematisierung der „praktisch-funktionellen Implikationen grundlegender Erwerbsprozesse“, einschließlich der „Implikationen, die die Forschung selbst für solche Prozesse mit sich bringt“ (op.cit., 75). R.-M. Müller plädierte für einen „kritischen“ Forschungsansatz, „bei dem immer schon gegebene Theorien oder Theorieansätze mit ihren wissenschaftlichen, vorwissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Begründungen für fremdsprachenunterrichtliche Handlungsanweisungen auf ihre logische Schlüssigkeit (und die Haltbarkeit ihres implizierten Gewissheits- und Verallgemeinerungsgrades) diskutiert werden“ (op.cit., 79). H. J. Vollmer warnte vor der unkritischen Übernahme methodischer Verfahren der empirisch-analytischen Sozialforschung. Diese müssten vielmehr „in ihrer Angemessenheit“ „für den komplexen Wirkungszusammenhang FU “ „überprüft und konkret in ihrer jeweils begrenzten Reichweite und Erklärungskraft offen gelegt werden“ (op.cit., 124 und 128). 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 35 Aus allen Papieren spricht eindeutig das Bewusstsein von der Größe der Herausforderung, die eine wissenschaftliche Erforschung des Fremdsprachenunterrichts darstellt. Es war abzusehen, dass die unterschiedlichen Positionen, die sich vor allem aus den verschiedenen Traditionssträngen erklärten, nur schwer miteinander in Einklang zu bringen waren. 31 Einige Vertreterinnen und Vertreter der Sprachlehrforschung gingen denn auch nach wie vor unverhohlen auf Konfrontationskurs. So verstieg sich K.-R. Bausch 1988 in einem Lexikonbeitrag, der paradoxerweise wohl auf Verlangen der Herausgeber mit „Fremdsprachendidaktik“ überschrieben war (Bausch 1988, 1730) zu der Behauptung, „die Sprachlehrforschung (sei) aus der Kritik an den wissenschaftsmethodischen Unzulänglichkeiten der herkömmlichen Fremdsprachendidaktik (und zum Teil auch der angewandten Linguistik) hervorgegangen“. Er begründete diese ‚Unzulänglichkeiten‘ mit dem „evidenten Defizit an empirischer Grundlagenforschung“ (1729). 5. Die DGFF und ihre Fremdsprachendidaktiker-Kongresse Entscheidend für die weitere Entwicklung der Fremdsprachendidaktik war die Gründung der DGFF , der „Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“, die nicht - wie auf dem Braunschweiger Kongress von 1987 vereinbart - auf dem folgenden Fremdsprachendidaktiker-Kongress 1989 in Hamburg, sondern bezeichnenderweise schon 1988, und zwar auf der 8. Frühjahrskonferenz beschlossen wurde. H. Sauer, der selbst involviert war, referiert das Ereignis wie folgt: Nach Vorgesprächen zunächst im Kreise von Fremdsprachendidaktikern, die an der Organisation der Arbeitstagungen beteiligt waren, wurde auf der Frühjahrskonferenz 1988 der Beschluss gefasst, eine „Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung“ zu gründen. Durch das Zusammenwirken von Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung sollten deren Gewichte im Kontext der forschungsbetonten Wissenschafts-Organisationen 32 und der Lehrerbildung gestärkt werden und die ohne eine Organisation durchgeführten Arbeitstagungen der Fremdsprachendidaktiker, die sich zu beachtlichen Kongressen entwickelt hatten, auf eine organisatorische Basis 31 Ein derartiger Versuch war schon ein Jahr zuvor, auf dem FMF-Kongress in Hamburg 1980, gescheitert. Dort hatten die vier Initiatoren der späteren „Frühjahrskonferenz“ zu einem „Werkstattgespräch“: „Zum Wechselverhältnis von Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik“ eingeladen, das sich jedoch lediglich auf vorgegebene Statements der vier Autoren stützte und daher weder gegenseitiges Verständnis noch gar größere Annäherung brachte. 32 Hervorhebungen von der Autorin. 36 Krista Segermann gestellt werden. Dies sollte unbedingt in guter Nachbarschaft mit dem FMF und anderen Organisationen geschehen und den Einsatz des FMF auf der Ebene der Schulen durch den der DGFF auf der Ebene der Hochschulen und Universitäten ergänzend verstärken. Am 18. Februar 1989 wurde die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung ( DGFF ) in der Universität Essen nach vorangegangenen Gesprächen in erweitertem Kreise von der Initiativgruppe - W. Hüllen, G. Lauerbach, D. Möhle, H. Sauer, J.-P. Timm, H. J. Vollmer, G. Zimmermann - durch einen förmlichen Beschluss gegründet. Sodann wurden eine erste Mitgliederversammlung und Wahlen für einen vorläufigen Vorstand und Beirat durchgeführt. Ergebnis: Prof. Dr. Werner Hüllen (1. Vorsitzender), Prof. Dr. Dorothea Möhle (2. Vorsitzende), Prof. Dr. Helmut Sauer (Schatzmeister) (Sauer o. J.). Die vorgezogene Gründung erklärt sich wohl aus der Tatsache, dass man mit W. Hüllen einen integrierenden Vermittler gefunden zu haben glaubte, der die „historisch bedingte Zersplitterung“ (in Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung) „unter dem Namen ‚Fremdsprachenforschung‘“ zusammenführen könne. 33 Außerdem drängte die Zeit, den Vertreterinnen und Vertretern der Fremdsprachen endlich ein offizielles Forum zu geben, um die Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Relevanz in der öffentlichen Wahrnehmung einzufordern - 20 Jahre nach der Aufbruchsstimmung der 70er Jahre, die ohne nennenswerten Prestigegewinn verflogen waren. Doch wurden - in meiner Sicht - die Weichen hier leider falsch gestellt. Sie liefen nämlich eindeutig in Richtung ‚Forschungsbetonung‘ - was sich nicht zuletzt im Namen dokumentiert - auf Kosten der Praxisrelevanz. Eine bis heute andauernde Entfremdung zwischen der wissenschaftlichen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts und dessen Verbesserung in der Praxis war die unvermeidliche Folge, wie sich anhand der weiteren Entwicklung zeigen lässt. 34 Es steht zu vermuten, dass die fehlende Relevanz auch den staatlichen Geldgebern damals schon nicht verborgen blieb. Eine der ersten offiziellen Aktivitäten der neuen DGFF war das Verfassen einer „Denkschrift zur Neuorientierung der Fremdsprachenlehrerausbildung in der Bundesrepublik Deutschland“ durch eine Arbeitsgruppe 35 . Die hier erhobenen Forderungen nach mehr finanziellen Mitteln verhallten bis heute ungehört. 33 Cf. W. Hüllen in seinem Vorwort, „ Tour d’horizon “, zum 1. Band der ZFF (1/ 1990, 2). 34 Hüllens Positionierung zugunsten der Wissenschaftsbetonung geht eindeutig aus einer Bemerkung hervor, in der er den „Riss zwischen Forschung und Praxis“ als ein „Phänomen unserer modernen Welt“ bezeichnet, das „in all den Domänen unvermeidbar zu sein (scheint), in denen menschliches Handeln theoriegelenkt erfolgen soll“ (Hüllen 2005, 146sq.). 35 Die Veröffentlichung erfolgte erst 1998 innerhalb eines Sammelbandes mit dem bezeichnenden Titel „Fremdsprachenlehrerausbildung - Reform oder Konkurs“ (Vollmer/ Butzkamm 1998). 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 37 1989: 13. Fremdsprachendidaktiker-Kongress: Sprachen - Tor zur Welt (Universität Hamburg: W. Brusch, P. W. Kahl, H. J. Krumm u. a.) Der 13. Fremdsprachendidaktiker-Kongress in Hamburg war noch in der bisherigen Art organisiert worden, also ohne Rückhalt durch einen offiziellen Verein. Die Hafenstadt feierte gerade ihren 800. Geburtstag, und der Kongress widmete sich - getreu dem genius loci - der gesellschaftlichen Relevanz bzw. der „Bedeutung des Fremdsprachenlernens in einer auf Verständigung und Zusammenarbeit angewiesenen Welt“ (Brusch 1989a, 5). Einer der Hauptvorträge trug denn auch den Titel: „Fremdsprachen und Beruf im vollendeten europäischen Binnenmarkt“. Die DGFF trat mit einer Podiumsveranstaltung zum Thema „Fremdsprachenforschung und öffentliches Interesse“ (unter der Leitung von W. Hüllen) sowie mit ihrer ersten Mitgliederversammlung in Erscheinung. Außerdem wurde die Gründung einer eigenen Zeitschrift als offizielles Publikationsorgan der DGFF beschlossen. Die „Zeitschrift für Fremdsprachenforschung“ ( ZFF ) 36 erscheint seit 1990 in ununterbrochener Folge und dient bis heute der „begründeten Selbstdarstellung“ 37 der DGFF . Der leitende Redakteur, R. S. Baur, wurde als weiteres ständiges Mitglied in den Vorstand berufen. Die mit Hilfe der Zeitschrift verfolgte Politik der DGFF konnte ich 10 Jahre lang (von 1992-2002) als Mitherausgeberin erleben. 1991: 14. Kongress für Fremdsprachendidaktik der DGFF : Kontroversen in der Fremdsprachenforschung ( GHS Essen: W. Hüllen) Die Vorbereitung des nächsten, erstmalig von der DGFF veranstalteten Kongresses, nahm drei Jahre in Anspruch, die von heftigen inneren Kontroversen geprägt waren. Es ist nicht zuletzt das Verdienst von H. Heuer, dass der Kongress die unterschiedlichen Positionen noch einmal öffentlich thematisierte. Zwei der sieben Sektionen beschäftigten sich explizit mit wissenschaftsmethodologischen Problembereichen: „Qualitative vs. quantitative Fremdsprachenforschung“ und „Gibt es wissenschaftlich begründbare Kriterien für die Bewertung von Fremdsprachenunterricht? “ Die inzwischen vollzogene deutsche Wiedervereinigung ermöglichte auch den Fremdsprachendidaktikern aus Osteuropa die reguläre Teilnahme. Bei der Neuwahl des Vorstands der DGFF wurden demonstrativ auch Vertreter aus der ehemaligen DDR berücksichtigt: L. Bredella (1. Vors.), H. Barthel / N. Lademann (2. Vors.), M. Wendt (Schatzmeister), R. Baur ( ZFF -Redaktion). Ein Teil der Kongressbeiträge erschien in der von der DGFF herausgegebenen Reihe Beiträge zur Fremdsprachenforschung (Timm 1993). 36 Das 1. Herausgeber-Team bestand aus R. S. Baur (Essen), P. Doyé (Braunschweig), R. Grotjahn (Bochum), W. Hüllen (Essen) und G. Lauerbach (Frankfurt). 37 So W. Hüllen in ZFF 1/ 1990, 2. 38 Krista Segermann Seitdem richtet die DGFF alle zwei Jahre einen „Kongress für Fremdsprachendidaktik“ aus 38 , auf dem auch die Vorstandswahlen erfolgen. 39 Die Vertreter des nächsten Tagungsortes werden jeweils kooptiert. Seit 2003 hat sich ein deutlicher, generationsbedingter personeller Wechsel vollzogen. Die Rahmenthemen der Kongresse von 1993 bis 2012 spiegeln das Bemühen, die Fremdsprachendidaktik an die gesellschaftlichen Problemfelder anzuschließen und die allgemeinen pädagogischen Trends zu bedienen, wie z. B. Interkulturelle Handlungsfähigkeit, Mehrsprachigkeit / Mehrkulturalität, Lernerautonomie / Selbstbestimmung, Ganzheitlichkeit etc.: Verstehen und Verständigung durch Sprachenlernen? - Fremdsprachliches Handeln im Spannungsfeld von Prozess und Inhalt - Fremdsprachen lehren lernen: Lehrerausbildung in der Diskussion - Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität - FU auf dem Prüfstand: Innovation, Qualität, Evaluation - Brücken schlagen: Sprachen, Fächer, Institutionen - Sprachen schaffen Chancen - Sprachen lernen, Menschen bilden - Grenzen überschreiten: sprachlich, fachlich, kulturell - Globalisierung, Migration, Fremdsprachenunterricht - Das Lehren und Lernen von Sprachen im Spannungsfeld von Bildung und Ausbildung. 6. Fremdsprachendidaktik als wissenschaftliche Disziplin heute 6.1 Bilanz der historischen Entwicklung Wohin hat die Entwicklung der Fremdsprachendidaktik geführt? Ist der Anspruch der Aufbruchsjahre, eine Theorie des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs zu entwickeln, die konkrete Auswirkungen auf die Praxis des Fremdsprachenunterrichts hat, aufgegeben worden, weil er als überzogen angesehen wurde? Wenn dem so ist, so würde ich mich nicht scheuen, von einer historischen ‚Fehlentwicklung‘ zu sprechen. 38 1993 Gießen - 1995 Halle a.d.Saale - 1997 Koblenz - 1999 Dortmund - 2001 Dresden - 2003 Frankfurt - 2005 München - 2007 Gießen - 2009 Leipzig - 2011 Hamburg - 2013 Augsburg - 2015 Ludwigsburg. 39 Die 1. und 2. Vorsitzenden waren von 1993 bis 2015: W. Zydatiß und H. Vollmer, W. Zydatiß und G. Schmid-Schönbein, G. Schmid-Schönbein und F. Klippel (2x), M. Legutke und M. Schocker-von Ditfurth, J. Quetz und A. Hu, A. Hu und J. Quetz (2x), A. Hu und K. Schramm, D. Caspari und N. Marx (2x), L. Schmelter und K. Vogt (ab 2015). 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 39 6.1.1 Verengung des Forschungshorizontes Der Kurs, der mit der Gründung der DGFF und ihrer Zeitschrift ZFF eingeschlagen wurde, hat zu einer Verengung des Forschungshorizontes auf empirische Untersuchungen geführt. 40 Für theoretische Forschung war in diesem Selbstverständnis kein Platz mehr. ‚Forschung‘ als prestigeträchtiger Begriff ist eindeutig im Sinne von research verstanden worden. Dabei wurde unterschlagen, dass research nur einen Aspekt einer angewandten wissenschaftlichen Disziplin darstellt. In den britischen Applied Linguistics ist dieser Bereich z. B. innerhalb einer Trias von theory, practice und research angesiedelt und steht hier für den Bereich der empirischen Forschung (Littlewood 1991). Eine Wissenschaft, die jedoch ausschließlich auf empirische Forschung setzt und den Aspekt der Konzeptbildung, der Explizierung einer auf stringenten Hypothesen beruhenden Theorie ignoriert, begibt sich eines Regulativs, ohne das die Empirie blind und richtungslos bleibt und vor allem keine Impulse für innovative Handlungsempfehlungen geben kann. Ohne einen theoretischen Bezugsrahmen gerät die für den Fremdsprachenunterricht typische Wechselwirkung von Lehren und Lernen als Gegenstand der Erforschung aus dem Blick. 41 Symptomatisch dafür ist der Grundsatzartikel „Die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung ( DGFF ) stellt sich vor“ von 2001, in dem F. Klippel und G. Schmid-Schönbein 42 zwischen zwei „großen Bereichen der fremdsprachendidaktischen Forschung“ unterscheiden, nämlich den „fremdsprachlichen Lernprozessen“ einerseits und der „Fremdsprachenlehrmethode“ andererseits (Klippel, Schmid-Schönbein 2001, 3sq.). Zwar werden unter „Forschungsmethoden“ neben den empirischen Untersuchungen auch „Grundlagenforschung und Theoriebildung“ flüchtig erwähnt, doch wenn konkret vom „Stand der Theoriebildung zum Fremdsprachenlernen“ die Rede ist, so werden darunter offensichtlich empirische Forschungsergebnisse zu Einzelaspekten verstanden, wie z. B. den individuellen „Lernvoraussetzungen und Lernstrategien“ oder der „Lernersprachenforschung“ sowie zu den Bereichen „Lese- und Hörverstehen“, „Wortschatzerwerb“, „autonomes Lernen“, „interkulturelles Lernen“ und „Informationstechnologie 40 Auch wenn nicht alle am Fremdsprachenunterricht Interessierten mit der Politik der DGFF einverstanden waren und sind, so kann man doch sagen, dass diese Gesellschaft, wenn nicht den mainstream , so doch auf jeden Fall das offizielle Gesicht der Fremdsprachendidaktik repräsentiert. 41 Der Verzicht auf diese Wechselwirkung und die Fokussierung allein auf das Lerngeschehen kennzeichnet auch die bekannten sog. Hypothesenmodelle wie die Kontrastivitäts- Hypothese, die Identitäts-Hypothese, die Interlanguage -Hypothese, die Universalien-Hypothese, die Monitor-Hypothese, die Discourse -Hypothese, die Acculturation -Hypothese, die Konstruktivismus-Hypothese, die Natural-Order -Hypothese, die Input -Hypothese, die Affective-Filter -Hypothese etc. 42 Die Autorinnen hatten von 1999 bis 2003 den Vorsitz in der DGFF inne. 40 Krista Segermann als Lern- und Unterrichtshilfe“. Neben Problemen aus der Lernerperspektive werden auch Einzelaspekte aus der bisher vernachlässigten Lehrerperspektive als Forschungsgegenstände erwähnt, wie z. B. „das Erfahrungswissen und die subjektiven Theorien von Fremdsprachenlehrkräften“. Der bis in die 90er Jahre kontinuierlich erhobene Anspruch, einen Beitrag zu leisten „zur Entwicklung einer integrierten Theorie des Fremdsprachenunterrichts und zur begründeten Konsolidierung bzw. Veränderung der Unterrichtspraxis (Bausch / Krumm 1989, 11sq.), taucht hier nicht mehr auf. 43 Stattdessen wird unter „Fremdsprachenlehrmethode“ auf die Ergebnislosigkeit der „vergleichenden Studien zur Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden“ in den 60er und 70er Jahren verwiesen und daraus der Schluss gezogen, dass „der Glaube an die Existenz der idealen Lehrmethode zu Recht“ schwindet. Die Argumentation zeugt von einem fatalen Missverständnis, indem die ursprünglich anvisierte ‚Unterrichtstheorie‘ nun auf konkrete ‚Vermittlungskonzepte‘ verkürzt wird. Der diskreditierte Begriff des ‚Vermittlungskonzepts‘ scheint eine plausible Distanzierung der auf wissenschaftliche Dignität dringenden Forschung von den Erfordernissen der Praxis zu erlauben. Die Horizontverengung könnte nicht offensichtlicher sein. Hatte R. M. Müller 1978 im Hinblick auf die grundsätzliche Verantwortlichkeit der jungen wissenschaftlichen Disziplin gemeint: „Für eine große, revolutionierende Rolle in der Gestaltung der Praxis ist die Fremdsprachendidaktik noch 44 nicht entwickelt genug“ (Heuer 1979, 143), so sucht F. Königs sich 35 Jahre später aus dieser Verantwortung herauszuwinden, indem er argumentiert, die heutzutage geltende „individualistisch geprägte Vorstellung von fremdsprachlichem Lernen“ lasse sich nicht mehr vereinbaren mit dem „in Vermittlungskonzepten unvermeidlich hohen Anteil an überindividuellen Gemeinsamkeiten“. Deshalb sei „aktuell nicht mit vermittlungsmethodischen Neuentwicklungen zu rechnen“. Allerdings fügt Königs dann doch hinzu, dass „die Absenz dieses Themas in der Forschung […] sicher nicht dazu führen sollte, dieses Themenfeld in der Ausbildung 45 von Fremdsprachenlehrern unbesetzt zu lassen“ (Königs 2013, 13). 46 Das Erkenntnisziel der fremdsprachendidaktischen Forschung und die gesamte Entwicklung der letzten 50 Jahre werden vollends 43 Auch in der „vollständig neu bearbeiteten“ Auflage des Handbuchs Fremdsprachenunterricht von 2003 ist in dem gemeinsamen Artikel „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung“ von Bausch, Christ und Krumm nur mehr die Rede von Forschungsfeldern, die sich spezifischen Einzelproblemen widmen (Bausch / Christ / Krumm 2003, 5). 44 Hervorhebung von der Autorin. 45 Hervorhebung von der Autorin. 46 Die hier erfolgte Zweiteilung der Fremdsprachendidaktik in Forschungsdisziplin einerseits und Ausbildungsdisziplin andererseits ist bemerkenswert. Sie war jedoch schon angelegt in den Bemerkungen von H. Christ auf der 7. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker von 1976 (cf. Kapitel 3) und wurde auch durch die Themenstellung der 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 41 ad absurdum geführt, wenn Königs fortfährt: „Allerdings müssen wir dabei einräumen, dass wir gesicherte Aussagen über den Effekt einzelner Methoden oder auch anderer unterrichtlicher Entscheidungen 47 auf den fremdsprachlichen Lernvorgang nicht wirklich belegen, sondern allenfalls vermuten können“ (ibid.). Dass dieses Eingeständnis im Grunde eine Bankrotterklärung der fremdsprachendidaktischen Disziplin (und nicht nur der Sprachlehrforschung 48 ) ist, scheint dem Autor seltsamerweise überhaupt nicht bewusst zu werden. Wie ist das möglich? War man nicht angetreten, die „weitgehend rezeptologische [und auf „erfahrungsgeronnenen Handlungsanweisungen“ basierende] Fremdsprachendidaktik durch empirische Forschung und aus ihr abgeleitete begründete Empfehlungen für die Verbesserung des Fremdsprachenunterrichts zu ersetzen“ (op.cit., 8-10) 49 ? 6.1.2 Irrelevanz der empirischen Fragestellungen Die Erklärung könnte in der Art der empirischen Forschung liegen, wie sie die Disziplin in ihrer Gesamtheit, allen voran die DGFF , zum Ausweis ihrer Wissenschaftlichkeit in den letzten Jahrzehnten betrieben hat. Königs merkt dazu selbstkritisch an, dass die Untersuchungsmethoden kein Selbstzweck sind, sondern „in konsequentem Bezug zum untersuchten Gegenstand diskutiert, hinterfragt, ggf. erweitert oder entwickelt werden“ müssen (op.cit., 19). Das war eigentlich immer das Credo auch der Sprachlehrforschung gewesen, nämlich „Probleme aus der Praxis (aufgreifen), der systematischen und integrativen Erforschung (zuführen) und wieder in die Praxis (einbringen) (Bausch / Krumm 1989, 9). Zweifel an der Verwirklichung dieser Forderung wurden allerdings schon in den 80er Jahren laut, und zwar ausgerechnet innerhalb der Sprachlehrforschung, in der es zu einer polemisch aufgeheizten wissenschaftsmetho- Frühjahrskonferenz von 1997 in den Blick genommen: „Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen“. 47 Hervorhebung von der Autorin. 48 Nach der Meinung von Sprachlehrforschern ist die Unterscheidung inzwischen obsolet geworden, da die Sprachlehrforschung, nachdem sie „das Wissenschafts- und Forschungsverständnis der Fremdsprachendidaktik transformiert hatte[sic! ], zugleich aber auch in ihr aufgegangen ist“ (Hallet / Königs 2010, 12). Königs formuliert es so: „Die Abgrenzungsversuche zwischen traditioneller Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung verschwimmen angesichts eines Wandels der Fremdsprachendidaktik in Richtung auf eine empirische Disziplin“ (Königs 2013, 11). 49 Königs griff hier auf die schon zitierte Formulierung aus der Zwischenbilanz des Koordinierungsgremiums von 1977 zurück, cf. Kapitel 2. 42 Krista Segermann dologischen Kontroverse kam. 50 Die sog. Bielefelder Gruppe 51 , die sich der Zweitsprachenerwerbsforschung 52 zugewandt hatte, griff die von den Sprachlehrforschern um K.-R. Bausch vertretenen empirischen Forschungsmethoden heftig an, indem sie vor allem deren unterrichtliche Relevanz in Frage stellte. E. Zöfgen behauptete, dass es den von der Sprachlehrforschung vorgelegten Arbeiten „generell an Praxisrelevanz mangelt“, obwohl diese Relevanz in den programmatischen Äußerungen immer wieder gefordert werde, so dass „Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander (klaffen)“. Das „Schwanken zwischen grundlagen- und handlungswissenschaftlicher Orientierung“ zeige sich auch in dem „Mangel an problembezogenen, aus dem FU hervorgegangenen Fragestellungen“ (Bausch / Königs 1986, 171sq.). Ob Zöfgens Kritik berechtigt ist, kann durch einen kurzen Blick auf einen Katalog von Fragestellungen verifiziert werden, den Bausch und Königs 1983 vorgestellt haben (Bausch / Königs 1983, 329): - In welcher Situation erscheinen Sprachproduktionen von Lernern spontan und in welchen sind sie beobachtbar auf ‚Außenwirkungen‘ zurückzuführen? - In welcher Weise beeinflussen Lernerreaktionen und Lernerverhalten die Sprache des Lehrers? - Worauf sind Änderungen im geplanten Lehrersprachverhalten zurückzuführen? - Welche emotionalen und affektiven Elemente beeinflussen den Lehrer in seiner Sprachausgestaltung und in seiner Selbsteinschätzung? - Welche emotionalen und affektiven Elemente beeinflussen den Lerner in seiner Sprachausgestaltung und in seiner Selbsteinschätzung? 50 Die Beiträge erschienen 1983 und 1985 in den Neueren Sprachen sowie 1986 in einem von Bausch und Königs herausgegebenen Sammelband. Beteiligt waren E. Zöfgen, G. Henrici (beide aus der sog. Bielefelder Gruppe), H. Wode, K.-R. Bausch und F. G. Königs. Letzterer äußerte sich 1992 noch einmal zu dem Verhältnis von Sprachlehrforschung und Zweitsprachenerwerbsforschung (cf. Literaturverzeichnis). 51 Die von ihnen 1972 gegründete Zeitschrift Bielefelder Beiträge zur Sprachlehrforschung wurde 1987 umbenannt in Fremdsprachen lehren und lernen . Damit war der Bruch manifest. 52 Die Zweitsprachenerwerbsforschung hat ihre Wurzeln in der amerikanischen Second Language Acquisition Research . Sie hatte sich seit den 70er Jahren aus der psycholinguistischen Erforschung des Muttersprachenerwerbs entwickelt und wurde von dort auf die Probleme von Second Language Acquisition und Foreign Language Learning übertragen. Die Arbeitsbereiche betrafen sowohl den Zweitsprachenerwerb als dem mehr oder weniger ungesteuerten Lernen einer fremden Sprache in dem Land, in dem sie Verkehrssprache ist, als auch den Fremdsprachenerwerb als dem unterrichtlich gesteuerten Lernen einer fremden Sprache im eigenen Land. In Deutschland wurde die Zweitsprachenerwerbsforschung maßgeblich von H. Wode und S. Felix vertreten. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 43 - In welchem beobachtbaren Zusammenhang stehen Einstellungen zum FU , fremdsprachliche Leistungsfähigkeit und emotionales Verhältnis zum Lehrer? - In welcher Weise schlagen Erfüllung und Enttäuschung von Erwartungen an den FU auf die Sprachproduktion durch? - Unter welchen Bedingungen beeinflussen Außenfaktoren bestenfalls die Performanz, nicht aber die Kompetenz negativ? - In welcher Weise schlägt die lehrerseitige Berücksichtigung der Lehrpläne und der übergeordneten Lernziele sichtbar auf die Sprachproduktionen von Lehrern und Lernern durch? - In welchem näher beschreibbaren Verhältnis stehen aktive Mitarbeit der Lernergruppe, des einzelnen, Sprachverhalten des Lehrers und ‚Kompetenzgrad‘ der Lerner jeweils zueinander? - In welchem beobachtbaren Zusammenhang stehen Sprachproduktion von Lernern mit nicht-verbalen Reaktionen von Lehrern und Mitlernern? Die hier aufgeworfenen Fragen empirisch zu untersuchen, verspricht in der Tat kaum Lösungsansätze für Probleme, mit denen die Lehrkraft zu kämpfen hat und auch keine Ansätze für innovative methodische Gestaltungsmöglichkeiten. Die Formulierungen sind so allgemein gestellt und z.T. so suggestiv, dass die Antworten (wenn sie überhaupt aufgrund empirischer Datenerhebung gegeben werden können) kaum über allgemein Bekanntes hinauskommen dürften. Die Wirkungen, die hier bewiesen werden sollen, sind in der Mehrzahl nicht einmal spezifisch für den Fremdsprachenunterricht, sondern spielen in jedem Unterricht eine Rolle. 53 Doch Zöfgen ging in seiner Kritik noch weiter, indem er der Sprachlehrforschung vorwarf, ihr wissenschaftsmethodisches Konzept berge die Gefahr in sich, in eine „empiristische Forschungshaltung“ abzugleiten, die sich mit dem „Datensammeln“ und der „paraphrasierenden Deskription von Unterrichtswirklichkeit“ begnügt. Er warnte davor, „dass durch Deskription des ’Ist-Standes’ die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen L2-Lerner überhaupt erst die Befähigung zum erfolgreichen Umgang mit der Fremdsprache erlangen, zunehmend zu einem marginalen Faktor verkümmern“ (Bausch / Königs 1986, 53 Die Fragestellungen sind hauptsächlich zu verstehen aus der Frontstellung gegenüber der nativistisch geprägten Theorie der Zweitsprachenerwerbsforschung, die sich überwiegend an Studien zum Erstspracherwerb und natürlichen Zweitsprachenerwerb orientierte. Diese Positionierung erklärt, warum hier ausschließlich die Rede ist von dem beobachtbaren sprachlichen Verhalten von Lernenden und Lehrenden und von der Beeinflussung dieses Verhaltens ‚von außen‘. 44 Krista Segermann 170sqq.). Der Streit entzündete sich außerdem an der sog. ’Faktorenkomplexion’ 54 , zu der G. Henrici kategorisch feststellte: Die bombastische Forderung nach Erfassung der im Fremdsprachenunterricht wirksam werdenden Faktorenkomplexion sollte aufgegeben werden zugunsten von Zielsetzungen, die bescheidener und empirisch überprüfbar sind. Es geht darum, systematisch und progressiv Teilschritte in einem Gesamtzusammenhang zu entwickeln und abzuarbeiten (Bausch / Königs 1986, 41sq.). Das Bemühen um die eigene Profilierung auf Kosten des Gegners hat hier zweifellos eine Rolle gespielt. Die Fremdsprachendidaktik hat von dieser Auseinandersetzung jedenfalls nicht profitiert, und zwar vor allem deshalb nicht, weil die Bielefelder Gruppe in ihrer eigenen Forschungspraxis dem theoretisch formulierten Anspruch noch weit weniger genügen konnte. Es lohnt sich, hierauf etwas näher einzugehen. Henrici und Zöfgen widmeten sich in einem empirischen Projekt folgender Fragestellung: „Sind kontextuelle Verfahren der Worterklärung den sog. nichtkontextuellen Erklärungen sowohl beim Verstehen als auch beim Behalten überlegen? “ (Henrici / Kostrzewa / Zöfgen 1991). Sieht man von der fragwürdigen methodischen Durchführung ab 55 , so entlarvt sich die Untersuchung allein schon durch ihre Fragestellung als kontraproduktiv, und zwar aus verschiedenen Gründen. Erstens wird ein unterrichtspraktisches Problemfeld suggeriert, das keines ist. Die Autoren beanspruchen, einen Beitrag zur Verbesserung der Praxis zu leisten. In der Praxis bestehe die unbefriedigende Situation, dass die Lehrenden „sich häufig einer ganzen Palette von Explikationsmöglichkeiten“ bedienten, weil die Forschung noch keine „gesicherten Erkenntnisse bereitgestellt“ habe in Bezug auf die „Effizienz bestimmter methodischer Maßnahmen“ (op.cit., 33sq.). Diese Begründung geht von einer Fehleinschätzung der Situation aus. Die Palette von Möglichkeiten, die Bedeutung eines unbekannten Wortes zu erklären, ist in der Tat sehr groß. Sie reicht vom muttersprachlichen oder auch anderssprachigen Äquivalent über Gestik und Mimik oder bildliche Darstellung bis zu Kontext, Definition, Umschreibung, Synonym, Antonym und Ableitung. Nur: Für den Praktiker stellen diese verschiedenen Möglichkeiten kein wirkliches Problem dar. Sie werden vielmehr methodisch genutzt, um die jeweils adäquate, d. h. dem Sprachmaterial, der Unterrichtssituation und der Lerngruppe angemessene Erklärung zu geben. Welche Erklärungsmöglichkeit jeweils am besten ist, 54 Der Terminus stammt aus der pädagogischen Unterrichtsforschung und bezeichnet das Zusammenspiel all jener bestimmenden Elemente, d. h. Faktoren, die beim unterrichtlichen Erwerb einer fremden Sprache eine Rolle spielen können. 55 Die behaupteten „messbaren Vorteile“ des kontextuellen Erklärungsverfahrens sind testtheoretisch nicht haltbar, da das Testergebnis in höchstem Maße widersprüchlich ist. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 45 wird aus Erfahrung entschieden. Es kann gar nicht empirisch ermittelt werden, weil die Bedingungen für die ’beste’ Erklärung von Fall zu Fall variieren. Wir haben es also mit einer typisch irrelevanten Fragestellung zu tun 56 , bei der die Reduzierung der Faktorenkomplexion auf einige Einzelfaktoren in einer Verzerrung der unterrichtlichen Problemlage mündet. Schon in den frühen 80er Jahren wurden gelegentlich unter dem Stichwort „entbehrliche Forschung“ ähnliche Vorwürfe laut. 57 Die hier lauernden Gefahren scheinen der empirischen Unterrichtsforschung als solcher immanent zu sein. Schon Th. W. Adorno bemängelte in Bezug auf die empirische Sozialforschung den „Primat der Methode über die Sache“, so dass die Methode „zum Fetisch zu entarten“ drohe. „Anstelle der Dignität der zu untersuchenden Gegenstände tritt vielfach als Kriterium die Objektivität der mit einer Methode zu ermittelnden Befunde, und im empirischen Wissenschaftsbetrieb richtet sich die Auswahl der Forschungsgegenstände und der Ansatz der Untersuchung […] weit mehr nach den verfügbaren und allenfalls weiterzuentwickelnden Verfahrensweisen als nach der Wesentlichkeit des Untersuchten. Daher die unzweifelhafte Irrelevanz so vieler empirischer Studien“ (Adorno 1976, 514). Die Fremdsprachendidaktik scheint in ihrer Entwicklung dieser Gefahr nur allzu oft erlegen zu sein. 58 Auf jeden Fall konnten die Ergebnisse insgesamt 59 das Versprechen, der Unterrichtspraxis wissenschaftlich fundierte Handlungsanweisungen zu geben, nicht erfüllen. 6.2 Perspektiven für die Zukunft Der eigentliche Grund für die Fehlentwicklung liegt jedoch in einem weiteren verhängnisvollen Missverständnis , das in folgender programmatischen Aussage zum Ausdruck kommt: Erst wenn wir wissen, wie fremdsprachliches Lernen funktioniert, sind wir in der Lage, daraus begründete Vorschläge für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts abzuleiten (Königs 2013, 11). 56 Dass den Verfahren zur Bedeutungserklärung überhaupt ein so prominenter Platz eingeräumt werden kann, hängt mit den gängigen Verfahren zur Erarbeitung eines Lehrbuchtextes zusammen. 57 Cf. die Kontroverse zwischen G. Lauerbauch (1979, 1982) und R. M. Müller (1982) über Wortassoziationsexperimente. 58 Das Prestige der Classroom Research (cf. Henrici 1990) mit ihren vermeintlich verobjektivierenden Verfahren hat von Anfang an auch die Herausgeber der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung dazu veranlasst, Artikeln über derartige empirische Untersuchungen einen a priori Vorrang einzuräumen. Cf. dagegen Adornos eindeutiger Vorbehalt: „Dennoch gebührt den empirischen Verfahren kein Vorrang schlechthin“ (Adorno 1976, 513). 59 Sie standen im Übrigen fast alle unter dem Vorbehalt, nicht verallgemeinerbar zu sein. 46 Krista Segermann Dieses aktuelle Zitat erinnert an die bekannte Formulierung aus der Frühzeit der Sprachlehrforschung, dass es darum gehe, herauszubekommen, „was in den Köpfen von Lernern vorgeht“ (wieder zitiert bei Hallet / Königs 2010, 11). Die Frage muss jedoch in dem Augenblick als grundsätzlich falsch gestellt erscheinen, wo man das unterrichtlich gesteuerte Lernen nicht als eigengesetzlichen Lernprozess begreift, sondern als abhängig von den Bedingungen , die der Unterricht bereitstellt. Die empirischen Ergebnisse der Unterrichtsbeobachtungen können demnach gar nicht zeigen, wie ‚Lernen‘ funktioniert , sondern nur, wie Lernende unter den konkreten Bedingungen des jeweils untersuchten Unterrichtsfeldes agiert haben. 60 Es ist die Wechselwirkung zwischen Lehren und Lernen, die für fremdsprachliche Unterrichtsforschung zentral ist. Sobald diese Tatsache wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt, kommen weitere konstitutive Faktoren in den Blick, die in den letzten 50 Jahren von der Forschung vernachlässigt wurden. 6.2.1 Infrage Stellung tradierter Curriculum-Entscheidungen Fremdsprachlicher Unterricht ist - im Gegensatz zu ungesteuertem Spracherwerb - durch eine Reihe von Entscheidungen geprägt, die alle gleichermaßen in einer systematischen Analyse berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören neben dem methodischen Aspekt (dem Wie der Vermittlung) zuvörderst die sog. curricularen Entscheidungen, die die Zielvorstellung (das Wozu) und den Gegenstand oder Inhalt (das Was) betreffen. Auch wenn die curricularen Entscheidungen durch übergeordnete bildungspolitische Gremien getroffen werden, folgt daraus nicht, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen unterbleiben kann oder darf. Selbst das unterrichtliche Lehr-/ Lernziel , das im Zuge einer gesellschaftlichen Setzung 61 erfolgt, bedarf in seiner Formulierung und Interpretation der wissenschaftlichen Durchleuchtung. 62 Das konsensfähige Ziel des heutigen Fremdsprachenunterrichts kann all- 60 Wo diese Möglichkeit der Beeinflussung verneint wird, wie z. B. in den nativistischen Lerntheorien, verliert die Fremdsprachendidaktik im Grunde ihre Daseinsberechtigung. 61 Diese historisch bedingte Setzung ist abhängig von der jeweiligen geschichtlichen Situation und den sie konstituierenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen und wird in Deutschland durch die Lehrpläne der Kultusministerien der Länder unter Beteiligung von Lehrkräften, Schulen, Vertreterinnen und Vertretern der Pädagogik und der Fachdidaktik als Ausbildungsorganen festgelegt. 62 Cf. die gegenwärtige, aber verspätete Diskussion um den Kompetenzbegriff. Dass die weitreichenden Projekte des Europarats bis hin zum alles dominierenden „Gemeinsamen europäischen Rahmen“ im Grunde ohne Beteiligung der den Fremdsprachenunterricht erforschenden wissenschaftlichen Disziplinen erfolgt ist, wirft im Übrigen ein wenig schmeichelhaftes Licht zumindest auf die deutsche Fremdsprachendidaktik und ihre relativ einflusslose gesellschaftliche Stellung sowie ihr internationales Ansehen. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 47 gemein etwa als „Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit oder Befähigung zur Verständigung im Kontext der fremden Sprache und Kultur“ bezeichnet werden und hat als solches eine prioritäre Funktion. Das Was und Wie des Unterrichts bestimmt sich nach dem, was letztlich erreicht werden soll. Gegenstand oder Inhalt scheinen ebenfalls schon vor allem Unterricht festgelegt zu sein, und zwar von Generation zu Generation tradiert in Lehrplänen und Lehrbüchern. Eine ernsthafte wissenschaftliche Hinterfragung dieser schwerwiegenden curricularen Entscheidungen durch die fremdsprachendidaktische Disziplin ist bis heute unterblieben. Dabei hätte die Entdeckung der sog. „pragmatischen Dimension“ (cf. Hüllen 1973) und die sog. „kommunikative Wende“ (cf. Piepho 1974) der Diskussion über Inhalte neue Impulse geben können, indem sie die Aufmerksamkeit „von dem scheinbar alles auf sich versammelnden Fokus der Syntax auf […] den Sprachgebrauch“ (Hüllen 1973, 96) gelenkt hätte, doch das theoretische wie praktische Festhalten an dem Postulat einer systematischen Progression verhinderte eine voraussetzungslose Neuorientierung. 63 Erinnert sei hier jedoch an das Positionspapier Barrera-Vidals von 1981, der dort die Klärung des Verhältnisses „zwischen dem neuen Prinzip einer kommunikativen Progression und den traditionellen Grundsätzen einer lexikalischen und grammatischen Progression“ als „dringendes Desiderat“ der Forschung angesprochen hatte (cf. Kapitel 4). Die Forschung schwieg, weil curriculare Entscheidungen höchstens in Form von „Lehrwerkkritik“ 64 unter die Lupe genommen wurden, nicht aber als grundsätzlich zu eruierende alternative Möglichkeiten der Auswahl und Stufung des Sprachmaterials. Eine systematische Unterrichtsanalyse 65 muss jedoch genau dort ansetzen, indem sie zuvörderst die Frage nach den sprachlichen Lerneinheiten stellt, die einem Lehrgang zugrunde gelegt, d. h. ausgewählt und in einer bestimmten Reihenfolge oder Stufung präsentiert werden (cf. Segermann 2014a). 63 Eine Systematisierung nach Sprechakten, die mit der ganzen empirischen Fülle von schwer klassifizierbaren Performanz-Faktoren behaftet sind, ist gegenüber der überlieferten Systematisierung von abstrakt zu fassenden grammatischen Erscheinungen von vornherein im Nachteil (cf. Segermann 2007). 64 Diese Lehrwerkkritik gibt es seit den 70er Jahren, und sie wird immer mal wieder thematisiert, cf. zuletzt 2011 in einem Themenheft der Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen . 65 Bereits 1965 hat W. F. Mackey mit Language Teaching Analysis den ersten Versuch einer systematischen Beschreibung des fremdsprachlichen Lehrens und Lernens unternommen und dabei vier unterrichtliche Entscheidungsfelder unterschieden, die meiner Meinung nach auch heute noch als Leitlinien für eine systematische Analyse taugen: selection, gradation, presentation und repetition . 48 Krista Segermann Da der Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts - im Unterschied zu anderen Fächern - nicht ein bestimmter Stoff 66 ist, sondern die Sprache selbst , also die sprachlichen Mittel, die für eine erfolgreiche Kommunikation gebraucht werden, wäre es an der Zeit, die von jeher geltende und nie in Frage gestellte Auffassung vom Spracherwerb als dem Lernen von Wörtern / Vokabeln und grammatischen Regeln im Lichte aktueller Forschungsergebnisse zur Sprachverwendung einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen. Es spricht vieles dafür, dass lexikalisch-grammatische Konstruktionen, die die unnatürliche Trennung von Lexik und Grammatik überwinden, sich sehr viel besser als Lerneinheiten eignen, weil sie näher am Sprachgebrauch sind. 67 Diese größeren lexiko-grammatischen Einheiten könnten als Pendant zu semantisch-syntaktischen Funktionseinheiten (wer tut was mit wem unter welchen Umständen) konzipiert werden 68 , die in spezifischer Abfolge vorkommen und damit die grundlegenden (Satz)-Strukturen einer Sprache repräsentieren. Die Auswahl der neuen sprachlichen Einheiten müsste aus einem noch zu erstellendem Inventar solcher lexiko-grammatischen Konstruktionen und Satzstrukturen erfolgen. Dieses Inventar könnte nach Themen geordnet sein und damit den Anspruch einer formal-grammatischen Progression 69 aufgeben zugunsten strikter Inhaltsorientierung . Eine progressive ‚Systematik‘ der Vermittlung würde von der wachsenden Komplexität der Funktionseinheiten und Satzstrukturen übernommen werden. Damit könnte das motivationsfördernde Prinzip der Inhaltsorientierung mit dem für den gesteuerten Fremdsprachenunterricht unverzichtbaren Prinzip der sprachlichen Systematik in Einklang gebracht werden (cf. Segermann 2014a). 66 Abgesehen von speziell zu vermittelnden literarischen und landeskundlichen Inhalten. 67 Dass neuere Strömungen der Sprachverwendungslinguistik eindeutig in diesem Sinne forschen, kann eigentlich nicht mehr übersehen werden (cf. Segermann 2014b). Der Altvater der korpusbasierten Lexikonforschung, John Sinclair, meinte schon 1991: „By far the majority of text is made of the occurence of common words in common patterns, or in slight variants of those common patterns. Most everyday words do not have an independent meaning, or meanings, but are components of a rich repertoire of multi-word patterns that make up the text. This is totally obscured by the procedures of conventional grammar“ (Sinclair 1991, 108). 68 Sprechakte sind hier ungeeignet, weil sie zwar aus dem Sprachgebrauch heraus kristallisiert werden können, aber als Liste keine authentische Kommunikation abbilden. 69 Die sog. grammatischen Phänomene (nicht zu verwechseln mit Strukturen) sind den Lernenden in den schulischen Bildungseinrichtungen aus der Muttersprache bekannt (wenn auch nicht immer bewusst) und müssen deshalb nicht mehr nacheinander ‚durchgenommen‘ werden. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 49 6.2.2 Konsequenzen für die methodische Gestaltung Die Entscheidung für eine inhaltsbasierte Stufung des Lehrgangs würde einschneidende Konsequenzen für die methodische Gestaltung des Unterrichts nach sich ziehen. Ohne die Vorgabe einer die inhaltsbezogene Kommunikation massiv einengenden grammatischen Progression könnten die Lerneinheiten an die Äußerungswünsche der Lernenden gebunden werden. Damit würden die in den letzten Jahrzehnten bildungspolitisch geforderten und auch von der Fremdsprachendidaktik ausführlich diskutierten Unterrichtsprinzipien Schülerorientierung, Inhaltsorientierung, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit, Selbstbestimmung, Eigeninitiative, Kreativität, Individualisierung und soziales Lernen sehr viel leichter im Fremdsprachenunterricht verwirklicht werden können. 70 Auch die Forderungen nach Interkulturalität im Sinne vergleichender Bewusstmachung sprachlich-kultureller Konzeptbildungen und Strukturen ließen sich durch den Fokus auf Inhalt-Form-Verknüpfungen statt auf formale Gesetzmäßigkeiten besser integrieren. Ein von der ‚Zwangsjacke‘ einer grammatischen Progression befreites ‚Vermittlungskonzept‘ würde in den der Entscheidung des einzelnen Lehrers überlassenen methodischen Verfahren sowohl bei der Darbietung als auch beim Prozess des Verfügbar-Machens 71 des jeweils einzuführenden Sprachmaterials sehr viel mehr Spielraum lassen für Differenzierung und Individualisierung. 72 Die Phasen der Darbietung - also der Erarbeitung von neuem Sprachmaterial - und des Verfügbar-Machens - also des Übens - könnten beide gleichermaßen in den Dienst der Entwicklung der Kommunikationsfähigkeiten gestellt werden. Der Unterricht würde die Lernenden so durchgängig in einer echten kommunikativen Haltung belassen. Sie würden erfahren, dass sie ihre eigenen individuellen Äußerungsbedürfnisse immer besser versprachlichen und dass sie Texte mit für sie interessantem Inhalt immer besser verstehen können. Das bedeutet, dass sich ihre Lernanstrengungen unmittelbar als kommunikativer Fortschritt auszahlen. Ein solcher, für die konkrete unterrichtliche Realisierung prinzipiell offener Theorieentwurf des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs erfordert die Kooperation der Schulbuchverlage. Die traditionelle Konzeption von Lektionstexten 70 Die sog. ‚alternativen‘ Methoden „Pédagogie de l’être“, „Psychodramaturgie linguistique“ , „Approche relationnelle“ , „Simulation globale“ etc. scheiterten alle an dem nicht gelösten Problem der Vereinbarkeit von individuellen Äußerungsbedürfnissen und systematischem Formenlernen (cf. Segermann 1999). 71 Diese Phasen entsprechen Mackeys Unterscheidung von presentation und repetition (cf. Fußnote 64). 72 Ganz im Gegensatz zu Königs postuliertem „unvermeidlich hohen Anteil an überindividuellen Gemeinsamkeiten“ in „Vermittlungskonzepten“, cf. Abschnitt 6.1.1. 50 Krista Segermann als Lieferanten für Vokabeln und grammatische Kapitel müsste aufgegeben werden zugunsten einer Unterscheidung von Texten als Vorlage für die Produktion einerseits und (ungleich anspruchsvolleren) Hörbzw. Lesetexten für die Rezeption andererseits. Um dem Postulat der sprachlichen Systematisierung nachzukommen, müsste ein Instrumentarium, am besten in elektronischer Form 73 , entwickelt werden, das die semantisch-syntaktischen Funktionseinheiten in ihrer Musterhaftigkeit abbildet. Dieses an den Regeln der Sprachverwendung orientierte Ordnungssystem würde die spezifische Struktur oder ‚Bauweise‘ der fremden Sprache für die Lernenden sichtbar und durch die Prozesse von Analogiebildung, Generalisierung und Transfer lernbar machen. 74 Hier wäre die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Verlagen vonnöten. 6.2.3 Erarbeitung alternativer Theorieentwürfe Aus der oben vorgestellten Unterrichtskonzeption ergibt sich als Anregung an die Fremdsprachendidaktik, den ursprünglichen Anspruch einer einzigen konsistenten Theorie des gesteuerten Fremdsprachenunterrichts aufzugeben zugunsten der Entwicklung diversifizierter Theorieentwürfe, die Alternativen für unterrichtliche Handlungen anbieten. Was im Unterricht geschieht, basiert auf spezifischen spracherwerbs- und lerntheoretischen Prämissen, die sowohl die Curriculum-Entscheidungen als auch die von der Lehrkraft praktizierten methodischen Entscheidungen 75 maßgeblich bestimmen. Es gilt also, den bestehenden Unterricht im Hinblick auf seine bisher kaum in Frage gestellte theoretische Basis kritisch zu analysieren und daneben alternative Denkansätze in das Blickfeld qualitativer Forschung zu nehmen und hermeneutisch unterfütterte, d. h. auf unterrichtspraktischer Kompetenz aufbauende kreative Unterrichtskonzeptionen zu erarbeiten. Dies erfordert die Bündelung aller Kräfte - in Theorie und Praxis - für das gemeinsame Ziel, der Erarbeitung innovativer methodischer Verfahren. 76 Die Fremdsprachendidaktik als angewandte Disziplin 73 Nur ein Computerprogramm ermöglicht eine beliebige Erweiterung, Korrektur und Ergänzung des Sprachmaterials und erlaubt außerdem die Korrelation unterschiedlicher Parameter. 74 Ein solches Programm ist von der Autorin als „Lexiko-Grammatik“ in jahrzehntelanger Forschungsarbeit entwickelt worden und im Netz einsehbar unter www.lexikogrammatik-französisch.de. 75 Die sog. subjektiven Theorien von Lehrkräften sind schon seit längerem als Forschungsgegenstand der Fremdsprachendidaktik anerkannt. 76 Das Rahmenthema „Sprachen lehren“ des 26. Fremdsprachen-Kongresses 2015 an der PH Ludwigsburg vermittelt den Eindruck, dass der Methodenaspekt wieder mehr in das Zentrum des Interesses rückt. Es gab u. eine Sektion „Lehrmethoden“, die „sich sowohl der fachspezifischen theoretischen Konzeptualisierung von Lehrmethoden als auch empirischen Forschungsprojekten, die Anwendungsszenarien für unterschiedliche Lehr- 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 51 sollte ihre ‚Wissenschaftlichkeit‘ gemäß ihrem gesellschaftlichen Auftrag wieder in den Dienst der Optimierung des Unterrichts stellen 77 , und die Praktiker sollten ermutigt werden, sich in ihrem Unterricht freier zu fühlen und ihrem kreativen Gestaltungsdrang - je nach Wollen und Können - nachzugeben. 78 Ein weiterer Grundsatz, der die Fremdsprachendidaktik auch methodologisch weiterbringen könnte, wäre die Verpflichtung auf eine theoretische Konzeptbildung, die die Integration aller am Fremdsprachenunterricht beteiligten Faktoren ermöglicht. In der Vergangenheit sind verschiedene Aspekte oft als einander ausschließende oder sogar sich gegenseitig störende Faktoren betrachtet worden. Diese Polarisierung war vielleicht der Profilierung der jeweiligen Kontrahenten dienlich, der wissenschaftliche Fortschritt wurde dadurch eher verzögert. Alle bisher in der Fremdsprachenforschung diskutierten dichotomischen Begriffe haben sich erst dann als fruchtbar erwiesen, wenn sie als miteinander interagierende Faktoren in das Gesamtphänomen integriert wurden (Segermann 1996). Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit - Habitualisierung vs. Kognitivierung - Analyse vs. Automatisierung - Einsprachigkeit vs. Benutzung der Muttersprache - Wissen vs. Können bzw. deklaratives vs. prozedurales Wissen - Grammatikvermittlung vs. Wortschatzvermittlung - Formorientierung vs. Inhaltsorientierung - Außenfaktoren vs. Binnenfaktoren - Kognition vs. Emotion - Input-Orientierung vs. Output-Orientierung - Instruktion vs. Konstruktion - Lehrerzentrierung vs. Schülerzentrierung. Die jüngste, ebenso unfruchtbare Polarisierung heißt: Kompetenzorientierung vs. Sprachmittelorientierung. 79 Das Denken in Kategorien des Entweder-Oder sollte auf jeden Fall vermieden und durch das Bemühen um ein integrierendes Denken des Sowohl-als-Auch ersetzt werden. Es sind methoden zum Gegenstand haben“ widmete (Sektionsbeschreibung in: http: / / kongress. dgff.de/ de/ sektionen/ sektion-9.html). 77 Als die Autorin 2002 ihren eigenen, auf der Infrage-Stellung tradierter Curriculum-Entscheidungen beruhenden Theorieentwurf samt unterrichtsmethodischen Konsequenzen in der ZFF veröffentlichen wollte, wurde das Manuskript rundheraus abgelehnt, und zwar mit der Begründung, es handele sich nicht um einen wissenschaftlichen Beitrag, da hier nur eine neue ‚Methode‘ vorgestellt werde. Das innovative Unterrichtskonzept ist inzwischen in einer Gesamtdarstellung als Buch erschienen (Segermann 2012). 78 Aus vielen Gesprächen mit Unterrichtenden habe ich den Eindruck gewonnen, dass in dieser ureigensten Domäne der Lehrenden noch sehr viel Potential an kreativer Phantasie schlummert. Allerdings erfordert das Ausprobieren von etwas Neuem - wie der Bildungsforscher A. Helmke in einem Interview zur Hattie-Studie sagt - „durchaus einen gewissen Mut und auch Kraft […] Unterrichtliche Innovationen sind wesentlich chancenreicher, wenn sie im Team erfolgen, wo man sich absprechen und wechselseitig unterstützen kann“ (Reinhardt 2013, 15). 79 Es dürfte eigentlich allen Beteiligten klar sein, dass die Beherrschung der sprachlichen Mittel die Voraussetzung für die kommunikativen Kompetenzen ist. 52 Krista Segermann nicht zuletzt die mit schöner Regelmäßigkeit erfolgenden ‚Pendelausschläge‘ in der wissenschaftlichen Diskussion - seien sie auch nur die Folge von Akzentverschiebungen und unterschiedlichen Fokussierungen - die die Praxis verunsichern. 6.2.4 Experimentelle Kontrollstudien Die Anerkennung der primären Funktion von Unterrichtstheorien bedeutet gleichzeitig ein Umdenken in Bezug auf empirische Forschungen. Die Untersuchung des Ist-Zustands hat ihre Berechtigung, wenn es sich um Sprachstandserhebungen handelt, die auf Erfolge oder Defizite in der aktuellen Unterrichtsrealität hinweisen (cf. Fußnote 3). Aus der Beobachtung von konkretem Unterricht lassen sich jedoch mitnichten die „ necessary foundations for pedagogical decisions 80 about L2 curricula, syllabi, methods, techniques, activities, materials, media, and tests“ ableiten (Kasper 1988, 5). 81 Die Entscheidungen folgen im Gegenteil aus der Theorie. Aus der Praxis allein kann kein Kriterium für die Gültigkeit bzw. Empfehlung einzelner unterrichtlicher Maßnahmen gewonnen werden, genau so wenig wie sich Unterrichtsprotokolle zur Verifizierung bestimmter lerntheoretischer Hypothesen eignen. Abgesehen von der notwendigen Falsifizierbarkeitsprobe lauern hier für den Beobachter so viele interpretatorische Fallstricke, dass der Untersuchungsstandard oft nicht gewährleistet ist. 82 Selbst die Analyse der Wechselwirkung zwischen Lehren und Lernen als konstitutivem Faktor der fremdsprachlichen Unterrichtsforschung kann nicht das gewünschte Ergebnis bringen (cf. die ‚Bankrotterklärung‘ von F. G.Königs, cf. Abschnitt 6.1.1), wenn sie ohne Berücksichtigung des theoretischen Bezugsrahmens erfolgt. 80 Hervorhebungen von Kasper. 81 Cf. auch die Behauptung von Krumm: „Forschung schafft empirische Grundlagen für Sprachlehr- und Spracherwerbstheorien“ (Bausch et al. 1981, 63), cf. Kapitel 4. 82 Ich verweise beispielhaft auf eine offensichtliche Fehlinterpretation bei Rod Ellis (1988), der einen kurzen Ausschnitt aus dem Englischunterricht mit indischen Kindern referiert. Der Ausschnitt enthält eine Strukturübung, die die Singular- und Pluralformen von This is a ruler. und These are rulers. miteinander vermischt. Die Kontrastierung erfolgte offenbar, bevor beide Formen je für sich eingeübt worden sind. Die - unvermeidlichen - Fehlleistungen (“the task of producing plural sentences is beyond this learner’s competence”) sind hier wohl weniger auf natürliche Spracherwerbssequenzen zurückzuführen (“because she has not reached the appropriate stage of development”, 31) als auf handfeste methodische Mängel bei der Sequenzierung der Übungsabfolge. Das Wissen darum, dass man es auch anders machen kann und dann auch mehr Erfolg hat, gewinnt man (jenseits aller Theorie) aus der Beschäftigung mit den unterrichtsmethodischen Prinzipien, die z. B. auch und gerade bei der pattern practice zu beachten sind. 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 53 Der Weg aus dieser Sackgasse führt über experimentelle Kontrollstudien, die am Lehr-/ lernziel der kommunikativen Kompetenz ausgerichtet sind. Es geht dabei nicht um „vergleichende Studien zur Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden“ (cf. Ms., 22) als festgefügten ‚Vermittlungskonzepten‘, sondern um die Evaluierung der Unterrichtsergebnisse von Experimental- und Kontrollklassen, die in ihrer Arbeit auf unterschiedlichen curricularen und methodischen Konzepten beruhen. Anstatt (wie bisher) einzelne Unterrichtsprinzipien zu kontrastieren, die - wie oben dargelegt - gar nicht einander entgegengesetzt sind, sondern miteinander interagieren, sollten nur solche grundlegenden Entscheidungen in ihren Konsequenzen für die Wirksamkeit geprüft werden, die sich tatsächlich ausschließen. Dazu gehören z. B.: - Einführung neuen Sprachmaterials durch vorgegebene Lektionstexte, die der grammatischen Progression folgen (rezeptiv: Form-Inhalt-Verknüpfungen) vs. Einführung sur demande zur Versprachlichung eigener Äußerungswünsche (produktiv: Inhalt-Form-Verknüpfungen) - Lernen von Einzelwörtern vs. Lernen von lexiko-grammatischen Konstruktionen - Getrenntes Anwenden von metakognitivem Wissen (lexikalische, grammatische, phonetische / orthographische Kenntnisse) vs. Integrierendes Versprachlichen von thematisch geordneten Inhaltskonzepten unter Rückgriff auf lexiko-grammatische Einheiten und Strukturmuster - Unterscheidung von formalen Übungen und mitteilungsbezogenen Transferübungen vs. Durchgängig kommunikatives Üben als Ausübung der Sprachtätigkeiten: dialogisches Sprechen und beschreibendes, erzählendes, argumentierendes Schreiben - Systematisierung nach grammatischen Erscheinungen und semantischen Beziehungen zwischen Einzelwörtern vs. Systematisierung nach Inhalt-Form- Entsprechungen und Klang-Schrift-Entsprechungen - Lese- und Hörverstehens-Übungen mit didaktisch aufbereiteten Texten vs. Entwicklung der rezeptiven Fähigkeiten anhand möglichst authentischer Hör- und Lesetexte, die über dem Produktionsniveau liegen Aufgrund ihrer grundlegenden Verschiedenheit dürften die oben beschriebenen methodischen Variablen tragfähig genug sein, um ein Untersuchungsdesign zu erstellen, mit dessen Hilfe signifikante Leistungsunterschiede bezüglich der kommunikativen Kompetenz der Probanden - bei ausreichend großer Zahl - feststellbar werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch hier - wie bei jedem Unterricht - der Faktor der Lehrerpersönlichkeit in seiner positiven bzw. negativen Wirksamkeit für den messbaren Erfolg kaum hoch genug ein- 54 Krista Segermann geschätzt werden kann. 83 Nach einer sorgfältigen Analyse der Ergebnisse (unter interpretatorischer Einbeziehung der theoretischen Grundlagen) könnten differenziertere Möglichkeiten kreativer Ausgestaltung der innovativen Konzepte ausgelotet werden. Auf diese Weise könnte die empirische Erprobung tatsächlich zur Modell- und Hypothesen-Bildung beitragen, so dass sich Theorie und Empirie sinnvoll ergänzen. Am Ende meines historischen Beitrags möchte ich einen positiven Ausblick wagen. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die soziologische Struktur der Fremdsprachendidaktik im Wandel begriffen ist, und zwar in dem Sinne, dass sie sich als angewandte Wissenschaft wieder verstärkt auf ihre eigentliche gesellschaftliche Aufgabe, die Optimierung des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs, besinnt. Dies hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die frei werdenden Didaktik-Stellen zur Zeit vermehrt mit Personen besetzt werden, die der Unterrichtspraxis durch eigene Lehrerfahrung in den allgemeinbildenden Schulen näher stehen als manche Wortführende von einst. Es besteht demnach die Hoffnung, dass die in den letzten Jahrzehnten durch ein einseitiges Verständnis von ‚Wissenschaftlichkeit‘ aufgerissene‚ unselige Kluft zwischen Hochschule und Schule sich verringert und einer fruchtbaren Kooperation Platz macht. Eine solche Entwicklung werden auch die sozio-ökonomischen Kräfte honorieren, so dass die akute Bedrohung der Fremdsprachendidaktik als wissenschaftliche Disziplin abgewendet werden könnte. 84 Adorno, Theodor W. 1976. „Soziologie und empirische Forschung“, in: Ernst Topitsch (ed.): Logik der Sozialwissenschaften . Köln / Berlin: Kiepenheuer & Witsch, 511-25. Altmayer, Claus / Mehlhorn, Grit / Neveling, Christiane / Schlüter, Norbert / Schramm, Karen (ed.). 2010. Grenzen überschreiten: sprachlich - fachlich - kulturell. Dokumentation zum 23. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung . Baltmannsweiler: Schneider. Arndt, Horst. 1973. „Fragen zum gegenwärtigen Stand einer Fremdsprachenlerntheorie“, in: Hüllen 1973, 7-29. Bausch, Karl-Richard. 1986. „Sprachlehrforschung Revisited“, in: Bausch / Königs 1986, 11-35. 83 Dies bestätigte sich auch bei der Evaluation des Projekts "Innovativer Französischunterricht" nach dem Jenaer Bausteinkonzept (1998-2001), an dem insgesamt 11 Klassen teilnahmen, cf. den Evaluationsbericht unter http: / / www.romanistik.uni-jena.de (Segermann < Forschungs- und Arbeitsbereiche < Das Jenaer Bausteinkonzept). 84 Der traurige Beweis für die Sanktionierung einer Fehlentwicklung ist die Schließung des in den 70er Jahren so hochgemut begonnenen Bochumer Seminars für Sprachlehrforschung, das „zum 30. 09. 2016 abgewickelt“ wird (http: / / www.ruhr-uni-bochum.de/ slf/ studium/ lehrangebot.html.de). 50 Jahre erlebte Geschichte der deutschen Fremdsprachendidaktik 55 Bausch, Karl-Richard. 1988. „Fremdsprachendidaktik“. in: Horst Steger / Herbert Ernst Wiegand (ed.): Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft . 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Um erfolgreich zu kommunizieren, müssen beide über einen gemeinsamen Code verfügen, damit das, was der Sender inhaltlich ausdrücken möchte und entsprechend in (Teil-)Sätze und Laute umsetzt, vom Empfänger erst auf der lautlichen Ebene, dann auf der Satz- und Inhaltsebene entschlüsselt werden kann. Dies bedeutet zum einen, dass das Gelingen der verbalen Kommunikation von einem gemeinsamen Bestand an lexikalischen Einheiten und einem Fundament an grammatischen Strukturen abhängig ist, zum anderen, dass jedoch diese sprachlichen Mittel für eine zielgerichtete mündliche Kommunikation nicht ausreichen. Da man verstanden werden muss, um sich verständlich zu machen, spielt für die mündliche Kommunikation sowohl in der Muttersprache als auch in Fremdsprachen die phonologische Komponente eine entscheidende Rolle, d. h. die beabsichtigten Aussagen müssen so artikuliert werden, dass sie der Kommunikationspartner phonologisch dekodieren kann. Die Bedeutung einer angemessenen Aussprache für den Erfolg von Kommunikation ist also unbestritten (cf. u.a. Hallet / Königs 2010; Leupold 2002; Mordellet-Roggenbuck 2005). Im Fremdsprachenunterricht - der Beitrag bezieht sich i.F. konkret auf den schulischen Französischunterricht -, dessen Zielvorgabe der Aufbau fremdsprachlicher mündlicher Handlungskompetenz ist, sollte deswegen eine gezielte und systematische Ausspracheschulung ein selbstverständlicher Bestandteil sein, nicht zuletzt weil eine unmittelbare, untrennbare Verbindung von Aussprache und Intonation mit den angestrebten funktionalen kommunikativen Kompetenzen (cf. KMK 2004, 8), speziell den kommunikativen Fertigkeiten ‚Sprechen‘ und ‚Hörverstehen‘, besteht. Dennoch wird im Vergleich zu den sprachlichen Mitteln Wortschatz und Grammatik in einem auf häufig verwendeten Lehrwerken basierenden Fran- 64 Christine Michler zösischunterricht auf die Ausspracheschulung ein geringeres Gewicht gelegt, denn Lehrwerke widmen dem expliziten Üben von Aussprache und der Kognitivierung von Ausspracheregeln oft nicht die Aufmerksamkeit, die aufgrund der Relevanz für die Kommunikation speziell im Anfangsunterricht notwendig wäre. In der Unterrichtspraxis ist das Ausmaß, das Aussprache und Intonation zugemessen wird, deshalb nicht selten vom Engagement und Gutdünken der Lehrkraft abhängig. Zwischen der von Lehrkräften oftmals festgestellten nachlassenden kommunikativen Kompetenz der Lernenden und der Vernachlässigung einer fundierten Ausspracheschulung bestehen - so die nicht nur hier vertretene These - durchaus Zusammenhänge. Um die kommunikative Kompetenz der Schüler zu erhöhen und einen funktionierenden Informationsaustausch zwischen Deutschen und Franzosen zu gewährleisten, wird deshalb im didaktischen Diskurs immer häufiger dringlich die Rückbesinnung auf eine konsequente und methodisch durchdachte Einübung von Aussprache und Intonation verlangt. Hier setzt der Beitrag an. Zunächst umreißt er mit einem Überblick über einige der seltenen didaktischen Publikationen speziell zu Aussprache und Intonation sowie über diesbezügliche Aussagen im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) , in Bildungsstandards und Lehrplänen den Stellenwert von Aussprache und Intonation in Forschung und maßgeblichen Richtlinien. Der Blick auf ausgewählte Lehrwerke zeigt dann, welche Veränderungen sich in Bezug auf die Ausspracheschulung in den letzten Jahrzehnten in der Unterrichtspraxis vollzogen haben, bevor dann zur Ausspracheschulung im Französischunterricht an deutschen weiterführenden Schulen zehn Grundsatzbemerkungen zur Diskussion gestellt werden, die die Wertigkeit der Aussprache für die kommunikative Kompetenz fokussieren. 2. Didaktische Publikationen zur Aussprache Eine beschränkte Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen für den Bereich ‚Aussprache‘ konstatierte Hirschfeld schon vor über zehn Jahren (Hirschfeld 2003). In den vorhandenen Publikationen ist das Ausmaß, in dem Inhalte des Ausspracheunterrichts behandelt werden, unterschiedlich. Die ab 1973 in mehreren Auflagen gedruckte und lange Zeit maßgebliche Fachdidaktik Französisch von Werner Arnold enthält beispielsweise ausführliche Anmerkungen zur Aussprache (Arnold 1973, 40sqq.). Auch Abel 1982 befasst sich in einem Zeitschriftenbeitrag gründlich mit notwendigen Kenntnissen im Bereich der Aussprache und beschreibt Konsequenzen für den Unterricht, ohne dass seine Ausführungen die Resonanz im fachdidaktischen Diskurs fanden, die das Thema Aussprache und Intonation im Französischunterricht 65 verdient. Neuere Fachdidaktiken für das Französische widmen der Aussprache nur kurze Kapitel oder Abschnitte, die außerdem häufig in die Aussagen zur Fertigkeit ‚Sprechen‘ eingebunden sind (z. B. Leupold 2002, 232sqq.; Fäcke 2010, 122sq.; Nieweler 2006, 119sq.). Der Verzicht auf eine frühzeitige systematische Ausspracheschulung im Unterricht wird in zahlreichen didaktischen Ausführungen ebenfalls seit längerer Zeit zumindest für problematisch erachtet. Leupold gibt beispielsweise zu bedenken, dass sprachliches Handeln an einer schlechten Aussprache scheitern und gerade im französischsprachigen Raum eine mangelhafte Lautung zu negativen Reaktionen gegenüber dem Sprecher führen kann (cf. Leupold 2002, 235), und auch Kühn stellt fest, dass sich Franzosen über schlechte Aussprache beschweren und den Sprecher oft nach seiner Aussprachequalität beurteilen (Kühn 2010, 93). Die Ursache des Bedeutungsverlusts der Ausspracheschulung wird im Leitziel der kommunikativen Kompetenz vermutet, denn diese stelle das Verstehen der Mitteilungsabsicht bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sprachlichen Korrektheit ins Zentrum (cf. Leupold 2002, 234sq.). Nicht nur Leupold mahnt folgerichtig gezielte Hörübungen, die Verknüpfung von Lautung mit nonverbalen Handlungselementen und Wissen über den Zusammenhang von Lautung und Schreibung als unerlässliche Bestandteile des Unterrichts an (Leupold 2002, 235sq.; cf. z.B. auch Dretzke 4 2006; Kühn 2010, 93). Außerdem schätzen neben Leupold und Kühn beispielsweise Grotjahn (1998) und Kurtz (2010) eine zielstrebige Hinführung der Lernenden zu einer verständlichen und korrekten Aussprache als unentbehrliches Vorgehen im Unterricht ein. Kurtz plädiert für „[e]ine sorgfältige, vom Hörverstehen (Hördiskriminierungsvermögen) bzw. vom Zuhören unter Aufmerksamkeitsschwerpunkten ausgehende Schulung der Aussprache“ (Kurtz 2010, 86), für die Imitation nicht ausreicht. Konkrete methodische Vorschläge für die Übungsphase machen Mordellet-Roggenbuck (2005) und Dretzke ( 4 2006). Als insgesamt deutlich erkennbare Entwicklung ist festzuhalten, dass moderne Fachdidaktiken Aussagen zu Aussprache und Intonation in die zweifelsfrei notwendigen und berechtigten Anmerkungen zum Hörverstehen bzw. Sprechen eingliedern. Darüber hinausgehende aktuelle, speziell auf Aussprache und Intonation des Französischen bezogene didaktische Publikationen oder Monographien fehlen indes weitgehend, und auch Fachzeitschriften wie Der fremdsprachliche Unterricht Französisch , Praxis Fremdsprachenunterricht oder Französisch heute beschäftigen sich in jüngster Zeit weder in Themenheften mit dem Bereich ‚Aussprache’ noch enthalten sie diesbezüglich Einzelbeiträge, während beispielsweise zum Wortschatz zahlreiche Themenhefte (z. B. Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 68 / 2004 u. ö.) und andere Publikationen (z. B. De Florio-Hansen 2006; Segermann 2011) existieren. 66 Christine Michler 3. Vorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, der Bildungsstandards und von Lehrplänen Der Französischunterricht wird in Bezug auf Zielrichtung, Inhalte und Progression wesentlich von europabzw. deutschlandweit gültigen bildungspolitischen Richtlinien sowie in besonderem Maße von länderspezifischen Lehrplänen geregelt, in denen - wie oben gesagt - zu Recht ein direkter Zusammenhang zwischen Aussprache und den kommunikativen Fertigkeiten ‚Sprechen’ bzw. ‚Hörverstehen‘ hergestellt wird. Im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen ist die phonologische Kompetenz als Teilbereich der linguistischen Kompetenz verortet. Erwartet werden Kenntnisse und Fertigkeiten der Wahrnehmung und der Produktion in Bezug auf Phoneme, Allophone, Erkennen der distinktiven Merkmale von Phonemen, Prosodie, Intonation, phonetische Reduktion und Elision (GeR: Europarat 2001, 117). Die Äußerungen in den Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sind weniger detailliert. Es heißt dort nur: Die Schülerinnen und Schüler können verschiedenartige Aussprachevarianten der Zielsprache verstehen, beherrschen die Aussprache in der Weise, dass diese i. d. R. weder auf der Wortnoch auf der Satzebene zu Missverständnissen führt, können die Zeichen der Lautschrift sprachlich umsetzen ( KMK 2004, 15). 1 Die Aussagen der Lehrpläne der einzelnen Bundesländer zur Aussprache des Französischen fußen auf diesen Angaben. Über die Art der Aussprache, die gelehrt werden soll, gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie aus Jansens Zusammenfassung der „Curriculare[n] Vorgaben und Positionen der Sprachlehrforschung“ für die Artikulation in Bezug auf den Französischunterricht an Gymnasien hervorgeht (cf. Jansen 2010). Gefordert werden beispielsweise eine authentische sprachliche Norm in der Aussprache, der sich die Schüler annähern sollen (Baden-Württemberg, Saarland), eine ‚richtige‘ Aussprache (Baden-Württemberg) die Norm des français standard (Bayern, Rheinland- Pfalz), eine ‚korrekte Aussprache‘ (Bremen, Hamburg, Hessen u. a.) oder eine ‚normorientierte‘ (Sachsen-Anhalt) bzw. ‚normgerechte‘ (Mecklenburg-Vorpommern) Aussprache. Nordrhein-Westfalen bleibt mit ‚übliche‘ vage, genau wie z. B. Bremen und Hamburg, die eine ‚verständliche‘ Aussprache als Richtlinie angeben. Daneben finden sich Anforderungen wie eine ‚klare, natürliche‘ Aussprache (Saarland), die Aussprache eines locuteur natif (Rheinland-Pfalz) oder die frankophoner Sprecher (Schleswig-Holstein), Berlin und Brandenburg 1 I. F. wird für ‚Schüler’, ‚Lehrer’ usw. der besseren Lesbarkeit halber jeweils das generische Maskulinum verwendet, so dass ‚Schülerinnen’ etc. eingeschlossen sind. Aussprache und Intonation im Französischunterricht 67 streben unkonkret die Ausrichtung am zielsprachlichen Modell an (cf. ausführlich Jansen 2010). Die Jahrgangstufenpläne gehen teilweise mehr ins Detail. Während der Bayerische Lehrplan für Französisch als 2. Fremdsprache, 6. Jahrgangsstufe (Gymnasium), beispielsweise vorschreibt: „Aussprache und Intonation auf Satz- und Textebene gründlich erlernen, die Lautung einfacher, unbekannter Wörter erschließen, die zum Vermeiden von Aussprachefehlern bedeutsamen Zeichen der internationalen Lautschrift verstehen.“ (cf. Bayerischer Lehrplan), werden für die siebte Jahrgangsstufe Französisch auf der Realschule (Niveau A 1) im Bayerischen Lehrplan sehr präzise Angaben gemacht. Verlangt werden Grundlagen in Bezug auf die Nasale, die Unterscheidung von [i] und [y], [ʒ] und [ʃ], [w] und [v], die Aussprache von [j] ( famille ), Intonation im Frage- und Aussagesatz, liaison und enchaînement sowie rezeptive Kenntnis der Lautschrift (Bayerischer Lehrplan für Realschulen, 230). Aus diesem Überblick folgt, dass das grundsätzliche Leitbild für die Ausspracheschulung in den meisten Bundesländern weitgehend ungenau, vor allem aber im Rahmen des zeitlich begrenzten Unterrichts vielfach höchstens ansatzweise realisierbar ist (cf. Ideal des locuteur natif ) und die Jahrgangsstufenpläne unterschiedlich ausführliche Anleitungen geben. Empfehlenswert für den Unterricht wäre indes die Zielvorgabe einer auf einer exemplarischen Varietät basierenden Norm, die der langue courante möglichst nahe kommen und durch Schichtneutralität garantieren soll, dass die Schüler in Frankreich durch ihre Aussprache nicht unangenehm auffallen (cf. Abel 1982, 291). So könnte gewährleistet werden, dass die jungen Deutschen in Gesprächssituationen sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit Erwachsenen vom Gegenüber verstanden werden, man sich nicht über sie lustig macht und, so steht zu hoffen, sie auch ihr Gegenüber verstehen. 4. Ausspracheschulung in Lehrwerken Direkter als durch die Vorgaben der Lehrpläne wird die Unterrichtspraxis durch Lehrwerke beeinflusst, die in der Regel über mehrere Jahre hinweg Grundlage des Unterrichts und erste Orientierungspunkte für Lehrkräfte und Lernende sind. Die Autoren von Lehrwerken greifen bei der Konzeption von Lehrwerken die in den Lehrplänen vorgeschriebenen Inhalte auf und modellieren durch die Art und Weise der Umsetzung der Bestimmungen, insbesondere aber durch die thematische Füllung und gewählte Progression, entscheidend den Unterricht. Da bei der Planung eines Lehrwerks weiterhin die jeweils maßgeblichen fachdidaktischen Grundsätze ausschlaggebend sind, wird anhand der Durch- 68 Christine Michler sicht verschiedener Lehrwerkgenerationen für den Französischunterricht an Gymnasien die Entwicklung unterrichtlicher Schwerpunkte bei der Ausspracheschulung deutlich. Unverkennbar ist eine Schwankung in Art, Intensität und inhaltlicher Breite der Vermittlung und Einübungsphase der Aussprache. 2 In den 1980er Jahren differiert die Wertigkeit, die einer konkreten Schulung von Aussprache und Intonation zugemessen wird, beträchtlich. Das Lehrwerk Etudes Françaises Echanges 1 Edition longue (Grunwald et al. 1981) setzt ganz auf Imitation und verzichtet auf eine Kognitivierung, die über die Lautzeichen hinausgeht. Ende der 80er Jahre stellt Etudes Françaises Echanges Cours Intensif (Hornung et al. 1989) gleich zu Beginn des Lehrgangs das Phoneminventar des Französischen vor, so dass bereits in den ersten Lektionen die Schüler „mit allen Lauten und Intonationsmustern des Französischen konfrontiert“ (Becker/ Bossung 1990, XI ) werden. Aus dem gleichen Jahr stammt Etapes (Héloury et al. 1989), das nur in den Anfangslektionen gezielt Ausspracheprobleme behandelt und schon nach der fünften Lektion damit wieder aufhört. Ab den 1990er Jahren schlägt Découvertes série bleue (Beutter et al. 1994) einen anderen Weg ein. Das Lehrwerk präsentiert unter der Überschrift Jeu de sons sporadisch in der Regel spielerisch angelegte Übungen zu einer konkreten Ausspracheschulung, z. B. zu Besonderheiten wie der liaison , dem stimmhaften und stimmlosen s oder den Nasalvokalen. Nach der Jahrtausendwende ordnet Découvertes 1 (Bruckmayer et al. 2004) diese Rubrik jeder obligatorisch durchzunehmenden Lektion zu, was durchaus als Aufwertung der Ausspracheschulung interpretiert werden kann. Themen sind: Cherchez l’intrus, trouvez les mots qui riment (z. B. [y], o- und a-Nasal, [ɛ], 15), keine Aspirierung von p im Französischen (25), stimmhaftes und stimmloses s und sch ([z] vs. [s]); [ʒ] vs. [ʃ], 38), Nasale (49), Ecoutez le CD et lisez les rimes à haute voix en rythme (60), Ecoutez les phrases. Est-ce que c’est une exclamation …, une surprise … ou une interrogation… (72), Trouvez les mots qui riment pour chaque couleur (z. B. bleu - jeu , 91), Cherchez les couples (Paare) de mots. Exemple : 1. Garçon + chanson , … (101). 2 Da i.F. nur wenige der besonders häufig verwendeten Lehrwerke genannt werden können, sei zu Inhalten der Ausspracheschulung in den Lehrwerken Etudes Françaises aus den 1960er Jahren und Etudes Françaises Cours de base aus den 1970er Jahren auf Leupold 2002, 232sqq. verwiesen, für eine ausführliche Analyse von Inhalten und Vorgehensweisen der Klett-Lehrwerke Découvertes série bleue (Beutter et al. 1994), Cours Intensif (Hornung et al. 1989) und der Cornelsen-Lehrwerke Etapes (Héloury et al. 1989) , Etapes Méthode Intensive (Mößner/ Schenk/ Schnädter 1993) auf Michler 2005, 186sqq. Aussprache und Intonation im Französischunterricht 69 In der Neubearbeitung Découvertes série jaune (Bruckmayer et al. 2012) ist die Rubrik dann wieder unregelmäßig, aber gehäuft am Lehrgangsanfang vorhanden (dreimal in Au début ; nur einmal in Lektion 6). Themen sind beispielsweise: Nasale (11), stimmhaftes und stimmloses s (10, 32), Liaison (20), die Unterscheidung von e- und o-Nasal (21), von le und les (46), von [ɡ] und [k] (50), von [ʒ] und [ʃ] (67), von [e] und [ɛ] (99). 5. Konsequenzen für die kommunikative Kompetenz Fachdidaktisch relevante Fragestellungen sind einerseits, ob die Vorgaben der Lehrpläne und die Verfahren der Lehrwerke den Schülern zu den Grundlagen von Aussprache und Intonation des Französischen verhelfen, die für die mündliche Kommunikation wesentlich sind, und andererseits, welche grundsätzlichen Aspekte - unabhängig von Lehrplänen und Lehrwerken - für eine angemessene Ausspracheschulung im Rahmen der Spracherwerbsphase zweckmäßig und zielführend sind. Dazu werden i.F. zehn Grundsatzbemerkungen zur Diskussion gestellt. 1: Aussprachenorm Anders als im Lehrplan von Rheinland-Pfalz gefordert, ist ein Verzicht auf das Ideal des locuteur natif mindestens für die Spracherwerbsphase gerechtfertigt. Dieses Ziel ist durch den zeitlich begrenzten Schulunterricht nicht erreichbar. Auch wenn Französischunterricht möglichst frühzeitig über Minimalforderungen wie das Erkennen an der Intonation, ob der Gesprächspartner beispielsweise eine Frage stellt oder ob er eine Aussage trifft (cf. Découvertes 1 ; Beutter et al. 1994, 72), um durch eine entsprechende Reaktion die Kommunikation aufrecht zu erhalten, hinausgehen sollte, ist eine in allen Bereichen perfekte Aussprache und Intonation auf Lernerniveau für die erfolgreiche Verständigung nicht von Anfang an notwendig, sondern kann sukzessive aufgebaut werden (cf. Grundsatzbemerkung 5). Trotz dieser Einschränkung muss die Lehrkraft sich bewusst sein und entsprechend die Lerner nachdrücklich und unmissverständlich darauf hinweisen, dass Mängel bei grundlegenden Ausspracheprinzipien und Aussprachedefizite die Kommunikation zum Scheitern bringen können (cf. Grundsatzbemerkung 5). 2: Zusammenspiel der Ausspracheregeln Aussprache ist ein komplexes Konstrukt. Sie ist von zahlreichen, voneinander unabhängigen Regeln geprägt. Erst deren erfolgreiches Zusammenspiel lässt eine korrekte Aussprache zustande kommen. Daraus folgt, dass das Insistieren auf Einzelphänomenen zwar mindestens am unmittelbaren Anfang unumgäng- 70 Christine Michler lich und berechtigt ist, dass die theoretischen Ausspracheregeln und isoliert eingeübten Laute aber verknüpft und in die flüssige Sprechpraxis überführt werden müssen. In dieser Aufgabe wird die Lehrkraft von den Lehrwerken zu wenig unterstützt, da dort eine explizite Gesamtschau vernachlässigt wird. Es bleibt zu oft dem Unterrichtenden überlassen, wie und ob er die Komplexität der Aussprache vermittelt. 3: Verknüpfung von Diskrimination und Produktion Diskrimination und Produktion von Segmentalia, Suprasegmentalia und Lauten sind entscheidende Faktoren für das Gelingen der Kommunikation. Können die Schüler beispielsweise nicht zwischen dem stimmhaften und stimmlosen s-Laut oder dem a- und o-Nasal unterscheiden, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Probleme bei der Produktion haben. Daraus folgt, dass von Beginn des Lehrgangs an systematische Übungen sowohl zur Diskrimination als auch zur Produktion in den Unterricht integriert werden müssen, denn eine Ausspracheschulung en passant reicht normalerweise nicht aus, um diese Kompetenz zu entwickeln. Allzu leicht setzen sich ohne gründliches Training v. a. im Anfangsunterricht Fehler fest, die später nur schwer wieder ausgeräumt werden können. Gezieltes Üben ist also notwendig, und auch im weiteren Verlauf des Lehrgangs muss die Aussprache immer wieder verbessert und trainiert werden. 4: Koordination von Aussprache und Orthographie Da man das Französische „nicht schreibt, wie man es spricht“, ist von Beginn an eine enge Abstimmung bei der Schulung von Aussprache und Orthographie angebracht. Die Schüler müssen sich dessen bewusst werden, dass das Französische keine 1: 1-Phonem: Graphem-Entsprechung hat. Dieses Bewusstsein der Lernenden können für das Lernerniveau passend ausgewählte aussagekräftige Beispiele für Graphie-Phonie-Verhältnisse im Französischen schärfen (z. B. leurs cousins étaient jeunes , d. h. 25 Grapheme vs. 13 Laute [løʁkuzẽzetɛʒœn]; qu’est-ce que c’est , d. h. 14 Grapheme vs. 7 Laute [kɛskəsɛ]). Die Lernenden erkennen so, dass es im Französischen durchaus phonetisch irrelevante Grapheme und eine redundante Graphie gibt. Die Bedeutung eines gesprochenen isolierten französischen Satzes kann überdies nicht völlig eindeutig sein und wird manchmal erst durch den Kontext bzw. das Schriftbild offenkundig (z. B. il vient à sept / cette heure(s) - [ilvjɛ̃tasɛtœr]. Die Verbindung von Aussprache- und Rechtschreibschulung hilft zudem bei der Kognitivierung und fördert die Lernerautonomie, da so, obwohl es keine klaren Regeln zur Verteilung der Grapheme gibt, geplante Transfers ermöglicht werden und der Lernende durch das Schriftbild geleitet ihm unbekannte Wörter richtig und „in einer Weise aussprechen kann, die von Frankophonen nicht als systematisch fehlerhaft angesehen“ wird (Abel 1982, 291). Von Anfang an Aussprache und Intonation im Französischunterricht 71 sollen die Schüler das Bewusstsein entwickeln, dass Grapheme je nach orthographischer Umgebung für verschiedene Laute stehen können (z. B. ca als [ka], ce als [s]: cahier - cela ), dass umgekehrt ein Phonem graphisch auf verschiedene Weise wiedergegeben werden kann (z. B. o als -eau, -au, -o ), und dass schon geringe phonetische bzw. orthographische Varianten Bedeutungsunterschiede bewirken können (z. B. beauté vs. bonté ; vont vs. font ; Louis vs. lui , vert vs. verre ). 5: Hierarchisierung der Lerninhalte Eine Hierarchisierung der phonetischen Lerninhalte ist angebracht, denn man kann von einer gestaffelten Bedeutung für die Kommunikation ausgehen. 3 Es ist also nicht nötig, die Schüler gleich zu Beginn des Lehrgangs - wie in Cours Intensif (Hornung et al. 1989) - mit allen Lauten und Intonationsmustern des Französischen zu konfrontieren. Aspiriert beispielsweise ein deutscher Schüler am Anfang im Französischen die Plosive, wird er verstanden werden, denn die Aspirierung hat keine distinktive Funktion. Allerdings gibt sich der Sprecher sofort als Ausländer, speziell als Deutscher zu erkennen. Vorrangig im Unterricht zu behandeln und einzuüben sind die für die Produktion und Rezeption der fremden Sprache notwendigen Phänomene und wegen des einsichtsfördernden Kontrastivitätsprinzips v. a. diejenigen Einheiten bzw. Regeln, die im System des Deutschen nicht existieren (Nasale, Halbvokale, Liaison), die in Fremd- und Muttersprache unterschiedlich realisiert werden (z. B. auslautendes r; vgl. Grundsatzbemerkung 6) oder in der Fremdsprache distinktiven Charakter haben können (z. B. Oppositionen wie ils sont - ils ont, Louis - lui, gens - champ ). Die nachlässige Aussprache von phonetischen Gegebenheiten, z. B. die uneindeutige Artikulation oder gar Verwechslung des a- und o- Nasals ( son - sans ) oder der Verzicht auf die Unterscheidung zwischen stimmhaftem und stimmlosem s ( désert - dessert ) beeinträchtigen die Verständlichkeit und führen im schlimmsten Fall zu Missverständnissen, auch wenn diese häufig durch den Kontext der Äußerung abgemildert oder durch „Hilfen“ wie den Artikel bei Substantiven oder die Subjektpronomen bei Verben aufgefangen werden. 6: Besondere Schwierigkeiten für deutsche Schüler Die Anzahl der Inhalte, die einem deutschen Schüler besondere Schwierigkeiten bereiten, ist überschaubar und kann konsequent in den Unterricht eingebracht werden. Auch in diesem Fall sind Initiative und Sachverstand der Lehrkraft gefordert, denn selbst in häufig verwendeten Lehrwerken wie beispielsweise 3 Probleme können sich jedoch im Anfangsunterricht ergeben, denn aufgrund der geringen Wortschatzkenntnisse werden „die phonologischen Relevanzen nicht immer deutlich“ (Arnold 1973, 47), so dass die Lerner manchmal die Bedeutung einer intensiven Schulung mit einer oft notwendigen Korrektur nicht einsehen. 72 Christine Michler Découvertes série jaune (Bruckmayer et al. 2012) werden nicht alle entsprechenden Phänomene in ausreichendem Maß abgedeckt (z. B. nicht e-caduc oder Prinzipien des mot phonétique ; cf. Punkt 4). Bereits erwähnt wurden die Nasalvokale ( un, bon, vin, français ) und Halbvokale ( moi, huit, fille ), die für deutsche Schüler eine Herausforderung darstellen. Auch die schon genannte, im Französischen übliche liaison (z. B. il entre vs. ils entrent ) ist deutschen Lernenden aus ihrer Muttersprache nicht geläufig. Konkret ist deshalb die liaison obligatoire (z. B. Artikel + Nomen) vs. liaison interdite (z. B. vor h consonne ; Substantiv im Singular + Adjektiv) anzusprechen, während die liaisons facultatives im schulischen Französischunterricht vernachlässigt werden können. Als Unterschiede zum Deutschen sind weiter die schon mehrfach angeführte nicht realisierte Aspirierung der Plosive im Französischen und die im Deutschen häufige Vokalisierung des auslautenden -r, die im Französischen nicht gemacht wird (z. B. Vater [fa: tɐ] - père [pɛʀ]), zu erwähnen, sowie die Trennung zwischen [s] und [z], die nicht allen Schülern auf Anhieb leicht fällt (z. B. salade - zèle, rose - essai ). Weiter bereitet die Unterscheidung der e-Laute Schwierigkeiten. Diese Fähigkeit trägt indes wesentlich zur kommunikativen Kompetenz bei, da mit der Differenzierung in der Regel semantische Unterschiede einhergehen (z. B. fée [e] - fait [ɛ], épée [e] - épais [ɛ]). Auch die Aussprache des e-caduc , dessen Realisierung „je nach Sprechstil und/ oder geographischer Herkunft der SprecherInnen“ (Meisenburg/ Selig 1989, 81) variieren kann und z. B. bei la fenêtre [lafnɛtʁ] vs. une fenêtre [ynfənɛtʁ] (cf. Klein 41 973, 91), bei il me dit [ilmədi] oder samedi [samdi] uneinheitlich ist, ist deshalb ins Bewusstsein der Schüler zu rücken und zu üben. Ungewohnt ist das nie gesprochene H - auch nicht im Fall des oft als h aspiré bezeichneten h consonne (z. B. les hôtels - les haricots ). An die Differenzierung der Okklusive ( don - ton; car - gare; beau - peau ) sind die meisten deutschen Sprecher (Ausnahmen gibt es im fränkischen Sprachraum) gewöhnt (z. B. tanken - danken; Paar - Bar, Kunst - Gunst). Problematischer ist jedoch die Trennung zwischen stimmhaften und stimmlosen Frikativen ( gens - cher ), und insbesondere die Unterscheidung von v - f, denn im Deutschen werden ‚Fenster - Vogel’ gleich artikuliert, das Französische macht jedoch zwischen fer - ver oder défaut - dévot einen Unterschied. Übungen zu diesbezüglichen Minimalpaaren dienen der Kognitivierung und der Habitualisierung. Nicht vertraut ist dem deutschen Sprecher das Fehlen von Diphthongen im Französischen (dt. Europa vs. frz. [øʀɔp]) und des coup de glotte . In Bezug auf die Intonation ist das Phänomen des Sinnbzw. Satzeinheiten zusammenfassenden mot phonétique hervorzuheben, das nicht selten das Ver- Aussprache und Intonation im Französischunterricht 73 stehen authentischer Texte erschwert, denn deutsche Schülerinnen und Schüler kennen aus ihrer Muttersprache klare Wortgrenzen. Außerdem ist der generell oxytone Charakter des Französischen für deutsche Schüler eine Besonderheit. Sie sind vom Deutschen her keine einheitliche Betonung gewöhnt (Beispiel: Imperativ ‚gebet’ und Substantiv ‚Gebet’), so dass der stabile Wortakzent auf der letzten Silbe des mot phonétique ( Tu as vu la maison? Tu as vu la maison rouge? Tu as vu la maison rouge de mon oncle? usw.) im Unterricht ausdrücklich hervorzuheben und einzuüben ist. 7: Ökonomie des Unterrichts Die Ökonomie des Unterrichts bezieht sich zum einen auf Laute, die in Mutter- und Fremdsprache gleich sind. Sie müssen nicht ausdrücklicher Lerninhalt sein (cf. Abel 1982, 290). Zum anderen sind in den ersten Lernjahren vom Prinzip der Ökonomie - im Gegensatz zu Forderungen des GeR und der Bildungsstandards, die Kenntnisse von Aussprachevarietäten verlangen - Allophone betroffen, die als aktive Inhalte während der Spracherwerbsphase weitgehend unbeachtet bleiben können. Zum dritten können Laute im Unterricht vernachlässigt werden, die von französischen Sprechern nicht mehr bzw. nicht mehr abweichend realisiert werden (z. B. palatales vs. velares a wie bei pâte - patte ; offenes vs. geschlossenes e, z. B. bei je donnerai - je donnerais ; Zusammenfall von œ- und e- Nasal). In den Fällen, in denen die unterschiedliche Aussprache zu semantischer Differenz führt (z. B. brun - brin ), kann die Aussprache thematisiert werden, wenn im Unterricht entsprechende Begriffe auftauchen. 8: Rezeptive Fähigkeiten Rezeptive Fertigkeiten sind wie immer weiter gefasst als produktive. Ohne auf Details einzugehen, soll die Lehrkraft die Lerner darüber informieren, dass der Französischunterricht in Deutschland auf einer bestimmten Aussprachenorm beruht, dass sie im Land aber auch eine andere Aussprache hören können als die des français standard . Mit fortschreitendem Lernzuwachs sind die Lernenden dann mit entsprechenden Beispielen (z. B. zur phonetischen Realisierung der Nasale oder des r im Midi ) zu konfrontieren (cf. Grundsatzbemerkung 7). 9: Methodische Vielfalt Die Aussprache des Lehrers ist in der Regel primäres Modell und wird von den Schülern imitiert. Seine Aussprachekompetenz muss deshalb vorbildlich sein. Relikte von dialektalen Besonderheiten aus der Muttersprache, die ins Französische übertragen werden, sind sowohl in seiner eigenen Artikulation als auch bei den Schülern auszumerzen (z. B. der im fränkischen Sprachraum häufige Zusammenfall von [b] - [p], das gerollte r). 74 Christine Michler Da Imitation auch einer vorbildlichen Aussprache allein im Unterricht nicht ausreicht, sollte die Lehrkraft den Lernwillen der Schüler steigern und effektive Lernprozesse anstoßen, indem sie eine große Bandbreite von Übungen zum Einsatz bringt, deren Art vom Alter und Sprachniveau der Schüler abhängig gemacht werden muss. So ist das Chorsprechen in der Anfangsphase sicher ein probates Mittel, die Lernenden an die fremde Artikulationsbasis zu gewöhnen. Problematisch ist jedoch, dass Chorsprechen zwar Sprachhemmungen verringert, es aber auch zulässt, sich zu „verstecken“. Nicht möglich ist dies hingegen bei szenischen Spielen, die insbesondere der Anwendung von Ausspracheregeln in einem kommunikativen Zusammenhang zuträglich sind. Kognitivierung wird durch andere methodische Mittel erreicht: Demonstration der Artikulation und ihre Beschreibung (z. B. anhand der Abbildung eines Kehlkopfes), Illustrationen (z. B. Intonationskurven) oder Einsatz von Ausspracheregeln und Lautschrift. Bewährt haben sich auf Phoneme oder Intonation ausgerichtete Hörverstehensübungen, z. B. das Ankreuzen des richtigen Nasalvokals (z. B. vin - vont - vent; bon - banc - bain ) oder das Finden von Paaren (z. B. tout - doux; tes - des ). Für die Anfangsphase sind im weitesten Sinn spielerische Übungen unter Einbezug motorischer Elemente besonders geeignet. Wenn die Schüler beispielsweise vom Oralvokal ausgehend den Kopf in den Nacken legen, erleichtert dies die am Anfang ungewohnte Artikulation der französischen Nasale. Die Opposition stimmlos - stimmhaft ([s] vs [z], [ʒ] vs [ʃ]) kann mit der Hand am Kehlkopf eingeübt werden. Richtig ist die Aussprache, wenn bei den stimmhaften Varianten eine Vibration spürbar ist. Der Hinweis, dass man nur auf die stimmhaften Konsonanten summen kann, ist hilfreich und kann einzeln oder im Klassenverband umgesetzt werden. Spielerische Elemente enthält auch der Einsatz von Zungenbrechern oder von Comptines (z. B. Dans ta tente ta tante t’attend oder 1, 2, 3, nous avons un gros chat/ 4, 5, 6, il a de longues griffes / usw.) oder von Videoclips (u. a. von Alain le Lait auf YouTube zu den Zahlen), die zum Nachsprechen bzw. rhythmischen Übungen anregen. 10: Sprachlernbewusstheit Eine kognitivierende Schulung von Aussprache und Intonation sowie (rezeptive) Grundkenntnisse der Lautschrift ( API ) sind Voraussetzungen für Sprachlernbewusstheit, die ihrerseits dazu beiträgt, den Erwerb von Sprachkompetenz effizienter zu gestalten. Sie stärkt die gewünschte Autonomie der Lerner, nicht zuletzt auch in Hinblick auf die Selbstevaluation der Aussprache. Aussprache und Intonation im Französischunterricht 75 6. Fazit und Ausblick Die Zielsetzung des Unterrichts hängt einerseits vom zeitlichen Rahmen und damit der Intensität des Lehrgangs, andererseits auch von den Bedürfnissen der Lerner ab, d. h. ein Lehrgang für Französisch als spätbeginnende Sprache kann nicht die gleichen Absichten verfolgen wie ein Lehrgang für Französisch als erste Fremdsprache, ein Volkshochschulkurs bedient mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Interessen der Teilnehmer als Französischunterricht im Gymnasium. Für alle Lehrgänge gilt aber gleichermaßen, dass das primäre Ziel die grundsätzliche Befähigung zur Verständigung im Französischen ist. Dazu bedarf es einer fundierten Ausspracheschulung, denn eine mangelhafte Aussprache eines Französischlernenden kann, wie eingangs betont, ein Hindernis für die (interkulturelle) Kommunikationsfähigkeit und für gut funktionierende Kontakte sein. Eine Rückbesinnung auf eine systematische und konsequente Ausspracheschulung scheint insbesondere vor dem Hintergrund der von den Bildungsstandards vorgegebenen Leitlinie des Sprachunterrichts notwendig. So sehr das dort angestrebte Ziel der Kommunikationsfähigkeit auch dem Ansehen von Fremdsprachenunterricht und damit der Motivation der Lerner zuträglich ist, so bedenklich ist doch, dass damit die sprachliche Genauigkeit der kommunikativen Kompetenz und dem Gelingen des Gedankenaustauschs untergeordnet wird, was dazu führen kann, dass Exaktheit im sprachlichen Bereich in der Unterrichtspraxis vernachlässigt wird und fundierte Fachkenntnisse zu oft durch Kompetenzen ersetzt werden, die im zeitlich beschränkten Unterricht jedoch nicht vertieft aufgebaut werden können. Mit Leupold 2007 wird deshalb davor gewarnt, dass durch die Betonung von Kompetenzen das klassische Verständnis des Sprachenlernens (durch Grammatik und Wortschatz) einem breiten Anwendungsfächer (Alltag, Realität) weicht. Durch das mit der Kompetenzorientierung eng verbundene Konzept des Tasked based language learning ( TBLL ) werden vorrangig Aufgaben in den Blick genommen, die hauptsächlich kommunikative Fertigkeiten, selten aber konkret einzelne sprachliche Mittel überprüfen. Die Steigerung der Qualität des Französischunterrichts kann aber nur mit einer Rückbesinnung auf elementare Belange gelingen, die der „Komplexität“ des Unterrichts (Leupold 2007, 19) Rechnung tragen. Dieser sollte bei aller Wertschätzung der Kompetenz- und Aufgabenorientierung das Spannungsverhältnis von Sprachwissen und Sprachkönnen im Auge behalten. 76 Christine Michler Abel, Fritz. 1982. „Vorschlag eines Abschlussprofils „Aussprache“ für den Französischunterricht an Deutschsprachige“, in: Die Neueren Sprachen , 81, 289-304. Arnold, Werner. 1973. Fachdidaktik Französisch . Stuttgart: Klett. Bayerischer Lehrplan. 2004. Französisch (2. Fremdsprache), 6. Jahrgangsstufe (Gymnasium) : http: / / www.isb-gym8-lehrplan.de/ contentserv/ 3.1.neu/ g8.de/ index.php? Story- ID =26 317 (20. 11. 2015). Bayerischer Lehrplan. o. J. Französich, Jahrgangsstufe 7 (Realschulen) : https: / / www.isb. bayern.de/ download/ 11995/ franzoesisch_7.pdf (20. 11. 2015). Becker, Norbert/ Bossung, Elisabeth. 1990. Cours Intensif 1 Neu. Lehrerbuch . Stuttgart: Ernst Klett Schulbuchverlag. Beutter, Monika et al. 1994. Découvertes, série bleue für den schulischen Französischunterricht 1 . Stuttgart et al.: Klett. 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Einleitung Im besten Fall werden in der Schule die Phonetik / Phonologie als Unterrichtsinhalt und das Lernziel „gute Aussprache“ gelegentlich verfolgt, oftmals aber ganz ausgeblendet. Die gängigen Begründungsmotive für diese zurückhaltende Haltung seitens der Lehrenden lauten: Phonetik als solche ist zu technisch, eine gute Aussprache wird sowieso mitgelernt oder auch nicht, alles hängt von der Begabung der Lernenden ab, eine gute Aussprache ist nicht so wichtig etc. Die defizitäre Ausbildung der Lehrkräfte in diesem Bereich ist als eine der Ursachen dieser Nichtbeachtung anzuführen. Zudem besitzen die Lehrenden mangelnde Kenntnis darüber, dass eine gut ausgebaute phonetisch-phonologische Kompetenz die Basis für eine gute Lese- und Schreibkompetenz ist. Und dennoch wird die Beherrschung der Aussprache und Intonation als wichtige Kompetenz durchgehend in den Fremdsprachenlernprogrammen genannt. Wie kann man die Aussprachekompetenz also definieren? Wie lassen sich für eine gelungene Kommunikation relevante phonetische Hör- und Sprechfertigkeiten eingrenzen? Gibt es einen Kriterienkatalog, nach dem beurteilt werden kann, was eine gute Aussprache ausmacht und wie somit die entsprechenden Lerninhalte für den Französischunterricht abzugrenzen sind? Die Beschreibung der Aussprachekompetenz, wie sie z. B. in der folgenden Tabelle (s. Tab.1) des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) angegeben wird, erweist sich bei einer genaueren Analyse als nicht eindeutig genug, um einen Kriterienkatalog aufstellen zu können. Wie lassen sich z. B. die Formulierungen „mit einiger Mühe“, „klar genug“, „natürliche Aussprache“ für den Französischunterricht als Lernziele umsetzen? Zudem geht aus dieser Tabelle nicht eindeutig hervor, warum ein Deskriptor einem Beherrschungsniveau zugeordnet wurde. Auf welchen theoretischen Grundlagen basiert die Behauptung, dass im Niveau C1 die Lernenden in der 80 Isabelle Mordellet-Roggenbuck Lage sein sollen, „Bedeutungsnuancen“ durch die Variation der Intonation zu erreichen? Kann ein Ziel des fremdsprachlichen Anfangsunterrichts wirklich darin bestehen, die Lernenden darauf vorzubereiten, ihren bzw. seinem potentiellen muttersprachlichen Gesprächspartner vollkommen ausgeliefert zu sein? Und wieso sollte nur die bzw. der kompetente Lernende über eine klare Aussprache verfügen? Wie ist es für Lernende machbar, bis zum Niveau B1 einen fremden Akzent zu haben, und diesen ab Niveau B2 abzulegen? Beherrschung der Aussprache und Intonation C2 Wie C1 C1 Kann die Intonation variieren und so betonen, dass Bedeutungsnuancen zum Ausdruck kommen. B2 Hat eine klare, natürliche Aussprache und Intonation erworben. B1 Die Aussprache ist gut verständlich, auch wenn ein fremder Akzent teilweise offensichtlich ist und manchmal etwas falsch ausgesprochen wird. A2 Die Aussprache ist im Allgemeinen klar genug, um trotz eines merklichen Akzents verstanden zu werden; manchmal wird aber der Gesprächspartner um Wiederholung bitten müssen. A1 Die Aussprache eines sehr begrenzten Repertoires auswendig gelernter Wörter und Redewendungen kann mit einiger Mühe von Muttersprachlern verstanden werden, die den Umgang mit Sprechern aus der Sprachengruppe des Nicht-Muttersprachlers gewöhnt sind. Tab. 1: Beherrschung der Aussprache und Intonation (Europarat 2001, 117) 2. Dimensionen der Aussprachekompetenz In den folgenden Ausführungen geht es zuerst darum, die Aussprachekompetenz als Bestandteil der kommunikativen Kompetenz zu definieren sowie über die Wirkung eines fremdsprachlichen Akzents zu reflektieren. Ferner werden wir am Beispiel des Liaison -Erwerbs veranschaulichen, inwiefern sich der Ausspracheerwerb in der Erst- und in der Fremdsprache unterscheidet und welche Implikationen sich daraus für die Ausspracheschulung ergeben. Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht 81 2.1 Fremdsprachlicher Akzent und Kommunikation Im Zusammenhang mit der Thematik der Aussprachevermittlung im Fremdsprachenbzw. Französischunterricht kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, inwiefern ein fremdsprachlicher Akzent für Fremdsprachenlernende problematisch sein kann, solange die kommunikativen Ziele erreicht werden. Der fremdsprachliche Akzent zeigt sich in eminenter Weise in der Prosodie, durch die die emotionale Seite der gesprochenen Sprache auch mit vermittelt wird. Nicht zuletzt wird die bzw. der L2-Lernende durch die Artikulation bestimmter Phoneme als Angehöriger einer anderen Sprachgemeinschaft erkannt. Typisch für den deutschen Akzent im Französischen sind z. B. die stimmlose Aussprache von Konsonanten im Anlaut eines Wortes (< brune > wird wie < prune > ausgesprochen) sowie die Übertragung des deutschen Rhythmus und der Wortakzentuierung auf das Französische. Nicht zu leugnen ist, dass der fremdsprachliche Akzent - gewollt oder ungewollt - einen Teil der Identität der Sprecherin bzw. des Sprechers verrät. Dies kann positive oder negative Konsequenzen für den weiteren Verlauf eines Gesprächs mit Muttersprachlerinnen und -sprachlern haben, wie empirische Studien aus den 80er Jahren bereits gezeigt haben. An dieser Stelle soll lediglich eine amerikanische Studie genannt werden, die gezeigt hat, dass Muttersprachlerinnen und -sprachler die Kommunikation z.T. sogar abbrechen, wenn sie den fremdsprachlichen Akzent wahrnehmen (Champagne-Muzar / Bourdages 1998, 25). Je nach Ausgangssprache kann dennoch die Akzeptanz unterschiedlich ausfallen, was auch mit dem sozialen Prestige einer Sprache zu tun hat oder mit den Vorurteilen einhergeht, die die Mehrheit von Sprecherinnen und Sprechern einer bestimmten Sprache gegenüber einer anderen fremden Sprache haben. Dass die lautlichen und prosodischen Abweichungen ihren Ursprung in der Erstsprache des Sprechers haben, ahnen Laien teilweise. Dennoch wird der fremdsprachliche Akzent öfter mit kulturellen Klischees assoziiert, was in der Werbebranche unter dem Begriff Foreign branding vielfach benutzt wird, um einem Produkt den Flair einer ausländischen Herkunft zu verleihen und dadurch mehr Umsatz zu erzielen. So werden weltweit zahlreiche Lebensmittel oder Kleidungsketten mit französischen Namen versehen, während technische Produkte gern deutsch klingen dürfen (Müller / Gelbrich 2015, 360). Nicht selten erfährt eine französische Studentin in Deutschland eine freundliche Bewertung ihres französischen Akzents, während eine deutsche Erasmus-Studentin in Frankreich auch mit negativen Kommentaren aufgrund ihres deutschen Akzents konfrontiert wird. Dieser Aspekt wird neuerdings wieder von der Forschung aufgegriffen. Als Beispiel kann die quantitative Querschnittstudie von Settinieri angeführt werden, in der es um die soziale Akzeptanz von typischen Fehlern von L1-Sprecherinnen und -Sprechern des 82 Isabelle Mordellet-Roggenbuck Französischen bzw. des Russischen durch deutsche Muttersprachlerinnen und -sprachler geht. Die Studie konnte zeigen, dass „unterschiedliche phonetische Abweichungen von der L2-Norm signifikant unterschiedlich positiv bzw. negativ bewertet werden“ (Settinieri 2011, 76), sowie, dass „die Bewertung der einzelnen Ausspracheabweichungen tatsächlich mit der globalen Bewertung eines Akzents korreliert“. Ein Hauptergebnis der Studie ist, dass ein russischer Akzent im Deutschen als L2 signifikant negativer bewertet wird als ein französischer (Settinieri 2011, 69). 1 Mir sind zurzeit keine wissenschaftlichen empirischen Studien bekannt, die sich mit der Bewertung des deutschen Akzents im Französischen als L2 befassen. Insofern fehlt eine wissenschaftliche Fundierung, um behaupten zu können, dass ein deutscher Akzent sich positiv oder negativ auf die Gesprächspartner auswirkt. Dennoch scheint es wichtig, diesen Aspekt der sozialen Akzeptanz zu erwähnen, weil er für die Gestaltung und für die Akzeptanz des Lerngegenstands „Aussprache“ von Relevanz sein könnte. Bei der Aussprachevermittlung sollte dementsprechend auf jeden Fall eine Aufklärung über die Vor- und Nachteile eines fremdsprachlichen Akzents erfolgen, um die Lernenden zum reflexiven Lernen anzuleiten, inwiefern eine adäquate Aussprachekompetenz erstrebenswert ist. 2.2 Aussprachekompetenz als Teil der kommunikativen Kompetenz Die Entwicklung der Aussprachekompetenz der Lernenden im Fremdsprachenunterricht ist insofern wichtig, als die Aussprache für einen großen Teil der kommunikativen Handlung verantwortlich ist. Gesprochene Sprache besteht zwar nicht nur aus artikulierten Lauten oder Lautfolgen. Im Zusammenhang mit der lexikalischen / morphologischen Selektion und der syntaktischen Kombination ist aber eine adäquate phonetische / phonemische Realisation einschließlich Prosodie für eine gelungene mündliche Kommunikation ausschlaggebend. In Anlehnung an die „Taxonomie der Daten in der mündlichen Kommunikation“ von Henne / Rehbock ( 3 1995, 62) lassen sich vokale Grundelemente der mündlichen Kommunikation definieren. Die vokalen Elemente sind hörbar, einerseits individuell-anatomisch vorgegeben (die Stimme) und sprachbegleitend (Stimmgebung, wie z. B. ruhig oder ironisch), andererseits sprachlich vorgegeben (supra-segmental und segmental). In einer authentischen Kommunikationssituation geht es außerdem immer um ein Miteinandersprechen, was impliziert, dass der kommunikative Prozess 1 „Während insbesondere russischsprachige Studierende vergleichsweise häufig äußern, unter ihrem Akzent zu leiden, geben französischsprachige Studierende häufig an, gar keine Notwendigkeit zu sehen, ihren Akzent zu reduzieren, da dieser insgesamt sehr positiv sanktioniert werde“ (Settieneri 2011, 79). Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht 83 zwangsläufig auf Reziprozität und Reflexivität angewiesen ist (Mordellet-Roggenbuck 2002, 29). Aus diesem Grund ist in einer mündlichen Kommunikation das Hören genauso wichtig wie das Sprechen. Die vorher genannten vokalen Elemente werden in einer realen kommunikativen Situation durch Mimik, Gestik und Proxemik zusätzlich unterstützt (Mordellet-Roggenbuck 2002, 31). All dies sind Faktoren, die für eine gelungene Kommunikation im Idealfall kontextangemessen sein sollten. Geißner (1982, 15) unterstreicht, dass „es ‚ich spreche‘ außer in Simulationssituationen oder pathologischen Zuständen gar nicht gibt, sondern immer nur Miteinandersprechen“. Dies gilt ebenso für „ich höre“. Ich kann nur hören bzw. verstehen, was der andere mir sagt. Bezogen auf die mündlichen Sprachproduktionen der Lernenden im Fremdsprachenunterricht ist davon auszugehen, dass sie stets in kommunikative Lehr-Lern-Situationen eingebettet sind. Ein kurzer Blick in die Beschreibungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) bestätigt diese Annahme. Als Beispiel kann die Beschreibung für das Niveau A1 im Kompetenzbereich „Verstehen / Hören“ aus der Tabelle 2 „Gemeinsame Referenzniveaus: Raster für die Selbstbeurteilung“ (Europarat 2001, 36) angeführt werden. Eine deutliche und langsame Aussprache des Gesprächspartners wird als Voraussetzung für das Hörverstehen des Zuhörers angegeben. Niveau A1, Verstehen, Hören: Ich kann vertraute Wörter und ganz einfache Sätze verstehen, die sich auf mich selbst, meine Familie oder auf konkrete Dinge um mich herum beziehen, vorausgesetzt es wird langsam und deutlich gesprochen. Tab. 2: „Gemeinsame Referenzniveaus: Raster für die Selbstbeurteilung“ (Europarat 2001, 36) An dieser Stelle halten wir also fest, dass die Aussprache, verstanden als Produktion - Sprechen und Rezeption - Hören -, ein wichtiger Bestandteil der mündlichen Kommunikation unter anwesenden Gesprächspartnern ist. Insofern ist die Aussprachekompetenz ein Element der kommunikativen Kompetenz, die ihren Teil zum Gelingen oder Scheitern der Kommunikation beiträgt. Dementsprechend sollte die Aussprachekompetenz auch kontextgebunden in den Kompetenzteilen Hören, Sprechen und Hörverstehen gelehrt und gelernt werden. Die Lernenden sollten die Möglichkeit bekommen, in kommunikativen Situationen ihre Aussprachekompetenz zu üben. Dies bedeutet, dass die Aufmerksamkeit seitens der Lernenden wie seitens der Lehrkraft regelmäßig und gezielt auf phonetisch-phonologische Phänomene gerichtet werden sollte. 84 Isabelle Mordellet-Roggenbuck 2.3 Unterschiede im Erst- und Fremdspracherwerb am Beispiel der liaison Dass das Kleinkind Zugang zu seiner Erstsprache zunächst durch Zuhören und über die Prosodie findet, hat die Spracherwerbsforschung längst gezeigt. Mit ca. sechs Monaten fängt ein Baby an, die Informationen zu verarbeiten, die ihm sein Ansprechpartner durch die prosodischen Merkmale liefert. Die Hör- und Sprechmuster werden erst im Bereich der Prosodie und dann im Bereich der Laute gebildet. Der Definition von Hörmustern Slembeks (1997, 225 f.) zufolge, - „Hörmuster sind kultur- und gruppengebunden, sie haben kognitive, soziale und emotionale Komponenten“ - , sprechen wir von Aussprachemustern, die als „gestes sociaux“ (Hagège 1996, 22) zum Kulturgut einer Sprachgemeinschaft gehören. 2 Diese unmittelbare Anknüpfung an die allerersten sozialen und emotionellen Erfahrungen des Menschen bei der Herausbildung der prosodischen und lautlichen Hörmuster könnte vermutlich der Grund sein, warum erwachsene Lerner sich oft schwer tun, eine neue Aussprache zu lernen. Das Phänomen der liaison ist ein Charakteristikum der französischen Phonetik, das bei Nichtbeachtung vor allem der obligatorischen liaisons die Kommunikation gravierend stören kann. Am Beispiel des liaison -Erwerbs soll nun aufgezeigt werden, inwiefern Ergebnisse der Spracherwerbsforschung die didaktischen Überlegungen zur Aussprachekompetenz anregen können. Die liaison verursacht bei der Muttersprachlerin bzw. dem Muttersprachler (L1-Lernende) sowie bei Fremdsprachenlernenden (L2-Lernende) des Französischen eine Ambiguität auf der Bedeutungsebene. Nach Wauquier (2009) verfügen die beiden Lerngruppen allerdings über unterschiedliche Strategien im Umgang mit diesen Schwierigkeiten. Es lassen sich danach zwei Erklärungsmodelle, ein phonologisches und ein lexikalisches, aufstellen. Schauen wir uns zuerst die L1-Lernenden an: Die bzw. der L1-Lernende, ein kleines Kind, hört z. B. das Wort éléphant normalerweise nur im Kontext, also tu veux ton éléphant? , un petit éléphant, au zoo il y a des éléphants, oh le bel éléphant! und verfügt somit zuerst nicht über die alleinige Referenzform éléphant . Die Wortgrenze ist für L1-Lernende / Hörende nicht eindeutig zu erkennen, das Kind hört seine Umgebungssprache in Wortgruppen, in den sog. mots phonétiques , in groupes rythmiques . Zur Erinnerung: Diese bestehen aus mehreren Silben und bilden Sinneinheiten, die bestimmten Regeln folgen und nur einen Akzent tragen, und zwar auf der letzten Silbe. Spracherwerbforscher haben gezeigt, dass Kinder im frühen Alter die liaison sowohl perzeptiv als auch produktiv in verschiedenen Phasen erwerben, bis sie 2 „Il faut donc considérer que les habitudes articulatoires acquises dès l’enfance dans la première année sont des gestes sociaux, et que c’est là la raison des fortes pressions qu’elles exercent une fois qu’elles sont enracinées“ (Hagège 1996, 22). Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht 85 kompetent damit umgehen können. Die ersten liaison -Fehler tauchen mitten in der morpho-syntaktischen Erwerbsphase auf, wenn die Kinder schon über einen beträchtlichen Wortschatz verfügen. Les enfants francophones L1 semblent acquérir la liaison à un moment précis du développement phonologique en interface avec l’acquisition de la syntaxe et de la morphologie, par généralisation grammaticale sur le contexte obligatoire et non pas par contexte, puisqu’une fois que la généralisation est faite vers 4 ans, les erreurs sur les contextes obligatoires disparaissent (Wauquier 2009, 9). Dies erklärt warum die L1-Lernenden Fehler in der Wortgrenze machen und „ regarde le néléphant “ sagen. Die anfänglichen Fehler liegen in den obligatorischen liaisons , meistens in dem Kontext Artikel + Nomen mit oder ohne Adjektive. Beispiele (Wauquier 2009, 10) hierfür sind: - Gebrauch des falschen Konsonanten: [lenan] für „ les ânes “ [lezan], [lenelefɑ̃] für [lezelefɑ̃]. - Übergeneralisierung der Auswahl des Possessivpronomens „ma“ und Fehler bei der Segmentierung: [ʒəvԑamanekɔl] für [ʒәvԑamɔnekɔl]. „ Je vais à mon école “. - Gebrauch des falschen Konsonanten, diesmal wegen einer harmonie consonantique : un momard [ɛ̃momaʁ] für [ɛ̃ˀomaʁ] un homard , un féféphant anstelle von un éléphant . Die Konsonanten, die die meisten Fehler verursachen, sind [n] und [z], weil sie im obligatorischen Kontext sehr häufig zu finden sind. Im Alter von ungefähr vier Jahren haben die Kinder diese Schwierigkeiten überwunden und sind in der Lage den Status des liaison -Konsonanten ( consonne de liaison ) in der Produktion wie in der Perzeption richtig zu beurteilen. Erst im Alter von sieben bis acht Jahren treten Fehler im Bereich der liaisons facultatives auf, in einem Alter, in dem sich die pragmatische Kompetenz entwickelt (Wauquier 2009, 8). In diesem Fall sind die begangenen Fehler denen Erwachsener ähnlich. Ces ‚types de fautes‘ qu’on observe alors manifestent la même variation libre que celle qui s’observe chez l’adulte. On peut supposer qu’elles reflètent les mêmes conditionnements sociolinguistiques, externes à la représentation de l’objet phonologique en soi. Les enfants à partir de cet âge-là peuvent choisir de faire ou de ne pas faire ces liaisons, de les enchaîner ou pas. 86 Isabelle Mordellet-Roggenbuck Wie sieht es bei L2-Lernenden aus? Auch sie haben oft Verständnisschwierigkeiten beim Zuhören und beim Sprechen, die auf die liaison zurückzuführen sind. Den L2-Lernenden geht es in dem Fall nicht anders als den L1-Lernenden. Nur wenige Studien haben sich mit Problemen der liaison bei L2-Lernenden beschäftigt. Aus diesem Grund spricht Wauquier ganz vorsichtig von Tendenzen. Dennoch würde jemand, der mit L2-Lernenden des Französischen zu tun hat, diese Tendenzen mit großer Wahrscheinlichkeit intuitiv bestätigen. Wauquier stellt fest, dass L2-Lernende auch bei hoher sprachlicher Kompetenz z.T. immer noch Fehler bei den liaisons machen. Eine Studie mit anglophonen Lernenden im dritten Lernjahr hat gezeigt, dass im obligatorischen Kontext 20 % der liaisons fehlerhaft waren. Entweder wurden sie ganz ausgelassen oder mit dem falschen Konsonanten verwendet. Oft entspricht dieser falsche Konsonant dem Buchstaben in der geschriebenen Form: z. B. un grand ami wird [ɛ̃ɡʁɑ̃dami] statt [ɛ̃ɡʁɑ̃tami]. Die nicht obligatorischen liaisons werden in der Mehrzahl einfach nicht getätigt. Zu erwähnen ist, dass in den genannten Studien die Erstsprachen der Lernenden germanische Sprachen sind (Englisch, Schwedisch und Niederländisch), Sprachen, in denen die lexikalischen und syllabischen Grenzen viel eindeutiger als im Französischen sind. La situation provoquée par la liaison, qui crée une resyllabation masquant la frontière des mots, est peu répandue dans cette famille de langues (Wauquier 2009, 13). Außerdem beeinflusst die Orthographie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Aussprache der L2-Lernenden. Während die L1-Lernenden allmählich durch ihre Spracherfahrung die Referenzform in ihren Wortschatz aufnehmen, verfügen die L2-Lernenden bereits über diese Form - das Wort éléphant hat sie bzw. er mit großer Wahrscheinlichkeit im Unterricht als Vokabel explizit gelernt. Pour retrouver les mots dans le signal, les apprenants en L1 ne peuvent donc s’appuyer ni sur une information lexicale finie préstockée, ni sur un système phonologique achevé, et doivent opérer un tri et une segmentation efficace et organisée du matériau sonore qui les environne sur la seule base de leur expérience sensorielle. Pour les apprenants en L2, la situation est sans doute différente dans le sens où l’apprentissage explicite d’un lexique permettant la communication immédiate est réalisé dès l’entrée dans la L2 (Wauquier 2009, 7). Im Französischen entsprechen die Wortgrenzen selten den Silbengrenzen. Insofern hört die bzw. der L2-Lernende ein langes mehrsilbiges Wort, das ihm auf der Inhaltsebene Schwierigkeiten bereiten kann. Da Erstspracherwerb und Fremdspracherwerb sich naturgemäß stark in Quantität und Qualität des Inputs sowie in der Lernmotivation unterscheiden (für L1-Lernende ist es lebenswichtig zu kommunizieren und somit das Gehörte zu verstehen und sich verständlich Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht 87 zu äußern), sollten im didaktischen Arrangement die lexikalischen Einheiten nicht nur in ihren Referenzformen, sondern auch im Kontext dargeboten und zudem geübt werden. Die Lehrkräfte sollten gerade im Anfangsunterricht keine Angst vor Überforderung der Lerner durch die akustische Konfrontation mit der chaîne parlée haben, in der liaison , élision , enchaînements vocaliques und consonantiques authentisch gesprochen werden. Vielmehr sollte kontinuierlich und von der ersten Unterrichtsstunde an möglichst in rhythmischen Wortgruppen gehört und gesprochen werden und daraus sollten gezielte Ausspracheübungen (Hören und Sprechen) abgeleitet werden. Phonetische Merkmale der französischen Sprache, die im Unterricht (wenn überhaupt) traditionell erst später thematisiert werden, sollten von Anfang an gehört, geübt, gesprochen und kommunikativ angewendet werden. 3. Phonetik und Phonologie als Bezugswissenschaft Nachdem wir verschiedene Dimensionen der Aussprachekompetenz skizziert haben, geht es im folgenden Abschnitt darum, grundsätzliche Charakteristika der französischen Phonetik herauszuarbeiten, die für die Entwicklung der Aussprachekompetenz von deutschen Lernenden von Bedeutung sind. Die Phonologie als funktionelle Lautwissenschaft liefert das Phoneminventar einer Sprache. Das Französische umfasst 15 Vokale (12 orale und drei nasale), 3 Halbvokale und 18 Konsonanten. Das Phonem als abstrakte Einheit, die selbst keine Bedeutung hat, wird als die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit einer Sprache definiert. Die tatsächliche Realisierung der Phoneme kann, ohne einen Einfluss auf die Bedeutung zu haben, variieren. Als Beispiel kann die Realisierung des Phonems / ʁ/ angeführt werden: Im Französischen wird das Phonem / ʁ/ meist uvular gesprochen; eine regionale Variante, die sogenannte freie Variante, bildet der mit der Zungenspitze erzeugte Vibrant [r] (Stein 1998, 17-18). Auch gibt es kombinatorische Varianten, die von der Lautumgebung abhängig sind. Hier kann die Aussprache von / k/ angeführt werden: Vor dem Phonem / i/ wird / k/ , wie in kilo , am vorderen Gaumen, vor / u/ , wie in cou , am hinteren Gaumen artikuliert (Stein 1998, 18). Außerdem geben weitere phonologische Regeln Aufschluss über phonologische Prozesse, wie z. B. wann ein oraler Vokal als nasalisierter Vokal realisiert wird, also z. B. warum banane [banan] gesprochen wird und banc [bɑ̃], oder in welchen Konstellationen die liaison , wie in le petit ami , oder die Elision vorkommt, le chat vs. l’hôtel . Die Phonetik ihrerseits „untersucht den Akt des Sprechens, die Laute und Lautsequenzen in ihren unterschiedlichen Realisierungen“ (Stein 1998, 13). Wichtig in unserem didaktischen Zusammenhang ist die artikulatorische Phonetik, die die 88 Isabelle Mordellet-Roggenbuck Art und Weise des Produzierens von einzelnen Lauten beschreibt. Die Laute des Französischen können dank der Lautschrift (API) transkribiert werden, was dem Lerner eine große Hilfe ist. Bleibt noch die Prosodie zu erwähnen, die sich mit den supra-segmentalen Charakteristika einer Sprache befasst, wie Intonation und Betonung. All diese Phänomene sind mehrmals ausführlich und detailliert dargestellt worden (für eine Einführung in die Grundkenntnisse der Phonetik und Phonologie des Französischen, die sich gezielt an zukünftige Lehrerinnen und Lehrer wendet, s. Mordellet-Roggenbuck 2 2010). Die Phonetik / Phonologie bildet die Bezugswissenschaft für eine kompetente Lehre der Aussprache. Eine fachlich kompetente Lehrkraft sollte über Wissen in Phonetik / Phonologie, wenn möglich kontrastiv, verfügen, mit der Terminologie umgehen können und in der Lage sein, die Fremdsprache in API zu transkribieren. In Bezug auf die Herausbildung einer adäquaten Aussprache bei deutschen Lernenden sollte den folgenden Merkmalen der französischen Laute besondere Beachtung geschenkt werden. In aller Kürze werden sie an dieser Stelle unter dem Blickwinkel des Vergleichs mit den deutschen Lauten und der deutschen Prosodie aufgeführt. Die französischen Vokale Die französischen Vokale unterscheiden sich von den deutschen vor allem nach folgenden Kriterien: - Öffnungsgrad (drei Öffnungsgrade des Kiefers für die frz. Vokale vs. vier für die dt. Vokale). - Oralität vs. Nasalität. - Labialität (gerundet vs. nicht gerundet). Die Lippentätigkeit wird bei den französischen Vokalen (wie z. B. bei [i]: Lippen stark gespreizt und Mundwinkel weit zurückgezogen) viel stärker als im Deutschen realisiert. - Länge. Französische Vokale sind nur in bestimmten Positionen lang (in betonter Position und in Abhängigkeit von den umgebenden Lauten wie z. B.: J’ai la rage ). Die französischen Konsonanten Die französischen Konsonanten unterscheiden sich von den deutschen vor allem in folgenden Bereichen: - Artikulationsmodus (s. den Unterschied zwischen der Artikulation von „ein Damm“ und une dame ). - Französische Konsonanten werden nicht behaucht. - Sonoritätsmerkmal (stimmlos-stimmhaft). Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht 89 - Realisierung des [ʁ]. Im Französischen wird das Phonem / ʁ/ in jeder Position und nicht vokalisiert artikuliert. Die Prosodie Drei Hauptmerkmale der französischen Prosodie lassen sich für didaktische Zwecke auflisten, die sich stark von der deutschen unterscheiden. - Groupes rythmiques und Betonung der letzten Silbe. - Rhythmus (das Französische gehört zu den silbenzählenden Sprachen, das Deutsche zu den akzentzählenden). - Intonation. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich bei der Phonetik / Phonologie um ein Gebiet der Sprache handelt, das überschaubar und somit gut zu lehren und zu lernen ist. 3 4. Entwicklung der Aussprachekompetenz der Lernenden im Französischunterricht Ausgehend von den vorherigen Ausführungen lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Aussprachekompetenz: - ein Bestandteil der kommunikativen Kompetenz ist, - die sowohl das Hören als auch das Sprechen in kommunikativen Situationen betrifft, - einiges über die Sprecherin und den Sprecher und ihre bzw. seine Erstsprache verrät, - die Basis für eine kompetente Mündlichkeit und - die Basis für eine kompetente Schriftlichkeit ist. Phonem-Graphem-Entsprechungen Bezogen auf die beiden letzten Punkte sollte die Ausspracheschulung immer, wenn auch nicht immer gleich zu Beginn des Französischunterrichts, eine Schulung der Phonem-Graphem-Entsprechungen beinhalten. Dadurch soll die Aus- 3 Somit verhält sich die Phonetik / Phonologie wie jede weitere Domäne des Systems „Sprache“, wie z. B. auch die Morphologie oder die Syntax, die im Studium oder in der Schule in entsprechender Form Bestandteil des Unterrichts sind. Und dennoch wird an der Universität die Phonetik / Phonologie anders behandelt, oft als ein Thema im Rahmen einer Einführung in die Linguistik. In der Regel ist auch ein sprachpraktischer Phonetik- Kurs zur Schulung der eigenen Aussprachekompetenz der Studierenden im Lehramtsstudium Französisch verpflichtend; vertiefende Schwerpunkte werden aber eher selten Bestandteile eines eigenen Seminars, geschweige denn eines Didaktikseminars. 90 Isabelle Mordellet-Roggenbuck spracheschulung als Vorbereitung auf ein verstehendes Lesen und Schreiben fungieren. Ein Beispiel aus einem umfangreichen authentischen Material, das in einer 4. Klasse gesammelt wurde, soll die Problematik veranschaulichen. 4 Im Rahmen einer Grammatikübung sollten die Schüler verschiedene Tiernamen auf einem Arbeitsblatt eintragen und dabei die Plural- oder Singularform verwenden. Es ging in der Übung um „ 2 vaches, 2 chevaux, un chien, 3 canards, une chèvre “ etc., Wörter, die seit dem ersten Lernjahr bekannt waren und gelernt wurden. Von 19 Schülerinnen und Schülern haben fünf das Wort chien als chein, chon, chiean, chja und chie orthographiert. Es gibt neun verschiedene Orthographieformen für chevaux : chanval, chewale, chevâux, scheval, cheual, schewall, cheval . Bei chèvre schreiben vier Schüler: cefrere, cherré, chévre, chäfre und für lapin finden wir: la pane, lapan, la pá, lepre, lapa, lapaine . Die Verschriftlichungen spiegeln die akustische und visuelle Memorierung der Wörter wider, die normalerweise im ersten Lernjahr eingeführt wurden, was die Verzerrung der akustischen Wahrnehmung bei den Schülern beweist. Die Entsprechungen Phonie-Graphie sind längst nicht gefestigt oder gar gelernt. Zusätzlich zu den schon zuvor angeführten Anregungen für den Unterricht heben wir schließlich hervor, dass die Aussprachekompetenz sich ab der ersten Unterrichtsstunde entwickelt und mit dem globalen Hören des Rhythmus, der Betonung und der Intonation anfängt. Erst dann sollten diskriminierende Hör- und Sprechübungen zu für deutsche Lernende schwierigen Unterscheidungen (orale und nasale Vokale, stimmlose und stimmhafte Konsonante, / r/ in allen Positionen etc.) kommen. Ferner sollte der Sprechausdruck schon zu Beginn des Französischunterrichts geübt werden und nicht erst ab Niveau C1 wie im GeR empfohlen: zum einen sachlich und zum anderen emotional. Dies kann anhand kurzer Äußerungen geschehen, wie La soupe est chaude. La fenêtre est ouverte . Dabei sollte immer wieder der französische Rhythmus geübt werden. Champagne-Muzar, Cécile / Bourdages, Johanne S. 1998. Le point sur la phonétique . Paris: CLE International. Europarat. 2001. Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. Lernen, Lehren, Beurteilen . Berlin: Langenscheidt. Geißner, Helmut. 1982. Sprecherziehung: Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation . Königstein / Ts.: Scriptor. Hagège, Claude. 1996. L’enfant aux deux langues . Paris: Odile Jacob. 4 Das Material wurde mir freundlicherweise von Frau Jemima Eberhardt zur Verfügung gestellt. Die Entwicklung der Aussprachekompetenz von Lernenden im Französischunterricht 91 Henne, Helmut / Rehbock, Helmut. 3 1995. Einführung in die Gesprächsanalyse . Berlin: de Gruyter. Mordellet-Roggenbuck, Isabelle. 2002. Artikulation des Französischen bei 8bis 10-jährigen deutschsprachigen Schülern am Beispiel einer dritten Klasse . Aachen: Shaker. Mordellet-Roggenbuck, Isabelle. 2 2010. Phonétique du français. Théorie et applications didactiques . Landau: VEP . Müller, Stefan / Gelbrich, Katja. 2015. Interkulturelles Marketing . München. Vahlen. Settinieri, Julia. 2011. „Soziale Akzeptanz unterschiedlicher Normabweichungen in der L2-Aussprache Deutsch“, in: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht , 16, 2, 66-80. Slembek, Edith. 1997. Mündliche Kommunikation - interkulturell . St. Ingbert: Röhrig. Stein, Achim. 1998. Einführung in die französische Sprachwissenschaft . Weimar: Metzler. Wauquier, Sophie. 2009. „Acquisition de la liaison en L1 et L2: stratégies phonologiques ou lexicales? “, in: Acquisition et interaction en langue étrangère (Aile) , Lia2, 93-130. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 93 Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht Ein Plädoyer für ein frühzeitiges systematisches Hörverstehenstraining Eva Leitzke-Ungerer 1. Einführung Dass Fremdsprachen über mehrere Standardvarietäten verfügen und sich daraus Unterschiede in Lexik, Grammatik, Aussprache und Schreibung - kurzum: im Bereich der sprachlichen Mittel - ergeben, ist für Spanischlernende zunächst nichts Neues. Aus dem Englischunterricht kennen sie bereits die Unterscheidung von britischem und amerikanischem Englisch; bei vorgelerntem Französisch sind sie eventuell schon dem français québécois begegnet. Im Spanischunterricht werden die Schülerinnen und Schüler nun erneut mit einer Sprache konfrontiert, die wie das Englische und Französische europäische und amerikanische Standardvarietäten aufweist, also plurizentrisch ist. 1 Daher stellt sich auch hier die Frage, wie mit diesen Varietäten und mit Varietäten generell im Unterricht umzugehen sei, um die Lernenden auf das eigentliche Ziel des Fremdsprachenunterrichts hinzuführen, d. h. sie sprachlich und interkulturell handlungsfähig für die Zielkulturen zu machen. Eine gewisse Hilfestellung in dieser schon länger kontrovers diskutierten Angelegenheit 2 liefert die Unterscheidung zwischen einer produktiven und einer rezeptiven Varietätenkompetenz. 3 So ist in den Zielländern die aktive Beherrschung einer einzigen Standardvarietät in der Regel völlig ausreichend. Entsprechend kann auch im Spanischunterricht der Fokus auf eine einzige Varietät gelegt werden (vor allem in den ersten Lernjahren, cf. Leitzke-Ungerer 2017); dies entspricht auch den Vorgaben der KMK-Bildungsstandards (2004; 2012) und 1 In Anlehnung an Kloss (1987) und Clyne (1992, 2004) werden Sprachen, die über mehr als nur einen kodifizierten Standard verfügen, als pluri- oder polyzentrisch bezeichnet. Cf. zur Plurizentrik des Spanischen auch Lebsanft / Mihatsch / Polzin-Haumann (2012). 2 Cf. für Spanisch u. a. Leitzke-Ungerer / Polzin-Haumann (2017), Martín Zorraquino / Díez Pelegrín (2001), Moreno Fernández (2007, 2010, 2014), Zimmermann (2001, 2006). 3 Cf. Reimann (2017) zur rezeptiven Varietätenkompetenz im Spanischen; zum Französischen: Reimann (2011). 94 Eva Leitzke-Ungerer von kompetenzorientierten Spanischlehrplänen, für welche die Kenntnis und die Anwendung der „Standardsprache“ vorrangig ist. In Deutschland ist dies traditionell das europäische Spanisch, das im vorliegenden Beitrag in Anlehnung an Moreno Fernández (2007; 2010) mit español castellano bzw. ‚kastilischem Spanisch‘ bezeichnet wird. 4 Anders sieht es mit der Sprach rezeption aus, vor allem mit dem Hörverstehen in mündlichen Kommunikationssituationen. Einen Muttersprachler, der sich nicht des español castellano bedient, sondern z. B. aus Andalusien oder aus Argentinien stammt, werden die Lernenden nur dann verstehen, wenn sie - neben allgemeinen Hörverstehensstrategien und Wissen über die Eigenheiten mündlicher Sprache - auch die wichtigsten Merkmale dieser diatopischen Varietäten kennen sowie über eine ausreichende Hörpraxis im Umgang mit ihnen verfügen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an. Er konzentriert sich auf die mündliche Kommunikation und geht davon aus, dass zu den wesentlichen Bestandteilen einer rezeptiven Varietätenkompetenz nicht nur Wissen über lexikalische und grammatische Unterschiede, sondern auch und vor allem über Unterschiede in der Aussprache gehört. Mit dem Erwerb von Faktenwissen ist es aber nicht getan; ebenso relevant ist prozedurales Wissen, d. h. die Fähigkeit, Hörtexte aus unterschiedlichen diatopischen Varietäten des Spanischen tatsächlich verstehen zu können. Ziel des Beitrags ist es daher, ein varietätenspezifisches, auf die Aussprache fokussiertes Hörverstehenstraining für Spanischlernende vorzustellen, das bereits in der Spracherwerbsphase eingesetzt werden kann. Dazu werden zunächst die wichtigsten Aussprachemerkmale erläutert, in denen sich die ‚großen‘ diatopischen Varietäten des Spanischen unterscheiden. 5 Es folgt eine Diskussion der Probleme, die sich beim fremdsprachlichen Hörverstehen generell sowie im Zusammenhang mit unterschiedlichen Aussprachevarietäten ergeben. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse einer Kurzanalyse aktueller Spanischlehrwerke in Bezug auf ihren Umgang mit Aussprachevarietäten präsentiert. Den Abschluss bildet ein Überblick über die Anforderungen, die das varietätenbezogene Hörverstehenstraining erfüllen soll, sowie seine exemplarische Veranschaulichung am Beispiel einer Trainingseinheit für das argentinische Spanisch. 4 Zur Problematik der unterschiedlichen Bezeichnungen cf. Moreno Fernández (2007, 18-21). 5 Der Beitrag orientiert sich an der Kategorisierung von Moreno Fernández (2007, 33-50), der auf der Basis von sprachlichen Merkmalen acht „áreas geolectales“ (ibid., 35) unterscheidet: español castellano, español de Andalucía, español de Canarias, español del Caribe, español de México y Centroamérica, español de los Andes, español de La Plata y el Chaco, español de Chile. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 95 2. Wichtige Aussprachemerkmale der nicht-kastilischen Varietäten des Spanischen Die Unterschiede zwischen den ‚großen‘ diatopischen Varietäten des Spanischen manifestieren sich im Wesentlichen in drei Bereichen - in Wortschatz, Grammatik und Aussprache. 6 Während lexikalische und grammatische Unterschiede für die Sprachrezeption, insbesondere das Hörverstehen, um das es hier gehen soll, keine nennenswerten Schwierigkeiten beinhalten 7 , stellen Unterschiede in der Aussprache sehr wohl eine Verständnishürde für die Lernenden dar, wenn auch in unterschiedlichem Maß, wie später gezeigt wird (cf. Abs. 3). Da sich der deutsche Spanischunterricht und die dort verwendeten Lehrwerke in der Regel am español castellano orientieren, fallen für die Lernenden vor allem drei Unterschiede zwischen dem kastilischen Spanisch und anderen diatopischen Varietäten ins Gewicht, die alle den Konsonantismus betreffen: (1) Reduktion von Konsonanten im Auslaut, (2) seseo und ceceo sowie (3) yeísmo in unterschiedlichen Realisierungen. Im Folgenden werden diese Merkmale nach der Häufigkeit ihres Vorkommens aufgeführt (beginnend mit der weiträumigsten Verbreitung). 8 2.1 Reduktion von Konsonanten im Auslaut Im español castellano werden die auslautenden Konsonanten, d. h. Konsonanten am Silbenbzw. Wortende, voll artikuliert, vor allem in formelleren Situationen (cf. Moreno Fernández 2007, 39; 2010, 72). Im andalusischen und im kanarischen Spanisch sowie in zahlreichen diatopischen Varietäten des amerikanischen Spanisch (dort besonders im informellen Sprachgebrauch, cf. Blaser 2011, 91-93) 6 Auf Unterschiede in der Intonation (z. B. die ‚italienische‘ Sprachmelodie des argentinischen Spanisch) kann aus Platzgründen nicht eingegangen werden. 7 Unterschiede in der Lexik beschränken sich im Wesentlichen auf den Alltagswortschatz (z. B. bonito, patatas, ordenador im kastilischen Spanisch vs. lindo, papas, computadora im amerikanischen Spanisch). Entsprechende Gegenüberstellungen kennen die Lernenden aus dem Englischen (britisches vs. amerikanisches Englisch, z. B. BrE lift, underground vs. AmE elevator, subway ). - In der Grammatik gibt es drei markante Unterschiede, die jedoch keine bzw. im Fall des voseo nur geringe Probleme für die Sprachrezeption darstellen. So wird im amerikanischen Spanisch erstens die funktionale Unterscheidung von indefinido und perfecto weitgehend vernachlässigt zugunsten des Gebrauchs des indefinido ; zweitens wird im amerikanischen Spanisch in der zweiten Person Plural ustedes anstelle von vosotros verwendet, auch in der informellen Anrede; als drittes weisen vor allem Argentinien und Uruguay die Besonderheit des voseo auf ( vos tenés statt tú tienes ), dessen Verbformen jedoch den ansonsten üblichen Formen relativ ähnlich sind. 8 In der weiteren Darstellung werden folgende Schreibkonventionen verwendet: < > für Grapheme, z. B. <s>, [ ] für Laute / Phone, z. B. [s], / / für Phoneme, z. B. / s/ . 96 Eva Leitzke-Ungerer sind diese Konsonanten, insbesondere das auslautende [s], dagegen von einer Reduktion bis hin zum Schwund bedroht. Das bedeutet, dass sie aspiriert oder geschwächt werden bzw. ganz entfallen (cf. Moreno Fernández 2007, 40sq.: aspiración, debilitamiento, pérdida ) 9 ; cf. Tab. 1, in der die Reduktion durch das Zeichen [h] wiedergegeben wird. español castellano: Artikulation von Konsonanten im Auslaut español de América, de Andalucía y de Canarias: Reduktion von Konsonanten im Auslaut hasta [asta], las mesas [las mesas], verdad [verdad], luz [luθ] hasta [ahta], las mesas [lah mesah], verdad [verdah], luz [luh] Tab. 1: Artikulation vs. Reduktion von Konsonanten im Auslaut 2.2 Seseo und ceceo Hierbei geht es um die Aussprache der Grapheme <s>, <z> und <c> (letzeres vor den hellen Vokalen / e/ und / i/ ). Während im español castellano zwischen [s] und [θ] differenziert wird und sich somit auch einige (wenige) Minimalpaare wie z. B. casa [kasa] ‚Haus‘ vs. caza [kaθa] ‚Jagd‘ ergeben, wird im amerikanischen Spanisch (sowie auf den kanarischen Inseln) diese Unterscheidung nicht vorgenommen; hier wird mehrheitlich seseo (Aussprache [s]) verwendet. 10 Im Süden Spaniens finden sich sowohl seseo als auch ceceo -Gebiete (cf. Blaser 2011, 86), wobei sich seseo auf bestimmte urbane Zentren konzentriert (Sevilla, Córdoba, nördliches Jaén, nördliches Granada) und ansonsten ceceo (Aussprache [θ]) gesprochen wird. Aus Platzgründen wird in Tab. 2 auf Südspanien nicht eingegangen. 9 Auf weitere, das Hörverstehen ebenfalls beeinträchtigende Formen der Reduktion von Konsonanten (wie z. B. in intervokalischer Position: cansao anstelle von cansado ‚müde‘) kann aus Platzgründen nicht eingegangen werden; cf. dazu Blaser 2011, 91 f. 10 Allerdings gibt es auch in Lateinamerika ceceo -Regionen, in denen sich ausschließlich die Aussprache [θ] findet. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 97 español castellano: Systematische Differenzierung zwischen [s] und [θ] español de América, español de Canarias: (vorwiegend) seseo seseo [s]: sol, casa vs. ceceo [θ]: cena, ciudad, zanahoria seseo [s]: sol, casa, cena, ciudad, zanahoria Minimalpaar casa [s] vs. caza [θ]: Pedro se va de casa [kasa] vs. Pedro se va de caza [kaθa] Identische Aussprache [s] von casa und caza : Pedro se va de casa [kasa] = Pedro se va de caza [kasa] Tab. 2: Differenzierung von [s] und [θ] vs. seseo 2.3 Yeísmo in unterschiedlichen Realisierungen Yeísmo bedeutet zunächst, dass zwischen der Aussprache des Graphems <y> (wie z. B. in ayuda ) und der des Doppelgraphems <ll> (wie z. B. in paella und parilla ) kein Unterschied gemacht wird, die phonologische Opposition zwischen / j/ und / ʎ/ ist aufgehoben (cf. Blaser 2011, 95). Ein ursprüngliches Minimalpaar wie etwa in Pedro se cayó vs. Pedro se calló ist damit verschwunden, die Aussprache der beiden Verbformen ist ein und dieselbe. Yeísmo ist in weiten Teilen Spaniens und Lateinamerikas weit verbreitet und gilt heute als Standard (während er „in Spanien noch bis vor kurzem als substandardlich“ angesehen wurde, Kabatek / Pusch 2011, 290). In Lehrwerken für den Spanischunterricht sowie in Wörterbüchern und Phonetiken (z. B. Blaser 2011) wird jedoch in der Umschrift nach wie vor differenziert: das Graphem <y> wird als [ʝ] transkribiert ( ayuda : [aʝuða]), das Doppelgraphem <ll> als [ʎ] ( paella : [paeʎa]). In Spanien hat sich in den Landesteilen, in denen yeísmo als Standard gilt, die Aussprache [ʝ] (palataler Reibelaut / Frikativ) durchgesetzt. Am weitesten entfernt vom europäischen Spanisch haben sich die La-Plata-Staaten, insbesondere die Stadt Buenos Aires; hier hat sich der palatale Frikativ [ʝ] - nicht zuletzt aufgrund des Einflusses des Italienischen - in den präpalatalen Bereich zu [ʒ] bzw. [ʃ] verschoben, wobei der stimmhaften Variante [ʒ] heute weniger Prestige zukommt als der stimmlosen Variante [ʃ] (cf. Blaser 2011, 96; Noll 2009, 31). In Spanien und in den La-Plata-Staaten wird yeísmo somit in sehr unterschiedlicher Weise realisiert (cf. Kabatek / Pusch 2011, 291 und Tab. 3): im ersten Fall als [ʝ]eísmo , im anderen als [ʒ]eísmo bzw. [ʃ]eísmo . Besonders deutlich wird dies etwa, wenn Sätze wie der folgende geäußert werden, in dem die fraglichen Elemente (hier durch Unterstreichung markiert) gehäuft auftreten: Yolanda, ¿dónde estas? Aglaya y yo necesitamos ayuda para preparar la paella / la parilla. 98 Eva Leitzke-Ungerer yeísmo: Aufhebung der phonologischen Opposition zwischen / ʝ/ und / ʎ/ und damit identische Aussprache, jedoch in jeweils unterschiedlicher Realisierung español castellano: [ ʝ ]eísmo Aussprache: [ʝ] español de Argentina y de Uruguay: [ ʒ ]eísmo bzw. [ ʃ ]eísmo Aussprache: stimmhaft [ʒ] bzw. stimmlos [ʃ] Pedro se cayó / Pedro se calló : in beiden Fällen [-ʝ-] Pedro se cayó / Pedro se calló : in beiden Fällen [-ʒ-] bzw. [-ʃ-] Tab. 3: Yeísmo in unterschiedlicher Realisierung 3. Allgemeine und varietätenspezifische Schwierigkeiten des fremdsprachlichen Hörverstehens Aussprachevarietäten stellen nicht nur aufgrund ihrer systematischen Unterschiede eine Herausforderung dar. Mit Blick auf den Spanischunterricht müssen sie vielmehr auch im Rahmen des gesamten fremdsprachlichen Hörverstehensprozesses betrachtet werden. Dieser stellt per se hohe Anforderungen an die Lernenden (cf. u.a. Pastor Villalba 2008). Als Prozess der Bedeutungskonstruktion basiert Hörverstehen bekanntlich auf der Interaktion zweier simultan ablaufender mentaler Prozesse (cf. u.a. Levelt 1998; Wolff 2000). Zum einen werden unterschiedliche Wissensbestände (Welt-, Erfahrungs- und sprachliches Wissen) aktiviert und mit den entsprechenden Informationen aus dem Hörtext abgeglichen ( top down -Prozesse); zum anderen erfolgt die Verarbeitung des eingehenden Hörtexts, beginnend mit den kleinsten sprachlichen Einheiten (phonetisch-phonologische Ebene) über das Erkennen und Semantisieren von Morphemen und Wörtern bis hin zur Satz- und Textebene ( bottom up -Prozesse). Schwierigkeiten für Fremdsprachenlernende ergeben sich aufgrund von Wissensdefiziten ( top down ), insbesondere im Bereich des Sprachwissens und hier vor allem des Wortschatzes; entsprechende Lücken führen wiederum zu Problemen bei den bottom up -Prozessen. Da Hörtexte immer auch gesprochene Texte sind, können weitere, das fremdsprachige Hörverstehen erschwerende Kennzeichen von gesprochener Sprache hinzukommen wie z. B. eine hohe Sprechgeschwindigkeit oder die Überlappung von Redebeiträgen. Wenn ein Hörtext zusätzlich durch konzeptionelle Mündlichkeit gekennzeichnet ist, wie sie in informellen Gesprächssituationen typischerweise auftritt (cf. Koch / Oesterreicher 1985, 17-23, 27-29), so können die typischen Merkmale - Zusammenziehung Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 99 von Phonemen (Koartikulation), Kürzungen, Auslassungen, Satzabbrüche etc. - das Verstehen ebenfalls beeinträchtigen. Unzulängliches Hörverstehen hat wiederum negative Auswirkungen auf die gesamte Kommunikation, insbesondere auf das interaktive Sprechen, da eine adäquate ‚Sprech-Reaktion‘ erschwert bzw. unmöglich gemacht wird. Dies kann selbst dann auftreten, wenn Lernende grundsätzlich über eine gute Sprechkompetenz in der Fremdsprache verfügen. Die genannten, generell mit dem fremdsprachlichen Hörverstehen verbundenen Schwierigkeiten vergrößern sich noch einmal, wenn in den Hörtexten Varietäten verwendet werden, die von der im Unterricht vermittelten Varietät abweichen. Mit Blick auf die top down -Prozesse fehlt den Lernenden zum einen das notwendige sprachliche Wissen; so kennen sie i. d. R. weder die Aussprachemerkmale noch die typischen Koartikulationsmuster, wie sie z. B. durch den Schwund von auslautendem [s] erzeugt werden. Zum anderen mangelt es den Lernenden an Erfahrungswissen im Umgang mit Hörtexten aus anderen Varietäten. Ähnlich wie beim Hörverstehen im Allgemeinen haben die genannten Defizite wiederum negative Konsequenzen für die Verarbeitung der Hörtexte im Rahmen der bottom up -Prozesse. Abschließend soll eine Stufung der in Abs. 2 aufgeführten Aussprachemerkmale nach ihrem Schwierigkeitsgrad für das fremdsprachliche Hörverstehen vorgenommen werden, wobei wiederum davon ausgegangen wird, dass den Lernenden im Unterricht die kastilische Aussprachenorm vermittelt wird. Als relativ unproblematisch für das Hörverstehen (und damit für die mündliche Kommunikation 11 ) kann Merkmal (2) - reiner seseo (und reiner ceceo , cf. Anm. 10) - angesehen werden (cf. Blaser 2011, 94), wobei ceceo aufgrund des charakteristischen ‚Lispelns‘ als undeutliche, das Verstehen möglicherweise beeinträchtigende Artikulation empfunden werden kann. Einen mittleren bis hohen Schwierigkeitsgrad weist Merkmal (3) - yeísmo in der Form des [ʒ]eísmo bzw. [ʃ]eísmo - auf. Zwar ist yeísmo auf ein einziges Phonem und auch nur auf wenige diatopische Varietäten wie etwa das La-Plata-Spanisch beschränkt; andererseits ist das betroffene Phonem hochfrequent und tritt in zahlreichen Wörtern des Alltagswortschatzes auf ( yo , ya , calle , llegar , etc.), und der Ausspracheunterschied zum español castellano ist groß. Als besonders schwierig für das Hörverstehen ist Merkmal (1) - die Reduktion bzw. der Schwund von Konsonanten wie etwa des auslautenden [s] - anzusehen, da das Erkennen von Morphem- und Wortgrenzen, aber auch von grammatischen Markierungen (insbesondere Endungen) und deren Bedeutung sehr erschwert wird. Süß et al. 11 Bei der Erstellung schriftlicher Texte kann es hingegen zur Orthographiefehlern kommen; so kann seseo etwa dazu führen, dass von Spanischlernenden auch <c> und <z> als <s> geschrieben werden: * siudad (statt ciudad ), * sanahoria (statt zanahoria ). 100 Eva Leitzke-Ungerer (2008, 220) weisen in der Lerngrammatik Spanisch zu Recht darauf hin, dass in einem Satz wie Las señoras clientas no necesitan esperar der Schwund des auslautenden [s] bei Artikel und Nomina dazu führt, dass nur noch an der Verbform ( necesitan ) erkennbar ist, dass von mehreren Personen die Rede ist. 4. Aussprachevarietäten in aktuellen Spanischlehrwerken Da das Verstehen von Hörtexten aus anderen Varietäten als dem español castellano die soeben genannten Probleme aufwirft, die Lernenden aber andererseits an die Realität der Hispanophonie mit ihren diatopischen Varietäten herangeführt und hier zumindest eine gewisse rezeptive Kompetenz erwerben sollten, stellt sich als nächstes die Frage, welche Berücksichtigung diese Varietäten im Lehrwerk als dem zentralen Unterrichtsmedium erfahren. Dazu wurden vier Lehrwerke für Spanisch als dritte Fremdsprache untersucht, die sich alle am español castellano orientieren: Línea verde Bd. 1-3 (2006-2008), Encuentros Edición 3000 Bd. 1-3 (2010-2012), ¡Adelante! Bd. 1-3 (2010-2012) und Puente al Español Bd. 1-3 (2012, 2014-15). Die Lehrwerke werden im Folgenden mit Kürzeln bezeichnet ( LIN , ENC , ADE und PUE ). 12 Zunächst ist positiv festzustellen, dass in allen vier Lehrwerken auch andere diatopische Varietäten als español castellano angesprochen werden; als thematischer ‚Aufhänger‘ fungiert meist das in der jeweiligen Unidad behandelte lateinamerikanische Land (bzw. im Fall des andalusischen Spanisch die Region, LIN 2). Am stärksten präsent - nämlich in jedem der drei Bände - sind die nicht-kastilischen Varietäten im Lehrwerk PUE ( PUE 1 und 2: amerikanisches Spanisch generell sowie Spanisch in Chile, Kolumbien, Mexiko; PUE 2: Spanisch in Peru; PUE 3: Spanisch in Chile). Bei ADE und ENC sind es immerhin noch zwei Bände, in denen sich andere Varietäten finden ( ADE 1: argentinisches Spanisch; ADE 2: Spanisch in Peru und in Kolumbien; ENC 1: Spanisch in Kolumbien, ENC 3: argentinisches Spanisch), im Falle von LIN ist es nur ein einziger Band, und zwar der zweite ( LIN 2: andalusisches Spanisch; Spanisch in Peru bzw. Lateinamerika generell). Die Auswahl der Varietäten macht deutlich, dass das amerikanische Spanisch (mit Fokus auf Argentinien, Chile, Kolumbien, Peru, Mexiko) dominiert; nur LIN 2 greift mit dem andalusischen Spanisch auch eine europäische Varietät auf. Was die Art und Weise der Realisierung der nicht-kastilischen Varietäten betrifft, so erscheinen sie in den vier Lehrwerken nicht isoliert, sondern in Form von Übungs- oder sogar Lektionstexten. In Bezug auf den methodischen 12 Analysiert wurde jeweils das Schülerbuch (inklusive der auf der Schüler-CD vorliegenden Hörtexte). Da das Schülerbuch die zentrale Komponente der Lehrwerkskonzeption darstellt, wird im Folgenden der Begriff ‚Lehrwerk‘ beibehalten. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 101 Umgang lassen sich zwei Grundmuster erkennen: Zum einen wird Basiswissen zu ausgewählten sprachlichen Merkmalen vermittelt, i. d. R. in Form von Info- Kästen, zum anderen werden Fragen zur eigenständigen Erarbeitung dieser Merkmale gestellt. Inhaltlich wird dabei fast doppelt so häufig auf den Wortschatz Bezug genommen (12x) wie auf Grammatik (7x) und Aussprache (7x). Im lexikalischen Bereich wird typischerweise eine kleine Zahl von Alltagswörtern in der jeweiligen Varietät genannt; in der Grammatik wird der Ersatz von vosotros durch ustedes im amerikanischen Spanisch thematisiert ( ADE 1, ENC 1, PUE 1) sowie der voseo ( ADE 1 für Argentinien, ADE 2 für bestimmte Regionen in Kolumbien, ENC 3 für Argentinien). Für die Zielsetzung des vorliegenden Beitrags besonders wichtig ist die Frage, wie die Lehrwerke mit der Aussprache der nicht-kastilischen Varietäten umgehen und wie sich die beiden erwähnten methodischen Grundmuster widerspiegeln. Muster 1 - Vermittlung von Basiswissen zu Aussprachephänomenen - findet sich nur in zwei Lehrwerken (cf. Tab. 4): PUE 2 enthält einen deutschsprachigen Info-Kasten zur Wirkungsweise des (hier nicht explizit genannten) seseo in Lateinamerika, LIN 2 einen spanischsprachigen Info-Kasten, der auf Unterschiede in der Intonation sowie in der Aussprache einiger Laute im andalusischen Spanisch aufmerksam macht, allerdings ohne diese zu nennen. Info-Kasten zur Aussprache (seseo) ( PUE 2, 2013, 94) Info-Kasten zu Aussprache und Intonation im andalusischen Spanisch ( LIN 2, 2007, 20) Die spanische Sprache unterscheidet sich in den verschiedenen spanischsprachigen Ländern in einigen Details, z. B. wird im lateinamerikanischen Spanisch das c vor e und i wie ein scharfes s ausgesprochen. Auch einige Dinge werden anders benannt […] En Andalucia se habla andaluz („andalú“, como dice Braulio). El andaluz es un dialecto del castellano, es decir, es casí igual que el castellano, pero se diferencia en la entonación, en cómo se pronuncian algunos sonidos y en algunas palabras. Tab. 4: Info-Kästen zu Aussprache und Intonation in zwei Lehrwerken Muster 2 - Fragen zur Erarbeitung von Aussprachemerkmalen - findet sich in allen vier Lehrwerken, wobei PUE mit zwei Beispielen ( PUE 1 und PUE 3) den anderen Lehrwerken mit jeweils nur einem Beispiel quantitativ vorangeht. Die Hörtexte, auf die sich die Fragen beziehen, sind auf den Schüler- CD s verfügbar; es handelt sich um nicht-authentische, für Lehrbuchzwecke verfasste Texte, 102 Eva Leitzke-Ungerer die von Muttersprachlern gesprochen werden. 13 Allerdings hat nur ein einziger Text den in einem Lehrwerk besonders prominenten Status eines Lektionstexts (LIN 2, monologischer Text im andalusischen Spanisch); die restlichen vier Texte sind lediglich Bestandteil des Übungsangebots im Schülerbuch. Vier der fünf Texte beinhalten kommunikative Situationen (Dialoge in PUE 1, PUE 3 und ENC 3 sowie der Monolog in LIN 2); nur ein Hörtext kontrastiert lediglich zwei kontextlose Äußerungen im peruanischen bzw. kastilischen Spanisch ( ADE 2). In den Fragen zu den Texten werden die Lernenden aufgefordert, Aussprachebesonderheiten zu erkennen und diese entweder ohne steuernde Hinweise zu beschreiben ( PUE 1, ENC 3) oder gezielt auf bestimmte Aspekte zu achten (Rhythmus und Akzent in PUE 3, Unterschiede zum español castellano in LIN 2, Aussprache der Buchstaben <c>, <z> und <s> in ADE 2). Insgesamt betrachtet stellt das Angebot der Lehrwerke einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Förderung einer rezeptiven Varietätenkompetenz dar. Die beiden komplementären methodischen Grundmuster (Wissensvermittlung durch das Lehrwerk vs. selbständiges Erarbeiten) sind sinnvoll verteilt; so dominiert z. B. in den jeweils dritten Bänden das zweite Muster, wie die in Tab. 5 dargestellten Beispiele aus PUE 3 und ENC 3 zum chilenischen bzw. argentinischen Spanisch zeigen. Hörtexte und Fragen zur Aussprache in PUE 3 (2015, 93) Hörtexte und Fragen zur Aussprache in ENC 3 (2012, 13) Titel des Hörtexts und Textsorte Vacaciones con las estrellas (nicht-authentischer Dialog) El español de Argentina (nicht-authentischer Dialog) Varietät chilenisches Spanisch argentinisches Spanisch Fragen zu Aussprache und Intonation (sowie zu Wortschatz, Grammatik, Register) [Fragen zum Textverstehen] Escuchad de nuevo el diálogo y fijaos en cómo hablan Diego y Marta. Prestad atención al ritmo, al acento, a las expresiones y a la gramática. ¿Qué os llama la atención? Apuntadlo y después hablad de ello en clase. Escucha el diálogo. ¿Quién es el argentino / la argentina? ¿Cómo lo sabes? ¿Qué te llama la atención en su forma de hablar? ¿Qué dirían los españoles en lugar de: tareas / bárbaro / acá / vos / mis viejos ? ¿Qué estilo de lengua están usando las personas que hablan? Decide si es formal o familiar y da ejemplos. Tab. 5: Selbstständige Erarbeitung von Aussprachemerkmalen in Lehrwerken für das dritte Lernjahr 13 Ob es sich immer um Muttersprachler der jeweiligen Varietät handelt, konnte nicht eruiert werden. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 103 Weniger überzeugend sind hingegen die Auswahl der Varietäten und ihre Verteilung auf die Jahrgangsbände. Die Auswahl orientiert sich ausschließlich an den Themen der Unidades ; andere Kriterien sind nicht erkennbar. So ist auch nicht nachvollziehbar, warum von den europäischen Varietäten (andalusisches bzw. kanarisches Spanisch), denen Lernende in der Realität vermutlich eher begegnen als dem Spanischen in Peru oder Kolumbien, nur das Andalusische vertreten ist, und dies auch nur in einem einzigen Lehrwerk ( LIN 2), oder warum das argentinische Spanisch mit der Besonderheit des voseo in ADE 1 bereits im ersten Lernjahr thematisiert wird. Was die Verteilung auf die Jahrgangsbände betrifft, so ist mit Ausnahme von PUE (Bd. 1, 2 und 3) ebenfalls keine klare Linie zu erkennen ( ADE : Bd. 1 und 2 ohne Bd. 3, ENC : Bd. 1 und 3 ohne Bd. 2, LIN : nur Bd. 2). In den Bereichen Aussprache und Hörverstehen ist in Bezug auf die Auswahl der Hörtexte zu bemängeln, dass es sich durchwegs - selbst im jeweils dritten Band, der sich an Lernende am Ende der Spracherwerbsphase richtet - um nicht-authentische Texte handelt (cf. Tab. 5), in denen die vom español castellano abweichenden sprachlichen Merkmale noch dazu bewusst gering gehalten werden. Eine Vorbereitung der Lernenden auf den hispanophonen Sprachraum wird damit nur ansatzweise erreicht. Viele der hier angesprochenen Kritikpunkte ließen sich - auch im (notwendigerweise begrenzten) Rahmen eines Lehrwerks - ausräumen, wenn eine konsequentere Orientierung an bestimmten Kriterien oder Anforderungen vorgenommen werden würde. Wie dies aussehen könnte, soll nachstehend erläutert werden. 5. Anforderungen an ein varietätenbezogenes Hörverstehenstraining Im Folgenden wird ein varietätenbezogenes, auf die Aussprache fokussiertes Hörverstehenstraining vorgeschlagen, das lehrwerkergänzend eingesetzt werden kann, und zwar bereits ab dem zweiten Lernjahr. Dazu muss es bestimmte Anforderungen erfüllen, die im Folgenden vorgestellt werden. 104 Eva Leitzke-Ungerer 5.1 Lernerorientierte Auswahl und Reihenfolge der Varietäten Die Auswahl und die Reihenfolge der Varietäten, die Gegenstand des Hörverstehenstrainings sind, orientieren sich an Gesichtspunkten, die für die Lernenden von Bedeutung sind. Für eine solche lernerorientierte Betrachtung werden folgende Kriterien in Betracht gezogen: 1. Geographische Nähe des Landes bzw. der Region, in der die Varietät verwendet wird, zu Deutschland 2. Sprachlicher Schwierigkeitsgrad der Varietät für das Hörverstehen 3. Sprecherzahlen der Varietät Aus Kriterium 1 ergibt sich die bevorzugte Berücksichtigung der europäischen Varietäten, d. h. des andalusischen oder des kanarischen Spanisch, denn es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass ein Spanischlernender in einer realen Begegnungssituation (z. B. im Urlaub oder im Rahmen eines Austausches) mit Sprechern aus Andalusien oder von den kanarischen Inseln kommuniziert als mit Sprechern aus Lateinamerika. Kriterium 2 spricht für die Wahl von Varietäten, die nur geringe Ausspracheunterschiede zum español castellano aufweisen wie z. B. das Spanische in Kolumbien, Peru oder Ecuador. Varietäten, die in der Aussprache besonders stark abweichen wie z. B. das argentinische Spanisch, werden demzufolge hintangestellt. Kriterium 3 nimmt auf die Zahl der Sprecher Bezug; demnach sollte auf alle Fälle auch das mexikanische Spanisch berücksichtigt werden, da hier die höchste Sprecherzahl (rund 100 Millionen) zu verzeichnen ist. 14 Da die Möglichkeit der realen Kommunikation mit Spanischsprecherinnen und -sprechern einer anderen Varietät (Kriterium 1) besonders wichtig erscheint, zugleich aber auch die beiden anderen Kriterien berücksichtigt werden sollen, wird für das Hörverstehenstraining folgende Auswahl und Reihenfolge vorgeschlagen: 1. Andalusisches oder kanarisches Spanisch (ab dem 2. Lernjahr) 2. Kolumbianisches, peruanisches oder ecuadorianisches Spanisch (ab dem 2. Lernjahr) 3. Mexikanisches Spanisch (ab dem 3. Lernjahr) 4. Argentinisches Spanisch (ab dem 3. oder 4. Lernjahr) 14 In Anlehnung an Zimmermann (2001, 83-84) könnte man als weiteres Kriterium auch die Verbreitung einer Varietät in den auditiven und audiovisuellen spanischsprachigen Medien, die von den Lernenden bevorzugt rezipiert werden, heranziehen. Da aber kaum ermittelt werden kann, um welche Medien es dabei geht, wird das Kriterium nicht berücksichtigt. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 105 5.2 Gestufter Aufbau und große Bandbreite an Kompetenzen Was den Aufbau des Hörverstehenstrainings und die angestrebten Kompetenzen betrifft, so ist ein zweistufiges Vorgehen vorgesehen, mit dem eine Vielzahl von Kompetenzen gefördert wird. Zunächst (Stufe 1) findet im Rahmen einer Einzel- oder Doppelstunde eine Erstbegegnung mit der jeweiligen Varietät in Form eines einfachen Hörtexts statt; dabei kann durchaus ein didaktisierter Lehrwerktext herangezogen werden. Aufgabe der Lernenden ist es, die wichtigsten inhaltlichen Aspekte zusammenzufassen (globales Hörverstehen) sowie sprachliche Merkmale, insbesondere im Bereich Aussprache, zu erkennen und zu beschreiben (Sprachwissen und Sprachbewusstheit). Stufe 2 umfasst ein regelmäßiges, sich über einen längeren, aber begrenzten Zeitraum erstreckendes Training mit authentischen Hörtexten. Aufgabe der Lernenden ist es, unterschiedliche Hörverstehensaufgaben zum Global-, aber auch zum selektiven und ggf. zum Detailverstehen zu lösen und entsprechende Dekodierungsstrategien einzusetzen. Zugleich erweitern sie ihr prozedurales Wissen - ihr tatsächliches Können und ihre Hörerfahrung - in Bezug auf das Verstehen der jeweiligen Varietät. Abgesehen von den genannten sprachbezogenen Kompetenzen wird im Zuge des vorgeschlagenen Trainings auch die interkulturelle Kompetenz gefördert, da die Lernenden ihr soziokulturelles Orientierungswissen zu den einzelnen Varietäten und zu den Ländern bzw. Regionen, in denen sie gesprochen werden, vertiefen. Nicht angestrebt wird hingegen eine produktive Kompetenz in der jeweiligen Varietät, da dies, wie eingangs ausgeführt, für die Kommunikation in den Zielgebieten i. d. R. nicht notwendig ist. Der Aufbau des Hörverstehenstrainings sowie die angestrebten Kompetenzen lassen sich wie folgt zusammenfassen (cf. Tab. 6). Stufe 1 (einführende Einzel- oder Doppelstunde) Vorgehen Erstbegegnung mit einem einfachen (ggf. nicht-authentischen) Hörtext; Bewusstmachung markanter sprachlicher Merkmale (Schwerpunkt Aussprache) Angestrebte Kompetenzen Hörverstehen: Globalverstehen; Sprachwissen und Sprachbewusstheit 106 Eva Leitzke-Ungerer Stufe 2 (15 bis 45 Min. pro Woche, über ein oder zwei Monate) Vorgehen Regelmäßige Begegnung mit authentischen Hörtexten und Bearbeitung unterschiedlicher Hörverstehensaufgaben Angestrebte Kompetenzen Hörverstehens- und strategische Kompetenz (Global-, selektives und Detailverstehen); Verfügen über Hörerfahrung; Interkulturelle Kompetenz: Soziokulturelles Orientierungswissen Tab. 6: Varietätenspezifisches Hörverstehenstraining: Überblick 5.3 Orientierung an didaktisch-methodischen Kriterien Um bei den Schülerinnen und Schülern die zuvor skizzierten Kompetenzen zu entwickeln, muss das varietätenbezogene Hörverstehenstraining auch bestimmte didaktisch-methodische Kriterien erfüllen. Als wesentlich werden die folgenden Kriterien erachtet, die nachstehend kurz erläutert und in Tab. 7 zusammengefasst werden: (1) Progression nach steigendem Schwierigkeitsgrad, (2) Authentizität der Texte und (3) Vielfalt der Textsorten. Kriterium 1, die Progression nach steigendem Schwierigkeitsgrad, findet in Bezug auf die Parameter Sprecherkonstellation, Inhalt, Sprache, Hörstrategien und methodisches Herangehen Berücksichtigung. Was die Sprecherkonstellation betrifft, so sind monologische Hörtexte, die von einem einzigen Sprecher vorgetragen werden (z. B. Nachrichten), einfacher zu verstehen als dialogische Hörtexte, die durch Sprecherwechsel oder ggf. die Überlappung von Redebeiträgen gekennzeichnet sind. Des Weiteren bereiten Hörtexte zu bekannten Themen geringere Verstehensprobleme als Hörtexte zu Themen, mit denen die Lernenden weniger oder gar nicht vertraut sind. Der sprachliche Schwierigkeitsgrad kann zum einen gleichfalls an dem Aspekt der Bekanntheit bzw. Nicht-Bekanntheit - hier: der sprachlichen Mittel (Aussprache, Wortschatz, Grammatik) - festgemacht werden; zum anderen spielt der Grad an sprachlicher Komplexität (z. B. in Grammatik und Syntax) eine Rolle. In Bezug auf die Hörstrategien sollte zunächst mit den beiden weniger anspruchsvollen Arten gearbeitet werden (Globalverstehen sowie selektives, auf ausgewählte Einzelelemente des Hörtexts gerichtetes Verstehen) und erst später (wenn überhaupt) mit dem intensiven Verstehen, welches das detaillierte Verstehen des Hörtexts impliziert. Was das methodische Herangehen, insbesondere an die sprachlichen Merkmale der Varietäten, angeht, so stellen die beiden aus der Lehrwerkanalyse bekannten Grundmuster (Vorgabe von Informationen vs. selbstständige Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 107 Erarbeitung durch die Lernenden) ein sinnvolles Angebot dar, wobei das zweite Verfahren als anspruchsvoller als das erste einzuschätzen ist. Kriterium 2 hebt darauf ab, dass (vor allem in Stufe 2 des Trainings) authentische Hörtexte, d. h. Originaltexte aus den Zielkulturen in ihrer ‚Originalgestalt‘, Verwendung finden sollten. 15 Dieses Kriterium ist besonders wichtig, denn das Hörverstehenstraining zielt, wie mehrfach betont, darauf ab, dass die Lernenden auf die sprachliche Realität der Hispanophonie vorbereitet werden. Durch geeignete Unterstützungsmaßnahmen ( scaffolding ) können inhaltliche und sprachliche Verstehenshürden der jeweiligen Texte weitgehend entschärft werden; cf. etwa die differenzierten Vorschläge in Blume (2008). Kriterium 3 bezieht sich darauf, dass die Auswahl an Textsorten möglichst vielfältig sein sollte und dass - auch wenn der Schwerpunkt auf dem Hörverstehen liegt - neben rein auditiven Texten (Radionachrichten und anderen Radiosendungen, Podcasts, rezitierte literarische Texte, etc.) auch audiovisuelle Texte Berücksichtigung finden sollten (Ausschnitte aus Spielfilmen und TV -Sendungen, TV - Nachrichten, Videoclips, Kurzfilme). (1) Progression nach steigendem Schwierigkeitsgrad in Bezug auf folgende Parameter: • Sprecherkonstellation: von monologischen zu dialogischen Texten • Inhalt: von bekannten zu neuen Themen • Sprache: von sprachlich einfacheren zu sprachlich komplexeren Texten • Hörstrategien: vom Global- oder selektiven Verstehen zum intensiven Verstehen • Methodisches Herangehen: von der Vorgabe von Informationen zu den Varietäten zur selbstständigen Erarbeitung durch die Lernenden (2) Authentizität der Texte (vor allem in Stufe 2 des Trainings; Begleitung durch scaffolding ) (3) Vielfalt der Textsorten • Auditive Texte (Radionachrichten und andere Radiosendungen, Podcasts, rezitierte literarische Texte, etc.) • Audiovisuelle Texte (Ausschnitte aus Spielfilmen, TV -Nachrichten, Videoclips, Kurzfilme, etc.) Tab. 7: Didaktisch-methodische Kriterien für das varietätenbezogene Hörverstehenstraining 15 In Stufe 1, der Phase der Erstbegegnung, kann dagegen durchaus mit nicht-authentischen Texten gearbeitet werden, da diese passgenau auf bekannte Themen und das sprachliche Niveau der Lernenden abgestimmt werden können. 108 Eva Leitzke-Ungerer 6. Exemplarische Trainingseinheit zum argentinischen Spanisch Abschließend wird exemplarisch eine Trainingseinheit vorgestellt, und zwar zum argentinischen Spanisch (vgl. Anhang). Die Einheit richtet sich an Spanischlernende ab dem dritten oder vierten Lernjahr, die bereits ein Hörverstehenstraining zu anderen diatopischen Varietäten durchlaufen haben (cf. Abs. 5.1), und umfasst, wie in 5.2 beschrieben, zwei Stufen. Im Anhang werden für beide Stufen die Textsorten sowie die Themen und Inhalte der Hörtexte kurz beschrieben. Für Stufe 1 (Erstbegegnung) werden außerdem die im Hörtext enthaltenen Merkmale des español argentino genannt sowie Hinweise zur methodischen Umsetzung und zu den angestrebten Zielkompetenzen gegeben. Um den Einstieg ins argentinische Spanisch nicht allzu zu schwierig zu gestalten, wird in Stufe 1 mit einem nicht-authentischen Text aus dem Lehrwerk Adelante Bd. 2 gearbeitet ( ADE 2010, 118). Es zeigt sich, dass trotzdem die gewünschten Kompetenzen gefördert werden können. In Stufe 2 kommen (mit einer Ausnahme) ausschließlich authentische Texte zum Einsatz. Die hier getroffene Auswahl, die lediglich einen Vorschlag darstellt, zeigt, dass es mit Hilfe des Internet auch von Deutschland aus problemlos möglich ist, interessante und schülerorientierte Hörtexte im argentinischen Spanisch zu finden, die den in Tab. 7 genannten Kriterien entsprechen. Was die Textsorten betrifft, so wird ein breites Spektrum abgedeckt; die rein auditiven Texte umfassen eine Kürzestgeschichte (1a: „Historieta“), ein Radiofeature (2: „Recoleta y Belgrano - barrios de moda de Buenos Aires“), Mischformen aus Info-Text und Reportage (3a: „Auto, bondi etc.: Medios de transporte en Argentina“; 3b: „Música argentina“, „3c: „Vos y usted“), eine Nachrichtensendung (4: „Noticias internacionales“) sowie einen rezitierten Liedtext (5: „Mi Buenos Aires querido“: Text zu einem der bekanntesten argentinischen Tangos). Als audiovisueller Text wird die Episode „Bombita“ aus dem Episodenfilm Relatos salvajes (2014) des argentinischen Regisseurs Damián Szifron vorgeschlagen. Der Film lief in Deutschland unter dem Titel Wild tales - Jeder dreht mal durch und wurde als „Feuerwerk des schwarzen Humors“ (kino-zeit.de 2014) gelobt. In der witzigen und temporeich inszenierten Episode wird ein Sprengmeister (gespielt von Argentiniens bekanntestem Filmschauspieler Ricardo Darín) damit konfrontiert, dass sein bisheriges geordnetes Leben - seine Ehe, seine Beziehung zur Tochter, sein Arbeitsplatz - durch einen nichtigen, durch Behördenwillkür dann aber zusehends ‚aufgebauschten‘ Anlass aus den Fugen gerät. Er sieht sich daher gezwungen, Rache zu nehmen, und greift zu dem Mittel, das er von Berufs wegen am besten beherrscht: einer Explosion. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 109 7. Fazit Eine plurizentrische Sprache wie das Spanische stellt aufgrund der Vielfalt der unterschiedlichen Varietäten für Lernende - insbesondere in der Spracherwerbsphase, in der die Orientierung an einer einheitlichen Norm das Lernen sehr erleichtert (cf. Leitzke-Ungerer 2017) - ein nicht unbeträchtliches Problem dar. Gleichwohl sollten die Lernenden von Anfang an auf die sprachliche Vielfalt der Hispanophonie vorbereitet werden und entsprechende rezeptive Kompetenzen erwerben. Der Beitrag hat zu zeigen versucht, wie dies im Bereich des Hörverstehens durch ein frühzeitig einsetzendes und systematisch aufgebautes Training mit dem Fokus ‚Aussprache‘ realisiert werden kann. Blaser, Jutta. 2011. Phonetik und Phonologie des Spanischen. Eine synchronische Einführung . Tübingen: Niemeyer. Blume, Otto. 2008. „Hörverstehen konkret. Übungs- und Überprüfungsformen im Überblick“, in: Der fremdsprachliche Unterricht Französisch , 95, 24-25. Clyne, Michael G. 1992. Pluricentric Languages. Differing Norms in Different Nations . Berlin etc.: De Gruyter. Clyne, Michael G. 2004. „Pluricentric Languages“, in: Ulrich Ammon et al. (ed.): Sociolinguistics / Soziolinguistik. An International Handbook of the Science of Language and Society / Ein Internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft . 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Zimmermann, Klaus. 2006. „La selección de una variedad nacional como variedad principal para la enseñanza del español como lengua extranjera“, in: Roland Terborg / Laura Garciá Landa (ed.): Los retos de la planificación del lenguaje en el siglo XXI , vol. 2 . México: CELE / UNAM , 565-590. Diatopische Aussprachevarietäten im Spanischunterricht 111 Lehrwerke (jeweils Schülerbuch und Schüler- CD ) ADE 1 (2010): ¡Adelante! Nivel elemental . Stuttgart: Klett. ADE 2 (2011): ¡Adelante! Nivel intermedio . Stuttgart: Klett. ADE 3 (2012): ¡Adelante! Nivel avanzado . Stuttgart: Klett. ENC 1 (2010): Encuentros Edición 3000 . Bd. 1. Berlin: Cornelsen. ENC 2 (2011): Encuentros Edición 3000 . Bd. 2. Berlin: Cornelsen. ENC 3 (2012): Encuentros Edición 3000 . Bd. 3. Berlin: Cornelsen. LIN 1 (2006): Línea verde . Bd. 1. Stuttgart: Klett. LIN 2 (2007): Línea verde . Bd. 2. Stuttgart: Klett. LIN 3 (2008): Línea verde . Bd. 3. Stuttgart: Klett. PUE 1 (2012): Puente al español . Bd. 1. Braunschweig: Diesterweg. PUE 2 (2014): Puente al español . Bd. 2. Braunschweig: Diesterweg. PUE 3 (2015): Puente al español . Bd. 3. Braunschweig: Diesterweg. Anhang El español argentino: Vorschlag für ein systematisches Hörverstehenstraining (ab dem dritten Lernjahr Spanisch) Stufe 1 (Erstbegegnung): Conocer otras variedades-- el español argentino • Mögliches Textbeispiel: ¡Visita de Buenos Aires! (aus: ¡Adelante! Nivel elemental . Schülerbuch. Stuttgart: Klett 2010: 118; Hörtext auf Schüler- CD ) Inhalt: In einer E-Mail kündigt Marcos aus Argentinien seinen Besuch bei seinem in Madrid lebenden Bruder und dessen Gastfamilie an. • Eigenschaften des Texts: nicht-authentischer Lehrbuchtext, monologisch, inhaltlich und sprachlich einfach, Standard-Argentinisch. • Merkmale des español argentino (EspArg) im Text: • Aussprache (vgl. Schüler- CD ): [ ʃ ]eísmo ( llego a Madrid, ayer , etc.) • Intonation: ‚italienische’ Intonation • Wortschatz: che • Grammatik: voseo ( ¿vos te acordás, verdad? ) Präsentationsform Methodische Schritte Zielkompetenzen 1 - als Hörtext Sammlung von Eindrücken zum EspArg Sensibilisierung für das EspArg 2 - als Hörtext Sammlung von Merkmalen des EspArg (s. o.) Vergleich mit dem español castellano sowie mit anderen, schon behandelten diatopischen Varietäten Sprachwissen Sprachbewusstheit 3 - als Hör- und Lesetext Global- und ggf. selektives Verstehen des Inhalts Hörverstehen Erfahrungswissen in Bezug auf das EspArg Interkulturelle Kompetenz: Soziokulturelles Orientierungswissen Anhang 113 Präsentationsform Methodische Schritte Zielkompetenzen 4 - als Hör- und Lesetext Nochmaliges Hören und lautes Lesen im EspArg durch die Lernenden Sprachbewusstheit (keine aktive Sprachbeherrschung! ) Stufe 1 (Erstbegegnung) im Überblick Stufe 2 (vertieftes Training): El español argentino en directo Vorschläge für die Textauswahl (authentische Texte, mit Ausnahme von 1b) Themen und Textsorten Inhalt der Hörtexte (1a) Historieta (auditiver Text / monologisch) (1b) Así se habla en Argentina: Palabras y expresiones frecuentes (auditiver Text / monologisch) Kurze Geschichte eines Diebstahls: Durch ein Ablenkungsmanöver gelingt es zwei Jungen, einer Eisverkäuferin Bonbons zu stehlen. Sammlung von häufigen Wörtern und Ausdrücken, Aussprache: EspArg ( yo, ayer, llamar, llegar, llevar, llorar, calle, lluvia, frutilla, Nueva York / Yo me llamo Yolanda / Ayer llegamos a Nueva York / etc.) (2) Recoleta y Belgrano - barrios de moda de Buenos Aires (auditiver Text: Podcast / vorwiegend monologisch) Radiofeature, in dem einige der ‚angesagten’ Stadtviertel von Buenos Aires vorgestellt werden (3a) Auto, bondi, etc.: Medios de transporte en Argentina (3b) Música argentina (3c) Vos y usted (auditive Texte: Podcasts / vorwiegend monologisch) Kurze informative Sendungen mit Reportage-Elementen zu unterschiedlichen, auch sprachbezogenen Themen (4) Noticias internacionales (auditive Texte: Podcasts / monologisch) Nachrichten zu internationalen Themen (5) Mi Buenos Aires querido (auditiver Text / monologisch) Rezitation des Gedichts von Juan Gelman (1962), das eine reescritura des gleichnamigen Tangolieds von 1934 darstellt (Musik: Carlos Gardel, Text: Alfredo Le Pera) 114 Anhang Themen und Textsorten Inhalt der Hörtexte (6) Episode „Bombita“ aus dem Spielfilm Relatos salvajes (audiovisueller Text / dialogisch) Die Episode erzählt, wie ein Sprengstoffmeister aus Buenos Aires aufgrund von Behördenwillkür nicht nur seinen Job und seine Frau, sondern auch seine Beherrschung verliert. Quellen (alle Internet-Aufrufe: 18. 02. 2017) (1a) sowie Anregung für (1b): www.bachelor-wissen.de: Download zu: Kabatek, Johannes / Pusch, Claus-Dieter (2011, 235). (2) http: / / www.argentinapodcastera.com.ar: Podcasts / Auswahl nach Themen, z. B. „Lugares“: http: / / www.martesataca.com.ar/ radiografiasurbanas/ : hier Podcast zum o. g. Thema (3a-c) www.podfeed.net/ tags/ Argentina: Podcasts und Videos / Auswahl nach Unterseiten, z. B.: http: / / www.podfeed.net/ podcast/ Desde+el+baño/ 10110: hier Podcasts zu den o. g. Themen (4) www.radioguide.fm/ Internet_radio_Argentina: Podcasts sowie Live- Sendungen / Auswahl nach Themen, z. B. Política internacional: http: / / fmradiocultura.com.ar/ mundo-20-15/ (5) Principi, Ana Sofía / Rogers, Geraldine. 2013. Amores, caminos y fronteras. Poesías y canciones para aprender español . La Plata: Edulp (Editorial de la Universidad de La Plata), 50-53. (Hörtext auf CD , Track 9). (6) Szifron, Damian. 2014. Relatos salvajes . DVD . Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 115 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen Eine Befragung von Lehrkräften des Französischen, Spanischen und Italienischen Daniel Reimann 1. Ausgangslage: unterrichtspraktischer und theoretischer Kontext Die hier vorgestellte Studie findet ihren Ausgangspunkt in der Alltagsbeobachtung praktizierender Lehrkräfte des Französischen, Spanischen und Italienischen, die mitunter gravierende Aussprache-Defizite bei Schülerinnen und Schülern noch zu Beginn des Leistungskurses bzw. der Q-Phase / zu Beginn eines philologischen Studiums feststellen (cf. Reimann 2016a, 183). Dies verdient im Hinblick auf die Entwicklung (inter- und transkultureller) kommunikativer Kompetenz insofern besondere Beachtung, als sich in den wenigen empirischen Studien, die zur Aussprachekompetenz vorliegen, Erkenntnisse abzeichnen, dass Abweichungen in der Aussprache u. a. zu Verständnisschwierigkeiten und negativen emotionalen Reaktionen bei den Rezipienten führen können (Grotjahn 1998, 40sq.; Rakić / Stößel 2013, jeweils mit weiterführender Bibliographie). Auch ist der sogenannte Halo-Effekt in Bezug auf die Aussprache belegt: Die Wahrnehmung von Fehlern in anderen Bereichen [wird] entscheidend von der Aussprache bestimmt […], […] eine gute Aussprache [führt] also dazu "], dass Zuhörer eher dazu neigen, Fehler im Bereich von Wortschatz und Grammatik zu ‚überhören‘ (Herbst 1992, zit. in Grotjahn 1998, 41). Umgekehrt gibt es Studien, die niedrigere Kompetenzzuschreibungen für Sprecher / innen mit ausländischem Akzent belegen (Fiske 1998) oder zeigen, dass Aussagen häufiger als falsch interpretiert werden, wenn sie mit offenkundig nicht muttersprachlichen Akzent gelesen werden (vs. Lesen durch Muttersprachler / innen) (Lev-Ari / Keysar 2010, Rakić / Stößel 2013, 14). Auch Ursula Hirschfeld folgert in ihrem jüngsten Forschungsbericht abschließend: 116 Daniel Reimann Unbefriedigend ist jedoch noch immer, dass im Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen zu wenig an Hör- und Ausspracheproblemen gearbeitet wird, so dass häufig auch weit fortgeschrittene Lernende nicht nur ihren fremden Akzent beibehalten, sondern ernsthafte Probleme in der mündlichen Kommunikation haben (Hirschfeld 2016, 126). Die „Vernachlässigung“ der Ausspracheschulung hat ihre Ursprünge im kommunikativen Ansatz der 1970er Jahre (Primat der kommunikativen Ausdrucksmittel, cf. „Sprachfunktionenlisten“, linguistische Pragmatik als privilegierte Bezugsdisziplin). Ein neuerliches Bewusstsein für die Bedeutung der Aussprache beginnt sich abzuzeichnen (in schulischen Lehrwerken der romanischen Sprachen in Ansätzen ab 1993 nachzuweisen) (cf. hierzu den Aufsatz Reimann 2016a und die monographische Einführung Reimann 2016b, jeweils mit weiterführender Bibliographie). In den genannten Darstellungen habe ich die historische Entwicklung der Ausspracheschulung in den romanischen Sprachen anhand einer Lehrwerkanalyse nachvollzogen und konzeptionelle Anregungen für die Praxis der Ausspracheschulung gegeben. Bis dato gibt es indes kaum empirische Evidenz zur Ausspracheschulung im schulischen Unterricht der romanischen Sprachen in Deutschland. Ansatzpunkt der vorliegenden Studie sind das Bewusstsein und die Einstellungen von Lehrkräften des Französischen, Spanischen und Italienischen an allgemein- und berufsbildenden Schulen im Hinblick auf die Entwicklung von Aussprachekompetenz. Den theoretischen Kontext der Studie bilden mithin der Diskurs um die Modellierung fremdsprachlicher Kompetenzen und hier insbesondere um die zunehmend wieder in den Fokus der Forschung rückende Rolle der sprachlichen Mittel für die Entwicklung der funktionalen kommunikativen Kompetenzen (cf. z.B. Stæhr 2009, Bürgel / Siepmann 2012, Hee / Yamashita 2014 zum Wortschatz; Lightbown / Spada 1990, Norris / Ortega 2000 zur Morphosyntax; Grotjahn 1998, Dieling / Hirschfeld 2001, Babylonia 2011, der thematische Schwerpunkt „Phonetik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ von Deutsch als Fremdsprache 2012-2013c, Gabriel et al. 2015, Gabriel / Rusca-Ruths 2015, Seoudy 2015, Hirschfeld 2016, Dahmen / Hirschfeld 2016 und insgesamt das Themenheft Fremdsprache Deutsch 2016, Reimann 2016a und b zur Aussprache, jeweils mit weiterführender Bibliographie) (in der hier vorgestellten Untersuchung: v. a. Perspektive der Lehrkräfte) einerseits und die Professionsforschung in Bezug auf Fremdsprachenlehrkräfte (cf. z.B. Caspari 2003; Özkul 2011; Pilypaitytė 2013; Valadez Vazquez 2014) (in der hier vorgestellten Untersuchung: v. a. erste Phase / dritte Phase) andererseits. Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 117 2. Vorstellung der Studie 1 2.1 Forschungsfrage Die Forschungsfrage lautet daher: „Welchen Stellenwert haben Phonetik und Ausspracheschulung für Lehrkräfte der romanischen Sprachen und kann unzureichende Ausbildung der Lehrkräfte in Bezug auf Aussprache eine mögliche Ursache für Aussprachedefizite der Schülerinnen und Schüler sein? “ Das dahinterstehende Erkenntnisinteresse bezieht sich auf die Fragestellung, ob verstärkter Aus- und Fortbildungsbedarf in den Bereichen Phonetik und Aussprache v. a. in der ersten und dritten Phase der Lehrerbildung, besteht. 2.2 Methode 2.2.1 Forschungsdesign, Erhebungsinstrument, Stichprobe Im Folgenden werden Design und Ergebnisse der Pilotstudie vorgestellt, die zwischen 2014 und 2016 von der Professur für Fachdidaktik der romanischen Schulsprachen der Universität Duisburg-Essen konzipiert, durchgeführt und ausgewertet wurde. Es handelt sich um eine auf Felddaten basierende Querschnittsstudie, die hypothesenprüfend angelegt war, als Pilotstudie aber auch grundsätzlich explorativen Charakter hatte. Die Daten wurden mittels eines Online-Fragebogens erhoben, der mit dem Tool SoSci-Survey erstellt worden war. Die Fragebögen enthielten 16 überwiegend geschlossene, teilweise halboffene und offene Fragen und unterschieden sich nur in den Fragen zu sprachspezifischen Phänomenen (einführend zur Datengewinnung durch Befragung z. B. Zydatiß 2012, Daase / Hinrichs / Settinieri 2014, Riemer 2016, jeweils mit weiterführender Bibliographie). Quantitativen Daten, die statistisch ausgewertet werden konnten, stand so qualitatives Datenmaterial zur Triangulation ergänzend zur Seite. Die Fragen bezogen sich auf die drei Bereiche, die von Zydatiß als für die Erforschung des „Lehrens und Lernens von Fremdsprachen in schulisch-unterrichtlich gesteuerten Vermittlungskontexten“ (Zydatiß 2012, 115) als grundlegend relevant eruiert wurden: „Biografisch-demografische Angaben“, „Fragen zu subjektiv-internen, nicht direkt beobachtbaren Phänomenen“ und „Fragen zum Erfassen konkreter Verhaltensweisen der Beteiligten“ (art. cit., 120sq.). Es wurde jeweils ein Fragebogen für Lehrkräfte des Französischen, Spanischen und Italienischen erstellt und der entsprechende Link versandt. 1 Folgenden Personen aus meiner Arbeitsgruppe sei für ihre Unterstützung bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieser Studie gedankt: StRef Dr. Theresa Venus, Marco Stäuber B. A. (Datenerhebung und -auswertung), StR i.H. Dr. Manuela Franke, LAss Christian Koch, Hannah Neitzel B. A. (Korrektorat und Satz). 118 Daniel Reimann Bei den geschlossenen Fragen handelte es sich bis überwiegend um Ratingskalen vom Typ Semantisches Differential mit fünf Intervallstufen (cf. Zydatiß 2012, 123sq.), ergänzt um eine Kategorie „weiß nicht“ bzw. „erinnere mich nicht“, um einerseits zu differenzierten Einschätzungen zu gelangen, andererseits die Tendenz zu mittleren Antworten bei Unentschlossenheit zu reduzieren (cf. z.B. Daase / Hinrichs / Settinieri 2014, 106; Riemer 2016, 159). Verbal benannt wurden dabei nur die Endpunkte, um von Äquidistanz zwischen Antwortoptionen, mithin Intervallskalierung, ausgehen zu können (cf. z.B. Daase / Hinrichs / Settinieri 2014, 107; Riemer 2016, 159). Als Maß der zentralen Tendenz konnten bei den metrisch skalierten Variablen mithin der Mittelwert (M) (weiterhin Median und Modus), als Streuungsmaß die Standardabweichung (SD) ermittelt werden (cf. z.B. Zydatiß 2012, 128; Gültekin-Karakoç / Feldmeier 2014, 188-192; Settinieri 2012, 258). Die Items bezogen sich auf berufsbiographische Angaben einschließlich Fragen zur eigenen Aus- und Fortbildung in den Bereichen Phonetik und Ausspracheschulung, auf die Einschätzung der eigenen Aussprachekompetenz und auf die Einschätzung der jüngeren Entwicklung der Aussprachekompetenz innerhalb der Schülerschaft, auf den Stellenwert der Aussprachekompetenz für die mündlichen Teilkompetenzen sowie im eigenen als Schüler / in erlebten und nunmehr erteilten Fremdsprachenunterricht, auf Störungsempfinden bei einzelnen Aussprachephänomenen und auf Schulungshäufigkeit im Unterricht, sowie auf eventuelle Besonderheiten des Ausspracheerwerbs seitens mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler. Innerhalb der thematischen Blöcke wurden die Fragen randomisiert präsentiert. Durch die Randomisierung, einem großen Vorteil der Online-Befragung gegenüber dem paper-and-pencil -Format, können Reihenfolgeeffekte vermieden werden. Weiterhin hat die Online-Befragung u. a. folgende Vorteile: keine Schwierigkeiten des Versands / Rückversands bzw. anderweitiger Administration, direkte Exportierbarkeit der Daten in Software zur Auswertung (s. u.), Erhöhung der Validität der Messung durch automatisierte Hinweise auf nicht ausgefüllte Felder, automatische Filterführung (hierzu Springer et al. 2015, 71sq.). Ihnen stehen zentrale Nachteile der schriftlichen postalischen Befragung gegenüber (keine Information darüber, wer den Fragebogen tatsächlich ausgefüllt hat, Selbstselektivität der Stichprobe (s. u.) (op. cit., 72). Im Falle dieser Untersuchung ist weiterhin nicht auszuschließen, dass sich mehrere Lehrkräfte an einer Schule über das Thema der Befragung vor Ausfüllen der Fragebögen ausgetauscht haben. In den Monaten Juni und Juli 2015 wurde der Fragebogen in einem Pretest pilotiert. Die hierbei ermittelte durchschnittliche Bearbeitungsdauer des Fragebogens betrug ca. 15 Minuten. Der überarbeitete Fragebogen war in den beiden Monaten September und Oktober 2015, namentlich vom 01.09. bis 31. 10. 2015, geöffnet. Ein entsprechender Link wurde an alle Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen in NRW (n=485 Schulen, darunter n=147 Ges, n=262 Gym, Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 119 n=76 BK ) versandt. Grundgesamtheit waren alle Französisch-, Spanisch- und Italienischlehrkräfte an Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen in NRW . Idealiter war eine Vollerhebung angestrebt. Insofern die Teilnahme an der Befragung freiwillig war, war Selbstselektivität der Stichprobe letztlich unvermeidbar. Insofern ist die Stichprobe „nicht zufällig, sondern willkürlich entstanden und als nicht-probabilistisch einzustufen“ (Grum / Legutke 2016, 82). Nach Grum / Legutke „sind nicht-probabilistische Stichprobenverfahren dann sinnvoll, wenn beispielsweise die Grundgesamtheit unbekannt ist oder eine Studie zu rein deskriptiven oder explorativen Zwecken durchgeführt wird“ (art. cit., 82sq.). Tatsächlich müssen sie in der Praxis immer wieder hingenommen werden (ibid., mit exemplarischem Verweis auf Özkul 2011). Dörnyei beschreibt solche Gelegenheitsstichproben als „[t]he most common non-probability sampling type in L2 research“ (Dörnyei 2010, 61). Selbstselektivität ist streng genommen „kein spezifisches Problem der Onlinebefragung, sondern tritt bei allen Befragungen auf“ (Springer et al. 2015, 73), insofern dem forschungsethischen Kriterium der Freiwilligkeit genügt wird (cf. auch z. B. Dörnyei 2010, 63 f.). Es wurde daher die Entscheidung getroffen, sie im Rahmen einer Pilotstudie hinzunehmen. 2.2.2 Datenaufbereitung und -auswertung Die Aufbereitung und -auswertung der quantitativen Daten erfolgte mittels der Software SPSS . Zur Anwendung kamen vor allem deskriptivstatistische Verfahren (einführend zu statistischen Verfahren in der Fremdsprachenforschung Settinieri 2012; 2016, mit weiterführender Bibliographie). Inferenzstatistische Verfahren kamen bei der Hypothesenprüfung in Bezug auf Korrelationen (Produkt-Moment-Korrelationen / Korrelationskoeffizient r nach Pearson) und Unterschiede (Mann-Whitney-U-Test für unabhängige Stichproben) hinsichtlich einzelner Teilstichproben und Variablen zum Einsatz. Die Aufbereitung und Codierung der qualitativen Daten erfolgte mit der Software MAXQDA. Bei der Auswertung wurde auf Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse zurückgegriffen. 2.2.3 Beschreibung der Stichprobe Wie in 2.2.1 beschrieben, wurde der Fragebogen flächendeckend an alle Gesamtschulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen versandt. Der Rücklauf der auswertbaren Fragebögen belief sich auf n=128 und verteilt sich auf die einzelnen Sprachen wie folgt: 120 Daniel Reimann Rücklauf nach Sprache Häufigkeit Prozent ohne Angabe 2 1,6 Französisch 67 52,3 Italienisch 22 17,2 Spanisch 37 28,9 Gesamtsumme 128 100,0 Tab. 1: Rücklauf nach Sprache Abb. 1: Rücklauf nach Sprache Die größte Teilstichprobe ist mithin die Gruppe der Französischlehrkräfte (n=67), gefolgt von der der Spanisch- (n=37) und der der Italienischlehrkräfte (n=22). Zwei ansonsten gültig ausgefüllte Fragebögen enthielten keine explizite Benennung der Sprache. In der Grundgesamtheit, wie sie in der amtlichen Schulstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen für das Schuljahr 2015 / 2016 ausgewiesen ist, verteilen sich die Lehrkräfte der romanischen Sprachen an Gesamtschulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen wie folgt auf Französisch, Italienisch und Spanisch (cf. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016, 58): Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 121 Häufigkeit an Gymnasien und Gesamtschulen in NRW Prozent Französisch 5.813 59,0 Italienisch 612 6,2 Spanisch 3.421 34,7 Gesamtsumme 9.846 100,0 Tab. 2: Französisch-/ Italienisch-/ Spanisch-Lehrkräfte in NRW Die Stichprobe gibt also die anteiligen Verhältnisse in der Grundgesamtheit im Wesentlichen wieder. Die verhältnismäßige Überrepräsentation des Italienischen ist insofern als Artefakt zu erklären, als aufgrund der niedrigen absoluten Rücklaufzahlen ein zweiter Aufruf an alle Schulen im Verteiler ergangen war, in dem explizit auch die Italienisch-Fachschaften angesprochen worden waren. Bezüglich Alter, Geschlecht und Schulart setzt sich die Stichprobe weiterhin wie folgt zusammen: Die Altersstruktur der Stichprobe kann wie folgt wiedergegeben werden: Alter Häufigkeit Prozent 25-29 9 7,1 30-34 25 19,8 35-39 15 11,9 40-44 11 8,7 45-49 21 16,7 50-54 18 14,3 55-59 14 11,1 60-64 13 10,3 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 3: Altersstruktur 122 Daniel Reimann Die größte Gruppe stellt mithin die Gruppe der relativ jungen Lehrkräfte in der Altersspanne von 30-34 dar (n=25 bzw. 19,8 %), gefolgt von der Gruppe der 45-49-Jährigen. Graphisch lässt sich dies wie folgt veranschaulichen: Abb. 2: Altersstruktur Die offiziellen Schuldaten liefern keine Angaben zur Altersstruktur der einzelnen Fächergruppen. Insgesamt stellt sich die Altersstruktur der Lehrkräfte an Gesamtschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen wie folgt dar (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016, 49): Häufigkeit Prozent bis 30 7.428 8,5 31-35 13.177 15,0 36-40 11.112 12,7 41-45 11.280 12,8 46-50 11.286 12,9 51-55 10.452 11,9 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 123 Häufigkeit Prozent 56-60 13.450 15,3 61 und älter 9.595 10,9 Gesamtsumme 87.780 100,0 Tab. 4: Altersstruktur der Lehrkräfte in NRW Die Altersverteilung innerhalb der Stichprobe erweist sich vor diesem Hintergrund als weitgehend mit den behelfsweise heranzuziehenden, auf alle Fächer bezogenen, Gesamtdaten konform. Auffällig ist allenfalls, dass die 30-34-Jährigen in der Stichprobe stärker, die 40-44-Jährigen schwächer repräsentiert sind. Dies lässt sich ggf. mit der höheren Einstellungsquote in den Sprachen in den letzten Jahren und einer besonderen Motivation jüngerer Lehrkräfte einerseits bei gleichzeitiger besonderer beruflicher und familiärer Belastung der 40-44-Jährigen andererseits erklären. Bezüglich des Dienstalters stellt sich die Verteilung innerhalb der Stichprobe wie folgt dar (die amtliche Schulstatistik macht diesbezüglich keine Angaben): Häufigkeit Prozent 0-4 20 15,9 5-9 29 23,0 10-14 22 17,5 15-19 21 16,7 20-24 11 8,7 25-29 7 5,6 30-34 8 6,3 35 oder mehr 8 6,3 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 5: Dienstjahre in der Stichprobe In Bezug auf die Variable Geschlecht gestaltet sich die Stichprobe wie folgt: 124 Daniel Reimann Häufigkeit Prozent männlich 17 13,5 weiblich 109 86,5 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 6: Geschlechterverteilung in der Stichprobe Die aus den amtlichen Schuldaten für das fragliche Schuljahr abzulesende Geschlechterverteilung in der Grundgesamtheit verteilt sich anteilsmäßig ähnlich (cf. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016, 60-63): Häufigkeit Prozent männlich 1.662 16,9 weiblich 8.184 83,1 Gesamtsumme 9.846 100,0 Tab. 7: Geschlechterverteilung in der Grundgesamtheit Auch in Bezug auf die Variable Geschlecht spiegelt die Stichprobe also die Grundgesamtheit weitgehend wieder. Die Zuordnung der Befragten zu den verschiedenen in Betracht kommenden Schularten lautet wie folgt: Gesamtschule: n=23, Gymnasium: n=81, Berufliches Gymnasium / Berufskolleg: n=25. Das Gymnasium als die Schulart, an der die romanischen Sprachen traditioneller Weise am stärksten repräsentiert sind, ist mithin deutlich stärker vertreten als andere Schularten, wobei auch Gesamtschulen und Berufliche Schulen, insbesondere Berufskollegs, in sichtbarer Weise repräsentiert sind. Das Verhältnis von Gymnasien und beruflichen Schulen spiegelt in etwa das der Grundgesamtheit, während Gesamtschulen im Rücklauf unterrepräsentiert sind. Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 125 3 Ergebnisse Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse aus folgenden Bereichen vorgestellt: 3.1 Aus- und Weiterbildung im Bereich Phonetik / Aussprache 3.2 Selbsteinschätzung und Zufriedenheit mit der eigenen Aussprache 3.3 Stellenwert von Aussprache und Ausspracheschulung 3.3.1 Stellenwert der Aussprache für fremdsprachliche Kompetenz 3.3.2 Stellenwert der Ausspracheschulung im Fremdsprachenunterricht 3.4 Einschätzung der Aussprachekompetenz der Schülerinnen und Schüler 3.4.1 Entwicklung der Aussprachekompetenz in den letzten zehn Jahren 3.4.2 Störungsempfinden bei ausgewählten lautlichen Phänomenen (v. a. der segmentalen Ebene) 3.4.3 Herkunftssprecher / innen und fremdsprachliche Aussprachekompetenz 3.5 Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (v. a. der segmentalen Ebene) 3.6 Methoden und Materialien der Ausspracheschulung 3.7 Signifikante und auffällige Korrelationen und Unterschiede 3.1 Aus- und Weiterbildung im Bereich Phonetik / Aussprache Zu diesem Bereich wurden berufsbiographische Daten erfragt. Die Ergebnisse sollten mit den im weiteren Verlauf der Befragung ermittelten Daten u. a. zur Zuschreibung eines Stellenwertes für die Ausspracheschulung und zum Störungsempfinden bei Normverstößen im Bereich der Aussprache korreliert werden. Auf die Fragen „Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Theoriekurs mit phonetischem Schwerpunkt absolviert? “ bzw. auf die Frage nach einem sprachpraktischen Kurs mit Schwerpunkt Ausspracheschulung antworteten die Befragten wie folgt: Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Theoriekurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Praxiskurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent ja 70 55,6 ja 36 28,6 nein 47 37,3 nein 80 63,5 erinnere mich nicht 9 7,1 erinnere mich nicht 10 7,9 Tab. 8: Phonetikkurse in der Ausbildung 126 Daniel Reimann Während also etwas mehr als die Hälfte der Lehrkräfte immerhin eine linguistische Lehrveranstaltung mit dem Schwerpunkt Phonetik benennen konnten, konnten nur 28,6 % einen praktischen Aussprachekurs erinnern (vs. 63,5 %, die den Besuch eines solchen Kurses explizit negierten). Daraus lässt sich schließen, dass in der universitären Ausbildung der in der Stichprobe vertretenen Französisch-, Spanisch- und Italienisch-Lehrkräfte Phonetik keinen dominanten Ausbildungsinhalt darstellt, vor allem aber die praktische Ausspracheschulung sehr wenig repräsentiert war. Aufschlussreich in Hinblick auf die Qualität der universitären Lehrerausbildung ist hier die sprachspezifische Auswertung der Frage. Hier stellt sich das Ergebnis wie folgt dar: Französisch: Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Theoriekurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Praxiskurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent ja 41 61,2 ja 25 37,3 nein 23 34,3 nein 36 53,7 erinnere mich nicht 3 4,5 erinnere mich nicht 6 9,0 Gesamtsumme 67 100,0 Gesamtsumme 67 100,0 Tab. 9: Phonetikkurse in der Französisch-Ausbildung Spanisch: Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Theoriekurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Praxiskurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent ja 17 45,9 ja 8 21,6 nein 15 40,5 nein 26 70,3 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 127 Spanisch: Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Theoriekurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Praxiskurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent erinnere mich nicht 5 13,5 erinnere mich nicht 3 8,1 Gesamtsumme 37 100,0 Gesamtsumme 37 100,0 Tab. 10: Phonetikkurse in der Spanisch-Ausbildung Italienisch: Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Theoriekurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Haben Sie während Ihrer universitären Ausbildung einen Praxiskurs mit phonetischem Schwerpunkt besucht? Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent ja 12 54,5 ja 3 13,6 nein 9 40,9 nein 18 81,8 erinnere mich nicht 1 4,5 erinnere mich nicht 1 4,5 Gesamtsumme 22 100,0 Gesamtsumme 22 100,0 Tab. 11: Phonetikkurse in der Italienisch-Ausbildung Während im Französischen (n=41 resp. 61,2 %) der Befragten angeben, einen theoretischen Phonetik-Kurs durchlaufen zu haben, sich die entsprechende Quote in der allerdings deutlich kleineren (n=22) Stichprobe der Italienischlehrkräfte ebenfalls bei über 50 % bewegt (n=12 resp. 54,5 %), haben unter den befragten Spanischlehrkräften weniger als die Hälfte eine linguistische Phonetik-Ausbildung erhalten (n=17 resp. 45,9 %). Dies lässt sich durch die Geschichte der Lehrerausbildung im Spanischen, das bis vor kurzem an den deutschen Universitäten eine dem Französischen untergeordnete Rolle gespielt hat, erklären, ist aber in Hinblick auf die Ausspracheschulung in den Schulen sicherlich als Defizit zu deuten. Noch flagranter in Hinblick auf die Ausbildungsqualität 128 Daniel Reimann und / oder eine eventuelle Fehleinschätzung der Komplexität des Erwerbs einer near-native -Aussprache auch in den klassischen romanischen „Tertiärsprachen“ Spanisch und Italienisch ist die große Zahl der Lehrkräfte, die angeben, keinen aussprachepraktischen Kurs im Rahmen der Sprachausbildung durchlaufen zu haben: im Falle des Spanischen betrifft dies 70,3 % (bzw. n=26) der Lehrkräfte, im Falle der kleineren Stichprobe zum Italienischen sogar 81,8 % (bzw. n=18). Symptomatisch ist eine der wenigen Aussagen zu der eigentlich auf Lehrerfortbildungen bezogenen halboffenen Frage „Wenn Sie ja angekreuzt haben, beschreiben Sie in wenigen Stichworten die Inhalte der Fortbildung“, die hier offensichtlich auf das Studium bezogen beantwortet wurde: es gab nur einen Kurs mit einem Kapitel zur Phonetik des amerikanischen Spanisch. hätte gerne mehr dazu belegt und auch als wichtig erachtet. die Anglisten boten da weit mehr an, inkl. Pflichtklausur. profitieren von diesem Wissen noch heute! (Case 90) Tatsächlich scheinen Phonetik und Ausspracheschulung auch in der 3. Phase der Lehrerbildung, der Lehrerfortbildung, deutlich unterrepräsentiert. Die Ergebnisse auf eine entsprechende Frage lassen sich wie folgt darstellen: Haben Sie bereits eine oder mehrere Fortbildungen mit dem Schwerpunkt Ausspracheschulung besucht? Häufigkeit Prozent ja, genau eine Fortbildung 2 1,6 ja, mehr als zwei Fortbildungen 1 0,8 nein 121 96,0 erinnere mich nicht 2 1,6 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 12: Besuch von Fortbildungen zur Aussprache Als Zwischenfazit zu dem hier verhandelten Fragenbereich kann an dieser Stelle festgehalten werden: Theoretische Ausbildung im Bereich der Phonetik wird an den Universitäten tendenziell eher geleistet als eine gezielte Ausspracheschulung in eigenen sprachpraktischen Kursen. Insgesamt ist die von den amtierenden Lehrkräften erinnerte Ausbildung im Französischen expliziter auf Aussprache bezogen als im Spanischen und Italienischen. Diese Divergenz ist wiederum im Bereich der sprachpraktischen Ausspracheschulung stärker ausgeprägt als in der Theorie. Insgesamt scheint - auch vor dem Hintergrund der Alltagswahrnehmung von Aussprachedefiziten bei Lehrkräften etwa durch Fachleiterinnen Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 129 und Fachleitern an den Studienseminaren, aber auch von Studierenden selbst, welche durch die statistischen Befunde untermauert wird - eine deutlich verstärkte (Re-)Integration der phonetischen Ausbildung in Theorie und Praxis in überarbeiteten Modulcurricula an den Universitäten angezeigt. 3.2 Selbsteinschätzung und Zufriedenheit mit der eigenen Aussprache Im Wesentlichen schätzen die Lehrkräfte ihre eigene Aussprachekompetenz als hoch ein und sind mit ihrer Aussprache zufrieden: Selbsteinschätzung: Wie schätzen Sie Ihre eigene Aussprachekompetenz ein? Häufigkeit Prozent 3 7 5,6 4 71 56,3 5 48 38,1 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 13: Selbsteinschätzung der Aussprache: 1 = sehr niedrig, 5 = sehr hoch. Abb. 3: Selbsteinschätzung der Aussprache: 1 = sehr niedrig, 5 = sehr hoch 130 Daniel Reimann Zufriedenheit: Ich bin mit meiner Aussprache zufrieden. Häufigkeit Prozent 2 1 0,8 3 6 4,8 4 67 53,2 5 52 41,3 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 14: Zufriedenheit mit der eigenen Aussprache Abb. 4: Zufriedenheit mit der eigenen Aussprache Dabei erreichen die Lehrkräfte des Italienischen (Selbsteinschätzung M=4,50, SD =,512, Zufriedenheit M=4,45, SD =,596) höhere Werte als die des Französischen (Selbsteinschätzung M=4,33, SD =,533, Zufriedenheit M=4,39, SD =,549), diese wiederum höhere als die des Spanischen (Selbsteinschätzung M=4,22, SD =,672, Zufriedenheit M=4,22, SD =,712): Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 131 Abb. 5: Selbsteinschätzung und Zufriedenheit in Bezug auf die eigene Aussprache 3.3 Stellenwert von Aussprache und Ausspracheschulung 3.3.1 Stellenwert der Aussprache für fremdsprachliche Kompetenz Insgesamt messen die befragten Lehrkräfte der Aussprache einen hohen Stellenwert zu. Auf die Frage: „Welchen Stellenwert messen Sie einer korrekten Aussprache beim Sprachgebrauch zu? “ wurde auf der von 1 bis 5 reichenden Skala ein Mittelwert von 4,17 ( SD =,727) erzielt. Auffällig ist die Betrachtung nach Sprachen: Hier wird deutlich, dass Französischlehrkräfte (M=4,31, SD =,608) der Aussprache einen höheren Stellenwert zusprechen als Italienischlehrkräfte (M=4,05, SD =,653) und diese einen leicht höheren - bei gleichzeitig geringerer Standardabweichung - als Spanischlehrkräfte (M=3,97, SD =,910). 132 Daniel Reimann Abb. 6: Stellenwert einer korrekten Aussprache Diese Stufung entspricht den o. g. Befunden zur theoretischen Ausbildung in Phonetik, wobei wiederum die unterschiedliche Größe der Teilstichproben zu berücksichtigen ist. Insgesamt wird ersichtlich, dass Lehrkräfte, die im Rahmen ihrer Ausbildung einen Theorie- und / oder Praxiskurs Phonetik besucht haben, der Aussprache für die fremdsprachliche Kompetenz jeweils einen höheren Stellenwert zumessen, als Proband / inn / en ohne entsprechende Ausbildung; die Unterschiede erweisen sich jedoch in dieser Untersuchung als nicht signifikant (U-Test). 2 3.3.2 Stellenwert der Ausspracheschulung im Fremdsprachenunterricht Des Weiteren wurde erfragt, welchen Stellenwert die Lehrkräfte der Ausspracheschulung im Unterricht für Anfänger (hier definiert als A1 / A2 GeR) und für Fortgeschrittene (hier definiert als ab B1 GeR) beimessen, wie viel Zeit sie für die Ausspracheschulung investieren und weshalb ggf. der Ausspracheschulung 2 Die Lehrkräfte, die im Rahmen ihrer Ausbildung einen Theoriekurs Phonetik besucht haben, erreichen einen mittleren Rang von 62,42. Die Befragten ohne Kurs einen mittleren Rang von 52,53. Dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant (U=-1,723; p=0,085). Die Lehrkräfte, die im Rahmen ihrer Ausbildung einen Praxiskurs Phonetik besucht haben, erreichen einen mittleren Rang von 64,39. Die Befragten ohne Kurs einen mittleren Rang von 55,09. Dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant (U=-1,550; p=0,121). Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 133 im Anfänger- und im Fortgeschrittenenunterricht unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird. Zunächst ist festzustellen, dass innerhalb der Gesamtstichprobe 61,1 % der Befragten der Ausspracheschulung in den beiden benannten Phasen des Fremdsprachenunterrichts unterschiedliche Bedeutung zumessen (nein: 33,3 %, weiß nicht: 5,6 %). Exemplarische Begründungen für eine Antwort „nein“ (d. h., identische Bedeutungszuschreibung für den Anfänger- und Fortgeschrittenenunterricht) sind etwa: „Aussprache ist immer wichtig, um sich Franzosen verständlich zu machen. Auch fortgeschrittene Lerner müssen hier immer wieder üben. Das gibt ihnen Sicherheit u. bringt die Sprache zum Klingen. Das ist ein Teil der Französ. so schön macht.“ (Case 14) „Zu Beginn des Anfangsunterrichts bespreche ich immer die Besonderheiten der Aussprache des Italienischen. Doch auch im fortgeschrittenen Unterricht lege ich großen Wert darauf und versuche die Schüler an die Regeln zu erinnern und ihnen anhand von Beispielen die Regel in Erinnerung zu rufen.“ (Case 77) „Ich lege Wert auf eine kontinuierliche Ausspracheschulung, -vertiefung und -festigung in allen Niveaustufen.“ (Case 114) Zahlreiche Begründungen für einen unterschiedlichen Stellenwert weisen auf die lehrerseitige Annahme hin, dass Ausspracheschulung gerade im Anfangsunterricht wichtig sei, um eine gute Grundlage für die mündliche produktive Kompetenz zu legen: „von einer guten Basis profitieren die SuS (hoffentlich…! ) auch in späteren Lernjahren“ (Case 76) „Am Anfang müssen sie die Aussprache erwerben, daher korrigiere ich weit häufiger… später sind es meist kleinere Fehler oder SuS, die sich konsequent weigern, daran zu arbeiten, da korrigiert man weniger“ (Case 86) „Im Anfangsunterricht wird die Aussprache und Betonung in die Wiege gelegt und dient als Grundlage für eine spätere sichere und adäquate Aussprache.“ (Case 92) 134 Daniel Reimann Punktuell wird, wenn auch innerhalb der Stichprobe ausschließlich durch Spanisch-Lehrkräfte, auch argumentiert, dass Ausspracheschulung im Fortgeschrittenen-Unterricht einen höheren Stellenwert genieße: „Im Anfangsunterricht geht es hauptsächlich um eine gelungene Kommunikation. Mit fortgeschrittenen Schülern wird mehr Wert auf einen differenzierten Sprachgebrauch sowie eine authentischere Aussprache gelegt.“ (Case 91) „zunächst steht das Verstanden werden im Vordergrund. Wenn die Schüler sich untereinander verstehen können, ist das erst mal ausreichend“ (Case 99) „Beim Anfängerunterricht liegt der Stellenwert eher auf dem Erlernen der Grammatikstrukturen und Vokabeln. Danach wird mehr Wert auf die Aussprache gelegt.“ (Case 109) Die zu Grunde liegende Annahme scheint hier zu sein, dass korrekte Aussprache sozusagen ein „Luxusproblem“ sei, dem man sich erst im fortgeschrittenen Spanischunterricht zu widmen habe, während am Anfang die lexikalischen und morphosyntaktischen Mittel sowie eine offensichtlich ausspracheunabhängige „gelungene Kommunikation“ (Case 91) im Vordergrund stünden. Insgesamt ist, gerade auch aufgrund der insgesamt 87 zu dieser Frage abgegebenen qualitativen Statements, festzustellen, dass die Überlegung, ob der Ausspracheschulung im Anfänger- und im Fortgeschrittenenunterricht eine höhere oder eine gleiche Bedeutung zuzumessen sei, innerhalb der Stichprobe trotz der einleitend beschriebenen knapp Zwei-Drittel-Mehrheit für eine unterschiedliche Bedeutung umstritten zu sein scheint. Bezüglich der Frage: „Wieviel Zeit beansprucht die Ausspracheschulung in Ihrem Anfängerunterricht (A1 / A2) bzw. in Ihrem Unterricht für fortgeschrittene Lernende (ab B1)? “ (1 - sehr wenig / 5 - sehr viel) ergibt sich bei sprachspezifischer Betrachtung folgendes Bild: Französisch Spanisch Italienisch A1 / A2 ab B1 A1 / A2 ab B1 A1 / A2 ab B1 Mittelwert 4,00 2,54 3,46 2,22 3,82 2,32 SD ,798 ,927 1,043 ,917 ,664 ,894 Tab. 15: Zeitbeanspruchung für Ausspracheschulung Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 135 Der Zeitaufwand, den die Lehrkräfte für Ausspracheschulung zu betreiben angeben, erweist sich also sowohl für den Anfängerals auch für den Fortgeschrittenenunterricht im Französischen höher als im Italienischen, im Italienischen wiederum höher als im Spanischen. Wie in Hinblick auf die eigene Ausbildung als auch in Hinblick auf die Bedeutungszuschreibung von Aussprache für die fremdsprachliche Kompetenz ergibt sich das Bild, dass Französischlehrkräfte stärker für Aussprache ausgebildet und sensibilisiert zu sein scheinen als Italienischlehrkräfte, diese wiederum stärker als Spanischlehrkräfte. Die Gruppe der Spanischlehrkräfte erweist sich wiederum aufgrund des Streuungsmaßes der Standardabweichung als die in sich heterogenste Gruppe, gerade auch was den Zeitaufwand für Ausspracheschulung im Anfangsunterricht (SD=1,043) betrifft. 3.4 Einschätzung der Aussprachekompetenz der Schülerinnen und Schüler 3.4.1 Entwicklung der Aussprachekompetenz in den letzten zehn Jahren Die Lehrkräfte wurden befragt, ob und inwiefern sich die Aussprachekompetenz der Schülerinnen und Schüler nach ihrer Einschätzung in den vergangenen fünf bzw. zehn Jahren verbessert oder verschlechtert hat (im Falle dieser Frage auf einer ordinalskalierten Skala: stark verschlechtert - verschlechtert - weder noch - verbessert - stark verbessert - weiß nicht). Diese Frage führte zu folgendem Ergebnis: in den letzten 5 Jahren in den letzten 10 Jahren Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent weiß nicht 27 21,4 weiß nicht 47 37,3 stark verschlechtert 1 ,8 stark verschlechtert 4 3,2 verschlechtert 23 18,3 verschlechtert 21 16,7 weder noch 64 50,8 weder noch 44 34,9 verbessert 11 8,7 verbessert 9 7,1 stark verbessert 0 0 stark verbessert 1 ,8 Gesamtsumme 126 100,0 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 16: Veränderung der Aussprachekompetenz der Schülerinnen und Schüler 136 Daniel Reimann Bei der Bewertung dieser Zahlen sind natürlich Lebens- und v. a. das ebenfalls erhobene Dienstalter zu berücksichtigen (insgesamt 38,9 % der Befragten geben an, erst zwischen 0 und 4 bzw. 5 und 9 Jahren im Schuldienst tätig zu sein). Insofern erklärt sich die hohe Quote für die Einschätzung „weiß nicht“ insbesondere in Bezug auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre. Festzustellen ist, dass die meisten Nennungen jeweils auf „weder noch“ entfallen, und für beide Zeiträume die Tendenz besteht, dass eher eine Verschlechterung der Aussprachekompetenz wahrgenommen wird. Diese Tendenz lässt sich für alle drei untersuchten Sprachen für jeweils beide Zeiträume feststellen (Median jeweils 3,00, Modus jeweils 3). Dies ist gerade angesichts des höheren Stellenwerts, den die mündlichen Kompetenzen im gegenwärtigen Fremdsprachenunterricht genießen, bedenklich. Aufschlussreich sind vor diesem Hintergrund die Erklärungen, welche die Lehrkräfte für ihre Einschätzung abgeben. Als Erklärungen für eine negative Einschätzung werden v. a. externe Gründe, also etwa Stellenwert in den Richtlinien und zeitliche Vorgaben, angeführt. Zudem wird wiederholt als Erklärung angegeben, dass generell das „Zuhören“ verlernt worden und die grundsätzliche Arbeitshaltung oberflächlicher geworden sei, es häufig an der Bereitschaft fehle, „sich anzustrengen“. Exemplarisch seien folgende Statements zitiert: „auch im muttersprachlichen, also Deutsch-Unterricht, scheinen Aussprache und Betonung unwichtig zu sein.“ (Case 36) „geringere Wochenstundenzahl, weniger Zeit zu lautem Lesen im Unterricht“ (Case 11) „Reduzierung der Stundentafel, Überforderung im Anfangsunterricht durch zu steile Progression, zu wenig gründliche Ausspracheschulung im Anfangsunterricht,“ (Case 31) „die Mehrheit kommt m. E. gut damit klar, dass sie bereits in Kl.6 mit der 2. Sprache beginnt, aber manche Kinder haben gerade auf der Ebene der Aussprache Probleme, die unterschiedlichen Gewohnheiten auseinanderzuhalten,“ (Case 47) „Zunehmende Lautstärke in den Kursen. Die Sch. hören nicht mehr so gut hin, konzentrieren sich zu wenig auf das Hören und Imitieren.“ (Case 24). „Grundlage für die Schulung der korrekten Aussprache ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit / Ruhe / Fähigkeit des korrekten Hörens der S im Unterricht; vielen S fällt es zunehmend schwer, zu hören und dann auch zu reproduzieren, was gesagt wurde.“ (Case 25). Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 137 Gründe für eine positive Entwicklung werden indes durchaus in der Aufwertung der „Mündlichkeit“ in den letzten Jahren gesehen, wobei auch auf entsprechende Entwicklungen in den Lehrwerken und das frühere Einsetzen der Fremdsprachen hingewiesen wird, z. B. „Viele authentische Hörtexte; früherer Beginn des Unterrichts in der zweiten Fremdsprache“ (Case 39, vgl. 42) „weil die Schüler einerseits mehr Möglichkeiten haben, Kontakt im Ausland aufzunehmen, und anderseits das Hörverstehen im Unterricht besser trainiert wird.“ (Case 12). „Aufwertung der Mündlichkeit“ (Case 30) „Stärkung der Sprechkompetenz insgesamt“ (Case 45) Teilweise spiegelt sich in diesen Einschätzungen und ihren Begründungen einerseits die Heterogenität der Stichprobe in Hinblick auf die Schularten, andererseits aber ggf. auch die Heterogenität der Lehrerschaften in Hinblick auf die Implementierung der „Mündlichkeit“, welche in Nordrhein-Westfalen bis dato weniger fortgeschritten ist als in anderen Bundesländern (z. B. Bayern). 3.4.2 Störungsempfinden bei ausgewählten lautlichen Phänomenen (v. a. der segmentalen Ebene) In geschlossenen Item-Batterien, die Raum für freie Ergänzungen enthielten, wurden die Lehrkräfte weiterhin danach befragt, in Bezug auf welche für die jeweilige Fremdsprache charakteristischen lautlichen Phänomene bzw. Graphem-Phonem-Korrespondenzen Verstöße als besonders störend wahrgenommen werden, sowie welche lautliche Phänomene im Unterricht der jeweiligen „abnehmende Konzentration und schlechteres aktives Zuhören bei SuS“ (Case 33) „geringe Frustrationsgrenzen, Haltung ‘ist doch nicht so wichtig’“ (Case 4) „Mangelnde Bereitschaft zu üben, oft können Kinder heute nicht gut mit Kritik klarkommen, sie wird kaum als Ansporn gesehen, es ‘ungefähr’ zu können, reicht vielen; an Möglichkeiten, gutes, klares Französisch über die Begleit-CDs zu hören, an Austauschen und Begegnungen teilzunehmen mangelt es nun wirklich nicht,“ (Case 47) 138 Daniel Reimann Lehrkraft nach eigener Aussage besonders häufig geschult werden. Dabei ergab sich in Bezug auf die Störungswahrnehmung folgendes Ergebnis, das in einem ersten Schritt für die drei Sprachen getrennt in tabellarischer Form und in ein Balkendiagramm übertragen wiedergegeben wird. In einem zweiten Schritt werden die fünf am stärksten und die drei am wenigsten stark gewichteten Phänomene näher betrachtet. Französisch: Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: nicht aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] 64 3 2,88 3,00 3 1,175 1 5 störend: Erkennen der Graphem- Phonem- Korrespondenzen: ci / ce , gi / ge 64 3 3,84 4,00 5 1,101 1 5 störend: Erkennen der Graphem- Phonem- Korrespondenzen: gui / gue 60 7 3,43 3,00 3 1,155 1 5 störend: [s] vs. [z], z. B. nation vs. rose 67 0 3,64 4,00 4 1,083 1 5 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 139 Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: [ʃ] vs. [ʒ], z. B. hache vs. rage 65 2 3,58 4,00 4 1,144 1 5 störend: [ɲ], z. B. campagne 67 0 3,84 4,00 4 ,963 1 5 störend: [ʁ], z. B. rue 63 4 2,57 3,00 3 1,174 1 5 störend: [ɥ], z. B. huit 67 0 3,61 4,00 4 ,904 2 5 störend: [w], z. B. roi 67 0 3,93 4,00 4 1,020 1 5 störend: [i], z. B. ici 63 4 2,73 3,00 3 1,247 1 5 störend: [y], z. B. salut 67 0 4,37 5,00 5 ,832 2 5 störend: [e] vs. [ɛ], z. B. manger vs. lait 66 1 3,50 4,00 4 1,206 1 5 störend: [o] vs. [ɔ], z. B. beau vs. pomme 66 1 3,15 3,00 4 1,140 1 5 störend: [ø] vs. [œ], z. B. deux vs. neuf 66 1 3,18 3,00 3 1,080 1 5 störend: Nasal [ɑ̃], z. B. dans 67 0 4,07 4,00 4 ,858 2 5 140 Daniel Reimann Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: Nasal [ɛ̃], z. B. chien 67 0 4,16 4,00 5 ,881 2 5 störend: Nasal [ɔ̃], z. B. on 67 0 4,07 4,00 4 ,893 2 5 störend: Realisierung von Auslauten (z. B. vous chantez [ʃɑ͂te] oder heureuse [øʁøz]) 67 0 4,60 5,00 5 ,719 2 5 störend: Nicht- Realisierung von stummen Auslauten (z. B. pris ohne [s]) 67 0 4,52 5,00 5 ,704 2 5 störend: Wortakzente 66 1 3,77 4,00 4 1,107 1 5 störend: Intonation / Prosodie 64 3 3,75 4,00 4 ,992 2 5 Tab. 17: Empfinden der Lehrkräfte im Hinblick auf Verstöße (Französisch): 1 = überhaupt nicht störend bis 5 = sehr störend Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 141 Abb. 7: Empfinden der Lehrkräfte im Hinblick auf Verstöße (Französisch): 1 = überhaupt nicht störend bis 5 = sehr störend Spanisch: Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: nicht aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] 37 0 2,30 2,00 1 1,175 1 5 142 Daniel Reimann Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: Erkennen der Graphem- Phonem- Korrespondenzen: ci / ce , gi / ge 36 1 4,44 5,00 5 ,877 2 5 störend: Erkennen der Graphem- Phonem- Korrespondenzen: gui / gue 36 1 4,19 4,00 5 ,920 2 5 störend: [β], z. B. debo 37 0 2,41 2,00 2 ,927 1 5 störend: [ð], z. B. miedo 37 0 2,24 2,00 2 1,038 1 5 störend: [θ], z. B. cielo 37 0 3,51 4,00 5 1,283 1 5 störend: [ɣ], z. B. digo 36 1 2,39 2,00 3 1,103 1 5 störend: [t͡ʃ], z. B. mucho 37 0 4,24 5,00 5 1,065 1 5 störend: [x], z. B. ojo 37 0 4,43 4,00 5 ,603 3 5 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 143 Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: [ʎ], z. B. pollo 37 0 4,59 5,00 5 ,725 2 5 störend: [ɲ], z. B. año 37 0 4,68 5,00 5 ,669 2 5 störend: [r], z. B. perro 37 0 3,30 3,00 4 1,077 1 5 störend: [ɾ], z. B. pero 37 0 2,95 3,00 4 1,129 1 5 störend: Diphthonge, z. B. seis , bueno 37 0 3,70 4,00 4 1,077 2 5 störend: zu stark geschlossenes [o] 36 1 2,31 2,00 2 1,238 1 5 störend: Wortakzent 37 0 4,41 5,00 5 ,865 2 5 störend: Intonation 37 0 4,11 4,00 4 ,809 2 5 Tab. 18: Empfinden der Lehrkräfte im Hinblick auf Verstöße (Spanisch): 1 = überhaupt nicht störend bis 5 = sehr störend 144 Daniel Reimann Abb. 8: Empfinden der Lehrkräfte im Hinblick auf Verstöße (Spanisch): 1 = überhaupt nicht störend bis 5 = sehr störend Italienisch: Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: nicht aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] 21 1 2,43 3,00 3 1,076 1 5 störend: [kw], z. B. quale 21 1 3,48 4,00 4 1,078 1 5 störend: Erkennen der Graphem- Phonem-Korrespondenzen: ci / ce , gi / ge 22 0 4,77 5,00 5 ,429 4 5 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 145 Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: Erkennen der Graphem-Phonem-Korrespondenzen: chi / che , ghi / ghe 22 0 4,68 5,00 5 ,568 3 5 störend: [ɲ], z. B. gnocchi 22 0 4,18 4,50 5 1,006 2 5 störend: [ʎ], z. B. gli 22 0 4,14 4,00 5 ,889 2 5 störend: [s] vs. [z], z. B. rosso vs. rosa 22 0 3,77 4,00 3 1 1,110 1 5 störend: [r], z. B. treno 22 0 2,36 2,00 2 ,848 1 4 störend: Doppelkonsonanten / gelängte Konsonanten, z. B. fato vs. fatto 22 0 3,77 4,00 4 1,110 1 5 störend: Diphthonge, z. B. piede , poi 22 0 3,59 3,00 3 1,098 1 5 störend: zu geschlossenes [o] 22 0 2,86 3,00 3 1,167 1 5 störend: Wortakzent 21 1 4,24 4,00 5 ,831 3 5 störend: Intonation 21 1 3,71 4,00 4 ,784 2 5 störend: [t͡s] vs. [d͡z], z. B. zio vs. zero 22 0 2,73 3,00 3 1,162 1 5 146 Daniel Reimann Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Gültig Fehlend störend: [t͡ʃ] vs. [d͡ʒ], z. B. cielo vs. gelato 22 0 4,36 4,00 4 2 ,658 3 5 Tab. 19: Empfinden der Lehrkräfte im Hinblick auf Verstöße (Italienisch): 1 = überhaupt nicht störend bis 5 = sehr störend Abb. 9: Empfinden der Lehrkräfte im Hinblick auf Verstöße (Italienisch): 1 = überhaupt nicht störend bis 5 = sehr störend Im Folgenden werden in tabellarischer Form, nach Sprachen getrennt, jeweils die fünf Phänomene benannt, die von den Lehrkräften als am störendsten wahrgenommen bezeichnet werden: 3 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. 4 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 147 Französisch Spanisch Italienisch Nicht-Realisierung von Auslauten (z. B. vous chantez *[ʃɑ͂t]) [ɲ] z. B. año Graphem-Phonemkorrespondenz <ci>/ <ce>, <gi>/ <ge> Nicht-Realisierung von stummen Auslauten (z. B. pris *[pʁis]) [ʎ], z. B. pollo Graphem-Phonemkorrespondenz <chi>/ <che>, <ghi>/ <ghe> [y], z. B. salut [x], z. B. ojo [t͡ʃ] vs. [d͡ʒ], z. B. cielo vs. gelato Nasal [ɛ̃], z. B. chien Graphem-Phonemkorrespondenz <ci>/ <ce>, <gi>/ <ge> Wortakzent Nasal [ɑ̃], z. B. dans Wortakzent [ʎ] z. B. gli Tab. 20: Am häufigsten als störend empfundene Verstöße Für das Französische handelt es sich also um die teilweise auch bedeutungsrelevanten Artikulationen oder Nicht-Artikulationen ehemaliger auslautender Konsonanten (hierzu cf. aus historisch-linguistischer Sicht mit fremdsprachendidaktischer Perspektivierung den hoch interessanten Beitrag Kramer 2010) sowie um die korrekte bzw. nicht korrekte Artikulation für das Französische spezifischer Vokale wie [y] und der Nasalvokale. Für das Spanische werden Verstöße gegen charakteristische Konsonanten wie [ɲ], [ʎ] und [x], der Wortakzent sowie, ganz offensichtlich von einem auch an der Schriftlichkeit orientierten Fremdsprachenunterricht ausgehend, Verstöße gegen die Graphem-Phonem- Korrespondenz <ci>/ <ce>, <gi>/ <ge> am häufigsten als störend wahrgenommen benannt. Für das Italienische werden ebenfalls Verstöße gegen die entsprechenden Graphem-Phonem-Korrespondenzen, hier <ci>/ <ce>, <gi>/ <ge> respektive, von den Italienischlehrkräften ebenfalls sehr häufig benannt, <chi>/ <che>, <ghi>/ <ghe>, wiederum der Wortakzent und charakteristische Konsonanten, hier einerseits ebenfalls [ʎ], andererseits Stimmhaftigkeit und Stimmlosigkeit in [t͡ʃ] vs. [d͡ʒ] (also z. B. cielo vs. gelato) sehr häufig angeführt. Die drei als am wenigsten störend wahrgenommenen Phänomene sind in den drei Sprachen: 148 Daniel Reimann Französisch Spanisch Italienisch aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] zu stark geschlossenes [o] [t͡s] vs. [d͡z], z. B. zio vs. zero [i], z. B. ici [ð], z. B. miedo aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] [ʁ], z. B. rue aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] [r], z. B. treno Tab. 21: Am wenigsten häufig als störend empfundene Verstöße Auffällig ist, dass in allen drei romanischen Sprachen die aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] lehrkraftseitig zu den drei am wenigsten gravierend wahrgenommenen Verstößen zählt, während die Alltagsbeobachtung zeigt, dass sie in den romanophonen Gebieten als besonders charakteristisch für einen deutschen „Akzent“ wahrgenommen wird (vgl. etwa die überzogene Aussprache in Filmen usw.). Weiterhin wird auf eine korrekte Artikulation von <r> - im Französischen [ʁ], im Italienischen [r] - offensichtlich wenig Wert gelegt, was wiederum zu einer durch L1-Sprecher / innen als wenig idiomatisch wahrgenommenen Artikulation führen kann. Für das Spanische wird des Weiteren „zu stark geschlossenes [o]“ - ein weiteres Charakteristikum eines „deutschen Akzents“ - und die normabweichende Artikulation von [ð] als sehr wenig störend benannt, im Italienischen die ebenfalls für eine typisch deutsche Aussprache charakteristische ausbleibende Opposition von [t͡s] vs. [d͡z] (also meist fehlende Sonorität in der lernersprachlichen Varietät) als sehr wenig störend wahrgenommen geführt. 3.4.3 Herkunftssprecher / innen und fremdsprachliche Aussprachekompetenz In weiteren Fragen wurden die Lehrkräfte nach besonderen Vorteilen oder Nachteilen mehrsprachiger Lernender mit einer anderen L1 als Deutsch („Herkunftssprecher / innen“) im Unterricht der romanischen Sprachen befragt. Auf die allgemeinen Fragen: „Stellen Sie besondere Vorteile“ [respektive Nachteile] bezüglich der Aussprache bei Schülerinnen und Schülern mit anderen Herkunftssprachen fest? “ ist die Tendenz festzustellen, dass Schülerinnen und Schülern mit einer anderen L1 als Deutsch eher Vorals Nachteile in Hinblick auf die Aussprache in den romanischen Sprachen zugeschrieben werden: Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 149 Häufigkeit Prozent ja 65 51,6 nein 42 33,3 weiß nicht 19 15,1 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 22: Vorteile in der Aussprache bedingt durch Herkunftssprachen Abb. 10: Vorteile in der Aussprache bedingt durch Herkunftssprachen Häufigkeit Prozent ja 31 24,6 nein 78 61,9 weiß nicht 17 13,5 Gesamtsumme 126 100,0 Tab. 23: Schwierigkeiten in der Aussprache bedingt durch Herkunftssprachen 150 Daniel Reimann Abb. 11: Schwierigkeiten in der Aussprache bedingt durch Herkunftssprachen Bezogen auf die einzelnen Sprachen ist die Wahrnehmung von Vor- und Nachteilen unterschiedlich gewichtet: Französisch Spanisch Italienisch Vorteile ja 34,3 % 81,1 % 54,5 % nein 49,3 % 8,1 % 27,3 % weiß nicht 16,4 % 10,8 % 18,2 % Nachteile ja 37,3 % 13,5 % 4,5 % nein 49,3 % 75,7 % 77,3 % weiß nicht 13,4 % 10,8 % 18,2 % Tab. 24: Vor- und Nachteile in der Aussprache bedingt durch Herkunftssprachen Die Wahrnehmung der Vorteile ist im Fach Spanisch am größten (81,1 %), die Wahrnehmung der Nachteile zwar im Italienischen am niedrigsten (4,5 %), aber auch im Spanischen konsequenterweise sehr niedrig (13,5 %). Im Fach Französisch ist die Wahrnehmung von Vorteilen am schwächsten ausgeprägt (34,3 %), die Wahrnehmung der Nachteile - die insgesamt immer noch gering ist (s. o.) - entsprechend am höchsten (37,3 %). Das Italienische nimmt hier eine Mittel- Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 151 position ein. Die Unterschiede zwischen Französisch und Spanisch sind signifikant (p=0.000 (Vorteile) bzw. p=0.022 (Nachteile) im Chi-Quadrat-Test), der Unterschied zwischen Französisch und Italienisch bei den Nachteilen ebenfalls (p=0.013). Die Vorteile werden häufig mit einer bei mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern festgestellten, ausgeprägteren phonetischen Sensibilität oder allgemeiner mit „Sprachgefühl“ und einem größeren lautlichen Inventar (Case 60) begründet, teilweise auch mit - tatsächlichem oder angenommenen - sprachspezifischem Transferpotential (v. a. auch Spanisch vor dem Hintergrund von Türkisch, Arabisch oder Russisch betreffend). Mitunter wird auch auf Parallelen, sei es phonetischer Natur, sei es in Hinblick auf Graphem-Phonem-Relationen, verwiesen, wenn mehrsprachige Schülerinnen und Schüler eine romanische Herkunftssprache wie Italienisch, Portugiesisch oder Rumänisch als Hintergrund haben. Bezüglich der Nachteile werden insbesondere herkunftssprachenspezifische Interferenzen erwähnt. Punktuell wird auch auf Interferenzen aus den zuvor erworbenen bzw. gelernten Zweit- und Fremdsprachen Deutsch und Englisch bei mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern hingewiesen (Case 48, s. u.). Für das Französische werden Schwierigkeiten insbesondere für Herkunftssprecher / innen mit slawischem Ursprung benannt (acht explizite Bezugnahmen auf diese Sprachenfamilie bei insgesamt 29 offenen Stellungnahmen zu diesem Themenbereich), bezogen insbesondere auf das Polnische, Russische und Serbische. Immer wieder wird dabei die apikodentale Realisierung von [r] als besonders störend wahrgenommen (13 Nennungen, davon sechs Fälle explizit auf slawische Sprachen bezogen). Bezüglich türkischen und arabophonen Lernenden werden Schwierigkeiten bei den Nasalvokalen und steigenden Diphthongen ([wa], [ɥi]) festgestellt (Case 56, 66). Vorteile im Französischen werden - außer für die Gruppe der Romanophonen - auch für türkischsprachige Schülerinnen und Schüler in Hinblick auf die nicht aspirierte Artikulation der Okklusiva und die Aussprache von Vokalen festgestellt (Case 31, s. u.; insgesamt fünf explizite Nennungen des Türkischen bei 21 Statements zu Vorteilen im Französischen). Für das Französische wird dabei u. a. wie folgt argumentiert: 152 Daniel Reimann Vorteile: „Die grundsätzliche Bereitschaft in einer neuen Sprache zu kommunizieren, ist einfacher für die SuS, die bereits die deutsche Sprache neben ihrer Muttersprache erlernt haben.“ (Case 56) „Sprachgefühl“ (Case 65) „Türkische Schüler und Schülerinnen kennen andere Laute, mehr Laute“ (Case 60) „andere romanische Sprachen, insbesondere Italienisch“ (Case 51) „romanische Sprache, besonders Rumänisch“ (Case 38) „je nach Herkunftsland, aus Portugal kommende SuS haben Vorteile beispielsweise“ (Case 53) „Portugiesisch, Italienisch“ (Case 47) „wenn sie aus dem romanischen Sprachumkreis kommen“ (Case 57) „türkische Schüler: weniger Schwierigkeiten bei weichen + nicht-aspirierten Konsonanten, Vokale oft ‘klarer’, weniger zu Diphthongen neigend“ (Case 31) Nachteile: „Übernahme der englischen oder deutschen Aussprache“ (Case 48) „SuS aus Serbien, osteuropäischen Ländern manchmal, rollendes r, andere Sprachmelodie“ (Case 17) „Vokale bei Anglophonen“ (Case 47) „Die Nasalisierung und die Artikelvergabe fällt den türkischen und arabischen Kindern schwer.“ (Case 56) „andere Intonation/ Prosodie“ (Case 61) „Satzmelodie, Intonation“ (Case 57) Für das Spanische stehen nur fünf Anmerkungen zu Nachteilen 37 zu Vorteilen gegenüber. Dabei werden Nachteile besonders auch für asiatische Schülerinnen und Schüler festgestellt. Häufig wird die Artikulation von [r] erwähnt (15 Nen- Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 153 nungen), auch finden sich punktuelle Nennungen von Vorteilen griechischer, russischer und albanischer Schülerinnen und Schüler. Fünfmal werden türkische und arabophone Schülerinnen und Schüler im Vorteil gesehen, viermal die Herkunftssprecherinnen und -sprecher einer anderen romanischen Sprache explizit benannt. Im Einzelnen finden sich u. a. folgende Begründungen: Vorteile: „Sie können mehr Laute wahrnehmen und unterscheiden.“ (Case 113) „Sie haben meistens ein breiteres Repertorium von Lauten und damit weniger Schwierigkeiten Sonderlaute auszusprechen.“ (Case 91) „gerolltes ‚r‘ in anderen Sprachen häufiger vertreten“ (Case 114) „Griechische SchülerInnen haben in der Regel eine gute Aussprache, ebenso die russischen“ (Case 115) „türkisch + slawische Sprachen: Kein Aspirieren, Türkisch - Vokalharmonie dort erleichtert Verständnis für starke / schwache Vokale, arabisch: Rachenlaute (dies gilt aber nicht für niederländischsprachige Schüler)“ (Case 123) „Italienisch - kennen ein paar Ausspracheregeln“ (Case 109) Nachteile: „Auslautendes r im Türkischen“ (Case 120) „Schüler aus anderen romanischen Sprachgebieten übernehmen teilweise die eigenen sprachlichen Merkmale.“ (Case 105) „vietnamesisch + koreanisch: Aussprache allgemein wie das Verwechseln von Konsonanten und Vokalen“ (Case 105) Für das Italienische gibt es nur eine explizite Ausführung zu einem Nachteil herkunftssprachiger Schülerinnen und Schüler („Z als S bei türkischsprachigen Schülern“, Case 85), bei den Vorteilen wird, neben allgemeinen Merkmalen wie dem Verweis auf ein größeres lautliches Inventar oder ausgeprägteres Sprachgefühl, wiederum insbesondere auf den Laut [r] hingewiesen (in acht von 17 Statements), Schülerinnen und Schüler osteuropäischer Herkunft und 154 Daniel Reimann natürlich Hispanophone explizit im Vorteil gesehen. U.a. finden sich folgende Formulierungen: „Haben meist eine bessere, deutlichere Aussprache“ (Case 77) „flüssigeres Lesen und allgemein authentische Aussprache“ (Case 78) „Vorteile von Schülerinnen und Schülern aus dem romanischen Sprachraum - intuitiv bessere Aussprache“ (Case 69) „Sollten Spanischmuttersprachler im Kurs sitzen, haben diese natürlich Vorteile.“ (Case 86) „je nach Herkunftsland haben sie eine italienischere Aussprache, z. B. aus Osteuropa“ (Case 88) „sie können das r rollen“ (Case 84) „Korrekte Aussprache des R“ (Case 85) Immer wieder wird also mit phonetischem, aber auch prosodischem Transferpotential bzw. Interferenzgefahr aus den verschiedenen Herkunftssprachen argumentiert. Die erzielten Ergebnisse müssten also in weiteren Studien unbedingt bezogen auf einzelne Herkunftssprachen vertieft werden. In den ganz wenigen bisher vorliegenden diesbezüglichen Studien gelangen für die Zielsprache Französisch Gabriel et al. (2015) bei monolingual bzw. bilingual mit den Herkunftssprachen Türkisch bzw. Chinesisch aufgewachsenen Lernenden, für die Zielsprache Spanisch bei monolingual bzw. bilingual mit der Herkunftssprache Türkisch aufgewachsenen Lernenden Gabriel / Rusca-Ruths (2015) aufgrund lernersprachlicher Daten zum Sprachrhythmus in der jeweiligen Zielsprache zu ähnlich positiven Ergebnissen. 3.5 Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (v. a. der segmentalen Ebene) Die angegebene Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene stellt sich für die einzelnen Sprachen wie folgt dar: Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 155 Französisch: Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: nicht aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] 67 2,78 3,00 3 1,027 1 5 Häufigkeit: Erkennen der Graphem- Phonem-Korrespondenzen: ci / ce , gi / ge 67 3,45 3,00 3 1,158 1 5 Häufigkeit: Erkennen der Graphem-Phonem-Korrespondenzen: gui / gue 67 2,87 3,00 3 1,278 1 5 Häufigkeit: [s] vs. [z], z. B. nation vs. rose 67 3,48 4,00 4 1,133 1 5 Häufigkeit: [ʃ] vs. [ʒ], z. B. hache vs. rage 67 3,16 3,00 3a 1,039 1 5 Häufigkeit: [ɲ], z. B. campagne 67 3,49 3,00 3 1,021 1 5 Häufigkeit: [ʁ], z. B. rue 67 2,84 3,00 3 1,163 1 5 Häufigkeit: [ɥ], z. B. huit 67 3,57 4,00 3 ,988 2 5 Häufigkeit: [w], z. B. roi 67 3,76 4,00 4 1,074 1 5 Häufigkeit: [i], z. B. ici 67 2,69 3,00 3 1,209 1 5 Häufigkeit: [y], z. B. salut 67 3,93 4,00 4 1,020 1 5 156 Daniel Reimann Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: [e] vs. [ɛ], z. B. manger vs. lait 67 3,67 4,00 5 1,160 1 5 Häufigkeit: [o] vs. [ɔ], z. B. beau vs. pomme 67 2,99 3,00 3 1,094 1 5 Häufigkeit: [ø] vs. [œ], z. B. deux vs. neuf 67 2,97 3,00 3 1 ,984 1 5 Häufigkeit: Nasal [ɑ̃], z. B. dans 67 4,28 4,00 5 ,831 2 5 Häufigkeit: Nasal [ɛ̃], z. B. chien 67 4,19 4,00 5 ,925 2 5 Häufigkeit: Nasal [ɔ̃], z. B. on 67 4,37 5,00 5 ,850 2 5 Häufigkeit: Realisierung von Auslauten (z. B. vous chantez [ʃɑ͂te] oder heureuse [øʁøz]) 67 4,46 5,00 5 ,804 2 5 Häufigkeit: Nicht-Realisierung von stummen Auslauten (z. B. pris ohne [s]) 67 4,63 5,00 5 ,624 3 5 Häufigkeit: Wortakzente 67 3,96 4,00 4 2 ,944 2 5 Häufigkeit: Intonation / Prosodie 67 3,90 4,00 4 ,907 2 5 Tab. 25: Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (Französisch): 1 = nie, 5 = sehr häufig 5 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. 6 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 157 Abb. 12: Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (Französisch): 1 = nie, 5 = sehr häufig Spanisch: Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: nicht aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] 37 2,19 2,00 2 ,995 1 4 Häufigkeit: Erkennen der Graphem- Phonem-Korrespondenzen: ci / ce , gi / ge 37 4,22 4,00 5 ,854 2 5 Häufigkeit: Erkennen der Graphem-Phonem-Korrespondenzen: gui / gue 37 4,19 4,00 5 ,967 2 5 158 Daniel Reimann Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: [β], z. B. debo 37 2,78 3,00 3 1,158 1 5 Häufigkeit: [ð], z. B. miedo 37 2,70 3,00 3 1,127 1 5 Häufigkeit: [θ], z. B. cielo 37 4,05 5,00 5 1,177 2 5 Häufigkeit: [ɣ], z. B. digo 37 2,35 2,00 3 1,111 1 5 Häufigkeit: [t͡ʃ], z. B. mucho 37 3,81 4,00 5 1,151 2 5 Häufigkeit: [x], z. B. ojo 37 3,95 4,00 5 1,053 1 5 Häufigkeit: [ʎ], z. B. pollo 37 4,24 5,00 5 ,955 2 5 Häufigkeit: [ɲ] z. B. año 37 3,97 5,00 5 1,323 1 5 Häufigkeit: [r], z. B. perro 37 3,73 4,00 3 1,018 2 5 Häufigkeit: [ɾ], z. B. pero 37 3,54 4,00 4 1,145 1 5 Häufigkeit: Diphthonge, z. B. seis , bueno 37 3,57 3,00 5 1,214 1 5 Häufigkeit: zu stark geschlossenes [o] 37 2,35 2,00 2 1 1,136 1 5 Häufigkeit: Wortakzent 37 4,41 5,00 5 ,832 2 5 Häufigkeit: Intonation 37 3,89 4,00 5 1,022 2 5 Tab. 26: Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (Spanisch): 1 = nie, 5 = sehr häufig 7 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 159 Abb. 13: Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (Spanisch): 1 = nie, 5 = sehr häufig Italienisch: Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: nicht aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] 22 2,45 2,00 2 1 1,184 1 5 Häufigkeit: [kw], z. B. quale 22 3,36 4,00 4 1,399 1 5 Häufigkeit: Erkennen der Graphem- Phonem-Korrespondenzen: ci / ce , gi / ge 22 4,77 5,00 5 ,429 4 5 160 Daniel Reimann Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: Erkennen der Graphem- Phonem-Korrespondenzen: chi / che , ghi / ghe 22 4,77 5,00 5 ,528 3 5 Häufigkeit: [ɲ], z. B. gnocchi 22 4,50 5,00 5 ,740 3 5 Häufigkeit: [ʎ], z. B. gli 22 4,32 4,50 5 ,839 2 5 Häufigkeit: [s] vs. [z], z. B. rosso vs. rosa 22 3,77 4,00 4 1,066 2 5 Häufigkeit: [r], z. B. treno 22 3,00 3,00 3 1,024 1 5 Häufigkeit: Doppelkonsonanten / gelängte Konsonanten, z. B. fato vs. fatto 22 3,27 3,00 2 2 1,386 1 5 Häufigkeit: Diphthonge, z. B. piede , poi 22 3,45 3,50 3 3 1,184 1 5 Häufigkeit: zu geschlossenes [o] 22 2,82 3,00 3 1,181 1 5 Häufigkeit: Wortakzent 22 4,32 5,00 5 ,995 2 5 Häufigkeit: Intonation 22 4,05 4,00 5 ,950 2 5 Häufigkeit: [t͡s] vs. [d͡z], z. B. zio vs. zero 22 3,00 3,00 3 1,195 1 5 Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 161 Statistiken N Mittelwert Median Modalwert Standardabweichung Minimum Maximum Häufigkeit: [t͡ʃ] vs. [d͡ʒ], z. B. cielo vs. gelato 22 4,55 5,00 5 ,596 3 5 Tab. 27: Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (Italienisch): 1 = nie, 5 = sehr häufig Abb. 14: Schulungshäufigkeit ausgewählter lautlicher Phänomene (Italienisch): 1 = nie, 5 = sehr häufig 8 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. 9 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. 10 Es sind mehrere Modi vorhanden. Der kleinste Wert wird angezeigt. 162 Daniel Reimann Die fünf am häufigsten geschulten Phänomene können nach Sprache und nach Mittelwert sortiert tabellarisch wie folgt resümiert werden: Französisch Spanisch Italienisch Nicht-Realisierung von stummen Auslauten (z. B. pris *[pʁis]) Wortakzent Graphem-Phonemkorrespondenz <chi>/ <che>, <ghi>/ <ghe> Realisierung von Auslauten (z. B. vous chantez *[ʃɑ͂t]) [ʎ], z. B. pollo Graphem-Phonemkorrespondenz <ci>/ <ce>, <gi>/ <ge> Nasal [ɔ̃], z. B. on Graphem-Phonemkorrespondenz <ci>/ <ce>, <gi>/ <ge> [t͡ʃ] vs. [d͡ʒ], z. B. cielo vs. gelato Nasal [ɑ̃], z. B. dans Graphem-Phonemkorrespondenz <gue>/ <gui> [ɲ], z. B. gnocchi Nasal [ɛ̃], z. B. chien [θ], z. B. cielo [ʎ], z. B. gli Tab. 28: Am häufigsten zu schulende lautliche Phänomene Es zeigt sich, dass die erinnerte bzw. angegebene Schulungshäufigkeit dem benannten Störungsempfinden weitgehend entspricht. Die Lehrkräfte handeln also ihrer Wahrnehmung entsprechend konsequent. 3.6 Methoden und Medien der Ausspracheschulung Methoden der Ausspracheschulung wurden in geschlossenen, halboffenen und offenen Fragen erfasst. Zunächst wurden einfache Zustimmungsaussagen zu etablierten Verfahren der Ausspracheschulung erbeten, um deren Grad der gegenwärtigen Implementierung zu erfassen. Dabei kamen die Formen „Kognitivierung (Bewusstmachung lautlicher Besonderheiten)“, „Imitation (Lernende imitieren bestimmte lautliche Phänomene) und „Tipps / Lerntechniken“ auf folgende Werte der Zustimmung (bezogen auf die gesamte Stichprobe und einzeln nach Sprachen betrachtet): insgesamt Französisch Spanisch Italienisch Kognitivierung 93,7 % 92,5 % 94,6 % 95,5 % Imitation 96,0 % 98,5 % 97,3 % 86,4 % Lerntechniken 48,4 % 52,2 % 48,6 % 36,4 % Tab. 29: Zustimmung zu Methoden der Ausspracheschulung Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 163 Es wird ersichtlich, dass die etablierten Verfahren der Imitation und der Kognitivierung im Bereich der Aussprache von den allermeisten Lehrkräften noch immer eingesetzt werden, wobei die Imitation leicht überwiegt. Die Vermittlung von Strategien und Lerntechniken, hier insbesondere in Form von Aussprachetipps und motorischem Training denkbar, werden weit seltener angegeben. Aus einer ergänzenden offenen Frage zu Methoden der Ausspracheschulung konnten folgende Kategorien gewonnen werden, die sicherlich nicht trennscharf sind, sich teilweise wiederum mit den oben genannten Operationen wie auch mit den gesondert erfragten Materialien und Medien der Ausspracheschulung überlagern, zugleich aber interessante Einblicke in die hier benannte Praxis der Ausspracheschulung geben. Sie werden hier zusammen mit der absoluten Zahl ihrer Nennung nach Häufigkeit geordnet wiedergegeben: Tipps zu einzelnen lautlichen Phänomenen 13 Lautschrift / Lauttabellen 11 Hören und / oder Nachsprechen 11 Beispielwörter, Merksprüche 6 lautes Lesen 5 Chorsprechen oder Singen 4 Verweis auf andere Sprachen 4 Korrektur und Kognitivierung 3 sich selbst aufnehmen 2 Tab. 30: Medien und Methoden der Ausspracheschulung nach Häufigkeit der Benennung Einzelne Aussagen zu diesen Bereichen können exemplarisch zitiert werden, um Einblicke in die Unterrichtspraxis der Lehrkräfte zu vermitteln: Kategorie Beispiel Lautschrift / Lauttabellen Lauttabellen (Theorie) (Case 108) offizielle und „persönliche“ Lautschrift (Case 38) Notieren der Lautschrift als Memorierungshilfe (Case 48) je nach Alter der SchülerInnen auch die IPA -Symbole durch konkrete Hinweise auf die Lautschrift bei den Vokabeln und Besprechen der Symbole (Case 46) 164 Daniel Reimann Kategorie Beispiel Tabellen mit Phonemen, selbst erstellt; Sätze in Lautsprache zur Verschriftlichung (Case 67) Hören und / oder Nachsprechen Hörverstehen, Nachsprechen (Case 21) gezielte Hör- und Sprechübungen (Case 92) Vorsprechen - Nachsprechen (Case 123) Ich lese im Anfangsunterricht manchmal vor und die Schüler sprechen mir nach. Besonders schwierige Wörter werden mehrmals wiederholt. (Case 115) Sprachübungen, Verse, Rezitieren von Gedichten oder Fabeln (Case 55) lautes Lesen Texte vorlesen (Case 108) oft Lesen üben als HA mit der CD (Case 17) Echolesen von Lektionstexten (Case 17) Lesen wie in der spanischen Grundschule: mit Silben und Klatschen; z. B. ga, gue, gui, go, gu; ca, que, qui, co, cu; za, ce, ci, zo, zu; ja, ge / je, gi / ji, jo, ju (Case 92) Chorsprechen oder Singen chorisches Sprechen, Überformen (Case 17, vgl. 59) Singen (Case 5, 47) Verweis auf andere Sprachen Aufzeigen von Parallelen zum Deutschen, z. B. [ʁ] in „Karstadt“ oder „Dortmund“ (Case 25) Verknüpfung der Lautschrift der englischen Sprache (Case 38) Korrektur und Kognitivierung konsequente, aber freundliche Korrektur (Case 90) Verbesserungen der Schüleräußerungen - mit Aufforderung zum Nachsprechen (Case 14) sich selbst aufnehmen Handy zum Aufnehmen und Abhören => Ersatz für ehemaliges Sprachlabor (Case 92) Imitation aufnehmen und mit Original vergleichen lassen (Case 123) Tab. 31: Aussprachemethoden Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 165 Die Lehrkräfte geben an, sich einerseits traditioneller und bewährter Formen der Aussprachevermittlung und -schulung zu bedienen, also etwa Nachsprechen, lautes Lesen, Chorsprechen oder Singen. Zugleich wird das Potential von Lautschrift, sowohl der IPA als auch individualisierter Lautschrift-Symbole, auch als Lernbzw. Merkhilfe, wahrgenommen. Selbst Rekodierungs-Aktivitäten (orthographische Wiedergabe eines in Lautschrift vorgelegten Textes, wie sie aus universitären Phonetik-Kursen bekannt sind, werden erwähnt (Case 67). Nicht zuletzt werden Möglichkeiten, die alltägliche digitale Medien bieten, offensichtlich genutzt („sich selbst aufnehmen“). Nicht erwähnt werden die Möglichkeiten, sich etwa in digitalen Wörterbüchern / Apps auch verfügbare Hörbeispiele mit dem Ziel des besseren Ausspracheerwerbs anzuhören (aber s. u. zu Medien: Internet, z. B. Case 13). Als sprachspezifische Hinweise zu der Kategorie „Tipps zu einzelnen lautlichen Phänomenen“ werden u. a. folgende Vorgehensweisen erwähnt: Sprache Beispiele offensichtlich bezeichnetes Phänomen F Einzeichnen von „liaisons“ (Case 58) liaison F Bilder Schlange / Biene (Case 38) Sonorität, z. B. [s] - [z], [ʃ] - [ʒ] F Kenntlichmachung nicht gesprochener Laute beim Einführen neuer Verben (Case 17) Graphem-Phonem-Relationen Sp Überprüfen der Vibration der Stimmbänder (Case 119) Sonorität Sp Bdötchen (Case 98) für das r über d gehen (Case 114), [ɾ] als Vibrant It h macht hart, i macht weich (Case 89) Graphem-Phonem-Relationen <c>/ <g> + <e>/ <i> vs. <c>/ <g> + <h> + <e>/ <i> It / Sp bekannte Wörter ( broccoli , spaghetti ) Bekannte Begriffe als Anker - Chili con carne / café con leche / Mallorca (Case 123) gelängte Konsonanten, hier z. B. [kː], [tː] [t͡ʃ], [ʎ] Tab. 32: Aussprachetipps 166 Daniel Reimann Als Medien der Ausspracheschulung werden u. a. genannt (Kategorie und Zahl der absoluten Nennungen): Lehrwerksmaterialien 42 auditive und audiovisuelle Medien 41 Lehrer und / oder Muttersprachler 13 Internet 7 eigene Materialien 5 Gedichte, Reime 3 Übungsformen 4 - Zungenbrecher 8 - Hörübungen 4 - Italienisch: Übungen zum r 2 - Spanisch: Übungen zum r 1 - Diktat 1 Tab. 33: Medien der Ausspracheschulung Auch hier fällt auf, dass viele Lehrkräfte die Unterscheidung zwischen Methoden und Medien nicht trennscharf vornehmen, was für diesen qualitativen und explorativen Teil der Studie allerdings nicht ins Gewicht fällt; intendiert waren mit diesen offenen Fragen ja durch die Aussagen der Lehrkräfte über ihren eigenen Unterricht vermittelte erste Einblicke in die Praxis der Ausspracheschulung. Im Einzelnen wurden, über die teilweise explizite Nennung der Kategorien (z. B. in Fällen wie „Reime“ (Case 31), „Sprachgedichte“ (Case 112)) hinaus, u. a. folgende Anmerkungen gemacht: Kategorie Beispiel Lehrwerksmaterialien CD s zum Hörbuch (Case 13 u. ö.) Schulbuch + Material, Sonderheft Aussprache (Case 1) Ausspracheübungen aus dem Lehrbuch ( Découvertes série jaune ) (Case 23) Phonetikübungen verschiedener Lehrwerke (Case 62) spezielle Übungen besonders in den neuen Lehrwerken (Case 38) Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 167 Kategorie Beispiel auditive und audiovisuelle Medien CD s und Filme (Case 2 u. ö.) Hörtexte zu untersch. Lauten (Case 24) Lieder mit vielen Nasalen und accents (Case 62) muttersprachliche Aufnahmen, anhand derer die SuS die richtige Phonetik kennenlernen, um sie danach richtig anzuwenden (Case 53) Ich nutze häufig Aufnahmen muttersprachlicher Sprecher und Lieder, um die Aussprachekompetenz zu schulen. (Case 83) Weiterhin CD s zum Hörverständnis, damit sie später die Aussprache selbst umsetzen können (Case 115) Whiteboard-Arbeit: Sprech- und Hörübungen am Computer (Case 92) Lehrer und / oder Muttersprachler der Lehrer selbst (Case 8), sprachliches Vorbild des Lehrers (Case 13, u. ö.) Lehrer, Fremdsprachenassistenten (Case 61) argentinische Gastschülerin (Case 114) Internet online Wörterbücher mit der Möglichkeit, sich Wörter anzuhören (Case 13) Hinweis auf leo.org (Case 13, vgl. 123) Internet: Youtube - authentische Szenen, Lieder etc. (Case 92) eigene Materialien Arbeitsblätter mit Systematisierungen und Beispielen (Case 123) eigene Listen mit z. B. Reimwörtern (Case 47) selbst erstellte Wortdiktate (Case 84) Übungsformen Tabellenzuordnungen (k / tsch / g/ dsch…) (Case 86) Diktate zum Heraushören der Betonung und der Aussprache. Sie müssen dann die jeweiligen Wörter in Tabellen einordnen. (Case 115) Ausspracheübungen mithilfe von CD s und schriftliche Übungen z.B. für die Akzentsetzung) (Case 90) Hörübungen zur Lautunterscheidung mit anschl. Nachsprechen (Case 14) Wortleseübungen im Anfängerunterricht, multiple choice - Übungen (Case 89) Tab. 34: Medien der Ausspracheschulung nach Kategorien 168 Daniel Reimann Hier wird deutlich, dass die befragten Lehrkräfte insgesamt ein sehr weites Spektrum von Medien und durch sie ermöglichten Aktivitäten der Ausspracheschulung einsetzen: zum einen sind sie sich bewusst, dass das Primärmedium Mensch eine wesentliche Vorbildfunktion einnehmen kann, zum anderen setzen sie das Potential der Lehrwerke auf methodisch vielfältige Art und Weise um, entwickeln eigenständig Material, das von der Kognitivierung über die Rezeption (z. B. Zuordnungs- und Auswahlübungen in Tabellenform beim Hörverstehen, bei Diktaten usw.) bis zur, zunächst imitierenden, Produktion führen. Weiterhin werden Möglichkeiten der digitalen Medien (Hörbeispiele im Internet, Arbeit mit dem interaktiven Whiteboard) genutzt. Auch die Tendenz, dass Lehrwerke zunehmend wieder Aktivitäten zur Aussprache anbieten (vgl. Reimann 2016a und b), wird erkannt und genutzt (z. B. Case 38, hier s.v. „Lehrwerksmaterialien“). Die in den offenen Fragen zu Methoden und Medien der Ausspracheschulung erzielten Ergebnisse geben durch die Lehrkräfte vermittelte erste Einblicke in die Realität der Ausspracheschulung im Unterricht der romanischen Sprachen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2015. Vertiefende Unterrichtsforschung könnte zu weiteren systematischen und aufschlussreichen Erkenntnissen in Hinblick auf die Praxis der Ausspracheschulung führen. 3.7 Signifikante und auffällige Korrelationen und Unterschiede Im Folgenden werden signifikante und ausgewählte auffällige Korrelationen und Unterschiede zusammengefasst: Selbsteinschätzung der eigenen Aussprache und Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht Es liegt eine positive Korrelation zwischen den Variablen „Selbsteinschätzung der eigenen Aussprache“ und „Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht“ vor (n=125, r=0,24; p≤0,05). Der Korrelationskoeffizient weist auf einen Zusammenhang mit kleinem Effekt hin: Je höher die Befragten ihre eigene Aussprachekompetenz einschätzen, desto höher fällt auch der Stellenwert aus, den die Befragten der Ausspracheschulung in ihrem eigenen Fremdsprachenunterricht zuschreiben. Die hier gefundene Korrelation ist signifikant (p=0,006). Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 169 Stellenwert der Ausspracheschulung in der Schulzeit der Befragten und Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht Zwischen den genannten beiden Variablen liegt ebenfalls eine positive Korrelation vor (n=118, r=0,24; p≤0,05). Der Korrelationskoeffizient weist auf einen Zusammenhang mit kleinem Effekt hin. D.h. je höher der Stellenwert der Ausspracheschulung in der eigenen Schulzeit der Befragten, desto höher der Stellenwert der Ausspracheschulung im eigenen Fremdsprachenunterricht. Die hier gefundene Korrelation ist signifikant (p=0,008). Stellenwert der korrekten Aussprache beim Sprachgebrauch und Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht Es liegt eine positive Korrelation zwischen den Variablen „Stellenwert der korrekten Aussprache beim Sprachgebrauch“ und „Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht“ vor (n=125, r=0,49; p≤0,05). Der Korrelationskoeffizient weist auf einen Zusammenhang mit mittlerem Effekt hin: Je höher die Befragten den Stellenwert einer korrekten Aussprache beim Sprachgebrauch einschätzen, desto höher sind auch die Werte für den Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht. Die hier gefundene Korrelation ist signifikant (p=0,000). Dienstalter und Stellenwert der korrekten Aussprache beim Sprachgebrauch: Die Befragten in den unteren Dienstjahren (null bis vier Dienstjahre) erreichen nicht nur im Hinblick auf die Selbsteinschätzung der eigenen Aussprachekompetenz einen geringeren Wert, sondern sie schreiben der Aussprache im Sprachgebrauch auch einen geringeren Stellenwert zu als alle anderen Gruppen (denkbar ist hier natürlich eine mögliche Interkorrelation der Variablen Selbsteinschätzung und Stellenwert). Bis auf die Dienst-Altersgruppe mit 30 oder mehr Dienstjahren ist der Zusammenhang in Bezug auf alle anderen Altersgruppen signifikant. 11 11 Der Unterschied zwischen den Befragten mit vier oder weniger Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang=20,40) und den Befragten mit 5-9 Dienstjahren (n=28) (mittlerer Rang=27,43) ist signifikant (U=-1,957; p=0,050). Der Unterschied zwischen den Befragten mit vier oder weniger Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang=17,18) und den Befragten mit 10-14 Dienstjahren (n=22) (mittlerer Rang=25,43) ist signifikant (U=-2,370; p=0,018). Der Unterschied zwischen den Befragten mit vier oder weniger Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang=17,20) und den Befragten mit 15-19 Dienstjahren (n=21) (mittlerer Rang=24,62) ist signifikant (U=-2,115; p=0,034). Der Unterschied zwischen den Befragten mit vier oder weniger Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang=15,50) und den Befragten mit 20-29 Dienstjahren (n=18) (mittlerer Rang=23,94) ist signifikant (U=-2,544; p=0,011). Der Unterschied zwischen den Befragten mit vier oder weniger Dienstjahren (n=20) (mitt- 170 Daniel Reimann Dienstalter und Stellenwert der Ausspracheschulung im Unterricht: Die Befragten in den ersten Dienstjahren (0-4) weisen der Ausspracheschulung in ihrem Unterricht einen geringeren Stellenwert zu. Dieser Unterschied wurde im Vergleich mit zwei Gruppen (5-9, 10-14) mittels Mann-Whitney-U-Test als signifikant identifiziert. Zu den anderen Dienstaltersgruppen liegen ebenfalls Unterschiede vor, die sich innerhalb der Stichprobe jedoch nicht als signifikant erwiesen haben. 12 In weiterführenden Studien wäre zu prüfen, ob dies den besonderen Anforderungen in den ersten Dienstjahren (Konzentration auf andere Aspekte) oder aber Ausbildungsdefiziten in den modularisierten Studiengängen zuzuschreiben ist. Universitäre Phonetik-Ausbildung und Schulung einzelner lautlicher Phänomene sowie Störungsempfinden bei Normabweichungen Bei den Französischlehrkräften ist kein Einfluss der universitären Ausbildung auf die Häufigkeit der Schulung der einzelnen lautlichen Phänomene bzw. auf das Störungsempfinden bei Verstößen identifizierbar. Bei den Italienischlehrkräften ist die Tendenz festzustellen, dass Lehrende mit einer theoretischen Phonetik-Ausbildung höhere Werte bei der Schulungshäufigkeit und Störungsempfinden erreichen (jedoch sind diese Unterschiede nicht signifikant). Bei den Spanischlehrkräften besteht ebenfalls die Tendenz, dass Lehrende mit Theoriekurs höhere Werte erreichen (jedoch meist keine signifikanten Unterschiede; signifikant: Schulungshäufigkeit: [ð], z. B. miedo (p=0,02), Störungsempfinden: [β], z. B. debo (p=0,024), [ð], z. B. miedo (p=0,004)). Es zeichnet sich also gerade in den beiden Fächern, in denen Ausbildungsdefizite festgestellt werden konnten (s. o., 3.1), namentlich den „jüngeren“ Lehramts-Fächern Spanisch und Italienisch, ab, dass eine fundiertere v. a. auch theoretische Ausbildung auch zu - bei Spezifika der spanischen Sprache teilweise sogar signifikanten - Unterlerer Rang=16,00) und den Befragten mit 30 und mehr Dienstjahren (n=16) (mittlerer Rang=21,63) ist jedoch nicht signifikant (U=-1,794; p=0,073). 12 Die Gruppe mit 0-4 Dienstjahren (n=20) erreicht einen mittleren Rang von 19,58 und die Gruppe mit 5-9 Dienstjahren einen mittleren Rang von 28,74 (U=-2,394; p=0,017). Die Gruppe mit 0-4 Dienstjahren (n=20) erreicht einen mittleren Rang von 17,03 und die Gruppe mit 10-14 Dienstjahren einen mittleren Rang von 25,57 (U=-2,563; p=0,010). Der Unterschied zwischen der den Befragten in den ersten 4 Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang von 18,08) und den Befragten mit 15-19 Dienstjahren (n=21) (mittlerer Rang von 23,79) ist nicht signifikant (U=1,635; p=0,102). Der Unterschied zwischen der den Befragten in den ersten 4 Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang von 17,78) und den Befragten mit 20-29 Dienstjahren (n=18) (mittlerer Rang von 21,42) ist nicht signifikant (U=-1,117; p=0,264). Der Unterschied zwischen den Befragten in den ersten 4 Dienstjahren (n=20) (mittlerer Rang von 16,00) und den Befragten mit 30 oder mehr Dienstjahren (n=16) (mittlerer Rang von 21,63) ist nicht signifikant (U=-1,794; p=0,073). Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 171 schieden in Schulungshäufigkeit ([ð]) und Störungsempfinden ([β], [ð]) führen. Diese Befunde sprechen ggf. dafür, bei einer Überarbeitung der Modulcurricula in den B. A./ M.Ed.-Studiengängen auf eine ausreichende Berücksichtigung der Phonetik und der Aussprache zu achten. 4. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse, Methodenreflexion und Perspektiven 4.1 Zusammenfassung und Interpretation Abschließend kann in Bezug auf die hier untersuchte Stichprobe festgehalten werden: Ein Bewusstsein für die Bedeutung der Aussprache für die fremdsprachliche Kompetenz ist unter den Teilnehmer / inne / n der Studie gegeben. Nach Aussagen der praktizierenden Lehrkräfte sind Theorie und Praxis der Phonetik und der Ausspracheschulung in der ersten Phase der Lehrerbildung an den Universitäten nur wenig präsent. Dies betrifft insbesondere das Spanische und das Italienische. Es gibt derzeit praktisch keine wahrgenommenen Angebote in der Lehrerfortbildung zum Thema Ausspracheschulung im Französisch-, Spanisch- und Italienischunterricht. Eine intensivere Ausbildung im Studium führt zu einer höheren Sensibilität und zu einer höheren Bereitschaft, Ausspracheschulung in den eigenen Fremdsprachenunterricht zu integrieren. Auffallend ist die Korrelation des Stellenwerts in der Ausspracheschulung in der Schulzeit der Befragten mit dem Stellenwert der Ausspracheschulung in deren eigenen Unterricht. Hier zeigt sich einmal mehr der prägende Charakter des eigenen Schulunterrichts, der teilweise die universitäre Bildung zu übertreffen scheint (cf. in Bezug auf den Literaturunterricht im Fach Französisch z. B. Weller 2000). Bedenkenswert ist, dass die Befragten in den niedrigeren Dienstaltersstufen nicht nur im Hinblick auf die Selbsteinschätzung der eigenen Aussprachekompetenz einen geringeren Wert erzielen, sondern auch der Aussprache im Sprachgebrauch nur einen geringeren Stellenwert zuschreiben (wobei eine mögliche Interkorrelation der Variablen Selbsteinschätzung und Stellenwert nicht ausgeschlossen werden kann). Bei aller gebotenen Vorsicht kann man wohl zu der Aussage gelangen, dass darauf geachtet werden sollte, in den B. A./ M.Ed.-Studiengängen nicht durch weitere Reduktion der Studienanteile in den Bereichen Phonetik und Ausspracheschulung weitere Ausbildungsdefizite zu generieren. Insgesamt wird der Aussprache ein recht hoher Stellenwert für die fremdsprachliche Kompetenz zugesprochen, wobei diese Einschätzung bei den Französischlehrkräften stärker ausgeprägt ist als bei den Italienisch- und bei diesen wiederum stärker als bei den Spanischlehrkräften. Entsprechend widmen auch die Französischlehrkräfte 172 Daniel Reimann der Ausspracheschulung mehr Zeit in ihrem Unterricht als die Italienischlehrkäfte und diese mehr als die Spanischlehrkräfte. Die Aussprachekompetenz der Schülerinnen und Schüler ist in der Wahrnehmung der Lehrenden in den letzten 5 respektive 10 Jahren tendenziell eher gleichgeblieben bzw. habe sich leicht verschlechtert. Weiterhin kann aus den Daten abgeleitet werden, dass ein Bewusstsein für andere Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern mit weiteren Herkunftssprachen neben dem Deutschen auch im Bereich der Aussprache gegeben ist. Vorteile im Bereich Aussprache werden bei mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern insbesondere im Spanischen wahrgenommen. Das Störungsempfinden bei einzelnen Aussprachephänomenen deckt sich teilweise mit den jeweils zugrunde liegenden Hypothesen (Verstöße bei „spezifischen“ Lauten der einzelnen Sprachen auf der segmentalen Ebene, aber auch gegen den Wortakzent im Spanischen und Italienischen werden als sehr störend wahrgenommen), überrascht aber punktuell auch und lässt Defizite in der Ausspracheschulung an Schule und Universität feststellen: aspirierte Aussprache von [p], [t], [k] gehört für alle drei Gruppen von Fremdsprachenlehrenden zu den am wenigsten störend wahrgenommenen Phänomenen, ebenso wie doch saliente Verstöße wie etwa gegen [ʁ] im Französischen, [r] im italiano standard oder [ð] und tendenziell offener als im Deutschen realisiertes [o] im Spanischen. Die Angaben zur Schulungshäufigkeit im eigenen Fremdsprachenunterricht decken sich weitgehend mit denen zum Störungsempfinden, d. h. die Lehrkräfte geben an, ihrer Wahrnehmung entsprechend zu handeln. Bezüglich der Angaben zu Methoden und Medien der Ausspracheschulung wird deutlich, dass traditionelle Methoden und der Einsatz des Lehrwerks überwiegen, punktuell aber auch Möglichkeiten etwa mobiler Endgeräte wie internetfähiger Smartphones genutzt werden. Aus den oben detailliert referierten und hier zusammenfassend gewürdigten Ergebnissen lässt sich ein erhöhter Ausbildungsbedarf in Theorie und Praxis der Phonetik und Aussprache in der ersten Phase der Lehrerbildung ableiten, in welcher der Staat den Universitäten die Ausbildung künftiger Lehrerinnen und Lehrer über die lange Ausbildungsdauer eines gesamten Studiums anvertraut. Dies ist primär durch die Linguistik, ggf., bei entsprechend höherer kapazitiver Ausstattung (Personal und Studienanteile) auch durch die Fachdidaktik, zu leisten und betrifft insbesondere die Fächer Spanisch und Italienisch, offensichtlich in den neuen Studiengängen aber zunehmend auch Französisch. Darüber hinaus besteht ein Fortbildungsbedarf im Bereich der Ausspracheschulung in der dritten Phase der Lehrerbildung. Gegenstand müsste die Schulung von Aussprache und Prosodie auf allen Lern-/ Niveaustufen sein, auch im Hinblick auf die spezifischen Bedürfnisse von Herkunftssprecher / inne / n und Seiteneinsteiger / inne / n. Aussprache im Unterricht der romanischen Sprachen 173 4.2 Methodenreflexion und Perspektiven Eine Schwierigkeit, die bei der freiwilligen Online-Befragung nicht zu umgehen war, ergibt sich trotz grundsätzlichen Versands der Fragebögen an die Grundgesamtheit aus der Autoselektivität der Stichprobe. Auch ist nicht auszuschließen, dass sich in den Fällen, in denen mehrere Lehrkräfte ein und derselben Schule teilgenommen haben, ggf. vor oder sogar während des Ausfüllens des Fragebogens ein Austausch über die Befragung stattgefunden hat. Eine weitere Einschränkung in der Reichweite der erzielten Ergebnisse ergibt sich daraus, dass die Einschätzung von Lehrkräften nur mittelbar Rückschlüsse auf die unterrichtliche Realität und die lernerseitige Kompetenzentwicklung erlauben. Diese könnten in Folgestudien vertieft betrachtet werden. Angesichts der Tatsache, dass es sich um eine Pilotstudie in einem Bereich handelt, in dem bis dato keinerlei Evidenz vorliegt, sind aus den Ergebnissen dennoch erste Erkenntnisse über die Ausbildung von Lehrkräften im Bereich der Phonetik und der Ausspracheschulung, über die Bedeutung, die sie der Ausspracheschulung zumessen, über die Bereiche, in denen sie Verstöße gegen die Normaussprache als störend wahrnehmen und Aussprache-Phänomene, die sie in ihrem Unterricht nach eigener Aussage schulen, abzuleiten. Als Perspektiven für die weitere Forschung und für die Lehrerbildung können aus den Ergebnissen u. a. abgeleitet werden: Wünschenswert wären detaillierte Untersuchungen an Lernersprachen des Französischen, Spanischen und Italienischen an deutschsprachigen Schulen im Bereich der segmentalen Ebene und im Bereich der Prosodie u. a. mit dem Ziel einer gezielten Ausspracheschulung. Wünschenswert wäre ferner der Abgleich der Daten zur lehrerseitigen Wahrnehmung von Normabweichungen im Bereich der Aussprache mit der Einschätzung durch Erstprachler / innen mit dem Ziel der Entwicklung fundierter Skalen und Deskriptoren zur Evaluation. Weiterhin erforderlich wären lernersprachliche Untersuchungen an Lernenden mit verschiedenen Herkunftssprachen zur Entwicklung spezifischer Lernhilfen. Für die Lehrerbildung wäre in jedem Fall eine (Re-)Implementierung einer intensiven Ausbildung in Phonetik (Linguistik oder Didaktik), Aussprache (Sprachpraxis) und Didaktik der Ausspracheschulung (Didaktik) erforderlich. Auch die Ausweitung von Fortbildungsangeboten im Bereich der Ausspracheschulung für die dritte Phase der Lehrerbildung scheint wünschenswert. Babylonia , 2, 2011 (Themenheft Aussprache). Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk 2012. „Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen von Französischlehrern und -studierenden“, in: Thomas Tinnefeld (ed.): Hochschulischer Fremdsprachenunterricht. Anforderungen, Ausrichtung, Spezifik . Saabrücken: htw saar, 91-113 [Saarbrücker Schriften zu Linguistik und Fremdsprachendidaktik ( SSLF )]. 174 Daniel Reimann Caspari, Daniela. 2003. Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrer. Studien zu ihrem beruflichen Selbstverständnis . Tübingen: Narr. Caspari, Daniela et al. (ed.). 2016. Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. 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Wortschatzaneignung geschieht nur dann effizient und nachhaltig, wenn die Verzahnung von Erwerbsprozessen auf drei Ebenen, d. h. auf ungesteuerten, fremdgesteuerten und selbstgesteuerten Prozessen, fußt und dabei individuelle Lernprozesse ermöglicht werden. Nicht nur das Verständnis des mentalen Lexikons als individueller Wortspeicher eines jeden Lernenden und als „Teil des Langzeitgedächtnisses, in dem die Wörter einer Sprache mental repräsentiert sind“ (Schwarz 1992, 81), sondern auch die mehrfach hervorgehobene Bedeutung von Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung der Lernenden bei der Aneignung fremdsprachiger lexikalischer Einheiten (cf. De Florio-Hansen 2009, 187) weisen die Wortschatzaneignung als individuellen Lernprozess aus. Im Rahmen dieses Beitrags wird eine explorativ angelegte Pilotstudie zu den Sprachlernerfahrungen und subjektiven Sichtweisen von Lehramtsstudierenden des Französischen und / oder Spanischen vorgestellt. Diese Studie verfolgt das Ziel, die Vorstellungen der Lehramtsstudierenden zu den Aneignungsprozessen fremdsprachiger lexikalischer Einheiten abzubilden. Das Erkenntnisinteresse liegt dabei nicht ausschließlich auf den Äußerungen der Studierenden als Lernende einer oder mehrerer romanischen Sprachen, sondern auch auf den subjektiven Theorien angehender Fremdsprachenlehrender „als Experten ihres Tätigkeitsfeldes“ (Schart 2014, 39). 180 Theresa Venus 2. Wortschatzaneignungsprozesse-- theoretischer Hintergrund Der Wortschatzaneignung kann, wie oben bereits erwähnt, vor allem als Fundament für den Sprachkompetenzerwerb ein hoher Stellenwert im Fremdsprachenunterricht zugesprochen werden. Dieser Stellenwert wird in der einschlägigen fremdsprachendidaktischen Literatur (cf. Fäcke 2011; Krechel 2014; Hürtgen / Krieb 2015) betont und der Wortschatz wird dort als ein entscheidendes sprachliches Mittel herausgestellt. Auch Bürgel und Siepmann heben die Bedeutung lexiko-grammatischer Kompetenzen hervor und kommen im Rahmen ihrer Studien zur Wortschatzkompetenz (cf. Bürgel / Siepmann 2010, 2012) zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf rezeptive Wortschatzkenntnisse im Französischen sowohl Lernende im schulischen und universitären Bereich als auch Lehrende enorme Defizite aufweisen (cf. Bürgel / Siepmann 2010, 201sq.). Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Fremdsprachendidaktik einerseits den Wortschatzaneignungsprozessen erneut Aufmerksamkeit schenken sollte und andererseits die Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht nicht vernachlässigt werden darf. Im Fokus der hier vorgestellten Befragung stehen die Prozesse der Aneignung, die im Folgenden näher bestimmt werden. Wortschatzaneignung und Wortschatzerwerb werden häufig synonym verwendet. Stork (2010) versteht „unter Wortschatzerwerb die Gesamtheit der Aneignungsprozesse von fremdsprachigem Wortschatz“ (Stork 2010, 104). Da die Verwendung des Begriffs „Erwerb“ häufig auch den unbewussten, ungesteuerten Spracherwerb impliziert (Edmondson / House 2011, 11) und der Terminus Wortschatzerwerb auch in einer enger gefassten Bedeutung zu finden ist (cf. Tab. 1), ist es meiner Ansicht nach angemessen, in Anlehnung an Rössler (2009, 6) an dem Begriff Wortschatzaneignung als Oberbegriff festzuhalten. Es lassen sich demnach (cf. ibid.) drei Formen der Wortschatzaneignung unterscheiden, die in der folgenden Tabelle dargestellt werden (cf. hierzu auch Adamczak- Krysztofowicz / Stork 2007, 27). Wortschatzaneignung Wortschatzerwerb Wortschatzarbeit Wortschatzlernen ungesteuert bzw. inzidentell fremdgesteuert bzw. lehrergesteuert selbstgesteuert bzw. lernergesteuert Tab. 1: Wortschatzaneignungsprozesse Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 181 Der Wortschatzerwerb erfolgt ungesteuert und geschieht beiläufig. Das bedeutet, dass die Aufmerksamkeit nicht auf die sprachlichen Mittel gerichtet ist, sondern der Erwerb neuer lexikalischer Einheiten über den Sprachgebrauch erfolgt. Stork führt die mündliche Interaktion sowie das inhaltsorientierte Lesen als Möglichkeiten des inzidentellen Wortschatzerwerbs an (Stork 2010, 105). Obwohl der ungesteuerte Erwerb lexikalischer Einheiten sicherlich für die Erweiterung des Wortschatzes einen gewissen Stellenwert einnimmt, muss eingeräumt werden, dass die Effizienz und Nachhaltigkeit dieses Aneignungsprozesses umstritten ist (cf. Rössler 2009, 6). Aus der Perspektive des Lehrenden steht bei der Wortschatzarbeit die unterrichtlich gesteuerte Vermittlung lexikalischer Einheiten im Fokus. Dieser gesteuerte Vermittlungsprozess reicht von der Erstbegegnung mit der lexikalischen Einheit bis hin zu ihrer Integration in das mentale Lexikon. Häufig findet sich für die Beschreibung der unterrichtlichen Wortschatzarbeit eine Einteilung in drei Unterrichtsphasen (cf. Stork 2010, 21sq.). Im Rahmen der Darbietung erfolgt die Erstbegegnung bzw. das Kennenlernen der neuen Vokabeln. Diese Phase ist zwar insbesondere von der Semantisierung, d. h. der Erklärung der Bedeutung des Wortes, geprägt. Es bedarf darüber hinaus jedoch auch der Vermittlung weiterer Komponenten, wie zum Beispiel Informationen zur Aussprache, Orthographie, Wortbildung oder Syntax (cf. Krechel 2014, 26). Des Weiteren gilt zu beachten, dass sich diese Phase nicht ausschließlich durch lehrergesteuerte Semantisierung auszeichnet, sondern lernerorientierte Verfahren der Autosemantisierung, die mit bestimmten Worterschließungstechniken (cf. ibid., 29sq.) einhergehen, ebenfalls eine Rolle spielen. Die zweite Phase, die Einübung (cf. Stork 2010, 105sq.), dient der Verarbeitung neuer lexikalischer Einheiten und deren Überführung vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis. Im Rahmen der Verarbeitung der neuen Wörter kommen insbesondere auch das Notieren und damit die Anwendung verschiedener Notierungstechniken (Hürtgen / Krieb 2015, 155) zum Tragen. Die letzte Phase ist die der Integrierung und Anwendung. Die neuen Wörter sollen dabei in unterschiedlichen Kontexten und Situationen verwendet werden (cf. Stork 2010, 106). Mit dem dritten Aneignungsprozess, dem Wortschatzlernen, wird das (häusliche) Vokabellernen als lernergesteuerter bzw. selbstgesteuerter Aneignungsprozess beschrieben. Der Aspekt der Selbststeuerung und die Tatsache, dass dieser Aneignungsprozess meist zuhause stattfindet, darf nicht missverstanden werden. Die Lernenden dürfen mit dem Vokabellernen nicht alleine gelassen werden. Im Fremdsprachenunterricht gilt es, die Lernenden durch die Vermittlung von Vokabellernstrategien zum Wortschatzlernen zu befähigen. Vokabellernstrategien werden meist nach Entdeckungsstrategien bzw. Worterschließungsstrategien und Konsolidierungsstrategien, „Strategien zur Behaltensförderung 182 Theresa Venus bereits bekannter Wörter“ (Rössler 2009, 7) kategorisiert (cf. Stork 2010). Nach Adamczak-Krysztofowicz / Stork (2007, 27sq.) sollte diese Vermittlung erstens in den Fremdsprachunterricht eingebettet und nicht isoliert stattfinden und zweitens sollte neben der impliziten Einübung auch eine explizite Bewusstmachung stattfinden. Für den methodischen Weg eines Lernstrategietrainings wird sehr häufig auf die vier von Kleppin / Tönshoff 1998 erarbeiteten Komponenten, Bewusstmachung, Präsentation, Erprobung und Evaluation, verwiesen (cf. z.B. Adamczak-Krysztofowicz / Stork 2007). Ein Grundsatz, der meines Erachtens im Rahmen aller Wortschatzaneignungsprozesse und in allen Phasen der Wortschatzarbeit Berücksichtigung finden kann, der hier aber nicht für einzelne Aneignungsformen und Phasen erläutert werden kann, ist die Differenzierung bzw. Individualisierung (cf. hierzu vor allem Kolacki 2006). Das Prinzip der Differenzierung schließt insbesondere auch die individuelle Mehrsprachigkeit der Lernenden mit ein. Beide sind - vor allem wenn man das Wissen über das mentale Lexikon (cf. z.B. Wolff 2002) berücksichtigt - für eine nachhaltige und effiziente Wortschatzaneignung von herausragender Bedeutung. In viele Phasen der Wortschatzvermittlung - angefangen mit der Semantisierung, über die verschiedenen Übungen und Möglichkeiten der Fixierung und die Vermittlung von Lernstrategien/ -techniken bis hin zum Überprüfen lexikalischer Einheiten - lassen sich individualisierende Verfahren integrieren. 3. Forschungsfragen Die Fragebogenstudie verfolgt im Wesentlichen das Ziel, den zwei folgenden Fragen nachzugehen: 1. Welche Sprachlernerfahrungen besitzen angehende Lehrende der romanischen Sprachen im Bereich der Wortschatzaneignung? 2. Welche Überzeugungen haben die Studierenden bezüglich der effizienten und nachhaltigen Aneignung von Wortschatz? Die erste Forschungsfrage versucht zu ergründen, wie angehende Französisch- und / oder Spanischlehrkräfte in ihrem eigenen Unterricht die Wortschatzaneignung erlebt haben. Die Frage zielt darauf ab, die Sprachlernerfahrungen zu erkunden und somit aus der Retrospektive einen Einblick in die Unterrichtspraxis aus Sicht der Lernenden zu gewinnen. Bezüglich der zweiten Frage wird die Perspektive angehender Lehrkräfte fokussiert, wobei hier die subjektiven Theorien der Studierenden als angehende Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer zur Wortschatzaneignung im Fremdsprachenunterricht im Mittelpunkt stehen. Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 183 Die beiden übergeordneten Forschungsfragen leiten den Forschungsprozess und sind für das weitere Vorgehen in Teilfragen ausdifferenziert worden. Diese Teilfragen wurden theoriegeleitet gebildet. Die Ausdifferenzierung orientiert sich an den dargelegten theoretischen Erkenntnissen (cf. Kapitel 2), wobei insbesondere das (selbstgesteuerte) Vokabellernen und die (fremdgesteuerte) Wortschatzarbeit im Vordergrund stehen, wie Abbildung 1 veranschaulicht. Sprachlernerfahrungen { Vokabellernen Wortschatzarbeit Überzeugungen { Vokabellernen Wortschatzarbeit Abb. 1: Kategorisierung der Forschungsfrage nach Wortschatzaneignungsprozessen Aus der Abbildung geht hervor, dass die Teilforschungsfragen auf vier Ebenen ansetzen. Diese vier Ebenen mit ihren Teilfragen werden im Folgenden aufgelistet: A: Sprachlernerfahrungen zu selbstgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen (Vokabellernen): • Wie haben die Befragten in ihrer Schulzeit Vokabeln gelernt? • Unterscheidet sich das Wortschatzlernen im Hinblick auf die Sprache? Gibt es bei den romanischen Sprachen Besonderheiten? • Wurden im Unterricht Lerntechniken vermittelt? • Wie lernen die Befragten heute Vokabeln? Haben sich die Studierenden zu Lernexperten entwickelt? B: Sprachlernerfahrungen zu fremdgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen (Wortschatzarbeit): • Welchen Stellenwert nahm die Wortschatzvermittlung ein? • Wie wurden im Unterricht neue Wörter eingeführt? • Wurde der Wortschatz regelmäßig eingeübt, gefestigt, in unterschiedlichen Kontexten angewandt und regelmäßig wiederholt? • Fand eine Überprüfung statt und wie sah diese aus? 184 Theresa Venus C: Subjektive Theorien zu selbstgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen (Vokabellernen): • Welche Prinzipien und Verfahren halten die Befragten bezüglich der Wortschatzarbeit außerhalb des Unterrichts (häusliches Vokabellernen) für effizient? • Welche Vokabellerntechniken kennen die Befragten? • Welche Vor- und Nachteile sehen die Befragten in den jeweiligen Vokabellerntechniken? D: Subjektive Theorien zu fremdgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen (Wortschatzarbeit): • Welchen Stellenwert schreiben die Befragten der Wortschatzarbeit im Unterricht zu? • Welche Prinzipien und Verfahren halten die Befragten bezüglich der Wortschatzarbeit während des Unterrichts für effizient? • Wie sollen neue Wörter nach Ansicht der Befragten dargeboten werden? • Halten die Befragten die Überprüfung der Wortschatzkenntnisse für wichtig? Welche Intentionen schreiben die Befragten einer Überprüfung zu und wie sollte die Überprüfung ihrer Meinung nach gestaltet sein? 4. Forschungsdesign und methodisches Vorgehen Aus den Teilforschungsfragen lässt sich ableiten, dass es sich um ein explorativinterpretatives (Albert / Marx 2010, 13) Forschungsdesign handelt. Die Studie folgt einem deskriptiven Forschungsparadigma und kann als eher qualitativinterpretativ mit einem niedrigen Grad an Explizitheit (Zydatiß 2012, 118) bezeichnet werden. Sie folgt insofern dem forschungsmethodischen Prinzip der Triangulation, als bei der Datenerhebung sowie bei der Datenauswertung quantitative und qualitative Verfahren eingesetzt werden (Zydatiß 2012, 115sq.). Darüber hinaus ist zu ergänzen, dass es sich um eine Querschnittsstudie handelt und die Daten mittels schriftlicher Befragung erhoben wurden. 4.1 Datenerhebung Die schriftliche Befragung fand im Zeitraum April und Mai 2015 statt. Der Fragebogen lag den Befragten im Paper-Pencil -Format vor. Es wurden sowohl offene Fragen, wie z. B. Wie haben Sie in Ihrer Schulzeit Vokabeln gelernt? ( Beschreiben Sie möglichst detailliert, was Sie gemacht haben! Ergänzen Sie gegebenenfalls, auf welches Fach Sie sich beziehen. ), als auch geschlossene Fragen gestellt. Die Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 185 geschlossenen Fragen weisen sowohl dichotome ( ja , nein , und Ausweichoption ich weiß nicht ) als auch Fragen mit Antwortauswahl (Fragen zur Person z. B.: Kreuzen Sie hier bitte noch die Fächer an, die Sie studieren ) und mehrkategorielle Antwortformate (Items wie z. B.: In meinem Fremdsprachenunterricht wurden mir Strategien zur Erschließung unbekannter Wörter vermittelt ) auf (cf. Albert / Marx 2010, 70sq.; Raab-Steiner / Benesch 2012, 55sq.). Für die mehrkategoriellen Antwortformate wurde eine verbale Skalierung mit fünf Stufen ( trifft gar nicht zu , trifft eher nicht zu , weder noch , trifft eher zu , trifft voll und ganz zu ) gewählt. Neben den offenen und geschlossenen Fragen finden sich auch Mischformen, d. h. einer zunächst geschlossenen Frage (z. B.: Würden Sie die Wortschatzkenntnisse Ihrer Schülerinnen und Schüler überprüfen? ) folgt eine weiterführende offene Frage ( Begründen Sie Ihre Entscheidung! ). Die Verwendung beider Frageformen scheint insbesondere im Hinblick auf den Forschungsgegenstand der Sprachlernerfahrungen als zielführend: Die offenen Fragen wirken weniger suggestiv. Sie verlangen von den Studierenden, sich an ihren Fremdsprachenunterricht zu erinnern, ohne dass eine bestimmte Richtung vorgegeben wird. Die geschlossenen Fragen dagegen fordern das Wiedererkennen und sind somit - vor allem wenn es wie in diesem Fall um Inhalte geht, die länger zurückliegen - leichter zu beantworten (cf. dazu Albert / Marx 2010, 71). Die Funktion der Fragen kann in Anlehnung an Zydatiß’ (2012) Dreiteilung bestimmt werden. Erstens werden konkrete vergangene Verhaltensweisen erfasst, wenn nach den Sprachlernerfahrungen der Studierenden gefragt wird. Zweitens werden subjektiv-interne Fragen gestellt, welche die subjektiven Theorien der Studierenden betreffen, und drittens werden - am Ende des Fragebogens - biographisch-demographische Angaben (gelernte Fremdsprachen, Jahresangabe Abitur, Fachsemester, Studienfächer) erfragt (cf. Zydatiß 2012, 120sq.). Insgesamt weist der Fragebogen 15 Fragenkomplexe auf. Da eine Pilotstudie immer auch der Optimierung eines Erhebungsinstrumentes dient (Dörnyei 2010, 53), kann an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden, dass einige Fragen nicht zu den gewünschten Erkenntnissen führten und im Rahmen einer Überarbeitung des Erhebungsinstrumentes gestrichen bzw. neu formuliert werden müssen. Aus diesem Grund werden im Rahmen der Ergebnispräsentation in Kapitel 5 nicht alle Teilforschungsfragen thematisiert. 186 Theresa Venus 4.2 Stichprobe Insgesamt wurden 45 Lehramtsstudierende mit den Fächern Französisch und / oder Spanisch befragt. D.h. alle Befragten studieren mindestens eine der beiden angebotenen romanischen Sprachen und ein weiteres Fach. Es muss eingeräumt werden, dass Spanisch als studiertes Fach bei dieser Stichprobe (n = 39) überwiegt, da die Rücklaufquote der Französischstudierenden (n = 4) aus organisatorischen Gründen um ein vielfaches geringer ausfiel. Zwei der befragten Personen studieren beide Sprachen. Im Hinblick auf die Sprachlernerfahrung ist interessant, welche Sprachen zu welchem Zeitpunkt erlernt wurden. In Tabelle 2 sind die Ergebnisse für beide romanische Fremdsprachen angeführt: Französisch Spanisch Häufigkeit % Häufigkeit % in der Schule 36 80,0 35 77,8 an der Universität 1 2,2 6 13,3 andere Gelegenheit 1 2,2 3 6,7 nicht gewählt 7 15,6 1 2,2 Gesamtsumme 45 100,0 45 100,0 Tab. 2: Gelernte Fremdsprachen Der Tabelle lässt sich entnehmen, dass ein Großteil der Befragten bereits in der Schule Französisch und / oder Spanisch gelernt hat. Diese Erkenntnis erweist sich als Voraussetzung, um aus den Angaben zu den Sprachlernerfahrungen Rückschlüsse auf den Fremdsprachenunterricht in diesen beiden Schulfremdsprachen ziehen zu können. In Abbildung 2 sind die Abiturjahrgänge der befragten Lehramtsstudierenden in Form eines Balkendiagramms dargestellt: Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 187 Abb. 2: Abiturjahrgang Aus Abbildung 2 lässt sich ablesen, dass der Abiturjahrgang 2011 und 2012 am häufigsten vertreten ist. Der Abiturjahrgang erweist sich ebenfalls für die Sprachlernerfahrungen als interessant und zwar insofern, als ausgehend von diesem Jahr eine Zeitspanne bestimmt werden kann, auf die sich die Befragten mit ihren Aussagen über ihren Fremdsprachenunterricht beziehen. Man kann so in etwa das erste Jahrzehnt nach dem Jahrtausendwechsel mit den Jahren 2011 bis einschließlich 2013 als Bezugszeitraum festmachen. Zum Befragungszeitraum befanden sich die Befragten mehrheitlich im 6. Fachsemester (insgesamt 28). Elf der Befragten waren in einem höheren, davon ein Studierender im 7., neun Studierende im 8. und ein weiterer Studierender im 11. Fachsemester. Sechs der Befragten befanden sich in einem niedrigeren, vier im 4. und zwei im 5. Semester. 4.3 Datenauswertung Die mittels schriftlicher Befragung erhobenen Daten wurden sowohl mit quantitativen als auch mit qualitativen Verfahren ausgewertet. Im Hinblick auf die quantitativen Daten ist zu ergänzen, dass hier im Sinne eines zunächst explorativen Designs ausschließlich auf deskriptiv statistische Analyseverfahren zurückgegriffen wurde. Eine inferenzstatistische Auswertung erscheint hier im Hinblick auf die Forschungsfragen wenig zielführend und würde bei der Größe der 188 Theresa Venus Stichprobe zu wenig repräsentativen Ergebnissen führen. Einen etwas größeren Stellenwert nimmt die Analyse der qualitativen Daten ein. Die Antworten auf offene Fragen wurden kategorienbasiert ausgewertet (cf. Kuckartz 2014, 69sqq.). Dabei wurde inhaltlich-strukturierend vorgegangen. In Anlehnung an die Teilforschungsfragen wurden zunächst mittels deduktiver Kategorienbildung die Hauptkategorien gebildet. Im darauffolgenden Analyseprozess wurden diese Grobkategorien induktiv am Material weiterentwickelt. In Tabelle 3 wird diese Kategorienbildung exemplarisch anhand der Grobkategorie „Sprachlernerfahrung selbstgesteuerte Wortschatzaneignung ( SLE _sg): Vokabellernen in der Schulzeit“ und der Grobkategorie „Subjektive Theorie fremdgesteuerte Wortschatzaneignung ( ST _fg): Stellenwert Wortschatzvermittlung“ veranschaulicht. SLE _sg: Vokabellernen in der Schulzeit Sich-Abfragen-Lassen Unterscheidung nach Lernjahr zusätzliche Techniken ungesteuerte Aneignungsformen „Wiederholer“ mit vorgegebener Liste „Wiederholer“ mit Vokabelheft / Karteikarten „Wiederholer“ ohne Spezifizierung zusätzliches Schreiben Paarassoziationslernen („Abdecker“) mit vorgegebener Liste Paarassoziationslernen („Abdecker“) mit Vokabelheft / Karteikarte ST _fg: Stellenwert Wortschatzvermittlung eigene Sprachlernerfahrung Wortschatz wichtiger als Grammatik rezeptive und produktive kommunikative Kompetenz motivationaler Aspekt Mündlichkeit: sprechen / sich ausdrücken / kommunizieren Schriftlichkeit: Texte verstehen oder formulieren ungesteuerte Aneignungsprozesse Tab. 3: Kategorienbildung Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 189 5. Ergebnisse In diesem Teilkapitel soll nun das Hauptaugenmerk auf den Ergebnissen der Datenauswertung liegen. In Anlehnung an Abbildung 2 erfolgt die Ergebnispräsentation zu den Sprachlernerfahrungen in Kapitel 5.1 im Hinblick auf die selbstgesteuerten Wortschatzaneignungsprozesse einerseits und die fremdgesteuerten andererseits. In Kapitel 5.2 werden daran anschließend und nach demselben Schema die subjektiven Theorien zu beiden Wortschatzaneignungsprozessen dargelegt. Für beide Interessengebiete gilt gleichermaßen, dass an gegebener Stelle auch der ungesteuerte Wortschatzerwerb thematisiert wird. 1 5.1 Sprachlernerfahrungen Zur Strukturierung der Ergebnisse werden die jeweils in Kapitel 3 dargestellten Teilforschungsfragen (A-D) noch einmal angeführt. A: Sprachlernerfahrungen zu selbstgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen (Vokabellernen): Wie haben die Befragten in ihrer Schulzeit Vokabeln gelernt? Im Hinblick auf diese Teilfrage ergibt sich ein eindeutiges Bild: Es überwiegt das Lernen mit zweisprachigen Vokabelgleichungen, die aus den Lehrwerken stammen. Dabei werden wiederholende Aktivitäten („durchgehen“) und das typische „Abdecken“ einer Spalte (Paarassoziationslernen) genannt. Die Befragten haben in der Mehrzahl ein Vokabelheft geführt und / oder Karteikarten geschrieben: „Normalerweise habe ich mir die vorgegebenen Vokabeln auf Karteikarten geschrieben und dann der Reihe nach angeschaut. Die Vokabeln, mit denen ich Probleme hatte, habe ich immer wieder wiederholt, bis ich diese drauf hatte.“ Des Weiteren befinden sich unter den Befragten Lernende, die vorgegebene Listen verwenden, sowie Lernende, die ausschließlich das Lernen mit den vorgegebenen Listen im Schulbuch nennen: „Meistens habe ich mithilfe der Vokabellisten in den Schulbüchern die einzelnen Vokabeln der entsprechenden Kapitel gelernt. Dabei habe ich entweder die Spalte mit den deutschen Wörtern oder aber die mit den fremdsprachlichen Vokabeln abgedeckt und diesen Vorgang immer wieder wiederholt.“ Eine dritte Spalte wird nur in zwei Fällen explizit erwähnt. Die individuelle Gestaltung von Karteikarten, Vokabelheften, Ringheften oder Vokabelblättern, in denen die einzelnen Vokabeln in einen Kontext eingebettet werden und eine kreative Auseinandersetzung, z. B. durch das Bilden von Esels- 1 In diesem Beitrag können nicht alle Forschungsfragen (cf. Kapitel 3) Berücksichtigung finden. 190 Theresa Venus brücken, Zeichnungen, die Verwendung anderer Sprachen oder verschiedene Möglichkeiten der Vernetzung (Wortfamilien und weitere Ordnungsprinzipien des mentalen Lexikons) stattfindet, wird nicht genannt. Über die Fixierung hinaus werden vereinzelt jedoch auch individuelle und kreativere Lerntechniken ( Wörter im Bad aufhängen , Mindmap , Computerprogramm phase 6 , mit den Wörtern Sätze bilden , das Wort flüstern ) genannt. Dabei finden sich unter den Befragten Lernende, die mehrere Techniken miteinander verbunden haben. Weiterhin wird mehrfach auf das Schreiben als Lerntechnik hingewiesen, um die Rechtschreibung zu berücksichtigen ( „Dabei immer die fremdsprachliche Vokabel geschrieben, um die Rechtschreibung des Wortes zu üben“ ) oder als Memorierungshilfe zu nutzen ( „Das Schreiben der Wörter war besonders bei Vokabeln notwendig, die ich mir nur schwer einprägen konnte“ ). Die Möglichkeit des Sich-Abfragen-Lassens durch Eltern wird von fünf Befragten genannt. Außerdem wird von drei Studierenden auf ungesteuerte Aneignungsprozesse verwiesen und hier vor allem das Lesen von Texten angeführt: „Des Weiteren habe ich die Vokabeln durch Lesen von Büchern der entsprechenden Sprache gefestigt“. Interessant ist die Unterscheidung der Befragten nach dem Lernjahr, die zwei Tendenzen aufweist: Zum einen lässt sich eine Entwicklung vom fremdbestimmten Lernen, so wie es von der Lehrkraft verlangt wurde (Führen eines Vokabelhefts), hin zum selbstbestimmten / selbstverantwortlichen Lernen in höheren Lernjahren erkennen: „Vokabelheft (zweisprachig) am Anfang, weil das von den Lehrern gefordert wurde; Später: mehrmals aufschreiben, das Wort in einem Satz aussprechen“. Zum anderen zeigt sich bei einigen Befragten, dass dem Vokabellernen in den höheren Lernjahren weniger Aufmerksamkeit geschenkt bzw. weniger Aufwand betrieben wird und die geläufigen Techniken nicht fortgeführt werden: „Im Englischunterricht, in der 5. + 6. Klasse, habe ich Vokabeln gelernt, indem ich diese auf Karteikarten geschrieben habe und diese immer wieder durchgegangen bin. Später im Englisch-/ Französisch- und Spanischunterricht habe ich die Vokabeln aus dem Vokabelteil im Schulbuch gelernt, indem eine Seite abgedeckt wurde und somit überprüft wurde“. Es lässt sich vermuten, dass ein Festhalten an diesen Techniken eben deshalb nicht stattfindet, weil sie als aufwendig und wenig gewinnbringend erscheinen. Wurden im Unterricht Lerntechniken vermittelt? In einem ersten Schritt soll hier das Ergebnis der geschlossenen Frage dargestellt werden. Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 191 Abb. 3: Ergebnis Vermittlung von Vokabellerntechniken Abbildung 3 ist zu entnehmen, dass das Item „In meinem Fremdsprachenunterricht wurden mir Vokabellerntechniken vermittelt“ von zehn Befragten - einem meiner Ansicht nach sehr geringen Anteil - mit „ja“ beantwortet wird. Von den zehn Befragten werden wiederum mehrheitlich Techniken, wie Vokabelkarteikasten und Vokabelheft führen, genannt. Drei der zehn Personen nennen unterschiedliche Techniken, wie „beim Lernen umherlaufen“ , „Wörternetze malen“ , „Mindmaps erstellen“ , „Eselsbrücken“. Es werden ausschließlich Konsolidierungsstrategien angeführt, Erschließungstechniken werden gar nicht erwähnt. Ein weiteres Item (cf. Abb. 4), das explizit nach Erschließungstechniken fragt, verstärkt die Annahme, dass die Vermittlung derselben im Unterricht der Befragten als weniger relevant eingestuft werden kann. 192 Theresa Venus Abb. 4: Ergebnis Vermittlung von Erschließungstechniken Hier konnten die Befragten auf einer fünfstufigen Ratingskala von „trifft gar nicht zu“ bis „trifft voll und ganz zu“ ihre Zustimmung ausdrücken. 68,9 % wählen hier „trifft gar nicht zu“ oder „trifft eher nicht zu“. Die am häufigsten gewählte Abstufung ist „trifft eher nicht zu“ (Mo = 2; Md = 2; M = 2,29; s = 1,218). 2 Bezüglich der Art und Weise der Vermittlung wird nur vereinzelt die Präsentation ( „Vorlesen eines Infokastens im Buch, kurze Erklärung“ , „Mit Erklärungen und Beispielen der verschiedenen Techniken“) genannt. Die Erprobung wird nur von einem Studierenden genannt ( „Durch Übungen im Unterricht, z. B. bei Lernzirkeln“ ). Wie lernen die Befragten heute Vokabeln? Haben sich die Studierenden zu Lernexperten entwickelt? Es lassen sich hier drei Tendenzen festhalten: Erstens geben einige Befragte an, heute gar keine oder selten Vokabeln zu lernen, z. B.: • „Ich lerne kaum noch bewusst oder gezielt Vokabeln“ • „Heute lerne ich nicht mehr so aktiv wie früher“ • „Ein wirklich kontinuierliches Vokabellernen findet nicht mehr statt“ 2 Mo = Modus, Md = Median, M = Mittelwert und s = Standardabweichung. Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 193 Die zweite Tendenz deutet sich hier schon an und wird an anderen Stellen explizit gemacht. So kann festgestellt werden, dass häufig kein aktiv gesteuertes, bewusstes Vokabellernen mehr betrieben wird, sondern dass die Befragten vielmehr in Anwendungsbereichen, also bei der Sprachverwendung, ihren Wortschatz beiläufig trainieren bzw. regelmäßig umwälzen. Hier wird z. B. das Lesen / Verstehen von Texten angesprochen: „Texte lesen mit Wörterbuch“ oder „Heute habe ich keine feste Methode, um Vokabeln zu lernen. Durch das Lesen vieler Texte treten häufig unbekannte Wörter auf, die ich im Wörterbuch nachschlage, jedoch nicht wirklich lerne. Einige behalte ich, andere vergisst man wieder“. Auch Filme ( „Heute lerne ich Vokabeln nur noch im Kontext mit Texten / Filmen oder Aufgaben“ ) und Musik ansehen bzw. anhören ( „Filme, Musik zum Thema“ ) werden im Hinblick auf den ungesteuerten Erwerb angesprochen. Einige dieser Nennungen bieten durchaus auch Hinweise dafür, dass weiterhin systematisch Wörter notiert und im Anschluss bzw. neben den beiläufigen Lernprozessen auch bewusst gelernt werden, z. B.: „jene Vokabeln, die mir bei der Lektüre fremdsprachlicher Bücher begegnen. Dabei lese ich in dem betreffenden Buch stets nur so weit, bis eine DIN A4 Seite unbekannter Wörter aufgetreten ist. Diese Vokabeln lerne ich dann mit phase6“ oder „Dazu markiere ich mir in Texten unbekannte Vokabeln oder notiere sie beim Hören von Texten oder Schauen von Filmen“. Neben dem beiläufigen Wortschatzerwerb im Rahmen der rezeptiven Fertigkeiten Lese- und Hörsehverstehen werden vereinzelt auch die produktiven Fertigkeiten genannt. Hier steht weniger die Erweiterung des Wortschatzes, sondern vielmehr die Speicherung durch den Gebrauch der lexikalischen Einheiten bei der Textproduktion ( „Heute lerne ich Vokabeln, indem ich Texte schreibe und sie versuche immer häufiger anzuwenden“ ) und beim Sprechen ( „Ich versuche diese Vokabeln möglichst oft anzuwenden. Wenn ich mit meinen spanischsprachigen Freunden rede, benutze ich diese Wörter immer wieder“ ) im Vordergrund. Was den ungesteuerten Wortschatzerwerb betrifft, kann festgehalten werden, dass der inzidentelle Wortschatzerwerb als Aneignungsprozess im Bewusstsein der Lernenden vorhanden ist (cf. Haudeck 2008, 362), die Effektivität der ungesteuerten Aneignungsprozesse (cf. Stork 2010, 105) jedoch weniger reflektiert wird. Die dritte Tendenz bezieht sich auf das aktiv gesteuerte Vokabellernen. Es zeichnet sich ab, dass die Befragten mehrheitlich auf Lerntechniken der Schulzeit zurückgreifen: Einige geben an, genau wie in der Schulzeit zu lernen ( „siehe Frage 2a“ oder „selbes Prinzip wie oben“ ). Dabei wird erneut auf das Paarassoziationslernen mit Listen, Vokabelheften, Karteikarten, aber auch phase 6 oder die Methode, im Badezimmer Zettel anzubringen, hingewiesen. Selten ist eine differenziertere Vorgehensweise zu erkennen, z. B.: „Mithilfe eines Vokabeltrainers, der die Vokabel laut vorliest (auf Deutsch) und ich schreibe das spanische Wort hin 194 Theresa Venus (wird dann auch vorgelesen). Auf Wunsch kann das Wort in einem Beispielsatz angezeigt werden/ -durch wiederholten Gebrauch in einem Text/ -auswendig lernen wie in der Schule/ -Bekleben von Gegenständen“. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass ausschließlich vereinzelt neue, vorher von den einzelnen Studierenden nicht genannte, Techniken angeführt werden. Neue zuvor nicht genannte Techniken beziehen sich zudem meist auf das Medium ( App , phase 6 ). B: Sprachlernerfahrungen zu fremdgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen: Welchen Stellenwert nahm die Wortschatzvermittlung ein? Gerade im Hinblick auf den Französischunterricht wurde im letzten Jahrzehnt häufig beklagt, dass der Grammatik ein zu hohes Gewicht zukommt. Häufig geht damit die Forderung einher, der Vermittlung von Wortschatz größere Aufmerksamkeit zu schenken (z. B. Polleti 2000, 4). Studien aus der Unterrichtspraxis zeugen davon, dass gerade der Grammatikunterricht bei Schülerinnen und Schülern weniger beliebt ist (z. B. Küster 2007, 220), während er bei den Lehrenden auf eine größere Zustimmung stößt oder zumindest ein starkes Gewicht hat (cf. Mertens 2006, 190). In den vergangenen Jahrzehnten wurde in der Fremdsprachendidaktik mehrfach die Bedeutung der Wortschatzvermittlung und insbesondere der Vermittlung von Wortverbindungen herausgestellt (Hausmann 1984 und 1987; Lewis 1993; cf. Rössler 2010). Interessant scheint auch der von Bittner (2003) festgestellte Zusammenhang zwischen dem Stellenwert der Wortschatzvermittlung und dem Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler. Er konnte zeigen, „dass sich das Wahlverhalten umso günstiger darstellt, je höher der Stellenwert der Wortschatzarbeit ist“ (Bittner 2003, 345). Die Vermittlung von Wortschatz nahm mehr Zeit in Anspruch als die Vermittlung von Grammatik Häufigkeit Prozent Kumulative Prozente Gültig trifft gar nicht zu 12 26,7 26,7 trifft eher nicht zu 26 57,8 84,4 weder noch 2 4,4 88,9 trifft eher zu 4 8,9 97,8 trifft voll und ganz zu 1 2,2 100,0 Gesamtsumme 45 100,0 Mo = 2; Md = 2; M = 2,02; s = 0,941 Tab. 4: Ergebnis Stellenwert der Wortschatzvermittlung Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 195 Es ergibt sich im Hinblick auf die hier befragte Gruppe ein den Forderungen entgegengesetztes Bild. Die Ansicht, dass der Grammatik ein stärkeres Gewicht zukommt, wird bestätigt. Die befragten Lehramtsstudierenden geben zu 84,4 % an, dass der Wortschatzvermittlung kein höherer Stellenwert eingeräumt wurde als der Grammatik. Wie wurden im Unterricht neue Wörter eingeführt? Was nun die offene Frage, „Wie wurden in Ihrem Fremdsprachenunterricht neue Wörter eingeführt? “, angeht, finden sich sehr allgemeine und wenig spezifische Antworten, die sich eher auf die Phase des Unterrichts allgemein und weniger auf die Möglichkeiten der Semantisierung beziehen. Es werden vereinzelt textgebundene Semantisierungsgespräche mit den üblichen bekannten Semantisierungsverfahren angeführt, wobei Verweise auf andere Sprachen von nur zwei Befragten genannt werden ( „Manchmal wurde versucht, die Bedeutung der unbekannten Wörter aus anderen Sprachen herzuleiten“ ) und andere Verfahren, bis auf nicht-sprachliche Unterstützungen („mit Bildern“), weniger spezifiziert werden: „Beispielsweise während des Lesens von Texten, indem der Lehrer auf ein bis dahin unbekanntes Wort verwies und es an der Tafel anschrieb und erläuterte“. Es fällt auf, dass die Vokabeln nach Aussage vieler Befragten an die Tafel geschrieben wurden. Von einem Nachsprechen oder Einüben der Aussprache ist - mit Ausnahme einer einzigen Aussage ( „Anschließend wurde die Vokabel laut vorgelesen und Fehler beim Aussprechen korrigiert“ ) - an keiner anderen Stelle die Rede. Des Weiteren finden sich vereinzelt Hinweise auf Prozesse, in denen die Wörter mithilfe des Kontextes selbst erschlossen wurden oder die Semantisierung durch die Lernenden erfolgt: „Oder aber während des Textes sollten neue Vokabeln aus dem Kontext geschlossen werden, die anschließend an die Tafel geschrieben wurden“. Als negativ zu bewerten ist die Tatsache, dass an einer Stelle auch der Verzicht auf Semantisierung im Unterricht genannt wird und die Phase der Einführung in der Erinnerung der befragten Person als Verweis auf das Vokabelverzeichnis abgespeichert zu sein scheint: „Damals wurden die Wörter nicht eingeführt. Es wurde einfach auf die Vokabelliste am Ende des Werkes hingewiesen, die man zu Hause lernen sollte und die dann in Tests abgefragt wurde (nur die Übersetzung)“ . Eine weitere befragte Person äußert ihren Eindruck, dass diese Phase eher einen geringen Stellenwert einnahm: „Neue Vokabeln wurden zusammen mit neuen Kapiteln eines Lehrbuches eingeführt. In meiner Erinnerung spielte die Darbietung neuer Wörter im Unterricht eher eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ging es um die Grammatik oder Inhalte eines Themas. Die Aneignung neuer Wörter war im- 196 Theresa Venus plizit von uns als Schülern gefordert, jedoch eigenständig und nicht als Bestandteil des Unterrichts“. Es kann festgehalten werden, dass im Unterrichtsalltag der Befragten Semantisierungsgespräche mit verschiedenen Semantisierungstechniken geführt wurden. Negativ fällt auf, dass der Phase der Einführung neuer Wörter vereinzelt keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde und dass die Schulung der Aussprache bei der Erstbegegnung neuer Wörter nicht genannt wird. Um der Beantwortung der Frage näher zu kommen, können zwei weitere geschlossene Items betrachtet werden. Die Ergebnisse sind in Tabelle 5 für beide Items angeführt. Bei der Präsentation neuer Wörter wurden möglichst viele Sinne angesprochen Häufigkeit Prozent Kumulative Prozente Gültig trifft gar nicht zu 9 20,0 20,0 trifft eher nicht zu 21 46,7 66,7 weder noch 5 11,1 77,8 trifft eher zu 10 22,2 100,0 Gesamtsumme 45 100,0 Mo = 2; Md = 2,00; M =2,36; s = 1,048 Bei der Wortschatzarbeit durften individuell bedeutsame Wörter ausgesucht und gelernt werden Häufigkeit Prozent Kumulative Prozente Gültig trifft gar nicht zu 20 44,4 44,4 trifft eher nicht zu 17 37,8 82,2 weder noch 4 8,9 91,1 trifft eher zu 4 8,9 100,0 Gesamtsumme 45 100,0 Mo = 1; Md = 2,00; M = 1,82; s = 0,936 Tab. 5: Ergebnisse Wortschatzarbeit Einführung neuer Wörter Für beide Items sind sehr niedrige Ergebnisse zu verzeichnen. Die Aussage „Bei der Präsentation neuer Wörter wurden möglichst viele Sinne angesprochen“ verneinen insgesamt 66,7 % („trifft eher nicht zu“ und „trifft gar nicht zu“; Md = 2). Der Modus liegt bei 2, d. h. der meist genannte Wert ist 2, „trifft eher nicht zu“. Das Item „Bei der Wortschatzarbeit durften individuell bedeutsame Wörter Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 197 ausgesucht und gelernt werden“ weist niedrigere Werte auf. Der Median liegt zwar ebenfalls bei 2; insgesamt verneinen die Aussage jedoch 82,2 %. Der Modus 1 zeigt, dass mit 44,4 % „trifft gar nicht zu“ die meist gewählte Antwort ist. Keiner der Befragten wählt für eines der beiden Items die Antwortauswahl „trifft voll und ganz zu“, was meiner Ansicht nach insbesondere für das erste Item erstaunlich ist. Es kann festgehalten werden, dass individualisierende Prinzipien im Hinblick auf die unterschiedlichen Wahrnehmungskanäle und darüber hinaus eine mehrkanalige Semantisierung sowie eine schülerorientierte Auswahl des Wortschatzes, beispielsweise nach Interessen, im Fremdspracheunterricht der befragten Personen nur selten berücksichtigt wurden. Wurde der Wortschatz regelmäßig eingeübt, gefestigt, in unterschiedlichen Kontexten angewandt und regelmäßig wiederholt? In dieser Teilforschungsfrage sind mehrere Aspekte der Wortschatzarbeit vereint, die über die Semantisierung hinausgehen und die Phasen der Einübung, Integrierung sowie der Umwälzung betreffen. Der Wortschatz wurde regelmäßig im Unterricht eingeübt und gefestigt Häufigkeit Prozent Kumulative Prozente Gültig trifft gar nicht zu 2 4,4 4,4 trifft eher nicht zu 11 24,4 28,9 weder noch 9 20,0 48,9 trifft eher zu 18 40,0 88,9 trifft voll und ganz zu 5 11,1 100,0 Gesamtsumme 45 100,0 Mo = 4; Md = 4,00; M = 3,29; s = 1,10 Die neuen Wörter wurden in unterschiedlichen Kontexten angewandt 198 Theresa Venus Häufigkeit Prozent Kumulative Prozente Gültig trifft gar nicht zu 2 4,4 4,4 trifft eher nicht zu 15 33,3 37,8 weder noch 6 13,3 51,1 trifft eher zu 19 42,2 93,3 trifft voll und ganz zu 3 6,7 100,0 Gesamtsumme 45 100,0 Mo = 4; Md = 3,00; M = 3,13; s = 1,10 Im Unterricht wurde der Wortschatz regelmäßig wiederholt Häufigkeit Prozent Kumulative Prozente Gültig trifft gar nicht zu 1 2,2 2,2 trifft eher nicht zu 15 33,3 35,6 weder noch 9 20,0 55,6 trifft eher zu 18 40,0 95,6 trifft voll und ganz zu 2 4,4 100,0 Gesamtsumme 45 100,0 Mo = 4; Md = 3,00; M = 3,11; s = 1,01 Tab.6: Ergebnisse zur Wortschatzarbeit: Einübung, Anwendung, Umwälzung Im Hinblick auf die Wiederholung, Einübung und Umwälzung des Wortschatzes ergibt sich zwar kein eindeutiges, dennoch ein eher positives Bild. Insbesondere das Item zur Einübung und Festigung zeigt Werte, die mehrheitlich im positiven Bereich liegen. Die meist gewählte Option ist hier „trifft eher zu“ und 51,5 % geben an, dass die Aussage für ihren Unterricht als eher oder voll und ganz zutreffend erscheint. Der Modus liegt bei den beiden Items zur Anwendung und Wiederholung ebenfalls bei 3, „trifft eher zu“. Allerdings zeichnet sich hier auch ab, dass die Aussagen mit jeweils 15 Nennungen und 33,3 % als eher nicht zutreffend eingeschätzt werden. Fand eine Überprüfung statt und wie sah diese aus? Wie Abbildung 5 zu entnehmen ist, zeichnet sich hier ein eindeutiges Ergebnis mit einem Mittelwert von 4,27 (s = 0,809) ab. 91,1 % geben an, dass die Aussage eher zutrifft (22 Nennungen; Mo = 4) oder voll und ganz zutrifft (19 Nennungen). Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 199 Abb. 5: Ergebnis Überprüfung der gelernten Wörter Was die Art und Weise der Überprüfung betrifft, ist im Vorfeld anzunehmen (cf. z.B. Rössler 2009, 10 oder Herten 2012, 5), dass vermehrt der (zweispaltige) Vokabeltest als Überprüfungsmöglichkeit angeführt wird. Dabei gilt es, der Frage nachzugehen, wie diese Tests gestaltet sind und zu erfahren, ob die zweisprachigen Vokabeltests mit Wortgleichungen, die in der fremdsprachdidaktischen Literatur der vergangenen Jahre als wenig effizient und ungeeignet identifiziert wurden (Knospe 2006; Rössler 2009; Herten 2012, Giese 2013; Hürtgen / Krieb 2015) weiterhin durchgeführt werden. Das Ergebnis kann Tabelle 7 entnommen werden. Überprüfung von gelerntem Vokabular Nennungen Prozent Vokabeltest 42 93,3 Vokabeltest mit zweisprachigen Wortgleichungen 13 28,9 Mündliche Abfrage 8 17,8 Sätze mit Wörtern bilden 1 2,2 Lückentext 3 6,7 Übersetzung 1 2,2 Diktat 1 2,2 Texte schreiben 1 2,2 Tab. 7: Art und Weise der Überprüfung 200 Theresa Venus Es lässt sich, wie vermutet, feststellen, dass mit 42 Nennungen der Vokabeltest, ohne dass dieser in seiner Form spezifiziert wird, am häufigsten genannt wird. An dreizehn Stellen wird eine Spezifizierung vorgenommen und zwar insofern, als der Vokabeltest im klassischen Sinne, d. h. mit zweisprachigen Wortgleichungen, angeführt wird. Andere alternative Formen werden nicht bzw. nur vereinzelt genannt. Meiner Ansicht nach ist davon auszugehen, dass mit der einfachen, wenig spezifizierten Angabe „Vokabeltest“ häufig auch der klassische zweispaltige Vokabeltest gemeint ist. Dies verstärkt die Tendenz, dass solche Tests im schulischen Fremdsprachenunterricht der Befragten vermehrt durchgeführt wurden. 5.2 Subjektive Theorien In diesem Kapitel werden die subjektiven Theorien der Befragten fokussiert. Dabei geht es um das Wissen über Wortschatzaneignungsprozesse und die Überzeugungen, die zukünftige Lehrende der romanischen Schulfremdsprachen Französisch und / oder Spanisch besitzen. C: Subjektive Theorien zu selbstgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen: Welche Prinzipien und Verfahren halten die Befragten bezüglich der Wortschatzarbeit außerhalb des Unterrichts (häusliches Vokabellernen) für effizient? Es werden zahlreiche unterschiedliche Verfahren bzw. Lerntechniken und Übungen ( „Phase6 Lernprogramm, Karteikarten, mündliches Wiederholen, Sätze bilden mit neuen Wörtern“ ) genannt. Die Anwendung der Wörter im Kontext wird von einigen Befragten betont, z. B.: „Ich finde es sehr effektiv, Schüler eigene Sätze schreiben zu lassen, in denen sie die neuen Vokabeln einbauen. So bekommen sie direkt ein Gefühl dafür, in welchen Kontexten und mit welchen Präpositionen etc. sie das Wort benutzen können“. Acht der Studierenden nennen außerdem ungesteuerte Aneignungsprozesse, um das Vokabular der Schülerinnen und Schüler zuhause zu erweitern, z. B.: „Filme mit Untertiteln auf Originalsprache gucken, fremdsprachliches Radio hören […]“. Vier der 45 Befragten gehen auf die Individualität bezüglich des Lernprozesses ein: • „Hier muss jeder sein eigenes Verfahren finden, denn für jeden ist ein anderes besser bzw. jeder lernt mit den Verfahren unterschiedlich gut. Hier hilft nur ausprobieren“ Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 201 • „Außerhalb des Unterrichts haben sie SuS die Möglichkeit eine für sie passende Vokabelstrategie zu finden. Dafür müssen diese aber zumindest im Unterricht präsentiert werden“ • „Anwendung von individuell sinnvollen Lernstrategien & -techniken“ • „Jeder SuS ist anders. Es gibt verschiedene Lerntypen, deswegen sollte man Tipps dahingehend geben“ Abgesehen davon wird von den Befragten nicht auf die Heterogenität der Lerngruppen eingegangen. Damit in Zusammenhang steht auch die Bedeutung der Vermittlung von Lernstrategien im Unterricht, die oben von einigen angedeutet wird und von weiteren, allerdings nur wenigen Befragten, betont wird, z. B.: „Wichtig ist auch, den SuS aufzuzeigen, wie man lernen kann (z. B. Vokabelkärtchen, Selbst- und Fremdabfrage/ -kontrolle)“ , „Erweiterung von erlernten Strategien; regelmäßiges Vorstellen von Strategien und Ausprobieren, damit jeder Lerner individuelle, geeignete Strategien entdeckt und anwenden kann“ oder „Sie sollen mit meiner Hilfe an Lernstrategien und Lerntechniken herangeführt werden, die es ihnen ermöglicht, in späterer Zukunft selbstständig zu lernen“. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Befragten durchaus Kenntnisse im Bereich der Vokabellernstrategien vorweisen. Auf individualisierende Verfahren wird vereinzelt verwiesen. Einige der Befragten stellen explizit die Bedeutung der Vermittlung von Vokabellernstrategien im Unterricht heraus. D: Subjektive Theorien zu fremdgesteuerten Wortschatzaneignungsprozessen: Welchen Stellenwert schreiben die Befragten der Wortschatzarbeit im Unterricht zu? Alle Aussagen laufen darauf hinaus, dass die Befragten die Wortschatzarbeit im Hinblick auf die Kommunikationsfähigkeit für sehr wichtig halten. An dieser Stelle fällt auf, dass die Befragten bei der Beantwortung immer wieder auf ihre Sprachlernerfahrungen zurückgreifen: „Meiner Meinung nach sollte Wortschatzarbeit einen hohen Stellenwert einnehmen. Mir selber fehlen bis heute noch sehr viele Vokabeln, das mag zwar dran liegen, dass ich nicht ausreichend lerne, doch ich habe das Gefühl, dass in meinem Fremdsprachenunterricht nicht genügend Wortschatzarbeit vorhanden war. Vor allem im Spanischunterricht wurde sehr schnell nur noch drauf geachtet, dass man Texte gut analysieren konnte“. Zwei weitere Besonderheiten sind hervorzuheben: Erstens gehen sechs der Befragten bezüglich des Stellenwertes auch auf die Grammatik ein und schreiben entweder dem Wortschatz eine wichtigere Bedeutung zu ( „Für die Kommunikation ist der Wortschatz zunächst wichtiger als die Grammatik“ ) oder betonen, dass die Grammatik nicht ausreicht ( „Allein die 202 Theresa Venus Grammatikkenntnisse reichen nicht aus für eine gelingende Kommunikation“ ). Eine befragte Person nennt hier auch den motivationalen Aspekt: „Meiner Meinung nach ist Wortschatz besonders wichtig am Beginn des Fremdsprachenlernens, weil man sich mit Vokabeln ohne Grammatik immer noch besser verständigen kann als mit Grammatik ohne Vokabeln. Das bringt Erfolgserlebnisse“ ) . Zweitens unterstreichen die Lehramtsstudierenden den Sprachgebrauch und die Anwendung ( „Die Wortschatzarbeit soll einen großen Stellenwert einnehmen, da eine Sprache ohne Wortschatz nicht funktioniert. Die SuS sollen einen möglichst umfangreichen Wortschatz erlernen, um die Sprache in möglichst vielen Handlungsfeldern anwenden zu können“ ) als Ziel des Sprachenlernens. Es werden in diesem Zusammenhang sowohl die rezeptiven als auch die produktiven Fertigkeiten genannt, z. B.: „Mir ist es wichtig, dass meine zukünftigen Schülerinnen und Schüler gute Vokabelkenntnisse haben, denn ohne Vokabeln wird es ihnen umso schwieriger fallen, Texte zu verstehen oder sich selber auszudrücken“ . Dabei wird außerdem die dienende Funktion des Wortschatzes als „Grundausstattung“ oder „Basis“ genannt: „Die Wortschatzarbeit soll in meinem FSU einen großen Stellenwert haben, da ich der Meinung bin, dass ein großer umfangreicher Wortschatz in einer Fremdsprache das Fundament bildet. Umso mehr Wortschatz man sich aneignet, umso besser kann man sich ausdrücken“ . Ein Schwerpunkt wird von den Befragten dabei auf die Mündlichkeit gelegt. Das wird nicht immer explizit formuliert, die Verwendung von Verben wie „sich verständigen“ , „sich angemessen ausdrücken“ , „sich unterhalten“ , „verstanden werden“ deutet jedoch darauf hin. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Stellenwert der Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht einstimmig als sehr hoch bestimmt wird. Dabei wird von einem Großteil der Befragten implizit oder explizit auf die Wortschatzkenntnisse als Fundament sprachlichen Handelns verwiesen. Welche Prinzipien und Verfahren halten die Befragten bezüglich der Wortschatzarbeit während des Unterrichts für effizient? Bezüglich dieser Frage ist interessant, ob sich die Aussagen zum Stellenwert der Wortschatzvermittlung (Fundament für sprachliches Handeln) in den Prinzipien und Verfahren widerspiegeln. Es lässt sich erkennen, dass auch hier häufig die Anwendung und der Gebrauch der Wörter genannt werden. Die Wörter sollen nicht isoliert, sondern in einem Kontext präsentiert und auch verwendet werden. • „Mehr Sprachsituationen in den Unterricht integrieren, damit Vokabular aktiv gefestigt werden kann“ Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 203 • „Der Wortschatz sollte kontextualisiert erlernt werden und direkt Anwendung finden können, z. B. in Form von Sprachdörfern, Talk-Shows in der Klasse“ • „Festigung der Wörter durch Anwendung in versch. Kontexten, Situationen“ Die Befragten gehen auch auf die Wiederholung und Einübung / Festigung im Unterricht ein. Dabei werden einige (spielerische) Möglichkeiten aufgezählt: „Lückentexte“ , „interaktive Spiele“ , „spielerisch (Memory, Domino)“ , „Wörternetze anfertigen lassen“. Ein Verweis auf andere Sprachen ist an vier Stellen zu finden. Der Schwerpunkt liegt dabei ausschließlich auf dem Rückgriff vorhandener Sprachkenntnisse, also auf zuvor gelernten Sprachen und „Sprachvergleiche“: „dass man immer, wenn es möglich ist, auf die bereits vorhandenen Sprachkenntnisse der Schüler wie z. B. Englisch oder Latein zurückgreifen sollte“. In Ansätzen sind auch Meinungen zu dem zu erlernenden Wortschatz zu identifizieren, wobei wiederum das sprachliche Handeln als bedeutend herausgestellt und um den Aspekt der Authentizität ergänzt wird, indem die Aneignung von Wortschatz zur Bewältigung alltäglicher Situationen hervorgehoben wird: „Realitätsbezug herstellen (z. B. Vokabular, welches man im Alltag braucht“ oder „[nicht] einfach nur irgendwelche Wörter lernen, die die SuS nicht wirklich benötigen in ihrer aktuellen Situation […] Aber in Rollenspielen verschiedene authentische Situationen nachspielen und darin neue Wörter vermitteln, das wird nachhaltiger sein“. Eine einzige befragte Person geht in Bezug auf die Anwendung und die sprachlichen Fertigkeiten explizit auf die Bedeutung von Kollokationen ein: „Besonders die Vermittlung von zusammenhängenden Satzgefügen / chunks liegt mir am Herzen und nicht die bloße Vermittlung einzelner Wörter, da deshalb das Bilden von Sätzen so allein nicht erleichtert wird“. Im Hinblick auf die Prinzipien und Verfahren der Wortschatzarbeit können die Erkenntnisse zum Stellenwert wieder aufgenommen werden. Die Befragten sehen das sprachliche Handeln, und hier im Besonderen neben der Einführung und dem Auswendiglernen von Wortschatz auch die Anwendung und den Gebrauch, als bedeutend an. Wie sollen Wörter nach Ansicht der Befragten dargeboten werden? Die Antworten sprechen für ein ausgeprägtes und zum Teil schon sehr ausdifferenziertes Wissen bzw. gefestigte Überzeugungen, wie die Semantisierung stattfinden kann. Es fällt auf, dass dies nicht unbedingt den Sprachlernerfahrungen in diesem Bereich entspricht. Sowohl sprachliche (Wortfamilien nutzen, Beispielsätze, Umschreibungen) als auch nicht-sprachliche ( „Mimik und Gestik einsetzen“ , „theatralische Darstellungen“ , „pantomimisch darstellen“ , „mit Bildern“ ) 204 Theresa Venus Semantisierungstechniken werden vermehrt angeführt. Aspekte wie eine reine Übersetzung bzw. eine ausschließlich zweisprachige Semantisierung oder das bloße Verweisen auf das Vokabelverzeichnis werden hier nicht genannt. Die Befragten sprechen sich zum Teil für abwechslungsreiche Verfahren und gegen die einfache Übersetzung aus: „Neue Wörter sollten nicht einfach an die Tafel geschrieben werden oder einfach auf Deutsch genannt werden, sondern mit möglichst abwechslungsreichen Methoden dargeboten werden“ . Es wird jedoch auch explizit an einigen weiteren Stellen betont, dass die Übersetzung und die Verwendung der Muttersprache zulässig ist: „Auch durch pantomimisches Darstellen können viele Wörter erklärt werden. Jedoch sollte nicht auf Teufel komm raus vermieden werden, eine deutsche Übersetzung zu bieten oder anzuschreiben, wenn diese sinnvoll ist“ . In Ansätzen ist hier eine Differenzierung und Orientierung am Lerner erkennbar: „Man sollte die Methoden miteinander kombinieren, schauen wie die Schüler diese aufnehmen und die perfekte Formel konzipieren, die für die jeweilige Klasse am effektivsten ausfällt“ . Es werden viele unterschiedliche Verfahren und Prinzipien genannt, die dem Prinzip der multisensorischen Semantisierung Berücksichtigung schenken: „Ganzheitlich und lebendig (Pantomime, Gestiken), anhand von Bildern, Comics, so prägen sie sich besser ein als beim bloßen Lesen einer Vokabelliste, […] Anweisungen, die die Schüler sich gegenseitig geben (aufstehen, hinsetzen, im Kreis drehen“ ). Zum Teil wird die Aktivierung der Lernenden und die Abkehr der rein lehrergesteuerten Semantisierung erwähnt: „Die Schüler sollten sich die Wörter möglichst selbst erarbeiten, dadurch können die Vokabeln besser gemerkt werden“ . An sieben Stellen wird explizit auf mögliche Transferbasen und den Nutzen zuvor gelernter Sprachen verwiesen: „Wie oben bereits aufgeführt, denke ich, dass Lehrkräfte das Vorwissen der Schüler in Bezug auf Sprachen aktivieren und mit einbeziehen sollten. Wenn auf verwandte Wörter aus bereits bekannten Sprachen verwiesen wird, fällt es leichter die Vokabeln zu behalten“ oder „Lehrkräfte können zum Beispiel im Spanischunterricht auf Wörter des Englischen oder Französischen verweisen“ . Zusammenfassend ist bezüglich der Überzeugungen zur Unterrichtsphase der Darbietung festzuhalten, dass die Aussagen der Befragten auf fachdidaktische und methodische Kenntnisse im Bereich der Semantisierungsverfahren schließen lassen. Auch hier wird die Einbettung des Wortschatzes in einen thematischen Kontext betont. Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 205 Halten die Befragten die Überprüfung der Wortschatzkenntnisse für wichtig? Welche Intentionen schreiben die Befragten einer Überprüfung zu und wie sollte die Überprüfung ihrer Meinung nach gestaltet sein? Die geschlossene Frage, „Würden Sie die Wortschatzkenntnisse Ihrer Schülerinnen und Schüler überprüfen? “, wird von allen 45 Befragten bejaht. Bezüglich der Intentionen, die Wortschatzkenntnisse der Schülerinnen und Schüler zu überprüfen, zeichnen sich drei Tendenzen ab: Erstens weisen die Aussagen der Befragten vermehrt darauf hin, dass durch eine Überprüfung die Schülerinnen und Schüler zum Lernen bewegt werden sollen: „Wenn ich diese nicht überprüfen würde, ist es wahrscheinlich so, dass die SuS das Fach nicht so ernst nehmen würden und nicht lernen würden“. Es wird damit eine Kontrollsituation und die Möglichkeit zur Disziplinierung angesprochen: „Ich denke, dass SuS im bestimmten Alter noch kein 100 %iges Pflichtbewusstsein besitzen und sie deshalb das Überprüfen als Anreiz zum Lernen sehen“. Zweitens schreiben die Befragten dem Überprüfen zum Teil eine diagnostische Funktion zu. Es geht darum, den Kenntnisstand zu überprüfen: „Dadurch weiß man, welche Kenntnisse die Schüler haben“ oder „Um die SuS weiter zu fördern, muss ich wissen, auf welchem Stand sie sind“. Drittens wird an vier Stellen der Vokabeltest als Motivationsfaktor und als Chance gesehen, eine gute Leistung zu erbringen, z. B.: „Dies kann auch weniger sprachbegabten SuS Motivation verschaffen“ oder „Außerdem können sie dies auch als Chance nutzen, ihre Noten zu verbessern“. Im Rahmen dieser Frage wird ebenfalls auf die Kommunikationsfähigkeit hingewiesen. Um kommunikativ handeln zu können, so argumentieren die Befragten vermehrt, müssen die Schülerinnen und Schüler den Wortschatz beherrschen (dienende Funktion). Die folgenden Beispiele veranschaulichen diese Argumentation: • „Da fehlendes Vokabular sowohl das Textverständnis als auch die Kommunikation behindert“ • „Ich denke, dass der Wortschatz neben der Grammatik das Gerüst einer Sprache darstellt und dieser deshalb beherrscht werden sollte“ • „Weil der Wortschatz eine wichtige Grundlage des Sprachenlernens und -anwendens ist“ Auch hier wird, wie bei der offenen Frage zum Stellenwert, explizit auf die eigene Lernerfahrung („Ich habe oft als Schüler nur Vokabeln gelernt, weil es die Tests gab“ ) verwiesen. Was die Art und Weise der Überprüfung betrifft, ergibt sich kein eindeutiges Bild und die Antworten erlauben, nur vorsichtig Tendenzen festzulegen: Die Befragten nennen einerseits häufig Vokabeltests oder Abfragen, wobei hier - 206 Theresa Venus bis auf einige Ausnahmen ( „Einzelne Übersetzungen“ , „normaler Vokabeltest“ , „Viele SuS lernen Wörter nur stur vom Deutschen zur Zielsprache, eine beidseitige Überprüfung ist notwendig“ , „z.T. auch durch klassische Vokabeltests“ , „Zum Einen würde ich Tabellen mit Lücken austeilen, Lücken gäbe es sowohl im Deutschen als auch in der FS “ ) selten spezifiziert wird, ob es sich um die klassischen Tests mit zweisprachigen Wortgleichungen handelt. Positiv fällt auf, dass abgesehen von den klassischen Vokabeltests vermehrt eine Vielfalt von möglichen Gestaltungsformen genannt wird (Lückentext, Definitionen, Synonyme, Wortfamilien finden). Insgesamt konnten hier 18 Stellen codiert werden. Auch jenseits des Testens wird zur Überprüfung der Kenntnisse die Sprachverwendung ( „Kommunikation (z. B. Rollenspiele)“ ) genannt und damit wiederum das Ziel der kommunikativen Kompetenz betont. Darüber hinaus werden spielerische (Quiz, Kreuzworträtsel, Vokabelmemory), gestalterische und interaktive Formen angeführt. Es zeichnet sich bezüglich der Intentionen ab, dass durch eine Überprüfung in erster Linie die Schülerinnen und Schüler zum Lernen bewegt werden sollen, um sprachlich handeln zu können und ihre Kommunikationsmöglichkeiten kontinuierlich auszubauen. In Bezug auf die Art und Weise der Überprüfung ist festzuhalten, dass die Befragten - im Unterschied zu den Angaben bezüglich der Sprachlernerfahrungen - einige über die Wortgleichungen hinausgehende Formen des Testens (Knospe 2006, 33sq.; Rössler 2009, 10) nennen und auch „kontextualisierte Verfahren der Überprüfung“ (Herten 2012, 6) kennen. Die Tendenz zum „klassischen“ Vokabeltest, die der Intention, die sprachlichen Möglichkeiten der Lernenden zu steigern (Herten 2012, 6) widerspricht, besteht jedoch auch weiterhin. 5.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 5.3.1 Zusammenfassung zu den Sprachlernerfahrungen Die Annahme, dass ein Lernen mit zweisprachigen Wortgleichungen in der Praxis bis heute anhält und als selbstverständlich gilt (Rössler 2009, 6), kann hier bestätigt werden. Die Vermittlung von Lernstrategien als „Voraussetzung von Lernerautonomie und eigenverantwortlichem Lernen“ (Kolacki 2006, 4) scheint im Unterricht der Befragten als vernachlässigt. Das Ablaufschema Bewusstmachung, Präsentation, Strategieerprobung und Evaluation (Kleppin / Tönshoff 1998, 54; Stork / Adamczak-Krysztofowicz 2007, 28) ist nicht wiederzuerkennen. Die Forderung, den lernergesteuerten Wortschatzerwerb als „stetig wiederkehrendes Thema im Fremdsprachenunterricht“ (Stork 2010, 106) zu behandeln, ist im Hinblick auf die hier befragte Gruppe nicht erfüllt. Dass sich Lehramts- Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 207 studierende im Bereich der Wortschatzaneignung zu Sprachlernexperten entwickeln, kann hier nicht bestätigt werden. Es zeigt sich, dass die Studierenden vielmehr auf den inzidentellen Wortschatzerwerb setzen und das gesteuerte Vokabellernen während des Studiums in den Hintergrund rückt. Nach der befragten Gruppe wurde der Forderung, der Vermittlung von Wörtern einen höheren Stellenwert einzuräumen als der Grammatik, in ihrem eigenen Unterricht nicht nachgekommen. Die befragten Studierenden machen zwar Aussagen zur Phase der Darbietung neuer lexikalischer Einheiten. Diese sind jedoch als unspezifisch zu charakterisieren. Das Kriterium, dass eine nachhaltige Erstbegegnung mit Wörtern „die Qualität der Wahrnehmung“ (Rössler 2009, 6), d. h. eine multisensorische Darbietung berücksichtigen muss, ist laut Angabe der Befragten in deren Unterricht selten beachtet worden. Die Möglichkeit zur „personalisierten Auswahl des zu lernenden Wortschatzes“ (Kolacki 2006, 4) blieb im Unterricht der Befragten unberücksichtigt. Aus den Antworten auf die geschlossenen Fragen zur Einübung, Anwendung und Wiederholung kann geschlossen werden, dass diese Phasen im Unterricht bei einem großen Anteil der Befragten, insbesondere was das Einüben des Vokabulars betrifft, einen gewissen Stellenwert einnahmen. Die Behauptung, dass zweisprachige Vokabeltests nach wie vor beliebt sind und durchgeführt werden (Rössler 2009, 10; Herten 2012, 5), wird hier ebenfalls bestätigt. 5.3.2 Zusammenfassung zu den subjektiven Theorien Die Befragten nennen eine Vielzahl von Vokabellerntechniken. Auf die „Anwendung individueller Lern- und Arbeitsstrategien“ (Kolacki 2006, 4) wird jedoch selten verwiesen. Einige stellen jedoch explizit die Bedeutung der Vermittlung von Vokabellernstrategien im Unterricht heraus. Die Befragten weisen der Wortschatzarbeit einen hohen Stellenwert zu. Die subjektiven Theorien zur unterrichtlich gesteuerten Wortschatzarbeit zeigen, dass die direkte Anwendung der lexikalischen Einheiten und der Sprachgebrauch von vielen Befragten als bedeutend angesehen werden. Vereinzelt wird die Möglichkeit genannt, andere Sprachen in die Wortschatzarbeit zu integrieren und zu nutzen. Im Hinblick auf die Phase der Darbietung weisen die Befragten ausgeprägte Kenntnisse auf und es wird auch im Rahmen dieser Frage zum Teil auf den Nutzen anderer gelernter Sprachen eingegangen. Das Spannungsfeld von fremd- und selbstgesteuerter Semantisierung sowie Ein- und Zweisprachigkeit bei der Darbietung von Wörtern (Rössler 2009) wird nachgezeichnet. Einige Faktoren nach Rössler (2009, 6), wie multisensorische und exzeptionelle Art der Darbietung, aber auch die Einbettung in einen pragmati- 208 Theresa Venus schen Kontext sowie die Einordnung in Themenfelder und Wortfamilien werden vereinzelt von den Befragten angeführt. Einigkeit herrscht darüber, dass der gelernte Wortschatz im Fremdsprachenunterricht überprüft werden muss. Hier wurde neben der diagnostischen Funktion und dem motivationalen Aspekt hauptsächlich auf die Intention, die Schülerinnen und Schüler zum Lernen zu bewegen, verwiesen. Mit dieser Intention in Verbindung steht die Betonung der Kommunikationsfähigkeit, die ohne ein Beherrschen des Wortschatzes nicht ausgebildet werden kann. Auch hier wird auf den Wortschatz als Fundament für sprachliches Handeln verwiesen. Die Befragten nennen einige alternative Formen des Testens (Knospe 2006, 33sq.; Rössler 2009, 10). Die Tendenz zum „klassischen“ Vokabeltest, die der Intention, die sprachlichen Möglichkeiten der Lernenden zu steigern (Herten 2012, 6) widerspricht, besteht jedoch auch hier. 6. Fazit Die Sprachlernerfahrungen der befragten Studierenden zeugen davon, dass alte Verfahren und Methoden fortbestehen, obwohl ihre Effizienz und Nachhaltigkeit für die Verankerung der lexikalischen Einheiten schon seit vielen Jahren, also auch zu der Zeit, als die Befragten schulischen Fremdsprachenunterricht erhielten, umstritten ist. Dies bezieht sich insbesondere auf das Arbeiten mit zweisprachigen Wortgleichungen, das - so konnte gezeigt werden - von der Semantisierung über die Fixierung und das häusliche Vokabellernen bis hin zur Überprüfung weiter fortbesteht. Die subjektiven Theorien der angehenden Fremdsprachenlehrkräfte sprechen dafür, dass sich hier eine Abkehr von den oben genannten strittigen Verfahren einstellt. Sie weisen darauf hin, dass die Befragten ein methodisch-didaktisches Wissen besitzen, das auch individualisierende Verfahren involviert. Die im Sinne der Kompetenzorientierung und des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts hervorgebrachte Fähigkeit des sprachlichen Handelns wird immer wieder betont. Auch wenn sich ein zum Teil schon methodisches und fachdidaktisches Wissen erkennen lässt, sind in Ansätzen jedoch auch Ansichten zu erkennen, die vermutlich aus der eigenen Sprachlernerfahrung resultieren, wie z. B. das Erlernen und Überprüfen von Wörtern mittels zweisprachiger Wortgleichungen, und die den Zielen eines kommunikativ ausgerichteten Sprachlernprozesses widersprechen bzw. der Ausbildung einer kommunikativen Kompetenz nicht dienlich sind. Diesen als negativ zu beurteilenden Überzeugungen muss weiterhin sowohl in der fremdsprachendidaktischen universitären Ausbildung als auch in der zweiten Phase der Lehrerbildung entgegengewirkt werden. Effiziente und nachhaltige Wortschatzaneignung 209 Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia / Stork, Antje. 2007. „Zum Vokabellernen befähigen: Lernstrategien vermitteln“, in: Praxis Fremdsprachenunterricht , 6, 27-31. Albert, Ruth / Marx, Nicole. 2010. Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht . Tübingen: Narr. Bittner, Christoph. 2003. „Der Teilnehmerschwund im Französischunterricht. Eine unabwendbare Entwicklung? Eine empirische Studie am Beispiel der gymnasialen Oberstufe“, in: Französisch heute , 4, 338-353. Bürgel, Christoph / Siepmann, Dirk. 2010. „Was können Französischlehrer und -lerner? Wortschatz- und Hörverstehenskompetenzen auf dem Prüfstand“, in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung , 21 / 2, 191-216. 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Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 211 Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht Zur Situation des Spanisch- und Französischunterrichts an Berliner Gymnasien Kathleen Plötner 1 Anmerkungen zur aktuellen Lage der zweiten Fremdsprachen an Berliner Gymnasien Die vorliegende Studie ist Teil einer Voruntersuchung zum Fremdsprachenlernen (Französisch, Spanisch) an Berliner Gymnasien. Es handelt sich einerseits um den Versuch der Darstellung, mit welchen Schwierigkeiten - unter besonderer Berücksichtigung der Kategorie des Verbs - sich Schülerinnen und Schüler beim Erwerb der zweiten Fremdsprache(n) auseinandersetzen müssen und auf welchem Stand sie Französisch oder Spanisch im fortgeschrittenen Unterricht (9. und 10. Klasse) schlussendlich beherrschen. Andererseits dient die Pilotstudie dazu, die Einstellungen der Schülerinnen und Schüler zur zweiten Fremdsprache widerzuspiegeln. Von insgesamt 13 staatlichen Gymnasien im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf bieten 13 Französisch und sieben Spanisch als zweite oder dritte Fremdsprache in der Mittelstufe an. Laut (möglicherweise nicht ganz aktuellen) Darstellungen im Netz wird an acht Schulen Französisch als Leistungskurs in der Oberstufe fortgesetzt (für eine Schule ist hier keine Angabe vorhanden). Spanisch wird laut Netzinformation an zwei Schulen als Leistungskurs angeboten (cf. http: / / www.gymnasium-berlin.net/ steglitzzehlendorf, Zugriffsdatum: 23.12.2015). Fakt ist, dass ⅔ - ¾ aller Schülerinnen und Schüler Französisch bzw. Spanisch in der Oberstufe im Land Berlin abwählen, da nur eine lebende Fremdsprache bis zum Abitur weitergeführt werden muss. Auch wenn die spanische Sprache laut Statistischem Bundesamt im Gegensatz zum Französischen in den letzten Jahren einen Zuwachs an Lernerzahlen 1 verzeichnen konnte, ist die Abwahltendenz des Spanischen in der Oberstufe mit der des Französischen vergleichbar. 2 Grünewald / Mertens / 1 Wenn von Lernerzahlen gesprochen wird, sind stets beide Geschlechter gemeint. 2 Statistiken und Zahlen zu Lernerzahlen des Schuljahres 2014 / 2015 und 2015 / 2016 können unter www.destatis.de konsultiert werden. 212 Kathleen Plötner Nieweler / Reinfried sprechen bereits 2006 hinsichtlich der Sekundarstufe II von „gravierenden Einbrüchen bei den Lernerzahlen“ (2014, 31). Die Kompetenzorientierung des Rahmenlehrplans ( RLP ) seit 2006 (siehe RLP Französisch und Spanisch 2006) konnte diese Entwicklung nicht verhindern oder abschwächen. Auch die Positivkorrektur in den Fremdsprachen und der Wegfall des Fehlerquotienten haben nicht zum Rückgang der Abwahl geführt. Exemplarisch sollen hier zwei Zitate, die im Rahmen der vorliegenden Studie von Schülerinnen und Schülern der 10. Klasse eines Berliner Gymnasiums in Bezug auf die spanische Sprache getätigt wurden, angeführt werden: (1) Die Sprache macht mir keinen Spaß, es ist anstrengend zu lernen und beansprucht viel Zeit, welche man für andere Fächer nutzen kann (Spa10_ Wv SG _S1) (2) Es macht keinen Spaß und ich finde keine Motivation mehr. Ich würde fast sagen die Sprache macht schlechte Laune (Spa10_Wv SG _S12) Die zweiten Fremdsprachen - und hier scheint es, wie die durchgeführte Studie zeigen wird, egal zu sein, ob es sich um Französisch oder Spanisch handelt - gelten gemeinhin als komplizierte Fächer (für die französische Sprache cf. Bittner 2003, 344; Sarter 2006, 77) 3 , die wenig sinnstiftend sind. Die Lernenden empfinden die Sprachen als nicht sinnvoll für die Zukunft und nicht brauchbar im Alltag sowie als zu schwer (auch im Vergleich zum Englischen) und zu zeitbzw. lernintensiv. Die Sprachen sind folglich von geringem lernökonomischen Interesse. Zudem werden Organisation und Aufbau des Fremdsprachenunterrichts kritisiert (für Französisch als Fremdsprache cf. Bittner 2003, Küster 2007, Caspari 2010). Bittner (2003, 342sqq.) weist darauf hin, dass Jungen stärker zur Abwahl des Faches Französisch neigen als Mädchen. Interessant ist der Aspekt, dass sowohl bei Bittner (2003) als auch bei Küster (2007) und Caspari (2010) der Schwierigkeitsgrad des Französischen als einer der Hauptgründe für die Abwahl des Faches von den Schülerinnen und Schülern angegeben wird. Aufgrund der vorliegenden Studien und mündlicher Aussagen von Schülerinnen und Schülern vor und nach dem Abwählen der zweiten Fremdsprachen, die im vorliegenden Artikel exemplarisch abgebildet werden, wurden zunächst zwei Forschungsfragen formuliert: I. Welche Gründe geben die Schülerinnen und Schüler für das Abwählen der zweiten Fremdsprache an? 3 Für die spanische Sprache sind mir keine wissenschaftlichen Studien bekannt. Die Aussage basiert auf den Ergebnissen der vorliegenden Studie und meinen Schulerfahrungen der letzten Jahre sowie den Abwahlzahlen nach der Sekundarstufe I. Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 213 II. Was wünschen sich die Schülerinnen und Schüler für den Fremdsprachenunterricht? Diese Forschungsfragen galt es mithilfe eines Fragebogens, der unter Abschnitt 2 näher erläutert wird, und im weiteren Vergleich mit bereits vorliegenden Studien zu erfassen. Wie sich zeigen wird, sind u. a. die steile Progression und umfangreiche Grammatik einer der Hauptgründe der „Spracherwerbsfrustration“. Hierbei kristallisiert sich u. a. die hohe Verbprogression mit ihren unregelmäßigen Verben und den zahlreichen Tempus- und Modusformen heraus. Nach Küster (2007, 215) kritisieren die Lernenden häufig die Unterrichtsinhalte, insbesondere die Grammatiklastigkeit des Unterrichts. Grammatik sollte ihrer Meinung nach im FSU ein weniger zentrales Element darstellen. Auf Basis dieser Erkenntnisse wird im zweiten Teil der Studie folgenden Fragen nachgegangen: III. Welchen Stellenwert nimmt das Verb im Spracherwerbsprozess und insbesondere im FSU ein? IV. Wie spiegeln sich mögliche sprachliche Gründe des Abwählens bereits in Texten der 9. Klasse im Fach Spanisch wider? Welche Problematik tritt hinsichtlich der Verben auf ? An diese beiden Fragen schließt sich u. a. die Diskussion an, ob es überhaupt sinnvoll ist, „alle“ Modus- und Tempusformen bis zum Abschluss der 10. Klassenstufe zu unterrichten. Im abschließenden Teil des Artikels soll versucht werden, hierauf unter Bezugnahme auf die analysierten Texte und Postulate der Konstruktionsgrammatik 4 eine Antwort zu geben. 4 Unter dem Begriff Konstruktionsgrammatik wird eine „Familie von Theorien“ (Fischer / Stefanowitsch 2007, 3) verstanden (hierzu zählen u. a. Lakoff 1987, Fillmore / Kay / O’Connor 1988, Fillmore 2013 und Goldberg 1995). Den verschiedenen Theorien der Konstruktionsgrammatik ist gemein, dass Sprache aus Form-Bedeutungspaaren, so genannten Konstruktionen, besteht. Lexikon und Grammatik bilden ein Kontinuum, d. h. lexikalisch-semantische und grammatisch-syntaktische Aspekte sind nicht voneinander trennbar. Eine Konstruktion ist ein Form-Bedeutungspaar (F,M), „where F is a set of conditions on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use“ (Lakoff 1987, 467). Konstruktionen seien das „einzige und somit grundlegende […] Element[…]“ (Fischer / Stefanowitsch 2007, 7) und folglich keine Sonderform oder Randerscheinung der menschlichen Sprache. 214 Kathleen Plötner 2 Fragebogen und Datenerfassung 2.1 Aufbau und Ziel des Fragenbogens Aufgrund der hohen Abwahlzahlen der zweiten Fremdsprache nach der zehnten Klasse im Land Berlin verfolgt der Fragebogen primär die Darstellung der Einstellung der Lernenden zum Sprachenlernen unter Berücksichtigung ihres Abwahlverhaltens. Zudem sollten Wünsche abgefragt werden, die unabhängig vom Abwahlverhalten ausgewertet und im vorliegenden Artikel ausführlicher dargestellt werden. Selbstverständlich könnten Wünsche der Lernenden auch im Zusammenhang mit dem Abwahlverhalten ausgewertet und mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests / der Kontinuitätskorrektur die Validität der Items bestimmt werden. Das ist bis dato aber noch nicht erfolgt. Hinsichtlich des Abwahlverhaltens gingen folgende Hypothesen dem Fragebogen voraus: [1] Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der selbsteingeschätzten Fähigkeit, Sprachen zu lernen (=Selbstkonzept) und der Abwahl des Faches. [2] Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Aufwand des Spracherwerbs und der Abwahl des Faches. [3] Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Abwahl des Faches und der Einstellung zu Fremdsprachen. Innere Einstellungen sind nicht direkt wahrnehmbar und können nur durch beobachtbare Handlungen, die vorher als ein Merkmal für diese oder jene Einstellung operationalisiert wurden, oder durch Aussagen von Befragten, die anschließend klassifiziert, kodiert und aufbereitet werden, wahrgenommen und dargestellt werden. In Motivationstheorien wird ein Zusammenhang zwischen der Motivation, eine Sprache zu lernen, und der Beurteilung ihrer Nützlichkeit anerkannt (vgl. Riemer 2002, 73sq.). Ein Zusammenhang zwischen einer positiven Einstellung zur Zielsprache und erfolgreichem Spracherwerb bzw. Lernfortschritt konnte bis heute nicht eindeutig festgestellt werden (vgl. Edmondson / House 2011, 207). Der im Rahmen der Studie erstellte Fragebogen beinhaltet geschlossene und offene Fragen. Die offenen Fragen wurden gewählt, um der „faktorenkomplexe[n] Realität“ (Zydatiß 2012, 115) Rechnung zu tragen. Im ersten Teil des Fragebogens (siehe Tabelle 1) wurde mit einer ausformulierten Skalierung gearbeitet. Dabei wurde bewusst auf die Bezeichnung „teils / teils“ verzichtet, um die Schülerinnen und Schüler zu einer konkreten Stellungnahme (ja = trifft voll zu + trifft eher zu ODER nein = trifft eher nicht zu + trifft nicht zu) anzuregen. Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 215 Mit der Skalierung wurden einerseits die Einstellung zum Sprachunterricht und andererseits Wünsche in Bezug auf die Unterrichtsgestaltung abgefragt. Der Fragebogen wurde so konzipiert, dass sich bestimmte Fragen inhaltlich überschneiden und folglich sowohl die positive als auch die negative Einstellung abgefragt wird, um auszuschließen, dass Fragen missverstanden oder gegensätzlich beantwortet werden. So sind die affektiven Aussagen in Teil 1 („Sprachen lernen fällt mir leicht / ist anstrengend / erfordert viel Nacharbeit zu Hause“ sowie „Sprachen lernen finde ich interessant / ist langweilig / macht mir Spaß“) als Gegensatzpaare zu verstehen. Das bedeutet im engeren Sinne, dass Lernende bei Angaben wie „trifft voll zu / trifft eher zu “ hinsichtlich der Aussage „Sprachen lernen macht Spaß“ die Gegenaussage „Sprachen lernen ist langweilig“ mit „trifft (eher) nicht zu“ beantworten sollten. Da der Fragebogen für die Lernenden verständlich gestaltet werden und eindeutige Ergebnisse liefern sollte, wurde bewusst mit affektiven Adjektiven zur Einschätzung der eigenen Einstellung und zur Darstellung der Selbstwahrnehmung gearbeitet, denn bei der Gestaltung von Fragebögen ist vor allen anderen Prinzipien insbesondere das der Verständlichkeit zu wahren (vgl. Mayer 2006, 89). Adjektive wie „interessant“ und „langweilig“ können eindeutig als positiv bzw. negativ konnotiert bestimmt werden. Sprachen (Französisch oder Spanisch) lernen trifft voll zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft nicht zu … fällt mir leicht. … finde ich interessant. … ist langweilig. … erfordert viel Nacharbeit zu Hause. … macht Spaß. … ist anstrengend. Ich denke, dass es Vorteile hat, mehrere Sprachen zu sprechen. Wer viele Sprachen spricht, ist intelligent. Ich würde mir mehr Zeit wünschen, die Verbformen zu lernen. Ich würde mir mehr Zeit wünschen, die Vokabeln zu lernen. 216 Kathleen Plötner Sprachen (Französisch oder Spanisch) lernen trifft voll zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft nicht zu Ich möchte mehr im Unterricht lesen. Ich möchte mehr im Unterricht sprechen. Ich möchte mehr im Unterricht schreiben. Ich möchte im Unterricht mehr Filme gucken. Ich möchte im Unterricht mehr Musik hören. Tab. 1: Quantitativer Teil des Fragebogens zur Einstellung der Schülerinnen und Schüler Der zweite Teil des Fragebogens setzt sich aus (teil)offenen Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten zusammen (Fragen a, c, d). Es wird zudem in geschlossener Antwortform abgefragt, ob Spanisch oder Französisch in der Oberstufe weitergelernt werden wird (b). Die Fragen (e) und (f) sind offene Fragen ohne Vorgaben. Der quantitative Teil des Fragebogens zielt darauf ab, einerseits die frühere und die aktuelle Motivation des Spracherwerbs darzustellen (a) und andererseits aktuelle Problematiken der Lernenden sowie deren Wünsche zu erfassen (d, e, f). Hierbei sollte kein Zusammenhang zum Abwahlverhalten hergestellt werden. a. Ich habe mich in Klasse 7 entschieden, Französisch / Spanisch zu lernen, weil … (Mehrfachnennungen möglich) • ich musste • ich öfter in Länder fahre, wo die Sprache gesprochen wird • ich Freunde aus Ländern habe, die die Sprache sprechen • mich die Kultur interessiert • mir Sprachen lernen leicht fällt • Sonstiges: b. Wirst Du in Klasse 11 die Sprache weiterlernen? • Ja • Nein • Weiß nicht Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 217 c. Was fällt Dir in der Sprache besonders leicht? (Mehrfachnennungen möglich) • Aussprache (z. B. beim lauten Lesen) • die Artikel der Substantive • Vokabeln lernen • Vokabeln erklären • Verben konjugieren • Verbgebrauch verstehen (z. B. imperfecto / imparfait vs. indefinido / passé composé ) • Lesen (Texte verstehen) • Schreiben • Hörverstehen (auch Filme) • Sprechen (Dialoge vortragen, Präsentationen machen) • Die Anweisungen der Lehrkraft verstehen • Sonstiges: … d. Was fällt Dir in der Sprache besonders schwer? (Mehrfachnennungen möglich) • Aussprache (z. B. beim lauten Lesen) • die Artikel der Substantive • Vokabeln lernen • Vokabeln erklären • Verben konjugieren • Verbgebrauch verstehen (z. B. imperfecto / imparfait vs. indefinido / passé composé ) • Lesen (Texte verstehen) • Schreiben • Hörverstehen (auch Filme) • Sprechen (Dialoge vortragen, Präsentationen machen) • Die Anweisungen der Lehrkraft verstehen • Sonstiges: … e. Wenn Du die Sprache in Klasse 11 nicht weiterlernen wirst, führe bitte die Gründe dafür an: … f. Welche Themen interessieren Dich / was würdest Du Dir im Unterricht noch mehr wünschen ? … 218 Kathleen Plötner 2.3 Gütekriterien und Probleme Problematiken, die sich bei der Auswertung des quantitativen und qualitativen Teils zeigten, waren die folgenden: • vereinzelt kreuzten Lernende die Linie zwischen den Kategorien „trifft eher zu“ und „trifft eher nicht zu“ an, da sie sich nicht zwischen den beiden Kategorien entscheiden konnten bzw. normalerweise die Kategorie „teils / teils“ gewählt hätten • vereinzelte Lernende setzten gelegentlich zwei Kreuze • einige Lernende ließen einzelne Fragen aus • einige Lernende reproduzierten Angaben oder Antwortmöglichkeiten aus den geschlossenen und teiloffenen Fragen in den offenen Fragestellungen (e) und (f) Bei zwei gesetzten Antworten wurde stets das erste Kreuz gewertet (d. h. „trifft eher zu“ wurde anstelle von „trifft eher nicht zu“ oder „trifft eher nicht zu“ anstelle von „trifft nicht zu“ gewertet). Genauso wurde verfahren, wenn ein Kreuz zwischen zwei Kategorien gesetzt wurde. Für kommende Untersuchungen wäre erstens der Hinweis, dass nur ein Kreuz gesetzt werden darf, und zweitens, dass Kreuze in Felder und nicht zwischen diese gesetzt werden dürfen, empfehlenswert. Zudem wäre die Kategorie „weiß nicht“ von Vorteil, da so sichergestellt werden könnte, dass die Lernenden die Frage(n) gelesen haben, aber nicht beantworten konnten / wollten. Der Fragebogen wurde bis dato an zwei Berliner Gymnasien (ein staatliches und ein privates) in einer 9. Klasse mit der Fremdsprache Spanisch und vier 10. Klassen mit den Fremdsprachen Spanisch (3x) und Französisch (1x) ausgeteilt. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die den Fragebogen beantwortet haben, beträgt 82. Den größten Teil der Befragten bilden die drei 10. Klassen mit der Fremdsprache Spanisch (=58). Die Untersuchung wurde im 2. Halbjahr des Schuljahres 2014 / 2015 durchgeführt. Die Lernenden der 10. Klasse hatten sich schon für eine Wahl bzw. Abwahl der zweiten Fremdsprache in der Oberstufe entschieden. Hinsichtlich der Objektivität und Reliabilität muss beachtet werden, dass es sich beim Einsatz des Fragebogens um Feldforschung handelt und sich die Schülerinnen und Schüler durchaus von der Person, die den Fragebogen ausgeteilt hat, beeinflusst gefühlt haben könnten und möglicherweise Angst hatten, dass der Fragbogen - obwohl er keine Initialen o. ä. enthielt - ihnen zugeordnet werden könnte. Folglich ist vorstellbar, dass der Fragebogen nicht wahrheitsgemäß oder nur minimalistisch ausgefüllt wurde. Solche Störfaktoren können in der Feldforschung nicht 100-prozentig ausgeschlossen werden. Zydatiß (2012, 121) gibt richtig zu bedenken, dass „damit zu rechnen [ist], dass einige Befragte in der Art ihrer Antworten auf sensible Punkte ihre Wertvorstellungen gezielt Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 219 verschleiern“. Allerdings wurde der Fragebogen nicht von der unterrichtenden Lehrkraft ausgeteilt und eingesammelt. Ein weiterer Störfaktor könnte eine gegenseitige Bezugnahme oder ein Ausfüllen des Fragebogens in Partnerarbeit sein. Hier ist bekannt, dass die für die Durchführung des Fragebogens verantwortliche Lehrkraft laut eigener Angaben durchgehend auf Einzelarbeit geachtet hat. Als itemunrelevant erwies sich bspw. „ich denke, dass es Vorteile hat, mehrere Sprachen zu sprechen“, da hier aufgrund der hohen Anzahl an Positivantworten kein Zusammenhang zum Abwahlverhalten festgestellt werden konnte (Chi- Quadrat-Test / Kontinuitätskorrektur 1). 2.4 Ergebnisse (Fokus: Wünsche der Lernenden) Aus dem quantitativen Teil werden aufgrund des beschränkten Umfangs des Artikels nur einige Ergebnisse dargestellt: Ergebnisse 9. Klasse Spanisch • 64 % fällt Sprachen lernen leicht • 45 % geben an, dass Spanisch lernen viel Nacharbeit zu Hause erfordert • 100 % sagen, dass es Vorteile hat, Fremdsprachen zu sprechen • 82 % wünschen sich mehr Zeit, um die Verbformen zu lernen • 91 % wünschen sich mehr Zeit, um Vokabeln zu lernen • 100 % möchten mehr Filme im FSU ansehen Ergebnisse 10. Klasse Spanisch • 37,5 % fällt Sprachen lernen leicht • 87,5 % geben an, dass Spanisch lernen viel Nacharbeit zu Hause erfordert • 100 % sagen, dass es Vorteile hat, Fremdsprachen zu sprechen • 60 % wünschen sich mehr Zeit, um die Verbformen zu lernen • 61 % wünschen sich mehr Zeit, um Vokabeln zu lernen • 80 % möchten mehr sprechen • 72 % möchten mehr Filme im FSU ansehen Ergebnisse 10. Klasse Französisch • 31 % fällt Sprachen lernen leicht • 92 % geben an, dass Französisch lernen viel Nacharbeit zu Hause erfordert • 100 % sagen, dass es Vorteile hat, Fremdsprachen zu sprechen • 85 % wünschen sich mehr Zeit, um die Verbformen zu lernen • 62 % wünschen sich mehr Zeit, um Vokabeln zu lernen • 62 % möchten mehr sprechen • 85 % möchten mehr Filme im FSU ansehen 220 Kathleen Plötner Es kann festgehalten werden, dass eine Diskrepanz zwischen der 9. Klasse und den 10. Klassen in Bezug auf die Einschätzung der Schwierigkeit des Fremdsprachenlernens besteht. In der 9. Klasse wird das Sprachenlernen von der Mehrheit der Schülerinnen und Schüler als leicht eingeschätzt, wohingegen in der 10. Klasse nur ein Drittel der Lernenden angeben, dass ihnen das Erlernen von Spanisch / Französisch leicht fallen würde. In der 9. Klasse wird zudem der zeitliche Aufwand zum Erwerb der Fremdsprache als geringer eingeschätzt. Problematisch bei diesem Vergleich ist, dass die 9. Klasse nicht als repräsentativ gewertet werden kann, da es sich nur um eine einzige Klasse handelt. Alle Lerngruppen empfinden den Erwerb von Fremdsprachen als vorteilhaft. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler aus den untersuchten Lernjahren wünscht sich den Einsatz von mehr Filmen / Videos im FSU . Mehr als die Hälfte der Lernenden wünscht sich zudem mehr Zeit zum Vokabel- und Verbformenlernen. Eine zentrale Problematik der Sprachlernfrustration liegt m. E. im Lexikerwerb während der Mittelstufe. Untersuchungen (u. a. Ma 2009, Stæhr 2009) belegen, dass ein Großteil der rezeptiven und produktiven Probleme der Fremdsprachenlernenden durch fehlende lexikalische Strukturen bedingt ist, so z. B. „beim Schreiben [wo] etwa 50 % aller Produktionsprobleme lexikalisch motiviert“ (Börner / Vogel 1997, 10 mit Verweis auf Krings 1992) sind. Trotz der „Kompetenzwende“ wird der Lexikerwerb weiterhin „nicht als komplexes Zusammenspiel eines Kenntnissystems und eines Anwendungssystems gesehen, sondern mit einem als Langzeitgedächtnis bezeichneten Kenntnissystem gleichgesetzt“ (Koll-Stobbe 1997, 61). Zudem wird generell außer Acht gelassen, dass „viele Wörter der Lernersprache […] in syntagmatischen Beziehungen“ (Börner / Vogel 1997, 16), stehen oder - um Hausmanns Ansicht zu zitieren - „in einer Sprache […] (fast) alles idiomatisch“ (Hausmann 1993, 5) ist. Lexikwissen und Lexikgebrauch sind keineswegs starr, denn „knowing is a matter of degree rather than a question of either / or“ (Haastrup 1991, 35), d. h. zu unterscheiden ist nicht nur zwischen aktivem und passivem Lexikgebrauch, sondern ebenso zwischen der Anwendung in unterschiedlichen sprachlichen Kontexten. Die „Schulung des Anwendungssystems, eine aktive Arbeit mit dem semantischen Arbeitsgedächtnis“ (Koll-Stobbe 1997, 61) muss folglich eines der zentralen Anliegen des Fremdsprachenunterrichts sein. Im qualitativen Teil der Studie zeichnen sich diverse Gründe für das Abwählen der zweiten Fremdsprachen ab. Eine erste Kategorie, die ausgemacht werden kann, ist die des fehlenden Grammatik- und Vokabelwissens (Zitate 3-7), was erneut die zuvor formulierte Theorie des mangelnden Vokabelwissens bestärkt. Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 221 (3) Die Sprache ist nicht so leicht zugänglich wie Englisch. Im Unterricht lernen wir sehr schwierige Zeitformen, können uns jedoch nicht einmal normal unterhalten.“ (Spa10_Wv SG _S18) (4) kein gutes Kontextverstehen, zu viele Vokabellücken (Spa10_WvSG_S17) (5) Ich kann nach 4 Jahren genau 2 Sätze bilden: 1. No entiendo ní papa . & 2. Todo es posible, hasta la muerte . Es ist aber aus einem Song (Spa10_ Wv SG _S13) (6) keine Kenntnisse von Vokabeln. Außerdem Probleme beim Satzbau, Formen Gebrauch Grammatik“ (Spa10_Wv SG _S11) (7) ich seit der 7 es hatte und nie wirklich das gelernt habe und mal gründlich durchgezogen habe, weil ständig die Lehrer gewechselt haben und das einfach einbremst (Spa10_ FSAS _S1) Ein weiterer Grund ist der des hohen Zeitaufwandes. (8) es würde zuviel Zeit in Anspruch nehmen, um dort eine gute Note zu bekommen. Mit anderen Fächern (? ) kann man sich besser absichern (Spa10_Wv SG _S9) (9) Ich hatte zu wenig Zeit die Sprache sinnvoll zu lernen (Spa10_Wv SG _S5) Der Inhalt des FSU bzw. der hohe Grammatikanteil und die damit verbundene sinkende Motivation ist ein weiterer Grund, der zur Abwahl des Faches führt. (10) langweilig. Ich brauche nicht 10 Zeitformen lernen, wenn ich die einfache Vergangenheit nicht kann. (Spa10_Wv SG _S8) (11) Die Grammatik ist viel zu kompliziert. Außerdem lernen Schüler in der Mittelstufe nicht genug zu sprechen und zu verstehen. Man sollte mehr Alltagswissen lernen. (Spa10_Wv SG _S3) Selbstverständlich gibt es auch andere Gründe, die zur Abwahl in der Oberstufe führen. Dazu zählen z. B. ein Schulwechsel und die damit verbundene Unsicherheit, wie das Niveau an der neuen Schule sein wird, zu wenig Schülerinnen und Schüler, die den Kurs wählen würden, oder aber andere Gründe und Überlegungen hinsichtlich der Fächerwahl, die bspw. im folgenden Zitat 12 thematisiert werden: (12) Spanisch an sich macht mir Spaß und ich verstehe alles relativ gut. Theoretisch hätte ich es gerne weiterhin gewählt, allerdings habe ich bereits zwei weitere Fremdsprachen und das wäre zu viel geworden. (Spa10_ Wv SG _S4) 222 Kathleen Plötner Die häufigen Aussagen in Bezug auf Grammatik, die von den Lernenden nicht ausreichend beherrscht wird (was u. a. dazu führt, dass sie sich sprachunbegabt fühlen), und das Gefühl der Inkompetenz, das an das Fach und folglich an die Sprache selbst geknüpft wird, spiegeln sich auch in den Antworten auf die Frage „Was wünschst Du Dir für den Fremdsprachenunterricht? “ wider. So schreibt der / die SchülerIn Spa10_Wv SG _S15 Folgendes: (13) „Dinge die einem auch was bringen kein Subjuntivo pluscuamperfecto “ (Spa10_Wv SG _S15) Tendenziell fordern die Lernenden mehr mündliche Übungen und Alltagsdialoge sowie sprachliche Situationen, die so oder so ähnlich tatsächlich in hispanophonen Ländern auftreten könnten. (14) Aussprache, wichtige Dialoge (Spa10_Wv SG _S16) (15) täglicher Gebrauch ist interessant (Spa10_Wv SG _S9) (16) Mehr Dialoge und einfaches Sprechen. Zudem Themen die man in Spanien verwenden könnte und keine Bildanalyse (Spa10_Wv SG _S1) Diese Erkenntnis ist keineswegs eine neue und wird bereits im RLP 2006 in den thematischen Vorgaben berücksichtigt. Allerdings wird das sogenannte einfache Alltagssprechen eher im ersten und zweiten Lernjahr trainiert. Die kommenden Lernjahre setzen sich verstärkt mit Methoden wie Bildbeschreibung, Auswertung von Diagrammen / Statistiken, Karikaturanalyse, Vorstellung eines Filmes und Themen wie Auslandsjahr, Umweltschutz, Ernährung, Drogen etc. auseinander. Des Öfteren wurde an mich in den 10. Klassen schon der Wunsch herangetragen, wieder einen Einkaufsdialog spielen zu dürfen. Das sei „so schön einfach“ gewesen. Die Aufgabe, die hier an die Lehrkraft formuliert wird, ist bzw. muss sein, das bereits Bekannte mit dem Neuen zu verbinden und für die Lernenden kommunikative Situationen zu schaffen, in denen sie möglicherweise noch einmal einkaufen gehen können, aber sprachlich komplexere Verbindungen verwenden und weitere Elemente und Inhalte (z. B. Streit mit Mutter / Freundin) einbinden müssen. 3 Das Verb als Konstruktion im Fremdsprachenunterricht Da im Fragebogen immer wieder die Grammatik eine zentrale Rolle in Bezug auf die Sprachfrustration spielt (z. B. Zitat 3, 10, 11 und 13), werden im zweiten Teil der Untersuchung, Sprachdaten aus einer 9. Klasse mit Spanisch als zweiter Fremdsprache ausgewertet. Das Korpus setzt sich aus schriftlichem Sprach- Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 223 material aus in einer Klassenarbeit erstellten Texten zusammen. Die Daten wurden im Schuljahr 2013 / 2014 gesammelt. Die neunte Klasse hat auch an der unter Abschnitt 2 dargestellten Befragung teilgenommen. Die Auswertung der Daten wird unter Abschnitt 4 dargestellt. Zunächst wollen wir uns an dieser Stelle mit der Bedeutung des Verbes als zentrales Element im System Satz auseinandersetzen. Laut Richter (2009) spielt […] das Lernen von Verben und ihren Eigenschaften im Spracherwerb eine zentrale Rolle […]. Empirischen Studien zufolge ist der Stand des Verberwerbs ein Indikator für die Grammatikentwicklung und im Allgemeinen für den Spracherwerbsstand von Lernern. (Richter 2009, 1). Das semantische Wissen über Verben sowie die Kompetenz der Anwendung dieser in sprachlichen Kontexten sind laut Richter (2009, 2) „kennzeichnend für kompetente Sprecher“. Die beiden genannten Komponenten (semantisches rezeptives Wissen und Kompetenz der produktiven Anwendung) werden in Anlehnung an Richter (2009, 4) im Folgenden Verbkompetenz genannt. Im Gegensatz zum Französischen reicht in der spanischen Sprache das Verb aus, um einen vollständigen Satz zu konstruieren, da die grammatischen Morpheme der Verben die Person meist eindeutig anzeigen. Das Subjekt ist somit im Prädikat(sverband) enthalten. Semantisch-syntaktische Strukturen sind an das Verb geknüpft (Verbvalenz), d. h. das Verb gibt an, wieviel Leerstellen noch zusätzlich belegt werden können. Hinzu kommt, dass im Spanischen auch Präpositionalphrasen an Verben geknüpft sind. So fordern Bewegungsverben die Präposition a ( Jorge va a Francia, Jorge viaja a Barcelona ), wohingegen statische Verben die Präposition en nach sich ziehen ( Jorge está en Francia, Jorge vive en Madrid ). In der französischen Sprache ist hingegen z.T. die Nominalphrase für die Wahl der Präposition ausschlaggebend. Länder werden je nach Numerus und Genus mit en, au, aux eingeführt, Städte mit der Präposition à angegeben. Hierbei ist es unerheblich, ob man sich in Paris befindet oder nach Paris reist. Allerdings werden durchaus auch andere Präpositionen im Zusammenhang mit Städten gebraucht (z. B. je viens sur Paris ). Weitaus schwieriger als die Verbvalenzen und die an das Verb geknüpften präpositionalen Anschlüsse, gestaltet sich für die Lernenden der Erwerb der zahlreichen Tempora und Modi. Betrachtet man ältere und neuere Lehrbücher, so lässt sich trotz kommunikativer Wende und Kompetenzorientierung die durchweg an Tempus und Modus orientierte Progression im grammatischen Teil des Lehrwerks ( verb compliance , Verbkompetenz) feststellen. Dabei muss erwähnt werden, dass im LJ 1 die Präsensbildung von regelmäßigen und unregelmäßigen Verben und der Erwerb des periphrastischen Futurs, möglicherweise des perfecto compuesto den Schwerpunkt bilden. LJ 2 beschäftigt sich mit dem 224 Kathleen Plötner Perfekt und dem Imperfekt. Der Fokus des dritten LJ liegt auf dem subjonctif / subjuntivo . Im vierten LJ geht es um den conditionnel / condicional . Die Modusformen sind somit im fortgeschrittenen Unterricht ( LJ 3 und 4) angesiedelt, die Tempusformen im Anfängerunterricht. Nach LJ 4 sollen die Lernenden das B1-Niveau des Europäischen Referenzrahmens erreicht haben und der Grammatikerwerb in seinen Grundzügen abgeschlossen sein. 5 In der Oberstufe, deren Ziel das Erreichen des B2-Niveaus ist, soll inhaltsorientiert gearbeitet werden. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe benötigen (und fordern) jedoch oftmals die Wiederholung bestimmter grammatischer Phänomene und Verbformen (hier z. B. die Bildung der Modi). Betrachtet man den chronologischen Aufbau des Erwerbs der Tempora und Modi, fällt auf, dass nicht zwischen den beiden romanischen Sprachen unterschieden wird. Dass die spanische Sprache mit ihren komplizierten Perfektformen ( perfecto simple / indefinido ) jedoch eine weitaus größere Hürde als die französische Sprache bildet, scheint in der didaktischen Analyse der Lehrbücher keine Rolle zu spielen. Zudem fällt auf, dass die Lehrwerke auf Ebene der Formen selten bis nie eine didaktische Reduktion vornehmen. Es ist anzuzweifeln, dass (fast) alle unregelmäßigen Verben im Perfekt, Subjuntivo etc. aktiv und passiv beherrscht werden müssen, um sich in den Fremdsprachen in der Vergangenheit unterhalten zu können. Vor allem die 3. Person Singular sowie die 3. Person Plural sind hochfrequente Formen im Deutschen (cf. Wortschatz der Universität Leipzig 6 ). Lehrwerke überschwemmen die Lernenden oftmals mit subjonctif / subjuntivo -Auslösern, auch wenn versucht wird, diese zu klassifizieren. 7 Sicherlich ist es hier Aufgabe der Lehrkraft, eine Auswahl zu treffen und das Lehrwerk als Angebot zu verstehen. Allerdings greift das dahinterstehende Prinzip „die Lehrkraft entscheidet, was sie macht und welche Inhalte sie auslässt oder verkürzt“ nicht in jeder Situation. Möchte man als Lehrkraft sinnvoll mit einem Lehrwerk arbeiten und es als Erleichterung seiner Vorbereitungen verstehen, so kann man nicht 5 In den alten Bundesländern haben die Lernenden hierfür fünf Lernjahre Zeit, da mit der zweiten Fremdsprache für gewöhnlich in der 6. Klasse begonnen wird. 6 In den Zählungen der Universität Leipzig zählen die Personalpronomen er, sie, es zu den dreißig häufigsten Wörtern und treten vor anderen Personalpronomen auf. Konjugierte Verben in der dritten Person Singular und Plural, wie bspw. hat oder sind (es könnte sich hier selbstverständlich auch um die erste Person Plural handeln), zählen zu den häufigsten Vertretern und sind frequenter als weitere Konjugationsformen des gleichen Verbs (cf. http: / / wortschatz.uni-leipzig.de/ Papers/ top1000de.txt, Zugriffsdatum: 21. 02. 2017). 7 Bürgel / Siepmann (2015, 182) haben in ihrer korpusbasierten Studie gezeigt, dass bspw. je comprends pas que + subjonctif zu den häufigsten comprendre -Konstruktionen im mündlichen Französisch gehört und dass der Subjonctif in Verbindung mit comprendre que fast ausschließlich in dieser Konstruktion gebraucht wird (ansonsten wird der Indikativ verwendet). Solche Erkenntnisse sollten bei der Materialerstellung unbedingt berücksichtigt werden. Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 225 permanent ganze Lehrwerkslektionen um die Hälfte reduzieren, was in der Praxis jedoch oft der Fall ist. Um den Erwerb von Verben besser verstehen zu können, ist zunächst ein Blick in die Erstspracherwerbsforschung nötig. Hier ist seit Jahren bekannt, dass sprachliche Äußerungen als memorierte Einheiten und Chunks gelernt werden. 8 Im Zweit- und Fremdspracherwerb sind diese Erkenntnisse bedauerlicherweise noch nicht häufig - insbesondere nicht in Studien zu den romanischen Schulsprachen - in den Fokus der Forscherinnen und Forscher sowie der Didaktikerinnen und Didaktiker geraten. Es gibt zudem nur wenig korpusbasierte Untersuchungen anhand von Lernertexten und Lerneräußerungen. 9 Dass Formeln und vom Lerner im Ganzen memorierte Äußerungen oder Äußerungsteile im Zweitspracherwerb eine Schlüsselrolle spielen, ist eine Annahme, der einerseits kaum explizit widersprochen wird […], die aber andererseits in der Zweitspracherwerbsforschung nicht wirklich eine Lobby hat (Haberzettl 2008, 56). Im frühkindlichen Spracherwerb werden zunächst sogenannte Holophrasen und Privot-Schemata gelernt. Tomasello (1992 in Tomasello 2008, 22) stellt bei seiner eigenen Tochter fest, dass sich ihre Mehrwortkonstruktionen in der Erstsprache um bestimmte Verben drehen. Er nennt diese verbalen Mehrwortkonstruktionen „Verbinseln“ (z. B. X hit Y/ Put X in Y ) und schreibt, dass sie systematisch erweitert werden würden. Im Erstspracherwerb gibt es ein sich wiederholendes Versatzstück von Sprache, wie bspw. where’s the mit einer konkreten Funktion - hier der Frage nach dem Ort - und einem abstrakten Platzhalter, der als variables Element auftritt (z. B. das X in Where’s the ‘X’ ? ). Der Anfangsunterricht in der Schule berücksichtigt diese Erkenntnisse z.T., denn er zielt auf Imitation ab. Angeführt seien hier erste Stunden mit Formeln wie ¿Qué tal? , ¿Cómo te llamas? und ¿De dónde eres? und den dazugehörigen Antworten muy bien, me llamo / yo soy und soy de Alemania / soy alemán / alemana . Diese sprachlichen Frage-Antwort-Einheiten werden von den Lernenden memoriert und können als Konstruktionen begriffen werden. Sie dienen als Gesprächskonstrukt für Fremdsprachenlernende, die diese Konstruktionen so immer wieder anwenden können und werden. Für den mündlichen Spracherwerb zeigt Wong Fillmore (1976), dass Kinder im Kontakt zu gleichaltrigen Peers mit Handlungen verknüpfte Äußerungen imi- 8 Cf. Wong Fillmore (1976), Goldberg (1995), Langacker (1999), Diessel (2008), Haberzettl (2008), Tomasello (2008). 9 Forderungen nach Konstruktionenlernen im Fremdspracherwerb sind u. a. bei Siepmann (2007), Callies (2009) und Segermann (2015, siehe auch Forschungsbereich: Jenaer Baustein Konzept). Lexemkombinationen in fremdsprachlichen Lernertexten werden aktuell zudem von Koneczy (Universität Innsbruck) im Rahmen des Projekts LeKo untersucht. 226 Kathleen Plötner tieren (z. B. Do you wanna play ? ). Im weiteren Verlauf des Spracherwerbs werden diese Formeln auf neue Kontexte übertragen und später dann in kleinere Einheiten, den so genannten formulaic frames (cf. Haberzettl 2008, 57), aufgespalten. Nora, die jüngste L2-Lernerin im Korpus von Wong Fillmore (1976, 214) äußerte im zweiten Quartal des Erwerbsprozesses zunächst folgende Phrase: a) How do you do dese? Im dritten Quartal wurde diese Formel durch Nominal- oder Präpositionalphrasen ergänzt. b) How do you do dese little tortillas? Einige Zeit später erkennt die Sprecherin die Austauschbarkeit des zweiten Verbs: c) How do you make the flower? Zudem ersetzt die Sprecherin das primäre do durch das past perfect des Verbs, wobei hier Wong Fillmore angibt, dass nicht eindeutig ist, ob es sich um einen produktiven Austausch von do durch did oder um ein Reproduzieren einer bereits erlernten Struktur ( how did you … ) handelt. Zu den weiteren Entwicklungsstadien gehört u. a. noch die Modifizierung des Subjekts (d. h. die Konstruktion wird mit anderen Personen und Numeri gebraucht). Diessel (2008, 43sq.) untersucht I think X -Konstruktionen und zeigt, dass komplexe Sätze, wie bspw. Komplement- oder Relativsätze, clusterhaft erlernt werden. Er stellt fest, dass seine Probandin im Hauptsatz zunächst ausschließlich I und keinerlei andere Pronomen und das Verb durchweg im Präsens verwendet. Nebensätze der Probandin beinhalten keinen Komplementierer ( that ). Dieselben Ergebnisse lassen sich ebenso für I guess X -Konstruktionen feststellen. 1. I think I’m gone in here. 2. Oh (pause) I think it’s a ball. 3. And I think (pause) we need dishes. Laut Diessel „denkt“ seine Probandin in diesem Moment nicht an etwas, sie benutzt „ I think im Wesentlichen, um die Gültigkeit der assoziierten Komplementsatzproposition zu modifizieren“ (Diessel 2008, 44). Tomasello (2008, 32sq.) gibt an, dass in einer von ihm geführten Studie mit einem zweijährigen Englisch lernenden Kind, das fünf Stunden pro Woche in einem Zeitintervall von sechs Wochen beobachtet wurde, 537 Ein- und Mehrwortäußerungen getätigt wurden, wovon 79 % Wiederholungen und nur 21 % neuartige Äußerungen waren. In Bezug auf die 295 getätigten Mehrwortäußerungen lässt sich anmerken, dass hier 37 % neuartige Äußerungen waren, da- Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 227 von aber 74 % nur kleine Änderungen enthielten und nur 26 % komplexe neue Äußerungen darstellten. Aus einer konstruktionsgrammatischen, gebrauchsgestützten Perspektive konstruieren sich Äußerungen aus einer Reihe bereits erworbener sprachlicher Bausteine von unterschiedlicher Größe, Form, interner Struktur und variablem Abstraktionsgrad - angepasst an die sich aus der aktuellen Verwendungssituation ergebenen Anforderungen (Tomasello 2008, 32). Bezugnehmend auf die dargestellten Studien kann geschlussfolgert werden, dass Spracherwerb in den ersten Jahren bedeutet, bereits gehörte Dinge immer wieder so oder in ähnlicher (angepasster) Form in verschiedenen Kontexten zu reproduzieren. 4 Analyse von Lernertexten (3. Lernjahr Spanisch, Klasse 9) An dem Berliner Gymnasium, aus dem die folgenden Lernertexte stammen, wird mit den Lehrwerken Línea amarilla und Línea verde gearbeitet. Aufgrund der hohen Progression innerhalb der Lehrwerke haben die Spanischlehrkräfte entschieden, mit Línea amarilla I und II ca. 2,5 Schuljahre zu arbeiten und anschließend auf Línea verde II und III umzusteigen, da diese dann inhaltlich für die Jugendlichen ansprechender sind. Diese Entscheidung führt dazu, dass die Tempora der Vergangenheit erst Ende des zweiten Lernjahres bzw. im dritten Lernjahr behandelt werden. Die folgende Abb. 1 zeigt die Aufgabenstellung zum freien Schreiben in einer Klassenarbeit, deren Schwerpunkt u. a. die Verbformen der Vergangenheit sind. Die Lernenden sollen im perfecto simple die Ereignisse der vergangenen Woche beschreiben. Sie können hierfür ein Bild mit zwei Jugendlichen auswählen. Ihnen stehen zusätzlich unkonjugierte Verbphrasen zur Verfügung (siehe vocabulario que te puede ayudar ). 228 Kathleen Plötner Abb. 1: Freier Schreibteil einer Klassenarbeit in der neunten Klasse Die Lernenden hatten mehrere Wochen zum perfecto simple gearbeitet und sowohl die Konjugation der regelmäßigen als auch der unregelmäßigen Verben trainiert. Zudem wurden Biographien von berühmten Persönlichkeiten und die Nacherzählung von Geschichten im Perfekt geübt. Was immer wieder beobachtet werden kann und was auch in der vorliegenden Abb. 1 auffällt, ist, dass die Lernenden sich die Suffixendungen der zu beherrschenden Tempora auf die Arbeit oder einen zusätzlichen Zettel notieren. Das zeugt davon, dass sie diese auswendig gelernt haben und möglicherweise Angst haben, die Suffixe zu vergessen oder zu vertauschen. Durch die Niederschrift können die Lernenden visuell immer wieder auf sie zurückgreifen. Die kommenden Ausschnitte aus den Lernertexten wurden so gewählt, dass sowohl leistungsstarke als auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler Berücksichtigung finden. Es gilt einerseits Gemeinsamkeiten, andererseits Unterschiede zwischen diesen aufzuzeigen. Der Fokus liegt auf der Analyse der Bildung und des Gebrauchs der Verben. Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 229 Der Textausschnitt (17) stammt von einer eher leistungsstarken Schülerin im Fach Spanisch. Ihr gelingt bis auf die Bildung des Verbs invitaron im vorliegenden Textausschnitt nicht die zielsprachig korrekte Bildung des perfecto simple . (17) Ana y Jenny quierieron ir al cine con alguno de la clase. Las chicas invitaron aun chico de la clase el cine. Pero Jenny no venió . […] Jenny no estó enfrente de la cine. Ana estó muy enfadada. […] Jenny deció que no encontrar la invitación. Ahora Jenny estó muy enfadad también. (Spa9_ DG _Am) Es wird ersichtlich, dass die Schülerin die Endungen des perfecto simple für Verben auf -ar und Verben auf -er bzw. -ir beherrscht und diese konsequent auf alle Verben anwendet. Allerdings sind decir, estar und venir unregelmäßige Verben und die Bildung nach den Regeln der regelmäßigen Verben auf -ar nicht zielsprachig korrekt. Ähnliche Verfahren kann man auch im folgenden Textauszug (18) von einem eher leistungsschwachen Schüler feststellen. Das Verb estar wird vom Lerner Spa9_ DG _MaGr analog nach den Regeln der regelmäßigen Verben auf -ar gebildet. Bei der Konjugation des Verbes pensar im perfecto simple orientiert sich der Lerner an dessen Stammwechsel im Präsens. (18) Todo el tiempo Lisa piensó mucho en su amigo Miguel. Después viero Miguel con otra chica. Una hora más tarde estó solo en casa en su habitación. Lisa estó muy triste. (Spa9_ DG _MaGr) Die folgende Schülerin Spa9_ DG _LaE setzt bei Reflexivverben ( encontrarse con, enamorarse ) kein Reflexivpronomen ein. Zudem werden mirar , encontrar(se) und discutir in den Pluralformen der 3. Person ohne ‘r’ konjugiert. Das Verb discutir wird wie ein Verb auf -ar behandelt. Auch das unregelmäßige Verb tener wird wie ein regelmäßiges Verb der Konjugationsklasse auf -ar konjugiert. Beim unregelmäßigen Verb decir orientiert sich die Lernerin an dessen Stammwechsel in der dritten Person Singular und hängt dann das Konjugationssuffix der regelmäßigen Verben auf -er an den Stamm. Das Kopulaverb estar wird von der Schülerin im Präsens gebraucht oder gar nicht konjugiert (* estar lloro ). (19) Lisa encontró con Miguel en el cine y miraon una pelicula. Ellos enamoraon . pero hace 3 dias Lisa miro Miguel con alguna chica. Lisa esta triste. Lisa llamo ella meyor amigo Luci. Luci esta enfandado porque Miguel. Ayer Lisa hablo con Miguel. Lisa y Miguel discutaon de la chica. Miguel diecío Lisa es la chica no interesante para el. 230 Kathleen Plötner Lisa estar llorro . Una hora después Lisa esta en casa y llamo porque con Miguel es duro. Una semana después Lisa teno un nuevo amigo. (Spa9_ DG _LaE) Im Vergleich zu den anderen schreibt die folgende Schülerin, die im mündlichen Bereich zu den leistungsstärksten der Klasse gehört, in der 1. Person Singular und Plural. Ihr gelingt die korrekte Bildung des perfecto simple fast durchweg. Was in ihrem Text auffällig ist (und auch bei anderen Lernenden festgestellt werden kann), ist der fehlende präpositionale Anschluss bei der Angabe von Personen nach dem Verb (* saludé Ana y Jenny ). Zudem kennt sie die syntaktische Position der Objektpronomen nicht (* visitaron mi ). Sie wechselt durchaus sinnvoll zwischen dem Perfekt und dem Präsens. Ihre Sätze sind parataktisch konstruiert. (20) Ana y Jenny mis Amigas visitaron mi . Ana y Jenny no son amigas. Primero saludé Ana y Jenny. Comímos un bocadillo y bebimos una coca cola. […] Ana no gusta la música. (Spa9_ DG _Ce) Beim letzten hier zu besprechenden Text (21) handelt es sich um einen schriftlich sehr schwachen Schüler. Ihm gelingt bis auf Miguel habla nicht die korrekte Verknüpfung zwischen Subjekt und Prädikat. Alle Verben sind in einer nicht dem Subjekt entsprechenden Person konjugiert oder im Infinitiv. Der Schüler gebraucht zwei Perfektformen ( fue, hablaste ), die restlichen gebeugten Verben sind im Präsens konjugiert. (21) El lunes pasado Lisa y Miguel voy al cine. Después Miguel invitar Lisa al restaurante. En el restaurante Miguel habla con un otra chica. Una hora más tarde Lisa y Miguel fue en el parque. Miguel hablaste con Lisa que el lo enamorarse en el otra chica. (Spa9_ DG _KaDe) Interessant bei fast allen Texten ist der Fakt, dass die Lernenden die temporalen Adverbien korrekt gebrauchen. Sowohl die syntaktische Position als auch deren lexikalische Kombination sowie orthographische Realisierung sind zielsprachig korrekt. Zwei der komplexen Adverbien waren in der Aufgabenstellung angegeben. Diese werden von fast allen Lernenden gebraucht. Zudem versuchen alle Lernenden, die vorgegebenen lexikalischen Verbverbindungen einzusetzen. Die Konjugationen sind aber nur für die regelmäßigen Verben auf -ar memoriert und werden in vielen Texten auf unregelmäßige Verben übertragen. Akzente werden von fast keinem / r Lernenden realisiert. Immer wieder kann der Einfluss der Muttersprache Deutsch beobachtet werden (=Interferenz), so z. B. bei (20) * mis Amigas visitaron mi (‘meine Freundinnen besuchten mich’) oder (20) * Ana no gusta la música (‘Anna gefällt die Musik nicht’) oder (21) * enamorarse en el otra chica (‘sich in das andere Mädchen verlieben’). Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 231 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass alle untersuchten Schülerinnen und Schüler mit der Bildung des Perfekts im Spanischen erhebliche Probleme haben und insbesondere die unregelmäßigen Formen nicht zielsprachig korrekt konstruiert werden. Das Verb estar wird bspw. in der 3. Person Singular im Perfekt oft als * estó realisiert. Präpositionale Anschlüsse und Objektpronomen werden nur selten bis gar nicht der Zielsprache entsprechend gebildet. Oftmals werden Verben im Präsens oder im Infinitiv eingesetzt. Im Sinne der Konstruktionsgrammatik muss jede Verbform als eigenständige Konstruktion begriffen werden, die bspw. an eine bestimmte andere Konstruktion oder diverse Handlungen und Kontexte geknüpft sein kann. Die Texte zeigen, dass die Lernenden die Verbformen noch nicht als eigene Form-Bedeutungspaare gespeichert haben und es ihnen somit nur selten bis gar nicht gelingt, diese in den Kontext zielsprachig korrekt einzubauen. Das Vorgeben oder der Versuch des Trainings der Formen in diversen Übungen scheint keinen ausreichenden Erfolg für die Sprachproduktion zu erzielen. Es kann beobachtet werden, dass Lernende Formen in tabellarischer Form richtig bilden, dann aber in Texten nicht anwenden können. Der Unterschied zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Lernenden besteht in der Verwendung des Vokabulars zur Aufgabenbewältigung. Während schwächere Lernende sich stark an den verbalen Strukturen, die in der Aufgabe vorgegeben werden, orientieren, gebrauchen stärkere Lernende auch anderes Vokabular, da sie aus dem Fundus ihres bereits angeeigneten Grundwortschatzes schöpfen können. Eine verbale Konstruktion, die besonders häufig in den Texten auftritt, ist estar triste . Hierbei ist positiv hervorzuheben, dass die Lernenden das Adjektiv korrekt mit estar und nicht etwa mit ser verwenden. Diese Konstruktion scheint bei den Lernenden der vorliegenden Texte memoriert zu sein. Interessant scheint uns der weitere Vergleich zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Lernenden zu sein. Im Text (21) fügt der Schüler memorierte Verbkonstrukte in seine Sätze ein. Die Bedeutung der Verben korreliert mit dem Kontext (d. h., die Verben passen in die sprachliche Umgebung), aber es fehlt die Verb-Subjekt-Kongruenz. Bei den leistungsstärkeren Lernenden kann dieses Phänomen nicht beobachtet werden. Bei ihnen kommt es hingegen verstärkt zur Analogiebildung und zu Generalisierungen bei der Bildung des Perfekts. Beide Parteien schaffen es schlussendlich nur selten, zielsprachig korrekte Sätze zu formulieren, da die Verben und Verbverbindungen nicht gespeichert sind. Zudem versuchen sie, komplexe Sätze zu konstruieren (z. B. Kompletivsätze in (21) Miguel hablaste con Lisa que el lo enamorarse en el otra chica oder in (17) Jenny deció que no encontrar la invitación ), die ihr grammatisches Wissen übersteigen. Hierbei ist äußerst interessant, dass das Verb im subordinierten Satz im Infinitiv gelassen wird, da die Lernenden anscheinend 232 Kathleen Plötner nicht wissen, was sie mit diesem anstellen sollen. Die Bildung des Plusquamperfekts wurde noch nicht erworben. 5 Fazit und Ausblick Wie jede Studie bietet die vorliegende einen Einblick in die Realität, kann aber nicht für alle Schülerinnen und Schüler an Berliner Gymnasien gelten bzw. deren schulische und sprachliche Realität abbilden. Nichtdestotrotz zeigt sie Einstellungen und Wünsche ausgewählter Lernender gegenüber der zweiten Fremdsprache und ermöglicht so die Darstellung von verschiedenen Gründen, die zur Sprachfrustration und zum Abwählen des Faches führen. Sie wirft die Frage auf, ob die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts hinsichtlich der Grammatikprogression anders verlaufen müsste bzw. welche Aspekte noch verbessert werden könnten. Grammatik - und hierzu gehört in erster Instanz die Verbkonjugation - ist ein essentieller Teil des Spracherwerbsprozesses, muss aber m. E. noch optimiert und für die Lernenden in anderer Art und Weise repräsentiert werden. Es hilft nicht, die Grammatik in eine Lernaufgabe einzubetten, wenn sie dann schlussendlich trotzdem mithilfe altbekannter Methoden „gepaukt“ werden muss. Die sprachliche Progression in Lehrwerken wird meist an thematischen Inhalten und grammatischen Strukturen gemessen. Es kann erstens festgestellt werden, dass Texte in Lehrwerken in Bezug auf sprachliche Strukturen eine hohe Progression enthalten. Die hohe Anzahl an sprachlichen Formeln und Phrasen kann von den Lernenden weder geübt noch memoriert werden. Zweitens werden lexikalisch-grammatische Strukturen kaum als Einheiten vermittelt, sondern oftmals als Einzellexeme (z.T. mit Beispielsätzen) dargestellt. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Lernende zwar Texte verstehen, aber selten zielsprachig korrekte Texte und Äußerungen produzieren können. Beispiele dafür wurden unter Abschnitt 4 des vorliegenden Artikels analysiert. Fragen Sie doch einmal Schülerinnen und Schüler, die bis zum Ende der 10. Klasse Spanisch oder Französisch gelernt haben, in der 11. Klasse, was sie noch beherrschen. Es ist oftmals erschreckend, was sie aktiv wiedergeben können. Auffällig ist allerdings, dass gerade auswendig gelernte Formeln (und nicht unbedingt Konstruktionen mit höherem Abstraktionsgrad) behalten werden. So werden noch die oft geführten Begrüßungsgespräche (Name, Alter, Hobbys, Familie etc.) sowie memorierte Floskeln mit bestimmten Kontexten (z. B. tengo una pregunta / j’ai une question, claro que sí / bien sûr, no entiendo nada / je ne comprends rien ) beherrscht. Aber welche(r) Lernende kann noch den subjonctif / subjuntivo des Verbes être / ser bilden und aktiv in Gespräche einbauen? Wäre es hier nicht sinnvoller, ganze Phrasen wie no creo que sea verdad den Lernen- Zwischen Vokabeln, Verbgrammatik und Frustration im Fremdsprachenunterricht 233 den näher zu bringen? Festzuhalten ist, dass Konstruktionen immer wieder in unterschiedlichen Kontexten angewendet und systematisch erweitert (und schließlich abstrahiert) werden müssen. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit mit Verbinseln und dem systematischen Zufügen von geläufigen Argumentationsstrukturen. Es ist bedauerlich, wenn Schülerinnen und Schüler nach vier oder fünf Lernjahren Französisch oder Spanisch kaum noch etwas produzieren können und sich inkompetent und sprachunbegabt fühlen. Grammatische Strukturen sollen nicht gänzlich aus dem Unterricht verbannt werden, aber m. E. wäre es sinnvoller in den kommenden Jahren verstärkt auf die Vermittlung (und folglich Materialentwicklung) von Konstruktionen und Satzbausteinen (siehe hierzu Segermanns seit den 90-er Jahren für die französische Sprache entwickelte ELG- Bausteine) zu setzen, um so die Zielsprachen besser aufbereiten und lehren zu können und den Lernenden in dem komplexen grammatisch-lexikalischen „Wirrwarr“ der beiden hier dargestellten romanischen Sprachen einen Weg zu ebnen, der sie in Richtung Sprachkompetenz und Zielsprache führt. Bittner, Christoph. 2003. „Der Teilnehmerschwund im Französischunterricht. Eine unabwendbare Entwicklung? Eine empirische Studie am Beispiel der gymnasialen Oberstufe“, in: Französisch heute , 34, 338-353. Börner, Wolfgang / Vogel, Klaus. 1997. „Mentales Lexikon und Lernersprache“, in: Börner / Vogel 1997, 1-37. Börner, Wolfgang / Klaus Vogel (ed.). 1997. 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Nella seconda parte si illustreranno i risultati di un’indagine che, condotta su un campione di dieci libri in uso nelle scuole e università austriache per l’insegnamento dell’italiano, ha perseguito lo scopo di analizzare le procedure impiegate per spiegare ad apprendenti germanofoni uno degli argomenti grammaticali più difficili da acquisire, ovvero l’uso in italiano del passato prossimo e dell’imperfetto. Con un taglio empirico, mediante la presentazione di materiali didattici utilizzati in ambito universitario in corsi di lingua italiana, nell’ultima parte si mostrerà come si riveli proficua l’integrazione di spiegazioni e chiarificazioni aggiuntive che, basate sul recupero della tradizione, si propongono di rivitalizzare metodologie usate nei decenni scorsi e attualmente accantonate in obbedienza a esigenze di tipo comunicativo. 1. Introduzione: perché e come insegnare / imparare la grammatica? Economizzare, cioè fare economia, significa ridurre le spese, gestire con parsimonia le risorse a disposizione ed evitare sprechi e dissipazioni. Se applichiamo questo termine all’ambito glottodidattico, in particolare all’insegnamento delle lingue straniere, risulta che nella pratica attuale a dover essere ridotto è il tempo dedicato a determinate attività linguistiche, al fine di risparmiare energie e 238 Domenica Elisa Cicala orientarle al raggiungimento di specifici obiettivi preposti da programmi ministeriali o indicazioni curriculari. Volendo tracciare alcune coordinate del quadro di riferimento della didattica delle lingue straniere dei giorni nostri, emerge, infatti, che nell’ambito di un approccio comunicativo orientato all’azione una posizione rilevante è occupata dall’acquisizione e dal potenziamento di competenze pragmatiche funzionali allo svolgimento di determinati compiti. A differenza di quanto accadeva con la messa in pratica di un metodo grammaticale-traduttivo, basato sul principio che l’acquisizione linguistica possa essere dedotta dalla competenza grammaticale, oggi mediante un approccio induttivo nei libri di testo in commercio si tende a indurre la scoperta della regola a partire da un testo input e si rinviano ulteriori spiegazioni grammaticali a successivi momenti di approfondimento, relegando la presentazione delle regole alla fine dell’unità o nell’appendice grammaticale. Ripercorrendo le tappe salienti del percorso di evoluzione della glottodidattica degli ultimi decenni (cf., tra gli altri, Diadori / Vignozzi 2011; Ciliberti 2012, 102-114; Balboni 3 2013, 5-54), per quanto riguarda l’insegnamento della grammatica di una lingua straniera si può, dunque, rintracciare una sorta di cambiamento di prospettiva che invita a interrogarsi, tra l’altro, sullo spazio affidato alla grammatica, sui motivi per cui il suo studio risulta in parte trascurato e, infine, sulle metodologie didattiche impiegate per spiegare le regole grammaticali. In primo luogo, considerando il ruolo talora marginale attribuito all’insegnamento / apprendimento della grammatica nell’ambito della didattica delle lingue straniere, appare opportuno chiarire che cosa si intenda con l’espressione „grammatica“ e richiamare alla memoria che, secondo un’accezione più ristretta del termine, la grammatica costituisce l’insieme delle regole relative alla morfologia e alla sintassi della lingua (cf. Andorno 2014, 118); invece, in un’accezione più ampia, il termine grammatica può indicare „la descrizione di un sistema“ (ibid.) e includere l’insieme di regole d’uso relative non solo alla morfosintassi. 1 Tra i vari contributi sull’argomento, si ricorda, ad esempio, che per Balboni (2008, 65-67) è fondamentale l’impiego del termine plurale „grammatiche“ per indicare quei complessi di meccanismi detti regole (intese come regolarità e non come norme) che governano la lingua e, in base all’ambito di pertinenza, bisogna differenziare tra grammatica fonologica, grafemica, morfosintattica, testuale, sociolinguistica, pragmalinguistica ed extralinguistica. Anche per Roche ( 3 2013, 172-180) è necessario distinguere tra diverse tipologie di grammatica (ovvero tra grammatica scolastica, contrastiva, strutturalista, generativa, valenziale, funzionale e pragmatica, grammatica del discorso, testuale, cognitiva) e ribadire che 1 Per una breve riflessione sui vari significati da attribuire al termine grammatica cf. Andorno / Ribotta (1999, 16-21); Andorno/ Bosc / Ribotta (2003, 19-33). Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 239 nei manuali in uso nella glottodidattica si può rintracciare la presenza di modelli teorici diversi. 2 Tra questi, in base agli scopi perseguiti con l’insegnamento della grammatica, si possono enucleare, in particolare, due approcci: quello descrittivo, finalizzato all’analisi del funzionamento della lingua e allo sviluppo della competenza metalinguistica e della capacità di riflessione, e quello normativo, volto a far imparare il corretto uso della lingua, mediante l’adeguamento a una varietà di lingua considerata come norma da seguire. Per quanto riguarda la competenza grammaticale, se si volesse usare una metafora, si potrebbe paragonarla a una locomotiva che si muove su due binari costituiti dalla comprensione e dalla produzione, nel senso che l’acquisizione di regole grammaticali deve essere finalizzata non alla riproduzione di formule fisse, bensì all’uso attivo e funzionale della lingua, ovvero allo sviluppo della capacità di comunicare, comprendendo e realizzando funzioni e atti linguistici mediante l’articolazione di frasi di senso compiuto, strutturate in base alle regole e tenendo conto della dimensione pragmatica dell’interazione. Come si legge nel Quadro comune europeo di riferimento ( QCER ), infatti: „La competenza grammaticale può essere definita come la conoscenza e la capacità di usare le risorse grammaticali della lingua“ (Consiglio d’Europa 2002, 138). Motivo per cui, nell’insegnamento di una lingua straniera per facilitare lo sviluppo delle competenze linguistiche tramite lo sviluppo della competenza grammaticale, bisogna considerare non solo la complessità intrinseca delle singole regole, gli elementi contrastivi da selezionare in base alla madrelingua dell’apprendente e la graduazione nella presentazione di strutture grammaticali, ma anche „la potenzialità comunicativa delle categorie grammaticali“ (ibid., 185). Come sostiene Andorno (2006), la grammatica che serve all’apprendente deve essere funzionale, cioè deve collegare le strutture alle funzioni, prestando attenzione alla funzionalità del sistema linguistico e alla capacità di descrivere gli aspetti funzionali della morfosintassi. Tale valore funzionale della morfologia spesso non viene preso in considerazione nelle grammatiche descrittive utilizzate in ambito didattico, le quali presentano spesso solo parziali descrizioni funzionali dell’uso delle forme, basate su alcune varietà linguistiche. Per quanto concerne le metodologie didattiche a cui si può ricorrere per sviluppare la competenza grammaticale, in questa sede si accenna a scopo esemplificativo soltanto al contenuto di tre fonti. Il QCER fornisce un breve elenco di esercizi relativi alla forma: in esso si indicano esercizi di completamento, di costruzione di frasi su un modello dato, esercizi a scelta multipla, di sostitu- 2 Sull’uso dell’espressione „grammatiche pedagogiche“, definite al plurale e intese come punto di riferimento per gruppi diversi di discenti, cf. ibid., 23; sull’argomento e sulle caratteristiche di non esaustività ed ecletticità delle grammatiche didattiche o pedagogiche cf. anche Diadori / Palermo / Trocarelli 2015, 165-170. 240 Domenica Elisa Cicala zione all’interno di una categoria, di unioni di frasi, di traduzione di frasi dalla L1 alla L2, domande e risposte, esercizi di grammatica finalizzati a sviluppare la scioltezza (cf. Consiglio d’Europa 2002, 186-187). Dopo aver chiarito la sostanziale dicotomia tra l’insegnamento formalistico della grammatica e la riflessione sulla lingua che pone il discente al centro del processo, Balboni ( 3 2013, 196-205) illustra alcune metodologie applicabili per favorire l’acquisizione delle regole grammaticali: tra queste, tecniche di inclusione, esclusione, seriazione, manipolazione (con esercizi del tipo „Volgi al…“), esplicitazione, attività ludiche, esercizi strutturali ovvero i pattern drills . 3 Affronta l’argomento anche Diadori (2011b) che, nell’ambito di un discorso relativo all’analisi delle tecniche per l’insegnamento della L2, si sofferma su quelle relative all’acquisizione della grammatica e, riflettendo brevemente sulla tendenza a scomporre lessico e grammatica al fine di „facilitare e accelerare (per quanto possibile) l’apprendimento“ (ibid., 81), si richiama alla classificazione di Raabe ( 4 2003, 283-287), relativa alle operazioni più frequenti che i discenti sono chiamati a svolgere facendo gli esercizi di grammatica (come ad esempio, scegliere, rispondere, rappresentare, ecc.) e individua tre dimensioni fondamentali associate alle tecniche didattiche, ovvero la dimensione euristica finalizzata a scoprire in modo individuale e autonomo le regole, quella mnestica volta al loro fissaggio e quella cognitiva, avente come scopo la riflessione guidata sul funzionamento della lingua (cf. Diadori 2011b, 82). Se, da quanto detto, risulta evidente che nell’ambito dell’insegnamento di una lingua straniera la spiegazione e lo studio della grammatica perseguono l’obiettivo di potenziare le competenze linguistico-comunicative dell’apprendente, ci si chiede se e in che misura l’acquisizione di competenze dichiarative legate alla conoscenza delle regole di funzionamento della lingua contribuisce al miglioramento della capacità di usare la lingua. In altre parole, l’acquisizione delle regole e la capacità metalinguistica di descriverle apporta un contributo alla qualità dell’esposizione e della produzione linguistica? Questa domanda è il punto di partenza del discorso che segue. 2. Indagine qualitativa su una selezione di libri di testo Per poter valutare il ruolo che nei libri di testo viene attribuito alle spiegazioni grammaticali e alla riflessione sulla lingua, è stata condotta un’indagine qualitativa su un campione di dieci volumi selezionati tra quelli indicati nell’elenco mi- 3 Per un approfondimento sui pattern drills intesi come tipologia di attività usata per interiorizzare la regola cf. Andorno / Bosc / Ribotta 2003, 84-89 (già in Andorno / Ribotta 1999, 54-58). Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 241 nisteriale austriaco relativo ai manuali approvati per l’anno scolastico 2015 / 16 per l’insegnamento dell’italiano nei licei. 4 Su un totale di 68 titoli - ripartiti in 38 libri di testo ( Lehr- und Arbeitsbücher ), 15 eserciziari ( Arbeitsbücher ), 4 grammatiche, 6 volumi di letture e 5 materiali aggiuntivi ( Sprachtrainer ) - sono stati selezionati i libri relativi ai livelli di competenza A2-B1, dal momento che la trattazione dell’uso del passato prossimo e dell’imperfetto rientra nelle competenze linguistiche di tale fascia principiante-intermedia (cf. Spinelli / Parizzi 2010, 40-41), e tra questi sono stati analizzati i seguenti dieci volumi, pubblicati nel decennio compreso tra il 2003 e il 2013: • Linea diretta neu 1b (Conforti / Cusimano 2003), • Espresso 2 (Rizzo / Bali 2009), • Allegro A2 (Merklinghaus / Toffolo / Tommasini 2010), • Allegro B1 (Merklinghaus / Toffolo 2005), • Con piacere A2 (Zorzan et al. 2011), • Con piacere B1 (Finzi et al. 2013), • Chiaro! A2 (Savorgnani / Alberti 2011), • Chiaro! B1 (Savorgnani / Alberti 2012), • Insieme A2+ (Colombo et al. 2012), • Insieme B1 (Colombo et al. 2013). I quesiti a cui la presente ricerca si è proposta di rispondere sono i seguenti: in che modo l’uso del passato prossimo e dell’imperfetto viene introdotto, presentato, spiegato e posto in progressione? Vengono proposte solo formule semplificate a scopo didattico? Per spiegare l’uso dei due tempi verbali si fa riferimento alla distinzione tra aspetto e azione verbale? Si presenta il concetto di „aspetto dell’azione”, come veniva fatto nel volume di Katerinov ( 3 1976, 64-66)? In particolare, le spiegazioni grammaticali presenti nei volumi sono state analizzate alla luce dei seguenti sei criteri: 1. Dove? La parte dedicata alla grammatica è presente all’interno delle unità didattiche? In più momenti dell’unità didattica? Alla fine? Oppure nella parte del volume dedicata alla grammatica? 2. Che cosa? Qual è il contesto comunicativo? Quali sono i temi trattati nella lezione e richiedenti la capacità di usare entrambi i tempi verbali? 4 L’elenco si riferisce alle Allgemeinbildende Höhere Schulen Oberstufe. Cf. Bundesministerium für Familien und Jugend, Bundesministerium für Bildung und Frauen: „Schulbuchaktion 2015 / 16“ (https: / / www.bmbf.gv.at/ schulen/ unterricht/ schulbuch/ 1516sbl_1000. pdf ? 4ol4xk, 22. 02. 2017). 242 Domenica Elisa Cicala 3. Perché? L’acquisizione della regola è necessaria per raggiungere determinati obiettivi comunicativi? Le regole spiegate sono rilevanti? 4. Lingua? Qual è il grado di chiarezza espositiva con cui vengono spiegate le regole? Sono presenti spiegazioni in L1 o LS , definizioni, esempi, traduzioni in L1 e riferimenti contrastivi? 5. Quantità? Come si realizza la progressione e la gradualità dell’esposizione in base al livello di competenza linguistica e alla capacità di comprensione dei discenti? È prevista la ripetizione del tema in più lezioni con l’integrazione di approfondimenti? 6. Come? Qual è l’approccio usato? Quali sono le tecniche ovvero le tipologie di esercizi presenti? Qual è il grado di visualizzazione grafica? Si ha la presenza di schemi, tabelle o riquadri con l’uso di colori diversi? In generale, è possibile affermare che, per lasciare spazio allo svolgimento di attività finalizzate allo sviluppo di competenze comunicative, nei volumi oggetto d’indagine il ruolo attribuito alla grammatica appare secondario. Se in Linea diretta neu 1b la spiegazione grammaticale relativa all’uso del passato prossimo e dell’imperfetto è inserita alla fine della parte degli esercizi relativi alla lezione 4 (Conforti / Cusimano 2003, 150), in tutti gli altri volumi analizzati il momento di riflessione sulla lingua viene introdotto nella lezione, spiegato alla fine della lezione e approfondito nella parte grammaticale (che nei volumi Insieme A2+ e Insieme B1 si trova online). Per ovvi motivi di spazio le spiegazioni grammaticali sono concentrate in pagine riassuntive e in parti schematiche che si presentano come tentativo di sistematizzazione. Riguardo ai contenuti comunicativi della lezione in cui viene presentato l’argomento, si riscontra una sostanziale omogeneità: la capacità di usare le due forme verbali è finalizzata al racconto di una vacanza, una disavventura di viaggio, un incontro, una giornata particolare, un fatto passato oppure alla descrizione di una situazione, di un personaggio televisivo o dei fumetti amato nell’infanzia. La spiegazione della regola risulta, dunque, rilevante per lo svolgimento delle attività proposte e risponde a necessità comunicative che, definibili come „la molla che fa scattare la curiosità“ (Mezzadri 2003, 6), motivano e giustificano l’acquisizione grammaticale. Per quanto riguarda l’aspetto linguistico è possibile affermare che le spiegazioni sono formulate in modo chiaro ed essenziale, effettuate con una termi- Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 243 nologia semplificata e senza riferimenti contrastivi. Per le spiegazioni presenti sia alla fine delle lezioni sia nelle parti dei volumi dedicate alla grammatica è sempre usata la L1 per la formulazione della regola e la LS per gli esempi (che nella metà dei casi analizzati, precisamente in Linea diretta 1 neu b , Allegro A2 , Allegro B1 , Chiaro! A2 , Chiaro! B1 , nella parte della grammatica sistematica sono anche tradotti in L1). Invece, all’interno delle lezioni i momenti di riflessione sulla lingua sono formulati in LS in sei casi su dieci (cioè in Allegro A2 e Allegro B1 , nei volumi Con piacere A2 e Con piacere B1 , in Chiaro! A1 e Chiaro! A2 ). Per spiegare l’alternanza tra il passato prossimo e l’imperfetto vengono riportate frasi create ad hoc , in cui va usata l’una o l’altra forma. A proposito del grado di progressione nell’esposizione della regola alla luce del livello di competenza linguistica (A2-B1) dei discenti, il tema viene presentato in più lezioni dello stesso volume solo in Espresso 2 (lezione 2, 5 e 10) e Insieme A2+ (lezione 7 e 8), ma in entrambi i casi l’uso del passato prossimo e dell’imperfetto è introdotto subito dopo la spiegazione dell’imperfetto (presente in Espresso 2 nella lezione 2 e in Insieme A2+ nella lezione 7). Invece, negli altri libri la gradualità si realizza nell’arco di due volumi: presentato al livello A2, il tema viene ripreso sotto forma di breve ripetizione e approfondimento nel volume del livello successivo ( Allegro A2 e B1 , Con piacere A2 e B1 , Chiaro! A2 e B1 , Insieme A2+ e B1 ); solo in Linea diretta neu 1b l’argomento è introdotto e presentato solo tramite un esercizio. In tutti i dieci volumi analizzati l’approccio utilizzato è di tipo induttivo: a partire dalla comprensione globale di un testo da leggere o ascoltare si individuano, si selezionano e si analizzano le forme verbali al passato prossimo e all’imperfetto, in un primo momento per indurre una riflessione metacognitiva e acquisire una competenza dichiarativa, rispondendo alla domanda relativa a quando e perché si usano i due tempi; in un secondo momento per giungere alla produzione linguistica necessaria per comunicare in nuovi contesti situazionali e sviluppare una competenza pragmatica funzionale legata ad attività di problem solving . In merito alle tipologie di attività proposte per la scoperta, la memorizzazione e l’acquisizione della regola, per realizzare in modo non esaustivo una sorta di classificazione delle tecniche usate, in questa sede viene adattata la distinzione effettuata da Diadori (2011b, 82) a proposito delle tre dimensioni euristica, cognitiva e mnestica, associabili alle tecniche didattiche da realizzare a lezione, con la consapevolezza, però, che alcune tipologie di esercizi possono permettere il raggiungimento di più finalità. 244 Domenica Elisa Cicala Per la scoperta della regola vengono proposti esercizi di: • sottolineatura (spesso con colori diversi) delle due forme verbali; • completamento di tabelle, elenchi, schemi vuoti; • completamento di un testo ( cloze ) a partire da ascolti o letture. Per la riflessione sulla lingua sono presenti esercizi di: • correzione di frasi sbagliate; • abbinamento di forme verbali al tipo di azione (conclusa, puntuale, abituale) espressa; • completamento di uno schema per riflettere su quale forma verbale viene usata, ad esempio per esprimere se l’azione è conclusa o se si tratta di una descrizione. 5 Per il fissaggio sono presenti esercizi di: • sostituzione volti a completare frasi, dialoghi o testi, coniugando al tempo giusto i verbi dati all’infinito 6 ; • trasformazione di un testo (per esempio una pagina di diario) dal presente al passato, usando i due tempi verbali; • scelta multipla grammaticale; • sottolineatura della forma verbale giusta, scegliendo tra i due tempi o tra l’uso di mentre e durante; • costruzione di frasi a partire da sintagmi e verbi all’infinito; • scrittura, lettura, comprensione e conversazione, riguardo al racconto di un’esperienza passata o alla descrizione di un’immagine relativa a una situazione, in risposta alle domande: che cosa è successo? Com’era? • lessico (come, ad esempio, crucipuzzle con le espressioni temporali che richiedono i due tempi) e attività ludiche. Senza la minima pretesa di esaurire il panorama editoriale e senza l’intenzione di stilare classifiche di gradimento, volendo esternare alcune osservazioni di carattere generale, appare degno di nota, innanzitutto, il fatto che in nessun libro vengano proposti esercizi di traduzione, né attività volte a riflettere a livello contrastivo sull’uso dei due tempi in tedesco. Inoltre, è interessante sottolineare che solo in Chiaro! A2 e Chiaro! B1 è presente all’interno della lezione una parte denominata „Scoprire la grammatica“ e che nel primo volume, alla fine della quarta lezione nella pagina dedicata al Portfolio (cf. Savorgnani / Alberti 2011, 46), dopo la riflessione sulle conoscenze e competenze acquisite, c’è una rubrica 5 Cf. Rizzo / Bali 2009, 59 esercizio n. 6: Riflettiamo. 6 Sulla differenza tra esercizi di sostituzione ed esercizi di completamento, per cui nei primi vengono date le forme non coniugate da inserire, nei secondi no, cf. Diadori / Palermo / Troncarelli 2015, 209. Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 245 dedicata alla riflessione metacognitiva su quanto appreso ( Nachdenken über das Lernen ): in essa le attività proposte perseguono l’obiettivo di sintetizzare e sistematizzare le conoscenze acquisite, inducendo una riflessione sulle strategie di apprendimento alla luce dei vari tipi di intelligenza. 7 Invece, riguardo alle tipologie di attività utilizzate sembra più motivante la scelta operata in Insieme A2+ e B1 , soprattutto per la componente ludica e la presenza di tecniche che vengono usate anche per la realizzazione delle prove dell’esame di maturità centralizzato austriaco. Infine, in merito al grado di visualizzazione, a parte l’uso del grassetto per evidenziare le forme verbali, solo in Con piacere A2 e B1 sono presenti al margine della pagina dei riquadri, mentre in Insieme A2+ e B1 le spiegazioni grammaticali sono riportate su uno sfondo verde nella parte marginale del foglio. Dall’analisi dei dieci manuali selezionati risulta evidente la tendenza all’omologazione nella formulazione delle spiegazioni grammaticali e la mancanza di alcuni concetti, quali quelli di aspetto e azione verbale, considerati fondamentali per chiarire la differenza dell’uso dei due tempi in italiano. A tal proposito, appare interessante osservare che neanche nel volume Nuovo Contatto B1 , adottato in ambito universitario, nella spiegazione grammaticale relativa alla differenza dell’uso del passato prossimo e dell’imperfetto si fa riferimento all’aspetto e all’azione verbale, ma nella parte generale dedicata alla sintesi grammaticale si menziona come caratteristica del verbo „l’aspetto (imperfettivo, che indica la durata o il carattere abituale di un’azione, o perfettivo, che accentua il valore di risultato di un processo: Mentre andavo a scuola, ho incontrato Michela)“ (Ghezzi / Piantoni / Bozzone Costa 2015, 79). Pertanto, dal momento che nei libri di testo la trattazione dell’argomento può risultare spesso breve, compatta, concentrata e condensata in poche parti, si rivela necessario diluire, ampliare e ripetere il discorso, realizzando materiali didattici di approfondimento con l’obiettivo di affiancare all’aspetto comunicativo la dimensione linguistica, recuperando elementi utili per imparare a usare la lingua in modo consapevole, appropriato ed efficace a livello comunicativo. 3. Proposta di attività didattiche sull’uso del passato prossimo e dell’imperfetto Realizzate su richiesta degli studenti, le otto attività presentate e descritte qui di seguito sono state utilizzate durante una lezione di 90 minuti tenuta presso l’università Alpe-Adria di Klagenfurt in due corsi di lingua italiana, ciascuno 7 Sul tema delle intelligenze multiple cf. Gardner (1987; 1994; 2005); McKenzie (2014). 246 Domenica Elisa Cicala frequentato in media da una trentina di partecipanti di livello A2-B1. 8 Dopo lo svolgimento dell’unità 4 del volume Chiaro! A2 utilizzato durante il semestre, l’integrazione di tali attività di ripetizione e approfondimento ha perseguito lo scopo di rispondere ai bisogni dei discenti e contribuire al potenziamento della loro competenza grammaticale, integrando i concetti di aspetto e azione verbale. 9 Accogliendo la proposta di Andorno (2006, 140), secondo cui la competenza grammaticale dell’insegnante non dovrebbe limitarsi alla conoscenza di formule semplificate a scopo didattico, ma andare più in profondità e, riguardo all’uso del passato prossimo e dell’imperfetto in italiano, abbracciare, tra l’altro, anche le categorie concettuali di aspetto e azione, sono state elaborate delle attività didattiche che tenessero conto di tali elementi. Partendo da una fase della globalità, procedendo poi all’analisi e passando infine alla sintesi, è stato privilegiato un approccio induttivo e descrittivo, basato cioè sull’osservazione di esempi e sulla descrizione di regolarità linguistiche, e ci si è proposti l’obiettivo di rafforzare la competenza linguistico-comunicativa non solo mediante l’esercitazione delle competenze di ascolto, lettura, produzione orale e scritta, ma anche mediante l’applicazione delle conoscenze dichiarative finalizzate al miglioramento delle competenze procedurali. Per la formulazione di alcuni esercizi e delle loro soluzioni sono state tenute in considerazione le spiegazioni relative all’uso del passato prossimo e dell’imperfetto presenti sia nel primo capitolo del secondo volume della Grande grammatica italiana di consultazione di Renzi, Salvi e Cardinaletti (1988-1995) (cf. Bertinetto 1991, 13-101), sia nella Grammatica italiana di Dardano e Trifone (1995, 315-318, 353sq.), sia nella Grammatica italiana di base di Trifone e Palermo (2000, 133sq.); a scopo didattico, oltre ad avere in mente le modalità con cui il tema viene trattato nei dieci libri analizzati, per poter confrontare diverse modalità di presentazione della stessa regola, sono state prese in esame la Standardgrammatik Italienisch di Esposito (2000, 120-124), la Italienische Grammatik mit Übungsteil und Lösungen di Walcher (2002, 74-76, 90-95) e la Nuova grammatica pratica della lingua italiana di Nocchi (2011, 74, 116, 118). 8 I corsi a cui si fa riferimento sono „Italienisch IV“, tenuto nel semestre estivo 2014 e frequentato da 32 studenti e „Italienisch IV“, tenuto nel semestre estivo 2015 e frequentato da 28 studenti; entrambi i corsi sono rivolti a studenti di tutte le facoltà. 9 Per approfondire tali categorie, tra gli altri, cf. Bertinetto (1991), in particolare, riguardo all’azione verbale si veda il diagramma di riepilogo (ibid., 32) e riguardo all’aspetto il diagramma introduttivo (ibid., 41). Sul concetto di distinzione aspettuale e sulla distinzione tra aspetto e azione verbale cf. anche Andorno (1999, 121-124). Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 247 3.1 Esprime un’azione… Come può essere l’azione espressa con il verbo al passato prossimo? E all’imperfetto? Associa i seguenti aggettivi al tempo verbale corrispondente e poi confronta con una / un collega. ripetitiva - compiuta - improvvisa - incompiuta - finita momentanea - puntuale - non finita - abituale - durativa Passato prossimo Imperfetto Tale attività è basata sulla tecnica insiemistica dell’inclusione di un insieme (in questo caso di dieci aggettivi) in due sottoinsiemi, rappresentati dai due tempi verbali del passato prossimo e dell’imperfetto. Partendo dalle conoscenze dichiarative possedute dagli apprendenti, tale tipologia di esercizio si propone di stimolare la riflessione grammaticale e l’autonomia nella scoperta e fissazione (o, come nel nostro caso, ripetizione) della regola, contiene un aspetto ludico e non richiede lunghi tempi di esecuzione; inoltre, permette di tematizzare sia la categoria (morfologica, legata alla coniugazione del verbo) di aspetto verbale, ossia „la maniera in cui il parlante considera lo svolgimento dell’azione espressa dal verbo“ (Dardano / Trifone 1995, 315), inducendo a ragionare sull’aspetto perfettivo, imperfettivo, compiuto o progressivo e sui concetti di finito e non finito; sia la categoria (semantica, legata al significato intrinseco del verbo) di azione verbale, „dal tedesco Aktionsart , letteralmente ‚tipo, natura dell’azione‘“ (ibid., 318), in particolare distinguendo tra azione momentanea e durativa. 10 L’obiettivo è quello di incentivare il passaggio dalla grammatica di carta a quella mentale (cf. Diadori / Palermo / Troncarelli 2015, 170). 10 Sulle varie distinzioni azionali in verbi durativi e non durativi (i primi descrivono l’azione come un processo che si svolge in un certo periodo di tempo, i secondi descrivono l’azione come se fosse priva di spessore temporale), telici e non telici (cioè orientati o meno al raggiungimento di uno stadio conclusivo, per cui, per esempio, arrivare è un verbo telico, riflettere è un verbo non telico), fattivi e non fattivi (se instaurano un referente nella frase o se non intaccano l’esistenza del referente), cf. Andorno (1999, 48-50). 248 Domenica Elisa Cicala 3.2 Ascolta un po’… 3.2.1. Ascolta i seguenti versi tratti da canzoni italiane. Usando gli aggettivi dell’esercizio precedente, spiegate a coppie com’è l’azione espressa dai verbi al passato prossimo e all’imperfetto. Musterdatei NFA_Sammelband.dot 259 C E per la barca che è volata in cielo che i bimbi ancora stavano a giocare che gli avrei regalato il mare intero pur di vedermeli arrivare (Vecchioni, Chiamami ancora amore ) D Questo ragazzo della via Gluck, si divertiva a giocare con me, ma un giorno disse, vado in città, e lo diceva mentre piangeva (Celentano, Il ragazzo della via Gluck ) A Ti ho vista uscire dalla scuola insieme ad un altro, con la mano nella mano passeggiava con te. (Morandi, Fatti mandare dalla mamma ) B Sono un ragazzo fortunato perché m’hanno regalato un sogno sono fortunato perché non c’è niente che ho bisogno e quando viene sera e tornerò da te è andata com’è andata la fortuna è di incontrarti ancora (Jovanotti, Ragazzo fortunato ) A ………………………........................................…………………………………………………………. B ……………………………….……………………........................................…………………………… C ………………………………………….........................................……………………………………… D ………………………………………….........................................……………………………………… Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 249 3.2.2 Nei seguenti versi tratti da altri brani musicali italiani le azioni passate sono espresse all’imperfetto: perché? ……………………………………………………………………………………………………………… …………………………………………………..............................................................................… ……………………………………………………………………………………………………………… ……………………………………………..............................................................................……… Sottolinea in ogni sequenza tutti i verbi all’imperfetto e scrivi qui di seguito l’infinito di ciascun verbo. A……………………………………………………………………………………………………………… ………………………………………..............................................................................…………… ……………………………………………………………………………………………………………… ……………………………..............................................................................……………………… B…………………………………...............................................................................……………… ………………………………………………………………………………………………………………… …………………………...............................................................................……………………… ………………………………………………………………………………………………………………… C…………………………………...............................................................................……………… ………………………………………………………………………………………………………………… ……………………………………………………………………………………………………………… …………………………………..............................................................................………………… D …………………………................................................................................................................ ..............................................................................…………………………………………………… ..............................................................................…………………………………………………… ..............................................................................…………………………………………………… 250 Domenica Elisa Cicala Musterdatei NFA_Sammelband.dot 260 AAll’ombra dell’ultimo sole s’era assopito un pescatore e aveva un solco lungo il viso come una specie di sorriso. (De André, Il pescatore ) CC’era un ragazzo che come me amava i Beatles e i Rolling Stones girava il mondo, veniva da gli Stati Uniti d’America (Morandi, C’era un ragazzo ) B C’era una volta una gatta che aveva una macchia nera sul muso e una vecchia soffitta vicino al mare con una finestra a un passo dal cielo blu Se la chitarra suonavo la gatta faceva le fusa ed una stellina scendeva vicina poi mi sorrideva e se ne tornava su (Paoli, La gatta ) DDice che era un bell’uomo e veniva, veniva dal mare... parlava un’altra lingua... però sapeva amare (Dalla, 4 marzo 1943 ) La prima parte di questa attività si propone di stimolare la motivazione e il coinvolgimento multisensoriale, invitando, in primo luogo, all’ascolto di versi di canzoni italiane in cui viene usato il passato prossimo e l’imperfetto e, in secondo luogo, all’analisi linguistica volta a motivare la presenza dei due tempi verbali, servendosi degli aggettivi dati nell’esercizio precedente per spiegare l’aspetto del verbo e il tipo di azione. Oltre a vantaggi motivazionali, l’uso di brani musicali aiuta la memorizzazione di sintagmi e, favorendo la stabilizzazione dell’informazione in memoria, apporta un contributo determinante in termini di significatività dell’apprendimento (cf. Cicala 2009; 2012). Nella seconda parte dell’attività si propongono dei versi di altre quattro canzoni italiane, sequenze testuali in cui le azioni passate sono espresse tutte all’imperfetto, trattandosi di passaggi descrittivi di persone, oggetti, animali o situazioni: in questo caso, l’obiettivo didattico consiste prima nella riflessione metacognitiva sulla lingua da indurre mediante la formulazione della spiegazio- Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 251 ne di tale scelta verbale, poi nell’individuazione delle forme verbali all’imperfetto e nell’indicazione dei rispettivi infiniti. 3.3 Prova tu! A coppie scegliete l’inizio di una delle quattro canzoni e inventate una strofa con la descrizione di una situazione, una persona, un animale, un oggetto. Scrivete minimo 50 parole. Con un esercizio di scrittura creativa, i discenti sono invitati a prendere spunto da uno dei quattro incipit delle canzoni proposte nell’esercizio precedente e a inventare una strofa; confrontando a coppie le proprie idee e costruendo una mini storia, svolgono un lavoro di sintesi, rielaborazione e ampliamento a partire da quanto analizzato e possono dare spazio alla loro fantasia. 3.4 Qual è la frase giusta? Segna con una crocetta la risposta corretta e motiva la tua scelta. Confronto in plenum . 3.4.1 a. Dove siete andati di solito in vacanza quando siete stati bambini? b. Dove siete andati di solito in vacanza quando eravate bambini? c. Dove andavate di solito in vacanza quando eravate bambini? d. Dove andavate di solito in vacanza quando siete stati bambini? Perché? ………………………………………………………........................................…………………………. 3.4.2 a. Mentre guardava la televisione, si addormentava. b. Mentre guardava la televisione, si è addormentato. c. Mentre ha guardato la televisione, si addormentava. d. Mentre ha guardato la televisione, si è addormentato. Perché? ……………………………………………………………….........................…………………. 3.4.3 a. Da ragazzo avevo un sogno nel cassetto che sono riuscito a realizzare. b. Da ragazzo avevo un sogno nel cassetto che riuscivo a realizzare. c. Da ragazzo ho avuto un sogno nel cassetto che sono riuscito a realizzare. d. Da ragazzo ho avuto un sogno nel cassetto che riuscivo a realizzare. Perché? ………………………………………………………….......................................………………….…… 252 Domenica Elisa Cicala 3.4.4 a. Quando sono stata bambina ho conosciuto a memoria molte canzoni. b. Quando sono stata bambina conoscevo a memoria molte canzoni. c. Quando ero bambina ho conosciuto a memoria molte canzoni. d. Quando ero bambina conoscevo a memoria molte canzoni. Perché? ….…………….……………….......................................………………………………………………… 3.4.5 a. Ieri quando sono rientrato a casa nevicava un po’. b. Ieri quando sono rientrato a casa è nevicato un po’. c. Ieri quando rientravo a casa è nevicato un po’. d. Ieri quando rientravo a casa nevicava un po’. Perché? ………………….……………………………........................................………………………………… 3.4.6 a. Normalmente ci piaceva viaggiare in aereo, ma una volta siamo partiti in treno. b. Normalmente ci piaceva viaggiare in aereo, ma una volta partivamo in treno. c. Normalmente ci è piaciuto viaggiare in aereo, ma una volta siamo partiti in treno. d. Normalmente ci è piaciuto viaggiare in aereo, ma una volta partivamo in treno. Perché? …………………………………………….........................................…………………………………… 3.4.7 a. Da giovane mia madre andava molte volte all’estero e nell’arco di quegli anni imparava varie lingue straniere. b. Da giovane mia madre andava molte volte all’estero e nell’arco di quegli anni ha imparato varie lingue straniere. c. Da giovane mia madre è andata molte volte all’estero e nell’arco di quegli anni ha imparato varie lingue straniere. d. Da giovane mia madre è andata molte volte all’estero e nell’arco di quegli anni imparava varie lingue straniere. Perché? …………………………………………………….............................………………………… Si tratta di un esercizio a scelta multipla che, finalizzato alla riflessione, all’esplicitazione di conoscenze procedurali, alla ripetizione e all’approfondimento, focalizza l’attenzione sulla presenza nelle frasi al passato di espressioni temporali sia di tipo lessicale (come, ad esempio, gli avverbi sempre , normalmente , una Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 253 volta , di solito ), sia di tipo sintattico (come la congiunzione mentre che unisce due subordinate), nonché su espressioni come da piccolo , da bambino, da giovane . Tali elementi fanno parte di quella che Andorno definisce la „grammatica dell’apprendente“ (2006, 140), trattandosi di una sorta di formule che vengono riportate nelle grammatiche didattiche per facilitare l’applicazione della regola. 3.5 Un testo incompleto… 3.5.1 Leggi il seguente brano tratto dal romanzo autobiografico Bagheria di Dacia Maraini e inserisci al posto giusto i seguenti verbi. Attenzione: tre verbi sono in più! intendeva - era - aveva riportata - ha detto - portava - sapeva - piangeva - diceva - aveva - distingueva - era - aveva accompagnata - è scappata Non l’ho mai vista piangere mia nonna Sonia. Nemmeno alla morte del nonno. Gli è sopravvissuta di quasi trent’anni, la bella cilena che a ottant’anni non ……………………………. ancora parlare l’italiano come si deve. Le sue frasi erano costruite secondo il ritmo e la logica di un’altra lingua, la spagnola. Diceva „el uomo“, non ……………………………. fra cappello e capello, diceva „esci così, en cuerpo? “ per dire che uno non ……………………………. il cappotto. Venuta dal Cile alla fine del secolo scorso col padre ambasciatore, aveva studiato pianoforte e canto a Parigi. ……………………………. una bella voce di soprano e un temperamento teatrale. Tanto che tutti i maestri l’avevano incoraggiata a farne un mestiere. Ma non ……………………………. una professione per ragazze di buona famiglia. E il padre glielo aveva proibito. Proponendole invece subito un buon matrimonio con un proprietario di terre argentino. Ma lei aveva resistito. E, a diciotto anni, era scappata di casa per andare a „fare la lirica“, come ……………………………. lei. Era approdata a Milano dove aveva conosciuto Caruso che l’aveva avviata alla scuola della Scala. Famosa in famiglia la fotografia di Caruso dedicata alla „brava e bella Sonia“. Perfino Ricordi aveva giudicato „straordinario“ il suo talento lirico. Ma il padre Ortuzar non ……………………………. cedere. Andò a prenderla a Milano e la riportò a Parigi. E da Parigi Sonia scappò di nuovo, mostrando una grande tenacia e un grande amore per la sua arte. In una gara di testardaggine senza limiti, il padre Ortuzar era tornato a cercarla. L’aveva trovata, nascosta in casa di amici e l’…………………………. per la 254 Domenica Elisa Cicala seconda volta a casa, in Francia. L’aveva chiusa, però, questa volta in una camera giurando che non ne sarebbe uscita che per sposarsi. Ma poi, di fronte alle reazioni a dir poco „spropositate“ di lei si era spaventato. Non si dice quali siano state queste reazioni „spropositate“, immagino che si sia buttata per terra, come continuò a fare in seguito, anche dopo sposata, e abbia urlato e si sia contorta in preda a un parossismo nervoso. Fatto sta che il padre stesso l’……………………………. a Milano perché riprendesse gli studi, ma sotto la sua stretta sorveglianza. Fu allora che Sonia conobbe il bel siciliano dagli occhi azzurri che era mio nonno Enrico e se ne innamorò. O forse fu lui a innamorarsi di lei, così passionale, così estroversa, così teatrale, mentre lui ……………………………. timido, silenzioso, ironico e mite. (Maraini 2 1996, 103-105) 3.5.2 Rileggi il brano e scrivi delle parole chiave accanto alle due domande: - Com’era Sonia? - Che casa ha fatto? Mediante il completamento del brano tratto dal romanzo autobiografico intitolato Bagheria e scritto da Dacia Maraini nel 1993, la procedura del cloze finalizzato alla ricostruzione del testo originario richiede la capacità di comprensione sia globale del significato, sia analitica di alcune forme verbali. Indicando i verbi da inserire si facilita l’esercizio, mentre l’aggiunta di tre forme verbali intruse aggiunge a tale metodologia un elemento ludico. Infine, scrivere delle parole chiavi per rispondere alle domande „Com’era Sonia? “ e „Che cosa ha fatto? “ consente di riflettere sul valore testuale dei tempi verbali, ovvero l’uso dell’imperfetto per descrivere una persona e l’uso del passato prossimo per narrare azioni compiute e puntuali, che spesso si verificano una dopo l’altra. Dal momento che nella sequenza originaria viene usato il passato remoto e il trapassato prossimo, per risolvere questa seconda parte dell’attività sono stati scritti alla lavagna gli infiniti dei verbi presenti nel testo. Accanto a capacità logiche e cognitive relative alla formulazione di ipotesi e alla ricostruzione testuale, si esercitano così competenze linguistiche legate alla dimensione espressiva e formale, ovvero al saper riconoscere elementi morfosintattici per restituire al brano i caratteri di coesione e coerenza. 11 11 Per ulteriori riflessioni sulla tecnica del cloze cf. Balboni 2008, 112-115; Balboni 3 2013, 174-175. Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 255 3.6 Parliamo in italiano Pensate a un’occasione in cui vi siete divertiti (una festa, un picnic, una gita…). A gruppi di tre raccontate seguendo le 5 domande indicate; ascoltate il racconto degli altri e prendete appunti su quanto vi viene raccontato, completando la tabella. Domanda A B C Che occasione era? Dove si è svolta? Chi c’era? Che cosa avete fatto? Perché vi siete divertiti? Lo scopo didattico di quest’attività consiste nel potenziamento della competenza comunicativa orale: i discenti sono invitati a formare gruppi di tre e a raccontare un’esperienza in cui si sono divertiti, seguendo cinque domande per articolare il loro discorso; l’ascolto del racconto altrui è finalizzato alla comprensione dettagliata, in quanto devono prendere appunti su quanto viene narrato, per poter poi riferire in plenum quanto hanno compreso. Alla luce delle domande che fungono da linea guida, risulta evidente che lo svolgimento di questo esercizio richiede l’uso di verbi al passato prossimo e all’imperfetto e, come attività di rinforzo, persegue l’obiettivo di migliorare la competenza pragmatica procedurale, perseguendo lo scopo di apportare un contributo ad automatizzare alcuni meccanismi e ad acquisire sicurezza nell’esposizione. Va tenuto in considerazione che la valutazione del controllo degli aspetti morfosintattici della lingua dovrebbe avvenire sulla base della capacità di saper agire in LS , comprendendo e producendo azioni linguistiche efficaci a livello comunicativo. Come indicato nel QCER (cf. Consiglio d’Europa 2002, 140), gli aspetti grammaticali, la correttezza e l’accuratezza assumono un ruolo secondario rispetto alla competenza pragmatica, cioè alla capacità di comunicare un messaggio adeguato al livello di competenza linguistica, appropriato al contesto, coerente e comprensibile nel suo insieme. 256 Domenica Elisa Cicala 3.7 Una vacanza Scrivete un testo di circa 120 parole, in cui raccontate di una vacanza al mare, al lago o in montagna. Dove siete stati? Quando, con chi e per quanto tempo? Come si svolgeva di solito la vostra giornata? Vi ricordate di un fatto in particolare? Come compito da svolgere a casa l’esercizio di scrittura prevede il racconto di una vacanza e per agevolare l’organizzazione del testo, anche in questo caso, vengono date a mo’ di scaletta delle domande a cui rispondere. Raccontare esperienze personali legate alla propria quotidianità e al proprio vissuto può risultare un fattore motivante che invita a riflettere su azioni compiute in prima persona e può costituire un input all’ampliamento lessicale, fornendo lo stimolo a cercare nei dizionari termini sconosciuti, ma indispensabili alla narrazione dei fatti accaduti. 3.8 Riflessione grammaticale Abbina le seguenti frasi (a-f; a-i) alle spiegazioni grammaticali corrispondenti presenti nella tabella (1-6; I- IV ). Attenzione: alla stessa spiegazione possono essere abbinati più esempi! a. Una volta siamo andati in crociera. b. Da giovane mia madre è stata molte volte all’estero. c. Marta ha studiato bene il tedesco e ora lo sa parlare molto bene. d. Ieri è piovuto un po’, ma poi è tornato subito il sole. e. Paola è arrivata mentre stavo preparando la cena. f. Mi sono alzato, ho fatto colazione e ho letto il giornale. 1 ……. / 2 ……. / 3 ……. / 4 ……. / 5 ……. / 6 ……. a. Normalmente andavo a ballare. b. Sonia era una ragazza decisa e piena di talento. c. Quando ero piccolo / a… d. Mentre leggevo, Maria cucinava. e. Di solito andavamo in vacanza al lago. f. Il sabato sera uscivo sempre con i miei amici. g. Mentre tornavo a casa … h. Era una bellissima giornata d’estate. i. Da bambino / a… I ………… / II ………… / III ………… / IV ………… Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 257 Passato prossimo Imperfetto 1 Esprime un’azione compiuta nel passato che ha una relazione con il presente. I Indica un’azione durativa, considerata nella sua durata per un certo tempo, nel suo svolgimento e, quindi, non conclusa nel passato. 2 Indica un’azione momentanea, di breve durata, avvenuta in un momento. 3 Indica un’azione puntuale, fatta una sola volta. II Esprime un’azione abituale che si ripete con regolarità nel passato. 4 Si usa se l’azione è conclusa e limitata a uno o più periodi precisi (molte volte, più volte…, nell’arco di…, spesso). 5 Indica azioni compiute, puntuali e momentanee che si verificano una dopo l’altra. III Indica azioni incompiute che si svolgono contemporaneamente nello stesso arco temporale. 6 Si usa per indicare un’azione momentanea che ne interrompe una durativa in corso di svolgimento. IV È il tempo della descrizione di persone, oggetti, situazioni e si usa per delineare lo sfondo di una storia. Con questo esercizio di abbinamento delle frasi alla corrispondente spiegazione grammaticale si propone uno specchietto con i vari usi dei due tempi verbali analizzati, tenendo in considerazione i concetti di aspetto e azione verbale. Al termine delle attività dedicate alla ripetizione, all’approfondimento e al potenziamento della competenza grammaticale, tale esercizio assume la funzione di un riepilogo conclusivo con la visione d’insieme dei vari casi osservati, finalizzata a fornire ai discenti un minimo contributo per lo sviluppo delle „loro grammatiche di apprendimento“ (Andorno 2006, 141). 3.9 Feedback Alla fine delle attività proposte è stato chiesto agli studenti un feedback. Alla domanda: „Come valuti le attività di approfondimento svolte? “, su 60 partecipanti 52 hanno risposto 1 ( sehr gut ), 6 hanno risposto 2 ( gut ) e 2 hanno risposto 3 ( befriedigend ). Alla seconda domanda: „Perché? “, sono state date, tra le altre, le 258 Domenica Elisa Cicala seguenti risposte: „è utile ripetere tanto“; „nel libro non ci sono tanti esercizi di grammatica“; „mi piace fare esercizi con la musica“; „è un tema difficile e voglio fare più esercizi“; „gli esercizi sono stati necessari e ho imparato molto“; „alcune parti della grammatica sono difficili“. Al termine di tale studio si desidera manifestare la consapevolezza che, per poter valutare l’efficacia dell’idea di integrare la spiegazione dei concetti di aspetto e azione per chiarire la differenza dell’uso del passato prossimo e dell’imperfetto, occorrerebbe verificare se i discenti a cui sono stati spiegati tali concetti si esprimono in modo più appropriato e usano i due tempi in modo più corretto rispetto ad altri studenti che non conoscono tali nozioni. Si ha, dunque, l’intenzione di proseguire l’indagine per poter tentare di dare un riscontro più concreto ed esaustivo a tale proposta, anche aumentando il numero di partecipanti e tenendo conto dei vari metodi di apprendimento. 4. Conclusione Pur cambiando le teorie di riferimento da rintracciare alla base delle procedure operative, dal metodo grammaticale-traduttivo a quello che può essere definito un approccio eclettico, è chiaro che tra gli scopi dell’insegnamento permangono quelli di coinvolgere e motivare all’apprendimento, approfondire la conoscenza di informazioni dichiarative, stimolare la capacità metacognitiva, al fine di sviluppare e potenziare competenze linguistiche per raggiungere scopi comunicativi. La riflessione condotta sulle motivazioni e sulle strategie d’insegnamento della grammatica nei libri di testo ha messo in luce un aspetto problematico della pratica didattica, ossia la mancanza di materiale di approfondimento adeguato, riguardante non tanto ulteriori esercizi di ripetizione, quanto piuttosto la dimensione linguistica della regola. Partendo dalla certezza che sapere la grammatica significa non solo conoscere le regole, ma essere in grado di usarle correttamente, ci si è chiesti se e fino a che punto l’acquisizione di competenze dichiarative favorisca lo sviluppo e il potenziamento di competenze procedurali legate all’uso linguistico e alla capacità di risolvere problemi: nel caso specifico, se si (re)introducono a lezione i concetti di aspetto e azione, si migliorano le competenze linguistiche e comunicative relative all’uso dei due tempi verbali del passato prossimo e dell’imperfetto? La conclusione a cui si è giunti consiste nel considerare le competenze dichiarative come la base per lo sviluppo di quelle procedurali, come terreno che, presupposto per la crescita della pianta, dovrebbe essere irrigato e concimato nel modo opportuno: per cui, nel caso in esame, Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 259 la scelta di tematizzare le nozioni di aspetto e azione potrebbe contribuire al miglioramento dell’esposizione. Inoltre, alla luce di quanto sperimentato, sembra rilevante ribadire che occorre sensibilizzare gli studenti riguardo al fatto che la grammatica di una lingua prevede sia regole assolute sia regole tendenziali, ovvero opzioni alternative che modificano il significato, e che l’aver studiato il funzionamento di un meccanismo non significa tout court riuscire ad applicarlo correttamente nella pratica: attraverso attività svolte autonomamente fuori dall’ora di lezione, dedicando tempo, ad esempio, alla lettura di libri e testi di vario genere, all’ascolto di trasmissioni radiofoniche e musicali o alla visione di film e documenti audiovisivi, è possibile acquisire una determinata sensibilità linguistica per riuscire a padroneggiare al meglio le strutture della lingua. È anche importante considerare non solo la quantità della grammatica da spiegare, ma anche e soprattutto la qualità del suo insegnamento, impostando il discorso dal punto di vista del discente nell’ottica della capacità di realizzare gli atti linguistici in base ai propri bisogni e del miglioramento delle strategie di apprendimento autonomo. Favorire e facilitare la memorizzazione, potenziare la competenza pragmatica di utilizzo delle strutture apprese ed esercitare la produzione linguistica sia scritta sia orale sono stati alcuni degli obiettivi preposti alla presente ricerca che giunge alla conclusione con la convinzione della necessità di una riflessione sull’efficacia e sull’adeguatezza di corsi di grammatica italiana rivolti, in particolare, a studenti del corso di laurea specialistico per l’insegnamento ( Lehramt ). Come vengono formati i futuri insegnanti di lingua in rapporto alle varie modalità di insegnamento della grammatica? Per poter essere capaci di spiegare a loro volta la grammatica, quali competenze linguistiche acquisiscono durante la loro formazione universitaria? La risposta non è scontata. 260 Domenica Elisa Cicala 5. Appendice Soluzioni Esercizio 1 Passato prossimo Imperfetto Compiuta Finita Improvvisa Momentanea Puntuale Incompiuta Non finita Abituale Ripetitiva Durativa Esercizio 2 2.1 1. Ti ho vista : azione compiuta e puntuale; passeggiava : azione durativa. 2. M’hanno regalato : azione compiuta e puntuale con effetti sul presente. 3. È volata : azione improvvisa, compiuta, finita; stavano a giocare : azione durativa, non finita; la prima azione è puntuale e interrompe la seconda che è in corso di svolgimento. 4. Si divertiva : azione abituale, durativa cioè considerata nella sua durata; lo diceva mentre piangeva : azioni incompiute che si svolgono contemporaneamente nello stesso arco temporale. 2.2 L’imperfetto è il tempo della descrizione di persone, oggetti, situazioni e si usa per delineare lo sfondo di una storia. 1. Assopirsi, avere. 2. Esserci, avere, suonare, fare, scendere, sorridere, tornarsene. 3. Esserci, amare, girare, venire. 4. Essere, venire, venire, parlare, sapere. Esercizio 4 1 c: l’imperfetto esprime un’azione abituale che si ripete con regolarità nel passato (oltre a „di solito”, presente nella frase, altre espressioni sono „sempre”, „normalmente”). Dal metodo grammaticale-traduttivo all’approccio eclettico 261 2 b: il passato prossimo si usa per indicare un’azione che ne interrompe un’altra in corso di svolgimento. 3 a: da ragazzo avevo un sogno: l’imperfetto esprime un’azione non conclusa nel passato ma durata per un certo tempo; sono riuscito a realizzare: il passato prossimo esprime un’azione conclusa. 4 d: quando ero bambina conoscevo: l’azione espressa all’imperfetto è considerata nella sua durata. 5 b: il passato prossimo indica un’azione compiuta e un’azione momentanea di breve durata avvenuta in un momento. 6 a: l’imperfetto esprime un’azione abituale, invece il passato prossimo si usa se l’azione è puntuale, fatta una sola volta e / o interpretata singolarmente. 7 c: il passato prossimo esprime un’azione limitata a uno o più periodi precisi (molte volte, più volte, spesso, nell’arco di). Esercizio 5 5.1 Sapeva, distingueva, portava, aveva, era, diceva, intendeva, aveva riportata, aveva accompagnata, era. Verbi intrusi: è scappata, piangeva, ha detto. 5.2 Possibili soluzioni: Com’era Sonia? Bella, cilena, di buona famiglia, brava nel canto, talentuosa, tenace, testarda, passionale, estroversa, teatrale. Che cosa ha fatto? È scappata di casa, è andata a Milano, ha conosciuto Caruso, è andata in Francia, ha studiato canto, si è innamorata di Enrico. Esercizio 8 1 c / 2 d / 3 a / 4 b / 5 f / 6 e I g, c, i / II f, a, e / III d / IV b, h Andorno, Cecilia. 1999. Dalla grammatica alla linguistica: basi per uno studio dell’italiano . Torino: Paravia Scriptorium. Andorno, Cecilia. 2006. „Insegnare e imparare l’italiano L2: quale grammatica? “, in: Roberta Grassi / Rosella Bozzone Costa / Chiara Ghezzi (ed.): Dagli studi sulle sequenze di acquisizione alla classe di italiano L2 . Perugia: Guerra, 123-142. Andorno, Cecilia. 2014. „Grammatica e competenza metalinguistica“, in: Marina Chini / Cristina Bosisio (ed.): Fondamenti di glottodidattica. Apprendere e insegnare le lingue oggi . 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Lehr- und Arbeitsbuch mit 2 Audio- CD s . Stuttgart: Klett. Grammatik visuell 265 Grammatik visuell Mit grammatischen Erklärfilmen zu Ökonomie und Lernerfolg? Elena Schäfer Innerhalb des fachdidaktischen Diskurses herrscht Einigkeit darüber, dass sprachliche Mittel in Form von Wortschatz, Grammatik, Aussprache und Orthographie wesentlicher Bestandteil der Fremdsprachenausbildung sind und die notwendige Grundlage für den Erwerb kommunikativer Kompetenzen darstellen (cf. KMK 2012, 15). Durch die Einführung der Bildungsstandards, den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen und die andauernden Diskussionen um eine verkürzte Schulzeit von G9 auf G8 sind Begriffe wie Ökonomie, Lernerautonomie, Kompetenzorientierung, Outcome und Diskursfähigkeit zu bedeutungsträchtigen Schlagwörtern unserer Zeit geworden. Angesicht des obersten Bildungsziels im Fremdsprachenunterricht - der Befähigung zur fremdsprachlichen Diskursfähigkeit - stellt sich daher die Frage, welche Bedeutung der traditionsreichen Schulung von Grammatik gegenwärtig zukommt und welche Vermittlungsstrategien zur Verfügung stehen. Um sich dem Themenkomplex anzunähern, widmet sich der vorliegende Beitrag zunächst dem aktuellen Stellenwert von Grammatik im Fremdsprachenunterricht. Daran anknüpfend soll am Beispiel der französischen Lehrwerksreihe Découvertes des Klett-Verlags ein Einblick in den diachronen Wandel grammatischer Übungsangebote gegeben werden, sodass anhand der Einführung und Erarbeitung des Passé Composé aufgezeigt werden kann, inwiefern diese Prozesse der Ökonomisierung unterliegen, gleichermaßen aber zum Erwerb der fremdsprachlichen Diskursfähigkeit beitragen. Da sich auch die Zusatzangebote des Schulbuchsektors im Laufe der Jahre kontinuierlich weiterentwickelt haben, soll in diesem Zusammenhang auf die neueste Errungenschaft im Bereich der Grammatikschulung eingegangen werden. Im Mittelpunkt stehen die im Jahr 2015 erschienenen grammatischen Erklärfilme des Klett-Verlags und die Frage nach deren ökonomischem Mehrwert für den Französischunterricht. 266 Elena Schäfer 1. Grammatikvermittlung im Wandel der Zeit: Ein Blick zurück, zwei Schritte nach vorne Das Verständnis und die Vermittlung von Grammatik orientierten sich lange Zeit primär am Latein- und Griechischunterricht, die im Zeichen der Grammatik-Übersetzungsmethode standen und der Schulung von Grammatik einen entsprechend hohen Stellenwert zuwiesen. Für die schulische Fremdsprachenausbildung bedeutete dies, dass auch bei modernen Fremdsprachen „Übungen in Lehrwerken […] [v. a.] an formalen Fragen und Einsetzungsübungen [ausgerichtet waren], in denen eine bestimmte grammatische Form wiederholt und angewendet“ wurde (Fäcke 2010, 154). Diese Herangehensweise änderte sich erst im Zuge der kommunikativen Wende um 1970, wodurch sich der Fokus von der grammatischen Form auf die grammatische Funktion verlagerte. Im Zentrum des Unterrichts stand fortan nicht länger die Erklärung grammatischer Strukturen, sondern vielmehr die Anwendung des Gelernten im Sinne kommunikativer Redeintentionen oder inhaltsbezogener Aufgaben (cf. Mertens 2006, 194). Im Gegensatz zur Grammatik-Übersetzungsmethode, die „im 19. Jahrhundert noch die Rolle einer umfassenden Methodik innehatte“, wurde die Konzeptualisierung von Grammatik „durch den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) zum Hilfsmittel im Dienst der kommunikativen Kompetenz herabgestuft“ (Siepmann / Bürgel 2016, 141). Seither erfüllt die schulisch vermittelte Grammatik eine dienende Funktion, die der kommunikativen Kompetenz untergeordnet ist. Sie fungiert als „sinnvolles Hilfsmittel zur Strukturierung […] [von] Sprache“ (ibid.) mit dem Ziel, den Sprachlernprozess zu erleichtern und zu unterstützen. In diesem Sinne erfolgt die schulische Auswahl grammatischer Inhalte nicht gemäß systemlinguistischer Beschreibungen, sondern infolge ihrer „Notwendigkeit […] [zur] Bewältigung sprachlicher Aufgaben“ (Schmelter 2013, 75), wobei aktuell wieder eine Hinwendung „in Form einer ‚lexikalisierten Grammatik’ im Blickfeld“ steht, die „das Augenmerk auf die enge Verbindung von Grammatik und Lexik richtet […] [und] sich im angloamerikanischen Raum bereits durchgesetzt“ hat (Siepmann / Bürgel 2016, 141). Die vorausgehenden Formulierungen zu Gunsten einer dienenden Funktion von Grammatik lassen sich in den nationalen Bildungsstandards (cf. KMK 2012, 15; 18) und länderspezifischen Kerncurricula bzw. Rahmenplänen finden. Demnach heißt es beispielsweise im hessischen Kerncurriculum: „Die Entwicklung der kommunikativen Kompetenz ist eng mit dem Erwerb und der Verfügbarkeit von grundlegenden sprachlichen Mitteln verbunden.“ (Hessisches Kultusministerium 2011, 16). Letztgenannte gelten als „funktionale Bestandteile der Kommunikation“ und sollten mit „höchstmöglicher Verfügbarkeit“ erreicht Grammatik visuell 267 werden, um eine erfolgreiche fremdsprachliche Kommunikation zu gewährleisten (ibid. 20). Da grammatisches Regelwissen bekanntermaßen nicht mit fremdsprachlicher Diskursfähigkeit gleichgesetzt werden kann (cf. Leitzgen 1997, 25; cf. Diehl / Pistorius / Fayolle Dietl 2002, 143sq.), gilt es herauszufinden, ob und inwiefern grammatische Veränderungen auf (1) inhaltlicher und (2) vermittlungsstrategischer Ebene in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem ökonomischeren, d. h. schnelleren und effizienteren, Sprachlernprozess beigetragen haben. Dieser Frage soll im folgenden Abschnitt anhand einer diachronen Lehrwerkanalyse nachgegangen werden. 1.1. Diachrone Ökonomisierungsprozesse bei Découvertes Lehrwerke vermitteln nicht nur ein Gefühl der Orientierung bezüglich der grammatischen Progression, sie entsprechen ebenso dem „verständlichen Wunsch nach Arbeitsökonomie“ im Hinblick auf den angestrebten Lernzuwachs (Schmelter 2013, 77). Diese Eigenschaft macht sie zum wohl wichtigsten Bezugspunkt für die diachrone Analyse und Beschreibung von Veränderungen im Bereich der Grammatikvermittlung. Vor diesem Hintergrund und dem der einleitend beschriebenen bildungspolitischen Umbrüche wurde die gymnasiale Lehrwerksreihe Découvertes 1 des Klett-Verlags am Beispiel des jeweils ersten Bands vom Jahr 1994 bis 2012 auf sich vollziehende Ökonomisierungsprozesse untersucht. Als Analysegegenstand diente die lehrwerkbasierte Einführung und Erarbeitung des Passé composé mit avoir. Weitere lehrwerksbegleitende Zusatz- und Begleitmaterialen wurden (vorerst) nicht berücksichtigt. Die Gegenüberstellung der Lehrwerksgenerationen von Découvertes macht deutlich, dass das Passé composé bis im Jahr 1994 noch im zweiten Lernjahr eingeführt wurde, seit dem Jahr 2004 aber auf das erste Lernjahr vorverlegt wurde (cf. Abb. 1). Dieser Unterschied mag auf den ersten Blick als eine Kleinigkeit gewertet werden, die für die Schulpraxis allerdings von großer Bedeutung ist. So erweist sich die vorgezogene Einführung des Passé composé als erstes Indiz für praktizierte Ökonomie, da der Erwerb der drei Tempora (Präsens, Vergangenheit und Zukunft) Schülerinnen und Schüler bereits ab dem ersten Lernjahr - und damit deutlich früher als zuvor - das sprachlich-grammatische Grundgerüst zur eigenen Ausdrucksfähigkeit bereitstellt. 2 Folglich sind Lernende seit 1 Das Lehrwerk richtet sich an Schülerinnen und Schüler, die Französisch als zweite Fremdsprache erwerben. 2 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das Passé composé gemäß der zyklischen Progression der grammatischen Inhalte zunächst, wie hier vorgestellt, mit avoir einführt 268 Elena Schäfer der überarbeiteten Neuauflage von Découvertes im Jahr 2004 zumindest aus der Perspektive der grammatischen Progression früher in der Lage, in der Fremdsprache Französisch über Vergangenes zu sprechen. Abb. 1: Vorgezogene Einführung des Passé composé im Laufe der Lehrwerksgenerationen von Découvertes des Klett-Verlags (Déc = Découvertes ) Ausgehend von der unumstrittenen Relevanz des Passé composé für die Bewältigung kommunikativer Situationen bezweckt die nachfolgende Analyse einen Erkenntnisgewinn auf drei Ebenen. Diese umfassen Einsichten bezüglich 1. der Vermittlungsstrategien in den Phasen der Präsentation und Kognitivierung, 2. der Kontextbezogenheit beim Einüben des Passé composé, 3. der Initiierung von Kommunikationsanlässen mit realweltlichen Bezügen bei Anwendungs- und Transferaufgaben. 1.2. Strategien zur Vermittlung des Passé composé Aus der komparativen Analyse von Découvertes aus den Jahren 1994, 2004 und 2012 geht hervor, dass die Strukturen des Passé composé bei allen Bänden über einen Lektionstext eingeführt und induktiv erarbeitet werden. Die daran anknüpfende Präsentation der expliziten Grammatikregel ist dagegen in zwei von drei Fällen in das grammatische Beiheft ausgelagert (cf. Michler 2014, 224). Die und zu einem späteren Zeitpunkt durch die Bildung mit être ergänzt wird. Es ist daher üblich, dass die Vertiefung des Passé composé mit être erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen wird (cf. Michler 2014, 227). Grammatik visuell 269 einzige Ausnahme bildet Découvertes série jaune von 2012, das am Ende der Lehrwerkslektion eine zusätzliche Grammatikübersicht enthält (cf. Bruckmeyer et al. 2012, 105). Abgesehen von dem Zeitpunkt der Einführung (cf. Kap. 1.1.) unterscheiden sich die Lehrwerke bei der Einführung und Erarbeitung des Passé composé durch eine zunehmende Visualisierung, eine erhöhte Transparenz sowie eine zunehmende Übertragbarkeit der Aufgaben auf die eigene Lebenswelt. Diese Ergebnisse machen sich insofern bemerkbar, als die Kognitivierung der Lerninhalte im Laufe der Lehrwerksgenerationen zunehmend durch Visualisierungen unterstützt wird. Letztere umfassen farbige Darstellungen, den kontinuierlichen Verweis auf das Grammatikheft durch Paragraphen (§ / §§) bzw. Buchstabenkürzel (G) sowie die Hervorhebung unregelmäßiger und regelmäßiger Partizipien im Text und in Aufgabenstellungen. In der zuvor erwähnten Grammatikübersicht innerhalb des Lehrwerks lassen sich im Zusammenhang mit dem Passé composé ebenso Elemente der Signalgrammatik finden, wodurch auf metasprachliche Terminologien weitestgehend verzichtet wird. Die damit einhergehende Transparenz äußert sich ebenso in der begrifflichen Nennung des Passé composé zum Zeitpunkt der induktiven Erarbeitung bei Découvertes série jaune (2012) und stellt eine wesentliche Neuerung gegenüber den beiden älteren Lehrwerksgenerationen dar. Demnach lautet die Aufgabe im Anschluss an den Lektionstext: „ Seht euch die fett gedruckte Form von j’ai rangé an. Man nennt sie Passé composé. […] Findet heraus, welche Zeit das passé composé ausdrückt. Sammelt weitere Beispiele […] und vergleicht sie “ (Bruckmeyer et al. 2012, 93). Was die reinen Formübungen betrifft, so sind diese bei allen Werken sowohl inhaltlich als auch lexikalisch in den Lektionskontext eingebunden. Bei den weiterführenden Anwendungs- und Transferaufgaben macht sich im Laufe der Jahre hingegen eine zunehmende Übertragbarkeit der Aufgaben auf die eigene Lebenswelt bemerkbar. Während man bei Découvertes (1994) durch die Aufforderung „Demande à tes camarades où ils ont passé leurs vacances.“ (Beutter et al. 1995, 15) nur eine Aufgabe findet, die das Passé composé mit authentischen Kommunikationsanlässen verbindet, nimmt das Angebot realweltlicher Bezüge bei Découvertes série jaune (2012) leicht zu. So haben die Lernenden im Rahmen des Lehrwerks etwa die Möglichkeit, in einem Telefonat mit einem Freund von ihrem gestrigen Tag zu berichten (cf. Bruckmayer et al. 2012, 96), von einer Feier zu erzählen (cf. ibid., 103) oder sich für ein Geschenk zu bedanken (cf. ibid., 100) anstatt lediglich Aufgaben in Bezug auf den Lektionstext und die Lehrwerksfiguren zu bearbeiten. Aufgrund der vorgezogenen Einführung des Passé composé in das erste Lernjahr und der verstärkten Fokussierung auf schülerrelevante Sprech- und 270 Elena Schäfer Schreibanlässe lässt sich aus ökonomischer Sicht schlussfolgern, dass die Schüler durch die Nutzung von Découvertes série jaune (2012) der Grundidee nach früher zu kommunikativem Sprachhandeln befähigt werden, als dies noch bei Découvertes aus dem Jahr 1994 der Fall war. 1.3. Vom papierbasierten zum multimedialen Grammatiklernen Zusätzlich zu dem Lehrwerk haben die Schulbuchverlage weitere Angebote geschaffen, die das Lehrwerk ergänzen und zu einer vertieften Aneignung sprachlicher Mittel führen sollen (cf. Mertens 2006, 190). Im Bereich der Grammatik hat sich das Angebot an lehrwerksbegleitenden Zusatzmaterialien über die Jahre hinweg deutlich vergrößert und kann, im Gegensatz zu anderen Bestandteilen des Medienverbunds, größtenteils auch von den Schülerinnen und Schülern erworben werden. 3 Während für das Lehrwerk Découvertes im Jahr 1994, abgesehen von einem Cahier d’activités, zunächst ein grammatisches Beiheft, eine Präsentations- und Lernsoftware für Lehrende und Lernende (sog. Grammaire interactive 4 ), ein Grammatik-Training (auf Diskette) sowie die Lernsoftware Vokabeln, Grammatik, Hörverstehen zur Verfügung standen, beinhaltet das Angebot von Découvertes 2004 zehn Jahre später diverse weitere Begleitmaterialien. Hierzu zählen eine weitere Lernsoftware für die Lernenden (sog. Sprachtrainer), ein Grammatiktrainer kompakt, ein grammatisches Übungsheft für das Niveau (A1 / A2), ein Heft mit 99 grammatischen Übungen, ein Verbenlernheft sowie eine Grammatik-Klappkarte. Mit der Neuerscheinung von Découvertes série jaune im Jahr 2012 wandelt sich das Angebot abermals durch die Aufnahme eines Trainingsbuchs und eine CD - ROM mit sogenannten grammatischen Erklärfilmen (cf. Abb. 2). Durch die kontinuierliche Erweiterung der Zusatz- und Begleitmaterialien umfasst das aktuelle grammatische Übungsangebot insgesamt nicht nur papierbasierte, altbewährte Klassiker wie das grammatische Beiheft, sondern öffnet sich allmählich ebenso für neue, digitale Wege des Grammatiklernens. Deren Koexistenz führt laut Gnutzmann und Königs (1995, 18) zu einer gestärkten Stellung von Grammatik und äußert sich im Lehrwerkkonzept durch eine vertikal breitere Verteilung auf mehrere Medien. Jene Entwicklungen bestätigen jüngste Aussagen wie die von Koch (2015, 4) „Ohne Grammatik geht es nicht! “ 3 Das zusätzliche Angebot lehrwerksunabhängiger Produkte zur Grammatikschulung wurde in dem vorliegenden Beitrag aus Platzgründen nicht berücksichtigt. 4 Die Software Grammaire interactive verfolgt das Ziel der computergestützten Einführung von Grammatik und bietet Schülerinnen und Schülern durch sog. Entdeckerseiten u. a. die Möglichkeit, grammatische Strukturen in Gruppen- oder Einzelarbeit eigenständig zu entdecken und zu erschließen (cf. Müller 1999, 295). Grammatik visuell 271 und zeigen, dass die Hinwendung zu Gunsten einer dienenden Funktion von Grammatik - zumindest aus quantitativer Sicht - keineswegs zu deren Vernachlässigung geführt hat. Abb. 2: Zusatzmaterialien zum Grammatiklernen 2. Mit grammatischen Erklärfilmen zum Lernerfolg? Erklärfilme liegen im Trend. Dies zeigen nicht zuletzt die Ergebnisse der JIM - Studie ( Jugend, Information, (Multi-)Media) von 2015, wonach Tutorials bei Jugendlichen zwischen zwölf und neunzehn Jahren auf Platz drei der beliebtesten YouTube- Videos stehen (cf. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2015, 36). Erklärfilme knüpfen an die motivationalen, emotionalen und kognitiven Bedürfnisse der Lernenden an, fördern individuelle Lernstile und entsprechen damit der grundsätzlichen Forderung nach lernerorientierten Medien, Methoden und Materialien (cf. Küster 2013, 85). Aufgrund der Tatsache, dass Grammatik zwar oft als trocken, langweilig und schwierig empfunden wird (cf. Mertens 2006, 190), Tutorials aber eine große Rolle in der Lebenswelt der 272 Elena Schäfer Lernenden spielen, ebnet die Publikation grammatischer Erklärfilme den Weg für neue, digitale Zugänge zur Grammatik. 5 Obgleich ihr Name es nahelegen würde, unterscheiden sich die grammatischen Erklärfilme maßgeblich von den zuvor angesprochenen Tutorials , die als videobasierte Anleitung bzw. Gebrauchsanweisungen im Internet kursieren und mittlerweile für die unterschiedlichsten Themenbereiche zur Verfügung stehen. Der Unterschied liegt darin, dass die grammatischen Erklärfilme nicht allein aus einer Videosequenz bestehen, in der eine grammatische Struktur präsentiert und deren Gebrauch erklärt wird. Sie beinhalten darüber hinaus interaktive Anwendungsaufgaben und sollen auf diese Weise zum sprachlichen Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler beitragen. Die Übungen sind aus technischen Gründen jedoch nicht in die Videosequenz integriert, sondern müssen separat aufgerufen werden. Wie bereits angedeutet, können die grammatischen Erklärfilme 6 als CD - ROM von Lehrenden, Lernenden oder ihren Eltern begleitend zu dem Lehrwerk Découvertes série jaune erworben werden und haben laut dem Klett-Verlag folgende Funktion: Wer den Stoff in der Schule nicht verstanden hat, findet hier eine echte Verstehenshilfe für zu Hause: In kurzen Erklärvideos werden die kniffligsten Themen beim Französisch-Lernen anhand von anschaulichen Beispielen erklärt und können mit passenden interaktiven Aufgaben geübt werden (Klett 2015). Die grammatischen Erklärfilme stellen demnach eine Ergänzung zur Lehrkraft dar und dienen primär der individuellen, außerschulischen Nutzung. Sie greifen im ersten Lernjahr 7 die folgenden zwölf grammatischen Themen auf: die Artikel, die Pronomen, die Verneinung, das Passé composé , das Futur composé , Fragen und Mengenangaben. 5 Von dieser Tendenz zeugt ebenso die Tatsache, dass Erklärfilme mittlerweile über einen QR-Code in grammatische Übungsmaterialien integriert sind (z. B. bei Französisch kompaktWissen von Klett, seit 2014). 6 Durch die parallele Verwendung der Begriffe Erklärfilme und Erklärvideos liegt innerhalb des Klett-Verlags eine terminologische Unschärfe vor. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird der sich auf dem CD-ROM-Cover befindliche Ausdruck Erklärfilme als maßgeblich erachtet. 7 Die grammatischen Erklärfilme sind bislang nur für das erste Lernjahr erhältlich, sollen aber künftig auch für höhere Lernjahre zur Verfügung stehen (Stand: Januar 2016). Grammatik visuell 273 2.1. Zur didaktischen Struktur der grammatischen Erklärfilme Die didaktische Struktur der Erklärfilme zu Découvertes série jaune 8 setzt sich aus vier Schritten der Grammatikvermittlung zusammen: Einer Einleitung zur Aktivierung des grammatischen Vorwissens, einem videogestützten Erklärteil, Grammatikübungen sowie einer abschließenden Regelvervollständigung (cf. Abb. 3). Vier Schritte der Grammatikvermittlung in den Erklärfilmen zu Découvertes série jaune: Einleitung: Vorwissen aktivieren Videogestützter Erklärteil Übungen (Zuordnungsaufgabe / Lückentext / Multiple-Choice / Satzkorrektur / Schüttelsätze) Regelvervollständigung Abb. 3: Vier Schritte der Grammatikvermittlung in Erklärfilmen Ähnlich wie bei computergestützten Lernsoftwares beginnt die Nutzung der grammatischen Erklärfilme mit der Eingabe eines Benutzernamens. Dieser soll gewährleisten, dass die Lernenden auch zu einem späteren Zeitpunkt auf ihr Nutzerprofil zugreifen und an der Stelle fortfahren können, die sie zuletzt bearbeitet haben. Darauf folgt eine Auswahl verschiedener grammatischer Themen, deren Chronologie dem Fortschritt der Lehrwerkslektionen entspricht. Nachdem man sich für eines der grammatischen Themen entschieden hat, wird zunächst das Vorwissen überprüft. Die Aktivierung des Vorwissens erfolgt entweder anhand von Multiple-Choice , Wortmarkierung oder einer Lückentext- Aufgabe und verfolgt das Ziel der Kontextualisierung (Schritt 1). Unter Verweis auf das Lernziel wird in dem darauffolgenden Schritt der videogestützte Erklärteil präsentiert. Dieser hat eine Länge von minimal 2: 14 Minuten und maximal 5: 41 Minuten. Ein männlicher Off -Sprecher erklärt die Funktion, die Bildung sowie Beispiele zu dem ausgewählten grammatischen Phänomen. Die Erklärungen sind auf Deutsch, die Beispiele hingegen auf Französisch. Die grammatischen Formen und Strukturen sind auf das Wesentliche reduziert und werden durch zusätzliche Bilder und Visualisierungen gemäß den Prinzipien der Signalgrammatik unterstützt (cf. Schmidt 2001, 166). Letztere erleichtern nicht nur das Verstehen und Behalten, sondern gleichermaßen die Einführung grammatischer Fachtermini (Schritt 2). Darüber hinaus enthalten sie stellen- 8 Die Erklärfilme von Klett sind Teil des Medienverbunds von Découvertes série jaune und Découvertes série bleue. 274 Elena Schäfer weise bilingual-kontrastive Signale, die Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Französischen aufzeigen. Das Schema der deduktiven Grammatikvermittlung spiegelt sich in allen Erklärfilmen von Découvertes série jaune wider und ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sich die Erklärfilme eher an schwächere Lernende richten, die die Grammatikeinheit in der Schule nicht verstanden haben und daher weiteren Erklärungsbedarf haben. Der Rückgriff auf [e]ine explizite, bewusste Vermittlung [scheint in diesem Kontext] […] unerlässlich, um die Korrektheit zu steigern, der Fossilierung von Fehlern vorzubeugen, Aneignungsprozesse zu beschleunigen und lernproblematische, häufig vorkommende grammatische Phänomene mit einer zuverlässigen, weitreichenden Regel nachhaltig in den Griff zu bekommen (Koch 2015, 5). Die Relevanz des in den Erklärfilmen primär verfolgten focus on form -Ansatzes wird durch zahlreiche empirische Studien bestätigt. Demnach konnte u. a. belegt werden, dass bewusstmachende Verfahren bei der Aneignung grammatischer Phänomene für Lernende eine große Rolle spielen, da sie eine unterstützende Funktion haben und den Lernprozess begünstigen (cf. Tomlin / Villa 1994, 186sq.; cf. Robinson 1995, 302). Dass ein erhöhtes grammatisches Bewusstsein zu einer besseren Lernleistung führt, zeigen auch die Ergebnisse von Leow (1997, 495 / 2001, 144): More awareness contributes to more recognition and accurate written production of noticed forms by enhancing further processing of these forms in the L2 data. This increased allocation of attention appears to permit learners to take in and retrieve the grammatical information immediately in a more efficient manner when compared to less awareness at this level. In diesem Zusammenhang erweist sich ebenso die Annahme von Tomasello (1998, 440) als aufschlussreich, demzufolge beim Spracherwerb Input und sprachliche Form zunächst voneinander getrennt sind, bevor eine Verarbeitung stattfinden kann. Auf den videogestützten grammatischen Erklärteil folgen jeweils drei bis fünf interaktive Übungen, die erneut aus Multiple Choice - und Zuordnungsaufgaben, Lückentexten, Satzkorrekturen oder Schüttelsätzen bestehen. Während der Bearbeitung können die Lernenden über einen Button Tipps und Lösungen anfordern oder die Übungen auswerten lassen (Schritt 3). Die Lösungsanforderung erfolgt allerdings immer für die gesamte Aufgabe während die abschließende Auswertung lediglich Hinweise darauf gibt, ob die eingegebene Lösung richtig oder falsch ist. Damit bei der Eingabe der Lösungen mögliche Probleme vermieden werden, steht ein zusätzlicher Button mit französischen Sonderzeichen zur Verfügung. Grammatik visuell 275 Die Übungseinheit schließt mit einer Überprüfung bzw. Vervollständigung der grammatischen Regel ab, in der die Lernenden zeigen müssen, dass sie die Regel verstanden haben. Dies geschieht abermals mit Hilfe eines Lückentexts, einer Multiple Choice -Aufgabe oder einer Satzkorrektur (Schritt 4). Abschließend folgt eine sogenannte Ergebnisseite, in der alle Übungen und deren Bewertung hinsichtlich Korrektheit und tatsächlicher Bearbeitung aufgelistet und farbig markiert sind (z. B. grün=richtig / grau=nicht auswertbar / weiß=unbearbeitet). Zusätzlich gibt das Programm in einem kleinen Kästchen Feedback zum Weiterlernen. Dieses lautet „Super“ oder „Hier musst du wohl noch etwas üben“. 2.2. Das Passé composé im Erklärfilm zu Découvertes série jaune Um die soeben beschriebenen vier Schritte zur Grammatikvermittlung näher zu veranschaulichen, soll nun erneut das Beispiel des Passé composé mit avoir herangezogen werden. Dieses Vorgehen ermöglicht sowohl einen besseren Eindruck von den Erklärfilmen als auch konkrete Bezüge zu den vorgefundenen grammatischen Vermittlungsstrategien. Wie anhand der Abbildung 4 ersichtlich wird, erfolgt die Aktivierung des Vorwissens mittels einer Multiple-Choice -Aufgabe über den Gebrauch des Passé composé . Demnach sollen sich die Lernenden zunächst daran erinnern bzw. reflektieren, welche sprachliche Funktion das Passé composé erfüllt (Schritt 1). Dieses Wissen ist essentielle Grundlage für die Weiterarbeit. Abb. 4: Aktivierung des Vorwissens zur Einführung des Passé composé mit avoir (Schritt 1) (© Klett 2015) Auf die Aktivierung des Vorwissens folgt der videogestützte Erklärteil, der die vorausgehende Hypothesenbildung aufgreift und den Gebrauch des Passé composé anschließend explizit erklärt (Schritt 2). Das Vorgehen ist kleinschrittig und führt von ersten Beispielsätzen hin zur Bildung, zum Gebrauch, zu Ausnahmen (z. B. das unregelmäßige Verb faire ) und zur Verneinung des Passé composé. Die deduktive Herangehensweise wird dabei durch farbige Visualisierungen 276 Elena Schäfer und Hervorhebungen ergänzt, die sich an den Prinzipien der Signalgrammatik orientieren und direkte Bezüge zum Lehrwerk aufweisen. In diesem Kontext tauchen im Erklärteil sowohl ausgewählte Lehrwerkscharaktere als auch das Lehrwerksmaskottchen Filou auf, die den Lernenden bereits aus dem Unterricht bekannt sind. Ein gegen Ende erscheinendes Merkkästchen soll die Lernenden zusätzlich an die Verneinungsregeln erinnern und als Hilfestellung für die Übertragung auf das Passé composé dienen (cf. Abb. 5). Abb. 5: Auszüge aus dem Erklärfilm zu Découvertes série jaune am Beispiel des Passé composé mit avoir (Schritt 2) (© Klett 2015) Grammatik visuell 277 Im Anschluss an den videogestützten Erklärteil folgen drei Übungsaufgaben, die aus zwei Lückentexten und einem Schüttelsatz bestehen (Schritt 3). Eine Steigerung des Schwierigkeitsgrads ist insofern gegeben, als sich die Lernenden zunächst auf die Bildung des Partizips konzentrieren, bevor der Fokus auf die konjugierte Form von avoir gelegt wird, um dann den besagten Schüttelsatz in die richtige Reihenfolge zu bringen (cf. Abb. 6). Eine eigene Textproduktion ist mittels der vorhandenen Aufgaben- und Korrekturformate nicht möglich. Abb. 6: Aufgabenbeispiel zur Bildung des Passé composé (Schritt 3) (© Klett 2015) Die Übungseinheit schließt mit einer Regelüberprüfung ab, bei der die Lernenden ihr theoretisches Regelwissen testen (cf. Abb. 7). In diesem Fall liegt der Fokus ausschließlich auf der Bildung des Passé composé, wobei im angeführten Beispiel mehrere Antworten richtig sind (Schritt 4). Abb. 7: Abschließende Regelüberprüfung des Passé composé (Schritt 4) (© Klett 2015) Durch das Zusammenspiel von videogestütztem Erklärteil und grammatischem Übungsangebot vermitteln die herangezogenen Beispiele insgesamt einen transparenten und schülerfreundlichen Überblick über die Bildung und den Gebrauch des Passé composé mit avoir . Nichtsdestotrotz erweisen sich die Grammatikübungen als ausschließlich formorientiert ohne die Möglichkeit, die 278 Elena Schäfer erlernte Struktur in Verbindung mit anderen Fertigkeiten oder auf eigene Redeintentionen anzuwenden. 2.3. Alte Methode in neuem Gewand? Neuerscheinungen erwecken regelmäßig den Eindruck, innovativ zu sein. Oftmals genügt jedoch ein aufmerksamer Blick, um Altbekanntes wiederzuentdecken und die vermeintliche Innovation in Frage zu stellen. Einen ähnlichen Anschein suggerieren die grammatischen Erklärfilme für das Französische, die als lehrwerkbegleitendes Zusatzmaterial zwar ein Novum innerhalb des deutschen Schulbuchsektors darstellen, in ihrer methodisch-didaktischen Aufbereitung jedoch stark an die Sprachlehrsendungen des Telekollegs erinnern, die seit den 1970er Jahren im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden (z. B. seit 1978: Avanti, avanti, seit 1982: Englisch für Anfänger, seit 1991: Bon courage, etc . ). 9 Die beiden Medien sind v. a. deswegen vergleichbar, weil sie ähnliche Vermittlungsstrategien für die Präsentation grammatischer Strukturen nutzen: Bereits die Fernsehsprachkurse führen grammatische Strukturen auf der Basis von didaktischen Spielszenen ein und lassen sie in einem weiteren Schritt von einem deutschsprachigen Moderator erklären. Wie die Beispiele zur Bildung des Verbs être und des Participe passé aus dem Sprachkurs Bon courage belegen, wurden die Erklärungen schon damals durch Einblendungen in Form von Schriftzügen und Hervorhebungen visualisiert und anhand eines vorausgegangenen Szenenausschnitts erneut demonstriert: 10 Abb. 8: Einführung des Verbs être (Folge 1) bzw. des Participe passé (Folge 11) am Beispiel der Sprachlehrsendung Bon courage (© BR) 9 Die Sendezeiten der jeweiligen Fernsehsprachkurse können auf der Homepage des Bayerischen Rundfunks (BR) eingesehen werden und stehen zum Teil auch in der Online-Mediathek des ARD kostenlos zum Download zur Verfügung. 10 Die Abbildungen stammen aus den Episoden 1 Le comédien und 11 Le Brocanteur (Telekolleg Französisch 2014/ 1 1991 und 2017/ 1 1991). Grammatik visuell 279 Der Rückgriff auf etwaige Visualisierungstechniken findet bis heute Verwendung, wird ihm doch ein hoher Memorisierungseffekt zugesprochen (cf. Schiffler 2012, 95sqq.). Obwohl die visuelle, methodisch-didaktische Darbietung im Zuge der grammatischen Erklärfilme eine wesentliche Modernisierung erfahren hat, mangelt es an zeitgemäßen, innovativen Aufgabenformaten. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die grammatischen Erklärfilme an die stark in Kritik geratenen Übungsformate tutoriell orientierter, computergestützter Lernprogramme anknüpfen (cf. Biebighäuser / Zibelius / Schmidt 2012, 33; cf. Schäfer 2014) und somit das Wissen und die Anwendung expliziter Grammatikregeln zum Dreh- und Angelpunkt jeder Lerneinheit machen. Betrachtet man in diesem Zusammenhang das traditionelle Phasenmodell zur Vermittlung von Grammatik nach Zimmermann (1977, 93sqq.), so wird nachdrücklich deutlich, dass die zuvor beschriebene didaktische Struktur der Erklärfilme zu Découvertes série jaune lediglich den Phasen der Präsentation, Kognitivierung und Einübung entspricht (cf. Abb. 9). Die Phasen des konsolidierenden Transfers und der weiterführenden Anwendung auf eigene Kommunikationsbedürfnisse finden dagegen keinerlei Berücksichtigung, wodurch wichtige Kognitivierungsschritte vernachlässigt werden (cf. Segermann 2001, 202). Abb. 9: Das traditionelle Phasenmodell der Grammatikvermittlung nach Zimmermann und die didaktische Struktur der Erklärfilme zu Découvertes série jaune im Vergleich 280 Elena Schäfer Grund dafür sind vor allem die einseitig formfokussierten Übungen, die die grammatischen Erklärfilme an ihre didaktischen Grenzen stoßen lassen. Zwar unterstützen sie den Strukturerwerb grammatischer Phänomene, jedoch fehlt es an weiterführenden Möglichkeiten, das Gelernte auf eigene Sprechbedürfnisse zu übertragen, um das vorhandene „Wissen und Kennen in Können zu überführen“ (Schmidt 2001, 164). Dies leistet zum Großteil nur der Unterricht, indem er Bezüge zur Lebenswelt der Lernenden herstellt, relevante Inhalte mit grammatischen Phänomenen verknüpft und auf diese Weise authentische Kommunikationssituationen initiiert. Positiv formuliert fungieren die grammatischen Erklärfilme innerhalb des traditionellen Phasenmodells als Brücke zwischen der Festigung grammatischer Strukturen und der daran anknüpfenden Diskursfähigkeit: Sie setzen dort an, wo die Erklärungen der Lehrkraft aufhören, das grammatische Wissen als transferfähig vorausgesetzt wird und das schulische Zeitfenster zum Weitermachen drängt. In Zeiten von G8 können Erklärfilme gerade dann eine hilfreiche und differenzierende Ergänzung sein, wenn Lernende es nicht schaffen, sich die Unterrichtsinhalte innerhalb der vorgegebenen Zeit anzueignen und produktiv umzusetzen (cf. Diehl / Pistorius / Fayolle Dietl 2002, 151; 156). Auch wenn die in den Erklärfilmen enthaltenen Übungsformate insgesamt nicht zur Diskursfähigkeit anleiten, so stellen sie dennoch die nötigen Weichen, indem sie grammatische Strukturen einüben und damit die Grundlage für die Bewältigung kommunikativer Transfer- und Anwendungsaufgaben legen (cf. Abb. 10). Abb. 10: Mit grammatischen Erklärfilmen zur Diskursfähigkeit Grammatik visuell 281 3. Vom ökonomischen (Mehr-)Wert grammatischer Erklärfilme Unabhängig davon, ob man die Erklärfilme als digitale Marktstrategie versteht oder als eine Reaktion auf die Ökonomisierung des Fremdsprachenunterrichts interpretiert, haben Erklärfilme ihre Nische im deutschen Schulbuchmarkt gefunden. Angesichts der Tatsache, dass die grammatischen Erklärfilme nur einen möglichen Zwischenschritt auf dem Weg zur fremdsprachlichen Diskursfähigkeit darstellen, erhöht sich die Frage nach deren Mehrwert. Dieser manifestiert sich aus ökonomischer Sicht auf drei Ebenen, die eng miteinander verknüpft sind: 1. Finanzen 2. Zeit 3. Lernzuwachs (1) Laut den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung „geben Eltern in Deutschland jährlich zwischen 942 Millionen Euro und 1.468 Millionen Euro für die Nachhilfe ihrer Kinder aus“ (Klemm / Klemm 2010, 7). Ausgehend von dem primären Ziel, mittels Nachhilfeunterricht die schulischen Noten zu verbessern, sich auf Klassenarbeiten vorzubereiten und Wissenslücken zu schließen (cf. Jürgens / Dieckmann 2007, 93), bewirkt der Erwerb grammatischer Erklärfilme möglicherweise eine finanzielle Entlastung für Eltern, da der einmalige Preis von 12,95 Euro deutlich günstiger ist als regelmäßiger Nachhilfeunterricht. An dieser Stelle wäre es natürlich völlig falsch, zu denken, die Erklärfilme könnten den (Nachhilfe-)Lehrer ersetzen. Eine Kommunikation und direkte Nachfragen sind schlichtweg nicht möglich. Nichtsdestotrotz erweckt der tutorielle Charakter der Erklärfilme unweigerlich das Gefühl, beim Grammatiklernen nicht alleine gelassen zu sein, zumal die Inhalte von einem kompetenten Experten erklärt und durch anschließende Übungen mit computergestützter Fehlerkorrektur verbessert werden. Auf diese Weise können die wichtigsten grammatischen Themen angegangen werden, ohne sich in Kosten zu stürzen oder gar institutionell binden zu müssen. (2) Zeitlich betrachtet stehen die Erklärfilme für einen schnellen Zugriff und eine hohe Verfügbarkeit, da sie neben der CD - ROM ebenfalls online einsehbar sind und im Gegensatz zu den Erklärungen der Lehrkraft beliebig oft wiederholt werden können. Die Zeitersparnis gilt ebenso für die Spiellänge der einzelnen Erklärfilme, die sich auf maximal 5: 41 Minuten beschränkt und eine optimale Aufmerksamkeit gewähren soll (cf. Grünewald / Lusar 2006, 226). Entscheidend und für den Nutzer von ökonomischer Relevanz ist dabei die Tatsache, dass das grammatische Regelwissen transparent und komprimiert dargestellt wird und dank des Mediums Film sogar zu einem höheren Behaltenseffekt führen kann. 282 Elena Schäfer (3) Für den Lernzuwachs der Schülerinnen und Schüler ist zudem von Bedeutung, dass die Erklärfilme eine zuverlässige Quelle zum Wissenserwerb darstellen und der Progression des Lehrwerks entsprechen. Sie können sowohl zum (Vor-)Lernen, bei Verständnisproblemen als auch zum Wiederholen und Nachschlagen grammatischer Strukturen herangezogen werden und leisten somit einen Beitrag zur Autonomie der Lernenden. Die sogenannte ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ ist ein wichtiges Ziel des Fremdsprachenunterrichts, denn schließlich sollen die Schülerinnen und Schüler auch über den Unterricht hinaus lernen, „wie man sprachliche Gesetzmäßigkeiten selbstständig erkennen kann, wie sie nachgeschlagen werden können, [und] was zu tun ist, um sich das Verständnis für sie selbst zu erarbeiten oder um sie sich einzuprägen“ (Rampillon 1995, 85). Grammatische Erklärfilme fördern in diesem Sinn sowohl das Bewusstsein für individuelle Lernstrategien und -techniken als auch den von den Bildungsstandards empfohlenen Umgang mit modernen Kommunikations- und Informationstechnologien im Bereich der Grammatikschulung (cf. KMK 2003, 18; KMK 2012, 20). Abgesehen von der Möglichkeit, Leistungsdefizite auszugleichen oder neue Lernstrategien kennenzulernen und für sich selbst nutzbar zu machen, sollte gerade bei jüngeren Lernenden die Rolle der Eltern nicht außer Acht gelassen werden. Sie sind es, denen v. a. im Anfangsunterricht daran gelegen ist, am Lernprozess ihrer Kinder teilzuhaben und diese bei den Hausaufgaben bzw. beim häuslichen Lernen zu begleiten. Hierbei besteht jedoch häufig die Gefahr der direkten Einmischung, die die Selbstständigkeit der Kinder unterbindet statt zu fördern (cf. Lipowski 2007, 9). Grammatische Erklärfilme wirken dem entgegen, indem ihre didaktische Struktur speziell auf das selbstständige, häusliche Lernen ausgerichtet ist und den individuellen Lerngeschwindigkeiten zugutekommt. Die direkte Anbindung an das Lehrwerk gibt Lernenden und Eltern ein zusätzliches Gefühl der Orientierung bezüglich der grammatischen Progression im Unterricht und nimmt Eltern damit ein Stück weit die Sorge, ihr Kind könnte den Anschluss verlieren. Etwaige Befürchtungen basieren u. a. auf der Annahme, die verkürzte Schulzeit auf G8 sei mit überzogenen Leistungsanforderungen verbunden, weswegen sich „[e]ine zunehmende Anzahl von Eltern […] in die Verantwortung gedrängt [sieht], schulische Lerninhalte zu Hause zu erklären und zu üben“ (Henry-Huthmacher 2013, 7). Vor diesem Hintergrund besteht der Mehrwert der grammatischen Erklärfilme insbesondere darin, dass Lernende die Möglichkeit haben, eigenständig, kostengünstig und innerhalb eines kurzen Zeitraums einen relativ hohen Anteil an grammatischem Wissen zu erwerben. Die aus grammatischer Instruktion resultierenden positiven Effekte konnten exemplarisch in diversen Studien Grammatik visuell 283 nachgewiesen werden (cf. Doughty 1991, 453sqq; cf. Lightbown / Spada 1990, 443; cf. Norris / Ortega 2000, 500sq.) und sind daher auch für die Nutzung der grammatischen Erklärfilme des Klett-Verlags anzunehmen, zumal diese - durch die audiovisuelle Präsentation eines grammatischen Phänomens und der dazugehörigen Regel - das Prinzip einer expliziten Instruktion verfolgen. Im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage nach einem ökonomischeren Grammatikerwerb durch Erklärfilme kann des Weiteren die Studie von Robinson (1996, 39 sqq.) hinzugezogen werden: Deren Ergebnisse belegen, dass sich deduktives Grammatiklernen im Vergleich zu anderen Vermittlungsverfahren (implizites und induktiv-entdeckendes Grammatiklernen) als effizientere Methode erweist. Der implizite Grammatikerwerb steht demgegenüber nur an zweiter Stelle, gefolgt von dem induktiv-entdeckenden Lernen. Aus den vorausgehenden Ausführungen lässt sich somit nicht nur schlussfolgern, dass die Schulung von Grammatik für die fremdsprachliche Progression weiterhin von Bedeutung ist, sondern auch, dass deren Erwerb durch den Einsatz der grammatischen Erklärfilme gewinnbringend unterstützt werden kann. 4. Schlussbemerkung Resümierend bleibt festzuhalten, dass Grammatik nach wie vor eine unerlässliche Basis zur Bewältigung von Kommunikationsanlässen darstellt. Der Blick in die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die Schulung von Grammatik sowohl auf inhaltlicher als auch auf vermittlungsstrategischer Ebene verändert hat. Im Vordergrund steht dabei die dienende Funktion von Grammatik mit dem Ziel der fremdsprachlichen Diskursfähigkeit. In diesem Kontext konnten anhand der diachronen Lehrwerksanalyse von Découvertes aus den Jahren 1994 bis 2012 des Klett-Verlags erste Indizien für Ökonomisierungsprozesse herausgefiltert werden. Demnach findet etwa die Einführung des Passé Composé mit avoir seit dem Jahr 2004 bereits im ersten statt im zweiten Lernjahr statt. Diese exemplarische Vorverlegung geht einher mit einer verstärkten Fokussierung des grammatischen Übungsangebots auf authentische Kommunikationssituationen und Redebedürfnisse und befähigt Schülerinnen und Schüler zu einer früheren Diskursfähigkeit. Zusätzlich dazu hat sich das Angebot an Zusatz- und Begleitmaterialien im Bereich der Grammatik seit dem Jahr 1994 kontinuierlich vervielfacht und medial weiterentwickelt. Die im Jahr 2015 publizierten grammatischen Erklärfilme stellen in diesem Zusammenhang ein Novum auf dem Schulbuchmarkt dar. Wie die Analyse der zu Grunde liegenden didaktischen Struktur jedoch zeigte, fungieren grammatische Erklärfilme auf dem Weg zur fremdsprachlichen 284 Elena Schäfer Diskursfähigkeit allenfalls als ökonomisches Beiwerk, um grammatische Strukturen besser zu verstehen und zu festigen. Die Kombination aus Erklärfilm und computergestützten, interaktiven Aufgaben fördert ausschließlich die Phasen der Präsentation, Kognitivierung und Einübung. Grammatische Erklärfilme sind folglich kein Garant für eine erhöhte Kommunikationsfähigkeit, da die Phasen des Transfers und der Anwendung auf reale Kommunikationsbedürfnisse ausgeklammert werden. Obgleich die Erklärfilme in ihrer methodisch-didaktischen Aufbereitung stark an die Fernsehsprachsendungen der 1970er Jahre erinnern und erwartungsgemäß keinen Raum für Nachfragen oder differenziertes Feedback lassen, unterliegt ihnen ein nicht zu verkennender Mehrwert, von dem die Lernenden profitieren können. Dieser besteht darin, dass die Erklärfilme die Verfügbarkeit des grammatischen Regelwissens begünstigen und somit zumindest die Grundlage zur fremdsprachlichen Diskursfähigkeit legen. Es sind jedoch nicht allein die Gründe des Lernzuwachses, die für den häuslichen Rückgriff auf Erklärfilme sprechen. Grammatische Erklärfilme sind finanziell attraktiv und muten an, mit minimalem Aufwand ein Maximum an grammatischem Wissen erwerben zu können. Gleichzeitig fördert das Konzept aus Erklärfilm, Übung und Selbstkontrolle die Lernerautonomie, indem sich die Lernenden den Stoff eigenständig aneignen bzw. wiederholen und die transparente Darstellung grammatischer Strukturen für ihren individuellen Lernprozess nutzen können. Trotz methodisch-didaktischer Defizite gestatten die Erklärfilme die gezielte Fokussierung einzelner grammatischer Phänomene und erweisen sich damit v. a. in Zeiten der verkürzten Schulzeit als willkommener Helfer, den zeitlichen Druck des Unterrichts zu durchbrechen. Biebighäuser, Kathrin / Zibelius, Marja / Schmidt, Torben. 2012. „Aufgaben 2.0 - Aufgabenorientierung beim Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien“, in: ibid: Aufgaben 2.0. Konzepte, Materialien und Methoden für das Fremdsprachenlehren und -lernen mit digitalen Medien . Tübingen: Narr, 11-56. 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Découvertes série jaune / série bleue 1. Erklärfilme. Stuttgart: Klett. Grammatik visuell 289 Sprachliche Mittel und Pragmatik Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht 291 Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht Warum Forderung und Förderung nicht Hand in Hand gehen Kathrin Siebold 1. Einleitung Sprachliche Fertigkeiten im pragmatischen Bereich werden schon seit Jahrzehnten als konstitutive Komponenten der kommunikativen Kompetenz in der Fremdsprache angesehen. Sowohl klassische Kompetenzmodelle wie die von Canale / Swain (1983) oder Bachmann (1990) als auch neuere Referenzdokumente, die den verschiedensten Bildungsinstitutionen gegenwärtig als Grundlage für Curriculumplanung und Materialentwicklung dienen, stellen die systematische Schulung pragmatischer Kenntnisse und Handlungsfähigkeiten als wichtiges Lernziel des kommunikativ und interkulturell ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts dar. So werden beispielsweise im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (im Folgenden: GeR) die adäquate Diskursstrukturierung sowie die Fähigkeit, unter verschiedenen verfügbaren sprachlichen Mitteln diejenigen auszuwählen, die die beabsichtigten kommunikativen Funktionen in der Zielsprache kontextuell am besten erfüllen, als pragmatische Teilkompetenzen beschrieben (cf. Trim et al. 2001, 125); und in den deutschen Bildungsstandards wird als wesentliches Ziel des Fremdsprachenunterrichts bereits in der Fachpräambel eine „Verstehens- und Mitteilungsfähigkeit, die inhaltlich zielführend, sprachlich sensibel und differenziert, adressatengerecht und pragmatisch angemessen ist“ (Kultusministerkonferenz 2011, 11), propagiert. In vielen authentischen Kommunikationskontexten stellt eine solche pragmatische Angemessenheit im Gebrauch der Fremdsprache jedoch eine schwierige Herausforderung für Lernende dar, denn ein einfacher Transfer der gewohnten sprachlichen Mittel und Kommunikationsmuster aus muttersprachlichen Kontexten in die Zielsprache, eine häufig angewandte und in vielen Fällen effiziente Sprachlernstrategie, kann im Bereich der Pragmatik mitunter zu unhöflichem, unangemessenem Sprachverhalten führen und einen Nährboden für interkulturelle Missverständnisse bilden. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass pragmatische Fehler von den Gesprächspartnern oft nicht als solche identifiziert und unbewusst stärker sanktioniert werden als Abweichungen in 292 Kathrin Siebold anderen Bereichen wie Grammatik oder Phonetik. Daher fordern viele Fremdsprachendidaktiker 1 (cf. beispielsweise Alcón-Soler 2013; Bardovi-Harlig 2013; Félix-Brasdefer 2008; Márquez-Reiter / Placencia 2005; Rose 2005) meiner Ansicht nach vollkommen zu Recht, eine stärkere pädagogische Berücksichtigung pragmatischer Kompetenzen im Sinne von Roever: „The important role played by pragmatic competence as a part of communicative competence should translate into pragmatics receiving pedagogical attention equal to grammar or vocabulary“ (Roever 2009, 561). Allerdings führt der hohe Stellenwert, der pragmatischen Kompetenzen in vielen wissenschaftlichen Publikationen eingeräumt wird, nicht automatisch zu ihrer systematischen Integration in Sprachlehrforschung und Didaktik, und „this area still lags far behind other aspects of language competence in language teaching methodology and research on pedagogical interventions“, wie Roever (2009, 561) weiter treffend konstatiert. Warum aber gehen Forderung und Förderung nicht stärker Hand in Hand? Dieser Fragestellung möchte ich in den folgenden Abschnitten nachgehen und dabei einige Problembereiche aufzeigen, die eine methodisch-planvolle Schulung pragmatischer Kompetenzen im heutigen Fremdsprachenunterricht - unter besonderer Berücksichtigung des Spanischen als Fremdsprache im deutschen Bildungskontext - nach wie vor erschweren. 2. Schwierigkeit 1: Unklarer Kompetenzbegriff Die erste Schwierigkeit, wenn es um die Förderung pragmatischer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht geht, besteht für viele Fremdsprachenlehrer darin, nur unklare Vorstellungen darüber zu haben, welche konkreten Fähigkeiten der pragmatische Kompetenzbegriff überhaupt einschließt. Was bedeutet es beispielsweise im Einzelnen für einen Spanischlerner, sprachliche Ressourcen funktional unter Rückgriff auf interaktionale Szenarien und Skripts angemessen zu gebrauchen und sich dabei der bedeutenden Wirkung der Interaktion und der kulturellen Umgebung bewusst zu sein, wie es im GeR für pragmatisch kompetente Sprecher allgemein formuliert wird (cf. Trim et al. 2001, 25)? Und welche genauen sprachlichen Strukturen könnten die im GeR beschriebene pragmatische Fähigkeit bezüglich des Sprecherwechsels auf A2- Niveau „Kann einfache Mittel anwenden, um ein kurzes Gespräch zu beginnen, in Gang zu halten und zu beenden“ (Trim et al. 2001, 124) zum Beispiel verkör- 1 Natürlich sind in dieser Formulierung auch Fremdsprachendidaktikerinnen mitgemeint, ebenso wie sich andere generische maskuline Pluralformen in diesem Artikel immer auf beide Geschlechter beziehen. Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht 293 pern? Oder welche konkreten kohärenz- und kohäsionsstiftenden sprachlichen Mittel sollte man beispielsweise auf dem B1-Niveau produktiv verwenden können, um von sich behaupten zu können: „Kann eine Reihe kurzer und einfacher Einzelelemente zu einer linearen, zusammenhängenden Äußerung verbinden“ (Trim et al. 2001, 125)? Die Frageliste ließe sich beliebig fortführen und unterstreicht einmal mehr den holistischen Charakter der im GeR beschriebenen Skalen bezüglich der pragmatischen Kompetenz, ebenso wie die von den Autoren selbst konstatierte Notwendigkeit, für diesen sprachlichen Bereich noch „detaillierte Listen von Mikrofunktionen, grammatischen Formen und Wortschatz“ (Trim et al. 2001, 39) für die einzelnen Sprachen herauszuarbeiten. Eine genaue Analyse und ggf. Überarbeitung der pragmatischen Kann-Deskriptoren des GeR sowie insbesondere die Ausarbeitung der sprachlichen Mittel, die für die Ausführung der in den Skalen beschriebenen kommunikativen Aufgaben benötigt werden, stellt für Spanisch als Fremdsprache als orientierende Grundlage für Unterrichtsplanung und Materialentwicklung nach wie vor ein Desiderat dar. Bei einer solchen methodisch-didaktisch ausgerichteten Zusammenstellung der nötigen sprachlichen Ressourcen und einer konkreten, fassbaren Lernzielbeschreibung ist meiner Ansicht nach die Unterteilung der pragmatischen Kompetenz in die Subkompetenzen pragmalinguistic competence und sociopragmatic competence sinnvoll. Im Forschungsbereich Second Language Acquisition , der sich hauptsächlich mit dem Erwerb und dem Erlernen des Englischen als Zweit- und Fremdsprache beschäftigt, wird diese Unterteilung seit Leechs klassischer Publikation über die Prinzipien der Pragmatik (1983) vorgenommen. Demnach wird der pragmalinguistischen Kompetenz hauptsächlich die Beherrschung von „particular resources which a given language provides for conveying particular illocutions“ (Leech 1983, 11) zugeordnet, also Kenntnisse über die kommunikativen Leistungen bestimmter sprachlicher Mittel, z. B. darüber, mit welchen Strukturen man konkrete Sprechakte in der Fremdsprache ausdrücken und ihre illokutive Kraft verstärken oder abschwächen kann. Ebenso gehört dazu die Fähigkeit, verschiedene Grade an Direkt- oder Indirektheit, konventionalisierte Ausdrücke und Routineformeln zur Erfüllung bestimmter kommunikativer Aufgaben sprachlich realisieren zu können (cf. Rose / Kasper 2001; Bardovi-Harlig 2009; Chang 2011). Zur soziopragmatischen Kompetenz hingegen gehört das Wissen über die gesellschaftlichen Spielregeln der Kommunikation und über den soziokulturell angemessenen Gebrauch der eben beschriebenen sprachlichen Ressourcen in Abhängigkeit von verschiedenen Kontextvariablen, wie soziale Nähe oder Distanz zwischen den Interaktanten, formelle oder informelle, private oder institutionelle Gesprächsrahmen etc. Chang definiert das Konzept der sozioprag- 294 Kathrin Siebold matischen Kompetenz wie folgt: „Sociopragmatic competence is well-known to include knowledge of how to vary contents, specific linguistic forms, choice of interpersonal meanings to convey (e.g. politeness value), and the type of action to take, e.g. whether to perform a given speech act at all according to social contexts“ (Chang 2011, 787). In diesem Zusammenhang betont Harlow (1990) ferner, dass nicht nur die adäquate Einschätzung, ob bestimmte gesichtsbedrohende Sprechakte in gegebenen Gesprächssituationen in der Zielsprache und -kultur überhaupt durchgeführt werden sollten, einen soziopragmatisch kompetenten Sprecher auszeichnet, sondern auch die rezeptive Fähigkeit, implizite Bedeutungen zu erkennen und adäquat zu deuten, oder wie Taguchi (2015, 1) es formuliert, „to notice how people project appropriate levels of politeness or how they communicate meaning indirectly“. Was das Zusammenspiel soziopragmatischer und pragmalinguistischer Fähigkeiten angeht, so zeigen verschiedene Studien auf, dass bei kompetenten Sprechern beide Teilkompetenzen in positiver Wechselwirkung ausgeprägt sein müssen. Die grammatisch fehlerfreie Anwendung sprachlicher Mittel bei mangelnder Sensibilität für kontextabhängige Modalisierung kann somit ebenso zu inadäquatem sprachlichen Handeln führen (cf. Barron 2003; Cohen / Shively 2007; Rose 2005) wie die vergebliche Suche nach der korrekten sprachlichen Realisierungsform bei ausgeprägtem Bewusstsein für die notwendige Anpassung der Illokutionskraft an den Gesprächskontext (cf. Hassall 2006; Pearson 2006). 3. Schwierigkeit 2: Unvollständige Phänomenerschließung Aus den im vorigen Kapitel beschriebenen Desideraten resultiert die Notwendigkeit, eine übersichtliche Zusammenstellung der relevanten sprachlichen Ressourcen und Wissensbestände für didaktische Zwecke auf den verschiedenen Niveaustufen vorzulegen, an der sich Lehrer orientieren können, wenn sie im kommunikativ ausgerichteten Spanischunterricht pragmalinguistische und soziopragmatische Fähigkeiten schulen möchten. Die Erstellung eines umfassenden Kompendiums dürfte sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch als äußerst komplexes, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen erweisen. Zum einen liegt eine kaum überschaubare Vielzahl von Einzelstudien zu pragmatischen Phänomenen der spanischen Sprache und ihren Varietäten aus verschiedenen Forschungsbereichen der in- und ausländischen Hispanistik sowie aus anderen Philologien vor, die den Gegenstand aus kultur- und sprachkontrastiver Perspektive beleuchten, so dass eine Metaanalyse der Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht 295 bestehenden Untersuchungsergebnisse zweifellos ein immenses Projekt wäre. Zum anderen würde der Versuch, die wissenschaftlichen Befunde spezialisierter Einzelanalysen wie Mosaiksteine zu einem Gesamtbild der pragmatischen Besonderheiten der verschiedenen Varietäten des Spanischen zusammenzufügen, nicht nur die erheblichen Fortschritte und konsensfähigen Ergebnisse der pragmatischen Forschung der letzten Jahrzehnte veranschaulichen; er würde sicherlich auch aufzeigen, dass die sprachwissenschaftliche Phänomenerschließung vor allem in einem begrenzten Spektrum der Pragmatik fortgeschritten und produktiv ist. Gegenwärtig verfügen wir jedoch noch nicht über den breitgefächerten, ausdifferenzierten Kenntnisstand, der ein Zusammensetzen der verschiedenen Mosaiksteine zu einem lückenlosen Mosaik ermöglichen würde, so dass wir zwar mit Escandell-Vidal von unterrichtsrelevanten „regularidades pragmáticas, que derivan de la interacción entre los aspectos estructurales y los factores externos que rodean los intercambios comunicativos“ (Escandell- Vidal 2010, 7) reden können, aber von einem Gesamtbild dieser pragmatischen Regularitäten des Spanischen noch weit entfernt sind. So hat sich die Forschung der letzten Jahre insbesondere auf sprachliche Verfahren der Diskursorganisation konzentriert und Mechanismen der Gesprächsstrukturierung (cf. z.B. zum Sprecherwechsel Cestero Mancera 2000) analysiert, wobei vor allem eine Fülle von Arbeiten zu den verschiedenen Formen und Funktionen von Diskursmarkern vorliegt (cf. u.a. Martín Zorraquino / Portolés Lázaro 1999 sowie verschiedene Sammelbände, z. B. Loureda / Acín Villa 2010; Aschenberg / Loureda 2011). Die soliden Befunde in der Diskursmarkerforschung haben in den letzten Jahren in den Bereichen Español Lengua Extranjera ( ELE ) sowie in der Übersetzer- und Dolmetscherausbildung, hauptsächlich in den spanischsprachigen Ländern, bereits zu mehreren konkreten Didaktisierungsansätzen (cf. z.B. Gozalo Gómez 2013; Llamas Saiz / Martínez Pasamar 2006; Mazzini Parejo 2016) und zu einer steigenden Berücksichtigung dieser Phänomene in Spanischlehrwerken geführt. 2 Ein weiteres, speziell aus kontrastiver und interkultureller Perspektive gut erschlossenes Teilgebiet der Pragmatik ist die Sprechaktforschung, die kulturspezifische Divergenzen zur Intensivierung oder Abschwächung 3 sprachlicher 2 Nogueira da Silva (2010) und La Rocca (2011), die verschiedene Spanischlehrwerke auf die explizite Vermittlung von pragmatischen Phänomenen hin analysiert haben, fordern zwar beide prinzipiell eine stärkere Behandlung von Diskursmarkern, merken aber auch positiv an, dass manche Spanischbücher neueren Datums, wie beispielswiese Socios, Conexión, El Ventilador oder Aula Internacional , diese bereits häufiger berücksichtigen als Lehrwerke älterer Generationen. 3 Zu Abschwächungs- und Intensivierungsphänomenen cf. die ausgewählten Publikationen der thematischen Sektion Fenómenos de intensidad semántico-pragmáticos: atenuación e intensificación des Hispanistentags 2015 in Heidelberg (z. B. Mihatsch / Albelda, 296 Kathrin Siebold Handlungen (cf. hierzu v. a. die Arbeiten von Briz und Albelda 4 ), verschiedene Direktheits- und Explizitheitsgrade sowie sprachliche Routinen und Strategien fokussiert. Dies geschieht häufig unter Rückgriff auf Höflichkeitstheorien wie die von Leech (1983) oder Brown / Levinson (1989). Das Hauptaugenmerk liegt bei vielen Sprechaktanalysen auf Expressiva (z. B. Komplimente, Dank, Entschuldigungen) und Direktiva (z. B. Bitten). Generell lässt sich - zumindest für das peninsulare Spanisch - festhalten, dass bestimmte Sprachhandlungen, die das negative face bedrohen, im Spanischen nicht so stark abgeschwächt werden wie beispielsweise im Deutschen, während Sprechakte, die das positive face des Gesprächspartners angreifen, oft weniger explizit ausgedrückt oder ganz vermieden werden (cf. z.B. Siebold / Busch 2015 zu Absagen). Wenn man bedenkt, dass noch in den 90-er Jahren Pioniere der spanischen Höflichkeitsforschung wie Haverkate (1994) forderten, das Spanische nach Parametern der positiven und negativen Höflichkeit zu untersuchen, stellt der mittlerweile erreichte Konsens über die spanische Tendenz zur Wahrung und Aufwertung des positiven face in der sprachlichen Realisierung verschiedener Sprechakte 5 einen deutlichen Forschungsfortschritt bezüglich früherer Arbeiten zur verbalen Höflichkeit dar. Basierend auf solchen kontrastiven Analysen sind auch auf dem Gebiet der Sprechakte in den letzten Jahren immer mehr Studien an der Schnittstelle zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik veröffentlicht worden, die eine praktische Umsetzung sprachwissenschaftlicher Ergebnisse im Fremdsprachenunterricht fordern und teilweise konkrete Übungs- und Aufgabenformate dazu erforscht haben (cf. z.B. Sykes 2013 zu Bitten und Entschuldigungen, Félix-Brasdefer 2008 zu Absagen, Koike / Pearson 2005 zu Vorschlägen); sie sind jedoch meist speziell auf vereinzelte Sprechakte abgeschnitten und decken bei Weitem noch nicht alle in der Alltagssprache relevanten Sprechhandlungen ab. Der Zusammenhang zwischen den erreichten Fortschritten in sprachwissenschaftlichen Studien und methodisch-didaktischer Umsetzung ist evident und Lavric, Flores Treviño, Kornfeld, alle 2016), sowie die demnächst in der online-Zeitschrift Norma erscheinende Auswahl der Beiträge auf dem internationalen Kongress CIAL (Congreso Internacional sobre Atenuación Lingüística: Perspectivas semánticas y pragmáticas ), der im Frühling 2016 von der Forschungsgruppe es.por.atenuación in Valencia organisiert wurde. 4 Vor allem die vor kurzem erschienene Ficha metodológica para el análisis pragmático de la atenuación en corpus discursivos del español (cf. Albelda et al. 2014) bietet auch für didaktische Zwecke eine gute Grundlage, da viele sprachliche Mittel zur Abschwächung explizit aufgeführt und mit Beispielen aus verschiedenen Textkorpora belegt werden. 5 Für das Sprachenpaar Spanisch-Deutsch cf. neben den kontrastiven Studien von Siebold über Bitten, Entschuldigungen, Komplimente und Komplimenterwiderungen (2008), Beschwerden (2011), Dank (2012) und Ablehnungen (Siebold / Busch 2015) auch die Arbeiten von Contreras (z. B. 2007; 2008) und Keim (z. B. 1994) zu Kulturspezifika im Ausdruck verbaler Höflichkeit in beiden Sprachen. Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht 297 logisch: Mit zunehmender Konsolidierung der wissenschaftlichen Befunde innerhalb eines Forschungsbereichs steigt auch deren Berücksichtigung in der Fremdsprachendidaktik. Daher sind weitere systematische Analysen vonnöten, die nicht nur die kulturspezifische Realisierung bislang unerforschter Sprechakte beschreiben, sondern auch weitere noch vernachlässigte Aspekte des pragmatischen Spektrums der spanischen Sprache aufdecken, so dass nach und nach ein evidenzbasiertes Gesamtbild der Pragmatik des Spanischen entsteht, auf das in Methodik und Didaktik zurückgegriffen werden kann. 4. Schwierigkeit 3: Negative Vorurteile über Pragmatik im Fremdsprachenunterricht Die Tatsache, dass die Schulung der pragmatischen Kompetenz im Fremdsprachenunterricht bislang keine zentralere Stellung einnimmt, hängt jedoch nicht nur mit dem unklaren Kompetenzbegriff und fehlenden Überblicksbeschreibungen der pragmatischen Regularitäten der spanischen Sprache zusammen, auf denen Didaktisierungskonzepte für den Unterricht aufbauen könnten. Sie lässt sich meines Erachtens auch auf einige weit verbreitete Einstellungen und Ansichten unter den Fremdsprachenlehrern zurückführen: dass pragmatische Kompetenz nur sehr schwer vermittelbar sei; dass sie ein Selbstläufer sei, weil sie sich bei zunehmender Sprachkompetenz automatisch mitentwickle; dass sie nur durch Eintauchen in die Zielkultur wirklich erworben werden könne; oder dass der Ausbildung anderer sprachlicher Fertigkeiten prinzipiell eine größere Bedeutung zukomme - um nur einige Beispiele zu nennen. In den folgenden Abschnitten möchte ich einige dieser gängigen Ansichten, insbesondere hinsichtlich der Relevanz und der Lehr- und Lernbarkeitsfrage, unter Bezugnahme auf aktuelle Forschungsergebnisse aus der Sprachlehrforschung diskutieren. 4.1 „Pragmatische Kompetenz ist doch kaum vermittelbar! “ Die weit verbreitete Auffassung über die Schwierigkeit, pragmatische Fertigkeiten im Fremdsprachenunterricht erfolgreich zu vermitteln, geht einerseits mit der oben beschriebenen Vagheit des Kompetenzbegriffs einher. Im Vergleich zur Schulung konkret abgesteckter Lerninhalte im grammatischen, lexikalischen und phonetischen Bereich wirkt eine systematische Vermittlung einer nur diffus konzeptualisierten pragmatischen Materie schwer umsetzbar. Andererseits scheint auf dem Gebiet des Pragmatikerwerbs auch Pienemanns teachability hypothesis (Pienemann 1989) nachzuhallen. Vor allem die ersten 298 Kathrin Siebold Veröffentlichungen zur pragmatischen Kompetenz (cf. z.B. Kasper 1997) haben sich kritisch mit der Frage beschäftigt, ob und wenn ja, auf welcher Entwicklungsstufe der Interimssprache explizite Pragmatikvermittlung den Erwerb in natürlichen Kontexten überhaupt beschleunigen und zu einem effektiven Lernzuwachs führen kann. 6 Mittlerweile ist eindeutig nachgewiesen, dass durch gezielte Unterweisung in beiden Teilbereichen der pragmatischen Kompetenz (i.e. pragmalinguistisch und soziopragmatisch) klare Lernerfolge erwirkt werden können. Das belegt vor allem die ausführliche Metaanalyse von Taguchi (2015), die 58 Interventionsstudien zur Pragmatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht zusammenfasst und als ersten Hauptbefund festhält: „These papers provide the generalization that pragmatics is indeed teachable; instructed groups […] tend to outperform their non-instructed counterparts“ (Taguchi 2015, 4). So weist beispielsweise für Spanisch als Fremdsprache Sykes (2013) durch die systematische Schulung kontextabhängiger Entschuldigungsstrategien in virtuellen Lernarrangements einen deutlichen Lernzuwachs bei Studierenden verschiedener Ausgangssprachen nach; für Deutsch als Fremdsprache sei als Beispiel die Studie von Belz / Vyatkina (2005) genannt, die bei den Versuchspersonen nach expliziten Erklärungen über die pragmatischen Funktionen der deutschen Modalverben einen situativ angemesseneren Gebrauch derselben verzeichnen konnte als in den Lernergruppen ohne Unterweisung. Viele Studien lassen jedoch offen, inwieweit die im Posttest demonstrierten Kompetenzen tatsächlich langfristig erworben bzw. auf andere Kommunikationskontexte übertragen werden können, ob das vorgeschlagene Lehrdesign der „didaktischen Intervention“ im Fremdsprachenunterricht sinnvoll anwendbar ist und ob die allgemeine Kosten-Nutzen-Rechnung (cf. Kapitel 4.4) dabei tatsächlich günstig ausfallen würde. 6 Pienemanns Überlegungen zur Lehr- und Lernbarkeit bestimmter sprachlicher Phänomene beziehen sich bekanntlich hauptsächlich auf den Grammatikerwerb. Seine These, dass „the acquisition process cannot be steered or modelled just according to the requirements or precepts of formal instruction“ (Pienemann 1989, 57), wenn die zu erlernende Struktur zu weit über der erreichten Entwicklungsstufe der Lernenden liegt, ist für den Bereich sozioprogramatischer und pragmalinguistischer Ewerbssequenzen nach wie vor kaum erforscht. Trotzdem wird der Begriff der teachability in Bezug auf pragmatische Kompetenzen auch verwendet, wenn es um die Schwierigkeiten des Lehrens und Lernens pragmatischer Inhalte geht (cf. z.B. Siebold 2014 oder Sardegna / Molle 2010). Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht 299 4.2 „Pragmatische Kompetenz muss nicht explizit vermittelt werden, weil sie sich mit zunehmender Sprachkompetenz von selbst entwickelt.“ Die Ansicht, dass pragmatisches Können automatisch mit der allgemeinen Sprachkompetenz einhergeht, ist nicht umsonst weit verbreitet, denn einige Arbeiten bestätigen diesen Zusammenhang. So haben beispielsweise Bardovi- Harlig / Hartfort (1993) in einer Longitudinalstudie beobachtet, wie sich die pragmatische Angemessenheit in der akademischen Sprache der beteiligten Versuchspersonen parallel zur fortschreitenden Sprachkompetenz weiterentwickelt hat. Barron (2003) zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass der Anstieg des allgemeinen Sprachniveaus durch Aufenthalte im Zielsprachenland auch das Spektrum konkreter sprachlicher Mittel zur Realisierung bestimmter Sprechakte deutlich erweitert. Ebenso bestätigt eine Interlanguage-Analyse über den Ausdruck von Bitten von Rose (2000), dass Lerner mit höherem Sprachniveau ohne gezielte Pragmatikvermittlung im Fremdsprachenunterricht automatisch sprachlich komplexere und angemessen abgeschwächtere Bitten formulieren konnten als Anfänger. Interessanterweise geht aus letzterer Studie jedoch auch hervor, dass die fortgeschritteneren Sprecher trotzdem nicht in allen Fällen die Adäquatheit der sprachlichen Realisierungsformen in bestimmten soziokulturellen Kontexten besser einschätzen konnten als Lerner auf niedrigeren Sprachniveaus. Ähnliche Schwierigkeiten bei appropriateness ratings unter verschiedenen fortgeschrittenen Lernergruppen beschreiben auch Bardovi-Harlig / Dörnyei (1997). Tendenziell scheint es also so zu sein, dass pragmalinguistische Komponenten leichter inzidentell im Sprachlernprozess miterworben werden können als soziopragmatische, deren Bedeutung von Fremdsprachenlernern öfter unbewusst verkannt wird. Daher sollten insbesondere soziopragmatische Phänomene explizit im Sprachunterricht benannt und erklärt werden, damit sie im Sinne der noticing-hypothesis von Schmidt (2001) überhaupt als relevanter Input erkannt werden und so entsprechend strukturiert und bewusst verarbeitet werden können. In diesem Zusammenhang zeigen die bereits erwähnten Metaanalysen von Roever (2009) und Taguchi (2015) auch deutlich auf, dass eine implizite Vermittlung pragmatischer Inhalte, also „examples of the use of the target feature are provided, but without metapragmatic explanation and often without telling the learners what the target feature ist“ (Roever 2009, 567), nicht so häufig zu sichtbaren Lernerfolgen führt wie ein explizites Unterrichten derselben Phänomen, also „metapragmatic explanation being provided as rules of use, sometimes combined with examples“ (Roever 2009, 567). 300 Kathrin Siebold Trotz dieser generellen Erkenntnis über die höhere Effektivität expliziter Schulung pragmatischer Fähigkeiten im Vergleich zum inzidentellen Erwerb besteht meiner Ansicht nach jedoch weiterer Forschungsbedarf darin, die Zusammenhänge zwischen dem Zuwachs allgemeiner Sprachkompetenz und der (nicht) automatischen Entwicklung pragmalinguistischer bzw. soziopragmatischer Fähigkeiten genauer zu untersuchen und systematisch zu beschreiben, welche (oft pragmalinguistischen) sprachlichen Mittel in der Regel im Sprachlernprozess problemlos mitgelernt werden und welche (oft soziopragmatischen) Phänomene sich als „lernresistenter“ erweisen und einer expliziten Bewusstmachung bedürfen. 4.3 „Pragmatische Kompetenz erwirbt man am besten im Land der Zielsprache.“ In eine ähnliche Richtung gehen Studien zur Entwicklung der Lernersprache in Immersionskontexten, die zu dem Ergebnis kommen, dass sich zwar das Spektrum der sprachlichen Mittel durch längere Aufenthalte im Land der Zielsprache eindeutig schneller erweitert als in Lernkontexten ohne sprachliche Immersion. So wird z. B. die angemessene Verwendung von Routineformeln besonders durch das Eintauchen in die Zielsprache und -kultur geschult (cf. Kanagy 1999; Taguchi 2014), ebenso wie das konkrete Wissen über syntaktische und lexikalische Strukturen zur Abschwächung bestimmter Sprechakte (cf. Barron 2003, 214). Allerdings ist selbst das Leben im Zielsprachenland kein Garant für umfassendes pragmatisches Lernen, und gewisse Fähigkeiten, wie beispielsweise die korrekte Identifizierung und Entschlüsselung von konversationellen Implikaturen in high context -Kulturen, werden oft auch durch langfristige Sprach- und Kulturkontakte nicht so effektiv gefördert wie durch explizite Erklärungen zum Thema (cf. Bouton 1994). Die Perfektionierung pragmatischer Kompetenzen hängt also, wie bereits unter 4.2 angesprochen, wesentlich von den zu erlernenden Phänomenen ab, wobei häufig gebrauchte, konkrete sowie strukturell einfache sprachliche Mittel tendenziell leichter erworben werden, wie Taguchi (2015, 35) aus ihrer Metaanalyse schlussfolgert. Eine ausführliche Beschreibung pragmatischer Phänomene und ihrer jeweiligen Schwierigkeitsgrade sowie ihre Zuordnung zu konkreten Kompetenzstufen des GeR bleibt nach wie vor ein Forschungsdesiderat. Zur pragmatischen Kompetenz im Spanischunterricht 301 4.4 „Andere sprachliche Fertigkeiten sind viel wichtiger als pragmatische Kompetenz! “ Ein weiteres Problem besteht darin, dass andere Teilfertigkeiten der kommunikativen Kompetenz von Fremdsprachenlehrern für relevanter gehalten werden als pragmatische Kompetenzen, auch wenn die einzelnen Fertigkeiten in der kompetenten Sprachverwendung natürlich integrativ zum Tragen kommen sollten und nur schwer getrennt voneinander behandelt werden können. Die Priorisierung grammatikalischer, lexikalischer, orthographischer und phonetischer Kenntnisse als Grundlagen von Hör- und Leseverstehen, Sprechen und Schreiben ist vor allem in Bildungskontexten geläufig, in denen die Unterrichtsplanung von Zeitdruck durch strenge Lehrpläne bestimmt wird und die vorgesehene Lernzeitspanne für Spanisch als (meist zweite oder dritte) Fremdsprache insgesamt kürzer ist als für die erste Fremdsprache. Insbesondere auf den unteren Niveaustufen A1, A2 und B1, über die der Großteil der Spanischlernenden an Schulen in Deutschland nicht hinauskommt, erscheint eine direkte, unkritische Umsetzung der Forschungsergebnisse zur Pragmatikvermittlung insofern fragwürdig als Interventionsstudien häufig die Vermittlungseffektivität hoch spezialisierter, sprachlich anspruchsvoller und von Anfängern selten gebrauchter Einzelphänomene erforschen, teilweise unter spezifischen Lehrbedingungen, die sich nur auf wenige andere Unterrichtskontexte übertragen lassen. Als Beispiel sei die Studie von Sardegna / Molle 2010 erwähnt, in der im Rahmen einer mehrstündigen Lehrveranstaltung mit japanischen Englischlernern die korrekte Form und Platzierung von Hörersignalen explizit erklärt und systematisch eingeübt wurde, wonach eine klare Verbesserung im Gebrauch verschiedener Hörersignale verzeichnet werden konnte. Die generelle Frage wirft sich jedoch auf, in welchen alltäglichen Unterrichtskontexten man über so viel Zeit zur Schulung eines spezifischen Einzelphänomens verfügt wie in den meisten Interventionsstudien und mit welchen Lernergruppen eine solche Konzentration auf höchst spezielle sprachliche Strukturen motivierend und didaktisch sinnvoll ist. Meiner Ansicht nach sollte man bei jedem pragmatischen Einzelphänomen eine Kosten- Nutzen-Analyse durchführen und kritisch abwägen, ob der benötigte Lehr- und Lernaufwand in Anbetracht der kommunikativen Relevanz der Struktur nicht unverhältnismäßig hoch ist und der eventuell dadurch entstehende Verzicht auf andere grundlegende Inhalte sich lohnt. In diesem Zusammenhang spielt vor allem die Frage nach dem „severity level of the offense“ (Chang 2011, 797) eine wichtige Rolle, also danach, wie schwer Verstöße gegen die einzustudierenden pragmatischen Regularitäten, beispielsweise im Vergleich zu Schwierigkeiten in Wortschatz und Grammatik, tatsächlich wiegen und ob sie zu seriösen Kommunikationsproblemen führen würden. 302 Kathrin Siebold 5. Zusammenfassung und Ausblick Ausgehend von der allgemeinen Überzeugung, dass pragmatische Fähigkeiten für eine kompetente, kontextadäquate und adressatengerechte Interaktion in der Zielsprache von großer Bedeutung sind - und der daraus resultierenden Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung pragmatischer Phänomene in der Fremdsprachendidaktik - zeigt dieser Artikel einige Schwierigkeiten auf, die erklären, warum Forderung und Förderung der pragmatischen Kompetenz im Bereich des Spanischen als Fremdsprache nicht selbstverständlich miteinander einhergehen. Zum einen besteht in der gegenwärtigen Forschung noch kein Konsens darüber, welche konkreten sprachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten pragmalinguistisch und soziopragmatisch kompetente Lerner eigentlich auszeichnen. Eng damit zusammen hängt der Umstand, dass die Forschung in den letzten Jahren zwar erhebliche Fortschritte und viele konsensfähige Ergebnisse im Bereich der (kontrastiven und interkulturellen) Pragmatik erzielt hat, bislang jedoch noch nicht über einen vollständigen und ausdifferenzierten Kenntnisstand über die pragmatischen Regularitäten des Spanischen verfügt. Als verlässliche Grundlage für didaktisches Handeln müssten die in vielen hochspezialisierten Einzelstudien bereits erreichten Ergebnisse übersichtlich gebündelt und zusammen mit weiteren Phänomenerschließungen nach und nach zu einem Gesamtbild der Pragmatik der spanischen Sprache zusammengefügt werden. Auf diese Weise könnte auch eine pragmatische Progression für den spanischen Fremdsprachenunterricht bestimmt werden, die sprachliche Mittel in Abhängigkeit von ihrer kommunikativen Bedeutung und ihrer grammatischen und lexikalischen Komplexität auf den verschiedenen Entwicklungsstufen der Lernersprache ansiedelt. Eine solche Systematisierung könnte auch den bestehenden kritischen Ansichten über die schwere Lehr- und Lernbarkeit sowie die geringe Relevanz bestimmter pragmatischer Phänomene entgegenwirken. Albelda, Marta. 2007. La intensificación como categoría pragmática: revisión y propuesta . Frankfurt am Main: Lang. Albelda, Marta et al. 2014. „Ficha metodológica para el análisis pragmático de la atenuación en corpus discursivos del español (es.por.atenuación)“, in: Oralia: Análisis del discurso oral , 17, 7-62. Alcón-Soler, Esther. 2013. „Teachability and bilingual effects on third language knowledge of refusals“, in: Intercultural Pragmatics , 9, 511-541. 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Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 307 Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz Die Rolle von Diskursmarkern bei der Bewältigung von Sprecher- und Höreraufgaben in der Fremdsprache Spanisch Britta Thörle Ein wichtiger Teilaspekt des Leitziels kommunikative Kompetenz ist die Fähigkeit, Gespräche in der Fremdsprache zu beginnen, aufrechtzuerhalten und zu beenden, das Rederecht zu ergreifen und abzugeben, ein Thema einzuführen und abzuschließen sowie das gegenseitige Verständnis sicherzustellen. Dabei handelt es sich zunächst um grundlegende interaktionsorganisatorische Aufgaben, die den Lernenden als Verfahren bereits durch ihre Sozialisierung in der Muttersprache vertraut sind. Allerdings spielen bei der Bewältigung dieser Aufgaben sprachspezifische Mittel eine Rolle, die von Sprechern als Ressource genutzt werden, um konversationelle Bedeutung für die Gesprächsbeteiligten inferierbar zu machen. Zu diesen sprachlichen Mitteln gehören unter anderem Diskursmarker, die manchmal als „Floskeln“ oder „Schmiermittel“ abgetan werden und nur wenig systematische Berücksichtigung im Fremdsprachenunterricht finden. Für die Fremdsprachendidaktik stellen sie eine Herausforderung dar, weil sie als sprachliche Kategorie schwer zu fassen sind, in der (muttersprachlichen) Sprachverwendung einen hohen Automatisierungs- und geringen Bewusstheitsgrad aufweisen und nur ansatzweise lexikographisch erfasst sind. Studien zum Gebrauch von Diskursmarkern in L2 zeigen, dass Lernende zwar durchaus häufig Diskursmarker verwenden, in der Regel aber selbst auf fortgeschrittenem Niveau nur über ein sehr begrenztes Repertoire verfügen, das zudem lernersprachliche Phänomene wie Übergeneralisierungen, Interferenzen und pragmatische Fossilisierungen aufweist. Am Beispiel von Sprecher- und Höreraufgaben soll im Folgenden gezeigt werden, welche Rolle Diskursmarker bei der Bewältigung von Gesprächsaufgaben spielen und welchen Gebrauch Lernende unterschiedlicher Kompetenzniveaus von dieser Ressource machen, um anschließend einige Überlegungen zum Stellenwert von Diskursmarkern als sprachliche Mittel in der Spanischdidaktik anzustellen. 308 Britta Thörle 1. Gesprächskonstitution als kollaborative Aufgabe Damit ein Gespräch zustande kommt, reicht es nicht aus, dass zwei oder mehrere Sprecher nacheinander etwas sagen. Ein Gespräch zu beginnen, aufrechtzuerhalten und abzuschließen, ist vielmehr eine gemeinsame kollaborative Konstitutionsleistung der Beteiligten, die während ihrer Interaktion permanent verschiedene Aspekte der Gesprächskonstitution bearbeiten müssen (cf. Kallmeyer 1985, 85): • Gesprächsorganisation: Die Beteiligten organisieren Eröffnung und Beendigung ihres Gesprächs sowie die Abfolge ihrer Sprechbeiträge. • Handlungskonstitution: Die Beteiligten produzieren mit ihren sprachlichen Aktivitäten Handlungszusammenhänge wie z. B. eine Verabredung treffen. • Sachverhaltsdarstellung: Die Beteiligten stellen mehr oder weniger komplexe inhaltliche Zusammenhänge dar wie z. B. Erzählungen, Beschreibungen, Argumentationen. • Identitäts- und Beziehungskonstitution: Die Beteiligten definieren durch ihre sprachlichen Aktivitäten ihre Rollen, Identitäten und sozialen Beziehungen im Gespräch. • Modalitätskonstitution: Die Beteiligten zeigen die Ernsthaftigkeit, Scherzhaftigkeit, den institutionellen Charakter etc. ihrer Interaktion an. • Reziprozitätsherstellung: Die Beteiligten versichern sich ihrer gegenseitigen Verständigung und Kooperation. Bei der Bearbeitung dieser Aufgaben greifen Sprecher auf sprachliche Mittel als Ressourcen zurück, die auf die Erfüllung bestimmter interaktionsorganisatorischer Aufgaben zugeschnitten sind und deren Einsatz innerhalb eines bestimmten sequenziellen Kontexts die „‚Funktionen‘ und ‚interaktionalen Bedeutungen‘ von Äußerungen“ (Selting / Couper-Kuhlen 2000, 90) interpretierbar macht. So spielen sprachliche Mittel eine wichtige Rolle bei der Signalisierung von Kohärenz zwischen Redebeiträgen, bei der Themenorganisation, bei der Organisation von Reparaturen sowie bei der Rederechtsverteilung (cf. Selting / Couper-Kuhlen 2000, 91). Der Zusammenhang zwischen sprachlichen Mitteln und Interaktion ist wechselseitig und sprachspezifisch, so dass die Art, wie interaktionale Aufgaben erfüllt werden, von den in der jeweiligen Sprache verfügbaren Ressourcen abhängt (cf. Selting / Couper-Kuhlen 2000, 82 und 89). Für den Fremdsprachenerwerb bedeutet dies, dass Lernende, auch wenn sie die konversationellen Prinzipien der Gesprächskonstitution bereits durch die Sozialisation in der Muttersprache erworben haben, die sprachstrukturellen Mittel, mit denen bestimmten Funktionen innerhalb der Interaktions- Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 309 organisation erfüllt werden, sowie den spezifischen Zusammenhang zwischen Sprachstruktur und Interaktionskonstitution erst noch erlernen müssen. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen ( GER ) trägt diesem Zusammenhang zwischen sprachlichen Mitteln und kommunikativer Kompetenz Rechnung, indem er kommunikative Kompetenz als Zusammenspiel linguistischer, soziolinguistischer und pragmatischer Kompetenzen definiert ( GER , Kap. 5). Auch der Plan Curricular del Instituto Cervantes ( PCIC ) berücksichtigt den engen Zusammenhang zwischen Grammatik und Pragmatik bei der Entwicklung diskursiver und funktionaler Kompetenzen, indem er ein Inventar von „Tácticas y estrategias pragmáticas“, d. h. eine Liste pragmatischer Phänomene und ihrer sprachlichen Realisierungen im Spanischen zur Verfügung stellt ( PCIC , Kap. 6): Así pues, el inventario de Tácticas y estrategias pragmáticas pretende ofrecer un repertorio de recursos lingüísticos y de tácticas y estrategias pragmáticas que utilizan los hablantes de español para construir e interpretar los discursos de forma apropiada al contexto, para modalizar sus enunciados y mostrar, de este modo, su actitud ante lo dicho y ante el interlocutor, y para interactuar con otros de acuerdo con las reglas propias de la cortesía estratégica. Zu diesem Repertoire an sprachlichen Ressourcen gehören auch Diskursmarker, deren Relevanz für die Ausbildung kommunikativer Kompetenz in der Fremdsprache im Folgenden beleuchtet werden soll. 2. Diskursmarker als sprachliche Mittel in der Fremdsprache Das Konzept des Diskursmarkers ist ein schwieriges. Der Begriff wird in der Forschung extrem uneinheitlich verwendet 1 und ist auch innerhalb einzelner theoretischer Zugänge nicht leicht zu fassen. Ohne an dieser Stelle auf die Diskussion dieser Probleme im Einzelnen einzugehen (cf. dazu insbesondere Fischer 2006), sollen hier lediglich die wesentlichen Merkmale des Diskursmarkerverständnisses skizziert werden, das der nachfolgenden Analyse zugrunde liegt. In der sprachwissenschaftlichen Forschung werden Diskursmarker meistens als funktionale Kategorie definiert. Während Formen wie pues , ¿eh? , mira , bueno , etc. aus formaler Sicht keine homogene Wortklasse bilden, können sie unter funktionalen Gesichtspunkten zu einer gemeinsamen Kategorie gezählt werden, die Bazzanella (1995, 225) folgendermaßen definiert: 1 Beispielsweise wird Diskursmarker zuweilen in scharfer Abgrenzung, zuweilen aber auch teilsynonym mit konkurrierenden Begriffen wie Konnektor oder Modalpartikel gebraucht. 310 Britta Thörle I segnali discorsivi sono quegli elementi che, svuotandosi in parte del loro significato originario, assumono dei valori aggiuntivi che servono a sottolineare la strutturazione del discorso, a connettere elementi frasali, interfrasali, extrafrasali e a esplicitare la collocazione dell’enunciato in una dimensione interpersonale, sottolineando la struttura interattiva della conversazione. Werden Formen wie bien in (1) als Diskursmarker verwendet, haben sie keinen Satzgliedstatus und ihr semantischer Gehalt ist reduziert. Anstelle referentieller oder propositionaler Eigenschaften treten diskursbezogene Funktionen wie in diesem Beispiel die Themeneröffnung. (1) - ¿Cómo está vuestra familia, Alteza? - Muy bien, mi general. Gracias. - Bien. Tengo que anunciaros algo. (Vilallonga, cf. Martín Zorraquino / Portolés 1999, 4197) Wie in Bazzanellas Definition werden die Funktionen von Diskursmarkern häufig zu verschiedenen Makrofunktionen zusammengefasst. Für das Spanische schlagen López Serena / Borreguero Zuloaga (2010) folgende Funktionsklassen vor: • interaktionale Funktion (Sprecherwechsel, Aufmerksamkeits- und Kontaktherstellung), • metadiskursive Funktion (Diskursstrukturierung und Formulierungsarbeit), • kognitive Funktion (Textverknüpfung, Argumentation, Modalisierung). Eine 1: 1-Zuordnung von Diskursmarkern zu den genannten Klassen ist allerdings nicht möglich, da Diskursmarker in zweifacher Weise polyfunktional sind. Einerseits kann ein Diskursmarker, je nach Kontext, unterschiedliche Funktionen erfüllen, und andererseits kann eine einzige Form mehrere Funktionen gleichzeitig haben (cf. auch Weidenbusch 2014, 16). Der Gebrauch und die Interpretation von Diskursmarkern sind also in hohem Maße von prosodischen und kontextuellen Faktoren abhängig. Hinzukommt eine hohe soziolinguistische Variabilität, was die Formulierung von Regelhaftigkeiten zusätzlich erschwert. Die genannten Eigenschaften - formale Heterogenität, Polyfunktionalität, hohe Variabilität - machen Diskursmarker zu einem potenziell schwierigen Gegenstand des Lehrens und Lernens einer Fremdsprache. Aus Studien zum Erwerb von Diskursmarkern in verschiedenen romanischen Sprachen 2 wissen wir, dass Diskursmarker zwar von Anfang an verwendet werden, das Formenrepertoire und dessen funktionale Differenzierung jedoch zunächst äußerst begrenzt 2 Für einen Forschungsüberblick cf. auch Borreguero Zuloaga / Thörle (2016). Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 311 sind und erst ab einem mittleren Kompetenzniveau langsam zunehmen (cf. u.a. Fernández et al. 2014 für Spanisch L2; Guil et al. 2008 für Italienisch L2; Kerr- Barnes 1998 und Hancock 2000 für Französisch L2), wobei die Fortschritte langsamer sind als in anderen Bereichen beispielsweise des Grammatikerwerbs und irgendwann stagnieren (Romero Trillo 2002). Jafrancesco (2015) beobachtet für Italienisch L2, dass Lerner auf dem Niveau A des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) vor allem Marker mit interaktionaler Funktion, darunter viele Überbrückungsphänomene ( riempietivi ‚Füllwörter’ bei Jafrancesco), verwenden. Diskursmarker mit metadiskursiver Funktion (d. h. Gliederungssignale und Reformulierungsindikatoren) werden insgesamt seltener verwendet. Ihr Anteil steigt aber mit dem Kompetenzniveau, was mit der Zunahme der Fähigkeit einhergeht, längere Turns zu organisieren und zu strukturieren, Zusammenhänge zwischen Äußerungen herzustellen und damit dem Gesprächspartner bessere Verstehensanleitung zu geben. Anders als Muttersprachler verwenden Lerner selten Kombinationen von Formen. Für den spanischen Diskursmarker claro beispielsweise zeigt Ciarra Tejada (2012, 39), dass dieser von Muttersprachlern oft in Kombination mit anderen Markern wie pues claro , claro que sí verwendet wird, was in ihrem Lernerkorpus nicht der Fall ist. Anders als bei den Lernenden variiert claro im muttersprachlichen Repertoire außerdem mit weiteren Formen wie exacto , lógico , así es , etc. Der Marker wird von Muttersprachlern auch in mehr funktionalen Zusammenhängen gebraucht als in der Lernersprache. Dass Diskursmarker als sprachliche Mittel von Lernenden weniger oder anders verwendet werden als von Muttersprachlern, heißt nicht zwangsläufig, dass die typischerweise mit den Markern verbundenen Gesprächsaufgaben nicht bearbeitet werden. Betrachtet man Gespräche in der Lernersprache aus interaktionaler Perspektive, zeigt sich, dass Lernende unterer oder mittlerer Kompetenzniveaus die ihnen in der Lernersprache zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel kreativ ausnutzen und für ihre kommunikativen Zwecke reinterpretieren. So beobachtet House (2013, 65) in einem englischen Lernersprachenkorpus: ELF users were found to achieve this [pragmatic fluency, BT ] by creatively re-interpreting the discourse markers yes / yeah , so and okay for their own discourse structuring purposes and for the expression of their own perspective on the discourse as well as for expressing a concern for their interlocutor. Für die französische Lernersprache konnte gezeigt werden, dass Lerner unterer und mittlerer Kompetenzstufen in diesem Zusammenhang vor allem auf einfache (d. h. phonetisch und morphologisch wenig aufwendige) Formen zurückgreifen, die früh im Lernerwortschatz verfügbar sind (z. B. oui , et ). Diese Formen werden polyfunktional verwendet, indem ihr jeweiliger Wert durch prosodische Mittel und unter Ausnutzung des Kontexts angezeigt wird (cf. Thörle 2016). 312 Britta Thörle Im Folgenden soll der Gebrauch von Diskursmarkern im Spanischen als Fremdsprache unter einer ähnlichen Perspektive betrachtet werden. Im Vordergrund stehen zwei konversationelle Aufgaben: die Übernahme des Rederechts und das Hörer-Feedback. Am Beispiel von vier Gesprächen zwischen Lernern und Muttersprachlern wird gezeigt, wie Lernende mit unterschiedlichen Kompetenzen im Spanischen diese Aufgaben bewältigen. 3. Die Verwendung von Diskursmarkern bei der Bewältigung von Sprecher- und Höreraufgaben Die im Folgenden analysierten Gespräche entstammen einem an der Universität Siegen erhobenen Lernersprachenkorpus, das Sprachaufnahmen mit Lernern unterschiedlicher Kompetenzstufen bei der Bewältigung verschiedener kommunikativer Aufgaben beinhaltet (mündliche Wiedergabe einer Bildergeschichte, Diskussion zwischen Lernern über ein vorgegebenes Thema, Telefongespräch mit Muttersprachlern). Für die Analyse wurden vier simulierte Telefongespräche zwischen Lernern und Muttersprachlern ausgewählt. Zusätzlich wird ein weiteres Gespräch zwischen zwei Muttersprachlerinnen als Vergleichskorpus hinzugezogen. Die Lerner sind Studierende verschiedener Universitäten, die Spanisch als Fach oder Teilfach im Studium belegen. Sie unterscheiden sich in ihrer Sprechfertigkeit, die approximativ durch Sprachflussmessungen erhoben wurde. Eine schnellere speech rate wird dabei als Indikator für eine fortgeschrittenere Sprechkompetenz herangezogen: 3 Sprecher Speech rate (Wörter pro Min.) Lernjahre Spanisch Auslandsaufenthalte JU -1 92,7 4 nein AW -1 94,0 5 nein KS -1 112,5 6 ja AG -2 136,6 8 ja HN -1 176,5 Muttersprache Tab. 1: Sprachflussmessung 3 Die Sprachflussmessung kann nur als Annäherung an die mündlich-produktive Sprachkompetenz dienen. Durch sie wird lediglich der Aspekt der fluency (‚Flüssigkeit’), nicht der accurancy (‚Akkuratheit’) erfasst. Zu einer kritischen Evaluation der Methode cf. Koch (2017). Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 313 Für die Aufnahmen wurden die Lernenden gebeten, sich vorzustellen, dass sie eine Exkursion, einen längeren Auslandsaufenthalt, einen Studienortwechsel oder Ähnliches planen. Sie wurden dann gebeten, bei spanischen Kultur- oder Sprachlerninstituten bzw. der spanischen Lektorin einer anderen Universität anzurufen, ihr Anliegen vorzutragen und Informationen einzuholen. Die Gesprächspartner waren spanische Muttersprachlerinnen, die tatsächlich beruflich in vergleichbaren Bereichen tätig sind, im Moment des Telefonats aber über den simulierten Charakter informiert waren. Das Format der Simulation hat den Vorteil, dass die simulierten Gespräche weniger vorstrukturiert sind als etwa Interviews, bei denen die Gesprächsrollen von Interviewer und Interviewten stärker festgelegt sind und von vornherein zu asymmetrischen Beteiligungsformen führen. Eine Besonderheit des Telefongesprächs ist, dass den Beteiligten nur der akustische Kanal zur Verfügung steht und keine gestischen oder mimischen Ressourcen eingesetzt werden können. Dieses Forschungsdesign bringt den Nachteil mit sich, dass diese für die Lernerkommunikation ebenfalls wesentlichen nonverbalen Elemente nicht untersucht werden können. Es hat aber den Vorteil, dass die Probanden gezwungen sind, auf sprachliche oder zumindest vokale Mittel für die Gesprächsorganisation zurückzugreifen, was wiederum Aufschluss über die verfügbaren Ressourcen gibt. Die Analyse konzentriert sich auf die Bewältigung zweier konversationeller Aufgaben, von denen eine die Sprecher- und eine die Hörerrolle der Lernenden betrifft: 1. Sprecheraufgabe: Übernahme des Rederechts nach einer Frage 2. Höreraufgabe: Feedback Fragen und Antworten bilden so genannte Paarsequenzen, aufeinander bezogene sprachliche Handlungen, die in der Beziehung der konditionalen Relevanz zueinander stehen, indem die erste Handlung (Frage) die zweite (Antwort) erwartbar macht. Mit einer Frage setzt ein Sprecher den Gesprächspartner in gewisser Weise unter Zugzwang, den Turn zu übernehmen und den zweiten Teil der Paarsequenz zu liefern. Wird die Erwartung nicht eingelöst, entsteht eine kommunikative Störung. Ähnliches gilt für das Hörerfeedback. Jeder weiß, dass ein Telefongespräch schnell zusammenbricht, wenn nicht beide Gesprächspartner permanent ihre Anwesenheit und Aufmerksamkeit durch verbale Reaktionen oder nonverbale Signale anzeigen. Die Funktion des Hörerfeedbacks geht aber über die Aufrechterhaltung des Kanals hinaus. Auch der „Hörer“ trägt quasi als „Ko-Autor“ durch verbale oder nonverbale Mittel aktiv zur Äußerungskonstruktion bei (cf. insbesondere Goodwin 1995), indem er Aufmerksamkeit signalisiert, Empfang und Verständnis der Nachricht bestätigt, Zustimmung oder Ablehnung äußert und schließlich auch zur Beziehungsgestaltung im Ge- 314 Britta Thörle spräch beiträgt (cf. Bazzanella 1995, 241sqq.). Diskursmarker spielen bei der Bewältigung dieser Aufgaben eine prominente Rolle. 3.1. Sprecheraufgabe: Turn-Übernahme Am Turn-Anfang haben Sprecher mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen. Sie müssen die Aufmerksamkeit auf den beginnenden Turn richten, die Übernahme des Gesprächsfadens signalisieren, sich mit den Projektionen vorausgehender Turns auseinandersetzen und Eigenschaften des gerade beginnenden Turns projizieren (cf. Deppermann 2013). Bei der Bearbeitung dieser Aufgaben spielen Diskursmarker eine prominente Rolle, indem sie die Rederechtsübernahme markieren, dem floor-holding während des Formulierungsprozesses dienen, phatische Funktionen übernehmen, Aufmerksamkeit herstellen oder die folgende Äußerung abtönen (cf. Bazzanella 1995, 233sq.). Im Folgenden werden wir die Realisierung von Turn-Anfängen aus vier Telefongesprächen mit Spanischlernenden miteinander vergleichen. Zum Vergleich werden außerdem die Daten aus einem unter gleichen Bedingungen simulierten Gespräch zwischen Muttersprachlern verglichen, wobei eine der Sprecherinnen ( HN , siehe unten) dieselbe Rolle wie die Lernenden einnimmt. Um eine möglichst gute Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, konzentriert sich die Analyse auf Turn- Anfänge, die auf W-Fragen folgen und eine Antwort einleiten. Solche Turn- Anfänge sind im verwendeten Korpus erwartbar, da die Probanden sich in den Simulationen um eine Sprachassistentenstelle, ein Stipendium, einen Studienplatz etc. bemühen und Fragen zu ihren Motiven, Vorstellungen und Erfahrungen beantworten. Die Tabelle zeigt, welche Diskursmarker von den Probanden am Turn-Anfang verwendet werden: Sprecher AW JU KS AG HN (L1) Antworten auf W- Fragen 4 6 6 10 5 direkt beginnend - - 1 - - (nur) mit nonverbalem Element beginnend 3 4 2 5 1 mit DM beginnend 1 2 3 5 4 am Beginn der Antwort verwendete DM sí sí okay sí bueno bueno pues pues mire Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 315 Sprecher AW JU KS AG HN (L1) Repertoire aller im Gespräch verwendeten DM ¿o? okay sí vale y ya / ja okay sí vale y bueno claro entonces es que está bien exacto genial muy bien okay pues qué bien sí suena muy bien y bueno cierto claro de acuerdo digamos es que eso exacto muy bien ¿no? o sea perfecto primero sí vale y bueno claro de acuerdo digamos en fin entonces mire o o sea pues sí y Tab. 2: Redemittel am Turn-Anfang Die beiden Probanden AW und JU benutzen in den Telefongesprächen insgesamt ein sehr begrenztes Diskursmarkerrepertoire (im Wesentlichen sí , okay , vale , y ). Ihre reaktiven Turns beginnen in der Regel mit einem nonverbalen Überbrückungselement (wie eh , ehm ), das einerseits den Kanal akustisch belegt und damit dem Gesprächspartner am Telefon die Turn-Übernahme signalisiert und andererseits dem Sprecher Zeit für die Formulierungsarbeit verschafft. 4 Werden verbale Formen als Diskursmarker verwendet, handelt es sich immer um sí und okay , denen wiederum hesitation phenomena vorausgehen oder folgen: 5 (2) 15 L 6 : sí y y [y tengo] tengo unas preguntas ((lacht)) 16 M: [bueno ] 17 sí (.) claro con mucho gusto; (.) 18 cuál es la primera; 19 L: ehm (.) sí ehm : me: gustaría e: hm (-) saber (.) 4 Dies entspricht den Beobachtungen von Jafrancesco (2015, 14). In ihrem italienischen Korpus ist die Turnübernahme bei Lernern niedrigerer Kompetenzniveaus ausschließlich durch nonverbale Marker wie ah , ahm , ehm , oh markiert, die auch bei fortgeschrittenen Lernern dominieren. Allerdings werden diese auf den mittleren und höheren Kompetenzniveaus zunehmend durch lexikalische Mittel ( allora , bene , ma , non so , sì ) ersetzt. 5 Die Transkriptionskonventionen sind an das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem GAT angelehnt (cf. Selting et al. 2009 und Hinweise am Ende des Artikels). 6 L=LernerIn; M=Muttersprachlerin. 316 Britta Thörle 20 cuáles son las condiciones para la participación 21 ehm en (-) en ehm (-) este programa, (.) […] (AW) (3) 28 M: y: qué nivel aparece en el certificado? (1.1) 29 L: e: : hm ( 1 . 0 ) e: : h ( 1 . 0 ) ah okay e: hm (--) 30 yo pienso que es (-) e: hm (--) e: h (--) 31 be dos, (-) dos (-) pienso (.) que es […] (JU) (4) 41 M: y: (-) puedo hacer una pregunta, eh (1.8) 42 por qué quiere entrar 43 en el programa de asistente, (1.0) 44 L: sí (.) e: hm ( 1 . 1 ) e: h yo quiero,(.) 45 e: hm (--) eh participar a este (.) en este pro (.) 46 en este programa: (.) ehm (--) 47 porque: eh soy muy inter eh interesado 48 en ehm la enseñanza: e: hm (.) de de alemán (.) 49 como lengua e_e_e extranjera, (-) […] (JU) Auffällig ist in allen Fällen, dass sí und okay von Überbrückungselementen umgeben sind und klar im Zusammenhang mit der Formulierungsarbeit stehen. Anders verhält es sich bei AG und KS . Die in ihren Gesprächen verwendeten Gesamtrepertoires sind insgesamt umfangreicher. Am Turn-Beginn verwenden die Probandinnen bueno bzw. bueno oder sí. Auch nonverbale Überbrückungselemente spielen eine Rolle. (5) 49 M: sí (.) entonces la siguiente pregunta sería 50 qué: (---) qué estudios tiene.(--) 51 L: sí e: h yo estudio, (--) e: h una carrera que 52 se llama [STUDIENGANG], […] (KS) Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 317 Daneben verwendet KS am Turn-Anfang aber auch bueno , ebenso wie AG : (6) 108 M: sí muy bien (.) 109 °h y ehm la siguiente pregunta sería por qué, 110 decidió estudiar español. (.) 111 L: hm_hm, 7 (.) °h bueno yo había aprendido ya algo 112 de español (.) en el colegio, (.) °h (.) 113 y ehm: (--) sí (.) por eso: luego de (.) pasar 114 el año en españa decidí ehm (.) estudiarlo. […] (KS) (7) 235 M: […] y cuánto tiempo quería usted quedarse en la 236 universidad de siegen (1.2) 237 L: bueno; lo que me gustaría es como acabar el (.) 238 el B. A., o sea un año? (1.2) más o menos? (1.4) 239 si eso es posible, pero si no: (-) bueno 240 <<lachend>lo que me ofrece> (AG) (8) 182 M: qué es lo que no le gusta de la carrera en [STADT]? 183 L: (---) e: hm (.) bueno primero, es que (-) está 184 todo como: (1.3) en un: está como hace veinte 185 años […] (AG) In (5) verwendet KS bei der Rederechtsübernahme sí in ähnlicher Funktion wie JU in (4). Sí ist in diesen Fällen eine Art Scharnier (cf. dazu auch Martín Zorraquino / Portolés 1999, 4192sq.), mit dem die Sprecherin einerseits die Rezeption des vorangegangenen Beitrags und andererseits die Bereitschaft zur Übernahme des Rederechts signalisiert. Mehr als sí in (2), (4) und (5) scheint bueno in den Lerneräußerungen in (6) bis (8) auf die ihm folgende Äußerung ausgerichtet. Der Diskursmarker wird mit relativ hoher Sprechgeschwindigkeit geäußert, nachdem ihm Pausen, Überbrückungsphänomene oder ein Rezeptionssignal vorausgegangen sind. Es folgt zwar eine prosodische Zäsur, es entsteht aber keine Pause, und die Intonation projiziert eine Fortsetzung. Die wesentliche Funktion von bueno scheint deshalb die Markierung des Beginns der Antwort zu 7 hm_hm ist hier als nonverbales Rezeptionssignal zu interpretieren, mit dem der Erhalt der Frage bestätigt wird. Es handelt sich nicht um ein Überbrückungsphänomen. 318 Britta Thörle sein. 8 Bei AG korrespondiert die Verwendung von bueno in (7) und (8) mit dem Gebrauch äußerungsstrukturierender Redemittel wie der Cleftkonstruktion lo que me gustaría es (an anderer Stelle auch: bueno (.) lo que pasa es ) und des Markers primero , die als Indikatoren einer fortgeschrittenen diskurspragmatischen Kompetenz betrachtet werden können. Ein anderer im Spanischen sehr häufig am Beginn von Antworten auf Fragen verwendeter Diskursmarker ist pues , der auch von der Probandin mit Spanisch L1 verwendet wird (in zwei Fällen in der ebenfalls frequenten Kombination pues mire ) . Von den Lernenden wird pues in den Antworten auf Fragen nicht verwendet. Aufgrund des sehr kleinen Korpus können daraus jedoch noch keine Rückschlüsse gezogen werden. 9 3.2. Höreraufgabe: Aufmerksamkeit, Verstehen und Zustimmung signalisieren Im Gespräch wechseln sich Sprecher- und Hörerrolle ab. Der jeweilige Hörer ist jedoch keineswegs passiv, sondern trägt aktiv zur Konstruktion der Sprecheräußerung bei, indem er den Redebeitrag des Gesprächspartners durch Hörersignale begleitet. Mroczynski (2014, 75) unterscheidet innerhalb der Hörersignale zwischen Kontaktsignalen, Höreräußerungen und Gesprächsschritt beanspruchenden Signalen. Während Kontaktsignale lediglich der Aufrechterhaltung des Gesprächs dienen, sind Höreräußerungen semantisch komplexer und können Bewertungen, Kommentierungen usw. enthalten. Mit Gesprächsschritt beanspruchenden Signalen gibt der Hörer schließlich zu verstehen, dass er selbst das Rederecht übernehmen möchte. Die folgende Tabelle zeigt die im Lernerkorpus verwendeten Hörersignale: 8 In der lexikographischen Beschreibung wird bueno als polyfunktionaler Diskursmarker beschrieben, der, wenn er am Beginn eines Redebeitrags steht, u. a. die Rezeption des Vorgängerbeitrags, die Übernahme des Turns und die Planung einer Antwort signalisieren kann (cf. Martín Zorraquino / Portolés 1999, 4193sq.; Fuentes Rodríguez 2009, 61sqq.). Fuentes Rodríguez (2009, 61) zufolge bildet bueno in dieser Funktion im muttersprachlichen Spanisch typischerweise eine eigene Intonationseinheit und ist von Pausen umgeben. 9 Sollte sich die Beobachtung in einem größeren Korpus bestätigen, könnten zwei Einflussfaktoren für die Präferenz von bueno eine Rolle spielen: erstens die relative Nähe zwischen sp. bueno und dt. gut , das ebenfalls als Diskursmarker fungieren kann, und zweitens die Polyfunktionalität von bueno , das von den Lernern an anderer Stelle u. a. auch als Reformulierungsindikator, Überbrückungsphänomen oder eine Konklusion einleitendes Signal verwendet wird. Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 319 Sprecher AW JU KS AG HN (L1) Hörersignale aha hm_hm okay sí vale ah (okay) ya / dt. ja hm_hm okay sí vale ah claro está bien exacto genial hm_hm okay qué bien sí suena muy bien ah perfecto cierto claro de acuerdo eso exacto hm_hm sí vale ah claro de acuerdo hm_hm sí Repertoire aller im Gespräch verwendeten DM ¿o? okay sí vale y ya / ja okay sí vale y bueno claro entonces es que está bien exacto genial muy bien okay pues qué bien sí suena muy bien y bueno cierto claro de acuerdo digamos es que eso exacto muy bien ¿no? o sea perfecto primero sí vale y bueno claro de acuerdo digamos en fin entonces mire o o sea pues sí y Tab. 3: Hörersignale Auffällig ist zunächst die im Vergleich zu den Diskursmarkern am Beginn reaktiver Turns größere Variation der Elemente, die als Hörersignale verwendet werden. Das gilt auch für AW und JU , deren gesamtes Diskursmarkerrepertoire vorwiegend aus potenziellen Hörersignalen besteht (außer dem Sprechersignal ¿o? und dem Konnektor y ). Die von diesen Probanden verwendeten Signale sind neben nonverbalem hm_hm und ah semantisch relativ unspezifische Kontaktsignale, die lediglich die Rezeption der Partneräußerung bestätigen. Sí , vale und okay sind zwar potenziell affirmative Elemente, die den propositionalen Gehalt der vorangegangenen Äußerung bestätigen bzw. Zustimmung zu und Einverständnis mit ihr ausdrücken können. Dieser affirmative Wert ist in der Verwendung als Hörersignal jedoch weitgehend verblasst. In (9), Z. 27, und (10), 320 Britta Thörle Z. 112sq., bestätigt sí ähnlich wie hm_hm lediglich die Rezeption, nicht aber den propositionalen Gehalt des Gesagten, dessen Korrektheit die Fragenden gar nicht beurteilen können. Ebenso wenig drücken okay und vale in diesen Ausschnitten Zustimmung oder Einverständnis aus. (9) 18 M: cuál es la primera [pregunta, B. T.]; 19 L: ehm (.) sí ehm: me: gustaría e: hm (-) saber (.) 20 cuáles son las condiciones para la participación 21 ehm en (-) en ehm (-) este programa (.) ehm 22 por ejemplo (.) ehm (-) QUÉ nivel de lengua ehm (-) 23 tengo (.) que (-) ehm ss (--) te/ tener (-) sí. 24 M: bueno (.) por lo menos e: h (.) u: n (---) be dos, 25 L: (1.2) hm_hm 26 M: eh (.) un nivel be dos de lengua, (.) 27 L: sí 28 M: e: : h o el ser e: h estudiante: (.) 29 de una licenciatura: (-) 30 mínimo (-) del cuarto semestre. 31 L: [ hm_hm (okay) ] 32 M: [eh usted ] estudia una licenciatura? (AW) (10) 109 M: eh (.) la preparación consiste en eh: (-) 110 usted recibe informaciones 111 sobre el país, 112 L: [ sí ] 113 M: [o ] sobre la ciudad, (.) 114 L: sí 115 M: y: : sobre cómo enseñar. 116 L: [ ah okay ] 117 M: [si tiene] experiencia con niños 118 L: ya (.) vale vale (JU) Typisch für den Gebrauch von sí in der frühen Lernersprache ist, dass es als polyfunktionaler Diskursmarker verwendet wird, der neben der Funktion als Hörersignal weitere interaktionale und metadiskursive Funktionen übernimmt wie beispielsweise als Turnübernahmesignal (cf. (9), Z. 19), Überbrückungsphänomen, Reformulierungsindikator oder als Turnbeendigungssignal (cf. (9), Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 321 Z. 23) (cf. dazu auch Thörle 2015 zu oui in der Lernersprache Französisch). Mit fortschreitender Kompetenz nimmt die polyfunktionale Verwendung von sí deutlich ab (cf. Koch 2016 und Koch / Thörle eingereicht). In manchen Gesprächen ist auffällig, dass die Lerner relativ „aufwendige“ 10 Hörersignale verwenden (siehe ah okay ya vale vale in (10)), die angesichts der wenig spektakulären Information im Kontext unangemessen wirken. Ein Grund hierfür könnte sein, dass in der durch die asymmetrischen Kompetenzen der Beteiligten geprägten exolingualen Kommunikation ein besonderer Bedarf an Signalisierung von Verstehen und Kooperationsbereitschaft besteht. 11 Im Vergleich zu AW und JU umfassen die von KS und AG verwendeten Hörersignale deutlich mehr Formen. Neben reinen Kontaktsignalen kommen semantisch komplexere Höreräußerungen in Form von deontischen, epistemischen oder bewertenden / kommentierenden Markern vor: (11) 284 M: en cualquier caso: (.) 285 indique que estaría interesada 286 cuando se dirija a: : al responsable de las 287 convalidaciones, 288 °h indique que estaría interesada en comenzar en 289 (--) e: hm en el semestre de verano, (-) 290 L: VAle vale 291 M: para que así: ehm desde convalidaciones (.) eh 292 puedan agilizar un poco. (-) su procedimiento. (--) 293 L: vale de acuerdo (.) perfecto. 294 M: sí porque con (--) las convalidaciones hay que 295 calcular normalmente °h unas cuantas semana: s- 296 M: teniendo en cuenta [además] es el: °h es e: h la 297 L: [ claro ] 298 M: la pausa entre los dos semestres puede: tardar un 299 poquito má: s- (---) 300 L: claro (-) 301 M: entonces: e: h indique que: que le gustaría empezar 10 „Aufwendig“ kann sich entweder auf die Anzahl der Morpheme beziehen oder aber auf die prosodische Markierung (cf. auch Thörle 2016). 11 Eine andere Ursache könnte aber auch im Forschungsdesign liegen. Die Probanden simulieren das Gespräch nur, und die übertrieben wirkenden Rezeptionssignale sind möglicherweise nur ein Hinweis auf ein besonderes Engagement im Rollenspiel. 322 Britta Thörle 302 en el semestre de verano para que se agilice (--) 303 el procedimiento. (-) 304 de [acuerdo? ] 305 L: [ va: le. ] (AG) (12) 211 M: síaquí en nuestro (-) 212 centro de enseñanza de español como lengua 213 extranjera,(-) también tenemos clases avanzadas (.) 214 para alumnos avanzados [sobre ] 215 L: [ hm_hm ,] 216 M: literatura [y con (.) ] 217 L: [ (qué bien) ] 218 M: relacionado con contenidos culturales. (1.1) 219 L: sí: (.) genial. (KS) AG verwendet neben hm_hm und sí weitere Hörersignale, die teilweise über die Kontaktfunktion hinaus weitere Funktionen erfüllen. Im Kontext des Beispiels (11) signalisiert vale als deontischer Diskursmarker (cf. Martín Zorraquino / Portolés 1999, 4169; Fuentes Rodríguez 2009, 346) nicht nur die Rezeption der Partneräußerung, sondern auch die Bereitschaft der Sprecherin, der Empfehlung der Gesprächspartnerin zu folgen. Claro wird als Hörersignal mit evidenzieller Funktion verwendet (cf. Martín Zorraquino / Portolés 1999, 4155sq.; Fuentes Rodríguez 2009, 67sq.). L markiert hier den von M geäußerten Sachverhalt, dass die Bearbeitung von Anrechnungen außerhalb der Vorlesungszeit länger dauert, als evident und teilt damit die Einschätzung der Gesprächspartnerin. Die von KS vorwiegend als Hörersignal verwendeten Formen sind hm_hm und sí . 12 Daneben findet sich in ihrem Gespräch jedoch eine Reihe weiterer Formen mit evaluierender Funktion wie qué bien und genial in (12), die in der Regel eine positive Haltung gegenüber dem von der Gesprächspartnerin Gesagten ausdrücken. Die Lernerin signalisiert damit nicht nur, dass sie die Vorgängeräußerung erhalten und verstanden hat, sondern dass sie die erhaltende Information als nützlich und günstig für sich bewertet. Die evaluierenden Höreräußerungen können als Höflichkeitsstrategie betrachtet werden, mit denen die Sprecherin zur Beziehungsarbeit im Gespräch beiträgt. 12 Auffällig ist, dass vale im umfangreichen Repertoire der Sprecherin KS fehlt. Dies kann möglicherweise auf einen Auslandsaufenthalt der Sprecherin in Lateinamerika zurückzuführen sein, wo vale weniger verbreitet ist als auf der Iberischen Halbinsel. Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 323 Ein Vergleich unter den Probanden zeigt, dass AW und JU über ein relativ schmales Repertoire an Hörersignalen verfügen und lediglich Kontaktsignale äußern, wobei deren Kumulierung bei JU möglicherweise weitere Funktionen, wie etwa die Signalisierung von Kooperativität, erfüllt. Das umfangreichere und differenziertere Repertoire von KS und AG erlaubt den Sprecherinnen dagegen, durch Höreräußerungen auch Einstellungen zum Ausdruck zu bringen und dadurch zur Beziehungsgestaltung beizutragen. 13 4. Schlussfolgerungen mit Blick auf die Didaktik Die analysierten Beispiele, auch wenn sie aufgrund des kleinen Korpus keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben, bestätigen einige der in früheren Untersuchungen gemachten Beobachtungen. Alle Probanden bewältigen in ihren Gesprächen Sprecher- und Höreraufgaben. Dabei spielen bei allen Sprechern Überbrückungsphänomene sowie nonverbale Kontakt- und Affirmationssignale eine Rolle. Darüber hinaus verwenden alle Probanden auch verbale Formen als Diskursmarker, die sich in Form und Gebrauch jedoch je nach Sprecher unterscheiden. Die Lerner JU und AW mit etwas geringerer Sprachlernerfahrung, die sich noch nicht länger in einem spanischsprachigen Land aufgehalten haben und die bei der Sprachflussmessung geringere Werte erzielen, verfügen über ein insgesamt sehr schmales Repertoire einfacher Formen ( okay , sí , vale , y , ¿o? ) mit affirmativer Grundfunktion, die sie z.T. polyfunktional bei der Rederechtsorganisation, der Äußerungsplanung und beim Hörerfeedback einsetzen. Die Lerner KS und AG weisen in ihren Telefonaten hingegen ein wesentlich umfangreicheres Repertoire auf. In den Analysen hat sich dies insbesondere im Bereich der Hörersignale gezeigt. In diesem Bereich wurde nicht nur eine größere formale Varianz beobachtet, sondern auch eine stärkere funktionale Differenzierung, die den Lernenden ein nuanciertes Feedback erlaubt. Für die Markierung der Rederechtsübernahme sind die Beobachtungen weniger deutlich, was auch auf die geringe Anzahl von Belegen zurückzuführen sein mag. Auffällig ist hier lediglich, dass die übergeneralisierende Verwendung von sí mit zunehmender Kompetenz zurückgeht und der Marker bueno nur von den fortgeschritteneren Probanden verwendet wird. Insgesamt zeigen die Analysen, dass Diskursmarker oder funktional äquivalente Mittel zentrale Ressourcen bei der Gesprächskonstitution sind, auf die Lernende angewiesen sind, wenn sie als kompetente Sprecher an einem Ge- 13 Eine ähnliche Beobachtung macht Jafrancesco (2015, 20) für die italienische Lernersprache, in der sich insbesondere die Niveaustufen B des GER durch eine starke funktionale Differenzierung der Hörersignale auszeichnet. 324 Britta Thörle spräch teilnehmen wollen. Fehlende Formen, geringe Varianz und die monotone sowie teilweise auch unidiomatische Verwendung von Diskursmarkern führen jedoch dazu, dass Gesprächsbeiträge von Lernenden „ungelenk“ oder „steif “ wirken (cf. bspw. Delahaie 2009, 17; Wierzbicka 2 2003, 341). Romero Trillo (2002) weist außerdem auf die Gefahr der pragmatischen Fossilisierung hin. Damit ist gemeint, dass Lernende bestimmte sprachliche Formen systematisch in pragmatisch unangemessener Weise verwenden, ohne dass dies auf Defizite in der lexikalischen oder grammatischen Kompetenz zurückzuführen ist (cf. Romero Trillo 2002, 770sq.). Der Autor sieht eine Ursache dafür im gesteuerten Sprecherwerb. Während Diskursmarker beim ungesteuerten Zweitspracherwerb von Kindern ähnlich wie beim Erstspracherwerb in der Interaktion miterworben werden, fehlt dieser Input im Fremdsprachenunterricht: This knowledge is neglected in the curriculum and, thus, the use of pragmatic markers becomes fossilized both in the quantity and the diversity of elements used. To some extent, it can be said that non-native speakers are deprived of many pragmatic resources in their L2 learning process (Romero Trillo 2002, 783). Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die in diesem Band gestellte Frage, inwiefern eine vertiefte Aneignung sprachlicher Mittel den Prozess des Sprachlernens und des Sprachkompetenzerwerbs effizienter gestalten und in diesem Sinn ökonomisieren kann, erscheint eine (Weiter-)Entwicklung der Diskursmarkerdidaktik des Spanischen sinnvoll. Grundlagen dafür sind bereits auf mehreren Ebenen geschaffen worden. Der PCIC führt - wenn auch nicht sehr systematisch und in starker Orientierung an der Schriftsprache - Diskursmarker im Kapitel „Tácticas y estrategias pragmáticas“ als eigenen Abschnitt auf. Es liegen diverse Lehr- und Übungsmaterialien für Fremdsprachenlerner (Martí Sánchez / Fernández Gómiz 2013; Marchante 2008) vor sowie kleinere und größere didaktische Konzepte für unterschiedliche Kontexte (Ciarra Tejada 2012 und 2016; Vande Casteele 2014 für die sprachwissenschaftliche Hochschuldidaktik). Zahlreiche Untersuchungen zu individuellen Markern und die voranschreitende lexikographische Erfassung von Diskursmarkern (Santos Río 2003; Fuentes Rodríguez 2009; Briz et al. 2000sqq.) schaffen die Voraussetzung für eine fundierte Diskursmarkerdidaktik. Dasselbe gilt für registerspezifische Gebrauchsanalysen, die Aufschluss darüber geben können, welche Diskursmarker für den kommunikativen Bedarf der Lernenden potenziell relevant sind (cf. Domínguez García 2016). Trotz der genannten Ansätze, mit denen die Spanischdidaktik anderen Fremdsprachendidaktiken voraus ist, gibt es für die Didaktik der Diskursmarker im Spanischen noch viele offene Fragen und Aufgaben. Diese betreffen beispielsweise den Umgang mit Diskursmarkern in schulischen Lehrwerken. Wie können Diskursmarker als funktionale Kategorie Sprachliche Mittel und Gesprächskompetenz 325 sinnvoll dargeboten werden? Ist eine formzentrierte Darbietung, wie wir sie für grammatische und lexikalische Phänomene kennen, für die funktionale Kategorie sinnvoll? (Cf. dazu Nogueira da Silva 2010.) Wie kann der Gebrauch von Diskursmarkern in der Unterrichtsinteraktion eingeübt werden, ohne dass es zu Fossilisierungen kommt? Welche Vor- und Nachteile bringen immersive Lernkontexte, z. B. durch Auslandsaufenthalte, oder exolinguale Settings wie Tandems für den effizienten Erwerb von Diskursmarken mit sich? Die Teilhabe am Gespräch mit Muttersprachlern ist zentrales Merkmal pragmatischer Kompetenz und für viele Lernende vorderstes Ziel ihres Sprachenlernens. Sie stellt zugleich eine große Herausforderung für die Lernenden dar. Die weitere Beschäftigung mit den oben aufgeführten Themen und Fragen könnte dazu beitragen, die Vermittlung und den Erwerb mündlicher Kompetenz im Spanischen als Fremdsprache im Sinne von Lehrenden und Lernenden effizienter zu gestalten. 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Tonhöhe tief fallend : , : : , : : : Dehnung, Längung, je nach Stärke °h Einatmen ((lacht)) para- und außersprachliche Handlungen und Ereignisse (okay) vermuteter Wortlaut <<lachend>lo que me ofrece> Lachpartikeln in der Rede, mit Reichweite Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 329 Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht Drei Beispiele aus dem Spanischen, Französischen und Italienischen David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer 1. Einleitung Das Problemfeld der Modalpartikeln ( MP ) ist ein hochaktuelles Thema, das in der neueren und neuesten Forschung, oft auch im Zusammenhang mit Diskursmarkern, rege diskutiert wird. 1 Die Frage, ob es MP auch in den romanischen Sprachen gibt, ist dabei verschiedentlich beantwortet worden. 2 Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass diesbezüglich kurzbis mittelfristig ein abschließender Konsens erreicht werden wird. Dies erklärt sich vermutlich vor allem daraus, dass die romanischen Sprachen - anders als das Deutsche (cf. Abraham 2011, 127) - keine Modalpartikel paradigmata aufweisen und eine entsprechende Kategorie deshalb weder in normativen noch in deskriptiven Grammatiken aufgeführt wird. Hinsichtlich jener Debatte wurde von uns für das Spanische an anderer Stelle (Meisnitzer / Gerards 2016) die Position vertreten, dass es durchaus Elemente gibt, für die eine Kategorisierung als MP aus funktionaler Perspektive gerechtfertigt erscheint. Gleichzeitig endete unsere Arbeit jedoch mit der Beobachtung, dass diese Elemente in Lehrwerken für fremdsprachliche SuS keinerlei Beachtung finden. Die vorliegende Arbeit versteht sich deshalb als Fortsetzung der in jener älteren Arbeit angestoßenen Diskussion und will die Gedanken aus Meisnitzer / Gerards (2016) am Beispiel dreier Elemente, die aus unserer Sicht als MP zu klassifizieren sind (frz. quand même und it. mai ), bzw. sich auf dem Weg zur MP befinden (sp. si ), weiterentwickeln und aus fachdidaktischer Perspektive 1 Cf. beispielsweise die von Degand / Cornillie / Pietrandrea (2013), Ghezzi / Molinelli (2014) und Bayer / Hinterhölzl / Trotzke (2015) herausgegebenen Bände. 2 Hinsichtlich der hier untersuchten Einzelsprachen Spanisch, Französisch und Italienisch finden sich sowohl befürwortende als auch ablehnende Positionen. Für das Spanische cf. die ausführliche Auflistung in Fußnote 1 in Meisnitzer / Gerards (2016), für einige befürwortende Arbeiten zum Französischen und Italienischen, siehe Kapitel 3.2 bzw. 3.3. Cf. auch Meisnitzer (2012). 330 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer aufbereiten. Stets im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, einen Beitrag zur Vermittlung von pragmatisch wichtigen Elementen der drei im deutschsprachigen Raum recht flächendeckend unterrichteten romanischen Sprachen zu leisten und SuS somit Mittel ‚an die Hand zu geben‘, die ihrer kommunikativen Interaktion zusätzliche Authentizität verleihen. Zunächst ist es jedoch unbedingt notwendig, einige Punkte aus unserer älteren Arbeit erneut aufzugreifen und weiterzuentwickeln, um so zu einem Inventar von Kriterien zu gelangen, das zumindest von prototypischen MP erfüllt wird (Kapitel 2). Dies geschieht mittels eines vom Deutschen ausgehenden Vorgehens, da das Deutsche - wie bereits weiter oben erwähnt - über ein umfangreiches MP -Paradigma verfügt, welches uns dabei behilflich ist, Kriterien abzuleiten, die zumindest erste Anhaltspunkte dafür liefern, ob ein Element einer Sprache X als MP kategorisiert werden darf. Hieran anknüpfend stellt Kapitel 3 kurz diejenigen Elemente vor, die den Gegenstand dieser Arbeit bilden und liefert Evidenz dafür, dass es sich bei ihnen (wenn auch im Falle von si noch nicht im prototypischen Sinne) tatsächlich um MP handelt. Aufbauend auf jenen theoretischen Ausführungen wird sich Kapitel 4 dann praktischen Aspekten zuwenden und eine dreigliedrige Übungsreihe skizzieren, die sich vor allem an FachdidaktikerInnen oder LehramtsanwärterInnen richtet und konkret im Fremdsprachenunterricht erprobt werden kann. Hierbei sollen vor allem kognitiv-funktionale Charakteristika der MP im Vordergrund stehen, da diese im Sinne einer erfolgreichen Fremdsprachenvermittlung aus unserer Sicht besonders gut nutzbar gemacht werden können. 2. Zur Definition von Modalpartikeln: Kriterien 3 Da die MP im Deutschen ein eigenes Paradigma aufweisen, sind diese vergleichsweise gut erforscht. Für die Evaluierung romanischer MP -Kandidaten bietet sich folglich eine kontrastive Herangehensweise unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen an. Allerdings sollte dabei eines nicht vergessen werden: Es gibt, zumindest aus Sicht einiger (cf. z.B. Haspelmath 2010, 345), durchaus grammatische Kategorien, die zumindest in Teilen Sprachspezifisches aufweisen, weshalb bei der Evaluierung von MP -Kandidaten anderer Sprachen nicht per se eins zu eins vom Deutschen ausgegangen werden sollte. Die Aussage Schoonjans’ (2013, 154), der darauf hinweist, dass „there may well be ‚a‘ category of MP s in other languages“, aber dass „one should just be reluctant in 3 Wie bereits gesagt, stellt dieses Kapitel eine modifizierte Version von Teilen einer älteren Arbeit dar (cf. Meisnitzer / Gerards 2016). Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 331 assuming that it is the same category with the same intensional and external definition“, ist deshalb ernstzunehmen. MP im Deutschen sind nach Thurmair (1989, 200) aber , auch , bloß , denn , doch , eben , eh / sowieso , einfach , eigentlich , etwa , halt , ja , mir , nicht , nur , ruhig , schon , sowieso , vielleicht und wohl . 4 Man betrachte als Beispiel folgende Sätze: (1) Er ist aber auch langweilig. (2) Er wird wohl gemerkt haben, dass ich sehr enttäuscht war. Die Charakterisierung und demzufolge auch die paradigmatische Zuordnung von MP basiert auf Kriterien, die auf verschiedenen sprachlichen Ebenen verankert sind (siehe unten). Es sticht allerdings ein funktionales Kriterium heraus, das nach unserem Dafürhalten besonders wichtig ist und auf das wir aus diesem Grunde zunächst gesondert eingehen möchten. Funktional-kognitiv betrachtet können MP in die Nähe der epistemischen Lesart von Modalverben ( EMV ) gerückt werden, da beide eine Einschätzung des Wahrheitswertes des propositionalen Gehalts seitens des Sprechers und die Quelle der Information, auf der diese Einschätzung fußt, ausdrücken. Dies wird deutlich, wenn wir die EMV müssen und sollen in (3) und (4) mit der MP doch in (5) vergleichen: (3) Er muss die Prüfung bestanden haben. ( EMV : Der Sprecher drückt aus, dass er davon überzeugt ist, dass der vom Subjekt des Satzes denotierte Referent die Prüfung bestanden hat. Die genauen Gründe für eine solche Einschätzung (Augenzeuge der Prüfung, eigene Inferenzen, evtl. dank Aussagen Dritter etc.) bleiben unkodiert, basieren aber auf dem Eigenbewusstsein des Sprechers.) (4) Er soll die Prüfung bestanden haben. ( EMV : Der Sprecher drückt aus, dass eine (oder mehrere) dritte Person(en) davon überzeugt ist / sind, dass der vom Subjekt des Satzes denotierte Referent die Prüfung bestanden hat und der Sprecher über diese Überzeugung der dritten Person(en) informiert ist. Gleichzeitig bringt der Sprecher jedoch zum Ausdruck, dass er selbst nicht über einen eigenen Wissensbestand verfügt, der die Überzeugung der dritten Person(en) bekräftigen oder widerlegen könnte. Hierdurch impliziert sollen aus Sprechersicht einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad des Zutreffens des propositionalen Gehalts als müssen in (3).) 4 Es herrscht enorme Uneinigkeit über das deutsche MP-Inventar. Cf. diesbezüglich die sehr anschauliche Synopse in Schoonjans (2013, 139sq.), die elf verschiedene Vorschläge vergleicht. Nota Bene : Die Darstellung würde sich noch erheblich verkomplizieren, bezöge man Dialekte bzw. regionale Standards mit ein (cf. z.B. Oberdeutsch bzw. südlicher Regionalstandard fei / fall ). 332 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer (5) Ich habe dir doch gesagt, dass ich kommen würde. ( MP : Der Sprecher äußert mit Nachdruck, dass er aufgrund eigener Wissensbestände davon überzeugt ist, dass er dem Adressaten sein Kommen bereits zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt hat und der Adressat, dessen Verhalten Gegenteiliges vermuten lässt oder in der Vergangenheit ließ, dies nach Meinung des Sprechers wissen muss.) Sowohl in (3) als auch in (4) wird die Origo (‚ich, hier und jetzt‘) gegenüber der Aussage positioniert (cf. auch Diewald 1991, 250). In beiden Fällen wird die Bewertung des Wahrheitswertes der Information durch den Sprecher mittels der von ihm verwendeten EMV müssen / sollen kodiert (cf. „dass er davon überzeugt ist“ vs. „aus Sprechersicht einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad“). Zudem wird jeweils eine Spaltung zwischen der Instanz des Bewertens des Wahrheitswertes der Proposition und der Quelle der Information, aufgrund welcher diese Bewertung erfolgt, vorgenommen. Diese Trennung zwischen Bewertung und Quelle der Information kommt in (4) besonders deutlich zum Ausdruck, denn das EMV sollen führt als polyphones Element eine (oder mehrere) dritte Person(en) als Quelle der Information in das diskursive Umfeld ein. Aber auch in (3) liegt eine solche Spaltung grundsätzlich vor, wenngleich diese insofern weniger offensichtlich wird, als sich Bewerter (= Sprecher) und Quelle der bewerteten Information (= Eigenbewusstsein des Sprechers) decken (cf. Leiss 2009, 9). 5 Auch die MP doch in (5) drückt eine Bewertung des Wahrheitswertes der Proposition aus und vermittelt gleichermaßen die Quelle der Information (= eigene Wissensbestände des Sprechers). Jedoch projiziert die Verwendung der MP noch eine weitere, dritte Ebene. Anders nämlich als bei den EMV müssen und sollen in (3) und (4) findet ein Fremdbewusstseinsabgleich durch den Sprecher statt: Der Sprecher tätigt auch eine Aussage hinsichtlich des von ihm postulierten Wissensstandes des Adressaten (cf. „dass er dem Adressaten sein Kommen bereits zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt hat und der Adressat, dessen Verhalten Gegenteiliges vermuten lässt oder in der Vergangenheit ließ, dies nach Meinung des Sprechers wissen muss“). Sowohl die hier skizzierten Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen EMV und MP werden greifbar, wenn wir uns des theoretischen Inventars der Theory of Mind (ToM) bedienen (cf. z.B. Abraham 2009, 284; Leiss 2012, 44-50). Während im Falle von EMV lediglich eine doppelte Deixis erfolgt, näm- 5 Hierin unterscheiden sich epistemisch verwendete Modalverben (EMV) von epistemischen Modaladverbien, da letztere nur über eine einfache Deixis (für den Begriff der Deixis , siehe weiter unten) verfügen. Letztere verweisen lediglich auf die Sprechereinschätzung von p ohne dabei Angaben bezüglich der Quelle der Information zu machen. Cf. Offensichtlich hat er die Prüfung bestanden (nach Leiss 2009, 12-13), wo die Verwendung des epistemischen Modaladverbs offensichtlich systematisch sowohl durch eigene als auch sprecherexterne Wissensbestände motiviert sein kann. Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 333 lich die Sprechereinschätzung von p kodiert und auf die Quelle der Information, die die Basis für diese Einschätzung bildet, verwiesen wird, entfalten MP eine dreifache Deixis, indem zusätzlich eine Einschätzung des Hörerwissens erfolgt. Der Sprecher „lässt den Hörer von diesem Einschätzungsakt wissen und lädt ihn ein zu dieser seiner (des Sprechers) Einschätzung von p Stellung zu nehmen (zu bestätigen, zu korrigieren, zu modifizieren)“ (Abraham 2011, 140). Der Sprecher stellt den Wahrheitswert der Proposition gegenüber dem Adressaten also aktiv zur Disposition und räumt bzgl. des Wissens, das er geteilt oder nicht geteilt glaubt, einen gewissen Verhandlungsspielraum ein. MP weisen also eine komplexere Deixis als EMV auf, da sowohl Adressatenals auch Sprecherbezug in ihre syntaktisch-semantische Konstitution miteinbezogen werden (Abraham 2011, 128). 6 Das hier vertretene Verständnis von MP als stark sprecher-hörerbezogene Fremdbewusstseinsabgleicher (Abraham 2009; 2011) erklärt, weshalb diese besonders häufig in nähesprachlich konzipierten Äußerungen auftreten (Weydt 1969, 95sq.; Koch / Oesterreicher 2007, 96sq.): Derartige Kommunikationssituationen sind prototypischerweise durch Dialogizität, gegenseitige Vertrautheit und somit evtl. gemeinsame Wissensbestände gekennzeichnet, und erst hierdurch wird eine Verhandlung im obigen Sinne wirklich möglich und sinnvoll. Neben dieser besonders wichtigen kognitiv-funktionalen Eigenschaft einer dritten Deixis besitzen MP im Deutschen zudem eine Reihe weiterer auffälliger morphologischer, syntaktischer, semantischer und phonologischer Besonderheiten. Aus Platzgründen können diese hier nicht detailliert erläutert werden; der Leser sei auf die entsprechenden Referenzen verwiesen. Die folgende Auflistung fasst diese weiteren Eigenschaften deutscher MP kurz zusammen: 1. Es besteht Homonymie zu Lexemen mit lexikalischer Bedeutung (dem jeweiligen Quelllexem) (Abraham 2011, 129). Im Zuge des Grammatikalisierungsprozesses, den die MP während ihrer Genese durchlaufen, verlieren sie an lexikalischer Semantik gegenüber dem Quelllexem, gewinnen dabei aber an metakommunikativer, illokutionärer und pragmatischer Kraft (Wegener 1998, 43). Sie haben eine Sprechaktfunktion, da sie die Illokution (nicht aber die Proposition) modifizieren (Coniglio 2011, 138; Waltereit 2006, 1; Wegener 6 In nahezu allen Theorien zu MP kommt diesem kognitiven Kriterium, wenngleich mitunter nur stillschweigend oder unter anderem Namen, eine zentrale Rolle zu (cf. z.B. Diewald 2006; 2013 oder die Übersichten und Referenzen in Mosegaard Hansen (1998, 42) und Waltereit 2001, die auch andersgeartete Ansätze vorstellen). Aus unserer Sicht erfasst aber lediglich der hier vorgestellte Ansatz der dritten Deixis und des Fremdbewusstseinsabgleichs die wahre kognitive Leistung von MP in ihrer gesamten Tragweite. 334 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer 1998, 43). Sie treten deshalb nur in begrenzten illokutionären Kontexten auf (Abraham 2009, 296). 7 2. MP weisen einen festen Skopus über den gesamten Satz auf. 3. Aufgrund von Krit. 1 sind MP fakultativ (Waltereit 2006, 1). 4. MP haben keinen Konstituentenstatus und sind nicht satzwertig (Schoonjans 2013, 135). 5. MP sind meist unbetont (Abraham 2011, 128; Waltereit 2006, 1). 6. MP sind wie alle Partikeln nicht flektierbar (Waltereit 2006, 1). 7. MP treten im Deutschen fast ausschließlich im Satzmittelfeld auf (Abraham 1988, 457). 8 8. MP sind im Wesentlichen root phenomena (Thurmair 1989, 44sq.). 9. MP können nicht alleine auftreten oder als Antwort auf eine Frage fungieren bzw. sind nicht erfragbar (cf. fehlender Konstituentenstatus, Krit. 4) (Waltereit 2006, 1). 10. MP sind miteinander kombinierbar, unterliegen hierbei jedoch Restriktionen. Sie sind nicht koordinierbar (Waltereit 2006, 1). 11. MP sind nicht modifizier- oder erweiterbar (Waltereit 2006, 1). 12. MP sind nicht negierbar (Waltereit 2006, 1). 13. MP sind syntaktisch und prosodisch (und deshalb auch graphisch) in den Satz integriert (Schoonjans 2013, 135). 9 7 Aus diachroner Perspektive entstehen MP in sogenannten Bridging- Kontexten, in denen sich diese neue Lesart unter stärkerer Fokussierung der Illokution herausbildet. In den genannten Bridging- Kontexten und solange ein hoher Anteil der semantischen Merkmale des Quelllexems erhalten ist, ist das betroffene Element noch polysem. Ist die modale Funktion hingegen grammatikalisiert, liegt ein Fall von sekundärer Homonymie vor, weshalb in der Forschungsliteratur zu MP trotz gleicher Etymologie von Quelllexem und MP vorwiegend von Homonymie gesprochen wird. Im Fall der romanischen Sprachen sind die MPs oftmals noch stärker im Bereich der Polysemie verankert. Trotzdem behalten wir in der vorliegenden Arbeit den Begriff der Homonymie bei, da dieser in der MP-Forschung der geläufigere ist. 8 Der Begriff des Mittelfeldes bezeichnet den Bereich zwischen linker und rechter Satzklammer. Die Tatsache, dass romanische Sprachen nicht über ein solches Mittelfeld verfügen, hat einige Forscher (u. a. Abraham 1988; Waltereit 2006) zur Aussage veranlasst, romanische Sprachen könnten keine MP besitzen (in anderen Arbeiten vertritt Waltereit allerdings eine andere Auffassung; cf. z.B. Waltereit 2001; Waltereit / Detges 2007; Detges / Waltereit 2009). Wir halten erstere Einschätzung für problematisch. Dass die romanischen Sprachen kein Mittelfeld im deutschen Sinne besitzen, heißt jedoch nicht, dass bei den romanischen MP-Kandidaten analog zu den dt. MP nicht auch eine Einschränkung der syntaktischen Mobilität zu erwarten wäre: Zumindest bei Konstruktionen mit sowohl finiten als auch nicht-finiten Verben ist erwartbar, dass MP eine Position zwischen den beiden Verbformen besetzen (cf. Franco 1989, 248sq. bzw. Schoonjans 2013, 154sq.). 9 Cf. hierzu unbedingt auch die Ausführungen in Fußnote 1 in Schoonjans 2013. Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 335 Bevor wir uns nun den drei Elementen si , quand même und mai zuwenden, sind einige abschließende Bemerkungen zu dem hier aufgestellten Kriterienkatalog angebracht. Wie bereits in der Einleitung angedeutet, erscheint es uns mit Schoonjans (2013) nicht hilfreich, per se davon auszugehen, dass eine mögliche MP-Kategorie anderer Sprachen der deutschen Kategorie eins zu eins entspricht, also alle der hier vorgestellten Kriterien zwangsläufig erfüllen muss. Neben dem semantisch-pragmatischen Kernkriterium 1 sind nach Schoonjans die einzigen Kriterien, die als conditio sine qua non zu verstehen sein müssen, die Unflektierbarkeit (Krit. 6), da diese bereits im kategorialen Etikett Modal partikel impliziert wird, und der fehlende Konstituentenstatus bzw. die fehlende Satzwertigkeit (Krit. 4). Für alle anderen Kriterien (außer 3, 9 und 13, auf die Schoonjans nicht näher eingeht) identifiziert er Ausnahmen oder zumindest diskussionswürdige Fälle (cf. Schoonjans 2013, 135-139, aber bspw. gegen Diewald 2013, 30sq.). Schoonjans erfasst die Kategorie der MP deshalb im Sinne der Prototypizitätstheorie als hierarchisch geordnet - mit definitorischen Kriterien, die (mit Ausnahme der oben erwähnten) zwar starke Tendenzen, nicht aber notwendige Bedingungen darstellen. 3. Spanisch si, französisch quand même und italienisch mai, drei romanische Modalpartikeln? Im Folgenden soll mittels der in Kapitel 2 vom Deutschen ausgehend aufgestellten Kriterien gezeigt werden, dass die drei in dieser Arbeit behandelten romanischen Elemente quand même , mai und (mit syntaktischen Abstrichen) auch si tatsächlich als MP kategorisiert werden können. Damit dient Kapitel 3 der theoretischen Legitimation der in Kapitel 4 skizzierten fremdsprachendidaktischen Übungsreihe. Für Spanisch si stützen wir uns dabei im Wesentlichen auf Ergebnisse aus Meisnitzer / Gerards (2016), verfeinern und modifizieren allerdings unsere frühere Analyse. Die Ausführungen zu quand même und mai hingegen erfolgen vor allem auf Basis von Beschreibungen aus anderen Arbeiten. 3.1. Spanisch si Spanisch si , ursprünglich eine subordinierende Konjunktion, die einen Konditionalsatz einführt, kann durchaus so verwendet werden, dass keine konditionale Relation ausgedrückt wird. So wird in den Beispielen (6) - (8) lediglich die Illokution dahingehend modifiziert (Krit. 1), dass der Sprecher einen Fremdbewusstseinsabgleich durchführt. Mittels si impliziert er, dass sich der Adressat nach Meinung des Sprechers des Inhaltes der Proposition bewusst ist, 336 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer obwohl das Verhalten des Adressaten mit dieser Annahme unvereinbar ist (cf. die deutsche MP doch ). Betrachten wir die folgenden Beispiele: (6) Nigue. - ¡Bah! ¡Si no he dicho nada! ( CORPES XXI ; Arija Martínez, Malco. 2003. Akua, perdida en el tiempo. Madrid: Editorial Fundamentos) (7) Hortensia. - ¿Tú católico? Si no has ido a misa en la vida. ¿Sabes lo que eres tú? ( CORPES XXI ; Salom, Jaime. 2002. Este domingo no hay cine . Madrid: Fundamentos) (8) Pero si te lo he dicho ochenta veces. Porque quería saber de ti. (CORPES XXI; Beccaria, Lola. 2001. La luna en Jorge . Barcelona: Destino) In allen drei Fällen wird der oben als wichtiges kognitives Kriterium für MP beschriebene Fremdbewusstseinsabgleich deutlich. In (6) assertiert der Sprecher, dass er glaubt, der Adressat wisse, dass er, der Sprecher, nichts gesagt hat, und drückt sein Unverständnis bezüglich einer Reaktion von Seiten des Hörers, die Gegenteiliges vermuten lässt, aus. Analog lassen sich auch (7) und (8) analysieren. Si verliert also seine ursprünglich konditionale Semantik, registriert einen Zugewinn an pragmatischer Kraft und ist charakteristisch für exklamative Kontexte (Krit. 1). Dabei hat si Skopus über den gesamten Satz (Krit. 2). Im Folgenden weitere Charakteristika, die eine Kategorisierung als MP nahelegen: si ist fakultativ (d. h. kann wegfallen, ohne dass die Proposition verändert wird, Krit. 3 ≠ konditionales si ), nicht konstituentenbzw. satzwertig (Krit. 4), unbetonbar (Krit. 5, ≠ konditionales si ), nicht flektierbar (Krit. 6) und kann nicht alleine auftreten, als Antwort auf eine Frage fungieren bzw. erfragt werden (Krit. 9; cf. Krit. 4). Es ist nicht modifizier-, erweiter- oder negierbar ( *no si… , Krit. 11 und 12) und auch nicht mit anderen MP koordinier-, aber wohl mit bien kombinierbar (¡si bien te dije que…! , Krit. 10, cf. zu bien auch Meisnitzer / Gerards 2016). Auch Kriterium 13 ist erfüllt. Zwei Kriterien hingegen sind problematisch. Wie auch die nicht mobile konditionale Ausgangsform ist si in (6) - (8) auf satzinitiale Kontexte links der VP beschränkt (≠ Krit. 7, *quiero si ir al cine ). Auch die Frage, ob si in seiner nicht konditionalen Verwendung ein Root -Phänomen darstellt (Krit. 8), ist problemträchtig, kann hier allerdings nicht ausführlich behandelt werden. Es sei stattdessen lediglich auf den fruchtbaren Begriff der Insubordination verwiesen, der eben jenes Phänomen fassbar macht, dass Elemente wie die ehemals konditionale, subordinierende Konjunktion si nicht mehr zur Einleitung eines Nebensatzes dienen (cf., auch für weitere bibliographische Hinweise, z. B. Gras Manzano 2010, 293sq. und Schwenter 2016). In unstrittig subordinierten Kontexten ist eine MP -Lesart von si ausgeschlossen, da es hier, je nach Fall, entweder konditional (9) oder als indirekt interrogative Konjunktion analysiert werden (10) muss: (9) Si no me cuentas lo que haces, allá tú. Yo no te pregunto nada. (CORDE; Vargas Llosa, Mario. 1969. Conversación en la Catedral. Barcelona: Seixa Barral) Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 337 (10) Aunque tampoco sé muy bien si vale mucho la pena que te lo diga. (CREA; Martínez Reverte, Jorge. 1979. Demasiado para Gálvez . Barcelona: Editorial Anagrama, S. A.) Vor allem das problematische Kriterium 7 zeigt also, dass die Grammatikalisierung von si als MP noch nicht abgeschlossen ist, denn obwohl das Spanische kein syntaktisches Mittelfeld im deutschen Sinne besitzt, müsste eine MP zwischen finites und infinites Verb treten dürfen. Somit handelt es sich syntaktisch (noch) nicht um eine prototypische MP, während si unter anderem aus phonologischen (Unbetonbarkeit) und funktional-kognitiven Gesichtspunkten (Fremdbewusstseinsabgleich) durchaus eine MP -Klassifizierung nahelegt. Da gerade letzteres Kriterium für didaktische Zwecke zentral ist und die genaue kategoriale Zugehörigkeit eines Elementes die SuS ohnehin eher weniger interessieren dürfte, ist si eines der drei in dieser Arbeit behandelten Elemente. 3.2. Französisch quand même Auch für das Französische gibt es Elemente (u. a. bien , déjà , donc , encore , maintenant , peut-être , quand même , seulement , toujours , tout de même , un peu ), die in der Literatur immer wieder als MP klassifiziert worden sind (cf. u.a. Weydt 1969; Söll 1974; Dalmas 1989; Fónagy 1995; Mosegaard Hansen 1998; Waltereit 2001; Waltereit / Detges 2007; Detges / Waltereit 2009; Meisnitzer 2012; Schoonjans 2013 u. 2014; Squartini 2013). Im Folgenden wollen wir uns auf quand même konzentrieren und die in der obengenannten Literatur postulierte MP -Verwendung mittels ausgewählter Beispiele illustrieren. Wir werden zeigen, dass es sich dabei tatsächlich um eine Verwendungsweise handelt, in der quand même nicht mehr als konzessives Adverb ‚trotzdem‘ gebraucht wird, sondern einen Fremdbewusstseinsabgleich durchführt. Weiterhin wird quand même anhand der in Kapitel 2 aufgestellten Kriterien untersucht, um zu zeigen, dass nicht nur funktional-kognitiv eine Klassifizierung als MP gerechtfertigt erscheint. Vor allem Richard Waltereit hat in verschiedenen Arbeiten (u. a. 2001; 2004; 2006) anschaulich herausgearbeitet, dass quand même heute nicht mehr nur in seiner älteren Verwendungsweise als konzessives Adverb auftritt (11), sondern auch in Kontexten gebraucht wird, in denen keine overte Konzessivität vorliegt (12), (13): (11) Il était malade, mais il est venu quand même. (Waltereit 2004, 119) (12) Trois minutes, il m’a fallu, pas une de plus. Il était salement impressionné, Pierrot, devant le voyant rouge du contact allumé. Y a pas à dire, ça sert quand même d’avoir bossé dans un garage, ne serait-ce que quinze jours. (Waltereit 2006, 76) (13) J’ai travaillé trois heures. La traduction c’est quand même un métier difficile. 338 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer In (11) ist offensichtlich, dass quand même ausdrückt, „dass die […] beiden Sachverhalte [die Krankheit und das Kommen] zusammen auftreten, obwohl der eine normalerweise den anderen ausschließen würde“ (Waltereit 2004, 119). Nicht so in den Beispielen (12) und (13), in denen kein Sachverhalt vorhanden ist, dessen Auftreten mit demjenigen, der mit quand même versehen ist (harte Arbeit in einer Werkstatt, die Tatsache ein schwieriger Beruf zu sein), unvereinbar wäre. Was leistet quand même also in Beispielen wie (12) und (13)? Nun, ähnlich wie si (3.1) und mai (3.3) führt auch quand même einen Fremdbewusstseinsabgleich im Leissschen Sinne durch. So beschreiben Fónagy bzw. Waltereit die Bedeutung von quand même in (12) (bzw. analog (13)) folgendermaßen: En tant que particule modale quand même sort du contexte et exprime une opposition vis-à-vis d’une opinion existante ou imaginaire. (Fónagy 1995, 189) [ Quand même ] suggeriert […], dass das Gegenteil der Äußerung ça sert quand même d’avoir bossé dans un garage im Raum steht oder vom Hörer für wahrscheinlich gehalten werden könnte, dass es also z. B. vertane Zeit sei, in einer Werkstatt zu arbeiten. (Waltereit 2004, 121) Eine analoge Beschreibung ist auch für das von uns konstruierte Beispiel (13) möglich: Es steht seitens des Sprechers die Annahme im Raum, dass der Hörer der (gesellschaftlich verbreiteten) Meinung sein könnte, dass die Tätigkeit des Übersetzens ein Leichtes sei. In beiden Fällen beobachten wir also die Schaffung eines „margin for the addressee to disagree and negotiate“ (Meisnitzer 2012, 346). Untersuchen wir quand même in (12) und (13) nun explizit im Hinblick auf die in Kapitel 2 aufgestellten Kriterien. Dass Homonymie zu einem Lexem mit konzessiver Bedeutung vorliegt, wurde bereits oben im Vergleich mit Beispiel (11) gezeigt. Selbiges gilt für die Tatsache, dass Konzessivität hingegen weder in (12) noch in (13) vorliegt, wo quand même an metakommunikativer, illokutionärer und pragmatischer Kraft gewinnt und lediglich die Illokution, nicht aber die Proposition modifiziert. Eine solche Modifizierung der Illokution ist weitgehend auf Assertionen (subjektive Einschätzungen) und Aufforderungen beschränkt; nur in seltenen Fällen kann nicht konzessives quand même auch in Fragesätzen auftreten (Waltereit 2001, 1401sqq.; Waltereit 2006, 84sq.; Krit. 1). In allen Fällen hat es dabei Skopus über den gesamten Satz (Waltereit 2006, 78; Schoonjans 2013, 155; Krit. 2), ist fakultativ (Waltereit 2006, 77; Krit. 3) und verfügt nicht über Konstituentenstatus (Schoonjans 2013, 155; Krit. 4). Zudem ist es nach Waltereit (2006, 77) nicht betonbar (Krit. 5), nicht flektierbar (Krit. 6) und nicht modifizierbar, erfragbar (cf. Krit. 4) oder negierbar (Waltereit 2006, 77; Schoonjans 2013, 155; Krit. 9, 11 und 12). Syntaktisch und prosodisch ist es Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 339 in den Satz integriert (Krit. 13) und nicht mit anderen MP -Kandidaten koordinierbar ( *C’est bien et quand même la première fois que ça m’arrive ! ; Krit. 10). Auffällig ist zudem, dass quand même eine Art Mittelfeldposition besetzt und nicht wie sein konzessives Quelllexem postverbal steht (cf. (11), Waltereit 2004, 120sqq.; Krit. 7). 10 Es gibt allerdings auch ein Kriterium, das nicht konzessives quand même nicht erfüllt. Es ist die Tatsache, dass es auch in eingebetteten Sätzen möglich scheint (Krit. 8), wie folgendes Beispiel belegt: (14) Sans aucun doute. J’ai cette vision là [sic] du rugby: total. En fait, c’est l’idée que ce sont les joueurs qui créent quelque chose. Ils doivent imprimer un certain panache, jouer et proposer sans cesse des solutions. Après, il est clair qu’il est quand même important de demeurer solides dans des secteurs clés, tels que la conquête ou la mêlée . (http: / / www.rugbyrama.fr/ rugby/ pro-d2/ 2012-2013/ asbh-christophe-hamacekimprimer-un-certain-panache_sto3 840 872/ story.shtml; 25. 08. 2016) Da dieses Kriterium jedoch auch im Falle des Deutschen kein Ausschlusskriterium, sondern lediglich eine starke Tendenz darstellt, spricht alles klar für eine Klassifizierung von quand même als MP . 3.3. Italienisch mai Neben einer Reihe anderer Kandidaten ( poi , ben , pur(e) , già , mica , sì ; cf. z.B. die Beiträge von Burkhardt, Held und Radtke in Holtus / Radtke 1985; Coniglio 2008; Mosegaard Hansen / Strudsholm 2008; Penello / Chineletto 2008; Munaro / Poletto 2009; Cardinaletti 2011; Meisnitzer 2012; Squartini 2013; Fedriani / Miola 2014) wird in der Literatur besonders mai immer wieder als (potentielle) MP des Italienischen genannt. Ursprünglich ist mai ein temporales Adverb mit der lexikalischen Bedeutung ‚nie(mals)‘: (15) Non sono mai stato a Londra. Gleichzeitig tritt mai gemäß Coniglio (2008, 108) aber auch in Kontexten auf, in denen es eine (bzw. zwei) gänzlich andere Bedeutungen hat und wo „its function is that of signalling the rhetoricity of a question or the total incapacity on 10 Schoonjans (2014) geht auf einige wenige Fälle ein, in denen nicht konzessives quand même nicht in der ‚mittelfeldähnlichen Position‘ auftritt und erklärt diese diachron, d. h. unter Bezugnahme auf den Grammatikalisierungspfad (cf. auch Waltereit 2006). Es scheint zudem Fälle zu geben, in denen auch konzessives quand même eine Art Mittelfeldposition besetzen kann. Auf diese kann hier nicht näher eingegangen werden. Ihre Erforschung stellt ein wichtiges Desideratum dar. 340 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer the speaker’s side to give an answer to it“. Man vergleiche das folgende Beispiel (16) mit dem temporalen Beispiel (15): (16) Cosa significheranno mai quelle parole? (Coniglio 2008, 108) Je nach Kontext und Prosodie kann mai nach Coniglio hier also sowohl eine rhetorische Frage, deren Antwort offensichtlich ist, als auch eine solche, die vom Adressaten vermutlich nicht beantwortbar ist, zum Ausdruck bringen (‚Was werden diese Worte schon / wohl / nur [vs.] wohl / nur bedeuten? ‘). Während letztere Lesart nach unserer Auffassung eine verzweifelte Informationsfrage darstellt, erfüllt mai in ersterer das für MP postulierte kognitive Kriterium des Fremdbewusstseinsabgleichs. Die Rhetorizität kann dabei offenbar sowohl eine Inhaltsantwort als auch eine beiderseitige Unkenntnis einer solchen implizieren. Egal welcher der beiden Antworttypen im Raum steht, drückt der Sprecher mit einer solchen rhetorischen Frage also aus, dass er glaubt, dass beide Gesprächsteilnehmer die Antwort auf die gestellte Frage bereits kennen bzw. nicht kennen. Diese Sprechereinschätzung wird, genauso wie bei si und quand même , aktiv zur Disposition gestellt. In beiden Lesarten erfüllt mai das für MP postulierte kognitive Kriterium des Fremdbewusstseinsabgleichs. 11 Gegenüber seinem temporalen Quelllexem gewinnt mai folglich an metakommunikativer und pragmatischer Kraft, indem es die Illokution des gesamten Satzes (Skopus! ) modifiziert. In diesem Gebrauch scheint es vor allem auf den Sprechakt der Frage beschränkt (Coniglio 2008; Krit. 1 und 2). Dadurch, dass nicht temporales mai lediglich eine derartige illokutions-, nicht aber propositionsändernde Funktion übernimmt, ist es problemlos auslassbar, ohne dass die Wahrheitsbedingungen des Satzes geändert würden (Krit. 3). Einen Konstituentenstatus hat es nicht (Krit. 4). Natürlich ist mai weder flektierbar (Krit. 6) noch modifizierbar, negierbar oder erweiterbar (Krit. 11 und 12). Alleine auftreten oder alleine als Antwort auf eine Frage fungieren kann es ebenso wenig (Krit. 9, cf. Krit. 4). Klar scheint überdies schließlich auch zu sein, dass mai in seiner nicht temporalen Verwendung nie akzentuiert werden kann (Cardinaletti 2011, 498-500) und sowohl prosodisch als auch syntaktisch in den Satz integriert ist (Krit. 5, 13). Eine Koordination mit anderen potentiellen MP ist nicht möglich ( *Cosa significheranno mai e poi quelle parole ). Die Kombination mit poi ist grammatikalisch, allerdings nur in der Reihenfolge poi > mai (Cardinaletti 2011, 522; Krit. 10). 11 Ein zusätzlicher Aspekt, der detaillierter zu untersuchen wäre, und auf den Coniglio nicht eingeht, ist die Rolle des epistemisch verwendeten Futurs ( significheranno ). Zumindest für einige Sprecher ist die Akzeptabilität von modalem mai in Kombination mit Verben im Präsens verringert (Silvio Cruschina, p.c.). Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 341 Hinsichtlich zweier Kriterien der in Kapitel 2 aufgestellten Liste gestaltet sich die Analyse von nicht temporalem mai allerdings etwas problematisch. Zum einen kann es zumindest teilweise in subordinierten Kontexten auftreten (Coniglio 2008, 110sq.; Krit. 8). Zusätzlich zu dem in 3.2 Beobachteten relativiert sich dieser Einwand bei genauerer Betrachtung der jeweiligen Fälle jedoch noch weiter. So stellt Coniglio (2008, 110) fest, dass subordiniertes nicht temporales mai „[only] occurs in indirect questions, […] peripheral adverbials and appositive relatives, provided that they are endowed with interrogative force“ (Hervorhebung DPG / BM ). Es handelt sich also in Beispielen wie (17) um Okkurrenzen, in denen nicht temporales mai zwar subordiniert auftritt, die wesentliche Sprechaktfunktion der Frage aber weiterhin ‚im Raum‘ bleibt, indem direkt auf sie verwiesen wird (cf. ha chiesto ): (17) Ha chiesto cosa avrebbe mai potuto fare in quella situazione. (Coniglio 2008, 110) Zum anderen ist es das Kriterium 7 des Auftretens in mittelfeldähnlicher Position, das sich auf den ersten Blick als problematisch erweist, da nicht temporales mai in Beispielen wie dem folgenden an zahlreichen Positionen, von denen zwei nicht zwischen finiter und infiniter Verbform verortet sind, grammatikalisch ist: (18) Cosa <mai> avrebbe <mai> Gianni <mai> potuto <mai> fare (mai in quel frangente)? (Obenauer / Poletto 2000, 127; 134) Wie Coniglio (2008, 109) allerdings feststellt, wird auch dieses ‚Problem‘ deutlich abgeschwächt, da nicht temporales mai beispielsweise nicht auf das Komplement des Verbs folgen oder in satzinitialer Position auftreten kann und in der Position direkt vor avrebbe engen Skopus über das wh- Element cosa hat und somit kategorial anders zu analysieren ist. Außerdem versieht er die zumindest linear gleiche und von Obenauer / Poletto in (18) akzeptierte Position unmittelbar rechts von fare in einem anderen Beispiel mit einem Fragezeichen: (19) <*mai> quando <mai> avrà <mai> letto < ? mai> quel libro <*mai>? (Coniglio 2008, 109) Nach Coniglio ist also „the only genuine position for [non temporal mai ] […] the one between the two verbal elements, which delimit a sort of middle field“ (ibid.). Alle hier aufgeführten Kriterien lassen eine Kategorisierung von mai als MP demnach gerechtfertigt erscheinen. 342 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer 4 Übungsreihe Alle bis dato vorgestellten Elemente tragen zwar nicht zum propositionalen Gehalt des Gesagten bei, sind aber wichtige pragmatische Marker. Im Sinne einer heute geforderten aktiven Kompetenz zur Bewältigung interkultureller Kontakt- und Begegnungssituationen und der Notwendigkeit einer register übergreifenden Sprachkompetenz 12 ist es deshalb wichtig, sie SuS in ihrer Sprachausbildung gezielt zu vermitteln. Hinzu kommt, dass die oben angesprochenen Begegnungsszenarien dabei in aller Regel zunächst nähesprachlicher Natur sein werden (Austauschprogramme, Ferienaufenthalte etc.), genau dort also, wo MP vor allem genutzt werden. Natürlich wird auch in nähesprachlichen Konstellationen auf Registerunabhängiges zurückgegriffen, doch das flexible, spontane und authentische Bewältigen nähesprachlich geprägter Interaktionen gelingt umso besser, je breiter und differenzierter das Inventar der sprachlichen Mittel ist, das den SuS zur Verfügung steht. Gerade deshalb auch wird in oben genannten Beschlüssen sprachlichen Mitteln wie den hier besprochenen eine „für die Realisierung der kommunikativen Teilkompetenzen [explizit auch der mündlich-nähesprachlichen] dienende Funktion“ zugesprochen. 13 Aktuelle Lehrwerke der romanischen Sprachen messen jedoch weder nicht konditionalem si noch nicht konzessivem quand même oder nicht temporalem mai die Bedeutung bei, die ihnen aufgrund ihres nähesprachlichen Stellenwertes eigentlich einzuräumen wäre. Dasselbe gilt auch für weitere MP und in abgeschwächter Form auch für Partikeln im Allgemeinen. Im Folgenden soll deshalb exemplarisch eine dreistufige Übungsreihe mit didaktischer Progression entworfen werden, die im Zuge von Pilotstudien im Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden kann. Im Mittelpunkt steht dabei das Lernziel, die SuS in die Lage zu versetzen, die Polyfunktionalität der genannten Elemente zu verstehen, Ausgangslexem gegenüber MP abzugrenzen und letztere in der nähe- (nicht aber in der distanzsprachlichen! ) kommunikativen Interaktion anzuwenden. Aufgrund der hohen Komplexität des Themas und dem damit einhergehenden hohen Fehlerpotential sollte die Anwendung der Übungsreihe jedoch erst - und selbst dann mit einer gewissen didaktischen Reduktion (siehe auch Fußnoten 18 und 20 bis 22) - bei SuS erfolgen, die bereits einen recht hohen Kompetenz- 12 Cf. die Ausführungen zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz und funktionalen kommunikativen Kompetenz in den aktuell geltenden Beschlüssen der Kultusministerkonferenz hinsichtlich der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Allgemeine Hochschulreife). Dokument online einsehbar unter: https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf [Abruf 15. 10. 2016]. 13 Cf. ibid. die Stichworte Verfügen über sprachliche Mittel und kommunikative Strategien . Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 343 grad in der jeweiligen Zielsprache erreicht haben (mindestens B1, ab ca. 4.-5. Lernjahr). Naturgemäß sollen die vorgestellten Übungen lediglich Beispiele liefern, wie Lehrenden im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht die durchaus nicht einfache Integration der MP in den Unterricht gelingen kann und die SuS mittels konkreter Kontexte für den pragmatisch-funktionalen Unterschied zwischen MP und Quelllexem sensibilisiert werden können. Neben der vergleichsweise geringen Zahl an Kontexten (nicht aber Okkurrenzen! ), in denen MP -Verwendungsweisen auftreten, kommt hinzu, dass sich MP , wie bereits gesagt, nur auf die Illokution auswirken, was die Vermittlung zusätzlich erschwert und sowohl den SuS als auch den Lehrenden ein hohes Maß an sprachlicher Sensibilität abverlangt. Es steht deshalb außer Frage, dass die Korrektur und Verfestigung der erlernten Strukturen vor allem in der kommunikativen Interaktion mit L1-Sprechern der jeweiligen Fremdsprache sukzessive außerhalb des Lernsettings - also in ungesteuerten Situationen - reguliert werden wird. Nur so kann das Wissen darüber gefestigt werden, welches Kontexte sind, in denen der Gebrauch der romanischen MP auch für L1-Sprecher authentisch und angebracht erscheint. 14 Als ersten Teil der didaktischen Einheit schlagen wir im Sinne einer Erarbeitungsphase vor, die jeweilige Lerneinheit mit etwa 10 authentischen Korpusbeispielen, bestehend aus je 5 MP - und 5 konditionalen / konzessiven bzw. temporalen Okkurrenzen zu beginnen. Dieser thematische (hier nicht ausgearbeitete) Einstieg dient im Sinne des Anforderungsbereichs I der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz 15 vor allem der ersten Heranführung an den Themenkomplex mittels einer (impressionistischen) Auseinandersetzung mit Einzelfällen und sollte sowohl schriftlich als auch auditiv erfolgen, d. h. die Korpusbeispiele sollten sowohl gedruckt als auch von Muttersprachlern auf CD vertont vorliegen. Dies dient zum einen dazu, auch den auditiven Lerntyp anzusprechen; zum anderen ist es auch aufgrund prosodischer Unterschiede zwischen 14 Da der Gebrauch der MP bei L1-Sprechern intuitiv erfolgt und wie bei fast allen grammatischen features keinem einfach zugänglichen, auf Nachfrage ad hoc reformulierbaren grammatischen Wissen entspricht, kann auch die vorgeschlagene Methode keine hundertprozentige Sicherheit in der Verwendung der erlernten MP gewährleisten. Dennoch stellt ein derartiges, sukzessiv wachsendes funktionales Verständnis unserer Meinung nach die beste Möglichkeit dar, über einen zunächst tentativen Gebrauch zu einer akzeptablen Beherrschung der romanischen MP zu gelangen. Damit hofft die vorgestellte Übungsreihe das Erlernen der MP im Rahmen des Möglichen ähnlich dem natürlichen, ungesteuerten Erwerb der L1-Sprecher anzustoßen. 15 Cf. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ veroeffentlichungen_ beschluesse/ 2012/ 2012_10_ 18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf [S. 23.; Zugriff 15.10.2016]. 344 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer Quelllexem- und MP -Verwendungsweise wichtig. Vor dem Hintergrund des zweiten Punktes sollten die Quelllexemokkurrenzen bewusst betont vertont werden, um sie von den nicht betonbaren MP (Krit. 5) leichter unterscheidbar zu machen. Als ergiebige Quellen zur Beispielsuche könnten dabei die großen, bekannten synchronen Korpora der drei hier behandelten Sprachen dienen, die mit Ausnahme von C-Oral-Rom allesamt online konsultiert werden können (für Spanisch: CREA , CORPES , C-Oral-Rom ; für Französisch FRANTEXT , C-Oral-Rom , ciel-f ; für Italienisch: C-Oral-Rom , Corpus dell’italiano , CORIS / CODIS ). Mittels der an die schriftliche und auditive Präsentation der Beispiele anschließenden aktiven Nachfrage der Lehrperson nach wahrgenommenen Unterschieden dient dieser erste Übungsbestandteil mit seinem reichhaltigen, sprachlich variierenden Input dazu, die SuS für das Vorhandensein zweier homonymer Elemente in der jeweiligen Fremdsprache zu sensibilisieren. Im Fokus steht also explizit noch nicht das Herausarbeiten der konkreten semantischen Unterschiede der verschiedenen Elemente, sondern lediglich eine erste kritische Konfrontation mit realsprachlichen Daten und das Sammeln und stichpunktbzw. listenartige schriftliche Festhalten von Eindrücken im geleiteten Unterrichtsgespräch. Wenn wir uns vor Augen führen, dass romanische MP selbst in den meisten Referenzgrammatiken unbemerkt bleiben, dürfte klar sein, dass eine differenzierte Beschreibung derselben durch fremdsprachliche Schülerinnen und Schüler nach so kurzer Zeit nicht zu erwarten sein kann. Ein erster Schritt in diese Richtung ist schließlich Gegenstand des zweiten Teils der Übungsreihe, der als Kognitivierungsphase Einsichten in sprachliche Regularitäten verschaffen und vermehrt dem Anforderungsbereich II der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz gerecht werden soll. Dies geschieht anhand kurzer konstruierter dialogischer Bildergeschichten, die die beiden Verwendungsweisen visualisiert gegenüberstellen. 16 So soll sichergestellt werden, dass ein breites Spektrum an Lerntypen, also neben dem analytischen und dem auditiven (s. o.) auch der visuelle, angesprochen wird. Mittels einer Partner- oder Gruppenarbeit und der behutsamen Begleitung durch die Lehrperson sowie des Rückgriffs auf die zuvor im geleiteten Unterrichtsgespräch gesammelten und stichpunktbzw. listenartig festgehaltenen Eindrücke ist es dabei Ziel, die semantischen Unterschiede zwischen dem in der Höraufgabe beinhalteten Quelllexem und der MP -Verwendung systematisch gemeinsam zu erarbeiten, beispielsweise in Form einer Mind oder Mental Map. Zunächst wird die Kooperation zwischen den SuS und der Lehrperson hierbei zu recht 16 Es ist durchaus denkbar, die Kognitivierungsphase auf Basis der Korpusbeispiele aus der Erarbeitungsphase zu gestalten. Dies ist unseres Erachtens jedoch nicht unbedingt erforderlich. Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 345 tentativen Formulierungen führen. Als ‚Lernprodukt‘ sollen jedoch Gebrauchsregeln entstehen, die sich - und dabei muss dann die Lehrperson eine vorsichtig lenkende Rolle einnehmen - vor allem die funktionale Eigenschaft des Fremdbewusstseinsabgleichs als fundamentales kognitives Kriterium der MP didaktisch zunutze machen. Hier wird für deutsche SuS auch ein kurzer kontrastiver Vergleich mit deutschen MP erfolgen. 17 Abschließend wird die MP-Verwendung in einer Konsolidierungsphase mittels einer dialogischen Lückentextaufgabe in Anlehnung an den Anforderungsbereich III der Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz aktiv selbstständig eingeübt und gefestigt. Der Rest der vorliegenden Arbeit ist der konkreten (wenn auch zum Teil nur skizzierten) Ausarbeitung dieses didaktischen Vorschlags gewidmet. In 4.2 bzw. 4.3 wird dabei oft auf die Darstellung der Übungsreihe zu Spanisch si in 4.1 rückverwiesen werden, weil grundlegende Argumentations- und Arbeitsschritte sprachübergreifend ihre Gültigkeit behalten. 4.1. Übungsreihe zu Spanisch si Es wurde bereits gesagt, dass die konkrete Ausarbeitung der Erarbeitungsphase, also die Auswahl von Korpuskonkordanzen und deren eventuelle zusätzliche fachdidaktische Aufbereitung (z. B. didaktische Reduktion im Sinne einer Anpassung ans jeweilige Lernerniveau etc.), hier noch nicht erfolgt, aber problemlos unter Heranziehung der oben genannten Korpora geschehen kann. Eine Begleitinstruktion zu den schriftlich vorliegenden und auch vertont präsentierten Korpuskonkordanzen, die auf die anschließende, durch die Lehrperson begleitete Regelerarbeitung vorbereitet, könnte folgendermaßen lauten: (Erarbeitungsphase): „Lies zunächst folgende Sätze und höre sie dir dann auf CD an. Achte dabei auf die Verwendung des Wortes si . Notiere Unterschiede, die dir bei der Verwendung von si auffallen.“ 18 17 Für SuS, deren L1 nicht Deutsch ist, müssten hier die Äquivalente der jeweiligen Muttersprache herangezogen werden. 18 Für die hier vorgeschlagene Übungsreihe halten wir es für hilfreich, die Instruktionen und metalinguistischen Kommentare in der Muttersprache der SuS, also in unserem Fall auf Deutsch, zu geben. Dies ist der ohnehin schon hochgradigen Komplexität des Themenbereiches der MP geschuldet. Ob die Instruktionen und metalinguistischen Erklärungen im Sinne einer maximalen Immersion trotzdem auf der jeweiligen Zielsprache erfolgen könnten, müsste in der Praxis getestet werden. 346 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer Ist dies geschehen, erfolgt durch die Lehrperson angeleitet eine Sammlung und ein stichpunktbzw. listenartiges Festhalten erster Eindrücke im geleiteten Unterrichtsgespräch. Natürlich stellt sich an dieser Stelle die berechtigte Frage nach eventuellen Stützmaßnahmen (Scaffolding) für diejenigen SuS, die keinerlei Unterschiede zwischen konditionalem und modalem si erkennen. Folgendes wäre denkbar: Zum einen könnte die Lehrperson erneut ein MP -Beispiel und ein konditionales Beispiel der Korpuskonkordanzen vorspielen und die betroffenen SuS aktiv darauf aufmerksam machen, dass auf die (im MP -Fall nur vermeintliche) Bedingung nur einmal eine Konsequenz im Sinne eines ‚wenn p dann q‘ folgt. Daraufhin kann die offen formulierte Frage nach dem Warum einer solchen fehlenden Konsequenz in den Raum gestellt werden. Zum anderen sollte hier dann explizit auch auf die Prosodie, die im Falle einer MP -Verwendung exklamativen Charakter trägt und sich dadurch von der des Satzes mit konditionalem Quelllexem stark unterscheidet, und die gleichzeitig fehlende Betonung von si aufmerksam gemacht werden. Erneut fällt der Lehrperson hier eine lenkende Rolle zu, d. h. sie sollte offen formuliert nachfragen, was nach Meinung der SuS der Grund für eine derartig unterschiedliche Prosodie und Betonung sein könnte. Mit diesen Zusatzmaßnahmen dürfte es möglich sein, zumindest den meisten SuS induktiv und bereits in der Erarbeitungsphase eine eigene (partielle) Entdeckung der MP zu ermöglichen. Das beschriebene Scaffolding-Vorgehen steigert die Aktivität aller SuS und führt zu einer besseren Retention. SuS, die auch nach den Hinweisen der Lehrperson keinerlei Unterschied erkannt haben, sollte nun ermutigend kommuniziert werden, dass man jetzt zur Kognitivierungsphase - die natürlich nicht so genannt wird - übergehe, die den Unterschied mit Bildern klarmache und somit einfacher zu verstehen sei. Kommen wir nun zur Kognitivierungsphase, den Bildergeschichten, die die verschiedenen Verwendungsweisen von si visualisieren und - unter Bezugnahme auf die im geleiteten Unterrichtsgespräch gesammelten Eindrücke - mittels der mit Hilfe einer Mind oder Mental Map (siehe unten) zu erarbeitenden Paraphrasierung des Fremdbewusstseinsabgleichs semantisch erklären. Hier sollte kontrastiv und von bereits Bekanntem ausgehend vorgegangen werden, also zunächst eine Bildergeschichte, wie beispielsweise die folgende, mit konditionalem si abgebildet werden. Eine kurze Erinnerung zu der zu einem früheren Zeitpunkt erlernten und idealiter im geleiteten Unterrichtsgespräch bereits genannten konditionalen Verwendungsweise sollte die Bildergeschichte begleiten: (Kognitivierungsphase): „Wie du bereits weißt und auch in den Beispielen aus [der Erarbeitungsphase] gesehen hast, wird das Wort si im Spanischen dazu genutzt, Be- Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 347 dingungssätze einzuführen. Wie in der folgenden Situation entspricht es hier dem deutschen wenn : “ Abb. 1: Bildergeschichte konditionales si Daran anschließend wird der Fokus dann auf die modale Verwendung von si gelegt. Im Sinne des Fremdbewusstseinsabgleichs besteht dieser Teil aus zwei Bildern, von denen das erste klarmacht, dass zwischen Sprecher und Hörer ein gemeinsamer Wissensbestand bezüglich der Proposition besteht (bzw. bestehen müsste), der durch si im zweiten Bild verhandelbar wird. Um den Entdeckungseffekt seitens der SuS nicht unnötig im Keim zu ersticken, wird anders als bei konditionalem si aber noch kein paraphrasierender, die Semantik erklärender Begleittext beigestellt, sondern lediglich auf das Vorhandensein einer zweiten Bedeutung als solcher hingewiesen. Möglicherweise ist dieser Hinweis an dieser Stelle (aus Sicht einiger SuS) bereits unterspezifiziert, dann nämlich, wenn im geleiteten Unterrichtsgespräch Beiträge geliefert wurden, die davon zeugen, dass einzelnen SuS bereits eine tentative Annäherung an die Semantik / Pragmatik der MP-Verwendungsweise gelungen ist. Problematisch ist dies allerdings nicht, denn erstens ist dies für die Gruppe als Ganzes auf Grund der Komplexität des Themenbereiches sowie der naturgemäß vorhandenen Heterogenität von Lerngruppen nicht allzu wahrscheinlich und zweitens erscheint uns eine Beibehaltung offener Formulierungen im Sinne eines Entdeckungsansatzes auch in der Kognitivierungsphase für diejenigen SuS wichtig, denen bei Beendigung der Erarbeitungsphase in Aussicht gestellt wurde, dass der darauffolgende Übungsteil ihnen bei der Entdeckung der Unterschiede helfen würde. Eine Begleitinstruktion zur zweiten Bildergeschichte könnte also folgendermaßen lauten: „¡Ojo! Si kann im Spanischen aber auch noch in anderen Kontexten genutzt werden. Vergleiche die folgende Situation: “ 348 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer Abb. 2: Bildergeschichte modales si Nun sollte erneut nach wahrgenommenen Unterschieden gefragt werden und eventuelle ‚Neuentdeckungen‘ zur Unterrichtsgesprächssammlung aus der Erarbeitungsphase hinzugefügt werden. Erst hiernach wird als Abschluss der Kognitivierungsphase eine genauere Fixierung der semantischen Beschreibung von modalem si , die den Fremdbewusstseinsabgleich in möglichst einfachen Worten beschreiben soll, angestrebt. Auf die Ideen aus dem geleiteten Unterrichtsgespräch hinweisend sollte die Lehrperson die SuS nun dazu animieren, in Partnerarbeit oder Kleingruppen selbst eine funktionale Gebrauchsregel für MPsi zu formulieren und dieses dabei mit konditionalem si zu vergleichen. 19 Nach etwa 5-10 Minuten werden diese funktionalen Gebrauchsregeln gesammelt und 19 Eventuell wäre es denkbar, diesen Arbeitsschritt auch im Rahmen einer Hausaufgabe durchführen zu lassen. Wir glauben allerdings, dass MP ein Thema sind, bei dem Arbeit in Gruppen einen wesentlich vielversprechenderen Ansatz darstellt. Grundsätzlich ist dieser hier beschriebene Arbeitsschritt der mit Sicherheit kritischste, weil schwierigste Moment der vorgeschlagenen Übungsreihe. Denn trotz vorherigen schriftlichen, auditiven und visuellen Inputs sowie stützender Maßnahmen seitens der Lehrperson muss damit gerechnet werden, dass nicht alle SuS die Unterschiede zwischen MP und Quelllexem entdecken werden. In der Praxis wird daher der Anspruch des selbstentdeckenden Lernens im Sinne eines methodologischen Blendings mit punktuellen, evtl. deduktiven, Hilfestellungen ergänzt werden müssen, zumindest dann, wenn alle Mitglieder einer Lerngruppe von der Lerneinheit profitieren sollen. Die Anteile der beiden Methoden werden dabei in Abhängigkeit der Qualität der Beiträge im geleiteten Unterrichtsgespräch, also des Leistungsniveaus der Gruppe, variieren. Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 349 an der Tafel, z. B. mittels einer Mind oder Mental Map ‚exzerpiert‘ und anschließend durch die Lehrperson - aber unter konstruktiver Einbindung der SuS! - zu einer gemeinsamen Regel zusammengeführt. Es erscheint uns hierbei wichtig, dass die Lehrperson darauf achtet, dass sowohl positive als auch negative definitorische Elemente schriftlich festgehalten werden, dass also auch die Tatsache, dass modales si keinen Nebensatz (im klassischen Sinne, cf. 3.1) mehr einführt und deshalb ohne weiteren Hauptsatz steht, in die Gebrauchsregel einfließt. Auch ein kurzer prosodischer Hinweis sollte nicht fehlen. Anhand der Punkte in der Mind oder Mental Map (und eventuell notwendiger Ergänzungen durch die Lehrperson, cf. Fußnote 19) könnte diese wie folgt aussehen (cf. auch 3.1): „ Si kann also auch dann genutzt werden, wenn man eine Tatsache bekräftigen will, von der man glaubt, dass der Gesprächspartner sie bereits weiß, sich aber so verhält, als wüsste er sie nicht! Si ist damit dem deutschen doch in Sätzen wie Ich habe es dir doch schon tausend Mal gesagt! nicht unähnlich. In diesem Fall führt si keine Bedingung mehr ein und braucht deshalb keinen Hauptsatz um ein vollständiges Satzgefüge zu bilden. Außerdem wird der Satz mit einem solchen si wie ein Ausruf betont.“ Weitere Punkte aus der Kriterienliste aus Kapitel 2 sind für didaktische Zwecke und eine funktionale Gebrauchsregel vernachlässigbar. Abschließend wird die neu erlernte modale Verwendungsweise von si in kurzen Dialogen wie den folgenden in der Konsolidierungsphase aktiv eingeübt: 20 (Konsolidierungsphase): „Stelle dir folgende Situationen vor und formuliere eine Antwort mit si ! “ a) Alba: Sabes, María, este año no voy a la playa. Es que estoy harta de tener que pelearme con tanto turista. María (unos días después): Por la tarde creo que voy a bajar a la playa, ¿vienes? Alba: ------------ [respuesta posible: ¡ Si ya te he dicho / dije que este año no iba a la playa! ] b) José: Mario, odio el Barça, te lo juro. ¡Hala Madrid! Mario (tres semanas después): José, ¿tú eras del Barça, no? José: ------------ [respuesta posible: ¡ Si ya te he dicho / dije que soy del Madrid! ] Analog zu si wird nun eine mögliche Übungsreihe für it. mai vorgestellt. 20 Möglicherweise ist es in der Konsolidierungsphase sinnvoll, Teile der Antworten bereits vorzugeben (z. B. in b): ----que soy del Madrid! ). Diese Bemerkung gilt analog auch für it. mai (cf. 4.2) und frz. quand même (cf. 4.3). 350 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer 4.2. Übungsreihe zu italienisch mai Auf eine ausführliche Darstellung der Übungssequenz, wie im Spanischen vorgenommen, verzichten wir aus Platzgründen und beginnen sogleich mit dem Erarbeitungsteil, der schriftlichen und auditiven Konfrontation mit Korpusbeispielen: (Erarbeitungsphase): „Lies zunächst folgende Sätze und höre sie dir dann auf CD an. Achte dabei auf die Verwendung des Wortes mai . Notiere Unterschiede, die dir bei der Verwendung von mai auffallen.“ Es folgt das Sammeln und schriftliche Festhalten der Eindrücke im geleiteten Unterrichtsgespräch. Erneut stellt sich die Frage nach Scaffoldingmaßnahmen für diejenigen SuS, die keinen Unterschied zwischen temporalem und modalem mai erkennen. Anders als bei sp. si kann hierbei nicht auf einen fehlenden zweiten Gliedsatz im Satzgefüge hingewiesen werden und es ist kaum erwartbar, dass SuS bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erkennen, dass mai in seiner modalen Verwendungsweise hinsichtlich seiner syntaktischen Mobilität eingeschränkt ist (cf. 3.3). Jedoch kann und sollte die Lehrperson wieder auf phonische Aspekte aufmerksam machen, indem sie eine ostentativ betonte Okkurrenz von temporalem mai aus der Erarbeitungsphase einer unbetonten, weil unbetonbaren MP -Okkurrenz, begleitet von einem expliziten Hinweis, gegenüberstellt. Wie bereits bei si fragt die Lehrperson anschließend nach, was nach Meinung der SuS der Grund für eine derartige unterschiedliche Betonung sein könnte. Es folgt der Hinweis auf die Kognitivierungsphase, die den Unterschied mit Bildern visualisiere. Analog zur Vorgehensweise bei si wird in der Kognitivierungsphase zunächst eine Bildergeschichte mit bereits bekanntem temporalem mai gezeigt und von folgendem (idealerweise wieder bereits inhaltlich ähnlich ins geleitete Unterrichtsgespräch eingeflossenen) Text begleitet: (Kognitivierungsphase): „Wie du bereits weißt und auch in den Beispielen aus [der Erarbeitungsphase] gesehen hast, wird das Wort mai im Italienischen dazu verwendet, zu versprachlichen, dass eine Handlung noch niemals vollzogen wurde. Es entspricht in dieser Verwendung dem deutschen nie(mals) : “ Diese temporale Verwendungsweise wird daraufhin visualisiert: Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 351 Abb. 3: Bildergeschichte temporales mai In einer zweiten Bildergeschichte wird analog zur Übung zu sp. si die in 3.3 dargelegte modale Verwendungsweise von mai gegenübergestellt und der hierdurch ausgedrückte Fremdbewusstseinsabgleich zunächst bildlich dargestellt und von folgendem (erneut eventuell unterspezifizierten, s. o.) Text begleitet: 21 „Attenzione: Mai kann im Italienischen aber auch noch in anderen Kontexten genutzt werden. Vergleiche die folgende Situation: “ 21 Es handelt sich in der nachfolgenden Bildergeschichte um ein Beispiel, bei dem beide Gesprächsteilnehmer die Antwort auf die Frage - nach Meinung des Sprechers - nicht kennen. Die modale Verwendungsweise in einer rhetorischen Frage, deren Antwort beiden Gesprächsteilnehmern (nach Meinung des Sprechers) bereits bekannt ist, könnte ebenfalls in der gleichen Übungssequenz vorgestellt und eingeübt werden. Im Sinne der eingangs angesprochenen didaktischen Reduktion halten wir dies hier jedoch für nicht sinnvoll. 352 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer Abb. 4: Bildergeschichte modales mai Wiederum erfolgt die Nachfrage der Lehrperson nach etwaigen neuen Entdeckungen seitens der SuS. Neunennungen werden der bereits aus der Erarbeitungsphase vorhandenen Liste hinzugefügt. Daraufhin wird als Abschluss der Kognitivierungsphase die Formulierung einer Gebrauchsregel von modalem mai im Sinne des Fremdbewusstseinsabgleichs und in Abgrenzung zu temporalem mai angestrebt. Unter Bezugnahme auf die im geleiteten Unterrichtsgespräch gesammelten Eindrücke und mittels derselben gruppen- oder paararbeitsbasierten Vorgehensweise wie bei si (s. o.) sollte als gemeinsam erarbeitetes Produkt - wo nötig aber auch mittels behutsamer Unterstützung der Lehrperson - mit Hilfe einer Mind oder Mental Map eine funktionale Regel entstehen, die etwa so aussehen könnte (cf. 3.3): „ Mai kann also auch dann genutzt werden, wenn man eine Frage stellt, auf die man keine Antwort weiß und von der man glaubt, dass auch der Gesprächspartner sie nicht beantworten kann. Mai ist damit dem deutschen wohl oder nur in der Frage Was bedeuten wohl / nur diese Worte? nicht unähnlich. In diesem Fall hat mai keine zeitliche Bedeutung mehr und kann nicht am Satzanfang oder am Satzende stehen. 22 Eine Betonung von mai ist in diesem Fall nicht möglich.“ 22 Mit anderem Skopus ist auch eine präverbale Stellung von mai direkt rechts des wh -Elements möglich ( Cosa mai significheranno quelle parole? , cf. (17)). Ob diese besprochen oder auf sie im Sinne einer Vereinfachung der ohnehin komplexen Aufgabe verzichtet werden sollte, wäre in der Praxis zu erproben. Auch in diesem Fall dürfte eine didaktische Reduktion der sinnvollere Weg sein. Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 353 Die kurzen Dialoge zur aktiven Einübung der neu erlernten Verwendungsweise von mai könnten folgendermaßen gestaltet werden (und eventuell bereits Teile der Antworten enthalten): (Konsolidierungsphase): „Stelle dir folgende Situationen vor und formuliere eine Antwort mit mai ! “ a) Pietro: Poco tempo fa hanno suonato alla porta. Stavo telefonando e quindi non potevo rispondere. Domenico: Non l’ho sentito. Pietro: ------------ [risposta possibile: Chi avrà mai suonato? ] b) Situazione: Anna la notte prima ha avuto un incidente stradale ed è in coma. Claudio: Stamattina ho trovato una lettera di Anna nella mia casella postale. A causa della forte tempesta di ieri notte è completamente bagnata e illeggibile. Sara: Mi dispiace. Sono sicura che Anna si sveglierà. Claudio: ------------ [risposta possibile: Cosa avrà mai voluto dirmi? ] Abschließend nun noch eine Übungsreihe für das Französische. 4.3. Übungsreihe zu französisch quand même Analog nun abschließend die wie bei it. mai ebenfalls verkürzt dargestellte Übungsreihe zu französisch quand même . Wir beginnen mit den schriftlich und vertont vorliegenden Korpusbeispielen: (Erarbeitungsphase): „Lies zunächst folgende Sätze und höre sie dir dann auf CD an. Achte dabei auf die Verwendung des Wortes quand même . Notiere Unterschiede, die dir bei der Verwendung von quand même auffallen.“ Es folgt das Sammeln und schriftliche Festhalten der Eindrücke im geleiteten Unterrichtsgespräch. Hinsichtlich stützender Maßnahmen gilt für quand même erneut das für sp. si oder it. mai Gesagte. Analog zu mai ist kaum zu erwarten, dass SuS bereits jetzt die syntaktischen Unterschiede zwischen konzessivem und modalem quand même bemerken (cf. 3.2). Wieder sollte die Lehrperson deshalb auf die phonischen Besonderheiten aufmerksam machen, indem sie eine ostentativ betonte Okkurrenz von konzessivem quand même 23 aus der Erarbeitungsphase einer unbetonten MP-Okkurrenz, begleitet von einem expliziten Hinweis, gegenüber- 23 Aufgrund des frz. Phrasenakzents ist satzfinales konzessives quand même immer betont. 354 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer stellt. Wieder erfolgt für etwaige SuS, die keinen Unterschied zwischen konzessivem und modalem quand même entdeckt haben, der ermutigende Hinweis auf die nachfolgende Kognitivierungsphase. Diese nachfolgende Kognitivierungsphase, also die Bildergeschichten mit dem Ziel des gemeinsamen Erarbeitens einer funktionalen Gebrauchsregel, die dem Fremdbewusstseinsabgleich Rechnung trägt, beginnt mit der bereits bekannten konzessiven Verwendung des Quelllexems (wieder gilt: idealiter im geleiteten Unterrichtsgespräch bereits angesprochen / genannt) und wird von folgendem Text begleitet: (Kognitivierungsphase): Wie du bereits weißt, und auch in den Beispielen aus [der Erarbeitungsphase] gesehen hast, wird das Wort quand même im Französischen dazu genutzt, auszudrücken, dass eine Handlung vollzogen wird, obwohl eine andere Handlung / Tatsache der Fall ist, die diese Handlung erschwert und deshalb unwahrscheinlich macht. Es entspricht hier dem deutschen trotzdem . Vergleiche die folgende Situation: “ Abb. 5: Bildergeschichte konzessives quand même Dem wird die modale Verwendungsweise in einer zweiten Bildergeschichte gegenübergestellt: „Attention: Quand même kann im Französischen aber auch noch in anderen Kontexten genutzt werden. Vergleiche die folgende Situation: “ Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 355 Abb. 6: Bildergeschichte modales quand même Es folgt die Nachfrage der Lehrperson nach neuen Entdeckungen seitens der SuS und das Hinzufügen derselben zu der aus der Erarbeitungsphase bereits vorhandenen Liste. Dies geschieht erneut mit dem Ziel der genaueren Fixierung der semantischen Beschreibung von modalem quand même, zu der daraufhin übergegangen wird (Vorgehensweise siehe si , mai ; Bezugnahme auf die im geleiteten Unterrichtsgespräch gesammelten Ideen, Gruppen-/ Paararbeit, Exzerpieren der Gruppenvorschläge mit Hilfe einer Mind oder Mental Map, Zusammenführung in einer gemeinsamen Gebrauchsregel). Im Sinne des gemeinsamen Erarbeitens mit, wenn nötig, Hilfestellung durch die Lehrperson sollte eine funktionale Gebrauchsregel entstehen, die auch einen kurzen Hinweis auf die besondere Syntax von modalem quand même beinhaltet (cf. oben und 3.3) und in etwa so aussehen könnte: „ Quand même kann also auch dann benutzt werden, wenn man eine Tatsache bekräftigen will, von der man nur glaubt , dass der Gesprächspartner vom Gegenteil ausgehen könnte. Quand même drückt dann also nicht mehr aus, dass eine Handlung vollzogen wird, obwohl eine andere Tatsache der Fall ist, die diese Handlung erschweren oder unwahrscheinlich machen würde. Damit ist quand même dem deutschen schon in Sätzen wie Ich habe schon gut geschlafen nicht unähnlich. Attention: Diese Bedeutung kann quand même nur haben, wenn es unmittelbar nach dem Verb steht.“ 24 24 Diese Formulierung ist einer Formulierung wie „wenn quand même nicht am Satzende steht“ (o. Ä.) vorzuziehen, da es in nicht zusammengesetzten Tempora bei intransitiven Verben ( Je viens quand même ) und bei transitiven Verben mit klitischen Objektpronomen ( Je le vois quand même ) systematisch zu Ambiguität zwischen den beiden Lesarten kommt. 356 David Paul Gerards / Benjamin Meisnitzer Die kurzen Dialoge zur aktiven Einübung der neu erlernten Verwendungsweise von quand même könnten folgendermaßen aussehen (und eventuell bereits wieder Teile der Antworten enthalten): (Konsolidierungsphase): „Stelle dir folgende Situationen vor und formuliere eine Antwort mit quand même ! “ a) Situation : Jean et Luc sont en train d’escalader une montagne. Luc gémit sans arrêt. Jean pense : « Je ne comprends pas pourquoi Luc se plaint, cette montagne n’est pas très haute. » Après quelques minutes il dit à Luc : « Mais Luc, arrête de te plaindre, ------------ ! » [réponse possible : la montagne n’est quand même pas si haute que ça ! ] b) Situation : Michèle est en train de tricher à un examen. Aurélie la prend sur le fait et lui jette un regard choqué. Michèle pense : « Aurélie me regarde comme si tricher était un crime… » Assez énervée, elle dit à Aurélie : « Aurélie, calme-toi, ------------ ! » [réponse possible : ce (n’)est quand même pas un crime de tricher ! ] Diese dritte Übungsreihe zu frz. quand même beschließt den didaktischen Vorschlag und damit das Kernstück unseres Beitrags. Abschließend möchten wir die vorliegende Arbeit mit ihren wichtigsten theoretischen Aspekten und didaktischen Überlegungen in einem kurzen Fazit noch einmal zusammenfassen. 5. Fazit Mittels eines Kriterienkatalogs wurde anhand dreier romanischer Beispiele (sp. si , it. mai , frz. quand même ) zunächst die Notwendigkeit aufgezeigt, romanische MP in Abgrenzung zu ihrem jeweiligen Quelllexem eigenständig zu beschreiben und zu erklären. Eine 1: 1-Kategorisierung entsprechend des jeweiligen Ausgangslexems des Grammatikalisierungsprozesses erscheint uns deshalb als nicht zielführend, weil wir dies vor allem funktional aufgrund von semantischpragmatischen, zum Teil aber auch aus syntaktischen und phonologischen Gründen für unplausibel erachten. Trotzdem argumentierten wir dafür, im Falle der romanischen Sprachen darauf zu bestehen, dass die MP anders als im Deutschen nicht über ein Paradigma verfügen. In einem zweiten Schritt wurde eine dreistufige Übungsreihe für sp. si , it. mai und frz. quand même in ihrer MP -Verwendungsweise entworfen. Die Notwendigkeit der Vermittlung einer solchen ‚Randkategorie‘ im romanischen Überlegungen zur Vermittlung von Modalpartikeln im Fremdsprachenunterricht 357 Fremdsprachenunterricht mag dabei durchaus diskussionswürdig sein. Dennoch ist eine Vermittlung nach unserem Dafürhalten angesichts der zunehmend höheren Ansprüche an die mündlichen Fähigkeiten und an die nähesprachliche Performanz von SuS im Sinne einer authentischen und registerübergreifenden Sprachbeherrschung sinnvoll. MP erweisen sich dabei als Herausforderung nicht nur für die SuS, sondern auch für die Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer, da selbst diese sie je nach Beherrschungsgrad der unterrichteten Sprache gar nicht oder nur unreflektiert verwenden. Wir sind uns bewusst, dass die Möglichkeit eines gesteuerten Erlernens der romanischen MP auch unter der vorgeschlagenen Heranziehung des Fremdbewusstseinsabgleichs und der vertrauten deutschen MP (bzw. Äquivalenten anderer L1) Grenzen hat. Dementsprechend kann das Ziel des vorgestellten funktional-kognitiven Ansatzes, der die Auswirkung auf illokutionärer Ebene in den Mittelpunkt rückt und trotz eines im Kern induktiven, selbstentdeckerischen Anspruches nicht völlig ohne (u. U. deduktive) Hilfestellungen auskommen kann, lediglich eine erste Sensibilisierung und metasprachliche Kompetenz für die Einsatzmöglichkeiten romanischer MP sein. Er sollte deshalb als ‚Initialzündung‘ für einen Lernprozess in der kommunikativen Praxis jenseits der Unterrichtssituation - idealerweise im Dialog mit L1-Sprechern - verstanden werden. Ein sich aus dieser Arbeit ergebendes wichtiges Forschungsdesiderat wäre die weitere Ausarbeitung und Vervollständigung der Übungseinheiten (v. a. der Erarbeitungsphase), ihre konkrete Erprobung im Unterricht und, daran anschließend, ihre sukzessive Verbesserung. Dies ist hier einerseits aus Platzgründen, andererseits aufgrund der theoretischen Ausrichtung des Beitrags nicht möglich. Nichtdestotrotz hoffen wir sehr, dass die präsentierten Überlegungen hierfür eine geeignete Grundlage liefern. Abraham, Werner. 1988. „Vorbemerkungen zur Modalpartikelsyntax im Deutschen“, in: Linguistische Berichte , 118, 443-466. 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Dabei wird zunehmend auch auf standardferne Varietäten verwiesen. 1 Präskriptiv ausgerichtete (Schul-)Grammatiken besitzen in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Nachtteil: Sie können per definitionem umgangssprachliche Varietäten nicht in ihren Darstellungen aufnehmen, auch wenn diese Fremdsprachenlernenden ein authentischeres Bild sprachlicher Realität in den Zielsprachen bzw. -kulturen ermöglichen. Ein Aufsatz von Durán / McCool (2003), der diesen Sachverhalt v. a. anhand der stilistischen Varianten der Verneinung im Französischen behandelt (z.B. fr. je ne sais pas vs. j’sais pas ), spiegelt 1 Im Lehrplan für die gymnasiale Oberstufe ( Jahrgangsstufe 11 / 12) in Bayern findet sich beispielsweise der Hinweis, dass „[d]ie Schüler […] das Verstehen authentischer, nicht allein standardsprachiger [sic] Hör- und Hör-/ Sehtexte unter zunehmend realitätsnahen Bedingungen [trainieren]. Ihre mündliche Ausdrucksfähigkeit zeichnet sich in wachsendem Maße durch idiomatischen, flüssigen und situationsangemessenen [! ] Sprachgebrauch aus; sie üben sowohl, sich in unvorbereiteten Situationen spontan relativ umfassend zu äußern, als auch längere mündliche Vorträge vorzubereiten und adressatengerecht darzubieten.“ (http: / / www.isb-gym8-lehrplan.de/ contentserv/ 3.1.neu/ g8.de/ index.php? StoryID=26 499; 18. 12. 2015). 362 Robert Hesselbach diese Tatsache bereits im Titel sehr plakativ wider: „ If This Is French, Then What Did I Learn At School? “. Ziel der didaktischen Sektion „Sprachliche Mittel revisited “ am Mannheimer Romanistentag war es, den Einsatz sprachlicher Mittel im Fremdsprachenunterricht aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. In diesem Sinne behandelt der hier vorliegende Beitrag sprachliche Komplexität, welche sich auf den ersten Blick ausschließlich in normativen Beschreibungen von Sprache manifestiert, sowie ihre Implikationen für eine an sprachlicher Realität ausgerichteten Fremdsprachendidaktik, deren Anliegen es sein muss, dem jeweiligen Lerner stilistisch unterschiedliche Varietäten zu vermitteln, um ihm funktionale Handlungskompetenzen für eine erfolgreiche Kommunikation in der Fremdsprache zu ermöglichen. Nach einer kurzen theoretischen Verortung und Gegenüberstellung der Begriffe ‚Norm‘ vs. ‚Innovation‘ möchte ich anhand zweier sprachlicher Beispiele, der Aussprache des Französischen sowie der Satzstellung bzw. der Satzkomplexität des Spanischen, deutlich machen, dass sprachliche Komplexität nicht zwingend mit der Norm und sprachliche Ökonomie nicht mit sprachlicher Innovation korrelieren. Im Anschluss werden mögliche Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht an Schule und Universität skizziert. Dabei soll ein Vorschlag zur stärkeren Integration von umgangssprachlichen Inhalten in den Fremdsprachenunterricht gemacht werden. 2. Sprachliche Norm und Innovation auf theoretischer Ebene Wenn man sich den Begriffen der sprachlichen ‚Norm‘ sowie der ‚Innovation‘ auf einer theoretischen Ebene nähert, so muss man eine wechselseitige Bedingung annehmen. Die Norm stellt immer eine abstrakte Ausgleichsform dar, die neben der Kodifizierung historischer Einzelsprachen ihren Sprechern als Stütze und Orientierung dient. Ohne konkrete formelle Referenz kann es demnach keine informelle geben, worauf Kramer im Zusammenhang mit dem Vulgärlateinischen verweist: „Um Umgangssprache von einer diaphasisch markierten formellen Sprachform abgrenzen zu können, muss es die ja erst einmal geben […]“ (2008, 129). Beschreibungen von sprachlichen Phänomenen auf phonetischer, morphologischer, lexikalischer wie syntaktischer Art werden ja gerade als Abweichung von der Norm erst wahrgenommen. 2 Coseriu vergleicht die Regelmäßigkeiten innerhalb des sprachlichen Systems als Einbahnstraße: 2 Der Begriff der ‚Norm‘ wird hier im Sinne einer präskriptiven Grammatik verstanden, die „Regeln zur Unterscheidung richtiger und falscher Formen aufstellt, die Regeln des Sprachgebrauchs vorschreibt […] [und] die nicht einen (synchronen) Sprachzustand Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 363 [Man] muss bedenken, daß die Abweichungen dort, wo sie tatsächlich wahrgenommen werden können, statistisch gesehen grundsätzlich zahlreicher sein müssen als die Regelmäßigkeiten. Eine Regelmäßigkeit ist eine Einbahnstraße, eine einzige Linie; Abweichungen von dieser Linie sind aber mindestens in zwei verschiedene Richtungen möglich (2007, 217). Schematisch stellt Coseriu diese Beobachtung wie folgt dar: Abb. 1: Sprachliche Regelmäßigkeit und Abweichungen (nach Coseriu 2007, 217) Während die sprachliche Norm also das kodifizierte Regelsystem einer historischen Einzelsprache darstellt und somit nur bedingt auf Sprachwandelprozesse reagieren kann, möchte ich mit ‚sprachlicher Innovation‘ all diejenigen sprachlichen Phänomene beschreiben, die unter dem Einfluss des informellen Sprechens (oder Schreibens) entstehen und noch nicht lexikalisiert bzw. grammatikalisiert sind. Darunter fallen beispielswiese auf phonetischer Ebene die Elision von einzelnen Lautsegmenten (fr. quat[ ʁə ] [kat] statt [katʁə], sp. trabaja[ ð ]o [tɾaβaxao] statt [tɾaβaxaðo]), im Bereich der Morphologie bzw. der Lexik bestimmte Wortbildungstypen (fr. un mécano 3 statt mécanicien , sp. un sinpa 4 ‚ein Zechpreller‘) sowie in Bezug auf die Grammatik die Auslassung der Negationspartikel im Französischen (fr. je sais pas anstatt je ne sais pas ) 5 und bestimmte syntaktische Dislokationen wie z. B. die Rechtsversetzung des Subjekts wie in beschreibt […], sondern Sprachnormen aufrichtet“ (Lewandowski 1979, s.v. normative Grammatik ). Im Gegensatz dazu steht der Normbegriff bei Coseriu, der sprachliche Norm als eine allgemein gültige Übereinkunft der Sprecher einer Sprachgemeinschaft selbst sieht (cf. Coseriu 1975). 3 Das Beispiel ist entnommen aus Koch / Oesterreicher 2011, 163. 4 Dieses nominalisierte Syntagma leitet sich von der Verbalphrase sp. sin pagar ‚ohne zu bezahlen‘ ab. 5 Zur Negation im umgangssprachlichen Französischen cf. Kiesler 2013a, 143-148 sowie Meisner 2016; zur Akzeptabilität cf. Meisner 2013. 364 Robert Hesselbach sp. Es muy bueno este café statt der für das Spanische normalen Subjekt-Verb- Stellung Este café es muy bueno . 6 Es wird häufig davon ausgegangen, dass sprachliche Innovationen in der gesprochenen Sprache als ökonomisch beschrieben werden können. Unter Sprachökonomie versteht man allgemein „das Bemühen, mit einem Minimum sprachlichen Aufwands ein Maximum an kommunikativen Effekt zu erzielen (…)“ (Lewandowski 1980, s.v. Sprachökonomie ). Dies wäre z. B. der Fall für die verkürzte Verneinung im Französischen. Betrachtet man umgangssprachliche Elemente unter Komplexitätsaspekten, 7 so fällt in Bezug auf die quantitativen Eigenschaften auf den ersten Blick auf, dass die beschriebenen sprachlichen Phänomene (mit Ausnahmen der Dislokationen) sich in den vielen Fällen durch eine Reduktion sprachlicher Elemente kennzeichnen lassen. 8 Die genaue Beschreibung der Zusammenhänge zwischen stilistischer Markierung und den quantitativen Eigenschaften sprachlicher Elemente stellt daher ein besonderes Forschungsdesideratum dar. Zu klären gilt weiterhin, inwieweit und unter welchen Bedingungen die Ökonomie bzw. die Komplexität im sprachlichen Ausdruck den kommunikativen Erfolg begünstigt oder gefährdet. Dies sind gerade für die Fachdidaktik wichtige Fragestellungen bei der Vermittlung stilistisch markierter Varietäten, da die Berücksichtigung der Alltagssprache und ihres innovativen Charakters in einem modernen Fremdsprachenunterricht fortgeschrittener Lernergruppen nicht fehlen sollten. Es steht außer Frage, dass die Auseinandersetzung mit authentischem spontansprachlichem Lernmaterial im Schulkontext altersspezifisch und im Hochschulkontext kompetenzspezifisch angepasst werden muss bzw. überhaupt erst sinnvoll erscheint. Hierbei spielt eine differenzierte Förderung der unterschiedlichen kommunikativen Fertigkeiten eine bedeutende Rolle. Die Förderung des sprachlichen Bewusstseins, der (un)bewusste Einsatz standardferner sprachlicher Mittel und das Erreichen kommunikativer Ziele steht im Mittelpunkt des sog. Kommunikativen Ansatzes, d. h. „dass lerneradäquate Kommunikationsbedürfnisse den 6 Zu verschiedenen Arten der Dislokation im Französischen, Italienischen und Spanischen cf. Kiesler 2013a, 97-142. 7 Während der Begriff der ‚Sprachökonomie‘ terminologisch beschrieben ist (cf. Bußmann 2002, s.v.; Lewandowski 1980, s.v.), fehlt der Begriff der ‚Komplexität‘ in den angesprochenen terminologischen Wörterbüchern bzw. taucht bei Bußmann nur unter computationellen Aspekten auf (cf. 2002, s.v. Komplexität ). 8 Die Umgangssprache lässt sich jedoch nicht einseitig mit einer Reduktion sprachlicher Elemente gleichsetzen, so zeigen beispielsweise für die Alltagssprache typische redundante Formen wie fr. moi, je anstatt je , der häufigere Gebrauch der zusammengesetzten Futurform je vais faire statt je ferai oder die Doppelung des indirekten Objekts in sp. a mí me parece , dass auch die spontane Sprache über bestimmte Komplexitätsgrade verfügt, die im Fremdsprachenunterricht thematisiert werden sollten. Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 365 Vorrang haben vor sprachformalen Gesichtspunkten, und dass der Inhalt und die Verständlichkeit einer kommunikativen Äußerung wichtiger sind als die sprachliche Richtigkeit“ (Schumann 2009, 186). Im folgenden Kapitel soll nun anhand sprachlicher Beispiele für das Französische und Spanische gezeigt werden, wie sich Komplexität und Ökonomie in der Spontansprache manifestieren und welche Konsequenzen daraus für die Vermittlung diaphasisch niedrig markierter Varietäten der romanischen Sprachen im Fremdsprachenunterricht resultieren. 3. Komplexität und Ökonomie im Fremdsprachenunterricht Die Begriffe ‚Komplexität‘ und ‚Ökonomie‘ sind für Lehrende von (Fremd-) Sprachen in mehrfacher Hinsicht relevant. Zum einen gestalten sich die Vorgaben der Lehrpläne als sehr komplex bzw. inhaltsreich, zum anderen verlangen zeitliche wie strukturelle Vorgaben eine möglichst ökonomische Vermittlung sprachlicher Inhalte. Während es sich hierbei jedoch um außersprachliche Gegebenheiten handelt, lassen sich die Begriffe unter den Gesichtspunkten des Sprachlehrens und -lernens auf das eigentliche sprachliche System sowie seine Beschreibung im Sinne der Sprachökonomie bzw. komplexer sprachlicher Ausdrücke anwenden. 9 So kann bzw. muss es im Interesse eines Lernenden einer Fremdsprache sein, die jeweilige Zielsprache in ihrer Komplexität so gut wie möglich zu erfassen und zu beherrschen. Dies gilt im schulischen Kontext v. a. im Bereich der schriftlichen Leistungserhebung, bei der mit zunehmendem Kompetenzgrad entsprechende ausführliche und komplexe sprachliche Mittel, beispielsweise bei einer Argumentation, bewertet werden. Eine inhaltlich äquivalente Äußerung, die unter den Kommunikationsbedingungen der Nähe (cf. Koch / Oesterreicher 1990 bzw. 2011) zustande kommt und mündlich realisiert wird, kann kommunikativ ebenso zum Erfolg führen. Diese Beobachtung rückt heutzutage bei der Bewertung von mündlichen Leistungen zu Recht stärker in den Fokus. Im Folgenden soll nun die Brücke geschlagen werden zwischen den Anforderungen, die die Vermittlung standardsprachlicher Varietäten im Unterricht an die Lehrkräfte stellt, sowie varietätenlinguistischer Forschung, deren Ziel es ja gerade ist, Abweichungen vom Standard zu beschreiben und somit ein genaueres Bild sprachlicher Wirklichkeit zu liefern. Dieser komplementäre Ansatz stellt m. E. nach eine wichtige Voraussetzung dar, um Lernende einer 9 Für eine Übersicht zur Anwendung des Begriffs der ‚Komplexität‘ auf die einzelnen Ebenen des sprachlichen Systems, cf. Kortmann / Szmrecsanyi 2012, 9. 366 Robert Hesselbach Fremdsprache auf die mitunter sehr komplexen Anforderungen fremdsprachlicher Kommunikation optimal vorzubereiten. 3.1. Präskriptive Norm und deskriptive Fakten Betrachtet man die Lehrpläne für den Sprachunterricht an den Schulen, so stellt man zunehmend fest, dass nicht nur der sprachliche Standard, wie er etwa in Frankreich von der Académie Française oder in Spanien durch die Real Academia Española vorgegeben wird, vermittelt werden soll, sondern dass auch die Auseinandersetzung mit authentischer Sprache gefordert wird. Vielen Schülerinnen und Schülern bzw. Lernenden von Fremdsprachen wird die Diversität sprachlicher Äußerungen in den Zielländern erst beim Kontakt mit muttersprachlichen Sprecherinnen und Sprechern der jeweiligen Fremdsprache, und nicht durch den an den präskriptiven Grammatiken orientierten (Schul-)Unterricht des sprachlichen Standards deutlich. Dieses eingangs von Durán / McCool beschriebene Missverhältnis kennen Fremdsprachenlernende nur zu gut. Ein intensiver(er) Austausch zwischen universitärer Forschung und schulischer Praxis erscheint daher, gerade in Bezug auf die Umgangssprachenforschung, nicht nur geboten, sondern auch wünschenswert. Wir werden im Folgenden sehen, dass umgangssprachliche Varietäten im Vergleich mit ihren hochsprachlichen Entsprechungen sich nicht zwingend durch einen „einfacheren“ Charakter kennzeichnen lassen, wie er oftmals angenommen wird. Es soll nun anhand zweier sprachlicher Merkmale, nämlich (a) der Aussprache des Französischen sowie (b) der Satzkomplexität im Spanischen gezeigt werden, wie komplex sich der Einsatz authentischen Sprachmaterials im Fremdsprachenunterricht gestalten kann. Abweichungen von der sprachlichen Norm müssen nicht zwingend mit einer Reduktion des Sprachmaterials einhergehen. Während dies zwar in (a) noch der Fall ist, unterstreicht Beispiel (b), dass auch unter den Bedingungen der Nähesprache komplexe Strukturen keine Seltenheit sind. (a) Zur Aussprache des Französischen Das Französische besitzt unter den drei großen romanischen Schulsprachen in Deutschland, nämlich dem Französischen, dem Italienischen und dem Spanischen, das mit Abstand komplexeste Phoneminventar. 10 Vor allem im Bereich 10 Ein ähnlich komplexes Inventar, v. a. im Bereich der Vokalphoneme, besitzt das Portugiesische, allerdings „entspricht der aktuelle Ausbauzustand des Portugiesischunterrichts weder der Bedeutung des Portugiesischen als Weltsprache noch deren motivationalem Potential“ (Reimann 2014, 251). Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 367 der Vokale unterscheidet sich das Französische in großem Maße vom Italienischen und Spanischen. 11 Einem komplexen und „qualitativ besonders ‚unromanische[n]‘ System von bis zu immerhin bis zu 16 Vokalen“ (Koch 2008, 41) im Französischen 12 stehen im Italienischen und Spanischen einfache Fünf- Vokal-Systeme gegenüber. Gerade das Französische tendiert bei erhöhtem Sprechtempo zum Schwund einzelner (vokalischer) Laute. Bei einem Satz wie fr. je le lui dirais ‚ich würde es ihr / ihm sagen‘ besteht - je nach kontextuellem Formalitätsgrad - ein quantitativ deutlicher Unterschied von der diaphasisch gehobenen Aussprache mit elf Lauten ([ʒələlɥidiʁɛ]) bis hin zu einer sehr informellen Realisierung mit nur noch sechs Phonen ([ʒidiʁɛ]). 13 Abbildung 2 stellt den Zusammenhang zwischen lautlicher Realisierung und stilistischer Markierung ausführlicher dar. Abb. 2: Stilistisch markierte Aussprachvarianten von fr. je le lui dirais Aufgrund des komplexen Charakters seines Vokalsystems und der Tatsache, dass Sprecherinnen und Sprecher des Französischen bei erhöhtem Sprechtempo 11 Auf die Tatsache, dass das Französische von vielen Schülerinnen und Schülern bzw. Studierenden als schwierigere Sprache wahrgenommen wird, verweist Pustka, wenn sie schreibt: „Die Angst vor diesen und anderen ‚Aussprachefallen‘ blockiert selbst fortgeschrittene Französischstudenten und behindert das Lernen in anderen Bereichen (Grammatik, Wortschatz etc.)“ (2011, 9). 12 Ebenfalls auf ein Maximalsystem von 16 Vokalphonemen verweist Selig (2008, 163), bei Pustka werden 14 vokalische Phoneme angegeben, da die Phoneme / ɑ/ und / œ̃ / ) „nach aktuellem Stand der Forschung nicht mehr der Norm angehören“ (2011, 95). 13 Diesen Hinweis verdanken wir Frau Dr. Martine Guille. 368 Robert Hesselbach Laute elidieren, zeigt sich, dass etwa im Gegensatz zum Spanischen oder Italienischen die französische Sprache gerade im Bereich der Aussprache Komplexität v. a. in Bezug auf Vokale abbauen kann. Diese sprachökonomische Auffälligkeit erschwert im Fremdsprachenunterricht die Auseinandersetzung mit authentischem Sprachmaterial auf rezeptiver Seite. Mit zunehmendem Abbau des sprachlichen Materials wird zwangsweise eine komplexere Verstehensanstrengung auf Seiten des Hörers hervorgerufen. Inwiefern diese Tatsache im Fremdsprachenunterricht an den (Hoch-)Schulen berücksichtigt werden soll, wird an späterer Stelle bei der Vermittlung von umgangssprachlichen Varietäten diskutiert. Zunächst wird nun für das Spanische gezeigt, dass die Syntax der Umgangssprache durchaus über sehr komplexe Merkmale verfügen kann. (b) Zur Satzkomplexität des Spanischen Im Bereich der Grammatik bzw. der Syntax wird der Begriff ‚Komplexität‘ häufig zur Unterscheidung von einfachem und komplexen Satz herangezogen. Komplexe Sätze werden traditionellerweise als syntaktische Konstruktionen mit mindestens zwei finiten Verben (cf. Bußmann 2002, s.v. Satz ) bzw. zwei finiten Verben mit eigenständigen Subjekten (cf. Gili Gaya 1980, 261-262) beschrieben. Weit verbreitet in Lehre und Forschung findet sich die Meinung, dass sich diaphasisch niedrig markierte Stile bspw. eher durch paraals durch hypotaktischen Satzbau und distanzsprachliche entsprechend durch größere Komplexität auszeichnen. So halten etwa Koch / Oesterreicher (2011) fest: Der eher aggregative Charakter der Parataxe kommt demgegenüber der Spontaneität und den geringen Planungsmöglichkeiten des Nähesprechens entgegen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in Nähediskursen mitunter extreme Häufungen der Parataxe auftreten. […] Die Beispiele zeigen, dass die extrem gehäufte Parataxe ein generell nähesprachliches Phänomen darstellt, das nicht nur bei niedrigerem, sondern auch bei höherem Bildungsgrad und Sozialstatus vorkommt (99; 101). Was nun die Hypotaxe betrifft, so kommt sie zweifellos den Erfordernissen und Möglichkeiten des Distanzsprechens besonders entgegen. Die ausgeprägte Situations- und Handlungsentbindung muss hier kompensiert werden durch die Integration pragmatischer Informationen in den Diskurs. Für diese Überführung von Situations- und Handlungsaspekten in den sprachlich-kommunikativen Kontext stellt die Hypotaxe ein ausgezeichnetes Mittel dar, das bei ausreichender Reflektiertheit und Planungszeit in - im Prinzip - beliebig komplexer Weise eingesetzt werden kann (101). Auch wenn die Autoren betonen, dass „jedoch nicht der Eindruck entstehen [darf], dass das Nähesprechen kaum Hypotaxe kennt“ (loc. cit.), so wird deut- Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 369 lich, dass ein Zusammenhang zwischen dem gehäuften Auftreten parataktischer Konstruktionen unter umgangssprachlichen Bedingungen sowie der stärkeren Verwendung von hypotaktischen Strukturen in distanzsprachlich-reflektierten Kommunikationssituationen angenommen wird. 14 Neuere empirische Untersuchungen zur syntaktischen Komplexität des Spanischen zeigen aber, dass genau gegen diese Sichtweise Bedenken angemeldet werden können, wie sie auf theoretischer Ebene bereits u. a. von Narbona Jiménez 1989, Gadet 1992 und Kiesler 2013a geäußert wurden. Wenn man die Aussage Koch / Oesterreichers dahingehend verstehen möchte, dass sich umgangssprachliche Syntax eher durch einen Satzbau auszeichnet, der mehr einfache als komplexe Sätze aufweist, so kann das durch die Ergebnisse einer vormals ausgeführten Studie bestätigt werden. Anhand eines Korpus von über 3.000 Sätzen spanischer Umgangssprache konnte gezeigt werden, dass einfache syntaktische Strukturen deutlich häufiger im modernen Spanisch auftreten als komplexe. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse für die einzelnen Teilkorpora ( CRI , MAD , SAN , VAL ) 15 : Einfach Komplex Σ CRI MAD SAN VAL 207 283 318 1336 74 117 282 564 281 400 600 1900 Σ 2144 1037 3181 Tab. 1: Verteilung von einfachen und komplexen Sätzen (nach Hesselbach 2014, 97) Die Tabelle zeigt deutlich, dass sich unter den Bedingungen der extremen kommunikativen Nähe, in der Summe aller analysierten Teilkorpora etwas mehr als zwei Drittel einfache (67,4 %) als komplexe syntaktische Konstruktionen (32,6 %) finden lassen. Auffällig zu beobachten ist dabei jedoch, dass sich dieses Verhältnis approximativ in den einzelnen Korpora selbst abzeichnet (CRI: 73,6 %/ 26,3 %; MAD : 70,8 %/ 29,2 %; SAN : 53,0 %/ 47,0 %, VAL : 70,3 %/ 29,7 %). Wenn man bei einfachen syntaktischen Strukturen nun noch unterscheidet zwischen denjenigen mit finitem oder ohne finites Verb, so zeigt sich, dass etwa zwei Drittel aller Fälle mit finitem Verb gebildet und somit im Sinne einer tra- 14 Ähnliche Positionen beziehen u. a. Beinhauer 1973, Herrero Moreno 1988 und Kiesler 1989. 15 Die hier verwendeten Teilkorpora sind CRI (Criado de Val 1980), MAD (Esgueva / Cantareno 1981), SAN (Rabanales / Contreras 1979) sowie VAL (Briz yVal.Es.Co 2002). 370 Robert Hesselbach ditionellen Satzgrammatik als „satzwertig“ betrachtet werden. Tabelle 2 stellt ebendiese Verteilung dar: + fin. Verb fin. Verb Σ CRI MAD SAN VAL 138 193 212 814 69 90 106 522 207 283 318 1336 Σ 1357 787 2144 Tab. 2: Verteilung von einfach syntaktischen Strukturen mit finitem oder ohne finites Verb (nach loc. cit.) Das hier beschriebene Verhältnis von Konstruktionen mit finitem Verb (63,3 %) gegenüber denen, die infinit bzw. ohne finites Verb gebildet werden (36,7 %) findet sich ebenfalls dergestalt in den einzelnen Teilkorpora wieder ( CRI : 66,7 %/ 33,3 %; MAD : 68,2 %/ 31,8 %; SAN : 66,7 %/ 33,3 %; VAL : 60,9 %/ 39,1 %). Im Übrigen zeigt dies für den Bereich der Syntax, wie robust sich das sprachliche System auf parole -Ebene verhält. Betrachtet man die komplexen Sätze, so verhält es sich so, dass bei der Verknüpfung von mehreren sog. „Sachverhaltsdarstellungen“ (Raible 1992) Sprecher des Spanischen unter dem Eindruck des Nähesprechens eben nicht die vermeintlich „einfachere“ Variante, nämlich die der Koordination, vorziehen. Vielmehr lässt sich ein insgesamt stärkerer Gebrauch von unterordnenden Satzkonstruktionen im Bereich der komplexen Sätze konstatieren, wie man in Tabelle 3 erkennen kann: Paratakt. Hypotakt. Σ CRI MAD SAN VAL 22 57 138 205 52 60 144 359 74 117 282 564 Σ 422 615 1037 Tab. 3: Verteilung von para- und hypotaktischen Konstruktionen im Bereich der komplexen Sätze (nach: Hesselbach 2014, 98) Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 371 Angesichts der hier dargestellten Gesamtergebnisse kann man von einer leichten Dominanz hypotaktischer Konstruktionen (59,3 %) gegenüber parataktischen Sätzen (40,7 %) sprechen. Die einzelnen Teilkorpora weisen jeweils ebenfalls eine entsprechende Verteilung zugunsten der Subordination im Bereich der komplexen Sätze auf ( CRI : 70,2 %/ 29,3 %; MAD : 51,3 %/ 48,7 %; 51,1 %/ 48,9 %; VAL : 63,7 %/ 36,3 %). Die Ergebnisse sind deswegen besonders von Interesse, weil sie unter Aspekten der Ökonomie und sprachlicher Varietät eine Ambivalenz abbilden. Zum einen lässt sich für die Umgangssprache, wie es im Übrigen nicht anders zu erwarten gewesen wäre, ein deutliches Übergewicht einfacher Sätze bzw. syntaktischer Konstruktionen gegenüber den komplexen finden. Wenn man nun davon ausginge, dass auch die „einfachere“ bzw. „ökonomischere“ Satzjunktionstechnik, nämlich die Satzreihung, im Bereich der komplexen Sätze überwiegen, so zeigen dies die Ergebnisse nicht. Im Gegenteil: Mit knapp 60 % aller komplexen Strukturen innerhalb des Referenzkorpus zeigt sich die hypotaktische Konstruktionsweise im Bereich der diaphasisch niedrig markierten Varietäten (des Spanischen) als überaus produktiv bei der syntaktischen Verknüpfung von Sachverhaltsdarstellungen. Sie dominieren die parataktischen Satzkonstruktionen, die lediglich mit circa zwei Fünftel aller Fälle auftauchen. 16 Für die Fachdidaktik spielen diese Ergebnisse eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der Grammatik auf Satzebene. Geht man nämlich davon aus, dass sich das Verhältnis von para- und hypotaktischen Konstruktionen mit zunehmendem Formalitätsgrad der kontextuellen Situation noch weiter in Richtung der Dominanz hypotaktischer Satzstrukturen bewegt, so gestaltet es sich als notwendig, das Verständnis für komplexe Satzstrukturen sowohl auf produktiver wie rezeptiver Seite im Fremdsprachenunterricht zu trainieren. Im Folgenden sollen daher die hier vorgestellten sprachlichen Merkmale in einen größeren Kontext eingebettet und generell die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes umgangssprachlicher Mittel im Fremdsprachenunterricht thematisiert werden. 3.2. Vermittlung umgangssprachlicher Varietäten An dieser Stelle möchte ich zunächst näher auf das Dilemma eingehen, dem Fremdsprachenlehrkräfte scheinbar gegenüberstehen, wenn es darum geht, spontansprachliche Elemente in den Unterricht zu integrieren, damit sowohl produktiv wie rezeptiv die Schülerinnen und Schüler bzw. Studierende zu einer 16 Die Beschreibung der komplexen Sätze wurde in jüngerer Zeit durch eine Typologie von Kiesler erweitert, der sowohl für parawie hypotaktische Konstruktionsarten homogene wie heterogene Fälle annimmt (cf. 2013b). Diese Einteilung konnte im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung noch nicht mitberücksichtigt werden. 372 Robert Hesselbach erfolgreicheren Kommunikation in der Fremdsprache angeleitet werden können. Fremdsprachenlernende können ihre Kommunikation ihren Handlungszielen entsprechend allerdings nur dann zielführend gestalten, wenn sie die jeweiligen Ausdrucksformen bzw. Varianten auf phonetischer, lexikalischer, idiomatischer und syntaktischer Art der Umgangssprache (er)kennen. Dies bedeutet, dass - entsprechend der Forderung der jeweiligen Lehrpläne - eine Lehrkraft nicht auf die Vermittlung umgangssprachlicher Varietäten des Französischen, Italienischen, Spanischen etc. verzichten kann bzw. darf. Im Gegenteil: Der Einbezug realistischer Kommunikationssituationen in den Unterricht erhöht die Motivation der Lernenden, weil Sprache nicht als ein starres und zu lernendes Regelsystem erfahren wird. Vielmehr fördert die Auseinandersetzung mit der Umgangssprache - und v. a. den reflektierenden Phasen über die jeweiligen Entsprechungen in der eigenen Muttersprache - das sprachliche Bewusstsein der Lernenden und verhilft ihnen somit zu der Kompetenz, in unterschiedlichen kommunikativen Situationen adäquate sprachliche Handlungskompetenzen abzuleiten. Auf die Notwendigkeit der Erlangung dieser Kompetenz verweist ebenfalls Schumann, wenn sie schreibt, dass es nicht ausreicht, die Normsprache zu erwerben, sondern dass eine gewisse Kenntnis der diatopischen, diastratischen und diaphasischen Gliederung des Spanischen notwendig ist, um nicht nur eine schriftsprachliche, eher distanzorientierte, sondern auch eine mündliche näherorientierte kommunikative Kompetenz aufbauen zu können. Diese Kompetenz ist es nämlich, die gebraucht wird, wenn man an der Alltagskommunikation in Spanien oder in hispanophonen Ländern teilnehmen möchte […] (2011, 67). Was in diesem Fall zu Recht als Desideratum für den Aufbau von kommunikativen Kompetenzen in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht dargestellt wird, hängt allerdings entscheidend von zwei Faktoren ab. Um diaphasisch (und im Übrigen auch diatopisch wie diastratisch) markierte Elemente im Unterricht an Schulen wie Universitäten entsprechend thematisieren zu können, bedarf es zunächst eines fachwissenschaftlichen, in diesem Fall linguistischen, Expertenwissen des Lehrenden, das sich dieser im Studium durch den Besuch entsprechender Seminare und Sprachkurse, aber besonders auch durch längere Auslandsaufenthalte erwirbt. 17 Insofern ist eine entsprechende universitäre 17 Dies gilt im Umkehrschluss übrigens nicht nur für umgangssprachliche Stile, sondern eben auch für stilistisch gehobene Varianten, also etwa die Unterscheidung zwischen sp. cara ‚Gesicht‘ und rostro ‚Antlitz‘, die in unterschiedlichen Kommunikationssituationen eben auch dazu führen können, dass kommunikativ-funktionale Ziele nicht erreicht werden können (zur Abgrenzung von Stilebenen, cf. Hesselbach 2013). Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 373 (Aus-)Bildung von angehenden Lehrkräften genauso unverzichtbar wie die pädagogisch-didaktische. In diesem Zusammenhang kommen wir beim zweiten Faktor zurück auf die Begriffe der ‚Komplexität‘ und ‚Ökonomie‘. Wie bereits an vorheriger Stelle anhand der Beispiele zum Französischen und Spanischen gezeigt wurde, lassen sich Umgangssprache und Ökonomie sowie Hochsprache und Komplexität nicht zwingend gleichsetzen. Dies hat für den Fremdsprachenlehrenden zur Konsequenz, dass er zunächst Sprache in all ihrer Komplexität und in Bezug auf alle Fertigkeiten, die Schülerinnen und Schüler oder Studierende erlangen sollen, lehren muss: Varietäten können ja gerade nur kontrastierend zur Norm wahrgenommen werden. Anders formuliert kann man umgangssprachlich markierte, überindividuelle Merkmale nicht ohne Bezug zur Norm besprechen bzw. erklären, d. h. man kann Französischlernenden eine Form wie j(e) sais pas nicht plausibel darstellen und sie auf entsprechende Kommunikationssituationen in frankophonen Ländern vorbereiten, wenn man die standardsprachliche zweigliedrige Verneinung im Französischen, also je ne sais pas , nicht vorher behandelt hat. Gleiches gilt bei der Behandlung von Sprachvarietäten z. B. für lautliche Phänomene des Spanischen, wie etwa dem ceceo oder seseo , also der Neutralisierung der standardsprachlichen Lautopposition / s/ (sp. casa [kasa] ‚Haus‘) und / θ/ (sp. caza [kaθa] ‚Jagd‘) zugunsten nur einer realisierten Variante. Diese conditio sine qua non hat ganz praktische Auswirkung auf die Gestaltung der Lehrmaterialien beim Einbezug umgangssprachlicher Varietäten in den Fremdsprachenunterricht, wenn es um die Frage der Gewichtung der sprachlichen Inhalte geht. Es soll an dieser Stelle nicht der Eindruck entstehen, dass umgangssprachliche sprachliche Phänomene im Unterricht überwiegen sollen. Dies wäre aufgrund des abweichenden Charakters der Varianten und ihrem Bezug zur Norm auch gar nicht möglich. Vielmehr soll eine zunehmende Vermittlung spontansprachlicher Elemente im besten Sinne komplementär wirken, d. h. Schülerinnen und Schüler, Studierende und weitere Fremdsprachenlernende auf Grundlage der erlernten Regelmäßigkeiten (i) für sprachliche Diversifikation (auch im Hinblick auf die Muttersprache) sensibilisieren, (ii) ihnen ein besseres Hör- (und Lese-)Verständnis ermöglichen sowie (iii) sie zu einer adäquateren und zielführenderen Kommunikationsführung in der Fremdsprache befähigen. 18 Die Auseinandersetzung mit sprachlicher Komplexität und ihr Verständnis fördern daher zielgerichtetere Strategien der Lernenden in Be- 18 Die genauere Beschreibung der Auswirkungen von komplexen sprachlichen Inhalten im Fremdsprachenunterricht auf die Fertigkeiten des Hörens, Lesens, Schreibens und Sprechens stellen an der Schnittstelle von fachdidaktischer und sprachwissenschaftlicher Forschung ein weiteres Desideratum dar. 374 Robert Hesselbach zug auf die vielschichtigen funktionalen Bedürfnisse, welche fremdsprachliche Kommunikation ihnen abverlangt. Unter praktischen Gesichtspunkten könnte man - im Sinne einer komplementären Herangehensweise - nach Abschluss einer standard-orientierten Lektion entsprechende Hinweise zu umgangssprachlichen Varietäten in den Lehrbüchern einbauen. So könnte beispielsweise nach Einführung der Negation im Französischen eine intensive Auseinandersetzung mit den gesprochenen Varietäten dafür sorgen, dass der normative Gebrauch der zweigliedrigen Negation fr. ne … pas bewusster wahrgenommen wird. Im Spanischunterricht kann zunächst die Opposition der korrekten Aussprache des (inter)dentalen stimmlosen Frikativs / θ/ sowie des alveolaren stimmlosen Frikativs / s/ eingeübt werden, bevor man in einer vertiefenden Lektion die Phänomene des ceceo und seseo und ihre regionale Verbreitung behandeln kann und Lernende des Spanischen für sprachliche Realität sensibilisiert. In diesem Zusammenhang ist es von großer Bedeutung, im Fremdsprachenunterricht den jeweilig vorherrschenden kontextuellen Formalitätsgrad bzw. die betreffenden Stilebenen zu thematisieren und genau abzugrenzen, damit diese sprachlichen Merkmale den entsprechenden Kommunikationssituationen zugeordnet und von den Lernenden adäquat angewandt bzw. verstanden werden können. Betrachtet man beispielsweise nominalisierte Ausdrücke der Standardsprache wie etwa fr. à cause de ma maladie je ne pouvais pas aller à l’université oder sp. a causa de mi enfermedad no pude ir a la universidad , so würden diese unter den Bedingungen des Nähesprechens ebenso unpassend erscheinen, da man eher einen komplexen Satz wie fr. je (ne) pouvais pas aller à l’univesité parce que j’étais malade bzw. sp. no pude ir a la universidad porque estuve enfermo erwarten würde. 19 Die Beispiele zeigen, dass ein Fremdsprachenunterricht, der funktionale Handlungskompetenz vermitteln will, auf eine Auseinandersetzung mit stilistischen Varietäten nicht verzichten kann. Für die Einbeziehung umgangssprachlicher Mittel bieten sich heutzutage ganz unterschiedliche Methoden an, da die neuen Medien den einfacheren Einsatz authentischer Sprache ermöglichen, der entsprechend auf- und vorbereitet (das Verständnis für) sprachliche Variation verankern kann. Insofern müssen Lehrkräfte aus einem sehr komplexen Angebot eine Auswahl treffen. Gleichzeitig kann die Beschäftigung mit Umgangssprache auf Schülerinnen und Schüler sehr motivierend wirken, so dass ein dosierter Einsatz die Vermittlung der jeweiligen Fremdsprache positiv beflügeln kann. 19 Typisch umgangssprachlich für Kausalzusammenhänge wäre in diesem Fall eine asyndetische Satzreihung der Sachverhaltsdarstellungen (cf. Raible 1992), bei denen die Freiheit der Position gewahrt bleibt und Kausalität durch den Hörer hergestellt wird, also fr. j’étais malade; je (ne) pouvais pas aller à l’université oder sp . estuve enfermo; no pude ir a la universidad. Sprachliche Norm und sprachliche Innovation revisited 375 4. Fazit Wie wir gesehen haben, spielen die Begriffe ‚Komplexität‘ und ‚Ökonomie‘ auf der außersprachlich-strukturellen Ebene eine entscheidende Rolle für die Vermittlung von Fremdsprachen. Es sind gerade die inhärenten Eigenschaften des sprachlichen Systems, welche ein genaueres Studium der Strukturen unter stilistischen Gesichtspunkten in Bezug auf Komplexität und Ökonomie so bedeutsam machen und dann entsprechende Auswirkungen auf den Fremdsprachenunterricht besitzen. Die bzw. der Studierende einer Fremdsprachenphilologie erfährt diese Notwendigkeit in ihrer / seiner universitären Laufbahn im Übrigen am eigenen Leib. Während die wissenschaftliche Ausbildung von Lehramtsstudierenden von einem standardorientierten sprachpraktischen Unterricht flankiert wird, der m. E. trotzdem noch zu kurz kommt, wird die zentrale Kompetenz von angehenden Lehrkräften im Bereich der (romanischen) Fremdsprachen, nämlich das Beherrschen der Fremdsprache, in den Verantwortungsbereich des einzelnen Studierenden ausgelagert. Die Erlangung der für das Verständnis von Komplexität so wichtigen sprachlichen wie interkulturellen Kompetenzen kann zwar auch nur durch längere Auslandsaufenthalte erfolgen, allerdings widerspricht diese Tatsache ja nicht im geringsten einer intensiveren sprachpraktischen Ausbildung an den Universitäten. Im Gegenteil: Komplexere sprachliche Inhalte, wie etwa die Vermittlung des subjonctif bzw. subjuntivo -Gebrauchs im Französischen und Spanischen lassen sich ja gerade viel gezielter vermitteln und verankern, sobald eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Zielsprache - etwa durch längere Aufenthalte in der Zielkultur - bereits stattgefunden hat. Hierbei spielt natürlich ebenso die personelle Ausstattung und das damit verbundene Angebot der Institute eine wichtige Rolle. In diesem Falle stellt das administrativ verordnete Spardiktat - man kann hier nicht einmal im besten Sinne euphemistisch von Ökonomie sprechen - die Fakultäten vor komplexe Probleme. Dies ist besonders bedauerlich, da aufgrund der Verkürzung der Gymnasialzeit (wie etwa in Bayern) und der daraus resultierenden geringeren Sprachkompetenz in den Fremdsprachen der Aufbau sprachlicher wie interkultureller Fähigkeiten an die Universitäten verlagert wird. In diesem Sinne kann der vorliegende Beitrag als ein Plädoyer zugunsten eines stärkeren Einbezugs umgangssprachlicher Varietäten in den Fremdsprachenunterricht an Schulen wie Universitäten sowie eines intensiveren Austausches zwischen linguistischer Forschung und fachdidaktischer Praxis verstanden werden. 376 Robert Hesselbach Beinhauer, Werner. 2 1973. El español coloquial . Madrid: Gredos. Briz, Antonio y Grupo Val.Es.Co. 2002. Corpus de conversaciones coloquiales . Madrid: Arcos. Bußmann, Hadumod (ed.). 3 2002. Lexikon der Sprachwissenschaft . Stuttgart: Kröner. Coseriu, Eugenio. 1975. „System, Norm und Rede“, in: Eugenio Coseriu (ed.): Sprachtheorie und allgemeine Sprachwissenschaft . München: Fink, 11-101. 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Story ID =26 499, 02. 03. 2017). „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 379 Sprachliche Mittel und Mehrsprachigkeit „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 381 „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion: Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension zwischen romanischen Sprachen in Chat-Rooms 1 Sílvia Melo-Pfeifer Einleitung Dieser Beitrag widmet sich einer soziokonstruktivistischen Perspektive im Rahmen mehrsprachiger Interaktion. Demnach geht es nicht darum, zu erkennen, was produktiv oder rezeptiv in der Kommunikation geschieht, sondern was die Teilnehmer zusammen erreichen (Melo-Pfeifer 2011). In der mehrsprachigen Interaktion bleiben die sprachlichen Codes nicht immer getrennt, auch dann nicht, wenn der Kommunikativvertrag es anleitet (Bono / Melo-Pfeifer 2011). Infolgedessen bedeutet Interkomprehension nicht immer, dass jeder Sprecher eine Sprache „aktiv“ benutzt und die anderen Sprachen versteht. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen produktiven und rezeptiven Sprachkompetenzen im Rahmen mehrsprachiger Interaktion nicht befriedigend, da es sich um die Ko-Konstruktion der Interkomprehension handelt. In diesen kommunikativen Situationen, bzw. wenn die Sprachen ähnlich sind, werden alle sprachlichen Mittel der Teilnehmer zusammengeführt, um ein gemeinsames Kommunikationsrepertoire zu erstellen (Bono / Melo-Pfeifer 2012). Dementsprechend stellen die Sprecher einen „Pool“ von sprachlichen Mitteln, die in einer konkreten Situation sinnvoll sind, zusammen und benutzen ihn erforderlichenfalls, um Kommunikationsprobleme zu lösen oder spezifische Kommunikationseffekte zu produzieren (z. B. Humor). Diesen Prozess, alle kommunikativen Mittel sprachübergreifend zu benutzen bzw. Sprachen und andere semiotische „ sens makers “ grenzüberschreitend anzuwenden, um Bedeutungen zusammenzufügen, nennen García & Li Wei (2014) „ translanguaging “. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion (Chats) im Rahmen des Galanets-Projekts (www.galanet.eu, „ Plateforme de formation à l’intercompréhension en langues romanes “). Unsere Forschungsfragen, die durch die Analyse von Chat-Sequenzen beantwortet werden sollen, lauten: 1 Aus dem Portugiesischen übersetzt von Debra Schilling. 382 Sílvia Melo-Pfeifer • Verlieren die Kategorie „Sprache“ bzw. „Code“ ihre Differenzierungsfunktion in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion? Wenn „Ja“, inwiefern? • Welche sprachlichen Mittel werden in der mehrsprachigen Interaktion von Sprechern häufiger thematisiert? • Wie wird „ translanguaging “ im Rahmen der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion dargestellt? Zunächst klären wir die Beziehung zwischen Interkomprehension und mehrsprachiger Interaktion und behalten dabei unseren interaktionellen Blick auf Interkomprehension bei und bringen dies schließlich mit dem sich derzeit entwickelnden Konzept des „ tranlanguaging “ in Zusammenhang. In einem weiteren Schritt erläutern wir das wissenschaftlich-didaktische Szenario der Studie und den methodologischen Rahmen der empirischen Untersuchung. Anschließend analysieren wir verschiedene Interventionen und eine interaktionelle mehrsprachige Sequenz. Beide liefern auf ihre Weise unterschiedliche Beiträge zur Beantwortung der Forschungsfragen sowie zur mehrsprachigen und transsemiotischen Ko-Konstruktion der Interkomprehension. Die vorliegende Studie schließt mit einer Synthese der durchgeführten Untersuchungen und mit einer Bekräftigung der angenommenen theoretischen Position, die um zwei Argumente kreist: 1. Die Erforschung von Interkomprehension aus einer interaktionellen Perspektive birgt wissenschaftliche und epistemologische Vorteile. 2. Der Prozess der mehrsprachigen Interkomprehension lässt sich auf holistischere und komplexere Weise begreifen, sofern ihre Erforschung im Rahmen der Perspektiven erfolgt, die sich durch das Konzept des „ translanguaging “ eröffnen. 1. Interkomprehension, translanguaging und mehrsprachige Interaktion Bislang wurde das Konzept der Interkomprehension in der Mehrheit der Studien in einem klaren Zusammenhang mit dem Konzept „Textverstehen“ thematisiert, vorzugsweise im Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Sinnerfassung geschriebener Texte in Sprachen derselben Sprachfamilie (Degache / Melo 2008; siehe Inhalt in Referenzwerken wie Doyé / Meißner 2010; Capucho et al. 2007; Meißner et al. 2011). So lässt sich feststellen, dass der Schwerpunkt der internationalen Projekte mehrheitlich auf der Entwicklung der oralen oder der schriftlichen Fähigkeit zum Verstehen von Texten in Sprachen der germanischen, romanischen oder slawischen Sprachfamilie liegt, wobei die romanische Sprachfamilie am häufigsten beleuchtet wird. „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 383 In diesen sich in der Mehrheit befindenden Studien mit Schwerpunkt auf dem mehrsprachigen Textverstehen wird augenscheinlich nicht berücksichtigt, dass Interkomprehension im Sinne der ursprünglichen Konzeptualisierung (im Einklang mit Hermoso 1998) als die Fähigkeit oder Kompetenz gilt, in Sprachkontaktsituationen die eigene Sprache zu sprechen und die Sprache des anderen zu verstehen. Oder, wie bereits 1991 von Poser erläutert, ist Interkomprehension eine Interaktion, die sich unter Rückgriff auf verschiedene Sprachen entwickelt, in der die rezeptiven Fähigkeiten im Zusammenspiel mit den interproduktiven Fähigkeiten eine Ko-Konstruktion des Sinns durch die Gesprächspartner ermöglicht. Somit bewegt sich die Ursprungsidee dieses Konzepts auf der Ebene der Interaktion und nicht auschließlich auf der Ebene der Fähigkeit zum Verstehen und sollte somit - wie in vorliegender Arbeit der Fall - vorzugsweise im Zusammenhang mit den Beziehungen während des Dialogs und den intersubjektiven Beziehungen betrachtet werden, die Individuen untereinander aufbauen (Melo-Pfeifer 2015a). Gemäß dieser interaktionellen Betrachtung von Interkomprehension ist der durch die Mobilisierung verschiedener sprachlicher und semiotischer Ressourcen ko-konstruierte Sinn translinguistischer und intersubjektiver Natur, da er sich nicht auf den Sinn beschränken lässt, der sich durch die Nebeneinanderstellung von Sprachen (im Rahmen einer monoglossischen Sichtweise der mehrsprachigen Interaktion) und Individuen ergibt. Somit ergibt sich der ko-konstruierte Sinn aus der gegenseitigen Durchdringung der Sprachen und der konstitutiven Dynamik ihrer gezielten Verwendung (in einem konstitutiven hic et nunc der Kommunikationssituation, die allmählich aufgebaut und immer wieder neu verhandelt wird). Diese translinguistische Betrachtungsweise der Ko-Konstruktion des Sinns im Rahmen der mehrsprachigen Interaktion erlaubt die Betrachtung anderer Szenarien der exolingualen Interaktion (d. h. in denen die Individuen unterschiedliche Sprachkompetenzen in der Kommunikationssprache aufweisen). In einer mehrsprachigen Kommunikationssituation ist gemäß den Grundsätzen der Interkomprehension somit jedes Individuum ein „Experte“ in seiner / seinen Sprache(n) und weist Teilkompetenzen in der / den Sprache(n) des / der anderen auf. Sprich, es handelt sich um eine exolinguale und mehrsprachige Situation, in der jedes Individuum über Stimme ( Voice ), Macht ( Power ) und mehrsprachigen Sprachressourcen verfügt. Da sich die Kommunikationssituation durch die Ko- Existenz verschiedener Kommunikationssprachen und die Mobilisierung verschiedener semiotischer Ressourcen kennzeichnet, erweist sich das Konzept des Code-Switching nicht weiter als am besten geeignet für die Berücksichtigung der beobachteten sprachübergreifenden Phänomene. Unseres Erachtens könnte sich in diesem Fall das neugeborene Konzept des „ translanguaging “ als vorteil- 384 Sílvia Melo-Pfeifer hafter erweisen, da es den Kommunikationsprozess in seiner Transsemiotizität beleuchtet und nicht nur die verwendeten Sprachen und da die Betonung stärker auf den Kommunikationsteilnehmern und weniger auf ihren sprachlichen Ressourcen liegt (sprich die soziokonstruktivistische Betrachtung des mehrsprachigen Kontakts nimmt einen höheren Stellenwert ein). Gleichermaßen wird im Rahmen des Code-Switching -Ansatzes offenkundig davon ausgegangen, dass es eine zulässige Kommunikationssprache gibt, in die Auszüge aus anderen Sprachen übertragen werden (unter Befolgung von Strukturen, Standards oder gar einer Code-Switching -Grammatik, im Rahmen eines vor allem kognitiven Ansatzes), wohingegen im Rahmen des translanguaging- Ansatzes davon ausgegangen wird, dass in Kommunikationssituationen, die sich durch Mehrsprachigkeit auszeichnen, alle Sprachen als Kommunikationssprachen akzeptiert werden (cf. Busch 2013; Creese / Blackledge 2010; García / Li Wei 2014). Busch weist darauf hin: In der Beschäftigung mit translanguaging gilt das Interesse weniger der Frage, auf welche spezifischen Codes Sprecher_innen zurückgreifen und auf welche sozialen oder ethnischen Kategorien diese verweisen, als der Art, wie heterogene kommunikative Ressourcen genutzt und miteinander kombiniert werden, um Bedeutung zu schaffen, und welche Bedeutungen Sprecher_innen selbst diesen Praktiken geben (Busch 2013, 58). García & Li Wei (2014) gehen noch einen Schritt weiter und behaupten, dass es keinen Sinn mache, die verschiedenen Sprachen überhaupt zu unterscheiden (aus einem post-strukturalistischen Blick auf Sprachen und Sprache, Makoni / Pennycook 2007). Dies bedeutet nicht, dass es im Rahmen empirischer Analysen mit emischem Ansatz keinen Sinn mehr macht, die Kategorien „Sprache X“ und „Sprache Z“ zu verwenden. Ganz im Gegenteil: Wie im Verlauf unserer empirischen Untersuchung deutlich wird, unterscheiden die Individuen bei Bedarf weiterhin die verschiedenen Kommunikationssprachen voneinander und orientieren sich an Kommunikationsansätzen und -standards, in denen Sprachen als autonome und unabhängige Einheiten betrachtet werden. Dieser monoglossische Ansatz beinhaltet jedoch gleichzeitig einen heteroglossischen Ansatz, unter ständiger Thematisierung der zwischensprachlichen Annäherung und Entfernung sowie der Relativierung der Grenzen zwischen den Sprachen (ohne diese Grenzen jedoch vollständig zu beseitigen). Somit wird die Idee einer monoglossischen Wurzel und dass „jeder in seiner romanischen Sprache spricht“ und „die romanische Sprache des anderen versteht“ im Verlauf der empirischen Studie mit der Vorstellung verzahnt, dass Individuen über eine heteroglossische Grundlage verfügen und jedes Individuum die Gesamtheit seines semiotischen Repertoires „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 385 mobilisiert, um damit unter Berücksichtigung des Kontexts sowie im Rahmen möglicher Veränderungen und Neuverhandlungen den Sinn zu ko-konstruieren (cf. Melo-Pfeifer 2015a zu einer Diskussion der monoglossischen Betrachtung der mehrsprachigen Interaktion in romanischen Sprachen). In Anbetracht dieser Überlegungen wird im Verlauf dieses Artikels auf den Ansatz des translanguaging anstelle von code-switching eingegangen, wohl wissend, dass diese Diskussion einen noch offenen Ausgang hat und derzeit eine große Dynamik aufweist. „ Translanguaging “ wird dabei wie folgt verstanden: García schlägt den Begriff „Translanguaging“ vor, der auf die multiplen diskursiven Praxen verweist, in denen mehrsprachige Sprecher den Sinn ihrer Welt erfassen. Translanguaging […] geht über Code Switching im Sinne des Wechselns zwischen Sprachen hinaus, schließt dies aber mit ein. Garcia weist darauf hin, dass Mehrsprachige in dieser Weise agieren, um Kommunikation mit anderen zu erleichtern - aber auch um tieferes Verständnis zu erreichen. Translanguaging schließt ein, und geht gleichseitig über das hinaus, was als Sprachgebrauch und Sprachkontakt zwischen Mehrsprachigen bezeichnet wird. Statt auf Sprache selbst zu schauen, soll der Begriff verdeutlichen, dass es keine klaren Abgrenzungen zwischen den Sprachen von zwei- oder mehrsprachigen Menschen gibt (Creese / Blackledge 2010, 550). 2. Das Galanet-Projekt Das im Folgenden dargestellte Interaktionsbeispiel trug sich im Rahmen des Galanet-Projekts in der zweiten Versuchsrunde zu. Das Galanet-Projekt war ein von zahlreichen europäischen Universitäten (aus Belgien, Spanien, Frankreich, Italien und Portugal) entwickeltes Socrates-Projekt mit dem Ziel der Schaffung mehrsprachiger Online-Lernsituationen. Die Galanet-Plattform beinhaltet Selbstlernbereiche und Bereiche für die mehrsprachige Kommunikation, sprich Chats, Diskussionsforen und E-Mail-Funktionen. Das Ziel einer Arbeitsrunde (mit einer Dauer von ca. 4 Monaten) ist eindeutig ko-aktional und mehrsprachig: Die Studierenden unterschiedlicher Universitäten sollen gemeinsam, unter Rückgriff auf die unterschiedlichen romanischen Sprachen (Katalanisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch), eine Pressemappe zu einem zuvor vereinbarten und diskutierten Thema erstellen (Araújo e Sá / Melo 2007). Abbildung 1 zeigt die Benutzeroberfläche von Galanet: 386 Sílvia Melo-Pfeifer Abb. 1: Startseite der Galanet-Plattform Der grundlegende Kommunikationsvertrag ist mehrsprachig und alle romanischen Sprachen sind Kommunikationssprachen. Die Idee ist, dass jeder in seiner / seinen Sprache(n) sprechen und die Sprache(n) des Gegenübers verstehen soll. Allerdings ergeben sich in der Praxis einige Verletzungen oder natürliche Ausweitungen dieses Kommunikationsvertrags (Bono / Melo-Pfeifer 2011): • Die Studierenden leisten Beiträge in nicht-romanischen Sprachen (auf Englisch oder in anderen Sprachen aus ihrem Repertoire); • Die Studierenden leisten Beiträge in romanischen Sprachen, die sie nicht beherrschen. Das Konzept der Interkomprehension wird demnach in einem mehrsprachigen, interaktionellen und multipartizipativen Kontext getestet, in dem das Verständnis von rezeptiver Interkomprehension erweitert wird (mündlich und schriftlich). Genauer ausgedrückt, wird das Verstehen von Textproduktion in verwandten Sprachen mithilfe von Transfermechanismen und Mechanismen der Nutzung interlinguistischer Aspekte vollzogen. Mit dieser interaktionellen und interkomprehensiven Annäherung wird eine besondere Absicht zum Sprachverhalten der Sprecher, die eine Ko-Konstruktion von Sinn nutzen, verfolgt: Strategien der „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 387 Vereinfachung und der Kontrolle des Verstehens durch die Manipulation der Muttersprache und der genutzten Fremdsprachen, Initiativergreifung und Risikobereitschaft in der mehrsprachigen Interaktion, Strategien gemeinschaftlich erarbeiteter Lösungen von Kommunikationsproblemen und diskursive Aktivitäten auf metalinguistischer Ebene (Araújo e Sá / De Carlo / Melo-Pfeifer 2011). 3. Kontext und Methodologie Für den Zweck dieser Untersuchung wurden mehrsprachige Interaktionen während einer Arbeitsrunde im Rahmen des Galanet-Projekts zwischen Februar und Mai 2004 ausgewählt. Das Thema der Runde lautete „ Ridiamo per le stesse cose? … Y a-t-il un humour romanophone? “. Nachstehende Tabelle liefert eine Übersicht über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Teams Länder Anzahl der Teilnehmer Referenzsprachen 2 „Ziel“sprachen 3 Lusomaníacos Portugal 17 PT , FR FR , ES , IT Os Quinas Portugal 17 PT , FR FR , ES , IT Les Canuts de Lyon Frankreich 9 FR , IT , ES FR , ES , PT Che, Rio Cuarto. Argentinien 14 ES , FR FR , IT Le rane di Grenoble Frankreich 19 FR , IT , ES FR , IT , ES Gli spagnoli di economia Italien 15 IT , FR FR , ES forum2004 BCN Spanien 34 ES , FR FR , ES RA & C° Lyon 2 Frankreich 16 FR , PT , ES PT , ES , FR “Les Dahuts” di Monica Frankreich 18 FR , IT IT , ES , FR Madrid Spanien 36 ES , FR FR , IT , PT Cassino-Martine Italien 19 IT , FR FR , IT Le Dino-saure, unicas2 Italien 14 IT , FR , ES FR , ES , IT Les Montois Belgien 8 FR ES , IT , PT Tab. 1: Liste der Teilnehmerteams 2 Diese Sprachen werden von den Teilnehmern ausgewählt, während sie ihr Teamprofil ausfüllen. 3 Diese Sprachen werden von den Teilnehmern ausgewählt, während sie ihr Teamprofil ausfüllen. 388 Sílvia Melo-Pfeifer Da eine angemessene Beantwortung der Forschungsfragen (cf. Einleitung) nach andersartigen Daten verlangt, wurden diese mehrsprachigen schriftlichen Interaktionen aus zweierlei Blickwinkeln analysiert: Forschungsfragen Methodologie Welche sprachlichen Mittel werden in der mehrsprachigen Interaktion von Sprechern häufiger thematisiert? Identifizierung, Kategorisierung und Zählung der sprachlichen Mittel, die thematisiert wurden, weil sie im Verlauf der mehrsprachigen Interaktion Interkomprehensionsprobleme verursacht haben. Wie wird „translanguaging“ im Rahmen mehrsprachiger schriftlicher Interaktion dargestellt? Auswahl und interaktionelle Mikroanalyse von mehrsprachigen Konversationssequenzen, die Aufschluss über die Funktionsweise und die kollaborativen Eigenschaften des Kommunikationsphänomens „ translanguaging “ im Chat und über dessen Rolle bei der Lösung von Kommunikationsproblemen geben. In Bezug auf die Methodologie zur Herausstellung von Interventionen oder Problemlösungssituationen im Rahmen der mehrsprachigen Kommunikation sind einige Erläuterungen erforderlich. Wenngleich solcherlei Situationen aufgrund der sprachlichen Nähe und des didaktischen Vertrags, der mit der Teilnahme an einem Hochschulprojekt einhergeht, relativ selten vorkommen, lassen sich durch sie wunderbar die intensiven mehrsprachigen Bemühungen rund um die Ko-Konstruktion des Sinns im Rahmen der Interaktion umfassend beleuchten. Diese Intensität der gemeinsamen Bemühungen in Momenten, in denen die Kommunikation zu kippen droht, ergibt sich unseres Erachtens aus der positiven psychologischen Wirkung, die mit dem mehrsprachigen Kommunikationsvertrag in Verbindung gebracht wird: Jedes Individuum ist ein Experte in seiner / seinen Sprache(n) und der andere verlangt nach seiner Stimme, wodurch er in der Interaktion eine Stellung einnimmt und Macht bekommt. Diese permanente Ko-Expertise, die durch die Möglichkeiten des „ translanguaging “ begünstigt wird, ist somit ein wichtiger Bestandteil der analysierten Interaktionen und lässt sich am besten in Problemlösungssituationen beobachten. In der Einführung dieses Beitrags wurde eine weitere Forschungsfrage genannt: „Verlieren die Kategorie ‚Sprache‘ bzw. ‚Code‘ ihre Differenzierungsfunktion in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion? Wenn ‚Ja‘, inwiefern? “ Diese Fragestellung nimmt im Vergleich zu den vorhergehenden Fragen eine übergeordnete Rolle ein und wird in der Schlussfolgerung beantwortet, zumal „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 389 die Beantwortung auf der Grundlage der interaktionellen Untersuchungen (Abschnitte 4.1 und 4.2) erfolgt. 4. Sprachliche Mittel und Ko-Konstruktion der Interkomprehension 4.1 Thematisierung von Sprachmitteln in der mehrsprachigen Interaktion: das „dictionnaire de l’Autre“ (Auer 1987) Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurde deutlich, dass Interkomprehension sehr intersubjektiv, kontextabhängig und zielgerichtet ist. Die Untersuchung von Situationen, in denen während der mehrsprachigen romanischsprachigen Interaktion auf das Wissen anderer Kommunikationsteilnehmer zurückgegriffen wird, verdeutlicht unseres Erachtens diesen solidarischen und flexiblen Charakter der Individuen und ihrer Zusammenarbeit. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Thematik sehr umfassend ist (Araújo e Sá / Melo 2003; Melo 2007 4 ), wird hier lediglich auf den interaktionellen Rückgriff auf das „Wörterbuch des anderen“ in Situationen, in denen die Kommunikation aufgrund lexikalischer Verständnisprobleme unterbrochen ist, eingegangen, sprich, in Worten von Auer, auf die „recherche méthodique interactive dans le ‚dictionnaire‘ de l’Autre“ (Auer 1987, 72). Dieser Rückgriff, wenngleich mit - wie wir es zuvor genannt hatten - monoglossischem Blick auf Interkomprehension in romanischen Sprachen (da oftmals verbale Daten in einer bestimmten Sprache erfragt werden), wird über die Wahl und den Wechsel der Sprachen zur Kennzeichnung der Hindernisse betrachtet. Das Nachfragen bei dem anderen als Hilfsmittel führt als Nebenprodukt zu einer mehrsprachigen Handlung, die sich mit der Verhandlung des Sinns der Aussagen und den daraus folgenden metasprachlichen und metakommunikativen Reflexionen befasst (Araújo e Sá / Melo 2003; 2007). Dieser Vorgang der Aufdeckung und Lösung von Problemen wird von zwei voneinander abhängigen Bestrebungen geleitet: dem Erwerb sprachlicher Daten und der Ko-Konstruktion der Aussagen durch gemeinsame Anstrengungen zur Erreichung eines diskursiven Fortschritts. Die Untersuchung der Interventionen zeigt, dass die Individuen vor allem sprachliches Wissen zu lexikalischen Einheiten (66 Okkurrenzen 5 ), gefolgt von Informationen zu nicht-topikalisierten Problemen (14 Okkurrenzen) abfragen. Die restlichen Kategorien erreichen wenig bedeutende Werte (insgesamt 4 Ok- 4 In diesem Abschnitt werden einige Untersuchungen und Schlussfolgerungen aus Melo (2007) wieder aufgegriffen. 5 Manchmal wird eine lexikalische Einheit auch von mehr als einem Individuum angefragt. 390 Sílvia Melo-Pfeifer kurrenzen). In Bezug auf die bedeutendste Kategorie (das Abfragen von Wissen) ist festzustellen, dass sich die topikalisierten Einheiten vor allem auf Substantive (27) und Verben (17) beziehen, was ihre Bedeutung für das Verständnis / mangelnde Verständnis und dem Zugang zum Sinn widerspiegelt. Ferner ist zu beobachten, dass das Spanische (25) und Portugiesische (13) häufiger Fragen aufzuwerfen scheinen als andere Sprachen (siehe Tabelle 2). Nomen Verben Adjektive Interjektionen Ausdrücke Adverbien unbestimmt Summe Katalanisch - 2 - - - - - 2 Spanisch 13 6 2 2 2 - - 25 Französisch 3 1 1 - - 1 - 6 Italienisch 1 6 - 1 - - - 8 Portugiesisch 7 2 2 2 - - - 13 Englisch 1 - - - - - - 1 andere 2 - - - 1 - 8 11 Summe 27 17 5 5 3 1 8 66 Tab. 2: Verteilung der topikalisierten Einheiten bei der Abfrage semantisch-lexikalischer Aspekte Es sei anzumerken, dass zu den am häufigsten topikalisierten Substantiven „ risoterapia “, „ chistes “ und „ bromas “ gehörten, in klarer Abhängigkeit vom diskutierten Thema. Sie fungierten als Schlüsselwörter, die das Fortschreiten des Gesprächs ermöglichten: Diese Substantive bilden mit anderen verwendeten Begriffen Isotopien und somit vereinfachen sie die Ko-Konstruktion der Interkomprehension während des Dialogs. Bezüglich des mit der Abfrage verfolgten Zweckes liegt zweifellos auf der Hand, dass die Individuen vor allem Probleme im Zusammenhang mit dem Verständnis lösen möchten (66 Okkurrenzen der Art „ que significa maleta en espanol? “), gefolgt von der Intention einer Wissenserweiterung (10 der Art „ como se diz age em espanhol? “) und der Bestätigung / Überprüfung des Verständnisses, vor allem im Fall von Interferenzen (9 der Art „ gilettes? Es cuchillas de afeitar? “), in Form interlinguistischer Übersetzungen („ cibo es comida? “). „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 391 Wie es sich anhand dieser Beispiele erahnen lässt, legen die Individuen ihre Schwierigkeiten zunächst sehr explizit dar, in der Regel gefolgt von einer der folgenden drei stereotypen Phänomene: • Wiederholung des unbekannten Wortes, gefolgt von Fragezeichen: „feitiço? “, „verrette? ? ? ? “ , „cachondos? ? “ , …; • Einfügung des unbekannten Begriffs in die Struktur der Sprache, von der die Frage ausgeht (in der Regel die Referenzsprache): „c’est quoi hablamos? “ , „O QUE É UMA PANTALLA ? ” , …; • direkte Frage nach einem semantischen Äquivalent unter Rückgriff auf die Wiederholung des / der unbekannten Begriffs / Begriffe, gefolgt von einem Gleichzeichen (=) und einem Fragezeichen zur eindeutigeren Kennzeichnung der Frage (? ) : „horrível = ? “ , „chistes contadlos = ? “ , … Diese Art der Darstellung ihrer Fragen ist Ausdruck ihrer mehrsprachigen Kompetenz sowie ihrer „ translanguaging “-Fähigkeiten. Wie bereits im Zusammenhang mit der Lösung von Problemen in solcherlei Kommunikationssituationen erwähnt, lässt sich sagen, dass l’analyse des moyens de communication utilisés dans ce travail conversationnel présente encore une fois une certaine complexité et met en évidence la dynamique plurilingue de ces échanges et les compétences de gestion des codes utilisées par les sujets (Araújo e Sá / Melo 2003, 104). Bemerkenswert ist zudem, dass in diesen Situationen, in denen um eine Erklärung gebeten wird, eine Wissenserweiterung angestrebt wird oder Probleme dargelegt werden, eine eloquente Nutzung von Fragezeichen und Großbuchstaben mit paraverbalem Wert (37 Okkurrenzen, teilweise isoliert von sämtlichen verbalen Aussagen) sowie der expressiven Zeichen auf der Tastatur, die am häufigsten in solchen Situationen angewendet werden, zu verzeichnen ist. Dies dient als Mittel zur Kennzeichnung des lokutionären (Lautschrift), des illokutionären (die der Verwendung zugrundeliegende Intention) und / oder des perlokutionären Werts (Wirkung, die bei den restlichen Gesprächspartnern erzielt wird) ihrer Interventionen. Dadurch wird deutlich, dass die Nutzung dieses Kommunikationsmittels (dem Chat) die Bevorzugung bestimmter Formen des Nachfragens beeinflusst, die die strategischen Kompetenzen der Individuen im Rahmen dieser Form der Kommunikation ins Licht rücken. Die Fähigkeit zur Verhandlung von Codes (sprachlicher Art, jedoch nicht darauf beschränkt), mit kommunikativer und strategischer Zielsetzung sowie dem Ziel, etwas hinzuzugewinnen, ließe sich - wie in letzter Zeit vermehrt von uns getan - als „ translanguaging “ bezeichnen. 392 Sílvia Melo-Pfeifer 4.2 Darstellungen von „translanguaging“ in der mehrsprachigen Interaktion zwischen romanischen Sprachen Die kommunikative Sequenz, die in diesem Abschnitt analysiert wird, umfasst 4 Gesprächspartner und 4 Sprachen: Spanisch, Italienisch und Portugiesisch, als Bestandteile des Kommunikationsvertrags und Englisch, das als „Vertragsverletzung” auftritt, um ein Kommunikationsproblem zu lösen. Bei dem Versuch, mit ihrer italienischen Gesprächspartnerin zu kommunizieren und sich mittels einer Sprache an sie anzunähern, die sie nicht beherrscht, bittet SilviaM um Hilfe bei der Wortfindung: „Wie sagt man Flugzeug auf Italienisch? “ Diese Frage verursacht eine Verhandlungswelle und Kommunikationsstrategien: Originalbeispiel Deutsche Übersetzung SilviaM Isadora, espera por mim! ! ! ! Vou apanhar o avi-o! ! ! ! Isadora, warte auf mich! ! ! ! Ich werde das Flugzeug nehmen! ! ! ! SilviaM Como se diz avi-o em italiano? Wie sagt man Flugzeug auf Italienisch? Djose Aereo Aereo Djose si te refieres a avion Wenn du Flugzeug meinst Remy Giusto Djosé! ! ! ! Richtig Djosé! ! ! SilviaM voglio coger gli aereo! voglio coger gli aereo! SilviaM Quem corrige a minha frase? ? ? ? ? ? Je je je Wer korrigiert meinen Satz? ? ? ? ? ? Hahaha Isadora Cosa vuoi dire con aviao, Silvia? Was meinst du mit aviao, Silvia? Djose voglio prendere l’aereo voglio prendere l’aereo SilviaM plane! plane! Djose silvia no inglês Silvia nicht auf Englisch SilviaM Gracias! Gracie mille! Danke! Tausend Dank! SilviaM Sorry : (( Sorry : (( Djose Jajjajjajaj Hahahaha SilviaM ; ) ; ) „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 393 Nachdem sie die Übersetzung für Flugzeug ( aereo ) kennt, schreibt SilviaM einen Satz auf Italienisch („ voglio coger gli aereo! ”), sie misstraut jedoch ihren Sprachkenntnissen und bittet ihre Online-Kollegen um Hilfe, damit sie ihren Satz korrigieren („Wer korrigiert meinen Satz? ? ? ? ? ? ”). Aus einer rein normativen Perspektive enthält ihr anfänglicher Satz zwei Fehler: Sie verwendet im italienischen Satz den spanischen Begriff „ coger “ und den bestimmten Artikel gli (Plural) anstelle von l’ (Singular, hier in der kontrahierten Form). Beide Fehler werden von Djose korrigiert, in dem er die falschen Elemente durch die korrekten Elemente ersetzt („ voglio prendere l’aereo “). SilviaM bedankt sich zweisprachig für die Hilfe und greift auf das Spanische zurück und auf einen weiteren Versuch, sich auf Italienisch auszudrücken und macht erneut einen Fehler, dieses Mal in der Rechtschreibung („ Gracie mille “ anstelle von Grazie mille ). Dieser orthographische Fehler wird nicht verhandelt und auch nicht korrigiert, möglicherweise aus zweierlei Gründen: • Er wird von den Gesprächspartnern in dieser Kommunikationssituation als unwichtig empfunden, da er das Verständnis und die Fortsetzung der Lösung der Aufgabe nicht behindert; • dieses Kommunikationsinstrument (Chat) ist sehr durchlässig für das Auftreten von sprachlichen Ungenauigkeiten, da sehr schnell kommuniziert wird und man sich an das Mündliche annähert (Araújo e Sá / Melo 2003). Ferner ist hervorzuheben, dass diese Situation, bedingt durch den Mangel eines Wortes im sprachlichen Repertoire eines Gesprächspartners oder einer Gesprächspartnerin („ aereo “ auf Italienisch) zu der Entstehung lexikalischer Äquivalente in verschiedenen Sprachen führt („ avi-o “, „ avion “, „ aereo “ und „ plane “), wodurch deutlich wird, wie im Rahmen der Interaktion gemeinsam ein mehrsprachiger Wortschatz erarbeitet wird und dass der Aufbau einer Bedeutung in der Verantwortlichkeit aller Teilnehmer liegt (selbst wenn hierfür der ursprünglich ausgehandelte Kommunikationsvertrag verletzt wird). Allerdings ist eine fortbestehende monoglossische Betrachtung der Interaktion oder zumindest eine Spannung zwischen der durch den Kommunikationsvertrag erlaubten Mehrsprachigkeit und der Art, wie sie verwendet werden kann, zu verzeichnen. Wie auch aus dieser Sequenz hervorgeht, bedeutet eine erlaubte mehrsprachige Interaktion nicht, dass sich die Individuen mit dieser heteroglossischen Weise, die Kommunikation zu betrachten, in der die Sprachen ihre Grenzen verlieren und frei miteinander kommunizieren, automatisch wohlfühlen. In dieser Sequenz führt bei der Gesprächspartnerin SilviaM das schlechte Gewissen darüber, dass sie bei der Annäherung ans Italienische zwei Sprachen verwendet, dazu, dass sie um die Korrektur der zweisprachigen Aussage („ voglio coger gli aereo! “) bittet, die sogleich von einem anderen anwesenden Gesprächs- 394 Sílvia Melo-Pfeifer partner „monolingualisiert“ wird („ voglio prendere l’aereo “). Es ließe sich somit schlussfolgern, dass das Motto „jeder spricht seine Sprache und versteht die des anderen“, zur Entstehung eines monoglossischen schlechten Gewissens und zur Verringerung der „ translanguaging “-Äußerungen mit transglossischerem Charakter beiträgt. 5. Synthesen und Perspektiven Mehrsprachige Sprecher haben eine große Bandbreite von Ausdrucksmöglichkeiten erlangt, die man nicht zu „einer Sprache”, aus einer traditionellen und „monoglossichen“ linguistischen Perspektive, zuordnen kann. In einigen der beobachteten Situationen erfolgt die Klärung von lexikalischen Verständnisproblemen, ohne dass es erforderlich ist, klarzustellen, dass sich die betreffenden Sprachen im Kontakt befinden. Um also die Frage „Verlieren die Kategorie ‚Sprache‘ bzw. ‚Code‘ ihre Differenzierungsfunktion in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion? Wenn ‚Ja‘, inwiefern? ” zu beantworten, ließe sich sagen, dass sich die Orientierung, die größtenteils weiterhin auf sprachlicher Ebene erfolgt, nicht auf die verbalen Elemente beschränkt, sondern vielmehr das beleuchtet, was gesagt / geschrieben wird und weniger in welcher Sprache etwas gesagt / geschrieben wird. Wie aus den Antworten hervorgeht, tritt die Frage nach der Sprache fast ausschließlich im Rahmen einer Wissenserweiterung auf, und zwar in Form der typischen Frage „Wie sagt man X in der Sprache Y? “. Während der Untersuchung von Interaktionen und von mehrsprachigen romanischsprachigen Chatsequenzen ließ sich die Entstehung von Synergien zwischen den verschiedenen Chatteilnehmern, ihrem Gefühlsrepertoire sowie ihrem kognitiven, sprachlichen und kommunikativen Repertoire beobachten, die als „topisch angewandte“, punktuelle und strategische Elemente auftreten und wesentlicher Bestandteil der Interkomprehensionsbemühungen sind. In Abschnitt 4.1 wurde deutlich, dass die Individuen ihre Verständnisprobleme nach außen tragen, um weiter an der mehrsprachigen Interaktion teilzunehmen und weniger um den Kommunikationsvertrag neu zu verhandeln und die bestehende Mehrsprachigkeit zu reduzieren. Dieser Abschnitt beleuchtet nur eines der Elemente, die eine Antwort auf die Forschungsfrage „Welche sprachlichen Mittel werden in der mehrsprachigen Interaktion von Sprechern häufiger thematisiert? “ liefern können, sprich die Thematisierung verbaler Elemente, die zu Verständnisproblemen führen und daher angesprochen werden. Die Ergebnisse ließen sich durch andere Untersuchungen ergänzen, wie beispielsweise durch eine Identifizierung und Zählung der verbalen Elemente, die aus anderen Gründen ausgewählt und beleuchtet werden (z. B. orthographische Elemente „Translanguaging“ in der mehrsprachigen schriftlichen Interaktion 395 wie „ hechizo? Se escribe así? ”). Allerdings treten diese Phänomene in Interaktionen dieser Art eher selten auf, da der Rechtschreibung in der hier untersuchten Situation keine große Bedeutung zukommt, sprich für die Gesprächspartner von Unterhaltungen in Chat-Rooms nicht relevant ist. In Abschnitt 4.2 ließ sich beobachten, dass die mehrsprachigen Gesprächspartner mit einer doppelten Zielsetzung „ translanguaging “ betreiben: Sie legen den Schwerpunkt auf die Form und auf den interaktionellen Inhalt. Diese doppelte Schwerpunktsetzung (Melo-Pfeifer 2015b) macht deutlich, dass die Verwendung verschiedener Sprachen im Verlauf der Interaktion zum einen Lernpotenzial („ translanguaging to learn “) und zum anderen kommunikatives Potenzial („ learning to translangue “) bietet und beide ihren Ursprung im Wunsch nach einer Beteiligung an der Ko-Konstruktion des Sinns haben. Die Verwendung der Sprachen der anderen ist somit ein Zeichen für den Wunsch nach Beteiligung. Die Entscheidung für die Untersuchung einer Sequenz, in der es zu einer gemeinschaftlichen Lösung eines interaktionellen Problems kommt, ist dadurch gerechtfertigt, dass der Äußerung des Problems eine Vielzahl von Interventionen folgen, die verdeutlichen, dass „ translanguaging “ 1. die Kommunikation vereinfacht und Möglichkeiten für mehrsprachiges Lernen schafft; 2. der Ursprung für die Ko-Konstruktion von detaillierteren Bedeutungen ist; 3. und das Hinterfragen des mehrsprachigen Kommunikationsvertrags ermöglicht. All diese Vorteile eines Rückgriffs auf das „ translanguaging “ im Verlauf des Chats lassen sich unseres Erachtens mit einem Nutzen auf verschiedenen Ebenen in den Klassenraum für Fremdsprachunterricht übertragen und können zum Beispiel dabei helfen, den „ parti pris “ der einsprachigen Interaktion im Klassenraum und in der Gesellschaft zu hinterfragen. Die in beiden Abschnitten erfolgte Analyse macht deutlich, dass die Zusammenarbeit bei der Ko-Konstruktion des Sinns in der mehrsprachigen Interaktion im Chat nicht nur auf der diskursiven Handhabung verbaler Daten basiert, sondern auch auf der Mobilisierung von Kenntnissen bezüglich der Nutzung nonverbaler und paraverbaler Kommunikationscodes (wie in der monolingualen Interaktion von Angesicht zu Angesicht). Somit wird die Interkomprehension in den romanischen Sprachen auf transsemiotische und multimodale Weise ko-konstruiert. Vor diesem Hintergrund ermöglicht die Untersuchung der Ko- Konstruktion der Interkomprehension (im Rahmen einer Sprachfamilie in der elektronischen Kommunikation) unter Rückgriff auf das Konzept des „ translanguaging “ eine Umgehung der „glossischen Hegemonie“ (die das Thema fast ausschließlich aus linguistischer Perspektive betrachtet). „ Translanguaging “ 396 Sílvia Melo-Pfeifer betont die Artikulation und die Interdependenz der mobilisierten semiotischen Ressourcen während der Ko-Konstruktion des Sinns. Araújo e Sá, Maria Helena / De Carlo, Maddalena / Melo-Pfeifer, Sílvia. 2011. „L’Intercomprensione nell’interazione plurilingue“, in: Maddalena De Carlo (ed.): Intercomprensione e educazione al plurilinguismo. Porto S. Elpidio: Wizarts, 287-301. Araújo e Sá, Maria Helena / Melo, Sílvia. 2007. „Online Plurilingual Interaction in the Development of Language Awareness“, in: Language Awareness , 16(1), 7-20. 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Einleitung Der Titel dieses Aufsatzes impliziert, dass polyglotte Sprecherinnen und Sprecher - gemeint sind hier solche, die eine Reihe von Sprachen gesteuert erlernt haben - als Sprachlernexperten gelten können. Um zu zeigen, dass dies nicht selbstverständlich ist, möchte ich antithetisch mit dem Verweis auf einen Beitrag Aneta Pavlenkos beginnen, der aus dem von ihr und François Grosjean betriebenen Blog Life as a Bilingual stammt. Er trägt den Titel „The Dark Side of the Recent Polyglot Hype“. Darin kritisiert die Verfasserin, wie monolinguale Journalisten für eine überwiegend monolinguale Leserschaft über die außergewöhnlichen Sprachlernleistungen von polyglotten Personen berichten: I have no doubt that the journalists writing about polyglots mean well: they want to inspire and maybe even shame us a little into learning the language we always wanted to speak. […] At the end, it gives the readers a sense that without an aptitude for languages they should not even try (Pavlenko 2015). Pavlenko sieht das Problem darin, dass unkonventionelle Lernmethoden als Modell für erfolgreiches Sprachenlernen verstanden werden, selbst wenn diese für den „Normal“-Lerner nicht brauchbar sind und ihn letztlich vom Lernen abhalten. Zwischen dem journalistisch idealisierenden Eifer über wundersame Lernerfolge auf der einen und Pavlenkos Pessimismus auf der anderen Seite sollen die Aspekte, die in diesem Aufsatz angesprochen werden, in einer reflektierten Mittelposition verstanden werden, d. h. es handelt sich um Merkmale polyglotten Sprachenlernens, bei denen ich ein Potenzial für den romanischen Fremdsprachenunterricht sehe, ohne sie als Königsweg betiteln zu wollen. Hintergrund zu diesem Thema ist die Beschäftigung mit romanischem Sprachfamilienpolyglottismus in meinem Dissertationsprojekt, das im ersten Abschnitt kurz skizziert wird. Anschließend wird auf der Grundlage verschiedener Quellen zum Polyglottismus ein Modell zur Lernökonomie entwickelt, 400 Christian Koch das als theoretische Basis für die Auseinandersetzung mit der Rolle sprachlicher Mittel bei romanisch-polyglotten Sprechern aus meinen Erhebungen dienen soll. Dabei wird diskutiert, inwieweit die Beobachtungen für die schulische Fremdsprachendidaktik brauchbar sind. 2. Polyglottismus erforschen 2.1 Ein kurzer Überblick Ein Mensch ist polyglott, wenn er überdurchschnittlich viele Sprachen spricht. Auch wenn es per se kein definiertes Minimum an Sprachen gibt, so kann angenommen werden, dass ab der Beherrschung von sechs Sprachen eine außergewöhnliche Fähigkeit vorliegt (cf. Erard 2012, 168). Der individuelle Polyglottismus erfährt derzeit eine breite Wahrnehmung in einem überwiegend anglophonen Online-Diskurs - cf. Pavlenkos Bezeichnung des „Recent Polyglot Hype“ -, der durch die Faszination an Personen geprägt ist, die teilweise über 20 Sprachen anscheinend fließend sprechen. Auch die in den letzten Jahren entstandenen Weltkongresse wie das Polyglot Gathering oder die Polyglot Conference , auf denen mehrere hundert polyglotte Sprecher zusammenkommen, sprechen dafür, dass man beginnen sollte, sich dem Phänomen der individuellen Vielsprachigkeit wissenschaftlich zu nähern. A priori darf angenommen werden, dass die sprachlichen Fähigkeiten polyglotter Sprecher asymmetrisch sind, d. h. sie unterscheiden sich von Sprache zu Sprache, und womöglich unterschreiten mehrere Sprachen die Erwartungen, so dass man am Ende mit Quetz (2004) fragen kann: „Polyglott oder Kauderwelsch? “ Gelegentlich wurde darauf hingewiesen, dass polyglotte Sprecher nie wirklich erforscht worden sind (Wandruszka 1981, 51; Berchem 1985, 31). Vor allem mangelt es an Herangehensweisen zur Ergründung polyglotter produktiver Fertigkeiten (cf. Koch 2017). Auch wenn die romanische Mehrsprachigkeitsdidaktik ein größeres Repertoire an Sprachen unter die Lupe nimmt, ist die produktive Verwendung einer L3 oder L4 kaum je untersucht worden (cf. Meißner 1998, 65). Zum Schließen dieser Lücke trägt unter anderem Daniel Reimanns Ansatz der aufgeklärten Mehrsprachigkeit mit Fokus auf die produktive Sprachverwendung bei (cf. Reimann 2015, 8). Unter den wenigen wissenschaftlichen Arbeiten, die Polyglottismus explizit untersuchen, sei auf die Studie von Harald Weydt (2002; 2008) hingewiesen. Darin werden hochgradig polyglotte Menschen interviewt, mit dem Wunsch, Sicherheit über wirksame Lernmethoden und -strategien zu gewinnen: „Je souhaite trouver un complément et un enrichissement, mais aussi un petit îlot de Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 401 sécurité, un point de départ cartésien solide et j’espère le trouver au travers de personnes qui ont appris de nombreuses langues“ (Weydt 2002, 388). Mit einem 37 Fragen 1 umfassenden Leitfaden führte Weydt eine Reihe von mehrstündigen Gesprächen mit polyglotten Fachkollegen - darunter Helmut Lüdtke und Eugenio Coseriu. Er begreift die Langzeiterfahrung seiner Probanden als Mehrwert gegenüber dem „didaktische[n] Wildwuchs“ (Weydt 2008, 29), geprägt von Modeerscheinungen und Pendelbewegungen zwischen Methodologien in einem Fremdsprachenunterricht, der sich im Laufe der Zeit trotz aller Innovationen nicht nachweislich verbessert. Weydts Überlegung geht dahin, dass man für die Entwicklung der Fremdsprachendidaktik den Leistungssport zum Vorbild nehmen könnte und dass die über Jahrzehnte kontinuierliche Leistungssteigerung im Sport auch beim Fremdsprachenlernen denkbar wäre. Ansonsten sind fast nur noch einige populärwissenschaftliche Werke zu nennen. Im Grenzbereich von wissenschaftlicher Forschung liegt Kató Lombs (2013, 81-195) 2 briefliche Befragung aus den 80er Jahren von 21 bekannten polyglotten Sprechern - darunter André Martinet - sowie sie selbst als 22. Teilnehmerin der „Diskussion“. An einem imaginären runden Tisch trägt sie die Antworten zu acht Fragen zusammen. Es geht um die Definition von Sprachbeherrschung, die Rolle von sprachlichen Mitteln, Methoden, Lernschwierigkeiten, Sprachenlernen und Alter, die Rolle von Latein und Esperanto, die Frage nach schwierigeren und leichteren Sprachen und den Nutzen von Vielsprachigkeit. Von einem Grenzbereich kann man sprechen, weil Lomb selbst keine Linguistin, sondern Chemikerin war - wobei sie durch ihre langjährige Erfahrung als Sprachlehrerin sicherlich einiges kompensieren konnte -, weil die gewählte Form der imaginären Diskussion sicher nicht ganz seriös anmutet, und schließlich, weil keine kritische Auseinandersetzung mit den Antworten erfolgt. Dennoch ähneln die thematisierten Fragen den Interessensgebieten der wissenschaftlich-didaktischen Forschung. Die im Moment wohl bekannteste Monographie zum Thema Polyglottismus hat Michael Erard (2012) vorgelegt. Es handelt sich um eine populärwissenschaftliche Publikation, in der der Verfasser seine Reise um die Welt darstellt: ein Besuch des Mezzofanti-Archivs 3 in Bologna und der gelebten sozialen 1 Die vollständige Liste ist in Weydt (2002, 392sqq.) abgedruckt. 2 Es handelt sich um eine englische Übersetzung einer 1988 auf Ungarisch erschienen Monographie ( Bábeli harmónia. Interjúk Európa híres soknyelvű embereivel ). 3 Der italienische Kardinal Giuseppe Mezzofanti (1774-1849) gilt vielen als das Ursymbol der Vielsprachigkeit, wenngleich seine Fähigkeiten kaum mehr einzuschätzen sind und von manchen Zeitzeugen durchaus angezweifelt wurden. In diesem Zusammenhang sei auch auf den voluminösen Sprachlernratgeber von Hans P. Krings (2016) hingewiesen, in dem ein Kapitel lautet: „Mezzofanti & Co. - Können wir von Sprachgenies lernen? " (Krings 2016, 41-46). Darin nimmt der Autor eine 402 Christian Koch Polyglossie in Südindien, Begegnungen mit bekannten polyglotten Sprechern sowie Gespräche mit Kollegen aus der Sprachwissenschaft. Darüber hinaus referiert er die Ergebnisse einer selbst durchgeführten Online-Umfrage über Persönlichkeitsmerkmale, Sprachfähigkeiten und Lernmethoden bei polyglotten Sprechern. Dabei beobachtet Erard charakterliche Auffälligkeiten seiner polyglotten Gesprächspartner, beispielsweise Schwierigkeiten im sozialen Umgang. Es werden mögliche Korrelationen zwischen Vielsprachigkeit und anderen Eigenschaften wie Musikalität oder Linkshändigkeit diskutiert und teilweise kritisch hinterfragt (z. B. Erard 2012, 163). An mehreren Stellen (Erard 2012, 101, 166, 216) wird auch diskutiert, warum es deutlich mehr polyglotte Männer als Frauen gibt. Hin und wieder klingt auch ein didaktisches Interesse an. Sprachenlernen von polyglotten Sprechern zu untersuchen, bedeute auch die Sprachlernmethoden der Besten kennenzulernen (Erard 2012, 72). 2.2 Romanischer Sprachfamilienpolyglottismus Während sich definitorische Fragen zum Begriff des Polyglottismus überwiegend um die Anzahl an Sprachen und die Qualität der Beherrschung drehen, ist seltener davon die Rede, um welche Sprachen es konkret geht. Vor dem Hintergrund, dass sich zahlreiche polyglotte Sprecher in unterschiedlichsten Sprachfamilien auskennen, stellt sich die Frage, ob jemand, der sich überwiegend mit genetisch eng verwandten Sprachen beschäftigt, als polyglott gelten kann. Dies formuliert Barry Farber (1991, 22) in seinem humorvollen Ratgeber zum Sprachenlernen folgendermaßen: If you meet somebody who speaks, say, ten languages, your instinct is to be impressed to the tune of ten languages’ worth. If, however, you later learn that six of those languages are Russian, Czech, Slovak, Serbo-Croatian, Polish, and Ukrainian - I’m not suggesting you dismiss him as illiterate, but you ought to be aware that he got six of those languages for the price of about two and three-fourths! Die Beziehung zwischen allgemeinem und sprachfamilienbezogenem Polyglottismus nehme ich als komplex wahr. Es handelt sich m. E. um zwei verschiedene Gegenstände mit einer gemeinsamen Schnittmenge, also einem Bereich, in dem beide Formen gleich behandelt werden können, sowie exklusiven Bereichen, die jeweils spezifische Fragen für die Forschung aufwerfen. Exklusiv allgemein etwa wären Fragestellungen zum Lernen bzw. zur mentalen Kooräußerst skeptische Position ein, verweist jedoch lediglich auf historische Personen und nicht das hier verfolgte Potenzial des Lernens von lebendigen und damit eher überprüfbaren polyglotten Sprechern. Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 403 dination typologisch entfernter Sprachen. Sprachenfamilienspezifisch hingegen sind Fragen zum Transfer, zum rezeptiven und produktiven Umgang mit sporadisch erlernten Sprachen usw. In meinem Dissertationsprojekt geht es um die Aufarbeitung des Diskurses der Vielsprachigkeit als kulturelles Phänomen, das sich von der babylonischen Sprachverwirrung bis in die Gegenwart unter besonderer Perspektivierung der romanischsprachigen Kulturräume als sehr facettenreich erweist. Der empirische Teil der Arbeit versteht sich als eine konkrete Umsetzung der Auseinandersetzung mit Polyglottismus in einer spezifisch romanistischen Expertise. Die Probanden sind Personen, die mindestens vier romanische Sprachen sprechen, wobei die L1 romanisch sein kann, aber nicht muss. Teilweise haben sie ihre Kenntnisse über ein Romanistik-Studium erlangt bzw. vertieft. Ein wesentlicher Teil der Probanden wird allerdings außerhalb der Romanistik akquiriert. Mit den Probanden führe ich Aufnahmen durch, in denen sie überwiegend monologisch und in Ansätzen dialogisch in verschiedenen romanischen Sprachen sprechen. Neben der Analyse sprachlicher Kompetenzen stehen ganz wesentlich inhaltliche Aspekte des Sprachenlernens und der nachhaltigen Bewahrung von Fremdsprachenkenntnissen im Fokus, die über ein Leitfaden-Interview metasprachlich ergründet werden. Im besten Fall werden dabei Aussagen aus dem Interview anhand des sprachpraktischen Materials überprüft. 4 Auf der einen Seite wird betrachtet, welche besonderen Auffälligkeiten sich zeigen, die auf die Vielsprachigkeit zurückgeführt werden können, etwa: Wirkt die eine oder andere Sprache so, als würde sie auf der Kenntnis einer anderen Sprache basieren? 5 Gibt es spezifische Eigenarten, die von Sprache zu Sprache wechseln - etwa die Intonation? … Dies erfolgt in Form einer sprachlichen Untersuchung der empirischen Daten. Auf der anderen Seite geht es um inhaltliche Aspekte des Sprachenlernens. Über die sprachuniverselle Perspektive hinaus soll das Erlernen der einzelnen romanischen Sprachen ins Auge gefasst werden; was es bedeutet, Italienisch zu lernen, wenn man zuvor Spanisch erlernt hat, was es bedeutet, kleinere polymorphe romanische Sprachen ohne einheitliche Norm zu lernen usw. Es geht darum, Meinungen und Befunde aus anderen Kontexten im Hinblick auf romanischen Polyglottismus empirisch zu überprüfen und neue Einsichten zu gewinnen. Als Zielvorstellung sehe ich im Idealfall eine Nutzbarmachung der Erkenntnisse für das „normale“ Fremdsprachenlernen in verschiedenen Kontexten, etwa im Bereich von enrichment -Angeboten für begabte Schülerinnen und Schüler. 4 Zu diesem methodischen Ansatz cf. Gabriel / Rusca-Ruths (2015, 194). 5 Cf. dazu die Beschreibung von „German-based English“ bei Wiliams / Hammarberg (1998, 313sq.). 404 Christian Koch Sprachliche Mittel sind im Leitfaden-Interview explizit nur ein Thema, wenn es um die Rolle der sprachlichen Korrektheit in Verbindung mit Grammatikkenntnissen geht. Zumeist sprechen aber die Probanden selbst Aspekte rund um Aussprache und Wortschatzlernen an, weshalb diese Bereiche - nicht jedoch das Thema Orthographie - in den folgenden Abschnitten auf Grundlage eigener Korpusdaten besprochen werden können. Doch zuvor wird noch der Begriff der Lernökonomie genauer betrachtet. 3. Lernökonomische Dimensionen des Fremdsprachenlernens Die Bekanntheit des oben bereits erwähnten polyglotten US-Amerikaners Barry Farber fußt auf dessen Sprachlernratgeber mit dem wundersamen Titel How to Learn Any Language. Quickly, Easily, Inexpensively, Enjoyably, and On Your Own (1991). Das Zusammenspiel der Dimensionen ‚schnell‘, ‚einfach‘, ‚preiswert‘ und ‚vergnüglich‘ in positiver Ausprägung könnte als eine Art Idealform des Fremdsprachenlernens verstanden werden. Der keineswegs naive Autor selbst begreift den Titel als eine Parodie auf vielversprechende, aber doch völlig überhöhte Erfolgsvorstellungen, die in anderen Ratgebern suggeriert werden: „Too many books whose titles are heavy with promise turn out to be all hat and no cattle […] Mindful of that danger, I will not leave you with nothing but a pep talk“ (Farber 1991, 5). Die Dimension der Zeit wird in dem aktuell wohl populärsten und mittlerweile auch auf Deutsch erschienenen Ratgeber des Iren Benny Lewis sehr konkret: Fluent in 3 months. Tips and techniques to help you learn any language (2014). Lewis entwirft ein Konzept zum Erreichen der Niveaustufe B2 innerhalb von drei Monaten unter Nutzbarmachung der medialen Ressourcen unserer Zeit. Allerdings räumt er ein, dass man individuell auch sechs oder zwölf Monate benötigen könne. Die Vorstellung, eine Sprache könne innerhalb eines so kurzen Zeitraums in ausreichendem Maße erlernt werden, was im modernen schulischen Fremdsprachenunterricht selbst in der kühnsten Curriculumsbildung ganz und gar unmöglich erscheinen mag, hat bereits Johann Amos Comenius im 22. Kapitel („Lingvarum Methodus“) seiner Didactica Magna beschrieben (cf. Müller-Lancé 2003, 23): Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 405 Transiri inde potest ad Lingvam aliam vulgarem [d. h. jenseits der Muttersprache]; qvarum qvæqve annuô spatiô satis commodè potest hauriri: Latinæ studium absolvi potest bienniô: Græcæ unô annô; Hebraicæ semestri unô 6 (Comenius 1657b, 128sq.). In einem weniger bekannten Werk von Comenius, der Novissima lingvarum methodus , heißt es im 10. Kapitel: Benè docere est, ut qvis citò, jucundè solidéque discat, efficere. Citò : labore unô, continuô, sine ullo noxio temporis dispendio. Iucundè : ut discens totô studii cujusqve cursu, non magis se defatigatum sentiat illis, qvæ acta sunt, qvàm desiderio accensum ad ea, qvæ peragenda restant. Solidè : ut qvod discitur, ediscatur totum, & rectè, ad promptum usque usum. Malè igitur docet, qvi tardè, qvi molestè, qvi mutilè ad scientiam promovet 7 (Comenius 1657c, 93). Vergleicht man Comenius’ Qualitätsmerkmale des guten Fremdsprachenlehrens und -lernens mit denen der zeitgenössischen Sprachlernratgeber, so erkennt man, dass die Parameter von Comenius an Aktualität nichts eingebüßt haben. Zusammen mit einem weiteren Aspekt - die Nachhaltigkeit guten Lernens -, der z. B. in dem Ratgeber Fluent Forever. How to Learn Any Language Fast and Never Forget It von Gabriel Wyner (2014) explizit wird, lassen sich aus den Werken fünf Dimensionen von Lernökonomie beschreiben: 1. Lernzeit (möglichst schnell) 2. Lernumfang (möglichst viel) 3. Lernanstrengung (möglichst unterhaltsam und unaufwendig) 4. Nachhaltigkeit (möglichst wirksam) 5. Kosten (möglichst preiswert) Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive spielen diese Dimensionen ebenfalls eine Rolle, wenngleich es - anders als in den Ratgebern polyglotter Sprecher - nicht so sehr um die Superlative des maximal Möglichen als vielmehr um eine reflektierte Stoffverteilung geht. Insofern ist es nicht so skandalös, dass der 6 Hervorhebungen im Original. Übersetzung [C. K.]: Man kann zu den anderen Volkssprachen übergehen, die auch im Zeitraum eines Jahres ausreichend gut beherrscht werden können: Für Latein kann das Studium nach zwei Jahren beendet werden, für Griechisch nach einem Jahr, für Hebräisch nach einem halben Jahr. 7 Hervorhebungen im Original. Übersetzung [C. K.]: Gut lehren heißt zu bewirken, dass man schnell, vergnüglich und beständig lernt. Schnell : in einer einzigen, fortwährenden Arbeit ohne anderweitige Zeitvergeudung. Vergnüglich : dass der Lernende sich im ganzen Lauf seines Studiums weniger von jenem zermürbt fühlt, was getan ist, als mehr im Wunsch, zu dem zu gelangen, was noch zu tun verbleibt. Beständig : dass das, was gelernt wird, ganz und korrekt bis zum baldigen Gebrauch erlernt wird. Schlecht lehrt also, wer langsam, wer beschwerlich und wer zusammenhanglos zum Wissen vordringt. 406 Christian Koch schulische Fremdsprachenunterricht für ein B2-Niveau mehrere Jahre benötigt, was polyglotte Lernende im Selbststudium in einem Bruchteil der Zeit erreichen, bedenkt man schulische Gegebenheiten wie die schwindenden Wochenstundenzahlen für Fremdsprachen auf den Stundentafeln und die Notwendigkeit, alle Schülerinnen und Schüler so gut wie möglich mitzunehmen. Gleichzeitig findet im Sinne der didaktischen Reduktion beim Lernstoff eine Auswahl statt, so dass auf Marginales verzichtet wird, wobei die Grenze zwischen Notwendigem und Weglassbarem - speziell im Hinblick auf die sprachlichen Mittel - sicher immer hochgradig kontrovers gezogen werden muss. In das Feld der Lernanstrengung gehören die Diskussionen um Motivation, ansprechende Erarbeitung und Einübung der Inhalte u.v.m., wodurch das Naturell der Anstrengungsvermeidung (cf. Rollett / Rollett 4 2010) überwunden werden soll. Über Nachhaltigkeit wird in der Fremdsprachendidaktik m. E. viel weniger gesprochen als im Diskurs polyglotter Sprecher, die sich Gedanken um die Aufrechterhaltung der Kenntnisse gleich mehrerer Sprachen auf einmal machen. Natürlich muss man Nachhaltigkeit differenzieren, vom Lernen bis zum nächsten Test bis hin zum Lernen einer Fremdsprache, von der man auch nach Beendigung des schulischen Fremdsprachenunterrichts noch profitieren kann. Die fünfte Dimension fällt aus dem Rahmen, obwohl sie ökonomisches Denken par excellence beschreibt. Was darf Fremdsprachenlernen eigentlich kosten? Sind die Preise privater Anbieter wie Sprachschulen für die Leistung, die sie erbringen, angemessen? Kann man in Anbetracht des geringen sichtbaren Outcomes romanischer Schulfremdsprachen für den Nutzen in der international anglophonen Berufswelt von Unwirtschaftlichkeit sprechen? Dazu gibt es in der angewandten Wirtschaftslehre einen Forschungsbereich (cf. García Delgado / Alonso / Jiménez 2012, 61sqq.), der in seiner Fixierung auf finanziellen Nutzen einem Romanisten ideell wie substanziell fremdartig erscheinen mag. Zwar sind preiswerte bzw. kostenlose Ressourcen für die Didaktik prinzipiell von Interesse, bergen sie doch ein höheres Zugriffspotenzial als kostenintensive Materialien, jedoch sind geringe Kosten natürlich weder ein Indikator für noch gegen inhaltliche Qualität. Daher werde ich im folgenden Modell die lernökonomische Dimension der Kosten nicht berücksichtigen. Bei der Überlegung, in welchem Verhältnis die ersten vier Dimensionen zueinander stehen, ist mir ein Modell aus der Volkwirtschaftslehre in den Sinn gekommen, das auf den Sachverständigenrat des Deutschen Bundestags und dessen Stabilitätsgesetz von 1967 zurückgeht. Gemeint ist das magische Viereck (cf. Wildmann 3 2014, 111-120) 8 : 8 Das Modell ist prinzipiell nicht auf die Zahl 4 festgelegt. Die Eckenzahl ist nach Bedarf erweiterbar. So existiert tatsächlich eine modernisierte Form dieses Modells als magi- Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 407 Musterdatei NFA_Sammelband.dot 434 Stabilität des Preisniveaus stetiges und angemessenes Wachstum außenwirtschaftliches Gleichgewicht hoher Beschäftigungsstand Abb. 1: Magisches Viereck der Wirtschaftspolitik (nach Wildmann 3 2014, 112) Die Magie dieses Viereckes besteht darin, alle Interessen gleichzeitig zu verfolgen, obwohl sie gegeneinanderstreben. Die Optimierung einer Dimension gelingt für gewöhnlich nur zu Lasten der anderen. Konkreter werde ich das am folgenden analog gebildeten Modell für die Sprachlernökonomie exemplifizieren: Musterdatei NFA_Sammelband.dot 434 Lernzeit (möglichst schnell) Lernanstrengung (möglichst unaufwendig) Nachhaltigkeit (möglichst wirksam) Lernumfang (möglichst viel) Abb. 2: Magisches Viereck der Sprachlernökonomie (eigene Darstellung) sches Sechseck, in dem Verteilungsgerechtigkeit und ökologisches Gleichgewicht aufgenommen worden sind (cf. Wildmann 3 2014, 120-123). 408 Christian Koch Es ist einfach, in kurzer Zeit wenig zu lernen, aber schwierig, in kurzer Zeit viel zu lernen. Es bereitet einem Schüler vielleicht die geringste Mühe, neue Vokabeln unmittelbar vor einem bevorstehenden Vokabeltest zu memorieren, wenngleich sie danach schnell wieder in Vergessenheit geraten, weil diese Strategie nicht auf Nachhaltigkeit setzt… Es ließen sich zahlreiche relativ triviale Beispiele finden, um die Komplementarität zwischen den Dimensionen zu verdeutlichen. Interessant kann dieses Modell m. E. dann sein, wenn man die Auswirkung von Vorschlägen zur Lernoptimierung - Wie lerne ich schneller? Wie lerne ich nachhaltiger? usw. - für die anderen Dimensionen überprüft. So lässt sich einerseits skizzieren, wo die Ratschläge zur Lernoptimierung die Schwierigkeiten verlagern, d. h. neue Schwierigkeiten schaffen. Andererseits könnte man in der Tat die Qualität eines Lerntipps, der eine Dimension fokussiert, daran messen, dass er sich auf die benachbarten Dimensionen nicht negativ oder im Idealfall sogar positiv auswirkt. 4. Sprachliche Mittel bei polyglotten Sprechern aus lernökonomischer Sicht Im folgenden Abschnitt möchte ich auf eine Reihe von Gedanken zu den Bereichen Aussprache, Grammatik und Wortschatz eingehen, die von polyglotten Sprechern hervorgebracht worden sind. Schwerpunktmäßig verwende ich mein Korpus der romanisch-polyglotten Sprecher, verweise aber ergänzend auch auf andere Belegstellen. Im jetzigen Stadium meiner Arbeit sind die Aussagen noch nicht auf Konsistenz geprüft, d. h. ich muss einräumen, dass es sich teilweise um Einzelmeinungen handelt, die sich in der Gesamtauswertung des Korpus möglicherweise nicht als universell erweisen. 4.1 Aussprache Anders als der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen es mit seiner Ausstaffelung von Aussprache nach Niveaustufen suggeriert (cf. Europarat 2001, 117), ist die Aussprache wohl der Bereich, der zu Beginn des Erlernens einer neuen Sprache besonders intensiv trainiert werden kann. Weydt (2002, 399) bemerkt dazu aus einem Interview mit Helmut Lüdtke: „Lüdtke recommande d’acquérir une bonne prononciation dès le début. On ne l’oublie jamais, ‚on peut la mettre dans un frigidaire‘.“ Wer Lüdtkes Arbeiten kennt, weiß, dass gerade er eine Koryphäe auf dem Gebiet der Phonetik und Phonologie war, so dass es ihm besonders leicht gefallen sein mag, Lautsysteme und Graphem-Phonem-Korrespondenzen neuer Sprachen zu durchdringen. Auch die Hypothese des Nicht- Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 409 Vergessens kann der Expertise des Linguisten zugeschrieben werden und muss nicht gleichermaßen für den Laien gelten, der sich in diesem Feld mehr durch Imitation als durch einen kognitiven Zugang übt. Im Sinne der unmittelbaren Wirksamkeit erweist sich ein frühes Aussprachetraining aus lernökonomischer Sicht sicherlich insofern als sinnvoll, als es - zumindest im Falle der meisten romanischen Sprachen - ein überschaubar großes Feld umfasst, in das man sich schnell einarbeiten kann und bei Erfolg einen nachhaltigen Mehrwert für die Sprachkompetenz mitnimmt. So formuliert ein romanisch-polyglotter Proband: (1) Was ich versuche, wenn ich eine Sprache lerne, […] ist, dass ich gleich von Anfang an eine bestmögliche Aussprache anstrebe. Also […] dass man nicht mehr hört oder nicht mehr unbedingt hört, dass ich eigentlich ein Deutscher bin. (P04) Auch wenn es nicht Ziel des Fremdsprachenunterrichts sein kann, eine Scheinkompetenz aufzubauen, in der eine gute Aussprache andere Defizite überspielt 9 , so kann auch der umgekehrte Fall nicht erstrebenswert sein, wenn die Sprachkompetenz aufgrund von untrainierter Artikulation subjektiv schlechter eingestuft wird, als sie auf lexikalischer, grammatikalischer und pragmatischer Ebene womöglich ist. Für die romanische Mehr- und Vielsprachigkeit ist ein weiterer Aspekt der Artikulation besonders interessant, dem ich mich in meinen Erhebungen widme: Auf die Frage danach, wodurch die romanisch-polyglotten Sprecher die verschiedenen Sprachen unterscheiden, nennen sie regelmäßig den Klang als ausschlaggebend: (2) - I: […] ¿cómo distingues los idiomas? - P02: Hm, okay, para mí es el sonido. - I: Sí. 9 In den Aussagen Lüdtkes in der Weydt-Studie wird durchaus Positives an der Scheinkompetenz gesehen, weil man als Nicht-Muttersprachler eher ernstgenommen wird: „eine gute Aussprache ist wichtig, weil man dann hoch eingeschätzt wird. Ich nenne es Hochstapelei. Die trauen mir dann mehr zu, als ich eigentlich schon kann und entsprechend werde ich gefordert“ (Weydt 2008, 39). 410 Christian Koch - P02: Yo empiezo a hablar un idioma, y es el sonido que me guía. Por ejemplo, yo estoy hablando ahora en español. Si una persona empieza a hablarme en italiano, reconozco el sonido, inmediatamente voy a responder en italiano, no te voy a responder en otro idioma. […] ahora estoy hablando constantemente en español. […] Y de pronto viene ahora una persona que me empieza a hablar en italiano, de repente va a haber una mezcla de algunas palabras sin darme cuenta de español en italiano. Pero yo me voy a darme cuenta y me corrijo inmediatamente. (P02) Dieser Proband mit Spanisch als Muttersprache benennt sowohl den Klang als ausschlaggebend dafür, eine Sprache schnell zu erkennen, als auch sich selbst beim Sprechen in eine Sprache einzufinden. Dies kann anhand der sprachlichen Erhebungen belegt werden. An mehreren Stellen wird deutlich, dass dem Probanden der Übergang von einer Sprache in die andere - hier von Italienisch zu Portugiesisch - Schwierigkeiten bereitet, die er aber letztlich durch eine phonologische Umstellung löst: 10 (3) P02 P : na quinta <<I>immagine (---) c’è (-) eh c’è> na quinta <<I>immagine> (--) na (-) <<I>la> (-) na quinta imagem (.) sim na quinta imagem (--) ehm (1.7) eu acho que (um) (--) acho que os dois (---) pensaram (em) jogar (1.1) (P02) Unmittelbar zuvor hat er auf Italienisch gesprochen und fällt nach dem portugiesischen Ansatz mit „na quinta“ bei „immagine“ ins Italienische zurück. Erst bei der zweiten Reformulierung gelingt mit „imagem“ das Sprechen auf Portugiesisch. Tatsächlich scheint hier der Klang der Sprache dank einer souveränen Aussprache entscheidende Stütze für ein gelingendes Sprechen zu sein. Was hier artikulatorisch passiert, lässt sich anhand der Formantenbildung des Vokals a im ersten „immagine“ und im ersten „imagem“ zeigen: 10 Die Transkriptionen folgen den Richtlinien von GAT 2 (Selting et al. 2009, 391sqq.). Zusätzlich wird gekennzeichnet, in welcher Sprache der Proband gerade spricht. Hier „P02 P “ - ‘Proband 02 auf Portugiesisch’ und <<I>…> - ‘auf Italienisch’. Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 411 imm- a .gine 437 ima -gem m Abb. 3: Formantenbildung bei P02 (Italienisch vs. Portugiesisch) (eigene Darstellung, erstellt mit PRAAT ) Man sieht hier, dass der Vokal a im Italienischen lang, weit vorne und in Bewegung auf den Affrikaten [dʒ] artikuliert wird. Der portugiesische Vokal ist dagegen kurz, kompakt und weiter hinten artikuliert. Dies kann man an der zweiten Formantenreihe ablesen. 11 Die lautlichen - und wohl auch die orthographischen - Eigenheiten der romanischen Sprachen scheinen als identitätsstiftendes Element wesentlich dazu beizutragen, die Sprachen auseinanderzuhalten. Bei der Frage von potenziellen Verwechslungen zwischen Sprachen verweisen die romanisch-polyglotten Sprecher nicht nur regelmäßig auf den Klang als Stütze, sie benennen zudem auch, welches Sprachenpaar mehr Verwechslungsgefahr birgt als andere: Spanisch und Italienisch. Dieses Sprachenpaar zeichnet sich dadurch aus, dass die Klangfarbe, erkennbar vor allem an den Vokalen, sehr ähnlich ist, d. h. zahlreiche italienische Wörter könnten auch spanisch sein und umgekehrt. Ähnliche Tendenzen sind etwas schwächer auch zwischen Portugiesisch und Katalanisch zu beobachten, da sich einige lautliche Parameter wie die Reduktionsstufen der Vokale stark ähneln. Im positiven Sinne bedeutet das aber auch, dass die Verwechslungsgefahr zwischen vielen romanischen Sprachen gering ist - man denke an Spanisch und Katalanisch, zwei Sprachen, in denen fast kein einziges 11 Die mittleren Frequenzen der Formantenreihen F 1 und F 2 für den gekennzeichneten Vokal a betragen im Italienischen F 1 =711Hz und F 2 =1528Hz und im Portugiesischen F 1 = 753Hz und F 2 =1161Hz (cf. Koch 2017, 410). 412 Christian Koch Wort gleich geschrieben und gleich ausgesprochen wird. 12 Entsprechend ist für eine rezeptive wie produktive Schulung von authentischem Klang grundsätzlich zu plädieren. 4.2 Grammatik Die Grammatik ist wohl der größte Zankapfel der Fremdsprachendidaktik. Werner Bleyhl (1995) bringt die Problematik als Gretchenfrage des Fremdsprachenunterrichts: „Wie hältst du es mit der Grammatik? “ 13 auf den Punkt, eine Frage, die wohl kaum eine Lehrkraft in wenig umständlicher Form beantworten kann. Einen weiteren Seitenhieb gibt Hermann Funk (2014, 184) mit seiner provokanten Aussage: „Je schlechter ein Lehrer ausgebildet ist, desto mehr unterrichtet er Grammatik.“ An dieser Aussage ist sicherlich richtig, dass ein traditioneller Grammatikunterricht mit lehrerzentrierter Regelerarbeitung und gelenkter Festigung durch geschlossene Übungsformen in der didaktischmethodischen Ausgestaltung weniger Professionswissen erfordert als etwa eine schüleraktivierende Fertigkeitenschulung, jedoch lässt sich dieser Satz in seiner umgekehrten Proportionalität keinesfalls bis ins Extremum führen: ‚Wer optimal ausgebildet ist, unterrichtet gar keine Grammatik.‘ Im Hinblick auf die Positionierung polyglotter Sprecher zur Grammatik zeichnet sich ein recht einheitliches Bild der Befürwortung von Grammatik ab. Von den lernökonomischen Dimensionen spielt dabei die Zeit eine besondere Rolle: „if I’m in hurry, I like having access to a published grammar of the language“ (Stevick 1989, 130). 14 Ein weiteres Bild beschreibt Kató Lomb (2008, 122): „grammar can be a catalyst“. Die Grammatik diene als Katalysator, d. h. eine grammatische Regel mache viel schneller Regelmäßigkeiten sichtbar als etwa die Aneignung über Erwerbssequenzen im ungesteuerten Spracherwerb. 12 Im Vergleich von Spanisch und Valencianisch gilt dies nicht gleichermaßen, da sich das Valencianische - ähnlich wie auch das Galicische - lautlich weitreichend ans Spanische angenähert hat. Blickt man auf die kleineren romanischen Sprachen, so kommen natürlich noch weitere Problempaare ins Spiel. Ein Proband schildert, er habe Schwierigkeiten, Okzitanisch zu lernen, weil der Standard zu nah am Katalanischen stehe. Auch beim Sprechen einer Varietät des Sardischen greift man immer wieder leicht zu italienischen Wörtern, ähnlich wie bilinguale Sarden selbst auch (cf. Loi Corvetto 1988, 859sq.). 13 In Anlehnung an den Originalwortlaut bei Goethe sollte die Frage korrekterweise lauten: Wie hast du’s mit der Grammatik? 14 Stevick (1989) stellt in seiner Untersuchung über erfolgreiche Fremdsprachenlernerinnen und -lerner eine Typologie mit verschiedenen, konträren Lerntypen auf. Die hier zitierte Aussage stammt von einem „self-aware learner“. Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 413 In meinem Korpus bestätigt sich die Rolle der Grammatik als konstitutives Element des Lernens: (4) Also ich selber habe immer, das weiß ich auch von anderen, wie soll ich sagen, Mehrsprachigen/ Strategie war immer, zuerst das grammatikalische System zu lernen und dann Wortschatz. […] Immer zuerst die Strukturen, und es/ ich finde, es ist auch motivierend, wenn man mal einen Satz mit einer ganz begrenzten Anzahl von Wörtern bilden kann. […] Und wenn das Gerüst klar ist, dann kann man ja/ also paradigmatisch kann man ja dann aufbauen. […] Also praktisch machst du zuerst das Syntagmatische und dann das Paradigmatische. (P03) Bei diesem Probanden handelt es sich, wie man unschwer an der Verwendung linguistischer Terminologie erkennt, um einen wissenschaftlich ausgebildeten Experten. Der Gedanke, Grammatik vor Wortschatz zu lernen, greift die Tatsache auf, dass das grammatikalische System in Form einer normativen Grammatik einen überschaubaren und damit potenziell lernbaren Umfang besitzt, was für den Wortschatz nicht in gleicher Weise gilt. Gerade für die romanischen Sprachen und den Tertiärspracherwerb ist der Gedanke nachvollziehbar, die Grammatik einer weiteren Sprache direkt zu Beginn gebündelt zu betrachten, um Parallelitäten und Unterscheide zur Grammatik der bereits bekannten Sprache zu entdecken. Die Vorstellung, Grammatik und Lexik würden in diesem Ansatz nacheinander erlernt werden, ist insofern zu relativieren, als beim Grammatiklernen natürlich auch schon eine ganze Menge über lexikalische Transferbasen von der einen romanischen Sprache in die andere deutlich werden sollte. Einen Sonderfall könnte hier z. B. das Albanische darstellen, das als „langue semi-romane mixte“ (Sőres 1993, 367) eine Grammatik besitzt, die man durch und durch als (balkan-)romanisch bezeichnen könnte, lexikalisch allerdings über die indoeuropäischen Gemeinsamkeiten und einige kontaktbedingte Lehnwörter hinaus keinen Transfer aus den romanischen Sprachen ermöglicht. Für den Bereich der Grammatik ist es vermutlich am schwierigsten, aus den Einstellungen der polyglotten Sprecher Implikationen für das schulische Fremdsprachenlernen abzuleiten, da die Beobachtungen keinen Erkenntnisgewinn für die in der Fremdsprachendidaktik zentralen Frage nach dem Nutzen von Regelwissen für die tatsächliche Sprachverwendung enthalten. Vielmehr zeugen die Aussagen der polyglotten Sprecher von einem Interesse an sprachlichen Strukturen, das auch die Laien unter ihnen mit der Mehrzahl von Sprachwissenschaftlern teilen. So lassen sich Aussagen zur Freude an Grammatik finden, etwa wenn polyglotte Lernende Grammatikübungen mit dem gleichen Vergnügen lösen wie andere Menschen Kreuzworträtsel (cf. Erard 2012, 127). Folglich diver- 414 Christian Koch giert im magischen Viereck der Lernökonomie die Dimension des Lernaufwands zwischen geübten polyglotten Sprachlernern und den prototypisch angenommenen Schülern, für die Grammatiklernen aufgrund der geringen Attraktivität des Lerngegenstands als anstrengend wahrgenommen wird. 4.3 Wortschatz Die Divergenz zwischen polyglotten und weniger geübten Lernern beim Lernaufwand im Bereich der Grammatik gilt für den Wortschatz nicht gleichermaßen. Tatsächlich wird Wortschatzlernen im polyglotten Diskurs immer wieder als der leidvollste Bereich des Fremdsprachenlernens beschrieben, da die kaum begrenzbare Größe des Lerngegenstands verbunden mit einer zumeist ernüchternden Methodik der Aneignung in Form von Lernen von Vokabelgleichungen dem unaufwendigen Erlernen einer neuen Fremdsprache widerstrebt. Vertieftes Strategiewissen wird bei polyglotten Sprechern am ehesten im Bereich der Nachhaltigkeit beim Wortschatzlernen deutlich. Die oben genannten Sprachlernratgeber, ebenso wie diverse Praxis-Bücher zum Gedächtnistraining beim Fremdsprachenlernen (z. B. Krueger 2014) setzen auf die Schlüsselwortmethode: Fremdsprachliche Vokabeln werden über ähnliche klingende muttersprachliche Wörter oder Wortverbindungen memoriert, die in einem möglichst bildhaften Merksatz mit der muttersprachlichen Vokabel in Verbindung gebracht werden, so wie in dem folgenden, etwas makabren Beispiel nach Geisselhart / Lange (2012, 93): „Ein Orka hängt am Galgen und bekommt eine Heugabel in seine Seite gestoßen.“ (sp. la horca - der Galgen, die Heugabel) Abb. 4: Beispiel zur Schlüsselwortmethode (eigene Darstellung) Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 415 Dass diese Methode in der Fachliteratur kaum ernsthaft behandelt wird, hängt m. E. im Wesentlichen von vier Aspekten ab. Erstens mutet die Methode relativ aufwendig an, vergleicht man die komplexe Gestalt des Merksatzes mit der schlichten Vokabelgleichung. Jedoch bleibt hierbei häufig unberücksichtigt, dass die Schlüsselwortmethode dergestalt ablaufen soll, dass die Merksätze zum Erst-Erlernen besonders schwieriger Vokabeln gedacht sind und primär bei Blockade des direkten Zugangs zu den Wörtern einen alternativen Weg der Abrufbarkeit bieten. 15 Mit zunehmender Sicherheit des direkten Zugriffs sollten die Merksätze also wieder verblassen. Zweitens können klangverwandte Formen im Deutschen die originale Lautgestalt und Schreibweise immer nur grob wiedergeben, so dass neue orthographische und orthoepische Fehlerarten zu befürchten sind. Drittens findet man in der Literatur, in der die Schlüsselwortmethode vorgestellt wird, überwiegend Beispiele aus dem Englischen. Für die zumeist kurzsilbigen englischen Vokabeln scheint man auf Anhieb leichter klangverwandte deutsche Ausdrücke zu finden als für Vokabeln in den romanischen Sprachen. Für dieses Problem sei auf die Buchreihe von Geisselhart / Lange (2012; 2013a; 2013b) verwiesen, die u. a. für die romanischen Schulsprachen jeweils rund 1500 Vokabeln in originellen Merksätzen anbietet. Leider sind diese Verzeichnisse nicht frei von Fehlern und auch die isolierte Darstellung ohne grammatikalische Informationen wie präpositionale Anschlüsse der Verben sprechen gegen eine unkritische Verwendung der Bücher zum Vokabellernen. Der vierte und vermutlich wesentlichste Grund, dass man sich mit dieser Methode im fachdidaktischen Diskurs und in der unterrichtlichen Praxis nicht ernsthaft auseinandersetzt, scheint darin zu liegen, dass die Vermittlung von Schlüsselwort-Merksätzen keine Form von seriösem Wissen darstellt, das man als verbindlichen Lerngegenstand definieren könnte. So ist schwer denkbar, dass die Schlüsselwörtermethode als Standard in den Unterricht eingeführt werden könnte. Als Angebot in einem Repertoire von Vokabellerntechniken zur individuellen Nutzung bietet sie aber m. E. durchaus Potenzial. Eine interessante Alternative benennt ein Proband in meinem Korpus 16 : 15 Cf. auch Reinfried (2006, 185): „Sie [die Schlüsselwortmethode] soll nur bei schwer zu lernenden Wörtern eingesetzt werden, die auch durch keine verwandten Wörter abgeleitet werden können.“ 16 Bei diesem italienischen Auszug handelt es sich nicht um die Muttersprache des Probanden. Das Interview stammt aus der Pilot-Phase der Erhebung, in der Interview-Teile in verschiedenen romanischen Sprachen durchgeführt wurden. Zugunsten der inhaltlichen Ausdrucksmöglichkeiten wurden spätere Interviews - soweit möglich - in der Muttersprache des Probanden durchgeführt. 416 Christian Koch (5) Devo dire che già nella scuola ho/ non ho/ non ho lavorato con/ con mezzi con che hanno lavorato i libri della scuola per conservarsi il vocabolario. […] Molti alunni fanno una/ fanno delle carte. […] E in ciascuna carta si scrive/ scrive una parola e non credo che/ non credo che/ che sia la strategia ottima, la mia strategia ottima. Io solo apprendo le parole per relazioni etimologiche […]. (P01) Dass er Etyma benennen kann, ist dadurch zu erklären, dass er Lateinkenntnisse erworben hat und gewinnbringend abrufen kann. Psycholinguistisch ist die Verknüpfung der Vokabel mit dem Etymon als zusätzlicher Vernetzungskanal zu erklären, der Potenzial zur verbesserten Abrufbarkeit birgt. Die Kenntnis des Etymons suggeriert ein vertieftes Verständnis der Bedeutung eines Wortes. Gleichzeitig kann man diese Kenntnis als sinnvolles Wissen bezeichnen, da die Benennung eines Etymons aus dem Gedächtnis heraus als Inbegriff für die Ausstrahlung sprachlichen Intellekts steht. 5. Fazit Was kann die Fremdsprachendidaktik nun von den polyglotten Sprachlernexperten über die Rolle von sprachlichen Mitteln lernen? Der Stellenwert der Bereiche Aussprache, Grammatik und Wortschatz als explizite Lerngegenstände erweist sich bei den polyglotten Sprechern konsequent als hoch. Es wäre jedoch naiv, daraus abzuleiten, dass die Fremdsprachendidaktik ihre Bemühungen zur Umgestaltung von den sprachlichen Mitteln hin zu den kommunikativen Fertigkeiten als Grundgerüst des Sprachunterrichts revidieren müsste. Dazu sind die Ausgangspositionen zu unterschiedlich, stehen auf der einen Seite die polyglotten Sprachenlerner, die i. d. R. autonom und aus einer integrativen Motivation heraus lernen, und auf der anderen Seite Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen der schulischen Verbindlichkeiten zum Sprachenlernen motiviert und ggf. diszipliniert werden müssen. Entsprechend empfinden polyglotte Sprecher den Lernaufwand gering, sind sie doch nicht nur grundlegend motiviert, sondern das individuelle Lerntempo verschafft ihnen auch die Möglichkeit, auf eigene Motivationsschübe und -blockaden zu reagieren, vom flow zu profitieren, wenn er kommt, und Pausen einzulegen, wenn sie nötig sind, was in den schulischen Gegebenheiten nicht in gleicher Weise zu realisieren ist. Dennoch wäre es der falsche Weg, den potenziellen Erkenntnisgewinn aus dem romanisch-polyglotten Fremdsprachenlernen für den Fremdsprachenunterricht der romanischen Sprachen auszuschließen. Ich sehe das Potenzial nicht darin, Fremdsprachenunterricht auf Grundlage unkonventioneller Heran- Was kann die Fremdsprachendidaktik von Sprachlernexperten lernen? 417 gehensweisen polyglotter Sprecher zu revolutionieren oder reaktionär in alte Muster zurückzuführen, sondern vielmehr in der Aufnahme einzelner Anregungen, gerade auch im oben erwähnten Hinblick auf enrichment -Ansätze für sprachlich besonders interessierte und womöglich unterforderte Schülerinnen und Schüler. Ferner sehe ich bei den romanisch-polyglotten Sprechern einen Vorsprung im Wissen um produktive Mehrsprachigkeit, was uns die Mehrsprachigkeitsdidaktik bisher weitgehend schuldig geblieben ist. Inwieweit letztlich die sprachlichen Mittel in der Untersuchung des romanischen Sprachfamilienpolyglottismus den wesentlichen Impulsgeber für die Fremdsprachendidaktik darstellen, wird die weiter greifende Beschäftigung in dem Gebiet zeigen müssen. 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Deutschen Romanistentags in Mannheim untersucht. 7 7 7 ISBN 978-3-8233-8096-2 )