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Camerarius Polyhistor

2017
978-3-8233-9109-8
Gunter Narr Verlag 
Thomas Baier

Die bisherige Camerarius-Forschung hat einerseits einen deutlich philologischen Schwerpunkt und hat es andererseits nicht vermocht, unterschiedliche Wissenschaftsgebiete, auf denen der Humanist tätig war, fruchtbar miteinander zu verknüpfen. In diese Lücke stößt der vorliegende Sammelband. Nicodemus Frischlin charakterisiert Camerarius in seiner Komödie Julius Redivivus (entstanden 1585) als "zweiten Varro, zweiten Theokrit, zweiten Polybius, als großen, erhabenen und gedankenreichen Redner sowie als gefälligen Dichter" (VV. 1265-1267). In diesem Elogium werden nicht nur einige Disziplinen des Universalgelehrten mit je einem herausragenden antiken Vertreter benannt, sondern es kommt auch die deutliche Prägung des Humanisten durch die Rhetorik zum Ausdruck. Er selbst hatte die Auffassung vertreten, das Sprachstudium helfe beim Verstehen aller Künste, Begriffe seien nicht zur Erklärung von Dingen da, sondern aus den Dingen deduktiv hergeleitet. Seine "rhetorische" Methode steht im Zentrum des Bandes.

Giessener Beiträge Camerarius Polyhistor Wissensvermittlung im deutschen Humanismus Die bisherige Camerarius-Forschung hat einerseits einen deutlich philologischen Schwerpunkt und hat es andererseits nicht vermocht, unterschiedliche Wissenschaftsgebiete, auf denen der Humanist tätig war, fruchtbar miteinander zu verknüpfen. In diese Lücke stößt der vorliegende Sammelband. Nicodemus Frischlin charakterisiert Camerarius in seiner Komödie Julius Redivivus (entstanden 1585) als „zweiten Varro, zweiten Theokrit, zweiten Polybius, als großen, erhabenen und gedankenreichen Redner sowie als gefälligen Dichter“ (VV. 1265-1267). In diesem Elogium werden nicht nur einige Disziplinen des Universalgelehrten mit je einem herausragenden antiken Vertreter benannt, sondern es kommt auch die deutliche Prägung des Humanisten durch die Rhetorik zum Ausdruck. Er selbst hatte die Auffassung vertreten, das Sprachstudium helfe beim Verstehen aller Künste, Begriffe seien nicht zur Erklärung von Dingen da, sondern aus den Dingen deduktiv hergeleitet. Seine „rhetorische“ Methode steht im Zentrum des Bandes. herausgegeben von Thomas Baier Baier (Hrsg.) Camerarius Polyhistor ISBN 978-3-8233-8109-9 Camerarius Polyhistor Herausgegeben von Thomas Baier, Wolfgang Kofler, Eckard Lefèvre und Stefan Tilg 27 Thomas Baier (Hrsg.) Camerarius Polyhistor Wissensvermittlung im deutschen Humanismus Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb. de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Pegasus Limited for the promotion of Neo-Latin Studio St. Gallen © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: info@narr.de Printed in Germany Satz: pagina GmbH, Tübingen ISSN 1615-7133 ISBN 978-3-8233-9109-8 Inhaltsverzeichnis 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Thomas Baier, Marion Gindhart, Joachim Hamm, Sabine Schlegelmilch, Ulrich Schlegelmilch Opera Camerarii . Eine semantische Datenbank zu den gedruckten Werken von Joachim Camerarius d.Ä. (1500-1574) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Camerarius als Pädagoge Jochen Walter Die Capita pietatis et religionis Christianae versibus Graecis comprehensa des Joachim Camerarius (1545) und ihre kürzere Erstfassung in Melanchthons Institutio puerilis literarum Graecarum (1525) . . . . . . . . . . 23 Nicholas A. E. Kalospyros Forming an Oratio de studio bonarum literarum atque artium: Joachim Camerarius’ Conspicuous Chapter in the History of European Classical Scholarship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Thomas Baier Das Bildungsprogramm des Camerarius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Marc Steinmann Der Libellus gnomologicus des Joachim Camerarius (1569): Bemerkungen zur Entstehungs- und Textgeschichte sowie zur pädagogischen Intention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Camerarius als Gräzist und Übersetzer Anthony Ellis Joachim Camerarius als Defensor Herodoti: Die Widerlegung Plutarchs und der Zweck der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Cressida Ryan Camerarius and Sophocles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Noreen Humble Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6 Inhaltsverzeichnis Lisa Sannicandro Joachim Camerarius e la traduzione latina del Περὶ ἱππικῆς ( De re equestri ) di Senofonte (1539) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Camerarius und Divination Marion Gindhart De ostentis . Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Dominik Berrens Camerarius’ griechische Dichtung zur Sonnenfinsternis von 1539. Edition, Übersetzung, sprachlicher Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Manuel Huth De generibus divinationum. Camerarius und der zeitgenössische Diskurs über die Formen der Mantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Briefe Ulrich Schlegelmilch Imagines amicorum. Die Briefausgaben des Joachim Camerarius als literarisch gestaltete Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Matthias Dall’Asta Melanchthons Briefe an Joachim Camerarius - eine Relektüre im Horizont ihrer Neuedition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Camerarius und das Fremde Peter Kasza Camerarius und die Türkenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Michael Fontaine Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility, Or, How to Philologize with a Witches’ Hammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Vorwort 7 Vorwort Joachim Camerarius d. Ä. ist bei Klassischen Philologen vor allem als Plautus- Herausgeber und als Sophokles-Kommentator bekannt und geschätzt. Doch war Camerarius nicht nur Philologe, sondern er, der das Wissen seiner Zeit überblickte, verstand sich einerseits als Vermittler von Bekanntem, andererseits als Anreger und Ermunterer, die Quellen der antiken Überlieferung nach Unbekanntem zu durchsuchen und im damals neuen Medium des Drucks zu erschließen. Der vorliegende Sammelband gibt davon einen Eindruck. Die meisten Aufsätze sind erweiterte Fassungen von Vorträgen, die anlässlich des 17. Symposiums der Reihe NeoLatina an der Universität Würzburg gehalten wurden (2.-4. Juli 2015). Das Colloquium gab den Anstoß zu einem größeren Projekt, mit dem das Ziel verfolgt wird, das Gesamtwerk des Camerarius bibliographisch und in groben Zügen inhaltlich zu erfassen. Der erste Beitrag enthält eine kurze Projektskizze der im Entstehen begriffenen Werkbibliographie. Die übrigen Studien widmen sich der Frage der Wissensvermittlung im deutschen Humanismus. Camerarius ist ein Polyhistor, der auf allen Wissensgebieten seiner Zeit tätig war. Er gab griechische und lateinische Autoren heraus und kommentierte sie, er verfasste eigene Dichtungen, er publizierte fakultätsübergreifend auf den Gebieten der Philosophie, der Theologie und der Medizin. Sein Werk enthält Schriften zur Historiographie und Biographie, zu Mathematik und Astronomie / Astrologie, zu Prodigien und Mantik. Camerarius legte umfangreiche Arbeiten zu Rhetorik, Grammatik und Lexikographie vor und fertigte eine lateinische Übersetzung der kunsttheoretischen Schriften des von ihm hochgeschätzten Albrecht Dürer an. Schließlich hat er ein gewaltiges Briefcorpus hinterlassen. Nicht zuletzt dieses erweist ihn, modern gesprochen, als einen ‚Netzwerker‘ und ‚Wissenschaftsmanager‘. Mit den hier vorgelegten Studien wird eine Schneise in das breite Œuvre des Humanisten geschlagen und der Versuch unternommen, sein wissenschaftliches Antlitz abzubilden. Das Zeitalter der Digitalisierung hat den Zugang zu den gedruckten Werken des 16. Jahrhunderts erleichtert. Es ist nunmehr an der Zeit, diesen immensen Fundus für die Frühneuzeitforschung weiter nutzbar zu machen. Das Würzburger Symposion wurde durch die großzügige Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung ermöglicht. Die Stiftung Pegasus Limited, St. Gallen, hat einen namhaften Druckkostenzuschuss gewährt. Beiden Förderinstitutionen schuldet der Herausgeber größten Dank. 8 Vorwort Die Herstellung der Druckvorlage hat Dr. Tobias Dänzer übernommen. Ihm sei an dieser Stelle für seine Sorgfalt gedankt. Dank gebührt schließlich dem Narr Francke Attempto-Verlag und seinem Lektor Tillmann Bub, der die Reihe in bewährter Manier betreut. Würzburg, im September 2017 Thomas Baier Opera Camerarii. Eine semantische Datenbank zu den gedruckten Werken von Joachim Camerarius d.Ä. (1500-1574) Thomas Baier, Marion Gindhart, Joachim Hamm, Sabine Schlegelmilch, Ulrich Schlegelmilch (Würzburg) Joachim Camerarius d.Ä. gilt als „einer der vielseitigsten und einflußreichsten Gelehrten des deutschen Protestantismus des 16. Jahrhunderts“, der seinem Freund Philipp Melanchthon mit allem Recht an die Seite gestellt werden kann. 1 Seinem außerordentlich umfangreichen und breiten Œuvre widmet sich das Projekt „ Opera Camerarii “, das am 1. 1. 2017 an der Universität Würzburg die Arbeit aufgenommen hat und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für drei Jahre gefördert wird. Die beteiligten Wissenschaftler aus der Klassischen Philologie, Germanistik und Frühneuzeitforschung, der Medizingeschichte und den Digital Humanities 2 werden die gedruckten Werke des Camerarius sichten und in einer semantischen Datenbank erschließen. Ziel ist dabei nicht nur, diese Werke erstmals vollständig zu verzeichnen und zu erfassen, sondern vielmehr auch, die diversen Konstellationen und Denkräume zu eruieren, die ein solches Gesamtwerk ermöglicht haben. Mit Hilfe einer differenzierten Datenbankstruktur und der Vergabe definierter Attribute lassen sich die Entstehungs- und Wirkungskontexte, in denen die Opera Camerarii zu verorten sind, abbilden und für weitere konstellationsanalytische Forschungen nutzen. 1 Mundt 2004, IX. 2 Zur Projektgruppe gehören Prof. Dr. Thomas Baier (Antragsteller), Prof. Dr. Marion Gindhart, Martin Gruner, Prof. Dr. Joachim Hamm (Antragsteller), Manuel Huth, Dr. Ulrich Schlegelmilch (Antragsteller), Dr. Sabine Schlegelmilch und PD Dr. Jochen Schultheiß. Als assoziierter Wissenschaftler ergänzt Dr. Jochen Walter (Mainz) das Team, als Mercator-Fellow Prof. Dr. Michael Fontaine (Cornell). Das Projekt wird mit Unterstützung des Digitalisierungszentrums der Universitätsbibliothek Würzburg realisiert. Vgl. http: / / www.camerarius.de (Homepage) und die Kurzbeschreibung auf http: / / gepris.dfg. de/ gepris/ projekt/ 319239655 [Aufruf 7. 5. 2017]. 10 Baier, Gindhart, Hamm, S. Schlegelmilch, U. Schlegelmilch Die Ausgangslage: Stand der Forschung und Erschließung Ungeachtet seiner Wertschätzung als „hervorragendster deutscher Philologe des 16. Jahrhunderts“ nach Erasmus von Rotterdam 3 hat Joachim Camerarius d.Ä. in der Forschung nicht die entsprechende Aufmerksamkeit gefunden. Eine aus den Quellen gearbeitete Gesamtdarstellung seiner Vita, die über die Leichenrede seines Leipziger Kollegen Freyhub (1574) und über die neueren (Kurz)biographien 4 hinausginge, fehlt bis heute. 5 Ähnlich lückenhaft ist der Forschungsstand zu seinem Œuvre, das sich auf über 880 Drucke (bis zum Jahr 1700, mit Neuausgaben) in lateinischer bzw. griechischer Sprache verteilt und durch seine Vielfalt beeindruckt: Camerarius besorgte Editionen und Kommentierungen vor allem antiker Autoren, er übersetzte aus dem Griechischen und Deutschen ins Lateinische, er schrieb Lehrbücher für den Sprach- und Rhetorikunterricht sowie pädagogische Abhandlungen, verfasste ein breites Spektrum an griechischen und lateinischen Dichtungen und ist Autor naturkundlicher, theologischer (insbesondere katechetischer), (kirchen-)historischer und biographischer Schriften. Als Beiträger ist er an zahlreichen Publikationen Dritter beteiligt, zudem ist von ihm ein großes, nur teilweise gedrucktes Briefcorpus erhalten. Obwohl die Forschung seit jeher die Bedeutung des Camerarius als Philologe, als Polyhistor sowie als Schul- und Universitätsreformer 6 erkannt hat, setzt sie sich mit seinem Gesamtwerk bisher nur selektiv auseinander. 7 So liegen zu seiner Tätigkeit als Herausgeber, Kommentator und Übersetzer mehrere Einzelstudien, aber keine umfassende Darstellung vor: Beachtung gefunden haben u. a. die Plautus-Editionen, 8 seine Dürer-Schriften und -Übersetzungen 9 oder der Sophokles-Kommentar, 10 daneben auch die vielfach aufgelegte Sammlung der Fabulae Aesopicae , 11 die Interpretationen zu Homer, 12 die lexikalisch-terminologischen Hilfsmittel 13 oder die Lehrbücher zur griechischen und lateinischen Sprache 14 . Aus der Vielzahl an Dichtungen hat das kleine Corpus der Eklogen 3 Stählin 1907. 4 Vgl. u. a. Wendorf 1957; Kunkler 2000, 11-136; Mundt 2008; Kößling 2015. 5 Vgl. Hamm 2011, 425. 6 Vgl. Wartenberg 2003. 7 Zum Forschungsstand vgl. Mundt 2004; Hamm 2011. 8 Vgl. u. a. Ritschl 1868, 1877 und 1879; Prete 1978; Deufert 2002, 6; Stärk 2003; Schäfer 2004. 9 Vgl. u. a. Parshall 1978; Huber-Rebenich 2006. 10 Vgl. u. a. Lurje 2004; Wels 2009, 77-79. 11 Vgl. Kipf 2010, 476-485. 12 Vgl. Sier 2003. 13 Vgl. Kößling 2000. 14 Vgl. Burkard 2003. Opera Camerarii. Eine semantische Datenbank 11 eine überproportionale Aufmerksamkeit erfahren. 15 Von weiteren Einzelstudien (etwa zu den Norica ) 16 abgesehen, ist der Großteil der Werke kaum ansatzweise untersucht. Ein Gesamtprofil zeichnet sich nur umrisshaft ab. Vor diesem Horizont hat die neuere Forschung versucht, das unwegsame Terrain zu vermessen und Wege zu seiner Erschließung aufzuzeigen. Nach der Pionierarbeit von Frank Baron, dessen Sammelband wesentliche Impulse setzte, 17 haben Rainer Kößling und Günther Wartenberg mit der Leipziger Tagung im Jubiläumsjahr 2000 die aktuelle Forschung gebündelt und neue Perspektiven eröffnet. 18 Jüngste Publikationen gelten der Stellung des Camerarius in der Leipziger Universitätsgeschichte; 19 neuere Lexikonartikel fassen den Forschungsstand zusammen und benennen Desiderate. 20 Den Blick auf Camerarius’ Werkvielfalt jenseits der bekannten ‚Meilensteine‘ richtete schließlich die Würzburger Tagung „Camerarius Polyhistor“, welche 2015 die internationale Camerarius-Forschung zusammengeführt hat. Trotz dieser intensivierten Bemühungen steht die Forschung weiterhin vor pragmatischen Schwierigkeiten: Sie sieht sich mit einem außergewöhnlich umfänglichen, thematisch vielfältigen und sprachlich nicht leicht zugänglichen Œuvre konfrontiert, und es mangelt an grundlegenden heuristischen Vorarbeiten. Die editorische Erschließung der Camerarius-Schriften ist rudimentär. Neben einzelnen Faksimilia 21 und Teilveröffentlichungen 22 liegen neuere Ausgaben lediglich zu den drei großen Biographien, 23 zu den Eklogen, 24 zur Geschichte der Böhmischen Brüder 25 und zu einem kleinen Teil des Briefwechsels 26 vor. Zumindest sind dank der jüngsten Digitalisierungsprojekte inzwischen gut 90 % der relevanten Drucke als Scans verfügbar. Am schwersten aber wiegt, dass bis heute kein vollständiges Schriftenverzeichnis von Joachim Camerarius existiert, obwohl man sich schon früh um ein solches bemüht hat. 27 Auf der 15 Vgl. u. a. Pialek 1970; Schäfer 1978 und 2003; Hamm 2001; Mundt 2001 und 2004. Zu weiteren carmina vgl. Ellinger 1929; Wiegand 1984; Hubrath 2003; Ludwig 2003a; Weng 2003; Döpp 2017. 16 Vgl. Ludwig 2003b. 17 Vgl. Baron 1978. 18 Vgl. Kößling / Wartenberg 2003. 19 Vgl. Kößling 2015; Rudersdorf 2015. 20 Vgl. Mundt 2008; Hamm 2011. 21 Vgl. u. a. Sommer 2006. 22 Vgl. den Überblick bei Mundt 2004, XIV-XVI. 23 Vgl. Werner 2001; Burkard / Kühlmann 2003; Vredefeld 2004; Schubert 1853. 24 Vgl. Pialek 1970; Mundt 2004. 25 Vgl. Beyreuther 1980. 26 Vgl. Woitkowitz 2003. 27 Zum Folgenden vgl. Mundt 2004, X-XII. 12 Baier, Gindhart, Hamm, S. Schlegelmilch, U. Schlegelmilch Grundlage eines avitorum scriptorum catalogus aus dem Besitz der Camerarii hatte Georg Summer 1646 eine chronologische Übersicht über die Werke des Joachim Camerarius publiziert. 28 Sie wurde von Johann Albert Fabricius für die Bibliotheca Graeca ausgewertet, korrigiert und ergänzt, 29 und dieses Verzeichnis wurde seinerseits durch August Wilhelm Ernesti (Leipzig 1782 / 86) fortgeführt. 30 Im 20. Jahrhundert kamen mit dem Index Aureliensis und Frank Barons Liste der Erstdrucke zwei Schriftenverzeichnisse hinzu. 31 Gegenüber diesen Aufstellungen, die v. a. bibliographische Daten aus zweiter Hand kompilieren, bietet das alphabetische Corpus der Camerarius-Drucke im VD 16 einen breiteren Überblick, 32 ist aber ebenfalls weder fehlerfrei noch vollständig. Demgegenüber übertreffen die Online-Versionen von VD16 und VD17 (http: / / www.vd16.de und http: / / www.vd17.de) alle vorgängigen Bibliographien an Umfang. Aktuell sind dort insgesamt 863 Drucke verzeichnet, an denen Joachim Camerarius d.Ä. als Verfasser, Beiträger oder Bearbeiter beteiligt war. Allerdings beschränken sich VD 16 / 17 auf Drucke aus dem deutschen Sprachbereich und verweisen nur auf Digitalisate deutschsprachiger Bibliotheken. Es wird zwar die Art von Camerarius’ Beteiligung an den Drucken genannt, aber nicht, worin seine Beiträgerschaft genau besteht. Wie viele und welche Werke Camerarius verfasst hat, lässt sich bisher also nur annäherungsweise feststellen. Das Projekt „Opera Camerarii“ Hier setzt das Projekt „ Opera Camerarii “ an: Es hat zum Ziel, ein datenbankgestütztes, vollständiges Verzeichnis von Camerarius’ Werken zu liefern, das die Drucküberlieferung bis ins 17. Jahrhundert berücksichtigt. Die Drucke und die in ihnen enthaltenen Opera Camerarii werden als Datensätze bibliographisch und prosopographisch erfasst. Die Werke erhalten eine inhaltliche Kurzbeschreibung (mit Verschlagwortung), die auch Aspekte ihrer Entstehung, ihrer Funktion und Wirkung berücksichtigt. Zu den Werken zählen dabei alle von Camerarius verfassten (auch unselbständig überlieferten) Texte, einschließlich der von ihm verantworteten Kommentare, Übersetzungen und Editionen, die durch ihre paratextuelle Ausstattung Werkcharakter gewinnen. Auch der 28 Vgl. Summer 1646 mit Widmung an Camerarius’ Enkel Ludwig (1573-1651). 29 Vgl. Fabricius 1726. 30 Vgl. Ernesti 1782 und 1786. 31 Der Index Aureliensis listet Camerarius-Drucke von 1532 bis 1600 auf (Bd. VI, 315-355); die Bibliographie von Frank Baron und Michael H. Shaw nennt 183 Erstdrucke von 1524 bis 1605 (Baron 1978, 231-251). 32 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, Bd. 3, S. 677-705; VD16 C 340-557. Opera Camerarii. Eine semantische Datenbank 13 Briefwechsel gehört dazu. Er stellt mit über 3000 Exemplaren eine der größten Humanistenkorrespondenzen im deutschsprachigen Raum dar und gewährt umfängliche Einblicke in gelehrte Netzwerke des 16. Jahrhunderts. 33 Das bisher nur punktuell analysierte Corpus 34 liegt zum einen in insgesamt sieben teils posthum gedruckten Sammelausgaben vor, deren Auswahl Camerarius selbst oder seine Nachfahren vorgenommen haben. 35 Zum anderen existieren handschriftliche Briefbestände, insbesondere in der Collectio Camerariana ( UB Erlangen, Sammlung Trew; BSB München), die sich teilweise mit den gedruckten Sammlungen überschneiden, deren Zahl aber weit über diese hinausgeht. Ihre Erschließung würde eine eigene hochkomplexe Forschungsaufgabe darstellen. 36 Daher konzentriert sich das Projekt „ Opera Camerarii “ zunächst auf die im Druck publizierten rund 1500 Briefe zuzüglich der in den anderen Teilen des Œuvres paratextuell überlieferten Widmungsbriefe. Die Briefe enthalten zum einen Informationen zur Genese und Rezeption von Werken des Camerarius; 37 zum anderen sind sie für das self-fashioning humanistischer Persönlichkeiten besonders aufschlussreich: Denn Camerarius hat in seinen gedruckten Sammlungen immer wieder handschriftliche Briefe - sowohl seine eigenen als auch diejenigen seiner Briefpartner - überarbeitet, neugedeutet und umgeschrieben, so dass er bisweilen als redaktioneller Bearbeiter des eigenen Briefwechsels hervortritt. 38 Die Verzeichnung und der Vergleich der gedruckten Briefe mit erhaltenen handschriftlichen Vorlagen (ca. 200 Briefe), die im Projekt angestrebt werden, versprechen neue Einblicke in die Konstruktion des Selbstbildes, das Camerarius von sich und den gelehrten Freundeskreisen entwarf. Der wichtige Briefwechsel zwischen Camerarius und Melanchthon wird an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften im Projekt „Melanchthons Briefwechsel“ ( MBW ) erschlossen. 39 Die Erfassung der Werke verfolgt das Ziel, das „Phänomen Camerarius“ in seiner zeitgeschichtlichen Verortung zu erklären und sich dabei von der traditionellen ‚Heroengeschichte‘, von dem individuenzentrierten Ansatz der Li- 33 Die Schätzungen zur Zahl der Briefpartner schwanken zwischen ca. 300 bis ca. 450 Personen: vgl. Staswick 1992, xvi; Woitkowitz 2003. 34 Vgl. Staswick 1992; Schmitt 2003; Kramarczyk 2003; Woitkowitz 2003. 35 Vgl. Hamm 2011, 433. 36 Grundlegend für den Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek: Halm 1873; vgl. Woitkowitz 2003, 29-32. 37 Vgl. Schäfer 2003. 38 Vgl. Scheible 1968; Huber-Rebenich 2001 sowie die Beiträge von Ulrich Schlegelmilch und Matthias Dall’Asta in diesem Band. 39 Es sind bisher 17 Textbände (bis 1547) und 9 Regestenbände (abgeschlossen) erschienen; die Regesten sind außerdem frei zugänglich unter: http: / / www.haw.uni-heidelberg.de/ forschung/ forschungsstellen/ melanchthon/ mbw-online.de.html [Abruf 9. 5. 2017]. 14 Baier, Gindhart, Hamm, S. Schlegelmilch, U. Schlegelmilch teraturgeschichte und von dem bisweilen zu sehr auf ‚Höhenkamm‘-Literatur verengten Blick der Humanismusforschung abzuheben. Camerarius ist kein autark-monolithischer Gelehrter. Seine Werke und die ihnen zugrundeliegenden Denkprozesse und Anliegen sind vielmehr geprägt von bestimmten personellen, diskursiven und historisch-kulturellen Konstellationen, in denen sie entstanden sind und in die sie hineinwirken. 40 Die Erfassung und Analyse des umfänglichen Datenmaterials und die sukzessive und systematische Verknüpfung neu gewonnener Erkenntnisse sollen etwa Aufschlüsse darüber geben, welche Konstellationen zum Zustandekommen seines vielfältigen Œuvres beitrugen; welche thematisch-diskursiven und methodischen Schwerpunktsetzungen und Entwicklungen erkennbar sind; welche Formen von Autorschaft dabei begegnen, wie sich Camerarius als Humanist präsentiert und welchen Wirkungsradius seine Schriften besaßen. Die im Projekt verwendete Open-Source-Software „Semantic MediaWiki“ ( SMW ) eignet sich für diese Zwecke besonders. Sie erlaubt es nicht nur, alle werkrelevanten Informationen kleinteilig zu erfassen, zu strukturieren, miteinander zu verknüpfen und mit diversen Filtern abfragbar zu machen. Sie ermöglicht es vielmehr auch, die Datensätze mit definierten Attributen auszustatten und mit Hilfe dieser semantischen Struktur übergeordnete Zusammenhänge abzubilden. So lassen sich etwa für historische Personen Attribute vergeben (z. B. Widmungsempfänger, Brief- und Gesprächspartner, Schüler des Camerarius usw.), die das Wiki auf den jeweiligen Personenseiten nach Kategorien geordnet zusammenführt und mit entsprechenden Werklisten verknüpft (z.B. N. N. ist Widmungsempfänger folgender Werke; N. N. wird als Schüler des Camerarius in folgenden Werken genannt etc.). Diese Aufbereitungsmöglichkeiten der Daten werden helfen, die Gelehrtenzirkel, in denen sich Camerarius bewegte und mit denen er sich austauschte, als epistemische Kultur-, Aktivitäts- und Kreativitätszentren genauer zu fassen. Die inhaltliche Erschließung wird es ermöglichen, das breite Œuvre in Genese, Funktion und Wirkung zu überblicken und die programmatische Selbstverortung und -stilisierung des Gelehrten in der res publica litteraria zu bestimmen. Die Ergebnisse des Projekts werden über den Server der Universitätsbibliothek Würzburg in Form eines CamerariusWiki dauerhaft zugänglich gemacht. Literaturverzeichnis Die Literatur bis 2010 ist bei Hamm 2011 aufgeführt. Ein aktualisiertes Literaturverzeichnis wurde als Vorarbeit für das geplante Projekt erstellt und ist im 40 Zur Konstellationsforschung vgl. u. a. Mulsow / Stamm 2005; Hess / Eser 2012. Opera Camerarii. Eine semantische Datenbank 15 Camerarius-Wiki abrufbar. Im Folgenden werden nur die im obenstehenden Text zitierten Publikationen genannt. Primärliteratur Camerarius, Joachim: Historica narratio de Fratrum Orthodoxorum ecclesiis in Bohemia, Moravia et Polonia , Heidelberg 1605, in: Quellen zur Geschichtsschreibung der Böhmischen Brüder. Zwei Darstellungen von Comenius und Camerarius. Mit einem Vorwort von Erich Beyreuther […], Hildesheim 1980. Camerarius, Joachim: Narratio de Helio Eobano Hesso - Das Leben des Dichters Helius Eobanus Hessus. Lateinisch und deutsch. Mit der Übersetzung von Georg Burkard, herausgegeben und erläutert von dems. und Wilhelm Kühlmann, Heidelberg 2003. Camerarius, Joachim: Eclogae / Die Eklogen. Mit Übersetzung und Kommentar herausgegeben von Lothar Mundt unter Mitwirkung von Eckart Schäfer und Christian Orth, Tübingen 2004, IX - XXI . Camerarius, Joachim: Georg, der Gottselige, Fürst zu Anhalt, herausgegeben von Wilhelm Schubert, Zerbst 1853. Camerarius, Joachim: Praecepta morum ac vitae accommodata aetati puerili , Leipzig 1544 [vielmehr 1576]. Nachdruck herausgegeben von Anton F. W. Sommer, Wien 2006. Camerarius, Joachim: Opuscula quaedam moralia , Frankfurt a. M. 1533 [vielmehr 1583]. Nachdruck herausgegeben von Anton F. W. Sommer, Wien 2006. Camerarius, Joachim: Epistolae familiares , Frankfurt a. M. 1583. Nachdruck herausgegeben von Anton F. W. Sommer, 2 Bde., Wien 2006. Camerarius, Joachim: De H. Eobano Hesso narratio , in: Harry Vredeveld (Hg.): The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, Bd. 1, Tempe ( AZ ) 2004, 1-92. Camerarius, Joachim: Das Leben Philipp Melanchthons. Übersetzt von Volker Werner. Mit einer Einführung und Anmerkungen versehen von Heinz Scheible, Leipzig 2010. Woitkowitz, Torsten: Die Briefe von Joachim Camerarius d.Ä. an Christoph von Karlowitz bis zum Jahr 1553. Edition, Übersetzung und Kommentar, Stuttgart 2003 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 24). Sekundärliteratur Baron, Frank (Hg.): Joachim Camerarius (1500-1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation, München 1978 (Humanistische Bibliothek, Abhandlungen 24). Burkard, Thorsten: Interpunktion und Akzentsetzung in lateinischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein kurzer Überblick nebst einer Edition von Leonhard Culmanns De Orthographia, des Tractatus de Orthographia von Joachim Camerarius und der Interpungendi Ratio des Aldus Manutius, Neulateinisches Jahrbuch 5, 2003, 5-58. Deufert, Marcus: Textgeschichte und Rezeption der plautinischen Komödien im Altertum, Berlin / New York 2002 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 62). 16 Baier, Gindhart, Hamm, S. Schlegelmilch, U. Schlegelmilch Döpp, Siegmar: „Sehr schön und erfreulich“ (Goethe). Zu einem lateinischen Gedicht des Joachim Camerarius über Plombières, Daphnis 45, 2017, 304-326. Ellinger, Georg: Die neulateinische Lyrik Deutschlands in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, Berlin 1929. Ernesti, August Wilhelm: Supplementum primum catalogi scriptorum Camerarianorum Fabriciani , Leipzig 1782. Ernesti, August Wilhelm: Supplementum secundum catalogi scriptorum Camerarianorum Fabriciani , Leipzig 1786. Fabricius, Johann Albert: Bibliothecae Graecae volumen tertium decimum […], Hamburg 1726. Freyhub, Andreas: Oratio in funere […] Joachimi Camerarii Pabebergensis […] habita , Leipzig 1574. Halm, Karl: Über die handschriftliche Sammlung der Camerarii und ihre Schicksale, München 1873. Hamm, Joachim: Servilia bella . Bilder vom deutschen Bauernkrieg in neulateinischen Dichtungen des 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 2001 (Imagines medii aevi 7). Hamm, Joachim: Joachim Camerarius d.Ä., in: Wilhelm Kühlmann / Jan-Dirk Müller (Hgg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon ( VL 16), Bd. 1, Berlin / New York 2011, 425-438. Hamm, Joachim: Traum und Zeitklage. Dürers „Traumgesicht“, Eobans Bellum servile Germaniae und der Bauernkrieg in Franken, in: Franz Fuchs / Ulrich Wagner (Hgg.): Bauernkrieg in Franken. Würzburg 2016 (Publikationen aus dem Kolleg „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ 2), 329-354. Hess, Daniel / Eser, Thomas (Hgg.): Der frühe Dürer. 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Wie selten, dass ein Gelehrter sich noch mit einem lateinischen Carmen oder einem griechischen Epigramme in die Öffentlichkeit wagt! Und wenn es geschieht, selbst wenn es mit unverkennbarem Geschick geschieht, - was ist der Lohn und der Dank, der solchem Beginnen gezollt wird? Vielleicht dass der eine die Leistung lobt und bewundert, ein anderer sie sogar liest und sich daran erfreut; aber im grossen und ganzen steht unsere Zeit der alten ars versificandi teilnahmslos, meist sogar ablehnend und geringschätzend gegenüber. 1 Mit diesen Worten hat Friedrich Koldewey vor über 100 Jahren in der Einleitung zu seiner Ausgabe einer Auswahl von Jugendgedichten des Camerarius-Schülers Johannes Caselius bereits die damalige Distanz zur ars versificandi zum Ausdruck gebracht, und diese Distanz dürfte sich seitdem kaum verringert haben. Umso reizvoller erscheint die Auseinandersetzung mit den Capita pietatis et religionis Christianae versibus Graecis comprehensa ad institutionem puerilem (im Folgenden: CPERC ), die, wie der Titel schon andeutet, katechetische Inhalte 1 Koldeweg 1902, I. * Wertvolle Anregungen verdanke ich Herrn Florian Büren (Mainz), Frau Professorin Dr. Marion Gindhart (Würzburg), Herrn Ronald Mayer-Opificius (Münster), Frau Nora Nagy (Mainz), Frau Professorin Dr. Claudia Schindler (Hamburg) und Herrn PDDr. Jochen Schultheiß (Würzburg). 24 Jochen Walter in neualtgriechischen 2 Hexametern abhandeln 3 und in zahlreichen Auflagen erschienen sind. 4 Im Laufe der Arbeit an diesem Beitrag hat sich herausgestellt, dass - von der bisherigen Forschung unbemerkt 5 - mit den Capita sacrosanctae fidei (im Folgenden: CSF ) aus dem Jahre 1525 ein deutlich kürzeres, bisher Philipp Melanchthon zugeschriebenes Gedicht vorliegt, 6 dessen Wortlaut über weite Strecken mit dem der CPERC identisch ist. Das Verhältnis zwischen beiden Texten ist daher zunächst zu erörtern. Es folgt eine kurze Verortung dieses Gedichtes in Zeit und Raum und ein kurzer Blick auf den unmittelbaren Publikationszusammenhang im VD 16 C 355 sowie auf die lateinische Übersetzung der CPERC in der ein Jahr später von Camerarius publizierten griechisch-lateinischen Ausgabe (VD16 C 356). Nach einer Gliederung des Textes und Übersicht über seinen Gehalt werden - ausgehend vom Proöm (1-13) - die sprachliche Gestaltung des Gedichtes und intertextuelle Bezüge, die es eröffnet, behandelt. Des Weiteren werden Aspekte literarischer Gestaltung und die Frage nach dem Ausmaß konfessioneller Prägung erörtert. Am Schluss werden Überlegungen zu der möglichen Verwendung der CPERC im Unterricht angestellt. Als Anhang ist diesem Beitrag außerdem ein synoptischer Lesetext von CSF und CPERC beigefügt. 7 2 Zum Begriff „neualtgriechisch“ vgl. Weise 2016, 114 Anm. 2; zur neualtgriechischen Literatur in Deutschland dens., passim und in Europa Weise 2017. 3 Abgedruckt bei Reu 1911, 600-605 (dort Stück 49). Zitiert wird diese Schrift in diesem Beitrag allerdings nicht nach Seite und Vers/ Zeile bei Reu, sondern mit durchgehender Verszählung. 4 Vgl. Reu 1911, 92*. 5 Das Gedicht ist in den letzten 130 Jahren nicht gerade häufig erforscht worden: Etwas näher mit den CPERC beschäftigt haben sich meines Wissens Felix Seckt (in einem Aufsatz aus dem Jahre 1888), Johann Michael Reu (auf einigen Seiten [60-61*; 66*; 91-94*] der historisch-bibliographischen Einleitung zu den mitteldeutschen Katechismen in seinen „Quellen zur Geschichte des Katechismus-Unterrichts“ von 1911, auf denen auch die kurzen Ausführungen bei Harlfinger 1989, 347 im Wesentlichen beruhen) sowie Stephan Kunkler (in einem Kapitel seiner theologischen Dissertation aus dem Jahre 1998). Das Kapitel fußt freilich auf einer unzuverlässigen Grundlage: Es geht lediglich von der lateinischen Prosa-Übersetzung (! ) aus, selbst diese wird nur in Teilen wiedergegeben, und nur ein Teil der Auslassungen ist überhaupt markiert. Die deutsche Übersetzung (257-261) ist sehr frei und deutet bisweilen - ebenso wie einige der für den lateinischen Text vorgeschlagenen Korrekturen - auf Unsicherheiten im Umgang mit der lateinischen Sprache hin. 6 Abgedruckt im Corpus Reformatorum XX, 185-188 als Stück Nr. 95. 7 Die CPERC sind in Reu 1911, 600-605 abgedruckt. Obwohl die dortige Fassung ganz erheblich leserfreundlicher ist als die Drucke aus dem 16. Jahrhundert, weist sie mehrere Schwächen auf, welche das Verständnis des griechischen Textes beeinträchtigen und die Präsentation eines Lesetextes wünschenswert erscheinen lassen: So ist der erste Buchstabe eines jeden Verses als Großbuchstabe ohne alle diakritischen Zeichen geschrieben. Neben einer Reihe von Akzentfehlern findet sich insbesondere das Weglassen (18 Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 25 Unterstreichungen in der linken Spalte ( CSF ) markieren Stellen, an denen der Text eines eindeutig einem Vers in den CPERC zuordenbaren Verses von den CPERC abweicht. 8 Die Capita sacrosanctae fidei, ihr Verhältnis zu den CPERC und die Autorenfrage Im Jahr 1525 erschien ein Druck mit dem Titel Institutio puerilis literarum graecarum Philippi Melanchthonis . 9 In dieser Schrift ist ein Gedicht in altgriechischer αἰδΐω; 61 ἔρδη; 66 ἐθέλης) oder unsachgemäße Hinzufügen (83 καρῄνων; 139 κατασπᾷν; 171 χαρᾷς; 176 λήθῃ) des Iota subscriptum, aber auch andere Fehler beziehungsweise Abweichungen: 2 ἠερέθοντες statt ἠερέθονται; 4 μάθε τ᾿ statt μάθετ᾿; 32 τέκνος statt τέκος; 40 κτίσεω statt κτίστεω; 56 χήρεσσι statt χέρεσσι; 64 ἱμείρη statt ἱμείρῃ<ς> [vgl. Camerarius’ Übersetzung mit concupiscas in seiner zweisprachigen Ausgabe von 1546]; 73 δυνάμεθ᾿ statt δυνάμεσθ᾿; 78 μόρος statt μόρον; 90 προφόως δ᾿ statt πρὸ φόωσδ᾿; 96 ζωῆσε statt ζωῆς τε; 110 μετὰ statt μέγα; 128 μόνος statt μόνον; 129 ὅττικεν statt ὅττι κεν; 197 καταδάκρυα statt κατὰ δάκρυα. Formen von ὅδε finden sich bei Reu auseinandergeschrieben (129; 177); dagegen sind τὸν δ᾿ (10) und τοὺς δὲ (164) unpassenderweise bei Reu zusammengeschrieben. In Vers 33 hat die bei Reu abgedruckte Fassung das fälschlich in VD16 C 355 stehende χ (οὐχ ὀλετήρ) zu οὐκ ὀλετήρ korrigiert. Auch ich schreibe in CSF 31 = CPERC 33 οὐ<κ> statt des in den Drucken jeweils vorliegenden οὐχ. In Vers 216 habe ich ἵλεω zu ἵλεων korrigiert (vgl. Camerarius’ Übersetzung mit propitium in seiner zweisprachigen Ausgabe von 1546). Zu den Schwierigkeiten bei der Edition neualtgriechischer Texte allgemein vgl. Weise 2016, 124-125, besonders 125: „Zudem muss man sich für das Edieren älterer neualtgriechischer Texte sicherlich noch auf eine sinnvolle Norm einigen, die auch für einen modernen Leser eine gute Lesbarkeit sicherstellt, ohne dass man Eigenheiten der Zeit gänzlich nivelliert oder beseitigt.“ 8 Chronologisch betrachtet sind die Veränderungen natürlich in den CPERC, nicht in den CSF vorgenommen worden. Da dieser Beitrag sich aber in erster Linie mit den CPERC und erst in zweiter Linie mit den CSF beschäftigt, sind die betreffenden Stellen in den CSF und nicht in den CPERC markiert. 9 Vgl. die Erwähnung der institutio puerilis bei Eckstein 1887, 391-392: „Durch Reuchlins Empfehlung wurde 1518 Melanchthon, der in Tübingen unter Simler nach den erotemata Guarini Griechisch gelernt hatte, für ‚die gräkische Lektion‘ nach Wittenberg berufen, und dieser widmete er auch trotz aller Schwierigkeiten die meiste Zeit. Seine institutiones graecae grammaticae […] erschienen zuerst im Mai 1518 in Hagenau, umfaßten aber nur die Etymologie (Nolebam pluribus onerare nondum aliquo usque provectos, alioqui et συντάξεων commentarios addidissem, und in der zweiten Auflage fortfahrend: quippe quos conscripsimus et pueri fere et pueris, quos illo tempore privatim docebamus). Schon 1520 erschien eine Umarbeitung: integrae graecae grammatices institutiones, von der er selbst sagt: recognovimus omnia, pleraque mutavimus et auximus ad iustae grammaticae modum. Sie ist weiterhin sehr oft und an verschiedenen Orten gedruckt worden, aber die Syntax hat weder Melanchthon noch die späteren Herausgeber hinzugefügt. Man gebrauchte die syntaxis graeca von Joannes Varennius (Löwen 1532), von G. Fabricius (seit 1546) oder von Jo. Posselius (seit 1561). 1542 erschien grammatica / / graeca Ph. Melanchthonis iam novissime recognita atque multis in locis locupletata […]. Seit 1545 26 Jochen Walter Sprache mit dem Titel Capita sacrosanctae fidei (im Folgenden: CSF) abgedruckt. Offenbar ist es der Forschung verborgen geblieben, dass dieses Gedicht mit den CPERC so große Übereinstimmungen aufweist, dass es schwerfällt, in den CSF nicht eine frühere und kürzere Version der CPERC zu erblicken. Ein Großteil der Verse beider Gedichte ist exakt gleichlautend. Allerdings stehen den 222 Versen der CPERC lediglich 131 Verse der CSF gegenüber. Die Verse 1-5. 7 von CSF und CPERC entsprechen einander, ebenso die Verse CSF 8-31 und CPERC 10-33 und die Verse CSF 32-131 und CPERC 80-179. Vers 6 der CSF entspricht Vers 8 der CPERC . Unter den angesprochenen sich entsprechenden Versen sind die meisten identisch, andere (insgesamt 40, also 30,5 %) weisen Abweichungen unterschiedlichen Ausmaßes auf: Einige Abweichungen beschränken sich auf einen einzigen Buchstaben, 10 in seltenen Fällen können sie aber auch den Großteil des Verses betreffen. 11 Dieser Befund ist kaum durch Zufall zu erklären. Vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Verfasser der CPERC die CSF vorlagen und er sie sowohl überarbeitet als auch bedeutend erweitert hat. Er hat dabei CSF 6 an seinem Platz durch einen vollständig anderen Vers ersetzt, hinter CSF 7 aber eine abgewandelte Version von CSF 6 und danach einen weiteren neuübernahm, da Melanchthon durch andere Arbeiten zu sehr in Anspruch genommen war, Joach. Camerarius […] die Sorge für das Buch, von dem es vierundvierzig Ausgaben giebt [sic! ]. Da dieses Werk zu umfangreich war, so hatte Melanchthon schon 1525 eine institutio puerilis litterarum graecarum herausgegeben […], die sich auf das beschränkte, was in dem elementale introductorium zu stehen pflegte, nämlich eine Belehrung über die Buchstaben, Stücke aus dem Neuen Testament und einige Stellen aus Homer, Hesiod, Sophokles, Euripides und von Prosaikern aus Plato, Demosthenes und Herodot.“ Auffällig ist erstens, dass die Capita sacrosanctae fidei hier nirgends Erwähnung finden; zweitens die Nachricht, dass im Jahr 1545 Joachim Camerarius die Sorge für die grammatica graeca Melanchthons übernommen habe, also in demselben Jahr, in dem die CPERC publiziert wurden; drittens, dass es offenbar um Elementarunterricht im Griechischen geht, wofür die Vorstellung der griechischen Buchstaben spricht. Sollte die Tatsache, dass der Abdruck des fünften Kapitels des Matthaeus-Evangeliums unter der Überschrift EXERCI- TIA LECTIONIS ex Matthæo Cap. V steht, darauf hindeuten, dass all diese Texte lediglich als Grundlage für Leseübungen (im Gegensatz zu Übersetzungsübungen) vorgesehen waren? Vgl. auch Jesse 2005, der in seinen Ausführungen wie Eckstein die CSF nicht erwähnt: „Die Linie, die Melanchthon mit seinen katechetischen Arbeiten eingeschlagen hat, setzt er in der philologischen Veröffentlichung Chrestomathie [sic! ] ‚Institutio puerilis literarum Graecarum‘ fort. […] Nach dem Abschnitt über die griechischen Buchstaben empfiehlt er bereits das Lesen der Bergpredigt und Römer 12. Dann erst folgen Texte mehrerer griechischer Autoren wie Homer, Hesiod, Herodot und Plato. Ein griechisches Gedicht Melanchthons über Paideia schließt das Buch ab.“ 10 Vgl. z. B. CSF 15 αἰθέρος οἰωνούς τε καὶ ὕδατος ἰχθύες ἐντός und CPERC 17 αἰθέρος οἰωνούς τε καὶ ὕδατος ἰχθύας ἐντός. 11 Vgl. einerseits CSF 86 ὃς γὰρ καὶ πετεινὰ δι’ ἤερος αὐγαλέοιο und CPERC 134 ὃς δὴ καὶ πετεεινὰ διαυγαλέοιο νομέυων und andererseits CSF 97 καὶ μαλάχαις τε ῥόδοις τε καὶ εὐθαλεῖ οὔλῳ ἀνήθω und CPERC 145 καὶ λευκοῖσι κρίνοισι καί ἱμερόεσσ’ ὑακίνθοις. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 27 en Vers eingefügt. Ansonsten bestehen seine Erweiterungen aus zwei großen Versblöcken: Hinter CSF 31 sind 46 Verse neu verfasst und eingefügt worden (= CPERC 34-79). Am Schluss der CSF ist ein Block von 43 Versen hinzugefügt worden (= CPERC 180-222). Damit stellt sich die Autorenfrage: Ist es angesichts dieser extrem engen Beziehung zwischen den beiden Werken angemessen, weiterhin die CSF Melanchthon zuzuschreiben und die CPERC Camerarius dem Älteren? Oder sollten beide Schriften einem einzigen Verfasser, Melanchthon oder Camerarius, zugeschrieben werden? Grundlage für die Zuschreibung der CSF an Melanchthon ist die Tatsache, dass die CSF in der Publikation mit dem Titel Institutio puerilis literarum graecarum Philippi Melanchthonis abgedruckt sind. Auf den Seiten selbst, auf denen die CSF abgedruckt werden, findet sich allerdings keinerlei Hinweis auf Melanchthon. Dagegen finden sich für die Zuweisung der CPERC an Camerarius gleich mehrere und gewichtigere Anhaltspunkte: Nicht nur steht in der Ausgabe von 1545 unter dem Gedicht Ἰοαχεῖμος Καμεράριος, 12 auch Melanchthon selbst zitiert in einem auf den neunten Februar 1545 datierten Brief an Joachim Camerarius CPERC 20 und fasst diesen Vers explizit als Teil eines Gedichtes des Camerarius auf. 13 Angesichts dieses Zeugnisses von Melanchthons eigener Hand wird man die CPERC weiter dem Camerarius zuerkennen. Wollte man Melanchthon trotz dieser gewichtigen Indizien die Verfasserschaft der CSF belassen, müsste man zu einer der beiden folgenden Spekulationen seine Zuflucht nehmen: Entweder hätte Melanchthon die CPERC als völlig eigenständiges Werk des Camerarius auffassen müssen - ungeachtet der Tatsache, dass die CPERC in 91 Versen, also immerhin ca. 41 % der Verse, vollständig und in 40 weiteren Versen, also ca. 18 %, mehr oder weniger weitgehend mit den CSF übereinstimmen. Oder Melanchthon hätte seinem Freund Camerarius sozusagen sein geistiges Eigentum an den CSF übertragen müssen. 12 VD16 C 355, A6r. 13 MBW 3811, 4 (Z. 16-22): De republica nihil novi habeo. Portenta multa scribere possem, sed non physica, verum δύσφημα recitare nolo ac deum potius precor, ut ipse haec doctrinae suae hospitia regat et servet et nos gubernet, qui quidem toties pollicetur se non defuturum suae ecclesiae et suo opificio, ut in carmine tuo reddita est celestis sententia: Οὐχ αὕτως χωρεῖν τε ἐᾷ, εἰκῇ τε φέρεσθαι. Hac me consolatione in multis et magnis difficultatibus sustento. Allerdings ist das Zitat nicht ganz korrekt, da Melanchthon - möglicherweise aus dem Gedächtnis zitierend - das χωρεῖν vor das τε ἐᾷ gezogen hat (CPERC 20 lautet Οὐχ αὕτως τε ἐᾷ χωρεῖν, εἰκῇ τε φέρεσθαι und - das ist in diesem Zusammenhang vielleicht nicht unwichtig - auch CSF 18). Auch in weiteren Briefen Melanchthons finden sich Stellen, die von den Herausgebern auf die CPERC bezogen werden, diese sind aber weit weniger eindeutig (vgl. MBW 3801, 2 [Z. 10]; 3806, 1 [Z. 11]; 3849, 6 [Z. 36-37]). Schließlich finden sich Briefe, in denen Melanchthon seinen Adressaten Schriften zusendet, bei denen es sich nach Ansicht der Herausgeber „wahrscheinlich“ oder „vielleicht“ um die CPERC handelt, vgl. 3804, 2 (Z. 5-6); 3853, 3 (Z. 17); 3864, 5 (Z. 48-49); 3872, 3 (Z. 21-22). 28 Jochen Walter Gut vorstellbar ist, dass bereits die CSF aus Camerarius’ Feder geflossen sind, zumal, wenn man berücksichtigt, dass auch die meisten anderen in der Institutio puerilis literarum graecarum Philippi Melanchthonis abgedruckten Texte (z. B. Bergpredigt, Homer) von Melanchthon selbst zwar ausgewählt, aber sicher nicht verfasst worden sind. Außerdem sei in Erinnerung gerufen, dass Camerarius zur Institutio puerilis literarum graecarum auch schon ein Einleitungsepigramm beigesteuert hatte. Möglicherweise sind die Capita sacrosanctae fidei also nicht von Melanchthon, sondern von Camerarius selbst verfasst. Ort und Zeit Die CPERC wurden im Jahre 1545 in Leipzig veröffentlicht. In diesem Jahr konnten die Anhänger der Reformation auf fast 30 Jahre einer Erfolgsgeschichte zurückblicken, die manchem Zeitgenossen gar den Eindruck eines unaufhaltsamen Siegeszuges vermitteln mochte. In der bequemen Perspektive des zeitlichen Rückblicks stellt sich das Jahr 1545 dagegen vielmehr als ein Jahr des Noch-nicht dar: Noch nicht hatte der Schmalkaldische Krieg 1546/ 1547 die Fähigkeit des Kaisers unter Beweis gestellt, die Protestanten militärisch in die Schranken zu verweisen. Noch nicht war katholischerseits die Gegenreformation als übergreifende und konzertierte Aktion, die Erfolge der Reformation zunichte zu machen, ins Leben gerufen worden, obwohl es an Widerstand gegen die Reformation in den vergangenen Jahrzehnten nicht gefehlt hatte. Das Konzil von Trient, dessen Beschlüsse eine wichtige Grundlage für die Gegenreformation waren, begann erst am 13. Dezember des Jahres 1545, im selben Jahr also, in dem die CPERC erschienen. 14 Die aufstrebende Handelsstadt Leipzig sollte nicht nur vom Schmalkaldischen Krieg unmittelbar betroffen werden - sie wurde 1547 belagert -, sie hatte schon in den ersten Jahrzehnten der Reformation durchaus eine nennenswerte Rolle gespielt: So wurden in Leipzig, das seit Beginn des 16. Jahrhunderts eines der bedeutendsten Zentren des Buchdrucks war, 15 Luthers 95 Thesen schon Ende 1517 auf Latein publiziert, und in den folgenden vier Jahren verließen ganze 156 Luther-Drucke die Leipziger Pressen. 16 Die Leipziger Disputation unter Beteiligung von Luther, Karlstadt, Melanchthon auf reformatorischer und Eck auf katholischer Seite fand im Jahr 1519 statt. In den folgenden Jahren wurde die Re- 14 Freilich äußert sich aber beispielsweise Melanchthon bereits in seinem an Joachim Camerarius gerichteten Brief vom 09. 02. 1545 (MBW 3811, 4 [Z. 16-17]) besorgt über die politische Entwicklung: De re publica nihil habeo. Portenta multa scribere possem, sed non physica, verum δύσφημα recitare nolo […]. 15 Vgl. Held 1997, 14. 16 Vgl. Held 1997, 15. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 29 formation allerdings unter Herzog Georg mit zunehmender Intensität bekämpft. Nach dem Tod Herzog Georgs im Jahre 1539 fiel das Herzogtum an seinen Bruder Heinrich. Am 25. Mai desselben Jahres, also gerade einmal sechs Jahre vor Publikation der CPERC , wurde in Leipzig die Reformation feierlich eingeführt. 17 Was oben allgemein festgestellt worden ist, lässt sich also in gesteigerter Weise auch für Leipzig festhalten: Der Eindruck des Siegeszuges der Reformation war noch frisch, eine - aus protestantischer Sicht - herbe Wendung der Ereignisse stand zwar unmittelbar bevor, war aber so wohl kaum vorauszusehen. Im Jahre 1541, also gerade einmal zwei Jahre nach Einführung der Reformation dortselbst, trat Joachim Camerarius 18 aus Tübingen kommend seine Professur in Leipzig an, nachdem seine Berufung schon seit 1539 von Melanchthon und anderen nachdrücklich betrieben worden war. Sein Lehrstuhl war mit 300 Gulden dotiert und damit der bestbezahlte an der Leipziger Universität. 19 Leipzig war Camerarius nicht unbekannt, hatte er dort doch von 1513 bis 1518 studiert. 20 In den auf seine Berufung folgenden Jahren war Camerarius zum großen Teil mit der Neuausrichtung der Leipziger Universität befasst. 21 Publikationszusammenhang und zweisprachige Ausgabe Die CPERC (A2r-A6r) sind nicht allein publiziert worden; vielmehr folgen verschiedene andere Texte, die teils auf Latein, teils auf Altgriechisch, teils auf Deutsch, teils in Prosa, teils in Versen verfasst sind. Zunächst schließen sich zwei in Anlehnung an das 20. Kapitel der Apostelgeschichte fingierte Briefpaare an: Der jeweils erste Brief gibt vor, ein Brief des Apostels Paulus an die Epheser zu sein; der jeweils zweite stellt die Antwort der Epheser dar. Das erste Briefpaar (A6v-B1r und B1r-B4v) ist in griechischer Prosa verfasst, das zweite 17 Vgl. Woitkowitz 1997, 35. 18 Vgl. zu Joachim Camerarius allgemein Hamm 2011. 19 Vgl. Woitkowitz 1997, 37. 20 Zu den in dieser Zeit als lectiones extraordinariae abgehaltenen Cicero-Vorlesungen vgl. Leonhardt / Schindler 2007 und Bräuer / Leonhardt / Schindler 2008. 21 Vgl. Woitkowitz 2007, 395-396: „Die Leipziger Universität zeigte sich damals [im Sommersemester 1546, J. W.] durch die von Caspar Borner […] und Joachim Camerarius betriebene und bis 1544 im wesentlichen zum Abschluß gebrachte Universitätsreform als eine moderne und reich ausgestattete protestantische Bildungseinrichtung, woran die durch Herzog Moritz von Sachsen erfolgte Fundation sowie die herzogliche Schenkung des ehemaligen Paulinerklosters beträchtlichen Anteil hatten. […] Die Zahl der im Sommersemester 1544 sprunghaft auf 268 angewachsenen Immatrikulationen […] wurde im Sommersemester 1545 ungefähr gehalten.“ Zur Reform der Universität Leipzig vgl. vor allem Helbig 1953 (insbesondere 61-107) und Thomas 2 2005 (insbesondere 122-124); außerdem etwa Kößling 2001, 311-314; 2003, passim; Wartenberg 2003, 17-19; Kößling 2008, 50-54; Töpfer 2007, 59-61. 30 Jochen Walter (B4v-B7r und B7v-C2r) in lateinischen Versen (elegischen Distichen). Es folgt Martin Luthers „Vermanung zu zucht vnd ehren vnd der bus, ein summarien des buchs Salomonis“ (C2v-C3r) in 24 deutschen Versen, danach ebenfalls sich auf Salomon berufende Ermahnungen wider das Verharren in der Sünde in 44 lateinischen Jamben (C3r-C3v) und in 55 griechischen Jamben (C4r-C5r). Anschließend ist ein in lateinischen Hexametern abgefasstes Gebet des Johann Stigel abgedruckt (C5r-C8v). Es folgen zwei griechische Briefe des Kirchenvaters Basilios (die Briefe 140 [D1r-D2r] und 97 [D2v-D3r]), zwei lateinische Gedichte des spätantiken Dichters Ausonius ( Ephemeris 3 [D3v-D4v] und Ad nepotem Ausonium [D5r-D6v]) und zwei griechische Epigramme des Camerarius (D7r-D7v). 22 Offenbar handelt es sich um eine Art Lesebuch für den Latein- und Griechischunterricht. Im Jahr 1546, nur ein Jahr nach dem Erstdruck der CPERC, brachte Camerarius eine altgriechisch-lateinische zweisprachige Ausgabe des Werkes heraus. 23 Dem altgriechischen Text auf dem Verso steht jeweils der lateinische Text auf dem Recto gegenüber. Die lateinische Übersetzung ist ausgangssprachenorientiert und versucht, bis in die Wortstellung hinein den griechischen Text abzubilden. An einigen Stellen ist die angebotene Übersetzung allerdings auffällig. So geht Camerarius offenbar recht frei bei der Wiedergabe der Demonstrativpronomina ὅδε und κεῖνος vor. 24 Partizipien von εἶναι werden mehrmals mit ipse übersetzt. 25 Bemerkenswert ist auch die Form vincivit (101. 103, jeweils statt vinxit ). 22 Vgl. auch Seckt 1888, 7: „Beigefügt sind dieser zweiten Ausgabe der Κεφάλαια außer einer ‚interpretatio latina‘ ein griechischer Brief desselben Verfassers, in welchem er den Apostel Paulus die Ältesten der ephesinischen Gemeinde nach Milet laden läßt, und das gleichfalls fingierte Antwortschreiben der Ephesiner; ferner die freie Bearbeitung dieses Briefwechsels in lateinischen Distichen; sodann ebenfalls in metrischer Form die freie lateinische Übersetzung einiger Verse L u t h e r s ‚Vermanung zu zucht vnd ehren vnd der bus, ein summarien des buchs Salomonis‘; endlich einige Gebete, die Johann Stigel zum Verfasser haben, und Camerarius’ Übersetzung zweier Briefe des Bischofs B a s i l i u s , denen ein ‚protrepticon carmen‘ des römischen Dichters A u s o n i u s angeschlossen ist.“ Die in den Ausgaben von 1545 und 1546 abgedruckten Texte sind abgesehen von der lateinischen Übersetzung der CPERC die gleichen. 23 VD16 C 356. Vgl. aber Seckt 1888, 7: „Diese Κεφάλαια χριστιανισμοῦ προσφωνηθέντα τοῖς παιδίοις sind in der zweiten Auflage unter dem 3. Februar 1546 dem Herzog Georg von Anhalt, dem Coadiutor des Bistums Merseburg, dediziert. Das Druckjahr des Büchleins ist also wahrscheinlich 1545.“ 24 Formen von ὅδε durch Formen von hic übersetzt in 47. 50. 70. 87. 108. 129. 140. 149. 151. 171. 180. 209, durch Formen von ille in 44. 47. 74. 111. 198, durch ipse in 121. Formen von (ἐ)κεῖνος werden durch Formen von ille übersetzt in 46. 132. 218, durch eine Form von ipse in 38, durch eine Form von is in 67. 25 CPERC 113. 124. 151. 210. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 31 In einigen Versen sind einzelne Worte falsch bezogen. 26 Auffällig ist außerdem die Übersetzung von ὅτταν mit si (140, statt cum ). Gliederung Die CPERC umfassen insgesamt 222 in Altgriechisch abgefasste Hexameter. Es ist sicher kein Zufall, dass die genau in der Mitte des Gedichtes befindlichen sechs Verse 109-114 den Umschwung von völliger Hoffnungslosigkeit nach der Kreuzigung Christi zu Auferstehung und Herrschaft Christi behandeln. Diese sechs Verse gehören wiederum zu einer größeren Partie von 34 Versen (83-116), in denen Jesus Christus, insbesondere seine Geburt, sein Tod und sein Sieg über den Tod behandelt werden. Um dieses Zentrum herum gruppieren sich die übrigen Teile der CPERC : Es folgt unmittelbar eine große Versgruppe mit 39 Versen (117-155), in denen es um die Ausrichtung des Lebens auf Jesus Christus geht, wobei insbesondere einerseits die Gefährdung des menschlichen Lebens, andererseits der wirksame Beistand Gottes betont werden. Die erste Hälfte des Gedichtes ist nach dem Proöm (1-13) insofern gewissermaßen chronologisch angelegt, als zunächst die Schöpfung (14-42) und dann die Zehn Gebote (43-69) behandelt werden. Der nächste Abschnitt (70-82) thematisiert die Sündhaftigkeit des Menschen, aber auch die Möglichkeit zur Vergebung der Sünde und die Existenz von Hoffnung, womit zu dem anschließenden zentralen, Jesus Christus betreffenden Abschnitt übergeleitet wird. In der zweiten Hälfte des Gedichtes schließt sich an den schon genannten Abschnitt über die Ausrichtung des Lebens auf Jesus Christus ein Abschnitt über die Eschatologie an (156-179). Es folgt die Behandlung der Kirche (180-199), ein Abschnitt über das Gebet, der fast vollständig von einer altgriechischen Fassung des Vaterunser eingenommen wird (200-212) und der Schluss (213-222), der in den letzten beiden Versen in einer Apostrophe an Jesus Christus kulminiert. Allerdings finden sich kaum eindeutige und unmissverständliche Markierungen, dass ein Abschnitt abgeschlossen ist und jetzt ein neuer beginnt. Vielmehr sind die Übergänge zwischen den einzelnen Teilen des Gedichtes eher fließend gestaltet. 26 Vgl. etwa 53 […] μὴ δὲ παρὲξ θεῖον τοῦδ’ ἄλλο σέβισσε und neque extra numen hoc aliud cole ; 104 καὶ ξίφε’ ἠδ’ ἰοὺς στιβαρῇς κατέαξε χέρεσσι und et enses & sagittas validas confregit manibus . 32 Jochen Walter Proöm Um einen Eindruck von dem Gehalt der CPERC zu vermitteln, sei hier das Proöm vorgestellt, das auch den Ausgangspunkt für Beobachtungen zu Sprache und Intertextualität der CPERC bilden wird: Δεῦτε φίλοι παῖδες θείων ἀδαήμονες ἔργων, ὧν τε κακαῖς ἀπάταις κόσμου φρένες ἠερέθονται. Αἰεὶ γὰρ θνητοῖς θυμῷ φίλον αἴσυλα ῥέζειν, τῶν δ’ ἄπ’ ἐπουρανίων μάθετ’ ἄσματα θέσκελα μύθων ὔμμε γάρ ἐστι μάλιστα δέον ταῦτ’ εἰδέν’ ἅπαντα 5 πρωθήβους θ’ ἁπαλούς θ’, οὓς οὔπω ὀνείδε’ ὄνοσσαν οὕς τε θεὸς φιλέει, καὶ κήδεται ἔξοχα ἄλλων, τοῖσι δ’ ἔνι ζωὴν εὑρήσε<σθ’> ἄφθιτον αἰεί, ἄφθιτον ἀθάνατον, μεγάλου δώρημα θεοῖο. τὸν δ’ ἄρ’ ἀμειβόμενοι σφετέρῳ τάδε θέσθ’ ἐνὶ θυμῷ, 10 πατρὸς ἐφημοσύνῃ θείας γνωρίσματα βουλῆς, ἧς τε ἄπ’ ἐκγεγάασθ’ ὑμέων φίλα τέκνα γονήων ἧς τε ἄπ’ ἐν ζωοῖσιν, ἀρούρης καρπὸν ἔδεσθε. Hierher, liebe Kinder, unkundig der göttlichen Werke, deren Sinn von den schlimmen Täuschungen der Welt wie eine Flagge im Wind hin und her geschlagen wird! Immer nämlich ist es den Sterblichen lieb im Herzen, Gottloses zu begehen. Lernt also aus diesem Text die göttlichen Lieder der aus dem Himmelsbereich herrührenden Worte! (5) Ihr müsst das alles nämlich ganz besonders wissen, da ihr gerade erst mannbar und noch zart seid, [ihr], welche noch nicht schändliche Taten beschuldigt haben, und welche Gott liebt, und um welche er sich mehr als um andere kümmert, in diesen [göttlichen Liedern] aber werdet ihr für euch das immer unvergängliche Leben finden, das unvergängliche, unsterbliche, und das Geschenk des großen Gottes. (10) Legt, indem ihr also auf diesen reagiert, das Folgende in euer Gemüt, die durch das Gebot des Vaters vermittelten Kennzeichen des göttlichen Willens, durch den ihr auf die Welt gekommen seid als liebe Kinder eurer Eltern durch den ihr unter den Lebenden weilend die Frucht des Ackers esst. Adressaten der capita sind ganz explizit παῖδες, also Kinder (so auch an anderen Stellen des Gedichtes). Der griechische Titel der CPERC lautet sogar ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ προσφωνηθέντα τοῖς παιδίοις. Παιδίον aber deutet als De- Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 33 minutiv auf jüngere Kinder hin. Dazu passt auch die Angabe, dass die Kinder „unkundig der göttlichen Werke“ (1) seien. Andererseits werden sie aber auch als „gerade erst mannbar“ angesprochen (6). Hier werden wir mit einem Spannungsverhältnis konfrontiert: Wenn die Kinder „gerade erst mannbar“ sind, handelt es sich offenbar um Jugendliche. 27 Da ist es nun aber bemerkenswert, dass diese als παῖδες (Kinder) bzw. sogar als παιδία (kleine Kinder) bezeichnet werden und in ihrem ja nicht mehr völlig kurzen Leben noch „unkundig der göttlichen Werke“ sein sollen. Das ist umso erstaunlicher, als die genannten Adressaten in den capita pietatis kaum Glaubensinhalte gefunden haben dürften, die ihnen völlig neu waren. 28 Weitere Beobachtungen lassen sich machen: Charakteristisch für die gesamten capita pietatis ist, dass die Adressaten direkt angesprochen werden und Ziel nachdrücklicher Appelle sind. Es gibt allerdings keine Abfolge von Fragen und Antworten, wie sie für die Gattung des Katechismus typisch ist. Mehrmals wird in den capita pietatis einerseits die Sündhaftigkeit des Menschen, andererseits die Reziprozität in der Zuwendung Gottes zum Menschen und umgekehrt betont. Sprache in den CPERC Die Wahl der altgriechischen Sprache ist sicherlich nicht als zufällig zu erachten, sondern verleiht dem Text ein elitäres Gepräge. Die Herausforderungen, mit 27 Der Eintritt der Geschlechtsreife ist nicht nur individuell verschieden, sondern auch durch allgemeine Umweltfaktoren und insbesondere auch durch die soziale Stellung stark beeinflusst. Je höher der soziale Rang, desto früher der Eintritt der Geschlechtsreife. Allgemein erreichten die Menschen in der Frühen Neuzeit die Geschlechtsreife wesentlich später als heutzutage. Dieser Unterschied konnte aber bei entsprechender sozialer Abkunft stark reduziert werden. Vgl. Gestrich, Enzyklopädie der Neuzeit 6 (2007), 163-164 s.v. Jugend. In der Rechtsprechung galt Erreichen des Alters von 14 Jahren (wie heute) als bedeutsam, vgl. Wettmann-Jungblut, Enzykopädie der Neuzeit 6 (2007), 173 s.v. Jugendkriminalität: „Bezüglich der ↑Strafmündigkeit bestimmten die ↑Constitutio Criminalis Carolina 1532 und das ↑Gemeine Recht, dass infantes (lat.: ‚Kinder‘) unter 7 Jahren keine Strafe zu gewärtigen hatten, impuberes (‚Jugendliche‘) zwischen 7 und 14 Jahren eine Einschränkung der Strafe erfuhren und minores (‚Heranwachsende‘) zwischen 14 und 25 der Erwachsenenstrafe unterworfen sein sollten.“ 28 Vgl. auch Seckt 1888, 7; 12, der etwa „die kurze Lehrsumme des christlichen Glaubens, welche die ‚Capita pietatis et rel.‘ enthielten“, als „der Fassungskraft der Schüler der unteren Stufen der Gymnasien angepaßt“ bezeichnet (12), und andererseits Kunkler 1998, 262 Anm. 83: „Es mag folglich bezweifelt werden, ob die Capita pietatis tatsächlich, wie Seckt behauptet (S. 12), ursprünglich für die unteren Klassenstufen der höheren Schule gedacht waren. Dies wird allenfalls nach der Ausgabe einer lateinischen Übersetzung der Fall gewesen sein, die in hexametrischen Versen herausgegebene Urform dürfte hingegen kaum für die Anfänger der höheren Schule als Adressaten konzipiert worden sein.“ 34 Jochen Walter denen der altgriechische Text die Leser konfrontiert, dürften den in Frage kommenden Rezipientenkreis stark eingeschränkt haben. 29 Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass die CPERC - wie bereits erwähnt - nur ein Jahr nach der Erstpublikation erneut, und zwar diesmal mit gegenüber abgedruckter lateinischer Übersetzung, veröffentlicht worden sind. Die Sprache der CPERC entspricht nämlich keineswegs dem ‚gewöhnlichen‘ Altgriechisch, sondern ist sehr weitgehend durch die homerische Dichtersprache geprägt. Bereits die ersten beiden Wörter des Gedichtes δεῦτε φίλοι finden sich auch bei Homer am Beginn des Hexameters, wenn auch in deutlich anderem Zusammenhang: 30 Allein schon im Proöm (1-13) lässt sich eine Fülle von Anlehnungen an und Zitaten aus den homerischen Epen benennen. 31 Im Ausgang von Vers 7 scheinen dagegen eher die Argonautica des Apollonios Rhodios Pate gestanden zu haben, 32 ebenso am Beginn von Vers 11. 33 Die griechische Dichtersprache schlägt sich auch darüber hinaus in der Morphologie 34 und Syntax 35 nieder. Andererseits findet sich aber auch ein äußerst unepisches Wort wie 29 Vgl. auch Kunkler 1998, 262. 30 Hom. Il . 13, 481; Od . 2, 410; 8, 133. 31 Homerisch ist im ersten Vers neben δεῦτε φίλοι auch die Verwendung des Adjektivs ἀδαήμων (vgl. Il . 13, 811; Od . 12, 208). Zum Schluss des zweiten Hexameters φρένες ἠερέθοντο vgl. den auch inhaltlich verwandten Vers Hom. Il . 3, 108 αἰεὶ δ᾿ὁπλοτέρων ἀνδρῶν φρένες ἠερέθονται (ἠερέθονται auch am Ende von Hom. Il 2, 448; 21, 12); zu CPERC 3 θυμῷ φίλον vgl. die Junktur φίλον ἔπλετο θυμῷ (Hom. Il . 7, 31; 10, 531; 11, 520; 14, 337; Od . 8, 571; 13, 145; 14, 397; 18, 113) und außerdem Il . 24, 236. Zu CPERC 3 αἴσυλα ῥέζειν vgl. Hom. Il . 21, 214 αἴσυλα ῥέζεις. Zu θέσκελα (CPERC 4) vgl. die Verwendung des Adjektivs θέσκελος in Hom. Il . 3, 130; Od. 11, 610. ῎Υμμε (CPERC 5) ist eine epische und äolische Nebenform zu ὑμᾶς. Zu πρωθήβους (CPERC 6) vgl. die Homerstellen Il . 8, 518; Od . 1, 431; 8, 263, an denen das Wort freilich jeweils als Maskulinum der a-Deklination Verwendung findet. Zu θέσθ’ ἐνὶ θυμῷ (CPERC 10) vgl. Hom. Il . 15, 561. 661; zu ἧς τε am Beginn von CPERC 12 vgl. Hom. Il . 19, 222 (dort ebenfalls am Versanfang); 23, 649; zu ἀρούρης καρπὸν ἔδεσθε vgl. Hom. Il . 6, 142 (ἀρούρης καρπὸν ἔδουσιν); 21, 645 (ἀρούρης καρπὸν ἔδοντες). 32 Vgl. zu ἔξοχα ἄλλων (7) Apoll. Rhod. 1, 858-860 ἔξοχα δ’ ἄλλων / ἀθανάτων Ἥρης υἷα κλυτὸν ἠδὲ καὶ αὐτήν / Κύπριν ἀοιδῇσιν θυέεσσί τε μειλίσσοντο (aus der Lemnos-Episode). Deutlich größere Distanz besteht demgegenüber zu Hom. Od. 24, 78-79: χωρὶς δ᾿Ἀντιλόχοιο, τὸν ἔξοχα τῖες ἁπάντων/ τῶν ἄλλων ἑτάρων μετὰ Πάτροκλόν γε θανόντα. Zu ἠερέθοντο (2) ließe sich auch noch Apoll. Rhod. 3, 638 vergleichen, wo Medea über Jason sagt: περί μοι ξείνῳ φρένες ἠερέθονται. 33 Die Fügung πατρὸς ἐφημοσύνῃ findet sich auch in Apoll. Rhod. 3, 602. Vgl. auch Apoll. Rhod. 3, 263-264: λευγαλέης Φρίξοιο ἐφημοσύνῃσιν ἔνεσθε / πατρός. 34 Vgl. etwa Augmentlosigkeit (z. B. 97: ἔχε; 101: δῆσ’), die Endung -εα statt η bei Sigmastämmen (z. B. 6: ὀνείδε’ mit eldiertem Schluss-α, 103: τεύχε’). 35 Vgl. etwa die häufige Verwendung von Präpositionen als Postpositionen (z. B. 4 und besonders 12. 13). Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 35 γνωρίσματα (11). Anspruchsvoll ist auch die Verwendung des Iterativ-Infixes -σκin Vers 91 (καλέσασκεν). Nimmt man nun über das Proöm hinaus auch die restlichen CPERC in den Blick, so stellt man fest, dass der Leser - offenbar absichtsvoll - vereinzelt auch mit solchen sprachlichen Phänomenen konfrontiert wird, die nicht für die homerische Dichtersprache, sondern gerade für die nichthomerische Dichtersprache charakteristisch sind. So gehört das griechische Wort für „gerade erst mannbar“ in den CPERC (6) nicht zur a-Deklination (πρωθήβης), sondern zur o-Deklination (πρώθηβος). Der laut Thesaurus Linguae Graecae ( TLG ) einzige Beleg für die Zugehörigkeit zur o-Deklination findet sich bei dem Lyriker Bakchylides (Dithyramben 4, 57). Dem stehen Dutzende Belege für die Zugehörigkeit zur a-Deklination gegenüber, darunter auch drei aus den homerischen Epen. Ein anderes instruktives Beispiel bietet CPERC 128: Dort verwendet Camerarius als Personalpronomen der zweiten Person τύ statt σύ. Tύ gehört der nichthomerischen Dichtersprache an (besonders der Bukolik), kommt im Attischen, im Koiné-Griechisch oder in der homerischen Dichtersprache aber nicht vor. In beiden Fällen ist offenbar in absichtsvoller Weise eine wesentlich seltenere und in den homerischen Epen nicht belegte Form gewählt worden, um den Leser mit nichthomerischer Dichtersprache zu konfrontieren. Darüber hinaus finden sich sogar im Proöm selbst Formen, die auch für den im Griechischen bewanderten Leser durchaus eine Herausforderung darstellen: Die aktivische Form ὄνοσσαν (6) soll offenkundig dem medialen Deponens ὄνομαι zugeordnet werden. 36 Einen Eindruck von der Schwierigkeit des hier vorliegenden Altgriechischen vermittelt auch die Tatsache, dass die CPERC , obwohl sie nur 222 Verse umfassen, gleich mehrere Vokabeln enthalten, die nicht im Liddell-Scott-Jones, teilweise nicht einmal im Thesaurus Linguae Graecae erfasst sind. 37 Dagegen dürfte bei εὑρήσεται (8) ein Druckfehler vorliegen, der offenbar auch in späteren Ausgaben nicht korrigiert worden ist. In der von Ca- 36 Vgl. LSJ 1233 s.v. ὄνομαι. Auch an anderen Stellen setzt Camerarius ein Aktiv von Deponentien, vgl. 98 ῥύσῃ (3. Ps. Konj. Aor. Akt.) von einem Verb, das in dieser Bedeutung („retten“, vgl. Camerarius Übersetzung in der zweisprachigen Ausgabe von 1546 mit redimeret ) gemäß LSJ 694 s.v. ἐρύω (Β) nur als mediales Deponens verwendet wird; 147 γανόωσιν; 170 δειδίσσων (der TLG belegt aktive Formen - abgesehen von einem Aristoteles-Fragment ( fr . 168, 4) - ausschließlich bei Grammatikern und Lexikographen. 37 Vgl. CPERC 116 (κατασκοπιᾷ [offenbar 3. Ps. Sg. Ind. Präs. Akt. von einem Verb κατασκοπιάω, vgl. Camerarius’ Übersetzung in der zweisprachigen Ausgabe mit aspicit ] weder im LSJ noch im TLG auffindbar); 134 (αὐγαλέος weder im LSJ noch im TLG auffindbar); 190 (ἀγλαοποιός und ἁμαρτονίβος weder im LSJ noch im TLG auffindbar); 197 (ἁμάρτησις nicht im LSJ auffindbar, aber im Hirten des Hermas [6, 6] belegt); 204 (ἀρχέβιος weder im LSJ noch im TLG auffindbar); 218 (μεσσευτής weder im LSJ auffindbar noch im TLG). Dabei ist freilich einzuräumen, dass LSJ und TSG nicht unmittelbar repräsentativ für den Stand der Gräzistik im 16. Jahrhundert sind. 36 Jochen Walter merarius selbst besorgten lateinischen Übersetzung in der zweisprachigen Ausgabe von 1546 findet sich an dieser Stelle invenietis. Auf dieser Grundlage bietet es sich an, εὑρήσεται in εὑρήσεσθε „ihr werdet für euch finden“ zu korrigieren. 38 Intertextualität in der CPERC Über die erhobenen sprachlichen Befunde hinaus lassen sich auch einige bemerkenswerte Beobachtungen hinsichtlich der intertextuellen Beziehungen der CPERC zu antiken Prätexten anstellen. Im Folgenden sollen nur einige wenige Stellen 39 etwas näher in den Blick genommen werden, eine systematische Aufarbeitung der intertextuellen Bezüge muss einer zukünftigen Arbeit vorbehalten bleiben. Dass ein katechetischer Text biblische Prätexte aufruft, kann schwerlich verwundern und ist im Falle der Zehn Gebote (43-68) und des Vaterunser (202-212) auch offensichtlich. Andere biblische Prätexte sind dagegen dem durchschnittlichen Leser heute vielleicht weniger präsent. Hier seien nur wenige Beispiele genannt: Die Verse 134-137 stehen in Zusammenhang mit dem Neuen Testament ( Mt 6,26; 40 10,29. 31), 41 ebenso Vers 152 ( Mt 10,30; Lk 12,7). Auch die Ermunterung, sich nicht zu fürchten (130), findet sich in den genannten biblischen Prätexten oder ihrer unmittelbaren Umgebung. 42 Vers 218 dürfte auf 1 Tim 2,5 zurückgreifen. In CPERC 32 wird über Gott ausgesagt: „Nicht verderblich ist er, mein Kind, sondern barmherzig.“ Das griechische Wort für „verderblich“, δηλήμων, das bei Camerarius eine Eigenschaft bezeichnet, die (dem christlichen) Gott dezidiert 38 Die aktivische Form εὑρήσετε würde nicht ins Versmaß passen. Der Druckfehler ist möglicherweise dadurch zustande gekommen, dass zunächst das - meiner Meinung nach - ursprüngliche mediale εὑρήσεσθε mit der gewöhnlicheren aktiven Form εὑρήσετε vertauscht worden ist und dann - begünstigt durch die Tatsache, dass bei neugriechischer Aussprache εὑρήσετε und εὑρήσεται denselben Klangwert haben - statt εὑρήσετε εὑρήσεται geschrieben worden ist. 39 Zwei weitere Stellen werden in späteren Abschnitten dieses Beitrags behandelt: Zu CPERC 69 (einem vollständigen Zitat eines bei Athenaios 8, 337A. überlieferten Hexameters des hellenistischen Philosophen Timon) vgl. den Abschnitt „Mögliche Verwendung der CPERC im Unterricht“, zu CPERC 151 vgl. den Abschnitt „Aspekte literarischer Gestaltung“. 40 Auf Mt 6,25-34 verweist Kunkler 1998, 263 Anm. 87. 41 Vgl. insbesondere zu πετεεινὰ διαυγαλέοιο […] ἠέρος (134-135) τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ ( Mt 6,26). Zu ὥστε τροφὴν εὑρεῖν (136) vgl. τρέφει αὐτά ( Mt 6,26). In den biblischen Prätexten ( Mt 10,29. 31; Lk 12,6) ist ausschließlich von Spatzen die Rede. Camerarius setzt sie an die Spitze des Verses 137, nennt aber dort drei weitere Vogelarten, wodurch sich eine Art Mini-Katalog ergibt. 42 Mt 10,26. 28. 31; Lk 12,4. 7. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 37 nicht zukomme, ordnet dagegen in der Ilias kein geringerer als Apoll den Göttern zu, die nichts gegen die Misshandlung des Leichnams des Hektor durch Achill unternehmen. 43 Schon etwas komplexer ist der Fall in CPERC 20-22: Camerarius hebt hervor, dass Gott nach der Schöpfung der Welt die Sorge um und Herrschaft über die Welt in keiner Weise aufgegeben oder delegiert habe „wie einer, der ein Schiff auf dem Meer gedankenlos betrachtet von der himmlischen Schwelle“. Der Schluss des Verses 21 νῆ’ ὡς ἐνὶ πόντῳ findet eine fast genaue Entsprechung in dem Schluss von Hom. Od . 23, 234 νῆ’ ἐνὶ πόντῳ. Dort wird die Freude des glücklich mit seiner Gattin Penelope vereinten Odysseus mit der Freude von Schiffbrüchigen, die an Land gelangen, verglichen. Das Schiff (νῆ’ = νῆα = attisch ναῦν) wird freilich bei Homer nicht wie bei Camerarius betrachtet (und, wie der Kontext deutlich macht, geleitet), sondern (von Poseidon) zerstört. Der fürsorglichen Herrschaft Gottes bei Camerarius steht also die zerstörerische Einwirkung Poseidons bei Homer gegenüber. Der Halbvers ἀπὸ βηλοῦ θεσπεσίοιο ( CPERC 22) bildet ebenso den Schluss eines Hexameters in Hom. Il . 1, 591. Dort ist der Zusammenhang freilich ein deutlich anderer: Zeus schleudert Hephaistos „von der himmlischen Schwelle“. Auch hier ist von gewalttätigem Verhalten einer heidnischen Gottheit die Rede. Beide homerischen Prätexte ließen sich einem Diskurs zuordnen, der die ‚Despotie‘ heidnischer Gottheiten der fürsorglichen Herrschaft (des christlichen) Gottes gegenüberstellt. Dieser Diskurs wird freilich explizit nirgends in den CPERC thematisiert. Camerarius scheint aber auch auf lateinische Prätexte anzuspielen. Diese These lässt sich durch die sich unmittelbar anschließenden Verse 23-25 belegen: Das Bild des politisch Verantwortlichen als Steuermann war bereits in der klassischen Antike etabliert und der Übergang vom Staatszum Weltenlenker naheliegend. Besonderes Augenmerk verdient nun aber die von Camerarius Gott ausdrücklich zuerkannte Fähigkeit, während seiner Steuerungstätigkeit nicht einzuschlafen. Nun kann schon im Alten Ägypten der schlafende Gott negativ, nämlich im Zusammenhang mit fehlendem Weltregiment und daraus resultierender Ungerechtigkeit, gewertet werden. 44 Viel näher liegt es aber, hier einen Rekurs auf die Palinurus-Episode im fünften Buch der Aeneis Vergils zu sehen. 45 Dort wird der Steuermann Palinurus nämlich tatsächlich, während er das Schiff steuert, vom Schlaf übermannt und stürzt ins Meer in sein Verderben 43 Hom. Il . 24, 33: σχέτλιοί ἐστε, θεοί, δηλήμονες. 44 Vgl. Assmann 1995, 92-93 mit weiterer Literatur. 45 Vgl. auch Weise 2016, 165: „Eine Besonderheit der neualtgriechischen Literatur ist, dass hier freilich nicht mehr das Motto Latina non leguntur galt, sondern die zunächst im Lateinischen und erst später im Griechischen unterwiesenen Verfasser natürlich ungezwungen lateinische Autoren auch bei griechischen Texten als Vorbilder heranzogen.“ 38 Jochen Walter (5, 833-871). Wiederum wird ein Kontrast markiert zwischen dem ohnmächtigen Menschen, der von dem als Gottheit personifizierten Schlaf überwältigt wird, und dem allmächtigen (christlichen) Gott. Aspekte literarischer Gestaltung Die Orientierung an der antiken Dichtung zeigt sich nicht nur auf dem Gebiet von Lexik, Morphologie und Intertextualität: So finden wir beispielsweise Gott zeusgleich mit einem Blitz ausgestattet (167: χερσὶ κεραυνὸν ἔχων). 46 In den Versen 134-140 wird die Abhängigkeit des menschlichen Lebens von göttlichem Wohlwollen durch einen Hinweis auf die göttliche Fürsorge für Vögel, in den Versen 141-149 durch den Hinweis auf Pracht und Vergänglichkeit von Blumen illustriert. 47 In beiden Fällen werden sogar Kataloge en miniature geboten (136: vier Vogelarten; 143-144: vier Blumenarten). Die absichtsvoll disponierende Hand des Dichters hat auch in Abschnitt 2 (Schöpfung der Welt) ihre Spuren hinterlassen: So werden in den Versen 14-15 die Bereiche Erde, Himmel und Wasser genannt. 48 Die Reihenfolge dieser Benennung wird in den Versen 16-17, in denen die Bewohner der jeweiligen Bereiche genannt werden, aufrechterhalten. 49 Die genannten drei Bereiche werden in den Versen 21-30 wiederum aufgeführt, diesmal jedoch in der genau umgekehrten Reihenfolge und mit der Modifikation, dass der nun an erster Stelle stehende Bereich des Meeres nunmehr auf einer Metaebene im Rahmen eines Gleichnisses (Gott als Steuermann der Welt) thematisiert wird. 50 Die literarische Gestaltung zeigt sich auch an der Gestaltung des Übergangs von dem Abschnitt über die Ausrichtung des gefährdeten menschlichen Lebens auf Gott (117-155) zu dem Abschnitt über die Eschatologie (156-179). Gliedert 46 Vgl. auch Kunkler 1998, 264. 47 Im Falle der Blumen lässt Camerarius mit dem Vers 151 ὣς μὲν φῦλλα θεὸς κοσμεῖ τάδ’ ἐόντ’ ἀμενηνά einen expliziten Vergleich folgen. Das Gleichnis bei Hom. Il . 6, 146-149 (vgl. 146: οἵη περ φύλλων γενεή, τοίη δὲ καὶ ἀνδρῶν) ist bereits in der griechischen und römischen Literatur verschiedentlich rezipiert worden (vgl. dazu Sider 1996). Außerdem macht sich Camerarius die Tatsache zunutze, dass φύλλον nicht nur allgemein „Blatt“, sondern auch „Blütenblatt“ (LSJ 1962 s.v. φύλλον) bedeuten kann. 48 CPERC 14-15: πρῶτον δὴ γαῖάν τε (Erde) καὶ οὐρανὸν εὐρὺν ὕπερθεν (Himmel), / τούς τε κατειβομένους ποταμούς, καὶ κῦμα θαλάσσης (Wasser). 49 CPERC 16-17: ἀνθρώπων τε γένος, καὶ θηρία γαῖαν ἔχοντα (Erde), / αἰθέρος οἰωνούς τε (Himmel) καὶ ὕδατος ἰχθύας ἐντὸς (Wasser). 50 Wasser: CPERC 21-24: […] νῆ’ ὡς ἐνὶ πόντῳ / μαψιδίως ἐφορῶν ἀπὸ βηλοῦ θεσπεσίοιο. / Αὐτὸς δ’ αἰὲν ἐφεστήκει, αὐτός τε κυβερνᾷ / οἴακα χερσὶν ἔχων […]. Himmel: CPERC 26-27: χαλκείου πτύχες οὐρανοῦ ἐννέα πᾶσαι / ἣν ὁδὸν ἐξάνυον προκυλινδόμεν’ ἔνθα καὶ ἔνθα. Erde: CPERC 29-30: Οὐδ’ ἐνὶ γῆς ἐρατοῖς ἄνθη καὶ λήια κόλποις / θῆλεν ἂν ἐμμαπέως, εἰ μὴ θεὸς ἦν ὁ φυτεύσας. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 39 man den Text in kleinere Sinneinheiten auf, so ergeben sich nach den Versen 117-131, welche die Ausrichtung des gefährdeten menschlichen Lebens auf Gott allgemein in den Blick nehmen, sechs Klein(st)abschnitte: Diese thematisieren den von Gott gewährten Schutz (132-133), die Schutzbedürftigkeit des irdischen Lebens (134-141), die Vergänglichkeit der irdischen Pracht (142-151), den von Gott gewährten Schutz im Diesseits (152-155), den von Gott gewährten Schutz im Jenseits (156-158) und schließlich die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht (159-179). Der Übergang zwischen den Versen 155 und 156 markiert freilich nicht nur den Übergang vom Kleinabschnitt über göttlichen Schutz im Diesseits zum Kleinabschnitt über göttlichen Schutz im Jenseits, sondern auch überhaupt den Übergang des Großabschnitts über die Ausrichtung des gefährdeten menschlichen Lebens auf Gott (117-155) zum Großabschnitt über Eschatologie (156-179). Der Übergang ist aber nicht etwa als abrupter Abbruch des einen und Anfang eines anderen Themas gestaltet. Vielmehr gehören die Kleinabschnitte über den göttlichen Schutz im Diesseits (152-155) und im Jenseits (156-158) aus einem anderen Blickwinkel betrachtet thematisch durchaus zusammen und lassen sich gemeinsam einem chiastischen Schema zuordnen: In diesem Schema rahmt das Thema des göttlichen Schutzes (132-133 und 152-158) zwei Kleinabschnitte, welche die Gefährdung des irdischen Daseins thematisieren (134-141 und 142-151). Wir sehen hier ein Muster von sich gegenseitig überlappenden Strukturen. Zur konfessionellen Prägung der CPERC Die CPERC lassen sich schwerlich als Propagandaschrift für die Reformation auffassen; sie sind frei von konfessioneller Polemik. Aber es lassen sich durchaus einige Stellen finden, die bei Katholiken Anstoß erregt haben könnten: So finden wir in Vers 93 das Epitheton θειότοκος („gottgeboren“) in Bezug auf Jesus Christus. Von dem ganz ähnlich klingenden Begriff θεοτόκος, der Maria als „Gottesgebärerin“ oder „Mutter Gottes“ bezeichnet, wird dagegen in dem Gedicht keinerlei Gebrauch gemacht, obwohl von Maria kurz zuvor (86-87. 89. 91) die Rede gewesen ist. Dies ist besonders aufschlussreich angesichts der Tatsache, dass das Wort θεοτόκος im Griechischen durchaus etabliert ist, und zwar ausschließlich zur Bezeichnung von Maria als Mutter Gottes, 51 wohingegen das Wort θειότοκος im antiken Griechisch nicht vorzukommen scheint und möglicherweise von Camerarius eigens gebildet worden ist. Der Schluss liegt 51 Das legt zumindest der Eintrag im LSJ 792 s.v. θεοτόκος nahe. 40 Jochen Walter nahe, dass die Verwendung des Wortes θειότοκος pointiert die Ablehnung der katholischen Marienverehrung widerspiegelt. 52 Einschlägig scheint auch die Aussage der Verse 119-120, dass niemand Gott durch seine sterblichen Werke gefalle ([…] βροτέων γὰρ ἀπ’ ἥνδανεν ἔργων/ οὐδείς πω κτίστῃ πάντων, ὅσα δῆτ’ ἐγένοντο). Dies lässt sich dem reformatorischen Gedanken zuordnen, dass der Mensch nicht durch seine Taten, sondern allein durch den Glauben ( sola fide ) zum Heil gelange. 53 Konfessionell bedingt dürfte des Weiteren auch die Tatsache sein, dass die CPERC nicht sieben, sondern drei Sakramente erwähnen: 184-185 ἱρά […] σημεῖα εὐνοίας πατρός; 188 πρῶτον, 191 δεύτερον, 193 τρίτον), und zwar Taufe (188-190), Schlüsselgewalt (191-192) und Abendmahl (193-196). Die Buße wird im Anschluss an das Abendmahl in drei Versen (197-199) abgehandelt und scheint auf den ersten Blick etwas unglücklich von der Schlüsselgewalt getrennt. 54 Schließlich lässt sich auch die Betonung der Rolle Jesu Christi als μοῦνος μεσσευτής (218) im Sinne einer deutlichen Abgrenzung gegenüber der katholischen Heiligenverehrung lesen. 55 Mögliche Verwendung der CPERC im Unterricht Die Beobachtungen zur sprachlichen Gestalt und intertextuellen Faktur der CPERC wie auch die Anfertigung und Publikation einer griechisch-lateinischen Ausgabe nur ein Jahr nach der Publikation der griechischen CPERC sprechen dafür, dass es sich bei den CPERC um einen sprachlich äußerst anspruchsvollen Text handelte, der von Griechischlernenden kaum ohne intensive Unterstützung durch einen Dozenten bewältigt werden konnte. 56 Außerdem sei an die recht häufigen Ligaturen, die oft chaotisch anmutende Handhabung der diakritischen Zeichen 57 und die häufig unzureichende Markierung von Wortgrenzen 52 Vgl. auch Seckt 1888, 18 (der sich freilich dort nicht auf die CPERC, sondern auf Camerarius’ Κατήχησις aus dem Jahre 1551 bezieht). 53 Vgl. auch Kunkler 1998, 265. 54 Kunkler 1998, 266-267 bietet eine Interpretation von Camerarius’ Ausführungen zur Schlüsselgewalt an. 55 Vgl. Kunkler 1998, 267: „Der einzige Mittler ist Gott selbst und zwar in Gestalt seines Sohnes Jesus Christus (Z. 194).“ Eine biblische Grundlage dürfte 1 Tim 2,5 sein: εἷς γὰρ θεός, εἷς καὶ μεσίτης θεοῦ καὶ ἀνθρώπων, ἄνθρωπος Χριστὸς Ἰησοῦς. Der μεσσευτής der CPERC entspricht offenkundig dem μεσίτης des biblischen Prätextes. 56 Vgl. auch Reu 1911, 92-93*. 57 Akut und Gravis werden recht häufig miteinander verwechselt bzw. sind im Schriftbild nur schwer zu unterscheiden; in vielen Fällen werden auch gar keine Akzente geschrieben; Ähnliches gilt sinngemäß auch für die Spiritus. Auch das Iota subscriptum ist häufig nicht notiert. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 41 erinnert. 58 Selbst wenn man die Elisionen, bei denen nicht selten bedeutungstragende Vokale verschluckt werden, beiseite lässt, sind die Voraussetzungen für ein zügiges Textverständnis ungünstig. Das durch die Schwierigkeit des Textes (nicht seines Inhalts) unumgängliche close reading eröffnet umgekehrt dem Dozenten immer wieder die Möglichkeit, Besonderheiten des Textes als Ausgangspunkt für weiterreichende Ausführungen zu nehmen - etwa zu Fragen der Morphologie, Syntax und Metrik in der homerischen und nichthomerischen Dichtersprache, aber auch in Bezug auf zahlreiche antike Prätexte. Dieses Bestreben, die Lernenden nicht durch Vorentlastungen, sondern im Gegenteil durch besondere Herausforderungen anzuspornen, scheint auch durch den Vers 69 illustriert zu werden: Πάντων γὰρ πρώτιστα κακῶν ἐπιθυμίη ἐστι. Bei nur oberflächlicher Lektüre kann der Leser leicht dem Irrtum verfallen, in πρώτιστα einen mit ἐπιθυμίη kongruierenden Nominativ Singular Femininum zu sehen. 59 Jedoch müsste der Nominativ Singular Femininum πρωτίστη lauten, und selbst wenn der ursprünglich lange a-Laut nicht in ein η umgeformt werden sollte, bliebe doch die Länge des α. Dagegen ist durch die Metrik des Hexameters klar, dass hier das auslautende α von πρώτιστα eine Kürze darstellt. Πρώτιστα muss also Nominativ Plural Neutrum sein, die Übersetzung muss dann in die Richtung von „Die Begierde ist nämlich (der unmittelbare Anfangsbereich, oder freier: ) das Einfallstor zu allen Übeln“ gehen. Im Übrigen entspricht Vers 69 vollständig einem Hexameter des hellenistischen Philosophen Timon. 60 Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Eisenacher Schulordnung von 1555 die Behandlung der CPERC in der ersten, das heißt obersten Klasse vorsieht. 61 Wie ist dieser komplexe Befund nun zu bewerten? Zunächst einmal scheint es sehr wahrscheinlich, dass die Erarbeitung des Textes der CPERC die aktive Unterstützung eines kundigen Lehrers erforderte, der die jeweiligen Phänomene in ihrer Beispielhaftigkeit für die altgriechische Dichtung zu erläutern wusste. Darüber hinaus fällt auf, dass die außerordentlich hohe Anforderungen stellende sprachliche Gestaltung zu dem theologisch in vielerlei Hinsicht häufig eher oberflächlich anmutenden Gehalt in einem Missverhältnis zu stehen scheint. Für einen Katechismus wird überraschend viel nur erwähnt oder 58 Zu den Eigenheiten des Druckbildes frühneuzeitlicher neualtgriechischer Texte, die den Zugang häufig deutlich erschweren, vgl. auch Weise 2016, 124. 59 Vgl. die Athenaios-Übersetzungen “Foremost among all evils is desire.ˮ (Gulick 1961, 29), „Vor allen anderen Übeln ist lüsternes Sehnen das Schlimmste.“ (Friedrich in Friedrich / Nothers 1999, 110) und “Of all evils, desire is the foremost.ˮ (Olson 2008, 33). 60 Überliefert bei Athenaios 8, 337A. 61 Vgl. Reu 1911, 60-61*. In der sonst mit der Eisenacher Schulordnung weitgehend übereinstimmenden Ratio administrandi scholas triviales (proposita in visitatione ecclesiarum et scholarum sub Ducatu Juniorum Principum Saxoniae) von 1573 sind die CPERC freilich nicht mehr zur Behandlung vorgesehen, vgl. Reu 1911, 66*. 42 Jochen Walter auch nur umschrieben, wenig wird erklärt. 62 Die in den CPERC vorgestellten Theologumena dürften Schülern in dem Alter, in dem sie solches Griechisch zu übersetzen vermochten, in ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl längst bekannt gewesen sein. Daher spricht vieles dafür, dass der eigentliche oder zumindest vorrangige Zweck der CPERC nichts anderes ist als die Einführung der Schüler in die altgriechische Dichtersprache in möglichst vielen ihrer Facetten. Dass der religiöse Inhalt den Schülern weitestgehend bekannt gewesen sein dürfte, dürfte es ihnen erleichtert haben, sich auf die sprachlichen und dichterischen Aspekte der CPERC zu konzentrieren. Andererseits brachte der Gehalt der CPERC auch eine implizite Wiederholung grundlegender christlicher Theologumena mit sich, durch die sicherlich der Glaube der jungen Menschen gestärkt werden sollte. Die CPERC lassen sich sicherlich auch als Beispiel für die Indienstnahme der (alt)griechischen Sprache zugunsten des (protestantischen) Christentums werten. Der aus der Begegnung mit dem Text resultierende Erkenntniszuwachs dürfte aber in fast allen Fällen im philologischen Bereich deutlich größer ausgefallen sein als im theologischen Bereich. Wenngleich daher in den CPERC sowohl philologisch-didaktische als auch religiöse Ziele verfolgt werden, scheint die philologisch-didaktische Zielsetzung im Vordergrund zu stehen. 63 62 Vgl. auch Kunkler 1998, 264-265, insbesondere 265: „Allerdings scheint es Camerarius - ähnlich wie Melanchthon in seinen Loci communes - um eine Auseinandersetzung mit derartigen Problemen auch gar nicht zu gehen. Er will, wie gesagt, die göttliche Offenbarung in ihren Kernpunkten darlegen, nicht aber derart diffizile theologische Fragen wie die nach den Naturen des Gottessohnes diskutieren. […] Der gesamte Duktus seiner Katechese vermittelt denn auch eher das Bild einer Anleitung zu einer sittlich-moralischen Lebensführung auf der Grundlage einer christlichen Glaubenslehre, denn einer Sammlung von auswendig zu lernenden Grundsätzen.“ Im nächsten Satz (ebd.) bescheinigt Kunkler Camerarius: „Dabei ging es ihm insbesondere um eine lebendige Aneignung der Glaubenslehren, sie sollten für die Alltagserfahrung der Jugendlichen gebrauchsfähig gemacht werden und ihnen so zu einem festen Glauben verhelfen“. Dass Camerarius seinem Publikum „zu einem festen Glauben verhelfen“ wollte, leuchtet ein. Inwiefern der Rest des Satzes mit den CPERC zusammenhängt, bleibt allerdings unklar, zumal Kunkler auch keinerlei Belege für seine These anführt. 63 Etwas anders Seckt 1888, 7: „Die Absicht, zugleich mit den Anfangsgründen der griechischen Sprache die Hauptstücke der christlichen Religion zu lehren, leitete ihn, […] ein griechisches Schullesebuch herzustellen, das zugleich den Ansprüchen an den evangelischen Religionsunterricht entsprechen sollte, wie sie Melanchthon wieder und wieder betont hatte […].“ Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 43 Anhang Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ προσφωνηθέντα τοῖς παιδίοις Δεῦτε φίλοι παῖδες θείων ἀδαήμονες ἔργων, Δεῦτε φίλοι παῖδες θείων ἀδαήμονες ἔργων, ὧν τε κακῇς ἀπάτῇς κοσμοῦ φρένες ἠερέδονται. ὧν τε κακαῖς ἀπάταις κόσμου φρένες ἠερέθονται. αἰεὶ γὰρ θνητοῖς θυμῷ φίλον αἴσυλα ῥέζειν, αἰεὶ γὰρ θνητοῖς θυμῷ φίλον αἴσυλα ῥέζειν, τῶν δ’ ἀπὸ οὐρανίων μάθετ’ ἄσματα θέσκελα μύθων· τῶν δ’ ἄπ’ ἐπουρανίων μάθετ’ ἄσματα θέσκελα μύθων· 5 ὔμμε γάρ ἐστι μάλιστα δέον ταῦτ’ εἰδέν’ ἅπαντα 5 ὔμμε γάρ ἐστι μάλιστα δέον ταῦτ’ εἰδέν’ ἅπαντα οἷσιν ἔνι ζωὴν εὑρήσετε αἰὲν ἐοῦσαν, πρωθήβους θ’ ἁπαλούς θ’, οὓς οὔπω ὀνείδε’ ὄνοσσαν οὕς τε θεὸς φιλέει, καὶ κήδεται ἔξοχα ἄλλων οὕς τε θεὸς φιλέει, καὶ κήδεται ἔξοχα ἄλλων, τοῖσι δ’ ἔνι ζωὴν εὑρήσε<σθ’> ἄφθιτον αἰεί, ἄφθιτον ἀθάνατον, μεγάλου δώρημα θεοῖο. τὸν δ’ ἄρ’ ἀμειβόμενοι σφετέρῳ τάδε θέσθ’ ἐνὶ θυμῷ, 10 τὸν δ’ ἄρ’ ἀμειβόμενοι σφετέρῳ τάδε θέσθ’ ἐνὶ θυμῷ, πατρὸς ἐφημοσύνῃ θείας γνωρίσματα βουλῆς πατρὸς ἐφημοσύνῃ θείας γνωρίσματα βουλῆς, 10 ἧς τε ἄπ’ ἐκγεγάασθ’ ὑμέων φίλα τέκνα γονήων ἧς τε ἄπ’ ἐκγεγάασθ’ ὑμέων φίλα τέκνα γονήων ἧς τε ἄπ’ ἐν ζωοῖσιν ἀρούρης καρπὸν ἔδεσθε. ἧς τε ἄπ’ ἐν ζωοῖσιν ἀρούρης καρπὸν ἔδεσθε. πρῶτον δ’ οὖν γαῖάν τε καὶ οὐρανὸν εὐρὺν ὕπερθεν πρῶτον δὴ γαῖάν τε καὶ οὐρανὸν εὐρὺν ὕπερθεν τούς τε κατειβομένους ποταμοὺς καὶ κῦμα θαλάσσης 15 τούς τε κατειβομένους ποταμοὺς καὶ κῦμα θαλάσσης ἀνθρώπων τε γένος καὶ θηρία γαῖαν ἔχοντες ἀνθρώπων τε γένος καὶ θηρία γαῖαν ἔχοντα 15 αἰθέρος οἰωνούς τε καὶ ὕδατος ἰχθύες ἐντὸς αἰθέρος οἰωνούς τε καὶ ὕδατος ἰχθύας ἐντὸς 44 Jochen Walter Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ ᾧ ἔπε’ ἀϊδίῳ θεός ἐστιν ὁ πάντα τελέσσας. ᾧ ἔπε’ ἀϊδίῳ θεός ἐστιν ὁ πάντα τελέσσας. καὶ νῦν ποιηθέντα μόνος τάδε πάντα διοικεῖ, καὶ νῦν ποιηθέντα μόνος τάδε πάντα διοικεῖ, οὐδ’ αὕτως τε ἐᾷ χωρεῖν εἰκῇ τε φέρεσθαι 20 οὐδ’ αὕτως τε ἐᾷ χωρεῖν εἰκῇ τε φέρεσθαι ἢ ἄλλους τινὰς ἰθύνειν, νῆ’ ὡς ἐνὶ πόντῳ ἢ ἄλλους τινὰς ἰθύνειν, νῆ’ ὡς ἐνὶ πόντῳ 20 μαψιδίως ἐφορῶν ἀπὸ βηλοῦ θεσπεσίοιο. μαψιδίως ἐφορῶν ἀπὸ βηλοῦ θεσπεσίοιο. αὐτὸς δ’ αἰὲν ἐφεστήκει, αὐτός τε κυβερνᾷ αὐτὸς δ’ αἰὲν ἐφεστήκει, αὐτός τε κυβερνᾷ οἴακα χερσὶν ἔχων, οὐδὲ γλυκὺν ὄμμασιν ὕπνον οἴακα χερσὶν ἔχων, οὐδὲ γλυκὺν ὄμμασιν ὕπνον δεξάμενός ποτ’ ἀπειρηκώς, δύναται γὰρ ἅπαντα. 25 δεξάμενός ποτ’ ἀπειρηκώς, δύναται γὰρ ἅπαντα. οὐδ’ ἄρα χαλκείου πτύχες οὐρανοῦ ἐννέα πᾶσαι οὐδ’ ἄρα χαλκείου πτύχες οὐρανοῦ ἐννέα πᾶσαι 25 ἣν ὁδὸν ἐξάνυον προκυλινδόμεν’ ἔνθα καὶ ἔνθα, ἣν ὁδὸν ἐξάνυον προκυλινδόμεν’ ἔνθα καὶ ἔνθα, εἰ μὴ ὁ τοῦ τε νόος καί χεὶρ κρατέρ’ ἦγε ποιητοῦ. εἰ μὴ ὁ τοῦ τε νόος καί χεὶρ κρατέρ’ ἦγε ποιητοῦ. οὐδ’ ἐνὶ γῆς ἐρατοῖς ἄνθη καὶ λήια κόλποις οὐδ’ ἐνὶ γῆς ἐρατοῖς ἄνθη καὶ λήια κόλποις θῆλεν ἂν ἐμμαπέως, εἰ μὴ θεὸς ἦν ὁ φυτεύσας, 30 θῆλεν ἂν ἐμμαπέως, εἰ μὴ θεὸς ἦν ὁ φυτεύσας, ἀλλ’ ὅδε πάντα κρατῶν θεὸς ἄμβροτα μήδεα εἰδὼς ἀλλ’ ὅδε πάντα κρατῶν θεὸς ἄμβροτα μήδεα εἰδὼς 30 οὐ δηλήμων ἐστί, φίλον τέκος, ἀλλ’ ἐλεήμων, οὐ δηλήμων ἐστί, φίλον τέκος, ἀλλ’ ἐλεήμων, οὐ<κ> ὀλετήρ, οὐκ ὠμηστής, πιστὸς δὲ καὶ ἐσθλός. οὐ<κ> ὀλετήρ, οὐκ ὠμηστής, πιστὸς δὲ καὶ ἐσθλός. ὃς γένος ἀνθρώπων ὄφιος ψεύδεσσι πεποιθὸς 35 ῥήμασι καὶ σφετέρῃσιν ἀτασθαλίῃσιν ὀλωλὸς εἰς βίον ἐξ ὀλέθροιο κατ’ αὖθ’ ὤρθωσ’ ἐλεηθείς, οὐδ’ ἠνέσχετ’ ἰδὼν ἐφθαρμένον ἔργον ἑαυτοῦ πλάσματος ἀγχιθέοιο, τὸ κείνου χεῖρες ἔκαμνον ἔμμεναι ἀθανάτου θεοῦ εἰκόνα, καὶ νόμον ἄλλον Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 45 Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ 40 μηδέν’ ἔχειν ἢ ῥήμαθ’ ἑοῦ κτίστεω ὑπακούειν, ὥστε μόν’ αὖτ’ ἔρδειν καὶ μήδεσθαι φρεσὶν ᾗσιν, ὅσσα πατὴρ ἐθέλει καὶ βούλεται ἠδ’ ἐκέλευσε. τῶν καὶ ἐνὶ κραδίῃ ξύγγραμμα πάροιθεν ἔθηκεν καὶ τόδ’ ἀμαυρωθὲν πρὸς ἀπειθείας βροτολοιγοῦ 45 αὖθ’ ἀναπλαξὶ νέωσε δυοῖν, ὀνύχεσσι χαράξας κεῖν᾿ ἰδίαις προτέροιο νόου ψηφίσματα, μή τις ἀγνοίῃ φαίη πρᾶξαι τόδε, τοῦδ’ ἀμελῆσαι. τούτων δὴ κεφάλαια κατὰ στόματος προφέρεσθαι πόλλακι χρὴ τοὺς παῖδας, ἀπὸ φρενὸς ὧδε λέγοντας. 50 παντοκράτωρ θεὸς οὐράνιος προλέγει τάδε πᾶσι. αὐτὸς ἐγὼ θεός εἰμι μόνος, καὶ ἀπεκτὸς ἐμεῖο οὐδείς ἐστι θεός, σὺ δ’ ἐμοὶ μέμνησο λατρεῦσαι μούνῳ, μὴ δὲ παρὲξ θεῖον τοῦδ’ ἄλλο σέβισσε. κύριός εἰμι σέθεν. μὴ τοὔνομα βάζε ματαίως 55 μὰψ ἐπὶ χείλεσ’ ἑλὼν ἐμὸν οὔνομα αἰὲν ἄχραντον. σάββαθ’ ἑορτάζειν ἁγναῖς μνήσθητι χέρεσσι, καὶ καθαρᾷ μᾶλλον τηρῶν φρενὶ ἱερὸν ἦμαρ, εὐδαίμων δ’ ἐπὶ γῆς ἵν’ ἔῃς πολλούς τ’ ἐνιαυτούς ζώῃς μακρόβιος, πεφύλαξο τοκῆας ἀτιμᾶν, 60 ἀλλ’ αἰὲν περὶ κῆρι τίειν σπούδασσον, ὅπως καὶ εὖ σέο τῶν παίδων πατέρ’ ὀψιγόνων σέ τις ἔρδῃ. 46 Jochen Walter Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ μὴ φόνον ἐργάζῃ. μοιχείας ἁγνὸς ἔησθα. μὴ κλέψῃς. μὴ μαρτυρίαν ψεύδεσσ’ ἐπένεγκον. μὴ τοῦ πλησίον ἱμείρῃ<ς> ποτὲ σεῖο γυναικὸς 65 ὄμμασι κιβδήλοισιν ὁρῶν καὶ ἐπίφρονι θυμῷ ἐγκισσῶν, μήδ’ αὖτ’ ἐθέλῃς πάντων τι γενέσθαι σοὶ κείνων, θεὸς ὅσσα τεῷ ποτ’ ἔδωκε πολίτῃ· οὐ δόμον, οὐκ ἀγρούς, βοῦν, παιδίσκην, θεράποντα. πάντων γὰρ πρώτιστα κακῶν ἐπιθυμίη ἐστί. 70 καὶ κατὰ δὴ τάδε τηρηθέντα κριτὴς θεὸς ἔσται ἡμεῖς δ’ οἱ τάλανες κενεοφροσύνῃσι νόοιο τυφλοὶ καὶ χωλοὶ μήτ’ εἰς καλὸν αὔτ’ ἀτενίσσαι μήτε τρέχειν δυνάμεσθ’ ἀρετῆς ὁδὸν ὀρθοκέλευθον. ἀλλ’ ἡμῖν εὖ βούλεθ’ ὁμῶς ὅδε καίπερ ἀλιτροῖς, 75 εἰ μὲν ἀποστρεφόμεσθα κακοῦ μετὰ δ’ αὖ μελόμεσθα ὅττι θεοῦ πρότερον σαρκὸς τιθέμεσθα θέλημα, συγγνώμην τ’, ἀγαθὸς μεταποιεῖται νοέουσι. οὐ γάρ φησι βροτῶν ἐθέλειν μόρον, ἀλλ’ ἵνα πάντες ἀϊδίου μετέχωσι βίου ζώοντες ἄμεινον. ταῦτ’ ἄρα τοι ξύνες ἠδὲ τεῷ ἐνὶ κάτθεο θυμῷ, 80 ταῦτ’ ἄρα τοι ξύνες ἠδὲ τεῷ ἐνὶ κάτθεο θυμῷ, μηδέ τ’ ἄχος μελέτω σῇσι_φρεσί μηδέ τι τάρβος, μηδέ τ’ ἄχος μελέτω σῇσιν φρεσί μηδέ τι τάρβος, ἔλπεο δ’ ἐκφυγέειν τε κακὸν καὶ βέλτιον εὑρεῖν. ἔλπεο δ’ ἐκφυγέειν τε κακὸν καὶ βέλτιον εὑρεῖν. 35 τῶν καὶ ἑὸν φίλον υἱὸν ἀπ’ οὐλύμποιο καρήνων τῶν καὶ ἑὸν φίλον υἱὸν ἀπ’ οὐλύμποιο καρήνων Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 47 Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ σοὶ ἀγαθὰ φρονέων προέηκεν μάρτυρα εἶναι, σοὶ ἀγαθὰ φρονέων προέηκεν μάρτυρα εἶναι, ὃς καὶ σ’ οὐ κακὸν ὀσσόμενος πατρὶ δ’ ἧκε πιθήσας 85 ὃς καὶ σ’ οὐ κακὸν ὀσσόμενος πατρὶ δ’ ἧκε πιθήσας παρθενικῆς ἱερὴν κατὰ γαστέρ’ ἀμύμονος ἐσδύς. παρθενικῆς ἱερὴν κατὰ γαστέρ’ ἀμύμονος ἐσδύς. ἥδ’ ὑποκυσσαμένη τέκεν ἀθανάτου θεοῦ υἱόν. ἥδ’ ὑποκυσσαμένη τέκεν ἀθανάτου θεοῦ υἱόν. 40 πνεύματος ἐξ ἁγίου πατρὸς μεγάλου ἰότητι πνεύματος ἐξ ἁγίου πατρὸς μεγάλου ἰότητι οὐδέ τιν’ ᾗ θέμις ἐστὶ βροτῶν ποτε ἀνδρὶ μιγεῖσα, οὐδέ τιν’ ᾗ θέμις ἐστὶ βροτῶν ποτε ἀνδρὶ μιγεῖσα, ἀλλ’ ἐπεὶ οὖν πρὸ φόωσδ’ ἦγεν θεὸς ὃν φίλον υἱόν, 90 ἀλλ’ ἐπεὶ οὖν πρὸ φόωσδ’ ἦγεν θεὸς ὃν φίλον υἱόν, μήτηρ μὲν καλέσασκεν ἰησοῦν πατρὸς ἐφετμῇ μήτηρ μὲν καλέσασκεν ἰησοῦν πατρὸς ἐφετμῇ τὸν πάντων σωτῆρα βροτῶν, τὸν χριστὸν ἀληθῆ. τὸν πάντων σωτῆρα βροτῶν, τὸν χριστὸν ἀληθῆ. 45 ὣς ἄρα θειότοκος γόνος ἑβραίων ἐπὶ γαῖαν ὣς ἄρα θειότοκος γόνος ἑβραίων ἐπὶ γαῖαν θνητὸν ἔχων δέμας ἠδὲ φυὴν ἄλλ’ ὥσπερ οἱ ἡμεῖς θνητὸν ἔχων δέμας ἠδὲ φυὴν ἄλλ’ ὥσπερ οἱ ἡμεῖς ἀγγελιῶν πατρὸς μεμνημένος αἰὲν ἐφοίτα, 95 ἀγγελιῶν πατρὸς μεμνημένος αἰὲν ἐφοίτα, ἀρνύμενος ψυχὰς μερόπων ζωῆς τε χατίζων ἀρνύμενος ψυχὰς μερόπων ζωῆς τε χατίζων ἡμετέρας, ἔχε γὰρ θάνατος καὶ μοῖρα κραταίη. ἡμετέρας, ἔχε γὰρ θάνατος καὶ μοῖρα κραταίη. 50 τῷ καὶ ἵνα ῥύσῃ, ὑπεμείνατο κῆρα μέλαιναν, τῷ καὶ ἵνα ῥύσῃ, ὑπεμείνατο κῆρα μέλαιναν, σταυρωθείς τε ἑὸν βίον ὤλεσεν, ὥστε σαῶσαι σταυρωθείς τε ἑὸν βίον ὤλεσεν, ὥστε σαῶσαι ἀνθρώπων θνητὸν δειλῶν γένος ἐξ ἀΐδαο. 100 ἀνθρώπων θνητῶν δειλῶν γένος ἐξ ἀΐδαο. οἷ καταβησόμενος δῆσ’ αὐτὸν καὶ θεραπόντα οἷ καταβησάμενος δῆσ’ αὐτὸν καὶ θεραπόντα ἀργαλέον μόρον ὄντ’ ἐχθρὸν πάντεσσι βροτοῖσι. ἀργαλέον μόρον ὄντ’ ἐχθρὸν πάντεσσι βροτοῖσι. 55 δῆσε δ’ ἐν ἀρρήκτοις δεσμοῖς τά τε τεύχε’ ἐσύλα, δῆσε δ’ ἐν ἀρρήκτοις δεσμοῖς τά τε τεύχε’ ἐσύλα, καὶ ξίφε’ ἠδ’ ἰοὺς στιβαρῇς κατέαξε χέρεσσι, καὶ ξίφε’ ἠδ’ ἰοὺς στιβαρῇς κατέαξε χέρεσσι, τὰς τ᾿ ἀνόμους πράξεις ἀσεβῆ καὶ ἀτάσθαλα ἔργα 105 τὰς τ᾿ ἀνόμους πράξεις ἀσεβῶν θ’ ὁρμήματα ἔργων, 48 Jochen Walter Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ τοῖς πάρος ἀνθρώπων ἀκορέστως φῦλ’ ὀλέκοντο. οἷς πάρος ἀνθρώπων ἀκορέστως φῦλ’ ὀλέκοντο. οὕτως ἀνθρώπων τε φονεὺς καὶ δεῖμ’ ἀϊδωνεὺς οὕτως ἀνθρώπων τε φονεὺς καὶ δεῖμ’ ἀϊδωνεὺς 60 καὶ θάνατος πρὸς τοῦδε δάμη βίῃ ἀμεγάρτω. καὶ θάνατος πρὸς τοῦδε δάμη βίῃ ἀμεγάρτω. αὐτοῦ δ’ ὅττι τάφῳ ἔνι νεκροῦ σῶμα τριταίου αὐτοῦ δ’ ὅττε τάφῳ ἔνι νεκροῦ σῶμα τριταίου κρύπτ’ ἐχθροῖς μέγα χάρμα, φίλοισι δὲ πένθος ἄλαστον 110 κρύπτ’ ἐχθροῖς μέγα χάρμα, φίλοισι δὲ πένθος ἄλαστον ἀμφότεροι γὰρ ἔφαν τόνδ’ οὔπω ἐσμὲν ἰδῆσαι, ἀμφότεροι γὰρ ἔφαν τόνδ’ οὐκέτ’ ἐς αἰὲν ἰδῆσαι, ἐκ τότ’ ἄρ’ οὖν θανάτου πυλέων, στυγνοῦ τ’ ἀχέροντος ἐκ τότ’ ἄρ’ οὖν θανάτου πυλέων, στυγνοῦ τ’ ἀχέροντος 65 ζωὸς ἀνέστη ἐὼν καὶ γὰρ θεὸς αὐτὸν ἔγειρε, ζωὸς ἀνέστη ἐὼν καὶ γὰρ θεὸς αὐτὸν ἔγειρε, ἡμῶν θ’ ἡγεῖσθαι, χ’ ἡμῖν βασιλεύεμεν αἰεί. ἡμῶν θ’ ἡγεῖσθαι, χ’ ἡμῖν βασιλεύεμεν αἰεί. τῷ καὶ ἀπ’ αἰθερίων ᾧ πατρὶ παρήμενος ἑδρῶν 115 τῷ καὶ ἀπ’ αἰθερίας ᾧ πατρὶ παρήμενος ἕδρας πάντα κατασκοπιᾷ τε καὶ αὐτῷ πάντα μέμηλε. πάντα κατασκοπιᾷ τε καὶ αὐτῷ πάντα μέμηλε. ἤτοι γοῦν, φίλε παῖ, οὕτω σ’ ἀγαπῶντα δίωκε, τοῦτον γοῦν, φίλε παῖ, τόσσον σ’ ἀγαπῶντα δίωκε, 70 ἠδ’ ἐφέπου καλέοντι. σὲ δ’ αὖ ὅδε πάντα διδάξει ἠδ’ ἐφέπου καλέοντι. σὲ δ’ αὖ ὅδε πάντα διδάξει ἅττα σὲ χρὴ πράττειν, σφετέρων γὰρ ἀπ’ ἥνδανεν ἔργων ἅττα σὲ χρὴ πράττειν, βροτέων γὰρ ἀπ’ ἥνδανεν ἔργων οὐδείς πω κτίστῃ πάντων ἀγαθῶν τε κακῶν τε 120 οὐδείς πω κτίστῃ πάντων, ὅσα δῆτ’ ἐγένοντο ἀλλ’ ὅδ’, τούς γ’ ἐθέλει, καὶ ἐφέλκει καὶ μεταπλάττει, ἀλλ’ ὅδ’ ἑοῖ πισύνους καὶ ἐφέλκει καὶ μεταπλάττει, εἰς κραδίην ὃν πνεῦμα βαλὼν θεῖόν θ’ ἁγιόν τε. εἰς κραδίην ὃν πνεῦμα βαλὼν θεῖόν θ’ ἁγιόν τε. 75 τοῦδ’ ἄπο θαρσυνόμεσθα μένος τ᾿ ἔχομεν φρεσὶ ἠῢ τοῦδ’ ἄπο θαρσυνόμεσθα μένος τ᾿ ἔχομεν φρεσὶν ἠῢ ἠδ’ αὐτὸν τολμῶμεν ἁμαρτωλοί περ ἐόντες ἠδ’ αὐτὸν τολμῶμεν ἁμαρτωλοί περ ἐόντες ἡμέτερων πατέρα κράξαντες τέκνα καλέσσαι 125 ἡμέτερον πατέρα κράξαντες τέκνα καλέσσαι αὐτοῦ γὰρ τ’ ἐσμὲν λαός τ’ ἔθνος τ’ ἀγαπητόν, αὐτοῦ γὰρ τ’ ἐσμὲν λαός τ’ ἔθνος τ’ ἀγαπητόν, αὐτὸς ὃς εἰς ἀγέλην πρόβατ’, εἴς θ’ ἓν πῶϋ ἔκλεισεν. αὐτὸς ὃς εἰς ἀγέλην πρόβατ’, εἴς θ’ ἓν πῶϋ ἔκλεισεν. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 49 Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ 80 τὺ μόνον αὐτοῦ μεῖνον, ἀκουσάμενος θεοῦ ὄσσαν τὺ μόνον αὐτοῦ μεῖνον, ἀκουσάμενος θεοῦ ὄσσαν οὐδ’ ἅλιον τοῦδ’ ἔσσετ’ ἔπος ποτέ γ’ ὅττι κεν εἴπῃ. οὐδ’ ἅλιον τοῦδ’ ἔσσετ’ ἔπος ποτέ γ’ ὅττι κεν εἴπῃ. ἐξ ἄρα σοῦ βάλε πάντα φόβον, καὶ τάρβεα θυμοῦ 130 ἐξ ἄρα σοῦ βάλε πάντα φόβον, καὶ τάρβεα θυμοῦ καὶ μοῦνον πίστευε λόγῳ, θεὸς ὅντιν’ ἐνίσπῃ. καὶ μούνῳ πίστευε λόγῳ, θεὸς ὅντιν’ ἐνίσπῃ. κεῖνος δ’ οὐ μὲν ἄνευθεν ἐών, ἀλλ’ ἄγχι παραστὰς κεῖνος δ’ οὐ μὲν ἄνευθε μένων, ἀλλ’ ἄγχι παραστὰς 85 παντόσ’, ὅπου φύλακός κε δέῃ σεῦ κήδε’ ἀπωθεῖ. παντόσ’, ὅπου φύλακός γε δέῃ σεῦ κήδε’ ἀπωθεῖ. ὃς γὰρ καὶ πετεινὰ δι’ ἠέρος αὐγαλέοιο ὃς δὴ καὶ πετεεινὰ δι’ αὐγαλέοιο νομεύων σμικρὰ ἥτ’ ἔνθα καὶ ἔνθα ποτώμενα αἰὲν ἀλᾶται, 135 ἠέρος ἔνθα καὶ ἔνθα ποτώμενα ὧδε κυβερνᾷ στρουθία τε ψάρους τε κολοιούς τε κόρακάς τε ὥστε τροφὴν εὑρεῖν, καὶ νήπια τέκν’ ἀτιτάλλειν, ὥστε τροφὴν εὑρεῖν, παρέχει, καὶ τέκν’ ἀτιτάλλειν, στρουθία τε ψάρους τε κολοιούς τε κόρακάς τε. 90 μήδε τις ἰξευτὴς μάλα περ πεπνυμένος ἐλθὼν μήδε τις ἰξευτὴς μάλα περ πεπνυμένος ἐλθὼν τοῦ γε θεοῦ ἀέκοντος ἀπ’ αἰθέρος εἶχε κατασπᾶν τοῦ γε θεοῦ ἀέκοντος ἀπ’ αἰθέρος εἶχε κατασπᾶν τῶνδ’ ἓν ἀτιμότατον θεὸς ἣν χεῖρ’ ὅτταν ὑπέρσχῃ 140 τῶνδ’ ἓν ἀτιμότατον θεὸς ἣν χεῖρ’ ὅτταν ὑπέρσχῃ ἀλλ’ ὅ γ’ ὑμᾶς φιλέει, ἐλθεῖν τε πρὸς αὑτὸν ἀνώγει. ἀλλ’ ὅ γ’ ὑμᾶς φιλέει, ἐλθεῖν τε πρὸς αὑτὸν ἀνώγει. ἢν ἰδὲ καὶ ὅσσοις λειμῶνες τηλεθόωσι ἢν ἰδὲ καὶ ὅσσοις λειμῶνες τηλεθόωσι 95 καλοὶ μυδαλέοι θέρεος ζαθεῇ ὑπὸ αἴγλῃ καλοὶ μυδαλέοι θέρεος ζαθεῇ ὑπὸ αἴγλῃ ἄνθεσι, τοῖς τε ἰοῖς καὶ εὐόδμοισι σελίνοις, ἄνθεσι, τοῖς τε ἰοῖς καὶ πορφυρέοισι ῥόδοισι, καὶ μαλάχαις τε ῥόδοις τε καὶ εὐθαλεῖ οὔλῳ ἀνήθῳ. 145 καὶ λευκοῖσι κρίνοισι καὶ ἱμερόεσσ’ ὑακίνθοις. τίς δ’ ἄρα πω βασιλεύς, ὃς ἐν ἀνθρώποισι κέκαστο τίς δ’ ἄρα πω βασιλεύς, ὃς ἐν ἀνθρώποισι κέκαστο πλούτῳ καὶ δυνάμει, τοῖσιν γανόωσιν ἄνακτες πλούτῳ καὶ δυνάμει, τοῖς περ γανόωσιν ἄνακτες 100 τῶν δ’ ἕν’ ἴσην ἑσθῆτ’ ἐπιείμενος ἐν θρόνῳ ἦσθο [sic! ]; τῶν δ’ ἕν’ ἴσην ἑσθῆτ’ ἐπιείμενος ἐν θρόνῳ ἦστο; καὶ τάδε που θέρεος γαίης φθίνοντος ἀν’ οὖδας καὶ τάδε που θέρεος γαίης φθίνοντος ἀν’ οὖδας 50 Jochen Walter Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ πάντα μαραίνονται, τά γε μὴ βροτοὶ ἔφθαν ἄραντες. 150 πάντα μαραίνονται, τά γε μὴ βροτοὶ ἔφθαν ἄραντες. ὣς τάδε φῦλλα θεὸς κοσμεῖ ἀμενηνὰ ἐόντα. ὣς μὲν φῦλλα θεὸς κοσμεῖ τάδ’ ἐόντ’ ἀμενηνά. τῆς δ’ ἔτι σεῖο τριχῶν κεφαλῆς θεὸς οἶδεν ἀριθμὸν τῆς δέ τε σεῖο τριχῶν κεφαλῆς θεὸς οἶδεν ἀριθμὸν 105 καί σοι ἀεὶ παρμέμβλωκεν νύκτας τε καὶ ἦμαρ. καί σοι ἀεὶ παρμέμβλωκεν νύκτας τε καὶ ἦμαρ. τίπτ’ οὖν ἠὲ μόρον κακὸν ἠέ τι ἄλλο δέδοικας; τίπτ’ οὖν ἠὲ μόρον κακὸν ἠέ τι ἄλλο δέδοικας; τοιοῦτον πάσαις ἐνὶ πομπὸν ὁδοῖσι κιχήσας. 155 τοιοῦτον πάσαις ἐνὶ πομπὸν ὁδοῖσι κιχήσας. θάρσεο. ζήσεις γὰρ καὶ εἰν ἀΐδαο δόμοισιν. θάρσει. ζήσεις γὰρ καὶ εἰν ἀΐδαο δόμοισιν. οὐδὲ μελαγχλαίνου πεδάαν κῆρες θανάτοιο οὐδὲ μελαγχλαίνου πεδάαν κῆρες θανάτοιο 110 τοσσοῦτόν σε δυνήσονθ’ ὡς μὴ δεσμὸν ἀλύξαι. τοσσοῦτόν σε δυνήσονθ’ ὡς μὴ δεσμὸν ἀλύξαι. ἦ τοι γὰρ χρόνος ἔσθ’, ὅθ’ ἑὴν ἐς σάρκα ἕκαστος ἦ τοι γὰρ χρόνος ἔσθ’, ὅθ’ ἑὴν ἐς σάρκα ἕκαστος δύσσεται ἐκ νεκρῶν, ζωὸς κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός. 160 δύσσεται ἐκ νεκρῶν, ζωὸς κακὸς ἠδὲ καὶ ἐσθλός. ἔσθλ’ ἵν’ ἐγερθέντες βίον ἄφθορον αἰὲν ἔχωσι, ἔσθλ’ ἵν’ ἐγερθέντες βίον ἄφθορον αἰὲν ἔχωσι, νικηταὶ κόσμου τ’ ἀΐδος τ’ ἐρέβευς τε μόρου τε, νικηταὶ κόσμου τ’ ἀΐδος τ’ ἐρέβευς τε μόρου τε, 115 οὐκ οἶοι, διὰ δὲ χριστὸν θεοῦ υἱὸν ἰησοῦν. οὐκ οἶοι, διὰ δὲ χριστὸν θεοῦ υἱὸν ἰησοῦν. τοὺς δὲ κακοὺς νὺξ κυκλώσει, ἔρεβός τε σκότος τε. τοὺς δὲ κακοὺς νὺξ κυκλώσει, ἔρεβός τε σκότος τε. αὐτὸς δ’, ὦ φίλοι, αὖ τε κρινεῖ οὕτως ὁ φιλήσας 165 αὐτὸς δ’, ὦ φίλοι, αὖ τε κρινεῖ οὕτως ὁ φιλήσας αἰθέρος ἐκ προφανεὶς νεφέων πυρόεντος ὁμίχλης αἰθέρος ἐκ προφανεὶς νεφέων πυρόεντος ὁμίχλης χερσὶ κεραυνὸν ἔχων, σὺν πλήθει οὐρανιώνων. χερσὶ κεραυνὸν ἔχων, σὺν πλήθει οὐρανιώνων. 120 ἔνθα διακριθέντες ἑὸν ποτὶ δῶμα κατάξει ἔνθα διακριθέντας ἑὸν ποτὶ δῶμα κατάξει αὑτῷ πιστεύσαντας, ἑῷ τ’ ἔπει ἐμβατέοντας, αὑτῷ πιστεύσαντας, ἑῷ τ’ ἔπει ἐμβεβαῶτας, δειδίσσων ἐχθρούς, κακίαν τ’ ἀπὸ πᾶσαν ἀμύνων. 170 δειδίσσων ἐχθρούς, κακίαν τ’ ἀπὸ πᾶσαν ἀμύνων. τῶνδε μέτ’ οὐ τέλος οὐδὲ χαρᾶς ἔστ’ οὐδὲ πόνοιο. τῶνδε μέτ’ οὐ τέλος οὐδὲ χαρᾶς ἔστ’ οὐδὲ πόνοιο. Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 51 Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ οἱ δ’ ἀγάθ’ ἕξουσιν τιμὴν καὶ δόξαν ὀπίσσω οἱ δ’ ἀγάθ’ ἕξουσιν τιμὴν καὶ δόξαν ὀπίσσω 125 ὅττ’ εὐεργεσίῃσι γέρας καὶ κῦδος ὀπηδεῖ. ὅττ’ εὐεργεσίῃσι γέρας καὶ κῦδος ὀπηδεῖ. οἱ δ’ ἀσεβεῖς κλαύσουσι κακῶν ἕνεχ’ ὅσσα ἔωργαν. οἱ δ’ ἀσεβεῖς κλαύσουσι κακῶν ἕνεχ’ ὅσσα ἔωργαν. οὐδ’ ἔτι παυσωλὴ ἀχέων ἔσετ’, οὐδ’ ἀλεωρή. 175 οὐδ’ ἔτι παυσωλὴ ἀχέων ἔσετ’, οὐδ’ ἀλεωρή. ταῦτ’ ἐνὶ βάλλεο φρεσσὶ τεῇς καὶ μήποτε λήθη ταῦτ’ ἐνὶ βάλλεο φρεσσί τε ᾗς καὶ μήποτε λήθη σεῦ ἄπο αἱρείτω, μηδ’ αὖ περὶ τῶνδ’ ἀπορήσεις. σεῦ ἄπο αἱρείτω, μηδ’ αὖ περὶ τῶνδ’ ἀπορήσεις. 130 μῦσος γὰρ δεινόν, ψεῦδος φάσκειν θεοῦ αὐδήν. μῦσος γὰρ χαλεπόν, ψεῦδος φάσκειν θεοῦ αὐδήν. τοῦτό γε μὴν ἔσετ’ οὔθ’ ἅλιόν γ’ ἔπος, οὐδ’ ἀτέλεστον. τοῦτό γε μὴν ἔσετ’ οὔθ’ ἅλιόν γ’ ἔπος, οὔτ’ ἀτέλεστον. 180 ἐν δ’ ἄρα τῷδε βίῳ θείου μένετ’ ἐντὸς ὁμίλου FINIS ἔνθα λόγος θεοῦ οὐράνιος κηρύσσεται αἰὲν ἀψευδής, ἀμετάβλητος, θεὸς αὐτὸς ἰησοῦς ἤτ’ αὐτοῦ διδαχὴ στομάτων σωτήριος ἠχεῖ πρεσβυτέρων ἄπο καὶ μετὰ λαοῖς ἱρὰ δίδονται 185 σημεῖ’ εὐνοίας πατέρος βασιλῆος ἀνάρχου, αὐτοῦ θ’ υἱέος ἐκ γενετῆρος ἀειγενέταο. ἀΐδιον διὰ πνεῦμ’ ἅγιον πιστῶν παράκλητον. πρῶτον μὲν γνώσῃ παλινόρσου λοῦτρα βίοιο, καὶ γένεσιν θνητοῖσιν ἄνωθε φορούμενον ὕδωρ 190 νάματος ἀγλαοποιοῦ, ἁμαρτονίβοιο, διαυγοῦς. δεύτερον αὖ δύναμιν κλειδοῦχον, τῇ ἔπι κεῖται ἀνθρώποισιν ὄλυμπον ἀνοίγειν ἠδ’ ἀποκλεῖσαι. καὶ τρίτον οὐράνιον δεῖπνον, τῷ κύριος αὐτὸς 52 Jochen Walter Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ ἑστιάων τε τροφή τε πάρεστι, διδοῖ γὰρ ἔδεσθαι 195 σῶμ’ ἴδιον (μέγα θαῦμα βεβήλοις) αἷμά τε πίνειν τοῖς ἐπὶ ταῦτ’ ἀχθεῖσιν ἐν ἐκκλήτῳ συνομίλῳ. ἔνθα μέν, ὅστις ἁμαρτήσεις κατὰ δάκρυα λείβων ἐκ κραδίης θρήνοισι κατεῖπεν, τόνδ’ ἀπολῦσαν ῥῆμα θεοῦ πιστῶν αὖθις κοινωνὸν ἔθηκεν. 200 ἔνθα δὲ πᾶς τις ποιεῖτ’ εὐχὰς ἠδὲ δεήσεις, κύριος ὡς ἐκέλευσε καὶ ἐξεδίδαξε μαθητάς, ὥστε προσεύχεσθ’ ὧδε. πατὴρ ὦ ὢν ἐν ὀλύμπῳ τοὔνομα σεῖ’ ἁγιασθήτω, πάτερ ἡμέτερ’, αἰεί. ἐρχέσθω σέθεν ἀρχέβιος βασίλει’ ἀπέραντος. 205 καὶ τὸ θέλημα γενηθήτω τεόν, ὡς ἐν ὀλύμπῳ οὕτω καὶ γαίης ἔπι πανταχοῦ. ἄρτον ἐπ’ ἦμαρ βόσκων σῆς ἀγέλην πάρεχ’ ἡμῖν ἄφθονον αὐλῆς. πάντως δ’ ἡμετέρας ἄφες, ὦ πάτερ ἤπι’, ὀφειλὰς καὶ γὰρ ἰδοὺ τόδε ποιοῦμεν πρὸς τοὺς πέλας ἡμεῖς. 210 μηδ’ ἡμᾶς πείραζε κακοῖς μογεροὺς πρὶν ἐόντας, ῥῦσον δ’ ἐκ καμάτων θ’ ἡμᾶς ἐκ τοῦ τε πονηροῦ, ὦ πάτερ, ὦ βασιλεῦ, ἔνδοξ’ ἀρετῇ δυνάμει τε. οὕτως οὖν τις ἐπιστρωφάσθω. Τῷ δ’ ἄρ’ ἔπειτα ὄλβος ἀπειρέσιος ζωή τ’ αἰώνιος ἔσται, 215 οὐδὲ βλαβήν τι δύναιτο κακόν ποτ’ ἐνέγκεμεν οὐδέν, Camerarius’ Capita pietatis und Melanchthons Institutio puerilis 53 Capita sacrosanctae fidei 1525 ΚΕΦΑΛΑΙΑ ΧΡΙΣΤΙΑΝΙΣΜΟΥ ἵλεω<ν> εὑρόντ’ αἰῶνος, κόσμοιο θ’ ἅπαντος κύριον, ἀρχηγόν, βασιλῆα, δι’ υἱέος, ὅνπερ μεσσευτὴν ἔχομεν πρὸς ἐκεῖνον μοῦνον, ἰησοῦν ἐλθόντ’ εἰς χθόνα θνητόν, ἀπ’ ἀθανάτοιο γενέθλης 220 εἵνεχ’ ἁμαρτωλῶν, ἵνα τοι σώσειεν ἀλιτρούς. χαῖρε θε’ ἄμβροτε χριστέ, βροτῶν μόνε σῶτερ, ἰησοῦ, χαῖρε καὶ ἡμετέρας εὔνους ἀπόπαυε μερίμνας. Ἰοαχεῖμος Καμεράριος 54 Jochen Walter Literaturverzeichnis Quellen, Textausgaben und Übersetzungen Athenaeus, The Deipnosophists, with an English translation by Charles Burton Gulick, in seven volumes, vol. IV , Cambridge/ Massachusetts - London 1961. Athenaios. Das Gelehrtenmahl Buch VII -X. Eingeleitet und übersetzt von Claus Friedrich, kommentiert von Thomas Nothers, Stuttgart 1999 (Bibliothek der Griechischen Literatur. 51). Camerarius, Joachim (d.Ä.): CAPITA PIE / / TATIS ET RELIGIONIS CHRI =/ / STIANAE VERSIBUS GRAE =/ / cis comprehensa ad insti=/ / tutionem puerilem,/ / VERI EPISCOPI SOLICITU =/ / do & presbyterorum cura indica=/ / ta de cap. xx. act. apost.,/ / Υποθῆκαι Salomonis, ut vitentur con=/ / sortia pravorum, de Teutonicis/ / versibus translatae in Grae=/ / cos & Latinos,/ / A IOACH . CAMER . PAB ./ / PRECES CHRISTIANAE EXPO =/ / sitae versibus heroicis a Ioan./ / Stigelio/ / Lipsiae/ / in Officina Valentini/ / Papae/ / ANNO M D XLV (Leipzig, Valentin Bapst d.Ä. 1545) [ VD 16 C 355]. Camerarius, Joachim (d.Ä.): CAPITA PIE / / TATIS ET RELIGIONIS / / CHRISTIANAE VERSIBVS / / Graecis comprehensa ad in-/ / stitutionem puerilem,/ / cum interpreta/ / tione Lati/ / na./ / VERI EPISCOPI SOLICITV -/ / do … indi=/ / cata de cap. XX . act. apost./ / Υποθῆκαι Salomonis […] / / de Teutonicis uersibus translatae / / in Graecos & Latinos,/ / A IOACH . CAMER . PAB ./ / PRECES CHRISTIANAE EX =/ / positae uersibus heroicis a / / Ioan.Stigelio./ / LIPSIAE / / IN OFFICINA VALEN =/ / TINI PAPAE ./ / ANNO / / M. D. XLVI . (Leipzig, Valentin Bapst d.Ä. 1546) [ VD 16 C 356]. Camerarius, Joachim (d.Ä.): Κεφάλαια Χριστιανισμοῦ / Capita pietatis et religionis christianae versibus graecis comprehensa ad institutionem puerilem, in: Reu, Johann Michael: Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands zwischen 1530 und 1600, Erster Teil: Quellen des Katechismus- Unterrichts, Zweiter Band: Mitteldeutsche Katechismen, Zweite Abteilung: Texte, Gütersloh 1911, 600-605 (= Reu 1911). Caselius, Johannes: Jugendgedichte des Humanisten J. C. In Auswahl und mit einer Einleitung herausgegeben von Friedrich Koldewey, Braunschweig 1902 (= Koldewey 1902). Homeri Odyssea, rec. Peter von der Muehll, Stuttgart 1962 (Ndr. Stuttgart 1984). Melanchthon, Philipp: INSTITVTIO / / PVERILIS LITERA / / RVM GRAECARVM ./ / Phil. 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Kalospyros (Athen) Of the three criteria for a scholar to be included in the History of Classical Scholarship, according to Calder and Briggs: 1 i) scholars who were innovative and exerted considerable influence upon their epoch and the forthcoming generations; ii) persons whose lives amounted to more than just bibliographies, which means that the evidence must point to something specific or rather specifically unusual about them; and iii) scholars for whom worthy biographies are available; with the exception of the third criterion - that one may substitute it with collective volumes and chronological introductions - the former two are still available in the case of Joachim Camerarius (12 Apr. 1500, Bamberg - 17 Apr. 1574, Leipzig). Besides, the history of classical scholarship is part of Rezeption , the way in which successive generations have received or reached to the heritage of ancient Greece and Rome. It is certainly not a matter of books about books, not even a collection of summarized biographies in the form of essays about the history of scholarship. It is the experience of Altertumswissenschaft . Therefore, in terms of the history of scholarship, the achievements of Joachim Camerarius, the universal scholar, consist also in the development by him of explanations of the world, that combine Christian religious viewpoints with rational as worldly ones in the vast parameters of philological knowledge. Although my paper’s ambitions were originally limited to the perspective of locating Camerarius’ documented position in the history of German classical scholarship, afterwards the thought occurred to me that it would be more fruitful not to dislocate cultural data from the history of scholarship, such as our scholar’s pedagogical doctrines, manifested in his Oratio de studio bonarum literarum atque artium et linguae Graecae ac Latinae . An attentive reader may find in this Oratio de studio bonarum literarum atque artium et linguae Graecae ac Latinae, pronuntiata in Academia Lipsica à Ioachimo Camerario Pab.[ergensi] Idib. 1 Briggs / Calder 1990, ix-x. 60 Nicholas A. E. Kalospyros [us] Novembr.[is] Anni XLI , published in 1542 ( Excusum Lipsiae, apud Iacobum Berualdum, anno MDXLII ), a philological manifesto of learning and teaching classical thought, whereby humanity stands up as an argument for learning. 2 This Oratio exceeds the typographical expectations of a simple booklet about 40 pages. As usually for humanistic books, Greek and Latin poetical composition embraces the text of Oratio: in pp. A2r-v we find a Latin poem pronounced ad Andraem et Egidium Morchios fratres […] Doctoris elegidion, dedicatorium orationis and in p. clv another poem De morte Simonis Grynei ἐπικήδειον marks the end of the book. The author’s invocation to Deum patrem clementissimi Domini nostri Jesu Christi marks the opening of the booklet; such an invocation is certainly moved by the theological imperative that every intellectual good is proclaimed to God, the source of goodness and wisdom. Then, a rhetorical attempt to raise to God the blessings of study follows an optimistic yearning for philological science; beyond devoting his own life to studying at least splendidly his doctrina , the feeling that it was not in vain prevails. 3 In Camerarius’ Oratio we may find various termini technici usual for humanity scholars’ texts, such as disciplinarum dignitas , praestantia , doctrina , eruditio , humanitas , naturae excellentia , ingeniae et liberalis nomen . His treatise, written in a phenomenical Ciceronian style reminding us of that of Pro Archia poeta , exhortates enthusiasm for those who neither understood nor learned, nor would be able to perceive these courses of classical learning, but who will follow that step with great pleasure. 4 In it there are quotations of Cicero, Martial, Plato’s Respublica , Apostle Paul, Pindar, Demosthenes and Callimachus. His vocabulary is relatively pure from medievalisms and imitates ordinary classical style in the Humanistic era. We have to bear in mind that, although at the previous century students in conservative university curricula were usually required to limit their active vocabulary in prose to words employed by Caesar, Cicero, and Livy, and this standard provided a certain academic discipline, it is seldom sought in an age in which positivistic notions of scholarship have become so prevalent that a man may be accounted a distinguished scholar of Latin without having produced ten lines of original composition in that language. But when Latin is used as an instrument of communication, as it was in humanistic era, it becomes obvious that classical clarity cannot always be attained in the discussion of post-Classical subjects without 2 On which see Høgel 2015. 3 A4r-v: Ego vero quanquam de mea doctrina et qualicunqua eruditione minime omnium splendide sentiam, confido tamen laborem longi temporis in optimarum disciplinarum atque artium cultu absuntum, non frustra neque sine fructu impendisse . 4 Cf. p. Br: Alii qui neque intelligerent neque didicissent, neque omnino percipere illas possent, harum tamen stadium maximo favore prosequebantur . Camerarius’ Oratio de studio bonarum literarum atque artium 61 the use of post-Classical words: for instance editio , versio , typotheta etc. Beyond Camerarius’ great qualification as an eminent writer in Latin language and Ciceronian style, we may again underline the failure of Humanism to establish a literary tradition of its own. Many scholars, by ignoring their own precursors, glanced at their contemporaries and meditated the ancients. Camerarius’ was a conflated style, formed, it would seem, almost entirely by subjective standards, whenever he imitated what pleased him mostly. Anyway, a display of polymatheia and an adhortatio to adolescent pupils to insist on the study of both classical languages but with dignity and pleasure, distill the hardship of literary studies. The most stimulating issue concerning Camerarius’ Oratio is the pending ideological and philological argument aspiring to override pedagogical and aesthetic notions of virtue: the anthem of active Humanism and irreversible optimistic study of classical literature. The whole speech seems addressed to those that were nurturing preparatory schools as entrance to the university tuition, so that they might improve learning through philological acquaintance. It is known that under the names of Lyceum or Gymnasium those German schools gave a more complete knowledge of the two classical languages and perhaps a new thrust to philosophy. The new treatments expanded on many of Erasmus ’ ideas and transposed them into different contexts with theological presuppositions. Again for Camerarius the study of classical texts in an academic sense could in no way be separate from their study for reasons of aesthetic appreciation and particularly moral instruction. This moral signification of classical knowledge enables the transition to the second part of my paper, which could be phrased in the form of a twofold rhetorical question: Should we estimate the biographical events of Camerarius’ life and ascribe him an eminent position in the history of German classical scholarship or render his achievements in a brief note tractable in the pages of a biographical lexicon meant to describe the Humanistic movement? If encyclopedically lemmatized, Camerarius (actually Joachim Kammermeister) is known as a German Humanist and poet, who came from the family of the Bamberg aldermen Liebhard, but he was generally called Kammermeister, since previous members of his family had held the office of chamberlain ( camerarius ) to the bishops of Bamberg. He quickly developed a particular interest in Greek, which he studied at Leipzig with the Englishman Richard Croke (1489-1558) and the German Petrus Mosellanus (1493-1524), and also at Erfurt and Wittenberg, where he became intimate with Philipp Melanchthon (1497-1560), who remained a lifelong friend. He began studies in Leipzig in 1513 ( facultas artium ), in Erfurt in 1518 ( magister artium 1521) and in Wittenberg in 1521, where he enjoyed a close friendship with Melanchthon and, thus, became a follower and pioneer of the Reformation. In 1526 he went into Prussia, and in the year 62 Nicholas A. E. Kalospyros following was nominated by Melanchthon to fill the office of Greek and Latin professor at the newly-founded college (Egidiengymnasium) in Nuremberg. 5 He became professor of rhetoric in 1522, although he often spent long periods in Bamberg and travelling, in 1524 with Melanchthon to Bretten and as Luther’s emissary to Erasmus in Basel. In 1525 he became professor of Greek in Wittenberg, in 1526 rector in Nuremberg, in 1535 professor of Greek at Tübingen, and in 1541 at Leipzig, chiefly teaching Greek and Latin. He evinced an extraordinary passion for that language, and in 1524 put forth his first work, a Latin translation of one of the orations of Demosthenes. Apart from playing an important part in the Reformation movement, his advice was frequently sought by leading men in the economic and scholarly circles of Leipzig in the 16th century. Camerarius’ biography should be treated with respect to that perfect balance between Humanistic teaching and protestant liberalistic views of reorganizing Humanistic discussions about religion and knowledge. 6 After being sent as deputy for Nuremberg to the diet of Augsburg, where he helped Melanchthon in drawing up the Augsburg Confession, he was commissioned by Duke Ulrich of Württemberg in 1535 to reorganize the university of Tübingen and raise the quality of education there, while avoiding the mainstream of the controversies swirling around Württemberg between Reformed and Lutheran fractions, since he was not a major Protestant dogmatician 7 ; in 1541 he rendered a similar service at Leipzig, 8 where the remainder of his life was chiefly spent. 9 Camerarius was a close friend and student of Melanchthon, 10 and was in contact at various times with the circle of classical scholars that included Conrad Mutianus Rufus, Crotus Ruveanus, and Eobanus Hessus. 11 He also maintained a sporadic epistolary friendship with Desiderius Erasmus after their meeting in Basel in the summer of 1524, 12 but this friendship seems to have been strained but not broken by a conflict between the two in 1535 stemming from a letter (now lost) that Erasmus wrote to Eobanus Hessus in which he severely criticized Camerarius’ editions of the works of Greek astrologers. 13 He produced the first printed Greek edition of Ptolemy’s astrology text, the Tetrabiblos , in 1535. It 5 Jürgensen 2002, 127 n. 196. 6 Kunkler 2003 on the pedagogic system of Camerarius. 7 See Harrison 1978, p. 272. 8 See Kößling 2001. 9 See Kößling 2003. 10 On whom see Dingel / Kolb / Kuropka / Wengert 2012. 11 And more; e.g. see Woitkowitz 2008 on the life of the German land surveyor and mathematician Johannes Humelius, his relation to Camerarius and the latter’s apparent company to him who precisely observed the movement of the planets and sun. 12 Bietenholz 1985, 247-248. 13 See Brosseder 2005. Camerarius’ Oratio de studio bonarum literarum atque artium 63 was printed in a quarto format by the publisher Froben at Nuremberg along with Camerarius’ translation to Latin of Books I , II and portions of Books III and IV , accompanied with his notes on the first two books, the Greek text of the Centiloquium (Καρπός) and a Latin translation from Iovianus Pontanus. An avid believer in astrology, he followed it with a second edition of the Tetrabiblos in Greek in 1553, with an accompanying Latin translation by Melanchthon and the Centiloquium (Καρπός) in Latin and Greek. This was printed in Basel, Switzerland in octavo format by Johannes Oporinus. During his lifetime Camerarius published widely on a range of subjects, including editions of Homer, Sophocles, Cicero, and Plautus; a recent estimate of his output puts the number of books published under his name at “at least 183”, not including minor revisions of works and reprintings. 14 He bequeathed his pupils the seal of scholarship and his contemporaries admired his manifold Humanistic activities. For example, the French eminent scholar Adrianus Turnebus (1512-1565) seems to have thought highly of Camerarius and their correspondence is an attested evidence of scholarly intercourse between France and Germany; adjusting to Stählin’s observation that the progressive influence of the new scholarship in France upon scholarship in Germany and in other countries was a decisive fact. Rudolf Pfeiffer extended this observation by presenting two exemplary cases about Melanchthon’s pupils and friends, and more specifically those of Camerarius and of Hieronymus Wolf, 15 both teachers of distinction and heads of the newly founded Protestant schools in Nuremberg and Augsburg respectively; both scholars superior to Melanchthon, and both great editors. Surprisingly the histories of classical scholarship do not provide the readers with a certain evaluation of Camerarius’ philological greatness: Wilamowitz mentions Camerarius’ friendship with Melanchthon, 16 Conrad Bursian Camerarius’ major works and John Edwin Sandys offers a short cv along with the mentioning of Camerarius’ major works. 17 But Camerarius was the most important German philologist of the 16th century. His first editions are still important today, as are his editions based on manuscript material much improved in comparison to others’ earlier attempts. His editio princeps of Ptolemy’s Quadripartitum (Nuremberg 1535) and the Μεγάλη σύνταξις, the Almagest (Basel 1538) are still essential, appearing in modern editions with the abbreviation ‘c’. Camerarius possessed a very wide knowledge of the ancient world, akin to the learned encyclopedism of the 17th century, but still more cultured and sympathetically humane. All his extant manuscripts and letters, the “Cameriana”, are located in the Bavarian State Library. 14 Baron 1978, 8. 15 Pfeiffer 1976, 94; 112; esp. 139. 16 Wilamowitz 1982, 44-45. 17 Bursian 1883, 185-189; Sandys 1908, 266-267. 64 Nicholas A. E. Kalospyros In school education Camerarius recommends that classical literature should be used as a warning example by which pupils can learn a proper method of translation. Just as many early Humanists despised the ad verbum method and execrated the version of Leontius Pilatus, a persistent strain in Humanism continued to look askance at versiones composed on the ad verbum principle. On their first printing in 1537, the versions of Divus had been immediately criticised by Camerarius, in the preface to his own explication of the first book of the Iliad , published in 1538, to which he appended a translation in Latin hexameters ( Commentarius Explicationis primi libri Iliados Homeri, loachimi Camerarii […] Eiusdem libri primi Iliados conversio in Latinos versus, eodem auctore etc., Argentorati 1538). Even if the translator coins good Latin words, Camerarius disapproves of diverging from the laws of Latin syntax and grammar. The ad verbum versions corrupt both the matter and manner of the original as well as obscuring and degrading them and so should be avoided. 18 Camerarius’ acumen enabled him to induce further discussion concerning the authorship of ancient poetry with the blend of poetry. For example, an examination of the Lament for Adonis ’ linguistic and prosodic signals, as well as what might be called its conscious signals, provides ample evidence to uphold Joachim Camerarius’ original hypothesis of 1530 that Bion of Smyrna authored the poem. 19 After all, Camerarius exerted his wonderful erudition almost in every aspect of philological curriculum, from orthography 20 to interpretation; the latter setting his major contribution to encompassing philology with Christian morality. Should the history of interpretation be envisioned as intellectual history, about the ways in which ancient texts were interpreted and discussed in Reformation Europe and under sober theological consideration or liberal theology, and the prominent role such ancient texts and the debates on them played in the intellectual history of Europe, Camerarius’ contribution could be conceived within this very frame of intimate personal scholarship. Therefore, we may ascribe the commentary method the Dutch Humanist and jurist Hugo Grotius (1583-1645) applied in his Annotationes in Libros Evangeliorum (Amsterdam 1641) to Camerarius’ Commentarius in Novum Foedus which was published at first in 1572, thus continuing Flacius’ grammatical approach. 21 In this work, Camerarius argued that the writings of the New Testament must be interpreted from the perspective of its authors and within the understanding of their world; otherwise, it would be impossible to grasp the meaning of the text as each New Testament writer intended it. By insisting on the knowledge of the context of the Biblical authors 18 Sowerby 1996, 177. 19 Matthews 1990. 20 On Camerarius’ Tractatus de orthographia (1552) see Burkard 2003. 21 Law 2012, 39. Camerarius’ Oratio de studio bonarum literarum atque artium 65 and not the opinions of early Church Fathers, as providing the key for interpreting the New Testament , Camerarius founded the historical-critical method 22 to interpreting the Bible for modern Protestant commentaries. His sense about textual sources as resources of interpretation drove him to write an influential commentary on the Theban plays of Sophocles (1534) as an introduction to his commentary on Oedipus Tyrannus , reprinted in Henri Estienne’s 1568 edition and elsewhere, at a time when few readers in early modern Europe were able to read Sophocles in the original Greek. In a time when Aristotle’s Poetics were regarded either obscure or scarcely comprehensible, and fourteen years before Francesco Robortello’s commentary on Aristotle’s Poetics appeared (1548) - establishing Aristotle as authentia on that issue - and just before Melanchthon’s Christianization of Greek tragedy through which Protestant Humanists marked a pivotal moment in the history of interpretation of Greek tragedy, Camerarius performed the Aristotelization of Sophoclean tragedy, 23 in a way of conciliating Aristotle’s normative theory of tragedy in his Poetics and attempts to make sense of Sophoclean drama. Camerarius defines tragedy as a moral lesson, that is an imitation of momentous events entailing an unexpected and undeserved change of the tragic hero’s fortune from bad to good, around περιπέτεια, but categorically rejecting the workings of divine justice against the wicked being punished upon what they deserve, because in such cases the spectators or the readers could neither feel nor have pity, elements that in Aristotle’s concept of ἁμαρτία must result as the emotional effect of tragedy from its plot structure. When Camerarius began in his influential work what Michael Lurie has called the “Aristotelization of Greek tragedy”, 24 the interpretation of the plays according to contemporary understanding of the Poetics , he merely understood tragedy presenting a virtuous person suffering an undeserved fate that arouses in the spectators pity and fear. By reflecting this Aristotelian conception of Greek tragedy, Camerarius sees Antigone as the virtous protagonist unjustly destroyed; even Oedipus, a morally good being, commits crimes unknowingly, as an outcome of ignorance. 25 After all, these moral insights into tragedy reflect Humanist receptions of Greek tragedy, 26 especially in the seminal works of Camerarius and Melanchthon. The extant and thematic range of Camerarius’ writings are typical of a scholar of German Humanism in the 16 th century, in that he left a prodigious oeuvre both of quantity and of thematic usage; unfortunately, there is still no 22 Deines / Niebuhr 2004, 6. 23 Lurie 2012, 441-442. 24 Lurie 2012, 441. 25 See Miola 2014 on early modern reimaginings of Antigone’s story. 26 Lohr 1975, 696. See also Kroker 1929; Stählin 1936; Helbig 1953, 61-107. 66 Nicholas A. E. Kalospyros modern complete edition, nor is there a comprehensive and chronologically reliable bibliography, so as to reinforce his eminent position in German classical scholarship. The number of books printed under his name are at least 183 - translations from Greek to Latin and an almost equally large number of commentaries on Greek and Latin authors, and original works on historical and antiquarian topics -, not to mention minor revisions of works or re-printings; besides, poems in Greek and Latin which attest his excellent knowledge of both classical languages and literary style. In that considerable body of Latin verse, published in vol. II of the Delitiae poetarum Germanorum (1612), we can read two eclogues appearing among the pastorals, literary in inspiration but not wholly derivative in content, and eighteen Latin and two Greek pastorals in Libellus continens eclogas (Leipzig 1568). 27 His pastorals are interesting as a philological project in which he combined various elements from Virgil to present a new bucolic situation that creates new myths, so as to add a new motif to the classical repertoire; for instance, in the attractive second of his eclogues Dirae, seu Lupus , a poem of 112 hexameters with a few elisions. 28 Well-known are also the translation into Latin of two of his friend Albrecht Dürer’s (1471-1528) vernacular works on art expressing the German Renaissance and his composed Epistularum familiarum libri VI , Epistularum familiarum libri V and Epistulae posteriores , published as a corpus of five volumes at Frankfurt in 1583 and 1595. The influence on Camerarius from such poets as Theocritus, Bion and Moschus, and Camerarius’ role in reconnecting 16th-century bucolic verse with the Greek origin of the genre, attribute much to the evaluation of his poetic personality, which lies beyond his philological oeuvre including biographies of celebrated contemporaries, e.g. Helius Eobanus Hessus, Philipp Melanchthon, George of Anhalt and Albrecht Dürer, ecclesiastical history, theological treatises, works of pedagogy and natural science, and a substantial correspondence with contemporary Humanists. The most extensive, however, are his philological works, obviously intended for use in university tuition, as can be seen not only in the manuals of style, rhetoric and grammar, but also in the forewords to his many commented editions of Greek and Latin texts, from Homer to Christian late antiquity. These editions formed the core of Camerarius’ philological activity and form the qualitative arguments upon which he might be considered the most important Humanist after Erasmus. His primary activity was that of a critic, editor, and commentator; he edited and annotated, among others, the following: Demosthenes (1524, 1547), Theocritus (1530, 1545), Dio Chrysostom (1531), Sophocles (1534, 1556), 27 See Grant 1957, 494-496. 28 See Taplin 2004, 551-552 on Camerarius’s Eclogae (ed. crit. Mundt 2004). Camerarius’ Oratio de studio bonarum literarum atque artium 67 Macrobius (1535), Cicero (1538, 1540, 1542, 1543, 1550, 1552, 1562, 1570), Homer (1538, 1540, 1541, 1551), Quintilian (1532, 1538, 1542, 1546, 1549), Aesop (1538, 1539, 1571), Plautus (1538, 1558, 1566), Xenophon (1539, 1543, 1545, 1553, 1561, 1572), Thucydides (1540, 1565), Herodotus (1541, 1557), Euclid (1549, 1577), Vergil (1556), Plutarch (1576). His editions of Aristotle appeared mostly after his death; three opera aristotelica edited by him are Explicatio librorum Ethicorum ad Nicomachum (Frankfurt 1570), Politicorum et Oeconomicorum interpretationes (Frankfurt 1581), and Oeconomica scripta, quae extant titulo Aristotelis in sermonem Latinum conversa et explicata, adiunctaque eis interpretation Oeconomici libri Xenophontis (Leipzig 1564). As it can be seen, works on Greek authors predominate; it should nowadays be generally accepted that Camerarius effectively founded the study of Greek in Germany. Camerarius’ philological logic, applied in his commentary on book one of the Iliad (1538), has been called “the first attempt to write a true commentary” on the work of Homer in the early modern period. 29 His practical aim in writing the commentary seems to have been to make the first book of the Iliad accessible not only to his students, 30 but also available to readers on several varying levels of sophistication as well, since it would have been difficult for all of his prospective readers to have a thorough background in Greek, and therefore he occasionally provides glosses for lines that a reader familiar with Greek would have no particular trouble with. The Basle editions of the Iliad and the Odyssey μετὰ τῆς ἐξηγήσιος (“with the explanation”) which he edited together with Jacob Micyllus (1541 and 1551, respectively), are remarkable contributions to the essential exegetical apparatus handed down from antiquity (namely the D-scholia). Camerarius also produced a commentary on Iliad A and B (Straßburg 1538 and 1540, respectively), in which he offered a pedantic elementary grammatical and syntactical analysis of the text, together with some references to later authors and some antiquarian details, but with very little emphasis on Platonic or Stoic allegory, which he mostly dismissed with utter scepticism. It is noteworthy that in pp. 35-39 of his commentary under the heading De interpretibus Homericis he compiled the first modern list of Homeric exegetes. Though he aimed not at showing off a vast amount of learning towards his colleagues, but rather at determining the moral tenets of the Greek world, all represented in Homer’s epics, his obvious purpose of learning the Greek language is expanded in the promotion of their thought so that it would enhance both the cultural and the moral level of his pupils. This constant and enduring conflict between 29 See Sier 2003 and Pontani 2008; Russo [2016], having prepared a digital MA project of the English translation of Camerarius’ commentary. 30 See Pontani 2008. 68 Nicholas A. E. Kalospyros philology and allegory, between a “textual” and a “moralistic” approach, has been infused in Camerarius’ thought through a commentary viewed not only as a work of scholarship aimed at fellow cultivators of optimae litterae , but also as a multifaceted resource in fact available to readers on several varying levels of sophistication. Although original textual criticism, which is an important feature of Renaissance commentaries on other works, seems to be a noteworthy omission, it is true that Camerarius acknowledged the unique manuscript tradition of the Homeric epic poems in terms of their undisputable reliability in the classical world, which is a philological situation quite different from the one his contemporaries faced when writing commentaries on other classical texts rescued from obscurity. Beyond that, however, Camerarius also displayed a genuine interest in earlier commentators at the fortune of Homer’s poetry among Greeks and Romans, by emphasizing on Homer’s eloquence. His commentary aims at providing the reader with a taste both of the peculiarities a particular Renaissance scholar’s approach to an ancient text would have coped with, and of the culture of classical scholarship within which scholars were studying it. Due to the fact that for him the study of ancient classical texts in an academic sense is in no way separate from the study of them for reasons of aesthetic appreciation and particularly moral instruction, Camerarius tried to exercise the role of translation in perceiving both ideology and rhetorical scope of classical literature; by including two different translations into Latin in the commentary and by proposing in his preface to the line-by-line commentary that the first book of the Iliad would have been useful not only in rhetorical or legal settings but also as an exemplum vitae , he managed to draw regularly in the course of his commentary the reader’s attention to passages which he deems artistically noteworthy. Such a commentary could not have been complete, unless laced with passages from other ancient sources, intended as a tool for understanding the text itself and simultaneously as a resource for seeking instruction from authors outside of Homer, especially Virgil. Probably, Virgil could also provide us with an equally useful set of examples for human instruction and education to those found in the Iliad . 31 The content of the commentary ranges widely, from etymological observations, grammatical and syntactical explanations to metrical analysis, paraphrasing and background ideological information. 32 Eloquence dressing an elegant and flawless style is always admirable; this was the reason for admiring Herodotus and setting forth in 1541 an edition, based on a codex that had belonged to Richard Croke, Camerarius’s teacher of 31 Recent scholars offer evidence that Camerarius practiced the consultation of passages chosen at random from the works of Homer and Virgil for the use of divination and personal instruction: see Baron 1978, 208-209. 32 Pontani 2007, 384-385; cf. Sier 2003 and Ferreri 2003, 47-50. Camerarius’ Oratio de studio bonarum literarum atque artium 69 Greek in Leipzig in the 1510s. Apart from regarding this edition as pointing to a historicization of the father of history metaphor, 33 coloured by his esteem for a father figure from his student years, 34 Camerarius’ preference for Herodotus seemed to arouse for Herodotus’ exemplary figures which overwhelm many historical inaccuracies in the Histories . Camerarius identified the Herodotean historical methodology not with mere rhetorical refinery, but he embroidered it in particular with moral instruction: 35 he could admire the ancient historiographer for the latter’s decision not to satisfy a desire for knowledge, but also to provide instruction and to obtain moral edification through enlivening his narratives which included fables or mythic elements. These personified exempla virtutis found in Herodotus opened the way for seeking much of the same in other Greek historians, such as Thucydides or Livy. 36 How else could a protégé and close friend of Melanchthon not agree with the Lutheran reformer that the main purpose of the study of history was to offer moral examples? Therefore, his biography about Melanchthon ( De Philippi Melanchtonis ortu, totius vitae curriculo et morte […] narratio diligens et accurate Ioachimi Camerarii , Leiden 1566) 37 testifies to this belief in so far as it focused in particular on the exemplary virtues of its protagonist. 38 It was finally as an exemplar of eloquence and morality in style and spirit that Herodotus was described by Camerarius in his 1541 edition of the Histories as “in all respects the chief writer of history”. 39 The summit of his oeuvre, however, was the first complete printed edition of the comedies of Plautus, adiectis […] argumentis et adnotationibus , first published in 1552 at Basel, which ushered in a new phase in the history of early modern Plautian philology. Whereas all previous editions had been based on late and haphazardly distorted Humanist manuscripts, Camerarius was the first to draw on two medieval texts, one of which, the Palatini B still called the Codex vetus Camerarii , 40 is a manuscript of German provenance dating from the 10th century, and offers the oldest and by far the most reliable textual basis for the entire Plautian corpus. Admittedly, the degree to which he used that manuscript is variable from play to play. He did achieve the first reasonably reliable division 33 See Paul 2011. 34 See Paul 2011, 262-266. 35 See Landfester 1972. 36 As a Hellenistic scholar, Camerarius was significantly less interested in Roman classical authors. For Livy’s reputation among early-modern historians, see Ullman 1973 and Jardine / Grafton 1990, passim. 37 See Wengert 1995. 38 Kunkler 2000, 187 and 195. 39 Herodoti libri novem […] una cum Joach. Camerarii praefatione, annotationibus (Basel 1541), x. 40 See Torino 2006. 70 Nicholas A. E. Kalospyros of lines throughout the text, cleansed the text of its many Humanist accretions, and broke with the vulgate of the day in hundreds of passages. The other manuscript is C ( Codex alter Camerarii decurtatus ). To this day, no philologist has more generally accepted conjectures in the Plautus texts than Camerarius and no significant improvement in the state of the text he achieved was made until Friedrich Ritschl, working over 300 years later. 41 Being a follower of elegance in style he insistently tried to combine it with allegorical composition and allegorical interpretation as basic exercises to foster mental agility. Thus, for Aphthonius’ progymnasmata that we find almost every day in the schoolrooms of Lutheran Germany, making the same easy transitions between rhetoric and fictional narration, the new translator J. Camerarius did not only append some notes on the exercises but using the fable of Apollo and Daphne he accused Aphthonius of self-contradiction when blaming the authors of poetic fiction for going against what is normal and natural. Those exercises indeed have excellent pedigree as paradigms for linguistic expression and analysis, encourage and generate intellectual pleasure, because they totally rhetoricize allegory 42 as a means of instruction in reading classical poetry, and thence the writing and reading of poetry by adults; perhaps this chapter of education nearly began with another Elementa rhetoricae (Basle: J. Oporinus 1545) on the subject of rhetoric 43 published at first in 1540 by Joachim Camerarius; 44 a typical rhetorical work of him that reflects Camerarius’ integration of Humanism with Protestantism insofar as he placed in it the traditions of the ancient rhetorical manuals and medieval homiletics and added to this a theory of didactic texts. In his Elementa he allowed rhetorical narration and strategies for reading to develop along more interesting ways than Melanchthon’s narrow way, but he kept allegory securely demystified. In Joachim Camerarius’ expression, rhetoric becomes an instrument both of speaking and writing coherently and persuasively and of deriving critical evaluations of Scripture and profane texts. Of course, Melanchthon’s pedagogy had a tremendous impact on the development of Protestant education, although his successors soon narrowed his program by adopting a more rigorous Ciceronianism 45 , and Camerarius, his friend and biographer, was, like Melanchthon, a moderate Ciceronian. For Camerarius, Cicero first demonstrated the full powers of the Latin language and remains the timeless and unsurpassable standard. Furthermore, in the Disputatio 41 See Ritschl 1871; Prete 1978; Stärk 2003; Schäfer 2004. 42 Moss 2003, 225-227. 43 See Henderson 1993. 44 Shuger 2014, 140. On philosophy for Humanists as practical wisdom active in virtue see also Gray 1968. 45 Henderson 1992, 293-294; see Mouchel 1990, 83-88. Camerarius’ Oratio de studio bonarum literarum atque artium 71 de imitatione that Camerarius included in his commentary on Cicero’s Tusculan Disputations , he responds to Erasmus’ Ciceronianus (1528), 46 i.e. a treatise attacking the style of scholarly Latin written during the early 16th century, which style attempted to adherently imitate Cicero’s Latin. Camerarius included letter-writing in his Elementa , a textbook that adapted the ancient progymnasmata in a graded series of exercises: narratio ( fabula and historia ), expositio and descriptio , chreia , sententia , ethologia , epistola , comparatio , paraphrasis , imitatio , aetiologia , aenigma , loci communes , probatio and reprehensio , laudatio and vituperatio . His illustration of most of these exercises, for instance his famous description of Albrecht Dürer’s “Melencolia I” as an example of expositio and descriptio ( ecphrasis ), suggest that he encouraged original composition. 47 Camerarius edited a Greek text of Theon’s progymnasmata adorned with model themes from Libanius together with a Latin translation of the exercises and the themes in 1540; Theon commenting briefly on letter-writing. If we consider the axiom that intellectual history is not the story of personal genius, great ideas, or chains of influence, but only a project of applied scepticism, 48 rhetorical projects in the Confessional Age were elaborated and schematized upon the classical canon, supplemented at times by select Church fathers and the leading Humanists of the preceding generations. When Camerarius assures his readers that rhetoric must be taught to schoolboys “so that we can defend against the ignorance and rudeness of our age and repel nonsensical barbarisms”, 49 the more overtly political function of oratory in fostering obedience to the law or modifying the behaviour of the masses ( in moderanda plebe ) cannot be really excluded from the purpose of preparing textbooks on rhetoric larded with rules for correct usage and designed to raise neo-Latin to the Italian standard. 50 But Camerarius’ notion of rhetoric did not entail any sort of scepticism, for it enhanced upper moral and pedagogic intentions such as those of hagiographic writing. Hagiography was practised particularly intensely throughout the Middle Ages and it was closely linked to the medieval concept of sainthood and to the ritual of the cult of the saints. These Lives were generally brief, quite unlike some luxuriant Humanist biographies such as Erasmus’ Life of Jerome or Camerarius’ Life of Melanchthon. 51 The later sixteenth-century Lives of the 46 Two editions were published in 1538 in Basel by R. Winter; Gerl 1978 analysed one of them. 47 Edited and translated by Heckscher 1978. 48 Ong 1958 and Gross 2003, 9-91. 49 Camerarius 1540: ut […] defendere contra imperitiam et ruditatem saeculi nostri, utcumque ab his barbariae furorem propulsare […] possimus . 50 Gross 2003, 92-93. 51 Camerarius 1566; see Wengert 1995. Neander 1841. See also Gross 2012, 131 and Martin 2001, 314; though Scheible 1995 concerning Melanchthon’s personality tried not to resort 72 Nicholas A. E. Kalospyros reformers, regardless of whether they were friendly or hostile, helped create an image or images of the Reformation which survived into the twentieth century and beyond, although the original accounts remain for the most part forgotten and neglected. Moreover, rhetoric could disclose the meanings of enigma and apocalypse, 52 which might “exercise the intelligence” according to Poole recapitulating the vices of style presented by George Puttenham in his Arte of English Poesie (1589). 53 In the case of the application of rhetorical analysis to Biblical text this point is always crucial, mainly for a Protestant scholar that adjusted himself to a historically orientated interpretation of the sacred texts. If the 15th century had rediscovered antiquity, then the 16th was slowly deciphering it. The spirit of the Revival of Learning, so called, ordered that the position of classical philology was originally and essentially ancillary, so that ancient authors were to be rescued and brought back into the effective service of humane studies. Although in the stylized prefaces of the early editors of the text, who seem to prefer to discuss rather anything than the text of the author and its sources, one commonplace is recurring again and again: the idea, expressed in images of polishing the rust engendered by centuries of slothful neglect, that the editor’s task should restore the author to its pristine splendour, Camerarius’ teaching and editing career has been an excellent exception. Whilst he adjusted his vast knowledge of Altertumswissenschaft - forgive my conscious anachronism in favour of expression - to his liberal theological view and Humanistic methods of pedagogy, he left behind him more than an admonition of science and research. 54 Only a few could then be aware of his innovative genious in Greek studies; the Wechsel’s house refusal to publish his Greek letters in 1577 is an indication of the lack of highly competent Hellenists in the republic of letters. 55 To conclude with, Camerarius is a conspicuous figure in the Revival of Letters and the Reformation in Germany; 56 perhaps its suitable avatar. 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Oft gab er etwa vorhandene Übersetzungen heraus und ergänzte sie, wenn sie unvollständig waren. Mitunter steuerte er Vorworte zu Erstausgaben bei. Aus Briefen wird deutlich, dass er als Anreger von Übersetzungen und Ausgaben tätig war. Er verstand sich offenbar als Teilnehmer eines Unternehmens, an dem damals führende Gelehrte, vor allem Gräzisten wie etwa Melanchthon, beteiligt waren. Ziel dieses ‚Langzeitprojekts‘ war die Erschließung der griechischen Literatur für den deutschen Humanismus. Im Folgenden soll eine eher untypische Übersetzungsleistung des Camerarius gewürdigt werden, nämlich sein Glossar menschlicher Körperteile. Dieses medizinische Fachlexikon erschien 1551 in Camerarius’ Leipziger Zeit. Gleichzeitig kamen unter seiner Beteiligung die umfangreiche Xenophon-Übertragung 2 so- 1 Im Rahmen des DFG-Projekts „Opera Camerarii“ an der Universität Würzburg wurden bislang 858 Drucke ausfindig gemacht, an denen Camerarius in irgendeiner Form beteiligt war. 2 Xenophontis Philosophi et historici clarissimi opera, quae quidem Graece exstant, omnia, partim iam olim, partim nunc primum, hominum doctissimorum diligentia, in latinam linguam conversa, atque nunc postremum per Seb. Castalionem de integro, magno studio suorum compendio, recognita . […], Basel (Michael Isengrin) 1551. 78 Thomas Baier wie einige pädagogische 3 und rhetorische 4 Schriften heraus, die wenigstens im weiteren Sinn dem Umkreis der Übersetzertätigkeit zuzurechnen sind. Das lateinisch-griechische Glossar medizinischer Begriffe, also gleichsam ein cursus linguae medicinalis , gehört in diesen großen Rahmen, nimmt aber aufgrund seiner Thematik, seines langen Entstehungsprozesses und seiner umfangreichen Einleitung eine Sonderstellung ein. Das in Basel gedruckte zweisprachige Werk wurde bereits im Rahmen des Projekts „Griechischer Geist aus Basler Pressen“ 5 bibliographisch erfasst. Im Jahr 2000 widmete ihm R. Kößling einen Festschriftaufsatz, in dem er das Werk als „Zeugnis renaissancehumanistischer Sprachkultur und Bildungsvermittlung“ würdigte. 6 Die Schrift hat einen recht sperrigen, aber dafür aussagekräftigen Titel: „Aufzeichnungen in beiden Sprachen [also Griechisch und Latein], in welchen sich ein handhabbares Glossar mit den Benennungen aller Teile des menschlichen Körpers befindet, […], wobei auch die Benennungen der mit jedem Körperteil verbundenen Anwendungen und, was sonst noch dazugehört, beigefügt sind, und zwar meist unter Gegenüberstellung von lateinischen und griechischen Wörtern“. 7 Das Glossar dürfte ein besonderes Herzensanliegen des Camerarius gewesen sein. Womöglich handelte es sich sogar um seine Leipziger ‚Lebensaufgabe‘. Nachdem der gebürtige Bamberger sich im Alter von 16 Jahren in Leipzig immatrikuliert und dort seine ersten Studien absolviert hatte, kehrte er nach Stationen in Wittenberg, Nürnberg und Tübingen 1541 als Ordinarius an seine alte Alma Mater zurück. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein angesehener Editor und Übersetzer, daneben auch Dichter. In Leipzig scheint sich Camerarius nichts weniger vorgenommen zu haben als eine Grundlegung der Wissenschaft 3 Z. B. Praecepta morum ac vitae accommodata aetati puerili, soluta oratione et uersibus quoque exposita a Ioachimo Camerario Pabergensi. itemque de gymnasiis dialogus. ludus septem sapientum. Leipzig (Valentin Bapst d.Ä.) 1551; Libellus scolasticus utilis et valde bonus: quo continentur, Theognidis praecepta. Pythagorae uersus aurei. Phocylidae praecepta. Solonis, Tyrtaei, Simonidis, & Callimachi quaedam carmina. collecta et explicata a Ioachimi Camerario Pabepergensi , Basel ( Johann Oporinus) 1551. 4 Z. B. Primae grammatices graecae partis rudimenta, per Iohannem Metzlerum iam denuo recognita, ac plerisque in locis locupletata. his Pythagorae et Phocylidis opuscula adiecimus , Leipzig (Georg Hantzsch) 1551. 5 Hieronymus 2 2003. 6 Kößling 2000, 61-72. 7 Ioachimi Camerarii Pabergensis commentarii utriusque linguae, in quibus est ΔΙΑΣΚΕΥH ΟΝΟΜΑΣΤΙΚΗ ΤΩΝ ΕΝ ΤΩΙ ΑΝΘΡΩΠΙΝΩΙ ΣΩΜΑΤΙ ΜΕΡΩΝ , hoc est, diligens exquisitio nominum, quibus partes corporis humani appellari solent […], Basel ( Johann Herwagen d.Ä.) 1551. Das Bildungsprogramm des Camerarius 79 aus dem Geist philologischer Forschung. 8 Er ging dabei von der Annahme aus, dass Wissen sich ausschließlich über Sprache kommuniziert und die erste Voraussetzung von Wissenschaft somit die Ausdrucksfähigkeit ist. Insofern sind auch seine medizinischen Studien zunächst einmal philologische Studien. Es ging ihm darum, Latein als Wissenschaftssprache zu erhalten oder, wo nötig, wiederzubeleben. Offenbar war man in Humanistenkreisen der Meinung, dass es um die Pflege der alten Sprachen an den Hochschulen nicht besonders gut bestellt sei. 1538 beklagt Simon Grynaeus (1493-1541) in einem Brief an Camerarius die desertio optimarum artium et studiorum humanitatis . 9 Eben jener Grynaeus, selbst Gräzist und Theologe, außerdem Professor zunächst in Heidelberg, später in Basel, scheint Camerarius auch zur Abfassung des Glossars gedrängt zu haben. In der Widmungsepistel hebt Camerarius nämlich hervor, dass er schon lange an einer Sammlung medizinischer Begriffe arbeite und von Freunden zu deren Veröffentlichung ermuntert worden sei. Inter hos instare mihi adsiduo, et urgere me vehementer, sapientia et doctrina excellens vir, Simo Grynaeus . Der Duktus des Widmungsschreibens erweckt den Eindruck, als sei hier ein lange gehegtes Vorhaben endlich umgesetzt worden, und die warmherzige Erwähnung des zum Veröffentlichungszeitpunkt bereits zehn Jahre verstorbenen Grynaeus ist weit mehr als bloß ein höfliches Gedenken. Kößling verweist auf Camerarius’ hochschulpolitisches Wirken in Leipzig und sein Rektorat in den Sommersemestern 1544 und 1546, welches der zügigeren Fertigstellung der Schrift im Wege gestanden haben mag. 10 Im Jahr 1551 erschien die Schrift schließlich bei Johann Herwagen d.Ä. in Basel. Dem eigentlichen Glossar geht eine ausführliche Widmungsrede voraus, in der die Bedeutung der Wissenschaftssprachen Griechisch und Latein herausgestellt wird. Sie ist adressiert ad Nobilem Ordinis equestris in Misnia adolescentem Bolgangum Theoderici F. Vuerterensem , den Diplomaten und Juristen Wolfgang von Werthern (1519-1583). 11 Dieser war wie Camerarius selbst ein Schüler von Georg Fabricius und offenbar ein gelehrter, bildungsbeflissener Mann. Das ausführliche Widmungsschreiben umfasst die Seiten a2r bis b3v. Ihm folgt der Abdruck eines kurzen Briefes des Simon Grynaeus (b4r). 8 Vgl. Hamm 2011, 427: Er überarbeitete 1542 die Statuten der Universität und die Satzung der Artistenfakultät; er war um eine Reform im humanistisch-reformatorischen Geist bestrebt. 9 Oberman 1977, 361 Anm. 79. Vgl. auch Kößling 2000, 71 Anm. 18. 10 Camerarius war noch einmal im Wintersemester 1558 Rektor. Vgl. Kößling 2000, 63. 11 GND-Nummer: 117 307 173 (Katalog der Deutschen Nationalbibliothek). 80 Thomas Baier (Würzburg) Das Glossar selbst erstreckt sich über die Seiten a1r bis h2v. Die Seiten sind in zwei Kolumnen à 53 Zeilen angeordnet. Die Spalten sind von 1 bis 498 durchnummeriert. 12 Simon Grynaeus Der Widmungsbrief fällt in seiner Ausführlichkeit und vor allem, was seinen grundsätzlichen Zugriff auf Bildungsfragen angeht, aus dem Schema des Üblichen heraus. Das Verfassen von Vorworten erfolgte - damals vermutlich nicht anders als heute - in letzter Sekunde und meist wohl recht rasch und mit leichter Hand. Der erwähnte Simon Grynaeus, der postum als Spiritus Rector dieser Schrift genannt wird, bezeichnete sich einmal selbst in einem Brief an Camerarius als berüchtigten Vorwortschreiber. In dem nämlichen Brief, datiert auf einen 1. August, abgefasst in Basel und an den seinerzeit in Tübingen lehrenden Camerarius gerichtet, kündigt Grynaeus das baldige Erscheinen der Übersetzungen von Ptolemaeus und Theon an, und zwar his nundinis , auf der bevorstehenden Messe. Damit ist, wie Heinz Scheible gezeigt hat 13 und wie sich aus dem Erscheinungsdatum der Ptolemaeus-Übersetzung ergibt, die Frankfurter Herbstmesse des Jahres 1538 gemeint. Während Camerarius sein Vorwort schon geliefert hatte, stand dasjenige des Grynaeus noch aus: Tua praefatio sic ut voluisti legetur. De mea etiam delibero, et quid et cui. Infamis praefando sum, adeo me typographi ad quidvis, id est ad hos usus natum scriptorem utuntur. 14 Dein Vorwort wird so zu lesen sein, wie du es wolltest. Über meines denke ich noch nach, sowohl über den Inhalt als auch über den Adressaten. Ich bin berühmt-berüchtigt im Vorwortschreiben, sosehr missbrauchen mich die Drucker als einen Schreiber, der für alles Mögliche, besonders für solche Zwecke geboren ist. Das nur wenige Zeilen umfassende Schreiben ist erstens ein eindrucksvoller Beleg für Grynaeus’ nahezu unleserliche Schrift, über deren Zumutungen auch zeitgenössische Drucker regelmäßig Klage führten und die sogar Erasmus von Rotterdam zu mildem Spott veranlasste. 15 Zweitens dokumentiert es seinen kolloquialen Umgangston in Privatbriefen, der selbst vor falschem Latein nicht gefeit war - etwa wenn uti einen Akkusativ regiert. Drittens wird hier die Praxis offenkundig, Vorworte sozusagen „auf den letzten Drücker“ und ohne beson- 12 Kößling 2000, 63-64. 13 Scheible 1989, 151. 14 Zit. nach Scheible 1989, 149. 15 Scheible 1989, 150. Das Bildungsprogramm des Camerarius 81 deren Anspruch niederzuschreiben. Umso auffälliger ist die lange Abhandlung, die dem Medizin-Glossar voransteht. In welchem Zusammenhang steht sie also, wie ist sie zu bewerten? Ein erster Schlüssel könnte ein undatierter Brief des erwähnten Grynaeus sein, den Camerarius an sein Vorwort anhängt (ohne Paginierung). Er lautet in auszugsweiser Übersetzung folgendermaßen: Simon Grynaeus grüßt Joachim Camerarius […] Was das Lexikon angeht, so erfolgte es auf meinen Rat hin; hatte ich doch gehört, dass du einige Notizen gesammelt hattest. Sorge dafür, dass du mehr als genug Kraft und Muße hast, damit du uns immer wieder eine Frucht deiner einzigartigen Begabung und Sorgfalt zuteilwerden lässt. Leb wohl und sei mir gewogen. Eine Krankheit hielt uns zum Herbstanfang leicht im Griff, jetzt hat sie geradewegs eine Pause eingelegt. Der Herr möge uns vor der Krankheit der Hoffart ( impietas ) schützen. Sei nochmals gegrüßt, mit deiner Familie. Dieser Brief ist in zwar kolloquialem, aber tadellosem Latein abgefasst, was jedoch nichts besagt. Scheible konnte aus dem Vergleich von handschriftlich erhaltenen Briefen des Grynaeus an Camerarius mit solchen, die der Adressat nachträglich in seine gedruckten Briefsammlungen aufnahm, zeigen, dass der Bamberger Schulmeister mitunter seiner Profession erlag und korrigierend oder wenigstens glättend eingriff. 16 Wir müssen bei gedruckt vorliegenden Briefen in Camerarius’ Briefsammlungen davon ausgehen, dass sie uns in überarbeiteter Form vorliegen. Die Erschließung der gedruckten Camerarius-Briefe wird darüber näheren Aufschluss geben. Es zählte für Camerarius offenbar der dokumentarische Wert, wie er ihn verstand, nicht aber das Monument. Weshalb ist Simon Grynaeus in diesem Zusammenhang so interessant? Grynaeus starb 1541, im Jahr von Camerarius’ Berufung nach Leipzig, an einer Epidemie, hat also die Publikation des Glossars nicht mehr miterlebt. Mit Camerarius hatte ihn jedoch eine in das Jahr 1524 zurückgehende Freundschaft verbunden. In diesem Jahr war Grynaeus seinem einstigen Schulkameraden Melanchthon nach Wittenberg gefolgt, wo letzterer eine Griechischprofessur bekleidete. Melanchthon widmete ihm eine programmatische Schrift über humanistische Bildung, das Encomium eloquentiae . 17 In Wittenberg lehrte zu derselben Zeit aber auch Camerarius. Zwischen ihm und Grynaeus entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Beide pflegten schließlich enge Kontakte zu Erasmus in Basel, die ihrerseits in die Edition und Übersetzung antiker Autoren mündeten, so etwa die Erstausgabe der Bücher 41-45 des T. Livius. 18 Die Jahre 16 Scheible 1989, 151. 17 Scheible 1989, 143. 18 Scheible 1989, 144. 82 Thomas Baier zwischen 1524 und Erasmus’ Tod im Jahr 1536 dürften also der Auslöser für das humanistische Programm des Camerarius gewesen sein. Er war Teil dessen, was man heute als ein wissenschaftliches Netzwerk bezeichnen würde. Camerarius’ humanistisches Programm Als humanistischen Entwurf im Sinne von Grynaeus und Erasmus wird man wohl auch den Einleitungsbrief des Camerarius zu lesen haben. Grynaeus ist, wie gesagt, als Anreger des Werks erwähnt. Doch auch auf Erasmus beruft sich Camerarius ausdrücklich, und zwar auf dessen Antibarbari - inter quos et Erasmus Roterdamus contra barbaros quaedam conscripsit - gemeint sind die Adagia , die sich einerseits als Sprichwortsammlung verstehen, andererseits aber auch gegen Sprachbarbarei gerichtet sind, also den „bon usage“ verfechten. Camerarius geht sogar so weit und inszeniert sich als alter Erasmus, indem er selbst eine Art Adagium zur Bekräftigung seiner Ausführungen vorlegt (α3r): Surdastro litem surdaster moverat alter, Hisque aderat iudex, surdus utroque magis. Infit hic, Aediculae mihi quintum pensio mensem Debetur: Traxi noctu ait ille, molam. Aspicit hos iudex, et, Quid contenditis? inquit, Est genetrix vobis, praestet uterque cibum. Ein Tauber hatte mit einem Tauben Streit angezettelt, diesen stand ein Richter bei, der beide an Taubheit noch einmal übertraf. Der erste hob an: „Mir wird schon den fünften Monat die Miete für das Haus geschuldet“: Jener sprach: „Ich habe des Nachts die Mühle bedient.“ Der Richter blickte sie an und sagte: „Was streitet ihr? Ihr habt eine Mutter, beide sollen ihr Speis und Trank geben.“ Es handelt sich um die Übersetzung eines Epigramms beziehungsweise einer Facetie aus der Anthologia Palatina (11, 251), die im griechischen Original folgendermaßen lautet: Δυσκώφῳ δύσκωφος ἐκρίνετο, καὶ πολὺ μᾶλλον ἦν ὁ κριτὴς τούτων τῶν δύο κωφότερος. ὧν ὁ μὲν ἀντέλεγεν τὸ ἐνοίκιον αὐτὸν ὀφείλειν μηνῶν πένθ’, ὁ δ’ ἔφη νυκτὸς ἀληλεκέναι. ἐμβλέψας δ’ αὐτοῖς ὁ κριτὴς λέγει· „Ἐς τί μάχεσθε; μήτηρ ἔσθ’ ὑμῶν· ἀμφότεροι τρέφετε.“ Jüngst prozessierte ein Tauber mit einem Tauben, doch fanden sie einen Richter, der viel tauber als beide noch war. Das Bildungsprogramm des Camerarius 83 Klagte der eine, ihm schulde sein Gegner fünf Monate Miete, sagte der andre, des Nachts laufe sein Mühlenbetrieb. Ernst sah der Richter sie an; dann sprach er: „Was zankt ihr? Sie ist nun mal eure Mutter, ihr sorgt beide daher auch für sie.“ 19 Das Nikarchos zugeschriebene griechische Epigramm setzt ein unsinniges Aneinandervorbeireden in Szene. Eine jüngere Arbeit bemerkt dazu: „Im Epigramm wird der absurde dreifache Zusammenfall derselben Defizienz sukzessive akkumulierend durch dreimalige Wiederholung derselben Adj. anhand jeder einzelnen der beteiligten Personen betont. Der Effekt dieses Vorgehens ist, dass sich die Abnormität der Situation immer noch mehr erhöht und als Verdreifachung des Übels besonders deutlich eingehämmert wird.“ 20 Möglicherweise soll auch der Gleichklang der ersten Silbe von μηνῶν und μήτηρ an den Tonstellen der letzten beiden Pentameter das Missverständnis erklärlich machen. Camerarius hat in seiner Übersetzung die entscheidenden Wörter ebenfalls an die Tonstellen gesetzt: mensem , molam , cibum , jeweils an den Versenden. Hört man statt mensem das Wort mensam - was ja durch die Nasalierung leicht zu verwechseln ist, so könnte das Wortfeld „Essen“ den Irrtum des tauben Richters befördert haben. Camerarius’ Übersetzung ist jedenfalls sehr gekonnt, da sie das Versmaß einhält, genauso lang wie das Original ist und sowohl zielsprachenwie ausgangssprachenorientiert ist. Es existiert bereits eine ältere Übersetzung des Thomas Morus, die dieser als junger Mann angefertigt hat. Sie wird von Erasmus in den Adagia zitiert (Nr. 2383, III , IV , 83): Lis agitur, surdusque reus, surdus fuit actor, Ipse tamen iudex surdus utroque magis. Pro aedibus hic petit aes quinto iam mense peracto; Ille refert: Tota nocte mihi acta mola est. Aspicit hos iudex et: Quid contenditis, inquit, An non utrique est mater? utrique alite. 21 Erasmus hatte das Sprichwort Surdaster cum surdastro litigabat zur Erläuterung angeführt: Cum res agitur inter undequaque ridiculos ac stultos . Camerarius verwendet das Bild von der sinnfreien Kommunikation unter Schwerhörigen, um zu demonstrieren, welche Folgen das Fehlen einer gemeinsamen Fachsprache hat. Er bezeichnet die Unmöglichkeit der Verständigung als Inbegriff von barbaries . Dazu führt er aus, Barbarei bestehe in der Missachtung 19 Übersetzung Beckby 1958, 669. 20 Schatzmann 2012, 223. 21 Hier ist die erste Silbe von utrique einmal lang, einmal kurz. 84 Thomas Baier der natürlichen Anlage beziehungsweise Bestimmung des Menschen, und diese erfülle sich ihrerseits in der Denk-, Urteils- und Ausdrucksfähigkeit: Naturae barbaries intellegitur violatio aut neglectio eius, quod generi humano quasi ius quoddam illa sancivit, cogitandi prudenter, & eloquendi diserte, cum honestate et decoro (2). Dies, so Camerarius, entspreche der hominum forma ac species (2). Doch was versteht Camerarius unter einer angemessenen Ausdrucksfähigkeit? Es handelt sich um eine an antiken Vorbildern geschulte Sprache, die sich aber dennoch modernen Erfordernissen anpasst. Camerarius nimmt letztlich auf eine Debatte seiner Zeit Bezug, die, von Poggio Bracciolini angefacht, die Gemüter ungefähr ein Jahrhundert lang erhitzt hatte, nämlich die Frage des Ciceronianismus. Ganz offenkundig tritt Camerarius auch hier in die Fußstapfen des Erasmus; 22 dieser war bekanntlich im Ciceronianus für eine gemäßigte, den Umständen angepasste Cicero-Nachfolge eingetreten. Das aptum wurde zur entscheidenden Kategorie; der „bon usage“ bestimmte sich nicht nur durch die Tradition, sondern vor allem von der Funktion her. Dieselbe Haltung lässt auch Camerarius durchblicken. Nicht nur im Ton, sondern auch im Inhalt gibt er sich als ein zweiter Erasmus. Camerarius als Übersetzer Camerarius sah das Übersetzen durchaus als Teil eines pädagogischen Programms. 23 Eine der allerersten Publikationen, die der zu diesem Zeitpunkt Dreiundzwanzigjährige unter dem Namen Anastasius 24 Quaestor veröffentlicht hatte, trägt den Titel Bonis iuuvenibus εὖ πράττειν. 25 Es handelt sich dabei um eine Art Vorwort zu Camerarius’ eigener Lukianübersetzung. 26 Darin vertritt er die Auffassung: Ego vero non aliam rem existimo magis adulescentum ingenia posse excitare et alere eruditionem, quam stylum. Ille vero vertendis alienis rectissime exercetur, ubi et intra 22 Der These von Gerl 1978, 188, Camerarius entwickle „seinen Leitgedanken […] gegen Erasmus“, kann ich nicht folgen. 23 Diese Bedeutung der Übersetzungskunst für die Schulung des Stilempfindens ist eigentlich evident und wurde von Humanisten immer wieder betont, vgl. etwa zu Poliziano: Baier 2015, 244-248. 24 Anastasius, „der (von Gott) Aufgerichtete“ ist die griechische Übersetzung von Joachim. 25 Necessarias esse ad omne studiorum genus artes dicendi, Philippi Melanchthonis declamatio. Item, Luciani opusculum ad indoctum et multos libros ementem , gedruckt bei Johann Setzer, Hagenau, p. C6v-C7v. Der Druck enthält keine Jahresangabe, das Druckjahr erschließt sich jedoch aus einem Schreiben Melanchthons vom 3. 10. 1523, vgl. Melanchthons Briefwechsel - Regesten online, Nr. 294. 26 Luciani Samosatensis adversus indoctum librorum longa supellectile tumentem sermo , p. C7v-E3v. Das Bildungsprogramm des Camerarius 85 praefinitos terminos consistere, et non pro suo arbitrio fluctuare, sed velut in auctoris quem propositum habet vestigiis manentem sequi oportet, quibus dum inhaeret, saepe dubitat, multa quaerit, diligenter dispicit omnia, nonnumquam desperat, mox recepto animo pergit facere quod instituit, quae omnia mirifice mentem acuunt, et artem iuvant, quam nimis sero nunc fere attingamus: ut nisi certa ratione gubernetur, et omnibus viribus urgeatur, frustra sit laboratum. Ich bin aber der Ansicht, dass keine andere Sache den Geist der jungen Leute so anstachelt und ihre Erziehung so nähren kann wie das Stilempfinden. Dieses schult man wiederum am besten durch das Übersetzen aus der Fremdsprache. Dort ist es nämlich nötig, innerhalb festgelegter Grenzen zu bleiben und sich nicht nach eigener Willkür treiben zu lassen, sondern auf den Spuren des Autors, den man sich vorgenommen hat, zu verharren. Während [der adulescens ] sich [in das Übersetzen] vertieft, gerät er oft in Zweifel, hinterfragt vieles, untersucht alles sorgfältig, verzweifelt mitunter, setzt das Begonnene aber bald fort, wenn er wieder Mut gefasst hat. All das schärft auf wundersame Weise den Verstand und hilft derjenigen Fertigkeit, der wir uns jetzt allzu spät zuwenden wollen. So gilt, dass die Mühe vergeblich war, wenn das Vorgehen [sc. ars ] nicht mit verlässlicher Methode gelenkt und aller Kraft vorangetrieben wird. Man merkt den Zeilen nicht nur die Begeisterung am Umgang mit antiken Texten an, sondern aus ihnen spricht auch bereits die methodische Strenge, die Camerarius später als Herausgeber auszeichnen wird und die in seinem „Meisterstück“, der Plautus-Gesamtausgabe von 1552, zum Ausdruck kommen sollte. 27 Seine erste wissenschaftliche Beschäftigung mit Plautus reichte vermutlich in die Wittenberger Zeit zurück, wo er 1525, also kurz vor der Abfassung von Bonis iuvenibus , von seinem ehemaligen Leipziger Lehrer Veit Werler 28 leihweise eine Plautus-Handschrift erhielt. 29 Es scheint die Zeit gewesen zu sein, in der Camerarius begann, die stilistischen Eigentümlichkeiten verschiedener Autoren zu untersuchen und zu würdigen. Die kleine Erziehungsschrift Bonis iuuvenibus εὖ πράττειν markiert gewissermaßen den Beginn seiner philologisch-pädagogischen Karriere. Der Schrift präludiert eine Abhandlung Melanchthons über die Notwendigkeit rhetorischer Kenntnisse für jede Art des Studiums: De studio artium dicendi . 30 Darin lobt der Humanist den Nutzen der Beredsamkeit und 27 M. Accii Plauti Comoediae XX. diligente cura, & singulari studio Ioachimi Camerarii Pabeperg. emendatius nunc quam ante unquam ab ullo editae: Adiectis etiam eiusdem ad singulas Comoedias Argumentis & Annotationibus , Basel ( Johannes Herwagen d.Ä.) 1552. Zur Genese der Plautus-Ausgabe vgl. Stärk 2005, 287-289. 28 GND-Nummer 119 867 699 (Katalog der Deutschen Nationalbibliothek). 29 In der Praefatio der Plautus-Ausgabe, p. 16, berichtet Camerarius selbst, wie er als puer in Leipzig (1513) erste Bekanntschaft mit Plautus machte und sich als adolescens genauer mit ihm beschäftigte: rem gerere accuratius (ebd., 17). 30 Vgl. Anm. 25, A3r-C6v. 86 Thomas Baier wägt wie Quintilian im zehnten Buch der Institutio oratoria die Vorzüge der Dichterlektüre für die Ausbildung des Redners. Es wird jedenfalls schon aus dem Frühwerk des Camerarius deutlich, dass der Technik des Übersetzens im Ausbilden philologischer Fähigkeiten eine wesentliche Rolle zufällt. De imitatione Im Jahr 1538 - Camerarius war inzwischen nach einer eindrucksvollen peregrinatio academica zum Rektor der Universität Tübingen 31 gewählt worden - erschien die kleine Schrift De imitatione . Eigentlich gehört das Werk in den Kontext eines Kommentars zu Ciceros Tusculanen . Jedoch geriet der Kommentar gleichsam unter der Hand zu einer eigenen disputatio über das Prinzip der Nachahmung, wobei Camerarius seine eigene Auffassung in Auseinandersetzung mit derjenigen der führenden Humanisten entwickelt. 32 Der Form nach handelt es sich um einen Brief an Daniel Stibar, der immer wieder angeredet wird und als fiktiver Dialogpartner Gegenrede hält. Der eigentliche Traktat beginnt mit einem Bekenntnis zu Cicero als idealem Stilvorbild. 33 Camerarius greift also das Thema des zehn Jahre früher erschienenen Erasmianischen Ciceronianus auf. Er beantwortet die Frage, ob man Cicero nachahmen soll oder nicht, mit einem klaren Ja, setzt sich also vordergründig in Opposition zu Erasmus. Im Unterschied zu diesem behandelt Camerarius das Thema aber nicht als satirischen Dialog, sondern führt es auf seine philosophischen Grundlagen zurück. Er entwickelt auf rund 150 Seiten eine Theorie der Nachahmung und deren Bedeutung für die Kulturentwicklung. 34 Seine differenzierte Haltung ist meilenweit von der törichten Beflissenheit des von Erasmus als Karikatur gestalteten Nosoponus entfernt, in dessen Argumentation Imitatio auf ein Affentalent reduziert wird, er selbst sich als simia Ciceronis entblößt. Schulmeister, der Camerarius ist, begreift er die Imitatio als Teil der Stilübung, also als Aufgabe des Grammaticus (p. 23). 35 Die theologische Problematik, die mit der Verwendung des heidnischen Lateins verbunden ist - das zentrale Thema des Erasmus - klammert der Bamberger 31 Vgl. Hamm 2011, 426-428. 32 Zunächst setzt er sich mit Petrus Bembus auseinander, es folgen Poliziano und natürlich Erasmus (p.19). 33 Vgl. p. 22: Expromam igitur coram te, inquam, Daniele, quicquid ego de hac tota re sentio atque teneo . 34 Vgl. p. 137, wo die Nachahmung als Grundprinzip menschlichen Lernens und Voraussetzung jeder inventio dargestellt wird. 35 Er grenzt jedoch (p. 24) den bloßen Spracherwerb, für den der Grammaticus nach landläufiger Meinung vor allem zuständig ist, von der höheren Aufgabe der stilistischen und literarischen Bildung ab. Das Bildungsprogramm des Camerarius 87 Humanist völlig aus. 36 Stattdessen differenziert er sehr genau, worauf sich die Nachahmung eines Autors bezieht, nämlich auf Stil, Gattung oder Inhalt (p. 24). Wo er auf Erasmus zu sprechen kommt, äußert er sich bestimmt, aber versöhnlich (p. 137). Er weist darauf hin, dass Imitatio ohnehin immer nur Ähnlichkeit erstrebt, niemals eine identische Kopie; diese sei weder möglich noch sinnvoll (p. 136). 37 In Anlehnung an Aristoteles und an Quintilian hatte der Humanist die wesentlichen philosophischen Grundlagen dessen entwickelt, was er in der Praefatio zum Medizinglossar wieder aufgreifen wird. Eine Leitthese der Imitationsschrift war, dass letztlich alles durch Nachahmung erlernt werde, Fähigkeiten nicht durch Geburt vererbt würden: Quis est enim peritus ullius rei natus, non factus? (p. 20). Der Mensch wird als ein der Erziehung bedürftiges Wesen aufgefasst, dem nichts von Natur gegeben ist, das vielmehr alles erlernen muss. Doch ist das Lernen durch Nachahmung seinerseits ein natürlicher Vorgang. 38 Camerarius’ offensichtlich an Aristoteles ( Poetik , cap. 4) angelehnte Definition der Imitatio hebt auf die voluptas (ἡδονή) ab, die sich beim Wiedererkennen einstelle. 39 36 Allerdings ist er sich der Tatsache, dass sich die Zeiten ändern und jede Epoche ihren eigenen Horizont hat, bewusst. Doch ist ihm diese Selbstverständlichkeit keine tiefere Erörterung wert (p. 24): Neque enim natura, nec institutio fert, neque patitur diversitas (ut ita dicam) soli atque coeli, ut idem universi per omnia sentiamus, de republica, de religione, de moribus, in philosophia . Möglicherweise an Quintilians Imitatio-Konzept ( inst. or . 10, 2) angelehnt ist der sich anschließende Gedanke (p. 24): Quare haec cuique libertas data est, ut sequatur rationem deliberationemque animi sui: et ea tueatur sententia sua, et oratione affirmet, quae vel respectus Numinis, vel instituta maiorum, leges, tempora, ipsa etiam natura inseverit atque excitarit . 37 Zur Stützung dieses Gedankens, der jedes Kunstwerk als ein Einzelstück betrachtet, verweist er auf Alberti (p. 136). Seine implizite Absicht dürfte es gewesen sein, einerseits den überzogenen Standpunkt des Nosoponus in Erasmus’ Ciceronianus als so abwegig erscheinen zu lassen, dass er eigentlich gar keiner Diskussion mehr bedarf, andererseits aber die Nachahmung von der Verpflichtung, dem Original gleichzukommen oder es zu übertreffen, zu befreien. 38 Vgl. Ioach. Camer. in Tusculan . I, p. 21: Haec est ipsius naturae instructio, hac nemo carere potest . Seine Argumentation ähnelt der Imitatio-Abhandlung Quintilians ( inst. or . 10, 2). Zur Veranschaulichung kommt Camerarius auf zwei Ausnahmetalente seiner Zeit zu sprechen, Lucas Cranach und Albrecht Dürer. Über deren Vorgänger könne man im Vergleich zu den beiden genialen Malern nur lachen; letztere erschienen als parietinarum pictores , als Anstreicher. Und trotzdem stünden Cranach und Dürer auf den Schultern der Altvorderen, seien einer Tradition verpflichtet. Vgl. auch Gerl 1978, 190. Die Anregung zu dem Malereivergleich kann Camerarius von Cicero selbst oder auch von Quintilian erhalten haben. Die eigentliche Gemeinsamkeit mit letzterem ist jedoch der utilitaristische Standpunkt. 39 Ein angenehmer Schauder stelle sich sogar ein, wenn man cadaver, aut crudelitatem aliquam sceleris pictam in tabula (p. 129) betrachte. Das ist ganz offensichtlich nach Aristo- 88 Thomas Baier Das Medizinglossar In der Praefatio zum Medizinglossar 40 wird die Imitatio-Frage auf eine nachgerade literarische Weise wieder aufgegriffen. Camerarius inszeniert sie als einen Dialog, indem er einen fiktiven Gesprächspartner einführt. Die Quintessenz aus dem Gespräch lautet, dass Sachverhalte ( res ) nur durch Sprache zu vermitteln seien, Sprache aber auf Imitatio beruhe, die ihrerseits Voraussetzung gegenseitigen Verstehens sei und auf gemeinsame ‚usancen‘ angewiesen sei: Nulla autem certe est ansa, qua apprehendi possit vera & certa sententia, & animi conceptio, & cogitationis inventum, nisi orationis (α4r). Nachahmung erscheint als eine Grundtatsache jeder Kulturentstehung. Hinter dieser Argumentation, die Neuerung auf den Spuren der Tradition zulässt, steckt offensichtlich Quintilian, auch wenn Camerarius ihn nicht explizit zitiert. 41 Der Autor der Institutio oratoria war seit rund hundert Jahren wieder bekannt. Poggio hatte einen Codex im Kloster St. Gallen entdeckt. Seitdem avancierte Quintilian zum maßgeblichen Schulautor. Camerarius selbst hatte 1527 seine erste Quintilian-Ausgabe besorgt und bei Johann Setzer in Hagenau drucken lassen. 42 Zahlreiche Neuauflagen folgten. Schon Quintilian wusste, dass eine Sprache, die sich nur am Beispiel der Altvorderen orientiert, auf die Dauer sterben musste. Deshalb plädierte er für eine behutsame, aber am Geist der Vorfahren orientierte Weiterentwicklung der Sprache ( inst. or. 10, 2). Nur wurde dies von vielen, die ihn rezipiert haben, nicht erkannt. Auf die großen Autoren seiner Zeit wie etwa Tacitus und die Schriftsteller der nachfolgenden Jahrhunderte hatte Quintilian praktisch überhaupt keinen Einfluss. Dennoch konnte er sich mit seinen Standards durchsetzen, da seine Institutio oratoria sich als Schulbuch etablierte und den Abschluss des Rhetoren-Unterrichts bildete. Der Schulmeister Quintilian wurde zum Schulbuchautor; er wirkte aber eher auf der lebensabgewandten Seite des Unterrichts. Der Ciceronianismus setzte sich als Ideal der Schulprosa durch und behauptet diesen Rang bis heute in den uniteles, poet . 1448 b 10-12, wo von der Freude die Rede ist, die bildliche Darstellungen von θηρίων τε μορφαὶ τῶν ἀτιμοτάτων καὶ νεκρῶν auslösten. 40 Ioachimi Camerarii Pabergensis commentarii utriusque linguae […] 1551. 41 Quintilian hat nach seiner Entdeckung eine breite Wirkung unter Humanisten entfaltet. Zu verweisen ist auch auf Pico della Mirandolas Schrift De hominis dignitate (1487), in der dargelegt wird, dass die Natur des Menschen prinzipiell nicht festgelegt, sondern formbar ist. Anders als ein instinktgeleitetes Tier hat der Mensch somit kein proprium . Daraus erklärt sich das Paradox, das den Menschen zwischen Nachahmung und Neuerung positioniert. 42 M. Fabii Quintiliani Institutionum, liber decimus, sic emendatus, ut praeterquam paucis admodum in locis nihil a studiosis requiri possit. Autore Ioachimo Quaestore . Hagenau ( Johann Setzer) 1527. Das Bildungsprogramm des Camerarius 89 versitären Stilübungen. Wir beobachten in der Geschichte des Lateins daher den erstaunlichen Umstand, dass das gelehrte und das in Schrift- und Alltagssprache verwendete Latein immer weiter auseinanderdrifteten. Man lernte das Latein der Schule, sprach und schrieb aber dasjenige des „Lebens“. Die Kontroverse, die Erasmus und später Camerarius auszufechten hatten, wurzelt in dieser historischen Entwicklung. Camerarius und Platon Nachahmung gibt es freilich im Positiven wie im Negativen, man ahmt gute und schlechte Beispiele, vitia und virtutes , nach. Deshalb komme es, so Camerarius, auf das pädagogische Vorbild an. Das gilt aber nicht nur in Fragen der Moral, sondern auch in Fragen des Ausdrucks und des Stils. Mit dieser Feststellung bezieht sich Camerarius nun auf eine Debatte, die von Cicero ins Zentrum gerückt wurde, nämlich das Auseinandertreten von Philosophie und Rhetorik. Gleich zu Beginn zitiert er Cicero, der seine Überlegungen zum Verhältnis von Form und Argument mit den Worten beginnen lässt: cum controversia aut de re aut de nomine esse soleat . (α2v) 43 Daran schließt er eine lange Erörterung über das Verhältnis von res und verba an. Er schlägt sich unmissverständlich auf die Seite derer, die einen engen Zusammenhang zwischen Inhalt und Ausdruck sehen. Er wendet sich einerseits gegen manierierte Wortkünstler, bei denen die Form wichtiger ist als der Gehalt. Solche nennt er circulatores und praestigiatores (α4v). Viel ausführlicher zieht er aber gegen das andere Extrem zu Felde, nämlich die Verächter jedweder Rhetorik. Unter ihnen nennt er Platon und Galen. Aus dem Sophistes zitiert er die Worte: ἀμελῶμεν ὀνομάτων und zieht sie als Beweis für Platons ablehnende Haltung gegenüber der Rhetorik heran. In dem genannten Platon-Dialog geht es um die Bestimmung des Sophisten und die Frage, in welchen Erscheinungen er auftritt. Der eleatische Fremde, einer der Gesprächspartner, schlägt vor, das Problem über einen Anglervergleich zu lösen und ergeht sich dabei in kleinteiligen Unterscheidungen, bis ihn Theaetet zur Ordnung ruft (220 d 4): Ἀμελῶμεν τοῦ ὀνόματος, ἀρκεῖ γὰρ καὶ τοῦτο. Camerarius zitiert wohl aus dem Gedächtnis, nicht ganz wortgetreu, aber im Wesentlichen sinngemäß, wobei er in diesem Fall die Partei des Xenos bei Platon ergreift. Kurz zuvor hatte er noch klargestellt, welchen Wert eine präzise Begrifflichkeit hat; sie allein erlaube das evidenter ac plane edisserere (α2v). Wo sie fehle, breite sich Dunkelheit, Schwanken und Unsicherheit aus. Ja, mehr noch, Unkenntnis der griechischen Sprache, in der die Wissenschaften nun einmal tradiert seien, ziehe impietas , superstitio und nocentissimi 43 Cic. fin . 4, 57. 90 Thomas Baier errores nach sich. In nachgerade reformatorischem Furor setzt er hinzu: Haec multos deos introduxit, haec disciplinam dissolvit, tyrannides stabilivit, flagitium & dedecus commendavit, virtuti & laudi infamiam addidit . (α2v). Platons Skepsis gegenüber der Rhetorik teilt er ausdrücklich nicht. Noch deutlicher habe Galen gegen die Rhetoren polemisiert: ἀκριβολογίαν τε καὶ μικρολογίαν καὶ λεπτολογίαν vocabulorum habe dieser die verspielte Suche nach Wörtern, exquisitio et aucupatio , genannt und als abgeschmackt und lächerlich, ἐπίτριπτον καὶ καταγέλαστον, abgetan (α3v). Eine Überprüfung des Galen-Textes hat allerdings ergeben, dass das vermeintliche Zitat keines ist und Camerarius die Position des griechischen Arztes polemisch zuspitzt. Galen hatte sich in der Schrift über die Gliedmaßen (Περὶ ἄρθρων ὑπόμνημα) lediglich auf Hippokrates berufen, der seinerseits einen Widerwillen gegen Wortklauberei gehegt habe. An der Galenstelle (18 / 1, 686 Kühn), die Camerarius offenkundig aus dem Gedächtnis zitiert und dazu auch noch sehr frei um Synonyme erweitert und recht blumig ausmalt, geht es um zwei Arten der Hermeneutik: Hippokrates bezeichnet diese beiden Vorgehensweisen als μικρολογία einerseits und als συνήθεια andererseits. Erstere diffamiert er als Herumreiten auf Begriffen, was typisch für Leute sei, die weder reden könnten noch über δύναμις ἑρμηνευτική verfügten. Wer dagegen eine ἐνέργεια τῆς ἑρμηνείας besitze, der blicke nicht auf einzelne Wörter, τοῖς κατὰ μέρος ὀνόμασιν, sondern auf den Fluss der Worte nach allgemeingriechischem Verständnis: ἐπιῤῥέουσιν αὐτοῖς χρῶνται κατὰ τὴν τῶν Ἑλλήνων συνήθειαν. 44 Camerarius sieht in Galens Worten eine Verächtlichmachung der Rhetorik, die dieser für entbehrlich gehalten habe. 45 Er macht sich dagegen zum Anwalt der Genauigkeit, die einem nebulösen Globalverständnis überlegen sei. Er nähert sich der Medizin zunächst mit dem Blick des akribischen Philologen. Das entspricht freilich auch dem Ziel seiner Schrift, in der es ja um genaue medizinische Bezeichnungen geht. Wie angedeutet, steht diese Polemik insofern in der Tradition des Ciceronianismus-Streits, als es auch hier um den rechten Sprachgebrauch geht. Doch haucht Camerarius der mittlerweile fruchtlos gewordenen Debatte noch einmal frisches Leben ein, indem er nicht mehr von den Vorbildern beziehungsweise Autoritäten her denkt, sondern den Zweck der Sprache in den Blick nimmt. Ihm ist nämlich klar, und er sagt das auch ausdrücklich, dass jede Kommunikation 44 18 / 1, 686 Kühn: […] ὥστε τοῦτο τοὔνομα προσέθηκεν Ἱπποκράτης, μηδὲν ὅλως τὴν τοιαύτην μικρολογίαν, ἣν οἱ ζητοῦντες ἐπὶ τὸ πολὺ πάντες ἀδύνατοι λέγειν εἰσίν. οἱ δέ γε δύναμιν ἔχοντες ἑρμηνευτικὴν εἰς τὴν ἐνέργειαν τῆς ἑρμηνείας ἀποβλέποντες οὐδὲ παρακολουθοῦσι τοῖς κατὰ μέρος ὀνόμασιν, ἀλλ’ ἐπιῤῥέουσιν αὐτοῖς χρῶνται κατὰ τὴν τῶν Ἑλλήνων συνήθειαν. 45 α3v: infelicem et miseram […] esse istam exquisitionem et aucupationem vocabulorum, quam nulla ars aut disciplina desideret . Das Bildungsprogramm des Camerarius 91 natürlich συνήθεια beziehungsweise usus oder consuetudo zur Voraussetzung hat. Für eine Fachsprache reicht das gewachsene Sprachgefühl aber nicht aus. Der Sprachgebrauch sondere die wirklich Gebildeten von den pueri, aut ineruditi & semidocti , wobei er noch anfügt, dass der Status des puer sowohl eine Frage des Alters als auch des Intellekts sein könne: Nihil enim refert […] aetate an ingenio aliquis puer sit (α3v). Er nähert sich durch den Blick auf die Funktion der Sprache einem zwar konservativen, aber keineswegs starren Imitatio-Modell an, das demjenigen Quintilians ähnelt. 46 Ist Camerarius am Ende ein Antiplatoniker? Das kann man ihm ganz gewiss nicht unterstellen, im Gegenteil: Die meisten Platon-Zitate werden zustimmend angeführt, und er teilt mit Platon die Skepsis gegenüber sophistischer Rhetorik. Die oben zitierten Gefahren, die Camerarius von Griechisch-Unkundigen ausgehen sah, entsprechen dem, was Platon den Sophisten unterstellte. Der Unterschied ist, dass die einen Verwirrung stiften aufgrund ihrer Unkenntnis, die anderen aufgrund ihrer rhetorischen Brillanz. Camerarius hat den Grundkonflikt zwischen Platon und Gorgias im Blick, also die Alternative zwischen rhetorischer Reinheit und Ausschmückung. Die rednerische Ausgestaltung um ihrer selbst willen führt danach eher zu Verdunkelung als zu Klarheit, das rhetorische Ornament droht den eigentlichen Kern zu überwuchern. Insofern ist auch Camerarius der Vertreter eines konservativen Stils, mit antiken Kategorien würde man sagen: er ist Attizist. Diese Einstellung begründet er, in einer medizinischen Schrift passend, damit, dass eine vernachlässigte Sprache nicht nur Verwirrung beim Gegenüber stifte, sondern auch der geistigen Gesundheit schade, hinterlasse doch die Art zu sprechen einen Abdruck in der Seele. Dieser platonische Gedanke wird durch ein Zitat aus dem Phaedo (115 e 6) unterstrichen (α4v): εὖ γὰρ ἴσθι, ἦ δ’ ὅς, ὦ ἄριστε Κρίτων, τὸ μὴ καλῶς λέγειν οὐ μόνον εἰς αὐτὸ τοῦτο πλημμελές, ἀλλὰ καὶ κακόν τι ἐμποιεῖ ταῖς ψυχαῖς. („Wisse genau, sagte er, bester Kriton, dass nicht schön zu reden nicht nur an sich fehlerhaft ist, sondern auch der Seele etwas Schlechtes einprägt.“) Camerarius scheint die Auffassung zu vertreten, dass der Mensch Sprache und Sprachstil von anderen übernimmt, sie aber zu seinen macht, sich danach gleichsam formt. Denselben Gedanken hatte er in De imitatione zum Ausdruck gebracht: „Jeder pflegt das, was er nach den Beispielen anderer gemacht hat, 46 Vgl. Baier 2015b, 122-129. 92 Thomas Baier als das Seine hervorzuheben und zu bewahren“. 47 „Der Mensch kommt zum Eigenen durch Fremdes.“ 48 Indem Camerarius die sprachliche Gestaltung nicht nur unter dem Aspekt der Kommunikation, sondern auch unter dem der Selbsterziehung und Selbstbeeinflussung deutet, hat er die mitunter verspielte, um nicht zu sagen geistreichelnde Debatte um die richtige Antikennachfolge auf eine neue Stufe gehoben. Er hat ihr nicht nur eine philosophische, sondern auch eine psychologische und damit medizinische Wendung verliehen. Literaturverzeichnis Baier, Thomas: Poliziano als Übersetzer, in: Thomas Baier / Tobias Dänzer / Ferdinand Stürner (Hgg.): Angelo Poliziano. Dichter und Gelehrter (NeoLatina 24), Tübingen 2015, 243-257 (= Baier 2015a). Baier, Thomas: Quintilians Versuch einer funktionalen Literaturbetrachtung, in: Christine Walde (Hg.): Stereotyped Thinking in Classics. Literary Ages and Genres Re-Considered = thersites 2, 2015, 112-132 (= Baier 2015b). Baron, Frank (Hg.): Joachim Camerarius (1500-1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation (Humanistische Bibliothek, Abhandlungen 24), München 1978. Beckby, Hermann (Hg.): Anthologia Graeca. Griechisch-Deutsch, Bd. 3, München 1958. Camerarius, Joachim: Ioachimi Camerarii Pabergensis commentarii utriusque linguae, in quibus est ΔΙΑΣΚΕΥH ΟΝΟΜΑΣΤΙΚΗ ΤΩΝ ΕΝ ΤΩΙ ΑΝΘΡΩΠΙΝΩΙ ΣΩΜΑΤΙ ΜΕΡΩΝ , hoc est, diligens exquisitio nominum, quibus partes corporis humani appellari solent […], Basel ( Johann Herwagen d.Ä.), 1551. Camerarius, Joachim: M. Accii Plauti Comoediae XX . diligente cura, & singulari studio Ioachimi Camerarii Pabeperg. emendatius nunc quam ante unquam ab ullo editae: Adiectis etiam eiusdem ad singulas Comoedias Argumentis & Annotationibus, Basel ( Johann Herwagen d.Ä.), 1552. Gerl, Hanna-Barbara: „De imitatione “ von Camerarius. Die Wichtigkeit der Nachahmung für humanistische Anthropologie und Sprachtheorie, in: Baron 1978, 187-199. Hamm, Joachim: Camerarius (Kammermeister), Joachim d.Ä., in: Wilhelm Kühlmann u. a. (Hgg.): Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 1, Berlin / Boston 2011, 425-438. Hieronymus, Frank (Hg.): En Basileia polei tēs Germanias. Griechischer Geist aus Basler Pressen, Basel 2 2003. 47 Itaque et aliorum exemplis factum quisque suum extollere ac tueri […] solet . Dahinter stehe die Überzeugung, alles lasse sich auf eine Ähnlichkeit zurückführen, ad aliquam similitudinem referri cuncta (p. 21). 48 Gerl 1978, 191. Das Bildungsprogramm des Camerarius 93 Kößling, Rainer: „humanitas - das schönste Wort der lateinischen Sprache“. Joachim Camerarius’ lateinisch-griechischer Wortschatz der menschlichen Körperteile - ein Zeugnis renaissancehumanistischer Sprachkultur und Bildungsvermittlung, in: Irmhild Barz / Ulla Fix / Marianne Schröder / Georg Schuppener (Hgg.): Sprachgeschichte als Textsortengeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag v. Gotthard Lerchner, Frankfurt am Main / Berlin / Bern / Bruxelles / New York / Oxford / Wien 2000, 61-72. Kühn, Carl Gottlob (Hg.): Claudii Galeni Opera Omnia, tomus 18, pars 1, Leipzig 1829, ND Hildesheim 1965. Melanchthons Briefwechsel - Regesten online [http: / / www.haw.uni-heidelberg.de/ forschung/ forschungsstellen/ melanchthon/ mbw-online.de.html]. Oberman, Heiko Augustinus: Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf (Spätscholastik und Reformation 2), Tübingen 1977. Schatzmann, Andreas: Nikarchos II . Epigrammata, Einleitung, Texte, Kommentar (Hypomnemata 188), Göttingen 2012. Scheible, Heinz: Simon Grynaeus schreibt an Joachim Camerarius. Eine Neuerwerbung der Universitätsbibliothek Heidelberg, Heidelberger Jahrbücher 33, 1989, 141-156. Stärk, Ekkehard: Camerarius’ Plautus, in: Rainer Kößling / Günther Wartenberg (Hgg.): Joachim Camerarius (Leipziger Studien zur klassischen Philologie 1), Tübingen 2003, 235-248 und in: Ekkehard Stärk: Kleine Schriften zur römischen Literatur, herausgegeben von Ursula Gärtner / Eckard Lefèvre / Kurt Sier (Leipziger Studien zur klassischen Philologie 2), Tübingen 2005, 287-298. Der Libellus gnomologicus des Joachim Camerarius (1569): Bemerkungen zur Entstehungs- und Textgeschichte sowie zur pädagogischen Intention Marc Steinmann (Gießen) Brittae, luci quondam meae, cuius amorem repente amisi Einleitung Die Klage, daß es bis heute keine befriedigende Gesamtdarstellung der Vita des Polyhistors Joachim Camerarius gebe, gehört seit etlichen Jahrzehnten zu den Gemeinplätzen der Camerarius-Forschung. Kurzbiographien und Abrisse gibt es manche, doch umfassendere Studien sind hauptsächlich erst in diesem Jahrhundert entstanden. 1 Auch eine abschließende Werkübersicht seiner selbständig oder als Beigaben zu Werken anderer erschienenen Arbeiten bleibt ein Desiderat. „Editorisch ist das Werk von Camerarius so gut wie unerschlossen.“ 2 Der Hauptgrund hierfür dürfte, wie Mundt richtig betont, 3 die Ehrfurcht gebietende Weite von Camerarius’ Gesichts- und Arbeitskreis sein, und zwar nicht nur auf 1 Camerarius’ Vita ist nur zu einem kleinen Teil Gegenstand der vorliegenden Abhandlung, weshalb der Einfachheit halber auf die rezenten Überblicke bei Mundt 2008, Mundt 2004, IX-XXI, Hamm 2011 sowie Woitkowitz 2003, 19-27 (Forschungsüberblick) und 32-46 (Lebensabriß) verwiesen sei, wo sich jeweils bibliographische Angaben zur älteren Literatur finden. 2 Mundt 2004, XIV. Einen guten ersten Überblick gibt immer noch die Aufstellung in Fabricius’ Bibliotheca Graeca (Fabricius 1746, 493-532), ferner die (freilich nur aus Sekundärquellen zusammengestellte) Werkübersicht von Baron / Shaw 1978. Jetzt sind die online verfügbaren Kataloge VD16 und VD17 hinzuzuziehen, die manche Ergänzung bringen. Vgl. Mundt 2004, X-XVIII. Ein auf Vollständigkeit zielendes und wesentlich detaillierteres Werkverzeichnis ist innerhalb eines durch die DFG geförderten Projektes (2017-2019) an der Universität Würzburg im Entstehen begriffen: Opera Camerarii. Eine semantische Datenbank der gedruckten Werke von Joachim Camerarius d.Ä. (1500-1574) . Vgl. einstweilen <http: / / www.camerarius.de/ > [18. 03. 2017]. 3 Mundt 2004, IX. 96 Marc Steinmann dem engeren philologischen Felde - wie wir es heute verstehen -, 4 sondern auch im weiteren geisteswissenschaftlichen sowie im naturwissenschaftlichen 5 und (religions)politischen Bereich. 6 „Es gibt überhaupt kaum eine Wissenschaft, die ihm fremd gewesen wäre“, bringt es Friedrich Stählin auf den Punkt. 7 Camerarius’ quasi Omniskienz hatte bereits Andreas Freihub in seiner Leichenrede herausgestellt, wenn er den Verblichenen einen Mann nennt, von dem totum […] bonarum et liberalium artium orbem […] percursum et absolutum esse [„das gesamte Spektrum der guten und freien Künste (d. h. der Wissenschaften) durchdrungen und gemeistert worden sei“ 8 ] und der in den klassischen Sprachen soviel geleistet habe, quantum vix sperari ab ullo alio posse videatur [„wie es von irgendeinem anderen kaum - wie es scheint - erhofft werden kann“]. 9 Camerarius habe zudem so viele und so bedeutende Werke und Kommentare verfaßt, daß omnis posteritas egregie et utiliter instrui poterit et informari [„die gesamte Nachwelt aufs trefflichste und nütztlichste wird belehrt und informiert werden können“]. 10 Mag dieses Lob topologisch überhöht und allzu zuversichtlich gewesen sein, so ist im 19. und 20. Jh. allerdings nahezu das Gegenteil von Freihubs Vision eingetreten: Camerarius und sein Werk sind zunehmend obsolet geworden und heute nur noch wenigen Spezialisten bekannt. 11 Um den Schleier dieses Vergessens wenigstens etwas zu lüften, soll im folgenden ein Werk aus der letzten Schaffensphase des Camerarius vorgestellt und untersucht werden, der Libellus gnomologicus . Daß dabei derjenige Teil dieser Sammelschrift, der das Palladius, dem Bischof von Helenopolis, zugeschriebene 4 Die Textphilologie bildete nur einen kleinen Teil des humanistischen Ideals der harmonischen Ausbildung aller im Menschen ruhenden geistigen Gaben. Diesem obersten Bildungsziele ist folglich auch die heute geläufige Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften wesensfremd (vgl. auch Almási / Kiss 2014, V-VI). 5 Camerarius war z. B. auch ein anerkannter Astronom und stand mit vielen Ärzten in reger Korrespondenz. Hierzu etwa Stannard / Dilg 1978 sowie die Beiträge von M. Gindhart, M. Huth und U. Schlegelmilch in diesem Band. 6 Man denke nur an Camerarius’ über vier Jahrzehnte währende enge Verbindung mit Melanchthon (bis zu dessen Tode) - worüber Stählin 1936, 3: „[…] ihre geistige Verwandtschaft ist so nahe, daß eine reinliche Scheidung ihres gedanklichen Eigentums schwer möglich ist.“ - oder an Camerarius’ Wirken an der Oberen Schule in Nürnberg (hierzu u. a. Mährle 2014). Zu Camerarius’ politischem Wirken vgl. z. B. die Beiträge von Woitkowitz und Bruning in Kößling / Wartenberg 2003. 7 Stählin 1936, 2. 8 Hier und im folgenden stammen Übersetzungen aus dem Lateinischen vom Verfasser, sofern nichts anderes angegeben ist. 9 Freihubius 1574, C1v. 10 Freihubius 1574, C2v. 11 Vgl. u. a. schon Stählin 1936, 1: „[…] am Ende des 18. Jahrhunderts riß sein Andenken nahezu ab. Seitdem ist es so still um ihn geworden […].“ Camerarius’ Libellus gnomologicus 97 griechische Werk De gentibus Indiae et Bragmanibus enthält, etwas ausführlicher behandelt werden wird als die übrigen Teile, sei dadurch gerechtfertigt, daß einerseits der erste Teil, eine Sentenzensammlung, recht disparat wirkt 12 und daß wir andererseits Joachim Camerarius die Editio princeps der Schrift des Palladius verdanken. Allerdings handelt es sich, wie damals weithin üblich, um einen diplomatischen Abdruck einer einzigen Handschrift, die Camerarius jedoch - und da sind wir wieder bei seinen oben angeführten lobenden Attributen - nicht nur in lucem edidit , sondern auch ins Lateinische übersetzt, ihr exegetische Anmerkungen beigegeben und in der Praefatio in einen größeren translationstheoretischen und pädagogischen Zusammenhang gestellt hat. Im Rahmen eines Aufsatzes können freilich nur einige Schlaglichter auf dieses in der Forschung bisher anscheinend überhaupt noch nicht behandelte Werk geworfen werden. 13 Dafür soll es quasi schichtweise von außen nach innen inspiziert werden. Beginnen wir also mit dem Äußeren, der physischen Werkanalyse. Beschreibung des Werkes Der Libellus gnomologicus ist eine Ausgabe in Klein-Oktav 14 und umfaßt außer der Titelseite und deren leerer Rückseite 309 arabisch numerierte Seiten mit zusätzlicher Zählung A 2-8 , B-V 1-8 , X 1-4 . 15 Erstaunlich ist, daß es weder eine Angabe des Druckers noch des Jahres gibt - nicht auf der Titelseite und auch nicht als Kolophon. Nun ist das Titelblatt des Münchener Exemplars unter dem Privileghinweis beschnitten und mit etwas hellerem Papier hinterlegt. 16 Anfragen bei 12 Das Band, das alle Auszüge zusammenhält, ist freilich die im weitesten Sinne zu fassende moralische Erbauung, die nahezu alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens abdeckt. 13 Die kritischen Editionen des Palladius-Textes von Derrett und Berghoff (vgl. dazu unten den Abschnitt Palladius und sein Werk über die Brahmanen ) führen Camerarius’ Editio princeps zwar an, scheinen sie aber für die Textkonstitution nicht ausgewertet zu haben. Derrett hat das in der BSB München archivierte Exemplar offenbar immerhin im Original eingesehen; vgl. Derrett 1960a, 86. 14 Mithilfe der Maßskala im Digitalisat der BSB München (= Camerarius 1569) lassen sich als Abmessungen ca. 16 cm Höhe und 9 cm Breite ermitteln. Dieses Digitalisat liegt im folgenden allen Zitaten aus dem Libellus gnomologicus zugrunde. 15 Für die Titelseite ist folglich die Zählung [A1r] zu erschließen. Die Rückseite von X 4 ist leer und entspräche der arabischen Nummer 310. 16 Das hat bereits Derrett 1960a, 86 mitgeteilt: „[T]he copy I saw (München, Staatsbibliothek, A.gr.102) had the date removed carefully with a pair of scissors.“ Auf e-briefliche Anfrage wurde mir von der BSB München diese (alte? ) Restauration bestätigt. Eindeutig ist jedoch, daß nicht Jahr und Drucker, sondern wohl ein alter Besitzvermerk o. ä. entfernt wurde; vgl. Anhang, Abb. 1. 98 Marc Steinmann weiteren Bibliotheken, bei der SLUB Dresden, der Stadtbibliothek Trier und der HAB Wolfenbüttel, die sogar über zwei Exemplare des relativ seltenen Werkes 17 verfügt, ergaben jedoch, daß auch intakte Titelblätter dieser Informationen ermangeln. Die Angabe sine anno , die u. a. in der Bibliographie von Baron und Shaw auftaucht, 18 ist also auf den ersten Blick korrekt. Allerdings sind wir in der glücklichen Lage, daß auf der ersten Seite der Handschrift, die Camerarius’ Palladius-Text zugrundelag, sich ein Vermerk befindet, der den Leipziger Druck indirekt sehr genau datiert: Camerarius imprimi curavit 1569 Mense Maij. Transmisit 16 Junii [„Camerarius hat für den Druck gesorgt im Mai 1569. Er hat es übersandt (d. h. zurückgeschickt) am 16. Juni“]. 19 Es ist die Notiz des Besitzers Johannes Sambucus - zu ihm später mehr. Daß das Erscheinungsjahr im Buch selbst fehlt, ist auch deshalb merkwürdig, da das kaiserliche Privileg ja auf fünf Jahre gewährt wird. 20 Auch der Drucker kann nur indirekt erschlossen werden. Zwar gab es in Leipzig im Jahre 1569 mehrere Offizinen, 21 doch das Emblem auf der Titelseite weist eindeutig die Druckwerkstatt des Ernst Vögelin aus (vgl. Anhang, Abb. 1): In einem quasi rechteckigen Signet sehen wir in den vier Ecken die Symbole der Evangelisten auf einem großen ovalen Rollwerkrahmen, am oberen Rand des Rahmens die Taube des Heiligen Geistes, darüber in einem Feuerkranz in einer Strahlen-Mandorla das hebräische Jahwe-Tetragramm. Innerhalb des Rahmens 17 Eine Recherche im KVK ergab für die Bundesrepublik Deutschland etwa 20 Bibliotheks- Nachweise (Scans und / oder Mikrofiches vom Münchener Exemplar natürlich nicht mitgerechnet). 18 Auch Fabricius 1746, 493, dem wohl (noch) ein Original vorgelegen haben dürfte, vermerkt, daß das Buch sine anni nota erschienen sei (ebenso Fabricius 1807, 108: sine temporis nota ). 19 Zitiert nach Gerstinger 1926, 348. Nach Kollar 1790, 599 lautet Sambucus’ Notiz leicht abweichend: Camerarius imprimi curavit. 1569. Mense Maji. Remisit 26. Junii - welche Lesart ich für wahrscheinlicher halte. Die mit sehr heller Tinte in wenig sorgfältiger Schrift verfaßte Notiz läßt evtl. auch die Lesart id. Junij zu, womit dann die Iden des Juni (d. h. der 13. 06. 1569) bezeichnet wären. 20 Nach Koppitz 2008, 68 ist ein solches Privileg für Camerarius mit lateinischem Wortlaut am 02. 11. 1568 von Maximilian II. um fünf Jahre verlängert worden (leider teilt Koppitz grundsätzlich nicht die Texte der Privilegien mit). Nach Kirchhoff 1893, 345 Anm. 11 heißt es im Privilegtext, „daß alles[,] was Camerarius geschrieben habe und noch schreiben werde, für das ganze Reich ‘ ac Regnis at Provincijs nostris haereditariis ’ privilegiert sein solle, und zwar auf 5 Jahre von dem Erscheinen eines jeden Buches ab. Ohne des Camerarius Erlaubni[s] dürfe kein Buchdrucker oder Buchhändler auswärts gedruckte Ausgaben einführen, bei Strafe von 5 Mark löthigen Goldes und bei Verlust der Bücher: et totidem tibi Joachimo Camerario, vel haeredibus tuis, vel etiam Chalcographo, qui libros et opera illa te mandante ediderat (quatenus inter Vos sit conventum) .“ 21 Nach Reske 2007, 520-525 sind Ende der 1560er Jahre in Leipzig aktiv: Jakob Bärwald, Hans R(h)ambau, Ernst Vögelin, Andreas Richter. Camerarius’ Libellus gnomologicus 99 ist in der oberen Hälfte des Ovals der Gekreuzigte mit der Inschrift INRI über seinem Haupte zu sehen, umgeben von Wolken. Auffällig ist das horizontal weit ausladende Lendentuch, das wie eine Fahne im Winde weht - wohl ein Bezug zur Siegesfahne des Auferstandenen. 22 Der Fuß des Kreuzes steht auf der von zwei Cheruben bewachten Bundeslade, die wiederum auf der Weltkugel ruht, gleichzeitig aber den Tod (symbolisiert durch das Gerippe) und den Teufel (symbolisiert durch die Schlange) niederdrückt. Das Druckeremblem in dieser Ausführung hat Vögelin offenbar von ca. Anfang 1564 an verwendet. 23 Seine Erben 22 Laut dem online-Kunstlexikon von Peter W. Hartmann (zuerst als Printausgabe 1996), s.v. „Kreuzigung Christi“, <http: / / www.beyars.com/ kunstlexikon/ lexikon_5131.html> [15. 02. 2016] weist das Lendentuch (Perizoma) „bei romanischen Kruzifixen nur Längsfalten [auf], ist […] in der Gotik gerafft und mit Querfalten versehen. Im Barock entwikkelte die Gestaltung des Lendentuchs eine Eigendynamik mit gebauschten, flatternden, manchmal auch gedrehten Enden.“ Besonders häufig ist diese Art der Darstellung aber auch schon in der Cranach-Werkstatt anzutreffen, so etwa in der Predella des Altars der Stadtkirche in Wittenberg (1547, Corpus Cranach CC-ALT-550-000), die zwischen Luther auf der Kanzel und den Gläubigen einen Gekreuzigten mit extrem ausladendem Lendentuch zeigt. Eine ähnliche Darstellung auch auf einem Kreuzigungsbilde Cranachs (datiert auf 1546, Corpus Cranach CC-BNT-400-062), das sich ehemals in St. Trinitas in Leipzig befand (heute in Privatbesitz). Weitere Abbildungen vergleichbarer Cranach- Werke finden sich im (vorläufigen) digitalen Werkverzeichnis des Corpus Cranach unter <http: / / cranach.ub.uni-heidelberg.de/ wiki/ index.php/ CorpusCranach: Werknummern- Systematik> [15. 02. 2016]. Nun ist eine Verbindung zwischen Cranach und Vögelin - evtl. von Melanchthon oder Camerarius vermittelt (vgl. gleich unten) - nicht unwahrscheinlich, allerdings ist der Künstler, auf den Vögelins Druckermarke direkt zurückgeht, m.W. noch nicht identifiziert. Überhaupt scheint es über Vögelins oder andere Leipziger Druckermarken keine eingehendere Literatur zu geben. Einige Vögelin’sche Marken sind bequem, wenn auch nicht in allzu guter Qualität abrufbar auf der Internet-Seite des österreichischen Museums für angewandte Kunst in Wien: <http: / / sammlung.mak.at/ search? q=v%C3%B6gelin> [15. 02. 2016]. Wie eng die Verbindung vieler Humanisten auch über die Grenzen verschiedener artes hinaus war, zeigt eindrucksvoll ein Brief Melanchthons an Johannes Stigel vom 04. 10. 1543 (der häufig genannte 20. 09. 1544 kann laut den online-Regesten zum Melanchthon-Briefwechsel nicht korrekt sein; vgl. <http: / / www.haw.uni-heidelberg.de/ forschung/ forschungsstellen/ melanchthon/ mbw-online.de.html> [15. 02. 2016], Regestnr. 3332a), in dem Melanchthon Stigel u. a. mitteilt, er habe Lucas Cranach bisweilen Entwürfe für Bibelillustrationen geliefert (Brief 3099 im Corpus Reformatorum V, 557): Venit mihi in mentem pictoris Lucae, cui interdum praeformatas imagines tradere solebam in Bibliis [„Da fällt mir der Maler Lucas ein, dem ich bisweilen Skizzen für Bibeldrucke zu (über)geben pflegte“]. 23 Davor findet sich bisweilen ein einfaches Oval ohne die Evangelistensymbole, dafür unten mit zwei reich verzierten Füllhörnern und zwei Putten. Aus den beiden Cornucopiae steigen zwei weitere Putten (sichtbar ist nur ihr Oberkörper ab der Hüfte), deren linker die Lanze, den Stab mit dem Essigschwamm der rechte trägt. Diese Putten sind sozusagen Atlanten für zwei Engel, die auf ihren Köpfen stehen. Der linke Engel hält mit seiner Rechten das Kreuz, der rechte die Geißelsäule mit seiner Linken; ihre freien ausgestreck- 100 Marc Steinmann haben es bis in die 1590er Jahre unverändert weiter im Gebrauch, später dann in einer architektonisch-figürlichen, barocken Komposition erheblich erweitert. Der Buchdrucker Ernst Vögelin Wie es in Leipzig insgesamt einen besonders intensiven und gegenseitige Früchte bringenden Zusammenhang zwischen Buchdruck und Humanismus respektive Universität gab, 24 so verband Camerarius auch im besonderen „allezeit rege wissenschaftliche und freundschaftliche Beziehungen“ 25 mit dem Buchdrucker Ernst Vögelin - wie auch schon mit dessen Vorgänger Valentin Bapst -, weshalb hier kurz darauf eingegangen sei. 26 Der Konstanzer Ernst Vögelin (10. 08. 1529-20. 09. 1589) ließ sich im Frühjahr 1550 in Leipzig immatrikulieren und wurde im Sommersemester Baccalaureus Artium, im folgenden Wintersemester Magister Artium und im Oktober 1555 Baccalaureus Theologiae. Camerarius, bei dem Vögelin zeitweilig die Stelle eines Hauslehrers innehatte, führte Vögelin wohl in das Verlagsgeschäft des Leipziger Druckers Valentin Bapst (Papst, Papa) ein, welchen Vögelin danach anscheinend als Korrektor und gelehrter Beistand unterstützte. Nach Bapst frühem Tode Anfang 1556 übernahm Vögelin die Leitung des Geschäftes - Bapsts Söhne waren noch zu jung - und heiratete im Juni 1557 Bapsts Tochter Anna. ten Arme berühren die Enden des Querbalkens vom Kreuz Jesu innerhalb des Ovals (z. B. Corpus doctrinae Christianae […] a […] Philippo Melanchtone […] . Lipsiae cum grata & privilegio ad decennium. Anno M. D.LXI. ). Bei einer früheren Variante des Druckeremblems mit Rollwerkrahmen sind unten Gerippe und Schlange und oben Adler und Stier „seitenverkehrt“ zu unserem Emblem angeordnet (z. B. Poemata Petri Lotichi Secundi Solitariensis. Lipsiae in Officina Voegeliana. Cum privilegio quinquennij. Sine anno [1563? ] oder Votum seu Preces. Poematium de horum temporum miseria et cladibus Joachimi Camerarij Pabebergensis , dessen Titelblatt ohne weitere Angaben ist. Der Kolophon gibt aber exakte Daten: Lipsiae anno M. D.LXIII. Cal. Octob. (letzteres handschriftlich zu Novemb. korrigiert) und schon zwei Jahre früher: Libellus brevis et utilis de coena Domini editus autore M. Nicolae Selneccero. Lipsiae anno M. D.LXI. ). - Die verschiedenen Embleme Vögelins scheinen mit der besonderen Situation der Druckerei in diesen Jahren zusammenzuhängen; vgl. Anm. 27. 24 Für die Frühzeit des Leipziger Buchdruckes hat dies z. B. Eisermann 2008 gut herausgearbeitet. Weitere Literatur bei Reske 2007, 514-546. 25 Dyroff 1963, 1138. Pathetischer drückt es Falkenstein 1840, 182 aus: „Was Amerbach für Erasmus, war Vögelin für Camerarius. Seine Drucke sind den Leistungen eines Giunta, Gryphius, Plantin und Elzevir an die Seite zu stellen.“ Vögelin selbst nennt Camerarius im Jahre 1556 meorum studiorum autor et gubernator [„Schirmherr und Richtungsweiser meiner Studien“] ( Oratio habita Lipsiae […], F‹1›v). 26 Alle folgenden Angaben nach dem noch immer grundlegenden Werk von Dyroff 1963, bes. 1138-1139. Weitere Literatur bei Reske 2007, 524. Camerarius’ Libellus gnomologicus 101 Unter eigener Firmierung scheint Vögelin allerdings erst ab 1560 gedruckt zu haben, und zwar Melanchthons Corpus doctrinae Christianae ( VD 16 M 2883). 27 Anfang 1559 erhielt Ernst Vögelin das Leipziger Bürgerrecht. Später unternahm dieser „gebildete, weltoffene tiefreligöse Mann“, der „allem Anschein nach weltlichen Prunk und Lebensfreude nicht“ verschmähte, 28 größere Auslandsreisen, u. a. nach Italien (1567) und Frankreich. Im Juni 1576 wurde Vögelin wegen Kryptocalvinismus angeklagt und floh in die Kurpfalz. Er starb 1589, ohne wieder selbst Bücher gedruckt zu haben. Seine Leipziger Offizin wurde von verschiedenen Druckern weitergeführt, den Verlagsbuchhandel übernahmen zeitweilig einige seiner Söhne. Vögelin hat - was aufgrund der engen Bande der beiden Männer kaum verwundert - ab 1561 bis zu Camerarius’ Tode nahezu alle seine Schriften gedruckt, so auch Mitte 1569 den Libellus gnomologicus . Betrachten wir - bevor dessen Inhalt vorgestellt werden soll - aber zunächst die Genesis dieses Werkes, soweit sie sich rekonstruieren läßt. Die Entstehungsgeschichte des Libellus gnomologicus Der durch die Türkenkriege verschuldete Kaiser Maximilian II . gewährte den nieder- und oberösterreichischen Herren- und Ritterständen am 18. August 1568 im Gegenzug für ihre Geldzahlungen (bzw. eine Steuerbewilligung) die freie Religionsausübung nach der Confessio Augustana (= Augsburger Bekenntnis von 1530). 29 Gleichzeitig sollte diese vorläufige Konzession durch eine Kirchenordnung institutionalisiert werden, zu deren Ausarbeitung „zwölf fromme und angesehene Lehrer, und zwar sechse von dem Kayser, und sechse von den Ständen, worunter zwey aus den Sächsischen Kirchen, ernannt und berufen werden sollten.“ 30 Als sächsische Vertreter waren David Chytraeus aus Rostock 31 und 27 Vgl. dazu Reske 2007, 523. In der etwas undurchsichtigen Übergangszeit zwischen Bapsts Tod und 1564 druckt Vögelin sowohl für Bapsts Erben ( in officina haeredum Valentini Papae ) als auch unter eigener Firmierung ( in officina M. Ernesti Voegelini , oft mit dem Zusatz Constantiensis ). Bis 1569 erscheinen auch noch Drucke mit der Angabe per haeredes Valentini Papae , z. B. Thomae Linacri Britanni de emendata structura Latini sermonis libri VI […] recogniti a Joachimo Camerario Pabebergensi […] Anno M. D.LXIX . - Für Details vgl. Reske 2007, 520-524. 28 Dyroff 1963, 1139. Das folgende nach Reske 2007, 523-524. 29 Vgl. Häberlin 1779, 504-505, Hintergrund und Einzelheiten ebd., 504-534. 30 Häberlin 1779, 505. 31 Schreiben Maximilians II. vom 25. 09. 1568 an die Herzöge von Mecklenburg, Chytraeus nach Wien zu entsenden; vgl. Gillet 1861, 33 mit Anm. 50. - Ursprünglich hatte statt Chytraeus Nicolaus Selneccer (06. 12. 1530-24. 05. 1592), seit 1568 Theologie-Professor in Leipzig, mit Camerarius nach Wien kommen sollen. Als dieser aber ablehnte, fiel die Wahl auf Chytraeus; vgl. Häberlin 1779, 507. 102 Marc Steinmann Joachim Camerarius aus Leipzig 32 auserwählt worden. Trotz großer Bedenken, hauptsächlich wegen seines fortgeschrittenen Alters und seiner Gesundheit, 33 machte sich Camerarius am 18. August 1568, also dem Tage der Konzessionserteilung durch Maximilian II ., von Leipzig aus auf den Weg 34 über Prag 35 nach Wien. Dort traf er zusammen mit dem sächsischen Rat Christoph von Karlowitz 36 am 08. September ein 37 und wohnte wohl die meiste Zeit seines Auf- 32 Schreiben Maximilians II. vom 08. 08. 1568; vgl. Häberlin 1779, 507 und Gerstinger 1926, 344 Anm. 1. 33 Diese Bedenken äußerte Camerarius in mehreren Briefen verschiedenen Personen gegenüber; vgl. etwa den Brief vom 09. 08. 1568 aus Leipzig an Florian Griespek (Camerarius 1595, 51-52: Nimirum afflictam valetudinem non permittere mihi, ut festinatum et longum iter a me suscipiatur [„Freilich erlaube es mir meine angeschlagene Gesundheit nicht, diese eilige und lange Reise zu unternehmen“].), einen Brief gleichen Datums an Christoph von Karlowitz (Camerarius 1583, 96: Nullo enim modo sine praesente discrimine plane capitis, suscipere iam possim longum et festinatum iter [„Unter keinen Umständen vermag ich ohne akute Gefahr für mein Leben die lange und eilige Reise auf mich zu nehmen“].) oder den Brief vom 17. 08. 1568 an Georg Cracow (Camerarius 1595, 98: Atque utinam libuisset et licuisset Illustriss. Principi Elect. me illius labore et periculo liberare. Sed nunc prospiciendum est, non respiciendum [„Ach, hätte es dem durchlauchtigsten auserwählten Kaiser doch beliebt und freigestanden, mich von der gefahrvollen Strapaze jener ‹Reise› zu entbinden! Aber nun heißt es nach vorne schauen, nicht zurück“].). 34 Im Brief aus Leipzig vom 17. 08. 1568 an Georg Cracow heißt es (Camerarius 1595, 98): Iter ingredi cogitabam die crastino [„Ich dachte daran, die Reise am morgigen Tage anzutreten“]. Häberlin 1779, 507 setzt wohl das Reisefälschlicherweise mit dem Briefdatum (17.08.) an. 35 Am 31. 08. 1568 traf er in Prag ein, nachdem er sich noch einige Tage bei Karlowitz aufgehalten hatte; vgl. einen Brief vom 01.09. aus Prag an Florian Griespek (Camerarius 1595, 52-53: […] apud Magnificum D. Carolovicium dies aliquot commoratus […] heri huc, Deo deducente, perveni [„Nachdem ich einige Tage beim hochherzigen Herrn Karlowitz verweilt hatte, bin ich gestern mit Gottes Geleit hier angekommen“].) und einen Brief vom 31.08. aus Prag an Karlowitz (Camerarius 1583, 96-97: Venimus huc hodie post meridiem. […] Crastino itaque die Brodam […] cogitabamus progredi […] [„Wir kamen hierher heute nach Mittag. Wir dachten also daran, am morgigen Tage nach Brod aufzubrechen / weiterzureisen“].). 36 Camerarius und Karlowitz trafen erstmals 1524 in Dresden aufeinander und waren später freundschaftlich verbunden, „ganz in der Tradition von Ciceros Freundschaftsideal“ (Woitkowitz 2003, 59). Für Details vgl. Woitkowitz 2003, passim; zu Karlowitz’ Vita ebd., 49-59. 37 So Häberlin 1779, 507, Gillet 1861, 34 und Gerstinger 1926, 344 Anm. 1. Dies würde zu Camerarius’ eigener Aussage in einem Brief vom 21.09. aus Wien an Georg Cracow passen, wo es heißt (Camerarius 1595, 99): Hic commoramur iam dies 14 [„Wir halten uns hier bereits 14 Tage auf “]. Nach einem anderen Brief käme man allerdings auf den 09. September als Ankunftstag. Am 18. 09. 1568 schreibt Camerarius nämlich aus Wien an Theodor Zwinger d.Ä. (Camerarius 1595, 441): […] hic iam dies decem […] desideo, maxima ex parte apud Cl. V. D. Cratonem summum nostrum [„Ich sitze hier bereits zehn Tage untätig herum, meistenteils bei dem hochberühmten Herrn Crato, unserem engen Camerarius’ Libellus gnomologicus 103 enthaltes beim kaiserlichen Leibarzt Johannes Crato von Krafftheim. 38 Allein die Ankunft von Chytraeus verzögerte sich immer weiter und das Warten und Nichtstun fiel Camerarius zunehmend schwer. 39 Schließlich wurde ihm auf seine Bitte hin erlaubt, nach Leipzig zurückzukehren, wo er am 14. Dezember 1568 über Dresden und Meißen wieder eintraf. 40 Immerhin war es Camerarius infolge der politischen Untätigkeit in Wien möglich, private Kontakte zu pflegen. Daher ist es kaum verwunderlich, daß er unter anderem dem gebürtigen Ungarn Johannes Sambucus ( János Zsámboky, 25. 07. 1531-13. 06. 1584), 41 der für seine Handschriften- und Büchersammlung in ganz Europa berühmt war, 42 Besuche abstattete. Mit ihm stand Camerarius - Freunde“]. - Abhängig sind die Rechnungen zudem jeweils davon, ob man den Ankunftstag in die Zeitspanne von 14 bzw. zehn Tagen mit einbezieht oder nicht. 38 Camerarius am 19. Oktober aus Wien an Hieronymus Wolf (Camerarius 1583, 488): […] gratissima ἡδύσματα praebet nobis consuetudo hospitis mei summi viri et amici Cratonis, qui me et pascit opipare et colloquiis iucundis recreat [„Äußerst willkommene highlights bietet uns der freundschaftliche Umgang mit meinem Gastgeber Crato, einem hochgeschätzten Manne und Freunde, der mich reichlich bewirtet und mit angenehmen Gesprächen erquickt“]. 39 Im selben Briefe an Hieronymus Wolf (vgl. vorige Anm.) heißt es kurz später: Sane molestum mihi est, tam diu hic detineri [„Es verdrießt mich arg, so lange hier festgehalten zu sein“]. Am 30. Oktober schreibt Camerarius betrübt an Christoph von Karlowitz, der Wien schon wieder verlassen hatte (Camerarius 1583, 97): Ad prandium et cenam venientes prodimus, mox recipimus nos tanquam cochleæ subter tectum nostrum [„Zum Mittag- und Abendessen verlassen wir das Haus, bald ziehen wir uns ‹wieder› zurück wie Schnecken unter unser Dach“]. 40 Brief an Christoph von Karlowitz, der bereits spätestens Ende Oktober aus Wien wieder abgereist war, vom 17. 12. 1568 (Camerarius 1583, 98-99): […] venimus Dresdam die huius mensis 10. […] perreximus Misenam, et inde huc venimus nudiusquartus [„Wir kamen am 10. dieses Monats nach Dresden, wir erreichten Meißen, und von dort kamen wir vorvorgestern hierher ‹nach Leipzig›“]. - Ein Propemptikon des Sambucus auf Camerarius’ Abreise aus Wien ( Clariss. Viro D. Joach. Camerario Vienna discessuro ) teilt Hans Gerstinger aus der Münchener Hs. Clm 10 367, fol. 97r in den SAWW 255, 1968, 22 mit. 41 Zu Sambucus’ Leben vgl. u. a. Gerstinger 1926, 260-290 (tabellarische Synopse: 288-290), Almási 2009, 145-197 und zusammenfassend Almási / Kiss 2014, VII-XVI. 42 Joachim Edeling z. B. preist Sambucus’ Bibliothek, die er Anfang 1569 besucht hat, wie folgt (Edeling 1571, B2r): […] | Nec mihi Sambuci varijs conferta libellis, | Prætereunda recens Bibliotheca fuit. | Hic manibus scriptos Graios, veteresque Latinos | Auctores, fœdo qui latuere situ. | Gentibus e varijs collectos undique cernis, | Gratum et mirandae sedulitatis opus. | […] [„Nicht entgehen lassen durfte ich mir die neue Bibliothek des Sambucus, gefüllt mit mannigfaltigen Büchern. Hier ‹sieht man› griechische Handschriften und die alten lateinischen Autoren, die ‹lange› an dunklem Orte verborgen waren. Von überallher aus verschiedenen Ländern zusammengebracht siehst Du sie ‹hier›, ein willkommenes Werk und von bewundernswertem (Sammel-)Fleiß“]. Edeling begleitete zusammen mit Johann Posselius David Chytraeus auf dessen Reise nach Wien (sie trafen schließlich am 10. 01. 1569 in Krems ein), und sein Hodoeporicon in elegischen Distichen stellt die poetische Ausarbeitung seiner Erlebnisse dar. - Vgl. für die Hss., die ehemals in 104 Marc Steinmann wie mit unendlich vielen anderen Humanisten und wie es in der Respublica litteraria allgemein üblich war - in Briefkontakt. 43 Sambucus, zu jener Zeit wohl schon kaiserlicher Hofrat ( Consiliarius Caesaris ), vermerkt bereits kurz nach Camerarius’ Ankunft in Wien erfreut in seinem Tagebuche (Codex Vindobon. lat. 9039, fol. 5a) unter dem 21. September 1568: […] dominica precedente Camerarius cum filio et Crato apud me, bono animo [„letzten Sonntag Camerarius mit seinem Sohn und Crato bei mir, guter Stimmung“]. 44 Während einem dieser Treffen muß Camerarius auch auf Sambucus’ Manuskript der Palladius-Schrift aufmerksam geworden sein und sie sich für eine künftige Edition ausbedungen haben. Dieses Vorgehen war für Sambucus nicht ungewöhnlich. Viele seiner Handschriften stellte er anderen Humanisten für deren Editionen zur Verfügung, wurde doch durch einen entsprechenden Hinweis in der gedruckten Ausgabe schließlich auch sein eigener Ruhm gemehrt. 45 Wie wir aus einem griechisch abgefaßten Briefe des Camerarius an Sambucus, der leider undatiert, aber wahrscheinlich (kurz) nach Camerarius’ Rück- Sambucus’ Besitz waren, die Liste bei Gerstinger 1926. Etliche Ergänzungen dazu jetzt bei Almási / Kiss 2014, 245. 43 Nach Almási 2009, 74 gehörte Camerarius, dessen Sohn Joachim Camerarius d. J. Sambucus’ Kommilitone in Padua gewesen war, zu Sambucus’ „best friends“ nördlich der Alpen. Der erste sicher datierbare Kontakt zwischen Camerarius d.Ä. und Sambucus sei nach Almási 2009, 146 Anm. 5 und Almási / Kiss 2014, VIII Anm. 10 ein Brief jenes an diesen vom 21. Januar 1567 (Camerarius 1595, 408-410), was jedoch durch die Existenz eines Briefes vom 01. 06. 1561 (BSB München, <urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00 094 849-3> bzw. <https: / / opacplus.bsb-muenchen.de/ metaopac/ search? query=urn: nbn: de: bvb: 12-bsb00094849-3> [15. 02. 2016]) falsifiziert wird. Ein Jahr vor dem Brief vom 21. 01. 1567 hatte Sambucus in der zweiten Auflage seiner Emblemata ( Antwerpiae: ex officina Plantini , S. 187-188) Camerarius zudem den Dialog Principum negligentia gewidmet (Text und Übersetzung bei Visser 2005, 143-144, Faksimile des Originals ebd., 242), der in der ersten Auflage im Jahre 1564 noch undediziert war. - Die in der bisherigen Forschung vertretene Ansicht, nach der Sambucus bereits vor seiner 1545 erfolgten Immatrikulation in Wittenberg auch in Leipzig (u. a. bei Camerarius) studiert hätte, scheint nach Almási / Kiss 2014, VII-VIII Anm. 10 fraglich und „doit être révisée“. Doch diese Revision ist wohl unnötig und der frühe Kontakt beider ziemlich gesichert, wozu vgl. Verf.: Joachim Camerarius d.Ä. und Johannes Sambucus’ Kindheit und Jugend (in Vorbereitung). 44 Nach Gerstinger 1926, 343-344. 45 Vgl. die Auflistung der zahlreichen Editionen ex bibliotheca Sambuci bei Almási 2009, 223-224 Anm. 95 und Almási / Kiss 2014, LIII-LXIX. - Auch Camerarius lobt im Vorwort des Libellus gnomologicus (S. 23-24) Sambucus und dessen Bibliothek: In opulentissima sane Iohannis Sambuci bibliotheca vidimus alios libros multo pluris æstimandos. Atque illius quidem liberalis et benefica voluntas ea est, ut edendo hos, cupiat omnibus studiosis impertiri ipsorum copiam [„In der fürwahr überaus reichen Bibliothek des Johannes Sambucus haben wir ‹noch› andere, weitaus höher einzuschätzende Bücher gesehen. Sein großzügiger und großherziger Wunsch jedoch geht dahin, daß er durch ihre Veröffentlichung alle Forscher an ihrem Wissensschatz teilhaben lassen möchte“]. Camerarius’ Libellus gnomologicus 105 kehr nach Leipzig verfaßt worden ist, 46 erfahren, hat Camerarius wohl mehrere Schriften aus Sambucus’ Wiener Sammlung ausgeliehen: νυνὶ μὲν οῦν ἅς διαψιλῶς θ’ ἅμα καὶ φιλοφρόνως ἱσταθεὶς παρά σοι βίβλους ἐκομισάμην ἀπιών, ἐκείνας μεταχειριζόμενος διερχομαί τε καὶ ἐνδιατρίβων αυτοῖς ἡδέως ψυχαγωγοῦμαι. […] ἔπεμψα δέ σοι νῦν τῶν ἡμετέρων ἐκπονήσεὼ τι, περὶ ὧν πρώην εἴπομεν, οὐ μὲν ἀσπουδεί γε, δέδια δὲ ὡς οὐχ ὁμοίος ἐμμούσως τε καὶ ἐμμελῶς συντεθέν. = 47 Iam vero quos abs te lauto et benigno acceptus convivio mecum abstuli libros, illos versans manibus percurro, et in illis commorans suaviter oblector. […] Misi vero tibi iam nostrarum elaborationum quidpiam, de quibus nuper loquebamur: non quidem sine diligentia studii cuiusdam; metuo autem ut pari eruditione et elegantia id compositum sit. 48 Schon aber überfliege ich, in meinen Händen wendend, die Bücher, die ich - von Dir mit einem köstlichen und reichhaltigen Gastmahle empfangen - mit mir genommen habe, und mich in sie vertiefend werde ich angenehm erfreut. […] Ich habe Dir bereits etwas von unseren Ausarbeitungen geschickt, worüber wir neulich sprachen. Zwar entbehrt es nicht der Sorgfalt eines gewissen Bemühens, ich fürchte jedoch, daß es nicht mit ebensolcher Gelehrtheit und Eleganz verfaßt ist. Eindeutig Bezug nimmt Camerarius auf seinen Wiener Aufenthalt und Sambucus’ Bücher dann in einem Brief vom 4. Januar 1569: Reversi sumus huc, Christo gratia, salvi et incolumes […] . Nunc ea, quorum nobis usus abs te benigne concessus est, tractabamus, si quid edi forte posset [„Wir sind hierher, Christus sei Dank, wohlbehalten und heil zurückgekehrt. Jetzt wollten wir jene ‹Schriften›, deren 46 Camerarius spielt mit den Worten (Camerarius 1595, 412-413), er habe sich so lange in Sambucus’ Bücher-Schatzkammer (τῆς βιβλιοθήκης σοῦ θησαύροῖς = in bibliothecae tuae thesauris ) aufhalten können, wie es αἱ ἡμετέραι ἀσχολίαι ἢ μᾶλλον, ἵνα τ’ ἀληθὲς φράσω, νωθεῖαι συγχωρήσουσι = nostrae occupationes, vel potius, ut id quod res est dicam, nostrae pigritiæ permiserint [„unsere Beschäftigungen, oder eher - um zu sagen, was Sache ist - unser Nichtstun gestattete“], doch wohl auf seinen Aufenthalt in Wien im Spätherbst 1568 an. 47 Die lateinische Übersetzung stammt nicht von Camerarius selbst, sondern ist die interpretatio cuiusdam [„Übersetzung eines Unbekannten“ (vielleicht eines der beiden Camerarius-Söhne, die die Briefe edierten)]. 48 Camerarius 1595, 412-413. - Die Worte παρά σοι βίβλους ἐκομισάμην = mecum abstuli libros beweisen auch, daß Camerarius Sambucus’ Handschriften und Bücher bei seiner Rückreise aus Wien naheliegenderweise gleich mitgenommen hat. Gerstingers Behauptung (1926, 347-348, meine Hervorhebung), daß Sambucus dem Camerarius „schon 1569“ die „Handschrift [des Palladius] zur Herausgabe übersendet “ habe, ist deshalb weder für die Zeitangabe noch für die Art der Übergabe nachvollziehbar. 106 Marc Steinmann Benutzung Du uns gütig erlaubt hast, durcharbeiten, ob ‹davon› etwas ediert werden könnte“]. 49 Camerarius hat schließlich im Frühjahr 1569 seine in den Libellus gnomologicus eingearbeitete Edition des Palladiustextes samt Übersetzung, Vorwort und Anmerkungen der Vögelinschen Offizin zum Druck übergeben 50 und die Handschrift (es handelt sich heute um die ersten elf Seiten des Codex Vindobonensis, Historici Graeci 121 51 ) Mitte Juni 1569 nach Wien zurückgeschickt - wie aus dem bereits erwähnten eigenhändigen Vermerk des Sambucus ersichtlich ist. 52 Der Libellus gnomologicus muß spätestens in den ersten Junitagen gedruckt vorgelegen haben, denn bereits am 06. 06. 1569 bedankt sich Andreas Dudith in einem Brief aus Krakau an Camerarius für die Übersendung des Libellus 53 und nimmt Camerarius’ Lob des Sambucus in der Praefatio zum Anlaß für einige (enttäuschte) Bemerkungen über Sambucus und dessen Büchersammlung. 54 Mithilfe eines weiteren Briefes des Andreas Dudith an Joachim Camerarius kann auch der terminus ad quem für den Druck des Libellus vielleicht präziser bestimmt werden als durch Sambucus’ Notiz auf der Wiener Handschrift, die ja 49 Camerarius 1595, 414. Camerarius fährt in dem Briefe dann fort, daß er vor der Edition zunächst noch durch universitäre Angelegenheiten aufgehalten werde, die sich während seiner Abwesenheit angehäuft hätten ( scholastica negotiola, cumulata dum absumus ). 50 Im Vorwort des Libellus gnomologicus (S. 20) sagt Camerarius explizit: Quae scripta nuper ex Austria reversus […] post moram […] iniucundam […] traditurus typographo nostro exprimenda [„Nach meiner kürzlich erfolgten Rückkehr aus Österreich bin ich ‹nun› dabei, diese Schriften nach einer unerfreulichen Verzögerung unserem Typographen zum Druck zu übergeben“]. - Falsch ist die Angabe bei Almási 2009, 219 Anm. 77 sowie 365, daß der Libellus gnomologicus von Joachim Camerarius d. J. stamme (wiederholt bei Almási / Kiss 2014, XXXIII Anm. 114). Ebenso unrichtig ist die ebd. 218 nebst Anm. 72 getätigte Aussage, die Praefatio des Libellus habe „Joachim Camerarius Junior“ verfaßt. 51 Ein Digitalisat findet sich unter <http: / / data.onb.ac.at/ rec/ AL00229960> [15. 02. 2016]. 52 Vgl. oben Anm. 19. 53 Überbracht aus Leipzig hat den Libellus gnomologicus der Mathematiker und Astronom Johannes Praetorius (1537-27. 10. 1616, Professor in Altdorf), wie Dudith gleich nach der Begrüßungsformel freudig vermeldet (Dudith 1995, 111 [Brief 240]): Praetorius venit tandem, et carus sane exspectatusque venit [„Endlich kam Praetorius, und er kam willkommen und sehnlich erwartet“]. Kurz darauf dankt Dudith Camerarius […] de hoc homine et de eleganti libello, quem ego, ut soleo tua omnia, avidissime et magno studio perlegam […] [„für diesen Mann und für das elegante Büchlein, das ich, wie ich es mit allen Werken von Dir zu tun pflege, begierigst und mit großem Eifer durchlesen werde“]. 54 Dudith 1995, 112 (Brief 240): Sambucus, quem tu in praefatione tua dilaudas, promiserat se nobis communicaturum esse quaedam mathematica ex bibliotheca sua. Sed cum ad rem ventum est, fefellit exspectationem meam […] [„Sambucus, den Du in Deinem Vorwort in jeder Hinsicht lobst, hatte versprochen, er werde uns einige mathematische Werke aus seiner Bibliothek zur Verfügung stellen. Als es aber soweit kam, enttäuschte er meine Erwartung“]. - Zu Dudith vgl. Almási 2009, 239-283, der obigen Brief jedoch fälschlich an Camerarius d. J. (statt d.Ä.) adressiert sein läßt (Almási 2009, 219 und 220 Anm. 80). Camerarius’ Libellus gnomologicus 107 nur den Monat Mai nennt. Am 15. Mai 1569 nämlich schreibt Dudith an Camerarius, daß er Johannes Praetorius im Laufe der Woche in Krakau erwartet hätte, nun aber annehmen müsse, daß dieser erst später komme: Suavissimis litteris excellentiae tuae ante respondere constitueram, quam Praetorius adesset [„Ich hatte beschlossen, auf den überaus netten Brief Deiner Exzellenz eher zu antworten, als Praetorius hier wäre“]. 55 Wir wissen leider nicht, was Praetorius aufgehalten hat. Vielleicht aber sollte er Dudith unbedingt des Camerarius jüngstes Werk mitbringen können, das demzufolge etwa Mitte Mai frisch aus der Presse gekommen sein könnte. Doch das muß leider eine Vermutung bleiben, und deshalb wenden wir uns nun stichhaltigeren Dingen zu, nämlich dem Inhalt des Libellus gnomologicus Der Inhalt des Libellus gliedert sich wie folgt: Auf ein lateinisches Proœmium (S. 1-24) mit der Zueignung 56 an Georg Mehl von Strelitz, den Prokanzler des Königreiches Böhmen, folgt eine moralische Blütenlese (griech. S. 33-108, lat. Übers. S. 165-228), d. h. kurze Exzerpte in Form von Sentenzen bzw. Gnomen (daher häufig nur ein Satz) aus Platon, Isokrates, Aeschines, Demosthenes, Herodot, Thukydides, Xenophon, Aristoteles, Polybius, Plutarch und anderen. Diesem Florilegium stellt Camerarius als Einleitung eine Συνόπσις = Summula considerationis (griech. S. 25-33, lat. S. 157-165) voran. Eine kleine Ganzschrift schließt diesen ersten Teil des Libellus gnomologicus ab, nämlich die Ἔκθεσις κεφαλαίων παραινετικῶν (lateinisch üblicherweise Expositio capitum admonitoriorum nach der Übersetzung in der Erstausgabe von 1509, in Camerarius’ Übersetzung hingegen Exposita capita praeceptionum ) des Agapetus Diaconus an Kaiser Justinian (griech. S. 87-108, lat. Übers. S. 229-251). 57 Camerarius läßt 55 Dudith 1995, 101 (Brief 238). 56 Trotz Genettes (1989, 115-117; 132-139) Scheidung von öffentlicher Zueignung und privater Widmung werden beide Begriffe und der der Dedikation im folgenden weitgehend synonym verwendet. Zur grundsätzlichen Problematik der Übertragbarkeit bzw. Anwendbarkeit des Begriffes des Paratextes auf die bzw. für die vormoderne Literatur vgl. jetzt umfassend Enenkel 2015: Text und Paratext können in der Vormoderne kaum voneinander getrennt werden. 57 Die Editio princeps dieses Werkes erschien zusammen mit einer anonymen lateinischen Übersetzung am 11. Mai 1509 bei Kallierges in Venedig. Das 16. Jahrhundert ist mit über 60 Ausgaben „the ‘golden age’ of Agapetus studies“ (Bell 2009, 27). Weitere Einzelheiten bei Frohne 1985. - Camerarius kennt die venezianische Editio princeps offenbar nicht, denn er nennt S. 301 ausdrücklich die zweite, 1517 in Köln (am 07.08. bei Eucharius Cervicornus [Hirtzhorn]) erschienene Ausgabe, die nur den griechischen Text enthält, dessen gegenüber seiner von Sambucus geliehenen Vorlage ausführlichere Fassung Camerarius zweimal (S. 302) als Variante anführt. Durch Camerarius’ in diesem Zusammenhang getätigte Aussage (S. 301), daß das Werk ante annos quinquaginta duos fuisse 108 Marc Steinmann sowohl im griechischen Text als auch in seiner lateinischen Übersetzung die Numerierung der 72 Paragraphen fort, deren Zahl von Agapetus wohl bewußt in Anlehnung an die 72 Septuaginta-Übersetzer und die 71 sog. „Goldenen Verse des Pythagoras“ gewählt worden war. 58 Es ist anzunehmen, daß Camerarius hierin seiner Vorlage folgt, über die wir leider nichts Genaueres wissen, als daß sie wahrscheinlich eine gedruckte Ausgabe aus Sambucus’ Bibliothek war. 59 An die Ἔκθεσις schließen sich kurze einleitende Bemerkungen zu Palladius und seinem Werk an (griech. S. 109-110, lat. Übers. S. 252-253), worauf dieses selbst mit dem Titel Ἐπιστολή Παλλαδίου folgt (griech. S. 110-149, lat. Übers. S. 253-294). Die im Anschluß gegebenen Auszüge aus Plutarch (griech. S. 150-152, lat. Übers. S. 295-297) und aus Arrians siebtem Buche (griech. S. 153-155, lat. Übers. S. 297-300) sollen durch den anerkannten Status ihrer Autoren das Thema „Brahmanen“ weiter erhellen und gleichzeitig offenbar auch sanktionieren. Auf den Seiten 301-309 fügt Camerarius lateinische Anmerkungen exegetischen und textkritischen Charakters bei, die sich außer einer kurzen Ergänzung einer Übersetzung zu Herodot, die auf Seite 192 60 versehentlich ausgelassen worden war, auf den Text von Agapetus (S. 301-302) und zum allergrößten Teil auf den von Palladius konzentrieren (S. 302-309). Den Notizen zu Palladius wiederum flicht Camerarius zusätzlich noch seine Übersetzung eines dem ineditum in officina Coloniae Agrippinae [„vor 52 Jahren in Köln herausgegeben worden ist“], erhalten wir einen zusätzlichen Hinweis auf die Veröffentlichungszeit des Libellus gnomologicus - wenn auch nur auf das Jahr. 58 Vgl. Frohne 1985, 193. Camerarius’ Text weist zwar keine Numerierung auf, jedoch eine Untergliederung in Absätze; in der lateinischen Version ist das jeweils erste Wort eines Absatzes zusätzlich in Majuskeln gesetzt. 59 Zur Begründung der Kürze seiner Anmerkungen zum Agapetus-Text sagt Camerarius nämlich (S. 301-302, meine Hervorhebung), daß adiectam in Sambuceo l i b e l l o puerilem verborum explicationem, neque tempore hoc necessariam, neque proposito nostro congruentem [„Sambucus’ Büchlein ist eine auf Knaben zugeschnittene Erklärung der Wörter beigegeben, für die heutige Zeit weder erforderlich noch zu unserem Vorhaben passend“]. Die Vorlage für seinen Palladius-Text bezeichnet Camerarius hingegen nicht als libellus , sondern als scriptum (S. 302), unterscheidet also offenbar zwischen Buch und Handschrift. Frohne hat die Camerarius-Ausgabe augenscheinlich nicht selbst eingesehen, wenn sie sagt (1985, 28 Anm. 3, meine Hervorhebung), Camerarius „s c h e i n t “ die Kölner „Ausgabe von 1517 in Händen gehabt zu haben“ (vgl. dagegen oben Anm. 57). Ganz falsch ist zudem ihre Angabe (1985, 72 Anm. 2), auf Camerarius’ Agapetus-Übersetzung „folgen weitere kleine Schriften verschiedenen Inhaltes“ (es folgt u. a. die lange Palladius-Übersetzung! ). Auch das von Frohne (ebd.) für das Libellus gnomologicus -Exemplar der Zentralbibliothek Zürich angeführte Elaborabantur Lipsiae in officina Valentin Papae, Anno Christi MDLVI im Kolophon widerspricht allen oben genannten historisch belegten Vorkommnissen. Ihre Angabe muß daher auf einer Verwechslung beruhen. 60 Camerarius bezieht sich jedoch nur auf den griechischen Text, indem er die dortige Seitenzahl angibt: Charta 57. […] omissa est interpretatio […].“ Camerarius’ Libellus gnomologicus 109 dischen Brahmanen Calanus 61 zugeschriebenen Briefes ein (S. 308), der uns bei Philon von Alexandria überliefert ist ( Quod omnis probus liber sit 96, 62 vgl. eine lateinische Fassung bei Ambrosius, Epistula 37, 34-35). Diese im Libellus gnomologicus versammelte bunte Mischung einer Gnomensammlung, der Ἔκθεσις des Agapetus und der Schrift des Palladius werde - davon zeigt sich Joachim Camerarius im Prooemium überzeugt (S. 23) - nonnihil voluptatis tibi allaturam, neque non aliquid praeclarae cogitationis subiecturam esse [„Dir etliches Vergnügen bereiten und zudem einiges an vortrefflichem Denken nahebringen“]. Mit dem Personalpronomen tibi ist jedoch nicht der besonders aus Vorworten des 18. und 19. Jahrhunderts bekannte „geneigte Leser“ gemeint, sondern ein ranghoher Politiker des 16. Jahrhunderts, der nun vorgestellt werden soll. Der Widmungsempfänger Georg Mehl von Strehlitz und die Respublica litteraria Georg(ius) Mehl von Strehlitz bzw. Strölitz ( Jiří Mehl ze Střelic, ca. 1515 / 20-24. 01. 1589) wurde in Breslau als Sohn des dortigen Ratsherrn Balthasar Mehl (? -03. 03. 1545, „prius Reip. Wratisl. Senator, deinde Consiliarius Cæsareus“ 63 ) geboren. Sein Geburtsdatum ist unbekannt, da er aber als Präbendar am Breslauer Dom ein Mindestalter von 14 Jahren haben mußte und er die Präbende zwischen 1531 und 1535 erhalten hat, 64 kann er folglich spätestens zwischen 1517 und 1521, eher noch etwas davor, das Licht der Welt erblickt haben. Die Breslauer Domherren mußten, mit Ausnahme von Fürsten und Grafen, gemäß dem sog. Triennalstatut von 1436 ein mindestens dreijähriges Universitätsstudium absolvieren, 65 und so sehen wir Georg Mehl von Strehlitz an den Universitäten Ingolstadt (dort im April 1537 immatrikuliert, am 01. 01. 1538 Magister Artium) und Bologna (dort am 24. 11. 1545 Doctor Juris utriusque). 66 Wohl gleich nach dem Studium tritt er in königlichen und kaiserlichen Dienst („prius Camerae Silesiae Fiscalis, deinde III . Impp. Roman. Consiliarius“ 67 ) und resigniert die Dompfründe vor dem 31. 10. 1549 seinem Bruder Nikolaus. 68 Am 61 Zu ihm vgl. Steinmann 2012, 33-34, 39 und Steinmann 2016. 62 Camerarius 1569, 307 gibt als lateinischen Titel von Philons Schrift an: Omnes virtutis studiosos esse liberos . 63 Schindler 1726, 185. 64 Vgl. Zimmermann 1938, 102; 177; 383. 65 Vgl. Zimmermann 1938, 54-66. 66 Zimmermann 1938, 67; 74-75 und Knod 1899, 337. 67 Schindler 1726, 185. 68 Zimmermann 1938, 177; 383. 110 Marc Steinmann 19. 03. 1558 wird er in den böhmischen Ritterstand erhoben, 69 und von 1562 bis zu seinem Tode am 24. Januar 1589 70 ist er Vizekanzler von Böhmen (vgl. Anhang, Abb. 2). 71 Unter anderem auf Georg Mehl von Strehlitz’ Empfehlung hin wurde der berühmte Breslauer Stadtarzt Johannes Crato von Krafftheim im Herbst 1560 zum kaiserlichen Leibarzt Ferdinands I. ernannt. 72 Als Caspar Peucer im März 1570 Briefe seines Oheims und Schwiegervaters Melanchthon herausgab, widmete er diesen Alter libellus epistolarum Philippi Melanthonis (Witebergae: Schleich & Schöne) dem Georg Mehl von Strehlitz mit überschwenglichen Worten (A5v-A6v): […] cum patronum quaererem […], qui […] excelleret sapientia, doctrina, virtutum laude, dignitate et autoritate, venerunt mihi in mentem[,] Magnifice Domine Procancellarie, patrone dignissime, ornamenta eximiae sapientiae et virtutum, quibus magnificentia tua eminet eo in loco, in quo est imperium orbis Christiani […]. Tuo itaque patrocinio et editionem hanc et me commendo, reverenter orans, ut […] conferas haec divina adminicula […] ad fovendos ac tuendos viros bonos, quibus in hac tristi et fatali collabentium literarum ruina, quantum de his adhuc consistit, fulcire atque conservare curae est […]. Als ich einen Patron suchte, der sich auszeichnet durch Weisheit, Gelehrsamkeit, Lob der Tugenden, Würde und Ansehen, da fielen mir, hochherziger Herr Prokanzler, würdigster Patron, die Zierden außergewöhnlicher Weisheit und Tugenden ein, durch die Deine Durchlaucht sich an dem Ort, wo das Christentum herrscht, auszeichnet. Deinem Patronat vertraue ich also diese Edition wie auch mich an mit der ehrfürchtigen Bitte, daß Du diese göttlichen Stützen zur Förderung und zum Schutze rechtschaffener Männer einsetzt, die sich in diesem traurigen und verderblichen Zusammenbruch der verfallenden Wissenschaften darum kümmern, was auch immer davon noch übrig ist, aufrechtzuerhalten und zu bewahren. Kaum weniger pathetisch-enthusiastisch ist ein Jahr früher Joachim Camerarius’ Widmung an Georg Mehl von Strehlitz im Libellus gnomologicus ausgefallen, doch dafür gelingt es ihm, sich in geschickter Weise in einem Netzwerk von ranghohen Personen der Respublica litteraria zu präsentieren und damit gleichzeitig sich und sein Werk zu legitimieren und zu empfehlen. 69 Knod 1899, 337. 70 Aus Anlaß seines Ablebens verfaßte Tobias Geisler aus Zittau eine Daphnis ecloga , in der Corydon und Aegon den Tod des Daphnis beklagen (vgl. Geisler 1589). 71 Weniges weitere bei Zimmermann 1938, 383-384 und Knod 1899, 337 (vor allem zu seinen Besitztümern und Ländereien). 72 Vgl. Gillet 1860, 259. Camerarius’ Libellus gnomologicus 111 Den als böhmischer Vizekanzler gesellschaftlich über ihm stehenden Georg Mehl von Strehlitz als seinen Widmungsempfänger bindet Camerarius hauptsächlich über die gemeinsamen Bildungsinteressen ein, wenn er in dem die eigentliche Dedikation enthaltenden Teil seines Prooemiums (S. 20-24) einleitend sagt: Nam te et studia humanitatis atque eruditae doctrinae colere, et his deditos singulari eximii favoris benevolentia complecti, est mihi exploratum [„Denn ich weiß, daß Du sowohl das Bemühen um die Humanitas und die gelehrte Wissenschaft pflegst als auch die ihnen Ergebenen mit einzigartigem Wohlwollen von herausragender Gunst umschirmst“] (S. 21). 73 Es folgt eine laudatio auf Georg Mehl in Form einer praeteritio , denn Camerarius will sich weiterer Lobpreisungen der virtutes illustres des Dedikationsempfängers, quae omnium consentiente praedicatione celebrantur [„die mit dem Lobspruch aller übereinstimmend gefeiert werden“], enthalten. Ihm genüge es - und damit kommt er auf das gemeinsame Interesse für die studia humanitatis , denen er sich a prima pueritia ad hoc usque senectus tempus [„von frühester Kindheit bis zu diesem Greisenalter“] gewidmet habe -, ihm genüge es völlig, quod te principem quoque habemus bonarum litterarum et artium [„daß wir Dich als Fürsten der guten Wissenschaften und Künste haben“] (ebd.). Dann folgt Camerarius’ deliberatio , warum er dieses Werk gerade Mehl von Strehlitz, „Magnificentiae tuae“, widmen wolle. Darin hätten ihn nicht nur litterae tuae, me absente, allatas ab illo, qui equi abs te munus adduxit, et meis hic tradidit [„Dein Brief, in meiner Abwesenheit von demjenigen überbracht, der ‹auch› ein Pferd 74 als Geschenk von Dir herführte und den Meinen hier ‹in Leipzig› übergab“] bestärkt, sondern vor allem auch das Zureden des dignitate, virtute et doctrina praestantiss. V. D. Iohannes Crato [„durch Würde, Tugend und Gelehrsamkeit herausragenden gelehrten Herrn Johannes Crato“]. Bevor Camerarius dann am Schluß seiner Dedikation Wert und Nutzen seines Libellus 73 Vgl. zu dieser Strategie der Empfängereinbindung Enenkel 2015, 186-198. 74 Camerarius’ Pferdeliebe ist zwar einigermaßen bekannt, aber bisher kaum untersucht. So betont er im Widmungsbrief seiner Schrift De tractandis equis sive ἱπποκομικός, die 1539 zusammen mit seiner lateinischen Übersetzung von Xenophons Περὶ ἱππικῆς (vgl. dazu den Beitrag von L. Sannicandro in diesem Band) und einer numismatischen Schrift in Tübingen erschien, daß er multis iam annis [„bereits seit vielen Jahren“] das „Dahinjagen der Pferde“ ( volatus equestris ) liebe (S. A1v). Erneut erschien diese hippologische Schrift, jetzt unter dem geänderten Titel Hippocomicus quae est disputatio de curandis equis , Ende 1543 bei Valentin Bapst in Leipzig und leicht verändert ebd. 1556 (nach Woitkowitz 2003, 116-117). In der neuen Widmung der 1543er Ausgabe heißt es, gerichtet an Christoph von Karlowitz (Text nach Woitkowitz 2003, 109 [dort als Brief Nr. 6]): […] ego equitatione, re pulcerrima, et hoc animante acri, veloce, elegante, strenuo, forti etiam et sagace, quem equum nominamus, delector [„Ich erfreue mich am Reiten, der allerschönsten Sache, wie auch an jenem feurigen, schnellen, eleganten, kräftigen, ja starken und auch scharfsinnigen Tiere, das wir Pferd nennen“]. 112 Marc Steinmann gnomologicus darlegt, 75 betont er noch, wie sehr Crato von „Magnificentia tua“ geschätzt werde und welch festes Freundschaftsband zwischen beiden bestehe. Das habe er jüngst in Wien selbst erfahren, als er Cratos Gast sein durfte. Damit reiht sich Camerarius in diesen Freundschaftsbund quasi ein, und indem kurz später erneut Sambucus und dessen wertvolle Bibliothek erwähnt werden, wird nachdrücklich die Bedeutung des humanistischen Freundschaftskultes herausgestellt. 76 Der Libellus gnomologicus also bzw. die Lektüre seines Inhaltes werde - wie bereits oben angeführt - Georg von Mehl, aber auch Camerarius’ Freunden und allen interessierten übrigen Lesern nonnihil voluptatis […] allaturam, neque non aliquid praeclarae cogitationis subiecturam esse (S. 23). Doch bevor diese voluptas und cogitatio genauer betrachtet werden, zunächst noch die wichtigsten Punkte über Palladius’ Brahmanen-Opus. Palladius und sein Werk über die Brahmanen Die ziemlich verworrene und bisher erst in Ansätzen geklärte Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Palladius, dem Bischof von Helenopolis, in früherer Zeit zumeist ab-, heute jedoch bisweilen zugesprochenen Schrift über die Völker Indiens und die Brahmenen (Περὶ τῶν τῆς Ἰνδίας ἐθνῶν καὶ τῶν Βραγμάνων = De gentibus Indiae et Bragmanibus ) habe ich andernorts bereits ausführlicher darzustellen versucht. 77 Hier seien deshalb nur die Kernpunkte genannt: Gespeist aus Alexanders des Großen Begegnung mit den indischen Brahmanen (Γυμνοσοφισταί = nudi sapientes [„nackte Weise“]) bei Taxila entstanden - neben den meist kurzen Erwähnungen bei den Alexanderhistorikern, aber beeinflußt von diesen - bald eigenständige kleinere Schriften zu jenem Thema. Früheste erhaltene Zeugnisse sind ein Berliner Papyrus (wohl vom Beginn des ersten Jahrhunderts v. Chr.) und ein Genfer Papyrus (aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr.), die beide verschiedenen Überlieferungssträngen bzw. Traditionen angehören (jener den sog. Halsrätseln, dieser dem philosophischen Zwie- 75 Zu dieser Trias innerhalb der Dedikation ( laudatio - deliberatio - Wert und Nutzen des Werkes) vgl. das Kapitel „Der verbale Ritus der Buchpräsentation“ bei Enenkel 2015, 253-266. 76 Vgl. dazu Enenkel 2015, 347-370 und 500-519. Zur „Freundschaft“ zwischen Widmungsgeber und -empfänger vgl. ebd., 168-186. - In den Anmerkungen des Libellus gnomologicus (S. 301) führt Camerarius zusätzlich noch Leonhard Lycius / Wolf (? -1570, Rektor der Universität Leipzig im Jahre 1562) an, singularis amicus noster, in colligendis scriptis veterum […] industrius [„unser besonderer Freund, ein eifriger Sammler der Schriften der Alten“]. 77 Vgl. Steinmann 2012, 36-50 und siehe jetzt Maraval 2016, IX-LX. Camerarius’ Libellus gnomologicus 113 gespräch), deren Wege sich jedoch bisweilen auch berühren und kreuzen. Der Genfer Papyrus enthält in nuce Alexanders Unterredung mit dem Brahmanen Dandamis (in den späteren lateinischen Fassungen wird daraus Dindimus rex ), die sich dann in elaborierter Form letztlich als Interpolation in der Fassung α des griechischen Alexanderromans, und zwar im dritten Buche als Kapitel 7-16 findet. Die anderen griechischen Rezensionen des Romans (β, γ, *δ, ε, λ) 78 weisen diesen Einschub so nicht auf. Als eigenständige Schrift läuft der Text unter dem Namen des Palladius um, häufig als Annex zu dessen Historia Lausiaca . Eine dem Hl. Ambrosius zugeschriebene lateinische Version 79 sowie andere lateinische Fassungen basieren laut J. D. M. Derrett auf einer älteren griechischen Versio Ornatior , 80 wogegen der Palladius-Text der Sambucus-Handschrift, den Camerarius in seinem Libellus gnomologicus veröffentlicht hat, zur sog. Versio Ornatior et Interpolata gehört, einer - wie der Name sagt - interpolierten jüngeren Fassung. Von der Beliebtheit dieser Texte im Mittelalter zeugen ihre zahlreichen Handschriften, deren Filiation im lateinischen Bereich noch so gut wie gar nicht, im griechischen nur ansatzweise untersucht und geklärt ist. Ein großes Hindernis hierbei stellt nicht zuletzt die große Zahl der Textvarianten dar - eher muß man meist schon von Textrezensionen sprechen. 81 Was für das große Interesse an den Brahmanen im Literaturbetrieb des Mittelalters gilt, trifft nicht weniger auf die Kenntnisse über sie in der frühen Neuzeit zu. Durch die zahlreichen lateinischen und volkssprachlichen Fassungen des legendären Alexanderromans, aber auch durch Enzyklopädien und ethnographische Literatur 82 darf ihr weiter Bekanntheitheitsgrad, zumal in Humanistenkreisen, als gegeben gelten. Wenn Camerarius dann vor diesem Hintergrund in der Bibliothek seines Freundes Sambucus auf eine bisher unbekannte Schrift zu diesem Themenkomplex stieß, so mußte daraus fast zwangsläufig eine Publikation erwachsen. Was allerdings aus heutiger Sicht besonders ver- 78 Vgl. zu ihnen Steinmann 2012, 16-18. 79 Vgl. Derrett 1960a, 81-82 (mit Stemma Versionum et Codicum , S. 88) und Derrett 1960b, 103-104. 80 Nach Derrett 1960a, 83 Anm. 83* könne diese Fassung „hardly be earlier than c. 410.“ 81 Eine aktuelle kommentierte Bibliographie zur lateinischen Übersetzung des Palladius wird in Kürze von Raffaella Tabacco (Università del Piemonte Orientale) erscheinen, die in Zusammenarbeit mit dem Verf. auch eine neue kritische Edition des lateinischen Textes vorbereitet. 82 Es seien aufs Geratewohl nur einige Namen und Werke geannt: Vinzenz von Beauvais’ Speculum historiale , Sebastian Münsters Cosmographia , Johannes Bohemus’ Mores, leges et ritus omnium gentium , Jacques de Vitrys Historia Orientalis z. B. enthalten alle längere Passagen über die indischen Gymnosophisten. Auch etwa zur Kommentierung des Solinus wurden die Traktate herangezogen. Kürzere Zitate und Verweise finden sich in einschlägigen Werken fast ubiquitär. 114 Marc Steinmann wundert, ist die Tatsache, daß Camerarius im Libellus gnomologicus darauf nicht nur in keiner Weise hinweist, sondern sogar den Namen des Autors - zumindest auf der Titelseite - unterdrückt. 83 Ganz anders ist da knapp 100 Jahre später Edward Bysshe verfahren, der sich an exponierter Stelle in der Titelei seiner vermeintlichen Editio princeps des Palladius-Traktates rühmt. Man darf wohl annehmen, daß ihm Camerarius’ Ausgabe des Palladius eben aufgrund des dort fehlenden Autornamens entgangen war. 84 Wie dem auch sei - wenn Camerarius’ primäres Ziel offenbar nicht darin bestand, den Ruhm als erster Herausgeber des Palladius zu ernten, stellt sich die Frage, was er mit der Veröffentlichung bezweckte. Camerarius’ Libellus gnomologicus: mögliche Intention(en) Den eindeutigsten Hinweis auf die Absicht, die Joachim Camerarius mit seinem Werk verfolgte, liefert die Formulierung des Titels, die den Libellus gnomologicus in einem erklärenden Zusatz unzweifelhaft als pädagogische Schrift ausweist: bonarum utiliumque sententiarum generalem expositionem Graecam Latinamque continens, ad puerilem […] institutionem accomodatus [„eine allgemeine griechische und lateinische Darstellung guter und nützlicher Sentenzen enthaltend, z u r E r z i e h u n g d e r K n a b e n eingerichtet“] (meine Hervorhebung). Gleichwohl - so heißt es im Zusatz unmittelbar darauf - könne diese Sentenzensammlung tamen adulterioribus quoque opportunus esse [„aber auch für Ältere vorteilhaft sein“]. Frei übersetzt lautet der Untertitel des Buches also „Gute und nützliche Sinnsprüche zur Erbauung von Jung und Alt“. Daß die Capita admonitoria des Agapetus darunterfallen, leuchtet ein, wurden diese 72 „Lebensregeln“ doch bereits kurz nach ihrer renascentalen Erstausgabe Gnomensammlungen und Ratgeber-Literatur umfangreicherer Art beigegeben. 85 Dazu fügen sich auch Camerarius’ (philosophische) Exzerpte aus 83 Den Grund dafür konnte sich auch Kollar 1790, 599 nicht vorstellen, nisi forte nullum maluerit, quam incertum auctorem prodere [„es sei denn, er wollte lieber keinen als einen unsicheren Autor angeben“]. 84 Vielleicht gehörte sie aber 1665 auch schon zu den Rara und war Bysshe deshalb nicht bekannt. Eine merkwürdige Koinzidenz ist es jedoch, daß Bysshe seiner Londoner Ausgabe zufällig eine Palladius-Handschrift zugrundelegte, die nach Derretts Stemma (Derrett 1960a, 88) vom selben Hyparchetypen abstammt wie Sambucus’ Palladius-Handschrift. 85 So z. B. schon in Frobens zweiter Agapetus-Ausgabe mit dem Titel Scriptores aliquot gnomici […] (Basel 1521) zusammen mit Fabeln und anderen illustrium virorum sententiae quaedam philosophicae (nach Frohne 1985, 37). 1520 gab Petrus Mosellanus (Peter Schade, ca. 1493-19. 04. 1524) in Leipzig (bei Valentin Schumann) den Agapetus-Text mit einer eigenen lateinischen Übersetzung heraus und hat ihn auch im Unterricht benutzt (vgl. Frohne 1985, 37 Anm. 4). Camerarius wird also vielleicht schon in seiner Leipziger Studienzeit durch Petrus Mosellanus mit Agapetus’ Ἔκθεσις bekannt gemacht worden sein, Camerarius’ Libellus gnomologicus 115 den klassischen griechischen Autoren, die offenbar qua Alter und Autorität keiner weiteren Legitimation bedurften, denn nur über Agapetus und Palladius läßt sich Camerarius im Prooemium weiter aus (S. 20): 86 Des Agapetus sententiae seien bonae et prudentes [„gut und klug“], verbisque, ut illa aetate, non malis, et constructione horum nequaquam culpanda, expositae [„vorgebracht mit nicht üblen Worten, gemäß jener (Entstehungs-)Zeit, und durchaus nicht zu tadelnder Anordnung derselben“]. Und über Palladius heißt es daran anschließend, jedoch ohne Nennung seines Namens (ebd.): Quibus additae quasi epistolae (quicunque sane earum autor est, antiquitatis certe gravitas atque sapientia in illis non elucet, et oratio est communi quodam quasi filo pertexta) et ipsae utilibus commonefactionibus officii, et delictorum libera repræhensione, et varietate salutarium praeceptionum sunt refertae. Diesen beigefügt ist eine Art Brief (wer auch immer sein Autor ist, die Würde und Weisheit der Antike leuchtet aus ihm jedenfalls nicht hervor, und der Redeteppich ist sozusagen mit recht gemeinem Faden gewoben), und der ist vollgestopft mit nützlichen Ermahnungen zur Pflicht, mit einem offenen Tadel der Verfehlungen und einer Vielzahl heilbringender Vorschriften. Was den gesamten Libellus gnomologicus anbelangt, sagt Camerarius mit der Geste der Bescheidenheit (S. 13-14): [S]pero aliquid operae navatum esse studio nostro. Nam et puerili institutioni hic servire poterit et multa alia adiumenta attulisse me confido [„Ich hoffe, daß wir uns mit unserem pädagogischen Werk einigermaßen erfolgreich bemüht haben. Denn dieses Buch wird der Knabenerziehung dienen können, und ich hoffe zuversichtlich, auch etliche andere Hilfen beigebracht zu haben“]. 87 Nach einigen daran anschließenden Überlegungen, daß fleißige und praecepta […] mandantes memoriae [„sich die Vorschriften einprägende“] Schüler es zu etwas bringen werden, die übrigen aber auch per magistrorum diligentiam [„durch die Umsicht der Lehrer“] infolge ihrer Nachlässigkeit und Beschränktheit nicht ad frugem perveniant [„an die Frucht (d. h. zum Ziel) gelangen“] (S. 14), schließt Camerarius diesen Unterabschnitt mit folgender Sentenz (S. 16): denn Mosellanus war nach dem Weggang des Gräzisten Richard Crocus Camerarius’ Griechischlehrer. 86 Vielleicht aber auch zusätzlich deshalb, weil dies die aus Sambucus’ Bibliothek mitgebrachten Werke waren. 87 Auch an dieser Stelle des Vorwortes wird also von Camerarius der voraussichtliche bzw. intendierte Nutzen seines Werkes zur Legitimierung von dessen Publikation instrumentalisiert; vgl. oben Anm. 75. 116 Marc Steinmann […] hoc teneamus: praecepta doctrinae ad honestatem probitatemque vitae ac morum plurimum conferre: Quibus bonae et rectae naturae meliores, malae atque pravae minus perversae reddantur. Laßt uns dies festhalten: Die Vorschriften der Gelehrsamkeit tragen viel zur Ehrenhaftigkeit und Anständigkeit des Lebens und der Sitten bei. Durch sie werden gute und rechtschaffene Anlagen besser, schlechte und verkehrte ‹immerhin› weniger übel. Dieser Leitsatz, der auch über dem Libellus gnomologicus insgesamt stehen könnte, deckt sich mit dem Schwerpunkt von Camerarius’ ganzem Wirken, das „auf die Erlangung eines sittlich-kulturellen Fortschritts“ und „eine Vertiefung des evangelischen Glaubens“ abzielte. 88 Insofern paßt auch der Palladius-Traktat, der sich zunächst rein äußerlich als kontinuierlicher Prosatext vom ersten Teil des Libellus gnomologicus - den meist kurzen Exzerpten aus den griechischen Schriftstellern und den absatzweisen Capitula des Agapetus - unterscheidet, bestens in das Gesamtbild, denn vor allem in der älteren Forschung wurde seine inhaltliche Nähe zur christlichen Religion stets betont. So hatte Isaac Casaubon (18. 02. 1559-01. 07. 1614) konstatiert: Est vero observandum, totam hanc Philosophiam cum religione Christiana fere consentire: habes ibi animae immortalitatem, habes futurum judicium, & poenas malorum & id genus alia θεωρηματα. 89 Es kann aber festgestellt werden, daß diese ganze Philosophie fast mit der christlichen Religion übereinstimmt: Du hast dort die Unsterblichkeit der Seele, das künftige Gericht sowie Strafen für Schlechtigkeiten und dieser Art andere Betrachtungen. Vor diesem Hintergrund wird vielleicht auch verständlich, daß Camerarius im Libellus gnomologicus den griechischen Text und seine lateinische Übersetzung nicht parallel hat drucken lassen. Wenn es ihm nämlich hauptsächlich auf die Verbesserung der mores und der honestas und probitas vitae ankam, ist die Anordnung des griechischen und lateinischen Textes zumindest unerheblich, der 88 Woitkowitz 2003, 33. 89 Angeführt bei Wolf 1710, 13 (das Griechische im Original ohne Akzentzeichen), durch Wolf selbst bekräftigt (ebd., 220): […] patebit, recte judicasse Casaubonum, qui eorum Philosophiam h.e. instituta & mores ad Christianos proxime accedere existimavit [„es wird offensichtlich, daß Casaubon richtig geurteilt hat, der meinte, ihre Philosophie, d. h. Einrichtungen und Gebräuche, komme den Christen äußerst nahe“]. Ebenso urteilt Oudin 1722, 911: At vix mihi persuadere possum, hunc Tractatum authorem habere Palladium […]. Ex ipso opere nihil certi peti potest, nisi quod a Christiano […] scriptus est [„Kaum aber kann ich mich davon überzeugen, daß dieser Traktat Palladius als Autor hat. Aus diesem Werk kann nichts Sicheres geschlossen werden außer daß es von einem Christen geschrieben ist“]. - In der Forschung des 20. Jahrhunderts dagegen hat Palladius’ Brahmanenschrift zumeist das Etikett „kynisch“ erhalten. Camerarius’ Libellus gnomologicus 117 lineare Abdruck hintereinander vielleicht sogar eher förderlich, da Augen und Geist so nicht nach rechts oder links abirren können. Zusammenfassung und Ausblick Abschließend sollen die nicht wenigen Einzelergebnisse, die bei den zu diesem bisher (fast) unerforschten Werk des Joachim Camerarius notwendigen Untersuchungen und Fragen zutage gekommen sind, zusammengefaßt werden. Der ohne Jahr und Angabe des Druckers erschienene Libellus gnomologicus konnte über das Druckeremblem eindeutig der Offizin von Ernst Vögelin zugordnet werden und sein Veröffentlichungsdatum, für das uns die indirekten Zeugnisse von Johannes Sambucus’ Notiz auf der Palladius-Handschrift sowie ein Brief des Andreas Dudith an Camerarius vorliegen, auf etwa Mitte Mai bis maximal die ersten Junitage 1569 eingegrenzt werden. Seinen Ursprung hat das Werk als Neben- oder quasi Ersatzfrucht aus Camerarius’ in religionspolitischer Hinsicht ergebnislosem Wien-Aufenthalt von September bis November 1568. Von dort nahm er aus der Bibliothek seines Freundes Sambucus eine Agapetus-Ausgabe und eine Palladius-Handschrift mit zurück nach Leipzig. Diese beiden ihm wegen ihres sittlich-erbaulich-religiösen Inhaltes gut zusammenzupassen dünkenden Texte ergänzte er eingangs mit inhaltlich ähnlichen Sentenzen aus griechischen Klassikern, um alles zusammen mit seiner eigenen lateinischen Übersetzung herauszugeben - ad institutionem puerilem . Eingebettet ist der Libellus in ein humanistisches Netzwerk mit folgenden Hauptakteuren: Joachim Camerarius als Herausgeber und Übersetzer (Leipzig), Johannes Sambucus als Handschriftenbesitzer (Wien), Johannes Crato von Krafftheim als Gastgeber des Camerarius (Wien), Ernst Vögelin als Drucker (Leipzig), Georg Mehl von Strehlitz als Widmungsempfänger (Böhmen), Andreas Dudith als einer der ersten Leser (Krakau). Was in den vorangegangenen Überlegungen nicht untersucht werden konnte und noch eingehenderer Klärung bedarf, ist z. B. die Stellung des Libellus gnomologicus im Kreise von Camerarius’ übrigen pädagogischen Schriften. Zu Beginn seines Prooemiums stellt Camerarius auch einige Gedanken zur Übersetzungspraxis vor. Es könnte folglich überprüft werden, ob bzw. inwiefern er dort formulierte Maximen bei den Übersetzungen im Libellus selbst befolgt hat. Schließlich ist vielleicht auch ein Vergleich der lateinischen Palladius-Übersetzungen von Camerarius und Bysshe aufschlußreich, denn Johann Christopher Wolf z. B. meinte, daß Camerarius’ versio Latina Bissæanæ & elegantiæ & diligentiæ nomine videtur præferenda [„lateinische Fassung derjenigen von Bysshe sowohl hinsichtlich der Eleganz als auch der Sorgfältigkeit vorzuziehen zu sein 118 Marc Steinmann scheint“]. 90 Ob es sich bei diesem Urteil um ein zeittypisches Eulogium handelt oder nicht (immerhin benutzt Wolf ja ein relativierendes videtur ), muß einstweilen ungeklärt bleiben. Camerarius’ ehemalige Strahlkraft jedenfalls wird durch Wolfs Aussage augenfällig unterstrichen. Eingangs der vorliegenden Abhandlung ist darauf hingewiesen worden, daß dieser strahlende Glanz von Joachim Camerarius’ Namen und Werk zwischenzeitlich stumpf geworden war und zu verblassen drohte. Mögen daher die durch die Untersuchung des Libellus gnomologicus hier gewonnenen vielfältigen Details und Einsichten dazu beitragen, daß die zahlreichen Facetten des Polyhistors Camerarius wieder ein wenig mehr funkeln und ausstrahlen! 90 Wolf 1710, 219. Camerarius’ Libellus gnomologicus 119 Anhang Abb. 1: Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr.c.102, Bl. ‹A1r›, <urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10 994 803-3> 120 Marc Steinmann Abb. 2: Bayerische Staatsbibliothek München, A.gr.c.102, Bl. A2r (obere 3 / 8 der Seite), <urn: nbn: de: bvb: 12-bsb10 994 803-3> Literaturverzeichnis Almási, Gábor: The uses of humanism. Johannes Sambucus (1531-1584), Andreas Dudith (1533-1589), and the republic of letters in East Central Europe, Leiden / Boston 2009 (Brill’s studies in intellectual history 185). 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Camerarius’ Libellus gnomologicus 125 Camerarius als Gräzist und Übersetzer Joachim Camerarius als Defensor Herodoti: Die Widerlegung Plutarchs und der Zweck der Geschichte* Anthony Ellis (Bern) Für die nachfolgende herodoteische Wissenschaft gilt Joachim Camerarius zusammen mit Henri Estienne als einer der wirkmächtigsten Wissenschaftler des sechzehnten Jahrhunderts. Der Einfluss von Camerarius’ Vorwort zu seiner griechischen Herodot-Ausgabe, die im Jahr 1541 erschien, sowie die Apologia pro Herodoto des Estienne wirkten bis ins frühe 19. Jh. auf die Rezeption Herodots ein. 1 Arnaldo Momigliano legte dar, dass beide Werke einen wesentlichen Beitrag leisteten, Herodots schlechten Ruf zu verbessern. 2 Doch während die Forschung Estiennes Apologia große Beachtung geschenkt hat, ist Camerarius’ Prooemium, das in mehreren Aspekten der Apologia vorgreift, nur wenig untersucht worden. In meinem Beitrag soll Camerarius’ Beitrag zur Verbesserung der Reputation Herodots und die darin ausgedrückte Geschichtsauffassung untersucht werden. 1 Camerarius’ Prooemium wird zum Kern des wachsenden Lehrcorpus, der den Text der Historiae durch die wichtigsten Ausgaben der folgenden 250 Jahren begleitet. Es wurde zum Teil oder vollständig neugedruckt in der 2. Auflage der Herodoti Historiae des Camerarius ( 2 1557, Basel: Bernhard Brand und Johann Herwagen), am Anfang der griechischen Ausgabe des Henri Estienne (1570, Genf: Stephanus), am Ende von Henri Estiennes griechischer und lateinischer Ausgabe (1592, Genf: Stephanus), in Paulus Estiennes griechischen und lateinischen Ausgaben (1618, Genf: Stephanus), in der griechischen Ausgabe des Gronovius (1715, Leiden: Luchtmans) und als erster Anhang zu Wesselings Ausgabe (1763, Amsterdam: Petrus Schoutenius). Schweighäuser war wohl der erste Herausgeber einer griechischen Herodot-Ausgabe, der Camerarius’ Prooemium nicht aufgenommen hat (bei Schweighäuser 1816, I, 2, iii, wird Camerarius nur im Zuge der Textgeschichte genannt). 2 Vgl. Momigliano 1966, 139. * In den Zitaten wurde das Latein und Griechisch der heutigen Schreibweise angepasst (Ligaturen werden aufgelöst usw.). Ich danke Noreen Humble, Stefan Riethmüller, Alain Ambühl und Tobias Dänzer für viele hilfreiche Bemerkungen bzw. Korrekturlesung. Deutsche Übersetzungen, wenn nicht anders gekennzeichnet, stammen von mir. Für finanzielle Unterstützung danke ich dem Leverhulme Trust. 128 Anthony Ellis I. Herodots Ruf vor Camerarius’ Wirken Zunächst werfen wir einen kurzen Blick auf den Ruf Herodots in der Renaissance, um den ursprünglichen Kontext des Werks Camerarius’ zu verstehen. Bekanntlich war die Zuverlässigkeit Herodots schon in der Antike stark umstritten. Zu seinen Kritikern, deren Abhandlungen gar nicht oder nicht vollständig auf uns gekommen sind, zählen unter anderem Ctesias, Manetho, Valerius Pollio, Aelius Harpocration und Libanios. Das Urteil Ciceros erfasst gänzlich den zwiespältigen Ruf Herodots: et apud Herodotum patrem historiae et apud Theopompum sunt innumerabiles fabulae ( leg .1, 5). 3 In Renaissance und früher Neuzeit jedoch war die einzige Schmähschrift gegen Herodot eine kleine unter Plutarchs Namen überlieferte Abhandlung: De Herodoti malignitate (oder Über Herodots Böswilligkeit ). Hier verurteilte Plutarch Herodots angebliche Schwächen und Fehler, unter anderem seine Böswilligkeit, Betrügerei und Pietätlosigkeit. Plutarch war zu Herodots Unglück einer der beliebtesten griechischen Autoren im 16. Jh. und bis ins 17. Jh. wurden Plutarchs Vitae zweibis viermal so häufig gedruckt wie Herodots Historiae . 4 Die Autorität Plutarchs lastete schwer auf Herodots Reputation. 5 Der Pater Historiae brauchte daher - zumindest aus Sicht seiner Herausgeber - einen Verteidiger gegen Plutarchs beunruhigende Anklagen. Wenngleich nicht der erste Humanist, der eine Verteidigung Herodots formuliert hat, so war Camerarius doch der erste Autor einer sorgfältigen Verteidigung, die ein breites Publikum erreichte. Unter den wenigen erhaltenen Texten früher italienischer Humanisten, die Herodot explizit behandeln, gibt es keinen detaillierten Versuch, Herodot gegen seinen Ankläger Plutarch zu verteidigen. Zwar kennt Guarino von Verona (1374-1460) Herodots Werk wohl schon in den Jahren 1414 / 15 und rühmt den griechischen Autor in einem 1427 geschriebenen Brief an Panormita (Antonio Beccadelli) überschwänglich, doch findet dessen beschädigter Ruf als Historiker hier keinerlei Erwähnung. 6 Ähnlich ist die Lage bei Matteo Maria Boiardo (gest. 1494), der die erste italienische Übersetzung der Historiae Herodots - mit einem Ercole d’Este (Herzog von Ferrara) gewidmeten Vorwort - schrieb, die 3 „Sowohl bei Herodot, dem Vater der Geschichte, als auch bei Theopompos findet man zahllose Märchen“. Einen Überblick über den Ruf Herodots von der Antike bis zur Neuzeit bietet Momigliano 1957, 1966, Evans 1968, Bichler / Rollinger 2000, 124-132; zur Renaissance vgl. insbesondere Kliege-Biller 2004, Olivieri 2004, Earley 2016, Looney 2016 und Foley 2016. 4 Burke 1966, 137. 5 Plutarchs De Herodoti malignitate wurde auf Griechisch zum ersten Mal im Jahr 1509 publiziert, und zwar in der Aldinen-Ausgabe der Moralia , nur 7 Jahre nach Aldus’ editio princeps der Historiae des Herodot. 6 Zu Guarino vgl. Truffi 1902 (Text des Briefes: 74-75). Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 129 erst lange nach seinem Tod gedruckt wurde (1533, Vendig: Giovanni Antonio di Nicolini di Sabbio). 7 Für Boiardo ist Herodot der Principe e padre unter den Historikern und seine asiatische Herkunft unterstütze die Glaubwürdigkeit seiner Erzählungen. Von den Angriffen Plutarchs und den von Cicero erwähnten herodoteischen fabulae ist jedoch nirgendwo die Rede. Herodots Tendenz, fiktive Geschichte zu erzählen, wird in einem kurzen Satz von Giovanni Giovano Pontano (1426-1503) anerkannt. In einem Brief vom 1. Januar 1460 an Pere Salvador Valls und Joan Ferrer gibt Pontano der Zeit (anstatt dem Historiker selbst) die Schuld an seiner Ungenauigkeit. 8 Ein 1463 verfasstes Vorwort zu Herodot von Mattia Palmieri (gest. 1483), der die Historiae auf Latein übersetzte, wurde nie gedruckt und verbleibt noch immer Manuskript. 9 In diesen so unbekannten Schriften fand Herodot keinen Verteidiger, der seinen guten Ruf in der republica litteraria hätte wiederherstellen können. Lorenzo Valla, der erste Übersetzer der gesamten Historiae , verfasste vermutlich aufgrund seines Todes im Jahre 1457 kein Vorwort zu seiner berühmten lateinischen Übersetzung, die zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht gänzlich vollendet war. 10 Die Übersetzung wurde erstmals im Jahre 1474 veröffentlicht und war bis zu Aldus Manutius’ editio princeps des griechischen Textes (1502) die einzige gedruckte Version des Textes Herodots. 11 Die kurzen Widmungsbriefe der ersten drei gedruckten Ausgaben von Vallas Übersetzung zeigen keine Spuren von Herodot-Kritik, weder der von Plutarch noch von anderen. Benedictus Brognolus’ siebenseitiger Widmungsbrief an Nicolaus Donatus, der am Anfang der editio princeps von Vallas Übersetzung ( Jacobus Rubeus: Venedig 1474) steht, konzentriert sich darauf, Donatus zu loben und für das größere Vorhaben zu werben, die literarischen Reste der Antike zu konservieren. Herodot wird erstmals auf der vorletzten Seite erwähnt, auf der ihn Brognolus ‚Vater der Geschichte’ nennt, bevor er Herodots Süße, Sanftheit und Beredtheit erwähnt 12 7 Vgl. Boiardo 1533. Zu Boiardos Übersetzung und Widmungsbrief vgl. Looney 2016 (mit weiterer Bibliographie), bes. 241 und 253 zur Frage der Glaubwürdigkeit Herodots und seiner Vorstellung von Geschichte. 8 Nam et temporibus non omnino repugnari potest, et Musis aliquanto etiam liberius, ut scitis, loqui concessum est . Zum ganzen Text, der offenbar als Vorwort zu Vallas Übersetzung vorgesehen war, vgl. Pèrcopo 1907, 25-26; zu Kontext und Erörterung vgl. Pagliaroli 2007, 16-17; Momigliano 1957, 81. 9 Vgl. dazu Kliege-Biller 2004, 79; Momigliano 1957, 80 (mit Anm. 1). 10 Vgl. Pagliaroli 2006, 19-20. 11 Wie Kliege-Biller schon bemerkt hat, deutet die Vorstellung der Geschichte, die Valla im Vorwort seiner früher geschriebenen Gesta Ferdinandi regis Aragonum äußert, nicht auf Wertschätzung Herodots hin: vgl. Kliege-Biller 2004, 78. 12 Brognolus 1474, [4r]: Te autem non fugit Herodotus esse patrem historiae: a quo principe genus dicendi historicum ornatum fuit: ipsumque non solum dulcem et suauem esse: sed tanta etiam eloquentia: ut ea orator noster quemadmodum ipse tentatus est magnopere 130 Anthony Ellis und damit auf die Topoi der Antike zurückgreift. 13 Die zweite Ausgabe des Valla-Textes (Pannartz: Rom 1475) enthält, abgesehen vom Text selbst, nur ein kleines lateinischen Epigramm. Die dritte Valla-Ausgabe ( Johannes & Gregorius de Gregoriis: Venedig 1494) umfasst einen Widmungsbrief vom Herausgeber des Textes, Antonius Mancinellus, an Nicolaus Rubeus, in dem Herodot nicht einmal erwähnt wird. Mit dem 1502 veröffentlichten Vorwort von Aldus Manutius zu seiner editio princeps des griechischen Textes der Historiae wurde zum ersten Mal ein Text gedruckt, der auf Herodots Kritiker - d. h. vor allem auf Plutarch - zu antworten suchte und breite Bekanntheit erlangte. In zwei Sätzen setzt sich Aldus mit den Verunglimpfungen Herodots auseinander: Derjenige, der die Historiae genau lese, bemerke unschwer, dass sich Herodot immer rechtfertigt, wenn er etwas Unglaubwürdiges schreibt, entweder durch eine Quellenangabe oder indem er sagt, dass er selbst dem aufgezeichneten Bericht nicht glaubt: 14 […] cum accurate musas ipsas perlegeris, facile cognosces, nam quoties indignum quid creditu scribit Herodotus, se ferè semper excusat, vel οὕτω λέγουσι dicens, uel ὡς ἀκήκοα, vel ὅπερ ἐμοὶ οὐ πιστὸν, vel ἅ γ᾽ἐμοὶ ἄπιστα et id genus quid aliud. […] wenn man [Herodots] Musen mit Genauigkeit liest, erkennt man dies leicht, denn jedes Mal, wenn Herodot etwas Unglaubwürdiges schreibt, verteidigt er sich, indem er sagt „so sagen sie“ oder „so habe ich gehört“ oder „was mir unglaubwürdig scheint“ oder „welchem ich nicht glaube“ oder etwas anderes dieser Art. Überraschenderweise bestreitet Aldus den Großteil seiner Beweisführung über Herodots Zuverlässigkeit unter Rekurs auf eine Analogie zu den Kretern, die ebenfalls einen unverdienten schlechten Ruf als Lügner hätten. 15 Solche delectaretur. Itaque eum inter alios libros tuos carum habebis: et cum ocium tibi ex administratione reipublicae: et aliis negociis tuis dabitur ut ipsum in manus sumas: ad ita facies interdum ut Benedicti tui meminisse non dedigneris . 13 Quintilians Gegenüberstellung von Herodots Süße und Thukydides’ Dichte und Kürze ( Inst. 10, 1, 73) wird in der Renaissance oft wiederholt. Vgl. (zusätzlich zu den unten erwähnten Beispielen) Vallas Praefatio zu seiner Thukydides Übersetzung (zitiert in Pade 2016, 8-9) und den letzten Teil von Aldus Manutius’ 1502 Widmungsbrief ( Densus & breuis, et semper instans sibi Thucydides. Dulcis, et candidus, et effusus Herodotus ). Herodots Süße wird zu einem selbständigen Topos, e.g., Camerarius 1541, α2v; Vgl. Melanchthon 1843, 868: An quisquam tam agresti animo est, ut non malit legere Herodoti historiam perpetuam, de maximis rebus gestis inde usque a Croeso ad Xerxem, de plurimorum regnorum mutationibus sapientissime et dulcissime narrantem consilia gubernatorum, causas bellorum , exitus placidos in negotiis moderatis, tristes vero in rebus cupiditate et ambitione susceptis (Sperrungen von mir). 14 Zitat aus dem Widmungsbrief an Johannes Calpurnius Brixianus, am Anfang von Manutius 1502. 15 Vgl. Kliege-Biller 2004, 79-80. Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 131 kurze Bemerkungen von Aldus Manutius und seinen Vorgängern genügten jedoch nicht, Herodots guten Namen wiederherzustellen. Viele Humanisten, darunter Rudolph Agricola (gest. 1485), Erasmus (1466-1536), Guillaume Budé (1467-1540) und Adrien Turnebus (1512-1565), sind dem Urteil von Herodots Kritikern gefolgt, nicht dem seiner Verteidiger. 16 Die knappste Formulierung stammt wohl vom Spanier Juan Luis Vives, der 1531 im Zuge seiner Abhandlung über die Unzuverlässigkeit der griechischen Historiker Herodot Pater mendaciorum („Vater der Lügen“) statt Pater historiae titulierte. 17 II. Camerarius und Herodot Wenden wir uns Camerarius’ Werk über Herodot zu, d. h. seiner 1541 erschienenen Ausgabe der Historiae samt einführendem Vorwort. Trotz der einmaligen Existenz eines von Camerarius annotierten Herodot-Exemplars (vgl. unten) und trotz der hohen Wahrscheinlichkeit, dass Camerarius über Herodot Vorlesungen gehalten hat, muss unsere Einschätzung seiner Herodotstudien nahezu ausschließlich auf der Grundlage des im Jahre 1541 veröffentlichten Prooemium erfolgen. Wir haben keine Spur des Herodot-Exemplars, das Camerarius in diesem Vorwort erwähnt. 18 Möglicherweise wurde das Buch zusammen mit vielen anderen Büchern der Bibliothek der Camerarius-Familie während der 16 Agricola sagt, dass Herodots Werk plus fabularum quam verae historiae contineant („mehr Märchen als wahre Geschichte enthält“, zitiert nach Kliege-Biller 2004, 75). Zu Budé, Erasmus, Turnebus und Vives vgl. Boudou 2000, 436-439. 17 Vives 1990, 316-317: Quid, quod videbant illa grandia, et tragica, et fabulosa magis otioso lectori arridere, magnamque sibi parasse gloriam qui illa scripsissent, ut Homerum, Hesiodum, Musaeum, Orpheum, et alios priscos poëtas: jam, quo minus possent redargui, non ausi sunt de rebus Graecorum mentiri; longe petierunt historiam in qua tutius mentirentur: res Persicas, res Aegyptias res Chaldaeas desumpserunt sibi, ut Herodotus, quem verius mendaciorum patrem dixeris, quàm, quomodo illum vocant nonnulli, parentem historiae; et Diodorus Siculus […] („Nun sahen sie [die Griechen], daß jene großartigen, erhabenen und sagenreichen Erzählungen dem Muße suchenden Leser mehr gefielen und daß diejenigen, die jenes geschrieben hatten, sich großen Ruhm erworben hatten wie Homer, Hesiod, Musäus, Orpheus und andere alte Dichter. Um nun weniger widerlegt werden zu können, wagten sie nicht, Lügen über die griechische Geschichte zu bringen, da sie nun einmal zu Hause von vielen leicht widerlegt werden konnten. So holten sie sich die Geschichte weit her, in der sie sorgloser lügen konnten. Sie nahmen sich die persische, die ägyptische und chaldäische Geschichte vor, wie es z. B. Herodot tat, den man richtiger den Lügenvater nennen dürfte als den Vater der Geschichte , wie ihn einige nennen und wie es Diodor von Sizilien tat […]“ (Übers. nach Wilhelm Sendner)). 18 Schriftliche Anfragen und persönliche Recherchen in Katalogen bei der Bayerischen Staatsbibliothek und den Universitäten von Leipzig und Tübingen haben keine Erfolge gezeitigt. 132 Anthony Ellis Einäscherung der Stadt Heidelberg durch französische Truppen im Jahre 1693 zerstört. 19 Meines Wissens gibt es keinen sicheren Beweis dafür, dass Camerarius an den Universitäten Wittenberg, Tübingen oder Leipzig je über Herodot las. Die akademischen Aufzeichnungen der Universität Leipzig, an der Camerarius von 1541 (kurz nach der Veröffentlichung seiner Herodot-Ausgabe) bis zu seinem Tode im Jahr 1574 lehrte, sind äußerst spärlich. In der Regel beweisen sie, dass Camerarius utriusque linguae („beide Sprachen“, d. h. Griechisch und Latein) lehrte; die antiken Autoren, die gelesen wurden, werden selten genannt. Ab und an fällt ein Name (z. B. Homer oder Xenophons Kyropädie ), der Herodots aber ist nicht zu finden. 20 In Tübingen ergibt sich dasselbe Bild. Während Camerarius dem Leser in seinem Homer-Kommentar mitteilt, dass das Buch auf seiner Homer-Vorlesung aus dem Jahr 1537 basiert, 21 bietet Camerarius keine vergleichbare Ätiologie in seinem Vorwort zu Herodot. In seinen Kommentaren zu Ilias 1 (1538) und Ilias 2 (1540) bezog sich Camerarius mehrmals auf Herodot, auch in Zusammenhängen, in denen man es nicht erwartet hätte. 22 Dies ist aber kein sicheres Anzeichen dafür, dass Camerarius damals Herodot lehrte: Plausibel ist, dass sich Camerarius bereits mit der Herodot-Ausgabe beschäftigte, die im Jahr darauf erscheinen sollte. Nun zu den vorhandenen Belegen: Ich beginne mit einem biographischen Hinweis. Am Anfang seines Prooemium schreibt Camerarius, dass er Herodot zuerst in privatem Rahmen, und zwar in Leipzig im Haus des englischen Gräzisten Richard Croke (ca. 1489-1558), gelesen habe. Croke scheint vom Sommersemester 1515 bis 1517 (d. h. während des Großteils der Studienzeit des Camerarius in Leipzig) 23 Deutschlands erster bezahlter Professor für Griechisch gewesen zu sein. Der Professor habe, sagt Camerarius, zusammen mit den Studenten das erste Buch Herodots (und Teile des zweiten) gelesen; nach Abschluss des Kurses 19 Zum Schicksal des Nachlasses der Familie Camerarius (mit Fokus auf die Briefe) und zum Feuer vgl. Woitkowitz 2003, 29-31. 20 Vgl. Erler 1895-1902, Bd. II, 669 (Wintersemester 1542)-740. 21 Vgl. unten Anm. 48. 22 Camerarius zitiert z. B. Herodot 2, 82, 1, um seine allegorische Deutung der Göttin Hera als „Luft“ (ἀήρ) zu beweisen, vgl. Sier 2003, 228-230. 23 Zu Crokes Lehrtätigkeit in Leipzig gibt es wenige genaue Hinweise. Für seine allgemeine Biographie (inkl. Publikationen und Lektüre über Plutarch in Leipzig) vgl. Lee 1888, 119-120; zu seiner Zeit in Leipzig und den Eindruck, den er auf Camerarius gemacht hat, vgl. z. B. Kößling 2003, 297-300, Woitkowitz 2003, 34. Die von Camerarius erwähnten Herodot-Lektüren sind nicht in den akademischen Aufzeichnungen der Leipziger Universität zu finden: Erler 1895-1902, Bd. II, 429-433. Informationen zu Crokes Ankunft in Leipzig (Sommersemester 1515) finden sich bei Erler 1895-1902, Bd. I, 539; Bd. II, 510-511. Zu Camerarius’ Studienzeit in Leipzig (und später Erfurt) vgl. Asche 2003 (zu Croke: 46). Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 133 sei Camerarius so verliebt in die Süße und Eleganz Herodots gewesen (erneut der Topos aus Quintilian), dass er allein mit der Herodot-Lektüre fortgefahren habe. Dabei habe er von seinem Lehrer, vermutlich Georg Held, ein Herodot- Exemplar bekommen, das mit zahlreichen Marginalien versehen gewesen sei. Mit typischer Bescheidenheit erzählt Camerarius die Geschichte auf folgende Weise: Cumque Crocus statuisset domi suae quibusdam privata opera Herodoti historias explicare, nos etiam tum ad hunc autorem cognoscendum à Magistro sumus missi. Etsi autem Crocus vix pervenit ad secundum illius autoris librum enarratione sua, ego tamen captus dulcedine et elegantia atque etiam facilitate scriptorum, cum celeriter diversitatem quandam sermonis, quam διάλεκτον vocant, percepissem, ita postea semper in illo legendo haesi atque perseveravi, ut qualemcunque (sentio enim quàm exigua haec sit.) facultatem Graecae linguae consecuti sumus, eam magna ex parte Herodoti lectione acceptam referre debeamus. Itaque et nunc eum quorum usus fui acceptum à Magistro Herodoti codicem, tactatum versatumque a me plurimum, omnibus in pagellis notatiunculis et scriptura nostra insignem, inter alios omnes et diligo maximè, et, quoties forte aspexi, non unquam ferè temperare mihi possum, quin aperiam et in eo aliquid legem. 24 Hieraus lässt sich folgern, dass Camerarius Herodot erstmals in Leipzig zwischen September 1515 (als er nach einem Krankenaufenthalt in Bamberg nach Leipzig zurückkehrte) und Ostern 1517 (als er, neuerlich erkrankt, für etwa fünf Monate nach Hause ging und Croke während seiner Abwesenheit an die Universität Cambridge wechselte) las. 25 Camerarius’ späterer Biograph Melchior Adam beschreibt ein Vorkommnis des Jahres 1516, wobei Camerarius aufgrund von Unruhen in Leipzig sein Herodot-Exemplar sub veste („unter seiner Kleidung“) getragen habe, um es zu schützen, sollten die Spannungen in Gewalt übergehen (hier scheint Adam eine frühere Erzählung des Sohnes Joachim Camerarius d. J. ausgearbeitet zu haben). 26 Erst etwa 25 Jahre später wurde Camerarius’ erstes und einziges Werk über Herodot veröffentlicht: Im März 1541, ein halbes Jahr vor seinem Wechsel von der Universität Tübingen an die Universität Leipzig, wurde die Herodot-Ausgabe in Basel bei Johann Herwagen gedruckt. Für die Zwischenzeit gibt es kaum einen Hinweis darauf, dass sich Camerarius mit Herodot beschäftigte. 27 24 Camerarius 1541, α2r-v. 25 Zu Camerarius’ Krankheiten vgl. Kunkler 2000, 24; 26. 26 Zur Geschichte und deren Quellen (insbes. Coll. Cam. cod. lat . 10 376 (vol. 26) n. 8, fol. 12r) vgl. Kunkler 2000, 25-26. 27 Die einzige mir bekannte Ausnahme ist ein Brief, den Melanchthon an Camerarius zu Beginn des Juni 1531 schickte, in dem Melanchthon die Frage erörtert, ob es einen oder 134 Anthony Ellis Nun zum Vorwort. Früh im Prooemium nennt Camerarius sein Ziel: Er wolle den Kritikern, die gegen Herodot schreiben, „antworten“. Trotz der Tatsache, dass er am Anfang keinen Kritiker nennt, wird die Gestalt Plutarchs sogleich greifbar - hinter Camerarius’ Paraphrase ist der Vorwurf gegen Herodot: malignitatis crimen („der Frevel der Böswilligkeit“) leicht erkennbar. Camerarius’ Verteidigungsrede beschreibt Herodots Werk mit folgenden Worten: 28 Narrationes sunt disertae: Indicationes expressae et speciosae: Explicationes accuratae & evidentes: […] Accurata compertorum relatio, dubiorum coniectura fugax, fabulosorum verecunda commemoratio. Mira ubique simplicitas, et eximius quidam candor. Die Erzählungen sind wortgewandt, die Einschätzungen klar und schön, die Berichte genau und deutlich […] [Er bietet] einen genauen Bericht dessen was er gelernt hat, vermeidet Spekulation über zweifelhafte Dinge und erzählt Märchenhaftes mit Schamgefühl. Überall ausgezeichnete Einfachheit und außerordentliche Freimütigkeit. Nachdem Camerarius mehrere Eigenschaften Herodots aufgeführt hat - darunter Genauigkeit, Schlichtheit und Aufrichtigkeit - thematisiert er Plutarchs wichtigste Anklage: Herodots Verlogenheit. Dass Aldus Manutius schon darüber geschrieben hat, bemerkt Camerarius als erstes. Ich möchte mich hier auf diejenigen Argumente konzentrieren, die Camerarius bezüglich Herodots „sagenhafter Geschichtchen“ ( fabulosas narratiunculas ) vorbringt. Dass er dies thematisiert, hat seinen wahrscheinlichsten Grund darin, dass er die von Cicero erwähnten fabulae Herodots im Hinterkopf hat. Camerarius behauptet, dass Herodot für viele der unglaubwürdigen Aspekte seines Werkes nicht kritisiert, sondern gelobt werden solle, weil sie nicht nur charmant geschrieben seien, sondern dem Leser auch Belehrung und Beratung für das Leben brächten. 29 Damit allerdings niemand irregeführt werde, führe Herodot - so zwei Hercules gebe. Melanchthon verleiht der Meinung Ausdruck, in der Antike habe es nur einen Hercules gegeben, wobei er überraschenderweise bemerkt, dass „Herodot nicht einer sehr anderen Meinung ist“, worauf er Camerarius bittet, ihm die Genealogie von Hercules und Alexander dem Großen zu erläutern (CR ii 505: Ego enim in ea opinione sum, unum tantum Herculem fuisse. Nec multo aliter sentit Herodotus. Rogo igitur te, ut diligenter perscribas mihi, et cuius fuerit Hercules, et quomodo existimes ab illo Alexandrum Macedonem ortum esse, cuius genus valde cupio nosse. Materno genere Aeacides est, sed paterno Isocrates facit Heracliden. ). Tatsächlich sagt Herodot explizit, dass er der Meinung ist, es gebe zwei Hercules, einen Heros und einen Gott (cf. Hdt. 2, 43-4, 44, 5). Ob Camerarius Melanchthon in diesem Punkt korrigiert hat, ist mir nicht bekannt. 28 Camerarius 1541, α2v-α3r. 29 Camerarius 1541, α3v: Ob fabulosas quidem narratiunculas, tantum abest ut quasi mendacem incessi uituperarique autorem hunc debere putem, ut etiam, cum et aptissimè illas inseruerit, et bellisimè concinnarit, et uenustissimè composuerit, admirandus: cumque in- Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 135 Camerarius - fast immer relativierende Äußerungen an, z. B. „so sagen sie“, „so habe ich gehört“ oder „was mir unwahrscheinlich scheint“. 30 Die Nähe zu Aldus’ Vorwort ist erkennbar (vgl. oben Anm. 14). Hier ist zu bemerken, dass Camerarius offensichtlich aus apologetischen Gründen etwas zu weit geht. In Teilen seines Werkes achtet Herodot sehr stark auf seine Quellen und gibt oft ehrlich die Grenzen seines Wissens zu. Die Mehrheit der von Camerarius zitierten Beispiele („so sagen sie“ usw.) stammen aus Passagen, wo Herodot sich öffentlich als Forscher darstellt, dessen Wissen auf das beschränkt ist, was er sieht, hört und davon ableitet. Diese erzählerische Tendenz findet sich jedoch in der Regel nicht in den vielen Abschnitten der Historiae , wo sich Herodot als allwissender Erzähler darstellt, der seine Geschichten mimetisch, ohne Quellenangabe und ohne Hinweis auf ihre sagenhafte und fiktive Natur erzählt. 31 In diesem Zusammenhang führt Camerarius einen wichtigen herodoteischen Satz an, der besagt, dass es die Aufgabe des Historiker sei, was gesagt werde zu überliefern, jedoch nicht alles, was er überliefere, zu glauben (Hdt. 7, 152). Camerarius gibt folgende Übersetzung: Ego, inquit, quae fando cognovi exponere narratione mea debeo omnia, credere autem esse vera omnia, non debeo . 32 Diese Aussage wurde ebenfalls von späteren Humanisten betont: von Henri Estienne in seiner Apologia pro Herodoto (die im Jahr 1566 erschien) 33 und von David Chytraeus (der 1541 bei Camerarius in Tübingen studierte) in seiner De lectione historiarum recte instituenda . 34 Jahrzehnte später schreibt Joseph Scaliger diesen Satz auf das Titelblatt seines Herodot-Exemplars. 35 Der Ruf Herodots wird danach durch einen Vergleich mit dem zweiten großen griechischen Historiker Thukydides aufgebessert, dessen Geschichte des Peloponnesischen Krieges Camerarius kurz zuvor im Jahr 1540 herausgegeben hatte. 36 Thukydides habe wie Herodot Reden erfunden und in seine Geschichten eingesetzt. Auf keinen Fall dürfe man glauben, dass die Reden wirklich so gehalten wurden, wie Thukydides sie dargestellt hat. Das sei allerdings kein Nachstructionem in singulis aliquam uitæ, consiliorum, actionum, comprehenderit, eximiam gratiam quoque ab omnibus meritus esse uideatur. 30 Camerarius 1541, α3v: Quid quod fidem suam in his ferè liberat, cauetque ne quis simplicior decipiatur, cum addit semper huiusmodi quiddam. ut ferunt. ut ego audiui. quid ueri mihi quidem simili non fit . 31 Für Bibliographie zu den verschiedenen erzählerischen Personae Herodots vgl. z. B. Ellis 2016. 32 Camerarius 1541, α3v. Cf. Hdt. 7, 152: Ἐγὼ δὲ ὀφείλω λέγειν τὰ λεγόμενα, πείθεσθαί γε μὲν οὐ παντάπασιν ὀφείλω (καί μοι τοῦτο τὸ ἔπος ἐχέτω ἐς πάντα τὸν λόγον). 33 Estienne 1980, 14-16. 34 Chytraeus 1579, 520. 35 Vgl. dazu Ellis 2015, 194 und Anm. 53, das Bild ebd. 195. Zu einer anderen Gesinnung gegenüber Herodot in Scaligers Werken vgl. Grafton 1975, 171. 36 Camerarius 1540. 136 Anthony Ellis teil. Camerarius bringt sein Argument in einem Frauenvergleich zum Ausdruck: Geschichte solle nicht schmucklos und nackt sein, sondern verziert, bekleidet und vollkommen: Itaque non inornatam, non nudam, non contractam, sed splendidam, vestitam, explicatam, dummodo integram, et, ut ita dicam, probam et incorruptam decet esse historiam. 37 Später im Prooemium verteidigt Camerarius das Sagenhafte in Herodots Historiae noch ausdrücklicher: Das Ziel der Geschichte liege nicht nur darin, unser Wissen um die Realien zu vermehren, sondern auch darin, unsere Seele oder unseren Geist ( animus ) auszubilden ( non solum delectationem cognitionis, sed instructionem etiam animorum ), damit Geschichte dem Leser sowohl Freude als auch Nützlichkeit ( voluptas et utilitas ) bringe. Wenn etwa Herodots fiktive fabulae nützliche Warnungen und vieles Wertvolles enthalten, so sollen wir ihn dafür schätzen, nicht kritisieren. Als Beispiel führt Camerarius die Geschichte des Lyderkönigs Candaules an, der von seinem Speerträger Gyges ermordet wird. Niemand, schreibt Camerarius, zweifle daran, dass die Realien der Wahrheit entsprächen. Die Details der Erzählung wiederum seien für Herodot gar nicht erkennbar, etwa dass Candaules so sehr in seine Frau verliebt gewesen sei, dass er sie, als sie nackt war, heimlich dem Gyges gezeigt habe, um ihn zu überzeugen, dass er, Candaules, die schönste Frau auf der Welt habe, oder dass die Königin, nachdem sie den Komplott entdeckt hatte, Gyges gezwungen habe, entweder gleich zu sterben oder seinen König Candaules zu töten. Die genauen Einzelheiten der Geschichte, die sich im Geheimen und unter Menschen zugetragen hat, die Jahrhunderte vor Herodot in einem weit entfernten Land lebten, dürften erfunden sein, so Camerarius, aber sie enthielten doch viele ausgezeichnete Sprüche oder sententiae und zeigten die Gefahren einer pervertierten Seele auf. 38 37 Camerarius 1541, α4r. Zur Analogie zwischen einer Frau und der Geschichtsschreibung vgl. auch Guarini, der „Geschichtsschreibung in ihrem Wahrheitsanspruch als eine matrona pudica von der freizügigeren, in der Entfaltung der Phantasie ungehemmten Dichtkunst“ abgrenzt (Landfester 1972, 95 und Anm. 8). 38 Camerarius 1541, α4r: Cum autem historia non solum delectationem cognitionis, sed instructionem etiam animorum continere debeat, ut et voluptatem et utilitatem afferat legentibus: si his ipsis quae ut fabulosa notantur etiam monita utilia atque salutaria multa insunt, quis iam eos non modo qui vitupererent, sed qui laudent iniquius ferre omnino possit? fuit Candaules rex Lydorum: Nemo, ut opinor, negare audet. Hoc tempore in aliam familiam translatum fuit regnum Lydiae. An quisquam falso hoc proditum dicit? Cur igitur illa iam culpant de satellite coacto aspicere nudam Reginam? Quae si, quod haud scio an non sint, conficta essent, quanti multis de caussis fieri mererentur? Nónne illam peruersionem animorum, quae ita mirabiliter, ut divinitus effici videatur, saepe urgentibus fatalibus casibus animadvertitur, demonstrant? Quàm speciosis et bonis sententiis illustris est narratio? Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 137 Dieses Vorgehen ist eine ingeniöse Methode der Verteidigung. In Antike und Renaissance war Wahrheit (d. h. Fakten, nicht die Erzeugnisse der Phantasie) eine wesentliche Eigenschaft der Geschichtsschreibung, zumindest in der Theorie; freie Erfindung der Ereignisse hingegen entspricht der Rolle des Historikers nicht. 39 In der Renaissance hat man der Gewohnheit antiker Autoren, Reden zu erfinden, große Aufmerksamkeit beigemessen und über das Für und Wider argumentiert. In dieser Debatte waren die Stimmen, die für erfundene Reden eintraten (aufgrund der rhetorischen Natur und der pädagogischen Aufgabe der Geschichte) weit zahlreicher als die, welche die Reden kritisierten. 40 Durch seinen Appell für eine ausgedehnte Praxis dieses Prinzips - dem sowohl von zeitgenössischen Geschichtstheoretikern als auch von Thukydides selbst (an dessen Zuverlässigkeit es nie Zweifel gegeben hatte) Folge geleistet wurde - sprach sich Camerarius auch für eine Verteidigung des herodoteischen Bestrebens aus, ausführlich von Ereignissen, die in grauer Vorzeit lagen und von denen er keine detaillierten Erkenntnisse gehabt haben konnte, zu berichten. Durch seine Betonung der pädagogischen Funktion der Geschichte gelang es Camerarius, Herodots Laster in Tugend zu verwandeln. Die Idee, dass der moralische Unterricht wichtiger sei als die wissenschaftliche Äquivokation, verbindet Camerarius eng mit seinem Freund und ehemaligen Fachkollegen in Wittenberg (und früheren Kommilitonen an der Universität Heidelberg) Philipp Melanchthon, dessen Chronicon Carionis stark von einem ähnlich moralisierenden Blickwinkel geprägt ist. 41 Diese Auffassung hat Camerarius nicht nur willkürlich aus apologetischen Gründen vertreten. Eine ähnliche Beweisführung findet sich in Camerarius’ posthum veröffentlichter Historica narratio de fratrum orthodoxorum ecclesiis in Bohemia, Moravia, & Polonia (Heidelberg 1605). Hier sieht Camerarius offenbar eine enge Verbindung zwischen Werken, die als Geschichte ( historia ) bezeichnet werden können, und solchen, die zu anderen Gattungen ( genus ) gehören. 42 Hinter dieser Unterscheidung liegt möglicherweise Aristoteles’ Erörterung über den Unterscheid zwischen Geschichte ( historia ) und Dichtung ( poiesis ), der zum 39 Vgl. z. B. Cicero, De oratore 2, 36 (Geschichte ist unter anderem lux veritatis ); 2, 62: Nam quis nescit primam esse historiae legem, ne quid falsi dicere audeat? Deinde ne quid veri non audeat? Ne quae suspicio gratiae sit in scribendo? Ne quae simultatis? Haec scilicet fundamenta nota sunt omnibus . Landfester 1972, 94-95 zitiert mehrere Beispiele, wo dieses „Gesetz der Geschichte“ in der Renaissance vorkommt; vgl. Kliege-Biller 2004, 69; 71. 40 Für weitere Diskussion, Beispiele und Literatur vgl. Grafton 2006, 36-48. 41 Vgl. Lotito 2011, 35; 176-179; Ellis 2015, 184-189. 42 Camerarius 1605, 4: Etsi verò in talibus quoque scriptis insunt quaedam, quibus non leves neque imperiti utili cognitione instrui possunt, et contentiones istae pro veritate propugnantes nequaquam sunt vituperendae: nullo tamen modo historiae nomen illis propriè congruit: et ad aliud haec genus pertinent, de quibus nunc plura dici minus esset opportunum . 138 Anthony Ellis allgemeinen Fundus der Geschichtstheoretiker der Renaissance gehörte. 43 In seiner Poetik behauptet Aristoteles, es sei Aufgabe der Geschichtsschreibung, zu berichten, was geschehen ist (τὰ γενόμενα), während es Aufgabe der Dichtung sei, zu sagen, was geschehen könnte (οἷα ἂν γένοιτο). Damit ist Dichtung „philosophischer und schwerwiegender als Geschichtsschreibung, weil Dichtung mehr vom Allgemeinen, Geschichtsschreibung hingegen vom Besonderen spricht“. 44 Die Poetik war Camerarius gut bekannt. In seinem Argumentum Fabulae , das Camerarius seinem 1534 veröffentlichten Kommentar zum Oedypus Tyrannus als Vorwort voranstellte, stützte er sich bei der Erörterung des Tragödienbegriffs auf die aristotelischen Ideen von Furcht und Mitleid ( metus et misericordia ) und die Vorstellung der hamartia . 45 Während Aristoteles Herodots Werk als reine historia bezeichnet hatte (d. h. ein Werk, welches sich ausschließlich damit beschäftigt, „was geschehen ist“), gibt Camerarius zu - vermutlich aufgrund Ciceros Äußerungen über Herodot sowie Camerarius’ Kenntnis des Werks -, dass Herodot auch fabulae miteinbezogen habe, die wenig oder überhaupt nicht auf sachlicher Basis beruhen. Nach Camerarius’ und Aristoteles’ Definition von Tragödie gelten solche schöpferischen Erzählungen nicht als Geschichte. Anstatt Herodots Historiae als teilweise „unhistorisch“ zu bezeichnen, versucht Camerarius im Prooemium jedoch mehrfach zu beweisen, dass Erzählungen, die in der Tat gar nicht historisch sind, immerhin eine nützliche pädagogische Rolle in der Geschichtsschreibung spielen können, und zwar so lange sie richtig komponiert sind (eine wichtige Bedingung). 46 Camerarius baut somit eine Verteidigung der dichterischen oder sagenhaften Elemente der Geschichtsschreibung wider die Theoretiker des 15. und 16. Jahrhunderts auf. 43 Landfester 1972, 95-96 gibt mehrere Beispiele. 44 Aristot. Poet. 1541a36-b10: φανερὸν δὲ ἐκ τῶν εἰρημένων καὶ ὅτι οὐ τὸ τὰ γενόμενα λέγειν, τοῦτο ποιητοῦ ἔργον ἐστίν, ἀλλ' οἷα ἂν γένοιτο καὶ τὰ δυνατὰ κατὰ τὸ εἰκὸς ἢ τὸ ἀναγκαῖον. ὁ γὰρ ἱστορικὸς καὶ ὁ ποιητὴς οὐ τῷ ἢ ἔμμετρα λέγειν ἢ ἄμετρα διαφέρουσιν (εἴη γὰρ ἂν τὰ Ἡροδότου εἰς μέτρα τεθῆναι καὶ οὐδὲν ἧττον ἂν εἴη ἱστορία τις μετὰ μέτρου ἢ ἄνευ μέτρων)· ἀλλὰ τούτῳ διαφέρει, τῷ τὸν μὲν τὰ γενόμενα λέγειν, τὸν δὲ οἷα ἂν γένοιτο. διὸ καὶ φιλοσοφώτερον καὶ σπουδαιότερον ποίησις ἱστορίας ἐστίν· ἡ μὲν γὰρ ποίησις μᾶλλον τὰ καθόλου, ἡ δ' ἱστορία τὰ καθ' ἕκαστον λέγει. 45 Vgl. dazu Lurje 2004, 94-96. 46 Camerarius 1605, 4: Id quod Herodot accidisse, principi historico scimus, cum tamen in hac parte sibi ipse studiose caverit, suam dubitationem confitendo, aliorumque sermones sese referre indicando; cumque non omnia etiam, quae ab aliquorum assensione abhorrent, tanquam falsa exagitari aequum sit; et fabulae quoque ipsae utiliter alicubi narrentur. Verum in istis si falsitas non solum nugatoria atque inepta, sed perniciosa etiam est, inserendo animis impia, vitiosa, turpia, quibus et corrumpitur iudicium, et consilia depravantur; non solum ita dignitas historiae contaminatur, sed nocetur vitae morumque honestati; et sunt haec omnino respuenda, vel etiam refutanda, ne causam dent erroris, sive qui novus existat, sive qui pristinus confirmetur . Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 139 In der Historica narratio bemerkt Camerarius, dass viele bedeutsame Werke gar nicht historisch sind, wobei er als Beispiel Xenophons Kyropädie anführt, deren fiktive Natur von Cicero in einem oft zitierten Satz bestätigt worden sei: Die Kyropädie wurde non ad historiae fidem scriptus, sed ad effigiem justi imperi („nicht als historische Wahrheit geschrieben, sondern als Abbild eines gerechten Reiches“). 47 Im Gegensatz zum explizit apologetischen Prooemium zu Herodot vermeidet Camerarius die explizite Aussage, dass vieles in Herodots Werk nicht historisch ist. Camerarius deutet, wie oben erwähnt, vielmehr an, dass Herodot sehr wohl eine kritische Haltung seinen Quellen gegenüber gehabt habe. Tatsächlich kommt Herodots Geschichtsschreibungspraxis Camerarius’ eigener Geschichtskonzeption erheblich näher als der des Aristoteles, die alles, was auf allgemeine Wahrheit zielt, der Dichtung zuordnet. Wie Stephan Kunkler treffend bemerkt hat, behauptet Camerarius, dass auch die christliche Wahrheit einen wichtigen Platz in der Geschichte habe und dass die beste Art und Weise, diese Wahrheit auszusprechen, nicht immer die der sorgfältigen Wiedergabe sachlicher Einzelheiten sei. 48 Zurück zum 1541 veröffentlichen Vorwort: Nachdem er die Frage der Zuverlässigkeit Herodots ausführlich diskutiert hat, 49 nennt Camerarius zum ersten Mal Plutarch, wobei er sagt, dass er gegen Plutarch und für Herodot ( pro Hero- 47 Cic. Q. fr . 1, 23. Poggio diskutiert die gleiche Problematik in seinen Briefen an Lionello Achrocamur (1451) und Alberto Parisi (1454); vgl. Harth 1987, III, 135-136, 225 (für die Belege danke ich Keith Sidwell). Chytraeus wiederholt das Zitat in 1597, 473. Camerarius 1605, 2-3, schreibt Folgendes: cùm quidem expertes veritatis narrationes, nequaquam sint historicae, quamtumvis eleganter copioseque et ornata oratione compositae. Nam quod est in animantum corporibus oculus, id in historiâ veritas verè perhibetur. Qualis nam coeci ductus, talis doctrina est carens veritate. Quas quidem de industria aliqui confinxerunt tanquam res gestas mandando litteris (in quo genere posteriorum temporum Graeci multum operae posuêre, et bella quaedam scripta composuêre) eae historiae non sunt: Haud illae quidem aspernandae narrationes, si ad prudentiam ceterasque virtutes, exempla et utiles sententias continent. Cuius modi est singulare opus, Cyrus à Xenophonte non ad historiae fidem scriptus, sed ad effigiem iusti imperii, ut Cicero ait . 48 Zu Camerarius’ Historica narratio , der Kyropädie und der Spannung zwischen Fiktion und Wahrheit in Camerarius’ Denken vgl. Kunkler 2000, 177-185. 49 Trotz seiner apologetischen Betrachtung im Prooemium hatte Camerarius nicht gezögert, die Realien, die Herodot berichtet, anderswo zu diskutieren. In seinem 1538 erschienenen Kommentar zum ersten Buch der Ilias Homers ficht Camerarius z. B. Herodots Aussage an, dass Homer ein Zeitgenosse von Hesiod gewesen sei und dass er nur 400 Jahre vor Herodot gelebt habe. Stattdessen setzt Camerarius Homer ca. 300 Jahre früher an als Herodot und rückt ihn so in zeitliche Nähe zum Trojanischen Krieg. Vgl. Sier 2003, 226-227. Der Kommentar zum ersten Buch der Ilias erschien 1538 in Straßburg; der zum zweiten 1540, d. h. im Jahr vor seiner Herodot-Ausgabe (März 1541). Der Kommentar hat den Ursprung in einer Vorlesung über das erste Buch der Ilias , die Camerarius an der Tübinger Universität während der Sommerferien 1537 hielt: dazu Sier 2003, 209. 140 Anthony Ellis doto ) schreiben werde. Er beginnt in respektvollem Ton, 50 aber das ad hominem kommt schnell: Als Plutarch Herodot der Böswilligkeit bezichtigte, habe er seine eigene Böswilligkeit zu erkennen gegeben. Plutarchs Parteilichkeit wird angeführt: Plutarch schreibe nicht aus Liebe zur Wahrheit, sondern aus Rachlust ( non veritatis sed ultionis cupiditas ), weil Herodot Plutarchs Landsmänner, die Böotier, als Verräter im Perserkrieg dargestellt habe. 51 Eben dieser Punkt wird von Isaac Casaubon am Anfang seiner Herodot-Vorlesungen in Paris im Winter 1601 / 2 wiederholt werden. 52 Casaubon las sicherlich Camerarius’ Prooemium , wie man aus den Marginalien seines Herodot-Exemplars ersehen kann. 53 Hier sieht man einmal mehr, wie Camerarius’ Verteidigung für Herodots spätere Verteidiger einschlägig war. III. Camerarius’ Verteidigung von Herodots Frömmigkeit Ein weiterer Aspekt, den Camerarius im Prooemium thematisiert, ist Plutarchs Vorwurf der Pietätlosigkeit Herodots: Plutarch hatte kurz dargelegt, dass Herodot blasphêmia in den Mund eines großartigen Mannes gelegt habe, indem er Solon von Athen sagen ließ, dass das Göttliche (τὸ θεῖον) phthoneros sei ( phthoneros wird normalerweise mit „neidisch“, „eifersüchtig“ oder invidiosus übersetzt): 54 τοῖς δὲ θεοῖς λοιδορούμενος ἐν τῷ Σόλωνος προσωπείῳ ταῦτ' εἴρηκεν· „ὦ Κροῖσε, ἐπιστάμενόν με τὸ θεῖον πᾶν ἐὸν φθονερόν τε καὶ ταραχῶδες ἐπειρωτᾷς ἀνθρωπηίων 50 Camerarius 1541, α4v: Plutarchus Cheronensis, qui nostrum autorem acerbissimè postulavit et convincere conatus est malignitatis, edito libello, cui prascripsit περὶ τοῦ Ηροδότου κακοηθείας . Contra quae, etsi singularis est viri autoritas et celebris eruditio, concedi tamen nobis oportere puto, ut pro Herodoto dicere liceat […]. 51 Camerarius 1541, α4v: Plutarchus autem minime cavit, ne insimulando malignitatis alterum, malignitatem ipse quandam singularem suam proderet. Nam cum collegisset quasi intimos sensus et reconditam voluntatem pravitatis malignorum, ad illa à se pro posita postea, ut pueri à Magistris secundum capita quaedam traditas materias deducere iubentur, sic accusationem suam applicavit in autorem hunc, ut ego quidem iudico, illa conferens alienae malignitatis crimina. Ac ne dissimulauit ipse neque texit caussam irae ac odii sui: Nam suam civitatem, id est, Boeotos ignominia affectos & infamatos, ut ait, immerito, graviter fert et dolenter. Hinc igitur illae lacrimae, haec illa indignatio. Statim igitur quid autoritatis in tali criminatione sit, quam non veritatis sed ultionis cupiditas expresserit, apparet, ut illius quasi filium sequentes refellere quae congessit singula nihil sit necesse . 52 Vgl. Casaubon 1601 / 2, 104v-105r. 53 Vgl. z. B. die Marginalien (von Casaubons Hand) auf S. 13 zu Camerarius’ Vorwort seines griechischen Herodot-Exemplar (Stephanus, 1570): Cambridge University Library, MS Adv. a, 3, 2. 54 Plutarch, Moralia (= De Herodoti malignitate ) 857f-858a. Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 141 πραγμάτων πέρι“· ἃ γὰρ αὐτὸς ἐφρόνει περὶ τῶν θεῶν τῷ Σόλωνι προστριβόμενος κακοήθειαν τῇ βλασφημίᾳ προστίθησι. Herodot, die Götter beschimpfend, sagt durch die Person des Solon das Folgende: „Kroisos, du befragst mich zum menschlichen Glück, der ich wisse, dass das Göttliche ganz neidisch ( phthoneros ) und verworren sei“. Herodot lässt Solon darlegen, was er selbst über die Götter denkt, wobei er seiner Böswilligkeit Pietätlosigkeit hinzufügt. Dies war eine besonders schwerwiegende Anklage in humanistischer Zeit, 55 weil es nicht nur Platoniker wie Plutarch waren, die die Vorstellung des φθόνος θεῶν als Frevel beurteilten, 56 sondern auch Christen. Von den Kirchenvätern bis zu Thomas von Aquin folgten christliche Autoren Platon hierin wie in vielem anderem und machten deutlich, dass der Affekt des phthonos mit dem christlichen Gott, der die Menschen liebe, unvereinbar sei. 57 Dass Herodot von christlicher Seite so explizit der Gotteslästerung beschuldigt wurde, konnte der Theologe und Reformator Camerarius freilich nicht ignorieren. Er bemühte sich daher um eine akzeptable Lösung, indem er Solons Rede über die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge als „hervorragendes Urteil“ ( praeclara sententia ) verstand und Plutarchs Angriff gegen den phthonos der Götter als Überreaktion charakterisierte, die aus Plutarchs mit christlichem Glauben unvereinbarer Ansicht resultiere, dass die Götter keine Gefühle hätten. Die theologischen Ideen, die Plutarchs Angriff auf Herodot motivierten - so impliziert es Camerarius -, stünden im Gegensatz zum christlichen Ansatz, Gott stets auf eine menschliche Art und Weise zu beschreiben. Mit diesem Argument vereinnahmt Camerarius Herodot für den christlichen Glauben und stellt ihn gegen Plutarchs angeblich unchristlichen Glauben an die apatheia theôn („die Gefühllosigkeit der Götter“). Die Tatsache, dass sich Plutarchs Vorwurf auf eine zentrale Lehre der christlichen Theologie bezieht, übergeht Camerarius kommentarlos. Damit schafft er überaus tendenziös eine Kluft zwischen Plutarch 55 Zum Thema der Deutung der altgriechischen Vorstellung des φθόνος θεῶν in der (Früh-) Neuzeit (dort auch zu Camerarius) vgl. Ellis 2017. 56 Zu heidnischen Philosophen, die gegen den göttlichen phthonos polemisierten, vgl. z. B. Platon, Tim. 29e (Λέγωμεν δὴ δι' ἥντινα αἰτίαν γένεσιν καὶ τὸ πᾶν τόδε ὁ συνιστὰς συνέστησεν. ἀγαθὸς ἦν, ἀγαθῷ δὲ οὐδεὶς περὶ οὐδενὸς οὐδέποτε ἐγγίγνεται φθόνος); Aristoteles, Met . 982a (ἀλλ’ οὔτε τὸ θεῖον φθονερὸν ἐνδέχεται εἶναι, ἀλλὰ κατὰ τὴν παροιμίαν πολλὰ ψεύδονται ἀοιδοί); Corpus Hermeticum 4, 3; Kelsos in Origenes, Contra Celsum 8, 21; Plotin, Enneaden 2, 9, 17; Proklos ( Comm. in Tim . 2, 362-364); Plutarch ( Mor . 1102d7-8, 1086f3; DHm 857f-858a). 57 Vgl. z. B. Theophilus, Ad Autolycum 2.25; Irenaeus, Adversus haereses 3, 23, 6; Athanasius, Contra gentes 41; Clemens von Alexandria, Stromata 7, 2, 7, 2; 5, 4, 24, 1; Thomas von Aquin, Sententia Metaphysicae 1, 3, 61-64. Für weiterführende Hinweise über die Debatte über den phthonos des griechischen und des jüdisch-christlichen Gottes in der Antike vgl. Ellis 2017, 6-11. 142 Anthony Ellis und dem christlichen Sprechen über Gott und stellt Herodot auf die Seite der Christen. Später bemerkt Camerarius, dass Xenophon, ein Muster griechischer Frömmigkeit, ähnliche Ideen wie Herodots Solon in seinen Hellenica äußere, so z. B. „Gott liebt es, die Großen klein und die Kleinen groß zu machen.“ 58 In dieser Redewendung könnten Camerarius und seine Leser möglicherweise biblische Beiklänge gehört haben, so etwa eine Stelle des Lukas-Evangeliums, die Verse der Psalmen wiedergeben, die Luther mit den folgenden Worter übersetzt hatte: „Er stösset die Gewaltigen vom stuel / Vnd erhebt die Elenden. / Die Hungerigen füllet er mit Güttern / Vnd lesst die Reichen leer“. 59 Es ist evident, dass Camerarius hier auf die Klage der blasphêmia zu antworten sucht. Sein Gegenargument ist ausgeklügelt und für denjenigen, der wenig über den platonischen und christlichen Hintergrund weiß, einleuchtend. Die theologischen Probleme gehen jedoch viel tiefer; das Thema sollte in den folgenden Jahrhunderten wieder relevant werden. Camerarius’ Ansichten zum Thema wurden von anderen lutherischen Gelehrten wiederholt. David Chytraeus z. B., der mit Camerarius in Tübingen im Jahr 1539 (bis Camerarius’ Abfahrt für Leipzig) und später mit Melanchthon in Wittenberg (ab 1544) studierte 60 und als Professor in Rostock mehrere Vor- 58 Camerarius 1541, α5r-v: Nam quod exagitat praeclaram sententiam de instabili et incerta fortuna rerum humanrum, quam Herodotus Soloni attribuerit, cui quidem similes et alibi leguntur, nimiae sapientiae et pietati hominis concedatur, qui veritus sit, ne si ita de Deo loquamur, ut humanus intellectus quae dicuntur percipere possit, parum pii esse videamur. Cur ergo Deo oculos, manus, pedes, aures, attribuimus? Cur dicimus Deum irasci, cur ulcisci? etiam vereri profectò, tentare, poenitere, laetari, dolere. πόρρω γὰρ λύπης καὶ χαρᾶς ἵδρουται τὸ θεῖον. sine quibus illa ne intelligi quidem possunt. Quid Xenophon, quo nemo fuit numinis colentior, nemo observantior, nemo impietatis erga deum acrior hostis, nónne eandem sententiam ponere non dubitavit in praeclaro illo opere suo historiae rerum Graecarum? sic enim ait, καὶ ὁ θεὸς δὲ ὡς ἔοικε πολλάκις χαίρει, τοὺς μὲν μικροὺς μεγλάλους ποιῶν τοὺς δὲ μεγάλους μικροὺς. Haec igitur sacrilega est in Herodoto sententia, quia secundum hominum intelligentiam φθονερὸν dixit esse τὸ θεῖον. Sed haec quam sint futilia quis non videt? 59 Lk 1, 52, Übers. nach Luthers Bibelübersetzung von 1545; Der griechische Text lautet: καθεῖλε δυνάστας ἀπὸ θρόνων, καὶ ὕψωσεν ταπεινούς· πεινῶντας ἐνέπλησεν ἀγαθῶν, καὶ πλουτοῦντας ἐξαπέστειλε κενούς. 60 Camerarius’ Einfluss wird in mehreren Teilen von Chytraeus’ Werk deutlich - vor allem da, wo Chytraeus Herodot verteidigt - aber Camerarius hat deutlich weniger Einfluss auf Chytraeus’ Werk als Melanchthon. Dies überrascht nicht, weil Chytraeus’ zwei-jährige Bekanntschaft mit Camerarius endete, als Chytraeus 11 Jahre alt war, und zwar als Camerarius 1541 von Tübingen an die Universität Leipzig wechselte. Die erhaltenen Teile eines undatierten Briefes (mit detaillierten Fragen zu Herodot) erwecken den Eindruck, dass Camerarius’ Prooemium von 1541 (welche Chytraeus „deine Verteidigung“ - defensio tua - nennt) das primäre Mittel war, durch das Chytraeus auf Camerarius’ Ideen aufmerksam geworden ist. Vgl. Chytraeus [1614], 411-12; cf. 445-448. Für Beispiele direkten Einflusses vgl. Ellis 2015, 194; 179 Anm. 14. Joachim Camerarius als Defensor Herodoti 143 lesungen, Kommentare und Bücher über Herodot schrieb, übernimmt Camerarius’ Argumente über den φθόνος θεῶν in seinem Kommentar zum ersten Buch Herodots. 61 Das Problem der Frömmigkeit Herodots war auch für spätere Humanisten virulent: Henri Estienne hat in seiner Apologia pro Herodoto mehrere Seiten über Herodots quasi-christlichen Glauben geschrieben; er erwähnt jedoch weder den phthonos theôn noch die Verteidigung des Camerarius. Isaac Casaubon unterstrich Camerarius’ Argument über den phthonos theôn in seinem eigenen Herodot Exemplar, 62 erwähnte ihn in seinen Herodot-Vorlesungen in Paris 1601 / 2 aber nicht. Hier waren die Äußerungen des Camerarius offenbar bekannt, genügten dem Anspruch der Calvinistischen Humanisten aber wohl nicht. IV. Schlussbetrachtung Es ist insgesamt bemerkenswert, dass sich im Prooemium kaum Herodot-Deutungen nachweisen lassen, die schon bei Philipp Melanchthon und später bei David Chytraeus zu finden sind. Melanchthon, der Zeit seines Lebens mit Camerarius befreundet war, und Chytraeus haben in ihren Herodotstudien ausführlich aufzuzeigen versucht, wie griechische Literatur und Geschichte mit der moralischen Lehre des biblischen Dekalogs übereinstimmt, wie die Ereignisse, die Herodot berichtet, biblische Weissagungen bestätigen und wie viele Berührungspunkte (grammatikalisch wie sachlich) mit dem Alten und Neuen Testamenten bestehen. Diese Betrachtung Herodots wird am prominentesten von David Chytraeus vertreten, doch geht sie nachweislich zurück auf Philipp Melanchthons moralische und pädagogische Deutung der griechischen Literatur. 63 Trotz der engen persönlichen, theologischen und literarischen Vertrautheit, die es zwischen Melanchthon und Camerarius von 1521 fast vier Jahrzehnte lang (bis zum Tode Melanchthons 1560) gab, ist Camerarius Melanchthon nicht darin gefolgt, Herodot mit dem moralischen und sachlichen Gehalt der Bibel explizit in Beziehung zu setzen. 64 61 Vgl. Chytraeus 1601, 100-101: τὸ θεῖον πᾶν ἐὸν φθονερὸν] loquitur humano more, ut homines iudicant Deus dolere, irasci, poenitere, invidere. Cùm hi affectus non sint in Deo, ut in nobis, viciosi. Χαίρι [sic] ὁ θεός τοὺς μεγάλους μικροὺς, καὶ τὸυς μικροὺς μεγάλους ποιῶν. 62 Vgl. Anm. 35 (oben). 63 Vgl. Ellis 2015, 74-214. 64 Zur Homer- und Sophoklesdeutung des Camerarius vgl. Sier 2003 und Lurje 2004, 94-108; in beiden Fällen lassen sich große Unterschiede zwischen der Deutung des Camerarius und der des Melanchthon feststellen, vor allem bzgl. des moralischen Gehalts der griechischen Tragödie. Zur wissenschaftlichen Beziehung zwischen den beiden und zu Camerarius’ allgemeiner Unabhängigkeit von Melanchthon vgl. Kunkler 2000, 230. 144 Anthony Ellis Camerarius hat, wie wir gesehen haben, im 16. Jahrhundert das Projekt der Verteidigung Herodots angestoßen und damit die Grundlagen des Diskurses gelegt, den Henri Estienne im Jahr 1566 weiterentwickelte. Sein Prooemium fand große Verbreitung und wurde vielfach zitiert, schon weil es in jeder wissenschaftlichen Herodot-Edition mehr als 200 Jahre lang immer wieder abgedruckt wurde. Wenn seine Antworten auch nicht jeden überzeugt haben, so haben sie die Debatte doch mehr als ein Jahrhundert lang bestimmt. Literaturverzeichnis Asche, Matthias: Joachim Camerarius in Leipzig und Erfurt (1512 / 13-1521) - Studien- und Jungendjahre im Zeichen des Humanismus, in: Rainer Kößling / Günther Wartenberg (Hgg.): Joachim Camerarius, Tübingen 2003 (Leipziger Studien zur klassischen Philologie 1), 43-60. Bichler, Reinhold / Rollinger, Robert: Herodot, Hildesheim 2000 (Studienbücher Antike 3). Boiardo, Mattheo Maria: Herodoto Alicarnaseo historico delle guerre de Greci et de Persi tradotto di greco in lingua italiana per il conte Mattheo Maria Boiardo, Venice 1533. Boudou, Bénédicte: Mars et les Muses dans L’Apologie pour Hérodote d’Henri Estienne, Geneva 2000. 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Camerarius and Sophocles 147 Camerarius and Sophocles Cressida Ryan (Oxford) Joachim Camerarius’ work on Sophocles may not be as unknown as his work on other authors, but, even within the realm of Sophoclean scholarship, his contribution remains under-discussed. 1 Michael Lurje laments that the history of interpretation has been ignored in work on classical reception, sitting uncomfortably forgotten between textual criticism, the history of scholarship, the classical tradition and classical reception. 2 In this article I begin to bridge these gaps by suggesting ways in which Camerarius’ work on Sophocles offers a window into understanding the cultural milieu in which he was working. This is the first step in a larger project setting his work on Greek tragedy within its European context, and what is presented here is necessarily limited, but suggests some new ways to appreciate sixteenth-century scholarship. The first part of this article examines some of the paratextual elements of Camerarius’ work on Sophocles. In the second part I use his commentary on Oedipus at Colonus (henceforth OC ) and translation of Ajax to discuss his approach to Greek tragedy in more detail. I concentrate on the OC in order to demonstrate how Camerarius’ work shows the increasing importance of this lesser-studied play to the history of the Sophoclean scholarship. I include the Ajax because it is one of the two plays he translated into Latin, and raises some of themes of this article most clearly, particularly concerning tragedy’s supposed potential Christian moral compass. 3 Texts under consideration Before discussing the texts further, I first introduce Camerarius’ Sophoclean scholarship and summarise its (lack of) impact on modern editions. The editio 1 I do not discuss Camerarius’ biography except where directly pertinent to the argument, given the overall context of this volume in focussing on him. 2 Lurje 2008, 1. 3 The other play translated by Camerarius is Electra , an analysis of which forms part of my ongoing work in this area but is beyond the scope of this article; only brief comments are made. 148 Cressida Ryan princeps of Sophocles was Aldus Manutius’ 1502 Venetian edition. This marked a major step forward in the dissemination of the text of Sophocles, but perhaps not in the development of what text was disseminated. 4 The often disparaging comments reveal, in part, the tendency to view sixteenth-century volumes in the light of modern critical editions, and with an eye to recovering some kind of original text, rather than as products of their times displaying a contextual scholarship beyond textual preservation. Camerarius’ three published engagements with Sophocles demonstrate a more nuanced interaction with the text, its translation, and literary theory. Camerarius published two main volumes dealing with Sophocles, straddling what is perceived of as a major sixteenth-century development in Sophoclean textual studies, that is, Turnebus’ use of the Triclinian recension (Paris gr. 2711) in his 1552 / 53 edition. 5 To this end, his work on Sophocles is particularly interesting in demonstrating the effect of increasing manuscript studies on the development of a text. Given his own rapidly changing intellectual and religious climate, his thirty year involvement with the text of Sophocles may also provide a way of understanding the history of ideas in sixteenth-century Germany. This article begins to examine some of the ways such an understanding might be construed. Camerarius’ first Sophoclean text is his 1534 Σοφοκλέους τραγῳδίαι ἑπτὰ. Sophoclis tragoediæ septem cum commentarijs interpretationum argumenti Thebaidos fabularum Sophoclis, authore I. Camerario . The volume includes the epigrams and hypotheses common to Greek texts of Sophocles, and then an unannotated text of the seven extant plays, followed by a commentary on the Theban plays. 6 His next, in 1556, was a commentary: Commentatio explicationum omnium tragœdiarum Sophoclis, cum exemplo duplicis conuersionis, I. Camerarii . This includes Latin translations of Ajax and Electra , but no Greek text. There is a 4 See for example Lloyd-Jones / Wilson 1990, 1: “The Aldine editio princeps of our author (1502) is not a notable achievement in the annals of scholarship, and very rarely earns mention in a modern apparatus criticus.” Contrast Stanford 1981, 244, which seems more interested in the format of the volume than its content: “Printed editions of Sophocles began in 1502 in Venice when Aldo Manuzio (latinized as Aldus Manutius) produced his handsome volume. Since then over forty notable editions have appeared.” The Aldine text itself is considered in my broader project. 5 See Lloyd-Jones / Wilson 1990, 1. For Camerarius’ awareness of this edition see Barycz / Jobert 1982, 102. 6 See Ryan 2010 on the epigrams and other front matter included in Sophoclean texts. It is unusual to find a focus on ‘Theban’ plays this early; they are not gathered as such until John Burton’s 1758 Pentalogia . Camerarius and Sophocles 149 prefatory epistola outlining some of his thoughts on Sophocles and the volume he is writing. 7 Finally, his commentary and translations were included in Stephanus’ 1568 edition: ΣΟΦΟΚΛΟΕΥΣ ΑἹ ἙΠΤᾺ ΤΡΑΓ ῼ ΔΊΑΙ - Sophoclis tragoediae septem, una cum omnibus Graecis scholiis, & cum Latinis Ioach. Camerarij. Annotationes Henrici Stephani in Sophoclem & Euripidem, seorsum excusae, simul prodeunt . 8 The translations are line for line renditions of the Sophoclean text. To this extent, they follow the school of ad verbum translation, rather than being more literary reappropriations. 9 As I have argued elsewhere, however, such clear distinctions are not always helpful, and much of the second part of this article is devoted to discussing how the differences in what is generally a close and carefully worked translation can give us an insight into its overall tenor. 10 Camerarius as an under-appreciated scholar Camerarius’ Sophocles seems to be lost in a gap of assumptions. The editions, translations, commentaries and essays with which Camerarius is involved are both too late to be part of the manuscript tradition, but too early to be taken seriously as anything other than a vehicle for the survival of the text. 11 As an example of the history of reading, the Open University’s Reading Experience Database contains just one citation of someone reading Camerarius, which is as part of a list of books read to Sir Thomas Browne by his daughter in the late Seventeenth Century. 12 People may well have used Camerarius’ work, but they have not noted that they are doing so; the later status of the sixteenth-century scholar is not high enough for this. 7 Wherever possible, notes to the commentary are based on the 1556 edition, as this has consecutive page numbers and is therefore easier for a reader to check. 8 Thanks to Dr Julia Walworth and the Warden and Fellows of Merton College, Oxford, for allowing me access to their copy of the Stephanus edition of Sophocles (26.D.8(1)), in addition to the copies consulted in the Bodleian Library. This volume is not listed as one of Camerarius’ works by Baron / Shaw 1978, presumably because it is a reprint of earlier material rather than a new work in its own right. Given the prominence of the Stephanus edition in developing the history of Sophoclean scholarship, however, it seems only sensible to mention it here for reference. 9 See Borza 2001, 30 and 2007, 121 on Camerarius’ self-professed strict ad verbum approach, although at 2007, 120 he describes Camerarius’ Electra as more literary, and discusses this difference at 123. He describes Camerarius’ Latin as simple, fluid and classical. For the purposes of this article, only particular terms are discussed, however, rather than overall Latin style. 10 See Ryan 2015 on different forms of sixteenth-century translations. 11 See Lurje 2008. 12 See http: / / www.open.ac.uk/ Arts/ RED/ , last accessed 22 nd March 2017. 150 Cressida Ryan A summary of some of modern editions and commentaries demonstrates this point in a modern context. Taking the Ajax as an example, Lloyd-Jones and Wilson make no mention of Camerarius in their 1990 Sophoclea . Jebb’s text of the Ajax makes no mention of Camerarius, although in his Oedipus Tyrannus , for example, he does admit to making use of the 1534 commentary. 13 This picture represents the general lack of attention given to Camerarius in scholarly editions. In turning to discuss Camerarius’ contribution to Sophoclean scholarship I am not simply trying to rehabilitate an underappreciated edition. Instead, I pose a series of questions about Sophocles, and the Sixteenth Century, which Camerarius’ text can help us to approach. I focus on aspects which might, to a new reader, seem unusual about the physical volumes, on changes between the volumes and how these potentially reflect a change in attitude towards the text, on how Sophocles, for Camerarius, can be read as reflecting contemporary religious and aesthetic changes, notably in the reception of Aristotle and in Christian appropriations of Greek tragedy. Quotations, or sententiae Greek tragedy was popular in humanist education as it dealt with major human concerns. Sturm prescribed constant preparation of all three tragedians among the upper three classes of the Gymnasium at Strassburg, for example. 14 It is not clear, however, that Sophocles was used much with beginners’ students. 15 The plays were only just beginning to be performed, so exposure to them also remained limited to reading. 16 Camerarius was, as much as anything else, an educator, and one might therefore expect his scholarship to display some kind of pedagogical purpose. The 1534 texts have no explanatory notes, but there are other features which help to highlight Camerarius’ interpretation of Sophocles. 17 One such feature includes what look like double speech marks printed against varying numbers of verses in 16 th -18 th century texts. This is not the same as the manicule, used to mark things such as corrections or notes. It is unclear, however, what function they perform, and how this changed over time. They 13 Jebb 1871, 1885, lxi. 14 Green, 1972, 126. 15 See Botley 2010 108. 16 The APGRD lists just twelve productions of Sophocles plays before 1600, with only one in Germany, an Oedipus Tyrannus in 1581. See www.apgrd.ox.ac.uk, last accessed 27 th March 2017. 17 Incorporating his educational reforms and outlook into a more thorough discussion of his scholarship is part of the larger project on Camerarius for which this article is an introduction. Camerarius and Sophocles 151 evolved from the diple . Little, however, is ever discussed about their history or use. 18 Including them in a typeface was a conscious and expensive decision, however, and therefore one which may give us some sense as to how the printed texts were expected to be used. Nick Blackburn takes up their story. He writes: 19 While literary and bibliographical scholars have suggested that emphatic marking was primarily attached to rhetorical figures such as sententiae, it is shown that printed marks were used by authors to achieve a rich variety of semantic effects and by their readers to create personal editions. What these signs are marking is not, however, as obvious as might be supposed. In the very year that the Stephanus edition of Sophocles was published, an English edition of the Bible was using these markings to show readers which bits of the text they could avoid reading. Here is to be noted, that such partes and chapters which be marked and noted with such semi circles at the head of the verse or line, with such other texts, may be left unread in the publique reading to the people, that thereby other chapters and places of the scripture, makyng more to their edification and capcitie may come in their rooms. (Editor’s Note in Matthew Parker, The Holy Bible 1568) Blackburn discusses these marks as signposts of innovation, which become a conscious or unconscious shared behaviour between editors. 20 As Blackburn summarises: 21 For the reader with the knowledge to pick up on it, a marked text offered a narrative that was not only ‘double’ but triple: text, marginal commentary and the personal or autobiographical comments implied by the commentary itself. This does not mean we can construct an editor from his work, any more than we can construct an author, but it does give us an insight into a text’s context. Blackburn’s work helps to contextualise the use of these marks, but their use in Classical texts prepared outside of England requires further thought. Initially Aristarchus’ marks might have helped readers to cross-reference texts and com- 18 Reynolds / Wilson make three brief references: 1.) they are one of the six signs used by Aristarchus and indicated any noteworthy point of language or context; 2.) X could be used to do a similar thing; 3.) M. Valerius Probus of Beirut also used these as a tool of Alexandrian criticism in the latter part of the first century AD. Reynolds / Wilson 1991, 11; 15; 28. 19 Blackburn 2011, 93. See also Finnegan 2011. 20 Blackburn 2011, 94-96. 21 Blackburn 2011, 116. 152 Cressida Ryan mentaries, but this was no longer necessary when these could be printed in the same volume, or even on the same page. They might also be used to highlight a passage with doubtful meaning or possible corruption, but without further notes, or discussion in an edition or translation, this is not obvious either. Camerarius’ texts predate the use of an apparatus criticus and the 1534 edition has no notes on the page. 22 His purpose in publishing the text, and his views on it can only be conveyed through these other paratextual features. Looking for the patterns in these markings, therefore, can help us gain a new understanding of a text, allowing us to be led on the reading journey that Camerarius has set out for us, and to think about his purpose in doing so. 23 Aldus Manutius includes the diple markings in his 1495 editio princeps of Aristotle, ensuring their place in the European printed tradition. Blackburn argues that once the context of the marks was lost, a possible hypersensitivity to preserving them for the sake of it might arise, leading to their unquestioned repetition. 24 I would challenge this with reference to Camerarius, as represented by his Sophoclean texts. He does not repeat marks consistently between his texts; there are 35 lines marked in 1556 and not in 1534, and 10 marked in 1534 and not 1556. 25 They are not simply the remnants of a linked commentary or a monastic note system perpetuated with no further thought. Instead, there is some potential to use them in order to chart changes in the intellectual, religious and aesthetic climate in which he was working, as part of an integrated approach to scholarship, read alongside other aspects of his texts. Camerarius’ 1534 texts incudes numbers and patterns of lines marked very similar to other contemporary texts and translations, but not identical. In some cases, the slightly lower number is because the marks occupy the same space as speaker names, so the first line of a character’s words cannot be marked. Sometimes the opposite appears true, as lines run over on his small pages. This small typographical quirk potentially has a larger ramification, however; neither 22 One of the first apparatus criticus for Sophocles was John Burton’s 1758 volume Pentalogia , which contains the three Sophoclean Theban plays alongside Seven against Thebes and Phoenissae , and marks the first time the three Theban plays were collected as such in an edition. 23 In terms of their use in Greek texts in particular, they become even more striking when one notes that there are ligatures for -αις and -ειν which could be mistaken for such markings in sixteenth-century editions (although not the Aldine Sophocles, nor Camerarius’ text). See Ingram 1966, 382, 383. 24 Blackburn 2011, 118. 25 Some examples mark adjacent lines and are not counted as differences, given that they often include the start of a speaker’s lines and therefore may be affected by formatting as much as editorial choice. Camerarius and Sophocles 153 stichomythia nor antilabe can be marked. Dialogue risks being passed over as relatively unimportant, for formatting reasons. In the table below I include for comparison the numbers of lines marked by a variety of sixteenth-century texts and translations. 26 Play Greek 8°A 169 Art 27 Gabia- (Latin) 8° S 95 (2) Art Greek Lalamant 1557 28 Lalamant 1558 Cam. 1534 Cam. 1556 Ajax 77 57 78 197 84 75 98 Electra 35 15 35 3 32 34 44 OT 19 6 20 25 19 19 Antigone 143 70 143 204 140 144 OC 40 9 40 0 39 45 Trachiniae 20 7 14 47 12 23 Philoctetes 37 11 31 22 25 33 Camerarius’ Greek texts have line markings in the same general proportion as other Greek texts. His translations, however, expand the selections. The interpretative act of translating Greek into Latin allows him to increase the ‘quoteworthiness’ of some aspects of the play. This imbalance in translations either increasing or decreasing focus is seen most strongly in Lalamant’s 1558 text, where Ajax has over twice as many lines quoted as in Greek, while the OC has none. The resonance of the text changes with its translation, as well as with its highlighting for potential excerption. The marks help prioritise an editor’s or translator’s interpretation of a text. They are sometimes assumed to point to sententiae . The 1568 Stephanus edition of Sophocles helps to dismiss a simple claim to sententious status. It marks up to 40 % of the text with ‘’. It also includes manicules, suggesting some difference in what the two punctuation marks are referring to. 29 Blackburn notes how 26 I discuss these other editions’ line markings further in Ryan 2015. 27 The two unaccredited Greek texts are here referred to by their Bodleian Library shelfmark. 28 Borza 2001, dates Lalamant’s translation to 1558, but a volume marked 8° S 95 (2) Art in the Bodleian Library, Oxford, includes a translation attributed to Lalamant and dated 1557, following on from an unattributed Greek text. The number of lines marked in this text is also not a completely accurate record, as a number of pages are duplicated. 29 In Ajax , for example, there are 32 manicules. Three are ‘upside down’ and on the opposite margin to the others. 23 are also marked ‘’. 154 Cressida Ryan sententiae are sometimes defined as the lines people choose to mark out, while the markings are explained as how one demarcates sententiae . 30 Standard discussions of the markings and sententiae risk becoming cyclical and uninteresting, when even these brief examples begin to show this need not be the case. The 1603 Geneva edition of Sophocles describes itself as Vnà cum indice sententiarum Sophoclearum . A sententious reading of Sophocles is thus invited by the texts themselves. Almost all of the lines marked in the 1556 edition feature one of ὕβρις, ἄτη, σωφροσύνη and κακός, key tragic topics. The longest extended passage marked, Menelaus’ speech at 1071-1083, 31 includes forms of ὕβρις, σωφροσύνη and κακός. Key tragic tropes are marked. Extracting these lines gives a new text with a distinct moral character. The fact that they differ between versions, however, means that each version has a slightly different character. I suggest that this change in character in Camerarius shifts the balance between Aristotelian and Christian readings of Sophocles, and also demonstrates an emerging awareness of Longinus. Aristotle & Camerarius In order to demonstrate this, I turn next to the translation of Ajax , read alongside the Theban commentaries, and the potential for understanding Camerarius’ engagement with Aristotle. Where Camerarius’ essay on Sophocles has previously been discussed, it is framed as a response to reading Aristotle. 32 Michael Lurje, for example, notes three typical forms of discussion: a. Philological editing and translation. b. Poetic transformation and experimental staging. c. Controversial interpretations and discussions. 33 In terms of the Sixteenth Century, he argues that scholars have been mostly concerned with the history of the printing tradition, textual criticism and translation of Greek tragedy. 34 Lurje takes one step in moving this discussion on to investigate some of the aesthetic background underlying sixteenth-century scholarship. He discusses two major strands of interpretation, Aristotelisation and Christianisation. For Lurje, the best example of this developmental process is Camerarius’ 1534 commentary. He summarises three approaches used: 30 Blackburn 2011, 102. 31 All line numbers refer to Lloyd-Jones and Wilson’s 1990 Oxford Classical Text. 32 See Lohr (1975) for a summary of Camerarius’ Latin commentaries on Aristotle. 33 Lurje 2008, 1. 34 Lurje 2008, 2 n. 4. Camerarius and Sophocles 155 a. “tragedy as an imitation of momentous events entailing an unexpected and undeserved change of the tragic hero’s fortune from good to bad that is designed to arouse fear and pity”, steering clear of any discussion of moral purpose or catharsis. b. The sense that the emotional effect of tragedy is drawn from its plot structure. c. “According to Camerarius, the tragic hero’s hamartia had to be an involuntary crime committed out of ignorance or against his own will that would leave his moral innocence intact.” 35 1534 marks a new phase in the history of Aristotelian scholarship which Lurje describes as finding “bewilderingly obscure and scarcely comprehensible”. 36 Not yet focused by Castelvetro’s 1570 codification of the supposedly Aristotelian ‘Unities’, sixteenth-century scholars had the space to interpret Aristotle much more freely. 37 The first reliable translation was not completed until 1536 (Alessandro Pazzi), although Giorgio Valla had translated it in 1498; Robortello’s inaugural commentary was not published until 1548. Interest was growing, however; from 1540 Pietro Vettori, for example, set out to analyse all of Sophocles and Euripides through the lens of Aristotle, but scholarship was often confined to Italy, and was not necessarily easily intellectually accessible. 38 Lurje argues that in the first half of the Sixteenth Century tragedy provided a warning-representation of the mutability of fortune, particularly useful for kings and rulers, so that they might be reminded of their own fragile statuses. 39 He concludes by saying that with Camerarius ‘philology was given its missionary purpose and the interpretation of Greek tragedy became a tool in the service of theodicy’. 40 He argues that Aristotle’s Poetics became Christianised through editions such as André Dacier’s 1705 preface, but this process is, for Lurje, already discernible in the Sixteenth Century. 41 Lurje sees the Christianisation as most apparent in Melanchthon’s 1545 Cohortatio ad legendas tragoedias et comoedias . 42 For Lurje, Camerarius’ text contributes to the development of the Christianisation of Sophocles, but is itself Aristotelising. 35 Lurje 2012, 441. This builds on Lurje 2008, 3. 36 Lurje 2012, 442. 37 See Bradshaw 1962, 204 on Camerarius’ commentary on Antigone . 38 Lurje 2012, 442. 39 Lurje 2012, 443, 444. I return to this point below. 40 Lurje 2008, 6. 41 Lurje 2008, 7. 42 There is not room for a full discussion of the relationship between Melanchthon’s Cohortatio and Camerarius’ work here, but I will treat it more fully in my further work on the area. Note that it was published by and under Winsheim. According to Lurje 2012, 444, Winsheim and Melanchthon counter Camerarius’ approach to Sophocles, but see above for Camerarius’ own absorption into Winsheim’s work. 156 Cressida Ryan I hope to modify this view to some extent. Camerarius’ translations do not reflect an excessive concern with Aristotle’s views of tragedy, but perhaps begin to suggest some elements of a Christian reading of tragedy, but also of the introduction of Longinus into the aesthetic canon. Camerarius’ own Christian context is not simple, and differs from the Catholic outlook of Italian scholars; we might even sense some of the tussle of the emerging Lutheran climate in his work. 43 Camerarius was sufficiently close to major religious reformers such as Melanchthon to be closely involved with Lutheran developments, but also sufficiently removed to work with universities in a less complicated context than Melanchthon. His work reflects his own reform agenda which incorporates a range of religious and aesthetic developments. 44 A careful reading of his translations and commentaries help us to understand this web of intersecting ideologies better. In order to do this, I focus on Lurje’s third category, moral character and ἁμαρτία, and on the concept of leadership. Aristotelian moral character In the epistola opening his 1556 work, Camerarius writes Etsi me non fugit, que inhumanitas sit seculi nostri, & quae bonarum atrium atque literarum neglectio . 45 Studying tragedy is, for Camerarius, part of a reaction against the supposed lack of moral compass at the time. We are challenged to think about tragedy in moral terms. 46 Aristotle argues that comedy aims at representing men as worse than they are, tragedy as better (1448a4). Camerarius modifies Aristotle’s points and discusses Sophocles as the idealist, while Euripides is the realist. In Sophocles we supposedly see men as they should be. Turning to Camerarius’ translations of Sophocles, we can trace some sense of his moral interpretation of tragedy through his choice of Latin. As Miola writes: 43 See Baron 1978, 8 and Bietenholz et al. 1985, 248 for suggestions of the importance of Camerarius’ religious milieu. The scope of this article only allows me to suggest the possibility of a specifically Lutheran interpretation. The Lutheran focus on scriptural authority, for example, suggests that a reading of Sophocles in the light of the New Testament may be productive, as would be suggested by Camerarius’ correspondent Erasmus, whose Epistle 108, 149 discusses understanding the New Testament as the cornerstone of Christianity depending on an understanding of both ancient Greek and ancient Greece. Greek tragedy, for example, offers a chance to explore the effect of actions rather than thoughts on life outcomes, which may correlate well with changing ideas of justification. This is an area to pursue further beyond this article. 44 See Harrison Jnr 1978, 272. 45 Camerarius 1556, 5. 46 See Russo 3 ‘For Camerarius the study of ancient texts in an academic sense is in no way separate from the study of them for reasons of aesthetic appreciation and particularly moral instruction’. Camerarius and Sophocles 157 The translation of Greek tragedy into Latin effected a pervasive domestication and dislocation that supported the Aristotelian moral reading. Greek terms that define ethical conflicts yield to Latin substitutes that evoke alien associations and referents, and thus reframe and alter the tragedy. 47 In this section, therefore, I begin to trace aspects of this process through moral terms in Sophocles, focusing on Ajax and to a lesser extent, Electra . For Aristotle, ἁμαρτία, misguided action by the protagonist, contributes to bringing about his downfall. Lurje glosses it as ‘an involuntary crime committed out of ignorance or against one’s will’. 48 The origins of the word, however, are more literal, in describing an archer missing his mark. By New Testament times, furthermore, this is the standard Greek word for sin. What then does Camerarius make of it? Line Greek Latin 155 οὐκ ἂν ἁμάρτοι Non facile aberrauerit 1094 ὃς μηδὲν ὢν γοναῖσιν εἶθ’ ἁμαρτάνει Qui nihil ipse genere, ita delinquit 1096 τοιαῦθ’ ἁμαρτάνουσιν ἐν λόγοις ἔπη Huiusmodi effutiunt in sermonibus verba Error is used for ἁμαρτία at Aristotle Poetics 1453a11 by both Valla and Pazzi. 49 The 1825 Novum lexicon manuale Graeco-Latinum et Latino-Graecum suggests aberro as a first translation for ἁμαρτάνω, offering erro , fallor , hallucinor , pecco quocumque modo or peccatum admitto as alternatives. 50 In the Latin-Greek section, aberro is glossed with a primary meaning of ἁμαρτάνω, as is delinquo ; efflutio is glossed with a primary meaning of φλυαρέω, but could easily be appropriated to translate ἁμαρτάνω. Pecco is also glossed as ἁμαρτάνω, giving us the noun peccatum , the more usual Christian word for sin. In keeping with contemporary Aristotelian scholarship, therefore, we might expect error in Camerarius’ translations, or peccatum for a more Christian reading. We find a more mixed picture. ἁμαρτία is not, in fact, used as a noun in Ajax , and each time it occurs as a verb, Camerarius translates it with a different Latin form. 51 At 155 it 47 Miola 2014, 221. 48 Lurje 2008, 3. 49 Note that Pazzi also translated Sophocles into Latin verse, 1525. 50 This lexicon is used because it offers both Latin-Greek and Greek-Latin translations. It is, of course, not contemporary with Camerarius and will reflect the interpretative biases of its own context. It is based on Hederich’s 1727 lexicon, however, which already reduces the time gap between the works and does give an insight into the different traditions of translating between Latin and Greek. 51 There are only 42 examples of any form of the lexical root in extant Sophocles. Antigone has the highest density, at 11 instances. Only 7 / 42 instances are nouns. The bibliography 158 Cressida Ryan has the basic meaning ‘lose one’s way’, or ‘fail’, with no moral colour. A similar phrase at Electra 1320 (οὐκ ἂν δυοῖν ἥμαρτον) is translated by Camerarius as non alter utro frustrata fuissem , again with no overt moral colour, but not with error either. 52 A clearly Aristotelian priorisation of the term is not seen in his Latin translation, but neither does he use overtly Christian terminology. 53 There are, however, other negative Greek words where such moral evaluation might be noted. ὕβρις, for example, is the trait or action type most likely to cause a character’s downfall. 54 Camerarius’ own index links ὕβρις to anger, with the entry iram in rebus adversis semper esse nocentem . 55 Line Greek Latin 153 τοῖς σοῖς ἄχεσιν καθυβρίζων Tuis aduersis insultans 196 ἐχθρῶν δ’ὕβρις ὧδ’ ἀτάρβηθ' Inimicorum autem contumelia hic intrepide 304 ὅσην κατ’ αὐτῶν ὕβριν ἐκτείσαιτ’ ἰών Quantam in ipsos contumliam vindicasset egressos: 366 οἴμοι γέλωτος· οἷον ὑβρίσθην ἄρα […] Eheu risu: quanta contumelia affectus sum igitur 560 οὕτοι σ’Ἀχαιων οἶδα, μή τις ὑβρίσῃ […] contumeliis 955 ἦ ῥα κελαινώπᾳ θυμῳ ἐφυβρίζει Animum contumelia incitat 971 πρὸς ταῦτ’ Ὀδυσσεὸς ἐν κενοῖς ὑβριζέτω Proinde Vlysses minibus insultet 1061 τὴν τοῦδ’ ὕβριν πρὸς μῆλα καὶ ποίμνας πεσεῖν Huius contumeliam, ad pecudes & ouilia vt recideret 1081 ὅπου δ’ὑβρίζειν δρᾶν θ’ ἃ βούλεται παρῇ Vbi vero petulantem esse, facereque quae vult, licet discussing ἁμαρτία in Sophocles is extensive, including key works such as Dodds 1951. Its modification through Latin, however, requires closer attention and forms part of my ongoing project. 52 The other two examples in Electra , at 1039 and 1207, are translated as errare and erraveris , so do use error , continuing the interpretation of getting lost rather than committing a transgression. 53 Melanchthon, in contrast, speaks of tragedy in terms of scelus in his 1545 Cohortatio , which Camerarius does not use to translate standard negative terms in Ajax . In the Augsburg Confession (1530), however, Melanchthon talks of peccata . A clear difference still exists between Greek and Christian concepts at this stage. This area needs further exploration. 54 See Finglass 2011, on lines 151-153 for a summary of ὕβρις in Ajax . 55 Camerarius 1556, index. In the 1556 commentary (370) and also in the 1534 version (53) this reads In rebus ira est semper adversis nocens . The index is glossing the notes rather than quoting them. Camerarius and Sophocles 159 Line Greek Latin 1088 αἴθων ὑβριστής Ardens insultator 1151 ὃς ἐν κακοῖς ὕβριζε τοῖσι τῶν πέλας Qui malis insultabat ciuium 1258 θαρσῶν ὑβρίζεις κἀξελευθεροστομεῖς Confidens insultas, & libertate loquendi vteris 1385 θανόντι τῷδε ζῆν ἐφυβρίσαι μέγα Mortuo huic viuus contumeliam facere magnam Most examples use part of either contumelia or insulto . The 1825 lexicon offers ὕβρις for contumelia , but no part of ὕβρις for insulto . If anything, Camerarius’ Latin is weaker than the Greek, lacking the implication of transgression, or the likelihood of upsetting the gods. To this extent, a character’s failings again lack an explicit moral weight, let alone one with potential Christian undertones. The LSJ translates ὕβρις as: wantoness, wanton violence or insolence, lewdness, the opposite to σωφροσύνη. With this in mind, I turn to σωφροσύνη as a way to balance ὕβρις. Line Greek Latin 132 ἅπαντα τἀνθρώπεια· τοὺς δὲ σώφρονας Cuncta humana. Bonos autem 586 μὴ κρῖνε, μὴ ’ξέταζε· σωφρονεῖν καλόν Ne interroga, ne exquire: modestum esse decet 672 ἡμεῖς δὲ πῶς οὐ γνωσόμεσθα σωφρονεῖν Nos vero, cur non sciamus modesti esset 1259 οὐ σωφρονήσεις; οὐ μαθὼν ὃς εἶ φύσιν Non modestus futurus es? Non sciens qui sis genere? 1264 εἴθ’ ὑμὶν ἀμφοῖννοῦς γένοιτο σωφρονεῖν Vtinam vobis ambobus mens sit frugi esse Again there is a lack of consistency, the clearest reference being to σωφροσύνη as a form of modesty, potentially prioritising its moral flavour over intellectual engagement. The 1825 lexicon does offer σώφρων as a primary meaning for modestus , but for σώφρων and σωφροσύνη, the Latin suggestions are modestia , pudor , pudicitia , castitas , temperantia . 56 56 Kamerbeek 1963, on line 1075, also glosses σωφρόνως as modeste “so that discipline is preserved”. 160 Cressida Ryan One final term is worth considering in this section, ἄτη: Line Greek Latin 306 καὶ πλῆρες ἄτης ὡς διοπτεύει στέγας Ac plenum noxa quum cerneret tectum 363 ἄκος πλέον τὸ πῆμα τῆς ἄτης τίθει Remedium, maius detrimentum noxae redde 643 παιδὸς δύσφορον ἄταν Filii calamitosum malum 848 ἄγγειλον ἄτας τὰς ἐμὰς μόρον τ'ἐμὸν Nuntiato mala mea, fatumque meum 909 ὤμοι ἐμᾶς ἄτας, οἷος ἄρ’ αἱμάχθης Eheu miseriam meam. Solus igitur cruentatus es. 976 βοῶντος ἄτης τῆσδ’ ἐπίσκοπον μέλος Clamantis pestis huius directum carmen 1189 των μόχθων ἄταν ἐπάγων Noxam adducens ἄτη represents both the desperate circumstances causing someone’s downfall, and the resultant downfall itself. As a key term in determining the process of a character’s downfall (albeit more frequently in Aeschylus), one might expect to find a level of consistency and nuance in Camerarius’ translation, which we do not. 57 In the 1825 lexicon ἄτη is glossed as culpa , another highly Christianised term, which in turn is glossed as αἰτία. 58 The language of downfall begins to take on a stronger sense of responsibility for one’s actions, of culpability. This angle of responsibility for one’s failings is in keeping with a Christian commitment to confessing one’s sins. With confession, however, also comes forgiveness and mercy. This concept of forgiving sins is also evident in Camerarius’ commentary on Antigone , where he unusually interprets ζυγγνοιμεν as pardon rather than confess or be conscious. 59 Aristotle’s loaded terms, ἁμαρτία and ὕβρις, do not come out with any clear pattern in Camerarius to suggest either a nuanced Aristotelian reading of Ajax , or indeed the overlaying of a Christianised context. We do, however, potentially see a pattern emerging through other terms. κακός, for example, a far more frequent term in Greek, is used 58 times in Ajax , alongside further compounds. Almost every time it appears, Camerarius uses a form of malus to translate 57 See Sommerstein 2013. Finglass 2011 on lines 307-308 summarises this as “The term generally denotes ‘a disaster that the victim has, at least in part, brought on himself […] through wicked or foolish action’, but can also refer to mental aberration”, quoting Sommerstein (pre-publication). 58 In Camerarius’ Ajax , αἰτία is translated as crimen (28), caussam (sic, 1051). For culpa as a Christian term, see, for example, the Confiteor: mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa . 59 See Rosivach 1989, 117. Camerarius and Sophocles 161 it. 60 This seems straightforward enough, but Camerarius uses other words to translate κακός, and malus to translate other words. At 826, for example, κακὸν is translated as tristem . Along with the translation of κακῶς as misere in 1177, there is some sense in which elements of the language of pity and fear are creeping into the translation which is otherwise not loaded in this way. To this extent we do find an Aristotelian flavor to the translation, and so I turn now to consider terms for pity in Ajax . Line Greek Latin 121 ἐποικτίρω δέ νιν Miseretque illius 510 οἴκτιρε δ' Miserere 525 οἶκτον misericordiae 580 φιλοίκτιστον lamentorum amans 629 οἰκτρᾶς Maestae 652 οἰκτίρω δέ νιν miserumque duco illam 895 οἴκτῳ τῷδε Illam […] miseram A part of miser is usually, but not always, used. Conversely, miser and its cognates are used to translate other Greek words. We have already seen miser translate forms of both ἄτη and κακός, while in 109, 111, 122 and 533 miser translates forms of δύστηνος, and in 410 miseram translates δυστάλαινα. 61 There is no simple reading of the terms for pity in this text. At Electra 1411 Clytemnestra begs for her life, that is, for mercy, rather than pity. The Greek οἴκτιρε is rendered misereat . This language of mercy recalls, for example, the Agnus Dei ( miserere nobis ) and begins to offer another way in which Greek tragedy can be incorporated into a Christian context. Returning finally, in this section, to the language of guilt and culpability, I suggest that a reading of Camerarius’ commentary and translations in the light of Aristotle and Longinus makes better sense of his language of fault, badness and the potential for pity. In order to this, I turn once again to the OC . 60 There is a further literary point to make over κακός. Four times it appears in more than one form within the same line: l. 362 κακὸν κακῷ - malum malo; l. 839 κακοὺς κάκιστα - malos pessime; l. 1177 κακὸς κακῶς - malus misere ; l. 1391 κακοὺς κακῶς - malos male . The first element is translated each time with the appropriate form of malus . The second element is, three out of four times, translated likewise. The fourth, however (line 1177), reinterprets κακῶς as misere . In addition, the irregular Latin superlative pessime loses the visual and auditory beauty of κακοὺς κάκιστα. 61 In Electra there are twelve examples, nine of which use a part of miser , two of which are translated as flebilis and one as tristem . 162 Cressida Ryan In the OC , Oedipus engages in a series of apologetic exchanges about his guilt (or lack thereof) in killing Laius. Writing about this in his commentary, Camerarius notes: Aut, interfeci tamquam alienos. Ideoque cum insciens facinus patrarim, non sum aversandus ut parricida . 62 This language of reduced or accidental culpability echoes the reading of ἁμαρτία discussed above. The echoes continue in the discussion of the Time speech (607-628): 63 Docet Oedipus, nihil esse firmum et stabile in rebus humanis. Moritur, inquit, fides, perfidia semper pullulat. Proinde, ut maxime hoc tempore non sit bellus tibi cum Thebanus: at afferre poterunt venturi anni. This speech is glossed to give the message of impermanence and the potential for peripeteia, a reversal of fortune. The OC starts to become a potential example of Aristotelian philosophy within Camerarius’ interpretation. This speech is one of the sections of the OC marked by the diple in every edition, highlighting its importance to various interpretative frameworks. This speech also has resonances with Ajax 680, a passage marked in the 1556 translation but not the 1534 edition, which again suggests the increasing prominence of such moral ideas in Camerarius’ developing thought. In his commentary, Camerarius writes further of the OC (on line 954): 64 Nemo, qui quidem homo sit, in vita unquam domare potuit. Nam mortuis nihil adversi accidit: non enim sentiunt. Non igitur senescit, id est, viget semper ira, dum quidem vita duret. Et proverbium est θυμὸς ἔσχατος γηράσκει quod maxime declarat, senes esse supra modum iracundos, cuius dicitur et Alcaeaus mentionem fecisse. The references to anger recall Camerarius’ discussion of ὕβρις. The focus on old men is, of course, pertinent to the OC . It does, however, permeate more of his writing about Sophocles. Camerarius ties the biography of the writer to the characters in the text, writing: Haec fabula magnopere in laude et admiratione est, quam senex edidit Sophocles, et patriae et curiae, seu populo suo: nam fuisse traditur κολωνόθεν. 65 In several places he mentions the story reported by Cicero and Valerius about Sophocles using the OC to rebuff a charge of neglecting his affairs. 66 He uses this to stress how great a playwright Sophocles was, in spite of, or perhaps even because of his age. In this sense, his commentary begins to 62 Camerarius 1556, 369. 63 Camerarius 1556, 370. 64 Camerarius 1556, 376. The OCT follows Blaydes in deleting both 954 and 955. 65 Camerarius 1556, 35. 66 Cicero, Cato Maior de Senectute 22 and Valerius Maximus 8, 7 ext. 12. Botley 2010, 77 notes that the de Senectute was well-known at the time, often used with young Latin scholars. Camerarius and Sophocles 163 reflect Longinus’ ideas in the Peri Hupsous . At 9, 13-14 Longinus praises the Odyssey as different to the Iliad given Homer’s advanced age, but no worse, and even possibly better for it. Ch.13 is entirely about how flawed genius is preferable to consistent mediocrity. Old age and inconsistent brilliance are certainly not barriers to success for Longinus, indeed they may well be the opposite, and these ideas are slowly taken up by sixteenth-century commentators. Robortello’s editio princeps of Longinus was published in 1554, shortly before Camerarius’ second Sophocles volume. We might therefore credit Camerarius with keeping up with developments in contemporary aesthetic scholarship. 67 Camerarius’ own biography echoes such a Longinian reading: 68 Camerarius’ literary output […] between 1531 and 1534, was severely criticized by Erasmus […] Camerarius’ reply was a mild reproof in his pamphlet Erratum (Nuernberg: J. Petreius 1535), in which he gathered evidence that all great men, including Erasmus, had occasionally made mistakes. Sophocles fulfils Longinus’ criterion for flawed genius, which here also pertains to Camerarius’ own situation. 69 Longinus also cites the OC as a perfect example of the power of tragic dramatic visualization. 70 The OC is therefore a great play in a Longinian context, but it also has a long afterlife within a Christian one. Oedipus is read as a scapegoat who redeems Athens through his death, used as an allegory for Judas Iscariot, Pope Gregory or even Christ himself. 71 To this extent, Longinus provides a way to bridge Aristotelian and Christian interpretations of Greek tragedy. Camerarius also cites Christ in his discussion of Sophocles. 72 His commentary on the OC demonstrates not only the potential for interpreting the OC in an 67 Camerarius displays an interest in keeping up with contemporary scholarship in his Sophocles writing itself. At the end of the 1556 epistola he adds a note about hurrying his own work in the light of a recent French commentary. He admits this leaves his own volume limited and imperfect, but says he needed to get it out with all speed. The volume in question was Turnebus’ important 1553 edition of Sophocles. Turnebus in turn had respect for Camerarius and a student, Nicolas Uhrowiecki, had tried to act as an intermediary between them, but died before he could visit Leipzig. See Barycz and Jobert 1982, 102-103. Academic rivalry, the push to publish, was already strong in the Sixteenth Century. 68 Bietenholz et al. 1985, 248. 69 See Ryan 2012 on the appropriateness of applying such a metaliterary reading of Longinus. 70 Longinus Peri Hupsous 15, 7. 71 This is a subtle and complicated shift which happens through several centuries, from Pope Gregory to 1980s America. I discuss aspects of the process in Ryan 2010, with a summary of examples on 14. 72 Camerarius 1534, 10. 164 Cressida Ryan Aristotelian sense, but also the move towards an aesthetic which leaves room for Longinian interpretations, and a Christianising framework. Further echoes of this are evident in his translation of Ajax . At 985, σκηναῖσιν is translated as tabernaculis ; the Greek offers a metaliterary reading of the passage, as ἡ σκηνή can refer as much to the staging as to a military tent. The Latin, however, is more resonant of a religious interpretation, reminding a reader of the tabernacle rather than the stage. Although this is the first translation option offered by the lexicon for ἡ σκηνή, the translation process has changed the tenor of the passage quite significantly and allowed for its Christianisation. 1322 is marked in the 1556 translation but not in the 1534 edition. This line deals with how hard but important it is to offer forgiveness, a core Christian message. Again, 1350 is marked in the 1556 volume but not the 1534 one, noting how hard it is to manage a pium regem , reiterating Lurje’s point about a reading of tragedy to educate rulers. 1361 is marked in 1556 but not 1534, commenting on how hard it is to praise something you do not like, again demarcating a potentially Christian attitude towards life. Even in the line markings it is possible to trace a developing Christian outlook. A further example of this potential for a Christian interpretation of Camerarius’ translation can possibly be found even in terms of the political labels used in a play. 73 Camerarius, as noted above, makes part of the point of tragedy to help rulers become more aware of their impermanence. The very language of leadership may, in Ajax , hint at the potential for conflating Greek and Christian ideas. Greek has a number of different terms for rulers. The Greek words themselves carry varying degrees of cultural baggage, and it is this baggage which can be particularly hard to translate. 74 There are 35 references to leaders in Ajax , covering ten different Greek lexical forms. These are translated using eleven different Latin formulations. ἄναξ and βασιλεῦς are both translated as rex , which becomes rector in order to express ἀνάσσων at line 1102 (Σπάρτης ἀνάσσων ἦλθες, οὐχ ἡμῶν κρατῶν, Teucer of Menelaus). This reflects ἀνάσσειν in the previous line, ( regem esse ) but contrasts κρατῶν ( eduxit ). The participle in Greek does not need the Latin agent noun to translate it. The 1825 lexicon does not translate rector as ἀνάσσων, but does offer rego for ἀνάσσω. ἄναξ is translated as rex , dominus , dux , imperator , princeps , or even herus . Other choices are available, there is no need to use rector . Why then did Camerarius use it? He himself had held the position of Rector of the Municipal School at Nuremberg. 75 73 See Lurje 2012, 444 for a discussion of Melanchthon’s views on Creon as ruler in Antigone ; leadership is clearly a key issue for sixteenth-century scholarship. 74 See Ryan 2015, for a more thorough discussion of translating terms for rulers in sixteenth-century Latin versions of Sophocles. 75 See Wagener 1929, 156. Camerarius and Sophocles 165 Camerarius and Melanchthon were both involved with reforming university structures as well as syllabuses. Melanchthon in particular was keen, contrary to Luther, that university leadership should be under the guidance of the church, should be a theodicy. 76 Melanchthon even chose a student as Rex in his classes, giving yet another interpretative layer to any choice of leadership term. 77 In the Catholic Church a rector is a head of a community, particularly in an educational context. Indeed in 1551 Ignatius of Loyola founded what would become the Pontifical Gregorian University, whose head is a rector. This educational context is perhaps hinted at by eduxit for κρατῶν. Elsewhere κράτος (768 - marked by diple ) and κράτη (1016) are translated using victoriam and principatus respectively; there is not a consistent translation for the lexical form, but the tension between religious and educational leadership is brought out here. 78 Camerarius may not be writing an overtly Christian interpretation of Sophocles, but nor is his work clearly Aristotelian. Just as the Reformation saw rapid changes in ideas, so Camerarius’ own scholarship reflects changes in both contemporary scholarship, and his own responses to a text. Conclusion In this article I have begun to suggest some ways in which Camerarius’ work on Sophocles might be read in a more interesting light than has previously been allowed. The physical formatting of his work, the development of his ideas between volumes, and his response to changing academic and religious viewpoints within sixteenth-century Europe, can all be traced, giving us a greater insight into sixteenth-century scholarly processes. In turn, the ever-changing reflections on Sophocles give a reader the chance to appreciate the author even more. Bibliography Aristotle: Aristotelis varia opera novissime traducta, trans. Georgio Valla, Venetiis: Bernardinus de Vitalibus, 1504. Aristotle: Aristotelis Poetica, trans. Pazzi, Alessandro, Basel: Balthasar Lasius et Thomas Platterus, 1537. 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He translated and commented on seven of Xenophon’s works (listed here by date of first publication): De re equestri in 1539; the Hipparchicus, Athenian Constitution (then considered authentic) and Spartan Constitution in 1543; 3 the Oeconomicus in 1564; and in 1572 the Cyropaedia and Poroi . Among his contemporaries only three others delved as deeply into Xenophon’s corpus. In 1561 Henry II Estienne (1528-1598) produced a bilingual Opera Omnia . 4 A letter to Camerarius, in fact, precedes the Latin half of this publication. For this volume Estienne used Latin translations which were already available, including Camerarius’ De re equestri , emending them as he saw fit, and enlisting the help of others where he could. Eight years later, in 1569, Johannes Levvenklaius (1541-1594) produced another Opera Omnia , this time with his own Latin translations, side by side on each page with the Greek 1 Camerarius 1572, a iii r (not marked). 2 See Baron/ Shaw 1978. In progress is a much more extensive online database of Camerarius’ works. For details see http: / / camerarius.uni-wuerzburg.de/ 3 In 1556 these first four publications were reprinted in Leipzig (along with Camerarius’ other original works from the 1539 edition, but without the Vita of Xenophon included in the 1543 edition). Marsh 1992, 138 incorrectly includes the De re equestri in the 1543 edition. 4 A second updated edition was printed in 1581, and a third (Latin only) in 1596. The prefatory materials for all three editions are in Kecskeméti et al. 2003, 60-76, 501-506, 708-719 respectively. 170 Noreen Humble text. Lastly, commentaries on eight of Xenophon’s works by Franciscus Portus (1511-1581) were posthumously published in 1586. 5 Then, as now, those tackling the diverse corpus of Xenophon were hardy and few, and all knew and, to varying degrees, acknowledged each other’s work. 6 It is clear that Camerarius’ interest in Xenophon started early and extended beyond the seven works he translated, as a cursory glance at his correspondence and other works shows. For example, in two letters of 1522 he converses with Melanchthon about the Hellenica , which he seems to be working on seriously at this point ( MBW 1, 243 and 1, 246); in 1524 Melanchthon, reading about the Cyropaedia in Cicero, reminds Camerarius that he promised to send him copies of Xenophon’s work ( MBW 2, 352); in 1526 the favour is returned as Melanchthon sends a codex of Xenophon to Camerarius ( MBW 2, 472); the Memorabilia features in a letter to Vincentius Obsopaeus in 1527; 7 and in his commentary on the first book of Homer in 1538 Camerarius quotes from both the Symposium and Hellenica . 8 Upon reading Camerarius’ 1543 publication of the three short pieces of Xenophon, Melanchthon begs him to stop wasting his time on minutiae, wonderful though they are, but to work on the Hellenica , since Willibald Pirckheimer’s translation is not quite up to snuff ( MBW 12, 3398). Camerarius does not take up this task, though he regularly made reference to the Hellenica , calling it in his 1543 Vita of Xenophon the most outstanding of Xenophon’s works. 9 In 1546 he had Leonardo Bruni’s epitome of the Hellenica published 5 The eight are Hellenica , Spartan Constitution , Athenian Constitution , Memorabilia , Oeconomicus , Hiero , De vectigalibus , Cynegeticus . Portus had also provided an extensively reworked version of Willibald Pirckheimer’s Latin translation of the Hellenica for Estienne’s 1561 edition. 6 Levvenklaius’ commentaries are much thinner than Camerarius’ and primarily linguistic (he is, e.g., constantly correcting Filelfo’s translation) but he does, in his 1569 edition, show awareness of Estienne’s work as well as the 1559 annotations of Johannes Brodaeus. Furthermore in his 1594 edition Levvenklaius has reworked his comments and makes numerous references to Camerarius’ work (e.g. 1594, 1023-1025). Likewise, Portus in 1586 acknowledges Estienne. And Estienne, in turn, in the annotations to his 1581 edition frequently mentions Levvenklaius, Camerarius and Julius Gabrielius (e.g. p. 1 of the annotations). 7 Camerarius 1568, 249-251. 8 A transcription and a translation by Corrado M. Russo can be found online at http: / / www.library.tufts.edu/ tisch/ metadataservices/ tei/ NormalizedCommentarii_Camerarius. html. 9 Camerarius 1543, 14 (cf. 1572, 10): Omnium autem scriptorum ipsius praestantißimum est, & haud scio an nullius alterius operi postponendum, rerum gestarum in Graecia narratio, compraehensa libris septem, quibus vel simplicitate expositionis, vel perspicuitate orationis, vel diligentia & fide commemorationis, vel prudentia in explicando praecipua, vel facundia in declarandis ac describendis, rebus, locis, temporibus, personis, caußis, occasionibus, nihil candidius, nihil disertius, nihil sincerius, nihil eruditius, nihil doctius fieri potuisset . (“Of all Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 171 along with a succinct narration of his own following events in Greece from the end of Xenophon’s narrative (the Battle of Mantineia in 362 BCE ) to the reign of Alexander. In the dedication letter he expresses some disappointment with Bruni’s rendering of the events covered by Xenophon, and is puzzled that Bruni had suppressed the source of his knowledge of these Greek events. Nonetheless he deemed Bruni’s work useful for those who did not wish to spend the time required to really come to know the Greek authors, but who could benefit from the useful lessons to be learnt from reading ancient history. 10 It is upon Camerarius’ translation of and commentary on Xenophon’s Cyropaedia , however, that I want to concentrate here. The following observations can claim only to be preliminary, but they nonetheless add both to our picture of Camerarius as a prolific scholar of vast learning and superlative reputation and to our understanding of the history of classical scholarship in the crucial century when texts of Greek authors were becoming established and interpretations were becoming entrenched. The translation of and commentary on Camerarius’ Cyropaedia were published in 1572, just two years before he died at the age of 74. The edition in which they appear contained all his previous translations of Xenophon, barring the Oeconomicus but including a new translation of the De vectigalibus . The whole edition is dedicated to the twenty-one-year old Count Anton von Ortenburg. The letter of dedication was written in 1571 and Camerarius clearly had hoped that the work would be on the market that year, but letters from Hubert Languet show that the Wechel press was having some problems setting the type so missed having the book printed in time for the 1571 Frankfurt fair. 11 As soon as a closer look at the paratextual material is taken, it becomes clear that Camerarius’ translation of and commentary on the Cyropaedia had been tucked away in a drawer, having been the work of an earlier period in his life, not of the years immediately preceding publication. This general fact is confirmed twice in different ways in the dedication letter. First, he states clearly that the his writings the most outstanding one and probably to be rated below the work of no other is the narration of the history of the Greeks contained in seven books, than which, whether in the simplicity of exposition or in the perspicuity of style or the diligence and faithfulness of recording or in the outstanding prudence in explaining or in the eloquence in stating and describing events, places, times, persons, causes, occasions, nothing could be made clearer, nothing more eloquent, nothing more wholesome, nothing more erudite, nothing more learned.”) 10 On how Lutheran scholars viewed the benefits of reading ancient history in general see Ben-Tov 2009, 37-41. See also Kunkler 2000, 177-185 on Camerarius’ understanding of the moral function of history, both contemporary and ancient. 11 Languet 1646, 136-141 (letters 56-58). 172 Noreen Humble work on the Cyropaedia had been carried out for the purpose of lectures at some unspecified time in the past (1572, a ij v-a iij r): Is igitur tunc attulit mihi inspiciendam interpretationem librorum Xenophontis de vita atque disciplina Cyri Regis Persarum, ante aliquot annos ab explicante me eos confectam, & simul explicationis illius commentariolos; meque hortatus est, ut quoad per valetudinem liceret, recognoscendo omnia sic perpolirem, ut in lucem proferri edendo recte possent. He [Ludovicus, Camerarius’ son] therefore at that time brought to me for inspection a translation of the books of Xenophon about the life and education of Cyrus King of the Persians, produced some years earlier while I was lecturing on them, and at the same time the small commentaries belonging to that lecture series, and he encouraged me, insofar as my health allowed, to polish them all up by revision in such a way that they might be able to be brought into the light by publishing. Later on in the letter Camerarius notes that while he was revising his work the new translation by Julius Gabrielius, published in 1569, came to his attention and that, had he not already produced his own version, he would never have embarked on such a project. ‘Some years earlier while I was lecturing on them’ is not particularly helpful in terms of narrowing down the period of the translation and commentary. Camerarius had been lecturing for over 50 years by the time this work was published: at the University at Wittenberg (1521-24), at the Gymnasium at Nürnberg (1526-35), at the University of Tübingen (1535-41), and from 1541 until his death at the University of Leipzig. 12 I would like to argue here, however, that the work on the Cyropaedia belongs to his earlier years at the University of Leipzig, certainly pre-1561, and, more speculatively, even as early as the first decade of his appointment there, that this work was widely known and helped to consolidate his reputation as an expert on Xenophon, and finally that his championing of the utility of the work was instrumental in establishing the Cyropaedia as an appropriate text for school boys to learn Greek from in the early, crucial years of the Reformation. Dating Camerarius’ work on the Cyropaedia There is nothing definitive in the 1572 publication to pin down when Camerarius originally carried out his work on the Cyropaedia , but there are two brief pieces of external evidence that point to the late 1540s. First, though the term reports 12 For his career see Kunkler 2000, and more succinctly Mundt 2004, xviii-xxi. Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 173 for the Philosophy Faculty at the University of Leipzig for the years 1542-1559 are frustratingly vague in terms of the subjects of the lessons taught, 13 there are two occasions on which both an author and a work are specifically mentioned with regard to Camerarius’ lessons: a) in the summer semester of 1546 it is noted that he lectured on Homer’s Iliad , and b) in the winter semester of 1547 it is noted that he lectured on Xenophon’s Cyropaedia . 14 Lack of mention of the Cyropaedia in other yearly reports is no indication that Camerarius did not lecture on it in other years as well, since the reports vary from semester to semester in the amount of detail they give, but this record at least is confirmation that he was lecturing on the work in the late 1540s. Further, in a letter of his to Christoph von Karlowitz (1507-1578) in November 1549, he writes: 15 Nam ut de fine aliquid epistolae tuae iam assumam, quod scribis: ‘Locum huic assignare poteritis’, scito te idem facere, quod Cyrus Xenophonteus in mandatis dandis (quem tibi apparamus) et vehementer reprehendit, et inane esse putat, si dicatur: ‘Aquam aliquis afferto, ligna aliquis findito.’ Nihil enim ita plerumque fieri. Quare solitum Cyrum nominatim unicuique imperare, id quod et sciret facere et debere. For in order that I may take up finally now a point in your letter, where you write “you will be able to assign to this man his place”, know that you are saying the same thing as Xenophon’s Cyrus (which we are preparing for you), who, in the giving of orders, both vehemently censures and thinks worthless if it is said “let someone bring water, let someone cut wood”. For the most part nothing is done in that way. Therefore Cyrus customarily gave orders to each one by name, as to the thing which he both knew how to and ought to do. The material alluded to comes from well on in the eight-book Cyropaedia at a point when Cyrus is preparing his army and followers to proceed in an orderly fashion (5, 3, 34-50). The second quotation is a direct translation from the Greek text. 16 Whether we are to assume that by 1549 Camerarius had already written 13 As Kößling 2003, 300 notes. The reports are printed in Erler 1898, 669-753. Camerarius is first mentioned during the winter semester of 1542 and his subject noted as utriusque linguae . This type of formula is repeated in most years with a few pertinent exceptions. 14 Erler 1898, 690 and 701 respectively. In both these reports there is more detail than usual about the topics of the lectures. 15 Woitkowitz 2003, 194 (letter 18). 16 Cyr . 5, 3, 49: ἴτω τις ἐφ᾽ ὕδωρ, ξύλα τις σχισάτω. Camerarius renders it slightly differently in the published version: Ito ad aquam aliquis: findito aliquis ligna (1572, 163). I do not think this represents a late revision but rather the fact that this aspect of Cyrus’ leadership was often quoted. Melanchthon uses it in his revised version of Carion’s Chronicle , rendering it: Eat aliquis ad aquam ferendam: Ligna aliquis secato, sed nominatim certis mandata dedit, et nomina meminit (CR 12, 784). 174 Noreen Humble up lecture notes on the whole of the Cyropaedia or simply that he had got as far as book 5 with his translation and commentary, is difficult to know, but the key point is that this letter corroborates the fact that he was clearly working and lecturing on the text at this period of time. 17 Camerarius’ reputation as an expert on Xenophon Knowing that Camerarius was lecturing and working on the Cyropaedia at this time helps to elucidate why, in the letter placed at the start of the Latin translations in his 1561 edition, Estienne goes to such lengths to chastise him for his lack of help. Prior to this edition there had been other complete bilingual editions of Xenophon’s works but none with such extensive work on establishing a secure Greek text or with so many annotations and other paratextual material. The following excerpts from the opening of this letter show how Estienne, vehemently but also affectionately and with wit, upbraided Camerarius for not aiding him in this massive project (1561, *ii r): En tibi Xenophontem Latinum, Ioachime charissime, qui quum tuam opem saepe meis verbis imploraverit, quod a te repulsam passus sit, mihi quidem & omnibus lectionis illius studiosis dolendum, tibi vero fortassis erubescendum est. […] Ea enim in cuius scriptoris Graeci interpretatione, obsecro, potius explicanda fuit, quam illius ex cuius potissimum lectione te in linguae huius cognitione plurimum profecisse negare non potes? […] Quum igitur frustra Xenophontem auxilium a te expectare animadverterem, πρὸς τὸν δεύτερον πλοῦν animum adieci, et meam saltem opellam illi minime denegandam existimavi… Behold, my dearest Joachim, the Latin Xenophon. Since he has often implored your assistance through my words, it is a matter of regret to me indeed and to all the students of this text, but ought to be a matter of shame perhaps to you, that he has suffered a repulse by you. […] For upon the interpretation of what Greek writer, I beg you, was that learning rather to be laid out than of that one from the reading of whom most particularly you cannot deny that you made most progress in the knowledge of this language. […] Therefore since I noticed that Xenophon was waiting in vain for your help, I turned my mind “to the second sailing”, and I thought that at least my own small efforts should not be denied to him […] Estienne goes on to explain which works he himself edited, which he left alone (those whose translators were still alive), and how Portus had edited the Hellenica , before returning to upbraid Camerarius further. While he notes with in- 17 And at this time he had also intended to dedicate it to Karlowitz, who had been the recipient of his earlier translation of Xenophon’s Hipparchicus (1543, 65-72). Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 175 dignation that at the very least Camerarius ought to have revised and provided annotations on his own translation of De re equestri , he had hoped for much more extensive aid (1561, *ii v): qui vicarius meo muneri succedere velit, measque partes suscipere, nancisci misere cupio (“I desperately desire to gain someone who might wish to be a second man for my work and to support me”). In both hopes he appears to have been disappointed. The sustained upbraiding only makes sense if Camerarius’ reputation as an interpreter of Xenophon went further than simply his translations of four short works of Xenophon, only one of which - the De re equestri of 1539 - Estienne used in this edition. 18 It must have relied also on widespread knowledge of his expertise on Xenophon in general, including his work on the Hellenica , 19 the 1546 reissue of Leonardo Bruni’s Historia rerum gestarum in Graecia , and his (as yet unpublished) lectures on the Cyropaedia . 20 Further confirmation that Camerarius’ work on Xenophon was central to his reputation is the fact that Xenophon is singled out above other Greek prose authors by Andreas Freyhubius in the funeral oration he composed for Camerarius: 21 Quis enim ignorat totum ab illo bonarum et liberalium artium orbem, quae Cyclopaedia est, percursum et absolutum fuisse? In lingua Latina Ciceronem, in Graeca Xenophontem, in versibus Graecis Homerum, in Latinis Maronem […] For who is unaware that the whole world of the good and liberal arts, which is the cycle of erudition, had been ranged through and completed by him? In the Latin language, Cicero, in the Greek, Xenophon, in Greek verse Homer, in Latin Virgil […] Revisions to the original translation and commentary In the dedicatory letter to Count Anton von Ortenburg, Camerarius says his son urged him to polish up the translation and commentary with a view to 18 In view of what he says in the letter to Camerarius it is somewhat surprising that Estienne did not use Camerarius’ translations of the Spartan Constitution , Athenian Constitution and Hipparchicus . Those he did use (respectively of Francesco Filelfo, Sebastian Castellio and Johannes Ribittus) were, however, at this point the industry standard. See, e.g., Xenophontis oratoris et historici, propter summam eius eloquentiam […] opera, quae quidem Graece extant omnia, published by N. Brylinger (Basel 1555). 19 Early evidence of him working on the Hellenica comes from a letter he wrote to Melanchthon in 1522, when he was in Bamberg after his mother died (MBW 1, 243). See Kunkler 2000, 52 for the context. 20 In his second edition of the Opera Omnia in 1581, Estienne does directly acknowledge Camerarius’ work on the Cyropaedia , which was then in print, but still includes the letter upbraiding Camerarius for not aiding him in this grand project. 21 Andreas Freyhubius 1574, Cv. 176 Noreen Humble publication. How extensively Camerarius revised his work is, for the most part, impossible to tell without having access to his original manuscript. But if an early date of composition, the late 1540s, is accepted then a few observations can be made. The commentary in general is very much tied to the translation, explaining it, and drawing on a diverse array of ancient sources, both Latin and Greek, both to support the translation and to expound upon the ideas presented therein. 22 There are more references to differences between Greek texts than explanations of differences between his translation and the standard one in circulation, that of Filelfo, which is only mentioned once (page 371). Further, only twice in the commentary is there mention of work on the text done by other scholars. In both instances the references are to Estienne’s 1561 edition and both are on the same page of the commentary, 23 which might suggest that these are slight revisions made to the commentary for the publication in 1572 rather than part of the original notes. The paucity of references to other translations and commentaries can well be understood in view of the original purpose of Camerarius’ work, i.e. for lectures. To have updated his own notes taking into account all the intervening scholarship, 24 would have been a significant task, one which he indirectly apologises for not engaging upon in the dedicatory letter when justifying carrying on with the publication of his work on the Cyropaedia even when, in his own opinion, Gabrielius’ new translation cannot be superseded. 25 There is some indication in the letter of dedication about when the other, previously unpublished, translation in this 1572 edition, that of the De vectigalibus , was carried out (1572, e r): 22 Ben-Tov 2009, 172 observes about Camerarius’ commentary on the Iliad that many references are not necessarily for the elucidation of the text but meant to provide a broader humanist education. This observation applies equally to the Cyropaedia commentary. 23 Camerarius 1572, 341, on passages in book five of the Cyropaedia , once to disagree with a reading and once to agree with a conjecture. 24 Brodaeus 1559, Estienne 1561, Levvenklaius 1569 and Gabrielius 1569. 25 Camerarius 1572, a iiij v (not marked): In voluntate tamen proferendi mea quoque perseveravi, ideo etiam quod scirem unius argumenti tabulas diversorum artificum peritos comparare et ex contemplatione earum nonnihil capere voluptatis. Multa enim sunt quae in iisdem simili bonitate effecta, dissimili tamen specie considerantes delectare solent . (“Nevertheless, I have persevered in my wish to bring my own forth also, because I also knew that the experts compare the paintings on one subject by different craftsmen and gain some pleasure from contemplating them. For there are many things which are accustomed to delight their beholders in the same subjects produced with a similar quality but with a different appearance.”). Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 177 Quaedam autem nostra iam antea edita, his libris De vita ac disciplina Cyri, ut denuo prodirent, adiungere et ipsa placuit, itemque libellum De vectigalibus nuper in sermonem Latinum a me conversum eiusdem autoris. However I have decided also to add some things published already to these books about the life and education of Cyrus, so that they may be published again, and likewise the little book De vectigalibus by the same author, which I have recently translated into Latin. ‘Recently’ is not particularly precise but together with the fact that in the few pages of accompanying notes there is a reference to a conjecture made by Estienne, it suggests that the translation of the De vectigalibus , unlike that of the Cyropaedia , was indeed post-1561. There is one portion of the work in which we can see clear signs of revision, but the dating of these revisions is not entirely clear. In the introduction to the commentary Camerarius writes (1572, 290): De Xenophonte, qui est autor horum librorum, narratio nostra extat, ante annos complures edita, quam curavimus his quoque libris illius a me in sermonem Latinum conversis praeponendam. There is a narration of ours about Xenophon, who is the author of these books, which had been published quite a number of years earlier and which we have undertaken to have placed in front of these books of his as well which have been translated into the Latin tongue by me. He is referring here to the Prooemium / Vita which followed the letter of dedication in the 1543 edition of his translations of three short works of Xenophon. It is, however, not entirely clear whether these introductory notes to the commentary, or simply this portion of them, were composed in the late 1540s, or were added prior to the 1572 publication. The fact that the opening and closing of the Vita betray the original purpose - lectures - for which the exposition was originally written, 26 and so may appear more suited to lecture notes than 26 The opening (1572, 1): Etsi existimabam gratius fortasse futurum aliquibus vestrum, si statim ad interpretationem libelli eius, quem me enarraturum vobis esse nuper significavi, accederem, neque prooemio longiore tempus tererem: tamen, cum & huius Academiae vetus mihi consuetudo nota esset, (qua semper hoc servatum scimus, ut qui primum alicuius autoris scripta enarrare inciperent, suae operae quaedam praefarentur) & me huius autoris admiratio & amor singularis hortaretur, ut cum honorifica quadam mentione atque memoria nominis & famae ipsius, aggredi vellem explicationem eorum operum, quae ille ad lectionem salutarem posteritati reliquisset, statui hanc horam consumere dicendo, non quidem aliena quaedam, ut saepe penuria meliorum facere & solemus & cogimur, sed recitando ea, quae de hoc autore literis mandata nobisque comperta sunt . (“Even though I was thinking that 178 Noreen Humble to formal publication is inconclusive, since these passages are unaltered from the 1543 Prooemium / Vita which was indeed published. The 1572 Vita Xenophontis is not, however, identical to the 1543 Prooemium / Vita . It has been expanded in five different places. While the nature of these additions does not provide a firm date, an argument can be made for placing them after the publication of Estienne’s 1561 Opera Omnia . The first and lengthiest of the insertions starts on page five where Camerarius has added into his narration a translation of the first half of the third letter of Chion of Heraclea, 27 which details Chion’s supposed eyewitness account of Xenophon’s masterful quelling of the mercenaries in Byzantium in 400 BCE (cf. an . 7, 1). This letter was not one of those which had been among the ancient Greek letters Camerarius had translated for publication in 1540 (though he did, there, include another of Chion’s letters, #10), but it is one which starts to be included in composite editions of Xenophon’s works from Estienne’s 1561 edition onwards. The way in which Camerarius has included it is striking. In all other editions the letter stands on its own. Camerarius could easily also have appended it in its entirety to his Vita but chose instead to directly translate half of it. He does not make clear at the start that he is doing this but it is soon apparent that the first person ‘I’ is not Camerarius but Chion. Camerarius does, however, alert his reader to the point where the translation concludes, and follows this by some thoughts about the authorship of the letter, a paraphrase of the rest of the letter (3, 5-7) and a direct quotation of the Greek text of the third last sentence of the letter. 28 it would perhaps be more pleasing to some of you, if I were immediately to move on to the interpretation of that book which I have recently indicated to you that I would be going through, and not waste time with a longer preface, nevertheless since both the ancient custom of this university was known to me (according to which we know that the following rule has always been observed, namely that those who first begin to go through the writings of any author should make some prefatory remarks to their efforts) and since admiration and particular love for this author urged me to wish to approach the explication with some honorable mention and remembrance of his name and reputation, those works which he had left to posterity for salutary reading, I have decided to take up this hour in saying not indeed things that belong elsewhere, as often through paucity of better things we are accustomed and forced to do, but in reciting those things which have been handed down in literature about this author and are known to us.”) And the close (1572, 15): Quod superest ad indicati vobis libelli interpretationem crastini hora prima pom. diei, Deo volente accedemus . (“What remains for the interpretation of the book shown to you, with God willing we shall turn to at the first hour of tomorrow afternoon.”). 27 Chion 3, 1-4 (barring the two opening sentences). 28 Camerarius 1572, 7: Haec vertendo de epistola illa transtulimus, sive vere huius Chion autor, seu alterius hoc viri docti & eruditi opusculum est. In qua quidem deinceps praeclarae sententiae commemorantur, de utilitate studii philosophici ad omnes partes vitae: quodque non modo iusticiae & moderationis fons sit philosophia, sed fortitudinis quoque & virilium actionum: neque de studio illius boni tantum & honesti viri, sed bellatores quo- Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 179 Three of the other four additional passages add to his defence of Xenophon against various critical responses in ancient sources. 29 Thus in his section refuting the notion that there was ever a rivalry between Plato and Xenophon, arguing primarily against the points presented by Athenaeus (504e-505b), he adds both an observation from his reading of their respective Apologies , and comments on another passage of Athenaeus (220f) in which that author criticises Xenophon’s portrayal of Socrates at Memorabilia 3, 10, 9-15. The fourth additional passage shows him defending Xenophon against Julius Pollux’ contention that Xenophon used harsh vocabulary ( Onomasticon 3, 134), and the final addition comes at the end where, following on from a list of the other wellknown Xenophons from the ancient world as reported by Diogenes Laertius (2, 59) 30 and the Suda, he adds one more: a dancer from Smyrna who is the subject of a Greek epigram ( Greek Anthology 16, 289). The range of sources from which this extra material comes is impressive and different scenarios for its inclusion can be posited. For example, Camerarius, who was extraordinarily widely read, may have added material over time to his Vita of Xenophon as and when he came across relevant material in his readings, in the manner of a conscientious scholar. For example, we know that his treatise on body parts of 1551 was based upon Pollux’s Onomasticon , 31 and thus it may have been at this point in time when he noted Pollux’s disparagement of Xenophon’s vocabulary. On the other hand, Estienne, in the prolegomena of his 1561 edition, refers frequently to Pollux’s judgement on Xenophon, including the passage Camerarius refers to, and the first inclusion of Chion’s letter in any edition of Xenophon was also by Estienne in 1561. Thus, equally, one can imagine Camerarius, as he sat down to revise his notes on the Cyropaedia , que & victores hostium existant. Itaque & autor epistolae hanc clausulam addidit: κἀγὼ οὖν ἐλπίζω φιλοσοφήσας τά τε ἄλλα κρεῖττον ἔσεσθαι καὶ οὐδὲν ἦττον ἀνδρεῖος, ἀλλ᾽ ἦττον θρασύς. Quae autem in illa Chionis epistola commemorantur, eorum narratio extat in septimo libro τῆς ἀναβάσεως . Sed redeamus ad institutam nobis narrationem . (“We have translated these things from that letter. Whether truly Chion was the author or it was the work of some other learned and erudite man, in it indeed there follow outstanding views about the utility of philosophical study for all parts of life, and that philosophy is not merely the fountain of justice and moderation but also of bravery and virile actions. And from its study come not only good and honest men but warriors and victors over their enemies. And so the author of the letter adds this final thought: “I, therefore, hope, by philosophising, to become better in other respects and no less brave but less bold.” The things mentioned in that letter of Chion are narrated in the seventh book of the Anabasis , but let us return to the account that we started.”) 29 Camerarius 1572, 12-13 (for the first two) and 14 (for the second two). 30 Here too, as was the case with the letter of Chion, Camerarius has directly translated this section of Diogenes Laertius, rather than paraphrasing. 31 On which see briefly Kößling 2003, 300-301. 180 Noreen Humble pulling out Estienne’s 1561 edition, skimming through the relevant portions and making a few additions to the Vita and commentary as and where he saw fit. 32 Also notable in the commentary is how often Camerarius draws on Aristotle’s Nicomachean Ethics . His extensive commentaries on this work were published posthumously in 1578 by his sons. That publication includes a dedication letter which had been written by Camerarius earlier, in 1570. In this we learn that the circumstances of the publication of these commentaries are identical to those on the Cyropaedia: his son came across his old lectures and urged him to publish them for posterity. The following entry from the commentary on the Cyropaedia makes it clear that his work on the Ethics also belongs to this same period or even earlier (1572, 301): 33 Communem potestatem. 27. 36. vel aequalem. Indicatur autem ius quoddam populare, quo omnibus aeque potestas fit verba faciendi. Et mox: de congruentia. 29. 30. περὶ τοῦ ἁρμόττοντος, de eo quod aptum esset atque quadraret. Est autem indicium hoc duplicis iusticiae eius quae in parte cernitur virtutis, & fontem habet considerationem proportionis Geometricae & Arithmeticae. de qua disputatio extat luculenta in V. libro Ethicorum Nicomacheorum, & nos eum librum explicantes plura diximus. ‘Common power’. 27, 36 or ‘equal’. What is meant is a popular right, according to which the power of speaking is equally available to everyone. And soon: ‘about congruence’ 29, 30 (‘about what fits’), concerning that which is suitable and sits foursquare. This is evidence of the double justice of that virtue which is seen in part and has as its origin the consideration of geometrical and arithmetical proportion, concerning which there is an enjoyable dispute in the fifth book of the Nicomachean Ethics , and we have said more in explaining that book. Camerarius’ influence on school curricula If we follow the argument above, and agree that Camerarius, despite not having published his Cyropaedia translation and lectures until late in life, was known for his lectures on them as early as the late 1540s, might he have had some role in establishing the text not just in university classrooms but in schools as well? 32 There may of course have been more extensive revisions that we have not the ability to see, but I am inclined to think that there were not, particularly because Camerarius also mentions his failing health in the dedication letter. 33 Melanchthon in the 1540s was still hard at work on the same text, having begun in 1528 and producing his final revised version of book 5 in 1560. Svensson 2008, 112-113 gives references to letters which Melanchthon wrote to Camerarius to enlist his opinion on his translations and annotations. Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 181 The reason for posing this question is a document published in Tübingen in 1559 entitled Württembergische Große Kirchenordnung, which set out church and educational regulations in the Duchy of Württemburg under Duke Christoph. Christoph’s father Ulrich had begun reforming the educational system in his Duchy in 1534, and upon advice from Melanchthon had appointed Camerarius in 1535 to work on the reorganization of the University at Tübingen, 34 where Camerarius remained until taking up the post in Leipzig in 1541. The document sets out the curriculum for the first five years of schooling. The first three are closely modelled on Melanchthon’s Visitation Articles of 1528. In the fifth year, when the students begin to study Greek, the texts of choice are listed as Aesop’s fables, Isocrates Ad Demonicum or Xenophon’s Paedia . 35 All three were texts which Camerarius had translated into Latin (the Isocratean work in 1526 and the Aesop first in 1538). Furthermore, there is plenty of evidence also that Melanchthon was championing the Cyropaedia as a pedagogic text at least at the university level in the 1540s and 1550s. 36 It can, thus, scarcely be a chance occurrence that in the educational reforms in the Duchy of Württemberg in the late 1550s, the Cyropaedia becomes a core text in the school curriculum. Aesop’s fables were a suitable text from a number of angles, both in terms of syntax as well as the fact that they were a favourite of Luther. Indeed Camerarius produced a Latin Aesop for schools which was reprinted around 40 times in the sixteenth century. 37 The Ad Demonicum likewise had a long translation history, and again its length and syntax as well as its content - being a moral exhortation to the son of one Hipponicus to follow a virtuous path - rendered it a suitable early text for learning Greek. 38 The Cyropaedia, though entirely 34 See Harrison 1978 on the politics of the reformation of this university. 35 Württembergische Große Kirchenordnung, Tübingen 1559: “Stund soll allwegen alternis diebus integra Grammatica graeca/ und ein Lection ex Fabulis graecis Aesopi, ex Isocrates ad Demonicum/ oder Paedia Xenophontis.” On which see Methuen 1994, 845 (though she does not mention the Isocratean work). Hofmann 1982, 113-114 also notes that in the archives of the University of Tübingen there is a ducal notice dated 17 May 1557 which also sets out that ancient Greek should be introduced via Melanchthon’s Greek grammar and Xenophon’s Cyropaedia . Hofmann is summarising so it is unclear whether or not Aesop or Isocrates were mentioned as well or whether or not this is an entirely different document from the Große Kirchenordnung. The archival reference is UAT 2 / 1b fol. 229 ( non vidi ). 36 Melanchthon provided a dedication letter for a Greek Opera Omnia of Xenophon published in 1540, in which he speaks glowingly of the Cyropaedia (CR 3, 1113-1116), and he further promotes reading of the Cyropaedia in his 1558 revision of Carion’s Chronicle (CR 12, 784). 37 See Springer 2011, 188. Melanchthon wrote two letters for the 1545 edition, one of dedication, and a second to explain the utility of the work, in which he happens to quote from Book 8 of the Cyropaedia . 38 On its translation history in the fifteenth century see Gnoza 2012, passim. 182 Noreen Humble suitable morally from a protestant point of view, is perhaps not the first text one would think of for beginners from the point of view of either syntax or length. Indeed Johann Sturm’s influential curriculum established in Strasbourg favoured Demosthenes’ Olynthiacs , along with Aesop for early Greek teaching. 39 However, the content of the first book of the Cyropaedia is highly suitable, being all about the education of Cyrus, first as a young boy in his native Persia (1, 2), then in the less austere court of his grandfather in Media (1, 3-4), then back in Persia to finish off his formal education (1, 5, 1), and concluding with an extensive pedagogic conversation between Cyrus and his father on the eve of his first military command (1, 6). 40 Conclusion By the time Estienne came to publish his complete works of Xenophon in 1561, Camerarius had long been recognised as one of the premier Greek scholars of the century. Estienne addresses him, however, particularly as an expert on Xenophon, yet at that time he had only published translations of four little works of Xenophon. Epistolary evidence, along with records of lectures at Leipzig University, shows, however, that Camerarius was definitely at work lecturing on, translating and annotating the Cyropaedia in the late 1540s, and these lectures must have contributed to his reputation as a Xenophon scholar. Camerarius was not backward about emphasising the morally educative value of the Cyropaedia , as the following shows (1572, 290-291): hoc igitur opus in omnium semper admiratione summa fuit, non propter tantarum modo rerum, quantas Cicero memorat, explicationem, sed ideo etiam, quod cum verborum proprietate, tum compositionis venustate, tum sententiarum quoque gravitate, & expositionis universae elegantia facile praestaret scriptis omnibus omnium, etiam huius ipsius autoris. Neque est adeo ulla aetas, conditio, genus, sexus hominum, quin quod ad se pertineat & utiliter a se cognoscatur, in his libris invenire poßit. Confiten- 39 See his The Correct Opening of Elementary Schools of Letters (1538) in Spitz and Tinsley 1995, 95. Xenophon, as Greek historian (with no specific work named), is viewed as suitable for private reading in the younger grades. 40 Lucian, who had been a favoured author to learn Greek from in the fifteenth century, makes no appearance at all on the Württemburg curriculum, nor is he present in Sturm’s syllabus. Interestingly Lucian’s Adversus indoctum (1523) and Demosthenes’ First Olynthiac (1524) were the first two published Latin translations of Camerarius; see Baron / Shaw 1978, 233 on the latter though they have the wrong date for the former which was published under the name Athanasius Q (= Quaestor) in Necessarias esse ad omne studiorum genus artes dicendi, Philippi Melanchthonis declamatio. Item, Luciani opusculum ad indoctum et multos libros ementem (Hagenau: Johann Setzer, 1523). Joachim Camerarius and Xenophon’s Cyropaedia 183 dum tamen est potißimum legendos hos esse ab iis, qui rempublicam administrare velint, & gubernatoribus civitatum aliisque principibus & maxime regibus. This work, therefore, was always held in the greatest admiration by all, not only on account of the description of such great things as Cicero recalls, but also for this reason, namely that both in propriety of words, and in charm of composition, and also in the gravity of opinions and the elegance of the entire description it easily surpassed all writings of everyone, even those of this very author. Nor is there any age, condition, type, or sex of human beings at all, but that it may be able to find in these books something that pertains to itself and may usefully be recognised by it. It must be admitted, nevertheless, that above all these books ought to be read by those who wish to administer a republic and by leaders of states and other princes and most of all by kings. It thus seems more than coincidental that in the educational reforms of 1559 in the Duchy of Württemburg - a Duchy Camerarius had close ties with - Xenophon’s Cyropaedia was recommended as an appropriate text for young boys to learn Greek from. 41 Bibliography Baron, Frank / Shaw, Michael H.: The publications of Joachim Camerarius, in: Frank Baron (ed.): Joachim Camerarius (1500-1574). Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation, München 1978, 231-251. Ben-Tov, Asaph: Lutheran Humanists and Greek Antiquity: Melanchthonian Scholarship between Universal History and Pedagogy, Leiden 2009. Brodaeus, Johannes: Ioannis Brodaëi Turonensis in omnia Xenophontis opera tam Graece quam Latine, Basel: N. Brylinger, 1559. Camerarius, Joachim: De tractandis equis sive ἱπποκομικός. Conversio Xenophontis de re equestri in Latinum. Historiola rei nummariae, sive de nomismatis Graecorum & Latinorum, Tübingen: Ulrich Morhart 1539. 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Pab., Leipzig: V. Papst, 1545. Camerarius, Joachim: Historia rerum gestarum in Graecia, succincta interpretatione librorum Xenophontis a Leonhardo Aretino exposita. Addita est narratio praecipuarum rerum temporis secuti prœlium ad Mantineam, usque ad Alexandrum Magnum, Leipzig: V. Papst, 1546. Camerarius, Joachim: Commentarii utriusque linguae, in quibus est διασκευὴ ὀνομαστικὴ τῶν ἐν τῷ ἀνθρωπίνῳ σώματι μερῶν, Basel: J. Herwagen 1551. Camerarius, Joachim: Hippocomicus, quae est disputatio de curandis equis. Xenophontis liber de re Equestri Latinus factus. Nomina equestria Graeca & Latina. Xenophontis libri de Repub. Lacedaemoniorum & Atheniensium. Itemque de praefectura Equestri, conversi in sermonem Latinum. Historia rei nummariae sive de nomismatis Graecis & Latinis, Leipzig: V. Pabst, 1556. Camerarius, Joachim: Libellus novus, Epistolas et alia quaedam monumenta doctorum superioris & huius aetatis complectens, Leipzig: J. Rhamba, 1568. 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Camerarius e l’ippologia Dopo Erasmo da Rotterdam Joachim Camerarius è senza dubbio il più produttivo e valente grecista tedesco del XVI secolo e, come ha messo in luce Hermann Wendorf, può essere considerato “eigentlicher Begründer der Gräzistik als Universitätsdisziplin”. 1 Studiò il greco a Lipsia sotto la guida dei migliori grecisti dell’epoca, quali Richard Crocus, Petrus Mosellanus e Johannes Mezeler, guadagnandosi sin da giovane una fama eccellente in questo campo. Nel 1519 iniziò ufficialmente la sua attività d’insegnamento del greco. Su raccomandazione di Filippo Melantone divenne infatti insegnante di latino e greco presso l’ Egidiengymnasium di Norimberga, da poco fondato; seguirono poi le chiamate all’università di Tubinga (1535) e di Lipsia (1541) in qualità di professor utriusque linguae . 2 A Camerarius si devono l’edizione e il commento di numerosi autori greci oltre che latini, compresi in un arco temporale che dall’età arcaica arriva al tardoantico. Non stupisce dunque che egli si sia occupato anche di Senofonte, autore apprezzato sin dall’antichità; dopo un sensibile declino durante il Medioevo il poligrafo ateniese ritornò in auge presso gli umanisti italiani, in conco- 1 Wendorf 1957, 34. 2 Sull’attività di Camerarius a Lipsia rimandiamo a Kößling 2001. * Vorrei ringraziare qui il prof. Thomas Baier e il dr. Ferdinand Stürner per aver organizzato questo piacevole convegno e per avermi consentito di illustrare questa mia ricerca sulle traduzioni latine degli scritti ippologici di Senofonte ad opera di Camerarius nata a margine del progetto DFG “Die Mulomedicina des Theodoricus Cerviensis und ihre Schlüsselrolle in der Überlieferung der lateinischen Hippiatrien der frühen Stallmeisterzeit Italiens” in corso presso l’Institut für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin della Ludwig-Maximilians-Universität di Monaco di Baviera. 188 Lisa Sannicandro mitanza con la diffusione dello studio del greco. 3 Manoscritti delle opere senofontee sono presenti nelle biblioteche di molti umanisti nel tardo XV sec. e nel primo XVI sec., come Palla Strozzi e Guarino Veronese. La prima edizione delle opere in greco - sia pure parziale, dato che non comprendeva l’ Agesilao , l’ Apologia di Socrate e il De vectigalibus - si deve all’editore Filippo Giunta (Firenze 1516), mentre già alla metà del XV secolo risalgono gli esperimenti di traduzione dal greco al latino di umanisti quali Leonardo Bruni ( Ierone , 1403; Apologia ; dà prova di conoscere l’ Anabasi e nel 1439 parafrasa e ricava estratti dalle Elleniche nel suo compendio in prosa Commentarium rerum graecarum ), Francesco Filelfo ( Agesilao ; La costituzione degli Spartani , 1432 4 ) e Lilio Tifernate (ancora La costituzione degli Spartani , 1470 5 ). In un primo momento i traduttori limitarono il proprio raggio d’azione agli scritti politici e filosofici di Senofonte, che offrivano precetti per la formazione dell’individuo e della società, mentre gli opuscoli di argomento ippico e venatorio apparivano meno rilevanti. 6 La prima traduzione in latino del Περὶ ἱππικῆς ( De re equestri ) di Senofonte si deve all’Anonimo di Milano (Anonymus Mediolanensis; essa è conservata alla Biblioteca Ambrosiana di Milano, P 243 sup. con il titolo De equitandi ratione all’interno di una miscellanea umanistica); in ordine cronologico seguono quelle di Camerarius nel 1539 e di Johannes Levvenklaius fra il 1579 e il 1581. 7 Anche l’ippologia figura dunque tra gli innumerevoli interessi del nostro Camerarius polyhistor , il quale redasse pure un breve trattato intitolato De tractandis equis , noto anche con il titolo Hippocomicus , dedicato all’allevamento e alla cura dei cavalli. 8 Sia la traduzione del De re equestri senofonteo che l’ Hippo- 3 Sulla ricezione di Senofonte si veda la ricca panoramica di Marsh 1992, 79-86, mentre per quanto riguarda il dibattito rinascimentale sulle opere politiche rimandiamo a Humble 2012. A Camerarius si deve la traduzione latina e / o il commento delle seguenti opere senofontee: De re equestri (1539, traduzione); Lacedaemoniorum respublica (1543, traduzione e commento); Atheniensium respublica (1543, traduzione e commento), De equitum magistro (1543, traduzione e commento), De vectigalibus (1545, traduzione e commento); Oeconomicus (1564, traduzione e commento), Cyri institutio (1572, commento). 4 Sulle traduzioni di Filelfo da Senofonte si veda De Keyser 2012. 5 Marsh 1991. 6 Cfr. Rhodes 1981. 7 Marsh 1992, 138-140. Sull’importanza del trattato senofonteo nello sviluppo dell’equitazione rimandiamo a Monteilhet 1957. 8 Com’è frequente per le opere di Camerarius, la letteratura secondaria sull ’Hippocomicus è praticamente inesistente, anche se pare che l’opera abbia goduto di un certo successo (“il suo Ippocomico ossia l’Arte di educare i cavalli […] ebbe per lungo tempo grande riputazione”, Biografia universale antica e moderna , vol. IX, Venezia 1823, 180); il trattatello è menzionato rapidamente solo da Menessier 1971, 655, il quale riferisce che l’opera, basata su fonti greche e latine, contiene buoni precetti di igiene, addestramento e cura del cavallo, frutto anche dell’esperienza personale dell’autore. Un contributo sull ’Hippocomicus è programmato a breve dalla scrivente. Joachim Camerarius e la traduzione latina del Περὶ ἱππικῆς 189 comicus furono pubblicati per la prima volta nel 1539 a Tubinga presso l’editore Ulrich Morhard insieme allo scritto di numismatica Historiola rei nummariae sive de nomismatis Graecorum et Latinorum . 9 La traduzione fu più volte ristampata; fra le edizioni successive si segnala quella di Lipsia (1556), contenente la traduzione di più opere senofontee - fra cui l’altro scritto di argomento ippologico, l’Ἱππαρχικός o De praefectura equestri 10 -, un breve glossario di terminologia equina dello stesso Camerarius basato su fonti greche e latine dal titolo De nominibus equestribus nonché i Notata in conversione libellorum Xenophontis et explicata quaedam in illis , in cui l’autore illustra i passi più complessi o meno chiari delle opere tradotte (con l’eccezione, sfortunatamente, del De re equestri ), accompagnando così il lettore all’interno del suo “cantiere” di traduttore 11 . Camerarius non è l’unico fra gli umanisti a dimostrare interesse per il mondo equino. Ricordiamo fra gli altri, già nel Quattrocento, Leon Battista Alberti autore del trattato latino De equo animante , risalente agli anni 1444-1445, frutto di approfondite letture di fonti greche e latine, 12 ed Enea Silvio Piccolomini (papa Pio II , morto nel 1464 13 ), cui si deve il trattato De naturis equorum ; oppure, al di fuori dell’Italia, l’elvetico Conrad Gesner (1516-1565), autore nel 1551 delle Historiae animalium , in cui ampio spazio viene riservato al cavallo. 14 Vorremmo inoltre ricordare numerosi umanisti tedeschi che fra il 1550 e il 1600 pubblicarono nella loro lingua almeno una ventina di opere sull’addestramento e la cura dei cavalli, quali ad esempio Johann Fayser von Arnstein (nato nel 1526), umanista ma pure Stallmeister del ducato di Franconia, peraltro discepolo del nostro Camerarius, autore nel 1576 di una Hippiatria , 15 e Markus Fugger (1529-1597), esponente della nota famiglia di mercanti di Augusta, che pubblicò nel 1578 un’opera sull’allevamento dei cavalli e sulla gestione di una scuderia dal titolo Von der Gestüterey . 16 9 Camerarius 1539. 10 L’ Hipparchikόs - il cui titolo può essere inteso sia come sostantivo (“il comandante di cavalleria”), sia come aggettivo da integrare con λόγος (ovvero “lo scritto sul buon comandante di cavalleria”) - ha come finalità la formazione del futuro ipparco (sull’opera si vedano fra gli altri Stoll 2010 e Althoff 2005). 11 Camerarius 1556. 12 Sul trattato di Alberti si veda Di Stefano 2010. 13 Del De naturis equorum abbiamo ora l’edizione a cura di Van Heck 2007, 349-367. 14 Conrad Gesner, Historiae animalium , Tiguri, apud Christ. Froschoverum 1551. 15 Johann Fayser, Hippiatria: Grundlicher Bericht und aller ordentlichste Beschreibung der bewerten Roßarzney , Augsburg 1576. Al fol. 155v l’autore definisce Camerarius “mein Hochgeliebter Herr Praeceptor”. 16 Marcus Fugger, Von der Gestüterey. Das ist ein gründtliche Beschreibung wie und wa man ein Gestüt von guten edlen Kriegsrossen auffrichten und erhalten und wie man die Jungen von einem Jar zu dem Andren erziehen soll , Frankfurt 1584. Su questa ricca trattatistica 190 Lisa Sannicandro L’attenzione degli umanisti per i cavalli è dettata innanzitutto dal desiderio di ripercorrere le tracce di quegli autori antichi che si erano occupati dell’argomento, quali Senofonte, Aristotele, Plinio il Vecchio, Columella, Palladio, Vegezio, e di proseguire in questo modo una tradizione secolare. Ma in alcuni casi vi è alla base pure una passione personale per i cavalli, che, non dimentichiamolo, erano all’epoca una presenza imprescindibile non solo in ambito militare, ma anche nella vita quotidiana. È il caso di Alberti, che sapeva cavalcare anche i cavalli più ribelli, 17 ma anche del nostro Camerarius, che possedeva cavalli 18 e amava l’equitazione e tra l’altro proprio durante il periodo di convalescenza seguito a una caduta da cavallo durante il viaggio di ritorno da Wittenberg alla fine di novembre 1538 si dedicò alla traduzione del De re equestri di Senofonte e alla stesura dell’ Hippocomicus , distraendosi così dai dolori conseguenti all’incidente. 19 2. Delectamur equis, et suave vehi esse putamus: la passione di Camerarius per i cavalli Della caduta da cavallo Camerarius fa menzione nella prefazione alla traduzione del De re equestri , dedicata al cavaliere slesiano Georg von Loxan. 20 In queste pagine dedicatorie, datate 18 marzo 1539, l’umanista di Bamberga non manca di esprimere la sua passione per l’equitazione e la sua ammirazione per l’ ordo equestris nel mondo greco, i cui membri si distinguevano per amore della virtù e per attaccamento agli antichi costumi (Camerarius, De re equestri , pref.). Analoghe considerazioni, sempre in riferimento alle traduzioni da Senofonte, sono presenti anche nello scambio epistolare con Christoph von Karlowitz (1507-1578), illustre esponente della nobiltà di Meißen, anch’egli professore in lingua tedesca rimandiamo a Cuneo 2007 (pur con alcune riserve dovute a frequenti inesattezze, anche ortografiche). 17 Cfr. Di Stefano 2010, 15. 18 Interessante il fatto che nella prefazione del suo Libellus gnomologicus (1569), dedicato a Georg Mehl, Camerarius alluda a un cavallo donatogli da quest’ultimo: litterae tuae, […] , allatae ab illo, qui equi abs te munus adduxit (Camerarius 1569, p. 22). Ringrazio il dr. Marc Steinmann (Gießen) per avermi segnalato il passo. Cfr. anche Monteilhet 1957, 36, che definisce Camerarius “homme de cheval, propriétaire d’une nombreuse écurie” (lo studioso non riporta tuttavia le fonti di queste informazioni). 19 Dell’incidente racconta Camerarius in una delle Elegiae odoiporicae intitolata Odoipoirike Saxonica ad amicos Vuitebergenses ( J. Camerarius, Elegiae odoiporicae , Argentoratum 1541, fol. B5 a -C1 a ). 20 Georg di Loxan, morto nel 1551, era procancelliere reale di Slesia. Nel 1530 era stato vicecancelliere tedesco di re Ferdinando I e comandante delle truppe imperiali a Regensburg, cfr. Woitkowitz 2009, 117 n. 3. Joachim Camerarius e la traduzione latina del Περὶ ἱππικῆς 191 all’Università di Lipsia nonché appassionato di cavalli. 21 Di particolare interesse è la lettera scritta da Camerarius a Lipsia il 16 novembre 1543. Dopo aver tradotto il De re equestri di Senofonte e redatto l’ Hippocomicus , Camerarius aveva promesso a Karlowitz di tradurre pure l’Ἱππαρχικός senofonteo, ma tale impegno era stato di continuo procrastinato a causa degli impegni legati alla riforma universitaria a Lipsia. Dopo essersi giustificato per il ritardo, Camerarius si abbandona a un elogio dell’equitazione (da lui definita res pulcerrima ) e del cavallo, l’animale nobile per eccellenza e dalle mille qualità: hoc animante acri, veloce, elegante, strenuo, forti etiam et sagace (“questo animale infaticabile, veloce, elegante, valoroso, forte e di acuta intelligenza”, Camerarius, epist . 6, 3 Woitkowitz). Ma l’equitazione non è solo attività nobile, bensì anche utile al bene dello Stato: Camerarius sottolinea infatti il ruolo fondamentale rivestito dalla cavalleria all’interno dell’esercito tedesco, che non a caso ha cominciato a mostrare segni di debolezza da quando la fanteria ne è diventato il nucleo (Camerarius, epist . 6, 5 Woitkowitz). Da menzionare è infine l’epistola in versi inviata a Karlowitz da Lipsia il 6 dicembre 1543, con la quale Camerarius accompagna la sua traduzione latina dell’Ἱππαρχικός, dedicata appunto all’illustre amico; qui ancora una volta l’umanista manifesta il proprio amore per l’equitazione: Non equites, […] , sumus, fateor, tamen et nos / Delectamur equis, et suave vehi esse putamus (vv. 72-73; “non siamo cavalieri, lo ammetto; tuttavia anche noi ci dilettiamo di cavalli e il cavalcare ci è cosa gradita”). 3. Il De re equestri: alcuni esempi di traduzione Esaminiamo ora la traduzione del trattato, che, come afferma Camerarius nella dedica a Georg von Loxan, non fu impresa facile: De conversione autem mea hoc modo dixero, me sedulo in illa elaborasse, non enim certe fuit facilis res, et non est tanta bonitas ingenii nostri, ut sine diligentiae subsidio, quicquam perficere possit. Della mia traduzione dirò quanto segue: e cioè che vi ho speso tutte le mie energie. Di certo non fu impresa facile e il mio ingegno non è così elevato da poter ottenere alcunché senza il supporto di un impegno assiduo (Camerarius, De re equestri , pref.) Fu soprattutto l’elegante concisione dello stile di Senofonte a dare del filo da torcere anche a un eccellente latinista come Camerarius, il quale in più occasioni mette in evidenza le difficoltà incontrate durante la traduzione. Ancora nella 21 Del carteggio con Karlowitz, che consta di 37 epistole in latino, abbiamo ora l’edizione a cura di Woitkowitz 2003. 192 Lisa Sannicandro prefazione egli loda lo stile chiaro e puro del poligrafo greco, che non è possibile riprodurre in lingua latina: Orationem […] studuimus attemperare ad autoris simplicitatem, et subtilem puritatem, quam in lingua latina assequi possit nemo. […] Nihil argutius neque pressius neque castigatius dici potuisset, quam ab hoc omnia dicuntur, etiam de rebus interdum grandioribus. Atque in his, […], est perspicuitas maxima. Nihil non evidens, non expressum, non dilucidum affertur. […]. Fieri autem idem in diversa lingua plane nequeat. Abbiamo cercato di adeguare lo stile alla semplicità e alla fine purezza dell’autore, che nessuno tuttavia riuscirebbe a raggiungere nella lingua latina […] Nulla si sarebbe potuto dire in modo più penetrante, più conciso, più rigoroso di quanto costui dica ogni cosa, anche su argomenti a volte più elevati. Ma pure in questi […] domina la massima chiarezza. Non viene esposto nulla che non sia evidente, chiaro, cristallino. Lo stesso non potrebbe realizzarsi pienamente in un’altra lingua (Camerarius, De re equestri , pref.) Da un esame della traduzione del De re equestri ci sembra tuttavia che Camerarius sia in difficoltà non tanto nel ricreare in latino la concisione senofontea (compito che peraltro gli riesce bene), quanto piuttosto nel rendere alcuni termini ippologici specifici. Ci sembra significativo a tale proposito che, come già accennato, nell’edizione del 1556 (quindi dopo essersi cimentato con la traduzione di entrambi gli scritti ippologici di Senofonte) Camerarius includa il glossario di terminologia equina De nominibus equestribus , nato forse dall’esigenza di fare maggiore chiarezza sul lessico ippologico e di fornire agli studiosi uno strumento valido per orientarsi in testi di argomento così settoriale, giacché, come egli puntualizza in apertura di questo scritto, prima di conoscere le cose è bene apprendere il significato delle parole che le indicano 22 . La soluzione adottata da Camerarius nel caso in cui non riesca a trovare un equivalente latino del termine greco è lasciare il vocabolo nella lingua originale, accompagnandolo eventualmente con la spiegazione del significato e con espressioni quali Graeci vocant e simili. Esaminiamo ad esempio equ . 3, 1, in cui Senofonte illustra i criteri per scegliere un buon cavallo. L’acquisto deve essere effettuato previo accurato esame dell’apparato dentario, dal momento che la presenza dei denti da latte (γνώμονες) permette di stimare l’età dell’animale: 22 In ea opinione persevero, non esse quicquam ad cognitionem ullarum rerum magis utile […] quam nominum primum exploratam significationem, deinde proprii sermonis peritiam (Camerarius, De nominibus equestribus 97; “rimango dell’opinione che per la conoscenza di ogni fenomeno non vi sia nulla di più utile […] che l’esplorazione del significato del suo nome per prima cosa, e la padronanza della propria lingua per seconda”). Joachim Camerarius e la traduzione latina del Περὶ ἱππικῆς 193 Ὁ γὰρ μηκέτι ἔχων γνώμονας οὔτἐλπίσιν εὐφραίνει οὔτε ὁμοίως εὐαπάλλακτος γίγνεται (Xen. equ . 3, 1) […] un cavallo che non ha più denti da latte non offre molte speranze e nello stesso tempo non è facile da rivendere (trad. A. Sestili) Camerarius mantiene γνώμονας nella traduzione latina, spiegando che i Greci chiamano in questo modo il dente che indica l’età del cavallo: Cui enim dens, qui aetatem notat, graeci γνώμονα vocant, excidit, neque delectat spe, neque revendibilis est (Camerarius, De re equestri 30v) 23 Nel capitolo 3 del De re equestri Senofonte accenna a un esercizio ippico chiamato πέδη. L’interpretazione data a questo termine dagli studiosi non è univoca; in ogni caso ci pare plausibile quella suggerita da Antonio Sestili. Il termine πέδη indica propriamente la pastoia, ovvero una fune che lega le zampe anteriori del cavallo realizzando una specie di 8. Secondo lo studioso πέδη avrebbe in questo passo un senso figurato e indicherebbe l’esercizio definito “otto” (le impronte del cavallo “impastoiato” sul terreno del maneggio disegnano appunto una sorta di numero otto) 24 . Ecco il testo greco: Τοὺς γε μὴν ἑτερογνάθους μηνύει μὲν καὶ ἡ πέδη καλουμένη ἱππασία, πολὺ δὲ μᾶλλον καὶ τὸ μεταβάλλεσθαι τὴν ἱππασίαν. (Xen. equ . 3, 5) L’esercizio chiamato 8 e molto più ancora il lavoro alle due mani rivelano i cavalli con barre di diversa sensibilità (trad. A. Sestili) Camerarius traduce πέδη con l’espressione equitatio catenata , che efficacemente rende l’idea del cavallo “impastoiato”, mantenendo nel contempo il termine greco: Duri quidem oris equos prodit non solum equitatio illa quasi catenata, quae πέδη dicitur, sed euidentius etiam mutata subito equitatio (Camerarius, De re equestri 31r). Un passo analogo si trova all’interno del capitolo relativo all’addestramento di un cavallo focoso (θυμοειδής), in cui Senofonte mette in luce l’importanza della voce come mezzo per calmare o incitare il cavallo a seconda delle esigenze; è essenziale tuttavia che il medesimo segnale venga utilizzato per la medesima istruzione: Εἰδέναι δὲ χρή, ὅτι δίδαγμά τί ἐστι καὶ τὸ ποππυσμῷ μὲν πραΰνεσθαι, κλωγμῷ δὲ ἐγείρεσθαι. καὶ εἴ τις ἐξ ἀρχῆς ἐπὶ μὲν κλωγμῷ τὰ πραέα, ἐπὶ δὲ ποππυσμῷ τὰ χαλεπὰ 23 I passi del De re equestri sono citati secondo l’edizione di Tubinga, 1539. 24 Sestili 2006, 78 n. 80. 194 Lisa Sannicandro προσφέροι, μάθοι ἄν ὁ ἵππος ποππυσμῷ μὲν ἐγείρεσθαι, κλωγμῷ δὲ πραΰνεσθαι. (Xen. equ . 9, 10) Occorre sapere che si insegna a calmare il cavallo con uno schiocco delle labbra e a incitarlo con uno schiocco della lingua; ma se uno fin dall’inizio presentasse le azioni gentili insieme a uno schiocco della lingua e imponesse le azioni sgradevoli insieme a uno schiocco delle labbra, il cavallo apprenderebbe a eccitarsi allo schiocco delle labbra e a calmarsi allo schiocco della lingua (trad. A. Sestili). Camerarius, De re equestri 38v: Neque hoc ignorandum, praecipi ποππυσμῷ, id est, cum labris compressis acutior quidam sonus oris editur, tum igitur doceri sciendum, equos mitigari, κλωγμῷ uero, qui sonitus fuerit palati et gutturis, incitari. At si quis initio equo offerat gratiora cum clogmo, contraria autem cum poppysmo, cito ille didicerit, poppysmo iam incitari, mitigari uero clogmo. Si noti come Camerarius mantenga nella traduzione latina il termine greco, questa volta prima in caratteri originali e in un secondo momento nella traslitterazione latina, aggiungendovi come di consueto una dettagliata spiegazione del significato. Questi pochi esempi sono solo un “assaggio” della tecnica di traduzione di Camerarius e del suo approccio allo scritto tecnico di Senofonte, al quale cerca di aderire nel modo più rigoroso possibile. La sua traduzione del De re equestri , che fu più volte ristampata, era destinata a diventare un punto di riferimento per l’ippologia del XVI secolo e a contribuire, mediante la diffusione dell’opera senofontea, allo sviluppo di questa disciplina. Ci auguriamo di aver fornito con la nostra breve analisi qualche stimolo a studiare anche questo ambito della smisurata e multiforme produzione di Camerarius. 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Wahrnehmung und Deutung auffälliger bzw. scheinbar außernatürlicher Ereignisse als göttliche Zeichen, die der sündigen Menschheit zur Warnung vor weltlichen Strafen oder eschatologischen Umbrüchen dienen, wurden im deutschen Sprachgebiet maßgeblich von protestantischer Seite gesteuert und multimedial propagiert, dabei aber überkonfessionell rezipiert. 3 Getragen und legitimiert wurden Beschreibung und Auslegung der signa durch die aus der Bibel abgeleitete christliche Pflicht, im ‚Buch der Natur‘ die durch die göttliche Allmacht und Providenz offenbarten Zeichen zu erkennen, zu interpretieren, die Deutung möglichst weiträumig zu vermitteln und dadurch salvierende Reaktionen (Gebet, Umkehr, Buße) in Gang zu setzen. 4 Im Folgenden soll nun der Beitrag, den Joachim Camerarius d.Ä. zum zeitgenössischen Prodigiendiskurs leistet, in Grundzügen skizziert werden. Mit Blick auf die „Himmelszeichen“, die coelestia prodigia , wird dargelegt, wie sich 1 Vgl. etwa die mesopotamischen Omina-Sammlungen oder das Prodigienwesen der römischen Republik (dazu Rosenberger 1998; Engels 2007). Zur Engführung der frühneuzeitlichen und antiken Prodigienkonzeption bei Konrad Lykosthenes vgl. Gindhart 2006, 195-196. 2 Laureys 2005, 202. Laureys gibt einen konzisen Überblick über die humanistische Vorzeichendeutung im 16. Jh. mit Blick auch auf die vorreformatorische Zeit. 3 Die Studie von v. Krusenstjern 1999 zeigt auf der Basis von Selbstzeugnissen aus dem Dreißigjährigen Krieg, dass in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hinsichtlich des Prodigienglaubens weder konfessionelle noch regionale oder soziale Unterschiede bestanden. Zur frühneuzeitlichen Prodigienliteratur als Betätigungsfeld vor allem protestantischer Autoren und Drucker vgl. Laureys 2005, 202; Gindhart 2006, 21-24. 4 Dazu Mauelshagen 2000; zum ‚Buch der Natur‘ vgl. auch Frank 2012, 23 mit Lit. 200 Marion Gindhart bei ihm - durchaus nicht ungewöhnlich - die theologische Bewertung dieser Erscheinungen mit naturkundlichen (auch praktisch-observatorischen), astrologischen und historisch-argumentativen Zugängen verbindet, wie Wissen vermessen und in ganz unterschiedlicher Weise literarisch aufbereitet wird und welche möglichen Ziele die diversen Formen der Wissensvermittlung verfolgen. Dabei wird auch versucht, die Kontexte und ‚Denkräume‘ zu eruieren, aus denen Camerarius Impulse für seine (literarische) Beschäftigung mit Vorzeichen erhalten konnte. 5 Die Untersuchung konzentriert sich auf drei Druckwerke, die unterschiedlichen Schaffensperioden und Textsorten angehören und die jeweils eine eigene Druckgeschichte - teilweise bis weit in das 17. Jahrhundert hinein - besitzen: Am Anfang stehen die Norica sive de ostentis libri duo (1532). In diesem Dialog dient die Kometenerscheinung des Jahres 1531 als Ausgangspunkt, um mit verschiedenen Sprecherstimmen Wissen über Himmelszeichen im allgemeinen und Kometen im speziellen zu präsentieren und damit zugleich der über dieses Wissen verfügenden Nürnberger sodalitas ein literarisches Denkmal zu setzen. Im Anschluss daran wird ein poetischer Werkverbund betrachtet, der anlässlich der Sonnenfinsternis im April 1539 in Tübingen entstand und in der Forschung bisher noch unbeachtet geblieben ist: De solis defectu anni MDXXXIX interlunii mensis Maii (1539). Die fast 20 Jahre später entstandene Leipziger Kometenschrift De eorum qui cometae appellantur, nominibus, natura, caussis, significatione (1558) wird in einer kurzen Zusammenschau gewürdigt. Punktuell ergänzend wird der terminologisch-taxonomisch ausgerichtete Commentarius de generibus divinationum (postum 1576) beigezogen. Ihm widmet sich ein eigener Beitrag von Manuel Huth in diesem Band. 6 Die zwei Bücher Norica sive de ostentis („Nürnbergisches 7 oder: über die Vorzeichen“) eröffnen mit der ebenfalls 1532 herausgegebenen Textsammlung Astrologica 8 die gedruckten Beiträge des Camerarius zu den Feldern ‚Mathematik‘, 5 Zu diesen und anderen konstellationsanalytischen Ansätzen vgl. Mulsow / Stamm 2005. 6 Manuel Huth, De generibus divinationum . Camerarius und der zeitgenössische Diskurs über die Formen der Mantik (233-260). 7 Zur Verwendung des Adjektives Noricus in diesem Sinne bei Hessus und Camerarius vgl. Ludwig 2003b, 21 Anm. 29. 8 Die Astrologica wurden - wie einige weitere Werke des Camerarius und zahlreiche astrologische, astronomische und mathematische Schriften anderer Autoren - bei Johann Petreius in Nürnberg gedruckt. Ein Verzeichnis der bei ihm erschienenen mathematischen und naturwissenschaftlichen Werke gibt das Portal „Astronomie in Nürnberg“ (www. astronomie-nuernberg.de/ index.php? category=sonstiges&page=petreius-werke-nat, Abruf am 01. 04. 2017). Die Astrologica umfassen zunächst (Teil 1) aus Ptolemaios extrahierte Tabellen mit den Eigenschaften der Planeten und Tierkreiszeichen sowie eine Reihe griechischer astrologischer Texte, die einer Sammelhandschrift aus Regiomontans Nachlass entstammen und von diesem selbst kopiert worden waren (UB Erlangen, Ms. 1227, dazu De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 201 ‚Astronomie‘ und ‚Mantik‘. Die Werke entstanden in Nürnberg, wo er knapp zehn Jahre lang (1526-1535) die neugegründete Obere Schule, das Egidiengymnasium, leitete. 9 Der Druck der Norica wurde in Wittenberg durch Philipp Melanchthon besorgt, dessen Einsatz Camerarius auch die Rektorenstelle in Nürnberg zu verdanken hatte. 10 Melanchthon schickt der Schrift eine Widmung an den namhaften Astrologen Luca Gaurico voraus. In dieser bedankt er sich coram publico für Informationen und Horoskope, die ihm Gaurico übersandt hatte, und empfiehlt das als Gegengabe beigefügte Werk und seinen Verfasser. 11 Wie Melanchthon Camerarius brieflich mitteilt, hatte er die Dedikation - anders als man vermuten könnte - nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Drängen Thurn 1980, 24-28 [A4]; vgl auch Teil 2, 1: Nam cum inter reliquias librorum Ioannis de Regiomontani reperissem unum codicem Graecum fere totum scriptum manu ipsius […]). Unter diesen befinden sich die Iatromathematica des Hermes Trismegistos und Exzerpte aus Hephaistion von Theben. Die griechischen Texte werden mit Ausnahme der Iatromathematica (entgegen dem Inhaltsverzeichnis *Iv) in einem eigenständig paginierten zweiten Teil von lateinischen Übersetzungen des Camerarius gefolgt. Zu diesen tritt eine lateinische Bearbeitung des Anfangs von Vettius Valens’ Anthologiae über die Natur der Planeten. Der griechische Teil ist - auf griechisch - Jakob Milich zugeeignet, der lateinische - auf lateinisch - Andreas Perlach. Die Widmung an Milich war von Melanchthon empfohlen worden (Brief vom 13. Januar 1532; MBW T 5, Nr. 1210, 7). Zugang zu Regiomontans Schrift- und Buchbeständen erhielt Camerarius durch seinen Kollegen am Egidiengymnasium, den Mathematiker Johannes Schöner, der Stücke aus dem Nachlass erworben hatte (Maruska 2008, 78-79) und ein Sondernutzungsrecht für die vom Nürnberger Rat aufgekauften und in die Ratsbibliothek eingegangenen Bände besaß (für diese Information danke ich Dr. Hans Gaab, Fürth). Zwei astrologische Schriften von Guarimberti (frühes 15. Jh.) und Ludovicus de Rigiis (spätes 15. Jh.), die ebenfalls aus dem Nachlass stammen, gab Camerarius seiner editio princeps der ptolemaischen Tetrabiblos von 1535 bei. Zu dieser vom ps.-ptolemaischen Karpos begleiteteten Ausgabe lieferte er eine lateinische Übersetzung der ersten beiden Bücher (mit Anmerkungen) sowie ausgewählter Stellen aus den Büchern 3 und 4. Als Ergänzung beigefügt ist deren vollständige Übersetzung aus dem Arabischen durch Plato Tiburtinus sowie die Karpos -Übersetzung Giovanni Pontanos. Auch die Druckvorlage für die Tetrabiblos -Edition stammte aus dem Besitz Regiomontans; sie ist Teil der Sammelhandschrift Cent. V, App. 8 der StB Nürnberg (dazu Neske 1997, 214-215). Diese enthält auch den Almagest -Kommentar Theons von Alexandria (vgl. Anm. 59). 9 Neben dem Rektorat bekleidete Camerarius die Professur für Griechisch und hielt Lehrveranstaltungen in Geschichte ab, wohl seit Ende 1532 auch in Latein. Zur Gründung und zum Scheitern der universitätsvorbereitenden Oberen Schule vgl. Mährle 2000, 51-58. Dazu und zum Einfluss von Joachim Camerarius und seinen Söhnen Joachim II und Philipp auf das Nürnberger Bildungswesen vgl. Mährle 2014. 10 Dazu mit Blick auf die Beurteilung des Manuskriptes durch Melanchthon Ludwig 2003b, 18-19 Anm. 23. 11 Camerarius 1532a, A1v-A2v. Zu den Horoskopen A2r: Nam quod ad me de maximis rebus gravissime scripsisti, quodque literis addidisti themata, quorum mihi cognitio pernecessaria est, facile perspexi insignem humanitatem tuam . Zur Empfehlung des Camerarius und der Norica A2r / v. 202 Marion Gindhart des Druckers Georg Rhau verfasst. 12 Die Vorteile dürften aber auch Melanchthon zupass gekommen sein: Die Autorität des Adressaten strahlte als Werbung auf den Druck ab, zugleich konnte Melanchthon sich und seinen Schüler Camerarius prominent im pro-astrologischen Feld positionieren. In den kurz darauf gedruckten Astrologica äußert sich Camerarius jedenfalls ganz im Sinne Melanchthons zur Astrologie: Sie sei eine von ihm seit jeher hochgeschätzte, empirische Wissenschaft, die auf der Auslegung astronomischer Daten beruhe und nur aufgrund abergläubischer Auswüchse in Misskredit geraten sei. 13 Formal handelt es sich bei den Norica um einen Dialog ciceronischen Typs. 14 Die Protagonisten sind Mitglieder der gelehrten Nürnberger sodalitas , die sich auf Initiative des Juristen Johann Mylius gebildet hatte. 15 Die Schrift wird als Wiedergabe eines Gesprächs inszeniert, das von und vor einigen Sodalen im Garten des Mylius geführt wurde. Ausgangspunkt ist dabei der Komet, der sich 12 Brief vom 12. März 1532, der die gedruckten Norica begleitet (MBW T 5, Nr. 1224, 1). Das Datum am Ende des Drucks (29. September) gehört nicht zum darunter befindlichen Impressum, sondern gibt den Termin des (fiktiven) Gesprächs im Jahr 1531 an. Melanchthon, der mit Camerarius vor dem Druck Passagen der Schrift diskutiert hat (z. B. Brief vom 31. Dezember 1531; MBW T 5, Nr. 1207, 2), gesteht, bei einer Ptolemaiosstelle in den Text eingegriffen zu haben (MBW T 5, Nr. 1224, 2). Gaurico jedenfalls sei erfreut über die Schrift und lasse Camerarius grüßen (MBW T 5, Nr. 1224, 1). Beide begegneten sich persönlich im Mai 1532 in Nürnberg. 13 Camerarius 1532b, Teil 2, 1-2 (aus der Widmung an Andreas Perlach). In De generibus divinationum definiert er die Astrologie als ars praeclarissima & vitae communi utilis (Camerarius 1576, 34) und verweist ebenfalls auf das Problem ihrer Kontamination. Zu Melanchthons Befürwortung der astrologia naturalis als empirischer Wissenschaft und äußerst nützlichem Teil der doctrina physica sowie zu seiner (persönlichen und praktischen) Hochschätzung einer purgierten astrologia iudiciaria vgl. Müller-Jahncke 1998; Bauer 1999, 346-352 und 375 mit Verweis auf Melanchthons Briefwechsel mit Camerarius, in dem auch Befürchtungen bezüglich der machtvollen kosmischen Einflüsse geäußert werden. Ein Beispiel dafür ist ein Brief vom 25. Februar 1539, in dem Melanchthon seine Bedenken wegen der siderischen Konstellationen und der für April zu erwartenden Sonnenfinsternis bekundet (MBW T 8, Nr. 2150, 4). Zur vielfältigen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung von Melanchthon und Camerarius vgl. Woitkowitz 1997 und 2015. 14 Ein wichtiger Prätext, insbesondere für die Ausführungen zur antiken Mantik im 2. Buch der Norica , ist Ciceros Schrift De divinatione . Der Dialog besteht wie die Norica aus zwei Büchern mit je einem Redeblock. Im ersten Buch spricht die Figur des Quintus für die Mantik, im zweiten Buch die des Cicero dagegen. Bei den Norica ergänzen sich die beiden Bücher, Gegenpositionen werden innerhalb der Einheiten verhandelt. Insbesondere im 2. Buch der Norica sind wie in De divinatione zahlreiche Verszitate eingebunden; die griechischen Zitate erscheinen dabei grundsätzlich in einer lateinischen, metrischen Übertragung unterschiedlicher Provenienz (u. a. von Hessus und Camerarius), vgl. auch Ludwig 2003b, 24-25. 15 Zu diesem Kreis, dem Reglement der Treffen, den verhandelten (auch konfliktträchtigen) Themen vgl. Kunkler 2000, 114-120, Ludwig 2003b, 19-22 und 29-31. De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 203 im Spätsommer 1531 gezeigt hatte. 16 Dieser war Gegenstand zahlreicher zeitgenössischer Ego-Dokumente; auch Melanchthon und Camerarius, die ihn beide beobachtet hatten, korrespondierten darüber. 17 Ebenso kursierten mündlich und im Druck mancherley vrtheyl 18 über diese Erscheinung. Unter anderem hatte sich zeitnah Johannes Schöner, Mathematiker, Horoskopspezialist und Kollege am Egidiengymnasium, 19 in seiner kurzen deutschsprachigen Coniectur geäußert, die er im September 1531 dem Rat und der Bürgerschaft von Nürnberg zugeeignet hatte. Um Schöners Urteil hatte Melanchthon in einem Brief vom 19. August 1531 Camerarius gebeten. 20 Die in Hoffnung auf eine finanzielle Zuwendung durch den Rat und auf den Markt hin geschriebene Coniectur bewegt sich formal und inhaltlich in den traditionellen Bahnen der ephemeren Kometenflugschriften und wurde - wohl aufgrund ihrer recht ausführlichen astrologischen Auslegung - gleich in drei Offizinen (in den reformatorischen Zentren Leipzig, Magdeburg und Zwickau) nachgedruckt; 21 Exzerpte finden sich 16 Camerarius 1532a, A7v. Die Kometenerscheinung von 1531 war eine periodische Wiederkehr des später so genannten Halleyschen Kometen (1P / Halley), dazu Stoyen 2015, 51-53; ein Verzeichnis der zeitgenössischen Kometenschriften bei Brüning 2000, 18-23. Erwähnenswert ist u. a. die Practica für das Jahr 1532 des Ingolstädter Mathematikprofessors Peter Apian. Auf ihrem Titelblatt ist das Schweifrichtungsgesetz visualisiert, das Apian aus seiner Observation des Kometen von 1531 ableiten konnte. Die antisolare Schweifrichtung ist (ohne dass er auf Apian verweist) auch Camerarius bekannt. Zu den Schriften Apians über die Kometen der Jahre 1531 und 1532 vgl. Meinel 2009, 20-21 mit Lit. 17 Zu den Ego-Dokumenten der Reformatoren vgl. Rauscher 1911. Melanchthon berichtet Camerarius von seinen Beobachtungen des Kometen in einem Brief vom 9. September 1531 (MBW T 5, Nr. 1184, 2). Er steht diesbezüglich auch mit anderen Reformatoren in Kontakt, etwa Johannes Agricola (Brief vom 21. September 1531; MBW T 5, Nr. 1187, 2-3: Brief von Agricola mit Beobachtungsdaten und Auslegung) oder Friedrich Myconius (Brief vom 29. September 1531; MBW T 5, Nr. 1192, 2) und erfragt selbst brieflich oder über Dritte Auskünfte von Astronomen und Astrologen. 18 Schöner 1531, Aiv. 19 Zu Schöners Aufgaben gehörte neben der Lehre (Quadrivium und Mathematik) auch die jährliche Erstellung von Kalendern, Lasstafeln und Prognostiken. Es gibt keine Hinweise, dass er Mitglied der sodalitas war, was sein Fehlen in den Norica erklärt. Zu Schöners Zeit in Nürnberg (1526-1547) vgl. Maruska 2008, insb. 43-45 und 54-71. 20 MBW T 5, Nr. 1178, 2 mit Observationsbericht Melanchthons, der zuvor noch keinen Kometen in Autopsie gesehen hat. 21 VD16 S 3471-S 3474. Schöner nennt seine Observationsdaten (15.-26. August 1531), erläutert die Natur der Kometen (sublunare Dampfgebilde, die unter dem Einfluss der Planeten Mars und Merkur entstehen) sowie die Größe, Klassifikation und Bedeutung der aktuellen Erscheinung (mit obligatem Bußaufruf), vgl. auch Meinel 2009, 18-20 mit Lit. Schöner publizierte aus Anlass des aktuellen Kometen im September 1531 auch Regiomontans Problemata (zum Komet 1472) bei Friedrich Peypus in Nürnberg. 204 Marion Gindhart auf einem Dresdner Flugblatt. 22 Die umfangreichen lateinischen Norica hingegen sind anders konzipiert, zielen auf ein ausschließlich gelehrtes Publikum, breiten einen regelrechten Kosmos an existentem, pluralem Kometenwissen aus und zeigen so im Vergleich, wie weit gefächert sich die frühneuzeitliche Kometenliteratur gestaltet. Camerarius adressiert die Norica an Andreas Fuchs, Domherr zu Bamberg und der protestantischen Minderheit im Domkapitel zugehörig. Er beginnt die Schrift mit einer ausführlichen Zeitklage, die in straftheologischen Reflexionen mündet. Der Komet wird schon hier als coronis und ‚letzter Mahner‘ (A7r) einer auffallenden Häufung von Prodigien interpretiert, die auf eine bevorstehende, gravierende göttliche Strafe weise. Dies ist zunächst ein typisches Sujet des Prodigiendiskurses: Auffallende Naturerscheinungen werden als Zeichen des göttlichen Zorns über die sündige und unbußfertige Menschheit gelesen; mehren sie sich, so erhält ihre Signifikanz existentielle Dimensionen. Eine zunehmende Frequenz von Vorzeichen wurde in vielen protestantischen Schriften und insbesondere in den Prodigiensammlungen für die Zeit ab den 1520er Jahren konstatiert. Im Rahmen der lutherischen Naherwartung konnten die mirabilia und insbesondere Kometen als apokalyptische Zeichen interpretiert werden, die die bevorstehende Endzeit ankündigen. 23 Camerarius nun beschränkt sich in den Norica auf die z e i t l i c h e n Unglücksfolgen, die Kometen für das irdische Leben besitzen. Auf die Eröffnungssequenz folgt zunächst jedoch recht abrupt ein ebenso bemerkenswerter wie bezeichnender Registerwechsel: In einem nüchternen Abriss nennt er Eckdaten seiner Kometenbeobachtung (A7r / v); Metaphysik und Astronomie treten also wie selbstverständlich nebeneinander. Dann schwenkt die Schrift über auf das Gespräch (A7v). Mit der Wahl der Dialogform kann Camerarius mehrere Ziele verwirklichen: Indem er das Thema ‚Vorzeichen‘ in der sodalitas verhandeln lässt, lädt er es mit Relevanz auf. Zugleich präsentiert er die Gelehrsamkeit der Nürnberger Sodalen und schreibt öffentlich die kollektive Identität der Gruppe sowie die Rolle und Bedeutung einzelner Mitglieder fest. Von diesen kann er a n d e r e Humanisten vielstimmig loben lassen, namentlich Giovanni Pontano, der als Übersetzer, Kommentator und Lehrdichter gefeiert und zitiert wird. 24 Er lässt den Leser 22 Auszlegung Johannis Schoners vber den Cometen so im Augstmonat des M. D.XXXj. jars erschinen ist , Dresden: Wolfgang Stöckel [1531] (SLUB Dresden, Sign. Astron. 572, 4; Brüning 2000, 22 Nr. 106). 23 Dazu einschlägig Barnes 1988 und 2015, Leppin 1999; vgl. als Überblick Gindhart 2006, 17-21 und insb. Anm. 85 mit Lit. Für Melanchthons Prodigienauffassung vgl. etwa die Initia doctrinae physicae von 1550 (2. Buch, An natura intendat monstrum? 152r-156v) und Bauer 1998, insb. 158-160 und 167-168. 24 Gerühmt wird Pontano für die gelungene Übersetzung (B4r) und ausführliche Kommentierung (C5r) des ps.-ptolemaischen Karpos (sent. 98-100 beziehen sich auf Kometen und De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 205 am geistreichen Witz des chorus facetus 25 teilhaben und lockert dadurch die informationsgesättigten, monolithischen Redeblöcke auf. Diese Blöcke werden vom Gastgeber Mylius wie folgt verteilt: Michael Roting, Schüler Melanchthons und Lehrer für Rhetorik und Dialektik am Egidiengymnasium, wird der erste Part (und somit Buch 1) 26 zugedacht: Er soll über Ursachen, Wesen und Folgen von coelestia prodigia sprechen und sich dabei auf die Kometen konzentrieren. Danach (Buch 2) 27 soll Joachim Camerarius, ganz seiner Neigung entsprechend, Beispiele aus der Literatur anführen. Die Entwicklung des Themas und die Verteilung erfolgt unter gegenseitigen Neckereien, wobei sich Eobanus Hessus, der 1531 noch am Egidiengymnasium als Poetiklehrer tätig war, 28 besonders hervortut. Wichtig ist ihm insbesondere, sich das ius interpellandi zu sichern, um - wo nötig - die gefürchteten Langredner Roting und Camerarius 29 unterbrechen und sich selbst einbringen zu können. Die Protagonisten Roting und Camerarius erfüllen vorbildlich die ihnen zugedachten Rollen und nähern sich der Vorzeichenthematik von zwei einander ergänzenden Seiten an: Roting tritt als Absolvent der schola Mathematicorum auf und verspricht, den Zuhörern zunächst das ganze Spektrum an naturkundlichen Kometentheorien zu präsentieren, wobei er ihnen (und den Lesern) die meteora ) sowie insbesondere für seine Lehrdichtung Meteora . Aus beiden Schriften wird ausführlich zitiert ( Karpos -Kommentar z. B. C5r-Cv; Meteora C7r). Die Meteora hatte Melanchthon 1524 mit einer programmatischen Vorrede herausgegeben und ihre Lektüre für Fragen der physiologia ausdrücklich empfohlen (Ludwig 2003b, 11). Zur Bewertung Pontanos durch Melanchthon und zu seinen ‚problematischen‘ erotischen Dichtungen vgl. Ludwig 2003b, 11-17. Zu Pontano in den Norica vgl. ebd., 26-29 und 33-37. Camerarius erklärt sich als amator aller Schriften Pontanos, insbesondere seiner Dichtungen ( Cumque illius suspicio ac admiror omnia tum carminibus mirifice capior ac demulceor . Camerarius 1532a, H3r); Cratander gab 1531 sowohl die Dichtungen Pontanos als auch Übersetzung und Kommentar des Karpos in Basel heraus. 25 So die Titulatur des Kreises durch Hessus in einem Einladungsgedicht an Mylius (Ludwig 2003b, 29-30). Zu den blandae ineptiae und pictae facetiae als Programm der Sodalität und zum Ideal des vir facetus in Pontanos De sermone vgl. Ludwig 2003b, 29-33. 26 Camerarius 1532a, B1r-D5v. 27 Ebd., D6r-H7r. 28 Hessus reichte im August 1532 beim Nürnberger Rat sein Entlassungsgesuch ein (Kunkler 2000, 118) und kehrte an die Universität Erfurt zurück. Zum freundschaftlichen Verhältnis von Camerarius und Hessus, der u. a. für Camerarius’ Astrologica das rühmende Titelepigramm verfasste, vgl. z. B. Huber-Rebenich 2001. 29 Neckend über Roting: Quem nisi fallor, si excitaverimus aures nobis sua loquacitate bene complebit (A8r). Roting bedankt sich für die Nominierung und bietet an, sich mit einem Redebeitrag an dem vates dicax Hessus zu rächen und ihn zu langem Zuhören zu zwingen (ebd.). Kunkler 2000, 116 verweist auf einen undatierten Brief von Hessus an Mylius, in dem er erklärt, er werde beim nächsten Sodalentreffen darauf achten, dass Roting und Camerarius nicht wieder zu weitschweifig werden. 206 Marion Gindhart Entscheidung für ein bestimmtes Modell überlässt. 30 Seine einleitende ostentum -Definition (die anlassbezogen auf Himmelserscheinungen begrenzt ist) ist dabei, so könnte man sagen, eine Hälfte des camerarischen Konzepts: Id [scil. ostentum] enim placet esse quiddam non naturalis qualitatis quod in coelo sive aere apparens, animos hominum insolita facie commoveat, sive, ut brevius eloquar, coeleste prodigium. (B1r) Ein ostentum sei nun aber etwas mit einer nicht natürlichen Eigenschaft, das - am Himmel oder in der Luft erscheinend - die Herzen der Menschen aufgrund seiner ungewöhnlichen Erscheinung erregt, oder, um es kürzer auszudrücken: ein Himmelszeichen. Drei Aspekte sind hier zentral: Ein himmlisches ostentum besitzt eine nichtbzw. übernatürliche Qualität, es kann sich in der Sphäre der Luft oder aber im superlunaren, kosmischen Bereich befinden und es fällt aufgrund seiner Seltenheit und Besonderheit auf. Rotings folgende distinctio unterteilt die ostenta in die weniger bedeutungsvollen, ‚kurzlebigen‘ feurigen Lufterscheinungen, die tramites , und die formstabileren, nach bestimmten Parametern auslegbaren stellae crinitae , die Kometen (B3v). Auf letztere konzentrieren sich seine weiteren Ausführungen: Auf der Basis einschlägiger antiker Autoritäten referiert Roting Theorien zu den Himmelsgegenden, in denen Kometen erscheinen, und klassifiziert diese nach ihren Formen. Ein Wechsel vom Buchzum angewandten Wissen geschieht durch eine Intervention des Hessus, der von Roting recht hartnäckig eine konkrete Klassenbestimmung des aktuellen Kometen verlangt - und erhält. Im Anschluss werden antike Theorien dargelegt, die Kometen als meteorologische, optische oder kosmische Phänomene erklären, auch werden Argumente gegen das dominierende aristotelische Dampfmodell ausführlich referiert. Als Hessus einwirft, dass die Sodalen angesichts der Vielfalt der Theorien und der Gegenargumente nun ganz verunsichert seien, 31 antwortet Roting, dass es noch eine weitere Erklärung gebe ( non valde Physicum C2v). Die Sodalen bestürmen ihn, diese zu benennen, und Roting führt nun einen metaphysischen Aspekt ein, der auf die Ausführungen des Camerarius vorverweist und die erste Definition ergänzt: Sed [scil. placet aliquibus] esse novum opus quod divinum numen fabricetur praevium magnarum cladium & horribilium casuum. (C2v) 30 Camerarius 1532a, B1r. 31 Ebd., C2v: […] dubitationibus nos replevisti . De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 207 Aber einige sind der Auffassung, dass es ein neues Werk sei, das die göttliche Macht erschafft als Vorbote großer Unglücke und schlimmer Ereignisse. Hessus, der nun wiederum eine Stellungnahme Rotings zur natura cometarum einfordert, wird diesmal allerdings - wie auch der Leser - enttäuscht, da sich Roting standhaft weigert und für die Anhänger der Superlunaritätstheorie auf seine vorherigen Ausführungen, für die Gegner auf Pontanos Karpos -Kommentar verweist (C5r-C6v). Ausführlich geht er dann zu den historisch verbürgten Unglücksfolgen der Kometen über bzw. zu den Unglücken, die aus den die Kometen verursachenden planetarischen Einflüssen resultieren, sowie zur astrologischen Auslegungspraxis der Kometenparameter. Während Hessus sich per Einwurf an einer konkreten Deutung des Kometen von 1531 versucht (D1v), wiegelt Roting wiederum ab: triste profecto erit - „etwas Trauriges wird’s in der Tat sein“ (D1v). Er verweist auf den grundsätzlich unsicheren Grund der Kometomantik (D4r), freilich nicht ohne Widerworte von Hessus, der Roting aufgrund seiner Zweifel auf dem besten Weg sieht, ein zweiter Agrippa von Nettesheim zu werden. Nichtsdestotrotz sind die Sodalen tief beeindruckt von Rotings Ausführungen (D6r). Mylius ruft nun Camerarius in die Pflicht und Hessus bemerkt, dass dieser, so wie er aussehe, schon über etwas ganz Hochtrabendes nachdenke. 32 Camerarius schlüpft nun wie Roting in die ihm zugedachte Rolle und knüpft zunächst an bereits Verhandeltes an. Er räumt ein, dass es positive ostenta gäbe (etwa den Regenbogen), dass aber Kometen oder Eklipsen definitiv nicht zu dieser Gruppe zählten (D6v). 33 Die negativen Ereignisse in ihrer Folge seien durch die Geschichte belegt und ihre unheilskündende Signifikanz sei eine Tatsache (D8r). Die Existenz der Prodigien und ihre Zeichenfunktion haben dabei ihre Voraussetzung in der Allmacht Gottes und in seinem planvollen Wirken in der Welt. Die alles vorausdenkende providentia Gottes, seine Kommunikation mit Hilfe außergewöhnlicher, von ihm verantworteter Naturerscheinungen sowie die Eliminierung des Zufalls sind Dreh- und Angelpunkte in der Rede des Camerarius. Reflexionen über das ubiquitäre Bedürfnis der Menschen, die Zukunft vorauszuwissen, über Freiheit und Determination menschlichen Wollens und Handelns (mit klarer Aussprache für letztere) sowie über den Nutzen, Einblicke 32 Ebd., D6r: Hunc igitur Hessus nisi sponte sua prodierit excitemus inquit, meditantem aliquid excelsum, ut de vultus severitate animadverti potest. Neque vero quicquam ille humile molitur, ac semper ardua pieridum peragrat loca . (ebd.) Vgl. Lucr. 4, 1-2: Avia Pieridum peragro loca nullius ante / trita solo […]. 33 Camerarius wundert sich, warum Plinius das sidus Iulium als positives omen bewertet, cum Romana res tum in Tyrannidem non dubie commutata (ebd., D7v). Die positive Bewertung des Kometen unter Nero durch Seneca führt er auf die spezielle Konstellation der beiden zurück (ebd., D8r). 208 Marion Gindhart in die Zukunft und kommende Katastrophen zu haben, 34 ergänzen seine Ausführungen. Das manilische Fata regunt orbem et certa stant omnia lege (Manil. 4, 14; F5v) wird zum Motto: Alles, was geschieht, ist fatale , und auch wie es geschieht. 35 Und alles Außergewöhnliche wird von Gott mit außergewöhnlichen Zeichen angezeigt: Nihil eximium, memorabile, magnum extiterit non ante designatum (F8r). Ebendies weist Camerarius mit einem erneuten Rekurs auf Manilius und durch eine lange Liste von exempla nach, für deren sorgsame Zusammenstellung er ausdrücklich von Mylius (also von sich selbst) gelobt wird. 36 Dabei wird auch noch einmal die Hochschätzung Pontanos in der sodalitas festgeschrieben 37 und mit 30 Versen aus den Meteora unterlegt. Die Ausführungen enden mit Allgemeinplätzen zu den Folgen des aktuellen Kometen 38 und einem Aufruf zu Gebeten, um diese abzuwenden. Und damit werden Treffen und Gespräch beendet. Ihres lokalen Titel entkleidet werden die Norica als De ostentis zwanzig Jahre später in Basel noch einmal neu herausgegeben und zwar gemeinsam mit zwei anderen themenverwandten Schriften: Konrad Lykosthenes verbindet 1552 in einer Sammelausgabe den Liber prodigiorum des spätantiken Autors Iulius Obsequens, den er supplementiert und mit zahlreichen Holzschnitten versehen lässt, mit einer Neuausgabe der drei Bücher Dialogi de prodigiis des Polidoro Virgili, in denen eine Vielzahl mantischer Diziplinen und ostenta be- 34 Ebd., F6v: Iam ipsam praecognitionem venturorum malorum, salutarem multis fuisse comperimus, Qui moniti aut impendentia infortunia subterfugerunt, aut provisa praemeditataque sunt experti leviora. Repentina enim & inopinata omnia profecto graviora sunt . 35 Vgl. auch ebd., F2v: Alligantur ergo & consilia & manus nostrae fatalibus quibusdam vinculis, Neque multo certe magis penes nos sunt quam eventus ac casus . Zu Melanchthons Ablehnung eines stoischen Fatalismus und seiner daraus resultierenden eklektischen Maniliusrezeption vgl. Bauer 1998, 161-167. 36 Ebd., G1r: […] tamen iuvabit tuo studio collecta quasi in prolata tabella uno intuitu aspicere . Zu frühneuzeitlichen Kometenkatalogen und exempla -Listen Gindhart 2006, 183-213; Mosley 2013, insb. 1-18. 37 Camerarius bietet den Sodalen zum Komet 1472 ein Zitat aus Pontano an, was Mylius freudig aufnimmt (ebd., H3r): De quo si placet audite quae Pontanus cecinit. - Quid ni inquit placeat Mylius, ut unus respondeam pro omnibus? Sed videre Pontani magnus amator esse Ioachime, qui quidem memoriter illius scripta teneas. - Sum profecto inquam ac maior quidem quam tu suspicere. Cumque illius suspicio ac admiror omnia tum carminibus mirifice capior ac demulceor . Kurz darauf zitiert er auch aus der Theokrit -Übersetzung des Hessus, um zu zeigen, dass er nicht nur Pontano auswendig kann - und um Hessus zu schmeicheln (H3v). 38 Ebd., H6r: Non enim quicquam melius haec Stella afferet quam aliae huius generis ante. Post quas quia semper bella, motus, pestilentiam, famem secutam audivistis, quid dubitatis, quin similia de hac quoque expectanda sint . De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 209 nannt und kritisch diskutiert wird, 39 und mit der Schrift des Camerarius. In diesem Sammeldruck werden also Prodigienschriften ganz unterschiedlichen Zuschnittes vereint: Der - sprachlich reduzierte aber durch die Bildausstattung und die geballte Evidenz der historia wirkende - Katalog des Obsequens sowie die Schriften der Zeitgenossen Virgili und Camerarius, die in verschiedenen Spielarten des Dialogs die prodigia ganz unterschiedlich behandeln und in ihrer Relevanz bewerten. Lykosthenes’ Sammelausgabe war überaus erfolgreich: Sie wurde bereits 1553 von Jean de Tournes in Lyon nachgedruckt, erschien 1554 in italienischer Übersetzung und wurde 1589 erneut aufgelegt. 40 Die in den Norica so prominent herausgestellte Hochschätzung Pontanos und insbesondere die seiner Lehrdichtungen Urania und Meteora , hat - mit dem Einfluss antiker Prätexte und sicherlich auch Lorenzo Bonincontris 41 - Camerarius zu eigenen, im Schaffen deutscher Humanisten bisher singulären Projekten inspiriert. So fällt in das Jahr 1535 die Erstausgabe seiner meteorologischen und astronomischen Lehrgedichte: der Aeolia über die Winde und - in produktiver Rezeption des Arat und der Arattradition - der Phainomena und Prognostica (die dem aratischen Teil der Diosemeia entsprechen). 42 Kometen und andere 39 Die Dialogi , die 1526-1527 entstanden, wurden 1531 in Basel erstmals gedruckt ( Johann Bebel / Michael Isengrin). Anders als in den Norica liegen hier keine monologischen Ausführungen vor; inszeniert wird vielmehr eine dialogische Gesprächssituation zwischen Virgili und Robert Ridley, wobei die Rollen der Protagonisten wie später bei Camerarius im Vorfeld klar definiert und entsprechend ausgefüllt werden: Der historisch versierte Virgili stellt mantische Verfahren und Vorzeichen vor, Ridley stellt sie - mit einem zumeist negativen Urteil - auf den Prüfstand. Angesiedelt sind die Dialogi als dreitägige Unterredung auf Virgilis Landgut zwischen London und Cambridge. Vgl. dazu Hay 1952, 34-45; Céard 1977, 162-170; Ludwig 2003b, 25-26, der in den Dialogi einen „entscheidenden literarischen Impuls“ für die Norica sieht (ebd., 25). Zu Lykosthenes, seiner Bewertung von Prodigien und der genannten Sammelausgabe vgl. Laureys 2005, 210-215; Gindhart 2006, 191-197. 40 Damiano Maraffis italienische Übertragung verzichtet bei den Norica auf die Dedikation Melanchthons an Gaurico. Die 1555 ebenfalls bei de Tournes gedruckte französische Übersetzung von Georges de La Bouthière enthält aufgrund ihres mantik- und prodigienkritischen Anliegens die Norica nicht (Céard 1977, 162-163; 174-175). Zitiert werden die Norica u. a. in Jakob Milichs Pliniuskommentar, Caspar Peucers Divinationsenzyklopädie, Ludwig Lavaters und Georg Caesius’ Kometenkatalogen oder in der Kometenschrift des Camerariusschülers Johannes Praetorius (Mosley 2013, 6 Anm. 20; 11; 12; 16). Kritisiert wird Camerarius von Kometomantikgegnern wie Marcello Squarcialupi (Mosley 2013, 21). 41 Melanchthons Wertschätzung von Bonincontris De rebus naturalibus et divinis (Fassung für Ferdinand von Aragonien) belegt ein Brief vom 29. Juni 1532 an Camerarius (MBW T 5, Nr. 1261, 4), dazu Heilen 1999, 214-216. 42 Zu Camerarius’ Arbeit an seinen aratischen Lehrgedichten „mit Hilfe der gesamten Arattradition“ und anderer, einschlägiger antiker Autoren und Werke vgl. Ludwig 2003a, 113-127, Zitat 115. Mit einigen anderen Texten astrologischen und diätetischen Inhaltes 210 Marion Gindhart ostenta mit ihren traditionellen Folgen werden kurz in den Prognostica (35v) gelistet. Sie bringen nicht nur einen annus squalorifer , sondern mala non parvo commemoranda libro . Diesen Lehrdichtungen und kurzen astrologischen carmina des Melanchthonkreises 43 nahe steht ein bisher unerschlossenes Werk bzw. ein Werkverbund, der aus Anlass der bevorstehenden Sonnenfinsternis im April 1539 entstand und den Camerarius unter dem Titel De solis defectu anni MDXXXIX in Tübingen drucken ließ. Seine Bedenken bezüglich der bevorstehenden Eklipse hatte Melanchthon gegenüber Camerarius bereits in einem Brief vom 25. Februar geäußert. 44 Dessen gedruckte Reaktion auf das Ereignis umfasst 7 Blatt und erfolgt, was der Titel nicht vermuten lässt, in gebundener Sprache. Die Schrift beginnt mit einer Dedikation in Prosa an Nikolaus I. Buchner. Dieser war seit 1538 Abt im schwäbischen Kloster Zwiefalten und Camerarius durch seine studia humanitatis und den pädagogischen Impetus über die Konfessionsgrenzen hinweg verbunden. 45 Daran schließen sich drei Gedichte an. Das erste ist in Latein verfasst und hat einen Umfang von 22 elegischen Distichen. Es stammt, so Camerarius in der Widmung, von einem mittellosen, aber hochbegabten Tübinger Studenten: dem späteren Nürnberger Stadtarzt Heinrich Wolf. 46 Diesen hatte er aufgefordert, anlässlich der bevorstehenden Sonnenfinsternis am 18. April 47 ein Gedicht zu verfassen, um die Kommilitonen ‚einzuladen‘, das Ereignis zu erscheinen die in elegischen Distichen verfassten Lehrgedichte im kommenden Jahr 1536 unter dem Titel Opuscula aliquot elegantissima , dazu Ludwig 2003a, passim. 1537 gibt Melanchthon zusammen mit seinen Mathematicarum disciplinarum tum etiam Astrologiae Encomia die Phaenomena des Camerarius noch einmal heraus. 43 Etwa den in der Appendix von Bonincontri 1540 versammelten Eklipsen-Dichtungen, vgl. unten 213 und Anm. 57. 44 Vgl. oben Anm. 13. 45 Camerarius 1539, a2v. Die Dedikation an Nikolaus datiert einen Tag nach der Sonnenfinsternis (19. April 1539). 46 Heinrich Wolf aus Oettingen im Ries war der jüngere Bruder von Hieronymus Wolf. Hieronymus wiederum war als ehemaliger Schüler des Camerarius am Egidiengymnasium diesem - wie u. a. seine Briefe zeigen - bis zu seinem Tod verbunden und hat sich als späterer Rektor des Augsburger Anna-Gymnasiums und Stadtbibliothekar große Verdienste um die Fuggerstadt als Zentrum der studia humaniora erworben. Zu Heinrich Wolf vgl. Telle 2011 mit Lit. und Zäh 2005, 107-109 zu den schwierigen familiären Verhältnissen. Teile des Briefwechsels von Hieronymus (darunter auch Briefe von und an Camerarius seit 1542) hat Helmut Zäh ediert und über CERA online zugänglich gemacht (www.uni-mannheim.de/ mateo/ cera/ autoren/ wolf_cera.html, Abruf am 01. 04. 2017). Die Briefe Heinrich Wolfs (auch an Camerarius) sind in Abschrift im sogenannten ‚Oettinger Briefbuch‘ (Schloss Harburg, Sign. Oe. B. VII, 2°, 6) überliefert, eine Edition ist in Planung. Heinrichs Hinwendung zum Paracelsismus brachte ihn als Stadtarzt in Nürnberg u. a. in Opposition zu Joachim Camerarius d. J. (Telle 2011, 545). 47 Die Eklipse war in Tübingen wie in anderen Teilen Deutschlands nur als partielle sichtbar, als totale konnte man sie lediglich in Spanien und im äußersten Süden Italiens beobachten. De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 211 observieren, zu verzeichnen und: zu deuten. 48 Camerarius selbst ließ auf Wolfs Gedicht zwei eigene Dichtungen folgen, eine in 57 lateinischen Distichen (c. I), eine in 71 griechischen Hexametern (c. II ). Als Ergänzung zu den wenigen Untersuchungen, die sich den griechischen Dichtungen des Camerarius widmen, 49 wurde letztere im nachfolgenden Beitrag von Dominik Berrens (221-232) ediert und übersetzt sowie mit einem Similienapparat und einem kurzen sprachlichen Kommentar versehen. Camerarius dürfte mit dem Werkverbund, den er als Professor in Tübingen (1535-1537 lingua Graeca , 1537-1541 lingua Latina ) herausgab, 50 mehrere Anliegen verfolgt haben: Generell erlauben ihm die Dichtungen, sich als befähigten Vertreter seiner Fächer 51 und poeta doctus zu profilieren, der souverän und in gebundener Sprache, in Latein wie in Griechisch, über ein anspruchsvolles Thema - eine bevorstehende Eklipse sowie deren Observation und Deutung - schreiben kann. Zugleich schließt er sich insbesondere mit seiner lateinischen Dichtung an die astrologischen Gedichte der Wittenberger Kollegen und an ihren Kreis an. Seine carmina und die Auftragsdichtung Wolfs signalisieren zudem, dass Camerarius als Repräsentant der Tübinger Artistenfakultät (und Schüler Melanchthons) der astronomischen Praxis und der Beobachtung kos- 48 Camerarius 1539, a2r: Is igitur hortatu meo proposuit carmina quaedam quibus invitaretur nostra adolescentia ad futuri defectus Solaris luminis observationem . Wolf fordert in seinem Gedicht (a3r / v), das auf den 19. März datiert und an die studiosi bonarum artium gerichtet ist, dieselben auf, bei ihren Beobachtungen alle relevanten Konstellationen und Parameter zu notieren (vv. 17-24) und sie dann auszuwerten bzw. auszulegen: His ita, ceu par est, studiosa mente notatis / Ad curam monitus vertito deinde tuam. / Cogita & insuetas moneant quae eventa tenebras, / Quodve secuturum sit mala signa malum (vv. 25-28). Darauf folgen eine Liste der üblichen Unglücksfolgen (Fazit: Quidquid erit, foelix exitus esse nequit v. 32) und ein Aufruf zu Gebeten an Gott, den allmächtigen Schöpfer und Weltenlenker, der den Bittenden hilft und die Hochmütigen straft: Ille potest haec ad meliorem ducere finem / Et cum sole dies restituisse bonos (vv. 37-38). 49 Zu den beiden griechischen Dichtungen im Libellus continens eclogas (Eklogen 16 und 17) und zum Iolla z. B. Mundt / Schäfer / Orth 2004, 108-131; 196-199; 208-215; 266-290; 299-302 mit Lit. (XVIII; 309-317); zu einer Psalmenversifikation des Camerarius vgl. Weng 2003. Dazu tritt der Beitrag von Jochen Walter über die Capita pietatis in diesem Band (23-57). 50 Camerarius zog im August 1535 von Nürnberg nach Tübingen, nachdem er dem Ruf auf die dortige Gräzistikprofessur gefolgt war, den der ursprüngliche Wunschkandidat Jakob Micyllus abgelehnt hatte. Ulrich von Württemberg hatte 1534 nach der Schlacht von Lauffen mit der Reformation des Landes begonnen, und Camerarius spielte eine zentrale Rolle bei der Reorganisation der Artistenfakultät (1534-1537). Im April 1537 wurde er mit Johannes Brenz zum herzoglichen Kommissar ernannt, 1538 (1. Mai-18. Oktober) zum Rektor gewählt. Zur Reform der Fakultät zusammenfassend Hofmann 1982, 4-15. 51 Camerarius las zunächst griechische und lateinische Sprache und Poetik. Er übernahm nach der Berufung von Matthias Garbitius auf die Lateinprofessur (Ende 1537) dessen lectio , während Garbitius zur lingua Graeca wechselte (Hofmann 1982, 14; 129; 247-248). 212 Marion Gindhart mischer Phänomene einen hohen Stellenwert beimisst. 52 Die Astronomie ist für ihn, so Camerarius an Buchner, eine disciplina admirabilis et vere coelestis . Schließlich besitzen die Dichtungen auch eine wichtige protreptische Funktion: Indem die Leser sich die drohenden Folgen der Finsternis vergegenwärtigen, sollen sie zur cura pietatis ac religionis bewegt werden. 53 In der Tat zeigt sich Camerarius in Prosa und (lateinischer) Dichtung mit der astronomischen Beobachtung wie auch mit der astrologischen Auslegung und theologischen Deutung von Eklipsen vertraut: Er vermerkt, dass er bei der Bestimmung des Zeitpunktes der Verfinsterung von den Daten der Tafelwerke abweiche (Dedikation, a2r), und benennt die Instrumente und Hilfsmittel, mit denen man sich für die Beobachtung zu rüsten habe (c. I, vv. 23-26). Er äußert sich Ptolemaios folgend über die astrologisch relevanten Parameter (Dedikation, a2r / v), gibt eine Schritt-für-Schritt-Anweisung zur Observation und zu ihrer Vorbereitung und verzeichnet selbst ein Horoskop für die Eklipse (c. I, vv. 33-68). Komplementär zu diesem astronomisch-astrologischen Zugriff auf das Phänomen ‚Sonnenfinsternis‘ spricht sich Camerarius in Dedikation wie Dichtungen vehement für ihre Signifikanz als göttliches Zeichen kommender Unglücke aus und verweist hierzu auf die Vernunft wie auch auf die Evidenz der Geschichte. 54 So wird in dem lateinischen carmen - in Rekurs auf die Flucht der Dike im eisernen Zeitalter - den Musen die Flucht aus der bildungsfeindlichen, ‚barbarischen‘ Welt nahegelegt, 55 ebenso der religio , die bedroht werden wird und in deren Namen man Kriege führen werden (c. I, vv. 85-108). Dieses düstere 52 Bis 1507 wurden an der Tübinger Artistenfakultät keine Vorlesungen in den mathematischen Fächern gehalten. Dies änderte sich mit der Anstellung Johannes Stöfflers, der bis zu seinem Tod 1531 an der Universität tätig war und Studenten wie Melanchthon prägte. Sein Nachfolger Philipp Imser, Schüler und zeitweiser Hausgenosse Stöfflers, der nach einem Interim in Freiburg im Mai 1537 an die Tübinger Universität zurückkehrte, war ebenfalls ein ausgewiesener Astronom und fertigte wie sein Lehrer Globen, Uhren und andere Instrumente. Von ihm hatte die Fakultät 1538 instrumenta mathematica gekauft und in Folge Himmelsgloben sowie astronomische Tafeln erhalten (Hofmann 1982, 131 und 143-144 zu Imser; Betsch 2008 zu Stöffler und Imser). 53 Camerarius 1539, a2r. 54 Als ungewöhnliche Naturerscheinungen besitzen Sonnenfinsternisse eine spezielle Bedeutung, insbesondere für diejenigen, die sie als totale wahrnehmen: Eis enim [scil. apparens ἔκλειψις] maxime scilicet portendit, quibus quasi obducitur. Nullas autem esse in his eventuum singularium significationes, non ratio modo, sed omnium temporum consensio & notatio redarguit. Estque opinio haec erroris paucorum vecordium & amentium, a quibus libenter dissentire debemus (a2v). Als historisches exemplum verweist Camerarius (ebd., mit Zitat aus Thuk. 1, 23, 3) auf eine Reihe von signa während des Peloponnesischen Krieges, darunter eine auffällige Häufung von Sonnenfinsternissen. Vgl. auch Camerarius 1539, c. I, vv. 77-80: Sunt ergo nobis haud frustra ostensa, animosque / Moverunt iustis sollicitudinibus. / Certe tristis enim portenditur exitus, Et nox / orta feret claro gaudia nulla die . 55 Zur barbaries als Kampfbegriff der Humanisten um Melanchthon Ludwig 2003b, 41-42. De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 213 Bild steht dabei in denkbar größtem Gegensatz zum Anfang des Gedichtes, das gut lukrezisch und passend zum Monat April mit einem Frühlingsidyll unter der Regentschaft der Venus begonnen hatte (c. I, vv. 1-16), in das dann die Finsternis einbricht (c. I, vv. 17-20). Gemildert wird das Niedergangszenario durch eine Wendung an den allmächtigen Gott, der um Schonung und Unversehrtheit in Bezug auf Seele und Glauben gebeten wird (c. I, vv. 109-114). Die griechische Dichtung lässt eine Erzählerfigur auftreten, die retrospektiv und plastisch von einem Eklipsenereignis berichtet (c. II , vv. 2-8), um danach in Apostrophen an Gott über die gravierenden Folgen dieses Zornzeichens für die Sünder und Hochmütigen zu reflektieren (vv. 9-20). Breit ausgeführt wird proleptisch die letztgenannte Folge, die Landstrafe ‚Krieg‘ (vv. 21-58), die einen Niedergang der Bildung (und somit auch der Moral) nach sich ziehen werde (vv. 21-24). Implementiert in die desillusionierte Phänomenologie des Krieges ist ein Dialog zwischen zwei Kämpfern, von denen einer zu Gebeten an Gott mahnt, damit dieser sich in seiner Allmacht und Güte erbarme (vv. 40-58). Den beiden Figuren gegenübergestellt wird eine Gruppe von ‚Epikureern‘, die sich nicht um göttliche Instanzen und ihre Zeichen kümmert, sondern stattdessen ein ausgelassenes Leben führt (vv. 59-68). Was letzendlich passieren werde, wisse aber nur Gott (vv. 69-71). Das gesamte Werk mit Dedikation erschien im Folgejahr in einer Appendix, die Luca Gaurico seiner überarbeiteten Neuausgabe von Bonincontris Lehrgedicht De rebus naturalibus et divinis beigab. 56 In diesem Anhang befindet es sich in Gesellschaft einiger carmina Wittenberger Gelehrter, 57 die sich überwiegend Sonnen- und Mondfinsternissen der 1530er Jahre widmen und damit Stellenwert, Wahrnehmung und produktive Rezeption derselben im Kreis der Reformatoren demonstrieren. Beigefügt findet sich dort auch ein Gedicht des Camerarius zur Sonnenfinsternis von 1540, das er dem Basler Drucker Johannes Oporinus gewidmet hat. 58 56 Bonincontri 1540, die Appendix L1r-O3v (zur Ausgabe Heilen 1999, 161-162 und 173-182). Gaurico hatte Bonincontris Dichtung an Ferdinand von Aragonien bereits 1526 in Venedig drucken lassen (ebd., 160-161 und 164-172). Da der Druck zahlreiche typographische Fehler aufwies, entschloss sich Gaurico zu einer korrigierten Neuausgabe. 57 Namentlich Philipp Melanchthons, Johann Stigels, Georg Aemilius’ (Oemler), Melchior Acontius’. Von Acontius ist zudem ein Carmen in Meteora Plinii beigegeben. Es bezeugt die naturphilosophische Bedeutung des zweiten Buches der Naturalis historia , die es durch die Kommentare von Philipp Ziegler (1531) und insbesondere von Jakob Milich (1535) in Wittenberg gewonnen hatte (vgl. Mosley 2013, 5-6). Zu den astrologischen Dichtungen von Melanchthon und seinem Kreis, darunter auch Gedichte über Eklipsen und Kometen, und zu den dahinter stehenden Prodigienvorstellungen vgl. Bauer 1998 mit deutscher Übersetzung der Kasualcarmina Melanchthons. 58 De solaris luminis obscuratione, quae accidet Anno […] M. D.XXXX. […] Elegidion , in: Bonincontri 1540, N4v-O2v. 214 Marion Gindhart In größerem Umfang zu Vorzeichen äußert sich Camerarius in gedruckter Form erst nach einer fast zwanzigjährigen Pause 59 anlässlich der Kometenerscheinung im August 1558. 60 Mit De eorum qui cometae appellantur nominibus lieferte er eine fast 100 Seiten starke Schrift, die er an seinen langjährigen Korrespondenzpartner Christoph von Karlowitz richtete. 61 Sie besteht aus zwei Teilen. Die einleitende, kurze Disputatio de cometis (1-21), bewegt sich inhaltlich wie methodisch in ähnlichen Bahnen wie die Norica , mit denen Camerarius sich in der Zwischenzeit jedoch unzufrieden zeigte (3-4). Terminologische und klassifikatorische Aspekte sowie Theorien zu Entstehung und Wesen der Kometen, zu ihren Bedeutungen und Folgen werden in Dialog mit der Antike (und Albumasar) referiert und dem Leser quasi zur ‚freien Verfügung‘ überlassen. 62 Lediglich die Erklärung der Kometen als rein optische Phänomene wird nun dezidiert abgelehnt. Camerarius berichtet von eigenen Kometenbeobachtungen seit den 30er Jahren und rekurriert auch auf das durch Peter Apian 1531 entdeckte Schweifgesetz, demonstriert also seine Observationspraxis wie auch seine Vertrautheit mit den neuesten, kometologischen Erkenntnissen. Davon unberührt bleiben Kometen die Boten kommender Unglücke, die man allerdings mit Blick auf die Geschichte und ihre Wechselfälle leichter schultern kann. Ebendazu dient der zweite, umfangreiche Teil, die Exempla historiarum (21-92). Anders als bei der katalogartigen exempla -Liste der Norica wird hier 59 Auch im Bereich der ‚Astronomica‘ und ‚Mathematica‘ publizierte Camerarius zurückhaltend: Den Almagest -Kommentar Theons von Alexandria gab er nicht selbst heraus, sondern sendete die ihn enthaltende Handschrift aus dem Regiomontan-Nachlass an Simon Grynäus, der den (teilweise ergänzten) Text seiner Almagest -Ausgabe von 1538 beifügte (vgl. Scheible 1989). Camerarius stellte ihm eine Widmung an den Nürnberger Rat voran, der durch die Leihgabe der Handschrift die Edition ermöglich hatte. 1549 besorgte er zusammen mit dem Kopernikaner Georg Joachim Rheticus eine illustrierte griechisch / lateinische Ausgabe der Elementa Euklids, für die er die Übersetzung beisteuerte. 1557 erschienen unter dem Titel De Graecis Latinisque numerorum notis eine mathematische Schrift zu Zahlensystemen und -notationen und zu den Grundrechenarten sowie ausführliche Explicatiunculae zur Arithmetik des Nicomachus von Gerasa. 60 Es handelt sich um den Kometen C / 1558 P1. 61 Die Schrift sollte ursprünglich eine kritische Positionierung zu den Druckwerken sein, die auf den Komet von 1556 reagierten (über den sich Karlowitz und Camerarius auch ausgetauscht hatten), doch brachten erst die aktuelle Erscheinung und ein Brief von Karlowitz die Arbeit zum Abschluss (Camerarius 1558, 1-2). Zur Korrespondenz der beiden bis ins Jahr 1553 vgl. Woitkowitz 2003. 62 Vgl. etwa zu Ursprung und Wesen der Kometen: Verum de natura & origine Cometarum, id quisque licet, sentiat, quod ipsi probatur maxime, & veri esse similimum videtur (Camerarius 1558, 13). Die Kometendefinition ist so offen, dass sie sowohl für Subwie Superlunaritätsbefürworter akzeptabel ist: esse hoc corpus quoddam fulgens, &, ut videtur, rotundum, & aliqua de caussa radiis hanc aut illam formam exprimens (Ebd., 14). Auf die Disputatio de cometis als kometologischen Grundlagentext wird Camerarius später in De generibus divinationum verweisen (Camerarius 1576, 43). De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 215 ein deutlicher Schwerpunkt auf die Schilderung der römischen Bürgerkriegszeit gelegt 63 - man darf vermuten, warum. Auch diese Schrift erwies sich als überaus beliebt: Sie erhält bereits im Folgejahr 1559 eine unveränderte Neuauflage und wird in den kommenden Jahrzehnten immer wieder nachgedruckt, stets in Zusammenhang mit Kometenerscheinungen, namentlich denen der Jahre 1577 ( ND Leipzig 1578), 1582 ( ND Leipzig 1582) und sogar noch 1661 ( ND Braunschweig 1661). Eine deutsche Teilübersetzung durch Blasius Fabricius erfolgte - mit beeindruckendem Titelblatt und allen Christen diser zeit hoch von noͤ ten zů wissen - im Jahr 1561 [Abb. 1]. 64 Wir sehen: Die literarische Beteiligung des Camerarius am frühneuzeitlichen Prodigiendiskurs zeichnet sich durch eine Gattungsvielfalt und eine bemerkenswerte longue durée aus. In ihrer Offenheit, was virulente naturkundliche Fragen betrifft, waren Werke wie die Norica oder die Kometenschrift von 1558 zeitlose, wertvolle Wissensspeicher, welche die Vorzeichen aus komplementären Perspektiven, auf der breiten Basis von antiken Zeugnissen, der Evidenz historischer exempla , eigener Beobachtung und zeitgenössischen Deutungsangeboten betrachteten und dabei grundsätzlich von einer in der göttlichen Allmacht und Providenz begründeten Signifikanz ausgingen. Die polyvalente Kombination von Wissensvermittlung und gelehrtem self-fashioning verlieh dabei dem Thema eine besondere Wertigkeit, die durch gekonnte poetische Projekte in Latein und Griechisch noch gesteigert wurde. 63 Die Bürgerkriege und ihre Ereignisse werden in nahezu epischer Breite ausgeführt. Für die frühe Kaiserzeit werden die Gräueltaten Neros, der Jüdische Krieg oder der Vesuvausbruch mit Kometenerscheinungen in Verbindung gebracht, danach bewegt sich der historische Überblick in raumgreifenderen Schritten bis in das Mittelalter. 64 Fabricius 1561. Die Übertragung setzt erst am Ende der Disputatio ein, blendet also die gelehrte Diskussion aus. 216 Marion Gindhart Anhang Abb. 1: Titelblatt der dt. Teilübersetzung von Camerarius’ Schrift De eorum qui cometae appellantur nominibus (Fabricius 1561, Expl. BSB München, Hom. 1539 Beibd. 6, A1r, urn: nbn: de: bvb: 12-bsb11 008 001-9). De ostentis. Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius 217 Literaturverzeichnis Barnes, Robin Bruce: Prophecy and gnosis. Apocalypticism in the wake of the Lutheran Reformation, Stanford 1988. Barnes, Robin Bruce: Astrology and Reformation, Oxford 2015. 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XXXIX . interlunii mensis Maii . 1 Zum anderen findet sie sich mit Eklipsendichtungen Wittenberger Gelehrter im Anhang der überarbeiteten Ausgabe von Lorenzo Bonincontris De rebus naturalibus et divinis , die erneut Luca Gaurico besorgt hat. 2 Da die Druckversionen keine semantisch signifikanten Varianten aufweisen, wurde auf einen kritischen Apparat verzichtet; die wenigen orthographischen Versehen wurden stillschweigend korrigiert. Text Περὶ τῆς ἡλιακῆς ἐκλείψεως ἔτους ἀπὸ θεογονίας, ,α λ’ φ’ θ’ 3 τῇ τοῦ σκιρ[ρ]οφοριῶνος νεομηνίᾳ. Παρῳδικῶς. ἆ δειλοὶ θνητῶν τί νυ νῷ 4 μήκιστα γένηται; (Hom. Od . 5, 299; 465) ἤματι μὲν σκότος ἠδ’ ἔρεβος κατέμαρψε φαεινῷ ἠέρα καὶ γῆν αἰφνιδίως, φῶς δ’ ἔσβεσεν ὄρφνη θεσπεσίη δύσμορφος, ὀρώρει δ’ οὐρανόθεν νύξ, (Hom. Od . 9, 68-69 = 12, 314-315) 1 Camerarius 1539, a6r-a7r, vgl. oben Gindhart 210-211. 2 Bonincontri 1540, N2r-N3r, vgl. oben Gindhart 213. 3 ,α = 1000; λ’ = 30; φ’ = 500; θ’ = 9. Die Reihenfolge ,α φ’ λ’ θ’ wäre eigentlich die übliche. 4 νῷ ist strenggenommen der Dual („uns beiden“). 222 Dominik Berrens 5 σὺν δ’ ἐκάλυψε νέφει πυκινῷ χθόνα πουλυβότειραν, (Hom. Il. 3, 265; 11, 619; 14, 272) ἐν δ’ ἀνδρῶν κεφαλαί τε πρόσωπά τε εἰλύατ’ αὐτῷ. (Hom. Od. 20, 352) οὐκέτι δ’ Ἠέλιος σόος, ἀλλ’ ᾌδος δὲ βεβηκὼς (Hom. Od. 20, 356-357) οὐρανοῦ ἐξαπόλωλε, κακὴ δ’ ἐπιδέδρομεν ἀχλύς. ὦ πάτερ ἡμέτερε ζόφον ὅντινα τόσσον ὁμίχλης 10 ἔστησας; τί δὲ νῦν ἄρα μήδεαι 5 ; ἤ νύ τοι ἀνδρῶν πᾶν γένος οἰζυρῶν μάλ’ ἀπέχθηται κοτέοντι οὕνεκα μεμνῆσθαι σῶν οὐκ ἐθέλουσιν ἐφετμῶν; (Hom. Od. 4, 353) καὶ τάδε ποῦ στυγερῶν ἀχέων κακὰ σήματα φαίνεις, (z. B. Hom. Il. 2, 353; 4, 381; 9, 236) τοῖς ὀργιζόμενος πολέας θνητοὺς ἀπολέσσεις 15 λιμῷ ὁμοῦ καὶ λοιμῷ, ἀποφθίσσεις 6 δέ τε λαούς τῶν ὕβρις τε βίη τε σιδήρεον οὐρανὸν ἵκει, (Hom. Od. 15, 329) ἐκ δὲ Δίκην ἐλάωσι θεῶν ὄπιν οὐκ ἀλέγοντες, (Hom. Il. 16, 388; Hes. Erg. 251) ἀλλήλους φθείροντες, ὑπερφίαλοι, ἀθέμιστοι. (Hom. Od. 9, 106) τοῖς δ’ ἔριδ’ οὐλομένην πολέμοιο τε λυγρὸν ἐφήσεις 20 ἀργαλέοιο κακόν, βλάψας φρένα καὶ νόον ἐσθλόν. οἱ δ’ ἄρα μαινόμενοι διά τ’ ἄνδιχα θυμὸν ἔχοντες (Hes. Erg. 13; Hom. Il. 20, 32) οὐδ’ ἔτ’ ἀκούσονται φίλ’ Ἀπόλλωνος φρονέοντος (Hom. Il. 1, 602-604) οὐδ’ ὄπα φόρμιγγος περικαλλέος εἰσαΐοντες οὐδέ γε Μουσάων θυγατρῶν Διὸς αἰγιόχοιο. 25 ἤδη γάρ σφιν νεῖκος ὁμοίϊον ἔμβαλε μέσσῳ 7 (Hom. Il. 4, 444) καὶ δεινὸν μίσους χόλον ἠεροφοῖτις Ἐριννύς (Hom. Il. 9, 572; 19, 87) ἐρχομένη καθ’ ὅμιλον ὀφέλλουσα στόνον ἀνδρῶν. (Hom. Il. 4, 445) 5 Diese Form ist in erster Linie bei Homer ( Od. 5, 173) sowie in den Posthomerica (10, 295) des Quintus belegt. 6 Belegt ist antik nur ἀποφθίσεις. Doppeltes σσ wird von Camerarius hier aber öfter für das Futur verwendet, wohl um ‚homerischer‘ zu klingen. 7 In den Drucken ist hier ein Punkt. Dies hätte aber zur Folge, dass der nächste Satz ohne richtiges Prädikat stünde. Auch passt die hier vorgeschlagene Zeichensetzung besser zur homerischen Vorlage (vgl. unten zu den Similien), wo Ἔρις (die personifizierte Göttin des Streits) den Zank in die Mitte wirft und anschließend durch die Menge wandelt. Camerarius’ griechische Dichtung zur Sonnenfinsternis von 1539 223 οἴη 8 δ’ ἥδε θεῶν φιλέουσά τε κηδομένη τε (Hom. Il. 11, 74-76) μαρναμένοισι πάρεστ’, ἄλλοι δ’ ἄρα πάντες ἕκηλοι 30 οἷσιν ἐνὶ μεγάροις καθεδοῦνθ’, ὅτι χείρονα νικᾷ. πᾶς δὲ κ’ ἀνὴρ μενέχαρμος, ἔχων δέ τις ἠὲ που ἀγρούς (Hom. Il. 14, 376-377) ἢ βόας, αὐτὰρ ὃ δοῦρά τ’ ἀμείψατο καὶ ξίφος ὀξύ. κοσμεῖ δ’ ἱπποκόμους κόρυθας λαμπροῖσι φάλοισι, (Hom. Il. 13, 332 = 16, 216) ἵππους δ’ ἔστησεν σὺν τεύχεσιν ὁπλισθέντας. 35 ἀλλ’ ὅτε δὴ σχεδὸν ἔσσοντ’ ἐν πολέμοιο γεφύραις ὄρσει δ’ ἀμφοτέρους Ἄρης ἆτος 9 πολέμοιο, (Hom. Il. 4, 439-440) Δεῖμός τ’ ἠδὲ Φόβος, καὶ θυμὸς πᾶσιν ἄπιστος, ἐνθάδ’ ἄρ’ οἰμωγή τε καὶ εὐχωλὴ μετὰ τοῖσι (Hom. Il. 4, 450 = 8, 64) ἐσσεῖτ’, εὐχὴ μὲν προτέρων, οἶκτος δὲ παρόντων. 40 ὧδε δέ τις κακὰ πολλὰ παθὼν ταλασίφρονι θυμῷ (z. B. Hom. Il . 2, 271; Od. 8, 328) γείτον’ ἐρεῖ ἐσιδών, δεύσει δ’ ὑπὸ δάκρυ παρειάς (Hom. Od. 8, 522) ὦ φίλ’ ἐπεί σ’ ἔτι τῷδε κιχάνω σῶν ἐνὶ χώρῳ, (Hom. Od. 13, 228; 15, 260) εἶπε τί νῷν ἀχέων τε τέλος καμάτου τε πρόκειται; οὐ γὰρ ἐμ’ ἐλπωρή γ’ ἔτι φαίνεται, οὐδ’ ἠβαιόν. (z. B. Hom. Il. 2, 380; Od. 3, 14) 45 τὸν δ’ ἀπαμειβόμενος προσφήσει γείτον’ ἑταῖρος· (z. B. Hom. Il. 1, 84; Od. 4, 203) οὐκ οἶδ’, ἀλλ’ ἡμεῖς μὴ παυσώμεσθα γόοιο, καὶ πατέρ’ ὑψίστῳ βασιλεῖ μερόπων ἀνθρώπων (z. B. Hom. Il. 1, 250; Od. 4, 203) 8 In den beiden Drucken steht hier οἵη („eine wie beschaffene“). Die Schreibung οἴη entspricht aber der Lesart (in den modernen Editionen) der Homerstelle, die diesem Vers wohl zugrunde liegt (vgl. unten zu den Similien), und scheint von seiner Bedeutung auch passender. 9 In beiden Drucken lautet die Form hier ἄτης, was als Genitiv von ἄτη („Verblendung“) aufgefasst werden könnte. Wahrscheinlich ist hier aber ἆτος (kontrahiert von ἄατος; „ungesättigt“) gemeint. Diese Wendung am Ende eines Verses findet sich z. B. in Hom. Il. 5, 388; 863; 6, 203. Diesen Hinweis verdanke ich Jochen Althoff, Mainz. 224 Dominik Berrens εὐχώμεσθα θεῷ, τοῦ γὰρ κράτος ἐστι μέγιστον. ἵζων δ’ οὐρανοῦ ἐντὸς ἐπὶ χθόνα ὄμμα τιταίνει 50 ἀνθρώπων μόχθους ὀλιγοσθενέων 10 ἐπιδέρκων, ὅς θ’ ἡμᾶς 11 ἂν ἔπειτα καὶ ἐκ θανάτοιο σαώσει. ἐσθλὸν γάρ τ’ αὐτῷ χέρας ἀνσχέμεν 12 , αἴκ’ ἐλεήσῃ. οὔτε γὰρ ὠμηστής, ἀλλ’ ἤπιος ἠδ’ ἐλεήμων, οὔτ’ αὐτῷ πάντως ἔχθητ’ ἀπὸ σπέρμα βρότειον. 55 ἀλλ’ ἔτι ποῦ τίς νιν πατέρ’ ἐσθλὸν ἐσαῦθι καλέσσει, (Hom. Il. 14, 144; Od. 4, 756) οὐδ’ αἰεὶ χαλεπὸν πεφοβήσεται 13 ἐξαλεείνων 14 . ὣς φάμενος σφετέρῳ 15 κραδίην ξυνέγειρεν ἑταίρῳ ἐκ κλυδόνων δ’ αὖτ’ ἐλπίζειν ποιήσε γαλήνην, ἄλλοι δ’ οὐδὲ θεῶν αἰδεσσάμεν’ 16 αἰὲν ἐόντων 60 ἄνθρωποι σέβας. οὐδ’ ὀργῆς φανερῆς ἀλέγοντες οὐ δεινὰς φοβερῶν τεράων φεύγοντες ἀπειλάς, οὐδ’ οἰκτείροντες κοινὸν γένος ἄλγεα πάσχον, παρθενική τε νέος τε γέρων τ’ ἀταλὰ φρονέοντες (Hom. Il. 18, 567) μολπῇ τ’ ἰυγμῷ τε ποσὶ σκαίροντες, ἰδ’ οἶνον (Hom. Il. 18, 572) 10 Dieses Wort scheint nur in den Scholien zu Oppians Halieutica (zu 1, 623) belegt zu sein. 11 In den Drucken steht hier ἡμεῖς. Da der Nominativ an dieser Stelle syntaktisch unpassend scheint, wird der Akkusativ ἡμᾶς konjiziert, wenngleich die Form ἡμέας die regelmäßige homerische Form wäre. Hier ist sie jedoch aus metrischen Gründen abzulehnen. 12 Regelmäßig wäre wohl die Form ἀνάσχεμεν zu erwarten, die allerdings nicht ins Versmaß passt. Die Form ἀνσχέμεν selbst ist in der erhaltenen antiken Literatur zwar nicht belegt, jedoch sind entsprechende Verkürzungen bei diesem Verb im Epos nicht ungewöhnlich. 13 Es handelt sich hierbei wohl um eine Form des im Griechischen sehr seltenen Perfektfuturs. In dieser Form ist das Wort in den erhaltenen Texten nicht belegt, jedoch scheint sie regelmäßig gebildet. 14 Dieses Wort scheint in den erhaltenen Texten sonst nur in den Halieutica (5, 398) des Oppian belegt zu sein. In den übrigen Schriften finden sich meist Formen von ἐξαλέομαι. 15 σφέτερος ist eigentlich das reflexive Possessivpronomen der 3. Person Plural. Es wird aber auch in antiken Texten zuweilen für die 3. Person Singular verwendet. 16 Diese Form des Partizip Aorist von αἰδέομαι ist nur in den Posthomerica (1, 608) des Quintus belegt (hier der Singular αἰδεσσάμενος). Camerarius’ griechische Dichtung zur Sonnenfinsternis von 1539 225 65 πίνοντες χαρίεν τέλος ἕξουσιν βιότοιο, οὐδ’ ἐπιδεύσονται θαλίης καὶ δαιτὸς ἐΐσης, (z. B. Hom. Il. 1, 468; Od. 16, 479) οὐδὲ χοροιτυπίης ὀρχηθμοῦ τ’ ἀγλαίης τε, ἐν δὲ καὶ ἱμερτῆς πλεῖστον μέρος ἔστ’ Ἀφροδίτης. πάντα δ’ ἄρ’ ἐν δίνῃ γύροις τε περιθρέξουσιν, (Hom. Il . 18, 599-601) 70 ὥστε τροχὸς κεραμῆος 17 ἐνιστρέφεται 18 παλάμῃσι, ὣς τάχα που τὰ μέν ἔστ’, ἀτρεκὲς δὲ θεὸς μόνος οἶδεν. τέλος. Übersetzung Über die Sonnenfinsternis im Jahre 1539 nach der Geburt des Herrn am Neumond des Skirophorion 19 . Parodisch. Oh wir armen Sterblichen, was soll uns nun zuletzt geschehen? An einem strahlenden Tag ergriff Finsternis und das Reich des Dunkeln die Luft und die Erde plötzlich, das Licht aber löschte eine gottgesandte ungestalte Finsternis, vom Himmel her brach Nacht herein, 5 dazu verbarg sie mit dichtem Dunst die vielnährende Erde, darin waren Köpfe und Gesichter der Männer eingehüllt. Nicht mehr war Helios (die Sonne) im Ganzen da, sondern Hades ist gekommen und löschte (das Licht) des Himmels, üble Finsternis ist herbeigeeilt. Oh unser Vater, welch großes Dunkel des Nebels 17 Dies scheint der ionisch gebildete Genitiv von κεραμεύς zu sein, der zwar so nicht belegt ist, aber wohl analog zu Formen wie βασιλῆος (statt attisch βασιλέως) gebildet zu sein scheint. 18 Die Form scheint so nur in einigen Handschriften der Halieutica (1, 363) Oppians und den Scholien zu dieser Stelle belegt zu sein. Fajen liest in seiner Edition aber ἐνιτρέφεται. 19 Das attische Jahr begann mit dem ersten Neumond nach der Sommersonnenwende, also Ende Juni / Anfang Juli, mit dem Monat Hekatombaion. Der Skirophorion ist der 12. und letzte Monat des Jahres und entspricht wohl in etwa dem Monat Juni. Nach Eber 1550, 35, der sich auf Theodorus Gaza beruft, entspricht der Skirophorion jedoch dem Monat Mai, was mit dem von Camerarius im Titel seiner Schrift genannten Datum der Sonnenfinsternis übereinstimmt (den Hinweis verdanke ich Marion Gindhart, Mainz / Würzburg). Zudem scheint auch die Etymologie des Monatsnamens passend. Der Skirophorion ist nach den in diesem Monat stattfindenden ‚Skirophoria‘ benannt, einem attischen Fest, bei dem während einer Prozession ein großer weißer Sonnenschirm (σκίρον) zum Einsatz kam. 226 Dominik Berrens 10 hast du bewirkt? Was aber planst du nun? Oder ist dir Grollendem nun der jammervollen Männer ganzes Geschlecht wahrlich verhasst, weil sie deiner Gebote nicht gedenken wollen? Und wo du diese üblen Vorzeichen entsetzlichen Kummers zeigst, wirst du über sie erzürnt viele Sterbliche vernichten 15 durch Hunger und Seuche zugleich, du wirst aber auch Völker auslöschen, deren Übermut und Gewalt den gestirnten Himmel erreicht, und die die Dike (das Recht) vertreiben, die Verehrung der Götter missachtend, sich gegenseitig verderbend, übermütig, frevelhaft. Diesen aber wirst du unseligen Streit und verderbliches Übel 20 des schmerzlichen Krieges senden und den Sinn und den tüchtigen Verstand schädigen. Diese aber sind rasend und uneins in ihrem Sinn und sie werden nicht mehr den wohlgesinnten Apollon hören und nicht die Klänge der überaus schönen Phorminx (Laute) vernehmen und nicht die Musen, die Töchter des Aigis führenden Zeus. 25 Denn schon hat gemeinsamen Streit ihnen in die Mitte geworfen und den schrecklichen zornerfüllten Hass eine im Dunkeln schreitende Erinye, die durch die Menge geht und das Stöhnen der Männer vermehrt. Diese aber ist als einzige der Götter liebend und sorgend bei den Kämpfenden, alle anderen aber sitzen in Ruhe 30 in ihren Palästen, weil sie den Schlechteren bezwingt. Und jeder standhafte Mann aber, wenn einer entweder irgendwo Ackerland besitzt oder Rinder, tauschte (dagegen) Speer und scharfes Schwert. Er schmückt aber die mit Rosshaar versehenen Helme mit leuchtenden Helmbügeln, die Pferde aber stellte er zusammen auf mit Rüstung versehen. 35 Aber wenn sie schon fast in den Gassen 20 des Kampfes sein werden, wird beide Ares, ungesättigt vom Kriege, antreiben 20 Mit γέφυρα wird ein offener Bereich zwischen den Schlachtreihen bezeichnet, in dem nicht gekämpft wird und der daher einen ruhigen Rückzugsraum bietet. Camerarius’ griechische Dichtung zur Sonnenfinsternis von 1539 227 und Deimos (Schrecken) und Phobos (Furcht) 21 , und treulos wird allen das Gemüt sein. Da wird aber Jammern und Gebet unter ihnen sein, Bitte aber um den früheren Zustand, Jammern über die gegenwärtige Situation. 40 So aber wird einer, der viel Übel mit duldendem Gemüt ertragen hat, einen Nachbarn anblicken und sprechen und eine Träne wird die Wangen darunter benetzen: „Mein Freund, da ich dich noch unversehrt in diesem Lande treffe, sag, welches Ende des Kummers und der Mühe uns vorgegeben ist? Denn mir erscheint kein Grund zur Hoffnung mehr, nicht im Geringsten.“ 45 Diesem wird er antworten und den Nachbarn als Gefährte ansprechen: „Ich weiß es nicht, aber wir wollen von der Klage nicht ablassen und zu Gott, dem himmlischen Vater, dem König der sprachbegabten 22 Menschen beten, denn dessen Stärke ist die größte. Er sitzt aber im Himmel und blickt zur Erde hin, 50 die Mühen der schwachen Menschen betrachtend, der uns auch sodann aus dem Tode erretten wird. Denn es ist gut, ihm die Hände (zum Gebet) emporzuhalten, ob er sich etwa erbarmt. Weder ist er grausam, sondern milde und barmherzig, noch ist ihm der sterbliche Spross gänzlich verhasst. 55 Aber wo ihn in Zukunft noch einer einen guten Vater nennen wird, wird er auch nicht immer in Furcht sein, sondern das Übel vermeiden.“ So sprechend richtete er seinen Gefährten in seinem Herzen wieder auf und bewirkte, dass er noch in (stürmischen) Wogen wieder auf ruhige See hoffte. Andere Menschen aber achten auch nicht die Scheu vor den ewig existierenden Göttern. 60 Und sie missachten den deutlich zu Tage tretenden Zorn, sie fliehen nicht vor schrecklichen Drohungen furchteinflößender Vorzeichen 21 Deimos und Phobos sind Begleiter und Diener des Ares. 22 Die Bedeutung und Etymologie von μέροψ, das nur in pluralischen Formen als Epitheton von Menschen etwa im Epos auftritt, ist unbekannt. Antike und byzantinische Lexikographen (beispielsweise Hesych μ 291 oder die Suda μ 643) leiten es von μείρομαι und ὄψ her, sodass μέροπες Wesen beschreiben, die zu unterteilter, d. h. artikulierter Sprache fähig sind. Dieser Etymologie schließt sich etwa der LSJ an. Weitere Bedeutungsmöglichkeiten werden z. B. bei Frisk 1960, 211-212 diskutiert, auf den auch Beekes 2010, 933 verweist. 228 Dominik Berrens und bemitleiden nicht das gemeinsame Geschlecht, das Kummer erleidet, Jungfrau, junger Mann und Greis von munterem Sinne hüpfen auf den Füßen mit Gesang und Freudenschreien, trinken Wein 65 und werden ein angenehmes Ende des Lebens haben und es wird ihnen nicht an Überfluss und gleichverteiltem Anteil (am Essen) mangeln und auch nicht an Reigen, Tänzen und Festlichkeiten, und der größte Teil darin wird aber der liebreizenden Aphrodite gehören. Alles ist aber in einem Wirbel und umherlaufenden Kreisen, 70 wie sich die Töpferscheibe in den Handflächen des Töpfers dreht, so wird dies zwar vielleicht irgendwie sein, Sicheres aber weiß nur Gott allein. Ende. Similien v. 1 ὤ μοι ἐγὼ δειλός, τί νύ μοι μήκιστα γένηται; (Hom. Od. 5, 299). ὤ μοι ἐγώ, τί πάθω; τί νύ μοι μήκιστα γένηται; (Hom. Od. 5, 465). Der Ausruf ἆ δειλοί am Anfang eines Verses findet sich bei Homer z. B. in Il. 11, 816; Od. 10, 431; 20, 351. vv. 4-5 […] σὺν δὲ νεφέεσσι κάλυψε γαῖαν ὅμου καὶ πόντον· ὀρώρει δ’ οὐρανόθεν νύξ. (Hom. Od. 9, 68-69 = 12, 314-315). v. 5 χθόνα πουλυβότειραν als Schluss des Hexameters findet sich bei Homer z. B. in Il . 3, 265; 11, 619; 14, 272. v. 6 εἰλύαται κεφαλαί τε πρόσωπά τε νέρθε τε γοῦνα (Hom. Od. 20, 352). vv. 7-8 […] ἠέλιος δὲ οὐρανοῦ ἐξαπόλωλε, κακὴ δ’ ἐπιδέδρομεν ἀχλύς. (Hom. Od. 20, 356-357). v. 12 οἱ δ’ αἰεὶ βούλοντο θεοὶ μεμνῆσθαι ἐφετμέων. (Hom. Od. 4, 353). v. 13 Bei Homer findet sich zuweilen der Versschluss σήματα φαίνων; z. B. in Il. 2, 353; 4, 381; 9, 236; Od. 21, 413. v. 16 τῶν ὕβρις τε βίη τε σιδήρεον οὐρανὸν ἵκει (Hom. Od. 15, 329 = 17, 565, dort aber athetiert). v. 17 ἐκ δὲ Δίκην ἐλάσωσι, θεῶν ὄπιν οὐκ ἀλέγοντες· (Hom. Il. 16, 388). Den Versschluss θεῶν ὄπιν οὐκ ἀλέγοντες verwendet auch Hesiod ( Erg. 251). v. 18 In Hom. Od. 9, 106 werden die Kyklopen mit den Adjektiven ὑπερφίαλος und ἀθέμιστος beschrieben. v. 21 […] διὰ δ’ ἄνδιχα θυμὸν ἔχουσιν (Hes. Erg. 13). […] δίχα θυμὸν ἔχοντες· (Hom. Il . 20, 32). Camerarius’ griechische Dichtung zur Sonnenfinsternis von 1539 229 vv. 22-24 […] οὐδέ τι θυμὸς ἐδεύετο δαιτὸς ἐΐσης, οὐ μὲν φόρμιγγος περικαλλέος, ἣν ἔχ’ Ἀπόλλων, Μουσάων θ’, αἳ ἄειδον ἀμειβόμεναι ὀπὶ καλῇ. (Hom. Il. 1, 602-604). v. 25 ἥ σφιν καὶ τότε νεῖκος ὁμοίϊον ἔμβαλε μέσσῳ (Hom. Il. 4, 444). v. 26 ἠεροφοῖτις Ἐρινύς als Schluss des Hexameters findet sich bei Homer z. B. in Il. 9, 572 und 19, 87. Die Schreibung Ἐρινύς mit einem ν wird laut LSJ in modernen Editionen bevorzugt, weil sie in den zuverlässigeren Codices und Inschriften zu finden ist. v. 27 ἐρχομένη καθ’ ὅμιλον, ὀφέλλουσα στόνον ἀνδρῶν. (Hom. Il. 4, 445). vv. 28-30 οἴη γάρ ῥα θεῶν παρετύγχανε μαρναμένοισιν, οἱ δ’ ἄλλοι οὔ σφιν πάρεσαν θεοί, ἀλλὰ ἕκηλοι σφοῖσιν ἐνὶ μεγάροισι καθείατο, […] (Hom. Il. 11, 74-76). Die Wendung φιλέουσά τε κηδομένη τε am Ende des Hexameters findet sich in Hom. Il. 1, 196 = 209. vv. 31-32 ὃς δὲ κ’ ἀνὴρ μενέχαρμος, ἔχῃ δ’ ὀλίγον σάκος ὤμῳ, χείρονι φωτὶ δότω, ὁ δ’ ἐν ἀσπίδι μέζονι δύτω. (Hom. Il. 14, 376-377). Der zweite Vers Homers ( Il. 14, 377) könnte die genaue Bedeutung der stark verkürzten Aussage in Camerarius’ Vers 32 liefern: Offenbar tauscht der ἀνὴρ μενέχαρμος seinen ursprünglichen Besitz gegen neue Waffen ein. v. 33 ψαῦον δ’ ἱππόκομοι κόρυθες λαμπροῖσι φάλοισιν (Hom. Il. 13, 132 = 16, 216) vv. 36-37 ὦρσε δὲ τοὺς μὲν Ἄρης, τοὺς δὲ γλαυκῶπις Ἀθήνη Δεῖμός τ’ ἠδὲ Φόβος καὶ Ἔρις ἄμοτον μεμαυῖα (Hom. Il. 4, 439-440) v. 38 ἔνθα δ’ ἅμ’ οἰμωγή τε καὶ εὐχωλὴ πέλεν ἀνδρῶν (Hom. Il. 4, 450 = 8, 64). vv. 40-41 ὧδε δέ τις ist ein öfter bei Homer verwendeter Versbeginn, wenn eine direkte Rede eingeleitet werden soll (z. B. Il. 2, 271; 3, 319; 7, 201; Od. 10, 37; 18, 400). Insbesondere folgende Formulierung ist der bei Camerarius recht ähnlich: ὧδε δέ τις εἴπεσκεν ἰδὼν ἐς πλησίον ἄλλον· (Hom. Il. 2, 271 = 4, 81 = 22, 372; Od. 8, 328 = 10, 37 = 13, 167 = 18, 72 = 18, 400 = 21, 396). v. 41 […] δάκρυ δ’ ἔδευεν ὑπὸ βλεφάροισι παρειάς. (Hom. Od. 8, 522). v. 42 ὦ φίλ’, ἐπεί σε πρῶτα κιχάνω τῷδ’ ἐνὶ χώρῳ, (Hom. Od. 13, 228). ὦ φίλ’, ἐπεί σε θύοντα κιχάνω τῷδ’ ἐνὶ χώρῳ, (Hom. Od. 15, 260). v. 44 οὐδ’ ἠβαιόν am Ende des Hexameters findet sich bei Homer an mehreren Stellen ( Il. 2, 380; 386; 13, 106; 702; 20, 361; Od. 3, 14). v. 45 τὸν δ’ ἀπαμειβόμενος προσέφη […] (oder eine ähnliche Verbform) ist ein häufig verwendeter Versbeginn bei Homer (z. B. Il. 1, 84; 4, 188; 6, 520; Od. 4, 203; 7, 207), ist aber etwa auch bei Theokrit ( Eid. 25, 42) zu finden. 230 Dominik Berrens v. 47 μερόπων ἀνθρώπων findet sich häufiger im Epos am Ende eines Hexameters (z. B. Hom. Il. 1, 250; 3, 402; 11, 28; 18, 342; 490; Od. 20, 132; 310; Hes. Erg. 109; 143; 180); daneben aber z. B. auch in den homerischen Hymnen ( Demeter 310; Apollon 42). v. 55 ἀλλ’ ἔτι που am Versbeginn findet sich bei Hom. Il. 14, 144 und Od. 1, 197. ἀλλ’ ἔτι πού τις findet sich bei Hom. Od. 4, 756 im Versinneren. v. 63 παρθενικαὶ δὲ καὶ ἠΐθεοι ἀταλὰ φρονέοντες (Hom. Il. 18, 567). v. 64 μολπῇ τ’ ἰυγμῷ τε ποσὶ σκαίροντες ἕποντο. (Hom. Il. 18, 572). v. 66 δαιτὸς ἐΐσης ist ein häufiges Versende bei Homer, oft in der Form […] οὐδέ τι θυμὸς ἐδεύετο δαιτὸς ἐΐσης (z. B. Il. 1, 468; 602; 2, 431; 7, 320; 23, 56; Od. 16, 479; 19, 425). v. 69-70 οἱ δ’ ὅτε μὲν θρέξασκον ἐπισταμένοισι πόδεσσιν ῥεῖα μάλ’, ὡς ὅτε τις τροχὸν ἄρμενον ἐν παλάμῃσιν ἑζόμενος κεραμεὺς πειρήσεται, αἴ κε θέησιν· (Hom. Il. 18, 599-601). Anmerkungen Die Texte in den beiden Drucken sind im Allgemeinen gut lesbar und enthalten nur wenige typographische Fehler. Dies gilt insbesondere auch für Akzente, Spiritus, Iota subscripta und Satzzeichen. In den vv. 4, 15 und 17 wurde an insgesamt vier Stellen ου statt des zu erwartenden ω gedruckt (ὀρούρει [v. 4]; λιμοῦ und λοιμοῦ [v. 15]; ἐλάουσι [v. 17]). Diese Stellen wurden verbessert. Personifikationen und Götternamen wurden in der Edition groß geschrieben. Der Druck aus dem Jahre 1540 weist gegenüber dem ersten Druck aus dem Jahre 1539 nur zwei Korrekturen auf (καθ’ statt κατ’ in v. 27 und αἰεὶ statt ἀεὶ in v. 56). Ligaturen werden in den Drucken teilweise auch über die Wortgrenzen hinweg verwendet, z. B. in v. 15 ὕβρις τε und v. 51 ὅς θ’. Camerarius orientiert sich maßgeblich an der homerischen Sprache. Aus den beiden homerischen Epen stammen auch mit Abstand die meisten Similien. Auffällig ist, dass drei Formen bzw. Varianten von Worten (ὀλιγοσθενέων [v. 50]; ἐξαλεείνων [v. 56]; ἐνιστρέφεται [v. 70]) in der antiken Literatur sonst nur in den Halieutica Oppians bzw. den Scholien zu diesem Werk belegt sind. Camerarius verwendet recht häufig auch Formen mit doppeltem σσ, 8 was sich ebenfalls in den homerischen Gedichten findet, in denen (ionische) Formen mit einfachem σ und (äolische) Formen mit doppeltem σσ abwechseln. Dabei verwendet Camerarius mit ἀπολέσσεις (v. 15) und αἰδεσσάμεν’ (v. 59) sogar Formen, die in antiken Texten gar nicht bzw. nur ein einziges Mal belegt sind. Die 8 Zu nennen ist hier: τόσσον (v. 9); ἀπολέσσεις (v. 14); ἀποφθίσσεις (v. 15); μέσσῳ (v. 25); ἔσσοντ’ (v. 35); ἐσσεῖτ’ (v. 39); καλέσσει (v. 55); αἰδεσσάμεν’ (v. 59). Camerarius’ griechische Dichtung zur Sonnenfinsternis von 1539 231 Verwendung von Pronomina scheint in diesem Gedicht etwas ungenau. So sind mit dem Dual νῷ (v. 1) sicherlich nicht nur zwei Personen gemeint und σφετέρῳ (v. 57) bezieht sich hier nur auf eine Person, obwohl es sich bei dieser Form um das reflexive Possessivpronomen der 3. Person Plural handelt. Die Verwendung des Nominativs ἡμεῖς in v. 51 ist an dieser Stelle wohl nicht korrekt. Für die Form ἄτης (Genitiv von ἄτη [? ]) in v. 36 wird angenommen, dass eigentlich ἆτος gemeint ist, weil dies aufgrund der Parallelstellen und der Bedeutung passender erscheint. Die Verkürzung der regulären Form ἀνάσχεμεν zu ἀνσχέμεν (v. 52) hat wohl metrische Gründe, wenngleich diese in der epischen Sprache durchaus auftritt. Die Verwendung des ionischen Genitivs κεραμῆος (v. 70) ist wohl ebenfalls metrisch zu erklären. Drucke Bonincontri, Lorenzo: Rerum naturalium & divinarum, sive de rebus coelestibus, libri tres, ad Ferdinandum Aragonum […]. Ab L. Gaurico […] recogniti, inque lucem editi, Basel 1540. Camerarius, Joachim: De solis defectu anni M. D. XXXIX . interlunii mensis Maii, Tübingen 1539. Eber, Paul: Calendarium historicum, Basel 1550. Hilfsmittel Beekes, Robert: Etymological Dictionary of Greek, Leiden 2010. Frisk, Hjalmar: Griechisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 1960. Liddell, Henry George / Scott, Robert / Jones, Henry Stuart: A Greek-English Lexicon, Oxford 9 1996. Moderne Editionen Hesiod: Theogonia, Opera et Dies, Scutum, ed. Friedrich Solmsen, Oxford 1990. Hesych: Lexicon, Vol. II E-O, rec. Kurt Latte, Kopenhagen 1966. Homer: Ilias, Vol. I et II , rec. Martin Litchfield West, Stuttgart 1998-2000. Homer: Odyssee, rec. Peter von der Mühll, München / Leipzig 3 2005. Homer: Opera, Tomus V, Hymni, Cyclus, Fragmenta, Margites, Batrachomyomachia, Vitae, ed. Thomas William Allen, Oxford 1946. Oppian: Halieutica, ed. Fritz Fajen, Stuttgart / Leipzig 1999. Scholia et Paraphrases in Nicandrum et Oppianum, ed. Ulco Cats Bussemaker, Paris 1878. Quintus: Posthomerica, rec. Giuseppe Pompella, Hildesheim 2002. Suda, Pars III E-O, ed. Ada Adler, Stuttgart 1967. Theokrit: Eidyllia, ed. Andrew Sydenham Farrar Gow, Cambridge 1965. De generibus divinationum Camerarius und der zeitgenössische Diskurs über die Formen der Mantik Manuel Huth (Würzburg) Im Jahre 1576 wurde postum der Commentarius de generibus divinationum ac Graecis Latinisque earum vocabulis , ein Kommentar des Joachim Camerarius zu den verschiedenen Arten der Divination und ihren griechischen und lateinischen Bezeichnungen veröffentlicht. 1 Herausgeber war sein Sohn Ludwig, der anstelle seines Vaters dem Werk einen Widmungsbrief vorangestellt hatte. 2 Die Schrift erschien in einer Zeit, in der sich die Mantik nicht nur in Italien und Frankreich, sondern nicht zuletzt auch dank des Einflusses von Melanchthon in dem deutschen, protestantischen Umfeld, in dem sich Camerarius bewegte, großer Beliebtheit erfreute und viel diskutiert wurde. Maßgeblich war hier das Werk Caspar Peucers, eines bedeutenden Mediziners und Humanisten, der bei Camerarius studiert hatte und Schwiegersohn Melanchthons war. Sein Commentarius de praecipuis divinationum generibus war 1553 erstmals veröffentlicht worden und so beliebt, dass er 1572 bereits in dritter Auflage erschienen war. 3 Auf über 400 Blatt hatte Peucer bereits eine protestantische Umwertung des Kanons der divinatorischen Künste unternommen und die einzelnen Gattungen ausführlich dargestellt. Wozu bedurfte es also noch eines weiteren Kommentars für dieses Fachgebiet? Welches Ziel verfolgte Camerarius mit der Veröffentlichung seines Werks? Inwiefern unterscheidet sich seine Unterteilung der Divination in verschiedene Klassen von der Peucers? Hat er das Werk gar in Konkurrenz zu Peucer verfasst? In diesem Aufsatz sollen diese Fragen anhand eines Vergleichs der beiden Commentarii beantwortet werden. Relevant waren dabei vor allem ein Aufsatz 1 Vgl. Camerarius 1576. 2 Ludwig Camerarius (1542-1582) lebte als Arzt in Annaberg. Sein Leben ist nur wenig erschlossen, vgl. Seibold 2007, 122-123. 3 Vgl. Peucer 1553, Peucer 1560 und Peucer 1572. Alle Zitate in diesem Beitrag beziehen sich auf die Ausgabe von 1572. Es war die letzte Ausgabe, in die Camerarius vor seinem Tod noch Einsicht nehmen konnte. 234 Manuel Huth Walther Ludwigs 4 und Claudia Brosseders Buch Im Bann der Sterne . 5 Ludwig hat bereits einen Vergleich der beiden Commentarii in einer sehr ausführlichen Fußnote vorgenommen, 6 jedoch ohne diesen auszuwerten. Brosseder hat die Neuordnung des Kanons der Divinationskünste durch Peucer dargestellt und geht immer wieder am Rande auch auf die Schrift des Camerarius ein. An einer ausführlichen, interpretierenden Darstellung des Kommentars von Camerarius fehlt es bisher. Sie soll durch diesen Beitrag geleistet werden, der sich in drei Teile gliedert: Zunächst wird der Widmungsbrief von Ludwig Camerarius untersucht (I), anschließend werden programmatische Aussagen und der Aufbau des Commentarius dargestellt ( II ) und schließlich der Inhalt erörtert und die Unterteilung der Divination in verschiedene Klassen mit derjenigen Peucers und Ciceros verglichen ( III ). Dabei soll anhand der Eigenheiten dieser Schrift aufgezeigt werden, inwiefern Camerarius eine andere Einteilung als Peucer vornahm. I. Der Widmungsbrief an Heinrich Rantzau (Bl. A2r-B4r) Es ist bedauerlich, dass Camerarius nicht mehr selbst ein Vorwort verfassen konnte, denn normalerweise äußert er sich vornehmlich dort zu theoretischen Problemen und zur Programmatik seiner Werke. Man ist daher auf die Angaben seines Sohnes angewiesen, der dem Werk einen 21-seitigen Widmungsbrief an den dänischen Statthalter Heinrich Rantzau vorangestellt hat. Zentrale Passagen, in denen er sich zur Programmatik der Schrift äußert, sollen kurz dargestellt werden. Walther Ludwig hat die Frage aufgeworfen, ob Camerarius seine Schrift vielleicht wegen der Existenz des umfangreicheren Werks von Peucer nicht mehr abgeschlossen und veröffentlicht hatte. 7 Auch Ludwig Camerarius hatte anscheinend gewisse Probleme damit, ein zweites Werk über die Arten der Divination zu rechtfertigen sowie den spezifischen Inhalt aufzuzeigen. Er bezeichnet die Unterteilung der Divination in verschiedene Genera sowie die Sammlung von Stellen antiker Autoren mehr als eine Art „Fleißarbeit“, und weniger als 4 Vgl. Ludwig 2005, 20-47, der Vergleich auf S. 25 Anm. 35. 5 Vgl. Brosseder 2004, 235-256. 6 Zum Verhältnis des Camerarius zu Prodigien und zur Astrologie vgl. Ludwig 2003a und Ludwig 2003b sowie den umfassenden, in diesem Band enthaltenen Beitrag von Marion Gindhart: „ De ostentis . Zur Verhandlung von Vorzeichen in den Werken des Joachim Camerarius“, 199-220. Zum Commentarius Peucers vgl. Müller-Jahnke 1992, Weichenhahn 1995, Müller-Jahnke 2004, Roebel 2012, 260-284 und Lerch 2015, 134-136. 7 Vgl. Ludwig 2005, 24. De generibus divinationum 235 eine Leistung des Verstandes und der Wissenschaft, 8 und fügt hinzu, auch wenn sich Einige darauf besser als andere verstünden, müssten sich doch die Beobachtungen verschiedener Autoren ergänzen, denn niemand sehe alles. 9 Es ist unmöglich, dass der zeitgenössische protestantische Leser bei der Erwähnung anderer Autoren nicht auch an das äußerst prominente Werk Peucers dachte, zumal dessen Commentarius de praecipuis divinationum generibus ja fast den gleichen Titel wie die Schrift des Camerarius trug. Ludwig Camerarius präsentierte und legitimierte die Schrift seines Vaters also als eine Art Ergänzung zu anderen Schriften wie der Peucers. 10 Ferner hebt er hervor, sein Vater habe bei der Abfassung wohl insbesondere auf seine Plutarchübersetzungen zurückgreifen können und wäre darauf sicher zu sprechen gekommen, falls er dem Werk letzte Hand anlegen und selbst das Vorwort hätte verfassen können. 11 In der Tat finden sich viele und ausführliche Plutarchzitate gerade in der zweiten Hälfte des Kommentars. 12 Mit der ungenauen Formulierung „seine Plutarchübersetzungen“ sind wohl vor allem die „ De natura et effectionibus daemonum libelli duo Plutarchi Cheronensis […]“ gemeint. 13 In dem 51-seitigen Prooem dieser Schrift postuliert er die Existenz überbzw. widernatürlicher Phänomene, die den menschlichen Verstand überstiegen und auf Engel und Dämonen zurückgeführt werden müssten. Die Macht Letzterer sei seit dem Tod und der Wiederauferstehung Christi zwar verringert worden, reiche aber immer noch so weit, wie Gott es ihnen zugestehe. Auch zu Zeiten von Camerarius gebe es noch recht viel Aberglauben. 14 An anderer Stelle schreibt er, Aberglauben existiere seit alten Zeiten, nur die Bezeichnungen änderten sich. 15 Für die Betrachtung des Commentarius ist vor allem wichtig, dass 8 Vgl. Camerarius 1576, Bl. A6r: cum res ipsa laboriosa magis sit, quam ingenium requirat et doctrinam . 9 Vgl. Camerarius 1576, Bl. A6r. 10 Denkbar wäre auch, dass Ludwig Camerarius die Leistungen seines Vaters deswegen so ungenau beschreibt, weil er etwaige Unterschiede zu Peucer nicht zu stark betonen will. 11 Vgl. Camerarius 1576, Bl. A7v. 12 Vgl. z. B. Camerarius 1576, 63-64; 68-69; 81; 89-94; 100 u. ö. 13 Vgl. Camerarius [ca. 1565]. Um präzise zu sein, muss man hinzufügen, dass eines der beiden in De natura et effectionibus Daemonum enthaltenen Bücher, nämlich der De oraculorum defectu liber , von Adrien Turnèbe (1512-1565) übersetzt wurde. Camerarius selbst hatte aber, wie er schreibt, bereits eine Übersetzung dieses Werkes begonnen, als er die Version Turnèbes erhielt (vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. D[1]v. Dass sich Ludwig Camerarius im Widmungsbrief von De generibus auf De natura et effectionibus daemonum bezieht, wird auch schon dadurch deutlich, dass er recht viel über die Rolle der Dämonen schreibt (vgl. Camerarius 1576, Bl. A4v-A5v; A7r) und der Verweis auf die Plutarchübersetzungen seines Vaters unmittelbar auf eine solche Stelle folgt (vgl. Camerarius 1576, Bl. A7v). 14 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. C[1]r-C5v. 15 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. B6r. 236 Manuel Huth er behauptet, die ganze heidnische Wahrsagerei, Opferbeschau, Vogelschau, sowie Zaubersprüche, Magie usw. und das Daimonion des Sokrates bediene sich der Hilfe von Dämonen. 16 Insgesamt verdeutlichen die Aussagen in dieser Schrift Einiges Wesentliche, was Camerarius in De generibus nur beiläufig erwähnt. Denn obwohl er auch dort den Dämonen eine zentrale Rolle bei der Divination zugesteht, geht er kaum näher auf ihr Wesen und ihre Funktion ein. Ähnliches gilt beispielsweise für das Daimonion des Sokrates, das er in De generibus lediglich erwähnt, in dem früheren Werk aber in einem Addendum vergleichsweise ausführlich besprochen hatte. 17 Man gewinnt den Eindruck, dass Camerarius die Schriften bewusst komplementär gestaltet hat, zumal er bereits in De natura et effectionibus daemonum eine eigene Schrift über Divination angekündigt hatte. 18 Auch weist der Inhalt der beiden Schriften kaum Überschneidungen auf, 19 obwohl teilweise dieselben Phänomene beschrieben werden. Ludwig Camerarius rechtfertigt ferner die Entscheidung seines Vaters für eine γραμματικώτερα tractactio , d. h. für eine Abhandlung, die auf Wort- und Sacherklärungen abzielt. Es möge sein, so Ludwig Camerarius, dass viele Leser genauere Erläuterungen vermissten, denn sein Vater habe sich gerade im Bereich der malae artes (also schwarzen Künste) [oft] darauf beschränkt, nur die lateinischen und griechischen Bezeichnungen zu sammeln und zu erklären. Aber alles wissen zu wollen sei leere Vielwisserei (πολυμαθοσύνη κενεωτάτη) und führe zur Beschäftigung mit heidnischen Künsten (wie der Magie), welche von der Kirche mit dem Tod bestraft würde. Es sei gefährlich, diese Künste allzu ausführlich darzustellen. 20 Ludwig Camerarius mag hier einen wichtigen Punkt angesprochen haben, wiederholte sein Vater doch oft, dass er die heidnischen 16 Camerarius [ca. 1565], Bl. A6r-A6v: Daemonibus quidem certe administris vtitvr vniversa superstitio vaticinationum & aruspicinae, auspiciorum, consecrationum & execrationum, carminum quibus aliquid incantatur & excantatur, ariolorum denique & Magorum. Id quod Plato in Symposio duobus verbis μαντείων & γοητείων indicauit. His & daemonium Socratis adiungatur, de quo quidnam fuerit, multi quaesiuerunt, cum ipse in Phaedro vocem prohibentem aliquid audire se esse solitum dicat . 17 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. 149-151. 18 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. B6r. Dazu passt auch, dass er in De natura et effectionibus Daemonum nicht über Träume sprechen will (vgl. Camerarius [ca. 1565,] Bl. B[1]r), dies aber ausführlich in seinem Commentarius tut (vgl. Camerarius 1576, 45-54). 19 Eine Stelle aus dem dritten Buch Diodors wird tatsächlich in beiden Werken, wenn auch auf unterschiedliche Weise besprochen (vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. B3r und Camerarius 1576, 128). 20 Vgl. Camerarius 1576, Bl. B2r / v. Möglicherweise handelt es sich hier um eine indirekte Kritik am Werk Peucers, dessen Commentarius die magischen Künste recht ausführlich darstellte und „geradezu zu einem Handbuch magischer Praktiken avancierte“ (Brosseder 2004, 268). De generibus divinationum 237 Künste ablehne und mehr als genug über sie geschrieben habe 21 und auch in De natura et effectionibus daemonum hatte er bewusst auf genaue Ortsangaben oder namentliche Nennungen verzichtet, wenn er heidnische, zeitgenössische Praktiken beschrieb. 22 Ganz so restriktiv wie Ludwig Camerarius gibt er sich jedoch nicht (wofür ja allein schon die Tatsache spricht, dass er ein Werk über Divination verfasst hat), denn er bezeichnet das vorzügliche Wissen um heidnische Weissagepraktiken zwar als fruchtlos, relativiert die Aussage jedoch durch die Bemerkung, dass jede Erkenntnis Freude bereite. 23 Es gibt jedoch noch weitere, relevante Gründe, welche die besondere Bedeutung der Sammlung und Erklärung von Fachbegriffen für Camerarius überhaupt erst erklären, worauf noch in Kapitel II zurückzukommen sein wird. Soweit zumindest erweckt Ludwig Camerarius jedenfalls nicht den Eindruck, sein Vater habe mit dem Werk etwas Originelles geschaffen. Und die Frage Walther Ludwigs scheint berechtigt, ob Camerarius seine Schrift vielleicht wegen der Existenz des umfangreicheren Werks von Peucer nicht mehr abschloss und veröffentlichte. An einer weiteren Stelle spricht Ludwig Camerarius von den Entstehungsbedingungen des Werkes. Er schreibt dort, die Gelegenheit zur Abfassung von De generibus divinationum habe sich durch einen Brief des dänischen Statthalters Heinrich Rantzau ergeben, in dem er sich bei seinem Vater nach dem Wesen der anni climacterici erkundigt habe. 24 Nun ist das Konzept dieses erwähnten Briefes 25 und auch das Antwortschreiben erhalten geblieben. 26 In seinem Brief an Rantzau schreibt Joachim Camerarius, er habe bereits früher eine Abhandlung zu der Frage Rantzaus (nach dem Wesen der anni climacterici ) gemeinsam 21 Vgl. Camerarius 1576, 102; 113; 124 u. Ö. 22 Vgl. Camerarius 1576, 23-25 und 30. 23 Verum de his satis vel nimium potius, vt rebus quarum exquisita notitia nihil fructus afferat, nisi quod omnis est iucunda cognitio. (Camerarius 1576, 115). Natürlich gestattet er auch in De natura et effectionibus Daemonum die Erforschung übernatürlicher Phänomene (vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. C[1]v). 24 Bl. A7v-A8r. Anni climacterici sind „Stufenjahre“. Sie basieren auf der Vorstellung, dass das Leben gleichsam stufenartig voranschreitet und jedes 7. oder 9. Lebensjahr besonders gefährlich ist. In protestantischen Kreisen fürchtete man vor allem das 63. Lebensjahr, da 63 aus dem Produkt von 7 und 9 gebildet wird und sowohl Luther und als auch Melanchthon etwa in diesem Alter gestorben waren. 25 Heinrich Rantzau an Joachim Camerarius, 11. 4. 1572 (Schleswig, LASH, 127.21, Ms. 293, 35-41; Konzept). Der Brief Rantzaus ist mit einer Übersetzung ediert in Oestmann, Günther, 164-169. 26 Joachim Camerarius an Heinrich Rantzau, 11. 5. 1572 (Schleswig, LASH, 127.21, Ms. 293, 45-48; Original mit eigenhändiger Unterschrift). Der Brief ist im Anhang dieses Beitrags ediert. In gekürzter Form hatten ihn auch bereits die Nachfahren des Camerarius drucken lassen (vgl. Camerarius 1583, 111-113). 238 Manuel Huth mit anderen commentatiunculae begonnen. Die Arbeit an dieser und weiteren Schriften habe er aber wegen anderer dringender Angelegenheiten unterbrechen müssen. Aber er habe geplant, sie zu vollenden, sollte es seine Gesundheit und seine übrigen Sorgen zulassen. 27 Aus dieser Stelle lässt sich erkennen, dass Camerarius bereits (wohl recht umfangreiche) Vorarbeiten über mehrere Jahre hinweg vorgenommen hatte und noch 1572 eine Ausarbeitung des Traktats über die Arten der Divination für sinnvoll hielt - in dem Jahr, als die Veröffentlichung von Peucers Commentarius bereits fast 20 Jahre zurücklag und schon die dritte Edition erschien. Nun ist der ganze Commentarius des Joachim Camerarius eigentlich überhaupt nicht auf die Frage der anni climacterici gerichtet. Nur die relativ exponierte Position, 28 an der diese Art der Divination besprochen wird, lässt ein gewisses Eingehen auf den dänischen Statthalter erkennen. Diese Anpassung muss nach dem Briefwechsel mit Rantzau erfolgt sein. Vor diesem Hintergrund ist es also wenig wahrscheinlich, dass Camerarius seine Meinung bezüglich der Herausgabe vor seinem Tod noch geändert hatte. Aber was könnte es gewesen sein, dass ihn glauben ließ, der Druck seiner Schrift lohne sich trotz der Existenz und anhaltenden Popularität des Commentarius Peucers? Um diese Frage zu beantworten, sollen zunächst der Aufbau des Werkes sowie relevante programmatische Aussagen untersucht werden. II. Aufbau der Schrift und programmatische Aussagen Im Einzelnen ergibt sich folgender Aufbau: Bl. A2r-B4r: Widmungsbrief von Ludwig Camerarius an Heinrich Rantzau Bl. B4v: Ad Lvdovicum, Ioachimi Viri Svmmi & singularis exempli F. Camerarium (Geleitgedicht Gregor Bersmanns (1538-1611) zum Erscheinen des Commentarius ) Es folgt der eigentliche Commentarius : S. 1-3: Definition des Begriffes „Divination“ S. 3-16: Überblick über die Genera S. 16-33: Primum Genus: oracula & responsa & vaticinationes proprie diuinae S. 33-59: Secundum Genus: ἀστρονομία καὶ ἀστρολογία […] 27 Vgl. ebd. 45. 28 Vgl. Camerarius 1576, 11-14. Die anni climacterici wurden bereits innerhalb eines Abschnitts (3-16) besprochen, in dem Camerarius eigentlich nur einen Überblick über die verschiedenen Genera geben wollte; vgl. auch die Skizze zum Aufbau des Commentarius in Kapitel II. De generibus divinationum 239 S. 59-102: Tertium Genus: de signis aliquibus extraneis coniecturae S. 102-130: Quartum Genus: Magica S. 130-150: Quintum Genus: Quae forte, temere, casu eveniunt S. 150-154: Abschließende Bemerkungen Es folgen Gedichte von Gregor Bersmann anlässlich des Todes von Joachim Camerarius: Bl. M3r-M4v: Θρῆνος In Fvnere Reverendi Pietate, doctrinaeque eruditae copia facultateque eximia, sapientia ac virtute clarissimi, Dn. Ioachimi Camerarii […] Bl. M5r-M7v: Alcon Ecloga, sive Qverela, De Obitv Eivusdem, Scripta Ad Magnific. et Generosiss. V. Dn. Christophorvm Carolovicivm […] Bl. M8r: De Philippo Melanchthone et Ioachimo Camerario dvobus Saxoniae ocellis. Wie sich der obigen Gliederung entnehmen lässt, folgt nach der Definition des Begriffes „Divination“ ein erster Überblick über die Genera, in dem Camerarius, wie er selbst schreibt, keine wissenschaftliche Lehre darstellen, sondern lediglich die einzelnen Gegenstände und Begriffe nennen und näher bestimmen will. 29 Anschließend folgt eine ausführlichere Erläuterung der einzelnen Genera. Meist wird der Beginn eines Kapitels durch Hervorhebung im Druckbild deutlich gemacht, wobei der Aufbau der einzelnen Kapitel ähnlich ist: Zunächst erfolgt eine kurze Erläuterung der Eigenheiten der jeweiligen Gattung, worauf die einzelnen Fachtermini sowie insbesondere deren korrekte Verwendung genauer erläutert werden. Oft wird zu den Unterarten einer Divinationsklasse auf Quellen verwiesen. Es können einige Erklärungen zum Gegenstand, Erzählungen und/ oder Erläuterungen wissenschaftlicher Fragen folgen. Großen Raum nehmen dabei erwartungsgemäß die Erläuterung einzelner Begriffe ein, wie schon der Titel des Werkes und der Widmungsbrief von Ludwig Camerarius implizieren. Camerarius schreibt, es sei seine Absicht gewesen, die einzelnen Arten der Weissagung und der mit ihnen verbundenen Arten von Aberglauben zu benennen, mit wenigen Beispielen auszuführen und die Begriffe und Bezeichnungen zu erläutern. Er habe nicht alles einzeln darstellen wollen und auch nicht können ob der schieren Menge abergläubischer Praktiken. 30 Innerhalb des 29 Verum de his nimis verbosa iamdudum est expositio, non enim doctrinae alicuius nunc instituta est enarratio, sed rerum vocabulorumque indicium & demonstratio (Camerarius 1576, 14). 30 Sed excurrunt ista, quae commentanda suscepimus, iamdudum longius. Cum nobis hoc modo fuerit propositum, ut diuinationum, & cum hac coniunctarum superstitionum genera 240 Manuel Huth Kapitels zur ersten Gattung findet sich eine weitere relevante Stelle. Camerarius schreibt dort, er behandle in seinem Werk nicht die Gattungen, welche, wie die Heiligkeit des Glaubens lehre, auf Gott als Urheber und Wirker zurückgeführt werden müssten (damit ist vor allem die Prophetie gemeint). Er denke darüber wie es recht sei und sich gezieme. Selbst darüber, wie über die anderen Gattungen zu befinden sei, wolle er nun nicht erörtern, geschweige denn beurteilen, sondern lediglich einige kleine Erzählungen ( narratiunculae ) einweben und die Bedeutungen der Begriffe aufzeigen. 31 Diese Stelle macht deutlich, dass er theologische Fragen weitgehend ausklammert und auch keine systematische naturwissenschaftliche Aufarbeitung divinatorischer Phänomene geben will. Insgesamt scheint das Werk recht stark gemäß den Gattungsgesetzen des Commentarius stilisiert und wirkt daher zumindest stellenweise wie eine von zahlreichen narratiunculae und Digressionen durchbrochene Materialsammlung. 32 Aber welchem Zweck diente überhaupt diese Sammlung von Fachbegriffen? Aus dem von Georg Summer erstellten Katalog der Werke des Camerarius - diese enthält eine Liste mit Opera imperfecta - lässt sich erkennen, dass Camerarius an weiteren Werken arbeitete, die ebenfalls Sammlungen griechischer und lateinischer Bezeichnungen für andere Themengebiete, wie die Medizin, darstellten. 33 Und 1551 waren die Commentarii utriusque linguae erschienen, ein zweisprachiges Glossar menschlicher Körperteile. 34 Der Commentarius scheint also Teil eines umfassenderen Programms gewesen zu sein, Fachbegriffe zu sammeln und einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Natürlich mag der Grund dafür gewesen sein, dass die wissenschaftliche Literatur der Antike und frühen Neuzeit in diesen beiden Sprachen verfasst war; und man muss auch sehen, dass die Verwendung eindeutiger Fachtermini gerade in einem Umkreis und einer Zeit besonders wichtig war, in denen die Dialektik eine derart zentrale indicaremus, paucisque exemplis demonstraremus, & nomina appellationesque exponeremus. Nam in enumerando enarrandoque ea singilatim, occupari, consilium nostrum non fuit, neque ab vllo omnium mortalium istud argumentum explicari possit. Mendacij enim & vanitatis materia atque species neque numero compraehendi, neque copia definiri potest, cum illae sint immensae, easque nulla vnquam perscrutando curiositas depraehenderit. Vt igitur Homerus ductores copiarum ad Troiam commemorasse satis habuit, & multitudinis non posse percenseri ait, Sic nos illam ingentem confusionem superstitionum, generibus indicantes, relinquamus in medio (Camerarius 1576, 150-151). 31 Quae quidem religionis sanctitas ad autorem effectoremque Deum aeternum referenda esse docet, ea in hac disputatione excipio, & de ijs ita sentio quemadmodum par est ac decet. De alijs etiam cuiusmodi sint existimanda, non est nunc propositum disserere, nedum pronuntiare, sed narratiunculas tantum quasdam pertexere, & vocabulorum significationes indicare (Camerarius 1576, 18). 32 Zur Gattung des Commentarius in der frühen Neuzeit vgl. Ramminger 2008. 33 Vgl. [Summer] 1646, Bl. D5r / v und Fabricius 1726, 531-532. 34 Vgl. Camerarius 1551. Vgl. zu diesem Werk den Beitrag von Thomas Baier. De generibus divinationum 241 Rolle für die Wissenschaft spielte. Und sicherlich sollte der Commentarius durch die Erläuterung der richtigen Verwendung divinatorischer Fachbegriffe eine Grundlage für die weitere Erforschung dieses Themas darstellen. 35 Aber für Camerarius waren noch weitere Gedanken ausschlaggebend. Denn 1551 hatte er in den Commentarii utriusque linguae den usus (d. h. dem Wissen um die richtige Verwendung von Fachbegriffen) in Relation zum Niedergang der Wissenschaften, das Aufkommen von Gottlosigkeit und Aberglauben gesetzt, wodurch ein Schaden für das Allgemeinwohl entstünde. 36 Gerade der gesteigerte Aberglauben ist hierbei nicht irrelevant, da Camerarius diesen ja explizit in seinem Werk darstellen wollte 37 und auch bei der Erläuterung der Formen der Divination, die er billigt, darüber klagt, dass sie mit viel Aberglauben verbunden seien. 38 Ein Werk über den korrekten Gebrauch wissenschaftlicher Termini ist somit als direkte Antwort auf den Niedergang der Wissenschaften anzusehen und sollte ihre Renaissance befördern. Dies lässt sich noch durch einen Gedanken ergänzen, den Camerarius in seiner Leipziger Antrittsrede zum Charakter der griechischen und lateinischen Sprache vorgetragen hatte. Dort schreibt er, diese beiden Sprachen seien von Gott mit einer solchen Klarheit ausgestattet worden, dass es scheine, die Worte seien nicht von den Menschen zur Erklärung von Dingen gesetzt, sondern aus den Dingen selbst entlehnt. Für Camerarius werden die beiden Sprachen dadurch einerseits zu einem Medium, das der Mensch nutzen kann, um die Natur zuverlässig zu beschreiben, andererseits eignet auch schon den Begriffen selbst ein gewisser Erkenntnischarakter. 39 Dies ist deswegen relevant, weil der Mensch in zeitgenössischer protestantischer Vorstellung seit dem Sündenfall nur noch über begrenzte Fähigkeiten verfügt, die Natur zu erkennen und zu beschreiben. Das Lateinische und das Griechische sind also dazu geeignet, diesen Makel zu kompensieren. Die systematische Sammlung griechischer und lateinischer Fachbegriffe und die Darstellung von Etymologien, die Camerarius in De generibus und anderen Schriften vornahm, lässt sich auch vor diesem Hintergrund verstehen. Dass Aberglauben durch die Unkenntnis lateinischer und griechischer Worte aufkommt, ist dadurch auch gleichsam ontologisch begründbar. Insgesamt scheint der Commentarius also sehr großen Wert auf die korrekte Verwendung von Fachbegriffen gelegt zu haben. Zugleich sollten in dem Werk grundsätzliche lexikalische Informationen und Quellen gesammelt und einem 35 Vgl. auch die Anmerkungen in den Commentarii utriusque linguae (= Camerarius 1551, Bl. b2v), dem Camerarius mitunter auch die oben erwähnte Funktion zugeschrieben hatte. 36 Vgl. Camerarius 1551, Bl. A2v. 37 Vgl. Camerarius 1576, 150. 38 Vgl. Camerarius 1576, 34-35. 39 Vgl. Camerarius 1542, Bl. A8r; vgl. hierzu Kunkler 2000, 149. 242 Manuel Huth breiteren Leserkreis zur Verfügung gestellt werden. Der Kommentar war daher einerseits geeignet, selbstständig die einzelnen Divinationsarten hinreichend darzustellen, und bildeten andererseits eine Ergänzung zum Werk Peucers aus einer eher philologisch-humanstischen Perspektive. 40 Dass Camerarius anders als Peucer keine systematische theologische oder naturwissenschaftliche Aufbereitung der Divination anstrebte, darf man aber nicht als Defizit betrachten. Für ihn nämlich stellte das Wissen um die Bedeutung und richtige Verwendung von Fachbegriffen eine valide Form der Wissensgenese dar, die gleichwertig der systematisierenden Methode Peucers gegenüber gestellt werden konnte und sich auch in weiteren Publikationen von Camerarius findet. Soweit entspricht dieser Befund jedenfalls der Aussage, die sein Sohn im Widmungsbrief gemacht hatte, dass niemand, der über Divination schreibe, die ganze Wahrheit erfassen könne. Vielmehr müssten sich die Beobachtungen der einzelnen Autoren ergänzen. III. Inhalt des Commentarius, Einteilung der Genera und Vergleich mit dem Kommentar Peucers Obwohl der Commentarius weitgehend aus einer philologisch-humanistischen Perspektive verfasst ist, liegt der Schrift auch eine deutlich erkennbar protestantische Position zugrunde. Damit nun das Eigentümliche dieses Kommentars deutlicher zum Vorschein kommt, ist es zunächst sinnvoll, zu betrachten, in welche Gattungen Cicero bzw. Peucer die Divination untergliedern. Das Modell Ciceros ist hierbei deswegen relevant, weil es erstens auch auf Platon und die Stoa zurückgeht, also auf mehrere antike Autoritäten gründet, und zweitens von Peucer verworfen wurde. III. 1. Die Einteilung der Klassen der Divination bei Cicero und Peucer Cicero unterteilt, wie etwa auch Platon und die Stoiker, die Mantik in eine natürliche und eine künstliche Gattung. 41 Die natürlichen Arten der Divination würden durch einen göttlichen Wahnsinn bewirkt, der die Seher ergreife. Cicero subsumiert hierunter Orakel, Weissagungen und Träume. Ihnen stellt er die 40 Vgl. Brosseder, 2004, 240, die über Camerarius schreibt, dass er „stärker ein philologisches humanistisches Interesse pflegt“. Peucers textkritisches Verständnis sei hingegen eher schwach ausgebildet. 41 Vgl. Cic. div . 1, 6, 11-12, Pl. Phdr . 244a-d. De generibus divinationum 243 künstlichen Formen entgegen, zu denen die Opferbeschau, die Astrologie, das Deuten von Vorzeichen und Blitzen, Losorakel und die Vogelschau gehörten. Peucer hingegen teilt die Divination in 4 Klassen ein: 42 1. π ν ε υ μ α τ ι κ ή : Hierunter versteht er Menschen, die vom heiligen Geist beeinflusst die Zukunft voraussagen. In der Kirche habe sich dafür die Bezeichnung „Prophetie“ etabliert. 43 2. φ υ σ ι κ ὴ ἢ τ ε χ ν ι κ ή : Hierbei handelt es um wissenschaftliche Vorhersagemethoden, die sich aus der Beobachtung der planvoll nach der göttlichen Providenz geschaffenen Natur ergeben. Peucer subsumiert unter dieser Gattung beispielsweise die Astrologie und die Physiognomik. 44 3. δ ι α β ο λ ι κ ή : Hierunter sind alle Künste zu verstehen, die auf den Teufel zurückzuführen sind. Dieser täusche die Menschen, indem er die Schöpfung Gottes nachahme, ihren Aberglauben fördere und sie beeinflusse. 45 4. κ ο ι ν ὴ ἢ δ η μ ω δ ή : Hierbei handelt es sich um volkstümliche Vorhersagemethoden und Regeln. Sie beruhen nicht auf Erkenntnissen, sondern auf Erfahrungswissen. Entweder liegen ihnen natürliche Ursachen zugrunde oder sie sind Aberglauben; d. h. sie gehören entweder zur zweiten oder dritten Gattung. 46 Peucers Absicht bei der Publikation des Commentarius war es, bestimmte divinatorische Künste, die er in seiner zweiten Gruppe zusammengefasst hatte, theologisch zu legitimieren. 47 In der protestantischen Theologie war die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften und der Divination problematisch, da Luther, etwas vereinfacht gesagt, die Möglichkeit ontologischer Erkenntnisse aus der Betrachtung der Natur bestritten hatte. Wahre Einsichten könnten nur durch das Evangelium gewonnen werden. 48 Melanchthon hatte dieses Problem gelöst, indem er den Menschen sogenannte notitiae naturales zugestanden hatte. Zwar verfüge der Mensch seit dem Sündenfall nicht mehr über die Fähigkeit zur Erkenntnis, gewisse Reste dieser Fähigkeit (= notitiae naturales ) seien ihm aber erhalten geblieben. Die Betrachtung der Natur sei von Gott intendiert und mache darauf aufmerksam, dass die Welt nach einer bestimmten, guten Ordnung geschaffen sei. 49 Die Folge dieser Einsicht ist die Zuwendung zum Evan- 42 Vgl. Peucer 1572, Bl. 7r / v. 43 Vgl. Peucer 1572, Bl. 7v: Μαντικὴ πνευματικὴ usitate in Ecclesia προφητεία vocatur. Nos sequuti autores Ecclesiasticos πνευματικὴν ideo appellamus, quod instinctu afflatuque Spiritus sancti funditur. Eine Übersicht zu diesem Genus findet sich auf Bl. 7v-12r. 44 Vgl. Peucer 1572, Bl. 12r-16v. 45 Vgl. Peucer 1572, Bl. 16v-42r. 46 Vgl. Peucer 1572, Bl. 42r-43r. 47 Vgl. z. B. Peucer 1572, Bl. 7r / v. 48 Vgl. Helm 1999, 28-29. 49 Vgl. CR 13, Sp. 7 und 143-146 und Helm 1999, 29-30. Doch auch Melanchthon unterscheidet, wie Luther, systematisch zwischen Gesetz und Evangelium . Erkenntnisse, die durch die Betrachtung der Natur gewonnen werden, verbleiben im Bereich des Gesetzes , 244 Manuel Huth gelium, so dass die Beobachtung der Welt letztlich im Dienst des Evangeliums steht. Peucer griff die natürliche Theologie Melanchthons auf und schrieb, Gott wolle, dass der Mensch die Natur betrachte und zu erkennen suche. Die in der Natur herrschende Ordnung, er nennt sie ein Theatrum exquisitissima arte elaboratum , müsse man daher mit wissenschaftlichen Methoden zu begreifen suchen und die Erfahrung vergangener Zeiten einbeziehen. 50 Seine Neuordnung des divinatorischen Kanons ist vor diesen Hintergrund zu sehen. Denn seine zweite Gruppe, die φυσικὴ ἢ τεχνική, dient der Legitimierung einer wissenschaftlichen Divination. Diese wissenschaftliche Divination ist bei Peucer gleichsam insofern auch natürlich, als sie auf natürliche Ursachen zurückgeht und dem Willen Gottes entspricht, die Natur zu lesen. Sie ist also künstlich und natürlich zu gleich. Peucer wendet sich dadurch, wie er selbst schreibt, vom System Ciceros ab, das zwischen künstlicher und natürlicher Mantik schied. 51 Peucer wertet dabei nicht nur sein zweites Genus der künstlichen Divination auf, sondern andere Erscheinungsformen radikal ab, die er in seiner dritten Gruppe, der διαβολική, zusammenfasst. Durch sie wolle der Teufel, indem er die Natur imitiere, den Menschen zur vanitas superstitiosa , zum rohen Aberglauben, und zum Abfall von Gott verführen. III. 2. Definition und Unterteilung der Divination bei Camerarius Am Beginn seines Kommentars definiert Camerarius den Begriff μαντεία, dem lateinisch das Wort divinatio entsprochen habe, mit einem Hinweis auf die innerhalb des Corpus Platonicum überlieferten Definitiones . Definitiones editae Platonis titulo faciunt μαντείαν, praedictionem diuinatricem, & μαντικήν artem seu facultatem diuinandi. Haec enim ibi extant: μαντεία, ἐπιστήμη προδηλωτική πράξεως ἄνευ ἀποδείξεως. Id est: Diuinatio est scientia praesignificatrix rei alicuius non demonstrata ratione. Et haec: μαντική, ἐπιστήμη θεωρητική τοῦ ὄντος καὶ μέλλοντος ζώῳ θνητῷ. Id est: Diuinatio, est scientia in cognitione praesentium & futurorum ad animal mortale. 52 Die Definitionen , die unter dem Namen Platos überliefert sind, definieren μαντεία als „weissagendes Voraussagen“ und μαντική als „die Kunst oder (vielmehr) die Fähigkeit weiszusagen“. Dort heißt es nämlich: „Divination ist ein unbewiesenes Wissen, das auf ein Geschehen vorausweist“. D.h.: Divination ist ein Wissen, das ohne erkennbaren sind also im theologischen Bereich letztlich insuffizient. Sie verweisen den Menschen aber auf das Evangelium . 50 Vgl. Peucer 1572, Bl. A2r / v, Bl. 2v (= B2v) und Bl. 13r / v-14r (= C5r / v-C6r). 51 Vgl. Peucer 1572, Bl. 6r-7r; vgl. auch Weichenhahn 1995, 216-218. 52 Camerarius 1576, 1. De generibus divinationum 245 Beweis auf irgendein Ereignis vorausweist. Und Folgendes steht da: „Die Kunst der Divination ist ein spekulatives Wissen eines sterblichen Wesens um die Gegenwart und Zukunft“. D.h.: Die Kunst der Divination ist das Wissen eines sterblichen Wesens um die Erkenntnis der Gegenwart und Zukunft. Er fährt fort, indem er darauf hinweist, diese Definitionen widersprächen den Platonischen Dialogen, in denen μαντεία vom Wort μανία (also „Wahnsinn“) hergeleitet wird, 53 womit eine von außen kommende Begeisterung beschrieben würde, die keinen Raum mehr für den menschlichen Verstand lasse. Er verbinde mit der Divination oder der Mania (an dieser Stelle drückt sich Camerarius nicht deutlich aus) das, was die Griechen θαυματουργίαι (heilige und abergläubische Wunder, verbrecherisches Blendwerk und Zaubertränke) nennen. Sie, so scheine es, bewirkten nicht nur Weissagungen, sondern bezeichneten auch übernatürliche Effekte, die durch keine menschlichen Bestrebungen beherrscht werden könnten. 54 Schließlich fasst er zusammen, was unter divinatio zu verstehen sei: Atque ita se res videtur habere, vt diuinatio omnis diuina sit agitatio, aut certe potestatis alicuius maioris & naturae spirabilis externae, quae Graecis δαιμόνιον est. Vt tam causa quam effectu superet sapientiam prudentiamque humanam, & nullius scientiae perceptis, neque artis praeceptis comprehendatur, quamuis quaedam obseruationum notationumque in quibusdam ratio & via indicetur. Id quod de illis miraculis praestigiisque & veneficiis quibuscumque recte dici poterit. 55 Und es scheint sich so zu verhalten, dass jede Weissagung eine Handlung Gottes, oder sicher irgendeiner höheren und begeisternden, 56 fremden Wesenheit darstellt, welche die Griechen δαιμόνιον nennen - und zwar derart, dass sie sowohl in Bezug auf die Ursache als auch auf die Wirkung die menschliche Weisheit und Klugheit übersteigt und durch keine Erkenntnisse einer Wissenschaft oder die Lehren einer Kunst erfasst werden kann. Gleichwohl zeigt sich in einigen Bereichen eine gewisse wissenschaftliche Methode der Observationen und Beobachtungen. Dies kann man wohl mit Recht von jenen Wundern, Gaukeleien und alle möglichen Formen von Zaubertränken behaupten. Camerarius bringt hier deutlich die Überzeugung zum Ausdruck, Ursache und Wirkung von Divination könnten nicht durch Verstandesprinzipien oder die Lehren irgendeiner Kunst erfasst werden. Allerdings existieren Möglichkeiten 53 Vgl. Pl. Phdr . 244a-d. 54 Vgl. Camerarius 1576, 2. 55 Camerarius 1576, 2-3. 56 Spirabilis kann sowohl auf die Beeinflussung durch den heiligen Geist ( spiritus ) als auch auf den durch Dämonen bewirkten Enthusiasmus bezogen werden. 246 Manuel Huth systematischer Erkenntnis durch Observation und Beobachtung. Nicht unbedingt selbstverständlich ist der Bezug gerade auf die Definitiones des Corpus Platonicum sowie die Tatsache, dass er mit der Mantik andere übernatürliche Phänomene, wie die Zauberei, verbindet. Camerarius sah das Verbindende zwischen Divination und den genannten Phänomenen in dem Wirken dämonischer Wesenheiten (bzw. Gottes im Falle von heiligen Wundern). Schon in De natura et effectionibus Daemonum hatte er behauptet, die ganze heidnische Wahrsagerei, die Opferbeschau, die Vogelschau, Zaubersprüche, die Magie usw. sowie das Daimonion des Sokrates bedienten sich der Hilfe von Dämonen. 57 Auch hatte er dort bereits behauptet, das Wirken dieser Wesenheiten übersteige den menschlichen Verstand. 58 Diese Aussagen stimmen inhaltlich mit dem oben übersetzten Abschnitt und anderen Passagen in De generibus überein. 59 Auch findet sich in beiden Werken ein nachdrücklicher Verweis auf die Grenzen des menschlichen Verstandes. Wenn Camerarius also die Beobachtungen aus De natura et effectionibus Daemonum übernommen hat, ist vor diesem Hintergrund plausibel, dass wissenschaftliche Formen der Divination, wie die Astrologie, letztlich insuffizient sind und er ihnen lediglich im Bereich der Observationen und Beobachtungen eine gewisse Methodik zugesteht. 60 Diese Behauptungen entsprechen zwar soweit dem Konzept Melanchthons und Peucers, als auch dort die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen getrübt sind, sie billigen dem Verstand aber insofern eine geringere Bedeutung zu, als diese nicht theologisch durch einen Verweis auf die notitiae naturales aufgewertet wird. Nun mag der fehlende Hinweis auf diese Gabe Gottes dadurch bedingt sein, dass Camerarius theologische Fragen in seinem Commentarius ausklammert. Camerarius, der sich in De natura et effectionibus Daemonum zum Platonismus bekannt hatte, 61 bleibt damit jedoch näher als Peucer an der platonischen Definition der Divination, welche das Weissagen aufgrund inspiratorischer Manie gegenüber den technischen Fertigkeiten aufgewertet hatte. Dass er aber ausgerechnet von den Definitiones des Corpus Platonicum ausgeht, lässt sich vielleicht dadurch begründen, dass Peucer die bei Cicero beschriebene, aber auf Plato zurückgehende Unterscheidung zwischen rein künstlicher und rein natürlicher Divination verworfen und damit 57 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. A6r-A6v und Fußnote 16 dieses Beitrags. 58 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. C[1]r / v und C2v. 59 Vgl. Camerarius 1576, 2; 15 und 151. 60 Vgl. Camerarius 1576, 2. Bei der Besprechung der Astrologie kehrt die Formulierung quaedam obseruationum notationumque […] ratio & via ähnlicher wieder (Vgl. Camerarius 1576, 37: Fundamentum autem scientiae astrologiae est longi temporis observatio atque notatio collocationis motusque siderum ). 61 Vgl. Camerarius [ca. 1565], Bl. A5r. De generibus divinationum 247 einen direkten und exklusiven Bezug auf die platonischen Dialoge kaum noch möglich gemacht hatte. Man kann in dem Modell des Camerarius also vielleicht einen Versuch sehen, den Bruch, den Peucer mit der antiken Tradition vollzogen hatte, in gewissem Maße wieder rückgängig zu machen und erneut das ganze Spektrum der antiken Quellen für die zeitgenössische Erforschung der Divination nutzbar zu machen. Obwohl sich nämlich bei Camerarius künstliche und natürliche Formen der Divination nicht zwangsläufig gegenseitig ausschließen, differiert sein Ansatz insoweit vom dem Peucers, als sich Camerarius überhaupt auf eine andere antike Definition beruft und damit auf Umwegen die platonische Tradition ein Stück weit wieder für die zeitgenössische Erforschung der Divination nutzbar macht. Schließlich ist auch die Zielsetzung unterschiedlich, denn ihm ging es im Gegensatz zu Peucer gar nicht darum, bestimmte Arten der Divination zu legitimieren. Dies zeigt sich schon darin, dass er den Abschnitt mit der Definition gar nicht weiter ausführt oder den Versuch unternimmt, eine systematische Lehre darzustellen. 62 Aber was könnte er mit dem Verfassen dieser Schrift bezweckt haben? Soweit scheint der Commentarius jedenfalls stärker die antike Tradition zu betonen und ist vielleicht auch eher aus einer traditionell-protestantischen Haltung heraus verfasst, die stärker auf die Grenzen des menschlichen Verstandes hinweist und insofern das Werk Peucers ergänzen oder vielleicht sogar korrigieren zu wollen - ohne jedoch in wesentlichen Punkten von diesem abzuweichen. Dies wird auch bei der Unterteilung in die einzelnen Gattungen deutlich werden. Camerarius unterteilt die Divination in 5 Klassen: 63 S. 16-33: Primum Genus: oracula & responsa & vaticinationes proprie diuinae S. 33-59: Secundum Genus: ἀστρονομία καὶ ἀστρολογία […]. S. 59-102: Tertium Genus: συμβολικά (= de signis aliquibus extraneis coniecturae ) S. 102-130: Quartum Genus: Magica S. 130-150: Quintum Genus: Quae forte, temere, casu eveniunt 62 Bei der Besprechung der Astrologie schreibt er auch ausdrücklich, dass er diese Kunst nicht in dieser Schrift (sondern ggf. gesondert in einem späteren Werk) rechtfertigen werde, falls dies nötig sein sollte (vgl. Camerarius 1576, 34). 63 Auf S. 3 werden sechs Klassen angekündigt. Es werden dann aber nur fünf angeführt (Vgl. Ludwig 2005, 25). Es lässt sich nicht sicher sagen, ob dieser Unterschied auf einen Druckfehler oder den unfertigen Zustand zurückzuführen ist. Denkbar wäre vielleicht auch, dass Camerarius hier noch an die auf göttliches Wirken zurückzuführende Prophetie dachte, die er eigentlich ausklammern wollte (vgl. Camerarius 1576, 18). Eine sichere Entscheidung ist in dieser Frage wohl nicht möglich. 248 Manuel Huth Im Folgenden werden die einzelnen Klassen ausführlicher besprochen. Die beiliegenden Tabellen sollen vorgenommene Vergleiche mit den Modellen Ciceros und Peucers veranschaulichen. Camerarius bezeichnet sein e r s t e s G e n u s als λόγια καὶ χρησμοί καὶ θεσπίσματα κυρίως, lateinisch als oracula & responsa & vaticinationes proprie diuinae . Es umfasst Orakel, Seher, Weissager, die Pythia, Sybillen und Bauchredner bzw. aus dem Bauch Weissagende, sowie das Daimonion des Sokrates. 64 Das ganze Genus zeichnet sich dadurch aus, dass es vollständig den menschlichen Verstand übersteigt und auf keine natürliche Ursache zurückgeführt werden kann, sondern auf eine höhere Gewalt, die gewaltsam Besitz von dem Betroffenen ergreift. Wie der Schwiegersohn Melanchthons weist Camerarius rein natürliche Erklärungsversuche zurück, welche die Weissagung im Wahnsinn etwa allein durch aus der Erde austretende Gase oder eine Form der Melancholie erklären wollen. 65 Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass dem Wahnsinn eine Komponente der Gewalt anhaftet. Bei Peucer waren dieser Wahnsinn und diese Gewalt Kriterien, um diese Formen der Weissagung von der göttlich inspirierten Prophetie zu scheiden, welche Camerarius bewusst ausklammert. Dem ganzen Genus entsprechen zwei Subgenera der dritten Gattung (διαβολική) Peucers, die er χρησμοί und θεομάντεια nennt. Insofern sich diese Gattung auf Wahnsinn gründet und der ars keinen Raum lässt, entspricht sie der bei Cicero „natürlich“ genannten Form der Divination. Camerarius hat damit im Gegensatz zu Peucer diese Gattung also weitestgehend beibehalten, auch wenn er in Anlehnung an Peucer und im Gegensatz zu Cicero die Traumdeutung ausklammert. Diese rechnet er der zweiten Gattung zu, betrachtet sie also als ars . 66 Insgesamt scheint sich Camerarius in wissenschaftlicher Hinsicht eng an Peucer anzulehnen, wobei er aber zugleich eine eher traditionelle Perspektive vertritt. Das z w e i t e G e n u s , welches Camerarius ἀστρονομία καὶ ἀστρολογία nennt, umfasst neben der Astrologie für den privaten wie öffentlichen Bereich, das Deuten ungewöhnlicher Wetter- und Naturereignisse, von Kometen und anderen Himmelserscheinungen, die Wettervorhersage, das Deuten von Träumen, sowie alle Arten der Physiognomik, wie das Lesen aus der Stirn des Gegenübers (Metoposkopie) oder das Handlesen (Cheiromantie). Es kommen Vorahnungen, das Deuten von Flecken auf der Haut und unbeabsichtigte plötzliche Bewegungen oder ein Kitzeln in der Nase hinzu. Konstitutiv für diese 64 Vgl. Camerarius 1576, 3-4. 65 Vgl. Camerarius 1576, 16-18 und Peucer 1572, Bl. 105v-108v; 127r-128r. 66 Vgl. Camerarius 1576, 41. Allerdings gibt es bei Peucer auch Träume, die weniger auf das Temperament oder den Einfluss der Gestirne als auf das Wirken Gottes zurückzuführen sind. De generibus divinationum 249 Gattung, die thematisch der zweiten Gattung Peucers entspricht, 67 ist, dass sie auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist, die ihrerseits von einer höheren Macht bewirkt würden und an deren Erkenntnis sich der menschliche Verstand mit Fleiß und Sorgfalt abmühe. 68 Camerarius bekennt sich ganz offen zur Astrologie und hebt deren Nutzen für das Gemeinwohl hervor, er bezeichnet sie als praeclarissima ars , deren Grundlage langjährige Beobachtung und Erfahrung sei. 69 Zugleich weist darauf hin, dass sie mit viel Aberglauben vermischt sei. 70 Wie bei Peucer, so sind es auch hier Zeichen in der Natur, die dem Menschen [von Gott] zur Erforschung vorgesetzt seien und durch eine Wissenschaft, die nach den gleichen Prinzipien wie die Medizin vorgehe, erforscht werden müsse. 71 Auch wenn er von der haec rerum caelestium scriptura spricht, verwendet er eine für die protestantische Naturwissenschaft typische Terminologie, die auf Plotin zurückgeht, und andeutet, dass es neben dem Evangelium noch das Buch der Natur gibt. 72 Wie Peucer befürwortet er die Cheiromantie, teilt aber nicht all ihre Auslegungen. 73 Bei der Besprechung der Träume unterscheiden beide zwischen wahren und falschen Träumen und gehen davon aus, dass sie vom Temperament des Schlafenden abhängen. 74 Soweit lehnt sich Camerarius recht eng an Peucer an. Doch es gibt einige kleinere Unterschiede. Denn der Schwiegersohn Melanchthons argumentiert immer auch historisch 75 und leitet den Beginn der Astrologie von Adam her. Bei Camerarius findet sich diese Behauptung hingegen nicht. 76 Zudem ist seine Einteilung freier als die Peucers. Denn er schreibt, er habe er auch nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand die (von Peucer verteufelte) Eingeweideschau dieser Gattung zuschreibe. 77 Das d r i t t e G e n u s definiert Camerarius so: […] ea, quae Graeci συμβολικά vocant, de signis aliquibus extraneis coniecturae, siue vocis siue gestus singularis, 67 Vgl. Ludwig 2005, 26 Anm. 40. 68 Vgl. Camerarius 1576, 33-34: Quae in secundo genere recensuimus, ea omnia habere progressus naturales videntur, studio & industria ingenij humani in illis cognoscendis elaborante, quae ab aliqua maiore & potentiore caussa commouentur . 69 Vgl. Camerarius 1576, 34; 37. 70 Vgl. Camerarius 1576, 34-35. Ähnlich Peucer 1572, 370r. 71 Vgl. Camerarius 1576, 41 und Peucer 1572, Bl. A4r / v. 72 Vgl. Plot. Enn . 3, 1, 6. 73 Vgl. Camerarius 1576, 55-57 und Peucer 1572, Bl. 358r. 74 Vgl. Camerarius 1576, 46-51. 75 Vgl. Brosseder 2004, 252-256. 76 Vgl. Camerarius 1576, 36-37 und Peucer 1572, Bl. 369v. Ansonsten sind jedoch beide sehr vorsichtig, was konkrete Äußerungen zum Ursprung der Astrologie betrifft. Camerarius hebt zudem die Unsicherheit konkreter Aussagen in dieser Frage eigens hervor. 77 Vgl. Camerarius 1576, 60. 250 Manuel Huth siue formae inusitatae & mirabilis & rei inopinatae . 78 Zu dieser Gattung gehören die Augurien und Auspizien, monstra und das extispicium , ungewöhnliche Laute, Bewegungen und schreckliche Erscheinungen. Es handelt sich somit im Gegensatz zum zweiten Genus eher um besondere Erscheinungen in der Natur. 79 Camerarius schreibt, diese Gattung verwende im Prinzip dieselbe Methodik wie die zweite. Denn in beiden Fällen ginge es um Semiotik. Doch das zweite Genus gehe mehr auf natürliche Ursachen zurück oder werde auf natürliche Weise bewirkt und unterstützt. 80 Die συμβολικά ähnelten aufgrund der Methodik sogar einer echten Kunst. 81 Camerarius warnt vor leichtfertigem Glauben wie vor übermütiger Arroganz beim Beurteilen dieser Divinationsformen. 82 Aber inwiefern unterscheidet sich die dritte Gattung nun genau von der zweiten? Wie schon erwähnt, ist nicht die Methodik, sondern gleichsam das Medium fraglich. Einige der zu deutenden Ereignisse kommen entweder nur sehr selten vor und andere sind widernatürliche Ereignisse, die auf dämonisches Wirken zurückzuführen sind (wie die monstra ), so dass die Grundlagen einer ars gar nicht gegeben sind. Denn im ersten Fall gibt es keine hinreichend große Menge an Erfahrungswissen und im zweiten Fall keine natürlichen Grundlagen. Aber inwieweit gilt dies für andere Unterarten dieser Gattung, auf die diese Eigenschaften nicht zutreffen, wie für den Vogelflug und die Eingeweideschau? Möglicherweise muss man hier die Lehre Peucers voraussetzen. Denn bei ihm gibt es Divinationsformen, die von Gott zur Deutung intendiert sind, wie die Astrologie, und solche, die es nicht sind, wie die Eingeweideschau und der Vogelflug. 83 Dieser Gattung entsprechen bei Peucer zwei Subgenera der διαβολική, nämlich die ἱεροσκοπία und die οἰωνοσκοπία. Camerius rechnet ihr aber noch prodigia , portenta , ostenta und monstra hinzu, die Peucer unter dem Begriff der Teratoskopie zusammenfasst und seiner zweiten Gattung, der φυσικὴ ἢ τεχνική zuordnet. 84 Doch warum diese Abweichung? Camerarius schreibt, die Griechen definierten τέρας als etwas, das der Natur vollkommen zuwiderlaufe. 85 Ähnliches schreibt Peucer, der behauptet, diese Erscheinungen kämen gewöhnlich nicht in der Natur vor und seien auf das übernatürliche Wirken Gottes oder mit seiner Billigung auf das der Dämonen zurück- 78 Camerarius 1576, 6-7. 79 Vgl. Ludwig 2005, 25 Anm. 35. 80 Vgl. Camerarius 1576, 59. 81 Vgl. Camerarius 1576, 60: Est igitur hoc genus eorum, quae simpliciter continentur coniectura quadam, attentione accurata ad artis etiam similitudinem redacta . 82 Vgl. Camerarius 1576, 85. 83 Vgl. Peucer 1572, Bl. B5v und Bl. 168r / v. 84 Vgl. Peucer 1572, Bl. 427r. 85 Vgl. Camerarius 1576, 79-80. De generibus divinationum 251 zuführen. 86 Man werde durch sie aber auf den Zorn Gottes aufmerksam gemacht, dem man (vielleicht noch) mit Gebeten entgehen könne. 87 Peucer ist sich der Problematik dieser Zuweisung bewusst, wenn er zugibt, dass die Deutung dieser Zeichen nicht immer möglich ist. 88 Streng genommen fehlen somit eigentlich die Grundlagen für eine ars. Denn weder die Verfügbarkeit über ein hinreichend großes Erfahrungswissen noch ein Bezug auf natürliche Ursachen sind gegeben. Peucers Zuschreibung der Teratoskopie zur Gattung der φυσικὴ ἢ τεχνική dürfte daher in erster Linie theologisch bedingt sein. Camerarius’ Unterteilung hingegen ist aus naturwissenschaftlicher Sicht eigentlich stringenter und lässt sich vielleicht wieder daraus erklären, dass er theologische Fragen ausklammert. Bemerkenswert sind in diesem Kapitel zwei Exkurse: Auf S. 70-75 leitet Camerarius aus einer unterschiedlichen Auffassung über die Ausrichtung der Weltkugel her, warum den Griechen rechts, den Römern links vorbeifliegende Vögel als gutes Omen galten. Ein weiterer Exkurs stellt eine Sammlung von Plutarchstellen dar, welche der Erörterung der zu dieser Zeit umstrittenen Frage gilt, inwiefern dieses Genus auf natürliche Ursachen zurückzuführen ist (S. 89-94). Das v i e r t e G e n u s definiert Camerarius so: […] ea, quae communi nomine Magica appellantur, complectentia ἐπῳδὰς , id est, carmina superstitiosa, quae in homines aut res incantantur. Item praestigias, sic enim licet, vt opinor, interpretari γοητείας. 89 Zu dieser Gattung gehören nicht nur heidnische Divinationsformen, sondern auch andere erstaunliche, übernatürliche bzw. widernatürliche Effekte. 90 Camerarius subsumiert hierunter alle Arten von Zauberei, die Mysterienkulte, Geisterbeschwörungen, γοήτεια (also: Hervorrufen von Illusionen), Sieborakel, die Kristallomantie, die Weissagung aus Wasser, Feuer, Fischen, Luft, Spiegeln, Blättern, den „neidischen Blick“ usw. Die Gattung ist mit Aberglauben verbunden, einige Formen weisen eine Nähe zum fünften Genus auf. 91 Camerarius betont die Nichtigkeit dieser Gattung, die dennoch weit verbreitet sei. 92 Er bestreitet die Existenz einer Magia naturalis , welche medizinische und mathematische Prinzipien aufweise. 93 Auch an anderer Stelle weist er eine Verbindung von Zauberei und Medizin zurück. 94 Das Lesen der naturales causae spielt in dieser Gattung keine Rolle mehr, vielmehr wird 86 Vgl. Peucer 1572, 428v-431v. 87 Vgl. Peucer 1572, 440. 88 Vgl. Peucer 1572, 440. 89 Camerarius 1576, 7. 90 Vgl. Camerarius 1576, 2 und 103. 91 Vgl. Camerarius 1576, 105. 92 Vgl. Camerarius 1576, 125. 93 Vgl. Camerarius 1576, 104. 94 Vgl. Camerarius 1576, 122-123. 252 Manuel Huth die Natur nachgeahmt, oder es werden widernatürliche Effekte hervorgerufen. 95 Auch diese Gattung entspricht zwei Subgenera der διαβολική Peucers, nämlich der μάγεια / γοήτεια und den ἔπῳδοι (also Zaubersprüchen). Camerarius schreibt über sein f ü n f t e s G e n u s : […] quae forte, temere, casu eveniunt, Graecis τυχηρά sunt. Tales sunt sortitiones, id est, κλῆροι. 96 Hierunter versteht er zufällige Ereignisse, wie Losorakel, Geomantie, 97 Zahlenwerte von Wörtern, die Unterteilung in Glücks- und Unglückstage, die eingangs erwähnten anni climacterici , Druiden und den gemeinen oder verbreiteten Aberglauben . 98 Die Divination komme, so Camerarius, durch reinen Zufall zustande, die Beliebtheit lasse sich lediglich dadurch erklären, dass der Erfolg der Gattung nach beliebigen Kriterien ex eventu beurteilt werde. 99 Bei Peucer wird die comprobatio ex eventu dem Wirken von Dämonen zugeschrieben, die diese Art der Divination beeinflussten. Obwohl Camerarius diese Wesenheiten nicht erwähnt, kann man davon ausgehen, dass er hier Peucers Ansicht teilte. Denn er schreibt ja, dass an allen Arten der Divination dämonisches oder göttliches Wirken beteiligt sei. 100 In jedem Fall stellt diese Gattung keine ars da und weist zudem keinerlei mehr zu den naturales causae auf, durch die Gott erkannt werden kann. Camerarius weist die Gattung recht heftig als nichtig und heidnisch zurück. 101 Soweit entspricht die Gattung den Losorakeln Peucers ( sortes et sortilegii ), einer Untergattung seiner διαβολική. Nicht ganz so einfach ist das Verhältnis des gemeinen oder verbreiteten Aberglaubens zu Peucers 4. Gattung, der κοινὴ ἢ δημωδή. Denn Camerarius hat den Ausdruck exempla superstitionum vulgarium um den Zusatz in his aut illis persequendis fugiendisve […] 102 (in etwa: „gemeiner Aberglauben über Dinge, die man tun bzw. meiden soll“) erweitert. Deshalb entspricht er nur ansatzweise der κοινὴ ἢ δημωδή Peucers - und auch nur insoweit die Bauernregeln Peucers nicht auf natürliche Ursachen zurückgehen, also dem zweiten Genus zuzuschreiben sind. Doch allein schon die Ähnlichkeit des Namens legt eine intendierte Entsprechung nahe. Vergleicht man nun die Einteilung mit der Ciceros, so entspricht Camerarius’ 95 Vgl. Camerarius 1576, 2. 96 Camerarius 1576, 10-11. 97 Es handelt sich hierbei um die Vorhersage mit Hilfe von zufällig auf Linien verteilten Punkten. 98 Die exempla superstitionum vulgarium knüpfen auf S. 135 etwas unvermittelt an, werden jedoch schon auf S. 15 angekündigt. Die Nekyomantie führt Camerarius bei der Übersicht unter der 4. Gattung an (S. 8), bespricht sie jedoch sowohl bei der Erläuterung des 4. (S. 124) als auch des 5. Genus (S. 131-132). 99 Vgl. Camerarius 1576, 132 und 146. 100 Vgl. z. B. Camerarius 1576, 151. 101 Vgl. Camerarius 1576, 138. 102 Camerarius 1576, 135. De generibus divinationum 253 erste Gattung weitgehend der Gattung der natürlichen Mantik Ciceros, 103 weil die Divination aufgrund von Wahnsinn stattfindet, während seine anderen vier Gattungen künstliche Formen der Mantik darstellen, die absteigend nach ihrem Grad an ars und Bezug auf naturales causae angeordnet sind (Vgl. für diese und die folgenden Ausführungen Tabelle 1 und 3). Die ἀστρονομία καὶ ἀστρολογία stellt eine ars dar, denn sie verwendet die richtige Methode und das richtige Medium. D.h. sie untersucht (ähnlich wie die Medizin) Zeichen, die auf natürliche Ursachen zurückgehen. Die dritte Gattung ähnelt lediglich einer Kunst, denn auch sie verwendet zwar die richtige Methode (das Deuten von Zeichen), aber das Medium ist ungeeignet, insofern die gedeuteten Phänomene weniger auf natürliche Ursachen zurückgehen. Der vierten Gattung billigt Camerarius noch eine gewisse Methodik zu, es ist kein Bezug zur Natur mehr erkennen, er rückt sie sogar in die Nähe widernatürlicher Effekte. 104 Beim fünften Genus wirken lediglich noch der Zufall und Dämonen. Dazu passt, dass Camerarius, wie schon von Walter Ludwig beobachtet, die Genera in Form einer abnehmenden Wertigkeit angeordnet hat. 105 Besonders bei den letzten beiden Genera prangert Camerarius oft den mit ihnen verbunden Aberglauben und ihre Nichtigkeit an. Eine gewisse Sorge um die Wissenschaftlichkeit der zweiten Gattung ist also auch bei Camerarius erkennbar. Wenn man nun den ganzen Commentarius mit dem Peucers vergleicht (vgl. für die folgenden Ausführungen Tabelle 2), so fällt auf, dass Camerarius für alle Genera, außer für Peucers πνευματική, Entsprechungen gefunden hat. Vor allem die zweite Gattung und die wenigen wissenschaftlichen Aussagen, die Camerarius trifft, gibt es in ähnlicher Weise bei Peucer. Aber obwohl auch Camerarius kontinuierlich die vana curiositas vieler Formen der Divination anprangert, spricht er im Gegensatz zu Peucer nie vom Wirken des Teufels. 106 Und genau dadurch, dass er theologische Fragen und Wertungen ausklammert, kann er die Genera freier nach ihrem Bezug auf die naturales causae bzw. auf den Grad an ars , der mit ihnen einhergeht, anordnen, während Peucer manchmal eher zwischen erlaubter und nicht erlaubter Divination unterschied. Dies sieht man 103 Dass seine erste Gattung der natürlichen Mantik Ciceros weitgehend entspricht, verdeutlicht Camerarius ex negativo vielleicht selbst. Denn er rechtfertigt, dass er die Träume, die traditionell zur „natürlich“ genannten Gattung Ciceros gehören, dem zweiten Genus zurechnet, weil sie natürliche Ursachen hätten, die mit Hilfe einer ars erforscht werden müssten (vgl. Camerarius 1576, 41). 104 Vgl. Camerarius 1576, 2-3. 105 Vgl. Ludwig 2005, 25 Anm. 35. 106 Vgl. Ludwig 2005, 25 Anm. 35. 254 Manuel Huth am Beispiel der Teratoskopie. Camerarius kann vor diesem Hintergrund auch so gut wie vollkommen auf Polemik gegenüber den Katholiken verzichten. 107 Es kommt hinzu, dass Camerarius von einer (pseudo-)platonischen Definition der Mantik ausgeht und die „natürliche“ Mantik Ciceros, wenn auch in adaptierter Form, als Gattung bewahrt. Auch hier wirkt De generibus wesentlich traditioneller in seiner Zielsetzung als das umfangreichere Werk des Naturwissenschaftlers und Arztes Peucer und soll vielleicht zwischen zeitgenössischen und antiken Vorstellungen vermitteln. Dennoch teilt Camerarius mit Peucer die positive Bewertung der Astrologie, die auf naturales causae zurückgeführt wird, welche der Mensch zu erforschen angehalten sei. Und überhaupt ist die Einteilung der Divination nach dem Bezug auf natürliche Ursachen schon bei Peucer vorgegeben. So ist auch bei Camerarius der Einfluss des protestantischen Legitimierungsversuchs einer wissenschaftlichen Form der Divination erkennbar, obwohl er schreibt, er wolle keine naturwissenschaftliche Abhandlung bieten und auch Theologisches ausklammern. Die Tatsache, dass Camerarius die Astrologie nicht offensiv verteidigt, mag dabei als Symptom einer Zeit gesehen werden, in der sich diese Wissenschaft in protestantischen Kreisen bereits dank des Einflusses von Melanchthon in gewissem Maße etabliert hatte und einer weiteren Legitimierung nicht mehr allzu dringend bedurfte. Fazit Insgesamt handelt es sich bei De generibus sicherlich um eine Schrift, die von den gleichen theologisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen wie Peucers Commentarius ausgeht und eine gewisse Ergänzung aus eher philologisch-humanistischer Perspektive zu diesem monumentalen Werk darstellt. 108 Camerarius‘ Werk bietet keine systematische Darstellung einer naturwissenschaftlichen oder theologischen Lehre, so dass es nicht dazu geeignet ist, das umfassendere Werk Peucers zu ersetzen. Dass sich die beiden Arbeiten an einigen Stellen widersprechen, lässt sich in den meisten Fällen schlichtweg durch die unterschiedliche Zielsetzung erklären. Peucer wollte systematisch bestimmte Formen der Divination als wissenschaftlich rechtfertigen. Dies war nicht die Absicht des Camerarius, dessen Commentarius über weite Strecken deskriptiv ist und naturwissenschaftliche Fragen weitgehend und theologische fast vollständig ausklammert. Anders hingegen muss der Umstand erklärt werden, dass Camerarius 107 Einzige Ausnahme stellt ein Tadel an der katholischen Sitte dar, dass die Päpste nach ihrer Wahl einen neuen Namen geben (vgl. Camerarius 1576, 136). 108 Vgl. Brosseder 2005, 240. De generibus divinationum 255 ausdrücklicher als Peucer die Grenzen und Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes betont und seine Definition der Divination auf (pseudo-)platonische Grundlagen stützt. Er scheint hier, bewusst vermittelnd, zeitgenössische Ansichten mit der antiken Tradition verbinden zu wollen, mit der Peucer gebrochen hatte. Doch auch wenn Camerarius einige Arten der Divination nicht systematisch rechtfertigen wollte, so sorgt auch er sich um bestimmte Formen der Divination, die er für artes hält und durch Aberglauben und dämonische Täuschungen gefährdet sieht, da er selbst bei den von ihm gebilligten Wissenschaften darauf hinweist, dass sie mit viel Aberglauben vermischt sind. Auch die Anordnung der Divinationsklassen nach ihrem Grad an ars und Bezug auf die naturales causae ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Und wie Peucer betont er die Nähe der wissenschaftlichen Divination zur Medizin, während er sie bei den anderen, dämonisch beeinflussten Gattungen abstreitet. Schließlich soll auch die ausführliche Erläuterung von Fachbegriffen und ihrer korrekten Verwendung die Wissenschaftlichkeit und die Bekämpfung von Aberglauben befördern. Für Camerarius ist die genaue Kenntnis der Worte eine valide Methode der Wissensgenese, die man vielleicht gleichwertig der eher systematisierenden Vorgehensweise Peucers an die Seite stellen kann! Diese Methode ist auch deswegen relevant, weil sie sich in weiteren Publikationen des Camerarius finden lässt. Nun tragen das Werk Peucers und das des Camerarius fast den gleichen Namen. Und auch wenn die Schrift des Camerarius nicht dazu geeignet ist, diejenige Peucers zu ersetzen, so ist dennoch vorstellbar, dass De generibus in Konkurrenz zu Peucers Commentarius verfasst wurde, um gleichsam dessen Monopolstellung im Bereich der Divination zu brechen. Hintergrund wäre dann eine Art Streit um das Erbe Melanchthons zwischen seinem guten Freund Camerarius, einem hochangesehenen Philologen dieses Zeitalters, auf der einen und seinem Schwiegersohn Peucer auf der anderen Seite, welcher von Melanchthons Initia doctrinae physicae ausgehend den Kanon der Divinationskünste neu geordnet hatte. Zumindest als Alleinerbe Melanchthons auf diesem Gebiet sollte Peucer dann in Frage gestellt werden. 256 Manuel Huth Anhang: Joachim Camerarius an Heinrich Rantzau, 11. 5. 1572 (Schleswig, LASH, Abt. 127.21, Ms. 293, S. 45-47, Original mit eigenhändiger Unterschrift; in gekürzter Form abgedruckt in Camerarius 1583, 111-113) [S. 45] Joachimus Camerarius S[alutem] D[icit] Magnifico v[iro] generis eximia nobilitate, dignitate & uirtute praestanti D[omino] Henrico Ranzouio, Regio in holsatia uicario et D[omi]n[o] s[uo] cum reuerentia obseruando 109 Epistolam 110 Magnificae nobilitatis uirtutisque 111 tuae, ad me erudite & docte & perquam humaniter scriptam, nuper accepi, cum pene intolerabili excruciarer saeuitia atque adeo crudelitate tentantis 112 me iam multis annis affligentisque 113 morbi, ex eorum genere, quos Cous ἀρχιατρός solere cum senibus commori ait. Quod modo autem aliquantulum quasi ἐκ τῶν κυμάτων αὖθις αὖ, 114 secundum Tragoediam, aliquid tranquillitatis affulgeret, ita nactus occasionem mittendi litteras singularem, de qua mox dicam, haec studui respondere. 115 Non sinit autem mearum uirium imbecillitas, & corporis atque animi languor, quaestionem illam me edisserendo sic explicare, ut postulat rei totius accurata consideratio. Et inter alias commentatiunculas nostras, aliquando hanc quoque suscepi in manus perscribendam, sed reliqui, interpellantib[us] occupationib[us] aliis, quemadmodum alia multa, inchoatam, quam tamen cogitabam perficere, si Dei aeterni clementia per ualetudinem, & alias curas, tantum ocii concederetur. Cardo autem rei in eo uertitur, quod [S. 46] omnia pertinentia ad eam partem, quod προγνοστικὸν μέρος δι’ ἀστρονομίαν uocant, στοχαστικὰ sunt, et quemadmodum Ptolemaeus appellat, εἰκαστικήν habent θεωρίαν, 116 ut αὐτοτελὲς esse quicquam omnino nequeat. Esset autem, si euentuum causae nullam haberent dubitationem, et praedictorum exitus nunquam impediretur. Uerum sicut paulo ante ostendimus, neque iam quantum par erat, potui de his scribere, sique tantum Dei benignitate contigerit quietis, quantum elaboratio operis istius requirit, copiose enarrata omnia ad tuam praestantem uirtutem ut perferantur sedulo opera a me dabitur. 117 109 Joachimus - observando] Nobiliss[imo] Viro D[omino] Henrico Ranzovio, Regio in Holsatia Vicario, &c. im Druck 110 Epistolam] S. D. vorangestellt und gestrichen 111 virtutisque] im Druck weggelassen 112 tentantis] nach der Korrektur ; tentationis im Druck 113 affigentisque] affligentis im Druck 114 ἐκ - αὖ] A r . Ra . 304; E. Or. 279. 115 Respondere] responderi im Druck 116 εἰκαστικήν - θεωρίαν] Ptol. Tetr . 1, 2, 15. 117 Cardo - dabitur] im Druck weggelassen De generibus divinationum 257 Occasionem autem qua litterae istae mitterentur, cum istuc proficiscentes tabellarii non saepe offerantur, dederunt Gallicae nationis quidam, & genere & uirtutis bonarumque artium laude imprimis nobiles. In quibus est eximius pene puer adhuc, admodum inclitae familiae & gentis illustris Leziniae, cum praeceptore uiro docto & prudente. Quos cupido cepit uidendi loca aquilonaria, & tractum istum Oceani peragrandi. Ab iis sum rogatus, ut si quem notum alicubi illis in terris haberem, cuius ope consilioque istud iter ipsorum posse adiuuari uideretur, ut ad eum aliquid litterarum ipsis perferendum darem. Cum autem ex animo gratificari his cuperem, tuae magnificae uirtutis statim in mentem uenit, deque ipsius benuolen- [S. 47] tia, studio, fauore, eis non dubitaui polliceri summa omnia, meque hoc testaturum esse dixi litteris meis. Quocirca abs tua magnifica uirtute maiorem in modum peto, ut hunc Gallorum iuuenum honestiss[imorum] coetum, & in his excellentem Lezinium, humanitate benignitateque complecti, ergaque eos te facilem ac comen praebere, & de his ad tuam magnificam uirtutem me scribere non esse ueritum, boni consulere, atque, ut confidentius agam, perficere uelis, ut hanc conciliationem meam, non solum adiumento, sed etiam ornamento sibi fuisse intelligant. Quo nomine, tua magnifica uirtus, ingenii, studii, industriae, facultatis, litterarum, omnia officia mea 118 sibi deuincta est habitura, cuius uoluntati absque isto etiam promerito, inseruire sum paratissimus. Tua magnifica uirtus bene ualeat. 119 Vale. Lips[iae]. Die XI . Mensis Maij. 72. Ioach[imus] Camerarius. 120 118 mea] sibi vorangestellt und gestrichen 119 Tua - ualeat] im Druck weggelassen 120 Ioach. Camerarius.] im Druck weggelassen Abb. 1: Vergleich der Modelle von Cicero und Camerarius 258 Manuel Huth Abb. 2: Vergleich der Modelle von Peucer und Camerarius Abb. 3: Gliederungsprinzip De generibus divinationum 259 Literaturverzeichnis Bretschneider, Karl Gottlieb (Hg.): Philippi Melanthonis opera quae supersunt omnia, Bd. 11 (Corpus Reformatorum 11), Halle 1843. [= CR 11] Bretschneider, Karl Gottlieb (Hg.): Philippi Melanthonis opera quae supersunt omnia, Bd. 13 (Corpus Reformatorum 13), Halle 1846. [= CR 13] Brosseder, Claudia: Im Bann der Sterne. Caspar Peucer, Philipp Melanchthon und andere Wittenberger Astrologen, Berlin 2004. Camerarius, Joachim: Oratio de studio bonarum litterarum atque artium & linguae Graecae ac Latinae […], Leipzig: Jakob Berwald, 1542. Camerarius, Joachim: Ioachimi Camerarii Pabeperg[ensis] commentarii utriusque linguae […], Basel: Johannes Herwagen, 1551. 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Weichenhan, Michael: Astrologie und natürliche Mantik bei Caspar Peucer, in: 700 Jahre Wittenberg. Stadt - Universität - Reformation, Weimar 1995, 213-224. De generibus divinationum 261 Briefe Imagines amicorum Die Briefausgaben des Joachim Camerarius als literarisch gestaltete Werke Ulrich Schlegelmilch (Würzburg) Die von Joachim Camerarius herausgegebenen Briefsammlungen sind bisher lediglich als Quelleneditionen herangezogen worden, als gestaltete Werke mit eigenem literarischen Anspruch haben sie dagegen kaum Beachtung gefunden. Einen ersten wichtigen Schritt hat dazu Gerlinde Huber-Rebenich mit einer Analyse der Vorreden des Camerarius zu den vier zwischen 1553 und 1568 publizierten Bänden mit dem Ziel unternommen, seine Kriterien bei der Auswahl des veröffentlichten Materials besser zu verstehen. 1 Die nicht weniger bedeutende Frage nach der Textgestaltung der Briefe durch ihren Herausgeber blieb bei Huber-Rebenich hingegen unter Verweis auf die mangelnde Erschließung der handschriftlichen Parallelüberlieferung ausdrücklich ausgespart. 2 Hier setzt die vorliegende Untersuchung an, mit der gezeigt werden soll, wie Joachim Camerarius die philologische Redaktion der von ihm herausgegebenen Briefe dazu nutzte, seinen literarischen Freunden (und zugleich sich selbst) ein ‚besseres‘ Denkmal zu setzen, als sie dieses allein vermocht hätten. Im Mittelpunkt wird dabei der Libellus novus aus dem Jahr 1568 stehen, da hier die handschriftliche Parallelüberlieferung am dichtesten ist und die redaktionellen Eingriffe am besten greifbar werden. Das Thema der Redaktion von Briefen für ihre Publikation ist in der Camerarius-Forschung eigentlich nicht neu, hat doch bereits im 19. Jahrhundert die Kollation mehrerer Hundert an Camerarius gerichteter Originalbriefe von der Hand Melanchthons in der Vatikanischen Bibliothek (Cod. Chis. J VIII 293-294) mit dem von Camerarius 1569 publizierten Liber continens continua serie epistolas Philippi Melanchthonis zu dem beunruhigenden Ergebnis geführt, daß die Edition von den Originalen in unzähligen Punkten und teilweise in erheblichem 1 Huber-Rebenich 2001. 2 Huber-Rebenich 2001, 151. 264 Ulrich Schlegelmilch Maße sinnverändernd abweicht. 3 Trotz einer luziden Aufstellung der dabei von Camerarius angewandten Redaktionstechniken durch Heinz Scheible und der minutiösen Aufnahme der vatikanischen Autographen in den kritischen Apparat der Edition des Melanchthon-Briefwechsels ( MBW ) ist jedoch das Wissen um diese Texteingriffe lange Zeit ein ‚offenes Geheimnis‘ der Melanchthonforschung geblieben und nicht über dieses Spezialgebiet hinausgedrungen. 4 Im folgenden soll gezeigt werden, daß Camerarius beim Umgang mit den Briefnachlässen anderer eng Vertrauter nicht wesentlich anders verfahren ist, wenngleich die Motive für Veränderungen zusätzlich im literarisch-humanistischen und nicht allein im politisch-konfessionellen Bereich zu suchen sind. Gemeinsames Ziel aller solcher Bemühungen bleibt die rühmende Wahrung der memoria amicorum , also Philologie als Freundschaftsdienst. Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile: Zuerst soll daran erinnert werden, daß es sich bei der Redaktion von Briefen um ein weitverbreitetes Phänomen der Frühen Neuzeit handelt, welches jedoch bisher nicht systematisch untersucht worden ist (Teil I). Danach wird die Genese und Zielsetzung der Camerarius-Briefausgaben anhand einer erneuten Lektüre der Vorreden verdeutlicht (Teil II ). Anhand ausgewählter Beispiele - hauptsächlich aus dem Libellus novus von 1568 - zeige ich anschließend die Arbeitsweise des Camerarius im einzelnen (Teil III ). Die Untersuchung versteht sich daher als Plädoyer - an Philologen ebenso wie an Historiker - für eine kritische Benutzung der gedruckten als auch auch für eine umfassende Erschließung der handschriftlichen Überlieferung. I In der modernen Briefforschung wird der redaktionelle Eingriff in den Text publizierter Briefe durch Herausgeber der Frühen Neuzeit häufig geradezu als selbstverständlich angesehen. 5 Diese Einschätzug beruht im wesentlichen auf 3 Druffel 1876 (pointiert S. 495: „[…] man wird finden, dass oft Melanchthon das gerade Gegentheil von dem, was er wirklich geschrieben hatte, in den Mund gelegt ist.“), Meyer 1876. 4 Vgl. jetzt aber den Beitrag von Matthias Dall’Asta in diesem Band, zu dem als Grundlage Scheible 1968, 140-142 zu vergleichen ist. In den Textbänden des MBW sind die Änderungen des Camerarius in den Chisiani (nach der Kollation Nikolaus Müllers aus dem 19. Jahrhundert) unter der Sigle CamH, die Textfassung des Liber continens […] epistolas als CamD verzeichnet. Zu den Umarbeitungen für die Ausgabe von 1569 vgl. auch Kunkler 2000, 191-195. 5 So bei Enenkel 2002, 368 über die „durchschnittliche humanistische Briefsammlung“: „Sodann wird der Humanist die Briefe sichten, eine Auswahl zusammenstellen und die selektierten Briefe (stilistisch) leicht bearbeiten.“ Von der Überarbeitung eigener Briefe Imagines amicorum 265 zwei Faktoren: eklatanten, zum Teil prominenten Einzelbeispielen für gravierende Textveränderungen einerseits und der dahinterstehenden, generell zu beobachtenden humanistischen Tendenz zur literarischen (auch: Selbst-)Stilisierung andererseits. Eine Sammlung von Briefen zum Druck zu bringen bedeutet in der Frühen Neuzeit von vornherein immer auch auszuwählen - auch Camerarius’ Melanchthoniana von 1569 enthält durchaus nicht alle der heute noch im Vatikan erhaltenen Schreiben. Neben ökonomischen sind hierbei stets auch inhaltliche Motive im Spiel, sei es, weil vermeintlich Unbedeutendes ausgeschieden, sei es, weil auf möglicherweise politisch Riskantes oder menschlich Kompromittierendes verzichtet wird. Ist also bereits die Auswahl des Materials in die Hände des Herausgebers gelegt, so wird im nächsten Schritt das zur Veröffentlichung vorgesehene Material weiter ‚angepaßt‘. Zuerst geschieht dies durch stilistische Revision, wie sie bei vielen Humanisten anzunehmen, bei einzelnen (wie Wolfgang Reichart) dank erhaltener Handschriften auch nachweisbar ist. 6 Auch Joachim Camerarius bedient sich häufig dieses Mittels, wie noch zu zeigen sein wird. Einen neuen, aus heutiger Sicht manipulativen Grad erreicht die Tätigkeit des Redaktors durch inhaltliche Eingriffe. Diese können in der gezielten Umdatierung einzelner Stücke bestehen, um Inhalte zu entschärfen, wie dies Aonius Palearius (gest. 1570) versucht hat. 7 Noch gravierender erscheint ein Fall wie der des Konrad Celtis, der eine ganze Reihe von Schreiben Prominenter, die an andere Humanisten gerichtet waren, nicht allein redigierte und umdatierte, sondern sie auch der abschriftlichen Sammlung seiner Korrespondenz als an ihn selbst als Regelfall geht Clough 1976, 40 bereits für das 15. Jahrhundert aus; zu den Selbstkorrekturen italienischer Humanisten vgl. auch Henderson 2002, 31. Letztlich erklärt sich diese Vorgehensweise aus der Orientierung der Humanisten an den antiken römischen Briefcorpora, insbesondere dem nachträglich redigierten des Plinius; vgl. dazu Schmidt 1983, 47. 6 Vgl. Ludwig 2005, 101, der zu dem Schluß kommt, daß die so veränderten Briefe „im allgemeinen kaum veränderte Kopien der originalen Texte“ Reicharts sind, und damit im Grunde den Maßstab des 16. Jahrhunderts anlegt. Anders als bei Reichart, dessen Sammlung ungedruckt blieb, zeigt der Vergleich eines Briefes von Pietro Vettori in Original und Druck, wie ein Herausgeber sprachlich-stilistisch eingriff (an Joachim Camerarius II., 7. 6. 1561: London, BL, Harley MS 4935, Bl. 19-20 und Vettori 1577, 16-19). - Der noch geringere Eingriff einer bloß orthographischen Revision kann im wesentlichen vernachlässigt werden, zumal hier sowohl Geschmacksfragen des Herausgebers als auch verlagsbzw. druckertypische Usancen eine Rolle spielen. Beispiele für orthographische Veränderungen in Ausgaben von Camerarius-Briefen bietet Woitkowitz 2003, 71 Anm. 216. 7 Ijsewijn 1985, 190. Rückdatierungen eigener Briefe sind auch bei Justus Lipsius festzustellen, vgl. z. B. Lipsius 1978, 339 (an Johannes Sambucus, 15. 3. 1582 [Konzept] bzw. 1. 3. 1579 [korrigiertes Konzept und Druck]). 266 Ulrich Schlegelmilch gerichtete Stücke einverleibte. 8 Tatsächlich sind aber solche ‚Verbesserungen‘ nach den Maßstäben der Zeit und vor allem der Gattung zu beurteilen. Hier hat die Humanismusforschung seit längerer Zeit darauf hingewiesen, daß bereits seit Petrarca die Autoren und Herausgeber von Briefsammlungen diese primär als literarische und nicht dokumentarische Werke verstanden haben, in denen deswegen Reales und Fiktives nebeneinander stehen kann. 9 Ein Genre, das wie schon die Familiares Petrarcas stets zur „autobiographischen Retrospektive“ tendiert, 10 erfordert daher geradezu eine Gestaltung. Die Motive hierfür können jedoch unterschiedlich sein. Wie Beat Rudolf Jenny gezeigt hat, verwendete beispielsweise der Herausgeber der Olympia Morata, Celio Secondo Curione (1503-1569), erhebliche Anstrengungen auf die Sicherung seines Nachruhms, indem er ausgehende eigene Briefe von vornherein zur späteren Publikation zurückerbat, Briefwechsel unter Dritten eigens deshalb zu provozieren suchte, um mit ihnen das zukünftige Bild seines literarischen Freundeskreises weiter abrunden zu können, neue Brieftexte unter alten Daten druckte, stilistische Änderungen unternahm und sogar fremde Briefe neu adressierte. 11 Als nicht weniger selbstbewußt, jedoch von anderen Zielen geleitet erscheint das Vorgehen Marc-Antoine Murets (1526-1585), der fünf Jahre vor seinem Tod ein knappes Hundert explizit nicht chronologisch geordneter Briefe publizierte. Ihre bewußt gewählte Reihenfolge zeichnet vielmehr subjektiv seine Karriere nach, und zugleich sind einige fremde Stücke eingestreut, die geeignet sind, den Exilanten Muret von gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu entlasten. Die Briefsammlung wird so zu einer als literarisches Kunstwerk gestalteten apologia de vita sua . 12 In dieser Richtung sind auch die Gründe für die Gestaltung der Briefsammlungen durch Joachim Camerarius zu suchen. Dabei ist es durchaus möglich, 8 Hierzu zuletzt Dall’Asta 2015, 24-25 (mit weiterer Literatur); vgl. außerdem Bernstein 1998, 59. 9 Clough 1976, 35. 10 Dazu Enenkel 2002, 368-372 (Zitat: 372). 11 Jenny 1983, 209-214. Zu Auswirkungen der Redaktionstätigkeit Curiones auf das Werk der Morata vgl. Morata 1991, 216-218. Weniger weitgehende Änderungen des Originaltexts nimmt H. Parker (Morata 2003, 56) an, obwohl gerade er konstatiert (55), daß verschiedene von Curione besorgte Auflagen Abweichungen zeigen. 12 Ijsewijn 1985, 185-190 (Zitat: 187). - Ein verwandtes Phänomen, dessen Häufigkeit noch kaum absehbar ist, stellen Brief- oder Gedichtbeiträge zu Gelegenheitsschriften dar, die von den Herausgebern bei sprachgewandten Philologen bestellt, dann aber unter dem eigenen Namen abgedruckt wurden. Ein Beispiel (Gedicht des Zwickauer Rektors Christian Daum für den Juristen Gottfried Richter auf den Tod von dessen Vater, 1669) hat soeben Ross (2015, 1-2) vorgestellt. Ähnlich wie bei den akademischen Disputationsdrucken der Frühen Neuzeit wird man hier von einer erheblichen Dunkelziffer von Texten mit Fremdzuschreibung auszugehen haben. Imagines amicorum 267 daß um 1550 die im engeren Sinne „humanistische Briefkunst“ ihren Zenit überschritten hatte und eine Entwicklung einsetzte, die vom Brief als „beliebig erzeugbaren und manipulierbaren literarischen Dokument“ weg- und hin zu seiner Neubewertung als „einmaliges historisches Aktenstück“ führte, das nicht mehr verändert werden darf. 13 Hiermit geht das Aufkommen neuer Arten von Briefsammlungen einher, insbesondere auf dem Gebiet der Medizin. Auch ihre Verfasser und Herausgeber haben ein Artes-Studium absolviert, und auch ihnen sind humanistisch gefärbte Eitelkeiten keineswegs fremd: so erwartete der bekannte Alchemiker Andreas Libavius (1555-1616), wenn er seine monothematischen Brief(traktat)e zu „chymischen“ Problemen von vornherein im Druck an bestimmte Kollegen adressierte, nichtsdestoweniger von diesen eine sachkundige handgeschriebene Antwort. 14 Insgesamt jedoch gilt für diese Sammlungen von Gelehrtenbriefen, daß der spezifische Sachgehalt gegen redaktionelle Eingriffe immun und stilistische Brillanz nicht das allem übergeordnete Ziel ist. 15 Obwohl erst nach der Jahrhundertmitte publiziert, unterliegen die Sammlungen des Camerarius dieser neuen Entwicklung n i c h t , sondern sind in ihrem wesentlichsten Bestreben, der literarischen Sodalität seiner Erfurter Studienjahre ein Denkmal zu setzen, eindeutig Zeugnisse des Humanismus. Daher ist es wohl richtig, wenn Cecil Clough zum (lateinischen) epistolographischen Werk 13 Jenny 1983, 212-213 (vor dem Hintergrund der Basler Amerbach-Korrespondenz). 14 Lorenz Scholz an Joachim II. Camerarius, 21. 4. 1596 (Erlangen, UB, Trew, Scholtz Nr. 31): Pro transmissione secundi libri Epistolarum Chymicarum […] Andreae Libavii […] magnam tibi gratiam habeo. Quoniam autem responsum ad eas epistolas, quas nomini meo in dicto illo libro inscripsit, a me efflagitaret, facere non potui, quin hac in parte, licet in chymicis operationibus me parum hactenus exercuerim, ipsi morem gererem. Auslöser des Unbehagens waren vier in Libavius 1595, 361-383 gedruckte Briefe an Scholz über verschiedene Fragen der Kalzination. Zum Konzept, auf diese Weise Briefwechsel zu ‚erzwingen‘, vgl. auch kurz Moran 2007, 36-37. 15 MacLean 2008, bes. 21. Die wesentlichen Veränderungen vom Original zum Druck betreffen die Unterdrückung privater, nicht dem Ziel der Fachinformation dienender Briefpassagen, wie dies z. B. bei einem Vergleich von im Original erhaltenen Briefen Johannes Cratos (Erlangen, UB, Trew, Crato von Krafftheim Nr. 468, 475, 486-488, 492, 498-499, 509, 572, 584-586, 641, 643-644, 655, 931) mit ihrem Abdruck durch Lorenz Scholz von Rosenau (1598, Sp. 191-224) deutlich wird. Die von MacLean (a. a. O. Anm. 27) auch für die Gesner-Ausgabe Caspar Wolfs (1577) vermerkte „considerable editorial adaptation“ geht allerdings aus Praefatio und Layout des Bandes gerade nicht hervor. - Einen Sonderfall stellt die 1662 aus dem Nachlaß des Juristen und Prokanzlers der Universität Altdorf Georg Richter (1592-1651) herausgegebene Sammlung von Epistolae familiares (1662) dar, da sie einerseits in humanistischer Tradition den gelehrten Bekanntenkreis Richters abbildet, andererseits aber zahlreiche Schreiben fachwissenschaftlichen Inhalts (u. a. von Medizinern) enthält. Diese werden anders als bei Scholz, der selbst Arzt war, ganz dem humanistischen Interesse unterworfen und - möglicherweise auch infolge fehlender Fachkenntnisse des Herausgebers - teilweise bis zur Sinnentstellung gekürzt wiedergegeben, wie ein Vergleich mit erhaltenen Originalen u. a. aus der Sammlung Trew zeigt. 268 Ulrich Schlegelmilch des Erasmus zu bedenken gab, dieses stehe „towards the end of the main stream of humanistic tradition“ und sei eigentlich nicht mehr „a source from which a river flowed“, 16 doch auch die Briefbände des um eine Generation jüngeren Camerarius sind durchaus noch im gleichen Geist konzipiert. Welche Ziele Camerarius mit seinen libelli verfolgte und welche Mittel er zu ihrer Erlangung anwandte, soll nun untersucht werden. II Joachim Camerarius hat allen fünf zwischen 1553 und 1569 herausgegebenen Briefbänden ausführliche Widmungsvorreden vorangestellt. Neben wichtigen Auskünften zur praktischen Genese der Bände, aus denen wir das Zusammenfließen des verstreuten Materials bei ihm als weithin anerkanntem Nachlaßverwalter seiner Humanistengeneration ablesen können, liefern die Widmungsbriefe vor allem Einsichten in die Motive, die der Publikation der Bände zugrundeliegen. Aus Auslöser für die Beschäftigung mit dem zumeist jahrzehntealten Material ist wiederholt die Erinnerung an die besseren Zeiten des Erfurter Humanismus in den Jahren vor 1520 festgehalten, als Camerarius Teil der dortigen, von Eobanus Hessus (1488-1540) geprägten sodalitas wurde und ihre Mitglieder auf ein neues Gedeihen der studia humaniora hoffen durften. Die seitdem eingetretenen Umbrüche in Religion, Politik und Gesellschaft hatten diese Blütenträume von einer neuen Lebensform nachhaltig zerstört: Aperuerunt autem studia nostra iter eruditae et liberalis vitae, errorum quasi vepribus excisis, et bonis artibus atque literis consuetudine humana perculta. In hos, tanquam amoenissimos hortos, temeritas et petulantia vastatrix subito irruit, et sunt Musarum, secundum Poetam, floribus austri sane procellosi et liquidis immissi fontibus apri. 17 Unsere Art zu studieren öffnete die Türen zu einem Leben in Gelehrsamkeit und Freiheit, ohne die Dornen des Irrtums, bei dem der alte Mensch durch die schönen Künste und Wissenschaften grundsätzlich erschüttert wurde. Doch in diese wundervollen Gärten sind sehr bald Frechheit und Übermut eingebrochen, über die Blüten der Musen kamen, wie der Dichter sagt, ziemlich stürmische Winde, und Wildschweine haben die klaren Quellen getrübt. Mochte sich später, im Jahr 1569, der alte Camerarius auch von Kurfürst August von Sachsen erhoffen, dieser möge die von Melanchthon wiederbegründeten 16 Clough 1976, 34. Die Formulierung ist hier vor allem im Hinblick auf den Umschwung zu volkssprachlichen Briefen im Italien der Jahrhundertmitte getroffen. 17 Camerarius 1553, Bl. A ii v-A iii r (Widmung der Narratio de Eobano Hesso an Adam Crato, o.D. [1553]). Imagines amicorum 269 horti sanctitatis et humanitatis als starker Protektor der sächsischen Fürstenschulen so bewahren, daß nie wieder vastatores apri in sie einbrechen könnten, 18 so sprechen aus den Widmungsvorreden der Jahrhundertmitte vielmehr tiefe und anhaltende Niedergeschlagenheit, Schmerz und Angst vor der harten Gegenwart. 19 Ihr durch Rückbesinnung zu begegnen und jener „guten Zeit“ ( temporum bonitas ) 20 auf den Seiten der Briefeditionen wieder zu ihrem Lebensrecht zu verhelfen bedeutete eine zumindest temporär wirksame „Seelenhygiene“ 21 für ihren Herausgeber, der gleichwohl wußte, daß es mit der Rückschau auf einen verlorenen Sehnsuchtsort nicht getan war. Ziel mußte es vielmehr sein, das Vergangene für den Leser als vorbildlich darzustellen und es damit - im Sinne einer Rückbesinnung auf den richtigen Weg - auch nutzbar zu machen: uoluptas und utilitas , fructuosa lectio und delectari sind die wiederkehrenden Begriffe, mit denen Camerarius seine früheste ebenso wie seine letzte Briefedition durch die variierende Anlehnung an Horaz zu literarischen Werken erklärt. 22 Die damit implizierte gestaltende Arbeit des Herausgebers darf sich nun nicht allein auf persönliche Vorlieben und Geschmacksentscheidungen stützen, sondern hat bestimmten Grundsätzen zu folgen. Neben dem - gerade angesichts einer engen Freundschaft wie im Falle des Hessus bzw. politischer Exponiertheit wie bei Melanchthon - unabdingbaren Schutz der Persönlichkeit im allgemeinen 23 sind auch im engeren Sinne editorische, d. h. philologische Entscheidungen zu treffen. Hier soll auf eine Formulierung des Camerarius besonders hingewiesen sein, aus der sich Einblicke in sein editorisches Selbstverständnis ergeben. Die Widmungsvorrede des ersten Briefbandes von 1553, der auch die biographische Skizze Narratio de Eobano Hesso enthält, ist an Adam Crato-Krafft aus Fulda (1493-1559) gerichtet und enthält eine Aussage darüber, was den Ausschlag zur eigenen Herausgabe von Briefen gegeben habe: 18 Camerarius 1569, Bl. γ 2v, in Anlehnung an Verg. Ecl. 2, 57-58. 19 Bei der praesentis miseriae quasi tempestas (Camerarius 1553, Bl. A iii r; vgl. ebd. A 5r: horror tempestatis ) ist sicher an den Markgräflerkrieg zu denken, der den Leipziger Professor Camerarius - nach der Belagerung der Stadt im Jahre 1547 - nicht zuletzt durch den Tod seines Landesherrn, Kurfürst Moritz, in der Schlacht bei Sievershausen (9. 7. 1553) aufs neue direkt betraf. Das Motiv zieht sich auch durch die weiteren Vorreden und ist biographisch ernstzunehmen; vgl. z. B. Camerarius 1557, Bl. A 5v (Wiederfinden weiterer Hessus-Briefe als Erquickung [ titillatio animi ] in einer Phase seelischer und körperlicher Krankheit). 20 Camerarius 1561, Bl. A 6v. 21 Huber-Rebenich 2001, 147. 22 Ebd. (zum ersten Begriffspaar, aus Camerarius 1553, Bl. A 5r); das zweite in Camerarius 1569, Bl. α 3v. Vgl. außerdem Camerarius 1557, Bl. A 5r: prodesse und voluptas . 23 Hierzu Huber-Rebenich 2001, 148-150. 270 Ulrich Schlegelmilch Cum autem vidissem ante annos aliquot epistolas huius ( sc. Eobani) scriptas ad diversos, editasque m a g i s s t u d i o s e q u a m p r u d e n t e r , v e l n e s t u d i o s e q u i d e m s a t i s , n a m e x e m p l a i n c o r r e c t a e t m e n d o s a d i v u l g a t a s u n t (et te non fugit, qualis Eobanus scriptor fuerit, qui non modo quicquid in buccam venisset, ut dicitur, efferre et τὸ ἐπιὸν cartis committere, sed saepe admodum in festinatione negligenter exarare litteras soleret) - huius igitur epistolarum librum cum vidissem, ut non probabam talem editionem, ita factum illa occasione fuit, ut respicerem ad cartas meas, inter quas scirem epistolas Eobani ad me iacere. 24 Als ich aber bemerkte, daß vor einigen Jahren Briefe des Hessus an verschiedene Adressaten gedruckt worden waren [ zur im Zitat hervorgehobenen Passage vgl. das folgende ] - und Du weißt ja, wie Eoban schrieb, nämlich indem er nicht nur, was ihm in den Schnabel kam, gleich auszuspucken und, wie es war, aufs Papier zu werfen, sondern ebenso seine Briefe in Eile nachlässig hinzuwerfen gewohnt war -: als ich also diesen Briefband zu Gesicht bekam, mißfiel mir die Ausgabe nicht bloß, sondern ich wurde dadurch auch angeregt, in meinen eigenen Papieren nachzusehen, von denen ich wohl wußte, daß sie Briefe des Eoban an mich bargen. Die Passage bezieht sich auf die von dem Theologen Johannes Draco (Drach, Draconites, ca. 1494-1566) herausgegebene, sehr umfangreiche Sammlung von Briefen aus dem Hessus-Umkreis, welche Christian Egenolf 1543 in Drachs Wirkungsort Marburg gedruckt hatte. 25 Unzweifelhaft ist in dem zitierten Abschnitt zunächst die Bedeutung der Parenthese et te non fugit… , aus der die improvisatorisch-nachlässige Schreibart des Hessus lebhaft erkennbar wird. Sie stellt aus Camerarius’ Perspektive offenbar eine Handlungsaufforderung an einen Herausgeber dar. Doch worin besteht sie? Huber-Rebenich hat vorgeschlagen, die Formulierung magis studiose quam prudenter als eine Kritik an Drachs mangelnder „Diskretion und Sorgfalt“ zu verstehen, 26 die somit einerseits einen mangelnden Schutz der Persönlichkeit (infolge sorgloser Textauswahl) und andererseits eine unzureichende editorische Bearbeitung der Texte betreffe - doch bleibt letzten Endes unklar, wie diese aussehen sollte. 27 Es wäre jedenfalls ganz verfehlt, mit dem Begriff der „Sorgfalt“ das moderne textphilologische Kriterium der Treue zum Original verstehen zu wollen. Daß gerade dies nicht gemeint ist, zeigt die von Camerarius nachgereichte Begründung für seine Kritik: nam exempla incorrecta et mendosa divulgata sunt . Der an modernen Maßstäben (und Rezensionen) geschulte philologische Leser ist hier versucht, 24 Camerarius 1553, Bl. A iiij r-v. 25 Hessus 1543. 26 Huber-Rebenich 2001, 148-149. 27 Zu Recht stellt Huber-Rebenich (2001, 149) fest: „Camerarius’ Antworten auf diese Fragen sind nicht in jedem Punkt deutlich formuliert.“ Imagines amicorum 271 einen ‚konditionierten‘ Lesefehler zu begehen und exempla im Sinne von exemplaria zu verstehen, was bedeuten würde, daß Drachs Ausgabe voller Druckfehler sei und dieser damit die Pietätspflichten gegen Hessus verletzt habe - ein bei dem erheblichen Umfang des Bandes (300 Folioseiten in deutlicher optischer Anlehnung an Erasmus’ Briefeditionen) nicht einmal unwahrscheinlicher Vorwurf. Doch bedeutet exemplar im 16. Jahrhundert nicht „Exemplar“, sondern „Abschrift“, und es steht auch nicht im Text. Viel gravierender ist aber der Umstand, daß eine ganze Reihe der von Drach edierten Hessus-Briefe noch heute im Original erhalten sind und daher mit der Edition verglichen werden können: Das Ergebnis einer Kollation von immerhin acht ganzseitigen Briefen des Hessus an den Arzt Georg Sturtz (1490-1548) lautet, daß Drach Hessus’ Briefe fast durchweg b u c h s t a b e n g e n a u abgedruckt hat. 28 Daraus kann nur gefolgert werden, daß es bei den von Camerarius monierten exempla mendosa um etwas anderes geht: Ihr Makel besteht gerade darin, daß editorische Eingriffe u n t e r b l i e b e n sind. Das Ergebnis sind also „fehlerhafte Exempel“ humanistischen Schreibens, angesichts derer ein wahrer Freund wie Camerarius dazu aufgefordert ist, sie zu beheben. Unter studium ist somit nicht „Sorgfalt“ im modernen editionsphilologischen Sinn zu verstehen, sondern eine ‚eifrige‘ Sorge um den befreundeten Autor und sein Bild bei der Nachwelt. An diesem Eifer hatte es Drach nach Camerarius’ Ansicht fehlen lassen - ein Verstoß gegen die Gesetze der Freundschaft, an dessen empörende Grobheit er ihn noch vierzehn Jahre später kaum verbrämt erneut erinnerte: In versibus proferendis minus restricti fuimus, quod opus proprii et sui cuiusdam modi est. Alterum genus considerationem requirere diligentiorem duximus, in quo etiam quorundam nescio vecordiane dicam et levitas an malitia et petulantia me reddidit cir- 28 Briefe vom 21. 6. 1523 (München, BSB, Clm 10 366, 22; Hessus 1543, 83), 3. 3. 1525 (Clm 10 366, 32; Hessus 1543, 106-107), 7. 5. 1525 (Clm 10 366, 28; Hessus 1543, 117-118), 23. 10. 1525 (Clm 10 366, 34; Hessus 1543, 93-94), 16. 12. 1526 (Clm 10 366, 39; Hessus 1543, 127; zur Datierung: Das Autograph trägt das Datum „VVII Kλ Ian. MDXXVI“; die Edition interpretiert dies als „7. Calen. Iani. MDXXVI“ [= 26. Dezember]. Tatsächlich ist „VVII“ als „XVII“ zu lesen, da der hier behandelte Brief aus inhaltlichen Gründen zeitlich vor dem vom XIII. Kal. Ian. = 20.12. liegen muß [Clm 10 366, 40; vgl. unten]. Das Jahr 1526 [nicht 1525] ergibt sich aus der Erwähnung der für 1526, dann für Frühjahr 1527 geplanten Spanienreise des Camerarius [als Teilnehmer einer Gesandtschaft]; vgl. dazu Schmitt 2003, 318-319. Vgl. den Brief Melanchthons an Camerarius vom 30. 9. 1526, MBW 500), 20. 12. 1526 (Clm 10 366, 40; Hessus 1543, 124) und 29. 12. 1538 (Clm 10 366, 47; Hessus 1543, 152). Lediglich im Schreiben vom 31. 8. 1527 (Clm 10 366, 41; Hessus 1543, 129-130) hat Drach ohne ersichtlichen Grund Hessus’ coemi Ioachimis aureis quattuor zu coemit Ioachimus aureis quatuor geändert. 272 Ulrich Schlegelmilch cumspectiorem, qui omnia, quae conquirere et vestigando nancisci potuerunt composita ab aliis, ea ita cruda, ut dicitur, devoranda librariis officinis obicere consueverunt. 29 Bei der Veröffentlichung der Gedichte war ich weniger skrupulös, da es sich dabei um eine Gattung mit ganz eigenen Gesetzen handelt. Die Briefe aber verlangen eine sorgfältigere Behandlung, denn bei ihnen haben böser Wille und Übermut (oder sollte ich besser von wahnwitziger Leichtfertigkeit sprechen? ) mancher Leute mich sehr vorsichtig werden lassen, die wiederholt alles, was andere geschrieben hatten und dessen sie bei ihren Nachforschungen habhaft werden konnten, in rohem Zustand den Buchdruckern zum Fraß vorgeworfen haben. Camerarius’ Editionen von Briefen sind somit dazu angelegt, das Bild der in ihnen dokumentierten Freundschaften und Freunde durch Textauswahl zu prägen und durch Textgestaltung günstig zu beeinflussen. Man könnte von ‚subjektiven Quellensammlungen‘ sprechen oder auch von der Vermittlung eines „aus seiner Sicht ‚richtigen‘ oder in einem höheren Sinne ‚wahren‘ Bildes“. 30 Insofern war es kein Zufall, sondern vielmehr geradezu notwendig, daß die erste von Camerarius’ Briefeditionen in einem gemeinsamen Band mit der Narratio de Eobano Hesso erschien: Briefe und literarische Vita stellen zwei einander ergänzende Bestandteile humanistischer Biographik dar, wobei die Briefe als Beglaubigungen des in der Narratio zuvor Dargestellten fungieren. Diese Vorgehensweise findet sich bei Camerarius später noch einmal, als er seiner De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte […] narratio (1566) drei Jahre später den Band mit Melanchthons Briefen an ihn folgen ließ. Wenn mittlerweile anerkannt ist, daß nicht nur letzterer durch die redaktionellen Eingriffe des Camerarius weit von den Autographen Melanchthons abweicht, sondern daß auch die Narratio eine 29 Camerarius 1557, Bl. A 7v; ebda. A 7r das Bekenntnis zu größtmöglicher fides et cautio bei Briefeditionen - fides bedeutet hier dementsprechend auch nicht „Texttreue“, sondern „treue Freundespflicht“ und entspricht damit etwa dem studium unseres ersten Beispiels. - In der Binnenvorrede zur ersten Briefsammlung (Camerarius 1553, Bl. D 6v-D 7r) an Petrus Suavenius, welche auf den 15. 2. 15[53? ] datiert und damit vermutlich einige Monate älter ist als die oben besprochene Widmung des gesamten Bandes an Adam Krafft, steht ein Plädoyer für Kürzungen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes neben dem grundsätzlichen Bekenntnis zum textgetreuen Abdruck nach dem Original ( pleraque omnia […] expressa sunt de archetypis fideliter ). Diese Angaben wirken insgesamt deutlich unentschiedener als in den anderen Widmungsvorreden und lassen erkennen, daß auch Camerarius noch auf der Suche nach einem modus edendi war. Vgl. zur zitierten Stelle auch Huber-Rebenich 2001, 150. 30 Huber-Rebenich 2001, 149. Nur in diesem Sinne wäre die von Staswick (1992, 300) verwendete Formulierung statthaft, daß Camerarius einer „faulty collection“ eine „authentic version“ entgegenstellen wollte: ‚authentisch‘ ist nicht der Text, sondern das Bild des Hessus, wie ihn Camerarius sah und gesehen wissen wollte. Imagines amicorum 273 durchaus subjektive Darstellung von interessierter Seite darstellt, 31 so darf man davon ausgehen, daß gleiches auch auf die Briefe und Biographie des Hessus zutrifft - und mehr noch: auch auf jene von Camerarius herausgegebenen Briefe, zu deren Autoren keine parallele Biographie entstand. Dies soll anschließend anhand von Fällen überprüft werden, in denen Briefautographen erhalten sind. An dieser Stelle ist einzuschränken: Camerarius hat zweifellos große und jahrelange Mühe darauf verwendet, seinen gelehrten Freunden das jeweils bestmögliche Erinnerungsbild zu schaffen, doch wäre es naiv, diese Anstrengungen ausschließlich als altruistische Dienstleistungen aus der Studierstube eines Philologen zu verstehen. Vielmehr läßt sich deutlich erkennen, daß es ihm ebenso darum ging, seinerseits als der berufenste unter allen denkbaren Nachlaßverwaltern der Erfurter und Wittenberger Blütezeit sichtbar zu werden. Mehrfach trat er durch seine Publikationen in deutlich erklärte Konkurrenz zu anderen, die bereits vor ihm auf dem gleichen Gebiet tätig geworden waren. Im Falle des Eobanus Hessus wurde dies bereits aus der zitierten, gegen Drachs Ausgabe von 1543 gerichteten Vorrede zum ersten Briefband deutlich. Dieser erschien zwar erst mit zehnjährigem Abstand zu dem kritisierten Werk, doch wissen wir, daß Camerarius die Arbeit an der Narratio de Eobano Hesso bereits 1544 begann und daß durch den schon 1548 verstorbenen Georg Sturtz einige der von Drach gedruckten Originalbriefe an Camerarius gelangten 32 - die Planungen für eine ebenso korrigierende wie konkurrierende Ausgabe haben demnach (spätestens) unmittelbar nach dem Erscheinen von Drachs Band begonnen. Als es einige Jahre später darum ging, das Andenken Melanchthons in der richtigen Weise zu bewahren, wiederholte sich die Situation - auf Camerarius muß dies gewirkt haben, als sei er zum zweiten Mal zu spät gekommen. Denn nicht allein hatte Johannes Manlius aus Ansbach (ca. 1535-1604? ), der zwar lange Jahre in Wittenberg verbracht hatte, jedoch in keinem vergleichbar engen Verhältnis zu Melanchthon gestanden haben dürfte, bereits 1565 die erste Ausgabe von Melanchthonbriefen drucken lassen und sich damit den heftigen Unmut von dessen Schwiegersohn Caspar Peucer (1525-1602) zugezogen, welcher Manlius in sehr ähnlichen Worten, wie Camerarius sie gegenüber Draconites gebraucht hatte, fahrlässigen Umgang mit dem Material vorwarf. Peucer war es auch, der umgehend (und erklärtermaßen schneller als ursprünglich geplant) seinerseits eine eigene Melanchthon-Briefsammlung auf den Markt warf und sich überdies in der Vorrede zum wahren und einzig würdigen Verwalter der Briefe des Reformators erklärte: 31 Wengert 1995. 32 Narratio : Hessus 2004, 5; Briefe: Camerarius 1553, Bl. A 5r. 274 Ulrich Schlegelmilch Sed addidit ad priorem dolorem [ sc. über Manlius’ „Locorum communium collectanea”] plurimum publicatio epistolarum, cum quod s i n e i u d i c i o e t s i n e d e l e c t u c o n t r a c t a e c o n g e s t a e q u e sunt, tum quod ita expressae sunt typis, ut cum nulla paene sui parte constent atque cohaereant, Manlium vix sibi constare ostendunt. […] oro autem, et si fas est, obtestor viros doctos et bonos, ut si quas habent Philippi Melanthonis epistolas, illas ad me potius mittant quam vel ad istum vel ad alios huius similes errones. Noch schlimmer als beim ersten Mal schmerzt jetzt die Edition der Briefe, die nicht nur ohne Urteil und Auswahlvermögen zusammengehäuft wurden, sondern auch so gedruckt, daß nichts zueinanderpaßt und damit anzeigt, wie es um Manlius selbst steht. […] Ich bitte, ja ich dränge deshalb alle Gelehrten guten Willens, daß sie Melanchthonbriefe aus ihrem Besitz mir und nicht diesem Mann oder ähnlichen Strolchen zusenden! 33 Camerarius mußte nun schnell handeln, wenn seine eigene Melanchthon-Deutung noch wahrgenommen werden sollte, zumal Peucer sich im April 1566 beim Kaiser um ein allgemeines Druckprivileg für eigene, aber auch für Melanchthons Schriften bemühte: 34 noch im gleichen Jahr erschien seine Melanchthon- Biographie. Ob zwischen Camerarius als Freund und Peucer als Verwandtem damit eine regelrechte Rivalität um die Nähe zu Melanchthon aufgebrochen war, läßt sich, wie Ian MacLean konstatiert hat, nicht sicher sagen; Peucer fuhr jedenfalls schon 1570, also ein Jahr nach Camerarius’ Liber continens continua serie epistolas , seinerseits mit der Publikation von Melanchthon-Briefen fort und nahm noch 1589 auf deren weitere Erschließung Einfluß. Doch selbst wenn es über das Erbe des Reformators nicht zum offenen Streit kam, so weisen doch der Erscheinungszeitpunkt und vor allem die dezidierte redaktionelle Gestaltung der Melanchthonbriefe durch Camerarius im Band von 1569 überdeutlich auf eine entstandene Konkurrenzsituation hin, die keineswegs nur den Buchmarkt, sondern auch die Deutung und das zukünftige Bild des Reformators betraf. Mit seiner Doppelstrategie von Biographie einerseits und ihrer Untermauerung durch Briefe andererseits dürfte Camerarius auf diesem Feld einen nicht unwe- 33 Melanchthon 1565, Bl. A 4v-A 5r. Zu Manlius und Peucers Kritik vgl. bereits Scheible 1968, 138-139; ausführlicher jetzt MacLean 2002, 224-226. 34 MacLean 2002, 218. Erhalten (und MacLean bekannt) ist nur das erteilte Privileg vom 18. 4. 1566. Peucer hatte sich, um die üblichen Verzögerungen der kaiserlichen Bürokratie zu vermeiden, direkt an den seit Januar in Augsburg weilenden Kaiser gewandt; sein Schreiben datierte vom 3. April und hatte somit außergewöhnlich rasch Erfolg. Vgl. das Regest in: Autographensammlungen Dr. Carl Geibel, Leipzig / Carl Herz v. Hertenried, Wien. Versteigerung zu Leipzig bei C. G. Boerner, Erster Teil, Leipzig 1911, 33, Nr. 142 sowie www.aerztebriefe.de/ id/ 00018276. Imagines amicorum 275 sentlichen Vorteil errungen haben, der seiner Sichtweise bis weit ins 19. Jahrhundert dauerhafte Gültigkeit verschaffte. III Für eine detaillierte Betrachtung der im engeren Sinne philologischen Arbeit des Camerarius an den Briefen der Freunde bietet sich nach derzeitigem Kenntnisstand insbesondere der Libellus novus von 1568 an. Hintergrund dafür ist die relativ günstige handschriftliche Überlieferungslage. Aus einem auf den Blättern E 5v-E 6v inserierten kurzen Briefwechsel des Camerarius mit dem Arzt Bruno Seidel (ca. 1530-1591) in Arnstadt sowie einem weiteren, nicht abgedruckten Brief an Seidel geht hervor, daß die Ausgabe mindestens seit Anfang 1563 in Vorbereitung war. 35 Seidel war es auch, der Camerarius einen Teil der hier abgedruckten Briefe des Mutianus Rufus im Original zugänglich machte; diese Sammlung ist heute jedoch verschollen. 36 Im Hinblick auf die Hessus-Korrespondenz stellt der Band eher eine Nachlese dar, obwohl auch hier nochmals eine recht große Zahl neuer Stücke abgedruckt ist. Keines davon ist im Autograph erhalten, so daß hier keine Vergleiche möglich sind; auch hat Camerarius von einem etwaigen veränderten Wiederabdruck solcher Hessus-Briefe abgesehen, deren unzureichende Publikation er Draconites seinerzeit vorgeworfen hatte (obwohl ein Teil davon ihm, wie schon erwähnt, bereits übergeben worden war), und es dadurch vielleicht auch vermieden, seine eigenen Grundsätze allzu deutlich zur Schau zu stellen. 37 Erstmals im Libellus novus hat Camerarius außerdem eine beträchtliche Zahl eigener Schreiben publiziert; keines davon scheint jedoch im Original erhalten geblieben zu sein. 38 Im folgenden gebe ich 35 München, BSB, Clm 10 368, 100 (Camerarius an Seidel, 5. 1. 1563); Camerarius 1568, Bl. E 5v-E 6r (Seidel an Camerarius, 1. 5. 1563); ebd., Bl. E 6r-v (Camerarius an Seidel, 30. 9. 1563); vgl. auch Bl. E 6v (Camerarius an Seidel, 1. 3. 1568, über die abgeschlossene fünfjährige Arbeit an der Ausgabe) und - wohl am Beginn des Briefwechsels - Clm 10 368, 99 (Seidel an Camerarius, 29. 12. 1562). 36 Lediglich ein Brief (Camerarius 1568, Bl. D 5v-D 6r: Mutianus an Camerarius, X. Cal. Sext. o. J., inc. Novo modo tua me ; vgl. Mutianus 1885, 663 Nr. 649) ist auf unbekanntem Weg in die Collectio Cameriana gelangt (München, BSB, Clm 10 358, 33). Die Abweichungen zwischen Handschrift und Druck sind gering; vgl. unten. 37 Camerarius 1568, Bl. B 6r-B 7r (Hessus, inc. Vir optime, poeta maxime, τῶν ἰατρῶν et nescioquid non ) ist nicht etwa eine redigierte und falsch zugeschriebene Fassung von Hessus 1543, 266 (Camerarius! , inc. Vir optime, poeta maxime, τῶν ἰατρῶν οὐκ ἐν τοῖς ἥκιστα), sondern der zugehörige Antwortbrief, der Camerarius’ Briefanfang zitiert. 38 Camerarius 1568, Bl. D v-D 2r (an Valentin Capella, o.D., inc. Per nostras Musas ) ist nicht identisch mit München, BSB, Clm 10 366, 77. - Zur besonderen Frage nach der Überarbeitung eigener Briefe bei Camerarius vgl. den Schluß von Teil III. 276 Ulrich Schlegelmilch eine Übersicht derjenigen Briefe des Libellus novus , die nach derzeitigem Kenntnisstand sicher einem erhaltenen Original zuzuordnen sind. 39 Cam. 1568, Bl. Brief Original D 3r-D4v von Antonius Niger, o.D. Erlangen, UB , Trew Niger 27 D 5v-D6r von Mutianus Rufus, X. Cal. Sext. Clm 10 358, 33 D 6r-v von Georg Sturtz, 20. 3. 1521 Clm 10 366, 82 D 6v-D 7r von demselben, 8. 4. 1521 Clm 10 366, 83 D 7v-D 8r von demselben, 7. 7. 1521 Clm 10 366, 84 E r-E 2v von Euricius Cordus, 24. 5. 1521 Erlangen, UB , Trew E. Cordus 1 E 5v-E 6r von Bruno Seidel, 1. 5. 1563 Clm 10 366, 108 E 6r-v von demselben, 30. 9. 1563 Clm 10 366, 109 M 2r-M 3r von Adrien Turnèbe, 23. 5. 15[60] Paris, BNF , Suppl. grec 1361 M 4v-M 5r von Antonius Niger, 21. 12. 1553 Erlangen, UB , Trew Niger 21 M 5r-v von demselben, 12. 2. 1554 Erlangen, UB , Trew Niger 22 M 6v-M 7v von Jacob Bording, 1. 2. 1554 Clm 10 360, 282 N 7v von Franciscus Dryander, 3. 7. 1550 Clm 10 365, 7 N 8r-v von demselben, 15. 1. 1548 Clm 10 365, 6 O r-v von demselben, 8. 11. 1547 Clm 10 365, 5 O v-O 2r von Franciscus Vinarius, 1536 Clm 10 361, 2 O 2r von Antonius Niger, 12.11. o. J. Erlangen, UB , Trew Niger 13 O 2v-O 3r von Petrus Suavenius, 25. 10. 1542 Clm 10 366, 66 39 Eine umfassende Sichtung der Münchner „Collectio Camerariana“ (Clm 10 351 bis 10 431) ist für das Vorhaben der Akademienunion „Frühneuzeitliche Ärztebriefe“ (Zugang zur seit 2009 entstehenden Regesten-Datenbank unter: http: / / www.aerztebriefe.de) abgeschlossen und wurde bereits während der Vorarbeiten zum Projekt „Opera Camerarii“ im Hinblick auf den Briefwechsel des älteren Camerarius weitergeführt. Da unter dieser Fragestellung noch nicht alle Bände der Sammlung geprüft werden konnten, ist die folgende Aufstellung vorläufig und wird der Ergänzung bedürfen. - Bei dem auf Bl. K r-v abgedruckten Brief des Aldus Manutius an Heinrich Urban (22. 2. 1506) hat sich eine Abschrift in der Mutian-Hs. Frankfurt / Main, StUB, Ms. Lat. oct. 8 erhalten; das Verhältnis zu Camerarius’ Vorlage ist ungeklärt. Der auf Bl. M 6r-v befindliche Brief des Jacobus Micyllus ist bei gleichem Datum IV Id. Sept. (o. J.) doch nicht identisch mit München, BSB, Clm 10 366, 136. Vier Briefe des Petrus Lotichius auf den Bl. N 2r-N 4r und P r-v sind bislang nur abschriftlich nachzuweisen (Hamburg, SuUB, Sup. ep. 4° 19, Nr. 11-13 und 15) und damit für unseren Vergleich nicht verwertbar. Imagines amicorum 277 Cam. 1568, Bl. Brief Original O 6r von Wilhelm Megala, o.D. Clm 10 431(1, 133 (Abschrift durch Camerarius! ) P 2v-P 3r von Konrad Gesner, 5. 8. 1558 Erlangen, UB , Trew Gesner 1 P 3r-v von Ludovicus Brassicanus, 15.3. o. J. Clm 10 368, 5 P 3v-P 4r von demselben, 13.9. o. J. Clm 10 368, 6 P 5r-v von Johannes Rivius, 27. 5. 1543 Clm 10 365, 18 P 7r-v von Georg Sigmund Seld, 14. 6. 1560 Clm 10 361, 23 Betrachten wir nun die verschiedenen Arten der von Camerarius unternommenen Eingriffe in den Text. Sie sind nicht nur aus dem synoptischen Vergleich von Original und Druck ersichtlich, sondern durch eigenhändige Streichungen und Beischriften von Camerarius in den Autographen selbst festgehalten. 40 Zur editorischen Routine gehören zunächst formale Anpassungen nach dem Geschmack des Herausgebers wie z. B. das Hinzufügen von Kopfzeilen oder die Umgestaltung von Datierungen nach einheitlichem Muster. 41 So hat Camerarius z. B. Bruno Seidels kurzem Schreiben vom 30. 9. 1563 (Clm 10 366, 109) ein Ioachimo Camerario s. vorangestellt und das Datum von pridie Calend. Octobr. 1563. zu pridie Calend. Octobr. An. M. D. LXIII . geändert. In die gleiche Kategorie von Vereinheitlichungen gehört die Fortlassung der ausführlichen Adresse. 42 Im Grenzbereich von stilistischer und inhaltlicher Änderung bewegt sich der 40 Vgl. Abb. 1. - Daneben finden sich in Clm 10 366 wiederholt Vermerke von anderer Hand, die mit Rötelstift ausgeführt sind. Sie bezeichnen z. B. Seitenumbrüche der Drachschen Ausgabe von 1543 (z. B. in Clm 10 366, 28 [Hessus an Sturtz, 7. 5. 1525]: horizontale Linie und Vermerk 10 k am Rand; ebd., 34 [Hessus an Sturtz, 23. 10. 1525]: horizontale Linie und Vermerk 10 H am Rand) oder geben Hinweise auf Einrückungen (ebd., 39 [Hessus an Sturtz, 16. 12. 1526]). Es handelt sich also um Satzanweisungen aus der Egenolfschen Druckerwerkstatt in Marburg. Die Überlieferung der genannten Stücke in der Collectio Camerariana belegt zugleich, daß sie zu jenen Materialien gehören, welche nach der Drucklegung über Georg Sturtz an Camerarius gelangten (vgl. Anm. 32). - Am Münchner Exemplar des Drucks von 1543 (BSB, 2 Epist. 5; auch online einsehbar) ist dieser Sachverhalt bereits beobachtet und von moderner Hand - vielleicht des Bibliothekars und Katalogisators der Collectio, Karl Halm - auf S. 144 vermerkt worden: „im Cod. ist hier eine rothe Linie, Zeichen dass derselbe zum Druck benützt wurde.“ 41 Zu der weitergehenden Umstellung von christlichen Festauf römische Kalenderdaten und den dabei aufgetretenen Irrtümern des Camerarius bei der Melanchthon-Briefausgabe vgl. Scheible 1968, 141. Eine besondere Schwierigkeit stellte bereits für Camerarius das häufige Fehlen der Jahresdatierung in Melanchthons Briefen dar; dies führte in der Ausgabe von 1569 zu Fehlern bei der Einordnung der Briefe (Clemen 1926, 394). 42 Eine solche ist z. B. als einziger Eingriff in den Text des ansonsten unverändert gedruckten Briefes von Jakob Bording (Clm 10 360, 282) erfolgt. 278 Ulrich Schlegelmilch Redaktor, wenn Begriffe zwecks größerer Klarheit ersetzt werden, die nur dem ursprünglichen Adressaten oder aber dem Leser eines zusammenhängenden Briefwechsels verständlich sind, bei der Publikation von Einzelstücken aber verdunkelt werden. So ersetzt der Ausdruck magistri sapientiae im Abdruck des Mutian-Briefes vom 23. Juli (o. J.) das unspezifischer wirkende, für den Eingeweihten aber durchaus gewichtige magistri nostri . 43 Auch eine stillschweigende Verbesserung echter - oder aber: vermeintlicher - grammatischer Versehen bedeutet keine Kompetenzüberschreitung, sondern zählt vielmehr zu den Pflichten eines verantwortungsvollen philologischen Herausgebers der Frühen Neuzeit. Doch der Abdruck des in Ferrara verfaßten ersten Reisebriefs des Euricius Cordus vom 24. Mai 1521 zeigt die Dehnbarkeit dieser Kompetenzen sehr deutlich: Camerarius hat hier in jeden einzelnen Satz stark eingegriffen und dem in übermütiger Humanistenlaune geschriebenen Brief damit zugleich einiges von seiner sorglosen sprachlichen Gestaltung genommen. Das zeigt bereits der erste Absatz, hier zunächst im Urtext, dann in der gedruckten Fassung: Salus. Si aeque vos nostras ac nos vestras desideramus literas, venient hae certe expectatissimae. Mirarer post tot meas nullas adhuc tuas missas, nisi scirem non commodum semper, qui perferat, adesse, et ignorasse te ubinam gentium ageremus. Ferrariam (quem tamen locum omnes Cordimastigas latere velim) salvi contigimus, ubi vixdum in terris versantem adhuc Christum offendimus - proxima enim die in coelum ascendens abiit. (Erlangen, UB , Trew, E. Cordus Nr. 1) S[alutem]. Si aeque vos nostras ac nos vestras desideratis litteras, venient hae certe expectatissimae. Mirarer post tot meas nullas adhuc tuas huc esse missas, nisi scirem commoditatem mittendo raro offerri, vosque adeo ignorare ubinam gentium locorumque agamus. Ferrariam (quod tamen omnes Cordomastigas latere nolim [sic! ]) salvi pervenimus, ubi in terris non magis versantem Christum offendimus - pridie enim in celum ascendens abiisse dicebatur […] (Camerarius 1568, Bl. E r-v) Seid gegrüßt! Wenn Ihr meine Briefe ebenso ersehnt wie ich Eure, dann wird dieser hier gewiß hochwillkommen sein. Ich würde mich wundern, auf so viele eigene Briefe noch keine Antwort von Dir bekommen zu haben, wenn mir nicht bewußt wäre, wie spärlich die Möglichkeiten zur Versendung sind - und daß Ihr noch gar nicht wißt, wo um alles in der Welt ich mich aufhalte. Wir sind unbeschadet nach Ferrara gelangt 43 Clm 10 358, 33; Mutianus 1885, 663. Auf die Verwendung des Ausdrucks als Kampfbegriff im Dunkelmännerstreit weist mich Matthias Dall’Asta zu Recht hin; es läge damit ein weiteres Beispiel für inhaltliche Entschärfung durch Camerarius vor, wie sie im folgenden illustriert wird. Imagines amicorum 279 (doch kein Wort davon zu den Geißeln des Cordus! ), wo wir Christus nicht mehr auf Erden antrafen: am Vortag, so hieß es, sei er gen Himmel gefahren […] Camerarius wollte seinen Lesern offensichtlich nicht vorenthalten, wie Cordus mit diesem Brief ausführlich von den antiken Stätten in Sirmio und Pietole berichtete, aber auch vom Universitätsbetrieb in Ferrara und schließlich davon, daß über die Luthersache jenseits der Alpen kein Wort zu erfahren sei, und druckte den Brief daher ab. Auch eine grundsätzliche Humorlosigkeit oder Bedenklichkeit gegenüber dem heiteren Ton jener Jahre, die er selbst zu den besten seines Lebens erklärt hatte, wird man Camerarius nicht unterstellen dürfen, zumal er sich durchaus nicht scheute, ein eigenes undatiertes, jedoch eindeutig aus den Erfurter Studienjahren stammendes Schreiben abzudrucken, das ihn am frühen Morgen in seiner Schlafstube (und auch sprachlich zuweilen leger) in banger Sorge vor den Folgen eines nächtlichen (karnevalesken? ) Auftritts zeigt. 44 Souverän eigene ‚Jugendsünden‘ zu akzeptieren war jedoch etwas anderes, als einen geschätzten Freund und Dichterkollegen mit einem als sprachlich ungehobelt empfundenen Text geradezu bloßzustellen. Die erheblichen Korrekturen im Text des Cordus-Briefes sind demnach als Teil des Persönlichkeitsschutzes anzusehen, für den der Herausgeber verantwortlich ist. Dennoch wird man festhalten müssen, daß Camerarius dabei doch etwas ‚klassizistisch‘ und jedenfalls mehr mit Blick auf die eigene Würde der Gegenwart als auf die Stimmung der frühen Studienjahre vorging. So war es ihm vermutlich auch nicht unangenehm, daß Cordus’ euphorische Adressierung Supra ętatem et opinionem docto iuveni Joachimo Quęstori ph[ilosoph]o insignito hoc est magistratissimo magistro beim Druck der ohnehin vorgesehenen Streichung der Anschriften zum Opfer fiel. Neben solchen letztlich noch der Stilistik zuzurechnenden Eingriffen stehen inhaltliche Veränderungen der Brieftexte. Die Vorgehensweise ist in jeder Hinsicht mit der des Camerarius bei der Edition der Melanchthon-Briefe vergleichbar, wie sie von Heinz Scheible beschrieben worden ist. Zwar fehlen im Briefband von 1568 bisher Beispiele für Decknamen, hinter denen Personen aus verschiedenen Gründen verborgen werden sollen, doch läßt sich diese Praxis auch schon im Tertius libellus von 1561 nachweisen. An einem Brief des Simon Grynaeus läßt sich hier ablesen, welche Schwierigkeiten aus dieser Verdunke- 44 Sperabam neminem omnium fore, qui me agnosceret ita ornatum, praesertim noctu ad lumina. Est autem τὸ παρακινδύνευμα audax, ne dicam temerarium. […] Valde me terruit hodie nuntius. Cum enim vix e lecto surrexissem, venit mane ὁ τῶν δοκιμαστῶν ὑπερέτης et magno impetu pulsavit fores nostrae habitationis et intromissus, Iuberis, inquit, adesse statim! Non erat illa dies mea [sic! ]. (Camerarius an Valentin Capella, o.D.; nur gedruckt erhalten in Camerarius 1568, Bl. D v-D 2r). 280 Ulrich Schlegelmilch lung von Eigennamen erwachsen können. Das auf den 3. Dezember eines unbekannten Jahres datierte Stück beginnt im Druck mit den Worten Libellum τοῦ περιπατητικοῦ, während das Incipit des Originals lautet: Libellum Bigotii . 45 Die bei unsicheren Datierungen gewöhnlich eintretende Identifikationsmöglichkeit von Texten über ihr Incipit versagt also in diesem Fall aufgrund der Eigennamenredaktion. Gleich mehrfach belegt ist in den Briefen, die 1568 zum Druck gelangten, die Abmilderung oder Streichung polemischer oder als anstoßerregend betrachteter Formulierungen. Sie zeigen Camerarius als einen Redaktor, der insbesondere bei konfessionellen Themen darauf bedacht ist, seine gelehrten Freunde vor Anschuldigungen zu schützen, zumal wenn sie - wie in allen drei folgenden Beispielen - selbst bereits verstorben sind. Der Arzt Antonius Niger (ca. 1500-1555), den Camerarius besonders schätzte und auf den später noch zurückzukommen ist, beklagte sich Ende 1553 über die Zustände im von den kriegerischen Zeitläuften geplagten Braunschweig: Ego in ea versor urbe, quę diutino et pene Peloponnesiaco bello miserrime vexata est. Et disrumpor, esse nonnullos hic qui post tantam belli diuturnitatem nondum didicerunt γνωσιμαχεῖν. 46 Ich lebe in einer Stadt, die durch einen langen, beinahe peloponnesischen Krieg aufs schlimmste gemartert ist. Und es macht mich zornig zu sehen, daß es hier einige Leute gibt, die nach so langer Dauer des Krieges immer noch nicht gelernt haben, [stattdessen! ] mit Worten zu fechten. Während die hierin enthaltene Mahnung zum Frieden über jeden Zweifel erhaben war, schien aus Camerarius’ Sicht der unmittelbar folgende Satz geeignet, neue Zwietracht zu säen: die Worte Ἀλλ’ οἶσθα τὸν Σαξόνων λαὸν λάϊνον wurden für den Druck gestrichen. Mochte Niger hier auch zunächst die Niedersachsen gemeint haben, war das Wort vom ‚steinernen Herz der Sachsen‘ dem Leipziger Camerarius doch offenbar zu gefährlich, ohne daß wir Näheres zu den Hintergründen sagen könnten. In eine ähnliche Richtung weist eine Kürzung im Brief des Züricher Arztes und berühmten Naturforschers Konrad Gesner (1516-1565) vom 5. August 1558. Dieser unterrichtete Camerarius über die neuesten Druckvorhaben seines Cousins Andreas (1513-1559): 45 Camerarius 1561, Bl. Mr; Clm 10 357, 52. Die Gleichsetzung Guillaume (Le) Bigots (1502-ca. 1550) mit dem περιπατητικός ist durch eine zweite gleichartige Ersetzung des Namens (Clm 10 357, 33: Grynaeus an Camerarius, 6. Januar o. J., inc. sic mihi quoque cum scriberem ; Camerarius 1561, Bl. L 5r-L 6r) gesichert. 46 21. 12. 1553: Erlangen, Trew, Niger Nr. 21; Camerarius 1568, Bl. M 4v-M 5r (Zitat: M 5r). Imagines amicorum 281 Andreas typographus hoc tempore cudit Testamentum novum Latine et Graece e regione, a Theodoro Beza translatum puto, cum eiusdem annotationibus. Eius folium quamvis maculatum mitto […]. Der Drucker Andreas hat in diesen Tagen das Neue Testament in synoptischem Druck auf Latein und Griechisch fertiggestellt; die Übersetzung ist, glaube ich, von Théodore de Bèze, ebenso die Anmerkungen. Ich schicke hier ein obschon fleckig gewordenes Probeblatt mit […]. Die erwähnte Bibelausgabe enthielt, wie Gesner richtig vermutet hatte, die Übersetzung und Annotationen des Calvinisten Beza. 47 Eben dies zu erwähnen aber scheint Camerarius nicht wünschenswert erschienen zu sein, so daß im Druck jeder Hinweis auf den Reformator getilgt wurde: Andreas typographus hoc tempore cudit Testamentum novum Latine et Graece e regione, cum annotationibus, eius folium quamvis maculatum mitto. 48 Ob die allgemein weitverbreitete Ächtung der Calvinisten der Auslöser für die Streichung war, läßt sich einstweilen nur allgemein vermuten; ebenso ist nicht auszumachen, ob die erstmalige Aufnahme eines direkten Briefwechsels zwischen Camerarius und Beza im Winter 1567 / 68 eine Rolle bei dem editorischen Eingriff gespielt hat. 49 Von den fünf im Libellus novus gedruckten Schreiben des französischen Philologen Adrien Turnèbe (1512-1565) ist nur eines im Original erhalten, das 1928 im Rahmen eines Nachlasses in die Bibliothèque Nationale (Signatur: Suppl. grec 1361) nach Paris und damit zurück an seinen wahrscheinlichen Absendeort gelangte. 50 Camerarius’ Vorbereitung des Briefes für den Druck beschränkt sich zunächst weitgehend auf stilistische Änderungen bei Artikeln und Partikeln, greift jedoch entschieden ein, als Turnèbe eine Würdigung des kurz zuvor verstorbenen Melanchthon formuliert. Hier zunächst der Originaltext: Ἠχθέσθην τῇ ἀγγελίᾳ καὶ ἀνωδυράμην τὴν τῆς παιδείας συμφορὰν ἥτις ἐπὶ τῷ σήματι τἀνδρὸς δοκεῖ μοι οὐκ ἂν ἀδίκως κείρασθαι, ἅτεπερ ἀπολέσασα τὸν αὑτῆς κορυφαῖον καὶ βάκχον, οὐ μὰ Δία ναρθηκοφόρον τινά. Νῦν ἐν σοὶ μόνῳ τὰ τῆς παιδείας σαλεύει. 47 Τῆς Καινῆς Διαθήκης ἅπαντα. Nunc denuo a Theodoro Beza uersum: cum eiusdem annotationibus, in quibus ratio interpretationis redditur, Zürich: Andreas Gessner für Nicolaus Barbirius und Thomas Courteau in Genf, 1559 (VD16 B 4210). 48 Original: Erlangen, Trew, Gesner Nr. 1; Druck: Camerarius 1568, Bl. P 2v-P 3r (Zitat: P 2v). 49 Beza 1978, 19-21, Nr. 586: Camerarius an Beza, 16. 1. 15[68]. 50 Das mit der Blattzählung 123 versehene Original, das ursprünglich wohl im heutigen Clm 10 360 (in dem als einzigem Band der Collectio Camerariana ein Blatt mit dieser Nummer fehlt) enthalten war, ist unter http: / / gallica.bnf.fr/ ark: / 12148/ btv1b10532611s/ f16.item einsehbar; es trägt keine Redaktionsspuren des Camerarius. Der Text ist zitiert nach Astruc 1945, 221. Veränderte Fassung: Camerarius 1568, Bl. M 3r. 282 Ulrich Schlegelmilch Ich war bestürzt über die Nachricht [vom Tode Melanchthons] und beklagte bei mir den Verlust für die Bildung der Jugend, welcher meines Erachtens auf dem Grabmal des großen Mannes nicht zu Unrecht mit den Worten festgehalten ist, die Bildung habe „ihren führenden Kopf und wahrhaft inspirierten (Wegweiser) verloren, nicht etwa nur einen Priester unter vielen“. Jetzt ruht auf Dir allein die schwankende Last der Bildung der jungen Generation. Der hier mitgeteilte Auszug aus einer (wohl fiktiven) Grabinschrift für Melanchthon, deren Herkunft bisher nicht festgestellt werden konnte, 51 basiert auf einer bekannten, den Orphikerfragmenten zugeordneten Zuspitzung, die vor allem aus ihrer Zitation in Plat. Phaid. 69c-d geläufig ist: εἰσὶν γὰρ δή, ὥς φασιν οἱ περὶ τὰς τελετάς, ναρθηκοφόροι μὲν πολλοί, βάκχοι δέ τε παῦροι („viele sind Träger des Stabes, doch nur wenige sind wahre Bacchanten“). Gleichzeitig mußte jeder Leser an das eng verwandte Wort Christi multi autem sunt vocati pauci vero electi ( Mt 22, 14) denken, so daß die ‚Narthexträger und Bakchen‘ lediglich als antikisierende Verbrämung der christlichen Theologen durch den Gräzisten Turnèbe erschienen. Genau dies dürfte auch der Grund sein, weswegen Camerarius beim Abdruck des Briefes das eigentlich so prägnante Bild ganz fortließ: es war zu befürchten, daß andere, noch lebende protestantische Theologen sich zu bloßen Statisten (ναρθηκοφόροι τινες) degradiert fühlten, was angesichts der ohnehin zunehmenden innerkonfessionellen Spannungen nicht befördert werden durfte. Von Turnèbes Würdigung blieb im Druck somit nur der nüchterne Satz übrig: ἥτις ἐπὶ τῷ σήματι τἀνδρὸς δοκεῖ μοι οὐκ ἂν ἀδίκως κείρασθαι ἅτεπερ ἀπολέσασα τὸν αὑτῆς κορυφαῖον. 52 Doch nicht allein in der Ausnahmegestalt Melanchthon, sondern ebenso in den Freunden aus der Erfurter Zeit sah Camerarius, wie die Widmungsvorreden der Briefausgaben gezeigt haben, einen für Literatur und Bildung idealen 51 Es handelt sich nicht um den Text des ursprünglichen, von Camerarius im Anhang seiner Biographie (1566, 420) bewahrten Entwurfs zu Melanchthons Grabschrift; auch die 1561 / 62 erschienene maßgebliche Sammlung der Wittenberger Funeralschriften auf Melanchthon (Orationes, epitaphia et scripta, quae edita sunt de morte Philippi Melanthonis omnia, cum narratione […] edita a professoribus Academiae Vuitebergensis, qui omnibus quae exponuntur interfuerunt, Wittenberg: Crato, 1561 / 62) enthält wenigstens nach kursorischer Durchsicht keinen Text, auf den sich Turnèbe hier beziehen könnte. Zu diesem Band vgl. Bogner 2006, 88-90, zu Grabinschriften für Melanchthon ebd. 66-68. Lewis’ monographische Studie zu Turnèbe (Lewis 1998) geht auf den Inhalt des Briefs nicht ein. 52 Daß das antike Zitat auch in anderen Variationen von den Humanisten zu gelehrtem Spott benutzt wurde, zeigt eine Äußerung des Justus Lipsius. In einem - im übrigen sehr stark gegenüber der hs. Originalfassung für den Druck redigierten - Schreiben heißt es über die vom Kaiser gekrönten Poeten: laurigeri multi, pauci Phoebi (an Franciscus Modius, 5. 8. 1582; Edition: Lipsius 1978, 364). Imagines amicorum 283 historischen Augenblick verkörpert. Sein Ziel war es daher, mit verschiedenen geeigneten Mitteln eine Art literarischer Porträtgalerie zu schaffen. Es war von vornherein klar, daß nicht jeder der Freunde eine eigene Biographie erhalten konnte; dieses Privileg blieb dem Erfurter „Poetenkönig“ Eobanus Hessus als dem Bedeutendsten unter ihnen vorbehalten. Bei den anderen Freunden konnte jedoch die Briefsammlung als Ersatz eintreten, insbesondere wenn sie zu dem beschriebenen Zweck einer sorgfältigen Redaktion unterzogen wurde. Dazu bedurfte es nicht der erwähnten exempla mendosa - selbst wenn sie authentisch waren -, sondern vielmehr ihrer Verwandlung in exempla emendata . Damit konnte ihr Herausgeber den Texten der Freunde nicht nur zu allgemeiner Gültigkeit verhelfen, sondern sich dabei zugleich ein eigenes Denkmal errichten. Auch hierfür liefert der Libellus novus ein schlagendes Beispiel. Den aus Breslau stammenden Antonius Niger scheint Camerarius in besonderer Weise geschätzt zu haben. Mehrfach tilgte er aus den Adressen von Nigers Briefen die unterwürfige Anrede domino et amico Camerario und ließ nur den amicus gelten. Vor allem aber wird die Wertschätzung Nigers aus dem Umgang des Camerarius mit einem undatierten Gedicht des Freundes deutlich. 53 Als Camerarius sich - offenbar noch zu Erfurter Zeiten - um die Wiederaufführung lateinischer Komödien bemühte, beglückwünschte ihn Niger dazu mit einigen Distichen, nicht ohne die Verdienste des Freundes um den Plautustext gebührend und in einem eindringlichen Bild zu preisen: Quid nobis censes imprimis esse gerendum Sive quid inceptu convenit esse prius? Certe aliquid Latiis scenis lusisse decebit, Stent iterum ut velis tensa theatra novis Ac licet hi lusus oculisque animisque parentur Attamen eximii muneris instar habent: Sive Epicharmei arridet tibi fabula Plauti, Cui lacero medicas scis adhibere manus Macte animo laudi tibi res est ista, laborque Hac fama est opera clara futura tua, Quaeve fluunt facili filo bona scripta Terentii, Quem probat artifici scena diserta stilo. Was sollen wir nach Deiner Ansicht zuerst tun, wie es vorbereiten? Sicher wird es angemessen sein, etwas Lateinisches auf die Bühne zu bringen, damit das Theater mit neuen Kulissenbildern dastehen kann. Diese Schauspiele erfreuen gewiß das Auge und das Herz, doch vor allem sind sie Ausweis (D)einer besonderen Begabung: sei es, 53 Erlangen, UB, Trew, Niger Nr. 27; Camerarius 1568, Bl. D 3r-D 4v. 284 Ulrich Schlegelmilch daß Du Dich den Komödien des Epicharm-Nachfolgers Plautus zuwendest, wenn Du die Wunden seines Textes mit kundiger Hand heilst (dafür sei gepriesen! diese Mühe bringt Dir Lob ein, durch dieses Tun wird Dein Ruhm in Zukunft wachsen! ), oder den Werken des Terenz, die in eingängiger Sprache dahinfließen und der auf der kunstreich gestalteten Bühne gefällt. „Die Plautinischen in der Ueberlieferung arg verstümmelten Comödien ergänzte für die Aufführung mit der berufensten Hand Joachimus Camerarius. […] Die prophetischen Worte Nigers, daß ihm seine Bemühungen für die Herstellung des Plautinischen Textes einst Ruhm einbringen werde [sic! ], hat die Zukunft bekanntlich auf das Glänzendste rechtfertigt. Die Anregungen der Erfurter Zeit haben Camerar zu dem eingehenden Studium des Plautus geleitet; er ist durch seine Ausgaben der Sospitator, der Erretter des Plautus geworden.“ Mit diesen Worten hat der Breslauer Humanismuskenner Gustav Bauch im Jahre 1882 das Gedicht kommentiert. 54 Da ihm das Original des poetischen Briefes nicht zur Verfügung stand, konnte er allerdings nicht wissen, daß die angeführten Verse über den Ruhm des Plautus-Philologen Camerarius keineswegs von Niger stammten, sondern von Camerarius selbst. Dieser hatte nicht nur zahlreiche kleinere Textveränderungen vorgenommen, sondern das Plautus-Distichon Sive Epicharmei […] vollständig umgeschrieben und vor allem das folgende lobende Verspaar Macte animo […] neu hinzugedichtet, wie der rechte Rand des Nigerschen Blattes zeigt (Abb. 1). 55 Die preisende Wendung von den medicae manus , die den zerrissenen Text heilen, erweist sich damit nicht nur als selbstbewußtes Eigenlob des Leipziger Philologen. Camerarius hat auch nicht ohne Witz dem jungen, damals noch im Artes-Studium befindlichen Niger aus dem Wissen um dessen späteren Werdegang als Braunschweiger Stadtarzt die Verwendung einer ihm wesensgemäßen, d. h. medizinischen Metapher anvertraut. 56 Er hat sich somit zwar - für heutige Maßstäbe irritierend - heimlich selbst ein Denkmal als führender Textphilologe gesetzt, jedoch indem er das Lob seinem Freund als prophetisches Wort in den Mund legte und so seine hohe Wertschätzung für diesen bezeugte. 54 Bauch 1882, 186. 55 Der ursprüngliche Text der vier statt sechs Verse zu den Komödiendichtern lautete demnach: Sive placet piperita tibi Comedia Plauti / Sive quid illius plus iuvat esse tui / Quove fluunt facili filo [corr. aus: verba ] bona scripta Terenti / Quem probat artifici scena diserta stilo . 56 Gegen eine solche Interpretation spricht m. E. nicht, daß das bis heute in der Philologie geläufige Bild von der ‚Heilung‘ eines Textes bei Camerarius auch sonst begegnet, so in seinem letzten Brief an Johannes Oporinus (13. 6. 1568: Camerarius 1595, 543-545; vgl. dazu Ritschl 1871, 486). Die ganz ähnliche Wendung curationes vulnerum in illo auctore (= Plautus) könnte vielmehr ein Indiz sein, daß der Eingriff in das Gedicht Nigers in zeitlicher Nähe stattfand und die Redaktion des Briefes für den Libellus novus erst kurz vor dessen Erscheinen erfolgte. Imagines amicorum 285 Er lieferte so einen Mosaikstein für eine ungeschriebene Narratio de Antonio Nigro . Damit hat sich Camerarius, zugleich Korrektor des Plautus wie seines eigenen Freundes, des Nachlasses Nigers gestaltend und nicht bloß verwaltend angenommen. Wir haben schon wiederholt gesehen, daß dies keineswegs als pietätlos, sondern im Gegenteil als Bestandteil der Freundespflichten galt. Die Vorrede des Camerarius zur Melanchthon-Briefedition zeigt nicht nur, welche Regeln bei einem solchen Vorhaben zu beachten waren, sondern legt auch in entwaffnender Selbstbewußtheit offen, daß Briefe, waren sie einmal abgesandt, in das Recht des Empfängers übergingen: In nullo omnium opere quod elaboraretur ad editionem studio meo vel dubitationis tantum oblatum, vel metus incussum, vel inter considerandum haesitationis et mora illatum est, quantum in hoc epistolarum, quas modo curavimus tandem exprimendas, Philippi Melanchthonis ad me libro. Quae, etsi illae quidem me autorem non habent, meae tamen sunt, ad me nimirum ab ipso missae. 57 Bei keinem anderen Werk, das von mir herausgegeben wurde, habe ich derart großes Zögern und derartige Furcht empfunden, bei keinem bin ich während meiner Überlegungen derartigem Zweifeln und Aufschieben ausgesetzt gewesen wie bei diesem Band der Briefe Melanchthons an mich, den ich nun doch endlich zum Druck gebracht habe. Diese Briefe haben mich nicht zum Verfasser, und doch sind es meine, hat er sie doch an mich geschickt. Unser Überblick über die Redaktionsweise des Libellus novus soll mit einem letzten Beispiel enden, das über die Veränderung und Ergänzung des Niger-Distichons noch hinausgeht. Gegenstand der Bearbeitung ist ein Brief des bereits erwähnten Georg Sturtz (Sturtiades, Opercus), der schon 1506 in Erfurt zum Baccalaureus promoviert worden war. Er war der Mäzen des Humanistenkreises um Hessus, dessen Treffen üblicherweise in Sturtz’ Haus, der Erfurter „Engelsburg“ ( Angelopyrgos ), stattfanden. Zum Erwerb des medizinischen Doktortitels ging er allerdings 1523 nach Wittenberg, wo er Camerarius wiedertraf; auch anläßlich der Erfurter Unruhen 1525 verließ Sturtz die Stadt und wurde Arzt und Apotheker in böhmischen St. Joachimsthal. Seit 1527 lehrte er schließlich über mehrere Jahrzehnte Medizin in Erfurt. 58 57 Camerarius 1569, Bl. α 2r-v. 58 Anders als die meisten anderen Humanisten seiner Generation hat Sturtz keine umfassende biographische Darstellung erfahren, so daß man weiterhin auf Lexikonartikel (Müller 1894 m. d. älteren Lit.; vgl. auch Clemen 1907, 1-2) und den allerdings umfangreichen Briefwechsel verwiesen bleibt. Unter den bisher nachweisbaren etwa 90 Briefen an Sturtz dominiert Eobanus Hessus, der bis zu seinem Tode 1540 von Marburg aus den Kontakt wahrte (vgl. Hessus 1543), neben Melanchthon (MBW 226. 444. 583. 586. 590. 636. 1655. 1849. 1999. 2005. 3295. 4606. 4889); außerdem sind mehrere Schreiben von 286 Ulrich Schlegelmilch Bevor Sturtz sich ab Mai 1521 (bereits zum zweiten Mal) auf Italienreise begab - sein Begleiter war Euricius Cordus, dessen Reisebrief wir bereits betrachtet haben -, sandte er im März und April desselben Jahres aus Mainz bzw. Köln, wo er sich aus bisher unbekannten Gründen aufhielt, zwei Briefe an Camerarius. Der Kölner Brief weist eine bisher singuläre Besonderheit auf: Radikaler noch als bei der Bearbeitung von Antonius Nigers Distichen hat Camerarius hier einen umfangreichen eigenen Absatz in Sturtz’ Originalbrief zusätzlich hineingeschrieben, ohne dadurch ursprünglichen Text zu ersetzen. Dies stellt sogar den bekanntesten Fall Camerarischer Redaktion - seine weitgehende Neuformulierung des griechischen Briefes Melanchthons über Luthers Heirat - in den Schatten. 59 Sturtz’ Brief setzt mit Freundschaftsbekundungen in launiger Tonlage ein, um dann über verschiedene neue Publikationen - Huttens Invektive gegen Aleander, Erasmus’ Eutrop-Edition und die von Enea Silvio Piccolomini verfaßten Akten des Basler Konzils - zu berichten. Hier bildet die eben ihrem dramatischen Höhepunkt in Worms zustrebende causa Lutheri unverkennbar den Hintergrund, wie Sturtz auch mit der (freilich recht unscharfen) Wendung sunt enim ea tota Martiniana; porro diceres Martinum nil aliud preter ea scripsisse zu unterstreichen scheint. Eine Bemerkung darüber, daß die Universität zu Köln zu Zeiten des Enea Silvio wenigstens noch gelehrte Männer besaß, kann vor dem Hintergrund des noch nicht lange zurückliegenden Dunkelmännerstreits wohl nur sarkastisch verstanden werden. An dieser Stelle endete Sturtz’ Brief mit einem knappen Vale . Camerarius hat nun nicht nur im Originalmanuskript zahlreiche stilistische Änderungen unternommen und diese im übrigen beim Druck des Briefes 1568 nochmals deutlich korrigiert, so daß insgesamt drei Textzustände vorliegen. Er fügte auch die folgenden Zeilen hinzu, wobei er nach Erreichen des unteren Blattrandes kurzerhand am linken weiterschrieb und zudem während des Schreibens mehrfach Ausdrücke wieder strich und durch andere ersetzte. Camerarius (in den Briefausgaben von 1561 und 1583; weitere bei Clemen 1941), Euricius Cordus (Erlangen, UB, Trew E. Cordus 7 = Clemen 1942, 155-156; Cordus 1520, Bl. Av) sowie einzelne von Basilius Monner (vgl. Clemen 1912) und Johann Stigel (Clm 10 367, 87) erhalten. Von Sturtz’ Seite sind nur zehn Briefe gedruckt, darunter sechs an Johannes Lang (vgl. Clemen 1907) und drei an Camerarius (Camerarius 1568, Bl. D 6r-D 8r); Drach hat in der Ausgabe von 1543 nur einen einzigen Brief von Sturtz an Hessus bewahrt. Immerhin sieben weitere, zur Erlanger Sammlung Trew gehörige Autographen (Sturtz 1-2 an Camerarius; Sturtz 3. 6-7. 9-11 an Lang) sind bisher nicht von der Forschung beachtet worden; ihre Bearbeitung im Rahmen des Projekts „Frühneuzeitliche Ärztebriefe“ (vgl. Anm. 39) wird durch den Verfasser vorbereitet. 59 Melanchthon an Camerarius, 16. 6. 1525 = MBW 408. Zur Textredaktion durch Camerarius vgl. Meyer 1876, 601-606; Scheible 1968, 141-142; Scheible 2001, 97-98. Imagines amicorum 287 [ i. calc.: ] Clamant orbem terrarum totum mundum conturbari a Lutero. Et [2 Wörter unleserlich gestrichen] est hoc verum, fecitque idem Apostolorum doctrina. Sed ista ut videntur principia videntur malorum, quibus cur non nunc saltem obstatur? ne postea medicina sera sit. [ i. marg.: ] Non obstabitur autem clamoribus et saevitia, sed confessione hoc fieri possit confessione errorum manifestorum et relinquendo locum doctrinae coelesti. Verum de his satis. Man schreit, die ganze Welt werde durch Luther auf den Kopf gestellt. Das ist schon wahr, und die Lehre der Apostel hat nichts anders getan! Aber das wirkt wie der Auftakt zu weiteren Übeln, warum also leistet man dagegen nicht wenigstens jetzt Widerstand, damit die Rettung nicht zu spät kommt? Man wird dem aber nicht mit Geschrei und Toben Widerstand leisten können, sondern das ist nur möglich, indem man offensichtliche Irrtümer eingesteht und ansonsten der göttlichen Lehre Raum gibt. Doch nicht mehr davon! Es ist offensichtlich, daß dieser Zusatz eine erhebliche Änderung des ursprünglichen Brieftextes darstellt. Doch was besagt sie, und zu welchem Zweck wurde die Passage von Camerarius eingefügt? Zunächst ist festzustellen, daß Camerarius hier einen Dialog inszeniert. Einer der clamantes , die eine Weltveränderung durch Luthers Wirken voraussehen, findet seinen Widerpart in einem friedlich, aber dezidiert evangelisch argumentierenden Sprecher, der auf die ebenso zum Besseren grundstürzende Lehre der Apostel verweist und zu Buße und Frömmigkeit mahnt. Diese Szene wirkt zwar sehr lebendig, steht jedoch am Ende des Briefes überaus unvermittelt da. Camerarius hat dies offenbar ebenso empfunden, als er sich 1568 dafür entschied, nicht nur Sturtz’ fast 50 Jahre alten Brief in den Libellus novus aufzunehmen, sondern auch die selbst hinzugefügten Zeilen - selbstverständlich ohne sie als solche kenntlich zu machen - mit abzudrucken: neben einigen sprachlichen Veränderungen (also Selbstkorrekturen! ) versah er den „Dialog“ mit einem neuen Rahmen. Der erste Satz beginnt nun: Clamant quidem totum mundum […] und führt so ein deutlicher abgesetztes Subjekt ein. Vor allem jedoch ersetzt Camerarius das abrupte, bei der handschriftlichen Ergänzung in typischem Briefstil gesetzte verum de his satis mit der distanzierenden Schlußbemerkung: Scribo autem ea, quae prudentes et bonos loqui audimus, de quibus satis . 60 Doch warum schob er seinem Freund Sturtz in einem Brief des „Lutherjahres“ 1521 eine solche Passage unter? Nach Jahrzehnten zu unterstreichen, daß Sturtz schon damals lutherfreundlich gesonnen war, hätte lediglich geheißen, allgemein Bekanntes zu betonen. Genau genommen geht aber aus dem „Dialog“ die Haltung seines Berichterstatters (Sturtz-Camerarius) nicht einmal hervor. Die nochmalige Überarbeitung des 60 Handschrift: Clm 10 366, 83; Druck: Camerarius 1568, Bl. D 6v-D 7r. 288 Ulrich Schlegelmilch Abb. 1: Erlangen, UB , Briefsammlung Trew, Antonius Niger Nr. 27, Bl. 1r. Quelle und Copyright: Onlineausgabe beim Harald Fischer Verlag, Erlangen 2007. Imagines amicorum 289 Satzes, mit dem der „evangelische“ Dialogpartner zur Buße mahnt, birgt zudem ein fast schon anachronistisch zu nennendes Detail: War im handschriftlichen Zusatz davon die Rede gewesen, man solle der doctrina coelestis ihren Raum lassen, so lautete die Aufforderung im Druck nun: Sed hoc fieri posset confitendo errores manifestos, et corrigendo vitia et reliquendo locum cursui Evangelii . Damit ist dem Dialogpartner, der von „Sturtz“ als prudens et bonus bezeichnet wird, eine ruhige Siegesgewißheit über den „Lauf des Evangeliums“ in den Mund gelegt, die ihm - auf das Jahr 1521 zurückprojiziert - doch wohl ein Übermaß an prophetischer Gabe unterstellt. Der bemerkenswerte Eingriff des Camerarius ist somit einstweilen nicht wirklich erklärbar. Zwar ist ihm an anderer Stelle nachweislich einmal der Irrtum unterlaufen, jahrzehntealte eigene Randbemerkungen auf Dokument-Abschriften später in den von ihm gedruckten Text ebendieser Dokumente einzufügen, 61 doch erscheint es mir im Fall des Sturtz-Briefes als sicher, daß die handschriftliche Ergänzung absichtlich an genau dieser Stelle notiert wurde. Da sie auch nicht als eine Emendation des ursprünglichen Textes gelesen werden kann, um ihren Urheber in besseres (literarisches) Licht zu setzen - wie dies beispielsweise Giovanni Antonio Campano (1429-1477) durch Inserieren eines eigenen Gedichts in ein fremdes Werk und insistierende Hinweise auf ebendieses Gedicht im gleichen Werk versuchte 62 -, müssen die Motive für die Umarbeitung des Sturtz-Briefes vorläufig im Dunkeln bleiben. Dessenungeachtet läßt sich als vorläufige Bilanz festhalten, daß Camerarius’ Umgang den Briefen seiner Korrespondenzpartner stets darauf abzielt, diese im besten Licht erscheinen zu lassen. Dahinter steht die Überzeugung von der Freundschaft als dem wichtigsten und schönsten Band zwischen gleichgesinnten Menschen. Die im richtigen Geist zusammengestellten Briefe sind das geeignetste Mittel, diese Freundschaft abzubilden: Cum sit autem in rebus humanis et hac in terris vita nihil pulcrius, praeclarius, honestius, iucundius amicitia, quam inter aliquos pietatis virtutisque simile studium iunxit et animorum inclinatio voluntatumque consensio copulavit, in epistolis huius imprimis conspicitur illustris effigies et expressa imago. Quam contemplantes non agrestes neque inhumani maiore afficiuntur voluptate, quam ullius picturae venustatem atque artificium attendentes. 63 61 In der Melanchthon-Biographie; vgl. Volz 1977, 92-93. Die Zuversicht, mit der Torsten Woitkowitz (2015, 165) für den Briefwechsel mit Christoph von Carlowitz kürzlich konstatiert hat: „Vielleicht ist in den Briefen an Karlowitz hier und da auch etwas weggeblieben, aber es ist wohl kaum etwas hinzugedichtet worden“, relativiert sich angesichts des Niger-Gedichtes und des Sturtz-Briefes doch nicht unwesentlich. 62 Dazu Grafton 2011, 46-47. Für den Hinweis auf diese Studie danke ich Joachim Hamm. 63 Camerarius 1569, Bl. α 4 r-v. 290 Ulrich Schlegelmilch Da es ja unter den Menschen und in diesem Erdenleben nichts Schöneres, nichts Glänzenderes, nichts Ehrenwerteres und nichts Angenehmeres gibt als die Freundschaft, die das Ergebnis des einmütigen Strebens frömmigkeits- und tugendliebender Männer ist, welche die gleiche Neigung des Empfindens und gleiches Wollen miteinander verbunden hat, so wird ganz besonders in den Briefen dieses Mannes sein leuchtendes Bild und seine lebensechte Gestalt sichtbar. Ihre Betrachtung versetzt diejenigen, welche nicht roh und unzivilisiert sind, in größeres Entzücken, als es die Anmut und kunstreiche Art irgendeines Gemäldes vermöchten. Während Joachim Camerarius darum bemüht war, diese und andere imagines amicorum in den zahlreichen, in einer Zeitspanne von mehr als fünfzehn Jahren von ihm herausgegebenen Briefbänden zu einer Bildergalerie des deutschen Humanismus zusammenzuführen, fällt gleichzeitig ins Auge, daß der Anteil eigener Texte dabei vergleichsweise gering bleibt: in den Libelli der Jahre 1553-1568 stehen rund 250 Briefen (und Gedichten) an Camerarius nur etwa 140 aus eigener Produktion gegenüber. Dabei schwanken die Anteile von Band zu Band erheblich, doch überwiegt grundsätzlich die Zahl der empfangenen Schreiben. 64 Erst der Libellus novus von 1568, von dem 68jährigen vielleicht schon selbst als abschließender Band der Serie konzipiert, räumt eigenen Stücken mehr Raum ein, so daß ein ungefähres Verhältnis empfangener und versandter Briefe von 1: 1 entsteht. Beim Melanchthon-Briefwechsel wiederum hat Camerarius zugunsten eines monumentum Philippi ganz auf den Abdruck seiner eigenen, zweifellos zahlreichen Antwortschreiben verzichtet, von denen der MBW heute nur noch 69 bewahrt. Deutlich anders stellen sich die beiden von Camerarius’ Söhnen herausgegebenen Folgebände der Epistolae familiares aus den Jahren 1583 und 1595 dar. Hier sind mit verschwindenden Ausnahmen ausschließlich Briefe des Vaters gedruckt, insgesamt fast 850 Stück. Auch die Aufnahme- und Anordnungskriterien sind andere und können hier nicht im einzelnen untersucht werden. Festzuhalten bleibt jedoch, daß es dem älteren Camerarius bei der Schaffung seiner imago amicitiarum nur in geringem Maß darauf ankam, seinen eigenen Anteil daran augenfällig zu machen. Wesentlich zu der unausgewogenen Überlieferung beigetragen hat ohne Zweifel der Umstand, daß sich Camerarius selten oder gar nicht darum bemühte, wieder in den Besitz der eigenen Briefe zu gelangen. Während die Söhne später über Jahre hinweg mit großem Aufwand Ab- 64 Camerarius 1553 enthält ca. 40 Schreiben von ihm und ca. 90 an ihn, bei Camerarius 1561 beträgt das Verhältnis etwa 15: 100. Der Libellus alter von 1557 stellt einen Sonderfall dar, da dort sehr viele Stücke Dritter (aus dem Hessus-Kreis) zum Druck kamen; bei den Camerarius-Korrespondenzen überwiegen seine eigenen Stücke bei gleichwohl niedriger Gesamtzahl (ca. 25 von ihm, nur 2 an ihn). Imagines amicorum 291 schriften von Briefen ihres Vaters bei Gelehrten und Fürsten erbaten 65 und auch die Originale zuweilen von ihren Besitzern nach Nürnberg verliehen wurden, 66 sind gleiche Anstrengungen des älteren Camerarius bisher nur bei der Sammlung von Melanchthoniana, 67 nicht aber von eigenen Briefen nachzuweisen. Auch von einer sorgfältigen Aufbewahrung etwa von Konzepten kann nicht die Rede sein; die Anzahl seiner heute noch greifbaren Briefentwürfe bewegt sich im niedrigen zweistelligen Bereich. Das bedeutet jedoch nicht, daß Camerarius die eigene Briefproduktion gänzlich gleichgültig gewesen wäre. Für sie gelten jedoch andere Kriterien als für die der Freunde und Briefpartner. Das allerwichtigste Kriterium lautete offensichtlich: Private, d. h. Familienkorrespondenzen im heutigen Sinne, werden überhaupt nicht veröffentlicht. Dies läßt sich beispielsweise daran ablesen, daß die umfangreiche Korrespondenz mit dem Schwiegersohn Esrom Rüdinger (1523-1591) ausschließlich handschriftlich erhalten ist. 68 Im engeren Familienkreis galten, wie es scheint, noch striktere Regeln: Briefwechsel des Vaters mit seinen fünf Söhnen sind bis auf winzige Ausnahmen verschollen, doch muß es 65 Vgl. z. B. das Schreiben Joachims (II.) und Philipps an den halleschen Arzt Balthasar Brunner vom 16. 5. 1585 (Dessau, Landesarchiv Sachsen-Anhalt / Abt. Dessau, Best. Z 6 [Anhaltisches Gesamtarchiv, Neue Sachordnung], Nr. 674, S. 15-18) zur Erlangung von Abschriften der Briefe des Vaters an Georg III. und andere anhaltische Fürsten. Noch kurz vor der Drucklegung des zweiten Bandes sagte Johannes Caselius in Rostock die (wohl abschriftliche) Übersendung zweier Camerarius-Briefe zu (an Joachim II., 8. 12. 1594; Wolfenbüttel, Niedersächs. Landesarchiv, Best. 298 N, Nr. 622, Bl. 3-4). 66 Andreas Dudith erklärte sich Anfang 1582 bereit, Camerariusbriefe auf Anfrage zurückzuerstatten (zitiert im Brief des Johannes Praetorius an Joachim II. vom 16. 1. 1582: Nürnberg, Stadtbibl., Autogr. 1960). Ausdrücklich nur leihweise stellte der Nürnberger Arzt Heinrich Wolff (1520-1581) eine größere Menge - wohl an seinen Bruder Hieronymus gerichtete - Camerarius-Briefe den Söhnen schon wenige Monate nach Camerarius’ Tod zur Edition zur Verfügung (11. 10. 1574: Harburg in Schwaben, Fürstlich Oettingen-Wallersteinsches Archiv, Oe.B. VII.2°.6, S. 450). Auch von anderen Briefpartnern des Vaters wurden die Söhne zur Edition gedrängt, z. B. durch Johannes Sambucus (an Joachim II., 14. 6. 1576: Uppsala, UB, Waller Ms hu-00 064; Digitalisat: http: / / urn.kb.se/ resolve? urn=ur n: nbn: se: alvin: portal: record-40038) - natürlich auch mit dem Ziel, so eigenen Nachruhm zu ernten. 67 Am 10. 2. 1566 übersandte der Danziger Arzt Johannes Bretschneider (Placotomus, 1514-1577) mehrere Melanchthon-Briefe an Camerarius (Erlangen, UB, Trew, Placotomus I., Nr. 3). 68 Von Rüdinger: München, BSB, Clm 10 358, 191-263 und weitere in verschiedenen Archiven und Bibliotheken; an Rüdinger: Leipzig, UB, Ms 0332, offenbar von diesem selbst aufbewahrt. 292 Ulrich Schlegelmilch sie gegeben haben; 69 auch von der Korrespondenz zwischen den geographisch teils weit verstreut lebenden Söhnen besitzen wir nur Fragmente. 70 Für den Umgang mit eigenen Briefen außerhalb der Familie schließlich legte Camerarius Maßstäbe an, die sich von den auf fremde Stücke angewandten nicht grundsätzlich unterschieden. Das bedeutet in erster Linie: auch die eigenen Briefe sind nicht gegen nachträgliche Überarbeitung geschützt. Da die Erschließung des Corpus noch ganz am Anfang steht, können hier nur einige bereits von der Forschung gemachte Beobachtungen zusammengestellt und durch eigene ergänzt werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß Camerarius bei seinem Anspruch, das Bild der Freunde durch Auswahl und Bearbeitung ihrer Texte für die lesende Mit- und Nachwelt zu formen, auch die Auswirkungen der Darstellung für seine eigene Person nicht außer acht ließ. Daß der jahrzehntelang als Philologe Tätige dabei auch sprachliche Überarbeitungen seiner eigenen Worte vornahm, führt wieder auf die zu Beginn unserer Untersuchung erwähnte Formbarkeit des Einzelbriefs als in erster Linie literarisches, nicht historisches Dokument zurück und ist bei einem Autor seiner Zeit, der die stilistischen Errungenschaften des Erasmus, des Pietro Bembo und Antonio Sadoleto pries, 71 geradezu selbstverständlich. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, wenn in wenigen heute noch nachprüfbaren Fällen auch gegenüber dem verbesserten Briefkonzept noch Änderungen in der Druckfassung vorgenommen wurden. 72 Sie betreffen - wie bei unserem ‚fortgeschriebenen‘ Sturtz-Brief - durchaus auch Inhaltliches, insbesondere wenn es sich um Biographica des Camerarius handelt. Sehr deutlich wird dies an einem Schreiben des Basler Gräzisten und Reformators Simon Grynaeus (1493-1541), der während seiner kurzen Tübinger Tätigkeit in den 69 Aus dem Briefwechsel zwischen Vater und Sohn Joachim ist jeweils nur ein einziges Schreiben nachzuweisen. Der väterliche Brief (München, BSB, Clm 10 357, 155 vom 14. 5. 1560) behandelt das Sterben Melanchthons und wurde vielleicht nur deshalb aufbewahrt, das Gegenstück von der Hand des Sohnes (London, BL, Harley MS 4935, 57 olim 61 vom 23. 11. 1569) gehört zu einem Bündel von Privatbriefen Joachims II. und dürfte eher zufällig erhalten sein. 70 Joachim II. an Ludwig: Nürnberg, Stadtbibl., Will 327.2° (Rest eines Briefkopierbuches Joachims); Joachim II. an Philipp: Krakau, Bibl. Jagiellońska, Autografy K. 29 Camerarius II (aus der offenbar separaten Briefsammlung Philipps); Philipp an Joachim II.: BSB, Clm 10 376, Bl. 399 und 418 (Abschriften in einem Faszikel über Philipps römische Haft, offenbar Rest des Familienarchivs). Hierher gehört auch der heute in Clm 10 431(1 aufbewahrte Brief Philipps an Joachim I. nach seiner Freilassung (Nr. 148 vom 3. 9. 15[65]). 71 Camerarius 1568, Bl. E 8v (an Bruno Seidel, 1. 3. 1568). 72 Die zwei von Woitkowitz 2003, 32 Anm. 91 angeführten Fälle betreffen allerdings Briefe, die erst von den Söhnen 1583 bzw. 1595 zum Druck gebracht wurden; ob hier weitere Personen eingegriffen haben, muß zum gegenwärtigen Zeitpunkt offenbleiben. Vgl. auch ebd. 29 Anm. 81 zu den Änderungen in den postumen Ausgaben. Imagines amicorum 293 Jahren 1534 / 35 maßgeblichen Anteil an der Reform der dortigen Universität und damit auch an der Berufung des Camerarius hatte. Grynaeus eröffnete ihm in einem Brief vom 31. 5. 1535, den er als bloße Beilage zum Einladungsschreiben des Herzogs bezeichnet, glänzende Perspektiven auf das permanente Amt des Universitätskanzlers sowie auf eine jährliche, sogar im Krisenfall garantierte Besoldung in der für einen „Artisten“ nicht unerheblichen Höhe von 200 Gulden. 73 Zugleich durfte sich Camerarius auf ein geringes Lehrdeputat freuen: Quanquam enim non is es, quem levis ambitio ab isto aeterno studiorum proposito, quo tibi animus flagrat, depellere quoque possit, tamen iustis honoribus afficiemus te daboque operam, ut authoritate principis Gymnasii nostri perpetuus [ del. (? ): Augustusque] cancellarius fias, studiorum omnium moderator. […] Salarium si non aequum virtutibus tuis, quas ipsas per sese inaestimabiles esse scimus, honestissimum tamen dabimus ducenos annuos, de quibus, utcunque vertantur principis res, nihil tibi depereat, quamdiucunque uti conditione hac velis. Est enim scola ipsa ex sese longe ditissima. Contentus erit [ mut. in erat (? )] princeps, si praelegas quatenus et quantum erit commodum, ac te enarrandis Graecis authoribus, qua amoenissima Atticae eloquentiae prata sunt, te cum studiosis in ambulando oblectes. Dieselbe Passage liest sich im Druck, den Camerarius, nunmehr Professor in Leipzig, 1561 herausgab, etwas anders: Quanquam enim non is es etc. […], tamen ne dubites, quin futurum sit, ut iustis honoribus afficiaris. […] Salarium si non par virtutibus tuis, quas ipsas per se inaestimabiles esse scimus, honestissimum tamen dabimus, quamdiucunque uti conditione hac volueris. Non imponetur tibi onus, quo graveris; hoc contenti erimus, si explicandis Graecis auctoribus, quatenus erit commodum, qua amoenissima Atticae eloquentiae prata sunt, te una cum studiosis in ambulando oblectes. Vom Kanzleramt ist hier keine Rede mehr, die Höhe des Salärs wird (dezent oder enttäuscht? ) verschwiegen, ebenso der Reichtum der Universität nicht mehr herausgestellt. Die Gründe für die weitreichende Korrektur sind womöglich ebenso im Persönlichkeitsschutz für Grynaeus wie in der Bescheidenheit des Camerarius selbst zu suchen. 74 73 Ein Gehalt in gleicher Höhe wurde auch in einem Gutachten des Jahres 1540 für den magister primarius der Artistenfakultät an der neu zu gründenden Universität Königsberg vorgeschlagen: Tschackert 1890, 393. 74 München, BSB, Clm 10 357, 32; Camerarius 1561, Bl. L 3r-L 4r. Deutliche Eingriffe in die Grynaeus-Briefe vermerkte schon Karl Halm im Katalog der Collectio Camerariana (Halm / Meyer 1874, 205: „pars harum epistolarum impressa est, sed multis omissis aut breviatis […]“. Zur Berufung des Camerarius nach Tübingen und der Korrespondenz mit Grynaeus vgl. ergänzend Scheible 1989, 146; ebd., 151-153, auch weitere Beispiele für redigierte Grynaeus-Briefe. 294 Ulrich Schlegelmilch Wie formbar die Brieftexte waren, beweist schließlich der Umstand, daß Camerarius auch nicht zögerte, selbst mehrere unterschiedliche Druckfassungen eigener Briefe zu veröffentlichen. Auf einen solchen Fall hat bereits der neuzeitliche Biograph des Eobanus, Carl Krause, hingewiesen: 75 Hier steht Camerarius’ Schreiben an Hessus vom 15. 5. 1533 ( Id. Mai. ) im Libellus alter (1557) neben einer sprachlich (auch im Griechischen) erheblich überarbeiteten, um einen Satz längeren, zugleich eines Grußes an Johannes Lang beraubten und zu guter Letzt sogar auf den 9. Mai ( VII . Id. Mai. ) umdatierten Version im nur elf Jahre später erschienenen Libellus novus . Zu allem Überfluß fügten die Söhne denselben Brief 1583 noch ein drittes Mal in die Epistolae familiares ein - wobei sie wiederum dem Erstdruck von 1557 folgten. 76 Das Schreiben steht in der postumen Sammlung inmitten einer ganzen Reihe von Briefen des Camerarius an Hessus, die alle auch bereits im Libellus alter erschienen waren. Auch aus dem Libellus novus wurde ein Brief übernommen, und zwar jener, den Camerarius von Tübingen aus nach langer Ungewißheit über dessen Schicksal an den endlich wiedergefundenen Antonius Niger schrieb. 77 Hier nun liegt der Fall vor, daß wir das Original nicht besitzen, sich aber die von Camerarius selbst gewählte Druckfassung von der durch die Söhne gebotenen unterscheidet. Ob letztere auf das Original oder ein Konzept zurückgriffen oder aber ihrerseits den Text redigierten, läßt sich daher nicht entscheiden. 78 Einen sicheren Beleg dafür, daß auch der jüngere Joachim und sein Bruder Philipp das Bild ihres Vaters weiter ausgestalteten, zeigt schließlich eine unscheinbare Stelle in der zweiten Sammlung der Epistolae familiares von 1595: Camerarius wandte sich am 18. 9. 1568, d. h. bereits in hohem Alter, erstmals brieflich an den Basler Gräzisten und Mediziner Theodor Zwinger (1533-1588), da ihm der Verbleib mancher seiner Manuskripte nach dem Tod des Druckers Johannes Oporinus Sorge bereitete. Zwinger fungierte als Nachlaßverwalter und damit als Schlüsselfigur zur Wiedererlangung der Handschriften. Mit größtem Respekt apostrophierte Camerarius daher den erheblich Jüngeren: cognovi […] 75 Krause 1879, Bd. 2, 139 und 168. Weitere Beobachtungen zu abweichenden Mehrfachdrucken von Briefen bei Staswick 1992, 299. 76 Camerarius 1557, Bl. E 2v-E 3v; Camerarius 1568, Bl. R 3r-R 4r; Camerarius 1583, 387-389. 77 1. 6. 1536: Camerarius 1568, Bl. T 5v-T 6v; Camerarius 1583, 365-367. 78 In einem von Gregor Richter (1913, 189) notierten Fall von Briefredaktion liegen die Dinge nochmals anders: Der Theologe Georg Witzel (1501-1573) nahm in seiner Briefausgabe ( Epistolarum libri quatuor , Leipzig 1537) Veränderungen an eigenen Brieftexten vor, während ein gutes Dutzend von ihnen später (in: Epistolarum miscellanearum ad Fridericum Nauseam Blancicampianum episcopum Viennensem […] libri X , Basel 1550) mit dem Text der nach Wien versandten Originale zum Druck gelangten. Hier hatte der Autor keine Macht mehr über seine Erzeugnisse. Imagines amicorum 295 penes tuam dignitatem esse respectum ad relictam ab illo exprimendorum librorum officinam . Doch als der Brief schließlich im Druck erschien, waren beide Gelehrte wieder auf Augenhöhe gerückt, denn nun hieß es nur noch: cognovi […] penes te esse respectum […]. 79 Ausblick Will man eine erste Bilanz zu den Briefausgaben des Camerarius ziehen, so kann sie etwa folgendermaßen lauten: Alle fünf Bände vereint der Wunsch, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die positiven Kräfte des Humanismus zu bewahren und ihnen ein mahnendes Denkmal zu setzen. Die Melanchthon- Ausgabe stellt dabei aufgrund der Exponiertheit des Reformators auch selbst eine konfessionspolitische Stellungnahme dar, wobei sich Camerarius mit einer „übergroßen Vorsichtigkeit“ bemühte, Risse in der eigenen Partei nicht zu vertiefen, und gleichzeitig durch die Wahrung einer irenischen Haltung auch die Gesamtsituation nicht zuzuspitzen. 80 Der Preis dafür war nicht nur ein Verlust an Authentizität der Texte, sondern nicht selten auch an Klarheit. Bei den vier libelli aus den Jahren 1553 bis 1568 war eine so weitreichende Redaktion nicht in gleichem Maße politisch notwendig, doch hat sie ebenfalls stattgefunden. Dabei fällt auf, daß auch in diesen Bänden solche Eingriffe in den Text der Originale, die (wie im Fall des Niger-Gedichtes) philologischen oder aber persönlichen Freundschaftsinteressen folgen, deutlich in der Minderzahl gegenüber einer politisch ausgleichenden und entschärfenden Redaktion bleiben, wie sie auch der Melanchthon-Band zeigt. Dieses Ergebnis mag angesichts der Argumentationsrichtung, die Camerarius 1553 in der Kritik an Drachs Hessus-Ausgabe eingeschlagen hatte, zunächst überraschend wirken, doch ist auch zu bedenken, daß gerade von Hessus, von dem die vier libelli weitaus mehr Texte als von allen anderen Freunden enthalten, nahezu vollständig die handschriftlichen Originale fehlen. Man mag das für Zufall halten oder nicht: jedenfalls ist nicht auszuschließen, daß sich beim Vergleich mit Hessus’ Autographen ein anderes Bild von Camerarius’ redaktioneller Arbeit geboten hätte, bei dem Poetischem und Privatem gegenüber Politik und öffentlicher Meinung mehr Gewicht zukam. Allerdings muß es als überaus unwahrscheinlich angesehen werden, daß noch eine wesentliche Zahl unbekannter Hessus-Autographen ans Licht kommt. 81 79 Basel, UB, Frey-Gryn Mscr II 8, Bl. 264 (Digitalisat: http: / / dx.doi.org/ 10.7891/ e-manuscripta-19380); Camerarius 1595, 440-442 (Zitat: 441). 80 Kunkler 2000, 194-195. 81 Nach Abschluß dieses Manuskripts konnte ich indes einen bisher unbekannten Hessus- Brief (an Johannes Dantiscus) an versteckter Stelle entdecken (Warschau, Archiwum 296 Ulrich Schlegelmilch Umso wichtiger wird es sein, nach den hier gezeigten Stichproben nun zu einer vollständigen Überprüfung der noch erhaltenen handschriftlichen Parallelüberlieferung überzugehen, um anhand dieser - im Hinblick auf das gesamte Camerarische Briefcorpus noch immer kleinen - Schnittmenge ein zuverlässigeres Bild von seiner Tätigkeit als redactor amicorum zu gewinnen. Diese Untersuchung soll in dem von Th. Baier, J. Hamm und dem Verfasser geleiteten Projekt „Opera Camerarii“ (2017-2019) durchgeführt werden. Literaturverzeichnis Astruc, Charles: Une lettre autographe d’Adrien Turnèbe. Ms. du Supplément grec, n° 1361, Révue des études grecques 58, 1945, 219-227. Bauch, Gustav: Das Leben des Humanisten Antonius Niger, Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 16, 1882, 180-219. Bernstein, Eckhard: From Outsiders to Insiders. Some Reflections on the Development of a Group Identity of the German Humanists between 1450 and 1530, in: James V. Mehl (Hg.): In Laudem Caroli. Renaissance and Reformation Studies for Charles G. Nauert, Kirksville ( MO ) 1998 (Sixteenth Century Essays and Studies XLIX ), 45-64. Beza, Theodorus: Correspondance de Théodore de Bèze, recueillie par Hippolyte Aubert. Bd. 9: 1568. Hg. von Henri Meilan, Alain Dufour, Claire Chimelli u. Béatrice Nicollier, Genf 1978. Bogner, Ralf Georg: Der Autor im Nachruf. 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Camerarius, Joachim (Hg.): Liber continens continua serie epistolas Philippi Melanchthonis scriptas annis XXXVII ad Ioach[imum] Camerar[ium] Pabep[ergensem] nunc primum pio studio et accurata consideratione huius editus, Leipzig: Vögelin, 1569. Główne Akt Dawnych, Best. 354 / V [Archiwum Warszawskie Radziwiłłów, Eingehende Korrespondenzen], No. 5166a). Er wird in der Datenbank des von Anna Skolimowska (Warschau) geleiteten „Korpus Tekstów i Korespondencji Jana Dantyszka“ (http: / / dantiscus.al.uw.edu.pl/ ) als Nr. 7178 ausführlich dokumentiert werden. Imagines amicorum 297 Camerarius, Joachim [ II .] und Philipp (Hgg.): Ioachimi Camerarii Bapenbergensis epistolarum familiarium libri VI nunc primum post ipsius obitum singulari studio a filiis editi, Frankfurt (Main): Wechels Erben, 1583. Camerarius, Joachim [ II .] und Philipp (Hgg.): Ioachimi Camerarii Pabepergensis epistolarum libri quinque posteriores nunc primum a filiis in hoc secundo volumine studiose collectae […], Frankfurt (Main): Palthen (Dr.) / Petrus Fischer (Vlg.), 1595. Clemen, Otto: Briefe von Georg Sturtz, Beiträge zur Geschichte der Stadt Buchholz 6, 1907, 1-7. Clemen, Otto: Zwei Briefe von Basilius Monner, Mitteilungen der Vereinigung für gothaische Geschichte und Altertumsforschung 1912, 109-111. Clemen, Otto (Hg.): Melanchthons Briefwechsel. Bd. 1: 1510-1528, Leipzig 1926 ( ND Frankfurt 1968; Supplementa Melanchthoniana VI / 1). Clemen, Otto: Aus dem Lebenskreise des Erfurter Reformators Johannes Lang: Die Gothaer Briefsammlung A 399, Archiv für Reformationsgeschichte 38, 1941, 34-54; ebd. 39, 1942, 151-169. Clough, Cecil H.: The Cult of Antiquity: Letters and Letter Collections, in: Ders. (Hg.): Cultural Aspects of the Italian Renaissance. 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Dabei stößt er nämlich auf Joachim Camerarius’ Polemik gegen die überall herumschnüffelnden „Paparazzi“ avant la lettre, die aus Profitgier oder aus anderen zweifelhaften Motiven bereits im 16. Jahrhundert rücksichtslos ans Licht zerren und zum Druck befördern, was immer ihnen in die Hände fällt. 1 Im Libellus alter von 1557, dem zweiten Band der von Camerarius herausgegebenen Sammlung der Korrespondenz seines Freundes Eobanus Hessus, heißt es zu diesem Thema vorab im Widmungsschreiben: Nec me fugit, quanta fide quantaque cautione opus sit in alienis scriptis, epistolis praesertim divulgandis. De suis enim, quis prohibeat id facere unumquenque, quod faciendum ipsi esse videatur? Sed ab alio et ad alios peculiaria scripta alterius arbitrio emitti omnino non oportet, nisi eiusmodi illa sint, ut autorem neque omnino laedere et fortasse ornare possint. […] In quo [sc. genere epistolarum] etiam quorundam nescio vecordiane dicam et levitas an malitia et petulantia me reddidit circumspectiorem, qui omnia, quae conquirere et vestigando nancisci potuerunt composita ab aliis, ea ita cruda, ut dicitur, devoranda librariis officinis obiicere consueverunt. Si ut lucrum faciant, admodum futiles et culpandi; sin alia voluntate alioque proposito, ipsi viderint, ne fallantur. 2 Ich weiß sehr wohl, welche Gewissenhaftigkeit und welche Vorsicht bei der Veröffentlichung fremder Schriften nötig ist, zumal dann, wenn es sich um Briefe handelt. 1 Huber-Rebenich 2001, bes. 150 und 155 Anm. 47. Die folgenden Ausführungen bilden die geringfügig überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Vortrags, den ich am 26. 5. 2010 im Rahmen einer Melanchthon-Tagung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel gehalten habe. Thematisch knüpfen meine Beobachtungen unmittelbar an den Beitrag von Ulrich Schlegelmilch in diesem Band an. 2 Camerarius 1557, Bl. A 7r-8r. 302 Matthias Dall’Asta Bei eigenen Schriften kann man nämlich niemanden daran hindern, das zu tun, was einem persönlich richtig scheint. Es ist aber ganz und gar verwerflich, wenn private Schriften von einem anderen und für andere nach dem Gutdünken eines Fremden herausgegeben werden, sofern es sich dabei nicht um Texte handelt, die ihren Autor in keiner Weise kompromittieren, sondern ihm im Gegenteil vielleicht sogar zur Ehre gereichen können. […] Zu einer erhöhten Umsicht bei der [Gattung der privaten Prosabriefe] hat mich auch - um jetzt nicht von Wahnwitz und Charakterlosigkeit zu reden - die Bosheit und der Übermut einiger Leute bewogen, die gewohnheitsmäßig alles, was sie an fremden Texten ausfindig machen und durch Nachforschungen in ihren Besitz bringen konnten, den Buchdruckereien gleichsam roh zum Fraß vorgeworfen haben. Sollten sie aus Gewinnstreben so handeln, wären sie als durch und durch unzuverlässig zu tadeln; sollten sie in anderer Absicht und aus anderem Vorsatz handeln, mögen sie selbst zusehen, daß sie sich nicht irren. I. Camerarius’ Edition von 1569 und die beiden Chigi-Kodizes J VIII 293 und 294 Joachim Camerarius alias Kammermeister, ein ungemein produktiver Gräzist und Latinist, Hochschullehrer und Dichter, 3 hat Eobanus Hessus (1488-1540), Fürst Georg von Anhalt (1507-1553) und Melanchthon, seinen drei neben Daniel Stibar 4 engsten Freunden, literarische Denkmäler errichtet, indem er nach ihrem Tod sowohl ihr Leben beschrieb als auch große Teile ihrer Korrespondenz oder - im Falle Georgs „des Gottseligen“ - der Predigten und sonstigen Schriften veröffentlichte. Seine Lebensbeschreibung des Dichterfreundes Eobanus publizierte Camerarius 1553 zusammen mit einer Auswahl aus dessen Korrespondenz; 1557-1568 folgten noch drei separate Bücher mit weiteren Briefen. 5 Die Biographie des ihm aus Leipziger Studienzeiten befreundeten Fürsten von Anhalt erschien 1555 innerhalb einer Sammlung der Predigten dieses evangelischen Bischofs, die 1570 von einer neuerlichen Ausgabe ergänzt wurde. 6 Camerarius’ besonders umfangreiche Melanchthon-Biographie schließlich erschien 3 Vgl. Hamm 2011; Woitkowitz 2003, 19-46; Camerarius’ Briefwechsel mit Melanchthon wird erschlossen durch den biographischen Index MBW, Bd. 11, 253-257 und das auch online zugängliche Regestenwerk: http: / / www.haw.uni-heidelberg.de/ forschung/ forschungsstellen/ melanchthon/ mbw-online.de.html. 4 Vgl. Meyer 1952 / 53. 5 Vgl. Huber-Rebenich 2001, 145-146. Moderne zweisprachige Ausgabe der Narratio de H. Eobano Hesso: Camerarius 2003; Biogramm zu Hessus in MBW, Bd. 12, 293-294. 6 Camerarius 1555; ders. 1570. Vgl. Stählin 1936, 105. Biogramm zu Georg von Anhalt in MBW, Bd. 11, 72-74; vgl. außerdem Detmers / Jablonowski 2008. Melanchthons Briefe an Camerarius 303 1566; 7 drei Jahre später, im Oktober 1569, folgte die nicht minder voluminöse Sammlung von Melanchthons Briefen, um deren Inhalt und Eigenart es in den anschließenden Ausführungen vor allem gehen wird. Melanchthon und Camerarius waren beide gleichermaßen zur Freundschaft begabt. In einem grundlegenden Aufsatz von 1968 hat Heinz Scheible ihren überkommenen Briefwechsel der Weltliteratur zugerechnet und treffend mit Ciceros Briefen an Titus Pomponius Atticus verglichen. 8 Martin Jung hat diesen Vergleich in seiner 2010 erschienenen Biographie Melanchthons aufgegriffen; in dem allenthalben spürbaren Bestreben, jedweden Sachverhalt in möglichst kurzen und prägnanten Sätzen auszudrücken, schreibt er dort zur Freundschaft zwischen Melanchthon und Camerarius in nicht ganz unverfänglicher Diktion: „Melanchthon hatte einen intimen Freund, was im Zeitalter Melanchthons nicht selbstverständlich war. Luther, Zwingli und Calvin pflegten keine mit Melanchthons Freundschaft vergleichbaren Beziehungen.“ 9 Torsten Woitkowitz hat dieser Freundschaft 1997 einen kurzen Katalogbeitrag gewidmet und skizziert darin den von 1521 bis zu Melanchthons Tod andauernden engen Kontakt beider Humanisten. 10 Eine kaum weniger lange Zeit, nämlich rund 38 Jahre, umfaßt ihr überlieferter Briefwechsel, der mit zwei griechischen Briefen des Camerarius im November 1522 einsetzt 11 und - wenn man einige undatierbare Briefe ausklammert - erst mit Camerarius’ Brief vom 13. März 1560 endet. 12 Wenn Camerarius hierbei gleichsam das erste und das letzte Wort zukommt, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß der ganz überwiegende Teil der erhaltenen Brieftexte von Melanchthon stammt: Den nur 69 noch greifbaren Briefen von Camerarius an Melanchthon stehen (nach derzeitigem Stand) genau 600 Briefe Melanchthons an den Bamberger Humanisten gegenüber. 13 Melanchthons allerersten Gruß an den damals noch in Erfurt studierenden Camerarius bildete 1519 ein griechisches Gedicht aus zwei Distichen, das Me- 7 Camerarius 1566; spätere Ausgabe durch G. Th. Strobel: Camerarius 1777; dt. Übersetzung durch V. Werner: Camerarius 2010. Vgl. Wengert 1995. 8 Scheible 1968, 139-142 (ND 1996, 5-8). 9 Jung 2010, 71. 10 Woitkowitz 1997; vgl. jetzt auch ders. 2015. 11 MBW, Nr. 243 und 246. 12 MBW, Nr. 9259. 13 MBW, Bd. 11, 254-256, sind unter der Rubrik A[bsender] 68 und unter der Rubrik E[mpfänger] 604 Stücke verzeichnet. MBW, Nr. 9135 (Camerarius an Melanchthon) ist dabei jedoch irrtümlich unter „E“ statt unter „A“ aufgeführt, so daß sich die Zahlen 69 und 603 ergeben. Zu den verbleibenden 603 an Camerarius gerichteten Stücken zählen dort jedoch auch ein Brief, den Melanchthon für Veit Örtel verfaßt hat (MBW, Nr. 4143), sowie zwei Camerarius nur zur weiteren Beförderung zugeschickte Gutachten (MBW, Nr. 4451 und 7649), nach deren Abzug sich eine Gesamtzahl von 600 erhaltenen Briefen Melanchthons an Camerarius ergibt. 304 Matthias Dall’Asta lanchthon auf einem kleinen Zettel ( in charta parva ) dem Erfurter Magister Adam Krafft (1493-1558) mitgab. Camerarius war so stolz auf diese an ihn gerichteten Verse, daß er sie überall herumzeigte und - wie er in seiner Melanchthon-Biographie bedauernd vermerkt - ihrer damals schließlich verlustig ging. 14 Dieses Schicksal sollten die später an ihn gerichteten Briefe Melanchthons nicht erleiden; Camerarius hat sie gewissenhaft gesammelt und 1569 in der erwähnten, chronologisch geordneten Ausgabe publiziert. 15 Der zugehörige lange Widmungsbrief an Herzog August von Sachsen stellt über weite Strecken eine Apologie Melanchthons dar, der damals wegen seiner Vermittlungsbemühungen und seiner ausgeprägten Kompromißbereitschaft auch postum noch heftiger Kritik ausgesetzt war. Entsprechend groß erschien Camerarius das Wagnis der Publikation seiner Briefe, wie er in seiner Dedikation einleitend betont: Cum et mihi in hoc seculo scriptionum tam feraci libuerit nonnihil vel multum potius mearum cogitationum cartis illinere et divulgare necnon aliorum quoque lucubrationes mea opera exornatas proferre in lucem, in nullo omnium opere, quod elaboraretur ad editionem studio meo, vel dubitationis tantum oblatum vel metus incussum vel inter considerandum haesitationis et morae illatum est, quantum in hoc epistolarum, quas modo curavimus tandem exprimendas, Philippi Melanchthonis ad me libro. Q u a e e t s i i l l a e q u i d e m m e a u t o r e m n o n h a b e n t , m e a e t a m e n s u n t , ad me nimirum ab ipso missae. […] Qui enim nullo modo haec scripta perimenda ac conservanda potius omnibus modis esse statuissem, non duxi illa relinquenda aliorum quorumcunque arbitrio, vel abiecta ut obsolescerent, vel alieniore fortasse tempore editioneque ut proferrentur in medium, ac potius enitendum, ut me adhuc vivente et mediocriter valente communicaretur cum omnibus lectio horum, quicunque illam non aspernarentur. Quid enim fieret, cernebam, et erat ante oculos quorundam temeraria impudentia in divulgandis quibusdam hoc in genere, quibus neque legentibus utilitas ulla conciliatur et infamantur nomina honesta, quae ibi perscribendo ingeruntur. 16 Obwohl es in diesem für die Literatur so fruchtbaren Jahrhundert auch mir vergönnt war, einige oder eher sogar viele meiner Gedanken zu Papier zu bringen und zu veröffentlichen und auch die literarischen Erzeugnisse anderer in meiner Bearbeitung 14 Vgl. Camerarius 1777, 36; Woitkowitz 1997, 31; Rhein 1987, 102-104, Nr. XX. 15 Camerarius 1569. 16 Ebd., Bl. α 2r-3v (= CR 1, XXXIX). Auf die 1565 erschienene erste Ausgabe mit Briefen Melanchthons durch seinen Schüler Johannes Manlius, die auch von Melanchthons Schwiegersohn Caspar Peucer umgehend harsch kritisiert wurde (vgl. CR 1, XXIX-XXXVI, Nr. 1 und 2; Scheible 1968, 138-139 [ND 1996, 4-5]), kann sich Camerarius’ Kritik wohl nicht - oder wenigstens nicht allein - beziehen; dagegen spricht die eingangs zitierte ähnlichlautende Polemik aus Camerarius’ Widmungsschreiben zu dem bereits 1557 publizierten zweiten Band der Eobanus Hessus-Korrespondenz (vgl. oben Anm. 2). Melanchthons Briefe an Camerarius 305 herauszugeben, habe ich doch bei keinem einzigen Werk, das mit meinem Zutun zum Druck befördert wurde, solche Zweifel gehegt oder in meinem Innern solche Furcht empfunden oder beim Abwägen eine derartige Unentschlossenheit und Zögerlichkeit in mir verspürt wie bei diesem Buch mit den an mich geschriebenen Briefen Philipp Melanchthons, deren Druck ich nun endlich doch in die Wege geleitet habe. Wenngleich jene Briefe mich nicht zum Autor haben, so gehören sie doch mir, denn an mich wurden sie ja von ihm selbst geschickt. […] Da ich beschlossen hatte, diese Schriften dürften keinesfalls zugrunde gehen, sondern müßten im Gegenteil mit allen erdenklichen Mitteln bewahrt werden, bin ich zu der Überzeugung gelangt, sie nicht dem Urteil irgendwelcher Fremder überantworten zu dürfen, wodurch sie entweder vergessen vor sich hingammeln oder vielleicht in dann schon vorgerückter Zeit und fremder Aufmachung publiziert würden, sondern vielmehr danach streben zu müssen, ihren Text noch zu meinen Lebzeiten und bei einigermaßen guter Gesundheit auch all denen zugänglich zu machen, die eine derartige Lektüre nicht verachten. Ich nahm nämlich wahr, was vor sich ging, und vor meinen Augen stand ja die unreflektierte Schamlosigkeit mancher Leute, die in dieser Gattung auch Texte veröffentlichen, die den Lesern keinerlei Nutzen bringen, durch die aber ehrenwerte Namen, welche bei der Niederschrift dort eingefügt werden, in Verruf geraten. Im ersten Band des Corpus Reformatorum wird Camerarius’ Ausgabe mit ihren 822 gezählten Seiten und den auf 20 weiteren Blättern vorgeschalteten beiden Prooemien des Herausgebers und des Leipziger Druckers Ernst Vögelin näher beschrieben. 17 Die im Corpus Reformatorum angegebene Zahl von 912 dort enthaltenen Briefen 18 ist allerdings irrig; sie ist offenbar auf einen Druckfehler in Georg Theodor Strobels fünfzig Jahre zuvor (1784) publizierter Beschreibung des Druckes zurückzuführen, 19 wird aber noch 1981 im Nachtragsband von Wilhelm Hammers großer Bibliographie zur Melanchthonforschung unbeanstandet tradiert. 20 Und so verwundert es nicht, daß auch Martin Jung in seiner Melanchthon-Biographie noch von „über 900 Briefe[n] Melanchthons an Camerarius“ 17 CR 1, XXXVIII-XLVIII, Nr. 5. 18 Ebd., XXXIX. 19 Vgl. Strobel 1784, 136-149, die falsche Zahl auf Seite 140. Vermutlich sollte es bei Strobel ursprünglich „612“ heißen, wobei die Ziffer „6“ dann aber verkehrt herum gesetzt wurde und so die Zahl „912“ generierte. 20 Vgl. Hammer 1967 (Bd. 1), 284, Nr. 393 („Enth. 912 Briefe“); ebenso ders. 1981 (Bd. 3), 160, Nr. * 393. Kurios sind in diesem Zusammenhang einige der in Hammer 1981, 160, ergänzten Bemerkungen zu Camerarius’ Edition von 1569: „Die für diesen Druck in den vergangenen Jahren geforderten Antiquariatspreise (z. B. $ 85 […] 1958; 250 Schweizer Franken […] 1967; $ 150 […] April 1968 u. Juli 1970) entsprechen in keiner Weise dem zweifelhaften Wert dieser äußerst unkritischen, von Camerarius willkürlich bearbeiteten und für eine Neuveröffentlichung des ursprünglichen Wortlauts […] unbrauchbaren und keineswegs seltenen Ausgabe.“ 306 Matthias Dall’Asta spricht; 21 Heinz Scheibles diesbezügliches Corrigendum zu seinem erwähnten Aufsatz von 1968, der 1996 nachgedruckt wurde, ist ihm entgangen. 22 Ohne erneutes Durchzählen blieb die richtige Zahl der Briefe nicht genau ersichtlich, da Camerarius sie zwar mittels entsprechender Kolumnentitel nach Jahren geordnet, dabei aber nicht mit einer laufenden Nummer versehen hat. Nach meiner Zählung enthält die Ausgabe 611 Briefe, 23 von denen einer aufgrund eines ähnlich lautenden Incipits ( Litteras Sciuri und Litteris de Sciuro ) versehentlich zweimal gedruckt worden ist, wobei das dabei zunächst ausgelassene Schreiben dann im Anhang nachgeliefert wird. 24 Unter den Briefen des Druckes begegnen auch einige nicht an Camerarius gerichtete, ihn aber gleichwohl berührende Schreiben Melanchthons: zwei an den Gräzisten Sigismund Gelenius (S. 37-38 = MBW , Nr. 437; S. 48-50 = MBW , Nr. 474), eines an Camerarius’ älteren Bruder Hieronymus Kammermeister (S. 83-84 = MBW , Nr. 526), eines an Erasmus von Rotterdam (S. 89-91 = MBW , Nr. 664), eines an den Löwener Professor Konrad Goclenius (S. 91-92 = MBW , Nr. 666), zwei an Camerarius’ Freund Daniel Stibar (S. 267-269 = MBW , Nr. 1786; S. 424-425 = MBW , Nr. 3136), eines an den Rektor Balthasar Käuffelin und die Professoren der Universität Tübingen (S. 269-272 = MBW , Nr. 1795), eines an den Rektor Caspar Volland und den Senat der Universität Tübingen (S. 334-336 = MBW , Nr. 2478), eines an Matthäus von Wallenrode (S. 489-490 = MBW , Nr. 3510), eines an Fürst Georg von Anhalt (S. 510-512 = MBW , Nr. 3836), eines an Camerarius’ späteren Schwiegersohn Johannes Hommel (S. 545 = MBW, Nr. 4093), zwei an Joachim Camerarius den Jüngeren (S. 634-635 = MBW, Nr. 6724; S. 706 = MBW, Nr. 8001) sowie eines an die philosophische Fakultät der Universität Leipzig (S. 679-680 = MBW , Nr. 7059). Einen Fremdbrief bildet ein Schreiben Georg Helts an Melanchthon, in welchem es aber auch um Camerarius geht (S. 407-409 = MBW , Nr. 3028); zwei weitere Fremdbriefe, die jedoch beide an Camerarius gerichtet sind, stammen von Caspar Cruciger (S. 430-431 = CR 5, Nr. 2720; S. 432 = CR 5, Nr. 2711). Im Anhang folgen noch vier Briefbeigaben, die der Drucker Ernst Vögelin allesamt der 1550 in Leipzig erschienenen Neuauflage von Melanchthons Grammatica Latina entnommen hat (vgl. CR 20, 201-208), darunter zwei Briefe Melanchthons an Camerarius (S. 759-760 = 21 Jung 2010, 71. Jung folgt hierbei offenbar Scheible 1968, 136 (ND 1996, 2) oder 140 (ND 1996, 6). 22 Vgl. ders. ND 1996, 548 (Corrigendum zu Scheible 1968, 140). 23 Walter Thüringer zählte ausweislich einer in der Heidelberger Melanchthon-Forschungsstelle aufbewahrten handschriftlichen Liste 1976 in Camerarius’ Edition insgesamt 615 Briefe. Wilhelm Meyer spricht dagegen von „607 gedruckten Briefen“ Melanchthons an Camerarius, vgl. Meyer 1876, 599. 24 Vgl. Camerarius 1569, 527-528 und 556-557 (jeweils CR 5, Nr. 3248 = MBW, Nr. 4352) sowie 757-758 (CR 6, Nr. 3547 = MBW, Nr. 4308). Melanchthons Briefe an Camerarius 307 MBW , Nr. 3708; S. 762-766 = MBW , Nr. 3715), ein Brief des Camerarius an Melanchthon (S. 760-761 = MBW , Nr. 3711) sowie ein Brief Melanchthons an den Leipziger Buchdrucker Valentin Bapst (S. 766-767 = MBW , Nr. 3713). 25 Zieht man die oben verzeichneten 20 Briefe, die entweder nicht von Melanchthon stammen oder nicht direkt an Camerarius gerichtet sind, von der ermittelten Gesamtzahl der in dessen Ausgabe enthaltenen Stücke ab, bleiben 591 Briefe übrig. Ohne daß man sich in statistischen Einzelheiten verlieren müßte, wird die überlieferungsgeschichtliche Bedeutung der Leipziger Ausgabe von 1569 damit eindrucksvoll deutlich: Die 600 überkommenen Briefe Melanchthons an Camerarius sind nahezu vollständig in dessen Ausgabe dokumentiert. Lediglich ganz wenige Schreiben fehlen dort, so daß es sich lohnen dürfte, einen kurzen Blick auf die Überlieferung dieser neun fehlenden Schreiben zu werfen. Beim ersten dieser Stücke ( MBW , Nr. 1838) handelt es sich um einen Brief Melanchthons vom 20. Januar 1537, der Camerarius nie erreicht hat; in der einzig erhaltenen Nürnberger Abschrift des verlorenen Autographs hat ein Kopist des 16. Jahrhunderts vermerkt: His literis, quae fuerunt scriptae manu D. Philippi Melanth. propria, Vitus Theodorus in margine adscripsit sequentia verba: Has, cum essent diutius a nuncio retentae, non misit, sed alias scripsit de conventu Smalcaldensi. 26 Auf diesem eigenhändig geschriebenen Brief Philipp Melanchthons hat Veit Dietrich am Rand folgende Worte notiert: „Weil es vom Boten längere Zeit zurückgehalten worden war, hat er [Melanchthon] dieses Schreiben dann doch nicht abgeschickt, sondern über den Schmalkaldischen Bundestag [von 1537] ein anderes verfaßt.“ Ein weiteres Schreiben ( MBW , Nr. 2795), das vom 26. August 1541 stammt, bildet die Beilage zu Melanchthons Brief an Camerarius vom selben Tag ( MBW , Nr. 2794), wurde aber in dessen Edition nicht abgedruckt, obwohl in dem Begleitschreiben mit den Worten Vides in charta, quam adieci ausdrücklich auf diese Beilage hingewiesen wird. Vielleicht schätzte Camerarius ihren Inhalt - es geht um die Umzugskosten von Tübingen nach Leipzig, eine Gehaltszulage, landesherrliche Abgaben sowie die Leipziger Wein- und Biersteuer - als zu persönlich oder zu belanglos ein, um sie zum Druck zu befördern; das Originalschreiben ist 25 Vgl. Strobel 1784, 140. 26 MBW, Bd. T 7, 327, Nr. 1838 (aus der Beschreibung der Nürnberger Abschrift im Vorspann). Bei diesen aliae literae […] de conventu Smalcaldensi handelt es sich wohl nicht um MBW, Nr. 1858 vom 1. März 1537, sondern um einen auch in MBW, Bd. T 7, 417, Nr. 1883, Z. 42 erwähnten verlorenen Brief an Camerarius ( literae […] , quas ad te scripsi Smalcaliae ). 308 Matthias Dall’Asta in Clm 10 355 der Bayerischen Staatsbibliothek, dem 5. Band der als „Collectio Camerariana“ bekannten großen Autographensammlung, überliefert. 27 Die sieben übrigen nicht in Camerarius’ Ausgabe enthaltenen Briefe stammen aus den Jahren 1552-1555 und sind bis heute ungedruckt. Es handelt sich um MBW , Nr. 6571, 6597, 6608, 6622, 6703, 6723 und 7553. Diese sieben Briefe sind ausschließlich in zwei Kodizes mit Autographen Melanchthons überliefert, die im 17. Jahrhundert vermutlich durch Kauf oder Schenkung aus München in den Besitz der römischen Adelsfamilie Chigi gelangten 28 und 1923 mit deren gesamter Bibliothek der Biblioteca Apostolica Vaticana eingegliedert wurden. Die beiden Bände mit den Signaturen Cod. Chis. J VIII 293 und 294 umfassen 445 und 485 Blätter, und die in ihnen enthaltenen Autographen bildeten 1569 die Druckvorlage für die Briefausgabe des Camerarius. Weshalb dieser die sieben genannten Briefe nicht ebenfalls zum Druck beförderte, ist nicht ganz klar; vielleicht wurden sie der Sammlung erst nachträglich beigefügt. Die in den Chigi- Kodizes erhaltenen Stücke hat Camerarius nämlich ohne weitere Ausnahmen publiziert, wobei er die Briefe allerdings einer formalen und nicht selten auch inhaltlichen Redaktion unterzog. Die allgemeinen Tendenzen dieser Redaktion sind bekannt, seit der Klassische Philologe Wilhelm Meyer, unter seinem Lehrer Karl Halm damals noch Bibliothekssekretär an der Hof- und Staatsbibliothek in München, 29 im Winter 1874 / 75 im Handschriftenkatalog der Biblioteca Chigiana in Rom auf die beiden Autographen-Kodizes stieß und sie in der Folge ebenso wie der Münchener Historiker August v. Druffel untersuchen durfte. In den Sitzungsberichten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von 1876 erschien neben einem entsprechenden Beitrag Meyers auch die sehr viel detailliertere Auswertung v. Druffels; 30 eine damals ebenfalls angekündigte genaue bibliographische Beschreibung der Kodizes durch Karl Halm 31 ist offenbar nie erschienen. Da der 1834-1842 in den ersten zehn Bänden des Corpus Reformatorum niedergelegte bisherige Textus receptus der Briefe allein auf der Ausgabe des Camerarius beruht, 32 unternahm es der junge Philologe und Theologe Nikolaus 27 Vgl. MBW, Bd. T 10, 477, Nr. 2795. 28 Vgl. Schmidt 2012, 284-285. 29 Zur Person vgl. Rädle 1989. 30 Meyer 1876; Druffel 1876. 31 Vgl. Druffel 1876, 491-492: „Gestützt auf dessen [W. Meyers] Material wird Herr v. Halm im Anschlusse an seine in den Sitzungsberichten des Jahres 1873 niedergelegten Erörterungen [Halm 1873] die Handschriften vom bibliographischen Gesichtspunkte aus eingehend besprechen.“ Zur Geschichte der Münchener Collectio Camerariana vgl. auch Ernstberger 1959. 32 Als 1842 der zehnte und letzte Band von Melanchthons im CR gedruckten Briefen erschien, war ihrem Herausgeber Bretschneider die Existenz der Chigi-Kodizes zwar seit Melanchthons Briefe an Camerarius 309 Müller, der sich 1883-1885 in Rom aufhielt, den Camerarius-Text mit den Melanchthon-Autographen der Chigi-Biliothek vor Ort nochmals zu vergleichen. Sein persönliches Handexemplar des Druckes von 1569 hatte er zu diesem Zweck mit leeren Blättern durchschossen und in zwei Teilen neu binden lassen. In den dergestalt präparierten beiden Bänden verzeichnete Müller minutiös alle Abweichungen der Druckfassung von den Autographen, wobei er nicht nur die meist schon in das jeweilige Autograph hineinkorrigierten Änderungen des Camerarius genau dokumentierte, sondern auch Melanchthons eigene Streichungen und Verbesserungen, die gelegentliche Verwendung roter Tinte, eine abweichende Orthographie, veränderte Groß- und Kleinschreibungen sowie so marginale Details wie die originale Schreibung von et statt der im Druck verwendeten Ligatur & festhielt. Allein dieses letzte Detail ( et statt & ) ist in Müllers Kollationen insgesamt wohl Tausende von Malen angemerkt. Wie akribisch er gearbeitet hat, verdeutlicht auch seine 1901 erschienene Neuedition von Melanchthons vielbehandeltem griechischen Brief vom 16. Juni 1525 ( MBW , Nr. 408), durch den Camerarius über Luthers Heirat informiert wurde. 33 Das einzigartige Handexemplar Müllers mit seinen filigranen, durch zahlreiche Kürzel zusätzlich verdichteten Eintragungen in Sütterlinschrift, die zumeist mit roter oder schwarzer Tinte, mitunter aber auch mit Bleistift vorgenommen wurden, ist zusammen mit Müllers Nachlaß in das auf seine Initiative hin 1897-1903 in Bretten errichtete Melanchthon-Gedächtnishaus gelangt. Der Heidelberger Forschungsstelle steht es dankenswerterweise als Dauerleihgabe für die Neuedition der Briefe Melanchthons zur Verfügung. Da Nikolaus Müller seinerzeit vor Ort in Rom manches genauer erkennen konnte als die gegenwärtigen Bearbeiter auf ihren schwarz-weißen Mikroverfilmungen und Rückvergrößerungen, bleibt Müller auch weiterhin deren Mann in Rom, über dessen Schulter sie einen noch genaueren Blick in die römischen Originale werfen können. 34 Leider war schon im 19. Jahrhundert eine ganze Reihe von Briefen aus den Chigi-Kodizes verschwunden; Wilhelm Meyer sprach 1876 von 79 in Camerarius’ Ausgabe gedruckten Briefen, deren Originale er in Rom nicht mehr auffinden konnte. 35 In solchen Fällen konnte natürlich auch Müller deren Wortlaut nicht ein paar Jahren bekannt, die Benutzung der Handschriften war ihm und seinen Mitarbeitern aber seinerzeit nicht zugestanden worden. Vgl. CR 10, VII-VIII und Scheible 1968, 158 (ND 1996, 24) Anm. 30. 33 Vgl. Müller 1901 mit den Akzenten und der Interpunktion des Originals sowie der Angabe nicht nur der gestrichenen Wörter und Buchstaben, sondern auch eines Buchstabenansatzes, der wieder getilgt worden ist (ebd., 597 Anm. 5). Vgl. MBW, Nr. 408. 34 Bis zum Jahr 1528 sind Müllers Kollationen vorab schon in Clemen 1926 publiziert. 35 Vgl. Meyer 1876, 599-600. 310 Matthias Dall’Asta überprüfen. Und nur in Einzelfällen ist eines dieser offenbar früh verschollenen Originale später wieder aufgetaucht: Erst 2008 stieß der katholische Theologe Bernward Schmidt im Archiv der römischen Glaubenskongregation auf das Autograph von Melanchthons Brief an Camerarius vom 4. Januar 1545 ( CR 5, Nr. 3110 = MBW, Nr. 3784). 36 Aus den Fundumständen erschloß Schmidt, daß die beiden Chigi-Kodizes gegen Ende des 17. Jahrhunderts (ca. 1690) vorübergehend an einen Mitarbeiter der Inquisition (einen gewissen Giovanni Damasceno Bragaldi) ausgeliehen wurden, der dem römischen Franziskanerkonvent SS . Apostoli angehörte. 37 Aus welchen Gründen das Original des fraglichen Briefes, das einige charakteristische redaktionelle Eingriffe von Camerarius’ Hand aufweist, dann nicht zusammen mit den anderen Briefen wieder zurückgegeben wurde, sondern im Archiv der römischen Inquisitionsbehörde verblieb, läßt sich aber wohl nicht mehr rekonstruieren. II. Redaktionelle Eingriffe: ein Traumbild, Chiromantie und ein unliebsamer Schwiegersohn Nach dieser Skizze zur Überlieferung und Textgeschichte der 600 erhaltenen Briefe Melanchthons an Camerarius sollen nun einige dieser Briefe näher betrachtet werden, um die spezifische Redaktionstätigkeit des Camerarius genauer zu fassen und nach Möglichkeit mentalitätsgeschichtlich einzuordnen. Die Grundzüge seiner Redaktion sind bekannt: Zum einen nahm er formale, orthographische oder stilistische Änderungen vor. So stellte er etwa die von Melanchthon praktizierte Datierung nach dem kirchlichen Festkalender in antikisierend-klassizistischer Manier auf den römischen Kalender um, wobei die Umrechnung nicht selten um einen oder mehrere Tage daneben ging; da Melanchthon seinen Briefen keine Jahreszahl beizugeben pflegte, sind in Camerarius’ chronologisch geordneter Ausgabe nicht wenige Briefe unter einem falschen Jahr einsortiert. Besonders auffällig an den von ihm herausgegebenen Briefen ist die häufige Verwendung von Decknamen zur Tarnung erwähnter Personen; sie geht über das bei Melanchthon und seinen Briefpartnern auch sonst gewohnte Maß hinaus und ist in vielen Fällen auf die nachträgliche Verschlüsselung des 36 Die Signatur des Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede lautet: ACDF SO St. St. UV 35; Aufschrift des Aktenfaszikels: „Epistulae Quatuor Originales Philippi Melancthonis Haeretici Lutherani Ad Comitem Palatinum Rheni, Joachimum Camerarium, et alios in materia Religionis, cum compendio aliarum Epistolarum dicti Melancthonis“, um einen tatsächlichen „Originalbrief Melanchthons“ handelt es sich allerdings nur bei MBW, Nr. 3784. Vgl. Schmidt 2012, 281-283. 37 Vgl. ebd., 284-285. Melanchthons Briefe an Camerarius 311 Camerarius zurückzuführen. 38 Daneben formulierte dieser aber auch einzelne Passagen neu, ließ andere aus und fügte wieder andere hinzu. Bereits Bretschneider war diesen eigenmächtigen Änderungen auf die Spur gekommen, als er Camerarius’ Fassung von Melanchthons Brief vom 15. Juli 1528 über die Packschen Händel ( MBW , Nr. 696) mit einer in München erhaltenen Abschrift des 16. Jahrhunderts verglich, die offenkundig noch auf dem Originalbrief beruhte und daher 1834 im ersten Band des Corpus Reformatorum als Leittext Verwendung fand. 39 Andererseits ist zu konzedieren, daß Camerarius offenbar nur in sehr wenigen Fällen ganz von der Publikation eines Briefes absah. Die lediglich neun in seiner Ausgabe fehlenden, aber anderweitig erhaltenen Briefe Melanchthons wurden bereits angesprochen. In den bisher publizierten 17 Textbänden der Akademie-Ausgabe des Melanchthon-Briefwechsels finden sich daneben nur noch sieben Fälle, in denen auf weitere, heute fehlende Briefe Melanchthons an Camerarius Bezug genommen wird. 40 Bis Ende 1547 lassen sich somit (zusammen mit MBW , Nr. 1838 und 2795) insgesamt lediglich neun Briefe ermitteln, die Camerarius nicht auch publiziert hat; gegenüber den 420 veröffentlichten Briefen aus demselben Zeitraum ist dies eine sehr kleine Menge. Camerarius redaktionelle Eingriffe beginnen regelmäßig schon bei der Wiedergabe der Adresse. Kurioserweise pflegte Melanchthon seine Briefe zumeist mit Ioachimo Camerario Bombergensi zu beschriften, was seinen Bamberger Freund dann dazu veranlaßte, diese ungewöhnliche Form der Herkunftsbezeichnung in seiner Edition regelmäßig zu Bambergensi zu ändern. Und das Hunderte von Malen! Man fragt sich unwillkürlich, warum Camerarius seinen Freund nicht irgendwann darum gebeten hat, diese ihm offenbar gegen den Strich gehende Vokalisation zu ändern. Camerarius hat sich selbst fast nie Bombergensis , 41 sondern üblicherweise Pabepergensis oder Bambergensis genannt. Seinen Nürnberger Freund Hieronymus Baumgartner pflegte Melanchthon in 38 Beispiele bei Scheible 1968, 140 (ND 1996, 6). Vgl. auch die Clavis allegoricorum nominum, quae in epistolis Melanthonis passim leguntur in CR 10, 317-324. 39 CR 1, Nr. 541; vgl. ebd., XLVI-XLVII. ( Vid. ep. d. 15. Iul. 1528, ex qua intelligitur, Camerarium utique passim mitigasse verba Melanthonis. Quod etiam in aliis epistolis factum esse, dubitari vix potest ) und 985 ( Quot et quanta Camerarius in epist. Mel. edendis mutare ausus sit, ex hac ep. clare perspicitur ). Vgl. MBW, Nr. 696. 40 Vgl. MBW, Bd. T 6, 42, Nr. 1406, Z. 3; Bd. T 7, 417, Nr. 1883, Z. 42 (vgl. auch oben Anm. 26); Bd. T 10, 295, Nr. 2732, Z. 33; Bd. T 13, 541, Nr. 3755, Z. 18; Bd. T 15, 317, Nr. 4282a, Z. 2; Bd. T 15, 366, Nr. 4320, Z. 14-15; Bd. T 16, 131, Nr. 4606, Z. 8. 41 Eine Ausnahme bildet ein früher Nürnberger Druck mit Epitaphia epigrammata composita ab Ioachimo Camerario Bombergensi ; vgl. Camerarius 1531. 312 Matthias Dall’Asta ähnlicher Weise Bomgartnerus zu nennen, was Camerarius im Rahmen seiner Edition ebenfalls in Baumgartnerus änderte. 42 Zum Thema Adresse sei noch ein kleiner Exkurs gestattet: Der vielzitierte Brief Johannes Reuchlins an Melanchthon vom 24. Juli 1518, in welchem der Pforzheimer Humanist seinem Lieblingsschüler für dessen geradezu schicksalhafte Abreise nach Wittenberg den Segen erteilt, war jahrhundertelang nur in der Fassung greifbar, in der Camerarius ihn innerhalb des Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum von 1561 ( VD 16 C 410) abgedruckt hat. Erst Mitte der 1990er Jahre, als der erste Textband von MBW bereits gedruckt vorlag, machte mich der schwedische Bibliothekar Håkan Hallberg auf eine in Uppsala befindliche späte Abschrift des Briefes aufmerksam, die offenkundig nicht auf der Edition des Camerarius beruhte. Diese Abschrift enthielt in der Adresse eine bemerkenswerte Variante: Statt Erudito bonarum artium magistro Philippo Melanchthoni, propinquo suo stand dort ausführlicher zu lesen: Magistro Philippo Melanchthoni, cognato suo in Tuwingen, conventuario pursae antiquorum . Camerarius hatte in seiner redaktionellen Bearbeitung der originalen Adresse den Hinweis auf Melanchthons Tübinger Bursenzugehörigkeit offenbar getilgt und damit der Ansicht Vorschub geleistet, Melanchthon sei in Tübingen vom alten Weg zur via moderna gewechselt. 43 Doch zurück zu Melanchthons Briefen an Camerarius: In der Buchanzeige zu dem 2003 erschienen Textband 5 der neuen Ausgabe des Melanchthon-Briefwechsels heißt es: „Textkritisch sind die 35 Briefe an Camerarius hervorzuheben, die erstmals im ursprünglichen Wortlaut geboten werden.“ Inwieweit die Leser und Benutzer des Bandes die dergestalt „gereinigten“ Texte in der Zwischenzeit interpretatorisch ausgeschöpft haben, kann ich nicht überblicken. In jedem Fall bietet der wirkungsgeschichtliche Apparat unserer Edition („W-Apparat“) eine bequeme Möglichkeit, die redaktionellen Eingriffe des Camerarius wirklich auch en détail nachzuvollziehen und in besonderen Fällen auszudeuten. Ich möchte mich im folgenden auf vier Textbeispiele aus den Jahren 1531, 1536, 1541 und 1544 beschränken, für die uns leider in einem Fall der Originalbrief nicht mehr zur Verfügung steht. In seinem Brief an Camerarius vom 20. Dezember [1531] geht Melanchthon auf schlechte Nachrichten aus der Schweiz ein: Zürich sei nach verlorener Feldschlacht angeblich von den Spaniern (gemeint sind die katholischen Inner- 42 Vgl. z. B. MBW, Bd. T 11, 345, Nr. 3100, Z. 12. 43 Vgl. Lorenz 2010, 86 und 99 mit Anm. 14; RBW, Bd. 4, 126 und 128-129, Nr. 339; Scheible 2016, 24 („Die Streitfrage, ob Melanchthon beim Umzug nach Tübingen vom ‚alten‘ zum ‚neuen Weg‘ wechselte oder den in Heidelberg begonnenen Studiengang fortsetzte […], ist durch einen Handschriftenfund entschieden worden: Er wohnte in der ‚Realistenburse‘.“) und 356-357. Melanchthons Briefe an Camerarius 313 schweizer) erobert worden. In diesem Zusammenhang berichtet er von einem Traumgesicht: Sane casus miserabilis est, et vidi somnium horribili specie. Erat testudo, quae paulatim crescebat et accipiebat draconis formam. Hic intumescens crepabat interim stridens horrendum, sicut rotae novae stridunt. Aderant autem percussores, qui feriebant draconem, postquam crepuisset. Et paulatim aperiens se draco continebat humanum cadaver, quod totum sanie taboque plenum erat. Et cum videret sibi moriendum esse, faciem tegebat pelle a capite super faciem retracta. Sic experrectus sum. M i r a i s t a i m a g i n u m c o n f u s i o r e r u m s c i l i c e t m a x i m a m p e r t u r b a t i o n e m i n d i c a t . D e q u a t a m e n n i h i l o p u s e s t s o m n i i s , c u m s i t i l l a a n t e o c u l o s . 44 Der Fall ist ganz und gar Mitleid erregend, und ich sah ein haarsträubendes Traumbild. Da war eine Schildkröte, die allmählich wuchs und die Gestalt eines Drachens annahm, der beim Anschwellen knarrte und mitunter schrecklich knirschte, so wie neue Räder knirschen. Es waren aber auch einige da, die den Drachen verwundeten und durchbohrten, nachdem er das knarrende Geräusch von sich gegeben hatte. Und allmählich gab der Drache sein Inneres preis: einen menschlichen Leichnam, der ganz mit Jauche und Eiter gefüllt war. Und als er sah, daß er sterben mußte, da bedeckte er das Gesicht mit einer Haut, die er vom [Hinter]kopf her über das Gesicht zog. Dann bin ich aufgewacht. D i e s e w u n d e r l i c h e Ve r m i s c h u n g d e r B i l d e r d e u t e t n a t ü r l i c h a u f d i e u n g e h e u r e Ve r w i r r u n g d e r Ve r h ä l t n i s s e h i n . D a z u b e d a r f e s a l l e r d i n g s g a r k e i n e r T r a u m b i l d e r , d a j e n e [Verwirrung] j a g a n z o f f e n s i c h t l i c h i s t . So lautet dieses Traumgesicht in der Fassung des Briefes, die sich in Camerarius’ Leipziger Ausgabe von 1569 sowie im Corpus Reformatorum findet. Sobald man nun aber das in Rom erhaltene Autograph Melanchthons zur Hand nimmt, stellt sich heraus, daß die abschließende relativierende Bemerkung, es bedürfe keiner solchen Träume, um die Menschen an die derzeitige Verwirrung der Verhältnisse zu gemahnen, lediglich ein redaktioneller Zusatz von Camerarius ist. Im Original steht nichts davon; dort wird der Traum nicht weiter kommentiert. Noch aufschlußreicher ist aber ein Blick auf die Einleitung des Traumbildes, die im Original folgendermaßen lautet: Sane e x i t u s C i n g l i i miserabilis est, et vidi p e r somnium p o s t r i d i e q u a m p e r i i t e u m i n t e r f i c i horribili specie. 45 44 Camerarius 1569, S. 178-179 (= CR 2, 554, Nr. 1020). 45 MBW, Bd. T 5, 231, Nr. 1206, 2 (aus dem Autograph). 314 Matthias Dall’Asta Z w i n g l i s T o d ist ganz und gar Mitleid erregend, und ich habe e i n e n T a g n a c h s e i n e m T o d d u r c h ein Traumbild gesehen, d a ß e r in haarsträubender Weise n i e d e r g e m a c h t w o r d e n i s t . Der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli war am 11. Oktober 1531 in der Schlacht bei Kappel in die Hände der katholischen Innerschweizer gefallen und getötet worden. Melanchthon hat Zwinglis Tod offenbar nachträglich mit dem geschilderten Angsttraum vom sterbenden Drachen in Verbindung gebracht, den er selbst auf den 12. Oktober ( postridie quam periit [sc. Cinglius ]) datiert. Camerarius schien diese Interpretation bzw. confusio imaginum offenbar so verfänglich, daß er Zwinglis Namen in der Druckfassung unterschlug und das Traumgesicht zudem mit einer relativierenden Bemerkung versah, die den ursprünglichen Bezug auf Zwingli vollends verdunkelt. Von der Authentizität und seherischen Potenz von Melanchthons Träumen war Camerarius dabei durchaus überzeugt, so daß er an der Schilderung des Traumbildes selbst nicht ein einziges Wort geändert hat. Zehn Jahre nach dem eben zitierten Schreiben, in einem Brief Melanchthons vom 2. Dezember 1541, heißt es im Zusammenhang mit dem von Camerarius beabsichtigten Kauf eines Hauses in Leipzig: Si inspexero honestissimae coniugis tuae manum, monstrabo lineam, quae significet propriae domus emptionem: a g n o s c i s i o c o s n o s t r o s . N e c t u i d e o s u p e r s t i t i o s u m m e p u t a v e r i s a u t , s i i l l a n o n e v e n e r i n t , f a l s u m v a t i c i n a t o r e m . 46 Wenn ich die Hand Deiner verehrten Frau betrachtet habe, werde ich Dir die Linie zeigen, die auf den Kauf eines eigenen Hauses hindeutet: D u k e n n s t j a u n s e r e S c h e r z e u n d w i r s t m i c h d e s w e g e n n i c h t f ü r a b e r g l ä u b i s c h h a l t e n o d e r , f a l l s e s d a n n d o c h a n d e r s k o m m t , f ü r e i n e n f a l s c h e n We i s s a g e r . Soweit die Leipziger Ausgabe von 1569. Nimmt man das Original des Briefes zur Hand, stellt sich heraus, daß Melanchthon die Bemerkung über die gemeinsamen Scherze und den in Abrede gestellten Aberglauben gar nicht gemacht hat. Bei der Passage agnoscis iocos nostros bis falsum vaticinatorem handelt es sich lediglich um einen Zusatz des Camerarius, durch den Melanchthons Angebot, der Frau seines Freundes aus der Hand zu lesen, als ein heiteres Spiel erscheinen soll. 47 Selbst wenn man annimmt, Melanchthon habe die Sache mit der „Hauskauflinie“ tatsächlich nur als Scherz gemeint, ist es dennoch bemer- 46 Camerarius 1569, S. 374 (= CR 4, 705, Nr. 2407). 47 Vgl. MBW, Bd. T 10, 574, Nr. 2846, 2 (aus dem Autograph). Melanchthons Briefe an Camerarius 315 kenswert, daß Camerarius es für nötig erachtet hat, die Partie explizit in diesem Sinne zu erweitern. Auch in seiner Melanchthon-Biographie von 1566 hat er den Reformator vor dem Vorwurf gauklerischer Chiromantie in Schutz genommen und Melanchthons Praktik des Handlesens ebenfalls als einen bloßen Scherz ( iocus ) bezeichnet. 48 Eine in diesem Zusammenhang besonders aussagekräftige Quelle bildet Melanchthons Brief an Camerarius vom 9. März 1536. Dort heißt es: Magis autem risi indignationem tuam, qui tam graviter fers reprehendi sententiam nostram et iudicium culpari, quibus probantur et commendantur mathematicae disciplinae. Sed istos harum vituperatores miror non etiam titulum illum in has detorsisse: De mathematicis et maleficis . 49 Mihi quidem non sint ignotae accusatoriae criminationes veterum quoque virorum pietate et doctrina excellentium […]. Nam de divinationibus, quod q u e n d a m ostendis deridentem has d i x i s s e , 50 c u r mihi ipse non praedixerim illas difficultates, de quibus tantopere conqueri soleam, facilis est responsio: Neque enim faber sibi maxime opera excudit, sed aliis, qui illis utantur. […] Sed nos ne profitemur quidem artis istius scientiam δημοσιεύοντες. Quid dicent, si etiam lineas in manibus aliquorum inspicere me solere resciverint et divinare de eventis gratis et auditu iucundis? Iam somnia mea quantopere partim exagitentur, partim irrideantur, non ignoro, cum alii narrent multo absurdiora et futiliora somnia etiam vigilantes. Quaeso te, ne istis fabulis movearis. 51 Noch mehr habe ich aber über Deinen Unmut gelacht, weil Du Dich dermaßen darüber ärgerst, daß unsere gutachterliche Empfehlung und positive Stellungnahme zur Mathematik [gemeint ist die Astrologie] auf Tadel und Mißbilligung stoßen. Ich dagegen wundere mich eher, daß deren Tadler nicht auch noch den Gesetzes-Passus Von Mathematikern und Zauberern gegen diese Wissenschaft geschleudert haben. Mir sind jedenfalls die anklägerischen Anschuldigungen durch Frömmigkeit und Bildung ausgezeichneter Männer auch aus der Antike gut bekannt […]. Denn hinsichtlich des von Dir angeführten spöttischen Verächters der Weissagungen, d e r [die Frage] 48 Camerarius 1777, 76-79 (§ 20), bes. 78: Quinetiam per iocum [! ] solebat manus adversas aliquorum intueri, et de lineis ibi apparentibus indicare id, quod a quibusque expeti, aut quo delectari illos sciret. Neque ideo tamen Chiromantices superstitiosam divinationem confirmabat, aut levitati ineptiisque istis dabat operam, vel aliis eas commendabat, cum constet acerrimum fuisse eum inimicum omnium, quibus falsitatis nugarumve aliquid implicaretur, vel quorum omnino fundamenta non niterentur evidente veritate et certis rationibus stabilirentur. Diligenter autem et accurate rem distinguebat, neque patiebatur hominum stulticiam et vanitatem cum vera intelligentia et recto usu confundi . Vgl. Luntze 1809, 590-591. 49 Kaiser Diokletians Edikt De mathematicis, maleficis et Manichaeis von 297, Coll. leg. mos. et rom. XV. 50 Hier im Sinne von rogavisse . 51 MBW, Bd. T 7, 68-69, Nr. 1706, 1-4 (aus Camerarius 1569, S. 277-278). 316 Matthias Dall’Asta f o r m u l i e r t h a b e , w a r u m ich mir nicht selbst jene Schwierigkeiten vorausgesagt habe, über die ich mich so häufig zu beklagen pflege, ist eine Antwort leicht: Ein Handwerker stellt seine Erzeugnisse nämlich auch nicht in erster Linie für sich selbst her, sondern für andere Benutzer. […] Uns kann man aber von Berufs wegen nicht einmal als Astrologen bezeichnen. Was werden [die Spötter] erst sagen, wenn sie erfahren, daß ich manchmal auch aus den Linien der Hände zu lesen und angenehme und gut klingende Entwicklungen zu prophezeien pflege? Ich weiß wohl, wie sehr bereits meine Träume teils mißbilligt, teils verspottet werden, obwohl andere Leute sogar im Wachzustand noch viel ungereimtere und nichtigere Träumereien erzählen. Ich bitte Dich, laß Dich von diesen Geschichten nicht beeindrucken. In diesem Brief, der die Antwort auf ein nicht überliefertes Schreiben seines Freundes bildet, erwähnt Melanchthon nicht nur die spöttische Kritik, die er sich aufgrund seiner Empfehlung der Astrologie zuzog, sondern es geht auch um die gelegentlich von ihm praktizierte Chiromantie sowie die Deutung seiner Träume. 52 Leider ist das Autograph dieses Briefes verloren, so daß wir die von Camerarius redigierte Fassung - wie in rund 70 weiteren Fällen - nicht mehr mit dem Original vergleichen können. Die generellen Eigenarten und Tendenzen seiner Redaktion deuten aber darauf hin, daß er auch den vorliegenden Brief umgearbeitet hat. Ein Beweis dürfte hierbei schwer zu führen sein, aber mir scheint insbesondere die Passage quod quendam ostendis […] dixisse, cur eine anonymisierende Änderung des Camerarius zu sein: Im Original hat hier möglicherweise der Name eines prominenten Kritikers gestanden; die sperrige Junktur dixisse, cur mihi ipse non praedixerim markiert vielleicht die Fuge zwischen dem Originalwortlaut der indirekten Frage und deren von Camerarius veränderter Einpassung. Als letztes Beispiel soll der Brief vom 24. Mai 1544 ( MBW , Nr. 3566) dienen, in dem Melanchthon sich Camerarius gegenüber mit großer Bitterkeit über seinen Schwiegersohn Georg Sabinus äußert: Die Ehe mit Melanchthons Tochter Anna war inzwischen so zerrüttet, daß dem verzweifelten Vater eine Scheidung zwischenzeitlich als die beste Lösung erschien. 53 Es handelt sich um ein sehr privates Schreiben, das zusätzlich noch dadurch an Brisanz gewinnt, daß Camerarius mit Georg Sabinus, dem begabten lateinischen Dichter und frisch bestallten Gründungsrektor der Universität Königsberg, 54 ebenfalls eng 52 Zum Thema Chiromantie, Astrologie und Traumdeutung bei Melanchthon vgl. bes. Luntze 1809; Caroti 1982; Bräuer 1997; Frank / Rhein (Hgg.) 1998; Hoppmann 1998; Brosseder 2004; Müller-Jahnke 2004; Grafton 2006; Gantet 2010. 53 Vgl. bereits MBW, Bd. T 13, Nr. 3561.4, sowie ebd., Nr. 3575. 54 Vgl. Heinz Scheible 1995; zur unglücklichen Ehe mit Anna Melanchthon, die 1547 nach der Geburt ihres sechsten Kindes im Alter von 24 Jahren starb, vgl. ebd., 23 (ND 1996, 539). Melanchthons Briefe an Camerarius 317 befreundet war; wenige Jahre nach Sabinus’ Tod im Jahre 1560 wird er dessen Gedichte neu herausgeben. 55 Nach den eingangs zitierten Bemerkungen, die Camerarius über einen editorisch verantwortlichen Umgang mit derartigen Privatbriefen gemacht hat, verwundert es nicht, daß er gerade die Schreiben, in denen Melanchthon sich 1544 mehrfach vertraulich über die unglückliche Ehe seiner Tochter äußert, in seiner Ausgabe an einigen Stellen nicht unwesentlich verändert und entschärft hat. In Melanchthons Originalbrief heißt es: S. D. Reddidit mihi heri Caspar statim e curru descendens epistolam tuam, plenam pietatis erga deum et amoris erga me. Etsi autem non nihil accusari me intelligo, quod videar indulgentior in meos, quod idem mihi m e u s I x i o n obiecit ante biduum, tamen, si tibi et natura I x i o n i s penitus ut mihi nota esset et hoc negocium inquisitum, veniam dares meo dolori. Et tamen hactenus ordine feci omnia, ac fecisse poenitet. Facta est ante eius S p i r e n s e iter reconciliatio; dixit ipse ἀμνηστίαν fore. Postea rediens e Lipsia mittit commenticiam epistolam scriptam nescio cuius adolescentis nomine. Deinde cum advenisset, postridie c u m f i l i a m e a expostulat, q u o d a b a m a t o r e l i t e r a s e t d o n a a c c e p e r i t , n e c i n d i c e t . Talibus ludit poematis! Heri discedens me artificiose adoritur: se abire; si velim, filiam mitti iubet post aliquot dies. U b i h a e c d i d i c i t I x i o n , q u i n e c d i a l e c t i c o s n o v i t n e c c a p t i o n e s c a u s i d i c o r u m ? C o g i t a t a l t e r u t r u m f o r e , u t a u t o b t r u s a d i c a t u r a u t , s i n o n m i t t a m , v i r e t e n t a . P e t i t m e e t m e o s i n s i d i i s , o n e r a t n o s o m n i b u s p r o b r i s . N u l l a s l i t e r a s , n u l l a m r e l i g i o n i s a u t v i r t u t i s d o c t r i n a m a m a t . E t h u n c t u m i h i t a n t o p e r e p r a e d i c a s ! 56 Gestern übergab mir Caspar [Cruciger], kaum daß er vom Wagen gestiegen war, Deinen Brief, der voller Ehrfurcht gegenüber Gott und Zuneigung mir gegenüber ist. Ich entnehme ihm gleichwohl den deutlichen Vorwurf, ich schiene mit meinen Angehörigen zu nachsichtig zu sein, was mir m e i n I x i o n vorgestern auch vorgeworfen hat. Wenn Dir jedoch die Natur d i e s e s I x i o n so gut wie mir bekannt wäre und Du der ganzen Sache auf den Grund gegangen wärest, dann würdest Du meinem Schmerz mit Nachsicht begegnen. Und dennoch habe ich mich bisher in allem ganz korrekt verhalten, was ich inzwischen bereue. Vor seiner Reise n a c h S p e y e r fand eine Aussöhnung statt; er selbst sprach von Vergebung. Bei seiner Rückkehr schickt er aber anschließend aus Leipzig im Namen irgendeines jungen Mannes einen gefälschten Brief. Einen Tag nach seiner Ankunft wirft er m e i n e r T o c h t e r dann vor, s i e h a b e v o n e i n e m L i e b h a b e r B r i e f e u n d G e s c h e n k e e r h a l t e n ; e i n e n N a m e n n e n n t e r n i c h t . Mit derartigen Erdichtungen hält er uns zum Narren! Gestern bei seiner Abreise sucht er mich hinterlistig auf: Er gehe fort; wenn 55 Camerarius 1563. Vgl. Scheible 1995, 30 (ND 1996, 546). 56 MBW, Bd. T 13, Nr. 3566.1 (aus dem Autograph). 318 Matthias Dall’Asta ich dies wolle, könne ihm meine Tochter nach einigen Tagen folgen. Wo h a t I x i o n d i e s e D i n g e g e l e r n t , d e r d o c h v o n D i a l e k t i k u n d j u r i s t i s c h e n W i n k e l z ü g e n k e i n e A h n u n g h a t ? E r h a t o f f e n k u n d i g e i n e s v o n b e i d e m i m S i n n : d a ß m a n v o n i h r s a g t , s i e s e i i h m a u f g e n ö t i g t o d e r - f a l l s i c h s i e n i c h t z u i h m s c h i c k e - s i e s e i m i t G e w a l t z u r ü c k g e h a l t e n w o r d e n . E r v e r ü b t A n s c h l ä g e a u f m i c h u n d d i e M e i n e n ; e r ü b e r h ä u f t u n s m i t S c h a n d e j e d e r A r t ! We d e r B i l d u n g n o c h r e l i g i ö s e o d e r e t h i s c h e G r u n d s ä t z e h a b e n f ü r i h n e i n e t i e f e r e B e d e u t u n g . U n d e i n e n s o l c h e n K e r l p r e i s t D u m i r s o s e h r ! Der Deckname Ixion für Georg Sabinus ist leicht zu deuten: Der antike Ixion, eine Figur der griechischen Mythologie, hatte seinen Schwiegervater heimtückisch ermordet, war aber von Zeus entsühnt worden; weil er dessen Gastfreundschaft anschließend verletzte, wurde er zur ewigen Strafe auf ein sich beständig drehendes Feuerrad gebunden. Melanchthons Formulierung meus Ixion ist also aus der Perspektive des sich arglistig getäuscht fühlenden Schwiegervaters heraus gewählt; die Ahnung, es könne mit Sabinus ebenfalls ein schlimmes Ende nehmen, dürfte bei der Wahl des Namens aber ebenfalls eine wesentliche Rolle gespielt haben. In seiner Redaktion des Briefes hat Camerarius diese Bezeichnung nicht unterschlagen, sondern meus Ixion lediglich zu ὁ Ἰξίων („der bekannte Ixion“) verändert. Während Melanchthon im weiteren Verlauf des Briefes dann aber noch vier weitere Male von Ixion spricht, hat Camerarius diese Bezüge verdunkelt: die natura Ixionis wird bei ihm zur natura illius , die unwillige Frage ubi hac didicit Ixion? mutiert zu ubi haec didicerunt? , die ab Ixione zugefügte Schande ist nunmehr ab istis oblatum und Melanchthons Bitte, Camerarius möge sich propter Ixionem nicht von ihm abwenden, wird zu propter ullos verallgemeinert und anonymisiert. Die Beziehung auf Melanchthons Tochter Anna ist ebenfalls verdunkelt: aus postridie cum filia mea expostulat, quod ab amatore literas et dona acceperit, nec indicet wird bloßes postridie expostulat; ait clam litteras et dona accepta esse . Interessant ist auch der in Camerarius’ Ausgabe interpolierte Schluß des Briefes: De Sabino tibi contra animi mei sententiam morem geram. Quicquid autem non egero, sed acturus sim, faciam te certiorem. 57 Was Sabinus betrifft, so werde ich gegen meine innere Überzeugung Deinen Wünschen nachkommen. Über alles, was ich diesbezüglich noch zu unternehmen gedenke, werde ich Dich vorab unterrichten. 57 Camerarius 1569, S. 467 (= CR 5, 398, Nr. 2947). Melanchthons Briefe an Camerarius 319 Durch diese Interpolation wird aus Melanchthons ursprünglich leitmotivischem Ixion wieder der allen mythologischen Ballasts entkleidete Georg Sabinus, dessen Identität ja auch nach Camerarius’ redaktionellen Eingriffen noch erkennbar geblieben war. Melanchthon hat seinen Schwiegersohn tatsächlich auch nach 1544 nicht fallengelassen, und Camerarius wollte seinen Anteil an dieser Entwicklung offenbar im Nachhinein ins rechte Licht setzen. Allein in Textband 13 der neuen kritischen Ausgabe von Melanchthons Briefwechsel, der die Briefe des Jahres 1544 umfaßt, sind nicht weniger als 40 Briefe an Camerarius enthalten, viele davon von ausgeprägt privater Natur und nun erstmals in ihrem ursprünglichen Wortlaut publiziert. Wem der lesende Zugriff auf diese Briefe zu voyeuristisch sein sollte, der kann natürlich weiterhin das Corpus Reformatorum benutzen. Gegen die eventuellen Zudringlichkeiten des Boulevards besteht aber ohnehin noch ein ziemlich zuverlässiges Bollwerk: Alle an Camerarius gerichteten Briefe sind in lateinischer oder gar griechischer Sprache verfaßt. Literaturverzeichnis Bräuer, Siegfried: „… einige aber sind Natürliche, andere Göttliche, wieder andere Teuflische…“ Melanchthon und die Träume, in: „Man weiß so wenig über ihn“. Philipp Melanchthon. Ein Mensch zwischen Angst und Zuversicht, herausgegeben vom Evangelischen Predigerseminar Wittenberg, Wittenberg 1997, 69-98 ( ND in ders.: Spottgedichte, Träume und Polemik in den frühen Jahren der Reformation. Abhandlungen und Aufsätze, herausgegeben von Hans-Jürgen Goertz und Eike Wolgast, Leipzig 2000, 223-254). Brosseder, Claudia: Im Bann der Sterne. Caspar Peucer, Philipp Melanchthon und andere Wittenberger Astrologen, Berlin 2004. Camerarius, Joachim (Hg.): Illustrium ac clarorum aliquot virorum memoriae scripta epicedia per Helium Eobanum Hessum. Epitaphia epigrammata composita ab Ioachimo Camerario Bombergensi, Nürnberg: Peypus, 1531 ( VD 16 E 1509). Camerarius, Joachim (Hg.): Conciones synodicae statis temporibus habitae in ecclesia Meresburgensi a […] Georgio pr. Anhaltino […] Narratio de reverendissimo et illustrissimo principe Georgio, principe Anhaltino, Leipzig: Bapst, 1555 ( VD 16 G 1320). Camerarius, Joachim (Hg.): Libellus alter epistolas complectens Eobani et aliorum quorundam doctissimorum virorum […], Leipzig: Bapst, 1557 ( VD 16 C 409). Camerarius, Joachim (Hg.): Poemata Georgii Sabini Brandeburgensis, Leipzig: Vögelin, 1563 ( VD 16 S 135 und ZV 13 488). Camerarius, Joachim: De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte […] narratio diligens et accurata, Leipzig: Vögelin, 1566 ( VD 16 C 502). 320 Matthias Dall’Asta Camerarius, Joachim (Hg.): Liber continens continua serie epistolas Philippi Melanchthonis scriptas annis XXXVIII ad Ioach. Camerar. Pabep. nunc primum pio studio et accurata consideratione huius editus, Leipzig: Vögelin, 1569 ( VD 16 M 3553). Camerarius, Joachim (Hg.): Georgii principis Anhaltini […] Conciones et scripta complectentia summam verae doctrinae, Wittenberg: Schwenck, 1570 ( VD 16 G 1328). Camerarius, Joachim: De vita Philippi Melanchthonis narratio, herausgegeben von Georg Theodor Strobel, Halle: Gebauer, 1777. Camerarius, Joachim: Narratio de Helio Eobano Hesso […] (1553) / Das Leben des Dichters Helius Eobanus Hessus […] Lateinisch und deutsch, übersetzt von Georg Burkard, herausgegeben und erläutert von Georg Burkard und Wilhelm Kühlmann, Heidelberg 2003 (Bibliotheca Neolatina 10). Camerarius, Joachim: Das Leben Philipp Melanchthons, übersetzt von Volker Werner, mit einer Einführung und Anmerkungen versehen von Heinz Scheible, Leipzig 2010 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 12). Caroti, Stefano: Comete, portenti, causalità naturale e escatologia in Filippo Melantone, in: Scienze, credenze occulte, livelli di cultura. Convegno Internazionale di Studi (Florenz 26.-30. Juni 1980), Florenz 1982, 383-426. Clemen, Otto (Hg.): Melanchthons Briefwechsel. Bd. 1: 1510-1528, Leipzig 1926 ( ND Frankfurt 1968; Supplementa Melanchthoniana VI / 1). CR = Corpus Reformatorum. Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia, herausgegeben von Carl Gottlieb Bretschneider und Heinrich Ernst Bindseil, 28 Bde., Halle a.d. Saale / Braunschweig 1834-1860 ( ND Frankfurt a. Main 1963 und Nieuwkoop 1968). Detmers, Achim / Jablonowski, Ulla (Hgg.): 500 Jahre Georg III . Fürst und Christ in Anhalt. Beiträge des Wissenschaftlichen Kolloquiums anlässlich des 500. Geburtstages von Fürst Georg III . von Anhalt, Köthen 2008 (Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde 17). Druffel, August von: Die Melanchthon-Handschriften der Chigi-Bibliothek: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k. b[ayer]. Akademie der Wissenschaften, 1876, 491-527. Ernstberger, Anton: Lukas Friedrich Behaim und die Collectio Camerariana: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1959, 1-26. 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Jahrhunderts, Heidelberg 2015 (Akademiekonferenzen 19), 163-179. Melanchthons Briefe an Camerarius 323 Camerarius und das Fremde Camerarius und die Türkenfrage 325 Camerarius und die Türkenfrage * Peter Kasza (Szeged) Die Schlacht bei Mohács (1526), die beiden Belagerungen von Wien (1529, 1532) und die Eroberung von Buda (Ofen 1541) - mit anderen Worten die von Jahr zu Jahr wachsende türkische Bedrohung - riefen bei den deutschen Humanisten ein wesentliches Interesse an der Türkenfrage hervor. Die Zuwendung zu diesem Thema ist der Hintergrund für die aufblühende Türkenliteratur, und zwar nicht nur im Fall jener Humanisten, die in der unmittelbaren Nähe der Gefahr durch die Türken, z. B. in Wien oder den österreichischen Erbländern lebten, sondern auch bei denen der weiter entfernten Gebiete. Camerarius, der abgesehen von seiner Korrespondenz, in der er gelegentlich die Türkenfrage anschneidet, diesem Thema drei selbstständige Werke gewidmet hat, ist keine Ausnahme. 1 Chronologisch betrachtet steht am Anfang dieser Werke ein eigenartiges historiographisches Werk mit dem Titel De clade accepta in Pannonia ad Mogacium et Ludovici regis interitu . Diese kleine Schrift wurde erstmals 1541 in Basel in Camerarius’ Lehrbuch für Rhetorik, Elementa Rhetoricae , veröffentlicht. Bereits zu Lebzeiten des Verfassers wurden vier weitere Ausgaben des Lehrbuchs besorgt. 2 Erwähnenswert ist ferner eine Rede, die sogenannte Oratio senatoria , die Camerarius aller Wahrscheinlichkeit nach noch in Tübingen Ende des Jahres 1541 geschrieben, aber eindeutig erst im Februar des nächsten Jahres in Frankfurt publiziert hat. Das dritte Opus ist eine Kompilation, eine großzügige Darstellung der Entstehung und Geschichte des Osmanischen Reiches. Dieses De rebus Turcicis commentarii duo betitelte Werk wurde erst nach Camerarius’ Tod 1598 publiziert. Hier beschränke ich mich auf die Analyse der ersten beiden Werke und beabsichtige, Camerarius’ Standpunkt in der Türkenfrage zu skizzieren, die von ihm herangezogenen Quellen zu beleuchten sowie die möglichen Entstehungshintergünde der einzelnen Werke zu untersuchen. 1 Dieser Aspekt seiner Tätigkeit wurde in der Literatur weitestgehend vernachlässigt. 2 Basel 1541, 1545, 1551; Leipzig 1562, 1564. * Die Forschungsarbeit zu diesem Beitrag wurde vom Projekt Buda Oppugnata - The Forgotten Historical Work of Wolfgang Lazius (NKFIH K 119 237) gefördert. 326 Peter Kasza Oratio senatoria (1542) 3 Wir beginnen in umgekehrt chronologischer Abfolge mit der Oratio Senatoria . Dem Untertitel De bello Turcico entsprechend geht es hier um eine an die deutschen Fürsten ( principes ) gerichtete antitürkische Rede. Laut dem Titelblatt wurde das Werk am 17. Februar 1542 in Frankfurt von Christian Engenolph gedruckt. Die Druckschrift umfasst 63 Seiten, doch die Zahl täuscht, ist die Rede an sich doch viel kürzer. Auf den ersten neun Seiten findet man eine an Eberhard von der Tann gerichtete Widmung. Ihr folgt die 35 Seiten lange Rede selbst, der wiederum verschiedene Gedichte angehängt sind. Den Anfang bilden zwei Tyrtaios-Elegien und ein irrtümlich Kallimachos zugeschriebenes Gedicht als Kallinos in der lateinischen Übersetzung von Camerarius. Im Folgenden veröffentlicht der Verfasser die Originaltexte der Tyrtaios-Elegien für jene Leser, die imstande sind , die altgriechischen Originale mit den lateinischen Übersetzungen zu vergleichen. Am Ende der Druckschrift befindet sich eine von Camerarius’ Freund Philipp Melanchthon übersetzte Solon-Elegie. Die Struktur macht also auf den ersten Blick klar, dass es sich hier um mehr als eine einfache Anfeuerungsrede handelt. Die Frage ist, warum Camerarius sie verfasst hat und was wir über die Ursachen und Umstände ihrer Entstehung sagen können. Zunächst ist festzustellen, dass der Text selbst kaum Antworten auf unsere Fragestellung gibt. Berücksichtigt man jedoch den Zeitpunkt und die Umstände der Abfassung, ergeben sich einige Anhaltspunkte. Wie bereits erwähnt, wurde die latein- oder deutschsprachige antitürkische Literatur in Deutschland ab der ersten Hälfte des 16. Jh., d. h. parallel zur wachsenden Bedrohung durch die Türken, lebhafter. Als Entstehungshintergrund der einzelnen Werke kann man neben der allgemeinen Furcht vor den Türken auch stets konkrete Ereignisse ausmachen, die dem jeweiligen Verfasser Anlass boten, zur Feder zu greifen. Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian ist ein hervorragendes Beispiel hierfür: Neben seiner umfangreichen wissenschaftlichen und diplomatischen Tätigkeit hatte auch er eine Rede wider die Türken geschrieben. Seine Oratio protreptica wurde um die Jahreswende 1526 / 27 als unmittelbare Reaktion auf die tragische Niederlage des ungarischen Heeres bei Mohács abgefasst. 4 In seiner Rede wandte sich Cuspinian an die deutschen Reichsstände und forderte sie auf, Europas ehemaliges Bollwerk Ungarn nicht in die Hände der Türken fallen zu 3 Die Rede wurde zu Camerarius’ Lebzeiten nur einmal gedruckt, zählt also nicht zu seinen populärsten Werken. Am Ende des 16. Jahrhunderts veröffentlichte sie Nicolaus Reusner jedoch erneut in seiner Redensammlung (Reusner 1595/ 1596, vol. III. 113-136). Reusners Entscheidung dürfte durch das Ansehen des Verfassers motiviert worden sein. Ich habe die Originalausgabe benutzt, auf die sich die Angaben beziehen. 4 Über dieses Werk Cuspinians vgl. Kasza 2015, 175-185. Camerarius und die Türkenfrage 327 lassen und den geplanten Feldzug des österreichischen Erzherzogs Ferdinand I., damals bereits gewählter König von Böhmen und Ungarn, zu unterstützen. Die Lage Anfang des Jahres 1542 war ausschlaggebend für Camerarius, es Cuspinian gleichzutun und in den antitürkischen Kanon einzustimmen. Wenn schon das Massaker bei Mohács und der Tod des böhmisch-ungarischen Königs Ludwig II . die deutsche Öffentlichkeit beunruhigten, so waren die Nachrichten, die 1541 aus Ungarn kamen, nicht weniger schockierend. Im Juni 1540 starb König Johann von Szapolya, den die ungarischen Stände im November 1526 als Gegenpart zu Ferdinand gewählt und gekrönt haben. In den Jahren 1527-1528 wurde König Johann von den Truppen Ferdinands aus dem Land vertrieben, nach seiner Rückkehr 1529 konnte er als Vasall Suleymans ausschließlich mit türkischer Unterstützung seine Herrschaft behalten. Nach seinem Tode wandten sich gewisse Mitglieder seines Hofes an Süleyman, um Johannes’ Sohn, dem noch im Säuglingsalter befindlichen Johannes Sigismund, den ungarischen Thron zu sichern. Im Spätsommer 1541 tauchten die osmanischen Truppen zum vierten Mal in anderthalb Dekaden in Ungarn auf. Sie vertrieben die Armee des Generals Roggendorf, die Buda wochenlang vergeblich belagert hatte, und ließen sich für die nächsten anderthalb Jahrhunderte in der befreiten Burg nieder. Im darauffolgenden Jahr 1542 belagerte Ferdinand (trotz der finanziellen Unterstützung der Reichsstände) Buda erneut erfolglos. Die Niederlage hatte nicht nur die endgültige Okkupation der ehemaligen Hauptstadt Ungarns besiegelt, sondern auch die Besatzung der zentralen Gebiete des Landes zur Folge. Im Unterschied zu der vorher zwar wachsenden, aber fernen Bedrohung lag die Front nun lediglich 200 Kilometer vor der Reichsgrenze. Naheliegend ist daher die Frage, ob Camerarius durch die erschreckenden Ereignisse zum Verfassen seiner Schrift veranlasst wurde. Über den Fall von Buda war er gewiss informiert. Von den Stationen des osmanischen Vorstoßes nach Westen erwähnt er die Eroberung von Byzanz (1453), Belgrad (1521), Rhodos (1522) und die Niederlage von Ludwig II . bei Mohács (1526). Darauffolgend erinnert er die deutschen Fürsten an die Eroberung Budas, die Camerarius auch als Wendepunkt betrachtet: Nach dem Fall von Buda - Buda amissa - erinnert er die Fürsten, dass nicht länger die Einwohner ferner Länder sie um ihre Hilfe bäten, sondern dass die Osmanen, die Wien bereits zweimal belagert hatten, ihre eigenen Untertanen bedrohten. 5 Die Ereignisse um Buda waren Camerarius also bekannt, und da der Reichstag zudem im Februar 1542 in Speyer tagte, lässt sich annehmen, dass der Anlass für die 5 A7v: Sed Buda amissa […] qui orant, qui nobis supplicant, ut non a fortunis, sed cervicibus suis avertamus furorem (ut tandem horribile nomen proferam) Turcicum […] nostri sunt, Principes, subditi, nostri cives, noster populus . 328 Peter Kasza in Frankfurt gedruckte Rede einerseits die Bestürzung über die Nachrichten aus Ungarn gewesen ist, anderseits die Absicht, den Reichstag in der Sache zu beeinflussen. Camerarius war mit seinen Bestrebungen nicht allein: Die Ereignisse in Ungarn, hauptsächlich der Fall Budas, veranlassten viele Zeitgenossen, ihre Stimme zu erheben. Noch im Juni 1541, also vor der Eroberung Budas, hielt Franz Frangepan, der Bischof von Erlau, vor den in Regensburg versammelten Ständen eine Rede, die, wahrscheinlich beeinflusst durch den Schock, den der Fall Budas einige Monate später verursacht hatte, so populär geworden ist, dass sie noch im selben Jahr fünfmal, zweimal lateinisch, zweimal deutsch und einmal italienisch, veröffentlicht wurde. 6 Zu erwähnen ist auch der dalmatische Humanist Tranquillus Andronicus, der Kaiser Maximilian bereits 1518 eine gegen die Türken gerichtete Rede gewidmet hatte 7 und nunmehr in Wien eine weitere antitürkische Rede drucken ließ. 8 Die Reihe unmittelbarer Reaktionen ließe sich weiter fortsetzen. 9 All diese Reden haben viele gemeinsame, gewissermaßen obligatorische Elemente: Die Herkunft der Osmanen, die Phasen ihres Vorstoßes, die Darstellung der von ihnen begangenen Grausamkeiten usw. sind ständige Bestandteile der Reden. Liest man die Rede des Camerarius, so gewinnt man den Eindruck, dass sie äußerst allgemein gehalten ist. Im Gegensatz zu Cuspinian, dem als Diplomat die politischen Verhältnisse Ungarns bekannt waren - von Frangepan oder Tranquillus ganz zu schweigen, die die Verwüstungen des Türkenkrieges hautnah miterlebt hatten -, spricht Camerarius aus einer anderen Position heraus. Die Oratio senatoria ist eher das Werk eines Gelehrten, eine Schuldeklamation, denn eine echte politische Flugschrift. Beachtet man die Paratexte, verfestigt sich der Eindruck. Im Vorwort schreibt Camerarius, er habe vor, mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln der fatalen Spaltung Deutschlands entgegenzuwirken. Er schreibt also eine Anfeuerungsrede, um den Handlungsbedarf zu betonen, 10 und zwar „wie in der Schule, wo man z. B. darüber diskutiert und deklamiert, was Aeneas oder Antenor über die Rückgabe der Helena gesagt hätten“. 11 Aus diesem Grund 6 Göllner 1961, 323-325. 7 Göllner 1961, 72. 8 Göllner 1961, 322. 9 Zu weiteren Werken, die mit dem Fall von Buda in Verbindung stehen, vgl. Göllner 1961, 322-337. 10 A3v-4r: In primis quidem odia simultatesque mutuas funditus extirpando, vel saltem aliquantisper deponendo, ut […] omnes unius patriae arctissimo vinculo coniuncti, etsi inter ipsos aliquando dissidia fuerint, nunc tamen adversum […] teterrimarum beluarum immanitatem […] consentiant atque conveniant . 11 A5r: […] ut, quemadmodum exponitur in scolis, quid in deliberatione de reddenda Helena Antenor aut Aeneas dicere potuisse videatur . Camerarius und die Türkenfrage 329 habe er auch die Tyrtaios-Elegien beigefügt: Weil er keinen anderen Dichter kenne, der besser wäre, um Leute für den Kampf zu begeistern. 12 Der griechische Dichter scheint teilweise Camerarius’ alter ego zu sein. Tyrtaios nämlich, den die Athener nach Sparta delegierten, war kein Kämpfer, kein Soldat, sondern bloß ein Schulmeister. Dennoch konnte er durch seine Elegien die Zwietracht mildern und die Tapferkeit der Spartaner sogar noch steigern. Tyrtaios hat tatsächlich nicht als Soldat an der Schlacht teilgenommen, sondern lediglich die Soldaten angefeuert. Camerarius, der Schulmeister, Philologe und Textherausgeber, bleibt sich in der antitürkischen Anfeuerungsrede treu. Er hält es in der bedrohlichen Türkenfrage für wichtig, nicht untätig zu bleiben, doch tritt er nicht wie ein Soldat oder Politiker, sondern wie ein Gelehrter auf. Seine Aufgabe ist es nicht, zu kämpfen, sondern, als ob er ein neuer Tyrtaios wäre, zu begeistern. Dementsprechend ist die Rede eher ein rhetorisches denn ein historiographisches Erzeugnis. Es ist auffällig, dass Camerarius, von oben zitierten Beispielen abgesehen, im Text keine konkreten Ereignisse oder Tatsachen erwähnt. Es bedurfte nicht eingehender historischer Vorstudien, um eine solche Deklamation abzufassen. Camerarius war darüber informiert, dass die Osmanen zu einer List griffen, um Buda zu erobern. Er warnt eben mit diesem Beispiel vor der Vertrauensunwürdigkeit der Türken. Seiner Meinung nach wäre es sinnlos, mit ihnen Frieden oder eine Allianz zu schließen. Die Ungarn hätten dies versucht und trügen jetzt die Folgen, indem sie ihre Hauptstadt verloren hätten. 13 Um über die Umstände des Falls von Buda informiert zu sein, reichte es völlig aus, die dem Thema gewidmeten Flugschriften zu lesen. 14 Die Oratio senatoria ist das Werk eines Rhetors oder Rhetoriklehrers, nicht aber das eines Historikers. De clade accepta (1541) Ganz so einseitig allerdings ist Camerarius’ Beschäftigung mit Mohács nicht. Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Schrift De clade accepta in Pannonia ad Mogacium um ein rein historisches Werk, das aber nicht selbstständig, sondern als Beispieltext in seinem populären Rhetoriklehrbuch publiziert wurde. 12 A5r: Addidi quaedam Tyrtaei carmina, quae excerpta de illius poematis a posterioribus ad nos usque pervenere, propter et singularem autoritatem huius poetae et honestissimas virtutis atque laudis sententias. Quid enim fortius, quid vehementius ad excitandum ardorem quendam verae gloriae …? 13 C4r-v: Nulla pax, nullum foedus cum illis fieri potest. […] Quid modo infelicibus Pannoniis profuit deditio, quid cum barbaris coniunctio, quid patriae (eos dico, qui in noxia sunt) scelerata proditio? Alii catenis constricti aliquantisper circumdati fuere, alii excruciati interiere, quidam nunc etiam custodiuntur immitius, quam si in carcerem coniecti essent . 14 Der Fall von Buda hat bereits im Jahre 1541 ein großes Echo hervorgerufen. Vgl. z. B. Rabucher 1541, oder Newe Zeyttung von dem Tyrannen […] 1541. 330 Peter Kasza Die Popularität der Elementa Rhetoricae verdeutlichen ihre Ausgaben: Zwischen 1541-1551 gab es drei Auflagen in Basel, zwischen 1562-1600 (teilweise also nach dem Tode des Verfassers) wurden sie in Leipzig noch mehrfach herausgegeben. 15 Camerarius führt darin mehrere Beispiele aus Livius und Cicero an und fügt am Ende, wo er über die Art und Weise historischer Narration dissertiert, seinen eigenen Text an. Den Text begleiten weder Kommentare noch Anmerkungen, doch ist ersichtlich, dass es Camerarius hier darum ging zu zeigen, wie man die Regeln der Rhetorik in der Praxis, d. h. bei der Abfassung historischer Texte, anzuwenden hat. Was immer Camerarius’ ursprüngliche Zielsetzung war, schon seine Zeitgenossen betrachteten die Erzählung als bedeutsame und zuverlässige historische Quelle. Nicolaus Reusner hat den Text in beide Auflagen (1603, 1627) seiner großen Sammlung Rerum memorabilium Pannonicarum aufgenommen, in der er den osmanischen Vorstoß dokumentierte. Camerarius’ Schrift gibt eine detaillierte Beschreibung der Vorgeschichte und des Ablaufes der Schlacht wieder, zu deren Darstellung er, der nicht persönlich involviert war, freilich auf Quellenstudium angewiesen war. Es ist naheliegend, die Historia verissima des Brodericus, des einzigen Augenzeugen, als direkte Quelle anzunehmen. Die Historia war eine zuverlässige lateinische Zusammenfassung und wurde, vertraut man der Forschungsliteratur, im Jahre 1527 in Krakau herausgegeben. Die Editionsgeschichte der Historia ist allerdings problematisch. Sie wird häufig erwähnt, niemand hat aber je ein Exemplar gesehen. Wenn sie tatsächlich in Krakau gedruckt wurde, dann ist diese Ausgabe verloren gegangen. Jüngst entdeckte man einen Brief des Andreas Cricius, polnischer Bischof und Freund Brodericus’, der auf den 18. April 1528 datiert ist und andeutet, dass die Ausgabe niemals zustande gekommen ist. Im Brief informiert Cricius den polnischen Hauptkanzler, K. Szydłowiecki, dass Brodericus, bevor er abreiste, seine Historia bei ihm ließ, die er dem Kanzler nun weitergebe. 16 Der Brief lässt erahnen, dass der Kanzler vorher nichts von der Existenz dieses Werkes wusste, obwohl er den ganzen Sommer des Jahres 1527 in Krakau verbrachte, wo der Text angeblich publiziert worden sei, und er später im Winter 1527-28 während des Landtages in Piotrków Brodericus persönlich begegnete. Die Angaben zeigen, dass die mysteriöse Kunde von der Erstauflage von 1527 wohl erst in den 1770er Jahren in Janockis Bibliografie entstanden ist. Niemand erwähnt die Ausgabe 15 Die Angaben beziehen sich auf die zweite Auflage. 16 Acta Tomiciana X, 198-199: Illustris et Magnifice Domine. Discedens a me dominus Stephanus Brodericus vocatus magnis precibus per regem suum, reliquit apud me historiam cladis serenissimi olim Ludovici regis ita a se vere et plane conscriptam, ut quamvis ipse stylum suum extenuet, melius a nemine conscribi potuerit. Eam mitto vestrae Illustritati et magnificae Dominationi . Camerarius und die Türkenfrage 331 vor diesem Zeitpunkt. Danach wird sie in fast jeder Bibliografie als ursprüngliche, aber verloren gegangene Erstauflage genannt. 17 Camerarius’ Text ist also auch aus philologischem Gesichtspunkt von Bedeutung, weil er die Theorie bestätigt, dass Brodericus’ Erzählung bis 1568 eine Handschrift blieb, als Johannes Sambucus sie in Basel nachweislich drucken ließ. Für einen breiteren Leserkreis war sie also vor diesen Zeitpunkt nicht zugänglich. Die Historia hat nämlich einige ausgesprochen charakteristische, um nicht zu sagen dramatische Szenen, welche die späteren Autoren so stark beeinflussten, dass nahezu alle Historiker, die nach der Sambucus-Auflage von 1568 über Mohács schrieben, diese benutzten und zitierten. Man denke etwa an die Prophezeiung von Franz Perényi: Laut Brodericus habe der junge Bischof von Wardein einige Tage vor der Schlacht zum Ausdruck gebracht, dass die Soldaten des ungarischen Heeres als Märtyrer kanonisiert werden sollten, „gefallen für die christliche Religion“. 18 Die Prophezeiung taucht erstmals bei Brodericus auf und wird anschließend von allen späteren Autoren zitiert. Im Gegensatz hierzu treten diese und andere charakteristische Motive bei keinem Autor auf, der vor 1568 über die Schlacht schrieb. 19 Camerarius gehörte zu jenen Autoren, die bereits im Jahre 1541 über die Schlacht berichteten. In seiner Schrift findet man keine Anhaltspunkte, die belegen könnten, dass der deutsche Humanist den Bericht von Brodericus kannte. Folgt man der Annahme, der Text sei bis 1568 Manuskript und einem breiteren Leserkreis unbekannt geblieben, so liegt hierin der Grund, warum Camerarius ihn nicht kennen konnte. Wenn nicht Brodericus’ Historia , welche Schrift konnte Camerarius dann als Vorlage dienen? Obwohl die Forschung noch nicht alle herangezogenen Quellen identifiziert hat, ließe sich zunächst an den Einfluss des berühmten italienischen Historikers Paolo Giovio denken. Giovio hat sich der Schlacht in zwei Werken gewidmet. Da sein monumentales Hauptwerk Historiarum sui temporis erst 1551 herausgegeben wurde, kann dieses als Quelle ausgeschlossen werden. 17 Zum Problem der Erstauflage von Brodericus’ Schrift vgl. Kasza 2014, 39-65; ebd. 2015, 193-204. 18 Brodericus 1985, 46: Is igitur quasi eorum, qui paulo post secuta sunt, praescius regi non sine omnium, qui aderant, admiratione dixit eum diem, quo pugnandum esset, postquam ita placeret, viginti millibus Hungarorum martyrum […] duce Fratre Paulo Thomory pro Christi religione occisorum fore consecrandum, ac pro eorum canonisatione, quod vocant, cancellarium, si is huic bello supersit, in urbem fore mittendum . 19 Die einzige Ausnahme ist Paolo Giovio, der Brodericus jedoch seit Mitte der 1520er Jahre persönlich kannte. Sie korrespondierten regelmäßig, weshalb es durchaus vorstellbar ist, dass Giovio vom Verfasser selbst eine handschriftliche Version bekommen hatte. 332 Peter Kasza Demgegenüber wurde sein Commentario de le cose di Turchi bereits 1531 herausgegeben, ab 1537 lag es schon in lateinischer, ab 1538 sogar in deutscher Übersetzung vor. 20 An einem Beispiel möchte ich zeigen, wie stark Giovios Schrift auf die des Camerarius gewirkt hat. Giovio erwähnt die Manöver des Bali Bey, dessen aus 20 000 Soldaten bestehende Kavallerie die ungarische Wagenburg belagerte. Bey hatte seine Truppen in vier Abteilungen geteilt, die die Ungarn abwechselnd alle sechs Stunden attackieren sollten. Der Plan funktionierte so hervorragend, dass die ungarischen Soldaten nicht riskierten, das Lager zu verlassen, um ihre Pferde an der nahegelegenen Donau zu tränken. Sie mussten innerhalb der Wagenburg Gruben graben und das dort gefundene Wasser trinken. Diese Szene findet sich in Brodericus’ Bericht nicht, sie ist ausschließlich bei Giovio und mit zahlreichen wörtlichen Übereinstimmungen bei Camerarius zu lesen. Bali Beys Manöver bei Giovio 21 Bali Beys Manöver bei Camerarius 22 anteriorem Turcici exercitus partem, quam B a l i b e i u s haud procul abesse conspexerunt. V i g i n t i m i l i a e q u i t u m e r a n t , q u i p l a n i c i e m i m p o r t u n i s e t m o l e s t i s e x c u r s i o n i b u s d i e n o c t u q u e s i n e i n t e r m i s s i o n e i n f e s t a b a n t . I n q u a t u o r e n i m t u r m a s d i v i s i , s e n i s h o r i s , q u o p e r i n t e r g r u m n a t u r a l e m d i e m s e m p e r a d e s s e n t , a l i i s a l i i p e r v i c e s s u c c e d e b a n t . Ungari vero inter curruum septa necessitate sic cogente ne a q u a t u m q u i d e m e q u o s d u c e r e a d D a n u b i u m n o n , nisi quantum sagittae ictus est ad sinistra distantem a u d e r e , s e d p u t e o s a d a q u a m e o l o c i , u b i c o n t i n e b a n t u r , i n v e n i e n d a m c o n t i n u e e x c a v a r e . B a l i b e i u s , omissis agris exercitum regium observare et carpere et a pabulatione atque aquatione prohibere d i v i s i s q u e s u i s e q u i t i b u s , q u o s h a b e b a t s e c u m a d M . X X . i n p a r t e s q u a t u o r i t a i n f e s t i s e x c u r s i o n i b u s p r e m e b a t r e g i o s , u t c u m u n a p a r s d e d i e i q u a d r a n t e f e s s a r e c i p e r e t s e , a l t e r a m o s s u c c e d e r e t , a t q u e h u i s t e r t i a e t i s t i p o s t r e m o q u a r t a , t o t u s d i e s p e r p e t u a i n s e c t a t i o n e e t v e x a t i o n e h o s t i u m c o n s u m e r e t u r . E x e r c i t u s r e g i u s sese intra castra obiectis carris atque plaustris continere primum, deinde cum usque adeo in angustum redigeretur, ut i a m a d f l u v i u m n e m o a u d e r e t a c c e d e r e , c o g e r e n t u r i n t r a c a s t r a p u t e i s e f f o s i s a q u a m q u a e r e r e . 20 Paolo Giovio, Commentario de le chose de’ Turchi , Roma 1531; ebd., Turcicarum rerum commentarius , Argentorati 1537; ebd., Ursprung des Turckhischen Reychs , Augsburg 1538. Vgl. Göllner 1961, 210; 286; 298. Camerarius und die Türkenfrage 333 Der Vergleich der Zitate belegt Giovios Einfluss auf Camerarius. Weitere in Betracht kommende Quellen sind künftig noch aufzuarbeiten. Die Zeit zwischen 1541-1544 lässt sich in gewisser Hinsicht als besondere Phase der literarischen Tätigkeit des Camerarius einordnen. In diesen Jahren zeigte er, wie andere Humanisten Europas, reges Interesse an den Ereignissen in Ungarn, dessen Produkte die hier untersuchten Werke sind. Den Schlusspunkt markiert ein kurzes Epigramm, welches er auf den Tod des bei Mohács gefallenen Königs Ludwig II . verfasst hat. Das Gedicht wurde in einem Sammelband mit dem Titel Luctus Pannoniae 1544 in Krakau herausgegeben. 23 Der Band enthält zahlreiche Gedichte verschiedener Dichter hauptsächlich aus Mitteleuropa (Polen, Böhmen, Schlesien, Österreich und Ungarn); Camerarius stellt hier freilich eine Ausnahme dar. Die anderen Dichter standen nachweislich in regelmäßigem Kontakt miteinander, weshalb anzunehmen ist, dass auch Camerarius mit dieser Gruppe in Verbindung stand, zumal die Position seines Gedichts auf hohes Ansehen hindeutet: Camerarius’ Epigramm ist das erste Gedicht des Bandes. Zwar wissen wir nicht, wann er das Epigramm gedichtet hat - theoretisch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es seit Jahren existierte -, doch ist wahrscheinlich, dass Camerarius sein Gedicht wie die anderen Beiträger des Bandes für diesen Anlass verfasst hat. Wie erwähnt, ist diese Publikation ein Wendepunkt in Camerarius’ Tätigkeit. Unseres Wissens nach beschäftigte er sich nach dem Jahre 1544 nicht mehr mit den Vorkommnissen in Ungarn. Nur gelegentlich erwähnte er das Land in seinem postum erschienenen Werk De rebus Turcicis commentarii . Camerarius war von der Gefahr durch die Türken persönlich nicht betroffen. Weder Tübingen noch Leipzig, wo er in den 30er und 40er Jahren lebte, waren von den osmanischen Truppen bedroht. Jedoch nahm er die Türkenfrage offenbar ernst. Er war nicht nur unter den Ersten, die über die Schlacht bei Mohács berichteten, sondern reagierte auch fast unverzüglich auf den Fall von Buda 1541. Ihm war vollauf bewusst, dass die Eroberung der Hauptstadt des Königreiches Ungarn ein bedeutsamer Wendepunkt in der Beziehung zwischen den Osmanen und dem Deutschen Reich sein würde. Zwar führte er das Leben eines Humanisten und Gelehrten, nicht das eines Politikers oder Diplomaten; seine der Türkenfrage gewidmeten Werke zeigen jedoch, dass er ein Gespür für die Brisanz des politischen Geschehens hatte. 21 Giovio 1537, Gv-Fr. 22 Camerarius 1545, 110. 23 Vgl. Lakatos 2008, 259-286. 334 Peter Kasza Literaturverzeichnis Acta Tomiciana X. Brodericus, Stephanus: De conflictu Hungarorum cum Solymano Turcarum imperatore ad Mohach historia verissima, herausgegeben von Péter Kulcsár, Budapest 1985. Camerarius, Joachim: Elementa Rhetoricae, Basileae 1545. Camerarius, Joachim: Oratio senatoria de bello Turcico, Frankfurt 1542. Giovio, Paolo: Turcicarum rerum commentarius, Argentorati, 1537. Göllner, Carl: Turcica I. Die europäische Türckendrucke des XVI . Jahrhunderts, Bucureşti / Berlin 1961. Kasza, Péter: Cuspinians Oratio protreptica und ihr Echo in Ungarn, in: Thomas Baier / Jochen Schultheiß (Hgg.): Würzburger Humanismus, Tübingen 2015, 175-185. Kasza, Péter: Egy elveszett kiadás nyomában. Brodarics István Históriájának első kiadásáról, in: Clio inter arma. Tanulmányok a 16-18. századi magyarországi történetírásról. A Kosáry Domokos 100. születésnapjának emlékére rendezett konferencia előadásai. Szerk. Tóth Gergely. MTA BTK TTI , Budapest 2014, 39-65 (Monumenta Hungariae Historica. Dissertationes). Kasza, Péter: On the Track of an Edition: New Sources for the Dating of Stephanus Brodericus' Historia verissima, in: Neven Jovanović / Branko Jozić / Francisco Javier Juez Gálvez / Bratislav Lučin (Hgg.): Colloquia Maruliana XXIV : Anticka Bastina u Renesansom Tekstu ( II .). Split / Marulianum 2015, 193-204. Lakatos, Bálint: Luctus Pannoniae - Egy humanista antológia és a törökellenes Habsburg-lengyel összefogás kísérlete, Irodalomtörténeti Közlemények 112, 2008, 259-286. Newe Zeyttung von dem Tyrannen des Türckischen Keysers Haubtman, mit sambt einem Münch Pauliner Ordens, was sie zu Buda und Pescht gehandelt haben, Jobst Gutknecht: Nürnberg 1541. Rabucher, Florian: Gewisse Zeitung wenn der Turckische Tyran in Hungern ankomen, auff welche tage vnd wie offt die Türcken der vnsern Lager gestürmet, vnd wie die vnsern sich zur Gegenwehr gestelt, vnd ritterlich gewehret &c. Doch endlich von der Menge vnd Macht der Barbarorum vberweldigt, das meisteteil von jnen nidder gelegt, vnd wie vnd wenn Pescht eröbert &c, 1541. Reusner, Nicolaus: Selectissimarum orationum et consultationum de bello Turcico variorum et diversorum auctorum volumina quattuor, Lipsiae 1595 / 1596. Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility, Or, How to Philologize with a Witches’ Hammer * Michael Fontaine (Ithaca) It is a paradox that while the medieval period regressed to antiscientific explanations of mental illness, yet treated the ill humanely, the Renaissance’s intellectual enlightenment brought history’s darkest hour in mental health treatment. Irving Gottesman 1 Sensory overrides show up in particular ways in the annals of the church. They become the moments that found religions and create prophets when they occur at times of great emotion in the lives of gifted people. Tanya Luhrmann 2 Joachim Camerarius the Elder is routinely praised for his critical acumen in editing classical texts. In this paper I would like to blame him for his role in fostering the witch craze that swept southern Germany a decade after his death. The fifty years between 1581 and 1631 saw the arrest, trial, and execution of some 2,500 witches in Trier, Bamberg, and Würzburg. Although Camerarius is not associated with those trials, I would like to suggest he be held responsible for helping create the intellectual climate that made them possible. 1 Gottesman 1990, 10-11. 2 Luhrmann 2012, 245-246. * I thank Dr. Uwe Czubatynski of the Brandenburg Domstiftsarchiv for bibliographical help, Mona Pohen of Ithaca for help with my translations, and Niklas Holzberg for an unforgettable tour of Nuremberg, during which he casually mentioned that the figure of Paul in Albrecht Dürer’s “Four Apostles” might immortalize the face of Camerarius (so Pfeiffer 1972; contra , Jürgensen 2002, 86). 336 Michael Fontaine 1. Late one restless night… We all go crazy sometimes. Late at night, a sudden noise can set your mind whirring or make you freak out. When that happens, it isn’t always easy to get a grip on yourself and realize that your thoughts are running wild. That happened to Joachim Camerarius one night and it changed his life. He tells us so in the preface to a book he published in Leipzig in or around 1568. 3 The book is a Latin translation of two mystical essays by Plutarch, On the Failure of Oracles and On the E at Delphi , but the surprising thing about it is the title Camerarius gave it: De natura et effectionibus daemonum , “On the Nature and Activities of Demons.” The preface takes the form of a letter from Camerarius to a friend, named Adrianus Albinus, who had stopped twice to visit him in Leipzig while on his way to and from Speyer. It is 51 pages long. In it Camerarius says the conversations they had had led him to stay up late one night reading a book, a book that made him rethink everything he thought he knew. In the pages that follow he proceeds to lay out his revised thoughts about the reality of demons, of witches, and of witchcraft. At length he states his new view to Albinus (p. 28): Neque est res ista nova, sed priscis quoque temporibus nota atque usurpata. Nomina tantum et voces mutantur, caetera sunt eadem. That thing you mentioned? It’s nothing new. People knew about it and did it in antiquity. It’s all the same; only the names have changed. 4 As becomes clear, the meaning of ista res , “that thing you mentioned,” is sexual intercourse. Camerarius and Albinus had talked about sex, but not of the typical kind. Rather, the great scholar and his friend had heatedly debated the reality of sexual intercourse between human beings and demons. From the letter it is obvious that Camerarius was already a true believer in ghosts, mediums, and conjuring the dead, 5 but that is nothing unusual for a man of his times. What is unusual, and bizarre, is his newfound conviction that women literally have sex with demons. What makes a grown man suddenly convert from skepticism to belief ? For Saul of Tarsus, it was a blinding beam of light on the road to Damascus. For Saint Augustine, it was a voice saying tolle, lege! (Go pick it up and read it! ). What did Albinus tell Camerarius that changed his worldview overnight? Be- 3 The book itself has no date. Fabricius 1707, 524, dates it to 1568. 4 Since Camerarius’ book has few page numbers, my references are to the page numbers of the PDF copy available online at Google Books (http: / / tinyurl.com/ j9g7h8p). All translations are my own. 5 See e.g. pp. 14-15. Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 337 cause the letter bears no date or indication of where it was written, today it seems like a murder mystery, a colossal tease for us to become detectives and find out what happened, when it happened, what Albinus said to him, and why it proved so momentous. By the end of this paper I shall have reconstructed all of this and will offer my solution to these mysteries. 2. The freakout An incidental clue allows us to fix the date of the letter. On p. 52 Camerarius remarks that 48 years have passed since he last studied with Richard Croke (1489-1558), a teacher with whom he first read bits of Plutarch. That was in 1517 6 , so Camerarius wrote the letter to Albinus in 1565. 7 As we will see, this is precisely the date to which external indications also point. The letter begins with a convoluted and cryptic sentence (p. 4 = A2r): Cum nuper hac ex Nemetum urbe revertens transires, et me, perpetua consuetudine tua, humanissime salutasses, recordari te puto, Adriane Albine, factae mentionis inter alios sermones nostros, cuiusdam a me, de mirabilibus cogitationibus meis, quibus causam dedissent narrationes tuae superiorum dierum, quando proficiscens ad Rhenum huc veneras. I bet you remember, Adrianus Albinus, that when you passed through here not long ago on your way back from Speyer and (as kindly as ever) you came to see me, I mentioned, among other things, some strange thoughts I’d been having. They were prompted by what you told me about some recent events ( narrationes superiorum dierum ) when you stopped here on your way to the Rhine. These ideas certainly could have been stated more clearly. Working backward in time, the sentence says that on a recent trip, Albinus had stopped in Leipzig to see Camerarius, not once but twice. The first time was on his way to Speyer and the second was on his way back. On his first stop, Albinus had told Camerarius about some recent events that set his mind thinking. Camerarius was still brooding on them when Albinus stopped again on his way home, so they discussed them a second time. And after Albinus left again, Camerarius still couldn’t stop thinking about them. Already we seem to have stepped into a Sherlock Holmes story, and the pages that follow strengthen that impression. Camerarius goes on (p. 5 = A2v): 6 Pökel 1882, 53 says Croke “taught in Leipzig from 1515-1517, where Camerarius was his student” (“lehrte […] 1515-7 in Leipzig, wo Camerarius ihn hörte”). 7 “You see, 48 years of my life have already gone by since I studied with Croke” ( annus enim iam a Croci disciplina aetatis meae agitur quadragesimus octavus ). 338 Michael Fontaine Extatque liber cuiusdam titulo Mallei maleficarum, et Francisci Pici alter de Strigibus, in quibus huius generis exempla et plurima numero et factis teterrima leguntur. Atque ego me aliquando paulo antequam cubitum irem librum Pici percurrentem, memini noctem illam habuisse valde gravem ac difficilem, obversantibus animo terroribus variis de iis quae ibi referuntur. There’s a book out there called Malleus Maleficarum ( A Mallet for Malefactresses 8 ), and another one by Francisco Pico about witches ( strigibus ). We see case after case like that - really shocking stuff! - in them. I remember leafing through Pico’s book that night just before going to bed and having an awful, simply horrible, night. My mind was haunted by all kinds of frightening thoughts about the stuff in that book. He adds (ibid.): Mihi vero post tuum discessum de istis ita multae et variae cogitationes obstrepere non destiterunt, ut non possem facere quin de tota re anquirere et considerare accuratius et diligentius instituerem. After you left, I was obsessed by all kinds of thoughts about what you said, and I couldn’t help it: I just had to investigate the whole thing, had to take a really good, hard look at it. “The whole thing” ( tota re ) turns out to mean not only sex with demons, but demonology as a whole. In the 50 pages that follow Camerarius ransacks classical pagan literature for evidence of the existence and harmful activity of demons, ghosts, nightmares, madness, visions, magic cures, and witches. He conflates fact and fiction; he cites hearsay evidence and stories of evildoing to which no names or dates are attached. Remarkably, he chooses not to invoke his Christian faith for his belief in witches, preferring instead the evidence of classical authors. Fifty pages later, he has concluded that witches are real and that this was a fact known to all ancient authorities. He also concludes that witches celebrate orgies and do have sexual intercourse with demons. Although that was an old rumor in Catholic countries, it was something new in Germany, especially Protestant Germany; I will come back to this point. Camerarius goes on at such length not out of prurience or misogyny but because he is plainly trying to prove to himself that demons (or rather, daimo- 8 The traditional title of this book in English is The Hammer of Witches (German Hexenhammer ). I avoid it here because maleficae (literally, women who practice harmful magic), is different from strix , the word Pico chose for his title and that can only be translated witch in English (cf. Italian strega ). Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 339 nes - meaning both good spirits, like angels, and evil spirits) are corporeal. That controversy was a heated point of debate at the time. 9 My interest here, however, is not in why Camerarius felt the need to prove this to himself - that is a mere theological scruple - but what impact the letter made on his fellow countrymen. When he published it, Camerarius was hailed as the leading light in Europe and the successor of Erasmus. On the last page of the letter, he addresses Albinus once more and makes two important points. First, he reveals why he wrote the letter (p. 51): Tuae, Albine Adriane, narrationes illas cogitationes, quas exposui, commoverunt, easque ut scripto complecterer, ne quasi evanescerent, cum alia me impulerunt, tum quod eas ipsas abs te legendo cognosci cuperem. All these thoughts of mine were prompted by what you told me, Adrianus Albinus, and that induced me to write them down, not just to ensure they wouldn’t vanish (so to speak) when I became preoccupied with other matters, but also because I wanted you to read and learn from them. He then offers a prediction about the fate of these efforts (p. 53 = p. D2v): Quod autem ad rem ipsam attinet, habes, Adriane Albine, meam sententiam de iis, quae et tractata sunt sermonibus nostris te praesente, et his Plutarchi libellis disputantur, habes operam quoque interpretationis. […] alios, si qui illa forte legerint eruditi et docti, confido studium diligentiae meae non esse improbaturos. And there you have it, Adrianus Albinus - my thoughts on what you and I talked about when you were here, matters that these essays of Plutarch’s also discuss. You’ve also got my best shot at making sense of them. […] If any other sophisticated readers come across them, I’m positive they won’t criticize the careful attention I gave them. It isn’t clear in that last sentence whether Camerarius is referring to his thoughts on demonology or to the annotations he adds to the translations of Plutarch; but at any rate, Camerarius’ Plutarch book was reprinted in Leipzig in 1576, two years after his death. Five years later, in 1581, and closer to Würzburg, the preface was reprinted in Frankfurt am Main. It appeared as a supplement to the Flagellum haereticorum fascinariorum ( A Scourge for Heretical Witches ), an inquisitor’s treatise that asserted the equivalence of heretics and witches. 10 Two years after that, the flames of a thousand bonfires began to light up the heavens in Trier. The Great Witch Craze had come to southern Germany. 9 Stephens 2002. 10 The Flagellum had circulated for over a century in manuscript (since 1458), and was brought out in Frankfurt as a supplement to the Malleus Maleficarum . 340 Michael Fontaine 3. Adrianus Albinus Camerarius’ addressee is not a famous man. Who was Adrianus Albinus, and what did he tell his friend to shock him so? Born in Lauban, Silesia (today Lubań, in southwest Poland), Adrianus Albinus (1513-1590) studied law in Poland, Germany, France, and Italy. In 1541, at the age of 28, he briefly taught law in Leipzig. There he probably met Camerarius, who arrived the same year as Professor of Latin and Greek. In 1544 Albinus became Professor of Roman Law at the University of Frankfurt-Oder, in Brandenburg, and the year after that, in 1545, the 32-year old Albinus was named the Chancellor of Neumark ( cancellarius Neomarchiae ) and legal advisor ( consiliarius , Rat ) to John, Margrave of Brandenburg-Küstrin 11 (1513-1571). Thirty-five years later, in 1590, Albinus died and was buried in Küstrin. A contemporary obituary says he had been a devout Christian and lifelong devotee of Plutarch’s Parallel Lives . 12 The Plutarch connection could explain why Camerarius dedicated the book to him, but probably not. That brings me to the topic of their conversation, and in particular the narrationes superiorum dierum , as Camerarius called them (pp. 4-5 = A2r-A2v): Commemoravisti enim tunc, quid apud vos compertum prolatumque fuisset, de mulierum quarundam veneficarum horribilibus facinoribus, deque superstitionis incredibili efficacitate, et eiusmodi operibus, de quibus non modo sollertiae humanae consideratio quaerens conturbari, sed religiosae quoque pietatis attentio vacillare quoddamodo posset. […] Atque me ea repetentem animo quae audiveram ex te, percusserunt similia quaedam de aliis cognita. Nam quod tu de consuetudine spirituum quadam occulta ceteris, ipsis illis infelicibus mulieribus manifesta, exposuisti, perquam multa aliis temporibus atque locis pariter depraehensa, et atrocibus suppliciis vindicata esse constat. You see, when we spoke you mentioned what an inquiry back home ( apud vos ) had discovered ( compertum 13 ) and brought to light about the awful crimes of some poisoner-women ( veneficae ) and the incredible power of superstition and workings of that 11 During Albinus’ lifetime, Mark Brandenburg, a Protestant territory, was divided in two. One half was Altmark, or West Brandenburg. The other was Neumark, or East Brandenburg. Its capital was the city of Küstrin (today called Kostrzyn nad Odrą, in western Poland), and so the Neumark was sometimes called the Margraviate of Brandenburg- Küstrin. 12 Devotee of Plutarch: Neander 1614, 176. Law at Leipzig: Neander 1614, 160. Devotion: Neander 1614, 165. Albinus’ horoscope, which is read on Neander 1614, 143-144, is printed in Garcaeus 1575, 157, a few pages after the horoscope of Camerarius (Garcaeus 1575, 150). 13 Throughout the letter compertum and cognitio seem to have their technical, juridical sense that something was “found out” by means of a trial, interrogation, or judicial hearing (cf. English “discovery”). Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 341 sort. As you put it 14 , looking into those things doesn’t just befuddle a clever man’s reason; it can even shake firm religious faith. […] And while I kept brooding on what you told me, I was struck by some legal discoveries about other women ( de aliis cognita ) that resemble the ones you were talking about. You see, what you said - about a certain “sexual intercourse with spirits” that those terrible women themselves can see but nobody else can - well, it’s a fact that lots and lots of cases were detected and punished by dire penalties at other times and places. Camerarius next mentions the awful night he stayed up reading Pico’s book. 15 Since he blames that incident for converting his worldview from skepticism to belief, whatever Albinus told him must have been grave indeed. After some sleuthing, I think I have figured out what it was. The facts are as follows. 4. Pandemonium in Perleberg Mark Brandenburg, where Albinus was from, was one of the earliest regions in central Europe to prosecute and execute witches. Witch trials elsewhere in Germany only began in earnest around 1570, but in Brandenburg the trials peaked before 1580. 16 In its northwest there is a district called Prignitz. Its capital is a small city called Perleberg, whose population before the Thirty Years’ War (1618-1648) was about 3,000. 17 That is where, in 1565, all hell broke loose - literally. In two waves, small groups of women were tried, convicted, and speedily executed for the crime of sorcery. Though he says nothing of the details, Gerhard Schormann considers the second of these trials a watershed: “1565 marks the first time,” he observes, “that five women were convicted at one trial and with it, the first appearance of witch lore, including Walpurgis Night on the Blocksberg.” 18 It all happened so fast. Four days after Walpurgis Night in 1565 (the night between April 30 and May 1), three women of Perleberg were arrested, interrogated, convicted, and executed for sorcery. A week later five more witches were caught and tried and, like the first, met their fiery fate on the Weinberg hillside in Perleberg. 14 I take it that the subjunctive posset represents Albinus’ words. 15 Cf. Extatque liber cuiusdam […] § 1 above. 16 Kaak 2006, 142-143: “Brandenburg’s first known witchcraft trial took place in 1509. Persecution intensified after 1530, peaking in the third quarter of the sixteenth century.” 17 “Geschichte” 2015. 18 Schormann 1991, 142: “Erst 1565 wird gegen fünf Frauen in einem Prozeß entschieden, und hier taucht erstmals die Hexenlehre einschließlich der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg auf.” His contention is confirmed by the data in Enders 1998 and Peters 1998. 342 Michael Fontaine The witches had been accused of poisoning, but at the hearings some confessed to much more just that: […] daß sie und ihre Mastschop (Gesellschaft) in St. Walpurgisnacht auf dem Blocksberg zusammen gekommen wären, wozu sie sich in der Nacht an der Landwehr bei Perleberg versammelt hätten. Allda habe sie der Teufel sämmtlich aufgenommen, sie mit gewaltigem nächtlichen Brausen und Sausen auf den Blocksberg geführt, wofür jede 3 Scherff gegeben habe, und als sie oben angekommen, wären Ochsen geschlachtet worden, sie hätten gegessen und getrunken, mit den bösen Geistern getanzet “und denselben also ihre Wohlfahrt geleistet.” […] that on St. Walpurgis Night they and their Mastschop [company] had come together on the Blocksberg, for the cause of which they had gathered at night near the Perleberg dike. There the devil had received them all, led them onto the Blocksberg with a mighty crashing and dashing, for which each of them gave him three Scherff [coins], and when they reached the top, oxen were slaughtered; they ate and drank, danced with the evil spirits, “and rendered them their services.” 19 The last phrase is a euphemism. It means the women had sex with evil spirits, and so it corresponds exactly to Camerarius’ Latin phrase de consuetudine spirituum quadam . Although it is not the expression they use themselves, the Perleberg women admitted to celebrating a witches’ sabbat, just days before their arrest, on the Blocksberg. This was an unprecedented admission in Christian Germany. Moreover, under investigation two of the witches implicated three other women in their sabbat 20 , and a document in the Brandenburg State Archives 21 reveals that yet another woman in Perleberg confessed to participating, too. The fate of these latter four women is not clear, but in just one week’s time, at least eight and perhaps twelve witches were caught, tried and burned in one small city. Those confessions, certified by execution, must have sparked fears that an evil conspiracy was afoot. This was the moral panic Albinus told Camerarius of. Although I believe they should be, these trials are not famous. We know about them because the minutes of the Brandenburg Appeals Panel ( Schöffenstuhl 22 ), 19 Raumer 1841, 239. I elaborate on this source just below. 20 Raumer 1841, 239. 21 Brandenburgisches Landeshauptarchiv 1565, cited by Enders 1998, 29. 22 The Brandenburg Schöffenstuhl (or Schöppenstuhl ) was an appeals board that conducted hearings and issued advisory opinions to the original court. Its members were laymen or counselors ( Ratsherren , consiliarii ) with legal training, and (because Brandenburg was then divided) they were drawn from both Altmark and Neumark Brandenburg. The board met in joint sessions in Brandenburg City in a building on stilts in the middle of the Havel River. According to Kaak 2006, 142-143, “Besides the University of Frankfurt Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 343 which investigated them at the local authorities’ request, are still extant - they are the source of the diabolical confession I have just quoted. 23 The Perleberg trials took place in Altmark, in West Brandenburg. Although Adrianus Albinus lived in Neumark, in East Brandenburg, he certainly knew about them. As chancellor of Neumark he would not have been a member of the Appeals Panel, but he was well aware of its activities. According to the legal historian Adolph Stölzel (1901, vol.1, 372-373), Der Berather des Markgrafen war sein Kanzler Hadrianus Albinus aus Lauban, einst Wittenberger und Leipziger, dann Frankfurter Professor; für ihn traten die Schöppenstühle in den Hintergrund, er hielt es mit den Universitäten, namentlich mit denen, die ihm nahe standen. The Margrave’s legal advisor was his chancellor, Adrianus Albinus from Lauban, formerly professor [sc. of law] in Wittenberg and Leipzig, then in Frankfurt [Oder]. The Appeals Panels became less relevant for him, and he kept it with the universities, especially those that were close to him. This seems to mean Albinus trusted the law faculty more than the Appeals Panels. 24 At any rate, it shows that Albinus was not merely aware of the Appeals Panel’s activities. He was in charge. Occam’s razor dictates that it was this spate of witch trials in Perleberg in 1565 that Albinus told Camerarius about during his two stops in Leipzig. That is my solution to one of the mysteries Camerarius poses in his letter. If I am right, it explains why Camerarius repeatedly uses vos and vester rather than tu and tuus when writing to Albinus about the trials. Perleberg, in Prignitz, is on the opposite side of Brandenburg from the Altmark. That suggests Camerarius is referring to Mark Brandenburg generally and as a whole rather than the Neumark particularly. 25 It also explains Camerarius’ characterization of the witches, not as lamiae , striges , maleficae , or sagae , but as “poisoners” ( mulierum on the Oder, the Brandenburg Schöffenstuhl (bench of jurists) was the most important authority within the electorate to which cases were sent for assessment. For the period between 1548 and 1680, the Schöffenstuhl files list some 269 requests from different areas of Brandenburg under the heading of “magic” ( Zauberei ).” 23 They are printed in Raumer 1841, 239-242 and partially reprinted, with commentary, in Vogel 1901, 7-9. The minutes are dated May 5 and 12, 1565. 24 Alternatively, Stölzel could mean that “it was for Albinus that the Appeals Panels stepped back,” but this seems less likely. 25 E.g. quid apud vos compertum prolatumque fuisset and sed in vestris actionibus . Incidentally, Albinus’ colleague and counterpart chancellor in Altmark was Lampert Distelmeyer (1522-1588), who had been a friend of Camerarius’ since his student days in Leipzig (Stölzel 1888, vol. 1, 195-196). 344 Michael Fontaine quarundam veneficarum ). His wording reflects the original charge laid against the witches of Perleberg. It is clear from the letter that Camerarius had already believed in demons and, presumably, witchcraft or harmful magic ( maleficium ) - poisoning, uttering oaths, casting spells, and other physical interventions - long before Albinus arrived. His revelation, therefore, was the sudden realization that the witches’ sabbat, replete with lurid demon sex, was real and was being celebrated right there in Germany. The Perleberg confessions, and executions, had just proven it. In the study of infectious diseases, the initial patient in the population of an epidemiological investigation is called “patient zero.” If I may borrow this medical metaphor, Adrianus Albinus became patient zero in spreading a noxious idea from Brandenburg to Leipzig. When he escaped “quarantine” and carried it to Leipzig, he infected Camerarius. Had Albinus not mentioned the trials, they would have remained known only locally; which is to say, they would have remained unknown generally. I will come back to this point. To sum up, we have answered our original three questions: what happened, when it happened, and what Albinus said to so suddenly prompt Camerarius to change his beliefs. Now we have to ask why he believed such nonsense. 5. Witches in Camerarius’ Neck of the Woods The Blocksberg is 190 kilometers from Perleberg. It would take 38 hours to walk there, three to drive. A flying broomstick evidently travels faster than that. Why did Camerarius convince himself this foolishness was true? Why did he convince himself that women could fly halfway across Germany by night to carouse on a mountaintop with the devil and have sex with evil spirits? Why did he not realize these confessions had not only been extracted by torture or the threat of it, but that the details had been obviously suggested - could only have been suggested - by the inquisitors themselves? Why did he not spot an absurd miscarriage of justice, and realize that his good friend Albinus was a credulous fool who could not distinguish fact from fantasy? Before I answer these questions, I want to correct one misimpression. Recall how Camerarius characterized the fateful night of his conversion (p. 5): Atque ego me aliquando paulo antequam cubitum irem librum Pici percurrentem, memini noctem illam habuisse valde gravem ac difficilem, obversantibus animo terroribus variis de iis quae ibi referuntur. I remember leafing through Pico’s book that night just before going to bed and having an awful, simply horrible, night. My mind was haunted by all kinds of frightening thoughts about the stuff in that book. Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 345 Notice that Camerarius is not saying that he h a d b a d d r e a m s after reading Pico’s book. 26 He says he c o u l d n o t s l e e p that night because he was thinking obsessive thoughts. Camerarius is no Scrooge, who sees the Ghost of Marley and thinks the apparition no more than “an undigested bit of beef, a blot of mustard, a crumb of cheese, a fragment of underdone potato.” 27 Rather, he is like the man who types his doubts into Google late one night and begins concocting an absurd conspiracy theory to explain all his life’s woes. This is the point and image we must grasp clearly and not lose sight of. What thoughts troubled his mind? Recall once more Camerarius’ main contention (p. 28): Neque est res ista nova, sed priscis quoque temporibus nota atque usurpata. Nomina tantum et voces mutantur, caetera sunt eadem. That thing you mentioned? It’s nothing new. People knew about it and did it in antiquity. It’s all the same; only the names have changed. He means, as I have noted, sexual intercourse between humans and demons. What is his evidence? He begins with a memory dredged up from his childhood. “When I was a boy,” writes Camerarius (p. 29): Vidi puer in aedibus paternis hominem nobis ex plebe familiarem, et audivi narrantem, se aliquando a vicina sua foemina, appetente consuetudinem ipsius, invitatum sub vesperam ad lactis, more nostrae gentis, secundas mensas. Cum ego inopinato ianua forte aperta, accessissem, cerno illam inquit, de cultello in parietem infixo, lac copiosum emulgentem, cum me ipsa adesse non animadverteret. Subduxi igitur me statim clanculum, et postridie excusavi, expostulante ea mecum, negotia mihi subito tum oblata. Sagas appellarunt veteres genus istud. I saw a family friend in my parents’ house, a commoner, and I heard him telling of an occasion when a woman, a neighbor of his, had invited him to her place in the early evening for a milk dessert (that’s a custom among our race), because she wanted to have sex with him. Because I found the door unexpectedly open I came up closer, and the man said, “I saw her milking a lot of milk from a knife stuck in the wall, since she 26 I disagree with Grafton 2006, 279: “[T]he Tübingen [sic] professor Joachim Camerarius ascribed one night that he spent tormented by horrid dreams to the fact that he had foolishly read Giovanni Francesco Pico’s eery dialogue on witches, the Strix (Hoot-Owl), before going to bed.” Actually, Camerarius blames the hauntings not on horrid dreams but on horrid thoughts ( memini noctem illam habuisse valde gravem et difficilem, obversantibus animo terroribus variis ). Grafton / Rowland 2002 are more correct to state: “Camerarius […] recalled how, after reading Pico’s book a little before bedtime, he had spent a terrible night, ‘my mind full of all sorts of fears inspired by the things narrated there.’” 27 Dickens 1843, 11-12. 346 Michael Fontaine didn’t notice I’d arrived. So I immediately snuck out and when she reprimanded me the next day for not showing up, I told her something had suddenly come up.” The ancients called that type of woman a saga . 28 The belief that witches milk walls is classic lore, mentioned in the Malleus Maleficarum (pp. 142b-c). But it is remarkable that Camerarius so readily credits such shaky proof of it - a tale of an attempted seduction that was probably garbled in the telling (perhaps deliberately), garbled in the overhearing, and garbled by the passage of so many decades. Later Camerarius relates another personal anecdote to demonstrate his contention that God permits evil spirits to wreck and destroy His creation. The reasons lie beyond our human ken, but God clearly does allow disasters to fall upon innocent men or beasts (p. 38): Quodam in oppido venit Iudaeus ad mulierculam anum et petit ab illa, acquirat alicunde sibi lac muliebre, promittitque donum, si afferat. Haec sibi notam alteram accedit, et rem ei exponit, quidque in mentem venerit sibi, ut Iudaeus eludatur et donum tamen accipiatur, indicat. Habebat mulier illa scropham lactantem, eam mulgent, et lac defertur ad Iudaeum. Qui id quod statuerat cum cepisset agere, audit grunnitum, et intelligit quid factum sit. Atque tota ea in vicinia sues foeda tunc lue interierunt. Re autem cognita et de Iudaeo et illis mulierculis supplicium tanquam veneficis in dolore recentis damni, quod homines eius regiones fecerant, sumtum fuit. In a certain town a Jew came to an old woman and asked her to get him some breast milk, promising her a gift in return. The woman went to another woman she knew and explained the situation, and then reveals how she has hit on the idea of cheating the Jew and getting the gift from him anyway. The second woman had a pig that was lactating; they milk it and bring the milk to the Jew. When he had started to keep his end of the bargain, he heard grunting and figured out what had happened. And every pig in the area then died from an awful plague. When the situation was investigated, both the Jew and the two women were punished as witches ( veneficae , poisoners) in anger at the recent loss that the people of that region had incurred. Camerarius presents this anonymous anecdote - no names, no locations - with remarkable dispassion. The obvious reason the Jew sought breast milk was the birth of his child, but Camerarius does not bother to point it out. As he tells the story, the plague that infected and killed the pigs was caused by, and not merely subsequent to, the women’s trick. In his mind, we are left to infer, the Jew (as heretic) and women (as poisoners or witches) are responsible for it. 28 In Neo-Latin saga means witch . In classical Latin it means female diviner , wise woman , fortuneteller , soothsayer - and bawd or procuress . Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 347 For Camerarius, they illustrate the reality and efficacy of harmful magic in the physical world. These stories of his own times, I suggest, are what haunted Camerarius’ mind that fateful night, and they bring us back to our original question: Why did he credit rather than dismiss them? The answer lies in the book he stayed up late reading, which he calls De strigibus and that its author, Pico, called simply Strix , “The Witch.” 6. New Worlds, Near and Far: Pico’s Strix (1523) Gianfrancesco Pico della Mirandola (1470-1533) was an Italian philosopher and count of Mirandola, a city-fortress near Modena. He published Strix in 1523. Unlike the scholastic Malleus Maleficarum , on which it drew heavily, Strix is a humanistic dialogue in three books. In it three characters - an Inquisitor ( Phronimus ), a Skeptic ( Apistius ), and a Moderator ( Dicastes ) - debate the reality of witchcraft, including the witches’ sabbat. The characters conclude that witches are real and that they pose a clear and present danger to society. The book is full of lurid and ridiculous stories about witches’ malefactions, but I would like to suggest that one passage in particular was decisive for converting Camerarius from skepticism to belief. At the end of the second book, Dicastes asks Apistius an arresting question: 29 D icAstEs : Credis exire naves e Gadibus et a portu Ulyssiponis Lusitaniae, easque modo conversas in Zephyrum per viginti plus minus stadiorum myriadas ferri, ad terram tam vastam, cuius adhuc sit ignotus ambitus, modo impellente Zephyro per Atlanticum pelagus ad Indicum sinum appellere? A pistius : Quid ni credam? D icAstEs : Cui credis? A pistius : Tot mercatoribus, qui dicunt se tale iter peregisse: ἐπ’ εὐρέα νῶτα θαλάσσης. D icAstEs : Eos ne allocutus es unquam? A pistius : Ego quidem nunquam sed cum eis mihi fuit sermo, qui ea propriis auribus hausisse ab iis, qui navigarunt affirmavere. D icAstEs . Do you believe ships leave the ports of Cádiz and Lisbon and that after they turn into the west wind, they travel roughly 200,000 stades to a land so enormous that its circumference is still unknown; and that, soon after, when the west wind drives them through the Atlantic, they reach the gulf of India? A pistius . Of course I do. 29 I cite the text here and below from Perifano 2007 (pp. 95-96 = pp. F2v-F3r) and have occasionally corrected his punctuation. 348 Michael Fontaine D icAstEs . On whose word do you believe that? A pistius . All the merchants who say they’ve made that kind of journey, “over the broad back of the sea.” D icAstEs . Have you ever talked to any of them personally? A pistius . Not personally, no, but I have talked to people who say they’ve heard it personally from those who made the trip. This exchange traps Apistius into acknowledging the inconsistency in his believing second-hand accounts of voyages to the New World, and his disbelieving second-hand accounts of the witches’ sabbat. The realization that he has never spoken directly to anyone who had been to the New World causes his belief in the reality of that New World to waver. The opposite is true of Camerarius, and it must, therefore, have strengthened rather than weakened his convictions. Camerarius had personally known Philipp von Hutten (1505-1546), the German conquistador who led a voyage to Venezuela and was beheaded by the Spanish authorities there on Easter 1546, nineteen years before the Perleberg witch trials. 30 Hutten’s dramatic life and death could have left no question in Camerarius’ mind that voyages to the New World were real indeed. Dicastes then asks Apistius, “Couldn’t those authorities be tricking you? ” Apistius replies, “Come on, who would argue that men of credible authority ( viros graves ) like to tell lies? ” Dicastes has a ready rejoinder: D icAstEs : Si ego tibi non pauciores numero, non minori gravitate testes produxero in medium, qui ferri ad ludum striges iureiurando etiam confirmavere, qui daemones muliebri specie succumbere viris, qui mulieribus tanquam viros incumbere daemonas adacti, sacramento confessi sunt, nonne acquiesces? […] A pistius : Hoc tuum epicherema nonnihil haberet roboris, si non applicaretur rebus quae supra naturam videntur, sed quae in communi usu hominum versari soleant. Propterea non repugnavi navigationi classis Hispaniae Dianae ludo repugno. p hronimus : Multo magis adversari quis posset praedicantibus indicum iter, quam ludum nocturnae Hecates, quoniam illud non fuit ullo modo cognitum antiquitati. […] De strigibus vero et in veterum et neotericorum libris aperta mentio. D icAstEs . If I produce witnesses for you, no fewer and of no less authority, who have even assured us on oath that witches ride to their sabbat 31 , that men have sex with demons in the guise of women, who have sworn and confessed at trial that women have sex with demons in the guise of men, wouldn’t you grant the point? […] 30 Schmitt 2003. 31 Ludus here refers to the ludus Dianae , the witches’ sabbat. Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 349 A pistius . Your reasoning would impress me if it applied to the real world around us and not to matters that strike me as supernatural. That’s why I haven’t denied the sailing of the Spanish fleet but I do deny the witches’ sabbat. p hronimus . One could disagree much more with those who speak of sailing to the New World than of the witches’ sabbat, because the former was completely unheard of in antiquity. […] Witches, on the other hand, are mentioned in the books of ancient and modern writers alike. This ingenious argument concludes the second book, and it rattles Apistius. He remarks, “I can’t quite say how, but I already feel myself inclining toward your view” ( propendere animum iam iam mihi nescio quo pacto sentio, ut in tuum vergat sententiam ). We could call it “the New World argument” (argumentum ex novo orbi) , and it is worth noting that because the Malleus was published in 1487, five years before Columbus set sail, Pico could not have borrowed it from that book; he must have devised it himself. That is why I suspect it is the one argument that flips Camerarius - flips his view, and flips him out. Here it is helpful to recall a few key dates. Camerarius was born in 1500. Two years earlier, in 1498, Vasco da Gama had discovered the ocean route around Africa to the East - to Calicut in India. Six years before that, in 1492, Columbus had discovered America, and in 1503, when Camerarius was a toddler, he completed his fourth and final voyage. In the interim, European colonization had commenced with dizzying speed. By 1504 at the latest it became widely known, or at least argued, that Columbus had not reached India but had discovered a New World, the Mundus Novus - a term coined in 1503 by Amerigo Vespucci to designate South America. And by 1507 cartographers had already named it America. In 1513 Balboa discovered America’s western coast - the Pacific Ocean - and between 1519 and 1522, Magellan and his crew made their immortal circumnavigation of the globe, the first in world history. This was the world into which Camerarius was born and came of age. It was utterly different from the world his father had known, and - to use a cliché that is true - there was no going back. It would be as if we had, just a few years ago, discovered a twin Earth teeming with life on the far side of the sun, and we already had colonists shuttling back and forth - bringing us back new species, new products, new cultures, new modes of life and, not least, new drugs and medicines. Camerarius must have reasoned that if mankind had only just, in these latter days, discovered a whole New World beyond the ocean, why could mankind not also, in these same latter days, discover a whole New World that comes alive at night? And if such a world exists, it might not be a recent discovery; maybe 350 Michael Fontaine the ancients had known about it. To an antiquarian like Camerarius, this notion must have been plausible. And so he peruses ancient books and finds evidence for it - everywhere. The life and death of Philipp von Hutten drove home the reality of the New World. Hutten was a credible man, and a friend. So was Adrianus Albinus. To Camerarius, both were viri graves , men of authority. His mistake was to think that they were witnesses of the same order: Hutten had seen these things himself; but Albinus’ beliefs were nothing more than worthless hearsay. 7. Should we demonize Camerarius? Some modern parallels By 1580, six years after Camerarius’ death, belief that a witches’ sabbat was celebrated on the Blocksberg had spread throughout Germany. For example, it is the subject of an anonymous treatise printed in Rostock that year titled Concerning the Witches’ sabbat in Brocken Mountain, which is also called Blocksberg . 32 Camerarius did not mention the sabbat explicitly in his Plutarch book, but he did discuss sex with demons. So did his book - and its reprints - help promote belief in it? Earlier I compared Albinus to patient zero. Now I must change the metaphor and describe Camerarius as a broadcast tower. He took an existing idea and amplified it, and not only as a radio tower amplifies sound. He also amplified it in stature, adding dignity and authority to a rabble-rousing mistake. His authority authenticated and relayed the idea throughout Germany, where it went viral. Social media in our times shows us all how too well how this happens. What Camerarius did was worse than authenticating a forgery, like spurious fossils or a Vermeer painting. 33 Camerarius - the university reformer, the “eye of Germany,” the heir of Erasmus - authenticated a mistake. Should we condemn him, and Albinus, for their credulity? I would not be too quick to do that. It is striking to read the minutes of the Perleberg and other witch trials and to discover that the women had repeatedly been accused of poisoning men’s beer. 34 This was the initial allegation that got many of them in trouble, and it sounds dire indeed until we translate it into contemporary terms. Formerly, when men were strong and women weak, men accused old women of poisoning their alcoholic drinks; now, when women are 32 Anonymous 1580. 33 It is a bizarre and cautionary irony that Hugh Trevor-Roper (1914-2003), a former Regius Professor of Modern History at Oxford University and the most perceptive historian of Europe’s witch craze, subsequently authenticated the spurious Hitler diaries: Trevor- Roper 2001 (1967), Harris 1986. 34 Raumer 1841, 238-240 (e.g. “das Bier verdorben”, p. 240). Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 351 stronger and men are growing weaker, women accuse young men of poisoning their alcoholic drinks. As Camerarius put it, nomina tantum et voces mutantur, caetera sunt eadem : Only the words and names have changed. Formerly, men spoke of poisoned beer. Today, we speak of spiking drinks and “roofies.” As I write, fears that an epidemic of acquaintance rape are sweeping American universities, where in an accuser’s mental impairment, not toxicology, typically suffices to convict the accused of administering a date rape drug. The idea that bad people are poisoning our alcoholic drinks is plausible and may happen, but according to the only available study of such claims, it does not happen in anything like the numbers that are commonly claimed. 35 Yet the belief persists and is spreading, and accusations continue to be accepted as proof; whereas skeptical voices are hard to find. 36 Like many of his contemporaries, Camerarius made the fatal leap of faith from physical harm (poisoning: cf. veneficae ) and threats of it (invoking the devil) to supernatural crime - the witches’ sabbat. But that is less a giant leap than a small step on the journey. When Christianity ruled Europe, mass delusions were theological. When Christianity declined, mass delusions, and moral panics, have become secular - they are scientific, historical, and medical. Examples are unnecessary because, by definition, most of us cannot perceive them when we are living through them. If you do, it is usually not advisable to speak out. Having published a book doubting the medical model of mental illness, the American psychiatrist Thomas Szasz (1920-2012) once observed - echoing Plato’s Allegory of the Cave - that “it can be dangerous to be wrong, but, to be right, when society regards the majority’s falsehood as truth, can be fatal.” 37 On another occasion Szasz reflected on why this is so: 38 Well-entrenched ideologies - such as messianic Christianity had been, and messianic Psychiatry now is - are, of course, not easily refuted. Once the basic premises of an ideology are accepted, new observations are perceived in its imagery and articulated 35 Quigley et al. 2009 examined 101 patients presenting at a hospital in Australia with suspected drink spiking within the previous 12 hours and found none of them valid: “Of the 97 alleged drink spiking cases included, there were only 9 plausible cases. We did not identify a single case where a sedative drug was likely to have been illegally placed in a drink in a pub or nightclub. […] Our study did not reflect the current public perception of drink spiking. Drink spiking with sedative or illicit drugs appears to be rare. If drink spiking does occur, ethanol appears to be the most common agent used.” 36 The other main allegation in Camerarius’ time is that witches caused irregularities in weather patterns. Although I have no competence to speak on the topic, the parallel with fears of manmade climate change today is too obvious to pass by. 37 Szasz 2002, 176. 38 Szasz 1997 (1970), xvi. 352 Michael Fontaine in its vocabulary. The result is that while no fresh observation can undermine the belief system, new “facts” generated by the ideology constantly lend further support to it. This was true in the past for the belief in witchcraft and the corresponding prevalence of witches, and it is true today for the belief in mental disease and the corresponding prevalence of mental patients. Camerarius did this. He relied on his well-entrenched ideology to generate new “facts” about witches and the corresponding prevalence of witches, and lent his support to it. In sizing up the Great Witch Craze as a whole, Hugh Trevor-Roper remarked: 39 The humanist spirit might be critical in a Valla or an Erasmus, but it could be uncritical in others to whom the very fables of Greece and Rome were as Holy Writ: and those fables - of Circe, of Pegasus, of the amours of gods with men - could be called in to sustain the witch-beliefs. Camerarius falls squarely into the second category. For him, the fables of Greece and Rome were as Holy Writ. So I would not be too quick to condemn Albinus and Camerarius for their credulity. His decision to get involved - to speak out publicly - is a different matter. If public intellectuals are responsible for their public statements, we must condemn Camerarius for his. He abused classical literature - taking the fictions of Plautus, Ovid, Apuleius, and others as evidence of reality, and, to judge from the reprints of his letter to Albinus, he persuaded others he was right. Nietzsche has been called a “proto-Nazi” for fostering an intellectual environment in Germany in which National Socialism could flourish. Just so, it would appear that we could call Joachim Camerarius a “proto-Inquisitor” or “proto-witch hunter” for serving - albeit unwittingly - the cause of witch hunting. There are lessons here for all of us. 8. Appendix Did Camerarius recant his belief in witchcraft on his deathbed? In Lea 1939, vol. 1, 248 we read: J oAchim c AmErArius . Camerarius was consulted in 1571 by William IV of Hesse Cassel (son of Philip the Magnanimous) [ 1532-1592 ] about some women arrested for jugg- 39 Trevor-Roper 2001 (1967), 123. Camerarius 1568, 41 addresses the amours of gods with men (in his view, the pagan gods were simply demons: 1568, 44-45). Since I have just mentioned the allegation that the Perleberg witches poisoned men’s beer, it is worth pointing out that in Odyssey 10, 235-236 Circe, the archetypal witch of western literature, tricks men by drugging their wine. Joachim Camerarius on Witches, Witchcraft, and Criminal Responsibility 353 lers’ [ i.e. swindlers’ ] tricks on a boy. Camerarius opposed the use of torture in such cases and also the water ordeal which Wilhelm was disposed to employ, as he was sure that they would sink, and warned him against the cruelty of witch-burning and the prosecutions by which the innocent were obliged to confess. This suggests Camerarius, who died in 1574, repented late in life for the views he expressed in his letter to Albinus a decade earlier. Sadly, it is apocryphal. Lea has mistaken Camerarius the Elder for his son, Joachim Camerarius the Younger (1534-1598), a distinguished physician and naturalist of Nuremberg and a known associate of William’s over many years. 40 Lea’s ultimate source is traceable to a misinterpreted marginal date in Christoph von Rommel’s monumental History of Hesse . 41 In an interesting coda, the elder Camerarius’ younger son, Philip (1537-1624), doubted that the airborne transportation of human beings over great distances through diabolical means, as happens in the Bible, was possible. 42 At least one later author took that opinion to conclude that the witches’ ride to the Blocksberg on Walpurgis Night was physically impossible. 43 Bibliography Adam, Melchior: Vitae Germanorum medicorum. Frankfurt am Main, 1620 (http: / / tinyurl.com/ qg67qdw). 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Second, a footnote reference to the c. 1695 manuscript Hessische Chroniken , which belonged with a related story, became mistaken for the source of the Camerarius story. In short, Lea’s Camerarius-William story has no source and there is no reason to tie it to 1571. 42 Camerarius 1602-1609, vol. 1, 334, referring to the temptation of Jesus in Matthew 4, 5 and Luke 4, 9. 43 Müller 1745, 13. 354 Michael Fontaine Leipzig 1576. http: / / tinyurl.com/ n9qh658 (dated on the last page; contains an illustration of Christ on the title page). Preface reprinted in Frankfurt am Main 1581 in Iacquerius 1581). Camerarius, Philip: Operae Horarum Subcisivarum, Sive Meditationes Historicae, 3 vols., Frankfurt am Main 1602-1609 (http: / / tinyurl.com/ q5rgsow). Dickens, Charles: A Christmas Carol, London 1843. Enders, Lieselott: Weise Frauen - böse Zauberinnen. Hexenverfolgung in der Prignitz im 16. und 17. Jahrhundert, Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 49, 1998, 19-37. 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Register Acontius, Melchior 213 Carmen in Meteora Plinii 213 Adam, Melchior 133 Aemilius, Georg 213 Aeschines 107 Aesop 10, 67, 181 Agapetus Diaconus 108, 115 Expositio capitum admonitoriorum 107, 114, 116 Agricola, Johannes 203 Aischylos Sept. 152 Alberti, Leon Battista De equo animante 189 Albinus, Adrianus 336 f., 339 ff., 343 f., 350, 352 f. Albumasar 214 Alexander der Große 171 Ambrosius (Bischof von Mailand) 113 Epistulae 109 Andronicus, Tranquillus 328 Aphthonios 70 Apian, Peter 203, 214 Apollonios Rhodios 34 Apuleius 352 Arat 209 Aristoteles 35, 65, 67, 87, 107, 137, 139, 141, 150, 152, 154-157, 160 f., 180 E. N. 180 Poet. 65, 87, 138, 155 Arrian 108 Athanasius contr. gent. 141 Athenaios 179 Atticus, Titus Pomponius 303 Ausonius 30 Bakchylides 35 Bapst, Valentin 78, 100, 111, 307 Bärwald, Jakob 98 Basilius (Kirchenvater) 30 Baumgartner, Hieronymus 311 Beccadelli, Antonio (Panormita) 128 Bembo, Pietro 86, 292 Bey, Bali 332 Bion von Smyrna 64, 66 Bohemus, Johannes Mores, leges et ritus omnium 113 Boiardo, Matteo Maria 128 f. Bonincontri, Lorenzo De rebus naturalibus et divinis 209 f., 213, 221 Borner, Caspar 29 Bracciolini, Poggio 84, 88, 139 Bretschneider, Johannes 291 Brenz, Johannes 211 Brodaeus, Johannes 170, 176 Brodericus, Stephanus 330 Historia verissima 330 ff . Brognolus, Benedictus 129 Bruni, Leonardo 170 f. Historia rerum gestarum in Graecia 175 Buchner, Nikolaus 210, 212 Budé, Guillaume 131 Burton, John Pentalogia 148, 152 Bysshe, Edward 114, 117 Caesar, Gaius Iulius 60 Caesius, Georg 209 Calvin, Johannes 303 Camerarius d.Ä., Joachim Aeolia 209 Astrologica 200, 202, 205 Bonis iuuvenibus 84 358 Register Capita pietatis et religionis Christianae versibus Graecis comprehensa ad institutionem puerilem 23-42, 211 Commentarii in Ciceronis Tusculanam primam 87 Commentarii Thebaidos fabularum Sophoclis 138, 148 Commentarii utriusque linguae 78, 88, 240 f. Commentarius de generibus divinationum 200, 202, 214, 233-260 Commentarius explicationis primi libri Iliados Homeri 64, 132 Commentarius in Novum Foedus 64 Commentatio explicationum omnium tragœdiarum Sophoclis 148 De clade accepta 325, 329 De eorum qui cometae appellantur nominibus 200, 214, 216 De Graecis Latinisque numerorum notis 214 De imitatione 86, 91 De natura et effectionibus daemonum libelli duo Plutarchi Cheronensis 235 ff ., 246, 336 De nominibus equestribus 189, 192 De orthographia 64 De Philippi Melanchthonis ortu 272 De rebus Turcicis commentarii 325, 333 De solis defectu 200, 210-213, 221-232 De tractandis equis 111, 188, 190 f. Eclogae 66, 211 Elegiae odoiporicae 190 Elementa Rhetoricae 325, 330 Epitaphia epigrammata 311 Historica narratio de fratrum orthodoxorum ecclesiis 137, 139 Historiola rei nummariae sive de nomismatis Graecorum et Latinorum 189 In Homeri Iliados librum secundum 132 Libellus gnomologicus 95 ff ., 101, 104, 106-110, 112-118, 190 Libellus novus 263 f., 275, 281, 283 ff., 287, 290, 294 Liber continens continua serie epistolas Philippi Melanchthonis 263, 274 Narratio de Eobano Hesso 268 f., 272 f. Norica sive de ostentis 11, 200-209, 214 f. Opuscula aliquot elegantissima 210 Oratio de studio bonarum literarum atque artium et linguae Graecae ac Latinae 59 ff . Oratio senatoria de bello Turcico 325 f., 328 f. Phainomena 209 f. Prognostica 209 f. Prooemium in Historias Herodoti 127, 131 f., 134, 138, 142 ff. Ptolemaei Quadripartitum 63, 201 Quintiliani Oratoriarum institutionum liber decimus 88 Tertius libellus epistolarum H. Eobani Hessi et aliorum 312 Xenophontis Cyropaedia 169, 171-177, 179 f., 188 Xenophontis de re equestri 169, 175, 187-194 Xenophontis de re publica Atheniensium 169, 175, 188 Xenophontis de re publica Lacedaemoniorum 169, 175, 188 Xenophontis de vectigalibus 169, 171, 176 f., 188 Xenophontis Hellenica 175 Xenophontis Hipparchicus 169, 175, 188 f., 191 Xenophontis Oeconomicus 169, 171, 188 Camerarius d. J., Joachim 106, 133, 201, 210, 267, 291, 353 Camerarius, Ludwig 233-239 Register 359 Camerarius, Philipp 201 Campano, Giovanni Antonio 289 Casaubon, Isaac 116, 140, 143 Castellio, Sebastian 175 Castelvetro, Lodovico 155 Chion von Heraklea 178 epist. 178 Christoph (Herzog von Württemberg) 181 Chytraeus, David 101, 103, 135, 139, 142 f. De lectione historiarum recte instituenda 135 Cicero 29, 60, 63, 67, 70, 84, 86 f., 89, 129, 134, 139, 162, 170, 175, 182 f., 202, 242, 247 f., 330 Arch. 60 div. 202, 242 fin. 89 leg. 128 orat. 137 Q. fr. 139 Tusc. 71 Clemens von Alexandria strom. 141 Columbus, Christophorus 349 Cordus, Euricius 278 f., 285 f. Cracow, Georg 102 Cranach, Lucas 87, 99 Cratander, Andreas 205 Cricius, Andreas 330 Croke, Richard 61, 68, 114, 132 f., 187, 337 Cruciger, Caspar 306 Curione, Celio Secondo 266 Cuspinian, Johannes 326 ff . Oratio protreptica 326 Daum, Christian 266 Demosthenes 25, 60, 62, 66, 107, 182 Olynth. 182 Diodor 236 Diokletian (Kaiser) 315 Dion Chrysostomos 66 Donatus, Nicolaus 129 Drach, Johannes 270 f., 273, 285, 295 Dudith, Andreas 106 f., 117, 291 Dürer, Albrecht 7, 10, 66, 71, 87, 335 Edeling, Joachim 103 Hodoeporicon 103 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 10, 61 f., 66, 71, 80-84, 86 f., 89, 100, 131, 163, 268, 292, 306, 338, 350, 352 Ciceronianus 71, 86 f. Epistulae 156 Ernesti, August Wilhelm 12, 101 Estienne, Henri 65, 127, 135, 143 f., 169 f., 174-180, 182 Apologia pro Herodoto 127, 135, 143 Estienne, Paulus 127 Euklid 67, 214 Euripides 25, 155 f. Ph. 152 Fabricius, Blasius 215 f. Fabricius, Johann Albert 12, 95, 98, 240, 335 Fabricius, Georg 25, 79 Fayser von Arnstein, Johann Hippiatria 189 Ferdinand I. (HRR) 327 Filelfo, Francesco 170, 175 f., 188 Flacius Illyricus, Matthias 64 Franz Frangepan (Bischof von Erlau) 328 Freyhub, Andreas 10, 175 Oratio in funere Joachimi Camerarii 96 Froben, Johann 63 Fuchs, Andreas 204 Fugger, Markus Von der Gestüterey 189 Gabrielius, Julius 170, 172, 176 Galen 89 f. Garbitius, Matthias 211 Gaurico, Luca 201 f., 209, 213 360 Register Gelenius, Sigismund 306 Georg (Fürst von Anhalt) 306 Georg (Herzog von Sachsen) 29 f. Gesner, Conrad Historiae animalium 189 Gesner, Konrad 280 Gianfrancesco Pico della Mirandola Strix 338, 341, 347 Giovio, Paolo 331 ff . Commentario de le cose di Turchi 332 Historiarum sui temporis 331 Goclenius, Konrad 306 Gorgias 91 Griespek, Florian 102 Grotius, Hugo Annotationes in Libros Evangeliorum 64 Grynaeus, Simon 79-82, 214, 279, 292 f. Guarimberti, Matteo 201 Heinrich (Herzog von Sachsen) 29 Held, Georg 133 Helt, Georg 306 Hepharistion, Theben 201 Hermes Trismegistos Iatromathematica 201 Herodot 25, 67 ff ., 107 f., 127-144 Historiae 127-131, 135 f., 138, 189 Herwagen d.Ä., Johann 78 f., 133 Hesiod 25, 131, 139, 229 Erg. 222, 229 f. Hessus, Helius Eobanus 62, 66, 200, 202, 205-208, 268-273, 275, 277, 282, 285, 290, 294 f., 301 f., 304 Homer 10, 25, 28, 34 f., 37 f., 41, 63, 66 ff ., 131 f., 139, 143, 163, 170, 175, 222 f., 229 ff. Hym. 230 Il. 34, 37 f., 64, 67 f., 163, 173, 176, 222-225, 229 ff. Od. 34, 37, 67, 163, 221-225, 229 ff., 352 Hommel, Johannes 306 Humelius, Johannes 62 Hutten, Philipp von 350 Imser, Philipp 212 Irenaeus von Lyon adv. haer. 141 Isokrates 107, 133, 181 ad Demon. 181 Justinian (Kaiser) 107 Kallimachos 60 Kammermeister, Hieronymus 306 Karlowitz, Christoph von 102 f., 111, 173, 190, 214, 289 Käuffelin, Balthasar 306 Koldewey, Friedrich 23 Krafft, Adam 269, 272, 304 Krafftheim, Johannes Crato von 102 ff ., 110 ff., 117, 267 f. Krause, Carl 294 La Bouthière, Georges de 209 Laertios, Diogenes 179 Lang, Johannes 285 Lavater, Ludwig 209 Levvenklaius, Johannes 169 f., 176, 188 Lipsius, Justus 265, 282 Livius 60, 69, 81, 330 Longinos 154, 156, 161, 163 Lotichius, Petrus 275 Loxan, Georg von 190 f. Ludwig II. (König von Böhmen und Ungarn) 327, 333 Lukian Indoct. 182 Luther, Martin 28, 30, 62, 99, 142, 165, 181, 237, 243, 286 f., 303, 309 Lykosthenes, Konrad 199, 208 f. Macrobius 67 Magellan, Ferdinand 349 Register 361 Mancinellus, Antonius 130 Manilius, Marcus Astr. 208 Manlius, Johannes 273, 304 Manutius, Aldus 129 ff ., 134, 148, 152, 275 Maraffi, Damiano 209 Martial 60 Maximilian I. (HRR) 328 Maximilian II. (HRR) 98, 101 f. Mehl von Strehlitz, Georg 107, 109 ff ., 117, 190 Melanchthon, Anna 316 Melanchthon, Philipp 9, 13, 24 f., 27 ff., 42, 61 ff ., 65 f., 69 ff ., 77, 81, 84, 96, 99, 101, 110, 130, 133, 142 f., 155 f., 158, 164 f., 170, 173, 175, 180 f., 201-205, 208-213, 233, 237, 243 f., 246, 248 f., 256 f., 263 f., 268 f., 271-274, 277, 279, 281 f., 285 f., 289-292, 295, 301-319 Chronicon Carionis 137 Cohortatio ad legendas tragoedias et comoedias 155 De studio artium dicendi 85 Initia doctrinae physicae 257 Mathematicarum disciplinarum tum etiam Astrologiae Encomia 209 Micyllus, Jakob 67, 211, 275 Milich, Jakob 200, 209, 213 Morata, Olympia Fulvia 266 Moritz (Herzog von Sachsen) 29 Moritz (Kurfürst von Sachsen) 269 Moschus 66 Mosellanus, Petrus 61, 114, 187 Münster, Sebastian Cosmographia 113 Muret, Marc-Antoine 266 Mutianus Rufus, Konrad 62 Myconius, Friedrich 203 Mylius, Johann 202, 205, 207 f. Nero (Kaiser) 207, 215 Nettesheim, Agrippa von 207 Nicomachus von Gerasa 214 Niger, Antonius 280, 283, 286, 289, 294 Obsequens, Iulius Liber prodigiorum 208 f. Oporinus, Johannes 63, 70, 78, 213, 284, 294 Oppian Hal. 224 f. Origenes contr. Cels. 141 Ovid 352 Palladius von Helenopolis 96 ff ., 104 f., 108 f., 112-117 De gentibus Indiae et Bragmanibus 97, 112 Palmieri, Mattia 129 Paulus (Apostel) 29, 60 Pazzi, Alessandro 155, 157 Perlach, Andreas 201 f. Petrarca, Francesco Familiares 266 Petreius, Johann 200 Peucer, Caspar 110, 209, 233 ff ., 237 f., 242 ff ., 246-253, 255 ff., 273 f., 304 Commentarius de praecipuis divinationum generibus 233-236, 238, 243, 255 ff. Peypus, Friedrich 203 Plato, Tiburtinus 201 Philon von Alexandria 109 Piccolomini, Enea Silvio (Pius II.) 286 De naturis equorum 189 Pico della Mirandola De hominis dignitate 88 Pilato, Leonzio 64 Pindar 60 Pirckheimer, Willibald 170 Plato, Tiburtinus 201 Platon 25, 89 ff ., 107, 141, 179, 200, 236, 242, 247, 351 Phaed. 91 Phdr. 242, 245 362 Register Resp. 60 Soph. 89 Plautus 7, 10, 63, 67, 69, 85, 283 f., 352 Plinius d.Ä. 207, 213 Plinius d. J. 264 Plotin 141, 249 Plutarch 67, 107 f., 128 ff., 132, 139 ff ., 337, 339 f., 350 Def. orac. 336 E apud Delph. 336 Herod. 128, 140 Vitae 340 Poliziano, Angelo 84, 86 Pollux, Iulius Onomasticon 179 Polybius 107 Pontano, Giovanni 63, 129, 201, 204 f., 207-209 Meteora 208 f. Urania 209 Portus, Franciscus 170, 174 Posselius, Johannes 25, 103 Praetorius, Johannes 106 f., 209, 291 Proklos 141 Ps.-Ptolemaeus, Claudius harpos 201, 204 f., 207 Ptolemaeus, Claudius 80, 202, 212 Almagest 201, 214 Tetrabiblos 62 f., 200 f. Puttenham, George Arte of English Poesie 72 Pythagoras 108 Quintilian 67, 86 ff ., 91, 130, 133 inst. 87 Quintus von Smyrna Posthomerica 224 Rambau, Hans 98 Rantzau, Heinrich 234, 237 f., 257 Regiomontanus 200 f., 214 Problemata 203 Reusner, Nicolaus 326, 330 Rhau, Georg 202 Rheticus, Georg Joachim 214 Ribittus, Joannus 175 Richter, Andreas 98 Richter, Georg 267 Richter, Gottfried 266 Ridley, Robert 209 Rigiis, Ludovicus de 201 Robortello, Francesco 65, 155, 163 Roting, Michael 205-207 Rubeus, Nicolaus 129 f. Rüdinger, Esrom 291 Rubeanus, Crotus 62 Sabinus, Georg 316 ff . Sadoleto, Antonio 292 Sambucus, Johannes 98, 103-108, 112-115, 117, 265, 291, 331 Scaliger, Joseph 135 Scholz von Rosenau, Lorenz 267 Schöner, Johannes 201, 203 f. Seneca d. J. 207 Sophokles 7, 10, 25, 63, 65 f., 147-157, 162-165 Ai. 147 f., 150, 153 f., 157 f., 160 ff., 164 Ant. 65, 153, 155, 157, 160, 164 El. 147 ff ., 153, 157 f., 161 O. C. 147 O. T. 65, 150 Squarcialupi, Marcello 209 Stählin, Friedrich 10, 63, 65, 96, 302 Stibar, Daniel 86, 302, 306 Stigel, Johann 30, 99, 213, 285 Stöffler, Johannes 212 Sturm, Johannes 182 Sturtz, Georg 271, 273, 277, 285 ff ., 289, 292 Suavenius, Petrus 272 Süleyman I. (Sultan) 327 Summer, Georg 12, 240 Szapolya, Johann von 327 Register 363 Tacitus 88 Theodor von Beza 281 Theokrit 66, 208, 232 Eid. 230 Theon, Ailios 71 Theon von Alexandria 80, 201, 214 Theophilus (Bischof von Antiochia) Ad Autolycum 141 Thomas von Aquin 141 Thukydides 67, 69, 107, 130, 135, 137, 212 Tournes, Jean de 209 Turnebus, Adrianus 63, 131, 148, 163, 281 f. De oraculorum defectu liber 235 Tyrtaios 326, 329 Ulrich (Herzog von Württemberg) 62, 211 Valens, Vettius Anthologiae 201 Valla, Giorgio 155, 157 Valla, Lorenzo 129 f., 352 Gesta Ferdinandi regis Aragonum 129 Varennius, Johannes 25 Vasco da Gama 349 Vasco Núñez de Balboa 349 Vergil 37, 66 ff ., 175 Vespucci, Amerigo 349 Vettori, Pietro 265 Vinzenz von Beauvais Speculum historiale 113 Virgili, Polidoro Dialogi de prodigiis 208 f. Vitrys, Jacques de Historia Orientalis 113 Vives, Juan Luis 131 Vögelin, Ernst 98-101, 117, 305 f. Volland, Caspar 306 Wallenrode, Matthäus von 306 Witzel, Georg 294 Wolf, Heinrich 210 f., 291 Wolf, Hieronymus 63, 103, 112, 116, 210 Wolf, Johann Christopher 117 f. Xenophon 67, 77, 107, 142, 169-175, 177 ff., 181 f. Ath. 169 f., 175 Cyn. 170 Cyr. 132, 139, 169-177, 179-183 Hel. 142, 170, 174 f. Hier. 170 Hip. 169, 175, 193 f. Hippar. 169, 174 f., 191 Lac. 169 f., 175 Mem. 170, 179 Oec. 169 ff . Symp. 170 Vect. 169 ff ., 177 Ziegler, Philipp 213 Zwinger d.Ä., Theodor 102 Zwingli, Huldrych 303, 314 Giessener Beiträge Camerarius Polyhistor Wissensvermittlung im deutschen Humanismus Die bisherige Camerarius-Forschung hat einerseits einen deutlich philologischen Schwerpunkt und hat es andererseits nicht vermocht, unterschiedliche Wissenschaftsgebiete, auf denen der Humanist tätig war, fruchtbar miteinander zu verknüpfen. In diese Lücke stößt der vorliegende Sammelband. Nicodemus Frischlin charakterisiert Camerarius in seiner Komödie Julius Redivivus (entstanden 1585) als „zweiten Varro, zweiten Theokrit, zweiten Polybius, als großen, erhabenen und gedankenreichen Redner sowie als gefälligen Dichter“ (VV. 1265-1267). In diesem Elogium werden nicht nur einige Disziplinen des Universalgelehrten mit je einem herausragenden antiken Vertreter benannt, sondern es kommt auch die deutliche Prägung des Humanisten durch die Rhetorik zum Ausdruck. Er selbst hatte die Auffassung vertreten, das Sprachstudium helfe beim Verstehen aller Künste, Begriffe seien nicht zur Erklärung von Dingen da, sondern aus den Dingen deduktiv hergeleitet. Seine „rhetorische“ Methode steht im Zentrum des Bandes. herausgegeben von Thomas Baier Baier (Hrsg.) Camerarius Polyhistor ISBN 978-3-8233-8109-9