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Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung

2018
978-3-8233-9106-7
Gunter Narr Verlag 
Nadine Schimmel-Fijalkowytsch

Dieser Band gibt eine ausgreifende und diversifizierte Analyse der Diskurse um die deutsche Rechtschreibung der 1990er und 2000er Jahre. Er nimmt eine differenzierte Verortung der Orthografiediskussion in der sprachpolitisch-sprachpflegerischen Diskussion vor und zieht Vergleiche zu anderen europäischen Orthografiereformen. Der besondere Mehrwert liegt in einer Übersicht über die diskursiven Abläufe in den fachlichen Reformdiskussionen, in denen vielfach dem Leser nicht zugängliche Informationen über politische Zusammenhänge unter einem diskursiven Blick vermittelt werden.

Nadine Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung Eine Analyse von Diskursen zur Rechtschreibreform unter soziolinguistischer und textlinguistischer Perspektive Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung 75 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Dieser Band gibt eine ausgreifende und diversifizierte Analyse der Diskurse um die deutsche Rechtschreibung der 1990er und 2000er Jahre. Er nimmt eine differenzierte Verortung der Orthografiediskussion in der sprachpolitisch-sprachpflegerischen Diskussion vor und zieht Vergleiche zu anderen europäischen Orthografiereformen. Der besondere Mehrwert liegt in einer Übersicht über die diskursiven Abläufe in den fachlichen Reformdiskussionen, in denen vielfach dem Leser nicht zugängliche Informationen über politische Zusammenhänge unter einem diskursiven Blick vermittelt werden. STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE 75 Herausgegeben von Arnulf Deppermann, Stefan Engelberg und Angelika Wöllstein Band 75 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Nadine Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung Eine Analyse von Diskursen zur Rechtschreibreform unter soziolinguistischer und textlinguistischer Perspektive Redaktion: Melanie Steinle Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Satz: Annett Patzschewitz Druck und Bindung: CPI buchbücher, Birkach Printed in Germany ISSN 0949-409X ISBN 978-3-8233-8106-8 5 VORWORT Ich möchte an dieser Stelle zum einen die Gelegenheit nutzen, meinen Dank an alle Unterstützer meiner Person und dieses Projektes auszusprechen und über meine Motivation für dieses Thema zu berichten. Zum anderen möchte ich aber auch die Bedeutung der Orthografie als Politikum betonen. Ausgangspunkt meiner Arbeit war der Hegel’sche Denkansatz zur Phänomenologie des Geistes: Was nicht vernünftig ist, hat keine Wahrheit, oder was nicht begriffen ist, ist nicht […]. (Hegel 1970, S. 404) Diese prägnante Aussage zum Konflikt zwischen Aufklärung und Aberglaube ist eines der wesentlichen Motive, die mich zum vorliegenden Dissertationsprojekt geführt haben. Mein Bestreben war es, aus den Trugbildern über die Reform der deutschen Rechtschreibung, die nicht vernünftig und unbegreifbar sind, zu einem Gesamtbild zu gelangen, das durchaus vernünftig und begreifbar ist. Zum ersten Mal kam ich mit dem Thema der Normierung der deutschen Rechtschreibung in Berührung, als ich ein Seminar bei Matthias Fritz zur vergleichenden Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin besuchte, in dem die Wertvorstellungen und die Einstellungen zu Sprachnormen in einer Sprachgemeinschaft behandelt wurden. Dabei wurden auch die mit der Reform von 1996 verbundenen Empfehlungen und Änderungen zu den einzelnen Bereichen ausführlich diskutiert. Im Rahmen meiner Beschäftigung bei der Kultusministerkonferenz (KMK) habe ich mich dazu entschlossen, die gesellschaftlichen und linguistischen Grundlagen der orthografischen Normierung zum Gegenstand meiner Forschung zu machen; dabei konnte ich auch meine Erkenntnisse zu den politischen Hintergründen der Rechtschreibreform in die Untersuchung einfließen lassen. Ich möchte mich bei all denjenigen bedanken, die am Gelingen dieses Projektes beteiligt waren. Zum einen möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Peter Gallmann, bedanken für die Vermittlung seines Fachwissens, den Sachverstand und das Fingerspitzengefühl für dieses stellenweise sensible Thema. Das betrifft nicht nur die fachliche Betreuung, sondern auch die technische Hilfe, sein stets offenes Ohr und die geopferte Zeit für die vielen Gespräche. Zum anderen möchte ich mich aber auch bei meiner Familie und meinem Mann bedanken, die mit Gleichmut meine unterschiedlichen Stim- Vorwort 6 mungslagen in den einzelnen Arbeitsphasen ertragen und mich aufgefangen haben. Ich danke für die Ablenkung, den Zuspruch, das Vorhaben mit Kampfeswillen und Entschlossenheit zum Abschluss zu bringen. Ich danke dem ehemaligen Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, Erich Thies, der mich ermuntert hat, das Thema als Gegenstand von politischer Bedeutung aufzunehmen, und mir den Weg gewiesen hat, den ich alleine nicht gegangen wäre, und mir Türen gezeigt hat, die mir sonst versperrt geblieben wären. Ich danke meinem kleinen, aber feinen Freundeskreis, der mich an guten wie schlechten Tagen stets begleitet hat. INHALT 1. Einleitung ..................................................................................................... 15 1.1 Orthografiereformen sind nie reine Strukturreformen.......................... 15 1.2 Diskurskritischer Ansatz ............................................................................ 16 1.3 Historische Aspekte .................................................................................... 17 1.4 Systemlinguistische Aspekte ..................................................................... 17 1.5 Weltanschauliche Aspekte.......................................................................... 18 1.5.1 Wertvorstellungen und Ideologien als Hintergrund der Akteure ...................................................................................... 18 1.5.2 Zum Problem der Interpretation zeitgeistbedingter Diskursbeiträge ............................................................................... 19 1.6 Umgang mit Norm und Varianz ............................................................... 19 1.6.1 Hausorthografien I: Duden ........................................................... 20 1.6.2 Hausorthografien II: Verlagshäuser ............................................. 20 1.7 Fazit ............................................................................................................... 21 2. Grundlagen .................................................................................................. 23 2.1 Zum folgenden Kapitel ............................................................................... 23 2.2 Methodische Vorüberlegungen ................................................................. 24 2.3 Fachliteratur ................................................................................................. 29 2.3.1 Allgemeine Grundlagen................................................................. 29 2.3.2 Arbeiten zu den Diskursen im Bereich Rechtschreibung ......... 31 2.4 Vorgehensweise ........................................................................................... 32 3. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform .............. 43 3.1 Übersicht ....................................................................................................... 43 3.2 Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs ................................................................. 43 3.2.1 Sprachpflege und Normierung ..................................................... 45 3.2.2 Sprachpflege und Politik................................................................ 49 3.2.3 Motive für sprachpolitisches Handeln ......................................... 51 3.3 Sprachpflege und Sprachpolitik im politischen Diskurs - Voraussetzung einer Kultivierung von Sprache ..................................... 56 3.4 Welche Grundzüge muss eine Rechtschreibung haben und welches sind die Ziele aller Reformbemühungen? ........................ 59 INHALT Inhalt 8 3.5 Orthografie und Sprachsystem.................................................................. 60 3.5.1 Zur Unterscheidung von orthografischen und grammatischen Fehlern .................................................................. 61 3.5.2 Sprachsystem und Sprachgebrauch ............................................. 64 3.6 Sprachpflege und Sprachbewusstsein als Bausteine für Orthografie ............................................................................................. 66 3.6.1 Zum Begriff des Sprachbewusstseins .......................................... 66 3.6.2 Sprachpflege und Sprachbewusstsein in den Sprachen Europas ............................................................................................. 67 3.6.3 Länder mit Sprachpflegegesetzen - ein politischer Diskurs. Warum haben wir keine Deutschquote in den Medien oder ein Sprachpflegegesetz? ............................. 70 3.6.4 Rechtschreibreformen in Europa und sprachpflegerische und sprachpolitische Maßnahmen ............................................... 73 3.7 Sprachpflege und Sprachpolitik: Ein Spektrum an Meinungen in den politischen Diskursen........................................... 74 3.8 Fazit ............................................................................................................... 78 4. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum .................................................................................................. 81 4.1 Übersicht ....................................................................................................... 81 4.1.1 Die Entwicklungen im 19. Jahrhundert ....................................... 81 4.1.2 Die Entwicklungen von 1901/ 1902 bis 1945 ................................ 82 4.2 Die Bundesrepublik vor der Wende ......................................................... 83 4.2.1 Abriss der wichtigsten Entwicklungen........................................ 83 4.2.2 Zu den Wiesbadener und den Stuttgarter Empfehlungen ................................................................................. 83 4.3 Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR ................... 84 4.3.1 Die Forschungsgruppe an der DDR-Akademie ......................... 84 4.3.2 Historischer Abriss der sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten lassen, einen für die DDR charakteristischen Sprachgebrauch herzustellen ....................... 85 4.3.3 Wesentliche Anliegen der DDR in Hinblick auf die Reformbemühungen um eine Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ........................................................... 87 4.3.4 Die wesentlichen sprachpolitischen und um Sprachpflege bemühten Akteure und die unterschiedlichen Phasen des Reformprozesses in der DDR ........................................................ 90 4.3.5 Die sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten im Vorlauf zur Wiedervereinigung ......................... 92 Inhalt 9 4.4 Von der Wende bis zur Reform von 1996 ................................................ 94 4.5 Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform.................................... 95 4.5.1 Sprachpflege und Sprachpolitik in der BRD: wichtige Akteure und die Untrennbarkeit der politischen von den medialen Diskursen ................................................................ 95 4.5.2 Sprachpflege und Sprachpolitik: Die Rolle einzelner Organisationen und ihre Mitwirkung in den politischen Diskursen ......................................................................................... 97 4.5.3 Die Rolle der Kultusministerkonferenz im sprachpolitischen Kontext ....................................................................... 101 4.5.4 Die Rechtschreibreform - neue Gremien - neue Benennungen - sprachpolitische Motivation .................. 110 4.6 Sprachpflege und Sprachpolitik in Österreich ...................................... 115 4.6.1 Allgemeines ................................................................................... 115 4.6.2 Sprachpolitische und sprachpflegerische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten lassen, eine österreichische, von der BRD losgelöste sprachliche Identität zu bewahren .................................................................. 115 4.6.3 Lexikalische und grammatische Ähnlichkeiten, die das österreichische Deutsch nicht zu einer eigenständigen, vom gesamtdeutschen Kontext losgelösten Standardvariante machen ....................................... 117 4.6.4 Sprachpolitische und sprachpflegerische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten, eine gemeinsame Neuregelung der gesamtdeutschen Rechtschreibung auszuarbeiten, und die beteiligten Akteure .............................. 119 4.7 Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz ................................... 121 4.7.1 Kurzer historischer Rückblick auf die sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung und die beteiligten Akteure .......................... 122 4.7.2 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten lassen, das Verhältnis der Landessprachen untereinander zu harmonisieren ................................................ 127 4.7.3 Das Verhältnis der Landessprachen untereinander in Bezug auf den Wortschatz ...................................................... 127 4.7.4 Verhältnis des „Schweizerhochdeutschen“ zum bundesdeutschen Standard: Die Unterschiede der amtlichen schweizerischen Rechtschreibung im Vergleich zur amtlichen deutschen Rechtschreibung ...................................... 128 4.7.5 Schweizerische Besonderheiten in der Rechtschreibpraxis .... 129 Inhalt 10 4.7.6 Eine Besonderheit in der Reformdiskussion: der hohe Stellenwert der Kleinschreibung der Substantive ................... 132 4.7.7 Die Diglossie-Situation in der Schweiz in den sprachpolitischen Diskursen ....................................................... 134 4.7.8 Das Verhältnis von Standard und Mundart im Schriftspracherwerb ...................................................................... 140 4.7.9 Die Genese der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen im Bildungswesen und das Verhältnis der Landessprachen untereinander............................................ 143 4.7.10 Die Rolle der EDK und anderer am Reformprozess beteiligter Gremien in den dominanten Diskursen ................. 149 4.7.11 Die deutsche Sprache in Schule und Verwaltung .................... 155 4.7.12 Die Deutsche Sprache und Diglossie in den medialen Diskursen der Schweiz ................................................................. 156 4.7.13 Fortsetzung und Resümee zu Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz ....................................................... 158 4.8 Fazit ............................................................................................................. 164 5. Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften ............................................................................ 167 5.1 Einleitung.................................................................................................... 167 5.2 Frankreich ................................................................................................... 167 5.2.1 Sprachpflege und Sprachpolitik in Frankreich ......................... 168 5.2.2 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch eines internationalen Geltungsbereiches der französischen Sprache ableiten lassen ................................ 170 5.2.3 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten, die Einheit der französischen Sprache zu wahren........................................................................ 173 5.2.4 Überblick über die einschlägigen Änderungen an der französischen Rechtschreibung von 1990 ...................... 175 5.2.5 Die Akteure hinter den sprachpolitischen Aktivitäten............ 179 5.2.6 Welches sind die sprachpflegerischen und sprachpolitischen Ziele, die von den beteiligten Akteuren verfolgt werden? ........................................................................... 182 5.3 Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal ......................................... 188 5.3.1 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch, die Rechtschreibung aller lusophonen Länder zu vereinheitlichen und zu harmonisieren, ableiten lassen ................................................................................ 191 Inhalt 11 5.3.2 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem sprachpolitischen Anspruch ableiten lassen, eine für alle lusophonen Länder verbindliche Norm der Rechtschreibung zu schaffen ................................................................. 195 5.3.3 Die Akteure hinter den sprachpolitischen Aktivitäten und ihre sprachpflegerischen und sprachpolitischen Motive ............................................................................................. 196 5.3.4 Die sprachpolitisch spezifischen Hintergründe der Rechtschreibreform der lusophonen Länder ............................ 198 5.3.5 Überblick über die einschlägigen Unterschiede zwischen EP und BP ..................................................................... 202 5.3.6 Der orthografische Ausgleich zwischen EP und BP als Ergebnis des Orthografieabkommens.................................. 204 5.3.7 Fazit ................................................................................................. 208 6. Fachdiskurse .............................................................................................. 211 6.1 Einleitung.................................................................................................... 211 6.2 Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen - aus der Perspektive der Fachdiskurse ................................. 212 6.2.1 Die Arbeitsplanung des Rats für deutsche Rechtschreibung - „Sprache war und ist nicht starr“.............. 213 6.2.2 Aktuelle Erkenntnisse und die Arbeiten des Rats für deutsche Rechtschreibung: Die Arbeitsgruppen ............... 221 6.2.3 Die Implementierung der Arbeitsgruppen und ihre Entwicklung ................................................................................... 222 6.2.4 Die Arbeitsgruppe Korpus .......................................................... 223 6.2.5 Die Arbeitsgruppe Schulischer Gebrauch ................................. 233 6.2.6 Die AG Linguisten ........................................................................ 236 6.2.7 Fazit zu den Fachdiskursen im Rat für deutsche Rechtschreibung ............................................................................ 237 6.3 DESI - Zentrale Befunde der Studie Deutsch-Englisch- Schülerleistungen-International: Eine Studie im Auftrag der KMK - ein bildungspolitisch-fachlicher Diskurs........................... 239 7. Hausorthografien...................................................................................... 245 7.1 Allgemeines ................................................................................................ 245 7.2 Hausorthografien in der Bundesrepublik Deutschland ...................... 246 7.2.1 Zeitungsverlage ............................................................................. 246 7.2.2 Die Präferenzen der Wörterbücher als eine Art Hausorthografien .......................................................................... 247 Inhalt 12 7.3 Hausorthografien in der Schweiz ........................................................... 247 7.3.1 Allgemeines ................................................................................... 247 7.3.2 Hausorthografien in der Schweiz: Tamedia AG ....................... 251 7.3.3 Hausorthografien in der Schweiz: Luzerner Zeitung .............. 255 7.3.4 Hausorthografien in der Schweiz: Basler Zeitung ................... 255 7.3.5 Hausorthografien in der Schweiz: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ............................................................................... 256 7.3.6 Hausorthografien von schweizerischen und bundesdeutschen Tageszeitungen im Vergleich und das Verhältnis zum allgemeinen Sprachgebrauch ................... 264 7.4 Hausorthografien: Fazit ............................................................................ 270 8. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum .................................... 273 8.1 Einleitung.................................................................................................... 273 8.2 Die vermeintlichen Folgen der Rechtschreibreform: bundesdeutsche Artikel aus der jüngsten Zeit...................................... 274 8.3 Der Begriff „Rechtschreibfrieden“ - ein sprachpolitisches Schlagwort .................................................................................................. 282 8.4 Der mediale Diskurs in der Schweiz ...................................................... 284 8.4.1 Im Einzelnen: Die Schweizer Presse - der Blick auf die Neuregelung der deutschen Rechtschreibreform .................... 285 8.4.2 Die Rolle der politischen und gesellschaftlichen Kräfte im Schweizer medialen Diskurs ................................................. 307 8.4.3 Die Schweizer Orthographische Konferenz - Ein politisch-medialer Diskurs einer außerstaatlichen Organisation .................................................................................. 309 8.5 Fazit ............................................................................................................. 325 9. Mediale Diskurse in der internationalen Presse ................................ 329 9.1 Grundsätzliches ......................................................................................... 329 9.1.1 Die Rechtschreibreform im Spiegel der internationalen Presse .............................................................................................. 329 9.1.2 Einleitung und Gang der Untersuchung ................................... 330 9.1.3 Überblick über die typischen medialen Diskurse zur Rechtschreibreform und ihre Abbildung in der Presse ........... 330 9.1.4 Die Wahrnehmung und Bewertung der deutschen Rechtschreibreform in den medialen Diskursen der nationalen und internationalen Presse ............................... 332 9.2 Frankreich ................................................................................................... 334 Inhalt 13 9.2.1 Im Einzelnen: Der mediale Diskurs in Frankreich mit Blick auf die französische Sprache und die Bemühungen um die Rechtschreibung...................................... 334 9.2.2 Im Einzelnen: Der mediale Diskurs in der französischen Presse mit Blick auf die deutsche Rechtschreibreform ............ 338 9.2.3 Die wesentlichen Aussagen in den französischen Presseartikeln des Le Figaro ........................................................ 345 9.2.4 Der mediale Diskurs im Kontext der französischen sprachpolitischen Ausrichtung ................................................... 346 9.2.5 Eine (Aus-)Wertung der französischen Presseartikel .............. 347 9.3 Der mediale Diskurs im portugiesischen Sprachraum ........................ 350 9.3.1 Die portugiesische Presse: der Blick auf das eigene Rechtschreibabkommen mit Inkrafttreten im Jahr 2009 .......... 350 9.3.2 Im Einzelnen: Die portugiesische Presse: der Blick auf die deutsche Rechtschreibreform ......................................... 355 9.4 Der mediale Diskurs im englischsprachigen Raum: UK und USA .............................................................................................. 358 9.5 Zusammenfassung über das aktuelle Abbild der Reformbestrebungen in der internationalen Presse ............................. 366 9.6 Fazit ............................................................................................................. 367 10. Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ..................................................... 369 11. Ausblick...................................................................................................... 377 Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... 383 Printmedienquellen ........................................................................................... 385 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 387 Orthografiereformen sind nie reine Strukturreformen 15 1. EINLEITUNG Meine Arbeit beschäftigt sich mit dem Wie und dem Wer der Rechtschreibreform. Ich gehe also der Frage nach, wie die neue Rechtschreibung von 1996 (einschließlich ihrer Überarbeitungen von 2004 und 2006) eingeführt worden ist und welche Akteure dabei eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Dabei ist auch zu klären, welche grundlegenden Auffassungen es bei den Akteuren gegeben hat und welche gesellschaftlichen Faktoren und Rahmenbedingungen ihre Umsetzung und Implementierung gefördert oder gehemmt haben. Dabei soll der Blick aber nicht auf den deutschen Sprachraum begrenzt bleiben. Ziel meiner Arbeit ist vielmehr auch eine kritische Einschätzung und Bewertung der Impulse des europäischen Sprachraums, aus denen Reformbemühungen im orthografischen Bereich entstanden sind. Reformen im Bereich der verschriftlichten Sprache weisen, wie ich in der vorliegenden Arbeit aufzeigen werde, eine Anzahl von Besonderheiten auf. Anders als beispielsweise bei Steuerreformen, deren Auswirkung unmittelbar in irgendeiner Form von Wachstum, Stagnation oder Rückgang zu ermitteln ist, also quantitativ zu erfassen ist, lassen sich die Ergebnisse der Rechtschreibreform nicht unmittelbar an aktuellen Leistungsständen ablesen, haben also eine qualitative Dimension. 1.1 Orthografiereformen sind nie reine Strukturreformen Die Impulse zu Orthografiereformen sind vielfältig motiviert und sind bei allen von mir untersuchten Reformvorhaben in hohem Maß an Wertvorstellungen gegenüber Sprache und ihren Stellenwert geknüpft. Aus meinen Untersuchungen zu verschiedenen europäischen Orthografiereformen hat sich ein recht homogenes Bild hinsichtlich der Leitvorstellungen und Wahrnehmung darüber ergeben, was eine Normierung der Rechtschreibung und Schriftsprache für eine Sprachgemeinschaft leisten soll. Dabei ließen sich unterschiedliche Typen von Impulsgebern und Multiplikatoren identifizieren. So bildeten für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibeform innenpolitische Anstöße in den 1950er-Jahren den Ausgangspunkt. Bei den portugiesischen Reformen gaben außenpolitische Erwägungen den Anstoß. Und beim Französischen konnten Sprachpflegeorganisationen wie die Académie Française und andere sprachrelevante Institutionen, aber auch Einzelpersonen mit entsprechenden Interessen, als Impulsgeber identifiziert werden. Bei alledem sind nicht nur die Promotoren der Reformen, sondern auch die Inhibitoren zu beachten - denn bei allen untersuchten Reformvorhaben waren auch Gegenimpulse zu beobachten. Die damit verbundenen Diskurse lassen sich - wie in Einleitung 16 der vorliegenden Arbeit noch gezeigt wird - in verschiedene Diskurstypen aufschlüsseln. Dazu gehören auch mediale Diskurse. Hierzu zählt, dass der in der Politik geführte Diskurs von den Medien nicht widerspruchslos und unbesehen aufgenommen worden ist und eine ganz eigene Richtung und Dynamik entwickelt hat, die ich im Einzelnen (ab Kapitel 8) ausführlich aufzeigen werde. Wie schon angedeutet, sind die Orthografiereformen nicht einfach nur Strukturreformen im sprachtheoretischen Sinne. Wenn man die einzelnen Reformvorhaben und deren Resultate verstehen will, sind auch sprachpolitische und sprachpflegerische Gesichtspunkte einzubeziehen. Es besteht dann die Möglichkeit, zu einem Gesamtbild über den Charakter einer jeden einzelnen Reform zu gelangen, aus dem sich eine gesicherte Einschätzung ihres Wirkungsgrades und Mehrwerts für die Sprachgemeinschaft ableiten lässt. Eine Reform kann nur dann einen Mehrwert für eine Gemeinschaft haben, wenn sich diese nicht nur als Empfänger versteht, sondern auch über die Möglichkeit verfügt, sich an den Diskursen vor, während und nach den Reformvorhaben aktiv zu beteiligen. Wenn Möglichkeiten der Mitgestaltung bestehen, geht dies in der Regel mit höherer Akzeptanz einher, wie schon Reformen in anderen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen auf kommunaler Ebene gezeigt haben. Dass im Zuge der Einführung und Umsetzung der Reform der deutschen Rechtschreibung derlei Möglichkeiten zur Anpassung und Teilhabe durchaus bestanden haben, werde ich im Verlauf meiner Ausführungen anhand der Analyse von Diskursen aufführen. 1.2 Diskurskritischer Ansatz Bei der Analyse der einzelnen Beiträge zu den Reformvorhaben hat es sich als sinnvoll erwiesen, sich auf einen diskurskritischen Ansatz zu stützen. Dieser ermöglicht es, die verschiedenen Perspektiven auf den Sachverhalt - ob reformkritischer oder reformbefürwortender Art - unterschiedlichen Diskurstypen zuzuordnen. 1 Dabei wurde nach Handlungs- und Diskursbereichen wie Politik, Fachwissenschaft und Medien unterschieden. Einen Schwerpunkt bilden Diskurse, in denen Kritiken, Vorwürfe und Stereotypen reproduziert worden sind und die zu einem allgemeinen Misstrauen gegenüber der amtlichen Regelung selbst und den „Konstrukteuren“ aus Wissenschaft und Politik geführt haben. Diese Diskurse sollen zugleich zu 1 Ähnliche Untersuchungen zur Durchsetzbarkeit, zum Mehrwert und zum Gelingen unterschiedlicher Reformvorhaben sind innerhalb unterschiedlicher Fachbereiche (bspw. auch in der Klassischen Philologie von Rudolf Wachter) vorgenommen worden. Aktuelle Beispiele aus der Fachliteratur, die aus den Akten der internationalen Tagung aus dem Jahr 2012 hervorgehen, findet man bei Biddau (Hg.) (2013). Systemlinguistische Aspekte 17 einem besseren Verständnis darüber beitragen, wie es zur teilweise einseitigen Wahrnehmung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gekommen ist. Einen zweiten Schwerpunkt bilden Diskurse, in denen die für die Beobachtung des Sprachgebrauchs und die Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung zuständigen Institutionen und Organisationen sowie zivilgesellschaftlichen, an Sprache interessierten Kräfte zum Ausdruck kommen. Dies erlaubt einen aktuellen Einblick in das Forschungsgebiet der Rechtschreibforschung und lässt Schlussfolgerungen darüber zu, wie sich die deutsche Orthografie in Zukunft fortentwickeln lassen kann. 1.3 Historische Aspekte Auf den jeweiligen historischen Hintergrund der unterschiedlichen Rechtschreibbemühungen im deutschsprachigen Raum bin ich nicht vertieft eingegangen, da hierzu schon verschiedenste Abhandlungen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Untersuchungsaspekte vorliegen. Zu nennen sind hier insbesondere die einzelnen Bände der von Gerhard Augst und Dieter Nerius betrauten Reihe Documenta Orthographica, die den Zeitraum vom Barock bis zum 20. Jahrhundert abdecken (siehe hierzu Nerius (Hg.) 1992; (Hg.) 2002). 1.4 Systemlinguistische Aspekte Die vorliegende Arbeit befasst sich vor allem mit den Diskursen in der breiteren Öffentlichkeit zur Rechtschreibreform. Zu deren Verständnis ist es aber zuweilen nötig, auch einen Blick auf die systemlinguistischen Hintergründe zu werfen. Hier ist die Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu wichtigen neuen theoretischen Einsichten gelangt, bei denen die sogenannten Prinzipien eine zentrale Rolle spielen. Einiges wurde zwar schon im 19. Jahrhundert erkannt, geriet dann aber quasi wieder in Vergessenheit. Eine Auseinandersetzung mit orthografischen Prinzipien, wie sie als Grundbausteine der deutschen Rechtschreibung verstanden werden, ist erst in der Nachkriegszeit für die Normierung der Schreibweise maßgeblich geworden, wenngleich sie schon weitaus früher formuliert worden sind. Für das 19. (und das beginnende 20.) Jahrhundert sind neben anderen Rudolf von Raumer („Über Deutsche Rechtschreibung“), Otto Lange („Deutsche Rechtschreiblehre mit einem Wörterverzeichniß“), Konrad Duden sowie Pichlers Witwe und Sohn für die Puttkamer’sche Schulorthografie zu nennen. Die vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Prinzipien und Regeln, die der Orthografie zugrunde liegen und teilweise selbst schon kodifizierender Einleitung 18 Art sind, formte die deutsche Rechtschreibung auf die Weise, wie sie sich uns heute darbietet. 1.5 Weltanschauliche Aspekte 1.5.1 Wertvorstellungen und Ideologien als Hintergrund der Akteure Eine Diskussion von Texten zu Orthografiereformen kommt nicht umhin, auch den weltanschaulichen Hintergrund der einzelnen Akteure zu beleuchten. Dies gilt besonders für mediale Diskurse mit starkem ideologischem, bewertendem oder subjektivem Einschlag. Eine der zentralen Charakteristika solcher Text ist, dass diese nicht mit dem Anspruch einer objektiven Einschätzung des Sachverhalts verbunden sind und zwischen Information und Meinung oder Kommentar kaum sauber getrennt wird, so dass die Darbietung eines Sachverhalts nie losgelöst von Weltanschauungen, Einstellungen und dem kulturellen und politischen Hintergrund des Autors oder Verfassers verstanden werden kann. Auch politische Entscheidungen zu orthografischen Belangen und Sachverhalten sind selten neutral, was ich mit meinen Ausführungen in dieser Arbeit anhand verschiedener Ereignisse aus Politik und Gesellschaft aufzeigen möchte. Solche Entscheidungen sind aber nicht kategorisch als Entwicklungshemmer zu verstehen; sie können multiplikatorische Wirkung bei der Verbreitung und Durchsetzung der Norm in der Gesellschaft haben. Meine Grundannahme hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen lautet, dass die von Instanzen wie dem Rat für deutsche Rechtschreibung für das amtliche Regelwerk 2 aufgestellten Kriterien zur Regelung der geltenden Schreibpraxis im Gesamtprozess nicht allein unter der Einflussnahme der in den fachlichen Diskursen geführten Tonlage standen, sondern von den politischen und mehr noch den gesellschaftlich-medialen Diskursen beeinflusst und sogar dominiert bzw. überlagert wurden. Hieraus ergibt sich auch die ursächliche Problemstellung bei der Behandlung des Themas, da die Einbeziehung des fachlichen, gesellschaftlichen und politischen Umfelds in den öffentlichen Diskurs zu Reibungen und nicht durchgängig zum erwarteten Dialog und zu einer Versachlichung des Themas geführt hat. Im Falle der Rechtschreibreform ging es aber eben nicht allein um die Vertretung von Interessen und deren Berücksichtigung, sondern um die Anerkennung der Wertschöpfung, die sich aus der Umgestaltung der deutschen Rechtschreibung für jeden Einzelnen ergibt. Für meine Forschungen hatte ich Zugang zu internen Papieren, die 2 Immer wenn ich vom amtlichen Regelwerk ohne weitere Jahresangabe spreche, so beziehe ich mich auf dessen aktuellste Version (Regelwerk 2006). Umgang mit Norm und Varianz 19 nicht öffentlich zugänglich und daher nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt sind. Rückspiegelnd habe ich eine Analyse der Medienresonanz, der Reaktionen und Kritik zu den Reformbemühungen einzelner Länder mit Blick auf ihre eigenen Reformen sowie auf die deutsche Rechtschreibung vorgenommen, da sich anhand dieser Diskurstypen die Betonung einer Wertediskussion besonders gut ablesen lässt. Ich zeige auf, dass die in verschiedenen Diskursen aufgeführten Vorwürfe zur Auseinandersetzung mit der Rechtschreibdebatte insofern den jeweiligen Fachkreisen aus Gesellschaft, Politik und Wissenschaft gelten, als dass die Diskussion um die Rechtschreibreform entweder auf die Politisierung des Themas, der „Verwissenschaftlichung“ oder die Polemisierung desselben abstellt. 1.5.2 Zum Problem der Interpretation zeitgeistbedingter Diskursbeiträge Verschiedene Untersuchungen haben schon auf die Schwierigkeit der Interpretation von zeitgeistbedingten Reaktionen hingewiesen, wie den Ausführungen von Dessì Schmid/ Marzo (2013, S. 117) zu entnehmen ist. Anhand verschiedener aus der Geschichte bekannter außersprachlicher Faktoren wie der Erfindung und Ausbreitung des Buchdrucks wird deutlich, wenngleich auch hier interessengesteuert (aus politischen, ästhetischen und gesellschaftlichen Gründen), wie schon in der Zeit vor dem sog. Informationszeitalter selektiv auf Sprache eingewirkt und dazu beigetragen wurde, entweder einen reflektierten und bewussten oder einen interessengesteuerten Umgang mit Sprache zu bedienen. Ich werde in meinen Betrachtungen als weiteren Gesichtspunkt die Anschauungen, Rolle und Beiträge der unterschiedlichen Akteure mit einbeziehen, zu denen die Normierer zählen, die in der Regel auch Befürworter sind (siehe hierzu Kapitel 1.6.1 und 1.6.2). Hinzu greife ich die Betrachtungen der Kritiker und die der Anwender auf, die ich ebenso wie die Medien zu den gesellschaftlichen Kräften zähle. Die Beiträge reichen von unterschiedlichen, vom Regelwerk abweichenden (bspw. unterlegt der Duden seine eigenen Empfehlungen gelb) Schreibvarianten z.B. im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, aber auch konformen Empfehlungen bis zu den Hausorthografien der großen Zeitungen. 1.6 Umgang mit Norm und Varianz Die vorliegende Arbeit geht auch der Frage nach, ob und welche Maßnahmen von gesellschaftlichen und politischen Instanzen ergriffen wurden, um Sprache zu standardisieren (siehe hierzu auch Biddau (Hg.) 2013, S. 137f.). Hier- Einleitung 20 zu gehört selbstverständlich die wissenschaftliche Auseinandersetzung unterschiedlicher Akteure aus Gesellschaft, Wissenschaft und Politik, die im Dienste der empirischen und systematischen Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung der Rechtschreibforschung und der deutschen Sprache einen Beitrag geleistet haben und die ich in einem nachfolgenden Kapitel (siehe Kapitel 2) explizit benenne. 1.6.1 Hausorthografien I: Duden In diesem Zusammenhang fällt die geringe öffentliche Diskussion der Präferenzen des Dudens (vgl. in den neueren Auflagen die gelb hinterlegten Varianten) auf. Es fragt sich, ob das als stille Zustimmung gewertet werden darf. Vorweg sei aber erwähnt, dass zwischen dem Duden und anderen Verlagsorthografien in den Neuauflagen hinsichtlich der im Duden als „gelb markierten“ empfohlenen Variante und den Empfehlungsschreibungen der anderen Verlagshäuser wie Wahrig eine erstaunlich hohe Übereinstimmung besteht. Schlussfolgernd zeichnet sich im Umgang mit Varianz mittlerweile ein Konsens ab, wo in früheren Auflagen noch voneinander abweichende Empfehlungen gegeben wurden. In einem späteren Kapitel (8.4.3) gehe ich auf die Abweichungen früherer Auflagen und die Rezeption des Dudens noch einmal ein. 1.6.2 Hausorthografien II: Verlagshäuser Zu der Auseinandersetzung, die nicht immer öffentlich ausgetragen worden ist, wie ich an dieser Stelle einwerfen muss, gehört auch die Frage des Umgangs mit Varianz, der ich in Bezug auf die Anwendung von Hausorthografien bei bundesdeutschen und Schweizer Zeitungen ein eigenes Kapitel gewidmet habe (siehe Kapitel 7.3.6). Hierbei habe ich versucht, die unterschiedlichen Ausprägungen von Variantenschreibungen zu benennen, da es hier verschiedene Formen gibt. Beispielsweise gibt es Varianten, die regelkonform sind, und solche, die als echte Abweichungen vom Regelwerk nicht-regelkonform sind oder die von der Duden-Redaktion bevorzugte Schreibweise darstellen und trotzdem regelhaft sind. Eine Variante kann also auch der herkömmlichen Schreibung von vor 1996 folgen und dennoch nach dem aktuellen Regelwerk zulässig sein; im seltensten Fall handelt es sich wirklich um hausorthografische Leistungen und vom Regelwerk abweichende Festlegungen. Ob die anfänglich geringe Rezeption als Ergebnis eines anders wahrgenommenen Schriftsprachgebrauchs einer eigenen subjektiven Schreibwirklichkeit von Wörterbuchverlagen gewertet werden kann oder auch wieder Ausdruck eines Festhaltens an einem bewährten Wertesystem ist, ist eine interessante Fazit 21 Frage, wird aber nur am Rande Gegenstand meiner Ausführungen sein, da hier nicht nur die Position von professionell Schreibenden ermittelt, sondern eine holistische Perspektive eingenommen werden soll. Im Zusammenhang mit dem schon eingangs erwähnten Kapitel 7.3.6 über die Hausorthografien bei deutschsprachigen Tageszeitungen und Presseagenturen werde ich aber auf Unterschiede zwischen der Wahrnehmung eines allgemeinen Schriftsprachgebrauchs und institutionell unterschiedlichen Beobachtungen zu Trend und Präferenzen eingehen und noch einmal ausführlicher auf das spezifische, vom offiziellen Regelwerk abweichende Verhalten eingehen und Beispiele sowie eine Bewertung hierfür aufzeigen. Ich werde in diesem Zusammenhang auch einige Diskrepanzen aus Presseerzeugnissen aufzeigen, von denen behauptet wird, dass sie eine sprachliche Besonderheit und hausorthografische Eigenleistung darstellen, in der Schreibpraxis aber nicht umgesetzt wurden (bspw. FAZ: schneuzen) oder keine vom Regelwerk abweichende Variante darstellen. Die strukturellen, also systemlinguistischen Eigenschaften dieser „normverletzenden“ oder normabweichenden Varianten sind hierbei besonders interessant, da nach systemischer Betrachtung eine Variante aufzeigt, dass über eine Norm hinausgehend noch unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten der Sprache zur Verfügung stehen. Derlei Betrachtungen müssen aber durch pragmatische wie auch soziolinguistische Perspektiven ergänzt werden, da eine Abweichung aus dem Grund von konfligierenden Regeln oder von Präferenz- oder Trendfragen bestimmt sein kann, diese nicht zuvorderst systemlinguistisch motiviert sind und sich hieraus eine Klassifikation der Entstehung einer Variante ableiten lässt. W.P. Klein (2009) erläutert die Nicht-Alleinstellung der Systemlinguistik wie folgt: Wer Zweifelsfälle aber nur aus systemlinguistischer Sicht und/ oder nur aus soziolinguistischer Sicht in den Blick nimmt, verfehlt eine angemessene linguistische Thematisierung […]. (ebd., S. 146) 1.7 Fazit Das übergeordnete Erkenntnisinteresse meiner Arbeit ist synoptischer, narrativer und quantitativ-metaanalytischer Art. Ich möchte neben einer Zusammenstellung der in den verschiedenen Diskursen hervorgebrachten Intentionen Argumente für und gegen die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung einfangen, einen beschreibenden Überblick über den Forschungsstand hinsichtlich der Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache geben, die bisherigen Studien, Analysen und Veröffentlichungen aufführen und in meiner eigenen Ergebnissynthese Effekte und Trends ableiten, die aus bestimmten Maßnahmen (hierzu siehe bspw. das Kapitel 7.2 und 7.3 zu Hausorthografien) resultieren. Zum folgenden Kapitel 23 2. GRUNDLAGEN 2.1 Zum folgenden Kapitel Den Ausgangspunkt meiner Untersuchung bilden eine vergleichende Analyse verschiedener Reformanstrengungen im orthografischen Bereich und die Einordnung der unterschiedlichen Diskursarten und -typen. Den zweiten Schritt bildet die Auswertung der jeweils für verschiedene europäische Länder mir vorliegenden sprach- und kulturpolitisch relevanten Zeugnisse und der Reaktionen der gesellschaftlichen Kräfte darauf. Zum Zweck der Auswertung habe ich mich verschiedener Werkzeuge und Methoden bedient, auf deren theoretische und methodische Voraussetzungen und Hintergründe ich im Folgenden eingehe. Ich stütze mich hierbei auf die Beobachtungen und Auswertungen von Datenquellen, die sich schon mit der Aufklärung und Auseinandersetzung der historischen, politischen und sprachtheoretischen Bedingungen und Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern beschäftigt haben, und reichere methodologisch die dort gewonnenen Erkenntnisse mit Präzisierungen und Fragestellungen an, die sich auf Basis meiner Überlegungen zu meinen Untersuchungen ergeben haben. Die diskursanalytische Auswertung von verschiedenen Texttypen in verschiedenen Diskursarten, auf die ich im folgenden Kapitel verstärkt eingehe, hat sich hierbei als nützliches Werkzeug erwiesen, um umfassende Beschreibungen über die Wirkung der unterschiedlichen Diskurstypen im Prozess der Implementierung der Neuregelung zu geben. Mein übergeordnetes Untersuchungsziel ist es, eine Betrachtung der verschiedenen europäischen Reformvorhaben vorzunehmen, um einen Beitrag zur Dokumentation verschiedener Initiativen zu leisten und Aufschluss über den unterschiedlich bewerteten Mehrwert von Rechtschreibreformen für die Handlungsbereiche Politik, Gesellschaft und Wissenschaft zu geben. Die von mir zugrunde gelegte methodische Fragestellung beinhaltet, ob die in den unterschiedlichen Handlungsbereichen von Politik, Wissenschaft und Medien verwandten Diskurstypen eine adäquate Bewertung und Einordnung des gegenwärtigen Rechtschreibdiskurses zulassen und ob sich daraus angemessene Aussagen zum Stand der aktuellen Forschung und Rückschlüsse auf die noch zu erwartende Entwicklung der deutschen Sprache und des allgemeinen Sprachgebrauchs ziehen lassen. Die Ergebnisse meiner Untersuchung vorweg nehmend, konstatiere ich, dass die fachwissenschaftlichen Diskurse einen großen Beitrag zur Versachlichung des Themas und zu einem besseren Verständnis der Neuregelung in der Öffentlichkeit und im Schulbereich geleistet haben, aber die Beachtung der Leistungen in den anderen Diskurstypen gering war, während die Ergebnisse aus den politischen Diskursen auf Grundlagen 24 eine große mediale Resonanz trafen und deren Beitrag darin bestand, der wissenschaftlichen Begründung der Reform in den Fachdiskursen eine institutionelle Legitimation beizufügen, was in den medialen Diskurstypen unterschiedlich wahrgenommen worden ist. Der historische Ausgangspunkt, an dem ich zur Beurteilung der bei der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung einwirkenden Diskurse angesetzt habe, sind die Ereignisse und Aktivitäten um die Kultusministerkonferenz, die im Jahr 1971 im Nachgang zu dem in den 1950er Jahren zum Erliegen gebrachten Versuch, eine gemeindeutsche Neuregelung der Rechtschreibung auf die Beine zu stellen, aufgenommen wurden. Die Kultusministerkonferenz hatte versucht, Informationen zu den bislang bekannten Reformbestrebungen in Sachen Rechtschreibung in verschiedenen europäischen Ländern zusammenzutragen. In diesem Zuge kontaktierte man verschiedene staatliche Stellen wie bspw. die französische Botschaft, das British Council wie auch die Kulturabteilung der italienischen Botschaft. Hieran lässt sich meines Erachtens ablesen, dass die seit Gründung der Bundesrepublik reformorientierten Bemühungen nie abgerissen sind. Ich knüpfe an die von dem zu der Zeit aktiven Arbeitskreis für Rechtschreibregelung vorgenommenen „Seitenblicke“ auf das europäische Ausland an und erläutere die dortigen Bestrebungen hinsichtlich der Reformierung der Orthografie. 2.2 Methodische Vorüberlegungen Das vorliegende Kapitel befasst sich mit den allgemeintheoretischen und methodischen Überlegungen über die Operationalisierung von Diskursen. Zugleich möchte ich an dieser Stelle vorwegnehmen, dass bei mir vornehmlich der thematische und inhaltliche, also objektsprachliche Aspekt in den Diskursen im Vordergrund steht und weniger der metasprachliche Aspekt. Dass eine Betrachtung ganz ohne linguistische Beschreibung eines Sachverhalts innerhalb der Diskurse nicht opportun ist, ergibt sich aus dem Gegenstand selbst, da in den Diskursen Sprache selbst zum Gegenstand gemacht wird. Methodisch habe ich mich dem Thema über eine auf den Diskurs ausgelegte empirische Textanalyse angenähert und ein repräsentatives Sample von Diskursen aus verschiedenen Perioden (vor und nach der Einführung der Rechtschreibreform in 1996 und den Anpassungen von 2004 und 2006) zur Analyse herangezogen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die von mir ausgewählten Diskurse immer nur einen Ausschnitt aus einem Gesamtdiskurs bilden. Ein Diskurs beinhaltet in der Regel verschiedene Handlungsstränge und Positionen und ist ein heterogenes Gebilde, während der Teildiskurs in sich sehr homogene Diskurspositionen beinhalten kann, wie ich im Einzelnen anhand der verschiedenen Diskurstypen aufzeigen werde. Methodische Vorüberlegungen 25 Es finden sich in der Fachliteratur (siehe hierzu 2.3) unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Diskurs“, bspw. bei Foucault (1966), Habermas (2001) und zur kritischen Diskursanalyse weiterentwickelt bei Wodak/ Meyer (2009), um nur einige zu nennen. Allen gemeinsam ist, dass sich ein Diskurs durch soziokulturelle Aspekte bildet, wenn mündlich, dann kommunikationssituativ, im Zusammenspiel mit den im Dialog befindlichen Aktanten, verstanden wird und dass er thematisch und kontextuell gebunden und damit grundsätzlich prozedural ist. Auf schriftlicher Ebene lassen sich politisch geführte Diskurse am ehesten zu Textsorten wie Gesetzestexten, Erlassen, Verordnungen und Absichtserklärungen zuordnen, da sich hierin die Überzeugungen, Anschauungen und Ausrichtungen von Positionen in einer normierten und übereingekommenen Form im politischen Handlungsbereich ablesen lassen. In einem nächsten Schritt ist innerhalb des Handlungsbereiches von Sprachwissenschaftlern und den Bezugswissenschaften wie der Didaktik die Betrachtung der fachwissenschaftlichen Diskurse sinnvoll anhand von Textsorten wie wissenschaftlichen Artikeln, Fachtexten und dem Regelwerk zur neuen deutschen Rechtschreibung selbst. In einem letzten Schritt sind die Darlegungen und Berichterstattungen aus dem Presse- und Printwesen für die Analyse hinzuzunehmen, in denen Sachverhalte und Inhalte inszeniert werden. Innerhalb der Textsorten aus der Print- und Onlinepresse habe ich versucht, verschiedenste Textsorten einzubeziehen wie Leitartikel, Nachrichten-Artikel sowie Glossen und Kommentare. Auf Grundlage der Benennung der entsprechenden Inhalte in den zu analysierenden Texten werde ich in einem weiteren Verfahrensschritt die Darstellung der Inhalte in Hinblick auf die beabsichtigte Wirkung, Funktion und Aussage beschreiben und die Mittel im Sprachgebrauch (Wortwahl, Begrifflichkeiten etc.), die dafür verwendet wurden, aufzeigen. Schlussendlich werde ich, wo es sinnvoll erscheint, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Textsorten beschreiben und das Verhältnis und die Position des Autors zum Themenkomplex mit einbeziehen. Ich habe mich in meiner Arbeit zudem deshalb mit der Rolle und der Wirkungsweise der Medien, vornehmlich der Printmedien, beschäftigt, weil sie sich als meinungssteuerndes und polarisierendes Element im Prozess der Durchsetzung gegenüber der fachlichen und außerfachlichen Öffentlichkeit der Rechtschreibreform erwiesen haben. Ich möchte hier keine Neudefinition von Medienanalysen aufstellen, sondern vielmehr den Charakter und die Merkmale der nationalen und internationalen Berichterstattung im Zusammenhang mit einem gesellschaftlich und kulturell relevanten Thema wie der Rechtschreibreform aufzeigen. Hierzu gehören bspw. die Empfänger, an die sich die Informationen richten, und die beabsichtigte Wirkung hinter der Botschaft oder Nachricht. Zur weiteren Differenzierung habe ich Berichterstattungen gewählt, die sich auf eigene Reformanstrengungen in Hinsicht auf die Grundlagen 26 Orthografie beziehen, und Berichterstattungen mit Blick auf die deutsche Rechtschreibreform. Die Medien haben innerhalb des Printformates hierzu unterschiedliche Textarten gewählt, um ihre kritische Position darzubieten. Auch Online-Ressourcen sowie Social Media Plattformen dienen als mediale Angebote, die zum Austausch von Meinungen und Ansichten genutzt werden. Die Presse nutzt hierfür auch verschiedene Textsorten, die ich hier nicht aus medienanalytischer Perspektive erörtern möchte, gleichwohl aber typologisch hinsichtlich ihrer medienlinguistischen Klassifikation einordnen möchte. Je nach der gewählten Darstellungsform, ob Berichterstattung in Artikelform, im Interview oder als Kommentareintrag (siehe Homepage der Forschungsgruppe Deutsche Sprache) ist der gewählte Sprachgebrauch und auch Schriftsprachgebrauch (die metasprachliche Verwendung der herkömmlichen Schreibung, während objektsprachlich über die neue deutsche Rechtschreibung referiert wird) mit einer kommunikativen Absicht und Handlung verknüpft. Die Medienberichterstattungen, die ich für meine Analyse herangezogen habe, entstammen verschiedenen Rubriken. Hierzu zählen in den klassischen Tageszeitungen Feuilleton und Kultur, Lokales, Politik, ergänzt durch Wissen und Bildung. Da die meisten Berichterstattungen über die bloße Informationsbeschaffung hinausgehen, kommt, thematisch an den Kulturteil einer Zeitung angegliedert, noch das Ressort Kommentar und Meinung hinzu, das weitesten Sinne keine eigene Rubrik darstellt, da meinungsbezogene Standpunkte zu unterschiedlichen Sachverhalten und zu Themen verschiedener Ressorts kundgetan werden. Insgesamt lässt sich festhalten, dass ich Pressetexte inländischer und fremdländischer Medien zur Analyse herangezogen habe, die teils informativer, teils pro und kontra argumentierender Art sind, meinungsvermittelnder (meist mit negativer Konnotation) und appellativer Art. Bei den von mir verwendeten Anaylsekriterien habe ich mich an die von Foucault (1966) verwendeten Praktiken der kritischen Diskursanalyse angelehnt. Diese wurden schon in vielfältiger Weise für verschiedene Wissenschaftsbereiche angewandt wie bspw. für den politischen Diskurs: Diskursive Handlungen werden demnach durch Situationen, Institutionen und soziale Strukturen eingerahmt. (Kerchner/ Schneider (Hg.) 2006, S. 53) Die Presseerzeugnisse informativer Art sollen im weitesten Sinne wie die Darstellung von Berichten sachlich neutral und ohne Bewertung verstanden werden. Dass es nicht immer glückt, ein so emotional gefärbtes Thema wie die Rechtschreibreform ohne Wertung darzustellen, liegt auf der Hand und zeigt sich an etlichen Berichterstattungen, da sich Sprache und Medien nie frei von ideologischen Sichtweisen zusammenbringen lassen, selbst wenn es Methodische Vorüberlegungen 27 sich nur um die Darstellung von Ereignissen handelt. Die meinungsvermittelnden Presseerzeugnisse lassen sich noch binnendifferenzieren in polemisierende, satirische und banalisierende, die entweder polarisierend für- oder gegensprechend sein können oder sich jeglicher Wertung enthalten und damit als neutral einzustufen sind. Innerhalb der Textsorten lässt sich noch zwischen fachwissenschaftlichen und an alle Zielgruppen orientierten Texten unterscheiden. Die von mir verwendeten Analysekriterien zur Kritik über die Rechtschreibreform beziehen sich diskursanalytisch vornehmlich auf den verwendeten Wortschatz sowie Metaphern und Phraseologismen, die ich in den Bereich der bewertenden Schriftsprache einordne. In meiner Analyse zu den Presseerzeugnissen, die im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform stehen, wird auffallen, dass die Kommunikation nicht immer nur faktenorientiert, konstruktiv oder epistemisch erscheint, sondern oftmals gefühlsbetont und affektiert, umgangssprachlich und informell geprägt ist, um sich auf eine Ebene mit den vermeintlich von der Reform betroffenen Geschädigten zu stellen und eine Barriere zur verursachenden politischen Institutionen oder Akteuren zu schaffen. Neben einer Bewertung des Reformvorhabens selbst finden sich Aussagen über die Wahrnehmung der Gremien wie in jüngerer Zeit der Rat für deutsche Rechtschreibung, die Öffentlichkeitsarbeit der federführenden Institutionen wie der Kultusministerkonferenz im bundesdeutschen Raum, der in den meisten nationalen Berichterstattungen eine zentrale Rolle zukam. Ich werde aufzeigen, wie verschiedene Inhalte nationaler und internationaler Pressearbeiten in Agenturtexten, Pressemitteilungen und Berichterstattungen inszeniert und Ereignisse dargestellt werden. Ich möchte vorwegnehmen, dass sich in der internationalen Presse zwar ähnliche Argumentationsstrukturen finden, die die jeweilige Vorbildfunktion der Sprache in Frage stellen, da die Reformen im Ergebnis die Vielfältigkeit der Sprache nicht mehr adäquat abbilden. Typischerweise werden Ängste und Befürchtungen geäußert, die mit der Einführung der Reformen einhergehen, vor denen aber die Sprachen in den Kontext der Globalisierung gestellt sind. Für das Französische handelt es sich exemplarisch um die Anglo-Amerikanisierung des Wortschatzes und das veränderte Verständnis über die Rolle des Französischen auf dem internationalen Parkett, wobei die Reform für einige der Diskursteilnehmer den sozialen Verfall und den Bildungsniedergang markiert. Für das Portugiesische werden ähnliche Befürchtungen zum Prestigeverlust geäußert, vor allem aber in Bezug auf das europäische Festlandportugiesische (EP) aufgrund von Zugeständnissen in Richtung auf die brasilianische Variante im Wortschatz und in der Phonologie. Vorbehalte gegenüber dem Vorhaben einer Reform der Rechtschreibung finden sich als Beschreibungsmerkmal in allen von mir untersuchen internationalen Presselandschaften. Über die deutsche Rechtschreibreform wird sowohl in der por- Grundlagen 28 tugiesischen wie auch in der französischen Presse gesagt, dass sie als Angriff auf nationales Kulturgut verstanden wird, da diese von mir beschriebenen Länder ihre Sprache als nationales Kulturgut begreifen, das nicht aus blindem Reformeifer aus machtpolitischen Interessen heraus verändert werden darf. Vielmehr soll es sich, vornehmlich gestützt durch gesellschaftliche Kräfte, entfalten und entwickeln. Die Schweizer Presse im Vergleich praktiziert für mein Dafürhalten weniger destruktiven Journalismus im Sinne von Anschuldigungen, sondern greift anhaltende Kritik aus Politik und Gesellschaft auf, wie die mangelnde Verlässlichkeit und Eindeutigkeit in Bezug auf das Regelwerk. Eine Verweigerung gegenüber dem Vorhaben, die deutsche Rechtschreibung zu reformieren, ist aus den Presseerzeugnissen aber nicht ablesbar. Trotzdem variiert die Berichterstattung in Bezug auf die Tiefe und den Hintergrund von Informationen mit Blick auf Ereignisse und Fakten. Jedoch möchte ich als Unterschied festhalten, dass die portugiesische Presse im Unterschied zur französischen Presse auch als positiver Multiplikator im Sinne einer Befürwortung des Ausgleichs der Orthografien auftritt, während die französische Presse sich nur sehr vereinzelt kritisch mit dem Einfluss von Institutionen auseinandersetzt. Zu nennen wären hier bspw. die altehrwürdige Académie Française und ihre antiquierten Vorstellungen zu Sprache, ihrem Wandel und ihrem Status im modernen Zeitalter und die Frage, welchen Gewinn eine Vereinfachung der Orthografie für den Schul- und Hochschulbereich bedeuten könnte. Kurzum und als vorwegnehmende Bilanz über die deutsche Reform in der Presse einiger ausgewählter Länder lässt sich feststellen, dass diese, gemessen an dem jeweiligen Erfolg oder Misserfolg bei der Durchsetzung eigener Reformvorhaben, dem Beitrag und der Rolle der politischen und gesellschaftlichen Kräfte und dem unterschiedlichen Verständnis über das Verhältnis von Sprache, Volk und Politik, unterschiedlich bewertet wird. Dies ist keine gänzlich neue Erkenntnis, denn Sprache ist und sollte in allen Nationen Träger von Kultur und Werten und daher besonders schützenswert sein. Die Presse als Abbild und Stimme der Gesellschaft gibt auch Aufschluss darüber, welchen Stellenwert Sprache in der jeweiligen Gesellschaft hat und wie mit ihr umgegangen werden soll. Die Presse übernimmt, wie ich zeigen möchte, unterschiedliche Rollen, sie versteht sich beispielsweise als bloßer Transporteur von Meinungen, als Kulturvermittler, als Aufklärer und Kritiker, aber auch als Verhinderer und Beeinflusser. Die vorliegende Arbeit versteht sich zusammengefasst als eine komparative interlinguale Studie über Sprachkulturforschung und im Speziellen die sprachpolitische Aufarbeitung von Handlungsstrategien unterschiedlicher europäischer Nationen im gesellschaftlichen und politischen Umgang mit Regeln zur Verschriftlichung von Sprache. Ich möchte zum einen dokumentie- Fachliteratur 29 ren, inwieweit die Änderung von Schreibkonventionen in Form von Reformprojekten auf gesellschaftlich-politische und kulturspezifische Erscheinungen zurückzuführen ist. Coulmas erläutert einleuchtend, warum externe Faktoren maßgeblich für die Betrachtung von Sprach-Kodifizierung sind, was ich hier, das Kapitel abschließend, aufführen möchte: […] die Linguistik selber liefert der Sprachplanung und Sprachpolitik keine Kriterien, aufgrund derer sich die Objekte, die Gegenstand von Planung und Politik sind, abgrenzen lassen. Vielmehr müssen Linguisten zur Kenntnis nehmen, dass die Gegenstände, die Gegenstand ihrer Forschung sind - eben die Sprachen - primär und hauptsächlich sprachpolitisch und sprachplanerisch voneinander abgegrenzt sind und nicht aufgrund ihnen eigener, intrinsischer Eigenschaften. (Coulmas 1985, S. 15) 2.3 Fachliteratur 2.3.1 Allgemeine Grundlagen Der Diskursbegriff selbst ist zwar kein neuzeitlicher in der Sprachwissenschaft und hat in den 1970er und 1980er Jahren Auftrieb erfahren durch bspw. Foucault (1966), Jäger (1993) und Ehlich (1979). Der Begriff ist durch neue Konzepte (bspw. funktional-pragmatische oder semiotische) und Schwerpunkte stetig erweitert worden (bspw. bei Wodak/ Meyer 2009 u.a. ergänzt um die kritische Diskursanalyse). Für die Diskursanalyse sind im Zuge ihrer Weiterentwicklung Verfahren und Instrumente formuliert worden, die den Anforderungen der Perspektive auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand und seiner gegenwärtigen und adäquaten Abbildung auf der jeweiligen Untersuchungsebene (auf der Ebene des Wortes, des Satzes usw.) mittlerweile gerecht werden. Ich möchte die Diskursanalyse nicht in aller Vollständigkeit hier vorstellen, aber einen kurzen Überblick über die Forschung und die allgemeinen Grundlagen kurz benennen sowie eine Abgrenzung von der Textanalyse vornehmen. Die Diskursanalyse ist wie die Kognition selbst ein Netzwerkbegriff und wird in der gegenwärtigen herrschenden Fachliteratur als ein sich in Abhängigkeit von Interaktion und Austausch befindlicher Terminus verstanden. Aber eben nicht nur, wie aus folgendem Zitat hervorgeht: Das Erkenntnisobjekt ist dabei mehr als nur eine Menge von Sätzen in ihrem „situativen Kontext“. (Brinker et al. (Hg.) 2000, S. 927) Es ist ein: interpretativer Prozess auf mehreren Stufen. […] Bei diesem Vorgehen geht es um den Bezug kommunikativer Tiefenstrukturen zu einzelfallartig realisierten und empirisch erfassbaren, verbalen und nonverbalen Oberflächenelementen gesellschaftlicher Kommunikation. (ebd., S. 928) Grundlagen 30 Mit anderen Worten und kurz zusammengefasst, geht es in der Diskursanalyse darum, dem sprachlichen Ausdruck, geäußert oder nicht-geäußert, die intendierte Absicht und den Zweck zu entnehmen und in einem weiteren Schritt die Interpretation des Ausdrucks und seine Einordnung nach Bedeutung und Gewicht für die Gesamtaussage. In Kapitel 2.4 finden sich hierzu noch weitere Erläuterungen zu dem Praxisbezug, den ich in meiner Untersuchung mit Hilfe der Diskursanalyse herstellen möchte. Diese Erläuterungen möchte ich an dieser Stelle noch nicht vorwegnehmen. Nach Utz Maas’ (1984) Diskurstheorie sind Diskurs- und Textanalyse zwar zwei unterschiedliche hermeneutische Verfahren, jedoch stellt die Diskursanalyse eine Erweiterung oder Ergänzung zur Textanalyse dar, wenn mit dieser eine soziale Praxis inszeniert oder besser gesagt konstruiert wird. Der meines Erachtens wichtigste Unterschied zwischen der klassischen Textanalyse und der Diskursanalyse ist die Zuordnung der Verfahren zu unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten. Die Textanalyse als Methode wird allgemeinhin der Literaturwissenschaft zugerechnet, während die Diskursanalyse als Netzwerkverfahren in der Sprachwissenschaft, im Speziellen der Soziolinguistik, der Semantik und weiteren Teilbereichen der Linguistik zugewachsen ist. Die Diskursanalyse wird in der Sozial-, Geschichts- und in der Literaturwissenschaft angewandt, da sie Perspektiven, Sichtweisen, Absichten und Einstellungen, also gesellschaftliche Prozesse, filtern soll. Im Gegensatz dazu kann die Analyse von Texten in Bezug auf Inhalt und Struktur, die sich nicht auf übergeordnete Zusammenhänge beziehen, nicht ohne Ergänzung der durch die Diskursanalyse ermittelten Hintergründe als Verfahren in verschiedenen Wissenschaftsgebieten eingesetzt werden. Die Diskursanalyse steht meines Erachtens der Inhaltsanalyse am nächsten, da beide Verfahren ähnliche Analyseeinheiten behandeln. So heißt es hierzu in einem Vorlesungsskript von Wolfgang Ludwig-Mayerhofer (2016) der Universität Siegen: Die Diskursanalyse bezieht sich auf ähnliche Materialien wie die Inhaltsanalyse und bedient sich im Kern inhaltsanalystischer Verfahren. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass ein bestimmter Diskurs untersucht werden soll. Die für die Diskursanalyse verwendeten Konzepte hängen von dem Diskurstyp selbst ab. Liegt bspw. der Diskursanalyse ein Gespräch als Praxistyp zugrunde, dann werden Konzepte der Sprechakttheorie zugrunde gelegt, wie bei einer Konversationsanalyse. Liegt der Diskursanalyse ein Text zugrunde, werden Konzepte verendet, die es ermöglichen, die Aussage des Textes und seine Absicht in dem verwendeten Kontext und die historische und soziale Einbettung aus dem untersuchten Medium zu filtern wie bei der kritischen Diskursanalyse. Fachliteratur 31 Im folgenden Abschnitt habe ich mich der speziellen Literatur zu Diskursen und ihrer Analyse im Bereich der Orthografie gewidmet. 2.3.2 Arbeiten zu den Diskursen im Bereich Rechtschreibung Es findet sich noch keine große Bandbreite an Literatur über die öffentlichmedialen Diskurse um die deutsche Rechtschreibung, dennoch sind auf diesem Gebiet schon eingängige Vorarbeiten geleistet worden wie etwa von Oliver Stenschke (2005). Aus einer diskursanalytischen Perspektive heraus zeichnete er die Diskussion um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in den Medien anhand ausgewählter, kritisch aufgegriffener Schlagwörter wie bspw. Tollpatsch oder Katastrofe an verschiedenen Korpora bundesdeutscher Tageszeitungen und Magazine wie Focus und Spiegel nach und bemaß das Emotionalisierungspotenzial einzelner Texte. Ich erweitere Stenschkes Ansatz, der auch mehr als ich stilistische Mittel innerhalb der Presseerzeugnisse analysiert hat, um Korpora ausländischer Presseerzeugnisse und deren Sichtweise auf eigene Reformbemühungen in Sachen Orthografie und mit Blick auf die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung und um weitere Typen von Diskursen, fachliche, politische und mediale. Zu meinen Ausführungen über die typischen medialen Diskurse (siehe ab Kapitel 8) zur Rechtschreibreform habe ich mir die Vorarbeiten von Ralf Osterwinter (2011) zugrunde gelegt. Diese geben einen Überblick über die bisherigen Arbeiten zur Rechtschreibreform und deren Abbildung in der Presse in den Jahren 1996/ 1998. Ihm ist es gelungen, in seiner linguistischen Studie zur Analyse von Pressetexten in Hinblick auf die Umsetzung der Rechtschreibreform aufzuzeigen, wie und wo Nachrichtenagenturen und Tages- und Regionalzeitungen, vornehmlich die FAZ, die neue Rechtschreibung umgesetzt oder gar modifiziert haben. Anhand einer kritischen korpusbasierten Analyse zur Umsetzung der Rechtschreibreform in Pressetexten hat er die Ausprägung hausorthografischer Leistungen von Presseagenturen bemessen und veranschaulicht, inwieweit bei der FAZ mit ihrer an der abgelösten Dudennorm orientierten Hausorthografie von einer praktikablen Anwendung der angepassten Rechtschreibung zu sprechen ist. Die von mir verwendeten Lehrwerke und Grundlagenliteratur zum deutschen Schriftsystem sowie die Inhalte, Darstellungen und Abbildungen des aktuell gültigen Rechtschreibsystems habe ich von Sprachnormautoritäten bezogen wie den im Rat für deutsche Rechtschreibung an verschiedenen Arbeitsgruppen und Gremien mitwirkenden Mitgliedern, bspw. Peter Gallmann, Sabine Krome und Claudia Schmelletin aus der Fachwissenschaft zu grammatischem Basiswissen. Eine Auswahl der Bibliografie zur Rechtschreibliteratur habe ich der Seite www.rechtschreibrat.com (Stand: 1.3.2017) ent- Grundlagen 32 nommen. Fragen der Sprachdidaktik sind bei Augst/ Dehn (1998) sowie Jakob Ossner (2008) ausführlichst behandelt worden. Weiterführende Literatur zum (Schrift-)Spracherwerb im Zusammenhang mit der Orthografie findet sich vornehmlich für die Fachdiskurse aus Wissenschaft und in Bezug auf Einzeluntersuchungen aus einzelnen Ländern wie der Schweiz bei bspw. Häcki Buhofer/ Burger (1994), Schmidlin (2002) und Bickel/ Schmidlin (2004). Der Fachliteratur, die die Geschichte und Genese der Normierung der deutschen Rechtschreibung in der Zeit ab der Orthografischen Konferenz von 1876 bis in die aktuelle Gegenwart aufarbeitet, fällt in meinem Literaturverzeichnis kein besonders schweres Gewicht zu, da hierzu im geschichtlichen Abriss schon etliche ertragreiche Arbeiten produziert worden sind, die die öffentliche Diskussion, die Entwicklung und die aktuelle Rechtschreibforschung eingängig darstellen. Typische Vertreter hierfür sind Gerhard Augst, Karl Blüml, Wolfgang Mentrup und Dieter Nerius. Nennenswert sind zudem die Stellungnahmen Hermann Zabels (1989, 1995, 1996) zu den politischen und öffentlichen Diskussionen über die Rechtschreibreform, die anschaulich einfangen, was die Presse über die Reform zu berichten wusste, und deren Aussagen er seine eigene kritische Sichtweise über die Wahrnehmung der Ereignisse gegenüberstellt. 2.4 Vorgehensweise In einem nachfolgenden Kapitel werde ich im Zusammenhang mit der Reform im deutschsprachigen Raum auf die Definition der zentralen von mir verwendeten Begriffe Sprachpolitik, Sprachpflege und Sprachkritik eingehen und diese Bausteine im Zusammenhang mit den einzelnen in unterschiedlichen Ländern geführten politischen Diskursen, in den Medien geführten Diskursen und in den Fachdiskursen verknüpfen und befrage sie auch auf ihre Konnotation hin. An dieser Stelle möchte ich lediglich diese zentralen Begriffe kenntlich machen, die zur Modellierung der eben erwähnten Diskurse verwendet werden, und in Umsetzung meines Erkenntnisinteresses an dieser Arbeit weitere Strukturwörter wie Traditionsbruch, (Anpassung an den allgemeinen) Sprachgebrauch, Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache sowie Rechtschreibfrieden einführen. Der Begriff Traditionsbruch findet sich am häufigsten im Zusammenhang mit in den Medien formulierter Sprachkritik und artikuliert sich in Subtypen medialer Diskurse (bspw. Feuilleton und Kommentar), während (Anpassung an den allgemeinen) Sprachgebrauch, Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache Begriffe sind, die sich vornehmlich in den Fachdiskursen und bei Reformbefürwortern wiederfinden, die auf die deutsche Rechtschreibung als zentrale Steuerungselemente rückwirken. Den Begriff des Rechtschreibfriedens, der als Vorgehensweise 33 Reaktion und in Beantwortung auf die von Reformkritikern und Medien aufgebrachten Monita an der deutschen Rechtschreibung verstanden werden muss, führe ich in Zusammenhang mit auf dem politischen Parkett geführten Diskursen auf. Meine Arbeit soll nicht nur der Erforschung der Ursachen oder der Aufarbeitung von Vorurteilen, die gegenüber der Neuregelung von Kritikern artikuliert wurden, dienen, sondern die Rolle und die Intentionen und damit den Beitrag der unterschiedlichen Kräfte, etwa von gesellschaftlichen, medialen sowie politischen Entscheidungsträgern und Mitverantwortlichen, verdeutlichen, ohne diese als Fehlleistung oder als Gewinn für das Ergebnis der Reformbemühungen auszuweisen. In diesem Zusammenhang möchte ich ein passendes Zitat von Georg Bossong aufführen (Bossong (Hg.) 2008), der in seinen Untersuchungen auf den politischen Einfluss von Orthografieentwicklungen eingeht: Auch hier ist also die Sprachbezeichnung und die Orthographie nicht neutral, vielmehr auf das engste mit der politischen Ideologie verbunden. (ebd., S. 19) Diesem Ansatz folgend, sind die Intentionen und Motive der Reformbefürworter, Reformgegner und Entscheidungsträger (die in den meisten Fällen auch einem der zwei vorhergenannten Lager zuzuordnen sind) deklarierender und rekonstruierter Art, je nachdem, welche Textsorte aus welchem Diskurstyp stammt, wie ich zuvor in der Einleitung anhand meiner diskursanalytischen Vorgehensweise beschrieben habe. Im folgenden Kapitel werde ich diesen Aspekt noch einmal aufnehmen. Bei allen von mir untersuchten Reformvorhaben galt es zu prüfen, welche Diskussionsgegenstände im Vordergrund standen. Diese Analyse geht über eine bloße Schlüsselwortanalyse hinaus, da hier kulturell spezifische und sozial vorgeprägte Vorstellungen einzubeziehen sind. Die Erklärungszusammenhänge über die Beeinflussung von sozialer Prägung und einem Verständnis darüber, welche Erwartungen an die Orthografiereformen gestellt werden, erläutere ich an anderer Stelle. Hier fasse ich zunächst zusammen, dass bei den von mir untersuchten Reformvorhaben in Bezug auf Orthografie im deutschsprachigen Raum wie auch in anderen europäischen Staaten die Anpassung an den sich stetig ändernden Sprachgebrauch im Vordergrund stand, um die Schriftsprache an die aktuellen Erfordernisse anzunähern (siehe hierzu das Themenheft des Sprachreports 1996; Heller 1996). Die aktuellen Erfordernisse entsprechen hierbei den Grundlagen, auf deren Basis die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gestellt werden sollte, bspw. linguistische wie Systematik und Vereinfachung, didaktische Erwägungen wie Erlernbarkeit und politische wie Vereinheitlichung. Im französischsprachigen Raum zählen hierzu z.B. die sog. Rectification de l’orthographe du française aus dem Grundlagen 34 Jahr 1990, mit der ebenfalls Systematisierungen bei der Akzentsetzung sowie Vereinheitlichungen in der Grammatik wie bei zusammengesetzten Wörtern erreicht werden sollten. An dieser Stelle möchte ich vorwegnehmen, dass es im Französischen eine typologische Diskrepanz zwischen geschriebener und hörbarer Morphologie gibt, die auch als code écrit und code parlé bezeichnet wird. Die geschriebene Morphologie lehnt sich hierbei noch stark an das morphologische System des Lateinischen an, bei dem die Markierung bestimmter Merkmale wie Modus und Tempus bei Verben und Numerus und Genus bei Substantiven in der Endung markiert wird. Ein Eintrag bei Wikipedia beschreibt die veränderte Funktionsweise in der gesprochenen Sprache im Französischen korrektermaßen: Die morphologische Markierung wird also vom Wortende an den Wortanfang verschoben. (Wikipedia: Altfranzösische Sprache. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Altfranz%C3%B6sische_Sprache, Stand: 11.7.2014) Die Rectifications in Sachen Grammatik betreffen hauptsächlich die in der geschriebenen Sprache beachtete Morphologie und verfolgen den Zweck, eine Annäherung der Orthografie an die Lautung zu erwirken. Es ist daher sachlich nachvollziehbar, dass die Rectifications sich auch Erscheinungen grammatischer Natur annehmen. Das Orthografieabkommen Acordo Ortográfico da Língua Portuguesa der portugiesischsprachigen Länder aus dem Jahr 1990 war politisch motiviert und sollte einer Auseinanderentwicklung des europäischen (EP) und des brasilianischen Portugiesisch (BP) entgegenwirken, also den Erfordernissen einer annähernden Vereinheitlichung entsprechen und zugleich Aussprache und Schrift einander wieder näherbringen. Es ging also um lexikographische, orthografische sowie grammatische Normierungen mit dem Ziel, aktuelle politische, didaktische und linguistische Erfordernisse zu erfüllen. Die erwähnten Orthografiereformen habe ich neben der Planung und Umsetzung auf die zugrundeliegenden Konzepte in den Diskursen (didaktisch, politisch, linguistisch und medial) hin untersucht (siehe hierzu eingehender in Kapitel 3), auf die ich im folgenden Kapitel vertiefter eingehe, um den Gang der Untersuchung zu erläutern. Ausgehend von einem im Vorlauf ermittelten Verständnis über die in meiner Arbeit verwendeten Kernbegriffe „Sprachpolitik“, „Sprachpflege“ und „Sprachkritik“ in den einzelnen Nationen mit Reformvorhaben im Bereich der Orthografie, habe ich zur Analyse grundlegend die von mir untersuchten schriftlichen Erzeugnisse einem hermeneutisch-interpretativen Verfahren unterzogen. Die diskursanalytisch betrachteten Erzeugnisse vor allem aus dem Bereich Presse erlauben in Abhängigkeit von der intendierten Aussage manchmal mehr als eine Interpretation oder Lesart in Bezug auf die Vorgehensweise 35 beabsichtigte Wirkung beim Leser. Eine isolierte Betrachtung der Texte ist in meinem Forschungsrahmen nicht angebracht, da eine sich dort wiederfindende Aussage oder These nicht losgelöst von den geschichtlichen Ereignissen und dem kulturellen Vorverständnis über Sprache und Schrift als Wert oder Gut betrachtet werden kann. In Hinsicht auf einen in meiner Arbeit immer wiederkehrenden Untersuchungsaspekt „Umsetzung eines ermittelten Trends und Sprachgebrauchs“ zur Schreibgebrauchsbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache (siehe hierzu Kapitel 6.2.2) habe ich zudem anhand einer Stichprobe eine empirisch-analytische Datenerhebung vorgenommen, die Aussagen zur gegenwärtigen Forschungslage über den aktuellen Sprachgebrauch in deutschen und schweizerischen Presseerzeugnissen und damit zu dem die allgemeine Öffentlichkeit betreffenden Trend im Schriftsprachgebrauch treffen soll. Ein in meiner Arbeit immer wiederkehrender Konflikt stellt der von Laien wie vermeintlich professionell Schreibenden aus Presse und Verlag nicht immer erkennbare Unterschied zwischen der sog. Schreibnorm (implizite Norm) und der Rechtschreibnorm (explizite Norm) dar (siehe detaillierte Beschreibungen zum Begriff „Orthographie“ von Manfred Kohrt 1990). 3 Hierunter fasse ich die in einem späteren Kapitel (Kapitel 7.3.6 - Hausorthografien) von der Presse oftmals als Vorzugs- oder Präferenzschreibung ausgewiesene hausorthografische Eigenleistung, die in manch einem Fall von der im Regelwerk festgesetzten und den aktuellen bildungspolitischen Ansprüchen entsprechenden Norm abweicht und eben auch nur für die Bereiche Schule und Verwaltung verbindlich ist, aber einer eigenen festgesetzten Norm oder einer älteren Fassung einer vormals amtlich geltenden Norm entspricht. Es ist hier also immer wieder zu differenzieren zwischen systemgerechter und nicht-systemgerechter Schreibung, wobei diese nicht einfach mit richtig und falsch gleichzusetzen sind. Was systemgerecht ist, beschreibt Hundt (2009) als aus dem Sprachgebrauch sich ableitende oder rekonstruierte Regeln. Systemgerecht ist meinem Verständnis nach also eine Norm dann nicht, wenn eine Sprachnormautorität sie festlegt, ohne zu berücksichtigen, was aus dem zu einem Zeitpunkt zu einem orthografischen Sachverhalt ermittelten standardsprachlichen Gebrauch einer allgemeinen Regel ableitbar ist, und dass diese dem natürlichen Sprachempfinden entspricht. Dies hängt zudem von der Metho- 3 Die Anwendung einer subtilen statt einer präzisen Terminologie in diesem Beschreibungskontext ist einer bislang in der Fachliteratur noch nicht ausgereiften Festlegung und Klarheit hinsichtlich der Zugehörigkeit in der Beschreibungsebene geschuldet. „Schreibnorm“ wird ebenso häufig als Äquivalenzbezeichnung für „Rechtschreibnorm“ verwendet wie umgekehrt. Meinem Verständnis nach ist gerade das Unterscheidungsmerkmal „implizit“ vs. „explizit“ der Schlüssel zur Erklärung des Auftretens von Variation, wobei ich mit „implizit“ das nicht ausdrücklich formulierte und systematisch-normierte Regelwissen bezeichne. Grundlagen 36 dik der Ermittlung, der Art der Analyse (Trendanalyse) und der gesellschaftlichen Beachtung ab, also auch von einem ästhetischen Aspekt. Ein weiteres Spannungsfeld, das sich als Ergebnis aus der Analyse der fachlichen und medialen Diskurse herausgebildet hat, bilden die Divergenzen, die sich aus der gemeindeutschen und überregionalen Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung ergeben haben. Diese Divergenzen finden sich zwischen deutschsprachigen Ländern, die ich als nationalsprachenspezifische Variation zum gemeindeutschen Standard bezeichnen möchte (siehe hierzu exemplarisch das Kapitel 4.7.4 über das Verhältnis des „Schweizerhochdeutschen“ zum gemeindeutschen Standard) und den regionalen Varietäten im Verhältnis zur standardsprachlichen Gebrauchsnorm innerhalb einer Sprachgemeinschaft (siehe exemplarisch hierzu im Kapitel 4.7.7 über dialektregionenspezifische Variation im Schriftspracherwerb des Pfälzischen, basierend auf dem Kontrast zwischen Hochlautung und Umgangslautung oder diglossiespezifischen Fehlertypen beim Standarderwerb im Schweizerischen). In der Diskussion um die Neuregelung der Rechtschreibung haben sich, ähnlich wie in Frankreich, traditionelle und neu entstandene Normierungsinstanzen öffentlicher und privater Art am politischen, medialen und fachlichen Diskurs beteiligt, die die Ausrichtung der Inhalte in den Diskursen maßgeblich mitbestimmt haben. Zu den maßgeblichen Akteuren zählen staatliche Institutionen wie die Kultusministerkonferenz und die staatlichen Stellen der beteiligten deutschsprachigen Nationen, nicht-staatliche Einrichtungen wie das Institut für Normungsfragen (DIN), nicht-staatliche, aber vom Bund geförderte Organisationen wie die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung, gesellschaftliche Kräfte wie Sprachvereine und Vereinigungen, Journalisten aus dem Pressewesen, Einzelpersonen aus dem öffentlichen Bereich wie Kultusminister und Ministerpräsidenten, Wissenschaftler und Experten, wie sie im Rat für deutsche Rechtschreibung mitgewirkt haben, und auch Sprachkritiker wie Theodor Ickler. Die maßgeblichen, die Reform ablehnenden Kritiker aus Politik, Fachwelt und den Medien, denen in der Öffentlichkeit Gehör verschafft wurde, zählen z.B. zu den Kreisen gesellschaftlicher Kräfte, wie der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Josef Kraus, die Präsidenten Klaus Reichert und Christian Maier der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung sowie deren Mitglieder Harald Weinrich, Peter Eisenberg, Peter Wapnewski und Günther Drosdowski. Hierzu zähle ich auch die Kritiker aus den Reihen des Verbands der Zeitschriften und Zeitungsverleger, um nur einige aus dem Umfeld gesellschaftlicher Kräfte zu benennen. Aus Literatenkreisen zählten Vorgehensweise 37 Intellektuelle wie Günter Grass sowie Durs Grünbein zu den lautesten Kritikern. Rechtsanwalt Groeschner taucht in der Presse im Zusammenhang mit den Klageverfahren bis zum Bundesverfassungsgericht ebenfalls auf. Aus der Fachwelt gehören hierzu Peter Eisenberg, der oftmals in der FAZ zitiert worden ist, Theodor Ickler und Horst Haider Munske. Aus der Duden- Redaktion haben sich ebenfalls kritische Stimmen zu Wort gemeldet, formuliert durch Günther Drosdowski als Mitglied der Darmstädter Akademie. In der Zwischenstaatlichen Kommission selbst hat es auch Reformkritiker gegeben, zu denen neben Peter Eisenberg und Horst Haider Munske auch das Schweizer Mitglied Werner Hauck gehörte. In der Einleitung habe ich schon auf das übergeordnete Erkenntnisinteresse meiner Arbeit hingewiesen und in diesem Kapitel die Werkzeuge und Mittel benannt, die zur Analyse der Diskurse herangezogen werden. Die Hauptgrundlage für die Auswertung der Diskurstypen bildet die vergleichende Analyse und Eingruppierung der Aussagen sowie der explizit wie implizit formulierten Absichten. Bei der Analyse der Texte innerhalb der unterschiedlichen Diskurse möchte ich, wie schon mehrmals erwähnt, die jeweilige Rolle und die eingenommene Position der einzelnen Kräfte aus Gesellschaft, Medien und Politik bestimmen und zuordnen nach Typen, die sich einer Intention und Motivation zuordnen lassen. Dies ist wichtig, um zu einer strukturellen Einschätzung über die weiterhin im Diskurs befindliche Aufarbeitung des Sinns und Mehrwerts der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu gelangen und die interpretierten Beschreibungen zum Interesse der unterschiedlichen Handlungsfelder aus Politik, Wissenschaft und Medien an dem Gegenstand Sprache und Normierung durch von mir schwerpunktmäßig durchgeführte statistische Auswertungen zu überprüfen. Um nicht nur eine soziokulturell geprägte Perspektive auf den Rechtschreibdiskurs einzunehmen, sondern auch eine linguistische, findet sich als wesentliches Diskurselement in meiner Abhandlung, neben den schon weiter oben genannten Perspektiven soziolinguistischer und pragmalinguistischer Art, immer wieder die systemlinguistische Einordnung eines orthografischen Sachverhaltes. Darauf gehe ich für den deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit den politischen Diskursen in Kapitel 4 näher ein sowie in den Fachdiskursen in Kapitel 6. Die Voraussetzung hierfür bilden Überlegungen zum eigentlichen Verhältnis von Orthografie, Graphematik, Lexik und weiteren Teilbereichen, deren Begrifflichkeiten terminologisch oftmals miteinander vermengt und übergeordnet mit dem Begriff „Grammatik“ gleichgesetzt werden (siehe hierzu Kapitel 3.4, in dem ich auf die Widersprüchlichkeiten der Beschreibungsebenen von Orthografie eingehe und die Grundzüge einer Rechtschreibreform diskutiere und die Schnittstellen des System- und Gebrauchsaspekts einzelner diskutierter Sprachen und Ländergruppen aufzei- Grundlagen 38 ge, die sich durch sprachpflegerische und sprachpolitische Aktivitäten zur Fixierung einer Schriftnorm ausgezeichnet haben). Hieraus ergeben sich die eigentlichen Schwierigkeiten methodischer Art, auf die ich im folgenden Kapitel noch etwas dezidierter eingehe. Der methodische Ansatz für die Behandlung der von mir untersuchten typischen Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung in der Öffentlichkeit, den Medien, dem politischen Parkett und der Fachwissenschaft vereint unterschiedliche Perspektiven aus Sozio-, Text- und Pragmalinguistik sowie systemlinguistische Aspekte auf den Untersuchungsgegenstand. Die Aufarbeitung der typischen Diskurse aus den erwähnten Untersuchungsperspektiven leistet einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der modernen Rechtschreibreformgeschichte und Sprachgebrauchsforschung sowie zu einer gesicherten Einschätzung der gesellschaftlichen und öffentlichen Relevanz des Themas, ist also von soziolinguistischem Interesse geprägt. Hierzu gehören bspw. auch Diskussionen um den Wandel der Diskurse aus der Fachwissenschaft, aus denen hervorgeht, dass bei frühen Versuchen der Ausarbeitung einer Systematik für die Normierung von Schrift und Sprache die Bemühungen um die Neuregelung der Orthografie in verschiedenen Sprachen wie dem Französischen und Spanischen aus dem Gebrauchsaspekt hin entstanden sind, wie der Wertschätzung von Sprache in Politik und Wirtschaft oder der Frage, inwiefern sich Schreiberwie Leserinteressen gegenüber stehen (siehe hierzu Meisenburg 2013) und daher selten nach rational-systemischen Kriterien ausgearbeitet worden sind. Später aber, im weiteren Verlauf der Genese unterschiedlicher Diskurse aus Wissenschaft und Politik, wurden diese angereichert durch systemlinguistische Aspekte als Ergebnis eines Reifeprozesses im Diskurs. Der Einbezug eines systemtheoretischen Aspekts sorgt im Falle der Reformbemühungen um die Rechtschreibung in den von mir untersuchten Sprachen für die Verbindung der Kontexte, die aus dem Gebrauchsaspekt (soziale und gesellschaftliche Gefüge), Lernaspekt und Systemaspekt von Sprache folgen. Wo es möglich ist, werde ich also auch den Wandel in den unterschiedlichen Diskursen nachzeichnen, da sich hieraus ablesen lässt, wie sich diese konstituiert haben (bspw. werde ich die Diskussion in den Diskursen um die Rechtschreibung ab 1996 und nach dem Jahr 2006 nachzeichnen, in dem weitere Änderungen am Regelwerk vorgenommen worden waren). Die eigentliche Interpretationsleistung, die bei der Betrachtung verschiedener Textebenen unter Berücksichtigung der oben erwähnten Perspektiven zu erbringen ist, ist für mein Dafürhalten die Rekonstruktion von Informationen und die Absicht ihrer Übermittlung. Eine Rekonstruktion offenbart, ob mit der Information eine Erwartung oder eine Aufforderung oder die Vermittlung einer Überzeugung einhergeht. Sie erlaubt es, den Diskurs in den Medien und Vorgehensweise 39 dem politischen Umfeld den Fakten aus der Fachwissenschaft gegenüberzustellen, und zeigt, welche Hintergründe und Zusammenhänge überhaupt in den Diskursen aufgenommen und diskutiert worden sind. In der Diskursforschung ist schon erarbeitet worden, welche Mittel und Methoden geeignet sind, um eine Diskursstruktur zu rekonstruieren. Wie bei Wagner (2001) nachzulesen und von Searles „principle of expressivity“ aufgegriffen, lässt sich jede „implizite performative Äußerung“, in meinem Fall jede rekonstruierte Intention, auf eine explizite Äußerung und Aussage zurückführen oder davon ableiten. Ich möchte hierbei nicht alle Begrifflichkeiten der linguistischen Pragmatik im Sinne der klassischen Sprechakttheorie nach Austin (1979) und Searle (1979) aufgreifen (zumal ich in meiner Analyse nicht die klassischen Anwendungsbereiche wie Dialoge auswerte), aber mir einige Klassifikationen zur Beurteilung der Inhalte und der beabsichtigten Aussage und Wirkung zunutze machen. Wie in der Einleitung schon angedeutet, werde ich mich nicht auf mikrostruktureller Ebene, also der isolierten Betrachtung einzelner Wörter und Begriffe, den Inhalten der Texte annähern, sondern makrostrukturell zur Erfassung des gesamten kommunikativen Gehalts anhand von „Handlungsfunktionen“ nach einer Systematisierung von Aussagetypen wie Bericht - Mitteilung - Behauptung - Information etc. Wenngleich ich einzelne Schlüsselwörter immer wieder aufführen werde, die ich in den zugrunde gelegten Texten ausfindig gemacht habe, bette ich diese dennoch in den gesamten sprachlichen Kontext ein. Der kommunikative Gehalt der von mir untersuchten Texte differenziert sich nach deklarierenden Intentionen und Motiven, die sich bspw. in Absichtserklärungen, Gesetzestexten, Verträgen und dem Regelwerk zur Vorstellung der deutschen Rechtschreibung finden, während bei rekonstruierten und impliziten Intentionen das subjektive Wissen und die Meinung um den Sachverhalt aus einer Sprecherperspektive hervorgehen (bspw. in Presseerzeugnissen bewertender Art, Leitfäden mit Hausorthografien, Parlamentarischen Anfragen, Parteiprogrammen, Kommentaren etc.). Ich greife hier noch einmal zurück auf das übergeordnete Erkenntnisinteresse der Arbeit, das darin besteht, aus einem interkulturellen Vergleich über den unterschiedlich bewerteten Mehrwert von orthografischen Reformvorhaben die Rolle der beteiligten Akteure und den Stellenwert von Schriftsprache anhand der Wahrnehmungen aus der Gesellschaft, in der Politik und den Medien zu bemessen und zu erklären, wie und warum der bspw. in der Politik geführte Diskurs um die Einführung der Neuregelung auf eine andere Weise von den Medien aufgenommen wurde. Die Argumentationslinien der Akteure aus den verschiedenen Diskursen zielen auf ein Für oder Wider die Reform der deutschen Rechtschreibung. Argumentationslinien innerhalb der politischen Diskurse nutzen vornehmlich Gebrauchsaspekte von Sprache, um eine Grundlagen 40 Vereinfachung zum Zwecke der erleichterten Zugänglichkeit zu Sprache für die Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler, die Auflösung von Barrieren auf interkultureller Ebene und die Vereinheitlichung mit dem Ziel einer gemeindeutschen Lösung herbeizuführen. Es handelt sich hierbei weniger um systemische Fragen, sondern um didaktische, innenwie außenpolitische Erwägungen, Statusfragen und den Wirkungskreis und die Wertvorstellung von Sprache und deren Pflege (die Gründe für sprachpolitisches Handeln zeige ich ausführlich in Kapitel 3.2 „Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs“ auf). Die Aufarbeitung der Argumentationslinien aus den politischen Fachdiskursen, die ich aus verschiedenen Textsorten wie Pressemitteilungen, Erlässen, Verordnungen, Reaktionen aus Länderumfragen und Anhörungen, Einzelaussagen von politischen Akteuren, Leitfäden für Verwaltung und Schule, Protokollen und Niederschriften zu einschlägigen Sitzungen sowie weiteren Berichterstattungsarten gegenüber der Öffentlichkeit herausgefiltert habe, zeigen eine unterschiedliche Tiefe in der Argumentation. Ich zeige hierbei auf, dass es sich bei den Argumentationsmustern für eine gemeinsame Neuregelung der Rechtschreibung in den meisten Fällen um einen offen ausgetragenen und bewussten Diskurs handelt, in dem sich eine Fehler eingestehende und Kritik aufnehmende Selbstwahrnehmung der politischen Seite widerspiegelt. Viele Diskurse weisen jedoch auch eine verteidigende und abwehrende Haltung gegenüber der aus der Öffentlichkeit, weniger aus der Fachwissenschaft kommenden Kritik auf. Die Argumentationsmuster gegen die Neuregelung der Rechtschreibung reichen von der generellen Ablehnung einer Reform der deutschen Orthografie bis hin zur Unterstellung der zentralen Steuerung und Manipulation der Sprache durch den Rat für deutsche Rechtschreibung als eines von politischer Seite gesteuerten Kreises. Die mit den Vorwürfen verbundene Forderung ist von Seiten der Reformregner eine vollständige Rücknahme der reformierten Schreibung. Insgesamt möchte ich hier aber vorwegnehmen, dass sich anhand des in der Öffentlichkeit ausgetragenen Konflikts um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in den politischen Diskursen kein nennenswerter diskursiver Wandel feststellen lässt. Die Reformgegnerseite wie die Reformbefürworterseite führt im Zusammenhang mit dem gewählten Medium der Informationsübertragung und der damit verbundenen Reichweite die immer gleichlautenden Monita und Forderungen auf. Die aus den wissenschaftlichen Fachdiskursen hervorgehenden Argumentationslinien, die sich aus den Berichten aus den unterschiedlichen Amtsperioden und in Sitzungsprotokollen wie auch Presseerklärungen und Pressemitteilungen ablesen lassen, im Sinne einer befürwortenden Einstellung gegenüber der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, habe ich unter Kapitel 6.2 Vorgehensweise 41 (Der Rat für deutsche Rechtschreibung und seine Arbeitsgruppen) zusammengeführt. In den fachlichen Diskursen geht es nicht um die Frage des Für und Wider einer Rechtschreibreform selbst, da sich die zu Arbeitsgruppen zusammengefundenen Wissenschaftler schon bei der Gründung des Rats allein durch ihre Mitgliedschaft für und im Sinne des Reformvorhabens ausgesprochen haben, sondern um Positionen und Standpunkte hinsichtlich der anzuwendenden Verfahren und Methoden, um die Regeln, die zu einer korrekten Schreibung führen sollen, eindeutig und verstehbar zu machen und den Regelaufbau systematisch und logisch zu gestalten. Die zugrundeliegende Argumentation für den „Eingriff“ in die Sprache ist hierbei die Anpassung des Regelwerks und der Empfehlungen im Sinne einer Entsprechung des Sprachempfindens der Allgemeinheit und der Abbildung des aktuellen allgemeinen Sprachgebrauchs. Die Dokumentation der Arbeiten am Regelwerk in den Berichten dient dabei einer Rechenschaftslegung, die zu der Versachlichung des Themas in der Öffentlichkeit und den Medien beitragen soll. Hier wird auf das oftmals als polemisch zu beschreibende Verhalten und die Reaktion von Reformkritikern eingegangen, indem die Vorschläge in verschiedenen Anhörungen sprachrelevanten Organisationen und Institutionen zur Prüfung und Kommentierung zugänglich gemacht wurden. Diese strategischen Verfahren, zu denen die erwähnten Anhörungen gehören, die zur empirisch-theoretischen Annäherung an Problembereiche der deutschen Rechtschreibung in den Schwerpunkt-Arbeitsgruppen und zur Dokumentation in den Berichten des Rats für deutsche Rechtschreibung zählen, stellen eine Art „innere“ und „äußere“ Qualitätssicherung dar. Zugleich sind sie operative und dispositive Bestandteile des auf Fachebene geführten Diskurses, der dazu dient, dem Druck der Öffentlichkeit gegen die Neuregelung der Rechtschreibung durch eine bewusste und offene empirisch-sachliche Methodik, ein entsprechendes Verfahren sowie Aufklärung beizukommen. Die in den Medien geführten Diskurse im Zusammenhang mit der Rechtschreibreform stellen, anders als in den wissenschaftlichen Fachdiskursen, in denen allenfalls Detailfragen zu Verfahrensweisen, Aufbau und Methodik debattiert werden, Grundsatzfragen um die Sinnhaftigkeit und die Notwendigkeit einer Reform der deutschen Rechtschreibung zur Disposition. Hierbei lässt sich vorwegnehmend auch kein heterogenes Bild in Bezug auf die allgemeine Haltung und Einstellung der Medien zur Rechtschreibreform attestieren. In den Medienberichten, Diskussionsforen, Pressemitteilungen und Berichterstattungen werden prominente Befürworter wie Reformgegner aus unterschiedlichen Institutionen, Verbänden und Organisationen aufgeführt, die ihre Standpunkte offen artikulieren und dabei meist beabsichtigt-bewusst eine Haltung, Meinung oder Einstellung über das Medium Print und Online transportieren. An anderer Stelle in der Einleitung habe ich eine Systematisie- Grundlagen 42 rung der angewandten Strategien für die jeweilige Argumentation in den medialen Diskursen aufgezeigt, anhand derer ich die dominierenden Intentionen und Argumentationsschwerpunkte veranschaulichen kann. Auffallend ist hierbei immer wieder, wie ich darstellen werde, dass die Medien den politischen und fachlichen Diskurs nicht widerspruchslos aufgenommen haben und auf welche Weise sie dazu beitrugen, eine Verschärfung der Lagerbildung herbeigeführt zu haben, in der die Medien aus der Position der von der Reform Betroffenen argumentieren und Distanz zu den vermeintlichen Verursachern und Verantwortlichen aufbauen. Übersicht 43 3. DER SPRACHPOLITISCHE HINTERGRUND ZUR RECHTSCHREIBREFORM 3.1 Übersicht Das folgende Kapitel greift die Diskussion gängiger Konzepte zu Sprachpflege und Sprachpolitik in der Literatur auf, da die Reform der deutschen Rechtschreibung nicht isoliert von den grundsätzlichen Orientierungen von Sprachpflege und Sprachpolitik in einer Sprachgemeinschaft verstanden werden kann. Ich möchte mich den Begriffen im Folgenden noch weiter annähern, da diese zwei immer wiederkehrende Schlüsselbegriffe darstellen, die ich in meiner Arbeit aufgreife und die die von mir untersuchten Diskurse modulieren. Zudem möchte ich darauf eingehen, welche Institutionen und Maßnahmen mit den Termini verbunden werden, und auf das Spannungsfeld der Begriffe zwischen kulturgesellschaftlichen Ansprüchen und politischen Erfordernissen hinweisen. Ich möchte hierbei keine herrschende Meinung über die Begriffe „Sprachpflege“ und „Sprachpolitik“ revidieren oder neu definieren, sondern ich werde die Bedeutung und Auffassung über die Begriffe, ausgehend von meinem für die Arbeit relevanten diskurslinguistischen Interesse, in den Mittelpunkt rücken. Die für die nachfolgenden Kapitel relevante Fragestellung, unter der ich eine Bewertung des Verhältnisses der erwähnten Handlungsfelder vornehme, ist, welche Einflüsse und Entwicklungen in Politik und Gesellschaft auf die gegenwärtigen Reformbestrebungen eingewirkt haben, da eine Rechtschreibreform nicht, salopp gesagt, „im luftleeren Raum“ entsteht, sondern Ergebnis von verschiedenen Wechselwirkungen ist, in denen die Begriffe „Sprachpflege“, „Sprachkritik“ und „Sprachpolitik“ von tragender Bedeutung sind. Wie schon im vorangegangen Kapitel zur Vorgehensweise und Methodik, greife ich die Diskussion gängiger Konzepte in der Fachliteratur auf, um der vorhergenannten Fragestellung nachzugehen, und trage hierbei zu einer Klärung der Konzepte von Sprachpflege und Sprachpolitik bei. 3.2 Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs In der Fachliteratur ist im historischen Überblick der Begriff der Sprachpflege schon eingehend behandelt worden, vornehmlich als politisches Steuerungselement im Zusammenhang mit der Herstellung einer gewissen Sprachkultur Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 44 und eines (nationalen) Sprachbewusstseins. Im Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung (Besch et al. (Hg.) 1984) heißt es hierzu laut Duden (Bd. 6, 1981): Bemühungen und Maßnahmen, die auf Reinerhaltung der Sprache, auf Hebung der Sprech- und Sprachkultur, auf richtigen und guten Sprachgebrauch und „Festlegung, Durchsetzung und Beachtung sprachlicher Normen gerichtet ist“. (Besch et al. (Hg.) 1984, S. 383) In der aktuellen Fassung des Online-Duden (2013) heißt es kurz: Gesamtheit der Maßnahmen, die auf einen normgerechten Sprachgebrauch abzielen; Gesamtheit der Bemühungen um eine Verbesserung der Sprachkenntnisse (b) und einen kultivierten Sprachgebrauch. (www.duden.de/ rechtschrei bung/ Sprachpflege, Stand: 1.3.2017) Zwar lässt sich hinsichtlich der beiden genannten Definitionen kein allumfassender Bedeutungswandel des Begriffes feststellen, aber durchaus eine Abgrenzung zu einer sprachpuristischen Verwendung des Begriffes. In der gegenwärtigen Diskussion ist der Begriff unter einer übereinzelsprachlichen erweiterten Schwerpunktsetzung thematisiert worden wie beispielsweise im Kontext der EU-Erweiterung. Der Begriff der Sprachpflege ist mit Bezug auf die deutsche Rechtschreibung vor allem auf Instrumentarien der Sprachberatung (siehe z.B. in der Hauptseminararbeit von Ribbe 2006) angewandt worden. Auch der Begriff der Sprachpolitik ist schon hinreichend diskutiert worden. Konzise erklärt Hadumod Bußmann den Begriff wie folgt: Politische Maßnahmen, die auf die Einführung, Durchsetzung und Bestimmung der Reichweite von Sprache zielen. (Bußmann 1990, S. 713) Oftmals wird wie bei Braselmann die Sprachpflege dem Sachgebiet Sprachpolitik zugeordnet. Die Sprachpflege ist meines Erachtens aber als eigenständiges Phänomen zu bestimmen. Selbstverständlich bestehen Zusammenhänge mit der Sprachpolitik, weshalb die Abgrenzung nicht immer leichtfällt. In den Ausführungen zu den medialen Diskursen wird auf den Begriff der Sprachpflege öfter zurückzugreifen sein, da das Betreiben von Sprachpflege von manchen Akteuren als genuine Aufgabe des Journalismus angesehen wird (siehe Kurz et al. 2010, S. 322ff.). An dieser Stelle soll kurz dargelegt werden, welche sprachpolitischen und sprachpflegerischen Überlegungen und Diskurse im Zusammenhang mit den Reformbemühungen eine Rolle gespielt haben und welches ihre Akteure waren. Ich greife in diesem Kapitel sprachpolitische und sprachpflegerische Entwicklungen gemeinsam auf, da die sprachpflegerische Auseinandersetzung mit der Rechtschreibreform nur im Kontext der offiziellen Sprachpolitik ver- Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs 45 standen werden kann. Eine Gemeinsamkeit ist zudem, dass Sprachpflege ebenso wie Sprachpolitik dogmatisch und parteilich ist. Damit verbinde ich nicht zugleich Unsachlichkeit, aber Subjektivität im Umgang mit Sprache. Die zentrale Frage, der ich im Zusammenhang mit einem Verständnis über die sprachpolitische Entwicklung in Sachen Reform der deutschen Rechtschreibung nachgehen möchte, ist, ob und welche sprachpolitischen Maßnahmen ergriffen wurden, um das Vorhaben der Reform der deutschen Rechtschreibung zu legitimieren, zu stabilisieren und auf ein breites Fundament zu stellen. Diese Frage möchte ich an dieser Stelle schon mit Ja beantworten. In einem späteren Schritt gehe ich darauf ein, wie die politischen Diskurse zur Erklärung oder Bekanntgabe von Maßnahmen und Vorhaben eingesetzt wurden (siehe ab Kapitel 4). 3.2.1 Sprachpflege und Normierung Im Folgenden gebe ich einen Überblick über Institutionen, Organisationen und Gesellschaften, die sprachpflegerisch, sprachkritisch und sprachpolitisch tätig geworden sind. Ich nehme hinsichtlich der Beschreibung von Einrichtungen neben dem Begriff „sprachpflegerisch“ bewusst auch „sprachkritisch und sprachpolitisch“ mit auf, da sich an meinen nachfolgenden Ausführungen aufzeigen lässt, dass Gegenstände der Sprachpflege in den von mir aufgegriffenen Institutionen je nach Auftrag und Zielsetzung auch immer Aspekte der anderen beiden genannten Begriffe berühren. Im Einzelnen gehe ich auf den Duden-Verlag, private Vereine und Organisationen sowie staatliche Institutionen als Sprachpfleger ein. Normsetzende Einwirkung auf Sprache, deren Ausbau oder Umbau, ist im deutschsprachigen Raum in der Vergangenheit von privatwirtschaftlichen Institutionen wie dem Duden-Verlag vollzogen worden, die sich selbst der Sprachpflege verpflichtet haben. Der Duden-Verlag war, von einem juristischen Standpunkt aus betrachtet, nur der Interpret der amtlichen Regelung von 1901 und war - zumindest bis zum KMK-Beschluss von 1959 - nicht explizit mandatiert. Seine reale Wirkung war natürlich weitaus tiefgreifender. Die Weiterentwicklung der Rechtschreibung und Sprachpflege wird im weiteren Sinne von etlichen Institutionen betrieben wie auch bspw. der Gesellschaft für Deutsche Sprache, die sich, wie sie selbst auf ihrer Homepage (http: / / gfds.de, Stand: 1.3.2017) beschreibt, der Pflege wie auch Erforschung, also der Weiterentwicklung der deutschen Sprache widmet. Durch ihre Mitgliedschaft im Rat für deutsche Rechtschreibung hat sie Anteil an der Erstellung der amtlichen Regelung, so dass sie im Sinne des Auftrags des Rats für deutsche Rechtschreibung an der Weiterentwicklung der deutschen Sprache offiziell beteiligt ist. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 46 In Bezug auf die gegenwärtigen Ereignisse um die Neuregelung von 1996 sind die Eingriffe von politischen Trägern motiviert und aufgegriffen worden. Dass Sprache im Handlungsbereich von staatlichen Trägern liegt, zeigt sich auch anhand der Praxis anderer europäischer Länder wie bspw. anhand der Einführung der gemäßigten Kleinschreibung in Dänemark, dem Ausgleich der Orthografien zwischen den lusophonen Ländern, in denen Portugiesisch Amtssprache ist, oder eben den Reformbemühungen der deutschsprachigen Länder. Dass Sprache auch im deutschsprachigen Raum ein im politischen Handlungsbereich angesiedeltes Thema war, zeigt sich daran, dass das Bedürfnis nach einer Neuregelung der deutschen Rechtschreibung sich an den frühen Beratungen des Themas durch die Kultusministerkonferenz im Jahr 1951 bemisst, nur wenige Jahre nach der Geburtsstunde derselben und nur ein Jahr nach der Gründung der Bundesrepublik, woraus sich auch die politische Bedeutung des Reformvorhabens ergibt. Im Gegensatz etwa zu Frankreich beschränkt sich die staatliche Normierung allerdings auf die Rechtschreibung, das heißt, andere Bereiche der Sprache wie Lexik (abgesehen von amtlichen Fachwortschätzen, etwa des Rechtes und der öffentlichen Verwaltung). Morphologie und Syntax unterliegen keiner staatlichen Regelung. Zum Verständnis über die Wechselwirkung von Sprachpflege und Sprachpolitik sei zusammengefasst, dass die orthografische Normierung als ursprünglich innen- und außenpolitisches Anliegen seit 1901 immer stärker zum Duden-Verlag abgewandert ist; erst mit der Neuregelung von 1996 wurde der Staat wieder direkter Akteur. Neben der sprachpolitischen Bedeutung einer Rechtschreibreform gibt es eine sprachwissenschaftliche Relevanz, die sich aus dem Anliegen, gegenüber den Schreibenlernenden eine Vereinfachung herzustellen, ergibt. Standardisierung und Kodifizierung sind die politischen Maßnahmen, derer sich unsere Sprachpolitik bedient. Der offiziale Eingriff in die Schriftsprache, festgehalten in Form von Regeln und Zielformulierungen innerhalb der Grammatik, Wörterbüchern und Lehrwerken, bildet die bewusste Einflussnahme in den Sprachgebrauch und die aktive Beherrschung der deutschen Schriftsprache, die zur Norm erklärt wird. Schmidlin (2011, S. 30) beschreibt, wer die treibenden Kräfte hinter Standardisierungs- und Standardkodifizierungsmaßnahmen sind, und nennt sie in Anlehnung an Ammon (1995, 2005), Ammon/ Mattheier/ Nelde (Hg.) (2003) und Dovalil (2003) verschiedene Gruppen, die gesellschaftlichen, politischen und medialen Kräften zuzuordnen sind, wie Normautoritäten, Kodifizierern, Modellschreibern (Autoren und Journalisten) und Sprachexperten, die im Idealfall nicht im Konflikt zueinander stehen. Für die Kodifizierung von Sprache gibt es unterschiedliche Gründe. Manchmal dienen Normierung und Standardisierung als Basis einer künftigen Nationalsprache. Beispielhaft führe ich hierfür die Erhebung des Kreoli- Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs 47 schen auf den Kapverdischen Inseln zur língua nacional an, aus der Resolutionen eines Kolloquiums, bestehend aus Vertretern des kapverdischen Kultusministeriums (Direccao Geral da Cultura), hervorgegangen sind, die im Zuge der Standardisierung die Erstellung von Wörterbüchern und Grammatiken und einer einheitlichen Orthografienorm zur Folge hatten (Dahmen (Hg.) 1991, S. 318). Wenngleich am Beispiel der Kapverdischen Inseln eine andere Voraussetzung, nämlich eine Diglossiesituation zwischen dem Kreolischen und dem Portugiesischen, für die Kodifizierung gegeben war, so sind doch ähnliche sprachpolitische Maßnahmen für Schule, Verwaltung, Medien und Verlagswesen ergriffen worden, wie sie auch für andere Reformbewegungen bekannt sind, in denen zum Zwecke der Etablierung einer Nationalsprache oder der Herstellung einer einheitlichen Nationalsprache nach schon erfolgreichem Bestehen politische Einflussnahme ausgeübt wurde. Für die deutschsprachigen Nationen stand hinter den jüngsten Kodifizierungsvorhaben nicht die Absicht, eine völlig neue Norm aufzustellen, sondern vielmehr die Absicht, aufbauend auf der schon vorhandenen, in der Tradition verwurzelten Schriftkultur den Standard gemäß dem aktuellen Sprachgebrauch im Sinne einer die aktuelle Zeit abbildenden Allgemeinverbindlichkeit und Verstetigung von Trendentwicklungen anzupassen. Auf welche Weise die Verstetigungen und die Ermittlung von Trends durch die Institution des Rats für deutsche Rechtschreibung vollzogen wird, ermittle ich in einem nachfolgenden Kapitel über die Arbeit des Rats (siehe ab 6.2). Ich gehe dort auch auf die Schwierigkeiten ein, die sich aus den Erfordernissen der Abbildung des allgemeinen Sprachgebrauchs ergeben, und erläutere in den folgenden Kapiteln anhand der aktuellen Erkenntnisse der Arbeitsgruppen innerhalb des Rats für deutsche Rechtschreibung Trendentwicklungen in der deutschen Sprache und Rechtschreibforschung ausführlicher. Insbesondere Orthografien haben oftmals politische Gründe ihrer Entstehung zur Voraussetzung, wie Coulmas (1985) einleuchtend, aber allgemein gehalten beschrieben hat: Die Neuverschriftung von Sprachen ist in mehrfacher Hinsicht ein Politikum. […] Außerdem ist die konkrete Entwicklung einer Orthografie (nach Nida 1975, S. 228ff.) ein Politikum, da erstens eine bestimmte Varietät als Grundlage für die Verschriftung ausgewählt werden muss, was im Einklang mit der Einstellung der Sprachgemeinschaft zu verschiedenen möglichen Varietäten stehen muss, […]. (ebd., S. 221) Dies betrifft die Binnenverhältnisse einer nach innen gerichteten politischen Anstrengung, während es weiter bei Coulmas (1985) heißt, dass: […] eine Orthografie nicht immer den Wünschen der Betroffenen entspricht, da die Hervorhebung von Eigenheiten denen häufiger wichtiger erscheint als Gemeinsamkeiten mit dem Nachbarn. (ebd., S. 221) Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 48 Was auf die nach außen gerichteten, also zwischenstaatlichen oder zwischen verschiedenen Sprachgemeinschaften bestehenden Verhältnisse abstellt. Abbildung 1 soll zwei Ausrichtungen, auf die Sprachpolitik abzielt, verdeutlichen und die sie bedingenden, von innen und außen wirkenden Faktoren aufführen, die auf Korpus und Status Einfluss haben: Sprachplanung/ Sprachpolitik in Reaktion auf gesell./ kultur./ polit. Sprachbedürfnisse eine auf Sprachveränderung gerichtete Sprachpolitik eine auf Spracherhalt gerichtete Sprachpolitik exter-normativ intus-normativ exter-normativ intus-normativ importiert normativ: Orientierung an (system)-externen Bezugsnorm von Schrift und Aussprache Vitalität durch Gebrauch Leitvarietät Beseitigung von Synkratismen; vereinheitlichende Regeldarstellung; veränderte Wertigkeit sprachtypologischer Prinzipien gegen lexik. Fremdeinflüsse partielle Angleichung von Graphie & Aussprache Vereinfachungen traditionelle Orthografie Etablierung von Normautoritäten & zentrale Steuerung; sprachliche Autonomie; Loyalität gegenüber regionalen Standards soziale Kriterien: wenig Vitalität Prestigevarietät Einfluss auf: Status Korpus Korpus Status →-Bsp.: Bemühung um eine gemeinsame Rechtschreibung dt.-sprachiger Länder oder portug.-sprachiger Länder →-Bsp.: Bemühung um eine gemäßigte Reform in Frankreich oder Norwegen Abb. 1: Sprachplanung/ Sprachpolitik in Reaktion auf gesell./ kultur./ polit. Sprachbedürfnisse Die Darstellung ist stark vereinfacht und führt nicht alle Erkenntnisse sprachpolitischer Forschung auf. Sie soll nur einen Einblick in unterschiedliche Orientierungen und Sprachverhältnisse geben, darin, wie Prinzipien wirken, und aufzeigen, welche Leitideen damit verbunden sind. Ähnlich wie in den gängigen Sprachwandeltheorien (bspw. Keller 1994) lässt sich in Sachen Normierung bei Sprachen, insbesondere deren Rechtschreibung, in den von mir begutachteten europäischen Ländern nicht nur von einem selbstgesteuerten evolutiven Prozess sprechen, sondern zusätzlich auch von einem extrinsischen normgesteuerten Vorgang. Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs 49 3.2.2 Sprachpflege und Politik Im Vorlauf zur Auseinandersetzung mit Sprachpflege und dem Handlungsfeld Politik sei noch einmal erwähnt, dass Sprachpflege von Sprachpolitik begrifflich zu unterscheiden ist. Der wesentliche Unterschied liegt weniger in dem genuinen Bedeutungsunterschied der beiden Begriffe als vielmehr in der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung. Während Sprachpolitik auf das staatliche Handeln und die offiziell initiierten Maßnahmen referiert, die die Rahmenbedingungen für sprachliches Handeln einer Sprachgemeinschaft setzen, umfasst die Sprachpflege insgesamt alle institutionellen Bemühungen um den bewussten Umgang mit der deutschen Sprache. Da es in verschiedenen Ländern auch staatlich finanzierte Sprachpflege gibt (bspw. das Forschungszentrum für Landessprachen in Finnland oder die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung), kann das alleinige Abgrenzungskriterium nicht sein, dass Maßnahmen von staatlicher oder privater Seite ausgehen. Sprachpflege und Sprachpolitik stehen in einem sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnis und bedingen sich in ihrer Ausrichtung gegenseitig, was ich im nachfolgenden Kapitel anhand einiger Beispiele noch einmal exemplifizieren kann (Kapitel 3.2.3). Nachfolgend soll eine eher oberflächliche Online-Stichprobe zeigen, in welchem Kontext die Begriffe „Sprachpflege“ und „Sprachpolitik“ zusammen erscheinen. Bspw. werden am Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Würzburg 4 die Bezeichnungen „Sprachpflege, Sprachdiskussion und Sprachpolitik“ zusammengeführt, woraus sich aktuelle gemeinsame Aufgabenstellungen und die beteiligten Institutionen ablesen lassen. Der Bund für deutsche Sprache und Schrift, das Bundessprachenamt, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, die Gesellschaft für deutsche Sprache, das Goethe-Institut, der Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege und auch die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ sind Einrichtungen und Institutionen, die sich in den Bereich der Sprachpflege einordnen lassen. Das Institut für Deutsche Sprache (IDS) führte unter dem Projekt „Erkundung und Analyse aktueller Spracheinstellungen in Deutschland“ im Zusammenhang mit der Entwicklung von Messinstrumenten zur Ermittlung von Anschauungen der deutschen Bevölkerung Erkenntnisse über das gegenwärtige Verständnis von Sprachpflege auf. Im sprachwissenschaftlichen Lexikon von Hadumod Bußmann (2002) wird Sprachpflege als eine Form der Sprachlenkung beschrieben, als beratende „Bemühung“ um die Verbesserung des Sprachgebrauchs (nach Greule/ Ahlvers-Liebel 1986). Die moderate Sprachpflege beruhe auf funktionalen, sozialen, ästhetisch-kulturkritischen, aber eben auch auf politischen Kriterien (z.B. Durchsetzung eines bestimmten poli- 4 www.germanistik.uni-wuerzburg.de/ lehrstuehle/ lehrstuhl_fuer_deutsche_sprachwissen schaft/ studium/ linksammlung/ sprachpflege_sprachdiskussion_sprachpolitik (Stand: 26.5.2016). Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 50 tischen Interesses), die pragmatischen Zielen wie Effektivität und Vereinfachung folgen. Im Falle des Französischen würde ich in Bezug auf den Umgang mit Sprache nationalistische Ziele z.B. zur Erhaltung einer kollektiven Identität und des Prestiges der Sprache unterstellen. Um den Begriff und seine Abgrenzung auf ein praktisches Beispiel anzuwenden, heißt es dort weiter: Die Sprachpflege ist in Frankreich staatlich institutionalisiert (Académie francaise), in Deutschland gehören Sprachpflege und Sprachberatung zum Tätigkeitsfeld des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, der Redaktion des Dudens am Bibliographischen Institut und der Gesellschaft für deutsche Sprache […]. (Bußmann 2002, S. 628) Sprachpflege kann indirekt, aber auch durch ein auf politischer Ebene angesiedeltes Verfahren wie die Bildung eines Gremiums, bspw. die Einrichtung der Zwischenstaatlichen Kommission als Nachfolger des Internationalen Arbeitskreises, betrieben werden, da damit auf die Sicherstellung der zukünftigen Pflege der deutschen Rechtschreibung hingewirkt werden sollte. Sprachpflege auf der Ausdrucksseite findet sich wieder als Reaktion auf einen politischen und öffentlich kundgegebenen Sachverhalt. Das Institut für Deutsche Sprache als sprachpflegerische und vom Bund und Land BW geförderte Einrichtung hat im Jahr 1973 eine Stellungnahme verfasst, in der es sich eindeutig zu den Änderungen im Sinne der Wiesbadener Empfehlungen von 1958 bekannt hat, also für eine liberalisierte Regelung der Zeichensetzung, der Fremdwortschreibung und vor allem für die Einführung der gemäßigten Kleinschreibung, da das Institut sich einer international üblichen Handhabung bei der Groß- und Kleinschreibung anschließt. Derlei Bekenntnisse in Form von Stellungnahmen zeigen eingängig auf, in welche Richtung und auf welche Weise sich gesellschaftliche Kräfte in Sachen Rechtschreibreform engagiert haben und dass diese nicht immer eine eigene, von der politischen Ebene abgewandte Richtung eingenommen hat. Der Begriff „Sprachpolitik“ wird in dem Bußmann-Lexikon NICHT aufgeführt, jedoch finden sich bei dem Begriff der „Sprachplanung“ verschiedene Aspekte, die unter die Kategorie der Sprachpolitik fallen, da Eingriffe, bspw. in die Entwicklung standardsprachlicher Normen, nicht ohne sprachpolitische und eben sprachplanerische oder sprachregulative Anstöße initiiert werden. Dass diese Begriffe nicht mit der gleichen Beachtung in der Fachliteratur erscheinen oder klare Bedeutungsunterscheidungen und Begriffs-Trennmöglichkeiten kenntlich gemacht werden, liegt zum einen daran, dass diese Begriffe in Wechselbeziehung zueinander stehen, und zum anderen daran, dass der Sprachpolitik als eigenständiges politisches Feld zu wenig Bedeutung beigemessen worden ist. Der Begriff ist nach Calvet (1996) zudem in seiner Bedeutung von den verschiedenen fremdsprachlichen Philologien unterschiedlich behandelt worden: Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs 51 […] d’autres appellations sont apparues: amenagement linguistique au Quebec, normalisation en Catalogne, avec chaque fois des effets de sens particuliers et d’importance inégale. (ebd., S. 7) Und hat entweder etwas mit der Frage politischer Entscheidungen oder mit der Balancierung von Kräfteverhältnissen zwischen gesellschaftlichen Kräften zu tun und damit, dass ihr eine genaue Beschreibung und Reflexion der Sprache und Schrift vorausgeht: Sur tous ces points, on voit que la planification linguistique passe d’abord par une description précise de la langue, puis par une réflexion sur ce qu’on attend d’un systeme d’écriture. (ebd., S. 46) Sprachplanung findet dann Ausdruck durch eine bewusste Entscheidung für z.B. Ordnungsprinzipien der unterschiedlichen Sprachbereiche, Anpassungen im Wortschatz und anderen Maßnahmen, um den Bedürfnissen des Nutzers oder anderen Interessen entgegenzukommen. Seit der Rechtschreib-Debatte ist jedoch klar, wie sehr in der Bevölkerung, da die Entscheidung über eine veränderte amtliche Regelung keine gemeinschaftliche ist, das Bedürfnis nach einer zielorientierten und einvernehmlichen Sprachpolitik erwachsen ist, die zu einer einheitlichen Regelung führte. 3.2.3 Motive für sprachpolitisches Handeln Im nachfolgenden Kapitel führe ich die maßgeblichen Gründe für sprachpolitisches Handeln auf. Da der Ausgangspunkt zur Beschreibung von Sprache immer einen systemischen Aspekt und einen Gebrauchsaspekt enthält, habe ich die Beweggründe für sprachpolitisches Handeln thematisch im nachfolgenden Kapitel genauer aufgeführt. An dieser Stelle greife ich den Gebrauchsaspekt auf, weil dessen Funktion in sprachpolitischen Diskursen zur Erklärung von Änderungen an der deutschen Rechtschreibung von Bedeutung ist. Vorweg sei dazu erwähnt, dass Sprachpolitik mit innenpolitischen Maßnahmen wie bspw. der Verteidigung der Nationalsprache, 5 mit außenpolitischen Maßnahmen, die der Förderung des interkulturellen Dialogs dienen, also den Status der deutschen Sprache im Ausland als Bildungs- und Wissenschaftssprache betreffen (und auch in den Teilbereich Sprachenpolitik einfließen), assoziiert wird. 6 5 Beispielhaft führe ich hier Schweden auf, das nach Boyd (2006) versucht, Schwedisch neben der englischen Sprache in unterschiedlichen Domänen des Alltags und der Wissenschaft zu erhalten. 6 Hierzu gehört, dass bspw. im Bereich der Fremdwortschreibung fremdsprachliches Wortgut nicht konsequent in die deutsche Lautung überführt wird. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 52 Der Gebrauchsaspekt leitet sich nicht nur aus der Verwendung innerhalb einer Sprechergemeinschaft ab, sondern auch aus der Verwendung der deutschen Sprache im gesamteuropäischen Kontext. Im plurilingualen Europa lässt sich über den Gebrauchsaspekt einer Sprache am ehesten eine Aussage treffen, wenn man sich nicht nur den quantitativen Gebrauch, gemessen an den Sprecherzahlen, vor Augen führt, sondern auch institutionell die Bedeutung und die Stellung der Sprache in den Gremien und Organen der EU abliest. Das Deutsche ist seit 1958 Amtssprache im Europäischen Parlament und bildet die größte Sprachengemeinschaft in der EU. Dennoch haben sich in der Praxis die europäischen Institutionen auf die Arbeitssprachen Englisch und Französisch verständigt, was in Teilen noch aus historischem Anlass zum Aufbrechen der machtpolitischen Stellung Deutschlands im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg begründet liegt. Ammon (1991, S. 52-85) beschreibt einleuchtend, warum Deutsch weder als Sprache der Diplomatie noch als internationale Wissenschaftssprache eine Vormacht (ebd., S. 256ff.) durchsetzen konnte. Der Gebrauch der deutschen Sprache in der Wissenschaft wird in jüngerer Zeit stark beeinflusst durch neuartige Studienstrukturen, wie sie im Zuge des Bologna-Prozesses eingeführt worden sind. Das Deutsche als vormalig dominante Sprache in der deutschen Wissenschaftslandschaft ist hier vor die Aufgabe gestellt, sich nicht den Rang ablaufen zu lassen. Ein Artikel in Die Welt vom 1.9.2013 mit dem Titel „Warum lernen die Franzosen kein Deutsch mehr“ gibt Aufschluss über den Rang der deutschen Sprache als zweite oder dritte Fremdsprache in Europa und die Herausforderungen, vor die sie gestellt ist. Das Deutsche als vormalige Elitesprache ist durch das Englische abgelöst worden und wird nun weiter verdrängt, so heißt es in dem Artikel. An dessen Stelle tritt beispielsweise das Spanische, aber laut einem weiteren Artikel in Die Welt vom 10.3.2010 mit dem Titel „Warum die deutsche Sprache überleben wird“ wird das Deutsche in Zukunft durch ein Globalesisch, ein reduziertes Englisch, ersetzt, das in der Funktion unserer Hochsprache auftritt. Zur Abgrenzung und zur Wahrung einer deutschen Identität wird zudem der Rückzug in den Dialekt prophezeit, angelehnt an Schweizer Verhältnisse. So alarmierend wie die Presse die Rolle des Deutschen in der Welt und in Europa und das Vordringen hybrider Mischformen von Sprachen im Kontext der globalen Kommunikation beschreibt, so sehr relativiert Ammon (1991) die anstehende Entwicklung. Zwar beschreibt er den weiteren Ausbau des deutschen Wortschatzes durch englische Termini und den allmählichen Abbau deutscher Fachbegriffe durch englische Termini, dies ist aber keine neue Entwicklung, denn der deutsche Fachwortschatz war schon in früherer Zeit durch französische, lateinische und griechische Begriffe angereichert und bereichert worden. Es gibt also viele Aspekte, die einen Einfluss auf den Ge- Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs 53 brauch einer Sprache im übergeordneten Kontext haben. Politische Erwägungen bestimmen hierbei oftmals die Verwendung einer Sprache oberhalb einer Sprechergemeinschaft, während systemische Aspekte meist innerhalb einer Sprechergemeinschaft den Gebrauch beeinflussen. Aber nicht nur systemische, sondern auch extrinsisch von außen wirkende Mechanismen wie auch didaktische Erwägungen gibt es, die dem Zwecke dienen sollen, den Zugang zu einer Sprache für Neu- und Umlerner zu erleichtern. Sprachpolitik ist ein in der Fachwissenschaft mittlerweile abgrenzbarer Terminus geworden, der dennoch eine Teilmenge und Schnittstelle zu anderen Disziplinen bildet. Einen Exkurs über das aktuelle Verständnis zur Sprachpolitik im Parteiensystem der Bundesrepublik hat die Zeitschrift Deutsche Sprachwelt vom September 2013 mittels eines Vergleichs der Parteiprogramme zur Bundestagswahl gegeben. Sie fasst zusammen, welche Forderungen und zentralen Aussagen die Parteien zum Thema „Sprachpolitik“ aufgestellt haben, und kommt zu dem Schluss, dass die meisten Parteien die Stärkung der deutschen Sprache in Wissenschaft und auf dem internationalen politischen Parkett anstreben und einen erleichterten Zugang zum Komplex deutsche Sprache mittels Vereinfachung fordern. Insgesamt zeigt die Studie den aktuellen Trend sprachpolitischer Bewegungen, aber auch, dass Begriffe wie „Sprachpflege“, „Sprachenpolitik“ und „Sprachpolitik“ nicht ausreichend auseinandergehalten werden, was der kurze Passus über die Ergebnisse der CDU/ CSU wie folgt verdeutlichen soll: CDU und CSU bekennen sich als einzige Parteien ausdrücklich zur Sprachpflege. Die Union lehnt zum Beispiel unnötige Anglizismen ab. Allerdings wollen CDU und CSU Englisch als Wissenschaftssprache fördern. […]. (Deutsche Sprachwelt „Parteien zur Sprachpolitik Bundestagswahl 2013“, S. 2; http: / / deutschesprachwelt.de/ archiv/ Bundestagswahl_2013.pdf, Stand: 10.11.2017) Einer der Gründe, warum der Begriff der Sprachpolitik mit Vorurteilen behaftet ist und die Bemühungen um eine gezielte Sprachpolitik absichtlich einem gewissen repressiven Wirkungskreis attestiert worden sein könnten, ist eine gewisse Befürchtung, es könnte zu einem erneuten Missbrauch von Sprache durch politische Kräfte kommen, der in der deutschen Geschichte zur Verbreitung und Propaganda totalitärer Ideologien angewendet wurde. Sprachpolitik wurde in diesem Kontext nicht zur Widerspiegelung und zum Ausdruck aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse (vgl. hierzu Bochmann (Hg.) 1993) genutzt, sondern manipulativ eingesetzt. So konnten keine Stützen und rechtlichen Grundlagen zur Sprachnormierung und Sprachpflege aufgebaut werden wie in Frankreich oder in Spanien 1983, wo die katalanische Regierung eine spezielle Verwaltungsbehörde zur Umsetzung der Gesetzgebung im Bereich Sprachpolitik geschaffen hatte (siehe hierzu Gergen 2000). Es ist also anzumerken, dass eine verbindliche amtliche Festlegung und Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 54 Neuregelung der Orthografie durch die öffentliche Hand ein erster Selbstbewusstseinsakt in Sachen Sprachpolitik gewesen ist. In Bezug auf Sprachplanung sind in der Literatur oftmals Bemühungen um die Veränderungen des Status einer Sprache und um die Kodifizierung von Sprache durch Normsetzung voneinander separiert worden (vgl. die Ausführungen bei Haarmann 1988) und werden oftmals in Zusammenhang mit dem nach außen gerichteten Begriff der Sprachenpolitik verstanden. Sprachstatus bezieht sich auf eine Art gesellschaftliche, kulturelle und politische Wertvorstellung, oder anders mit dem sprachwissenschaftlichen Terminus Valenz ausgedrückt, auf eine Sprache, der im positiven Fall ein Status als Nationalsprache oder Amtssprache zugesprochen wird. Sprachkorpusplanung bezieht sich auf die Systematik und Form einer Sprache und ihrer staatlichen Regulierung. Ich denke, dass in Bezug auf die Rechtschreibreform die beiden letztgenannten Begriffe nicht voneinander zu trennen sind, da die Veränderung der Struktur einer Sprache ohne die Frage nach dem „Warum“ und „Auf welche Weise“ für eine Kodifizierung nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann. Die letztgenannten Fragen stellen sich vornehmlich dann, wenn es um den Stellenwert oder Status einer Sprache im Sinne ihrer veränderten politischen und soziokulturellen Ausprägung geht, wie z.B. bei Vereinheitlichungsbestrebungen. Ich möchte abschließend noch einmal festhalten, dass Sprachpolitik und Sprachpflege im deutschen Sprachraum bislang unterschiedlich geprägt gewesen sind und per definitionem bewusst auseinandergehalten worden sind. Im Kern liegt dem Begriff „Sprachpflege“ der theoretische Grundsatz des Schutzes der Sprache vor fremden Einflüssen, der Schutz der persönlichen Identität zugrunde (siehe hierzu auch Ager 1996, 2001), so wie es auch aus der französischen Sprachpraxis bekannt ist. Sprachpflege findet, wie treffend bei Gerhard Stickel (2007) beschrieben, Ausdruck in: Loyalität gegenüber der eigenen Sprache, Bemühungen um ihren Schutz und ihre Weiterentwicklung sind nicht in allen Sprachgemeinschaften gleich stark ausgeprägt. (ebd., S. 30) Weiter formuliert er für das Deutsche: Die Reaktionen der Deutschen auf gesteuerte und ungesteuerte Änderungen ihrer Sprache sind bisher noch relativ moderat im Vergleich zu den Schutzbemühungen etwa der Franzosen, Polen oder auch kleinerer Sprachgruppen. (ebd.) Auf die im deutschen Sprachraum vollzogenen Rechtschreibreformbemühungen bezogen, kommt dem Begriff „Sprachpflege“ meiner Ansicht nach eine bedeutungserweiternde Funktion zu, wie bei Munske (1997) beschrieben: Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe im politischen Diskurs 55 Herstellung eines sicheren Instruments sprachlicher Verständigung, Wissensvermittlung und im weitesten Sinne kultureller Reflexion. (ebd., S. 2) Die sprachpolitische Leistung, was nicht nur aus den politischen Diskursen abzuleiten ist, ist hierbei eine staatlich institutionalisierte, nämlich die Weichen z.B. durch gesetzgeberische Maßnahmen zu stellen und auch ideologische Ziele wie z.B. die Stärkung des Bewusstseins durch schriftsprachliche Vereinheitlichung zu schaffen. Methodisch gibt es im Übrigen noch keine allgemeingültigen Modelle, die Sprachpolitik in allen Facetten erfassen. Eine Reflexion und der Vergleich verschiedener Sprachpolitiken bieten die Möglichkeit, diese als technisches Moment und Instrumentarium wie auch als Objekt gemeinschaftlicher Anstrengungen zu sehen. Um den Akt der Rechtschreibreform noch einmal in den Wirkungsbereich der Sprachpolitik zu rücken, möchte ich den Schlussvortrag „Braucht Deutschland eine bewusstere, kohäsive Sprachenpolitik? “ 7 zu einem Expertengespräch (September 2006, Bonn) von Gerhard Leitner erwähnen, in dem Vertretern aus Wissenschaft und Schreibpraxis zusammenkamen und in dem die aktuellen Bedürfnisse und Forderungen an eine bewusste Sprachpolitik in Deutschland aufgeworfen wurden. Hierzu gehört, sprachaußen- und innenpolitisch gesehen, die Beachtung des demografischen Wandels im Kontext der europäischen Sprachenpolitik, das Bewusstwerden darüber, Medien und Wirtschaft in ihrer Rolle als Multiplikatoren und Förderer wahrzunehmen, und eine dem aktuellen Geist der aktuellen europapolitischen Situation an eine barrierenüberwindende und majoritätenbildende kodifizierte Schriftsprache, die für formelle Situationen verbindlich ist und von Sprachgemeinschaften, die gemeinsam wirken, als vorbildlich angesehen wird. Es stellt sich die Frage, ob die Rechtschreibreform, bei der der sprachpolitische Rahmen anders akzentuiert worden ist als bei anderen Nationen in Europa, da die Zuständigkeiten bei den Ländern liegen, den aktuellen Anforderungen einer zeitgemäßen Sprachpolitik gerecht geworden und an welche Relevanzkriterien sie gebunden ist. Der Anspruch an eine gelungene Rechtschreibreform kommt meines Erachtens dem Wunsch nach der Verstetigung ihrer Vereinheitlichung und Systematisierung entgegen, einer einfachen Handhabbarkeit der Regeln und der Wiedergabe des tatsächlichen Sprach- und Schreibgebrauchs gemäß den Ausführungen von Konrad Duden aus dem Jahr 1872, […] und dieses verlangt nichts weiter von der Schrift, als dass sie genau, und dass sie leicht zu handhaben ist. (Duden 1872, S. 9) 7 Der Vortrag wurde auch als Diskussionspapier in der Ausgabe 11/ 2007 von der Alexandervon-Humboldt-Stiftung veröffentlicht. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 56 Sein Anliegen war, kurz gesagt, neben der Vereinheitlichung auch eine Vereinfachung der Rechtschreibung vorzunehmen. Der in der Öffentlichkeit propagierte Umgang der gesellschaftlichen Kräfte mit der französischen Sprache unterliegt anderen Relevanzkriterien als z.B. denjenigen, die für den Bildungsbereich gelten. Die institutionellen Veränderungen im französischen Forschungssystem sind nach dem Shanghai-Ranking von 2003 schnell vollzogen und tiefgreifend gewesen, was eine sofortige Anpassung an internationale Standards und die Umsetzung des Bologna-Prozesses zur Folge hatte. So wie die Académie française unter einem erkennbaren Label der Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache agiert, wurde das Hochschulsystem neu installiert, indem verschiedene Interessen ausbalanciert wurden. Die Zielsetzungen sind selbstverständlich unterschiedliche gewesen, dennoch sind die außenpolitischen Zwecke vergleichbar mit denen in den deutschsprachigen Ländern für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Das Kapitel hatte zum Inhalt, die sprachpflegerischen Forderungen und Bemühungen gesellschaftlicher Kräfte sowie die sprachpolitischen Vorstöße und Erwägungen im Zusammenhang mit Rechtschreibreformen unter Berücksichtigung der für die einzelnen hier aufgegriffenen länderspezifischen, sprachhistorischen und sprachkulturellen Aspekte in Bezug auf die Identität von Sprachen sowie die Stellung der jeweiligen Sprache im europäischen und internationalen Kontext unter dem Aspekt der gängigen Konzepte von Sprachpflege und Sprachpolitik zu betrachten. 3.3 Sprachpflege und Sprachpolitik im politischen Diskurs - Voraussetzung einer Kultivierung von Sprache Sprachkultivierung ist in demokratischen Gesellschaften auf Öffentlichkeit angewiesen, hinsichtlich ihrer Tätigkeit überhaupt und in Bezug auf ihre praktische Umsetzung. (Greule/ Lebsanft 1998, S. 10) Das Zitat gibt einen ersten Anhaltspunkt über eine der meines Erachtens wichtigsten Voraussetzungen zur Beschreibung gegenwartssprachlicher Sprachpflege und Grundlagen für die Ausprägung und Durchsetzung des Sprachbewusstseins, die Erforschung der Geschichte des europäischen Sprachbewusstseins und die nationalen Normenverständnisse, ob amtlich verordnet oder durch andere gesellschaftliche Kräfte geprägt und aktiviert. Damit meine ich, dass Sprache, ob auf der schriftlichen oder mündlichen Ausdrucksseite, von dem öffentlichen Gebrauch nicht unberührt bleibt und der Erfolg einer Neuregelung auch immer von der Durchsetzung im gemeinschaftlichen Gebrauch abhängt. In diesem einleitenden Kapitel möchte ich erläuternd zum nachfolgenden Kapitel über die Grundzüge und Grundlagen der deutschen Rechtschreibung verdeutlichen, wie der System- und Ge- Sprachpflege und Sprachpolitik im politischen Diskurs 57 brauchsaspekt bei der Erarbeitung von Vorschlägen für Schreibungen und Anpassungen von amtlichen Regelungen zusammenwirken und wie neben den sprachtheoretischen Gesichtspunkten auch von außen einwirkende sprachpflegerische und sprachkulturelle Aspekte eine Rolle spielen. Dies lässt sich im Sinne einer Orientierung an einem für eine Kulturnation gesetzten Maßstab für „gutes Deutsch“ verstehen, was sich bspw. in der Handhabung der Integration von Fremdwörtern, der Behandlung von Neologismen und anderen Teilbereichen von Sprache niederschlägt. 8 Einzubeziehen sind dabei die Aktivitäten von gesellschaftlichen wie auch staatlichen Akteuren und Entscheidungsträgern, die nach Utz Maas folgende Rolle und folgenden Gegenstandsbereich einnehmen: Die gesellschaftlichen Agenturen, also die staatliche Verwaltung, haben in diesem Prozess eine Schlüsselrolle, ohne aber dass der Prozess auf ihre Aktivitäten reduziert werden könne. (Maas 1989, S. 359) Sprachpolitik versteht er also als Symptom von gesamtgemeinschaftlichen und offiziellen Verhältnissen von höherer Stelle. Diese Aussage zeigt meines Erachtens deutlich, dass Objekte der Sprachplanung, wie Korpus (intrinsisch) und Status (extrinsisch), durch politische Entscheidungen den bewussten Versuch darstellen, in Sprache einzugreifen. Die Leitfragen von Sprachplanung, also welche Institutionen und Organe Einfluss auf den Sprachgebrauch nehmen, welche sozial-kulturellen und politischen Kräfteverhältnisse austariert werden und welche Prinzipien und linguistischen Kriterien für eine bspw. Neuaufstellung der strukturellen Eigenschaften zu Grunde gelegt werden, sind Fragen, die sich durch die Sprachwissenschaft nicht allein beantworten lassen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die Begrifflichkeiten exo-normativ sowie endo-normativ anbringen, da sich im Laufe meiner Diskussion immer wieder die Frage stellen wird, ob eine Norm von außen gesetzt und anerkannt wird, wie im Beispiel des Tok Pisin in Papua Neuguinea und dem Englischen, oder ob eine Norm innerhalb einer Sprachgemeinschaft innengeleitet ist, wie im Beispiel des Französischen und auch Deutschen. Die unterschiedlichen Konfigurationen verschiedener Sprachnationen in Bezug auf Ausprägung, Implementierung und Umsetzung der verschriftlichten Standardsprache zeigen auf, wie das Verhältnis von Sprache, Staat und Gesellschaft zu begreifen ist und dass Kodifizierung und Normierung von Aussprache und Schrift einen Effekt auf soziale Vorgänge wie Sprachwandel haben (z.B. kanalisierend/ verlangsamend vs. forcierend/ beschleunigend), da sich neue, auf das System 8 Eine ähnliche Relation beschreibt de Saussure (1967) in Bezug auf den theoretischen Hintergrund zum systemischen Aspekt, der auf eine syntagmatische und paradigmatische Relation (Zusammensetzung der Elemente im Verhältnis der Elemente zueinander) zurückgeführt wird. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 58 wirkende Gesetzmäßigkeiten, bedingt durch die Vitalität des Gebrauchs in der Sprachgemeinschaft oder mit Hilfe von Institutionen, entweder durchsetzen können oder nicht. Mit den aus dem folgenden Kapitel gewonnenen Erkenntnissen zu den zugrunde gelegten orthografischen Prinzipien in unserem Sprachsystem werde ich in einem nachfolgenden Großkapitel (ab Kapitel 9) der Frage nachgehen, wie außersprachliche Faktoren wie bspw. aktuell und historisch bedingte politisch-gesellschaftliche, einschlägige Ereignisse die deutsche Rechtschreibreform beeinflusst haben. Hierzu werde ich aus Perspektive der Medien, die vornehmlich aus den Printmedien in verschiedenen europäischen Nationen hervorgehen, aber auch anhand einer Auswahl von Dokumenten aus den politischen Diskursen, wie Stellungnahmen und Protokollen staatlicher Akteure, die im Zusammenhang mit den Reformvorhaben stehen, bewerten, welche Reform(aus)richtung die Akteure in den unterschiedlichen Handlungsfeldern eingenommen haben. Aus der Verarbeitung einzelner Sachverhalte in der jeweiligen Berichterstattung der Medien lässt sich zudem ablesen, dass gerade die Aspekte, die eine sachliche Darlegung der Reaktionen aus Politik und Wissenschaft zur Folge gehabt hätten, nicht medienwirksam platziert wurden. Die maßgeblichen Kritiker, die sich in den Medien Gehör verschafft haben, habe ich im Kapitel 2.4 im Einzelnen benannt. Deren Stellungnahmen und Haltungen werde ich im Verlauf meiner Ausführungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Medium aufführen. Eine Studienarbeit von Katrin Weisenburger (2003) hat sich ebenfalls mit dem Presseecho der Reform in verschiedenen Perioden der Umsetzung beschäftigt. Im Unterschied zu dieser vornehmlich medienpolitisch ausgerichteten Arbeit möchte ich die bei mir dargestellten Inhalte und Meinungen mit den gegenwärtigen politischen Ereignissen konfrontiert darstellen und die im aktuellen politischen Diskurs befindliche problempolitische Perspektive auf eine forcierte Normorientierung reflektieren. Die damit verbundenen außer- und innersprachlichen Faktoren haben die spezifische Entwicklung in Umgang und Behandlung mit dem veränderten normativen schriftsprachlichen Gebrauch in den Medien wie auf dem politischen Parkett bestimmt. Die zu beschreibenden Ereignisse sind nicht immer einfach zu kontextualisieren. Es können nicht alle in die Kritik geratenen Punkte aufgegriffen werden, die seit der Reformdebatte aufgeworfen worden sind, da auch nicht alle Kritikarten, ob konstruktiv oder destruktiv, nationales und internationales Gehör gefunden haben. Auch kann es mir nicht in aller Vollständigkeit gelingen, methodisch die in den Artikeln erwähnten Aspekte aus einer multiperspektivischen Sicht zu schildern, da die Wahrnehmung der abgebildeten Ereignisse immer auch Spiegel der kritischen und oftmals subjektiv geprägten Auseinandersetzung mit einem Thema und den Fakten sowie kulturell-geschichtlich 59 Welche Grundzüge muss eine Rechtschreibung haben …? bedingt ist. Vorab müssen Kriterien zur Abgrenzung von Begriffen festgelegt werden, die im Vordergrund der Beschreibung stehen, aber auch vorab noch eine Klärung über das Verständnis einer „gelungenen“ Rechtschreibreform in den politischen Diskursen herbeigeführt werden (und nachfolgend ebenso in den Fachdiskursen wie den in den Medien geführten Diskursen). Hierzu herrscht in den unterschiedlichen Diskursen ein heterogenes Bild darüber, was es braucht, um den aktuellen Sprachgebrauch abzubilden. 3.4 Welche Grundzüge muss eine Rechtschreibung haben und welches sind die Ziele aller Reformbemühungen? Schon Karl Blüml (1997) hat in einem Artikel „Warum und mit welchem Ziel überhaupt eine Rechtschreibreform“ die gegenwärtig in der Öffentlichkeit und Wissenschaft diskutierten Anforderungen an eine Reform der deutschen Rechtschreibung nach Vereinfachung, Systematik und Umsetz- und Lernbarkeit zusammengetragen. Die verschiedenen richtungsweisenden Ausrichtungen zur Reformierung der deutschen Schriftsprache in den frühen Stadien der Rechtschreibgeschichte durch bspw. Grimm, der ein Anhänger des etymologischen Prinzips war, und auf der anderen Seite die Forderung von Rudolf von Raumer 9 (2004), der ein Anhänger des phonetischen Prinzips war, ergänze ich im Folgenden um die Ergebnisse und Fragestellungen jüngerer Entwicklungen aus der Wissenschaft. Diese Entwicklungen werden z.B. in den Fachdiskursen in den Vorhaben des Rats für deutsche Rechtschreibung formuliert und finden sich in Begriffen wie „systematische und empirische Sprachbeobachtung“, „Weiterentwicklung und wissenschaftliche Auseinandersetzung“ wieder, die das Ziel der erhöhten Akzeptanz durch die Öffentlichkeit und einer verbesserten Vermittlung haben und politischen Leitlinien entsprechen, die die Rahmenbedingungen der Festlegung einer Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung bestimmen. Die besondere Schwierigkeit hierbei ist es, zu bestimmen, unter welchem Ausgangspunkt oder Aspekt man einen orthografischen Sachverhalt oder das orthografische Phänomen vornehmlich behandelt und welchen Beschreibungsansatz man zugrundelegt, da in der Literatur und auch in der Öffentlichkeit oft Uneinigkeiten hinsichtlich der Beschreibungsebenen und Terminologie bestehen. Eine jede Reform bringt ihre Umstellungs- und Umsetzungsschwierigkeiten mit sich, die sich vornehmlich in der Einführungsphase ergeben. Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung sah sich ebenfalls mit Schwierigkeiten hinsichtlich der Aufnahme und Umsetzung in der Öffentlichkeit und unter Sprachgelehrten konfrontiert. Den Erzeugnissen in den unterschiedlichen 9 Bspw. die Anwendung des historischen und phonetischen Prinzips. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 60 Medien lässt sich entnehmen, dass manch ein Erneuerungsvorschlag, der dem gewohnten Schriftbild entgegenstand, und die Darstellung der Neuregelung in Bezug auf die Auslegung und Formulierung von Regeln im Regelwerk von den Kritikern zur Diskussion aufgenommen wurde. Diese Umsetzungsschwierigkeiten sind als Folge von Anpassungen und Traditionsbruch mit gespeicherten Schreibschemata und Regeln zu verstehen, die sich aber durch eine verbesserte Nachvollziehbar- und Erlernbarkeit der Regeln relativieren lassen, wie z.B. den Ausführungen der Berichte der Zwischenstaatlichen Kommission zu entnehmen ist. 10 Der Ausdruck des Traditionsbruchs findet sich wiederkehrend in allen von mir aufgegriffenen Diskursen, da dieser auch einen rekurrierenden Vorwurf aus Gesellschaft und Öffentlichkeit darstellt, dem in den Diskursen mit Argumenten aus Wissenschaft und Politik begegnet werden musste. Auf ein unterschiedliches Verständnis in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft zu unterschiedlichen Problembereichen, die die Rechtschreibreform anbelangten, komme ich im Laufe meiner Abhandlung immer wieder zu sprechen. 3.5 Orthografie und Sprachsystem An dieser Stelle möchte ich auf ein oftmals in der Öffentlichkeit und Fachliteratur artikuliertes Missverständnis oder einen Widerspruch zwischen dem systemlinguistischen Charakter von Orthografie und der Beschreibungs- und Einordnungsebene in Bezug auf Teilbereiche von Sprache hinweisen. Dies ist ein Diskurs, der eher auf fachwissenschaftlicher Ebene angesiedelt werden muss, der sich aber implizit auf die verwendeten Konzepte und Termini in allen anderen Diskursarten niederschlägt. Oft ist nicht klar definiert, ob sich Orthografie als eigenständiges abgrenzbares System darstellt oder ob sie als Teilgebiet von bspw. Grammatik oder Graphematik verstanden werden kann. Hieran schließt sich auch die Unterscheidung zwischen dem normativen, also präskriptiven Charakter von Orthografie an, die regelt, was richtig ist, und deskriptiven Teilbereichen wie bspw. der Graphematik, die beschreibt, wie etwas richtig geschrieben wird. Die Begrifflichkeiten „Graphematik“ und „Rechtschreibung“ stehen, seitdem die Schriftlinguistik intensiver erforscht wird, dort in Zusammenhang, wo die Einhaltung von graphematischen Regularitäten auch zugleich normierenden Charakter hat. Günther Öhlschläger (Universität Leipzig bis 2016) erklärt in seinen Seminaren, dass die oben genannten Begrifflichkeiten auseinander gehalten werden müssen, dass die Begriffe insbesondere in der Zeit, in der in die Schrift noch nicht normierend 10 Siehe Vierter Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission der deutschen Rechtschreibung vom 27.11.2003, S. 5. Orthografie und Sprachsystem 61 eingegriffen wurde, auch unabhängig voneinander behandelt werden mussten, da graphematische Regeln nicht zugleich einem normativem Zweck unterworfen waren. Auf die heutige Zeit übertragen und das aktuelle Verhältnis der beiden Begriffe beschreibend, erläutert Öhlschläger in dem Skript aus dem WS 2007/ 2008 die theoretischen Grundlagen der germanistischen Sprachwissenschaft wie folgt: Die Regularitäten der Graphematik sind im Wesentlichen die normativ fixierten Regularitäten der Orthographie. (Öhlschläger 2011, S. 140; http: / / kostas konstantinou.com/ wp-content/ uploads/ 2015/ 06/ EinfuehrungSprachwissen schaft_G%C3%BCnther-%C3%96hlschl%C3%A4ger.pdf, Stand: 10.10.2017) Dennoch möchte ich im Wesentlichen die unterschiedliche Zweckgebundenheit der Begriffe zum Ausdruck bringen, je nachdem, von welcher Beschreibungsebene oder Perspektive, ob deskriptiv oder präskriptiv, ein Aspekt in der Rechtschreibforschung beschrieben werden soll. Die methodische Vorüberlegung, die ich vorhergehend getätigt habe, ist nicht zu trennen von Überlegungen zum eigentlichen Verhältnis von Orthografie, Graphematik, Grammatik und Lexik, deren Begrifflichkeiten terminologisch oftmals miteinander vermengt und fälschlich verwendet werden. Schon Peter von Polenz (1995, S. 39ff.) schrieb über die Widersprüchlichkeiten von Rechtschreibsystemen, die auf der Ebene der Graphematik durch das staatliche Kodifizieren, das soziopragmatisch bedingt ist, entstanden sind. Es gibt in allen Orthografiesystemen Prinzipien wie das historische, phonologische und morphologische, die zugrundeliegend sind, dennoch bezieht der systemische Charakter der Orthografie sich auf die Normierung der Schreibung 11 und bildet einen Teilaspekt von Grammatik, ebenso, wie es einen funktionalen Unterschied zwischen Grammatik und Lexik gibt, da sie unterschiedliche Ebenen des Sprachsystems ansprechen wie die des Satzes, des Wortes oder allgemeinen Regelwissens. Grammatik als Lehre vom Sprachbau betrifft selbstverständlich auch die Regeln für regelhaftes Schreiben, was auf der Ebene des Systems wieder unterschiedliche Beschreibungsebenen zur Kategorisierung von Fehlertypen beinhaltet. 3.5.1 Zur Unterscheidung von orthografischen und grammatischen Fehlern Typischerweise wird eine Unterscheidung von Fehlertypen hinsichtlich der Bereiche Zeichensetzung, Rechtschreibung und eben Grammatik vorgenommen. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass ein grammatikalisch falscher Satz nicht zugleich bedeutet, dass er orthografisch falsch ist und umgekehrt, son- 11 Nerius et al. (2000, S. 31ff.) fügen hier noch hinzu, dass sich diese Normierung auch nur auf einen bestimmten zeitlichen Abschnitt bezieht. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 62 dern dass Fehlertypen auf der Ebene der Syntax, Morphologie oder Phonologie zu unterscheiden sind von Fehlertypen im Bereich der Graphematik und Lexik. Ein Fehler im Satzbau oder hinsichtlich der Verwendung des Kasus (bspw. regiert die Präposition mit den Dativ und nicht den Akkusativ) führt nicht zu einem Fehler in orthografischer Hinsicht, jedoch können Fehler aus dem Bereich der Syntax, bspw. des Regelwissens hinsichtlich der Groß- und Kleinschreibung bspw. bei Satzanfängen oder Kernen von Nominalphrasen, orthografische Irregularitäten darstellen. Ein Fehler bei der Flexion eines Verbs oder Substantivs oder bei der Wortbildung, die zu dem Teilbereich der Morphologie gehören, muss keinen Fehler im Bereich der Orthografie bedeuten, wohl aber dann, wenn die Schemakonstanz z.B. bei einer fehlerhaften Umlautschreibung berührt wird. Ein Fehler hinsichtlich einer fehlerhaften Reihenfolge von Konsonanten oder Vokalen oder das schlichte Vergessen von Buchstaben beim Schreiben im phonologischen Bereich machen meines Erachtens keinen typisch orthografischen Fehler aus, da es sich in der Regel nicht um systemhafte Fehler, sondern um Zufallsfehler handelt. Wiederum wird bspw. eine fehlerhafte Schärfungsschreibung als phonetisch-phonologischer Fehler aufgrund der fehlerhaften Markierung der Vokallänge in einem Wort auch als orthografischer Fehler erachtet. Die Graphematik erfasst, wie üblicherweise geschrieben wird, und ist so direkt mit der Schreibkompetenz verbunden. Sie agiert also deskriptiv. Der zu beachtende reale Schreibgebrauch ist natürlich nicht beliebig, er hängt (wenn bekanntlich auch nicht in einer 1 : 1-Beziehung) mit der Orthografie zusammen, die präskriptiv regelt, was richtiges Schreiben ist. Ein Zusammenhang besteht auch zwischen Orthografie und Lexik/ Grammatik, etwa im Bereich der Wortarten. So kann beispielsweise eine falsche Wortartbestimmung mit einer falschen Schreibung einhergehen, vgl. Fälle wie ernst machen, Ernst nehmen (korrekt: Ernst machen, ernst nehmen). Die Lesart einer Konstruktion und die damit verbundene Wortartzuordnung kann in einem bestimmten Kontext einen wortartbezogenen lexikalischen Fehler ausmachen, muss aber nicht zwangsläufig ein orthografischer Fehler sein. Zwar haben sich Geckeler/ Dietrich (2007) in Bezug auf die Kriterien zur Fehleranalyse auf systemlinguistischer Ebene tendenziell widersprüchlich ausgedrückt, doch haben sie eingehend methodologisch beschrieben, wie eine grammatische Kategorie anhand ihrer Bedeutung und ihrer Einheiten auf der Ebene des Systems einzuordnen ist. Danach schließt sich die Beschreibung der Normen des Gebrauchs innerhalb eines Redeaktes an (ebd., S. 88f.). Dieses Vorgehen möchte ich ebenso übertragen auf die Norm des Gebrauchs hinsichtlich der Schreibweise, denn das Wissen über die grammatische Kategorie entscheidet oftmals über die Schreibweise, bspw. über die Getrennt- und Zusammenschreibung bei der Bildung von Zusammensetzungen. Orthografie und Sprachsystem 63 Nach Fuhrhop muss in der Analyse nicht nur die Einordnung in eine Wortart berücksichtigt werden, sondern auch, ob eine Verbindung aus einer syntaktisch gebildeten Phrase oder aus einem Wortbildungsprozess hervorgegangen ist (ähnlich auch schon Motsch 2004, S. 48f.). Dabei zählt sie auch diachrone Erscheinungen wie Univerbierung und Rückbildung zu den Wortbildungsprozessen. Für Zweifelsfälle schlägt sie ein Set von Tests vor. Bei Substantiv- Verb-Verbindungen ergibt sich beispielsweise, dass bei Bier trinken das Substantiv Bier mit beliebig vielen anderen Verben kombinierbar ist und daher ein Syntagma bildet (→ Getrenntschreibung), während das Substantiv Brust in brustschwimmen nicht beliebig kombinierbar ist mit anderen Verben und außerdem keinen Artikel tragen kann (→ Zusammenschreibung) (Fuhrhop 2007, S. 19ff.). Allerdings stoßen ihre Tests bei einigen Fallgruppen an ihre Grenzen, vgl. Rad fahren (früher radfahren, aber: ich fahre Rad), Auto fahren (schon immer nur so), Zug fahren (ebenso). Die Schreibung ist hier 1996 vereinheitlicht worden. Fuhrhops Vorwurf, die Vereinheitlichung der Schreibung ginge hier mit einem Verzicht auf die Anzeige semantischer Nuancen einher, ist in der Fachwissenschaft nicht unbestritten geblieben. 12 Aus den vorgenannten Beispielen lässt sich die Einsicht gewinnen, dass sich die aktuellen Auseinandersetzungen mit Rand- und Peripherieerscheinungen und Grenzgängern der deutschen Rechtschreibung beschäftigen und nicht etwa den Elementarbereich in Frage stellen. Im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Kompetenzstufenmodells für den Teilbereich Sprachgebrauch im Fach Deutsch sind grammatische und orthografische zwei sprachliche Kriterien, die hinsichtlich der Fehleranalyse zu unterscheiden sind. Ein starkes Anliegen für den lerntheoretischen und didaktischen Ansatz ist eine stärkere Verzahnung von Rechtschreib- und Grammatikunterricht; Basiskompetenzen in beiden Bereichen sollen für den Unterricht gleichermaßen verstärkt gefördert werden. Eine orthografische Normierung betrifft meines Erachtens, unter systemischem Beschreibungsansatz betrachtet, eine Teilmenge des Systems Sprache, die zwar Prinzipien verschiedener Gebiete unter sich vereint, die aber nicht einfach dem Bereich der Grammatik oder der Lexik oder der Graphematik zuzuordnen ist und demzufolge auch nicht mit dem einen oder anderen Begriff gleichgesetzt werden kann. 12 Ein Paper von Gallmann (1999) klassifiziert den Typus Rad fahren (ich fahre Rad, ich bin radgefahren) als Mischtyp unter den N-V-Verbindungen, da sie einen Übergang zu Wortbildungsprodukten darstellen (Rad fahren zählt man zu den Wortgruppen mit einer einheitlichen lexikalisierten Bedeutung), was sich in orthografischen Unsicherheiten niederschlug (alt: Auto fahren vs. radfahren, siehe Erklärung: http: / / hypermedia.ids-mannheim.de/ call/ public/ sysgram.ansicht? v_typ=v&v_id=1544, Stand: 1.3.2017). Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 64 3.5.2 Sprachsystem und Sprachgebrauch Dem systemischen Aspekt von Sprache, der intrinsisch aufzufassen ist, steht der Gebrauchsaspekt von Sprache, der extrinsisch motiviert ist, gegenüber. Die Motivation, auf eine Sprache von außen normierend einzuwirken, um auf den kulturellen, gesellschaftlichen oder sozialen Gebrauch Einfluss zu nehmen, ist sprachpolitisch aufzufassen. Für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist dies weniger im Sinne einer europäischen Sprachenpolitik zu verstehen (wie ihr oft nachgesagt worden ist), also Nicht-Deutsch-Muttersprachlern das Erlernen der orthografischen Regeln zu erleichtern, sondern den Erhalt des Deutschen als Wissenschafts- und damit auch als Kultur- und Bildungssprache zu fördern. Es geht meines Erachtens aber nicht nur um Deutsch als Wissenschaftssprache und einen Statusverlust, sondern auch um sprachliche Diversität und den Erhalt der Herkunft fremden Wortguts innerhalb der deutschen Wissenschaftssprache. Dies beinhaltet nicht nur die Forderung, die deutsche Sprache in all ihren Facetten zu erhalten, sondern auch, Zugeständnisse an die innerhalb der gewachsenen Wissenschaftssprache Deutsch aufgenommenen Gebrauchswörter fremder Herkunft zu machen. Der Beitrag, den die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung leistet, ist ein einfacher. Konrad Ehlich (Kretzenbacher/ Weinrich 1995, S. 344) beschreibt den Zusammenhang zwischen Alltagssprache und Wissenschaftssprache und der Rückwirkung der Ersteren auf die Letztere. Wird eine Vereinfachung oder leichtere Erlernbarkeit hinsichtlich der Zugänglichkeit zur aktiven Beherrschung der „Alltagsschriftsprache“ geschaffen, hat dies auch immer Auswirkung auf die höhere „Bildungsschriftsprache“, die zugleich auch Wissenschaftssprache ist. Welchen Beitrag leistet nun die aktuell gültige deutsche Rechtschreibung, um Deutsch als Wissenschafts- und Kultur- und Bildungssprache zu erhalten? Die Neuregelung leistet insofern einen Beitrag, als dass sie eben nicht mehr - wie anfangs von einigen erwogen - durch forcierte Anpassungen an die Schreibung des nativen Wortschatzes normierend auf die Terminologie oder Ausdrucksweise fachsprachlicher Lexeme einwirkt. Durch Doppelschreibungen macht die Neuregelung Zugeständnisse an gespeicherte Schreibschemata und greift nicht streng normierend in den Geltungsbereich der Wissenschaftssprache ein. Meine vorher genannten Erläuterungen zu dem kulturpolitischen Auftrag der Reformbemühungen um eine Vereinheitlichung der Schriftsprache und den Missverständnissen hinsichtlich der Einordnung von Orthografie in sprachtheoretischer Hinsicht soll zum einen ein Verständnis über die Grundzüge der deutschen Rechtschreibung geben und zum anderen auf die Herausforderungen hinweisen, vor die die Weiterentwicklung der deutschen Sprache und mit ihr der Orthografie als Teilbereich gestellt ist. Orthografie und Sprachsystem 65 Anhand meiner Ausführungen in diesem Kapitel habe ich aufgezeigt, wie die Rahmenbedingungen der deutschen Standardisierungsbestrebungen in Hinblick auf die Rechtschreibung immer wieder von Ausgleichskalamitäten geprägt waren, da statische Bezugspunkte wie Tradition, Status und Werte immer in Einklang mit einem stets veränderten Verständnis über Sprachgebrauch, Abbildung der aktuellen Gegenwartsschriftsprache und den zugrunde gelegten Prinzipien und Regeln gebracht werden müssen. Dabei möchte ich hierzu noch erwähnen, dass dieselben Prinzipien auf die statischen und dynamischen Elemente einwirken, nur mit unterschiedlicher Reichweite. Es sind beispielsweise nicht nur linguistische Erwägungen, die zu Anpassungen am Regelwerk führen, sondern auch didaktische (vereinfachte Erlernbarkeit) oder sprachpolitische. Umgekehrt ist der Aufbau einer Schrifttradition aus dem Bedürfnis erwachsen, ein Regelsystem zur Fixierung der Schriftlichkeit zu entwerfen, und dieses kann politisch oder gesellschaftlich motiviert sein. Zuletzt sei noch erwähnt, dass innerhalb der deutschen Sprachpolitik nie der Versuch unternommen worden ist, aktiv in die Entwicklung der Phonologie, Morphologie oder Syntax einzugreifen, wohl aber in die Lexik, was sich beispielsweise in der Beeinflussung der Aufnahme fremden Wortguts in den deutschen Wortschatz niederschlägt. Im Französischen verhält es sich in Teilen anders, was gut an der gegenwärtigen Gender-Diskussion abzulesen ist, die auch auf politischer Ebene und damit in politischen Diskursen geführt worden ist. Hier ist es bei weiblichen Berufsbezeichnungen zu sprachpolitischen Eingriffen in dem Bereich der Syntax gekommen, indem grammatische Kongruenzregeln in Bezug auf das grammatische Genus und Numerus regelmäßig verletzt worden sind wie bei „le secrétaire“ und „la secrétaire“ (nachzulesen bei Holtus/ Metzeltin/ Schmitt 1990, S. 254). Ob es sich hierbei um eine Verletzung der Kongruenzregeln handelt oder der Artikelwechsel schlichtweg eine produktive Möglichkeit der Sichtbarmachung geschlechtergerechter Sprache darstellt, möchte ich an dieser Stelle nicht erörtern. Im Französischen sind feminine Ableitungen bei Berufs- und Personenbezeichnungen weit weniger systematisch als im Deutschen. Die meisten Substantive, die im Französischen auf -e enden, haben im Maskulinum und Femininum dieselbe Form, jedoch gibt es auch Gegenbeispiele wie „le prince“ vs. „la princesse“. Insbesondere bei Berufsbezeichnungen konnten sich feminisierte Formen nicht durchsetzen, und das Maskulinum wird für beide Geschlechter verwendet. Einen politisch motivierten Eingriff in syntaktische Regularien hat es für das Deutsche zwar nicht gegeben, aber es wurden Überlegungen hinsichtlich der Neugestaltung von Kongruenzen im Deutschen bei syntaktischem Anschluss mit einem femininen anaphorischen Pronomen im Relativsatz getätigt, wenn zuvor mit den generisch maskulinen Pronomina „Wer“ und „Jemand“ als Bezugswort eingeleitet Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 66 wird (Beispiel Julia Wesian 2007: Ist da jemand/ wer, die mir ihr Fahrrad leiht? ), so dass die grammatischen Kongruenzregeln hinsichtlich des Genus im Pronominalsystem entsprechend angepasst werden müssten (siehe hierzu auch eine erwähnenswerte Diplomarbeit von Soi Nagl-Pietris zu geschlechtergerechter Sprache von 2008 oder in Studentischen Arbeitspapieren der Universität Münster von Julia Wesian zu Sprache und Geschlecht in Heft 2013 von 2007). Den einzig nennenswerten Vorstoß im grammatischen Bereich wagte neuerdings die Universität Leipzig, die als erste Hochschule Deutschlands eine einheitliche Bezeichnung für Professoren in Bezug auf deren Genera einführen wollte, so dass auch männliche Professoren als „Herr Professorin“ bezeichnet werden. Es bleibt festzuhalten, dass originäres und grundlegendes Ziel einer Neuregelung im sprachlichen Bereich normsetzender Natur ist, ob sie nun grammatischer oder rein orthografischer Natur ist und nach Karl Blüml (1997) der Regeltreue und dem Prinzip der Generalisierung durch Beseitigung von Einzelfallregelungen entspricht. Eine Besonderheit für den deutschsprachigen Raum stellt es insofern dar, dass die Steuerung zur Normierung auf den Bereich der Orthografie beschränkt blieb und nicht wie bei anderen europäischen Reformvorhaben auf lexikografische oder grammatische Bereiche erweitert wurde. Diese „Vernachlässigung“ oder Eingrenzung des Wirkungsbereiches der Neuregelung ist meinen Recherchen zufolge auch nicht Teil eines Diskurses geworden. 3.6 Sprachpflege und Sprachbewusstsein als Bausteine für Orthografie 3.6.1 Zum Begriff des Sprachbewusstseins Der Begriff des Sprachbewusstseins ist nicht leicht von „Sprachpflege“ und „Sprachpolitik“ zu trennen, da die normative Kraft erst durch eine ausgeprägte Persönlichkeit einer nationalen Sprache zu einem sprachpflegerischen Akt wie einem Gesetz oder behördlichen Erlass entwickelt wird. Ein für Sprache entwickeltes Bewusstsein resultiert zudem aus der Auseinandersetzung damit, zum Beispiel im Diskurs. Ich möchte hier nicht alle Konzepte und Differenzierungen zum Begriff des Sprachbewusstseins aufführen, wohl aber anmerken, dass der Begriff im Unterschied zum Sprachwissen selbst die Kenntnis um die Regularien und die reflexive Auseinandersetzung damit beinhaltet und damit verarbeitetes, deklaratives Sprachwissen darstellt und dass er erst durch Sprachbewusstsein konstruiert wird. Nach Gil (1997) sind individuelle wie gesellschaftliche Faktoren gleichermaßen verantwortlich für die Ausrichtung der Sprachpolitik, die landesabhängig unterschiedlich motiviert sein kann. Sprachbewusstsein und die öffentliche Diskussion um Sprachpflege und Sprachbewusstsein als Bausteine für Orthografie 67 Sprache ist interdisziplinär zu betrachten, so möchte ich in diesem Kapitel herausarbeiten. Sie bildet sich nicht allein in der Fachwelt, in der man sich wissenschaftlich auseinandersetzt und Schwerpunkte bilden kann, sondern ist holistisch zu begreifen als ein von der gesamten Sprachgemeinschaft gebildetes, identitätsstiftendes Verständnis darüber, wie Sprache und auch Schriftsprache gestaltet werden muss, denn der Sprachgebrauch hängt von jedem einzelnen Nutzer selbst ab, der sich aus einem Spektrum von erlaubten und möglichen Schreibungen eine subjektive Schreibwirklichkeit aufbaut. Hierbei gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie aus Sprachbewusstsein in unterschiedlichen Ländern sprachpflegerische und sprachpolitische Aktivitäten entstehen. 3.6.2 Sprachpflege und Sprachbewusstsein in den Sprachen Europas Brigitte Schlieben-Lange et al. (Hg.) (1994 nach Gil 1997) hat Unterschiede in den europäischen Systemen aufzuzeigen versucht und will eine klare Trennung zwischen Ländern wie Portugal und Spanien im Unterschied zu Italien, Deutschland und Frankreich festgestellt haben. Einen Grund für Sprachpflege beschreibt Claudia Law (2007) für Deutschland wie folgt: Sprachpflege ist erste Bürgerpflicht, denn durch die enge Verbindung von Sprache und Nation bedeutet Sprachpflege gleichzeitig Pflege der Volksgemeinschaft und der Nation. (ebd., S. 48). Für das Portugiesische beschreibt Margit Kleinhappl in ihrer Diplomarbeit über die französische Politik in Afrika und weitergehenden sprachvergleichenden Analysen, dass es auf die „[…] Durchsetzung des Portugiesischen abzielte, […]“ (Kleinhappl 2011, S. 7). Ehlich (2011, S. 18) geht in seinem Exkurs über die europäische Sprachenwelt noch allumfassender vor, indem er Sprachen im Zuge der neuzeitlichen Entwicklung zu Föderation von Nationalstaaten im modernen Europa als Mittel der Identitätsbildung und Gruppenbildung versteht. Die für den deutschsprachigen Raum nennenswerte Erkenntnis ist hierbei, dass, übertragen auf die Entstehungsgeschichte der Rechtschreibreform und die Zusammenarbeit mit Vertretern aus Österreich, der Schweiz, der DDR und anderen deutschsprachigen Nationen, Sprache und der sprachpflegerische und sprachpolitische Umgang mit ihr nicht mehr nationalsprachliche, dennoch aber staatsübergreifende Homogenisierungstendenzen innerhalb der EU aufweist, in der die Schriftsprache als einheitsschaffendes Instrument politische Aufgabe geworden ist. An der Rechtschreibreform sind initiierende Institutionen wie das Bundesministerium des Innern, das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Auswärtige Amt beteiligt, deren Entscheidungen oftmals durch das Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 68 Bundesjustizministerium mitgetragen werden. Dies zeigt, dass ein breites institutionelles Fundament die Durchsetzung einer Reform der Rechtschreibung stützen sollte, wenngleich in der Presse von Mitgliedern anderer Bundesministerien (siehe hierzu bspw. die Äußerungen zur Reform von Bundesfinanzminister Theo Waigel aus dem Jahr 1997) und diversen Kabinettsmitgliedern nicht immer eine gemeinsame Position von Bund und Ländern zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung geteilt und propagiert wurde. In den folgenden Abschnitten möchte ich die Merkmale ausgewählter Länder in Bezug auf Sprachpflege und Sprachpolitik beleuchten, um zu einem besseren Verständnis des Zusammenwirkens zwischen einem geschärften Sprachbewusstsein gesellschaftlicher Kräfte und daraus angetriebener Sprachpflege zu gelangen, das im deutschsprachigen Raum durchaus kontrovers diskutiert worden ist (Greule/ Lebsanft 1998 und ihre Ausführungen zur negativen Konnotation des Begriffs). Ich denke, dass Sprachpflege in den unterschiedlichen europäischen und außereuropäischen Nationen zum einen aus den oben genannten und weiteren politischen und gesellschaftlichen Gründen, die noch zu nennen sind, betrieben wird, aber auch die jeweilige Einstellung und das damit verbundene Sprachbewusstsein einer Sprachgemeinschaft zu ihrer Sprache einflussnehmende Faktoren sind. Nicht nur die Gründe, sondern auch die Art und Weise einer Sprachpflege sind ausschlaggebend für eine wirksame Sprachpolitik. Stickel (2007, S. 37) geht davon aus, dass eine alle gesellschaftlichen Ebenen durchdringende Sprachpolitik durch praktizierte Bildungspolitik erreicht werden kann. Auf der Ausdrucksseite kann eine Sprachgemeinschaft bspw. mehr oder weniger geneigt sein, das Sprachsystem zu flexibilisieren durch z.B. neue Orthografieformen. Dies schlägt sich dann in Form von Reformwilligkeit oder Reform-Unwillen unmittelbar in der nach außen gerichteten Entwicklung und Umsetzung nieder. Selbstverständlich ist der weitgreifende Begriff „Sprachpflege“ nicht zu versimpeln und zu verallgemeinern, denn „Sprachpflege“ ist im Bundesgebiet kein einheitlicher Begriff, was durch die Kulturhoheit der Länder bedingt ist und auf medialer Seite sprachkritischen Ausdruck findet. In einem Artikel in Die Zeit vom 23.6.2013 mit dem Titel „Die Bahn will Anglizismen vermeiden“ wird Sprachpflege an das Verhalten der Bahn gekoppelt, bspw. bei der Erteilung von Auskünften deutsche Äquivalenzbezeichnungen zu verwenden wie in Informationsschalter statt Counter. Aktuelle Sprachpflegedebatten finden im politischen Diskurs im Zusammenhang mit Bildungspolitik statt, in der über den Einsatz des Kurznachrichtendienstes Twitter im Unterricht debattiert wird. Auch die immer wieder aufflammende Debatte um ein deutsches Sprachschutzgesetz in Anlehnung Sprachpflege und Sprachbewusstsein als Bausteine für Orthografie 69 an die französische Gesetzgebung zum Schutz des Französischen hat in die politischen Diskurse vielfach Eingang gefunden (bspw. die große Anfrage der CDU/ CSU zum Thema „Sprache und Globalisierung“ aus dem Jahr 2002, BT-Drucksache 14/ 5835 und 14/ 7250 sowie die große Anfrage von SPD und Bündnis90/ Die Grünen, BT-Drucksache 14/ 6659 zur Zukunft der deutschen Sprache). 13 In den vorhergehenden Ausführungen habe ich versucht, die Verdienste einer zielgerichteten und gewissenhaften Sprachpflege zu erläutern, auf Unklarheiten in der Begriffsbestimmung hinzuweisen und auch darauf, dass die öffentliche Diskussion um Sprache aus einem die Identität jeder Sprachgemeinschaft betreffenden Sprachbewusstsein erwachsen ist, das wie im Falle des Französischen sich in einzelnen Institutionen gebündelt hat und von dort aus noch im Vorlauf zur Etablierung sprachpolitischer Intervention in Sachen Normierung der Schriftsprache stark regulierend gewirkt hat. Im Falle der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung hat sich eine sachgerechte Beurteilung über zentrale Inhalte der Reform, 14 was ich als „kompetentes“ Sprachbewusstsein bezeichne, erst in den Fachdiskursen entwickelt. In meinen folgenden Ausführungen möchte ich nicht nur auf das unterschiedliche Verständnis von Sprachpflege und dem Verhältnis zu den einzelnen Reformvorhaben eingehen, sondern ich möchte mir auch hinsichtlich der sprachpflegerischen Leistungen unterschiedlicher Länder in Bezug auf deren Standardisierungs- und Normierungsstrategien ein Urteil über ihren Charakter erlauben, der in normaufbauend beziehungsweise normerhaltend unterschieden werden kann. Ich bediene mich hierbei einer Inaugenscheinnahme der einzelnen Maßnahmen selbst und der politischen, fachlichen und medialen Diskurse hierzu. Ein direkter Vergleich gestaltet sich schwierig, da Begrifflichkeiten wie „Sprachpflege“ und „Standardisierung“ von unterschiedlichen Wertigkeiten wie Tradition, Rolle, Status und politisch-gesellschaftlicher Relevanz geprägt sind und durch den Ländern eigene politische und historische Umstände mitbestimmt werden. 13 BT-Drucksache 14/ 5835 http: / / dipbt.bundestag.de/ doc/ btd/ 14/ 058/ 1405835.pdf (Stand: 3.4.2001), BT-Drucksache 14/ 7250 http: / / dip21.bundestag.de/ dip21/ btd/ 14/ 072/ 1407250.pdf (Stand: 31.10.2001), BT-Drucksache 14/ 6659 http: / / dipbt.bundestag.de/ doc/ btd/ 14/ 066/ 1406659.pdf (Stand: 6.7.2001). 14 Siehe hierzu auch Ausführungen von Techtmeier (1987) zur Begriffsbestimmung von Sprachbewusstsein auf dem Gebiet der Sprachkultur. Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 70 3.6.3 Länder mit Sprachpflegegesetzen - ein politischer Diskurs. Warum haben wir keine Deutschquote in den Medien oder ein Sprachpflegegesetz? Nachfolgend gehe ich der Frage nach, warum der Gebrauch und die Verwendung der deutschen Sprache anders als in anderen europäischen Ländern keiner staatlichen oder außerstaatlichen Institution zur Aufsicht und Reglementierung unterstellt ist. Eine Beantwortung dieser Frage lässt sich nicht vornehmen, ohne das Rollenverständnis der deutschen Sprache in Europa und im wirtschaftlich-globalen Kontext, aber auch im historischen Zusammenhang zu betrachten. In Kapitel 3.2 (Sprachpflege und Sprachpolitik - zwei zu trennende Begriffe) bin ich kurz auf die Rolle und den Gebrauch des Deutschen in auf europäischer Ebene angesiedelten Institutionen eingegangen, aber auch als Zweit- oder Drittsprache im Unterrichtsbetrieb anderer europäischer Länder wie in Frankreich. Ebenso wichtig ist es, die Stellung des Deutschen in der internationalen Wissenschaftslandschaft zu betrachten, da sich die deutsche Sprache den Herausforderungen im Zusammenhang mit den neuen Studienstrukturen, wie sie im Zuge der Bologna-Reform entstanden sind, stellen muss. Eine Stärkung der deutschen Sprache im Ausland, vornehmlich im europäischen Ausland, lässt sich zum einen über die jeweiligen Ministerien (bspw. in Frankreich das Erziehungs- und Bildungsministerium) erwirken. Der Gebrauch der deutschen Sprache in bspw. den Medien und in der Wirtschaft innerhalb der Bundesrepublik wird, wie ja schon im vorherigen Kapitel angedeutet, nicht wie in Frankreich durch ein Sprachgesetz einer allgemeinen Quote oder Kontrolle ausgesetzt, sondern reguliert sich in dem Sinne selbst durch wirtschaftliche Trends, politische Präferenzen und andere Aspekte, die internationale Kommunikationskanäle erleichtern, indem eine statt mehrerer geltender Verwaltungssprachen auf EU-Ebene praktiziert wird. Derlei Entwicklungen strahlen auch aus in die nationale Forschung und Wissenschaftslandschaft, indem Deutsch zwar noch vorwiegend in den Geisteswissenschaften kultiviert wird, aber nicht mehr in den medizinischen und anderen naturwissenschaftlichen Studiengängen. Dies bedeutet aber nicht zugleich, dass die deutsche Sprache aus dem Unterricht und den deutschen Haushalten verschwindet, sondern diese Entwicklung schärft meines Erachtens erst das Bewusstsein für die Erhaltung und Förderung des Deutschen durch weitere Bildungsangebote und Förderprojekte im In- und Ausland, wie sie durch die Goethe-Institute und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) wahrgenommen werden, durch Bildungsexporte in deutscher Sprache oder zahlreiche inländische Sprachpflegeorganisationen und Einrichtungen, wie ich sie im Laufe meiner Ausführungen noch mehrfach nennen werde. Anders als z.B. im Französischen oder Polnischen gibt es im Sprachpflege und Sprachbewusstsein als Bausteine für Orthografie 71 Deutschen keine Schutzvorschrift, um dem Verfall der deutschen Sprache entgegenzuwirken. Dies liegt nicht nur daran, dass die Bundesregierung keine Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich irgendwelcher Eingriffe in die Sprache hat, und dies nicht deswegen, wie von Albrecht Greule argumentiert, weil das deutsche Volk schlechte Erfahrung mit zentralistischer Sprachplanung gemacht hat und eine Sprachakademie fehlt (Greule/ Lebsanft 1998, S. 33). Aus der Beantwortung der Bundesregierung (BT-Drucksache 14/ 7250 vom 31.10.2001) einer Großen Anfrage der Abgeordneten Norbert Lammert, Bernd Neumann und weiterer Abgeordneter der CDU-/ CSU-Fraktion geht hervor, dass die Bundesregierung besonders außerstaatlichen Institutionen, Vereinen und Verbänden, wie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dem IDS oder der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) eine bedeutende Rolle bei der Pflege der deutschen Sprache in Kultur, Wissenschaft und im öffentlichen Leben zuspricht. Die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung wird zwar zu großen Teilen aus Bundesmitteln finanziert, dennoch hat sie sich als Verein, unabhängig und ohne staatlichen Auftrag, der Sprache verpflichtet. In Bezug auf ein mögliches Sprachgesetz zum Schutz vor zu viel fremdsprachlichem Einfluss wird in der Antwort auf die Große Anfrage argumentiert, dass weder die Bundesregierung noch die Vereine ein solches Gesetz für notwendig halten, da die freiheitlich demokratische Grundordnung eine freie Entfaltung von Sprache und Denken vorsieht, der ein Sprachgesetz zuwiderlaufen würde. Allgemein ist nicht davon auszugehen, dass aus den Reihen der gesellschaftlichen sowie politischen Kräfte eine Entwicklung in Richtung auf die Etablierung einer Akademie nach französischem Vorbild oder dem Erlassen eines Sprachgesetzes angestrebt wird. Eine Vernetzung von gesellschaftlichen und staatlich-institutionellen Kräften ist gelungen durch die Anbindung der Kommission für Rechtschreibfragen an das IDS und später die Zwischenstaatliche Kommission für Rechtschreibung, mit deren Empfehlungen und Vorschlägen eine verbesserte Rechtschreibung erarbeitet werden sollte und keine Verbindlichkeiten hinsichtlich des Sprachgebrauchs. An einer anderen Stelle möchte ich als Beispiel für die fruchtbare Zusammenarbeit von staatlich mandatierten Experten und privater Organisation das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) aufführen, da von Seiten der KMK die Legitimation der Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung, der Nachfolgeinstitution zur Zwischenstaatlichen Kommission, oft mit der des Normungsinstituts verglichen worden ist. Die in der Großen Anfrage der CDU-/ CSU-Fraktion gestellte Frage nach einem die gesetzlichen Sprachregelungen bündelnden Sprachgesetzbuch verneint die Bundesregierung mit der Begründung, dass zwar die Wahl der Sprache in Ämtern und Teilbereiche zum Gebrauch im Unterrichtswesen geregelt sei, dennoch aber die Freiheit in der Verwendung durch mög- Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 72 lichst wenig Einzelfestlegungen (im Einzelnen Wortwahl, Inhalt etc.) eingeschränkt werden soll. Die Bundesregierung beurteilt Sprachgesetze wie in Frankreich und Polen als eher punktuell wirksam, da sie sich auf die Verwendung der Sprache vornehmlich in Bereichen des öffentlichen Lebens bezieht und einen nach außen gerichteten Wirkungskreis entfalten soll und sich nicht auf den Alltagsgebrauch bezieht. Insgesamt werden Sprachgesetze als ebenso gefährlich wie auf lange Sicht wirkungslos und undemokratisch angesehen, wenn nicht durch die Bevölkerung mitgetragen, da sie […] eine Verkrustung des Sprachgebrauchs begünstigen. (BT-Drucksache 14/ 7052, http: / / dip21.bundestag.de/ dip21/ btd/ 14/ 072/ 1407250.pdf, Stand: 31.10.2001, S. 52) Die Auffassung der Bundesregierung setzt nach Prüfung der BT-Drucksache auf Termini wie Sprachwandel, Anpassung und freie sprachliche Entwicklung. Eine für das Deutsche typische sprachpflegerische Leistung im Unterschied z.B. zu den Bestrebungen, die im Deutschen unternommen worden sind, stellt meiner Ansicht nach der institutionelle Zusammenschluss mit anderen Nationen in einer die Sprache und Schrift betreffenden Angelegenheit wie der neuen deutschen Orthografiereform aus dem Jahr 1996 dar, die nach Unterzeichnung einer zwischenstaatlichen Absichtserklärung bekannt geworden war. Die entscheidenden politischen Diskurse im Vorlauf zur Absichtserklärung und Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung von 1996 wurden in den Jahren zuvor in Form von Anhörungen mit Verbänden und in den entscheidenden Wiener Gesprächen geführt, die von den in den Ländern zuständigen Kultusministerien durchgeführt wurden und die Willensbildung und Entscheidungsreife des Prozesses markieren. Diese waren noch eng verknüpft mit den Diskursen, die auf Fachebene vorformuliert worden waren, und waren weitestgehend losgelöst von den medialen Diskursen. Gemäß dem Prinzip, gemeinsame Märkte im ökonomischen Sinne zu schaffen, hat sich Deutschland mit der Schweiz, Österreich und anderen deutschsprachigen Nationen zum Zwecke der Vereinheitlichung der Schriftsprache zusammengetan. Es sind zusammengefasst zwei zentrale Punkte, die ich im politischen Diskurs aufgespürt habe, die einer Sprachpflege und Sprachplanung per Gesetz für die deutsche Sprache im bundesdeutschen Sprachraum entgegenstehen. Die Entwicklung hat sich aus einer historischen Perspektive aus der Abneigung einer zentralistischen und sprachpuristisch-restriktiven Sprachlenkung ergeben sowie aus dem Verständnis sowie Sprachbewusstsein darüber, dass Politik nicht, wie bei einer Einbahnstraße, korrigierend oder richtungsbestimmend in einen für die Sprachgemeinschaft identitätsstiftenden Prozess ein- Sprachpflege und Sprachbewusstsein als Bausteine für Orthografie 73 greifen darf, da Sprache ein öffentliches Kulturgut ist. Zudem ist klar, dass sich eine gleichlautende politische Willensbildung zum Thema „Sprachgesetz“ nur schwer erwirken lässt, was an der Vielfalt der Meinungen (siehe hierzu die gegenläufige Meinung von CDU und SPD anlässlich der Tagung „Sprache und Gesellschaft“ am 22.11.2011) liegt. Haslinger/ Janich (2005) beschreiben in Zusammenhang mit dem Einfluss von Politik auf Sprache in verschiedenen osteuropäischen Ländern zutreffend: Damit wird die Besetzung und Beherrschung der öffentlichen Sprache in all ihren Facetten nicht nur ein Mittel der Politik, sondern wirkt selbst politikbestimmend. (ebd., S. 11) Sprache als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sollte meines Erachtens durch keine anderen Gesetze gegängelt werden als die Gesetzmäßigkeiten von Sprachwandel und des allgemeinen Sprachgebrauchs. 3.6.4 Rechtschreibreformen in Europa und sprachpflegerische und sprachpolitische Maßnahmen Im Folgenden prüfe ich in allen Abschnitten, in denen ich intensiver auf die unterschiedlichen nationalen sprachpflegerischen und sprachpolitischen Maßnahmen eingehe, welche Hintergründe und welche geschichtlichen, kulturellen und politischen Begebenheiten das gegenwärtige Gefüge geprägt haben. Es ist nicht im Einzelnen möglich, die einzelnen Facetten und nationalen Ereignisse so vertieft zu erfassen, wie man sie in der eigenen Muttersprache beleuchten kann, da Sprachkultur weniger völkergemeinschaftlichen als volksgemeinschaftlichen Charakter hat. Meine Ausführungen sollen einen Einstieg in die Höhepunkte der jeweiligen, für die Länder spezifischen Maßnahmen geben und die Schwerpunkte der Diskussion im Umgang mit Sprache und Orthografie aufzeigen. Hieran lassen sich Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten aufführen, die ich Einzelnen ausführlicher benennen werde. Zu recht sieht Gil die Entwicklung der einzelnen Ausprägungen der Nationalsprachen durch individuelle Faktoren bedingt, die auf die persönliche Einstellung und Wahrnehmung eines jeden zu seiner Sprache und seinem schriftlichen Abbild sowie auf gesellschaftliche Faktoren Einfluss nehmen. Zur Identifizierung und um zu einer besseren Einschätzung von Sprachpolitik in den unterschiedlichen europäischen Nationen zu kommen, bedarf es interdisziplinärer Ansätze aus Soziologie, Linguistik und Politik und der Gegenüberstellung der Besonderheiten, die sich durch die historisch-länderspezifische Entwicklung des jeweils gearteten Sprachbewusstseins und bspw. die Anpassung der Orthografie an eine Vorbildhaftigkeit wie Aussprache (wie für das Portugiesische beschrieben) ergeben haben. Neben identitätsstiftenden Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 74 Ausgangssituationen wie dem Vorhandensein einer Nationalsprache, wie am Beispiel des Französischen oder anders im Schweizerischen mit mehreren offiziell anerkannten Amtssprachen, die politische oder gemeingesellschaftliche Entscheidungen in Bezug auf die schriftsprachliche Standardisierung provoziert haben (nach Coulmas 1985, S. 22). Ebenso wie die Herausbildung der sprachlichen Norm einheitsstiftend sein kann, kann auch die Förderung einer gesamtgemeinschaftlich anerkannten schriftsprachlichen Norm identitäts- und einheitsbildend sein. Das Bewusstsein über die Vielfalt der europäischen Sprachen und die jüngere Entwicklung zu einer europäischen Gemeinschaft und die damit verbundenen Interventionen bewegt den interessierten Anwender von Sprache und Schrift dazu, sprachkulturelle und sprachpolitische Ereignisse seiner eigenen Sprachnation zu reflektieren und mit denen anderer Sprachteilnehmer zu vergleichen. In den nachfolgenden Kapiteln (ab 9) gehe ich noch auf die Behandlung der deutschen Rechtschreibreform im medialen Lichte unterschiedlicher Sprachnationen ein. Hier möchte ich in erster Linie die unterschiedlichen kulturellen Schwerpunkte betrachten, die eine unterschiedliche Ausrichtung von Sprachpolitik und Sprachkritik zur Folge hatten. Die Darstellung der Reformbewegungen einzelner europäischer Länder soll eine Übersicht darstellen und keine ausführliche Darlegung der Ereignisse. Eine Versimplifizierung von Sachverhalten soll in diesem Zusammenhang einen bloßen Überblick über die sprachpolitisch soziokulturellen Rahmenbedingungen liefern, der den spezifischen Charakter der einzelnen Reformbestrebungen beschreiben soll. 3.7 Sprachpflege und Sprachpolitik: Ein Spektrum an Meinungen in den politischen Diskursen Aus der Überschrift soll hervorgehen, dass ich mich in der folgenden Abhandlung um eine Darstellung der plurizentrischen Meinungsbilder im politischen Diskurs bemüht habe, deren Schwierigkeit vornehmlich darin bestand, zu filtern, ob die Abbildungen der politischen Diskurse, die in den Medien wiedergegeben werden, „korrekt“ im Sinne der intendierten Aussage und beabsichtigten Wirkung sind. An anderer Stelle habe ich schon meine diskursanalytische Strategie als von mir verwendete Praxis erwähnt, mit deren Hilfe ich die Gestaltung und Vermittlung des politischen Diskurses in den Medien analysiert habe. Ich zeige zudem auf, in welcher Form und welchen Medien man sich der Veröffentlichung des politischen Diskurses bediente. Sprachpflege und Sprachpolitik 75 Einleitend möchte ich auf einen Artikel der New York Times „Spelling reform in Germany“ vom 22. März 1880 (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) aufmerksam machen, aus dem hervorgeht, wie das Kräftemessen von politischen, gesellschaftlichen und medialen Kräften schon in frühester Zeit Einfluss auf die Durchsetzung einer Einheitsschreibung, den Status und den Erfolg eines Vorhabens in Sachen Orthografiereform ausgeübt hat. Das vom Kultusminister Robert von Puttkamer für die preußischen Schulen erarbeitete Rechtschreibregelbuch aus dem Jahre 1880 wurde durch Bismarck in seiner Anwendung mit Erlass vom 28.2.1880 unter Strafe gestellt (nachzulesen in Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817-1934/ 38 (1999)). In dem Artikel der New York Times von 1880 heißt es hierzu: A Berlin Dispatch to the London Times says: Today the Reichstag was chiefly engaged in passing the Army budget. In connection with education establishments, Deputy Rickert took occasion to ask the War Minister whether he had ordered the introduction into army schools of the new spelling system devised by Herr von Puttkamer, Minister of public Worship. Gen Von Kameke replied in the negative. In the course of some further discussions, it was stated that neither the War not the Marine Minister had sanctioned the adoption of the new-fangled method, and Prince Bismarck had forbidden its use, on pain of punishment, among the officers of his department. Obwohl sich die Durchsetzung des Reformkurses zur Normierung der deutschen Orthografie nicht aufhalten ließ, zeigt sich hier der versuchte Eingriff der politischen Ebene in die Schreibpraxis der Gesellschaft und Behörden. Die Zuständigen der Reichsbehörden standen zu jener Zeit dem Wunsch einer reichsweiten Vereinfachung der Rechtschreibung kritisch gegenüber: […] there exists no unity on the subject among the heads of department, and the Minister of Public Worship can have little hope of seeing his system in universal practice throughout the Empire. (ebd.) Die Instrumentalisierung von Sprache als Politikum, auf der einen Seite in Form von Normierungsbestrebungen in der Orthografie als einheitsstiftendes Element, fand laut dem oben erwähnten Artikel der New York Times von 1880 weiter Ausdruck in den Sprachreinigungsansprüchen in Bezug auf die Aufnahme von Fremdwörtern im deutschen Wortschatz unter Heinrich von Stephan: And ardent band of purists, headed by Dr. Stephan, Postmaster-General - the Rowland Hill of Germany, as he is called have set themselves to the task, first undertaken by Lessing, of purging their native language as far as possible of all its alien elements fostering the exclusive formation of new and needful words from purely German roots - for example Fernsprecher for ‘telephone’; and Herr von Puttkamer and his system have nothing to expect in the way of favor from the expurgators. (ebd.) Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 76 Bestrebungen zur Sprachpflege und das Bedürfnis nach Normierung der Sprache waren schon seit jeher nicht unabhängig von dem Einfluss und dem Interesse politischer Kräfte zu betrachten, was sich, wie im Beispiel des aufgeführten Artikels der New York Times, sogar in der Berichterstattung der ausländischen Presse niederschlägt. Im Folgenden führe ich einige aktuelle Reaktionen aus der Zeit nach Einführung der Neuregelung aus politischen Diskursen von politischen Kräften zum Thema „Reformbestrebungen in Sachen Neuregelung der Rechtschreibung“ auf, deren öffentliche Meinung in der Funktion als Parteivertreter oder insgesamt als Vertreter eines Fachressorts in der medialen Berichterstattung durch unterschiedliche gesellschaftlich-politische Zielsetzungen Aufmerksamkeit gefunden hat, die sich in den Aussagen widerspiegeln. An anderer Stelle werde ich die Meinungsbilder von politischen Kräften anhand von Artikeln und Berichterstattungen aus Tages- und Wochenzeitungen aufführen, die die Reaktionen noch einmal in den jeweiligen Kontext und Rahmen setzen. An dieser Stelle möchte ich die Reaktionen politischer Vertreter verdeutlichen, um die Resonanzen in der gesellschaftspolitischen Diskussion um die Rechtschreibreform dazustellen: - Staatssekretär Klaus-Henning Lemme (NI) weist die Kritik an der Reform zurück (Die Welt, 29.7.2000), - Einzelne Bundestagsabgeordnete haben eine Rücknahme der Reform gefordert: Norbert Geis (CSU, schon in den Gesprächen mit Minister Rolf Wernstedt kritisch), Reinhold Robbe (SPD), Jürgen Koppelin (FDP), Ditrich Austermann (CDU) (Die Bild, 28.7.2000), - Der Berliner Schulsenator Klaus Böger hat die Umstellung der FAZ als unproblematisch gewertet (Berliner Morgenpost, 28.7.2000), - Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Jürgen Rüttgers hat die Kultusminister aufgefordert, das „Chaos um die Rechtschreibreform“ zu beenden (Das Handelsblatt, 28.7.2000), - Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt begrüßt die Umstellung der FAZ als ein Signal gegen die „kulturelle Verarmung der deutschen Sprache“ (Der Spiegel, 27.7.2000), - Die Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutscher Bundestages, Monika Griefhahn, spricht sich gegen ein Unterlaufen der Reform aus (Die Welt, 29.7.2000), - Kritik an der Reform äußert Hans-Dietrich Genscher (FDP) (Die Welt, 29.7.2000), - Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietrich Austermann fordert eine Befassung des Deutschen Bundestages (Der Tagesspiegel, 29.7.2000), Sprachpflege und Sprachpolitik 77 - Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn lehnt eine erneute Diskussion ab (SZ, 31.7.2000), - Der Sprecher der Grünen, Fritz Kuhn, lobt die gelungene Reform (SZ, 31.7.2000), - Die Vorsitzende des Bundestages Bildungsausschusses, Ulrike Flach (FDP), plädiert für die Rückkehr zu den alten Regeln (Berliner Morgenpost, 4.8.2000), - Die Hessische Ministerin Ruth Wagner spricht sich dafür aus, dass die Kultusminister zumindest die „widersinnigsten Regelungen“ zurücknehmen (FAZ, 7.8.2000), - Minister Klaus Böger und Steffen Reiche sprechen sich erneut für die Rechtschreibung aus, schließen auch Korrekturen nicht aus (Rheinischer Merkur, 12.8.2004), - Ministerpräsident Roland Koch möchte eine Korrektur von „Exzessen“ (Erzeugnis bleibt hier unerwähnt, 13.8.2000), - Ministerin Edelgard Bulmahn ist gegen eine Bundestagsbefassung. Die Rechtschreibung sei keine politische Angelegenheit (FAZ, 14.8.2000), - Der Vorsitzende der CDU-/ CSU-Gruppe im EU-Parlament, Hartmut Nassauer, kritisiert die Einführung der Neuregelung in den EU-Institutionen seit dem 1.8.2000 (Erzeugnis bleibt hier unerwähnt), - Minister Michael Krapp (TH) spricht sich für die Korrektur einiger Regeln aus. Einige Argumente der Reformgegner seien nicht zu ignorieren [eine Presseerklärung des Ministeriums liegt hierzu nicht vor], - Erika Steinbach, Mitglied des Deutschen Bundestages und Kulturbeauftragte der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, erklärt in einem Schreiben an die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Monika Behler, dass die KMK ihre Kompetenzen überschritten habe, insistiert auf einem Ende der „babylonischen Rechtschreibverwirrung“ und empfiehlt die Rückkehr zur alten Rechtschreibung. Eine Übersicht über die unterschiedlichen Äußerungen verschiedener Kultusminister findet sich in der Welt am Sonntag vom 30.7.2000. Die unterschiedlichen Meinungsbilder, die ich hier aufgezeigt habe, möchte ich nicht für alle Bundestagsabgeordneten und politischen Engagierten generalisieren. Es zeichnet sich ab, dass vornehmlich die Mitglieder aus den Reihen der CDU/ CSU an dem Reformprogramm Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Kritik geübt haben, wohingegen die Mitglieder der SPD- Bundestagsfraktion sparsamer mit ihrer Kritik umgegangen sind und in den eigenen Reihen zur Versachlichung des Themas aufgerufen haben (beispiel- Der sprachpolitische Hintergrund zur Rechtschreibreform 78 haft führe ich hier die Intervention zur Bundestagesdebatte von Peter Enders, Mitglied des Bundestages, aus dem Jahr 1997 an). Aus den aufgeführten Reaktionen in dem Gruppenantrag soll hervorgehen, dass unter den Bundestagsabgeordneten verschiedener Fraktionen die Rechtschreibreform auf wenig Akzeptanz stieß und von einer ausgeprägten Voreingenommenheit gegenüber der Neuregelung, aber meines Erachtens auch gegenüber dem Gremium Kultusministerkonferenz geprägt war. In diesem Zuge kamen Vorschläge zum weiteren Vorgehen auf wie die Einsetzung eines Bund-Länder-Staatsvertrags, die Einrichtung einer Akademie für deutsche Sprache nach dem Vorbild der französischen Académie française oder eine Beschlussfassung durch den Bundestag gegen die Neuregelung, wenngleich sich daraus verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Zwiespältigkeiten ergeben hätten. Ein einheitliches Meinungsbild als Ergebnis der Anhörung lässt sich nicht abbilden, aber insgesamt wurde nicht auf die Notwendigkeit eingegangen, dass die vorgeschlagenen Eingriffe formuliert wurden, um die Regelunklarheiten im Zuge des Umsetzungsprozesses und der Übergangsbestimmungen zu beseitigen. Im Unterschied zur Schweiz hat der politische Widerstand sich weniger stark in den Medien ausgewirkt und die gegnerischen Kreise weniger stark formiert. Erst die Rechtsstreitigkeiten und geplanten Volksabstimmungen gegen die Rechtschreibreform in Deutschland hatten in der Schweiz für Verunsicherung gesorgt, die sich in Form von zwei Anfragen, auf die ich später noch kurz eingehen werde, im Schweizer Parlament äußerte. 3.8 Fazit Rückblickend auf die vorangegangenen Kapitel, folgere ich aus meinen Ausführungen über Rechtschreibreformen und sprachpflegerische sowie sprachpolitische Maßnahmen in diesem Zusammenhang, dass sich verschiedene Einflussfaktoren auf Reformvorhaben im Bereich Orthografie bestätigen lassen, die auf die beiden genannten Konzepte zurückgehen. Institutionalisierte Sprachpflege verstehe ich als eine nicht komplett von Sprachpolitik zu separierende Disziplin. Sie nimmt Elemente aus Sprachkritik auf und spielt sich zugleich auf sprachpolitischer Ebene ab, so dass ich die vergangenen Reformbemühungen in Sachen Normierung der deutschen Sprache als Schulterschluss und Kooperation beider Bereiche verstehe, die sich kritisch beäugen, sich gegenseitig hemmen und fördern können. Im Mittelpunkt standen in meinen Ausführungen, anknüpfend an das Vorhergenannte, die Vorurteile, die gegenüber sprachpolitischen Maßnahmen geäußert wurden, woran sich ablesen lässt, dass sprachpolitische Diskussionen zugleich auch immer eine sprachpflegerische, sprachkritische Dimension auf- Fazit 79 weisen und Rechtschreibreformen der Gegenwart nicht eingleisig oder eindimensional zu betrachten sind, sondern unter einem holistischen gesamtgesellschaftlichen Aspekt bewertet werden müssen. Übersicht 81 4. SPRACHPFLEGE UND SPRACHPOLITIK IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM 4.1 Übersicht Nachfolgend führe ich unterschiedliche Perioden der deutschen Sprachpflege und Sprachpolitik auf, die einen kurzen Überblick über die bis in die Neuzeit hineinreichenden Entwicklungen geben. Sprachpflege in Deutschland in der Zeit bis 1945 ist vornehmlich durch Einzelpersonen geprägt, wenngleich sich Sprachpflegevereine wie der ADSV schon an fachlichen Diskussionen beteiligt haben. In der Literatur wird diese Epoche der Sprachpflege oft mit den Begriffen „Sprachschutz“, „eine Art nationalem Moment der Sprachpflege“ (Hillen 1982, S. 15ff. nach Wirth 2010) und ‘Fremdwortpurismus’ (nach Kirkness 1975) assoziiert. Sprachpflege in der Bundesrepublik von 1945 bis 1989 ging von verschiedenen sprachpflegenden Vereinigungen aus, die sich nicht mehr ausschließlich mit dem Fremdwortdiskurs beschäftigen, sondern Sprachpflege mit weiteren Inhaltsaspekten verknüpften, die sich durch die Teilung Deutschlands ergeben haben. Hierzu gehörte die Sorge um die Einheit der deutschen Sprache. In der ehemaligen DDR befasste sich die Sprachpflege ähnlich wie in der BRD mit Bemühungen um die Einheit der deutschen Sprache, aus der jedoch im Unterschied zur BRD die Pflege einer sozialistisch ausgerichteten Sprachkultur hervorgegangen ist. Die Zeit von der Wiedervereinigung bis zur Reform von 1996 ist geprägt durch die Annäherung der unterschiedlichen Sprachgebrauchsformen und, wie in der Zeit davor, die Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Etliche private sprachpflegende Vereine wie auch halbstaatliche und öffentliche Einrichtungen haben sich einen festen Platz im öffentlichen Diskurs gesichert. Die Entwicklungen in der Sprachpflege wie auch Sprachpolitik seit Umsetzung der Reform sind geprägt von verschiedenen Ausrichtungen, befürwortender wie auch ablehnender Art. Hinzugekommen sind auch abgeleitete praktische Aspekte der Sprachberatung (bspw. durch den Duden-Verlag), die die gegenwärtigen Sprachpflegebemühungen prägen. 4.1.1 Die Entwicklungen im 19. Jahrhundert Sprachpflege und Sprachpolitik wurden im deutschen Sprachraum in der Zeit vor der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung weit weniger systematisch betrieben als in der Zeit nach der Rechtschreibreform von 1996. Zurückblickend in die Zeit um die erste Orthografische Konferenz von 1876, wurde die Sprachpflege durch Einzelpersonen wie die Grammatiker und Le- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 82 xikografen Adelung oder Campe geprägt. Erst in jüngerer Zeit sind politische Persönlichkeiten in Erscheinung getreten, da sich erst im Zusammenhang mit dem in den Schulen formulierten Bedürfnis, eine Vereinheitlichung der Rechtschreibung zu erwirken, die Notwendigkeit einer amtlichen Reformierung der deutschen Sprache gebildet hat. Edlinger (2007) erklärt die Ausweitung des politischen Wirkungskreises auf Rechtschreibfragen im Deutschen folgendermaßen: Zum Ende des 19. Jahrhunderts und mit der Gründung des Deutschen Reichs übernimmt der Staat die Aufsicht über weitere Entwicklungen und lädt schulgrammatischer Vertreter und pragmatisch eingestellte Sprachwissenschaftler (vor allem Konrad Duden) zur 1. Orthographischen Konferenz in Berlin ein (Scheuringer [1996,] S. 72ff.). (Edlinger 2007, S. 5) Da sprachpflegerische Vertreter damals noch nicht in Verbänden und Vereinen organisiert waren, die sich der Pflege und dem Erhalt der deutschen Sprache verpflichtet haben, gingen außerstaatliche sprachpflegerische Maßnahmen zu dieser Zeit noch von Einzelpersonen aus. Das Zitat soll die Aussage unterstreichen, dass Sprachpflege und Sprachpolitik schon zu Beginn systematischer Überlegungen über die Reformierung der deutschen Rechtschreibung zum Zwecke der Vereinheitlichung und Vereinfachung Hand in Hand gingen. Diese symbiotische Form kultivierte sich im Laufe des letzten Jahrhunderts weiter und mündete in das aktuell gültige und amtliche Regelwerk. Der Beitrag der Sprachpflege ist dabei die Schärfung des Sprachbewusstseins gegenüber der politischen Ebene in Hinblick auf die Belange der gesellschaftlichen Kräfte und auch die der Fachwissenschaft, die sich auf diesem Wege Gehör verschaffen können. Sprachvereine haben zudem die Diskussion in den Medien maßgeblich mitbestimmt, wie Wirth (2010) eingängig beschrieben hat. Der Beitrag der Sprachpolitik liegt, wie ich nachfolgend aufzeige, darin, die aus den sprachpflegerischen und sprachkritischen Diskursen hervorgehenden Bedürfnisse aufzugreifen und sie über Einzelinteressen hinweg zu einem nationalen und, im Falle der deutschsprachigen Länder, zu einer multinationalen Gemeinschaftsaufgabe zu machen, in der Akteure aus Sprachpflege und Gesellschaft einen festen Platz haben. 4.1.2 Die Entwicklungen von 1901/ 1902 bis 1945 Im 19. Jahrhundert bestand die deutsche Rechtschreibung aus einer Fülle von Hausrechtschreibungen in Behörden, Schulen und Verlagen in den verschiedenen Staaten des deutschen Kaiserreichs. Dies nahm Konrad Duden zum Anlass zur Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung, was einige Jahrzehnte in Anspruch nahm und im Jahr 1901 zu einem Erlass in der 2. Orthographischen Konferenz führte, der den von Duden unterbreiteten Vorschlägen amtliche Gültigkeit verlieh. Der Schritt zu einer Vereinheitlichung Die Bundesrepublik vor der Wende 83 war damit getan, allerdings nicht zu deren Vereinfachung. Mit dem Erlass sieht von Polenz (2000, S. 241) den Grundstein gelegt für die allmähliche Verlagerung der staatlichen Aufsicht über die deutsche Sprache hin zur Duden- Redaktion als Institution, deren Vorschläge fortan halbamtlichen Charakter hatten. Die Reformbemühungen in der Zeit der Weimarer Republik waren geprägt von verschiedenen Vereinfachungsbestrebungen der deutschen Rechtschreibung in Zusammenarbeit mit Österreich und der Schweiz (auch die Frage der Kleinschreibung von Substantiven wurde behandelt), sind aber im Zuge der politischen Unruhen in Deutschland nicht fortgeführt worden (siehe Ausführungen bei Kranz 1998). Erfolgreich wurde eine Schriftreform durchgesetzt in der Zeit des Nationalsozialismus um 1941, die eine Umstellung der Fraktur- und Sütterlinschrift auf die lateinische Antiquaschrift in Schulen und Verwaltung beinhaltete. 4.2 Die Bundesrepublik vor der Wende 4.2.1 Abriss der wichtigsten Entwicklungen Die Reformbestrebungen in der Nachkriegszeit sind weitestgehend von politischen Unsicherheiten im Zuge der Teilung Deutschlands geprägt. Verschiedene Reforminitiativen wurden zwar schon direkt im Nachgang angestoßen, gewannen aber erst zur Gründung der Bundesrepublik wieder Auftrieb. Der Mannheimer Duden konnte mit Beschluss der KMK aus dem Jahr 1955 seinen amtlichen Auftrag verstetigen, ohne eine staatliche Institution zu werden wie der Leipziger Duden in der DDR. Trotz der politischen Teilung kam es nicht zu einer Auseinanderentwicklung in Sachen Orthografie, allerdings ergaben sich aufgrund des veränderten Sprachgebrauchs in der sowjetischen Besatzungszone Unterschiede in der Lexik (siehe hierzu 4.4). Im folgenden Kapitel gehe ich auf die Reformdiskussion in der „alten“ Bundesrepublik ein. 4.2.2 Zu den Wiesbadener und den Stuttgarter Empfehlungen Es gibt mittlerweile etliche Darstellungen zur Geschichte der Rechtschreibreform der deutschsprachigen Gebiete, so dass ich an dieser Stelle nicht alle historischen Etappen im Einzelnen erläutern möchte. Erwähnenswert ist hierfür die Reihe Documenta Orthographica des Olms-Verlags, in der die Geschichte und Einzelaspekte der Auseinandersetzung um die Reformierung der deutschen Rechtschreibung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart ausführlich nachgezeichnet wurden. Die FAZ hat eine, wie ich meine, fundierte Chronik über die Entstehung der Rechtschreibreform herausgegeben, die überblicksartig, aber nicht ausführlich, die entscheidenden Beschlüsse und Reaktionen wiedergibt. Wichtig an dieser Stelle zu benennen sind allerdings Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 84 die weichenstellenden Ereignisse, die eingetreten sind, noch bevor die Rechtschreibung einer weitreichenden Reform unterzogen wurde. Hierzu gehört, dass die Kultusministerkonferenz im Jahr 1956 zusammen mit dem Ministerium des Innern den Arbeitskreis für Rechtschreibregelung berufen hat, von dem verschiedene Initiativen in Richtung auf eine gemeindeutsche Lösung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ausgegangen sind. Auf die vom Arbeitskreis für Sprachpflege erarbeiteten Stuttgarter Empfehlungen aus dem Jahr 1954 folgten Wiesbadener Empfehlungen von 1958, 15 die Auswirkungen auf alle anschließenden Diskussionen um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung hatten. Die Wiesbadener Empfehlungen beinhalteten Vorschläge zu beinahe allen Bereichen der Rechtschreibung (bspw. Silbentrennung, Fremdwörter) sowie die weitere Diskussion um die gemäßigte Kleinschreibung. Diese Vorschläge zur Diskussionsgrundlage einer breiten Öffentlichkeit führten zu einer starken Emotionalisierung des Themas. Die Bemühungen, auf nationaler und internationaler Ebene ein Einvernehmen zu erzielen, blieben ohne Erfolg und ruhten bis zu einer Wiederaufnahme in den 1970er Jahren. Eine Wiederaufnahme wurden von verschiedenen Seiten begrüßt, wie aus Anträgen diverser Landesregierungen in den entsprechenden Landtagen hervorgeht, im immerwährenden Ersuchen der Bundesrepublik mit den deutschsprachigen Ländern Verhandlungen zur Wahrung der Einheitlichkeit des deutschen Sprachraums aufzunehmen, und aus dem Druck der Öffentlichkeit zu Gunsten einer Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung, der an einer Zunahme privater Aktionen in den 1970er Jahren ablesbar war. 4.3 Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR 4.3.1 Die Forschungsgruppe an der DDR - Akademie Die Bemühungen um eine Reform der deutschen Rechtschreibung in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR wurden bereits anschaulich durch Dieter Herberg dargestellt: Klaus Heller bildet zusammen mit Dieter Nerius (dessen Mitarbeiter er war) und Dieter Herberg das ostdeutsche Dreiergespann. (FAZ, 22.8.2004) So heißt es in einem Feuilleton-Artikel der FAZ vom 22.8.2004 (Geheimsache Deutsch; Autor: Hannes Hintermeier), wo er auch als Schüler von Nerius als ausgewiesener Experte gehandelt wird, der innerhalb der DDR-Forschungsgruppe den wissenschaftlichen Gehalt der Rechtschreibdiskussion in Bezug auf Phonem-Graphem-Korrespondenzen durch eine größere Strukturtiefe in 15 Die Texte der Stuttgarter und Wiesbadener Empfehlungen wurden Strunk (Hg.) (1998) entnommen. Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR 85 seinen Ausführungen anreicherte, die die Grundlagen für weitere Forschungen der Forschungsgruppe Orthografie in den 1970er Jahren boten. Ich möchte an dieser Stelle nicht ausschließlich unterschiedliche Entwicklungsströme und Auffassungen in Sachen Sprachpolitik und Sprachpflege benennen, die sich in Ost und West herausgebildet haben, sondern auf die Ereignisse und die sie bedingenden politischen und fachlichen Diskurse eingehen, anhand derer versucht wurde, das Projekt einer gemeinsamen Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum wieder aufzunehmen. Die Arbeitsgemeinschaft zur Erneuerung der deutschen Rechtschreibung von 1954 fasst in einem Empfehlungskatalog (Herberg/ Kinne/ Steffens 2004, S. 82f.) nicht nur die für die Phase prägsamen inhaltlichen, sondern auch die politisch relevanten Aspekte der Rechtschreibreform zusammen. Neben der Erleichterung des Unterrichts trat auch die Stärkung des Deutschen im internationalen Austausch und zur Beseitigung der Kluft zwischen „gebildeten“ und weniger gebildeten Bevölkerungskreisen durch Vereinfachung und insgesamt durch eine Neuordnung der Rechtschreibung hinter die verwaltungstechnischen Bedenken zurück. Die beste Wirkung könne eine Reform außerdem entfalten, wenn die Übergangszeit besonders kurz sei, in der einem Widerstand keine Zeit zum Entwickeln bleibe, lautete eine der Meinungen. Einige Maximen, denen sich die Orthografieforschung in der DDR verschrieben hat, stießen in den darauffolgenden Jahren bezüglich des Verständnisses von Nutzen und Zweck einer Reform vor allem in den internationalen Arbeitskreisen auf Ablehnung, wenngleich zuvor, genauer 1954, mit den Stuttgarter Empfehlungen ein gemeinsamer Vorschlag durch SBZ, BRD, Schweiz und Österreich erarbeitet worden war. Die Neuformulierung der Regeln, eine an den aktuellen Sprachstand angeglichene Sprachreflexion, bestand aus der Anpassung der Sprachnorm und der Beseitigung von Ausnahmen und Widersprüchen (vgl. auch bei Munske 1997, S. 279). Im Zentrum der Debatte standen dort das Medium Sprache in Form der Gestaltung von Regeln zur Erfassung der Normvorstellung und eine stärkere Nutzerorientierung in Bezug auf die Zielformulierungen im Gegensatz zu Teilen der Reformempfehlungen der Nachkriegszeit und in den 1950er Jahren in der SBZ und der DDR. 4.3.2 Historischer Abriss der sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten lassen, einen für die DDR charakteristischen Sprachgebrauch herzustellen Um nicht nur zu einer Einschätzung der Inhalte medialer, fachlicher und politischer Diskurse zu gelangen, braucht es eine objektsprachliche Betrachtung der Beschaffenheit des Sprachgebrauchs, auf die ich nachstehend eingehe, da der öffentliche Sprachgebrauch in der DDR auch zugleich ein politisch geprägter Sprachgebrauch ist. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 86 Es finden sich wesentliche Unterschiede im Sprachgebrauch in den ostdeutschen Bundesländern und in den westdeutschen, die sich als lexikalische Unterschiede bemerkbar machen und sich im Wortschatz ablesen lassen. Hellmann beschreibt dies für den Zeitraum 1945 bis zur Wiedervereinigung wie folgt: Dieser Zeitraum war - als Folge der politischen Auseinanderentwicklung und Teilung Deutschlands - auch von sprachlicher Divergenz geprägt, die sich vor allem im Wortschatz und Wortgebrauch äußerte. (Herberg 2008, S. 11) Unterschiede in der Rechtschreibung, Morphologie oder in der Syntax hat es Webers Beschreibungen zufolge nicht gegeben (Weber/ Fix (Hg.) 1989 nach von Polenz 1999, S. 430). Margita Pätzold (1991) ergänzt in einem Beitrag allerdings, dass es Besonderheiten in Bezug auf die Syntax gab, wie z.B. verkettete Genitivattributkonstruktionen ohne jede semantische Fülle, die den Satzbau grammatisch anreicherten und den Sprachstil künstlich erscheinen ließen. Die Bildungszentrale für politische Bildung listete in einem Dossier „Sprache und Sprachgebrauch in der DDR“ vom 15.10.2010 die wichtigsten Spezifika auf, die sich zwischen 1950 und 1989 herausbildeten. Dort heißt es auch: Worin bestand nun aber das DDR-typische der sprachlichen Einheiten und gab es auch eine Differenzierung auf der grammatischen und syntaktischen Ebene? Alle dahingehenden Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass es einige Abweichungen oder Auffälligkeiten gab, aber keine andere Grammatik oder Syntax. (Wolf-Bleiß 2010) Nach Hartinger (2007) zeichnete sich der Sprachgebrauch allgemein durch eine starke Polarisierung - einen bürokratischen Jargon - aus, da der Wortschatz Vokabular enthielt, das die Kommunikation in den Medien oder die Presse beherrschte, um spezifisch sozialistische Vorgänge und gesellschaftliche Prozesse zu bezeichnen, die offizial-bürokratisch oder propagierend motiviert waren, das oft aber auch inoffizielle Euphemismen enthielt wie „Arbeiterschließfach“ statt „Plattenbau“ (siehe hierzu Schroeter 1994, S. 108ff.). Fix beschreibt die Verhältnisse nach der Wiedervereinigung anhand der Auswertung von Leserbriefen in Presseerzeugnissen wie folgt: Es wird im Laufe der Untersuchung auch deutlich werden, dass mit der relativen Stabilisierung der Verhältnisse nach der „Wende“ neue kommunikative Normen, die vor allem die Wortverwendung betreffen, entstehen […]. (Fix 2014, S. 293) Vor der Wiedervereinigung waren die untersuchten Leserbriefe in Bezug auf die dort enthaltene Interpretation des verschriftlichten Sprechaktes positive Wertungen gegenüber der staatlichen Obrigkeit durch Zustimmung und Lob, Verurteilungen von Andersdenkenden und Anmahnungen und Appelle an Personen, Institutionen und Staaten. Die Wertungen nach der „Wende“ Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR 87 im abgebildeten Sprechakt spiegeln ein anderes Bild wider. Die dort vorgefundenen Begrifflichkeiten und Benennungen geben einen Sprachgebrauch wieder, den Fix mit einer wachsenden Individualität, Mündigkeit, Kritikwillen, Verantwortungsübertrag und Abgrenzung gegenüber staatlichen Stellen beschreibt (siehe bei Fix 2014, S. 213ff.). Kurz gefasst ist mit der Wiedervereinigung der Sprachgebrauch konvergiert, was bei Hellmann als „wendebedingter Sprachwandel“ bezeichnet wird (Hellmann 1997). Insgesamt resümiert Hellmann: Der Grundwortschatz der Sprache, z.B. der allgemeinsprachlichen Kommunikation oder unmittelbar erfahrbaren Ding- und Gefühlswelt, hat sich trotz ungeheurer geistiger Umwälzungen als erstaunlich konstant erwiesen. (Hellmann 1968/ 1969, S. 19) Die praktizierte Rechtschreibung ist, wenngleich sie den allgemeinen Sprachgebrauch abbilden soll, nicht mit diesem gleichzusetzen. Der Wandel des Wortschatzes in der DDR hat sich weniger auf die Schreibpraxis ausgewirkt, als gemeinhin vermutet wird. Insgesamt wird der Schreibgebrauch über den Rechtschreibunterricht vermittelt, was für den Unterricht in der DDR bedeutete, dass man sich an der im DDR-Duden praktizierten Norm orientierte. Wenngleich die Auswahl der im Ost- und West-Duden verwendeten Lexeme nicht dieselbe war, wie Schubert/ Hellmann (1968) in einem Vergleich der 16. Auflagen des Ost- und West-Duden herausgefunden haben, gab es keine Abweichungen hinsichtlich der im Duden verzeichneten Regeln. 4.3.3 Wesentliche Anliegen der DDR in Hinblick auf die Reformbemühungen um eine Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Ein Hauptanliegen der Bemühungen um die deutsche Sprache in der DDR in Sachen Rechtschreibung betraf die Groß- und Kleinschreibung, genauer gesagt, die Durchsetzung der gemäßigten Kleinschreibung. Nerius argumentierte bei seiner als G1 bezeichneten Variante (Großschreibung bei Satzanfang, Anredepronomina und Eigennamen, ansonsten Kleinschreibung) der Groß- und Kleinschreibung hier mit einer gewissen Einfachheit, die sich positiv im Bildungswesen niederschlage und die geringste Veränderung gegenüber der traditionellen Groß- und Kleinschreibung darstelle. Dagegen spreche aber: […] die Aufstellung eines verhältnismäßig umfangreichen Regelapparates und das Fortbestehen einer ganzen Reihe von Unsicherheits- und Schwierigkeitsfällen. (Nerius 1975, S. 215) Gemessen an den angespannten internationalen Ost-West-Kontakten zueinander, ist eine Bewertung der Unterschiede zur Behandlung von Sprachpflege und Sprachpolitik vor dem Hintergrund der unterschiedlichen kulturpoli- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 88 tischen Entwicklungen schwierig. Ein wesentlicher Unterschied zur BRD ist die Behandlung des Duden, der in der DDR, anders als in der BRD, keine privatwirtschaftliche Stellung mit halbamtlichem Charakter hatte, 16 sondern zu einer staatlichen Institution erhoben worden war. Hellmann (1968/ 1969, S. 39-70) beschreibt in einem Beitrag nicht nur die institutionellen Unterschiede zwischen dem Leipziger und Mannheimer Duden, sondern auch die inhaltlichen: Die Leipziger Dudenredaktion verfolgt erkennbar das Ziel, den DDR-typischen Wortschatz, sofern er nicht in den Fremdwörter-Duden gehört, möglichst vollständig zu verzeichnen und zumeist auch ideologisch eindeutig, d.h. im Sinne der SED, zu erläutern. Umgekehrt streicht sie zum Teil ideologisch unerwünschte Wörter. Die Mannheimer Redaktion verfolgt kein so ausgesprochen sprachpolitisches Ziel in diesem Sinne; sie erläutert neutraler und nimmt zudem bei Neuauflagen nun auch solche Wörter auf, die bisher nur im Ost-Duden standen; damit verringern sich wieder die zwischen den beiden Duden eingetreten Differenzen. (ebd., S. 17) In der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den 1950er Jahren war es eine der Hauptbestrebungen, eine Reform im gesamtdeutschen Raum durchzusetzen. Einer der wichtigsten Reformpunkte äußerte sich, wie schon erwähnt, im Desiderat, die gemäßigte Kleinschreibung mit den Wiesbadener Empfehlungen durchzusetzen, was auch ein maßgeblicher Grund war, der zur Ablehnung derselben im Jahr 1958 geführt hat. Herberg unterteilt die Reformbemühungen in drei Phasen, die kennzeichnend sind für ihre jeweils eingenommene Ausrichtung. Die wesentlichen Kernaussagen der ersten Phase in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Bezug auf die Reform sprechen für eine allgemeine Reformaufgeschlossenheit, die durch die Volksbildung (Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in der sowj. Besatzungszone) und durch die Aktivierung von Einzelpersonen (bspw. durch den Leipziger Linguisten Theodor Frings) verstärkt wurde, ein Umstand, der vornehmlich für die zweite Phase von 1952-1963 prägsam war (Herberg 2006, S. 10, 79ff.). Allerdings werden in der Literatur die Frage nach dem Ursprung eines offiziellen Auftrages und das Format der reforminteressierten Experten unterschiedlich beurteilt. Von einer radikalen Änderung des Schriftbildes durch Kleinschreibung bis zur Einstellung aller reformwürdigen Aktivitäten sind einige Forschungsanliegen aus der DDR vordergründig immer wieder auf dem deutschsprachigen internationalen Parkett in Erscheinung getreten. Peter von Polenz (1999) beschreibt einen sich über alle drei beschriebenen Phasen vollziehenden Wechsel in der Entwicklungsten- 16 Für den schulischen Bereich ist der Duden in der BRD niemals amtlich gewesen, was auch der Beschluss der KMK aus dem Jahr 1955 in seiner Interpretation nicht zulässt. Der Duden wurde maßgeblich für die Behandlung von Zweifelsfällen. Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR 89 denz der Rechtschreibbemühungen, der nicht in allen Bereichen durch die DDR mitgetragen worden war und mit der Ablehnung der Wiesbadener Empfehlungen von 1954 zu einer enttäuschten Abwehrhaltung der DDR- Linguisten führte. Von den anfänglichen Veränderungen im Schriftbild zu einem gesprochen-sprachlichen Lautbild und Vereinfachungen im phonematischen System sei der Fokus zu Veränderungen der semantischen Struktur gerückt, wie sie durch Kleinschreibung und bspw. Getrennt- und Zusammenschreibungen verursacht würden. Die Kleinschreibung war auch ein wiederkehrendes Desiderat der SBZ und später der DDR und bildete in allen Phasen der Reformbemühungen einen Schwerpunkt. Ich halte also aus der Betrachtung der von Herberg angeführten Dokumente zu den Reformbewegungen in der SBZ in der unmittelbaren Nachkriegszeit fest, dass die Hauptmerkmale sprachpflegerischer Maßnahmen aus der Beseitigung fremdsprachlicher Einflüsse, verschiedener Reformvarianten für die Groß- und Kleinschreibung und der Beseitigung distinktiver Merkmale bestanden, die sich niederschlug in einer Simplifizierung phonologischer und silbenstruktureller Prinzipien und damit unmittelbar die lexikalische Identität eines Lexems betraf. Einfacher gesprochen, lässt sich sagen, dass die Vereinfachung darin bestand, bestimmte lautliche Kontraste nicht mehr graphematisch auf der Ausdrucksseite kennzeichnen zu wollen wie bei den Vorschlägen im Umgang mit Dehnungszeichen, wobei die Lauttreue beibehalten werden sollte. Dies stellte meiner Ansicht nach den ersten Schritt hin zu einer deckungsgleichen Zuordnung von Graphem-Phonem-Korrespondenzen (laut den Vorschlägen des Leipziger Ausschusses zur Vereinfachung der Rechtschreibung soll sp anlautend durch schp und st durch scht ersetzt werden, Herberg/ Kinne/ Steffens 2004, S. 28) im Gegensatz zu einer reinen Alphabetschrift dar. Die Reformbewegungen in den Jahren nach 1945 sind hauptsächlich durch eine Öffnung des Systems und Toleranz gegenüber fremdsprachlichen Einflüssen gekennzeichnet (siehe hierzu bspw. Heina 2007), was an dem wachsenden Einfluss anglophoner Bezeichnungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie Presse, Medien und Verwaltung abzulesen ist. Im Falle der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später der DDR wird die Ausrichtung sprachpflegerischer Maßnahmen nicht wesentlich von denen der westlichen Besatzungszonen differenziert (siehe hierzu Greule/ Ahlvers- Liebel 1986 nach Heina 2007, S. 46ff.). Dabei geben die bei Herberg/ Kinne/ Steffens (2004) angeführten Dokumente und Quellen entgegen dieser Feststellung einen anderen Eindruck wieder, der auf ein progressiv ausgerichtetes Verständnis von Sprachpflege schließen lässt, das vielleicht schon auf die sich unterschiedlich entwickelnden ideologischen Strömungen hindeutete und viel weiter gehende Veränderungen beinhaltete, als in den west- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 90 lichen Besatzungszonen ursprünglich beabsichtigt worden war. 17 Die übergeordneten Kriterien neben den Forderungen nach Einzeländerungen wie der konsequenten Kleinschreibung zur Umsetzung einer Reform waren nämlich, wie bei Herberg/ Kinne/ Steffens (2004, S. 29ff.) beschrieben, die Eilbedürftigkeit des Verfahrens, die Vereinfachung sowie die Art der Schreibschrift. 4.3.4 Die wesentlichen sprachpolitischen und um Sprachpflege bemühten Akteure und die unterschiedlichen Phasen des Reformprozesses in der DDR Herberg/ Kinne/ Steffens (2004) erläutert anhand seiner Ausführungen, dass viele sprachpflegerische Maßnahmen durch Einzelpersonen ausgelöst und bspw. mit Gründung des Vorausschusses im Jahr 1946 eingeleitet wurden, indem die Neubewertung der Normierungsprinzipien der Schriftsprache zur Aufgabe gemacht wurde. Im Einzelnen wurden Vorschläge erarbeitet wie die forcierte Kleinschreibung ohne Rücksicht auf die Wortkategorie (abgesehen von Namen und am Satzanfang), das Ersetzen von Fremdwort- Schreibweisen wie bspw. ph, qu, th und rh wie sie auch schon in den Stuttgarter Empfehlungen von 1954 vorgeschlagen worden waren, und weitere Vorschläge zu Phonem-Graphem-Korrespondenzen. Dies sind nur einige wenige Beispiele aus einer Reihe von einschneidenden Veränderungen, die auf Initiierung der Vorschläge eines kleinen Kreises von Experten zum Zwecke der Zeitersparnis in Bezug auf das Lernen in der Schule und zur Reduzierung des Fehlerquotienten eingeführt werden sollten. Besonders interessant finde ich in dem bei Herberg erwähnten Dokument 1 „Vorschläge Vorausschuss […] mit Fassung vom 17.4.1946“ (Herberg/ Kinne/ Steffens 2004, S. 18ff.), dass bei den als wünschenswert eingestuften Änderungen die Frage nach der Abschaffung des runden s und des ß durch das sog. weiche s und das scharfe s mittels Einführung der lateinischen Antiqua-Schrift gelöst werden sollte. Der Schriftstreit war schon lange vor 1946 ein sprachpolitischer Diskurs, der darin gipfelte, dass die deutsche Schreibschrift als Amtsschrift von der lateinischen Schrift abgelöst wurde. Insoweit lässt sich festhalten, dass trotz verschiedener sprachpuristischer Maßnahmen die Durchsetzung der lateinischen Schrift als sprachpolitisch motivierte, westorientierte Innovation in der sowjetisch-sozialistischen Zone begriffen werden kann. Sprachpolitisch ist dies so zu bewerten, dass die Verwendung der 17 Dies ist auch in Herberg/ Kinne/ Steffens (2004) Dokument 5 - Einladung zur Diskussion des Reformvorschlags der Gewerkschaft der Lehrer und Erzieher im FDGB (S. 31) abzulesen, in dem alle Lexeme demonstrativ frei nach der Regel „ersetze v und ph durch f“ umgestaltet wurden und konsequent Kleinschreibung praktiziert wurde, auch am Satzanfang. Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR 91 lateinischen Schrift (oftmals auch als französische Schrift bezeichnet) nicht zur politischen Polarisierung missbraucht wurde, und zeigt, dass die ideologischen Unterschiede in 1946 noch nicht so einschneidend waren wie später. Diese Entwicklung sei nur am Rande erwähnt. In einem Artikel in Die Welt vom 8.8.2004 mit dem Titel „Wie die Deutschen das Schreiben verlernten“ wird folgendes Zitat wiedergegeben, das aufzeigt, wie der Autor des Artikels (Alan Posener) die Art der Umsetzung der Reformbemühung aus medialer Sicht und im historischen Kontext bewertet: In der SBZ forderte bereits 1946 der „Vorausschuss zur Bearbeitung der Frage der Rechtschreibreform bei der Deutschen Verwaltung für Volksbildung“ eine Reform, die auf weiten Strecken der Reform der Nazis ähnelte. Die Inhalte der zweiten Phase, die die Initiativen in den 1950er Jahren betraf, beschreibt er als offensivste, da die DDR die gemäßigte Kleinschreibung mit den deutschsprachigen Ländern verhandeln wollte. Diese Phase stellt in der Geschichte der gemeinsamen Bemühungen um einen Reformvorschlag eine Phase der intensiven Zusammenarbeit der deutschsprachigen Länder dar. Die letzte Phase beinhaltet eine allgemein mit Zurückhaltung zu beschreibende Periode nach Ablehnung der Wiesbadener Empfehlungen, in der sich neue Initiativen herausbildeten und Projekte zur Verbesserung der Rechtschreibreform entstanden sind. Dieter Herberg (1991) beschäftigt sich in einem Beitrag mit verschiedenen Phasen der politischen Auseinanderentwicklung zwischen BRD und DDR und schreibt über die 1970er Jahre: Für das Forschungsklima der 70er Jahre wirkten sich insbesondere die rigide Abgrenzungspolitik der DDR-Führung negativ aus, das Aufgeben der gesamtdeutschen Orientierung und der internationalen Wissenschaftskontakte, die einseitige Ausrichtung auf bestimmte Richtungen und der sowjetischen Sprachwissenschaft […]. (ebd., S. 5) Dies sind Gründe für die Erschwernisse einer Annäherung zwischen den deutschsprachigen Ländern in Sachen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in der 1970er Jahren, auf die ich nachfolgend noch etwas ausführlicher eingehe. Wie sind die Reformansätze der DDR im Lichte von Sprachpolitik zu betrachten? Wie stellte sich der bewusste Eingriff in das sprachliche Verhalten in der DDR dar, und wie wurde er sprachpolitisch umgesetzt? Ausgehend von einer Orientierung an der sowjetischen Sprachpolitik, beschreibt Utz Maas (1989) diesen Eingriff als sich im gesellschaftlichen Leben abspielenden Faktor, der maßgeblich kulturpolitisch installiert wurde, um eine sozialistische Gesellschaft zu stabilisieren (ebd., S. 158-164). Dies äußerte sich in einem Prinzip der Gleichheit von Nationalitätensprachen (Lebsanft/ Wingender (Hg.) 2012, S. 167), also in der Anerkennung von unterschiedlichen sowjetischen Spra- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 92 chen wie z.B. Türksprachen oder anderen nicht-slawischen Sprachen. Erst in neuerer Zeit wurde der russischen Sprache in der Bevölkerung ein hohes Prestige eingeräumt, das sich in der sog. „Russifizierung“ vieler sprachlicher Felder niederschlug. Schroeter (1994) hat sich ausführlich über DDR-typische Entlehnungen ausgelassen und neben dem zu erwartenden russischen Einfluss auch diverse Internationalismen im Sprachgebrauch identifiziert, die mit der russischen Einflussnahme auf die deutsche Sprache den Wortschatz bereichert haben. Insgesamt hat Schroeter (1994) etlichen Benennungen eine Motivation unterstellt, die der Propaganda, der Beschreibung staatlicher Organisationseinheiten in Abgrenzung zu Benennungen aus der Bundesrepublik oder der Markierung ideologischer Unterschiede oder Gemeinsamkeiten diente. Ulla Fix (2014, S. 636) stellt in Bezug auf die Zielstellung ihrer Untersuchung fest: Interessant ist […], dass sich die DDR-Identität durch Sprache, wie mein Korpus und andere Beobachtungen zeigen, wohl tatsächlich erst im Nachhinein und in der Abgrenzung herausgebildet hat. 4.3.5 Die sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten im Vorlauf zur Wiedervereinigung Die Wiederaufnahme der Verhandlungen um eine den deutschsprachigen Ländern gemeinsame Rechtschreibung möchte ich als die spannendste bezeichnen, da hier ein intensiveres politisches Engagement von Seiten der BRD betrieben worden war, um die beteiligten Länder an einen Tisch zu bekommen, als in den Verhandlungen in den Jahren, bevor alle gemeinsamen Bemühungen zum Erliegen kamen. Zwar hatte der Arbeitskreis für Rechtschreibregelung 1964 seinen Vorstand gebeten, die Gespräche trotz Ablehnung der Wiesbadener Empfehlungen durch die Schweizer und Österreichische Seite weiterzuführen, dies scheiterte allerdings an der abweisenden Haltung der Rechtschreibkommission auf Seiten der DDR ab 1965, 18 der aufgelösten Kommission in der Schweiz und weiterhin an der ablehnenden Haltung der Vertreter in der österreichischen Kommission gegenüber den Vorschlägen. Im Nachgang zu einer Tagung in Wien, die aus der Initiative zweier privater Sprachpflegeorganisationen heraus veranstaltet wurde und an der Vertreter aus der BRD (Vorsitzender des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung, Paul Grebe) und der Schweiz teilnahmen, kam man zu dem Schluss, dass man zu weiteren koordinierenden Gesprächen zur Durchführung einer gemeinsa- 18 Vor 1965 wurde durch den Vizepräsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Ostberlin, Wolfgang Steinitz, der im Jahr 1965 durch Günter Feudel abgelöst wurde, Gesprächsbereitschaft signalisiert. Sprachpflege und Sprachpolitik in der SBZ und der DDR 93 men Reform zusammenkommen müsse. Es galt zunächst informell zu klären, ob die DDR an einer separaten und eigenen Entwicklung der deutschen Rechtschreibung interessiert war und ob, ungeachtet der zu diesem Zeitpunkt laufenden Ratifizierung eines deutsch-deutschen Grundlagenvertrags, eine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit bestand. Die Befürchtung eines Alleingangs durch die DDR erwuchs aus dem Personalwechsel im Direktorat der Deutschen Akademie der Wissenschaften mit Günter Feudel und der Einsetzung einer neuen Rechtschreibkommission in der DDR ab 1965. Da sich Vertreter der Schweiz und Österreichs positiv zu einer Wiederaufnahme der Gespräche geäußert hatten, sollte die auf sich warten lassende abschließende Stellungnahme der DDR das Urteil über ein gemeinsames Vorhaben im deutschsprachigen Raum entscheiden. Im Jahr 1973 hatte sich die Bundesregierung mit einem Schreiben von Bundesminister Bahr an den zuständigen Staatssekretär der DDR, Kohl, gewandt und dort die Auffassung vertreten, multilaterale Gespräche zum Zwecke einer einheitlichen Rechtschreibung aufzunehmen. Eine Beteiligung der DDR sah man zur Wahrung der Einheitlichkeit im gesamtdeutschen Sprachraum als unerlässlich an. Aus informellen Gesprächen ging zum gegenwärtigen Zeitpunkt hervor, dass sich eine entsprechend mandatierte Kommission für die multilateralen Verhandlungen in der DDR noch nicht herausgebildet hatte. Die auf offizielle Anfrage hin anfänglich zurückhaltend reagierende DDR hatte nach Vorliegen des Grundlagenvertrags neue Ansätze für eine Mitwirkung gezeigt und die Reformbemühungen in vier deutschsprachigen Ländern aufgenommen. Für die DDR bedeutete dies, eine Reihe von Untersuchungen zu relevanten Rechtschreibfragen durch Dieter Nerius an der Akademie der Wissenschaften der DDR unternommen und einen Beobachtungsstatus, z.B. am Wiener Rechtschreibkongress im Jahr 1973, wahrgenommen zu haben. Im Jahr 1978 sprachen sich Linguisten in der DDR zusätzlich für eine Reform der Interpunktion aus, was auf einem Kongress in Rostock artikuliert wurde und worüber in der interdisziplinären Ost-Berliner Zeitschrift Spectrum (Monatszeitschrift für Sprachwissenschaftler) berichtet wurde. Daneben sprach man sich für eine Vereinfachung der Fremdwortschreibung und Silbentrennung aus. In den 1980er Jahren erfuhren die Bemühungen um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung einen erneuten Anschub, indem die „Wiener Gespräche“ von 1986 weitergeführt wurden und bei allen deutschsprachigen Ländern politisches Einvernehmen darüber bestand, die auf der Orthografischen Konferenz von 1901 erarbeiteten Regelungen zur Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung als Basis für eine Anpassung an aktuelle Erfordernisse zu nutzen und über eine Umsetzung zu beraten. Für die DDR waren es die Vertreter in der Forschungsgruppe Orthographie des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften in der DDR, die zur Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 94 internationalen Arbeitstagung im Jahr 1988 in Rostock zusammenkamen. Dort wurde das Thema „Fremdwortschreibung“ und seine Verortung im Regelwerk (z.B. unter Phonem-Graphem-Korrespondenzen) behandelt. Die von der Forschergruppe erarbeiteten Reformüberlegungen wurden außerhalb der DDR auf zahlreichen internationalen Arbeitstagungen veröffentlicht und diskutiert, erstmals in Wien 1978, 19 dann 1980 in Basel und 1982 wieder in Wien. Die Schwierigkeit für die beteiligten Staaten gegenüber der DDR zu Beginn der Wiederaufnahme der Gespräche in den 1970er Jahren bestand meiner Auffassung nach zunächst darin, sich überhaupt ein Bild über die Auffassung der DDR zu einem gemeinsamen Vorgehen und zum weiteren Verfahren in Sachen Rechtschreibreform zu machen und Perspektiven zu präzisieren. Auf der 8. Internationalen Arbeitstagung zu den Problemen der Rechtschreibung und ihrer Neuregelung in Mannheim im Jahr 1990 wurde erstmals öffentlich über die politischen Veränderungen in Deutschland und die zu erwartenden strukturellen Umarbeiten im wissenschaftlichen Bereich im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung debattiert. In einem Beitrag im Sprachreport von Dieter Herberg (1991) beschreibt der Autor die von Anpassungen und Umstellung betroffenen Strukturen im Wissenschaftsbereich, die durch den Wissenschaftsrat begleitet wurden (laut Festlegung im Einigungsvertrag) und auch die Zusammensetzung der Institute und Mitglieder betrafen, die sich um die Forschung zur deutschen Rechtschreibung bemühten. 4.4 Von der Wende bis zur Reform von 1996 In der Zeit von 1989 bis 1996 wurde eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die den Reformprozess im Vorlauf zur Einführung der „neuen deutschen Rechtschreibung“ von 1996 entscheidend beeinflussten. Hierzu gehörte bspw. die Zusammenführung der Kommission aus der alten BRD, der ehemaligen DDR, der Schweiz und Österreichs. Hinzu kam, dass die KMK im Jahr 1987 dem Institut für deutsche Sprache (IDS) 20 offiziell den Auftrag erteilte, Vorschläge für eine amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung zu unterbreiten. Das Institut erarbeitete entsprechende Vorschläge auf Basis der in den Jahren und Jahrzehnten vorangegangen Empfehlungen und Diskurse, und diese wurden als Vorlage in den sogenannten 2. und 3. Wiener Gesprächen auf politischer Ebene verhandelt. Sie mündeten in die gemeinsame Ab- 19 Auf der internationalen Arbeitstagung 1978 in Wien gab es noch etliche Befürworter der gemäßigten Kleinschreibung. In Basel 1980 wurde zwischen den beteiligten deutschsprachigen Ländern über die Vorschläge zur gemäßigten Kleinschreibung abgestimmt. 20 Bis 1996 lautete der Name des IDS Institut für deutsche Sprache, danach änderte sich die Schreibweise in Institut für Deutsche Sprache. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 95 sichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung von 1996, die, anknüpfend an die Bestrebungen einer Vereinheitlichung der Rechtschreibung zu Anfang des 20. Jahrhunderts, nun dem Ruf nach einer Vereinfachung derselben folgte. Die Fortsetzung der Reformbemühungen ist Gegenstand des folgenden Kapitels. 4.5 Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 4.5.1 Sprachpflege und Sprachpolitik in der BRD: wichtige Akteure und die Untrennbarkeit der politischen von den medialen Diskursen Die Bewertung der deutschen Sprachpolitik der letzten Jahre ist untrennbar verbunden mit der Frage, wie gesellschaftliche und staatliche Behörden wie die Kultusministerkonferenz in Deutschland mit Reaktionen unterschiedlicher Kreise auf die Rechtschreibreform umgegangen sind. Um die Zusammenhänge an einem Beispiel zu beschreiben, möchte ich die Reaktionen der KMK auf negative Pressestimmen einfangen, die z.B. in Form von Zurückweisungen von Unterstellungen in Anlehnung an vergleichbare Behauptungen von Initiativen verschiedener Reformgegner Ausdruck fanden (siehe Pressemitteilung der KMK von 12.2.1998, 21 die als Reaktion „keine Reform der Reform“ bekannt wurde). Kritische Pressestimmen, die sich in folgenden Artikeln niederschlugen, gab es bspw. verstärkt im Jahr 2000: - Die Welt vom 25.7.2000: Hier lautete die Aufforderung, dass Teile der Reform zurückgenommen werden sollten. - FAZ vom 26.7.2000: Hier wurde auf die Unglaubwürdigkeit von Politikern wie Hans Zehetmair und Hans-Joachim Meyer angespielt, die sich halböffentlich von früheren Beschlüssen der KMK zur Weiterentwicklung der Rechtschreibreform distanziert hätten. Ein von der Zwischenstaatlichen Kommission ausgesprochener Korrekturbedarf wurde indirekt eingestanden, trotzdem wurden die Korrekturen abgelehnt. - FAZ vom 27.7.2000: Hier kündigte die FAZ an, zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, da die neue Rechtschreibung die Einheitlichkeit zerstöre. Wieder werden Vorwürfe an federführende Politiker ausgesprochen. Hans Zehetmair habe das Regelwerk gegen den Willen der Öffentlichkeit und wider besseres Wissen durchgesetzt. Bezug nehmend auf die im letzten Punkt formulierte Kritik und die Reaktion der FAZ als Konsequenz, möchte ich kurz zusammenfassen, wie andere Presseagenturen auf die Ankündigung der FAZ reagierten. 21 Die Pressemitteilungen, Beschlüsse u.ä. der Kultusministerkonferenz (KMK) sind über www.kmk.org (Stand: 1.3.2017) verfügbar. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 96 - Eine im Generalanzeiger vom 28.7.2000 veröffentlichte dpa-Umfrage hat ergeben, dass die meisten großen deutschen Zeitungen der FAZ nicht folgen werden. - Der Axel Springer Verlag teilt mit, dass er an der Reform festhalten wolle. (Tagesspiegel, 29.7.2000) - Die Zeit vom 17.8.2000 ruft Schriftsteller zum Diktat nach der alten Orthografie auf. Wie stellten sich nun die in der Presse wiedergegebenen Reaktionen von Verbänden, Vereinen und anderen gesellschaftlichen Kräften dar, die sich mit diesem Thema befassten? Eine kleine Auswahl möchte ich im Folgenden wiedergeben: - Die Haltung der Akademie für deutsche Sprache und Dichtung, wie sie in der FAZ vom 27.7.2000 formuliert wurde: Sie spricht sich für eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung aus. Die Forderung der Lehrerverbände, VBE und des Philologenverbands findet sich in einer gemeinsamen Presseerklärung (4.8.2000) wieder: - Versachlichung des Themas, mehr Toleranz im Streit über Reform, eine Rücknahme sei nicht akzeptabel. Jedoch spricht sich der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes Durner für die alte Rechtschreibung aus. (PM vom 7.8.2000) - Der Deutsche Philologenverband kritisiert den Vorsitzenden des Lehrerverbandes, der sich für eine Teilrücknahme ausgesprochen hatte. (PM vom 8.8.2000) - Der Deutsche Philologenverband Schleswig-Holstein kritisiert seinen Vorsitzenden. (PM vom 9.8.2000) - Der Hessische Lehrerverband kritisiert seinen Vorsitzenden. (PM vom 15.8.2000) Die Bildungsjournalistin Heike Schmoll (Ressort Bildungspolitik der FAZ) beschreibt in einem Artikel in der FAZ vom 9.8.2000 das Verhalten innerhalb des Philologenverbands vorsichtig ausgedrückt als differenzierte Beschlusslage. Der Verband der Schulbuchverlage fordert die KMK auf, öffentlich zu bekräftigen, dass es keinen Reformstopp geben werde. Die Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache spricht sich laut Zitat aus Die Welt vom 29.7.2000 für die Beibehaltung der Neuregelung aus. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes spricht sich in einem Rundfunkgespräch mit einem Berliner Sender vom 5.8.2000 für die alte Schreibung aus, ebenso wie der Deutsche Elternverein in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 7.8.2000. Der Bundeselternrat, insbesondere seine Vorsitzende, Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 97 spricht sich für die Neuregelung aus, obwohl die Entscheidung hierfür innerhalb des Verbandes sehr knapp gewesen sei (laut FAZ vom 17.8.2000). Eine allgemeine, aus der Gesellschaft stammende Stimme findet Ausdruck in dem Ergebnis eines Aufrufes an die Öffentlichkeit zur Kundgabe der Meinung zum Thema „Rücknahme der neuen Rechtschreibung“ durch Gegner der neuen Rechtschreibung, die am 19.8.2000 eine ganzseitige Anzeige in mehreren überregionalen Zeitungen schalteten und darum baten, eine Rückäußerung zu geben, ob die Neuregelung zurückgenommen werden solle. Am 21.8.2000 wird berichtet, 96% der durch die Anzeigen erbetenen Rückäußerungen sprächen sich gegen die Rücknahme der Neuregelung aus. Insgesamt seien 20.000 Unterschriften eingegangen. 4.5.2 Sprachpflege und Sprachpolitik: Die Rolle einzelner Organisationen und ihre Mitwirkung in den politischen Diskursen An dieser Stelle möchte ich näher auf sprachrelevante Organisation und Institutionen eingehen und erläutern, inwiefern sie sich um die Sprachpflege im Sinne der Weiterentwicklung und die Pflege der deutschen Sprache verdient gemacht haben. Eine Erwähnung dieser Institutionen ist deshalb wichtig für meine Untersuchung, weil diese eine Brücke zwischen den Anliegen der gesellschaftlichen Kräfte und der Wissenschaft zur Politik bilden und die Darlegung der Verflechtungen dieser Handlungsbereiche Gegenstand meiner Arbeit ist. Das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) bemühte sich im Zuge der Rechtschreibreform nicht nur um die „Schreib- und Gestaltungsregeln für die Textverarbeitung“, die uns als DIN 5008 22 geläufig ist, sondern engagierte sich zudem als „schreibrelevante“ Organisation im Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission. Das Deutsche Institut für Normung versteht sich als Sachwalter der deutschen Sprache in Sachen Technik. In der Diskussionsphase der Rechtschreibreform hat sich der Normenausschuss für Terminologie mit Stellungnahmen am Reformprozess und der aktuellen Diskussion beteiligt, wie im Falle der ß-Schreibung, gegen deren komplette Abschaffung sich der Normenausschuss ausgesprochen hat, 23 um beispielsweise die Begriffe „Maße“ und „Masse“ anhand der Schreibweise unterscheiden zu können. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Wichtigkeit des Beirats betonen, der über Vorschläge der Kommission befand, noch bevor sie den staatlichen Stellen zugeleitet wurden. Das Deutsche Institut für Normung 22 Die Inhalte und weitere DIN-Normen sind über die Website des Deutschen Instituts für Normung e.V. erhältlich (www.din.de, Stand: 1.3.2017). 23 Das Institut hat sich in jüngster Zeit sogar für eine Majuskel-Variante zum Minuskel ß stark gemacht. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 98 stellt für meine Betrachtungen insofern eine Besonderheit dar, als in Bezug auf die oft zur Diskussion gestellte Legitimation der Vorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung und deren Verbindlichkeit Parallelen zu dem Bündnis oder der partnerschaftlichen Arbeit der Bundesregierung mit dem Deutschen Institut für Normung zu ziehen sind. Wenngleich es sich bei den DIN-Vorschriften um Regelungswerke einer privatrechtlich verfassten Einrichtung handelt und nicht um Standards, die die Länder zu verantworten haben, haben die Kultusverwaltungen unter Mitwirkung von benannten Ländervertretern doch in verschiedenen Normungsausschüssen, wie bspw. auch dem Ausschuss zur Überprüfung der DIN 77400 „Anforderung an die Reinigung von Schulgebäuden“, 24 Informationsaustausch betrieben. Auch gab es die Überlegung einer Vertretung der Kultusministerkonferenz im Präsidium des Deutschen Instituts für Normung e.V. wegen der Wechselwirkungen zwischen technischer Normung und dem Bildungswesen in den 1980er Jahren. Darüber hinaus wurde eine Verbindungsperson zu den Ausschüssen der Kultusministerkonferenz und zur Geschäftsleitung des DIN benannt sowie die Mitgliedschaft des Schulbauinstituts im DIN erwirkt, das seit 1983 die KMK im DIN vertreten hatte. Im Unterschied zu den Einwirkungsmöglichkeiten und den Entscheidungskompetenzen des Rats für deutsche Rechtschreibung kann das DIN losgelöst von geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften abweichend und darüber hinausgehend agieren, wenn es der Stand der Technik gebiete (siehe hierzu RS 236/ 83, Ergebnisniederschrift über das Gespräch KMK und DIN vom 2.3.1983). 25 Der Rat kann gemäß der Änderung des Statuts kleine Änderungen am Regelwerk vornehmen, die der Anpassung der Schriftsprache an den aktuellen Sprachgebrauch im Sinne des Auftrags der Sprachgebrauchsbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache dienen, aber er kann nicht entgegen der vereinbarten Regeln ohne Vorlage bei den zuständigen staatlichen Stellen das Regelwerk anpassen. Auf die Stellung und die Art der Zusammenarbeit im Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission gehe ich noch einmal in Kapitel 4.5.1 ein. Zum anderen gibt es kein anderes Institut in der Bundesrepublik, das sich seit Jahrzehnten so eingängig mit Normungsvorhaben beschäftigt wie das Institut für Normung, das die Verwendung von Sprache regelt, also normiert. Es geht hierbei um transparente im Gegensatz zu eingeführten Benennungen. Das Credo, nach Transparenz zu streben, um die sprachliche Form und be- 24 Auch wenn die Reinigung von Schulanlagen eine kommunale Aufgabe ist und die Frage der Mitwirkung eines Ländervertreters wegen zusätzlicher Finanzzuweisungen durch die Länder an die Städte und Landkreise in der Arbeitsgruppe kritisch betrachtet wurde. 25 Zu Recherchezwecken lag mir diese interne nicht veröffentlichte Ergebnisniederschrift über das Gespräch zwischen KMK und dem Normungsausschuss vom 2.3.1983 vor. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 99 griffliche Struktur eines Wortes zu harmonisieren, dient der Herstellung der Allgemeingültigkeit und dazu, Uneindeutigkeiten zu tilgen, was auch den Normierungsprinzipien für die Neuregelung der Rechtschreibung entspricht. Der am Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission beteiligte Normungsausschuss Terminologie hat innerhalb des Deutschen Instituts für Normung die Aufgabe, die Terminologie der Fachsprachen zu ordnen und Regeln für deren Normierung festzulegen. Gemessen an der Tatsache, dass die Fachsprachen bei der Regelung der deutschen Sprache oftmals einen vom Regelwerk ausgenommenen oder weniger stark betroffenen Bereich bilden (siehe Regelung bei der Groß- und Kleinschreibung bei fachsprachlichen Begriffen, Regelwerk 2004, S. 67 §64 E), hat der Normungsausschuss dennoch Grundprinzipien zur Behandlung der Begrifflichkeiten und ihrer Benennung, die den Motivationen des Regelwerks bei der Neuregelung der deutschen Sprache folgen. Hierzu gehören Eindeutigkeit, Transparenz und Systematik, die dem Zweck der vereinfachten fachlichen Verständigung auf nationaler und internationaler Ebene dienen. Ebenso wie die Begriffsbildung ständig dem aktuellen Stand der Technik angepasst werden soll und dem Deutschen als technische Fachsprache eine gewisse Stellung zuschreiben sollte, hatte die Reform die Anpassung der Schriftsprache an den allgemeinen und aktuellen Sprachgebrauch zum Ziel, um den aktuellen Anforderungen an eine sichere und für alle Sprachteilnehmer, auch solche nichtdeutscher Herkunft, zugängliche Verschriftlichung der Sprache gerecht zu werden. Hier leistet der Normungsausschuss also neben dem sprachpflegerischen Aspekt auch einen Beitrag zu einer sprachenpolitischen Ausrichtung der deutschen Sprache als Fach- und Wissenschaftssprache. Ebenso wie die Zusammensetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung auf die Vielfältigkeit der dort beteiligten Experten für eine breite Beteiligung und einen breiten Konsens abzielt, besteht der Normungsausschuss aus verschiedenen Arbeitsausschüssen aus breit gefächerten Expertenkreisen, in denen Festlegungen zu Fachbegriffen gemeinsam erarbeitet werden. In einem internen, nicht öffentlichen Portfolio zum Normenausschuss Terminologie (2014) wird der Beitrag des Ausschusses folgendermaßen beschrieben: Der Normenausschuss Terminologie fühlt sich dabei der Pflege sprachkultureller und fachsprachlicher Aspekte besonders verpflichtet. Ein Beispiel hierfür bildet die Behandlung von Fremdwörtern, die nach DIN 2330 „Begriffe und Benennungen“ darstellen, die sich am anerkannten Sprachgebrauch orientieren sollten. Fremdwörter sollen sich lautlich und grammatisch in das deutsche Sprachsystem einfügen (siehe hierzu Einzelheiten in einem Vortrag „Deutsch als Sprache der Normung“ des Mitglieds des Normungsausschusses Heinz-Rudi Spiegel an der Universität Duisburg- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 100 Essen vom 7.12.2004, www.linse.uni-due.de/ linse/ images/ esel/ sprache_als_ norm.PPT, Stand: 9.10.2017). Noch heute befinden sich in dem Gremium Experten aus verschiedensten Bereichen wie dem Verlagswesen (bspw. Duden-Verlag, Langenscheid Verlag, Brockhaus AG), Hochschule (bspw. angewandte Linguistik, Literaturwissenschaft), Wirtschaft (bspw. Siemens AG, Volkswagen AG) und staatlichen Institutionen wie dem Bundessprachenamt und dem Auswärtigen Amt, um die wissenschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung zu fördern und Interessen miteinander zu vereinbaren. Neben der Führung einer DIN-Orthografieliste hat sich der Normungsausschuss breit mit der Erstellung von Normen zur Veröffentlichung von Wörterbüchern beschäftigt und die Nutzung von neuen Medien und verbesserten Werkzeugen auf Grundlage von Textkorpora zur Erstellung von Fachwörterbüchern thematisiert. Die Mitglieder des Normungsausschuss im Beirat haben mit Hilfe der eingebrachten Stellungnahmen einen wertvollen Beitrag zur Qualitätssicherung bei der fachlichen Rechtschreibung und vereinheitlichten Verständigung in Wirtschaft, Verwaltung und Öffentlichkeit geleistet. Durch Definitionen von Terminologiepraktiken innerhalb einer Terminologiedatenbank, in der neben den zugelassenen Benennungen auch Verweise auf Vorzugsschreibungen und abgelehnte Benennungen aufgenommen wurden, konnten sie der Kommission theoretisch und methodisch in Bezug auf die Gestaltung des Regelwerks und der Wörterbücher Hilfestellung leisten. Das Deutsche Institut für Normung hat mit Hilfe seines Normungsausschusses Terminologie und der Mitarbeit im Beirat an der Gestaltung der deutschen Sprache methodisch und praktisch an der Verwendung des Regelwerks und des Wörterbuchs mitgewirkt. Durch die unmittelbar an den Berichten der Zwischenstaatlichen Kommission geübten Kritik der Mitglieder des Beirats wurden der Kommission wichtige Anregungen, Beobachtungen und Hinweise mitgeteilt, die die Vorgehensweise der Kommission im Wesentlichen bestätigten. Dass es insgesamt ein gesteigertes Interesse an einer Zusammenarbeit zwischen der Kultusministerkonferenz und dem DIN gab, das schon in den 1970er Jahren die Frage der Mitarbeit der KMK in diversen Kommissionen erörterte, die mit Bildung im weiteren und engeren Sinne zu tun hatten, ergab sich aus der Erkenntnis, dass es rund 16.000 DIN-Normen gibt, die als bildungsrelevant einzustufen sind und die direkt oder indirekt auf das Schulwesen oder den Hochschulbereich einwirken. Eine Beteiligung der KMK an Kommissionen des DIN oder umgekehrt des DIN am Beirat der Zwischenstaatlichen Kommission sollte daher eine gegenseitige Beteiligung am Normierungsprozess beinhalten, die Kenntnis über die Regelungen der jeweils unabhängig voneinander geregelten Bereiche erweitern und die Sicherstellung des für den jeweiligen Auftrag relevanten Sachverstands garantieren. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 101 4.5.3 Die Rolle der Kultusministerkonferenz im sprachpolitischen Kontext In diesem abschließenden Kapitel möchte ich nochmals auf die Bedeutung der Kultusministerkonferenz in der Diskussion um die Neuregelung der Rechtschreibung eingehen, da ihr als Entscheidungsträger und verantwortliche Institution im Prozess eine maßgebliche Rolle zugekommen war. Sich selbst versteht die Kultusministerkonferenz als Vermittler und Wegbereiter für die internationalen Absprachen und Abstimmungsprozesse, aber auch als Mediator und Interessenvermittler. Ich werde im Folgenden erörtern, mit welchen Vorgehensweisen, politischen Erwägungen und Entscheidungen es der Kultusministerkonferenz gelungen ist, einen Beitrag zur Auflösung der öffentlichen Stimmungsmache gegen die Neuregelung zu erreichen und wie sie versucht hat, die Verbindlichkeit für den Orthografieunterricht in der Schule zu erhöhen und Rechtsstreitigkeiten wie die Debatte um die rechtliche Verbindlichkeit von Erlassen und deren Grundlage zu vermeiden. Einige Maßnahmen und Verfahren habe ich schon an anderer Stelle aufgearbeitet, wie das Anhörungsverfahren unter den Verbänden, Arbeitsgemeinschaften und Nachrichtenagenturen aus dem Bereich Presse und Literatur oder die Abmachungen hinsichtlich des Übergangszeitraums, der am 31.7.2005 für verschiedene Teilbereiche endete. Auf politischer Ebene kam aber nicht allein der Kultusministerkonferenz und ihrer Beschlussfassung eine tragende Rolle zu, sondern auch der Beteiligung des Bundes, der Ministerpräsidentenkonferenz sowie weiterer Gremien, die ich nachfolgend aufführen möchte, um noch einmal vor Augen zu führen, dass die Rechtschreibreform Produkt einer gemeinsamen Auftragserteilung des Bundes und der Länder war. Im folgenden Kapitel werde ich die in der Schweiz äquivalenten Entscheidungsträger aufführen und ein ähnliches Vorgehen nachzeichnen, das einzelne Schritte auf dem Weg von der Auftragserteilung bis zur Umsetzung der Neuregelung beschreibt und die beteiligten Akteure benennt. Nachdem im Jahr 1986 in Wien die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung durch die deutschsprachigen Regierungsvertreter beschlossen worden war, richtete die KMK im Februar 1987 zusammen mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) einen gemeinsamen Auftrag an das Institut für deutsche Sprache (IDS), Vorschläge für eine Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu unterbreiten und eine Entscheidungsgrundlage für das Reformwerk zu erstellen. Die Zuständigkeit der KMK bezog sich auf den Bereich Schule und Hochschule in den Bundesländern, während das BMI den Bereich der öffentlichen Verwaltung und die Bundesbehörden koordinierte. In diesem zeitlichen Zusammenhang wurde eine dem Schulausschuss der KMK anhän- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 102 gige Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ gegründet, die zur Aufgabe hatte, die Vorschläge zur Neuregelung zu prüfen. Eine der maßgeblichen Befassungen im Nachgang zu der Auftragsvergabe erfolgte in der Mai-Sitzung im Jahr 1993 in Bonn, in der das Ergebnis einer Anhörung unter Verbänden und Organisationen, die über das Ausmaß der Reform und den Zeitplan beraten hatten, befunden wurde. Die KMK sorgte daraufhin für die Benennung der Vertreter für eine deutsche Delegation, die, mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet, die Verhandlungen auf multilateraler Ebene übernehmen sollte. In der Herbstsitzung der KMK des Jahres 1993 bezogen die Länder Stellung zu den vorgelegten Neuregelungsvorschlägen. Man kam zu dem Schluss, dass, abgesehen von einzelnen strittigen Punkten, das Vorhaben einer Neuregelung der deutschen Rechtschreibung auf eine breite positive Resonanz auf Seiten der Wissenschaft und der für die Durchsetzung zuständigen Entscheidungsorgane stößt. Der seit 1988 diskutierte Entwurf über die Neuregelungsvorschläge wurde der Öffentlichkeit schon im Jahr 1989 vorgestellt, was zu unterschiedlichen Pressekampagnen führte. 26 In der Dezembersitzung der Kultusministerkonferenz des Jahres 1995, in der die Einführung der neuen Rechtschreibung zum 1.8.1998 beschlossen wurde, berichtete der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ in der KMK abschließend über die bereits erfolgten Verfahrensschritte und Abstimmungsmodi, die zur Legitimierung über die Beratungsschritte und Beschlussfassung führen sollten. Hierzu wird festgehalten, dass die Neuregelungsvorschläge in den einzelnen Beratungsschritten behandelt wurden, in den Vorgängergremien abgestimmt wurden und auch Fachkreise sowie Presse und Wissenschaft Gelegenheit zur Diskussion erhielten. Eine länderoffene Kommission, bestehend aus Staatssekretären der zuständigen Ressorts, beriet im Jahr 1995 zudem über die noch strittigen Punkte im Wörterverzeichnis, über die zuvor auch auf internationaler Ebene abgestimmt worden war und deren Vorlage der Ministerpräsidentenkonferenz zugeleitet worden war. Ich möchte an dieser Stelle behaupten, dass die politische Willensbildung durch die von der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) geforderte Überarbeitung der Schreibweisen von Fremdwörtern verzögert wurde. Dies hatte zum Ziel, die von einigen Ministern und Senatoren geäußerten Bedenken hinsichtlich des Inhalts der Neuregelung auszuräumen, grundsätzliche Zustimmung durch die MPK und den Bund gegenüber den Neuregelungsvorschlägen zu erwirken und eine spätere Befassung durch die MPK hinsichtlich der 26 Siehe hierzu aufschlussreiche Beiträge wie „Plädoyer für eine Rechtschreibreform“ (3.11.1989) und „Vier Argumente gegen den Protest der Autoren“ in Die Zeit vom 8.10.1996, Dieter E. Zimmer. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 103 Federführung und Zuständigkeit über die Neuregelung der Rechtschreibung auszusetzen. Die politische Willensbildung zur Neuregelung folgte mit der Beschlussfassung der abschließenden Sitzung der KMK im Jahr 1995, in der dem Neuregelungsvorschlag für die deutsche Rechtschreibung mit einigen Änderungen und Überarbeitungen auch zum weiteren Verfahren zugestimmt wurde und er Bekräftigung fand. In dem Beschluss der MPK im Dezember desselben Jahres 1995 sah die MPK ihre Forderungen an die KMK als erfüllt und umgesetzt an. Dieser Beschluss zur Zustimmung zum Neuregelungsvorschlag wurde in der Öffentlichkeit als verfrüht und voreilig deklariert. Die Sommersitzung der KMK im Jahr 1996 widmete sich der Fragestellung, welche Aufgaben der Zwischenstaatlichen Kommission zukamen, welche Verfahrensweisen angewandt werden und wie die Zusammensetzung derselben geregelt werden sollte. Die Herbstsitzung der KMK im Jahr 1997 stellt im Implementierungsprozess eine Besonderheit dar, da hier erstmals die öffentliche Diskussion und Reaktion auf die Beschlüsse der KMK zur Einführung der Neuregelung durch in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen initiierte Volksbegehren gegen die Neuregelung selbst Gegenstand eines Tagesordnungspunkts der Plenarsitzung wurde. Die Behandlung des Themas wurde durch den ehemaligen Staatsminister und späteren Vorsitzenden des Rats für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, auf den Plan gerufen. Strategisch entschied sich die KMK für die Veröffentlichung einer Pressemitteilung, in der erklärt wurde, dass die eingeleiteten Interventionen bislang keinen Grund zu einer inhaltlichen Überarbeitung der bisherigen Änderungsvorschläge gäben. Damit sollte der Eindruck erweckt werden, dass die Vorschläge das Ergebnis eines langen Reifeprozesses zwischen Wissenschaft, Fachkreisen und der Abstimmung auf internationaler Ebene darstellten. Zugleich wurde auf die hohe kulturpolitische Bedeutung der Zwischenstaatlichen Expertenkommission hingewiesen, deren Arbeit und Aufgabenstellung durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit der KMK im besten Fall zu einem veränderten Meinungsbild und mehr Akzeptanz in der Öffentlichkeit führen sollte. Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit und umfassende Unterrichtung der Öffentlichkeit wurde bei den Beratungen der Ministerpräsidenten im Jahr 1996 als Wunsch geäußert, was sich in der anschließenden Informationstätigkeit der KMK widerspiegelte und vornehmlich auf den Vorschlägen der Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ basierte, da sich diese auftragsgemäß um das weitere Vorgehen bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit bemühte. Diese Informationstätigkeit der KMK fand, neben dem anfänglichen Bedürfnis, großformatige Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen zu schalten, Ausdruck in einer Presseerklärung der KMK zu Zielen, Inhalten, Fristen und weiterem Verfahren auf internationaler Ebene, Informationen der Schulöffentlichkeit über die Kultusministerien, Veröffentlichung einer gemeinsamen Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 104 länderübergreifenden Erklärung und der Neuregelung im Bundesanzeiger sowie Artikeln und Interviews in landeseigenen Publikationsorganen. Man verständigte sich also darauf, dass die Länder in eigener Verantwortung und mittels kurzer Entscheidungswege die Bekanntmachung von Entscheidungen hinsichtlich der Verbreitung der Neuregelung übernehmen sollten. Länderübergreifend wurden im Laufe des Prozesses spezifische Informationen an Betroffene formuliert, bspw. bei einer offiziellen Mitteilung der KMK vom 25.10.1996 als situative Reaktion auf die von Medien aufgegriffenen Argumente der Unterzeichner. Sie hatte nicht die reine Berichterstattung zum Zweck, sondern sollten die folgend aufgelisteten Vorwürfe ausräumen. Die Dresdner Erklärung der Kultusminister vom 25.10.1996 richtete sich bspw. gegen den Vorwurf, dass die Neuregelung durch einen anonymen Expertenkreis ausgearbeitet worden sei, aber auch gegen die in einzelnen Ländern angestrebten Volksbegehren und die im Deutschen Bundestag von einzelnen Abgeordneten ins Leben gerufene Initiative gegen die Neuregelung. Sie sollte zudem die Mitverantwortlichkeit der Bundesregierung für die Rechtschreibreform aufführen und damit die Legitimation von Bundesseite unterstreichen. In der Erklärung wird mit der Auflistung der am Beratungsprozess beteiligten Institutionen und der erfolgten Verfahrensschritte vom Auftrag bis hin zu den Entwürfen und der beschlossenen Fassung entgegengehalten. Weiter wird in der offiziellen Mitteilung mit dem Vorwurf aufgeräumt, dass die Qualität und die Produktion von Texten aus dem Literaturbereich durch die Neuregelung nachteilig beeinflusst würden. Die KMK argumentiert an dieser Stelle mit dem Geltungsbereich für Schule und Verwaltung. Weitere Kritikpunkte bestehen aus den entstehenden Kosten für die Verlage für das Produzieren von Schulbüchern und Lehrmitteln und darin, dass das Ansehen der deutschen Sprache im Ausland beschädigt werde. Die Erklärung greift zusammengefasst hier noch einmal die schwerwiegendsten Vorwürfe und Kritikpunkte auf, die sich auf die Regelungsnotwendigkeit, die Regelungszuständigkeit, das Verfahren und die zu erwartenden Folgen beziehen. Die Vorwürfe zielten meines Erachtens vornehmlich darauf ab, Regelungsvorbehalte abzuklären, betrafen also Zuständigkeitsfragen, um zu prüfen, wessen Angelegenheit die Entwicklung von Sprache und Rechtschreibung ist und wessen Auftrag die Systematisierung von Sprache ist, die der Sprachgemeinschaft oder die einer übergeordneten Regelungsgewalt. Von inhaltlicher Seite unterstützt wurde die KMK durch die Duden-Redaktion, die im Jahr 1996 mit den „Informationen zur neuen deutschen Rechtschreibung“ von Horst Sitta und Peter Gallmann die wichtigsten Neuerungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Die fortwährende Aktualisierung der Ausgabe war Teil einer breit aufgestellten Aufklärungsarbeit zur Förderung der Akzeptanz der neuen Rechtschreibung. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 105 Die Dresdner Erklärung scheint von strategischer Seite zum einen durch den Verweis auf die zustimmenden Organe (Ministerpräsidenten und Bundesregierung) die Legitimation der Reform zu bekräftigen und zum anderen den in den Medien präsenten kritischen Stellungnahmen entgegenzutreten, die zur Hemmung der Akzeptanz der Neuregelung in der Öffentlichkeit beigetragen haben. Der KMK war neben der nach außen gerichteten Öffentlichkeitsarbeit auch daran gelegen, einzelnen Kritikern wie Theodor Ickler Beachtung zu schenken. So wurde im Jahr 1997 seitens des Bayerischen Staatsministers vorgeschlagen, im Rahmen eines Fachgesprächs Kritikern ein Podium für eine persönliche Stellungnahme zu liefern, um wiederum der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass jegliche Art der Kritik ernst genommen wird und ein konstruktiver Austausch angestrebt wird. Auf eine solche Einladung zu einem derartigen Fachgespräch vom Kommissionmitglied Gerhard Augst hin erfolgte bedauerlicherweise seitens Theodor Icklers eine Absage mit der Begründung, dass ein Dialog mit den Reformbefürwortern zu spät, die KommissionnichtarbeitsfähigunddieReformalsGanzeseinmenschenverachtendes Massenexperiment sei. An einem konstruktiven Austausch war scharfen Kritikern wie Theodor Ickler nicht gelegen, auch nicht an einem bereitwilligen Mitwirken, Vorurteile abzubauen. In Zusammenhang mit den medialen Protesten und der in Schleswig-Holstein initiierten Verfassungsbeschwerde geriet die KMK unter politischen Druck, woraufhin auf der 280. Sitzung im Oktober des Jahres 1997 verschiedene Maßnahmen und Vorgehen zur Intervention beschlossen und unterschiedliche Gremien aktiviert wurden, aufgrund dessen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Deutschen Bundestag und weiteren Institutionen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, ob und wann sie eine politische Lösung anstrebten. Gemeint ist damit der in den Medien oftmals geäußerte Vorschlag, einen Staatsvertrag abzuschließen. Die MPK beriet im Oktober desselben Jahres über die Frage der Neuregelung und beschloss, mit der Bundesregierung Gespräche aufzunehmen. Die Kultusministerkonferenz wurde wiederum gebeten, zu der aus Schleswig-Holstein stammenden Verfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen. Zu demselben Zeitpunkt fand ein Gespräch zwischen Vertretern der KMK und dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages statt, der sich mit Fragen der Regelungsnotwendigkeit, der Zuständigkeit und der Regelungsform (Gesetz oder Verwaltungshandeln), der Funktion der KMK und dem Stellenwert der Wiener Absichtserklärung beschäftigte. Letztendlich ging es darum, zu klären, ob die Eingriffe in die deutsche Orthografie so gravierend seien, dass deren Einführung nicht per Beschluss der KMK als Selbstkoordinierungsmechanismus aller Länder und mittels ministerieller Erlasse, sondern nur per gesetzlicher Grundlage durch Bundeskompetenz geregelt werden Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 106 könne. Auch wurde der Wirkungsgrad der Neuregelung thematisiert, von dem die Antragsteller sagten, dass er weit über den schulischen und administrativen Bereich hinausgehe. Die Aktivierung des Rechtsausschusses hatte zum Vorlauf, dass öffentliche kritische Äußerungen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages Aufschluss über das Ausmaß an Missverständnis und Desinformation über Verfahren und Inhalte der Neuregelung gaben. 27 Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses führte aber nicht zu der von vielen Reformkritikern erhofften Verschiebung oder Aussetzung der Einführung der neuen Rechtschreibung, was auch bspw. der Prozessbevollmächtigte im Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Alexander Gröschner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, stellvertretend für die Rechtsgelehrten forderte. Sie verpflichtete jedoch die KMK zur Erarbeitung eines Verfahrens, das, basierend auf einem Konsens, die Fortentwicklung der Sprache berücksichtigen sollte. Zur Erhöhung der medialen Präsenz der KMK und zum Aufbau des Dialogs und damit der Akzeptanz der Neuregelung entschloss sich die KMK, unter Einbezug verschiedener Branchenvertreter aus Presse, Verlag und Schule eine Informationsveranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1997 durchzuführen. Auf diesem Forum sollten Kultusminister (bspw. der ehem. Niedersächsischer Kultusminister Rolf Wernstedt), Pädagogen und Pressevertreter über das Entstehen, den Inhalt und die Umsetzungspraxis in den Schulen informieren. Weiter plante die KMK, eine Presseerklärung herauszugeben. Die Beschlusslage der Herbstsitzung der Kultusministerkonferenz im Jahr 1997 sah vor, dass weder die Einführung der Neuregelung verschoben oder ausgesetzt werden noch die von Bund und Ländern unterzeichnete Vereinbarung zur Neuregelung in irgendeiner Form in Frage gestellt werden sollte. Dies wollte die KMK durch weitere Gespräche mit der Bundesregierung zur Erhöhung der Akzeptanz der neuen Rechtschreibung auf Bundesebene unterstreichen. Eine durch das Sekretariat und die Kommission Rechtschreibung durchgeführte Länderabfrage zum Stand der Umsetzung ergab zudem, dass in den meisten Ländern Maßnahmen in Hinblick auf die Einführung der amtlichen Regelung im Unterricht ergriffen worden waren. Wichtig bei der Länderabfrage war die Beantwortung der Fragen, für welche Jahrgänge und Schularten die Neuregelung bereits verbindlich umgestellt bzw. zugelassen und empfohlen wurde. Die Maßnahmen fielen für die Bundesländer unterschiedlich 27 Der Gruppenantrag stellte vornehmlich auf rechtsstaatliche Kritikansätze ab, also auf eine Art parlamentarische Absicherung per Beschluss, weniger auf sprachwissenschaftliche, da man sich hier auf argumentatives und politisches Glatteis begebe. Auch wurde dort geäußert, dass die Einrichtung der Zwischenstaatlichen Kommission als Folge von rund 8000 Widersprüchen zwischen der Duden- und der Bertelsmannausgabe zu verstehen sei. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 107 aus, so dass eine allgemeine Aussage über konkordante Maßnahmen meinerseits nicht getroffen werden kann. Ein allgemeines Ergebnis hinsichtlich einer fast einheitlich vorangeschrittenen Umstellung im Primarbereich im Jahr 1997 lässt sich aber festhalten. Ein Bericht der Kommission Rechtschreibung, der für Ende des Jahres 1997 angekündigt und im Entwurf verschiedenen Verbänden zur Stellungnahme weitergeleitet worden war, sollte zudem zur Versachlichung der Diskussion beitragen, da er Vorschläge zur Präzisierung und Fortentwicklung auf Grundlage der in den Medien geführten kritischen Diskussion enthielt. Die Ergebnisse des Berichts, die Stellungnahme durch die an der Anhörung beteiligten Verbände und die Berichterstattung der Länder zum Stand der Umsetzung sowie zum Berichtsentwurf ergaben ein Meinungsbild, das die KMK veranlasste, zu entscheiden, dass Änderungen am Regelwerk, die die Zustimmung der Unterzeichner der Wiener Absichtserklärung voraussetzen würden, nicht zugestimmt werde, bevor nicht der Übergangszeitraum im Jahr 2005 abgelaufen sei, während kleine Änderungen am Wörterverzeichnis nicht durch die Unterzeichner zustimmungspflichtig seien. 28 Zudem setzte eine Zustimmung durch die staatlichen Stellen die Vorlage der angepassten Wörterlisten und Verzeichnisse voraus, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht erarbeitet worden waren. Den Prüfungsprozess derselben und die internationale Abstimmung vorausgesetzt, wäre eine Änderung des Regelwerks bis zum 1.8.1998 ohnehin nicht möglich gewesen. Der Beschluss schließt sich hier praktisch dem Artikel II der Wiener Absichtserklärung (www.rechtschreib rat.com/ DOX/ wiener_erklaerung.pdf, Stand: 1.3.2017) an, der dazu rät, während der Implementierungsperiode keine weiteren Änderungen und Vorschläge einzubinden. Insgesamt wurde der Berichtsentwurf von den meisten beteiligten Verbänden positiv aufgenommen, 29 wobei einige Verbände die Zulassung von Varianten und damit die (Wieder-)Zulassung alter Schreibungen befürworteten. In der darauffolgenden Plenarsitzung der KMK im Februar 1998 wurde zudem die Einsetzung eines Beirats zur Begleitung der Arbeit der Zwischenstaatlichen Kommission beschlossen, dem Vertreter wie Schriftsteller, Journalisten und ähnliche Branchenvertreter angehörten wie z.B. das 28 Hierzu heißt es im Bericht des Deutschen Bundestages vom 3.2.1999, BT-Drucksache 14/ 356, S. 5: „Ergänzend werden die bis zum Einführungsdatum von der Kommission getroffenen Entscheidungen über Zweifelsfälle, die bei der Anwendung des Regelwerks entstanden sind, mit herangezogen.“ (http: / / dip21.bundestag.de/ dip21/ btd/ 14/ 003/ 1400356.pdf). 29 Abgesehen von der Initiative „Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform“ unter der Ägide von Theodor Ickler, die die Reform weiterhin vehement ablehnt und die Nachbesserungen im Berichtsentwurf nicht als Präzisierungen, sondern als „neue Vorschläge“ deklariert. Dass es Bedarf zur Nachbesserung gebe, stelle zudem unter Beweis, dass das Regelwerk fehlerhaft und unbrauchbar sei. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 108 PEN-Zentrum, der Deutsche Journalistenverband, der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger und der Bundeselternrat, aber auch der Duden-Verlag und Bertelsmann sowie das Deutsche Institut für Normung. Die Personalvorschläge sollten durch das Präsidium der KMK erfolgen und nicht von der Zwischenstaatlichen Kommission selbst hervorgebracht werden. Die Kommission hatte die Pflicht, ihre Berichte im Zweijahresrhythmus zunächst dem Beirat vorzulegen und sie erst in zweiter Instanz den staatlichen Stellen zuzuleiten. Ähnlich wie beim später eingesetzten Rat für deutsche Rechtschreibung wurden zu den einzelnen Teilgebieten zugehörige Untergruppen gebildet, denen verschiedene Experten zugeordnet wurden wie bspw. Peter Gallmann, Dieter Nerius und Horst Haider Munske, die der Untergruppe Groß- und Kleinschreibung angehörten. Horst Haider Munske verließ die Kommission auf seinen eigenen Wunsch noch im Jahr 1997, da ihm die Überarbeitungen am Regelwerk zum Teilbereich Getrennt- und Zusammenschreibung nicht weit genug gingen, was auch zu einem offenkundigen Dissens unter den Kommissionsmitgliedern geführt hatte, und weil ihm verschiedene Verfahrensweisen in Bezug auf das Gewicht der Voten der in die Beratungen mit einbezogenen Wissenschaftler missfielen. Die Arbeit der KMK ist, wie ich versucht habe ausführlich darzustellen, geprägt von dem Bedürfnis, die Öffentlichkeit zu beteiligen und zu informieren sowie auf sachliche wie unsachliche Kritik und Anregungen einzugehen. Die Öffentlichkeitsarbeit der KMK wurde von verschiedenen Kritikern, auch von der Zwischenstaatlichen Kommission, als zu gering bezeichnet, gemessen an dem Interesse, den Einführungstermin der neuen deutschen Rechtschreibung zu halten. Insgesamt möchte ich feststellen, dass sich die Berichterstattung und Informationsverbreitung nach der Beschlussfassung durch die KMK und der Unterzeichnung der Wiener Absichtserklärung intensivierte. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit ließ sich angesichts einer breiten Medienresonanz in Form von Anhörungen von Verbänden und Organisationen erreichen, während die Widerspiegelung von Informationen vornehmlich durch Pressekonferenzen und die Veröffentlichung der Neuregelungsvorschläge über offizielle Kanäle von Landesverwaltungen und Bundeseinrichtungen organisiert wurde. Wenngleich die Anhörung als insgesamt positiv und sachlich-aufklärerisch bewertet wurde, gab es kritische Stimmen, die den Ausschluss der Presse an der eigentlichen Anhörung bemängelten. Die Zwischenstaatliche Kommission reagierte hierauf mit der Aussage, dass mit diesem Verfahren der Dialog mit den Kommissionmitgliedern gesichert werden sollte. Die KMK hat, zurückblickend auf die Zeit lange vor der Beschließung und Bekanntmachung der gemeinsamen Absichtserklärung zur neuen deutschen Rechtschreibung, in ihre Beratungen und Entscheidungen wissenschaftliche Kommissionen (bspw. die Arbeitsgruppen der internationalen Partner, Kommis- Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 109 sionen des IDS), politische Institutionen (bspw. die Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ der KMK, Kultusministerien der Länder, Ministerpräsidenten, Bundesministerium des Innern und das Bundeskabinett), Verbände und Organisationen eingebunden. Die Schwierigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit lag für die KMK in der Tatsache, dass öffentliche Kritik im Nachgang zu den Abstimmungen auf Bundes-, Länder- und staatenübergreifender Ebene geübt wurde und in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, dass die Neuregelung nur zögerlich umgesetzt werde, was an die Berichterstattungen der Medien hinsichtlich der Entscheidungen unterschiedlicher 30 und die Verfassungsbeschwerde eines Elternpaares aus Schleswig-Holstein Verwaltungsgerichte gekoppelt wurde. Zudem wird aus den Stellungnahmen der Anhörung im Jahr 1998 (Die Welt, 24.1.1998) deutlich, dass die schärfsten Kritiker in den unterbreiteten Änderungsvorschlägen keine Kompromisslinie sahen. Diese Kritik ließ sich nicht einfach kanalisieren und durch eingleisige Kampagnen wie durch Pressekonferenzen beilegen, sondern erforderte unterschiedliche Strategien, die den Unwillen mit der Reform nicht gänzlich befrieden konnten, wie die in den Jahren immer wieder aufflammenden Berichterstattungen in der Presse unter Beweis stellten. Das vom Bundestag geforderte Verfahren, durch die Zwischenstaatliche Kommission einen Bericht zur Akzeptanz und Umsetzung der neuen Regeln vorlegen zu lassen, in den der Sachverstand von Wissenschaftlern, Schriftstellern, Lehrern und weiteren betroffenen Kreisen außerhalb der Kommission einbezogen wurde, hatte zur Folge, dass der Öffentlichkeit gegenüber die Wichtigkeit der Kulturhoheit der Länder signalisiert werden sollte, mit dem Bestreben, die entstandenen rechtlichen Zweifelsfragen in Kooperation mit staatlichen und außerstaatlichen Akteuren einvernehmlich zu lösen. Verschiedene Maßnahmen in den Jahren 1997/ 1998, wie bspw. die Initiierung einer Anhörung mit Verbänden und Organisationen zum Berichtsentwurf der Zwischenstaatlichen Kommission und dem intensiven Gesprächskontakt mit dem Rechtsausschuss des Bundestages, sollten insgesamt zu einem gelasseneren Umgang mit der Rechtschreibreform und einer Beruhigung der öffentlichen Diskussion beitragen. 30 Schlussendlich war es nur das Oberverwaltungsgericht in Niedersachsen, das die Neuregelung zunächst im Hauptverfahren aussetzte. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 110 4.5.4 Die Rechtschreibreform - neue Gremien - neue Benennungen - sprachpolitische Motivation Die Neuregelung der Rechtschreibung ist geprägt von einer Vielzahl von staatlichen bzw. öffentlichen Stellen, die verschiedene Gremien und Kommissionen ins Leben gerufen haben, die wiederum Untergruppen wie Arbeitsgruppen und Arbeitskreise gebildet haben, um sich der Neuerung oder der kritischen Stellungnahme des Opus Regelwerk anzunehmen. Da die Bundesrepublik die Federführung der inhaltlichen Diskussion übernommen hatte, oblag es ihrem Auftrag, die unter den nationalen Fachkommissionen abgestimmten Vorschläge auf internationaler Ebene zusammenzuführen, beispielsweise in Form von Berichten, die die Grundlage für abschließende Konferenzen und Arbeitstagungen bilden sollten. Nicht nur die Vielfalt der die Reform begleitenden Gremien, Stabsstellen, Beratungsinstanzen und Expertenkreise ist im Zusammenhang mit der Reformierung der deutschen Rechtschreibung erwähnenswert, sondern auch deren Wirkung und Einsatz. Dieses Kapitel beschäftigt sich daher vornehmlich mit der Zweckbestimmung einzelner Gremien, um aufzuzeigen, mit welchen Aufgaben diese sich konfrontiert sahen. Ich werde verdeutlichen, dass die einberufenen Gremien unterschiedliche Funktionen ausübten, bspw. die der inhaltlichen Planung und Ausarbeitung, der Kontrolle und der Koordinierung und Abstimmung. Hierbei ist auch zwischen den Zuständigkeiten zu unterscheiden, da einzelne Gremien reformbegleitend auf fachlicher Ebene agierten und andere die Politik beratend bei Prozessen der Abstimmung begleiteten. Die verstärkte öffentliche Diskussion um das Vorhaben, die deutsche Orthografie zu reformieren, findet ihren Beginn im Jahr 1950, in dem von der Kultusministerkonferenz ein Rechtschreibausschuss berufen wurde. Da ich in diesem Kapitel auf die übereinzelstaatlich wirkenden Gremien eingehen möchte, ist die deutsch-österreichisch-schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege erwähnenswert, die im Jahr 1954 die Stuttgarter Empfehlungen vorgelegt hatte. Es handelte sich hierbei um einen Kreis von Experten aus den deutschsprachigen Ländern, der noch kein von staatlicher Stelle offiziell berufenes Gremium darstellte. Im Jahr 1956 erhielt der durch das Bundesministerium des Innern und die Kultusministerkonferenz berufene Arbeitskreis für Rechtschreibregelung den Auftrag, die „Wiesbadener Empfehlungen“ zu erarbeiten, der staatlich initiiert und finanziert wurde. Aufgrund der nicht anhaltenden Kritik in Bezug auf die in den Wiesbadener Empfehlungen enthaltenen Reformvorschläge zur Kleinschreibung kamen die internationalen Gespräche über ein gemeinsames Vorhaben zum Erliegen, bis sich im Jahr 1969 der Arbeitskreis im Auftrag der Kultusministerkonferenz erneut an die internationalen Partner zur Wiederaufnahme der Gespräche wandte (siehe Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 111 hierzu auch Agbaria 2009, S. 21). Im Zusammenhang mit der Vorlage eines Entwurfs mit Vorschlägen für eine Neuregelung durch das von KMK und BMI beauftragte IDS im Jahr 1988 kamen bei den Zweiten Wiener Gesprächen im Jahr 1990 Wissenschaftler und fachliche Vertreter der deutschsprachigen Länder zu einem Abstimmungsgespräch zusammen. Hierbei kann man nicht von einer staatlich autorisierten Institution mit hoheitlichem Auftrag oder rechtlicher Legitimation oder von einer kulturellen Vereinigung sprechen, sondern als internationale Expertenkommission mehr von einem übereinzelstaatlichem Gebilde, das zum Ziel hat, nationale Interessen zu einem supranationalen Konsens zu führen. Im Nachgang der Unterzeichnung der zwischenstaatlichen Erklärung im Jahr 1996 beschloss die Kultusministerkonferenz die Einsetzung einer international besetzten Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung, die am Institut für Deutsche Sprache (IDS) angesiedelt wurde und auf die ich nachfolgend noch näher eingehen werde. Die Arbeit der Kommission habe ich bereits im Kapitel 4.5.3 (Die Rolle der Kultusministerkonferenz im sprachpolitischen Kontext) näher beschrieben. An dieser Stelle möchte ich nur kurz auf ihre Aufgabe eingehen. Die Kommission für die deutsche Rechtschreibung hatte gemäß der internationalen Abstimmung die Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum zur Aufgabe, basierend auf dem erarbeiteten orthografischen Regelwerk. Hierzu gehörten neben der Erarbeitung und wissenschaftlichen Begründung von Empfehlungen zur Anpassung an das Regelwerk auch die Beobachtung der Sprachentwicklung sowie deren Umsetzung. Die Kommission erarbeitete Vorschläge zu diversen Zweifelsfällen, die in vier Berichten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und der Versachlichung des Themas im öffentlichen Diskurs dienlich sein sollten. Während des Wirkens der Zwischenstaatlichen Kommission waren die Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz und die Amtschefskommission „Rechtschreibung“ weiterhin tätig. Die Amtschefskommission hatte die Aufgabe, zur Vorbereitung der Beratungen im Plenum die von der Zwischenstaatlichen Kommission vorgelegten Berichte zu prüfen und die Einsetzung eines Beirats zur wissenschaftlichen Begleitung zu regeln. Im Jahr 2004 wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung konstituiert, der an die Stelle der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung trat. An die Stelle des dazugehörigen Beirats trat der Rat für deutsche Rechtschreibung, der ab 2004 die bisherigen Aufgaben der Kommission übernahm. In Anlehnung an die Einberufung spezifischer Gremien im deutschsprachigen Raum wurden in Frankreich im Zusammenhang mit Wahlkämpfen um die letzte Präsidentschaft auch die Einführung von neuen und die Umbe- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 112 nennung von herkömmlichen Institutionen, Gesetzen und Maßnahmen vorgenommen (Fuchs 2010, S. 125). Bestimmten Aufgabenbereichen wurde hierbei durch lexikalisch-semantische Neuschöpfungen wie z.B. la culture du résultat (das auf die Beurteilung der Leistung von Staatsbeamten zielt) ein neuer Namenscharakter verliehen. Volker Fuchs (2010, S. 113) schreibt in seinen Ausführungen zu politischen Umbruchprozessen in Frankreich im Jahr 2007: Die Sprache spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Sie ist das Medium, über das die Analyse des bisherigen Zustands und die neuen Konzepte und konkreten Maßnahmen in das Bewusstsein der Mitglieder der Gesellschaft getragen werden. Viele dieser Maßnahmen dienten dazu, Umbruchsstimmung zu erwecken und zu zeigen, dass neue Strukturen geschaffen wurden. Auch im deutschen Raum wurden neue Konsilien geschaffen, alte wiederum mit neuen Namen versehen, neue Aufgabenbereiche mit entsprechenden semantischen Merkmalen versehen, die über Vorhaben, Verfahrensweise und Aufgabe des jeweiligen Gremiums Aufschluss geben sollten. Ich möchte einen kurzen Diskurs über die strategischen Sachverhalte geben, die hinter den Bezeichnungen stehen, und klären, aus welcher (sprach-)politischen Motivation heraus diese entstanden sein könnten. Gemäß Karl Bühlers Zeichenmodell (Bühler 1965) haben sprachliche Zeichen, egal ob nun auf Textebene oder auf sprachlicher Ebene, die Funktion, den Rezipienten zu beeinflussen und eine Wirkung auszulösen. Außerdem dienen sie der Darstellung eines sprachlichen Gegenstandes. Weitere Funktionen, die hier aber weniger zum Tragen kommen, zählt Karl Bühler in seinem Organon-Modell auf. Symbolischen wie signalhaften Charakter sollte die Benennung für einen Signifikanten haben, dies gilt auch für die Bezeichnung von Institutionen, Gremien und anderen Organisationsformen, die für die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben verantwortlich sind. Ich konstatiere, dass sich in der Bezeichnung unterschiedlicher, für die Neuregelung verantwortlicher Organisationsformen anfänglich ein normativer Charakter widerspiegeln sollte, indem ihnen ein „Soll-Norm-Name“ gegeben wurde und sie vornehmlich auf die Wirkung des Signifikanten beim Rezipienten abzielen. Später kristallisierten sich verschiedene Unterarbeitsgebiete heraus, die eher deskriptiven Charakter aufweisen, indem sie mehr die Beschreibung des tatsächlichen Aufgabengebietes aufgreifen und das Gemeinte 31 auf der Ausdrucksseite beabsichtigen. Zur Zeit der Konstituierung der Zwischenstaatlichen Kommission 1997 wird im Rahmen des ersten Berichts immer wieder von Unterkommissionen gesprochen, die ebenso wie deren Vorsitzende zu- 31 Nach Beschreibungsebenen des Sprechaktes aus der Pragmatik. Sprachpflege und Sprachpolitik seit der Reform 113 nächst nicht genauer benannt werden. Aus den Berichten der Zwischenstaatlichen Kommission geht an der einen oder anderen Stelle jedoch hervor, dass sich in Untergruppen die Mitglieder der Kommission in verschiedenen Besprechungen berieten, z.B. mit Vertretern von Wörterbuchredaktionen und Softwareherstellern, 32 also weiteren gesellschaftlichen Kräften. Diese Untergruppen wurden in dem Berichtszeitraum des 2. und 3. Berichts noch nicht so stark instrumentalisiert. Nach Ankündigung des Austritts von Peter Eisenberg aus der Zwischenstaatlichen Kommission im Jahr 1998 wurde bspw. über die Einrichtung einer Stelle für „grammatische Kompetenzen“ und einer Stelle für „didaktische Kompetenzen“ nachgedacht. Externe Sachverständige unterschiedlicher Fachbereiche aus Forschung, Unternehmen, Verbänden, Organisationen etc. wurden zu den Beratungen hinzugezogen, die später beim Rat dauerhaft installiert wurden. Der Unterschied in Bezug auf die Organisationsform ist meiner Ansicht nach, dass „ad personam“ benannte externe Sachverständige in den Berichtszeiträumen unabhängig handelten und ihre Ansichten zur Rechtschreibreform äußerten, während sie als Ratsmitglieder gemeinsame Interessen vertraten. In der Amtsperiode des Rates für deutsche Rechtschreibung werden im Rahmen der Themen und Arbeitsfelder gemäß des vereinbarten Statuts der „ständigen Beobachtung der Schreibentwicklung“ und der „Erarbeitung und wissenschaftlichen Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“ spezielle Arbeitsgruppen nach Schwerpunktthemen gebildet, die auf eine vertiefende Befassung mit den relevanten Fragestellungen zielen. Hierzu gehören die AG, die sich mit der Beobachtung des Gebrauchs der professionell Schreibenden beschäftigt, die AG, die sich mit der Beobachtung des schulischen Gebrauchs auseinandersetzt, und die, die eine linguistische Begleitung darstellt und in der spezifische fachliche Kompetenzen gebündelt werden. Von der Konnotation her handelt es sich stilistisch wie von der Expressivität her um neutrale Bezeichnungen, die namentlich als Arbeitsgemeinschaft Korpus, AG schulischer Gebrauch und AG Linguisten bezeichnet werden. Den Bedürfnissen der langfristigen Aufgaben entsprechend, denen man sich in der zweiten Hälfte der ersten Amtszeit stellte, regelte der Rat mit dem Hervorbringen der spezifischen AG’s die inhaltliche Ausrichtung seiner zukünftigen Aufgaben und die Gestaltung der Arbeitsfelder, deren metonymische Bezeichnung, wie im Falle von AG Korpus, zum einen die Gruppe der professionell Schreibenden bezeichnet und zum anderen auf das Werkzeug referiert, das zur Beobachtung herangezogen wird, da anhand von Korpora die Schreibentwicklung beobachtet werden kann. Weitere AGs, die sich um be- 32 Dies bezieht sich im Einzelnen auf den zweiten Bericht (Berichtszeitraum: 2006-2010). Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 114 sonders kritikanfällige Themen bemühten, arbeiteten an den Vorschlägen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Die Einrichtung von spezialisierten Arbeitsgruppen, die gemäß Statut vom 17.5.2005 in der Fassung vom 16.1.2006 gebildet wurden, entsprechen den Aufgaben - ständige Beobachtung der Schreibentwicklung - Klärung von Zweifelsfällen - Erarbeitung der wissenschaftlichen Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den Wandel der Sprache - in ihrer Bezeichnung. Dies macht deutlich, dass dem aktuellen politischen Diskurs, den in den Medien ausgefochtenen vorgetragenen Kritikpunkten und den gegenwärtigen Anforderungen an neue Aufgabenbereiche des Rats für deutsche Rechtschreibung, die sich aus der Reformdebatte ergeben haben, durch auf Arbeitsebene eingerichtete Expertengruppen Rechnung getragen wird, die für eine transparente PR in Sachen Rechtschreibreform Sorge trugen und die Arbeitsweise und die Arbeitsverteilung des Rats maßgeblich mitbestimmten. Die Art der Installierung und Binnendifferenzierung zeigt aber auch eine Durchlässigkeit hinsichtlich der Beratungsgegenstände in den fachlich ausgerichteten Gremien, deren Mitglieder zum Teil auch in den politikberatenden Gremien wieder auftauchen, so dass eine scharfe Trennlinie nicht immer gezogen werden kann. Insgesamt möchte ich hier zusammenfassend festhalten, dass angesichts der Vielschichtigkeit des Themenkomplexes „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“, der systemischen Unterschiede zwischen den Ländern und der vorausgehenden internationalen Abstimmung der Reformvorschläge zu einem gemeinsamen Regelwerk die beteiligten deutschsprachigen Länder auf Fachebene wie auf politischer Ebene sich auf eine Weise geeinigt haben, die ich als avantgardistisch bezeichnen möchte. Hierzu gehörte die Art der Aufgabenteilung und die Kanalisierung von Kompetenzen, die vorsah, dass beispielsweise im Nachgang zu den in Wien getroffenen Absprachen die Ausrichtung einer zweiten Wiener Konferenz durch das Land Österreich organisiert wurde, während die Bundesrepublik die inhaltliche Vorbereitung übernahm. Die Reform gewann dadurch eine Dynamik und führte zu Synergieeffekten durch die Einbindung aller Partner und die Verteilung der Aufgaben. Die inhaltliche und sprachwissenschaftliche Diskussion wurde zunächst in den nationalen Kommissionen und Arbeitsgruppen geführt, die später zu einem übereinzelstaatlichen Gremium von Fachwissenschaftlern und Experten wuchs, die den Entscheidungsträgern auf internationaler Ebene bei Konferenzen und Gesprächen die Reformvorschläge zuführten. Sie trugen auch dafür Sorge, dass die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu einem stimmigen, politisch durchsetzungsfähigen Reformpaket wurde, das zunächst aus verschiedenen abgestimmten Teilpaketen bestand, bevor es das tragfähige Gesamtregelwerk wurde, wie es sich uns heute darstellt. Sprachpflege und Sprachpolitik in Österreich 115 4.6 Sprachpflege und Sprachpolitik in Österreich 4.6.1 Allgemeines Am Beispiel der deutschsprachigen Nationen und der gemeindeutschen Reform zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wird deutlich, dass dies trotz gemeinsamer Sprache und dem Bestreben, diese in Bezug auf die Orthografie für alle beteiligten Länder zu vereinheitlichen, nicht unweigerlich bedeutet, dass die Sprecher sich auch zu einer Sprachgemeinschaft mit einer Identität zugehörig fühlen. Ich versuche folgend aufzuzeigen, dass eine politisch initiierte gemeinsame Schriftsprache nicht notwendigerweise zum Ausgleich zwischen den nationalsprachlichen Varietäten führen muss, sondern auch zur Ausdifferenzierung mit offizialem Charakter führen kann. Dies führt mich wieder zu Begrifflichkeiten wie „Sprachbewusstsein“, „Sprachpflege“ und „Identitätsbildung“, auf die ich im Laufe der folgenden Kapitel zu den sprachpflegerischen und sprachpolitischen Aktivitäten in Österreich eingehe. 4.6.2 Sprachpolitische und sprachpflegerische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten lassen, eine österreichische, von der BRD losgelöste sprachliche Identität zu bewahren Die sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten und die in diesem Zusammenhang entstandenen fachlichen und politischen Diskurse in Österreich sind nicht nur geprägt von Bemühungen um eine gemeinsame Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, sondern auch von einer eigenständigen, von der Bundesrepublik unabhängigen Sprachpolitik, in der das Österreichische als nationale Variante des Deutschen verstanden wird. Am deutlichsten ist die Abgrenzung darin abzulesen, dass neben dem „österreichischen Schüler-Duden“ auch etliche Wörterbuchreihen geführt werden, in denen die Aussprache, die Bedeutung und die Grammatik des österreichischen Deutsch zum Medium erklärt werden, ohne das österreichische Deutsch im Kontext der Einheit einer gemeinsamen deutschen Sprache zu beschreiben. Der Duden-Verlag, der seit 2008 ein Österreichisches Wörterbuch für den Schulbereich führt, geriet in die Kritik durch die ÖWB, da in diesem viele Austriazismen nicht aufgeführt seien und österreichische Idiosynkratismen fälschlich als umgangssprachlich und landschaftlich oder ländlich markiert seien. Hingegen enthält das seit 1951 existierende und vom Unterrichtsministerium veröffentlichte, aus dem Bedürfnis der Kodifizierung erwachsene Österreichische Wörterbuch (ÖWB) weitaus mehr Einträge und Spezifika, die das österreichische Deutsch besser abbilden. Jedoch gab es hieran nach Zeman (2009, S. 15) auch Kritik an der von 1979 fortgeführten Version, da diese als Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 116 nicht vollständig aufgefasst wird. Das Festhalten an den österreichischen Merkmalen in diesem Wörterbuch stellt eine Form sprachpolitischer Korpusarbeit dar und leistet bis heute einen Beitrag zur Erhaltung und Identifikation des Österreichischen als nationale Varietät. Obgleich sich in jüngerer Zeit weitere zahlreiche kodifizierende Darstellungen zu einzelnen Sachbereichen wie Wörterbücher zu Fachterminologien (Recht, Wirtschaft, Variantenwörterbuch, Aussprachedatenbank von Muhr aus 2007) herausgebildet haben (siehe Zusammenfassung bei Zeman 2009, S. 16), gibt es dennoch wenige Lehrwerke und wenige Materialien zum österreichischen Standard, so dass das Österreichische als vom Standard abweichende, schlecht konnotierte, da auch nicht in allen Facetten dokumentierte, nationale Varietät dargestellt wird. Die österreichische Varietät hat also im Unterschied zur schweizerischen Varietät allenfalls eine regionale Identität, aber keine Stellung, die in Bereiche des Standardbundesdeutschen hineinreicht. Rudolf Muhr hat zur sprachenpolitischen Situation des österreichischen Deutsch eine aufschlussreiche Abhandlung über die Markierung von umgangs- und standardsprachlichen Sprachmerkmalen in Wörterbüchern verfasst, die zum Ausdruck bringen soll, dass dem Österreichischen eigene lexikalische Eigenheiten nicht den gesellschaftssprachlichen Gehalt und soziolinguistischen Mehrwert haben wie die Schweizer Mundart im allgemeinen Sprachgebrauch. In Zusammenhang mit einer Erhebung über Präferenzen im Sprachgebrauch des österreichischen Deutsch im Lichte soziolinguistischer Betrachtungen von Steinegger (1998) fasst Zeman zusammen: Insofern stellt Steinegger fest, dass mit Kindern deutlich weniger Dialekt gesprochen wird als mit anderen Familienmitgliedern. Zugleich fällt der hohe Anteil der Standardsprache auf […]. (Zeman 2009, S. 41) Dies hat klar mit dem Status und der situativen Geltung zu tun, die der Standardsprache zugesprochen wird. Wenngleich die meisten Befragten in der Studie von Steinegger sich eine hohe Kompetenz hinsichtlich des Gebrauchs des Österreichischen Varietät zusprachen, gibt die Studie aber auch wieder, dass die Verwendungsbereiche im Verhältnis zu bspw. denen, die aus der Schweiz bekannt sind (Medien und Schule bspw.), eingeschränkter sind: Es zeigt sich ein deutliches Nachlassen des Gebrauchs von Dialekt zugunsten von Umgangssprache und Hochdeutsch von der informellen privaten Situation über die halböffentliche bis zur formellen offiziösen und vom vertrauten Gesprächspartner zur distanzierten Respektperson. (Zeman 2009, S. 43) Auch Schrodt (1997) hat sprachpolitische Forschungsaspekte in Hinblick auf das österreichische Deutsch jüngerer Zeit behandelt, die ich in meine Ausführungen mit einbeziehen werde. Anders als bspw. in der Schweiz ist die in den Medien verwendete Sprache dem standardsprachlichen Hochdeutsch ohne dialektale Färbungen vorbehalten. In jüngster Zeit zeigt sich der entgegenge- Sprachpflege und Sprachpolitik in Österreich 117 setzte Fall, wie er sich in der Schweiz zugetragen hat, wo sich die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) mit der Frage befasste, wie man Hochdeutsch im Schulwesen und in den Medien stärken kann, nachdem Studien offenbart haben, dass die hochdeutsche Standardsprache nicht ausreichend in Unterricht und anderen Bereichen des Lebens praktiziert wird. Das Österreichische Bildungsministerium hat einem Artikel des Spiegel (vom 5.6.2014 „Sprachpflege an Schulen: Österreich kämpft gegen deutschländisches Deutsch“) zufolge versucht, Maßnahmen einzuleiten, um in der Schule und insgesamt im Bildungsbereich die Verwendung der österreichischen Mundart mit ihren lexikalischen und grammatischen Idiosykratismen zu stärken. Hier möchte man dem Einfluss der Medien entgegenwirken, in denen nach Aussage der österreichischen Bildungsministerin nur die hochdeutsche Standardsprache verwendet wird, da die meisten in Österreich ausgestrahlten Produktionen aus dem bundesdeutschen Raum stammen. Was das österreichische Bildungsministerium als eigenständige und gleichberechtigte Varietät der deutschen Standardsprache versteht, möchte man laut Aussage von Sprachbewahrern in dem erwähnten Artikel des Spiegel nicht als Varietät oder Mundart bezeichnen, sondern als eigenständige Sprache. Hier tut sich meines Erachtens wieder die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen regionaler Identität auf, die in ihrer Existenz nicht zu separieren ist von einer Dachsprache und dem Anspruch, ein eigenes unabhängiges Sprachsystem außerhalb dieser Dachsprache darzustellen (siehe hier die Definition zur Überdachung von Nonstandardvarietäten durch Standardvarietäten von Ammon 1995). Hinzu kommt, dass im Österreichischen nach Ammon (1995, S. 288) die Dialekte standardnäher sind als die Dialekte der Schweiz im Verhältnis zur Standardsprache: Es ist nicht so eindeutig in seiner Eigenart vom übrigen deutschen Sprachraum abgesetzt wie es die deutsche Schweiz mit ihrer vor allem sprachpragmatischen Sonderstellung ist. Österreich geht nicht nur auf der Ebene der kleinräumigen Basisdialekte ins angrenzende Deutschland über, sondern auch im ganzen weiteren Nonstandardgebrauch […]. (Zeman 2009, S. 146) 4.6.3 Lexikalische und grammatische Ähnlichkeiten, die das österreichische Deutsch nicht zu einer eigenständigen, vom gesamtdeutschen Kontext losgelösten Standardvariante machen Richard Schrodt hat sich in verschiedenen Abhandlungen mit der Frage nach der Beurteilung der Identität des österreichischen Deutsch beschäftigt und formuliert die Frage wie folgt treffend: Die Frage nach der Eigenständigkeit des österreichischen Deutsch kann auf mehreren Ebenen gestellt werden, und demnach wird auch der begriffliche Wert dieses Ausdrucks kontrovers beurteilt: Ist das österreichische Deutsch eine eigenständige Varietät einer Gesamtsprache, die womöglich sogar den Ei- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 118 gennamen „Österreichisch“ verdient, oder ist es „nur“ eine (regionale) Abart einer Gesamtsprache „Deutsch“ […]? (Muhr/ Schrodt/ Wiesinger (Hg.) 1995, S. 52) Laut der Meinung von vermeintlichen Sprachkundlern und Experten gibt es Hinweise darauf, in welche Richtung die Beantwortung dieser Frage gehen kann, ohne sich direkt auf sprachliche Merkmale zu beziehen. So geht bspw. die Eindeutschung von französisch- und italienischstämmigen Wörtern in Anlehnung an das Bundesdeutsche im österreichischen Deutsch schneller und leichter vonstatten (laut Auffassung von Rudolf Wachter von der SOK, siehe Rubrik Fragen und Antworten auf der Homepage der SOK, http: / / sok.ch/ category/ fa, Stand: 1.3.2017) als in der Schweiz, was die Nähe des österreichischen Deutsch zum Bundesdeutschen aufzeigen soll. Ich würde insgesamt bei der Beschreibung des Österreichischen und seiner landesspezifischen Besonderheiten in Bezug auf die Grammatik und Lexik nicht von den traditionellen Definitionen von Varietät und Standard abweichen und das Österreichische, wenngleich es ein eigenes, in Teilen eigenständig normiertes Sprachsystem bildet, als eine nationale, standardsprachlich ausgerichtete Varietät verstehen, die keinen Anspruch auf den Status einer Standardsprache hat, auch wenn sie einen spezifischen Wortschatz aufweist (siehe hierzu die Beschreibungen von Ammon (1995) zur Definition von nationalen Standardvarietäten, wie es dem Schweizerischen attestiert wird, siehe hierzu auch die Beschreibung des Schweizerischen und Österreichischen als nationale Varietäten zum Bundesdeutschen bei Wiesinger 1997). Von dem österreichischen Wortschatz ist bekannt, dass er etliche Lexeme mit dem Süddeutschen (nach Wiesinger 1995) teilt, so dass die vermeintlich für Österreichisch spezifische Lexik keine Abgrenzung zu Regionalitäten schafft, die auch aus dem bundesdeutschen Raum bekannt sind. Somit ist dem Österreichischen eigenen Wortschatz zwar eine Reihe von Austriazismen zuzuordnen (bspw. wird „Paradeiser“ in Südtirol und Ostösterreich für gsdt. „Tomate“ verwendet), aber es lassen sich auch etliche grenzüberschreitende lexikalische Gemeinsamkeiten zu Dialekten aus dem bundesdeutschen Raum wie dem Bayerischen und Alemannischen ausmachen, die dem gemeindeutschen und dem österreichischen Wortschatz zuzurechnen sind: Auch das bereits erwähnte Überschneidungsargument beruht auf dem plurizentrischen Konzept. Dieses Argument besagt, dass es zwischen Österreich und Bayern (aber auch der Schweiz) zahlreiche Ähnlichkeiten im Sprachgebrauch gibt und vor allem viele üblicherweise als Austriazismen bezeichnete Wörter auch in Bayern verwendet werden. (Muhr 1997, S. 56 nach Zeman 2009, S. 101) Tatsächlich regional- und staatsgebunden findet man bestimmte Terminologien aus den Bereichen Verwaltung und Verkehr, die nur regionale Gültigkeit aufweisen (siehe Zeman 2009, S. 99). Sprachpflege und Sprachpolitik in Österreich 119 Nach von Polenz (1999) müssen für ein eigenes kohärentes Normensystem bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Um unter diese Kategorie zu fallen, reicht der Sonderwortschatz des Österreichischen nicht aus (vgl. hierzu auch die Ausführungen von Julia Haldemann, unveröffentlichte Seminararbeit am Germanistischen Institut der Universität Wien zum Thema „Sprachnationalismus, nationale Standardvarietät und nationale Identität in einem mehrsprachigen Land: Kultur- und sprachgeschichtliche Untersuchung am Beispiel der Deutschschweizer Sprachsituation“ aus 2003). Die Frage, warum das Österreichische historisch auf eine von innen ausgehende standardsprachlich ausgerichtete Kodifikation verzichtet hat, klärt Muhr nach einem Beitrag von 1982 auf das sprachpolitisch begründete schwierige Verhältnis zwischen Sprache und Nation in Österreich folgendermaßen: Ausgangspunkt ist dabei der Ansatz Herders, der angesichts einer im 18. Jahrhundert fehlenden politischen Einheit Kultur und Sprache zur Kategorie politischer Identifikation erhob. […]. Einen solchen Nationalbegriff überträgt Muhr auf den selbständigen Staat Österreich und seine Staatsbürger und empfindet es als ein problematisches Desiderat, dass die heute zweifellos vorhandene, vom Volk anerkannte und in der Volksmeinung fest verankerte österreichische Nationalität keine ihr spezifische Nationalsprache haben soll […]. (Zeman 2009, S. 88) 4.6.4 Sprachpolitische und sprachpflegerische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten, eine gemeinsame Neuregelung der gesamtdeutschen Rechtschreibung auszuarbeiten, und die beteiligten Akteure Es bleibt festzuhalten, dass je nach sprachpolitischem Ansatz und Begriffsbestimmung zur Einordnung des Status (ob als nationale Varietät oder eigener nationaler Standard) und Geltungsbereiches (Funktionsbereiche) die von außen initiierte Normierung der Schrift und Orthografie aller deutschsprachigen Länder für Österreich entweder als Gewinn im Sinne einer offiziösen Abgrenzung und Anerkennung der österreichischen Varietät im Unterschied zum gesamtdeutschen Standard deklariert werden kann oder als Verlust der Identität, da das Standarddeutsche als Dachsprache die regionalen Merkmale durch ihr Vordringen in offiziell-gesellschaftliche Bereiche wie Medien und Presse verdrängt. Eine von der Bundesrepublik losgelöste Sprachpolitik hat sich in Österreich nicht entwickeln können, da sich ein eigenes nationales Selbstverständnis erst im Zuge der Nachkriegszeit nach der Wiederausgliederung Österreichs einstellen konnte und die wissenschaftliche Aufarbeitung, Auseinandersetzung und Darstellung von Sprache als sprachpolitische Aufgabe einen langewährenden Prozess darstellt, in dessen Zuge sich ein gewisses Selbstbewusstsein erst konstituiert. Selbstverständlich sind Bemühungen in Bezug auf die Schaffung einer schriftsprachlichen Norm nicht erst aus der Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 120 Nachkriegszeit bekannt. Schon im 17. und 18. Jahrhundert sind von diversen Grammatikern und sprachaffinen Persönlichkeiten Anstrengungen unternommen worden, die Schriftsprache auf geeignete Weise zu erfassen und festzuhalten. Die geschichtliche Entwicklung und die einflussreichsten Personen in diesem wirkenden Kontext wie Friedrich Wilhelm Gerlach und Joseph von Sonnenfels strebten einen Schriftsprachgebrauch an, der sich an einen Standard frei von regionalen Merkmalen orientiert (siehe hierzu Zeman 2009, S. 194). Ein bekannter sprachpolitischer Vorstoß hat sich im Zuge des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union in der 1990er Jahren ereignet. Hieraus ist im Zusammenhang mit einem Antrag zum Beitritt Österreichs das Protokoll Nr. 10 hervorgegangen, das 23 dem Österreichischen eigene Begriffe aus dem Lebensmittelbereich enthielt, die als Äquivalenzausdrücke gegenüber den bundesdeutschen Bezeichnungen erhalten bleiben sollten, so dass diese nach Zeman (2009, S. 152ff.) mit derselben Rechtswirkung und derselben Anerkennung verwendet werden, und zwar nicht nur in österreichischen Wörterbüchern, sondern auch in gemeindeutschen (bspw. Erdäpfel statt Kartoffeln, Marillen statt Aprikosen). Ähnlich wie in der Schweiz, ist die deutsche Sprache in der Bundesverfassung als National- oder im Österreichischen auch als Staatssprache verankert. In sprachpflegerischer Hinsicht hat sich das Österreichische Sprachenkomitee (ÖSKO), das vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) und dem Wissenschaftsministerium (BMWF) gegründet worden war, um auf nationaler Ebene bildungs- und sprachpolitische Aktivitäten zu begleiten, mit sprachen- und sprachpolitischen Fragen auseinandergesetzt. Hinzu gekommen sind auch weitere internationale Partnerschaften, die sich des Themas Mehrsprachigkeit angenommen haben. In Bezug auf die gegenwärtige Mitwirkung Österreichs im Rat für deutsche Rechtschreibung ist die Kooperation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des dort verwalteten elektronischen Korpus mit der AG Korpus zu nennen. Der Korpus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) enthält flächendeckend Magazine, Zeitschriften und Zeitungen aus Österreich und eignet sich hervorragend, um die vom IDS genutzten Korpora für die bundesdeutschen Presseerzeugnisse für Erhebungen zum Zwecke der Weiterentwicklung der deutschen Sprache und der Messung von Präferenzen und Trends zu ergänzen. Nach einem durchgeführten Votum zur wesentlichsten Neuerung, der ss-/ ß-Regelung, wurde in Österreich zu 90% für die Beibehaltung des ß plädiert. Dies soll zeigen, dass Österreich die Neuregelung im Ganzen mitgetragen hat, sich am Meinungsbildungsprozess beteiligt hat und auch daran interessiert war, gesellschaftliche Stimmen in den Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 121 Reformprozess mit einzubeziehen. Im Zuge des Anhörungsverfahrens im Jahr 2005 führte das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Österreich eine mündliche Vernehmlassung durch, zu der Eltern- und Lehrerverbände geladen wurden und aus der keine signifikanten Einwände zu den Vorschlägen des Rats für deutsche Rechtschreibung hervorgingen. Bekannt ist auch, dass sich Österreich im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Internationalen Vereinbarung über den Rat für deutsche Rechtschreibung in 2005 für die Aufnahme des autonomen Gebietes Bozen-Südtirol und Liechtenstein in den Rat stark gemacht hat. Eine Eigenwilligkeit, die ich an dieser Stelle einwerfen möchte, geht aus einem Gespräch zwischen Ludwig M. Eichinger und der Geschäftsführerin des Rats Kerstin Güthert hervor, dem zufolge Unklarheiten bezüglich des Statuts der im zweiten Bericht des Rat für deutsche Rechtschreibung (Dez. 2010) aufgeführten Änderungsvorschläge zur Variantenschreibungen dazu geführt hätten, dass in der 42. Auflage des Österreichischen Wörterbuchs (ÖWB) die Empfehlungen des Rats nicht eingearbeitet worden seien. Dieses Vorgehen wurde anfänglich missdeutet als Ablehnung der Empfehlungen zu Änderungen am Wörterverzeichnis durch die österreichische Seite. Im Nachdruck des ÖWB sind die Änderungen zur Variantenschreibung (Streichung und Wiederaufnahmen) aus dem Jahr 2010 aber mit aufgenommen worden. Es ließen sich durchaus mehr Beispiele und Aktivitäten von österreichischer Seite aufführen, die aussagekräftig genug sind, um einen Eindruck über die Bemühungen Österreichs in Hinblick auf die Weiterentwicklung der deutschen Sprache und die Beobachtung des Sprachgebrauchs zu gewinnen. Da ich in diesem Kapitel allerdings nur einen oberflächlichen Rückblick über die sprachpolitische Situation in Österreich geben und auch nur die Maßnahmen aufzählen wollte, die Gegenstand eines öffentlichen Diskurses (wie bspw. das Protokoll Nr. 10) oder zu den jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit der Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung geworden sind, möchte ich nochmals auf die schon detailreichen und spezifischen Ausführungen vorhergenannter Autoren verweisen, die sich um die Aufarbeitung der Identität der österreichischen Varietät und den Beitrag Österreichs bei der Erarbeitung des gesamtdeutschen Regelwerks zur deutschen Rechtschreibung verdient gemacht haben. 4.7 Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz Im folgenden Unterkapitel gehe ich auf die in der Schweiz praktizierten sprachpflegerischen und sprachpolitischen Aktivitäten ein. Hierbei werde ich unterscheiden zwischen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung als länderübergreifende Initiative ergriffen wurden, und Maßnahmen, die nationalsprachenspezifisch geprägt Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 122 und nach innen gerichtet sind. Hierzu gehören bspw. der Umgang von Behörden auf Bundeswie Kantonsebene mit der Vielsprachigkeit der verschiedenen Sprachgruppen, die Medien im Umgang mit Mundart und Standard und die Hausorthografien von Schweizer Zeitungen im Verhältnis zu bundesdeutschen Zeitungen und ihren hausorthografischen Eigenleistungen. Ich werde die nach außen wirkenden sprachpolitischen Aktivitäten und Standpunkte aufzeigen, die im Kontext der Rechtschreibreform von 1996 besonders prägend für die inländische Umsetzung der Reform und die Entwicklung der internationalen Verhandlungen waren. Ich werde im Einzelnen auch auf die Unterschiede einzelner Verfahren in der Schweiz im Verhältnis zu bundesdeutschen eingehen und die Schweizer Stellungnahmen und Vorschläge in den einzelnen Gremien wiedergeben, um in Hinblick auf eine gesamtdeutsche Perspektive auf eine gemeinsame Schriftkultur der deutschsprachigen Länder den Beitrag der Schweizer Seite an der Ausgestaltung der Reform und ihrer Inhalte zu bemessen. 4.7.1 Kurzer historischer Rückblick auf die sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Bemühungen um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung und die beteiligten Akteure Roman Looser (1995) behandelt in seinen Ausführungen „Gescheiterte Rechtschreibreformen in der Schweiz: die Geschichte der Bemühungen um eine Reform der deutschen Rechtschreibung in der Schweiz von 1945 bis 1966“, die Frage, welche gesellschaftlichen Kräfte, ob hinderlicher und förderlicher Art, Einfluss ausgeübt haben auf die Bemühungen um eine Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Roman Looser hat nicht nur eine kritische Beurteilung der Ereignisse rund um die Neuregelung der Rechtschreibung vorgenommen, sondern auch die Bereiche umrissen, die die Schweiz in Abweichung vom amtlichen Regelwerk und in Unterscheidung zur Bundesrepublik und Österreich geregelt hat. Dies betrifft vornehmlich fachliche Diskurse um lexikalische Eigenheiten im Wortschatz und auch grammatische Aspekte, in denen die jeweilige Form der schweizerdeutschen Varietät der standarddeutschen vorgezogen wird. Verschiedene Gründe für derlei Präferenzen erläutere ich in einem nachfolgenden Kapitel, in dem ich auf das generelle Verhältnis von Standard und Mundart in der Schweiz und die bestehende Diglossiesituation (siehe Kapitel 4.7.7) eingehe. Vorwegnehmend sei dennoch gesagt, dass die betroffenen Sachbereiche im lexikalischen Bereich die Verwendung von Helvetismen und die Behandlung von französisch- und italienischstämmigen Fremdwörtern beinhalten. Auf grammatischer Ebene gibt es Eigenheiten bei der Markierung von Numerus und Genus sowie bei der Wortbildung bei Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 123 Komposita. Eine der augenfälligsten Besonderheiten ist die Doppel-s-Schreibung statt des Eszett, das schon weit vor der Neuregelung der Rechtschreibung als Buchstabe getilgt wurde, sowie die Anwendung der Groß- und Kleinschreibung bei der Anrede. Ich werde im Verlauf meiner Diskussion weitere Besonderheiten aufzählen, an denen sich die betroffenen Sachbereiche noch anschaulicher exemplifizieren lassen. Meine Untersuchungsperspektive in Bezug auf die Bewertung der sprachpolitischen Aktivitäten und der damit verbundenen politischen Diskurse im Zusammenhang mit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung soll vornehmlich auf die von Roman Looser entgegengesetzte Richtung, die Einwirkung der sprachpolitischen Maßnahmen der politischen Ebene auf gesellschaftliche Kräfte oder gesellschaftliches Sprachbewusstsein zielen, die meist auch zum Thema der öffentlichen Auseinandersetzung in den Medien und auf dem bildungspolitischen Parkett wurden. Damit meine ich nicht nur das mehr oder wenige aktive Engagement des Bundes (Eidgenössisches Department des Innern, EDI) oder der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) als Sprachrohr der Kantone in Form von z.B. offiziellen Aufträgen zu einem Rechtschreib-Reformprogramm, sondern auch staatlich initiierte und koordinierte Eingriffe in Schrift und Sprache wie die zwischenstaatliche Erklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung und der Aufstellung von z.B. Sprachgesetzen, die regulatorisch Einfluss auf Prestige, Anerkennung und Verwendung von Sprache genommen haben. Einig mit Looser bin ich vor allem in der Aussage, dass: die Bemühungen um eine Rechtschreibreform nicht nur unter einem linguistischen, sondern ebenso sehr unter einem gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekt betrachtet und beschrieben werden müssen. (Looser 1995, S. 15) Roman Looser als Vertreter der Lehrerorganisation im Rat für deutsche Rechtschreibung (bis 2009) beschreibt in seinen oben erwähnten Untersuchungen zur Beschreibung der schweizerischen Reformbestrebungen eingehend, welche Akteure sprachpolitischer Seite an der Reform beteiligt gewesen sind, welche einschlägigen Entscheidungen hierzu gefällt wurden und welche sprachpflegerischen Aktivitäten gesellschaftlicher Kräfte die Zeit von 1945 bis 1966 geprägt haben, ohne jedoch eine komparative oder interlinguistische Perspektive einzubeziehen. Eine solche einzunehmen, ist für meine Arbeit unerlässlich, da insbesondere die Bildungsbehörden der deutschsprachigen Nationen eine länderübergreifende Reform anstrebten, die auch die vielsprachige Schweiz mitgetragen hat. Viele ihrer Interessen fanden Ausdruck in sich engagierenden nicht-staatlichen Sprachvereinen und Fachverbänden wie dem DSSV, die Vorschläge miterarbeitet haben wie z.B. die Ergebnisse, die aus dem „Internationalen Arbeitskreis für Orthografie“ hervorgingen, oder Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 124 die von dem BVR erarbeiteten Vorschläge, die staatlichen Institutionen und Interessiertenkreisen zugestellt wurden, auf die es aber bedauerlicherweise kaum mediale Resonanz gegeben hat (siehe bei Looser 1995, S. 282). Im Jahr 1987 wurde in einer Beitragsreihe zur Lehrerfortbildung im Deutschunterricht ein Lehrbuch zum Thema Rechtschreibung unter Einwirkung des Schweizerischen Lehrervereins erarbeitet. Erfolgreich konnte mit Zuarbeit der Sprachvereine z.B. der Eindeutschung französischer und italienischer Lehnwörter entgegengewirkt werden, ebenso konnte man dem Vorschlag der vermehrten Kleinschreibung in Zusammenhang mit den Wiesbadener Empfehlungen eine fachliche Auseinandersetzung entgegensetzen. 33 Vorweg erwähnt, lässt sich jedoch feststellen, dass gesellschaftliche Kräfte wie Sprachvereine, Fachkreise und halbstaatliche mandatierte Expertenkreise insofern Einfluss auf die Sprachentwicklung gehabt haben, als dass sie den Handlungsbedarf zu einer Kodifizierung der deutschen Standardsprache gegenüber Behörden wie der EDK und dem EDI formuliert und, angetrieben von exnormativer Seite (Ammon 1995 prägte hier den Begriff der Binnen- und Außenkodifizierung), die internationalen Reformbemühungen richtungsweisend mitbestimmt haben. Die internationale Zusammenarbeit wurde bspw. in den 1960er Jahren durch Einzelpersonen wie den Rechtschreibreformer Hans Glinz als Mitglied der von der EDK bestellten Arbeitsgemeinschaft zur Ausarbeitung des Minimalprogramms gefördert 34 und hat sprachpolitische sowie sprachwissenschaftliche Impulse unter Beachtung der öffentlichen Sprachdiskussion und der Leitlinien der nationalen und kantonalen Behörden gesetzt. Vorwegnehmen möchte ich an dieser Stelle, dass die schweizerische Rechtschreibung sich in einigen Punkten von der amtlichen deutschen Rechtschreibung unterscheidet, wie es auch innerhalb der amtlichen deutschen Rechtschreibung Hausorthografien gibt, die Abweichungen vom Regelwerk verzeichnen 35 (siehe hierzu folgendes Kapitel 4.6.4). Bevor ich zu den vorhergenannten Unterschieden komme, führe ich im Folgenden die von den Schweizer Delegierten zugrunde gelegten einschlägigen fachlichen und politischen Überlegungen zur Ausarbeitung eines Neuregelungsvorschlags aus und nenne die Aktivitäten und Maßnahmen, die die Reformbemühungen maßgeblich mitbestimmt haben. 33 Siehe hierzu einen Pressetext der EDK (375.122 reforme) im Nachgang zu den vom 22.-24.11. in Wien stattgefundenen 3. Gesprächen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung und die darin enthaltene offizielle Abschlusserklärung (keine Sperrfrist, zum sofortigen Abdruck frei). 34 Siehe hierzu Ausführungen über die internationale Zusammenarbeit von Roman Looser (Hg.) (1998, S. 81f.). 35 Im Kapitel 7.3.6 gehe ich auf die wesentlichen Unterschiede der amtlichen schweizerischen Rechtschreibung im Vergleich zu amtlichen deutschen Rechtschreibung ein. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 125 Nach dem Erscheinen der Stuttgarter Empfehlungen versuchte man in Bezug auf die Grundauffassung zur Gestaltung von Reformplänen auf eine „schmiegsame Interpretation und Kodifikation“ des allgemein anerkannten Gebrauchs (Glinz 1955, S. 30 nach Looser (Hg.) 1998, S. 115) im Unterschied zur Dudenschen Kodifikation zu setzen. Die Dudensche Kodifikation beschreibt Glinz als zu streng grammatisch geregelt, überfrachtet mit zu vielen zwingenden Vorschriften anstatt eines Maßes an Freiheit für so genannten Stilwillen. Das Interesse, auf die Empfehlungen zu reagieren und einen Gegenvorschlag zu erarbeiten und nicht in erster Linie abzulehnen, mündete in die von der EDK eingesetzte Kommission für Rechtschreibreform und die internationale Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege. Die Entwicklungen zu einer gemeindeutschen Regelung im 20. Jahrhundert kamen mit der Ablehnung der Wiesbadener Empfehlungen durch die Schweiz im Jahr 1963 zum Erliegen und wurden erst in den 1970er Jahren, mit entschieden weniger Dynamik, auf Initiative des Arbeitskreises für Rechtschreibregelung seitens der BRD und Vertreter der Österreichischen Kommission für die Orthografiereform wieder aufgenommen (Näheres in Eroms/ Munske 1997, S. 63; Looser (Hg.) 1998, S. 14). Roman Looser begreift die schweizerischen Reformbemühungen mit der Ablehnung der „gemäßigten Kleinschreibung“ als Bestandteil der Wiesbadener Empfehlungen länderübergreifend insgesamt als gescheitert (Looser 1995, S. 19, unter A4 Fragestellung). Die anschließenden gegenwärtigen Entwicklungen stellten sich als weniger dynamisch dar. Ein vorberatender, für Fragen der Rechtschreibreform vom EDI bestellter Ausschuss, der von 1972 bis 1985 aktiv war, wurde auf die Aufgabe reduziert, die Absichten und Zielsetzungen der verschiedenen Institutionen und zwischenstaatlichen Gremien zwischen der BRD, Österreich und der Schweiz zu klären. Ich möchte die Situation in den 1970er und zu Anfang der 1980er Jahre als reformwillig beurteilen, jedoch mangels Entscheidungsreife, Distanziertheit und Konsensfähigkeit die internationale Reformbereitschaft als eingeschränkt bezeichnen, wobei die schweizerischen, auf Defensive ausgerichteten Reformbemühungen nur langsam anliefen und nicht aus eigenem Antrieb. In den frühsiebziger Jahren und in der Zeit der sog. Wiener Gespräche zeigt sich ein noch immer gespaltenes Verhältnis zum Thema der Groß- und Kleinschreibung. Dies zeigen die teilweise gegensätzlichen Meinungen der österreichischen und schweizerischen Kommissionen als Ansprechpartner für internationale Kontakte. Die Wiener Konferenzen bildeten später die Grundlage für die Dresdener Erklärung der KMK zur Rechtschreibreform in der heute gültigen Fassung mit Beschluss vom 25.10.1996. In diesem Zusammenhang wurde auf nationaler Ebene sogleich eine öffentliche Anhörung mit vielen interessierten Kreisen in der Schweiz einberufen. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 126 Der Wiener Abschlusskonferenz sagen einige Autoren nach, dass sie angeblich abgesagt worden war oder die Ergebnisse willentlich nicht protokolliert wurden (laut Munske 1997) und weiterführende Beratungsgespräche nur noch auf internationaler Ebene vereinbart werden sollten. Dies kommt der Aussage gleich, dass eine Reform unter den gegebenen Bedingungen nicht gewünscht wurde und die eingereichten Stellungnahmen als so hinderlich für das Fortführen einer Reform erachtet wurden, dass dies einer Absage derselben gleichkam. Dieses Vorgehen findet auf nationaler Ebene im bundesdeutschen Sprachgebiet Parallelen in der im Jahr 1996 beschlossenen Neuregelung, als im Zuge der öffentlichen Anhörung von verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen (z.B. Schriftsteller, Publizisten etc.) teilweise abschlägige Stellungnahmen zu den Neuregelungsvorschlägen eingereicht wurden. Das Problem, das meines Erachtens hauptsächlich zu einer Erschwernis der Reformbemühungen im Nachgang zu den Wiesbadener Empfehlungen beigetragen hat, ist, dass die unterschiedlichen für Rechtschreibfragen zuständigen Kommissionen und Arbeitsgemeinschaften der beteiligten Länder nicht direkt am Beratungsprozess der Rechtschreibbemühungen, die vorangegangen in die Wiesbadener Empfehlungen mündeten, beteiligt waren. Angesichts des Stockens der Reformbemühungen wurde im Jahr 1973 ein Verfahren zur Zusammenarbeit beschlossen, das eine gemeinsame und enge Abstimmung mit den anderen deutschsprachigen Ländern vorsah (Looser 1995, S. 291). Aufgrund solcher Entwicklungen halte ich den Begriff des Scheiterns einer Reform, der im Kontrast zum Begriff „Stocken“ in der jüngsten Literatur oft genannt wurde, jedoch für zu aufgebläht, da kein Vorhaben, das so viel wissenschaftliche Beschäftigung und Diskussion erfahren hat wie die gemeinsame Neuregelung der Rechtschreibung, als gescheitert erklärt werden darf, solange der öffentliche und wissenschaftliche Diskurs darum weitergeführt wurde und noch immer wird. Dem nach 1966 vornehmlich in den Medien und gesellschaftlichen Kräften wie privaten Vereinen (bspw. SOK) bezeichneten Rechtschreibchaos, das sich in der Presse in Form der Diskrepanzen zwischen verschiedenen Wörterbüchern und einer Ohnmacht der Institutionen geäußert habe, ist mit einem künstlich herbeigeführten Rechtschreibfrieden begegnet worden. Dies mag oberflächlich auf eine Bestätigung und Fortführung der Loosersch’en Kernaussagen von 1995 deuten, ist jedoch meiner Meinung nach nur als ein Scheitern auf politischer Ebene als Ergebnis eines gesellschaftlich-politischen Konfliktes zu verstehen, dessen Diskussion um die Kodifizierung gemeinsam angestrebter sprachlicher Normen und deren Kultivierung noch nicht in der Sprachgemeinschaft selbst ausgetragen wurde, sondern vornehmlich auf offizieller interstaatlicher Ebene. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 127 4.7.2 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten lassen, das Verhältnis der Landessprachen untereinander zu harmonisieren Um an dieser Stelle eine Einschätzung der in der Schweiz herrschenden Sprachpolitik und Sprachpflege zu geben, möchte ich im Folgenden kurz das Wesen der Sprachenpolitik, wie sie sich äußert, und die Rolle derselben beschreiben. Die Wechselwirkungen zwischen politischen Maßnahmen in Bezug auf das Zusammenwirken verschiedener Sprachgruppen innerhalb einer Sprachgemeinschaft geben auch Aufschluss über die Art der Bemühungen in Bezug auf die Zusammenarbeit hinsichtlich der gemeinsamen Installierung einer gesamtdeutschen Standardsprache. Angewandte Sprachenwie Sprachpolitik sind abhängig von der ideologischen Tonlage, wobei ich die schweizerische Ausrichtung für beide Handlungsfelder als liberal und tolerant, aber auch als protektiv bezeichnen möchte. Eine Untersuchung von Carol L. Schmid (2001) gibt Hinweise darauf, welche Form der Sprachenpolitik durch die Schweiz praktiziert wird: Unlike the United States, both Canada and Switzerland recognize official multilingualism. The two countries, however, have made widely divergent accomodations to maintaining more than one language and provide interesting contrasts to the United States. Switzerland has been a stable plurilingual country for over one and a half centuries. (ebd., S. 13) Zwar stehen im Fokus ihrer Untersuchung die sprachenpolitischen Unterschiede verschiedener Nation in Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung von Vielsprachigkeit, während ich in meinen Ausführungen auf eine sprachpolitische Bewertung einer amtlich geregelten institutionellen Sprachregelung Wert lege, die jedoch nicht immer zu trennen ist von staatlichen sprachenpolitische Maßnahmen, wie z.B., dass die Anerkennung der schweizerischen Landessprachen in der Bundesverfassung verankert worden ist. 4.7.3 Das Verhältnis der Landessprachen untereinander in Bezug auf den Wortschatz Der Einfluss des Italienischen und Französischen auf die deutschschweizerische Sprache ist laut Rash (2002, S. 79ff.) nie so stark beklagt worden wie der Einfluss des Lateinischen auf den Wortschatz, die es als Wissenschaftssprache und Kirchensprache erlangt hat. Noch heute ist der Einfluss spürbar, und sei es in nur in Form der lateinischen Kennzeichnung der Schweiz CH - Confoederatio Helvetica für Fahrzeuge. Sprachnationalisten und Puristen haben im 20. Jahrhundert ihre Anstrengungen verdichtet und aus Angst vor Überfremdung dem Einfluss fremden Wortguts auf den einheimischen Wortschatz den Kampf angesagt. Wenngleich die Akzeptanz gegenüber dem Italieni- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 128 schen und Französischen höher war als gegenüber dem Lateinischen, gab es dennoch Versuche, Ersatzbegriffe für franz. und ital. Wörter zu finden. Dies ist auch dem Einfluss von Sprachvereinen und Verbänden geschuldet wie dem DSSV, dessen Gründer Hermann Riegel programmatische Grundsätze zur Sprachreinigung verfolgte. Was sich also mit einem deutschsprachigen Wort ausdrücken lässt, sollte nicht durch ein Fremdwort ersetzt werden. Der größte Einfluss des Französischen auf den Wortschatz des Schweizerdeutschen ist im Bereich des Wortschatzes zu finden und geht schon auf die mittelalterliche Zeit (siehe Eichinger/ Plewnia (Hg.) 2008) zurück, in der durch Handwerk und Adel der Wortschatz in verschiedenen Bereichen mit französischen Lehnwörtern angereichert wurde. Die italienischen Einflüsse rühren vom Transfer im Bereich Handel her. Nach Rash (2002) gibt es etliche Entlehnungen aus dem Italienischen, die dem wirtschaftlichen Einfluss Italiens in Europa im ausgehenden 15.-16. Jahrhundert zuzuschreiben sind. Auch in der Kirchensprache wurde der Verständigung wegen oft Italienisch neben Lateinisch angeboten, zumindest im Süden der Schweiz. Im Schweizer Duden (2012) sind zudem Helvetismen verzeichnet und markiert. Rash (2002, S. 135) stellt ebenfalls fest, dass die Neuregelung von 1996 eine gewisse regionale und nationale Varianz zulässt. Im Leitfaden zur deutschen Rechtschreibung (2012) der Schweizerischen Bundeskanzlei werden Bereiche aufgezählt, die nicht von der Reform erfasst werden, und Eigenheiten wie Helvetismen berücksichtigt. Hierzu zählen Personen-, Orts-, Straßennamen und Namen von Institutionen und Organisationen und Lehnwörter verschiedener Art. Hierzu heißt es: In der Schweiz gibt es gewisse Usancen in der deutschen Schreibung von Wörtern aus andern Sprachen, insbesondere aus dem Französischen und dem Italienischen. Die Deutschschweiz zeigt sich hier „loyal“ gegenüber den anderen Landesteilen und wählt traditionell die weniger eingedeutschten Schreibungen (Communiqué statt Kommunikee oder Kommuniqué, Spaghetti statt Spagetti). (Schweizerische Bundeskanzlei 2012, S. 10) 4.7.4 Verhältnis des „Schweizerhochdeutschen“ zum bundesdeutschen Standard: Die Unterschiede der amtlichen schweizerischen Rechtschreibung im Vergleich zur amtlichen deutschen Rechtschreibung Dem hier aufgegriffenen Thema habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet, da die im Vergleich hohe Wertschätzung der schweizerischen Mundart gegenüber dem hochdeutschen Standard und die konstitutionelle Anerkennung der Mehrsprachigkeit in der Schweiz als sprachpolitisches Moment direkt rückwirkt auf die Anwendung der amtlichen Rechtschreibung. Die deutsche Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 129 Sprache ist, anders als in den anderen deutschsprachigen Ländern, nur eine von mehreren in der Anwendung als gleichwertig anerkannten Landessprachen. Im aktuellen Wörterverzeichnis finden sich zwar annähernd gleich viele für Österreich spezifische Einträge von Lemmata, jedoch handelt es sich im Unterschied zu den spezifisch schweizerischen Einträgen (Helvetismen und nicht-eingedeutschte Fremdwörter) um Schreibvarianten, die sich auf eine umgangssprachliche Variante in der Aussprache zurückführen lassen wie bei Kücken statt bundesdt. Küken. Diese sich in der Lexik widerspiegelnden Eigenheiten sind für das Schweizerische ausgeprägter als für das Österreichische, sowohl in Bezug auf die Vorkommnisse im aktuellen Wörterverzeichnis als auch in der Abbildung eigener, für die jeweilige Sprache vorhandener amtliche gültiger Sammlungen von Wörtereinträgen in Nachschlagewerken wie dem ÖWB. Auch für andere Teilbereiche, wie ich anhand der Bedeutung der Frage der gemäßigten Kleinschreibung in der Geschichte der Schweizer Rechtschreibentwicklung weiterführend aufzeigen werde, gilt die Beobachtung der hohen Wertschöpfung von schweizerischen Eigenheiten. Im Prinzip wird im deutschsprachigen Teil der Schweiz geschrieben wie in der Bundesrepublik und in Österreich, der Rechtschreibduden hat in den genannten Ländern Gültigkeit, mit dem Unterschied, dass länderspezifische Eigenheiten in Ergänzung zum Regelwerk Anwendung finden. Das letztmalig in 2006 überarbeitete Regelwerk mit dem dazugehörigen Wörterverzeichnis bildet die (nicht-gesetzliche) Grundlage für die anzuwendende Rechtschreibung. Es folgen Darlegungen zu orthografischen Besonderheiten in der Schweiz. Die meisten Unterschiede betreffen die Lexik, Zeichensetzung, jedoch auch grammatische Aspekte wie die Verwendung des Genus, um nur einige Beispiele zu nennen. Im Zusammenhang mit der Orthografiereform sind vor allem die folgenden Punkte von Interesse. 4.7.5 Schweizerische Besonderheiten in der Rechtschreibpraxis In der Schweiz haben sich einige wenige Besonderheiten in der Rechtschreibpraxis entwickelt. Die Punkte 1 und 2 sind in der gemeinsamen amtlichen Regelung der deutschsprachigen Staaten als Schweizer Sonderregelungen explizit mitaufgeführt: 1) Ersatz von Eszett durch Doppel-s 2) Zeichensetzung bei der Anrede im Brief 3) Rücksichtnahme auf französische und italienische Fremdwörter 4) Getrennt- und Zusammenschreibung geografischer Eigennamen auf -er 5) Groß- und Kleinschreibung bei mehrteiligen Eigennamen Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 130 Einige dieser Besonderheiten mögen wegen der hohen Token-Frequenz für Nichtschweizer auffällig sein, so der Ersatz von Eszett durch Doppel-s - aber insgesamt sind die rein orthografischen Unterschiede zur Praxis in Deutschland und Österreich gering. Mehr Abweichungen finden sich in der Lexik - aber das ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit, ebenso wenig die kleinen Unterschiede in der Grammatik. 1. In der Schweiz wird das Eszett gar nicht mehr gebraucht, und zwar nicht erst seit der Reform von 1996. In den Schweizer Schulen werden die ß-Regeln seit den 30er Jahren nicht mehr gelehrt. (Siebenhaar/ Wyler 1997, S. 42) An seiner Stelle erscheint immer Doppel-s. Im Regelwerk wird unter § 25 die Besonderheit für das Deutschschweizerische folgendermaßen beschrieben: E2: Steht der Buchstabe ß nicht zur Verfügung, so schreibt man ss. In der Schweiz kann man immer ss schreiben. Beispiel: Straße - Strasse. (Regelwerk § 25, S. 28) Schule, Presse und Drucksachen des Alltags verzichten tatsächlich völlig auf das Eszett; hingegen findet es sich teilweise in der Buchproduktion, vor allem bei Büchern, die im gesamten deutschen Sprachraum verkauft werden sollen. 2. In Korrespondenzen herrscht ebenfalls eine andere, vom Regelwerk abweichende Regelung, die sich insgesamt vom Bundesdeutschen unterscheidet. Hier sieht die bundesdeutsche amtliche Regelung ein Satzzeichen nach der Anrede vor; dies kann gemäß § 69 E3 durch ein Ausrufezeichen oder Komma realisiert werden. Zur schweizerischen Besonderheit heißt es hier: In der Schweiz auch ohne Zeichen am Ende: Sehr geehrter Herr Schröder Entsprechend unserer telefonischen Vereinbarung […]. (Regelwerk § 69 E 3, S. 78) Der erste Buchstabe des ersten Wortes des eigentlichen Textes im Brief wird hier großgeschrieben, anders als im Bundesdeutschen, wo der Onset des ersten Wortes im Brieftext kleingeschrieben wird. 36 3. In der Schweiz wird bei der orthografischen Integration von Fremdwörtern aus den anderen Landessprachen Zurückhaltung geübt. Dies gilt zum Beispiel für Büffet vs. Buffet (schweiz.), Check vs. Cheque (schweiz.). Anpassungen von französisch- und italienischsprachigen Ausdrücken an die deutsche 36 Details findet man auch im Duden (1989). Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 131 Schreibweise und Lautung, wie sie in den Wörterlisten des Regelwerks zu finden sind, werden im Schweizerischen nicht praktiziert. Französische und italienische Einflüsse lassen sich häufig wiedererkennen in der Schweizerischen Lexik, wie sie für englische Vorbilder im bundesdeutschen Wortschatz zu finden sind. Die in der Schweiz häufig verwendete Schreibweise Maroni oder Marroni für die im bundesdeutschen oft als Marone bezeichnete Esskastanie zeigt den Einfluss des Italienischen auf einzelne Lexeme entsprechend ihrer Herkunft. Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei Siebenhaar/ Wyler (1997, S. 42ff.) im Kapitel „Die Schweizerhochdeutsche Schriftsprache“. Dort geht der Autor auch auf grammatische Regionalismen ein, die in der vorliegenden Arbeit nicht im Zentrum stehen, etwa die Perfektbildung mit haben und sein bei den drei Verben stehen, liegen, sitzen (die sprachgeschichtlich ältere Form mit sein teilt das Schweizerische mit dem Süddeutschen), 37 das fehlende Präteritum in den Mundarten und Unterschiede hinsichtlich des grammatischen Geschlechts bei Substantiven. 4. Schon sehr lange wird in der Schweiz bei Ableitungen von Eigennamen auf -er stärker zusammengeschrieben. Während Verbindungen wie Perserkatze, Perserteppich in Deutschland und Österreich nur vereinzelt auftreten, erscheinen sie in der Schweiz relativ systematisch, vor allem, wenn die Verbindung als Ganzes wiederum einen geografischen Eigennamen bildet. § 38 des Regelwerks von 2006 sieht als allgemeine Regel für den deutschen Sprachraum vor, dass Ableitungen geografischer Eigennamen auf -er, die sich auf die Lage oder einen Ort beziehen, in der Regel vom folgenden Substantiv getrennt geschrieben werden, zum Beispiel Allgäuer Alpen, Brandenburger Tor. In der deutschschweizerischen Praxis wird in Verbindungen wie Genfersee oder Luganersee allerdings zusammengeschrieben, ebenso in Straßennamen wie Schaffhauserstrasse, Winterthurerstrasse. Zusammenschreibungen finden sich zuweilen auch in Österreich, zum Beispiel Wörthersee (neben Wörther See). Zusammenschreibung ist allgemein vorgesehen, wenn die Ableitung auf Personenreferiert wie in Schweizergarde = „Garde, die aus Schweizern besteht“ (§ 64). 5. Die Regelung, dass bei komplexen Eigennamen auch die Adjektive im Innern der Verbindung großzuschreiben sind, wird nicht immer berücksichtigt. Kleinschreibungen wie „Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik“ finden sich zwar zuweilen auch in Deutschland und Österreich, aber in der Schweiz ist die Kleinschreibung zumindest in der Bundesverwaltung als 37 Siehe hierzu auch die Beschreibungen von Stickelberger (1905, 1911) über die Gegensätze von Süd- und Norddeutsch, zitiert bei Ammon (1995) und ergänzt um Beobachtungen der Perfektbildung im Schweizerdeutschen. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 132 Regelschreibung vorgesehen. Im Leitfaden der Schweizerischen Bundeskanzlei (2008, S. 62) heißt es: Besteht der Eigenname hingegen aus mehreren Wörtern, so schreiben wir das erste Wort und die Substantive gross, die andern Wörter klein (in Abweichung vom amtlichen Regelwerk, das die Grossschreibung sämtlicher Wörter ausser Funktionswörtern vorsieht): das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung […]. 4.7.6 Eine Besonderheit in der Reformdiskussion: der hohe Stellenwert der Kleinschreibung der Substantive Erwähnenswert ist an dieser Stelle noch die in der Schweiz von verschiedenen Vertretern aus Gesellschaft und Öffentlichkeit hervorgebrachte Forderung nach einer generellen oder konsequenten Substantivkleinschreibung. Auch im bundesdeutschen Raum haben schon in frühester Zeit namhafte Vertreter wie Jacob Grimm (Deutsches Wörterbuch 1854) und Konrad Duden (Die deutsche Rechtschreibung 1872) für die Kleinschreibung von Substantiven plädiert, die sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Zukünftig wird die Diskussion um die konsequente Kleinschreibung im Zusammenhang mit dem digitalen Verschriftlichung mit Hilfe der Tastatur wieder aufgenommen, da man sich eine Minimierung des Aufwands für den Schreibenden durch die Nichtanwendung der entsprechenden Tasten auf dem Keyboard erhofft, die für die Großschreibung benötigt werden. Sprachwissenschaftlich wurde vorwegnehmend darüber diskutiert, ob eine Großschreibung der Nomina im Deutschen überhaupt ihre Berechtigung hat. Auch in späterer Zeit ist durch diverse Bildungsverbände und beispielsweise auf dem Kongress „vernünftiger schreiben“ in den 1970er Jahren die gemäßigte Kleinschreibung immer wieder öffentlich diskutiert worden. Ähnlich wie in der Bundesrepublik, wo die Verwendung der Kleinschreibung durch nur wenige Autoren im ausgehenden 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert als Zeichen der Modernität (Bauhaus) und der Verwendung der Antiqua-Schrift (siehe hierzu Wikipedia: http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Klein schreibung, Stand: 1.3.2017) zwar immer wieder zur Disposition stand, fand die gemäßigte Kleinschreibung auch in der Schweiz keine breite Zustimmung und erlangte im Unterschied zu den die Kleinschreibung befürwortenden Reformvorschlägen aus der DDR keine große Popularität (vergleiche hierzu die Ablehnung der gemäßigten Kleinschreibung in den Stuttgarter und Wiesbadener Empfehlungen), auch wenn der Versuch der Etablierung der vermehrten Kleinschreibung in der Schweiz bis ins ausgehende 20. Jahrhundert immer wieder thematisiert wurde (Minimalprogramm des Bundes für vereinfachte Rechtschreibung und später die SOK). Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 133 Im Unterschied zur bundesdeutschen Rechtschreibung wurde die Kleinschreibung aber in einigen Teilbereichen angewendet, wie auch bei der weiter oben erklärten Schreibung von mehrteiligen Bestandteilen (bestehend aus Adjektiven) in Eigennamen, die im Unterschied zur bundesdeutschen Regelung die Kleinschreibung vorsieht. Einer der populärsten Gründe für eine konsequente Kleinschreibung liegt in der Vereinfachung für den Schreibenden, die eine Kleinschreibung aller Wortarten mit sich bringen würde. Aber auch die lesetechnische Erleichterung wird als Argument aufgeführt. Man versprach sich von einer Befürwortung aus bildungspolitischer Sicht, dass die gemäßigte Kleinschreibung schichtenspezifische Benachteiligungen abbauen sollte. Unklar war hierbei noch, ob milieubedingte Benachteiligungen aus dem Schulbereich mit Hilfe der Reform abzubauen sind. Auch sah man für die internationale Verständigung in Anlehnung an andere europäische Länder, die die Kleinschreibung für sich eingeführt hatten, einen Vorteil. Hierzu gab es aber in den Jahren der Wiesbadener Empfehlungen und in den 1970er Jahren, als das Thema wieder aufgenommen worden war, noch keine adäquaten Untersuchungen, aus denen sich eine Erleichterung der Lesbarkeit des Deutschen für Nicht-Muttersprachler ableiten ließ. Der vielmals zitierte Nachteil liegt darin, dass die konsequente Kleinschreibung das Lesen erschwert, da Großschreibung auch eine Signalwirkung hat, ob zur Markierung von Satzgrenzen oder zur Identifizierung von Wortarten und Wortgruppen (siehe Ausführungen von Gallmann/ Sitta 1996a, S. 132ff.), die mit der Kleinschreibung entfiele. Mit der Kleinschreibung sah man allerdings auch eine Art Bruch mit der kulturellen Tradition verbunden, da eine Neuauflage von literarischen Klassikern aus wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage käme und sich hieraus eine emotionale Entfremdung gegenüber den Werken einstellen könnte. Insgesamt wurde auch die Reichweite dieser Veränderungen erwogen, denn eine Regelung der konsequenten Substantivkleinschreibung hätte auch Auswirkungen auf die Getrennt- und Zusammenschreibung gehabt. Im bundesdeutschen Raum wurden, wenngleich die Substantivkleinschreibung im Reformpaket aufgrund des Drucks gesellschaftlicher Kräfte und der mangelnden Durchsetzbarkeit auf politischer Ebene 38 letztendlich nicht berücksichtigt wurde, in der Öffentlichkeit auch befürwortende Positionen von verschiedenen Verbänden artikuliert. Hierzu zählten namhafte Vereine wie die „aktion kleinschreibung - verein für rechtschreibvereinfachung“, der „Deutsche Germanistentag“, die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)“ und das Institut für Deutsche Sprache (IDS). Ablehnend gegenüber der Einführung der gemäßigten Kleinschreibung äußerten sich der „Börsen- 38 Siehe hierzu die Ausführungen von Dieter Nerius in der Ostsee-Zeitung vom 25.4.2003 „Ein Reförmchen setzt sich durch“. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 134 verein des deutschen Buchhandels“, die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“ und die „Gesellschaft für deutsche Sprache“. Der Komplex der Groß- und Kleinschreibung wurde im Zuge des Reformvorhabens in einem zweiten Reformpaket behandelt, nachdem die Bereiche Zeichensetzung, Worttrennung, Schreibung mit Bindestrich sowie Getrennt- und Zusammenschreibung erarbeitet worden waren und darüber nach der Wiener Konferenz im Jahr 1986 international abgestimmt wurde. Die Fachwissenschaft bot für den Teilbereich Groß- und Kleinschreibung zwei Entwicklungsmöglichkeiten im Umgang von Substantiven dar, von denen eine Möglichkeit aus der gemäßigten Kleinschreibung aller Substantive im Satzinneren und Großschreibung am Satzanfang wie in allen vergleichbaren Sprachen in Europa bestand, die aber Probleme für den Bereich der Eigennamen und der Definition derselben mit sich gebracht hätte. Der zweite Vorschlag sah die modifizierte Großschreibung vor, die insgesamt zu einer vermehrten Großschreibung geführt hätte und die Problematik der Grenzziehung zwischen echten und nur als solche verwendete Substantiven aufgeworfen hätte. Die Debatte um die Groß- und Kleinschreibung ist meines Erachtens eine der emotionalsten, da mit ihr die bundesdeutsche Sprachgemeinschaft den Verfall der Individualität der Sprache assoziierte und eine zu starke Verletzung des gewohnten Schriftbildes einhergeht. Dass dieser Teilbereich nicht überall ein Reizthema war, zeigt sich am Beispiel Dänemark. Dort fand nach dem 2. Weltkrieg in einem Zeitraum von 10 Jahren eine staatlich verordnete Umstellung von Substantivgroßschreibung auf eine Form der gemäßigten Kleinschreibung statt, die in der Bevölkerung und Öffentlichkeit, anders als es sich bei den deutschsprachigen Ländern abgespielt hätte, gut aufgenommen wurde. 4.7.7 Die Diglossie - Situation in der Schweiz in den sprachpolitischen Diskursen Der Begriff der Diglossie wird vornehmlich in der Soziolinguistik angesiedelt. Er ist terminologisch und inhaltlich abzugrenzen von Begrifflichkeiten wie Bilingualismus, wenngleich die Diglossie auch als eine Form des Bilingualismus verstanden werden kann, da es sich hierbei nicht nur um die Beherrschung zweier Sprachen handelt, sondern auch um die Beherrschung unterschiedlicher Varietäten einer Sprache. Bilingualismus, auch oft in der Literatur (bspw. bei Spolsky 1988; Bloomfield 1935 etc.) für den Oberbegriff der Zwei- oder Mehrsprachigkeit verwendet, bezieht sich auf in der Forschung gegenwärtige Fragen zu bilingualem Spracherwerb und insgesamt Vielsprachigkeit in der Gesellschaft und die Wechselwirkungen bei Zwei- und Mehrsprachigkeit (bspw. Code-Switching). Diglossie wird in der Literatur dabei häufig als eine spezielle Ausprägung von Bilingualismus betrachtet, da nicht nur der Gebrauch, sondern schon die Existenz von Varietäten einer Sprache in einer Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 135 Sprechergemeinschaft ebenfalls einen bibzw. multilingualen Kontext darstellt. Unter einem soziolinguistischen Schwerpunkt betrachtet, ist Diglossie ein Sonderfall der gesellschaftlichen Zweisprachigkeit (siehe bei Crystal 2007), in dem die Varietäten funktional unterschiedlich verwendet werden. Einen umfassenden und sachgerechten Überblick unter Einschluss aktueller Fragestellungen und Funktionen wie der Bezeichnung der medialen Diglossie findet man auf Seiten von Wikipedia (https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Diglossie, Stand: 1.3.2017) zum Stichwort Diglossie und zum Schweizerdeutschen. Suter Tufekovic (2008) beschreibt Diglossie konzise wie folgt: Eine Sprachgemeinschaft, in der 2 Sprachen oder Sprachvarietäten von allen Mitgliedern gesprochen werden und die Wahl der Sprache oder Sprachvariante von funktionalen Kriterien abhängt, praktiziert einen diglossischen Sprachgebrauch. (ebd., S. 26) Ferguson (1959) hat sozial-funktionale Faktoren zur Binnendifferenzierung des Begriffs Diglossie eingeführt, die unterschiedliche Diglossieerscheinungen auf den Kontext der Verwendung, die damit verbundene gesellschaftliche und politische Bewertung, die mit dem Status einhergeht, die grammatische Komplexität und weitere Unterscheidungsmöglichkeiten abbilden. Schon in den 1970er Jahren wurde versucht, die diglossische Situation in der Schweiz funktional einzuordnen. Nach Carsten Sinner (2001) sind die Begriffe „Diglossie“ und „Bilingualismus“ die in der Sprachkontaktforschung am intensivsten behandelten Unterthemen. Die Diglossie in der Schweiz ist nach seiner Auffassung als eine Situation zu verstehen, in denen zwei Ausprägungen einer Sprache koexistieren, in der auf soziokultureller Ebene die mundartliche Ausprägung ein höheres Prestige als die Standardausprägung hat und dies unmittelbar Auswirkung auf die Verwendung in Handlungsbereichen wie Familie, Öffentlichkeit und Offizialität hat. Ergänzend möchte ich hierzu anmerken, dass für die Diglossie-Situation in der Schweiz für mein Dafürhalten die klassische Trennung von Funktionen in formellen und informellen Situationen für Varietät und Standard nicht zu halten ist, da die Varietät wie der Standard verwendet wird. Die aktuelle sprachpolitische Ausrichtung in der Schweiz fördert allerdings die Verwendung der Hochsprache in Unterricht und Schule, so dass von einer politischen, von außen einwirkenden Intervention zu sprechen ist, die auf das empfindliche Gefüge Einfluss nimmt und zu in den Medien ausgetragenen Konflikten in der Sprachgemeinschaft in Hinblick auf den Status der Varietät geführt hat. Das bedeutet aber nicht, dass für die Schweiz wegen der staatlichen Einflussnahme eine „instabile“ Form der gesellschaftlichen Zweisprachigkeit anzunehmen ist, sondern vielmehr, dass von einer Art Durchmischung der Funktionsbereiche die Rede ist, in der bspw. der Dialekt in die Schriftlichkeit übergegangen ist (mediale Diglossie) und dort die Funktion Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 136 des „Informellen“ implantiert hat, wenngleich der Gebrauch der Hochsprache bekanntermaßen den Medien vorbehalten ist. Die Verwendung der Varietät in der Schriftlichkeit, aber auch in den Medien wie Radio und Fernsehen bildet ein bewusstes Unterscheidungsmerkmal zum Standard, das Identität und Abgrenzung demonstrieren soll. Siebenhaar führt hierzu ergänzend an, dass sich eine Mundartliteratur erst im Zuge des Aufkommens des hochsprachlichen Standards als Schriftsprache durchgesetzt hat (Siebenhaar/ Wyler 1997). Die Diglossie-Situation in der Schweiz möchte ich daher als eine spezielle bezeichnen, da sich innerhalb der staatlich-institutionell anerkannten Vielsprachigkeit eine gesellschaftlich anerkannte Zweisprachigkeit in Hinblick auf die Verwendung der Sprachformen Dialekt und Standard entwickelt hat. Ich möchte im Folgenden kurz auf die Frage eingehen, ob sich die Diglossie- Situation als Ausdruck der Pluralität von Sprachen in der Schweiz entwickelt hat und ob die erst junge Geschichte der gesamtstaatlichen Situation Engagement zur Herstellung von Schreibkonventionen Einfluss auf die Diglossie- Situation gehabt hat oder umgekehrt. Voraus gehend für die Überlegung soll hier sein, dass es ganz eigene Interventionen hin zu einer Kodifikation der „schweizerischen“ Standardsprache nicht gegeben hat. Eine Normierung der Sprache fand unter dem Dach vieler deutschsprachiger Nationen statt, die gemeinsam dem Bedürfnis nachkommen wollten. Das daraus entstandene überstaatliche Abkommen wirkt von außen auf die Gesellschaft, die Schweiz hat sich diesem Vorhaben angeschlossen. Dies wirkt weniger verpflichtend und trug vielleicht dazu dabei, dass sich das starke Bewusstsein für die Mundart erhalten hat und dass das bedeutungslosere Hochdeutsch und seine kodifizierte verschriftlichte Form der Neuregelung der Rechtschreibung neben der Mundart akzeptiert werden konnte. 39 Die Diglossie-Situation in der Schweiz wird maßgeblich bestimmt durch die Beziehung zwischen den Dialekten und der Hochsprache. Es handelt sich um eine Situation, in der es eine schriftsprachlich festgelegte Standardform gibt und in der für die Ausdrucksseite des Mündlichen verschiedene Ausprägungen des Schweizerdeutschen („Schwytzertütsch“) unterschieden werden. 40 Im Speziellen geht es um die Varietät, die in der Gesamtheit als „Schwyzertütsch“ bezeichnet wird, da diese einen Oberbegriff für die diversen Mundarten bildet, die zur Gruppe der oberdeutschen Dialekte gehören (siehe Beschreibung bei Rash 2002, S. 47). 39 Mehr hierzu gibt es bei Bickel/ Schläpfer (Hg.) (2000). 40 Im Deutschen gibt es ebenfalls regionale Unterschiede, die mehr oder weniger Einfluss auf die Standardsprache haben. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 137 Der Begriff der Diglossie ist meines Erachtens nicht mit den Prinzipien der territorialen Integrität (Territorialitätsprinzip) und ähnlich mit der verfassungsrechtlich verankerten Sprachenfreiheit innerhalb der Kantone durch Sprachgesetzgebung in Zusammenhang zu bringen, da die Sprachauffassung hier über die Domäne Gesellschaft/ Familie und einem individuellen Stellenwert der Mundartkompetenz zu begreifen ist. Laut den Ausführungen von Ahokas (2003) haben die Mundarten in der Schweiz eine dem Hochdeutschen ebenbürtige Stellung hinsichtlich der Mündlichkeit und quasi-kodifizierten verschriftlichten Mündlichkeit, die auch als persönliche Schriftlichkeit bezeichnet werden kann (siehe Terminologie nach Koch/ Oesterreicher 1994). Diese Aussage gilt allerdings nicht für längere schriftliche Arbeiten. Die Pflege der Mundarten hat in der Schweiz einen ebenso hohen Stellenwert wie die Förderung des Hochdeutschen. Dies ist schon bei Greule (1994) so beschrieben. Die sprachpolitische Schwerpunktsetzung liegt also nicht allein in der Gleichstellung der Landessprachen und der Förderung des Hochdeutschen als Standardsprache, sondern ebenso in der Pflege des Dialektgebrauchs. Erwähnenswert und interessant an der Situation der Vielsprachigkeit im deutschschweizer Sprachraum ist, dass diese zwar institutionell verankert ist, aber ohne jeden Bezug zur Diglossie. Es wurde von der EDK zwar in Bezug auf das Verhältnis der deutschen Standardsprache zur Schweizer Mundart interveniert, aber nicht in Bezug auf den Mundartgebrauch neben der Mehrsprachigkeit in den Kantonen, was aber auch Bestandteil des innersprachpolitischen Diskurses ist, da nach Eszter Pabis die nationale Identität der Schweiz zum einen vornehmlich durch die Mündlichkeit ihren Ausdruck findet und die Vermittlung nationaler Inhalte durch die Viersprachigkeit und mediale Diglossie begünstigt wird (siehe bei Pabis 2010, S. 49). Helvetismen in der Lexik oder deutschschweizerische Dialektwörter haben identitätsstiftende Wirkung und sind ein Beispiel für eine gesamtgesellschaftliche Pflegeleistung. Man findet sie laut Rash (2002, S. 134ff.) in vielen Bereichen des Lebens wie z.B. für die Bezeichnung von Gegenständen, Gewerbe, Küche, Natur, Politik und Vorstellungen, die typisch schweizerisch sind wie z.B. „Nationalrat“ (was dem deutschen Bundestag entspricht) und „Rütlischwur“. Helvetismen betreffen allerdings nicht allein die lexikalischen Einträge in einem Wörterbuch, sondern auch weitere Bereiche der Sprache wie Syntax, Morphologie und auch Orthografie. Wie schon bei Rash (2002) erwähnt, hat Ammon Kriterien zur Feststellung von nationalen Varianten für das Österreichische und auch Schweizerische entwickelt. Die Markierung für einen Helvetismus wird im Duden mit ‘schweizerisch’ angegeben. Helvetismen haben meines Erachtens die Eigenart, ein spezifisch schweizerisches Verständnis einer Sache unter Berücksichtigung der spezifischen Kultur treffsicher, differenziert und präzisiert zu beschreiben. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 138 Um wieder auf die im Regelwerk übernommenen Schweizer Besonderheiten und deren normgebenden Charakter zurückzukommen, assoziiere ich für meinen Teil Einträge im Regelwerk, sei es als nationale Varietäten wie Helvetismen oder Austriazismen, immer mit einem Verbindlichkeitsgrad für Schule und Verwaltung, so dass eine im Regelwerk aufgenommene regionalsprachliche Eigenheit für diese Bereiche Gültigkeitscharakter hat. Die Reform der Rechtschreibung hat insbesondere mit den Änderungen von 2006 eine variantentolerante Richtung eingenommen, in der viele fremdsprachliche Begriffe aus dem Italienischen und Französischen in ihrer herkunftssprachlichen Form erhalten bleiben, und beschreibt das Diglossie-Phänomen auf ähnliche Weise nach Fasold (Diglossie ist „durchsickernd“ (leaking)) und Ramseier mit überlappenden Funktionen von Mundart und Standardvarietät, in denen sich lexikalische Gemeinsamkeiten finden. Diese erschweren es aber, zu beurteilen, ob ein mundartlicher Ausdruck noch Ausdruck einer regionalen Markierung ist oder ob er schon standardsprachlich geprägt ist, da er verschiedene, für den Standard typische Funktionsbereiche bedient wie die Medien und die Administration, die im öffentlichen Leben wie offiziellen Bereich Anwendung finden (siehe bei Rash 2002, S. 50). Beispielhaft führt Rash (2002) hier an, dass Lehnwörter aus dem Deutschen nur selten an das Schweizerdeutsche angeglichen wurden und aus „Mädchenheim“ (dt.) und „Meitliheim“ (schweizerdt.) „Mädcheheim“ 41 entstanden ist, also der Einfluss der deutschen Hochsprache überwiegt und den mundartlich geprägten Ausdruck zu Gunsten der Standardsprache anpasst. Insgesamt möchte ich feststellen, dass die Diglossiesituation in der Schweiz keine typische wie von Ferguson (1959) beschriebene Zweisprachigkeit in einer Gesellschaft beschreibt, in der eine Varietät in Bezug auf Funktion und Stellenwert über der anderen rangiert. Staatliche Interventionen in der Schweiz zur Stärkung der Hochsprache in Unterricht, Vorschulstufe und den Medien haben angesichts der vorher aufgeführten, noch nicht in ihrer Gänze untersuchten Problematik zur regionalspezifischen Einflussnahme beim Schriftspracherwerb, in dem der Bereich der Orthografie mit inbegriffen ist, noch nicht dazu geführt, den Einfluss der Verwendung der Mundart in üblichen Funktionsbereichen der Standardsprache zu untergraben. Durch die Aufnahme von regionalen Schweizer Eigenheiten in den Regelapparat erhält die Mundart einen normierenden und kodifizierenden Charakter, in dem dem Gebrauch von Schweizerischen Varietäten im allgemeinen Wortschatz Rechnung getragen wird, was wiederum das in Teilen gleichberechtigte Nebeneinander der Varietäten Hochsprache und Mundart unterstreicht. 41 Bei Langer/ Davies (Hg.) (2005, S. 120). Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 139 Während im deutschen Schulsystem sich nach Erkenntnissen von Studien aus den 1970er Jahren der Gebrauch einer Varietät als nachteilig erweisen kann und im öffentlichen Leben, z.B. im Dienstleistungssektor im Umgang mit Kunden, als Sprachbarriere gewertet wird, hat die Verwendung von Mundarten in der deutschsprachigen Schweiz als Ausdruck lokaler Identität einen hohen Stellenwert ohne jegliche negative Konnotation mit muttersprachlichem Charakter (dies führt Ahokas zurück auf die in den 1930er Jahren zuerst verzeichnete Mundartwelle, die in den 1960er Jahren weiter beflügelt wurde). Eine aktuelle PISA-Studie zeigt in Bezug auf die vorhergenannte vermeintliche Sprachbarriere, die Dialektsprechern nachgesagt wird, dass im Bildungsvergleich gerade die Bundesländer mit ausgeprägten Dialektregionen wie Bayern und Sachsen Schüler mit hohen Sprachkompetenzen und Rechtschreibkompetenzen hervorbringen (siehe hierzu eine kurzgefasste Aufarbeitung der Ergebnisse in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 19.5.2010 „Dialekt macht schlau“). Ferner werden diese nationalen Kodizes durch breite gesellschaftliche Kreise und Kräfte gestützt, indem sie dokumentiert und in Form von Sammlungen, Zusammenfassungen, Wortlisten, Sprachkursen etc. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mir stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob man den Mundarten in der Schweiz Normcharakter zuschreiben kann. Kann eine Mundart standardsprachlichen Charakter haben und dann noch eine Mundart sein? Dies möchte ich eigentlich negieren und argumentieren, dass nur die Helvetismen standardisiert sind in der schweizerischen Ausprägung der deutschen Standardsprache. Dialekte bilden keinen Standard, es gibt höchstens einen dialektorientierten Standard, was durch die funktionelle Erweiterung dialektaler Lexik in den Standardwortschatz geleistet werden kann. Aus quantitativer Sicht ist die dialektale Schreibung derlei Art selten und man folgt in der Dialektliteratur Richtlinien, die einer Spezialisten-Orthografie zuzurechnen sind und dem „beschulten“ Schweizer Bildungsbürger also nur innerhalb einer bestimmten Literaturströmung bekannt sind. Von professionellen Publikationen auf Zürichdeutsch ist aber bekannt, dass sie relativ konsequent verwendet und eingehalten werden. Jedoch möchte ich auf die nachfolgende Argumentation von Ahokas zu kodifizierten Nationalvarietäten hinweisen, um die anhaltende kontroverse Diskussion um den standardsprachlichen Charakter von Nationalvarietäten aufzuzeigen. Eine ausführliche Beantwortung findet sich meines Erachtens in ebendieser Diglossie-Situation in der Schweiz, da dank des Einwirkens der Schweizer Duden-Kommission mundartliche Eigenheiten aufgenommen wurden, wenngleich hauptsächlich die hochdeutschsprachliche Konventionen zugrunde gelegt werden. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 140 Selbstverständlich sind die Eingriffe der Varietäten im Schweizer Duden nicht signifikant, sonst wäre eine Zustimmung der Schweiz zu einem internationalen Abkommen in Sachen Neuregelung der Rechtschreibung für die deutschsprachigen Länder unnötig gewesen. Dennoch finden sich gerade im Wortschatz Einflüsse, von denen nun die Frage ist, ob sie mundartspezifisch als Helvetismen bezeichnete Eigenheiten darstellen oder durch die Aufnahme im Regelwerk einen Geltungsbereich aufweisen, der sonst nur hochsprachlichen Standardnormen vorbehalten ist, und damit auch schon als standardsprachliche Norm aufzufassen sind. Im Regelwerk wird darauf verwiesen, dass regionale und mundartliche Besonderheiten nicht erfasst werden, jedoch Austriazismen und Helvetismen aufgenommen worden sind, insofern sie in der Schweiz als standardsprachlich gelten. Ahokas (2003) bezeichnet diesen Umstand als minimal kodifizierte Nationalvarianten, denen dennoch nicht automatisch der Status einer zentralen Hochsprache zugeschrieben werden kann (siehe hierzu auch Clyne (Hg.) 1992), wenngleich ich einräumen möchte, dass die Begrifflichkeit „Kodifizierung“ eine überregionale Gültigkeit und Verständlichkeit impliziert, die nicht den Eigenschaften und dem Verständnis von Mundart entsprechen. Ähnlich hat der Dialektologe Schläpfer (1979, S. 155) das Aufwachsen einer regionalen Variante zu einer standardsprachlich eingeordneten Norm für helvetische Dialektwörter und deren Einbürgerung in die schweizerische Standardsprache banal durch den regelmäßigen Gebrauch beschrieben. Einer rigiden Definition von Normierung und Kodifizierung folgend, möchte ich bei der Einordnung von Standard und Mundart also nicht von einem Kontinuum ausgehen. Die Neuregelung der Rechtschreibung und insbesondere die Änderungen von 2006 sind variantentolerant geregelt, so dass in Bezug auf die Fremdwortschreibung Begriffe französischer und italienischer Herkunft in ihrer herkunftssprachlichen Form erhalten geblieben sind, was dem schweizerischen Bedürfnis nach Anerkennung der Vielsprachigkeit entgegenkommt. Die im Wörterverzeichnis des Regelwerks festgehaltenen Dialektwörter sind entsprechend markiert aufgeführt, da sie sonst ihre Bedeutung als regionale Spezifika verlieren und dem standardsprachlichen Gebrauch zugeordnet werden. 4.7.8 Das Verhältnis von Standard und Mundart im Schriftspracherwerb Als problematisch wird in der Literatur noch immer der standardsprachliche Einfluss auf die Dialekte und umgekehrt (siehe hierzu die in der Literatur geäußerte Kritik an Eduard Blochers (1923) Argumentation zur Vermischung von Mundart und Schriftsprache) erachtet. Folgend möchte ich einen kurzen Exkurs über den Schriftspracherwerb unter den Bedingungen der Diglossie einbringen und die einschlägigen Erkenntnisse hierzu aufführen. Ich möchte damit auch dem in der Literatur vielfach geäußerten Vorurteil entgegenwir- Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 141 ken, dass diglossiegeprägte Sprachgemeinschaften verminderte Leistungen in der Orthografie aufweisen (bspw. formuliert von Vera Binder 2000, S. 75). Zuvor sei erwähnt, dass sich in Diglossieregionen wie der Schweiz keine sprachlichen Kontinuen mit etlichen Zwischenvarietäten mehr finden, wie weithin noch angenommen wird. Zwischen dem nationalen Standard und der Mundart gibt es daher keine fließenden Übergänge, wie sie aus Modellen über regionale Varietäten und ihr Verhältnis zum Standard für bspw. das Süddeutsche oder das Mitteldeutsche bekannt sind (siehe Spiekermann/ Baßler 2001). Dass der Erwerb der Schriftsprache durch die Situation der Diglossie im Bereich der Lexik beeinflusst wird, ist gut vorstellbar, da die Grundlage für den Erwerb der Schriftlichkeit den vorangegangenen Erwerb der Mündlichkeit voraussetzt und sich regionale Schreibungen leichter in die Schriftkultur einbinden lassen als nicht offensichtliche grammatische Paradigmen. Im orthografischen Regelwerk ist die Unterscheidung nur dann problematisch, wenn die Darstellungsweise die Spezifika (Helvetismen) nicht als solche ausweist. Schmidlin hat in ihrer Dissertation aus dem Jahr 1999 zu einem Teil Aspekte der Diglossie im Schriftspracherwerb behandelt. Thomas Studer (2002) hat in einem Beitrag zum Einfluss der Mundart auf die Entwicklung des Lesens bei Deutschschweizer Kindern den Erwerb der Schriftsprache auch in Hinblick des Schreibens in der Diglossiesituation als spezifisch beschrieben, die „user-oriented“ und eine andere als die in Süddeutschland oder Österreich ist. Studer wertete in seiner Analyse aus, inwiefern mundartbedingte Einflüsse auf die Vorlesesprache festzustellen sind, und verzeichnete phonologisch (bspw. wurde als Fehlerquelle hier die fallenden Diphthonge und vom Standard abweichende silbenabhängige Betonungsmuster in der Mundart beschrieben) wie auch morphologisch und lexikalisch bedingte Mundart-Lesefehler. Demgegenüber stehen allerdings quantitativ gesehen mehr Lesefehler, die nicht dialektbedingt sind: Im analysierten Korpus kommen auf einen Mundartfehler im Durchschnitt zwei Lesefehler, die nicht durch den Dialekt bedingt sind. (ebd., S. 199) Im Zusammenhang mit den Ergebnissen seiner Studie und Vorgängeruntersuchungen von Häcki Buhofer aus dem Jahr 1993 empfiehlt er den verstärkten Einsatz der Hochsprache im Schulunterricht, nicht nur im klassischen Deutschunterricht. In einem anderen Beitrag „Zum Orthographieerwerb bei Deutschschweizer Kindern“ geht Schmidlin (2003) auf regionalspezifische Probleme beim Orthografieerwerb ein. Hier heißt es: Rechtschreibprobleme, die teilweise durch den Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zu erklären sind, sind keineswegs nur bei dialektsprechenden Kindern anzutreffen […]. (ebd., S. 210) Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 142 Sie weist auf korpusanalytische Studien hin, die dialektregionenspezifische Fehlertypen im Schriftspracherwerb beschrieben haben, die eine Fehlschreibung auf eine mundartlich gefärbte Aussprache zurückführten (bspw. / färtig/ statt / fertig/ . Für diverse Beispiele aus dem Pfälzischen weist sie allerdings nach, dass diese ein Problem des Kontrastes zwischen Hoch- und Umgangslautung und nicht zwischen Mundart- und Standardlautung sind (Schmidlin 2003, S. 212). Anhand einer vergleichenden Analyse zur Einschätzung regionalspezifischer schriftlicher Kompetenzen, gemessen an der Realisierung falscher phonologischer Schärfungen anhand von deutschschweizerischen, norddeutschen und südwestdeutschen Kindern, weist Schmidlin nach, dass sich eine große Standardnähe der gesprochenen Sprache - wie man sie bei Kindern, die in der Nähe von Hamburg zur Schule gehen, voraussetzen kann - positiv auf die Rechtschreibleistung auswirken kann, dass sich aber gleichzeitig eine relativ große strukturelle Distanz, wie sie für Schweizer Kinder der Fall ist, nicht umso negativer auswirken muss. Es ist das Standard-Dialekt-Kontinuum, das zur höchsten Fehlerzahl führt. (ebd., S. 216) Sie schließt abschließend daraus: Die Standardsprache der Kinder in der Deutschschweiz ist mehreren Einflüssen ausgesetzt, dem deutschländischen Hochdeutsch, dem Schweizerhochdeutsch und dem Dialekt. (ebd., S. 23) Ungelöst bleibt: „Die Frage, ob der Dialekt bei Deutschschweizer Kindern als ‘Sieb’ der akustischen Wahrnehmung für das Standarddeutsche funktioniert und auf die Rechtschreibleistung rückwirkt.“, da hier „auch mangelndes Regelwissen zugrunde gelegt werden kann“. (Röber-Siekmeyer 1998, S. 68) Wenngleich die Studie von Röber-Siekmeyer (1998) sich nur am Rande mit der Diglossiesituation in der Deutschschweiz beschäftigt, lautet ihr Fazit, dass sich Probleme beim Schriftspracherwerb auf Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zurückführen lassen, was die vergleichende Analyse zwischen den Gruppen verschiedener Dialektsprecher aus dem Schweizer und bundesdeutschen Raum ergeben hat. Auch Cordula Löffler kommt in einer Untersuchung zu der Erkenntnis, dass die Verschriftung regionaler lautlicher Besonderheiten für Schreibanfänger ein Problem darstellen kann, das innerhalb der Jahre allerdings verschwindet, vor allem, wenn die Unterschiede zwischen Standard- und Dialektsprache offensichtlich sind (vgl. Löffler 2002, S. 170ff.). Relativierend hält Suter Tufekovic (2008, S. 130) fest, dass nach Birrer (1987) Schweizer Dialekte keine Sprech- oder Spracherwerbsverzögerungen verursachen. Schmidlin (1999) benennt die Probleme mit diglossiespezifischen Standarderwerbsverzögerungen für den mündlichen, aber nicht für den schriftsprachlichen Bereich. Hierzu müssen allerdings noch Studien durchgeführt werden, die diese These als punktuell oder Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 143 eine sich nicht über mehrere Altersstufen erstreckende Erscheinung deklarieren. Löffler führt in diesem Zusammenhang in ihrem Beitrag noch an: Für den Schriftspracherwerb ist dabei nicht problematisch, dass jemand Dialekt spricht, problematisch kann es werden, wenn jemand ausschließlich Dialekt spricht und nicht, wie die Mehrheit der Sprecher, auch in ein standardnäheres Register wechseln kann. (Löffler 2002, S. 171) Seit dem Jahr 2003 hat die EDK auf der Vorschulstufe hinsichtlich der Förderung der Standardsprache Interventionen auf kantonaler wie auf Bundesebene unternommen. Es geht bei Studien zur vorschulischen Sprachkompetenz um den gezielten Aufbau eines standardsprachlichen, nicht regional gefärbten Wortschatzes, der sich positiv nachhaltig auf den Aufbau späterer schriftsprachlicher und orthografischer Kompetenzen auswirkt (siehe hierzu einen Überblick aktueller Studien und Erkenntnisse von Mathilde Gyger 2007). 4.7.9 Die Genese der Zuständigkeiten von Bund und Kantonen im Bildungswesen und das Verhältnis der Landessprachen untereinander In diesem Kapitel möchte ich in Ergänzung zu meinen Ausführungen über die Zuständigkeiten in der Schweiz einen Exkurs über die Verteilung der Aufgaben und die Regelungen im Bildungswesen unternehmen, da die Installierung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung für Verwaltung und Schule ebenso zum Bildungsauftrag gehörte. Nach Looser und Sitta (1997, S. 38) war, anders als bei der eindeutigen Zuordnung der Thematik um die Mehrsprachigkeit in der Schweiz und die institutionelle Anerkennung von Landessprachen, das Sachgebiet der Rechtschreibreform auf Bundesebene ein Ball, der in den 1980er bzw. 1990er Jahren zwischen EDI und EDK hin- und hergereicht wurde. Im Falle der Schweiz lässt sich in Anlehnung an die Sprachgesetzregelung in Belgien auch von einem Typus zwischen sprachlichem Föderalismus und institutionalisierter Mehrsprachigkeit sprechen, in dem die Rechte von Bürgern einer Sprachgemeinschaft und die Pflichten der Behörden gegenüber diesen in einem Sprachgesetz, basierend auf einer föderalen Struktur, geregelt wurden. Basierend auf dem im Jahr 2010 in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 5.10.2007, das den Umgang mit den vier Landessprachen regeln sollte, hat die Schweiz versucht, die Mehrsprachigkeit in einem neuen Sprachgesetz zu behandeln. In dem Entwurf wurde unter anderem der Gebrauch und die Gleichbehandlung der Amtssprachen durch die Bundesbehörden geregelt zum Zwecke der Stärkung der Viersprachigkeit als Wesensmerkmal der Schweiz und zur Festigung des inneren Zusammenhalts. 42 Zum Zwecke der Förde- 42 Ein Meilenstein des neuen Sprachgesetzes ist die Aufnahme des Rätoromanischen als Landessprache. Die Statusänderung geht mit der Verpflichtung des Bundes einher, z.B. durch finan- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 144 rung der Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften arbeiten Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im schulischen Bereich zusammen in Form von organisierten Schüleraustauschen und durch Förderung der Mehrsprachigkeit im Unterricht. Die Zuständigkeiten im Bereich Deutsch in Schule und Unterricht sowie Deutsch in der Verwaltung möchte ich im Folgenden skizzieren, da sich im schweizerischen Bildungssystem Bund und Kantone die Zuständigkeiten teilen, wenngleich die Kantone die alleinige Zuständigkeit für die Vorschulstufe, den Primarbereich und die Sekundarstufe I haben und damit autonom auf Schulstrukturen einwirken. Im Hochschulsowie Fachhochschulbereich sowie in der Berufsbildung hat der Bund die Richtlinienkompetenz. Deutsch als eine der vier Landessprachen in der Schweiz wird an allen Schulen unterrichtet, ob als erste Fremdsprache in den nicht-deutschsprachigen Kantonen oder an zweiter, dritter oder vierter Stelle. Die Besonderheit ist also, dass die Schweiz sprachpolitisch auch die Beziehung der vier Landessprachen untereinander institutionell geregelt hat. Zum Zwecke des Ausgleichs zwischen den Sprachen ist dies unabdingbar, da die Anzahl der Deutschsprecher gegenüber den Sprechern anderer Sprachen im Übergewicht ist. Ich möchte im Vorangegangen kurz aufgreifen, wie die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen im Bildungsbereich aufgeteilt sind und welche Aufgaben und Kompetenzen in Bezug auf die Unterrichtssprache Deutsch bestehen, die die Befassung mit der Rechtschreibung beinhaltet. In sprachenrechtlicher Hinsicht beschreibt Band 40 des Jahrbuchs des öffentlichen Rechts (Häberle (Hg.) 1992, S. 52ff.) eingehend, inwieweit das Territorialitätsprinzip als zentrales sprachpolitisches Element zugrunde gelegt wird zum Schutz sprachlicher Minderheiten. Aber nicht nur zum Schutze, sondern auch hinsichtlich der Verwendung der in dem jeweiligen amtlichen Alltag nicht als Amtssprache anerkannten Sprachen greift das Territorialitätsprinzip. Laut einem Interview von Iwar Werlen (2000) im Umgang mit „fremdsprachiger“ Post, die in der Verwaltungseinheit La Neuveville ankommt: Wenn wir Post auf Deutsch bekommen, wissen alle Sekretärinnen der Gemeinde, dass sie diese retournieren müssen. La Neuveville spricht Französisch. (Werlen 2000, S. 69) An den Hochschulen ist bspw. die Unterrichtssprache die Sprache der Region (Rash 2002, S. 44). Dieses Prinzip hat sich die Schweiz zu Eigen gemacht, um für ihre Kantone und die Sprachgemeinschaften darin eine gesetzliche Regezielle Unterstützung Kantone wie Graubünden und das Tessin zu stärken, und mit dem Erhalt des Rätoromanischen als besondere Aufgabe. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 145 lung für den allgemeinen Sprachgebrauch zu schaffen. 43 Schmid (2001, S. 140) beschreibt dies auf den Punkt gebracht folgendermaßen: The consequence of the territorial solution is that linguistic autonomy is guaranteed. While restricting individual freedom of schooling and other services in ones mother tongue in the whole of Switzerland, the territorial solution has been instrumental in maintaing language stability and establishing French, German and Italian melting pots. Dem gegenüber steht das ebenfalls aus dem Rechtswesen stammende Prinzip des Personalitätsprinzips, das auf bundesstaatlicher Ebene greift und formell dem Einzelnen und Sprachminderheiten sprachliche Rechte einräumt, um die sprachliche und kulturelle Existenz zu schützen. Konstruiert wird es als ein Verhältnis zwischen den Rechten des Einzelnen als nichtstaatlicher Akteur, das ihm eingeräumt wird durch den staatlichen Akteur in Form der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Anerkennung der Sprachen. In der Geschichte der Schweiz bezeichnet Schmid (2001, S. 124f.) den Weg zur gesetzlich anerkannten sprachlichen Gleichberechtigung verschiedener Sprachgemeinschaften als „the swiss enigma“ und [t]his respect for local autonomy and linguistic diversity was an important factor in attracting the allegiance of the subordinate areas […]. (McRae 1983 nach Schmid 2001, S. 124) Diese offizielle Sprachen-Gleichberechtigung hat sich lange vor der erst in der modernen Schweiz erlangten öffentlich-rechtlichen Anerkennung verschiedener Religionsgemeinschaften herausgebildet. Die Gebiete der nachmaligen Schweiz haben im Laufe des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit immer größere Autonomie erworben. Staatsrechtliche Eigenständigkeit ist etwa ab 1648 anzunehmen; vorher haben sich die politischen Akteure als relativ eigenständige Angehörige des deutschen Reichs empfunden. Mit Beginn der Helvetischen Republik geht die Mehrsprachigkeit der Gemeinschaft einher, da durch territorialen Zuwachs und die Aufnahme weiterer Kantone in den betroffenen Gebieten neben Sprechern der deutschen Sprache französischsprachige, italienischsprachige und rätoromanisch-sprachige Sprecher lebten. 44 Bei Pierre De Meuron et al. (2006, S. 436) heißt es hierzu: 43 Ähnlich, wie Belgien in den Anfängen der 1920er Jahre in Bezug auf die in der Verwaltung zu verwendende Sprache aus demselben Prinzip das Französische zu einer Amtssprache erklärt hat (siehe auch Ausführungen über die Entwicklung der deutschen Rechtssprache in Belgien von Andre Henkes, Generalanwalt am Kassationsgericht in Belgien, aus dem Jahr 2009). 44 Hierzu habe ich mich an der aufschlussreichen Seminararbeit von Caroline Hofer (2001) orientiert. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 146 Die Mehrsprachigkeit und […] sind die unerwartete Spätfolge des erzwungenen territorialen Umbaus durch Frankreich. Caroline Hofer beschreibt hier angelehnt an die Ausführungen von Ammon (1995) zur deutschen Sprache in Österreich und der Schweiz in ihrer Seminararbeit, dass im Zuge der im 14./ 15. Jahrhundert ausbauenden Schriftsprache jedoch nicht von einer Eigenständigkeit der Schreibsprache zu sprechen ist. Die Diphthongierung, wie sie aus dem Neuhochdeutschen bekannt ist, hat sich weitgehend durchgesetzt. Auch hier kann man von einer Art Außenkodifizierung im Sinne Ammons (1995) sprechen. Die Alte Eidgenossenschaft wird in der Literatur dennoch immer als feudalistisch und aristokratisch beschrieben, was einzelne Gebiete veranlasste, Souveränität einzufordern, und in die Helvetische Revolution Ende des 17. Jahrhunderts mündete. Durch die Aufnahme weiterer Gebiete in den Folgejahren nach 1798, die sich dem Staatenbund angeschlossen haben, kam es immer wieder zu einem Ausbalancieren der jeweils vorherrschenden Sprache, wobei die Verwaltungen der einzelnen Kantone die Amtssprache wechseln konnten (bspw. wechselte das Gebiet Freiburg die Verwaltungssprache von Französisch zu Deutsch nach Rash 2002, S. 169). Die Aufnahme von bspw. Graubünden, welches dreisprachig war, sorgte nicht dafür, dass nur eine Sprache offizielle Staatssprache war, sondern es wurde die Dreisprachigkeit anerkannt, was auch die Kommunikation der staatlichen Träger mit den jeweiligen angeschlossenen Gebieten in Richtung auf eine staatlich anerkannte Vielsprachigkeit beeinflusste. Der späteren Helvetischen Republik ging die politische Einflussnahme Frankreichs im Zuge der Französischen Revolution (zw. 1789 und 1814) voraus. Auf der Ebene der Administration äußerte sich nach Schmid (2001) Autonomie und Gleichstellung dadurch, nachdem die napoleonischen Truppen im Jahr 1802 abgezogen waren, dass Bündnisse, bestehend aus verschiedensprachigen Gemeinschaften, die zuvor unter Napoleon administrativ zu einer Verwaltungseinheit zusammengefasst wurden und ihre Souveränität verloren hatten, wieder zu eigenständigen Verwaltungseinheiten wurden, die in Form eines Kantons den Status eines Gliedstaates in der Schweiz (Helvetic Republic) erhielten. Diesen Sachverhalt ergänzend, führe ich ein Zitat von Ammon an: Eine Folge der erzwungenen inneren Reformen ist, dass die nicht-deutschsprachigen Gebiete politische Gleichberechtigung erhalten. (Ammon 1995, S. 139) Ursprünglich mehrsprachige Stadtstaaten wie der Kanton Bern wurden im Zuge dieser Neuordnung wieder zu ursprünglich einsprachigen Gebieten, die sich ihre Vielsprachigkeit erst im Laufe der folgenden Jahre wieder zurückholen konnten, indem ihnen, wie im historischen Beispiel des Kantons Bern, französischsprachige Amtsbezirke zugeordnet und eingegliedert wur- Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 147 den (jurassische französischsprachige Gebiete, siehe hierzu die Ausführungen von Werlen 2000). Innerhalb einzelner Kantone in der Schweiz sind lokale Formen des Französischen 45 durch die französische Umgangssprache, die sich auch in der Schrift durchsetzte, verdrängt worden wie bspw. in Wallis und Freiburg. Max Wehrli (1953, S. 3) beschreibt dies wie folgt: Die auf der Schriftsprache beruhende Umgangssprache (française populaire) hat im größten Teil der welschen Schweiz die einheimischen Dialekte verdrängt. Immerhin enthält das schweizerische Volksfranzösisch noch eine von Kanton zu Kanton variierende Anzahl aus den Mundarten übernommener Wörter. Siebenhaar/ Wyler (1997) begründen dies mit der Durchsetzung des Französischen im Zusammenhang mit der Reformation in den Städten in der Westschweiz, die zur Folge hatte, dass das hochsprachliche Französisch schon ab dem 17. Jahrhundert für den schriftlichen Umgang lehrte, was durch die Öffnung der kantonalen Grenzen auch auf die Mündlichkeit überging. Ein Artikel in Die Zeit vom 22.5.2014 („Die letzten Mohikaner“) gibt zudem Aufschluss darüber, dass von einzelnen Sprechern die lokale Dialekte noch praktiziert werden wie ein romanischer Dialekt in den Walliser Tälern und den Freiburger Bezirken, der an einigen Primarschulen als sog. Patois-Kurse extracurricular angeboten wird. Wenngleich es kaum bildungspolitische noch kulturpolitische Interventionen gibt, ist dieses kulturelle Erbe dank einzelner Unterstützer erhalten geblieben. In Bezug auf die Anerkennung der Mehrsprachigkeit verhielt es sich anders als in Frankreich, wo die Regionalsprachen wie das Okzitanische verdrängt wurden und deren Gebrauch sogar per Offizialität untersagt worden war. In der Helvetischen Republik sind die Sprachen Deutsch, Italienisch und Französisch als Staatssprachen anerkannt worden. Böning beschreibt das Verhältnis wie folgt: Auch wenn man eine einheitliche Sprache für wünschenswert gehalten hätte, so anerkannte die Helvetische Republik die drei Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch als Staatssprachen. Das bedeutete, dass die Zentralregierung mit Anderssprachigen in der jeweiligen Sprache des Adressaten zu verkehren hatte. […] Für die Verwaltungen galten Deutsch und Französisch als gleichberechtigt. (Böning 1992, S. 40) Auf Bezirks- und Gemeindeebene ist der Umgang mit Behörden hinsichtlich der rechtlichen Ordnung der zu verwendenden Sprache dem Territorialitätsprinzip unterworfen, was sich auch auf die Schulsprache bezieht (siehe hierzu 45 Im Kanton Jura ist der nicht sehr häufig verbreitete eigenständige Sprachtypus Frankoprovenzalisch noch erhalten und wird dort heute noch gesprochen. Da das Französische als Umgangssprache das Frankoprovenzalische ablöste und vom Italienischen verdrängt wurde im Aostatal, hat es nie den Status einer offiziellen Amtssprache erlangen können. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 148 Werlen 2000). Die politische Neuordnung nach der Französischen Revolution leitete einen sozioökonomischen Wandel ein, der die Schweiz auf den Verwaltungsstaat hinleitete, der er heute ist. Souveränität, Unabhängigkeit und sprachliche Gleichberechtigung sind Charakteristika, mit denen sich das gegenwärtige schweizerische Staatsgebilde beschreiben lässt, das durch die Französische Revolution den nötigen Antrieb zur Umstrukturierung erfahren hat. Um die Sachlage zur Sprachenpolitik in Unterricht und Verwaltung in der Schweiz aus heutiger Sicht noch einmal zusammenzufassen, bleibt an dieser Stelle nur zu sagen, dass eine nationale Lösung weder in den Gründungsjahren der modernen Schweiz noch später ernsthaft angestrebt wurde oder umsetzbar gewesen wäre. Die Entscheidungsgewalt in Sachen Sprachen im Unterricht haben die einzelnen Kantone losgelöst von einer nationalen Debatte über ein Sprachgesetz ausgeübt und entschieden. Ein halbwegs aktuelles Beispiel hierzu bildet die Einführung des Englischen als Fremdsprache in der Primarstufe auf Kosten des Französischunterrichts im Kanton Zürich durch den Erziehungsdirektor Buschor, der damit eine Art Kettenreaktion bei anderen Kantonen ausgelöst hat, die ebenfalls dem Englischen eine führende Rolle gegenüber den eigentlich zu praktizierenden Landessprachen einräumten. Laut Moraldo (Hg.) (2008, S. 218ff.) sollte in den 1990er Jahren ein überkantonales Gesamtkonzept zum Umgang von Fremdsprachen im Unterricht erarbeitet werden, das aber mit den Einzelinteressen der Wahlfreiheit bezüglich der Fremdsprachen der Kantone nicht zur vollsten Zufriedenheit der EDK zu vereinbaren war, so dass ein Zwischenmodell hinsichtlich der Einführung und Rangfolge der Fremdsprachen im Primarunterricht gewählt worden war. Der Bund sorgt schlussendlich für die Regelung und Förderung von Grundsätzen im Bildungswesen, worunter ich jetzt auch die Regelung der Verwendung der Landessprachen in Unterricht fasse, während die Kantone und Gemeinden die Bereiche um Richtlinien hinsichtlich weiterer Regionalspezifika ergänzen. Die vorher genannten Prinzipien und Beispiele, die die Wesenszüge der schweizerischen Sprach- und Sprachenpolitik beeinflusst haben, so möchte ich hier ergänzend aufführen, dienen, so wird proklamiert, der Erhaltung des Sprachfriedens laut Häberle (1991, S. 52) und beschreiben ein Sprach(selbst)bewusstsein, das, anders als das Bild eines einzigen Sprachschutzgebietes, in Form eines typischen europäischen Nationalstaates mit einer Nationalsprache mit mehreren territorialen autonomen Schutzbereichen (für Minoritätensprachen z.B.) als öffentliches Interesse zum einen die Sicherung des Schreib- und Sprachfriedens formulieren und zum anderen den Zusammenhalt in dem Bund der damals autonomen 13 Kantone sichern sollte. Die Gesamtverantwortung der Sprachenfrage beim Bund ist allein über die Gesetzgebung festgehalten und kann die kantonalen Interessen nur am Rande berühren Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 149 bzw. in ihrer Koordination oder Wahlfreiheit im Unterricht kaum beinträchtigen. Dies äußert sich, wie an dem Beispiel mit der Einführung des Englischen als 1. Fremdsprache im Grundschulunterricht im Kanton Zürich aus dem Jahr 2002 abzulesen, in einer kantonalen Direktive, die von manch einem als fortschrittlich, von anderen als Alleingang beschrieben wurde und einen Anstoß für weitere Kantone bildete. Die enge und koordinierte Zusammenarbeit zwischen Bundesverwaltung, Kantonsverwaltung und Erziehungsdirektorenkonferenz hat trotz geteilter Zuständigkeiten für eine reibungslose Implementation der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung Sorge getragen. Während Bundes- und Kantonsverwaltung die Regeln ab dem 1.8.1998 angewandt haben und zuvor eine Handreichung zu den wesentlichen Änderungen herausgegeben hat, hat die Erziehungsdirektorenkonferenz den Kantonen freigestellt, schon vorher die Einführung der Neuregelung zu veranlassen, was auch von einigen Kantonen innerhalb der Schulen wahrgenommen wurde. Lediglich ein Kanton, der Kanton Zug, behielt sich vor, abzuwarten, bis die Reform offiziell in Kraft getreten war. Die kantonalen Erziehungsdepartmente unterstützten den Vollzug in der Phase vor der offiziellen Einführung in die Schulen durch Sachinformationen und Vorlagen mit didaktischem Kommentar, die in den Schulen zur Grundlage gemacht wurden, aber auch durch Lehrbuchautoren und Lehrplankommissionen sowie auch Lehrbuchverlage. 4.7.10 Die Rolle der EDK und anderer am Reformprozess beteiligter Gremien in den dominanten Diskursen In einem vorhergehenden Kapitel habe ich ausführlicher über die Schwerpunkte und Akteure sprachpolitischer Maßnahmen in der Schweiz abgehandelt, während ich an dieser Stelle noch einmal die sprachpolitischen Entscheidungen und Initiativen aufgreifen möchte, um ein besseres Verständnis über die den Bereich Orthografie legitimierenden Instanzen und die Voraussetzungen für sich daran anschließende sprachplanerische Maßnahmen zu gewinnen. Ich möchte nicht noch einmal, wie schon eingängig von Looser und Sitta (1997) beschrieben, die einzelnen Schritte und historischen Ereignisse der schweizerischen Reformbemühungen aufzeigen, aber dennoch ein paar einschlägige Entscheidungen und Positionen um die Bemühungen einer Vereinfachung der Rechtschreibregeln in meine Betrachtungen aufnehmen. Hierzu sind die im Internet erhältlichen Jahresberichte der EDK besonders hilfreich, da sich an ihnen die Tätigkeitsschwerpunkte der einzelnen Berichtsjahre und der Wandel und Wechsel von Aufgaben und Gremien ablesen lassen. Vorweg möchte ich konstatieren, dass die Arbeit der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz im Zusammenhang mit den Bemühungen Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 150 um eine Rechtschreibreform in Bezug zum Bund hinsichtlich der Zuständigkeiten abgrenzender Natur ist und zugleich aktivierend-konkordant hinsichtlich der Zusammenarbeit, Förderung von Kontakten und Bereitstellung von Ressourcen. 46 Die Rechtschreibreform war in der Schweiz, um dies nur am Rande zu erwähnen, nicht immer bei einer eigens für dieses Thema konstituierten Koordinierungsstelle oder Dienststelle angesiedelt, sondern war beispielsweise in den 1970er Jahren (ab 1972) im Rahmen der Koordinierungsarbeiten der Pädagogischen Kommission in der Schweiz behandelt worden. Dort standen auch Themen wie Fremdsprachenunterricht und Lehrerfortbildung auf der Agenda. Die Hauptaufgabe bestand darin, die Stellungnahmen der EDK zur Frage der Rechtschreibreform des Deutschen für das Eidgenössische Department des Innern vorzubereiten und zuvor die Standpunkte der Regionalkonferenzen einzuholen. Hierbei ist anzumerken, dass die Geschäftsfelder der Pädagogischen Kommission die Frage der Rechtschreibreform des Deutschen in der Schweiz zunächst nicht prioritär beraten hatten und Themen wie die gesamtschweizerische Zusammenarbeit in Sachen Fortbildung von Lehrern und Lehrpläne im Vordergrund standen. Zuvorderst sollte, beauftragt durch den Vorstand der EDK, festgestellt werden, ob bei den kantonalen Erziehungsdepartments grundsätzlich Zustimmung in Bezug auf die Durchführung einer Rechtschreibreform bestand. Eine im Jahr 1985 einschlägige Stellungnahme zur Ablehnung eines Regelwerks für die gemäßigte Kleinschreibung im Deutschen wurde auf der Konferenz der Erziehungsdirektoren der deutsch- und mehrsprachigen Kantone abgegeben. Diese Stellungnahme basierte auf einem Expertenbericht einer im Jahr zuvor eingerichteten Kommission. Die Arbeiten zur Vereinfachung der Rechtschreibregeln sollten von der vorher genannten abschlägigen Stellungnahme unberührt bleiben. Die Pädagogische Kommission mündete in eine Arbeitsgruppe der EDK, die auch aus Vertretern des Deutschen Seminars der Universität Zürich bestand und die die Schweizer Delegation im multilateralen Dialog hinsichtlich der Entscheidungsfindung sprachdidaktisch und sprachwissenschaftlich beraten sollte und der Kommission für Rechtschreibfragen in der BRD, der Forschungsgruppe Orthographie in der DDR und der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe des Koordinierungskomitees für Orthographie in Österreich 47 gegenüber stand. Im Jahr 1988 wird das Thema Rechtschreibreform auf der Tagesordnung der Plenarversammlung anders als in den Jahren zuvor als 46 An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass das Bundesamt für Bildung und Wissenschaft im Jahr 1988 an der Ausrichtung einer der turnusmäßig stattfindenden internationalen Arbeitstagungen über die Rechtschreibreform beteiligt war. 47 In dem Komitee waren Germanistische Institute der Universitäten, Landesschulräte, Lehrerarbeitsgemeinschaften und diverse Verbände eingebunden. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 151 wichtiges Geschäft deklariert. Die EDK-Arbeitsgruppe befasste sich im Berichtsjahr 1988 mit dem Zwischenbericht über die Rechtschreibreform im Deutschen, in dem man sich mit der Erarbeitung und Beurteilung der durch das IDS gemachten Vorschläge zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung auseinandersetzte, die schließlich der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Die Intensivierung der Bemühungen um die Rechtschreibreform wurde durch die Teilnahme an der internationalen Arbeitstagung im Herbst 1988 in Rostock unterstrichen. Die vordergründigen Aktivitäten der Arbeitsgruppe Rechtschreibreform im Jahr 1989 hatten zum Ziel, die Diskussion in der Öffentlichkeit in Bezug auf die Reformbemühungen zu versachlichen, nachdem die deutsche Presse nach der Veröffentlichung der Mannheimer Vorschläge im Jahr zuvor auf unsachliche Weise gegen das Vorhaben mobil gemacht hatte. Für die Schweiz bestand Einvernehmen darüber, dass die Diskussion zur Akzeptanz der Reform beitragen muss und die Reform in diesem Stadium eine Entwicklungsfunktion besitzt. Strategisch reagierte man in der Schweiz mit einer durch die Arbeitsgruppe veranstalteten Pressekonferenz im April des Jahres 1989, auf der die Schweizer Presse umfänglich aufgeklärt und informiert worden war und das Prozesshafte der Reform unterstrich. Des Weiteren überprüfte die AG die Vorschläge des Mannheimer Regelwerks auf ihre Passgenauigkeit und Kompatibilität mit den Schweizer Verhältnissen hin, deren Beurteilung und Position sie auf der Plenarsitzung der EDK im September desselben Jahres zuleitete und damit bewirkte, dass die EDK im multilateralen Verständigungsprozess beispielsweise der forcierten Assimilation der Fremdwortschreibung entgegenwirken konnte. Die Rechtschreibreform wurde nun auch in der Schweiz zu einem Politikum von internationalem Interesse, dem man aufgeschlossen und dennoch kritisch auseinandersetzend und interessenwahrend entgegentrat. Im Berichtsjahr 1990 standen für die Arbeitsgruppe die Auswertung und Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der 2. Wiener Gespräche im Vordergrund. Erklärtes Ziel war, die noch offenen Bereiche wie Groß- und Kleinschreibung unter fachwissenschaftlichen und politischen Kreisen zu klären, Vorschläge für die geplanten dritten Wiener Gespräche auszuarbeiten und durch die Stütze eines internationalen Konsens die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen und eine sachlich geführte Diskussion in Presse und Öffentlichkeit in den einzelnen Ländern zu fördern. Der EDK wurde die Aufgabe zuteil, Planung und Verfahrensschritte hinsichtlich der Umsetzung und Vermittlung der veränderten Regeln im Schulbereich zu formulieren, während die Kantone und der Bund Konkretisierungen und Verfahren zur Umsetzung für den Verwaltungsbereich ausarbeiten sollten. Der EDK kam hiermit die besondere Aufgabe zu, den bildungspolitischen Anspruch eines gemeinsamen Reform- Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 152 vorhabens in Sachen Rechtschreibung in einen geeigneten fachdidaktischpädagogischen Auftrag (Lehrplanarbeit, Personal und Anpassung Lehrmittel) zur konkreten Ausgestaltung zu formulieren. Es ist vornehmlich der Schulbereich, in dem die im später eingesetzten Rat für deutsche Rechtschreibung implementierten Aufgaben wie die Beobachtung des Schreibgebrauchs eine Orientierung über die Umsetzung, Nutzung und die Auswirkungen von bildungspolitischen Maßnahmen geben, und es ist auch der Bereich, in den zuerst bspw. die Anpassung von Regeln in einem Top-Down-Prozess nachhaltig eingespeist wurde. Wo die Arbeitsgruppe in den Jahren zuvor dreimal pro Jahr tagte, steigerte sie sich im Jahr 1991 auf insgesamt fünf Sitzungen, was an den Abschlussarbeiten und der Abstimmung auf internationaler Ebene lag. In dasselbe Jahr fielen die Vorbereitungen für die 9. Internationale Arbeitstagung „Probleme der deutschen Rechtschreibung und ihre Neuerungen“, zu der die deutschsprachigen beteiligten Staaten zur abschließenden Beratung über die Problembereiche Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung zusammenkamen, bevor sie den Regierungen zur Überprüfung übermittelt wurden durch das federführende Österreichische Bundesministerium für Unterricht und Kunst im Jahr 1992. Im Jahr 1992 stand vornehmlich im Fokus, mit verschiedenen Vertretern aus der Öffentlichkeitsarbeit (Staatsschreiberkonferenz), dem Dachverband für Lehrer, Bund und EDK eine Orientierung über die Verfahren zum weiteren Umgang mit den eingereichten Vorschlägen zu entwickeln und eine Position für die EDK-Plenarversammlung als Grundlage für Beratungen auf politischer Ebene erarbeitet zu haben, die gegenüber den internationalen Partnern bei den 3. Wiener Gesprächen im Jahr 1994 artikuliert werden sollte und damit eine gesamtschweizerische Interessenartikulation darstellte und Entwicklungsschwerpunkte gesetzt hatte. Die EDK stellt hier das Gremium dar, in dem gemäß dem ursprünglichen Auftrag der Kantone an die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, für den Schulbereich die Neuregelung zu beschließen, im konkordanten Zusammenwirken mit dem Bund als Zuständigkeitsbereich für die Behörden- und Verwaltungssprache alle Fäden zusammengelaufen sind. In der Arbeitsgruppe Rechtschreibreform wurde für die im Juni 1993 durchgeführte Sitzung der Konferenz der Erziehungsdirektoren berichtet, dass diese grundsätzliche Zustimmung zu den für die Schweiz strittigen Reformbereichen (bspw. Eindeutschung von französisch- und italienischstämmigen Wörtern) geäußert hatte, im Bereich der Groß- und Kleinschreibung aber den Weg der modifizierten Großschreibung, bei der die Unterscheidung von nominalen und nichtnominalen Gebrauch anhand von grammatischen Kriterien eine klarere Abgrenzung und damit eine eindeutigere Zuordnung zur Groß- und Kleinschreibung ermöglichen sollte (siehe hierzu Gallmann/ Sitta Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 153 1996a, S. 136ff.). Im Jahr 1994 wurde die Arbeit der EDK-Arbeitsgruppe im Vorfeld zu den 3. Wiener Gesprächen niedergelegt. Es galt nun, die zwischenstaatliche Abstimmung mit dem Ziel einer gemeinsamen Absichtserklärung abzuwarten, die sich wegen der anhaltenden Vorbehalte auf fachwissenschaftlicher, gesellschaftlicher und öffentlicher Seite und medial inszenierten Kampagnen gegen die Rechtschreibreform im bundesdeutschen Raum verzögerte. Nach der am 1. Juli 1996 vollzogenen internationalen Übereinkunft zu einer gemeinsamen neuen deutschen Rechtschreibung konstituierte sich gemäß der gemeinsamen Erklärung die Zwischenstaatliche Kommission, die sich aus dem Expertenkreis zusammensetzte und auch den Ursprung für die Reformvorschläge bildete und damit eine kulturpolitische Bedeutung für die Entstehungsgeschichte der neuen deutschen Rechtschreibung erlangte. In der Zeit nach der Absichtserklärung vom 1. Juli 1996 wurden Verfahren wie Verfassungsprüfungen zur gesetzlichen Regelung über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung eingeleitet, deren Prüfergebnis in Deutschland, Österreich und der Schweiz dasselbe war und keine Befassung der Parlamente vorsah und damit auch keinen Kurswechsel hinsichtlich der Umsetzung der Rechtschreibung zur Folge hatte. Das Jahr 1997 stand trotz der anhaltenden Kritik und Irritationen im bundesdeutschen Raum ganz im Zeichen der Umsetzung der im Jahr 1996 beschlossenen Absichtserklärung zur Einführung der neuen deutschen Rechtschreibung an Schulen und im Verwaltungsbereich, die formalistisch keinen völkerrechtlichen Vertrag, sondern eine politische Absichtserklärung darstellte. Der lange vorher initiierte Prozess zur Implementierung der einzelnen Umsetzungsbestimmungen war durch eine Strategiegruppe ausgiebig vorbereitet worden und führte zu einer Art Harmonisierung beim Vorgehen hinsichtlich einer einheitlichen und organisierten Vermittlung für den Schulbereich (in fachdidaktischer Hinsicht und in Bezug auf die Beschaffung angepasster Lehrmaterialien und Fortbildung von Lehrkräften) der neuen deutschen Rechtschreibung, wenngleich es innerhalb der einzelnen Kantone und sogar einzelner Schulen Unterschiede beim Umsetzungsstand gab. Die Berichtsjahre 2001 und 2002 folgten der Maßgabe der Prüfung der strittigen Teilbereiche, gegen die auch noch im 3. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission als durch Länder geäußerte Vorbehalte in Stellungnahmen (Getrennt- und Zusammenschreibung bei speziellen Verbindungen von Adjektiv/ Adverb und Verb, Eindeutschung von Fremdwörtern, Groß- und Kleinschreibung bei Eigennamen mit Adjektiven und festen Verbindungen) ausgewiesen worden waren, der Auswertung der Erfahrungen aus Schule und Praxis (bspw. den Stellungnahmen aus der im Jahr 2001 veranstalteten Anhörung von Verbänden in Deutschland) seit Umsetzung der Neuregelung Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 154 aus dem Jahr 1998. Die Umsetzung des Regelwerks in dem Übergangszeitraum und die Ergebnisse einer öffentlichen Anhörung in der Schweiz unter Fachkreisen standen in den Berichtsjahren 2003 und 2004 im Vordergrund. Für die sich anschließenden Jahre verzeichnen die Jahresberichte der EDK wenige Details über die fortlaufende Begleitung der Arbeit im Nachgang zum 4. Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission. Im Zusammenhang mit der Konstituierung des Fachgremiums „Rat für deutsche Rechtschreibung“, der die Zwischenstaatliche Kommission abgelöst hatte, hatte das Generalsekretariat der EDK eine koordinierende Funktion hinsichtlich des Informationsaustausches mit den anderen internationalen Partnern erfüllt wie bspw. die Koordinierung von Gesprächen auf Verwaltungsebene zu einem Entwurf über die Konstituierung und Zusammensetzung eines Rats für deutsche Rechtschreibung im August 2004. Die Ergebnisse aus diesen Gesprächen wurden im Anschluss den politischen Stellen zur Entscheidung zugeleitet. Zugleich sorgte die EDK per Beschluss für die Sicherstellung der Umsetzung der fortlaufenden Änderungen am Regelwerk. Mit dem Rat für deutsche Rechtschreibung ist die Beschluss- und Entscheidungskompetenz in Bezug auf Änderungen am Wörterverzeichnis im Zusammenhang mit den neuen Aufgaben zur Fortentwicklung der Rechtschreibung, also die inhaltliche Diskussion, von der politischen Ebene auf die dafür vorgesehene Arbeitsebene, die dafür mandatiert wurde, verlagert worden. Zuvor sah die Vorlage der Berichte der Zwischenstaatlichen Kommission für die staatlichen Stellen eine Form vor, in der Vorschläge für Regeländerungen, über die die staatlichen Stellen zu entscheiden haben, von denen separiert wurden, die in die Kompetenz und die Regelungsgewalt der Kommission fielen. Die dem Rat beiwohnenden angehörigen Mitglieder (Verbände, Institutionen, Ländervertreter) verabschieden Vorschläge und die einzureichenden Berichte mit der Mehrheit und werden seit 2011 nicht mehr den zuständigen staatlichen Stellen zugeleitet, so dass diese keine inhaltliche Beschlussfassung mehr vornehmen müssen. Aus diesem Grund findet man in den Jahresberichten der Schweizerischen Erziehungsdirektorenkonferenz nur noch turnusmäßig eine Berichterstattung im Zusammenhang mit der Vorlage des Berichts der Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung des Rats für deutsche Rechtschreibung. Die Schweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz hat sich auf Basis der innerstaatlichen Beschlüsse der Kultusministerkonferenz von 1995 und der Wiener Absichtserklärung von 1996 in dem gesamtschweizerischen Prozess als eine dispositive Koordinations-Plattform dargestellt, die in Einklang mit der kantonalen Souveränität nicht die Umsetzungspraxis der einzelnen Departmente dirigierte, aber eine konkordante Umsetzung und Realisierung der EDK-Empfehlungen von allen Kantonen dezentral erwirken konnte, ohne auf Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 155 Widerstände zu stoßen. 48 Durch die enge Kooperation der EDK mit der Verwaltung von Bund und Kantonen konnten im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten (Koordination Bundesbehörden und öffentliche Verwaltung sowie Schule und Hochschule) die im vierten Bericht der zwischenstaatlichen Kommission enthaltenen Änderungen mit Ablauf der Übergangsfrist am 1.8.2005 erfolgreich implementiert werden. Auf strategischer Ebene hat die EDK in operativer Hinsicht die Öffentlichkeitsarbeit wirksam mit Hilfe von Pressekonferenzen unterstützt und mit Hilfe der Arbeitsgruppe mehrstufige Verfahren zur Implementierung ausgearbeitet und die Einführung der neuen Rechtschreibung zum 1.8.2009 als abgeschlossen erklärt. Wenngleich die Entwicklungen in Deutschland in den Jahren der Einführungsphase für die Schweiz beunruhigend oder irritierend gewirkt haben, ist es auf dem politischen Parkett zu keiner Kurskorrektur gekommen, so dass sich Bund und Kantone den getroffenen internationalen Abmachungen unbeirrt verpflichtet fühlten. 4.7.11 Die deutsche Sprache in Schule und Verwaltung Ich bin in einem vorhergehenden Kapitel schon auf die Zuständigkeiten und die zentralen verantwortlichen Organe im Bildungswesen in der Schweiz eingegangen und möchte anhand der hier folgenden Ausführungen über die Verwendung der deutschen Sprache als Schul- und Verwaltungssprache noch einmal darauf zurückkommen. Hierbei möchte ich als Besonderheit im deutschschweizer Raum wieder auf die Kontroverse der Verwendung von Mundart und Standard in einzelnen Bereichen sprechen, die aber nicht auf den Bereich der Schriftlichkeit übertragen werden kann. Rash beschreibt in kurzen Sätzen treffend die Zuständigkeiten der Kantone: Im allgemeinen übernehmen die Kantone die Verantwortung für das Schulwesen in der Schweiz. Die Unterrichtssprache in allen Schulstufen wird gemäß dem Territorialitätsprinzip entschieden: Kinder werden also in der Hauptsprache ihrer Region unterrichtet. (Rash 2002, S. 51) Auch im Schulbereich findet sich wieder die Kontroverse zwischen der Anwendung Mundart - Standardvarietät. Es gibt laut Rash (2002, S. 51) Fächer, in denen der Dialekt die Unterrichtssprache ist. Es handelt sich hierbei um musisch-ästhetische Fächer wie Musik, Zeichnen, Sport. Sachfächer sollten in der Regel in Hochdeutsch unterrichtet werden. Das Hochdeutsche begreife ich den Beschreibungen von Siebenhaar und Wyler (1997) nach als Schul- und Schriftsprache, die hochamtlichen Charakter hat und normierend ist, während der Gebrauch der Mundart mit Kreativität, Freizeit und Ästhetik verbunden wird. Abgesehen vom funktional unterschiedlichen Charakter von 48 Siehe hierzu den Jahresbericht der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren. Bern: EDK, 1998. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 156 Hochlautung und Mundart, hat Siebenhaar/ Wyler (1997) auch Unterschiede in der Grammatik, im Speziellen auf morphologischer Ebene, festgestellt. Vielleicht ist das aktuelle Bild zur Diglossie-Situation in der Schweiz aber auch aus der Position heraus zu verstehen, dass mit der Reform der Neuregelung Schreibrichtigkeit (Begriff von Hugo Moser geprägt) und damit dem Ruf nach Norm entsprochen wird, während das Sprechen und die Aussprache keiner Norm unterworfen werden soll. Für die Verwendung des Dialekts gibt es demnach kein Richtig und kein Falsch. Alle vier offiziellen Sprachen Deutsch, Italienisch, Französisch und Romanisch finden auf Ebene des Bundes Berücksichtigung in Verwaltung und Gesetz, was auf die sprachpolitische identitätsstiftende Förderstrategie der Schweiz in Bezug auf ihre Landessprachen abzustellen ist. Das schon erwähnte Sprachengesetz (Art. 7, Abs. 1) regelt bspw., dass amtliche und juristische Texte sowie Schreiben sachgerecht und klar formuliert sein müssen und Privatpersonen den Anspruch haben, in ihrer muttersprachlichen Landessprache bedient zu werden. Parlamentarische Fragen werden wie die Sitzungen im Parlament auf Deutsch und Französisch gestellt (siehe Rash 2002, S. 30). Für die Ämter unterstützend gibt es einen für die Verwaltung eigens tätigen zentralen Sprachdienst als Redaktionsstelle, der den Gebrauch und die Terminologie in den vier Landessprachen erfasst. Der Sprachdienst ist als Koordinierungsgremium ebenfalls mit den Kantonen in Zusammenarbeit tätig. Die Hauptzuständigkeit im Zusammenhang mit dem Sprachgesetz liegt bei den Kantonen, die ihre Amtssprachen eigenständig bestimmen können (laut Art. 70 BV). In den Kantonen findet die jeweils festgesetzte Amtssprache dann Anwendung. Die Autonomie der Kantone schafft Unterschiede, bspw. bietet nur der Kanton Graubünden als einziger drei Amtssprachen an, während die anderen ein bis zwei Amtssprachen gleichberechtigt anbieten. Der Bund unterstützt die Kantone in finanzieller Hinsicht und trägt zur Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften bei. 4.7.12 Die Deutsche Sprache und Diglossie in den medialen Diskursen der Schweiz Um noch einmal eine Brücke zu meinem in den kommenden Kapiteln folgenden empirischen Teil zu schlagen, ist es nötig, die Rolle und die Stellung der deutschen Sprache in den Schweizer Medien zu beleuchten. Ähnlich wie einige Presseorgane im bundesdeutschen Raum, haben auch im Schweizer Raum einzelne Schweizer Tageszeitungen regionaler und überregionaler Art, Nachrichtenagenturen und Verlage und sogar der Sprachendienst der Schweizerischen Bundesverwaltung sog. Hausorthografien eingeführt. Die Kernbereiche des Regelwerks wurden übernommen, allerdings wurden Einzelfälle und Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 157 periphere Bereiche wie die Fremdwortschreibung abweichend von den Empfehlungen des Regelwerks geregelt. Die Sonderwege der Medien sind nicht nur geprägt von Hausorthografien, sondern auch von Sprachformen und Erscheinungen, die der Diglossie zuzurechnen sind und in der die sonst funktional zu unterscheidenden Bereiche von Schriftlichkeit und Mündlichkeit durch die sog. „mediale Diglossie“ aufgeweicht werden. In Kapitel 11 beschreibt Ahokas (2003), welchen Status die deutsche Sprache in den Medien, vornehmlich im Radio und Fernsehen, einnimmt. Zusammengefasst stellt sie fest, dass für den Bereich Fernsehen die Landessprachen von staatlicher Stelle durch finanzielle Subventionen gefördert werden in Bezug auf ihre Programmgestaltung. Die Aufgabe der Förderung der deutschen Sprache wird also nicht nur in Unterricht und Schule vollzogen, sondern äußert sich auch in einer Form von Kulturpolitik durch Medien wie das Fernsehen und den Rundfunk. Die EDK befasst sich im Jahr 1987 mit dem Thema Diglossie und Sprachunterricht. Ich möchte jetzt nicht im Einzelnen auf die Inhalte des Berichts eingehen, dennoch aber als Ergebnis der Studie zusammenfassen, dass die Standardsprache gegenüber den Varietäten im Unterricht kommunikativ zu wenig Anwendung gefunden hat. Aus einem weiteren Bericht aus dem Jahr 1988, in dem es um Diglossie im Medienbereich ging, geht hervor, dass das Hochdeutsche durch Mundarten in den Medien verdrängt wird (siehe Rash 2002, S. 39). Ein parodierender Artikel vom 5.12.1991 aus der Basler Zeitung (Autor: Klaudius Schauffler) beschreibt den Stellenwert der deutschen Sprache erheiternd auf Schweizerdeutsch in nicht immer einheitlich festgelegten Schreibweisen (Ditsch: Dytsch). Hierzu heißt es: Vor zäh Johr, won ich als gseit ha, die dytsche Schproch wird emool d’europäischi Umgangsschproch, so hei mi alli Lyt üssglacht un sinn felsefescht iberzigt gsi, ass es s Änglischi sig. […] D’Amerikaner, nitt e so dumm, si wärde in de nächschte Johre per Satellit ganz Europa mit Ditsch beriesle, das heisst, vo Aachen bis Warschäu.[…] Dr beriehmti tschechischi Schriftsteller Franz Kafka hett alli sini Romän uff Dytsch gschriebe, Romän, iber d’Absurdität vom menschlische Läbe. Es mag sich bei dem Artikel vielleicht um eine nicht in aller Vollständigkeit ernstzunehmende Darstellung handeln, jedoch setzt der Autor die Mundart in selbstbewusster Weise für die Betrachtung eines für die bundesdeutsche Seite reizbaren und kritischen Themas ein. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich garantierten Autonomie der Programmgestaltung ist aber im neuen Bundesgesetz vom 24.3.2006 über Radio und Fernsehen vorgesehen, dass in wichtigen, über die Sprach- und Landesgrenzen hinaus interessierenden Informationssendungen in der Regel die Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 158 Standardsprache zu verwenden ist, was dem Hochdeutschen in Bezug auf landesgrenzenüberschreitende Fernsehproduktionen eine starke Position einräumt gegenüber den anderen Sprachen, da sich hier über Ländergrenzen hinweg mit dem Hochdeutschen schneller kulturelle Brücken schlagen lassen. Mit dem vorher Genannten möchte ich bloß auf die durch den hohen Stellenwert der Diglossie hervorgerufenen Schwierigkeiten hinweisen, die Spannungsfelder zwischen den Sprachgemeinschaften erzeugen. In Bezug auf die Printmedien möchte ich kurz anmerken, dass meiner Einschätzung nach viele überregionale Schweizer Zeitungen in deutscher Sprache abgefasst sind laut der Website www.franc.ch/ printmed.htm#Schweiz (Stand: 1.3.2017). Jedoch gibt es auch französisch- und italienischsprachige, die kantonsübergreifend publizieren. Wegen des im Verhältnis zu den anderen Sprachen begrenzten Sprachraumes gibt es für das Rätoromanische keine mir bekannten kantonsübergreifenden Tageszeitungen. Für die bekannten drei Amtssprachen gibt es wie erwähnt Tages- und Wochenzeitungen, die überregional angeboten und verlegt werden, wie z.B. 24 heures und Tribune de Geneve für das Französische, die Zeitungen Corriere del Ticino (CDT), Giornale del Popolo (GDP) für das Italienische. Im rätoromanischen Sprachraum gibt es die Posta Ladina oder La Pagina da Surmeir mit ca. 1700 Abonnenten, die amtliche Verlautbarungen in allen drei Landesprachen des Kantons Graubünden abdruckt, während der regionale Teil durchgängig in rätoromanischer Sprache verfasst ist. Alle Regionen werden in der Schweiz mit den für die Regionen relevanten Informationen in der jeweiligen Landessprache versorgt. Dies führt allerdings auch zu einem einseitigen Nachrichtenwert, der sich auf die Interessengebiete der jeweiligen Sprachgemeinschaft bezieht. Damit meine ich, dass sich ein Leser französischsprachiger Zeitungen weniger für die Berichterstattung einer deutschsprachigen Zeitung interessieren wird als für die in seiner Landessprache verlegten Nachrichten. Dies ist unter Umständen Ausdruck des aktuell zu verzeichnenden Trends, den Rash (2002, S. 31) als friedliche, aber passive Koexistenz der Sprachgemeinschaften bezeichnet statt einer aktiven interkulturellen Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zum Aufbau gegenseitigen Interesses. 4.7.13 Fortsetzung und Resümee zu Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz Die zusammengetragenen Blickwinkel auf die Zuständigkeiten, von denen aus man die sprachpflegerische und sprachpolitische Ausgestaltung in der Schweiz betrachten kann, sollen im Folgenden durch weitere Aspekte spezifischer Ausdrucksformen der schweizerischen Sprachpolitik in Form von Identitätsbildung abgerundet werden. Hierzu gehe ich neben historisch relevanten Aktivitäten und Initiativen auch verstärkt auf gegenwärtige und neuzeitliche Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 159 ein, um die gegenwärtigen Maßnahmen der in der Schweiz herrschenden Sprachpflege und Sprachpolitik aus einer aktuellen gesamtschweizerischen Perspektive zu beleuchten. Was mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges bei Schmid (2001, S. 128) als die kritischste Periode in der nationalen Spracheneinheit der Schweiz bezeichnet wird, setzte meines Erachtens die Grundsteine für forcierte aktive sprachpflegerische Maßnahmen. Die Auseinandersetzung der französisch- und deutschsprechenden Schweiz mit unterschiedlichen Sympathisierungsbestrebungen für auf der einen Seite Frankreich und auf der anderen Seite das Deutsche Reich drohte das gesamtdeutschschweizerische nationale Sprachbewusstsein zu zerschlagen. Die Situation verlangte nach einer Neuaufstellung gesellschaftlicher Kräfte, die sich des Themas Sprachpflege angenommen haben. Dies führte zur Gründung von Sprachvereinen wie „Deutschschweizerischer Sprachverein“ und „Union Romande“, die sich nach Stevenson (1990 nach Schmid 2001, S. 128) zum nachstehenden Zweck formierten: […] to defend the interests of German and French Swiss in the face of perceived threats from the other group. Hiermit lässt sich vielleicht eine eher konservative Zielsetzung bei den oben genannten Sprachvereinen attestieren, die das Interesse unterschiedlicher kantonaler Sprachidentitäten innerhalb der Sprachgemeinschaften untereinander verteidigen. Die ein für die Schweiz besonderes Sprachbewusstsein produzierende Stärke liegt nach Loring Danforth (1995 nach Schmid 2001, S. 126) in der historisch begründeten Widerstandsfähigkeit gegen invasive fremde Einflüsse und dem Erwachsen einer nationalen Identität aus einer Vielzahl von ethnisch unterschiedlichen Gruppen, die sich zu nationalen Gemeinschaften zusammengeschlossen haben. Ein Beispiel für die sprachpolitische Instrumentalisierung aus jüngerer Zeit ist bspw. die Anerkennung von kleinen Sprachgemeinschaften auf sprachlicher Ebene, wie im Fall des Rätoromanischen, das im Jahr 1938 als Nationalsprache in die Verfassung aufgenommen worden ist. Zuvor war mit Hilfe des Instrumentes der nationalen Volksabstimmung eine Mehrheit von 92% eingeholt worden (siehe Details in einem Artikel der NZZ vom 20.2.2013 „Als die Schweiz ihre Viersprachigkeit entdeckte“). Das Rätoromanische hatte als kleinste Sprachgemeinschaft im Kanton Graubünden eine besonders schwierige Stellung und konnte allein aufgrund des Engagements Einzelner, die sich in Sprachpflegeorganisationen und Vereinen der Erhaltung dieser Sprache verpflichtet haben, vor dem Rückgang bewahrt werden. Hinzu kam, dass von faschistischen Gelehrten und Wissenschaftlern schon in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg behauptet wurde, dass das Rätoromanische eine Varietät des Italienischen sei (hierzu gibt es einen aufschlussreichen Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 160 Beitrag vom 6.9.2006 zum Thema Rätoromanisch: Sprache oder Dialekt? auf www.swissinfo.ch/ ger/ raetoromanisch--sprache-oder-dialekt-/ 5452238, Stand: 10.10.2017). Sprachpfleger und Sprachaktivisten haben schon früh die Aufnahme des Rätoromanischen als Nationalsprache auf Bundesebene gefordert, welcher Forderung man, identitätsstiftend in dem Jahr vor Kriegsausbruch in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert, nachgekommen war. Das Rätoromanische erfuhr in jüngster Zeit eine weitere institutionelle Anerkennung, indem es im Jahr 1996 im Zuge einer weiteren nationalen Volksabstimmung den Status als Teilamtssprache im Bund erhielt. In einem neuen Verfassungsartikel wurde dem Rätoromanischen mit seinen zahlreichen Mundarten die Stellung einer Landessprache und der Charakter einer teilweise anerkannten Amtssprache 49 zugesprochen. Die Art der gesellschaftlichen Beteiligung als direkter Einfluss in sprachpolitisch relevante Prozesse (nicht nur in Form von Sprachvereinen, sondern gemeint ist die Volksinitiative und das Referendum als Form der Regulation) zeigt, dass in der Schweiz ein ausgeprägter Hang zu gelebter Sprachpolitik herrscht, und macht das Schweizer Modell zu einem ergiebigen Forschungsgegenstand. Dass es im Bereich der Sprachpolitik aber auch immer wieder Beispiele gibt, in denen ein Referendum nicht zum Schutz einer Minderheit eingeleitet wurde (wie bei dem Bündner Sprachgesetz für Rätoromanische), macht deutlich, dass benachteiligte Gruppen auch immer dem Wohlwollen der Mehrheit ausgesetzt sind und von ihr diktiert werden können. Dies betrifft auch Fragestellungen der aktuellen Zeit wie den Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum und die gemeinsame Währungsunion, die mit einem Referendum von 1992 das schweizerische Volk, wie in der Presse oft so bezeichnet, gespalten hat (siehe hierzu Schmid 2001, S. 130). Politische Spaltungen hinsichtlich der Abstimmungen sind für meine Betrachtungen nur deshalb erwähnenswert, weil mit ihnen Sprachgrenzen einhergehen, wie sie sich bspw. am sog. Röstigraben oder dem Stadt-Land-Graben veranschaulichen lassen. Die erstgenannte Sprachgrenze zwischen Romandie, Deutschschweiz und Tessin markiert zugleich die unterschiedlichen Sichtweisen zum Beitritt zum EWR aus dem Jahr 1992. Der Stadt-Land-Graben markiert keine Sprachgrenze im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr den Interessenkonflikt zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerung. Die Spaltung, die entlang der sprachlichen Grenze geht, ist laut Schmid (2001) Ausdruck eines lang währenden internen politischen Gesinnungskonflikts, der zwischen liberalen und konservativen Kantonen ausgetragen wurde. Wichtig ist für meine Betrachtungen aber nur, dass sprachideologische und sprachpolitische Vorstellungen am Beispiel des Um- 49 Wenngleich dies auch eine Folge des Drucks durch den Europarat im Jahr 2008 ist, der in einem Bericht über die Schweiz zu mehr Förderung des Rätoromanischen aufrief. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 161 gangs mit Mehrsprachigkeit in der Schweiz geprägt sind durch einen hohen Regulierungsgrad der Bevölkerung, der zwar mehrheitsgesteuert ist, aber auch das empfindliche Gefüge der nationalen Einheit zwischen den Sprachgruppen stören kann, wenn die Meinungen heterogen sind. Im Falle der Anerkennung des Rätoromanischen zu einer Teilamtssprache, niedergelegt in einer verfassungsrechtlichen Sprachregelung in Form eines Artikels, ist dies wie eine Statusänderung der Sprache zu verstehen, die zugleich auch den Makrobereich, also den Geltungsbereich, verändert und die Vitalität von Sprache positiv beeinflusst. Auf der anderen Seite haben sich Vereine wie der Schweizer Verein für deutsche Sprache (SVDS) und spätere DSSV als Instrumente zur innerschweizerischen Völkerverständigung, quasi zur Wahrung des Sprachfriedens in der Schweiz verpflichtet. 50 Auf überstaatlicher Ebene hat die privat initiierte Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege auf die Stuttgarter Empfehlungen reagiert und hat im Verlauf eine Stelle gemeinsamer Beratungen für die Mitglieder aus den unterschiedlichen deutschsprachigen Ländern eingenommen. Sie sollte verhindern, dass sich verschiedene orthografische Regelwerke herausbilden, die aus der politischen Zersplitterung der Staaten und Spaltung der Verlage in der Nachkriegszeit hervorgegangen sind. Die Gründung der AG erfüllte meines Erachtens sowohl einen kulturpolitischen wie auch einen sprachpflegerischen Zweck. Gesellschaftlich relevante Kräfte, die sich in der AG sammelten, spiegeln in Bezug auf die Sprachpflege das Bedürfnis wider, eine supranationale Bereitschaft zur Pflege und Erhaltung der deutschen Sprache (in Form von Verbesserungen und Vereinfachungen des Regelwerks) zu symbolisieren und kulturpolitisch eine Beratungsstelle für z.B. staatliche Organe zu bilden und eine Institution darzustellen, die durch politische Entscheidungsinstanzen legitimiert ist. Diese hatte zur Aufgabe, kulturpolitische Leitlinien und Vorschläge entsprechend den Zielsetzungen aus Sicht der beteiligten deutschsprachigen Staaten zu erarbeiten. Wie dann die Entscheidungsbeteiligung innerhalb der einzelnen Staaten zu erfolgen hatte, ist in diesem Zusammenhang erst einmal zu vernachlässigen. Wenn ich nur den Blick auf die deutschschweizerische Sprachpflege richte, dann widmet sich diese vornehmlich der Förderung der Vereinheitlichung der deutschen Sprache. Was die aktuelle Sprachkorpusplanung prägt, sind Faktoren wie Globalisierung und Europäisierung Grund für eine neue politische und mediale Ausrichtung. Zugleich sind sie auch als Auslöser für eine Tendenz des Verschwimmens von Grenzen und Varietäten und der Entwicklung auf eine Standardvarietät hin zu verstehen, zitiert bei Schmid: 50 Siehe hierzu die eindrucksvolle Sammlung und Auflistung gesamtdeutscher sprachpflegerischer Aktivitäten in Karoline Wirth (2010). Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 162 […] decreased saliency of neutrality as a foreign policy device, the lessened importance f cantonal borders, the increased importance of television for political discourse. (Steiner 1991, S. 10-11 nach Schmid 2001, S. 135 [dort als Steiner 1999]) Derlei Bestrebungen haben die Entwicklung der Sprachvereine wie den ehemaligen DSSV und späteren SVDS beeinflusst. Ihre Mitarbeit in der Duden- Redaktion zur Überarbeitung des schweizerischen Wortguts im Duden sowie der Kontakt zu deutschen und österreichischen Autoritäten und Persönlichkeiten, 51 die sich der gesamtdeutschsprachigen Normierung angenommen haben, haben eine Stoßrichtung zur Entwicklung einer gesamtdeutschsprachigen Standardvarietät durch arbeitsteilige Herangehensweise gegeben, anstatt dass, wie aus dem deutschen Sprachraum bekannt, bei Sprachvereinen oftmals dem Desiderat sprachpuristischer Maßnahmen gegenüber Kontaktsprachen nachgegeben wurde. Eine bei Glinz sich widerspiegelnde kompromisswillige Haltung gegenüber den Ausgestaltungen zu einer Neureglung der deutschen Rechtschreibung in Bezug auf das Wortbild, die sich aus den Stuttgarter Empfehlungen ergeben haben, lässt sich meines Erachtens gut auf die Beschreibung des gesamtschweizerischen Umgangs mit der Reform der Rechtschreibung adaptieren: Freilich ist unsere Rechtschreibung auch hier alles andere als vollkommen, und es wäre ein reizvoller Auftrag für einen Wissenschaftler, ohne Rücksicht auf das Hergebrachte eine Schreibweise zu entwerfen, die der heutigen deutschen Sprache in Klang und Inhalt voll angemessen ist. Es wäre ungefähr ebenso reizvoll, wie wenn ein Verkehrsfachmann das schweizerische Bahn- und Straßennetz nach den heutigen und künftigen Verkehrsbedürfnissen von Grund auf neu entwerfen könnte. Es ist aber auch ebenso unmöglich, denn Straßen und Bahnen sind einmal da, und man kann lange einsehen, welche Fehler bei der seinerzeitigen Planung und Ausführung begangen worden sind - eine Korrektur ist meist nur durch Ausbau, selten durch neue Planung möglich. Geschichtliche Entscheidungen sind im kulturellen Leben so wenig wiederhol- und widerrufbar, wie im wirtschaftlichen und politischen Leben, und wenn sie wirklich widerrufen werden müssen, so zeigt die Geschichte der Revolutionen, welche Preise ganze Völker dafür zu bezahlen haben. (Glinz 1955, S. 51 nach Looser (Hg.) 1998, S. 136) Ich beschreibe diese Wahrnehmungsweise gegenüber den Herausforderungen der modernen Sprache als reformorientierte Einstellung mit restaurativem Charakter mit Stoßrichtung auf eine gemeinsame Praxis hin. In Bezug auf den aktuellen Diskussionsstand hinsichtlich der auf Neuregelung Kritik ausüben- 51 Hierzu möchte ich anmerken, dass Einzelpersonen oftmals Triebfeder und führende Stimme im politischen Geschehen sein können, wie an dem Beispiel abzulesen, dass die EDK sich nach dem 2. Weltkrieg erst in die Reformdebatte eingeschaltet hat, nachdem der solothurnische Stadtrat Klaus dies anregte, was den Anstoß zu einer Umfrage über den Reformwillen bei der deutschschweizerischen Lehrerschaft gab. Sprachpflege und Sprachpolitik in der Schweiz 163 den Kreise und Parteien bis zum Jahr 1998 befindet die Zwischenstaatliche Kommission in einem internen Papier darüber, dass diese in der Hauptsache einer rechtspopulistischen Nähe zuzuordnen und einzustufen sind. Umfassend lässt sich noch einmal festhalten, dass politische Stabilität sowie ein stabiles soziales Gefüge in der Bevölkerung und Gleichstellung der Sprachen sowie eine über die Kantone hinausgehende nationale Identität, die der Vielsprachigkeit und unterschiedlichen linguistischen Identitäten zum Trotz ein gesamtheitliches Sprachbewusstsein ausgebildet hat, soziale Konflikte religiöser und sprachlicher Art zu mäßigen und zu nivellieren vermag. Hierzu äußert sich Schmid wie folgt: [S]everal institutional adaptions deeply rooted in the political system […] gebildet, um […] accommodating the diverse linguistic and cultural interests in Switzerland. (Schmid 2001, S. 137) Das nationale, in der Schweiz herrschende Sprachbewusstsein wird gestützt durch öffentliche Ausgaben, die für die Förderung der Minoritätensprachen eingesetzt werden. Neben Aktivitäten zur Sprachberatung und Sprachauskunft für die interessierte Öffentlichkeit sind in Bezug auf sprachpflegerische Maßnahmen, die sich neben den national orientierten Bestrebungen mit konservativer Ausrichtung zur Mundartpflege und Standardsprachpflege entwickelt haben, vor allem die interessant, die sich über Ländergrenzen hinweg ausgebildet haben, da die Kodifizierung und Förderung der deutschen Schriftsprache und korrekten Sprachgebrauchs nicht in der Schweiz selbst betrieben wurde, sondern die Pflege um das deutsche Sprachbewusstsein nach „außen“ verlagert wurde. Hieran wird meines Erachtens auch deutlich, dass Sprachpolitik und Sprachpflege in der Schweiz sich nicht allein auf dem nationalstaatlichen Bereich beschränken, sondern grenzübergreifend betrieben werden. Was bei Schmids (2001) Aufarbeitungen zum multilingualen Konfliktmanagement gesagt wird, lässt sich auf die sprachpflegerischen Aktivitäten in der Schweiz anwenden, wo auf bundesstaatlicher Ebene und nicht nur auf kantonaler/ lokaler versucht wird, Diversitäten auszugleichen. Hierbei gibt es gesellschaftliche Kräfte wie Sprachvereinigungen, die, wie schon erwähnt, lokal protektiv vorgehen, und überregionale, die progressiv in Bezug auf das Pflegen und Einführen der deutschen Standardsprache vorgehen. Die Anerkennung ist aber, und das sei hierzu noch erwähnt, nicht entstanden, weil es sich um vier gleichgroße starke Sprachgemeinschaften handelt, sondern wegen eines auf Anerkennung basierenden statusbezogenen Verständnisses im Umgang mit Minoritäten und deren Gleichbehandlung. Die kantonale Souveränität erlaubt es hierbei, nicht wie gewohnt nur unilingual und assimilierend, die auf administrativen und staatlichen Ebenen akzeptierten Amtssprachen offiziell zu verwenden. Die übergeordneten Behörden müssen bereit sein, alle offiziellen Sprachen auf administrativer, politischer und juristischer Ebene zu bedienen. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 164 Die sprachpolitische Gesetzgebung in Form der die Sprache betreffenden Artikel im Bundesgesetz bedient wegen des föderalen und dezentralisierten Regierungssystems nicht nur direkt den Willen des Bundes, sondern auch die der Kantone und Gemeinden (siehe Ahokas 2003, S. 33ff.). Rash (2002) stellt zusammenfassend fest, dass Sprachlenkung und Sprachpolitik von Seiten des Bundes durch einen Artikel für Sprache in der Bundesverfassung vollzogen wird, auf kantonaler Ebene das Territorialitätsprinzips Anwendung findet und das Bildungswesen in den Bereichen Kultur und Schulwesen durch Organe wie die EDK, das Bundesamt für Kultur und, ich füge hinzu, das EDI bestimmt wird. Die EDK spielt hier eine eher sekundäre Rolle im Prozess der Sprachlenkung. Rash (2002) beschreibt die EDK sowie das Bundesamt für Kultur in Hinsicht auf ihre Rolle bei der Sprachlenkung als weniger formelle Kommission, die Forschungsarbeit leistet und Statistiken liefert (Rash 2002, S. 38). Dennoch schreibt sie ihr, wenngleich sie bei Rash nicht als Motor oder Initiator von Bildungs- und Kulturpolitik verstanden wird, eine entscheidende Rolle zu in Hinsicht auf Verständigung zw. den Sprachgemeinschaften sowie ihren Einfluss auf die nationale Gesetzgebung. Hinzu kommen private Träger wie Gesellschaften und Verbände, die sich um die Pflege und den Erhalt von Mundart und Standardvarietät bemühen. Gesellschaftliche wie staatlich-politische Kräfte sorgen für ein gewisses Maß an Ausgleich, wobei es nicht immer einfach erscheint, ein Gleichgewicht zu schaffen, da Sprache sowie der Sprachträger und seine Einstellung und Werte sowohl dem Wandel der Zeit als auch der Mode und der individuellen Situation unterworfen sind. Hugo Moser (1967) beschreibt die Natur der schweizerischen Anstrengungen in Hinblick auf die Sprachpflege als nach innen gerichtete, dem Erhalt und Schutz der Mundarten und auch der Standardvarietät dienende Tätigkeit. Rash formuliert dies zutreffend weiter aus: Sprachpflege sollte sowohl rückwärts als auch vorwärts schauen, d.h. sie müsste Neuerungen dulden und Tradition hüten. (Rash 2002, S. 75) Da Sprachpflege und Normierung von Schriftsprache ein eher junges Kapitel in der Geschichte der Schweiz ist, haben sich auch erst in jüngerer Zeit Organisationen und Gesellschaften um die Erhaltung und Pflege eines Sprachzustands und eine gültige Schriftsprache bemüht. 4.8 Fazit Meine Untersuchungen zur Sprachpflege und Sprachpolitik der deutschsprachigen Länder sind vor dem Hintergrund eines gemeindeutschen Vorhabens, der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, zu betrachten und vor dem Hintergrund einzelstaatlicher Interventionen auf politischer oder gesell- Fazit 165 schaftlicher Ebene, die das Verhältnis der jeweiligen Sprachgemeinschaft zur amtlichen Regelung der Rechtschreibung beschreiben. Gegenwärtige gemeindeutsche sprachpflegerische Maßnahmen in Bezug auf die Normierung der Orthografie sind gerade für die Beschreibung der deutschsprachigen Länder untrennbar von dem Begriff der Sprachkritik zu verstehen, da ein reflektierter und eben kritischer Umgang mit einer für die deutsche Sprache vereinheitlichten Orthografie erst mit der Schärfung eines über nationale Grenzen hinausgehenden Sprachbewusstseins zu verstehen ist, was, wie ich meine, auch die Besonderheit der Sprachpflege und Sprachpolitik für deutschsprachigen Länder ist. Sprachpflege bezog und bezieht sich selbstverständlich heute immer noch auf eine Sprachgemeinschaft, oftmals zum Zweck, die Sprache vor fremden Einflüssen zu schützen oder sie zu erhalten. Hierzu wird in der Regel der Sprachgebrauch beobachtet und kritisch bewertet vor dem Hintergrund neuartiger Strömungen, Perspektiven und Werte. Das ist in den von mir aufgeführten sprachpflegerischen Maßnahmen (hierzu zähle ich auch die von den Medien praktizierten Hausorthografien, den Erhalt und die Pflege von Spezialwörterbüchern mit regionalen und länderspezifischen Bezeichnungen) erhalten geblieben. Vor dem Hintergrund der ländergrenzenüberschreitenden Reform der deutschen Rechtschreibung besteht für mich die eigentlich sprachpflegerische Leistung in den einzelnen Ländern darin, die sprachpolitischen Bemühungen um eine gemeinsame Normierung der deutschen Sprache nicht durch einseitig ideologisch geprägte und eindimensional wert- und statusbehaftete Diskurse zu überlagern, sondern in Anerkennung des Vorhabens eine wissenschaftlich fundierte, sachliche und auch wertebeachtende Thematisierung innerhalb der Öffentlichkeit beizutragen. Am Beispiel der SOK (Kapitel 8.4.3) werde ich aufzeigen, dass der Sprachpflege verschriebene Institute sich kontraproduktiv im Sinne einer konstruktiven Sprachpflege verhalten. Ich werde zudem in den kommenden Kapiteln aufzeigen, dass im Besonderen die Medien durch die Art ihrer Berichterstattung einen wertvollen Beitrag zu einem neuen Verständnis von Sprachpflege und Sprachkritik leisten. Kontrastiv betrachtet, lassen sich die Unterschiede sprachpolitischer und sprachpflegerischer Maßnahmen auf einige fest bestimmbare Merkmale reduzieren. Beispielhaft führe ich für die Motivation im Österreichischen an, dass sprachpflegerisch wie sprachpolitisch eine von der Bundesrepublik abgesonderte nationale Identität aufgebaut werden soll, die in einen Österreichischen Schülerduden mündet, in Maßnahmen zum Erhalt österreichischer lexikalischer Einheiten in der Literatur und auf EU-Ebene. Für die Schweiz führe ich an, dass sich, entgegen politischer Interventionen zur Stärkung der deutschen Hochsprache in den Medien und im Unterricht, der gemeindeutsche Standard noch immer nicht in den intendierten Bereichen durchsetzen konnte. Sprachpflege und Sprachpolitik im deutschen Sprachraum 166 Hinzu kommen Organisationen und Institutionen, die sich um den Erhalt schweizerischer Eigenheiten bemüht haben; hierzu zähle ich auch die Hausorthografien namhafter Tageszeitungen, wenngleich ich festgestellt habe, dass die intendierten Unterschiede nur noch symbolhafter Art sind. Für den bundesdeutschen Raum lassen sich ebenso die Medien, vornehmlich große Tageszeitungen wie Die Zeit und die FAZ nennen, die sich mit Hausorthografien sprachkritisch (und auch populärwissenschaftlich) betätigen. Eine der wichtigsten Sprachpflegeinstanzen ist noch immer der Duden-Verlag, der sich als Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung mit Korpusanalysen um die Aufarbeitung des aktuellen Sprachgebrauchs und damit die Sprachpflege verdient macht. Was man sich zum Verständnis der folgenden Kapitel vor Augen halten muss, ist, dass gerade die zur Sprachpolitik zählenden Aktivitäten das einende Element in den verschiedenen Strömungen von sprachkritischen und sprachpflegerischen Leistungen der beteiligten Länder darstellten. Die sprachpolitische Ausrichtung der einzelnen Länder, zu einem gemeinsamen Abkommen hinsichtlich der Neuregelung zu kommen und dazu ein koordinierendes Gremium mit staatlichen wie auch sprachrelevanten Vertretern aus der Gesellschaft und Öffentlichkeit einzurichten, in dem Verfahren parallelisiert werden und sowohl die politischen als auch die gesellschaftlichen Interessen auf eine Linie gebracht werden, ist meines Erachtens das Spezifikum an dem deutschen Vorhaben zu einer gemeinsamen Rechtschreibung und bildet die Triebfeder aller weiteren Entwicklungen. Einleitung 167 5. SPRACHPFLEGE UND SPRACHPOLITIK IN ANDEREN SPRACHGEMEINSCHAFTEN 5.1 Einleitung In den nachfolgenden Abschnitten beschäftige ich mich mit unterschiedlichen Reformversuchen an der Rechtschreibung europäischer Sprachen. Hierfür habe ich mich insbesondere mit dem Französischen und Portugiesischen auseinandergesetzt. Im europäischen Sprachraum haben schon viele Sprachgemeinschaften eine Reform der Rechtschreibung vorgenommen, meist in unterschiedlichem Umfang. Das Niederländische, das seit 1946 verschiedene Reformen zur Vereinfachung des Regelsystems beschlossen hat, sowie das Dänische, das im Jahr 1948 auf die Substantivkleinschreibung umgestellt hat, sind hierbei ebenso erwähnenswert wie das Türkische, das neben einer reformierten Rechtschreibung auch eine Umstellung auf das lateinische Alphabet im Jahr 1928 erfahren hat, also eine Schriftreform durchgemacht hat. Einige andere Länder möchte ich als eher renitent gegenüber Reformen im Bereich der Rechtschreibung beschreiben, wie bspw. das Italienische, für das schlichtweg keine Notwendigkeit einer Reform gesehen wird. Ähnlich verhält es sich bei den slawischen Sprachen wie auch beim Englischen, für das schon unterschiedliche Versuche einer Reformierung unternommen worden sind, die allerdings alle gescheitert sind. Das Französische stellt ein Beispiel einer für mein Dafürhalten in Teilen erfolgreichen Reformierung der Rechtschreibung (und auch Grammatik) aus dem Jahr 1990 (franz. Rectification de l’orthographe du français) dar. Interessant ist hierbei, und deswegen habe ich mich entschlossen, das Französische im folgenden Abschnitt eingängiger zu bearbeiten, dass sich die Reform ähnlich wie die deutsche Rechtschreibreform gegen eine Vielzahl von Kritikern und Gegnern aus Wissenschaft, Schule und Politik durchgesetzt hat. Es standen sich zwei Lager gegenüber, konservativ gegen innovativ, und beide Seiten haben das Bild der heute gültigen französischen Rechtschreibung geprägt. Sie stellt somit, ähnlich wie die deutsche Rechtschreibung, einen Konsens dar, den es näher zu erörtern gilt. 5.2 Frankreich Die Reform der Rechtschreibung der lusophonen Länder hatte, ähnlich wie die deutsche Rechtschreibreform, die Vereinheitlichung und Vereinfachung zum Zweck. Die portugiesischen Reformbemühungen waren geprägt von ei- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 168 ner Politik der Annäherung zwischen dem Festlandportugiesischen und dem erstarkenden Brasilien, das sich immer weiter wegentwickelte. Dieser Tendenz wollte man entgegenwirken. Hier waren, ähnlich wie die Reform der Rechtschreibung der deutschsprachigen Länder wie Deutschland mit der Schweiz, Österreich und anderen deutschsprachigen Gebieten, politische wie gesellschaftlich-kulturelle Erwägungen tragend für das Bedürfnis, eine gemeinsame und vereinheitlichte Schriftsprache zu entwickeln. 5.2.1 Sprachpflege und Sprachpolitik in Frankreich In Frankreich sind im Unterschied zu anderen europäischen Ländern schon früh Maßnahmen ergriffen worden, um Einfluss auf den Gebrauch und die Verwendungsweise der Sprache und Schrift auszuüben. Dieser Umstand führte mich dazu, die Reformbemühungen genauer zu betrachten und sie kontrastiv ins Verhältnis zu den vergleichsweise ebenso alten Reformbemühungen im deutschsprachigen Raum zu setzen. Angefangen mit der Ausrufung des Französischen als Nationalsprache über die Errichtung von Institutionen, die sich der Normierung der französischen Sprache verpflichtet haben, bis hin zu Sprachschutzregelungen neuester Zeit, sind die Bemühungen um den Kultur- und Identitätsaspekt des Französischen mit Hilfe verschiedenster Interventionen, die der Sprachpflege und Sprachpolitik zuzurechnen sind, nie abgerissen, wie ich im Folgenden aufzeigen werde. Die Betrachtung des Portugiesischen ist deshalb so interessant für meine Untersuchung, da ähnlich wie im deutschsprachigen Raum ein übereinzelstaatliches, ja sogar transkontinentales Abkommen zustande gekommen ist mit der Absicht, eine Vereinheitlichung, Angleichung und Ausgleich von Aussprache und Schrift zu erwirken. Wie dies für den portugiesischen Raum gelungen ist und wie dies im Kontrast zu den deutschsprachigen Bemühungen zu bewerten ist, möchte ich ebenfalls in einem der folgenden Kapitel näher beleuchten. Die in Frankreich eingesetzten sprachpolitischen und sprachpflegerischen Maßnahmen haben im Unterschied zu allen anderen europäischen Ländern eine lange Tradition und waren schon seit der Zeit der Gründung der Republik Gegenstand des politischen und gesellschaftlichen Interesses. Sprachpolitik und Sprachpflege stehen hier in reziproker Wechselwirkung zueinander, da Sprachpolitik nicht nur die Gesetzgebung zur Sprache betrifft, sondern im französischen Sprachraum auch in sprachpflegerischer Hinsicht wirkte, wie bspw. bei der Einsetzung einer Terminologiekommission, in der französische Äquivalenzbezeichnungen zu englischen Begriffen erarbeitet werden sollten, um den Einfluss des Englischen auf die französische Sprache auf bestimmte Bereiche einzuschränken. Auch die Académie française, die eines der ersten Frankreich 169 französischen Wörterbücher erarbeitet hat, ist eine der Sprachpflege zuzurechnende Institution, die unmittelbar auf den Sprachgebrauch eingewirkt und Vorgaben zu Normen in Hinblick auf die französische Orthografie gemacht hat. Den Gegenstand der traditionellen Sprachpolitik in Frankreich beschreibt Trudel Meisenburg (2013) in einem Beitrag in Hinblick auf die Behandlung von Graphien bei romanischen Sprachen eingehend und erklärt, wie sich im Zeitalter der Renaissance das Verhältnis der hochsprachlichen Norm in Bezug auf die Aussprache gegenüber der mündlichen Variation als wenig restringiert darstellt. Meisenburg spielt hier auf die Tatsache an, dass in Frankreich weniger die Normierung der Rechtschreibung als die Reformierung der Graphie im Vordergrund stand, die durch die Erfindung des Buchdrucks zur Erhöhung der Reichweite an eine gebildete Leserschaft befördert wurde und eine Vereinheitlichung und Aufarbeitung (nach der Vorgabe: mehr Lese- und Schreibregeln, weniger Hilfsschreibungen) der Schriftsprache erforderlich machte. Die Themen „Normierung der Sprache“ und „sprachpflegerische und sprachpolitische Maßnahmen“ stehen in Bezug auf das Französische in langer Tradition und stehen mit einem historisch gewachsenen Sprach(selbst)bewusstsein in enger Verbindung. Das bedeutet allerdings nicht, dass die zugrunde gelegten Prinzipien und Regeln zu einer ausgeglichenen und systematischen Charakteristik der Rechtschreibung führten, sondern vielmehr, dass Sprachnormautoritäten ihre Auffassung darüber, wie die Sprache zu sein hat, mittels der Rechtschreibung durchsetzen wollten. Für die Orthografie des Französischen im Einzelnen konstatiert Meisenburg nämlich, dass sie wenig lautorientiert und unsystematisch in Bezug auf die Wiedergabe der Lautung ist (siehe Biddau 2013, S. 68f.). An anderer Stelle erwähnt Meisenburg als Ergebnis gegenwärtiger sprachpolitischer Aktivitäten, dass die Schreibung größtenteils den Erfordernissen und Bedürfnissen der Schreibenden angepasst wurde (Meisenburg 2013, S. 95), da sich der Prestigefaktor eher in der Beherrschung der Rechtschreibung für den Schreibenden niederschlägt als in der Beherrschung des Lesens. Dieser Umstand führte zu einer Art Erstarrtheit der schriftlichen Seite, die noch heute die Komplexität der französischen Orthografie infolge der gewachsenen unsystematischen Korrespondenzen ausmacht, die auch noch durch Lautwandel und die Vermeidung von Uneindeutigkeiten durch Überdifferenzierungen bei der Darstellung von Phonemen verstärkt wurden und in anderen Sprachen einem Allophon und damit einer idiosynkratischen Abweichung gleichkämen. Neben der Erkenntnis, dass die Rechtschreibung Gegenstand der sprachpolitischen Aktivitäten in Frankreich war, möchte ich im Folgenden auf die beteiligten Akteure und ihre Beweggründe eingehen, aber auch im Einzelnen die Gegenstände betrachten, die Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 170 innerhalb der Rechtschreibung in der französischen Sprachpolitik besondere Beachtung gefunden haben. Welche sprachpolitischen Aktivitäten, die die Reformierung der Rechtschreibung betrafen, hat es in Frankreich in jüngster Zeit gegeben, und sind einzelne Entwicklungen in Zusammenhang mit dem historisch gewachsenen Anspruch des Französischen durch seine internationale Verbreitung und die damit einhergehende Geltung und Ausstrahlung in Europa und auf dem Globus zu stellen? Die uns heute bekannte Vorstellung vom Französischen als Nationalsprache hat für eine sprachpolitische Ausrichtung gesorgt, die wir heute mit einer institutionellen Bewahrung und Schutz der Sprache gegenüber Fremdeinflüssen und Verunreinigung assoziieren. Im folgenden Kapitel werde ich ausführlich auf den Sachverhalt eingehen. 5.2.2 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch eines internationalen Geltungsbereiches der französischen Sprache ableiten lassen Aus einem Zeitungsartikel aus Die Welt (vom 25.7.2000) mit dem Titel „Rechtschreibreform auf Französisch“ geht hervor, dass die dominanten Diskurse um die Rechtschreibdebatte auf einem internationalen Kongress in Paris im Jahr 2000 eng verknüpft wurden mit der politischen Bedeutung und dem Status des Französischen in der Welt, also politischer Art sind. Hieran möchte ich anknüpfen und in diesem Kapitel zum Thema machen, wie sich das Verhältnis von Stellenwert und Status von Sprache zu sprachpolitischen und sprachpflegerischen Aktivitäten darstellt. Der Austausch auf der oben erwähnten internationalen Tagung fand zwischen Vertretern aus dem Bereich Bildung (Französischlehrer-Vereinigung FIPF) statt und hatte zum Ziel, die aktuellen Herausforderungen des Französischen wie der Vormachtstellung des Englischen als Weltsprache in den Medien und auf dem internationalen politischen und wirtschaftlichen Parkett zu benennen und zu diskutieren, ob eine Vereinfachung der französischen Rechtschreibung dazu führen könne, mehr Menschen durch einen erleichterten Zugang zu Schrift und Sprache zum Erlernen derselben zu animieren und damit die Rolle des Französischen zu stärken. Der Artikel gibt Aufschluss darüber, dass die Wissenschaft (laut Äußerungen von Claude Hagège, eines Professors der Linguistik am Collège de France, auf dem o.g. internationalen Kongress) auch in der Orthografie der englischen Sprache Unregelmäßigkeiten vorfindet, eine seit Jahrhunderten bestehende Kluft zwischen Aussprache und Schrift besteht (nicht nur wegen der Ausspracheunterschiede zwischen der amerikanischen und britischen Varietät) und dies keinen Einfluss auf die Frankreich 171 Popularität oder globale Verbreitung der Sprache hatte. Daraus lässt sich folgern, dass es um die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Sprache, um ihr Prestige sowie um ihren Vorbildcharakter selbst geht, wie aus der Berichterstattung des Artikels hervorgeht. Die Durchsetzbarkeit und Dominanz einer Sprache hängt in der heutigen Zeit meines Erachtens nicht nur von einer Autorität oder einem Gesetz, einer Institution oder ihrem normativen Charakter ab, sondern auch von ihrer Zugänglichkeit und Anschmiegsamkeit in Hinblick auf die Erlernbarkeit, Erreichbarkeit und Verständlichkeit für das Erreichen einer internationalen Verbreitung. Das Französische hat unterschiedliche innersprachliche Entwicklungen durchgemacht, wobei Johannes Klare (2011) den größten sprachtypologischen Umbruch in der Zeit zwischen dem Altfranzösischem und dem Neufranzösischen verzeichnet. Das hier tragende sprachtypologische Differenzierungskriterium bezieht sich auf den analytischen Sprachbau, der sich im Übergang zum Mittelfranzösischen gebildet hat. Für das Mittelfranzösische wurde in frühen Untersuchungen eine Phase des Übergangs angenommen, spätere Forschungen haben auch hier einen typologischen Umbruch bestätigt (Klare 2011, S. 72ff.). Eingangs habe ich schon erwähnt, dass die Rectifications nicht nur in orthografischer Hinsicht Wirksamkeit entfaltet haben, sondern auch im grammatischen Bereich, vornehmlich bei Pluralmarkierungen, die nur auf der schriftlichen Seite Ausdruck finden. Die Anpassungen der Rectifications bei Pluralmarkierungen (Vereinheitlichung) zeigen, wie ich später noch eingängiger beschreiben werde, dass mit Hilfe von Orthografie grammatische Erscheinungen kenntlich gemacht werden und die Rectifications berechtigterweise auch auf grammatischer Ebene eingegriffen haben. Diese internen Entwicklungen, die sich auf Graphie und die Entwicklung des Wortschatzes auswirkten, waren unter Umständen Wegbereiter für den wachsenden Geltungsbereich der französischen Sprache in Bezug auf ihre Verwendung im Verwaltungsbereich, im Kirchen- und Kanzleisowie im Bildungswesen („Sprache der Offizialität“ laut Klare 2011, S. 69). Sprachen mit analytischer Bauweise kommen ohne komplexes Kongruenzsystem aus, dadurch wird ihnen oftmals fälschlich eine vereinfachte Zugänglichkeit attestiert. An dieser Stelle möchte ich aufgreifen, dass die englische Sprache laut Klare (2011, S. 69) schon früh auch im französischsprachigen Gebiet Geltung erlangte. Schon im 13. Jahrhundert wurde sie als Kommunikationsmittel auf dem Lande verwendet und machte dem Französischen Konkurrenz, konnte allerdings in den einschlägigen, die Öffentlichkeit betreffenden Bereichen nicht durchdringen. Das Keltische diente für den französischen Wortschatz als Substrat, aus dem verschiedene Wörter ins Französische entlehnt wurden (siehe auch Geckeler/ Dietrich 2012, S. 129). Das aufstrebende Bürgertum Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 172 suchte nach Klare (2011, S. 150) in der Verwendung englischer Termini und Rückentlehnungen von Wörtern (‘les réemprunt’: bspw. budget oder chic im Deutschen) im 18. Jahrhundert Aufklärung, moderne Staatsformen und Philosophie zu repräsentieren. Der historische Kontext erlaubt mir zu behaupten, dass das neologistische, von André Rigaud im Jahr 1955 geprägte Misch- oder Kunstwort „Franglais“ (terminologisch auch oftmals als „blending“ bezeichnet wie bei Smog, bspw. bei Hermann Paul 1880), angelehnt an Klares Ausführungen, unter Umständen schon zu mittelalterlichen Zeiten wie dem 12. Jahrhundert Anwendung gefunden hat, wo kriegerische und friedliche Phasen zwischen Frankreich und England zu engen sprachlichen Beziehungen führten und der Sprachkontakt, ähnlich wie zuvor der Einfluss der lateinischen Sprache auf das Französische, zur Inkorporation von englischen Begrifflichkeiten und Wortentlehnungen führte. Wenngleich ich keine sprachlichen Belege liefern kann, möchte ich nicht ausschließen, dass Sprachen beim Aufeinandertreffen grundsätzliche invasive Wirkung entfalten und Vermischungen kein neuzeitliches Phänomen sein müssen. Die jahrhundertelange Oberherrschaft der Engländer in Südwestfrankreich (1152-1453) bewirkt die Übernahme von etwa zwei Dutzend englischen Wörtern und Wortfamilien in die dortigen Dialekte. (Klare 2011, S. 86) Oder wie auch bei Geckeler/ Dietrich (2007, S. 240) belegt: Die Übernahme englischen Wortgutes ins Französische ist nicht eine Besonderheit des 20. Jahrhunderts, sondern sie setzt bereits im Mittelalter zaghaft ein und verstärkt sich dann ab der zweiten Hälfte des 17. Jhs. Aus sprachpuristischer Hinsicht wird diese Entwicklung nachträglich nicht als Bereicherung zur Wortschatzerweiterung verstanden und auf das gegenwärtige, als problematisch zu bezeichnende Kräfteverhältnis zwischen der Vorherrschaft des Englischen gegenüber dem Französischen in den Medien und der Öffentlichkeit übertragen, da Sprachpuristen bis in die Zeit des Neufranzösischen die Geltung der französischen Sprache in der Welt (auch in Bezug auf die Verbreitung in den Protektoraten und Kolonien) durch das Englische bedroht sahen. Die historischen Tatbestände und die gegenwärtigen Reaktionen auf die „Franglais“-Debatte führten zu sprachpolitischen Aktivitäten, wie sie laut Geckeler/ Dietrich (2007, S. 239-243) zur Gründung einer Terminologie-Kommission führten, die Vorschläge für französische Äquivalenzbezeichnungen für Anglizismen erarbeitete (bspw. engl. broker vs. franz. courtier oder engl. label vs. franz. étiquette) und gesetzgeberische Maßnahmen (Loi Toubon) bestimmte, die den Gebrauch von Anglizismen auf verschiedene Anwendungsbereiche wie Arbeitsverträge und Gebrauchsanweisungen einschränkte. Frankreich 173 5.2.3 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch ableiten, die Einheit der französischen Sprache zu wahren Die wohl fundamentalste sprachpolitische und institutionelle Intervention in Bezug auf die französische Sprache ist die Verankerung derselben in der französischen Verfassung im Jahr 1992. Sie genießt dadurch eine Art Schutz, der ihr zumindest landesintern ein Vorrecht in Bezug auf die Verwendung im öffentlichen Bereich und Geltung einräumt. In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung (vom 17.5.2010, Titel: „Land der Dichter und Lenker“) wird die staatlich verankerte Positionierung der französischen Sprache als Ergebnis der schwindenden Geltung der französischen Sprache beschrieben, da sie ihre innerstaatliche Stellung nur unter dem Schutzmantel der Staatlichkeit bewahren oder halten zu können scheint. Es lassen sich aus der Verankerung in der Verfassung aber nicht nur Geltungsansprüche ableiten, sondern auch die Auffassung, dass die französische Sprache damit universalen Charakter erhält und für die Bewahrung der sprachlichen Einheit, die sinnbildlich auch auf die Einheit der französischen Nation abgestellt wird, Sorge trägt. Wer Teil der Republik ist, spricht Französisch, ist Französisch. Während in der Schweiz die Mehrsprachigkeit verfassungsrechtlich verankert ist, ist in Frankreich quasi die Einsprachigkeit verankert. Mit der Konstituierung des Französischen als Nationalsprache ab dem 16. Jahrhundert (siehe hierzu Klare 2011, S. 89ff.) und der Verfestigung des Französischen zur Verwaltungssprache geht erstmals im 16. Jahrhundert eine Diskussion über die Grundlagen der französischen Schrifttradition zur Realisierung von Schrift und die Regeln für die Verschriftlichung einher (siehe hierzu Geckeler/ Dietrich 2012, S. 78ff.). Klare stellt hierzu zwei Vertreter gegenüber, und zwar die, die dem etymologischen, und die, die dem phonologischen Prinzip folgten (Verlegerfamilie Estienne und der Reformer Maigret, siehe hierzu Klare 2011, S. 96). Schlussendlich setzten sich die Vertreter der etymologisch orientierten Schreibung durch wegen der „in Paris und Lyon wirkenden humanistischen Drucker“ (vgl. ebd.). Im Laufe der Jahrhunderte, vor allem in der Zeit des Buchdrucks ab dem 16. Jahrhundert, sind diverse Versuche unternommen worden, das Verhältnis von Lautung und Schrift in Einklang zu bringen und Ausdifferenzierungen hinsichtlich der Grapheme vorzunehmen, sowie die Hinzunahme von Diakritika (siehe hierzu auch einen Aufsatz von Johannes Müller-Lancé 2007), um eine adäquate Wiedergabe der spezifischen Laute des Französischen wie der Nasalvokale zu ermöglichen (z.B. mit Hilfe der Nasaltilde). Geckeler/ Dietrich Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 174 (2012, S. 78ff.) beschreiben eingehend, vor welche Probleme die Repräsentation der französischen Laute in der Schrift gestellt war, vornehmlich, dass unterschiedliche Laute durch dieselben Graphen dargestellt wurden und eine Unterscheidung unterschiedlicher Laute, wovon es mehr im Französischen gibt, als Zeichen zur Verfügung stehen, nur noch mittels diakritischer Zeichen realisiert werden konnte. In der Umsetzungspraxis von sprachpolitisch motivierten Aktivitäten kam es, wie nachfolgend aufgezählt, zu ganz konkreten Empfehlungen zur Beseitigung von Ausnahmen und zum Zwecke der Vereinheitlichung, die in einer Art offiziell-staatlichem Amtsblatt, in dem Gesetze und Verordnungen bekannt gegeben werden, dem Journal officiel de la République française, veröffentlicht und anhand von dort aufgeführten Wörtern in den Les rectifications de l’orthographe exemplifiziert worden sind in den Les rectifications de l’orthographe. Diese Empfehlungen sind in dem besagten Bericht von Maurice Druon, dem Ständigen Sekretär der Académie française und Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, vorgestellt worden. Verantwortlich für diese Empfehlungen war der sogenannte Conseil de la langue française et de la politique linguistique, eine Art Rat für französische Rechtschreibung und Angelegenheiten von Sprachpolitik mit Experten aus den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Politik. Die vom Rat erarbeiteten Empfehlungen haben keinen Anspruch auf Umsetzung kraft eines Erlasses, daher sind einige Empfehlungen, wenngleich sie schon den aktuellen Sprachgebrauch im Französischen abbilden, wie ich nachfolgend auch erwähne, nicht in die gängigen Wörterbücher oder in Lehrbücher für den Französischunterricht eingegangen. Während die Empfehlungen für die französischsprachige Gemeinschaft in Deutschland verbindlichen Charakter entwickelt haben, bildet in Frankreich ein sich ändernder Schriftsprachgebrauch noch kein Argument, die Rechtschreibung dahingehend anzupassen. Hieran lässt sich also auch ablesen, wie renitent Verlage und Zeitungen mit der Thematik umgehen. Ob sie eine allgemeine, für die gesamte Öffentlichkeit und das Bildungswesen abbildende Haltung einnehmen, ist meines Wissens noch nicht erforscht worden. Frankreich 175 5.2.4 Überblick über die einschlägigen Änderungen an der französischen Rechtschreibung von 1990 Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die neu geregelten Bereiche laut documents administratifs von 1990: NR ANCIENNE ORTHOGRAPHE NOUVELLE ORTHOGRAPHE 1 vingt-trois, cent trois. vingt-trois, cent-trois. 2 un cure-dents. des cure-ongle. un cache-flamme(s). des cache-flame(s). un cure-dent. des cure-ongles. un cache-flamme. des cache-flames. 3 a de céderai, j’allégerais. de cèderai, j’allègerais. 3 b puisé-je, aimé-je. puisè-je, aimè-je. 4 il plaît, il se tait. la route, la voûte. il plait, il se tait. la route, la voute. 5 il ruisselle, amoncèle. il ruissèle, amoncèle. 6 elle s’est laissée aller. elle s’est laissé appeler. elle s’est laissé aller. elle s’est laissé appeler. 7 des jazzmen, des lieder. des jazzmans, des lieds. Es handelt sich also um die folgenden Bereiche: 1) Setzung des Bindestrichs bei Kardinalzahlen 2) Singular- und Pluralformen bei Komposita mit Bindestrich 3) Akzente Akut und Gravis (bei é und è) 4) Akzent Zirkumflex (bei î und û) 5) Konjugationsformen von Verben mit Infinitiv auf -eler und -eter 6) Partizip Perfekt (participe passé) von laisser 7) Plural-s bei Fremd- und Lehnwörtern Hieran wird deutlich, dass - anders als bei der Neuregelung für die deutschsprachigen Länder - keine so systematische und geordnete Aufstellung der Regelungsbereiche vorgenommen worden ist, wie sie für die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung praktiziert worden ist. Ebenso wenig möchte ich von einer ausreichend repräsentativen Fallzahl von Beispielen sprechen, die die Neuaufstellung in angemessener Weise wiedergibt (hier nur kurz gehaltene einfache Wortlisten). Eine eingehende fachliche Reflexion der Empfehlungen wird vorwiegend über Kriterien erreicht, die zur Vereinfachung führen, mehr Regelhaftigkeit und Analogienbildung sowie Systematik her- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 176 stellen und Ausnahmen beseitigen. Wo frühere Bemühungen im Zusammenhang mit der französischen Sprache sich in der Beseitigung fremden Wortguts fanden, ist nach den Empfehlungen von 1990 zumindest die Integration in das lautliche und französische Wortbildungs-System und keine komplette Ablehnung vorgesehen. Die genannten Empfehlungen und Vorschläge bieten einen brauchbaren Ansatz dar, um eine Aufarbeitung weiterer Systematisierungen zwischen Grammatik, Lexik, Aussprache und Orthografie vorzunehmen. Für mein Dafürhalten werden Sprachwissenschaftler, Lexikografen, Sprachinteressierte und Didaktiker auf lange Sicht nicht darum herumkommen, weitere Teilbereiche aus Grammatik und Orthografie anzupassen und sie einer systematischen Überprüfung zu unterziehen. Im Folgenden werden einzelne Bereiche noch etwas vertieft besprochen. - Zu Punkt 1, Bindestrich: Die Änderungen in der Bindestrichschreibung betreffen hauptsächlich die Buchstabenschreibung von Kardinalzahlen, zum Beispiel neu trois-cents euros (vorher trois cents euros). Hierzu heißt es auf einer Website www.frenchlinguistics.co.uk (Stand: 1.3.2017), die sich mit den Spitzfindigkeiten der französischen Sprache beschäftigt, in Bezug auf den aktuellen Sprachgebrauch und die präferierte Schreibung: In our survey, 54% of respondents preferred the form vingt-et-un over the older form vingt et un. - Zu Punkt 2, Singular- und Pluralformen bei Komposita mit Bindestrich: Im Kapitel über die Grundlagen und die Vorgehensweise zu meiner Arbeit (Kapitel 2.4) bin ich schon im Ansatz auf die „stumme“ Morphologie im Französischen eingegangen. Dazu gehören auch die Morpheme zur Bildung des Plurals wie in livre - livres. Eine Unterscheidung zwischen Singular und Plural wird zwar orthografisch markiert, diese hat aber in der gesprochenen Sprache kein Äquivalent. Es handelt sich also um eine morphologische Erscheinung, die sich auf die orthografische Seite der Sprache beschränkt. Zu den Problemen dieses Bereiches gehören Komposita mit Bindestrich, aber auch der hier nicht weiter besprochene Bereich 7 (Lehn- und Fremdwörter). 52 Bei den Komposita wurde versucht, auf Verbindungen wie un compte-goutte (bisher un compte-gouttes) vereinheitlichend Einfluss zu nehmen, wobei das 52 Loanwords are always pluralised with -s, even if that strays from the “original” plural form of the source language (laut www.french-linguistics.co.uk/ grammar/ french_spelling_reform_ plurals.shtml, Stand: 1.3.2017) und laut Punkt 6 (Seite 4) des Miniguides zu den 10 wichtigen Veränderungen auf www.orthographe-recommandee.info (Stand: 1.3.2017). Frankreich 177 2. Element nur in den Plural gesetzt werden soll, wenn die gesamte Zusammensetzung im Plural steht. Die intendierte Vereinfachung lautete hier: The reformed spelling simplifies this situation: in the singular, such compounds are written without the -s, and in the plural, -s is used as a plural marker. (www.french-linguistics.co.uk/ grammar/ french_spelling_reform_plurals. shtml, Stand: 1.3.2017) Mit dieser Anpassung soll mehr Kohärenz geschaffen werden, vor allem in Hinblick darauf, dass die unterschiedlichen Wörterbücher diesen Bereich nicht einheitlich abgebildet haben. - Zu Punkt 3, Akzente Akut und Gravis: Das Anliegen war, die Verwendung der Akzente Akut und Gravis bei é und è in Einklang mit der Aussprache (geschlossener vs. offener Vokal) zu bringen. Der accent aigu wird zur Angleichung der Schreibung an den nativen Wortschatz auch bei Fremdwörtern gesetzt, die vormalig ganz ohne Akzent geschrieben wurden. Hier wurde im Sinne einer verbesserten Fremdwortorthografie angeglichen. Der accent aigu é repräsentiert grundsätzlich die geschlossene Aussprachevariante. Hier wurde vorher é gesetzt trotz [ɛ] mit offener Aussprache. Der Grund für die alte Schreibung ist unklar. Sie könnte auf die Stammschreibung zurückgehen wie vergleichsweise bei régler - je réglerai, was nach neuer Schreibung régler - je règlerai. Die Änderungen zur Kennzeichnung der Aussprache deuten vielleicht auf einen Lautwandel hin, so dass davon auszugehen ist, dass é früher tatsächlich wie [e] gesprochen wurde (siehe hierzu eine Seminararbeit zur Akzentsetzung im Französischen im Französischunterricht von Evi Käppel 2012 und darin Catach/ Gruaz 2005). Die angepasste Schreibung, wie im bekannten Fall von événement zu évènement, bildet die Aussprache adäquater ab als zuvor und trägt zugleich dazu bei, Schreibvarianten zu vermeiden (neben événement war schon vor 1990 auch évènement verbreitet). Eine Studie aus England offenbart, dass schon vor der Reform die Schreibweise évènement weiträumig akzeptiert war und den allgemeinen Sprachgebrauch abbildete und dass die Empfehlungen aus 1990 den Trend zum Aussprachewandel hier verstetigen bzw. unterstützt haben. 53 53 In the sections below, we present an overview of the reforms proposed. We also include some preliminary information from a survey of people’s opinions of the reforms. The survey asked respondents, for a series of “old” vs. “new” spellings, which of the two alternatives they preferred. At present, combined results for 100 respondents are given. The respondents comprise 52 French native speakers and 48 non-native speakers, and we should bear in mind that of the latter, 18 had been studying or speaking French for less than 7 years (siehe hierzu www.french-linguistics.co.uk/ grammar/ french_spelling_reform.shtml, Stand: 1.3.2017). Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 178 - Zu Punkt 4, Zirkumflex bei î und û: Eine weitere Empfehlung betrifft die Verwendung des Zirkumflexes bei î und û, von dem vorgeschlagen wird, ihn nur noch fakultativ zu setzen. Er diente grundsätzlich zur Kennzeichnung eines langen oder gedehnten Vokals, wenn zuvor ein s verstummt ist wie in estre - être (siehe hierzu Godefroy 1881), dennoch bleibt der Zirkumflex zur Unterscheidung erhalten bei einigen Adjektiven wie bei Maskulinum Singular dû 54 und mûr etc. in Unterscheidung zu du (aus de + le) und mur (Subst. in der Bedeutung „Mauer“), ebenso wie zur Unterscheidung einiger Konjugationsformen wie homophones il croît (er wächst) vs. il croit (er glaubt). Hier hat der Akzent allerdings keine phonetische Funktion, sondern dient der Unterscheidung von Homophonen. Diese Empfehlung ist laut der oben erwähnten englischen Studie an 52 französischen Muttersprachlern nicht besonders populär: Removing the circumflex does not appear to be a popular move. In our survey, only 10% of respondents were in favour of writing cout instead of coût and only 20% in favour of writing il parait instead of il paraît. Interestingly, enthusiasm for removing the circumflex does not appear to be dependent on whether doing so introduces ambiguity: similar percentages (17% and 20% respectively) favour writing sur (et certain) and (il est très) mur instead of sûr and mûr respectively (siehe Abschnitt zum Zirkumflex auf www.french-linguistics.co.uk, Stand: 1.3.2017). Weitere einschlägige Änderungen im französischsprachigen Raum, die aus dem Jahr 1990 bekannt geworden sind, gehören auch zu denen, die sich nur langsam umsetzen ließen und oftmals stigmatisiert wurden. Anhand der genannten Änderungen gewinnt man einen Eindruck über den von mir in dieser Arbeit immer wieder aufgegriffenen Terminus des Traditionsbruchs, der mit dem Bruch des gewohnten Schriftbildes in Frankreich assoziiert wird und auf dessen Charakter ich im Laufe meiner Arbeit immer wieder eingehen werde. Vorweg möchte ich erwähnen, dass die vorgeschlagenen Änderungen aus 1990 bis zum Jahr 2008 in den gängigen Wörterbüchern noch nicht in ihrer Gänze umgesetzt worden sind bzw. wie die Toleranzschreibungen der Akadémie française von 1976 nicht übernommen worden sind (vgl. hierzu Strobel- Köhl 1994, S. 181). Laut einer Untersuchung (siehe Béchennec/ Sprenger- Charolles 2014) haben das Wörterbuch der Académie française, 55 Le Nouveau 54 Von einer Systematik zur Unterscheidung von Homonymen oder zur Markierung einer langen oder gedehnten Aussprache ist allerdings nicht in allen Fällen zu sprechen, wie hier deutlich wird: dû (aber: due, dues, dus); mûr, sûr, croître > crû. 55 www.academie-francaise.fr/ le-dictionnaire/ la-9e-edition, Stand: 2016. Frankreich 179 Petit Robert 56 und Dictionaires Larousse 57 umgestellt auf Rechtschreibkorrekturen, aber im Falle des Petit Robert beispielsweise nur 61% der aus 1990 empfohlenen Änderungen und Dictionaires Larousse 39% angenommen. - Zu Punkt 5: Die Änderungen bei den Verben auf -ler und -eter zielen auf ein einheitlicheres Schriftbild (Prinzip der Schemakonstanz). Im Zusammenhang mit der Schemakonstanz wurden auch einige weitere Änderungen vorgeschlagen, die in der Übersichtstabelle nicht aufgeführt sind. Ein prototypisches Beispiel sind Wörter, deren Stamm auf -olle oder -otte ausgeht. Hier wird heute vereinfacht die Schreibung mit nur einem Konsonanten empfohlen wie in corole oder frisoter. Bei anderen Wortfamilien wird einheitlich Konsonantengemination hergestellt wie bei bonhommie - brudhommie (vgl. hierzu die Beispiele bei Strobel-Köhl 1994, S. 177). Dies ist im Sinne einer Vereinheitlichung gedacht. Es wurden noch weitere Bereiche behandelt, die bei der Wortbildung das Verschmelzen von Morphemen (i.d.R. Wortstamm und Affix) regeln, wie bei contrappel aus contra + appel. Das Prinzip der Wortbildung ist ausgeweitet worden. Weiterführende Informationen zu Vereinfachungsvorschlägen finden sich auf der Seite www.orthographe-recommandee.info/ regles (Stand: 1.3.2017). Anschaulich beschrieben sind die Veränderungen ebenfalls bei Strobel-Köhl (1994). 5.2.5 Die Akteure hinter den sprachpolitischen Aktivitäten Ähnlich wie Meisenburg (2013) in ihrem Beitrag „Geheime Mächte oder (un-)sichtbare Hand? Zu divergenten Entwicklungen in den Orthographien romanischer Sprachen“ bin ich der Frage nachgegangen, welche Instanzen orthografische Gesetzmäßigkeiten bestimmen und über Richtig und Falsch in Hinblick auf die französische Orthografie entscheiden. Im Zusammenhang mit den Kritiken zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung sind den Entscheidungsträgern und Verantwortlichen konspirative und undurchsichtige Vorhaben vorgeworfen worden, was, wie ich in einem späteren Kapitel zeigen werde (Kapitel 9.1.3 und 9.1.4), aus Berichterstattungen in Presse und 56 www.lerobert.com/ dictionnaires/ francais/ langue/ dictionnaire-le-petit-robert-de-la-languefrancaise-abonnement-en-ligne-9782849026021.html, Stand: 2016. 57 www.larousse.fr/ dictionnaires, Stand: 2016. Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 180 anderen Ressourcen wie Publikationen im Internet hervorgeht. Diesem Vorwurf möchte ich die Erkenntnis gegenüberstellen, dass die Medien selbst an der Formierung des öffentlichen Widerstands beteiligt waren. Aus einer von mir angestellten Analyse von Beiträgen in Tages- und Regionalzeitungen aus dem französischsprachigen Raum habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass die Zeitungen in einem größeren Ausmaß als Sprachrohr von Kritikern und reformgegnerischen Lagern genutzt wurden, als es im deutschsprachigen Raum der Fall war. In dem entsprechenden Kapitel (Kapitel 9.2.1) werde ich aufzeigen, dass in den besagten Artikeln die Meinung von Einzelpersonen in Stellvertretung für ganze gesellschaftliche und politische Lager aufgeführt wurde, obwohl es ebenso viele Befürworter zur Reformierung der Rechtschreibung aus Wissenschaft, Schule und Politik gegeben hat, deren Anliegen zum Thema allerdings in den jeweiligen Zeitungen nicht abgebildet worden sind. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass ich, anders als Meisenburg, nicht von einer Eigendynamik von Effekten ausgehe, die die Sprache wie von unsichtbarer Hand verändern, sondern davon, dass ein bewusst organisierter steuernder Eingriff in die Sprache als Motor für punktuelle Entwicklungen verantwortlich ist. Neben dem eingangs erwähnten Gesetzgeber selbst, den Experten aus Wissenschaft, Schule und Politik, die im Conseil de la langue française et de la politique linguistique Empfehlungen zur Anpassung und zum Ausgleich der französischen Rechtschreibung erarbeitet haben, und den Medien als sprachkritischen Akteuren wird noch der Académie française ein hohes Potenzial an sprachpolitischer und sprachlenkender Beeinflussung zugesprochen, wenngleich sie sich in ihrer Arbeit mehr als sprachpflegerische Einrichtung versteht laut Satzung: Ils précisent la mission de l’Académie (XXIV) : « La principale mission de l’Académie sera de travailler avec tout le soin et toute la diligence possibles à donner des règles certaines à notre langue et à la rendre pure, éloquente et capable de traiter les arts et les sciences. » 58 (www.academie-francaise.fr/ linstitution/ statuts-et-reglements, Stand: 1.3.2017) Die Académie française hat, ähnlich wie ich auch für die Normauffassung des Portugiesischen aufzeigen werde, den Begriff „bon usage“ im Gebrauch, den ich mit Norm oder Lehre vom „richtigen Gebrauch“ gleichsetzen möchte und der nach dem Bericht des Conseil Supérieur de la Langue française vom 6. Dezember 1990 nach folgendem Prinzip des reflektierten Umgangs mit einer normorientierten Sprache zu verstehen ist: Le bon usage a été le guide permanent de la réflexion. (Documents administratifs, 6.12.1990, S. 9) 58 Eigene Übersetzung: […] die Sprache rein und eloquent zu machen und sie zu befähigen, die Künste und Wissenschaften zu behandeln. Frankreich 181 Während hinter den Medien und den in der Presse geführten Diskursen nicht nur einzelne Autoren und ihre personalisierte Meinung zu einzelnen Themen abgebildet werden, sondern auch politische Öffentlichkeitsarbeit geleistet wird, die aus einem politisch-medialen Abhängigkeitsverhältnis resultiert, hat es sich die Académie française, bestehend aus einer Versammlung von Sprachgelehrten, Literaten und in ihren Anfängen aus adligen und dem Königshof angehörigen politischen Persönlichkeiten, zur Aufgabe gemacht, die französische Sprache als politisches Mittel zu installieren, indem sie den Begriff von einem „guten“ Französisch und seinen Gebrauch definierte, und dies ausgehend von einem historischen, politischen und kirchlichen Machtzentrum, dem Hof. Braselmann (1999) hat noch weitere Institutionen staatlicher und privater Natur identifiziert, die auf dem Gebiet der Sprachpolitik Wirksamkeit gezeigt haben, wie die 1958 gegründete Défense de la langue française, die sich um die Frage der fremdsprachlichen Beeinflussung auf die französische Sprache bemüht hat, jedoch möchte ich mich auf nur einige ausgewählte, für meine Betrachtung relevante Akteure und Institutionen beschränken. Unter dem Kapitel „Reglementierung des Französischen seit dem 17. Jahrhundert“ beschreibt Johannes Klare in wenigen Sätzen die Besonderheit des Französischen und seiner Sprecher im Umgang mit der Sprache und benennt die einflussnehmenden Akteure. Er schreibt: Die nationale und internationale Geltung der französischen Sprache wird mindestens seit dem 17. Jahrhundert staatlich gelenkt und reglementiert. Die Gründung der Académie française unter Louis XIII und Richelieu war ein Signal: Die Entwicklung der französischen Hoch- und Literatursprache wurde dem Selbstlauf entrissen und festen Regeln und Normen unterworfen […]. Grammatik und Wortschatz erhielten durch die Académie und ihr nahe stehende Autoren ihre verbindlichen Normen. (Klare 2007, S. 55ff.) Die Voraussetzung für eine solche Umgangsweise mit der Sprache beschreibt Coulmas (siehe Coulmas 1985, S. 12) in seinen Studien zur Sprachplanung treffend mit folgenden Worten: Die Sprache stiftet nicht die Einheit für die Nation, sondern es ist umgekehrt die Nation, die eine einheitliche Sprache als Ausdruck ihrer Identität schafft. Hiermit möchte ich andeuten, dass nicht nur allgemein politische Zielsetzungen von Staaten Einfluss auf Sprachpolitik haben, sondern auch gesellschaftliche Kräfte Zentrum des Entwicklungsdiskurses sein können. Auch in Deutschland ist Sprache und im Besonderen die Rechtschreibreform von 1996 zu einer Frage der Nation geworden, und auch in Deutschland hat es eine Institution gegeben, die ein Referenzwerk aufbaute und pflegte, die aber eher halbamtlicher Natur war und dennoch mit gesamtstaatlichem Auf- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 182 trag handelte. Die Politisierung und das Verrücken des Themas auf eine operative Ebene bildet einen kulturellen Einschnitt, der unterschiedliche Entwicklungen befördert hat. Eine der fundamentalen sprachpflegerischen Maßnahmen, die seit der französischen Aufklärung initiiert worden waren, ist, wie bei Johannes Klare (2007, S. 57) beschrieben, durch das Bildungssystem und den Zugang der Franzosen zur französischen Nationalsprache freigemacht worden. Allein die Förderung von Sprache durch z.B. Normvermittlung wie im Schulunterricht praktiziert hier schon einen sprachpflegerischen Akt. Die regelmäßige Instandhaltung und Pflege derselben sind meines Erachtens weitergehende Maßnahmen, die unter dem Begriff der Sprach- und Orthografiepflege gefasst werden müssen; im Falle des Französischen passt eher die Begrifflichkeit der Sprachkonservierung. Entsprechende Bildungsgesetze im 19. Jahrhundert und die Konstituierung von Institutionen, die der Förderung und Verbreitung der französischen Nationalsprache dienlich waren und sind, sind zum Vorbild vieler in Hinblick auf sprachpolitische und sprachpflegerische Maßnahmen geworden. 5.2.6 Welches sind die sprachpflegerischen und sprachpolitischen Ziele, die von den beteiligten Akteuren verfolgt werden? Eine der wesentlichen von mir in den unterschiedlichen Diskursen identifizierten Motivationen, Eingriffe in den Sprachgebrauch sprachpolitischer Art durch Regelungen staatlicher Träger vorzunehmen, liegt in der Befürchtung des Verlustes der nationalen Souveränität, die stark an das nationale Sprachbewusstsein geknüpft ist. Anhand des ausgeprägten französischen Sprachbewusstseins lässt sich anschaulich darstellen, dass Politik und Sprachkultur starke Steuerungselemente sein können und miteinander verwoben sind, und dies nicht erst seit den modernen Globalisierungsentwicklungen. Rund um diesen ideologischen Faktor von Sprachpolitik hat sich ein sprachbewahrendes Netzwerk von Institutionen und Organisationen gebildet. Eine Institution wie die Académie française, die mit der Kodifizierung von Schriftsprache und Normsetzung in Zusammenhang gesetzt wird, hatte ursächlich den Anspruch, für die Vereinheitlichung der französischen Sprache Sorge zu tragen. Mit der Ablösung des Lateinischen durch das Französische in der Verwaltung und bei grenzüberschreitenden Kooperationen soll der Fokus der Académie auf die Bewahrung des Französischen vor fremden Einflüssen sowie Normgebung gerückt sein (www.ambafrance-de.org/ Academie-francaisemehr-als-nur, Stand: 1.3.2017). Geprägt durch sprachnationalistisch-konservative Werte, kam es zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Orthografie-Reformprogrammen und der Abwehr fremdsprachlichen Wortguts im Frankreich 183 Wortschatz (vornehmlich in der Verwaltungssprache). Die genannten Entwicklungen sind allerdings nicht spezifisch französisch; auch im deutschsprachigen Raum gab es Vereine und Verbände, die Ende des 19. Jahrhunderts sprachpuristische Zielsetzungen in sprachpflegerische Akte umsetzten und diese als erklärtes Ziel einer sprachreinigenden Tradition deklarierten wie z.B. durch den Allgemeinen Deutschen Sprachverein (ADSV), der ein neues selbstbewusstes Nationalgefühl widerspiegelte. Man muss hierzu erwähnen, dass Sprachpflege im Französischen sich nicht auf alle Register von Sprache bezogen hat. Die hochsprachliche Form, die französische Nationalsprache, galt es in ihrer Reinheit zu schützen und zu bewahren, Mundarten und Mehrsprachigkeit unterlagen keinen offiziellen sprachpflegerischen Regelungen. Es gilt hier noch einmal festzuhalten, dass die sprachpflegerischen Maßnahmen von nationalen konservativen Werten geprägt waren, die sprachpolitisch in Auseinandersetzung mit dem Umgang zu anderen Sprachen untermauert wurden. Auf der Inhaltsseite lässt sich der Umgang der französischen Sprachpfleger und sprachpolitisch Delegierten anhand der Umsetzung von Reformmaßnahmen bestimmen, auf der Ausdrucksseite führe ich in einem Kapitel über die Reaktionen der französischen Presse gegenüber der deutschen Rechtschreibreform den öffentlichen Diskurs auf (siehe 9.2.2) und die dort verwendete Wortwahl, Lesart und die damit verbundene Kontextkomponente. Um noch einmal im Einzelnen die Eingriffe in die Schriftsprache zu erwähnen, nenne ich im Folgenden kurz die wichtigsten bekannten Reformversuche, die auch in die Empfehlungen der jüngeren Zeit von 1990 eingeflossen sind wie bei der Setzung des Bindestrichs bei Zusammensetzungen. Da ich im Einzelnen auf die Änderungen und ihre Motivation schon eingegangen bin, beschränke ich mich nachfolgend auf den prozeduralen Aspekt und die intendierte Reichweite bei der Betrachtung der Reformversuche. Die wichtigsten Reformversuche gehen zurück auf das Jahr 1880, als sich Reformer (unter ihnen bspw. der Dekan der Philosophischen Fakultät an der Universität Lyon, Léon Clédat) zusammenschlossen mit der Absicht, die Schriftsprache für Unterricht und Schule aufzubereiten, um den Kindern den Zugang zur Schriftsprache zu erleichtern und mit dem Ziel, die Anzahl der Grammatikstunden in der Schule zu straffen. 1893 kamen Vorschläge von Gréard zur Beseitigung von Doppelkonsonanten hinzu und die detailgenauere Abbildung von etymologisch verwandten Wörtern, die allerdings weitgehend unbeachtet blieben. Im Jahr 1901 wurden per Erlass Vorschläge zum Genusgebrauch, zur Anwendung des Bindestrichs bei zusammengesetzten Substantiven und Verben und Vorschläge zur Vereinfachung der Satzlehre ausgearbeitet, wie weiter unten stehend aufgezeigt. Hierzu heißt es, dass zwei Professoren vom hohen Rat für das Unterrichtswesen beauftragt wur- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 184 den, die französische Syntax auf Unregelmäßigkeiten und Ausnahmen zu untersuchen: En décembre 1899, le Conseil supérieur de l’instruction publique fut saisi d’un voeu rédigé par deux professeurs de l’enseignement secondaire, MM. Clairin et Bernès, tendant à nommer une commission chargée de simplifier la syntaxe française. (www.inrp.fr/ edition-electronique/ lodel/ dictionnaire-ferdi nand-buisson/ document.php? id=3311, Stand: 1.3.2017) Einige Beispiele habe ich im Folgenden aufgegriffen, die sich „Sur la simplification de la Syntaxe“ von 1891 bei Clédat (ebd., S. 6f.) finden: - Acceptation du singulier où du pluriel dans les constructions où le sens permet de comprendre (des habits de femme où de femmes, ils ont ôté leur chapeau ou leurs chapeaux), - Acceptation des deux genres pour des mots comme amour, orgue, gens, hymne …, - Acceptation de l’absence de trait d’union dans les mots composés (pomme de terre ou pomme-de-terre), - Quelques tolérances concernant l’accord de l’adjectif (par exemple se faire fort, forte où forts), - Quelques tolérances concernant I’accord du verbe précède de plusieurs sujets où d’un sujet collectif, - Dans le cas d’un participe passé construit avec l’auxiliaire avoir et suivi d’un infinitif où d’un autre participe, acceptation de la forme invariable. 59 Die oben genannten Beispiele und die aktuell in den fachlichen Diskursen zur Diskussion stehenden Themen zum Wesen und der Struktur der französischen Sprache bei der Académie française (www.academie-francaise.fr/ lalangue-francaise/ questions-de-langue, Stand: 1.3.2017) zeigen, dass die Normierung des Schriftsprachgebrauchs in Frankreich auch immer eine Frage der Gesetzmäßigkeiten von grammatischen Kategorien war, wie ich in einem vorherigen Kapitel schon angedeutet habe. Die Entwicklung der grammatischen Übereinstimmung zwischen Verb und Subjekt im Französischen stellt hierfür ein gutes Beispiel dar, auf das ich im Folgenden aber nicht weiter Bezug nehmen möchte, da dieser Sachverhalt in anderen Abhandlungen schon ausführlich behandelt worden ist. Während nun die Markierung des Plurals im Französischen morphologisch durch Anfügen eines Suffixes realisiert wird, schlägt sie sich aber nicht in der Aussprache nieder. Orthografische Aspekte kommen hierbei erst zum Tragen, wenn sich in der grafischen Realisierung Varianten zeigen wie bei einigen aus dem Deutschen entlehnten Wörtern im Französischen (bspw. leitmotiv - leitmotif, siehe hierzu eine Studie von Herling/ Sälzer 2011, S. 52) oder aus anderen Sprachen entlehnten Wörtern wie im Bsp. litchi 59 Den Vorschlägen wird bis heute noch häufig in der Literatur eine Absicht feministischer Sprachpolitik unterstellt, wie an Aufzählungszeichen 2 gut abzulesen. Frankreich 185 oder letchi oder lychee (siehe hier den Eintrag im Wörterbuch Larousse, Grappin (Hg.) 1994). Unter der Überschrift „Entlehnungen“ wird in den Rectifications von 1990 in Bezug auf die orthografische Ausdrucksseite der Umgang mit lautlichen Anpassungen von Lehnwörtern an die französische Lautung erklärt: dans les cas où existent plusieurs graphies d’un mot emprunté, on choisira celle qui est la plus proche du français (exemple: des litchis, un enfant ouzbek, un bogie, un canyon, du musli, du kvas, cascher, etc.). (Documents administratifs, Rectifications 1990, S. 18) Insgesamt wird in den Rectifications von 1990 im Umgang mit Entlehnungen, Neologismen und Anomalien geraten, dass Lexikografen im Falle, dass sich Variantenformen einander gegenüberstehen, die Form ohne Zirkumflex, die kontrahierte Form (bei Zusammensetzungen wie portemanteau), die französisierte Form (kidnappeur oder taliatelle statt ital. tagliatelle) und den regulären Plural (neu: des jazzmans statt vormalig: des jazzmen) verwenden sollten. Diese Empfehlungen schlagen sich allesamt auf der Ausdrucksseite nieder und lassen sich unter die orthografischen Empfehlungen subsumieren. Auch manch eine Genuskongruenz zwischen Adjektiv und Substantiv im Französischen findet nur Ausdruck auf der grafischen Seite, aber nicht auf der lautlichen. Die Markierung der Kongruenz von Numerus und Genus am finiten Verb auf grafischer wie auf lautlicher Ebene fällt in den Bereich der Grammatik und wird damit auch dem Regelungsbereich der Orthografie zugänglich gemacht. In Bezug auf die Personen- und Numerus-Kongruenz von Verb und zugehörigem Subjekt eines Satzes wurden ebenfalls Vorschläge für die Vereinfachung der Modellierung der Kongruenzen eingereicht. 60 Diese betrafen bspw. Unklarheiten über das grammatische Genus bei kollektiven Nomen wie bei un peu de connaissances suffit ou suffisent. Hier wurde überlegt, ob das Verb im Plural oder Singular erforderlich ist. Die meisten Vorschläge zur Regulierung von Kongruenzen im Französischen beziehen sich nicht auf alle Kongruenzphänomene, sondern sind an bestimmte Wortarten gebunden wie bei der Konstruktion, wenn das Verb von dem Pronomen un de ceux (une de celles) qui gefolgt wird. Hierin bestand die Finesse darin, zu entscheiden, ob das Verb des eingeleiteten Relativsatzes im Plural stehen muss oder im Singular. Auch wenn das Verb von mehreren Subjekten im Singular gefolgt wird, die mit Konjunktionen wie ni, comme, avec, ainsi verbunden sind, muss das Verb trotzdem im Plural stehen. Dies sind Überlegungen, die zur Vereinfachung und Vereinheitlichung schon in früher Zeit angestellt, aber auch in der Literatur nicht immer als tatsächliche Reformversuche in Sachen Grammatik und Orthografie verarbeitet und aufgenommen wurden. Aktuelle Kongruenz-Dis- 60 Siehe Règlement relatif à la simplification de l’enseignement de la syntaxe française vom 10.12.1901, www.ge.ch/ legislation/ rsg/ f/ rsg_c1_10p09.html (Stand: 1.3.2017). Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 186 kussionen spezifizieren wieder Ausnahmeschreibungen wie bei Farbadjektiven, die grundsätzlich in Numerus und Genus mit dem Bezugssubjekt übereinstimmen, wobei aber bestimmte Farbadjektive nicht numerusmarkiert werden und daher invariabel sind, wie sich am Farbadjektiv marron in des chaussures marron zeigt. Die oben genannten Punkte, die einen Überblick über die im Jahr 1901 vorgenommenen Empfehlungen zu Syntax und Grammatik (zur Beseitigung unregelmäßiger Plural, irreguläre Verben) 61 geben sollten, wurden durch die Académie Française gebilligt und per Erlass in den Schulen eingeführt. Ich wollte anhand der vorhergehenden Empfehlungen aufzeigen, dass Grammatik wie auch Orthografie (wenngleich diese systemlinguistisch einen Teilbereich der Grammatik darstellt) Teil der in Frankreich über Jahre vorgenommenen Reformen gewesen ist. In Bezug auf die Darstellungsweise bei den schon im Jahr 1901 vorgelegten Vorschlägen handelte es sich nach Calvet (1996) hierbei aber mehr um ein Verzeichnis, bestehend aus Toleranzen hinsichtlich der Syntax, die den Entscheidungsspielraum erweitern sollten. Jedoch scheinen sich diese nicht in der Breite durchgesetzt zu haben: On voit que ces tolérances étaient très moderées, mais quiconque a fréquenté I’école française sait qu’elles n’ont été que très peu appliquées. (ebd., S. 71) Dies liegt nach Lüdi (Hg.) (1994, S. 284) an dem Grad der Selbstidentifizierung einer Sprachgemeinschaft mit der Standardvarietät und der Bewertung von Normen, die sich daran bemisst, wie aktiv sie verwendet werden. Bemühungen um die Aufarbeitung der eigenen Sprache und entsprechende Empfehlungen haben in Frankreich eine lange Tradition und sind auf allen Ebenen des Sprachsystems vorgenommen worden. Die von staatlichen oder mandatierten Institutionen erlassenen Vorschläge hatten sprachpolitisch zum Ziel, Erleichterungen in Unterricht und Schule zu bringen und damit im weitesten Sinne auch Sprach-Erziehungsarbeit zu leisten. Es lassen sich also nicht immer, wie oftmals in der Literatur behauptet, sprachpuristische Ziele oder der Zweck unterstellen, die Internationalisierung der französischen Sprache voranzutreiben. Ein an dieser Stelle erwähnenswerter Unterschied zwischen den Institutionen „Rat für deutsche Rechtschreibung“ und „Académie française“ ist der Wirkungskreis und der Grad der Beeinflussung des Sprachsystems. Das aktuell 61 Hierzu gibt es einen aufschlussreichen Artikel der historischen Tageszeitung West Gippsland Gazette als Online-Ressouce vom 16.5.1905 „The new French“ http: / / trove.nla.gov.au/ ndp/ imageservice/ nla.news-page6626269/ print (Stand: 1.3.2017) über die Änderungen selbst und die Widrigkeiten der Durchsetzung durch den französischen Minister und den Widerstand der Akademie. Frankreich 187 gültige Regelwerk regelt die Beziehung zwischen Schreibung und Lautung sowie Schreibung und Bedeutung. Orthografie als Lehre von dem richtigen Gebrauch der Schriftzeichen in der schriftlichen Darstellung der gesprochenen Rede, ist geschieden von der eigentlichen Grammatik, die das Verständnis und den richtigen Gebrauch der grammatischen Formen in der gesprochenen Sprache lehrt, heißt es bei Karl Ferdinand Becker (1836, S. 5), wenngleich Orthografie in die Grammatik eingreift und diese als Grundlage voraussetzt. Die Académie française nimmt sich auch Themen an, die unmissverständlich in den Bereich der Grammatik fallen wie aktuell die Diskussion um die Geschlechterfrage bei Berufsbezeichnungen, Funktionen und Titeln (siehe hierzu www. academie-francaise.fr/ actualites/ la-feminisation-des-noms-de-metiers-fonc tions-grades-ou-titres-mise-au-point-de-lacademie, Stand: 1.3.2017). Auch am Beispiel der Regulierung der Verwendung des Numerus des Demonstrativpronomens mit der 3. Person Singular oder der 3. Person Plural der Form von être in Konstruktionen wie in: Le singulier est obligatoire dans certains cas: - quand le verbe est suivi de nous, vous: C’est vous tous qui avez décidé où - dans l’indication de l’heure, d’une somme d’argent, etc., lorsque l’attribut de forme plurielle est pensé comme un tout, comme une quantité globale: C’est onze heures qui sonnent; (www.academie-francaise.fr/ questions-de-langue, Stand: 12.10.2017) zeigt sich, dass die Académie française Vorgaben und Empfehlungen im Bereich der Grammatik ausspricht. Die Kultusministerkonferenz für die Regelung der gemeindeutschen Rechtschreibung sieht sich für den Regelbereich der Grammatik innerhalb der aktuellen Aufgaben Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache nicht zuständig. Mit der Rechtschreibreform von 1990 hat der Oberste Rat für Sprache in Frankreich Veränderungsvorschläge auf den Plan gebracht, die in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Räten für Sprache von Quebec und der Sprachgemeinschaft Belgien entstanden sind. Der amtierende Premierminister erklärte zu dem vorgelegten Bericht, dass es keine Aufgabe der Politik sei, kraft eines Gesetzes den Sprachbenutzern die Anwendung von Vorschlägen in Bezug auf den Gebrauch der Sprache vorzuschreiben: Il n’a jamais été question pour le gouvernement de légiferer en cette màtiere: la langue appartient à ses usagers […]. (Calvet 1996, S. 73) Hier äußert sich auch schon der wesentliche Unterschied zwischen französischen Reformbestrebungen und denen im bundesdeutschen Raum. Die im französischen Raum vorgenommenen Änderungen im Bereich Orthografie sind nicht Gegenstand eines Behördenentscheids; der Gebrauch allein be- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 188 stimmt über Erfolg und Misserfolg. Ähnlich empfindliche Reaktionen hat die Debatte um die französische Rechtschreibreform in der Schweiz verursacht, die im Jahr 1990 zu einem Disput auf dem politischen Parkett zwischen der Delegation des „Conseil supérieur de la langue française“ und den Erziehungsdirektoren über die Konsequenzen der Reformvorschläge und das allgemeine Vorgehen bei Reformvorhaben geführt hat. Im Jahr 1991 war man übereingekommen, dass bei zukünftigen Vorhaben die Schweiz in die Beratungen mit einbezogen wird. In der Implementierungsphase von sprachplanerischen Maßnahmen kommt es oftmals zu Verordnungen und Gesetzen, die die Verbreitung fördern und eine Weiterentwicklung anregen. Das im Jahre 1994 ins Leben gerufene Loi Toubon ist ein Beispiel für staatliches Eingreifen zum Zwecke des Schutzes des Nationalbewusstsein des Sprachverwenders vor fremdsprachlichen übergreifenden Einflüssen, wie es für Anglizismen im französischen Wortschatz beobachtet worden war. In der Phase um 1991 allerdings wurde die Umsetzung sprachpolitischer Entscheidungen nicht vornehmlich auf der Ebene der staatlichen Institutionen erwirkt und durch eine in Frankreich in Tradition zur Sprachpflege stehende sprachrelevante Institution wie die Académie Française übernommen. Ich stelle also ein gespaltenes Verhalten in Bezug auf die Auseinandersetzung der mit der französischen Sprache fest, Zurückhaltung und Liberalität und exzessiv angewandten Nationalismus. Sprachpolitik bedeutet in manchen Fällen, wie ich versucht habe im Vorhergehenden aufzuzeigen, dass Bildung und Kultur ihren Wert mit sozioökonomischen Interessen verbindet, im Falle des Französischen dem Bedürfnis nach einem starken Identitätsbewusstsein nachkommt, das durch Sprachgesetze die Legitimation und positive Identifikation für den Spracherhalt bilden soll. 5.3 Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal Die portugiesische Sprache ist innerhalb der europäischen Sprachgemeinschaft vor ähnliche Herausforderungen wie das Französische gestellt, da sie nach Spanisch mit ca. 200 Mio. Sprechern die zweitgrößte romanische Sprache darstellt. Ich werde nachstehend aufzeigen, dass sprachpolitische Aktivitäten und Entscheidungen in den portugiesischsprachigen Ländern von ähnlichen Vorstellungen geprägt sind wie die in den deutschsprachigen Ländern zu einer gemeinsamen deutschen Rechtschreibung. Der, wie ich meine, entscheidende Unterschied ist allerdings, dass eine institutionelle Sprachpflege keine so lange Tradition hat wie in Frankreich und keine so enge Verflechtung zwischen staatlichen Trägern und gesellschaftlichen Einrichtungen besteht, die sich um die Pflege der Sprache bemühen, wie bei D-A-CH-Staaten. Garber und Wismann (1996, S. 621) erklären dies wie folgt: Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 189 Es gibt in Portugal auch keine „Sprachgesellschaften“, wenngleich auch die Apologetik der Nationalsprache seit dem 16. Jh. ausgeprägt ist. Dies hat trotzdem nicht dazu geführt, dass die vergleichsweise erfolgreichen Vereinheitlichungsbestrebungen, die Orthografien und Aussprache zu harmonisieren, gescheitert sind, sondern hat zu einem neuen transnationalen Sprachbewusstsein in gegenseitiger Anerkennung der Unterschiede geführt. Die Bedeutung des Portugiesischen beschreibt Volker Noll (1999, S. 1) eindrucksvoll in einem Satz, den ich hier anführen möchte: Seine historische Stellung in Verbindung mit den Entdeckungen des 15. und 16. Jhs. führte zur Ausbildung einer Neuen Romania lusitanischer Prägung, die in gewissem Einklang mit der Entwicklung des Spanischen auf dem amerikanischen Kontinent in den letzten 150 Jahren zu maßgeblicher Bedeutung herangewachsen ist. Sprecherzahl, Verbreitung und der daraus folgende Rang als Weltsprache verleihen dem Portugiesischen aber nicht nur statistische Größe, seine Präsenz auf vier Kontinenten setzt gleichermaßen varietätenlinguistische Akzente. Nach Alberto Gil (1997) waren die anfänglichen Motivationen von Sprach- und Sprachenpolitik von Portugal und auch Spanien sprachimperialistischer Natur und dienten der Ausweitung und dem Aufbau transnationaler Territorien und der Verbreitung der Kultur sowie Religion. Ein im Jahr 1921 erlassenes Dekret (Nr. 77) steht für eine rigide Sprachpolitik in den kolonisierten Gebieten in Hinsicht auf die Verwendung des Portugiesischen für Missionszwecke, im Unterrichtswesen und im öffentlichen Gebrauch. Erst in den 1960er Jahren wurde mit dem Gesetz Lei Orgânica do Ultramar die Bedeutung der Regionalsprachen in den Kolonien mit der neuen Linie in der Sprachpolitik gestärkt und eine Verwendung zumindest für den Grundschulunterricht zulässig. Das Portugiesische etablierte sich nach Endruschat/ Schmidt-Radefeldt (2008, S. 16) als erste Nationalsprache in Europa. Erste Darstellungsweisen schriftsprachlicher Norm schlugen sich in Form von Kommentaren und Grammatiken zu antiken Autoren nieder (nach Noll 1999, S. 119) bspw. die Ortografia von Duarte Nunes de Le-o von 1576, aus der hervorgeht, dass schon zu dieser Zeit Unterschiede im Lautbestand bestanden (Spirantisierung intervokalischer Lenisplosive / b/ , / d/ und / g/ im EP, diesen Lautwandel hat das BP nicht mitgemacht), die schriftlich festgehalten wurden. Dieter Woll bestätigt hierzu, dass es nur wenig einschlägige Lehrwerke und Aufarbeitungen orthografischer Vorschriften gibt. Zudem enthalten diese „Orthografie-Traktate“ vom 16.-18. Jahrhundert über die Darstellung von Rechtschreibregeln auch Hinweise zur Aussprache und grammatischen Morphologie (Woll 1994, S. 390). Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 190 Den Hauptunterschied zu Sprachen wie z.B. dem Französischen sieht Alberto Gil (1997) in Bezug auf den normativen Charakter hauptsächlich in dem Gebrauch der Standardsprache in Richtung „Buen uso“ 62 begründet, weniger in dem Einwirken von politischen und kulturspezifischen Aspekten, die den Normierungsprozess institutionell beeinflussten. In der Tradition der französischen Grammatiker wie Grevisse folgt der Bon Usage der Leitlinie, sowohl den schulgrammatischen Ansprüchen an Regeln zu folgen wie auch den allgemeinen Sprachgebrauch abzubilden. Als der allgemeine Sprachgebrauch ist im Französischen aber nicht der Gebrauch der Sprache in der Bevölkerung zu verstehen, sondern das am Hof gesprochene und geschriebene Französisch, das maßstabs- und normgebend ist. Der Buen uso für das Portugiesische setzt, wie bei Georges Lüdi (Hg.) (1994, S. 285) beschrieben, ebenfalls einen Maßstab für eine soziale Einstufung, da mit dem Gebrauch desselben ein höheres soziales Prestige assoziiert wird und der Buen uso oder franz. Bon usage als ursprüngliche Sprachvarietät zum Standard erwachsen ist. Hierbei diente nach Roelcke (Hg.) (2003, S. 509) die südliche, aus Lissabon stammende Variante als Orientierung für eine auszubauende Norm, da hier das politische und geistige Machtzentrum angesiedelt war. Nach Dieter Woll (1994) hat sich in Portugal in der letzten Phase der Rückeroberung die Standardsprache in alle Lebensbereiche ausgebreitet, wohingegen dialektale Differenzierungen ausgeglichen wurden und Isoglossen zusammengefallen waren (ebd., S. 384), was für das Festlandportugiesische zu einer anderen Definition von Buen uso führte, da sich schon früh ein Standard auch für den schriftsprachlichen Gebrauch herausgebildet hat. Die Orientierung oder Neuausrichtung des Buen uso am nicht-standardsprachlich brasilianischen Portugiesisch (BP) im Zuge der Reformbestrebungen zeigt deutlich eine Annäherung des BP an eine Prestigevarietät und eine allmähliche Aufhebung der Distanz zwischen Standard und Dialekt. Diese Form des Standardisierungsprozesses ist nach Georges Lüdi ein anderer als der, den man nach dem Verhältnis des „Bundesdeutschen“ dem „Schweizer-Deutschen“ zuschreibt, da er dies als Fremdbestimmung der einen Sprache durch eine andere beschreibt, die den „bundesdeutschen“ Standardisierungsprozesse auf das Schweizer-Deutsch übertragen hat ohne Beachtung regionaler Feinheiten (Lüdi (Hg.) 1994, S. 284). Das Portugiesische ist in Sachen Neuregelung der Rechtschreibung daher interessant für meine Betrachtung, da die vereinheitlicht Schriftsprache, initiiert durch das Orthografie-Abkommen von 1990, benannt im „Acordo Ortográfico da Língua 62 „Buen uso“ abgeleitet von franz. „bon usage“ steht in einer alten Tradition sprachpolitischer und sprachkritischer Institutionen in Frankreich, die versucht haben, sich einen Begriff von einer ordnungsgemäßen Verwendung von Sprache machen. Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 191 Portuguesa de 1990“, ein Mittel der Sprachstandardisierung zu einer Art Assimilierung oder Angleichung der über die Zeit entstandenen Unterschiede geworden ist. 5.3.1 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem Anspruch, die Rechtschreibung aller lusophonen Länder zu vereinheitlichen und zu harmonisieren, ableiten lassen Verschiedene Anläufe zur Vereinheitlichung der Rechtschreibung sind unternommen worden, die ersten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, angefangen in den 1920er und 1940er und in einer weiteren Periode in den 1970er und 1990er Jahren. Dies lässt vermuten, dass die gegenseitigen Bemühungen nie abgerissen sind, wenngleich eine gesamtportugiesische Perspektive zu diesen Zeitpunkten noch nicht ausgebildet worden war. Ich werde in meinen Ausführungen zum hiesigen Kapitel auf die für das aktuellste Orthografieabkommen aus dem Jahr 1990 relevanten Reformanstrengungen eingehen und die Schwierigkeiten aufzeigen, die mit dem Zustandekommen einhergingen. Eine Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte in den politischen Diskursen zu einem gemeinsamen Abkommen konnte erst in den 1970er Jahren erzielt werden, da zuvor die aufgestellte Norm von Seiten Brasiliens nicht als gemeinsames Vorhaben in Anerkennung der bestehenden Unterschiede aufgefasst wurde und daher ausgesetzt oder schlichtweg nicht umgesetzt wurde (siehe hierzu Ausführungen bei Noll 1999, S. 215). Die Reform zur Vereinfachung (angelehnt an oder modelliert nach Erkenntnissen, die man im Italienischen und Spanischen gewonnen hat) von 1911 nach Gonçalves Viana ist in der Literatur als besonders einschneidend klassifiziert worden (Gouws et al. (Hg.) 1989, S. 67), schon weil sie nicht die Lage der Rechtschreibung in Brasilien in Bezug auf z.B. die Wiedergabe artikulatorisch phonetischer Besonderheiten beim Vokalinventar berücksichtigte. Es ist hier der Besonderheit halber hinzuzufügen, dass es sich, wie bei Barme (2001) beschrieben, um zwei Varietäten einer Sprache handelt; die normierte Schreibung orientiert sich in diesem Fall in Anwendung des phonetischen Prinzips an den sprachlichen Gegebenheiten der gesprochenen Sprache, die als normgerecht klassifiziert wird, die wiederum für die andere nationale Varietät zur Soll-Norm wird und, wenn normabweichend, eine Anpassung der Gebrauchsnorm an die Standardnorm provozieren sollte. Ähnlich beschreibt auch Ingrid Schwamborn (2004) die Auseinanderentwicklung und den Anspruch Portugals auf die Ausgestaltung eines gesamt-portugiesischen Sprachareals, in dem dem brasilianischen Portugiesisch die Stellung einer eigenen kodifizierten Standardsprache nicht zugesprochen werden sollte. Als Ausdruck mangelnder Anerkennung der sozial-kulturellen Identifikation und Eigenständigkeit des Brasilianischen Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 192 sind die Orthografie-Vereinbarungen von 1943/ 1945 von brasilianischer Seite nicht genehmigt worden: Várias tentativas de aproximaç-o v-o sendo feitas de um e outro lado do Atlântico até que, em 1943, os Governos de Portugal e do Brasil assinaram a Convenç-o «para a Unidade, Ilustraç-o e Defesa do Idioma Comum» e, em 1945, um Acordo Ortográfico que n-o chegou a ser aprovado pelo poder político brasileiro. (Estrela/ Soares/ Leit-o 2011, S. 22) Interessant ist hierbei zu bemerken, dass das erste einsprachige Wörterbuch für das Portugiesische im Jahr 1813 von einem Brasilianer, Antonio de Morais Silva (1789), verfasst worden ist. Brasilien hat sich in Sachen linguistisches Korrektiv und Systematisierung durch Grammatiken und Wörterbücher selbst zu einem normativen Zentrum mit eigener Kodifizierungspraxis entwickelt. Die Bedeutung von Brasilien ergibt sich zum einen aus der im Verhältnis zu den portugiesischsprachigen Nationen großen Sprecherzahl und zum anderen durch die starke Anbindung an das Geber- und Mutterland Portugal, die nach Noll (1999, S. 20) durch das Erstarken der Wirtschaft in jüngerer Zeit zu einer nicht insignifikanten Ausstrahlungskraft für die Sprache gelangt ist. Mit der politischen Unabhängigkeit Brasiliens im 19. Jahrhundert geht das Erwachsen einer literarischen romantischen Strömung einher, die nach Azevedo do Campo (2001, S. 7) die brasilianische Sprache als eine neue Geburt darstellt, weil „[…] die alte, die portugiesische Sprache aus Europa gestorben war“. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass Portugal im Zuge der vorherigen Kolonialisierung und der Verselbstständigung entgegenwirkend keine mir bekannten oder nennenswerten sprachpolitischen Anstrengungen in Richtung auf eine gemeinsame Entwicklung einer für alle Sprecher geltenden Standardsprache unternommen hat. Schon früh wird die brasilianische Varietät auch von literarischen Größen in Brasilien (bspw. de Andrade) als eigenständige Nationalsprache beschrieben, wobei es auch Vertreter seitens brasilianischer Sprachwissenschaftler gibt, die das portugiesische Brasilianisch als Varietät mit syntaktischen und lexikalischen Besonderheiten bezeichnen. Die aktuelle, sich auf die Orthografie beziehende sprachpolitische Situation in Portugal ist geprägt durch die politische Abspaltung Brasiliens von der Kolonialmacht Portugals und deren Gleichstellung im Jahr 1815. Es handelte sich nicht nur um eine politische Lösung, sondern auch um eine künstlerische und sprachkulturelle, die in die Literatur eingezogen ist: Erste Schritte in Richtung einer Emanzipation des brasilianischen Portugiesisch als Schriftsprache vom Europäischen erfolgten im Bereich der fiktionalen Literatur. […] Gonçalves Dias, dem Initiator der Romantik in Brasilien, […] betätigte er sich de facto weniger im Sinne einer forcierten Loslösung vom europäischen Standard, als vielmehr im Sinne einer Befreiung von grammatischen Vorschriften […]. Zum Teil berief er sich dabei zur Verteidigung vor al- Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 193 lem syntaktischer Freiheiten auf das Vorbild älterer portugiesischer Klassiker, von deren Sprachgebrauch die Portugiesen seiner Zeit sich entfernt hätten. (Woll 1994, S. 392) Der Beschluss, eine Reform der Orthografie vorzunehmen, war geprägt durch die Vereinheitlichungsbestrebungen der Kommunikation und Rechtschreibung von acht Nationen, in denen Portugiesisch Amtssprache ist. Hierzu gehören Portugal, Brasilien, Mosambik, die Republik Kap Verde, Angola, Guinea-Bissau, S-o Tomé e Príncipe und Timor Leste. Die wohl größten Unterschiede in Aussprache und Grammatik bestehen zwischen dem Festland- Portugiesisch (EP) und dem in Brasilien gesprochenen Portugiesisch (BP), wobei das auf dem afrikanischen Kontinent gesprochene Portugiesisch ebenfalls Unterschiede zu den zwei vorher genannten Varietäten aufzeigt, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte, da dies nicht Gegenstand meiner Arbeit ist. Für das Portugiesische ist meiner Ansicht nach gerade deswegen eine Orthografiereform zum Zwecke der Vereinheitlichung notwendig geworden, weil das europäische Portugiesisch und das brasilianische Portugiesisch auf phonetischer und lexikalischer Ebene mehr und mehr divergierten, so dass im schlimmsten Fall von einer Auseinander-Entwicklung, wie sie bei der Differenzierung des Niederländischen vom Deutschen im ausgehenden 16. Jahrhundert eingetreten ist, ausgegangen werden musste. Coulmas (1985, S. 20) beschreibt ausführlich, wie die Eigenständigkeit der Niederlande erst durch die Niederlegung eines eigenen schriftsprachlichen Standards manifestiert wurde und eine eigene Identität zugesprochen bekam. Die Motive für eine Vereinheitlichung aller portugiesisch-sprachigen Nationen in jüngerer Zeit waren unterschiedlicher Art; für die jüngsten Entwicklungen wird eine vereinfachte Verständigung, losgelöst von der jeweils landesspezifischen Aussprache, zugrunde gelegt. Die Motivation von Seiten Portugals beschreibt Noll (1999, S. 107), wie schon weiter oben erwähnt, folgendermaßen: In Portugal fürchtete man nach dem Verlust Brasiliens nunmehr das Auseinanderbrechen der gemeinsamen Sprache, als deren Hüter man sich zum Teil noch heute versteht. Mit Vehemenz wandte man sich gegen eine Verselbständigung des BP in der Literatur […]. Der beständigste Ausdruck der gegensätzlichen Auffassungen hat sich in der Frage der Orthographie bis in die Gegenwart erhalten. Hierbei ist meiner Ansicht nach zu berücksichtigen, dass das Portugiesische nicht seit jeher phonetisch basiert war, sondern im ausgehenden vorletzten Jahrhundert eine Art pseudoetymologische Zeit durchmachte, in denen Formen griechischen und lateinischen Ursprungs den Wortschatz anreicherten und die Schreibweise sich dann nach dem Herkunftsprinzip entsprechend der Gebersprache richtete. Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 194 Weitere Erschwernisse in Bezug auf eine Vereinheitlichung und Angleichung ergaben sich im Bereich der Lexik zwischen BP und EP. Nach Noll (1999, S. 70) gab es in Bezug auf die Darstellung einzelne Fachwortschätze für bestimmte Wissenschaftsbereiche. Unterschiedliche Ausgaben von Wörterbüchern bezogen die jeweils differierende Varietät nicht mit ein, so dass Unterschiede im Bereich der Lexik nicht direkt gegenüberstellbar waren. Auch dies mag ein Grund für Vereinheitlichungsbestrebungen gewesen sein, die vornehmlich im Bereich der Lexik willkommen waren, um einen Ausgleich im Wortschatz mit einheitlicher Terminologie zu erzeugen. Insgesamt möchte ich feststellen, dass sprachpolitisch gesehen das sich über die Jahre immer wieder ändernde Kräfteverhältnis zwischen den Nationen bestimmte, welches Land sich das Vorrecht einräumte, Normen zu setzen und zu kontrollieren. Schlussendlich sollte mit der „novo acordo ortográfico“ von 1990 eine Art Gleichberechtigung der orthografischen Ansprüche erreicht werden. Ich möchte in einem kurzen Exkurs auf die in der Charta verzeichneten Artikel eingehen, welche die wesentlichen Desiderata widerspiegeln und das Herzstück der „novo acordo ortográfico“ (www.cplp.org/ Files/ Filer/ cplp/ Acordos/ maisAcordos/ AcordoOrtogrLinguaPortug.pdf, Stand: 12.10.2017) bilden: Artigo 2. Os Estados signatários tomar-o, através das instituições e órg-os competentes, as providencias necessárias com vista à elaboraç-o, até I de Janeiro de 1993, de um vocabulário ortográfico comum da língua portuguesa, tao completo quanto desejável e t-o normalizador quanto possível, no que se refere às terminologias científicas e técnicas. Meiner Meinung nach spiegelt Artikel 2 die Absicht und den Ruf nach einer Vereinheitlichung der portugiesisch sprechenden Nationen am besten wider, da der Zugriff auf einen gemeinsamen Wortschatz und die darin niedergelegten Regeln (ähnlich wie das deutsche Regelwerk mit Wörterliste) zur Aussprache und anderen für die Schriftsprache relevanten Informationen eine lexikalische und orthografische Quelle bildet. Hierfür ist ein einziges, für alle Nationen, die an der Vereinbarung mitgewirkt haben, verbindliches Regelwerk entstanden. Ich habe in diesem Kapitel noch einmal zusammengetragen, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen das Orthografieabkommen zustande gekommen ist und auf welche Weise man den Ausgleich graphischer und lautlicher Unterschiede vornehmlich zwischen dem EP und BP, insgesamt aber zwischen den lusophonen Staaten, in denen Portugiesisch die Amtssprache war, herstellen wollte. Der entscheidende Faktor zur Überwindung eines gemeinsamen Vorhabens war die Anerkennung, dass das normative und kulturelle Zentrum von Sprachpflege nicht mehr allein in Portugal lag (damit meine ich auch die Produktion von Wörterbüchern und Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 195 Lehrbüchern für die portugiesische Sprache) und sich ein von Portugal losgelöstes sprachbewusstes Brasilien mit einem eigenen Standard entwickelt hat. 5.3.2 Sprachpolitische Aktivitäten, die sich aus dem sprachpolitischen Anspruch ableiten lassen, eine für alle lusophonen Länder verbindliche Norm der Rechtschreibung zu schaffen Nicht nur in jüngerer Zeit war der Ruf nach einer Vereinheitlichung der Rechtschreibung aller portugiesisch-sprachiger Länder laut geworden, sondern mit der Neuregelung der verschiedenen portugiesischsprachigen Länder wurde trotz weitreichender Unterschiede, z.B. lexikografischer Art, die Herstellung von sprachlichen Gemeinsamkeiten als politisch opportun angesehen und führte somit zu sprachplanerischen Maßnahmen zur Fixierung gemeinsamer Regelungen. Noll (1999, S. 26) bemerkt in diesem Zusammenhang, dass aufgrund einer bisher fehlenden Norm in Brasilien Unsicherheiten in der Schriftsprache produziert werden, die im Zuge der Alphabetisierung Brasiliens und des aufstrebenden wirtschaftlichen Gewichts dem Schriftsprachgebrauch eine einheitliche Linie und Richtung verleihen könnte. Die Kodifizierung und für alle Länder verbindliche Handhabung im Umgang mit einer gemeinsamen Sprache ist in diesem Fall wieder Ausdruck politischer Zielvorgaben und politischen Handlungsbedarfs. Insgesamt werden im Portugiesischen drei Phasen der Normbildung ausgemacht (nach Vázquez Cuesta/ Luz 1971), zu denen die Aussprachenorm betreffend die oben erwähnten zählt und die, die die Rechtschreibung selbst betraf. Anfang des 19. Jahrhunderts ist man nach Estrela/ Soares/ Leit-o (2011, S. 20) zur rein phonologischen Schreibung (ortografia sónica) zurückgekehrt: O período das reformas ortográficas, em que pract grafias como as exemplificadas nos textos de Eça e Pessoa, i -se em 1911 e procura o regresso à escrita fonética […]. Der für mich wesentliche Streitpunkt in dem Artikel ist, dass die lautliche Realisierung auf Kosten von Inhalt und Form angepasst worden sein soll, was zu einem Zusammenfall von Bedeutungen durch phonologische Anpassungen wie in den folgenden Beispielen geführt haben soll: dicç-o e diç-o; facto e fato, sector e setor; ceptro e cetro, concepç-o e conceç-o, corrupto e corruto, recepç-o e receç-o. (ebd., S. 89) Insgesamt lassen sich in den verschiedenen Diskursen fachlicher und politischer Art unterschiedliche Monita an dem Orthografieabkommen ablesen, von denen ich, wie hier aufgeführt, nur einige aufgenommen habe. Die Monita von portugiesischer Seite rührten aus einer für Portugal vergleichsweise Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 196 langen Tradition der Entwicklung einer portugiesischen Standardsprache her und führten, wie ich versucht habe aufzuzeigen, zu unterschiedlichen Phasen, in denen die Schreibung noch unsystematisch war. Diesem Problem versuchte man durch die Anwendung sprachtypologisch verschiedener Prinzipien beizukommen. 5.3.3 Die Akteure hinter den sprachpolitischen Aktivitäten und ihre sprachpflegerischen und sprachpolitischen Motive Auch in Portugal gab es wissenschaftlich-kulturelle Institutionen wie die Academia Orthográfica Portugueza, die schon im frühen 19. Jahrhundert sprachpflegerische und sprachfördernde Maßnahmen ergriffen und weitreichende Aktivitäten in Bezug auf die Festlegung sprachlicher und didaktischer Standards unternommen hat. Die Academia war seinerzeit eines der innovativsten Institute in Bezug auf die Vermittlung von beispielsweise Grammatik- und Rechtschreibregeln unter Zuhilfenahme von geeigneten modernen Lehrmethoden. Im Zusammenhang mit der Auffassung verschiedener Grammatiker wie z.B. Jo-o Pinheiro da Cunha Freire, der Anfang des 19. Jhs. wirkte, wie bei Kemmler (2007, S. 294ff.) erwähnt, wird das Problem der koexistenten Anwendung der etymologischen im Gegenzug zur phonetischen Schreibung 63 aufgegriffen, da in Portugal schon früh verschiedene schriftsprachliche Prinzipien miteinander konkurrierten und ebenso früh versucht wurde, im Sinne einer konsequenteren und systematischeren Nutzung und Kohärenz sprachregelnd durch Anpassung oder Erhaltung der Prinzipien in die Standardsetzung einzulenken. 64 Bei den Vorüberlegungen zu einem gemeinsamen Reformvorhaben hat man in Brasilien die etymologisch basierte Schreibung des EP nicht ohne Vorbehalt adaptieren wollen (siehe Noll 1999, S. 213), was sowohl eine politische wie auch eine sprachwissenschaftliche Erwägung gewesen sein kann. Bei den zugrunde gelegten Prinzipien gab es laut Kemmler (2007) Vorbilder, an denen man sich orientierte, indem sich eine Tendenz zur Reproduktion der klassischen lateinischen Grammatiken und die Verwendung der typischen grammatischen Kategorien herausbildete, die schließlich weiterentwickelt wurde. Die wichtigsten Begriffe in der Beschreibung sprachpflegerischer und sprachregulierender Maßnahmen sind zurückblickend auf meine historischen Betrachtungen „Kontinuität und Innovation“. Das brasilianische 63 Noll (1999, S. 213) hierzu: „In beiden Ländern stellt man zunächst Überlegungen zu einer phonetisch orientierten Orthographie an.“ 64 Siehe Kemmler (2007, S. 419ff.) zum Verständnis unterschiedlicher Schreibprinzipien, der Erhaltung dieser Grundsätze in der Verschriftlichung. Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 197 Gegenstück zur portugiesischen Academia Orthográfica Portugueza ist die im Jahr 1896 gegründete Academia Brasileira de Letras. Woll beschreibt ihre Leistung wie folgt: Die sprachpflegerische Tätigkeit der Akademie beschränkt sich wie die der portugiesischen im Wesentlichen auf die Federführung in den Rechtschreibreformen, die im Jahr 1907 in Angriff genommen wurden. […] Die mit einigen Modifikationen seit 1943 gültige eigene brasilianische Orthografie kann im Prinzip insofern eher denn die portugiesische standardisierend auf die Aussprache einwirken, als hier die unter 5.3 genannten verstummten, aber als diakritische Zeichen genutzten Konsonanten nicht geschrieben werden […]. (Woll 1994, S. 394) Die Academia Brasileira de Letras besteht aus Literaturgelehrten und bekennt auf ihrer Homepage (www.academia.org.br, Stand: 1.3.2017), sich in ihrem Aufbau und ihrer Arbeitsweise an der Académie française orientiert zu haben. Das erklärte Ziel der Akademie ist die Pflege und der Aufbau der brasilianischen Literatur und Sprache, wie auf der Homepage der Akademie angepriesen wird: Desde a fundaç-o da Academia Brasileira de Letras, a instituiç-o atribuiu-se como tarefa essencial o cultivo da língua e da literatura nacional. Ihre Mitglieder sind 40 an der Zahl und bestehen aus brasilianischen und portugiesischen Vertretern sowie fremdsprachigen Korrespondenten aus Frankreich, Italien, Spanien, den USA, Deutschland, Polen, England und diversen Staaten aus Südamerika. Die Akademie hat im Nachgang zu der länderübergreifenden Vereinbarung der lusophonen Länder weitere Änderungen zu verschiedenen Teilbereichen wie der Verwendung des Bindestrichs bei Zusammensetzungen vorgeschlagen, die zwar nur minimale Änderungen markieren, aber unter den lusophonen Ländern zur Entscheidung diskutiert werden sollten, wie aus einem Artikel vom 21.12.2012 im portugiesischen Online-Journal Jornali hervorgeht. Die jüngste Aktivität der Akademie findet sich in einer Art Korrektur-Applikation für Tablets und Smartphones, die mit bislang über 380.000 Einträgen dem Anwender orthografische Vorschläge für Wortschatz und Beschreibungen zur Grammatik in Anlehnung an die für die gemeinsame Orthografie erarbeiteten Abkommen anbietet. Die vorangegangenen Ausführungen sollten einen Einblick über die aktuelle Bedeutung und Initiativen institutionalisierter Sprachpflege im lusophonen Sprachraum geben und zugleich aufzeigen, dass deren Tätigkeit und Wirken nicht nur in Anlehnung an andere für die Sprachpflege des jeweiligen Landes bedeutsame und vorbildhafte Einrichtungen wie die Académie française entstanden ist, sondern aus dem Bedürfnis der Markierung einer sprachlichen Unabhängigkeit und kulturellen Eigenständigkeit erwachsen ist. Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 198 5.3.4 Die sprachpolitisch spezifischen Hintergründe der Rechtschreibreform der lusophonen Länder Um noch einmal auf die Unterschiede in der Anwendung und Umsetzung der Rechtschreibreform und die damit verbundenen sprachpflegerischen Maßnahmen einzugehen, muss ein direkter Vergleich zu anderen Sprachgemeinschaften gezogen werden und der Blick auf die Verflechtung von politischen Entscheidungen und beteiligten Akteuren gerichtet werden, der im Folgenden Aufschluss über Herangehensweisen und den Reifegrad in Bezug auf den methodisch und wissenschaftlich basierten Umgang mit der Änderung von Schreibkonvention und ihrer Weiterentwicklung geben soll. Ein Unterschied im Vergleich zwischen Portugal und Frankreich, der sich in der historischen Normdefinition niederschlägt, ist in Bezug auf Sprache und Identität zu finden. Das liegt meines Erachtens begründet in der Entwicklung einer Institution, die die gesprochene und geschriebene Sprache ausgerichtet hat, wie es in Frankreich der Fall gewesen ist. Die praktizierte Sprachregelung ist dort von politischen Ansprüchen nicht zu trennen und instrumentalisiert worden in Form von Einheitlichkeitsbestrebungen, um die Staatlichkeit zu etablieren, zumindest intern. In Bezug auf die Expansionspolitik lassen sich ganz ähnliche Motive unterstellen, nämlich die der Etablierung der eigenen Sprache in den Kolonien. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Thematik, Änderungen an der Orthografie vorzunehmen, in Portugal eine längere Tradition aufweist als in Brasilien. Die in Brasilien verwendete ortografia mixta, die eine andere als die im Jahr 1911 in Portugal erarbeitete und verabschiedete darstellte, wurde in den Jahren nach 1930 wieder auf dem politischen Parkett zur Disposition gestellt, so dass die beiden jeweils in Brasilien und Portugal sprachpflegerisch tätigen Akademien beauftragt wurden, ausgestattet mit einem politischen Mandat, eine Annäherung der auseinandergewachsenen Schreibweise und damit einhergehend den Ausgleich zwischen den Orthografien vorzunehmen. Die eingeschlagene Richtung führte jedoch zu keinem gemeinsamen Nährboden, denn man sah für Brasilien vor, eine Übernahme der portugiesischen Orthografiereform von 1911 mit unerheblichen Berücksichtigungen brasilianischer Eigenheiten anzustreben. Die Annäherung an ein gemeinsames Reformvorhaben in den Folgejahren wurde durch die Presse und brasilianische Grammatikgelehrte torpediert (Holtus/ Metzeltin/ Schmitt (Hg.) 1994, S. 495f.), so dass die Bemühungen der beiden Akademien bis in die 1970er Jahre ins Stocken geraten sind. Ein weiterer entscheidender Faktor mit politischem Hintergrund sind die schon angesprochenen Gründe für eine Vereinheitlichung der beiden Orthografien. Die gängige Literatur begreift die Motive für die moderne Rechtschreibreform im Portugiesischen nicht zum Zwecke der Vereinheitlichungen Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 199 der regional unterschiedlichen Ausprägungen in Lexik und Aussprache, die sich über Kontinente verstreut ausgebildet haben, auch haben sie nicht zum Ausgleich der artikulatorischen Unterschiede zwischen z.B. dem BP und dem EP, wie es auf dem europäischen Kontinent gesprochen wird, geführt. Meines Erachtens geht es darum, dass die verschriftlichte Sprache eine homogenisierte Stellung mit überregionalem Geltungsbereich erhalten soll. Das Portugiesische spaltet sich durch seine nordatlantischen kolonialen Verbindungen in zwei Linien, wobei die eine „brasilianisch“ geprägt und von dem alten „Mutterland“, das den Anspruch erhebt, Träger der Sprachkultur zu sein, abgekoppelt ist. Eine gemeinsame Rechtschreibung für ca. 200 Mio. Sprecher, verteilt auf vier Kontinente, die alle eine unterschiedliche Orthografie und Aussprache praktizieren und die Existenz eigenständiger Normen über viele Jahre hinweg akzeptierten, ist denkbar schwierig zu gestalten unter der Voraussetzung, dass, wie dem Lehr- und Übungsbuch zur neuen portugiesischen Rechtschreibung von Estrela/ Soares/ Leit-o (2011) zu entnehmen ist, die eine Hälfte der Sprachnation das Thema konservativ betrachtet, während die andere Hälfte avantgardistisch ausgerichtet ist: Em Portugal, o tema da ortografia foi sempre polémico. Mal se fala em mudar acento ou consonante, um hífen que seja, começa meio mundo a protestar, em defesa da conservaç-o, e outro meio a bater-se pela alteraç-o. (ebd., S. 13) Der schwerwiegendste Wandel, der ein Bedürfnis nach einer Rechtschreibreform erweckte, betrifft die Aussprache, deren kleine Veränderungen in der Realisierungsform, über die Jahre addiert, bei weitem nicht mehr der schriftsprachlichen Norm, wie sie in Portugal praktiziert wurde, entsprachen. Man mag meinen, dass „El buen uso“ dann einen mustergültigen Symbolwert erhält, wenn es in eine orthografische Form gebracht wird, die von offizieller Stelle autorisiert wird. Eine systematische Kodifizierung der Orthografie, losgelöst von politischen Ansprüchen, hat es im Portugiesischen aber nicht in dem Umfang gegeben, wie es schon früh in Frankreich praktiziert worden war. Ganz allgemein kann man festhalten, dass die Vermittlung der Rechtschreibung im Portugiesischen im Wesentlichen dem Prinzip des phonetischen Ansatzes folgen sollte. Die geringe Distanz zwischen Graphematik und Phonematik im brasilianischen Portugiesisch, so wird argumentiert, kann in Bezug auf die Anpassungen vorbildlich für die Ausgestaltung der Neuregelung gewesen sein. Forscher wie Charles A. Ferguson, die sich eingehend mit der Disziplin „language planning/ engineering“ auseinandergesetzt haben, verneinen zwar den Zusammenhang von Sprachbzw. Korpusplanung und Sprachwandel, dennoch können Veränderungen innerhalb des Systems wie „Normenauswahl, Kodifizierung, Ausbau, Implementierung“ (Coulmas 1985, S. 80) auf längere Sicht für einen Wandel der Funktion, Einfluss auf die Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 200 Schreibpraxis, Gebrauch und Status sorgen, da nach Mattheiers Standardisierungsmodell (1993) neue Leitnormen zuerst etabliert werden, dann kodifiziert und zuletzt generalisiert. Ebenso wie intrinsische Einflüsse haben extrinsische Einflüsse auf das System, wie am aktuellen Beispiel der sog. Jugendsprache oder Chatsprache versucht wird aufzuzeigen, in wissenschaftlichen Untersuchungen anhand der Auswertung von Blogs und Chatverläufen ergeben, dass diese ebenfalls Auswirkungen auf den Schriftsprachgebrauch und unsere Rechtschreibung haben. Mit Blick auf die eigene, nach innen gerichtete Wahrnehmung der Portugiesen gegenüber der „novo Arcodo ortografíco“ von 1990 möchte ich im Folgenden einen aktuellen Artikel aus den portugiesischen Printmedien anführen, um nicht nur die gegenwärtige und öffentliche Stimmung und Wahrnehmung einzufangen, sondern auch aufzuzeigen, wie politische und gesellschaftliche Kräfte und ihre Wirkung auf den aktuellen Diskurs und die Veränderungen im Einzelnen verstanden und interpretiert wurden. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass das hier aufgeführte Korpus klein und daher nicht repräsentativ genug ist und nur zur Exemplifizierung des Sachverhalts dient. Ein Beispiel aus der Tageszeitung Publico vom 30.5.2012 (siehe Printmedienquellen), auch erschienen in der noch recht jungen Tageszeitung 24 horas vom 31.5.2012, beschreibt die jüngsten Entwicklungen in Bezug auf das Orthografie-Abkommen von 1990. In dem Artikel mit dem Titel „Vasco Graça Moura: ‘O Acordo Ortográfico tem de ser revisto’“ heißt es, dass Vasco Graca Moura, Präsident des Kulturzentrums „Centro Cultural de Belem“, die panportugiesische Vereinbarung zur Neuregelung der Rechtschreibung als verfassungsrechtlich unwirksam bezeichnet, da sie noch nicht durch alle Staaten ratifiziert worden ist. Die Anwendung einer Software zur besseren und hilfeleistenden Umsetzung der Rechtschreibung hat er für die ihm anvertraute Institution untersagt und die Befolgung der Regeln ausgesetzt, da die abgebildete Verschriftlichung der portugiesischen Sprache nicht einer gemeinsam verwendeten Sprache entspricht, die verbinden soll. Im Einzelnen geht es auch um das Vorhaben eines gemeinsamen Wortschatzes „acertos no vocabulário ortográfico comum até 2014“, der von einem multilateralen wissenschaftlichen Ausschuss erstellt wird und der den englisch sprechenden Sprechern einen leichteren Zugang zum Erlernen der Sprache ermöglichen soll. Auch spanische grammatische Elemente sollen enthalten sein. 65 Diese Entscheidung ist von politischer Seite zum Teil kritisch aufgenommen worden, da das Reformwerk zum einen seit Dekaden ausgehandelt wurde, unter schwierigen Bedingungen zwischen acht Ländern zustande gebracht und auch im Unterrichtswesen fester Bestandteil geworden ist. Zum anderen ist dieser Akt kritisch aufgenom- 65 Nach einem Artikel von Luis Sepúlveda aus dem Magazin Correio da Manh- „Criámos uma gramática nova“ vom 9.3.2012. Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 201 men worden, weil dies einen Alleingang darstelle, der sich beschriebenermaßen mehr der Förderung und dem Schutz der portugiesischen Kultur verpflichtet fühle als den unterstellten ökonomischen und politischen Interessen. Die Gefahr besteht, dass andere Agenturen und Institutionen folgen; auch die Lehrerverbände haben gegen das Reformwerk aufbegehrt. Ähnlich, wie Deutschland im Bund mit der Schweiz und Österreich und anderen deutschsprachigen Nationen das zwischenstaatliche Abkommen geschlossen hat, ist ein transnationaler Orthografie-Bund lusophoner Länder gebildet worden, der bis heute zwar noch keine vollkommene Übereinstimmung und Annäherung hervorgebracht hat, dennoch ist das Orthografie-Abkommen bis heute von allen beteiligten Ländern ratifiziert worden. Einen Blick von außen auf die jüngsten Entwicklungen in Zusammenhang mit der Rechtschreibvereinheitlichung der portugiesischen Sprachteilnehmer wirft die englische Presse in Form des The Telegraph vom 1.3.2010 (siehe Printmedienquellen). Der Artikel mit dem Titel „Spelling reform causes Portuguese headaches“ spiegelt die aktuellen Spannungsfelder wider, nämlich dass die Reform (auch der langen Übergangszeit von sechs Jahren bis zur Implementierung wegen) in Unterricht und Lehranstalt noch nicht so aktiv umgesetzt wurde, wie manche Medien schon umgestellt haben, und dass es in Bezug auf den Wegfall von Konsonanten noch Inkonsequenzen gibt. Zum Zweiten ist die immer wiederkehrende Behauptung, dass die Orthografie zu Gunsten der brasilianischen Variante mit einer stark phonetisch an die brasilianische Lautung ausgerichteten Schreibung angepasst wurde, aufgenommen worden: Our children read newspapers that do not use the same spelling they are taught at school, (Nuno Pacheco, co-director of one daily, the Publico) und under the 1990 accord, spelling in the world’s eight Portuguese-speaking countries moves to the more phonetic form employed by Brazil. Die aus verschiedenen Artikeln hervorgehenden Aspekte, die grundlegend für die mediale Debatte um die lusophone Rechtschreibreform sind, stelle ich weniger auf kulturelle Konflikte ab, die die politischen Akteure austragen, sondern auf wirtschaftliche Interessen, also soziolinguistische Dimensionen wie Größe und ökonomische Durchsetzungskraft von Brasilien gegenüber dem kulturbewahrenden und statuserhaltenden Portugal als Heimatland des Portugiesischen. Den medialen Diskursen ist hierbei nicht immer trennscharf zu entnehmen, welche Anliegen und Auffassungen transportiert werden, also die politischer, allgemeingesellschaftlicher, fachlicher Akteure oder autorenspezifische, also persönliche Interessen. Eine strenge Unterscheidung zwischen den genannten Akteuren ist meiner Ansicht nach sowieso nicht zu leis- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 202 ten, da politische Akteure oftmals auch für gesellschaftliche Akteure sprechen und institutionell in Sachen Engagement mehrgleisig aufgestellt sind. Zugespitzt wird die Reform auch als Expansionsinstrument der brasilianischen Nehmersprache beschrieben, in der Sprachgebrauchsweisen des Portugiesischen als Spender- oder Herkunftssprache schrittweise in das System der Nehmersprache übergegangen sind. Ein Merkmal des brasilianischen Portugiesisch ist in Bezug auf z.B. Entlehnungen, dass diese im brasilianischen Portugiesisch assimiliert werden in Aussprache und Rechtschreibung. Diese entlehnten Wörter können dann auch in die ursprüngliche Gebersprache wandern und in den Wortschatz integriert werden. Fazit des Artikels ist, dass der wohl schwierigste Part an der Rechtschreibreform die Akzeptanz gegenüber einer vermeintlich exzessiven Variantenführung ist, die sich durch die Anreicherung des Wortschatzes durch assimilierte Entlehnungen anhäufen. 5.3.5 Überblick über die einschlägigen Unterschiede zwischen EP und BP Das in 1991 geschlossene Übereinkommen, das erst im Jahr 2009 in Portugal offiziell Gültigkeit erlangte, sollte zu einer Annäherung der Varietäten führen und einen Ausgleich hinsichtlich der Orthografie schaffen, da sich die maßgeblichen Unterschiede nach Noll (1999, S. 86) aus den Divergenzen in der Aussprache ergeben haben (bspw. in der Realisierung stummer Konsonanten wie bei EP óptimo vs. BP ótimo), aber auch in Teilbereichen wie der Groß- und Kleinschreibung (z.B. werden Monatsnamen im EP großgeschrieben, während sie im BP kleingeschrieben werden) und der Setzung des Trennungsstrichs bei Komposita. Auch im lexikalischen Bereich gibt es Unterschiede zwischen den Varietäten, die allerdings vom Ausgleich und von Vereinheitlichungstendenzen nicht so stark betroffen waren. 66 Noll wirft an dieser Stelle ein, dass die bestehenden Unterschiede durch das die Neuregelung erfassende Wörterbuch nicht aufgehoben werden, sondern die Varietäten zusammengeführt und „offizialisiert“ (siehe Noll 1999, S. 86ff.) wurden. Auf diese eben schon kurz angedeuteten Unterschiede, die zum Gegenstand der Diskussion des Ausgleichs geworden sind, möchte ich nachstehend eingehen. Zu den grammatischen Besonderheiten und Unterschieden zählen: - der Gebrauch von Objekt- und Subjektpronomina, die im europäischen Portugiesischen (EP) und brasilianischen Portugiesisch (BP) unterschiedliche Positionen (Voranstellung oder Nachstellung) besetzen bzw. auch ihre Regelmäßigkeit betreffen, denn laut Noll (1999, S. 58) wird im BP das Sub- 66 Siehe hierzu einige Beispiele zu Unterschieden im Erbwortschatz zwischen EP und BP bei Wikipedia http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Brasilianisches_Portugiesisch (Stand: 1.3.2017). Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 203 jektpronomen regelmäßiger in der gesprochenen Sprache gesetzt als im EP und dient der Unterscheidung zwischen der 2. und 3. Person Singular, - reduzierte Flexionsendungen bei Verben (3 im BP statt 6 im EP), - das Verschwinden des Akkusativpronomens und damit einhergehende Variationen bei der Realisierung des Akkusativobjekts (siehe Campo 2001, S. 11ff.), - die Substitution des Anredepronomens tu (EP) und weiterer Anredeformen förmlichen und informellen Charakters durch einfaches você (BP) im Nominativ. Die meisten grammatischen Unterschiede haben eine Veränderung der Wortfolge im Unterschied zu der Ordnung im EP zur Folge. In lexikalischer Hinsicht gibt es einige Begrifflichkeiten aus den Bereichen Wissenschaft, Technik, Verkehr, Nahrungsmittel, Biologie, Topologie und Musik, die aufgrund der unterschiedlichen Einflüsse indigener und afrikanischer Bevölkerungsgruppen auf das BP Lehnwörter und Lexeme fremder Herkunft produzierte (bspw. BP xícara vs. EP chávena (Bed.: Tasse), siehe Campo 2001, S. 20). Diese lexikalischen Differenzierungen haben sich nach Nolls (1999, S. 113) Beschreibungen im 16. Jahrhundert herausgebildet. In phonologischer Hinsicht beziehen sich die Unterschiede größtenteils auf - Realisierungsvarianten des [r] im EP, - die Bewahrung der Aussprache von anlautendem / e/ und vor Palatalen. Nach Noll besteht im Vokalismus ein Unterschied zwischen der Realisierung des Vokals / a/ , der unter dem Hauptton offen artikuliert wird und bei folgendem Nasal im BP geschlossen. Vortonige und nachtonige Vokale wie / e/ , / a/ und / o/ werden im EP geschwächt und reduziert, wohingegen sie im BP erhalten bleiben. Wo im BP eine Tendenz zu Monophtongierung besteht wie bei Wörtern mit Endungen auf -eiro und -eira, löst das EP eine Diphthongierung im Vokalismus aus. Das BP schwächt Konsonanten, wo das EP die Fortisierung derselben fördert. Die Unterschiede in den verschiedenen sprachlichen Bereichen habe ich aufgeführt, um aufzuzeigen, vor welche Schwierigkeiten die Vereinheitlichung der Schriftsysteme gestellt war. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Begriff der Nationalsprache zurückkommen, da dieser mit einer Art Wertegefühl der brasilianischen Kultur einhergeht, da nach Auffassung der Puristen und Konservativen das Portugiesische lange Zeit aufgrund der Geberfunktion als überlegene Sprache und Kultur verstanden wurde (siehe Campo 2001, S. 8ff.), und die Abweichungen zum Festland-Portugiesischen als Einflüsse aus dem Kontakt zu indianischen und afrikanischen Sprachen entstanden sind, von denen manch ein Sprachpurist vielleicht hoffte, diese Abweichungen mit einer Orthogra- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 204 fiereform zu Gunsten des Sprach- und Schreibgebrauchs des EP hinlenken zu können, da diese nicht als normkonform galten. Die Vereinheitlichungsbemühungen gerade hinsichtlich des portugiesischen Brasilianisch wurden auch dadurch erschwert, dass in Bezug auf die innere Sprachsituation im Brasilianischen nicht von einer existenten einheitlichen Sprachnorm zu sprechen ist, sondern von einer Diglossiesituation (Campo 2001, S. 9), der durch eine flächendeckende Schulbildung, in der die Standardsprache gelehrt wird, entgegengewirkt wird. 5.3.6 Der orthografische Ausgleich zwischen EP und BP als Ergebnis des Orthografieabkommens Ich möchte einen kurzen Exkurs über den Zusammenhang von orthografischen Anpassungen und den Spezifika der portugiesischen Sprache wagen, um die sprachpolitischen und sprachregulierenden Motive für die Neuausrichtung in Sachen Orthografie zu beleuchten. Dass ich in meinen Ausführungen nur von einem Ausgleich zwischen EP und BP schreibe, lässt sich mit Hilfe von Wolls Ausführungen in aller Kürze wie folgt erklären: Nur weniges lässt sich sagen, was die fünf lusophonen Staaten in Afrika bzw. vor dessen Küste allesamt betrifft: […] 2.) Ungeachtet kleinerer Abweichungen ist dieses (portugiesisches Kreolisch) in puncto funktionalem System und weitgehend der Norm nach das europäische. (Woll 1994, S. 395) Wie in vielen anderen europäischen Sprachen wie z.B. dem Spanischen stellt sich orthografisches Wissen als Kombination aus phonematischen, aber auch morphosyntaktischen und grammatischen Bezügen dar. Das Besondere am Portugiesischen ist, dass viele Laute, die in der Aussprache normalerweise gleich artikuliert werden, in Abhängigkeit von ihrem grammatischen Status und auch Akzent (z.B. Buchstabe [e] wird wie / i/ artikuliert, wenn unbetont und am Wortende, wenn betont, dann wird Buchstabe [i] verwendet.) unterschiedlich ausgesprochen werden. Studien zum brasilianischen Portugiesisch (Nunes Carraher 1985) mit Pseudowörtern zeigten, dass insbesondere bei älteren im Gegensatz zu jüngeren Sprechern die Aussprache in Abhängigkeit zum grammatischen Status variierte (Nunes/ Bryan/ Bindman 1997). Studien zum Spracherwerb von Portugiesisch sprechenden Kindern haben außerdem gezeigt, dass, gemessen an der Fehlerproduktionen bei der Aussprache, die Kinder sich stark an orthografisch erworbenem Wissen orientieren, was sich an Übergeneralisierungen zeigt, da die Regeln zur Entwicklung der orthografischen Regeln noch nicht in aller Fülle erworben wurden. Die Laut-Buchstaben Zuordnung ist als irregulär zu bezeichnen und die Buchstaben bieten kein getreues Abbild der Laute und rechtfertigen meiner Ansicht nach nicht die Beibehaltung dieses historischen Sprachzustandes, die Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 205 ich als phonetisch wie auch rudimentär etymologisch basierte Kodifizierung bezeichnen würde. Die mit der Rechtschreibreform vorgenommenen Veränderungen wie der Wegfall des Akzents bei bestimmten Diphthongen betreffen zum Teil die Tatsache, dass die lautliche Form eines Wortes nicht mehr in die Rechtschreibsprache, das Geschriebene übertragen wird. Die Variantenführung wie bei „facto und fato - óptimo und ótimo“ betreffen das Verhältnis von geschriebener und gesprochener Sprache direkt und tragen meiner Ansicht nach der aus der Sprachproduktionsforschung oftmals getätigten Aussage Rechnung, dass beim Spracherwerb artikulatorische Aspekte signifikanter zum Tragen kommen als auditive, da die Wahrnehmung der Laute durch die Artikulation, bedingt durch Faktoren wie Akzent und Position, eine andere ist als die durch die rein auditive Realisierung. Die geplanten Änderungen markieren schlussendlich einen Schritt, in dem das Regelsystem für die aktuelle phonetische Wahrnehmung eines Wortes neue Laut-Buchstaben-Bezüge entwickelt. Woran sich die Geister scheiden, ist die Situation, dass dies als Schritt in Richtung auf das brasilianische Portugiesisch gewertet wird, da das Schriftbild dort in engerer Beziehung zur Aussprache steht als im Portugiesischen. Ein weiterer Kritikpunkt an dem Reformwerk ist der Wegfall bestimmter Akzentformen, die bedeutungsunterscheidende Wirkung hatten. Neben dem Ruf nach Vereinfachung und besserem Zugang zu den sprachlichen Strukturen auch für Nicht-Muttersprachler der portugiesischen Sprache ist zwar eine Öffnung des Systems gelungen, die allerdings immer noch nicht dem Begriff „Lauttreue“ gerecht wird, da die Abbildung trotz der graphematischen und lautlichen Struktur weiter auseinanderklafft. Dies war ja auch nicht vornehmlich die Absicht einer Neuregelung der Rechtschreibung im Portugiesischen, ist aber dennoch ein bei der Aufarbeitung der Ereignisse zu berücksichtigender Punkt, da die Rechtschreibreform eine Harmonisierung der phonologischen Aspekte für die brasilianische Seite darstellt. Die Medien, ob die portugiesischen selbst oder andere europäische Berichterstattungen, werfen der Neuregelung vor, dass sie für das Portugiesische eine Anpassung der Aussprache in Richtung portugiesische Aussprache zur Folge hat. 67 In sprachwissenschaftlichen Studien verweist Schwarzinger (2006) darauf, dass Konsonantencluster wie / pt/ in „óptimo“ oftmals als [t] realisiert, also reduziert werden. Dieser Prozess entspricht einem diachronen, schon aus der Entwicklung des Lateinischen zum Portugiesischen bekannten Sprachwandel, dem durch die Anpassung der Schriftsprache an das Gesprochene Rechnung 67 Z.B. in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 29.4.2008 „Bruderkampf um Buchstaben und Akzente“; Tageszeitung Publico vom 30.5.2012 „Vasco Graça Moura: Acordo Ortográfico tem de ser revisto“ - Rui Estrada afirmou também que „o que conta hoje s-o os números“, realçando que „o Brasil é a sexta potência económica do mundo“ e „tem uma populaç-o de 190 milhões de pessoas“, ao passo quem em Portugal „as perspectivas demográficas s-o catastróficas“. Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 206 getragen werden soll. In einem Beitrag über die Morphophonotaktik bei Konsonantengruppen im Portugiesischen prognostiziert Schwarzinger in Zusammenhang mit Konsonantenclustern: Die angegebenen Frequenzen für diese drei Cluster können also nicht wirklich als solche gewertet werden, da unvorhersehbar ist, inwieweit diese im EP reduziert werden. Die Tatsache, dass sie überhaupt auftreten, kann durch die diachronen Daten jedoch nicht erklärt werden, es ist jedoch anzunehmen, dass die Verwendung im EP auch immer weiter zurückgeht. (ebd., S. 35) Der Buchstabe / c/ in Konsonantenclustern wie / ct/ , der ebenfalls Bestandteil der Kürzung des Konsonantensystems geworden ist, ist in ihren Ausführungen nicht einmal Bestandteil des üblichen iberoromanischen Konsonanteninventars. Kritisch zu bewerten sind in Betrachtung verschiedener orthografischer Reformbestrebungen die Abschnitte, die eine Umgestaltung der historischen Schreibungen vorsehen, abzulesen an den Änderungen, die im Bereich der Toponyme wie auch Namenschreibung z.B. bei Namen aus dem Hebräischen geplant sind: Os dígrafos finais de origem hebraica ch, ph e th podem conservar-se em formas onomásticas da tradiç-o bíblica, como Baruch, Loth, Moloch, Ziph, ou ent-o simplificar-se: Baruc, Lot, Moloc, Zif. Sc qualquer um destes dígrafos, em formas do mesmo tipo, é invariavelmente mudo, elimina-se: José, Notare, em vez de Joseph, Nazareth; e se algum deles, por força do uso, permite adaptaç-o, substituí-se, recebendo uma adiç-o vocálica: Judite, em vez de Judith. 68 An verschiedenen Stellen wird deutlich, dass die etymologisch begründeten Schreibweisen zu Gunsten der in die Gemeinsprache übergegangenen Veränderungen aufgegeben werden (wie z.B. in folgender Regel): h inicial suprime-se: a) Quando, apesar da etimologia, a sua supress-o está inteiramente consagrada pelo uso: erva, cm vez de herva; e, portanto, ervaçal, ervanário, trvoso (em contraste com herbáceo, herbanárío, herboso, formas de origem erudita); […]. 69 Die sprachpolitisch motivierte Sprachpflege findet Ausdruck in einer vereinheitlichten Schreibweise, wobei der Anspruch erhoben wird, dass die Schreibweise nicht das „Wesen“ der Sprache stören darf: 68 Acordo Ortogràfico da Ligua Portuguesa (1990). In: Diario da República 23.8.1991; Base I, Do alfabeto e dos nomos próprio estrangeiros e seus derivades (www2.fcsh.unl.pt/ docentes/ aemiliano/ AOLP90/ EMILIANO-AOLP.pdf, Stand: 12.10.2017). 69 Acordo Ortogràfico da Ligua Portuguesa (1990). In: Diario da República 23.8.1991; Base II, Do h inicial e final (www2.fcsh.unl.pt/ docentes/ aemiliano/ AOLP90/ EMILIANO-AOLP.pdf, Stand: 12.10.2017). Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 207 Mas a ortografia n-o interfere com a essência da língua: n-o condiciona a fonologia, nem a morfologia, nem a sintaxe. (Estrela/ Soares/ Leit-o 2011, S. 13) Noll (1999, S. 88) führt weitere Beispiele auf, aus denen ich ablese, dass es Zugeständnisse und Anpassungen in beide Richtungen gegeben hat. Hierzu zählt bspw. der Wegfall des Tremas im BP auf qüe / qüi / güe / güi, der die Aussprache der Konsonantenverbindung vor hellem Vokal kennzeichnete. Im EP entfällt nach dem Abkommen der Bindestrich bei einsilbigen Formen des Verbs haver de (in der Bed. sollen). Auch bei der Trennung von Komposita und der zeilenübergreifenden Bindestrichsetzung ist zu Gunsten der EP reformiert worden. Unterschiede hinsichtlich der Groß- und Kleinschreibung wurden wiederum in Richtung auf die in Brasilien populäre Kleinschreibung hin verändert. Insgesamt befindet Noll darüber, dass viele Einzelfälle unberührt bleiben und man von einer tatsächlichen Vereinheitlichung weit entfernt sei. Für ihn bedeutet die Rechtschreibreform einen Rückschritt, weil sie den Schriftsprachgebrauch weniger adäquat abbildet. Ich schließe mich hier der Ansicht von Estrela/ Soares/ Leit-o (2011) an, nach der in der regelmäßigen Anpassung und Angleichung in Form von Vereinfachung und Modernisierung der Schriftform der Schlüssel liegt, um die Schere zwischen geschriebener und gesprochener Sprache im Portugiesischen nicht schädigend groß werden zu lassen. Schon in der Geschichte der portugiesischen Reformmaßnahmen gab es diverse sprachnormative Unternehmungen wie die Verwendung neuer graphischer Zeichen zur Beschreibung der Artikulationsart (offen vs. geschlossen) im 17. Jahrhundert als Versuch, den „buen uso“ zu kodifizieren. Auch über diese Veränderungen gab es Uneinigkeiten, und dies zeigt wieder einmal, dass im seltensten Fall eine Reform im Bereich der Rechtschreibung barrierefrei und in Übereinstimmung mit den verschiedenen Interessen durchgesetzt werden kann. Problematischer finde ich die Tatsache, dass die besagte Reform in allen vorher genannten portugiesischsprachigen Staaten wegen der differierenden Übergangszeiten zu unterschiedlichen Zeiten Gültigkeit erlangt, so dass ein direkter Vergleich der Umsetzung und Etablierung nicht gezogen werden kann und Entwicklungen zu Präferenzen und Vorzugsschreibungen, wie sie für das Deutsche in jüngster Zeit durch den Rat für deutsche Rechtschreibung in Zusammenarbeit mit den Wörterbuchverlagen vorgenommen werden, nicht untersucht werden können. Die politischen und fachlichen Diskurse sind für das Portugiesische geprägt durch ein gegenseitiges Verständnis und eine Akzeptanz gegenüber den bestehenden Unterschieden, die sich erst in der Neuzeit entwickelt haben. Politisch ist man von alten, aus der Kolonialzeit adaptierten Auffassungen abgewichen, die regionalen Sprachen in den Kolonien zu assimilieren oder sogar per Gesetz und Homogenität herzustellen, und ersetzt sie durch eine die kulturellen und sprachlichen Unterschiede ausgleichende Varietäten anerken- Sprachpflege und Sprachpolitik in anderen Sprachgemeinschaften 208 nende Sprachpolitik, die von den traditionellen Konzepten wie „Leitvarietät“ als Standard und den sich in den Provinzen und ehemaligen Kolonien darunter subsumierenden Substraten abrückt. 5.3.7 Fazit Die Untersuchung zur Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal hat ergeben, dass es keine von Brasilien losgelöste Sprachpolitik in Sachen Orthografie gibt. Dass sich verschiedene kulturelle Zentren für Sprachpflege entwickelt haben, ist aus der Literatur hinreichend bekannt. Neu ist meines Erachtens das Verständnis darüber, dass mit dem Orthografie-Abkommen nicht eine gemeinsame Standardsprache beabsichtigt war, sondern gemeinsame Merkmale geschaffen werden sollten. Die historischen Voraussetzungen haben sich aufgrund der räumlichen Trennung als schwierig erwiesen, da das Interesse einer gegenseitigen Beobachtung der Entwicklungen nicht durchgängig war und sich eine Annäherung langwierig gestaltet hat, wie ich versucht habe, anhand einschlägiger Meilensteine in der Entwicklung zu dem Orthografie-Übereinkommen aufzuzeigen. Ich habe in diesem Kapitel auch aufgezeigt, dass die sprachpolitischen Aktivitäten und Entscheidungen, die zu dem Orthografie-Übereinkommen zwischen den portugiesischsprachigen Ländern geführt haben, von ähnlichen Vorstellungen geprägt sind wie denen, die in den deutschsprachigen Ländern zu einer gemeinsamen deutschen Rechtschreibung herrschen. Der, wie ich meine, entscheidende Unterschied ist allerdings, dass eine institutionelle Sprachpflege keine so lange Tradition hat wie in Deutschland oder bspw. Frankreich. Eine, wie ich meine, wichtige Gemeinsamkeit im Verhältnis zwischen Portugal und Frankreich liegt in einer ähnlichen Auffassung über Sprache und Identität, die im Falle des brasilianischen wie europäischen Portugiesisch zu einer jeweiligen Herausbildung einer eigenen Nationalsprache geführt hat. Der wesentliche Unterscheid zwischen den beiden Ländern liegt in der zentralistischen Ausrichtung von Zentren, die sich in Frankreich und Portugal bzw. Brasilien mit Sprache und deren Normierung beschäftigen. Vor dem Hintergrund der in den folgenden Kapiteln (siehe ab Kapitel 9.3) dargestellten medialen Diskurse ist vor Augen zu führen, dass sich in den sprachpolitischen Aktivitäten und Maßnahmen verschiedene Perspektiven (von Seiten Brasiliens und Portugals) und Interessen widerspiegeln, die auf die medialen Diskurse in Wechselwirkung standen, was sich auch in der Berichterstattung niederschlägt, wie ich aufzeigen werde. Die Hauptausrichtung der politischen Diskurse folgt den Vereinheitlichungsbestrebungen und dem Ausgleich zwischen den beiden Sprachgemeinschaften und dem damit verbundenen Erhalt sozialer und kultureller Eigenheiten, der je nach sach- Sprachpflege und Sprachpolitik in Portugal 209 politischer Bewertungsgrundlage in den politischen wie medialen Diskursen als identitätsstiftender Faktor oder als Identitätsverlust verstanden wird. Vor dem Hintergrund ideologisch, kulturell und weniger politisch unterschiedlicher Motive sind meine Ausführungen zu den medialen Diskursen in den portugiesischsprachigen Ländern zu begreifen. Einleitung 211 6. FACHDISKURSE 6.1 Einleitung Die gängige Wahrnehmung über die Debatte um die Rechtschreibreform ist die, dass sie sich in den Medien, vornehmlich in den Printmedien, abgespielt hat. Es ist nicht zu leugnen, dass die massive Präsenz und Inszenierung der Thematik in den Medien zu einer verminderten Wahrnehmung der Diskurse geführt hat, die auf fachlicher und politischer Ebene stattfanden. Das liegt meines Erachtens auch an der Annahme Einzelner, dass sich die fachlichen und politischen Perspektiven und Interessen bereits in den medialen Diskursen, zwar dort verarbeitet und reflektiert, wiederfinden. Ich führe in den folgenden Kapiteln in den dritten Typus von Diskursen ein, die fachlichen Diskurse. Diese unterscheiden sich im Allgemeinen von den durch die Öffentlichkeit geprägten medialen Diskursen und auch den politischen, wenngleich dies nicht immer trennscharf zu bestimmen ist, da ja gerade Einzelaspekte der fachlichen Diskurse in den Medien diskutiert wurden wie bspw. die Änderungen an den Regeln der GKS in einem Artikel der FAZ (Rechtschreibrat regelt Groß- und Kleinschreibung neu, Artikel vom 4.2.2006). Im folgenden Kapitel stehen nun die Fachdiskurse im Fokus. Mit einem Fachdiskurs sind in meinen Ausführungen nicht die kulturbezogenen, wirtschaftlichen oder politischen Diskussionen um die Rechtschreibreform gemeint, sondern der dispositive Aspekt der Grundlage für die praktische Umsetzung der Reform. Die Beteiligten der Fachdiskurse sind Sachverständige, Sprachwissenschaftler, Didaktiker, die sich schwerpunktmäßig mit Einzelaspekten des Regelwerks und seinem Aufbau beschäftigen und im Austausch mit weiteren sprachrelevanten und orthografienahen Institutionen wie Verbänden stehen. Der in meinen Ausführungen relevante Austausch und Diskurs findet unter den Mitgliedern des Rats für deutsche Rechtschreibung statt, da in diesen Fachdiskursen aktuelle Forschungsarbeiten generiert werden, die dem politischen Auftrag der Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung zugrunde liegen. Daher beziehen sich die meisten meiner ausgewählten Diskurse auf die Forschungsarbeiten im Rahmen des Rats, da die Ergebnisse aus den Diskursen nicht willkürlich oder nur bruchstückhaft von anderen Forschungseinrichtungen genutzt und verarbeitet werden, sondern für alle noch folgenden politischen Initiativen in Hinblick auf die deutsche Rechtschreibung grundlegend sind. Ich zeige im Folgenden aber auch auf, dass in den Medien ebenfalls Fachdiskurse generiert wurden, vornehmlich im Zusammenhang mit Hausorthografien. Dies ist als positiv zu bezeich- Fachdiskurse 212 nender Beleg dafür zu verstehen, dass einige Ergebnisse aus den Fachdiskursen von professionell Schreibenden aufgenommen und verarbeitet worden sind. Zum anderen werden die Ergebnisse nicht immer sachgerecht, sondern interessengeleitet dargestellt, was zu einer fälschlichen Darstellung des allgemeinen Schriftsprachgebrauchs und Widersprüchlichkeiten unter und innerhalb der einzelnen Zeitungen führt. Die Kriterien, nach denen ich die Diskurse untersucht und diskutiert habe, sind ähnlich wie die, die zur Auswahl der politischen und medialen Diskurse geführt haben, nämlich Aktualität und Bedeutsamkeit des orthografischen Sachverhalts für die jeweilige Diskussion. Im Unterschied zu den politischen und medialen Diskursen lassen sich methodisch die in den Fachdiskursen enthaltenen Interessen und Positionen nicht durch bspw. die Entflechtung rhetorischer Konstruktionen und die Aufdeckung implizit formulierter Aussagen filtern, sondern durch eine Charakterisierung der verwendeten Methoden und Praxis bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Sachverhalt. Es wird sich zeigen, dass es in den fachlichen Diskursen nicht um Positionierungen zum Für und Wider einer Reform geht, sondern der theoretische Rahmen zur Beschreibung der deutschen Rechtschreibung die Argumentation bestimmt, also welche Methoden, Vorgehen und Ansätze genutzt werden. Die Diskussion wird ebenso von Fragen bestimmt, die die Qualität des bereits Erreichten sichern soll, und stellt nicht die Grundsätzlichkeit und Notwendigkeit der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in Frage. 6.2 Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen - aus der Perspektive der Fachdiskurse Im Folgenden führe ich aktuelle Fachdiskurse an, die ich vornehmlich aus den Arbeiten der Arbeitsgruppen des Rats für deutsche Rechtschreibung gefiltert habe, da sich anhand der in den Arbeitsgruppen erarbeiteten Berichte und Protokolle die aktuelle Diskussion gemäß des Auftrags der Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Sprache verdichtet nachvollziehen lässt. Der Rat gibt hierbei die bestimmende Kursrichtung an und in ihm vereinen sich Experten und Gelehrte verschiedenster Fachgebiete wie Didaktik, Sprachwissenschaft, Literatur und Politik, die sich der Aufgabe angenommen haben, sowohl den Erwartungen der aktuellen Bildungspolitik und den Interessen der Öffentlichkeit Genüge zu tun als auch die fachwissenschaftlichen und methodischen Voraussetzungen zur Ausgestaltung der Reform und ihrer Implementation zu schaffen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 213 6.2.1 Die Arbeitsplanung des Rats für deutsche Rechtschreibung - „Sprache war und ist nicht starr“ Was sich an fachlicher Argumentation in verkürzter Darstellung in manch einem politischen Diskurs findet, möchte ich im Folgenden anhand ausgewählter fachlicher Diskurse, die die Arbeitsplanung des Rats für deutsche Rechtschreibung geprägt haben, ausbreiten. Hieran lässt sich die Aufgabenwahrnehmung des Rats nachvollziehen, der den Rahmen für die fachlichen Diskurse innerhalb des Rats bildet. Das in der Überschrift genannte Zitat „Sprache war und ist nicht starr“ stammt von Ludwig Spaenle, bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus. Auf der 18. Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung dankte er dem Ratsvorsitzenden Hans Zehetmair und den Ratsmitgliedern für ihre Arbeit. Mit diesem Zitat referiert er meines Erachtens auf die Notwendigkeit einer Fortschreibung der Fassung von Neuregelungsvorschlägen für die Reform der deutschen Rechtschreibung, da „Sprache und Rechtschreibung sich im Laufe der Zeit weiter entwickeln.“, so erklärte Staatsminister Ludwig Spaenle zur Entwicklung des Deutschen (siehe PM KMK, 1.10.2010). Gemäß dieser Einstellung gegenüber der Schriftsprache, die im kontinuierlichen Wandel ist, haben auch die Themen und Arbeitsfelder der einzelnen Arbeitsperioden des Rats für deutsche Rechtschreibung unterschiedliche Entwicklungen angenommen und zu neuen Arbeitsweisen und Aufgabenfeldern geführt, da mit der Auswertung der Beobachtungsarbeit auch die damit verbundenen Erkenntnisse und der weitere Fortgang der Arbeit angepasst wurde. Zur Beleuchtung des Hintergrunds der aktuellen Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung möchte ich noch einmal die kurz-/ mittel- und langfristigen Ziele formulieren und zusammenführen, die sich der Rat als Grundlage für die weitere Arbeitsplanung gesetzt hat. Bevor ich über die Ziele des Rats und Einzelheiten seiner Arbeitsweise aufkläre, möchte ich auf die oftmals thematisierte rechtliche Ein-ordnung der Vorschläge und Empfehlungen des Rats eingehen, da deren Verbindlichkeit und Wirksamkeit oftmals in Frage gestellt wurde, wie bspw. im Rechtsausschuss des Bundestages oder auch in den Medien. Dies ist deshalb der Fall, weil der Rat von Sprach- und Reformkritikern zum einen als außerstaatliches Gremium mit mandatierten Mitgliedern aufgefasst wurde und der alleinige Verweis oder die Bekanntmachung auf ein gültiges Regelwerk durch einen Erlass und Beschluss der Kultusministerkonferenz kritischerweise nicht als rechtsverbindlich erachtet wurde. Die Stellung des Rats und die Verbindlichkeit seiner Empfehlungen lassen sich gut mit anderen Instituten privater Natur vergleichen wie dem Deutschen Institut für Normung e.V., das den Anforderungen der Bundesregie- Fachdiskurse 214 rung an eine gesellschaftspolitische Organisation entspricht, wobei dem Nutzen der Allgemeinheit durch vertragliche Bindung eine gewisse offiziale Legitimation hinsichtlich der Auftragsvergabe zukommt, für die Öffentlichkeit Normen als privater Verein zu erarbeiten. Es handelt sich um eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von privatem Träger und öffentlicher Hand, die allerdings im Falle eines Rechtsstreits keine Immunität oder Vorrechte genießt. Ich begreife die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung in Anlehnung an die Partnerschaft des Deutschen Instituts für Normung (DIN) mit der Bundesregierung, die Aufgabe übertragen bekommen zu haben, das öffentliche Interesse zu wahren. Die Normen entstehen in der Rechtsordnung aus der Aufgabe der Selbstverwaltung der Wirtschaft heraus und dienen dem öffentlichen Interesse, indem sie eine Säule der Exportnation Deutschlands darstellen. Bund und Länder verweisen in Rechtsvorschriften auf das Normenwerk, was die Arbeit der Verwaltungen erleichtert. Da das durch den Rat für deutsche Rechtschreibung betreute Regelwerk verbindlich für Schule und Verwaltung ist und damit im Unterschied zu dem Normenwerk keine rein privatrechtliche Festlegung darstellt, die per Vertrag Anerkennung findet, ist diese Konstellation eine andere, da eine öffentlich-rechtliche Festlegung in Form von Verordnungen und Erlassen für Verwaltung und Schule vorherrscht. Das Regelwerk erhält für andere öffentliche Bereiche wie Print und Medien nach demselben Prinzip Leit- oder Vorbildcharakter wie das deutsche Institut für Normung mit seinem Normenwerk für den Wirtschaftsbereich. Die Arbeitsplanung des Rats gibt Aufschluss darüber, welchen Herausforderungen in Hinblick auf die Entwicklung der deutschen Sprache und Orthografie man sich gegenübergestellt sah. Die Arbeitsplanung des Rats in der ersten Amtsperiode diente meines Erachtens dabei weniger der übertragenen Aufgabe „ständige Beobachtung der Schreibentwicklung“ als der Aufgabe „Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“. Die Beratungsergebnisse aus den ersten Sitzungen legen nahe, dass das Ziel der Arbeitsgruppen oftmals die Erarbeitung von Vorschlägen zu einer stärkeren Anpassung der Regeln an den Schreibgebrauch gewesen ist (Protokoll der 2. Sitzung vom 8.4.2005). 70 Es finden sich dort auch Hinweise auf die Einwirkung des Charakters des Regelwerks, in dem präskriptive Elemente durch deskriptive ergänzt wurden durch beispielsweise die Hinzunahme von „Proben“. In den Sitzungen werden im Zusammenhang mit der inhaltlichen Aufbereitung und Gestaltung des Regelwerks auch Richtlinien zu Formulierungen wie „es besteht eine Tendenz …“ aufgestellt, die griffig sind und keine Abwei- 70 Die Protokolle des Rats für deutsche Rechtschreibung sind nicht öffentlich zugänglich. Mir lagen jedoch einige Protokolle zur Auswertung vor. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 215 chungen in der Interpretation zulassen, die sich zwischen den Wörterbüchern bilden könnten (siehe Protokoll 2. Sitzung, S. 3). Dies fällt vornehmlich in Zusammenhang mit § 34 (2). Zuvor wurde schon in der Februarsitzung der Zwischenstaatlichen Kommission im Jahr 1998 beschlossen, dass Differenzen zwischen den Wörterbüchern von Duden, Bertelsmann und Wahrig beseitigt werden sollten, was ein Gespräch zwischen den Vertretern der Verlage zum Vorlauf hatte. Die zweite Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung am 8.4.2005 behandelte den § 34 „Zusammensetzungen mit Verben“ (Partikeln, Adjektive, Substantive oder Verben können als Verbzusatz mit Verben trennbare Zusammensetzungen bilden. Man schreibt sie nur in den Infinitiven, den Partizipien sowie im Nebensatz bei Endstellung des Verbs zusammen.) und sollte dem Schreibenden laut Protokoll größere Freiräume ermöglichen. In einer späteren Sitzung des Rats wird unter Punkt 1.3 des § 34 (Zusammenschreibung von Zusammensetzungen mit Verbpartikeln, die die Merkmale frei vorkommender Wörter verloren haben) bemängelt, dass der offene Charakter der Wörterlisten zu unterschiedlichen Auslegungen führen könne. Es wird insgesamt bejaht, dass die in den Ergänzungen enthaltenen „Proben“ unverzichtbar und beschreibendes Element sind. Interessant ist, dass sich in Zusammenhang mit § 34 (2) gegen eine Wiedereinführung der Unterscheidungsschreibung bei übertragener und eigentlicher Bedeutung wie bei sitzenbleiben/ sitzen bleiben ausgesprochen wurde. Dies war in der Öffentlichkeit oftmals ein Reizthema wegen der Angst vor Verlust der Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache. § 34 und § 36 sind nach Auswertung der eingegangenen kritischen Hinweise aus der Anhörung im Jahr 1998 zwei Paragrafen, die einen Eingriff in den Regeltext notwendig machten. 71 Die Kunst hierbei war, darauf zu achten, dass keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Wörterbuch entstanden. Die Unterscheidungsschreibung ist zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Tragen gekommen. Die zweite Sitzung hatte als abschließende Bewertung zum Zweck, durch die Vorschläge und die Festlegung der weiteren Arbeitsweise zu einer Versachlichung des Themas beizutragen und dem Rat „Raum für eine von öffentlicher Polemik unbeeinflusste Wahrnehmung seiner eigentlichen Aufgaben zu schaffen“ (laut Protokoll der 2. Sitzung, S. 4). Jedoch wurde hier angemerkt, dass es angesichts der vielen zu behandelnden Punkte durch die Arbeitsgruppe GZS eine große Herausforderung sei, dies zu bewältigen. 71 Die Aufgabe des Kriteriums der Steiger- und Erweiterbarkeit als Entscheidungsmerkmal zur GZS führt hier unweigerlich zu vermehrter Variantenschreibung. Zusammenschreibung ist trotzdem an der Stelle geboten, wo der zweite Bestandteil steigerbar ist wie in gewinnbringend-er oder adjektivische oder adverbiale Bestandteile in Verbindungen mit einem Partizip vorkommen wie bei wohltuend. Fachdiskurse 216 In der vierten Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 3. Juni 2005 wurde die Wirkung des Rats in der Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsarbeit insgesamt zum Thema gemacht. Da keine Richtlinien für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit aufgestellt oder bekannt geworden sind, sollte dies in zumindest einer, der vierten Sitzung thematisiert werden. Hierbei ging es vornehmlich um die Tatsache, dass der Rat nach außen hin transparent und öffentlichkeitsnah wirken wollte, so dass von einem „Geheimrat“, wie er in den Medien oftmals bezeichnet wurde, nicht die Rede sein kann. Auch sind in dieser Sitzung die Modalitäten zur Beschlussfassung zu Änderungen am Regelwerk und die Form, also Darreichung von Änderungsvorschlägen gegenüber denen aus dem Jahr 1996 thematisiert worden. In der Arbeitsgruppe Getrennt- und Zusammenschreibung (AG GZS) werden unterschiedliche Auffassungen zu Ausrichtung und Wesen der amtlichen Regelung und dem Charakter der Wörterbuchlisten hervorgebracht, die auch immer wieder das Kriterium der Einfachheit, Verständlichkeit und Erlernbarkeit der Regel beinhalten. Die Begrifflichkeit der Einfachheit ist vielschichtig und, wie auch im Protokoll der vierten Sitzung angemerkt, davon abhängig, aus welchem Blickwinkel dies betrachtet wird, aus der Sicht des Lehrenden oder Lernenden. Die in der vierten Sitzung vornehmlich behandelten Themen zum Aufbau und Wesen des Regelwerks sowie die Regelungsvarianten zur Getrennt- und Zusammenschreibung in Bezug auf § 34 lassen auf die Dringlichkeit und die Uneinigkeit zu diesem Thema schließen. Die Grundauffassung zu diesem Regelungsbereich orientiert sich hier am Einfachheitskriterium, das sich am Sprachgebrauch einer gut schulgebildeten Person ausrichtet und nicht an der Auffassung gemessen wird, wie leicht und verständlich sich eine Regel vom Lehrer erklären lässt. 72 Es wurden insgesamt zwei Anträge, die eine Änderung im Sinne einer Getrenntschreibung in Verbindungen mit -einander und -wärts hervorgebracht hätten, abgelehnt bzw. erreichten nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit unter den Mitgliedern. Es wurden Anträge zur Aufnahme von Ergänzungen gestellt, die in Zweifelsfällen Getrennt- oder Zusammenschreibung zur Folge hatten. Auf der anderen Seite sind auch Anträge aufgenommen worden, die wiederum die Streichung von Ergänzungen beinhalteten wie in E5 zu § 34 (2.1), die innerhalb des Bereiches der resultativen Prädikate wie bei totschla- 72 Zur Zeit des Wirkens der Zwischenstaatlichen Kommission wurde vornehmlich in Bezug auf § 34 und § 36 das anzuwendende Kriterium der Steiger- und Erweiterbarkeit als Unsicherheitsfaktor deklariert, das nach Auswertung der eingegangenen kritischen und sachlichen Hinweise aus der im Jahr 1998 durchgeführten Anhörung unter Verbänden und Organisationen zu Ergänzungen an diesen Paragrafen führte, was wiederum zu einer potenziell größeren Anzahl von Variantenschreibungen führte. Hinzugekommen ist das Kriterium der Betonung. Vermehrte Variantenführung beurteile ich nicht als Nachteil, da dem Sprachgebrauch in diesem Bereich Freiheit zur Entwicklung eingeräumt wurde. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 217 gen/ tot schlagen zu einer Art Reduzierung auf die Zusammenschreibung geführt hätten, was durch Korpusanalysen als Präferenz im Gebrauch bestätigt wird. Dieser Bereich zieht viele Rechtschreibprobleme nach sich, so dass teils nur getrennt- oder nur zusammengeschrieben wird oder Variantenschreibung erlaubt ist. 73 Insgesamt sind eine Reihe von Änderungsempfehlungen zu dem Regelungsbereich der Getrennt- und Zusammenschreibung in der ersten Amtsperiode erwirkt worden, auch die Bereiche Zeichensetzung und die Groß- und Kleinschreibung werden in den darauffolgenden Sitzungen zum Thema gemacht und großflächig behandelt gemäß den Anträgen der einzelnen Ratsmitglieder und der Festlegung zum weiteren Vorgehen aus den vorherigen Sitzungen. Auf die Einzelheiten der Sitzungen innerhalb der Amtsperiode derselben gehe ich im Folgenden weiter ein. Ein erstes Fazit über die in den Fachdiskursen aufgestellten Schwerpunkte lautet: Die erste Amtsperiode spiegelt meines Erachtens noch nicht die Ergebnisse aus der Phase der Beobachtung wider, sondern gibt vielmehr durch Anpassungen und Verschiebungen von Regeln und Ergänzungen Aufschluss darüber, dass noch an formal-grammatischen Kriterien im Umgang mit den unterschiedlichen Schreibweisen gebastelt und verhandelt worden ist. Es geht anfänglich weniger um die didaktische Aufbereitung des Regelwerks, auch wenn immer wieder der Begriff der Einfachheit die Diskussion bestimmt, sondern um die Eindeutigkeit der Interpretation und die Deutlichkeit der Vorgaben im Regelwerk. Angelehnt an die Kritikpunkte zum Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, die sich im Zusammenhang mit dem Anhörungsverfahren im Jahr 1998 und wieder 2006 ergaben, wurde in der ersten Amtsperiode vornehmlich über Überarbeitungen inhaltlicher und weniger redaktioneller Art abgestimmt. Eine Fixierung und Ausdifferenzierung der amtlichen Norm hat sich meines Erachtens also erst im Laufe der weiteren, reiferen Beratungen und folgenden zweiten Amtsperiode entwickelt. Da mir bedauerlicherweise nicht alle Ergebnisprotokolle aller Sitzungen des Rats für deutsche Rechtschreibung in der ersten Amtsperiode vorliegen, ist die Abbildung der Arbeiten des Rats lückenhaft und unvollständig. Dennoch erlauben die Sitzungsprotokolle, die vorliegen, einen Blick in die Beratungen, die in den vorhergehenden Sitzungen aufgegriffen wurden und die weiterhin beratungswürdig sind. 73 Siehe hierzu Skript von Peter Gallmann „Getrennt oder zusammen: Adjektiv + Verb“: Die Einschränkung auf die Zusammenschreibung von resultativen Prädikativen beruht auf dem Kriterium der Betonung und ist nicht als Ergebnis von Wortbildungsprozessen wie Univerbierung zu verstehen (www.personal.uni-jena.de/ ~x1gape/ Ortho/ V_Getrennt_A_Verb_ Skript.pdf, Stand: 12.10.2017). Fachdiskurse 218 In der 7. Sitzung des Rats am 25. November 2005 wird unter Tagesordnungspunkt 3 (Beschluss über die Vorlage zur „Worttrennung am Zeilenende“ der AG Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende) erwähnt, dass in der vorherigen sechsten Sitzung des Rats über den Änderungsumfang und die Struktur des Regelaufbaus zur Vorlage zur „Worttrennung am Zeilenende“ beraten wurde, was im Einzelnen die Hierarchisierung und Darstellung der allgemeinen Trennregeln nach Stämmen und lautlichen Kriterien und Nichtabtrennung von einzelnen Vokalbuchstaben am Wortanfang betrifft. Diese und andere der Beratung unterzogenen Punkte betreffen auftragsgemäß die Modifizierung des Regelwerks mit dem Ziel einer verbesserten Darstellbarkeit, Regelformulierung und eindeutigen Regelauslegung. Das erinnert an das „Handbuch Rechtschreiben“ von Gallmann/ Sitta (1996a, S. 218), in dem neben den „harten“ Regeln auch „weichere“ Empfehlungen der Kategorie „geschickt“ vs. „ungeschickt“ vorgestellt werden, etwa zur Vermeidung von Fehllesungen: Spargel-der (geschickter: Spar-gelder). Die Silbentrennung hat in der Schweiz übrigens schon früher zu Diskussionen geführt. So legten die Teilnehmer einer Konferenz im Jahr 1963 Wert auf die „Einhaltung des etymologischen Grundsatzes“ bei der Trennung von Fremdwörtern. 74 In der jüngeren Zeit hat dieser Gesichtspunkt in der schweizerischen Diskussion kaum mehr eine Rolle gespielt. Die Folgen der Diskussion um eine die Formulierungen und Auslegung betreffende Aufbereitung des Regelwerks zur alltäglichen Verständlichkeit manifestieren sich laut Bericht über die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung von März 2006 bis Oktober 2010 75 in der Umformulierung der Regelungen zur Worttrennung am Zeilenende (siehe Bericht S. 29, 2.2.1 Ergänzung und Optimierung der Textsorte Amtliches Regelwerk). Auch im Bereich der Zeichensetzung wurde darüber beraten, einzelne Beispiele auszutauschen und Formulierungen im Regeltext abzuändern. Interessant ist in Zusammenhang mit der siebten Sitzung des Rats am 25. November 2005 die Diskussion um die Einrichtung einer AG zur Groß- und Kleinschreibung. Im schon mehrmals erwähnten Bericht über die Arbeit des Rats aus der 1. Amtsperiode geht hervor, dass aufgrund des Erhalts der Stabilität der Gesamtregelung nur kleine Anpassungen in diesem Bereich vorgenommen werden sollten und Überschneidungen zu den Arbeiten im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung bestehen. In dem Protokoll zur siebten Sitzung wird von österreichischer Seite (Richard Schrodt) argumentiert, dass die Änderungen in diesem Bereich minimal seien und eine Behandlung auch ohne eine AG 74 Siehe Protokoll der Schweizerischen Orthografischen Konferenz vom 20.8.1963 (https: / / sok.ch, Stand: Ende 2015). 75 Die Berichte über die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung können über dessen Website (www.rechtschreibrat.com/ der-rat/ mitteilungen, Stand: 1.3.2017) abgerufen werden. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 219 bewältigt werden könne. Dennoch wird unter dem Kapitel „Fachliche Klärung“ in dem Bericht darauf eingegangen, dass gerade die Groß- und Kleinschreibung aufgrund der weitreichenden Änderungen seit der Neuregelung aus 1996 ausführlich behandelt werden sollte. Hier wird im Bericht erwähnt, dass in diesem Kontext die Vertretung der Akademie für Sprache und Dichtung im Rat eine Besprechung zur Groß- und Kleinschreibung initiiert hatte, die auch einen Vorschlag zu einer stärkeren Allgemeinverständlichkeit der Formulierungen im Regeltext unterbreitete und Änderungsbedarf an vier Fallgruppen formulierte. Die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung hat in ihren Anregungen schon in der Zeit, als noch die Zwischenstaatliche Kommission aktiv war, auf die Klärung von Reformregeln in Richtung auf „Regeln statt Wortindividuen“ gedrängt. In dem Bereich der Groß- und Kleinschreibung ließ sich seinerzeit ein leichterer Kompromiss finden als im Jahr 2004, wo die Zwischenstaatliche Kommission und die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung in Bezug auf die Neuformulierung im Teilbereich GZS am § 34 Vorschläge vorlegte, die letztendlich nicht angenommen wurden. Insgesamt befindet man darüber laut Ergebnisprotokoll, dass die Beibehaltung des Konzepts Großschreibung nach formalen Kriterien (syntaktische wie lexikalische Regeln sind maßgeblich) beibehalten wird (beispielhaft wird hier im Ganzen - fürs Ganze aufgeführt), das sich leichter vermitteln lässt als die Konzepte der Rechtschreibung vor 1996 (beispielhaft im ganzen - fürs Ganze), über den Änderungsumfang und dass es dennoch zur Einrichtung einer AG kommen sollte, die sich dieser vier Fallgruppen annehmen sollte und bis Februar 2006 eine Vorlage für einen Beschluss zum Bereich der Groß- und Kleinschreibung erarbeiten sollte. Der Bericht bringt hinsichtlich dieses Teilbereichs aufs Gesamte gesehen zum Ausdruck, dass mit den im Jahr 2006 eingereichten Vorschlägen dem Sprachempfinden der Allgemeinheit entsprochen wurde. Dabei wurden einige im Jahr 1996 vorgenommene Änderungen im Teilbereich Groß- und Kleinschreibung wieder rückgängig gemacht wie in Verbindungen mit feind (z.B. vor 1996 jemandem feind sein, bis 2006 jemandem Feind sein, nach 2006 wieder jemandem feind sein). Später wird die Kultusministerkonferenz am 2.3.2006 zustimmend die Vorschläge des Rats zu den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Worttrennung am Zeilenende, Zeichensetzung sowie Groß- und Kleinschreibung beschließen. Die Korrekturpraxis an den Vorschlägen und Empfehlungen, die sich aus den Ergebnissen der Sitzungen der ersten Amtsperiode ergibt, zeigt, dass aufgrund des geplanten Anhörungsverfahrens, das Ende 2005 initiiert werden sollte, der Rat in Bezug auf seine Überarbeitungsvorschläge zeitlich unter Druck geriet. Für die Anhörung wurden die Teilbereiche Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende vor- Fachdiskurse 220 gelegt. Für den Teilbereich der Groß- und Kleinschreibung mussten ergänzend praktikable und schnelle Vorschläge bis zur ersten Sitzung des Rats im Jahr 2006 erarbeitet werden, die in Form einer Kurzanhörung in demselben Monat den staatlichen Stellen nachgereicht werden sollten. Die Änderungsvorschläge des Rats sollten zu Beginn des Jahres 2006/ 2007 als Grundlage für den Unterricht an Schulen implementiert werden. Insgesamt lässt sich noch einmal festhalten, dass die erste Amtsperiode dadurch geprägt war, eine konsensuelle Regelung für das Regelwerk zu erarbeiten, die mit der Überarbeitung des Regelwerks von 2006 abgeschlossen wurde. Die zweite Amtsperiode war geprägt durch die zwei wesentlichen Aufgaben gemäß Statut, die „ständige Beobachtung der Schreibentwicklung“ und „die Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“. Methodisch konnte sich der Rat der Erfüllung dieser Aufgaben durch die Gründung von Schwerpunkt-Arbeitsgruppen annähern. Aufschluss über die zentralen Aufgaben aus dieser Periode der Amtszeit gibt der im Jahr 2010 veröffentlichte zweite Bericht. Die Arbeit des AG Korpus bestand in der zweiten Amtsperiode vornehmlich darin, Vorlagen für die Ratssitzungen im April 2008 und April 2009 für eine Konzeption für eine langfristige Arbeitsplanung hinsichtlich der Schreibgebrauchsbeobachtung zu erarbeiten, was die Groß- und Kleinschreibung im Bereich der festen Verbindungen (Nominationsstereotypen) anbelangt und die Beobachtung der Präferenz bei Fremdwortvariantenschreibungen anhand von Korpusanalysen. Die Erkenntnisse sollten mit den Untersuchungen aus Testläufen der AG Schulischer Gebrauch verknüpft und in einem Gesamtkonzept eingebracht werden. Die AG Schulischer Gebrauch bediente sich verschiedener Methoden, z.B. anhand von Testläufen, wie sie zu den VERA-Vergleichsarbeiten im Bereich Deutsch mit Hilfe von Korrekturaufgaben vorgenommen wurden, anhand derer sich sogenannte Lupenstellen auswerten lassen. Anhand von Prozentwerten können Lernfortschritte von Schülern sachlich dargestellt werden. Im Besonderen werden auch Untersuchungen in Bezug auf nicht normgerechte Schreibungen vorgenommen wie bei Tageszeitangaben nach dem Muster Montag Abend vs. Montag abend. Auch werden Untersuchungen im Rahmen des Ländervergleichs 2015 angestrebt, um Vorzugsschreibungen und Akzeptanzverhalten zu ermitteln sowie den Grad der Umsetzung der aktuellen Fassung des amtlichen Regelwerks zu erfassen. Hierzu hat Jakob Ossner schon Testreihen entwickelt, die mit Projektmitteln zu realisieren wären. In diesem Zusammenhang wurde auch über die nachträgliche Auswertung der Testreihe zu den sprachlichen Kompetenzen im Ländervergleich 2009 zur Überprüfung des Kompetenzstandes im Bereich Orthografie beraten. Die linguistische Begleitung in der zweiten Amtsperiode in Bezug auf die Schreibgebrauchsbe- Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 221 obachtung wird durch die AG Linguisten geregelt, die Vorschläge zur Weiterentwicklung des Regelteils im amtlichen Regelwerk formuliert. Sie bildet damit das Gegenstück zur AG Korpus, die sich um die Schreibbeobachtung mit Hilfe korpusanalytischer Methoden bemüht und das Wörterverzeichnis bearbeitet. Die AG Korpus und die AG Linguisten haben sich in der 16. Sitzung im April 2010 mittelfristig auf die Weiterentwicklung des amtlichen Regelwerks verständigt, die daraus besteht, Verständlichkeit und verlässliche Interpretierbarkeit durch ein Format von Text zu erzeugen, in dem keine neuen Schreibungen erzeugt werden, aber Änderungen im Usus Scribendi verzeichnet werden. 6.2.2 Aktuelle Erkenntnisse und die Arbeiten des Rats für deutsche Rechtschreibung: Die Arbeitsgruppen In den folgenden Kapiteln möchte ich verstärkt auf die aktuelle Arbeitsplanung des Rats für die Amtsperiode 2011-2016 eingehen, die seit der 2. und 3. Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung im Jahr 2012 zum Teil modifiziert worden ist. Sie gibt Aufschluss über die Anknüpfungspunkte, die aus dem Erreichten aus der ersten Phase gezogen wurden, und zeigen die Entwicklungslinien in der längerfristigen Arbeitsplanung auf. Die Arbeitsgruppen sind hierbei integraler Bestandteil des Rats für deutsche Rechtschreibung geworden und haben sich aus thematischen Arbeitsgruppen wie der AG für „Getrennt- und Zusammenschreibung“ (unter Leitung von Ludwig M. Eichinger) oder der AG für „Zeichensetzung und Worttrennung am Zeilenende“, der damals noch der bekannte Reformkritiker Theodor Ickler und Jakob Ossner (später AG Schulischer Gebrauch) angehörten, herausgebildet. In der zweiten Sitzung des Rats im Jahr 2012 stellten die Arbeitsgruppen ihre Arbeitsplanung für die Amtsperiode 2011 bis 2016 vor und bestimmten damit die gegenwärtige Ausrichtung für den Fortgang der Arbeiten gemäß der Aufträge zur Beobachtung des Sprachgebrauchs und der Weiterentwicklung des Regelwerks. In diesen Sitzungen durften sich die einzelnen Vorsitzenden der Arbeitsgruppen zu Wort melden, um über den aktuellen Stand der Arbeiten in den Arbeitsgruppen zu berichten. Die Geschäftsordnung des Rats sieht vor, dass zu einzelnen Themen Arbeitsgruppen gebildet werden und diese mit Hilfe von Erhebungen zu unterschiedlichen kritikwürdigen Bereichen Schwerpunkte bilden. Anhand der Beobachtungen zu den Untersuchungen konnten Aussagen über die aktuelle Ausrichtung des Sprachgebrauchs, über Unsicherheiten beim Schreibenden hinsichtlich der vorgenommenen Normänderungen und zu Trendentwicklungen getroffen werden. Heute existieren noch drei aktive Arbeitsgruppen, die Arbeitsgruppe Korpus, die Arbeitsgruppe Schulischer Fachdiskurse 222 Gebrauch und die Arbeitsgruppe Linguisten. Eine AG, die sich Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit nannte und sich um eine positive Außenwirkung des Rat gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit bemühte und somit zur Herstellung und Wahrung des Rechtschreibfriedens beitragen sollte, wurde noch vor der zweiten Amtsperiode aufgelöst. ‘Rechtschreibfrieden’ als eines der wenigen von mir auf Wortebene in dieser Arbeit untersuchten und immer wieder aufgegriffenen diskursgebundenen Schlagwörter, das charakteristischerweise in den politischen Diskursen gegenüber der Öffentlichkeit verwendet wurde, ist, wie ich soeben kurz veranschaulicht habe, ein dynamisches Schlagwort, das auch in den fachlichen Diskursen genutzt wurde. 6.2.3 Die Implementierung der Arbeitsgruppen und ihre Entwicklung Im Kontext der zwei langfristigen Aufgaben des Rats für deutsche Rechtschreibung, „ständige Beobachtung der Schreibentwicklung“ und „Erarbeitung und wissenschaftliche Begründung von Vorschlägen zur Anpassung des Regelwerks an den allgemeinen Wandel der Sprache“, richtete der Rat für deutsche Rechtschreibung in seiner ersten Amtsperiode die unterschiedlichen Arbeitsgruppen ein. Insgesamt vier Arbeitsgruppen zu den Schwerpunktthemen: „Beobachtung des Gebrauchs von professionell Schreibenden“, „Beobachtung des schulischen Gebrauchs“, „linguistische Begleitung“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ (die ihre Arbeiten allerdings in der ersten Amtsperiode von 2006 bis 2010 abgeschlossen hat) haben sich herausgebildet. Die nunmehr aufgelöste AG Öffentlichkeitsarbeit hatte zuvor Vorschläge zur Gestaltung des Internetauftritts des Rats erarbeitet und dem Rat mit der Beauftragung einer entsprechenden Designagentur eine Art Corporate Identity verliehen, die Logo und Briefpapier und diverse andere Printdrucke entworfen hatte. Die AG hatte zur Aufgabe, die Arbeit des Rats ins rechte Licht zu rücken, indem aktuelle Pressemeldungen, die einschlägigen Beschlüsse und weitere relevante Dokumente auf der Website veröffentlicht wurden. Angedacht war auch eine Art Chatroom, der aber aufgrund von personellen Engpässen verworfen wurde. Die Arbeit der Vorgängerarbeitsgruppen bildete die Grundlage und war noch nicht so ausdifferenziert. Sie brachten aber wie die Nachfolgerarbeitsgruppen Vorschläge zu inhaltlichen wie auch redaktionellen Änderungen ein, die später wieder aufgegriffen wurden und Schnittstellen zu den anderen Arbeitsgruppen bildeten. Der Rat beschreibt die Arbeit der Arbeitsgruppen für die Berichtsphase März 2006 bis Dezember 2010 folgendermaßen: Die AG Korpus war, wie oben erläutert, mit der Entwicklung eines Konzepts zur Untersuchung des Schreibgebrauchs professionell Schreibender und mit dessen Durchführung betraut, die AG Linguisten mit der Erarbeitung eines Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 223 Vorschlags zur Weiterentwicklung des amtlichen Regelwerks und der Beratung des Rats in Zweifelsfällen. Die AG schulischer Gebrauch hat sich mit organisatorischen und inhaltlichen Fragen zur Testung der Rechtschreibleistung von Schülern beschäftigt und eigenes Testformat entwickelt. 76 Die AG Korpus, so möchte ich an dieser Stelle anmerken, verarbeitete Informationen der Wörterbuchverlage Duden und Wahrig sowie Korpora der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Dies ist wichtig zu erwähnen, da ich an anderer Stelle auf einzelne Analysen der AG Korpus zur Messung der Akzeptanz geltender Rechtschreibregelungen, die Ausbildung von Präferenzen bei Variantenschreibung und Abweichungen von der Normschreibung eingehe. 6.2.4 Die Arbeitsgruppe Korpus Eine dieser eingerichteten Arbeitsgruppen, zu denen Sabine Krome von der Redaktion des Wahrig-Wörterbuchs gehörte und an dem auch das IDS beteiligt ist, ist die AG Korpus. Die AG hat zur Aufgabe, Analysen an verschiedenen Korpora durchzuführen, um die Akzeptanz von Schreibungen (die nicht gleichzusetzen ist mit der Geltung derselben) zu messen und Präferenzen im Schreibgebrauch zu ermitteln. Innerhalb der einzelnen AGs sind immer wieder Schwerpunkte formuliert worden, die die formalen Kriterien, die das amtliche Regelwerk enthält, der Überprüfung anhand von Fallbeispielen unterziehen. Die AG Korpus hat dies im Bereich der Laut-Buchstaben-Zuordnung für Beispiele bei der Variantenschreibung vorgenommen wie in Code/ Kode, um bei den Schreibenden zu überprüfen, ob sich die integrierte gegenüber der fremdsprachigen Schreibung durchgesetzt hat und ob die beschlossenen Änderungen an der Norm aus dem Jahr 2006 und Empfehlungen von 2010 Unsicherheiten gestiftet haben, die sich beim Schreibenden entweder durch eine Abweichung von der Norm oder eine Angleichung derselben niederschlagen wie bei leidtun vs. Leid tun. In Bezug auf die Schreibung von Fremdwörtern zeichnet sich anhand der Doppelschreibung Varieté vs. integriertes Varietee, das seit 1996 in Varianz vorherrscht und bis 1995 nur in der fremdsprachlichen Form zulässig war, in allen verwendeten Korpora (IDS, Wahrig, Duden und ÖAW), wie im Fall von Code/ Kode, eine Präferenz für die fremdsprachliche, nicht-integrierte Variante ab, wenngleich kurz nach der Zulassung der integrierten Variante im Jahr 1996 ein leichter Anstieg zu verzeichnen war (30-40% im Gebrauch). Anhand der Fügung Leid tun, die als Variante leidtun erhielt, da keine Eindeutigkeit hinsichtlich der Entscheidung 76 Rat für deutsche Rechtschreibung: Bericht über die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung von März 2006 bis Oktober 2010, S. 12 (http: / / rechtschreibrat.com/ DOX/ bericht2010.pdf, Stand: 1.3.2017). Fachdiskurse 224 gefällt wurde, ob es sich um einen adjektivischen oder substantivischen Gebrauch handelt, ließe sich im Kontext der Beobachtung der Schreibentwicklung feststellen, welche Verwendung gebräuchlicher ist, ähnlich wie bei der Entscheidung, ob alleinstehend als Univerbierung oder als Wortgruppe zu verstehen ist. Mit derlei Untersuchungen an größeren elektronischen Korpora kommt der Rat seinem Auftrag nach, den aktuellen Schreibgebrauch zu untersuchen. Aber nicht nur hinsichtlich seines Auftrags, sondern auch hinsichtlich seiner Arbeitsweise gab es Veränderungen. Dem Rat ist nach Vorlage des zweiten Berichts in der Zeit von März 2006 bis Oktober 2010 das Mandat im Statut unter Ziffer 1 erweitert worden (ein Zusammenkommen der schulseitigen Minister zu einer Sondersitzung der KMK, um geringfügige Änderungen zu beschließen, schien politisch nicht vertretbar zu sein), so dass er auf Grundlage der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen eigenständig Veränderungen am Wörterverzeichnis vornehmen kann. Dies war zuvor den Wörterbuchverlagen überlassen worden. Dies betrifft nicht den Regelteil des Regelwerks. Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele Untersuchungen der unterschiedlichen AGs des Rats für deutsche Rechtschreibung aufgreifen, die die Akzeptanz der geltenden Rechtschreibregelungen überprüfen sollten. Hierbei handelt sich um Berichte der AG Korpus, der AG schulischer Gebrauch und der AG Linguisten, die in der Sitzung des Rats vom 14.6.2013 behandelt wurden. Ich befinde es für schwierig, im Bereich des „schulischen Gebrauchs“ tatsächlich von Akzeptanz in Bezug auf die verwendeten Schreibungen zu sprechen. Die Rechtschreibreform in der Praxis lässt sich in der Bevölkerung am ehesten durch Umfragen ermitteln, während im Schulalltag eher von einer Art Umsetzungswille bei der Übernahme von verbindlichen Schreibweisen zu sprechen ist. Jedoch gab es auch im Schulbereich Erhebungen an Grundschulen, z.B. in Hessen, um die Zustimmungsrate einzelner Teilbereiche zu ermitteln. Es wurden Bereiche wie die ss/ ß-Schreibung, Stammprinzip, Groß- und Kleinschreibung von Substantivierungen und Trennung von ‘st’ und ‘ck’ getestet. Hierbei wurde ermittelt, dass die geringste Zustimmung (ca. 63%) im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung gegeben wurde, was mit der komplexen Regelanwendung und den noch nicht ausgereiften orthografischen Regelanwendungen im Grundschulalter assoziiert wird. Weitere Fragebögen wurden für Schulen der Sekundarstufe an Gesamtschulen ausgegeben (insg. 494 Lehrkräfte unterschiedlicher Schulformen). Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Neuregelung in verschiedenen Bereichen insgesamt bewährt hat. Ein Maßstab, um eine Bilanz in Bezug auf die Akzeptanz oder Toleranz gegenüber den neuen Regeln zu ziehen, bilden die durch die AGs des Rats für deutsche Rechtschreibung initiierten Untersuchungen, über die ich nachfolgend überblicksartig Auskunft geben möchte. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 225 Die AG Korpus hat die Bereiche GZS, GKS und den Umgang mit Variantenschreibung überprüft. Ergänzend möchte ich an dieser Stelle noch kurz erwähnen, dass Ralf Osterwinter in Zusammenhang mit der Verwendung von Variantenschreibung anhand umfänglicher Untersuchungen zum Gebrauch von Hausorthografien in Pressetexten Varianten als Folge von Unsicherheitszonen verstand, in denen Wortverbindungen nicht eindeutig einem Lexikalisierungsgrad zuzuordnen sind oder hinsichtlich verschiedener Wortverbindungen wie z.B. Adjektiv und Partizip sich Syntagma und Kompositum gegenüberstehen. Nicht für alle Fallgruppen sind syntaktische oder morphologische Kriterien anwendbar, die eine eindeutige Entscheidung zulassen. Im Bereich der GZS wurden Beispiele zur Überprüfung ausgewählt, die eine Umstellung von der alten Rechtschreibung auf die neue von 1996 erfuhren und wiederum nach der aktuellen Reformversion von 2006 gegenüber der Vorgängerversion eine geänderte Schreibweise erfuhren wie schiefgehen (im Sinne von „misslingen“). Diese Verbindungen bestehen aus Adjektiv und Verb (mit übertragener Bedeutung) und werden in § 34 (2.2) im Regelwerk verortet. Hier heißt es: Wenn sich aus einer Verbindung aus Adjektiv und Verb eine neue übertragene Gesamtbedeutung ergibt, die sich nicht aus den Bedeutungen ihrer einzelnen Bestandteile erschließen lässt, gilt nun Zusammenschreibung. In dieses Schema fallen auch Beispiele wie alleinstehen (im Sinne von „ohne Unterstützung“) oder breitmachen (sich) (im Sinne von „viel Platz in Anspruch nehmen“). Der Erhebungszeitraum ist breit gefächert von 1995 bis 2011. Die Analyse wurde durch den Duden-Verlag durchgeführt und zeigt, dass vor der Reform aus dem Jahr 1996 vornehmlich schiefgehen geschrieben wurde (70%), aber auch zu einem Prozentsatz von 30% abweichend zur Regel. Mit Umstellung auf die Regeln von 1996, die Getrenntschreibung vorsah, ist eine leichte Abnahme der Zusammenschreibung zu verzeichnen bis zum Jahr 1999 (von 70% auf ca. 39%). Ab dem Jahr 2000 wird nur noch zu einem Anteil von 4% die Regel von vor 1996 angewandt. Nach der Umstellung im Jahr 2006 zeigt sich ein Anstieg von schiefgehen auf ca. 45% mit einem abgeflachten Anstieg bis 2011 auf rund 60%. Es zeigt sich, dass der erste Umstellungsprozess nach ca. drei Jahren seine Wirkung entfaltet hat und die regelhaft getrennt geschriebene Form schief gehen mit Änderung aus dem Jahr 1996 angenommen und umgesetzt worden ist. Der Rückbau der Schreibweise von 2006 auf schiefgehen nimmt einen fast ebenso langen Prozess ein wie die erste Umstellung von 1996, während die Getrenntschreibung stetig abnimmt. Die Umstellung auf den Gebrauch der Schreibweise in der Version vor der Reform 1996 und die gleichbleibend hohe Akzeptanz derselben, abzulesen an dem hohen Prozentsatz des Gebrauchs, legt nahe, dass die Schreibweise, wie sie vor der Reform praktiziert wurde, schnell aufgenommen wurde. Die Umstel- Fachdiskurse 226 lung und prozentual hohe Anwendung im Jahr 2000 nicht nur in Schule und Behörde (die Korpora sind nicht nur aus den beiden Bereichen bezogen) lässt, anders als oft in der Öffentlichkeit proklamiert, vermuten, dass Medien und Öffentlichkeit die Vorgaben des Regelwerks und Wörterbuchs nicht missachteten und daher nicht von einem Verlust der orthografischen Einheit zu sprechen ist. Im Bereich der Groß- und Kleinschreibung wurden gemäß § 60 (5) bei Eigennamen die Regel […] Adjektive und Partizipien, die Bestandteile von geografischen Namen sind, werden großgeschrieben wie in Blauer Planet oder das Schwarze Meer hinsichtlich ihrer Akzeptanz gegenüber der Kleinschreibung vor der Reform überprüft. Der Untersuchungszeitraum ist derselbe wie beim vorherigen Beispiel von 1995 bis 2011. Hier zeigt sich, dass die zulässige Großschreibung seit Gültigkeit im Jahr 1996 bis ca. 2004 umgesetzt wurde (von 60% auf ca. 90% im Jahr 1998), jedoch nicht kontinuierlich, da von 1998 bis 2004 ein nennenswerter Rückgang bis auf ca. 60% zu verzeichnen ist, der bis 2008 gefolgt wird von einer Zunahme bis auf ca. 80%. Die Ergebnisse zeigen Schwankungen im Gebrauch, die aber eine Tendenz zur Großschreibung abzeichnen. Hieraus lässt sich ableiten, dass insgesamt eine Präferenz zum Stand vor der Reform 1996 zur Kleinschreibung besteht und die Mittelwerte eine weitere Abnahme im Gebrauch der Großschreibung verzeichnen, so dass im Jahr 2011 in nur ca. 23% der Fälle entgegen der Regel großgeschrieben wurde. Das nächste von mir aufgegriffene Beispiel ist meines Erachtens das interessanteste, da sich hier Präferenzen und gewachsene Vorlieben im Schreibgebrauch am anschaulichsten exemplifizieren lassen. Im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung wurden Verbindungen aus Verb und Verb in übertragener Bedeutung, wie sie etwa bei hängen bleiben, stehen lassen möglich ist, hinsichtlich ihrer Akzeptanz oder Umsetzung überprüft. Seit 2006 sieht hier das amtliche Regelwerk in § 34 E7 fakultative Zusammenschreibung vor. Den Anstoß gaben kritische Bemerkungen wie diejenige von Hilke Elsen: Das bedeutet, dass die Grenze zwischen Komposita oder Zusammenrückungen und den Wortgruppen, also die zwischen komplexem Wort und Einzellexem, verwischt wird. (2011, S. 225) Der Einzelfall kennen lernen/ kennenlernen ist hier aufschlussreich (zu den syntaktischen Besonderheiten dieser Verbindung siehe Fuhrhop 2004, S. 94). Von 1996 bis 2006 galt nur Getrenntschreibung als korrekt, seither ist auch Zusammenschreibung wieder zulässig, wobei der Duden (2006) selbst die Zusammenschreibung präferiert (siehe Kapitel 1.6.1, Hausorthografien). Die Korpusuntersuchung erbrachte die folgenden Zahlen: Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 227 - Nach 1996 ist ein starker Anstieg der Getrenntschreibung zu verzeichnen bis auf ca. 93% im Jahr 2005. - Nach Umstellung im Jahr 2006 auf die Variantenschreibung geht die Trendwende eindeutig in Richtung Zusammenschreibung wie vor der Reform 1996 (von 7,6% im Jahr 2005 auf 96,2% im Jahr 2011), so dass die Getrenntschreibung praktisch ungebräuchlich geworden ist. Dieses Ergebnis lässt sich unterschiedlich und keineswegs widerspruchsfrei interpretieren. - Es könnte sein, dass die Sprachgemeinschaft die Zusammenschreibung vorzieht. - Allerdings könnte die hohe Akzeptanz der Getrenntschreibung zwischen 1996 und 2006 darauf hinweisen, dass die Mehrheit der Schreibenden eigentlich mit beiden Schreibweisen gut leben könnte. - Im Gegensatz zu Verbindungen wie stecken bleiben oder fahren lassen gibt es keine Bedeutungsvarianten im Sinne von wörtlichem vs. übertragenem Sinn. - Die Zahlen zeigen den Gebrauch in den Printmedien. Da das Wort zum Kernwortschatz gehört, kann man annehmen, dass es von den in den Verlagen benutzten Korrekturprogrammen systematisch erfasst wird. Die Zahlen spiegeln dann weniger den realen Schreibgebrauch als die Qualität der Korrekturprogramme wider. Siehe dazu auch die Bemerkungen am Ende des vorliegenden Abschnitts. Ein ebenso interessantes Beispiel, von dem sich im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht eindeutig bestimmen lässt, welche Variante nach Einführung der neuen Rechtschreibung im Jahr 1996 die auf Dauer präferierte wird, ist die bei mehrteiligen Konjunktionen nach dem Muster sodass/ so dass gemäß § 39 E3 (2). Hier besteht seit Einführung im Jahr 1996 die Möglichkeit, getrennt oder zusammen zu schreiben. Nach Nerius handelt es sich bei derlei Verbindungen um Univerbierungen, allerdings mit unterschiedlichen Entwicklungsstadien, die Ausdruck finden in Form von Varianz. Anzumerken ist hier, dass nicht alle Doppelschreibungen beliebig der Varianz zuzuschreiben sind; oftmals handelt sich um Grenzfälle zwischen orthografischer und morphologischer Varianz (siehe Osterwinter 2011, S. 143), die von der syntaktischen Konstruktion abhängen, vgl. etwa: staubsaugen → ich staubsauge, aber: Staub saugen → ich sauge Staub; gewährleisten → ich gewährleiste; aber: Gewähr leisten → ich leiste Gewähr. Die Ergebnisse der Untersuchung (nach Wahrig 2002) zur mehrteiligen Konjunktion sodass/ so dass zeigen, dass in der Zeit vor 1998 die Konjunktion überwiegend als so daß verschriftlicht wurde, also entsprechend der damaligen Fachdiskurse 228 Norm getrennt geschrieben. Von 1998 bis 2000 ist eine rapide Zunahme von anfänglichen 34% im Jahr 1998 auf ca. 81% im Jahr 2000 abzulesen. Seit dem Jahr 2000 bis 2011 nimmt die Zusammenschreibung wieder ab auf ca. 63%, allerdings nicht kontinuierlich. Es sind diverse Einbrüche im Jahr 2001 abzulesen, gefolgt von einer leichten Zunahme von 2001 bis 2004 mit anschließender Abnahme. Die Zusammenschreibung bleibt gegenüber der Getrenntschreibung noch immer die gebräuchlichere Variante, jedoch hält sich der Gebrauch der Getrenntschreibung zwischen maximal annähernd 50% im Jahr 2005 und etwas weniger als 30% im Jahr 2011. Hinzufügen lässt sich, dass die Form so daß (mit Eszett) von 100%igem Anteil im Gebrauch im Jahr 1995 auf 0,7% im Jahr 2000 gesunken war, so dass hieran auch die Akzeptanz der neuen s-Schreibung abgelesen werden kann. Die Mehrfachschreibungen in verschiedenen Bereichen kennzeichnen den allgemeinen Trend der Neuregelung zur Liberalisierung von orthografischen Normen, um die Entwicklung im Sinne der Schreibbeobachtung offen zu lassen. Die Variantenschreibung ist in diesem Fall sinnvoll, um die Gebräuchlichkeit einer Schreibung einer Art Freiwilligkeit durch den Anwender zu überlassen, wobei es sich im Fall der mehrteiligen Konjunktion mehr um einen Trend handelt, der weiter beobachtet werden muss. Eine aussagekräftige Entscheidung zu Gunsten der einen oder anderen Variante kann auch nicht allein durch Anwendung eines Kriteriums oder die Einordnung in Verwendungs- oder Gebrauchsweisen gefällt werden. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Groß- und Kleinschreibung bezieht sich auf Schreibungen, wo nach 2006 beide Schreibungen zulässig sind, wie in § 64 E (feste Verbindungen aus Adjektiv und Substantiv) zu finden, z.B. Gelbe Karte, Erste Hilfe oder Kleine Anfrage. Hier haben das IDS und auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) entsprechende Korpusanalysen vorgenommen, wobei beide Institutionen hinsichtlich des untersuchten Items gelbe/ Gelbe Karte zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Der Untersuchungszeitraum lag wieder zwischen 1995 bis 2011. Allgemein ist zu bemerken, dass das IDS einen über den ganzen Zeitraum zu verzeichnenden höheren Anteil an Großschreibung ermittelt hat. Eine abfallende Tendenz ist zwischen 1996 und 2001 abzulesen, die von der regelhaften Kleinschreibung seit 1996 herrührt. Die im Sprachgebrauch eigentlich fest installierte Tendenz zur Großschreibung von Nominationsstereotypen wie bei dem untersuchten Beispiel hat diese zu festen Verbindungen werden lassen. Diese Tendenz wurde durch die Neuregelung ignoriert, was sich in der eher als schleppend zu bezeichnenden Abnahme von immerhin 96% im Gebrauch im Jahr 1995 bis auf 46% im Jahr 2001 niederschlägt. Mit leichten Schwankungen bleibt der Level bis 2006 bei ca. 47% erhalten. Die Korpora, zu denen Nachrichtenagenturen und Zeitungen gehören, geben Aufschluss darüber, dass die seit 1996 regelhafte Klein- Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 229 schreibung keine Akzeptanz gefunden hat, andernfalls wäre der Prozess der Umsetzung schneller und steiler verlaufen. Nach 2006 und der Wiederzulassung der Großschreibung ist ein sprunghafter Anstieg bis zu 79% im Jahr 2009 zu verzeichnen, der von weiteren Schwankungen in den Jahren 2010 und 2011 gefolgt wurde. Die ÖAW 77 kommt zudem zu dem Schluss, dass die Großschreibung zwar gebräuchlicher ist als die Kleinschreibung, aber dennoch mit Überschreiten der 50%-Marke im Jahr 2009 ein Indiz für eine wachsende Beliebtheit im Gebrauch markiert, die eine Trendwende darstellen kann. Die im Schreibgebrauch favorisierte Großschreibung durch die Änderungen am Regelwerk von 2006 trägt zwar dem allgemeinen Trend Rechnung, dennoch zeigt sie auch, dass die dem Anwender nun gegebene Entscheidung zwischen Groß- und Kleinschreibung bei fachsprachlichen Bezeichnungen auch zu einer Umkehr der Praxis und der communis opinio führen kann. Eine Bevormundung zur Kleinschreibung in der Zeit von 1996 bis 2006 jedoch verursachte eine Art passiven Widerstand gegen den Gebrauch, der darin Ausdruck fand, dass die Großschreibung aus den untersuchten Korpora nie ganz verschwunden ist. Die Änderungen aus dem Jahr 2006 haben den semantischen Unterschied zwischen fachsprachlicher Nebenvariante und festen Begriffen mit Adjektiven wiederhergestellt. In einer weiteren Untersuchung zu Nominationsstereotypen in übertragener Bedeutung, die unter § 63 E zugeordnet werden und zu denen Beispiele wie graue Eminenz zu Graue Eminenz und schwarzer Peter zu Schwarzer Peter zählen, zeigt sich, dass sich alte gespeicherte Schreibschemata nicht innerhalb kurzer Zeit und einfach aufbrechen lassen. Die bis 2005 gültige Kleinschreibung von graue Eminenz und erst ab 2006 in Varianz zugelassene Großschreibung konnte sich während des Erhebungszeitraumes (-2012) nicht durchsetzen und blieb unterhalb der Marke von 15% in allen Korpora, während die bis 1995 allein zulässige Großschreibung von Schwarzer Peter und von 1996 bis 2005 allein zulässige Kleinschreibung mit anschließender Varianz ab 2006 die einst normgerechte allein gültige Großschreibung (bis 1995) nie ganz ausräumen konnte, wenngleich ein signifikanter Anstieg der Kleinschreibung zwischen 2000-2005 zu verzeichnen war. Es zeigt sich dennoch, dass die Regeländerungen übernommen worden sind, aber eine Tendenz zur Verwendung der vor 1996 zulässigen Großschreibung besteht. Die 77 Anmerkend möchte ich hier noch einbringen, dass die von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführten Einzelauswertungen der AG Korpus zum Präferenzverhalten und der Vorhersage von Trends und Entwicklungen auf elektronischen Korpora beruhen, die Zeitungen, Zeitschriften und Magazine aus Österreich beinhalten. Die Ergebnisse aus den Einzelauswertungen aus den Korpora des Duden-Verlags sind größtenteils deckungsgleich mit denen der Auswertungen der ÖAW. Fachdiskurse 230 unterschiedlichen Korpora spiegeln hier ganz ähnliche Werte wider. Die Werte für den Zeitraum ab 2010 zeichnen insgesamt ab, dass die vorläufige Beibehaltung der Variantenführung sinnvoll ist, bis sich herausstellt, dass die Kleinschreibung aus dem allgemeinen Sprachgebrauch schwindet. Als letztes Beispiel, das ich im Rahmen der AG Korpus aufführen möchte und das sich an das vorher genannte Beispiel in Bezug auf die Ermittlung der Präferenz anlehnt, möchte ich die Ergebnisse der Untersuchung (Duden 2006) des ebenfalls unter Groß- und Kleinschreibung zu § 64 E (fachsprachliche Begriffe und Verbindungen mit terminologischen Charakter: Sonstige) aufgeführten Erste Hilfe/ erste Hilfe nennen. In dieser Fügung herrschte bis 1995 die Großschreibung, die nach der Reform von 1996 bis 2005 nur die Kleinschreibung zuließ. Mit Änderung von 2006 ist die Großschreibung in Varianz wieder zulässig. Untersucht wurde abermals der Zeitraum von 1995 bis 2011. Aus der Untersuchung sollte sich wieder eine Präferenz zu Gunsten der einen oder anderen Form aus der Variantenschreibung ableiten lassen. Die Ergebnisse legen nahe, dass mit der Regelhaftigkeit der Kleinschreibung ein Abschwung im Gebrauch der Großschreibung zu verzeichnen ist von anfänglichen 77% im Jahr 1995 auf das Tiefstniveau von 52% im Jahr 2004. Zwischen 2004 und 2005 ist ein leichter Anstieg auf 54% zu beobachten, der von 2006 an gefolgt wird von einem starken Anstieg auf das ungefähre Niveau von 1995 auf 80%. Abgesehen von leichten Schwankungen zwischen 3-5% im Gebrauch, reißt der Trend des hohen Ausgangsniveaus für die Großschreibung nicht ab. Trotz der im Jahr 1996 neugefassten Norm zur Kleinschreibung vor 2006 im Bereich fachsprachlicher Fügungen ist die Frequenz des Gebrauchs der Kleinschreibung erste Hilfe kaum steigerbar und liegt gegenüber der Großschreibung oftmals deutlich unter 50%. Die Zulassung der Varianz und der damit einhergehenden Wiederverwendung der Großschreibung trägt dem Trend der Großschreibung im Schreibgebrauch Rechnung und markiert wieder den Unterschied zwischen Fachsprache und Nichtfachsprache, die die Kleinschreibung des Adjektivs inkludiert und den Normalfall darstellt. Die Ergebnisse legen nahe, dass sich Unterschiede hinsichtlich der Akzeptanz in der Anwendung in Abhängigkeit von Beliebtheit und Verankerung des Gebrauchs bei den unterschiedlichen untersuchten Fallgruppen ausmachen lassen. Am Beispiel der Variantenschreibung bei so dass/ sodass zeigt sich deutlich, dass die vor 1996 praktizierte Getrenntschreibung sich auch nach Umstellung des Regelwerks auf beide zulässige Möglichkeiten durchgesetzt hat. Wenngleich die Datenlage noch weiter beobachtet werden müsste, zeichnet sich eine Präferenz für Getrenntschreibung im Gebrauch ab bei gleichzeitiger vollständig abgeschlossener Umsetzung der ss-Regel. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 231 Die für heute gültige Schreibung aus 2004/ 2006 bestätigt den Trend der Getrenntschreibung als im Duden (2006) empfohlene Variante. Hier greift die Verankerung des vorherigen Gebrauchs, der durch die Neuregelung verstetigt wird. Im Bereich der Groß- und Kleinschreibung zeigt sich bezüglich des Gebrauchs fachsprachlicher Verbindungen, wie z.B. bei Gelber Sack oder Gelbe Karte die Großschreibung, obwohl in manchen Fachsprachen die Kleinschreibung präferiert wird (wie im medizinischen Sinne: gelbes Fieber), sowohl im Falle der zulässigen Variantenschreibung wie auch der Wiederzulassung der Großschreibung in Varianz nach 2006. So besteht im Falle von Erste Hilfe ein Trend zur Großschreibung, wobei sich phasenweise Groß- und Kleinschreibung im Anteil des Gebrauchs abwechseln (laut Korpusanalysen des IDS). 78 In Abgrenzung zur wörtlichen Bedeutung (eine gelbe Karte im Unterschied zu der im Sportbereich verwendeten Gelben Karte) lässt sich mit der Großschreibung auf die Besonderheit als Fachterminus hinweisen. Zu diesem Terminus erläutert Ralf Osterwinter (2011, S. 115), dass schon die Zwischenstaatliche Kommission in ihrem dritten Bericht die Großschreibung von Adjektiven in sportfachsprachlichen Begriffen für legitimierbar hält. Der Anteil der Großschreibung im Gebrauch liegt im Allgemeinen hierbei immer etwas höher als der Anteil der Kleinschreibung. Anzumerken ist weiter, dass der Verlauf des Gebrauchs für die Begrifflichkeit „Gelbe Karte“ einen Trend abzeichnet, der den verankerten Gebrauch der Großschreibung zwar erkennbar werden lässt, aber dennoch eine abnehmende Beliebtheit verzeichnet. Allgemein möchte ich behaupten, dass in den Fällen, in denen die Großschreibung schon vor 1996 gebräuchlich war, sich eine Präferenz durch sofortigen Anstieg im Gebrauch ausmachen lässt. Eine offizielle Wiederzulassung durch Variantenschreibung wie im Falle von Erste Hilfe trägt diesem Trend im Schreibgebrauch Rechnung. Die Ergebnisse ermöglichen eine Standortbestimmung des Umsetzungs- und Anpassungsprozesses durch den Vergleich des Gebrauchs im chronologischen Abriss. Am Beispiel der Untersuchung von Nominationsstereotypen wie allgemeine Geschäftsbedingungen die nach § 63 behandelt werden, zeigt sich, dass diese seit jeher in der Grammatikschreibung kleingeschrieben wurden. Nach Analyse des IDS, Duden, Wahrig und ÖAW findet sich im gesamten Untersuchungszeitraum eine Präferenz zur nicht normgerechten Großschreibung in allen Korpora, was auf einen Einfluss behördli- 78 Unterschiedliche Korpusanalysen, durchgeführt durch entweder das IDS oder die ÖAW, zeigen teilweise unterschiedliche Ergebnisse. In Bezug auf die GKS von fachterminologischen Begriffen wie der Gelbe Sack/ gelbe Sack machen deutlich, dass die Korpusanalysen der ÖAW eine größere Beliebtheit der Kleinschreibung implizieren im Gegensatz zu den Ergebnissen, die im IDS gewonnen wurden, wo allgemein ein höherer Anteil der Großschreibung verzeichnet wurde und daher von einer Verankerung der Großschreibung im Gebrauch gesprochen werden kann. Fachdiskurse 232 cher und juristischer Texte zurückzuführen ist, da die Großschreibung auch im Bürgerlichen Gesetzbuch geführt wird. Es spielen soziale Faktoren wie die Vorbildfunktion von Schreibweisen aufgrund ihrer Offizialität in Texten, Bescheiden und anderen Schriftsorten eine Rolle. Die Gründe für das Auseinanderklaffen von Norm und Sprachgebrauch sind somit vielfältig und werden noch eingehender untersucht werden müssen. Denkbar ist, dass auf Seiten des Schreibenden noch Unsicherheiten über die anzuwendende Regel und die Regelauslegung bestehen sowie Unkenntnis über die aktuell gültige Form ausschlaggebend sein kann. Zugleich handelt es sich um Fallgruppen, die sich im Grenzbereich verschiedener Kategorien befinden, wie sie sich bei dem Status des Eigennamens Blauer Planet ergeben. Der Vergleich ermöglicht eine Orientierung über Aussagen zu Weiterentwicklung des Schriftsprachgebrauchs. Die Ergebnisse eignen sich allerdings nicht für die Aufstellung eines Rankings zu orthografischen Leistungen oder Fehlstellungen, die sich aus dem Gebrauch des Regelwerks ableiten ließen. Es eignet sich weiter als Grundlage für Empfehlungen, die den Übergang von orthografischen Anpassungen durch das Regelwerk markieren, und gibt nicht nur Aufschluss über die Momentaufnahme dieses Prozesses, sondern lässt auch eine Ableitung in Bezug auf den zu erwartenden Trend zu. Ich möchte abschließend zudem anmerken, dass die verwendeten Korpora kein Abbild des allgemeinen Sprachgebrauchs und der Präferenzen der gesamten Bevölkerung darstellen. Zieht man einen Vergleich zwischen einer erweiterten Stichprobensuche mit Hilfe einer erweiterten Suchfunktion bei der Suchmaschine Google zur Ermittlung der Häufigkeit der Verwendung von bspw. kennen lernen zu kennenlernen, zeigt sich, dass es keinesfalls ein so starkes Gefälle im Gebrauch der beiden Schreibweisen gibt wie in der Korpusanalyse vom Duden-Verlag zu dem genannten Item dargestellt. 79 Dort scheint es so, als wenn die reformierte Schreibung kennen lernen nach der Wiederzulassung von herkömmlichen kennenlernen vollkommen ersetzt worden ist, so dass sich daraus ablesen ließe, dass sich die reformierte Schreibung nicht durchgesetzt hat, da sie so zügig und zu einem hohen Anteil abgelöst worden war. Eine Untersuchung derselben Items bei der erwähnten Google- Untersuchung zeigt, wenngleich es sich hier nur um Hochrechnungen und Näherungswerte handelt, dass in Korporatypen, die nicht dem Pressewesen entstammen, beide Formen annähernd gleichhäufig verwendet werden, so 79 Das Verhältnis von gefundenen relevanten Treffern zu gefundenen nicht-relevanten Treffern (bspw. aus Datenbanken von Wörterbüchern, die nicht für die Ermittlung des Sprachgebrauchs herangezogen werden können), und denjenigen, die zwar relevant sind, aber nicht gefunden wurden, ist in der ermittelten Schätzung durch die Google-Suchfunktion zu vernachlässigen, da sie keine repräsentative einflussnehmende Menge darstellen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 233 dass man meinen könnte, dass die Wiederzulassung dem zuvor mit Einführung der reformierten Schreibung hergestellten Vereinheitlichkeitsversuch zuwiderläuft. Die Korpora, die vom Duden und auch der ÖAW für die Untersuchung herangezogen worden sind, spiegeln vielmehr den Sprachgebrauch von professionell Schreibenden aus dem Pressewesen wider, wie sich auch an dem Beispiel neuer Untersuchungsergebnisse der Korpusstudien von Wahrig und ÖAW zu § 20 (2)/ 32 (2) (Doppelschreibungen bei Fremdwörtern) wie Portmonnaie vs. Portmonee zeigt. Hierzu hat der Duden-Verlag ermittelt, dass die alte, weiterhin geltende Schreibweise Portmonnaie, abgesehen von einem leichten Rückgang bis auf rund 74% im Gebrauch zwischen 1999 bis 2002, stets die im Sprachgebrauch verankerte Schreibweise darstellte gegenüber der geltenden Norm Portmonee. Eine Schätzung zu den beiden Items mit Hilfe erweiterter Suchoperatoren, in denen die Suchmaschine Google den gewünschten Suchbegriff in unterschiedlichen Bereichen der Website findet (Titel, im Text, URL usw.) ergibt allerdings ein anderes Bild. Hier stehen sich der Gebrauch der herkömmlichen wie der geltenden Schreibweise in einem ungefähren Verhältnis von 2 : 1 gegenüber und nicht wie bei Wahrig ermittelt von 3 : 1, was im Klartext bedeutet, dass die geltende Norm im allgemeinen Sprachgebrauch weit häufiger verwendet wird, als es durch die Korpusanalyse von Wahrig vermittelt wird. Dieser Umstand deutet wiederum auf einen nicht-repräsentativen Korpus für die Ermittlung des allgemeinen Sprachgebrauchs hin, aus dem Wahrig seine Informationen bezieht. Neuere Untersuchungen des Duden-Verlags zu § 3 E (Beibehaltung der Konsonantenverdoppelung bei Betonungsänderung) zeigen allerdings, dass die Werte nicht immer so unterschiedlich ausfallen wie zuvor beschrieben. Reformiertes platzieren wird in annähernd demselben Häufigkeitswert (zw. 97- 100%) im Gebrauch ermittelt, wie es auch eine erweiterte Google-Suche für platzieren vs. plazieren ergeben hat, wo sich 12.200.000 Einträge für reformiertes platzieren und 39.700 Einträge für herkömmliches plazieren gegenüberstehen. Die ähnlich ermittelten Schätzungen können Ausdruck dessen sein, dass hier der allgemeine Sprachgebrauch in der Bevölkerung dem des Pressewesens sehr ähnlich ist. Die Werte können aber auch darauf hindeuten, dass der Duden in seinen neuesten Untersuchungen seine Korpora erweitert und nicht nur aus Presse und Print entnommen hat. 6.2.5 Die Arbeitsgruppe Schulischer Gebrauch Die AG schulischer Gebrauch und deren Berichte sind seit ihrer Entstehung fester Bestandteil und Beratungspunkt in den Sitzungen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Ich möchte im Folgenden die geleistete und noch zu leistende Arbeit dieser AG und ihre Rolle im Zusammenhang mit der Arbeit des Fachdiskurse 234 Rats für deutsche Rechtschreibung aufgreifen. Die AG hatte ebenso wie die anderen gegründeten AGs zur Aufgabe, Instrumente und Konzepte für die Beobachtung des schulischen Sprachgebrauchs im Sinne einer Weiterentwicklung zu entwickeln und valide Aussagen über die Umsetzung des Reformwerks und Perspektiven über den noch zu erwartenden Verlauf des Umsetzungsprozesses zu treffen. Der Auftrag des Rats für deutsche Rechtschreibung, der durch Ergebnisse aus den AGs unterstützt werden sollte, wurde dank der Einflüsse und Diskussionen aus den AGs kontinuierlich über die Amtsperioden weiterentwickelt und angereichert. Jacob Ossner als Leiter der AG ist in diesem Gebilde eine wichtige Figur, die neben der federführenden Entwicklung von Testdesigns zur Messung von Rechtschreibleistungen auch die Durchführung und Auswertung von Tests an belgischen, deutschen, österreichischen und schweizerischen Schulen ermöglicht hat. In der zweiten Amtsperiode beschäftigt sich die AG vornehmlich mit Fragen zur Neugestaltung des Regelwerks unter Berücksichtigung der aktuellen Diskussion um eine praxisorientierte und systematische Ausgestaltung des Opus, Status des amtlichen Regelwerks und die Benutzergruppen. Die öffentlich geäußerte Kritik im Zusammenhang mit dem Regelwerk bezog sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Schwerfälligkeit und Unverständlichkeit des Regeltextes selbst. Hierzu heißt es laut dem Vorsitzenden des Rats Hans Zehetmair: Das amtliche Regelwerk ist von seiner Anlage her mit einem Gesetzestext vergleichbar, der für die einzelnen Benutzergruppen adäquat aufbereitet werden muss. (siehe PM Rechtschreibrat IDS Mannheim, http: / / rechtschreibrat.com/ DOX/ mitteilung1111.pdf, Stand: 29.11.2011) Im Einzelnen geht es um Alternativformulierungen, um zu einem didaktischen Ansatz für die Aufbereitung des Textes zum Regelwerk zu gelangen, die im Grad der didaktischen Reduzierung für verschiedene Jahrgangsstufen näher an der Zielgruppe orientiert ist und die schon gewonnenen Ergebnisse aus dem langfristigen Auftrag des Rats für deutsche Rechtschreibung berücksichtigt. Aus den Ergebnissen der Ländervergleichsstudie sowie der Vergleichsarbeiten aus den vergangenen Jahren, in denen die Überprüfung orthografischer Kompetenzen einen Teilbereich darstellten, haben sich verschiedene Bedürfnisse und Forderungen entwickelt, die die AG schulischer Gebrauch in Form von Stellungnahmen formuliert hat. Die ersten Erhebungen und Untersuchungen zum Vorkommen von neuen Schreibweisen wurden schon im Jahr 1999 nach Einführung der Neuregelung in den meisten Bundesländern mit Hilfe eines von Gerhard Augst und Mechthild Dehn konzipierten Fragenkatalogs durchgeführt. Die Ergebnisse konnten allerdings nur eine Moment- Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 235 aufnahme abbilden, da bis dahin noch in keiner Schulform und in keinem Jahrgang die Neuregelung systematisch unterrichtet worden war und die Übergangsbestimmungen noch galten. Insgesamt galt es in Zusammenarbeit mit der AG Korpus herauszuarbeiten, ob neue Fehlerschwerpunkte entstanden sind. Die bildungspolitische Folgerung aus den Ergebnissen der Ländervergleichsstudie dient nicht einer Rechenschaftslegung im Bildungsbereich, aber einer Bestandsaufnahme aktueller Rechtschreibleistungen sowie der Weiterentwicklung von Verfahren zur Messung und der Qualität in der Lehre von Rechtschreibkompetenzen. Die Forderungen richten sich an den Bildungsauftrag von Schulen, wo Rechtschreibung als Grundkompetenz in Lehr- und Bildungsplänen einen festen Platz eingenommen hat und die Curricula in Bezug auf den zeitlichen Umfang zum Ausbau von Rechtschreibkompetenzen und Übung durch entsprechend angepasste Materialentwicklung über verschiedene Stufen und Jahrgänge hinweg ausgebaut werden müssen. Ein Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist die Formulierung von Kompetenzstufenmodellen zu Bildungsstandards im Bereich Orthografie, die Mindestanforderungen und Zielformulierungen enthalten. Die Ermittlung von Niveaus und die Beurteilung von Rechtschreibleistungen sind im Rahmen der Konzipierung von Bildungsstandards für das Fach Deutsch schon erarbeitet worden. Eine weitere Herausforderung bezieht sich neben der schulinternen Lehrplanarbeit auf die Weiterbildung von Lehrkörpern, die durch angemessene Qualifikation schon in der Hochschulausbildung hinsichtlich fachwissenschaftlicher, didaktischer und lerntheoretischer Beschulung direkt in den Unterricht rückwirken können. Die AG Schule hat der Sitzung des Rats im Juni 2013 zufolge Lehrpläne verschiedener deutschsprachiger Länder und Bundesländer verglichen und kam zu dem Ergebnis, dass nötiges Hintergrundwissen bei Lehrkörpern zur Vermittlung von Rechtschreibkompetenzen und die damit verbundene didaktische Umsetzung fehle. Dies liegt laut der Untersuchung darin begründet, dass ein systematisch aufeinander aufbauender Kompetenzerwerb in Form von Spiralcurricula und Unterrichtsentwicklung nicht erreicht und insgesamt der Rechtschreibunterricht zu früh aus dem Curriculum gestrichen wird, was zu einer verkürzten Ausbauphase des Erlernten führt und die Pflichtphase zu kurz ansetzt. Dies heißt meines Erachtens nichts anderes, als dass ein Lehrer nur dann Orthografie lehren kann, wenn er sie selbst beherrscht. Fortbildung und Kompetenzzuwachs von Lehrkörpern ist angesichts der Stellung von Orthografiekompetenzen in der Öffentlichkeit, Schule wie Beruf und der damit einhergehenden Wertschätzung in diesen Bereichen unbedingt nach den aktuellen Forderungen der AG schulischer Gebrauch weiterzuentwickeln. Fachdiskurse 236 6.2.6 Die AG Linguisten Wie schon weiter oben erwähnt, hat die Arbeitsgruppe Linguisten zur Aufgabe, eine Art linguistische Begleitung in der zweiten Amtsperiode in Bezug auf die Schreibgebrauchsbeobachtung vorzunehmen und Vorschläge zur Weiterentwicklung des Regelteils im amtlichen Regelwerk zu erarbeiten. Auf die Inhalte und die Mitwirkenden dieser Arbeitsgruppe werde ich im Folgenden eingehen. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind bspw. Reformer wie auch Kritiker wie Peter Eisenberg (ehemals Professor für Linguistik an der Universität Potsdam und Mitglied der Akademie für deutsche Sprache und Dichtung), der im Jahr 2013 aus dem Rat ausgeschieden ist, sowie Peter Gallmann (Fachwissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena). In der ersten Amtsperiode gehörten Schwerpunkte zum Arbeitsplan wie bspw. die Erarbeitung von Vorschlägen zur Klassifikation von Varianten, da sich hier im Zuge des Umsetzungsprozesses Schwankungen im Gebrauch aufzeigen ließen, die Unsicherheiten widerspiegelten und einer kritischen Überprüfung verschiedener Fallbeispiele bedurften. Sie ergänzt die Arbeiten der AG Korpus, die gemäß dem Auftrag Beobachtungen zum Schreibgebrauch mit Hilfe korpusanalytischer Methoden anstellt und das Wörterverzeichnis bearbeitet. Die AG Korpus und die AG Linguisten arbeiten in der zweiten Amtsperiode verstärkt zusammen, um die Weiterentwicklung des amtlichen Regelwerks voranzutreiben und eine Kompatibilität oder Passgenauigkeit zwischen Regelauslegung und Anwendung im Sinne einer verlässlichen Auslegung des Regeltextes herzustellen. Im Jahr 2012 erarbeitete die Arbeitsgruppe Paralleltexte zu den Bereichen Groß- und Kleinschreibung sowie Kommasetzung aus dem Bereich Zeichensetzung, die zum amtlichen Regelwerk ergänzend bereitgestellt werden und das Vorgehen zu diesen Teilkapiteln diskutieren sollten. In der fünften Sitzung (vom 11.10.2013) der zweiten Amtsperiode des Rats für deutsche Rechtschreibung wurde beschlossen, dass die Arbeit am Paralleltext nicht fortgeführt werden soll. Man erhoffte sich hiervon, anhand der Klärung in einem solchen Kommentar- oder Paralleltext von ausgewählten sprachlichen Phänomenen missverständliche und unklare Stellen im Regelwerk durch systematische Um- und Neuformulierung im Sinne einer Eindeutigkeit der Regelauslegung zu verbessern. Vor einer Wiederaufnahme von Umarbeiten am Regelwerk sollen zunächst Analysen zu strittigen Teilabschnitten im Regelwerk unter den Arbeitsgruppen abgestimmt werden, die einen Überblick über die Unklarheiten geben. Die AG Linguisten soll im Anschluss mit der Erarbeitung von Verfahren im Umgang mit Unklarheiten betraut werden. Die AG Linguisten hatte hinsichtlich der Erstellung des Paralleltextes zur Kommasetzung zum Text des amtlichen Regelwerks einen besonders schweren Der Rat für deutsche Rechtschreibung und die Arbeitsgruppen 237 Stand und wurde in ihrer Arbeit blockiert, da in der Junisitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung im Jahr 2013 die Fassung des bis dahin vorgelegten Paralleltextes hinsichtlich terminologischer und inhaltlicher Fragen kontrovers diskutiert wurde. Auch Grundsatzfragen wurden gestellt wie die nach der Sinnhaftigkeit von Paralleltexten im Allgemeinen. Hinzu kam, dass die Mustertexte unter den Gruppenmitgliedern nicht konsensfähig waren. Die Arbeiten an diesem Paralleltext wurden praktisch ausgesetzt und stellten die perspektivische Weiterarbeit der AG Linguisten in Frage. Peter Eisenberg, der ausführlichst an der Erstellung des Paralleltextes zur Großschreibung von Substantiven und Kommasetzung beteiligt war, ist im Jahr 2013 aus dem Rat für deutsche Rechtschreibung ausgeschieden. Zu vermuten ist, dass die in der Junisitzung des Rats im Jahr 2013 hervorgebrachten Monita der Gruppenmitglieder der AG Linguisten und die damit verbundene Infragestellung des Mehrwerts des Paralleltextes zur Kommasetzung zum Zweifel am Wirken und der Arbeit der AG Linguisten insgesamt geführt und zu seinem Ausscheiden beigetragen hat. Die jüngsten Arbeiten der AG Linguisten beziehen sich auf die Weiterentwicklung des Regelwerks am Beispiel der Nominationsstereotypen. Hierzu leisten die einzelnen AGs Vorarbeiten auf der Basis der von der AG Korpus vorgenommenen Erhebungen. Sie beschäftigt sich weniger mit dem Aufbau der Regelung und der Darstellung im Text, sondern bewertet aktuell kritisch die im Regelwerk getroffenen Aussagen zur Groß- und Kleinschreibung von fachsprachlich geprägten Nominationsstereotypen neben den allgemeinsprachlichen (vgl. § 64 E im Regelwerk) auf ihre Prägnanz. Die AG Korpus hat sich im Zusammenhang mit den § 63 und 64 ebenfalls Ergänzungen erlaubt, die allerdings den Umfang der aufgezeigten Beispiele betreffen, da gerade bei Verbindungen mit idiomatisierter Bedeutung wie das Schwarze Brett (§ 63) oder bei die Gelbe Karte die Großschreibung der Adjektive interpretationswürdig ist und vom Anwender unterschiedlich ausgelegt werden kann. 6.2.7 Fazit zu den Fachdiskursen im Rat für deutsche Rechtschreibung Mit Blick auf die Vielfalt der Fachdiskurse, die auf institutioneller Ebene innerhalb des Rats für deutsche Rechtschreibung geführt wurden, lässt sich behaupten, dass die arbeitsteilige Verfahrensweise durch die Bildung von Schwerpunktgruppen für die Fachdiskurse zu einem hohen Grad an wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Reflexion geführt hat. In den einzelnen Arbeitsgruppen wurden die theoretischen Grundlagen erarbeitet sowie konfligierende Positionen zu unterschiedlichen Sachverhalten aufgenommen und in einem späteren Schritt mit Erkenntnissen aus der Didaktik und Ergebnissen empirischer Bildungsforschung wie den Erkenntnissen aus Länderver- Fachdiskurse 238 gleichen und Leistungsstudien zur Beherrschung der Sprache und Schrift wie bspw. DESI angereichert. Obwohl die meisten von mir aufgeführten Fachdiskurse ganz klar einen linguistischen Charakter aufweisen, da man aus der Beschäftigung mit den lexikografischen Einheiten des Wörterbuchs zum Regelwerk vornehmlich systemische Überlegungen zu orthografischen Zweifelsfällen in Bezug auf deren Interpretation und Lesart bei dieser oder jener Regelanwendung und in den Arbeitsgruppen getätigt hat und zum anderen Strukturfragen zum Aufbau des Regelwerks gestellt wurden, wurden neben rein linguistischen Erwägungen auch didaktische und ideologische Faktoren in den Fachdiskursen berücksichtigt. Damit will ich aber nicht behaupten, dass ideologisch-politische Faktoren, und erst recht nicht didaktische, als außerfachliche Faktoren zu bezeichnen sind. Der Einbezug ideologischer Faktoren in die Betrachtung hat schon zu Beginn der Einführung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung am Beispiel der Fremdwortschreibung stattgefunden. Der ideologische Faktor liegt hierbei in der Anschauung, fremde durch indigene Grapheme zu ersetzen, was auf lange Sicht auch indirekt Auswirkungen auf Laut-Buchstaben- Korrespondenzen haben könnte. Aber in dem Diskurs um den Bereich der Groß- und Kleinschreibung finden sich ideologische bzw. politische Interessen, die in den Diskurs mit eingebracht wurden, wie bei der Debatte um die Beibehaltung der Großschreibung bei der Heilige Vater. Je nach Erkenntnisinteresse gibt es weitere Fachdiskurse, die sich in Studien zur Erfassung von Rechtschreibkompetenzen und dem Vergleich derselben wiederfinden, in denen andere Schwerpunkte aus bspw. Didaktik und Bildungsforschung gesetzt wurden, die Ansprüche und Erwartungen aus Politik und Unterrichtsforschung aufgreifen und Empfehlungen zur Anwendung aussprechen, also eine Orientierung für eigentlich gesellschaftliche Belange wie Bildung und deren Messung geben sollen. Mit der Gegenüberstellung der Verschiedenheit der fachlichen Diskurse in der Diskussion um die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gegenüber den anderen genannten Diskurstypen will ich aufzeigen, dass gerade die Fachdiskurse, wenngleich sie in der Öffentlichkeit nicht dominant vertreten sind und wenig Präsenz finden, den Nährboden für jede weitere Fortentwicklung der deutschen Sprache bilden und dort Wissen kollektiviert und gebündelt wird. DESI - Zentrale Befunde der Studie Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International 239 6.3 DESI - Zentrale Befunde der Studie Deutsch - Englisch - Schülerleistungen - International: Eine Studie im Auftrag der KMK - ein bildungspolitisch fachlicher Diskurs Die DESI-Studie ist im fachlichen Diskurs besonders erwähnenswert, weil sie missverstanden wurde als Versuch, sich einen Überblick über aktuelle Rechtschreibleistungen zu verschaffen und unter Umständen Aussagen über die Bewährtheit der Reform daraus abzuleiten. Die Studie erlaubt aber keinesfalls Ergebnisse über die Umsetzung der Rechtschreibreform, sondern allenfalls einen methodischen Ansatz, um Kompetenzen im Bereich Orthografie messbar zu machen. Im Fachdiskurs hatte man sich die Ergebnisse der DESI-Studie zunutze gemacht, um Aussagen über Lernprozesse bei Fremdsprachen (Deutsch als Fremdsprache oder Englisch als Zweitsprache) und innerhalb des Deutschunterrichts zu machen und zu erfassen, welche Rolle den Lehr- und Lernorten Unterricht und Elternhaus in dem Prozess zukommt. Ein zusätzliches Moment innerhalb des Fachdiskurses, das von Eckhard Klieme - Leiter der DESI- Studie - in einem Interview selbst formuliert wurde, richtet sich an die durch politische Kreise formulierten Erwartungen hinsichtlich des Erreichens von Standards, die mit Leistungs- und Lernzielen verbunden sind. Es geht um die Erwartungen der Politik und Autoren der Bildungsstandards hinsichtlich der erhofften Erfolgsquote bei Schülern, den gemeinsam vereinbarten Maßstab, das mittlere Anforderungsniveau (Regelstandards), zu erreichen. Wie ich an dieser Stelle vorwegnehmen möchte, offenbarte die DESI-Studie, dass bei der Testung von Fremdsprachenkompetenzen ein nicht unerheblicher Anteil von Schülern (unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren, die ich nachfolgend noch benennen werde) die Mindeststandards, aber nicht den Regelstandard erreichte, also auf einem unterem Level der elementaren Sprachverwendung verblieb und zudem erhebliche Leistungsunterschiede auch innerhalb und nicht nur zwischen einzelnen Gruppen (z.B. zwischen Gymnasiasten und Realschülern) bestanden. Dies betrifft aber nicht alle Kompetenzbereiche Lesen, Hörverstehen und Schreiben gleichermaßen. Dies soll laut Klieme zwar nicht bedeuten, dass auf politischer Ebene eine Anpassung der Maßstäbe neu diskutiert werden soll, aber für die schrittweise Entwicklung der nächsten Jahre brauchen wir realistische Perspektiven. (Klieme 2006) Die Ergebnisse der DESI-Studie wurden im Anschluss an ihre Durchführung in Rahmen eines ausgewählten Kreises mit politischen Vertretern, der Fachöffentlichkeit, Eltern- und Lehrerverbänden sowie ausgewählten Bildungsjournalisten vorgestellt. Hinzu kamen noch Vertreter des Instituts zur Qualitäts- Fachdiskurse 240 entwicklung (IQB) und wissenschaftliche Berater der Fachkommissionen, in denen die Bildungsstandards erarbeitet wurden. Die Ergebnisse der DESI-Studie haben in dem politischen Diskurs keine nachhaltige Wirkung entfaltet, die zu einer Anpassung oder Überarbeitung der Standards geführt hätte. Allerdings ist DESI als gelungener Versuch gewertet worden, einen empirischen Leistungsvergleich im Bereich Sprache vorzunehmen, und man kam einhellig zu dem Ergebnis, dass Studien wie diese zu einem verstärkten Dialog zwischen Didaktik und empirischer Bildungsforschung beitragen können. Der politische Diskurs wurde daher um weitere Ideen zur gezielteren Erfassung von empirischen Daten erweitert wie den durch die EU-Bildungsminister gewünschten Fremdsprachen-PISA und die schrittweise Anpassung von Lehrplänen und Lehrwerken an einen von der EU entwickelten „Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen“, bei dem Fremdsprachenkompetenzen im Fokus stehen. Innerhalb des medialen Diskurses (bspw. Artikel in Tagesspiegel vom 28.2.2006 „Was Zensuren verschweigen“) wurde die Meinung einzelner Fachdidaktiker (Wolfgang Zydatiß, FU Berlin) aufgegriffen, die die DESI-Studie neben den PISA-Daten als Beispiel dafür aufführten, wie unzureichend das herkömmliche Notensystem von Schulen bei der Abbildung von bspw. Englischkenntnissen ist. Nachstehend erläutere ich den Hintergrund, das Vorgehen und die Ergebnisse der DESI-Studie im Einzelnen und erkläre, welchen Nutzen und Zweck sie für meine Untersuchungsfrage darstellt. Im Februar 2009 trat der Rat für deutsche Rechtschreibung an die Kultusministerkonferenz heran mit dem Ersuchen, die Ergebnisse aus der Längsschnitt-Studie DESI zu nutzen, um sich im Rahmen seiner Aufgabe zur systematischen Beobachtung des Schreibgebrauchs einen repräsentativen Überblick über die Rechtschreibkompetenzen der Schüler zu verschaffen und zu prüfen, welche Schreibungen sich bei den Schülern durchgesetzt haben. Die unter der Federführung des DIPF durchgeführte Studie DESI (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen International) hatte zur Aufgabe, die sprachlichen und schriftlichen Leistungen von Neuntklässlern in den Fächern Deutsch und Englisch zu testen. Etwa 11.000 Schüler aller Schularten in der 9. Jahrgangsstufe wurden getestet. Die Untersuchungen über den Stand der Rechtschreibleistungen könnte der Rat für deutsche Rechtschreibung nutzen, um dem Auftrag der Sprachbeobachtung und Sprachentwicklung für die Rechtschreibforschung zuzuarbeiten, wenngleich in der Analyse nur relative Anteile der von den Schülern verübten Rechtschreibfehler wiedergegeben werden konnten. Für das Deutsche wurden die Sprachkompetenzen in Bereichen wie Leseverständnis, Wortschatz, Grammatik sowie DESI - Zentrale Befunde der Studie Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International 241 auch Rechtschreibung erhoben. Zwei Erhebungszeitpunkte wurden hierzu ausgewählt, am Anfang der 9. Klasse sowie am Ende, wobei die Domäne Rechtschreiben nur zum 2. Messzeitpunkt getestet wurde. Anhand spezieller Diktate sollte eine systematische Messung der Rechtschreibfähigkeit erfolgen. Die Diktate enthielten Wörter und markierte Schreibungen mit unterschiedlichem, hohem und mittlerem, orthografischem Schwierigkeitsgrad, die bewusst Fehlschreibungen provozieren 80 und Übergeneralisierungen evozieren sollten. Hieraus sollten sich aktive Orthografiekenntnisse ableiten lassen, da die Rechtschreibung meist nur eine orthografisch korrekte Form zulässt. Schon Studien aus den 1970er und 1980er Jahren (z.B. Riehme/ Heidrich 1970 81 oder Menzel 1985) erfassten quantitativ anhand diagnostischer Rechtschreibtests (DRT) die Rechtschreibbereiche, die anteilsmäßig besonders fehleranfällig waren, wie z.B. im Bereich der Groß- und Kleinschreibung, Zusammen- und Getrenntschreibung und Fremdwortschreibung etc., und insbesondere nach Erfahrung der großen Untersuchungen von Riehme/ Heidrich (1970), Menzel (1985) und Plickat (1974) die fehleranfälligsten Bereiche darstellen. Das Diagnoseinstrument OLFA (Oldenburger Fehleranalyse) wurde bei DESI zur Analyse von Fehlschreibungen herangezogen. Dennoch ist an dieser Stelle anzumerken, dass es bislang nur wenige Großuntersuchungen gibt und daher die Vergleichbarkeit sowie Beobachtung der Entwicklung von Rechtschreibleistungen für die Rechtschreibforschung defizitär ist. Die Grundlage für die Messergebnisse bei DESI im Bereich Rechtschreibung ist die Klassifikation und Kategorisierung von Rechtschreibfehlern, erfasst also die Qualität der Fehler über die verschiedenen Orthografiebereiche. Da der Untersuchungsbereich Rechtschreibung eingrenzbar ist, lassen sich Art und Anzahl der Fehlschreibungen direkt identifizieren, wenngleich nicht alle Bereiche der Reform berücksichtigt werden konnten wie die Worttrennung am Zeilenende (das Format des Untersuchungsdesigns lässt eine Überprüfung in diesem Bereich nicht adäquat zu). Eine der leitenden Hypothesen, die sich aus der DESI-Studie ableiten lassen, ist, dass insgesamt nur mäßige Rechtschreibleistungen zu verzeichnen sind, was der Größe der sog. mittleren Gruppe mit Kompetenzniveau B zuzurechnen ist; der Anteil der als kompetent zu bezeichnenden Rechtschreiber (Niveau C und D) liegt bei 22% im Verhältnis zum Gesamtanteil der getesteten Schüler (der Mittelwert liegt mit 19 fehlerhaften Wörtern bei einem Text von 68 Wörtern im unteren Niveau). Im unteren Leistungsbereich ließ sich dies anhand der Fehler bei der Lautanalyse 80 Hierzu wurden Distraktoren, also falsche Alternativantworten, verwendet, die die alte Rechtschreibung vor 1996 der neuen gegenüberstellen. Es wurden Schreibungen verwendet, die Reformschreibungen von 1996 nach 2006 und Zurückreformierungen beinhalteten. 81 Messung der Verschiebung von relativen Anteilen von Fehlerkategorien der Klassen 4-10. Fachdiskurse 242 bestimmen, im mittleren Leistungsbereich anhand der Übergeneralisierung bereits beherrschter Regeln und im oberen Leistungsbereich war dies anhand der Fehler bei unregelmäßigen Formen und den unsystematischen Fehlern (Fehler in der Graphemfolge und Wahrnehmungsfehler) abzulesen. Dennoch lautet die aufgestellte Hypothese, dass die gemachten orthografischen Fehler Ausdruck eines noch nicht abgeschlossenen Lernprozesses sind (Thomé/ Eichler 2008, S. 104ff.), was auch für den Primarbereich und die Sekundarstufe I gilt. Eine für eine empirische Studie am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen e.V. (IQB) vom Rat erarbeitete Testreihe zum Teilbereich „Rechtschreibung“, deren dort formulierte Kompetenzerwartungen an die Vorarbeiten der DESI-Studie angebunden sind, sollte im Ländervergleich 2009 Berücksichtigung finden. Hiermit war die Hoffnung verbunden worden, die Befragung der 9. Klassen zu sprachlichen Kompetenzen im Rahmen des Ländervergleichs 2009 für die Beobachtung des schulischen Schreibgebrauchs zu nutzen. Aus organisatorischen Gründen war es bedauerlicherweise nicht möglich, den erarbeiteten Schülerfragebogen in die schon vom IQB erstellten Rechtschreibaufgaben zu implementieren. In den formulierten Bildungsstandards zur Primarstufe heißt es: Die Kinder verfügen über grundlegende Rechtschreibstrategien. […] Sie gelangen durch Vergleichen, nachschlagen im Wörterbuch und Anwenden von Regeln zur richtigen Schreibweise. (siehe KMK 2005, S. 8) In dem vorgesehenen Testdesign des Rats für die Ländervergleichsuntersuchung 2009, die kein Diktat als Testdesign beinhaltete, sondern dem Schüler eine Auswahl aus vorgegebenen Schreibungen in Form eines Schülerfragebogens im Rahmen einer Testung von Schülerleistungen im Fach Deutsch zur Ermittlung der Frage, welche Schreibungen sich bei Schülern durchgesetzt haben, darbot, wurde angenommen, dass im Verhältnis herkömmliche Schreibung zu neuer Rechtschreibung die Schreibungen nach der neuen Rechtschreibung besser abschneiden würden. Bei der Überprüfung in diesem Testdesign lag der besondere Wert auf dem normgerechten Schreiben rechtschreibwichtiger Wörter. Dies manifestierte man anhand der Ergebnisse, die aus den Aufgabenbereichen Remotivierungen/ Volksetymologien, erweiterte Regelanwendung wie bei dass und Schloss (Konsonantengemination nach kurzem Vokal), erweiterte Analogiemöglichkeiten nach einem Schema (unter Einschluss der Rückänderung nach 2006) geschlossen wurden. Eine Einschätzung hinsichtlich der Fehlerelemente, die sich auf Änderungen von Schreibungen im Zusammenhang mit der Neuregelung beziehen, lässt sich nur oberhalb der orthografischen Stufe höherer Kompetenzstufen vornehmen, da hier die Komplexität von Kategorien und Fallgruppen steigt (neben der Schreibung von Abstrakten werden in höheren KSMs auch Nominalisierungen im Bereich der GKS überprüft oder vokalische Ableitungen wie bei behän- DESI - Zentrale Befunde der Studie Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International 243 de von Hand statt behende). Da es sich nur um diese eine Kompetenzstufe handelt, in der sich tatsächlich Aussagen treffen und Tests über das Erreichen von Rechtschreibkompetenzen gemäß den Vorgaben der Neuregelung durchführen ließen, ist sowohl die DESI-Studie als auch die vom IQB durchgeführte Testung aus dem Jahr 2005 meines Erachtens nicht repräsentativ und nicht spezifisch genug. Im Falle der Variantenschreibung wurde bei der IQB-Studie geprüft, ob die intendierte vereinfachte Schreibung bevorzugt wurde. Bei den echten Varianten wurden die nicht-integrierten Schreibungen als Hauptvariante gewählt („Ketchup“ statt „Ketschup“ oder „Ketschap“). Im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung wurde getreu der Regel: „Im Zweifelsfall auseinanderschreiben“ entschieden („auseinander gehen“ statt „auseinandergehen“). Einige Ergebnisse wie die zu den sog. Scheinvarianten (bspw. „Freitag Nachmittag“ - „Freitag nachmittag“ und „Freitagnachmittag“) bedürfen noch weiterer Analysen. Ausgangspunkt für die Beurteilung von Rechtschreibleistungen sind Schreibentwicklungsmodelle, die psycholinguistisch verschiedenen, aufeinander aufbauenden Phasen der Entwicklung entsprechen. Um den Erwerb der Rechtschreibkompetenz zu beurteilen, ist es nötig, die Entwicklungsstufe anhand der Merkmale für die „voralphabetische, alphabetische und orthografische Phase“ qualitativ zu bestimmen. Die Fehleranalyse gibt Aufschluss darüber, welche Rechtschreibfehler zu welcher der drei Phasen zugeordnet werden können. Um die Arbeiten zum Projekt DESI noch einmal von der bildungspolitischen Seite zu beleuchten, möchte ich an dieser Stelle noch ein paar Punkte einbringen, die den Hintergrund dieser Vergleichsuntersuchung zur Eruierung der aktiven Beherrschung der deutschen Sprache bilden und zur Aufklärung über Zusammenhänge von bildungspolitischen Entscheidungen beitragen. DESI ist aus dem in der Amtschefskonferenz im Jahr 1998 formulierten Bedürfnis entstanden, Vergleichsuntersuchungen zum Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern im Bereich Fremdsprachen und der aktiven Beherrschung der deutschen Sprache, also der muttersprachlichen Kompetenzen, anzustellen. Dieser Auftrag wurde an die Amtschefskommission „Qualitätssicherung in Schulen“ zur Befragung von Experten weitergegeben, Fragestellungen zu konkretisieren und Vorgehensweisen zu konstruieren. Hieraus wurde ein Vertrag zwischen den Kultusministern der Länder und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) zur Durchführung dieser Untersuchung geschlossen. In dem Einleitungstext zum vorgelegten Angebot des DIPF von Januar 2001 heißt es: Untersuchungen zum orthographischen Fehler waren bis über die 70er Jahre hinaus überwiegend von quantitativen Fragestellungen bestimmt. Durch die Ermittlung von Fehlerprofilen für einzelne Klassenstufen in allen relevanten Fachdiskurse 244 Rechtschreibbereichen sollte eine Datengrundlage für die Planung einer Orthographiereform und eines effektiven Rechtschreibunterrichts gewonnen werden. (Klieme et al. (Hg.) 2003) Andersartig in Bezug auf das Testdesign ist, dass die Fehleruntersuchung bei DESI nun vornehmlich qualitativer Natur ist. Das heißt, dass qualitative Analysen das Kernstück zur Messung der Rechtschreibkompetenzen geworden sind, die Vergleiche und Entwicklungstrends ermöglichen. Für das Untersuchungsdesign im Teilbereich Rechtschreibung waren damals Wolfgang Eichler und Günther Thomé zuständig. Der Rat der deutschen Rechtschreibung hat sich die Ergebnisse der Untersuchung zu Eigen gemacht, um die Stärken und Schwächen seit der Umstellung der Rechtschreibung zu ermitteln, Differenzen zwischen den Setzungen der Rechtschreibkompetenzen und den erwarteten Rechtschreibkompetenzen und Notwendigkeiten der Weiterentwicklung des Regelwerks zu ermitteln. Da das Testdesign unterschiedliche Entwicklungsstufen und einzelne Strategien als Grundlage zur Leistungsbestimmung inkludiert, sind für den Rat vor allem die Bereiche Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung interessant. Aus dem Bereich der Phonem-Graphem-Korrespondenz war lediglich die ss-/ ß- Schreibung für die Untersuchung interessant. Es lassen sich aus der Untersuchung nur schwer Rückmeldungen oder Rückschlüsse auf die Wirkung seit der Umstellung auf die neue Rechtschreibung ziehen, aber allgemeine Aussagen über den aktuellen Stand von Rechtschreibleistungen von Schülern der 9. Klasse unterschiedlicher Schularten treffen. Im Bericht des Rats für deutsche Rechtschreibung aus dem Jahr 2010 wird bekräftigt, dass die Studie DESI aufgrund der Fragestellung zur Beurteilung der Frage nach der Durchsetzung und Akzeptanz der Schreibweisen nach dem gültigen amtlichen Regelwerk weniger tauglich ist. Umgekehrt verleitet die Studie aber auch nicht zu der Erkenntnis, wie oftmals in den Medien proklamiert wird, dass die neue Rechtschreibung zu verschlechterten Leistungen im Bereich Orthografie führe, dass sich also die Rechtschreibleistungen von Schülern seit der Umstellung der Rechtschreibung signifikant verschlechtert hätten. Die Studie erlaubt also keine Aussage hinsichtlich irgendwelcher orthografischer Fehlleistungen, die sich aus der Verwendung des Regelwerks ableiten lassen. Aus sprachpolitischer Sicht könnte DESI einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion um die Neuregelung leisten und das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Medien für das Aufzeigen von Funktionalität und Bewährtheit der Weiterentwicklung der Rechtschreibforschung schärfen. Auch trug sie zu der Expertise bei, dass Rechtschreibung im Unterricht höherer Jahrgangsstufen angesichts der Bedeutung von Kompetenzen in diesem Bereich in der Gesellschaft kein abgeschlossenes Thema sein sollte. Allgemeines 245 7. HAUSORTHOGRAFIEN Im folgenden Abschnitt behandle ich im Nachgang zur Einführung in die Fachdiskurse die Hausorthografien verschiedener Presseorgane, da sie als sichtbarer Ausdruck interner Fachdiskurse verstanden werden können, eine Vorbildfunktion gegenüber der Öffentlichkeit wahrnehmen und als Sprachrohr für verschiedene Kanäle dienen. 7.1 Allgemeines Die meisten größeren Zeitungs- und Buchverlage pflegen Hausorthografien. Die in Kapitel 6 behandelten Fachdiskurse der jüngeren Zeit haben die Revision solcher internen Festlegungen befördert. Im folgenden Kapitel wird untersucht, wie sich die medialen und fachlichen Diskurse beeinflussen. Anschließend werde ich auf den speziellen Typus eines Fachdiskurses über Hausorthografien bei bundesdeutschen und schweizerischen Tages- und Regionalzeitungen eingehen und dort aufzeigen, dass der oftmals in den Fachdiskursen diskutierte Spielraum, der sich mit dem Zuwachs von Varianten durch das Nebeneinander von Schreibweisen im Zusammenhang mit der Neuregelung ergeben hat, nicht nur in den Wörterbüchern Eingang gefunden hat, sondern auch zu Umstrukturierungen bei den Hausregeln einzelner Zeitungen und Nachrichtenagenturen geführt hat. In diesen Diskursen werden die Vorwürfe und Vorbehalte aufgegriffen, die von gesellschaftlichen wie medialen Kräften gegenüber dem Umfang und einer Art Beliebigkeit von Varianz in einzelnen Teilbereichen immer wieder geäußert wurden. In meiner Untersuchung werde ich die Ausgangslage der Diskussion in Zusammenhang mit der Ermittlung eines allgemeinen Sprachgebrauchs verorten und anhand kleinerer Korpusanalysen aufzeigen, dass viele Zeitungen ihre tatsächlichen Eigenleistungen in Sachen Orthografie überschätzen und dass mit der Neuregelung der Varianz keine Beliebigkeit einhergeht, da bei den meisten Zeitungen die Prinzipien nicht mehr wirken, mit denen versucht werden sollte, dem Nebeneinander von Schreibweisen durch eigene Empfehlungen beizukommen. Innerhalb eines Fachdiskurses zu Hausorthografien, der im Rahmen der Arbeiten des Rats für deutsche Rechtschreibung geführt wurde, haben Schweizer Delegierte wie bspw. Werner Hauck, der in der siebten Sitzung des Rats am 25. November 2005 unter Tagesordnungspunkt 7 einen Antrag zum Umgang mit Hausorthografien eingereicht hat, den Diskurs um die Hausorthografien auf die Fachebene gerückt. Hauck, der auch Mitglied der Zwischen- Hausorthografien 246 staatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung war, greift die Problematik der Hausorthografien bei Tages- und Regionalzeitungen in Bezug zu den dort von ihm festgestellten enthaltenen Variantenschreibungen auf, worauf ich im Folgenden genauer eingehen werde. 7.2 Hausorthografien in der Bundesrepublik Deutschland Mit Einsatz von Hausorthografien von Verlagen wie dem Duden, namhaften bundesdeutschen Tageszeitungen und agenturübergreifenden Hausorthografien von Presseagenturen ist der vornehmlich medial geführte Diskurs um das dort bezeichnete Rechtschreibchaos aufgekommen, das, wie oftmals argumentiert wurde, aus den Mängeln an der Rechtschreibreform entstanden ist. 7.2.1 Zeitungsverlage Hausorthografien sind im bundesdeutschen Raum schon lange praktiziert worden und fanden sich vor den Bemühungen um die Vereinheitlichung der Rechtschreibung im regionalen wie überregionalen offiziösen Austausch (nach von Polenz 2013, S. 265). Die großen deutschen Presseagenturen und Nachrichtendienste wie der dpa haben neben der Umstellung auf die neue Rechtschreibung ab 2006 trotzdem versucht, sich auf eine Hausorthografie zu verständigen, die agenturübergreifend und einheitlich praktiziert werden sollte. Eine Orientierung für eigene Empfehlungen bieten ebenfalls die großen Verlage. In einer gemeinsamen Erklärung der großen deutschen Nachrichtendienste heißt es hierzu: Ebenfalls im Sinne der Einheitlichkeit folgen die Agenturen der Sachkenntnis der Wörterbuchverlage Duden und Wahrig. Wo sie dieselbe Schreibweise empfehlen - das ist bei etwa zwei Dritteln der Variantenwörter der Fall - folgen die Agenturen dieser Empfehlung. (www.die-nachrichtenagenturen.de/ Rechtschreibregeln.htm, Stand: 1.3.2017) Von den einflussreichen großen bundesdeutschen Tageszeitungen, die Hausorthografien pflegen, sind Die Zeit, die FAZ und die Süddeutsche Zeitung erwähnenswert, wobei es auch Magazine gibt, die ebenfalls sprachliche Leitfäden mit Regeln für eine Hausrechtschreibung publiziert haben. Die „eigenen“ Schreibweisen der erwähnten Tageszeitungen nehmen auch den Kontrast herkömmliche vs. reformierte Schreibung auf und favorisieren in den meisten Fällen die herkömmliche Schreibung, was aus den Beispielen zur Laut-Buchstaben-Zuordnung hervorgeht: behende (FAZ) - behände (amtliches Regelwerk), schneuzen (FAZ) - schnäuzen (amtliches Regelwerk). In meinen folgenden Ausführungen werde ich aufzeigen, dass es sich bei den Hausrechtschreibungen um einige wenige Einzelfestlegungen handelt und dass sich die Tageszeitungen nicht so konsequent an ihre eigenen Empfehlungen Hausorthografien in der Schweiz 247 halten, wie oftmals suggeriert wird. Die Gründe und die Mechanismen, die auf diese Entwicklung eingewirkt haben, werde ich im Folgenden aufzeigen. 7.2.2 Die Präferenzen der Wörterbücher als eine Art Hausorthografien Die gegenwärtigen Hausorthografien im Verlagswesen werden, wie schon erwähnt, von den Verlagen, zu denen die Wörterbücher Duden und Wahrig gehören, praktiziert. Der Duden hat seit der 24. Auflage seine favorisierte Varianten, die zwar regelkonform sind, aber nicht immer den Empfehlungen des Regelwerks entsprechen, da sie in einigen Fällen der herkömmlichen Schreibung von vor 1996 entsprechen, gelb markiert. Es ist hier wieder zu betonen, dass eine erstaunlich große Übereinstimmung in der Variantenführung von Medien und Wörterbüchern in den neuesten Auflagen zu verzeichnen ist. Trotzdem reicht der Einfluss der Empfehlungen der Wörterbuchverlage über den der Zeitungsverlage hinaus bzw. nimmt Einfluss auf diese, da der Gebrauch der Wörterbücher auch für Schulen und Verwaltung vorgesehen ist. 7.3 Hausorthografien in der Schweiz 7.3.1 Allgemeines Ich gehe an dieser Stelle auf die Zeitungen ein, von denen durch die Vorarbeiten von Werner Hauck (für die schweizerischen Zeitungen) und Ralf Osterwinter (für ausgewählte Zeitungen aus dem bundesdeutschen Raum) bekannt ist, dass sie offizielle Hausorthografien oder anders gesagt, Hausrechtschreibungen, führen. Hierzu gehören namhafte Schweizer Tages- und Wochenzeitungen aus dem deutschsprachigen Raum wie der Tages-Anzeiger, die Berner Zeitung, Luzerner Neueste Nachrichten und die NZZ für die Schweizer Presselandschaft sowie die FAZ sowie Die Zeit für die bundesdeutsche Presselandschaft. Viele Tageszeitungen beziehen ihre Inhalte direkt von den Nachrichtenagenturen, andere Zeitungen wie Die Zeit, FAZ und die NZZ führen ihre eigenen Redaktionen, die für Gestaltung, Inhalt und eben auch Orthografie verantwortlich sind. Würden sie die meisten ihrer Artikel von den Nachrichtenagenturen beziehen, wäre der Aufwand für die Überarbeitung der Artikel höher, als von Beginn an eine eigene Hausrechtschreibung zu praktizieren. Für die meisten aufgeführten Tageszeitungen gilt, dass da, wo das Regelwerk Variantenschreibungen in einzelnen Bereichen zulässt, sich die Verlage und Zeitungen für eine Variante entscheiden, was mich im Folgenden zu einer Beschreibung oder Auffassung über die Begrifflichkeit „Hausorthografie“ Hausorthografien 248 führt. An dieser Stelle werden Unsicherheiten durch die Entscheidung zu Gunsten der einen oder anderen Variante ausgeräumt, dafür Wiedererkennungswerte für den Leser und Schreibenden durch Vorzugsvarianten geschaffen. Gallmann und Sitta führen hierzu noch lernpsychologische Aspekte an: In einzelnen Bereichen darf die Schule die Schreibentwicklung ruhig sanft in Richtung auf mehr Systemhaftigkeit lenken, indem von zwei möglichen Varianten nur die eine vermittelt wird. (Gallmann/ Sitta 1996a, S. 106) Dies führt laut Werner Hauck aber zu neuen Unsicherheiten, da sich in den unzähligen Verlagen und Zeitungen unterschiedliche Hausorthografien entwickeln können. Diesem Umstand könne man laut Werner Hauck mit Empfehlungen zu Variantenschreibungen beikommen. Dem Protokoll der siebten Sitzung zufolge verneinen die meisten Ratsmitglieder diesen Vorschlag. Im Bericht über die Arbeit des Rats aus der 1. Amtsperiode wird bezüglich der Variantenschreibung die Aussage getroffen, dass die meisten Hausorthografien sich im Zweifel auf die vor 1996 üblichen Varianten beziehen. Im späteren Kapitel 7.3.5 werde ich noch detailliert auf unterschiedliche technischsprachliche Leitfäden von deutschen und Schweizer Tages- und Regionalzeiten eingehen, um dieser Aussage nachzugehen. Insgesamt befinden die Ratsmitglieder in der siebten Sitzung darüber, dass es verschiedene Auffassungen zu Variantenschreibungen gibt. Es werden Argumente aufgeführt, wie sie schon von Horst Haider Munske in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 1.12.2004 aus dem Kommissionsbericht der Zwischenstaatlichen Kommission zitiert wurden. Dort heißt es, dass Variantenschreibungen deswegen bestehen, weil so dem Schreibenden ein Zugeständnis an gespeicherten Schreibschemata gemacht wird. Als Für und Wider wird aufgeführt, dass Variantenschreibungen ein Übergangsphänomen darstellen und unterschiedliche Grade an Lexikalisierung aufweisen. 82 An dieser Stelle möchte ich noch darauf eingehen, wie der Rat für deutsche Rechtschreibung dem Thema Hausorthografien begegnete, da die Auffassung dazu in den beiden Fachdiskursen unterschiedlich war und von unterschiedlicher Perspektive bestimmt wurde. In seiner siebten Sitzung am 25.11.2005 hat sich der Rat, wie schon eingangs erwähnt, zu einem Antrag des Schweizer Mitglieds im Rat, Werner Hauck, mit dem Thema „Umgang mit Hausorthografien verschiedener Verlage“ be- 82 Z.B. können weniger stark lexikalisierte Verbindungen aus Adjektiv und Verb getrennt oder zusammen geschrieben werden, wohingegen in vielen Zusammensetzungen auch anhand des Betonungskriteriums ein hoher Grad an Lexikalisierung ermittelt werden kann und keine unterschiedlichen Schreibweisen möglich sind. Hausorthografien in der Schweiz 249 fasst. Werner Hauck betrachtet die besondere Schwierigkeit des Themas in Bezug auf das Verhältnis von Hausorthografien zu den Variantenschreibungen. Hausorthografien, so befürchtet er, bewirken, dass die Verlage mit der Wahl für die eine oder andere Schreibung eine Auseinanderentwicklung der Rechtschreibung begünstigen. Werner Hauck sieht in der Möglichkeit, Empfehlungen für eine einheitliche Schreibung in den Wörterbüchern auszusprechen, die Gefahr gebannt, divergierende Rechtschreibungen zu erzeugen. Anhand der noch folgenden Untersuchung an verschiedenen Schweizer Tages- und Regionalzeitungen kann ich aber verdeutlichen, dass Empfehlungen, die im Duden markiert wurden, nicht zu dem erwünschten Effekt führten und sich Hausorthografien dadurch vermeiden ließen. Peter Gallmann, ebenfalls schweizerisches Mitglied im Rat, ergänzt hierzu, dass eine unter seiner Leitung entstehende Dissertation zu diesem Thema zeige, dass Hausorthografien ein hohes Maß an Übereinstimmung aufwiesen. Da ein umfänglicher Vergleich von Hausorthografien unter Berücksichtigung verschiedener Untersuchungsaspekte schon vorgenommen worden ist (wie in Dürscheid/ Businger (Hg.) 2006, S. 131-161), möchte ich in der nachstehenden Tabelle einige wenige Bereiche aufgreifen und einander gegenüberstellen, in denen die Zeitungen behaupten, eine hausorthografische Variante zu verwenden, die von den Empfehlungen des Duden abweicht. Dies betrifft Bereiche wie die Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung und Laut-Buchstaben-Zuordnung (bspw. bei entlehnten Wörtern), die manchmal übereinstimmend mit der Empfehlung des Duden die herkömmliche, aber auch laut Regelwerk zulässige Variante (vor 1996) bevorzugt und manchmal die nach 1996 geänderte nach dem Regelwerk gültige Schreibweise darstellt, die auch nach dem Duden zulässig ist, aber nicht empfohlen wird, wenn Doppel- oder Variantenschreibung möglich ist. Ich möchte damit aufzeigen, dass es sich entgegen der Aussage einiger der genannten Tageszeitungen so darstellt, dass die Zeitungen nicht durchgängig auf die alte Rechtschreibung oder eine ganz eigene Hausorthografie umgestellt haben, sondern Vorzugsvarianten innerhalb des Erlaubten in Regelwerk und Wörterbuch gebildet haben, von denen nun die Frage ist, ob sie tatsächlich als hausorthografische bei bezeichnet werden können und unter welchen Voraussetzungen sich Verlage und Printmedien diese erlauben. 83 83 Die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen haben sich laut des Rechtschreibportals abzv. de (Stand: Jan. 2016) (ein Zusammenschluss der Agenturen AFP, AP, APA, ddp, Dow Jones, dpa, epd, kna, reuters und sid) darauf geeinigt, nur in den Fällen, wo die Wörterbücher Wahrig und Duden übereinstimmende Empfehlung bei einer zugelassenen Variante vorsehen, diese auch zu verwenden, während die Nachrichtenagenturen bei divergierenden Empfehlungen der beiden Wörterbücher hausorthografische Leistungen einbringen dürfen und abweichende Festlegungen treffen können. Hausorthografien 250 Exemplarisch führe ich in der nachstehenden Tabelle die Hausregeln dreier einschlägiger Schweizer Tageszeitungen im Vergleich auf. Hierzu gehören die Hausregeln des Tages-Anzeigers, der Luzerner Neuesten Nachrichten und der NZZ. Luzerner Zeitung Tages-Anzeiger (Tamedia AG) Hausregeln NZZ Regel seit 2006 GZS: Verbindungen aus Verb und Verb (Bsp. Spazieren gehen) getrennt getrennt getrennt getrennt nach § 34 (4) GKS: Adjektive in festen Verbindungen GS, aber bei Ausnahme „gelbe Karte“ KS Konsequente GS GS GS nach § 64, Ausnahme: gelbe Karte und Gelbe Karte erlaubt Fremdsprachige Laut-Buchstaben- Zuordnung -fon/ -graf/ -fot Konsequente f-Schreibung Konsequente f-Schreibung Teilweise Eindeutschung mit f-Schreibung, man orientiert sich an der Bezeichnung im Universalwörterbuch, Ausnahmen: Grammophon Doppelschreibung bei entlehnten Wörtern nach § 32 (2) Wörter mit den Endungen -tial, -tiell, -zial, -ziell Doppelschreibung, t - z je nach Vorhandensein eines Bezugsworts Eingedeutschte Form mit ‘z’ Eingedeutschte Form mit ‘z’ (In Abweichung von deren Grundsatz, die herkömmliche Schreibung zu bevorzugen) Doppelschreibung bei entlehnten Wörtern nach § 32 (2) GKS: feste Verbindungen aus Präp. und dekliniertem Adjektiv (Bsp. ohne w/ Weiteres) KS KS KS Doppelschreibung nach § 58 (3.2) Substantivierte Präpositionen: Für und Wider GS Keine Angaben GS GS bei § 57 (5) Bezug nehmend auf die Tabelle, möchte ich kurz auf Eigenheiten und Abweichungen von der Neuregelung bei den aufgeführten Tageszeitungen eingehen, aber auch auf die wesentlichen, mit dem gültigen Regelwerk überein- Hausorthografien in der Schweiz 251 stimmenden Schreibweisen, um eine Aussage über die hausorthografische Leistung zu geben. 7.3.2 Hausorthografien in der Schweiz: Tamedia AG Flaggschiff der Tamedia AG ist die Zeitung Tages-Anzeiger. Der Konzern umfasst aber auch noch weitere Presseerzeugnisse; diese werden im Anschluss behandelt. Der Tages-Anzeiger verhält sich bei der Fremdwortschreibung so, dass fachsprachliche Wörter gemäß Duden-Empfehlung ihrer Herkunftssprache getreu mit / ph/ geschrieben werden (Phonetik, Graph). Außerhalb der Fachsprache verhält sich der Tages-Anzeiger eigen bei dem Gebrauch von französisch- und italienischstämmigen Wörtern, von denen jeweils die Form gewählt wird, die der Herkunftssprache am nächsten kommt. Beispiele wie „Ghetto“ statt „Getto“ zeigen aber, dass es sich hier nicht um eine Eigenheit entgegen aller Regeln des Regelwerks handelt, sondern bei Doppelschreibung die nicht-integrierte Schreibung bevorzugt wird. Unter Punkt 10.0 „Grundregeln zu Firmennamen“ zeigen die Hausregeln des Tages-Anzeiger die aktuelle Haltung gegenüber Schreibungen, die eine Ausnahme oder einen Alleingang markieren. Alleingänge wie die früher vom Tages-Anzeiger verwendete Bezeichnung „Palästiner“ statt der von den meisten anderen Zeitungen verwendeten Bezeichnung „Palästinenser“ sollen laut Hausregeln der Tamedia AG besser vermieden werden. Hat sich der Leser an eine Schreibweise gewöhnt, kann eine Ausnahme bestehen bleiben, muss aber im Glossar aufgeführt werden. Wenn gemäß Duden eine Schreibung fakultativ ist, also Variantenschreibung in der Verwendung herkömmliche neue Schreibung erlaubt ist, dann erlauben die Hausregeln des Tages-Anzeiger eine Präferenz in Anlehnung an die Schreibung von vor 1996 (bspw. bei der Verwendung des Genitiv-s, das, wenn es fakultativ gesetzt werden kann, weggelassen wird oder in einigen Fällen bei der Verwendung des Plurals bei englischen Fremdwörtern auf -y wie bei Party mit dazugehörigem Plural Parties in der Regelung vor 1996, nach 1996 Partys). Hier ist noch anzumerken, dass in den Fällen, in denen der Singular im Englischen schon auf / ie/ endet wie in Teenie, auch der Plural mit / ie/ gebildet wird, so dass es Teenies heißt und nicht Teenys. Oftmals werden Regeln vereinfacht angewandt wie bei der Setzung eines Apostrophs bei Genitiv. Hier heißt es in den Hausregeln der Tamedia AG, dass das Genitiv-s bei Nomina der s-Deklination angewandt wird, während im Regelwerk noch die Einschränkung der Anwendung des Apostrophs hinsichtlich der Abwesenheit eines Begleitworts wie eines Artikels, Possessivpronomens oder dergleichen (siehe Regelwerk 2006, § 96, S. 98) hinzukommt. Hausorthografien 252 Wie oben angesprochen, gehören noch weitere Presseerzeugnisse zur Tamedia AG, darunter 24 heures, 20 Minuten, Die Berner Zeitung. Die Berner Zeitung führt ebenfalls ein umfängliches Glossar, in dem verschiedene Hinweise auf vermeintliche Ausnahmen vom Regelwerk aufgeführt werden. In der folgenden Tabelle führe ich einige hausorthografische Besonderheiten an, wenngleich es sich in einigen Fällen um Einzelfestlegungen handelt: Bereich Hausregel Duden-Empfehlung Anmerkungen Schreibung mit Bindestrich A4-Format A-4-Format entgegen der allg. Regel nach Regelwerk 2006: § 40: man setzt Bindestrich in Zusammensetzungen mit Einzelbuchstaben, Abkürzungen oder Ziffern wie in A-Dur oder K.-o.-Schlag Schreibung mit Bindestrich altbernisch Äquivalent im Duden: alt-wienerisch nicht regelkonform zu § 48 Fremdwortschreibung Ayatollah auch zulässig: Ajatollah Schreibung mit Bindestrich Bernerplatte Berner-Platte Wird entgegen der Grundregel zusammengeschrieben Fremdwortschreibung Blankocheck Blankoscheck Schreibung mit Bindestrich Dalai Lama Dalai-Lama Fremdwortschreibung Chansonnier Empfohlen: Chansonnier Alternativ: Chansonier Orientierung der Schreibung der Herkunftssprache Schreibung mit Bindestrich Apartheid- (Politik) Apartheidpolitik Getrennt- und Zusammenschreibung Qi Gong Qigong Fremdwortschreibung Réceptionistin Rezeptionistin Orientierung der Schreibung an der Herkunftssprache Schreibung mit Bindestrich 3D Empfohlen: 3-D Alternativ: 3D nicht regelkonform nach § 40 wie bei A-Dur Hausorthografien in der Schweiz 253 Bereich Hausregel Duden-Empfehlung Anmerkungen Getrennt- und Zusammenschreibung Kung Fu Kung-Fu angelehnt an die englische Schreibweise Fremdwortschreibung Variété Varieté Orientierung der Schreibung der Herkunftssprache Schreibung mit Bindestrich Playoff Empfohlen: Play-off Alternativ: Playoff Groß- und Kleinschreibung für sie und ihn auch im Duden: für sie und ihn (! ! ! ) anders als im Glossar ausgewiesen, stimmt der Duden mit dem Tamedia-Glossar überein Grammatik: Genus Homewear (fem.) auch im Duden Femininum (! ! ! ) anders als im Glossar ausgewiesen, stimmt der Duden mit dem Tamedia-Glossar überein Grammatik: Genus Superbowl (fem.) Superbowl (Mask.) Groß- und Kleinschreibung du, ihr, sie (Kleinschreibung bei Anrede und im Brief) Groß- und Kleinschreibung erlaubt anders als im Glossar ausgewiesen, da laut § 66 die Anredepronomina du/ ihr plus der Possessivpronomina großgeschrieben werden KÖNNEN, aber nicht müssen, daher Übereinstimmung Die oben aufgeführte Auswahl zeigt auf, dass die Abweichungen sich vornehmlich auf den Bereich der Bindestrich-Schreibung beziehen. Einige Beispiele aus dem Bereich der Fremdwortschreibung, von denen ich erwartet hätte, dass eine strikte Orientierung an der Herkunftssprache eingehalten wird, zeigen auf, dass das Prinzip nicht stringent durchgehalten wird. Dies leite ich aus dem Beispiel anglofon ab, das hier die integrierte und nicht die fremdsprachliche Schreibung zulässt und zudem regelkonform ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Beispiel Aperitif, das weder der französischen Schreibweise folgt noch die Falschschreibung mit / v/ darstellt, sondern die eingedeutschte Variante ohne Akzent darstellt, obwohl die Herkunft eigentlich französisch ist. Hausorthografien 254 Auch im Bereich der Bindestrich-Schreibung gibt es entgegen des in der Tabelle vermittelten Eindrucks, dass die Tamedia AG gerne im Unterschied zur Duden-Empfehlung Bindestrichsetzung vornimmt, gegenläufige Beispiele, die ich aufführen kann, wie bspw. bei Alt-Ständerat. Das Glossar zeigt hier Regelkonformität in Anlehnung an § 48 des Regelwerks (bei Ableitungen von Verbindungen mit einem Eigennamen als 2. Bestandteil bleibt Bindestrich) → Alt-Wiener Kaffeehaus, Spree-Athener. Es ließen sich noch weitere Beispiele aufführen, anhand derer das Glossar der Tamedia AG Abweichungen von den Duden-Empfehlungen aufzeigen mag, die sich aber nach näherer Prüfung in der Regel nur als die jeweils nicht-empfohlene Variante laut Duden oder Regelwerk herausstellen. Hierzu zähle ich deren Ausführungen zum Apostroph bei Dialektausdrücken, deren Auslassen eigentlich regelkonform ist, da die Setzung des Apostrophs bei Wörtern gesprochener Sprache bei schriftlicher Wiedergabe eine Kann-Bestimmung ist und nur gesetzt werden muss, wenn die Bedeutung undurchsichtig ist. Von insgesamt 27 direkt als vom Duden abweichend ausgewiesene Schreibungen im Glossar der Tamedia sind meiner Erkenntnis nach 15 tatsächliche Abweichungen, die sich auf die Bereiche „Schreibung mit Bindestrich“ (Bsp. Tamedia AG: Dalai Lama, Duden: Dalai-Lama), Groß- und Kleinschreibung (Bsp. Tamedia AG: Front National, Duden: Front national), Fremdwortschreibung (Bsp. Tamedia AG: Blankcheck, Duden: Blankoscheck) und Zeichensetzung (Bsp. Tamedia AG: last but not least, Duden: last, but not least) beziehen. Von den restlichen vermeintlich abweichenden Schreibungen sind zwei (wie auch oben in der Liste aufgeführt) irrtümlich als abweichend ausgewiesen, stellen aber Übereinstimmungen mit der jeweiligen Duden-Regel dar. Die verbleibenden Beispiele sind keine Abweichungen im eigentlichen Sinne, sondern stellen lediglich die jeweils vom Duden erlaubte alternative Schreibung und nicht die empfohlene dar. In einem Fallbeispiel (RAI - italienischer Fernsehsender) gibt der Online-Duden sogar gar keinen Treffer aus, so dass es sich hier nicht nachweislich um eine Abweichung handeln muss. Bei der Schreibung von Wörtern französischer Herkunft verhält sich die Luzerner Zeitung in Anlehnung an die Behandlung der Schreibung von Wörtern englischer Herkunft. Es bleibt das grammatische Geschlecht erhalten, das auch in der Herkunftssprache dem Substantiv eigen ist wie in die Place centrale. Des Weiteren werden in mehrteiligen Fügungen aus Substantiven die nominalen Bestandteile großgeschrieben wie in Ancien Régime. Interessant verhält sich die Luzerner Zeitung bei der Anwendung von Akzenten auf Versalien, da sie hier ganz eigen agiert, allerdings nicht nur im Verhältnis zum Regelwerk oder Duden, sondern entgegen der Regelung, wie sie in Frankreich praktiziert wird, wenngleich es sich um Wörter aus dem Französischen handelt. Akzente auf Großbuchstaben werden laut Luzerner Zeitung in Frankreich nicht ver- Hausorthografien in der Schweiz 255 wendet, wobei laut Académie française auch hier der Gebrauch schwankend ist. Die Luzerner Zeitung setzt Akzente, wenn das gesamte Wort versal geschrieben ist wie in BELLE ÉPOQUE. 7.3.3 Hausorthografien in der Schweiz: Luzerner Zeitung Die Luzerner Zeitung beschreibt in ihrem hausorthografischen Regelwerk 84 den Umgang mit Wörtern aus dem Englischen. Diese entsprechen im Prinzip denen der Tamedia AG, auf deren Glossar und Hausregeln ich im Folgenden eingehe. Beispielsweise werden bei der Luzerner Zeitung Zusammensetzungen aus Nomen mit Bindestrich und jeweils Majuskel geschrieben wie bei Reality-Show. Die Tamedia AG wird in ihren Formulierungen noch deutlicher und ergänzt hierzu, dass Verbindungen, an deren Anfang eine Abkürzung steht, mit Bindestrich und großgeschrieben werden wie bei Fed-Cup, Fed- Funds. Jedoch grenzt sie ein, dass schlagwortartige Begriffe oder programmatische zweiteilige Bezeichnungen getrennt - ohne Bindestrich - und großgeschrieben werden wie in Global Warming und Open Sky. Bei mehrteiligen Fügungen gibt die Hausregel der Luzerner Zeitung vor, dass alle nominalen Bestandteile großgeschrieben werden wie bei All-Star-Team. Das Glossar der Tamedia AG verfährt hier auf eine ähnliche Weise wie die Luzerner Zeitung, wie an dem Beispiel best-of-seven-Serie deutlich wird. Bei der Schreibung von Buch-, CD-, Song-, Film- und Theatertiteln verhalten sich die beiden Verlagsgruppen unterschiedlich. Hier gibt die Luzerner Zeitung im Unterschied zur Tamedia AG vor, dass der Einfachheit wegen alle Wörter großgeschrieben werden, während die Hausregeln der Tamedia AG besagen, dass in den Titeln enthaltene englische Partikeln und Artikel kleingeschrieben werden. In Hinblick auf Einzelfestlegungen hingegen gleichen sich beide Verlagsgruppen wieder, denn zu Standing Ovations gibt es im Gegensatz zu den Vorgaben im Duden keinen Singular. 7.3.4 Hausorthografien in der Schweiz: Basler Zeitung Auf Anfrage nach dem technisch-sprachlichen Leitfaden bei der Basler Zeitung, deren Verleger bis Mai 2014 Filippo Leutenegger war, der auch Mitglied der Schweizer Orthografischen Konferenz ist und im Jahr 2014 das Amt des Zürcher Stadtrats übernommen hat, teilte man mir mit, dass es sich bei deren orthografischem Leitfaden um einen „Hausduden“ handele, in dem Basler- Zeitung-spezifische Schreibweisen enthalten sind, die vor allem aus Namen 84 Ausschnitte aus diesem Regelwerk wurden mir per E-Mail von der Zeitung zur Verfügung gestellt. Hausorthografien 256 und festen Begriffen bestehen. Um die Prozesse bei der Tageszeitung möglichst kurz und einfach zu halten, gelten folgende Hauptprinzipien: - Es wird die vom Duden empfohlene (gelb markierte) Schreibweise verwendet. - Es werden süddeutsche, schweizerische Varianten bevorzugt wie Trottoir statt Gehsteig, Ferien statt Urlaub, Metzger statt Fleischer, das Mail statt die Mail etc. (Der Duden-Band „Wie sagt man in der Schweiz? Wörterbuch der schweizerischen Besonderheiten“ dient den Redaktionen als Bezugsquelle). - Man orientiert sich am Vademecum der NZZ, soweit Angaben im „Hausduden“ fehlen. - Man bemüht sich bei Namen und festen Ausdrücken um Einheitlichkeit. 7.3.5 Hausorthografien in der Schweiz: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) In Bezug auf die NZZ gibt es laut dem technisch-sprachlichen Leitfaden oder dem sogenannten Vademecum, das man auch käuflich erwerben kann und das bislang in der 14. und überarbeiteten Auflage vorliegt, ebenfalls ein paar Abweichungen von dem amtlichen Regelwerk, die nach wie vor praktiziert werden. Hierzu gehört die Schreibweise in acht nehmen, die anders als nach der Neuregelung in Acht nehmen kleingeschrieben wird. In der 9. Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung im Jahr 2006 ist im Speziellen das Vademecum der NZZ thematisiert worden. Hier beschreibt Stephan Dové eingehend das Wesen der Hausorthografie der NZZ und stellt fest, dass die in der 6. Ausgabe aus dem Jahr 2005 dort aufgeführten Regeln und Empfehlungen und zu sprachlichen Zweifelsfällen auf 17 von 155 Seiten aufgeführt sind und keine eindeutigen Festlegungen in Bezug auf die neuen Rechtschreibregeln enthalten. Es handelt sich vielmehr um Einzelfestlegungen. Die NZZ verwendet bspw. als Ausnahme bei sein eigen nennen die Kleinschreibung im Gegensatz zu im geltenden Regelwerk etwas sein Eigen nennen. Eine weitere Ausnahme bildet die Getrenntschreibung bei leid tun anstatt wie im Regelwerk vorgeschrieben leidtun. Aus einigen Ausnahmen, die die NZZ im Jahr 2004 (z.B. feind sein, spinnefeind sein) als Ausnahmen von der Regelung (in der Regeln von 2004 noch mit Großschreibung) ausgewiesen hat, sind nach der aktuell gültigen Regel wieder zulässige Schreibweisen geworden. Aus dem dritten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission aus dem Berichtszeitraum 1.1.2000 bis 31.12.2001 geht im Kapitel 5 (Presseorgane) hervor, wie deutsche und schweizerische Presseorgane sowie Nachrichtenagenturen, aber eben auch Regional- und Tageszeitungen, mit eigenen Schreibanleitungen umgehen. Die wesentlichen Abweichungen und Einzel- Hausorthografien in der Schweiz 257 festlegungen sind dort verzeichnet (siehe 3. Bericht, S. 23-29) und die Feststellung geht dahin, dass die meisten Zeitungen die Umstellung zu weiten Teilen mitgetragen haben und die neue Rechtschreibung im Prinzip richtig angewendet wird. Ich möchte, wie in dem vorher genannten Beitrag von Dürscheid/ Businger (Hg.) (2006), nur in zweiter Linie über die Einigkeit oder Einheitlichkeit der Presseorgane hinsichtlich der Behandlung der vom Duden abweichenden Empfehlungen Aussagen treffen. Vielmehr geht es mir darum, kurz zu umreißen, dass die hausorthografischen Schreibweisen und auch „Hausregeln“ eben nicht in dem Maß vom Regelwerk abweichen, dass man meines Erachtens von einer vom System und der Norm abweichenden eigenen Variante oder von Hausregeln sprechen kann. Die Hauptaussagen in dem Beitrag zu den Hausorthografien Schweizer Zeitungen im Vergleich (Zacheo 2006) möchte ich im Folgenden dennoch kurz zusammenführen, um meine Ergebnisse zu den in den Hausorthografien oder Hausregeln der Zeitungen formulierten Abweichungen der Schreibweisen vom Regelwerk oder den Duden-Empfehlungen mit denen aus dem Beitrag von Zacheo anzureichern, wenngleich mein Hauptaugenmerk nicht auf einer Analyse zur Untersuchung der Einheitlichkeit der Abweichungen unter den Zeitungen liegt. Da ich für meine Kurzanalyse noch andere Schweizer Zeitungen mit einbezogen habe, verstehe ich meine Ergebnisse als Ergänzung zu den in Zacheos (2006) Beitrag gewonnenen Erkenntnissen. Sie überprüfte verschiedene Bereiche der Orthografie und fand heraus, dass z.B. in Bezug auf die Stammschreibung bei Zusammensetzungen sich die von Zacheo (Dürscheid/ Businger (Hg.) 2006, S. 200) untersuchten Schweizer Zeitungen (Aargauer Zeitung, NZZ, Tages-Anzeiger, Schaffhauser Nachrichten, Nachrichtenagentur SDA) bei dem Aufeinandertreffen dreier gleicher Vokale entgegen der Empfehlungen vom Duden, alle drei Vokale in Zusammenschreibung auszuschreiben wie in Kaffeeernte (als Schreibalternative lässt der Duden des Schriftbildes wegen aber auch die Bindestrichsetzung zu), auf die Schreibung mit Bindestrich beschränkt haben. Dies sei aus dem Grund der Leserfreundlichkeit entschieden worden, wobei für den Duden die Erhaltung der Wortstämme im Vordergrund stand. Bei der Fremdwortschreibung verhalten sich die Zeitungen in Bezug auf die integrierte Schreibung von Fremdwörtern bei nicht fachsprachlichem Gebrauch unterschiedlich. Wo laut Regelwerk sowohl die integrierte wie auch die fremdsprachige Schreibung verwendet werden kann wie in Fotografie/ Photographie, tendiert nur die Aargauer Zeitung bei Fremdwörtern aus toten Sprachen zur Beibehaltung der nicht integrierten Schreibung, während die sonst als konservativ bezeichnete NZZ selektiv eindeutscht, der Hausorthografien 258 Tages-Anzeiger „nur in ein paar Wörtern“ zu Gunsten der eingedeutschten Variante ersetzt und die SDA Nachrichtenagentur auf eine forcierte Eindeutschung verzichtet und nur dann eindeutscht, wenn Varianten möglich sind. Da die Erläuterungen, wie eben beschrieben, zu den Präferenzen in Bezug auf die integrierte oder fremdsprachige Schreibung der einzelnen Zeitungen nur vage und unregelmäßig in der Anwendung erscheinen, kann ich nur vermuten, dass die Zeitungen unabhängig vom umgangs- oder fachsprachlichen Gebrauch mal eine konservative, mal eine offene Haltung einnehmen und dies, wie es für die Aargauer Zeitung konstatiert wird, in Abhängigkeit von der Lebendigkeit einer gesprochenen oder geschriebenen Sprache entschieden wird. Dies ist nicht als Abweichung vom Regelwerk zu verstehen, sondern allenfalls als Haltung oder Einstellung gegenüber der Empfehlung, auch Fremdwörter einzudeutschen, die nicht mehr aktiv gesprochen werden und weniger gebräuchlich sind. Das Protokoll zur Schweizerischen Orthographiekonferenz vom 20.8.1963 gibt Aufschluss darüber, wie lange das Thema der Eindeutschung von Fremdwörtern in der Schweizerischen Debatte schon thematisiert wurde. Hier heißt es in Bezug auf die Eindeutschung von aus dem Altgriechischen stammenden Wörtern, dass die Eindeutschung auf Gegenstände des Alltagsgebrauchs beschränkt werden solle, wozu auch bspw. die Gruppe der Wörter mit Endungen auf -phon, -graph und -phot zählt. Der Übergang dieser Empfehlung in den Sprachgebrauch, so zeigt sich an Zacheos Untersuchung, ist nie übereinstimmend erfolgt. Insgesamt stellt Zacheo (2006) in ihrer vergleichenden Untersuchung Schweizer Zeitungen fest, dass Zeitungen wie der Tages-Anzeiger und die NZZ unterschiedlich mit dem Terminus „Eindeutschung“ umgehen, wobei sie den Tages-Anzeiger als eher progressiv und die NZZ als konservativ bezeichnet. 85 Trotzdem hat sie etliche Beispiele herausgearbeitet, die zeigen, dass auch eine partielle Eindeutschung möglich ist, wie in den Schaffhauser Nachrichten an dem Lexem Negligé und Dékolleté abzulesen ist. Auch der Tages-Anzeiger bietet derlei Beispiele für die Schreibweise mit é/ ee, die bei einigen Lexemen auch bedeutungsunterscheidend ist. In einem folgenden Unterkapitel werde ich kurz auf ein paar Spezifika der NZZ eingehen. Als Eigenheit bezeichnet Zacheo die Behandlung der Umlautschreibung durch die NZZ. Diese hat, so eruierte sie, nämlich schon in der Zeit vor 1996 überschwänglich von Überschwang statt wie nach alter Rechtschreibung richtig 85 Einleitend zur 13. Auflage des Vademecums schreibt die NZZ, an welchen Maßgaben sie sich orientiert hat: „[…] Einbezogen sind auch die Beschlüsse der deutschen Kultusminister und der schweizerischen Erziehungsdirektoren zur Rechtschreibreform 2006 und deren Umsetzung. Eindeutigere Regeln wurden durch die NZZ dort gesetzt, wo Vorschriften zu unbestimmt oder sogar mehrdeutig gehalten sind.“ Hausorthografien in der Schweiz 259 überschwenglich geschrieben. Es ist natürlich klar, dass die Presse schon in der Zeit vor 1996 Hausorthografien und Hausregeln geführt hat. Von der NZZ ist bekannt, dass sie seit 1971 ein Vademecum mit technischen Regeln und Einzelfestlungen verwendete, das Abweichungen von der damals gültigen Fassung des Dudens in Bezug auf einzelne Einträge enthielt. Peter Müller, Mitglied der SOK und des SDA, schreibt hierzu in einem Artikel vom 9. August 2009 mit dem Titel „Was bei der Sprache wirklich auf dem Spiel steht“, dass sich die ä-Schreibung, anders als bei etlichen anderen Beispielen, die die Reform durch zufälliges „Herauspicken“ zutage gefördert hat, hier durch sorgsam durchdachte Wortbildungsanalysen im Laufe der Zeit herausgebildet hat (www.nzz.ch/ was_bei_der_sprache_wirklich_auf_dem_spiel_steht-1.3284272, Stand: 12.10.2017). Auf der Wikipedia-Seite von Walter Heuer (https: / / de. wikipedia.org/ wiki/ Walter_Heuer, Stand: 1.3.2017) geht man sogar soweit, dass bei der Orthografieumstellung Vorschläge als Abweichungen zum damaligen Duden wie der von der NZZ festgelegten Schreibweise überschwänglich übernommen wurden. Da nach meinen Recherchen schwer nachzuvollziehen ist, wie die Herleitung zu überschwänglich durch die NZZ erfolgt ist, erweckt diese Aussage den Anschein, dass sich die Autoren des Regelwerks animiert fühlten, die Schreibweise von einer Redaktion der NZZ in der neuen Form zu übernehmen, was einen Beigeschmack von Willkür und Ignoranz gegenüber dem historischen Hintergrund eines Lexems hinterlässt, mit der in der Tagespresse gegenüber den Autoren des Regelwerks oftmals argumentiert wird. Dass der NZZ eine eher konservative Haltung zugeschrieben wird, liegt an dem Bekanntheitsgrad geschickt ausgewählter Einzelfälle, die die NZZ öffentlich in ihrem Vademecum aufführt, wie Orthographie statt Orthografie. Insgesamt werden Spezialfälle aufgeführt, bei denen entgegen der Dudenempfehlung zur Kleinschreibung die Großschreibung angewendet wird wie bei an Kindes statt, Hungers sterben, oder entgegen der Empfehlung von Duden und Wahrig mit Bindestrich bei Candlelight-Dinner. Abweichend vom Grundsatz, die herkömmliche Schreibweise der neuen vorzuziehen, findet sich gleichermaßen bei der NZZ z.B. die Anwendung der z-Schreibung als Hauptvariante wie in Finanz - finanziell, Substanz - substanziell. In der 13. Auflage des Vademecums der NZZ wird deutlich, an welchen Maßgaben man sich orientiert hat: […] Einbezogen sind auch die Beschlüsse der deutschen Kultusminister und der schweizerischen Erziehungsdirektoren zur Rechtschreibreform 2006 und deren Umsetzung. Eindeutigere Regeln wurden durch die NZZ dort gesetzt, wo Vorschriften zu unbestimmt oder sogar mehrdeutig gehalten sind. Den oberflächlichen Blick auf die bisherigen Erkenntnisse gewandt, lässt sich feststellen, dass die Redaktionen der Tageszeitungen in weiten Teilen die amtliche Norm übernommen haben, aber hinsichtlich einzelner Lexeme an der Hausorthografien 260 alten Schreibung festhalten. Es handelt sich weniger um eine umfängliche hausorthografische Eigenleistung, sondern mehr um Einzelschreibungen und Sonderlinge, mit denen man versuchte, einem Bruch mit dem gewohnten Schriftbild und einer vermeintlich andersartigen Phonetik entgegenzuwirken wie in Gemse und Gämse. Dies bezeichnet bspw. die NZZ laut einem Beitrag im Feuilleton vom 15.5.2000 (Nr. 112, 36) als sprachpflegerischen Akt wie auch im Falle von Quentchen statt neu Quäntchen. Die Schweizerischen Redaktionen behalten sich vor allem im Bereich der Fremdwortschreibung Eigenheiten vor, die der Tatsache geschuldet sind, dass die politische Ausrichtung der Gleichbehandlung aller Amtssprachen keine konsequente Eindeutschung zulässt. Aus den Papieren der schweizerischen Arbeitsgruppe „Rechtschreibreform“ aus dem Jahr 1993 geht hervor, dass in Sachen Eindeutschung französisch- oder italienischstämmiger Fremdwörter durch die EDK Zurückhaltung geübt wird, da Deutschschweizer an der herkunftssprachlich orientierten Schreibung keinen Anstoß nehmen. Auch in anderen Teilbereichen hat die NZZ im Jahr 2000 die Regeln nur teilweise übernommen. Beispielsweise wurde bei Fügungen aus Adjektiv auf -ig, -isch und -lich und Verb grundsätzlich getrennt geschrieben, auch wenn die Verbindung eine verfestigte Gesamtbedeutung angenommen hat. In der Vorlage zu den Änderungsvorschlägen am Bereich Getrennt- und Zusammenschreibung aus 2005 wurde darauf hingewiesen, dass es im Bereich „Zusammensetzungen mit adjektivischem erstem Bestandteil“ Grauzonen und sprachliche Entwicklungen gibt, die darauf hinauslaufen, dass eine Wiedereinführung der Unterscheidung zwischen eigentlicher und übertragener Bedeutung für angebracht gehalten wurde. Diesem Umstand wurde im Regelwerk in der Fassung von 2006 durch Öffnung des Entscheidungsspielraums Rechnung getragen. Bei Verb-Verb-Verbindungen erläutert Zacheo (2006), dass für den damals noch nicht ausführlich geregelten Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung die von ihr untersuchten Zeitungen generell getrennt schrieben, was von der Position herrührt, dass eine generelle Getrenntschreibung von Verbindungen aus zwei Verben einfacher lehrbar sei. Die Arbeitsgruppe des Rats für deutsche Rechtschreibung, die sich auftragsgemäß um den Bereich § 34 (4) - Verbindungen mit verbalem erstem Bestandteil - bemühte, stellte hierzu in ihrer vierten Sitzung zwei Regelungsvarianten vor, die zur Hauptregel die Getrenntschreibung hatten, mit Zusammenschreibung als Alternative bei Verbindungen mit bleiben oder lassen als zweitem Bestandteil bei übertragener Bedeutung. Auch hier ist von keiner Abweichung vom Regelwerk oder den Empfehlungen vom Duden die Rede, sondern vielmehr von einer Festlegung in Richtung auf eine Regelungsvariante, die zuvorderst auch später die von den Mitgliedern des Rats für deutsche Rechtschreibung präferierte Schreibweise ist, die sich in diesem Fall ganz an der Hausorthografien in der Schweiz 261 neuen Regelung orientiert, ohne Unterscheidung zwischen übertragener und wörtlicher Bedeutung. Dass die NZZ insgesamt einen durchmischten konservativ-fortschrittlichen Stil pflegt, zeigt sich an der folgenden kurzen Zusammenführung von Beispielen, wo sie entgegen der Dudenempfehlung Orthographie statt Orthografie verwendet, den Spezialfall Großschreibung statt Kleinschreibung bei Wendungen wie an Kindes statt, Hungers sterben und entgegen der Duden- und Wahrigempfehlung Candlelight-Dinner mit Bindestrich schreibt. Wiederum verhält sie sich abweichend vom Grundsatz, die herkömmliche Schreibweise gegenüber der reformierten Schreibung zu bevorzugen, wie bei der z-Schreibung als Vorzugsvariante beispielhaft an Finanz - finanziell, Substanz - substanziell abzulesen. Neben substanziell ist auch substantiell zulässig, was von Peter Gallmann als traditionsbedingte Variante beschrieben wird, da hier Zugeständnisse an den Schreibenden in Hinsicht auf gespeicherte Schreibschemata gemacht werden. Der progressiv-avantgardistische Charakter der NZZ zeigt sich auch exemplarisch an der Häufigkeit der Verwendung der alten Schreibweise Schiffahrt, die seit der Reform von 1996 nicht mehr regelhaft ist und von der NZZ auf die Schreibung aller 3 Konsonanten umgestellt wurde. Zu erwarten ist, dass die Artikel und Beiträge aus der Zeit vor 1996 durchgängig die Schreibung mit zwei / ff/ enthalten, während die Schreibweise mit drei / fff/ nach der Umstellung von 1996 zu finden ist. Durchsucht man das Online-Archiv der NZZ (https: / / zeitungsarchiv.nzz.ch, Stand: 1.3.2017), finden sich einige wenige Ausreißer in alter Schreibweise / ff/ , die wohl mehr der Unachtsamkeit der Schlussredaktion zu verdanken sind als dem Eifer, die Schreibweise von vor 1996 zu praktizieren (siehe Beispielartikel „Kontroverse um den Pegelstand auf den Gewässern“ vom 15.7.2013, man beachte hier die verwendeten Schreibweisen Schiffahrtsverordnung und Schifffahrtsverordnung). Es finden sich vier weitere Treffer, die zeigen, dass hier entweder alteingesessene Verfechter der herkömmlichen Rechtschreibung von vor 1996 am Werk gewesen sind, Unachtsamkeit oder Schlamperei der Schlussredaktion vorliegt oder es sich schlichtweg um eine hausorthografische Variante handelt, die in dem Leitfaden der NZZ noch nicht offiziell bekannt gegeben worden ist. Zacheo (2006) hat in ihrer vergleichenden Analyse festgestellt, dass die Schweizer Zeitungen sehr inkonsistent oder uneinheitlich mit der Anwendung der nach der Neuregelung geltenden Regeln umgehen. Ihr Untersuchungsfokus lag vornehmlich auf dem Vergleich unter den Zeitungen, so dass sie Aussagen darüber traf, worin sich die Zeitungen unterschieden, eigene Wege gingen oder hybride Mischformen entwickelten (siehe Thema „Eindeutschung“ bei Fremdwörtern). Dennoch hält sie fest, dass die Zeitungen Hausorthografien 262 ein praktiziertes eigenes Rechtschreibsystem führen und sich gemeinsam von der geltenden amtlichen Regelung unterscheiden. Die von Zacheo beobachtete Uneinheitlichkeit stellt ihr zufolge auf die Tatsache ab, dass Zeitungen wie die NZZ auf der einen Seite Varianten bevorzugen, die zwar nach der neuen Rechtschreibung erlaubt sind, aber sich an der herkömmlichen Rechtschreibung orientieren wie in Alptraum (wobei Alptraum auch nach der neuen Rechtschreibung die bevorzugte Variante ist), Stengel oder selbständig. Zum anderen orientiert sich die NZZ bei bspw. Verb-Verb-Verbindungen an den Regeln der neuen Rechtschreibung, indem sie, wie auch bei Daniela Zacheo (2006, S. 206) beschrieben, diese Verbindungen in der Regel getrennt schreibt, wenngleich sie bei übertragener Bedeutung auch die Möglichkeit der Zusammenschreibung zulässt. Hier verfährt die NZZ laut Zacheo als einzige so; die anderen von ihr untersuchten Zeitungen praktizieren die nach den neuen Regeln geltende Getrenntschreibung. Insgesamt attestiert sie der NZZ ein eher konservatives Verhalten in Bezug auf die bevorzugte Variante, wenn Doppelschreibung erlaubt ist. Der Tages-Anzeiger befolgt progressiv die neuen Regeln, verhält sich aber in Einzelfällen mit Umlautschreibung konservativ (bspw. aufwendig). Für die Aargauer Zeitung hat sie ein ähnlich uneinheitliches Bild wie von den von ihr untersuchten Schweizer Zeitungen, mal konservativ, mal avantgardistisch. Ich möchte mit Bezug auf meine zwar nicht umfängliche, aber aussagekräftige Kurzanalyse zusammenfassend feststellen und behaupten, dass unter den untersuchten Schweizer Zeitungen mittlerweile eine größere Einheitlichkeit herrscht als zunächst angenommen. Des Weiteren behaupte ich, dass die vermeintlich von den Zeitungen öffentlich bekundeten hausorthografischen Regelungen in keinem so großen Umfang von der amtlichen Regelung abweichen, wie in der Presse lanciert wird. In dem Leitfaden der Schweizerischen Bundeskanzlei (2012) zur deutschen Rechtschreibung heißt es bezüglich der Hausorthografien bekannter fortbestehender Zeitungen wie der NZZ: Unter dem Strich sind die Besonderheiten dieser Hausorthografien jedoch keineswegs eine Bedrohung der Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung […]. Sehr vielen Leserinnen und Lesern fallen solche hausorthografischen Eigenheiten jedoch gar nicht auf - ein Zeichen dafür, dass sie sich nur auf begrenzte Bereiche beschränken und die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung und damit die schriftliche Kommunikation keineswegs beeinträchtigen, sondern eher die Ausdrucksvielfalt bereichern, […]. (ebd., S. 15) Es lässt sich festhalten, dass, wenn von Verlagen und Printmedien behauptet wird, sie hätten sich der Reform nicht angeschlossen, damit gemeint ist, dass Zeitungen wie die vorher genannten im Bereich der Fremdwortschreibung, Bindestrich- und Zeichensetzung Eigenwilligkeiten entgegen manch einer Duden-Empfehlung entwickelt haben, jedoch weder im Bereich der Groß- Hausorthografien in der Schweiz 263 und Kleinschreibung noch der Getrennt- und Zusammenschreibung wesentlich von der amtlichen Norm differieren. Hierbei ist auch anzumerken, dass die Zeitungen ihre Schreibung, zumindest da, wo sich alte und neue Schreibung gegenüberstehen und Doppelschreibung möglich ist, auch nicht nur starr auf die herkömmliche Schreibung von vor 1996 ausrichten (siehe Kurzanalyse in der Fußnote). 86 Die Zeitungen haben sich aktuell mit der amtlichen Norm in Einklang gebracht und führen meines Erachtens keine Hausorthografien, sondern vielmehr Präferenzregelungen, die sich vermutlich aus der Beobachtung des Schreibusus heraus entwickelt und verankert haben und von den Zeitungen anerkannt wurden. Innerhalb eines orthografischen Anpassungsprozesses sind Zeitungen und Verlage vor die Aufgabe gestellt, aktuelle Entwicklungen ständig gegenzuprüfen, da der Gebrauch von Schreibweisen Beliebtheit und Trends unterworfen ist, so dass gerade in Hinblick auf die Zulassung von Varianten dem Schreibgebrauch Rechnung getragen wird. Die Schreibweisen der Zeitungen entsprechen in weiten Teilen der amtlichen Norm, wenngleich immer wieder behauptet wird, dass sie sich im Zweifel immer auf die herkömmliche Variante vor 1996 beziehen oder bestimmte Regelungen ganz aufgegeben haben. 86 Anhand einer Onlinerecherche bei den aufgeführten Schweizer Tages- und Regionalzeitungen zeigt sich die unterschiedliche Verwendung von Schreibweisen am Beispiel von „Erste Hilfe“: Schaffhauser: KS Tagesanzeiger: GS St.Galler Tagblatt: GS/ KS Glattaler: KS Zürcher Oberländer: GS/ KS Solothurner Zeitung: GS/ KS Blick: KS Willisauer Bote: GS Aargauer Zeitung: KS Bündner Tagblatt: GS Berner Zeitung: GS/ KS Thurgauer Zeitung: GS Der Bund: GS Basler Zeitung: GS Sonntagsblick: GS Luzerner Zeitung: KS Hausorthografien 264 7.3.6 Hausorthografien von schweizerischen und bundesdeutschen Tageszeitungen im Vergleich und das Verhältnis zum allgemeinen Sprachgebrauch Um noch ein paar wenige Worte über die aktuelle Lage der Hausorthografien bei bundesdeutschen Presseorganen zu sagen, ziehe ich die FAZ und Die Zeit zu Rate. Die mediale Auseinandersetzung um die Rechtschreibreform von 1996 ist durch die FAZ im Besonderen geprägt worden, da sie zahlreichen reformgegnerischen Stellungnahmen Raum für eine prominente Platzierung geboten und aktiv in der Diskussion mitgewirkt hat. Für die FAZ war die Rechtschreibreform wie für einige namhafte Schriftsteller umstritten. Kurz nach dem Start der Umsetzung kehrte diese zur herkömmlichen Rechtschreibung zurück (August 2000), was nicht von allen Zeitungen gutgeheißen und als Alleingang deklariert wurde (siehe Der Spiegel vom 1.8.2000). Im Jahr 2006 gab der Herausgeber der FAZ, Günther Nonnenmacher, in einem Beitrag bekannt, dass die FAZ sich den neuen Regeln nicht gänzlich verweigern will, und begrüßte die sogenannten Kompromiss-Regeln. Dennoch werde die Einführung einer Hausrechtschreibung erwogen, so hieß es in dem Beitrag „FAZ erwägt Hausrechtschreibung“. Aus einem Beitrag der Netzeitung geht hervor, dass es sich bei den sog. Hausregeln um Wortlisten mit Abweichungen von der reformierten Schreibung handelte. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch einen Spagat zwischen den Regeln der reformierten Schreibung und der Anwendung der herkömmlichen Schreibung zu bewältigen gibt und ob die Verwendung der einen oder anderen Schreibweise den aktuellen Schreibgebrauch widerspiegelt. Hierzu möchte ich noch die Verwendung in einzelnen Tageszeitungen (FAZ, NZZ und Tages-Anzeiger) mit den Einzelauswertungen aus den im Jahr 2013 vorgenommenen Erhebungen der AG Korpus zum Schreibgebrauch und zur Akzeptanz der geltenden Rechtschreibregeln und den Präferenzen bei Variantenschreibung vergleichen. Ich habe mir hierzu einige Beispiele aus den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung und Groß- und Kleinschreibung herausgegriffen, die auch in der Einzelauswertung der AG Korpus in 2013 in der Juni-Sitzung des Rats vorgestellt wurde (siehe auch die nachfolgende Tabelle). Hier wurden zusammengesetzte Verben mit einem adjektivischen ersten Bestandteil bei übertragener Bedeutung wie bei schiefgehen (im Sinne von ‘misslingen’, nach § 34 (2.2)) im Zeitraum von 1995 bis 2011 untersucht sowie Verbindungen aus Verb und Verb (nach § 34), inoffizielle Eigennamen (nach § 60 (5)) und fachsprachliche Begriffe (nach § 64). Hausorthografien in der Schweiz 265 Die Information zum aktuellen Schreibgebrauch bei den drei Beispieltageszeitungen in der sich anschließenden Tabelle habe ich deswegen zusammengetragen, weil bei der Recherche in den Archiven und offenen Ressourcen der Tageszeitungen oftmals auffällt, dass unterschiedliche Schreibungen für ein Item angewandt werden. Ohne auf die einzelnen Beispielbereiche separat einzugehen und die drei untersuchten Zeitungen in jeder Einzelheit miteinander zu vergleichen, möchte ich verallgemeinernd feststellen und an dieser Stelle vorwegnehmen, dass Zeitungen einen eigenen „allgemeinen“ Sprachgebrauch festlegen und nicht den durch die AG Korpus ermittelten Sprachgebrauch abbilden. Wenngleich sich Änderungen im grammatischen oder lexikalischen System nur langsam und schwerfällig durchsetzen, erfahren die Zeitungen, wie nachfolgend anhand einer Korrespondenz mit einem Korrektor der FAZ erläutert, einen Eingriff oder eine Anpassung in den Sprachgebrauch vornehmlich durch den die neue Rechtschreibung praktizierenden Neuling in den jeweiligen Redaktionen. In der praktischen Sprachpflege bedeutet dies, dass die von vielen Zeitungen praktizierten Prinzipien wie „bei Varianten die Herkömmliche“ sowohl standardsprachliche Vorgaben für Verwaltung und Schule verletzen wie auch die aktuelle Gegenwartsschriftsprache nicht abbilden, indem sie an Strukturen festhalten, die in der Öffentlichkeit an Bewusstsein verloren haben. Die kritische Beobachtung des aktuellen Sprachgebrauchs und die Entwicklung von Präferenzen und Vorzügen durch die AG Korpus vom Rat für deutsche Rechtschreibung habe ich anhand der nachstehenden Tabelle mit dem Nachrichten-Code oder der Ausdruckssowie Schreibweise einer bundesdeutschen und zweier Schweizer Zeitungen in Zusammenhang zu bringen versucht. Ein Blick auf die Ergebnisse lässt erahnen, dass sich hier kein konsistentes Bild darstellt, weder unter der Annahme, dass die Zeitungen nur nach ihren eigens standardisierten Prinzipien Schreibweisen festlegen, noch unter der Voraussicht, dass Zeitungen neben Schule und Verwaltung als Multiplikatoren Beobachtungen zum Sprachusus anstellen und ihre hausorthografischen Regeln aufgrund der kurzfristigen Änderungen und Entwicklungstendenzen im Sprachgebrauch nicht umstellen oder anpassen. Zusammenfassend folgt die FAZ im Bereich der Groß- und Kleinschreibung in zwei Beispielen (Gelbe Karte und Erste Hilfe) zwar der aktuell gültigen Regelung und dem verzeichneten Trend oder aktuellen Sprachgebrauch, bietet aber im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung kein so eindeutiges Bild. Hier findet man bei kennenlernen zwar die vermehrte Zusammenschreibung, so wie es den Untersuchungen der AG Korpus zufolge auch dem aktuellen Sprachgebrauch Hausorthografien 266 entspricht, es findet sich aber anteilig ein nicht zu verachtender Gebrauch der getrennt geschriebenen Variante. Gegenteilig findet sich dies für schief gehen, das zwar dem anfänglichen Trend entsprechend in der FAZ vermehrt getrennt geschrieben wird (da nach 1996 Getrenntschreibung die einzig zulässige Schreibung war), aber auch hier die zusammen geschriebene Variante verwendet wird. Ganz entgegen des Trends, aber dem aktuellen Regelwerk folgend, verhält sich die FAZ bei der unter § 60 (5) fallenden geografischen Bezeichnung wie Blauer Planet oder Naher Osten entgegen des ermittelten Trends zur Kleinschreibung, die sich trotz der einzig zulässigen Großschreibung laut Wahrig und ÖAW noch immer durchsetzen kann. Der Tages-Anzeiger und die NZZ harmonieren in diesem Beispiel mit dem Sprachgebrauch der FAZ. Entsprechend dem korpusanalytischen ermittelten Sprachgebrauch verwenden der Tages-Anzeiger und die NZZ die Zusammenschreibung bei schiefgehen gemäß der herkömmlichen Rechtschreibung vor 1996, während beim Tages-Anzeiger die Getrenntschreibung wie bei kennen lernen favorisiert wird. Im Bereich der Groß- und Kleinschreibung folgen Tages-Anzeiger und NZZ weitestgehend dem ermittelten Trend im Sprachgebrauch, nur im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung laufen sie dem Trend zuwider. Leider sind meiner Erkenntnis nach in der AG Korpus noch keine Untersuchungen hinsichtlich des allgemeinen Sprachgebrauchs bei entlehnten Wörtern vorgenommen worden, für die zwei mögliche Schreibungen existieren (wie z.B. Potenzial/ Potential). Von der NZZ weiß man laut Vademecum, dass sie gemäß der aktuell gültigen Schreibung die vom Duden empfohlene z-Schreibung favorisiert. Dieser Bereich ist in den Medien kontrovers diskutiert worden und hieran hätte noch einmal aufgezeigt werden können, ob die Ausrichtung des Schrift-Sprachgebrauchs der Zeitungen mit denen der Neuregelung und dem gegenwärtigen Trend einhergeht. Wenn die meisten Schweizer Zeitungen ähnlich wie die FAZ Autorenzeitungen sind, die aber auch Meldungen von Nachrichtenagenturen bekommen, dann erfordert dies eine schlussredaktionelle Hauskorrektur, die die Texte in die entsprechende Form mit der für die Zeitung typischen Praxis bringt. Ob die in der Tabelle dargestellten Inkonsistenzen von der jeweiligen mangelnden Hauskorrektur herrühren oder ob die Daten aus den Online-Pressearchiven und Datenbanken (bspw. swissdox.ch für Schweizer Zeitungs- und Zeitschriftenarchive) nicht aussagekräftig genug sind, weil die Suchfunktion und die Filtereinstellungen nach Suchwörtern und Rubriken die Suchergebnisse nicht fein genug dokumentiert sind und daher das Ergebnis verfälscht wird, lässt sich nicht immer eindeutig beurteilen. Einen Hinweis auf den aktuellen Sachstand hinsichtlich des weiter oben formulierten Spagats bezüglich der regelhaften Verwendung von Schreibweisen und der Ausrichtung auf den ak- Hausorthografien in der Schweiz 267 tuellen Sprachgebrauch gibt die Beantwortung eines Korrektors der FAZ auf meine Anfrage, ob die FAZ noch immer durchgängig nach dem Prinzip „bei einer Alternative die herkömmliche Variante“ verfahre. Dort teilte man mir mit, dass die Hausregeln, die nach der Übernahme der „reformiert-reformierten“ Rechtschreibung aufgestellt wurden, auch nach dem vorher genannten Prinzip immer schwächer wirken. Dies liegt vornehmlich an der Tatsache, dass neu hinzugewonnene junge Kollegen in Anwendung der neuen Rechtschreibung die vorhandenen Wahlmöglichkeiten gemäß dem Prinzip „Vorzugsschreibung ist die herkömmliche (vor 1996) Variante“ bei der Variantenschreibung nicht mehr nutzen und sich dem aktuellen Sprachgebrauch insofern angepasst haben, als dass sie nicht vorzugsweise die herkömmliche Variante verwenden und sich dies in der aktuellen inkonsistenten Verwendung von Schreibweisen widerspiegelt. Man versuche dennoch, in Redigatur und Korrektur darauf zu achten und es gebe noch immer Ausnahmen von der reformierten Schreibung. Allerdings handelt es sich ganz offensichtlich um eine Entwicklung, in der die nachfolgende Generation von Schulabgängern die neue Rechtschreibung verinnerlicht und verfestigt hat und diese in der Praxis entgegen der hausorthografischen Empfehlungen anwendet. Diese Aussage kann ich jetzt nicht verallgemeinern, sondern vornehmlich auf die FAZ übertragen, da ich von dieser über den demografischen Wandel oder Generationenwechsel innerhalb der Redaktionen und im Verlag informiert wurde. Beispiel Bereich FAZ Tages- Anzeiger NZZ Erwarteter Trend nach Duden oder Wahrig GZS: schiefgehen/ schief gehen Mehr Getrenntschreibung als Zusammenschreibung Zusammenschreibung Mehr Zusammenschreibung als Getrenntschreibung GS GKS: Naher Osten, Schwarzer Kontinent Großschreibung Mehr Großschreibung als Kleinschreibung Mehr Großschreibung als Kleinschreibung KS GZS: kennenlernen/ kennen lernen Mehr Zusammenschreibung als Getrenntschreibung Mehr Getrenntschreibung als Zusammenschreibung Mehr Zusammenschreibung als Getrenntschreibung ZS GKS: Gelbe Karte/ gelbe Karte Großschreibung Größtenteils Großschreibung Mehr Kleinschreibung als Großschreibung GS Hausorthografien 268 Beispiel Bereich FAZ Tages- Anzeiger NZZ Erwarteter Trend nach Duden oder Wahrig GKS: Gelber Sack/ gelber Sack Kleinschreibung Keine Angaben Wenige Beispiele insgesamt, aber Tendenz zu GS GS GKS: Erste Hilfe/ erste Hilfe Großschreibung Großschreibung Mehr Großschreibung als Kleinschreibung GS (Quelle als Beobachtungselement: swissdox.ch) (Untersuchungszeitraum in den Onlinearchiven lag zwischen 2012 und 2013) Die Schweizer Zeitungen halten im Unterschied zu manch einer bundesdeutschen Tageszeitung wie der FAZ nicht mehr so stark an dem Grundsatz „bei Varianten die herkömmliche“ fest und verwenden ausschließlich Schreibweisen, die durch das Regelwerk zulässig sind. Damit will ich sagen, dass es nur wenige Abweichungen gibt, die nach dem gültigen Regelwerk unzulässig sind. Hierzu zählt nach einer Abfrage im Online-Archiv der FAZ (https: / / fazarchiv.faz.net, Stand: 1.3.2017) zum Beispiel das Adjektiv behende (reformiertes behände findet sich auch in der FAZ: 12 Treffer im Gegensatz zu 103), einbleuen (reformiertes einbläuen findet sich ebenfalls: 6 Treffer im Gegensatz zu 19), Greuel (reformiertes Gräuel findet sich auch: 53 Treffer im Gegensatz zu 460), leid tun, numerieren, plazieren (reformiertes platzieren findet sich auch zu einem relativ hohen Anteil: 397 Treffer im Verhältnis zu 932), rauh (reformiertes rau taucht ebenfalls auf, der Anteil lässt sich nicht so einfach ermitteln, da die Suchergebnisse nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung unterscheiden und Treffer zu Eigennamen Rau das Ergebnis verfälschen), Quentchen (reformiertes Quäntchen findet sich in der FAZ mit 133 Treffern im Vergleich zu 248 bei Quentchen), Stengel (reformiertes Stängel findet sich mit 17 Treffern im Verhältnis zu 91 bei Stängel) und Tolpatsch (reformiertes Tollpatsch findet sich mit 11 Treffern im Vergleich zu 34 Treffern mit der FAZ-Schreibweise). Interessant ist, dass sich mehr Suchtreffer für die reformierte Schreibung schnäuzen finden als für die hausorthografische FAZ-Schreibung schneuzen. Es zeigt sich hieran wieder, dass in keinem Beispiel konsequent und ausnahmslos die hausorthografische Schreibung praktiziert wird. Insbesondere der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung ist, wie in der Tabelle dargestellt, inkonsistent, da hier die Empfehlungen von Wahrig und Duden stärker differieren als in anderen orthografischen Teilbereichen. Der Anteil der Verwendung reformierter Schreibungen ist für meine Begriffe signifikant und schwankt zwischen 11% und 53%; in einem Fall, wenngleich die Trefferquote eh nur gering ist, überwiegt sogar die Hausorthografien in der Schweiz 269 Häufigkeit der reformierten Schreibung und die, die den aktuellen Sprachgebrauch widerspiegelt, gegenüber der hausorthografischen Variante. Abweichungen derlei Art finden sich aktuell auch bei der Schweizerischen Nachrichtenagentur SDA, die sich laut SOK auch noch weitestgehend an deren Empfehlungen orientiert. Abschließend möchte ich auf eine Arbeit von Ralf Osterwinter (2011) eingehen, in der ein Kapitel sich mit hausorthografischen Leistungen verschiedener Zeitungsredaktionen wie eben auch der FAZ beschäftigt. Osterwinter stellte fest, dass in einer Reihe von Schreibpräferenzen die unterschiedlichen Redaktionen von FAZ, Süddeutsche Zeitung und TAZ nicht homogen vorgehen. Da, wo die Wörterlisten nicht vollständig sind, wie z.B. bei substantivischen Wortgruppen oder festen Begriffen in Zusammenhang mit der Adjektivgroßschreibung wie in das Schwarze Brett, werden oftmals formale und inhaltliche Analogien und Regelbildungen gebildet, denen ein exemplarischer Wert zugesprochen wird. Da aber nicht immer eindeutig zu bestimmen ist, ob es sich bei den nicht aufgeführten lexikalischen Einträgen um idiomatisierte, fachsprachliche Verbindung oder sich aus den Bestandteilen ergebende Bedeutung handelt, kann nicht zwangsläufig von die Gelbe Karte auf bspw. die „Künstliche Intelligenz“ mit Adjektivgroßschreibung geschlossen werden, da das Adjektiv je nach Gebrauch noch seine volle Eigenbedeutung hat. Auch Osterwinter (2011) stellt fest, dass die Hausregeln zu oft suggerieren, dass die für die Hausorthografie verwendete Schreibweise entgegen der Empfehlungen im Regelwerk zu den Ausnahmeschreibungen der Presseredaktionen gehört, die aber auch im Regelwerk den korrekten Normalfall darstellen (siehe ebd., S. 131, Ausnahmeliste zur Getrennt- und Zusammenschreibung). Zudem sind die in den Hausorthografien enthaltenen Einzelfälle und Fallgruppen zum Teil unterrepräsentiert und existente Doppelschreibungen werden an der einen oder anderen Stelle nicht ausgewiesen, auch wenn diese im Bereich des alltäglich journalistischen Gebrauchs liegen. Auch die Auffassung oder Klassifikation einer Schreibweise, die der einen oder anderen Wortkategorie zugerechnet werden kann, wird in Einzelfällen nicht übermittelt oder Grenzfälle nicht als solche markiert wie bei der Großschreibung von Adjektiven auch bei fest gebrauchten Verbindungen, die nicht der Klasse der Eigennamen zuzurechnen sind (siehe Beschreibung bei Osterwinter 2011, S. 244). Damit wird über das Aufzeigen der einzelnen Beispiele, die eigentlich nur illustrierend sein sollen, auf die Regelhaftigkeit und Normierung einer ganzen Fallgruppe Bezug genommen, die auf andere Fallgruppen ausgedehnt wird. Osterwinter hat sich in einem ganzen Kapitel der Schreibweisen der FAZ angenommen und führt als eines der Leitmotive für das Entstehen der Hausorthografie auf, dass sie dem Verlust der Einheitsorthografie entgegengesetzt Hausorthografien 270 wird und der Regelungsgewalt durch staatliche Kräfte entgegengewirkt werden sollte (ebd., S. 176f.). Osterwinter gibt hier zu bedenken, dass eine amtlich geregelte Rechtschreibung in der Zeit vor der Durchsetzung der Neuregelung nur selten seitens der Presseorgane kritisiert worden ist und im Gegenteil die Regelungskompetenz durch das Dudenmonopol als zwar mandatiertes, aber privatwirtschaftliches Unternehmen auch in der Berichterstattung der FAZ umstritten diskutiert wurde. Dies lag meines Erachtens an der Tatsache, dass sich der Duden im Einband der 20. Auflage von 1991 als „maßgebend in allen Zweifelsfällen“ bezeichnet und seine Arbeit auf „Grundlage der amtlichen Rechtschreibregeln“ beschreibt, was eine besondere Nähe zum oder Anlehnung an das amtliche Regelwerk dokumentiert. Zusammenfassend stellte Osterwinter in Bezug auf die hausorthografische Regelung der FAZ fest, dass sie zum einen drei von sechs Teilbereichen gar nicht behandelt und die ohnehin schon zu kurz und unvollständig geratenen Regelungen der Presseagenturen nochmals um verschiedene repräsentative Fallgruppen gekürzt wurden. Osterwinter stellte zudem fest, dass die FAZ- Redaktionen bei zahlreichen Fügungen wie Verbindungen aus Präposition und Nomen (anstelle/ an Stelle) teilweise der „ususorientierten und inhomogenen Dudenpraxis“ folgen und sich daher Belege für beide Schreibweisen finden lassen. Diese Inkonsistenz bezieht sich auf weitere Kategorien wie die mal getrenntmal zusammengeschriebenen Schreibweise bei Adverb und Partizip wie in wohl ergangen/ wohlergangen oder wohl begründet/ wohlbegründet, obwohl der Agenturbeschluss laut Osterwinter nur Getrenntschreibung vorsieht. Ähnliche Auffälligkeiten sind im Bereich der Bindestrichschreibung zu finden, die einer hausorthografischen Schreibweise sowie der analogen Schreibung gemäß amtlich gültiger Schreibung folgen. 7.4 Hausorthografien: Fazit Es lässt sich insgesamt festhalten, dass mit den Inhalten und Diskussionspunkten der Fachdiskurse gearbeitet worden ist durch bspw. die Anwendung der amtlichen Regelung oder die Anwendung von Abweichungen, wie ich sie anhand weniger Beispiele exemplifiziert habe. Auf der Sachebene selbst habe ich keine Unterschiede zwischen den von mir behandelten Tageszeitungen feststellen können, da alle Zeitungen dieselbe Plattform und ähnliche Darstellungsweisen für die Darbietung ihrer orthografischen Festlegungen verwenden. Diese finden sich, wie ich es anhand einiger Beispiele aufgeführt habe, in den entsprechenden sprachlich-technischen Leitfäden, in denen die Richtlinien für den Umgang mit den verschiedenen Teilbereichen niedergelegt sind. Hausorthografien: Fazit 271 In einigen wenigen Fällen, wie bei der FAZ, sind vom Regelwerk abweichende Festlegungen in Form einer Wörterliste verbaut worden. Dies wird in einem Artikel (der sich bedauerlicherweise im Online-Archiv nicht mehr aufrufen lässt) mit dem Ziel oder der Absicht, die Abweichungen und die Unterschiede durch eine dort proklamierte Eigenleistung auch gegenüber der breiten Öffentlichkeit offiziell zu machen, und nicht nur innerhalb oder zwischen Redaktionen, dargestellt. Zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern gibt es, wie ich anhand markanter Beispiele aufzuzeigen versucht habe, wesentliche Unterschiede bei den hausorthografischen Festlegungen bei bspw. der Fremdwortschreibung. Die Unterschiede in der Behandlung einzelner Teilgebiete durch die Redaktionen lassen sich auf sprachpolitische Gründe abstellen wie bspw. zur Identifizierung der multinationalen Identität der Schweiz und der Abgrenzung zu bundesdeutschen Presseerzeugnissen aus dem bundesdeutschen Gebiet wie auch autorenspezifischen Präferenzen. Insgesamt lässt sich bei den von mir untersuchten Zeitungen aus dem Schweizer und bundesdeutschen Raum nicht von einer Einheitlichkeit der Hausorthografien sprechen. Eine wichtige und erwähnenswerte Auffälligkeit ist, dass die FAZ im Zuge des Reformprozesses in etlichen Berichterstattungen von einer Anpassung ihrer Hausregeln im Sinne einer Abkehr von der amtlichen Rechtschreibung schreibt. Hierbei handelt es sich meines Erachtens noch viel deutlicher als bei den anderen von mir untersuchten Tages- und Regionalzeitungen um demonstrative „Schibboleths“, von denen klar ist, dass diese von der FAZ zur Verschleierung der Tatsache geführt werden, dass sie eigentlich ganz auf die neue Rechtschreibung umgeschwenkt sind. Da die Einwände der FAZ im Laufe der Implementierung immer wieder so „lautstark“ und öffentlichkeitswirksam platziert worden waren, ließe sich eine völlige Abkehr von der früheren Tonlage gegen die Rechtschreibreform nicht erklären, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Einleitung 273 8. MEDIALE DISKURSE IM DEUTSCHEN SPRACHRAUM 8.1 Einleitung Die in der Öffentlichkeit geführten Diskurse zur Orthografie haben ihren Nährboden vor allem in den Printmedien gefunden und waren geprägt von einer Debatte des Angriffs auf die deutsche Sprache als statisches Element, ein Kulturgut, das unveränderlich bleiben soll. Daher wurde im Besonderen um den Sinn und Mehrwert einer Reform als gesellschaftliche Notwendigkeit gestritten und weniger um bspw. die Ordnungsprinzipien und die didaktischen Erwägungen, also die inhärenten Gründe einer Reform der deutschen Rechtschreibung. Die Rechtschreibreform wurde in den Printmedien innerhalb der Ressorts Bildung, Politik und im Kulturteil diskutiert, was den medialen Diskurs nicht nur auf Sachebene oder auf der politischen Ebene ansiedelte und was es durch den Wechsel journalistischer Darstellungsformen besonders schwierig macht, diesen Diskurstyp zu beurteilen. Anhand des vorherigen Kapitels habe ich aufgezeigt, dass einzelne Themen aus den Fachdiskursen, die auch von den Medien aufgegriffen wurden, wie bspw. Hausorthografien, einer Überprüfung bedürfen, da bei den Zeitungen nicht immer deutlich wird, ob die praktizierten Hausorthografien tatsächlich von den Empfehlungen im Regelwerk abweichen und wenn doch, in welchem Umfang sie Eigenleistungen erbracht haben. Daran zeigt sich auch die persönliche Betroffenheit der Medien im Umgang mit diesem Thema, das zum Spiegel der Unzufriedenheit der gesamten Branche gegenüber der Neuregelung geworden ist. Es sind aber nicht nur die Medien selbst als Akteure, sondern innerhalb der medialen Diskurse gibt es ebenso vielfältige Aktanten wie dort enthaltene Positionen und Ausrichtungen. Printmedien stellen sich gerade in der Diskussion um die deutsche Rechtschreibung in den Dienst gesellschaftlicher Akteure und erlauben je nach Positionierung Einzelpersonen wie Sprachkritikern, die ich aus dem politischen wie fachlichen Umfeld identifiziert habe, als Fürsprecher der „öffentlichen Meinung“ aufzutreten. Die Rezipienten kann ich nur allgemein benennen, da, wie ich meine eruiert zu haben, Informationen nicht immer zielgruppenspezifisch verbreitet werden. Empfänger sind daher der tägliche Zeitungsleser, der aufgeklärt werden muss, bis hin zu den verantwortlichen politischen Entscheidungsträgern, Kritikern, Befürwortern, Sprachinteressierten und von der Reform Betroffenen wie Eltern und Lehrer. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 274 Mit Hilfe diskursanalytischer Mittel habe ich erforscht, welche spezifischen Themen in den medialen Diskurs eingebracht wurden und auf welche Weise und ob sie als Reaktion oder Antwort auf einen politischen oder fachlichen Diskurs zu verstehen sind. Es wird sich zeigen, dass die Medien zwar eine Plattform für verschiedene Positionen und Perspektiven bieten sollten, aber häufig einen, wie ich es nennen möchte, einseitigen Nachrichtenwert transportierten wie bspw., die Reform als Angriff auf die Sprache zu werten. Dadurch verwischt die Wahrnehmung der anderen Diskurstypen, weil sie sich meist immer derselben Quellen bedienten. Eine Stärke der medialen Diskurse ist dennoch, dass sie, insofern sachgerecht konstruiert, wie an anderen Ländern ersichtlich, sich als Multiplikatoren von Akzeptanz erweisen können und sich aus ihnen ablesen lässt, was als gesellschaftlich relevant angesehen wird, was ich im Folgenden genauer ausführen werde. 8.2 Die vermeintlichen Folgen der Rechtschreibreform: bundesdeutsche Artikel aus der jüngsten Zeit In einem Artikel der FAZ vom 1.9.2011 lautet der Titel „Viele Grundschüler können nicht schreiben“, aus dem eine der streitbarsten Behauptungen hervorgeht, die die Presse im Zusammenhang mit den Folgen der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung hervorgebracht hat. In diesem Kapitel möchte ich anhand von Artikeln, die eine eindeutige Aussage zu den Rechtschreibleistungen von Schülern aus jüngster Zeit machen, die aktuelle Diskussion um Rechtschreibkompetenzen deutscher Schüler im Zusammenhang mit den Folgen und Auswirkungen der Rechtschreibreform beleuchten. Wie auch schon im vorhergehenden Kapitel aufgezeigt, gibt es zwar Festlegungen bei der Erfassung von Rechtschreibleistungen, aber noch keine gesicherten Verfahren, die aufzeigen könnten, dass sich Fehlleistungen in der Orthografie bei Schülerinnen und Schülern aus den aktuellen Regeln des Regelwerks ableiten lassen. Jedoch zeige ich im Folgenden auf, mit welchen Vorurteilen und Missverständnissen sich die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in der Presse konfrontiert sieht. Die häufig auftauchende These lautet nämlich, dass immer weniger Schüler richtig schreiben können und die grundlegenden orthografischen Kenntnisse bis zum Ende der Primarstufe nicht beherrschen. Dies wird auch in einem Artikel bei www.bildungsklick.de vom 28.7.2008 mit dem Titel „Rechtschreibreform: Schüler machen doppelt so viele Fehler“ konstatiert, wo es heißt: Angeblich machen Schüler an deutschen Schulen seit dem Inkrafttreten der Rechtschreibreform vor zehn Jahren annähernd doppelt so viele Fehler wie zuvor. Die vermeintlichen Folgen der Rechtschreibreform 275 und weiter heißt es: Die Fehler haben sich gerade in den Bereichen vermehrt, in denen die Reformer regulierend in die Sprache eingegriffen haben, so der Dozent an der Universität des Saarlands. Ähnliche Aussagen lassen sich auch aus einem aktuellen Artikel im Spiegel vom 28.3.2013 mit dem Titel „Rechtschreibung bei Schülern: ‘Ich fant den Film gemein’“ ableiten. Hieran schließt sich ein Artikel jüngster Zeit zu den Rechtschreibleistungen von Studierenden an: Studenten können keine Rechtschreibung mehr - Vorraussetzung, wiederrum, Kommulitionen - eine genervte Politik-Dozentin berichtet über den abenteuerlichen Umgang mit der deutschen Sprache in Seminararbeiten. (FAZ, 27.3.2014) Im Einzelnen wird in dem Beitrag moniert, dass die Studenten weder die Kommasetzung noch die Groß- und Kleinschreibung beherrschen. Weiter heißt es: Es werden vielmehr auch Fehler gemacht, mit denen man nicht einmal einen Hauptschulabschluss kriegen dürfte - und da hilft auch nicht der Hinweis auf die flächendeckende Verwirrung, die die unsägliche Rechtschreibreform hervorgerufen hat […]. (ebd.) Hier äußert sich wieder klar, dass neben dem deutschen Bildungssystem die Rechtschreibreform als Mitverschulder für den aktuellen Missstand an Schulen und Hochschulen verantwortlich gemacht wird. Reformkritiker führen diese Aussage und ähnliche Aussagen als Resultat des Reformprozesses an und führen Befunde aus Studien auf, die belegen sollen, dass die verschlechterten Rechtschreibleistungen als Folge der Neuregelung der Rechtschreibung zu verstehen sind. Aus dem oben erwähnten Artikel von Heike Schmoll (politische Korrespondentin der FAZ für den Bereich Bildung) gehen zwei aktuelle und zentrale Aussagen und zugleich Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Thema Orthografieerwerb hervor. Zum einen wird konstatiert, dass Grundschüler verschiedener Bundesländer am Ende der Primarstufe noch erhebliche Rechtschreibschwächen aufweisen (am Beispiel eines Hamburger Schülers) und dass die zuständigen Kultusminister bei der internationalen Schulleistungsstudie IGLU die Entwicklung der Rechtschreibkenntnisse als Testdomäne im Fach Deutsch bewusst ausklammern und diese nur in Form des nationalen Ländervergleichs, wie er 2009 für die Sekundarstufe I durchgeführt worden ist, getestet wird. Eine umfassende empirische Untersuchung, die eine nationale Erweiterung zur internationalen Schulleistungsstudie darstellt, 87 ist der Frage der orthografischen Kompetenz im Zusammenhang mit dem Leseverständnis im Rah- 87 Für die Rechtschreibleistungen der deutschen Schüler gibt es noch keine internationalen Vergleichswerte, so dass die Überprüfung der Orthografiekompetenz im Testdesign eine nationale Erweiterung bleibt. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 276 men der Studie IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung, unter wissenschaftlicher Leitung von Wilfried Bos der Universität Dortmund) in den Jahren 2001 und 2006 in deutschen Grundschulen auf den Grund gegangen. Ziel der Studie war auch, Einsicht in den Erwerb von Schriftsprachkompetenzen zu erlangen und zu einer Modellierung von Rechtschreibfähigkeiten anhand der Beschreibung von Kompetenzstufenmodellen zu gelangen. Eines der Erkenntnisse der Studie lautet nach einer Auswertung von Andreas Voss (IFS Dortmund), dass der in der aktuellen Form praktizierte Rechtschreibunterricht eine Verunsicherung bei den Schülern auslöse, die durch die Verwendung der Variantenführung hervorgerufen wird. Es ist für mein Dafürhalten aber nicht allein die vermehrte Variantenführung, sondern insgesamt die Fülle an Rechtschreibregeln, die angesiedelt auf unterschiedlichen Kompetenzstufen bei rechtschreibschwachen Schülern zwar vorhanden sind, aber nicht korrekt angewendet werden können. Es ist also nicht der Zugang zur Rechtschreibung allein, sondern die im Unterricht verwendete methodische Vorgehensweise zur Vermittlung der Regeln, die weiterentwickelt werden müssen. Die Erkenntnisse wurden in der Fachwissenschaft gerne als Folge der seit 1996 vorgenommenen Änderungen am Regelwerk angesehen, ohne hier vielmehr schulpolitisch falsch gestellte strukturelle Fragen mit einzubeziehen und daraus folgernd bei methodisch unzureichend oder gar falsch installierten Instrumenten in der Schulpädagogik oder Fachdidaktik anzusetzen. Bevor die Frage auf die eine oder andere Art beantwortet werden kann, möchte ich kurz auf die politische Reaktion auf derlei Artikel eingehen. Aus einer gemeinsamen Stellungnahme verschiedener Bundesländer (BW, BY, BB, BE, HE, NRW, TH) in Form eines gemeinsamen Berichts geht hervor, dass die Aussage, wie sie in dem Artikel der FAZ vom 1.9.2011 gegenüber den Rechtschreibleistungen der Grundschüler gefällt wurde, falsch ist. Die KMK hat die Ergebnisse von IGLU und IGLU-E insgesamt positiv bewertet, für den Bereich Orthografie sind konsistente und positive Veränderungen zu verzeichnen, ebenso wie im Bereich der Lesekompetenz (dies wurde anhand des Anteils der richtig geschriebenen Wörter für Nicht-Migrantenkinder im Vergleich der Erhebungszeitpunkte gemessen - 51,3% im Jahr 2001 für 12 Bundesländer im Vergleich zu 2006 mit 57,8% für 16 Bundesländer), wobei die Fachwissenschaft (Andreas Voss, IFS Dortmund) diese Ergebnisse differenziert bewertet und die wahrgenommenen Fehlschreibungen in Abhängigkeit von der Vielfalt und Fülle an Regeln, die im Unterricht vermittelt werden, kein zufriedenstellendes Ergebnis darstellen. Dies gilt weder für die zu erwartenden Rechtschreibleistungen noch für aktuelle Unterrichtskonzeptionen (siehe hierzu auch Kapitel 6.2.7). Im Detail bestehen bei den Schülern Unsicherheiten be- Die vermeintlichen Folgen der Rechtschreibreform 277 züglich der Groß- und Kleinschreibung und bei der Zeichensetzung, was darauf zurückzuführen ist, dass die zu testenden Entwicklungsstufen nicht strikt aufeinander folgen und nicht einfach zu entscheiden ist, ob eine Abweichung von der Norm in Form eines Fehlers auf das Nicht-Erreichen der jeweiligen Entwicklungsstufe abzustellen ist oder eine falsch angewendete Rechtschreibstrategie aufgrund von Unsicherheiten über die anzuwendende Rechtschreibregel besteht. Fehlerkategorien wie die irrtümliche Kleinschreibung am Satzanfang oder irrtümliche Großschreibung können den schon erwähnten Kompetenzstufen im Orthografieerwerb zugerechnet werden. Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass sich die AG „Schulischer Gebrauch“ innerhalb des Rats für deutsche Rechtschreibung aktuell an eine didaktische Aufarbeitung und Neuformulierung des amtlichen Regelwerks macht, um die Anwendung im Unterricht zu erleichtern. 88 Um wieder auf die zentralen Aussagen der gemeinsamen Stellungnahme zurückzukommen, sei gesagt, dass Mädchen wie auch Jungen von 2001 bis 2006 laut der eingangs erwähnten Studie ihre orthografischen Kompetenzen insgesamt steigern konnten. Es ist sogar ein positiver Trend auszumachen, der sich in den folgenden Jahren noch deutlicher herauskristallisieren wird. Wenngleich mit der IGLU-Studie Kompetenzmessungen in verschiedenen Bereichen unter Einfluss soziokultureller Hintergründe (Kinder aus Migrantenfamilien) vorgenommen und auch geschlechterspezifische Unterschiede (ähnlich wie bei DESI) gemessen werden sollten, wirft die Ergänzungs-Studie (IGLU-E) dennoch ein recht einheitliches Bild auf die aktuellen Orthografiekompetenzen deutscher Grundschüler. Zur Aufwertung der Ergebnisse empfiehlt es sich, noch vertiefte Analysen zu Fehlerquellen und Art der Fehler in die Modellierung mit aufzunehmen. Der Ländervergleich 2009 beschäftigte sich ebenfalls mit der Überprüfung des Kompetenzbereiches Orthografie; in diesem ist der Rat für deutsche Rechtschreibung in die Arbeiten am IQB einbezogen worden. Das Fazit zu der eingangs erwähnten medialen Kritik lautet, dass aktuelle Schul- und Unterrichtsentwicklungen mit neuen Schwerpunkten (z.B. Fokus auf „Lesen-durch-Schreiben“-Methodik von Jürgen Reichen im Unterricht) das aktuelle Bild zu Rechtschreibleistungen von Grundschülern verzerren. Es geht weniger um eine misslungene und nicht verstandene Umsetzung der Reformpunkte bei Lehrkörper und Schülern, sondern um eine noch nicht ausreichende Verzahnung von Rechtschreib- und Grammatikunterricht (siehe ergänzende Erläuterungen in Kapitel 6.2.7). 88 Derlei Bemühungen beziehen sich auf die aktuellen Erkenntnisse aus Studien zu rechtschreibschwachen und förderungsbedürftigen Kindern, die im Ländervergleich, der IGLU-Studie und der Formulierung von Bildungsstandards für Orthografie gewonnen wurden. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 278 Die Studie, die im Rahmen von IGLU an Grundschülern vorgenommen worden ist, eignet sich nicht, um Rückschlüsse auf Orthografiekenntnisse zuzulassen, die wiederum als Ergebnis oder als Folge der Rechtschreibreform seit 1996 zu verstehen sind. Die in den Artikeln pauschalisierten Aussagen zu den schlechten Leistungen hinsichtlich der Rechtschreibkompetenzen möchten der Brisanz des Themas wegen und zur Untermauerung der allgemeinen und anhaltenden Kritik gegen die Neuregelung eine Verbindung zwischen diesen beiden Aspekten herstellen. Die Studie eignet sich deshalb nur in Teilen, weil sie elementare und erweiterte lautanalytische und grammatische Kompetenzen auf verschiedenen Kompetenzstufen der Orthografie abfragt, die die Rechtschreibfähigkeiten auf einer Stufe messen, die vor der automatisierten Verschriftung eines Wortes steht. Einige Änderungen am Regelwerk betreffen im Schriftspracherwerb die Stufe, die nach der alphabetischen Phase eintritt, die sog. orthografische Rechtschreibstufe, die schon den Abschluss des Schriftspracherwerbs markiert und losgelöst ist von der reinen Lautsprache. Ein Beispiel hierfür könnte die Dreifachschreibung von Konsonanten sein, da sich durch die Neuregelung die Anzahl mit Wörtern mit drei gleichen Konsonanten wie in Schifffahrt, Stofffetzen oder Balletttruppe erhöht hat. Auch die Regel ss für ß nach kurzem Vokal wie in Hass statt Haß wird in dieser entwicklungspsychologische Stufe umgesetzt sowie Einzelfälle in der Umlautschreibung wie schnäuzen zu Schnauze. In der späteren morphologischen und den darauffolgenden Phasen verdichten sich die Rechtschreibbereiche wie ZGS und GKS, die zum Teil syntaktisches, morphologisches und etymologisches Wissen voraussetzen und in denen die Änderungen der Neuregelung greifen und bei Anwendung der richtigen Rechtschreibstrategien keine eigens durch die Reform neuformulierten Regeln Fehlerquellen provozieren sollten. Die Fehlerdichtewerte und Fehlerarten, wie in IGLU-E eruiert, stellen meines Erachtens durch das Zugrundelegen von Schreibentwicklungsmodellen (z.B. nach Spitta 1988 und Bereiter 1980) und den damit verbundenen zu durchlaufenden Phasen normorientierten Schreibens keinen kausalen Zusammenhang mit der Umstellung bestimmter Teile am Regelwerk her. Vielmehr werden hier Faktoren wie Methodik, Übungsformen und die Fokussierung auf Lesefertigkeiten und weniger Schreibfertigkeiten im Unterricht eine Rolle spielen. Aus dem Leistungsgefälle zwischen den einzelnen Bundesländern geht hervor, dass Rechtschreibkompetenzen und die Vermittlung von Rechtschreibung in der Schulpraxis in den Ländern einen unterschiedlichen Stellenwert einnehmen. Einer der einflussreichsten Grundschulpädagogen in der deutschen Bildungslandschaft, Hans Brügelmann, betrachtet die in den Medien geäußerte Kritik auf Aussagen von alteingesessenen Reform-Kritikern, die die Befunde aus unterschiedlichen Rechtschreibleistungen zwischen Bundeslän- Die vermeintlichen Folgen der Rechtschreibreform 279 dern im Nord-Südgefälle fälschlicherweise nutzen, um die Fehlerquoten auf die Rechtschreibreform zurückzuführen. Selten wird in den Artikeln ein differenziertes Bild der Lernumfelder dargeboten, das die jeweils unterschiedlichen Fahrpläne der einzelnen Länder in Bezug auf die Einführung der Neuregelung nach der Übergangsfrist vom 31.7.2005, die Anwendung der alten wie neuen Rechtschreibung in dieser Übergangszeit und die Ausgestaltung der Rechtschreibdidaktik nach den Bedürfnissen der reformierten Schreibung berücksichtigt. In einem internen Gesprächsvermerk zu Unterpunkten der in der AG „Schulischer Gebrauch“ angerissenen Themen vom Juni 2013 geht hervor, dass die Fehlerzahlen zum einen aus der Komplexität des linguistischen Sachverhalts herrühren, zum anderen aber auch durch didaktische wie schulische Faktoren wie Lehrstrategien und das schulische Curriculum beeinflusst werden. Im Zusammenhang mit der IGLU-Studie 2006 wurden Bildungsstandards für die orthografischen Kompetenzen von Schüler am Ende der 4. Jahrgangsstufe formuliert. In die Erarbeitung derselben wurde der Rat für deutsche Rechtschreibung mit einbezogen. In den Bildungsstandards heißt es: Die Kinder verfügen über grundlegende Rechtschreibstrategien. Sie können entsprechend verschriften und berücksichtigen orthografische und morphematische Regelungen und grammatisches Wissen. Sie haben erste Einsichten in die Prinzipien der Rechtschreibung gewonnen. Sie erproben und vergleichen Schreibweisen und denken über sie nach. Sie gelangen durch Vergleichen, Nachschlagen im Wörterbuch und Anwenden von Regeln zur richtigen Schreibweise. Sie entwickeln Rechtschreibgespür und Selbstverantwortung ihren Texten gegenüber. (KMK 2005, S. 8) Diese Zusammenfassung deckt eine Auswertung der wesentlichen zu erfassenden Kompetenzaspekte zu orthografischen Leistungen ab. Ich greife hier den Aspekt der Kompetenzstufenmodelle deswegen auf, da erst auf höheren Kompetenzstufen (ab Stufe III) nicht nur die Grundregeln der Rechtschreibung angewendet werden, sondern schon schwierigere Fälle der GZS, ss-/ ß- Schreibung und Zeichensetzung unter Berücksichtigung der seit 1996 und 2006 implementierten Änderungen am Regelwerk inbegriffen sind. Auf diesen Stufen kommt es laut den Vergleichsarbeiten 2012 der Jahrgangsstufe 8 im Fach Deutsch nicht zu nennenswerten Unregelmäßigkeiten und Fehlschreibungen, die auf verschlechterte Rechtschreibkompetenzen durch die Widersprüchlichkeit einer reformierten Schreibung deuten. Laut Bredel (2011, S. 411) und Müller/ Fuhrhop (2010, S. 88) ist der Erwerb der Rechtschreibkompetenz nicht eine Aufsummierung von Regel- und Normwissen, sondern die Erschließung des Systems […]. (Bredel 2011, S. 411; vgl. Müller/ Fuhrhop 2010, S. 88) Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 280 der Unterricht und die Rechtschreibkompetenzen sind also nicht direkt als Konsequenz der Regeldarstellungen auf Grundlage des amtlichen Regelwerks zu verstehen. Nachfolgend möchte ich kurz aufgreifen, wie die KMK grundsätzlich die Eignung des aufgestellten Kompetenzstufenmodells im Rahmen des Ländervergleichs 2009 bewertet, um ein ganzheitliches Bild auf die Beurteilungspraxis auch von politischer Seite zu bieten. Als Grundlage für die Studie kam in dem Ländervergleich ein Lückensatzdiktat zum Einsatz (wobei noch weitere Aufgabentypen zur Verfügung standen wie Korrekturaufgaben und Aufgaben zur Zeichensetzung), das die Standards auf fünf Kompetenzstufen anhand von Grundregeln der Rechtschreibung, Zeichensetzung und Richtigschreibung von Fremdwörtern und häufig vorkommenden Wörtern beurteilen sollte. Die Beschränkung der Überprüfung auf Diktate und Lückentexte spiegelt in diesem Testdesign zwar keine Dokumentation von Kompetenzentwicklungen wider, jedoch eignet sie sich meiner Ansicht nach in ihrer isolierten Form, um den Stand der Beherrschung grundlegender Rechtschreibstrategien zu ermitteln. Die Zuverlässigkeit der Aussagen könnte aber durch Ergänzungen anderer Aufgabenformate wie Korrekturaufgaben und andere qualitativer Art erweitert werden, da das verwendete Testdesign zur Ermittlung der Kompetenzstufen aktuell noch hauptsächlich eine quantitative Fehleranalyse darstellt. Die zentralen Fehlerquellen, nach Auswertung anhand des Aachener Fehlerrasters von Hérne und Naumann, stellen die Getrennt- und Zusammenschreibung dar (mit 32% der Gesamtfehlerquote), die Groß- und Kleinschreibung (mit 25% der Gesamtfehlerquote), die s-Schreibung (mit 20%) und die Markierung der Vokallänge (bspw. in Zusammenhang mit dem Gebrauch des Dehnungs-h) mit ca. 14%. Der Journalist und Reformkritiker Dankwart Guratzsch erstattete in Die Welt in einem Artikel „Prominenter Linguist verlässt Rechtschreibrat“ vom 13.11.2013 Bericht über den Rücktritt von Peter Eisenberg aus dem Rat der deutschen Rechtschreibung. Zuvor schrieb er in einem Artikel vom 8.11.2013 „Wir Legaßtheniker“ über den aktuellen Stand der Rechtschreibleistungen, die anhand von zwei Schulleistungsstudien auf Grundlage von Klassenarbeiten von Neuntklässlern (z.B. DESI-Studie) ermittelt wurden, sowie einer entsprechenden Datenmenge aus einer Längsschnittstudie über 40 Jahre, anhand derer differenzierte Aussagen über die Rechtschreibkompetenzen von Viertklässlern getroffen wurden. 89 Laut Guratzsch belegt die jüngste Erklärung des Rats „Rechtschreiben - eine Grundkompetenz in Schule und 89 Weitere Einzelheiten zu der Studie werden in einem Artikel „Wenn Freiheit überfordert“ von Wolfgang Krischke in der Zeit vom 26.5.2013 dargestellt. Insgesamt haben sich laut der Längsschnittstudie die Rechtschreibleistungen insgesamt verschlechtert (siehe Steinig et al. 2009). Die vermeintlichen Folgen der Rechtschreibreform 281 Gesellschaft“, dass sich die Fehlerquote verdoppelt habe und gerade die Bereiche, die von der Reform stark betroffen waren, Fehler produzierten. Nur noch 22% der getesteten Schüler aus der 9. Jahrgangsstufe besäßen ausreichende Rechtschreibkompetenzen und nur rund 27% der Neuntklässler erfüllten die Standards der Kultusministerkonferenz im Kompetenzbereich Rechtschreiben. Hier ist anzumerken, dass Mindeststandards für den orthografischen Bereich seitens der KMK noch nicht formuliert worden sind. Auf derlei Entwicklungen hat Guratzsch schon im Jahr 2011 hingewiesen („Rechtschreibreform produziert Analphabeten“ vom 30.11.2011, Die Welt). Hier wird neben den vermeintlich verursachenden Fehlern der Neuregelung auch auf die Tatsache der Schwierigkeit der Vermittlung von Rechtschreibung im Unterricht hingewiesen, was ein Zusammenspiel vieler Faktoren für mangelnde Rechtschreibleistungen von Schülern verantwortlich macht. Die Erklärung des Rats beinhaltet auch, dass die Leistungsmessungen unterschiedlich ausfallen. Guratzsch möchte mit seinem Artikel darauf aufmerksam machen, dass Minderleistungen von Schülern im Bereich Rechtschreibung vorliegen und die Länder und die KMK dringend Fördermaßnahmen einleiten müssen, wie sie es auch schon im naturwissenschaftlichen Bereich umgesetzt haben. Dankwart Guratzsch ist als Reformkritiker schon in den 1970er Jahren in Zusammenhang mit der Einführung der gemäßigten Kleinschreibung in Erscheinung getreten. Er hat mit der Einführung der Neuregelung vor allem auf die besondere Last und die Verpflichtung der Presseorgane gegenüber dem Schul- und Verwaltungsbereich hingewiesen, die sich mit einer nicht ausgereifte Orthografie konfrontiert sehen, während in der Schule die Neuregelung nur ausschnittsweise und durch Lehrkörper aufbereitet und gefiltert praktiziert wird. Für ihn ist der Austritt des Potsdamer Linguisten aus dem Rechtschreibrat im Jahr 2013, Peter Eisenberg, eine Folge dessen, dass ein noch nicht fertig gestellter Kompromissvorschlag in Form eines Kommentar- oder Paralleltextes zum Regelwerk für die Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung, der von ihm aufklärend und sprachlich verständlich aufbereitet werden sollte, letztendlich nicht vollendet werden konnte, weil er laut Berichterstattung zu einer „Aufweichung der Reform im Ganzen“ führe. Dabei lautete die Bedingung bei der Erarbeitung und Umsetzung dieser Paralleltexte, dass sie zu denselben Schreibungen führen müssen wie die Originaltexte im Regelwerk. Es bleibt noch zu überprüfen, ob die Ergebnisse aus den Schulleistungsstudien, die in der aktuellen Erklärung des Rats enthalten sind, nur auf die Umsetzung der Neuregelung abzustellen sind oder ob weitere Faktoren die Rechtschreibleistungen von Schülerinnen und Schülern bestimmen. Hierauf bin ich eingehender in Kapitel 6.2.7 (DESI) eingegangen und in dem vorliegenden Kapitel über die vermeintlichen Folgen der Reform. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 282 8.3 Der Begriff „Rechtschreibfrieden“ - ein sprachpolitisches Schlagwort Um in den Begriff des Rechtschreibfriedens einzuführen, möchte ich zunächst auf einen Artikel der Schweizer NLZ (Nr. 52/ März 2006, S. 7, siehe Anlage Schweizer Presse) vom 3.3.2006 mit dem Titel „Die Schweiz wartet noch ab“ verweisen, in dem der FDP-Kulturpolitiker Jans-Joachim Otto die Rechtschreibreform als Fiasko bezeichnete und als Beweis dafür aufführte, dass „der Staat sich an der Sprache nicht vergreifen darf“, der Rechtschreibfrieden sei mitnichten wieder hergestellt. Nie sei man weiter von einer einheitlichen deutschen Rechtschreibung entfernt gewesen als heute. In einem schon im vorherigen Kapitel erwähnten Artikel des Tages-Anzeiger vom 3.3.2006 mit dem Titel „Duden muss umschreiben“ (siehe Printmedienquellen unter Schweizer Presse) führe ich in Bezug auf das Thema Rechtschreibfrieden das Zitat auf: Nach dem Durcheinander der letzten Jahre ist in Deutschland allerdings die Bereitschaft gewachsen, den Streit endlich beizulegen. Das Thema wird in der deutschen Zeitung wie der Süddeutschen Zeitung vom 31.3.2006 „Rechtschreibung ist geändert“ auf ähnliche Weise aufgegriffen wie in der deutschen Presse: Nach Billigung der Korrekturvorschläge setzt der Rat für deutsche Rechtschreibung auf eine behutsame Weiterentwicklung der Schreibregeln. Das Gremium werde […] ohne Aufgeregtheit und Zeitdruck in eine neue Phase der Sprachbeobachtung eintreten, sagte der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair. Mit diesem angeblichen Kompromiss kann kein Rechtschreibfriede erreicht werden, hieß es in einer Erklärung des Vereins für deutsche Rechtschreibung. Welche Maßnahmen haben welche Instanzen, Gremien und Entscheidungsträger ergriffen, um den Rechtschreibfrieden wieder herzustellen? Einige Verfahrensweisen, die installiert wurden, sind meines Erachtens hilfreich gewesen, der fachgebundenen wie allgemeinen Öffentlichkeit die Bereitschaft zu zeigen, dass Änderungsvorschläge verlässlich diskutiert werden und Vertreter von gesellschaftlicher wie staatlicher Seite Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben und somit in den Fortentwicklungsprozess einbezogen worden sind. Hierzu gehört z.B. das vom Rat der deutschen Rechtschreibung initiierte Anhörungsverfahren mit einschlägigen Verbänden im Jahr 2006. Der Begriff „Rechtschreibfrieden“ - ein sprachpolitisches Schlagwort 283 Eine im Januar 2006 in Bonn initiierte Besprechung der für die Länder zuständigen Fachreferenten für Fragen der deutschen Rechtschreibung hatte neben der Frage der Informationsweitergabe und verkürzten Informationswege zum Anlass, zu klären, wie mit der Frage nach den Auswirkungen der Änderungsvorschläge für das Regelwerk vom Dezember 2005 umgegangen werden sollte. Verschiedene Vorgehen bezüglich der weiteren Beratungen in den Gremien sowie die Kommunikation der Ergebnisse wurden verabredet. Hierzu gehörte auch die Absicht, die Beschlussfassung mit einer Presseerklärung zu begleiten. Diese Presseerklärung sollte die Korrekturpraxis verdeutlichen und erläutern, dass die Änderungen wegen des geringen Umfangs keine Auswirkungen auf die Notengebung bei der Bewertung im Schulunterricht hätten und weiterhin Toleranzklauseln gelten. Rechtschreibfrieden zu schaffen, ist gleichbedeutend mit der Absicht, die Verunsicherung in der Schule und für die Gesellschaft beizulegen. Die im Zuge des Anhörungsverfahrens eingegangenen Voten der verschiedenen deutschsprachigen Länder haben eindeutig gezeigt, welche Forderungen an den Rat der deutschen Rechtschreibung gestellt wurden und welche Erwartungen mit den Anpassungen verbunden worden sind. Ohne auf die Positionen der einzelnen Voten einzugehen, gehören hierzu zusammengefasst die durch die österreichische Magistratsdirektion Wien an den Vorsitzenden des Rats der deutschen Rechtschreibung gerichteten Erwartungen bezüglich der Verfahrensweise hinsichtlich der Informationspolitik, indem Eltern- und Lehrervertreter, Schulverwaltungen und die „schreibende Öffentlichkeit“ durch regelmäßige Auskunft über geplante Änderungsvorschläge im ausreichenden zeitlichen Umfang informiert wurden. Dies hat zum Hintergrund, dass den Beteiligten genügend Zeit für die Einarbeitung in die jeweiligen Änderungsbereiche ermöglicht werden sollte, zum anderen aber auch eine gewisse Einflussnahme in den Abstimmungs- und Entwicklungsprozess verbunden wurde. Eine weitere Erwartung bezieht sich auf den Gültigkeitszeitraum der Neuregelung. Abgeraten wurde von kurzfristigen Änderungsvorschlägen für das Regelwerk, die sich nachhaltig auf die Rechtschreibsicherheit auswirken könnten. Hier formulierte sich die Angst, dass in den kommenden Jahren immer wieder Anpassungen im Schreibgebrauch vorgenommen werden, die nicht in geeigneter Weise mit allen Beteiligten kommuniziert werden und eine Teilhabe am Prozess erschweren könnten. Das Anhörungsverfahren für die Schweizer Seite ergab zum größten Teil Zustimmung. Insgesamt ist aber das Konzept des Rats der deutschen Rechtschreibung mehrheitlich positiv aufgenommen worden und die einzig direkt formulierte Erwartung an den Rat der deutschen Rechtschreibung lautete, dass notwendige Änderungen am Regelwerk nicht nur an den umstrittenen Bereichen vorgenommen werden sollten. Die Schweizer Seite er- Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 284 achtete die erarbeiteten Änderungen als tragfähige Lösung, die auch in der Öffentlichkeit zu einem Konsens führte. Dass zwischen den internationalen Partnern keine gravierenden Einwände gegen die Vorschläge des Rats hervorgebracht worden sind, stellte eine notwendige Basis für den positiven Transport der zu der damaligen Zeit in der breiten Öffentlichkeit geringen Wertschätzung der Änderungsvorschläge dar. Der Begriff Rechtschreibfrieden fiel nicht nur in Zusammenhang mit den Ängsten und Befürchtungen, die im Zusammenhang mit Änderungen am Regelwerk standen, sondern auch mit den Abstimmungsprozessen auf trilateraler Ebene, wo es auch um die Wahrung der Länderinteressen geht. Auf der Pressekonferenz vom 27.2.2006 anlässlich der Übergabe der Vorschläge des Rats für deutsche Rechtschreibung an die Ministerin, Ute Erdsiek-Rave, fiel in einer Rede derselben der Begriff „Rechtschreibfrieden“. Sie würdigte die Arbeit des Rats in dieser Rede angesichts des schwierigen Abstimmungsprozesses innerhalb des Rats, auch in Hinblick auf die Belange der internationalen Partner. Sie wies darauf hin, dass die überreichten Vorschläge in keiner Weise mit einer Rücknahme der Neuregelung gleichbedeutend sind wie oftmals in den Medien angeschuldet worden ist. Sie schloss die Rede mit den Worten, dass mit der Übergabe der Vorschläge und dem sich anschließenden Abstimmungsprozess eine Epoche des Rechtschreibfriedens anbreche, wie ein Waffenstillstand, der die Auseinandersetzungen beilege und das Ausmaß der Debatte auf ein angemessenes Maß reduziere. In einer Pressekonferenz anlässlich der Übergabe der Vorschläge des Rats betonte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, dass mit dem Tag der Übergabe der Vorschläge die Epoche des Rechtschreibfriedens eingeleitet werde, da diese die Auseinandersetzungen beilegen könnten. 8.4 Der mediale Diskurs in der Schweiz Im anschließenden Kapitel werde ich mithilfe einer textanalytischen Analyse anhand ausgewählter Presseerzeugnisse aus dem Schweizer Raum grundlegende Aussagen in diesem Diskurstyp über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die beteiligten Vertreter und die Praktiken und Verfahren in diesem Zusammenhang herausfiltern und sie mit Blick auf das allgemeine Meinungsbild und die Position im Diskurs im Schweizer Sprachraum bewerten sowie ein Urteil über den Grad der Verflechtung mit den anderen Diskurstypen fällen und die Prominenz einzelner Themen im Verhältnis zu in anderen Ländern hervorgebrachten Presseerzeugnissen zu Reformvorhaben im Bereich Orthografie untersuchen. Der mediale Diskurs in der Schweiz 285 8.4.1 Im Einzelnen: Die Schweizer Presse - der Blick auf die Neuregelung der deutschen Rechtschreibreform In meiner Auswertung der Schweizer Printmedien in Zusammenhang mit der Rechtschreibreform habe ich wegen des umfangreichen zur Verfügung stehenden Materials eine Auswahl von Artikeln sowohl aus überregional bundesweit in vergleichbarer Auflage erscheinenden nationalen Zeitungen wie bspw. der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), dem Tages-Anzeiger, der Le Temps, 20 Minuten und anderen, die ich im Kontext noch nennen werde, getroffen. Zusätzlich habe ich einige Artikel aus regionalen Tages- und Wochenzeitungen wie der Weltwoche und einzelnen kantonspezifischen wie z.B. der Berner oder Basler Zeitung mit einbezogen. Ich habe Stichproben aus verschiedenen Formaten von Presseerzeugnissen genutzt, damit ich anhand der zu untersuchenden Kriterien die Berichterstattung verschiedener Redaktionen und Meinungsbilder einbeziehen kann und diese Aufschluss über die Stimmung der Öffentlichkeit im Untersuchungszeitraum geben können. Die Medien als Forum öffentlicher Kritik oder Meinungsbildung finden auch schon in den 1950er Jahren in Hans Glinz Minimalprogramm Erwähnung, wo es zu den Stuttgarter Empfehlungen und in Bezug auf die durchgehende Kleinschreibung heißt: Dieser Eingriff stößt aber auf sehr starken Widerstand und wird z.B. nach Ausweis der Umfrage von Radio Zürich, die wohl bis heute das objektivste Bild für die Meinung der schweizerischen Öffentlichkeit zu bieten vermag, mit einer Dreiviertelmehrheit abgelehnt (3420 Nein gegen 881 Ja). (Glinz 1955, S. 17 nach Looser (Hg.) 1998, S. 102) Dem Druck der Öffentlichkeit ist vielleicht auch die Kehrtwende von Glinz’ favorisierter gemäßigter Kleinschreibung zur modifizierten Großschreibung zu verdanken, obgleich er seine Vorschläge zur gemäßigten Kleinschreibung für schön und sprachgerecht hielt. Sie passten jedoch nicht in die aktuelle psychologische Situation (in Bezug auf das Entgegenkommen gegenüber Presse, Druckgewerbe, Lehrern und Schreibenden), sondern entsprangen vielmehr dem Verlangen nach festen Regeln statt dem Nachhängen von ästhetischen Erwägungen. Eine Umfrage in der Bevölkerung bei demselben Radiosender Zürich hinsichtlich der Setzung des Kommas vor „und“ und erweitertem Infinitiv hat ergeben, dass die Freigabe der Benutzung in der Bevölkerung durchaus befürwortet wird. Dies kam bei den Kritikern einer Vergröberung gleich, da nach herrschender Meinung Kann-Bestimmungen meist zu einer Vereinfachung zulasten von Systematik führen. Das Minimalprogramm drang nicht Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 286 bis zur Öffentlichkeit durch, während in BRD nicht einmal versucht wurde, eine Stellungnahme zu den Stuttgarter Empfehlungen durch die KMK zu erarbeiten wegen der öffentlichen Ablehnung derselben. Dies führte wiederum zur Bildung eines Arbeitskreises, der neue Vorschläge zur Reform der Rechtschreibung erarbeiten sollte. Der Arbeitskreis war allerdings ein nationales deutsches Gremium mit Vertretern anderer deutschsprachiger Staaten. Die Folge war, dass Vorschläge nur durch schriftliche Beiträge eingebracht werden konnten und Empfehlungen durch fehlende physische Präsenz des Verfassers nicht ausgeführt werden konnten und letztendlich nicht in die Wiesbadener Empfehlungen mündeten. Dies sei nur am Rande zum Verständnis der Fortentwicklung der Rechtschreibbemühungen und in Bezug auf die wenigen Presseerzeugnisse zu dieser Zeit erwähnt. In jüngerer Zeit hat die Schweiz im Verhältnis zur Anzahl der Leserschaft eine große Dichte an verschiedenen Printmedien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu bieten. Die regionalen und überregionalen Tageszeitungen, die ich in meinen Ausführungen beleuchten möchte, bilden daher ein breites Spektrum der öffentlichen Meinungsbildung ab. Ich möchte wie auch bei den anderen Ländergruppen das herrschende Meinungsbild zur Neuregelung in verschiedenen für die Betrachtung relevanten Zeitabschnitten (1980-1996, 1996-2006 und ab 2006) der Rechtschreibbemühungen einfangen, aber auch aufzeigen, ob die Schweizer Presse versucht hat, einen ähnlichen Einfluss auszuüben, wie ich ihn schon vorhergehend für die portugiesische und französische Presse aufgearbeitet und aufgezeigt habe. Ich möchte an dieser Stelle nicht wie zuvor auf Regulierungsmaßnahmen von Verlagshäusern eingehen durch bspw. die Verwendung von Hausorthografien, oder den Einfluss auf das Meinungsbild gewichten, der sich durch politische Persönlichkeiten wie z.B. Nationalrat Leutenegger ergeben hat, aber dennoch die Punkte herausarbeiten, die insgesamt die Aufmerksamkeit der Leser zum Thema anziehen sollten. Die Tagespresse genießt in der schweizerischen Bevölkerung eine signifikante Bedeutung in Hinblick auf die Beliebtheit der Thematik und die Unanfechtbarkeit der Informationen. Ich möchte auch wiedergeben, inwieweit sich bei der Schweizer Presse von Meinungsvielfalt sprechen lässt. Die Ausdifferenzierung der Meinungsbildung in der französischen Presse und die Konzentration auf wenig vielfältige Meinungsbilder sind ein Beispiel für eine besondere Empfindlichkeit des Themas, allerdings auch für die Forcierung des öffentlichen Interesses. In Bezug auf die Wahrnehmung und Beschreibung der Rechtschreibreform musste ich in den Artikeln inhaltlich zwischen den Informationen differenzieren, in denen die schweizerische Presse sich auf die Auseinandersetzung und den Umgang mit der Rechtschreibreform durch Akteure von inländischer, Der mediale Diskurs in der Schweiz 287 also schweizerischer Seite bezieht, und denen, wo die Darstellung der Reformbemühungen und Reformvorhaben im internationalen Kontext von den Medien aufgegriffen wurde. Um ein Beispiel für den Hintergrund unterschiedlicher Herangehensweisen an die Inhalte der von mir benannten Presseartikel zu geben, bietet sich hier die Gegenüberstellung der Presseinhalte aus Artikeln des Jahres 2004 in der Schweiz an. Die NZZ berichtete im Jahr 2004 ausführlich über anhaltende Krisengespräche Deutschlands mit der Schweiz und Österreich zu dem in demselben Jahr gefassten Beschluss der KMK. Wie auch in der deutschen Presse, ist das nur noch auf dem politischen Parkett und weniger von gesellschaftlichen Kräften diskutierte Thema auf schweizerischer Seite, wie z.B. in der NZZ, medial in Szene gesetzt worden. Insbesondere das Gespräch mit Österreich und der Schweiz im Juli 2004 über den Beschluss der KMK zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ist in der öffentlichen Diskussion in der NZZ als Krisensitzung ausgewiesen worden. Der allgemeine Tenor von gesellschaftlicher Seite verlangte nicht öffentlich die Rücknahme der Reform, aber einige wenige gesellschaftliche Kräfte wie die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) haben, angelehnt an die mediale Stimmungsmache in Deutschland, die Rücknahme öffentlich gefordert. Meiner ersten Einschätzung nach wurde ein allgemeiner Eindruck einer Krisenstimmung platziert. Die Reaktion der schweizerischen Presse ist meines Erachtens als Reflektion der Ereignisse um den Wandel der bundesdeutschen Presse im Umgang mit den aktuellen politischen Entscheidungen zu eben dieser Zeit zu verstehen. Seit dem von der FAZ als bedeutender deutscher Zeitung am 27.7.2000 gefassten Entschluss, zur herkömmlichen Rechtschreibung zurückzukehren, hat sich in der bundesdeutschen Presse eine Art gelebter Widerstand gebildet, wenngleich sich einer dpa-Umfrage laut Generalanzeiger vom 28.7.2000 die meisten großen bundesdeutschen Zeitungen nicht angeschlossen haben. In einem Artikel mit dem Titel „Fehler wird es weniger geben“ im Tagesanzeiger vom 21.7.2006 (siehe Printmedienquellen), der wiederum einem anderen Abschnitt innerhalb des Themenkomplexes zur Diskussion um die Rechtschreibung in den Medien zuzurechnen ist, wird eine auch für die deutsche Presse typische Grundeinstellung gegenüber den Themenzyklen Neuregelung und politische Entscheidungsträger transportiert. Hierzu gehörte die kritische Tendenz, dass der Widerstand, der sich nach 1998 formiert hatte, zur Gründung des Rats für deutsche Rechtschreibung führte. Der Rat hatte, zugespitzt formuliert, zum Ziel, die reformierte Rechtschreibung nochmals zu reformieren. Die erarbeitete „Kompromissversion“ ist von EDK wie KMK angenommen worden und nun überall amtlich. Interessant an dem Artikel ist die Aussage: Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 288 Die großen Blöcke der Reform bleiben unangetastet: sie sind bereits ins Sprachbewusstsein von Millionen eingedrungen - Jüngere wissen gar nicht mehr, dass es einmal anders war und haben keinerlei Protestpotenzial mehr. Zu den großen Blöcken gehören die neue ss-Regel, die Stammschreibung, die Groß- und Kleinschreibung sowie die Getrennt- und Zusammenschreibung. Bedauert wird in diesem Artikel, dass sich die mit der neuen Rechtschreibung groß gewordene Generation der Änderungen nicht mehr bewusst ist. Es handelte sich um eben diese Entwicklung, die die Übergangszeit bis 2005 hervorrufen sollte und die im Sinne der Reformbefürworter war. Der oben erwähnte Artikel attestiert aber insgesamt, dass dieser Entwicklung geschuldet weniger Fehler im Unterricht begangen werden, was logischeren Regeln und mehr Aufgeschlossenheit gegenüber Variantennutzung zuzusprechen sei, die dem Schreibenden eine Freiheit in der Anwendung verschiedener Regeln einräumt. Diese Freiheit wiederum war im Jahr 1998 für viele Zeitungsredaktionen Anlass, durch eigene hausorthografische Festlegungen eine vermeintliche Einheitlichkeit zu schaffen. Dass aber auch die einzelnen Zeitungsredaktionen, wenngleich tendenziell in dieselbe Richtung weisend, nicht alle dieselben von der Norm abweichenden Regeln favorisieren, habe ich versucht im Kapitel 7.3 aufzuzeigen. Irreführenderweise wird der Eindruck erweckt, dass diese „Hausregeln“ erst im Zuge der Neuregelung entstanden sind und nicht schon lange vor 1998 praktiziert worden sind. Die Schlussaussage des Artikels lautet, dass es durch die Aufnahme von Empfehlungen zu der einen oder anderen orthografischen Variante im Duden keinen funktionalen Unterschied mehr zwischen richtig und falsch geben wird, sondern legt den Grundsatz „bessere oder schlechtere Variante“ zugrunde. Ob dies der Wiederherstellung der Einheitlichkeit dienlich ist oder nur als eine Umformulierung für „altorthographische oder neuorthografische“ Schreibweise zu verstehen ist, möchte ich hier nicht zur Disposition stellen. Das Korrektorat der Luzerner Zeitung hat hierzu offiziell im anschließenden Artikel bekräftigt, dass sie sich im Falle der Variantenschreibung meist auf die nicht-herkömmliche Variante festgelegt hat, insofern sie das Kriterium der Verständlichkeit einhält. Aus einem auch zu der neueren Phase der Berichterstattung zuzurechnenden Artikel im Kulturteil der Luzerner Zeitung vom 1. Juli 2006 (Nr. 150) mit dem Titel „Die Reform der Reform gilt definitiv“ (siehe Printmedienquellen) geht ein Kritikpunkt an die deutsche Politik deutlich hervor, was sich in folgendem Zitat niederschlägt: Nach Übergangsfristen und Diskussionen, ob die Rechtschreibreform nicht doch lieber wieder rückgängig gemacht werden sollte, beschlossen die deutschen Kultusminister, was in der Schweiz schon lange keine Frage mehr war: Die neue deutsche Rechtschreibung gilt am 01. August 2006 als verbindlich. Der mediale Diskurs in der Schweiz 289 Nachbesserungen an der Reform, die nach Bezeichnung der Presse oft als Reform der Reform bezeichnet worden sind, verursachen zwar keine Probleme bei der Umsetzung, waren aber dennoch erklärtermaßen für einen schnellen Abschluss der Reform als unnötig langes Hin und Her hinderlich. Was hier auf den ersten Blick als oftmals destruktiver Journalismus im Sinne von Verurteilungen ausgewiesen werden könnte, ist vor dem Hintergrund dessen, dass die Politik nach lang anhaltender Kritik korrigierend in den Umsetzungsprozess eingegriffen hat, nichts anderes als ein Monieren des Distanzverlustes politischer bundesdeutscher Entscheidungsträger zu den Belangen der internationalen Partner zu verstehen. Schwerpunkt der Argumentation zu den Ereignissen aus dem Jahr 2006 im Einzelnen ist, dass die Kultusminister der BRD nach dem Anhörungsverfahren und nach Verständigung über Änderungsvorschläge keine wesentlichen Änderungen vorgenommen haben und die Voraussetzungen für eine zeitnahe Entscheidung verzögert haben, die dann nach Beschlussfassung erst für das Schuljahr 2006/ 2007 gelten konnte. Dabei ist vorher durch die verantwortlichen Stellen (EDK; GS Ambühl) die langwierige Prozedur des Anhörungsverfahrens durch den Rat für deutsche Rechtschreibung kritisiert worden, das wegen der kurzfristigen terminlichen Koordinierung nicht zu verantworten sei und bei dem die Abstimmungsverfahren über die Verständigung der unterschiedlichen Lösungen durch die einzelnen Länder nicht zufriedenstellend dargelegt worden sind. Der Vorwurf seitens der EDK lautete, dass eine nur geringe Bereitschaft der Kultusminister zu einer engeren Abstimmung mit den beteiligten internationalen Partnern zu spüren gewesen sei. Hintergrund des straffen Zeitplans für Anhörung, Abstimmung und Beschlussfassung ist die Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz, die am 6.-8.10.2004 bezüglich des Rates die Erwartung geäußert hatte, dass gegebenenfalls Änderungen in den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Fremdwörter, Interpunktion und Trennung so zeitig hätten vorgeschlagen werden müssen, dass sie zum 1.8.2005 in Kraft treten konnten. Vor Beschlussfassung sollte aber zu den Vorschlägen die Meinung von Vertretern aus Schule und Verbänden und Praxis in Form einer Anhörung eingeholt werden (April 2005). Für eine Entscheidung und kritische Befragung auf zwischenstaatlich-politischer Ebene war der Vorlauf zu knapp gewesen, was durch den Unmut der Schweiz in Form des Briefwechsels der Generalsekretäre von EDK und KMK ausgedrückt wurde. Es galt in der gebotenen Eile der Umsetzung vornehmlich nach außen zu kommunizieren, dass das Regelwerk von 1996 mit den Änderungen von 2004 weiterhin Gültigkeit besaß, dass eine Abstimmung zwischen den internationalen Partner in Planung war (Mitte Juni 2005), wenngleich die Prüfung (Mai- Juni 2005) und die Beschlussfassung (2./ 3.6.2005) kurz aufeinander folgten Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 290 und die Schulen genügend Vorlauf zur Information und Umsetzung hatten (Juni/ Juli 2005). In einem der Berichterstattung im Zusammenhang mit der Beendigung der Übergangszeit zuzurechnenden Artikel „Die Rechtschreibreform soll reformiert werden“ der Solothurner und Aargauer Zeitung vom 2.6.2006 (siehe Printmedienquellen) schlägt sich ein ähnlich gespaltenes Verhältnis wie aus den vorhergenannten Tonlagen nieder, wie aus folgender Aussage hervorgeht: Nachdem im gesamten deutschen Sprachraum die Kritik nicht verstummen wollte, konstituierte sich unter dem Vorsitz des ehemaligen bayrischen Staatsministers Hans Zehetmair ein 36-köpfiger Rat für deutsche Rechtschreibung, welcher die Reform auf Reformbedarf hin untersuchte. […] Entsprechend kamen aus dem Rat bisher überwiegend zweideutige Signale bzw. Varianten. Weitere Unsicherheiten und der Bedarf nach Verbindlichkeiten und Eindeutigkeiten formulieren sich in dem Artikel. Kritisiert wird auch, dass […] ein revidiertes Sprachregelwerk von oben diktiert, von den deutschen Kultusministern sozusagen politisch verordnet [wurde]. Als Reaktion darauf werden in dem Artikel sowohl die auf Distanz gehenden deutschen Zeitungsverlage sowie die NZZ-Gruppe für die Schweiz aufgeführt als auch die gesellschaftliche Kräfte einbeziehende, auf Initiative des Sprachkreises Deutsch initiierte Schweizerische Orthografische Konferenz (SOK). Interessant ist meines Erachtens die Erwähnung des Ergebnisses des abschließenden Podiums, in dem Stimmen laut wurden, die gegen einen Alleingang der Schweiz sowie gegen die Einführung von Hausorthografien 90 bei Verlagen und Redaktionen sind. Die Legitimation der neuen Rechtschreibung wird in dem Schlusssatz hervorgehoben: Gymnasiallehrer Pirmin Meier erinnert an die Schüler, für welche die neue Rechtschreibung nicht die neue, sondern die einzig gelernte und gültige ist. Daraus schließe ich für meine Betrachtungen, dass von einer Totalverweigerung gegenüber der Neuregelung von Vertretern der Schweizer Seite nicht die Rede sein kann und dass die Legitimation, basierend auf den innerstaatli- 90 In einem Artikel der NZZ vom 10.10.2006 mit dem Titel „Herkömmliche Varianten haben Vorzug“ (siehe Printmedienquellen) beschreibt der Autor eingehend, welche Praxis die NZZ in Bezug auf die im Jahr 2006 vollzogenen Änderungen und die Übernahme derselben durchführt. Sie weicht in weiten Teilen von dem reformierten Regelwerk ab und geht eigene Wege hinsichtlich verschiedener Einzelschreibungen und stützt sich auf herkömmliche Schreibweisen: „Aus der Gams wird bei uns nicht „Gämse“, sondern weiterhin die Gemse, wir sind behende, nicht „behände“, und auch dem Stengel rauben wir nicht das e, um es nach Art der Reformer durch ein ä zu ersetzen.“ Der mediale Diskurs in der Schweiz 291 chen Beschlüssen und denen der Wiener Absichtserklärung als Einigung der internationalen Partner, eine Rechtslage geschaffen hat, die die Neuregelung zur Grundlage des Rechtschreibunterrichts in den Schulen macht und bei den ausführenden Kräften wie Lehrkräften Anerkennung findet. Im Unterschied zu den im Jahr 2004 geführten Diskussionen in der deutschen Presse ist eine vergleichbar starke Forderung nach Rücknahme der Reform nicht auszumachen, wenngleich aus diesem und noch folgenden Artikeln hervorgeht, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung und seine Kompetenzen sowie dessen Zusammensetzung Akzeptanz findet. In einem Artikel der Basler Zeitung vom 23.6.2006 mit dem Titel „Die Reform der Reform ist durch“ (siehe Printmedienquellen) wird zum einen Kritik am Alleingang der BRD in Bezug auf den Abstimmungsprozess zu den Änderungsvorschlägen des Rats für deutsche Rechtschreibung ohne die internationalen Partner geübt und zum anderen, wie auch schon in einigen eingangs erwähnten Artikeln, auf die Moderatheit der Änderungen hingewiesen, die vorgenommen worden sind. Zur erstgenannten Aussage möchte ich anmerken, dass die Kritik berechtigt ist, gemessen an der Tatsache, dass sich noch im Jahr 2005 der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung und die zuständigen Schulminister über den „Fahrplan“ zum weiteren Vorgehen in Bezug auf die Änderungsvorschläge und ihre Auswirkungen in einer Pressemitteilung (vom 12.4.2005, PM der KMK) verständigt haben und mit Hilfe dieses Vorgehens sichergestellt werden sollte, dass der Abstimmungsprozess mit den internationalen Partnern gesichert ist sowie eine solide Grundlage für die Schulen hergestellt werden sollte. Tatsächlich hatte die EDK mit Beschluss vom 22.6.2006 den überarbeiteten Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung zugestimmt und in diesem Zusammenhang landesintern nochmals die Übergangsfrist bekannt gegeben. Einzelne Diskussionen auf der Schweizer Seite noch vor der Beschlussfassung wurden medial als schwere Vorwürfe gegen die BRD hinsichtlich des Abstimmungsprozesses an die Öffentlichkeit lanciert. Politisch motiviert ist hierbei, dass in der Presse die Überarbeitung der Rechtschreibung wegen ihres geringen Umfangs als relevanzlos für Unterricht und Verlagswesen ausgewiesen werden sollte und dass die geringfügigen Änderungen mit den internationalen Partnern in enger Abstimmung vorgenommen worden sind, um eine allgemeine Akzeptanz in der Öffentlichkeit herzustellen. Um den Aspekt des Alleingangs verschiedener politischer oder institutioneller Instanzen in der medialen Berichterstattung noch einmal besonders hervorzuheben, möchte ich in diesem Zusammenhang auf den Artikel der Basler Zeitung mit dem Titel „Zusammenarbeit wurde kleingeschrieben“ vom 21.8.2006 (siehe Printmedienquellen) aufmerksam machen. Dort heißt es, dass das überarbeitete Wörterverzeichnis sowie der Bericht des Rats für deutsche Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 292 Rechtschreibung noch nicht von allen Ratsmitgliedern verabschiedet worden waren und offiziell als Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung gehandelt worden seien, obwohl nur über das Regelwerk offiziell abgestimmt worden sei. Verantwortlich hierfür soll laut Aussage der Geschäftsführerin Kerstin Güthert der hohe Zeitdruck gewesen sein, der durch die Isolation der Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen gegenüber dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz entstanden sei. Weiter heißt es: […] die Regeln, ein Wörterverzeichnis und der Bericht des Rates. Allerdings sind die letzten beiden Teile vom 38-köpfigen Rat noch gar nicht verabschiedet worden, wie Werner Hauck und Max A. Müller gegenüber der baz übereinstimmend erklären. (Basler Zeitung, 21.8.2006) Die Vorwürfe sind differenziert zu betrachten hinsichtlich des Verfahrens, dem eine Anhörung zu den Änderungsvorschlägen zugrunde lag, deren Voten den Mitgliedern aller deutschsprachigen Länder mit Ablauf des Monats Januar in 2006 zugesandt worden waren. Die inhaltliche Auswertung der Voten der Länder und einbezogenen Verbände war durch die Länder zwar innerhalb eines kurzen Zeitraumes vorgenommen worden, dennoch haben laut Protokoll der 8. Sitzung des Rats der deutschen Rechtschreibung Österreich wie die Schweiz eine Stellungnahme zu den Voten abgegeben, und im Ergebnis hat sich für die Ratsmitglieder aus den Voten kein Änderungsbedarf an den beschlossenen Empfehlungen ergeben. Was in dem Artikel von der früheren EDK-Sprecherin Gabriela Fuchs als: überstürzte Publikation des Wörterbuchverzeichnisses und der Erläuterungen […] (ebd.) moniert wird, ist Teil einer im Rat angestimmten PR-Kampagne zur Kommunikation der Ergebnisse, auf die sich die Mitglieder in Beantwortung auf die jüngste Kritik an den Änderungen der Neuregelung geeinigt haben. Demnach sollte neben dem amtlichen Regelteil auch das amtliche Wörterverzeichnis, das entsprechend den Vorschlägen des Rats überarbeitet worden ist, zum Zwecke der Transparenz und des formalen Aktes auf der Website des Rats eingestellt werden. Aus dem Protokoll der 8. Sitzung geht hervor, dass der Schweizer Delegierte Werner Hauck sich stark von den Vorwürfen einer deutschen Dominanz und Bevormundung der Schweizer Delegation in dem Abstimmungsprozess distanziert hatte, und es betont die Zustimmung der schweizerischen politischen Ebene zu den Vorschlägen des Rats für deutsche Rechtschreibung. Leider erreichte diese Aussage nicht die mediale Plattform. Rash (2002) beschreibt im Zusammenhang mit den Vorwürfen zur deutschen Übermacht gegenüber der Schweiz, dass schon 1901 der Sprachwissenschaftler und Dialektforscher Heinrich Morf das Verhältnis der Schweizer zu den Deutschen folgendermaßen beschrieb: Der mediale Diskurs in der Schweiz 293 Die Deutschen würden den deutschen Schweizern vorschreiben wollen, wie sie ihre Sprache korrekt zu benutzen hätten und wie sie vor französischen Einflüssen zu schützen sei. (Morf 1901, S. 46) Solche Vorurteile sind über lange Perioden hinweg ausgewachsen, haben sich verfestigt und finden themengebunden im medialen Kontext immer wieder Raum zur Reife. An dieser Stelle möchte ich eine kurze Zwischenauswertung des ausgewählten Untersuchungszeitraums Juni/ Juli 2006 vornehmen. Die mediale Debatte verschiedener Kantone (siehe bspw. Artikel „Die Reform der Reform ist durch“, Berner Zeitung vom 23.6.2006) in den Monaten Juni/ Juli im Jahr 2006 wird vornehmlich beherrscht von der Feststellung, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung im Anschluss an die 8. Sitzung vom 3.2.2006 und nach der Verständigung mit den zuständigen Stellen auf internationaler Ebene in Bezug auf die strittigen Punkte Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung sowie nach dem Anhörungsverfahren keine wesentlichen Veränderungen (abgesehen von Groß- und Kleinschreibung in Bezug auf spezielle Verbindungen und Anreden in Briefen) am Regelwerk vorgenommen hatte, so dass für Unterricht und Verwaltung eine bislang verlässliche Grundlage erhalten blieb. Eine der impliziten Forderungen, so behaupte ich, ist die nach der demokratischen Letztverantwortung der zuständigen Minister, die erhalten bleiben müsse, und dass der Rat für deutsche Rechtschreibung kein autonomes Gremium sei, das Entscheidungskompetenz haben dürfe. Um noch ein paar Meinungen und Stellungnahmen aus der Schulpraxis einzufangen, möchte ich einen Artikel im St.Galler Tagblatt vom 22.6.2006 mit dem Titel „Vereinfacht? Vervierfacht! “ (siehe Printmedienquellen) und einen Beitrag desselben Tages mit dem Titel „Im Labyrinth“ (siehe Printmedienquellen) aufführen, in dem der Orthografie-Fachmann, Reformkritiker und als Gymnasiallehrer tätige Stefan Stirnemann (Einzelheiten zu seinem Wirken und seiner Person habe ich im Kapitel 8.4.3 beleuchtet) Stellung zu den Entwicklungen aus dem Jahr 2006 nimmt. Die Vorwürfe, die hier deutlich werden, spielen klar auf die Konsequenzen der „Reform der Reform“ für die Praxis in Schule, Verlagen und Verwaltung an. Was auf politischer Ebene als „Ausfeilen“, Weiterentwicklung und Präzisierung der Regeln verstanden wird, beschreibt Stirnemann in seinem Beitrag aus Sicht eines Lehrers als: […] unübersichtliche Lage kurz vor der diesjährigen gymnasialen Aufnahmeprüfung, […] zu der die Prüfungsbehörde verfügte, dass nochmals auch „die alten Orthografie- und Interpunktionsregeln toleriert“ würden. (Stefan Stirnemann, 22.6.2006: Die Vereinfachung der Rechtschreibung, www.sprachfor schung.org/ index.php? show=news&id=481, Stand: 13.10.2017) Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 294 Auch der vermeintlich wachsende Einfluss des Wörterbuchverlags Wahrig gegenüber dem Duden, der zur Erhöhung der Akzeptanz in der Öffentlichkeit lieber nur wenige Änderungen im Regelwerk vorsehen wollte, wird von Stirnemann moniert, da laut seiner Aussage in der Schweiz nicht der Wahrig, sondern der Duden weiterhin als Referenzwerk vorgesehen werden sollte: Die gezeigten Schwierigkeiten sind nicht Erscheinungen des Übergangs, sie sind Folgen planlosen Vorgehens. Deutschland muss jetzt bedeutet werden, dass noch keine tragfähige Grundlage gefunden ist. […] Unabhängige Wissenschaftler und Praktiker müssen das amtliche Regelwerk überarbeiten. (ebd.) Hierin zeigt sich meines Erachtens nicht direkt ein Appell an einen Alleingang der Schweizer Seite, jedoch schlägt sich in der folgenden Aussage nieder, dass die Schweiz nach den jüngsten Änderungsempfehlungen des Rats für Rechtschreibung im Jahr 2006 eine eigenständige Linie fahren sollte: Die Erziehungsdirektoren mögen sich von Rechtschreibräten trennen, die an der Ausarbeitung der neuen Rechtschreibung beteiligt waren und an ihrer Vermarktung arbeiten. (ebd.) Hierzu passt der zurückhaltende Grundtenor eines Artikels aus der NLZ (Neue Luzerner Zeitung) vom 3.3.2006 mit dem Titel „Die Schweiz wartet noch ab“ (siehe Printmedienquellen), der sich den Zeitraum vor dem offiziellen Abstimmungsprozesses der staatlichen Stellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu den Änderungsvorschlägen bezieht, in dem es heißt: Österreich dürfte zustimmen und Dass die Schweizer EDK den Vorschlägen des Rats für Rechtschreibung zustimmt, ist keineswegs sicher. Richtig ist, dass die EDK für die Schweiz im Juni 2006 als letztes aller deutschsprachigen Länder votierte, den Änderungen am Regelwerk letztendlich aber zustimmte. Interessanterweise wird in dem Beitrag von Stefan Stirnemann ein Zitat (Anfang 2006 im Magazin Spiegel) der damaligen Präsidentin der KMK, Johanna Wanka, aufgeführt, in dem sie angibt: Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsraison ist sie nicht zurückgenommen worden. (Der Spiegel 1/ 2006, S. 132) Dass die ehemalige brandenburgische Bildungsministerin sich zuvor in einer Pressemitteilung vom 23.6.2005 zum Beschluss der MPK erfreut gezeigt hatte über die im Bereich der Fehlerkorrektur tolerante Behandlung gegenüber den Änderungen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung angekündigt und damit die Belange der Schüler berücksichtigt hatte, indem zum Schuljahresbeginn Klarheit für Lehrer und Schüler herrschte, stellt meiner Auffassung nach keine sensible und flexible Darstellung der Kritik an Teilen der Reform durch Der mediale Diskurs in der Schweiz 295 die Presseorgane dar. Vielmehr beschreibe ich dies als einseitige stereotypische Berichterstattung und unvollständiges Darstellungsmuster auf die Arbeit und Stimmung der politischen Handlungsträger in Deutschland. Das Ausmaß der Zitierung von Ministern und anderen politischen Akteuren auf einen negativen Kontext der Rechtschreibreform hin ist Teil einer bewusst gestalteten Meinungsmache, von der ich anhand des Artikels aufzeigen wollte, dass sie sich ebenso wie in deutschen Zeitungen gleichwohl in der schweizerischen Presse niedergeschlagen hat durch das Zuwortmelden von Reformgegnern. Die vorhergenannten Artikel spiegeln durchgehend ein der Neuregelung kritisch gegenüberstehendes Meinungsbild wider. Diese Darstellungsweise habe ich bewusst gewählt, um aufzuzeigen, dass, wenngleich in der Schweizerischen Tages- und Regionalpresse der mediale Trommelwirbel um die Rechtschreibreform nicht so intensiv zum Ausdruck kam wie in der bundesdeutschen Presse, dennoch vereinzelte vornehmlich personengebundene Interessen und Stimmungsbilder (z.B. durch die Mitglieder der Schweizerischen Orthographischen Konferenz) auf die öffentliche Diskussion Einfluss zu nehmen versucht haben. Ein Artikel der NZZ vom 3.3.2006 mit dem Titel „Die Rechtschreibreform unter Dach und Fach“ (siehe Printmedienquellen) hält sich im Vergleich zu dem vorhergenannten kommentargleichen Artikel an neutrale Tatsachen und gliedert sich in die zu berichtenden Ereignisse, dass die Kultusminister der Bundesländer sich auf die Anpassungen verständigt hatten, und damit auch die in der Schweiz verbundenen Maßnahmen wie die Vernehmlassung durch den Bundesrat nach Bekanntgabe des Beschlusses: Welche der Neuerungen auch für die Schweizer Schüler gelten werden, will die Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) nach einer Vernehmlassung entscheiden. Ähnliche Resonanzen eher stimmungsarmer Artikel innerhalb der vielfältigen schweizerischen Presselandschaft beziehen sich auf die Darstellung der Änderungen durch den Rat der deutschen Rechtschreibung, wie in der Regionalausgabe der Tageszeitung St.Galler Tagblatt vom 23.6.2006 in zwei Artikeln mit den Titeln „EDK für neuste Rechtschreibung“ (siehe Printmedienquellen) und „Längere Frist für neueste Rechtschreibung“ (siehe Printmedienquellen). Die wichtigsten thematischen Aspekte der Berichterstattung beschränken sich hier auf die Aussage der EDK, dass den Änderungen zugestimmt worden ist, diese nur marginal für den künftigen Schulunterricht an den Volksschulen seien und der Feststellung, dass unterschiedliche Übergangsfristen in den verschiedenen Ländern herrschten. Zudem werden Beispiele in Hinblick auf die sich aus den Änderungen ergebende Korrekturtoleranz aufgeführt sowie darauf hingewiesen, dass ein Ratgeber für das Lehrpersonal im Herbst desselben Jahres in Planung war. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 296 Ich möchte nicht auf die Konzepte unterschiedlicher medialer Inszenierungen eingehen, dennoch aber erwähnen, dass es auch in der Schweizer Presse verschiedene Darstellungsformen der Berichterstattung gegeben hat, wozu Artikel wie die Letztgenannten gehören mit Blick auf den Hintergrund und die Tiefe von Informationen und mit Fokus auf tatsächliche Ereignisse, Daten, Fakten und Schlussfolgerungen. Einzelne Artikel wie der eines Reformkritikers aus der NLZ vom 3.3.2006 mit dem Titel „Die Schweiz wartet noch ab“ (siehe Printmedienquellen) beinhalten wenig Perspektivwechsel, sind persönlich gefärbt und spiegeln aktuelle Meinungen sowie Aussagen wider. Das Format kommt mehr dem eines Leserbriefes gleich, in dem das Ziel die Darstellung des persönlichen Empfindens ist. Im nachfolgenden Artikel der Südostschweiz-Zeitung vom 3.3.2006 mit dem Titel „Rechtschreibung zwischen hü und hott“ (siehe Printmedienquellen) wird im Speziellen die Meinung der Lehrerverbände zu dem geplanten Vernehmlassungsverfahren aufgeführt. Dort heißt es: In seiner Vernehmlassungsantwort kritisiert der Lehrer-Dachverband gegenüber der NZZ nicht nur konkrete Änderungen wie die Zunahme der Varianten, sondern vor allem das Vorgehen: der Rechtschreibrat habe überstürzt und unsystematisch gearbeitet. Dabei habe die deutsche Seite die Delegationen der anderen internationalen Partner „überfahren“ und der Ratsvorsitzende Hans Zehetmair die Schweizer „häufig gemaßregelt“, so wurde in dem Artikel zitiert. Hier reagierte die Presse auf Kritik von politisch unabhängigen Dachorganisationen, indem vermeintliches Fehlverhalten der deutschen Seite aufgezeigt wurde. Eine Anregung zur Besserung der Lage sieht der Dachverband im Auswechseln des Kaders der Schweizer Delegation. Welche Bilanz lässt sich aus den Artikeln hinsichtlich der im Jahr 2006 vorgenommenen Änderungen durch unterschiedliche Akteure wie Verbände, Lehrerschaft und politische Landschaft ziehen und welche Folgen werden formuliert und identifiziert? Dies lässt sich anhand der folgenden Artikel eingehend beantworten. In einem Artikel in Der Bund vom 14.8.2006 mit dem Titel „Rechtschreibung bleibt schwierig“ (siehe Printmedienquellen) wird aus der Sicht eines Oberstufenlehrers für das Fach Deutsch sowie eines Gymnasiallehrers knapp umrissen, dass die vieldiskutierte Reform in der Fassung vom 1.8.2006 abgesehen von Vereinfachungen in der Zeichensetzung keine für die Schüler maßgeblichen Vereinfachungen mit sich gebracht hat: Die Rechtschreibung bereite rund einem Fünftel Probleme - das sei nach der Reform nicht anders als zuvor. […] Leichter falle ihnen nach der Reform die Kommasetzung sowie die Getrennt- und Zusammenschreibung, sagt Gfeller. Der mediale Diskurs in der Schweiz 297 Weiter heißt es von einem Deutschlehrer des Gymnasiums Hofwil: Die Rechtschreibreform fällt für meine Schüler nicht ins Gewicht. Sie machen genauso viele Fehler wie früher, nur andere. Abgesehen von der Forderung desselben Lehrers nach Einführung der gemäßigten Kleinschreibung, die enorme Erleichterung beschert habe, geben die Zitate in dem Artikel Aufschluss über das Befinden der in Praxis stehenden Lehrkörper bezüglich der Umsetzung der Neuregelung. Die dort gemachten Aussagen gleichen denen von Lehrern, Schulleitern an deutschen Schulen und, wie in einem Interview mit dem damaligen Präsidenten des Lehrerverbandes Josef Kraus, der zu einem der bekannten Kritiker der Reform aus gesellschaftlichen Kreisen gehörte, in Die Zeit mit dem Titel „Lehrerverband: Schüler machen gleich viele Rechtschreibfehler wie vor der Reform“ vom 1.8.2003. In der NZZ vom 4.8.2006 „Chaos in der Rechtschreibung“ (siehe Printmedienquellen) kritisiert die Schweizer Tageszeitung in gewohnter Schärfe das Vorgehen der deutschen wie der schweizerischen politischen Seite. Sie wirft der EDK Euphemismus in Bezug auf die Nachbesserungen der Rechtschreibreform vor: Hans Ambühl, Generalsekretär der EDK, nannte die erneuten Änderungen der Reform der Rechtschreibreform «marginal» […]. Abgesehen von dieser Beschönigung muss die EDK den Vorwurf annehmen, dass sie das neue Regelwerk, das der Rat für deutsche Rechtschreibung im Februar vorlegte, ohne echte inhaltliche Prüfung billigte; sie folgte einfach der deutschen Kultusministerkonferenz. Zwei wichtige Punkte kommen hier zum Tragen. Zum einen geht es in der geäußerten Kritik um die Federführung bei der Bildungsadministration, die den Vorwürfen entsprechend in deutscher Hand liegt, und zum anderen um die mangelhafte Beteiligung der Schweizer Seite beim Reformprozess, die daher rührte, dass die terminliche Koordinierung der Entscheidungsfindung durch die staatlichen Stellen, die kurze Fristsetzung für das Anhörungsverfahren und dessen Auswertung und die mangelnde Verständigung über den Abstimmungsprozess keine engere Einbindung der schweizerischen Aktivitäten erlaubte. Aus der Presse richteten sich darauf basierend kritische Stimmen an die bundesdeutschen staatlichen Stellen, dass bezüglich der im März 2006 beschlossenen Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung durch die KMK der Schweizer Seite der Beschlusstext nicht rechtzeitig vorgelegt worden war. Darauf geht der folgende Artikel „Neue Rechtschreibung sorgt wieder für Wirbel“ ein. In der Basler Zeitung vom 6.3.2006 (siehe Printmedienquellen) heißt es hierzu: […] erklärte die für die Umsetzung an den Schulen zuständige Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), sie könne nicht Stellung nehmen, denn der in Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 298 Deutschland gutgeheißene Vorschlag liege ihr nicht vor. […] Die Arbeiten im Rat für Rechtschreibung verliefen aus Schweizer Sicht offenbar nicht sehr harmonisch. Die von der Schweiz vorgebrachten Monita beziehen sich allerdings in erster Linie auf die zu knapp bemessene Zeit für die Vorprüfung für die Fragen der Rechtschreibung auf Grundlage der Vorschläge, die der Rat zur Anhörung gegeben hatte. Die staatlichen Stellen wie das Generalsekretariat der EDK wurden allerdings im Vorfeld der Beschlussfassung darüber informiert, dass über die Vorschläge bei der Plenarsitzung der KMK im März 2006 beschlossen werden sollte. Die terminlich zeitlich zu eng bemessene Abstimmung zur Koordinierung der Entscheidungsfindung und die Übermittlung der Vorschläge an die staatlichen Stellen der deutschsprachigen Partner nach der im Februar 2006 abgehaltenen Ratssitzung zur fachlichen Prüfung sind hingegen Tatsachen, die nicht ohne Weiteres weggeredet werden können und Verstimmungen zwischen den internationalen Partnern verursacht hatten. 91 Interessant ist an dieser Einzelheit, dass es Pressestimmen gibt, die den Verfahrensfehler mal auf der Schweizer, mal auf der deutschen Seite begründet sehen. Die vorher formulierte Kritik an den vermeintlichen Verantwortlichen der Reform grenzt an eine in einem anderen Artikel der schweizerischen Zeitung Südostschweiz vom 31.7.2006 mit dem Titel „Die Reform der Reform ist nur ein Orthografie-Etappenziel“ (siehe Printmedienquellen) formulierte Kritik an der Zusammensetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung, in dem laut Artikel zu viele Betroffene über Verbände und Organisationen vertreten sind: Allzu viele Interessenten mussten unter einen Hut gebracht werden. Hier ist es die eigentliche Absicht, möglichst vielen Positionen aus verschiedenen Bereichen, in denen Orthografie wirkt, zur Erhöhung der Akzeptanz der Neuregelung entgegenzukommen. Von der Presse wurde das Verfahren „umverstanden“ als Akt von Willkür sowie als Zerstörung des gesunden Sprachgefühls und der Einheitlichkeit gewertet, da durch die Anpassungen wie Variantenzulassung keine Differenzierungsmöglichkeiten hergestellt werden, sondern sie vielmehr der Beliebigkeit des Schreibenden unterworfen werden. Hinzu kommt die folgende Argumentation: Der Rat für deutsche Rechtschreibung muss in anderer Zusammensetzung, unabhängig von Verlagen und ohne politische Vorgaben arbeiten. Die von den Ländervertretern oftmals als polemisch bezeichnete Kritik an der Neuregelung wurde in Beantwortung von derlei Kritikpunkten seitens der politischen Ebene oftmals mit dem Argument neutralisiert, dass die Neurege- 91 Dies geht aus einem Briefwechsel zwischen dem Generalsekretär der EDK und dem Generalsekretär der KMK hervor im Januar 2006 hervor. Der mediale Diskurs in der Schweiz 299 lung an den Schulen laut verschiedener Berichte und Untersuchungen ohne Komplikationen eingeführt worden ist und daher von einer positiven Bewertung durch die Lehrkräfte gesprochen werden kann. Folglich kann der Forderung, wie ich sie eben in Form des letztgenannten Zitats aufgeführt habe, nicht entsprochen werden. Diese Behauptung wird von verschiedenen Seiten wie auch hier in dem Artikel angezweifelt. Ein für meine Begriffe aussagekräftiger Artikel der Die Weltwoche (Nr. 50.06 vom 6.12.2006, „Ein Duden für jederfrau“ von Stefan Stirnemann (siehe Printmedienquellen) in Hinblick auf die für 2006 aktuelle harsche Debatte um den Vorwurf besagt, dass die Rechtschreibreform ein Geschäft verschiedener reformbefürwortender Interessengruppen wie Verlage, Verbände und politische Entscheidungsträger sei und die Herausgeber des Dudens entgegen dem politischen Auftrag arbeiteten: […] den Sprachgebrauch zum Massstab zu nehmen, halten Sitta und Gallmann am alten reformerischen Grundsatz fest: „Die Getrenntschreibung ist jedoch vorzuziehen, da sie dem Normalfall entspricht.“ Diese und andere Eingriffe in Wortbildungsmechanismen wie auch die Nicht- Berücksichtigung des Schweizer Sprachgebrauchs im Schweizerischen Schülerduden kämen einem Mangel an Respekt gegenüber der Sprachgemeinschaft gleich, da zum einen Helvetismen keinen Eingang gefunden hätten und zum anderen die Sprachtendenz zur Zusammenschreibung gehe und nicht zur Trennung, wie schon damals in der Zwischenstaatlichen Kommission vorausgesetzt worden ist. Hier spiegelt sich meines Erachtens nicht der Vorwurf wider, dass der Schweizer Schülerduden eine andere Fassung der neuen Rechtschreibung unter Wegfall spezifisch helvetischer Besonderheiten bietet 92 oder dass die Duden- Redaktion wieder vorgibt, was richtig und was falsch ist, 93 sondern das schon im vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission viel diskutierte Spannungsverhältnis von Norm und sprachlichen Fakten, das in der Presse oft missinterpretiert wurde mit der Durchsetzung einer uneinheitlichen und 92 Siehe Zitat Artikel in Aargauer Zeitung vom 23.9.2006 mit dem Titel „Zurück-Änderungen und Varianten“ (siehe Printmedienquellen): „Und den Schülerinnen und Schülern sagt, nachdem Gelehrte sich den Kopf zerbrochen und Politiker sich eingemischt haben, nun doch wieder die Duden-Redaktion mit ihren gelben Markierungen, was richtig und was falsch ist …“. 93 In einer Pressemeldung der Bildungsdirektion Kanton Zürich vom 23.10.2006 mit dem Titel „Neuer Schweizer Schülerduden“ (siehe Printmedienquellen) wird hingegen extra darauf hingewiesen, dass Helvetismen Berücksichtigung gefunden haben, wie an folgendem Zitat deutlich wird: „Konkret wurde zum Beispiel der schweizerische Sprachgebrauch, wie er heute in den Print- und Online-Medien beobachtbar ist, berücksichtigt. Helvetismen sind soweit als möglich eingearbeitet.“ Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 300 am gesunden Sprachverstand vorbeigehenden Rechtschreibung. Das Spannungsverhältnis lässt sich jedoch nach Meinung von Wissenschaftlern für einige Bereiche in der Orthografie mit Kriterien wie „Regeln statt Wortindividuen (Wortlisten)“ auflösen; für den Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung wurden Kriterien und Regeln allerdings erst im Laufe der Sprachbeobachtung und der Entwicklung des Reformwerks durch die Duden-Redaktion formuliert. Der Duden vor Einführung der Neuregelung enthielt vermehrt Einzelschreibungen, die der Regel „Im Zweifel getrennt schreiben“ nicht entsprachen und somit weder die Schreibpraxis noch die an formal-grammatischen Kriterien orientierten Schreibweisen widerspiegelten. Den Begriff „formal“ beziehe ich in diesem Kontext auch auf die Chomsky’sche Lehre zur Typisierung von Sprachen; diese formuliert einen Anspruch an den Aufbau des Regelwerks, die Regeln möglichst gering und eindeutig zu halten, ohne die Flexibilität zu beeinträchtigen. Das amtliche Regelwerk und die dort formulierten Regeln und Normen haben die Duden-Autoren auf dessen Grundlage präskriptiv in den Regelteil des Dudens aufgenommen, was von Kritikern als Eingriff in die Vielfalt der Sprache gewertet wurde, da die natürliche Varianz, wie auch schon von Peter Gallmann zu Recht festgestellt, durch Normen beschränkt wird und Regeln Prototypen statt Detailfestlegungen schaffen. Ein Regelwerk habe aber nicht die Aufgabe, die Unterschiede und Übergangszonen in einer Sprache zu definieren, sondern vielmehr zu beschreiben, warum bei zwei unterschiedlichen Schreibweisen trotzdem Regelkonformität herrschen kann. So, denke ich, führt die im Artikel angeführte Kritik an den vermeintlichen interessenorientierten Arbeiten der Duden-Autoren und Wissenschaftlern an der Intention und Tradition amtlicher Regelungen vorbei, nämlich lernbare Regeln zu formulieren und Schreibungen zu kodifizieren, die leichter handhabbar seien. Die Grundposition war schon zu Zeiten der Zwischenstaatlichen Kommission, dass eine stärkere Anlehnung der Regeln an den Schreibusus erreicht werden sollte. In diesem Zusammenhang wird in einem Artikel in Die Weltwoche vom 23.11.2006 mit dem Titel „Rechtschreibung bleibt Glückssache“ (siehe Printmedienquellen) bemängelt, dass Reformbefürworter und die Verlage gegen jede Art der Änderungen seien und, den Erwartungsdruck der interessierten Öffentlichkeit außer Acht lassend, keine tragfähigen Kompromisse erarbeiten wollten. Was aus den Kritikpunkten nicht hervorgeht, ist das Verfahren, das die Bearbeitungsvorschläge und Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung durchlaufen müssen. Es wird suggeriert, dass Einzelpersonen oder einzelne Interessengruppen Entscheidungskompetenz haben: Die neuste neue Rechtschreibung ist ein Wolkenbruch der Varianten. Verantwortlich ist der Rat für deutsche Rechtschreibung, der vor zwei Jahren eingesetzt wurde, um, wie der Vorsitzende, Alt-Kultusminister Hans Zehetmair, sagte, die größten Schwachstellen der Neuregelung zu beheben. […] Die Emp- Der mediale Diskurs in der Schweiz 301 fehlungen und Grundsätze der Handreichung stammen wesentlich von den beiden Reformern Sitta und Gallmann, die aus dem Schiffbruch der Reform möglichst viel retten wollen. Unerwähnt bleiben Details des Abstimmungsverfahrens, in dem die Empfehlungen allesamt im Plenum der 313. Kultusministerkonferenz beraten wurden und dort einer weiteren Überprüfung standhalten mussten. Die Erarbeitung von Änderungsvorschlägen in Form der Überprüfung der Kritikpunkte anhand der Regeln erfolgte außerdem durch diverse Arbeitsgruppen und der Rat für deutsche Rechtschreibung untersteht keiner politischen Instanz, sondern ist dem Selbstverständnis nach ein zwischenstaatliches Gremium, dessen Auftrag nicht nur an die Schulen und die damit verbundene didaktische Umsetzung gebunden ist, sondern an das deutschsprachige Volk gerichtet wird. Die Erläuterung der Mechanismen und der Legitimation, die eine andere ist als bei der Zwischenstaatlichen Kommission zuvor, wären hilfreich gewesen, die Diskussion zu versachlichen und die beeinflusste Wahrnehmung der Öffentlichkeit in eine andere Richtung zu lenken. Die Artikel, die ich bislang aufgeführt habe, und die, die aus dem Jahr 2006 noch folgen, sollen aufzeigen, dass die im Schweizer Raum sonst eher als verhältnismäßig und neutral bis positiv geführte Debatte um die Rechtschreibreform im Jahr 2006 durch die anhaltende Negativpresse und die wieder verstärkt aufgekeimte Diskussion in Deutschland auf die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion in die Schweiz übertragen wurde und dies mit den Änderungen des Regelwerks zutage trat. Daher finden sich auch genügend Artikel, in denen das Thema auf eben die erwähnte verhältnismäßige Weise behandelt wird wie in einem Kommentar des Tages-Anzeigers vom 4.3.2006 mit dem Titel „Cool bleiben und abwarten“ (siehe Printmedienquellen). Hier wird die Bedeutung des Themas auf eine Ebene gehoben, die zeigt, dass in der Schweiz die Betroffenheit von der Neuregelung trotzdem noch weniger stark eingeschätzt wird als für die Bundesrepublik. In dem Kommentar heißt es: Kein Jugendlicher wird bloss deshalb Mühe haben, eine Lehrstelle zu finden, weil er die Getrennt- und Zusammenschreibung nicht fehlerfrei beherrscht. […] Aus der Optik der Schulbank ist die anhaltende Debatte um die korrekte Schreibweise ein Streit um des Kaisers Bart. Hier wird eine Verhältnismäßigkeit des Themas geschaffen, die auf die Wirkung und die Reichweite von Orthografie auf die allgemeine Bildung, Erziehung und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zielt. Das Schreibverhalten eines Schülers wird zwar auf lange Sicht unmittelbar beeinflusst, jedoch berührt die Neuregelung nicht den allumfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag von Schulen und unterliegt auch nicht dem Erziehungsrecht der Eltern, da das Erlernen von Schreibkonventionen unabhängig vom Wirkungskreis des Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 302 Elternhauses ist. Auch die herrschende Meinung des Bundesverfassungsgerichts sieht vor, dass verbindliche Sprachregeln nicht unmittelbar staatlich regelt werden, sondern davon abhängen, welche Sprachregeln von der Sprachgemeinschaft als verbindlich angesehen werden. Ausgehend von dieser Annahme, sollte das Regelwerk als aktuelles Abbild des orthografischen Sprachstandes verstanden werden, dessen Wirkung sich darauf beschränkt, die neuen Rechtschreibregeln als verbindliche Grundlage für den Unterricht einzuführen, und das sich in Abhängigkeit von einer dynamischen Sprachgemeinschaft ständig im Wandel befindet. Jedoch geben in der Schweizer Presse nicht nur die oftmals im bundesdeutschen Raum zu beanstandenden Inhalte der Reform, sondern auch Praxis und Vollzug der Umsetzung durch die Behörden Anlass zur Kritik in den Medien und der Öffentlichkeit. Im Schweizer Raum wird das Thema nicht nur deswegen anders behandelt, weil das eingangs erwähnte Verhältnis der vielen dort anerkannten Amtssprachen zueinander ein entspanntes Verhältnis schafft, sondern weil der Wirkungskreis, der Radius und damit die Bedeutung der Neuregelung weniger gewichtig aufgenommen wird. In einem französischsprachigen Artikel der Tageszeitung aus dem Kanton Genf Tribune de Genève vom 17.8.2008 mit dem Titel „Du primaire jusqu’ a l’universite, a-t-on sacrifie le francais? “ (siehe Printmedienquellen) wird eindrucksvoll über den Zustand des Französisch-Unterrichts und den Kampf um den Erhalt der französischen Sprache berichtet. Der Prozess des Zerfalls, der Unschärfe von Grammatik und Lexik, 94 wird als progressiv und unumkehrbar beschrieben: Ce qui frappe, c’est que cette désagregation progressive, dont certains s’offusquent, semble irreversible, was aus einer Studie aus dem Jahr 2007 hervorgeht. Die Berichterstattung in Bezug auf die Entwicklung der französischen Orthografie schließt sich an Diskussionen an, wie sie aus den deutschsprachigen Tages- und Regionalzeitungen, aber auch aus dem rein französischsprachigen Raum, bekannt geworden sind. Im deutschsprachigen Raum äußert sich Sprachverfall bspw. durch das sogenannte Aussterben des Konjunktivs oder Ersatzformen für den Genitiv (siehe hierzu ein Artikel aus Die Welt vom 22.3.2013 mit dem Titel „Das Gefühl des Sprachverfalls trügt nicht“. Im französischsprachigen Raum äußert sich die Sprachzerfallsdebatte, wie ich noch in einem sich anschließenden Kapitel zur französischen Berichterstattung (Kapitel 9.2) ausformuliere, in einer Art Statusdebatte und schließt Faktoren 94 Da in dem Artikel nicht näher darauf eingegangen wird, vermute ich, dass neueste Entwicklungen wie der Verlust des Zirkumflexes auf den Vokalen / i/ und / u/ und die Angleichung von Pluralendungen gemeint sind. Der mediale Diskurs in der Schweiz 303 mit ein, die insofern Einfluss nehmen, als sie den Verfassungsrang der französischen Sprache gefährden, wie es durch fremdsprachliche Einflüsse gemeinhin angenommen wird. In dem vorhergenannten Artikel äußern die Lehrer an Schulen eine düstere Prognose für den weiteren Verlauf und die folgenden Generationen: On a perdu une, sinon deux genérations. (Tribune de Genève, 17.8.2008) Der sprachliche Zerfall wird hier, wie schon in einem vorherigen Kapitel beschrieben, mit dem Zerfall einer Leitkultur und Moral assoziiert. Die Hauptursache für die Missstände soll methodischer Art sein: Les changements perpetuels des methodes, de consignes, d’organisation destabilisent les profs. (ebd.) Hinzu kommt das Verwenden von Materialien in einer anderen Landessprache als der Zielsprache im Unterricht: Nous n’avons pas l’obligation d’étudier des Iivres francophones, les deux tiers sont des traductions. (ebd.) Bemängelt werden hier, wie aus der französischsprachigen Presse bekannt, die jüngsten Sprachentwicklungen und die mangelhafte Unterstützung durch staatliche Stellen in Form entsprechender Handreichungen als Anleitungen und Schulbücher für die Lehrer. Im Gegensatz zur Grundsatzdebatte über die Reform auf dem deutschsprachigen Gebiet ist die fachliche Kritik der Lehrerschaft in Bezug auf den Französischunterricht nicht verstummt. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich durch die Akzeptanz verschiedener Regelwerke und Nachschlagewerke in Frankreich in der Unterrichtspraxis Abweichungen von den Regelungen ergeben. Dies spiegelt sich dann in Unsicherheiten und Unklarheiten seitens der Lehrerschaft wider. Ich möchte noch einmal an den vorher erwähnten Artikel anknüpfen, aus dem die Annahme hervorgeht, dass sich die Rechtschreibkenntnisse von Schülern im Französischunterricht in der Romandie verschlechtert haben. Zwar haben sich die Modifikationen der Rechtschreibung mit Einführung der in Frankreich verabschiedeten Empfehlungen des Obersten Rats für französische Sprache in den 1990er Jahren nun auch im Französisch-Unterricht in der Schweiz niedergeschlagen, allerdings konnte auch die Einführung eines neues Wörterbuchs nicht genügend Sicherheit und Gewissheit im Umgang mit den Anpassungen bringen. In einem Artikel der 24heures, die in verschiedenen Landkreisen in der Schweiz herausgegeben wird und eine der auflagenstärksten französischsprachigen Schweizer Tageszeitungen ist, vom 18.2.2008 mit dem Titel „La nouvelle Orthographe n’a pas ècrit son dernier mot“ (siehe Printmedienquellen) geht es abermals um die in den Schweizer Schulen praktizierte Gleich- Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 304 stellung traditioneller Rechtschreibung aus Wertvorstellungen, die mit der französischen Sprache und dem Tolerieren neuer Schreibweisen verbunden sind: Dix ans, surtout, que les ecoles romandes l’ont acceptee et tolerent la version traditionnelle comme l’orthographe rectifiée. Hierunter fallen auch die Akzentregeln. Anders als es dem Unterricht in französischen Schulen nachgesagt wird, ist die praktische Umsetzung der Modifikationen durch die Lehrer in der Schweiz allerdings systematischer: Les enseignants sont informes lors de leur formation sur ses usages. Les epreuves cantanales soumises aux ereves sont meme redigees sur le modele de celle-ci. Hierzu ist anzumerken, dass in der Schweiz wie in der Bundesrepublik die Länder, die Kantone, für die Information und Fortbildung der Lehrer Sorge zu tragen haben. Das eigentlich Interessante an dem Artikel ist die Tatsache, dass einer Rechtschreibreform außerhalb Frankreichs in der Schweizer Presse anders begegnet wird als in der französischen Presse. Die im Jahr 1990 veröffentlichten Neuerungen zur französischen Rechtschreibung haben für den Französischunterricht in der Schweiz verpflichtenderen Charakter als in Frankreich, wo streng nach dem Regelwerk Le bon usage 95 und Grevisse, die vornehmlich die Regeln der Académie Française respektieren, gelehrt wird. Der Präsident der Vereinigung für neue Rechtschreibung in der Schweiz, Romain Müller, äußert sich folgendermaßen zur Notwendigkeit der Rechtschreibreform: Une retorme de l’orthographe se fait toujours tres lentement. Il s’agit meme d’un mal necessaire si l’on veut ancrer durablement les modifications. Noch weiter geht Cilette Cretton, Assistentin der Generaldirektion Schulwesen, indem sie stärkeren politischen Einfluss zur Durchsetzung der Reformbemühungen fordert: Pour une meilleure application, il aurait fallu que les milieux politiques prennent des mesures de contrainte. Insgesamt zeigen die Lehrerschaft sowie die zuständigen Behörden und Entscheidungsträger eine positive Einstellung gegenüber den Reformbemühungen. 95 Die Kategorie Usage - Sprachgebrauch ist ein in Frankeich geprägter, aus dem Rechtswesen stammender Begriff des mündlich überlieferten Gewohnheitsrechts (siehe hierzu Klare 2011, S. 122), der später von Reformern wie Meigret übertragen wurde, zu ersten Normierungsversuchen führte, aber auch zur sozialen Differenzierung eingesetzt wurde und puristische Züge angenommen hatte. Der mediale Diskurs in der Schweiz 305 Ein Kommentar-Artikel aus dem Jahr 2009 (vom 17.5.2009) aus der NZZ mit dem Titel „Die Gämse tun uns Leid“ (siehe Printmedienquellen) verdeutlicht, dass mit den Vorurteilen und Vorbehalten gegenüber der Rechtschreibreform im Nachgang zu den Anpassungen des Regelwerks im Jahr 2006 noch nicht aufgeräumt worden ist und auch keine Annäherung stattgefunden hat. Die Vorwürfe beziehen sich weiterhin auf die Zulassung von Schreibalternativen, die als großzügige Varianz im Wortschatz deklariert werden, wie hier ausgeführt: Wir wollen doch beim Lesen nicht permanent über Schreibungen stolpern, die unsere Aufmerksamkeit vom Textinhalt ablenken! Orthographische Varianten, Inkonsequenzen oder gar wilde Kreationen, die einem seit der Reform sehr viel häufiger begegnen als vorher, tun aber genau das. Abhilfe sollen hier wieder die Empfehlungen der Schweizer Orthographiekonferenz (SOK) schaffen, die in Bezug auf die Variantenschreibung nach dem Motto: „Bei Varianten die Herkömmliche“ rät. Dies sind vielleicht praxistaugliche Vorschläge, sie zielen aber auf die Einsetzung einer Hausorthografie ab, wie sie bspw. von der NZZ betrieben worden ist und noch immer praktiziert wird. Auch die Vorwürfe gegen die Bundesrepublik und die Instanz „Rat der deutschen Rechtschreibung“ reißen in den Jahren nach der Anpassung aus dem Jahr 2006 nicht ab. Seit 12 Jahren foppt Deutschland alle, die Deutsch sprechen und schreiben, mit einem Unternehmen, das sich Rechtschreibreform nennt. […], welchen die Staatsräson, das heisst ihr eigenes Ansehen, über alles geht. (laut Artikel „Er schmirbt myn Grind mit Anken“ aus dem St. Gallener Tagblatt vom 20.6.2008, siehe Printmedienquellen) Von einem sachgerechten und wenig aufgeregtem Umgang mit der Neuregelung und von Wohlwollen in der schweizerischen Öffentlichkeit ist nicht zu sprechen. Die amtliche Regelung in der Fassung von 2006 wird nicht als Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Schulen und den Erwartungen der Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Kräfte verstanden. Die dem Lehrkörper unentgeltlich zur Verfügung gestellten Informationsmaterialien zur Umsetzung und Begleitung der Neuregelung schaffen nicht das Bewusstsein einer echten Unterstützung für den Unterricht und die Sprachpraktiker. Der Rat der deutschen Rechtschreibung ist zu diesem Zeitpunkt schon lange in die Beobachtungsphase eingetreten. Die anhaltende Negativ-Debatte in der Presse nach 2006 betrifft zusammengefasst die in der Presse oftmals als Folgeschäden der Neuregelung bezeichneten modifizierten Schreibregelungen von 2006. Ähnliche Artikel aus dem bundesdeutschen Raum haben dafür gesorgt, dass das Thema medial wieder in Bewegung geraten ist, wie z.B. ein Artikel der FAZ vom 17.4.2009 mit dem Titel: „Lehrer, euch gehört die Sprache nicht! “ verdeutlicht. Autor des Arti- Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 306 kels war Peter Eisenberg, der als Vertreter der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Rat für deutsche Rechtschreibung agierte. Mit seinen Vorschlägen zur Überarbeitung des Regelwerks hat sich der Rat im Anschluss an die Veröffentlichung des Artikels in verschiedenen AGs befasst, um bis zur Sitzung im September des Jahres 2009 eine Vorlage zu erarbeiten, die seine Vorschläge mit den aktuell gültigen Regeln des amtlichen Regelwerks vergleicht. Hiermit reagiert der Rat für deutsche Rechtschreibung auf Irritationen, die in der Öffentlichkeit durch die immer wieder aufflammende und polemisch geführte Diskussion entstanden sind. Die oft überspitzte, sehr ähnliche Darstellung einzelner Regeln durch Einzelpersonen und einzelne Kritiker hat in der schweizerischen wie bundesdeutschen Presse zu einer unsachlichen und einseitigen Auseinandersetzung geführt. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat in acht Sitzungen über die strittigen Bereiche der Neuregelung beraten. Die Umsetzung der im Umfang begrenzten Empfehlungen sollte als Konsensangebot verstanden werden und zur Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung beitragen, was sich medial gegenteilig niedergeschlagen hat. Ein weiteres, in den Folgejahren nicht ausgeräumtes Vorurteil bezieht sich auf die Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung. Aus einem Artikel des St. Gallener Tagblatts vom 1.8.2008 mit dem Titel „Schreiben für die Lesenden“ (siehe Printmedienquellen) geht hervor, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung deswegen ins Leben gerufen wurde, weil die vorherige Zwischenstaatliche Kommission ihre Aufgabe verfehlt hat: Der neue Rat für deutsche Rechtschreibung sollte in Folge den von der Zwischenstaatlichen Kommission angerichteten Schaden begrenzen. Mit keinem Wort wird erwähnt, welche Aufgabe und Funktion dem Rat für deutsche Rechtschreibung durch die staatlichen Stellen der deutschsprachigen Länder zugesprochen wurde, nämlich die der Beobachtung und Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung zur Bewahrung der Einheitlichkeit im deutschen Sprachraum. Zwar ist die im Artikel vertretene Meinung die des Direktors der Schweizerischen Depeschenagentur, der zugleich Mitglied der SOK ist, jedoch ist die Meinung Ausdruck der allgemein auch im bundesdeutschen Raum oftmals fälschlich vertretenen Annahme, dass der Rat als Fortführung der Zwischenstaatlichen Kommission verstanden wird. Dabei sollte der Rat als Gremium mit möglichst großer Staatsferne installiert werden, in dem professionelle, aus der Praxis stammende Anwender des Regelwerks vertreten sind, so dass verschiedene Auffassungen und Perspektiven als plurales Meinungsbild in die kommenden Arbeiten einfließen. Dabei sollten die Hauptforderungen der Kritiker beraten und berücksichtigt werden. Des Weiteren sollte der Rat anstelle von unterschiedlichen nationalen Gremien zur Vereinfachung und Abkürzung von Verfahren eingerichtet wer- Der mediale Diskurs in der Schweiz 307 den. Der Rat für deutsche Rechtschreibung sollte mit neuen Aufgaben, erweiterter Zusammensetzung und mehr Zuständigkeiten einen Neuanfang manifestieren und in der Öffentlichkeit die Akzeptanz, Glaubwürdigkeit und Verbindlichkeit gegenüber dem Gremium erhöhen. 8.4.2 Die Rolle der politischen und gesellschaftlichen Kräfte im Schweizer medialen Diskurs Ich möchte an dieser Stelle im Kurzen auf die Rolle der politisch-gesellschaftlichen Kräfte im medialen und fachlichen Diskurs eingehen und aufzeigen, in welcher Weise sie auf den Reformprozess Einfluss genommen haben. Verschiedene gesellschaftliche, eine ablehnende Haltung einnehmende Kräfte wie Bürgerinitiativen, 96 aber auch der Lehrerdachverband LCH, der Bund für vereinfachte Rechtschreibung sowie der Sprachkreis Deutsch haben auf die Rechtschreibdebatte eingewirkt und eine Teilhabe an der Diskussion eingefordert. Zudem haben sie auch Impulse in Richtung Opposition gesetzt. Dies geht auch aus einem Artikel der NZZ vom 4./ 5. März 2006 mit dem Titel „Änderungen abgesegnet“ (siehe Printmedienquellen) hervor: In der Schweiz haben sich zuletzt vor allem der Lehrerdachverband (LCH) und der Sprachkreis Deutsch in Opposition zum Rechtschreib-Rat und seiner Arbeit begeben. Den Pädagogen sind die zahlreichen alternativen Schreibungen ein Dorn im Auge. Weniger personen- und meinungsbezogen beschreibt der Tages-Anzeiger vom 4.3.2006 mit dem Titel „Rechtschreibreform: Schweiz wagt kaum einen Alleingang“ (siehe Printmedienquellen) die Reaktion des Lehrerverbands: Der Dachverband lehnt die Anpassungen grundsätzlich ab, da sie unsystematisch seien. Nach Regierungsrat Ulrich Stöckling, dem ehemaligen Präsidenten der EDK, seien die Forderungen der Lehrerschaft nach einer kompletten Überarbeitung der Reform statt ihrer Nachbesserung zurückzuweisen. Ebenso abschlägig verhielt sich die EDK gegenüber ähnlichen Forderungen gegenüber der privaten Vereinigung SOK, wie man einem Artikel aus der Neuen Urner Zeitung vom 19.6.2006 mit dem Titel „Im Kanton Uri ist man gerüstet“ (siehe Printmedienquellen) entnehmen kann. Was sich der Lehrerverband in der Forderung des Rückbaus zur herkömmlichen Schreibung mit weniger Varianten als Engagement um Pflege und Erhalt der Sprache sowie Zuverlässigkeit der Re- 96 Hierzu gehören laut Aussage eines Artikels vom Tages-Anzeiger vom 27.6.2006 mit dem Titel „Neue Rechtschreibung: Gegner warnen vor Chaos an Schulen“ (siehe Printmedienquellen) nicht nur die im Text genannten drei Verbände, sondern auch Anhänger der Schweizerischen Orthografiekonferenz (SOK), der Sprachwissenschaftler und Vertreter aus Presse- und Verlagswesen. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 308 geln auf die Fahnen schreibt, stellt sich für den damaligen Präsidenten der EDK als eine nicht zumutbare Verunsicherung in den Schulen dar. Wichtig ist in seinen Augen: Für die Schule muss man rekurssicher sein, so dass in Bezug auf den Vollzug der Umsetzung des Regelwerks und unter Einhaltung der für den deutschen Sprachraum vereinbarten Bestimmungen die Empfehlungen durch die innerstaatliche Kompetenz der Kantone als verbindlich erklärt und auf legitime Weise erteilt wurden. Hieraus lässt sich meines Erachtens der auch im bundesdeutschen Sprachraum vielmals diskutierte Konflikt der Unantastbarkeit der Sprache als gesellschaftliches Hoheitsgebiet ableiten, das zwar durch Konventionen festgelegt werden soll, aber nicht durch staatliche Instanzen gesteuert wird. Dass die Regeln in der Schule gelehrt werden müssen, ist unbestreitbar. Dass aber die Schwerpunkte der Neuregelung, Systematisierung und Neufassung der Regeln hinsichtlich der aktuellen Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung aus Sicht der Lehrerschaft die Erlernbarkeit und die Handhabbarkeit der Regeln negativ beeinflusst haben und dieser Behauptung nur durch Rückbau beizukommen ist, stellt aus Sicht der Amtswalter in meinen Augen kein gemeinsames Zusammenwirken und keine gemeinsame Vorgehensweise dar. Ich möchte an dieser Stelle kurz anmerken, dass ein Rückbau ein allgemein in der Presse gern verwendeter Weg ist, um den für die meisten Reformprozesse typischen anfänglichen Stolpersteinen zu begegnen. Dies lässt sich derzeit an der aktuellen Debatte über das verkürzte Abitur (G8) ablesen. Eine Rückkehr zum neunjährigen Abitur wird laut der aktuellen Berichterstattung (bspw. Die Welt vom 15.4.2014 zum Thema Schulzeitverlängerung) zwar nicht von allen Beteiligten wie Lehrern unterstützt, wird aber als Option ausgewiesen, um den „Schulfrieden“ wieder herzustellen. Die Debatte um das auf 8 Jahre verkürzte Abitur und das Androhen einiger Länder, zum neunjährigen Abitur zurückzukehren, hat ähnlich wie bei der Rechtschreibreform zu einer Initiative von Bildungspolitikern und Wissenschaftlern geführt, um die öffentliche Diskussion zu versachlichen. Eine der Forderungen in Zusammenhang mit der Kritik am verkürzten Abitur, ist die Belastung und Überanstrengung der Schüler durch den Gesamtstundenrahmen. Eine Arbeitsgruppe, angelehnt an den Schulausschuss der Kultusministerkonferenz, hat sich zum Zwecke der Versachlichung des Themas angenommen und wird Empfehlungen erarbeiten. Resümierend gibt die schon oben erwähnte Ausgabe des Tages-Anzeigers vom 4.3.2006 wieder, 97 dass die eine oder andere Entscheidung der EDK, in Form eines Alleingangs oder der Zustimmung zu den Änderungen, durch die 97 Weitere Artikel behandeln das Thema der ausstehenden Entscheidung durch die EDK und die Änderungen am Regelwerk, wie z.B. folgender Artikel: „Die Schweiz bleibt unter Zugzwang“, Der mediale Diskurs in der Schweiz 309 Vertreter des Lehrerverbands missbilligt wird. Selbst Artikel aus Schweizer Regionalzeitungen und übergeordneten Nachrichtenquellen aus dem Berichtszeitraum 2009 greifen noch immer die Forderung nach einem Moratorium für das Inkrafttreten des amtlichen Regelwerks und die Wiederaufnahme der herkömmlichen Regeln auf. 8.4.3 Die Schweizer Orthographische Konferenz - Ein politisch medialer Diskurs einer außerstaatlichen Organisation Nachstehend möchte ich mich exemplarisch mit einer Institution auseinandersetzen, die sich der Verbesserung und Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung verschrieben hat. Unter den schon weiter oben erwähnten staatlich geförderten Organisationen und Verbänden und Einzelpersonen, die sich um die Erhaltung und Pflege von Sprache bemüht haben, gibt es auch zahlreiche unabhängige Organisationen wie den bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR), der sich für die gemäßigte Kleinschreibung und für die eingedeutschte Schreibweise (in Teilen gemäß der amtlichen Schreibung) von Fremdwörtern mit / th/ , / rh/ und / ph/ einsetzt. Eine ausführliche und umfängliche systematische Behandlung aller aktiven unabhängigen Sprachvereine, Verbünde und Organisationen aus dem Deutschschweizer Raum würde hier den Rahmen der Dissertation sprengen und ist auch nicht im Sinne meiner Fragestellung, da ich zwar sprachkritische Elemente in meine Betrachtung mit aufnehmen, sie jedoch nicht zum Rahmen meiner Gesamterörterung machen möchte. Ich möchte im Folgenden auf die Arbeiten und die Aufträge eines deutschsprachigen Sprachvereins eingehen, da er durch die Medien Gegenstand der politischen Diskussion geworden ist und sich aktuelle Bestrebungen und Strategien von politisch motivierten Vereinigungen, die von Akteuren aus Wissenschaft, Schule und Presse gestützt werden und sich gegen die Rechtschreibreform ausgesprochen haben, gut veranschaulichen lassen. Die Organisation der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK) hat sich dem Ziel, eine größere Einheitlichkeit der Rechtschreibung herzustellen, verschrieben, so heißt es auf der Homepage. Sie attestiert der aktuell gültigen und amtlichen Rechtschreibung, dass sie keine Einheitlichkeit und keine Sprachrichtigkeit im deutschsprachigen Raum herbeiführe. Die Schweizer Orthographische Konferenz (SOK) hat sich im Anschluss an die Konstitution des Rats für deutsche Rechtschreibung gegründet und ist laut Aussage von Stefan Stirnemann, einem Gründer der SOK, der Vertreter des Sprachkreises Deutsch in Nr. 53 vom 4.3.2006 der Neuen Luzerner Zeitung (siehe Printmedienquellen). Dort heißt es hierzu: „Kämpferisch zeigt sich insbesondere der Schweizer Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH), der gegen 50.000 Mitglieder zählt. Mit ihrer Entscheidung für oder gegen die Anpassungen kann sich die EDK eigentlich nur unbeliebt machen.“ Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 310 der SOK und auch Gymnasiallehrer ist, die Antwort auf das vom Rat für deutsche Rechtschreibung in der gültigen Fassung beschlossene Regelwerk. Nach Behauptung der SOK führe dieses Regelwerk durch das Anwenden verschiedener Wörterbücher, die die Herausbildung von Hausorthografien begünstigen, zur Spaltung der Sprachlandschaft. Zudem wird das Regelwerk mehr als politisch herbeigeführtes Konstrukt denn als Grundlagenwerk verstanden. Die Institution behauptet, dass sie von namhaften Politikern und Vertretern aus Praxis wie Schule, Journalismus und Verlagswesen sowie Experten unterstützt werde. Ein Ereignis aus neuester Zeit zeigt, dass die SOK auch heute noch breite Unterstützung in Verlag und Presse findet. Hierzu gehört, dass der Reclam-Verlag seit dem Jahr 2013 nach den Empfehlungen der SOK druckt und nicht mehr nach denen des Duden-Verlags. Selbst überprüft habe ich diese Behauptung allerdings nicht, was ich an dieser Stelle einräumen muss. Laut eines Artikels der Zürichseezeitung vom 28.6.2013 mit dem Titel „Reclam-Verlag mit Schweizer Rechtschreibung“ versteht der Verlag angesichts der Verunsicherung in den Schulen und der Resignation bei den Lehrern die Empfehlungen der SOK als vernünftige Alternative zu den dem aktuellen Regelwerk folgenden Duden-Regeln. Die Schweizer Orthographische Konferenz beschreibt in ihrem Internetauftritt nicht, als was für eine Organisationsform sie sich begreift. Auf der Homepage wird die Organisationsform als einfache Gesellschaft angegeben. Viel besuchte Enzyklopädien im Internet bezeichnen sie gerne als Sprachgesellschaft, die aus Experten aus der Praxis aus Presse und Verlag besteht. Die Arbeitsweise der SOK besteht aus der Erarbeitung von Empfehlungen und Richtlinien, die auf Tagungen zur Diskussion gestellt werden. Die Richtung, die die SOK seit ihrer Gründung eingeschlagen hat, ist eindeutig. In deren Internetauftritt schreibt ein Autor, dass die Verbesserungen des Rates für Rechtschreibung konsequent umgesetzt werden (siehe Kurzfassung „Wegweiser“ vom 24.12.2008). Zum anderen bestätigt sie in diversen Beiträgen (siehe bspw. Beitrag „Rechtschreibkompromiss: eine Lagebeurteilung“ in Zusammenhang mit der Tagung vom 27.6.2013) auf ihrer Homepage, dass sie den Empfehlungen des Rats nicht folgt; sie duldet das Regelwerk in seiner aktuellen Fassung nicht und plädierte zuvor 2006 noch für ein Moratorium des Inkrafttretens der Rechtschreibung in der Schweiz (siehe hierzu auch Artikel von Stirnemann „Aufruf wider das Chaos in der Rechtschreibung“ in der NZZ vom 6./ 7.6.2009, siehe Printmedienquellen unter Schweizer Presse). Die SOK ist in meiner Diskussion deshalb interessant, da sie Teilhabe im Rat für deutsche Rechtschreibung forderte, um die Fehler am Regelwerk mit deren Empfehlungen mit dem Ziel einer einheitlichen und sprachrichtigen deutschen Rechtschreibung zu beheben. Der mediale Diskurs in der Schweiz 311 In einem Artikel der Schweizer Zeitung Die Weltwoche vom 9.12.2010 (Nr. 49/ 10) mit dem Titel „Diktat von oben“ bringt Gründungsmitglied und Gymnasiallehrer Stirnemann die Kritikpunkte noch einmal zusammen. Er erhebt Vorwürfe in Bezug auf die Arbeitsweise des Rats, die Zusammensetzung der Mitglieder und bemängelt, dass Widersprüchlichkeiten im Schweizer Schülerduden auftauchen, die zu Schreibweisen führen, die gemäß den Empfehlungen des Rats falsch sind. Bemerkenswert ist, dass der Vorwurf, durch den Schweizer Schülerduden Haus- oder Sonderorthografien zu erzeugen, mit der Erarbeitung von eigenen Richtlinien für eine Hausorthografie durch die SOK einhergeht. Auf der Einleitungsseite mit den Empfehlungen der SOK werden etliche Beispiele aufgeführt, in denen die SOK ihre an der herkömmlichen Variante orientierten Empfehlungsschreibung der Schreibweise von 2006 gegenüberstellt. Interessanterweise möchte ich an dieser Stelle bemerken, dass die Übersicht oder Wortliste so dargestellt ist, dass die SOK Schreibweisen anwendet, die dem Regelwerk zuwiderlaufen. Beispielsweise wird die bei der SOK empfohlene Variante bei Zusammensetzungen mit substantivischem ersten Bestandteil achtgeben als die herkömmliche ausgewiesen, während für die offiziell geltende Schreibweise laut Regelwerk nur Acht geben aufgeführt wird, obwohl unter § 34 E6 beide Formen, sowohl Getrenntwie auch Zusammenschreibung, möglich sind. Dies betrifft auch die von der SOK präferierte, unter § 36 „Verbindungen von Substantive, Adjektiven, Verben, Adverbien und Partikeln mit adjektivisch gebrauchten Partizipien“ aufgeführte Schreibweise wie alleinerziehend, während, wie dort dargestellt, nur die Form allein erziehend gilt. Auch hier wird nicht aufgeführt, dass beide Formen zulässig sind. Ähnlich hat die Süddeutsche Zeitung im März 2006 in einem Beitrag anhand einer Darstellung verschiedener Einträge aus den Jahren 1991, 1996 und 2006 für eine irreführende Außenwahrnehmung der aktuellen Regeln gesorgt, die den Eindruck von Beliebigkeit der 2006er Regel suggerierte. Bedauerlicherweise hat die SOK nach meinen Recherchen zum Jahr 2014 Änderungen an ihren Wörterlisten vorgenommen, so dass einzelne von mir untersuchte Fallgruppen und Einzelschreibungen nicht mehr aufgeführt sind. Die aktuellen Wörterlisten führen nun deutlich mehr Doppelschreibungen auf, die nach dem aktuell gültigen Regelwerk zulässig sind. Im Falle eines deutschschweizerischen Abkommens, das als gültige Form der Neuregelung ausgeführt wird, ist ausgehend von § 44 (2) der gültigen Fassung des Regelwerks sogar von einem Fehler in der Wortliste seitens der SOK auszugehen. Im Regelwerk heißt es hierzu, dass bei unübersichtlichen Zusammensetzungen aus gleichrangigen, nebengeordneten Adjektiven, wie in deutsch-österreichische Angelegenheiten, ein Bindestrich gesetzt werden müsse. Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 312 Eine weitere Schwierigkeit meine ich in der Wendung nach Hause gefunden zu haben, die aktuell die für die SOK empfohlene Variante ist, wobei die vermeintlich geltende Form nachhause lautet. Hier scheint es sich unter Umständen sogar um eine Verwechslung zu handeln, da die Schreibweise nachhause aus dem österreichischen sowie schweizerischen Umfeld bekannt ist und nicht umgekehrt. Ähnliches vermute ich bei der Empfehlung zu dem unter der Kategorie aufgeführten „Caramel“ als empfohlene Variante. Diese Schreibweise soll schon in der Fassung vor 1996 zulässig gewesen sein, was ich dem „Traditions-Duden“ nicht entnehmen kann (hier wird nur „Karamel“ aufgeführt). Es handelt sich wohl eher um die der Herkunftssprache am nächsten stehende Schreibweise, war aber nicht, wie auf der Homepage ausgewiesen, eine vor 1996 zulässige Form. Das Beispiel „Zeit raubend“, als die vom Duden empfohlene Variante, ist deswegen interessant, weil beide (getrennt und zusammen) Schreibweisen erlaubt sind und die nicht empfohlene Schreibweise (getrennte Zusammensetzung) als die gültige und offiziell empfohlene ausgewiesen wird. Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass von vormals (Recherche aus April 2013) 44 aufgeführten Beispielen nur 3 von der geltenden Norm abweichend waren 8fach, aufs äusserste, das 8fache. 98 Tageszeitangaben wie bei morgen früh werden von der SOK nicht als Sonderfall ausgewiesen, da hier noch die Variantenführung gilt, in der auch morgen Früh erlaubt ist, von der SOK morgen früh allerdings irrtümlich als Abweichung von der Neuregelung ausgewiesen wird. 40 Beispiele wurden aufgeführt, die der Neuregelung als zulässige Form zugeschrieben wurden und in allen Fällen eine Variante von zwei Zulässigen darstellte, so dass auch die von der SOK empfohlene Schreibweise der Empfehlung des aktuell gültigen Regelwerks entsprach. Es wurde bewusst die jeweils andere Schreibweise in der Übersicht dargestellt, um die Unterschiede zwischen der von der SOK empfohlenen und der neuen Rechtschreibung zu betonen. In zwei Fällen wurden meinen Erkenntnissen nach missverständliche oder schlichtweg falsche Angaben zu der laut Norm richtigen Schreibweise gemacht und damit für die Gegenüberstellung falsch ausgelegt. Man möchte meinen, dass die SOK sich institutionell auf eine Ebene mit dem Rat für deutsche Rechtschreibung stellen möchte. Dieser rein private Verein gleicht jedoch mehr einer Organisation wie dem „Sprachkreis Deutsch“ im bundesdeutschen Raum. Der Sprachkreis Deutsch erhält im Unterschied zur Akademie für deutsche Sprache und Dichtung keine staatliche Finanzierung 98 Peter Gallmann erörterte in der Zwischenstaatlichen Kommission die Klassifikation von -fach (unselbstständiges Grundmorphem und Ableitungssuffix) und sorgte für die Einführung der Variantenschreibung 8fach/ 8-fach sowie das 8fache/ 8-Fache statt das 8fache. Der mediale Diskurs in der Schweiz 313 und ist eher als fachlich interessierte Organisation denn als wissenschaftliche Einrichtung zu verstehen. Anders als mit Gesprächen mit der im bundesdeutschen Raum waltenden Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung, die zur Mitwirkung im Rat für deutsche Rechtschreibung animiert werden sollte, wurde der SOK aber ein abschlägiges Urteil hinsichtlich ihres Mitwirkens durch den amtierenden Generalsekretär der EDK, Hans Ambühl, erteilt. Im Unterschied zum Rat für deutsche Rechtschreibung ist die SOK an einem pluralen Meinungsbild unter ihren Mitgliedern wenig interessiert, was sich daran ablesen lässt, dass laut Aussage des Gründungsmitglieds Urs Breitenstein (auf der Homepage) die SOK all denjenigen Personen offen steht, die die Ziele und Empfehlungen der Gesellschaft unterstützen. Dennoch muss eine Beitrittserklärung ausgesprochen werden, die dem Sekretariat in Bern zugehen muss und unter Umständen auch abgelehnt werden kann. Worin unterscheiden oder ähneln sich die Kritikpunkte der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung und diejenigen der SOK? Vorweg lässt sich sagen, dass beide Organisationen eine gespaltene Grundhaltung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung aufweisen. Die der Akademie lässt sich in ihren Anfängen (vor 1998) als ablehnend bezeichnen. Dies geht aus der öffentlichen Berichterstattung hervor, aber auch aus Schriftwechseln mit der KMK bspw. aus dem Jahr 1997, in denen sich die Akademie gegen die Neuregelung ausgesprochen hat, jedoch Bereitschaft signalisierte, bei erneuten Diskussionen zum weiteren Verfahren im Umgang mit den Einwänden und Monita gesprächsbereit zu sein. Ein im Jahr 2002 erarbeiteter Kompromissvorschlag durch die Akademie wurde durch die damals tätige Zwischenstaatliche Kommission nicht als sinnvolle Ergänzung zum Regelwerk aufgefasst, da nach Auffassung der Kommission kein Konsens hinsichtlich der Vorschläge zur Getrennt- und Zusammenschreibung bestand, die nach Auffassung der Akademie laut einem Gesprächsvermerk einer Diskussionsrunde vom 23.4.2004 einen Bereich darstellten, der nicht regelungsbedürftig und weitgehend fehlerfrei sei. Es bestanden auch Uneinigkeiten zu weiteren Einzelheiten, die einen Rückbau der bisher erarbeiteten Regeln erkennbar machten, ohne dass eine Anwendung von Regeln mit großer Reichweite in dem Kompromissvorschlag tatsächlich enthalten gewesen wäre, sondern dieser vielmehr eine Art Liste von Wortindividuen darstellte. Die Kommission schätzt die Vorschläge allgemein als Widerspruch zur Grundkonzeption des amtlichen Regelwerks ein, das eine Richtigschreibung allein auf Grund der Anwendung von Rechtschreibregeln zum Ziel hat und nicht nur auf Grund von in Listen verzeichneten Einzelwortschreibungen, wie sie es dem Kompromissvorschlag der Akademie nachsagt. Das Gespräch, das die Forderungen und Empfehlungen der Akademie beinhaltete, fand hochrangig im Rah- Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 314 men einer Sitzung im Beisein der ehemaligen Bildungsministerin Annette Schavan, des Ministers Reiche als damals amtierender Präsident der KMK und von Vertretern der Kommission statt. Dennoch war man sich zu diesem Zeitpunkt einig, dass das neu zu schaffende zwischenstaatliche Gremium des Rats für deutsche Rechtschreibung unter Einbezug der Akademie tätig werden sollte. Insgesamt lässt sich die Haltung der Akademie im Kontext des vierten Berichts der Kommission aus dem Jahr 2004 als gesprächsbereit und nicht komplett verweigernd einschätzen. Die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung ist mit der SOK schon deshalb nicht zu vergleichen, weil sie eine ungleich längere Geschichte aufzuweisen hat und als Verein im Jahr 1946 gegründet worden ist. Vergleichbar ist die SOK daher neben dem Sprachkreis Deutsch auch mit der Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS), die deswegen nicht in den Kreis des Rats für deutsche Rechtschreibung mit aufgenommen wurde, weil sie sich erst im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion um die Neuregelung der Rechtschreibung gebildet hatte und diese bei der maßgeblichen Anhörung vor 1996 weder zu den geladenen Institutionen gehörte noch sich selbst aktiv in den Diskurs eingebracht hatte. Sie wurde zudem erst in späteren Jahren als gemeinnütziger Verein anerkannt. Die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung wird im Unterschied zur SOK von der Kulturstiftung der Länder bezuschusst, da sie sich in vielerlei Hinsicht um die deutsche Sprache verdient gemacht und als Fachinstitution Anerkennung gefunden hat. Die SOK hat sich am 1.6.2006 allein aus dem Bedürfnis heraus gegründet, in Sachen Rechtschreibung einen Korrekturkurs vorzunehmen und so viele Mitstreiter wie möglich aus verschiedensten Bereichen von Gesellschaft und Politik aufzunehmen. Die Akademie hat auch nie den Versuch unternommen, sich direkt an die KMK zu wenden und sich Gehör zu verschaffen, wie es die SOK gegenüber der EDK getan hatte (wie bei dem Aufruf der SOK an die EDK und die Länder, die Rechtschreibreform am 1.8.2009 nicht notenwirksam werden zu lassen, siehe einen Artikel des Tagesanzeiger „Neue Rechtschreibung: Politik soll Notbremse ziehen“ vom 27.6.2009 oder den offenen Brief an den damaligen Präsidenten der EDK, Hans Ulrich Stöckling, aus dem Jahr 2006). Die EDK sah hierzu keinen Handlungsbedarf und besteht laut Aussage desselben vorher genannten Artikels aus Fachleuten, die wenig Kenntnis über die Schulpraxis haben und daher nicht beurteilen können, ob die Änderungen zu einer Verschlechterung der Rechtschreibleistungen führen. Die SOK wird in der Schweiz in einschlägigen Tages- und Regionalzeitungen (z.B. Tagesanzeiger, NZZ, die Weltwoche, das St.Galler Tagblatt, die Südostschweiz, der Beobachter, die Handelszeitung, die Schweizer Monatshefte, die Schweizerische Teletext AG, die Nachrichtenagenturen SDA und Sportinformation sowie der Schwabe Verlag setzen die Empfehlungen der SOK um) zi- Der mediale Diskurs in der Schweiz 315 tiert und als privater Verein namhafter Sprachwissenschaftler und Pressevertreter bezeichnet. Eine kurze Stichprobe anhand des Beispiels „aufwendig“ als von der SOK empfohlene herkömmliche Variante soll Aufschluss darüber geben, ob die Empfehlungen der SOK in Artikeln und Beiträgen der genannten Zeitungen, Zeitschriften und Wochenschriften bedingungslos umgesetzt werden, auch wenn ich hier nur einen kleinen Korpus zur Analyse heranziehen kann. Für die NZZ möchte ich bestätigen, dass ich keine Hinweise auf die Verwendung der ebenfalls gültigen, aber nicht von der SOK empfohlenen Variante „aufwändig“ gefunden habe. Die Weltwoche gibt mir bei der Eingabe der Schreibung „aufwändig“ 4 Treffer im Gegensatz zu 202 Treffern mit Artikeln, die die Schreibung „aufwendig“ beinhalten. Ob es sich hierbei um Irrtümer oder um Absicht handelt, ist schwer zu beurteilen. Für das St.Galler Tagblatt fasse ich zusammen, dass sich 235 Treffer für die Schreibung „aufwändig“ für den Zeitraum aufgeführter Artikel und Beiträge vom 1.1.1997 bis 26.9.2013 finden lassen, wobei die Schreibung „aufwändig“ in der ab 2006 gültigen Fassung ca. 56-mal zu finden ist. In demselben Zeitraum finden sich im Gegensatz dazu 5.335 Treffer für die durch die SOK empfohlene Schreibung „aufwendig“. Rechnerisch handelt es sich um ca. 4,4% Abweichung von den Empfehlungen, die sich auf die Schreibung „aufwendig“ beziehen. Interessant sind die Ergebnisse für die Basler Zeitung. Hier haben wir 12 Treffer für Artikel, die die Schreibung „aufwändig“, und 11 Treffer für Artikel, die die Schreibung „aufwendig“ beinhalten. Abgesehen von der Quantität der angezeigten Artikel mit dem gesuchten Token lässt sich keine repräsentative Aussage treffen, dennoch aber eine Tendenz ableiten. Wenngleich die meisten Artikel mit der besagten Schreibung „aufwändig“ von der Agentur SDA und in einigen wenigen Fällen von der deutschen DAPD stammen, sollte man meinen, dass die sich auf der Homepage zu den Empfehlungen der SOK bekennenden Nachrichtenagenturen und Redaktionen der Zeitungen wie der SDA auch an diese halten und entsprechende redaktionelle Änderungen vornehmen, um der Linie treu zu bleiben. Die wenigen Beispiele zeigen allerdings, dass bei den Redaktionen der Zeitungen, die Artikel von Nachrichtenagenturen aufnehmen, keine Anpassungen im Sinne der „Sonderorthografie“ oder Hausorthografie vorgenommen werden. Die Recherche innerhalb der Zeitung Südostschweiz ergibt 766 Treffer für die Schreibung „aufwändig“ im Vergleich zu 181 Treffern für „aufwendig“. Im Verhältnis wird die durch die SOK empfohlene Schreibung nur zu ca. 24% verwendet. Zuletzt möchte ich noch die Ergebnisse für die NZZ aufführen. Hier lassen sich insgesamt 26 Treffer mit der Schreibung „aufwändig“ ausfindig Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 316 machen gegenüber 1164 Treffern, die die Schreibung „aufwendig“ beinhalten; dies ist ein Verhältnis von 2,3% abweichender Schreibung von der eigenen hausorthografischen Empfehlung und daher zu vernachlässigen, was auf ein zuverlässiges Korrektorat hindeutet. Die NZZ setzt meinen Recherchen und meinen Berechnungen zu den relativen Frequenzen einzelner Items zufolge ihre hausorthografischen Regeln im Verhältnis zu anderen Zeitungen und Zeitschriften des Konzerns konsequent um. Auf der Homepage der SOK wird behauptet, dass sich die hausorthografischen Regeln an den Empfehlungen und dem Vademecum der NZZ orientieren (siehe http: / / sok.ch/ woerterlisten/ empfehlungen-der-sok-zur-deutschen-rechtschreibung, Stand: 1.3.2017). Diese Aussage werde ich an anderer Stelle relativieren und aufzeigen, dass die NZZ zum Teil avantgardistisch und fortschrittlich vorgeht und eben nicht nur konservativ orientiert ist, wie im Beispiel der Variantenschreibung unter Anwendung der herkömmlichen Schreibung, was ein erklärter Grundsatz der SOK im Umgang mit Varianten ist. Die anderen Tageszeitungen der NZZ- Mediengruppe verhalten sich in Bezug auf die Integrität hinsichtlich der Empfehlungen der NZZ unterschiedlich. Wie ich weiter oben aufgeführt habe, zeigt sich anhand einer kurzen Stichprobe zu den Items „aufwendig“ und „aufwändig“, dass bspw. das St.Galler Tagblatt als Mitglied der NZZ- Gruppe und größte Tageszeitung der Ostschweiz die Empfehlungen gemäß des Vademecums relativ stringent umsetzt, während die Neue Luzerner Zeitung ebenfalls als Mitglied der Mediengruppe und Tageszeitung mit hohem Leseranteil zu ca. 23% abweichend von den Empfehlungen der NZZ „aufwändig“ druckt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass nicht alle Daten aussagekräftig und zuverlässig sind und weitere Beispiele geprüft werden müssten, um ein eindeutiges Urteil über die Integrität der einzelnen Tageszeitungen und Agenturen in Bezug auf den Umbau von Teilen der Rechtschreibreform in Richtung auf die Empfehlungen der SOK zu fällen, da die Schriftdaten in der Korpusanalyse online nicht immer zufriedenstellend abgefragt werden können. Die Zeitungen und Agenturen nutzen den Freiraum, den die Neuregelung als Gestaltungsraum und Freiheit ermöglicht, indem sie sich bei Variantenführung für die herkömmliche, bis 1996 gültige Form „aufwendig“ entscheiden oder für die in den genannten Schweizer Zeitungen und Zeitschriften laut meinen Ausführungen seltener verwendete, ebenfalls gültige Schreibung „aufwändig“. Ergänzend möchte ich hierzu aufführen, dass der Duden einen ähnlichen Freiraum wahrnimmt, der kennzeichnend ist für eine geringe Rezeption und Aufnahme der Empfehlungen aus den Fachdiskursen in den früheren Auflagen. Da sich aber auch ein paar Abweichungen finden, auch in den jüngeren Der mediale Diskurs in der Schweiz 317 Auflagen, weise ich hier auf die Begründung im Duden hin, wie schon an anderer Stelle erwähnt: Ein Stichwort wird in der Regel in all seinen möglichen Schreibweisen gezeigt. Gibt es zwei oder mehr Schreibvarianten, wird zuerst diejenige Variante gezeigt, die die Dudenredaktion empfiehlt. Die empfohlene Variante wird dabei durch eine gelbe Unterlegung markiert. (www.duden.de/ hilfe/ rechtschrei bung, Stand: 13.10.2017) Hieraus lässt sich schließen, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Fachdiskurse, die sich in der Reform und im Nachgang zu dieser in den Änderungen von 2004 und 2006 niedergeschlagen haben, zwar beachtet wurden, aber dass nicht allein in den Medien, sondern auch im Verlagswesen und bei Wörterbüchern wie dem Duden eigene Empfehlungen bei Varianten noch immer praktiziert werden. In der Schweizer Presse sind die Vertreter der SOK breit aufgestellt und haben etliche öffentlichkeitswirksam platzierte Artikel hervorgebracht. Einige wenige Beispiele hierfür möchte ich nennen, um aufzuzeigen, dass die Meinung der SOK durch die Presse und Verlage getragen wird. Die Autorenzeitschrift Der Schweizer Monat beispielsweise hat in seiner Ausgabe 958 aus Januar 2008 eine gekürzte Fassung der Eröffnungsrede von Christoph Stalder bei der Herbsttagung der SOK im Oktober 2007 abgedruckt. Schwieriger gestaltet sich die Unterstützung von politischer Seite. Eine Anfrage des FDP-Nationalrats und Verlegers und später auch Präsidenten der Basler Zeitung, Filippo Leutenegger, an den Bundesrat vom 21.6.2007 zeigt deutlich, wie sich die Schweizer Regierung von der Haltung der SOK als private Organisation distanziert, da mit den Überarbeitungen am Regelwerk, die vom Rat für deutsche Rechtschreibung im Frühjahr 2006 vorgelegt wurden, die Herstellung einer einheitlichen und konsensfähigen Rechtschreibung erwartet wurde. Trotzdem werden die Befürchtungen der Aktanten des Vereins als „realitätsfremd“ und „zerstritten“ beschrieben. Wer sind die Gründer und Mitglieder der SOK, und ist die Gesellschaft auf ein breites Fundament von Vertretern aus Verlag, Presse, Politik und Wissenschaft gestellt und gestützt? Die Beantwortung der Frage ist deshalb so wichtig für die weitere Diskussion, weil in Hinblick auf die SOK in den Zeitungen immer wieder von „mehrheitlich qualifizierten Sprach-Fachleuten, Entscheidungsträgern aus der Politik und auch zahlreichen aktiven Journalisten und Autoren“ (siehe Artikel in Der Walliser Bote vom 31.12.2007 „warum dänken und mässen wir nicht“, siehe Printmedienquellen unter Schweizer Presse) die Rede ist. Wer und wie viele gehören nun zu den Verbesserern aus der Praxis und welche Arbeit haben sie in Hinblick auf eine einheitliche Rechtschreibung geleistet? Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 318 Für die Seite der Verlage und Buchhändler ist Urs Breitenstein zuständig, der auf der Homepage der SOK unter „Die Gründer und Mitglieder“ noch immer als Präsident des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes (SBVV) ausgewiesen wird, obwohl die Generalversammlung des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands SBVV schon im Frühjahr 2008 Marianne Sax als seine Nachfolgerin gewählt hat. In einem Beitrag auf der Homepage „Von der SOK zur DOK“ hat die Nachricht dann doch Eingang gefunden, dass Urs Breitenstein seit April 2008 nicht mehr Präsident des SBVV ist. Urs Breitenstein ist nach einer beachtlich langen beruflichen Karriere im Schwabe-Verlag im November 2007 im Alter von 64 Jahren in den Ruhestand eingetreten und ist als Gründungsmitglied der SOK ehrenamtlich tätig. Als erfahrener Basler Verleger und Miteigentümer des Schwabe-Verlags hat er sich darum verdient gemacht, wissenschaftliche Standardwerke im Schwabe-Verlag anzusiedeln und diese zu betreuen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass sein ursächliches Fachgebiet die Klassische Philologie und deren Wissenschaftsgeschichte sei (laut der Christkatholischen philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern, die eine Liste von Portraits der Geehrten aus dem Jahr 2006 veröffentlicht haben, die die Ehrendoktorwürde erhalten haben). Im Online-Magazin der Universität Bern wird er weiter als Sprachwissenschaftler mit Lehrerfahrung bezeichnet. Als Präsident des SBVV hat er sich gegen die Aufhebung der Buchpreisbindung ausgesprochen, hat sich also wirtschaftlichen Interessen zugewandt und sich um den Erhalt des Mediums Buch verdient gemacht. Nichtsdestotrotz ist augenscheinlich, dass vor dem Jahr 2006 laut einer ausgiebigen Online-Recherche durch meine Person Urs Breitenstein in keinen Zusammenhang mit der Rechtschreibreform, Vorschlägen zu Verbesserungen oder gar irgendwelchen öffentlich gemachten Beschwernissen gebracht wird. Die SOK wird durch weitere Vertreter aus dem Verlagswesen und Presse gestützt. Da auch immer wieder erwähnt wurde, dass die SOK auch durch politische Kräfte breite Unterstützung gefunden hat, ist es interessant, aufzuführen, wer die Vertreter aus dem politischen Umfeld eigentlich sind. Hier ist der schon in einem anderen Zusammenhang erwähnte FDP-Nationalrat und Ko-Präsident der SOK, Filippo Leutenegger, zu erwähnen. Neben der politischen Laufbahn von Nationalrat Leutenegger ist er Geschäftsführer eines Medienunternehmens, Chefredakteur des Schweizer Fernsehens und Gründer eines Zeitschriften-Verlags. Die Liste seiner Aktivitäten im Presse- und Verlagswesen ließe sich noch erweitern, hier soll allerdings seine politische Einflussnahme und seine Initiative in Hinblick auf die Rechtschreibreform kurz skizziert werden. In den Medien, wie dem Tagesanzeiger, wird Nationalrat Leutenegger oftmals als prominenter und erfahrener Bundespolitiker, ehemaliger TV-Mann und Unternehmer lanciert. Nationalrat Leutenegger repräsentiert den Kanton Der mediale Diskurs in der Schweiz 319 Zürich. Im Jahr 2006 hat Nationalrat Leutenegger eine parlamentarische Anfrage an den Bundesrat gerichtet, um die im Jahr 2004 von Nationalrätin Riklin gestellte Forderung, die Durchsetzung der Neuregelung zu stoppen, erneut aufzunehmen. Die Antwort des Bundesrats vom 21.2.2007 bewertet Nationalrat Leutenegger im Zusammenhang mit einer erneuten Anfrage an den Bundesrat vom 21.6.2007 als unvollständig und ausweichend (siehe Amtliches Bulletin der Bundesversammlung der Herbstsession 2007, S. 382). Im Jahr 2013 ist Leutenegger Zürcher Stadtrat geworden und ist in dieser Funktion als linker Medienschaffender und mit Engagement in verkehrspolitischer Hinsicht für die Bürger Zürichs in Erscheinung getreten. In einer Online-Recherche fällt auf, dass Nationalrat Leutenegger zum Thema Rechtschreibung und Neuregelung in den Medien vor 2006 politisch nicht in Erscheinung getreten ist, weder hat er es als Wahlkampfthema erwähnt noch im Zusammenhang mit einer politischen Richtung, die ein gesteigertes Interesse in Form von Kritik an der Sache oder Zuspruch erahnen lässt. Dasselbe Bild stellt sich nun ab 2013 in seiner Position als Zürcher Stadtrat dar. Ob das sprachpolitische Engagement und Verpflichtung von Nationalrat Leutenegger von seinem Mandat innerhalb der SOK geknüpft ist, lässt sich nicht ohne weiteres beurteilen. Jedoch ist er aufgrund seines breitgefächerten Netzwerks in Verlagswesen, Presse und Fernsehen und seiner Einflussnahme durch sein politisches Amt ein Multiplikator für die Empfehlungen der SOK. Ein weiteres, in den Schweizer Tages- und Regionalzeitungen oft zitiertes Mitglied der SOK ist Stefan Stirnemann, der sich als Gymnasiallehrer im Kanton St. Gallen, Mitglied der Forschungsgruppe deutsche Sprache und Mitglied des Sprachkreises Deutsch und seit 2013 an der Bündner Kantonsschule in Chur um die Lage der Schulen und den Orthografieunterricht bemüht. Als Lexikograf hat er außerdem am Thesaurus Linguae Latinae in München mitgewirkt. Er vertritt zudem den Schweizer sprachpflegerischen Verein „Sprachkreis Deutsch“ in der SOK. Im Zusammenhang mit dem Anhörungsverfahren im Jahr 2006, in dem von verschiedenen Verbänden und Organisationen in den deutschsprachigen Ländern Voten zu den Änderungsvorschlägen des Rats eingeholt wurden, ist der Sprachkreis Deutsch in einer schriftlichen Vernehmlassung durch die EDK ebenfalls zur Stellungnahme aufgefordert worden. Der Sprachkreis Deutsch spiegelte hier neben Teilen der Bundesverwaltung und anderen Verbänden sowie Nachrichtenagenturen (SDA), die ihre Zustimmung erteilt haben oder nur in Teilen Kritik äußerten, neben dem bund für vereinfachte rechtschreibung und dem Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) ein ablehnendes Meinungsbild gegenüber der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wider. Neben der Forderung der Wiederherstellung von Schreibweisen, der Zulassung von Unterscheidungsschreibungen und vermehrter Getrenntschreibung sind Forderungen Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 320 in Richtung auf einen Rückbau zur Rechtschreibung von 1996 erhoben worden. Stefan Stirnemann publizierte neben Mitteilungen im Forum des Sprachkreis Deutsch zahlreiche die Rechtschreibreform kritisierende Artikel und Beiträge in Tageszeitungen wie beispielsweise der NZZ, Schweizer Monatshefte, St.Galler Tagblatt und Der Bund und Sachartikel in der FAZ, um nur einige zu nennen. In den Beschreibungen Stirnemanns auf der Homepage der SOK, wie in dem weiter oben erwähnten Beitrag „Zur Lage der Schule“, bietet die neue Rechtschreibung nur einen erschwerten Zugang zu Texten, da viele Sätze selbst nach mehrmaligem Lesen unklar bleiben. Dies geht auf Veränderungen im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung, Laut-Buchstaben-Beziehung, Zeichensetzung und auf vermehrte Großschreibung zurück. In Stirnemann (Hg.) (2004) sind verschiedene Kritik ausübende Beiträge zusammengefasst, die von der Genese der deutschen Schriftsprache handeln und die neue Rechtschreibung als sprachwirklichkeitsfremdes Gebilde bezeichnen, das sein Ziel der Einheitlichkeit und Sprachrichtigkeit verfehlt hat. Zeitungen wie die NZZ und die Schweizer Monatshefte boten Stefan Stirnemann immer wieder ein Forum, um sich reform- und sprachkritisch zu äußern. Viel wichtiger ist allerdings die Tatsache, dass Stefan Stirnemann bei der Korrektur für den Deutschunterricht nichts als falsch bewerten mag, was die NZZ und andere namhafte Reformgegner als richtig deklarieren. 99 Die Kluft zwischen der in der Presse bzw. im Verlagswesen praktizierten und in der Schule geltenden Rechtschreibvorgaben stellt für ihn das größte Problem dar. In verschiedenen Abhandlungen von Stirnemann (Hg.) (2004) zur Reform der deutschen Rechtschreibung fallen dieselben Begrifflichkeiten wie „Verletzung des Sprachgefühls“ und verfehlte „Sprachwirklichkeit“, was er auf das Beispiel „es tut mir Leid“ im Verhältnis zu „es tut mir weh“ bestätigt sieht. Stirnemann vergleicht, obwohl er als Fachmann auf diesem Gebiet rangiert, hier sprichwörtlich Birnen mit Äpfeln, da hier unterschiedliche Wortkategorien mit unterschiedlichen grammatischen Status anzusetzen sind und daher nicht einfach eine Analogie zu bilden ist, wenngleich die Regelung seit 2004/ 2006 wieder die Kleinschreibung vorsieht. Kritikern der Reform wie Ickler und Munske schreibt er besondere Wichtigkeit in Bezug auf ihr Urteil zu, 100 was seine kri-  99 Nachzulesen im Postulat (04.249) Großer Rat Aargau vom 14.9.2004 betreffend das Moratorium zur Installierung der neuen Rechtschreibung durch die Kultusminister und beteiligten deutschen Staaten im Oktober 2004 (www.sprache.org/ bvr/ index.php? f=/ bvr/ bo2004914 Najman.htm, Stand: 21.9.2004). 100 Vor allem im Bezug auf die Rechtssprache haben die Änderungen laut Untersuchungen zur Getrennt- und Zusammenschreibung Theodor Icklers ergeben, dass hier die Aufhebung von Schreibdifferenzierungen besonders negativ zum Tragen kommt und sich Bedeutungen im rechtlichen Sinne nicht mehr unterscheiden lassen. Der mediale Diskurs in der Schweiz 321 tische Stellungnahme zum Stand der Änderungen und deren Auswirkungen einseitig macht. Stirnemann und andere Reformkritiker haben versucht, über das Instrument der Weiterbildung von Lehrkörpern auf die Qualitätssicherung im Unterricht Einfluss zu nehmen, indem, wie in einem Blog vom 7.4.2006 auf der Homepage des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege (VRS) 101 bekannt wurde, ein Fortbildungskurs für Lehrer St. Galler Mittelschulen in Sachen Inhalte der Neuregelung angeboten werden sollte, deren Dozenten ausschließlich aus Reformkritikern bestand. Der St. Galler Erziehungsdirektor Stöckling soll die Durchführung des Kurses untersagt haben, bevor er durchgeführt werden konnte. Meine Betrachtungen zur Schweizer Orthographischen Konferenz dienten keinesfalls dazu, die Glaubwürdigkeit dieser Organisation zu untergraben, sondern vielmehr dazu, darzulegen, dass es sich bei aller Kritik dennoch um eine fachlich interessierte Organisation handelt und nicht um eine wissenschaftliche Einrichtung, die eine Basis zur Untersuchung oder Erforschung der deutschen Sprache in Hinblick auf ihre Beobachtung und Weiterentwicklung bietet. Im Unterschied zu den wissenschaftlichen Institutionen, die Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung sind, offeriert die SOK keine Sprachberatung, keine lexikographische Erfahrung und keine plurales Meinungsbild. Ein Vertreter im Rat, der insbesondere die Meinung der Schriftsteller und Kritiker widerspiegelt, ist in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gefunden worden. Die SOK setzt sich bezüglich ihrer Geschäftsführung aus unterschiedlichen Vertretern unterschiedlicher, für die deutsche Sprache relevanter Fachkreise zusammen, die in der Öffentlichkeit allerdings wenig sachlich und abwägend argumentieren. Als Vertreter für die Wissenschaftsseite ist in der SOK Rudolf Wachter von der Universität Basel und Lausanne zu nennen. Rudolf Wachter studierte Klassische Philologie in der Schweiz und Großbritannien und war an der Universität Basel im Fachbereich für historisch-vergleichende Sprachwissenschaft Lehrbeauftragter. Seit 2006 ist er als gastweise tätiger Professor an der Universität Lausanne verpflichtet und ist seit Gründung der SOK Mitglied der Arbeitsgruppe innerhalb der Organisation. Ebenso wie Stefan Stirnemann ist er am Thesaurus Linguae Latinae in München tätig gewesen, allerdings als Präsident der Thesauruskommission. Seine Forschungsschwerpunkte sind die altgriechische und lateinische Philologie. Er widmete sich der diachronen Betrachtung von Orthografien, vor allem des Lateinischen. Weniger stark bekannt ist er für synchrone strukturalistische Untersuchungen und Fragestellungen von Sprachsystemen, wenngleich er in den Medien immer wieder als Professor für Sprachwissenschaften, also im Sinne der Allgemeinen Sprach- 101 http: / / www.vrs-ev.de/ forum (Stand: Juni 2015). Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 322 wissenschaft und nicht der historisch-vergleichenden, bezeichnet wird. Diese sind zwei verschiedene Teilgebiete, die auseinander zu halten sind. Welches sind nun seine Schwerpunkte in Bezug auf die neue deutsche Orthografie? Auf der SOK-Tagung vom Juni 2013 hielt Rudolf Wachter einen Vortrag zum Thema „Neue Rechtschreibung - was gilt in den Schweizer Medien? “ und widmet sich dort den Fragen, inwieweit Orthografie als Sprachkultur im Sinne der Geschichte der Alphabetschrift zu verstehen ist, wie sich die Orthografie im Internet verhält, und dem Thema Rechtschreibtests. Da ich die Einzelheiten des Vortrags wegen physischer Abwesenheit nicht nachzeichnen kann, lässt sich mutmaßen, dass er als Vertreter der Reformgegner das Scheitern der Orthografie mit einem Bruch mit beispielsweise dem etymologischen Prinzip, dem alphabetischen Prinzip, der Lautstruktur, also Phonem-Graphem-Zuordnungen, in Zusammenhang bringt, da dieser sich unmittelbar auf Rechtschreibfähigkeiten zum Beispiel bei der Gliederung von Silben auswirkt. Die Unregelmäßigkeit, die durch die reformierte s-Schreibung beseitigt wurde, ist für die Schweizer Seite unerheblich, da die Variante ß nicht angewandt wurde. Es lässt sich allerdings nur vermuten, dass es sich bei dem vorhergehend Beschriebenen um die tatsächliche Argumentation von Rudolf Wachter auf der SOK-Tagung handelte. Der Beitrag von Wachter (2004) gibt Aufschluss über sein Verständnis von der Nützlichkeit von Orthografiereformen für die Sprechergemeinschaft und die Bedingungen und Voraussetzungen ihrer Durchsetzbarkeit. Seine Kernaussage in dem Beitrag im „Wundergarten der Sprache“ ist, dass Orthografiereformen nur dann erfolgreich sind, wenn sie von selbst begonnen haben. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen der Durchsetzbarkeit von Schriftreformen und bloßen Orthografiereformen. Die Ersteren lassen sich nur unter bestimmten historischen Voraussetzungen durchsetzen, die durch die Art und Zusammensetzung der Schriftsprachgemeinschaft bestimmt werden. Die Durchsetzbarkeit von Orthografiereformen wird dadurch bedingt, dass sie sich in einer Schriftsprachgemeinschaft umso eher durchsetzen lassen, je weniger die Gemeinschaft an die historisch gewachsene schriftlich-literarische Kultur und ihre Regularien gebunden ist (siehe Stirnemann 2004, S. 31). Ein wichtiger Antrieb für die im englischsprachigen Raum sich anbahnende Reform soll seines Erachtens der Verkürzung und Erleichterung des Schreibens für den sich im Internet bewegenden jungen Schreibenden durch beispielsweise Lautvereinfachungen und Reduktionen dienen. Die schlussendliche Aussage des Beitrags fällt kein Urteil hinsichtlich der Durchsetzbarkeit in Bezug auf die anfangs geäußerte Bedingung für eine Reform. Er beschreibt lediglich, dass die Distanzierung von der englischsprachigen literarisch-orthografischen Tradition zu einer Abkehr vom gemeinsamen Nenner, dem kultursprachlichen Kleber für die westeuropäischen Sprachen Der mediale Diskurs in der Schweiz 323 Europas, dem Einfluss des Lateinischen, führen kann durch die Verselbstständigung von einzelnen Sprachformen. Trotzdem verhält sich Wachter hinsichtlich unterschiedlicher von ihm untersuchter Orthografiesysteme zwiespältig. Wachter hat die wesentlichen Unterschiede der Orthografie in klassischer Zeit, der spätrepublikanischen und augusteischen Zeit herausgearbeitet. Hierzu gehörte die Verwendung des Diphthong / ei/ für langes / i: / in Endungen im klassischen Latein (bspw. defendateis statt defendatis: 2. Ps. Pl. Präs. Konj. Akt.), was noch von Cicero und Caesar verwendet worden war (siehe Beitrag von Wachter 2012, S. 14ff.). Die Kennzeichnung der Länge bei Vokalen und Konsonanten, also deren Quantität, ist, wie bei Wachter beschrieben, in der lateinischen Orthografie sehr varietätenreich gelöst worden, sei es mit Doppelschreibung von Vokalen und Konsonanten, mit Diphthongierung, Lang-I oder mit Apex, also mit diakritischen Zeichen. Die verschiedenen Ausdrucksweisen für dieses Phänomen sind miteinander vermengt worden und haben sich epochal auch nicht homogen ausbreiten können, so dass keine durchgängig zur Anwendung kam. Nicht für alle Belege ist bezeugt, dass langes ī auf ei zurückgeht (siehe hierzu Ausführungen von Hofmann/ Szantyr 1997, S. 476ff.). Wachter (2012) beschreibt in seinem Beitrag, wie sich ein Wandel bis zur Spätantike und in das frühe Mittelalter vollzogen hat, wozu moderne Schreibungen ohne / ei/ als Längenzeichen und die veränderten Pronomina im Genitiv und Dativ cuius und cui aus quoius und quoi(ei) eingesetzt wurden, die er als orthografische Vereinfachungen ausweist. Ebenso hat er anhand von Belegen aus dem Klassischen Latein etliche Hinweise für die Verwendung des Prinzips der etymologischen Schreibung gefunden wie in adlocare neben phonetischer assimilierter Schreibung in allocare. Wachter zeigt bei einzelnen Zusammensetzungen mit Präpositionen Generalisierungen auf, wie die Schreibung von / b/ statt / p/ in / subsignare/ statt / supsignare/ , die sich im Laufe der Entwicklungen zu standardsprachlichen Varianten entwickelt haben. Er kennzeichnet zudem, welche Form in privaten Inschriften im Vergleich zu offiziellen Schriften präferiert wurde und zu welcher Zeit sich welche Vorzugsschreibungen entwickelt haben. Wachter fasst im Zusammenhang mit der Beurteilung der lateinischen Orthografie, die er nicht ausdrücklich als intendierte Reform bezeichnet, aber als orthografischen Wandel, zusammen: Zur Erklärung solcher orthographischer Merkwürdigkeiten dürfen wir, wie erwähnt, mit großer Zuversicht verschiedene Doktrinen postulieren. Orthographie hat schon immer Gemüter erhitzt, nur sind aus der Zeit der ausgehenden Republik solche Diskussionen nicht direkt bezeugt. Aus späterer Zeit dagegen schon. […] Letzte Normalisierungen hatten teilweise schon begonnen, bis zur Einheitlichkeit dauerte es aber noch eine ganze Weile. (Wachter 2012, S. 13f.) Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 324 Auch Wachter erkennt anhand seiner Ausführungen, dass alle Orthografien historisch gewachsen sind und dies nicht nur aus eigener intrinsischer Kraft möglich ist. Mechanismen wie Vereinheitlichungsbestrebungen sowie Präferenzbildungen haben schon in den uns bekannten archaischen Sprachen sowie bei lebendigen Sprachen gewirkt. Auch handelt es sich nicht um eine Reform, die aus der Gesellschaft oder dem Volk heraus erwachsen ist, und trotzdem deklariert er die Ereignisse um die Orthografiebestrebungen im Lateinischen nicht als misslungen. Orthografische Unsicherheiten hinsichtlich der Darstellung von phonologischen Vorgängen bestanden schon damals und zeigen, dass man schon in der Antike früh begann, auch die peripheren Bereiche von Sprache mit Regelhaftigkeiten und geeigneteren Mitteln zum Zwecke einer genaueren Abbildung von Sprache und Schrift zu beschreiben und Lücken zu füllen. Die vorher skizzierten Kernaussagen zu unterschiedlichen von Wachter untersuchten Reformen in neuer Zeit, den Voraussetzungen von Reformbestrebungen im Bereich Orthografie und den aktuellen Strömungen in Großbritannien sollten verdeutlichen, dass Rudolf Wachter bezüglich der Orthografiedebatte im europäischen Raum meist dieselben Befürchtungen hegt, nämlich ein Auseinanderdriften von Schule und Praxis, das Auseinanderbrechen einer historisch gewachsenen standardisierten Normsprache und Chaos statt Vereinheitlichung, wenngleich ein orthografischer Wandel am Beispiel des Lateinischen für Wachter kein misslungenes Unterfangen darstellt. Eine oftmals von der SOK getätigte Behauptung möchte ich an dieser Stelle schon revidieren, nämlich dass die bei Verlagen und Zeitungen angewandten Hausorthografien der herkömmlichen Rechtschreibung von vor 1996 entsprechen. Diese Behauptung wird oftmals in den Raum gestellt, um eine breite Abneigung durch gesellschaftliche Kräfte wie die Medien zu symbolisieren. Alles in allem hat die SOK in der Hitze der Debatte, die von der Bundesrepublik auch in die Schweiz geschwappt ist, den Nerv eines Teils der Sprach- und Schreibgemeinschaft getroffen. Mit ausgewählten Vertretern aus Presse, Verlag, Politik, Schule und Wissenschaft hat die Sprachgesellschaft einen Chor von Reformkritikern zusammengestellt, die ihre eigene wenig selbstkritische Sichtweise von Sprachpflege und Sprachkritik durch die öffentlichen Urteile ihrer Gründer und Mitglieder zum Ausdruck bringen wollten. Beispiele wie die SOK zeigen aber auch, dass die Themen Sprachrichtigkeit und Vereinheitlichung für die deutsche Sprache auch in der Schweiz weit über den Bereich Schule und Verwaltung hinaus diskutiert worden sind und noch werden, auch von Vertretern unterschiedlicher Nachbardisziplinen. Ich würde die SOK als Interessenverband bezeichnen, dessen Ausgangspunkt der Auseinandersetzungen die Gründung des Rats für deutsche Rechtschreibung war, der Fazit 325 inhaltliche Position zu stark über die persönliche Verbindung zu den in der Öffentlichkeit stehenden Mitgliedern und Gründern vermitteln lässt, der Kraft seiner Ämter und Funktionen zu einem Sprachrohr und Multiplikator der Sprachkritik wurde und zu wenig zur Aufklärung der Geschehnisse beigetragen hat. 8.5 Fazit Um die zur Analyse herangezogenen Inhalte aus den Beiträgen unterschiedlicher Tages- und Regionalzeitungen noch einmal in aller Vollständigkeit zusammenzuführen, möchte ich darauf hinweisen, dass ich verschiedene Untersuchungszeiträume wie bspw. das Jahr 2006 besonders in Augenschein genommen habe. Bedauerlicherweise ist nicht rekonstruierbar, wie prominent die Artikel in der Zeitung platziert worden sind, ob auf der Titelseite oder unter entsprechenden Rubriken wie Kultur und Sprache subsumiert, da ich die Artikel in schon von den Zeitungen extrahierter Form aus dem Archiv der EDK bezogen habe. Diese Form der Auswertung hätte schon Aufschluss über das Gewicht der Thematiken gegeben. Meine Analyse beschränkte sich vornehmlich auf einen Vergleich der Resonanz der unterschiedlichen Berichterstattungen in den Schweizer Regional- und Tageszeitungen in Bezug auf die Rechtschreibreform in verschiedenen Untersuchungszeiträumen. Die von mir ermittelten Foki in Bezug auf den Untersuchungszeitraum 2004/ 2006 sind die folgenden: - Fokus a = die Änderungsvorschläge und ihre Auswirkungen - Fokus b = unterschiedliche Übergangsfristen in den deutschsprachigen Ländern - Fokus c = Legitimation der Änderungen durch den Rat der deutschen Rechtschreibung und die Arbeitsweise des Rats - Fokus d = Vorwürfe gegen den Abstimmungsprozess Deutschlands mit den internationalen Partnern Die im Jahr 2006 mit begrenztem Umfang vorgenommenen Änderungen sollten nur kleine Anpassungen der Materialien für den Rechtschreibunterricht und keine Neuauflagen der Schulbücher beinhalten. Die Betonung der Moderatheit der Änderungen sollte meines Erachtens als Konsensangebot lanciert werden, keine ablehnende Resonanz in den Medien provozieren und die in Deutschland kritischer eingestellte Öffentlichkeit sowie die Kritiker in der Schweiz gutmütig stimmen. Ich habe nicht im Einzelnen den Nachrichtenwert eines jeden Artikels im Gesamtgefüge beurteilen wollen, dennoch möchte ich kurz feststellen, dass einige Artikel ein bloßes Nacherzählen der Ereignisse beinhalten. Beiträge aus Zeitungen wie bspw. der Regionalzeitung Mediale Diskurse im deutschen Sprachraum 326 St.Galler Tagblatt sind eher rein darstellender Natur und reflektieren Ereignisse wie die Beschlussfassung durch die EDK, die Feststellung von Änderungen am Regelwerk und deren Auswirkungen (Variantenbildung), die Übergangsfrist usw. nur und bieten wenig vertiefende Hintergrundinformationen, die die Ereignisse im Gesamtzusammenhang einordnen und keine Werthaltungen beinhalten. Der allgemeine Tenor in den medialen Diskursen verlangte nicht öffentlich die Rücknahme der Reform, abgesehen von einigen wenigen gesellschaftlichen Kräften wie der SOK. Dies ist einer der wesentlichen Unterschiede zu der Grundhaltung, die in den meisten der bundesdeutschen Zeitungen transportiert worden ist. Anhand der Auswertung von Presseerzeugnissen in verschiedenen Perioden (bspw. vor und ab 2006) lässt sich gut aufzeigen, dass die Schweizer Presse die Haltung der jeweils bundesdeutschen Berichterstattung aufgreift, wie an der anhaltenden Negativpresse im Jahr 2006 abzulesen ist, sich aber nicht an ihr orientiert, was an der Nicht-Beteiligung der „Rücknahme-Debatte“ deutlich wird. Viele Beiträge möchte ich dennoch als bewertend und einseitig meinungsbildend einordnen, wie es sich auch in der bundesdeutschen Berichterstattung gezeigt hat, vor allem in Bezug auf die politischen Handlungsträger und die beteiligten Institutionen wie den KMK für die BRD oder die EDK für die Schweiz. Es werden in den Artikeln nur kaum Hintergründe zur Herleitung der Beschlüsse hinsichtlich der Änderungen am Regelwerk angegeben und mehr Spekulationen über staatliche, vor allem von der BRD und dem Rat für deutsche Rechtschreibung ausgehende Regulierungsmaßnahmen getätigt, die die Rechtschreibsicherheit, die bisher erlangte Einigkeit und den Rechtschreibfrieden bedrohen. Es werden zudem Unsicherheiten über die noch zu erwartenden Entwicklungen geäußert. In verschiedenen Artikeln kommt die Kritik der deutschen Dominanz im Zustimmungsbzw. Abstimmungsprozess in Bezug auf die Nachbesserung der Neuregeln aus dem Jahre 2006 auf, wie auch aus einem Artikel der Basler Zeitung vom 31.7.2006 mit dem Titel „Die Variantensuppe ist angerichtet“ deutlich wird. Kaum ein Beitrag bezieht sich auf die Hoffnungen, die bspw. in die noch zu leistende Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung gesetzt werden. Die Kritikpunkte und Vorschläge sind weitestgehend heterogen, da die meisten Kritiker diese aus der Sicht des schreibenden Schülers und Lesers betrachten und da das Festhalten an einem Zeitplan wie beim Inkrafttreten der Änderungen der Neuregelung zum Schuljahr 2006/ 2007 die Möglichkeit einer detaillierten Überprüfung der Kritikpunkte ausließ. Der Frage, inwieweit die Themen in den verschiedenen Ausgaben von Tages- und Regional- und Wochenpresse in Bezug auf die Nachrichtenleistung unterschiedlich behandelt Fazit 327 werden, möchte ich an dieser Stelle nicht nachgehen, und sie ist auch nicht direkt Gegenstand meiner Arbeit, eignet sich unter Umständen aber für weiterführende Betrachtungen zur Darstellungsweise des Reformvorhabens in den Printmedien. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die im bundesdeutschen Raum produzierte strategische Stimmungs- und Meinungsmache gegen die Reform der deutschen Rechtschreibung und eine so starke Verortung der Politik als Verantwortliche in der Schweizer Presselandschaft nicht vorkommt. Es werden auch Details aus den fachlichen Diskursen aufgegriffen; diese werden allerdings von Vertretern gesellschaftlicher Kräfte wie der SOK, die in der Presse Gehör gefunden haben, interpretiert und nicht immer sachgerecht dargestellt. Dass sich Verlage an den Empfehlungen der SOK orientieren, zeigt zudem, dass sich ebenso wie in Deutschland Zeitungen den favorisierten Schreibungen einiger Wörterbuchverlage angeschlossen haben und gesellschaftliche Kräfte symbiotisch Diskurse entwickeln, von denen nicht eindeutig zu sagen ist, ob sie diese sachgerecht und fachlich fundiert führen wollen, wenngleich sie den Anspruch daran haben und dies in der jeweiligen Berichterstattung oftmals betonen. Grundsätzliches 329 9. MEDIALE DISKURSE IN DER INTERNATIONALEN PRESSE 9.1 Grundsätzliches Im nachstehenden Abschnitt gehe ich auf die medialen Diskurse in der Weltpresse ein. Hierzu beziehe ich neben den schon aufgezählten Berichterstattungen aus dem europäischen Raum auch die aus dem angloamerikanischen Raum ein. Überregionale und internationale Pressestimmen sind nicht etwa als Nachrichtenquelle wichtig zu berücksichtigen, sondern um die Übertragbarkeit von Reichweite und Wirksamkeit der länderspezifischen regionalen Diskurse auf ein alle Sprachgemeinschaften betreffendes Thema zu beurteilen. Wenngleich die internationale Presse, die sich mit der deutschen Rechtschreibreform oder mit Reformvorhaben in Sachen Rechtschreibung im Allgemeinen beschäftigt hat, wie ich im Folgenden eingehender beschreiben werde, die typischen Punkte der nationalen Berichterstattung aufgegriffen hat, lässt sich an der Art der Darstellung nicht nur die Qualität des Themas, sondern an der Präsenz des Themas auch die Relevanz für die eigene Sprachgemeinschaft ablesen. In den Kapiteln zur Sprachpflege in den verschiedenen Ländern habe ich, um dies an dieser Stelle noch einmal zu erwähnen, schon Bezug genommen auf die Rolle der Medien hinsichtlich Sprachpflege, Sprachkultur und Sprachkritik. Die Hervorhebung und Gewichtung von gesellschaftlich relevanten Themen spiegelt sich in dem Einsatz in den Medien wider. Wie sich die Erörterung der deutschen Rechtschreibreform und insgesamt Orthografiereformvorhaben in der internationalen Presse anhand ausgewählter Presseerzeugnisse darstellt, zeige ich im Folgenden auf. 9.1.1 Die Rechtschreibreform im Spiegel der internationalen Presse In der Antike wurde im alten Athen als wichtigstes Instrument zur Meinungsäußerung oder um einen Gruppenkonsens zu verbreiten, die öffentliche politische Rede genutzt. Dies übernimmt heute die Presse als Sprachrohr der Öffentlichkeit. Im kommenden Abschnitt möchte ich eine detailbezogene Analyse der ausländischen Pressetexte vornehmen, die sich auf die Neuregelung der Rechtschreibung im deutschsprachigen Raum beziehen. Mit Beispielartikeln aus dem europäischen wie internationalen Raum möchte ich die unterschiedlichen Meinungs- und Stimmungsbilder einfangen, die zu einer validen Einschätzung der Außen- und Öffentlichkeitswirksamkeit der politischen Tätig- Mediale Diskurse in der internationalen Presse 330 keiten und öffentlichen Kontroverse in Hinblick auf die Implementierung der Neuregelung in den deutschsprachigen Ländern anhand der Rezeption in der ausländischen Presse führen sollen. Die Auswahl der Artikel reicht von populistischen Pressetexten, die den traditionellen Diskurs persiflieren, bis hin zu Artikeln, Glossen, Kommentaren und Leitartikeln, die sich um eine aktuelle und unverzerrte Aufnahme von kritischen Positionen bemühen. 9.1.2 Einleitung und Gang der Untersuchung Das Untersuchungsmaterial stellen in den folgenden Abschnitten Presseerzeugnisse aus europäischen und internationalen Tages- und Regionalzeitungen dar. Es wurden Texte aus den Jahrgängen selektiert, die wichtige Ereignisse und Entwicklungen innerhalb der Zeitleiste der gegenwärtigen Reformdiskussion markieren, wie z.B. aus der Zeit der Unterzeichnung der gemeinsamen Absichtserklärung zur Neuregelung von 1996, das Inkrafttreten der Neuregelung im Jahr 1998 oder die revidierte Fassung von 2006. Hinzu kommen Erzeugnisse, die einzelne Ereignisse in den Blick nehmen wie die Ablösung von Gremien (bspw. die Einsetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung), die maßgeblich an der Ausgestaltung der Reform beteiligt gewesen waren, oder gesellschaftliche Ereignisse wie der initiierte Volksentscheid und seine Aufhebung. Bei der Auswahl der Pressetexte, die in den Untersuchungskorpus mit einbezogen werden sollten, habe ich vor allem die Erzeugnisse gewählt, die ich als besonders meinungs- und informationsbildend in Bezug auf die Bewertung des medialen Diskurses im internationalen Kontext verstanden habe. Als Textsorten finden sich vornehmlich die klassische Berichterstattung in Artikeln, Kommentare, Leserbriefe, Foren und Glossen, die inhaltlich die für den Forschungsgegenstand relevanten Themen enthielten und damit Bestandteil meines untersuchten Korpus geworden sind. Die zitierten Belege sind meistens direkt den aufgeführten Artikeln entnommen und werden auf unterschiedlichen diskursanalytischen Ebenen analysiert: auf der Ebene der politischen Ereignisse und der fachlichen Ausrichtung, des Denotats der Aussage und der Verortung der transportierten Meinung in das öffentliche Bild über die Neuregelung der Rechtschreibung. 9.1.3 Überblick über die typischen medialen Diskurse zur Rechtschreibreform und ihre Abbildung in der Presse Wie die Rechtschreibreform in der deutschsprachigen Presse seit ihrer Einführung aufgenommen worden ist, ist hinlänglich bekannt. Ich möchte dennoch in wenigen Sätzen einige Pressemeinungen aus dem Jahr 2004 skizzieren, das in der Presse selbst oftmals als Krisenjahr der Rechtschreibreform beschrieben wurde. Ich komme im Folgenden auf Auslandsreaktionen auf die Grundsätzliches 331 deutsche Rechtschreibdebatte zu sprechen und fange dabei sowohl die europäischen wie internationalen Reaktionen ein, um das allgemeine übergeordnete Meinungsbild widerzuspiegeln. Der Artikel des Spiegels mit dem Titel „Oberlehrergehabe vergangener Zeiten“ vom 10.8.2004 vermittelt einen ersten Eindruck davon, welche Aspekte in der ausländischen Presse in Bezug auf die Reformdebatte vornehmlich wahrgenommen wurden: Bedenklich stimmt es, wenn die genannten Großverlage die Abkehr von der neuen Regelung nun unter die etwas demagogische Begründung stellen, die Mehrheit der Bevölkerung sei gegen die neue Orthografie. Denn ginge es danach, so wäre vermutlich jede Rechtschreibregelung überflüssig. […] Nachdenklich stimmt aber vor allem dies: Die Rechtschreibreform wird heute aus dem gleichen fundamentalistischen Geist heraus bekämpft, aus dem sie entstanden ist. Dass man damit einen Kultur- und Machtkampf auf dem Rücken der Schüler austrägt, scheint niemanden zu kümmern. Neue Zürcher Zeitung, Zürich Die in der Schweiz praktisch vollzogene Umstellung rückgängig zu machen, würde leicht zehn oder mehr Millionen Franken Kosten auslösen, allein bei den Lehrmittelverlagen. Tages-Anzeiger, Zürich Unter den Gegnern (der Reform) sind die Herausgeber und Zeitungen noch am zurückhaltendsten. […] Auf jeden Fall wird zum Schulbeginn das Chaos herrschen. Le Figaro, Paris In all dem Gezeter, das die deutschen Medien beschäftigt, spielen sich viele als oberste Richter auf, von denen dies niemand verlangt. Die Schweiz, Österreich und Belgien, die in die Rechtschreibreform eingebunden sind, haben laut Bild, SPIEGEL und anderen selbsternannten Regelgebern offenbar nichts zu sagen, wenn eine Kehrtwende gefordert wird. […] Kann es die Aufgabe einzelner Verlage sein, […] mit Oberlehrergehabe vergangener Zeiten die Umkehr zu erzwingen? Grenz-Echo, Eupen/ Belgien Die Deutschen ziehen die Sprache Goethes der Sprache Schröders vor. An der Frage, ob man die Schifffahrt nun mit drei oder zwei „f“ schreibt, spaltet sich die deutsche Nation praktisch in zwei Hälften. Die Schweizer und Österreicher nahmen die linguistische Reform mit stoischer Gelassenheit auf. Doch unter Schröder ist das Thema sogar für einen Parteienstreit gut. Iswestija, Moskau (Zitate nach Artikel Spiegel „Oberlehrergehabe vergangener Zeiten“ 2004) Wenngleich vom Spiegel nicht explizit erwähnt wurde, in welchen Jahren und anlässlich welcher Ereignisse die genannten Zitate geäußert wurden, beziehen sich die Zitate auf die Änderungen der Rechtschreibung im Jahr 2004 gegenüber dem Jahr 1996, in dem die von 1996 eingeführten Änderungen wi- Mediale Diskurse in der internationalen Presse 332 derrufen worden sind. Das Jahr 2004 markiert den Zeitpunkt, zu dem sich die großen zwei Pressehäuser Axel Springer und Der Spiegel zur Abkehr von der amtlichen Neuregelung und damit zur Rechtschreibung vor 1996 bekannten und in dem die vom stellvertretenden Regierungssprecher Langguth bedeutsame Äußerung getätigt worden ist: Es gibt seitens der Bundesregierung keine Überlegungen, die Rechtschreibreform rückgängig zu machen. (Der Spiegel, 10.8.2004) In den kurzen Zitaten, die ich exemplarisch aufführen möchte, um in das komplexe Thema der Außenwahrnehmung der Rechtschreibreform einzuführen, werden verschiedene Vorwürfe und ablehnende Stellungnahmen deutlich, die von internationaler Presse geäußert worden sind. 9.1.4 Die Wahrnehmung und Bewertung der deutschen Rechtschreibreform in den medialen Diskursen der nationalen und internationalen Presse Die folgende Abhandlung soll einer Auswertung der Auseinandersetzung der nationalen und internationalen Presse ausgesuchter Länder mit der deutschen Rechtschreibreform und den eigenen Reformanstrengungen in Bezug auf Rechtschreibfragen dienlich sein. Eine Aufarbeitung der medialen Auseinandersetzung dient dazu, zu einer Einschätzung des öffentlichen, medialen und politischen Klimas zu gelangen. Um das Bild über die deutsche Rechtschreibreform im Ausland zu erfassen, ist es ratsam, einen Blick in die Tages- und Regionalzeitungen des jeweiligen Landes zu werfen, um die Bestandteile der Diskussion, die diskurssensitiven Begriffe und die Sprecher- oder besser Schreiberposition zu filtern. Die Darstellung von Fakten im medialen Diskurs und die öffentliche Wahrnehmung dienen nicht allein der Informationsbeschaffung und sind, so möchte ich vorwegnehmen, nicht immer Abbild einer kritischen Verfolgung der Thematik durch investigative Erforschung durch den jeweiligen Berichterstatter, sondern durch Werte, aber auch durch Ideologien und die politische Ausrichtung bspw. konservativer oder liberaler Art bestimmt, und stellen damit oftmals ein konstruiertes Abbild der Thematik im medialen Diskurs dar. Die Konstruktion eines Bildes beginnt meines Erachtens schon mit einer Bewertung, wie ich anhand des folgenden Beispiels aufzeigen möchte. Die ehemalige Präsidentin der KMK Behring hat in einer Presserklärung 102 zur Einführung des Reformwerks der reformierten Rechtschreibung eine gewisse Vorbildfunktion attestiert, die sie mit Blick auf die anhaltende kritische 102 Siehe www.kmk.org/ presse-und-aktuelles/ pm1998/ neuregelung-der-deutschen-rechtschrei bung.html (Stand: 31.7.1998). Grundsätzliches 333 Diskussion einnehmen soll, da sie mehr Transparenz in das Regelwerk bringen sollte. Der Begriff des Vorbildes in Bezug auf Orthografie wurde schon in einem anderen Kontext von dem in Berlin lehrenden Kulturwissenschaftler Thomas Macho aufgeworfen. Nach ihm werden vorbildliche Formen in der Gegenwart bedeutungsloser, was sich durch die zunehmende Regelunkenntnis in Sachen Orthografie ausdrückt. Umso wichtiger erscheint es vielen Reformgegnern daher, dass die neue Regelung Vorbildcharakter erhält, da Rechtschreibung als Teil der Sprache über eine gelungene oder missglückte Kommunikation verstanden wird. Florian Kranz (1998) hat das Thema der Vorbildfunktion der neuen Rechtschreibreform aufgegriffen. Er beschreibt im Kern, dass der Vorbildcharakter durch die Medien und andere Multiplikatoren getragen wird (Kranz 1998, S. 71). Das bedeutet, dass die Rechtschreibregelung vornehmlich dann Vorbildcharakter transportiert, wenn sie in den Medien praktiziert wird und durch das Veröffentlichen Gültigkeitscharakter erhält. Die Verwendung des Begriffs einer sprachlichen Vorbildfunktion in Bezug auf Sprache setzt meiner Meinung nach eine Identifizierung mit derselben voraus. Um ein Beispiel zur Verdeutlichung der Diskussionsgegenstände in nicht-inländischen Berichterstattungen in Sachen Rechtschreibreformen aufzuzeigen, möchte ich auf einen Artikel mit dem Titel „Streit um Schreibweise in den Niederlanden“ in der Stuttgarter Zeitung vom 19.12.2005 verweisen, der die Rechtschreibdebatte in den Niederlanden zum Thema macht. Hier heißt es, dass eine für 2006 geplante Rechtschreibreform für Proteste sorgte. Hier sind es wieder die Zeitungen und der Rundfunk, die den Empfehlungen nicht folgen wollen: Drei Tageszeitungen sowie der niederländische Rundfunk (NOS) wollen die neuen Regeln nicht wie vorgesehen von August 2006 an befolgen, teilten die Medien am Samstag mit. Die Vorschriften seien absurd und inkonsequent und machten die Sprache von insgesamt 22 Mio. Menschen undeutlich und hässlich, erläuterten die Medien in eigenen Kommentaren. Der für die Reform zuständige Ausschuss wolle die Reform allerdings nicht zurücknehmen, da eine Erneuerung Ordnung in eine bisherige Grauzone bringe, wie ich es an dieser Stelle bezeichnen möchte. Hieraus wird eine ähnliche Argumentationsstruktur deutlich, wie sie aus der nationalen und internationalen Presse über die deutsche Rechtschreibreform ersichtlich ist. Die meist einseitigen Hauptargumente von Reformgegnern, die die Vorbildfunktion der neuen Rechtschreibung in Abrede stellten, ist, dass sie die Kommunikation beeinträchtige, indem sie das optische Bild zerstöre, so dass Bedeutungen und damit die Vielfalt der Ausdrucksweisen verloren gingen und sie die Nation spalte, da man außerhalb von Schule und Verwaltung willkürlicher schreibe. Da in Frankreich gesprochene und geschriebene Sprache Mediale Diskurse in der internationalen Presse 334 Prestigecharakter genießen und die korrekte und gesicherte Verwendung derselben seit jeher mit einer sozialen Höherbewertung einhergeht, ist es verständlich, wenn die französische Presse die deutsche Rechtschreibreform als Verstoß gegen Sprach-Schutzvorschriften wertet und eine vermeintlich neue Vorbildfunktion, die vom Altbewährten abweicht und im Übergang Unsicherheiten evoziert, als unpopulär deklariert wird. 9.2 Frankreich 9.2.1 Im Einzelnen: Der mediale Diskurs in Frankreich mit Blick auf die französische Sprache und die Bemühungen um die Rechtschreibung Im Dossier-Teil der Ausgabe des Le Figaro vom 14.10.1999 meldet sich der bekannte französische Autor Yves Berger mit einem Artikel über die Wahrnehmung der französischen Sprache im Wandel der Zeit „Le français va-t-il mourir? “ (siehe Printmedienquellen) zu Wort. Er beschreibt das moderne Französisch als eine im 17. Jahrhundert gewachsene Sprache der Gebildeten: „Il est l’œuvre de l’aristocratie.“ Berger konstatiert, dass das Französische mehr als alle anderen europäischen Sprachen Gefahr läuft, auszusterben, da es keine Kraft aus dem Inneren, aus sich selbst schöpfen kann. Ich kann mir vorstellen, dass er auf eine kreative Potenz abzielt, die der französischen Wortbildungslehre durch Bedeutungsveränderungen und Kollokationen mittels Kontext in der Fachliteratur oftmals zugesprochen wurde (siehe hierzu Fuchs 2010, S. 115). Er beschreibt weiter die Sprache als gelähmt und unfähig, sich durch z.B. Neologismen neu zu erfinden, und spricht von künstlicher Erstarrtheit, da sie durch einen Zustrom von Neologismen und Entlehnungen seiner eigenen Produktivität beraubt wurde. Dies beschreibt er als Folge der anglophilen EU-Kommission, in der Französisch als Gründersprache der EU mehr und mehr schwindet, was sich auch in der Auswahl der Mitglieder der Kommission widerspiegelt, und dass Simultanübersetzungen im Europäischen Parlament immer häufiger vernachlässigt werden. Berger argumentiert schlussendlich, dass die Anglo-Amerikanisierung des Wortschatzes zu einer Verengung und Unbeweglichkeit des europäischen Sprachraums führe, da diese über die sich zersetzenden nationalen Dialekte triumphieren. Das Schlüsselereignis für die Zersetzung des sprachlichen Guts sieht er in den Anfängen der 1960er Jahre begründet, wo die massenhafte Verbreitung von Informationen und neue Mechanismen interkulturellen Transfers eine transnationale Verkehrssprache auf den Plan gebracht hätten, was wie eine indirekte Invasion ohne physische Kolonialisation, ohne tatsächlichen Sprachkontakt zu begreifen sei. Aus dem Text geht nicht explizit hervor, ob die typologische und strukturelle Beschaffenheit des Englischen selbst, das auch Frankreich 335 als atlantisches Pidgin - „sabir atlantique“ 103 bezeichnet wird, für die Verrohung und Verarmung seiner Landessprache verantwortlich ist, aber er beschreibt die neuartige, in Frankreich Einzug haltende Mischsprache, auch gern als Franglais bezeichnet, als semantisch ungenau: […] ils comprennent à peu prés et s’accommodent du flou semantique. (Artikel Berger 14.10.1999) In einem Artikel der Le Monde vom 30.5.2013 mit dem Titel „L’anglais à l’université et les anxiétés françaises“ zeigt sich, dass die Thematik um die Verwendung und die Praxis von Fremdsprachen in Frankreich nun auch einzelne Bereiche des Bildungssystems berührt, so wie in dem Artikel auf die Verwendung des Englischen im Unterricht an der Hochschule eingegangen wird: La langue est un sujet si sensible en France que toute tentative d’y toucher vire à l’âcre vinaigre. Dès qu’il est apparu, début mars, que le projet de loi sur l’enseignement supérieur, qui sera adopté définitivement en juillet, faciliterait l’usage des langues étrangères, et donc de l’anglais, à l’université, les lames sont sorties des fourreaux. L’Académie française, le Collège de France, les philosophes, les linguistes, les responsables politiques […] Bref, tout ce que le pays compte de sommités intellectuelles est entré dans la bataille. Nicht nur im Zusammenhang mit der Rechtschreibdebatte selbst stellt sich die Académie française neben anderen gesellschaftlichen Akteuren als Institution zur Erhaltung des Bewährten dar. Die Le Monde führt in einem Artikel vom 7.10.2010 über den Mehrwert des Gebrauchs einer korrekten französischen Rechtschreibung an Universitäten „L’orthographe à l’université“ (siehe Printmedienquellen) auf, wie wichtig der Umgang mit Schriftsprache im Hochschulbereich und seine Vermittlung durch neue didaktische Konzepte ist. Zudem wird betont, wie sehr der Umgang durch Ausnahmen und Irregularitäten in Grammatik und Rechtschreibung erschwert wird: Cependant, dira-t-on, pourquoi perdre son temps ? Notre système d’écriture, chargé d’ans et d’histoire, est trop irrationnel, truffé d’exceptions et d’irrégularités. Der Artikel führt meines Erachtens ganz eingängig vor Augen, warum Rechtschreibung nicht nur unter der Voraussetzung ihres Schutzes gegenüber Einflüssen, die sie verändern könnten, betrachtet werden darf, sondern auch im Zusammenhang mit der Vielfältigkeit der Ausdrucksformen und der unterschiedlichen produktiven Prinzipien gesehen werden muss, auf denen die französische Sprache begründet ist, wie hier abzulesen: 103 Le Figaro, Yves Berger, Le français va-t-il mourir? Dossier, 14.10.1999 (siehe Printmedienquellen). Mediale Diskurse in der internationalen Presse 336 En outre, elle permet de mieux cerner, par contraste, les zones d’ombre et les bizarreries: la perception des exceptions sera d’autant plus aisée qu’on aura pris conscience des régularités. Eine geeignete didaktische Herangehensweise kann hierbei helfen, sich der Schriftsprache mit all ihren vermeintlich unerklärlichen und unsystematischen Ausnahmen oder Sonderfällen anzunähern: Une pédagogie fondée sur la réflexion est plus valorisante que les exercices de mémorisation traditionnels, en même temps qu’elle assure des acquis plus solides. Laut der English Spelling Society (Baddeley 1989) hat die konservative Le Figaro als eine von vier großen französischen überregionalen Tageszeitungen eine besonders ablehnende Haltung gegenüber französischen Reformbestrebungen eingenommen, da sie eine Reform als Ergebnis eines sozialen Verfalls und Bildungsniedergangs ansieht, die denjenigen das Lesen und Schreiben erleichtern soll, die die französische Sprache per se nicht beherrschen. Michel Alessio als Mitglied der Délégation Générale à la Langue Française beschreibt die französische Haltung in einem Bericht des DFLG aus dem Jahre 2006 wie folgt: La France est très frileuse sur la question de l’orthographe, c’est une question presque taboue dans notre pays. Die Sprache betreffende Reformen werden also zuerst einmal ablehnend behandelt und sind mit äußerster Vorsicht anzugehen, insofern sie nicht durch eine breite Mehrheit in der Bevölkerung gestützt werden. Darauf verweist nach einem Artikel in Die Welt vom 15.9.2009 mit dem Titel „Frankreich schreibt falsch“ eine vom Le Figaro veranstaltete Umfrage unter 30.000 Franzosen zur Einführung der Rechtschreibreform, von denen Dreiviertel mit „Non“ gestimmt haben. Viele Publikationen aus Tagespresse und Fachmedien haben sich mit den Ergebnissen der Umfrage beschäftigt. Die Einflüsse auf die französische Sprache und das veränderte Prestige in der Öffentlichkeit habe ich eingangs im aufgeschlüsselten Artikel „Le français va-t-il mourir“ (Le Figaro, 14.10.1999, siehe Printmedienquellen) umrissen, ohne sie jedoch zuvor in einen größeren sprachgeschichtlichen Kontext zu setzen, nur um dies noch einmal erwähnt zu haben. Nachfolgend erwähnter Artikel im Le Figaro vom 18.1.2000 „Faut-il reformer l’orthographe“ 104 (siehe Printmedienquellen) hat die Ergebnisse des zweiten Weltkongresses der Internationalen Föderation der Französischlehrer in Paris zum Thema, zu denen Aussagen über aktuelle Herausforderungen eines modernisierten Französisch im Bereich Orthografie sowie die schwindende Gel- 104 Le Figaro, Marielle Court, Faut-il reformer l’orthographe, 18.1.2000 (siehe Printmedienquellen). Frankreich 337 tung des Französischen als „langue universelle“ gehören. Der zweite Weltkongress hat es sich laut Alain Braun, dem Vorsitzenden der Internationalen Föderation, zum Ziel gemacht, die französische Sprache auf fünf Kontinenten, auf denen sie noch in der einen oder anderen mehr oder weniger starken Ausprägung vorhanden ist, in ihrem Wirkungsbereich zu stärken und ihre Position in der Liga der internationalen Kommunikationssprachen zu halten. Eingestanden wird allerdings, dass die englische Sprache dem Französischen die Vorrangstellung abgelaufen hat: Dans le grand match mondial des langues dans le monde, l’anglais gagne souvent par K.-O. (Le Figaro, 2000) 105 Alain Braun schlägt laut Artikel vor, dass durch eine stärkere Vernetzung und den Aufbau von Synergien aller französischsprachigen Länder die Attraktivität gesteigert werden könne und die Vereinfachung der Orthografie ein modernes Bild des Französischen bewirken könne (siehe „l’occasion de soulever deux questions primordiales à ses yeux si l’ont veut rendre le francais attractif: une modernisation de l’orthographe et l’organisation d’une meilleure synergie entre les divers pays francophones“). Annie Monnerie-Goarin, eine Französischlehrerin und Generalsekretärin, sieht in der Vereinfachung der Orthografie nicht allein den Schlüssel zu einem neuen Französisch, sondern auch die Herstellung von Kohärenz (siehe Artikel „ne s’agit pas de le simplifier, mais de le rendre plus coherent“). Daran anknüpfend, stützt sich Marielle Court auf einen Artikel im Le Figaro vom 18.7.2000 „Faut-il simplifier l’orthographe? “ (siehe Printmedienquellen), in dem Alain Braun auf die Zugänglichkeit des Französischen durch veränderte, nach außen gerichtete Praktiken in Hinblick auf die Modernisierung des französischen Orthografie setzt, um dessen Verbreitung zu fördern. In dem eben erwähnten Artikel werden reformbefürwortende Meinungen und ein für Diskussionen offenes Frankreich eingefangen, die für die Öffnung und die Weiterentwicklung der Sprache plädieren, wie hier ersichtlich wird: Il faut inscrire le français comme une langue dynamique, pousuit Alain Braun. Ce qui implique une ouverture aux usages. Diesen gegenüber gestellt wird die Übermacht der konservativen Sprachpolitik: La France a un rapport qui est de l’ordre du sacré avec sa langue. Et un objet sacré, on n’y touche pas. dénonce-t-il. Ich habe in diesem Kontext mehrere Artikel aufgeführt, die Beschreibungen über den Zustand der französischen Orthografie in den gegenwärtigen Diskursen aufzeigen und anhand derer man die kritische Begutachtung des 105 Le Figaro, Faut-il reformer l’orthographe, 18.7.2000 (siehe Printmedienquellen). Mediale Diskurse in der internationalen Presse 338 Umgangs mit der eigenen Sprache ablesen kann. Dies unterscheidet auch die unterschiedlichen Handlungsbereiche von überregionalen Tageszeitungen wie der Le Monde und dem Le Figaro, die zwar beide als meinungsbildend zu beschreiben sind, aber die Perspektive unterschiedlich setzen. Der Fokus der Le Monde liegt auf den noch zu bewältigenden Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Umgang mit der Schriftsprache, während der Le Figaro die produzierten Schwierigkeiten beschreibt und zum Reizthema erhebt. 9.2.2 Im Einzelnen: Der mediale Diskurs in der französischen Presse mit Blick auf die deutsche Rechtschreibreform Das eingangs stehende Zitat der französischen Tageszeitung Le Figaro, das im Spiegel vom 18.10.2004 übersetzt abgedruckt worden ist: Unter den Gegnern (der Reform) sind die Herausgeber und Zeitungen noch am zurückhaltendsten. […] Auf jeden Fall wird zum Schulbeginn das Chaos herrschen. gibt einen Anhaltspunkt darüber, wie die Ereignisse im deutschen Sprachraum im Lichte der französischen Reformbemühungen von 1989/ 1990 in Bezug auf das Verhalten der Verlage, Printmedien und der Öffentlichkeit bewertet wurden. Das Zitat gibt auch Aufschluss über das Verständnis gegenüber den Veränderungen, denen die Schriftsprache im Lichte der aktuellen Entwicklung selbst ausgesetzt ist, und darüber, wie Sprach- und Schreibgelehrte mit dem neuzeitlichen Wandel umgehen. Folgendes Zitat in diesem Artikel deutet an, wie das deutsche Verhalten in Bezug auf den Umgang mit Identität und Pflege seiner Sprache gewertet wird: Les Allemandes, inquiets, ont même arrêté une réforme des l’orthographe afin d’intégrer les mots étrangers! (vgl. ebd.) In einem weiteren Artikel 106 versinnbildlicht der Autor die schon seit sieben Jahren währende Verwirrung um die in Kraft getretene Reform mit dem in der Süddeutschen Zeitung vom 1.8.2005 publizierten Bild von einer Nudelbuchstabensuppe, die das Chaos und stete Unklarheit versinnbildlichen soll. Die Reaktion Bayerns sowie Nordrhein-Westfalens, das Inkrafttreten der Rechtschreibreform zu verzögern und damit die Toleranzfrist für bestimmte Bereiche zu verlängern, in der die alte sowie die neue Rechtschreibung gelten, wird als rebellisch beschrieben („Dans les deux régions frondeuses, […].“). 106 Le Figaro, La réforme de l’orthographe controversée dans les Länder, 2.8.2005 (siehe Printmedienquellen). Frankreich 339 Ein vielfach genanntes Zitat der nordrhein-westfälischen Schulministerin Barbara Sommer 107 wird aufgeführt und versachlicht die Thematik: Il est préférable pour les écoliers que la phase d’entrainement se poursuive […]. dahingehend, dass eine Aussetzung des Inkrafttretens einer Konstanz dient, da abermaligen Adjustierungen am Regelwerk nicht abwegig erscheinen. Es werden der deutsche Lehrerverband sowie der Verband für Bildung Erziehung als Kritiker aufgeführt, die sowohl das Datum des Inkrafttretens als auch die Unvollständigkeit des Regelwerks kritisierten. Der Präsident des deutschen Lehrerverbands kritisierte in einem Interview des Deutschlandradio Kultur, dass das Regelwerk übereilt Geltung erlangt habe, obwohl dem Rat für deutsche Rechtschreibung noch mehr Zeit für eine Klärung der noch offenen strittigen Fälle hätte eingeräumt werden sollen, so dass nicht etwa ein halbfertiges Werk Gültigkeit erhalte. In dem Artikel werden die politisch aktuellen Vorwürfe deutlich, die mit blindem Reformeifer und Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Kräften wie Verbänden beschrieben werden können. Aber auch die innere Zerstrittenheit wird beleuchtet, die sich, wie im Artikel beschrieben, durch Alleingänge verschiedener Länder äußert sowie durch das Nicht-Zustandekommen eines Moratoriums für das Reformwerk, das auch von dem saarländischen Ministerpräsidenten Müller gefordert worden war und am Einstimmigkeitsprinzip in der MPK wegen fehlender Stimmen aus den SPD-regierten Ländern scheiterte. 108 Den Abschluss bildet der Artikel mit der Feststellung, dass das Reformwerk eine politische Irreführung für Schüler und Lehrer gewesen sei. Es gibt zwei deutliche Kritikpunkte, die der Le Figaro zum Ausdruck bringt. Zum einen, dass im deutschen Sprachraum ein anderes Verständnis der staatlichen Aufsicht gegenüber der Schriftsprache herrscht, die unter behördlicher Kontrolle steht und auf die der Staat regulierend einwirkt. Dies wird auch in der Le Monde anhand des Artikels vom 12.8.2004: En Allemagne, la réforme de l’orthographe est torpillée par deux grands éditeurs de presse […] in Textteilen wie: Les groupes Springer et Der Spiegel partent en guerre contre « la dyslexie ordonnée par l’Etat » […] deutlich. Dies deutet meiner Meinung nach darauf hin, dass die Neuregelungsvorschläge nicht als Werk gemeinsamer zwischenstaatlicher Anstrengungen erachtet wurden, die auf Grundlage der Arbeiten nationaler Exper- 107 Börsenblatt vom 19.7.2005 („In NRW obsiegt Verlässlichkeit“): „Wir wollen, dass unsere Kinder in NRW noch eine Phase des Übens haben, und das begrüße ich.“ 108 Nach FAZ Artikel vom 24.6.2005. Mediale Diskurse in der internationalen Presse 340 tengruppen erarbeitet worden sind, sondern dass die deutschsprachigen Nationen sich trotz aller Zweifel, Ablehnung und Kompromisse in Politik, Bildungseinrichtungen, Medien und der Bevölkerung der durch die Bundesrepublik staatlich verordneten kulturellen Leitfunktion der Rechtschreibreform beugen müssten. Hinzu kommt, dass das Vorhaben zur Durchsetzung von Reformen, die die Sprache anbelangen, in der Bundesrepublik per Erlass „von oben“, von staatlicher Stelle dirigiert, erfolgte, also durchaus als sprachpolitisch induzierter Sprachwandel zu deuten ist. Die Presse hatte in Frankreich jegliche Empfehlungen der französischen Akademie ignoriert. Ansätze einer Reform in Frankreich, die im 20. Jahrhundert eingeleitet wurden, sind zwar angekündigt, aber nie durchgesetzt worden. Heiner Wittmann (1991) beschreibt in seinem Artikel „Verliert der Geschmack seinen Akzent? “ das Gerangel um die französische Rechtschreibung eingehend und schildert, wie im Jahr 1989 von François Mitterrand in Form eines Dekrets an den Hohen Rat der französischen Sprache die im Jahr 1990 in Angriff genommenen Berichtigungen der französischen Orthografie eine Modernisierung der Sprache, die Beseitigung von Unsicherheiten und die Harmonisierung von Wörterbüchern herbeiführen sollten. Die Reform wurde zu einer gesellschaftlich-öffentlichen Angelegenheit und führte zu einer Zäsur der Debatte, bevor sie kulturbürokratisch aufgenommen werden konnte. Der erforderliche politische Wille für die Durchsetzung einer einschneidenden Veränderung der französischen Rechtschreibreform wird meiner Meinung nach nicht nur durch die Erhöhung der Intensität der öffentlichen und politischen Debatte zu diesem Thema erreicht, sondern auch durch die Versachlichung des Themas und die Gleichberechtigung der Stimmen verschiedener Interessengruppen. Die französischen politischen Entscheidungsträger in den verantwortlichen Ministerien haben sich, anders als in der Bundesrepublik, einer definitiven Absicht für eine Reform in Form einer gesetzlichen Maßnahme oder eines ministeriellen Erlasses entzogen, was der Mobilisierung von Reformgegnern Auftrieb gegeben haben muss, da die gemachten Verbesserungsvorschläge keineswegs als verbindlich deklariert worden sind und die Akademie die Autorität sei, die berechtigt sei, per Gesetzeskraft Veränderungen herbeizuführen und eine Reform amtlich werden zu lassen. In einem weiteren Artikel im Le Figaro vom 26. August 2000 mit dem Titel „Les Allemands crient grâce …“ (siehe Printmedienquellen) geht der Autor (Jean Paul Picaper) auf Beispiele der Variantenschreibung ein, wobei die konventionelle Schreibweise diejenige französischen Ursprungs darstellt, wie dort aufgeführt an folgendem Beispiel: ‘potentiell’ 109 vs. neu ‘potenziell’. Des 109 Nach www.duden.de (Stand: 1.3.2017) Herkunft: französisch potentiel < spätlateinisch potentialis. Frankreich 341 Weiteren verdeutlicht der Artikel, wie breit das Spektrum der Reformkritiker geworden ist und wie es sich in unterschiedlichen Kreisen der Bevölkerung verfestigt hat, da nicht nur Zitate von Sprachgelehrten und Literaten, Lehrern und Eltern genannt werden, sondern sogar Sportlermeinungen wie die von Christian Neureuther aufgeführt wurden. Im folgenden Satz wird deutlich, welche Punkte besonders kritisch bewertet werden: Et les changements sont encore plus radicaux concernant avec, en prime, une tentative d’élimination rampante du dernier vestige de l’ancienne écriture allemande, le ‹z› et des „simplifications“ qui gomment l’etymologie des mots. In diesem Satz bündeln sich die Vorwürfe: Die Veränderungen auf den heimischen Wortschatz sind massiv, es wurde der heimliche Versuch unternommen, die Reste der deutschen Schriftweise zu beseitigen, und in nun wirksamen Schreibweisen wie „potenziell“ mit „z“ statt „t“ haben die vermeintlichen Vereinfachungen die Etymologie eines Wortes verschleiert. Wie schon eingangs zu diesem Artikel aufgeführt, werden verschiedenste reformkritische, im nationalen Kontext herrschende Meinungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften gesammelt, bspw. von dem Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt, der die Überflüssigkeit der Reform mit dem Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog Die Rechtschreibreform ist überflüssig wie ein Kropf … ich werde weitermachen wie bisher. aus dem Jahr 1996 unterstreicht. Die Handlungsunfähigkeit gesellschaftlicher Kräfte gegenüber der erlassenen Rechtschreibung wird mit schon im oberen Teil erwähntem Zitat des deutschen Ex-Ski-Meisters Neureuther manifestiert. Hier sah sich Christian Neureuther vermutlich den nebeneinander stehenden Möglichkeiten „Ski“ zu eingedeutschtem „Schi“ gegenüber, das von seinen österreichischen Sportkollegen gemäß Lautprinzip schon seit Längerem verwendet wurde. Die abschließende Aussage in dem Artikel: En realité, les Allemands se rendent compte que la langue est la propriéte du peuple et que les pouvoirs publics ne peuvent la changer. schließt meinem Eindruck nach sowohl an einen im Jahr 1998 im Bundestag getätigten Kernsatz „Die Sprache gehört dem Volk“ als auch den damit verbundenen Anspruch an, dass die öffentliche Hand keine Verfügungsgewalt über diese haben darf. Das bekräftigende Argument, dass die Einverleibung der Sprache durch staatliche Träger keine gute Sache sein kann, ist ein historisches und bildet den Schlusssatz des Artikels: Une fois seulement, dans le passé, la langue et l’écriture avaient été confisquées par l’Etat. C’était sous l’égide de Bernhard Rust, ministre de l’Education du III Reich. Mediale Diskurse in der internationalen Presse 342 Verschiedene Artikel zur deutschen Orthografiereform und die eigenen Reformansätze sind in der Juli-Ausgabe des Le Figaro vom 18. Juli 2000 vorhanden. Einer dieser Artikel mit dem Titel „Deux ans après, les regrets de l’Allemagne“ (siehe Printmedienquellen) stellt eine erste Bilanz zwei Jahre nach Einführung der Rechtschreibung auf, die zusammengefasst verschiedene Erkenntnisse zutage fördert, die sich auf die Akzeptanz der Rechtschreibreform beziehen. Zum einen wird behauptet, dass Teile der Bevölkerung nicht mit Sicherheit sagen können, worin sich die Änderungen der neuen Rechtschreibung manifestieren: Une grande partie des textes qu’ils lisent quotidiennement surtout dans les journaux, utilisent le nouveau système, mais les gens sont incapables de dire ce qui a changé. 110 Zum anderen wird gesagt, dass Schüler seit ihrer Einführung mehr Fehler produzierten als jemals zuvor und die Orthografieleistung auf ein Mindestmaß gesunken sei: Que les élèves font plus de fautes qu’autre fois alors que l’objectif était de simplifier […]. (ebd.) Diese Aussage wurde vornehmlich von reformgegnerischer Seite, oftmals auch in der deutschen Presse, vorgebracht, die zugespitzt den Konflikt auf den Rücken der Schüler ausgetragen sieht. Ein weniger häufig genannter Vorwurf wird in der Aussage: Ils font observer que des dictionnaires maltraitent des citations historiques. Qu’on ne peut changer l’orthographe de Goethe […] deutlich, da nicht nur alles zukünftig Geschriebene, sondern auch historisch Tradiertes nicht verschont geblieben ist. Diese Praxis widerspricht eigentlich jeglichem guten wissenschaftlichen Usus, daher transportiert diese Aussage eine Art Gesetzlosigkeit und Respektlosigkeit der Rechtschreibreform gegenüber den großen deutschen Klassikern wie Goethe, die diese Werke in ihrer Neufassung abwerten. Besonders viel Aufmerksamkeit erhält vor dem Hintergrund des im dritten Bericht beschriebenen Auftrages der Zwischenstaatlichen Kommission die Anwendung in Schulen, Behörden, den Printmedien und im privaten Bereich zu beobachten, Rechtschreibanfragen systematisch auszuwerten und in ihrem Gesamtbericht auch die Ergebnisse ihrer Gespräche mit Schulbuchverlagen, Zeitschriftenverlegern und Nachrichtenagenturen zu berücksichtigen[,] die von der Zwischenstaatlichen Kommission in Aussicht gestellte Erhebung, Erfahrungen von Schreibenden zu sammeln und auszuwerten, um Aussagen zur Akzeptanz und Umsetzung der Rechtschreibreform in der Schul- und 110 Le Figaro, Jean-Paul Picaper, Deux ans après, les regrets de l’Allemagne, 18.7.2000 (siehe Printmedienquellen). Frankreich 343 Schreibpraxis zu treffen. Zuvor versuchte die Kommission im Jahr 1997, über die Berichterstattung in Zeitungen das aktuelle Meinungsbild einzufangen und über die Anfertigung von Pressespiegeln auf die Reaktionen einzuwirken. Neben der kritischen und öffentlichen Diskussion der Rechtschreibreform in den Medien waren es laut Irina Ciuta (2009) die Ergebnisse der Meinungsumfragen, die Anteil an der mehrheitlichen Ablehnung der neuen Rechtschreibung in der Bevölkerung hatten, wie im Artikel beschrieben: Il s’agira de constater, par exemple si une majorite de deux mille eleves dans deux ou trois regions font plusieurs annees durant les memes fautes en ecrivant librement - pas sous dictee. On passera aussi à la loupe la production de ceux qui écrivent le plus, les journalists. Sollten die Ergebnisse, die sich aus der Beobachtung von Rechtschreibleistungen bei Schülern und dem, was Journalisten produzieren, ergeben haben, Aufschluss über die Bereitschaft zur Umstellung und Akzeptanz geben und die Gültigkeit der neuen Rechtschreibung in Abhängigkeit von positiven oder negativen Prüfergebnissen auf den Prüfstand stellen. In einem Artikel des Le Figaro vom 9.8.2004 mit dem Titel „Nouvelle polémique autour de la reforme de l’orthographe“ (siehe Printmedienquellen) werden verschiedene Stellungnahmen von Personen aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben, vornehmlich die Reaktionen der Länderchefs in Deutschland, eingefangen, die sich auf die geforderte Rücknahme der Rechtschreibreform beziehen, die in der populären Rückkehr zur Rechtschreibung vor 1996 durch die Zeitungsverlage Axel Springer AG und Spiegel-Presse Ausdruck fanden, wie hier kurz aufzeigt: Ennemi déclare de la réforme, le ministre président de la Sarre, Peter Müller, s’est felicite de la decision des editeurs. dans l’edition dominicale de Die Welt, le chef des liberaux, Guido Westerwelle, a rencheri en affirmant que la „nouvelle orthographe ne servait strictement à rien“. Plus modere, le ministre president de la Baviere, Edmund Stoiber, propose de revoir une partie de la copie. Prenant egalement part a la fronde, le critique litteraire Marcel Reich-Ranicki a affirme qu’un retrait du texte „soulagerait les professeurs et les ecoliers“. (Le Figaro, 9.8.2004) Auch der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, wird als Kritiker des Vorstoßes der Bild-Zeitung und des Spiegels zitiert: Le conseil culturel allemand a ainsi declare que la Bildzeitung, le journal fetiche du groupe Axel Springer, n’etait pas „un lieu de la culture de l’ecrit“. (ebd.) Verschiedene Lager werden in dem Artikel gegenübergestellt, wobei die Auswahl der zitierten Stellungnahmen aus dem politischen Leben vornehmlich die Meinung derjenigen Länder wiedergibt, die sich reformkritisch geäußert haben, und nicht diejenigen Länder aufführt, die sich unterstützend gezeigt haben (wie z.B. der thüringische Ministerpräsident Althaus, der sich in der Mediale Diskurse in der internationalen Presse 344 Berliner Zeitung offen gegen die Reform einer Reform aussprach, ebenso sein sächsischer Amtskollege, um nur einige zu nennen). Die Aussage des thüringischen Bildungsministers Goebel: Ce n’est pas la volonte des editeurs qui doit decider du destin de la reforme, a souligne le ministre de l’education en Thuringe. lässt darauf schließen, dass die öffentlich ausgetragene Hetze gegen die Reform nicht von allen politischen Kräften mitgetragen wurde. Lehrer- und Kulturverbände wie der deutsche Kulturrat, die die scharfe Kritik und die Auseinandersetzung der Debatte als unsachgemäß deklarieren, kommen in dem Artikel ebenfalls zu Wort. Der Artikel beschreibt die verschiedenen Kräfte, die in Reaktion auf die Rückkehr der Verlage zur alten Rechtschreibung in 2004 aktiv geworden sind. Es werden die Verbände genannt, die die Kultusminister auffordern, an der Rechtschreibreform festzuhalten und die KMK wieder Herr über die Lage werden zu lassen, derer sich die Ministerpräsidenten angenommen haben. Es werden die Stellungnahmen einzelner Länderchefs, davon Kritiker wie auch Befürworter, genannt. Ich bin der Ansicht, dass die Erwähnung der Stellungnahmen unterschiedlicher Ministerpräsidenten und die erwähnte Zusammenkunft derselben wie in dem Zitat angegeben: Le sujet devrait ensuite etre aborde lors de la reunion en octobre des ministres presidents des Länder. hier nicht deswegen vorgenommen wurde, um die originäre Funktion der MPK zur Bündelung und Formulierung von gemeinsamen Länderinteressen herauszuarbeiten, sondern im Gegenteil, um hier autonome Länderinteressen und eine damit verbundene innere Zerschlagenheit der Länder in der Rechtschreibfrage aufzuzeigen. Die Darstellung der sich vermeintlich zugetragenen Ereignisse und Stellungnahmen der politischen und gesellschaftlichen Akteure, wie in dem letzten Artikel angegeben, zeigen ein anderes Bild der Wahrnehmung zu meinen Ausführungen zur Rolle der MPK, die ich an anderer Stelle ausführlicher kommentiert habe. Die Entscheidungen und Stellungnahmen von Ministerpräsidenten waren medial nicht so stark inszeniert worden oder in den Fokus der nationalen Berichterstattung gerückt wie die der KMK selbst. Die MPK wird in der französischen Presse nicht in ihrer originären Funktion dargestellt, eine größtmögliche Abstimmung zwischen den Ländern herbeizuführen, und sie gibt auch nicht das Zusammenspiel der politischen Gremien im Lichte der Reformentwicklung wieder. An dieser Stelle möchte ich ergänzend erwähnen, dass die Rolle der KMK im medialen Diskurs der nicht-deutschsprachigen Länder nicht zufriedenstellend wiedergegeben wurde. Weder wurde ihre Funktion als Koordinie- Frankreich 345 rung- und Kooperationsgremium der Länder eingängig dargestellt, noch der Wirkungsgrad der von ihr ausgehenden Maßnahmen erfasst, die über Ländergrenzen hinweg Wirkung entfalten sollen. Kerstin Reinacher (2005, S. 92ff.) beschreibt, dass die Kooperationsbestrebungen zwischen MPK und KMK als Mittel des kooperativen Föderalismus ein ganz eigenes Kooperationsmodell sind, das ständigen Informationsfluss gewährleisten soll und die Zusammenarbeiten der Länder stärken soll. Das Aktiv-Werden der Ministerpräsidenten und der MPK ist auch in der deutschen Presse verschiedentlich wahrgenommen worden. Hierzu gehören Meinungen, wie dass mit der medialen Präsenz der MPK die Organqualität der KMK in Abrede gestellt worden ist oder die KMK zu einem Vorbereitungs- und Beratungsgremium reduziert wurde, da sie ihrem übertragenen Auftrag von MPK und BMI nicht entsprechen konnte. Meines Erachtens hat vor allem die mediale Hetze der Reformkritiker und deren politischer Einfluss sowie das Wirken einzelner progressiver Ministerpräsidenten dafür gesorgt, dass die MPK die Debatte auf ihre Ebene rücken wollte und so in der eigentlich horizontalen Verflechtung von Zuständigkeiten die einmal abgetretene Kompetenz der MPK auf das Kooperationsgremium KMK wieder zurückholen wollte. Die Folge von derlei machtpolitischen Maßnahmen äußert sich laut Fritz Scharpf, MPIfG Working Paper 99/ 3. April 1999, in Form von „Verwässerung von Verantwortlichkeiten“ und reduziert die Kritikanfälligkeit. 9.2.3 Die wesentlichen Aussagen in den französischen Presseartikeln des Le Figaro Die Artikel spiegeln für die jeweilige Entwicklungsphase, in der sich die Rechtschreibreform seit ihrer Einführung befunden hat, im Wesentlichen die Kritikpunkte wider, die auch dem deutschen reformkritischen Presseecho entsprachen. Auffällig ist in den Zeitungsartikeln des Le Figaro, dass die Diskussion über die deutsche Rechtschreibreform ähnlich heftig ausgetragen wurde, wie die Debatten um die französischen Modernisierungsbestrebungen geführt wurden. In beiden Fällen werden Reformen wie ein Angriff auf nationales Kulturgut beschrieben. In den Artikeln werden oftmals Kritiken an dem Umgang der öffentlichen Hand mit der Meinung der Bevölkerung ausgeübt, die weder im deutschen noch im französischen Kulturkreis in Bezug auf die Zustimmung zur neuen Rechtschreibung eine breite Mehrheit hervorbrachte. Die verantwortlichen beteiligten Organe und staatlichen Stellen und ihr Einwirken auf den Gesamtprozess wurden in den von mir begutachteten Artikeln auf den Prüfstand gestellt. Die Gründe hierfür habe ich in einem Kapitel über die französische Sprachpolitik und Sprachpflege aufgeführt und greife diese im nachfolgenden Kapitel noch einmal auf. Mediale Diskurse in der internationalen Presse 346 Sprache, nicht nur die französische Sprache, ist ein sensibles Thema im französischsprachigen Raum und muss unter Schutz gestellt werden wie ein zu bewahrendes immaterielles Kulturerbe, das durch Aufnahme auf die Liste der UNESCO-Generalkonferenz per internationalen Übereinkommen besonders schutzbedürftig ist. 9.2.4 Der mediale Diskurs im Kontext der französischen sprachpolitischen Ausrichtung Braselmann/ Ohnheiser (Hg.) (2008) haben sich eingehend mit der auf das 16. Jahrhundert zurückgehenden französischen Sprachpolitik beschäftigt und bringen die Einstellung des Volkes gegenüber der französischen Sprache und ihrer Entwicklungstendenzen auf den Punkt. Die lange Zeit währende Tradition der Sprachgesetzgebung und ein fest verankertes Normbewusstsein zur Sicherung des Status der Nationalsprache sind ihrer Meinung nach Träger der aktuellen und historischen Ausrichtung der französischen Sprachpolitik. Nicht explizit, da es im Kontext der Fragestellung ihres Bandes nicht von Relevanz ist, erwähnt sie, dass gesellschaftliche Kräfte aus Verbänden, Bevölkerung und Sprachpflegern starken Einfluss auf sprachpolitische Prozesse ausüben und nicht allein staatliche Einflussnahmen bestehen wie das 1994 initiierte Loi Toubon, das sich vor allem gegen fremdsprachliche Einflüsse richtete. Der für das Französische besondere Aspekt betrifft meines Erachtens die Tatsache, dass Sprachgesetze meist nötig werden, wenn ein Land in Bezug auf die vorhandenen Sprachgemeinschaften als heterogen zu bezeichnen ist. Ein Gesetz wird umso wichtiger, je mehr es um den Schutz von Minderheitensprachen und ihre Anerkennung durch einen rechtlichen Status geht. Im Belgischen ist bspw. ein Gesetz zur verfassungsrechtlichen Bestätigung der deutschen Kulturgemeinschaft und der Anerkennung ihrer Sprache auch im Unterrichtswesen in den 1970er Jahren verabschiedet worden. 111 Im Französischen ist ein Gesetz nicht zur „innenpolitischen“ Stabilisierung durch Anerkennung geschaffen worden, sondern meiner Meinung nach „außenpolitisch“ zum Schutz vor fremden Einfluss wirksamen Prinzipien. Gerade am französischen Beispiel ist gut aufzuzeigen, dass Sprachenpolitik, am Beispiel des zuletzt aufgeführten Artikels „Nouvelle polemique autour de la reforme de l’orthographe“ aus 2004, ein eher neuzeitliches Phänomen in der französischen Geschichte ist und die bekannte forcierte innere Sprachpolitik ein eher konservatives Phänomen, was ich an dieser Stelle aber nicht noch einmal in aller Vollständigkeit anbringen möchte, da dies nichts zur Fragestellung beitragen würde, wie die französische Presse die deutschen Reformbestrebungen im Lichte ihrer eigenen sprachpolitischen Maßnahmen behandelt. Die 111 Siehe Schmitz (1994, S. 37) zu „Sprachgesetzgebung und Kulturautonomie“. Frankreich 347 Hauptkritikpunkte gegenüber dem nach innen gerichteten Umgang mit der Sprache, die aus den Artikeln des Le Figaro hervorgehen, sind die, dass die Durchsetzung der sprachpolitischen Ziele nicht damit zu begründen ist, dass eine Synchronübersetzung nicht mehr in allen Gremien der EU-Kommission praktiziert wird. Zum anderen wird ein Umdenken seitens verschiedener Kräfte wie von Lehrerverbänden ausgesprochen, wie aus dem Artikel „Nouvelle polemique autour de la reforme de l’orthographe“ (2004) hervorgeht, in dem eine Diskrepanz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zur Kenntnis genommen und der Wunsch geäußert wird, dieser Diskrepanz mit Hilfe struktureller Angleichungen in der Orthografie beizukommen. 9.2.5 Eine (Aus - )Wertung der französischen Presseartikel Die Hauptkritikpunkte, die sich als Ergebnis aus den aufgeführten Artikeln in den medialen Diskursen extrahieren lassen, geben das aktuelle französische öffentliche Meinungsbild in Bezug auf die inländische und auswärtige, deutsche Sprachpolitik, wieder. Die Ausrichtung der transportierten Meinung sind meines Erachtens im historischen Kontext zu begreifen wie auch in soziokulturellen Unterschieden begründet. Dies wird am ehesten deutlich aus den genannten Vorwürfen, die sich auf die Ignoranz politischer Entscheidungsträger gegenüber gesellschaftlichen Kräften und dem mehrheitlichen Willen beziehen, denen eine ablehnende Haltung gegenüber den Rechtschreib-Reformbestrebungen attestiert wird. Gesellschaftliche Kräfte in Frankreich haben nämlich immer wieder Vereinigungen zur Wahrung der Sprache hervorgebracht, die mit den eher neuzeitlich entstandenen Initiativen in Deutschland nicht gleichzusetzen sind, die im Detail auf die Vereinheitlichung der Rechtschreibung abzielen. Immer wieder kommt auch zum Ausdruck, dass die Sprache unter staatlicher Aufsicht steht und die falschen Instanzen die regulierenden Entscheidungsträger sind. Nicht direkt ausgesprochen, aber intendiert ist damit der Vorwurf, dass Sprachpflege in Frankreich anders als in Deutschland staatlich institutionalisiert ist, wobei die normative Kraft für die französische Seite von der Académie française ausgeht und in Deutschland vor 1996 in den Händen einer privaten Einrichtung lag, die dann in staatliche Obhut zurückgeführt wurde, jedoch mit anderen Aufgaben und einem anderen Aufbau (bzgl. der Zugehörigkeit der Mitglieder, die nicht aus der Schreibpraxis stammen müssen) versehen. Eine Kontrollinstanz über die Funktionalität und Bewährtheit von orthografischen Änderungen hat es in diesem Sinne nicht gegeben und konnte meines Erachtens in erster Linie durch Lehrkörper kommuniziert werden, die die Erprobung in den Schulgrammatiken und Wörterbüchern mit all ihren Folgen online verfolgen konnten. Mediale Diskurse in der internationalen Presse 348 Die Vorwürfe, die sich auf die Beschneidung der Selbstbestimmung des mündlichen Sprachbürgers durch die Kultusbürokratie beziehen, haben meiner Meinung nach mit der oftmals getätigten Behauptung zu tun, dass in Frankreich die starke staatliche Anbindung und damit einhergehende Abhängigkeit von staatlicher Seite kanalisiert in der Académie française die normative Kraft entfalten konnte, die eine in Deutschland bis heute nicht hergestellte Einheit schaffen konnte. Es ist aber gerade die Autonomie der Beteiligten in den Institutionen gewesen, wie z.B. der Mitglieder des Rats, die bei Wahrnehmung ihrer Aufgaben unabhängig und nicht an Aufträge oder Weisungen gebunden sind, die ein so mächtiges und kontrovers diskutiertes Reformwerk gebildet haben. Es sind Details wie die Organisationsweise der Institutionen wie der Académie française, die als Gründe dafür herhalten, dass das Model Académie allemande nicht nachbildungswürdig und nicht gewollt ist, da Experten aus Praxis und Anwendung für aussagefähiger und vertrauenswürdiger gehalten werden, als die Entscheidung Personen aus dem öffentlichen Leben, aber ohne Bezug zu den aktuellen Belangen der Sprache, zu überlassen. Es ist daher auch die kultur- und sprachpolitischen Funktion der Académie française (die Wächter aus verschiedenen Fachbereichen berufen hat) im Unterschied z.B. zum Rat für deutsche Rechtschreibung oder der vorhergehenden Zwischenstaatlichen Kommission. Die Rechtschreibreform wird beschrieben wie ein Fremdkörper, der tradiertes nationales Gut ohne Rücksicht in lang etablierte und kollektiv kulturelle Strukturen invadiert (siehe Zitat im Artikel, Le Figaro, 18.7.2000 „Deux ans après, les regrets de l’Allemagne“ (Artikel siehe Printmedienquellen) über Neufassung von Schriftstücken klassischer Schriftsteller wie Goethe etc.). Die Vorwürfe beziehen sich zusammen genommen auf die Genese und Struktur der verantwortlichen Institutionen und ihre Funktionen und Aufgaben, die so einfach nicht miteinander in Beziehung und in den direkten Vergleich zu setzen sind. In den Artikeln wird auch immer wieder der Schutz und die Abwehr der französischen Sprache gegenüber der Übernahme anglophilen Wortguts thematisiert, die zum einen als übergriffsartige Überlegenheit des englischen Sprachguts verstanden wird, die als Invasion im französischen Wortschatz die Vielfalt und Differenziertheit der eigenen Sprache beeinträchtigt. Ambivalent ausgetragen wird in den Artikeln der Umstand der Sprachhybridisierung, der Variantenbildung und des sich ändernden Verständnisses der Rolle des Französischen im internationalen Kontext und ihre im europäischen und interkontinentalen Raum gewachsene Vorbildfunktion. Ich möchte dieses Kapitel mit drei neuzeitlichen Artikeln über die Académie française schließen und ein Bild über die aktuelle Sichtweise der Gesellschaft gegenüber der institutionalisierten Sprachpflege geben. In einem Artikel des Le Figaro vom 21.2.2013 (o.V.) „Académie Française: lettres immortelles“ Frankreich 349 (siehe Printmedienquellen) wird von altertümlichen Riten und Gebräuchen wie Höflichkeitsbesuchen bei den Mitgliedern der Akademie gesprochen wie Reden und Briefwechsel mit dem ständigen Sekretär oder der ständigen Sekretärin der Akademie, dem wichtigsten Amt innerhalb der Institution. Der Etikette wegen wurde es gerne gesehen, wenn diese Briefe, in denen der Kandidat charmant, aber demütig sein Anliegen um die Aufnahme in die Akademie kundtat, handgeschrieben wurden. Dieses Verfahren und die Einhaltung antiquiert-traditioneller Riten und Kodizes ist für das erklärte Ziel der Sprachnormierung und Spracherhalt nicht förderlich und reduziert zudem die Wahl des Kandidaten auf sein Maß an Höflichkeit und Fügsamkeit bzw. Anschmiegsamkeit. In dem im Le Figaro erschienenen Artikel „Académie Française: la crise couve sous la coupole“ vom 25.1.2013 wird Einblick in das komplexe Abstimmungsprozedere zur Wahl der Mitglieder der Akademie gegeben. Um in den exklusiven Kreis der „Unsterblichen“, in dem man auf Lebenszeit verweilt, zu gelangen, müssen verschiedene Abstimmungsrunden durchlaufen werden, wobei die Wahl eines aussichtsreichen Anwärters blockiert werden kann durch Gruppierungen unter den Mitgliedern, die eine Mehrheit in den einzelnen Wahlgängen verhindern können. Dass im Januar des Jahres 2013 noch fünf Sitze unbesetzt geblieben sind und das Durchschnittsalter derjenigen, die die Neulinge wählen sollen, dramatisch steigt, zeigt laut Aussage des Artikels, dass es längst nicht mehr um den Erhalt der Reinheit der französischen Sprache oder den Auf- und Ausbau des Wörterbuchs geht, sondern sich eine institutionelle Krise abzeichnet. Immerhin sind laut Berichterstattung in dem oben erwähnten Artikel des Le Figaro vom 25.1.2013 (o.V.) „Académie Française: missives sous la Coupole“ (siehe Printmedienquellen) Gegenmaßnahmen geplant, die vorsehen, dass ähnlich wie bei der Akademie der Wissenschaften ein Höchstalter für die Mitgliedschaft gilt und die Hälfte aller offenen Sitze durch Kandidaten besetzt werden sollen, die nicht älter 55 Jahre alt sind. Insgesamt lässt sich hieran ablesen, dass die Akademie ihre gesellschaftliche Wirksamkeit verloren hat und den aktuellen Anforderungen an eine sich weiter entwickelnde französische Sprache nicht gewachsen ist. Die einseitige, nicht zeitgemäße Orientierung an Aufnahmeritualen und die Prozedur der damit verbundenen Anstrengungen lassen erahnen, dass es in erster Linie um die Zusammenstellung eines elitären Kreises von Ausgewählten geht und nicht um die Bewahrung der französischen Sprache. Mediale Diskurse in der internationalen Presse 350 9.3 Der mediale Diskurs im portugiesischen Sprachraum 9.3.1 Die portugiesische Presse: der Blick auf das eigene Rechtschreibabkommen mit Inkrafttreten im Jahr 2009 In einem vorhergehenden Kapitel (siehe ab 5.3) habe ich Details über die Orthografiereform, die „Acordo Ortográfico“ der jüngeren Zeit, aufgezählt und die strittigen Punkte genannt wie die Unterschiede in der Phonologie zwischen dem EP und BP, zwischen Schreibweise und Aussprache, die zu Anpassungen führten und die auf Seiten Portugals in Bezug auf den Wortschatz besonders einschneidend empfunden wurden, wie aus den fachlichen Diskursen hervorgegangen ist. Die dort enthaltenen reformierten Schreibweisen wurden als Anpassung in Richtung auf die in Brasilien präferierte Variante verstanden. Der Versuch, Sprachen, die einen gemeinsamen Ursprung hatten und deren jeweilige Entwicklung zu zwei sich unterscheidenden Standards geführt hat, per Dekret zu vereinheitlichen und anzunähern, bildet meinen Auswertungen des medialen Diskurses zufolge den Nukleus der Diskussion, da dieser Sachverhalt besonders kontrovers und intensiv behandelt und diskutiert worden ist. Die Auswertung verschiedener Artikel aus bspw. den wichtigsten Tageszeitungen Portugals wie Público, Diário de Notícias, Correio da Manh-, Jornal de Negócios, i, haben gezeigt, dass die öffentliche Diskussion ähnlich geführt wurde wie die in den deutschen Medien über die deutsche Rechtschreibreform. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Umfang der Änderungen und die Gewichtigkeit von Prinzipien, die den Änderungen zugrunde gelegt wurden, wie die Abschaffung von stummen Konsonanten, die im Brasilianischen in der Aussprache nicht realisiert werden und dort auch in der Schreibung keinen Ausdruck finden. Auch die Frage des Prestigeverlustes zu Gunsten oder Ungunsten der europäischen oder brasilianischen Variante war Thema der Auseinandersetzung. Die Besonderheit bei der Behandlung und Betrachtung der portugiesischen „Acordo Ortográfico“ ist die heterogene Sprachgemeinschaft, die aus zwei Sprachgebieten oder Sprachlagern besteht. Mit Hilfe des Orthografie-Abkommens sah man eine Möglichkeit, die Divergenzen auszuräumen und dem Portugiesischen als international anerkannter Sprache auch als Arbeitssprache der UN zu mehr Ansehen zu verhelfen und geschlossen aufzutreten. Im Folgenden möchte ich auf die eigene nach innen gerichtete oftmals kontroverse Auseinandersetzung in den Medien eingehen, die Aufschlüsse über das aktuelle Bewusstsein der Öffentlichkeit über die Entwicklungen geben, die der Frage nachgehen, inwieweit das Orthografie-Abkommen in der Lage war und ist, die Vielfalt des Portugiesischen zu bündeln und auf einen Nenner zu bringen und wie die Einstellung der Sprachteilnehmer gegenüber dieser ist. Der mediale Diskurs im portugiesischen Sprachraum 351 Vasco Graça Moura als Dichter, Übersetzer und Europaabgeordneter, wird wie auf deutscher Seite Theodor Ickler als strenger Reformgegner in Artikeln der portugiesischsprachigen Tageszeitung Público immer wieder ins Gespräch gebracht. Eine seiner offensivsten Vorhaben ist sein Werk Acordo Ortográfico - A Perspectiva do Desastre, (Publico, Novo dicionário para Acordo Ortográfico, Alexandra Prado Coelho, 09/ 05/ 2008, siehe Printmedienquellen), in dem er die wichtigsten Maßnahmen der Reform gesammelt und kommentiert haben soll. Viele Artikel beziehen sich auf seine Aussagen zum Abkommen, wobei sein Diskurs dominiert wird durch Argumente wie die mangelnde juristische Legitimation wegen der fehlenden Ratifizierung verschiedener portugiesischsprachiger Länder und die falsche Akzentsetzung von z.B. Ausspracheregelungen zu Gunsten der brasilianischen Variante. Ein interessanter Vergleich wird in einem Artikel mit dem geldpolitischen Kräftemessen zwischen den Währungen Euro und Dollar gezogen. In dem Artikel Vasco Graça Moura: „Acordo Ortográfico tem de ser revisto“ vom 30.5.2012 (siehe Printmedienquellen) aus der Tageszeitung Público heißt es: Para Rui Estrada, os receios face ao novo acordo fazem-lhe lembrar os que se manifestaram contra a substituiç-o do escudo pelo euro, com receios “manifestamente inflacionados”. Ein Vergleich mit weltwirtschaftlichen Faktoren wie den Währungssystemen zeigt meines Erachtens, dass die öffentliche Diskussion auf einer Ebene geführt wird, die wirtschaftliche Interessen beinhaltet und eher interkulturell als intrakulturell einzuordnen ist. In einem anderen Artikel mit dem Titel „Brasil faz balanço positivo do acordo ortográfico e insta Portugal a aderir em breve“ vom 30.6.2012 (siehe Printmedienquellen) in der Público wird das Abkommen von einem Mitglied des brasilianischen Bildungsministeriums als nicht mehr zu bremsender Zug bezeichnet, auf den Portugal aufspringen müsse: O fim da dupla ortografia motivará mais gente a aprender português. O comboio da reforma ortográfica está em movimento e Portugal deve estar atento a isto. N-o se pára mais este comboio. Für die brasilianische Seite wird das Orthografie-Abkommen als Gewinn deklariert; die Schulen, die Verlage und die Medien haben es positiv aufgenommen und mit sofortiger Wirkung umgesetzt. Dies lässt darauf schließen, dass das Zentrum der portugiesischsprachigen Länder aufgrund quantitativer Kräfteverhältnisse nach Brasilien verrückt wird, zumindest gibt dies das mediale Echo so wieder. Unter medienwissenschaftlicher Betrachtung verstehe ich die Resonanz der Medien oder das aktuelle Medieninteresse in Bezug auf die „Novo Acordo ortografico“, vornehmlich auf die Frage gerichtet, welche Kräfte sich medial gegen die Rechtschreibreform positionieren und welche Maßnahmen ergriffen werden, um eine schnellstmögliche und saubere Um- Mediale Diskurse in der internationalen Presse 352 setzung zu gewährleisten (Installierung eines Korrektur-Tools, 112 Trainings durch Rádio e Televis-o de Portugal (RTO) für die Öffentlichkeit und Medien). Damit meine ich nicht eine durchgehende Negativpresse gegen die Harmonisierung der Rechtschreibung, sondern es werden Reaktionen gesammelt, die im Zuge der Auseinandersetzung mit der Standardnorm ausgelöst wurden, die durch die orthografische Vereinbarung durchgesetzt wurde. Hierzu gehören juristische Hemmnisse, die die Durchsetzung gefährdeten, wie aus dem Artikel „Professor de Direito diz que novo Acordo Ortográfico é ‘inconstitucional’“ vom 13.2.2012 (siehe Printmedienquellen) im Público hervorgeht. Hier heißt es, dass ein Professor der Rechtswissenschaft an der Universität London die orthografische Vereinbarung für verfassungswidrig hält und die Sprache nicht per Dekret verändert werden könne, ohne vorher einer eingehender Prüfung unterzogen worden zu sein: Professor assistente de Direito, Ivo Miguel Barroso apresentou queixa na Provedoria por considerar que o “novo Português” fere a Constituiç-o da República, e afirma que “a língua n-o se muda por decreto”. Ein Zitat des Professors bezieht sich auf den sogenannten „Buen uso“: „a língua é regulada predominantemente pelo costume“ und die Tatsache, dass sich die Standardsprache aus eben dieser Gebrauchssprache entwickelt hat und keiner Steuerung bedürfe. Die hier laut gewordene Kritik referiert meines Erachtens auf den Fakt, dass es Kräfte gibt, die die Vereinbarung weder durch gesellschaftliche Stellen gestützt sehen, sowie die nötigen internen Voraussetzungen nicht getroffen worden sind. In einem anderen Artikel „S-o Tomé e Príncipe ratificou Acordo Ortográfico de Língua Portuguesa“ der Público vom 14.12.2006 (siehe Printmedienquellen) werden Gründe genannt, die von brasilianischer Seite aufgeführt werden und darauf hindeuten, dass eine schnelle Umsetzung der Vereinbarung aus wirtschaftlichen wie kulturellen Erwägungen begrüßt wird. Diese Reaktionen wurden vermutlich aufgeführt, um der zögerlichen Haltung Portugals bei der Ratifizierung durch die Vorteile beizukommen, die sich durch eine Vereinbarung ergeben, wobei die Vorbehalte unbegründet sind. Hierzu passt auch ein Zitat 112 Ich möchte hierzu erwähnen, dass ich das in der Presse oftmals erwähnte Übersetzungs- Software-Tool, das die Implementierung und Umsetzung der Rechtschreibänderungen erleichtern soll, als besonders problematisch erachte. Auch im deutschsprachigen Raum gab es im Zuge der Rechtschreibreform etliche Textanalyse-Tools, die zur Prüfung und Verbesserung eingesetzt worden sind. Sicherlich ist eine solche Software zur Begleitung sinnvoll, da der Schreibende dies gerade außerhalb des Schulunterrichts als Erleichterung empfinden wird. Auch in der Schweiz war die Anwendung einer solchen Software in den schweizerischen Beratungsgremien während des vierten Berichtszeitraums der Zwischenstaatlichen Kommission zum Thema geworden, allerdings mit dem Hinweis, dass diese in Bezug auf die Umsetzung der Regeln noch immer unzureichend funktioniere und die Notwendigkeit einer Neubefassung in den entsprechenden Softwarehäusern gegeben sei. Der mediale Diskurs im portugiesischen Sprachraum 353 aus einem Artikel des Jornal Semanal vom 1.9.2007 (siehe Printmedienquellen), in dem die Haltung Portugals durch einen Verlust der Vormachtstellung und als Richtungsgeber in Sachen Rechtschreibvorbild erklärt wird, das nun durch Brasilien abgelöst wird: Segundo Lauro Moreira, „nos anos 70 houve uma reforma ortogräfica no Brasil que näo foi feita em Portugal. Por exemplo, a palavra ‘hümido’ passou a ‘umido’ Apesar das mudangas ortograficas, serao conservadas as pronuncias tipicas de cada pais“. In einem Artikel aus dem Jahre 2008 mit dem Titel „Pinto Ribeiro: Acordo Ortográfico é necessário para a expans-o da língua portuguesa“ aus der Público vom 19.3.2008 (siehe Printmedienquellen) werden durch den Minister für Kultur José Pinto Ribeiro vergleichbare Gründe für das Zustandekommen der Vereinbarung angeführt. Frühere kulturell motivierte Argumente gegen eine solche Orthografie-Vereinbarung wie die Akzeptanz nationaler Varietäten und die Nicht-Steuerbarkeit von Sprache werden zunehmend außer Kraft gesetzt durch politische und wirtschaftliche Bedürfnisse, die die Internationalisierung der Sprache vorantreiben sollen. Aus dem folgendem Zitat geht hervor, dass die Aspekte „kultureller Austausch“, Kostenfaktoren und ein verbesserter fachlicher Austausch die aktuelle Diskussion in der portugiesischsprachigen Presse bestimmen: Para Oliveira Neto, a unificaçao da lingua «e importante para melhorar o intercámbio cultural entre os paises lusofonos; para reduzir o custo da producäo e traducäo de livros. sobretudo didacticos; para criar um idioma de trabalho comum e aproximar os paises da CPLP [Comunidade de Pai ses de Lingua Portuguesa].» (Informaç-o Geral, Semanal vom 1.9.2007, siehe Printmedienquellen) Die Presse hat hier die Funktion als positiver Multiplikator eingenommen, da sie der Vermittlung eines veränderten politischen Rollenverhaltens dient, das eine Öffnung gegenüber der Auseinandersetzung vermittelt, und die Legitimierbarkeit politischer Entscheidungen der Öffentlichkeit gegenüber kommuniziert wird. Dies betrifft nicht die zu dieser Zeit noch aktiven Widerstände gegen inhaltliche Unzulänglichkeiten, die die Vereinbarung aufwies, sondern allein den Akt der Durchsetzung dieses Abkommens, das medial durch verschiedene Artikel auf ein festes Fundament gestellt werden sollte. Um noch einmal einen Eindruck über die Meinung der brasilianischen Presse zu gewinnen, führe ich ein paar wenige Artikel aus den in Brasilien bekannten Printmedien wie den Tageszeitungen Correio Braziliense, Jornal do Brasil oder Gazeta Mercantil an, aus denen ich themenrelevante Aussagen zu identifizieren versuchte und diese auch nach Quantität und Qualität bewertet habe. Die meisten Artikel weisen eine den aktuellen Sachstand berichtende Orientierung auf, die weniger stark mobilisierend wirkt als die französische Mediale Diskurse in der internationalen Presse 354 Presse mit ihren zeitweise zu verzeichnenden Hetzkampagnen. Ein Beispiel hierfür bietet ein jüngst in der Correio Braziliense erschienener Artikel mit dem Titel „Diferenças entre português escrito no Brasil e em Portugal v-o desaparecer“ (21.12.2012, siehe Printmedienquellen). Die wichtigste Aussage in dem Artikel ist, dass mit der Ratifizierung des Abkommens in Portugal nun endlich eine gemeinsame Orthografie durchgesetzt werden konnte. Beschrieben wird außerdem, dass die Divergenzen schon früh ihren Anfang genommen haben: Em artigo publicado no Boletim da Academia Galega da Língua Portuguesa, o linguista luso Jo-o Malaca Cateleiro afirma que a separaç-o das ortografias brasileira e lusitana começou em 1911, quando Portugal fez, “à revelia” do Brasil, sua primeira reforma ortográfica[,] und diese auch durch Bewegungen verstärkt wurden, die sich der gegenseitigen Anerkennung der unterschiedlichen Standards verweigerten. Weiter wird ausgeführt, dass neben der Vereinheitlichung die Vereinfachung ein Zweck des Abkommens war, das der Bekämpfung des Analphabetismus dienen sollte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der portugiesische Schriftsteller Vasco Graca Moura dieses Vorhaben wie folgt beschreibt: Com a simplificaç-o da ortografia, imaginou-se que iria ser combatido o analfabetismo. A ideia era generosa, mas completamente estúpida! Se fosse assim todos os alem-es eram analfabetos. Sinngemäß kommentiert Moura, dass es falsch sei zu glauben, dass die Rechtschreibreform eine Alphabetisierungskampagne gewesen sei. Für das Deutsche und seine Reform hätte dies seiner Meinung nach bedeutet, dass zuvor alle Analphabeten gewesen sein müssten. Es werden auf portugiesischer Seite für die portugiesischsprachigen Länder sowie für die deutsche Rechtschreibreform nicht allein sozialgesellschaftliche Einflüsse angenommen oder, zugespitzt ausgedrückt, unterstellt. Aber auch in Brasilien, so geht aus einem Artikel aus der Rubrik Bildung vom 1.1.2009 aus der zweitgrößten brasilianischen Tageszeitung Folha de S. Paulo (siehe Printmedienquellen) hervor, stand man dem Abkommen wegen der Reichweite der Änderungen im Akzentsystem skeptisch gegenüber. Dort heißt es: O acordo entra em vigor neste dia 1º de janeiro de 2009 e apesar de trazer mudanças em apenas 0,5% das palavras no Brasil, deve causar confus-o. Den Eingriffen und Einzelheiten im niedergelegten Acordo wird demnach Konfusion und eine höhere Reichweite als angenommen nachgesagt. Eine weitere wichtige Aussage lässt sich aus einem Artikel aus derselben Tageszeitung vom 1.7.2008 mit dem Titel „Para ministro português, relaç-o romântica com idioma gera resistência a mudanças“ (Oliveira, siehe Printmedienquel- Der mediale Diskurs im portugiesischen Sprachraum 355 len) filtern. Hier wird neben dem Schriftstellertum und den portugiesischen politischen Kräften ausgesagt, dass die Ratifizierung und die Verkündung derselben durch öffentliche Bekanntmachung in einer Art Amtsblatt künstlich verzögert worden und dies auf den mangelnden Reformwillen Portugals zurückzuführen gewesen sei. Dieser wiederum ist nach Ribeiro Ausdruck des im folgenden Zitat zugrunde gelegten Widerstands, der auf eine Art romantische Sichtweise portugiesischer Intellektueller und Sprachteilnehmer auf ihre Sprache und den Erhalt ihrer Eigentümlichkeiten zurückgeführt wird: Há uma alteraç-o na ortografia portuguesa, como há na ortografia do português escrito no Brasil, que perturba alguns dos escritores e poetas, que têm uma relaç-o com a língua quase física. In einem Artikel der Zero Hora vom 19.3.2009 mit dem Titel „Academia Brasileira de Letras lança livro de vocabulário com mudanças da reforma ortográfica“ (Evanildo Bechara, siehe Printmedienquellen) wird eine interessante, aber meines Erachtens im Artikel verzerrte Darstellung aufgenommen, die laut eines oftmals zitierten Mitglieds der Bechara (Brasilianische Akademie für Literatur) der deutschen Sprache im globalen Gefüge zwischen Spanisch, Englisch und Chinesisch eine starke Stellung einräumt: Segundo ele, em pouco tempo, o mundo se dividirá entre o inglês, o espanhol, o alem-o e o chinês […]. Es herrscht die Vorstellung, dass die Stellung des Portugiesischen den Sprachen der Wirtschaftsmächte nur durch Geschlossenheit beikommen kann, ein durch Einheit gestärktes Portugiesisch, das Kontinente verbindet. 9.3.2 Im Einzelnen: Die portugiesische Presse: der Blick auf die deutsche Rechtschreibreform Die für die Untersuchung herangezogenen Tageszeitungen sind Público, Diário de Notícias, Correio da Manh-, Jornal de Negócios und i. Sie bilden die auflagenstärksten regionalen wie überregionalen Printmedien im Raum Portugal ab, die teilweise wöchentlich, teilweise wochentäglich herausgegeben werden. Wie verhält sich nun die Wahrnehmung der portugiesischen Presse (wozu die eingangs erwähnten Tageszeitungen herangezogen werden) in Bezug auf die deutsche Rechtschreibreform? Welches sind die Aspekte, die in den Artikeln behandelt und wahrgenommen werden, und welche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zu anderen europäischen und außereuropäischen Nationen sind in der öffentlichen Wahrnehmung herzustellen? Eine kurz angeschnittene Selbstdarstellung der Ereignisse um die (Novo) Acordo Ortografico habe ich vorhergehend vorgestellt. Vorweg zum weiteren Gang der Untersuchung Mediale Diskurse in der internationalen Presse 356 möchte ich erwähnen, dass die grenzüberschreitende Berichterstattung in Sachen Rechtschreibreformen nicht im gleichen Ausmaß stattgefunden hat wie im französischsprachigen Raum. Im Mittelpunkt der Untersuchungsfrage steht bei ausgewählten regionalen Tageszeitungen das „Was“ und „Wie“ der Berichterstattung. Im Vergleich des Umfangs der französischen und portugiesischen Berichterstattung über die deutsche Rechtschreibreform fällt diese quantitativ kleiner aus. Ein Artikel aus der Público vom 22.4.2008 mit dem Titel „Ortografia e centralismo“ (siehe Printmedienquellen) von Desidério Murcho geht auf die wesentlichen Kritikpunkte in Zusammenhang mit der portugiesischen Acordo Ortografico ein. Vereinfacht beschrieben, wird einer der kritischen Punkte der Rechtschreibreform auf das eigentlich erklärte Ziel der Reform abgestellt, nämlich dass sie schlussendlich keine Vereinheitlichung darstellt. Der zweite Punkt bezieht sich auf die Art der Durchsetzung derselben, dass sich ein veränderter Schreibgebrauch durch den Sprach-Nutzer durchsetzen soll und nicht durch gesetzgeberische Maßnahmen. Der dritte Angriffspunkt ist der für meine Betrachtung interessante, da er sich auf den Widerstand bezieht, der sich durch die Nicht-Verwendung reformierter Schreibungen durch den Sprach-Nutzer ergibt. In diesem Zusammenhang wird in dem Artikel vom 22.4.2008 in der Público beschrieben, wie auch in Deutschland die Reform durch gesellschaftliche Kräfte ignoriert worden ist: Tal como a última reforma ortográfica alem- caiu em saco roto, qualquer reforma ortográfica portuguesa será pura e simplesmente ignorada pela maior parte das pessoas que publicam livros, artigos, romances, contos, poemas e ideias na Internet, nos jornais, nos livros académicos, escolares ou populares. Dieses Argument wird angeführt, um die Nichtigkeit der Reform durch mangelnde Unterstützung und Ignoranz der gesellschaftlichen Kräfte zum Ausdruck zu bringen. Dies spiegelt auch ein Lager des Widerstandes wider, das sich in Portugal formiert hat, nämlich die Anwendung der neuen Orthografie durch Ignoranz zu torpedieren. Das andere Lager sind die Unheilpropheten, die in deren Anwendung ein katastrophales Chaos aufkommen sahen, da zwar das Schreiben erleichtert wird, jedoch nicht das Lesen. Ein anderer Artikel vom 23.7.2008 aus der Público mit dem Titel „Nem se vai dar por isso“ (siehe Printmedienquellen) beschreibt entgegen der häufig negativ eingestellten Presse gegenüber der eigenen Rechtschreibreform die positive Wirkung derselben und erwähnt in einem Satz, dass die portugiesische Rechtschreibreform im Gegensatz zur deutschen weit weniger gravierend und einschneidend ist und in den folgenden Jahren in weiten Teilen der Bevölkerung keine Erwähnung mehr finden wird, da sie in nur wenige Bereiche eingreift: Sempre o disse: esta reforma ortográfica é relativamente modesta (quando comparada, por exemplo, com a que a língua alem- fez recentemente). Se esta- Der mediale Diskurs im portugiesischen Sprachraum 357 mos numa de palpites, deixo o meu: daqui a cinco anos ninguém se vai lembrar das razões de tanta resistência. Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass das Beispiel der deutschen Rechtschreibreform vor allem dazu aufgegriffen oder instrumentalisiert wird, um die eigene in ein bestimmtes, nämlich besseres Licht zu rücken. Hauptargumentatorisch wird in den einzelnen Artikeln oftmals auf das geringere Ausmaß (nur annähernd 0,5% des portugiesischen Wortschatzes ist von der orthografischen Vereinbarung betroffen im Unterschied bspw. zu den Eingriffen im Französischen mit ca. 3%) der Veränderungen im Wortschatz im Verhältnis zu anderen in Europa durchgeführten Rechtschreibreformen referiert. Meinem Untersuchungsergebnis zufolge ist eine Pluralität von Informationen und dargestellter Meinungsvielfalt in den portugiesischen Printmedien ebenso wenig zu verzeichnen wie in der französischen Presse. Die Beschränkung und die Ausrichtung der Informationen über die deutsche Sprache, wobei die eigentliche Rechtschreibreform von 1996 selten namentlich und nie im Detail Erwähnung findet, konstruiert ein Bild über eben diese, das die eigenen Ereignisse um das Rechtschreib-Abkommen in ein rechtes Licht rücken soll. Eine vereinheitlichte Standardsprache soll nationale Einheitlichkeit schaffen. Kritischer wird die Berichterstattung der jüngeren Zeit, in der es um die Frist zum Übergang für das Inkrafttreten des Abkommens auf schulischer, medialer und auf Verwaltungsebene geht und sich Widerstände aus dem Rechtswesen und Literatur gegen das Abkommen formiert haben, dem das Bildungsministerien mit Aufklärung und Dialog beikommen wollte. Im Allgemeinen jedoch wird der vereinheitlichende Zweck und Charakter der eigenen Rechtschreibreform und die Einhaltung des Rechtschreib- Abkommens zwischen Brasilien und Portugal hervorgehoben. Bedauerlicherweise ist der Informationsgehalt der portugiesischen Quellen, hier genauer gesagt Artikel von auflagenstarken Tages- und Wochenzeitungen sowie Internetressourcen, in Bezug auf die Erwähnung der deutschen Rechtschreibreform gering und gilt hier wieder auch als Index für die öffentliche Präsenz des Diskussionsgegenstands in den Medien. Im Gegenteil findet man nur wenige verschiedene Perspektiven in Bezug auf die eigene Reflexion über das Rechtschreib-Abkommen, was nicht darauf schließen lässt, dass viele unterschiedliche Informationsquellen vorliegen oder genutzt werden und die Informationen wegen der gleichen Beschaffenheit der meisten Artikel und ihrer Aussagen fremdbeschafft worden sind. Mein Versuch, auf die Quantität der Quellen Einfluss zu nehmen, endete nach Rücksprache mit der Nationalbibliothek, der Biblioteca Nacional de Portugal und der Torre do Tombo in Lissabon leider ergebnislos, da keine digitalen Datenbanken gängiger Zeitungen vorhanden sind, so dass eine Recherche quasi noch von Hand erfolgen Mediale Diskurse in der internationalen Presse 358 müsste. Dies, so teilte man mir mit, sei aufgrund von Personalmangel im gegenwärtigen Zustand nicht zu leisten. Trotz der Datenlage möchte ich doch einen zaghaften Versuch einer Auswertung der portugiesischen und brasilianischen Presse in Bezug auf die Pressemeinung zur Reformdebatte in Deutschland wagen. In Bezug auf die eigene Reformdebatte geht es in der portugiesischsprachigen Presse weniger um die Darstellung von Sinn oder Sinnlosigkeit bestimmter Regeln, so wie es oft auch in der deutschen Presse behandelt worden ist. Die brasilianischen Pressestimmen versuchen faktenorientiert die Legitimation der eigenen Reform aufzuzeigen, während in der portugiesischen Presse oftmals Gründe für die Ablehnung derselben aufgezeigt werden (die Gründe hierfür habe ich genannt; sie sind vielschichtig, wie z.B. Fremdbestimmung durch Brasilien). Der Schwerpunkt der Berichterstattung der portugiesischen Pressestimmen und die Einschätzung der eigenen Reformbestrebungen im Zusammenhang mit der deutschen Presse bezieht sich auf die Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, wie in dem folgend erwähnten Artikel deutlich wird. Der Artikel zeichnet die Stationen der ersten orthografischen Konferenz über die Nachkriegszeit mit der Entwicklung der unterschiedlichen Duden-Ausgaben bis hin zur internationalen Erklärung zur Neuregelung der Rechtschreibung der deutschsprachigen Länder nach und nennt wichtige Stationen wie die sich daran anschließenden Widerstände der Neuzeit in Form der Abkehr der Presse und der späteren Reform der Reform aus dem Jahr 2004. Der Artikel schließt mit dem Zitat: Mas o assunto continua longe de ser pacifico[,] was mit der Einstellung einhergeht, dass der Rechtschreibfrieden noch nicht hergestellt ist und die Diskussion noch kein Ende gefunden hat. 9.4 Der mediale Diskurs im englischsprachigen Raum: UK und USA Um die Resonanzen der europäischen Presselandschaften zu komplettieren, möchte ich noch ein paar Meinungen auflagenstarker englischer Printzeitungen wie Daily Telegraph, The Economist, Financial Times und The Guardian einfangen sowie den Blick nach Übersee richten. Auch die New York Times als einflussreiche überregionale Tageszeitung aus den Vereinigten Staaten hat die Umstände zur Rechtschreibreform in Deutschland zum Thema gemacht. Ich führe verschiedene Artikel englischsprachiger Zeitungen auf, deren Aussage vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in Großbritannien Versuche einer offiziellen und legitimierten Reform der Rechtschreibung gescheitert sind, zu verstehen sind. Der Ruf nach einer Revision der englischen Der mediale Diskurs im englischsprachigen Raum: UK und USA 359 Rechtschreibung ist schon von verschiedenen Seiten geäußert worden wie z.B. von der amerikanischen Forscherin Diane McGuinness, die 2002 die Diskrepanzen mit folgenden Worten beschrieb: It’s difficult for us to imagine what it’s like to have a transparent alphabet code, like those in Italy, Spain, Germany, Finland, Sweden, and Norway. Teaching a transparent alphabet is incredibly easy. (RRF Newsletter 49, Autumn Term 2002) Die englische Orthografie weist ihrer Analyse nach starke Diskrepanzen zwischen Aussprache und Lautbild auf, die einer Korrektur bedürfen. Oft wird für die englische Schreibung angenommen, dass sie eine möglichst konsistente und einfache Beziehung zwischen Laut und Schrift herbeiführen müsste und nicht dem etymologischen Prinzip folgt. Die Orientierung an der Wortherkunft und Beibehaltung alter Schreibungen bei der Verschriftlichung führt laut gängiger Auffassung zu dem heutigen Auseinanderklaffen von Lautung und Schreibweise, trägt aber zum Erhalt der sprachgeschichtlichen Form bei, wie in einem Artikel der New York Times vom 2.5.1994 mit dem Titel „Reform Spelling and Tale Away History“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) belegt. Hier heißt es: The bewildering inconsistency of English spelling is not the result of sheer orneriness or of a fiendish plot to make schoolchildren miserable. Originally phonetic spellings remained unchanged as the pronunciation evolved, becoming largely etymological rather than phonetic […]. The “l” in “would” and “should” shows them to be the respective past tenses of “will” and “shall”. […] The introduction of phonetic spelling would mean loss of much that has historical value. Außerdem werden in jüngster Zeit schon verschiedene verselbstständigte Umstellungen in Grammatik und Orthografie registriert wie Kürzungen von geschwächten Vokalen und Lautkürzungen wie in thru und das Verschwinden von „h“ in wh-Wörtern wie wat statt what. Ein Artikel im Daily Telegraph vom 8.7.2004 zeigt auf, dass moderne Kommunikationskanäle eine neue Form der Sprachproduktion hervorgebracht haben, die zu Mischformen geschriebener und gesprochener Sprache geführt haben. In dem Kommentar-Artikel mit dem Titel „You pour thing, if you don’t see the point of spelling correctly“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) heißt es hierzu: when e-mailing and texting, people use a hybrid form of language that is halftalking, half-writing. Hence the decline of punctuation; hence all this annoying “gist” talk; and hence the universal cavalier disregard for spelling. Die verschriftlichte Umgangssprache sieht die Autorin Lynne Truss als eine Veränderungen, die sich vornehmlich auf einer soziostrukturellen Ebene herausgebildet hat, in der Jugendsprache, mit der ein restringierter Code einhergeht, der den rudimentären Informationsgehalt einer Aussage („get the gist“) Mediale Diskurse in der internationalen Presse 360 beinhaltet und der Beherrschung der Schrift als Kulturgut ihre Bedeutung nimmt. Für eine Auflösung dieser Fehlentwicklungen referiert sie auf eine vergleichende Studie der Neuropsychologin Uta Frith, die zu dem Schluss kam: Countries with deep orthographies might possibly begin to consider the political and societal feasibility of implementing orthographic reforms. Zwar wird hier nicht darauf eingegangen, in welche Richtung sich eine Reform der englischen Rechtschreibung bewegen könnte, wie z.B. auf die Ausbildung einer stärker phonetisch orientierten Schreibweise hin, und ob es hier eine Absprache mit dem großen, aber jüngeren Bruder von Übersee geben muss, ähnlich wie es in Portugal mit dem europäischen und brasilianischen Portugiesischen der Fall war. Die Einzelheiten des englischen Schriftsprachsystems möchte ich an dieser Stelle ausklammern, da hier nur die Reflexion der englischen Pressemeinung zur deutschen Rechtschreibreform abgebildet werden soll. Dennoch ist hier anzumerken, dass es unter britischen Sprachgelehrten gespaltene Meinungen gibt und die Reform der Orthografie der Tatsache entgegenwirkt, dass die Irregularitäten der englischen Rechtschreibung laut Professor der englischen Sprache an der Universität Oxford, Simon Horobin, testimony to the richness of our linguistic heritage and a connection with our literacy past (siehe Artikel in The Guardian „Does Spelling matter? “ vom 2.4.2013 im Printmedienquellen: Internationale Presse) sind. Unterstützung finden diese Aussagen durch namhafte Wissenschaftler wie z.B. den amerikanischen Linguisten Noam Chomsky, der davon ausgeht, dass eine regelhafte Orthografie solange optimal ist, wie die Beziehung von Einheiten des Schriftsystems denen der lautlichen Repräsentation so nah wie möglich kommt. Dass im Englischen so manch eine orthografische Schreibweise oder graphische Realisierung nicht durch die lautliche Repräsentation begründet ist und sich die Regelhaftigkeit eines Rechtschreibsystems aus der Korrespondenz der sprachlichen und schriftlichen Realisierung von Einheiten ableiten lässt, zeigt wohl, dass bei Chomsky die Anpassung von orthografischen Normierungen nicht notwendig ist, weil die Aussprache und ihre Variationen noch ausreichend in der Schrift berücksichtigt wird und weil: English spelling has been, for the most part, naturally reformed and seemingly a superior system to either French or German. (Fishman/ Garcia (Hg.) 2011, S. 123) Die Aufregung um die deutsche Rechtschreibreform wird in der englischen Presse laut einem Artikel in The Guardian vom 6.11.2004 mit dem Titel „Size matters“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) als „Schiller mania“ beschrieben. Der mediale Diskurs im englischsprachigen Raum: UK und USA 361 In einem Artikel des Daily Telegraph vom 29.5.2004 mit dem Titel „German spelling mistake“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) wird deutlich, dass die Reform der deutschen Orthografie im Kontext der eigenen Entwicklung als zu kompliziert, bevormundend und als die Bevölkerung spaltend empfunden wird. The Rechtschreibreform, which set out, rather patronisingly, to make life simpler for students, has in fact made it more difficult. The German-speaking world is split between those who have to obey the old rules, those who choose to and those who refuse to. […] Language is constantly evolving, but that does not justify changes imposed from above that lack popular endorsement. […] Reform should reflect current usage, rather than defying it on spurious grounds of modernisation. Eine derartige Reform unter der Bedingung, dass sie auch noch von amtlicher Stelle auferlegt wurde, scheint in Großbritannien undenkbar. Sie wäre auch nur unter der Bedingung möglich, wenn sie tatsächlich eine Vereinfachung darstellen würde. Dies scheinen die Voraussetzungen zu sein, unter der sich ein solches Vorhaben überhaupt erst entwickeln könne. In einem weiteren Artikel des Daily Telegraph vom 29.5.2004 mit dem Titel „Sturm und Drang spell doom for Germany’s Rechtschreibreform“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) werden Vorschläge unterbreitet, welche Veränderungen im eigentlichen Sinne im Zuge der Rechtschreibreform hätten unternommen werden sollen. Für die Deutschen und vor allem für die nicht Deutsch- Sprechenden wären Vereinfachungen bei Wortbildungen wie Komposita nötig gewesen. Es wird nicht weiter spezifiziert, welche Wortarten bei Komposita gemeint sind oder ob es die Beziehung von Bestimmungswort und Grundwort zueinander ist, die besondere Schwierigkeiten bereitet, aber das Beispiel Unabhängigkeitserklärung (declarations of independance) soll das Problem verdeutlichen. Dass Komposita im Deutschen ebenso wie im Englischen ein produktiver Weg zur Wortbildung sind, ist unbestreitbar, nur dass im Englischen trotzdem häufiger getrennt geschrieben oder die Bindestrichsetzung verwendet und die Möglichkeit von Paraphrasenbildung (renewal of insurance) stärker genutzt wird. Der Artikel bezeichnet die Rechtschreibreform auch als in den 1990er Jahren gestartetes Experiment, das auf allgemeine Ablehnung in der Bevölkerung stößt. In einem weiteren Artikel des Daily Telegraph vom 3.8.2009 mit dem Titel „German language gets 5000 more words“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) wird die Erweiterung des deutschen Wortschatzes auf die Aufnahme von Entlehnungen aus dem Englischen nicht nur auf den politischen fachsprachlichen Bereich wie z.B. „Kreditklemme“ (credit crunch) zurückgeführt, sondern auch auf den sozial-gesellschaftlichen Kontext wie „After-Show-Party“, wie auch aus anderen Sprachen wie dem Türkischen am Beispiel von Ehrenmord ersichtlich wird. Ein weiterer Faktor für den Zuwachs wird der Tatsache der schon erwähnten Wortzusam- Mediale Diskurse in der internationalen Presse 362 mensetzungen wie Komposita zugerechnet (Artikel Daily Telegraph vom 3.8.2009): German is infamous for it’s incredibly long compound nouns, and while no new words challenge the 39-letter monster „Rechtschutzversicherungsgesellschaften“, roughly meaning „Legal insurance companies“, this year’s edition has offered „Vorratsdatenspeicherung“ or „the saving of data relating to supplies“. Wo im Englischen z.B. bei Adjektiv-Substantiv-Verbindungen uneinheitlich mal getrennt-, mal zusammengeschrieben wird, vielleicht auch aus Gründen der Übersichtlichkeit der einzelnen Bestandteile, wird im Deutschen bevorzugt Zusammenschreibung verwendet. Die deutschen Presseorgane haben sich bei Komposita mit substantivischem letztem Bestandteil des Prinzips der Durchkopplung angenommen wie in Full-Time-Job und die Getrenntschreibung bei Zusammensetzungen aus Adjektiv und Substantiv wie in Joint Venture festgelegt (siehe Beschreibungen bei Dittmann/ Zitzke 2000, S. 75f.). Die Umgangsweise mit Wortzusammensetzungen im Bereich des Pressewesens lässt hier eine Orientierung am Englischen und dessen Einfluss erkennen. In einem Artikel des The Guardian vom 29.7.2000 „Germans split on language reform“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) wird der aktuelle Stand der Rechtschreibreform als Bedrohung für die Einheit der deutschen Sprache bezeichnet. Die beiden „country’s most prestigious institutions“ Spiegel und FAZ haben angesichts der seit Mai 2000 geltenden reformierten Schreibung aufgegeben. Ein Grund hierfür findet sich in einem Artikel der Financial Times (Autor: Bertrand Benoit) vom 7.8.2004 mit dem Titel „Germans in tangle over how to spell spaghetti“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse), in dem es heißt: […] the well-documented propensity to over-regulate. Ein Vorwurf, der lange Zeit den Darstellungen im Duden nachgesagt wurde und, insbesondere durch den Vorstandsvorsitzenden der FAZ Mathias Döpfner artikuliert, auf die Arbeitsweise der Zwischenstaatlichen Kommission, der Kultusbürokratie und auf das Regelwerk Anwendung findet. Ein weiteres Argument dafür, dass eine Rückkehr zur herkömmlichen Schreibung, wie von der FAZ gefordert, nicht möglich ist, aber der Einschätzung des Autors nach ein bedrohliches Moment aufweist, ist laut Berichterstattung des vorhergehenden Artikels die Tatsache, dass: […] the culture ministers of Germany’s 16 regional administrations agreed to the most radical overhaul of German since 1901. [und] But it also introduced practices which have not caught on, such as the space changing „aufwiedersehen“ into „auf wiedersehen“. Irrtümlicherweise wird die Grußformel „Auf Wiedersehen“, die weder vor noch nach der Einführung der reformierten Fassung zusammengeschrieben wurde, in dem Artikel in Verwechslung zu dem starken Verb wieder sehen/ Der mediale Diskurs im englischsprachigen Raum: UK und USA 363 wiedersehen aufgeführt, das nach dem aktuellen Reformwerk getrenntwie zusammengeschrieben werden kann. Schlussendlich schließt der Artikel mit dem Vorwurf der FAZ, dass die Neuregelung die Entfaltung der Sprache behindert, da im Presse- und Verlagssowie Schulwesen die Menschen anfangen, Schreibweisen zu vermeiden. Dass sich dieser Prozess im Laufe der Entwicklung umgekehrt hat und die neue Generation von Schülern die neuen Schreibweisen anwenden und die herkömmliche vermeiden, konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht antizipiert werden. Ein weiterer Artikel in The Guardian vom 10.8.2004 mit dem Titel „What they say about spelling reform in Germany“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) greift interessanterweise den Vorwurf der reformbefürwortenden Berichterstattung auf, dass die Beiträge zur Rechtschreibreform durch den Axel-Springer-Verlag und den Spiegel-Verlag genutzt wurden, um von aktuellen politischen und gesellschaftlich relevanten Themen abzulenken, die auf aktuelle Problemlagen hinweisen könnten, wie im Artikel argumentiert wird: The Financial Times Deutschland said the opposition CDU, by promising to return to the old rules, was making political capital from the row ahead of regional elections in 2005. [oder] […] at last the reform of the job market is no longer the number one irritation. Dies ist insofern ein wichtiger Punkt, der in der Aufarbeitung der internationalen Berichterstattung zur Rechtschreibreform erwähnenswert ist, als zum einen auf die Präsenz der unterschiedlichen Meinungsäußerungen der Presselandschaft in der Bundesrepublik und damit die unterschiedlichen Identitäten in Bezug auf die Reformzustimmung oder Reformkritik der einzelnen Presseorgane hingewiesen wird und zum anderen die Massenattraktivität des Themas im Verhältnis zu anderen politischen und gesellschaftsrelevanten Themenstellungen pointiert wird. Auch findet sich der Vorwurf in der britischen Presse, dass […] one encounters the old, the reformed, and countless private versions of German spelling [und] No two dictionaries are ever alike in Germany […], so heißt es im The Guardian vom 3.8.2001 in einem Artikel „Hooking up and hanging out“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse). Diese Aussage steht der allgemeinen Entwicklung von Sprache entgegen, die in den unterschiedlichen Ausgaben und Auflagen zum Tragen kommt. Dass die beiden Wörterbuchverlage Wahrig und Duden in Einzelfragen unterschiedlich mit der Auslegung von einzelnen Bereichen umgehen, wird in dem Artikel nicht dem eigenwilligen Verhalten der Wörterbuchverlage im Umgang mit den Beschlüssen des Rechtschreibrats zugesprochen, sondern missbräuchlich vermeintlich den widersprüchlichen Empfehlungen des Regelwerks nachgesagt. Erwähnt wird in diesem Zusammenhang nicht, dass es in der Nachkriegszeit von dem Duden selbst verschiedenste Ausgaben gegeben hat, die erst im Mediale Diskurse in der internationalen Presse 364 Zuge der Rechtschreibreform von 1996 wieder zu einer einheitlichen Form zusammengeführt worden sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht, auf einen deutschen Artikel in der ZEIT 40/ 1996 von Dieter E. Zimmer aus dem Jahr 1996 mit dem Titel „Beschreibung eines Kampfes“ hinzuweisen, der dort einen Vergleich der beiden großen Rechtschreibwörterbücher Wahrig und Duden vornimmt und in beiden erhebliche Mängel bei der Umsetzung wahrgenommen hat, vor allem in Bezug auf sog. Zweifelsfälle, und gegen eine Verwendung der Wörterbücher im Unterricht plädiert. Er schlägt vor, dass zur offiziellen Einführung der neuen Rechtschreibung in den Schulen am 1.8.1998 nur Rechtschreibwörterbücher zugelassen werden, die der Neuregelung in der jeweils gültigen Fassung des Regelwerks im vollem Umfang entsprechen, und bezieht sich hier auf die von der Kultusministerkonferenz vorgenommene Beschlussfassung vom 1.12.1995. Ich deute hieraus, dass der Hauptvorwurf darin begründet ist, dass den Redakteuren der Rechtschreibwörterbücher nachgesagt wird, Entscheidungen des amtlichen Regelwerks zu umgehen, indem bspw. Freiheiten bei bestimmten Teilbereichen verengt werden, die z.B. Variantenführung produzieren, um Eindeutigkeiten zu schaffen. Dies würde die Entscheidungen des amtlichen Regelwerks konterkarieren. Die britische und US-amerikanische Berichterstattung in den Printmedien verbalisiert die schon auch im europäischen Raum oftmals geäußerten Kritikpunkte, Ängste, die beteiligten Akteure, die Verursacher und Multiplikatoren (bspw. politische Persönlichkeiten sowie aus Literatur und Fachwissenschaft, siehe Artikel in The Guardian vom 8.8.2004 „Germans bridle at language law“ in Printmedienquellen: Internationale Presse) und Beanstandungen an dem Reformvorhaben der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Es finden sich einige Ungenauigkeiten bei den aufgeführten Wortbeispielen wie bei Zusammensetzungen, anhand derer aber nicht erläutert wird, dass das Problem des Verlusts der Ausdrucksmöglichkeit die Folge einer durch das aktuelle Regelwerk herbeigeführten Schreibweise darstellt. Vorurteilshaft wird in den Artikeln des The Guardian und des Daily Telegraph aufgeführt, dass die Regeln der Natur der Sprache zuwider laufen und den Schreibenden keine Erleichterung bringen. Als besonders beachtenswert erachte ich den Aussagewert eines Artikels der New York Times vom 14.7.1996 mit dem Titel „Achtung! (Aktung? ) Bonn Bans Some H’s“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse) hinsichtlich der internationalen Pressestimmen gegenüber der deutschen reformierten Schreibung: […] the new orthography will join that canon of regulations that gives their society the reputation of being Europe’s most regimented. Der mediale Diskurs im englischsprachigen Raum: UK und USA 365 Diese Aussage ist vor allem verstehbar im Zusammenhang mit der Annahme, dass die meisten standardisierten Sprachen gegenüber den natürlichen Entwicklungen starr und ungelenk werden, vor allem, wenn laut Artikel der New York Times vom 14.7.1996 die Durchsetzung per Dekret auferlegt wird. Tatsächlich findet sich durch den Anwender die Möglichkeit, wie im Falle der Nutzung von Varianten, Grenzfälle zu schaffen und die Starrheit eines Systems aufzuweichen und dem natürlichen Sprachusus anzupassen. Eine Rechtschreibreform wie die von 1996 mit ihren Überarbeitungen birgt, ganz anders als die internationale und auch teilweise nationale Presse zu meinen behauptet, ein großes Potenzial an Freiheit, da im Falle der Variantenführung nicht nur eine Schreibweise die richtige ist. Jaffe (2000) hat im Zusammenhang mit dem Aspekt der nationalen Identitätsstiftung von Sprache entgegen der Auffassung in dem oben genannten Artikel argumentiert, dass Normierung und Kodifizierung dem prototypischen Schrift- und Sprachnutzer insofern nicht unwillkommen ist, als dass eine reglementierte Schriftsprache Erleichterung in der Anwendung schafft. Die Presseorgane übernehmen hier wieder eine Art lobbyistische Rolle, dem Widerstand der wissenschaftlichen Kreise und anderer Reformgegner vor der Verbreitung und Popularisierung der geänderten Schreibnorm einen Wirkungskreis und ein Parkett zu geben. Schließen möchte ich die oben aufgeführten Ausführungen zu der Berichterstattung der internationalen Presselandschaften mit einem Zitat aus der englischen Zeitschrift The Economist vom 15.9.2010 mit dem Titel „It didn’t go so well in Germany“ (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse), das die Größenordnung oder den Radius der Reform der deutschen Rechtschreibung beschreibt: Those reforms were orders of magnitude simpler and less ambitious than what would be required to turn English truly phonetic. German spelling, after all, was already pretty straightforward. Zusammengefasst lässt sich das Presseecho als geteilt beschreiben. In den meisten Artikeln wird angesprochen, wie gesellschaftliche und politische Kräfte auf das Reformwerk reagiert haben, Vertrauensverlust in der Bevölkerung ausgelöst wurde und auf welche Weise Widerstand aufgebaut worden ist. Unfassbar scheint den Berichterstattern, dass das Thema eine derartige nationale Empörung hervorgerufen hat und ebenso wie in der französischen Presse noch vor europa- und weltpolitischen Themenstellungen rangiert wie „integrations policies“ und „German education underachievement in the EU context“. 113 Anders als in der französischen Presse über die deutsche Rechtschreibung wird der Umgang mit Sprache und einer Neuregelung der Rechtschreibung nicht zu ei- 113 Siehe hierzu auch die Berichterstattung in einem Artikel in der New York Times „European Topics“ vom 13.6.1996 (siehe Printmedienquellen: Internationale Presse). Mediale Diskurse in der internationalen Presse 366 ner Diskussion von nationaler Bedeutung gemacht, wenngleich in der Presse vielfach die Rolle und der Einflussbereich der politischen Ebene auf die Sprache und damit auch die Zuständigkeiten der Bürokratie angezweifelt werden. Die Polemik der deutschen Presse gegen die Reform wird in der internationalen Presse zwar als nationales Anliegen gewertet, das allerdings von anderen aktuellen politischen Themenstellungen ablenkt. 9.5 Zusammenfassung über das aktuelle Abbild der Reformbestrebungen in der internationalen Presse Welchen Eindruck hinterlassen die Artikel beim Leser und haben die Medien ihren Informationsauftrag missbraucht und sich zu Handlangern bestimmter Interessen, politischer, wirtschaftlicher oder auch ideologischer, gemacht? Oftmals handelt es sich um Meldungen, die zum Aufhänger für eine Anklage gegen die Verantwortlichen der Rechtschreibreform wurden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Meldungen der Printmedien nicht allesamt bloßen Nachrichtenblättern entstammen. Die Richtung der Analyse deutet aber an, dass die Aufstellung der Meldungen im Kontext der allgemeinen Berichterstattung zur Rechtschreibreform oftmals wie eine Hetze und reformskeptisch wirkt, die Beklagten und die Betroffenen nennt (gleichermaßen oder unausgewogen), die Meinung der Reformgegner und weniger die der Befürworter aufgreift. Die Art der Berichterstattung verstehe ich hier besonders deutlich zum Zweck der Polarisierungen zwischen verschiedenen Lagern durch die Einbettung des Themas in eine spezifische sprachliche Handlung, die an wenigen Stellen implizit (oder auch explizit) eine politische Ausrichtung erahnen lässt (oppositionell zur gegenwärtigen Regierung werden Nachrichten aufgeführt) oder emotional geführt wird (z.B. „Verbrechen an der Sprache“). Es ist die Form, die polarisiert durch forcierte Meinungsbildung und die Ausführlichkeit der prominenten politischen und kulturellen Meinungen, die eine gewisse Stimmungsmache implizieren. Die Zitate, wie ich sie vorhergehend aufgeführt habe, sind nicht repräsentativ für einen ausgewogenen Zugang zu einer medialen Diskursanalyse, dennoch zeigen sie den grundlegenden Tenor oder die Tonlage und die intendierte Kultur der Berichterstattung. Hierzu gehört die Herstellung von Zielscheiben, Meinungsmache statt Ausarbeitung gesellschaftlicher Konflikte. Kritik soll durch Inszenierung des Reformprozesses und seine Auswirkungen bestärkt werden. Ich schließe mich insgesamt den Beschreibungen von Biddau (Hg.) (2013, S. 6) an, wenn er sagt, dass es, nicht nur bezogen auf Öffentlichkeit und Medien, die Fülle an unterschiedlichen Meinungen und Auffassungen ist, die in die Entwicklung der orthografischen Systeme eingeflossen ist. Für die Neuregelung der Rechtschreibung möchte ich behaupten, dass die in dem Prozess ein- Fazit 367 gebrachte Meinungsvielfalt aus Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik ein Abbild des Entwicklungsstands der Neuregelung der Rechtschreibung darstellt und sich solange im steten Reifeprozess befindet, wie sie zur Diskussion gestellt wird. Die Kultusministerkonferenz auf ministerieller und übergeordneter Ebene und im Speziellen der Rat für deutsche Rechtschreibung auf fachlicher und institutioneller Ebene haben gegensteuernde Maßnahmen zur Nivellierung der öffentlichen Kritik eingeleitet. Schon früh hat man versucht, auf die öffentlich geäußerte Kritik zu reagieren. In der zweiten Berichtszeit der Zwischenstaatlichen Kommission sind hierfür schon entscheidende Maßnahmen getroffen worden, die die Grundlage eines in den Jahren folgenden Versuchs bildeten, den öffentlichen Dialog über die Neuregelung zu versachlichen. Indem auch nicht nur klärende Gespräche mit Vertretern der Wörterbuchverlage, sondern auch mit den deutschsprachigen Nachrichtenagenturen, Pressehäusern und Softwareherstellern gesucht wurden, was auf die Durchsetzung und Akzeptanz der Neuregelung hinleiten sollte, sollte der negativ-gestimmten Haltung in der Öffentlichkeit entgegengewirkt werden. Die von einigen Presseorganen medial inszenierten Eigenwege zwischen den Vorgaben der amtlichen Neuregelung und den hausorthografischen Festlegungen der Redaktionen oder die Rückkehr zur herkömmlichen Rechtschreibung wie im Falle der FAZ im Jahr 2000 personifizierten und manifestierten die öffentliche ablehnende Haltung und Vorurteile. Dennoch haben die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen (auch aus der Schweiz und Österreich) zuvor im Jahr 1999 beschlossen, die Reform weitestgehend umzusetzen, da man sich im Klaren war, dass auf lange Sicht die Neuregelung beim Leser zur Selbstverständlichkeit würde und es nicht Aufgabe der Presse sein kann, die Reform in bestimmte Bahnen zu lenken, wenngleich sie ankündigten, noch immer Hausorthografien zu führen und Ausnahmeschreibungen anzuwenden (wie im Falle von Wörtern mit Silben „phon“, „phot“ und „graph“ oder Fremdwörter aus lebenden Sprachen nicht einzudeutschen und keine Trennungen von Wörtern am Zeilenende vornehmen). 9.6 Fazit Anhand der medialen Diskurse in den unterschiedlichen Ländern habe ich herausgearbeitet, welche Anliegen, Positionen und Argumente im Zusammenhang mit den eigenen Reformbestrebungen und mit Blick auf die deutsche Rechtschreibreform vorgetragen wurden. Allen gemein ist, dass die politischen Diskurse und die dort formulierten Absichten und intendierten Aussagen Einfluss auf die medialen Diskurse hatten, was sich in der Art der Aufnahme und der Weiterverarbeitung für eine breite Öffentlichkeit niederschlägt. Allen gemein ist ebenfalls eine vergleichsweise geringe Rezeption der Inhalte aus den fachlichen Diskursen in den Medien. Dies könnte meines Er- Mediale Diskurse in der internationalen Presse 368 achtens an dem hohen Aufwand der Verarbeitung komplexer Sachverhalte für den öffentlichen Gebrauch und dem Unvermögen liegen, dies medial angemessen für einen breiten Rezipientenkreis aufzubereiten. Unterschiedlich zu bewerten ist die Reichweite der Akteure, ob gesellschaftlich oder politisch, die in den einzelnen Diskursen zu Wort gekommen sind. Die Reichweite der gesellschaftlichen Kräfte, die in den Schweizer medialen Diskursen berücksichtigt wurden, ist eine höhere als die in den bundesdeutschen medialen Diskursen, während die gesellschaftlichen Kräfte in den französischen medialen Diskursen die ohnehin schon restriktive Ausrichtung in Bezug auf die Änderungen an der Orthografie noch weiter verstärken. Besonders prominent sind zum einen Besonderheiten bestimmter Akteure. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen deutschsprachigen Ländern. Die Printmedien und die Betrachtung der Berichterstattung in diesen haben sich als probates Mittel erwiesen, um die Vielzahl der Meinungen zur Rechtschreibdebatte aufzuzeigen. Im internationalen Kontext bilden sie für die jeweilige ausländische Berichterstattung einen Bezugs- und Ansatzpunkt zur Aufnahme der Position, um darauf aufbauend die charakteristischen Merkmale der eigenen Diskurse einzuflechten. Ich habe in meiner vergleichenden Erörterung dargestellt, dass die Merkmale „Akteur“ (Wer meldet sich zu Wort? ), „Aussage bzw. Position“ (was wird vertreten? ) und „Forderung“ (was soll wer leisten? ) die konstitutiven Elemente in den von mir untersuchten medialen Diskursen sind. Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 369 10. ERGEBNISSE DER VORLIEGENDEN ARBEIT Reformvorhaben in Sachen Rechtschreibung stehen im Spannungsfeld zwischen dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen aus Gesellschaft und Politik, während die Fachwissenschaft in einen engen Dialog mit den politischen Instanzen getreten ist. Das Ergebnis der Diskussionen stellt einen Kompromiss dar und ist, anders als oftmals in den medialen Diskursen beschrieben, kein bloßes Korrektiv. Basierend auf der Beobachtung, dass Reformbemühungen in Bezug auf die Sprache, insbesondere die Schriftsprache, in den Blickpunkt mehrerer Lebens- und Gesellschaftsbereiche gerückt ist, habe ich einen Versuch unternommen, die Wechselwirkungen zwischen den Akteuren aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft in Bezug auf die Rechtschreibdebatte aus den Inhalten der verschiedenen Diskurstypen zu beschreiben. In meine Betrachtungen habe ich zudem versucht mit aufzunehmen, welche Ansprüche aus Gesellschaft und Medien zur Mitwirkung an politischen Prozessen formuliert wurden. Ich habe versucht, den Mechanismen, Praktiken und Maßnahmen der politischen Akteure auf die Spur zu kommen, die als Reaktion auf die mediale und gesellschaftliche Resonanz gewertet werden können (bspw. Anhörungsverfahren und die Pressearbeit einzelner politischer Instanzen). Dieses Kapitel bildet den Abschluss, in dem ich nochmals ein aktuelles Abbild über die gegenwärtigen Normierungsbestrebungen in Sachen empirische Sprachbeobachtung und Weiterentwicklung nachgezeichnet sowie die politische Grundhaltung und die Standpunkte zusammengeführt habe, die gegenüber dem Vorhaben hervorgebracht wurden. Hierbei werden nur Ausschnitte und Momentaufnahmen innerhalb des anhaltenden Entwicklungsprozesses aufgezeigt, aus denen sich Tendenzen und Entwicklungsmöglichkeiten ableiten lassen. Ich habe aufgezeigt, wie die Rechtschreibreform als ursprünglich gesellschaftliches privat-sprachpflegerisches Anliegen zu einer die gesamte Öffentlichkeit betreffenden sprachpolitischen, administrativen Maßnahme geworden ist und welches die entscheidenden Beschlüsse der Kultusministerkonferenz für den bundesdeutschen Raum und die anderen beteiligten internationalen Entscheidungsträger gewesen sind, die zu dem erweiterten Wirkungskreis geführt haben. Ich habe hierzu instrumentarisch Meilensteine in der Geschichte der Reform identifiziert und dokumentiert und sie um aktuelle Erkenntnisse hinsichtlich der Weiterentwicklung und Beobachtung des Sprachgebrauchs erweitert und angereichert. ERGEBNISSE DER VORLIEGENDEN ARBEIT Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 370 Diese Erkenntnisse habe ich genutzt, um zu einem zeitgemäßen Verständnis über die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 zu gelangen, da sich mit einem gewissen Reifegrad eines jeden Reformvorhabens Brüche und neue Praktiken ergeben, die durch eine Neubewertung eines Sachverhalts auch zu einem neuen Verständnis führen. Es zeigt sich also in jedem Fall, dass die Wechselbeziehungen, die die Bemühungen um eine bessere und den aktuellen Sprachgebrauch abbildende Rechtschreibung geprägt haben, maßgeblich das Ergebnis der Diskurse auf gesellschaftlicher und politischer Ebene sind. Sie sind im unterschiedlichen und wechselnden Umfang von Maßnahmen abhängig und haben den Verlauf der Entwicklung beeinflusst und zum Teil ausbalanciert, wie ich versucht habe anhand einzelner Beispiele aus den verschiedenen Diskurstypen aufzuzeigen. Die allgemeine Kritik an dem Vorhaben habe ich in immer wieder aufgegriffenen Erschwernissen in den unterschiedlichen Diskursen aufgenommen und die verschiedenen Höhepunkte der Meinungsstreitigkeiten benannt. Damit habe ich als Ergebnis meiner Untersuchung erreichen wollen, aufzuzeigen, dass kaum ein politisch initiiertes Vorhaben in der Größenordnung und mit der Reichweite so viele Auffassungen und Ansätze unter sich vereinen musste wie die Neuregelung der Rechtschreibung von 1996, denn es blieb nicht wie in anderen europäischen Ländern bei einer isolierten inländischen, in unserem Fall, der innerdeutschen Abstimmung, sondern umfasste eine multilaterale Meinungsbildung, die einen wesentlichen Unterschied zu bspw. den Reformbemühungen im französischsprachigen Raum bildet. Von Interesse für eine zukünftige Herangehensweise an eine verschiedene Diskurse einbeziehende Thematik ist die Entflechtung von Interessen (siehe hierzu das Kapitel 11), die in den Diskursen konstruiert werden. Die fachlich-wissenschaftlichen Diskurse in den einzelnen deutschsprachigen Ländern, anders als bei den Ländern, die kein zwischenstaatliches gemeinsames Reformvorhaben ausarbeiten mussten, sind geprägt von den Belangen um eine länderspezifische, individualisierte und eine gesamtdeutsche Perspektive, die dem Anspruch an das jeweilige Unikum mit dem überregionalen Anspruch an eine durch Normungsinstanzen legitimierten, für alle Beteiligten verbindlichen Standard gerecht wird. Um weitere Beispiele anzuführen, habe ich an dieser Stelle den fachlichen Diskurs in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR erwähnt, der geprägt ist von der Durchsetzung der gemäßigten Kleinschreibung, wie sie anfänglich in den Wiesbadener Empfehlungen dargestellt wurde, während die politischen Diskurse in den Jahren vor der Wiedervereinigung von der Bereitschaft und den Modalitäten einer Zusammenarbeit mit den anderen deutschsprachigen Ländern im Zusammenhang mit der Ratifizierung eines deutsch-deutschen Grundlagenvertrags geprägt waren. Der fachliche Diskurs in Österreich war Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 371 bestimmt durch den Status des österreichischen Deutsch als nationale eigenständige Varietät, während der politische Diskurs von Bemühungen um eine gemeinsame Neuregelung handelte. Der mediale Diskurs ist in den meisten der von mir untersuchten Fälle ein kritisches Abbild beider Diskursformen. Im Falle des Französischen sind die Inhalte der typischen Diskurse weniger eindeutig voneinander zu trennen. Auf fachlicher Ebene ging es in der jüngsten Diskussion um die Präpräsentation der französischen Laute, die Beseitigung von Ausnahmen und Bestrebungen die Sprache zu vereinheitlichen, was durch die Aufnahme in einem offiziell-staatlichen Amtsblatt auch zu einem politischen Diskurs geworden ist, wenngleich der Sprachgebrauch nicht kraft eines Erlasses oder einer Verordnung unmittelbar beeinflusst wurde. Der Diskurs und die Rectifications ist meines Erachtens wenig dialogorientiert und ausschließlich konfrontativ von Seiten gesellschaftlicher Kräfte geführt worden. Die typischen politischen Diskurse beinhalteten die Bedeutung und die Geltung des Französischen in der Welt, die Verankerung der Sprache in der Verfassung und den Einfluss fremden Wortguts im Französischen (Loi Bas-Lauriol), der oftmals als Bedrohung wahrgenommen wurde, wie auch in der späteren Franglais-Debatte. Die medialen Diskurse um die eigenen Reformanstrengungen verstehen die Reform als Ergebnis eines sich langsam vollziehenden sozialen Verfalls und Bildungsniedergangs. Die Hauptargumente der Reformgegner decken sich im Großen und Ganzen mit denen im deutschsprachigen Raum in Hinblick auf die eigenen Reformbemühungen. Hierzu gehört, dass die jeweilige Reform den Vorbildcharakter der bestehenden Regelung nicht verbessere, die Vielfalt der Ausdrucksweisen verloren gehe und die Nation gespalten werde, da die Schriftkultur der Gesellschaft und die den Schulen und Behörden auferlegte auseinanderginge. Die Gegenargumente gehen in die Richtung, dass eine Rücknahme der jeweiligen Reform nicht angedacht ist aus Gründen wie dass bspw. die Reform Ordnung in ein unsystematisches Gebilde bringe. Mehr als die untersuchten Erzeugnisse der anderen Länder referiert die französische Presse auf die Meinung und die Haltung von Verbänden und Sprachvereinen in Deutschland gegenüber der Reform, was darauf hindeutet, dass dem Einbezug der gesellschaftlichen Kräfte in den Meinungsbildungsprozess eine andere Gewichtung zufällt. Die soeben aufgeführten Beispiele sollten exemplarisch und in aller Kürze noch einmal über die verschieden formulierten Interessen in den Diskursen Auskunft geben. Ganz besonders deutlich wird bei einer zwischenstaatlichen kontrastiven Betrachtung, dass in den unterschiedlichen Ländern die Diskurse unterschiedlich gewichtige Beachtung finden, was sich an deren Präsenz und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit äußert, wie bspw. der Rezeption in den Medien. Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 372 Die etlichen von mir genannten Verweise auf die deutsche Rechtschreibreform in den medialen Diskursen der französischen Presse sollten hierzu verdeutlichen, wie fatal und folgenreich der Eingriff in eine Sprache bewertet werden kann. Nicht alle Diskurse können auf dieselbe Weise untersucht werden, da sie von historischen oder ideologischen Brüchen durchzogen sein können, wie ich es für die Diskurse in den portugiesischsprachigen Ländern ermittelt habe. Bei der Behandlung der portugiesischen Diskurse direkt im Nachgang der Orthografiereform von 1991 fällt auf, dass diese vornehmlich von der kulturpolitischen Rolle des Portugiesischen in Hinblick auf das Mutterland und seine ehemaligen Kolonialländer und Protektorate, die Annäherung des BP an das Prestige des EP und die mangelnde Anerkennung der kulturellen Eigenständigkeit des brasilianischen Portugiesisch (wobei der letztgenannte Punkt ein brasilianischer Diskurs ist) handeln. In den gegenwärtigen Diskursen, die in die Zeit des Inkrafttretens des Abkommens fallen, handeln die Traktate um das Orthografieabkommen vom Zweck der Annäherung und der Vereinheitlichung. Die fachlichen Diskurse sind vielfältig und behandeln konkurrierende schriftsprachliche Prinzipien, die einschlägigen Unterschiede zwischen EP und BP und weitere systemische Aspekte. Hauptbestandteile des medialen Diskurses in den portugiesischsprachigen Zeitungen bildet der Sachverhalt, dass die Annäherung von BP und EP per Dekret veranlasst worden ist, also wieder die politische Reglementierung von Sprache beinhaltet. Auch der Umfang der Änderungen sowie die Gewichtung oder Wertigkeit der Ordnungsprinzipien wie der Wegfall von stummen Konsonanten in Anlehnung an die Regelung im BP lagen im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Neben den Argumenten aus den fachlichen Diskursen sind auch politische Aspekte zur Ratifizierung des Abkommens und die Legitimation desselben genannt worden. Es ist trotzdem nicht von einer durchgehenden Negativpresse die Rede, sondern hinter sprachpolitischen Diskursen lassen sich zugrundeliegende Unsicherheiten über die Identität der Sprache und die Beziehung des EP zum BP ablesen. Die in den von mir untersuchten Diskursen, die nur ein kleines Sample darstellen, formulierten Erwartungen und Forderungen beziehen sich auf die ungleiche Verteilung der politischen und wirtschaftlichen Macht, die sich in der Annäherung der Sprachsysteme niederschlagen. Übereinstimmend positiv wird bewertet, dass mit dem orthografischen Ausgleich durch den gesteigerten fachlichen und politischen Austausch ein wachsendes Interesse zwischen den Staaten erzeugt wird. Auch die nicht einheitliche Umsetzungspraxis der Änderungen in den Schulen und die lange Übergangszeit werden thematisiert, ebenso wie die Legitimation durch den Ratifizierungsprozess. Letztendlich wird in den Medien aber auch der Mehrwert der Vereinheitlichungsbestre- Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 373 bungen in der wachsenden Geltung und Reaktivierung des Einflusses des Portugiesischen auf dem wirtschaftlichen und politischen Parkett der Welt gesehen, indem ein geschlossenes kontinentübergreifendes portugiesischsprechendes Länderspektrum zu alter Größe erwachsen kann. Die Geschichte des Orthografie-Übereinkommens der lusophonen Länder macht deutlich, wie unterschiedliche politische Ausgangsbedingungen und divergierende Vorstellungen über Sprache und Stellenwert die Ausrichtung von Diskursen bestimmen. Im Vergleich habe ich Parallelen zu den Reformvorhaben im deutschsprachigen Raum festgestellt, auf die ich schon an unterschiedlichen Stellen in dieser Arbeit eingegangen bin. Die politischen Diskurse im Schweizer Raum wurden in den üblichen Gremien für Bildung, innere Angelegenheiten und im europäischen Kontext auch von Einzelpersonen vorangetrieben und richtungsweisend bestimmt in Bezug auf die multilaterale Zusammenarbeit im deutschsprachigen Raum. Hierzu möchte ich meinen Beobachtungen nach folgern, dass, ähnlich wie im bundesdeutschen Raum, die Diskurse nicht ausschließlich zum Zwecke der Beeinflussung oder Konterkarierung politischer Entscheidungen oder der Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit zur Beeinflussung von Meinungen geführt wurden, sondern um die verschiedenen Meinungsbilder und Auffassungen über die Thematik in die öffentliche Debatte zu befördern und Anliegen in den politischen Prozess einzubeziehen. Bestandteil der typischen politischen Diskurse waren zudem allgemein das Vorgehen auf nationaler und auch multinationaler Ebene in Bezug auf die Abstimmung, Koordinierung und Implementierung, der Einbezug gesellschaftlicher und weiterer Kräfte am Beratungsprozess, die Sonderstellung der Schweiz in Bezug auf ihre Vielsprachigkeit und die Widerspiegelung der Gleichstellung der verschiedenen Landessprachen in den unterschiedlichen Bereichen des Regelwerks. Die typischen fachlichen Diskurse beschäftigen sich kurzgefasst mit den Aspekten der orthografischen Besonderheiten, die sich in der Rechtschreibung und den Wörterlisten zum amtlichen Regelwerk niederschlagen und sich von der bundesdeutschen Regelung unterscheiden. Ich habe auch Diskurse um die gemäßigte Kleinschreibung aufgeführt, um aufzuzeigen, dass ebenso wie im bundesdeutschen Raum (allerdings zu unterschiedlichen Zeiträumen und Epochen) die Regelungsvariante der Kleinschreibung von Substantiven vornehmlich bei gesellschaftlichen Kräften wie Sprachvereinen und sprachaffinen Instituten immer wieder debattiert wurde. Meine Ergänzungen um die spezifische Situation der Diglossie in der Schweiz habe ich zudem genutzt, um aufzuzeigen, dass die Rechtschreibdebatte auch immer wieder Gegenstand der Frage ist, was als Standard definiert wird oder Anerkennung findet und dass eine überregionale Standardsprache nicht per se in die Mündlichkeit und Schriftlichkeit Eingang findet. Viele mediale Diskurse sind geprägt Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 374 von den Stellungnahmen und der Einflussnahme durch gesellschaftliche Kräfte wie die SOK, deren Vertreter und Mitglieder in der Presse immer wieder Gehör gefunden haben. In den weniger konstruktiv geführten medialen Diskursen wurden die Umsetzungsschwierigkeiten der Rechtschreibreform ähnlich wie in der bundesdeutschen Presse als Ergebnis einer gescheiterten Politik verstanden. Die Beantwortung der Frage, auf welcher Ebene die Reform der gesamtdeutschen Rechtschreibung beschlossen wurde, ist entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz. Die Akzeptanzbedingungen für verschiedene europäische Reformerfolge im Bereich Orthografie habe ich in dieser Arbeit versucht vielfältig darzustellen. Die Erkenntnis, dass dies nicht vornehmlich auf politischer Ebene erfolgte, sondern zuvor auf fachwissenschaftlicher Ebene in den deutschsprachigen Ländern diskutiert und die Zusammenhänge und Hintergründe von den Medien und anderen gesellschaftlichen Kräften nicht widerspruchslos und bereitwillig aufgegriffen wurden, erschwert bis heute das Verständnis gegenüber einer oftmals unsachlich und sachpolitisch inkorrekten Austragung in der Öffentlichkeit. Für Institute wie das IDS, die GfdS und die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung standen dabei die Themen im Vordergrund, die von öffentlichem Interesse waren und keine politischen Abwägungen darstellten. Die Rolle von sprachinteressierten Organisationen, Institutionen und Verbänden, die sich der Sprachpflege, der Erhaltung und der Einheitlichkeit der deutschen Sprache verpflichtet fühlen, und deren gesellschaftlich-fachliche Diskurse haben auf vielfältige Weise den politischen Diskurs mitbestimmt. Dies gelang in der Regel nur dann, wenn es sich um Einrichtungen und Institutionen handelte, die von den entscheidenden staatlichen Stellen der deutschsprachigen Länder als Gesprächspartner akzeptiert und in die Beratungen mit einbezogen worden sind. In den entsprechenden Anhörungen im Zusammenhang mit den Änderungen am Regelwerk von 2004 und 2006 sind die meisten Organisationen mit Stellungnahmen und ihren fachlichen Beiträgen in den anschließenden politischen Diskursen mit einbezogen worden und haben sich aufgrund ihrer kritischen, aber konstruktiven Beiträge zur Versachlichung der Diskussion, und ihrer hohen Erwartungen gegenüber der Politik in der Verantwortung um die deutsche Sprache um eine besondere „Berater-Position“ verdient gemacht. Staatliche Akteure haben das besondere Potenzial des gesellschaftlich-fachlichen Engagements der sprachinteressierten Organisationen erkannt und ihre politischen Diskurse nicht nur um die wissenschaftlich-fachliche Seite, sondern auch um die gesellschaftlich-fachlichen Diskurse aus diesen gesellschaftlichen Kräften ergänzt und genutzt, um sich eine breite Akzeptanz einzuholen, Kritik öffentlich anzunehmen und den medienpolitisch-ideologischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 375 Diskursen in der Presse mit Sachverstand von unabhängiger Seite zu begegnen. Ich habe daher in meinen Ausführungen Organisationen und Verbände aufgezeigt, die sich in die fachliche Diskussion eingebracht haben wie die Akademie für deutsche Sprache und Dichtung und die Organisationen, die gerne Mitspracherecht erhalten hätten wie die SOK. Anhand der von den Verbänden und Organisationen geführten Diskurse auf politischer, fachlicher und medialer Ebene habe ich versucht aufzuzeigen, dass nicht alle zur Fortentwicklung der Rechtschreibdebatte und dem Rechtschreibfrieden beigetragen haben und dass gerade die von Verbänden und staatsunabhängigen Organisation geführten kritischen Diskurse in der Presse offen empfangen und in diesem Medium ausgetragen wurden. Die Arbeitsweise des Rats, Kritiker und Befürworter einzubeziehen, Anhörungsverfahren oder, wie in den anderen deutschsprachigen Ländern bezeichnet, Vernehmlassungen durchzuführen, haben zu einem paradigmatischen Wechsel in der öffentlichen Reformdebatte geführt. In der Berichterstattung ab Konstituierung des Rats für deutsche Rechtschreibung finden sich in der deutschsprachigen Presse noch immer etliche reformablehnende und reformkritische Artikel, die die Rücknahme der Reform und die Rückkehr zur herkömmlichen Rechtschreibung aufgreifen, dennoch fällt auf, dass das Gewicht auf mehr informative, sachliche, weniger bewertende und neutrale Mitteilungen und Meldungen fällt, in denen über die vorgenommenen Korrekturen aufgeklärt wird, die Umstellungsmodi von Verlagen auf die amtlich gültige Schreibung und Meinungen aus Gesellschaft und aus fachlichen Kreisen eingefangen werden. Die vorstehend aufgezeigten Ansätze zu den in den Diskursen formulierten Interessen konzentrierten sich nicht auf die Analyse selbst, sondern sollten die Widersprüche, Brüche und Wandel sowie Gegensätzlichkeiten aufzeigen, die zu unterschiedlichen Entwicklungsmöglichkeiten im politischen Handeln und unterschiedlich gearteten Ausrichtungen der Diskurse führten. Die politischen Diskurse wurden auf vielfältige Weise eingesetzt, um ein Vorhaben wie die Reform der deutschen Rechtschreibung zu legitimieren, zu stabilisieren und auf ein breites Fundament zu stellen. Eine klare Abgrenzung und Entflechtung von politischen und fachwissenschaftlichen Diskursen kann nicht an allen Stellen vorgenommen werden, da ein vormals auf politischer Ebene geführter Diskurs unmittelbar Auswirkungen auf den Auftrag und die Zielrichtung auf die Fachebene hat und dessen Ausrichtung, also auch dessen Diskursverlauf bestimmt (hierbei meine ich bspw. den bloßen Auftrag der KMK, ein Gremium einzurichten, das sich der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung annimmt). Wiederum haben die in den Fachdiskursen ausgetragenen Debatten, die zur Änderung am Regelwerk oder den Wörterlisten geführt haben, Eingang in die politischen Diskurse gefunden. Das Ergebnis Ergebnisse der vorliegenden Arbeit 376 einer solchen politischen Debatte führte bspw. zur Änderung des Statuts des Rats für deutsche Rechtschreibung dahingehend, kleine Änderungen an den Wörterlisten und am Regelwerk ohne Zustimmung durch das Plenum der Kultusministerkonferenz zu veranlassen. Die in den Medien geführten Diskurse schlugen sich wiederum in der Ausrichtung der politischen Diskurse nieder. Beispielhaft ist hierfür zu nennen, dass die nicht abreißende Kritik am Aufbau und den Verfahren der Zwischenstaatlichen Kommission im Nachgang zur Rechtschreibreform von 1996 zur Einsetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung auf politischer Ebene führte, was argumentativ ausführlich durch entsprechende politische Diskurse begleitet wurde. Es bleibt an dieser Stelle also festzuhalten, dass es Wechselbeziehungen zwischen allen drei Diskurstypen gibt, dass deren Trennung ohne geeignetes Instrument zur Entflechtung der dort implizit und explizit formulierten Interessen schwer fällt und diese Unschärfe der Darstellung der Rolle von Akteuren und deren Botschaften meines Erachtens verantwortlich ist für die sich in gegenwärtigen Diskussionen um die Rechtschreibreform findenden Missverständnisse und Misstrauen. Ausblick 377 11. AUSBLICK Mit dem Versuch, mit dieser Arbeit eine Synopse unterschiedlicher orthografischer Reformvorhaben erstellt und diese mit Hilfe verschiedener diskursanalytischer Strategien anhand von verschiedenen Diskurstypen untersucht zu haben, die es erlaubt, mehrdimensional auf den Themenkomplex zu schauen, habe ich erreichen wollen, die nicht immer leicht durchschaubare Verknüpfung von Handlungsbereichen von Politik, Öffentlichkeit und Gesellschaft zu bestimmen. Gegenwärtige Überlegungen zur Weiterentwicklung der deutschen Sprache sind vornehmlich an die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit orthografischen Sachverhalten geknüpft, bspw. die Ergebnisse aus den Fachdiskursen. Orthografie als gesellschaftspolitische Verantwortung stellt sich heute der Herausforderung, durch den Benutzer konstruiert und nicht nur verwendet zu werden, so dass nicht nur das Anhören, sondern auch der Einbezug und Austausch mit gesellschaftlichen Kräften auch zukünftig nötig sein wird. Meine Analyse hat gezeigt, dass eine zeitgemäße angemessene soziolinguistische Thematisierung von Orthografie allein nicht zur Bewertung oder Einschätzung der bisher erreichten Ergebnisse von den an der Entwicklung der Neuregelung beteiligten Institutionen und politischen Entscheidungsträgern, die in den politischen Diskursen am deutlichsten ablesbar sind, ausreicht, die letztendlich Aussage über den Grad der Vereinheitlichung der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum treffen, sondern ein Instrumentarium zur Entflechtung der Diskurse erfordert, das die Zusammenhänge und das Verhältnis zwischen den Diskurstypen herausarbeitet. Eine „entflochtene“ und detailliert-kritische Betrachtung des Sachverhalts und das „Auseinanderhalten“ sind deshalb nötig, weil auch in Zukunft sprachpolitische Themen auf der Ebene der medialen Diskurse aufgegriffen werden und weiter konstruiert werden, ebenso wie sie auf fachwissenschaftlicher Ebene verarbeitet werden. Musterhaft ist hierbei, dass vor allem in den medialen Diskursen meist nur einzelne, besonders kritikwürdige Bestandteile eines ganzen Themenkomplexes selektiv diskutiert werden und diese, manchmal auch unsachgemäß, wie ich aufgezeigt habe, anhand von Ausschnitten medialer und zum Teil auch politischer Diskurse kontextualisiert werden. Für die zukünftige Aufarbeitung von Reformen, die sich auf Sprache und Schrift beziehen, sehe ich daher einen besonderen Mehrwert in der Präsenz, Transparenz und Wahrnehmung von unterschiedlichen Diskursen und deren parallele Inaugenscheinnahme in allen von mir erwähnten Handlungsbereichen. Für die Medien sehe ich die Möglichkeit, sich durch eine differen- AUSBLICK Ausblick 378 zierte Positionierung unter Einbezug fachwissenschaftlicher Diskurse stärker am sachpolitischen Diskurs zu beteiligen. Für die Wissenschaft sehe ich die Chance, sich durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit in Medieninhalten präsent zu zeigen und Akzeptanz durch Aufklärung zu fördern. Sprachpolitische Diskurse werden immer besonders schwierig zu konstruieren sein, da diese sowohl einzelpersonenbezogen wie auch institutionell sein können. Diese Diskurse sind von Kompromissen wie auch Interessenkonflikten geprägt. Sie können daher einer „Entfremdung“ von allen anderen Diskursen entgegenwirken, indem sie sich als Plattform des Dialogs und des Ausgleichs darstellen und allgemeine Rahmenbedingungen formulieren, in denen die Bandbreite der Bedürfnisse aus Öffentlichkeit und Gesellschaft Gehör findet und die fachlichen Diskurse für eine bessere, wissenschaftlich begründete Übersetzbarkeit der politischen Maßnahmen genutzt werden. Dies wurde zielgruppenorientiert auf Fachebene schon geleistet, indem eine Orientierung über die aktuelle Arbeit in Hinblick auf die im Statut des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 17.6.2005 i.d.F. vom 30.8.2013 formulierten Aufgaben, deren Ziel die Erfüllung der eben genannten Zielerwartungen, nämlich Versimplifizierung und Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung ist. Diverse Maßnahmen, die ich im Laufe meiner Arbeit schon vielfach erwähnt habe, konnten auf politischer Ebene im Diskurs genutzt werden, um zu einer weiteren Versachlichung des Themas beizutragen. Abseits von den Diskursen, in denen Botschaften und Ambitionen inszeniert werden, haben sich im Zuge der Implementierung und der Umsetzung der Neuregelung neue Forschungsinteressen ergeben, die dem Teilbereich Rechtschreibung gegenüber Schule und Gesellschaft einen neuen Stellenwert und eine höhere Wertschätzung eingeräumt haben und durch Leistungsüberprüfungen valide Rückschlüsse über die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Umsetzung und die Haltung der Öffentlichkeit ermöglichen. Der besondere Mehrwert für die weitere Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung bestünde darin, Regelauslegungen und Regelformulierungen im Regelwerk adressatengerecht und expliziter zu gestalten, so dass die Regeln auch bei der Vermittlung von orthografisch peripheren Teilbereichen mittels systematischer und funktionaler Kriterien erlernbar und verstehbar sind. Des Weiteren könnten mit Fokus auf die Qualität und Quantität von Fehlern weitere Aussagen über einen zu erwartenden Trend und Präferenzverlauf bei Variantenschreibungen aus dem laufenden Lehrbetrieb getroffen werden, anstatt nur Korpora zu verwenden, die professionell Schreibenden mit einem ausdifferenzierten und teilweise individualisierten mentalen Regelapparat entspringen. Der Anspruch an den Rat für deutsche Rechtschreibung ist weiterhin, ein ausgewogenes Maß an Kontinuität an das Regelwerk zu legen und zugleich Anpassungsfähigkeit in Hinblick auf seine Weiterentwicklung zuzulassen. Ausblick 379 Studien und valide Methoden zur Ermittlung von Rechtschreibkenntnissen werden dazu beitragen, Aussagen über die Bewährtheit der Rechtschreibung zu treffen. Eine Erweiterung von Korpora auf bspw. Online-Ressourcen, die zur Ermittlung von Trend und Sprachgebrauch beitragen, gibt ein vollständigeres Bild über zukünftige Entwicklungen und den Ist-Zustand. An meinen Ausführungen zu dem Themenkomplex Hausorthografien (Kapitel 7) zeigt sich, dass die besondere Schwierigkeit bei unterschiedlichen von mir untersuchten Hausorthografien in der Festlegung auf eine Form bestand, wenn nach dem Regelwerk Variantenführung erlaubt ist. Eine aktuelle Aufarbeitung zur Erfassung der hausorthografischen Eigenleistungen und Abweichungen vom Regelwerk würde die noch anhaltende Vorstellung in Politik und Gesellschaft von den sich von der Reform abgewandten Printmedien aufweichen. Meine kontrastive Auseinandersetzung mit Varianten bei Hausorthografien galt dem Interesse, zu eruieren, ob und in welchem Umfang die Tages- und Regionalzeitungen vom Regelwerk abweichende, eigene hausorthografische Festlegungen praktizieren und damit dem Duktus des kritisch orientierten medialen Diskurses um eine Rücknahme der Reform und die Rückkehr zur herkömmlichen Schreibung (bspw. aus dem Jahr 2000 für die FAZ und der Springer-Verlag in 2004) noch entsprechen. Es wird sich im Laufe weiterer Anpassungen am Regelwerk und der sich daran anschließende Umsetzung in öffentlichen Bereichen zeigen, inwieweit die Print-Onlinemedien versuchen, sich weiterhin abzugrenzen oder behaupten, dies zu tun, und welche Tragweite die Abweichungen und hausorthografischen Eigenleistungen haben. Sprache oder besser die verschriftete Sprache ist für unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft, Politik und Wissenschaft zum Instrument geworden, für die Medien zum Zweck, gesellschaftlichöffentlichen Druck auf die politische Ebene auszuüben, für die Politik zum Zweck der innen- und außenpolitischen Einigung der deutschsprachigen Länder und für die Wissenschaft zum Zweck, ein aktuelles Bild über den Sprachgebrauch zu erlangen und neueste fachwissenschaftliche Erkenntnisse aus Didaktik, Linguistik und weiteren Bezugswissenschaften auf das Regelwerk anzuwenden. Zu all den Diskursen habe ich mir die Frage gestellt, auf welcher Ebene sich ein Sachverhalt zuvorderst generiert hat. Für den deutschsprachigen Raum ließe sich noch eingehender, als ich es mit einer vorläufigen Beurteilung getan habe, ermitteln, ob das Thema Neuregelung der Rechtschreibung vom politischen Diskurs in die Wissenschaft und die Medien eingespeist wurde. Hierzu müssten Untersuchungen anhand etlicher Korpora aus allen Handlungsfeldern vorgenommen werden, anhand derer sich ermitteln ließe, auf welchem Wege die Thematik in den Diskursen konstruiert wird und an welcher Stelle Ausblick 380 im Diskursverlauf ein Sachverhalt zur Rechtfertigung einer Sprachideologie, Identität oder einer Meinung oder Praxis instrumentalisiert wird. Dies findet nicht immer, wie man meinen mag, in erster Linie in den medialen Diskursen statt; hier bündeln sich vielmehr die verschiedenen Stimmen. Auf der Ebene der Öffentlichkeit und Gesellschaft lassen sich hieraus unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen an die Politik und Fachwissenschaft ableiten, die sich diskursiv konstruieren ließen in Bezug auf eine bessere Übersetzung. Des Weiteren kann man hieran auch das Zusammenwirken von sprachpolitischen Maßnahmen und Entscheidungen und der fachwissenschaftlichen wie medialen Diskussion und deren Rückkoppelung aufzeigen. Die Ergebnisse aus dem Deutsch-Englisch-Schülerleistungen International (DESI) haben zwar die Anforderungen an ein entsprechendes Testdesign zur Ermittlung von Rechtschreibleistungen erfüllt, dennoch lassen sich, wie ich in meinen Ausführungen versucht habe darzustellen, keine validen Aussagen über die Bewährtheit der Rechtschreibreform anhand der aktuellen Leistungen von Schülerinnen und Schülern machen und damit die Umsetzung der Neuregelung im Schulwesen bewerten. Es müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, neue Untersuchungsmethoden und Modelle zur Erfassung von Rechtschreibleistungen, die sich aus den Änderungen an der Rechtschreibregelung seit 1996 mit den Modifikationen von 2004 und 2006 ergeben haben, zu entwickeln und die Ergebnisse zur Auflösung der reformkritischen medialen Probleme wie der mangelhaften Rechtschreibkompetenzen bei Schülern zu nutzen, die vermeintlich aus der reformierten Schreibung resultieren und teilweise auch aus den politischen Diskursen stammen. Nicht nur die Aufklärung gegenüber Presse und Politik hinsichtlich der Herleitung und Erklärung von Leistungsschwächen im Bereich Orthografie, sondern auch eine engere Verzahnung mit didaktischen Überlegungen zur Vermittlung von Orthografiekenntnissen können dazu beitragen, den Orthografieerwerb im Rechtschreibunterricht zu stützen und zu fördern, da mittlerweile bekannt ist, dass regelkonformes Schreiben nicht allein aus der Kenntnis der anzuwendenden Regeln abzuleiten ist (siehe hierzu Hans-Georg Müller 2006, 2007). Erkenntnisse aus dem Schulbereich könnten dann dazu genutzt werden, mit Hilfe von Lernstrategien und Arbeitstechniken frühzeitig auf die Entwicklung von bspw. Verschiebungen in Richtung auf eine unerwünschte oder markierte Schreibvariante einwirken. Hierzu blieben auch die Ergebnisse des Ländervergleichs 2015 abzuwarten, in dem die Kompetenzstände von Schülerinnen und Schülern einer Jahrgangsstufe im Fach Deutsch im Bereich Orthografie eruiert werden. Erstmalig können hieran grundlegende Entwicklungstendenzen in Hinsicht auf das Erreichen von Bildungsstandards ablesbar sein, die innerhalb des Kompetenzbereiches „Schreiben“ den Teilbereich Orthografie enthalten. Somit lassen sich allgemeine Aussagen über die Erfassung von Rechtschreibkompetenzen machen und Förderansätze entwickeln. Ausblick 381 Die Fortsetzung der Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung und seine Arbeitsgruppen, die an der Ausgestaltung des Regelwerks arbeiten, und die Untersuchung des Schreibgebrauchs werden der Wissenschaft dabei dienlich sein, die deutsche Rechtschreibung mit Kriterien beschreibbar und differenzierter definierbar zu machen und dabei einen hohen Grad an Natürlichkeit und Schreibwirklichkeit abzubilden. Es ist daher davon auszugehen und wichtige Impulse für die Fortentwicklung sind dahingehend zu erwarten, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung die Erfüllung seiner Aufgaben so gestaltet, dass die zugrunde gelegten Methoden und Modelle nicht den natürlichen und zum Teil auch universalgrammatischen Prinzipien widersprechen, die der deutschen Rechtschreibung zugrunde liegen. Abschließend führe ich einen aktuellen Artikel aus Der Generalanzeiger vom 16.12.2014 (siehe Printmedienquellen unter Schweizer Artikel) vor, aus dem die Perspektive des Rechtschreibrats auf die zukünftigen Entwicklungen und Herausforderungen an die deutsche Sprache hervorgeht. Hier fragte man Hans Zehetmair, den Vorsitzenden des Rats, nach der Bilanz nach zehn Jahren Arbeit des Rats für deutsche Rechtschreibung und den gegenwärtigen Chancen und Schwierigkeiten der deutschen Sprache. Eine der großen Herausforderungen an die deutsche Sprache sieht der Vorsitzende in dem im digitalen Bereich verwendeten reduzierten Sprachgebrauch, in dem Abkürzungen, Akronyme, elliptische Sätze und stimmungsträchtige Piktogramme zunehmend die reichhaltige und komplexe deutsche Sprache ersetzen. Ebenso wie bei dem staatlichen Ordnungsprinzip der Demokratie liegt in Sachen Sprache nach Hans Zehetmair der Schlüssel nicht allein in der Vereinfachung, sondern in der Verständlichkeit. Übertragen auf die Belange der deutschen Orthografie wird es eine der großen Herausforderungen sein, die Gestaltung von verschriftlichten Informationen würdigen Kriterien zu unterwerfen, die nicht der bloßen Vereinfachung und der heutigen Schnelllebigkeit dienen, sondern dem Gedanken dahinter und seiner Reichhaltigkeit und Komplexität gerecht werden. Wenngleich der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, Hans Zehetmair, die Aufnahme fremden Wortguts in den deutschen Wortschatz oftmals als Sprachverfall bezeichnet hat, hat er darin auch eine Chance gesehen, die deutsche Sprache dynamisch und lebendig halten, insofern es nicht gänzlich grammatisch und phonologisch integriert wird. Besonderen Wert legt der Vorsitzende zudem auf die zukünftige Arbeit der Arbeitsgruppe Korpus innerhalb des Rechtschreibrats. Er betont in dem Interview die Wichtigkeit des geschriebenen Wortes und dass die Zusammenarbeit mit den Wörterbuchverlagen einen unschätzbaren Nährboden für gegenwärtige und zukünftige Forschungsfragen bildet. Ausblick 382 Meine persönliche Perspektive auf den Rat für deutsche Rechtschreibung als die im deutschsprachigen Raum entscheidende Sprachnormautorität ist gekoppelt an ein neues und den gegenwärtigen Stand der Forschung abbildendes Verständnis über die Abbildung von Sprache, Sprachrichtigkeit und die Vermittlung von orthografischen Fertigkeiten. Aktuelle Forschungen richten ihr Bild auf eine Verzahnung von kognitiven Prozessen, didaktischen und linguistischen Erwägungen. Hinzu kamen in den Gründungsjahren der Rechtschreibreform sprachpolitische Gesichtspunkte, die große Beachtung gefunden haben. Der Rat verbindet hierbei die politische Vertretung mit der fachlichen Seite unter Einbezug von gesellschaftlichen Kräften. Die Zusammensetzung bildet einen ausgleichenden Faktor, bündelt Interessen bei gleichzeitiger Aufnahme von Streitpunkten, so dass weite Teile der in die Öffentlichkeit geratenen Kritik aufgenommen worden sind und dort noch immer aufgegriffen werden. Die künftigen Kooperationen sowie aktuellen Projekte und künftigen Kernaufgaben werden die oben erwähnten Forschungsfelder erschließen und zu einer dezidierten Begrifflichkeit von Regelhaftigkeit in der Schriftsprache und einem Rechtschreibbewusstsein beitragen, zu einer weiteren Annäherung der Abbildung des allgemeinen Schriftsprachgebrauchs der deutschen Sprache führen sowie die Entwicklung der Rechtschreibforschung maßgeblich bestimmen. Ausblick 383 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ADSV Allgemeiner Deutscher Sprachverein BMUKK Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur BMWF Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung BP Brasilianisches Portugiesisch BRD Bundesrepublik Deutschland BVR Bund für vereinfachte Rechtschreibung DAPD Deutscher Auslands-Depeschendienst DESI Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International DIN Deutsches Institut für Normung e.V. DSSV Deutschschweizer Sprachverein EDI Eidgenössisches Department des Innern EDK (Schweizerische) Erziehungsdirektorenkonferenz EP Europäisches Portugiesisch (Festlandportugiesisch) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDS Forschungsgruppe Deutsche Sprache GKS Groß- und Kleinschreibung GZS Getrennt- und Zusammenschreibung IGLU Internationale-Grundschul-Lese-Untersuchung KMK Kultusministerkonferenz KSM Kompetenzstufenmodell LCH Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz ÖSKO Österreichisches Sprachenkomitee ÖWB Österreichisches Wörterbuch PM Pressemitteilung SBVV Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBZ Sowjetische Besatzungszone SDA Nachrichtenagentur der Schweiz SOK Schweizer Orthographische Konferenz SVDS Schweizer Verein für deutsche Sprache Printmedienquellen 385 PRINTMEDIENQUELLEN Bundesrepublik Deutschland: - Berliner Morgenpost (ab 2000) - Deutsche Sprachwelt (2013) - Frankfurter Allgemeine Zeitung (ab 1996) - Das Handelsblatt (ab 2000) - Der Spiegel (ab 1996) - Die Stuttgarter Zeitung (ab 2005) - Süddeutsche Zeitung (ab 2000) - Der Tagesspiegel( ab 2000) - Die Welt (ab 2009) - Die Zeit (ab 1996) Brasilien: - Folha de S. Paulo (ab 2002) - Zero Hora (ab 2009) Frankreich: - Le Figaro (ab 1999) - Le Monde (ab 2010) - La Tribune (Recherche ohne Anwendung von Artikeln) Internationale Presse: - Daily Telegraph (ab 2004) - The Economist (ab 2010) - Financial Times (ab 2004) - The Guardian (ab 2000) - The New York Times (1880, ab 1994) Portugal: - Correio Braziliense (ab 2012) - Gazeta Mercantil (Recherche ohne Anwendung von Artikeln) - Jornal do Brasil (Recherche ohne Anwendung von Artikeln) - Jornal Semanal (ab 2007) - Público (ab 2006) Schweiz: - Aargauer Zeitung (ab 2006) - Basler Zeitung (ab 2006) - Der Bund (ab 2006) - Generalanzeiger (ab 2000) PRINTMEDIENQUELLEN Printmedienquellen 386 - Luzerner Zeitung (ab 2006) - Neue Zürcher Zeitung (ab 2006) - Solothurner Zeitung (ab 2006) - St.Galler Tagblatt (ab 2006) - Südostschweiz (ab 2006) - Tages-Anzeiger (ab 2006) - Tribune de Genève (ab 2008) - Urner Zeitung (ab 2009) - Der Walliser Bote (ab 2007) - Die Weltwoche (ab 2006) - 24heures (ab 2008) Literaturverzeichnis 387 LITERATURVERZEICHNIS Agbaria, Evelyn (2009): PONS Die deutsche Rechtschreibung. 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Mit Bezug auf Sprache Festschrift für Rainer Wimmer 2009, 584 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-6470-2 50 Daniela Heidtmann Multimodalität der Kooperation im Lehr-Lern-Diskurs Wie Ideen für Filme entstehen 2009, 340 Seiten €[D] 78, - ISBN 978-3-8233-6471-9 51 Ibrahim Cindark Migration, Sprache und Rassismus Der kommunikative Sozialstil der Mannheimer „Unmündigen“ als Fallstudie für die „emanzipatorischen Migranten“ 2010, 283 Seiten €[D] 72, - ISBN 978-3-8233-6518-1 52 Arnulf Deppermann / Ulrich Reitemeier / Reinhold Schmitt / Thomas Spranz-Fogasy Verstehen in professionellen Handlungsfeldern 2010, 392 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6519-8 53 Gisella Ferraresi Konnektoren im Deutschen und im Sprachvergleich Beschreibung und grammatische Analyse 2011, 350 Seiten €[D] 78, - ISBN 978-3-8233-6558-7 54 Anna Volodina Konditionalität und Kausalität im Deutschen Eine korpuslinguistische Studie zum Einfluss von Syntax und Prosodie auf die Interpretation komplexer Äußerungen 2011, 288 Seiten €[D] 78, - ISBN 978-3-8233-6559-4 55 Annette Klosa (Hrsg.) elexiko Erfahrungsberichte aus der lexikografischen Praxis eines Internetwörterbuchs 2011, 211 Seiten €[D] 72, - ISBN 978-3-8233-6599-0 56 Antje Töpel Der Definitionswortschatz im einsprachigen Lernerwörterbuch des Deutschen Anspruch und Wirklichkeit 2011, 432 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-6631-7 57 Ludwig M. Eichinger / Albrecht Plewnia / Melanie Steinle (Hrsg.) Sprache und Integration Über Mehrsprachigkeit und Migration 2011, 253 Seiten €[D] 72, - ISBN 978-3-8233-6632-4 58 Inken Keim / Necmiye Ceylan / Sibel Ocak / Emran Sirim Heirat und Migration aus der Türkei Biografische Erzählungen junger Frauen 2012, 343 Seiten €[D] 49, - ISBN 978-3-8233-6633-1 59 Magdalena Witwicka-Iwanowska Artikelgebrauch im Deutschen Eine Analyse aus der Perspektive des Polnischen 2012, 230 Seiten 72, - ISBN 978-3-8233-6703-1 60 Kathrin Steyer (Hrsg.) Sprichwörter multilingual Theoretische, empirische und angewandte Aspekte der modernen Parömiologie 2012, 470 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-6704-8 61 Ludwig M. Eichinger / Albrecht Plewnia / Christiane Schoel / Dagmar Stahlberg (Hrsg.) Sprache und Einstellungen Spracheinstellungen aus sprachwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive. Mit einer Sprachstandserhebung zum Deutschen von Gerhard Stickel 2012, 370 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6705-5 62 Heiko Hausendorf / Lorenza Mondada / Reinhold Schmitt (Hrsg.) Raum als interaktive Ressource 2012, 400 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6706-2 63 Annette Klosa (Hrsg.) Wortbildung im elektronischen Wörterbuch 2013, 279 Seiten €[D] 78, - ISBN 978-3-8233-6737-6 64 Reinhold Schmitt Körperlich-räumliche Aspekte der Interaktion 2013, II, 334 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6738-3 65 Kathrin Steyer Usuelle Wortverbindungen Zentrale Muster des Sprachgebrauchs aus korpusanalytischer Sicht 2014, II, 390 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6806-9 66 Iva Kratochvílová / Norbert Richard Wolf (Hrsg.) Grundlagen einer sprachwissenschaftlichen Quellenkunde 2013, 384 Seiten €[D] 88, - ISBN 978-3-8233-6836-6 67 Katrin Hein Phrasenkomposita im Deutschen Empirische Untersuchung und konstruktionsgrammatische Modellierung 2015, 510 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-6921-9 68 Stefan Engelberg / Meike Meliss / Kristel Proost / Edeltraud Winkler (Hrsg.) Argumentstruktur zwischen Valenz und Konstruktion 2015, 497 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-6960-8 69 Nofiza Vohidova Lexikalisch-semantische Graduonymie Eine empirisch basierte Arbeit zur lexikalischen Semantik 2016, ca. 340 Seiten €[D] ca. 88, - ISBN 978-3-8233-6959-2 70 Marek Konopka / Eric Fuß Genitiv im Korpus Untersuchungen zur starken Flexion des Nomens im Deutschen 2016, 283 Seiten €[D] 108, - ISBN 978-3-8233-8024-5 71 Eva-Maria Putzier Wissen - Sprache - Raum Zur Multimodalität der Interaktion im Chemieunterricht 2016, 282 Seiten €[D] 108, - ISBN 978-3-8233-8032-0 72 Heiko Hausendorf / Reinhold Schmitt / Wolfgang Kesselheim Interaktionsarchitektur, Sozialtopographie und Interaktionsraum 2016, 452 Seiten €[D] 138, - ISBN 978-3-8233-8070-2 73 Irmtraud Behr, Anja Kern, Albrecht Plewnia, Jürgen Ritte (Hrsg.) Wirtschaft erzählen Narrative Formatierungen von Ökonomie 2017, 278 Seiten €[D] 108, - ISBN 978-3-8233-8072-6 74 Arnulf Deppermann, Nadine Proske, Arne Zeschel (Hrsg.) Verben im interaktiven Kontext Bewegungsverben und mentale Verben im gesprochenen Deutsch 2017, 494 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-8105-1 75 Nadine Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung Eine Analyse von Diskursen zur Rechtschreibreform unter soziolinguistischer und textlinguistischer Perspektive 2017, 404 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-8106-8 76 Eric Fuß, Angelika Wöllstein (Hrsg.) Grammatiktheorie und Grammatikographie i. Vorb., ca. 200 Seiten €[D] 98, - ISBN 978-3-8233-8107-5 77 Jarochna D ą browska-Burkhardt, Ludwig M. Eichinger, Uta Itakura (Hrsg.) Deutsch: lokal - regional - global 2017, 474 Seiten €[D] 138, - ISBN 978-3-8233-8132-7 78 Karoline Kreß Das Verb machen im gesprochenen Deutsch Bedeutungskonstitution und interaktionale Funktionen 2017, 396 Seiten €[D] 128, - ISBN 978-3-8233-8153-2 Nadine Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung Eine Analyse von Diskursen zur Rechtschreibreform unter soziolinguistischer und textlinguistischer Perspektive Schimmel-Fijalkowytsch Diskurse zur Normierung und Reform der deutschen Rechtschreibung 75 STUDIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE FORSCHUNGEN DES INSTITUTS FÜR DEUTSCHE SPRACHE Dieser Band gibt eine ausgreifende und diversifizierte Analyse der Diskurse um die deutsche Rechtschreibung der 1990er und 2000er Jahre. Er nimmt eine differenzierte Verortung der Orthografiediskussion in der sprachpolitisch-sprachpflegerischen Diskussion vor und zieht Vergleiche zu anderen europäischen Orthografiereformen. Der besondere Mehrwert liegt in einer Übersicht über die diskursiven Abläufe in den fachlichen Reformdiskussionen, in denen vielfach dem Leser nicht zugängliche Informationen über politische Zusammenhänge unter einem diskursiven Blick vermittelt werden.